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In gewisser Weise "befindet sich die Kommunistische Linke heute in einer ähnlichen Situation wie in den 1930er Jahren, in dem Sinne, dass sie gezwungen ist, eine neue und beispiellose historische Situation zu verstehen." (Resolution zur Internationalen Lage, 13. Kongress der IKS, International Review Nr. 97 (engl./frz./span. Ausgabe), 1999)
Diese Beobachtung, zutreffender denn je, würde intensive Debatten zwischen den Organisationen des proletarischen politischen Milieus erfordern, um die Bedeutung der Covid-19-Krise in der Geschichte des Kapitalismus und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu analysieren. Angesichts der rasanten Entwicklung der Ereignisse wirken die Gruppen des proletarischen politischen Milieus jedoch völlig hilflos und entwaffnet: Statt die marxistische Methode als lebendige Theorie zu begreifen, reduzieren sie sie auf ein invariantes Dogma, in dem der Klassenkampf als unveränderliche Wiederholung ewig gültiger Schemata gesehen wird, ohne zeigen zu können, was nicht nur fortbesteht, sondern sich auch verändert hat. So ignorieren die bordigistischen oder rätistischen Gruppen hartnäckig den Eintritt des Systems in seine Phase der Dekadenz. Auf der anderen Seite lehnt die Internationale Kommunistische Tendenz (IKT) die Zerfallsphase als katastrophistische Sichtweise ab und beschränkt ihren Erklärungswert auf die Binsenweisheit, dass der Profit für die Pandemie verantwortlich sei, und die illusorische Vorstellung, dass diese nur ein anekdotisches Ereignis, eine Zwischenstation, in den Angriffen der Bourgeoisie zur Maximierung ihrer Profite sei. Diese Gruppen des proletarischen politischen Milieus begnügen sich damit, die Schemata der Vergangenheit zu wiederholen, ohne die spezifischen Umstände, den Zeitpunkt und die Auswirkungen der Pandemie zu analysieren. Infolgedessen ist ihr Beitrag zur Beurteilung des Kräfteverhältnisses zwischen den beiden antagonistischen Klassen in der Gesellschaft, der Gefahren oder Chancen für die Klasse und ihre Minderheiten sehr dürftig.
Ein dezidiert marxistischer Ansatz ist umso notwendiger, als das Misstrauen gegenüber dem offiziellen Diskurs derzeit zum Aufkommen zahlreicher trügerischer und fantastischer "alternativer Erklärungen" der Ereignisse führt. Verschwörungstheorien, eine fantasievoller als die andere, tauchen auf und werden von Millionen von Anhängern geteilt: Die Pandemie und heute die massenhafte Impfung seien Machenschaften der Chinesen, um ihre Vorherrschaft zu sichern, ein Komplott der Weltbourgeoisie zur Kriegsvorbereitung oder zur Umstrukturierung der Weltwirtschaft, eine Übernahme durch eine geheime Internationale der Virologen oder eine nebulöse Weltverschwörung der Eliten (unter der Leitung von Soros oder Gates), ... Diese allgemeine Atmosphäre verursacht sogar eine Desorientierung des politischen Milieus, einen regelrechten "Corona-Blues".
Für die IKS ist der Marxismus „eine lebendige Gedankenwelt, für die jedes bedeutsame historische Ereignis eine Gelegenheit zur Bereicherung darstellt. (…) Die revolutionären Organisationen und Militanten tragen die besondere und fundamentale Verantwortung, dieses Bemühen um einen Denkprozeß mit Herzblut auszuführen und, wie unsere Ahnen Lenin, Luxemburg, die Italienische Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken (BILAN), die Kommunistische Linke Frankreichs usw., gleichzeitig vorsichtig und kühn vorwärtszuschreiten:
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indem sie sich fest auf die Errungenschaften der marxistischen Grundlagen stützen,
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indem sie die Wirklichkeit ohne Scheuklappen untersuchen und indem sie die Gedankenwelt "ohne Verbote und ohne Ächtung" (BILAN) zur Entfaltung verhelfen.
Angesichts solcher historischen Ereignisse ist es besonders wichtig, daß die Revolutionäre in der Lage sind, die veralteten von den nach wie vor gültigen Analysen unterscheiden, um eine doppelte Klippe zu umschiffen: entweder sich in seiner Verknöcherung einzuschließen oder "das Kind mit dem Bade auszuschütten".“ (Orientierungstext: Militarismus und Zerfall, Internationale Revue Nr. 13, 1991)
Deshalb zwang die Covid-19-Krise die IKS, die herausragenden Elemente dieses wichtigen Ereignisses in den Rahmen des Zerfalls zu setzen, den die Organisation vor mehr als 30 Jahren zum Verständnis der Entwicklung des Kapitalismus entwickelt hatte. Dieser Rahmen wird in der Resolution zur internationalen Lage des 23. Internationalen Kongresses der IKS (2019) deutlich in Erinnerung gerufen: „Vor dreißig Jahren betonte die IKS die Tatsache, dass das kapitalistische System in die letzte Phase seiner Dekadenzzeit, die seines Zerfalls eingetreten war. Diese Analyse basierte auf einer Reihe von empirischen Fakten, bot aber gleichzeitig einen Rahmen für das Verständnis dieser Fakten: „Doch die Geschichte bleibt in solch einer Situation, in der die beiden fundamentalen - und antagonistischen - Klassen der Gesellschaft aufeinanderprallen, ohne ihre eigene Antwort durchsetzen zu können, nicht stehen. Noch weniger als in den anderen vorhergehenden Produktionsweisen ist im Kapitalismus eine Stagnation, ein ‘Einfrieren’ des gesellschaftlichen Lebens möglich. Während die Widersprüche des krisengeschüttelten Kapitalismus sich noch weiter zuspitzen, führen die Unfähigkeit der Bourgeoisie, der gesamten Gesellschaft irgendeine Perspektive anzubieten, und die Unfähigkeit des Proletariats, die seinige offen zu behaupten, zum Phänomen des allgemeinen Zerfalls, zur Fäulnis der Gesellschaft bei lebendigem Leib.“ (Der Zerfall, die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus, Punkt 4, Internationale Revue Nr. 13, 1991).
Unsere Analyse hat die beiden Bedeutungen des Begriffs „Zerfall“ sorgfältig geklärt; einerseits gilt er für ein Phänomen, das die Gesellschaft betrifft, insbesondere in der Zeit der Dekadenz des Kapitalismus, und andererseits bezeichnet er eine bestimmte historische Phase dieser Phase, ihre Endphase: „(...) so ist es auch unverzichtbar, den grundlegenden Unterschied zwischen den Zerfallselementen, die den Kapitalismus seit Anfang des Jahrhunderts erfaßt haben, und dem allgemeinen Zerfall herauszustellen, in den dieses System gegenwärtig versinkt und der sich noch verschlimmern wird. Neben dem streng quantitativen Aspekt erreicht das Phänomen des gesellschaftlichen Zerfalls heute solch ein Ausmaß und solch eine Tiefe, daß eine neue und einzigartige Qualität erlangt wird, die den Eintritt des Kapitalismus in eine besondere Phase, in die ultimative Phase seiner Geschichte manifestiert, eine Phase, in welcher der Zerfall ein, wenn nicht gar der entscheidende Entwicklungsfaktor der Gesellschaft sein wird.“ (ebenda Punkt 2)
Vor allem dieser letzte Punkt, die Tatsache, dass der Zerfall tendenziell zum entscheidenden Faktor für die Entwicklung der Gesellschaft und damit aller Komponenten der Weltsituation wird – eine Idee, die von den anderen Gruppen der Kommunistischen Linken keineswegs geteilt wird –, bildet den Schwerpunkt dieser Resolution.“ (Resolution zur internationalen Lage, 23. Kongress der IKS, Internationale Revue Nr. 56). In diesem Zusammenhang ist es das Ziel dieses Berichts, die Auswirkungen der Covid-19-Krise auf die Vertiefung der Widersprüche innerhalb des kapitalistischen Systems und die Auswirkungen derselben auf die Vertiefung der Phase des Zerfalls zu bewerten.
1. Die Covid-19 Krise offenbart die Tiefe der Fäulnis des Kapitalismus
Die Pandemie wütet im Herzen des Kapitalismus: Eine erste, eine zweite, schließlich eine dritte Infektionswelle überrollt die Welt und insbesondere die Industrieländer; die Versorgung in den Krankenhäusern droht zusammenzubrechen und man ist gezwungen, immer wieder mehr oder weniger radikale Kontaktbeschränkungen zu verhängen. Nach einem Jahr Pandemie lauten die offiziellen Zahlen, die in vielen Ländern weitgehend unterschätzt werden, mehr als 500.000 Todesfälle in den USA und mehr als 650.000 in der Europäischen Union und Lateinamerika.
In den letzten zwölf Monaten haben sich die Bourgeoisien, nicht nur der peripheren Länder, sondern vor allem der Hauptindustrieländer, trotz dieser Produktionsweise mit ihren unbegrenzten wissenschaftlichen und technologischen Kapazitäten als unfähig erwiesen:
- die Ausdehnung der Pandemie zu verhindern, dann ihren Wiederausbruch durch eine zweite, dritte, .... Welle;
- eine Überforderung der Krankenhäuser zu vermeiden, wie in Italien, Spanien, aber auch in Großbritannien und den USA;
- Techniken und Instrumente zu entwickeln, um die verschiedenen Wellen zu kontrollieren und einzudämmen;
- die Suche nach einem Impfstoff zu koordinieren und zu zentralisieren und eine geplante und gut durchdachte Produktions-, Verteilungs- und Impfpolitik für den gesamten Planeten aufzustellen.
Stattdessen haben sie um die Ergreifung inkohärenter und chaotischer Maßnahmen konkurriert und in ihrer Verzweiflung auf Maßnahmen aus den dunkelsten Zeiten der Geschichte zurückgegriffen, wie Kontaktbeschränkungen, Quarantäne oder Ausgangssperren. Sie verurteilten Hunderttausende von Menschen zum Tode, indem man sich auf die Covid-Patienten für die Aufnahme in überfüllte Krankenhäuser konzentrierte und die Behandlung anderer schwerer Krankheiten aufschob.
Der katastrophale Verlauf der Pandemie ist grundlegend mit dem unerbittlichen Druck der historischen Krise der kapitalistischen Produktionsweise verbunden. Die Auswirkungen der Sparmaßnahmen, die sich seit der Rezession von 2007-2011 noch verschärft haben, der rücksichtslose wirtschaftliche Wettbewerb zwischen den Staaten und die Priorität, die insbesondere in den Industrieländern der Aufrechterhaltung der Produktionskapazitäten zu Lasten der Gesundheit der Menschen im Namen des Primats der Wirtschaft eingeräumt wird, haben das Ausmaß der Pandemie begünstigt und stellen ein dauerhaftes Hindernis für ihre Eindämmung dar. Diese Pandemie ist nicht das Produkt des Schicksals oder der Unzulänglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse oder gesundheitlicher Mittel (wie es in früheren Produktionsweisen der Fall gewesen sein mag); sie kommt auch nicht wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, noch stellt sie eine vorübergehende Erscheinung dar. Sie drückt die grundsätzliche Ohnmacht der untergehenden kapitalistischen Produktionsweise aus, die über die Fahrlässigkeit dieser oder jener Regierung hinausgeht, sondern im Gegenteil auf die Blockierung und Fäulnis der gesamten bürgerlichen Gesellschaft hinweist. Und vor allem zeigt es das Ausmaß dieses seit 30 Jahren andauernden Zerfalls.
1.1. Sein Auftauchen wirft ein Schlaglicht auf 30 Jahre des Zerfalls.
Die Covid-19-Krise ist nicht aus dem Nichts entstanden; sie ist sowohl Ausdruck als auch Ergebnis einer 30-jährigen Zerfallsphase, die eine Tendenz zur Vervielfachung, Vertiefung und immer deutlicheren Konvergenz der verschiedenen Erscheinungsformen des Zerfalls verdeutlicht.
(a) Die Wichtigkeit und Bedeutung der Zerfallsdynamik wurde von der IKS bereits Ende der 80er Jahre analysiert: „Während die Bourgeoisie kein freies Spiel hat, um ihre „Lösung“ durchzusetzen, den generalisierten imperialistischen Krieg, und der Klassenkampf nicht ausreichend entwickelt ist, um eine revolutionäre Perspektive zu verdeutlichen, versinkt der Kapitalismus noch stärker in der Dynamik des Zerfalls, dem Verfaulen am lebendigen Leib, was sich auf allen Ebenen seiner Existenz äußert:
- Verschlechterung der internationalen Beziehungen zwischen den Staaten, was sich durch das Aufblühen des Terrorismus ausdrückt;
- immer wieder technologische und sogenannte Naturkatastrophen;
- Zerstörung der ökologischen Umwelt;
- Hungersnöte, Epidemien, Ausdruck der absoluten Verarmung, die immer mehr um sich greift;
- Explosion der "Nationalitätenkonflikte";
- das Leben der Gesellschaft wird geprägt durch die Zunahme der Kriminalität, der Selbstmorde, des Wahnsinns, individuelle Atomisierung;
- ideologischer Zerfall, gekennzeichnet unter anderem durch die Entwicklung des Mystizismus, des Nihilismus, der Ideologie des "Jeder für sich" usw.“ (Resolution zur Internationalen Lage, 8. Kongress der IKS, 1989, Internationale Revue Nr. 11)
(b) Die Implosion des Sowjetblocks markiert eine spektakuläre Beschleunigung des Prozesses, trotz der Kampagnen, die dies vertuschen wollen. Der Zusammenbruch einer der beiden sich gegenüberstehenden imperialistischen Blöcke von innen heraus, ohne dass dies das Produkt entweder eines Weltkrieges zwischen den Blöcken oder der proletarischen Offensive gewesen wäre, kann nur als ein wesentlicher Ausdruck des Eintritts in die Phase des Zerfalls verstanden werden. Die sich in dieser Implosion manifestierenden Tendenzen des Kontrollverlustes und der Verschärfung des "Jeder für sich" wurden jedoch weitgehend kaschiert und zunächst durch die Wiederbelebung des Ansehens der "Demokratie" aufgrund ihres "Sieges über den Kommunismus" (Kampagnen über den Tod des Kommunismus und die Überlegenheit der demokratischen Regierungsform) konterkariert; dann durch den 1. Golfkrieg (1991), der im Namen der Vereinten Nationen gegen Saddam Hussein geführt wurde und der es Bush Senior ermöglichte, eine "internationale Staatenkoalition" unter Führung der USA durchzusetzen und damit die Tendenz zum Alleingang zu bremsen. Schließlich durch die Tatsache, dass der wirtschaftliche Zusammenbruch infolge der Implosion des Ostblocks nur die ehemaligen Länder des russischen Blocks, einen besonders rückständigen Teil des Kapitalismus, betraf und die Industrieländer weitgehend verschonte.
(c) Zu Beginn des 21. Jahrhunderts äußert sich die Ausbreitung des Zerfalls vor allem in der Explosion des „Jeder für sich“ und des Chaos auf der imperialistischen Ebene. Der Angriff auf die New Yorker Zwillingstürme und das Pentagon durch Al-Qaida am 11. September 2001 und die einseitige militärische Antwort der Bush-Administration öffneten die "Büchse der Pandora" der Zerfallserscheinungen: Mit dem Angriff und der Invasion des Irak im Jahr 2003 unter Missachtung internationaler Konventionen oder Organisationen und ohne die Meinung ihrer wichtigsten "Verbündeten" zu berücksichtigen, wurde die führende Weltmacht vom Polizisten der Weltordnung zur Haupttriebkraft des „Jeder für sich“ und des Chaos. Die Besetzung des Irak, gefolgt vom Bürgerkrieg in Syrien (2011), verschärften die imperialistische Jeder-für-sich-Haltung nicht nur im Nahen Osten, sondern in der ganzen Welt gewaltig. Sie verschärften auch den Trend einer sich abschwächenden Führungsrolle der USA, während Russland wieder Punkte gewonnen hat, insbesondere durch eine "störende", aufwühlende imperialistische Rolle in Syrien, und China als Herausforderer der Supermacht USA rasch aufsteigt.
(d) In den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts steht das quantitative und qualitative Wachstum des Terrorismus, begünstigt durch die Ausbreitung von Chaos und kriegerischer Barbarei in der Welt, als Instrument des Krieges zwischen Staaten im Mittelpunkt. Das hat zur Bildung eines neuen Staates geführt, des "Islamischen Staates" (IS), mit Armee, Polizei, Verwaltung, Schulen, für den der Terrorismus die Waffe der Wahl ist und der eine Welle von Selbstmordattentaten im Nahen Osten, aber auch in den Metropolen der Industrieländer entfesselt hat. „Die Gründung des IS in den Jahren 2013-14 und die Angriffe in Frankreich in den Jahren 2015-16, Belgien und Deutschland im Jahr 2016 stellen einen weiteren Schritt in diesem Prozess dar.“ (Bericht über den Zerfall heute, 22. Kongress der IKS, 2017, veröffentlicht in Internationale Revue Nr. 56). Diese Ausbreitung dieses "Kamikaze-Terrorismus“ geht Hand in Hand mit dem Anstieg des irrationalen und fanatischen religiösen Radikalismus auf der ganzen Welt, vom Nahen Osten bis Brasilien, von den USA bis Indien.
(e) 2016-17 zeigen das Brexit-Referendum in Großbritannien und der Aufstieg von Trump in den USA den populistischen Tsunami als besonders markante neue Erscheinungsform des sich vertiefenden Zerfalls. „Der Aufstieg des Populismus ist unter den gegenwärtigen Umständen Ausdruck des zunehmenden Kontrollverlustes der Bourgeoisie über das Funktionieren der Gesellschaft, der sich im Wesentlichen daraus ergibt, was im Kern ihres Zerfalls liegt, der Unfähigkeit der beiden grundlegenden Klassen der Gesellschaft, eine Antwort auf die unlösbare Krise zu geben, in die die kapitalistische Wirtschaft versinkt. Mit anderen Worten, der Zerfall ist im Wesentlichen das Ergebnis der Ohnmacht der herrschenden Klasse, einer Ohnmacht, die in ihrer Unfähigkeit verwurzelt ist, diese Krise in der kapitalistischen Produktionsweise zu überwinden, und die zunehmend dazu neigt, ihren politischen Apparat zu beeinflussen.
Zu den aktuellen Ursachen der populistischen Welle gehören die Hauptmanifestationen des sozialen Zerfalls: der Anstieg von Verzweiflung, Nihilismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, verbunden mit einer wachsenden Ablehnung der „Eliten“ (die „Reichen“, Politiker, Technokraten) und in einer Situation, in der die Arbeiterklasse nicht in der Lage ist, selbst auf embryonale Weise eine Alternative anzubieten.“ (Resolution zur internationalen Lage: imperialistische Spannungen, Leben der Bourgeoisie, Wirtschaftskrise, 23. Kongress der IKS, Punkt 4, Internationale Revue Nr. 56) Während diese populistische Welle vor allem die Bourgeoisien der Industrieländer betrifft, so manifestiert sie sich auch in anderen Regionen der Welt in Form der Machtübernahme starker und "charismatischer" Führer (Orban, Bolsonaro, Erdogan, Modi, Duterte, ...) oft mit der Unterstützung von Sekten oder extremistischen Bewegungen religiöser Inspiration (evangelikale Kirchen in Lateinamerika oder in Afrika, Muslimbruderschaft in der Türkei, hinduistische rassistische Identitätsbewegungen im Fall von Modi).
Die Zerfallsphase hat bereits eine 30-jährige Geschichte und der kurze Überblick zeigt, wie sich die Fäulnis des Kapitalismus durch Phänomene ausgebreitet und vertieft hat, die nach und nach immer mehr Aspekte der Gesellschaft erfasst haben und die die Zutaten bilden, die den explosiven Charakter der weltweiten Covid-19 Krise hervorgerufen haben. Es stimmt, dass die Entwicklung dieser Phänomene in den letzten 30 Jahren nicht kontinuierlich war, aber sie fand auf verschiedenen Ebenen statt (ökologische Krise, das imperialistische „Jeder für sich“, Zersplitterung der Staaten, Terrorismus, soziale Unruhen, Verlust der Kontrolle über den politischen Apparat, ideologischer Verfall) und untergrub zunehmend die Versuche des Staatskapitalismus, dieser Dynamik entgegenzuwirken und einen gewissen gemeinsamen Rahmen aufrechtzuerhalten. Doch während die verschiedenen Phänomene eine beachtliche Intensität erreichten, erschienen sie bis dahin als „eine Vermehrung von Symptomen welche ohne offensichtlichen Zusammenhang erschienen war. Dies im Gegensatz zu früheren Perioden kapitalistischer Dekadenz, die von so offensichtlichen Meilensteinen wie dem Weltkrieg oder der proletarischen Revolution definiert und beherrscht wurden.“ (Bericht über die Covid-Pandemie und die Periode des kapitalistischen Zerfalls, Juli 2020) Es ist gerade die Bedeutung der Covid-19-Krise, dass sie, wie die Implosion des Ostblocks, in hohem Maße bezeichnend für die Phase der Zersetzung ist, indem sie alle Faktoren der Fäulnis des Systems in sich bündelt und anhäuft.
1.2. Seine Wirkung ergibt sich aus dem Zusammenspiel der von ihm geförderten Zerfallserscheinungen
So, wie es die verschiedenen Erscheinungsformen der Dekadenz (Weltkriege, allgemeine Wirtschaftskrisen, Militarismus, Faschismus und Stalinismus, usw.) gibt, so auch eine Häufung von Erscheinungsformen der Zerfallsphase. Das Ausmaß der Auswirkungen der Covid-19-Krise erklärt sich nicht nur aus dieser Akkumulation, sondern auch aus dem Zusammentreffen der ökologischen, gesundheitlichen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Zerfallserscheinungen in einer noch nie dagewesenen Spirale, die zu einem tendenziellen Kontrollverlust über immer mehr Aspekte der Gesellschaft und zu einem Ausbruch irrationaler Ideologien geführt hat, die für die Zukunft der Menschheit äußerst gefährlich sind.
(a) Covid-19 und Zerstörung der Natur
Die Pandemie ist eindeutig Ausdruck des Bruchs im Verhältnis zwischen Mensch und Natur, der mit der Dekadenz des Systems und insbesondere mit der letzten Phase dieser Dekadenz, dem Zerfall, genauer gesagt mit dem unkontrollierten Wachstum der Städte und der Konzentration (Ausbreitung übervölkerter Elendsviertel) in den Randgebieten des Kapitalismus, der Abholzung der Wälder und dem Klimawandel eine Intensität und eine weltweite Dimension erreicht hat, die zuvor nie erreicht wurde. So wies im Fall von Covid-19 eine aktuelle Studie von Forschern der Universitäten Cambridge und Hawaii sowie des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (in der Zeitschrift Science of the Total Environment) darauf hin, dass der Klimawandel in Südchina im vergangenen Jahrhundert die Konzentration von Fledermausarten, die Träger von Tausenden von Coronaviren sind, in der Region begünstigt und die Übertragung von SARS-CoV-2, wahrscheinlich über das Schuppentier, auf den Menschen ermöglicht hat1.
Seit Jahrzehnten führt die unwiederbringliche Zerstörung der Natur zu einer wachsenden Gefahr von Umwelt- und Gesundheitskatastrophen, wie die SARS-, H1N1- und Ebola-Epidemien zeigen, die glücklicherweise nicht zu Pandemien wurden. Doch obwohl der Kapitalismus über die technologische Stärke verfügt, Menschen auf den Mond zu schicken und monströse Waffen zu produzieren, die den Planeten dutzendfach zerstören können, war er nicht in der Lage, die Mittel zur Verfügung zu stellen, um die ökologischen und gesundheitlichen Probleme zu beheben, die zum Ausbruch der Covid-19-Pandemie führten. Der Mensch wird zunehmend von seinem "organischen Körper" (Marx) getrennt, und der gesellschaftliche Zerfall verstärkt diese Tendenz.
(b) Covid-19 und wirtschaftliche Rezession
Gleichzeitig haben Spar- und Umstrukturierungsmaßnahmen in der Forschung und im Gesundheitssystem, die seit der Rezession 2007-2011 verstärkt wurden, die Krankenhauskapazitäten reduziert und die Forschung zu Covid-Viren verlangsamt, wenn nicht sogar gestoppt, obwohl frühere Epidemien Warnzeichen für ihre Gefährlichkeit waren. Andererseits war es während der Pandemie das primäre Ziel der Industrieländer, die Produktionskapazitäten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten (und auch Kindertagesstätten, Kindergärten und Grundschulen, damit die Eltern zur Arbeit gehen konnten), wohl wissend, dass Unternehmen und Schulen trotz der getroffenen Maßnahmen (Tragen einer Maske, Abstand halten usw.) eine nicht zu vernachlässigende Quelle der Ansteckung darstellen. Insbesondere während der Kontaktbeschränkungen im Sommer 2020 spielte die Bourgeoisie zynisch mit der Gesundheit der Bevölkerung im Namen des Primats der Ökonomie, das schon immer vorherrschte, auch wenn dies zum Entstehen einer neuen Welle der Pandemie und der Wiederholung der Kontaktbeschränkungen, der Zunahme der Zahl der Krankenhausaufenthalte und der Todesfälle beitragen musste.
(c) Covid-19 und das „Jeder für sich“ auf imperialistischer Ebene
Die wachsende Konkurrenz zwischen den Staaten hat die Ausbreitung der Pandemie von Anfang an stark begünstigt und sogar ihre Ausnutzung für hegemoniale Zwecke gefördert. Erstens trugen die anfänglichen Versuche Chinas, den Ausbruch des Virus zu vertuschen, und seine Weigerung, Informationen an die WHO weiterzugeben, wesentlich zur anfänglichen Ausbreitung der Pandemie bei. Zweitens wurden das Fortbestehen der Pandemie und ihre verschiedenen Wellen sowie die Zahl der Opfer durch die Weigerung vieler Länder begünstigt, ihre Vorräte an Gesundheitsmaterialien mit ihren Nachbarn zu "teilen". Dazu trugen auch das wachsende Chaos in der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ländern bei, auch und gerade innerhalb der EU, und der "Impfstoff-Wettlauf" zwischen konkurrierenden Pharmariesen (mit lukrativen Gewinnen für die Gewinner), statt alle verfügbaren medizinischen und pharmakologischen Kompetenzen zu bündeln. Der "Impfstoffkrieg" zwischen den Staaten ist in vollem Gange: So hatte sich die Europäische Kommission zunächst geweigert, die von Pfizer-BioNTech vorgeschlagenen 5 Millionen zusätzlichen Impfstoffdosen zu reservieren – auf Druck Frankreichs, das eine gleichwertige Zusatzbestellung für die französische Firma Sanofi forderte. Der Impfstoff von AstraZeneca/Oxford University ist vorrangig für England reserviert, zum Nachteil von EU-Bestellungen. Darüber hinaus werden chinesische (Sinovac), russische (Sputnik V), indische (BBV152) oder amerikanische (Moderna) Impfstoffe von diesen Staaten als Instrumente imperialistischer Politik weithin instrumentalisiert. Die Konkurrenz zwischen den Staaten und die Explosion des "Jeder für sich" haben das erschreckende Chaos bei der Bewältigung der Pandemiekrise noch verstärkt.
(d) Covid-19 und der Verlust der Kontrolle der Bourgeoisie über ihren politischen Apparat
Der Verlust der Kontrolle über den politischen Apparat war bereits eines der Merkmale, die die Implosion des Ostblocks kennzeichneten, aber er war damals als eine Besonderheit erschienen, die mit dem besonderen Charakter der stalinistischen Regime verbunden war. Die Flüchtlingskrise (2015-16), das Aufkommen sozialer Unruhen gegen die Korruption der Eliten und vor allem die populistische Flutwelle (2016), die in den vorangegangenen Jahrzehnten sicherlich schon vorhanden, aber weniger ausgeprägt waren, haben die Bedeutung dieses Phänomens als Ausdruck des fortschreitenden Zerfalls in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts 2010-2020 unterstrichen. Diese Dimension spielte eine entscheidende Rolle bei der Ausweitung der Covid-19-Krise. Der Populismus und insbesondere populistische Führer wie Bolsonaro, Johnson oder Trump haben die Ausbreitung und die tödlichen Auswirkungen der Pandemie durch ihre „vandalenartige“ Politik begünstigt: Sie haben Covid-19 als einfache Grippe verharmlost, eine inkohärente Umsetzung einer Politik zur Begrenzung der Ansteckungen begünstigt, indem sie offen ihre Skepsis ihr gegenüber zum Ausdruck brachten und jede internationale Zusammenarbeit sabotierten. So hat sich Trump offen über die empfohlenen Hygienemaßnahmen hinweggesetzt, China offen beschuldigt (er sprach vom "chinesischen Virus") und jegliche Zusammenarbeit mit der WHO verweigert.
Dieser "Vandalismus" drückt auf bezeichnende Weise den Kontrollverlust der Bourgeoisie über ihren politischen Apparat aus: Nachdem sie sich zunächst als unfähig erwiesen hatten, die Ausbreitung der Pandemie zu begrenzen, haben es die verschiedenen nationalen Bourgeoisien versäumt, ihre Aktionen zu koordinieren und ein umfassendes System von "Tests" und "Verfolgung und Aufspürung" einzurichten, um neue Wellen der Ansteckung von Covid-19 zu kontrollieren und zu begrenzen. Schließlich verdeutlicht der langsame und chaotische Ablauf der Impfkampagne einmal mehr die Schwierigkeiten des Staates, die Pandemie adäquat zu managen. Die Abfolge von widersprüchlichen und unwirksamen Maßnahmen hat in der Bevölkerung eine wachsende Skepsis und Misstrauen gegenüber den Regierungsrichtlinien geschürt: "Wir können feststellen, dass es den Bürgern im Vergleich zur ersten Welle schwerer fällt, sich an die Empfehlungen zu halten" (D. Le Guludec, Präsident der Haute Autorité de Santé in Frankreich, LMD 800, November 2020). Diese Sorge plagt die Regierungen der Industrieländer (von Macron bis Biden) stark, und sie drängen die Bevölkerung, den Empfehlungen und Richtlinien der Behörden zu folgen.
(e) Covid-19 und Ablehnung von Eliten, irrationale Ideologien oder Aufkommen von Verzweiflung
Populistische Bewegungen sind nicht nur gegen die Eliten gerichtet, sondern fördern auch den Aufstieg nihilistischer Ideologien und das rückschrittlichste religiöse Sektenverhalten, das durch die sich vertiefende Phase des Zerfalls bereits verstärkt wurde. Die Covid-19-Krise hat eine beispiellose Explosion von Verschwörungstheorien und wissenschaftsfeindlichen Ansichten ausgelöst, die die Anfechtung der staatlichen Gesundheitspolitik anheizen. Verschwörungstheorien gibt es zuhauf, die wildeste Vorstellungen über das Virus und die Pandemie verbreiten. Außerdem haben populistische Führer wie Bolsonaro oder Trump ihre Verachtung für die Wissenschaft offen zum Ausdruck gebracht. Die exponentielle Ausbreitung des irrationalen Denkens und die Infragestellung der wissenschaftlichen Rationalität während der Pandemie ist eine eindrucksvolle Illustration des sich beschleunigenden Zerfalls. Populistische Ablehnung der Eliten und irrationale Ideologien haben dazu geführt, dass staatliche Maßnahmen wie Ausgangssperren und Abriegelungen auf rein bürgerlichem Terrain zunehmend gewaltsam bekämpft werden. Diese eliten- und staatsfeindliche Wut hat das Aufkommen von "vandalenartigen", nihilistischen, staatsfeindlichen Kundgebungen (Dänemark, Italien, Deutschland) oder Aufständen gegen Einschränkungen (mit Rufen wie "Freiheit!", "Für unsere Rechte und unser Leben"), gegen die "Diktatur der Einschränkungen" oder die "Täuschung durch ein Virus, das es nicht gibt", angeregt, wie sie im Januar in Israel, im Libanon, in Spanien und vor allem in vielen niederländischen Städten ausgebrochen sind.
1.3. Eine Bündelung der Auswirkungen in den Zentren des Kapitalismus
Die Auswirkungen der Zerfallsphase trafen zunächst die Peripherie des Systems hart: Länder Osteuropas mit dem Zusammenbruch des Sowjetblocks und Ex-Jugoslawien, Kriege im Nahen Osten, Wiederaufflammen kriegerischer Spannungen in Asien (Afghanistan, Korea, chinesisch-indischer Grenzkonflikt), Hungersnöte, Bürgerkriege, Chaos in Afrika. Das änderte sich mit der Flüchtlingskrise, die eine massive Flut von Asylsuchenden nach Europa brachte, oder mit dem Exodus verzweifelter Bevölkerungsgruppen aus Mexiko und Mittelamerika, die in die USA zu gelangen versuchten, dann mit den dschihadistischen Anschlägen in den USA und im Herzen Europas und schließlich mit dem populistischen Tsunami von 2016. Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist der Kern der Industrieländer zunehmend betroffen und dieser Trend bestätigt sich dramatisch mit der Covid-19-Krise.
Die Pandemie traf das Herz des Kapitalismus, insbesondere die USA, mit voller Wucht. Im Vergleich zur Krise von 1989, der Implosion des Ostblocks, die die Phase des Zerfalls einleitete, besteht ein entscheidender Unterschied gerade darin, dass die Covid-19-Krise nicht einen besonders rückständigen Teil der kapitalistischen Produktionsweise betrifft, dass sie also nicht als Sieg des "demokratischen Kapitalismus" dargestellt werden kann, da sie im Gegenteil durch die Demokratien Europas und die USA das Zentrum des kapitalistischen Systems trifft. Wie ein Bumerang kommen die schlimmsten Auswirkungen des Zerfalls, die der Kapitalismus jahrelang auf die Peripherie des Systems abgewälzt hatte, zurück und treffen die Industrieländer, die nun im Zentrum der Turbulenzen stehen und weit davon entfernt sind, von all ihren Auswirkungen befreit zu sein. Auf diese Auswirkung auf die zentralen Industrieländer hatte die IKS schon hinsichtlich der schrumpfenden Kontrolle des „politischen Spiels“ hingewiesen, vor allem ab 2017. Aber heute stehen die amerikanische, englische, deutsche Bourgeoisie (und ihnen folgend die der anderen Industrieländer) im Zentrum des Wirbelsturms der Pandemie und ihrer Folgen auf der gesundheitlichen, wirtschaftlichen, politischen, sozialen und ideologischen Ebene.
Unter den zentralen Ländern sind die USA, das mächtigste unter ihnen, am stärksten von der Covid-Krise erfasst: die höchste absolute Zahl an Infektionen und Todesfällen weltweit; eine beklagenswerte Gesundheitssituation; eine unter Trump wie „Vandalen“ handelnde Administration, die die Pandemie katastrophal verwaltete und das Land international von seinen Verbündeten isoliert hat; eine Wirtschaft, die in tiefen Schwierigkeiten steckt; ein Präsident, der die Wahlen diskreditierte, zum Marsch auf das Parlament aufrief, die Spaltung des Landes vertiefte und das Misstrauen gegenüber Wissenschaft und rationalen Daten schürte und als "Fake News" bezeichnete. Heute sind die USA das Epizentrum des Zusammenbruchs.
Wie ist es zu erklären, dass die Pandemie dieses Mal weniger die "Peripherie" des Systems zu treffen scheint (Anzahl der Infektionen sowie Zahl der Todesfälle), und zwar insbesondere Asien und Afrika? Es gibt natürlich eine Reihe von Indizien: Klima, Bevölkerungsdichte oder geografische Isolation (wie die Fälle von Neuseeland, Australien oder Finnland in Europa zeigen), aber auch die relative Zuverlässigkeit der Daten: Zum Beispiel stellt sich die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 im Jahr 2020 in Russland als dreimal höher heraus als die offizielle Zahl (185.000 statt 55.000), wie eine der Vize-Ministerpräsidentinnen, Tatjana Golikowa, aufgrund der Übersterblichkeit einräumt (De Morgen, 29.12.2020).
Grundsätzlich hat die Tatsache, dass Asien und Afrika bereits Erfahrung im Umgang mit Pandemien (H1N1, Ebola) haben, sicherlich zu ihren Gunsten gewirkt. Dann gibt es verschiedene Erklärungen wirtschaftlicher Art (die mehr oder weniger große Dichte an internationalem Austausch und Kontakten, die Wahl von begrenzten Einschränkungen, die eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglichen), sozialer Art (eine ältere Bevölkerung, von denen Unzählige in "Altersheimen" untergebracht sind), medizinischer Art (eine mehr oder weniger hohe durchschnittliche Lebenserwartung: vgl. Frankreich: 82,4; Vietnam: 76; China: 76,1; Ägypten: 70,9; Philippinen: 68,5; Kongo: 64,7 und die mehr oder weniger große Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten). Darüber hinaus sind und werden die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas indirekt stark von der Pandemie betroffen sein, durch Verzögerungen bei der Impfung in der Peripherie, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Krise und die Verlangsamung des Welthandels, wie die derzeitige Gefahr einer Hungersnot in Mittelamerika aufgrund der wirtschaftlichen Stagnation zeigt. Schließlich hängt die Tatsache, dass die europäischen Länder und die USA es so weit wie möglich vermeiden, drastische und brutale Einschränkungen und Kontrollen zu verhängen, wie sie in China erlassen wurden, zweifellos auch mit der Vorsicht der Bourgeoisie gegenüber einer desorientierten, aber nicht besiegten Arbeiterklasse zusammen, die nicht bereit ist, sich vom Staat "einsperren" zu lassen. Der Verlust der Kontrolle über den politischen Apparat und die Wut in der Bevölkerung angesichts des Zusammenbruchs des Gesundheitswesens und des Scheiterns der Gesundheitspolitik machen es umso notwendiger, mit Bedacht zu handeln.
2. Die Covid-19-Krise läutet eine starke Beschleunigung des Zerfallsprozesses ein
Angesichts eines proletarischen politischen Milieus, das nach der Leugnung vergangener Zerfallserscheinungen die pandemische Krise als eine vorübergehende Episode betrachtet, muss die IKS im Gegenteil betonen, dass das Ausmaß der Covid-19-Krise und ihre Folgen keine "Rückkehr zur Normalität" ermöglichen werden. Auch wenn die Zuspitzung des Zerfalls, genau wie es bei der Dekadenz der Fall ist, nicht linear verläuft, auch wenn der Abgang des Populisten Trump und die Übernahme der Macht durch Biden in den USA zunächst das Bild einer illusorischen Stabilisierung vermitteln mögen, muss man sich bewusst sein, dass verschiedene Tendenzen, die sich während der Covid-19-Krise manifestiert haben, eine Beschleunigung des Prozesses der Fäulnis und der Zerstörung des Systems darstellen.
2.1. Der verrottende Überbau infiziert nun auch die wirtschaftliche Basis
Im Jahr 2007 kam unsere Analyse noch zu dem Schluss: “Paradoxerweise ist die wirtschaftliche Lage des Kapitalismus am geringfügigsten vom Zerfall beeinträchtigt. Dies verhält sich hauptsächlich deshalb so, weil es gerade diese wirtschaftliche Lage ist, die in letzter Instanz die anderen Aspekte des Lebens dieses Systems bestimmt, einschließlich jener, die sich aus dem Zerfall ergeben. (…) Trotz aller Reden über den „Triumph des Liberalismus" und das „Gesetz des freien Marktes" verzichten die Staaten heute weder auf Interventionen in die Wirtschaft noch auf Strukturen, die die Aufgabe haben, die internationalen Beziehungen wenigstens ansatzweise zu regulieren. Im Gegenteil: in der Zwischenzeit sind weitere Institutionen geschaffen worden, wie beispielsweise die Welthandelsorganisation.“ (Resolution zur internationalen Lage, Internationale Revue Nr. 40, 2007) Bisher wurden die wirtschaftliche Krise und der Zerfall durch den Eingriff des Staates getrennt, erstere schien nicht durch den zweiten beeinflusst zu sein.
In der Tat wurden die internationalen Mechanismen des Staatskapitalismus, die im Rahmen der imperialistischen Blöcke (1945-89) eingesetzt wurden, ab den 1990er Jahren auf Initiative der Industrieländer als Linderungsmittel für die Krise und als Schutzschild gegen die Auswirkungen des Zerfalls aufrechterhalten. Die IKS hatte die multilateralen Mechanismen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und eine gewisse Koordinierung der Wirtschaftspolitik nicht als Vereinigung des Kapitals auf Weltebene und auch nicht als Tendenz zum Super-Imperialismus verstanden, sondern als Zusammenarbeit der Bourgeoisien auf internationaler Ebene, um den Markt und die Weltproduktion zu regulieren und zu organisieren, um das Gewicht des Versinkens in der Krise zu verlangsamen und die Auswirkungen der Zerfallseffekte auf den neuralgischen Bereich in der Wirtschaft zu vermeiden und schließlich das Herz des Kapitalismus (USA, Deutschland, ...) zu schützen. Dieser Mechanismus des Widerstands gegen Krise und Zerfall erodierte jedoch mehr und mehr. Seit 2015 haben mehrere Phänomene begonnen, eine solche Erosion zum Ausdruck zu bringen: die Tendenz einer beträchtlichen Schwächung der Koordination zwischen den Ländern, insbesondere in Bezug auf die Erholung der Wirtschaft (und die deutlich im Gegensatz zu der koordinierten Reaktion steht, die angesichts der Krise von 2008-2011 stattfand), eine Fragmentierung der Beziehungen zwischen und innerhalb von Staaten. Seit 2016 haben das Brexit-Votum und die Trump-Präsidentschaft das Risiko der Lähmung und Fragmentierung der
Europäischen Union erhöht und den Handelskrieg zwischen den USA und China, aber auch die wirtschaftlichen Spannungen zwischen den USA und Deutschland verschärft.
Eine wesentliche Konsequenz der Covid-19-Krise ist die Tatsache, dass die Auswirkungen des Zerfalls, der Verschärfung des „Jeder für sich“ und des Kontrollverlusts, die bisher im Wesentlichen den Überbau des kapitalistischen Systems betrafen, nun dazu tendieren, sich direkt auf die ökonomische Basis des Systems auszuwirken, auf seine Fähigkeit, die ökonomischen Erschütterungen beim Versinken in seine historische Krise zu bewältigen. „Bei der Entwicklung unserer Analyse des Zerfalls sind wir davon ausgegangen, dass dieses Phänomen sich sowohl auf die Form der imperialistischen Konflikte (siehe den Artikel Orientierungstext: Militarismus und Zerfall, in der Internationalen Revue Nr. 13) als auch auf das Bewusstsein des Proletariats auswirkt. Demgegenüber waren wir der Ansicht, dass es keine wirklichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Krise des Kapitalismus haben würde. Wenn der gegenwärtige Aufstieg des Populismus dazu führen würde, dass diese Strömung in einigen der wichtigsten europäischen Länder an die Macht käme, so würde der Zerfall jedoch auch eine solche Auswirkung entfalten“ (Bericht über den Zerfall heute, 22. Kongress der IKS 2017, Internationale Revue Nr. 56, 2020). Tatsächlich ist die im Jahr 2017 erkannte Perspektive schnell zur Realität geworden, und nun müssen wir berücksichtigen, dass sich Wirtschaftskrise und Zerfall zunehmend gegenseitig stören und beeinflussen.
So haben Haushaltsbeschränkungen in der Gesundheitspolitik und der Krankenhausversorgung die Ausbreitung der Pandemie begünstigt, was wiederum zu einem Zusammenbruch des Welthandels und der Volkswirtschaften, insbesondere der Industrieländer, geführt hat (die BIPs der wichtigsten Industrieländer werden im Jahr 2020 so negativ sein wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr). Die wirtschaftliche Rezession wird ihrerseits den weiteren Verfall des Überbaus fördern. Andererseits wird die Verschärfung der Haltung des „Jeder für sich“ und des Kontrollverlustes, welche die Krise um Covid-19 insgesamt kennzeichnen, nun auch die Wirtschaft infizieren. Auffallend ist die fehlende internationale Abstimmung zwischen den zentralen Ländern auf wirtschaftlicher Ebene (kein G7-, G8- oder G20-Treffen im Jahr 2020), und auch die fehlende Koordination der Wirtschafts- und Gesundheitspolitik zwischen den EU-Ländern ist offensichtlich. Angesichts des Drucks der wirtschaftlichen Widersprüche innerhalb der Kernländer des Kapitalismus, angesichts des Zögerns Chinas bezüglich seiner Politik (sich weiter der Welt zu öffnen oder einen nationalistischen strategischen Rückzug nach Asien einzuleiten), werden die Erschütterungen der wirtschaftlichen Basis tendenziell immer stärker und chaotischer werden.
2.2. Die zentralen Länder im Mittelpunkt der wachsenden Instabilität der Beziehungen innerhalb und zwischen den Bourgeoisien
In den vergangenen Jahren haben wir eine Verschärfung der Spannungen innerhalb und zwischen den Bourgeoisien erlebt. Insbesondere mit der Machtübernahme von Trump und der Umsetzung des Brexits hat sich dies auf der Ebene der Bourgeoisien, insbesondere der amerikanischen und englischen, die bisher als die stabilsten und erfahrensten der Welt galten, deutlich geäußert: Die Folgen der Covid-19 Krise können diese Spannungen nur noch weiter verschärfen:
- Die englische Bourgeoisie gerät in den Post-Brexit-Nebel, nachdem sie durch Trumps Niederlage die Unterstützung des großen Bruders USA verloren hat, während sie gleichzeitig die volle Wucht der Folgen der Pandemie zu spüren bekommt. Was den Brexit betrifft, so scheint die Unzufriedenheit mit dem unklaren Abkommen mit der EU sowohl bei denjenigen, die das Abkommen nicht wollten (Schottland, Nordirland), als auch bei denjenigen, die einen harten Brexit wollten (Fischereiindustrie), groß zu sein, während es (noch?) kein Abkommen mit der EU für Dienstleistungen (80 % des Handels) gibt und die Spannungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wachsen (z.B. wegen Impfstoffen). Was die Covid-19-Krise anbelangt, so musste England in aller Eile umstrukturieren, hat die Marke von 120.000 Todesfällen überschritten und steht unter einem schrecklichen Druck auf seine Gesundheitsdienste. Unterdessen ist es zu großen Spannungen innerhalb ihrer wichtigsten politischen Parteien, der Tories und der Labour Party, die sich beide in einer schweren internen Krise befinden, gekommen.
- Die Verschärfung der Spannungen zwischen den USA und anderen Staaten war unter der Trump-Administration offensichtlich: „Das Vandalen-Verhalten eines Trump, das amerikanische internationale Verpflichtungen über Nacht unter Missachtung etablierter Regeln kündigen kann, stellt einen neuen und starken Faktor der Unsicherheit dar und gibt weitere Impulse zum „Jeder für sich“. Es ist ein weiteres Kennzeichen der neuen Phase, in der der Kapitalismus weiter in die Barbarei und den Abgrund des ungezügelten Militarismus versinkt.“ (Resolution zur internationalen Lage (2019): imperialistische Spannungen, Leben der Bourgeoisie, Wirtschaftskrise, Internationale Revue Nr. 56, Punkt 13) Aber auch innerhalb der US-Bourgeoisie selbst sind die Spannungen virulent. Dies zeigte sich bereits in der Strategie, die die Aufrechterhaltung ihrer Vorherrschaft während des katastrophalen Irak-Abenteuers von Bush Junior sicherstellen sollte: "Die Beförderung der so genannten „Neokonservativen" an die Staatsspitze 2001 war ein regelrechtes Desaster für die US-Bourgeoisie. Weshalb hat die führende Bourgeoisie der Welt diese Bande von Abenteurern und Stümpern dazu berufen, ihre Interessen zu vertreten? Was war der Grund für die Blindheit der herrschenden Klasse des stärksten kapitalistischen Landes der Welt? Tatsächlich war die Beauftragung der Bande um Cheney, Rumsfeld und Konsorten mit den Regierungsgeschäften keineswegs eine ebenso simple wie gigantische „Fehlbesetzung" durch die US-Bourgeoisie. Wenn sich die Lage der USA auf dem imperialistischen Terrain noch sichtbarer verschlechtert hat, so ist dies vor allem Ausdruck der Sackgasse, in der sich dieses Land schon zuvor durch den zunehmenden Verlust ihrer Führungsrolle befand, und des allgemein herrschenden „Jeder-für-sich" in den internationalen Beziehungen, das die Zerfallsphase kennzeichnet.“ (Resolution zur internationalen Lage, 17. Kongress der IKS, Internationale Revue Nr. 40, 2007) Aber mit Trumps "vandalismusähnlicher" Politik und der Covid-19-Krise scheinen die Widersprüche innerhalb der US-Bourgeoisie viel breiter zu sein (Einwanderung, Wirtschaft), und vor allem scheint die Fähigkeit des politischen Apparats, den Zusammenhalt einer zersplitterten Gesellschaft aufrechtzuerhalten, unterminiert zu sein. In der Tat haben nationale "Einheit" und "Identität" angeborene Schwächen, die sie anfällig für Zerfallstendenzen machen. So die Existenz großer ethnischer und migrantischer ‚Communities‘, die seit den Anfängen der USA unter Rassendiskriminierung leiden und von denen einige vom "offiziellen" Leben ausgeschlossen sind; das Gewicht von Kirchen und Sekten, die irrationales und wissenschaftsfeindliches Denken propagieren, die große Autonomie der Verwaltung der Staaten der "Amerikanischen Union" im Verhältnis zur Bundesmacht (es gibt z.B. eine Unabhängigkeitsbewegung in Texas), der immer deutlicher werdende Gegensatz zwischen den Staaten der Ost- und Westküste (Kalifornien, Oregon, Washington, New York, Massachusetts, etc.), die die Vorteile der "Globalisierung" voll ausschöpfen, und die Bundesstaaten des Südens (Tennessee, Louisiana, etc.), des "Rostgürtels" (Indiana, Ohio, etc.) und des "tiefen Zentrums" (Oklahoma, Kansas, etc.), die eindeutig einen eher protektionistischen Ansatz favorisieren, tendieren zu einer Fragmentierung der amerikanischen Gesellschaft, auch wenn der Bundesstaat noch lange nicht die Kontrolle über die Situation verloren hat. Das Spektakel der Anfechtung des Ablaufs und der Ergebnisse der letzten Präsidentschaftswahlen sowie die "Erstürmung" des Kapitols durch Trumps Anhänger vor den Augen der Weltöffentlichkeit wie in einer Bananenrepublik bestätigen jedoch die Verschärfung dieses Trends zur Zersplitterung.
Im Hinblick auf die zukünftige Verschärfung der Spannungen innerhalb und zwischen den Bourgeoisien sind zwei Punkte zu klären.
(a) Die Machtübernahme Bidens ändert nichts an den Wurzeln der Probleme der USA
Die Amtsübernahme der Biden-Administration bedeutet keineswegs den Abbau der Spannungen zwischen und innerhalb der Fraktionen der Bourgeoisie, und vor allem verschwindet damit nicht die Prägung der Innen- und Außenpolitik durch den Populismus Trumps: Einerseits haben 4 Jahre Unberechenbarkeit und Vandalismus durch Trump, zuletzt im katastrophalen Umgang mit der Pandemie, die innenpolitische Situation der USA, die Fragmentierung der amerikanischen Gesellschaft sowie ihre internationale Positionierung tiefgreifend geprägt. Mehr noch hat Trump in der letzten Phase seiner Präsidentschaft alles getan, um die Situation für seinen Nachfolger noch chaotischer zu machen (vgl. den Brief der letzten 10 Verteidigungsminister, in dem Trump aufgefordert wird, die Armee nicht in die Anfechtung der Wahlergebnisse im Dezember 2020 einzubeziehen, in die Besetzung des Kongresses durch seine Anhänger). Zweitens zeigen Trumps Wahlergebnisse, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung seine Ideen und vor allem seine Abneigung gegen politische Eliten teilt. Schließlich deutet der Einfluss Trumps und seiner Ansichten auf einen Großteil der republikanischen Partei auf eine schwierige Führung für die (außerhalb der politischen Eliten) unpopuläre Biden-Administration hin. Bidens Sieg hat mehr mit einer Anti-Trump-Polarisierung zu tun als mit Begeisterung für das Programm des neuen Präsidenten.
Auch wenn die Biden-Administration auf der formalen Ebene und in bestimmten Bereichen wie der Klimapolitik oder der Einwanderung zum Bruch mit Trumps Politik tendieren wird, so kann ihre Innenpolitik der "Rache" der Eliten – die hauptsächlich an den beiden Küsten wohnen – am "deep America" (die Themen fossile Brennstoffe und "the wall" hängen genau damit zusammen) und ihre Außenpolitik, gekennzeichnet durch die Fortsetzung von Trumps Politik im Nahen Osten und eine Verstärkung der Konfrontation mit China (vergleiche Bidens harte Haltung gegenüber Xi während ihres ersten Telefongesprächs und die Forderung der USA an die EU, ihr Handelsabkommen mit China zu überprüfen) auf lange Sicht nur zu einer Verstärkung der Instabilität innerhalb der US-Bourgeoisie und zwischen den Bourgeoisien anderer Länder führen.
(b) China ist nicht der große Sieger der Situation
Offiziell präsentiert sich China als „das Land, das die Pandemie besiegt hat". Wie sieht die Lage wirklich aus? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die kurzfristigen (effektive Kontrolle der Pandemie) und mittelfristigen Auswirkungen der Covid-19 Krise bewerten.
China trägt eine überwältigende Verantwortung für die Entstehung und Ausbreitung der Pandemie. Nach dem SARS-Ausbruch 2003 wurden Protokolle für lokale Behörden erstellt, um die zentralen Behörden zu warnen. Schon beim Ausbruch der Schweinepest 2019 wurde klar, dass dies nicht funktioniert, weil im stalinistischen Staatskapitalismus lokale Beamte um ihre Karrieren/Beförderungen fürchten, wenn sie schlechte Nachrichten verkünden. Dito zu Beginn des Covid-19 in Wuhan. Es waren die "demokratischen Bürgeroppositionen", die letztlich die Nachrichten veröffentlichten und somit mit Verzögerung die Nachrichten an die Führung in Beijing weiterleiteten. Die "zentrale Ebene" fiel zunächst durch Abwesenheit auf: Sie warnte die WHO nicht, und drei Wochen lang war Xi abwesend, drei wertvolle Wochen gingen verloren. Seitdem weigert sich China immer noch, der WHO überprüfbare Daten über die Entwicklung der Pandemie auf seinem Territorium zu liefern.
Die kurzfristigen Auswirkungen sind in erster Linie indirekt. Die offiziellen Zahlen der Ansteckungen und Todesfälle sind nicht zuverlässig. (Diese reichen von 30.000 bis zu mehreren Millionen) und laut der New York Times ist sich möglicherweise die chinesische Regierung selbst nicht über das Ausmaß der Epidemie bewusst, da die lokalen Behörden aus Angst vor Repressalien seitens der Zentralregierung über die Anzahl der Infektionen, Tests und Todesfälle lügen. Die Verhängung rücksichtsloser und barbarischer Abriegelungen ganzer Regionen, die buchstäblich Millionen von Menschen wochenlang in ihren Häusern einsperren (in den letzten Monaten wurde das wieder regelmäßig praktiziert), legte jedoch die chinesische Wirtschaft für mehrere Wochen völlig lahm und führte zu massiver Arbeitslosigkeit (205 Millionen ab Mai 2020) und katastrophalen Erntefolgen (in Kombination mit Dürren, Überschwemmungen und Heuschreckenplagen). 2020 ist das Wachstum des BIP um mehr als 4 % niedriger als 2019 (+6,1 % zu +1,9 %); der Binnenkonsum wurde durch eine vollständige Freigabe von Krediten durch den Staat aufrechterhalten.
Längerfristig sieht sich die chinesische Wirtschaft mit der Verlagerung strategischer Industrien durch die USA und europäische Länder und den Schwierigkeiten der "Neuen Seidenstraße" konfrontiert, und zwar wegen finanzieller Probleme, die mit der Wirtschaftskrise zusammenhängen und durch die Covid-19 Krise noch verschärft werden (chinesische Finanzierung, aber vor allem der Verschuldungsgrad von "Partner"-Ländern wie Sri Lanka, Bangladesch, Pakistan, Nepal usw.), aber auch wegen des wachsenden Misstrauens vieler Länder und des gegen China gerichteten Drucks der USA. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es im Jahr 2020 zu einem Einbruch des finanziellen Wertes der in das Projekt "Neue Seidenstraße" gesteckten Investitionen kam (-64%).
Die Covid-19-Krise und die Hindernisse, auf die die "Neue Seidenstraße" stößt, haben die Spannungen, die sich an der Spitze des chinesischen Staates immer deutlicher abzeichnen, noch verschärft, zwischen der "ökonomistischen" Fraktion, die vor allem auf wirtschaftliche Globalisierung und "Multilateralismus" setzt, um Chinas kapitalistische Expansion voranzutreiben, und der "nationalistischen" Fraktion, die eine muskulösere Politik fordert und die Stärke ("Es ist China, das Covid besiegt hat") angesichts interner (die Uiguren, Hongkong, Taiwan) und externer Bedrohungen (Spannungen mit den USA, Indien und Japan) betont. Im Hinblick auf den nächsten Volkskongress im Jahr 2022, der den neuen Präsidenten ernennen (oder den alten bestätigen?) soll, ist die Lage in China daher auch besonders instabil.
2.3. Der Staatskapitalismus als Faktor, der die Widersprüche verschärft
"Wie die GCF 1952 festgestellt hat, ist der Staatskapitalismus keine Lösung für die Widersprüche des Kapitalismus, auch wenn er deren Auswirkungen verzögern kann, sondern er ist Ausdruck dieser Widersprüche. Die Fähigkeit des Staates, eine zerfallende Gesellschaft zusammenzuhalten, so eindringlich sie auch sein mag, ist daher dazu bestimmt, im Laufe der Zeit nachzulassen und letztlich zu einem erschwerenden Faktor genau der Widersprüche zu werden, die er einzudämmen versucht. Der Zerfall des Kapitalismus ist die Periode, in der ein wachsender Kontrollverlust der herrschenden Klasse und ihres Staates zum dominierenden Trend der gesellschaftlichen Entwicklung wird, was Covid so dramatisch offenbart.“ (Bericht über die Covid-Pandemie und die Periode des kapitalistischen Zerfalls, Juli 2020) Mit der Pandemiekrise kommt der Widerspruch zwischen der Notwendigkeit eines massiven Interventionismus des Staatskapitalismus, um die Auswirkungen der Krise zu begrenzen, und einer gegenläufigen Tendenz zum Kontrollverlust, zur Fragmentierung, die ihrerseits durch diese Versuche des Staates seine Kontrolle aufrechtzuerhalten, verschärft wird, auf besonders akute Weise zum Ausdruck.
Die Covid-19-Krise stellt vor allem eine Beschleunigung des Glaubwürdigkeitsverlustes des Staatsapparates dar. Während der Staatskapitalismus massiv intervenierte, um die Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen (sanitäre Maßnahmen, Kontaktbeschränkungen, Massenimpfungen, allgemeiner finanzieller Ausgleich zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen, etc.), erwiesen sich die auf den verschiedenen Ebenen ergriffenen Maßnahmen oft als unwirksam oder riefen neue Widersprüche hervor (die Impfung verschärfte die staatsfeindliche Opposition der "Impfgegner", der wirtschaftliche Ausgleich für eine Branche erregte den Unmut anderer). Wenn also der Staat die gesamte Gesellschaft repräsentieren und ihren Zusammenhalt aufrechterhalten soll, wird er von der Gesellschaft immer weniger als solcher anerkannt: Angesichts der wachsenden Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit der Bourgeoisie, die auch in den zentralen Ländern immer deutlicher zutage tritt, besteht die Tendenz, den Staat als eine Struktur im Dienste der korrupten Eliten zu sehen, als eine Kraft der Unterdrückung. Infolgedessen fällt es ihr immer schwerer, Regeln durchzusetzen: In vielen europäischen Ländern wie Italien, Frankreich oder Polen, aber auch in den USA, kam es zu Demonstrationen gegen staatliche Maßnahmen zur Schließung von Betrieben oder gegen Ausgehverbote. Überall, vor allem unter jungen Menschen, entstehen Social-Media-Kampagnen, die sich gegen diese Regeln wenden, wie zum Beispiel der Hashtag "Ich will das Spiel nicht mehr spielen" in Holland.
Die Unfähigkeit der Staaten, damit umzugehen, wird durch die Auswirkungen des populistischen "Vandalismus" sowohl symbolisiert als auch beeinflusst. Die Störung des politischen „Spiels“ der Bourgeoisie in den Industrieländern ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts durch populistische Bewegungen und Parteien, die oft der extremen Rechten nahestehen, auffällig. Erinnern wir uns an den überraschenden Einzug von Le Pen in die „Endrunde" der Präsidentschaftswahlen 2002 in Frankreich, den blitzartigen und spektakulären Durchbruch der "Liste Pim Fortuyn" in den Niederlanden 2001-2002, die Berlusconi-Regierungen mit Unterstützung der extremen Rechten in Italien, den Aufstieg von Jörg Haider und der FPÖ in Österreich oder den Aufstieg der Tea Party in den USA. Schon damals verknüpfte die IKS das Phänomen mit der Schwäche der Bourgeoisien: "Sie hängen von der Stärke oder Schwäche der nationalen Bourgeoisie ab. In Italien neigen die Schwächen und inneren Spaltungen der Bourgeoisie, auch aus imperialistischer Sicht, dazu, eine bedeutende populistische Rechte wieder aufleben zu lassen. In Großbritannien hingegen ist die faktische Nichtexistenz einer spezifischen rechtsextremen Partei mit der Erfahrung und überlegenen Beherrschung des politischen Spiels durch die englische Bourgeoisie verbunden." (Rise of the Far Right in Europe: Is There a Fascist Danger Today? International Review Nr. 110 (engl./frz./span. Ausgabe), 2002) Während die Tendenz zum Kontrollverlust tatsächlich weltweit ist und die Peripherie geprägt hat (Länder wie Brasilien, Venezuela, Peru in Lateinamerika, die Philippinen oder Indien in Asien), so trifft sie heute die Industrieländer, die historisch stärksten Bourgeoisien (Großbritannien) und heute vor allem die USA, hart. Während die populistische Welle von der Anfechtung des Establishments profitiert, dezimiert und destabilisiert die Machtübernahme der Populisten durch ihre "vandalismusartige" Politik (vgl. Trump, Bolsonaro, aber auch die "populistische Regierung" M5S und Lega in Italien) die staatlichen Strukturen weiter, insofern sie weder Willens noch in der Lage sind, die Staatsgeschäfte verantwortungsvoll zu übernehmen.
Diese Beobachtungen widersprechen der These, dass die Bourgeoisie durch diese Maßnahmen eine Mobilisierung und Unterwerfung der Bevölkerung im Hinblick auf eine Mobilisierung für einen generalisierten Krieg durchführt. Im Gegenteil, die chaotische Gesundheitspolitik und die Unfähigkeit der Staaten, mit der Situation umzugehen, drücken die Schwierigkeit der Bourgeoisien der zentralen Länder aus, ihre Kontrolle über die Gesellschaft durchzusetzen. Die Zunahme dieser Tendenz kann die Glaubwürdigkeit der demokratischen Institutionen verändern (ohne dass dies im gegenwärtigen Kontext die geringste Verstärkung des Klassenterrains bedeutet) oder im Gegenteil die Entwicklung von Kampagnen zur Verteidigung dieser Institutionen oder sogar zur Wiederherstellung einer "wahren Demokratie" bedeuten: So gab es während des Angriffs auf das Kapitol diejenigen, die die Demokratie zurückfordern wollten, die "von den Eliten als Geisel genommen wurde" ("das Kapitol ist unser Haus"), und diejenigen, die die Demokratie gegen einen populistischen Putsch verteidigten.
Die Tatsache, dass die Bourgeoisie immer weniger in der Lage ist, eine Perspektive für die gesamte Gesellschaft aufzuzeigen, führt auch zu einer beängstigenden Ausbreitung irrationaler alternativer Ideologien und zu einer wachsenden Verachtung einer wissenschaftlichen und begründeten Vorgehensweise. Natürlich ist der Zusammenbruch der Werte der herrschenden Klasse nicht neu. Seit Ende der 1960er Jahre ist dies offensichtlich, aber die Vertiefung von Zersetzung, Chaos und Barbarei hat den Aufstieg von Hass und Gewalt nihilistischer Ideologien und des rückschrittlichsten religiösen Sektierertums gefördert. Die Covid-19-Krise hat zu einem Aufschwung dieser Bewegungen wie QAnon, Wolverine Watchmen, Proud Boys oder der Boogaloo-Bewegung in den USA, evangelikaler Sekten in Brasilien, Lateinamerika oder Afrika, sunnitischer oder schiitischer muslimischer Sekten, aber auch hinduistischer oder buddhistischer Sekten geführt. Sie verbreiten Verschwörungstheorien und völlig abwegige Vorstellungen über das Virus, die Pandemie, den Ursprung (Kreationismus) oder die Zukunft der Gesellschaft. Die exponentielle Ausbreitung des irrationalen Denkens und der Ablehnung der Beiträge der Wissenschaft wird sich tendenziell beschleunigen.
2.4. Die Zunahme gegen den Staat gerichteter Unruhen und klassenübergreifenden Bewegungen
Ausbrüche von Volksaufständen gegen Elend und kriegerische Barbarei waren seit Beginn der Zerfallsphase vorhanden und nehmen im 21. Jahrhundert zu: Argentinien (2001-2002), die französischen Vorstädte 2005, Iran 2009, London und andere englische Städte 2011, der Ausbruch von Unruhen im Maghreb und im Nahen Osten 2011-12 (der "Arabische Frühling"). Eine neue Welle sozialer Unruhen brach aus in Chile, Ecuador oder Kolumbien (2019), im Iran (2017-18 und wieder 2019-20), im Irak, im Libanon (2019-2020), aber auch in Rumänien (2017), Bulgarien (2013 und 2019-2020) oder Frankreich mit der "Gelbwesten"-Bewegung (2018-2019) und, mit spezifischen Ausprägungen, in Ferguson (2014) und Baltimore (2016) in den USA. Diese Revolten spiegelten die wachsende Verzweiflung der Bevölkerungen wider, die unter der Erosion der sozialen Beziehungen leiden und den traumatischen und dramatischen Folgen der Verarmung in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch oder endlosen Kriegen ausgesetzt sind. Sie richten sich auch zunehmend gegen die Korruption der Cliquen an der Macht und ganz allgemein gegen die politischen Eliten.
Im Zuge der Covid-19-Krise häufen sich derartige Wutausbrüche, die sich in Form von Demonstrationen und sogar Ausschreitungen äußern. Sie neigen dazu, sich um drei Pole herum zu kristallisieren:
(a) klassenübergreifende Bewegungen, die die Revolte gegen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Covid-19-Krise zum Ausdruck bringen (z.B. die "Gelbwesten");
(b) identitätsbasierte Bewegungen, die populistischen Ursprungs sind (MAGA) oder sich auf einen Teilaspekt (Einpunktforderung) beschränken und dazu neigen, die Spannungen zwischen Teilen der Bevölkerung zu verschärfen (wie z. B. Rassenrevolten (BLM), aber auch religiös inspirierte Bewegungen – z.B. in Indien – usw.);
(c) Anti-Establishment- und antistaatliche Bewegungen im Namen der "individuellen Freiheit", eines nihilistischen Typs, ohne wirkliche "Alternativen", wie z.B. "Anti-Vax"- oder Verschwörungs-Bewegungen ("Holt meine Institutionen von den Eliten zurück").
Solche Bewegungen führen oft zu Krawallen und Plünderungen und dienen als Ventil für Jugendbanden aus vom Zerfall geplagten Vierteln. Während diese Bewegungen den ernsthaften Verlust der Glaubwürdigkeit der politischen Strukturen der Bourgeoisie aufzeigen, bietet keine von ihnen in irgendeiner Weise eine Perspektive für die Arbeiterklasse. Nicht jede Revolte gegen den Staat ist automatisch ein günstiges Terrain für das Proletariat: Im Gegenteil, sie lenkt es von seinem Klassenterrain auf ein Terrain, das nicht das seine ist.
2.5. Die Ausnutzung der ökologischen Bedrohung durch die Kampagnen der Bourgeoisie
Die Pandemie veranschaulicht die dramatische Verschärfung der Umweltzerstörung, die nach den Erkenntnissen und Prognosen, die inzwischen in wissenschaftlichen Kreisen einhellig akzeptiert werden und die sich die Mehrheit der bürgerlichen Klasse in allen Ländern selbst zu eigen gemacht hat (Pariser Abkommen, 2015), alarmierende Ausmaße annimmt: Verschmutzung der Luft in den Städten und des Wassers in den Ozeanen, Klimawandel mit immer heftigeren meteorologischen Phänomenen, das Voranschreiten der Wüstenbildung und die Beschleunigung des Verschwindens von Pflanzen- und Tierarten, die das biologische Gleichgewicht unseres Planeten zunehmend bedrohen. “All diese wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen, die im allgemeinen zwar auf die Dekadenz zurückgehen, bilden mit ihrer Häufung und ihrem Ausmaß die Tatsache ab, daß dieses System sich in einer völlig ausweglosen Lage befindet und dem größten Teil der Weltbevölkerung keine Zukunft anzubieten hat, außer der Zunahme von unvorstellbarer Barbarei. Es ist ein System, dessen Wirtschaftspolitik, Forschungen und Investitionen systematisch auf Kosten der Zukunft der Menschheit und damit auch auf Kosten der Zukunft des Systems an sich verwirklicht werden.“ (Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus, Internationale Revue Nr. 13, 1991, Punkt 7)
Die herrschende Klasse ist aufgrund der ureigenen Gesetze des Kapitalismus und insbesondere der Verschärfung der Widersprüche durch das Versinken im Zerfall nicht in der Lage, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Daher kann sich die ökologische Krise nur verschärfen und in Zukunft neue Katastrophen hervorrufen. In den letzten Jahrzehnten hat die Bourgeoisie jedoch die ökologische Dimension zurückgewonnen, um eine Perspektive für "Reformen innerhalb des Systems" zu schaffen. Insbesondere die Bourgeoisien der Industrieländer stellen die "ökologische Transition" und die "grüne Ökonomie" in den Mittelpunkt ihrer aktuellen Kampagnen zur Durchsetzung einer Perspektive der drakonischen Austerität, als Teil ihrer Wirtschaftspolitik nach der Pandemie, zur Restrukturierung und Stärkung der Wettbewerbsposition der Industrieländer. So stehen sie im Mittelpunkt der "Konjunkturprogramme" der Europäischen Kommission für die EU-Länder und des Konjunkturprogramms der Biden-Administration in den USA. Die Ökologie wird also in den kommenden Jahren mehr denn je eine große Mystifikation darstellen, welche von den Revolutionären bekämpft werden muss.
3. Schlussfolgerungen
Dieser Bericht hat gezeigt, dass die Pandemie keine neue Periode einleitet, sondern in erster Linie ein Indikator für den Grad des Zerfalls ist, der während der dreißigjährigen Zerfallsphase erreicht wurde, ein Grad, der bisher oft unterschätzt wurde. Gleichzeitig kündigt die Pandemie auch eine deutliche Beschleunigung verschiedener Zerfallseffekte in der kommenden Zeit an, wie insbesondere die Auswirkungen der Covid-19-Krise auf die staatliche Wirtschaftsführung und ihre verheerenden Folgen für die zentralen Industrieländer, allen voran für die Supermacht USA, zeigen. Es gibt Möglichkeiten für spezifische gegenläufige Entwicklung, die eine gewisse “Pause“ oder sogar eine gewisse Rückgewinnung der Kontrolle durch den Staatskapitalismus erzwingen können. Aber diese spezifischen Ereignisse werden keineswegs bedeuten, dass die historische Dynamik des Versinkens in der Phase des Zerfalls, die in diesem Bericht hervorgehoben wird, in Frage gestellt wird.
Wenn die Perspektive auch nicht die eines generalisierten Weltkrieges (zwischen imperialistischen Blöcken) ist, so kündigt das gegenwärtige Versinken in der Tendenz des "Jeder für sich" doch eine brutale Zunahme mörderischer, kriegerischer Auseinandersetzungen, aussichtsloser, in Blut ertränkter Revolten oder anderer Katastrophen für die Menschheit an. “Der Verlauf der Geschichte ist unumkehrbar: der Zerfall führt, wie sein Name sagt, zur Auflösung und Fäulnis der Gesellschaft, ins Nichts. Seiner eigenen Logik und seinen letzten Konsequenzen überlassen, führt er die Gesellschaft zum gleichen Ergebnis wie der Weltkrieg. Ob man brutal von einem thermonuklearen Bombenhagel in einem Weltkrieg ausgelöscht wird oder durch die Umweltverschmutzung, die Radioaktivität der Atomkraftwerke, den Hunger, die Epidemien und die Massaker der verschiedenen kriegerischen Konflikte (in denen auch Atomwaffen eingesetzt werden können) vernichtet wird, läuft letztendlich aufs gleiche hinaus. Der einzige Unterschied zwischen diesen beiden Formen der Zerstörung besteht darin, daß die erste schneller ist, während die zweite langsamer ist, dafür aber umso mehr Leid verursacht.“ (Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus, Internationale Revue Nr. 13, 1991, Punkt 11)
Das Fortschreiten der Zerfallsphase kann auch zu einer Abschwächung der Fähigkeit des Proletariats führen, seine revolutionäre Aktion durchzuführen. Die Arbeiterklasse befindet sich damit in einem Wettlauf gegen das Versinken der Gesellschaft in der Barbarei eines historisch überholten Systems. Natürlich können die Kämpfe der Arbeiter*innen die Entwicklung des Zerfalls nicht verhindern, aber sie können den Auswirkungen dieses Zerfalls, des "Jeder für sich", Einhalt gebieten. Zur Erinnerung: „Die Dekadenz des Kapitalismus war notwendig, damit das Proletariat in der Lage ist, den Kapitalismus zu stürzen. Dagegen ist das Auftreten des historischen Phänomens des Zerfalls, das Resultat der Verlängerung der Dekadenz infolge des Ausbleibens der proletarischen Revolution, keineswegs eine notwendige Etappe für das Proletariat auf dem Weg zu seiner Emanzipation.“ (Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus, Internationale Revue Nr. 13, 1991, Punkt 12)
Die Covid-19 Krise erzeugt somit eine noch unberechenbarere und verworrenere Situation. Die Spannungen auf den verschiedenen Ebenen (gesundheitlich, sozioökonomisch, militärisch, politisch, ideologisch) werden große soziale Umwälzungen, massive Volksaufstände, zerstörerische Unruhen, intensive ideologische Kampagnen – wie die um die Ökologie – hervorrufen. Ohne einen soliden Rahmen für das Verständnis der Ereignisse werden Revolutionäre nicht in der Lage sein, ihre Rolle als politische Avantgarde der Klasse zu spielen, sondern werden stattdessen zu ihrer Verwirrung beitragen, zur Abschwächung ihrer Fähigkeit, ihre revolutionäre Rolle zu erfüllen.
Frühjahr 2021
1 Dieser Text wurde im Juli 2020 geschrieben, und wir konnten eine neuere Information nicht berücksichtigen, die die These als plausibel ansieht, dass die Epidemie ihren Ursprung in einem Laborunfall in Wuhan, China, hatte (siehe dazu den folgenden Artikel von Le Monde vom 14.05.2021: Origines du Covid-19 : l’hypothèse d’un accident à l’Institut de virologie de Wuhan relancée après la divulgation de travaux inédits). Dennoch würde diese Hypothese, wenn sie bestätigt würde, unsere Analyse, dass die Pandemie ein Produkt des Zerfalls des Kapitalismus ist, in keiner Weise schmälern. Im Gegenteil, es würde verdeutlichen, dass letztere die wissenschaftliche Forschung in einem Land nicht verschont, dessen kometenhaftes Wachstum in den letzten Jahrzehnten den Stempel des Zerfalls trägt.