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Wenn wir Bundeskanzler Schröder Glauben schenken sollen, dann hat er
sich zu Neuwahlen entschlossen, weil er sich der "Unterstützung
des Volkes für wichtige Reformvorhaben nicht mehr sicher" ist. Die von
ihm angestrebten Neuwahlen sollten dem Kanzler für seine Reformprojekte
eine neue demokratische Legitimation verschaffen.
Warum dieser Schachzug Schröders? Tatsächlich verfügt die herrschende Klasse über ein Gespür, sozusagen Sensoren, die ihr zeigen, dass insbesondere in Anbetracht der Massenarbeitslosigkeit, und der sich verschärfenden Verarmung großer Bevölkerungsteile und den zunehmend unerträglicher werdenden Arbeitsbedingungen sich nicht nur Angst und Einschüchterung, sondern Ablehnung und Empörung in der Arbeiterklasse zu formieren begonnen hat. Der Beschluss, vorgezogene Bundestagswahlen abzuhalten, spiegelt somit die Reaktionsfähigkeit der Herrschenden auf eine für sie langfristig bedrohliche Entwicklung wider. Für unsere Kapitalisten ist die bürgerliche Demokratie zunächst das wichtigste Mittel des politischen Frühwarnsystems der kapitalistischen Herrschaft, denn die Mechanismen der bürgerlichen Demokratie liefern den Herrschenden wertvolle Anhaltspunkte für die Stimmung im Volke. So sind Wahlbeteiligung, Enthaltung, Protestwahlverhalten, Verteilung der Stimmenabgabe und Ähnliches aus der Sicht unserer Ausbeuter einige Indizien, die ihnen aufzeigen, ob sie als Verteidiger dieses Systems in eine politische Legitimationsnot geraten oder nicht. Vor dem Hintergrund eines generell zunehmenden Misstrauens und einer bislang noch diffusen, aber wachsenden Ablehnung gegenüber allen parlamentarischen Parteien in den Reihen der Arbeiterklasse liefert der Wahlzirkus das beste Spektakel, um so zu tun, als ob das "Volk entscheidet, wer uns regiert".
Der alte kapitalistische Haudegen Churchill pries die Demokratie als die zweitschlechteste Regierungsform, schlechter seien nur alle anderen. Heute zeigt sich wieder in Deutschland, wie ausgezeichnet die bürgerliche Demokratie als Abwehrkraft für den Kapitalismus funktioniert. Denn während die allmächtige Stasi vor 1989 in der damaligen DDR nicht ausreichend im Bilde über die Stimmung im "Volke" war, weil jeder gezwungen war, seine Meinung geheim zu halten, ist die bürgerliche Klasse in den westlichen Industriestaaten viel besser im Bild über die ‚Stimmung im Volk' und gerüstet darauf zu reagieren. Die Demokratie stellt nämlich in den Händen der Herrschenden ein hochempfindliches Stimmungsbarometer dar. Beispielsweise als Müntefering als Parteivorsitzender der SPD im Frühjahr in der Dortmunder Westfalenhalle im NRW Wahlkampf die Agenda 2010 rechtfertigte, verließ die Hälfte der Parteianhänger den Saal mitten in seiner Rede. Das eigene Parteivolk schüttelte den Kopf: "Agenda 2010 und die anderen Sparbeschlüsse können wir unseren Wählern nicht mehr vermitteln". Er konnte sofort darauf reagieren, indem er anschließend zur Presse rannte und - einen Schwenk nach links vollziehend - seine ‚Heuschreckenrede' gegen die ‚schwarzen Schafe' unter den Kapitalisten vom Stapel ließ. zu halten. Das war im Wahlkampf d.h. vor der NRW Niederlage. Genauso wurden die Neuwahlen bereits vor dem Bekanntwerden der Niederlage der SPD in NRW beschlossen.
Diese heimtückische, hinters Licht führende Propaganda der Herrschenden stellt die Wirklichkeit auf den Kopf, weil sie die Existenz von Klassen vertuscht.
Tatsache ist: Die herrschende Klasse kontrolliert die Medien. Diese sind keine "im Spiel der Demokratie frei agierenden Kräfte", sondern sie formen die Meinungen und wirken zugunsten der Verteidigung des Ausbeutersystems. Die herrschende Klasse kontrolliert nicht nur die Regierungsparteien, sondern alle bürgerlichen politischen Parteien, d.h. auch diejenigen, die scheinbar in Opposition stehen. Von der Finanzierung am Wahlkampf beteiligter Parteien, die direkt durch den Staat erfolgt (so erhält jede Partei, die zu den Bundestagswahlen zugelassen ist, allein schon pro abgegebene Stimme eine bestimmte Geldsumme, oder sie bedienen sich direkt am Trog staatlicher Pfründe) bis hin zur Ein- und Anbindung mittels Verbände, Gewerkschaften, Kirchen an den Staat, hat die kapitalistische Herrschaftsstruktur ein Netz gewoben, wo all diese Kräfte zur Verteidigung des Staates und seiner Ideologie bereit stehen. Die im Dienst des Kapitals stehenden Medien "montieren" oder "demontieren" eine Partei. Eine Partei, die wirklich gegen den Kapitalismus wäre, könnte nicht nur jederzeit schnell illegalisiert werden, da solche Parteien die bürgerliche Demokratie ohnehin nicht anerkennen, sondern hätte auch im bürgerlichen Wahlzirkus keine Chance. Wenn sie dennoch zugelassen wäre, würde dies in der heutigen Zeit dazu führen, (da die wesentlichen Entscheidungen ohnehin nicht mehr im Parlament getroffen, sondern dort nur noch abgesegnet werden) dass die Illusionen in die bürgerliche Demokratie Auftrieb erhalten würden. Die Geschichte liefert uns zahlreiche Beispiele dafür, wie die Verbürgerlichung von Arbeiterparteien durch die Beteiligung an Parlamentswahlen gerade dadurch mächtig vorangetrieben wurde (so die Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg oder die Kommunistischen Parteien der 20er Jahre).
Denn abgesehen von dem totalitären Griff des Staates über alle bürgerlichen Parteien, der bewirkt, dass alle diese Parteien am Räderwerk des kapitalistischen Staates mitdrehen und weder die Existenz des Staates noch seine Funktionsweise behindern, ist das Parlament längst nicht mehr das Gremium, wo grundlegende Entscheidungen getroffen werden. In den entwickelten kapitalistischen Staaten gibt es permanent bestehende Bürokratien, beispielsweise Ministerien, deren Mitglieder nur zum geringen Teil nach den Wahlen jeweils ausgetauscht werden. Diese Ministerialbürokratie sorgt für die Kontinuität der politischen Entscheidungen und wird dabei von außerparlamentarischen Instanzen und Gremien unterstützt und beeinflusst, wie z.B. Militär, Geheimdienste, Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Kirchen. Zudem gibt es bei den großen "Sachfragen", die die eigentlichen Widersprüche des Kapitalismus zum Ausdruck bringen, keine grundlegende Wahl - alle Parteien bewegen sich in die gleiche Richtung. Gegenüber der unlösbaren Wirtschaftskrise und der Militarisierung der Gesellschaft besteht Einmütigkeit unter allen Parteien, die Last der Krise auf die Schultern der Arbeiterklasse abzuwälzen und die Militarisierung (sei es durch einen Ausbau des Repressionsapparates im Innern, oder durch zunehmende Aufrüstung und Einsätze der Bundeswehr im Ausland) voranzutreiben. Denn innerhalb des Kapitalismus gibt es hierzu keine Alternative.
Jede parlamentarisch gewählte Regierung kann sich deshalb auf des Volkes Stimme berufen, wenn sie ihre gegen die Arbeiterklasse gerichteten Maßnahmen durchsetzt.
Um so mehr kann sich die herrschende Klasse freuen, wenn sich die Empörung gegen ihre Politik auf die Bühne des parlamentarischen Protestes locken lässt, da solch ein Protest dem Spektrum bürgerlich-kapitalistischer Legitimation eine weitere Variante hinzufügt.
Tatsache ist, durch die Stimmabgabe für die eine oder andere Protestpartei oder Stimmenthaltung wird dem System kein Schaden zugefügt. Schließlich besteht die Funktion von Wahlurnen darin, die Menschen in unzählige Individuen zu spalten, sie voneinander zu isolieren und den Eindruck zu erwecken, die Summe der abgegebenen, unter sich gleichen Stimmen würden Mehrheitsverhältnisse schaffen, somit Regierungsbildungen legitimieren. Was die Herrschenden zum Nachgeben, zum Zurückweichen zwingt, ist nicht die diffuse Menge Protestwähler oder Stimmenthaltungen, sondern gebündelter, massiver Gegendruck durch die Arbeiterklasse. Dieser kommt aber nicht durch das Kreuz auf einem Stimmzettel und auch nicht durch die bloße Nichtabgabe seiner Stimme zustande, sondern nur durch das selbständige Handeln der Arbeiterklasse. Erst wenn die kapitalistische Logik der Atomisierung der Menschen in Bürger, Wähler usw. überwunden wird und die Arbeiter auf Grundlage ihrer Klasseninteressen kollektiv handeln, kommt ein wirklicher Gegendruck, eine wirkliche Perspektive zustande.
Entgegen jenen, die zwar die Schnauze voll haben von den bürgerlichen Parteien und deren arbeiterfeindlichen Politik, aber nichts Besseres zu tun wissen, als irgendeiner Protestpartei auf den Leim zu gehen, darf kein Zweifel bestehen, dass die Führer dieser sogenannten Protestparteien ausgekochte Kapitalistenknechte sind, die demagogisch die Trommel für das Wahlspektakel rühren und so dem Kapital treue Dienste erweisen.
Ein solches Verhalten führt zu noch mehr Frustrationen und Enttäuschungen, weil so anstelle des notwendigen Handelns nur die Passivität gefördert wird. In Wahrheit lässt sich ein wirksamer Gegendruck nicht anders aufbauen als durch einen eigenständigen Kampf der Arbeiter, wo sich die Arbeiter für ihre gemeinsamen Klasseninteressen gegen die Kapitalisten und ihren Staat zusammenschließen. In Anbetracht der Schwierigkeiten, diesen Klassenwiderstand zustande zu bringen, erscheint eine Protestwahl als "der einfachere Weg". Die Mobilisierung für eine Protestwahl blockiert somit die Auseinandersetzung über die wirklich notwendigen, tiefgreifenden Schritte der eigenen Aktivierung.
Die zentralen Fragen, vor denen die Menschheit heute steht, nämlich Überwindung der Wirtschaftskrise, der Kriege, Vermeidung einer ökologischen Katastrophe usw. - werden nicht im Parlament gelöst, ja, sie können innerhalb des Kapitalismus insgesamt überhaupt nicht gelöst werden. Dazu ist eine tiefgreifende, bis an die Wurzeln vordringende gesellschaftliche Revolution notwendig. Wer davon ablenkt, hält uns vom Befassen mit der wesentlichen Frage ab. Der Aufruf, "lieber Protestwahl als gar nichts tun" ist die typisch opportunistische Ausrede, um vor der gewaltigen Aufgabe zu flüchten, vor der die Arbeiterklasse, ja, die Menschheit heute steht und die mit ganz anderen Mitteln gelöst werden muss als mit einem Protestkreuzchen. Niemand kann der Arbeiterklasse die Last abnehmen, selbst die Initiative zu ergreifen.
Schon Anfang der 1920er betonte der große Vordenker der Kommunistischen Linken Anton Pannekoek: "Die Revolution erfordert auch noch etwas mehr als die massale Kampftat, die ein Regierungssystem stürzt und von der wir wissen, dass sie nicht von Führern bestellt, sondern nur aus dem tiefen Drang der Massen emporspringen kann. Die Revolution erfordert, dass die großen Fragen der gesellschaftlichen Rekonstruktion in die Hand genommen, dass schwierige Entscheidungen getroffen werden, dass das ganze Proletariat in schaffende Bewegung gebracht wird - und das ist nur möglich, wenn zuerst die Vorhut, dann eine immer größere Masse sie selbst zur Hand nimmt, sich selbst dafür verantwortlich weiß, sucht, propagiert, ringt, versucht, nachdenkt, wägt, wagt und durchführt. Aber das ist alles schwer und mühsam; solange daher die Arbeiterklasse glaubt, einen leichteren Weg zu sehen, indem andere für sie handeln - von einer hohen Tribüne Agitation führen, Entscheidungen treffen, Signale für die Aktionen geben, Gesetze machen - wird sie zögern und durch die alten Denkgewohnheiten und die alten Schwächen passiv bleiben." (Anton Pannekoek, "Weltrevolution und kommunistische Taktik", S. 138,)
Während die herrschende Klasse durch das Abhalten von Neuwahlen in Deutschland oder von Referenden in anderen Ländern die Arbeiter vom eigenständigen Handeln für ihre Klasseninteressen abzuhalten und die ganze Aufmerksamkeit auf den bürgerlichen Wahlzirkus zu lenken versucht, sagen wir, dass nicht Protestwahl oder Stimmenthaltung die Waffen der Arbeiterklasse sind, sondern allein ihr selbständiges Handeln. Deshalb: nicht Protestwahl, nicht passives zu Hause bleiben oder auch nicht bloßes Nicht-Wählen hilft weiter, sondern der autonome, selbstorganisierte Arbeiterkampf für die Abschaffung der Demokratie als Herrschaftsform, weil nur so Herrschaft überhaupt abgeschafft werden kann.
20.07.05
Warum dieser Schachzug Schröders? Tatsächlich verfügt die herrschende Klasse über ein Gespür, sozusagen Sensoren, die ihr zeigen, dass insbesondere in Anbetracht der Massenarbeitslosigkeit, und der sich verschärfenden Verarmung großer Bevölkerungsteile und den zunehmend unerträglicher werdenden Arbeitsbedingungen sich nicht nur Angst und Einschüchterung, sondern Ablehnung und Empörung in der Arbeiterklasse zu formieren begonnen hat. Der Beschluss, vorgezogene Bundestagswahlen abzuhalten, spiegelt somit die Reaktionsfähigkeit der Herrschenden auf eine für sie langfristig bedrohliche Entwicklung wider. Für unsere Kapitalisten ist die bürgerliche Demokratie zunächst das wichtigste Mittel des politischen Frühwarnsystems der kapitalistischen Herrschaft, denn die Mechanismen der bürgerlichen Demokratie liefern den Herrschenden wertvolle Anhaltspunkte für die Stimmung im Volke. So sind Wahlbeteiligung, Enthaltung, Protestwahlverhalten, Verteilung der Stimmenabgabe und Ähnliches aus der Sicht unserer Ausbeuter einige Indizien, die ihnen aufzeigen, ob sie als Verteidiger dieses Systems in eine politische Legitimationsnot geraten oder nicht. Vor dem Hintergrund eines generell zunehmenden Misstrauens und einer bislang noch diffusen, aber wachsenden Ablehnung gegenüber allen parlamentarischen Parteien in den Reihen der Arbeiterklasse liefert der Wahlzirkus das beste Spektakel, um so zu tun, als ob das "Volk entscheidet, wer uns regiert".
Der alte kapitalistische Haudegen Churchill pries die Demokratie als die zweitschlechteste Regierungsform, schlechter seien nur alle anderen. Heute zeigt sich wieder in Deutschland, wie ausgezeichnet die bürgerliche Demokratie als Abwehrkraft für den Kapitalismus funktioniert. Denn während die allmächtige Stasi vor 1989 in der damaligen DDR nicht ausreichend im Bilde über die Stimmung im "Volke" war, weil jeder gezwungen war, seine Meinung geheim zu halten, ist die bürgerliche Klasse in den westlichen Industriestaaten viel besser im Bild über die ‚Stimmung im Volk' und gerüstet darauf zu reagieren. Die Demokratie stellt nämlich in den Händen der Herrschenden ein hochempfindliches Stimmungsbarometer dar. Beispielsweise als Müntefering als Parteivorsitzender der SPD im Frühjahr in der Dortmunder Westfalenhalle im NRW Wahlkampf die Agenda 2010 rechtfertigte, verließ die Hälfte der Parteianhänger den Saal mitten in seiner Rede. Das eigene Parteivolk schüttelte den Kopf: "Agenda 2010 und die anderen Sparbeschlüsse können wir unseren Wählern nicht mehr vermitteln". Er konnte sofort darauf reagieren, indem er anschließend zur Presse rannte und - einen Schwenk nach links vollziehend - seine ‚Heuschreckenrede' gegen die ‚schwarzen Schafe' unter den Kapitalisten vom Stapel ließ. zu halten. Das war im Wahlkampf d.h. vor der NRW Niederlage. Genauso wurden die Neuwahlen bereits vor dem Bekanntwerden der Niederlage der SPD in NRW beschlossen.
Demokratie = Grundlage der Legitimation kapitalistischer Herrschaft
Aber während der Verschleiß der bürgerlichen Demokratie eine in den letzten Jahren fortschreitende Tendenz ist, da die herrschende Klasse wegen der unaufhaltsamen Verschärfung der Krise und der Zuspitzung von Krieg und Terror ihre Glaubwürdigkeit in den Augen einer wachsenden Zahl von Arbeitern immer mehr verliert, unternehmen die Herrschenden alles, um jeweils das zerbröckelnde Bild der Demokratie aufzupäppeln. So ist die Demokratie nicht nur ein unersetzliches Frühwarnsystem, sondern sie bietet immer wieder die Möglichkeit, nicht nur eine neue Regierung mit demokratischer Legitimation auszustatten, sondern die "demokratischen Prinzipien" überhaupt immer wieder aufzupolieren. Die Demokratie verspricht: Indem jeder Bürger eine Stimme hat, sind wir vor der Wahlurne alle gleich. Nicht nur jede Stimme zählt, sondern alle können gleichmäßig entscheiden. D.h. jemand, der bei Mercedes als Lohnabhängiger malocht oder der Hartz IV-Empfänger und der Mercedes-Chef oder ein Medienzar verfügen durch ihre Stimmabgabe über die gleiche Macht.Diese heimtückische, hinters Licht führende Propaganda der Herrschenden stellt die Wirklichkeit auf den Kopf, weil sie die Existenz von Klassen vertuscht.
Tatsache ist: Die herrschende Klasse kontrolliert die Medien. Diese sind keine "im Spiel der Demokratie frei agierenden Kräfte", sondern sie formen die Meinungen und wirken zugunsten der Verteidigung des Ausbeutersystems. Die herrschende Klasse kontrolliert nicht nur die Regierungsparteien, sondern alle bürgerlichen politischen Parteien, d.h. auch diejenigen, die scheinbar in Opposition stehen. Von der Finanzierung am Wahlkampf beteiligter Parteien, die direkt durch den Staat erfolgt (so erhält jede Partei, die zu den Bundestagswahlen zugelassen ist, allein schon pro abgegebene Stimme eine bestimmte Geldsumme, oder sie bedienen sich direkt am Trog staatlicher Pfründe) bis hin zur Ein- und Anbindung mittels Verbände, Gewerkschaften, Kirchen an den Staat, hat die kapitalistische Herrschaftsstruktur ein Netz gewoben, wo all diese Kräfte zur Verteidigung des Staates und seiner Ideologie bereit stehen. Die im Dienst des Kapitals stehenden Medien "montieren" oder "demontieren" eine Partei. Eine Partei, die wirklich gegen den Kapitalismus wäre, könnte nicht nur jederzeit schnell illegalisiert werden, da solche Parteien die bürgerliche Demokratie ohnehin nicht anerkennen, sondern hätte auch im bürgerlichen Wahlzirkus keine Chance. Wenn sie dennoch zugelassen wäre, würde dies in der heutigen Zeit dazu führen, (da die wesentlichen Entscheidungen ohnehin nicht mehr im Parlament getroffen, sondern dort nur noch abgesegnet werden) dass die Illusionen in die bürgerliche Demokratie Auftrieb erhalten würden. Die Geschichte liefert uns zahlreiche Beispiele dafür, wie die Verbürgerlichung von Arbeiterparteien durch die Beteiligung an Parlamentswahlen gerade dadurch mächtig vorangetrieben wurde (so die Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg oder die Kommunistischen Parteien der 20er Jahre).
Denn abgesehen von dem totalitären Griff des Staates über alle bürgerlichen Parteien, der bewirkt, dass alle diese Parteien am Räderwerk des kapitalistischen Staates mitdrehen und weder die Existenz des Staates noch seine Funktionsweise behindern, ist das Parlament längst nicht mehr das Gremium, wo grundlegende Entscheidungen getroffen werden. In den entwickelten kapitalistischen Staaten gibt es permanent bestehende Bürokratien, beispielsweise Ministerien, deren Mitglieder nur zum geringen Teil nach den Wahlen jeweils ausgetauscht werden. Diese Ministerialbürokratie sorgt für die Kontinuität der politischen Entscheidungen und wird dabei von außerparlamentarischen Instanzen und Gremien unterstützt und beeinflusst, wie z.B. Militär, Geheimdienste, Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Kirchen. Zudem gibt es bei den großen "Sachfragen", die die eigentlichen Widersprüche des Kapitalismus zum Ausdruck bringen, keine grundlegende Wahl - alle Parteien bewegen sich in die gleiche Richtung. Gegenüber der unlösbaren Wirtschaftskrise und der Militarisierung der Gesellschaft besteht Einmütigkeit unter allen Parteien, die Last der Krise auf die Schultern der Arbeiterklasse abzuwälzen und die Militarisierung (sei es durch einen Ausbau des Repressionsapparates im Innern, oder durch zunehmende Aufrüstung und Einsätze der Bundeswehr im Ausland) voranzutreiben. Denn innerhalb des Kapitalismus gibt es hierzu keine Alternative.
Jede parlamentarisch gewählte Regierung kann sich deshalb auf des Volkes Stimme berufen, wenn sie ihre gegen die Arbeiterklasse gerichteten Maßnahmen durchsetzt.
Um so mehr kann sich die herrschende Klasse freuen, wenn sich die Empörung gegen ihre Politik auf die Bühne des parlamentarischen Protestes locken lässt, da solch ein Protest dem Spektrum bürgerlich-kapitalistischer Legitimation eine weitere Variante hinzufügt.
"Hauptsache wählt, egal wen…"
Nun treten Gruppierungen auf den Plan, die behaupten, dies mag ja alles stimmen, trotzdem sei es wichtig, an den Wahlurnen unseren Protest zu äußern, denn indem möglichst viele eine Protestpartei wählten, komme des Volkes Zorn zum Ausdruck, wir könnten denen da Oben einen Denkzettel geben, sie abstrafen, ja ihnen gar Schwierigkeiten machen, z.B. die Regierungsbildung erschweren oder einfach alles durcheinanderbringen, wie dies in Frankreich durch das EU-Referendum geschah. Zudem ist sei immer noch besser, seine Stimme abzugeben, auch wenn es für das geringere Übel sei und wenn es nur aus Protest geschehe, als passiv zu Hause zu bleiben und sich nicht zu beteiligen.Tatsache ist, durch die Stimmabgabe für die eine oder andere Protestpartei oder Stimmenthaltung wird dem System kein Schaden zugefügt. Schließlich besteht die Funktion von Wahlurnen darin, die Menschen in unzählige Individuen zu spalten, sie voneinander zu isolieren und den Eindruck zu erwecken, die Summe der abgegebenen, unter sich gleichen Stimmen würden Mehrheitsverhältnisse schaffen, somit Regierungsbildungen legitimieren. Was die Herrschenden zum Nachgeben, zum Zurückweichen zwingt, ist nicht die diffuse Menge Protestwähler oder Stimmenthaltungen, sondern gebündelter, massiver Gegendruck durch die Arbeiterklasse. Dieser kommt aber nicht durch das Kreuz auf einem Stimmzettel und auch nicht durch die bloße Nichtabgabe seiner Stimme zustande, sondern nur durch das selbständige Handeln der Arbeiterklasse. Erst wenn die kapitalistische Logik der Atomisierung der Menschen in Bürger, Wähler usw. überwunden wird und die Arbeiter auf Grundlage ihrer Klasseninteressen kollektiv handeln, kommt ein wirklicher Gegendruck, eine wirkliche Perspektive zustande.
Entgegen jenen, die zwar die Schnauze voll haben von den bürgerlichen Parteien und deren arbeiterfeindlichen Politik, aber nichts Besseres zu tun wissen, als irgendeiner Protestpartei auf den Leim zu gehen, darf kein Zweifel bestehen, dass die Führer dieser sogenannten Protestparteien ausgekochte Kapitalistenknechte sind, die demagogisch die Trommel für das Wahlspektakel rühren und so dem Kapital treue Dienste erweisen.
Ein solches Verhalten führt zu noch mehr Frustrationen und Enttäuschungen, weil so anstelle des notwendigen Handelns nur die Passivität gefördert wird. In Wahrheit lässt sich ein wirksamer Gegendruck nicht anders aufbauen als durch einen eigenständigen Kampf der Arbeiter, wo sich die Arbeiter für ihre gemeinsamen Klasseninteressen gegen die Kapitalisten und ihren Staat zusammenschließen. In Anbetracht der Schwierigkeiten, diesen Klassenwiderstand zustande zu bringen, erscheint eine Protestwahl als "der einfachere Weg". Die Mobilisierung für eine Protestwahl blockiert somit die Auseinandersetzung über die wirklich notwendigen, tiefgreifenden Schritte der eigenen Aktivierung.
Die zentralen Fragen, vor denen die Menschheit heute steht, nämlich Überwindung der Wirtschaftskrise, der Kriege, Vermeidung einer ökologischen Katastrophe usw. - werden nicht im Parlament gelöst, ja, sie können innerhalb des Kapitalismus insgesamt überhaupt nicht gelöst werden. Dazu ist eine tiefgreifende, bis an die Wurzeln vordringende gesellschaftliche Revolution notwendig. Wer davon ablenkt, hält uns vom Befassen mit der wesentlichen Frage ab. Der Aufruf, "lieber Protestwahl als gar nichts tun" ist die typisch opportunistische Ausrede, um vor der gewaltigen Aufgabe zu flüchten, vor der die Arbeiterklasse, ja, die Menschheit heute steht und die mit ganz anderen Mitteln gelöst werden muss als mit einem Protestkreuzchen. Niemand kann der Arbeiterklasse die Last abnehmen, selbst die Initiative zu ergreifen.
Schon Anfang der 1920er betonte der große Vordenker der Kommunistischen Linken Anton Pannekoek: "Die Revolution erfordert auch noch etwas mehr als die massale Kampftat, die ein Regierungssystem stürzt und von der wir wissen, dass sie nicht von Führern bestellt, sondern nur aus dem tiefen Drang der Massen emporspringen kann. Die Revolution erfordert, dass die großen Fragen der gesellschaftlichen Rekonstruktion in die Hand genommen, dass schwierige Entscheidungen getroffen werden, dass das ganze Proletariat in schaffende Bewegung gebracht wird - und das ist nur möglich, wenn zuerst die Vorhut, dann eine immer größere Masse sie selbst zur Hand nimmt, sich selbst dafür verantwortlich weiß, sucht, propagiert, ringt, versucht, nachdenkt, wägt, wagt und durchführt. Aber das ist alles schwer und mühsam; solange daher die Arbeiterklasse glaubt, einen leichteren Weg zu sehen, indem andere für sie handeln - von einer hohen Tribüne Agitation führen, Entscheidungen treffen, Signale für die Aktionen geben, Gesetze machen - wird sie zögern und durch die alten Denkgewohnheiten und die alten Schwächen passiv bleiben." (Anton Pannekoek, "Weltrevolution und kommunistische Taktik", S. 138,)
Wählt nicht, kämpft!
Aus dem Spektrum linker Gruppen hört man immer wieder die Behauptung, dass wenn der Kapitalismus, solange er schwach sei oder sein wahres Gesicht noch nicht zeigen könne, sich demokratisch gebärde. Doch wenn er sich stark fühle bzw. es ans Eingemachte gehe, ziehe er die offene Diktatur, d.h. den Faschismus vor. Die Geschichte aber widerlegt diese Auffassung. Und auch die Lage heute zeigt uns etwas anderes. Für das Kapital geht es heute sehr wohl um etwas Entscheidendes, nämlich die Durchsetzung der Angriffe, die Erschwerung des Widerstands der Arbeiterklasse. Und wie gehen die Herrschenden vor? Nicht, indem sie Wahlen und Parlament meiden oder gar abschaffen, sondern indem sie noch vor Ablauf der Legislaturperiode zu Neuwahlen aufrufen. Die herrschende Klasse weiß es am besten: Die Demokratie ist die geeignetste Herrschaftsform, um die Arbeiterklasse in Schach zu halten. Steckte hinter der Ausrufung von Wahlen für die Nationalversammlung in Weimar 1919 nicht die Absicht, die sich ausbreitende Welle von revolutionären Kämpfen in Deutschland zu brechen? War es nicht die Einführung der bürgerlichen Demokratie, die in den 70er Jahren in Spanien der aufkeimenden Bewegung von Arbeiterkämpfen das Genick brach? Diente die Forderung nach Demokratie westlichen Musters nicht dazu, die polnischen Arbeiter von ihrem Weg des selbständigen Massenstreks abzubringen?Während die herrschende Klasse durch das Abhalten von Neuwahlen in Deutschland oder von Referenden in anderen Ländern die Arbeiter vom eigenständigen Handeln für ihre Klasseninteressen abzuhalten und die ganze Aufmerksamkeit auf den bürgerlichen Wahlzirkus zu lenken versucht, sagen wir, dass nicht Protestwahl oder Stimmenthaltung die Waffen der Arbeiterklasse sind, sondern allein ihr selbständiges Handeln. Deshalb: nicht Protestwahl, nicht passives zu Hause bleiben oder auch nicht bloßes Nicht-Wählen hilft weiter, sondern der autonome, selbstorganisierte Arbeiterkampf für die Abschaffung der Demokratie als Herrschaftsform, weil nur so Herrschaft überhaupt abgeschafft werden kann.
20.07.05