Submitted by InternationaleRevue on
Vor 150 Jahren, Anfang der 1860er Jahre, steckte die internationale Arbeiterbewegung noch in den Kinderschuhen, und ihre verschiedenen Komponenten hatten noch nicht viel Erfahrung beim Aufbau und der Verteidigung politischer Organisationen gesammelt. Nach der Repressionswelle nach den Kämpfen von 1848 mussten viele Mitglieder des Bundes der Kommunisten ins Exil gehen oder wurden vor Gericht gestellt, wie beim Kommunistenprozess in Köln 1852.
In Deutschland gab es Anfang der 1860er Jahre keine unabhängige politische Organisation der Arbeiterklasse. In vielen Städten gab es Arbeiterbildungsvereine, aber noch keine proletarische politische Organisation mit einer klaren politischen Abgrenzung zur Bourgeoisie. Die Debatte, ob die Arbeiterklasse bestimmte Fraktionen der Bourgeoisie in ihrem Kampf für die nationale Einigung noch unterstützen könnte, oder ob der Klassenfeind mit der Bourgeoisie im Mittelpunkt des Kampfes stehen sollte, war in vollem Gange. In diesem Zusammenhang, wo es der Bourgeoisie noch nicht gelungen war, die Ketten der Aristokratie und der Junker abzuwerfen, wo das deutsche Kapital noch nicht in der Lage war, sich als nationales Kapital zu vereinen, wurde versucht, die erste politische Partei der Arbeiterklasse in Deutschland zu schmieden.
Gleichzeitig sollte die Arbeiterklasse in Deutschland vor eine der schwierigsten politischen Herausforderungen gestellt werden, nämlich die Auseinandersetzung mit den Aktivitäten politischer Abenteurer. Obwohl es nicht nur ein einziges und bestimmtes Profil politischer Abenteurer gibt, ist ein gemeinsames Merkmal unter ihnen, dass sie politische Organisationen nutzen, nicht um den Kampf der Arbeiterklasse zu stärken, sondern um diese politischen Organisationen in ihren Dienst zu stellen; sie nutzen die Organisationen der Arbeiterklasse, um ihre eigenen Ambitionen zu fördern. Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, Abenteurer zu entlarven, denn sie handeln nicht offen und zeigen ihre eigenen Ambitionen nicht in der Öffentlichkeit. Im Gegenteil, sie neigen dazu, eine große Fähigkeit darin zu haben, eine große Anzahl von Unterstützern hinter sich zu scharen, was die Aufgabe, solche "hochgeschätzten" Figuren zu entlarven, viel schwieriger macht.
Wie wir zeigen werden, wurde die wahre Natur des Abenteurers Lassalle zu seinen Lebzeiten nie vollständig entlarvt. Und während auf einem Parteitag im Frühjahr 1869 in Wuppertal erstmals das wahre Gesicht des Abenteurers Schweitzer enthüllt wurde, war der Versuch, ihn zu enttarnen, nicht ganz erfolgreich. Nur wenige Jahre später gelang es der Arbeiterklasse, durch die Bemühungen des Generalrates der Ersten Internationale die Aktivitäten eines weiteren Abenteurers, Michail Bakunin, auf dem Haager Kongress zu entlarven. Die Fälle Lassalle, Schweitzer und Bakunin zeigen, dass die Arbeiterklasse und ihre politischen Organisationen von Anfang an mit den Aktivitäten politischer Abenteurer konfrontiert wurden.
In diesem Artikel werden wir uns mit den Fällen Lassalle und Schweitzer befassen. In früheren Artikeln haben wir bereits ausführlich über den Kampf gegen Bakunins Abenteurergeist berichtet.[1]
Die Gründung des ADAV
Im Jahr 1862 wurde in Leipzig der Vorschlag der Vorbereitung eines allgemeinen Arbeiterkongresses durch Mitglieder des „Vorwärts“ gemacht. Im Januar 1863 nahmen die Leipziger Initiatoren Kontakt mit Lassalle auf.[2]
Dieser war in mehreren Vorträgen kritisch gegen die Bourgeoisie in deren Streit mit dem Junkertum aufgetreten, und gleichzeitig hatte er die Bedeutung der Arbeiterklasse für den geschichtlichen Fortschritt betont. Lassalle distanzierte sich jedoch von kommunistischen Auffassungen, wie sie ein gutes Dutzend Jahre zuvor im Kommunistischen Manifest umrissen worden waren.
Der Vorschlag, dass Lassalle das Programm des zu gründenden „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ verfassen sollte, der schließlich am 23. Mai 1863 in Leipzig gegründet wurde, richtete sich an einen Mann, der seit Jahren darauf gebrannt hatte, eine führende Rolle im politischen Leben in Deutschland zu spielen.
Die Tatsache, dass die Führung an eine Person übergeben wurde, die – abgesehen von einer kurzen Tätigkeit in den 1848er Kämpfen – noch nie in einer proletarischen Organisation mitgewirkt hatte und auch keine Kontinuität mit dem Bund der Kommunisten herstellen konnte; ja, der zuvor der Eintritt in den Bund der Kommunisten verwehrt worden war, und die jetzt sozusagen als „Retter“ de facto von „außen“ kommend wirken sollte und sofort den Anspruch auf eine Präsidentenrolle erhob, spiegelte den damaligen unreifen Zustand der Arbeiterbewegung wider.
Lassalle hatte im Alter von 20 Jahren die damals doppelt so alte Sophie Gräfin von Hatzfeldt kennengelernt. Damit diese sich aus der Zwangsheirat mit ihrem Ehemann „befreien“ konnte, übernahm Lassalle als Rechtsanwalt deren Verteidigung. Ihm gelang es nicht nur, den Prozess der Gräfin zu gewinnen, sondern er verschaffte sich damit ein außerordentliches Vermögen, denn die Gräfin finanzierte fortan sein Einkommen und wurde zu dessen politischer Bündnispartnerin.[3] Gleichzeitig unterhielt die Gräfin als Mitglied des Adels privilegierte und intensive Beziehungen zu verschiedenen Teilen der herrschenden Klasse. In den Jahren 1856 und 1857 lebte er in ihrem Haus in Düsseldorf, und 1858 zog er mit ihr nach Berlin[4].
Die ‚Selbstanzeige‘ eines Abenteurers: „Ein Spitzelbericht über sich selbst“
Angespornt durch den Erfolg im Hatzfeldt-Prozess und weiter angetrieben durch seine Ambitionen, Karriere zu machen, fing er Mitte der 1850er Jahre an, sich über die „provinzielle Enge“ in seinem damaligen Wohnort Düsseldorf zu beklagen. Im Mai 1855 bat er beim Polizeipräsidenten Berlins um die damals erforderliche Erlaubnis für die Umsiedlung von Düsseldorf nach Berlin.[5] Im gleichen Monat des Jahres 1855 verfasste er einen „Spitzelbericht über sich selbst“, der dem Berliner Polizeipräsidenten Hinkeldey in die Hände gespielt werden sollte (es ist nicht klar, ob er wirklich in dessen Hände gespielt wurde oder in dessen Hände gespielt werden sollte). Gustav Mayer berichtet über „die abgefeimte Schlauheit und raffinierte Verschlagenheit, die hier aufgeboten“ wurde, um den Polizeipräsidenten von seiner Wichtigkeit zu überzeugen und zu beeindrucken.[6] Lassalle pries sich als derart hochgeschätzt von den Düsseldorfern Arbeitern an, „welche Lassalle quasi als ihren Chef zu betrachten und in dem Verlassen der Rheinprovinz seitens desselben ein Unrecht gegen sie und sein Verhältnis zu ihnen zu erblicken scheinen, haben sie zwar nicht mit ihm gebrochen, aber wie aus dem Gespräch hervorgeht, in sehr energischem Ausdruck ihm einen Bruch mit ihm angedroht“. Mit Hinweis auf die Frage nach dem Verbleib der früheren Redakteure der Neuen Rheinischen Zeitung (u.a. Marx) nach der Repression nach 1848 pries er in seinem „Spitzelbericht“ sein Insiderwissen über Marx‘ Wohnort: „Ich fingierte anzunehmen, dass sie nach Amerika ausgewandert seien, Lassalle aber belehrte mich, dass sie in London lebten und war offenbar über die Lebensverhältnisse derselben genau unterrichtet.“ Um das Interesse des Polizeipräsidenten weiter zu steigern, brüstete er sich: „Es geht hieraus also mit vollständiger Gewissheit hervor, dass Lassalle mit diesen Leuten in London, jedenfalls mit Marx, in ununterbrochener Korrespondenz stehen muss.“ Wohl wissend, wie sehr die Polizei an Informationen über die tatsächlichen Postwege der Korrespondenz zwischen Marx und seinen Mitkämpfern interessiert war, schrieb er: „Ich habe sub. B. bereits erwähnt, dass Lassalle mit London, jedenfalls mit Marx in Korrespondenz stehen muss. Ich muss hinzufügen, dass er, wie mir aus einer Äußerung wahrscheinlich geworden ist, diese Briefe unter fremden unverdächtigen Adressen zu beziehen scheint.“
Den Köder für den Polizeipräsidenten um einen zusätzlichen Aspekt schmackhaft machend, schrieb Lassalle: „Sein Hauptgrund, der ihn zu jenem Umzug treibt, ist die ihm unerträglich gewordene Einförmigkeit des Düsseldorfer Lebens. Hinzu kommt ein gewisser, trotz seiner großen Arbeitsliebe und Arbeitsausdauer in seinem Naturell nicht minder stark ausgedrückter Hang nach Genuss und zumal weiblichen Zerstreuungen, ein Hang, den er in Düsseldorf nicht befriedigen kann, dem er in Berlin aber die reichste Nahrung geben zu können hofft“. Er wiederholte sein Motiv für seinen angestrebten Umzug nach Berlin. „(...) wenn nicht einerseits der Einfluss der Gräfin, anderseits hauptsächlich der schon geschilderte große Hang nach Genuss und sinnlicher Zerstreuung und die ihm unerträgliche Monotonie seines Düsseldorfer Lebens den Ausschlag gäbe...“. Er bezeichnete sich selbst als „in hohem Grade ehrgeizig und eiteln Charakters.“
Um die Polizei (sowie die hinter ihr stehenden politischen Kräfte) zu beeindrucken, prahlte Lassalle: „Da ich Lassalle für einen der geistig hervorragendsten und mit seltener Energie begabten Vertreter der Demokratie halte, so bin ich, von der unmaßgeblichen Meinung ausgehend, dass vor allem dieser so höchst gefährliche Mann nicht genug beobachtet werden kann (...)“. Lassalle fügte ein weiteres Lockelement an die Polizei hinzu: Der Verfasser des Briefes, d.h. der Spitzel, habe Aussicht darauf, als Lassalles Sekretär arbeiten zu können. „Ich besitze sein Wohlwollen bereits in nicht geringem Grade. Ich habe mir dasselbe erworben teils durch ein feines Benutzen seiner Eitelkeit (…) Kurze Zeit in der Stellung seines Sekretärs und ich würde mich nicht nur zum Vertrauten seiner geheimsten Gedanken, sondern ihm vollständig unentbehrlich gemacht haben.“ Bereit, der Polizei die Umstürzler, die Lassalle und seine Freunde seien, in die Arme zu treiben, endete Lassalle seinen Spitzelbericht damit: „ich würde, durch meine Stelle bei Lassalle und seine Freundschaft legitimiert, keine Schwierigkeit haben, auch allen anderen mehr oder weniger hervorragenden Gliedern der Demokratie intern bekannt zu werden und ihre Angelegenheiten von Grund aus zu erforschen; ich würde somit ihn und Konsorten, mit einem Worte den Behörden so in die Hände liefern, dass es nur von dem eigenen Ermessen derselben abhängen würde, zu jeder beliebigen Stunde diese unverbesserlichen Parteigänger des Umsturzes zu vernichten“ (alle Zitate aus dem Spitzelbericht).
Dieser Spitzelbericht über sich selbst, der erst in seinem Nachlass nach dessen Tod gefunden wurde, wirft ein Licht auf seine Tätigkeit als Abenteurer in den Reihen der deutschen Arbeiterbewegung.
Die wahren Motive des Abenteurers
Wir haben hier einen ersten Charakterzug von Abenteurern. Im Gegensatz zu aufrichtigen Kämpfern, die sich einer revolutionären Organisation anschließen, um die historische Rolle der Arbeiterklasse selbstlos zu erfüllen, treten Abenteurer revolutionären Organisationen bei, um ihre „eigene historische Mission“ zu erfüllen. Sie wollen sich die Bewegung dienstbar machen. Aus dem Gefühl, dass ihre Fähigkeiten größer sind als ihnen bislang Anerkennung zuteil wurde, streben sie nach Anerkennung sowohl der Arbeiterbewegung aber auch seitens der Herrschenden. Lassalles Spitzelbericht über sich selbst ist nichts anderes als eine "Werbeveranstaltung" für seine angeblich herausragenden Fähigkeiten. Proletarische Organisationen dienen ihnen daher nur als Sprungbrett für ihre Karriere, entweder innerhalb einer proletarischen Organisation oder in den Reihen der Herrschenden selbst. In der Überzeugung, dass ihre Fähigkeiten größer sind als bisher anerkannt, suchen sie die Anerkennung sowohl bei der Arbeiterbewegung als auch bei den Herrschenden.
Offene oder verdeckte Führungsansprüche …
Als der ADAV im Mai 1863 gegründet wurde, ließ sich Lassalle zum Präsidenten auf fünf Jahre krönen, mit nahezu diktatorischer Verfügungsgewalt über die örtlichen Sektionen. Er bestand gegenüber dem ADAV darauf, er wolle nur mitmachen, wenn er direkt dazu aufgefordert würde, die Führungsrolle zu übernehmen. D.h. anstatt sich einzureihen in einen kollektiven Kampf, erhob er sofort einen Führungsanspruch. Wir haben hier einen markanten Charakterzug, der oft bei Abenteurern anzutreffen ist. Sie streben nicht nur danach, eine Führungsrolle in einer Organisation einzunehmen, sondern erheben oft direkt Ansprüche auf besondere Befugnisse – und selbst wenn sie diese nicht von einer Instanz zugeteilt bekommen, betreiben sie selbst eine Politik auf eigene Faust. Als ob ein Kaiser gekrönt worden wäre, erklärte er: „Ich halte mich somit im Stande, den Anforderungen des Platzes zu entsprechen, den Sie mir anbieten und erkläre mich daher im Allgemeinen bereit, die Forderung zu erfüllen, die Sie an mich stellen, und die Führung der Arbeiterbewegung in die Hand zu nehmen.“[7] Die örtlichen Abteilungen des Vereins, die Gemeinden, hatten keinerlei Rechte, sie führten nur die Anordnungen des Präsidenten aus.
Hier handelte es sich um einen Rückschritt gegenüber dem Bund der Kommunisten, der zentralisiert war, eine Zentralbehörde und Kreisbehörden errichtet hatte, die ein viel kollektiveres Funktionieren garantierten, und wo die örtlichen Gemeinden Entscheidungsbefugnisse hatten. Insofern gelang es Lassalle mit der auf ihn zugeschnittenen „Führerrolle“ das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Im Dienst der Arbeiterklasse oder ihrer eigenen Interessen?
Bebel schrieb in seiner Autobiographie: „Lassalle genügte der Beifall der Masse nicht, er legte großes Gewicht darauf, Männer von Ansehen und Einfluss aus dem bürgerlichen Lager auf seiner Seite zu haben, und er gab sich große Mühe, solche zu gewinnen.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 85)[8]
Während auf der einen Seite der Machtapparat in Preußen und anderen Teilen Deutschland seine Agenten ausgeschickt hatte, um die aufstrebende Arbeiterbewegung zu beobachten und nach möglichen „kooperationsbereiten“ Kräften Ausschau zu halten, die man auf die Seite Bismarcks locken könnte, hatte gleichzeitig Lassalle – wie der Spitzelbericht eindeutig Aufschluss gibt – selbst seine Fühler ausgestreckt.
Geheime Zusammenarbeit mit den Herrschenden
Zwei Wochen vor der Gründung des ADAV am 23. Mai 1863 begann Lassalle einen Briefwechsel mit Bismarck. Bismarck, der Deutschland „durch Blut und Eisen“ vereinigen wollte, lud Lassalle zu einer Unterredung ein. In einer Reihe von vier Gesprächen versuchte Lassalle nicht nur, Bismarck Ratschläge zu erteilen, sondern er machte ihm konkrete Vorschläge für ein gemeinsames Vorgehen.
Lassalle beteuerte Bismarck, der die rechte Hand des Königs war, dass sich der Arbeiterstand „instinktmäßig zur Diktatur geneigt fühlt“ (Gustav Mayer, Bismarck und Lassalle S. 60). Die Arbeiter würden die Monarchie als „natürlichen Träger der sozialen Diktatur“ anerkennen, wenn diese sich aus einem „Königtum der bevorrechteten Stände in ein soziales und revolutionäres Volkskönigtum“ verwandelt. Aus der Sicht Lassalles sei die preußische Monarchie fähig, ein soziales Königtum zu werden – so das Thema der ersten Unterredung mit Bismarck. Bei einer weiteren Unterredung wurden das allgemeine Wahlrecht und Kampagnen gegen Fraktionen der Bourgeoisie, denen Bismarck feindselig gegenüberstand, erörtert. Weil die Düsseldorfer Polizei zum Zeitpunkt des dritten Gesprächs am 23. Oktober 1863 gegen Lassalles Schriften vorgegangen war, bot Bismarck Lassalle an, dessen Werke unter seinen Schutz zu stellen. Zu diesem Zwecke wollte Bismarck ein Rundschreiben an die Staatsanwälte erlassen, das die Beschlagnahme der Werke von Lassalle verbot. Lassalle sprach sich gegenüber Bismarck gegen dieses Angebot aus. Er meinte, dass repressive Maßnahmen seine Glaubwürdigkeit verstärken, eine „Verschonung“ seiner Schriften jene dagegen schwächen würden. Bei diesem dritten Gespräch wurde auch die Möglichkeit und Notwendigkeit aus Lassalles Sicht eines Wahlblocks zwischen Konservativen und ADAV diskutiert. Am 12. Januar 1864 bot Lassalle in der nächsten Unterredung eine direkte politische Zusammenarbeit bei der Reform des Wahlgesetzes an, für das Lassalle einen Entwurf formulieren wollte. Lassalle selbst meinte gegenüber Bismarck, er fürchtete die Revolution, diesen „düsteren, finsteren Weg“. Und um diese zu vermeiden, schlug er Bismarck vor, damit dieser nicht mit einem revolutionären Ansturm konfrontiert werde, unverzüglich das allgemeine Wahlrecht einzuführen. Da aus Lassalles Sicht die deutsche Bourgeoisie zu keiner Revolution fähig sei, müsse die Arbeiterpartei dazu den Anstoß geben, und Bismarck solle dabei den König antreiben, diesen Umschwung zu vollziehen. Schließlich bot Lassalle Preußen Unterstützung im Krieg gegen Dänemark an (es ging u.a. um die Annexion Schleswig-Holsteins), falls Bismarck das Wahlgesetz änderte.
Als Wilhelm Liebknecht Lassalle vor Bismarck warnte, meinte dieser ihm gegenüber „Pah, ich esse mit Herrn von Bismarck Kirschen, aber er bekommt die Steine“ (Bebel, S. 75, Aus meinem Leben). Nachdem Bebel zur Zeit des Sozialistengesetzes im September 1878 Bismarck im Reichstag zu dessen Kontakt mit Lassalle zur Rede gestellt hatte, antwortete Bismarck diesem im Parlament: „Lassalle habe ihn aber außerordentlich angezogen, er sei einer der geistreichsten und liebenswürdigsten Menschen gewesen, mit denen er je verkehrt habe, er sei auch kein Republikaner gewesen: die Idee, der er zustrebte, sei das deutsche Kaisertum gewesen. Darin hätten sie Berührungspunkte gehabt. Lassalle sei in hohem Grade ehrgeizig gewesen“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 76).
Lassalle gestand später gegenüber Helene von Dönniges, wie Bebel aus einem Gespräch mit dieser herausfand, dass sich sowohl Bismarck als auch Lassalle für zu schlau hielten, so dass sie sich nicht gegenseitig hätten austricksen können.[9]
Lassalle schrieb hinsichtlich seiner Reise nach Italien von seinen Begegnungen mit Führern der italienischen nationalen Bewegung und erklärte nahezu größenwahnsinnig, dass er gerade „durch seine ‚Broschüre über den italienischen Krieg‘ Preußens Intervention verhindert und in fact ‚die Geschichte der letzten drei Jahre‘ geleitet“ habe (vgl. unten).
In diesem Sinne ist ein Abenteurer nicht dasselbe wie ein Polizist oder ein Spitzel, der seine Informationen verkauft. Abenteurer müssen nicht korrupt sein, um einem Regime zu dienen. Für sie ist der Wunsch nach Ruhm und Anerkennung, d.h. psychologische Faktoren, stärker als bloße materielle Kompensationen.
Doppelzüngigkeit ...
Nachdem Lassalle im Mai 1863 zum Präsidenten des ADAV gewählt worden war, stellte er bei seinen Auftritten die programmatische Ausrichtung des ADAV häufig völlig unterschiedlich dar, je nachdem, mit wem er es zu tun hatte. Diese Doppelzüngigkeit ist ein weiteres Wesensmerkmal von Abenteurern – nicht mit offenen Karten“ zu spielen und nicht offen in den Ring zu treten. Während sich seinerzeit z.B. Marx und Engels in Polemiken, in Debatten „die Finger wund schrieben“, scheute Lassalle selbst die Debatte und trat in „unterschiedlichen Gewändern“ je nach Publikum auf.
… und opportunistische Rekrutierungsmethoden zur Mitgliedergewinnung
Lassalle hatte kein Vertrauen in die (noch zu entwickelnden) Kräfte der Arbeiterklasse, sondern er wollte noch mehr Persönlichkeiten, Gelehrte und Wissenschaftler aus dem Lager der herrschenden Klasse für den ADAV gewinnen, da sie seiner Meinung nach berufen waren, dem Arbeiterstand die Fesseln abzunehmen. So versuchte Lassalle Johann Karl Rodbertus zu gewinnen, einen Vertreter des sogenannten Staatssozialismus. Rodbertus plädierte dafür, dass dem Verein auch „Freunde der sozialen Frage“ beitreten konnten, d.h. die Konservativen und die Bourgeoisie. Lassalle schrieb an Rodbertus: „Je mehr gute Bourgeoismitglieder des Vereins, desto besser“ (F. Lassalle: Nachgelassene Briefe und Schriften, 6. Band, Berlin 1925, S. 358).
Und weil es ihm eigentlich nicht so sehr um die Befreiung der Arbeiterklasse ging, sondern um die Förderung der allgemein demokratischen Bewegung, plädierte er auch für die Aufnahme von Liberalen und Konservativen in den ADAV. Somit richtete er sich gegen eine selbständige politische Arbeiterpartei. Gleichzeitig sollte jeder, der Lust hatte, die Mitgliedschaft erwerben können und unmittelbar eintreten dürfen – infolgedessen wurde der Verein von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Leuten überflutet. Auch hier handelte es sich um einen riesigen Rückschritt gegenüber dem Bund der Kommunisten, dessen Mitgliedschaft sich auf die Verteidigung von Organisationsprinzipien, die in dessen Statuten verankert waren, stützte.
Lassalles programmatische Ausrichtung: Staatssozialismus ...
Lassalle plädierte dafür, dass „der Staat durch Kreditoperationen Ihnen [den Arbeitern] die Kapitalien liefere, damit Sie dann in freie, gleiche Konkurrenz mit den Kapitalien treten können“. Lassalle dachte gar nicht an die Vernichtung des preußischen Staates sondern hoffte auf das sozialistische Eingreifen des Staats Preußen! Er erweckte die Zuversicht, mit Hilfe des bestehenden Staates friedlich in den Sozialismus hineinwachsen zu können.[10]
… und Gegner von Lohnkämpfen im Namen des „ehernen Lohngesetzes“
Lassalle zufolge können die Arbeiter in der kapitalistischen Gesellschaft keinen höheren Lohn bekommen als den, der das Minimum überschreitet, das für die Aufrechterhaltung ihrer physischen Kräfte notwendig ist. Ausgehend davon stemmte er sich gegen die Entfaltung von Forderungskämpfen der Arbeiter, verwarf Streiks und lehnte Gewerkschaftsverbände ab. Kurzum der ADAV sollte eine Sekte sein.
Stattdessen solle der Arbeiterstand in den Unternehmerstand erhoben werden. Der Staat sollte Kredite verleihen, Konsumgenossenschaften aufbauen und finanzieren.
Lassalles Verhältnis zu Marx und Engels
Obwohl Lassalle von sich behauptete, das Kommunistische Manifest in und auswendig zu kennen, war er doch nie ein Marxist. Und obwohl er Marx und später Engels schon seit 1848 kannte und mit ihnen immer wieder korrespondierte, Marx 1862 sogar in dessen Berliner Wohnung einige Tage verbrachte, gerieten Marx und Engels ziemlich schnell mit Lassalle aneinander.
Der Grund: tiefgreifende politische Divergenzen (z.B. in der Frage der Unterstützung Preußens, der Forderung nach der Einführung des Wahlrechts und vielem mehr) sowie sein Verhalten. Marx schrieb in einem Brief an Engels am 30. Juli 1862, nachdem Lassalle ihn und seine Familie in London besucht hatte: „Der Aufenthalt in Zürich (mit Rüstow, Herwegh etc.) und die spätere Reise in Italien, dann sein „Herr Julian Schmidt" etc. haben ihm den Kopf vollends verdreht. Er ist nun ausgemacht nicht nur der größte Gelehrte, tiefste Denker, genialste Forscher usw., sondern außerdem Don Juan und revolutionärer Kardinal Richelieu. (…) Als tiefes Geheimnis teilte er mir und meiner Frau mit, daß er Garibaldi den Rat gab, nicht Rom zum Ziel des Angriffs zu machen, sondern er solle nach Neapel, dort sich zum Diktator (ohne Verletzung Viktor Emanuels) aufwerfen, die Volksarmee aufrufen zum Feldzug gegen Östreich. (...) Als Hebel der Aktion: Lassalles politischer Einfluß oder seine Feder in Berlin. Und Rüstow an der Spitze eines Korps von deutschen Freischärlern eingeschlossen an Garibaldi. Bonaparte aber war paralysiert durch diesen Lassalleschen coup d'éclat. Er war jetzt auch bei Mazzini, und „auch dieser" billigte und „bewunderte" seinen Plan. Er stellte sich diesen Leuten vor als „Repräsentant der deutschen revolutionären Arbeiterklasse" und unterstellte bei ihnen (wörtlich!) die Kenntnis, daß er (Itzig) durch seine „Broschüre über den italienischen Krieg Preußens Intervention verhinderte", und in fact „die Geschichte der letzten 3 Jahre" geleitet hat. L[assalle] war sehr wütend über mich und Frau, daß wir uns über seine Pläne lustig machten, ihn als „aufgeklärten Bonapartisten" hänselten usw. Er schrie, tobte, sprang und hat sich endlich gründlich überzeugt, daß ich zu „abstrakt" bin, um Politik zu verstehn.“ (Marx an Engels, 30. Juli 1862, MEW 30, S. 258)[11]
Diese Aussagen von Marx über die Figur, die Selbstdarstellung, den Größenwahn und sein ganzes Verhalten zeigen, wie empört Marx über Lassalle war. Als Marx und Engels ihre Einschätzungen über sein Verhalten teilten, wussten sie nichts über seine Kontakte und das Bündnis mit Bismarck. Marx' Frau Jenny schrieb über Lassalle nach seinem Besuch in ihrem Haus 1862. Sie machte sich auch über Lassalles Art der Selbstdarstellung lustig. "Er war fast erdrückt von der Last des Ruhms, den er sich als Gelehrter, Denker, Dichter und Politiker errungen. Die frische Lorbeerkrone ruhte noch auf der olympischen Stirn und dem ambrosischen Lockenhaupt oder vielmehr dem starren steifen chevelure des nègres. Er hatte eben den italienischen Feldzug siegreich beendet – ein neuer politischer Coup wurde von den großen Männern der Aktion ausgebrütet. Starke Kämpfe gingen in seiner Seele vor. Er hatte noch manche Felder der Wissenschaft nicht betreten. Da gab es noch Ägyptologie, die brachlag. ‚Soll ich nun als Ägyptologe die Welt in Erstaunen setzen, oder soll ich meine Allseitigkeit als Tatenmann, als Politiker, als Kämpfer, als Soldat bekunden?‘“ (Jenny Marx, Kurze Umrisse eines bewegten Lebens, 1865).
Was Marx von Lassalles programmatischen Positionen und dessen Auftreten hielt, wird auch durch einen Brief deutlich, den er am 9. April 1863 an Engels schickte: „Dagegen schickt er mir vorgestern sein „Offnes Antwortschreiben" an das Zentralarbeiterkomitee für den Leipziger Arbeiter- (lies Knoten') Kongreß. Er gebärdet sich - sehr wichtig mit den uns abgeborgten Phrasen um sich werfend -ganz als künftiger Arbeiterdiktator.“ (MEW, Bd. 30, S. 340) Dass das berühmte „Arbeiterprogramm“ nur eine schlechte Vulgarisierung des Kommunistischen Manifestes war, hatte Marx am 28. Januar 1863 in einem Brief an Engels erkannt.
Und nachdem Marx und Engels über die Verhandlungen zwischen Lassalle und Bismarck erfuhren, schrieb Marx an Engels: „Da wir übrigens jetzt wissen, daß Itzig [Lassalle] (was uns keineswegs in dieser Weise bekannt war) die Arbeiterpartei an Bismarck verhandeln wollte, um sich als „Richelieu des Proletariats" bekannt zu machen, so werde ich jetzt auch keinen Anstand nehmen, in der Vorrede zu meinem Buch hinreichend klar anzudeuten, daß er bloßer Nachbeter und Plagiarius ist“ (Marx an Engels in Manchester [London] 30. Jan. 1865). In der Vorrede zur ersten Auflage von Das Kapital hielt es Marx für nötig, auf die Methode Lassalles hinzuweisen, dass dieser aus Marxens Schriften Teile für seine Texte „entlehnt“ hatte, ohne Quellenangaben zu machen (Das Kapital, MEW, Bd. 23, S. 11).[12]
Manipulation und Diffamierungen der Positionen Marx und Engels
Schon damals betrachteten sie die Reden und Schriften Lassalles als „öklig royalistisch“ (Marx an Engels, 24. November 1864, MEW 31, S. 30).
Marx schrieb an Kugelmann:
„Verehrter Freund, Ich erhielt Ihren mir sehr interessanten Brief gestern und werde jetzt auf die einzelnen Punkte antworten. Ich will Ihnen zunächst mein Verhältnis zu Lassalle kurz darlegen. Während seiner Agitation war unser Verhältnis suspendiert, 1. wegen der selbstlobhudelnden Renommisterei, womit er zugleich den schamlosesten Plagiarismus an meinen etc. Schriften verband; 2. weil ich seine politische Taktik verdammte; 3. weil ich ihm schon vor Eröffnung seiner Agitation hier in London ausführlich erklärt und „bewiesen" hatte, daß unmittelbar sozialistisches Eingreifen eines „StaatsPreußen" Unsinn sei.“ (Marx an Kugelmann, 23. Februar 1865, MEW 31, S. 451)[13]
„Sobald er sich in London (Ende 1862) überzeugt, daß er nicht mit mir sein Spiel treiben könne, beschloß er gegen mich und die alte Partei sich als „Arbeiterdiktator" aufzuwerfen.“ (Marx an Kugelmann, ebenda, MEW 31, S. 451)
Engels schrieb am 11. Juni 1863 an Marx (drei Tage vor der Gründung des ADAV): „Der Kerl arbeitet jetzt rein im Dienst von Bismarck...“ (MEW Bd. 30, S. 354).
Der Versuch Lassalles, Marx und Engels von der Arbeiterbewegung in Deutschland zu isolieren
Lassalle behinderte tatsächlich die Verbreitung der Positionen von Marx und Engels unter den Arbeitern in Deutschland und versuchte, sie von der Arbeiterklasse in Deutschland zu isolieren. Stattdessen präsentierte er sich als der eigentliche "Aufklärer" und versuchte, die Veröffentlichung und Verbreitung von Texten von Marx und Engels zu verzögern und zu behindern, unter anderem, um stattdessen seine eigenen Positionen zu verbreiten, die oft von Marx und Engels abweichend oder ihnen diametral entgegengesetzt waren. Oder Lassalle veröffentlichte Texte, die oft nur ein Plagiat der Artikel von Marx und Engels waren, ohne jedoch die Quellen zu nennen. Marx hat eigens zu diesem Zweck einen Artikel mit dem Titel "Plagiat" geschrieben.[14]
Er präsentierte sich als der „wahre Kenner“ der Verhältnisse in Deutschland, während Marx und Engels ja im Ausland lebten und angeblich nicht über die notwendigen Einsichten verfügten.
Lassalle gegen Marxens und Engels‘ Kampf zur Verteidigung der Organisation
Lassalle nahm in Korrespondenz mit Marx den Agenten Bonapartes, Karl Vogt, in Schutz. Er riet Marx, nicht öffentlich gegen Vogt vorzugehen, nicht die Sache „aufzurühren“, denn dies werde vom deutschen „Publikum“ schlecht aufgenommen werden. Marx hatte 1860 nahezu das ganze Jahr damit verbracht, eine Antwort auf das Buch von Karl Vogt, „Mein Prozess gegen die Allgemeine Zeitung“, zu schreiben, in dem dieser die politische Tätigkeit Marx‘ und seiner Genossen beschmutzte. „Ich werde eine Broschüre schreiben, sobald ich seinen Dreck (den von Karl Vogt) habe. Aber zugleich in der Vorrede erklären, dass ich den Teufel nach dem Urteil Deines deutschen Publikums frag.“ (Marx an Lassalle, 30. Januar 1860, MEW 30, S. 438).
Als die Arbeit Marx‘ Herr Vogt veröffentlicht worden war, unternahm Lassalle nichts, um ihre Verbreitung in Deutschland zu fördern. Die bürgerliche Presse war bestrebt, Marx‘ Schrift totzuschweigen und der Präsident des ADAV seinerseits sabotierte Marx‘ Kampf um seine Verteidigung.
Widerstand in den Reihen des ADAV gegen Lassalles Positionen und Praktiken
Ende 1863, Anfang 1864 hatte sich der Widerstand gegen Lassalles Positionen entwickelt, insbesondere gegen seine Positionen zugunsten der Monarchie in Preußen. Am 11. April 1864 rief er offen zur Unterstützung der Monarchie auf. Wilhelm Liebknecht, der im Juli 1862 nach seinem Exil in London nach Berlin gezogen war, war einer der ersten, der mit Lassalle stark zusammenstieß. Marx warnte Liebknecht vor öffentlichen Auftritten zusammen mit Lassalle und riet ihm, keine engen Beziehungen zu Lassalle einzugehen. Darauf antwortete Liebknecht: "Im Lassalleanischen Arbeiterverein (ADAV) gärt etwas. Wenn Lassalle die "diktatorische Haltung" und das Flirten mit der Reaktion nicht aufgibt, wird es einen Skandal geben." Im gleichen Brief sagte Liebknecht, "(....) Er spielt ein so kompliziertes Spiel, dass er bald keinen Ausweg mehr finden wird".
Zusammen mit anderen Kräften wie Julius Vahlteich, dem Sekretär des ADAV, versuchten sie, den ADAV aus den Fängen des diktatorischen Präsidenten zu befreien. Als Lassalle diesen Widerstand bemerkte und das Gefühl hatte, dass er bald der Organisation Rechenschaft ablegen müsste und damit der Gefahr der Demaskierung ausgesetzt war, suchte er nach einem Weg, die Arbeiterbewegung zu verlassen. Seine letzten Briefe machen diese Suche nach einem "Ausweg" deutlich. Aber Lassalles plötzlicher Tod setzte seinen Aktivitäten ein unerwartetes Ende.
Am 28. August 1864 wurde er bei einem Duell um eine Frau schwer verletzt und starb drei Tage später an seinen tödlichen Verletzungen.[15] Vor seinem Tod hatte Lassalle ein Testament als Präsident des ADAV geschrieben, in dem er Bernhard Becker zu seinem Nachfolger als Präsident auserkor. Letzterer setzte dann mit Hilfe von Gräfin Hatzfeldt alles in Bewegung, um dieses Präsidium zu übernehmen und begann bald, die infamsten Beleidigungen über die "Marx-Partei" zu verbreiten.
Um die sektiererische Existenz des ADAV zu erhalten, kämpfte Beckers Nachfolger gegen den Beitritt zur inzwischen am 28. September 1864, fast einen Monat nach Lassalles Tod, in London gegründeten Ersten Internationale.
Wir können hier nicht näher auf die Bedeutung der Gründung der Ersten Internationale eingehen. Obwohl die Gründung ein enormer Fortschritt für die gesamte Arbeiterbewegung war, trugen die Kräfte um Lassalle weder zur Beteiligung der Arbeiter in Deutschland an ihrer Entstehung bei noch richteten sie ihre Tätigkeit gemäß den Perspektiven der Ersten Internationale aus.
Die materielle Situation von Lassalle
Lassalle hatte sich durch den damals "bahnbrechenden" Sieg des Prozesses als Anwalt ein finanzielles Einkommen durch die Gräfin gesichert – und gleichzeitig war er von der Gräfin abhängig geworden. Obwohl er also sein Einkommen als Anwalt nicht verdienen musste, hatte er einen ganz besonderen privilegierten Status. Solche wirklich finanziell parasitären Positionen ließen ihn in seinen Augen als "unabhängig" gegenüber den Vertretern der herrschenden Klasse erscheinen, mit denen er in Verbindung stand. Lassalle hatte nie persönlich erfahren, was Lohnabhängigkeit oder materieller Druck bedeutet.
Engels' "Nachruf" auf Lassalle
"Er war für uns gegenwärtig ein sehr unsicherer Freund, zukünftig ein ziemlich sicherer Feind ..." (Engels an Marx, 4. September 1864, MEW 30, S. 429).
In ihrem "Nachruf" auf Lassalle schrieben Marx und Engels: "Der brave Lassalle entpuppt sich nach und nach doch als ein ganz kommuner Schuft. Wir sind nie davon ausgegangen, die Leute zu beurteilen nach dem, was sie sich vorstellten, sondern nach dem, was sie waren, und ich sehe nicht, warum wir für Itzig [Lassalle] selig eine Ausnahme machen sollen. Subjektiv mag seine Eitelkeit ihm die Sache plausibel vorgestellt haben, objektiv gesehen war es ein Verrat der gesamten Arbeiterbewegung an die Preußen. Dabei scheint der dumme Geck sich von Bismarck aber auch gar keine Gegenleistung, gar nichts Bestimmtes, geschweige Garantien ausbedungen zu haben, sich bloß darauf verlassen zu haben, er müsse den B[ismarck] bescheißen, grade wie es ihm nicht fehlen konnte, den Racowitza totzuschießen. Ganz Baron Itzig [Lassalle]. Übrigens wird die Zeit nicht lange ausbleiben, wo es nicht nur wünschenswert, sondern notwendig wird, diese ganze Sache zu veröffentlichen. Uns kann das nur nützen und wenn die Sache mit dem Verein [ADAV] und dem Blatt in Deutschland sich hält, so muss es sogar bald geschehn, die Legatarien des Kerls herauszuwerfen. Indes wird das Proletariat in Deutschland bald sehn, was es an Bismarck hat." (MEW 31, S. 45)
Lassalle war ein Abenteurer gewesen, dessen wahre Rolle zu seinen Lebzeiten nur von sehr wenigen und dann nur stückweise erkannt wurde. Wie oben gezeigt, hatten selbst Marx, Engels, Bebel und Liebknecht, die ihn besser kennengelernt hatten, kein vollständiges Bild von ihm.
Fehleinschätzungen des Abenteurers durch Rosa Luxemburg und Franz Mehring
Gleichzeitig zeigt der Fall Lassalle, dass es in dieser Zeit gravierende Unterschiede zwischen den Revolutionären bei der Beurteilung solcher Menschen gab. Denn Jahrzehnte später sollten selbst so wichtige politische Köpfe wie Rosa Luxemburg oder Franz Mehring eklatante Fehleinschätzungen über Lassalles vertreten.
Zum Beispiel schrieb Rosa Luxemburg 1913, d.h. 50 Jahre nach der Gründung des ADAV, eine irreführende und trivialisierende Lobpreisung Lassalles. „Lassalle hat Fehler in seiner Kampftaktik begangen, gewiss. Doch ist es nur ein wohlfeiles Vergnügen für Kleinkrämer der Geschichtsforschung, Fehler in einem großen Lebenswerk zu konstatieren. Zur Beurteilung einer Persönlichkeit wie ihres Wirkens ist viel wichtiger die Erkenntnis der eigentlichen Ursache, der besonderen Quelle, aus der ihre Fehler wie ihre Vorzüge sich ergaben. Lassalle sündigte vielfach durch seine Neigung zum „Diplomatisieren", zum „Listen" mit der Idee, so in seinen Verhandlungen mit Bismarck über die Oktroyierung des allgemeinen Wahlrechts, so in seinen Plänen der Produktivassoziationen mit Staatskredit. Er begab sich in seinen politischen Kämpfen mit der bürgerlichen Gesellschaft wie in seinen gerichtlichen Kämpfen mit der preußischen Justiz mit Vorliebe auf den Boden des Gegners, ihm so äußerlich eine Konzession seines Standpunktes gewährend, ein kecker, kühner Akrobat, wie Johann Philipp Becker schrieb, wagte er oft einen Sprung bis auf den äußersten Rand des Abgrunds, der eine revolutionäre Taktik vom Paktieren mit der Reaktion scheidet.
Aber die Ursache, die ihn zu diesen gewagten Sprüngen verleitete, war nicht die innere Unsicherheit, der innere Zweifel an der Kraft und der Realisierbarkeit der revolutionären Sache, die er vertrat, sondern ganz umgekehrt ein Übermaß an selbstsicherem Glauben an die unbezwingbare Macht dieser Sache. Lassalle trat im Kampfe manchmal auf den Boden des Gegners über, nicht um dadurch etwas von seinen revolutionären Zielen preiszugeben, sondern in dem Wahn einer mächtigen Persönlichkeit, dem Gegner, umgekehrt, auf dessen eigenem Boden so viel für seine revolutionären Ziele abtrotzen zu können, dass dabei der Boden selbst dem Gegner unter den Füßen hätte zusammenbrechen müssen. Wenn Lassalle z.B. seine Idee der Produktivassoziationen mit Staatskredit auf eine idealistische, unhistorische Fiktion vom „Staate" aufpropfte, so lag die große Gefahr dieser Fiktion darin, dass er in Wirklichkeit damit doch nur den erbärmlichen preußischen Staat idealisierte. Aber was Lassalle auf Grund seiner Fiktion diesem Staate an Aufgaben und Pflichten der Arbeiterklasse gegenüber alles abfordern und aufoktroyieren wollte, das hätte nicht nur die elende Baracke von einem preußischen Staat, sondern den bürgerlichen Staat überhaupt ins Wanken gebracht.“[16]
Während Rosa Luxemburg zufolge Lassalle sich als „kecker, kühner Akrobat“ darstellte, der „oft einen Sprung bis auf den äußersten Rand des Abgrunds [wagte], der eine revolutionäre Taktik vom Paktieren mit der Reaktion scheidet“ (siehe oben), sah die Wirklichkeit anders aus. Richtige politische Aussagen, die ein politischer Abenteurer irgendwann machen kann, können nicht seinen Charakter und seinen Gesamtbeitrag ändern. Nicht minder irreführend war die Einschätzung von Franz Mehring, dem wohl berühmtesten Parteihistoriker, der lange Zeit an der Seite Rosa Luxemburgs stand. Aus seiner Sicht war Lassalle ein Revolutionär und als solcher Marx „durchaus ebenbürtig“ (Franz Mehring, Karl Marx – Geschichte seines Lebens, S. 318). Mehring zufolge war Lassalle jemand, „den die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie immer in dem gleichen Atem mit ihm [Marx] und Engels nennen wird.“ (Mehring, S. 320). Lassalles Agitationsschriften hätten „Hunderttausenden von deutschen Arbeitern ein neues Leben geschenkt haben“ (ebenda S. 314). Mehring zufolge habe Marx „niemals völlig seine Vorurteile“ gegen Lassalle überwunden. Mehring bedauerte, dass Marx „über den toten Lassalle noch bitterer und ungerechter urteilte, als nur je über den lebenden“ (ebenda S. 319 f.).
Aufgrund historischer Umstände wurde Lassalle zu seinen Lebzeiten nie vollständig entlarvt. Wie bereits erwähnt, brachen Marx und Engels mit ihm über programmatische Fragen und sein Verhalten um 1861/62, aber sie waren sich der Art seiner Verbindungen zu Bismarck nicht bewusst. Sein plötzlicher Tod verschärfte die Schwierigkeiten, den vollen Umfang seiner Persönlichkeit zu erfassen und zu enthüllen.
Schweitzer – ein zweiter Abenteurer
Nach Lassalles Tod 1864 wurde Jean Baptist von Schweitzer 1867 im Alter von 34 Jahren zum Präsidenten des ADAV gewählt. Um ein umfassenderes Bild von seinem Charakter zu erhalten, zitieren wir ausführlich die Beschreibung, die August Bebel lieferte:
„Unter den Persönlichkeiten, die nach dem Tode Lassalles nacheinander die Führung des von ihm gegründeten Vereins übernahmen, steht J.B. v. Schweitzer allen weit voran. In Schweitzer erhielt der Verein einen Führer, der in hohem Grade eine Reihe Eigenschaften besaß, die für seine Stellung von großem Werte waren. Er besaß die nötige theoretische Vorbildung, einen weiten politischen Blick und eine kühle Überlegung. Als Journalist und Agitator hatte er die Fähigkeit, die schwierigsten Fragen und Themen dem einfachsten Arbeiter klar zu machen; er verstand es wie wenige, die Massen zu fanatisieren, ja zu faszinieren. Er veröffentlichte im Laufe seiner journalistischen Tätigkeit in seinem Blatte, dem »Sozialdemokrat«, eine Reihe populärwissenschaftlicher Abhandlungen, die mit zu dem Besten gehören, was die sozialistische Literatur besitzt. (…) Er erfaßte rasch eine gegebene Situation und verstand sie auszunutzen. Endlich war er auch ein guter Redner von großer Berechnung, der Eindruck auf die Massen und die Gegner machte.
Aber neben diesen guten, zum Teil glänzenden Eigenschaften besaß Schweitzer eine Reihe Untugenden, die ihn als Führer einer Arbeiterpartei, die in den ersten Anfängen ihrer Entwicklung begriffen war, dieser gefährlich machten. Für ihn war die Bewegung, der er sich nach mancherlei Irrfahrten anschloß, nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Er trat in die Bewegung ein, sobald er sah, daß ihm innerhalb des Bürgertums keine Zukunft blühte, daß für ihn, den durch seine Lebensweise früh Deklassierten, nur die Hoffnung bestand, in der Arbeiterbewegung die Rolle zu spielen, zu der sein Ehrgeiz wie seine Fähigkeiten ihn sozusagen prädestinierten. Er wollte auch nicht bloß der Führer der Bewegung, sondern ihr Beherrscher sein, und trachtete sie für seine egoistischen Zwecke auszunutzen. Während einer Reihe von Jahren in einem von Jesuiten geleiteten Institut in Aschaffenburg erzogen, später sich dem Studium der Jurisprudenz widmend, gewann er in der jesuitischen Kasuistik und juristischen Rabulistik das geistige Rüstzeug, das ihn, der von Natur schon listig und verschlagen war, zu einem Politiker machte, der skrupellos seinen Zweck zu erreichen suchte, Befriedigung seines Ehrgeizes um jeden Preis und Befriedigung seiner großen, lebemännischen Bedürfnisse, was ohne auskömmliche materielle Mittel, die er nicht besaß, nicht möglich war.“ (August Bebel, Aus meinem Leben, 2. Teil, S. 223)
Die Moral des J.B. v. Schweitzer
Nachdem Schweitzer noch vor Gründung des ADAV im November 1861 zum Vorsitzenden des Frankfurter Arbeiterbildungsvereins gewählt und als Vorsitzender des Schützenvereins und des Turnclubs nicht nur lokal bekannt geworden war, sondern auch erste Beziehungen zum örtlichen Adel aufgebaut hatte, wurde er im Sommer 1862 der Unterschlagung bzw. Diebstahls an Geldern des Schützenvereins und des pädophilen Kontaktes mit einem Jungen in einem Park beschuldigt. Anschließend wurde er zu 2 Wochen Gefängnis wegen Vergehen an dem Jungen und „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ verurteilt.
Obwohl der Junge nie ermittelt wurde und Schweitzer die ganze Angelegenheit leugnete, lastete fortan der Vorwurf des Kindesmissbrauchs auf ihm. Er hat die Veruntreuung des Geldes des Schützenvereins nie geleugnet.
Dennoch beschützte ihn Lassalle und nahm ihn in den ADAV auf und machte ihn zum Vorstandsmitglied.
Bebel schrieb später über das Verhalten von Schweitzer und seine Beförderung durch Lassalle: „Er begriff rasch, daß sich hier eine Gelegenheit zu einer Stellung für seine Zukunft bot, die seinem Ehrgeiz entsprach, die ihm in der bürgerlichen Welt nach dem oben geschilderten Vorgang [Kindesmissbrauch und Unterschlagung von Geld, Anmerkung der IKS] für alle Zeit abgeschnitten war. In diesen Kreisen galt er als ein Mensch, vor dem man die Tür schließen müsse.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 232)
Kontakte zur herrschenden Klasse ...
In die Fußstapfen von F. Lassalle tretend, bemühte sich auch Schweitzer alsbald, mittels des Geheimen Oberregierungsrats Hermann Wagener Kontakte zu herrschenden Kreisen, insbesondere zu Bismarck und dessen Entourage aufzubauen. [17]
Wie Lassalle bot auch Schweitzer Bismarck politische Unterstützung an. Wie bewusst sich z.B. Hatzfeldt der Bestrebungen Schweitzers war, zeigt eine Aussage von Bebel in seiner Autobiographie: „Die Gräfin Hatzfeldt, der die Unterstützung der Bismarckschen Politik durch Schweitzer noch nicht weit genug ging, hatte eine Rechtfertigung dieser Politik schon gegen Ende 1864 in einem Briefe an die Frau Herweghs versucht, in dem sie schrieb: ‚Es liegt ein förmlicher Abîme [Abgrund] zwischen folgenden zwei Sachen: sich an einen Gegner zu verkaufen, für ihn arbeiten, verdeckt oder unverdeckt, oder wie ein großer Politiker den Augenblick zu erfassen, um von den Fehlern des Gegners zu profitieren, einen Feind durch den anderen aufreiben zu lassen, ihn auf eine abschüssige Bahn zu drängen und die dem Zwecke günstige Konjunktur, sie möge hervorgebracht werden von wem sie wolle, zu benutzen. Die bloßen ehrlichen Gesinnungen, diejenigen, die sich immer nur auf den idealen, in der Luft schwebenden Standpunkt der zukünftigen Dinge stellen und darauf nur das momentane Handeln bestimmen, mögen privatim als recht brave Menschen gelten, aber sie sind zu nichts zu brauchen, zu Handlungen, die auf die Ereignisse wirklich einwirken, ganz unfähig, kurz, sie können nur in der großen Masse dem Führer folgen, der besser weiß.‘“ (Bebel, ebenda S. 251)
Hier sieht man die Sichtweise, die man oft bei Abenteurern findet: Die Massen sind dumm und müssen gesteuert werden, sie brauchen einen klugen Kopf, der wirksam auf den Gegner einwirken kann. Der Abenteurer ist der "Auserwählte, der Berufene". Und ein Teil dieses Verhaltens ist es, mit gespaltener Zunge zu sprechen. Wie Bebel schrieb:
„Die Art, wie dabei wieder Schweitzer den Massen zu schmeicheln verstand, obgleich er innerlich sie verachtete, ist mir nie mehr in ähnlichem Maße begegnet.“[18]
… gepaart mit opportunistischen Offerten
Weil Schweitzer meinte, der König „Seine Majestät unser allverehrter König der Freund der Arbeiter ist“ und der Hauptfeind für den ADAV in der „liberalen Bourgeoispartei“ liege, bekannte er sich dazu, dass, „der sozialdemokratischen Partei Kampf in erster Linie gegen sie gerichtet sein muß. Wenn Sie dies aber festhalten, meine Herren, dann werden Sie sich selbst sagen: Warum hätte Lassalle sich nicht an Bismarck wenden sollen?“ (ebenda, S. 233, 247) Bebel führt weiter aus: „Schweitzer wußte, daß die von ihm gepredigte Auffassung eine grundreaktionäre war, ein Verrat an den Interessen des Arbeiters, aber er propagandierte sie, weil er glaubte, sich dadurch nach oben zu empfehlen.
Es verstand sich von selbst, daß Bismarck und die Feudalen eine solche Hilfe von der äußersten Linken mit Vergnügen sich gefallen ließen und den Vertreter einer solchen Auffassung eventuell auch unterstützten“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 233).
„Die Versuche, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein für die Bismarcksche großpreußische Politik nutzbar zu machen, waren also sehr frühzeitig vorhanden und dauernde. Es wird Sache meiner Auseinandersetzungen sein, zu beweisen, daß Schweitzer diesen Bestrebungen Bismarcks bewußt diente“ (ebenda S. 227).
Die Bemühungen, persönliche Ambitionen durch direkte oder indirekte Kontakte zu den Herrschern zu erfüllen, gingen daher oft mit programmatischen Schwächen und Täuschungen einher, wie man in der Frage des Wahlrechts sehen konnte (oder siehe z.B. Schweitzers Artikel "Das Ministerium für Bismarck und die Regierung der Mittel- und Kleinstaaten"). Engels schrieb später:
„Damals wurde der Versuch gemacht, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein – seinerzeit die einzige organisierte Vereinigung sozialdemokratischer Arbeiter in Deutschland – unter die Fittiche des Ministeriums Bismarck zu bringen, indem man den Arbeitern Aussicht machte, die Regierung werde das allgemeine Stimmrecht bewilligen. Das "allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht" war ja von Lassalle als das einzige und unfehlbare Mittel zur Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse gepredigt worden.“ www.mlwerke.de/me/me16/me16_326.htm
Engels schrieb damals zwei wichtige programmatische Texte, "Die preußische Militärfrage und die Deutsche Arbeiterpartei" sowie eine Antwort auf J.B. Schweitzer "Über P.-J. Proudhon". Wie Engels kommentierte, hatte dieser Artikel Proudhon zum Thema, aber eigentlich sollte er auch als Antwort auf das Lassalleanertum selbst gesehen werden (siehe MEW 15, S. 25).
Zugleich reagierte Schweitzer auf die Kritik an seiner Haltung zu Preußen. Da Marx und Engels in England und nicht in Deutschland lebten, könnten sie überhaupt kein "Expertenwissen" haben. Nur wenn man eine "lokale/nationale" Sichtweise habe, könne man die Verhältnisse richtig beurteilen: "Was aber die praktischen Fragen momentaner Taktik betrifft, so bitte ich Sie zu bedenken, daß, um diese Dinge zu beurteilen, man im Mittelpunkt der Bewegung stehen muß.“
Im Sozialdemokrat vom 15. Dezember 1864 verteidigte ein Artikel Unser Programm diesen nationalen Standpunkt: "Wir wollen nicht ein ohnmächtiges und zerrissenes Vaterland, machtlos nach außen und voll Willkür im Innern – das ganze, gewaltige Deutschland wollen wir, den einen, freien Volksstaat" (Bebel, ebd., S. 234). Eine so starke nationale Sichtweise wurde zu einer Zeit vorgelegt, als die Erste Internationale die Bedeutung des Internationalismus für die gesamte Arbeiterklasse weltweit betonte.
Am 15. Dezember 1865 veröffentlichte Schweitzer im Sozialdemokrat einen Artikel mit einer Lobpreisung der "Verdienste" von Lassalle, als ob es vor ihm keine Arbeiterbewegung gegeben hätte. Marx schickte daraufhin den oben genannten Artikel über Proudhon, um "nahezu verklausuliert" zum kritischen Nachdenken über Lassalles Rolle anzuregen. Neben Lassalles Verherrlichung wollte der Sozialdemokrat unter Schweitzer die Unterstützung von Bismarck weiter ausbauen. Daraufhin kündigten Marx und Engels am 23. Februar 1865 ihre Mitarbeit am „Social-Demokrat“ auf, woraufhin Schweitzer die Positionen von Marx und Engels erneut verfälschte.[19]
Der Personenkult um Lassalle
Die Opposition innerhalb des ADAD fing an, gegen die „diktatorischen Organisationsbestimmungen im Vereinsstatut zu polemisieren, [denn] so mußte die Organisation als das ureigenste Werk Lassalles mit einer Art Glorienschein umgeben werden. Der Lassallekultus wurde von jetzt ab systematisch gefördert und jeder als eine Art Schänder des Heiligsten gebrandmarkt, der andere Ansichten zu hegen wagte.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 246) Bebel führte weiter aus: „Und Schweitzer unterstützte diese allmählich ans Idiotenhafte grenzenden Anschauungen, die schließlich eine Art religiöser Glaubenssätze wurden. (…) Kam es doch im Laufe der Jahre dahin, daß das Thema »Christus und Lassalle« das Thema für die Tagesordnung zahlreicher Volksversammlungen wurde.“ (ebenda, S. 246) [20]
„Dunkle“ Finanzierungsquellen
Ähnlich wie Lassalle stützte sich auch Schweitzer nicht nur auf dubiose Finanzierungsquellen. Zum einen klärte er nie auf, woher die großen Geldmittel für die Produktion und die Verbreitung des Sozialdemokrat stammten, nachdem der Verdacht aufgekommen war, dass ihm Gelder aus Regierungsquellen zuflossen. [21]
Der bloße Verdacht, dass er von staatlichen Mitteln abhängig sei, dass er so nicht nur erpressbar, sondern sogar direkt korrumpiert werden könne, hätte von Schweitzer nicht unbeantwortet bleiben dürfen. Stattdessen ließ er diese Beschuldigung auf sich sitzen.
Zum anderen unternahm er nichts, als bekannt wurde, dass ein Polizeispitzel namens Preuß in der Organisation tätig war, der mit dem Polizei-Oberen in Verbindung stand, mit dem Schweitzer selbst Kontakte pflegte.
Nicht nur Verschonung durch die Polizei
Man könnte einwenden: Sind Gefängnisstrafen bzw. repressives Vorgehen gegen Abenteurer ein Beweis für deren „Unschuld“?
Im November 1865 war Schweitzer ins Gefängnis gewandert und hätte dort ein Jahr absitzen sollen wegen Majestätsbeleidigungen und Schmähung obrigkeitlicher Anordnungen, mit Aberkennung der Ehrenrechte.
„Man hat geltend gemacht, daß die verschiedenen Gefängnisstrafen ein Beweis gegen die Anklage seien, Schweitzer wäre Bismarckscher Agent gewesen. Diese Auffassung ist durchaus falsch. Die Beziehungen, die eine Regierung zu ihren politischen Agenten zu haben pflegt, bindet sie nicht den Staatsanwälten und Richtern auf die Nase. Eine zeitweilige Verurteilung eines politischen Agenten wegen oppositioneller Handlungen ist auch sehr geeignet, Mißtrauen gegen den Betreffenden zu beseitigen und das Vertrauen in ihn zu stärken. Bekanntlich haben auch die Berliner Gerichte zu derselben Zeit, in der Lassalle mit Bismarck seine stundenlangen politischen Unterhaltungen als »angenehmer Gutsnachbar« hatte, sich nicht gescheut, ihn zu einer Reihe harter Gefängnisstrafen zu verurteilen, obgleich man damals in weiten Kreisen wußte, wie Bismarck und Lassalle zueinander standen.“ (Bebel, ebenda, S. 253)
Während die Berliner Polizei bei ihren polizeilichen Durchsuchungen morgens früh die polizeilich Verdächtigen mit Hausdurchsuchungen terrorisierte, hatte sich „Schweitzer (...) nie über solche oder ähnliche Maßnahmen zu beklagen. Er ging ins Gefängnis und verließ dasselbe, als wenn er ins Hotel ging und dasselbe verließ“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 297). Tatsächlich wurde Schweitzer wiederholt aus dem Gefängnis entlassen bzw. konnte aus diesem nahezu ein- und ausgehen und weiter seine Aktivitäten betreiben – im Gegensatz zu anderen Mitgliedern des ADAV, die dort schmachteten.
Tatsächlich denunzierte die enge Verbündete von Lassalle Gräfin Hatzfeldt Liebknecht sogar bei der Polizei, als er sich 1865 illegal in Berlin aufhielt, woraufhin er aus der Stadt ausgewiesen wurde. [22]
Wachsender Widerstand gegen Schweitzer im ADAV
Im Frühjahr 1869 formierte sich Widerstand innerhalb des ADAV gegen Schweitzers diktatorische Vollmachten.
Zunächst gegen dessen verschwenderischen Lebensweisen: „Schweitzer gehörte zu den Naturen, die stets mindestens doppelt so viel Geld verbrauchen als sie einnehmen, deren Parole ist: Die Bedürfnisse haben sich nicht nach den Einnahmen, sondern die Einnahmen haben sich nach den Bedürfnissen zu richten, was bedingt, daß sie dann skrupellos das Geld nehmen, wo sie es finden. Hatte Schweitzer 1862 2600 Gulden aus der Schützenfestkasse entnommen, so unterschlug er später, als er Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins war und als solcher über die Kassengelder verfügte, von schlecht gelohnten Arbeitern gesammelte Groschen, um seine Gelüste zu befriedigen. Es handelte sich hier nicht um große Summen, aber das lag nicht an Schweitzer, sondern an dem mageren Inhalt der Kasse. Diese Mißwirtschaft ist ihm auf verschiedenen Generalversammlungen des Vereins vorgeworfen und nachgewiesen worden, und Bracke, der jahrelang Kassierer des Vereins war und auf Schweitzers Anweisung die Gelder auszahlen mußte, hat ihn öffentlich dieser Schandtat bezichtigt, ohne daß Schweitzer ein Wort der Verteidigung wagte. Wer aber dergleichen fähig ist, von dem soll man nicht behaupten, daß er unfähig gewesen sei, sich politisch zu verkaufen, was doch das einzige halbwegs lukrative Geschäft für ihn sein konnte. Den Nachweis, wieviel gezahlt wurde, kann niemand erbringen, denn dergleichen Geschäfte werden nicht auf offenem Markte abgeschlossen.“ (Bebel, ebenda, S. 270)
Als die Erfurter Ortsgruppe die Kassenführung von Schweitzer überprüfen lassen wollte, drohte Schweitzer mit der Auflösung des Vereins – und drei Wochen später erschien die Polizei tatsächlich als Strafexpedition und löste den Verein auf ... (Bebel, ebenda, S. 274). [23]
Und nach Absprachen „in einem kleinen Kreise Auserwählter, die mit ihm durch dick und dünn gingen“, wurde ein neuer Verein gegründet, dessen Statuten nahezu auf Schweitzer zugeschnitten waren. „Das neue Statut enthielt geradezu ungeheuerliche Bestimmungen. So sollte der Präsident sechs Wochen vor der ordentlichen Generalversammlung in Urabstimmung durch die Mitglieder des Vereins gewählt werden, also ehe noch die Generalversammlung gesprochen und dessen Geschäftsführung geprüft hatte.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 276)
Verleumdung von Marx und Engels
„Im weiteren erklärte Schweitzer gegen Marx und Engels, daß sie sich vom »Sozialdemokrat« zurückgezogen, sobald sie eingesehen hätten, daß sie nicht die erste Rolle bei der Partei spielen konnten. Im Gegensatz zu ihnen sei Lassalle nicht der Mann der unfruchtbaren Abstraktion, sondern ein Politiker im strengen Sinne des Wortes, nicht ein schriftstellerischer Doktrinär, sondern ein Mann der praktischen Tat gewesen. Wobei wieder nicht vergessen werden darf, daß später Schweitzer den Mann der »unfruchtbaren Abstraktion«, den »schriftstellerischen Doktrinär« Karl Marx, umschmeichelte und für sich zu gewinnen suchte“ (Bebel, ebenda, S. 240).
Während der Generalversammlung des ADAV in Wuppertal Barmen-Elberfeld Ende März 1869, auf der Schweitzer zur Rechenschaft gezogen werden sollte, berichtete Bebel an Marx: „Liebknecht und ich sitzen eben hier in Elberfeld in einem kleinen Kreise von Gesinnungsgenossen, um den Feldzugsplan für die morgige Schlacht vorzubereiten. Wir haben hier eine solche Fülle von Schuftereien Schweitzers zu hören bekommen, daß uns die Haare zu Berge stehen. Ebenso stellt sich zur Evidenz heraus, daß Schweitzer das Programm der Internationale nur zu dem Zwecke vorschlägt, um einen Hauptcoup gegen uns zu führen und ein gut Teil oppositioneller Elemente niederzuschlagen respektive zu sich herüberzuziehen.“ (Bebel, ebenda, S. 281)
Bebel führte weiter aus, dass „Schweitzer mit allen Mitteln der Perfidie und Intrige gegen uns wühlt.“ (Bebel, ebenda, S. 282)
Bebel und Liebknecht wollten Schweitzer auf dieser Generalversammlung entblößen. [24] Bebel berichtete:
„Am nächsten Nachmittag traten wir in den überfüllten Saal, von wütenden Blicken der fanatisierten Anhänger Schweitzers empfangen. Liebknecht sprach zuerst, etwa anderthalb Stunden, ich folgte und sprach wesentlich kürzer. Unsere Anklagen enthielten zusammengedrängt, was ich bisher hier gegen Schweitzer vorgebracht habe. Mehrere Male erfolgten heftige Unterbrechungen, namentlich als ich Schweitzer als Regierungsagent bezeichnete. Ich solle das Wort zurücknehmen. Dessen weigerte ich mich. Ich glaubte, das Recht zu haben, meine Meinung frei aussprechen zu dürfen, sie, die Zuhörer, brauchten mir ja nicht zu glauben. (…)
Schweitzer, der während unserer Reden auf dem Podium hinter uns saß, erwiderte kein Wort. So verließen wir den Saal, wobei einige Delegierte vor und hinter uns gingen, um uns vor Tätlichkeiten der fanatisierten Anhänger Schweitzers zu schützen. Aber Schmeichelworte wie Schufte, Verräter, Lumpe, euch sollte man die Knochen im Leibe zerschlagen usw., bekamen wir bei dem Gange durch das lebende Spalier in Menge zu hören. Auch machte einer der Anwesenden den Versuch, mich beim Heruntersteigen vom Podium durch einen Stoß in die Kniekehle zu Fall zu bringen. Vor der Tür nahmen uns unsere Freunde in Empfang, um uns als Schutzgarde nach unserem Hotel zu geleiten“. (a.a.O., S. 283) „Schweitzer verlangte von den Delegierten ein Vertrauensvotum. Nach erregter Debatte wurde ihm dasselbe (...) mit einer viel geringeren Stimmenzahl erteilt.“
„Durch diese und noch eine Reihe anderer Bestimmungen wurden die Machtbefugnisse Schweitzers sehr bedeutend eingeschränkt. (...) Außerordentlich bezeichnend für sein damaliges Verhalten ist auch, daß er das ausführliche Protokoll, das über die Elberfelder Verhandlungen erschienen war, unterschlug und verschwinden ließ, wie er das gleichfalls mit dem Protokoll der Hamburger Generalversammlung aus dem vorhergehenden Sommer getan hatte. Es sollte nichts, was ihn kompromittierte, den Vereinsmitgliedern bekannt werden und in die Oeffentlichkeit dringen.“ (S. 285) Für kurze Zeit hatten die beiden Flügel, in die sich der ADAV gespalten hatte, ihre Wiedervereinigung unter Schweitzer erklärt. Aber der Oppositionsflügel um Bracke herum kam zu dem Schluss, dass „Herr v. Schweitzer den Verein lediglich zur Befriedigung seines Ehrgeizes benutzt und ihn zum Werkzeug einer arbeiterfeindlichen reaktionären Politik herabwürdigen will“ (Bebel, ebenda, S. 290).
Die Oppositionellen riefen daraufhin zur Abhaltung eines Kongresses aller sozialdemokratischen Arbeitnehmer in Deutschland (der in Eisenach abgehalten wurde). Sie traten aus dem ADAV aus und erklärten: "Es wird sich zeigen, ob Korruption, Gemeinheit, Bestechung oder Ehrlichkeit und Reinheit der Absichten sich durchsetzen werden. Es wird sich zeigen, ob die Korruption, die Gemeinheit, die Bestechlichkeit auf jener Seite, oder die Ehrlichkeit und die Reinheit der Absichten auf unserer den Sieg davonträgt. Unsere Losung sei: Nieder mit der Sektiererei! Nieder mit dem Personenkultus! Nieder mit den Jesuiten, die unser Prinzip in Worten anerkennen, in Handlungen es verraten! Hoch lebe die Sozialdemokratie, hoch die Internationale Arbeiterassoziation!
Daß wir in dieser Erklärung und später wiederholt die Ehrlichkeit unserer Absichten gegen die unehrlichen Schweitzers ins Feld führten, brachte nachher der neu gegründeten Partei von der Gegenseite den Spitznamen »Die Ehrlichen« ein.“ (Bebel, ebenda, S. 293)
Die Gegenoffensive Schweitzers ließ nicht lange auf sich warten.
„Der »Sozialdemokrat« beobachtete jetzt die Taktik, ständig zu verkünden, unser Anhang bestehe nicht aus Arbeitern, sondern aus Literaten, Schulmeistern und sonstigen Bourgeois.“ Vor allem sollte die Opposition durch Beschimpfungen, Spott und Verleumdung in Verruf gebracht werden. „Hinter unserem Kongreß, hieß es in der betreffenden Nummer, stehe die ganze liberale Bourgeoisie in allen ihren Schattierungen. Von straffer, einheitlicher Organisation könne natürlich bei uns unter einem Regiment von Literaten, Schulmeistern, Kaufleuten usw. keine Rede sein. Jeder dieser Leute müsse Gelegenheit haben, sich recht wichtig zu machen. Die gesamte Bourgeoispresse stehe uns zu Gebot, log er weiter. Er werde dafür sorgen, daß eine entsprechende Anzahl Delegierter auf den Eisenacher Kongreß komme, aber keine Literaten und Bourgeois, sondern wirkliche Arbeiter.“ (S. 295)
Schließlich beschuldigte Tölcke, der 1865 zum Präsidenten des ADAV gewählt worden war, Bebel im Sozialdemokrat vom 28. Juli 1869, 600 Taler pro Monat vom ehemaligen König von Hannover zu erhalten – eine echte Verleumdung!
Auf dem Gründungskongress der Eisenacher im August 1869 befürchteten die Mitglieder ein gewaltsames Eindringen der fanatisierten Anhänger Schweitzers, der seine „Truppen“ auch gewaltsam gegen die „Eisenacher“ einsetzen würde. Rund 100 Personen aus dem Kreis der "Schweitzerianer" erschienen dann auf dem Eisenacher Kongress, wurden aber wegen fehlender Mandate abgewiesen.
Mit der Gründung der Eisenacher Partei 1869, die sich durch den Widerstand gegen den ADAV gebildet hatte, wurde die erste Partei gegründet: die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschland (SDAP).
In einem Brief an Schweitzer schrieb Marx über den unverzichtbaren Schritt des Übergangs von einer Sekte zu einer echten Klassenbewegung. Lassalle hatte sich nicht nur geweigert, zu diesem Schritt beizutragen, sondern war auch ein Hindernis, das die Bewegung überwinden musste.
„Er gab ferner von vornherein - wie jeder Mann, der behauptet, eine Panazee für die Leiden der Masse in der Tasche zu haben - seiner Agitation einen religiösen Sektencharakter. In der Tat, jede Sekte ist religiös. Er verleugnete ferner, eben weil Sektenstifter, allen natürlichen Zusammenhang mit der frühern Bewegung in Deutschland wie im Ausland. Er fiel in den Fehler Proudhons, die reelle Basis seiner Agitation nicht aus den wirklichen Elementen der Klassenbewegung zu suchen, sondern letzterer nach einem gewissen doktrinären Rezept ihren Verlauf vorschreiben zu wollen.
Was ich hier post festum sage, habe ich großenteils dem Lassalle vorhergesagt, als er 1862 nach London kam und mich aufforderte, mich mit ihm an die Spitze der neuen Bewegung zu stellen. Sie selbst haben den Gegensatz zwischen Sektenbewegung und Klassenbewegung an eigner Person erfahren. Die Sekte sucht ihre raison d'etre und ihren point d'honneur nicht in dem, was sie mit der Klassenbewegung gemein hat, sondern in dem besondren Schibboleth, das sie von ihr unterscheidet. Als Sie daher zu Hamburg den Kongreß zur Trades Unions Stiftung vorschlugen, konnten Sie den Sektenwiderstand nur niederschlagen durch Drohung, die Präsidentenwürde niederzulegen. Sie waren außerdem gezwungen, Ihre Person zu verdoppeln, zu erklären, das eine Mal als Sektenhaupt und das andre Mal als Organ der Klassenbewegung zu handeln. Die Auflösung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins gab Ihnen den Anlaß, einen großen Fortschritt zu vollziehn und zu erklären, zu beweisen, s'il le fallait, daß nun ein neues Entwicklungsstadium eingetreten und die Sektenbewegung nun reif sei, in die Klassenbewegung aufzugehen und allem „Anertum" ein Ende zu machen. Was den wahren Inhalt der Sekte betraf, würde sie ihn, wie alle früheren Arbeitersekten, als bereichern-des Element in die allgemeine Bewegung tragen. Statt dessen haben Sie in der Tat die Forderung an die Klassenbewegung gestellt, sich einer besonderen Sektenbewegung unterzuordnen. Ihre Nichtfreunde haben daraus geschlossen, daß Sie unter allen Umständen Ihre „eigne Arbeiterbewegung" konservieren wollen.“[25]
Im Juli 1871 veröffentlichte der Braunschweiger Parteiausschuss einen Aufruf: „Dem Herrn v. Schweitzer aber, der in der gehässigsten und verwerflichsten Weise Arbeiter gegen Arbeiter, Sozialdemokraten gegen Sozialdemokraten zu hetzen sucht, sind wir um der Arbeitersache verpflichtet, mit aller Energie entgegenzutreten. Daher fordern wir die Parteigenossen in Barmen-Elberfeld, dem klassischen Boden für diesen Kampf, auf, die nötigen Schritte in dieser Richtung ohne Säumen zu tun; die Partei ist schuldig und verbunden, die allgemeine Bewegung von einem Menschen zu säubern, der, unter dem Deckmantel einer radikalen Gesinnung, bisher im Interesse der preußischen Staatsregierung alles getan hat, dieser Bewegung zu schaden. Die Partei wird den Genossen in Barmen-Elberfeld zur Seite stehen. Nun kräftig vorwärts.“ (Bebel, a.a.O., S. 330)
Im Frühjahr 1871 wurde Schweitzer aus dem ADAV ausgeschlossen.[26]
Wie im Falle von Lassalle wurde Schweitzer zu seinen Lebzeiten nie vollständig entlarvt (er starb 1875 an einer Lungenentzündung). Er wurde aus dem ADAV ausgeschlossen, aber ohne dass die Lehren ausreichend gezogen wurden.
Erst im Kampf gegen die Aktivitäten von Bakunin entwickelten die Erste Internationale und ihr Generalrat die Fähigkeit, die Aktivitäten eines Abenteurers effizient zu entblößen.
Der Kampf gegen Abenteurer ist nicht möglich, ohne sich die Erfahrung der revolutionären Bewegung anzueignen
Die Rolle der beiden Abenteurer, beide Rechtsanwälte, die jahrelang ihr Unwesen im ADAV betreiben konnten und die in den Augen vieler als im Interesse der Arbeiterklasse handelnd galten, zeigt, wie schwierig es ist, einen Abenteurer zu identifizieren und zu entlarven.
Das Aufdecken und Entblößen ihres Verhaltens, ihres Werdegangs, ihrer Verbindungen, Reaktionen und wahren Motive ist eine der größten Herausforderungen für eine revolutionäre Organisation. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, ist die Tatsache, dass diese Personen durch Tricks das Vertrauen vieler Mitglieder der Organisation erschlichen haben und in der gesamten Arbeiterklasse einen hohen Ruf genießen können, ein großes Hindernis, das jedoch nicht die Fähigkeit beeinträchtigen darf, das eigentliche Wesen dieser Personen zu erkennen und zu verstehen. Die Entlarvung solcher Abenteurer stößt in der Regel auf das Entsetzen derjenigen, die sich ihnen am nächsten fühlen und die unfähig oder nicht bereit sind, die Realität aus langfristiger persönlicher Anhänglichkeit, "Loyalität" und/oder emotionaler Affinität zu erkennen. Da es sich um "hochgeschätzte" Persönlichkeiten handeln kann, von denen "niemand so etwas erwartet", ist es umso wichtiger, sich mit der schmerzhaften historischen Erfahrung der revolutionären Bewegung auseinanderzusetzen. Engels schrieb kurz vor seinem Lebensende 1891, "Ich werde nicht mehr erlauben, daß der falsche Ruhm Lassalles auf Kosten von Marx aufrechterhalten und neu gepredigt wird.“ (Engels an Bebel, 1. Mai 1891, MEW 38, S. 93) So resümierte er gegenüber den Zögerungen, Zweifeln, Abwieglern in der Partei, warum es wichtig war, Lassalle schonungslos zu entblößen.
„Du sagst, Bebel schreibe Dir, die Behandlung Lassalles durch Marx habe bei den alten Lassalleanern böses Blut gesetzt. Das mag sein. Die Leute kennen ja die wirkliche Geschichte nicht, und es scheint auch nichts geschehn zu sein, sie darüber aufzuklären. Wenn jene Leute nicht wissen, daß die ganze Größe Lassalles darauf beruhte, daß Marx ihm erlaubte, jahrelang sich mit M[arxen]s Forschungsresultaten als mit seinen eignen zu schmücken und sie obendrein aus mangelhafter ökonomischer Vorbildung zu verdrehn, so ist das nicht meine Schuld. Aber ich bin literarischer Testamentsvollstrecker von Marx und habe als solcher auch meine Pflichten. Lassalle gehört seit 26 Jahren der Geschichte an. Wenn man unter dem Ausnahmegesetz die historische Kritik über ihn hat ruhen lassen, so wird es endlich Zeit, daß sie zu ihrem Rechte kommt und über die Stellung Lassalles zu Marx Klarheit geschaffen wird. Die Legende, die die wahre Gestalt Lassalles verhüllt und verhimmelt, kann doch kein Glaubensartikel der Partei werden. Mag man die Verdienste L[assalle]s um die Bewegung noch so hoch anschlagen, seine historische Rolle darin bleibt eine zwieschlächtige. Den Sozialisten Lassalle begleitet der Demagog Lassalle auf Schritt und Tritt. Durch den Agitator und Organisator Lassalle scheint der Leiter des Hatzfeldtschen Prozesses 1751 überall durch: derselbe Zynismus in der Wahl der Mittel, dieselbe Vorliebe, sich mit anrüchigen und korrumpierten Leuten zu umgeben, die man als bloße Werkzeuge gebrauchen resp. wegwerfen kann. Bis 1862 in der Praxis spezifisch preußischer Vulgärdemokrat mit stark bonapartistischen Neigungen (ich habe eben seine Briefe an Marx durchgesehn), schlug er plötzlich um aus rein persönlichen Ursachen und begann seine Agitation; und ehe 2 Jahre vorbei, verlangte er, die Arbeiter sollten die Partei des Königtums gegen die Bourgeoisie ergreifen, und mogelte mit seinem Charakterverwandten Bismarck in einer Weise, die zum tatsächlichen Verrat an der Bewegung führen mußte, wäre er nicht zu seinem eigenen Glück rechtzeitig erschossen worden. In seinen Agitations-schriften ist das Richtige, das er von M[arx] entlehnt, so sehr mit Lassalleschen eignen und regelmäßig falschen Ausführungen verwebt, daß beides fast nicht zu trennen ist. Der Teil der Arbeiter, der sich durch M[arxen]s Urteil verletzt fühlt, kennt von L[assalle] eben nur die 2 Jahre Agitation und auch diese nur durch eine gefärbte Brille. Aber vor solchen Vorurteilen kann die historische Kritik nicht ewig stehnbleiben, den Hut in der Hand. Mir war es Pflicht, endlich einmal reinen Tisch zu schaffen zwischen Marx und Lassalle. Das ist geschehn. Damit kann ich mich vorderhand begnügen. Ich selbst habe zudem jetzt andres zu tun. Und das veröffentlichte rücksichtslose Urteil Marx‘ über L[assalle] wird schon allein seine Wirkung tun und andren Mut machen. Aber würde ich dazu gezwungen, so bliebe mir keine Wahl: ich müßte mit der Lassalle-Legende ein für allemal aufräumen.“ (Engels an Kautsky, 23. Februar 1891, MEW 38, S. 40).
Die Entlarvung der Aktivitäten von Bakunin durch den Generalrat der Ersten Internationale zeigte, dass dieser Kampf nur möglich war, weil das politische Bewusstsein und die Entschlossenheit, solche Abenteurer zu entlarven, vorhanden waren. Und das konnte nur durch die Erstellung eines spezifischen Berichts wie desjenigen des Generalrates an den Haager Kongress erreicht werden.[27]
Als Bebel und Liebknecht Schweitzer 1869 auf dem Wuppertaler Parteitag anprangerten, taten sie dies, ohne einen ordentlichen Bericht vorgelegt zu haben, ohne ein vollständiges Bild zu bieten, was sicherlich dazu beitrug, dass die Entlarvung unausgegoren blieb, und es hinderte Schweitzer nicht daran, wiedergewählt zu werden – trotz wachsenden Widerstandes.
Der Kampf gegen Abenteurer, der, wie die Erfahrung von Marx und Engels in ihrem Kampf gegen Lassalle und Schweitzer gezeigt hat, eine gewaltige Herausforderung darstellt, wurde durch den Generalrat der Ersten Internationalen beim Haager Kongress auf ein höheres, viel effizienteres Niveau gehoben. Indem er die Lehren aus den Schwächen und Schwierigkeiten des Kampfes gegen Lassalle und Schweitzer zog, schmiedete der Generalrat die Waffen, um sich Bakunin zu stellen. Es liegt heute an den revolutionären Organisationen, die Lehren aus diesem Kampf wieder anzunehmen.
Dino, Juli 2019
[1] Siehe Internationale Revue Nr. 17, 18, 19, 20
[2] Ferdinand Lassalle wurde 1825 in Breslau als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Seidenhändlers geboren. Schon in seiner Jugend zeichnete er sich durch seine starke Eigenständigkeit und seine Ambitionen aus. Als Student strebte er eine Berufung zum Universitätsprofessor an.
[3] Wegen seiner besonderen Beziehungen zur Gräfin Hatzfeld verweigerte der Bund der Kommunisten dessen Aufnahme in seine Reihen.
[4] Einer seiner Biographen, Schirokauer, erwähnte seinen üppigen Lebensstil als junger Mann und seinen hohen Konsum von teuren Weinen und Champagnern. In der Berliner Residenz, wo er und die Gräfin lebten, wurde berichtet, dass auch der Hasch- und Opiumkonsum eine gängige Praxis sei. Für weitere Details siehe: Arno Schirokauer: Lassalle. Die Macht der Illusion, die Illusion der Macht. Paul List Verlag, Leipzig 1928.
[5] Aufgrund des Vereinsgesetzes von 1854 waren politische Arbeitervereine und auch Verbindungen zwischen zugelassenen Vereinen verboten.
[6] Gustav Mayer, Spitzelbericht Lassalles über sich selbst. Wiederveröffentlicht in den Grünberg-Archiven, Bd. 10, S. 399 ff., siehe auch Gustav Mayer, J. B. Schweitzer und die Sozialdemokratie, Jena, 1909; Gustav Mayer, Bismarck und Lassalle, Ihr Briefwechsel und ihre Gespräche, Berlin, 1928.
[7] A.K. Worobjowa, Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und des Kampfes von Karl Marx und Friedrich Engels gegen Lassalle und das Lassalleanertum 1862-1864, Berlin 1961, S. 249
[8] Später stellte Bebel Bismarck öffentlich zu seinen Verbindungen mit Lassalle im Reichstag zur Rede: “Auf die ihm von mir vorgehaltenen Beziehungen zu Lassalle äußerte er: Nicht er, sondern Lassalle habe den Wunsch gehabt, mit ihm zu sprechen, und er habe ihm die Erfüllung dieses Wunsches nicht schwer gemacht. Er habe das auch nicht bereut. Verhandlungen hätten zwischen ihnen nicht stattgehabt, was hätte Lassalle als armer Teufel ihm auch bieten können?“ (Aus: Bebel, Aus meinem Leben, Kapitel 5: Mein Eintritt in die Arbeiterbewegung und das öffentliche Leben, S. 76)
[9] „Helene v. Rakowicza (Helene v. Dönniges), die ehemalige Geliebte Lassalles, wegen der er in das Duell, das ihm das Leben kostete, verwickelt wurde, erzählt in ihrem Buche: ‚Von anderen und mir‘, Berlin 1909, daß sie in einer Nachtunterhaltung Lassalle die Frage vorgelegt: Ist's nun wahr? Hast du mit Bismarck allerlei Geheimes zu tun? Worauf dieser geantwortet habe: ‚Was Bismarck anbelangt und was er von mir gewollt hat und ich von ihm? – Laß dir's genügen, daß es nicht zustandekam, nicht zustandekommen konnte. Wir waren beide zu schlau – wir sahen unsere beiderseitige Schlauheit und hätten nur damit enden können, uns (immer politisch gesprochen) ins Gesicht zu lachen. Dazu sind wir zu gut erzogen – also blieb es bei den Besuchen und geistreichen Gesprächen.‘“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 226).
[10] Siehe auch Engels, Die Preußische Militärfrage und die Deutsche Arbeiterpartei, Zur Auflösung des Lassalleanischen Arbeitervereins
[12] „Itzig schickt mir, was unvermeidlich, seine Verteidigungsrede (ist zu 4 Monaten verurteilt) vor Gericht zu. Macte puer virtute! Erstens hat dieser Renommist die Broschüre, die Du hast, Rede über „den Arbeiterstand", in der Schweiz wieder abdrucken lassen unter dem pompösen Titel: „Arbeiterprogramm". Du weißt, daß die Sache nichts ist als schlechte Vulgarisation des „Manifests" und andrer von uns so oft gepredigten Sachen, daß sie gewissermaßen schon Gemeinplätze geworden sind. (Der Bursche nennt z.B. „Stand" die Arbeiterklasse.) Well. In seiner Rede vor dem Berliner Gericht hat er die Schamlosigkeit zu sagen: „Ich behaupte ferner, daß diese Broschüre nicht nur ein wissenschaftliches Werk wie so manches andre ist, welches bereits bekannte Resultate zusammenfaßt, sondern daß sie sogar in der vielfachsten Hinsicht eine wissenschaftliche Tat, eine Entwicklung von neuen wissenschaftlichen Gedanken ist... In verschiedenen und schwierigen Gebieten der Wissenschaft habe ich umfangreiche Werke zu Tage gefördert, keine Mühen und keine Nachtwachen gescheut, um die Grenzen der Wissenschaft selbst zu erweitern, und ich kann vielleicht mit Horaz sagen: militavi non sine gloria [ich kämpfte nicht ruhmlos]. Aber ich selbst erkläre Ihnen: Niemals, nicht in meinen umfangreichsten Werken habe ich eine Zeile geschrieben, die strenger wissenschaftlich gedacht wäre als diese Produktion von ihrer ersten Seite bis zur letzten ... Werfen Sie also einen Blick auf den Inhalt dieser Broschüre. Dieser Inhalt ist nichts andres als eine auf 44 Seiten zusammengedrängte Philosophie der Geschichte ... Es ist eine Entwicklung des objektiven vernünftigen Gedankenprozesses, welcher der Europäischen Geschichte seit länger denn einem Jahrtausende zu Grunde liegt, eine Entfaltung der innern Seele etc." Ist diese Schamlosigkeit nicht baumhoch? Der Kerl denkt offenbar, er sei der Mann, um unser Inventarium anzutreten. Dabei das Grotesk-Lächerliche! Salut. Dein K.M.” (Marx an Engels, 28.1.1863 MEW 30, S. 322)
[14] MEW 16, S. 221,
[15] Lassalle verliebte sich bei einem Kuraufenthalt in eine junge Frau namens Helene von Dönniges. Er wollte sie heiraten, aber ihre Eltern waren dagegen. Um ihren Vater, den bayerischen Diplomaten Wilhelm von Dönniges, mit Erfolg wegen Sequestrierung seiner Tochter verklagen zu können, versuchte er am 16. oder 17. August 1864, den bayerischen König Ludwig II. auf seine Seite zu bekommen. Daraufhin entschloss sich Lassalle zur Weiterreise in die Schweiz und zum Duell mit Wilhelm von Dönniges: Als Mitglied der Breslauer Burschenschaft forderte Lassalle Satisfaktion von Helenes Vater, einem Mitglied des Corps Rhenania Bonn. Der 50-jährige Vater beauftragte den von ihm gewünschten Verlobten, den rumänischen Bojaren Janko von Racowitza (Iancu Racoviţă), ein Mitglied des Corps Neoborussia-Berlin, das Duell zu übernehmen.
Das Duell fand am Morgen des 28. August 1864 in der Genfer Vorstadt Carouge statt. Der Sekundant von Lassalle war Wilhelm Rüstow. Um 7:30 Uhr standen sich die Gegner mit Pistolen gegenüber. Racowitza feuerte als Erster und traf Lassalle in den Unterleib. Drei Tage später, am 31. August 1864, starb Ferdinand Lassalle im Alter von 39 Jahren in Carouge (https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Lassalle). Man mag es als ein typisches Macho-Verhalten von Männern mit aristokratischem oder wie im Falle Lassalles mit bürgerlichem Hintergrund banalisieren, wenn diese sich duellieren. Mag sein Buhlen in seiner frühen Jugend, denn mit 12 Jahren hatte er zum ersten Mal einen anderen Buhler schriftlich zum Duell um ein 14-jähriges Mädchen herausgefordert, noch als pubertärer Eifer abgetan werden, aber als 39-jähriger Erwachsener, der gegenüber den Arbeitern vorgab, revolutionäre Ziele zu verfolgen, „Konkurrenten“ durch Duelle aus der Welt zu schaffen und dabei noch sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, war eine grobe Pervertierung der Ziele der Arbeiterklasse.
[16] Rosa Luxemburg: Lassalle und die Revolution [Festschrift, März 1904, Berlin, S. 7/8. Gesammelte Werke Bd. 1/2, 1970, S. 417-421]
[17] Der Polizeiagent Preuß, der über den Geheimen Oberregierungsrat Hermann Wagener ‚geführt‘ wurde, war es auch, der Liebknechts Anwesenheit in Berlin, Herbst 1866, wegen Bannbruchs der Polizei denunzierte, worauf dieser zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Siehe A.K. Worobjowa, Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und des Kampfes von Karl Marx und Friedrich Engels gegen Lassalle und das Lassalleanertum 1862-1864, Berlin 1961
[19] Siehe MEW Bd. 16, S. 79. Und Marx an Engels in Manchester 3. Febr. 1865: „Ich hatte vor about 10 Tagen dem Schweitzer geschrieben, er müsse Front gegen Bismarck machen, auch der Schein der Koketterie der Arbeiterpartei mit B[ismarck] müsse wegfallen etc. Zum Dank hat er „allbereits" mehr denn je geliebeleit mit dem Pißmarck.“ Sowie den Brief vom 18. Februar 1865 von Marx an Engels.
[20] „Die zwei ersten Probenummern enthielten schon mancherlei Bedenkliches. Ich remonstrierte. Und unter anderm sprach ich meine Entrüstung darüber aus, daß aus einem Privatbriefe, den ich auf die Nachricht von Lassalles Tod der Gräfin Hatzfeldt schrieb, ein paar Trostworte herausgerissen, ohne meine Namensunterschrift veröffentlicht und schamlos dazu mißbraucht worden seien, eine servile Lobhudelei Lassalles „ein- und auszuläuten".“
[21] In späteren Berichten von Parteimitgliedern wurde deutlich, in welchem Umfang er Gelder veruntreut hatte (Bebel, Aus meinem Leben, S. 320, 337).
[22] A.K. Worobjowa, a.a.O.
[23] „Es ist ganz zweifellos, daß Schweitzer vorher von dieser Auflösung wußte, ja daß sie zwischen ihm und dem Berliner Polizeipräsidium verabredet war und die Leipziger Polizei auf Wunsch von Berlin den Verein auflöste.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 275)
[24] Eigentlich erforderte die Praxis und Tradition der Arbeiterbewegung, wenn ein Mitglied oder Mitglieder der Organisation gegenüber einem anderen Mitglied einen Verdacht auf organisationsfeindliches Verhalten oder gar an dessen Glaubwürdigkeit haben, dass dazu ein besonders ernanntes Organ der Organisation handeln muss, um mit entsprechender Diskretion und mit entsprechender Methode Aufklärung zu betreiben. Solch eine Instanz existierte im ADAV nicht, und die Lage wurde noch dadurch erschwert, dass die unter Verdacht stehende Person der Präsident der Organisation war.
[26] Bebel berichtete, dass Schweitzers Anhänger zur Zeit des französisch-preußischen Krieges im Verdacht standen, Liebknechts Wohnung angegriffen zu haben ... (Bebel, Aus meinem Leben, S. 332).
[27] Siehe unsere Artikel in der Internationalen Revue Nr. 17-20