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Was auch immer die spezifischen Gründe waren, die die österreichische Bourgeoisie dazu veranlassten, die “Faschisten” in die Regierung zu bringen[1], dieses Ereignis hat sich als vorzügliche Gelegenheit für all ihre europäischen und amerikanischen Kompagnons angeboten, einer Mystifikation neues Leben einzuhauchen, die sich bereits als sehr wirksam gegen die Arbeiterklasse erwiesen hatte. In den vergangenen Jahren hatte sich die Kampagne gegen die “faschistische Gefahr” von nichts anderem nähren können als vom Wahlerfolg der Nationalen Front in Frankreich und von den Angriffen von Skinheadbanden gegen Immigranten. Selbst die Pinochet-Show konnte die Massen nicht mehr in ihrem Bann ziehen, seitdem der alte Diktator in den Ruhestand gegangen ist. Natürlich bot da der Eintritt einer “faschistischen” Partei in eine europäischen Regierung eine viel reichhaltigere Kost für solcherlei Kampagnen.
Als die Genossen von Bilan (die französischsprachige Publikation der linken Fraktion der Italienischen Kommunistischen Partei) den Text veröffentlichten, den wir nachfolgend neu auflegen, befanden sich in etlichen europäischen Ländern faschistische Regierungen an der Macht; Hitler war seit 1933 in Deutschland an der Macht. Doch sie verloren nicht den Kopf und ließen sich nicht von der Raserei des “Antifaschismus” anstecken, von der nicht nur die sozialistischen und stalinistischen Parteien ergriffen waren, sondern auch Strömungen, die der Degeneration der Kommunistischen Internationalen in den 20er Jahren Paroli geboten hatten, insbesondere die Trotzkisten. Bilan war in der Lage, klar und deutlich vor den Gefahren des Antifaschismus zu warnen – was sich auf dem Höhepunkt des spanischen Bürgerkrieges als prophetisch erweisen sollte. In Spanien war die faschistische Fraktion der Bourgeoisie nur deshalb in der Lage, das Proletariat, das sich angesichts des Franco-Putsches am 18. Juli 1936 bewaffnet hatte, zu unterdrücken, weil sich letzteres im Namen der Priorität des antifaschistischen Kampfes und der Notwendigkeit, eine Einheitsfront aller antifaschistischer Kräfte zu bilden, von seinem Klassenterrain, dem Terrain des unversöhnlichen Kampfes gegen die bürgerliche Republik, hat wegzerren lassen.
Die heutige Situation gleicht nicht jener in den 30er Jahren, als die Arbeiterklasse gerade die fürchterlichste Niederlage in ihrer Geschichte erlitten hatte, und zwar nicht durch den Faschismus, sondern durch die “demokratische” Bourgeoisie. Genau diese Niederlage ermöglichte es dem Faschismus, in bestimmten Ländern Europas an die Macht zu gelangen. Demzufolge können wir sagen, dass der Faschismus heute keine Notwendigkeit für den Kapitalismus besitzt. Nur indem sie die Unterschiede zwischen der heutigen Situation und jener in den 30er Jahren völlig ignorieren, können Strömungen, die behaupten, zur Arbeiterklasse zu gehören oder gar die Revolution zu favorisieren, wie die Trotzkisten, ihre Beteiligung an den Kampagnen gegen die “faschistische Bedrohung” rechtfertigen. In diesem Sinn bestand Bilan absolut zu Recht darauf, dass die Revolutionäre die Ereignisse innerhalb ihres historischen Zusammenhanges analysieren und dabei besonders das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen berücksichtigen müssen. Während der 30er Jahre entwickelte Bilan insbesondere gegen die Trotzkisten (die im Text als “Bolschewiki-Leninisten” bezeichnet werden, wie sich die Trotzkisten in den 30er Jahren selbst bezeichnet hatten) ihre Argumente. Damals waren die Trotzkisten noch Bestandteil der Arbeiterklasse, aber ihr Opportunismus sollte sie während des II. Weltkrieges in das bürgerliche Lager führen. Im Namen eben jenes Antifaschismus unterstützten die Trotzkisten den alliierten Imperialismus während des Krieges und traten dabei eines der fundamentalsten Prinzipien der Arbeiterbewegung mit Füßen: den Internationalismus. Dies vor Augen, bleiben die Argumente Bilans gegen die antifaschistischen Kampagnen, ihre Entlarvung der Gefahr, die der Antifaschismus für die Arbeiterklasse darstellt, auch heute vollkommen gültig. Die historische Lage hat sich verändert, aber die Lügen, die in der Arbeiterklasse verbreitet werden, um sie von ihrem Klassenterrain unter das Banner der demokratischen Bourgeoisie zu ziehen, bleiben grundsätzlich dieselben. Der Leser wird es nicht schwer haben, die “Argumente” wiederzuerkennen, die von Bilan angegriffen werden: Es sind exakt dieselben, die wir auch aus dem Munde heutiger Antifaschisten und besonders von denjenigen hören, die sich so revolutionär gebärden. Wir wollen hier zwei Passagen aus dem Text von Bilan als Beispiel zitieren.
“(...) ist die Position unserer Gegner, die das Proletariat dazu bewegen wollen, die am wenigsten schlechte Organisationsform des kapitalistischen Staates zu wählen, nicht mit jener von Bernstein identisch, der das Proletariat dazu aufrief, die beste Form des kapitalistischen Staates anzustreben?”
“(...) wenn das Proletariat wirklich stark genug ist, der Bourgeoisie seine Regierungsform aufzuzwingen, warum sollte es dann bei diesem Ziel haltmachen und nicht seine eigenen zentralen Forderungen nach Zerstörung des kapitalistischen Staates durchsetzen? Wenn aber im Gegenteil das Proletariat noch nicht stark genug ist, um sich zum Aufstand zu erheben, bedeutet dann nicht sein Vorwärtsdrängen zu einer demokratischen Regierung tatsächlich, es auf die falsche Fährte zu locken, was erst den Sieg des Feindes möglich macht?”
Schließlich antwortete Bilan auf all diejenigen, die behaupteten, der Antifaschismus sei ein Mittel, um “die Arbeiter zu sammeln”, dass das einzige Terrain, auf dem sich das Proletariat sammeln kann, jenes der Verteidigung seiner Klasseninteressen ist, das auch heute dasselbe ist, ganz gleich, wie das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen aussieht. “(...) da es nicht die Machtfrage stellen kann, muss sich das Proletariat in seinen Tageskämpfen um begrenztere, aber immer noch klassenmäßige Ziele scharen (...) Statt sich der langfristigen Änderung der Arbeiterforderungen zu widmen, ist es die vordringliche Pflicht der Kommunisten, die Regruppierung der Arbeiterklasse um ihre Klassenforderungen und innerhalb ihrer Klassenorganisationen, den Gewerkschaften, zu betreiben.”
Im Gegensatz zur deutsch-holländischen Linken hatten die italienischen Linkskommunisten damals noch nicht die Frage der Gewerkschaften geklärt. Denn seit der Zeit des I. Weltkrieges waren die Gewerkschaften unwiderruflich zu Organen des kapitalistischen Staates geworden. Doch dies stellt in keiner Weise die Positionen in Frage, die von Bilan vertreten wurden, als sie die Arbeiter dazu aufrief, sich um ihre eigenen Klassenforderungen zu sammeln. Diese Position bleibt auch heute vollkommen gültig, wo jede Fraktion der Bourgeoisie die Arbeiter dazu auffordert, jenes kostbare Gut, die Demokratie, zu verteidigen – ob gegen den Faschismus oder gegen jeden Versuch, eine neue Revolution zu unternehmen, die nur zu einer Rückkehr desselben Totalitarismus führe, der zehn Jahre zuvor in den sog. “sozialistischen” Ländern zusammengebrochen sei.
In diesem Sinn wendet der nachfolgend abgedruckte Artikel von Bilan dieselbe Vorgehensweise bei der Entlarvung der demokratischen Lügen an, wie dies auch in unserer Veröffentlichung von Lenins Thesen Über die bürgerliche Demokratie und die proletarische Diktatur in der vorherigen Ausgabe der International Review geschah (siehe International Review Nr. 100, engl./franz./span. Ausgabe).
BILAN Nr. 7, Mai 1934
Der Antifaschismus - eine Anleitung zur Konfusion
Auf dem Tiefstand der Revolution ist die gegenwärtige Lage ganz offensichtlich verwirrender als sonst. Dies ist das Resultat einerseits der konterrevolutionären Entwicklung all der Stützpunkte, die das Proletariat in einem bitteren Kampf nach dem Krieg erobert hatte (der russische Staat, die III. Internationale), und andererseits der Unfähigkeit der Arbeiter, in einer ideologischen und revolutionären Widerstandsfront dieser Entwicklung entgegenzutreten. Die Arbeiter haben mit Kämpfen und manchmal mit großartigen Schlachten (Österreich) auf die Kombination dieses Phänomens mit der brutalen Offensive des Kapitalismus reagiert, die auf die Bildung von Bündnissen angesichts des drohenden Krieges ausgerichtet ist. Aber diese Schlachten sind daran gescheitert, die Macht des Zentrismus, der einzigen politischen Massenorganisation, zu erschüttern, der sodann zu den Kräften der weltweiten Konterrevolution überlief.
In solch einem Moment der Niederlage ist die Konfusion nur ein Resultat, das der Kapitalismus erzielt, indem er sich zu seinem eigenen Schutz den Arbeiterstaat und den Zentrismus einverleibt, die er auf dasselbe Terrain führt, das seit 1914 von den hinterhältigen Kräften der Sozialdemokratie besetzt ist, dem wichtigsten Agenten der Auflösung des Massenbewusstseins und Sprecher der Parolen der proletarischen Niederlage und des kapitalistischen Sieges.
In diesem Artikel werden wir eine typische Formel der Konfusion untersuchen: etwas, was – auch unter Arbeitern, die sich selbst als links betrachten – “Antifaschismus” genannt wird (...) Zugunsten der Klarheit wollen wir hier uns auf ein Problem beschränken: den Antifaschismus und die Einheitsfront, die sich unter dieser Parole angeblich errichten lässt.
Es ist elementar – besser: es ist üblich – festzustellen, dass, bevor man sich in einer Klassenauseinandersetzung engagiert, es nötig ist, die Ziele, die man im Auge hat, die Methoden, die man benutzen will, und die Klassenkräfte zu nennen, die zu unserem Gunsten intervenieren können. Es ist nichts “Theoretisches” an diesen Betrachtungen, und trotzdem meinen wir, dass sie für die oberflächliche Kritik all jener Elemente unzugänglich sind, die in der Regel die theoretische Klärung ignorieren und mit jedem ins Bett steigen, an jeder Bewegung teilhaben, solange es “eine Aktion” gibt. Natürlich gehören wir zu denjenigen, die denken, dass die Aktion nicht einem Wutanfall oder dem guten Willen von Individuen entspringt, sondern aus der Situation selbst entsteht. Darüber hinaus ist für die Aktion die theoretische Arbeit unerlässlich, um die Arbeiterklasse vor neuen Niederlagen zu bewahren. Und wir müssen die Bedeutung der Geringschätzung begreifen, die so viele Militante gegenüber der theoretischen Arbeit an den Tag legen, denn in Wahrheit geht dies in jenen revolutionären Milieus stets – ohne es auszusprechen – mit der Ersetzung proletarischer Positionen durch die Prinzipien des Feindes Sozialdemokratie einher, wobei gleichzeitig zu Aktionen um jeden Preis im “Rennen” gegen den Faschismus aufgerufen wird.
So weit es das Problem des Antifaschismus angeht, so werden seine zahllosen Anhänger nicht nur von einer Geringschätzung der theoretischen Arbeit begleitet, sondern auch von einer dummen Manie der Schaffung und Verbreitung von Verwirrung, die notwendig ist, um eine breite Widerstandsfront zu errichten. Es darf keine Grenze geben, die auch nur einen einzigen Verbündeten abschrecken oder die geringste Möglichkeit zum Kampf auslassen könnte: Dies ist die Parole des Antifaschismus. Hier sehen wir, dass von letzterem die Konfusion idealisiert und als Element des Sieges betrachtet wird. Hier sollten wir uns vergegenwärtigen, dass mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor Marx zu Weitling gesagt hatte, dass die Ignoranz niemals der Arbeiterbewegung in irgendeiner Weise gedient hat.
Statt heute das Ziel des Kampfes, die Methoden, die benutzt werden sollen, und das notwendige Programm abzustecken, wird die Quintessenz der marxistischen Strategie (die Marx als Ignoranz bezeichnet hätte) so dargestellt: Man nehme ein Adjektiv – heute ist “leninistisch” das gebräuchlichste – und rede endlos und völlig zusammenhanglos über die Lage in Russland 1917 und Kornilows Septemberoffensive. O weh! Es soll eine Zeit gegeben haben, in der die Revolutionäre ihre Köpfe noch auf den Schultern trugen und die historische Erfahrung analysierten. Daraufhin bestimmten sie zunächst, ob es möglich ist, eine politische Parallele zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu ziehen, bevor sie versuchten, eine Analogie zwischen der Lage in ihrer eigenen Epoche und jenen Erfahrungen herzustellen. Doch solche Zeiten sind vergangen, besonders wenn wir die übliche Phraseologie proletarischer Gruppen betrachten.
Uns wird gesagt, dass es keinen Anlass gebe, einen Vergleich zwischen der Situation des Klassenkampfes in Russland 1917 und heute in anderen Ländern zu ziehen. Ähnlich gebe es keinen Anlass zu entscheiden, ob das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen damals Ähnlichkeiten mit dem von heute aufweist. Der Sieg des Oktobers 1917 sei eine historische Tatsache, so dass alles, was wir zu tun hätten, darin bestehe, die Taktiken der russischen Bolschewiki zu kopieren und vor allem eine ganz schlichte Kopie anzufertigen, die entsprechend der verschiedenen Milieus variiert, die die Ereignisse auf der Basis radikal gegensätzlicher Auffassungen interpretieren.
Diejenigen, die sich heute selbst “Leninisten” nennen, lassen sich nicht im Geringsten von der Tatsache stören, dass der Kapitalismus in Russland 1917 seine erste Erfahrung mit der Staatsmacht gemacht hatte, während der Faschismus im Gegensatz dazu aus einem Kapitalismus herauskroch, der seit Jahrzehnten an der Macht ist, und dass die explosive revolutionäre Lage in Russland 1917 überhaupt nicht mit der reaktionären Situation von heute vergleichbar ist. Im Gegenteil: Ihre erstaunliche Gelassenheit kann nicht einmal durch einen Vergleich der Ereignisse von 1917 mit denen von heute erschüttert werden, der auf einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den deutschen und italienischen Erfahrungen basiert. Kornilow ist die Antwort auf alles. Die Siege von Mussolini und Hitler werden allein den Abweichungen der kommunistischen Parteien von den klassischen Taktiken der Bolschewiki 1917 zugeschrieben, dies mittels einer politischen Akrobatik, die zwei entgegengesetzte Situation zusammenwirft: die revolutionäre und die reaktionäre.
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So weit es den Antifaschismus angeht, so gehen politische Überlegungen an ihm vorbei. Seine Absicht ist es, alle diejenigen, die von faschistischen Angriffen bedroht sind, in einer Art “Gewerkschaft der Bedrohten” zu sammeln.
Die Sozialdemokraten raten den Radikal-Sozialisten, sich um ihre eigene Sicherheit zu kümmern und sofort Abwehrmaßnahmen gegen die faschistische Bedrohung zu ergreifen, nachdem Herriot und Daladier ebenfalls Opfer eines faschistischen Sieges wurden. Leon Blum geht sogar noch weiter, indem er Doumergue eindringlich davor warnt, dass ihm dasselbe Schicksal blüht wie Brüning, wenn er nicht achtgibt auf den Faschismus. Der Zentrismus wandte sich an die “sozialistische Basis” bzw. der SFIO an den Zentrismus, um eine Einheitsfront zu bilden, da beide, Sozialisten wie Kommunisten, vom Faschismus bedroht seien. Schließlich gibt es noch die Bolschewiki-Leninisten, die in ihrer Wut großmäulig allen und jedem verkünden, dass sie bereit sind, eine Kampffront zu schaffen, frei von politischen Rücksichten, auf der Grundlage einer dauerhaften Solidarität unter allen Arbeiter(?)gruppierungen gegen die Aktivitäten der Faschisten.
Der Gedanke, der hinter diesen Spekulationen steckt, ist sicherlich ganz simpel – zu einfach, um wahr zu sein: Man bringe alle diejenigen, die bedroht und von demselben Wunsch, nämlich den eigenen Tod zu vermeiden, getrieben sind, in einer allgemeinen antifaschistischen Front zusammen. Doch selbst die oberflächlichste Analyse wird aufzeigen, dass die idyllische Einfachheit dieses Vorschlags in Wahrheit die völlige Abschaffung der fundamentalen Positionen des Marxismus verbirgt, die Leugnung der vergangenen Ereignisse und der Bedeutung der heutigen Ereignisse. (...)
Aber all die Predigten darüber, was die Radikalen, Sozialisten und Zentristen unternehmen wollen, um ihre eigene Haut und ihre Institutionen zu retten, werden nichts am Verlauf der Ereignisse ändern, da das wahre Problem darauf hinausläuft: Wie ist es möglich, Radikale, Sozialisten und Zentristen in Kommunisten umzuwandeln, wenn der Kampf gegen den Faschismus nur auf der Kampffront für die proletarische Revolution beruhen kann? Ganz gleich, wieviel Predigten noch verkündet werden, die belgische Sozialdemokratie wird weiterhin ihre Pläne auf die Bewahrung des Kapitalismus ausrichten, wird weiterhin nicht zögern, jeden Klassenkonflikt zu torpedieren, in einem Wort: Sie wird nicht zögern, die Gewerkschaften dem Kapitalismus auszuliefern. Doumergue wird Brüning nacheifern, Blum wird in die Fußstapfen Bauers treten, Cachin in jene von Thälmann.
Wir wiederholen, unsere Absicht in diesem Artikel ist es nicht festzustellen, ob die Lage in Frankreich oder Belgien mit den Umständen verglichen werden kann, die die Machtergreifung des Faschismus in Italien und Deutschland ermöglichten. Uns geht es hier vor allem um die Tatsache, dass, unter Berücksichtigung ihrer Funktion in zwei ziemlich verschiedenen kapitalistischen Ländern, Doumergue eine Kopie von Brüning ist und dass diese Funktion (wie dies auch für Blum und Cachin gilt) darin besteht, das Proletariat zur Unbeweglichkeit zu verdammen, sein Klassenbewusstsein aufzulösen und so zu ermöglichen, den Staatsapparat den neuen Umständen des interimperialistischen Kampfes anzupassen. Es gibt genug Anlass anzunehmen, dass besonders in Frankreich die Erfahrungen mit Thiers, Clémenceau und Poincaré unter Doumergue wiederholt werden und dass wir eine Konzentration des Kapitalismus um seinen rechten Flügel sehen werden, ohne damit zu sagen, dass die sozialistischen und radikal-sozialistischen Kräfte der Bourgeoisie dabei stranguliert werden. Zudem ist es völlig falsch, proletarische Taktiken auf politischen Positionen aufzubauen, die von einer bloßen Perspektive ausgehen.
Es geht daher nicht darum, eine vereinigte “antifaschistische Front” aufzustellen, sobald der Faschismus droht. Im Gegenteil, es ist notwendig, die Positionen so zu gestalten, dass sie das Proletariat für seinen Kampf gegen den Kapitalismus zusammenfassen. So gesehen, bedeutet dies den Ausschluss der antifaschistischen Kräfte aus der Kampffront gegen den Kapitalismus. Es bedeutet – auch wenn dies paradox erscheinen mag –, dass dann, wenn sich der Kapitalismus endgültig dem Faschismus zuwenden sollte, die Bedingung für den Erfolg in der Unveränderlichkeit des Programms und der Forderungen der Arbeiterklasse besteht, wohingegen die Voraussetzung für die sichere Niederlage die Auflösung des Proletariats im antifaschistischen Sumpf ist.
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Die Tat des Einzelnen und gesellschaftlicher Kräfte wird nicht durch Gesetze zum Schutz des Einzelnen oder gesellschaftlicher Kräfte außerhalb jeder klassenmäßigen Berücksichtigung bestimmt: Brüning und Matteoti konnten nicht handeln, wie es ihren persönlichen Interessen oder den von ihnen vertretenen Ideen entsprach, und einfach den Weg zur proletarischen Revolution einschlagen, der allein in der Lage gewesen wäre, sie vor dem Faschismus zu bewahren. Die Handlung des Einzelnen oder gesellschaftlicher Kräfte geschieht als eine Funktion jener Klasse, der sie angehören. Dies erklärt, warum die gegenwärtigen Akteure der französischen Politik bloß in die Fußstapfen ihrer Vorgänger treten und auch damit fortfahren würden, wenn der französische Kapitalismus sich dem Faschismus zuwenden würde.
Die grundlegende Formel des Antifaschismus (die “Gewerkschaft der Bedrohten”) entlarvt sich somit als völlig unzureichend. Mehr noch, wenn wir die Ideen des Antifaschismus (wenigstens was sein Programm angeht) näher untersuchen, finden wir schnell heraus, dass sie auf der Trennung von Kapitalismus und Faschismus basieren. Sicher, wenn wir einen Sozialisten, einen Zentristen oder einen Bolschewiki-Leninisten zum Thema befragen, werden sie uns erklären, dass Faschismus in der Tat Kapitalismus sei. Aber die Sozialisten werden sagen: “Wir müssen die Verfassung und die Republik verteidigen, um uns auf den Sozialismus vorzubereiten”; die Zentristen werden erklären, dass es viel einfacher sei, den Klassenkampf der Arbeiter um den Antifaschismus als um den Kampf gegen den Kapitalismus zu organisieren, während gemäß den Bolschewiki-Leninisten es keine bessere Grundlage für die Einheit und den Kampf gibt als die Verteidigung der demokratischen Institutionen, welche der Kapitalismus der Arbeiterklasse nicht mehr zugestehen kann. Es läuft also darauf hinaus, dass die allgemeine Erklärung, wonach “Faschismus gleich Kapitalismus” ist, zu politischen Schlussfolgerungen führen kann, die nur aus der Trennung zwischen Kapitalismus und Faschismus herrühren können.
Die Erfahrung hat gelehrt – und dies macht jede Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen Faschismus und Kapitalismus zunichte –, dass die Hinwendung des Kapitalismus zum Faschismus nicht von dem Willen bestimmter Gruppen innerhalb der bürgerlichen Klasse abhängt, sondern von den Notwendigkeiten einer ganzen historischen Periode und den Besonderheiten gewisser Staaten, die noch weniger als andere in der Lage sind, der Krise und dem Todeskampf des bürgerlichen Regimes zu trotzen. Sofern es überhaupt möglich ist, eine völlige Trennung vorzunehmen, zeigt uns die Erfahrung von Italien und Deutschland, dass, wenn der Kapitalismus gezwungen ist, sich in Richtung einer faschistischen Organisation der Gesellschaft zu bewegen, die faschistischen Bataillone die Terrortruppen bilden, die sich gegen die Klassenorganisationen des Proletariats richten. Die demokratischen Gruppierungen der Bourgeoisie erklären daraufhin ihre Opposition zum Faschismus, mit der Absicht, das Proletariat dazu zu überreden, die Verteidigung dieser Institutionen den demokratischen Gesetzen und der Verfassung anzuvertrauen. Die Sozialdemokratie, die auf derselben Linie wie die liberalen und demokratischen Kräfte agiert, ruft das Proletariat auch dazu auf, es zu seiner zentralen Forderung zu machen, dass der Staat die faschistischen Kräfte dazu zwingen möge, das Gesetz zu respektieren, dass er sie entwaffnet oder gar für illegal erklärt. Die Handlungslinie dieser drei politischen Kräfte befindet sich in völliger Harmonie: Ihr Ursprung liegt in der Notwendigkeit des Kapitalismus, den Triumph des Faschismus durchzusetzen, wo immer der kapitalistische Staat beabsichtigt, den Faschismus zur neuen Form der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft zu erheben.
Da der Faschismus den fundamentalen Bedürfnissen des Kapitalismus entspricht, müssen wir eine Möglichkeit finden, an einer radikal anderen Front dagegen zu kämpfen. Es trifft zu, dass wir heute oft unsere Positionen von unseren Gegnern verfälscht sehen, weil letztere sie nicht politisch bekämpfen wollen. Zum Beispiel hatten wir uns kaum der antifaschistischen Parole (die keine politische Basis besitzt) widersetzt, weil die Erfahrung lehrt, dass die antifaschistischen Kräfte genauso notwendig für den Sieg des Faschismus sind wie die faschistischen Kräfte selbst, da wurde uns erzählt: “Wir kümmern uns nicht darum, die politische und programmatische Substanz des Antifaschismus zu analysieren; worauf es ankommt, ist, dass Daladier gegenüber Doumergue vorzuziehen ist, dass der letztere Maurras vorzuziehen ist und dass es in unserem konsequenten Interesse ist, Daladier gegen Doumergue oder Doumergue gegen Maurras zu verteidigen. Oder entsprechend den Umständen entweder Daladier oder Doumergue zu verteidigen, weil sie ein Hindernis für den Sieg von Maurras sind, und unsere Pflicht ist es, ‚die kleinste Unstimmigkeit zu nutzen, um eine stärkere Position für das Proletariat zu erlangen‘”. Natürlich sind die Ereignisse in Deutschland – wo die “Unstimmigkeiten” zunächst der preußischen, dann der Hindenburg-von Schleicher-Regierung nicht anderes waren als Meilensteine beim Aufstieg des Faschismus – bloße Bagatellen, die ignoriert werden können. Unsere Interventionen werden natürlich als anti-leninistisch und anti-marxistisch gebrandmarkt: Uns wird gesagt, dass wir zu undifferenziert in der Frage sind, ob eine Regierung rechts, links oder faschistisch ist. Was dies anbetrifft, möchten wir gern ein für alle Mal folgende Frage stellen: Wenn wir die Veränderungen in der Nachkriegslage berücksichtigen, ist die Position unserer Gegner, die das Proletariat dazu bewegen wollen, die am wenigsten schlechte Organisationsform des kapitalistischen Staates zu wählen, nicht identisch mit jener von Bernstein, der das Proletariat dazu aufrief, die beste Form des kapitalistischen Staates anzustreben? Uns wird womöglich gesagt, dass die Idee nicht laute, das Proletariat aufzufordern, Partei für die Regierung zu ergreifen, die als die beste Herrschaftsform ... vom proletarischen Standpunkt aus anerkannt ist, sondern dass es einfach das Ziel sei, die Position des Proletariats so weit zu stärken, bis es eine demokratische Regierungsform des Kapitalismus durchsetzen kann. In diesem Fall brauchen wir nur die Wörter austauschen, die Bedeutung bleibt immer dieselbe. Doch wenn das Proletariat stark genug ist, um der Bourgeoisie seine Regierungswahl aufzuzwingen, warum soll es dann bei diesem Ziel haltmachen und nicht seine eigenen zentralen Forderungen nach Zerstörung des kapitalistischen Staates durchsetzen? Und wenn das Proletariat im Gegenteil noch nicht stark genug ist, um sich zum Aufstand zu erheben, bedeutet dann nicht das Vorwärtsdrängen zu einer demokratischen Regierung tatsächlich, das Proletariat auf die falsche Fährte zu locken, was erst den Sieg des Feindes möglich macht?
Bei dem Problem handelt es sich sicherlich nicht um dasjenige, das uns die Anhänger der “besten Wahl” schmackhaft machen wollen: Das Proletariat hat seine eigene Lösung für das Problem des Staates und besitzt keinerlei Einfluss auf die Lösungen, zu denen der Kapitalismus bei seiner Machtfrage greift. Es ist logischerweise offensichtlich, dass es zu seinem Vorteil wäre, sehr schwache bürgerliche Regierungen zu haben, die die Entfaltung des revolutionären Kampfes des Proletariats ermöglichen würde. Aber es ist gleichermaßen offensichtlich, dass der Kapitalismus linke oder annähernd linke Regierungen nur bildet, wenn diese in einer gegebenen Situation am besten in seine Verteidigungslinie passen. 1917-21 kam die Sozialdemokratie an die Macht, um das bürgerliche Regime zu verteidigen, und war die einzige Regierungsform, die es möglich machte, die proletarische Revolution zu zerschlagen. Angenommen, eine rechte Regierung hätte die Arbeitermassen zu einem Aufstand getrieben, sollten die Marxisten dann eine reaktionäre Regierung empfehlen? Wir greifen zu dieser Hypothese, um zu zeigen, dass es keine Regierungsform gibt, die im allgemeinen besser oder schlechter für das Proletariat ist. Diese Attribute existieren nur für den Kapitalismus und sind abhängig von der jeweiligen Situation. Im Gegenteil, die Arbeiterklasse hat die absolute Pflicht, den Kapitalismus zu bekämpfen, welche konkrete Form er auch annehmen mag: eine faschistische, demokratische oder sozialdemokratische.
Die erste wesentliche Überlegung in der heutigen Situation besteht darin zu sagen, dass sich die Machtfrage nicht unmittelbar für die Arbeiterklasse stellt und dass einer der schrecklichsten Ausdrücke dieser Situation die Entfesselung der faschistischen Gewalt und die Bewegung der Demokratie hin zu Notstandsregierungen ist. Daraus folgt, dass wir die Grundlage bestimmen müssen, auf der sich die Arbeiterklasse umgruppieren kann. Und hier trennt eine wirklich strenge Auffassung die Marxisten von all den Verwirrten und feindlichen Agenten und ihrem Treiben innerhalb der Arbeiterklasse. Für uns ist die Umgruppierung der Arbeiter ein Problem der Quantität: Da es nicht die Machtfrage stellen kann, muss sich das Proletariat in seinen Tageskämpfen um begrenztere, aber immer noch klassenmäßige Ziele scharen. Die anderen, deren Extremismus reiner Bluff ist, verfälschen die Klassensubstanz des Proletariats, indem sie sagen, dass es in jeder Periode um die Macht kämpfen könne. Unfähig, die Frage einer Klassen– d.h. proletarischen Basis zu stellen, verwässern sie sie, indem sie die Frage nach einer antifaschistischen Regierung stellen. Wir möchten noch hinzufügen, dass die Partisanen der Auflösung des Proletariats im antifaschistischen Sumpf natürlich dieselben sind, die die Bildung einer proletarischen Klassenfront zur Erkämpfung eigener ökonomischer Forderungen behindern.
Frankreich hat in den vergangenen Monaten ein Aufblühen von antifaschistischen Programmen, Plänen und Organismen gesehen. Dies hat Doumergue absolut nicht daran gehindert, mit einer massiven Kürzung der Gehälter und Pensionen ein Signal für die Lohnkürzungen zu geben, welche der französische Kapitalismus durchaus auf breiter Ebene einzuführen gedenkt. Wenn nur ein Hundertstel der Energie, die für den Antifaschismus aufgewendet wird, für die Bildung einer soliden Arbeiterfront für einen Generalstreik bei der Verteidigung der unmittelbaren ökonomischen Forderungen aufgeboten worden wäre, dann stünde absolut sicher, dass einerseits die Repressionsdrohung nicht in die Tat umgesetzt worden wäre und andererseits das Proletariat, wenn es erst einmal neu gruppiert ist, sein Selbstvertrauen wiederentdeckt haben würde. Dies würde umgekehrt eine veränderte Situation schaffen, in der die Machtfrage erneut in der einzigen Form, die sie für die Arbeiterklasse annehmen kann – die Diktatur des Proletariats –, gestellt werden kann.
Aus all diesen elementaren Überlegungen folgt, dass die einzige Rechtfertigung für den Antifaschismus die Existenz einer antifaschistischen Klasse wäre: Nur aus dem solch einer Klasse innewohnenden Programm könnte ein antifaschistisches Programm folgen. Wenn wir uns außerstande sehen, solch eine Schlussfolgerung zu ziehen, so nicht nur dank der einfachsten Sätze des Marxismus, sondern auch wegen der Situation in Frankreich im einzelnen. Sofort werden wir mit dem Frage konfrontiert, wo der Antifaschismus rechts aufhört. Bei Doumergue, der angeblich die Republik verteidigt? Bei Herriot, der am “Waffenstillstand” teilhatte, welcher Frankreich vor dem Faschismus bewahrte, bei Marquet, der das “Auge des Sozialismus” in der Nationalen Einheit zu repräsentieren behauptet, bei den Jungtürken der Radikalen Partei oder schon bei den Sozialisten? Oder beim Teufel selbst, der dafür sorgt, dass die Hölle mit Antifaschisten gepflastert ist? Wenn man die Frage konkret stellt, zeigt sich, dass die Parole des Antifaschismus lediglich den Interessen der Konfusion dient und die sichere Niederlage der Arbeiterklasse bedeutet.
Statt sich der langfristigen Änderung der Arbeiterforderungen zu widmen, ist es die vordringliche Pflicht der Kommunisten, die Umgruppierung der Arbeiterklasse um ihre Klassenforderungen und innerhalb ihrer Klassenorganisationen, den Gewerkschaften, zu betreiben (...) Wir berufen uns selbst dabei nicht auf die formelle Idee der Gewerkschaft, sondern auf die grundsätzliche Überlegung, dass – wie wir bereits gesagt haben – es, da sich heute die Machtfrage nicht stellt, notwendig ist, beschränktere Ziele anzustreben, die dennoch Klassenziele für den Kampf gegen den Kapitalismus sind. Und der Antifaschismus schafft die Bedingungen, unter denen nicht nur die politischen und ökonomischen Mindestforderungen der Arbeiterklasse erstickt, sondern die Chancen eines revolutionären Kampfes aufs Spiel gesetzt werden. Und ehe ihre Fähigkeit, eine revolutionäre Schlacht für den Aufbau der Gesellschaft von Morgen zu führen, sich wieder erholt hat, findet sich die Arbeiterklasse bereits selbst als Opfer des imperialistischen Krieges wieder.
[1] Es ist nicht die Absicht dieses Artikels, die Gründe für den Eintritt der FPÖ in die österreichische Regierung im Detail zu analysieren – wir verweisen unsere Leser auf unsere territoriale Presse. Kurz gesagt, hat die gegenwärtige Aufmachung der Regierung den enormen Vorteil, dass die SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) die Gelegenheit erhält, sich nach etlichen Jahrzehnten an der Regierung einer Frischzellenkur in der Opposition zu unterziehen, während gleichzeitig der Einfluss der FPÖ, deren Erfolg größtenteils auf ihrem Image als eine von jedem Kompromiss unbefleckte Partei beruhte, unterminiert wird. Die italienische Bourgeoisie hat bereits gezeigt, wie durch die Wiederverwertung der alten neofaschistischen MSI durch die Berlusconi-Regierung diese Art von Manöver läuft.