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In der bedeutendsten Metropole der USA, New
York, streikten in den Tagen vor Weihnachten die U-Bahn-Beschäftigten. Drei
Tage lang ruhte der U-Bahn-Betrieb. Der New Yorker U-Bahnstreik war nicht nur
ein Ausdruck der Kampfbereitschaft, sich trotz der angedrohten finanziellen und
anderen Sanktionen zur Wehr zu setzen, sondern er zeigte auch, dass ungeachtet
all der Spaltungsversuche der Arbeiter durch das Kapital, die Beschäftigten
Solidarität über alle Generationen hinweg entwickeln können. Immer wieder
versucht die US-Bourgeoisie bei der
Verfolgung ihrer imperialistischen Ziele die Arbeiter für ein Bündnis mit dem
Staat zu gewinnen. Während die Stadt New York im September 2001 noch als
Zielscheibe terroristischer Angriffe auserkoren wurde und die US-Bourgeoisie
diesen Angriff als Vorwand für den Aufbau einer patriotischen Front zu nutzen
suchte, belegt nicht nur der Streik der New Yorker U-Bahnbeschäftigten, sondern
auch eine Vielzahl anderer Streiks in den USA (u.a. Boeing/Seattle letzten
Herbst), dass die Arbeiterklasse in den USA sich keinesfalls für eine
patriotische Front einspannen lässt, sondern für ihre Klasseninteressen
eintritt.
Dies ist ein wichtiges Indiz dafür, dass
die Arbeiterklasse nicht von der Bühne der Geschichte verschwunden ist, sondern
weltweit langsam wieder in Erscheinung tritt.
Zum gleichen Zeitpunkt, als in New York die
U-Bahn-Beschäftigten streikten, legten bei Seat in Barcelona die Beschäftigten
nach der Ankündigung von Entlassungen die Arbeit nieder. Aus vielen Ländern
lassen sich gleichlautende Nachrichten verkünden. Auch wenn es bislang den
Herrschenden mit den Gewerkschaften an ihrer Seite gelungen ist, diese Kämpfe
einigermaßen einzudämmen und sie im Griff zu haben, belegen sie, dass die Arbeiterklasse
weltweit die Stirn erhebt gegen die Angriffe des Kapitals.
Die IKS intervenierte in diesen Kämpfen mit
verschiedenen Mitteln. Aus Platzgründen verweisen wir hier nur auf unsere
Webseite in verschiedenen Sprachen, wo wir ausführlicher darüber berichten.
New Yorker U-Bahnstreik
(Auszug aus einem Artikel der Presse der IKS in den USA).
Der Versuch die Arbeiter zu spalten, stand
im Mittelpunkt der Kämpfe bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben in New York
(MTA). Das MTA-Management [...]
versuchte das Renteneintrittsalter von gegenwärtig 55 auf 62 Jahre für neu
Einzustellende festzulegen. Gleichzeitig hätten die demnächst Neueingestellten
6% ihres Lohnes für den Rentenfond bezahlen sollen. Ein Rentenalter von 55
Jahren bestand schon lange in Anerkennung
der extrem harten Arbeitsbedingungen, unter denen die Transportarbeiter in den
100 Jahre alten U-Bahntunneln arbeiten: schlechte, stickige Luft, Rattenplage
und keine sanitären Anlagen. Der Vorstoß des Gouverneurs hätte keine Bedeutung
für das Rentenalter der jetzt Beschäftigten gehabt.
Aber die Transportarbeiter waren nicht
bereit, auf dieses Spaltungsmanöver einzugehen. Als Teil der Arbeiterklasse,
die sich konfrontiert sieht mit einem umfassenden Angriff auf ihre Renten,
verweigerten die Transportarbeiter kategorisch, irgendeine Änderung bei den
Renten zu akzeptieren. Sie streikten, um die Renten von Arbeitern zu
verteidigen, die noch gar nicht eingestellt worden sind. Sie nannten diese ihre
"zukünftigen, noch unbekannten Kollegen". Dieser Kampf drückt
glasklar aus, dass die Arbeiterklasse dabei ist, ihre Identität und ihr
solidarisches Verhalten wieder zu gewinnen. Das hat nicht nur eine Wirkung auf
die am Kampf beteiligten Arbeiter, sondern auch auf Arbeiter in anderen
Branchen. Die Transportarbeiter streikten aus Klassensolidarität mit der
zukünftigen Generation, die ja noch nicht einmal eingestellt ist. Das fand
Widerhall bei vielen Arbeitern. Sie konnten sehen, dass endlich jemand
aufgestanden ist und gesagt hat: An den Renten wird nicht gerüttelt!
Die Bedeutung des Kampfes im Transportwesen
Der Streik der 33.700 Transportarbeiter,
der New York für drei Tage lahm legte -
und das in der Vorweihnachtszeit -, war der bedeutendste Arbeiterkampf während
der letzten 15 Jahre in den USA. Seine Bedeutung liegt in einer Reihe von
zusammenhängenden Gründen: 1. Der internationale Kontext, in dem die Kämpfe
stattfanden. 2. Die Entwicklung des Klassenbewusstseins unter den Streikenden
selbst. 3. Die potenzielle Auswirkung des Streiks auf andere Arbeiter. Trotzdem
sollte seine Bedeutung nicht überschätzt werden. Er kann nicht verglichen
werden mit den Kämpfen in den 80er Jahren, bei denen die Autorität des
kapitalistischen Gewerkschaftsapparates - der der Kontrolle und Kanalisierung
der Arbeiterkämpfe dient - herausgefordert wurde, und bei denen die Frage der
Kampfausdehnung auf andere Branchen gestellt wurde. Jedoch trotz der
schwierigen Bedingungen, unter denen die Arbeiterklasse heute kämpfen muss,
müssen wir uns über die Bedeutung dieses Kampfes klar werden. Auf dem
Hintergrund der schwierigen Bedingungen des Arbeiterkampfes heute ist er von
besonderer Bedeutung.
Obgleich der Kampf noch ganz unter der
Kontrolle der örtlichen Gewerkschaftsführung blieb - beherrscht von den Linken
und den Basisgewerkschaftlern -, zeigte der Kampf nicht nur wachsende
Kampfbereitschaft, sondern auch, und das ist viel wichtiger, Schritte hin zur
Entwicklung eines wiederentdeckten Gefühls der Klassenidentität und des
Selbstvertrauens, eines Verständnisses der Klassensolidarität, die alle
Arbeiter über die Generationen und Branchen hinweg vereinigt.
Die Transportarbeiter streikten im
Bewusstsein, dass sie gegen das "New York States' Taylor" Gesetz verstießen, welches Streiks im öffentlichen
Dienst verbietet und als Strafe für jeden streikenden Arbeiter automatisch
einen Lohnabzug von zwei Tagen pro Streiktag vorsieht. Somit würde jeder
streikende Arbeiter drei Tage Löhne für jeden Streiktag verlieren. Die Stadt
New York drohte damit, zusätzlich noch jeden streikenden Arbeiter pro Streiktag
mit einer Geldbuße von 25.000$ zu belegen, wobei sich die Geldbuße mit jedem
weiteren Streiktag verdoppeln sollte, also 50.000$ für den zweiten und 100.000$
für den dritten Streiktag. Angesichts der angedrohten Strafen seitens der
Bourgeoisie fiel den Arbeitern die Entscheidung zu streiken nicht leicht. Dass
sie es dennoch taten, war ein großartiger Ausdruck kämpferischer
Unbeugsamkeit.
[...]
Diese Entwicklung aufkeimender
Kampfbereitschaft ist überall in den USA im Gange, wie die Beispiele der Kämpfe
in der Lebensmittelbranche in Kalifornien, bei Boeing, der
Northwest-Fluggesellschaft, der Streik der Transportarbeiter in Philadelphia
und der Streik der Lehrkräfte an der New York Universität zeigen. Dabei ist der
Streik der New Yorker Transportarbeiter nicht nur deshalb so bedeutsam, weil er
der größte und wirkungsvollste war, sondern auch wegen des
Fortschritts, den er auf der Ebene der Bewusstseinsentwicklung zum Ausdruck
brachte.
Wie wir gesagt haben, wurde der Streik
hauptsächlich zur Verteidigung der Renten geführt, die unglaublichen Angriffen
seitens der Bourgeoisie überall auf der Welt, aber besonders in den USA
ausgesetzt sind. In den USA zahlt der Staat nur kümmerliche Renten, daher sind
die Arbeiter auf Firmen- oder jobbezogene Renten angewiesen, um im Rentenalter über ein
Auskommen zu verfügen. Der Bestand dieser beiden Rentenarten ist zur Zeit in
Gefahr. Auf der einen Seite sollen die staatlichen Renten durch die angestrebte
Reform der Rentenversicherung gekürzt werden, auf der anderen Seite besteht die
Gefahr der Zahlungsunfähigkeit von Firmen, und schließlich die Bedrohung
allgemeiner Rentenkürzungen. Seit dem Bankrott des Enron Konzerns, bei dem
Tausende Beschäftigte ihre ganzen Renten verloren, haben zahllose amerikanische
Unternehmen ihre Rentenverpflichtungen nicht eingehalten. Erst kürzlich
sind große Firmen der Flugzeugindustrie
wegen zahlreicher Geschäftspleiten ihren Rentenauszahlungen nicht nachgekommen.
Die Bundesregierung, die im Falle der
Zahlungsunfähigkeit der Firmen einspringt, verbürgt sich nur für 50% der üblich
zustehenden Beträge. So sind viele Rentenfonds eingegangen. Die staatliche
Rentenkasse rechnet mit einem Fehlbetrag von 24 Mrd. $. Die Rentenfonds in der
Autoindustrie, bei denen General Motors und Ford mit großen Verlusten zu
kämpfen haben, sind ebenfalls bedroht.
Die Entwicklung des Bewusstseins unter den Arbeitern
Der Transportarbeiterkampf brachte auf
mehreren Ebenen zum Vorschein, dass die Arbeiter dabei sind, sich wieder als
Klasse zu entdecken. In der Hauptsache ging es eindeutig um die Verteidigung
der Renten der nachkommenden Arbeitergenerationen. Und das nicht nur auf
abstrakte Weise, vielmehr war dies konkret greifbar. So etwa bei einer
Streikpostenkette am Busdepot im Stadtteil Brooklyn, wo Dutzende Arbeiter
zusammenkamen und in kleinen Gruppen über den Streik diskutierten. Ein Arbeiter
sagte, dass er es nicht richtig findet für die Renten zukünftiger Generationen
zu kämpfen, für Leute also, die wir nicht einmal kennen. Seine Kollegen
entgegneten ihm, dass die davon betroffenen, zukünftigen Beschäftigten unsere
Kinder sein könnten. Ein anderer sagte, es sei wichtig die Einheit zwischen den
verschiedenen Generationen der Arbeiterschaft zu verteidigen. Er wies darauf
hin, dass die Regierung wahrscheinlich bald versuchen wird, die medizinische
Versorgung zu beschneiden oder die Renten zu kürzen, wenn wir alt und in Rente
sind. Und dann wird es nicht unwichtig sein, wenn die jüngere Generation, die
dann im Arbeitsleben steht, sich erinnern wird, dass wir für sie aufgestanden
sind. Dann werden sie für uns eintreten und das Kapital daran hindern, unsere
Renten zu beschneiden. Ähnliche Gespräche wurden überall in der ganzen Stadt
geführt. Offenkundig war die Tendenz der Arbeiter sich als Klasse zu erkennen, über ihre eigene
Generation hinauszublicken und zu sehen, dass die Bourgeoisie versucht, die
verschiedenen Generationen gegeneinander auszuspielen.
Andere Arbeiter, die an der
Streikpostenkette vorbeifuhren, haben aus Solidarität auf ihre Hupen gedrückt
und uns lautstark Beifall gespendet. In Brooklyn brachte eine Gruppe von
Lehrern der nahe am Busdepot gelegenen Schule ihre Solidarität dadurch zum
Ausdruck, dass sie mit ihren Schülern im Alter von 9 bis 12 Jahren über den
Streik diskutierten und mit ihren Klassen die Streikpostenkette besuchten. Die
Schüler überreichten den Streikenden Weihnachtskarten mit Grüßen wie: Wir
unterstützen Euch! Ihr kämpft für Respekt!
Auswirkung des Kampfes auf andere Arbeiter
Der Streik im öffentlichen Verkehrswesen
wurde ein Bezugspunkt für Arbeiter in anderen Bereichen. Neben den oben
genannten Unterstützungs- und Solidaritätsbeweisen gab es noch zahlreiche
andere Beispiele. Arbeiter aus anderen Branchen waren willkommen bei den
Streikpostenketten. In einem Fall besuchte eine Gruppe von Lehrkräften eine
Streikpostenkette in Brooklyn und diskutierte mit den Streikposten über
Streikfragen, z.B. über die einzuschlagende
Strategie. Auf zahllosen Arbeitsstellen in der ganzen Stadt unterhielten
sich Arbeiter anderer Branchen über die Bedeutung der Solidarität, wie sie sich
beispielhaft zeigte in der Verteidigung der Renten. Viele der städtischen
Arbeiter sind seit drei oder mehr Jahren ohne neuen Arbeitsvertrag. Die
Transportarbeiter hielten sich an die Losung ‚ohne Arbeitsvertrag keine
Arbeit'.
Die Fernsehnachrichten konzentrierten sich
auf die Schwierigkeiten, die die Leute hatten, die Fahrgemeinschaften zu bilden
suchten oder die zu Fuß über die East River Brücken zur Arbeit gingen. Aber
auch nach dieser Medienkampagne wusste die Stadtverwaltung: Die
Arbeitersolidarität mit dem Streik blieb groß. Ein örtlicher Richter drohte
damit, Gewerkschaftsführer ins Gefängnis zu stecken und einzelne streikende
Arbeiter zu bestrafen, weil sie sich einer gerichtlichen Verfügung widersetzt
hatten, welche den Streik beenden und zur Wiederaufnahme der Arbeit zwingen
sollte. Aber Oberbürgermeister Bloomberg drängte darauf, die
Gewerkschaftsführer nicht einzusperren, sondern die Geldstrafen zu erhöhen,
weil man sonst Toussaint (einen Gewerkschaftsführer) zum Märtyrer machen würde,
und man dann Solidaritätsstreiks von anderen Beschäftigten des öffentlichen
Dienstes riskieren würde. Die Illegalität des Streiks löste beträchtliche
Diskussionen unter den Arbeitern der ganzen Stadt aus, und auch im ganzen Land.
“Wie kann das illegal sein, wenn Arbeiter protestieren, indem sie von der
Arbeit fernbleiben?”, fragten viele Arbeiter. Wie ein Arbeiter es bei einer
Diskussion an einer Schule in Manhattan ausdrückte: “Es scheint so, als ob
streiken nur erlaubt wäre, wenn es wirkungslos ist.”
Die Rolle der Gewerkschaften bei der Sabotage des Kampfes
Viele Arbeiter waren sich schmerzlich
bewusst, dass die neue, militante Gewerkschaftsführung vor drei Jahren
kapitulierte und einen Vertrag unterschrieben hatte, der 0% Lohnerhöhung für
das 1. Jahr und 3% für das 2. und 3. Jahr vorsah. Die Gewerkschaften standen
deshalb unter dem Druck der wachsenden Kampfbereitschaft und der Wut der
Arbeiter, jetzt entschlossener zu handeln. Während die Basisgewerkschafter und die
Linken der Transportarbeitergewerkschaft ‚Local 100' klar den Streik
kontrollierten, und dabei kämpferische Reden führten und viel von Solidarität
sprachen, um den Streik weiter fest in
der Hand zu haben, war es nichts desto trotz die Funktion der Gewerkschaft den
Kampf zu unterminieren und die Wirkung dieses bedeutenden Streiks zu
beschränken. Gleich zu Beginn des Streiks zogen die Gewerkschaften die
Forderung nach einer jährlichen Lohnerhöhung von 8 % in den nächsten drei
Jahren zurück und lenkten den Blick ausschließlich auf die Renten. Auf der
Gewerkschaftsversammlung, auf der der Streik bewilligt wurde, war keine
Diskussion oder Debatte erlaubt. Die Versammlung wurde als
Gewerkschaftsveranstaltung durchgeführt,
wobei noch eine demagogische Botschaft des Pfarrers Jesse Jackson
verlesen wurde.
Die Zusammenarbeit und die Absprachen
zwischen der Gewerkschaft und der Geschäftsleitung kamen in einem Artikel der
New York Times nach dem Streik zum Vorschein. Die ganzen gegenseitigen
Beschimpfungen zwischen der Gewerkschaft und den Regierungsvertretern waren nur
Schau. Während der Oberbürgermeister und der Gouverneur lautstark verkündeten,
eine Wiederaufnahme der Verhandlungen gäbe es nur, wenn die Arbeit wieder
aufgenommen ist, waren geheime
Verhandlungen im Helmsley Hotel im Gang, wo der Oberbürgermeister dem Vorschlag
des Gewerkschaftsbosses Toussaint zustimmte, man solle die Angriffe auf die
Renten zurückziehen und an Stelle dessen die Beiträge für die
Krankenversicherung erhöhen, um die Regierung für die Kosten zu entschädigen,
die daraus entstehen, dass die Renten auch für künftige Arbeiter gleich
bleiben.
Das von der Gewerkschaft und der Regierung
orchestrierte Ende des Kampfes ist natürlich nicht überraschend, sondern
einfach eine Bestätigung des arbeiterfeindlichen Wesens des
Gewerkschaftsapparats, und mindert keineswegs die Bedeutung der wichtigen Fortschritte, die in der
Entwicklung des Klassenbewusstseins gemacht wurden. Das ruft uns ins
Gedächtnis, welche bedeutenden Aufgaben noch vor uns liegen, um die Zwangsjacke
der Gewerkschaften abzustreifen und damit den Kampf in die eigenen Hände zu
nehmen.
aus Internationalism, Zeitung der Sektion
der IKS in den USA, Dezember 2005