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Die Krise der Europäischen Union, ein Aufstieg der imperialistischen Spannungen im Zentrum des Weltkapitalismus
Im Gegensatz zu dem, was uns die Bourgeoisie vorkaut, ist Europa kein Hort des Friedens, das sich um den Frieden überall auf der Welt kümmert. Ein kurzer Blick auf die Geschichte beweist genau das Gegenteil. Der Aufbau der EU hat seinen Ursprung in der Lage unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. Europa wurde damals von den USA finanziert und politisch unterstützt, um dem neu entstandenen Sowjetblock entgegenzutreten. Diese erste Aufbauphase Europas fand vor allem auf ökonomischer Ebene statt, mit verschiedenen Wirtschaftsorganismen wie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die 1957 gegründet wurde. Aber die Wendungen bei der Errichtung der Europäischen Union können erst dann voll erfasst werden, wenn man die weltweit spürbaren imperialistischen Rivalitäten berücksichtigt. Frankreich lehnte 1963 und 1967 den Beitritt Großbritanniens zur EWG ab, weil Großbritannien als die Speerspitze der US-Politik in Europa betrachtet wurde. Die imperialistischen Rivalitäten, die die Politik eines jeden Staates Europas und der Großmächte der Welt wie die USA bestimmen, haben dazu geführt, dass Europa hauptsächlich ein Wirtschaftsraum, eine Freihandelszone, bleiben musste, die später eine Einheitswährung, den Euro, geschaffen hat. So ermöglichte diese Politik es den Staaten Europas, ihre Wirtschaft vor dem Hintergrund eines weltweit tobenden Konkurrenzkampfes wirksamer zu verteidigen. Doch die Möglichkeit, die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen, war nie etwas Anderes als ein Mythos. Der Kapitalismus war noch nie in der Lage, die Nationen Europas aufzulösen, um eine Art paneuropäische Nation zu schaffen (siehe unseren Artikel in "Die Erweiterung Europas" in der Internationalen Revue Nr. 112).Nach dem Zusammenbruch Osteuropas entstand eine grundlegend andere imperialistische Konstellation. Das Auseinanderbrechen des amerikanischen Blocks inmitten des Zeitraums des Zerfalls des Kapitalismus bewirkte eine Zuspitzung der Spannungen, wo jeder Staat für seine eigenen Interessen eintritt und es zu keinen stabilen und dauerhaften Bündnissen kommt. Selbst das Bündnis zwischen Großbritannien und den USA kann dieser Wirklichkeit nicht entkommen. Die Erweiterung der EU auf Osteuropa, das wirtschaftlich nicht von großer ökonomischer Bedeutung ist, spiegelt jedoch auf geostrategischer Ebene eine Zuspitzung der Auseinandersetzungen wider, denn in dieser Hinsicht ist Mittel- und Osteuropa für die imperialistischen Rivalitäten von großer Bedeutung, wie der Balkankrieg schon belegte. Im Jahre 2002 nahm die NATO, die 1949 als eine Organisation gegründet worden war, welche den Kampf des westlichen Bündnisses gegen den Ostblock lenken sollte, einige Staaten Osteuropas auf, was von großer politischer Bedeutung war. Statt vorher 19 gab es nunmehr 26 Mitgliedsstaaten, nachdem sieben Staaten beitraten, die zuvor dem ehemaligen Sowjetblock angehörten: Nach Ungarn und Polen 1999 folgten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien. Dabei macht diese Erweiterung eigentlich keinen Sinn, wenn man sie als eine Verstärkung einer Organisation sieht, die ursprünglich dazu diente, einen Block zu bekämpfen, der mittlerweile nicht mehr existiert. Jedoch hat sich seitdem die Rolle der NATO gewandelt. Noch immer von den USA kontrolliert, gehört sie mittlerweile zum Arsenal der imperialistischen Politik der USA in Europa gegen Frankreich und Deutschland. So schrieb der Herald Tribune anlässlich des Beitritts dieser ost- und mitteleuropäischen Länder in die Europäische Union, nachdem sie zuvor schon der NATO beigetreten waren: "Washington ist der große Gewinner der Erweiterung der EU (...) Einem deutschen Offiziellen zufolge bedeutet der Beitritt dieser grundsätzlich pro-amerikanisch ausgerichteten Länder Mittel- und Osteuropas zur EU das Ende all der Versuche der Europäischen Union, sich selbst und ihre Außen- und Sicherheitspolitik als gegen die USA ausgerichtet zu sehen". Aus den gleichen Gründen haben die USA versucht, den Prozess der Integration der Türkei in die EU zu beschleunigen: Dieses Land ist gegenwärtig ein Stützpfeiler der US-Politik im Nahen Osten.
Der deutsche Imperialismus wiederum konnte nicht tatenlos zusehen, sondern musste angesichts der Offensive gegenüber dem Land reagieren, das bislang dem deutschen historischen Einflussgebiet zugerechnet wurde.
Seit einiger Zeit schon arbeitet der deutsche Imperialismus auf eine Annäherung zur Türkei und einiger Staaten Mitteleuropas hin. Die von Deutschland, Frankreich und Spanien energisch verteidigte Europäische Verfassung, die auch mit ökonomischen Überlegungen verbunden ist, war in erster Linie dafür konzipiert worden, um die Macht des deutsch-französischen Tandems in diesem erweiterten Europa zu bekräftigen.
So versuchte Deutschland sich in Ost- und Mitteleuropa zu behaupten, was in Paris nur zur Irritationen geführt hat, weil Frankreich nicht dazu in der Lage war, woanders einen vergleichbaren Einfluss aufzubauen; gegenüber seinem mächtigeren Verbündeten konnte seine Stellung nur geschwächt werden. In diesem Teil der Welt, wo sich die imperialistischen Spannungen am stärksten bündeln, kann sich das Scheitern der europäischen Verfassung die Krise nur noch zuspitzen und auch die Spannungen weiter verschärfen.
Das Scheitern des Brüsseler Gipfels: Die Krise der EU spitzt sich zu
Aus der Sicht der Financial Times stehen die "Zeichen auf Konfrontation". Der bis zum Juni amtierende EU-Ratsvorsitzende, der Luxemburger Junker, musste nach dem völligen Scheitern des Brüsseler Gipfels am 18. Juni mit Bitterkeit feststellen: "Europa steckt in einer tiefen Krise". Der EU-Haushalt ist blockiert. Wie der Courrier International vom 16. Juni meldete: "Schließlich meinte Großbritannien, dass die von dem Präsidenten vorgelegte Kompromissformel nicht die notwendigen Garantien bietet". Er zitierte Tony Blair, der den Angriffen Frankreichs und Deutschlands zur Haushaltsfrage entgegnete: "Wir müssen einen Gang zulegen, um uns an die heutige Welt anzupassen (…) Wir brauchen eine Erneuerung".Aber eine "Erneuerung" wird es nicht geben. In Wirklichkeit nämlich - und das ist das Neue - muss die Bourgeoisie in Europa anfangen, das zu zerlegen, was sie einst unter großen Schwierigkeiten aufgebaut hatte: den Europäischen Wirtschaftsraum, die Europäische Union.
Was die ‚Erneuerung' angeht, so beobachtet man auf wirtschaftlicher Ebene ein irrationales Ansteigen nationaler Forderungen auf Kosten des Zusammenhaltes, der bislang erzielt wurde. Wie die Financial Times schrieb: "So wie Deutschland nicht mehr die Milchkuh der EU sein will (wie das 1999 auf dem Berliner Gipfel noch der Fall sein konnte), sind die Länder, die heute am meisten Gewicht haben in der Debatte um den EU-Haushalt, nicht die ärmsten Länder, sondern diejenigen, die die Rechnungen bezahlen. Neben Deutschland verlangen Österreich, Großbritannien, Frankreich, Niederlande und Schweden Kürzungen des Haushaltes in einem Umfang von mindestens 800 Mrd. Euro zwischen 2007-2013 ». (16.6.2005). Jede dieser europäischen Hauptmächte weigert sich nunmehr, für das zu zahlen, was sie als die Interessen der anderen EU-Staaten erachtet. Trotz der Existenz der EU hat sich während der letzten zehn Jahre die Konkurrenz unter diesen Staaten enorm verschärft. Dauer und Ausmaß der gegenwärtigen Krise werden von der aufgrund des Drucks durch den Zerfall sich ausbreitenden Tendenz des Jeder-für-sich und der Unfähigkeit der EU-Staaten bestimmt, angesichts der ökonomischen und politischen Interessensgegensätze eine gemeinsame Politik in Europa zu betreiben. Das Scheitern der Referenden hat dabei eine stark beschleunigende Rolle gespielt. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Bourgeoisie ist die gegenwärtige Krise weder auf die Unnachgiebigkeit Tony Blairs bei den Haushaltsfragen noch auf die große Zahl von Nein-Stimmen seitens der Arbeiterklasse zurückzuführen.
Diese Krise Europas bringt die Unfähigkeit der Bourgeoisie zum Ausdruck, entsprechende Maßnahmen gegenüber der Zuspitzung des Zerfalls, dem historischen Bankrott ihres Systems zu ergreifen. Indem man den unmittelbaren und egoistischen Forderungen der einzelnen Staaten nachgibt, wird der europäische Wirtschaftsraum stark geschwächt und damit auch die Fähigkeit, mit Hilfe von allgemein akzeptierten Regeln der Funktionsweise ein gemeinsames Vorgehen gegenüber der wirtschaftlichen Konkurrenz aus Amerika oder Asien zu handeln. Auf ökonomischer Ebene werden alle kapitalistischen Staaten Europas in verschiedenem Maße dabei Verlierer sein. Auf imperialistischer Ebene können die Krise Europas und die Schwächung des deutsch-französischen Tandems nur den USA und Großbritannien nutzen. Die Arbeiterklasse muss sich auf die Perspektive der weiteren Zuspitzung der imperialistischen Spannungen und der Angriffe einstellen, die von der Verschärfung der Wirtschaftskrise provoziert werden. Die Krise in Europa ist nur ein weiterer Schritt ins Chaos und in den Zerfall, die Zuspitzung der wachsenden Irrationalität des Kapitalismus. Tino (Ende Juni 2005).
(leicht gekürzter Artikel aus unserer Zeitung in Frankreich)