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Damals schrieben die Zeitungen, dass „sie im Triumph kamen“; Cameron und Sarkozy kamen vor rund einem Jahr nach Tripolis und Bengasi, um den Jubel einer kriegsmüden Bevölkerung entgegenzunehmen und „den neuen Aufbruch Libyens zu grüßen“. Dies nachdem sie sowohl die Anti- als auch die Pro-Gaddafi-Fraktionen im libyschen Staat unterstützt hatten und kurz nach der Tötung einer unbekannten Zahl von Libyern, als diese durch Bombardierungen aus der Luft und Spezialkräfte vom Boden aus von Gaddafis Griff „befreit“ wurden. Der Krieg wurde, entgegen früherer Berichte, von Anfang an vollständig vom US-amerikanischen Imperialismus gebilligt, der – „aus dem Hintergrund agierend“ – die Briten und Franzosen dazu drängte, diese eminent wichtige Erdölregion im eigenen Interesse zu sichern, und gleichzeitig ein weiteres Gerangel unter den anderen imperialistischen Mitspielern eröffnete, die um einen möglichst großen Einfluss buhlten. Deutschland, das während des Krieges eine unbedeutende Rolle spielte, scheint kraft seiner wirtschaftlichen Schlagkraft und Kontakte besonders stark von Wirtschaftsabkommen mit Libyen zu profitieren; seine wirtschaftliche Stärke ist ein wachsender Faktor auf dem imperialistischen Schachbrett. Die lokale Ausbreitung der imperialistischen Barbarei geht weit über mögliche wirtschaftliche Vorteile aus dem libyschen Krieg hinaus. Ein weiterer kriegstreibender Faktor, der vom US-Standpunkt aus auf das imperialistische Gleichgewicht lastete, war die wachsende Instabilität in der Levante angesichts eines Post-Mubarak-Regimes in Ägypten, das sich plötzlich zweideutig gegenüber Israel verhält und iranischen Kriegsschiffen gestattet, den Suez-Kanal zu passieren.
Nicht dass die Feierlichkeiten anlässlich des ersten Jahrestags eines solch wichtigen Ereignisses verhalten gewesen waren; die Jahresfeiern des „Triumphes der Befreiung“ von Cameron und anderen waren schlicht nicht existent. Was nicht wirklich überraschend ist. Dies war angeblich der Krieg, in dem sie endlich die Lektionen aus dem Irak gelernt haben wollen, wie man Nationen nach dem Fall ihrer Tyrannen beschützt und wiederaufbaut. Doch der – größeren – Bevölkerung Libyens brachte die „Befreiung“ und ihre Nachwehen nichts anderes als Elend, Terror, Einschüchterung, Kürzungen, Inflation und eine Arbeitslosigkeit – einer der Auslöser für den ursprünglichen Aufstand -, die höher denn je ist. Das Land selbst ist zerrissen in diverse, sich bekriegende Fraktionen, einschließlich wiedererwachter dschihadistischer Kräfte, die mit al Qaida verknüpft sind. Am 27. August gab das US-State Department eine Warnung an US-Bürger vor unnötigen Reisen in Libyen heraus und fügte hinzu: „Die politische Gewalt, einschließlich Autobomben in Tripolis und Anschläge gegen militärisches Personal und angebliche Ex-Staatsfunktionäre in Bengasi, hat zugenommen. Konflikte zwischen den Milizen können jederzeit und überall im Lande ausbrechen.“ Simon Tisdall, der dies in The Guardian am 13. September zitierte, sagt ferner, dass die Rebellenarmee in Misrata über 30.000 Kleinwaffen unter ihrer Kontrolle hat, des Weiteren „revolutionäre Brigaden“, die über „mehr als 820 Panzer, Dutzende von schweren Artilleriegeschützen und mehr als 2.300 mit Maschinengewehren und Flugabwehrwaffen ausgerüstete Fahrzeuge verfügen“. Schaut man sich weiter in der Region um, so zeigt sich, dass der Krieg in Libyen noch mehr kriegerische und blutige Instabilität in Mali und in der gesamten Sahel-Zone verbreitet und den islamistischen Fundamentalisten im Maghreb, wenn man so will, zu einem neuen „Aufbruch“ verholfen hat. Bereits im Juni wurde das britische Konsulat in Bengasi angegriffen, wobei der Botschafter mit dem Leben davonkam. Diese Art von Ereignissen könnte gut Vorbote eines Zusammenbruchs à la Irak kombiniert mit einem endlosen Krieg wie in Afghanistan sein. Es geht nicht darum, ob die Amerikaner, Briten, etc. „ihre Lektionen gelernt haben“ aus ihren katastrophalen Kriegen der jüngsten Zeit, können doch der Imperialismus im Allgemeinen und diese Imperialismen im Besonderen, was immer ihre Bestrebungen sind, nur mehr Chaos, Instabilität und Krieg verbreiten.
Botschaftsmorde
Die Ermordung des US-Botschafters Stevens und dreier weiterer Botschaftsmitarbeiter in Bengasi am 11. September wird von der US-Administration als Reaktion auf den mittlerweile berüchtigten Film, der den muslimischen Glauben beleidigt, hingestellt. Doch der Zeitpunkt ist ein Indiz, und die Tatsache, dass der angeblich sichere US-Unterschlupf in Bengasi ebenfalls als Ziel auserkoren wurde, wie auch die zuvor nicht veröffentlichten Warnungen aus dem US-Bureau for Diplomatic Security deuten auf ein viel größeres und weitaus besorgniserregenderes Komplott gegen die Amerikaner und ihre Alliierte hin. Der Angriff war als Präventivschlag gegen eine CIA-Operation gedacht, der es daraufhin erforderlich machte, dass eine große Anzahl von US-Personal unverrichteter Dinge das Land verließ – laut offiziellen Angaben aus Washington.
Es gilt mehr oder weniger als sicher, dass die mit al Qaida verknüpfte islamistische Brigade Ansar al-Sharia für die Morde an die US-Bürger verantwortlich ist. Der amtierende Präsident des libyschen Parlaments, Mohammed al Magriaf, äußerte, dass er Aktionen gegen die Militanten in Betracht zöge, und fuhr fort, dass dieser Angriff, der fünfte in Bengasi seit April, „Teil einer breiter angelegten Kampagne (sei), um Libyen zu destabilisieren“ (THE GUARDIAN, 17. September). Magriaf war seit 1981 der Führer der Nationalen Front zur Befreiung (Rettung) Libyens. Er hat historische Verbindungen zum US-amerikanischen und britischen Establishment, und seine Gruppierung wurde Berichten zufolge vom CIA und von Saudi-Arabien finanziert. Sie hatte kaum Unterstützung in Libyen, und ausgerechnet dieser Profiteur der Befreiung und Freund der westlichen Koalition ist gegenwärtiger Präsident des Nationalen Übergangsrates – ein klares Anzeichen für das Ausmaß westlicher Einflüsterungen in diesem so genannten befreiten Land. Doch während Magriaf Maßnahmen gegen die Islamisten „in Betracht zog“, nahm die Bevölkerung am 22. September mit einem ganz außergewöhnlichen Aufstand die Dinge selbst in die Hand. Nach einer Demonstration von über 30.000 Menschen gegen die Milizen am Nachmittag gingen Hunderte von jungen, zumeist unbewaffneten Männern gegen die Miliz auf ihrem Gelände vor. Zwar ließen 20 von ihnen ihr Leben, doch wurden die verhassten Milizen vertrieben. Dabei wurde nicht nur die anti-amerikanische Ansar al-Sharia attackiert, sondern auch die regierungsfreundlichen, pro-amerikanischen islamistischen Milizionäre von Rafallah al-Sahiti, die eine Lizenz von der Regierung erhalten hatten und dem libyschen Verteidigungsministerium gegenüber verantwortlich sind. Seit dem Ende des Krieges gab es eine Reihe kleinerer Streiks und Demonstrationen im Land gegen die empörenden Zustände; besonders groß ist der Ärger über die islamistischen und anderen Milizen mit ihren Check-Points, Durchsuchungen, Entführungen, mit ihren prahlerischen Drohgebärden. Doch auch wenn es sicherlich einen Kern sozialer Unzufriedenheit gab, der dieser Massenbewegung zugrundelag, so ist sie bereits als „Unterstützung für die Armee und die Regierung“ vereinnahmt und im Westen als „pro-demokratische Bewegung“ (Channel 4-Nachrichten, 23.9.12) dargestellt worden. Auch im Osten Libyens, in Derna, sind dschihadistische Milizen von der lokalen Bevölkerung angegriffen und vertrieben worden. Derna war lange Zeit eine Brutstätte des islamischen Fundamentalismus gewesen, der vom Gaddafi-Regime toleriert, möglicherweise sogar ermutigt wurde, mit dem Hintergedanken, ein Problem zu kreieren, das man dann selbst „erledigt“, um sich bei den Amerikanern und Briten anzubiedern.
Die jüngste Geschichte des britischen Imperialismus und seiner Manöver in Libyen zeichnet sich durch seine besondere Durchtriebenheit und Rücksichtslosigkeit in seinem Umgang mit der arabischen Welt aus. Großbritannien hieß in den 1990er Jahren Anti-Gaddafi-Terroristen willkommen, gewährte ihnen Unterschlupf und zahlte große Geldsummen für eine Anti-Gaddafi-Zelle in Libyen 1996. Dann, nach der Umarmung Gaddafis durch Tony Blair 2004, wurden die ehemaligen terroristischen Helfershelfer Großbritanniens ausgeliefert und faktisch den Folterknechten des libyschen Regimes übergeben. Doch der imperialistische Kreisel eiert weiter herum; nun unterstützten die westlichen Mächte erneut die Fundamentalisten in dem Krieg gegen Gaddafi, d.h. sie säten den Wind, um nun den Sturm zu ernten. Das ist nichts Neues, nur dass es immer schlimmer und gefährlicher wird. Es waren der CIA und der MI6, die die Fundamentalisten und Taliban für den Krieg an der afghanisch-pakistanischen Grenze aufgerüstet hatten. Die Amerikaner und Briten arbeiteten zusammen mit Kräften des islamischen Fundamentalismus, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen und ihre eigenen Unterstützer zu beschützen. Besonders in Basra nutzten die Briten die schiitischen Fundamentalisten sowohl zum Selbstschutz als auch zur Kontrolle der örtlichen Bevölkerung. Die Amerikaner finanzierten, trainierten und bewaffneten die tschetschenischen Dschihadisten für den Krieg in Bosnien in den 90er Jahren. Und heute benutzen die Amerikaner und Briten in Syrien erneut die Kräfte des islamischen Fundamentalismus für ihre eigenen Ziele. Es hat bereits Verbindungen zwischen dem Außenministerium und Muslimbruderschaft gegeben, und die USA haben libysche Elemente, einige davon religiös, durch die Türkei nach Syrien geschleust. Es ist nicht so, dass sie weiterhin dieselben Fehler begehen oder dass sie nicht aus ihren Fehlern lernen wollen – der Imperialismus kann nicht anders, als die Kräfte der Reaktion, des Todes und der Zerstörung wachzurufen und auszubeuten. Der Imperialismus selbst heißt, zur Sackgasse des dekadenten Kapitalismus verdammt zu werden. Und die Kräfte des islamischen Fundamentalismus sind besonders nützlich für die großen imperialistischen Staaten. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte: Während Moslems hauptsächlich friedlich gegen den erbärmlichen Anti-Islam-Film protestierten, waren die Regierungen Großbritanniens und der USA aktiv dabei, die schlimmste Art islamistischer Fanatiker in den sensibelsten Regionen der Welt finanziell, militärisch und politisch zu unterstützen. Hier zeigt sich das ganze Orwellsche Ausmaß: eine Bourgeoisie, die ebenjene Kräfte der Zerstörung aktiv fördert, mit denen wir uns angeblich im Krieg befinden.
Dieser berüchtigte Film oder besser dieser Ausschnitt aus ihm, in dem der Prophet Mohammed herabgewürdigt wird, ist von allen möglichen Seiten benutzt worden. Er ist von den örtlichen religiösen und politischen Führern benutzt worden, um ihre Unterstützung zu verstärken, die auf der Mobilisierung von Demonstrationen basiert, und in einem Fall von einem pakistanischen Minister, der ein Kopfgeld auf den Kopf des Filmemachers auslobte. Mehr als zwanzig Menschen wurden auf Demonstrationen gegen den Film und die vermeintliche Beleidigung in Pakistan getötet. Es ist nicht sehr schwer, angesichts der Tracht Prügel, die das Land durch das US-Militär erhält (1), eine Anti-US-Demonstration in Pakistan aufzuziehen. Andererseits hat sich die ganze Auseinandersetzung rund um den Film (bzw. seinen Trailer) zu einer Verteidigung „unserer Lebensweise“, der „Freiheit“ und der „Meinungsfreiheit“ mit Salman Rushdie und vielen anderen Künstlerpersönlichkeiten, zu einem Demokratiebekenntnis ausgewachsen.
Es gibt hier einen weiteren, wachsenden Faktor des Zerfalls des Kapitalismus, den die IKS ausführlich analysiert hat: die historische Schwächung des US-Imperialismus nach dem Zusammenbruch seines russischen Feindes und dem Auftauchen einer „Neuen Weltordnung“ 1990. Die zentrifugalen Tendenzen eines imperialistischen Jeder-für-sich-selbst stellen die US-Vorherrschaft vor wachsenden Herausforderungen. Die Beziehungen zwischen den USA und Israel kühlen sich immer weiter ab, und wer braucht schon Feinde, wenn er, wie die USA, Verbündete wie Pakistan hat? Trotz der scheinbaren Wiederannäherung gibt es Spannungen zwischen den USA und der Türkei und ihrer Rolle in der Region. Auch die Regierungen des Irak und Afghanistans neigen dazu, ihren eigenen Weg zu gehen; trotz 1,2 Milliarden Dollar teuren „Zuwendungen“ pro Jahr weigerte sich Obama vor einer Woche, Ägypten als einen „Verbündeten“ zu bezeichnen. Und trotz enormer, nicht nachlassender, hochrangiger diplomatischer Bemühungen wird die „Asien/Pazifik-Vision“ der USA bereits ernsthaft von den Aktionen des chinesischen Imperialismus untergraben. Der „Triumph der Befreiung Libyens“, dessen Geruch immer ranziger wird, ist ein weiteres Beispiel für die – einstweilige - Schwächung des US-Imperialismus und seiner französischen und britischen Alliierten und eine weitere Drehung an der Spirale des imperialistischen Chaos, der Instabilität und des Krieges.
Baboon, 25.09.2012 (Übersetzung aus dem Englischen)
(1) Gestern gab es einen Bericht von Stanford und den New Yorker Universitäten, demzufolge US-Drohnenangriffe in den pakistanischen Stammesgebieten eine „Todesrate“ von gerade einmal zwei Prozent unter den Gotteskriegern erzielen, und der letzte Trick besteht nun darin, einige Zeit nach dem ersten Angriff eine weitere Hellfire-Rakete hinterherzuschicken. Dies war ursprünglich eine terroristische Taktik, um Rettungskräfte, Angehörige und besorgte Passanten zu treffen. Sie sind eine wahre Terrorwaffe, in ihrem Ausmaß schlimmer als die V 1-Raketen der Nazis. Sie sind alltäglich in der Luft sichtbar und jede Nacht zu hören. Jede Versammlung, Hochzeit, Feier, was auch immer, ist ein potenzielles Ziel. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Obama-Administration selbst die kühnsten Träume der Neokonservativen übertrifft. Derzeit läuft im britischen Fernsehen ein Werbespot der Luftwaffe, in dem die Lüge aufgetischt wird, dass es keine zivilen Opfer gebe. Andererseits sind das britische Militär und die Medien hinsichtlich der steigenden Zahl von Opfern britischer Drohnenangriffe kurz angebunden.