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Wie wir im Artikel „40 Jahre nach der Gründung der IKS – Welche Bilanz, welche Perspektiven für unsere Aktivitäten“ geschrieben haben, verabschiedete der
21. Kongress der IKS einen Bericht über die Rolle der IKS als eine „Fraktion“. Dieser Report war in zwei Abschnitte gegliedert, wobei der erste den historischen Kontext wiedergab und an die Fraktion als ein Konzept erinnerte und der zweite eine konkrete Analyse war, wie unsere Organisation ihre Verantwortung in diesem Zusammenhang erfüllt hatte. Wir veröffentlichen unten den ersten Teil des Berichts, der von allgemeinem Interesse über die spezifischen Fragen ist, mit denen die IKS konfrontiert ist.
Der Begriff der Fraktion in der Geschichte der Arbeiterbewegung
Der 21. Internationale Kongress wird eine kritische Einschätzung der 40 jährigen Existenz der IKS in den Mittelpunkt seines Anliegens rücken. Diese kritische Bilanz bezieht sich auf:
– die allgemeinen Analysen, die von der IKS erarbeitet wurden,
– die Art und Weise, wie die IKS ihre Rolle bei der Vorbereitung der zukünftigen Partei angenommen hat.
Die Antwort auf die zweite Frage geht augenscheinlich davon aus, dass die Rolle klar definiert ist, die der IKS in der gegenwärtigen historischen Periode zugefallen ist. Das heißt, in einer Periode, in der die Bedingungen für das Auftauchen einer revolutionären Partei, d.h. einer Organisation, die einen direkten Einfluss auf den Verlauf der Klassenauseinandersetzungen besitzt, noch nicht existieren.
„Als Teil der allgemeinen Bewegung der Arbeiter-klasse, die sie hervorbringt, entfalten diese politischen Organisationen, die Parteien, sich mit der Entwicklung des Klassenkampfes selber. (…) Die Geschichte der Partei lässt sich nur untersuchen, wenn man sie in den allgemeinen Rahmen der Stufen stellt, den die Klassenbewegung durchläuft, wenn man die Proble-me mit einbezieht, vor denen die Arbeiterklasse steht, und ihre Fähigkeiten berücksichtigt, diese Probleme auf zufriedenstellende Weise zu lösen, die Lehren aus ihrer Erfahrung zu ziehen und daraus ein neues Sprungbrett für die zukünftigen Kämpfe zu machen. Während sie also selbst ein Faktor der Entwicklung der Klasse sind, sind die politischen Parteien aber auch gleichzeitig ein Ausdruck des jeweiligen wirklichen Zu-standes der Arbeiterklasse selbst.“ (Internationale Revue Nr. 9, „Über die Partei und ihre Beziehung zur Klasse“, Punkt 9)
„Die ganze Geschichte hindurch war die Arbeiterklasse dem Gewicht der bürgerlichen Ideologie ausgesetzt, die dazu neigt, proletarische Parteien zu deformieren und zu korrumpieren, ihre eigentliche Funktion zu verfälschen. In Reaktion auf diese Tendenz sind revolutionäre Fraktionen entstanden, die das Ziel verfolgten, kommunistische Positionen zu erarbeiten und zu klären, sie noch präziser zu gestalten. Dies war besonders bei der kommunistischen Linken der Fall, die aus der Dritten Internationalen stammte: Ein jegliches Verständnis der Parteifrage beinhaltete zwangsläufig die Assimilierung der Erfahrungen und Errungenschaften der gesamten internationalen kommunistischen Linken.
Es war jedoch die italienische Fraktion der Kommunistischen Linken, der das besondere Verdienst gebührt, auf die qualitativen Unterschiede in der Organisation von Revolutionären hingewiesen zu haben, die sich daraus ergeben, ob die Periode von zunehmenden Klassenkämpfen oder von der Niederlage und dem Rückzug geprägt ist. Die italienische Fraktion zeigte auf, welche Form die revolutionäre Organisation in beiden Perioden annehmen muss: im ersten Fall die Gestalt der Partei, einer Organisation also, die einen unmittelbaren Einfluss auf den Klassenkampf besitzt; im zweiten Fall die Form einer numerisch beschränkten Organisation mit einem weitaus schwächeren Einfluss im täglichen Leben der Klasse. Diesem zweiten Organisationstyp gab sie den Namen ‚Fraktion‘, die zwischen zwei Perioden in der Entwicklung des Klassenkampfes, d.h. zwischen den beiden Momenten einer existierenden Partei eine Verbindung schafft, eine organische Brücke zwischen der vergangenen und zukünftigen Partei.“ (ebenda, Punkt 10)
In diesem Zusammenhang stellt sich eine Reihe von Fragen:
– Was ist mit diesem Konzept einer Fraktion in den unterschiedlichen Momenten in der Geschichte der Arbeiterbewegung gemeint?
– Bis zu welchem Punkt kann die IKS als eine „Fraktion“ betrachtet werden?
– Was sind die Aufgaben einer Fraktion, die auch für die IKS gültig sind, und was sind nicht ihre Aufgaben?
– Welche besonderen Aufgaben fallen der IKS zu, und welche Aufgaben sind keine Aufgaben der Fraktion?
Im ersten Teil dieses Berichts werden wir uns zuvorderst der ersten dieser vier Fragen zuwenden, um einen historischen Rahmen für unsere Reflexionen abzustecken und uns eine bessere Vorgehensweise bezüglich des zweiten Teils des Berichts zu ermöglichen, der vorschlägt, die oben erwähnte Schlüsselfrage zu beantworten: Welche Bilanz kann man über die Art und Weise ziehen, in der die IKS ihren Part bei der Vorbereitung der zukünftigen Partei spielte?
Um dieses Konzept der Fraktion in den unterschiedlichen Momenten in der Geschichte der Arbeiterbewegung zu untersuchen, werden wir zwischen drei Perioden unterscheiden:
– die Frühperiode der Arbeiterbewegung: der Bund der Kommunisten und die Internationale Arbeiterassoziation (IAA), bekannt als Erste Internationale;
– das Zeitalter ihrer Reifung: die Zweite Internationale;
– die „Periode von Kriegen und Revolutionen“ (um den Ausdruck der Kommunistischen Internationalen zu verwenden).
Doch für den Anfang ist es vielleicht angebracht, kurz an die Geschichte der Parteien des Proletariats zu erinnern, da die Fraktionsfrage uns stets dazu zwingt, die Parteifrage zu stellen, die sowohl den Ausgangspunkt als auch den Endpunkt der Fraktion bildet.
1. Der Begriff der Partei in der Geschichte der Arbeiterbewegung
Der Begriff der Partei war durch die Erfahrungen der Arbeiterbewegung (Bund der Kommunisten, IAA, Parteien der Zweiten Internationalen, kommunistische Parteien) allmählich theoretisch und praktisch erarbeitet worden.
Der Bund, der eine illegale Organisation war, gehörte noch der Periode der Sekten an: „In den Anfängen des modernen Kapitalismus, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unternahm die Arbeiterklasse, die sich noch in ihrer Phase der Konstituierung befand, sporadische und lokale Kämpfe und konnte nur doktrinäre Denkschulen, Sekten und Bündnisse hervorbringen. Der Bund der Kommunisten war der fortschrittlichste Ausdruck dieser Periode, während sein Kommunistisches Manifest mit dem Aufruf: ‚Proletarier aller Länder – Vereinigt Euch!‘ bereits ein Vorbote der kommenden Periode war.“ (Internationalisme, Nr. 38, Oktober 1948, „Über das Wesen und die Funktion der politischen Partei des Proletariats“[1], Punkt 23)
Es war eben die Aufgabe der IAA, über das Sektenwesen hinauszugehen und eine breitere Sammlung europäischer ArbeiterInnen sowie einen Klärungsprozess hinsichtlich der vielen Illusionen zu ermöglichen, die auf ihrem Bewusstsein lasteten. Gleichzeitig war sie mit ihrer heterogenen Zusammensetzung (Gewerkschaften, Kooperativen, Propagandagruppen, etc.) noch keine Partei im modernen Sinn, die sie später innerhalb und dank der Zweiten Internationalen wurde. „Die Erste Internationale entsprach dem wirkungsvollen Auftritt des Proletariats auf der Bühne der sozialen und politischen Kämpfe in den wichtigsten Ländern Europas. So sammelte sie alle organisierten Kräfte der Arbeiterklasse mit all ihren unterschiedlichen ideologischen Strömungen. Die erste Internationale brachte alle Strömungen und alle anfälligen Aspekte des Klassenkampfes zusammen: ökonomisch, erzieherisch, politisch und theoretisch. Sie war der Gipfel der Einheitsorganisation der Arbeiterklasse in all ihrer Vielfalt.
Die Zweite Internationale markierte eine Stufe der Differenzierung zwischen den ökonomischen Kämpfen der Lohnarbeiter und dem gesellschaftspolitischen Kampf. In dieser Periode, als die kapitalistische Gesellschaft in voller Blüte stand, war die Zweite Internationale die Organisation des Kampfes für Reformen und für politische Eroberungen für die politische Bestätigung des Proletariats. Gleichzeitig markierte sie eine höhere Stufe in der ideologischen Abgrenzung des Proletariats durch die Klärung und Erarbeitung der theoretischen Grundlagen seiner revolutionären historischen Mission.“ (ebenda)
In der Zweiten Internationalen wurde klar zwischen der allgemeinen Organisation der Klasse (Gewerkschaften) und ihrer spezifischen Organisation, der Partei, unterschieden, die mit der Verteidigung ihres historischen Programms beauftragt ist. Eine Unterscheidung, die völlig klar war, als die Dritte Internationale (d.h. die Kommunistische Internationale, KI) gegründet wurde, also in dem Moment, als die proletarische Revolution zum ersten Mal in der Geschichte auf der Tagesordnung stand. Für die neue Internationale bestand die allgemeine Klassenorganisation nicht mehr aus Gewerkschaften (die keinesfalls das gesamte Proletariat um sich gruppierten), sondern aus den Arbeiterräten (selbst wenn in der KI hinsichtlich der Frage der Gewerkschaften und der Rolle der Partei Vieles unklar blieb).
Neben all den Unterschieden zwischen den vielen Organisationen gab es auch eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen: Sie hatten einen Einfluss auf den Verlauf des Klassenkampfes, und in diesem Sinn kann man ihnen den Namen „Partei“ zuschreiben. Der Einfluss des Bundes der Kommunisten war zurzeit der Revolutionen von 1848–49 noch schwach, als er im Wesentlichen als linker Flügel der demokratischen Bewegung agierte. So war die Neue Rheinische Zeitung, die von Marx herausgegeben wurde und einen gewissen Einfluss im Rheinland und selbst im restlichen Deutschland hatte, nicht direkt das Organ des Bundes, sondern wurde als ein „Organ der Demokratie“ präsentiert. Wie Engels betonte: „erwies sich der Bund, gegenüber der jetzt losgebrochenen Bewegung der Volksmassen, als ein viel zu schwacher Hebel“ („Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten“, November 1885, MEW, Bd. 21, 218).
Eine der wichtigsten Ursachen dieser Schwäche lag in der Schwäche des Proletariats in Deutschland begründet, wo die industrielle Entwicklung noch nicht begonnen hatte. Jedoch bemerkte Engels auch: „Der Bund war unbedingt die einzige revolutionäre Organisation, die in Deutschland eine Bedeutung hatte“ (ebenda, 221). Der Einfluss der IAA war weitaus größer; sie sollte eine „Macht“ in Europa werden. Doch es war vor allem die Zweite Internationale (tatsächlich die verschiedenen Parteien, aus denen sie sich zusammensetzte), die zum ersten Mal in der Geschichte behaupten konnte, einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Arbeiterklasse zu haben.
2. Die Idee der Fraktion zu Beginn der Arbeiterbewegung
Diese Frage wurde bereits zu Lebzeiten Marx‘ gestellt, doch war sie später von weitaus größerer Bedeutung: Was wird aus der Partei, wenn die Vorhut, die das historische Programm der Arbeiterklasse, die kommunistische Revolution, vertritt, keinen unmittelbaren Einfluss auf die Kämpfe des Proletariats besitzt?
Auf diese Frage gab die Geschichte unterschiedliche Antworten. Die erste Antwort ist die Auflösung der Partei, wenn die Bedingungen für ihre Existenz nicht mehr vorhanden sind. Dies war der Fall beim Bund und bei der IAA. In beiden Fällen spielten Marx und Engels eine entscheidende Rolle bei der Auflösung dieser Organisationen.
So riefen Marx und Engels im November 1852, nach dem Kölner Kommunistenprozess, der den Sieg der Konterrevolution in Deutschland besiegelte, den Zentralrat (auch Zentralbehörde genannt) des Bundes dazu auf, seine Auflösung zu verkünden. Es lohnt sich darauf hinzuweisen, dass die Frage der Aktivitäten der revolutionären Minderheit in Zeiten der Reaktion bereits im Herbst 1850 im Bund formuliert wurde. In der Mitte jenes Jahres waren Marx und Engels zu dem Schluss gekommen, dass die revolutionäre Welle infolge der wirtschaftlichen Erholung abebbte: „Bei dieser allgemeinen Prosperität, worin die Produktivität der bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickelt, wie dies innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse überhaupt möglich ist, kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in den Perioden möglich, wo diese beiden Faktoren, die modernen Produktivkräfte und die bürgerlichen Produktionsverhältnissen, miteinander in Widerspruch geraten.“ (Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich, Teil IV, MEW, Bd.7, 98)
Marx und Engels sahen sich also veranlasst, gegen die immediatistische Minderheit von Willich-Schapper zu kämpfen, die trotz des Abebbens die ArbeiterInnen weiterhin zum Aufstand aufrufen wollte: „Gerade in der letzten Debatte über die Frage ‚die Stellung des deutschen Proletariats in der nächsten Revolution‘ sind von den Mitgliedern der Minorität der Z.B. (Zentralbehörde) Ansichten ausgesprochen, die direkt dem letzten Rundschreiben, sogar dem ‚Manifest‘ widersprechen. An die Stelle der universellen Anschauung des ‚Manifestes‘ ist die deutsche nationale getreten und dem Nationalgefühl der deutschen Handwerker geschmeichelt. Statt der materialistischen Anschauung des ‚Manifestes‘ ist die idealistische hervorgehoben worden. Statt der wirklichen Verhältnisse der Wille als Hauptsache in der Revolution hervorgehoben worden. Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkrieg durchzumachen, um die Verhältnisse zu ändern, um euch selbst zur Herrschaft zu befähigen, ist stattdessen gesagt worden: Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen, oder wir können uns schlafen legen. Wie von den Demokraten das Wort ‚Volk‘, ist jetzt das Wort ‚Proletariat‘ als bloße Phrase gebraucht worden. Um diese Phrase durchzuführen, müsste man alle Kleinbürger als Proletarier erklären, also de facto die Kleinbürger und nicht die Proletarier vertreten. An die Stelle der wirklichen revolutionären Entwicklung müsste man die Phrase der Revolution setzen“ (Marx, in einer Rede auf dem Sitzung der Zentralbehörde vom 15. September 1850[2]).
Auch auf dem Haager Kongress 1872 unterstützten Marx und Engels die Entscheidung, den Generalrat nach New York zu verlegen, um ihn vor dem Einfluss der Bakunisten und Lassalleaner abzuschirmen, der ausgerechnet in dem Augenblick wuchs, als das europäische Proletariat mit der Niederschlagung der Pariser Kommune eine schlimme Niederlage erlitten hatte. Mit dem Umzug des Generalrats wurde beabsichtigt, die IAA sozusagen als Vorspiel zu ihrer Auflösung, die auf dem Philadelphia-Kongress im Juli 1876 schließlich in Kraft trat, ruhen zu lassen.
In gewissem Sinne war die Auflösung der Partei, als die Bedingungen ihre Existenz nicht mehr gestatteten, viel leichter im Fall des Bundes und der IAA als später. Der Bund war eine kleine, klandestine Organisation (außer in den Revolutionen von 1848–49), die keinen „offiziellen“ Platz in der Gesellschaft besetzt hatte.
Was die IAA anbelangt, bedeutete ihr formelles Verschwinden nicht, dass sich alle ihre Komponenten ebenfalls verflüchtigten. Die englischen Gewerkschaften oder die deutsche Arbeiterpartei (SAP) überlebten die IAA. Was verschwand, waren die formalen Verbindungen zwischen ihren vielfältigen Komponenten.
Danach änderten sich die Dinge. Die Arbeiterparteien verschwanden nicht mehr – sie liefen zum Feind über. Sie wurden zu Institutionen des kapitalistischen Systems, und dies lud den verbleibenden Revolutionären eine neue Verantwortung auf.
Als der Bund sich auflöste, blieb keine formelle Organisation bestehen, die damit beauftragt worden wäre, eine Brücke zur neuen Partei zu schlagen, die irgendwann in der Zukunft auftauchen würde. In dieser Zeit erblickten Marx und Engels die oberste Priorität in der theoretischen Arbeit. Damals waren sie praktisch die Einzigen, die die Theorie, die sie entwickelt hatten, beherrschten; sie benötigten keine formale Organisation, um diese Arbeit fortzuführen. Dennoch blieben sie mit einer Reihe früherer Mitglieder des Bundes im Kontakt, besonders mit jenen im englischen Exil.
1856 kam es gar zu einer Wiederversöhnung zwischen Marx und Schapper. Im September 1864 bat Eccarius, ein früheres Mitglied der Zentralbehörde des Bundes, der enge Kontakte zur englischen Arbeiterbewegung geknüpft hatte, Marx, sich der Plattform des berühmten Treffens am 28. September in der Saint-Martin’s Hall anzuschließen, wo die Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) beschlossen wurde.[3]
So wies der Zentralrat der IAA auch eine Reihe von früheren Mitgliedern des Bundes auf: Eccarius, Lessner, Lochner, Pfänder, Schapper und natürlich Marx und Engels.
Nachdem die IAA verschwunden war, blieben, wie wir gesehen haben, Organisationen übrig, die die Keimzelle der späteren Zweiten Internationalen bildeten, namentlich die deutsche Partei, die durch die Vereinigung von 1875 (SAP) zustande kam und deren marxistische Komponente, die Eisenacher (Bebel, Liebknecht), zur IAA gehört hatte.
An dieser Stelle sollten wir hinsichtlich der Rolle, die die beiden erstgenannten Organisationen zur Zeit ihrer Bildung zu erfüllen beabsichtigt hatten, noch folgendes Argument anführen. Aus dem Kommunistischen Manifest geht eindeutig hervor, dass der Bund die proletarische Revolution in naher Zukunft erwartet hatte. Nach der Niederlage der Revolutionen von 1848 begriffen Marx und Engels, dass die historischen Bedingungen noch nicht reif genug waren. Auch zum Zeitpunkt der IAA-Gründung gab es (laut ihrer Statuten) die Vorstellung von einer kurz- oder mittelfristigen „Emanzipation der Arbeiter“ (trotz der Vielfalt von Sichtweisen, die in dieser Formel enthalten waren und die den verschiedenen Komponenten der IAA entsprachen: Mutualisten, Kollektivisten, etc.).
Die Niederlage der Pariser Kommune warf erneut ein Schlaglicht auf die Unreife der Bedingungen für den Sturz des Kapitalismus: Die darauffolgende Periode zeichnete sich durch eine massive kapitalistische Expansion aus, die ihren Ausdruck insbesondere im aufstrebenden Deutschland als Industriemacht fand, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts Großbritannien überholt hatte.
3. Die Fraktionen der Zweiten Internationalen
In diesem Zeitraum[4], als die revolutionäre Perspektive noch in weiter Zukunft lag, erlangten die sozialistischen Parteien eine wichtige Bedeutung innerhalb der Arbeiterklasse (besonders in Deutschland). Dieser wachsende Einfluss in einer Zeit, als die Mehrheit der ArbeiterInnen noch nicht revolutionär beseelt war, ist mit der Tatsache verknüpft, dass die sozialistischen Parteien in ihrem Programm nicht nur der Aussicht auf den Sozialismus ihre Reverenz erwiesen, sondern in ihren Tageszeitungen auch das „Minimalprogramm“ der Reformen in der kapitalistischen Gesellschaft vertraten.
Diese Situation trug ebenfalls bei zum Gegensatz zwischen jenen, für die „das Ziel, was immer es sei, (…) gar nichts, die Bewegung alles“ (Bernstein) ist, und jenen, die sagten: „Da aber das sozialistische Endziel das einzig entscheidende Moment ist, das die sozialdemokratische Bewegung von der bürgerlichen Demokratie und dem bürgerlichen Radikalismus unterscheidet, das die ganze Arbeiterbewegung aus einer müßigen Flickarbeit zur Rettung der kapitalistischen Ordnung in einen Klassenkampf gegen diese Ordnung, um die Aufhebung dieser Ordnung verwandelt, so ist die Frage Sozialreform oder Revolution? im Bernsteinschen Sinne für sie Sozialdemokratie zugleich die Frage Sein oder Nichtsein? In der Auseinandersetzung mit Bernstein und seinen Anhängern, darüber muss sich jedermann in der Partei klarwerden, handelt es sich nicht um diese oder jene Kampfweise, nicht um diese oder jene Taktik, sondern um die ganze Existenz der sozialdemokratischen Bewegung“ (Rosa Luxemburg, Sozial-Reform oder Revolution, Vorwort, Gesammelte Werke, Bd. 1/1, 369).
Trotz der offiziellen Ablehnung der Thesen Bernsteins durch die SPD und die Sozialistische Internationale errang diese Sichtweise die Mehrheit in der SPD (besonders im Parteiapparat) und in der Internationalen. „Die Erfahrung der Zweiten Internationale bestätigt dem Proletariat die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, seine Partei in einer länger anhaltenden Periode aufrechtzuerhalten, die von einer nicht-revolutionären Situation geprägt ist. Die Beteiligung der Parteien der Zweiten Internationale am imperialistischen Krieg von 1914 enthüllte nur die lange Korruption der Organisation. Die stets mögliche Durchlässigkeit der politischen Organisation des Proletariats für die Ideologie der herrschenden kapitalistischen Klasse kann in langen Perioden der Stagnation und des Rückflusses des Klassenkampfs einen solchen Umfang annehmen, dass die Ideologie der Bourgeoisie letztendlich die des Proletariats ersetzt, so dass die Partei zwangsläufig all ihres Klasseninhalts entleert und zum Instrument der feindlichen Klasse wird.“ (Internationalisme, Nr. 38, Oktober 1948, „Über das Wesen und die Funktion der politischen Partei des Proletariats“, Punkt 12).
In diesem Kontext entstanden erstmals reale Fraktionen.
Die erste Fraktion war jene der Bolschewiki, die nach dem Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1903 den Kampf gegen den Opportunismus aufnahm, anfangs in der Frage der Organisation und später in den Fragen der Taktiken bezüglich der Aufgaben des Proletariats in einem halbfeudalen Land wie Russland. Es sollte dabei nicht unerwähnt bleiben, dass bis 1917 Bolschewiki und Menschewiki, obwohl beide Fraktionen ihre Politik unabhängig voneinander fortführten, derselben Partei, der SDAPR, angehörten.
Ab 1907 engagierte sich die marxistische Strömung, die sich in Holland um das Wochenmagazin De Tribune enfaltet hatte (angeführt von Wijnkoop, Van Ravesteyn und Ceton, aber auch unter Beteiligung von Gorter und Pannekoek), in einer ähnlichen Arbeit in der holländischen SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei). Diese Strömung kämpfte gegen das opportunistische Abdriften der Partei, hauptsächlich repräsentiert von Troelstra und der Parlamentsfraktion, die 1908 auf dem Parteitag beantragten, De Tribune zu schließen. Letztendlich setzte sich Troelstra auf dem Außerordentlichen Parteitag von Deventer (Februar 1909) durch, der die Schließung von De Tribune und den Ausschluss ihrer drei Herausgeber aus der Partei beschloss. Diese Politik, die darauf abzielte, die tribunistischen „Führer“ von den Sympathisanten dieser Strömung zu trennen, provozierte in Wirklichkeit eine starke Gegenreaktion Letzterer.
Letztendlich fiel Troelstras Ausschlusspolitik, die vom reformistisch dominierten Internationalen Büro der Sozialistischen Internationalen, welche zur Vermittlung herbeigerufen wurde, gestützt wurde, mit der Absicht der drei Herausgeber zusammen, mit der SDAP zu brechen (ein Wunsch, den Gorter nicht teilte[5]), und veranlasste die „Tribunisten“ im März 1909 dazu, eine neue Partei, die SDP (Sozialdemokratische Partei), zu gründen. Diese Partei blieb bis zum I. Weltkrieg eine kleine Minderheit mit einem unbedeutenden Einfluss bei den Wahlen, doch sie profitierte von der Unterstützung durch die Linke in der Internationalen und insbesondere durch die Bolschewiki, die letztendlich ihre Re-Integration in die Internationale 1910 (nach anfänglicher Weigerung des Büros der Internationalen im November 1909) und die Entsendung von Delegierten (ein Mandat gegen sieben für die SDAP) zu den internationalen Kongressen 1910 in Kopenhagen und 1912 in Basel ermöglichten. Während des Krieges, in dem Holland neutral blieb, der aber dennoch schwer auf der Arbeiterklasse lastete (Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelkürzungen, etc.), errang die SDP dank ihrer internationalistischen Politik und ihrer Unterstützung von Arbeiterkämpfen einigen Einfluss bei den Wahlen. Schließlich, im November 1918 und noch vor der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), nahm die SDP den Namen „Kommunistische Partei der Niederlande“ (KPN) an.
Die dritte Strömung, die eine entscheidende Rolle als Fraktion in der Zweiten Internationalen spielte, sollte die KPD gründen. Am Abend des 4. August 1914 versammelte sich nach der einstimmigen Zustimmung der sozialistischen Reichstagsabgeordneten zu den Kriegskrediten eine Handvoll von Internationalisten in Rosa Luxemburgs Wohnung, um die Kampfaussichten und die Möglichkeiten zur Sammlung all jener in der Partei einzuschätzen, die die chauvinistische Politik der Führung und Mehrheit bekämpfen wollten. Diese Militanten waren sich einig darin, dass es notwendig war, diese Auseinandersetzung innerhalb der Partei fortzuführen. Immerhin prangerte die Parteibasis in vielen Städten die Zustimmung der Parlamentsfraktion zu den Kriegskrediten an. Selbst Liebknecht wurde dafür kritisiert, dass er sie am 4. August aus Gründen der Parteidisziplin unterstützt hatte.
Bei der zweiten Abstimmung am 2. Dezember war Liebknecht der einzige, der dagegen stimmte, doch in den beiden folgenden Abstimmungen folgten ihm zuerst Otto Rühle und schließlich eine wachsende Zahl von Abgeordneten. Ab dem Winter 1914–15 wurden illegale Flugblätter (eines davon trug den Titel „Der Feind steht im eigenen Land“) verteilt. Im April 1915 wurde die erste und einzige Ausgabe von Die Internationale publiziert, von der schon am ersten Abend bis zu 5.000 Exemplare verkauft wurden und die der Gruppe um Luxemburg, Leo Jogiches, Karl Liebknecht, Franz Mehring und Clara Zetkin vorübergehend den Namen „Internationale“ verlieh. Unter den Bedingungen der Illegalität und der Repression[6] führte diese winzige Gruppierung, die sich zunächst „Spartakusgruppe“ und schließlich „Spartakusbund“ nannte, den Kampf gegen den Krieg und die Regierung wie auch gegen die Rechte und das Zentrum der Sozialdemokratie.
Spartakus war nicht allein. Andere Gruppen, insbesondere in Hamburg und Bremen (wo Pannekoek, Radek und Frölich aktiv waren), vertraten sogar eine noch dezidiertere internationalistische Politik als die Spartakisten. Anfang 1917, als die Führung der SPD die Opposition ausschloss, um die Verbreitung ihrer Positionen innerhalb der Partei zu stoppen, setzten diese Gruppen ihre Aktivitäten autonom fort, während die Spartakisten als Fraktion innerhalb der zentristischen USPD verblieben. Am 31. Dezember 1918 kamen diese unterschiedlichen Gruppierungen anlässlich der Gründung der KPD zusammen, doch es war ersichtlich, dass die Spartakisten das Rückgrat der neuen Partei bildeten.
Etwas später als in Russland, Holland und Deutschland wurde auch in Italien eine linke Fraktion gebildet. Dies war die „Abstentionistische Fraktion“ (abstentionistisch, weil sie eine Enthaltung von den parlamentarischen Wahlen befürwortete) rund um die Zeitung Il Soviet, die von Bordiga und seinen Genossen ab dem Dezember 1918 in Neapel publiziert wurde; formell hatte sie sich als Fraktion auf dem Parteitag der italienischen Sozialistischen Partei (PSI) im Oktober 1919 gebildet. Im Grunde hatte Bordiga bereits 1912 in der Föderation der Jungsozialisten und in der neapolitanischen Föderation der PSI einer kompromisslosen revolutionären Strömung Leben eingehaucht. Die Verspätung der italienischen Linken kann zum Teil mit der Tatsache, dass Bordiga, der von der Armee eingezogen worden war, nicht vor 1917 in das politische Leben eingreifen konnte, aber vor allem damit erklärt werden, dass die Parteiführung sich während des Krieges in den Händen der Linken befand. Bereits auf dem Parteitag von 1912 wurden die reformistische Rechte und 1914 die Freimaurer ausgeschlossen.
Die Zeitung der PSI, Avanti, wurde von Mussolini (der die Ausschlussanträge auf diesen Kongressen präsentiert hatte) betrieben. Er profitierte von dieser Position, als er am 18. Oktober 1914 einen Leitartikel veröffentlichte, der den Titel trug: „Von der absoluten Neutralität zu einer handelnden und aktiven Neutralität“, der den Kriegseintritt Italiens auf der Seite der Entente erklärte. Natürlich wurde er von seinem Posten entfernt, doch kaum einen Monat später veröffentlichte er – dank der Geldmittel des französischen sozialistischen Abgeordneten Marcel Cachin (einem künftigen Führer der französischen Kommunistischen Partei) im Auftrag der französischen Regierung und der Entente – die Zeitung Il Popolo d’Italia. Er wurde am 29. November aus der PSI ausgeschlossen. Als anschließend die vom Weltkrieg dominierte Lage zum Klärungsprozess einer Linken, einer Rechten und eines Zentrums drängte, schwankte die Richtung der Partei zwischen der Rechten und der Linken, zwischen einem „maximalistischen“ Standpunkt und einer reformistischen Position.
„Erst 1917, auf dem Parteitag in Rom, verschärfte sich der Gegensatz zwischen den Rechten und Linken. Erstere erhielten 17.000 Stimmen, während Letztere es auf 14.000 brachten. Der Sieg Turatis, Treves‘ und Modiglianis zu einer Zeit, in der die Russische Revolution bereits tobte, führte zur Formation einer ‚kompromisslosen und revolutionären Fraktion‘ in Florenz, Mailand, Turin und Neapel.“ (aus unserem Buch: Die italienische Kommunistische Linke, 25) Erst ab 1920 erlangte die Abstentionistische Fraktion unter dem Diktat der Revolution in Russland, der Bildung der KI (die ihr Beistand leistete) und auch der Arbeiterkämpfe in Italien, insbesondere in Turin, einen gewissen Einfluss in der Partei. Sie kam auch in Kontakt mit der Strömung, die sich rund um die von Gramsci ins Leben gerufene Zeitung Ordine Nuovo versammelt hatte, auch wenn große Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Strömungen herrschten (Gramsci sprach sich zugunsten einer Wahlbeteiligung aus; er vertrat eine Art revolutionäres Gewerkschaftswesen und schreckte davor zurück, mit der Rechten und dem Zentrum zu brechen sowie eine autonome Fraktion zu formen).
„… wurde im Oktober die Vereinigte Kommunistische Fraktion gegründet. Sie gab ein Manifest heraus, das die Bildung einer kommunistischen Partei unter Ausschluss von Turatis rechtem Flügel forderte. Sie gab den Wahlboykott auf und folgte somit den Entscheidungen des II. Kongresses der Komintern.“ (ebenda, 28) Auf dem Parteitag von Imola im Dezember 1920 war die Spaltung im Prinzip entschieden: „Unsere Tätigkeit als Fraktion ist und muss nun beendet sein (…) ein umgehender Rückzug aus der Partei und vom Kongress (des PSI), sobald die Abstimmung uns zur Mehrheit oder Minderheit macht. Daraus folgt… eine Abspaltung vom Zentrum.“ (Zitat von Bodiga, ebenda, 28) Auf dem Parteitag von Livorno, der am 21. Januar 1921 begann, „erhielt der Antrag von Imola ein Drittel der Stimmen: 58.783 von 172.487. Das Ergebnis: Die Kommunistische Partei Italiens, Sektion der Kommunistischen Internationale, wurde gegründet ‚(…)Wir nehmen mit uns die Ehre unserer Vergangenheit‘ schloss (Bordiga) und verließ den Kongress“ (ebenda, 28 f.).
Dieses (sehr kurze) Resümee der Arbeit der Hauptfraktionen, die innerhalb der Parteien der Zweiten Internationalen konstituiert wurden, ermöglicht es, die primäre Rolle zu definieren, die einer Fraktion zufällt: die Verteidigung revolutionärer Prinzipien innerhalb einer degenerierenden Partei:
– anfangs um ein Maximum an Militanten für diese Prinzipien zu gewinnen und um die rechten und zentristischen Positionen aus der Partei zu verbannen;
– dann um sich selbst in eine neue revolutionäre Partei umzuwandeln, wenn die Umstände es erfordern.
Es sollte dabei beachtet werden, dass praktisch alle Strömungen der Linken so lange wie möglich in der Partei zu bleiben versuchten. Die einzigen Ausnahmen bildeten die Tribunisten (auch wenn Gorter und Pannekoek ihre Übereile nicht teilten) und die „Linksradikalen“, die von Radek, Pannekoek und Frölich ins Leben gerufen wurden und (anders als die Spartakisten) sich weigerten, der USPD beizutreten, nachdem die Opposition 1917 aus der SPD ausgeschlossen worden war. Die Trennung der Linken von der alten Partei, die Verrat begangen hatte, resultierte entweder aus ihrem Ausschluss oder aus der Notwendigkeit, eine neue Partei zu gründen, die in der Lage ist, zur Vorhut der revolutionären Welle zu werden.
Es sollte ebenfalls beachtet werden, dass die Linke mit ihren Aktivitäten nicht zum Dasein einer Minderheit in einer degenerierenden Partei verdammt war: Auf dem Parteitag der französischen Sozialistischen Partei (Section Française de l’Internationale Ouvrière, SFIO) wurde der Antrag der Linken, in dem zum Beitritt in die KI aufgerufen wurde, von der Mehrheit angenommen. Die Kommunistische Partei, die in Tours gegründet wurde, behielt die Zeitung L’Humanité, die von Jaurès gegründet worden war. Leider behielt sie auch Frossard, den Generalsekretär der SFIO, der eine Zeit lang führende Figur der Kommunistischen Partei (PCF) war.
Eine letzte Bemerkung: die Fähigkeit der linken Fraktionen, eine neue Partei aus dem Stand zu gründen, war nur wegen des kurzen Zeitraums zwischen dem erwiesenen Verrat der alten Partei und dem plötzlichen Aufkommen der revolutionären Welle möglich. Danach sollte die Lage eine ganz andere sein.
4. Die Fraktionen, die aus der Kommunistischen Internationalen kamen
Die Kommunistische Internationale wurde im März 1919 gegründet. Zu diesem Zeitpunkt existierten bereits eine Handvoll Kommunistische Parteien (die Kommunistische Partei von Russland, den Niederlanden, Deutschland, Polen und einige andere von geringerer Bedeutung). Und doch tauchte zu diesem Zeitpunkt bereits die erste „linke“ Fraktion (die sich auch als solche ankündigte) in der Hauptpartei auf, in jener Russlands (die erst auf dem 7. Parteitag der RSDAP den Namen „kommunistisch“ annahm): Anfang 1918 gruppierte sich diese Strömung um die Zeitung Kommunist und wurde von Ossinski, Bucharin, Radek und Smirnow ins Leben gerufen. Die größte Meinungsverschiedenheit dieser Fraktion in der Frage der Orientierung der Partei betraf die Verhandlungen in Brest-Litowsk. Die „Linkskommunisten“ waren gegen diese Verhandlungen und empfahlen den „revolutionären Krieg“, der die Revolution mit Waffengewalt in andere Länder „exportiert“. Doch gleichzeitig kritisierte diese Fraktion die autoritären Methoden der neuen proletarischen Macht und bestand auf die breiteste Beteiligung der arbeitenden Massen an dieser Macht, eine Kritik, die jener von Rosa Luxemburg nahe kam (vgl. R. Luxemburg, „Zur russischen Revolution“).
Die Unterschrift unter das Brest-Litowsker Friedensabkommen kündigte das Ende dieser Fraktion an. Nicht lange danach wurde Bucharin Repräsentant des rechten Parteiflügels, doch einige Elemente dieser Fraktion, wie Ossinski, schlossen sich den linken Fraktionen an, die später entstanden. Während also in Westeuropa einige der Fraktionen in den Sozialistischen Parteien, die die Kommunistischen Parteien ins Leben rufen sollten, erst noch gebildet werden mussten (die Abstentionistische Fraktion Bordigas bildete sich erst im Dezember 1918), hatten die russischen Revolutionäre (natürlich auf sehr konfuse Weise) die Auseinandersetzung gegen die Verirrungen, die die Kommunistische Partei in ihrem Land in Mitleidenschaft zogen, bereits begonnen. Es lohnt sich, darauf hinzuweisen (auch wenn es nicht notwendig ist, um dieses Phänomen hier zu analysieren), dass in einer ganzen Reihe von Fragen die russischen Militanten in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts an der Spitze standen: die Bildung der bolschewistischen Fraktion nach dem Zweiten Parteitag der RSDAP; ihre klare Position gegen den imperialistischen Krieg 1914; führende Linke in Zimmerwald; ihre Einsicht in die Notwendigkeit einer neuen Internationalen; die Gründung der Kommunistischen Partei im März 1918; ihre Anregung zum 1. Kongress der Kommunistischen Internationalen und zu seiner Orientierung.
Und diese „Frühreife“ kann auch bei der Bildung der Fraktionen innerhalb der Kommunistischen Partei beobachtet werden. Im Grunde war die russische Partei wegen ihrer besonderen Rolle als erste (und einzige) Kommunistischen Partei, die an die Macht gelangt war, auch die erste, die unter dem Druck des Hauptelements ihres Ruins (abgesehen natürlich von der Niederlage der weltweiten revolutionären Welle) litt: ihre Integration in den Staat. So begannen angesichts dieses Prozesses der Degeneration der proletarischen Partei sich Formen des Widerstandes, so konfus sie auch gewesen sein mögen, viel früher als anderswo zu manifestieren.
Von da an erlebte die russische Partei das Auftreten einer bedeutenden Zahl von weiteren „linken“ Strömungen:
– 1919 kämpfte der „Demokratische Zentralismus“, eine Gruppe, die von Ossinski und Sapronow gebildet wurde, gegen das Prinzip der „individuellen Autorität“ in der Industrie und vertrat das kollektive oder kollegiale Prinzip als die „wirksamste Waffe gegen die Ressorteritis (departmentalisation) und bürokratische Unterdrückung des Staatsapparates“ (Thesen über das Kollegialitätsprinzip und die individuelle Autorität, eigene Übersetzung);
– Ebenfalls 1919 beteiligten sich etliche Mitglieder des „Demokratischen Zentralismus“ an der „Militärischen Opposition“, die für eine kurze Zeit im März 1919 gebildet wurde, um gegen die Tendenz zu kämpfen, die Rote Armee nach den Kriterien einer traditionellen, bürgerlichen Armee zu gestalten.
Während des Bürgerkriegs wurde wegen der Bedrohung des Regimes durch die Weißen Armeen nur verhaltene Kritik an der Parteipolitik geäußert; doch sobald diese Gefahr durch den Sieg der Roten Armee über die Weißen gebannt war, verdoppelte sich die Kritik an Heftigkeit:
– Anfang 1921 wurde anlässlich des 10. Parteitages und der Debatte über die Gewerkschaftsfrage die „Arbeiteropposition“ gebildet, die von Schljapnikow, Medwedew (beide Metallarbeiter) und vor allem von Alexandra Kollontai, Autorin ihrer Plattform, angeführt wurde. Wie die revolutionären Syndikalisten wollte diese Opposition das Wirtschaftsmanagement den Gewerkschaften statt der Staatsbürokratie anvertrauen.[7] Nach dem Fraktionsverbot, einem Beschluss, der just auf jenen Parteitag gefällt wurde, der während der Erhebung von Kronstadt abgehalten wurde, wurde die Arbeiteropposition aufgelöst; Kollontai wurde später eine treue Anhängerin Stalins.
– Im Herbst 1921 wurde die Gruppe „Arbeiterwahrheit“ gebildet, die sich aus Intellektuellen und Anhängern des „Proletkult“, wie ihr Hauptorganisator Bogdanow, zusammensetzte. Diese Gruppe prangerte zusammen mit den anderen Strömungen der Opposition die Bürokratisierung der Partei und des Staates an, aber nahm gleichzeitig eine halb-menschewistische Position ein und behauptete, dass die Bedingungen der proletarischen Revolution in Russland noch nicht reif seien, dass diese Bedingungen auf der Grundlage eines modernen Kapitalismus erst noch geschaffen werden müssten (eine Position, die später zur Position der „rätekommunistischen“ Strömung werden sollte);
– 1922–23 wurde die „Arbeitergruppe“ gegründet, angeführt von Gabriel Miasnikow, einem Arbeiter aus dem Ural, der sich in der bolschewistischen Partei 1921 dadurch ausgezeichnet hatte, dass er unmittelbar nach dem 10. Parteitag zur „Freiheit der Presse, von den Monarchisten bis zu den Anarchisten“, aufgerufen hatte. Trotz Lenins Bemühungen, eine Debatte über diese Frage anzustrengen, weigerte sich Miasnikow, einen Rückzieher zu machen; er wurde schließlich Anfang 1922 aus der Partei ausgeschlossen. Mit anderen Mitstreitern aus dem Arbeitermilieu konstituierte er die „Arbeitergruppe der russischen Kommunistischen Partei (Bolschewik)“, die ihr Manifest auf dem 12. Parteitag der RKP verteilte. Diese Gruppe begann mit illegaler Arbeit unter den ArbeiterInnen der Partei und schien eine bedeutende Präsenz in den Streikwellen im Sommer 1923 zu haben, als sie zu Massendemonstrationen aufrief und versuchte, eine primär defensive Klassenbewegung zu politisieren. Ihre Aktivitäten in diesen Streiks überzeugten die GPU davon, dass diese Gruppe eine Gefahr darstellte; ihre Führer, einschließlich Miasnikow, wurden ins Gefängnis gesteckt. Die Gruppe führte ihre Aktivitäten in Russland (wie auch im Exil) bis Ende der 20er Jahre illegal fort, als es Miasnikow gelang, das Land zu verlassen und sich im Pariser Exil an der Veröffentlichung der Zeitung L’Ouvrier Communiste zu beteiligen, die KAPD-ähnliche Positionen vertrat.
Von allen Strömungen, die gegen die Degeneration der bolschewistischen Partei kämpften, war sicherlich die Arbeitergruppe politisch am klarsten. Sie stand der KAPD sehr nahe (Letztere veröffentlichte ihre Dokumente und blieb in Kontakt mit ihr). Insbesondere ihre Kritik an der Parteipolitik stützte sich auf eine internationale Sichtweise der Revolution, im Gegensatz zu den anderen Gruppen, die dazu neigten, sich auf Fragen der Demokratie (in der Partei und in der Arbeiterklasse) und auf das Wirtschaftsmanagement zu konzentrieren. Anders als die trotzkistische Strömung, die sich weiterhin auf die ersten vier Kongresse berief, lehnte sie die Politik der Einheitsfront des 3. und 4. Kongresses der KI ab. Es gab jedoch (insbesondere im Exil) Diskussionen zwischen dem linken Flügel der trotzkistischen Strömung und Elementen der Arbeitergruppe.
Die Arbeitergruppe war wahrscheinlich die einzige Strömung innerhalb der bolschewistischen Partei, die konsequent als Fraktion handelte. Doch die fürchterliche Repression, die Stalin gegen die Revolutionäre entfesselte (und die die zaristische Repression weit in den Schatten stellte), machte jede Möglichkeit zunichte, auf diesem Weg weiterzuschreiten. Nach dem II. Weltkrieg beschloss Miasnikow, nach Russland zurückzukehren. Wie vorherzusehen war, verschwand er unmittelbar nach seiner Ankunft, womit die schwachen Kräfte der kommunistischen Linken einen ihrer mutigsten Mitstreiter verloren.
Die Auseinandersetzung der Linksfraktionen in den anderen Ländern nahm zwangsläufig andere Formen als in Russland an; aber wenn wir zu den drei anderen kommunistischen Parteien zurückkehren, die wir oben erwähnt hatten, sehen wir, dass die linken Strömungen ebenfalls sehr früh den Kampf begonnen hatten.
Auf dem Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands besaßen die Positionen der Linken die Mehrheit. In der Gewerkschaftsfrage war Rosa Luxemburg, die das Programm der KPD verfasste und dem Parteitag vorstellte, sehr klar und kategorisch: „Die offiziellen Gewerkschaften haben sich im Verlaufe des Krieges und in der Revolution bis zum heutigen Tage als eine Organisation des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Klassenherrschaft gezeigt. Deshalb ist es selbstverständlich, dass der Kampf um die Sozialisierung in Deutschland sich in erster Linie befassen muss mit der Liquidierung dieser Hindernisse, die die Gewerkschaften der Sozialisierung entgegenstellen“. In der Frage des Parlamentarismus lehnte der Parteitag gegen die Position von führenden Spartakisten (Luxemburg, Liebknecht, Jogiches, etc.) die Teilnahme an den Wahlen ab, die kurz danach abgehalten wurden. Nach der Ermordung dieser Militanten schien die neue Führung (Levi, Brandler) anfangs der Linken (die in der Mehrheit blieb) gegenüber Zugeständnisse in der Gewerkschaftsfrage zu machen. Doch ab August 1919 (Frankfurter Konferenz der KPD) optierte Levi, der eine Annäherung an die USPD anstrebte, für eine Mitarbeit in den Parlamenten wie auch in den Gewerkschaften; und auf dem Heidelberger Parteitag im Oktober gelang es ihm dank eines Manövers, die linke antigewerkschaftliche und antiparlamentarische Mehrheit auszuschließen.
Die Mehrheit der ausgeschlossenen Militanten weigerte sich aufzugeben. Sie wurde von den Mitstreitern der holländischen Linken tatkräftig unterstützt, besonders von Gorter und Pannekoek, die damals ein großes Ansehen in der KI genossen und die auf die Bildung des Amsterdamer Büros drängten, die von der Internationalen angekündigt worden war, um die Arbeit in Westeuropa und Amerika zu koordinieren. Nur sechs Monate später (April 1920) gründeten die Ex-Mitglieder der KPD angesichts der Weigerung des Parteitages der KPD im Februar, die ausgeschlossenen Militanten wiederaufzunehmen, und auch angesichts des versöhnlerischen Verhaltens der KPD gegenüber der SPD während des Kapp-Putsches (13.–17. März) die KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands).
Bestärkt in ihrem Vorgehen wurden sie vom Amsterdamer Büro, das sie unterstützte und im Februar eine Internationale Konferenz organisierte, auf der die Thesen der Linken (über die Fragen der Gewerkschaften und des Parlamentarismus sowie bezüglich der opportunistischen Wende der KI, die besonders im Beharren zum Ausdruck kommt, dass die Kommunisten in Großbritannien der Labour-Partei beitreten sollten) triumphierten.[8] Der neuen Partei wurde durch die Unterstützung der linken, von Gorter und Pannekoek angeführten Minderheit der Kommunistischen Partei der Niederlande (KPN), die in ihrer Zeitung das auf ihrem Gründungsparteitag verabschiedete KAPD-Programm abdruckte, der Rücken gestärkt. Dies hinderte Pannekoek nicht daran, die KAPD (in seinem Brief vom 5. Juli 1920) zu kritisieren, namentlich ihre Positionen zu den „Arbeiterunionen“ (indem er vor jeglicher Konzession an den revolutionären Syndikalismus warnte) und vor allem wegen der Präsenz der „Nationalbolschewisten“ in ihren Reihen, die er als eine „monströse Verirrung“ betrachtete. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die holländische Linke (und insbesondere Pannekoek) in allen Schlüsselfragen, denen sich das Proletariat gegenübersah (Gewerkschaften, Parlament, die Partei[9], die Haltung gegenüber den sozialistischen Parteien, der Charakter der Revolution in Russland, etc.) an der Spitze der Arbeiterbewegung.
Der Parteitag der KAPD, der zwischen dem 1. und 4. August stattfand, sprach sich für diese Orientierung aus: Dies war der Augenblick, in dem die „Nationalbolschewisten“ die Partei verließen; einige Monate später waren die föderalistischen Elemente an der Reihe, die sich ablehnend gegenüber einem Eintritt in die KI gaben. Pannekoek, Gorter und die KAPD ihrerseits waren entschlossen, in der KI zu verbleiben und gegen deren wachsendes opportunistisches Abdriften zu kämpfen. Aus diesem Grund entsandte die KAPD zwei Delegierte, Jan Appel und Franz Jung, zum Zweiten Kongress der KI in Russland, der am 17. Juli 1920 in Moskau stattfinden sollte.[10] Da jegliche Nachrichten von ihnen ausblieben, entsandte die KAPD zwei weitere Delegierte, von denen der eine Otto Rühle war. Doch angesichts der katastrophalen Lage der Arbeiterklasse in Russland und des Bürokratisierungsprozesses im Regierungsapparat entschlossen sich Letztere, nicht am Parteitag teilzunehmen, obwohl sie aufgefordert wurden, ihre Positionen zu vertreten, und stimmberechtigt waren. In Vorbereitung dieses Parteitages schrieb Lenin Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus. Es sollte angemerkt werden, dass Lenin in dieser Broschüre schrieb, dass „der Fehler des linken Doktrinarismus im Kommunismus gegenwärtig tausendmal weniger gefährlich und weniger folgenschwer als der Fehler des rechten Doktrinarismus“ ist.
Sowohl in der KI und bei den Bolschewiki als auch bei der KAPD bestand der ernsthafte Wille zu einer Annäherung, mit dem Ziel, die KAPD in die Internationale und somit in die KPD zu integrieren. Doch die Verschmelzung Letzterer mit der USPD-Linken im Dezember 1920 zur VKPD, eine Umgruppierung, der sich alle linken Strömungen der KI widersetzten, blockierte diese mögliche Entwicklung. Dennoch erlangte die KAPD den Status einer „mit der KI sympathisierenden Partei“, erhielt eine permanente Repräsentanz in deren Exekutivkomitee und entsandte Delegierte zum Dritten Kongress der KI im Juni 1921. Diese Kooperation wurde in der Zwischenzeit untergraben, besonders durch die „März-Aktion“ (einer abenteuerlichen „Offensive“, die von der VKPD gefördert worden war) und die Unterdrückung des Kronstädter Aufstands (eine Unterdrückung, die die Linke anfangs mitgetragen hatte, glaubte sie doch, dass diese Erhebung tatsächlich das Werk der Weißen sei, wie die Propaganda der Sowjetregierung behauptete). Gleichzeitig betrieb die rechte Führung der KPN (Wijnkoop, der der „holländische Levi“ genannt wurde) mit Unterstützung Moskaus eine Politik der statutenwidrigen Ausschlüsse von linken Mitstreitern. Schließlich gründeten diese Militanten im September nach dem Modell der KAPD eine neue Partei, die KAPN.
Die Einheitsfront-Politik, die auf dem Dritten Kongress der KI angenommen wurde, verschlimmerte alles nur noch, wie auch das Ultimatum, das an die KAPD gerichtet wurde, um sich mit der VKPD zu vereinen. Im Juli 1921 nahm die Führung der KAPD mit Gorters Unterstützung eine Resolution an, in der alle Verbindungen zur KI gekappt wurden und zur Konstituierung einer „Kommunistischen Arbeiter-Internationalen“ (KAI) aufgerufen wurde – dieser Aufruf wurde zwei Monate vor dem für September geplanten Parteitag der KAPD verlautbart. Es war ganz offensichtlich eine voreilige Entscheidung. Auf diesem Parteitag wurde die Frage der Gründung einer neuen Internationalen diskutiert (Mitstreiter aus Berlin und namentlich Jan Appel waren dagegen), und letztendlich beschloss der Parteitag, ein Informationsbüro zu diesem Zweck zu schaffen. Dieses Büro handelte jedoch, als wäre die neue Internationale bereits gebildet worden, obwohl ihre Gründungskonferenz erst im April 1922 stattfinden sollte. Gleichzeitig erlebte die KAPD eine Spaltung zwischen der Mehrheit der „Berliner Tendenz“, die der Bildung einer neuen Internationalen abgeneigt war, und der „Essener Tendenz“, die den Lohnkampf ablehnte.
Nur Letztgenannte nahm an dieser Konferenz teil, zusammen mit Gorter, der der Autor des KAI-Programms war. Die teilnehmenden Gruppierungen waren gering an Zahl und repräsentierten nur sehr beschränkte Kräfte: Abgesehen von der Essener Tendenz gab es die KAPN, die bulgarische kommunistische Linke, die Kommunistische Arbeiterpartei (CWP) von Sylvia Pankhurst, die KAP Österreichs, die von der KAPD in Berlin als „Potemkinsches Dorf“ (d.h. als fingiert) bezeichnet wurde. Letztendlich verflüchtigte sich diese Rumpf-„Internationale“ mit dem Verschwinden bzw. fortschreitenden Rückzug ihrer Bestandteile. Die Essener Tendenz machte etliche Spaltungen durch. Die KAPN löste sich auf, anfangs infolge des Auftretens einer der Berliner Tendenz zugehörigen Strömung, die der Bildung der KAI ablehnend gegenüberstand, schließlich durch innere Konflikte, die eher auf Clankonflikten denn auf politischen Prinzipien beruhten. Im Grunde ist das entscheidende Element, das das teils jämmerliche, teils dramatische Scheitern der KAI erklären kann, im Abebben der revolutionären Welle zu suchen, die einst als Sprungbrett für die Gründung der KI gedient hatte:
„Der Fehler Gorters und seiner Anhänger bestand darin, die KAI willkürlich zu proklamieren, als immer noch Linksfraktionen in der Komintern verblieben, die in eine internationale linkskommunistische Strömung integriert hätten werden können. Dieser Irrtum wog schwer auf der deutschen revolutionären Bewegung (…) Der Niedergang der Weltrevolution, der ab 1921 evident in Europa wurde, gestattete mitnichten die Bildung einer neuen Internationalen. Der Gedanke, dass es immer noch in Richtung Revolution ging entbehrte vor dem Hintergrund der Theorie der ‚Todeskrise des Kapitalismus‘ nicht einer gewissen Logik bei der Proklamation der KAI durch Gorter und die Essener Tendenz. Doch ihre Voraussetzungen waren falsch.“ (aus unserer Broschüre Die deutsch-holländische Linke, 5. Kap. 4.d, https://de.internationalism.org/Gorter/KAI)
Das finale Scheitern der KAPD und der KAPN veranschaulicht auf beeindruckende Weise, wie notwendig es für die Revolutionäre ist, eine klare Vorstellung von der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie zu haben.
Wurde die deutsch-holländische Linke sich erst mit großer Verzögerung bewusst, dass die revolutionäre Welle am Abebben war[11], so galt dies nicht für die Bolschewiki, für die Führer der Kommunistischen Internationalen und die Kommunistische Linke Italiens. Doch sie antworteten darauf auf völlig unterschiedliche Weise:
– Für die Bolschewiki und die Mehrheit der KI war es notwendig, „zu den Massen zu gehen“, da die Massen sich nicht mehr in Richtung Revolution bewegten. Dies mündete in eine wachsend opportunistische Politik, besonders gegenüber den „zentristischen“ Sozialistischen Parteien und Strömungen wie auch den Gewerkschaften.
– Im Gegensatz dazu war es für die italienische Linke notwendig, auch weiterhin dieselbe Kompromisslosigkeit an den Tag zu legen, die die Bolschewiki im Krieg und bis zur Gründung der KI charakterisiert hatte.
In Wirklichkeit drückte der opportunistische Kurs, der von der KI bereits auf dem Zweiten Kongress, aber besonders vom Dritten Kongress an eingeschlagen wurde und der die Klarheit und die Kompromisslosigkeit des Ersten Kongresses in Frage stellte, nicht nur die Schwierigkeiten aus, mit denen es das Weltproletariat zu tun hatte, um seinen revolutionären Kampf fortzusetzen und zu verstärken, sondern auch den unlösbaren Widerspruch, in dem die bolschewistische Partei steckte. Auf der einen Seite waren die Bolschewiki – die faktische Führung der KI – Avantgarde der Weltrevolution gewesen und hatten dieselbe Rolle in der Russischen Revolution gespielt. Sie hatten stets darauf bestanden, dass Letztere nur ein kleiner Schritt in Richtung Weltrevolution sei, und waren sich sehr wohl darüber bewusst, dass eine Niederlage des Weltproletariats den Tod der Revolution in Russland bedeuten würde.
Auf der anderen Seite waren die Bolschewiki als eine Partei, die die Macht über ein ganzes Land in der Hand hielt, den Anforderungen unterworfen, die den Funktionen eines Nationalstaates und vor allem der Notwendigkeit der Sicherung innerer wie äußerer „Sicherheit“ entsprachen. Mit anderen Worten: sie verfolgten eine Außenpolitik im Interesse Russlands und eine Innenpolitik, die die Stabilität der Staatsmacht garantierte. In diesem Sinne waren die Repression der Streiks von Petrograd und die blutige Niederschlagung des Kronstädter Aufstands die andere Seite der Medaille, die Schattenseite der Politik der „offenen Hand“. Unter dem Mantel der „Einheitsfront“ praktizierten die Bolschewiki eine Politik gegenüber den Sozialistischen Parteien, die darauf abzielte, sie dazu zu bewegen, Druck auf ihre Regierungen auszuüben, um deren Außenpolitik in eine der Sowjetunion genehme Richtung zu lenken.
Die Kompromisslosigkeit der italienischen Kommunistischen Linken, die faktisch die Spitze der Kommunistischen Partei Italiens stellte (die „Thesen von Rom“, die auf ihrem Zweiten Parteitag 1922 verabschiedet worden, waren von Bordiga und Terracini verfasst worden), fand einen beispielhaften Ausdruck gegenüber dem im Aufstieg befindlichen Faschismus in Italien im Anschluss an die Niederlage der Klassenkämpfe 1920. Auf der praktischen Ebene drückte sich diese Kompromisslosigkeit in einer Totalverweigerung gegenüber Bündnissen mit den Parteien der Bourgeoisie (liberale oder „sozialistische“) vis-à-vis der faschistischen Bedrohung aus: Die Arbeiterklasse kann den Faschismus nur auf ihrem eigenen Terrain, mit dem ökonomischen Streik und der Organisation von Arbeitermilizen zur Selbstverteidigung, bekämpfen. Auf theoretischer Ebene verdanken wir Bordiga die erste ernsthafte (auch heute noch gültige) Analyse des faschistischen Phänomens, die er den Delegierten des Vierten Kongresses der KI vorstellte und die die Analyse eben jener KI ablehnte:
– „Der Faschismus sei nicht die Bewegung der Mittelklassen und der agrarischen Bourgeoisie. Vielmehr sei er das Produkt der Niederlage, die das Proletariat erlitten habe und die die unentschlossenen kleinbürgerlichen Schichten hinter die faschistische Reaktion gedrängt habe“ (aus unserem Buch Die Italienische Kommunistische Linke, Kap. 1, S. 30 f.)
– „Der Faschismus sei keine ‚feudale‘ Reaktion. Er sei in den großen Industriestädten entstanden, wie in Mailand…“ (ebenda, S. 31) und genieße die Unterstützung der industriellen Bourgeoisie.
– „Der Faschismus sei nicht mit der Demokratie unvereinbar. Er sei ihre unverzichtbare Ergänzung für den Fall, ‚dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, die Macht der Bourgeoisie zu verteidigen.‘“ (ebenda)
Diese Kompromisslosigkeit kam auch hinsichtlich der Politik der Einheitsfront, der „ausgestreckten Hand“ gegenüber den Sozialistischen Parteien und ihrer Begleiterscheinungen, des Schlachtrufes der „Arbeiterregierung“, zum Tragen, die „zu einer praktischen Verleugnung des politischen Programms des Kommunismus (führte), d.h. der Notwendigkeit, die Massen für den Kampf für die Diktatur des Proletariats vorzubereiten“ (Bordiga, zitiert in: Die Italienische Kommunistische Linke, Kap. 1, S. 33).
Mit derselben Kompromisslosigkeit widersetzte sie sich der Politik der KI, die Kommunistischen Parteien mit den linken Strömungen der Sozialistischen Parteien oder den „Zentristen“ zu verschmelzen, eine Politik, die zur Bildung der VKPD in Deutschland führte und in Italien im August 1924 in den Eintritt von 2000 „Terzini“ (Partisanen der Dritten Internationalen) in eine Partei mündete, die infolge der Repression und Demoralisierung nur noch 20.000 Mitglieder umfasste.
Schließlich manifestierte sie sich in ihrer Opposition gegen die Politik der „Bolschewisierung“ der KPs, die auf dem Fünften Kongress der KI im Juli 1924 vorgestellt wurde. Diese Politik wurde auch von Trotzki bekämpft. Kurz gesagt, bestand sie darin, die Disziplin in den Kommunistischen Parteien wiederherzustellen, und zwar eine bürokratische Disziplin, deren Absicht es war, den Widerstand gegen ihre Degeneration zum Schweigen zu bringen. Die Bolschewisierung bestand auch darin, eine Organisationsweise der KPs zu fördern, die auf „Fabrikzellen“ basierte, etwas, das die Aufmerksamkeit der ArbeiterInnen auf die Schwierigkeiten in „ihren“ Unternehmen lenkte, ganz offensichtlich zum Nachteil einer allgemeinen Sichtweise und Perspektive des proletarischen Kampfes.
Obwohl die Linke sich immer noch in der Mehrheit innerhalb der Partei befand, erzwang die KI eine rechte Führung (Gramsci, Togliatti), die ihre Politik unterstützte, ein Manöver, das durch den Gefängnisaufenthalt Bordigas zwischen Februar und Oktober 1923 erleichtert wurde. Dennoch stimmten in einer klandestinen Konferenz der italienischen Partei im Mai 1924 35 von 45 Föderationssekretären und vier von fünf interregionalen Sekretären den von Bordiga, Grieco, Fortichiari und Repossi präsentierten Thesen, die sich sehr kritisch über die Politik der KI äußerten, zu. 1925 brach in der KI die Kampagne gegen die Opposition aus; die erste, die an der Reihe war, war Trotzkis Linksopposition. „Im März–April 1925 setzte die Erweiterte Exekutive der Komintern die Eliminierung der ‚bordigistischen‘ Tendenz auf die Tagesordnung des III. Kongresses des PCI. Sie verbat die Veröffentlichung eines Artikels von Bordiga, in dem sich dieser für Trotzki ausgesprochen hatte.“ (Die Italienische Kommunistische Linke, Kap. 1, S. 35)
„Die Bolschewisierung der italienischen Sektion begann mit der Entfernung Fortichiaris von seinem Posten als Gebietssekretär von Mailand. Im April gründete die Linke, mit Damen, Repossi und Fortichiari, ein ‚Bündniskomitee‘, um ihre eigenen Aktivitäten zu koordinieren.
Die Gramsci-Führung griff dieses Komitee gewaltsam an und denunzierte es als eine ‚organisierte Fraktion‘. Tatsächlich aber wollte sich die Linke noch nicht als Fraktion konstituieren; sie wollte keinerlei Vorwand für ihren Ausschluss aus der Partei liefern, während sie noch in der Mehrheit war. Zunächst weigerte sich Bordiga, dem Komitee beizutreten, da er nicht den ihm auferlegten disziplinarischen Rahmen übertreten wollte. Erst im Juni schloss er sich der Position von Damen, Fortichiari und Repossi an. Ihm wurde die Aufgabe zugeteilt, eine ‚Plattform‘ der Linken zu entwerfen, die der erste systematische Angriff auf die Bolschewisierung war.“ (ebenda, S. 35 f.)
„Unter der Drohung des Ausschlusses löste sich das Bündniskomitee auf und beugte sich der Disziplin. Dies war der Anfang vom Ende der italienischen Linken als Mehrheit.“ (ebenda, S. 37)
Auf dem Parteitag im Januar 1926, der wegen der faschistischen Repression im Ausland abgehalten wurde, präsentierte die Linke die „Thesen von Lyon“; sie erhielten lediglich 9,2 Prozent der Stimmen: Die Politik, die Anweisungen der KI bezüglich einer intensiven Rekrutierung junger und kaum politisierter Elemente anzuwenden, trug nun Früchte. Die „Thesen von Lyon“ sollten die Politik der italienischen Linken in der Emigration orientieren.
Bordiga kämpfte noch eine letzte Schlacht auf der 6. Erweiterten Exekutive der KI von Februar bis März 1926. Er prangerte das opportunistische Abdriften der KI an, erwähnte die Fraktionsfrage ohne Rücksicht darauf, ob dies auf der unmittelbaren Tagesordnung stand, und bekräftigte, dass „die Geschichte der Fraktionen die Geschichte Lenins ist“ (ebenda, S. 38); sie sind keine Krankheiten, „sondern das Symptom einer Krankheit. Sie seien das Produkt der ‚Verteidigung gegen den opportunistischen Einfluss‘.“ (ebenda, S. 38f.)
In einem Brief an Karl Korsch im September 1926 schrieb Bordiga: „Wir sollten nicht die Spaltung der Parteien und der Internationale anstreben. Wir sollten dem Experiment der willkürlichen und mechanischen Disziplin eine Chance geben, indem wir Letztere so weit wie möglich, bis zur totalen Absurdität ihres Verfahrens, respektieren, ohne jedoch auf unsere ideologische und politische Kritik zu verzichten und ohne uns jemals mit der herrschenden Orientierung zu solidarisieren (…) Generell denke ich, dass mehr noch als Organisation und Manöver heute die Erarbeitung einer politischen Ideologie der internationalen Linken zuoberst stehen sollte, die auf den beredten Erfahrungen der Komintern beruht. Da wir noch weit entfernt sind von diesem Punkt, erscheint jede internationale Initiative schwierig.“ (Bordiga, zitiert in: Die Italienische Kommunistische Linke, Kap. 1, S. 41)
Dies waren auch die Grundlagen, auf denen nach der ersten Konferenz im April 1928 die Linksfraktion der Kommunistischen Partei Italiens im Pariser Vorstadtviertel Pantin letztlich gegründet werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt zählte sie vier „Föderationen“: Brüssel, New York, Paris und Lyon, mit Mitstreitern in Luxemburg, Berlin und Moskau.
Diese Konferenz nahm einmütig eine Resolution an, die ihre Perspektiven definierte:
1. „Konstituierung als linke Fraktion der Kommunistischen Internationale.
2. (…)
3. Zweimonatliche Veröffentlichung einer Zeitschrift mit dem Namen Prometeo.
4. Gründung von Gruppen der Linken, deren Aufgabe der bedingungslose Kampf gegen den Opportunismus und die Opportunisten ist (…)
5. Inangriffnahme der unmittelbaren Ziele:
– die Reintegration aller aus der Kommunistischen Internationale Ausgeschlossenen, welche sich auf das Kommunistische Manifest und die Thesen des Zweiten Weltkongresses berufen.
– die Einberufung des 6. Weltkongresses unter der Präsidentschaft von Leo Trotzki.
– den Ausschluss all jener auf die Tagesordnung des 6. Weltkongresses stellen, die sich mit den Resolutionen des 15. Allrussischen Kongresses solidarisch erklären.“ (zitiert in: Die Italienischen Kommunistische Linke, S. 78)
Wie ersichtlich:
– begriff sich die Fraktion nicht als „italienisch“, sondern als eine Fraktion der KI;
– meinte sie, dass in der KI noch immer proletarisches Leben existiere und sie immer noch gerettet werden könne;
– meinte sie, dass die russische Partei sich den Beschlüssen des KI-Kongresses unterordnen und „ihr Haus in Ordnung bringen“ müsse, indem sie all jene ausschließt, die offenen Verrat begangen hatten (wie dies schon früher im Zusammenhang mit anderen Parteien der Internationalen praktiziert wurde);
– lud sie sich nicht die Aufgabe einer allgemeinen Intervention gegenüber den ArbeiterInnen auf, sondern konzentrierte sich vorrangig auf die Militanten der KI.
Im Anschluss leistete die Fraktion bis 1945 eine bemerkenswerte Arbeit, eine Arbeit, die von der Gauche Communiste de France bis 1952 fortgeführt wurde. Wir haben in unseren Artikeln, internen Texten und Diskussionen bereits oft auf dieses Werk Bezug genommen, so dass es nicht notwendig ist, hier darauf zurückzukommen.
Einer der wesentlichen Beiträge der italienischen Fraktion und der Kern dieses Berichts ist exakt die Weiterentwicklung des Konzeptes der Fraktion auf der Grundlage der gesamten Erfahrung der Arbeiterbewegung. Dieses Konzept wurde bereits eingangs dieses Berichts in wenigen Worten umrissen. Wir werden uns hier darauf beschränken, eine Passage aus einem Artikel in unserer Presse zu zitieren, wo das Konzept der Fraktion definiert wird. („Die italienische und französische Kommunistische Linke“; Internationale Revue, Nr. 90 [engl., franz., span. Ausgabe][12]):
„In unserer Presse haben wir uns häufig mit der Unterscheidung befasst, die von der italienischen Linken zwischen der Partei und der Fraktion gemacht wurde (siehe besonders unsere Untersuchung ‚Das Verhältnis zwischen Fraktion und Partei in der marxistischen Tradition‘ in der International Review, Nr. 59, 61, 64). Um Klarheit zu schaffen, wollen wir die Hauptlinien der Frage hier in Erinnerung rufen. Die kommunistische Minderheit existiert permanent als ein Ausdruck des revolutionären Schicksals des Proletariats. Jedoch ist ihr Einfluss auf die unmittelbaren Kämpfe der Klasse stark durch ihr Niveau und den Umfang des Bewusstseins der arbeitenden Massen bedingt. Nur in Perioden offener und immer bewussterer proletarischer Kämpfe kann die Minderheit auf einen Einfluss hoffen. Nur unter diesen Bedingungen kann die Minderheit als Partei beschrieben werden. Im Gegensatz dazu ist es in Zeiten, in denen der proletarische Kampf historisch abebbt und die Konterrevolution triumphiert, zwecklos, auf einen bedeutenden und entscheidenden Einfluss revolutionärer Positionen auf die Klasse in ihrer Gesamtheit zu hoffen. In solchen Perioden besteht die einzig mögliche – aber wichtige – Arbeit darin, als Fraktion zu arbeiten: die politischen Bedingungen für die Bildung der künftigen Partei vorzubereiten, wenn das Kräfteverhältnis es erneut ermöglicht, dass kommunistische Positionen Einfluss auf das gesamte Proletariat ausüben.“ (Auszug aus der Fußnote 4)
„Die Linksfraktion ist geschaffen worden, da die proletarische Partei unter dem Einfluss des Opportunismus, mit anderen Worten: ihrer Penetrierung durch die bürgerliche Ideologie, im Begriff ist zu degenerieren. Es ist die Verantwortung der Minderheit, die das revolutionäre Programm aufrechthält, einen organisierten Kampf für seinen Triumph innerhalb der Partei zu führen. Entweder hat die Fraktion Erfolg, ihre Prinzipien triumphieren, und die Partei ist gerettet, oder die Partei degeneriert weiter und endet damit, dass sie die Waffen streckt und ins bürgerliche Lager überläuft. Der Zeitpunkt, in dem die proletarische Partei ins bürgerliche Lager überläuft, ist nicht leicht zu bestimmen. Doch eines der wichtigsten Anzeichen dieses Übergangs ist die Tatsache, dass es innerhalb der Partei kein proletarisches Leben mehr gibt. Es liegt in der Verantwortung der Linksfraktion, den Kampf innerhalb der Partei fortzusetzen, solange die Hoffnung besteht, sie zur Umkehr zu veranlassen. Daher verließen Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre die linken Strömungen nicht die Parteien der KI, sondern sie wurden ausgeschlossen, oftmals mit Mitteln schmutziger Manöver. Davon abgesehen, ist eine Rückkehr unmöglich, sobald eine proletarische Partei ins bürgerliche Lager übergelaufen ist. Das Proletariat muss in diesem Fall eine neue Partei erschaffen, um auf den Weg zur Revolution zurückzukehren, und die Rolle der Fraktion ist es, eine ‚Brücke‘ zwischen der alten Partei, die zum Feind übergelaufen ist, und der zukünftigen Partei zu sein, für die sie ein programmatisches Fundament bauen und deren Gerüst sie werden muss. Die Tatsache, dass, sobald die Partei ins bürgerliche Lager übergelaufen ist, kein proletarisches Leben mehr in ihr existieren kann, bedeutet, dass sie sowohl nutzlos als auch gefährlich für Revolutionäre ist, die den ‚Entrismus‘ betreiben, der stets eine von Trotzkis ‚Taktiken‘ gewesen ist und den die Fraktion stets abgelehnt hat. Versuche, einer bürgerlichen Partei, mit anderen Worten: einer Partei, die jeglicher Klassenposition entblößt ist, proletarisches Leben einzuhauchen, führten noch nie zu einem anderen Resultat als zur Beschleunigung der opportunistischen Degeneration jener Organisationen, die dies versucht hatten, ohne die Partei auch nur im geringsten zur Umkehr zu bringen. Was die ‚Rekrutierung‘ angeht, die durch solche Methoden erzielt wird, so handelte es sich stets um besonders konfuse und vom Opportunismus befallene Elemente, die nie in der Lage gewesen waren, eine Vorhut für die Arbeiterklasse zu formen.
Im Grunde bestand einer der fundamentalen Unterschiede zwischen der italienischen Fraktion und dem Trotzkismus darin, dass, als es zur Umgruppierung revolutionärer Kräfte kam, die Fraktion immer die Notwendigkeit der größten Klarheit und programmatischen Stringenz vorgebracht hat, auch wenn man offen für Diskussionen mit all den anderen Strömungen war, die sich dem Kampf gegen die Degeneration der KI verschrieben hatten. Die trotzkistische Strömung versuchte hingegen, rasch Organisationen zu bilden, ohne jegliche ernsthafte Diskussion oder einen vorherigen Klärungsprozess der politischen Positionen und sich im Kern auf die Übereinkünfte zwischen ‚Persönlichkeiten‘ und der Autorität von Trotzki als einen der wichtigsten Führer der Revolution von 1917 und der frühen KI verlassend.“
Dieser Abschnitt offenbart die Methoden der trotzkistischen Strömung, die wir aus Platzmangel oben nicht erwähnt hatten. Doch es ist bedeutsam, dass zwei der Kennzeichen dieser Strömung, bevor diese sich dem bürgerlichen Lager anschloss, folgende waren:
– Zu keinem Zeitpunkt integrierte sie den Begriff der Fraktion in ihr Konzept; für den Trotzkismus ging es von einer Partei zur nächsten, und so musste in Zeiten des Rückzugs der Klasse, wenn die Revolutionäre eine kleine Minderheit waren, ihre Organisation als eine Art „Mini-Partei“ betrachtet werden, ein Konzept, das Mitte der 30er Jahre auch innerhalb der italienischen Fraktion aufgekommen war und das heute von der IKT verfolgt wird, nennt sich doch ihre Hauptkomponente Partito Comunista Internazionalista.
– Trotzki (aber nicht nur er) hatte das Ausmaß der Konterrevolution absolut nicht begriffen. Sein Unverständnis war so groß, dass er die Streiks von Mai bis Juni 1936 in Frankreich als den „Beginn der Revolution“ betrachtete. In diesem Sinn ist das Konzept des historischen Kurses (ebenfalls abgelehnt von der IKT) fundamental für die Fraktion.
Der Wille zur Klärung, der die italienische Linke stets angetrieben hatte und der eine fundamentale Vorbedingung für die Erfüllung ihrer Rolle ist, kann selbstverständlich nicht von der theoretischen Vertiefung und der permanenten Bereitschaft getrennt werden, Analysen und Positionen, die einst als endgültig erschienen, in Frage zu stellen.
5. Schlussfolgerung
Um diesen Teil des Berichts abzuschließen, müssen wir sehr kurz auf den späteren Werdegang der Strömungen zu sprechen kommen, die die KI verließen. Die Strömung, die aus der deutsch-holländischen Linken entstand, blieb selbst nach dem Verschwinden der KAPD und der KAPN bestehen. Ihr Hauptrepräsentant war die GIK (Gruppe Internationaler Kommunisten) in Holland, eine Gruppe, die einen gewissen Einfluss außerhalb ihres Landes hatte (zum Beispiel auf Living Marxism, eine Gruppe in den USA, die von Paul Mattick animiert wurde). In einem der tragischsten und kritischsten Momente der 30er Jahre, im Spanischen Krieg, vertrat diese Gruppe eine prinzipiell internationalistische Position, ohne jegliches Zugeständnis an den Antifaschismus. Sie stimulierte den Denkprozess innerhalb der Kommunistischen Linken, einschließlich BILAN (die die Position Rosa Luxemburgs und der deutschen Linken über die nationale Frage aufgriff), wie auch der Gauche Communiste de France, die die traditionelle Position der italienischen Linken über die Gewerkschaften ablehnte und stattdessen die Position der deutsch-holländischen Linken übernahm.
Jedoch nahm diese Strömung (GIK etc.) zwei Positionen ein, die sich als fatal erwiesen (und die der KAPD fremd gewesen wären):
– die Charakterisierung der Revolution von 1917 als bürgerlich;
– die Verneinung der Notwendigkeit einer Partei.
Dies führte dazu, eine ganze Reihe von proletarischen Organisationen der Vergangenheit als bürgerlich zu kategorisieren, letztendlich die Geschichte der Arbeiterbewegung und die Lehren abzulehnen, die sie für die Zukunft in petto hat.
Es führte auch dazu, jegliche Rolle der Fraktion zu verneinen, da deren Aufgabe es ist, einer Organisation den Weg zu ebnen, die die rätekommunistische Strömung nicht will – die Partei.
Als Konsequenz aus diesen beiden Schwächen hat sie sich selbst daran gehindert, eine bedeutende Rolle in dem Prozess zu spielen, der zur zukünftigen Partei und somit zur kommunistischen Revolution führen wird, auch wenn rätekommunistisches Gedankengut durchaus einen Einfluss auf das Proletariat ausübt.
Ein letzter einleitender Punkt zum zweiten Teil des Reports: Kann die IKS als eine Fraktion betrachtet werden? Die Antwort springt geradezu ins Auge: Selbstverständlich nicht, denn unsere Organisation war zu keinem Zeitpunkt innerhalb einer proletarischen Partei konstituiert worden. Doch diese Antwort ist bereits Anfang der 50er Jahre vom Genossen MC in einem Brief an die anderen Mitglieder der Gruppe Internationalisme gegeben worden:
„Die Fraktion stand in direkter, organischer Kontinuität zur alten Organisation, da ihre Existenz von relativ kurzer Dauer war. Oft verblieb sie in der alten Organisation bis zu dem Moment der Spaltung. Die Spaltung war häufig identisch mit der Umwandlung der Fraktion in eine neue Partei (z.B. die bolschewistische Fraktion und der Spartakusbund, wie fast alle Linksfraktionen der alten Internationalen). Heute ist diese organische Kontinuität beinahe nicht mehr existent (…) Weil die Fraktion es nicht mit fundamental neuen Problemen zu tun hatte, wie jene, die sich durch unsere Periode der permanenten Krise und der Entwicklung zum Staatskapitalismus stellten, und nicht in tausend Stücke zerschmettert wurde, war sie fester in ihren erworbenen revolutionären Prinzipienverankert, als wenn sie neue Prinzipien hätte formulieren müssen; sie hatte mehr aufrechtzuerhalten als aufzubauen. Dank dessen und ihrer direkten organischen Kontinuität über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum war sie die neue Partei in der Reifung.
Auch wenn sie zum Teil die Aufgaben einer Fraktion hat – d.h. die Neu-Untersuchung der vergangenen Erfahrungen und die Formierung neuer Militanter –, muss (unsere Gruppe) auch eine Analyse der jüngst sich entfaltenden Situation und die neue Perspektive erstellen, hat aber dafür nicht das Programm der zukünftigen Partei neu zu formulieren. Sie ist lediglich ein Element der zukünftigen Partei. Aufgrund ihres organisatorischen Charakters kann ihre Funktion, programmatische Beiträge zu liefern, nur eine Teilfunktion sein.“
Heute, nach einer über 40jährigen Existenz, muss die IKS immer noch so vorgehen, wie als sie, 30 Jahre alt geworden, daran erinnerte: „Wir verdanken also die Fähigkeit der IKS, sich in den 30 Jahren ihrer Existenz stets ihrer Verantwortung gestellt zu haben, größtenteils den Beiträgen der italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken. Das Geheimnis hinter der positiven Bilanz, die wir aus den Aktivitäten in dieser Periode ziehen können, liegt in unserer richtig verstandenen Treue zu den Lehren der Fraktion und, allgemeiner, zu der Methode und dem Geist des Marxismus.“ („30 Jahre IKS: Von der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu bauen“, Internationale Revue, Nr. 37[13])
[1] Wiederveröffentlicht in Internationale Revue, Nr. 52 (https://de.internationalism.org/internationalerevue/internationalisme-nr...).
[2] MEW, Bd. 8, 598.
[3] Es sollte angemerkt werden, dass laut eines Briefes von Marx an Engels, der kurz nach diesem Treffen abgeschickt wurde, Marx Eccarius‘ Einladung akzeptierte, weil Marx im Gegensatz zu den vorherigen Versuchen, Organisationen zu konstituieren, zu denen er eingeladen wurde, die er aber als künstlich empfand, diesmal die Bemühungen als ernsthaft betrachtete.
[4] In diesem und den folgenden Abschnitten fokussieren wir uns auf die Fraktionen in vier verschiedenen Parteien, nämlich jene in Russland, Holland, Deutschland und Italien, ohne die Parteien der beiden Hauptländer Großbritannien und Frankreich näher zu untersuchen. Im Grunde gab es in diesen beiden Parteien keine Linksfraktionen, die diesen Namen verdient hätten, hauptsächlich wegen der extremen Schwäche des marxistischen Denkens in ihnen. So kam zum Beispiel in Frankreich die erste organisierte Reaktion gegen den I. Weltkrieg nicht von einer Minderheit in der Sozialistischen Partei, sondern von einer Minderheit innerhalb der Gewerkschaft CGT, deren Kern sich um Rosmer und Monatte sammelte, die La Vie Ouvrière publizierten.
[5] „Ich habe unaufhörlich entgegen der Redaktionsleitung von De Tribune gesagt: Wir müssen alles Erdenkliche tun, um die anderen zu uns zu ziehen, doch wenn dies scheitert – nachdem wir bis zum Schluss gekämpft haben und alle Bemühungen gescheitert sind –, dann müssen wir nachgeben (mit anderen Worten: die Unterdrückung von De Tribune akzeptieren)“ (Brief von Gorter an Kautsky, 16. Februar 1909). „Unsere Stärke in der Partei kann wachsen; unsere Stärke außerhalb der Partei kann niemals wachsen.“ Intervention von Gorter auf dem Deventer Parteitag. (Siehe: „Die holländische Linke (1900–1914), Teil 2: „Die ‚tribunistische‘ Bewegung“, Internationale Revue, Nr. 47 [engl., franz., span. Ausgabe]).
[6] Unter den vielen Militanten, die von der Repression betroffen waren, können wir den Fall von Luxemburg zitieren, die einen Gutteil des Krieges im Gefängnis verbracht hat, den Fall von Liebknecht, der anfangs eingezogen und anschließend in Schutzhaft genommen wurde, nachdem er auf der 1. Mai-Demonstration 1916 den Krieg und die Regierung angeprangert hatte, und den Fall von Mehring, der als über 70-Jähriger ins Gefängnis gesteckt wurde.
[7] Die zwei anderen Positionen waren Trotzkis Position, der die Gewerkschaften in den Staat integrieren wollte, um sie (nach dem Modell der Roten Armee) zu Kontrollorganen über die ArbeiterInnen zu machen und so die Arbeitsdisziplin zu erhöhen, sowie Lenins Position, der im Gegensatz dazu meinte, dass die Gewerkschaften bei der Verteidigung der ArbeiterInnen gegen den Staat, der „starke bürokratische Verformungen“ enthalte, eine Rolle spielen müssen.
[8] Wegen der „Gefahr“, dass das Amsterdamer Büro einen Pol der Umgruppierung auf der Linken in der KI konstituieren könnte, verkündete das Exekutivkomitee der KI am 4. Mai 1920 per Radio die Auflösung des Büros.
[9] Zu jener Zeit war sich die holländische Linke und Pannekoek besonders klar darin, die von Otto Rühle entwickelte Sichtweise, die die Notwendigkeit für die Partei bestritt, zu bekämpfen. Die gleiche Position, die später von den Rätekommunisten und von… Pannekoek übernommen werden sollte.
[10] Den Delegierten gelang es, nach Russland zu kommen (zu einem Zeitpunkt, als der Bürgerkrieg und die Blockade es fast unmöglich machten, auf dem Landweg in das Land einzureisen), indem sie die Mannschaft eines Handelsschiffes dazu überredeten, zu meutern und das Schiff nach Murmansk umzulenken.
[11] In seiner letzten Schrift, am Vorabend seines Todes, zeigte Gorter, dass er seine eigenen Fehler begriffen hatte, und ermutigte seine Genossen, dasselbe zu tun: die Lehren aus diesen Irrtümern zu ziehen (siehe Die deutsch-holländische Linke, Ende des 5. Kap. 4.d; https://de.internationalism.org/Gorter/KAI).