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Die Diskussionstexte, die wir hier veröffentlichen, sind das Ergebnis einer internen Debatte innerhalb der IKS über die Bedeutung und die Richtung der historischen Phase im Leben des dekadenten Kapitalismus, die durch den Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks 1989 endgültig eröffnet wurde: die Phase des Zerfalls, die Endphase der kapitalistischen Dekadenz.
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Divergenzen mit der Resolution zur internationalen Lage auf dem 23. IKS-Kongress
Auf dem 23. IKS-Kongress habe ich eine Reihe von Änderungsanträgen zur Resolution über die internationale Lage vorgelegt. Dieser Beitrag konzentriert sich auf diejenigen meiner Änderungsanträge, die vom Kongress abgelehnt wurden. Mein Beitrag behandelt die beiden zentralen Divergenzen, die ich mit der Position des Kongresses habe: die Frage der imperialistischen Spannungen und diejenige des globalen Kräfteverhältnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie.
Es gibt einen roten Faden, der diese Meinungsverschiedenheiten verbindet: Er betrifft die Frage des Zerfalls. Obwohl die gesamte Organisation sich auf die gleiche Analyse des Zerfalls beruft, den wir als die letzte Phase des dekadenten Kapitalismus betrachten, treten bei der Anwendung dieses Rahmens auf die gegenwärtige Lage unterschiedliche Auslegungen zutage.
Worüber wir uns alle einig sind, ist, dass diese Endphase durch die Unfähigkeit jeder der beiden Hauptklassen der kapitalistischen Gesellschaft, ihre diametral entgegengesetzten Lösungen für die Krise des dekadenten Kapitalismus durchzusetzen, nicht nur eingeleitet wurde, sondern eben darin ihre tiefsten Wurzeln hat: Für die Bourgeoisie wäre die Lösung der allgemeine Krieg/Weltkrieg, für das Proletariat die Weltrevolution.
Aber aus der Sicht der gegenwärtigen Position der Organisation scheint es eine zweite wesentliche Ursache und Charakteristik dieser Endphase zu geben: die Tendenz des Jeder-gegen-jeden: zwischen Staaten, innerhalb der herrschenden Klasse, sowie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt. Auf dieser Grundlage neigt die IKS in Bezug auf den Imperialismus gegenwärtig dazu, die Tendenz zur Bipolarität (und damit zur möglichen Wiederherstellung der imperialistischen Blöcke) und damit die wachsende Gefahr militärischer Konfrontationen zwischen den Großmächten zu unterschätzen. Auf derselben Grundlage neigt die IKS heute dazu, was das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen betrifft, den Ernst des gegenwärtigen Verlustes der revolutionären Perspektive des Proletariats zu unterschätzen, wobei dies dazu führt zu meinen, dass das Proletariat seine Klassenidentität im Wesentlichen durch defensive Arbeiterkämpfe wiedererlangen und damit beginnen könne, eine revolutionäre Perspektive zurückzuerobern.
Ich für meinen Teil stimme zwar zu, dass das Jeder-gegen-jeden der Bourgeoisie ein sehr wichtiges Merkmal des Zerfalls ist (es spielte eine enorme Rolle bei der Einleitung dieser Endphase mit dem Zerfall der imperialistischen Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut worden war), aber ich stimme nicht überein mit der Behauptung, dass sie eine ihrer Hauptursachen sei.
Im Gegenteil: Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Sackgasse zwischen den beiden Hauptklassen aufgrund ihrer Unfähigkeit, ihre eigene Klassenperspektive durchzusetzen, die wesentliche Ursache ist – und nicht das Jeder-gegen-jeden.
Für mich entfernt sich die IKS von unserer ursprünglichen Position zum Zerfall, indem sie dem Jeder-gegen-jeden eine ähnliche kausale Bedeutung beimisst wie dem Fehlen einer Perspektive. So wie ich es verstehe, bewegt sich die Organisation auf die Position zu, dass es mit dem Eintritt in den gesellschaftlichen Zerfall einen neuen Faktor gebe, der in früheren Phasen des dekadenten Kapitalismus noch nicht existiert habe. Dieser Faktor sei die Vorherrschaft des Jeder-gegen-jeden, der zentrifugalen Kräfte, während vor dem Zerfall die Tendenz zur Blockdisziplin, die zentripetalen Kräfte, die Oberhand zu gewinnen gepflegt hätten. Für mich gibt es im Gegensatz dazu in der Phase des Zerfalls keine gewichtige Tendenz, die es nicht schon vorher in der Zeit der Dekadenz gegeben hätte. Die neue Qualität der Zerfallssphase besteht darin, dass alle bereits bestehenden Widersprüche bis zum Äußersten verschärft werden. Das gilt für die Tendenz eines Jeder-gegen-jeden, die sich unter dem Zerfall ebenfalls bis zum Äußersten verschärft. Aber auch die Tendenz zu Kriegen zwischen führenden Mächten wird verschärft, ebenso wie alle Spannungen im Zusammenhang mit der Tendenz zu neuen Blöcken, den Versuchen der Vereinigten Staaten, neue Herausforderer niederzuschlagen, usw.
1. Die Divergenzen über den Imperialismus
Aus diesem Grund habe ich den folgenden Änderungsantrag zu Punkt 15 der Resolution eingereicht, in dem ich an das Fortbestehen der imperialistischen Bipolarität (die Entwicklung einer Hauptrivalität zwischen zwei führenden Mächten) und die Gefahren, die dies für die Zukunft der Menschheit darstellt, erinnerte:
"Während der Zeit der Militärblöcke nach 1945 standen hauptsächlich zwei Arten von Krieg auf der Tagesordnung:
- ein möglicher Dritter Weltkrieg, der wahrscheinlich zur Vernichtung der Menschheit geführt hätte,
- lokale Stellvertreter-Kriege, die mehr oder weniger gut von den beiden Blockführern kontrolliert werden.
Obwohl der Dritte Weltkrieg derzeit nicht auf der Tagesordnung steht, bedeutet dies nicht, dass die Tendenz zur Bipolarität der imperialistischen Antagonismen verschwunden ist. Der Aufstieg und die Expansion Chinas, ein Land, das derzeit in der Lage sein könnte, die Vereinigten Staaten herauszufordern, ist gegenwärtig der Hauptausdruck dieser (im Moment noch eindeutig sekundären) Tendenz zur Bildung neuer Blöcke.
Was das Phänomen der lokalen Kriege anbelangt, so sind sie natürlich auch ohne Existenz von Blöcken unvermindert weitergeführt worden, haben aber angesichts der Zahl der beteiligten regionalen und Großmächte und des Ausmaßes der Zerstörung und des Chaos, das sie verursachen, eine viel stärkere Tendenz, außer Kontrolle zu geraten. In diesem Zusammenhang ist die Gefahr des Einsatzes von Atombomben und anderen Massenvernichtungswaffen sowie von direkten militärischen Zusammenstößen auch zwischen den Großmächten selbst größer als zuvor."
Die Ablehnung dieses Änderungsantrags durch den Kongress spricht für sich selbst. Wir wenden uns ab von dem, was in den kommenden Jahren als einzelne wohl die wichtigste Gefahr eines Krieges zwischen Großmächten sein wird: dass nämlich die Vereinigten Staaten ihre immer noch bestehende militärische Überlegenheit gegenüber China nutzen werden, um den Aufstieg Chinas zu stoppen. Mit anderen Worten, die Gefahr besteht gegenwärtig in der Tat nicht in einem Weltkrieg zwischen zwei imperialistischen Blöcken, sondern in militärischen Abenteuern, die darauf abzielen, den bestehenden imperialistischen Status quo entweder in Frage zu stellen oder zu verteidigen. Diese militärischen Abenteuer könnten sich durchaus zu einem unkontrollierbaren globalen Flächenbrand entwickeln, der sich von denen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhundert deutlich unterscheiden würde. Die heutige chinesisch-amerikanische Rivalität ähnelt der zur Zeit des Ersten Weltkriegs zwischen dem aufstrebenden Herausforderer Deutschland und der bestehenden Weltmacht Großbritannien. Der letztgenannte Konflikt führte zum Niedergang beider. Aber dies geschah im europäischen Maßstab, während er sich heute im Weltmaßstab abspielt, so dass es keine dritte Partei (wie Amerika in den beiden Weltkriegen) mehr gibt, die darauf wartet, von außen einzugreifen, um die Vorteile zu nutzen. Heute wird das "No future" höchstwahrscheinlich für alle zutreffen. Weit davon entfernt, in Widerspruch zu unserer Theorie des Zerfalls zu stehen, bestätigen gerade die gegenwärtigen Konflikte zwischen den aufstrebenden Großmächten sie in schlagender Weise.
In einer Antwort auf unserer Website auf eine Kritik eines IKS-Sympathisanten (Mark Hayes) an diesem Teil der Resolution des 23. Kongresses, worin wir bekräftigten, dass "Militarismus und imperialistischer Krieg nach wie vor grundlegende Merkmale dieser letzten Phase der Dekadenz sind", fügten wir hinzu: "…selbst dann, wenn die imperialistischen Blöcke verschwunden sind und sich wahrscheinlich nicht wieder formieren werden". In der gleichen Antwort argumentieren wir: "Der Brennpunkt richtet sich auf lokale und regionale Kriege, auf ihre Ausbreitung bis in die Zentren des Kapitalismus durch die Verbreitung des Terrorismus, zusammen mit der wachsenden ökologischen Katastrophe und der allgemeinen Verwesung“. Regionale Kriege, die Ausbreitung des Terrorismus, ökologische Katastrophen: ja! Aber warum schließen wir aus dieser Perspektive die Gefahr militärischer Zusammenstöße zwischen den Großmächten so grundsätzlich aus? Und warum betonen wir, dass sich wahrscheinlich keine imperialistischen Blöcke mehr bilden werden? Tatsächlich neigen wir dazu zu vergessen, dass das Jeder-gegen-jeden nur der eine Pol eines Widerspruchs ist, dessen anderer Pol die Tendenz zur Bipolarität und zu imperialistischen Blöcken ist.
Die Tendenz des Jeden gegen jeden und die Tendenz zur Bipolarität existieren beide permanent und gleichzeitig im dekadenten Kapitalismus.
Die allgemeine Tendenz geht dahin, dass das eine die Oberhand über das andere gewinnt, so dass das eine hauptursächlich und das andere sekundär ist. Aber keines von beiden verschwindet jemals. Sogar auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges (als die Welt in zwei Blöcke geteilt war, die über Jahrzehnte stabil blieben) verschwand die Tendenz des Jeder-gegen-jeden nie ganz (so gab es militärische Konfrontationen zwischen Mitgliedern desselben Blocks auf beiden sich befehdenden Seiten). Selbst auf dem Höhepunkt des Jeder-gegen-jeden und der überwältigenden Überlegenheit der Vereinigten Staaten (nach 1989) verschwand die Tendenz zu Blöcken nie ganz (siehe z.B. die Balkan- und Osteuropapolitik Deutschlands nach seiner Vereinigung). Außerdem kann die Vorherrschaft der einen Tendenz schnell in diejenige der anderen übergehen, da sie sich nicht gegenseitig ausschließen. So verwandelte sich beispielsweise das imperialistische Jeder-gegen-jeden in den 1920er Jahren (das nur durch die Angst vor der proletarischen Revolution abgeschwächt wurde) in die Blockkonstellation des Zweiten Weltkriegs. Die Bipolarität der Nachkriegszeit verwandelte sich 1989 schnell in eine beispiellose Jeder-gegen-jeden-Konstellation. All dies ist nicht neu. Es ist die Position, die die IKS immer verteidigt hat.
Das Haupthindernis für die Tendenz zur imperialistischen Bipolarität im dekadenten Kapitalismus ist nicht ein Jeder-gegen-jeden, sondern das Fehlen eines Kandidaten, der stark genug ist, um eine globale Herausforderung an die Führungsmacht zu stellen. Dies war nach 1989 der Fall. Die Verstärkung der bipolaren Tendenz in den letzten Jahren ist daher vor allem das Ergebnis des Aufstiegs Chinas.
Auf dieser Ebene haben wir ein Problem der Aneignung unserer eigenen Position. Wenn wir der Meinung sind, dass „jeder gegen jeden“ eine Hauptursache für den Zerfall ist, dann scheint schon der Gedanke daran, dass der entgegengesetzte Pol, der der Bipolarität, gegenwärtig wieder an Stärke gewinnt und eines Tages sogar die Oberhand gewinnen könnte, zwangsläufig eine Infragestellung unserer Position zum Zerfall zu sein. Es stimmt zwar, dass um 1989 herum der Zerfall des Ostblocks (der sein westliches Gegenstück überflüssig machte) die Phase des Zerfalls einleitete und den größten Ausbruch der Haltung „jeder gegen jeden“ in der modernen Geschichte auslöste. Aber dieses Jeder-gegen-jeden war das Ergebnis, nicht die Ursache tiefer liegender Entwicklungen: der Pattsituation zwischen den Klassen. Im Mittelpunkt dieser Entwicklungen stand der Verlust der Perspektive, das alles beherrschende "No future", das diese Endphase kennzeichnet. In jüngerer Zeit ist die gegenwärtige Welle des politischen Populismus eine weitere Manifestation dieser grundlegenden Perspektivlosigkeit der gesamten herrschenden Klasse. Aus diesem Grund habe ich folgende Änderung zu Punkt 4 der Resolution vorgeschlagen:
"Der zeitgenössische Populismus ist ein weiteres deutliches Zeichen für eine Gesellschaft, die auf einen Krieg zusteuert:
- der Aufstieg des Populismus selbst ist nicht zuletzt ein Produkt der wachsenden Aggressivität und der Zerstörungsimpulse, die von der heutigen bürgerlichen Gesellschaft ausgehen.
- Da jedoch diese "spontane" Aggressivität an sich nicht ausreicht, um die Gesellschaft für den Krieg zu mobilisieren, bedarf es dazu heutiger populistischer Bewegungen der herrschenden Klasse.
Mit anderen Worten, die populistischen Bewegungen sind gleichzeitig ein Symptom und ein aktiver Faktor für den Drang zum Krieg".
Auch dieser Änderungsantrag wurde vom Kongress abgelehnt. Hier die Worte der Änderungskommission:
"Wir sind nicht gegen die Tatsache, dass Populismus Teil eines wachsenden Klimas der Gewalt in der Gesellschaft ist, aber wir denken, dass es eine unterschiedliche Auffassung über den Marsch in den Krieg gibt, die nicht dem allgemeinen Ansatz der Resolution entspricht.“ Das trifft genau zu. Die Absicht des Änderungsantrags bestand gerade darin, die Resolution in diesem Punkt zu ändern, ja zu korrigieren. (Die Änderungskommission gab übrigens dasselbe Argument für ihre Ablehnung des Änderungsantrags zu Punkt 15 an, siehe oben). Der Änderungsantrag wollte nicht nur die Alarmglocken angesichts der wachsenden Kriegsgefahr läuten lassen, sondern auch zeigen, dass die besondere Irrationalität des Populismus nur ein Teil der Irrationalität der bürgerlichen Klasse insgesamt ist. Diese Irrationalität ist bereits ein Hauptmerkmal des dekadenten Kapitalismus, und zwar lange vor seinem Zerfall: Es gab schon lange die Tendenz wachsender Teile der herrschenden Klasse, in einer Weise zu handeln, die ihren eigenen Interessen schadet. So gingen alle europäischen Großmächte geschwächt aus dem Ersten Weltkrieg hervor, und die Herausforderung, die Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg an den Rest der Welt stellten, hatte bereits etwas von einem selbstmörderischen Amoklauf. Aber diese Tendenz war noch nicht überall vorherrschend. Vor allem die Vereinigten Staaten profitierten sowohl wirtschaftlich als auch militärisch von ihrer Teilnahme an beiden Weltkriegen. Und man könnte sogar argumentieren, dass sich für den Westblock der Kalte Krieg als in einer gewissen Hinsicht rational erwies, da seine Politik der militärischen Eindämmung und wirtschaftlichen Strangulierung zum Zusammenbruch seines östlichen Gegenstücks ohne einen Weltkrieg beitrug. Im Gegensatz dazu steht in der Phase des Zerfalls die Weltmacht selbst, die Vereinigten Staaten, an der Spitze des Chaos, des Amoklaufes, und es ist schwer vorstellbar, wie jemand von den Kriegen zwischen den USA und China profitieren könnte. Irrationalität und "No future" sind die beiden Seiten ein und derselben Medaille, einer Haupttendenz des dekadenten Kapitalismus. Wenn in diesem Zusammenhang einige der populistischen Strömungen im kontinentalen Westeuropa jetzt dafür plädieren, in Zukunft bevorzugt Geschäfte mit Russland oder China zu machen und bereit sind, mit ihren bevorzugten "angelsächsischen" Feinden (den Vereinigten Staaten und Großbritannien) zu brechen, ist dies eindeutig ein Ausdruck von "No future". Aber im Widerstand dagegen zeigt sich die Rationalität von Leuten wie Angela Merkel in der Erkenntnis, dass Deutschland, wenn sich die Polarisierung zwischen Amerika und China weiter wie bisher zuspitzt, keine andere Wahl hätte, als sich auf die Seite der USA zu stellen, in dem Wissen, dass es unter keinen Umständen zulassen würde, dass Europa unter die "asiatische" Vorherrschaft gerät.
2. Die Divergenzen über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen
Wenn man zu dem Teil der Resolution über den Klassenkampf übergeht, wird im Grunde die gleiche Divergenz über die Anwendung des Begriffs des Zerfalls deutlich. Ein wesentlicher Teil der Resolution ist Punkt 5, da er sich mit den Problemen des Klassenkampfes in den 1980er Jahren befasst – dem Jahrzehnt, an dessen Ende die Phase des Zerfalls beginnt. Der Punkt fasst die Lehren dieses Jahrzehnts zusammen und kommt zu folgendem Schluss: "Aber noch schlimmer ist, dass die Bourgeoisie und ihre dressierten Gewerkschaften mit dieser Strategie, die Arbeiter*innen zu spalten und das Jeder-gegen-jeden zu fördern, in der Lage waren, die Niederlagen des Proletariats als Siege darzustellen.
Die Revolutionäre dürfen den Machiavellismus der Bourgeoisie bei der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen nicht unterschätzen. Dieser Machiavellismus kann nur mit der Verschärfung der Angriffe auf die ausgebeutete Klasse fortgesetzt werden. Die Stagnation des Klassenkampfes, dann sein Rückzug Ende der 80er Jahre, resultierte aus der Fähigkeit der herrschenden Klasse, bestimmte Erscheinungsformen des Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere die Tendenz des Jeder-gegen-jeden, gegen die Arbeiterklasse zu wenden."
Punkt 5 unterstreicht zu Recht die Bedeutung der negativen Auswirkungen des Jeder-für-sich auf die damaligen Kämpfe der Arbeiter. Es ist auch richtig, den Machiavellismus der herrschenden Klasse bei der Förderung dieser Mentalität hervorzuheben. Auffallend ist jedoch, dass das Problem der Perspektivlosigkeit in dieser Analyse der Schwierigkeiten des Klassenkampfes nicht auftaucht. Was umso bemerkenswerter ist, wo doch die 1980er Jahre als das „No-future“-Jahrzehnt in die Geschichte eingegangen sind. Es ist die gleiche Herangehensweise, die wir bereits beim Imperialismus vorgefunden haben. Die Ereignisse werden vor allem aus dem Blickwinkel eines Jeder-gegen-jeden analysiert, auf Kosten des Problems der Perspektivlosigkeit. Um dies zu korrigieren, schlug ich folgende Änderung (Ergänzung) vor, die am Ende des Punktes hinzugefügt werden sollte:
"Diese Konfrontationen mit den Gewerkschaften haben jedoch in keiner Weise den Rückschritt auf der Ebene der revolutionären Perspektive umgekehrt oder gar zum Stillstand gebracht. Dies war in den 1980er Jahren noch mehr der Fall als in den 1970er Jahren. Die beiden wichtigsten und massivsten Arbeiterkämpfe des Jahrzehnts (Polen 1980, und der Kampf der britischen Bergarbeiter 1984/85) führten zu einem gesteigerten Ansehen der beteiligten Gewerkschaften".
Der Kongress lehnte diesen Änderungsantrag ab. Das von der Änderungskommission (AC) dafür angeführte Argument war:
"Der Rückschritt in der revolutionären Perspektive begann mit dem Sturz der stalinistischen Regime im Jahr 1989. Polen 1980 hatte nicht die gleichen Merkmale wie der isolierte Kampf der Bergarbeiter in Großbritannien 1984-85. In Polen, einem stalinistischen Land, gab es eine Dynamik des Massenstreiks mit der geographischen Ausdehnung der Bewegung und der Selbstorganisation in souveränen Generalversammlungen (MKS) vor der Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc. Polen 1980 war die letzte Bewegung der zweiten Welle von Kämpfen. Wegen des Verlustes der Errungenschaften müssen wir unsere Analysen der dritten Welle der Kämpfe neu lesen".
Dies hat zumindest das Verdienst, dass es klar ist: Vor 1989 gab es keinen Rückschritt in der revolutionären Perspektive. Aber wie korreliert dies mit unserer Analyse des Zerfalls? Nach dieser Analyse war es die Unfähigkeit der beiden Hauptklassen, ihre eigenen Lösungen voranzubringen, die die Phase des Zerfalls verursachte und sie einleitete. Wenn diese im Jahr 1989 beginnt, muss das, was sie verursacht hat, schon vorher bestanden haben: das Fehlen einer Perspektive – sei es von der Bourgeoisie oder vom Proletariat. Die Änderungskommission, aber auch Punkt 5 der Resolution selbst führen Polen als Beweis dafür an, dass es vor 1989 keinen Rückschritt in der Perspektive gegeben habe. Aber, wenn überhaupt, beweist Polen das Gegenteil. Die erste Welle der Kämpfe einer neuen und unbesiegten Generation des Proletariats, beginnend 1968 in Frankreich und 1969 in Italien, brachte eine neue Generation revolutionärer Minderheiten hervor. Die IKS selbst ist ein Produkt dieses Prozesses. Im Gegensatz dazu hat die Welle der Kämpfe der späten 1970er Jahre, die im Massenstreik 1980 in Polen gipfelte, nichts dergleichen hervorgebracht. Und was in den 1980er Jahren folgte, war eine Krise, die das gesamte damals existierende politische proletarische Milieu in Mitleidenschaft zog. Keiner der großen Arbeiterkämpfe der 1980er Jahre brachte weder einen politischen Elan in der Klasse als Ganzes noch einen revolutionären Elan bei ihren revolutionären Minderheiten hervor, der mit dem des vorangegangenen Jahrzehnts vergleichbar gewesen wäre. Dies ignorierend, stellt die Resolution die Dinge so dar, als sei das Jeder-für-sich die Hauptschwäche, fein säuberlich getrennt von der Frage der Perspektive. Diese Herangehensweise des Kongresses wird auch durch die Ablehnung einer weiteren Änderungsformulierung unterstrichen, die ich gemacht habe und in der es heißt: "Schon vor den welthistorischen Ereignissen von 1989 trat der Klassenkampf auf der Ebene der Kampfbereitschaft auf der Stelle, und in Bezug auf die revolutionäre Perspektive war er sogar rückläufig".
Das Argument der Änderungskommission war: "Dieser Änderungsantrag führt die Idee ein, dass es eine Kontinuität zwischen den Schwierigkeiten des Klassenkampfes in den 1980er Jahren (dem 'Treten auf der Stelle') und dem durch den Zusammenbruch des Ostblocks hervorgerufenen Bruch gab.“ Also gibt es keine "Kontinuität"? Man kann natürlich so argumentieren. Aber hat dies etwas damit zu tun, dass wir das Patt zwischen den Klassen als Ursache für den Zerfall analysiert haben? 1989 war in der Tat ein Bruch, aber einer mit einer Vorgeschichte sowohl des Klassenkampfes als auch des imperialistischen Kampfes. Obwohl diese Vorstellung des Jeder-für-sich als zentral für den Zerfall, etwa auf der gleichen Stufe wie das Fehlen einer Perspektive, nicht (oder noch nicht?) die offizielle Position der Organisation ist, würde ich argumentieren, dass sie zumindest implizit in der Argumentation dieser Resolution enthalten ist.
In Punkt 6 der Resolution werden die Ereignisse um 1989 und ihr Zusammenhang mit dem Klassenkampf so behandelt:
"Als sich die dritte Welle von Kämpfen in den späten 1980er Jahren zu erschöpfen begann, erfuhr die Dynamik des Klassenkampfes durch den spektakulären Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime im Jahr 1989 einen brutalen Schlag und veränderte damit das Kräfteverhältnis zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie zugunsten der letzteren erheblich. Dieses Ereignis kündigte lautstark den Eintritt des Kapitalismus in die letzte Phase seiner Dekadenz an: die des Zerfalls. Als der Stalinismus zusammenbrach, tat er der Bourgeoisie einen letzten Gefallen. Er erlaubte es der herrschenden Klasse, der Dynamik des Klassenkampfes ein Ende zu setzen, die sich mit Fortschritten und Rückschlägen in zwei Jahrzehnten entwickelt hatte.
Da nicht der Kampf des Proletariats, sondern die Verrottung der kapitalistischen Gesellschaft auf innen heraus dem Stalinismus ein Ende setzte, konnte die Bourgeoisie dieses Ereignis ausnutzen, um eine gigantische ideologische Kampagne zu entfesseln, die darauf abzielte, die größte Lüge der Geschichte fortzusetzen: die Identifikation des Kommunismus mit dem Stalinismus. Damit hat die herrschende Klasse dem Bewusstsein des Proletariats einen äußerst heftigen Schlag versetzt. Die ohrenbetäubenden Kampagnen der Bourgeoisie über den so genannten „Bankrott des Kommunismus“ haben zu einem Rückschritt des Proletariats auf seinem Weg zu seiner historischen Perspektive des Sturzes des Kapitalismus geführt. Sie waren ein großer Schlag gegen seine Klassenidentität".
Hier scheinen die dramatischen Ereignisse von 1989 nichts mit dem globalen Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu tun zu haben. Diese Annahme steht jedoch im Widerspruch nicht nur zu unserer Theorie des Zerfalls, sondern auch zu unserer Theorie des Historischen Kurses. Der IKS zufolge hätte nach 1968 der Ostblock, der auf den meisten anderen Ebenen immer mehr ins Hintertreffen geraten war, eine militärische Lösung des Kalten Krieges anstreben müssen. Wenn der Warschauer Pakt in Europa mit "konventionellen“ Mitteln der Kriegsführung hätte angreifen wollen (eine Ebene, auf der das Kräfteverhältnis nicht so ungünstig für ihn war), hätte er seine Hoffnungen auf seinen westlichen Feind setzen müssen, dass dieser (aus Furcht vor MAD – "Mutually Assured Destruction" der gegenseitigen Zerstörung) es nicht wagen würde, auf nuklearer Ebene zurückzuschlagen. Doch in den 1970er und 80er Jahren war der Ostblock nicht in der Lage, diese Karte auszuspielen, und einer der Hauptgründe dafür war, dass er sich nicht auf die Zustimmung seiner "eigenen" Arbeiterklasse verlassen konnte. Dies wäre jedoch für die Kriegsführung in einem solchen Ausmaß unerlässlich. Auf dieser Ebene war der Massenstreik 1980 in Polen eine massive Rechtfertigung für unsere Analyse. Sowjetische Truppen, die damals nahe der Grenze in Vorbereitung einer Invasion Polens mobilisiert wurden, meuterten. Die Soldaten weigerten sich, gegen ihre Klassenschwestern und -brüder in Polen zu marschieren. Aber Polen 1980 zeigte nicht nur, dass das Proletariat ein Hindernis für den Weltkrieg war, sondern auch, dass es nicht in der Lage war, über diese Blockade des Gegners hinauszugehen, um seine eigene revolutionäre Alternative voranzubringen. Die Arbeiterklasse im Westen hätte in die Bresche springen müssen. Aber in den 1980er Jahren war sie dazu nicht in der Lage. Damit waren die Weichen für die Pattsituation gestellt, die am Ende des Jahrzehnts die Phase des Zerfalls einleitete. Die Resolution hat völlig recht, dass der Zusammenbruch des Stalinismus 1989 und die maximale Ausnutzung dieses Zusammenbruchs durch die bürgerliche Propaganda der Hauptschlag gegen die Kampfbereitschaft, die Klassenidentität, das Klassenbewusstsein des Proletariats war. Was ich bestreite, ist die Behauptung, dass dies nicht vorher durch die Pattsituation zwischen den Klassen und insbesondere durch die Schwächung der Präsenz der Perspektive auf der Seite des Proletariats vorbereitet wurde. Die Resolution selbst räumt, anscheinend ohne sich dessen bewusst zu sein, die Existenz dieser Verbindung zwischen 1989 und vorher ein, wenn sie schreibt (Punkt 6), dass die Bourgeoisie dieses Ereignis ausnutzen konnte, "da nicht der Kampf des Proletariats, sondern die Verrottung der kapitalistischen Gesellschaft aus innen heraus dem Stalinismus ein Ende setzte".
Die Arbeiterkämpfe der späten 1960er Jahre beendeten die Konterrevolution, nicht nur, weil sie massiv, spontan und oft selbstorganisiert waren, sondern auch, weil sie aus dem ideologischen Würgegriff des Kalten Krieges ausbrachen, als mensch entweder auf der Seite des "Kommunismus" (Ostblock) oder der "Demokratie" (Westblock) stehen musste. Mit dem Arbeiterkampf der 60er Jahre entstand die Idee eines Kampfes gegen die herrschende Klasse in Ost und West, des Marxismus gegen den Stalinismus, einer Revolution mittels Arbeiterräten mit dem Ziel des wirklichen Kommunismus. Dieser ersten Politisierung (wie in der Resolution hervorgehoben wird) wurde von der herrschenden Klasse in den 1970er Jahren erfolgreich entgegengewirkt. Angesichts der darauf folgenden Entpolitisierung bestand in den 1980er Jahren die Hoffnung, dass die wirtschaftlichen Kämpfe, insbesondere die Konfrontation mit den Gewerkschaften, zum Schmelztiegel einer Repolitisierung, vielleicht sogar auf höherer Ebene, werden könnten. Doch obwohl es in den 1980er Jahren tatsächlich massive Kämpfe gab, obwohl es tatsächlich Konfrontationen mit den Gewerkschaften und sogar mit der radikalen Basisgewerkschaft vor allem im Westen, aber z.B. auch in Polen gegen die neue "freie" Gewerkschaft gab, brachten sie nicht die erhoffte Politisierung. Dieses Scheitern wird bereits in unserer Theorie des Zerfalls anerkannt, da sie die neue Phase als eine „ohne Perspektive“ definiert, und genau diese Perspektivlosigkeit ist die Ursache für die Pattsituation. Proletarische Politisierung ist immer politisch in Bezug auf ein Ziel jenseits des Kapitalismus. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Idee einer Art Pattsituation zwischen den beiden Hauptklassen für unsere Theorie des Zerfalls sind die Unterschiede in der Bewertung der Kämpfe der 1980er Jahre für die Einschätzung des Klassenkampfes bis heute von besonderer Bedeutung. Der Resolution zufolge entwickelte sich der proletarische Kampf trotz aller Probleme, mit denen er konfrontiert war, grundsätzlich positiv, bis er 1989 durch ein grundlegend äußeres welthistorisches Ereignis in seinen Bahnen gestoppt worden sei. Da die Auswirkungen selbst der überwältigendsten solcher Ereignisse mit der Zeit zwangsläufig nachließen, sollten wir recht zuversichtlich sein, dass die proletarische Klasse in der Lage sei, ihre unterbrochene Reise auf demselben Weg wieder aufzunehmen. Dieser Weg sei der ihrer politischen Radikalisierung durch ihre wirtschaftlichen Kämpfe. Darüber hinaus werde dieser Prozess durch die Vertiefung der Wirtschaftskrise beschleunigt werden, die die Arbeiter zum Kampf zwinge und sie ihre Illusionen verlieren lasse, indem sie ihnen die Augen für die Realität des Kapitalismus öffne. Daher befürwortet die Resolution das Modell der 1980er Jahre als Weg in die Zukunft. Sie bezieht sich auf den Massenstreik von 1980:
"Dieser gigantische Kampf der Arbeiterklasse in Polen hat gezeigt, dass das Proletariat sich gerade im Kampf der Massen gegen wirtschaftliche Angriffe seiner eigenen Stärke bewusst werden, seine Klassenidentität gegen das Kapital bekräftigen und sein Selbstvertrauen entwickeln kann."
Die Resolution denkt vielleicht an diese wirtschaftlichen Kämpfe, wenn sie Punkt 13 mit einem Zitat aus unseren Thesen zum Zerfall abschließt:
"Heute bleiben die historischen Möglichkeiten völlig offen. Trotz des Schlags, der der Bewußtwerdung des Proletariats durch den Zusammenbruch des Ostblocks verabreicht wurde, hat das Proletariat auf seinem Klassenterrain keine große Niederlage erlitten. (...) Aber darüber hinaus, und das ist das Element, das in letzter Instanz die Entwicklung der Weltlage bestimmt, bildet derselbe Faktor, der sich am Anfang der Entwicklung des Zerfalls befindet, den wesentlichen Ansporn für den Kampf und die Bewußtwerdung der Klasse, die eigentliche Bedingung für ihre Fähigkeit, dem ideologischen Gift der gesellschaftlichen Fäulnis zu widerstehen. Denn auch wenn das Proletariat kein Terrain findet, um die Teilkämpfe gegen die Auswirkungen des Zerfalls zu vereinen, bildet sein Kampf gegen die direkten Auswirkungen der Krise die Grundlage für die Weiterentwicklung seiner Klassenstärke und Einheit."
Völlig richtig. Aber der proletarische Kampf gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise hat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische und eine theoretische Dimension. Die wirtschaftliche Dimension ist unabdingbar: Eine Klasse, die nicht in der Lage ist, ihre unmittelbaren Interessen zu verteidigen, wäre niemals in der Lage, eine Revolution durchzuführen. Aber die beiden anderen Dimensionen sind nicht weniger unverzichtbar. Dies gilt heute umso mehr, wo das zentrale Problem die Perspektivlosigkeit ist. Bereits in den 1980er Jahren lag die Hauptschwäche der Klasse nicht auf der Ebene ihrer wirtschaftlichen Kämpfe, sondern auf der politischen und theoretischen Ebene. Ohne eine qualitative Entwicklung auf diesen beiden Ebenen werden die wirtschaftlichen Verteidigungskämpfe zunehmend Schwierigkeiten haben, auf einem proletarischen Terrain der Klassensolidarität zu bleiben. Dies gilt umso mehr, als wir heute ein Stadium erreicht haben, in dem die Entpolitisierung, die bereits in den 1980er Jahren ein so wesentliches Merkmal war, durch verschiedene Versionen einer verfaulten Politisierung wie Populismus und Antipopulismus, Antiglobalisierung, identitäre Ursachen und klassenübergreifende Aufstände ersetzt wird. Auf der Grundlage des Fortschreitens all dieser faulen Politisierungen in den letzten Jahren habe ich auf dem Kongress die folgende Analyse des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen vorgelegt:
"Allerdings gelang es diesen ersten proletarischen Reaktionen nicht, den weltweiten Rückfluss von Kampfbereitschaft, Klassenidentität und Klassenbewusstsein seit 1989 umzukehren. Im Gegenteil. Was wir gegenwärtig erleben, ist nicht nur die Verlängerung, sondern sogar die Vertiefung dieses Rückflusses. Auf der Ebene der Klassenidentität ist die Veränderung des Diskurses der herrschenden Klasse der deutlichste Hinweis auf diesen Rückschritt.
Nach Jahren der Propaganda über ihr angebliches Verschwinden in den alten kapitalistischen Kernlanden ist es heute die populistische Rechte, die die Arbeiterklasse als das "wahre Herz der Nation" (Trump) "wiederentdeckt" und "rehabilitiert" hat."
Und
"Auf der Ebene der revolutionären Perspektive zeigt die Art und Weise, in der selbst die klassischen institutionellen Vertreter der herrschenden Ordnung (wie der Internationale Währungsfonds) den Kapitalismus für den Klimawandel, die Umweltzerstörung oder die wachsende Einkommenskluft zwischen Arm und Reich verantwortlich machen, in welchem Maße die Bourgeoisie als herrschende Klasse im Moment sicher und zuversichtlich in ihrem Sattel sitzt.
Solange der Kapitalismus als Teil (sozusagen zeitgenössischen Form) der 'menschlichen Natur' betrachtet wird, ist dieser antikapitalistische Diskurs, weit davon entfernt, ein Anzeichen für eine Reifung zu sein, vielmehr ist er ein Zeichen für einen weiteren Rückzug des Bewusstseins innerhalb der Klasse."
Der Kongress lehnte diese Analyse der Vertiefung des Rückzugs seit 1989 ab. Er teilte auch nicht meine Sorge, daran zu erinnern, dass die Abwehrkämpfe an sich alles andere als eine Garantie dafür sind, dass die proletarische Sache auf dem richtigen Weg ist:
"Allerdings hängt das Ausmaß, in dem die Wirtschaftskrise der Verbündete der proletarischen Revolution und der Stimulus der Klassenidentität sein kann, von einer Reihe von Faktoren ab, von denen der wichtigste der politische Kontext ist. Während der 1930er Jahre waren selbst die militantesten, radikalsten und massivsten Verteidigungskämpfe (Fabrikbesetzungen in Polen, Arbeitslosenproteste in den Niederlanden, Generalstreiks in Belgien und Frankreich, wilde Streiks in Großbritannien (sogar während des Krieges) und den Vereinigten Staaten und sogar eine Bewegung, die eine aufständische Form annahm (Spanien), nicht in der Lage, den Rückschritt des Bewusstseins innerhalb der Klasse umzukehren. In der gegenwärtigen Phase sind partielle Niederlagen der Klasse, auch auf der Ebene ihres Klassenbewusstseins, alles andere als ausgeschlossen. Sie würden ihrerseits die Rolle der Krise als Verbündeter des Klassenkampfes erschweren.
Aber anders als in den 1920/30er Jahren würden solche Niederlagen nicht zu einer Konterrevolution führen, da ihnen keine Revolution vorausgegangen ist. Das Proletariat wäre immer noch in der Lage, sich von solchen Niederlagen zu erholen, die viel weniger einen endgültigen Charakter haben würden." (Abgelehnter Änderungsantrag, Ende von Punkt 13)
Diese Frage, ob es eine weitere Schwächung des Proletariats auf der Ebene des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen gibt oder nicht, war eine der beiden großen Divergenzen auf dem Kongress in Bezug auf den Klassenkampf. Die andere betraf die unterirdische Reifung, von der die Resolution behauptet, dass sie sich gegenwärtig innerhalb der proletarischen Klasse vollziehe. Damit ist eine noch nicht sichtbare, unterirdische Reifung des Bewusstseins gemeint, der berühmte "alte Maulwurf", auf den sich Marx bezieht. Bei der Divergenz auf dem Kongress ging es nicht um die allgemeine Gültigkeit dieses Begriffs von Marx, den wir alle teilen. Es ging auch nicht darum, ob ein solcher Prozess auch dann stattfinden kann, wenn sich die Kämpfe der Arbeiter auf dem Rückzug befinden – wir alle behaupten, dass er stattfinden kann. Die Frage, die zur Debatte stand, war, ob ein solcher Prozess gerade jetzt stattfindet oder nicht. Das Problem hier ist, dass die Resolution keine empirischen Beweise zur Untermauerung dieser Behauptung liefern kann. Entweder ist ihr Postulat ein Produkt des Wunschdenkens oder aber einer rein deduktiven Logik, nach der das, was nach unserer Analyse stattfinden sollte, auch angenommen werden kann. Die angeführten Beweise sind fadenscheinig: das Fortbestehen revolutionärer Organisationen, das Vorhandensein von Kontakten dieser Organisationen. Obwohl sich der alte Maulwurf im Untergrund vergraben hat, hinterlässt er an der Oberfläche Spuren seines Fleißes. Ich kritisierte die Unzulänglichkeit der in der Resolution gegebenen Hinweise:
"In diesem Sinne gibt uns die qualitative Entwicklung des Klassenbewusstseins durch revolutionäre Minderheiten an sich keinen Hinweis darauf, was gegenwärtig auf der Ebene der unterirdischen Reifung innerhalb der Klasse als Ganzes geschieht – da dies sowohl in einer revolutionären als auch in einer konterrevolutionären Phase geschehen kann, sowohl in Phasen der Entwicklung als auch des Rückflusses der Klasse als Ganzes. Umgekehrt ist das Auftauchen kleiner Minderheiten und junger Elemente auf der Suche nach einer Klassenperspektive und linkskommunistischen Positionen auch in den dunkelsten Stunden der Konterrevolution möglich, denn sie sind in erster Linie Ausdruck des revolutionären Charakters des Proletariats (der nie verschwindet, solange es die Arbeiterklasse noch gibt) – anders wäre es, wenn eine ganz neue Generation von revolutionären Kämpferinnen und Kämpfern auftauchen würde. Aber es ist noch zu früh, um jetzt schon ein Urteil über diese Möglichkeit abzugeben." (Abgelehnter Änderungsantrag)
Und ich habe die folgenden Kriterien vorgeschlagen:
"Es ist per definitionem nicht leicht, eine unterirdische Reifung außerhalb der Zeiten des offenen Kampfes festzustellen: eben schwierig, aber nicht unmöglich. Es gibt zwei Indikatoren für die unterirdischen Aktivitäten des alten Maulwurfs, auf die wir besonders achten sollten:
- die Politisierung breiterer Sektoren der suchenden Elemente der Klasse, wie wir sie in den 1960/70er Jahren erlebt haben;
- die Entwicklung einer Kultur der Theorie und einer Kultur der Debatte (wie sie sich vom Anti-CPE bis zu den Indignados zu äußern begann) als grundlegende Manifestationen des Proletariats als Klasse des Bewusstseins und der Assoziation.
Auf der Grundlage dieser beiden Kriterien besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir uns gegenwärtig in einer Phase der "unterirdischen Regression", des unterirdischen Rückschrittes, befinden (in der der alte Maulwurf eine vorübergehende Pause eingelegt hat), die durch eine erneute Verstärkung des Misstrauens gegenüber politischen Organisationen, durch die erhöhte Anziehungskraft kleinbürgerlicher Politik und durch eine Schwächung der theoretischen Bemühungen und der Debattenkultur gekennzeichnet ist."
Ohne ihr Ziel jenseits des Kapitalismus kann die Arbeiterbewegung ihre Klasseninteressen nicht wirksam verteidigen. Ebenso wenig können die ökonomischen Kämpfe an sich – so unverzichtbar sie auch sind – ausreichen, um das revolutionäre Klassenbewusstsein (einschließlich seiner Dimension der Klassenidentität) wiederzuerlangen. Tatsächlich war in dem Vierteljahrhundert nach 1989 der wichtigste Einzelfaktor des proletarischen Klassenkampfes nicht der der wirtschaftlichen Verteidigungskämpfe, sondern die theoretische und analytische Arbeit der revolutionären Minderheiten. Dies vor allem bei der Entwicklung eines tiefen Verständnisses der bestehenden historischen Situation und einer tiefgreifenden und überzeugenden Rehabilitierung des Rufs des Kommunismus. Dies mag eine seltsame Bewertung sein, wenn man bedenkt, dass die revolutionären Minderheiten nur eine Handvoll Kämpferinnen und Kämpfer sind, verglichen mit den mehreren Milliarden, die das Weltproletariat insgesamt ausmachen. Doch im Laufe der Geschichte haben winzige Minderheiten ohne jegliche Beteiligung der Massen regelmäßig Ideen entwickelt, die in der Lage sind, die Welt zu revolutionieren und schließlich "die Massen zu erobern". Eine der Hauptschwächen des Proletariats in den zwei Jahrzehnten nach 1989 war in der Tat das Versagen seiner Minderheiten, dieses Werk zu vollenden. Die historischen Gruppen der Kommunistischen Linken tragen eine besondere Verantwortung für dieses Scheitern. Als eine neue Generation von politisierten Proletarierinnen und Proletariern auftauchte (wie die Indignados in Spanien oder die verschiedenen Occupy Bewegungen im Gefolge der "Finanz-" und der "Euro"-Krise nach 2008), war das bestehende proletarische politische Milieu nicht in der Lage, sie ausreichend mit den politischen, theoretischen Waffen zu rüsten, die sie gebraucht hätten, um sich zu orientieren und sich inspiriert zu fühlen, sich der Aufgabe zu stellen, den Anfang vom Ende des proletarischen Rückflusses einzuleiten.
Steinklopfer, 24.05.20
Antwort an den Genossen Steinklopfer zu den Resolutionen des 23. IKS-Kongresses zur internationalen Lage
Die Diskussionstexte, die wir hier veröffentlichen, sind das Ergebnis einer internen Debatte innerhalb der IKS über die Bedeutung und die Richtung der historischen Phase im Leben des dekadenten Kapitalismus, die durch den Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks 1989 definitiv eröffnet wurde: die Phase des Zerfalls, die Endphase der kapitalistischen Dekadenz. Einer der Schlüsselgedanken in dem 1991 von uns veröffentlichten Orientierungstext, den Thesen über den Zerfall[1], ist, dass die Geschichte niemals stillsteht: So, wie die Periode der kapitalistischen Dekadenz ihre eigene Geschichte hat, so hat auch die Phase des Zerfalls ihre eigene Geschichte, und es ist für Revolutionäre unerlässlich, die wichtigsten Veränderungen oder Entwicklungen zu analysieren, die sich in ihr vollziehen. Dies ist die Motivation des Textes des Genossen Steinklopfer, dessen Ausgangspunkt die Erkenntnis ist – die zur Zeit einzig die IKS vertritt –, dass wir tatsächlich die Zerfallsphase durchleben und dass ihre Wurzeln in einer sozialen Pattsituation zwischen den beiden großen Klassen der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat, liegen, die beide angesichts einer nunmehr permanenten ökonomischen Krise nicht in der Lage gewesen sind, der Gesellschaft ihre Sichtweise aufzuzwingen: die Bourgeoisie den imperialistischer Weltkrieg, das Proletariat die kommunistische Weltrevolution. Aber im Laufe der Debatte über den Zerfall, die die Entwicklung der imperialistischen Rivalitäten und das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen umfasst, sind Divergenzen aufgetreten, die unserer Meinung nach so weit gereift sind, dass sie nach außen hin publiziert werden können. Unserer Meinung nach neigt die gegenwärtige Position des Genossen Steinklopfer dazu, unser Verständnis von der Bedeutung des Zerfalls zu schwächen, aber das ist etwas, was wir durch eine offene Konfrontation der Ideen nachweisen müssen.
Der Beitrag des Genossen beginnt mit dem Argument, dass die IKS – zumindest implizit, wie er es später formuliert – ihre Position zu den Ursachen des Zerfalls revidiere; dass neben der sozialen Pattsituation eine der Hauptursachen des Zerfalls auch die wachsende Neigung eines Jeder-gegen-jeden sei: "aus der Sicht der gegenwärtigen Position der Organisation scheint es eine zweite wesentliche Ursache und Charakteristik dieser Endphase zu geben: die Tendenz des Jeder-gegen-jeden: zwischen Staaten, innerhalb der herrschenden Klasse, sowie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt".
Die Konsequenz der Hinzufügung dieser zweiten Ursache wird dann zusammengefasst: "Auf dieser Grundlage neigt die IKS in Bezug auf den Imperialismus gegenwärtig dazu, die Tendenz zur Bipolarität (und damit zur möglichen Wiederherstellung der imperialistischen Blöcke) und damit die wachsende Gefahr militärischer Konfrontationen zwischen den Großmächten zu unterschätzen. Auf derselben Grundlage neigt die IKS heute dazu, was das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen betrifft, den Ernst des gegenwärtigen Verlustes der revolutionären Perspektive des Proletariats zu unterschätzen, wobei dies dazu führt zu meinen, dass das Proletariat seine Klassenidentität im Wesentlichen durch defensive Arbeiterkämpfe wiedererlangen und damit beginnen könne, eine revolutionäre Perspektive zurückzuerobern."
Genosse Steinklopfer scheint auch der Meinung zu sein, dass er allein mit seiner Meinung steht, dass es "in der Phase des Zerfalls keine gewichtige Tendenz [gibt], die es nicht schon vorher in der Zeit der Dekadenz gegeben hätte. Die neue Qualität der Zerfallssphase besteht darin, dass alle bereits bestehenden Widersprüche bis zum Äußersten verschärft werden."
Bevor wir auf die Kritik des Genossen an unserer Position zu den imperialistischen Konflikten und zum Stand des Klassenkampfes antworten, halten wir es für notwendig zu sagen, dass seine Beschreibungen des allgemeinen Verständnisses der Organisation bezüglich des Zerfalls nicht zutreffen.
Die Thesen über den Zerfall stellen diese Phase bereits „als das Ergebnis, als die Synthese aller Widersprüche und Manifestationen der kapitalistischen Dekadenz" dar: Wir können hinzufügen, dass sie auch das "Ergebnis" einiger Schlüsselmerkmale der Existenz des Kapitalismus von Anfang an ist, wie z.B. der Tendenz zur sozialen Atomisierung, auf die z.B. Engels in seinen Bedingungen der englischen Arbeiterklasse von 1844 hingewiesen hat.
Bereits 1919 stellte die Kommunistische Internationale auf ihrem Ersten Kongress dies fest:
"Der Menschheit, deren ganze Kultur jetzt in Trümmern liegt, droht die Gefahr vollständiger Vernichtung. Es gibt nur eine Kraft, die sie retten kann, und diese Kraft ist das Proletariat. Die alte kapitalistische ‚Ordnung‘ existiert nicht mehr, sie kann nicht mehr bestehen. Das Endresultat der kapitalistischen Produktionsweise ist das Chaos. Und dieses Chaos kann nur die größte, produktive Klasse überwinden: die Arbeiterklasse.“[2]
Und in der Tat war dieses Urteil völlig gerechtfertigt, wenn wir den Zustand der zentralen Länder des Kapitalismus nach dem Ersten Weltkrieg betrachten: Millionen von Leichen, Millionen von Flüchtlingen, wirtschaftlicher Zusammenbruch und Hunger – und eine tödliche Pandemie. Ein ähnlicher Alptraum suchte Europa und weite Teile der Welt unmittelbar nach dem zweiten imperialistischen Krieg heim. Aber wenn wir die Situation des Kapitalismus für den größten Teil des Zeitraums zwischen 1914 und 1989 betrachten, können wir feststellen, dass die Tendenz zum völligen Chaos weitgehend durch die Fähigkeit der herrschenden Klasse, der Gesellschaft ihre Lösungen und Perspektiven aufzuzwingen, im Zaum gehalten wurde (auch wenn sie, wie Genosse Steinklopfer ebenfalls einräumt, nie ganz verschwindet): der Drang zum Krieg in den 1930er Jahren, die Zerstückelung des Planeten nach 1945 und die Bildung von Blöcken, eine lange Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs. Mit der lang anhaltenden Wirtschaftskrise seit Ende der 1960er Jahre und der wachsenden Pattsituation zwischen den Klassen wird die Tendenz zur Fragmentierung und zum Chaos auf allen Ebenen so weit entfesselt, dass sie eine neue Qualität annimmt.
Entgegen der Behauptung des Genossen Steinklopfer schließen wir daraus nicht, dass sie rückwirkend zu einer "Ursache" des Zerfalls geworden ist, aber sie wird mit Sicherheit zu einem aktiven Faktor ihrer Beschleunigung. Es ist dieses Verständnis der in der Phase des Zerfalls wirkenden qualitativen Veränderung, das unserer Meinung nach im Text des Genossen Steinklopfer fehlt.
Wir wollen auch festhalten, dass die Anzeichen der Dekadenz schon vor dem Ersten Weltkrieg immer deutlicher wurden (Staatskapitalismus, Korruption der Gewerkschaften, Wettrüsten zwischen den Großmächten...); und so hat auch die IKS die Anzeichen des Zerfalls bereits vor 1989 festgestellt: der Sieg der Mullahs im Iran, die Pariser Terroranschläge von 1986, der Krieg im Libanon und die Schwierigkeiten des Klassenkampfes, von denen weiter unten mehr zu lesen ist. Der Zusammenbruch des Ostblocks war also keineswegs ein Blitz aus heiterem Himmel, sondern das Produkt einer langen vorherigen Entwicklung.
Die Divergenz über die imperialistischen Gegensätze
Was die konkreten Unterschiede auf der Ebene der imperialistischen Antagonismen betrifft, so haben wir die Bedeutung des Aufstiegs Chinas sicherlich erst spät verstanden, aber in den letzten Jahren haben wir diesen Faktor eindeutig in unsere Analyse sowohl der globalen imperialistischen Rivalitäten als auch der Entwicklung der Weltwirtschaftskrise integriert.
Wir lehnen die Idee nicht ab, dass selbst in einer Welt, die auf imperialistischer Ebene von einem Jeder-für-sich dominiert wird, eine eindeutige Tendenz zur "Bipolarisierung" zu erkennen ist, d.h. dass die Rivalitäten zwischen den beiden mächtigsten Staaten zu einem Hauptfaktor der Weltsituation werden. Dies war in der Tat immer unsere Position, wie wir aus dem Orientierungstext über Militarismus und Zerfall ersehen können, der zu Beginn der neuen Phase verfasst wurde und in dem wir bekräftigten, dass "die gegenwärtige Lage unter dem Druck der Krise und der Zuspitzung der imperialistischen Spannungen die Tendenz zur Bildung von zwei neuen imperialistischen Blöcken in sich" birgt[3]. Wir haben sodann die Möglichkeit geprüft, inwieweit andere Mächte (Deutschland, Russland, Japan ...) die USA herausfordern und sich für die Rolle eines neuen Blockführers bewerben könnten. Unserer Ansicht nach verfügte zu diesem Zeitpunkt keiner der genannten Kandidaten über die notwendigen "Qualifikationen", um diese Rolle zu spielen, und wir kamen zu dem Schluss, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass neue imperialistische Blöcke nie wieder gebildet werden, wobei wir darauf bestanden, dass dies keineswegs eine Abschwächung der imperialistischen Konflikte bedeutete. Im Gegenteil, diese Konflikte würden sich in Form einer immer chaotischeren Freiheit für alle manifestieren und in vielerlei Hinsicht eine gefährlichere Bedrohung für die Menschheit darstellen als in der vorangegangenen Periode, in der nationale oder regionale Konflikte bis zu einem gewissen Grad durch die Disziplin der Blöcke eingedämmt wurden. Wir denken, dass sich diese Prognose weitgehend bestätigt hat, wie wir am deutlichsten an den gegenwärtigen vielschichtigen Konflikten in Syrien und Libyen sehen können.
Natürlich unterschätzten wir in diesem Stadium, wie wir bereits gesagt haben, die Möglichkeit, dass sich China zu einer großen Weltmacht und zu einem ernsthaften Konkurrenten der USA entwickeln könnte. Aber der Aufstieg Chinas ist selbst ein Produkt der Phase des Zerfalls[4], und obwohl er einen eindeutigen Beweis für die Tendenz zur Bipolarisierung liefert, besteht ein großer Unterschied zwischen der Entwicklung dieser Tendenz und einem konkreten Prozess, der zur Bildung neuer Blöcke führt. Betrachtet man die beiden großen Pole, so wird dieser Prozess durch die zunehmend aggressive Haltung der beiden eher untergraben als verstärkt. China schlägt von allen seinen Nachbarn tiefstes Misstrauen entgegen, nicht zuletzt von Russland, das sich in Fragen unmittelbarer Interessen (wie dem Krieg in Syrien) oft mit China verbündet, aber Angst davor hat, sich China aufgrund dessen wirtschaftlicher Stärke unterzuordnen, und einer der schärfsten Gegner der "Seidenstraßen"-Initiative Pekings ist. Amerika ist inzwischen eifrig dabei, fast alle alten Blockstrukturen abzubauen, mit denen es zuvor seine "Neue Weltordnung" bewahrt hatte und widersteht so dem Abgleiten in Richtung "jeder für sich" in den internationalen Beziehungen. Es behandelt seine Verbündeten in der NATO mehr und mehr als Feinde, und im Allgemeinen ist es – wie Genosse Steinklopfer selbst ganz entschieden feststellt – zu einem der Hauptfaktoren geworden, die den chaotischen Charakter der heutigen imperialistischen Beziehungen noch verschlimmern.
In dieser Situation spiegelt die Gefahr eines Krieges diesen Prozess der Zersplitterung wider. Sicherlich können wir die Möglichkeit militärischer Zusammenstöße zwischen den USA und China nicht ausschließen, aber wir können auch nicht ausschließen, dass es immer irrationalere Ausbrüche gibt, die Indien gegen Pakistan, Israel gegen den Iran, Iran gegen Saudi-Arabien usw. in den Strudel ziehen. Aber genau das ist der Inhalt und die schreckliche Bedrohung eines Jeder-für-sich als Faktor, der den Zerfall verschlimmert und die Zukunft der Menschheit selbst gefährdet. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass diese Tendenz gegenüber der Tendenz zur Neubildung von Blöcken nicht nur weit vorrangig ist, sondern in direktem Widerspruch zu ihr steht.
Die Divergenz über den Klassenkampf
Wie wir gesehen haben, behauptet Genosse Steinklopfer, dass sich die Resolution über das Kräfteverhältnis vom 23. Kongress nicht mehr mit dem Problem der revolutionären Perspektive befasst und dass dieser Faktor aus unserem Verständnis der Ursachen (und Folgen) des Zerfalls verschwunden sei. Tatsächlich steht aber die Frage der Politisierung des Klassenkampfes und der Bemühungen der Bourgeoisie, seine Entwicklung zu verhindern, im Mittelpunkt der Resolution. Die Tonlage ist bereits in Punkt 1 der Resolution angestimmt, in dem von der Wiederbelebung des Klassenkampfes Ende der 60er Jahre und dem Wiederauftauchen einer neuen Generation von Revolutionären die Rede ist: "Angesichts einer Dynamik, die zu einer Politisierung der Arbeiterkämpfe führte, entwickelte die Bourgeoisie (die von der Bewegung vom Mai 1968 überrascht worden war) sofort eine groß angelegte und langfristige Gegenoffensive, um zu verhindern, dass die Arbeiterklasse ihre eigene Antwort auf die historische Krise der kapitalistischen Wirtschaft gibt: die proletarische Revolution." Mit anderen Worten: Für die Arbeiterklasse bedeutet Politisierung im Wesentlichen, die Frage der Revolution zu stellen: Dies ist genau die gleiche Frage wie die der "revolutionären Perspektive". Und die Resolution zeigt weiter auf, wie die herrschende Klasse angesichts der Wellen des Klassenkampfes in der Zeit zwischen 1968 und 1989 all ihre Ressourcen und Mystifikationen eingesetzt hat, um die Arbeiterklasse an der Entwicklung dieser Perspektive zu hindern.
Was die Frage der Kämpfe in Polen betrifft, die eine zentrale Rolle in Genosse Steinklopfers Argumentation spielen: Es gibt keinen Dissens zwischen uns darüber, dass Polen 1980 ein Schlüsselmoment in der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen in der Periode war, die durch die Ereignisse vom Mai 1968 in Frankreich eröffnet wurde. Der Genosse hat Recht, wenn er sagt, dass im Gegensatz zum Mai 68 und der darauffolgenden internationalen Welle von Klassenbewegungen, deren Epizentrum in Westeuropa lag, die Kämpfe in Polen keine ganz neue Generation von politisierten Elementen hervorbrachten, von denen einige (ab 68) den Weg zu den Positionen der kommunistischen Linken fanden. Aber sie stellten die Weltarbeiterklasse dennoch vor eine tiefgreifende Herausforderung: die Frage des Massenstreiks, der autonomen Organisation und der Vereinigung der Arbeiter als Macht in der Gesellschaft. Die polnischen Arbeiter haben sich auf dieses Niveau erhoben, auch wenn sie den Sirenengesängen des Gewerkschaftswesens und der Demokratie auf politischer Ebene nicht widerstehen konnten. Die Frage wurde, wie wir damals sagten, in Anlehnung an Luxemburg über die russische Revolution, in Polen gestellt, konnte aber nur international und vor allem von den politisch fortgeschrittenen Bataillonen der Klasse in Westeuropa gelöst werden. Würden die Arbeiter des Westens den Fehdehandschuh aufgreifen und sowohl die Selbstorganisation als auch die Vereinigung im Kampf im Zusammenhang mit der Perspektive einer neuen Gesellschaft entwickeln? Die IKS hat Anfang der 80er Jahre durch eine Reihe von Texten zur Bewertung dieses Potenzials beigetragen[5].
Genauer gefragt: Würde die neue Welle von Kämpfen, die 1983 in Belgien begann, den Fehdehandschuh aufnehmen können? Während die IKS viele wichtige Fortschritte in dieser Welle von Kämpfen feststellte (z.B. die Tendenzen zur Selbstorganisation und die Konfrontation mit den Basisgewerkschaften in Frankreich und Italien), wurde dieser entscheidende Schritt der Politisierung nicht gegangen, und die dritte Welle geriet in Schwierigkeiten. Auf dem 8. Kongress der IKS 1988 gab es eine lebhafte Debatte zwischen den Genoss*innen, die der Meinung waren, dass die dritte Welle unaufhaltsam voranschreite und einer damaligen Minderheit, die betonte, dass die Arbeiterklasse bereits unter den Auswirkungen des Zerfalls in Form von Atomisierung, Verlust der Klassenidentität, der Ideologie des Jeder-für-sich in Form des Korporatismus usw. leide, unter Auswirkungen, die alle das Ergebnis der Unfähigkeit der Klasse waren, eine Perspektive für die Zukunft der Gesellschaft zu entwickeln. Somit – und hier müssen wir uns mit einer Formulierung der Änderungskommission für die Klassenkampfresolution des 23. Kongresses auseinandersetzen, auf die sich Genosse Steinklopfer in seinem Text bezieht – gibt es in der Tat eine Kontinuität zwischen den Schwierigkeiten der Klasse in den 80er Jahren (dem Einfluss des Zerfalls) und dem Rückzug der Zeit nach 1989 (wo wir einen enormen Rückschritt sowohl auf der Ebene des Bewusstseins als auch auf der Ebene der Kampfbereitschaft gesehen haben). Aber unserer Ansicht nach unterschätzt Genosse Steinklopfer auch hier wieder die qualitative Veränderung, die die Ereignisse von 1989 mit sich brachten. Sie hatten den Anschein, bildlich vom Himmel auf die Arbeiterklasse zu fallen, auch wenn sie in Wirklichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft schon lange gegärt hatten. Sie brachten einen Rückzug des Klassenbewusstseins und der Kampfbereitschaft mit sich, der sich als viel tiefer und dauerhafter herausstellte, als wir vermutet hatten, auch wenn wir unmittelbar nach dem Zusammenbruch fähig waren, ihn vorauszusehen.
Populismus und Kriegsmobilisierung
Es gibt also keine Meinungsverschiedenheit darüber, dass die Arbeiterklasse in den letzten Jahrzehnten einen langen Prozess der Zerrissenheit durchgemacht hat, der durch einen Verlust der Klassenidentität und ihrer Zukunftsperspektive gekennzeichnet ist. Wir stimmen auch darin überein, dass bestimmte Bewegungen, die in dieser Zeit des allgemeinen Rückzugs stattfanden, auf die Möglichkeit einer Wiederbelebung des Kampfes hinwiesen, sowohl auf der Ebene der Kampfbereitschaft als auch des Bewusstseins über die Sackgasse der kapitalistischen Gesellschaft: Wie Genosse Steinklopfer es ausdrückt, sahen wir in diesen Bewegungen "die Entwicklung einer Kultur der Theorie und einer Kultur der Debatte (wie sie sich vom Anti-CPE bis zu den Indignados zu äußern begann) als grundlegende Manifestationen des Proletariats als Klasse des Bewusstseins und der Assoziation".
Mit zwei der Schlussfolgerungen des Genossen über die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Klasse sind wir jedoch ganz und gar nicht einverstanden:
- dass der Aufstieg des Populismus Ausdruck einer Gesellschaft sei, die sich auf den Krieg vorbereitet;
- dass wir jetzt nicht eine unterirdische Reifung des Bewusstseins erleben, sondern einen regelrechten "unterirdischen Rückschritt" des Reifungsprozesses.
Erstens sind wir nicht der Meinung, dass der Populismus das Produkt oder der Ausdruck eines klaren Kriegskurses der herrschenden Klasse der großen kapitalistischen Länder ist. Sicherlich ist er ein Produkt eines verschärften Nationalismus und Militarismus, jener nihilistischen Gewalt und jenes Rassismus, die aus dem Zerfall dieses Systems hervorgehen. In diesem Sinne hat es natürlich viele Ähnlichkeiten mit dem Faschismus der 1930er Jahre. Aber der Faschismus war das Produkt einer wirklichen Konterrevolution, einer historischen Niederlage, die die Arbeiterklasse erlitten hatte, und drückte direkt die Fähigkeit der herrschenden Klasse aus, das Proletariat für einen neuen weltweiten imperialistischen Krieg zu mobilisieren. Der Populismus hingegen ist das Ergebnis der Pattsituation zwischen den Klassen, was einen Mangel an Perspektive nicht nur auf Seiten der Arbeiterklasse, sondern auch auf Seiten der Bourgeoisie selbst impliziert. Er ist Ausdruck eines wachsenden Kontrollverlustes der Bourgeoisie über ihren politischen Apparat, einer zunehmenden Fragmentierung sowohl innerhalb der einzelnen Nationalstaaten als auch auf der Ebene der internationalen Beziehungen. Wenn das Aufkommen des Populismus wirklich bedeuten würde, dass die Bourgeoisie die Möglichkeit wiedererlangt hat, die Arbeiterklasse in den Krieg zu führen, müssten wir zu dem Schluss kommen, dass der Begriff des Zerfalls, wie wir ihn bisher definiert haben, nicht mehr gültig ist. Es würde bedeuten, dass die Bourgeoisie jetzt eine "Perspektive" hat, die sie der Gesellschaft anbieten kann, auch wenn es eine völlig irrationale und selbstmörderische ist.
Genosse Steinklopfer argumentiert in seinem Änderungsantrag: "Der zeitgenössische Populismus ist ein weiteres deutliches Zeichen für eine Gesellschaft, die auf einen Krieg zusteuert:
- der Aufstieg des Populismus selbst ist nicht zuletzt ein Produkt der wachsenden Aggressivität und der Zerstörungsimpulse, die von der heutigen bürgerlichen Gesellschaft ausgehen.
- Da jedoch diese "spontane" Aggressivität an sich nicht ausreicht, um die Gesellschaft für den Krieg zu mobilisieren, bedarf es dazu heutiger populistischer Bewegungen der herrschenden Klasse.
Mit anderen Worten, die populistischen Bewegungen sind gleichzeitig ein Symptom und ein aktiver Faktor für den Drang zum Krieg".
Mit anderen Worten: Phänomene wie der Brexit in Großbritannien oder der Trumpismus in den USA seien nicht in erster Linie eine Folge des Kontrollverlustes der Bourgeoisie über ihren politischen (und zunehmend auch wirtschaftlichen) Apparat, ein konzentrierter Ausdruck der Kurzsichtigkeit und der Zersplitterung der herrschenden Klasse. Im Gegenteil: Die populistischen Fraktionen seien die besten Vertreter einer Bourgeoisie, die sich hinter der Kriegsmobilisierung wirklich vereinige.
Angesichts dieser Sicht über die Richtung, in der sich die Dinge entwickeln, ist es nicht verwunderlich, dass Genosse Steinklopfer wenig wahrnimmt, was sich dem Drang der Bourgeoisie zum Krieg entgegenstemmt: Trotz der sich abzeichnenden Äußerungen des revolutionären Charakters der Klasse in den Jahren 2006 und 2011 könnten wir heute nicht einmal Anzeichen einer unterirdischen Reifung des Bewusstseins erkennen, die darauf hindeuten würden, dass die Bourgeoisie nicht alle Karten zu ihren Gunsten gezinkt hätte.
Sicherlich haben wir, wie der Genosse uns zurecht daran erinnert, immer argumentiert, dass sich das proletarische Bewusstsein auch in einer Zeit der Konterrevolution, in der es in seinem Ausmaß stark eingeschränkt ist, weiter entwickeln kann. – Eben weiter, aber nicht vollständig, und zwar als Ergebnis der Arbeit revolutionärer Organisationen, wie wir dies bei der Arbeit der italienischen und französischen Fraktionen der Kommunistischen Linken in den 30er und 40er Jahren gesehen haben. Aber wenn die Bewusstseinsentwicklung selbst in solchen Perioden fortschreitet, was bedeutet dann der Begriff "unterirdische Regression", also des Rückschritts des Reifungsprozesses? Würde er nicht bedeuten, dass die Situation heute noch schlimmer sei als in den 1930er Jahren? Aus dem Text des Genossen geht nicht klar hervor, wie lange dieser Prozess der unterirdischen Regression schon andauert: Wenn wir in den Jahren 2006 und 2011 eine allgemeine Bewusstseinsentwicklung bei der jungen Generation sehen, wäre es logisch zu argumentieren, dass diesen Bewegungen ein "unterirdischer" Reifungsprozess vorausgegangen ist. Auf jeden Fall sind wir uns einig darüber, dass auf der Ebene der offenen Kämpfe und des Ausmaßes des Klassenbewusstseins diesen Fortschritten, wie bei praktisch jeder Aufwärtsbewegung der Klasse, eine Phase des Rückzugs und der Regression folgte: So gerieten einige Jahre nach der Indignados-Bewegung, die in Barcelona besonders stark gewesen war, einige derselben Jugendlichen, die 2011 an Versammlungen und Demonstrationen teilgenommen hatten, die eindeutig internationalistische Parolen vertreten hatten, nun in die absolute Sackgasse des katalanischen Nationalismus.
Aber das beweist nicht, dass der alte Maulwurf selbst beschlossen hätte, sich auszuruhen, weder 2012 noch früher. Der Zeitraum 2006-2011 ging mit dem Aufkommen einer politisierten Minderheit einher, die viel versprechend war, aber weitgehend in den Sümpfen des Anarchismus und der Moderne unterging, so dass ihr tatsächlicher Beitrag zur realen Entwicklung des revolutionären Milieus äußerst begrenzt war. Die suchenden Minderheiten, die sich in den letzten Jahren trotz ihrer Jugend und Unerfahrenheit entwickelt haben, scheinen auf einem höheren Niveau zu beginnen als diejenigen, denen wir ein Jahrzehnt zuvor begegnet sind: Sie sind sich insbesondere der Endlichkeit des kapitalistischen Systems und der Notwendigkeit, sich mit der Tradition der Kommunistischen Linken erneut auseinander zu setzen, stärker bewusst. Unserer Ansicht nach sind solche Fortschritte gerade das Produkt einer unterirdischen Reifung.
Die Tatsache, dass die jüngsten Bewegungen, die sich von Anfang an auf dem Terrain der "Reform" der bürgerlichen Gesellschaft befinden, wie die Demonstrationen rund um die Klimafrage, oft den Anspruch erheben, das Problem auf der Ebene des existierenden Systems, der kapitalistischen Gesellschaft selbst, zu verorten, drückt, so Genosse Steinklopfer, nur das Vertrauen der herrschenden Klasse aus, die es sich leisten kann, heiße Luft zu produzieren über die Notwendigkeit, über den Kapitalismus hinauszugehen, eben weil sie keinerlei Angst davor hat, dass die Arbeiterklasse einen solchen Diskurs ernst nimmt. Aber es ist nicht weniger plausibel, dass diese antikapitalistischen Diskurse ein typischer Antikörper der bürgerlichen Gesellschaft sind, die ein tiefes Bedürfnis danach hat, jede beginnende Infragestellung ihrer fundamentalen Grundlagen zum Entgleisen zu bringen. Mit anderen Worten: In dem Maße, wie der apokalyptische Charakter dieses Systems immer offensichtlicher wird, wird es für die bürgerliche Ideologie immer notwendiger, ein authentisches Verständnis ihrer Wurzeln und der wirklichen Alternative zu verhindern.
Am Ende des Textes von Genosse Steinklopfer ist es schwer zu erkennen, woher die Wiederbelebung der Klassenidentität und der revolutionären Perspektive kommen soll. Wir haben den Eindruck, dass er in einen tiefen Pessimismus verfallen ist. Der Genosse hat nicht Unrecht, wenn er darauf hinweist, dass die wirtschaftlichen Kämpfe, der unmittelbare Widerstand gegen die Angriffe auf den Lebensstandard, an sich nicht ausreichen, um ein klares revolutionäres Bewusstsein zu erzeugen. Aber sie bleiben dennoch absolut unerlässlich, wenn die Arbeiterklasse wieder ein Gefühl für sich selbst als eine ausgeprägte soziale Kraft erlangen soll, vor allem in einer Zeit, in der die wachsende Unruhe über den Zustand der kapitalistischen Gesellschaft in Richtung einer Vielzahl von klassenübergreifenden und offen bürgerlichen Mobilisierungen getrieben wird. In den 1930er Jahren, inmitten all des Rummels um die revolutionären Eroberungen der spanischen Arbeiter*innen, standen die Genossen von Bilan fast allein da mit der Behauptung, dass unter solchen Bedingungen der kleinste Streik um wirtschaftliche Forderungen (vor allem in den von der CNT kontrollierten Kriegsindustrien!) ein erster Schritt wäre, damit die Arbeiterklasse den Weg zurück auf ihr eigenes Terrain findet. Die jüngsten Streiks rund um die Rentenfrage in Frankreich und in einer Reihe von Ländern rund um Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zu Beginn der Covid-Pandemie waren viel weniger "berichtenswert" als die Märsche von "Friday for Future" oder die Märsche der "Black Lives Matter"-Bewegung, aber sie leisten einen wirklichen Beitrag zu einer künftigen Wiedererlangung der Klassenidentität, während letztere ihr nur im Wege stehen können.
Wir stimmen natürlich mit Genosse Steinklopfer darin überein, dass die Wiedererlangung der Klassenidentität und die Entwicklung eines revolutionären Bewusstseins untrennbar miteinander verbunden sind: Damit die Arbeiterklasse wirklich versteht, was sie ist, muss sie auch verstehen, was sie historisch sein muss, wie Marx es ausdrückte: die Trägerin einer neuen Gesellschaft. Und wir stimmen auch darin überein, dass die Organisationen der Kommunistischen Linken in diesem dynamischen Prozess eine unverzichtbare Rolle spielen. Der Genosse lässt uns mit einem sehr strengen Urteil über die tatsächliche Rolle zurück, die diese Organisationen im letzten Jahrzehnt und darüber hinaus gespielt hätten:
"Doch im Laufe der Geschichte haben winzige Minderheiten ohne jegliche Beteiligung der Massen regelmäßig Ideen entwickelt, die in der Lage sind, die Welt zu revolutionieren und schließlich "die Massen zu erobern". Eine der Hauptschwächen des Proletariats in den zwei Jahrzehnten nach 1989 war in der Tat das Versagen seiner Minderheiten, dieses Werk zu vollenden. Die historischen Gruppen der Kommunistischen Linken tragen eine besondere Verantwortung für dieses Scheitern. Als eine neue Generation von politisierten Proletarierinnen und Proletariern auftauchte (wie die Indignados in Spanien oder die verschiedenen Occupy Bewegungen im Gefolge der "Finanz-" und der "Euro"-Krise nach 2008), war das bestehende proletarische politische Milieu nicht in der Lage, sie ausreichend mit den politischen, theoretischen Waffen zu rüsten, die sie gebraucht hätten, um sich zu orientieren und sich inspiriert zu fühlen, sich der Aufgabe zu stellen, den Anfang vom Ende des proletarischen Rückflusses einzuleiten."
Daraus geht überhaupt nicht hervor, wie und mit welchen theoretischen Beiträgen die Organisationen der Kommunistischen Linken die neue Generation so weit hätten bewaffnen können, dass sie den Rückzug, der auf die Bewegungen von 2011 folgte, hätten vermeiden können. Aber hinter diesem Urteil scheint ein methodisches Problem zu stecken. Die Organisationen der Kommunistischen Linken müssen die Fehler, die sie gegenüber der "neuen Generation von politisierten Proletarier*innen" begangen haben, sicherlich heftig kritisieren, Fehler vor allem opportunistischer Natur. Diese Kritik ist vor allem deshalb notwendig, weil sie sich in einem Bereich von Umständen abspielt, die kleine revolutionäre Gruppen direkt beeinflussen können: die Umgruppierung der Revolutionäre, die Schritte, die notwendig sind, um ein lebendiges und verantwortungsvolles revolutionäres Milieu aufzubauen und damit die Grundlagen für die Partei der Zukunft zu legen. Aber es scheint an Substitutionismus (unsere Aktivitäten könnten die der Arbeiterklasse ersetzen …) zu grenzen, wenn man annimmt, dass allein unsere theoretisch-politischen Bemühungen den Rückfluss nach 2011 hätten aufhalten können, der im Wesentlichen die Fortsetzung eines Prozesses war, der seit 1989 in vollem Gange war. Zukünftige Diskussionen werden darüber entscheiden, ob es hier wirklich eine Divergenz in der Frage der Organisation gibt.
IKS, 24. August 2020
[3] Orientierungstext: Militarismus und Zerfall, /content/758/orientierungstext-militarismus-und-zerfall
[4] Siehe insbesondere die Punkte 10-13 der Resolution zur internationalen Lage (2019): imperialistische Spannungen, Leben der Bourgeoisie, Wirtschaftskrise; https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der
[5] Siehe zum Beispiel: International Review 26 (engl./frz./span. Ausgabe), 1981: In Polen wird ein Bresche eröffnet, https://en.internationalism.org/content/3106/perspectives-international-class-struggle-breach-opened-poland