Die IKS hielt im dreißigsten Jahr ihrer Existenz ihren 16. Kongress ab. In diesem Artikel beabsichtigen wir deshalb, eine Bilanz der Erfahrung unserer Organisation aufzuzeichnen, so wie wir es am 10. und 20. Jahrestag der IKS auch taten. Dies ist kein Zeichen von Narzissmus: Kommunistische Organisationen existieren nicht für sich; sie sind Instrumente der Arbeiterklasse, der ihre Erfahrungen gehören. Dieser Artikel hat deshalb zum Ziel, das Mandat unserer Organisation für ihre 30jährige Existenz sozusagen an die Klasse zurückzugeben. Und wie jedes Mal, wenn man ein Mandat zurückgibt, müssen wir auch diesmal bestimmen, ob unsere Organisation in der Lage gewesen war, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die sie übernahm, als sie gegründet wurde. Wir beginnen daher mit der Frage, worin die Verantwortung der Revolutionäre in der Situation 30 Jahre zuvor bestand und wie sie sich seitdem mit der Änderung der Situation selbst gewandelt hat.
In den ersten Jahren der IKS war ihre Verantwortung durch das Ende der tiefen Konterrevolution bestimmt, die das Weltproletariat nach der Niederlage der revolutionären Welle von 1917-23 zerschmettert hatte. Der riesige Streik in Frankreich Mai 1968, der "heiße Herbst" von 1969 in Italien, die Streiks in der polnischen Ostseeregion während des Winters 1970-71 und viele andere Bewegungen hatten gezeigt, dass das Proletariat nach mehr als vier Jahrzehnten der Niederlage wieder aufgetaucht war. Diese historische Regeneration des Proletariats drückte sich nicht nur in einem Wiederaufleben der Kämpfe der Arbeiter und in der Fähigkeit dieser Kämpfe aus, die Zwangsjacke zu sprengen, in der die Linke und vor allem die Gewerkschaften sie auf Jahrzehnte gesteckt hatten (dies war besonders in den wilden Streiks während des "heißen Herbsts" 1969 in Italien der Fall). Eines der bedeutsamsten Anzeichen für das Wiederauftauchen der Arbeiterklasse aus der Konterrevolution war das Erscheinen einer ganzen Generation von Individuen und kleinen Gruppen auf der Suche nach den wirklich revolutionären Positionen des Proletariats, die auf diese Weise das Monopol der stalinistischen Parteien mit ihren trotzkistischen und maoistischen Anhängseln auf die Idee der kommunistischen Revolution in Frage stellten. Auch die IKS war eine Frucht dieses Prozesses, da sie durch die Umgruppierung mehrerer Gruppen gebildet wurde, welche in Frankreich, den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Italien und Spanien erschienen waren und die sich in Richtung jener Positionen zubewegten, die von der Gruppe Internacionalismo in Venezuela seit 1964 vertreten wurde. Diese Gruppe stand unter dem Einfluss eines alten Militanten der Kommunistischen Linken, MC, der seit 1952 dort lebte.
Während dieser Anfangszeit wurden die Tätigkeiten der IKS durch drei fundamentale Verantwortungen bestimmt:
- vollständig die Positionen, die Analysen und die Lehren der kommunistischen Organisationen der Vergangenheit in sich aufzunehmen, nachdem diese in Folge der Konterrevolution entweder verschwunden oder völlig verknöchert waren;
- in die internationale Welle von Kämpfen der Arbeiter zu intervenieren, die im Mai 1968 in Frankreich begonnen hatten;
- die Umgruppierung von neuen kommunistischen Kräften, bei der die IKS ein erster Schritt war, fortzusetzen.
Der Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regimes in Europa im Jahr 1989 schuf eine neue Lage für die Arbeiterklasse, die nunmehr dem vollen Wind all der Kampagnen über den "Triumph der Demokratie", den "Tod des Kommunismus", das "Verschwinden des Arbeiterkampfs" oder sogar der Arbeiterklasse selbst ausgesetzt war. Diese Situation war für eine tiefe Flaute sowohl im Kampfgeist als auch im Bewusstsein des Proletariats verantwortlich.
Die 30jährige Existenz der IKS teilt sich somit in zwei sehr unterschiedliche Perioden von je 15 Jahren auf. In der ersten Periode war es notwendig, an den Fortschritten der Arbeiterklasse in der Entwicklung ihrer Kämpfe und ihres Bewusstseins teilzunehmen, insbesondere durch eine aktive Intervention in diese Kämpfe. In der zweiten Periode sollte es eine der wesentlichen Aufgaben unserer Organisation sein, standhaft zu bleiben angesichts der Welle der Auflösung, die die Arbeiterklasse überschwemmte. Sie war eine Prüfung für die IKS wie für alle anderen kommunistischen Organisationen, da sie nicht immun gegenüber der allgemeinen Atmosphäre sind, die in der Klasse insgesamt herrscht: Die Demoralisierung und der Mangel an Selbstvertrauen in der Klasse wirkten sich auch auf unsere eigenen Reihen aus. Und diese Gefahr war um so größer, als jene Generation, die die IKS gegründet hatte, nach 1968 und zu Beginn der siebziger Jahre in die Politik fand, das heißt im Kielwasser der großen Arbeiterkämpfe, die die Illusion weckten, dass die kommunistische Revolution vor der Tür stünde.
Wenn wir eine Bilanz der 30-jährigen Existenz der IKS ziehen wollen, müssen wir daher prüfen, ob die Organisation in der Lage war, sich mit diesen beiden Perioden im gesellschaftlichen Leben und im Kampf der Arbeiterklasse auseinanderzusetzen. Im Besonderen müssen wir uns anschauen, inwieweit sie in den Prüfungen, denen sie hat gegenübertreten müssen, ihre den historischen Umständen geschuldete Schwächen überwunden hat. Gleichzeitig müssen wir sehen, worin die Stärken der IKS bestehen, die es uns ermöglichen, diese 30 Jahre ihrer Existenz positiv zu beurteilen.
Bevor wir fortfahren, sei direkt gesagt, dass die IKS eine sehr positive Bilanz aus diesen 30 Jahren ihrer Existenz ziehen kann. Es ist wahr, dass die Größe unserer Organisation und ihr Einfluss äußerst bescheiden sind. Wie wir schon in dem Artikel zum 20. Jahrestag der IKS sagten: "Der Vergleich zwischen der IKS und den anderen Organisationen in der Geschichte der Arbeiterbewegung, besonders den Internationalen, ist beunruhigend: Während Letztere Millionen, ja zig Millionen von Arbeitern einschlossen oder beeinflussten, ist die IKS überall in der Welt nureiner winzigen Minderheit der Arbeiterklasse bekannt" (Internationale Revue Nr. 16). Die Situation bleibt heute im Wesentlichen dieselbe und ist, wie wir es oft in unseren Artikeln gesagt haben, nur mit den besonderen Umständen zu erklären, unter denen die Arbeiterklasse sich ein weiteres Mal aufgemacht hat auf dem Weg zur Revolution:
- das langsame Tempo des ökonomischen Zusammenbruchs des Kapitalismus, dessen erste Ausdrücke Ende der 1960er Jahre als Initialzündung für das historische Wiederaufleben des Proletariats dienten;
- die Länge und das Ausmaß der Konterrevolution, die die Arbeiterklasse Ende der 1920er Jahre niedergeschmettert hatte und die neuen Generationen von Proletariern von den Erfahrungen früherer Generationen abschnitt, welche die großen Kämpfe des frühen 20. Jahrhunderts angeführt und vor allem die revolutionäre Welle von 1917-23 in Gang gesetzt hatten;
- das extreme Misstrauen jener Arbeiter, die die Gewerkschaften und so genannten „sozialistischen“ oder „kommunistischen“ „Arbeiter“parteien ablehnten, gegenüber jeglicher Art von politischen Organisationen des Proletariats;
- das noch größere Gewicht des Mangels an Selbstvertrauen und der Demoralisierung in Folge des Zusammenbruchs der so genannten "kommunistischen Regimes".
Nachdem dies gesagt ist, sollten wir auch darauf hinweisen, wie weit wir gekommen sind: 1968 war unsere politische Tendenz nichts als ein kleiner Kern in Venezuela und eine winzige Gruppe in einer provinziellen französischen Stadt, die gerade mal dazu fähig war, eine vervielfältigte Zeitschrift zwei oder dreimal im Jahr herauszugeben; heute ist unsere Organisation eine Art Bezugspunkt für all jene geworden, die zu revolutionären Positionen gelangen:
- eine territoriale Presse in zwölf Ländern und sieben Sprachen (englisch, spanisch, deutsch, französisch, italienisch, holländisch und schwedisch);
- mehr als hundert Broschüren und andere Dokumente, die in diesen Sprachen, aber auch auf Russisch Portugiesisch, Bengalisch, Hindi, Farsi und Koreanisch veröffentlicht wurden;
- mehr als 420 Ausgaben unserer theoretischen Publikation, alle drei Monate die Internationale Revue auf Englisch, Spanisch, Französisch und, wenn auch in größeren Abständen, auf Deutsch, Italienisch, Holländisch und Schwedisch.
Seit ihrer Gründung hat die IKS im Durchschnitt alle fünf Tage eine Publikation herausgegeben; heute geben wir ungefähr alle vier Tage eine heraus. Zu all dem kommt nun auch unsere Website "www.internationalism.org" [1] in dreizehn Sprachen hinzu. Auf dieser Webseite werden die gedruckten Artikel der territorialen Presse und der Internationalen Revue, unsere Broschüren und Flugblätter veröffentlicht, aber sie schließt auch die Internet-Publikation IKSonline ein, die es uns ermöglicht, schnell zu den wichtigsten Ereignissen Stellung zu beziehen.
Neben unseren Publikationen sollten wir auch die Tausenden von öffentlichen Diskussionsveranstaltungen erwähnen, die wir seit der Gründung unserer Organisation in fünfzehn Ländern abgehalten haben und zu denen Sympathisanten und Kontakte kommen können, um über unsere Positionen und Analysen zu diskutieren. Auch sollten wir unsere mündlichen Interventionen, den Verkauf unserer Presse, die Verteilung von immer zahlreicheren Flugblättern auf öffentlichen Veranstaltungen, Foren und Versammlungen anderer Organisationen, auf Straßendemonstrationen, vor Betrieben und auf Märkten und Bahnhöfen nicht vergessen - und natürlich nicht unsere Interventionen in den Arbeiterkämpfen.
Um es noch einmal zu sagen: All dies ist wenig genug, wenn wir es zum Beispiel mit den Aktivitäten der Sektionen der Kommunistischen Internationale in den 1920er Jahren vergleichen, als revolutionäre Positionen in einer Tagespresse ihren Ausdruck fanden. Doch wie wir gesehen haben, kann man nur vergleichen, was vergleichbar ist. Das wahre Maß des "Erfolgs" der IKS kann am Unterschied zwischen der IKS und den anderen Organisationen der Kommunistischen Linken abgelesen werden, die 1968 bereits existierten, als die IKS nicht mehr als ein Embryo war.
1968 existierten mehrere Organisationen, die sich als Nachkommen der Kommunistischen Linken betrachteten. Auf der einen Hand gab es jene Gruppen, die zur Tradition des holländischen Linkskommunismus gehörten, im Wesentlichen die „Rätisten“, in Holland verkörpert vom Spartacusbond und von Daad en Gedachte, in Frankreich von der Groupe de Liaison pour l’Action des Travailleurs (Glat) und von Informations et Correspondances ouvrières (ICO) sowie in Großbritannien von Solidarity, deren Ursprünge sich vor allem aus den Erfahrungen der Gruppe Socialisme ou Barbarie speisten, die einer Abspaltung der trotzkistischen IV. Internationale unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entsprang und 1964 wieder verschwand.
Neben der rätistischen Strömung existierte eine andere Gruppe in Frankreich, die ebenfalls von Socialisme ou Barbarie abstammte, nämlich Pouvoir Ouvrier, sowie eine kleine Gruppe um Grandizo Munis (ehemaliger Führer der spanischen Sektion der IV. Internationale), die Ferment Ouvrier Révolutionnaire (FOR, auf Spanisch Fomento Obrero Revolucionario) welche Alarme (Alarma auf Spanisch) herausgab.
römung der Linkskommunisten von 1968 hatte ihre Wurzeln in der Italienischen Linken und umfasste zwei Zweige, die 1952 aus der Spaltung der 1945 nach dem Krieg in Italien gegründeten Partito Comunista Internazionalista hervorgegangen waren. Einerseits die „bordigistische" Internationale Kommunistische Partei, die in Italien Programma Comunista und in Frankreich Le Prolétaire und Programme Communiste herausgab; andererseits die Mehrheit zur Zeit der Spaltung, die Battaglia Comunista und Prometeo herausgab.
Für eine Weile stießen einige dieser Gruppen auf ein großes Echo. "Rätistische" Gruppen wie die ICO erlebten einen Zulauf einer ganzen Reihe von Militanten, die von den Ereignissen im Mai 1968 politisiert worden waren. 1969 und 1970 gelang es ihr, mehrere Zusammenkünfte auf regionaler, nationaler und sogar internationaler Ebene (Brüssel 1969) zu organisieren, die eine beträchtliche Anzahl von Personen und Gruppen zusammenbrachten (einschließlich uns). Doch Anfang der 1970er Jahre verschwand die ICO. Diese Tendenz erschien wieder 1975 mit dem vierteljährlichen Bulletin Echanges et Mouvements, an dem sich Personen aus mehreren Ländern beteiligten, das jedoch nur auf Französisch herausgegeben wurde. Was die anderen Gruppen angeht, so hörten sie entweder auf zu existieren – wie im Falle der GLAT in den Siebzigern, der Gruppe Solidarity 1988 oder des Spartacusbond, der seine Hauptfigur Stan Poppe (der 1991 starb) nicht überlebte - oder stellten ihre Publikationen ein, wie Daad en Gedachte Ende der 90er Jahre.
Auch die anderen Gruppen, die wir oben erwähnt haben, sind verschwunden, wie Pouvoir Ouvrier in den 70er und die FOR in den 90er Jahren.
Bezüglich der Gruppen, die von der Italienischen Linken stammen, kann man kaum sagen, dass es ihnen besser ergangen ist. Seit Bordigas Tod 1970 hat die "bordigistische" Bewegung mehrere Spaltungen erlebt, einschließlich jener, die zur Schaffung einer neuen "Internationalen Kommunistischen Partei" führte, die Il Partito Comunista herausgab. Ende der 70er expandierte die Mehrheitstendenz, die Il Programma Comunista herausgab, rasch in mehreren Ländern und war eine Zeitlang Hauptorganisation linkskommunistischer Herkunft. Aber dieser Fortschritt war größtenteils nur möglich durch eine Öffnung zum Linksextremismus und zur Drittweltbewegung. 1982 brach die Internationale Kommunistische Partei auseinander. Die ganze Organisation klappte wie ein Kartenhaus zusammen, und ihre Mitglieder zerstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Die französische Sektion verschwand für mehrere Jahre, während in Italien nur einige Militante dem „orthodoxen" Bordigismus treu blieben und nach einer Weile wieder mit zwei Veröffentlichungen auf sich aufmerksam machten: I1 Programma Comunista und I1 Comunista. Während die bordigistische Strömung noch eine gewisse Kapazität besitzt, drei mehr oder weniger regelmäßige Monatszeitungen auf Italienisch herauszugeben, ist sie international kaum existent. Die Richtung um Il Comunista wird in Frankreich von Le Prolétaire repräsentiert, die alle drei Monate herauskommt. Die Richtung um Programma Comunista publiziert in Englisch jedes Jahr oder alle zwei Jahre die Zeitschrift Internationalist Papers und noch seltener die Zeitschrift Cahiers internationalistes. Die Richtung um I1 Partito comunista gibt eine italienische "Monatszeitschrift" heraus (die sieben Mal im Jahr erscheint) und bringt alle sechs Monate Comunismo sowie ein- oder zweimal im Jahr La Izquierda Comunista auf Spanisch bzw. Communist Left auf Englisch heraus.
Was die Strömung angeht, die von der Mehrheit der Spaltung von 1952 abstammt und welche sowohl die Presse als auch den Namen Partito Comunista Internazionalista (PCInt) behielt, so haben wir bereits in unserem Artikel "Eine opportunistische Politik der Umgruppierung führt nur zu ‚Fehlgeburten‘“ (Internationale Revue Nr. 36; dt. Ausgabe) ihr Missgeschick bei den Versuchen geschildert, sich international mehr Gehör zu verschaffen. 1984 tat sich die PCInt mit der Communist Workers Organisation (die Revolutionary Perspectives publiziert) zusammen, um das Internationale Büro für die kommunistische Partei (IBRP) zu gründen. Fünfzehn Jahre später, in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren, gelang es diesem Büro endlich, sich über seine ersten beiden Bestandteile hinaus auszubreiten und einige kleine Kerne einzubeziehen, wovon Internationalist Notes der aktivste ist und ein- oder zweimal im Jahr eine Zeitschrift herausgibt, während Bilan et Perspectives in Frankreich weniger als einmal im Jahr etwas herausbringt. Der "Circulo de América Latina" (eine mit dem IBRP sympathisierende Gruppe) besitzt keine regelmäßig erscheinende Presse und gibt sich mit der Veröffentlichung von Stellungnahmen und der Übersetzung der IBRP-Website ins Spanische zufrieden. Das IBRP wurde vor 20 Jahren gebildet (und die Partito Comunista Internazionalista existiert schon 60 Jahre), und dennoch ist das IBRP heute trotz der Tatsache, dass es von all den Gruppen, die behaupten, von der PCInt von 1945 abzustammen, die international am meisten entwickelte ist0JahreIKS#_edn1">[i], kleiner noch als die IKS in ihren Gründungstagen.
Die IKS allein produziert jedes Jahr mehr regelmäßige Publikationen in mehr Sprachen als all die anderen Organisationen zusammengenommen. Insbesondere hat keine der anderen Organisationen eine regelmäßige Zeitschrift in deutscher Sprache, was eindeutig eine Schwäche ist angesichts der Wichtigkeit des deutschen Proletariats sowohl in der Geschichte als auch in der Zukunft der Arbeiterbewegung.
Wir ziehen diesen Vergleich zwischen dem Umfang unserer Organisation und dem der anderen Gruppen nicht aus Konkurrenzdenken. Im Gegenteil zu dem, was manche dieser Gruppen behauptet haben, haben wir nie versucht, auf Kosten Anderer zu expandieren. Nichts liegt uns ferner. Wenn wir mit unseren Kontakten diskutieren, machen wir sie stets auf die Existenz der anderen Gruppen aufmerksam und ermutigen sie, sich mit den Positionen Letzterer vertraut zu machen0JahreIKS#_edn2">[ii]. Auch haben wir die anderen Organisationen stets zu unseren öffentlichen Veranstaltungen eingeladen, damit sie dort sowohl das Wort ergreifen als auch ihre eigene Presse vorstellen (wir haben sogar vorgeschlagen, ihre Militanten in Städten oder Ländern, in denen sie selbst nicht präsent sind, zu beherbergen0JahreIKS#_edn3">[iii]). Wir haben, wenn sich die Gelegenheit bot, auch die Presseerzeugnisse anderer Gruppen in die Buchläden gestellt, wenn diese damit einverstanden waren. Schließlich ist es nie unsere Politik gewesen, nach jenen Militanten dieser Organisationen zu „angeln“, die Meinungsverschiedenheiten mit der Politik oder den Positionen Letzterer entwickelt haben. Wir haben sie stets ermutigt, in ihren Organisationen zu bleiben, um dort zu debattieren und zu klären0JahreIKS#_edn4">[iv].
Tatsächlich erkennen wir – im Unterschied zu den anderen, von uns erwähnten Gruppen, von denen eine jede denkt, die einzige zu sein, die in der Lage ist, die künftige Partei der kommunistischen Revolution zu bilden – an, dass es ein linkskommunistisches Lager gibt, das proletarische Positionen innerhalb der Arbeiterklasse vertritt, und dass alle Gruppen darin nur gewinnen können, wenn sich dieses Lager als Ganzes weiterentwickelt. Freilich kritisieren wir Positionen, von denen wir glauben, dass sie falsch sind, wann immer wir denken, dass dies angebracht ist. Doch diese Polemiken sind Teil der notwendigen Debatte innerhalb des Proletariats, und wir glauben mit Marx und Engels, dass zusammen mit seiner Erfahrung nur die Diskussion und Konfrontation von Positionen ermöglichen, dass sich sein Bewusstsein vorwärts bewegt0JahreIKS#_edn5">[v].
In der Tat bezweckt dieser Vergleich der IKS-Bilanz mit jener der anderen Organisationen der Kommunistischen Linken vor allem zu beleuchten, wie schwach der Einfluss revolutionärer Positionen innerhalb der Klasse ist, was auf die historischen Bedingungen und die Hindernisse zurückzuführen ist, auf die sie auf ihrem Weg zum Bewusstsein stößt. Dies gestattet uns zu verstehen, dass der geringe Einfluss der IKS heute keineswegs eine Demonstration des Scheiterns ihrer Politik oder ihrer Orientierungen ist: Entsprechend der gegenwärtigen Bedingungen kann das, was wir während der letzten dreißig Jahre geleistet haben, als sehr positiv betrachtet werden; es unterstreicht die Gültigkeit unserer Orientierungen in dieser Periode. Wir sollten daher noch genauer untersuchen, wie und warum diese Orientierungen es uns erlaubt haben, die unterschiedlichen Situationen zu meistern, denen wir uns gegenübersahen, seitdem unsere Organisation gegründet worden war. Und um zu beginnen, brauchen wir nur in Erinnerung rufen (wie wir es bereits in den Artikeln getan haben, die anlässlich des 10. und 20. Geburtstages veröffentlicht wurden), worin die fundamentalen Prinzipien bestehen, auf denen die IKS ruht.
Die erste Sache, die wir nachdrücklich betonen sollten, ist, dass diese Prinzipien keine Erfindung der IKS sind. Sie sind von der gesamten Arbeiterbewegung über lange Zeit hinweg ausgearbeitet worden. So ist es alles andere als platonisch, wenn in den „Grundsatzpositionen“, die auf der letzten Seite aller unserer Publikationen abgedruckt sind, festgestellt wird: „Die Positionen der revolutionären Organisationen und ihre Aktivitäten sind das Ergebnis der vorherigen Erfahrungen der Arbeiterklasse und der Lehren, die diese politischen Organisationen aus der Geschichte gezogen haben. So beruft sich die IKS auf die Errungenschaften, die nacheinander erbracht wurden vom Bund der Kommunisten (1847-52) um Marx und Engels, den drei Internationalen (Internationale Arbeiterassoziation 1864-72, Sozialistische Internationale 1889-1914, Kommunistische Internationale 1919-28), den linkskommunistischen Fraktionen, die in den 20er und 30er Jahren aus der Dritten Internationale hervorgegangen waren, insbesondere der Deutschen, Holländischen und Italienischen Linken.“
Während wir unser Erbe aus all den verschiedenen Fraktionen der Kommunistischen Linken beziehen, berufen wir uns, was die Frage des Organisationsaufbaus betrifft, ausdrücklich auf die Gedanken der linken Fraktionen der Kommunistischen Partei Italiens, insbesondere auf jene, die in der Zeitschrift Bilan in den 30er Jahren ausgedrückt worden waren. Die große Klarheit dieser Gruppe trug entscheidend zu ihrer Fähigkeit bei, nicht nur zu überleben, sondern auch das kommunistische Denken auf bemerkenswerte Weise weiterzuentwickeln.
Im Rahmen dieses Artikels können wir nicht dem ganzen Reichtum der Positionen der Italienischen Fraktion gerecht werden. Wir werden uns hier darauf beschränken, einige wesentliche Aspekte zusammenzufassen.
Der erste Punkt, den wir von der italienischen Fraktion übernommen haben, ist ihre Stellung zum Verlauf der Geschichte. Jede der wesentlichen Klassen in der Gesellschaft, die Bourgeoisie und das Proletariat, hat ihre eigene Antwort auf die tödliche Krise der kapitalistischen Ökonomie: Die Antwort Ersterer ist der imperialistische Krieg, die Antwort Letzterer die Weltrevolution. Welche von beiden letztendlich die Oberhand behält, hängt vom Gleichgewicht der Kräfte zwischen beiden Klassen ab. Die Bourgeoisie war nur deshalb in der Lage, den I. Weltkrieg auszulösen, weil sie das Proletariat zuvor politisch besiegt hatte, vor allem durch den Triumph des Opportunismus in den Hauptparteien der Zweiten Internationale. Jedoch führte die Barbarei, die jegliche Illusionen über die Fähigkeit des Kapitalismus wegspülte, der Gesellschaft Frieden und Wohlstand zu bringen und die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu verbessern, zu einem Wiedererwachen des Proletariats in Russland 1917 und in Deutschland 1918: Die Arbeiter erhoben sich gegen den Krieg und warfen sich in den Kampf, um den Kapitalismus zu stürzen. Die Niederlage der Revolution in Deutschland, also im wichtigsten Land, öffnete das Tor zum Triumph der Konterrevolution, die sich über die gesamte Welt, besonders aber in Europa mit dem Sieg des Stalinismus in Russland, des Faschismus in Deutschland und der „antifaschistischen“ Ideologie in den „demokratischen“ Ländern ausbreitete. In den 30er Jahren war es eines der Verdienste der Fraktion, verstanden zu haben, dass genau wegen der tiefen Niederlage der Arbeiterklasse die akute Krise des Kapitalismus, die 1929 begonnen hatte, nur zu einem neuen Weltkrieg führen konnte. Auf der Grundlage ihrer Analyse der Periode, die erkannte, dass der Lauf der Geschichte nicht zur Revolution und zur Radikalisierung der Arbeiterkämpfe führt, sondern zum Weltkrieg, war die Fraktion imstande zu begreifen, was in Spanien 1936 passierte, und den fatalen Fehler der Trotzkisten zu vermeiden, die fälschlicherweise diese Vorbereitung auf das zweite imperialistische Gemetzel für den Beginn der proletarischen Revolution hielten.
Die Fähigkeit der Fraktion, das reale Kräfteverhältnis zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat zu identifizieren, war mit einer klaren Konzeption über die Rolle von kommunistischen Organisationen in den verschiedenen Geschichtsperioden verknüpft. Auf der Grundlage der Erfahrung der verschiedenen linken Fraktionen, die zuvor in der Geschichte der Arbeiterbewegung existiert hatten, besonders der bolschewistischen Fraktion in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), aber auch von Marx und Engels nach 1847, definierte die Fraktion und ihre Publikation Bilan zwei unterschiedliche Formen der kommunistischen Organisation: die Partei und die Fraktion. Die Arbeiterklasse erzeugt in Perioden intensiver Kämpfe, wenn die von den Revolutionären vertretenen Positionen einen realen Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse ausüben, die Partei. Wenn sich jedoch das Kräfteverhältnis gegen das Proletariat wendet, verschwindet die Partei als solche oder neigt dazu, einem opportunistischen Kurs zu verfallen und zu degenerieren, was sie zum Verrat im Dienste der feindlichen Klasse führt. Es ist die Fraktion, die, kleiner sowohl in ihrer Größe als auch in ihrem Einfluss, dann die Verteidigung der revolutionären Positionen übernehmen muss. Die Rolle der Fraktion ist es, für die Korrektur der Parteilinie zu kämpfen, damit sie in der Lage ist, ihren Part zu spielen, wenn der Klassenkampf wiederbelebt wird. Sollten sich diese Bemühungen als vergebens erweisen, so ist es ihre Rolle, eine programmatische und organisatorische Brücke zu einer neuen Partei zu schaffen, die nur unter zwei Bedingungen gegründet werden kann:
- dass die Fraktion alle Lehren aus den vergangenen Erfahrungen und vor allem aus den vergangenen Niederlagen gezogen hat;
- dass sich das Kräfteverhältnis noch einmal zugunsten des Proletariats neigt.
Eine andere Lehre, die von der Italienischen Linken weitergereicht wurde und die sich ganz natürlich aus dem ergibt, was wir gerade gesagt haben, ist die Ablehnung des Immediatismus, mit anderen Worten: einer Herangehensweise, die den Blick für den langfristigen Charakter des Kampfes des Proletariats und der Intervention der revolutionären Organisationen in ihm verliert. Lenin pflegte zu sagen, dass Geduld eine der Haupttugenden der Bolschewiki war. Er tat nichts anderes, als den Kampf von Marx und Engels gegen die Geißel des Immediatismus fortzusetzen0JahreIKS#_edn6">[vi]. Weil die Arbeiterklasse permanent von der Ideologie des Kleinbürgertums, das heißt von einer gesellschaftlichen Schicht, die keine Zukunft besitzt, durchdrungen wird, ist der Immediatismus eine konstante Bedrohung der Arbeiterbewegung.
Die natürliche Konsequenz des Kampfes gegen den Immediatismus ist eine programmatische Rigorosität bei der Sammlung der revolutionären Kräfte. Anders als die trotzkistische Bewegung, die hastige Umgruppierungen vornehmlich auf der Grundlage einer Übereinkunft zwischen „Persönlichkeiten“ bevorzugte, bestand die Fraktion auf eine gründliche Diskussion über programmatische Grundsätze, bevor sie mit anderen Strömungen verschmolz.
Diese rigorose Grundsatztreue schloss keineswegs Diskussionen mit anderen Gruppen aus. Jene, die fest zu ihren Überzeugungen stehen, haben keine Furcht vor der Konfrontation mit anderen Strömungen. Das Sektierertum dagegen, das sich selbst als „allein in der Welt“ betrachtet und jeden Kontakt mit anderen proletarischen Gruppen ablehnt, ist im Allgemeinen das Kennzeichen eines Mangels an Überzeugung in der Gültigkeit der eigenen Positionen. Gerade weil sie auf dem festen Boden der Erfahrungen der Arbeiterbewegung stand, war die Fraktion imstande, diese Erfahrungen mit einer solchen Kühnheit zu kritisieren, selbst wenn dies bedeutete, Positionen in Frage zu stellen, die von den anderen Strömungen nahezu als ein Dogma betrachtet wurden0JahreIKS#_edn7">[vii]. Während die Deutsch-Holländische Linke auf die Degeneration der Revolution in Russland und auf die konterrevolutionäre Rolle, die die bolschewistische Partei seitdem spielte, reagierte, indem sie das Kind mit dem Bade ausschüttete und die Schlussfolgerung zog, dass sowohl die Oktoberrevolution als auch die Bolschewiki bürgerlich gewesen seien, bestand die Fraktion stets laut und deutlich auf den proletarischen Charakter beider. Indem sie erklärte, dass die Partei eine vitale Rolle beim Triumph der kommunistischen Revolution spielt, bekämpfte sie auch die „rätistische“ Position, in der die holländische Linke endete. Und anders als die Trotzkisten, die sich selbst vorbehaltlos auf die ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale berufen, lehnte die Fraktion, wie auch die Kommunistische Partei Italiens zu Beginn der 20er Jahre, die unrichtigen Positionen ab, die von diesen Kongressen angenommen worden waren, besonders die Politik der „Einheitsfront“. Tatsächlich ging die Fraktion noch weiter, als sie die Position Lenins und des Zweiten Kongresses zur Unterstützung nationaler Befreiungskämpfe in Frage stellte und stattdessen die von Rosa Luxemburg vertretene Position übernahm.
All diese Lehren wurden angenommen und systematisiert von der Kommunistischen Linken Frankreichs (1945-52), und es war diese Grundlage, auf der die IKS gegründet wurde. Dies hat es ihr ermöglicht, die verschiedenen Feuerproben zu bestehen, besonders jene, die sich aus den Schwächen ergaben, die seit seinem historischen Wiedererwachen 1968 schwer auf dem Proletariat und seinen revolutionären Minderheiten lasteten.
Angesichts dieses Wiederauflebens der Arbeiterklasse war die erste Sache, die verstanden werden musste, die Frage des historischen Kurses. Dies wurde von den anderen Gruppen, die sich als die Erben der Italienischen Linken betrachteten, nur unzureichend begriffen. Die Tatsache, dass sie 1945, als sich die Klasse noch fest im Griff der Konterrevolution befunden hatte, eine Partei gegründet und sich seither einer Kritik an dieser voreiligen Gründung versagt hatten, beweist, dass diese Gruppen (die sich auch weiterhin „Partei“ nannten) außerstande waren, zwischen der Konterrevolution und dem Ende der Konterrevolution zu unterscheiden. Sie sahen im Frankreich des Mai 1968 oder im heißen Herbst in Italien 1969 nur Belangloses für die Arbeiterklasse und spielten diese Ereignisse als bloße Studentenagitation herunter. Dagegen begriffen unsere Genossen von Internacionalismo (insbesondere MC, ein alter Militanter der Fraktion und der GCF) im Bewusstsein der Veränderung des Kräfteverhältnisses die Notwendigkeit, einen Prozess der Diskussion und der Umgruppierung mit jenen Gruppen in Gang zu setzen, die in Folge des historischen Kurswechsels entstanden waren. Diese Genossen baten die PCInt wiederholt, die Diskussion zu eröffnen und zu einer internationalen Konferenz aufzurufen, war doch der Einfluss der PCInt viel größer als der unseres kleinen Kerns in Venezuela. Jedesmal lehnte die PCInt unseren Vorschlag mit der Begründung ab, es habe sich nichts Neues getan. Schließlich begann 1973 doch eine erste Runde von Konferenzen als Folge eines Appells, der von Internationalism formuliert worden war, einer Gruppe in den Vereinigten Staaten, die den Positionen von Internacionalismo und Révolution Internationale, die sich 1968 in Frankreich gebildet hatte, nahe stand. Es war größtenteils diesen Konferenzen zu verdanken, dass neben einer nachhaltigen Heranreifung einer ganzen Reihe von Gruppen und Elementen, die nach dem Mai 1968 zur Politik gelangten, im Januar 1975 die IKS gegründet wurde. Es ist selbstverständlich, dass die von der Fraktion übernommene Haltung, systematisch die Diskussion mit Individuen zu suchen, wenn sie bei aller Konfusion deutlich einen revolutionären Willen demonstrieren, ein entscheidendes Element bei diesem ersten Schritt war.
Auch wenn die jungen Militanten, die die IKS gegründet hatten oder ihr in den ersten Jahren beigetreten waren, sicherlich begeistert dabei waren, laborierten sie nichtsdestotrotz an einer gewissen Anzahl nicht unerheblicher Schwächen, so:
- am Einfluss der Studentenbewegung, die durchtränkt war von kleinbürgerlichem Gedankengut, besonders vom Individualismus und Immediatismus („Revolution jetzt!“ war eine der Studentenparolen von 1968);
- am Misstrauen gegenüber jeder Form von revolutionärer Organisation, die in der Klasse interveniert, in Folge der konterrevolutionären Rolle, die von den stalinistischen Parteien ausgeübt wurde; mit anderen Worten: das Gewicht des Rätismus.
Diese Schwächen betrafen nicht allein die Militanten, die sich in der IKS sammelten. Im Gegenteil, sie äußerten sich noch viel stärker unter den Gruppen und Elementen, die außerhalb unserer Organisation geblieben waren, welche zu einem großen Teil durch die Auseinandersetzungen mit ihnen geformt worden war. Diese Schwächen erklären den kurzlebigen Erfolg der rätistischen Strömung nach 1968. Kurzlebig daher, weil man, wenn man aus seiner eigenen Nutzlosigkeit für den Klassenkampf eine Theorie macht, wenig Überlebenschancen hat. Sie erklären ebenfalls zuerst den Erfolg und dann die Schlappe von Programma Comunista: Nach dem völligen Versagen, die Bedeutung dessen zu begreifen, was sich 1968 ereignete, verlor diese Strömung angesichts der internationalen Entwicklung von Arbeiterkämpfen den Kopf und ließ alle Vorsicht und organisatorische Strenge fahren, die sie einst für gewisse Zeit ausgezeichnet hatte. Ihr Sektierertum und ihr großmäuliger „Monolithismus“ mutierten zu einer Öffnung gegenüber allen Richtungen (außer gegenüber unserer Organisation, die weiterhin als „kleinbürgerlich“ betrachtet wurde), besonders gegenüber einer großen Anzahl von Elementen, die sich gerade unvollständig vom Linksextremismus und besonders von der Drittweltbewegung freigemacht hatten. Ihre desaströse Auflösung 1982 war die logische Quittung dafür, dass sie die Hauptlehren der Italienischen Linken vergessen hat, als deren Erbe sie sich ausgab.
Diese Schwächen traten auch bald in der IKS auf, trotz unserer Entschlossenheit, eine hastige Integration neuer Militanter zu vermeiden. 1991 erlitt unsere Organisation eine schwere Krise, die die Hälfte ihrer Sektion in Großbritannien wegspülte. Diese Krise wurde im Wesentlichen vom Immediatismus genährt, der eine ganze Reihe von Militanten dazu verleitete, das Potenzial des Klassenkampfes zu überschätzen (zu jener Zeit erlebte Großbritannien die massivsten Arbeiterkämpfe in der Geschichte: Mit 29 Millionen Streiktagen im Jahr nahm Großbritannien den zweiten Platz hinter Frankreich 1968 im Rahmen der Statistiken über die Arbeitermilitanz ein). Infolgedessen hielten sie die gewerkschaftlichen Basisorganisationen, die die Bourgeoisie produzierte, als die Gewerkschaften ihren Halt verloren, für proletarische Gruppen. Gleichzeitig verleitete der noch immer mächtige Individualismus zur Ablehnung des einheitlichen und zentralisierten Charakters der Organisation: Jede lokale Sektion, ja jedes Individuum konnte gegen die Disziplin der Organisation verstoßen, wenn man meinte, dass die Orientierungen unrichtig seien. Die immediatistische Gefahr ist eines der Hauptthemen des Berichts über „Die Funktion der revolutionären Organisation“ (Internationale Revue, Sondernummer, dt. Ausgabe), der von der Außerordentlichen Konferenz verabschiedet wurde, die im Januar 1982 abgehalten worden war, um die IKS wieder zurück aufs Gleis zu stellen.
Auch der „Bericht zur Struktur und Funktionsweise der revolutionären Organisation“ (Internationale Revue, Nr. 22, dt. Ausgabe) richtete sich bei seiner Verteidigung einer zentralisierten und disziplinierten Organisation (bei gleichzeitigem Beharren auf die Notwendigkeit der offensten und tiefsten Diskussionen in ihr) gegen den Individualismus.
Dieser erfolgreiche Kampf gegen den Immediatismus und Individualismus bewahrte die Organisation 1981 vor Schlimmeren, doch er eliminierte nicht die Bedrohungen an sich: Insbesondere kristallisierte sich 1984 das Gewicht des Rätismus, mit anderen Worten: die Unterschätzung der kommunistischen Organisation, mit der Bildung einer „Tendenz“ heraus, die das Banner gegen die „Hexenjäger“ erhob, als wir begannen, gegen die Überbleibsel rätistischer Ideen in unseren eigenen Reihen zu kämpfen. Diese „Tendenz“ endete darin, die IKS auf ihrem sechsten Kongress 1985 zu verlassen, um die Externe Fraktion der IKS (EFIKS) zu bilden, die vorgab, die „wirkliche Plattform“ unserer Organisation gegen ihre angebliche „stalinistische Degeneration“ zu verteidigen (dieselben Anschuldigungen wurden bereits von jenen Elementen erhoben, die die IKS 1981 verlassen hatten).
Diese Kämpfe erlaubten es unserer Organisation, ihre Verantwortung in den Kämpfen der Klasse in dieser Periode wahrzunehmen, wie im Bergarbeiterstreik in Großbritannien 1984, im Generalstreik in Dänemark 1985, im riesigen Streik des öffentlichen Dienstes in Belgien 1986, im Streik bei den Eisenbahnen und in den Krankenhäusern in Frankreich 1986 und 1988 sowie im Lehrerstreik in Italien 19870JahreIKS#_edn8">[viii].
Während dieser aktiven Interventionen in den Arbeiterkämpfen in den 80er Jahren vergaß unsere Organisation nicht eine der Hauptsorgen der italienischen Fraktion: die Lehren aus den vergangenen Niederlagen zu ziehen. Nachdem sie mit großer Aufmerksamkeit die Arbeiterkämpfe in Polen 1980 verfolgt und analysiert hatte0JahreIKS#_edn9">[ix], unternahm die IKS, um die Niederlage dieser Kämpfe zu verstehen, eine ausführliche Untersuchung der spezifischen Charakteristiken der stalinistischen Regimes in Osteuropa0JahreIKS#_edn10">[x]. Diese Analyse versetzte unsere Organisation in die Lage, den Zusammenbruch des Ostblocks und der UdSSR zwei Monate vor dem Fall der Berliner Mauer vorauszusehen, zu einer Zeit, als viele Gruppen die Ereignisse in der UdSSR und ihrer Glacis („Perestroika“ und „Glasnost“, Solidarnosc in Polen, die im Sommer 1989 an die Macht kam) als Teil der Politik zur Verstärkung desselben Blocks analysierten0JahreIKS#_edn11">[xi].
Ähnlich ermöglichte die Fähigkeit, den Niederlagen der Klasse klar ins Auge zu blicken - was eine Stärke der Fraktion und nach ihr der Kommunistischen Linken Frankreichs (GCF) gewesen war - es uns, noch vor den Ereignissen im Herbst 1989 vorauszusagen, dass diese eine nachhaltige Flaute im proletarischen Bewusstsein provozieren werden: „Selbst bei seinem Tod erweist der Stalinismus der kapitalistischen Herrschaft noch einen letzten Dienst: bei seinem Zerfall vergiftet sein Körper weiterhin noch die Luft, die das Proletariat atmen muss (...) wird der gegenwärtige Rückfluss des Klassenkampfes – ungeachtet der Tatsache, dass er den historischen Kurs, die allgemeine Perspektive breiterer Zusammenstöße zwischen den Klassen, nicht infragestellt – weiterreichend sein als der Rückfluss, der die Niederlage von 1981 in Polen begleitet hatte.“0JahreIKS#_edn12">[xii]
Diese Analyse stieß nicht auf einhellige Zustimmung im linkskommunistischen Lager. Viele nahmen an, dass, weil der Stalinismus die Speerspitze der Konterrevolution gewesen war, seine jämmerliche Auflösung die Tür zur Entwicklung des Bewusstseins und der Militanz des Proletariats öffnen werde. Dies war auch die Zeit, als das IBRP wie folgt über den Staatsstreich schrieb, der das Ceaucescu-Regime Ende 1989 gestürzt hatte: „Rumänien ist das erste Land in den Industrieregionen, in dem die Weltwirtschaftskrise einem realen und authentischen Volksaufstand zur Entstehung verholfen hat, dessen Resultat der Sturz der herrschenden Regierung war (...) in Rumänien waren alle objektiven Bedingungen und nahezu alle subjektiven Bedingungen für die Umwandlung des Aufstandes in eine wahre und authentische soziale Revolution präsent.“ (Battaglia Comunista, Januar 1990, „Ceaucescu ist tot, aber der Kapitalismus lebt noch immer“, eigene Übersetzung).
Schließlich wurden der Zusammenbruch des Ostblocks und des Stalinismus sowie die Schwierigkeiten, die dadurch für den Kampf der Arbeiterklasse entstanden, nur deswegen von unserer Organisation völlig begriffen, weil sie schon zuvor in der Lage gewesen war, eine neue Phase in der Dekadenz des Kapitalismus auszumachen, nämlich die Zerfallsphase: „Bislang haben sich die Klassenkämpfe seit den letzten 20 Jahren auf allen Kontinenten stark entwickelt und den dekadenten Kapitalismus daran gehindert, seine Antwort auf die Sackgasse seiner Wirtschaft durchzusetzen: die Auslösung der höchsten Stufe seiner Barbarei, einen neuen Weltkrieg. Dennoch ist die Arbeiterklasse noch nicht in der Lage, durch revolutionäre Kämpfe ihre eigene Perspektive durchzusetzen, und auch kann sie noch nicht den Rest der Menschheit diese Zukunft verdeutlichen, die sie in sich trägt. Gerade diese gegenwärtige Pattsituation, wo im Augenblick weder die bürgerliche noch die proletarische Alternative sich offen durchsetzen kann, liegt an der Wurzel dieses Phänomens des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft und erklärt das besondere Ausmaß und die Schärfe der Barbarei der Dekadenz dieses Systems. Und je mehr sich die Wirtschaftskrise zuspitzt, desto stärker wird auch dieser Fäulnisprozess zunehmen.“ (Internationale Revue Nr. 11, „Der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft“)
„Der gegenwärtige Zusammenbruch des Ostblocks ist einer der Ausdrücke des allgemeinen Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft, deren Ursprung in der Unfähigkeit der Bourgeoisie liegt, ihre eigene Antwort auf die offene Krise der Weltwirtschaft, den generalisierten Krieg, durchzusetzen“ (Der Zerfall, letzte Phase der kapitalistischen Gesellschaft“, Internationale Revue Nr.13).
Auch hier bezog die IKS ihre Inspiration aus der Methode der italienischen Fraktion, für die „Erkenntnis keinem Verbot und keiner Ächtung unterworfen sein darf“. Die IKS war in der Lage, diese Analyse zu erarbeiten, weil sie wie die Fraktion darum bemüht war, gegen die Routine zu kämpfen, gegen nachlässiges Denken, gegen die Auffassung, dass es „nichts Neues unter der Sonne“ gibt oder dass „die Positionen des Proletariats seit 1848 unveränderlich sind“ (wie die Bordigisten behaupten). Unsere Organisation sah den Zusammenbruch des Ostblocks und das darauffolgende Verschwinden des westlichen Blocks sowie den ernsthaften Rückzug, den die Arbeiterklasse ab 1989 antrat, voraus, weil sie diese Entschlossenheit verinnerlicht hatte, ständig wachsam gegenüber Ereignissen historischer Tragweite zu sein, auch wenn dies bedeutete, lieb gewonnene und fest etablierte Gewissheiten in Frage zu stellen. In der Tat ist diese Methode der Fraktion, die von der IKS fortgesetzt wird, keine Besonderheit der Erstgenannten, wie fähig die Fraktion auch war, diese Methode anzuwenden. Es war dies die Methode von Marx und Engels, die niemals zögerten, Positionen in Frage zu stellen, die sie zuvor vertreten hatten, falls es die Realität erforderte. Es war dies die Methode von Rosa Luxemburg, die es auf dem Kongress der Sozialistischen Internationale 1896 wagte, die Aufgabe einer der symbolischsten Positionen der Arbeiterbewegung zu fordern: die Unterstützung der polnischen Unabhängigkeit und, allgemeiner, der nationalen Befreiungskämpfe. Es war Lenins Methode, als er zum Erstaunen und gegen die Opposition der Menschewiki und der „Altbolschewiki“ mit den Worten: „Die Theorie, mein Freund, ist grau, aber grün ist der ewige Baum des Lebens“0JahreIKS#_edn13">[xiii], erklärte, dass es notwendig sei, das von der Partei 1903 angenommene Programm neu zu schreiben.
Die Entschlossenheit der IKS, wachsam gegenüber neuen Ereignissen zu sein, trifft nicht nur auf den Bereich der internationalen Situation zu. Sie gilt auch für das Innenleben unserer Organisation. Wir lernten diese Vorgehensweise von der Fraktion, die sich wiederum vom Beispiel der Bolschewiki und davor von Marx und Engels besonders in der Ersten Internationale inspirieren ließ. Die Periode, die dem Zusammenbruch des Ostblocks folgte und die, wie wir gesehen haben, fast die Hälfte des Lebens der IKS ausmacht, war eine neue Prüfung für unsere Organisation, die sich neuen Krisen ausgesetzt sah, so wie sie sie bereits in den 80er Jahren erlebt hatte. Ab 1993 musste sie sich im Kampf gegen den „Zirkelgeist“, wie ihn Lenin während des Kongresses der SDAPR 1903 definiert hatte, engagieren, deren Quelle in der Herkunft der IKS lag, als sie kleine Gruppen zusammenbrachte, in denen Affinitäten mit politischen Überzeugungen vermischt waren. Das Überleben des Zirkelgeistes, kombiniert mit dem wachsenden Druck des Zerfalls, tendierte immer mehr dazu, das Clanverhalten innerhalb der IKS zu fördern und so ihre Einheit, ja sogar ihr Überleben zu bedrohen. Und genauso wie die Elemente, die in der russischen SDAPR am meisten vom Zirkelgeist gezeichnet waren, einschließlich einer Reihe von Gründungsmitgliedern der Partei wie Plechanow, Axelrod, Sassulitsch, Potressow und Martow, sich widersetzt und von den Bolschewiki getrennt hatten, um nach dem Kongress von 1903 die menschewistische Fraktion zu bilden, war eine bestimmte Zahl von „herausragenden Mitgliedern“ der IKS (wie Lenin sie nennen würde) nicht in der Lage, sich dem Kampf zu stellen, und flüchtete aus der Organisation (1995-96). Jedoch wurde der Kampf gegen den Zirkelgeist und gegen das Clanverhalten nicht bis zu seinem Schluss ausgefochten und machte sich 2000-01 erneut bemerkbar. 2001 waren dieselben Ingredienzen wie in der Krise von 1993 vorhanden, doch bei einigen Militanten waren sie verknüpft mit einer Erschöpfung der kommunistischen Überzeugung, die durch den langen Rückzug der Arbeiterklasse und das wachsende Gewicht des Zerfalls verschärft worden war. Dies erklärt, warum langjährige Mitglieder der IKS entweder jegliches Interesse an der Politik verloren oder sich in Erpresser, Schläger und sogar freiwillige Polizeispitzel verwandeln konnten0JahreIKS#_edn14">[xiv]. Kurz vor seinem Tod 1990 behauptete unser Genosse MC, dass die Arbeiterklasse im Begriff sei, einen ernsten Rückzug anzutreten, und sagte, dass wir nun sehen würden, wer die wahren Militanten seien, das heißt Individuen, die nicht angesichts von Problemen ihre Überzeugung verlieren. Jene Elemente, die sich 2001 entweder zurückzogen oder die IFIKS bildeten, demonstrierten diese Veränderung in ihren Überzeugungen. Einmal mehr trachtete die IKS danach, mit derselben Entschlossenheit, die sie bereits bei früheren Gelegenheiten gezeigt hatte, die Organisation zu verteidigen. Und wir verdanken diese Entschlossenheit dem Beispiel der italienischen Fraktion. Auch in den dunkelsten Tagen der Konterrevolution lautete die Parole der Fraktion: „Niemals verraten“. Da der Rückzug der Arbeiterklasse nicht die Rückkehr der Konterrevolution bedeutet, war die Losung der IKS in den 90er Jahren: „Durchhalten“. Einige übten Verrat, doch die Organisation in ihrer Gesamtheit blieb standhaft und wurde sogar noch stärker dank dieser Entschlossenheit, sich den Organisationsfragen mit der größtmöglichen theoretischen Tiefe zu widmen, so wie es seinerzeit Marx, Lenin und die Fraktion getan hatten. Die beiden Texte, die in unserer Internationalen Revue bereits veröffentlicht worden sind („Die Frage des organisatorischen Funktionierens in der IKS“ in Internationale Revue Nr. 30 und „Das Vertrauen und die Solidarität im Kampf des Proletariats“ in Internationale Revue Nr. 31, dt. Ausgabe), sind Zeugnis dieser theoretischen Anstrengungen hinsichtlich der Organisationsfragen.
uf dieselbe Weise antwortete die IKS nachdrücklich jenen, die behaupten, dass die zahlreichen Krisen, die unsere Organisation erlebt hat, ein Beweis für ihr Scheitern sei: „Es scheint, als ginge die IKS durch so viele Krisen, weil sie gegen jegliche Penetrierung durch den Opportunismus kämpft. Weil sie ihre Statuten und den proletarischen Geist kompromisslos verteidigt, hat sie die Wut einer vom zügellosen Opportunismus befallenen Minderheit auf sich gezogen, d.h. die die Prinzipien der Organisationsfragen vollständig aufgegeben haben. Die IKS setzte auf dieser Ebene die Auseinandersetzung der Arbeiterbewegung fort, die insbesondere von Lenin und den Bolschewiki geführt worden war, deren zahlreiche Kritiker ihre häufigen organisatorischen Kämpfe und Krisen geißelten. In derselben Periode war das Leben der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands weitaus weniger bewegt, doch die opportunistische Ruhe, die in ihr herrschte (allein herausgefordert von den ‚Störenfrieden‘ auf der Linken wie Rosa Luxemburg), deutete bereits ihren Verrat 1914 an. Im Gegensatz dazu halfen die Krisen der bolschewistischen Partei, die Kräfte zu entwickeln, die zur Revolution von 1917 führten.“ („Der 15. Kongress der IKS: Es steht heute viel auf dem Spiel – Die Organisation stärken, um sich der Verantwortung zu stellen“, Internationale Revue Nr. 114; engl., franz., span. Ausgabe)
Wir verdanken also die Fähigkeit der IKS, sich in den 30 Jahren ihrer Existenz stets ihrer Verantwortung gestellt zu haben, größtenteils den Beiträgen der italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken. Das Geheimnis hinter der positiven Bilanz, die wir aus den Aktivitäten in dieser Periode ziehen können, liegt in unserer richtig verstandenen Treue zu den Lehren der Fraktion und, allgemeiner, zu der Methode und dem Geist des Marxismus0JahreIKS#_edn15">[xv].
Die Fraktion selbst wurde entwaffnet, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Dies geschah, weil besonders während des spanischen Bürgerkriegs die Fraktionsmehrheit Vercesi bei der Abschaffung jener Prinzipien folgte, die zuvor ihre Stärke gewesen waren. Im Gegensatz dazu war es einem kleinen Kern in Marseille auf der Grundlage eben dieser Prinzipien möglich, die Fraktion während des Krieges neu zu bilden und die theoretische sowie politische Arbeit beispielhaft fortzusetzen. Umgekehrt ließ der Restbestand der Fraktion am Kriegsende ihre Prinzipien fallen, als die Mehrheit beschloss, sich aufzulösen und als Individuen der 1945 gegründeten Partito Comunista Internazionalista beizutreten. Es war daher der Kommunistischen Linken Frankreichs (GCF) überlassen, die fundamentalen Errungenschaften der Fraktion zu übernehmen und die theoretische Arbeit bei der Vorbereitung des politischen Rahmens fortzusetzen, was es der IKS ermöglichte, sich zu bilden, zu existieren und Fortschritte zu machen. In diesem Sinn betrachten wir die Zusammenfassung von 30 Jahren unserer Organisation als eine Huldigung an die außergewöhnliche Arbeit, die von den kleinen Gruppen exilierter Militanter ausgeführt worden war, welche die Fackel der Idee des Kommunismus in der dunkelsten Epoche der Geschichte hochhielten. Ihr Werk wird sich, obgleich heute größtenteils unbekannt und zum großen Teil von jenen ignoriert, die behaupten, die Erben der Italienischen Linken zu sein, als wirkungsvolles Element beim endlichen Sieg des Proletariats erweisen.
Besonders dank der Lehren, die uns die Fraktion und die GCF hinterlassen haben, übermittelt und unermüdlich bis an seinen letzten Tag weiter ausgearbeitet von unserem Genossen MC, ist die IKS heute fit und bereit, die neue Generation von Revolutionären, die sich unserer Organisation annähert, in unseren Reihen willkommen zu heißen; eine Generation, die sowohl zahlenmäßig als auch in ihrer Begeisterung noch wachsen wird, entsprechend der Tendenz zur Wiederbelebung des Klassenkampfes seit 2003. Der letzte Internationale Kongress merkte an, dass wir Zeuge eines bedeutsamen Ansteigens der Zahl unserer Kontakte und neuer Mitglieder sind: „Und bemerkenswert ist, dass eine bedeutende Anzahl von diesen neuen Mitgliedern junge Leute sind, die nicht die Verbildung erleiden und überwinden mussten, die die Mitgliedschaft in linksbürgerlichen Organisationen nach sich zieht. Junge Leute, deren Dynamik und Begeisterung hundertfach die müden und verbrauchten ‚militanten Kräfte‘ ersetzt, die uns verlassen.“ („Bilanz des 16. Kongresses“, Internationale Revue Nr. 36, dt. Ausgabe)
Für uns Menschen sind 30 Jahre das Durchschnittsalter einer Generation. Die Elemente, die sich uns heute annähern oder die bereits bei uns eingetreten sind, könnten Kinder der Militanten sein, die die IKS gegründet hatten (und sind es manchmal auch).
Was wir im Bericht über die internationale Lage gesagt hatten, der dem 8. Kongress der IKS vorgestellt worden war, wird zur konkreten Realität: „Es war notwendig, dass die Generationen, die von der Konterrevolution der 1930 bis 1950er Jahre geprägt worden waren, den Generation den Platz überließen, die nicht davon geprägt worden waren, damit das Weltproletariat die Kraft fand, sie zu überwinden. So kann man im übertragenen Sinne sagen, dass die Generation, welche die Revolution machen wird, nicht die sein wird, welche die wesentliche historische Aufgabe erfüllt hat, dem Weltproletariat nach der tiefgreifendsten Konterrevolution seiner Geschichte eine neue Perspektive zu eröffnen (obgleich solch ein Vergleich abgeschwächt werden muss, wenn man sieht, dass zwischen der 1968er Generation und der vorhergehenden Generation ein historischer Bruch entstanden war, während es bei den nachfolgenden Generationen eine Kontinuität gibt)“ Was für die Arbeiterklasse zutrifft, gilt auch für ihre revolutionäre Minderheit. Und noch sind die meisten der „alten“ Militanten dabei, auch wenn ihre Haare mittlerweile grau geworden sind (wenn sie nicht schon alle ausgefallen sind!). Die Generation, die 1975 die IKS gründete, ist bereit, die Lehren, die sie von ihren Vorgängern erhalten hat, so wie jene, die sie im Verlauf dieser 30 Jahre hinzugelernt hat, an die „Jüngeren“ zu übermitteln, so dass die IKS mehr und mehr in der Lage ist, ihren Beitrag zur Bildung der künftigen Partei der kommunistischen Revolution zu leisten. Fabienne
0JahreIKS#_ednref1">[i] Insbesondere ist sie die einzige Organisation mit einer bedeutenden Publikation auf Englisch (ein Dutzend Ausgaben pro Jahr).
0JahreIKS#_ednref2">[ii] Es ist aufschlussreich, dass die Genossen, die Internationalist Notes in Montreal veröffentlichen, zuerst die IKS kontaktierten, die sie ermutigte, auch mit dem IBRP in Kontakt zu treten. Am Ende wendeten sich diese Genossen dieser Organisation zu. Desgleichen sagte auf einem Treffen mit uns ein Genosse der CWO (der britische Ableger des IBRP) ganz freimütig, dass ihre einzigen Kontakte in Großbritannien von der IKS kämen, die sie dazu ermutigt hatte, auch mit den anderen Gruppen der Kommunistischen Linken in Kontakt zu treten.
0JahreIKS#_ednref3">[iii] Siehe zum Beispiel den Brief, den wir an die Gruppen der Kommunistischen Linken am 24. März 2003 adressiert und in der Internationalen Revue Nr. 119 (eng., franz., span. Ausgabe, Nr. 32 deutsche Ausgabe) veröffentlicht hatten.
0JahreIKS#_ednref4">[iv] Daher schrieben wir im „Bericht über die Struktur und die Funktionsweise der revolutionären Organisation“: „Innerhalb des proletarischen politischen Milieus haben wir immer diese Position vertreten (dass „wenn die Organisation einen falschen Weg einschlägt, (...) die Verantwortung der Mitglieder, die glauben, eine richtige Position zu verteidigen, nicht darin (besteht), sich selbst auf eine Insel zu retten, sich in eine Ecke zurückzuziehen, sondern einen Kampf innerhalb der Organisation zu führen, um damit beizutragen, sie wieder auf den ‚richtigen Weg zu bringen‘). Dies war insbesondere der Fall, als die Aberdeener Sektion der Communist Workers‘ Organisation (CWO) aus dieser austrat oder als das Nucleo Comunista Internazionalista aus ‚Programma Comunista‘ austrat. Wir haben damals die Überstürzung bei den Spaltungen kritisiert, die sich damals auf keine grundsätzlichen Divergenzen stützten und die in den jeweiligen Organisationen nicht ausreichend in vertieften Debatten geklärt worden waren. Im allgemeinen ist die IKS gegen ‚Spaltungen‘, die sich nicht auf Prinzipienfragen stützen, sondern zweitrangige Fragen als Ursprung haben (selbst wenn die ausgetretenen Genossen später ihre Kandidatur für die Mitgliedschaft in der IKS stellen).“
0JahreIKS#_ednref5">[v] „Für den schließlichen Sieg der im ‚Manifest‘ aufgestellten Sätze verließ sich Marx einzig und allein auf die intellektuelle Entwicklung der Arbeiterklasse, wie sie aus der vereinigten Aktion und der Diskussion notwendig hervorgehn musste.“ (Vorrede zur deutschen Ausgabe des „Kommunistischen Manifest“, 1890). MEW Bd 4, S. 584).
0JahreIKS#_ednref6">[vi] Marx und Engels mussten so innerhalb des Bundes der Kommunisten gegen die Willich-Schapper-Tendenz kämpfen, die die „Revolution jetzt!“ wollte, trotz der Niederlage der Revolution von 1848: „Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15,20,50 Jahre Bürgerkrieg durchzumachen, um die Verhältnisse zu ändern, um euch selbst zur Herrschaft zu befähigen, ist statt dessen gesagt worden: Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen, oder wir können uns schlafen legen.“ (Protokoll der Sitzung der Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten in London, 15. 09. 1850).
0JahreIKS#_ednref7">[vii] „Die Militanten der neuen proletarischen Parteien können nur als Resultat einer tiefgehenden Kenntnis über die Ursachen der Niederlagen erscheinen. Und diese Erkenntnis darf keinem Verbot und keiner Ächtung unterworfen sein.“ (Bilan, Nr. 1, November 1933)
0JahreIKS#_ednref8">[viii] Unser Artikel, den wir anlässlich des 20. Geburtstages der IKS verfasst hatten, geht detaillierter auf unsere Intervention in den Arbeiterkämpfen in dieser Periode ein.
0JahreIKS#_ednref9">[ix] Siehe darüber „Massenstreiks in Polen: Eine neue Bresche ist geschlagen“, „Die internationale Dimension der Arbeiterkämpfe in Polen“, „Die Rolle der Revolutionäre im Lichte der Ereignisse in Polen“, „Perspektiven für den internationalen Klassenkampf: Eine Bresche ist in Polen geschlagen worden“, „Ein Jahr der Arbeiterkämpfe in Polen“, „Bemerkungen zum Massenstreik“, „Nach der Repression in Polen“ in der Internationalen Revue Nr. 23, 24, 26, 27 und 29 (engl., franz., span. Ausgabe)
0JahreIKS#_ednref10">[x] „Osteuropa: Die Wirtschaftskrise und die Waffen der Bourgeoisie gegen das Proletariat“, Internationale Revue Nr. 80 (eng., franz., span. Ausgabe).
0JahreIKS#_ednref11">[xi] Siehe Internationale Revue Nr. 60, „Thesen zur ökonomischen und politischen Krise in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern“ in der Internationalen Revue Nr. 12 (dt. Ausgabe) wie auch „20 Jahre IKS“ in der Internationalen Revue Nr. 80 (engl., franz., span. Ausgabe, Nr. 16 deutsche Ausgabe)
0JahreIKS#_ednref12">[xii] „Thesen zur ökonomischen und politischen Krise in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern“, s.o.
0JahreIKS#_ednref13">[xiii] https://www.marxists.org/archive/lenin/works/1917/apr/x01.htm [2]
0JahreIKS#_ednref14">[xiv] Über die Krise der IKS 2001 und das Verhalten der so genannten internen Fraktion der IKS (IFIKS) siehe insbesondere unseren Artikel „Der 15. Kongress der IKS: Es steht heute viel auf dem Spiel – die Organisation stärken, um sich der Verantwortung zu stellen“, Internationale Revue Nr. 114 (engl., franz., span. Ausgabe).
0JahreIKS#_ednref15">[xv] Wenn die anderen Organisationen, die wir zitiert haben, unfähig sind, solche eine positive Bilanz zu ziehen, so, weil ihre Bindung zu den Organisationsprinzipien der Italienischen Linken im Kern platonisch ist.
Im ersten Teil dieser Artikelserie (s. Internationale Revue Nr. 34) erinnerten wir daran, dass für den Marxismus entgegen der Ansicht, die von Battaglia vertreten wurde[1] [7], die Dekadenz des Kapitalismus keine endlose Wiederholung seiner Widersprüche auf einem immer höheren Niveau ist, sondern dass sie, entsprechend der Terminologie von Marx und Engels, die Frage seines Überlebens als Produktionsweise aufwirft. Indem es das Dekadenzkonzept ablehnt, wie es von den Gründern des Marxismus definiert und sukzessive von den Organisationen der Arbeiterbewegung aufgenommen wurde, von denen einige es weiter vertieften, kehrt Battaglia dem historisch-materialistischen Verständnis den Rücken zu. Marx uns lehrt, dass eine Gesellschaft erst dann überwunden werden kann, wenn sie in eine Phase der „Senilität“ getreten ist, wo „ihre Produktionsverhältnisse obsolet und zu einem Hindernis für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte geworden sind“.
„Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung der neuer Produktionsweise… Diese Tendenz – Die das Kapital hat… und es zu seiner Auflösung treibt…“ (K. Marx, „Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie“ Heft V, Das Kapitel vom Kapital, S. 438.)
An dieser Idee der unvermeidlichen Folge der Produktionsweise ist nichts Fatalistisches, wie Battaglia behauptet. Dies deswegen, weil, auch wenn die Dekadenz einer Produktionsweise eine unerlässliche Vorbedingung für eine „revolutionäre Umgestaltung der ganzen Gesellschaft“ (Marx, Kommunistisches Manifest) ist, es der Klassenkampf ist, der in letzter Instanz einen Schnitt durch die sozio-ökonomischen Widersprüche macht. Und falls dies nicht geschieht, so sinkt die Gesellschaft in eine Zerfallsphase, in den „gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, wie Marx es im Kommunistischen Manifest formuliert. Es gibt nichts Automatisches oder Unvermeidliches an der Aufeinanderfolge von Produktionsweisen, nichts, dass den Schluss nahelegt, dass der Kapitalismus angesichts wachsend unüberwindbarer Widersprüche sich einfach von der Bühne der Geschichte zurückziehen wird.
In der Diskussion rund um die Annahme ihrer Plattform auf der ersten Nationalen Konferenz 1945 übertrug das Zentralkomitee der neugegründeten Partito Comunista Internazionalista (PCInt) einem seiner Militanten – Stefanini, ein früheres Mitglied der italienischen Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken (1928-45) – die Aufgabe, einen politischen Bericht über die Gewerkschaftsfrage zu präsentieren. In diesem Bericht bekräftigte er die „Konzeption, dass die Gewerkschaften in der Phase der Dekadenz des Kapitalismus notwendigerweise mit dem bürgerlichen Staat verknüpft sind“ (Protokolle der ersten Nationalen Konferenz der PCInt, eigene Übersetzung). Dieser Bericht, der am dritten Tag der Konferenz vorgestellt wurde, stand im Widerspruch zur Plattform, die tags zuvor diskutiert und verabschiedet wurde.[2] [7] Obwohl eine Reihe von Militanten die Position unterstützte, die von Stefanini im Namen des Zentralkomitees vertreten wurde, rief Letzteres am Ende der Diskussion die Konferenz dazu auf, die Positionen anzunehmen, die von der Plattform eingenommen wurden[3] [7], und fühlte sich veranlasst, am Ende der Konferenz einen Antrag zu präsentieren, der zum „Wiederaufbau der CGIL“[4] [7] und „zur Eroberung der Führungsorgane der Gewerkschaft“ aufrief (Antrag des Zentralkomitees zur Gewerkschaftsfrage, eigene Übersetzung, siehe auch Fussnote 3).
Ferner nahm die Plattform, die auf dieser Konferenz (faktisch ein Gründungskongress) gebilligt wurde, trotz ihrer ausdrücklichen Behauptung, dass sie sich in politischer und organisatorischer Kontinuität mit der Italienischen Fraktion befinde (1928-45)[5] [7], und trotz der Anwesenheit von Mitgliedern der Fraktion in der Führung der neuen Partei überhaupt keinen Bezug auf das, was der Mörtel, die politische Kohärenz der Positionen der Fraktion gewesen war: die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus. Gleichzeitig schuf die Partei ein Internationales Büro, um ihre organisatorische Ausweitung ins Ausland zu koordinieren; dieses jedoch vertrat – mit angemessenem Respekt vor der theoretischen Kakophonie – weiterhin die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus in seinen Publikationen![6] [7] Was lediglich aufzeigt, dass es mit einer solchen Umgruppierungsmethode als Grundlage eigentlich in allen politischen Positionen nur eine totale programmatische Heterogenität geben konnte. Wenn wir die Protokolle dieser Konferenz lesen, wird deutlich, welch tiefe politische Verwirrung in ihren Diskussionen herrschte![7] [7]
Angesichts einer solch konfusen politischen Grundlage ist es nicht verwunderlich, dass der Begriff der Dekadenz wie eine Fata Morgana hin und wieder auftaucht. Dies war besonders auf der Gewerkschaftskonferenz der PCInt 1947 der Fall, wo im Gegensatz zur Plattform von 1945 festgestellt wurde: „In der gegenwärtigen Phase der Dekadenz der kapitalistischen Gesellschaft sind die Gewerkschaften dazu bestimmt, als ein wichtiges Instrument für die Politik der Bewahrung zu dienen und somit die exakten Funktionen eines Staatsorgans anzunehmen.“[8] [7] Dieser explosive Cocktail, der auf den eigentlichen Fundamenten der PCInt zusammengebraut wurde, hielt der Nagelprobe der Wirklichkeit nicht lange stand. Die Partei spaltete sich 1952 in zwei Parteien - eine um Bordiga (Programma Comunista), die sich durch eine Rückkehr zu den politischen Positionen der 20er Jahre auszeichnete, und eine um Damen (Battaglia Comunista), die sich etwas ausdrücklicher auf die politischen Beiträge der Italienischen Fraktion bezog.[9] [7] Genau zum Zeitpunkt dieser Spaltung sollte Bordiga gewisse kritische Betrachtungen über das Dekadenzkonzept anstellen.[10] [7] Und was Battaglia angeht, so ließ auch seine politische Plattform, die nach der Spaltung von 1952 angenommen worden war, die Analyse der Dekadenz zunächst außen vor.
Einige Zeit später jedoch nahm Battaglia in seinen Bemühungen, die revolutionären Kräfte zu bündeln, und im Verlauf der Diskussionen mit unserer Organisation schließlich unter dem Eindruck der Dynamik, die durch die Internationalen Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linken zwischen 1976 und 1980 ausgelöst worden war, die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus an.[11] [7] So veröffentlichte es Anfang 1978 und im März 1979 in seiner Zeitschrift Prometeo[12] [7] sowie als Texte für die ersten beiden Konferenzen[13] [7] zwei lange Untersuchungen über die Dekadenz. Wir erlebten, wie Battaglia auf der Rückseite seiner Publikationen einen neuen programmatischen Punkt aufnahm, der seine Übereinstimmung mit dem Rahmen der Dekadenz bekundete: „... das Anwachsen interimperialistischer Konflikte, von Handelskriegen, Spekulation, allgemeiner lokaler Kriege ist ein Anzeichen für den Prozess der Dekadenz des Kapitalismus. Die strukturelle Krise des Systems drückt das Kapital über seine ‚normalen‘ Grenzen in Richtung einer Lösung auf der Ebene des imperialistischen Krieges“. Nach dem Tod von Damen sen. – dem Gründer der PCInt und Initiator des Konferenzzyklus‘ – im Oktober 1979 und mit Prometeo Nr. 3 im Dezember 1979 (also kurz bevor Battaglia uns am Ende der dritten Konferenz im Mai 1980 ausschloss) verschwand dieser Punkt über die Dekadenz wieder aus den Grundsatzpositionen. Es ist in diesem Zusammenhang auch bemerkenswert, dass die Analyse der Dekadenz, die im Zentrum von Battaglias Beiträgen auf den ersten beiden Konferenzen stand, völlig aus seinen Beiträgen für die dritte Konferenz verschwand, wo wir eine Analyse erblickten, die die gegenwärtige Position vorwegnahm... All dies in sehr diskreter Manier und ohne jegliche Erklärung, weder für seine Leser noch für die anderen Gruppen des politischen Milieus des Proletariats! Abschließend sollten wir noch bemerken, dass Battaglia nun beabsichtigt, etwas abzuschwören, was das IBRP noch in seiner Plattform 1979 bekräftigt hatte: die Existenz eines qualitativen Bruchs, markiert durch den Ersten Weltkrieg, zwischen zwei fundamental unterschiedlichen historischen Perioden in der Evolution der kapitalistischen Produktionsweise, auch wenn dies nicht mehr durch den Gebrauch des marxistischen Konzepts vom Aufstieg und von der Dekadenz einer Produktionsweise erklärt wurde.[14] [7]
Nach diesen vielfältigen politischen Zickzacks besitzt Battaglia die Unverfrorenheit, sich darüber zu beklagen, dass es müde sei, „über nichts zu diskutieren, wo wir doch daran arbeiten müssen zu begreifen, was in der Welt vor sich geht“.[15] [7] Wie kann man auch nicht müde sein, wenn man ständig seine Ansichten wechselt und nie weiß, welche die beste ist, um „zu begreifen, was in der Welt vor sich geht“! Heute kann jeder sehen, dass Battaglia sich bewusst für die Weitsichtgläser entschieden hat, obgleich es an Kurzsichtigkeit leidet.
An diesem Punkt wird der Leser bemerkt haben, dass Battaglia, weit davon entfernt, ein Experte in Sachen Marxismus zu sein, wie es behauptet, eher ein Meister darin ist, auf die Gelegenheit des Augenblicks zu lauern, und eher wie ein schnell die Farbe wechselndes Chamäleon aussieht. Und es ist noch nicht alles. Der jüngste Zickzack war das Sahnehäubchen. Für all jene, die Battaglias Prosa lesen, liegt es nun auf der Hand, dass diese Organisation ein für allemal einen Begriff loswerden will, den es in seinen eigenen Worten in einer Stellungnahme vom Februar 2002, veröffentlicht in Internationalist Communist Review Nr. 21[16] [7], betrachtet „als genauso universell wie Verwirrung stiftend (...) fremd gegenüber der Kritik der politischen Ökonomie (...) fremd gegenüber den Methoden und dem Arsenal der Kritik der politischen Ökonomie“. Wir werden auch gefragt: „Welche Rolle spielt dann das Dekadenzkonzept im Rahmen einer militanten Kritik der politischen Ökonomie, d.h. für eine tiefere Analyse der Charakteristiken und der Dynamik des Kapitalismus in der Periode, in der wir leben? Keine. Bis zu dem Grad, dass das Wort selbst nirgendwo in den drei Bänden des Kapitals erscheint.“[17] [7] Aber warum zum Teufel fühlte sich Battaglia dann zwei Jahre später (in Prometeo Nr. 8, Dezember 2003) genötigt, eine große Debatte über dieses „Verwirrung stiftende“ Konzept anzuzetteln, das „nicht die Mechanismen der Krise erklären kann“, das „fremd gegenüber der Kritik der politischen Ökonomie“ ist, das nur gelegentlich bei Marx auftaucht und das angeblich in seinem Meisterstück überhaupt nicht auffindbar ist? Noch ein Kleiderwechsel. Erinnerte sich Battaglia plötzlich daran, dass die erste Broschüre, die von seiner Schwesterorganisation (die Communist Workers Organisation) veröffentlicht worden war, den Titel The Economic Foundations of Decadence (Die ökonomischen Fundamente der Dekadenz) trug? Die CWO behauptete völlig zu Recht, dass „der Begriff der Dekadenz Bestandteil der Analyse der Produktionsweisen von Marx ist“ und im Mittelpunkt bei der Bildung der Dritten Internationale stand: „Zurzeit der Formierung der Komintern 1919 wurde sichtbar, dass die Epoche der Revolution erreicht worden war, und ihre Gründungskonferenz sprach dies auch aus.“ (Revolutionary Perspectives Nr. 32) Hat Battaglia realisiert, dass es nicht so leicht ist, sich einer solch zentralen Errungenschaft der Arbeiterbewegung wie den marxistischen Begriff der Dekadenz einer Produktionsweise zu entledigen?
Dies im Hinterkopf ist es nicht verwunderlich, dass Battaglia in seinen Beiträgen zur Eröffnung der Debatte nichts zur Definition und Analyse der Dekadenz der Produktionsweisen, wie sie von Marx und Engels entwickelt worden waren, und auch nichts über ihre Bemühungen zu sagen hat, die Umstände und den Zeitpunkt zu skizzieren, in denen dies mit dem Kapitalismus geschieht. Desgleichen ignoriert Battaglia herrisch die Position, die die KI bei ihrer Gründung eingenommen hatte und die den Ersten Weltkrieg als eindeutiges Zeichen für den Beginn der Dekadenzperiode des Kapitalismus analysierte. Auch ist Battaglia, das behauptet, der politische Erbe der Italienischen Fraktion zu sein, sehr schweigsam, was die Tatsache anbetrifft, dass Letztere die Dekadenz zum Rahmen ihrer politischen Plattform gemacht hatte. Statt Stellung für das Erbe zu beziehen, das uns die Begründer des Marxismus hinterlassen und von Generationen von Revolutionären vertieft worden war, zieht es Battaglia vor, mit Bannflüchen (die Idee des Fatalismus) um sich zu werfen und hinsichtlich der Definition der Dekadenz Verwirrung zu verbreiten... und gleichzeitig eine Debatte innerhalb des IBRP sowie eine großangelegte Untersuchung anzukündigen: „Das Ziel unserer Untersuchung wird es sein, zu verifizieren, ob der Kapitalismus sich in seinem Drang, die Produktivkräfte weiterzuentwickeln, erschöpft hat und, wenn ja, wann, in welchem Ausmaß und vor allem warum.“ Wenn man sich von einem historischen Konzept des Marxismus abwenden will, dann ist es leichter, ein neues Kapitel aufzuschlagen, statt sich zu den programmatischen Errungenschaften der Arbeiterbewegung zu bekennen. Genau dies taten die Reformisten Ende des 19. Jahrhunderts. Was uns angeht, so warten wir mit beträchtlicher Ungeduld auf die Ergebnisse dieser „Untersuchung“; und wir werden sie mit Vergnügen mit der marxistischen Theorie sowie mit der Realität der gegenwärtigen historischen Evolution des Kapitalismus vergleichen. Doch es sollte gesagt werden, dass die Argumente, die von Battaglia bereits benutzt worden waren, nichts Gutes verheißen. Aus diesem kurzen historischen Überblick über die verschiedenen Positionen, die Battaglia zur Dekadenz bezogen hat, wird eines bereits ersichtlich: Die Jungen haben die Alten ersetzt, doch geblieben ist die opportunistische Methode.
Für Battaglia ist, wie für die utopischen Sozialisten, die Revolution nicht das Produkt irgendeiner historischen Notwendigkeit, deren Wurzeln in der Sackgasse des Kapitalismus liegen, wie Marx, Engels und Luxemburg uns lehren: „Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung der neuer Produktionsweise…Diese Tendenz – Die das Kapital hat…und es zu seiner Auflösung treibt…“ (Grundrisse, S. 438 s.o.); Aufgabe der ökonomischen Wissenschaft „ist es vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken“ (F. Engels, Anti-Dühring, Kap. II, Gegenstand und Methode); „Vom Standpunkte des wissenschaftlichen Sozialismus äußert sich die historische Notwendigkeit der sozialistischen Umwälzung vor allem in der wachsenden Anarchie des kapitalistischen Systems, die ihn in eine ausweglose Sackgasse drängt.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Die Bernsteinsche Methode“) Für den Marxismus ist die „Auflösung“ (Marx und Engels) bzw. „Sackgasse“ (Luxemburg), die mit der Dekadenz des Kapitalismus auftritt, eine unerlässliche Vorbedingung, um über diese Produktionsweise hinauszugehen, doch beinhaltet dies nicht sein automatisches Verschwinden, da „einzig der Hammerschlag der Revolution, d.h. die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Zollpolitik und Militarismus), den Kapitalismus zum Einsturz bringen kann. Die „Aufhebung“, „Auflösung“ bzw. „Sackgasse“, die mit der Dekadenz des Kapitalismus auftritt, schafft die Bedingungen für die Revolution, sie ist das solide Fundament, ohne das „der Sozialismus auf(hört), eine historische Notwendigkeit zu sein, und er ist dann alles, was man will, nur nicht ein Ergebnis der materiellen Entwicklung der Gesellschaft.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Die Bernsteinsche Methode“). So wie die römische und feudale Dekadenz für die Entstehung der objektiven und subjektiven Bedingungen für neue Produktionsweisen notwendig war, so beweist die Sackgasse des dekadenten Kapitalismus dem Proletariat, dass diese Produktionsweise historisch überholt ist. Es ist anders, als Battaglia denkt: „Der Sozialismus erfolgt also aus dem alltäglichen Kampfe der Arbeiterklasse durchaus nicht von selbst und unter allen Umständen. Er ergibt sich aus den immer mehr sich zuspitzenden Widersprüchen der kapitalistischen Wirtschaft und aus der Erkenntnis der Arbeiterklasse von der Unerlässlichkeit ihrer Aufhebung durch eine soziale Umwälzung.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Praktische Konsequenzen und allgemeiner Charakter der Theorie“, Fußnote 7)
Der Marxismus sagt nicht, dass die Revolution unweigerlich kommt. Er leugnet keinesfalls den Willen als einen Faktor in der Geschichte: Er demonstriert lediglich, dass der Wille allein nicht ausreicht, dass er sich erst in einem materiellen Rahmen realisieren kann, der das Produkt einer Evolution, einer historischen Dynamik ist, welche zu berücksichtigen gilt, damit der Willen zur Geltung kommen kann. Die Bedeutung, die der Marxismus dem Verständnis der „realen Bedingungen“, der „objektiven Bedingungen“ beimisst, ist keine Ablehnung des Bewusstseins und Willens. Im Gegenteil, es ist die einzige feste Grundlage, um beides zu stärken. Wenn der Kapitalismus „sich selbst reproduziert, indem er einmal mehr und auf höherer Ebene all seine Widersprüche aufwirft“ (Battaglia), wo finden wir dann die objektiven Grundlagen für den Sozialismus? Wie Rosa Luxemburg uns erinnert: „Nach Marx ist die Rebellion der Arbeiter, ihr Klassenkampf (...) bloß ideologischer Reflex der objektiven geschichtlichen Notwendigkeit des Sozialismus, die sich aus der objektiven wirtschaftlichen Unmöglichkeit des Kapitalismus auf einer gewissen Höhe seiner Entwicklung ergibt. Selbstverständlich ist damit nicht gesagt – solche Vorbehalte aus dem Abc des Marxismus sind, wie wir sehen werden, für meine ‚Sachverständigen‘ immer noch unentbehrlich -, dass der historische Prozess bis zum letzten Rande dieser ökonomischen Unmöglichkeit ausgeschöpft werden müsse oder auch nur könne. Die objektive Tendenz der kapitalistischen Entwicklung auf jenes Ziel hin genügt, um schon viel eher eine derartig soziale und politische Verschärfung der Gegensätze in der Gesellschaft und Unhaltbarkeit der Zustände hervorzubringen, dass sie dem herrschenden System ein Ende bereiten müssen. Aber diese sozialen und politischen Gegensätze sind selbst in letzter Linie nur ein Produkt der ökonomischen Unhaltbarkeit des kapitalistischen Systems, und sie schöpfen gerade aus dieser Quelle ihre zunehmende Verschärfung just in dem Maße, wie jene Unhaltbarkeit greifbar wird. Nehmen wir hingegen mit den ‚Sachverständigen‘ (wie Battaglia) die ökonomische Schrankenlosigkeit der kapitalistischen Akkumulation an, dann schwindet dem Sozialismus der granitene Boden der objektiven historischen Notwendigkeit unter den Füßen. Wir verflüchtigen uns alsdann in die Nebel der vormarxschen Systeme und Schulen, die den Sozialismus aus bloßer Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit der heutigen Welt und aus der bloßen revolutionären Entschlossenheit der arbeitenden Klassen ableiten wollte“ (...) (Rosa Luxemburg, Antikritik).
Nicht weil die übergroße Mehrheit der Menschen ausgebeutet wird, ist der Sozialismus heute eine historische Notwendigkeit. Ausbeutung herrschte unter der Sklaverei, im Feudalismus und im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, ohne dass der Sozialismus auch nur den Hauch einer Chance auf Verwirklichung hatte. Damit der Sozialismus zur Realität werden kann, ist es nicht nur notwendig, dass die Mittel zu seiner Verwirklichung (Arbeiterklasse und Produktionsmittel) ausreichend entwickelt sind. Es ist ebenfalls notwendig, dass das System, welches er ersetzen soll – der Kapitalismus -, aufgehört hat, ein für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte unerlässliches System zu sein, und zu einem wachsenden Hindernis für Letztere wird, d.h. dass es in seine Dekadenzphase getreten ist: „Die größte Errungenschaft des proletarischen Klassenkampfes war die Entdeckung der Ansatzpunkte für die Verwirklichung des Sozialismus in den ökonomischen Verhältnissen der kapitalistischen Gesellschaft. Dadurch ist der Sozialismus aus einem ‚Ideal‘, das jahrtausendelang der Menschheit vorschwebte, zur geschichtlichen Notwendigkeit geworden.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Die ökonomische Entwicklung und der Sozialismus“). Der unvermeidliche Irrtum der Utopisten lag in ihrer Ansicht über den geschichtlichen Prozess. Ihnen zufolge konnte sein Ausgang vom guten Willen bestimmter Gruppen von Individuellen entschieden werden. Babeuf und Blanqui setzten ihre Hoffnung auf kleine Gruppen entschlossener Arbeiter; Saint-Simon, Fourier oder Owen wandten sich gar an das Wohlwollen der Bourgeoisie, um ihre Vorhaben durchzuführen. Das Auftreten des Proletariats als autonome Klasse während der Revolution von 1848 sollte zeigen, dass der Sozialismus nur von einer Klasse erreicht werden konnte. Es bestätigte die These, die Marx bereits im Kommunistischen Manifest aufgestellt hat: Seit der Teilung der Gesellschaft in Klassen war die Geschichte der Menschheit eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen. Ab da konnte die Entwicklung der Gesellschaft nur innerhalb des Rahmens begriffen werden, der diese Kämpfe bestimmte, d.h. im Rahmen der Evolution der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Menschen miteinander verbinden und sie gleichzeitig in Klassen für die Produktion der Existenzmittel teilen – die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse. Um zu wissen, ob der Sozialismus möglich ist, muss man beurteilen können, ob diese gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse zu einer Barriere für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte geworden sind und somit eine Ersetzung des Kapitalismus durch den Sozialismus erfordern. Für Battaglia hingegen spielt es keine Rolle, in welchem historischen Zusammenhang sich der Kapitalismus entwickelt: „Der widersprüchliche Aspekt der kapitalistischen Produktion, die Krisen, die daraus herrühren, die Wiederholung des Akkumulationsprozesses, der zeitweise unterbrochen wird, der aber frisches Blut aus der Zerstörung des Übermaßes an Kapital und Produktionsmitteln erhält, führt nicht automatisch zu seiner Zerstörung. Entweder interveniert der subjektive Faktor, der im Klassenkampf seinen materiellen Angelpunkt und in der Krise seine ökonomisch bestimmende Voraussetzung hat, oder das Wirtschaftssystem reproduziert sich selbst, indem es all seine Widersprüche einmal mehr und auf einer höheren Stufe aufwirft, ohne auf diese Weise die Bedingungen für seine Selbstzerstörung zu schaffen.“ (Revolutionary Perspectives Nr. 32) So reicht der Klassenkampf, kombiniert mit der Episode einer Wirtschaftskrise, also aus, um die Möglichkeit eines revolutionären Ausgangs zu eröffnen: „Trotz des unbestreitbaren Erfolges des Kapitalismus, den Klassenkampf einzudämmen, bestehen seine Widersprüche weiter. Als Marxisten wissen wir, dass sie nicht ewig eingedämmt werden können. Die Explosion dieser Widersprüche wird nicht notwendigerweise in eine siegreiche Revolution münden. In der imperialistischen Ära ist der globale Krieg der Weg des Kapitals, seine Widersprüche zu ‚kontrollieren‘, ja zeitweilig zu lösen. Doch ehe dies passiert, bleibt die Möglichkeit, dass der politische und ideologische Zugriff der Bourgeoisie auf die Arbeiterklasse gebrochen wird. Mit anderen Worten: es könnten plötzliche Wellen von Massenkämpfen auftreten, und die Revolutionäre müssen darauf vorbereitet sein. Wenn die Klasse wieder einmal die Initiative ergreift und ihre kollektive Stärke gegen die Attacken des Kapitals nutzt, müssen sich die revolutionären politischen Organisationen in einer Position befinden, die es ihnen ermöglicht, die notwendigen politischen und organisatorischen Auseinandersetzung mit den Kräften der linken Bourgeoisie zu führen.“
Battaglia hält es nicht für notwendig, darüber zu befinden, ob die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse historisch obsolet geworden sind, und hält eine Dekadenzperiode für nichtig, weil das System „frisches Blut aus der Zerstörung des Übermaßes an Kapital und Produktionsmitteln erhält“ und das Wirtschaftssystem nach jeder Krise sich selbst„reproduziert (...), indem es all seine Widersprüche einmal mehr und auf einer höheren Stufe aufwirft“.
Die Tatsache, dass Marx imstande war zu sagen, dass „die ganze Scheisse“ (Brief Marx an Engels v. 30.04.1868, MEW Bd. 32, S. 75) der politischen Ökonomie schliesslich im Klassenkampf auflöst, auch wenn er einen Gutteil seines Lebens mit der Kritik der politischen Ökonomie verbrachte, zeigt, dass, während der Klassenkampf der Ausschlag gebende Faktor, der Motor der Geschichte ist, Marx einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit den objektiven Fundamenten widmete, den ökonomischen, sozialen und politischen Zusammenhängen, in welchen der Klassenkampf sich entfaltet. Dies zu wiederholen, wie es Battaglia tut, heißt offene Türen einrennen, da niemand, von Marx bis zur IKS, behauptet, dass einer dieser Faktoren allein (Wirtschaftskrise oder Klassenkampf) ausreicht, um den Kapitalismus zu stürzen. Was Battaglia des Weiteren nicht begreift, ist, dass selbst diese beiden Faktoren zusammen nicht ausreichen! Der Punkt hier ist, dass Perioden, in denen die Wirtschaftskrise und der Klassenkampf zusammen auftreten, seit den ersten Tagen des Kapitalismus vorgekommen sind, ohne in irgendeiner Weise die Möglichkeit des Sturzes des Kapitalismus heraufbeschworen zu haben. Was Marx durch den historischen Materialismus bewies, war, dass wenigstens drei Faktoren unerlässlich sind: ein krisenhaftes Intermezzo, Klassenkonflikte, aber auch die Dekadenz einer Produktionsweise (in diesem Fall des Kapitalismus). Dies verstanden die Begründer des Marxismus sehr gut: Nachdem sie über eine Reihe von Anlässen, die der Kapitalismus bot, nachgedacht hatten, waren sie stets in der Lage, ihre Diagnose zu revidieren (wir verweisen dabei den Leser auf die kurze Geschichte der Analysen, die Marx und Engels über die Bedingungen und den Moment des Eintreffens der Dekadenz angestellt haben, welche wir in der Internationale Revue Nr. 118 (engl., franz., span. Ausgabe) veröffentlicht haben). Engels sollte diese Untersuchung in seiner Einführung von 1895 zur Marx‘ „Die Klassenkämpfe in Frankreich“ schließen, als er schrieb: „ Die Geschichte hat uns und allen, die ähnlich dachten, unrecht gegeben. Sie hat klargemacht, daß der Stand der ökonomischen Entwicklung auf dem Kontinent damals noch bei weitem nicht reif war für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion: sie hat dies bewiesen durch die ökonomische Revolution, die seit 1848 den ganzen Kontinent ergriffen (…) so beweist dies ein für allemal, wie unmöglich es 1848 war, die soziale Umgestaltung durch einfache Überrumpelung zu erobern.“
Doch dies ist nicht alles, denn was Battaglia überhaupt nicht begriffen hat, ist, dass eine vierte Bedingung für den Ausbruch einer Periode erforderlich ist, die eine siegreiche aufständische Bewegung begünstigt: die Eröffnung eines historischen Kurses zu Klassenkonfrontationen. In den 30er Jahren waren die ersten drei Minimalbedingungen (Wirtschaftskrise, soziale Konflikte und die Dekadenzperiode) präsent, doch sie wurden von einem historischen Kurs überlagert, der zum imperialistischen Krieg führte. Dies zu verstehen war der wichtigste Beitrag der Italienischen Fraktion. In Kohärenz mit der Analyse der Kommunistische Internationale, die die durch den I. Weltkrieg eröffnete Periode als das „Zeitalter der Kriege und Revolutionen“ definierte, entwickelte die Fraktion die Analyse des historischen Kurses zu Klassenkonfrontation oder zum Krieg. Die Gauche Communiste de France (1942-52) – und danach die IKS – griffen diese Analyse auf und entwickelten sie weiter, doch sie waren nicht ihre Urheber, wie Battaglia wahrheitswidrig behauptet: „Die schematische Konzeption der historischen Perioden – historisch zur französischen Kommunistischen Linken gehörend, der die IKS ihre Existenz verdankt – charakterisiert historische Perioden als revolutionär oder konterrevolutionär auf der Grundlage abstrakter Überlegungen über die Bedingungen der Arbeiterklasse.“ (Internationalist Communist Nr. 21, eigene Übersetzung) Diese Fälschung der Geburtsurkunde versetzt Battaglia in die Lage, unsere politischen Ahnen wahrheitswidrig der Unglaubwürdigkeit preiszugeben und gleichzeitig das Erbe der Italienischen Fraktion für sich zu beanspruchen, ohne sich wirklich für deren wichtige theoretische Beiträge auszusprechen.
„Die grundlegende und wichtigste Voraussetzung der sozialen Revolution ist ein bestimmtes Niveau der Entwicklung der Produktivkräfte… Es ist ein bestimmtes Entwicklungsniveau der Technik notwendig. Fassen wir die ganze kapitalistische Welt ins Auge: Ist dieses Niveau erreicht? Zwefellos.“ (L. Trotzki: „Europa und Amerika“, 1926) Diese Frage ist in der Tat fundamental, entscheidend für das Proletariat, wie Trotzki sagt, weil zu wissen, ob eine Produktionsweise im Auf- oder Abstieg begriffen ist, bedeutet, sich schlüssig darüber zu sein, ob sie noch fortschrittlich ist im Sinne der Weiterentwicklung der Menschheit oder ob sie, historisch gesehen, ihre besten Tage hinter sich hat. Zu wissen, ob der Kapitalismus der Welt noch etwas zu bieten hat oder ob er überholt ist, beinhaltet folgenschwere Konsequenzen hinsichtlich der Strategie und der politischen Positionen des Proletariats, die sich, je nachdem, radikal voneinander unterscheiden. Trotzki war sich dessen wohl bewusst, als er seine Reflexionen über den Charakter der Russischen Revolution fortsetzte: „Am besten beweist das die Rolle des russischen, noch ganz jungen Proletariats.“ (ebenda) Jene, die der Theorie der Dekadenz den Rücken kehren, sollten über diese Worte Trotzkis nachsinnen. Andernfalls werden sie bei der Schlussfolgerung enden, dass die Menschewiki doch Recht hatten, als sie sagten, dass in Russland in Wahrheit eine bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung stand und nicht eine proletarische Revolution, dass die Gründung der Kommunistischen Internationale auf einer Illusion basierte, dass die Kampfmethoden, die im 19. Jahrhundert angewendet wurden, auch heute noch gültig sind und so weiter. Als konsequenter Marxist antwortete Trotzki ohne Zögern: „Aber seit dem kapitalistischen Krieg änderte sich das Bild vollständig. Die Produktivkräfte wachsen nicht, sie zerfallen. Es ist ihnen im Rahmen des Privateigentums allmählich zu eng geworden…Der Rahmen des privaten Eigentumsrechtes auf die Produktionsmittel und der Rahmen jener nationalen Staaten…drücken weit mehr auf die Produktivkräfte als früher.“ (ebenda). Diese Diagnose – das Ende der historisch fortschrittlichen Rolle des Kapitalismus und die Bedeutung des Ersten Weltkrieges als Wendepunkt beim Übergang von seiner aufsteigenden zu seiner dekadenten Phase - wurde von allen Revolutionären jener Zeit geteilt, auch von Lenin: „Aus einem Befreier der Nationen, der er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus war, ist der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche zum grössten Unterdrücker der Nationen geworden. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt reaktionär geworden, er hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass der Menschheit entweder der Übergang zum Sozialismus oder aber eine jahre-, ja sogar jahrzehntelanger bewaffneter Kampf der „Gross“mächte um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus mittels der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung bevorsteht.“ (W. I. Lenin: „Sozialismus und Krieg“, Werke Bd. 21, S. 302)
Wenn man, wie Battaglia, damit argumentiert, dass der Kapitalismus sich selbst „reproduziert (...), indem er all seine Widersprüche einmal mehr und auf einer höheren Stufe aufwirft“, wendet man sich nicht nur von der materialistischen, marxistischen Argumentation über die Möglichkeit einer Revolution ab, wie wir gesehen haben, sondern man hindert sich auch selbst daran zu verstehen, warum Millionen von Menschen sich eines Tages dazu durchringen sollen, ihr Leben in einem Bürgerkrieg aufs Spiel zu setzen, um dieses System durch ein anderes zu ersetzen, denn wie Engels sagte: „Solange eine Produktionsweise sich im aufsteigenden Ast ihrer Entwicklung befindet, solange jubeln ihr sogar diejenigen entgegen, die bei der ihr entsprechenden Verteilungsweise den kürzern ziehn. So die englischen Arbeiter beim Aufkommen der großen Industrie. Selbst solange diese Produktionsweise die gesellschaftlich-normale bleibt, herrscht im ganzen Zufriedenheit mit der Verteilung, und erhebt sich Widerspruch – dann aus dem Schoß der herrschenden Klasse selbst (Saint-Simon, Fourier, Owen) und findet bei der ausgebeuteten Masse erst recht keinen Anklang.“ (Anti-Dühring, Zweiter Abschnitt: Politische Ökonomie) Wohingegen wir bei Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenz die materiellen und (in bestimmten Momenten) die subjektiven Verhältnisse haben, in denen das Proletariat die Bedingungen und den Anlass vorfindet, um den Aufstand zu wagen. So fährt Engels fort: „Erst wenn die fragliche Produktionsweise ein gut Stück ihres absteigenden Asts hinter sich hat, wenn sie sich halb überlebt hat, wenn die Bedingungen ihres Daseins großenteils verschwunden sind und ihr Nachfolger bereits an die Tür klopft – erst dann erscheint die immer ungleicher werdende Verteilung als ungerecht, erst dann wird von den überlebten Tatsachen an die sogenannte ewige Gerechtigkeit appelliert. Dieser Appell an die Moral und das Recht hilft uns wissenschaftlich keinen Fingerbreit weiter; die ökonomische Wissenschaft kann in der sittlichen Entrüstung, und wäre sie noch so gerechtfertigt, keinen Beweisgrund sehn, sondern nur ein Symptom. Ihr Aufgabe ist vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken.“ (ebenda)
Es ist genau dies, was Battaglia in seiner Ignoranz gegenüber dem Dekadenzkonzept zu vergessen im Begriff ist: Seine „ökonomische Wissenschaft“ dient nicht mehr dazu, die „gesellschaftlichen Missstände“, die „Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung“ aufzuzeigen, woran uns die Gründer des Marxismus erinnerten; sie dient statt dessen dazu, linksextremistische, antiglobalistische Prosa über das Überleben des Kapitalismus durch den Einsatz von Finanzkapital, die Neuzusammensetzung des Proletariats, die auf Mikrochips basierende „neue industrielle Revolution“, etc. neu zu verpacken. „Der lange Widerstand des westlichen Kapitals gegen die Krise des Akkumulationszyklus‘ (oder der Konkretisierung des tendenziellen Falls der Profitrate) hat bisher den vertikalen Kollaps vermieden, der den Staatskapitalismus des Sowjetimperiums mitgerissen hatte. Dieser Widerstand ist von vier grundlegenden Faktoren ermöglicht worden: (1) die Ausgereiftheit der Finanzkontrollen auf internationaler Ebene; (2) eine gründliche Umstrukturierung des Produktionsapparates, die einen schwindelerregenden Anstieg in der Produktivität mit sich brachte... (3) die konsequente Zerschlagung der alten Klassenzusammensetzung, mit dem Verschwinden der veralteten Aufgaben und Rollen und dem Erscheinen neuer Aufgaben, neuer Rollen und neuer proletarischer Kräfte (...) Die Umstrukturierung des Produktionsapparates ist zur gleichen Zeit erfolgt wie die, wie wir sie nennen können, dritte industrielle Revolution im Kapitalismus (...) die dritte industrielle Revolution wird vom Mikroprozessor verkörpert.“ (Prometeo Nr. 8, „Thesen des IBRP über die Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Periode und ihre Perspektiven (Entwurf)“)
Als Battaglia noch das Dekadenzkonzept vertrat, bekräftigte es sehr deutlich: „Die beiden Weltkriege und die gegenwärtige Krise sind ein historischer Beweis dafür, was ein System, das so dekadent ist wie der Kapitalismus, für den Klassenkampf bedeutet“.[18] [7] Jetzt hingegen, wo es diesem Konzept den Rücken gekehrt hat, denkt Battaglia, dass „die Lösung des Krieges als das Hauptmittel zur Lösung der Probleme des Kapitals bei der Verwertung erscheint“ und dass Kriege die Funktion haben, „das Verhältnis zwischen den verschiedenen Sektoren des internationalen Kapitals zu regeln“. Oder wie in der IBRP-Plattform von 1997 gesagt wird: „Der globale Krieg kann für das Kapital zeitweilig ein Mittel sein, um seine Widersprüche zu lösen.“[19] [7]
Während Battaglia auf seinem IV. Kongress in den „Thesen über die heutigen Gewerkschaften und die kommunistische Aktion“ noch fähig war, sich auf die folgende Passage aus seiner Gewerkschaftskonferenz 1947 zu beziehen: „In der gegenwärtigen Phase der Dekadenz der kapitalistischen Gesellschaft ist die Gewerkschaft dazu bestimmt, als ein wichtiges Instrument in der Politik der Bewahrung zu dienen und somit die exakten Funktionen eines Staatsorgans zu übernehmen“, wird uns nun erzählt, dass noch heute die Gewerkschaften in der Lage seien, die unmittelbaren Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen, wenn die Profitrate, wie in den letzten zehn Jahren, ansteigt: „Alles, was die Gewerkschaftskämpfe auf dem reformistischen Terrain, d.h. auf dem Terrain der gewerkschaftlichen und institutionellen Vermittlung, im Bereich der Gesundheit, der sozialen Absicherung und Bildung errangen, errangen sie in der aufsteigenden Phase des Zyklus‘ (in den 50er und teilweise in den 70er Jahren)“ Erst als die Profitrate wieder sank, spielten die Gewerkschaften eine konterrevolutionäre Rolle: „Die Gewerkschaften – stets ein Instrument der Vermittlung zwischen Kapital und Arbeit bezüglich des Preises und der Bedingungen für den Verkauf von Arbeitskraft – haben nicht den Inhalt, sondern den Sinn der Vermittlung modifiziert: Es sind nicht mehr Arbeiterinteressen, die repräsentiert und verteidigt werden gegenüber dem Kapital, sondern die Interessen des Kapitals, die verteidigt und vor der Arbeiterklasse maskiert werden. Dies deshalb, weil – besonders in der Periode der Krise des Akkumulationszyklus‘ – die bloße Verteidigung der unmittelbaren Interessen der Arbeiter gegen die Angriffe des Kapitals direkt die Stabilität und das Überleben der kapitalistischen Verhältnisse in Frage stellt.“ (Prometeo Nr. 8, Thesenentwurf, eigene Übersetzung) Die Gewerkschaften haben demzufolge eine doppelte Funktion, je nachdem, ob die Profitrate nach oben oder nach unten geht. Ein wahrhafter Triumph des Vulgärmaterialismus, nicht wahr?
Selbst der Charakter der stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien wird in diesem Licht betrachtet. Sie werden nun als Parteien dargestellt, die die unmittelbaren Interessen der Arbeiter vertreten, da sie einst „die Rolle der Vermittlung der unmittelbaren Interessen des Proletariats in den westlichen Demokratien gespielt hatten, in Kontinuität mit der klassischen Rolle der Sozialdemokratie“, wohingegen seit dem Fall der Berliner Mauer „das Scheitern des ‚realen Sozialismus‘ sie dazu führte, zwar ihre Rolle als nationale Parteien aufrechtzuerhalten, aber auch die Klasse als Objekt der demokratischen Vermittlung aufzugeben (...) Tatsache bleibt, dass die Arbeiterklasse sich somit den immer gewaltsameren Angriffen des Kapitals vollkommen ausgeliefert sieht“ (ebenda). Träumen wir? Vergießt Battaglia tatsächlich Tränen darüber, dass bürgerliche Institutionen wie die Stalinisten und Sozialdemokraten angeblich ihre frühere Fähigkeit verloren haben, die unmittelbaren Interessen der Arbeiter zu verteidigen?
Ähnlich verhält es sich mit dem System der sozialen Sicherheit nach dem Zweiten Weltkrieg: Statt es als eine besonders schädliche Politik des Staatskapitalismus zu sehen, die darauf ausgerichtet war, die Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse in eine ökonomische Abhängigkeit vom Staat umzuwandeln, betrachtet Battaglia es als eine Errungenschaft der Arbeiterklasse, als eine wahrhaftige Reform: „Während der 1950er Jahre nahmen die kapitalistischen Ökonomien wieder Fahrt auf (...) Dies wurde unbestreitbar durch eine Verbesserung in den Lebensbedingungen der Arbeiter (soziale Sicherheit, Tarifverträge, Lohnsteigerungen...) manifestiert. Diese Konzessionen wurden unter dem Druck der Arbeiter von der Bourgeoisie zugestanden...“ (IBRP in Bilan et Perspectives, Nr. 4, S. 5 – 7, eigene Übersetzung). Noch schwerwiegender ist die Tatsache, dass Battaglia die „Tarifverträge“, die Vereinbarungen also, die es den Gewerkschaften gestatten, als Polizei in den Betrieben zu agieren, gar als ein Beispiel betrachtet für „soziale Errungenschaften, die durch mächtige Kämpfe (der Bourgeoisie) abgerungen wurden“.
Wir haben hier nicht den Platz, um in die Details all der politischen Rückschritte zu gehen, die Battaglias endgültiger Abkehr vom Rahmen der Dekadenz zur Erarbeitung von Klassenpositionen folgten. Wir werden auf diese Rückschritte in weiteren Artikeln zurückkommen. Wir möchten an dieser Stelle lediglich ein paar Beispiele anführen, die den Leser in die Lage versetzen sollen zu verstehen, dass es zwischen der Abkehr von der Dekadenztheorie und der Annahme typisch linksextremistischer Positionen nur ein kurzer Weg ist, ein fürchterlich kurzer Weg! Und wenn Battaglia uns Seite um Seite erzählt, dass es notwendig sei, den neuen Wandel zu verstehen, der auf der Welt vor sich gehe, und dass wir, die IKS, unfähig seien, dies zu tun[20] [7], dann erkennt es nicht, dass es sich auf demselben Weg befindet, den auch die Reformisten Ende des 19. Jahrhunderts eingeschlagen hatten: Auch damals geschah es im Namen des „Verständnisses der neuen Realitäten im ausgehenden 19. Jahrhundert“, als Bernstein und Co. ihre Revision des Marxismus rechtfertigten. Indem es sich endgültig von der Dekadenztheorie abwendet, glaubt Battaglia einen großen Schritt zum Verständnis der „neuen Realitäten in der Welt“ gemacht zu haben. Tatsächlich ist Battaglia kurz davor, zum 19. Jahrhundert zurückzukehren. Wenn das „Verständnis der neuen Realitäten der Welt“ bedeutet, das marxistische Objektiv der Dekadenztheorie in das Objektiv des Linksextremismus umzutauschen, dann nein danke! Wir können sehr deutlich sehen, dass die wiederholte Abwesenheit des Begriffs der Dekadenz in seinen verschiedenen Plattformen (mit Ausnahme seiner Integration in seine Grundsatzpositionen zurzeit der Internationalen Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linken) der Ursprung für all die opportunistischen Verirrungen Battaglias seit seiner Gründung ist.
Trotz ihrer so theoretischen Ansprüche ist die Kritik Battaglias am Dekadenzkonzept letztendlich nicht mehr als eine Wiederauflage jener Kritik, die Bordiga vor 50 Jahren vorgebracht hatte. In diesem Sinn kehrt Battaglia zu seinen ursprünglichen bordigistischen Wurzeln zurück. Die Kritik am angeblichen „Fatalismus“ der Dekadenztheorie wurde bereits von Bordiga auf dem Römischen Treffen 1951 geübt: „Die jüngste Behauptung, dass der Kapitalismus sich auf seinem absteigenden Ast befindet und nicht mehr hochklettern kann, enthält zwei Irrtümer: einen fatalistischen und einen gradualistischen“. Was Battaglias andere Kritik an der Dekadenztheorie angeht, wonach der Kapitalismus „frisches Blut aus der Zerstörung des Übermaßes an Kapital und Produktionsmitteln erhält“ und somit „das Wirtschaftssystem sich selbst reproduziert, indem es einmal mehr und auf höherer Ebene all seine Widersprüche aufwirft“, so wurde auch dies von Bordiga auf besagten Römischen Treffen bereits vorgebracht: „Die marxistische Vision kann durch so viele im Aufstieg befindliche Branchen, die gerade erst ihren Zenit erreichen, dargestellt werden...“; und in seinem Dialog mit dem Tod: „Der Kapitalismus wächst ohne Unterlass und über alle Grenzen hinweg...“ Doch wie wir gesehen haben, ist dies nicht die Sichtweise des Marxismus, weder von Marx: „Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung der neuer Produktionsweise… Diese Tendenz – Die das Kapital hat… und es zu seiner Auflösung treibt…“ (Grundrisse , S. 438.) noch von Engels „ist es vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken“ (F. Engels, Anti-Dühring).[21] [7]
Was der Marxismus behauptet, ist
nicht, dass die kommunistische Revolution das unvermeidliche Resultat der
tödlichen Widersprüche ist, die den Kapitalismus bis zu den Punkt bringen, wo
er sich selbst unmöglich macht (Engels) und in die Selbstzerstörung treibt
(Marx), sondern dass, wenn das Proletariat nicht in der Lage ist, seine
historische Mission zu erfüllen, die Zukunft nicht in einem Kapitalismus
bestehen wird, der „sich selbst
reproduziert, indem er einmal mehr und auf höherer Ebene all seine Widersprüche
aufwirft“ und der „ohne Unterlass und
über alle Grenzen hinweg“ wächst, wie Battaglia
und Bordiga behaupten. Die Zukunft des Kapitalismus heißt Barbarei. Eine
Barbarei, die seit 1914 nicht aufgehört hat zu wachsen, von der Schlächterei
von Verdun über den Holocaust, den Gulag und Hiroshima bis hin zum Genozid in
Kambodscha und Ruanda. Um zu verstehen, was die Alternative zwischen
Sozialismus und Barbarei bedeutet, muss man die Dekadenz des Kapitalismus
begreifen.
[1] [7] Insbesondere in den folgenden zwei Artikeln: in
Prometeo Nr. 8, Reihe 4 (Dezember 2003), „Für eine Definition des
Dekadenzkonzepts“, verfasst von Damen jun. (erhältlich auf Französisch auf der
IBRP-Website – www.ibrp.org [8] – und auf Englisch in Revolutionary Perspectives
Nr. 32, Reihe 3, Sommer 2004) und in Internationalist Communist Nr. 21,
„Kommentare zur jüngsten Krise in der IKS“, verfasst von Stefanini jun.
[2] [7] „Die Arbeit innerhalb der ökonomischen Gewerkschaftsorganisationen der Arbeiter mit Blick auf ihre Weiterentwicklung und Stärkung ist eine der ersten politischen Aufgaben der Partei (...) Die Partei strebt die Rekonstruktion eines einheitlichen Gewerkschaftsbundes an (...) Die Kommunisten tun in aller Offenheit kund, dass die Funktion der Gewerkschaft nur vervollständigt und nur ausgeweitet werden kann, wenn sie von der politischen Klassenpartei des Proletariats angeführt wird.“ (Punkt 12 der Politischen Plattform der PCInt, 1946, eigene Übersetzung)
[3] [7] „Die Konferenz schlägt nach einer breiten Diskussion des Gewerkschaftsproblems die allgemeine Billigung des Punktes 12 der Politischen Plattform der Partei vor und mandatiert somit das Zentralkomitee, in Übereinstimmung mit dieser Orientierung ein Gewerkschaftsprogramm zu erarbeiten.“ (Protokolle der Ersten nationalen Konferenz der PCInt, eigene Übersetzung)
[4] [7] Confederazione Generale Italiana del Lavoro (Italienischer Gewerkschaftsbund)
[5] [7] die politische Emigration nicht allein die Arbeit der Linksfraktion leistete, welche die Initiative beim Aufbau des PCInt 1943 ergriff, dass diese Gründung aber doch auf den Grundlagen entstand, die die Emigration ab 1927 bis zum Krieg verteidigte.“ (Einführung zur politischen Plattform der PCInt, Publikation der Internationalen Kommunistischen Linken, 1946, S. 12)
[6] [7] Siehe zum Beispiel die interessante Studie über „Dekadente Akkumulation“ in L’Internationaliste (1946), dem Monatsbulletin der belgischen Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken, oder ihre erste Broschüre mit dem Titel „Entre deux mondes“, veröffentlicht im Dezember 1946: „die Schlacht findet zwischen zwei Welten statt: der dekadenten kapitalistischen Welt und der aufsteigenden proletarischen Welt (...) Mit der Krise von 1913 ist der Kapitalismus in seine Dekadenzphase eingetreten.“
[7] [7] Woher kommt eine solche politische Heterogenität und Kakophonie? In Wahrheit fand die Gründung der PCInt zunächst auf ihrer ersten Konferenz 1943 in Turin statt und schließlich noch einmal auf ihrer Ersten nationalen Konferenz 1945, mit der Verabschiedung ihrer Politischen Plattform. Sie war eine bunt zusammengewürfelte Gruppierung aus Genossen und Kernen mit diversen politischen Horizonten und Positionen, von den Gruppen in Norditalien, die von der Fraktion im Exil und den alten Militanten beeinflusst waren, welche aus der vorzeitigen Auflösung der Fraktion 1945 herkamen, über die Gruppen um Bordiga aus Süditalien, die dachten, dass es möglich sei, die Kommunistischen Parteien wiederzubeleben, und die in der Frage des Charakters der UdSSR konfus blieben, bis hin zu Elementen der Minderheit, die 1936 wegen ihrer Teilnahme an den republikanischen Milizen während des spanischen Bürgerkriegs aus der Fraktion ausgeschlossen worden waren, und der Vercesi-Tendenz, welche am Antifaschistischen Komitee Brüssel teilgenommen hatte. Auf solch einer heterogenen organisatorischen und politischen Grundlage konnte nur der niedrigste gemeinsame Nenner gewählt werden. Man kann nicht allzu viel Klarheit von all dem erwarten, besonders in der Frage der Dekadenz.
[8] [7] Erhältlich auf Französisch auf der Website von Battaglia: „Thesen über die heutigen Gewerkschaft und die kommunistische Aktion“. Solche Widersprüche zum Punkt 12 ihrer Plattform von 1945 über die Gewerkschaftsfrage zeigen sich auch in dem Bericht, der von der Exekutivkommission der Partei über „Die Evolution der Gewerkschaften und die Aufgaben der Internationalistischen Kommunistischen Gewerkschaftsfraktion“ präsentiert wurde, veröffentlicht in Battaglia Comunista Nr. 6, 1948, und verfügbar auf Französisch in Bilan et Perspectives Nr. 5, November 2003).
[9] [7] Für weitere Details aus der Geschichte der Gründung der PCInt und ihrer Spaltung 1952 siehe unser Buch The Italian Communist Left und auch eine Reihe von Artikeln in unserer Internationalen Revue (internationale Ausgabe): „The ambiguities of the PCInt on ‚Partisans‘“ in Nr. 8, „A caricature of the party: the Bordigist party“ in Nr. 14, „Current problems of the revolutionary milieu“ in Nr. 32, „Against the concept of the ‚brillant leader‘“ in Nr. 33, „Response to Battaglia“ und „Against the PCInt’s concept of discipline“ in Nr. 34, „On the 2nd Congress of the PCInt“ in Nr. 36, „The origins of the ICC and the IBRP“ in Nr. 90, „The formation of the PCInt“ in Nr. 91, „Among the shadows of Bordigism and its epigones“ in Nr. 96, „Marxist and opportunist visions of the construction of the party“, Teil 1 in Nr. 103, Teil 2 in Nr. 105.
[10] [7] La doctrine du diable au corps, 1951, wiederveröffentlicht in Le Proletaire, Nr. 464 (die Zeitung der PCI auf Französisch); Le renversement de la praxis dans la theorie marxiste in Programme Communiste Nr. 56 (theoretische Zeitschrift der PCI in Frankreich); Protokolle des Römischen Treffens 1951, veröffentlicht in Invariance Nr. 4.
[11] [7] Es wurden drei Konferenzen abgehalten, die erste zwischen April und Mai 1977, die zweite im November 1978 und die dritte im Mai 1980. Im Verlauf der letzten Konferenz stellte Battaglia ein ergänzendes Beitrittskriterium vor, mit der Absicht, wie sie selbst sagten, unsere Organisation zu eliminieren. Lediglich zwei (Battaglia und die CWO) von fünf teilnehmenden Organisationen (BC, CWO, IKS, NCI, L’Eveil Internationaliste und die GCI als beobachtende Gruppe) akzeptierten dieses Kriterium, das daher nicht formal von der Konferenz akzeptiert wurde. Abgesehen von dieser formellen Frage markierte dieses Vermeiden von inhaltlichen Auseinandersetzungen das Ende dieses Klärungszyklus‘. Die vierte Konferenz, zu der lediglich von Battaglia und der CWO aufgerufen wurde, wurde allein von diesen beiden Gruppen und einer Gruppe iranischer maoistischer Studenten, die SUCM, die bald darauf verschwand, besucht. Der Leser kann Einsicht nehmen in die Protokolle dieser Konferenzen, aber auch in unseren Kommentaren in der Internationalen Revue (internationale Ausgabe) Nr. 10 (erste Konferenz), Nr. 16 und 17 (zweite Konferenz), Nr. 22 (dritte Konferenz) und Nr. 40, 41 (vierte Konferenz).
[12] [7] „Nun da die Krise des Kapitalismus eine Dimension und Tiefe erreicht hat, die ihren strukturellen Charakter nur bekräftigt, stellt sich die Notwendigkeit für ein richtiges Verständnis der historischen Phase, die wir als dekadente Phase des kapitalistischen Systems erleben...“ („Bemerkungen zur Dekadenz“, Teil 1, Prometeo Nr. 1, Reihe 4, erstes Vierteljahr 1978, S. 1, eigene Übersetzung). „Die Bestätigung der Vorherrschaft des Monopolkapitals markiert den Beginn der Dekadenz der bürgerlichen Gesellschaft. Der Kapitalismus hat, nachdem er die Monopolphase einmal erreicht hat, keine fortschrittliche Rolle mehr; dies bedeutet nicht, dass es keine Weiterentwicklung der Produktivkräfte gibt, sondern dass die Bedingungen für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte innerhalb der bürgerlichen Produktionsverhältnisse eine kontinuierliche Degradierung der Mehrheit der Menschheit bedeutet und der Barbarei entgegenstrebt.“ („Bemerkungen über die Dekadenz“, Teil 2, Prometeo Nr. 2, Reihe 4, März 1979, S. 24, eigene Übersetzung).
[13] [7] Wir zitieren aus den Texten, die von Battaglia auf der ersten und zweiten Konferenz vorgestellt wurden. „Krise und Dekadenz“: „Wenn dies geschieht, hört der Kapitalismus auf, ein fortschrittliches System zu sein – und tritt in seine dekadente Phase ein, die sich durch Versuche auszeichnet, seine eigenen Widersprüche zu lösen, indem er neue Formen der Produktionsorganisation kreiert (...) die wachsenden Interventionen des Staates in die Wirtschaft müssen als Anzeichen für die Unmöglichkeit betrachtet werden, die Widersprüche zu lösen, die sich in den gegenwärtigen Produktionsverhältnissen sammeln (...) Dies sind die deutlichsten Anzeichen für die dekadente Phase.“ (erste Konferenz) „Über die Krise und die Dekadenz“: „Exakt in dieser historischen Phase betrat der Kapitalismus seine Dekadenzphase (...) Zwei Weltkriege und die gegenwärtige Krise sind der historische Beweis dafür, was ein System, das so dekadent ist wie der Kapitalismus, für den Klassenkampf bedeutet, was auf der Ebene des Klassenkampfes die Permanenz eines dekadenten Systems bedeutet.“ (zweite Konferenz)
[14] [7] „Der Erste Weltkrieg, das Produkt der Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten, markiert einen endgültigen Wendepunkt in der Entwicklung des Kapitalismus. Er bestätigte, dass der Kapitalismus eine neue historische Ära eingeschlagen hat, die Ära des Imperialismus, wo ein jeder Staat Bestandteil der globalen kapitalistischen Ökonomie ist und nicht den Gesetzen entkommen kann, die jene Ökonomie beherrschen (...) Die Geschichtsepoche, in der die nationale Befreiung fortschrittlich für die kapitalistische Welt gewesen war, endete im ersten imperialistischen Krieg 1914 (...) heute können wir sehen, dass es einen markanten Unterschied zwischen politischen Organisationen des Proletariats aus der Vor-Oktober-Periode und jenen aus der darauffolgenden Periode gibt. Während des Aufstiegs des Kapitalismus und seiner Konsolidierung als vorherrschende Produktionsweise schufen bürgerliche nationalistische oder anti-despotische Bewegungen den Rahmen für die Mobilisierung der Massen europäischer Proletarier, was wiederum die Bildung großer Gewerkschafts- und Parteiorganisationen erleichterte. Innerhalb dieser Organe war die Arbeiterklasse in der Lage, ihre eigene Klassenidentität auszudrücken, indem sie ihre eigenen Forderungen stellte, wenn auch im Rahmen der herrschenden bürgerlichen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse (...) Die Gründung der Dritten Internationale, welche die Eröffnung einer proletarischen Weltrevolution ankündigte, signalisierte den Sieg der ursprünglichen Prinzipien des Marxismus. Die kommunistische Aktivität dreht sich nun allein um den Sturz des kapitalistischen Staates, um die Bedingungen für den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu schaffen.“
[15] [7] Aus: „Antwort auf die stupiden Beschuldigungen einer Organisation auf dem Weg in die Auflösung“, erhältlich auf der IBRP-Website.
[16] [7] Erhältlich auf Französisch unter folgender Adresse: https://www.geocities.com/Capitol [9] Hill/3303/francia/crisis_du_cci_htm.
[17] [7] Wir sahen in der Internationalen Revue Nr. 35, dass Battaglia das Kapital nicht sehr gut gelesen hat, da der Begriff der Dekadenz sehr deutlich an etlichen Stellen auftaucht. Doch vielleicht ist dies nur ein Versuch von Battaglia, sich selbst einen Hauch von Autorität bei der Suche nach neuen Elementen für die Klassenpositionen zu verleihen. Im ersten Artikel unserer Reihe verwendeten wir über 20 Zitate aus dem Werk von Marx und Engels, von der Deutschen Ideologie bis zum Kapital via Manifest, Anti-Dühring, etc.
[18] [7] Texte, die Battaglia der Zweiten Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken vorstellte.
[19] [7] Erhältlich auf Französisch:https://www.geocities.com/CapitolHill/3303/francia/syndicat_aujourd.htm [10].
[20] [7] „... die IKS (...) eine Organisation, deren methodische und politische Basis außerhalb des historischen Materialismus gelegen ist und die sprachlos ist, um die Abfolge von Ereignissen in der ‚äußeren‘ Welt zu erklären“ (Internationalist Communist Nr. 21).
[21] [7] Was uns anbetrifft, so hat uns, nachdem wir mit dieser Reihe von Artikeln zur Verteidigung des historischen Materialismus bei der Analyse der Entwicklung von Produktionsweisen begonnen hatten, das neuerliche Lesen der Werke von Marx und Engels geholfen, mit großem Vergnügen neue und alte Passagen (wieder) zu entdecken, die völlig bestätigen, was wir hier vorbringen. Daher wiederholen wir unsere Aufforderung an alle Kritiker der Dekadenztheorie, uns auf Zitate der Gründungsväter hinzuweisen, die ihnen zufolge bestätigen, was sie über den historischen Materialismus zu sagen haben.
Die Mobilisierung der jungen Generation künftiger Proletarier Frankreichs in den Universitäten, Oberschulen und auf den Demonstrationen wie auch die Solidarisierung zwischen den Generationen in diesem Kampf bestätigen die Eröffnung einer neuen Periode von Klassenkonfrontationen. Die faktische Kontrolle des Kampfes durch die allgemeinen Versammlungen (Massentreffen), ihre Kampfbereitschaft, aber auch die Nachdenklichkeit und Reife, die in ihnen zum Ausdruck kam – insbesondere ihre Fähigkeit, den meisten Fallen auszuweichen, die ihnen die herrschende Klasse stellte -, sind Indikatoren dafür, dass eine tiefgehende Bewegung im Klassenkampf im Gange ist. Ihre Dynamik wird Auswirkungen auf die kommenden Arbeiterkämpfe haben.[i] [11] Der Kampf gegen den CPE in Frankreich ist weder ein isoliertes noch ein rein „französisches“ Phänomen: Er ist der Ausdruck einer internationalen Häufung und Reifung des Klassenkampfes. In diesem Prozess sind etliche neue Merkmale zu Tage getreten, die in Zukunft noch an Stärke dazu gewinnen werden.
Wir sind noch immer weit entfernt von einem allgemeinen, massenhaften Kampf, doch wir können bereits Anzeichen für einen Wechsel in der Geisteshaltung innerhalb der Arbeiterklasse erkennen, für ein vertieftes Nachdenken besonders unter den jüngeren Generationen, die nicht das Opfer all der Kampagnen über den Tod des Kommunismus nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 16 Jahre zuvor waren. In der „Resolution über die internationale Situation“, verabschiedet vom 16. Kongress und in der Internationalen Revue Nr. 36 veröffentlicht, zeigten wir auf, dass im Jahr 2003 ein „Wendepunkt“ im Klassenkampf stattgefunden hat, dessen Hauptmerkmal sich in der Neigung zu einer größeren Politisierung innerhalb der Arbeiterklasse ausdrückt. Wir warfen einen Blick auf folgende Merkmale des Kampfes:
„Sie bezogen bedeutende Sektoren der Arbeiterklasse in Ländern im Zentrum des weltumspannenden Kapitalismus mit ein (wie in Frankreich 2003);
sie traten mit Sorgen auf, die ausdrücklicher auch politische Fragen in den Vordergrund stellten;
zum ersten Mal seit der revolutionären Welle stand Deutschland wieder als Schwerpunkt der Arbeiterkämpfe da;
die Frage der Klassensolidarität wurde nun breiter und ausdrücklicher aufgeworfen denn je in den Kämpfen der 80er Jahre, insbesondere in den jüngsten Bewegungen in Deutschland;
sie wurden begleitet vom Auftauchen einer neuen Generation von Leuten, die nach politischer Klarheit suchen. Diese neue Generation hat sich einerseits im Auftreten von offen politisierten Leuten gezeigt, andererseits in neuen Schichten von Arbeitern, die zum ersten Mal in den Kampf getreten sind. Wie bestimmte wichtige Demonstrationen bewiesen haben, wird das Fundament gelegt für die Einheit zwischen der neuen Generation und derjenigen von 68 – sowohl der politischen Minderheit, welche die kommunistische Bewegung in den 60er und 70er Jahren aufgebaut hat, als auch den breiteren Schichten der Arbeiter, welche die reiche Erfahrung der Klassenkämpfe zwischen 1968 und 1989 in sich tragen.“
Nicht nur der Kampf gegen den CPE in Frankreich, auch andere Reaktionen gegen die Angriffe der Bourgeoisie haben die Richtigkeit dieser Aspekte vollkommen bestätigt.
In zwei der wichtigsten Nachbarländer Frankreichs waren die Gewerkschaften zeitgleich zum Kampf gegen den CPE gezwungen, angesichts der wachsenden gesellschaftlichen Unzufriedenheit die Initiative zu übernehmen und ausgedehnte Streiks sowie Demonstrationen in einigen Bereichen zu organisieren.
In Großbritannien traten nach einem entsprechenden Aufruf der Gewerkschaften anderthalb Millionen Gemeindeangestellte in den Streik, um gegen die Reform des Rentensystems zu protestieren, die sie zwingen würde, bis 65 statt bis zum Alter von 60 zu arbeiten, um in den Genuss der vollen Rentenbezüge zu kommen. Dieser Ausstand war einer der massivsten Streiks in den letzten Jahren. Die herrschende Klasse inszenierte eine große Propagandakampagne, die die betroffenen Arbeiter als „privilegiert“ gegenüber den Beschäftigten in der Privatindustrie darstellte. Auch die Gewerkschaften taten alles, was sie konnten, um diese Kategorie von Arbeitern – Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes – zu isolieren, die auch weiterhin von der Möglichkeit „profitieren“ möchten, schon mit 60 Jahren in Rente zu gehen. Der Unmut der Arbeiter in Großbritannien war um so größer, als in den letzten Jahren 80.000 Arbeiter infolge des Bankrotts etlicher Rentenfonds ihre Rentenansprüche verloren hatten und gleichzeitig sämtliche Arbeiter einer langen Reihe von Angriffen durch die Blair-Regierung ausgesetzt waren.
In Deutschland folgte der Anstieg der Wochenarbeitszeit von 35 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich gleich nach dem massiven Arbeitsplatzabbau im Staatssektor. Diese Erhöhung der Wochenarbeitszeit ist nur einer der Angriffe, die in der „Agenda 2010“ ausgeheckt wurden, welche vom sozialdemokratischen Bundeskanzler Schröder mit Hartz IV eingeleitet wurde; ein Plan, der auch die Halbierung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes für Staatsangestellte beinhaltete und zum ersten Streik im Öffentlichen Dienst seit zehn Jahren führte. Der Streik in Baden-Württemberg dauerte unter Führung der Gewerkschaften zweieinhalb Monate lang. Im ganzen Land begleiteten die öffentlichen Arbeitgeber diesen Ausstand mit einer breit angelegten Medienkampagne gegen ihre eigenen Arbeiter, von der Müllabfuhr bis zu den Krankenhausangestellten (Verfügungen, Drohungen, Streikteilnehmer wegen „Faulheit“ zu ersetzen, da sie sich weigern, 18 Minuten länger am Tag zu arbeiten). Neben der Medienkampagne, die die Angestellten des öffentlichen Dienstes als „privilegiert“ darstellen, da sie Arbeitsplatzsicherheit genössen, halfen auch DGB und Ver.di mit, die Arbeiter untereinander zu spalten, indem sie jeden Angriff als spezifisches Problem darstellten und die Streiks im Öffentlichen Dienst von den Kämpfen in der Privatindustrie isolierten. Unter dem Druck eines wachsenden sozialen Unmuts rief die IG Metall 80.000 Maschinenbauarbeiter in 333 Betrieben für den 28. März zum Streik auf, um Lohnsteigerungen in einem Industriebereich durchzusetzen, in dem die Löhne schon seit geraumer Zeit stagnieren und der erheblich vom Arbeitsplatzabbau und von Fabrikschließungen betroffen ist. Am 28. März (am Tag einer der größten Demonstrationen gegen den CPE in Frankreich) sah sich der sozialdemokratische Arbeitsminister in der Großen Koalition angesichts der Mobilisierung in Frankreich veranlasst, eine Maßnahme – sicher ist sicher – zurückzuziehen, die dem CPE auffallend ähnelte, war es doch die Absicht der deutschen Regierung, die Kündigungszeit für alle Jobs ebenfalls von sechs Monate auf zwei Jahre anzuheben.
Die soziale Unruhe erreichte auch die Vereinigten Staaten. In etlichen Städten wurden große Demonstrationen organisiert, um gegen ein dem Senat vorliegendes Gesetz (nachdem es im Dezember 2005 das Repräsentantenhaus passiert hatte) zu protestieren, das die illegale Einwanderung zu einem kriminellen Vergehen macht und die Repression nicht nur gegen die illegalen Einwanderer selbst verschärft, sondern auch gegen jeden, der ihnen Schutz oder Beistand gewährt. Es ist ebenfalls beabsichtigt, die Intensität der Kontrollen gegen Immigranten zu erhöhen und die Gültigkeit von Aufenthaltsgenehmigungen von sechs auf drei Jahre, bei nur einmaliger Erneuerung, zu reduzieren. Die Krönung all dessen stellt der Vorschlag der Bush-Administration dar, die Grenzbarrieren auszuweiten, die bereits an etlichen Stellen entlang der 3200 Kilometern langen Grenze zu Mexiko (besonders zwischen Tijuana und den südlichen Vororten von San Diego) existieren. In Los Angeles gingen am 27. März, im Anschluss an einer Demonstration von mehr als 100.000 Menschen in Chicago, zwischen 500.000 und einer Million Menschen auf die Straße. Ähnliche Aufläufe fanden in vielen anderen Städten statt, besonders in Houston, Phoenix, Denver und Philadelphia.
Nicht ein Monat vergeht, ohne dass irgendwo auf der Welt Kämpfe stattfinden, die, auch wenn wenig spektakulär, den wesentlichen Merkmalen des internationalen Arbeiterkampfes Ausdruck verleihen und die Saat der Zukunft legen: die Solidarisierung zwischen den Arbeitern über alle Grenzen der Berufsgruppen, Generationen und Nationalitäten hinweg.
Diese aktuellen Ausdrücke der Solidarität sind mit einem fast vollständigen Blackout durch die Medien begegnet worden.
Unter anderem fanden wichtige Kämpfe in Großbritannien statt. So traten in Nordirland 800 Postangestellte für fast drei Wochen in einen wilden Streik gegen Bußgelder und den Druck durch das Management, gegen die Erhöhung des Arbeitstempos und steigende Überbelastung. Direkter Anlass für die Mobilisierung der Arbeiter waren Disziplinarmaßnahmen, die gegen zwei Kollegen verhängt wurden, wobei der eine auf einem „katholischen“, der andere auf einem „protestantischen“ Postamt angestellt ist. Die Gewerkschaft der Kommunikationsangestellten zeigte ihr wahres Gesicht und opponierte gegen den Streik. Einer ihrer Sprecher erklärte in Belfast: „Wir weisen die Aktion zurück und fordern sie (die Streikenden, die Red.) auf, zur Arbeit zurückzukehren, wobei wir darauf hinweisen, dass diese Aktion illegal ist.“ Doch die Arbeiter setzten den Kampf, legal oder nicht, fort und zeigten, dass sie nicht der Gewerkschaften bedürfen, um sich zu organisieren.
In einer gemeinsamen Demonstration überquerten sie die „Grenze“, die die katholischen und protestantischen Bezirke voneinander trennt, bewegten sich über die Hauptstraßen des protestantischen Stadtteils, um daraufhin die Hauptstraße des katholischen Stadtteils hinunterzulaufen. Schon in den letzten Jahren haben andere Kämpfe, besonders im Gesundheitswesen, eine reelle Solidarisierung zwischen den Angestellten der verschiedenen Berufe zutage gefördert, doch diesmal kam es zum ersten Mal zu einer Solidarisierung zwischen „katholischen“ und „protestantischen“ Arbeitern in einer Provinz, die seit Jahrzehnten durch einen blutigen Bürgerkrieg zerrissen ist.
Daraufhin machten die Gewerkschaften mit der Hilfe der Linksextremisten eine Kehrtwende und erklärten scheinheilig ihre „Solidarität“, insbesondere durch die Organisierung von Streikposten auf jedem Postamt, so die Arbeiter faktisch voneinander isolierend und den Kampf sabotierend. Ungeachtet dieser Sabotage erweckte die offene Vereinigung von streikenden protestantischen und katholischen Arbeitern auf den Belfaster Straßen Erinnerungen an die großen Arbeitslosendemonstrationen von 1932, als Proletarier beider Seiten zusammenkamen, um gegen Kürzungen beim Stempelgeld zu kämpfen. Doch dies geschah in einer Periode der Niederlage der Arbeiterklasse, die es jenen beispielhaften Aktionen verunmöglichte, die Entwicklung des Klassenkampfes zu fördern. Mittlerweile gibt es jedoch ein größeres Potenzial in den anstehenden Kämpfe, die Politik des Teile-und-herrsche zu besiegen, die die herrschende Klasse praktiziert, um die kapitalistische Ordnung zu beschützen. Die Bedeutung des Kampfes der Postangestellten liegt in der Erfahrung der Klasseneinheit, die außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaften in die Praxis umgesetzt wurde. Seine Folgen gehen weit über die lokale Situation seiner Protagonisten, den Postangestellten, hinaus; er bietet ein Beispiel, dem so weit wie möglich gefolgt werden sollte.
Tatsächlich ist dieser Kampf kein isoliertes Ereignis. Im Februar traten in Cottam nahe Lincoln im Zentrum Englands 50 Kraftwerksarbeiter aus Unterstützung ungarischer Immigrantenarbeiter, deren Bezahlung nur die Hälfte dessen betrug, was ihre englischen Kollegen erhalten, in den Streik. Ihre Verträge setzten die Immigrantenarbeiter der Willkür ihrer Arbeitgeber aus, die sie jederzeit kündigen oder ohne weitere Angaben in irgendeine andere Ecke Europas versetzen konnten. Auch hier widersetzten sich die Gewerkschaften dem Streik, sei er doch „illegal“, da weder die ungarischen noch die englischen Arbeiter darüber „demokratisch abgestimmt“ hätten. Die Medien verunglimpften ebenfalls den Streik: Ein lokales Wurstblatt grub einen Akademiker aus, der sagte, dass die Arbeiter des Vereinigten Königreiches zwar „ein gewisses Ehrgefühl“ bewiesen, wenn sie aus Solidarität gegenüber ihren Kollegen streiken. Jedoch seien dagegen „die Ausländer durchwegs in ihren Postämtern geblieben“ (eine überaus gelehrte Behauptung, die dummerweise von den Bildern ungarischer und englischer Arbeiter, die zusammen die Streikposten bildeten, konterkariert wurde). Für die Arbeiterklasse ist die Erkenntnis, dass alle Arbeiter die gleichen Interessen verteidigen, gleich welcher Nationalität sie sind oder wie hoch ihre Bezahlung bzw. Arbeitszeit ist, ein wichtiger Schritt vorwärts in der Entwicklung ihrer Fähigkeit, als vereinte Klasse in den Kampf zu treten.
In Reconvilier im Schweizerischen Jura streikten Ende Januar, nach einem Streik im November 2004, 300 Maschinenarbeiter bei Swissmetal einen Monat lang aus Solidarität mit 27 entlassenen Kollegen. Der Kampf begann ohne die Gewerkschaften, doch diese führten letztendlich die Verhandlungen mit den Bossen und konfrontierten die Arbeiter mit der Wahl, entweder die Lohnkürzungen wegen der Streiktage oder die Entlassungen zu akzeptieren: Die Streikenden wurden faktisch erpresst, entweder Lohnkürzungen oder Entlassungen zu akzeptieren. Wie ein Arbeiter aus Reconvilier sagte: Der Logik des kapitalistischen Systems zu folgen, bedeutet „die Wahl zwischen Pest oder Cholera“. Und eine weitere Welle von 120 Entlassungen ist bereits in Planung. Doch zumindest hat der Streik deutlich die Frage der Fähigkeit der Arbeiter aufgeworfen, sich dieser Erpressung und der Logik des Kapitals zu widersetzen. Ein anderer Arbeiter zog diese Lehre aus der Niederlage des Streiks: „Wir müssen uns vorwerfen lassen, dass wir die Kontrolle über die Verhandlungen den Händen anderer überlassen haben.“
Im Juli 2005 traten die Arbeiter der Honda-Fabrik in Gurgaon, einem Vorort von Neu-Delhi, in einen Streik. Zusammen mit Massen von Arbeitern aus den benachbarten Betrieben in dieser Industriestadt und unterstützt von der ansässigen Bevölkerung, sahen sich die Arbeiter einer brutalen Repression und einer Welle von Verhaftungen durch die Polizei ausgesetzt. Am 1. Februar traten 23.000 Angestellte von 123 Flughäfen in einen Streik. Dieser Streik war eine direkte Antwort auf die Absicht des Managements, die Zahl der Flughafenangestellten um 40 Prozent zu reduzieren, und dies mittels der Entlassung von vorwiegend älteren Arbeitern, die wahrscheinlich nie mehr einen Job finden werden. Der Flugverkehr von Delhi und Mombay wurde vier Tage lang lahmgelegt und auch in Kalkutta beträchtlich gestört. Unter dem Vorwand eines Gesetzes gegen „illegale Akte, die den zivilen Flugverkehr gefährden“, erklärten die Behörden den Streik für illegal und entsendeten Polizei und paramilitärische Kräfte in etliche Städte, insbesondere nach Mombay, um die Streikenden zurück zur Arbeit zu zwingen. Als treue Partner der von der Kongresspartei angeführten Regierungskoalition verhandelten Gewerkschaften und Linksextremisten bereits am 3. Februar mit der Regierung. Schließlich riefen sie die Streikenden zu einem Treffen mit dem Premierminister auf und drängten sie gegen das leere Versprechen, die geplanten Entlassungen in den Flughäfen noch einmal zu überprüfen, zurück zur Arbeit. So säten sie den Spaltpilz unter den Arbeitern, zwischen jenen, die den Kampf fortsetzen wollten, und jenen, die der Ansicht waren, dass sie ihn beenden sollten.
Die Kampfbereitschaft der Arbeiter war auch in der Toyota-Fabrik im indischen Bangalore evident, wo Arbeiter 15 Tage lang, ab dem 4. Januar, gegen die Beschleunigung des Arbeitstempos streikten, die eine Häufung sowohl von Unfällen als auch von Bußgeldern durch das Management zur Folge gehabt hatte. Diese Strafen für „unzureichende Produktivität“ wurden systematisch vom Lohn abgezogen. Auch hier stießen die Arbeiter sofort auf den Widerstand der Gewerkschaften, die den Streik für illegal erklärten. Die Repression war massiv: 1500 der 2300 Streikenden wurden wegen „Störung des gesellschaftlichen Friedens“ inhaftiert. Da der Streik jedoch die Unterstützung anderer Arbeiter in Bangalore erhielt, sahen sich die Gewerkschaften und linksextremistischen Organisationen gezwungen, ein „Koordinationskomitee“ in anderen Betrieben in der Stadt einzurichten, das den Streik der Toyota-Arbeiter gegen die Repression unterstützte – um dieses Beispiel spontaner Arbeitersolidarität unter Kontrolle zu halten und zu sabotieren. Ebenfalls im Februar gingen andere Arbeiter in Bangalore auf die Straße, um ihre Unterstützung von 910 Arbeitern von Hindustan Lever in ihrem Kampf gegen Entlassungen zu demonstrieren.
Diese Beispiele bestätigen voll und ganz die Reifung und Politisierung des Kampfes, der mit dem „Wendepunkt“ von 2003 gegen die Rentenreformen besonders in Frankreich und Österreich seinen Anfang genommen hatte. Seither hat es eine Reihe klarer Ausdrücke der Arbeitersolidarität gegeben, über die wir, im Gegensatz zum von den Medien organisierten Blackout, in unserer Presse berichtet haben. Solche Reaktionen fanden ihren Ausdruck insbesondere im Streik bei Daimler-Chrysler im Juli 2004, als die Arbeiter in Bremen die Arbeit niederlegten und für ihre Kollegen in Sindelfingen-Stuttgart demonstrierten, die dazu erpresst werden sollten, entweder auf ihre „Vergünstigungen“ zu verzichten oder den Abbau von 6.000 Arbeitsplätzen zu riskieren, die das Management im letzteren Fall ausgerechnet nach Bremen zu verlagern gedachte.
Dasselbe galt auch für die Gepäckarbeiter in Heathrow, die im August 2005 - inmitten einer Anti-Terror-Kampagne im Zusammenhang mit den Londoner Bombenanschlägen - aus Unterstützung für 670 Arbeiter zumeist pakistanischer Herkunft, die von Gate Gourmet, einem Verpflegungslieferanten für Fluggesellschaften, entlassen worden waren, spontan in den Ausstand getreten waren.
Es gibt weitere Beispiele. Im September 2005 streikten 18.000 Mechaniker bei Boeing gegen den neuen Tarifvertrag, der vom Management vorgeschlagen wurde und mit dem beabsichtigt wird, sowohl die Renten als auch die Gesundheitszulagen zu kürzen. In diesem Konflikt kämpften die Arbeiter gegen die Differenzierung zwischen jungen und alten Arbeitern und zwischen Arbeitern verschiedener Betriebe. Noch deutlicher demonstrierte der Streik bei der New Yorker U-Bahn kurz vor Weihnachten 2005 gegen einen Angriff auf die Renten von künftig Eingestellten die Fähigkeit der Arbeiter, sich solchen Spaltungsmanövern zu verweigern. Trotz massiven Drucks bröckelte die Streikfront größtenteils nicht, da sich die Arbeiter wohl bewusst waren, dass sie für die Zukunft ihrer Kinder und der kommenden Generationen kämpften (was ein Schlag ins Gesicht der ganzen bürgerlichen Propaganda über die Integration bzw. Nicht-Existenz des amerikanischen Proletariats ist).
Im vergangenen Dezember gingen die Arbeiter von SEAT in Barcelona gegen die Gewerkschaften in den Ausstand, die eine „schändliche Vereinbarung“ unterzeichnet hatten, in der sie die Entlassung von 600 Arbeitern akzeptieren.
Im Sommer 2005 sah sich Argentinien mit der größten Streikwelle seit 15 Jahren konfrontiert, die das Gesundheitswesen, Nahrungsmittelveredelungsbetriebe, die U-Bahn von Buenos Aires betraf, aber auch die Gemeindeangestellten etlicher Provinzen und Schullehrer erfasste. An vielen Orten schlossen sich die Arbeiter anderer Betriebe den Demonstrationen der Streikenden an. Dies trat besonders im Fall der Ölindustrie, bei den Amtsangestellten, den Lehrern und den Gemeindeangestellten zutage, denen sich die Arbeitslosen von Caleta Olivia anschlossen. In Neuquen schlossen sich Angestellte aus dem Gesundheitswesen einer Demonstration streikender Lehrer an. In einem Kinderkrankenhaus forderten die Streikenden gleiche Lohnerhöhungen für alle Berufsgattungen. Die Arbeiter begehrten sowohl gegen die brutale Repression als auch gegen die verleumderischen Medienkampagnen auf.
Die Entwicklung eines Gespürs für Solidarität angesichts der massiven und frontalen Angriffe infolge der kapitalistischen Wirtschaftskrise verstärkt die Tendenz, die Barrieren des Handels, der Fabrik oder des Arbeitsplatzes, des Konzerns, der Industriebranche oder der Nationalität zu durchbrechen, die sämtliche nationale Bourgeoisien aufrechtzuerhalten versuchen. Gleichzeitig wird die Arbeiterklasse dazu gedrängt, die Leitung ihres Kampfes selbst zu übernehmen, sich selbst zu behaupten und Stück für Stück das Vertrauen in die eigene Stärke zurückzugewinnen. Dabei muss sie sich all den Manövern der herrschenden Klasse und der Sabotage der Gewerkschaften sowie deren Bemühungen, die Arbeiter isoliert zu halten, widersetzen. In diesem langen und schwierigen Reifungsprozess ist die Anwesenheit der jungen Arbeitergenerationen, die nicht die Auswirkungen des ideologischen Rückzugs nach 1989 erlebt haben, ein wichtiges, gewissermaßen dynamisches Element. Daher legen die heutigen Kämpfe, wie begrenzt und schwach sie auch sein mögen, den Grundstock für die kommenden Kämpfe.
Offiziell befindet sich die Weltwirtschaft bei guter Gesundheit. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist auf dem tiefsten Stand seit zehn Jahren und auch in Europa im vergangenen Jahr spürbar gesunken. So ist beispielsweise die spanische Wirtschaft dynamischer denn je. Und dennoch gibt es keine Atempause bei den Angriffen gegen die Arbeiterklasse. Im Gegenteil, in der Region von Detroit haben Ford und General Motors (das vom Konkurs bedroht ist) 60.000 Maschinenarbeiter entlassen. Bei SEAT in der Region von Barcelona und bei Fiat in Italien jagt ein Entlassungsplan den anderen.
Überall steht der Staat der Bosse, der oberste Repräsentant des nationalen Kapitals, an vorderster Front, wenn es darum geht, die Arbeiter zu attackieren: bei der wachsenden Prekarisierung der Arbeit (der CNE und CPE in Frankreich) und Flexibilisierung der Arbeitskräfte, bei den Angriffen auf die Renten und das Gesundheitssystem (Großbritannien, Deutschland). Fast überall befindet sich das Gesundheits- und Bildungssystem in der Krise. Die US-Bourgeoisie erklärt, dass sie wegen der Belastung der Bilanzen ihrer Konzerne durch die Renten nicht wettbewerbsfähig genug sei – Renten, die sich durch die Bankrotts und den Zusammenbruch der Börse in Luft aufgelöst haben.
Diese systematische Demontage des Wohlfahrtsstaates (Attacken gegen die Renten, gegen die sozialen Sicherheitssysteme und gegen die Arbeitslosen durch die Reduzierung des Stempelgeldes, Entlassungswellen in jedem Land und jeder Industriebranche, die Verallgemeinerung der Prekarisierung und Flexibilisierung der Arbeit) stürzt die heutigen Proletarier nicht nur in die Armut, sie bedeutet auch, dass das System immer weniger in der Lage ist, die neuen Arbeitergenerationen in den Produktionsprozess einzugliedern.
Überall werden diese Angriffe als „Reformen“ präsentiert, als eine strukturelle Anpassung an die Globalisierung der Weltwirtschaft. Eines ihrer Hauptmerkmale besteht darin, dass sie Junge wie Alte fast simultan treffen. Die Bourgeoisie befindet sich nicht überall im Zustand einer offenen Krise, aber all diese Angriffe sind Demonstrationen der historischen Sackgasse des Kapitalismus, für seinen äußersten Mangel an Perspektiven für die neuen Generationen. Jene Länder, die, wie in Europa, als Wirtschaftsmodelle offeriert werden (Spanien, Dänemark, Großbritannien), verbergen oftmals hinter der Fassade einer „gesunden Wirtschaft“ brutale Angriffe gegen die Arbeiter und eine beträchtliche Steigerung der Armut. Die ideologische Fassade hält der Realität in keiner Weise stand, wie wir dem Beispiel Großbritanniens entnehmen können, das in der ersten Aprilausgabe von Marianne beschrieben wurde: „Das Blair-Wunder drückt sich auch darin aus, dass eins von drei Kindern unterhalb der Armutsgrenze lebt. Eins von fünf Kindern, dass keine drei Mahlzeiten am Tag erhält (in einer Rede in der Toynbee Hall 1999 versprach Blair, ‚Kinderarmut innerhalb einer Generation auszurotten‘. Wie viele Jahre, denkt der Premierminister, macht eine Generation aus?). Von diesen Kindern schlafen fast 100.000 aus Platzmangel im Badezimmer oder in der Küche: Dies ist nicht überraschend, muss man doch bis 1925 zurückgehen, um eine Labour-Regierung zu finden, die weniger Wohnungen bauen ließ wie New Labour! Zehn Millionen sind weder in der Lage, Erspartes anzulegen, noch fähig, das Wenige, was sie haben, zu sichern. Sechs Millionen sind nicht in der Lage, sich wintergerecht zu kleiden. Zwei Millionen Wohnungen – meistens jene von Rentnern – sind unzureichend beheizt. Es wird geschätzt, dass 25.000 Rentner aufgrund des kalten Winters 2004 gestorben sind.“ Kann es eine bessere Demonstration des Bankrotts des kapitalistischen Systems geben als seine Unfähigkeit, nicht nur den Jungen Arbeit zu geben, sondern sie auch vor Kälte, Hunger und Armut zu bewahren?
Die Riots in den französischen Vorstädten sind ein klarer Ausdruck dieser Sackgasse. Wenn wir die Welt als Momentaufnahme betrachten, dann sieht die Situation gewiss verzweifelt aus. Die Welt ist voller Arbeitslosigkeit, Armut, Kriege, Barbarei, Terrorismus, Umweltvergiftung, Unsicherheit und sorgloser Inkompetenz angesichts Naturkatastrophen. Nach dem Hammerschlag gegen die älteren Arbeiter und baldigen Rentner sind nun die jungen Arbeiter und künftigen Arbeitslosen dran! Der Kapitalismus entblößt sein wahres Antlitz: jenes eines dekadenten Systems, das den neuen Generationen nichts anzubieten hat; ein System, das angesichts einer unlösbaren Wirtschaftskrise verfällt; ein System, das seit dem II. Weltkrieg Unsummen in die Produktion von immer tödlicheren und raffinierteren Waffen gesteckt hat; ein System, das seit dem Golfkrieg von 1991 den Planeten mit Blut überzogen hat, entgegen den Versprechungen einer „Ära des Friedens und Wohlstands“, die angeblich dem Zusammenbruch des Ostblocks folgen sollte. Es ist dasselbe bankrotte kapitalistische System, dieselbe in die Enge getriebene kapitalistische Klasse, die Millionen in Armut und Arbeitslosigkeit wirft sowie Tod und Verderben im Irak, in Nahost und in Afrika verbreitet!
Doch es gibt Hoffnung, wie die junge Generation in Frankreich gezeigt hat. Durch die Ablehnung des CPE und die Aufrufe an die Lohnarbeiter sowie an die Generation ihrer Eltern haben sie ein klares Bewusstsein dafür gezeigt, dass alle Generationen betroffen sind, dass ihr Kampf gegen den CPE nur ein Schritt ist und dass der Angriff, den der CPE darstellte, gegen die gesamte Arbeiterklasse gerichtet war.
Nachdem wochenlang Funkstille bei den von der Bourgeoisie angeheuerten Medien geherrscht hatte, verzerrten sie anschließend systematisch die Ereignisse, um sie als bloße Wiederholung der Riots von Oktober-November 2005 darzustellen, indem sie die Nebenvorstellung der Auseinandersetzungen mit der Polizei bzw. der Großtaten der „Chaoten“ während der Demonstrationen ins Scheinwerferlicht rückten. Hinter der bewussten Vermengung der blinden und hoffnungslosen Gewalt in den Vorstädten letzten Herbst mit den diametral entgegengesetzten Kampfmethoden der Studenten und der Arbeiter, die sich ihnen angeschlossen hatten, verbirgt sich die bewusste Absicht der herrschenden Klasse, die Arbeiterklasse anderer Länder daran zu hindern, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass es sowohl notwendig als auch möglich ist, für eine andere Zukunft zu kämpfen.
Diese Absicht auf Seiten der herrschenden Klasse ist völlig verständlich. In Anbetracht ihrer klassenbedingten Vorurteile ist sie sich zwar nicht völlig der Perspektive der proletarischen Bewegung bewusst, dennoch begreift sie schemenhaft die Bedeutung und Dimension des Kampfes, der in Frankreich stattgefunden hat. Sie weiß, dass er nicht auf die Arbeiterklasse Frankreichs beschränkt bleibt. Dieser Kampf ist im wesentlichen nur ein Moment in der internationalen Erneuerung des Klassenkampfes, ein Moment allerdings, dessen Dimensionen - über die partikularen Forderungen, um die sich die Studenten anfangs mobilisiert hatten, hinaus - eine wachsende Ablehnung jener Perspektiven, die das kapitalistische System anzubieten hat, durch die Studenten zum Ausdruck bringen. Die zunehmenden Angriffe gegen die Ausgebeuteten können nur noch massivere und vor allem bewusstere Klassenkonfrontationen sowie ein wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit der Solidarität aller Arbeiter im Kampf provozieren.
[i] [12] Siehe die „Thesen über die Studentenbewegung im Frühjahr 2006 in Frankreich“ in dieser Ausgabe.
Die Revolution von 1905 ereignete sich, als der Kapitalismus im Begriff war, in seine Niedergangsperiode einzutreten. Die Arbeiterklasse sah sich nicht mit einem Kampf um Reformen innerhalb des Kapitalismus, sondern mit einem politischen Kampf gegen den Kapitalismus und für seine Überwindung konfrontiert, in dem die Machtfrage anstelle der Frage der wirtschaftlichen Zugeständnisse im Vordergrund stand. Das Proletariat antwortete auf diese Herausforderung mit der Erschaffung von Mitteln seines politischen Kampfes: des Massenstreiks und der Sowjets. Im ersten Teil dieses Artikels in der Internationalen Revue Nr. 35 betrachteten wir, wie sich die Revolution von einem Appell an den Zaren im Januar 1905 zu einer offenen Herausforderung der herrschenden Klasse im Dezember entwickelte. Wir zeigten, dass es sich hierbei um eine proletarische Revolution handelte, die den revolutionären Charakter der Arbeiterklasse bekräftigte, und dass sie sowohl ein Ausdruck als auch ein Katalysator in der Bewusstseinsentwicklung der revolutionären Klasse war. Wir zeigten, dass der Massenstreik von 1905 nichts mit den Konfusionen der anarcho-syndikalistischen Strömung gemeinsam hatte, die sich ungefähr zur selben Zeit entwickelte (s. die Artikel International Review Nr. 119 und 120, engl./franz./span. Ausgabe) und die den Massenstreik als ein Mittel zur sofortigen ökonomischen Umwälzung des Kapitalismus betrachtete. Rosa Luxemburg erkannte, dass der Massenstreik den ökonomischen Kampf der Arbeiterklasse und ihren politischen Kampf vereinte und auf diese Weise eine qualitative Weiterentwicklung des Klassenkampfes markierte, selbst wenn es in der damaligen Lage nicht möglich war, völlig zu verstehen, dass dies die Folge aus dem historischen Wandel in der kapitalistischen Produktionsweise war: „Der revolutionäre Kampf in Russland, in dem die Massenstreiks als die wichtigste Waffe zur Anwendung kommt, wird von dem arbeitenden Volke und in erster Reihe vom Proletariat gerade um dieselben politischen Rechte und Bedingungen geführt, deren Notwendigkeit und Bedeutung im Emanzipationskampf der Arbeiterklasse Marx und Engels zuerst nachgewiesen und im Gegensatz zum Anarchismus in der Internationale mit aller Macht verfochten haben. So hat die geschichtliche Dialektik, der Fels, auf dem die ganze Lehre des Marxschen Sozialismus beruht, es mit sich gebracht, dass heute der Anarchismus, mit dem die Idee des Massenstreiks unzertrennlich verknüpft war, zu der Praxis des Massenstreiks selbst in einen Gegensatz geraten ist, während umgekehrt der Massenstreik, der als der Gegensatz zur politischen Betätigung des Proletariats bekämpft wurde, heute als die mächtigste Waffe des politischen Kampfes um politische Rechte erscheint.“
Die Sowjets drückten einen gleichermassen wichtigen Wandel in der Weise aus, wie sich die Arbeiterklasse organisierte. Und wie der Massenstreik waren sie nicht ein rein russisches Phänomen. Trotzki betonte wie Luxemburg diesen qualitativen Wandel, auch wenn er sich, wie auch Luxemburg, nicht in der Lage befand, ihre Bedeutung vollständig zu begreifen: „Der Rat organisierte die Arbeitermassen, leitete ihre politischen Streiks und Demonstrationen, bewaffnete die Arbeiter, schützte die Bevölkerung vor Progromen. Aber das gleiche hatten schon vor ihm andere revolutionäre Organisationen getan, taten es zur selben Zeit mit ihm und setzten diese Tätigkeit auch nach seiner Auflösung fort, nur mit dem Unterschied, dass diese Tätigkeiten ihnen auch nicht annähernd jenen Einfluss verschaffte, den der Rat besass. Das Geheimnis dieses Einflusses ist darin zu suchen, dass der Rat als naturgemässes Organ des Proletariats in dem Moment seines unmittelbaren, durch den ganzen Gang der Ereignisse bedingten Kampfes um die Macht entstanden war. Wenn einerseits die Arbeiter selbst und andererseits die reaktionäre Presse den Rat die ‚proletarische Regierung‘ nannten, so entsprach dies der Tatsache, dass der Rat in Wirklichkeit eine revolutionäre Regierung darstellte. Der Rat realisierte die Gewalt, soweit ihm durch die revolutionäre Macht der Arbeiter die Möglichkeit dazu gegeben wurde; er kämpfte unmittelbar um die Gewalt, soweit sie sich noch in den Händen der militärisch-polizeilichen Monarchie befand. Bereits vor der Einsetzung des Rates finden wir in den Kreisen des industriellen Proletariats zahlreiche revolutionäre Organisationen, deren Leitung hauptsächlich von der Sozialdemokratie besorgt wurde. Aber das waren Organisationen im Proletariat; ihr unmittelbares Ziel war – der Kampf um den Einfluss auf die Massen. Der Rat aber schwang sich mit einem Schlage zur Organisation des Proletariats auf, sein Ziel war - der Kampf um die revolutionäre Macht.
Indem der Delegiertenrat zum Brennpunkt der revolutionären Kräfte des Landes wurde, löste er sich dennoch nicht in dem Chaos der Revolution auf, er war und blieb der organisierte Ausdruck des Klassenwillens des Proletariats.“[2]
Die wahre Bedeutung sowohl des Massenstreiks als auch der Sowjets kann nur begriffen werden, wenn man beide in den richtigen historischen Zusammenhang stellt, wenn man begreift, dass der Wandel in den objektiven Bedingungen des Kapitalismus die Aufgaben und Mittel sowohl der Bourgeoisie als auch des Proletariats bestimmte.
Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts begann der Kapitalismus in eine Periode des historischen Wandels zu treten. Während die Dynamik, die den Kapitalismus in die Lage versetzt hatte, sich über den Globus auszubreiten, noch immer vorhanden war - mit solch neuen Ländern wie Japan oder Russland, die ein starkes Wirtschaftswachstum erlebten -, häuften sich in etlichen Teilen der Welt die Anzeichen wachsender imperialistischer Spannungen und eines Ungleichgewichts in der kapitalistischen Gesellschaft insgesamt.
Das ziemlich regelmässige Muster des ökonomischen Rückgangs und Booms, das von Marx Mitte des Jahrhunderts analysiert worden war, begann sich in der Gestalt von Konjunkturrückgängen aufzulösen, die immer tiefer und länger wurden.
Nach Jahrzehnten des relativen Friedens erlebten das Ende des 19. Jahrhunderts und der Anfang des 20. Jahrhunderts wachsende Spannungen zwischen den rivalisierenden Imperialismen, da es im Kampf um Märkte und Ressourcen zunehmend nur noch darum ging, den anderen Mächten etwas streitig zu machen. Exemplarisch dafür stand der „Kampf um Afrika“, in dem ein ganzer Kontinent binnen 20 Jahren aufgeteilt und der brutalsten Ausbeutung, die es jemals gegeben hatte, unterworfen wurde. Dieser Kampf führte zu sich häufenden diplomatischen Konfrontationen und militärischen Drohgebärden, so wie 1898 der Zwischenfall von Faschoda, als der britische Imperialismus seinen französischen Rivalen dazu zwang, ihm am Oberen Nil zu weichen.
Zur gleichen Zeit stürzte sich die Arbeiterklasse in eine grössere Anzahl von Streiks, die ausgedehnter und intensiver waren als in der Vergangenheit. Zum Beispiel stieg im Deutschen Reich die Zahl der Streiks von 483 im Jahr 1896 auf 1.468 im Jahr 1900, um in den Jahren 1903 und 1904 auf 1.144 bzw. 1.190 zu fallen.[3] In Russland und Belgien breiteten sich 1898 bzw. 1902 Massenstreiks aus, die jenen von 1905 bereits erahnen liessen. Die Entwicklung des revolutionären Syndikalismus und des Anarchosyndikalismus war teilweise eine Konsequenz aus dieser ansteigenden Militanz, doch nahm sie die Form, die sie repräsentierte, aufgrund eines wachsenden Opportunismus in vielen Teilen der Arbeiterbewegung an, wie wir in den Artikelserien, die wir diesem Thema widmeten, aufzeigten.[4]
So war also für beide Hauptklassen diese Periode eine Zeit grossen Wandels, in der neue Herausforderungen qualitativ neue Antworten erforderten. Für die Bourgeoisie markierte sie das Ende der Periode kolonialer Expansionen und den Beginn wachsender imperialistischer Rivalitäten, die 1914 zum Ersten Weltkrieg führten. Für die Arbeiterklasse bedeutete sie das Ende jener Periode, in der noch Reformen innerhalb des von der Bourgeoisie ausgegebenen legalen oder halblegalen Rahmens errungen werden konnten, und den Beginn einer Periode, in der sie ihre Interessen nur durch die Infragestellung des Rahmens des bürgerlichen Staates verteidigen konnte. Dies führte 1917 unweigerlich zum Kampf um die Macht und zur anschliessenden weltweiten revolutionären Welle. 1905 war die „Generalprobe“ für diese Konfrontation, mit vielen Lehren, die damals wie heute für all jene auf der Hand liegen, die ihre Augen benutzen.
Russland war keine Ausnahme in der historischen Richtung; der Charakter der Entwicklung der russischen Gesellschaft bewirkte nur, dass das Proletariat schneller und härter mit einigen Konsequenzen der aufkommenden Periode konfrontiert wurde. Doch bevor wir diese besonderen Aspekte kurz betrachten werden, ist es notwendig, zunächst mit der Betonung zu beginnen, dass die zugrunde liegende Ursache der Revolution in Bedingungen zu suchen ist, die die gesamte Arbeiterklasse erfährt, wie Rosa Luxemburg unterstrich: „Desgleichen liegt viel Übertreibung in der Vorstellung, als habe der Proletarier im Zarenreich vor der Revolution durchweg auf dem Lebensniveau eines Paupers gestanden. Gerade die jetzt im ökonomischen wie im politischen Kampfe tätigste und eifrigste Schicht der grossindustriellen, grossstädtischen Arbeiter stand in bezug auf ihr materielles Lebensniveau kaum viel tiefer als die entsprechende Schicht des deutschen Proletariats, und in manchen Berufen kann man in Russland gleiche, ja hier und da selbst höhere Löhne finden als in Deutschland. Auch in bezug auf die Arbeitszeit wird der Unterschied zwischen den grossindustriellen Betrieben hier und dort kaum ein bedeutender sein. Somit sind die Vorstellungen, die mit einem vermeintlich materiellen und kulturellen Helotentum der russischen Arbeiterschaft rechnen, ziemlich aus der Luft gegriffen. Dieser Vorstellung müsste bei einigem Nachdenken schon die Tatsache der Revolution selbst und der hervorragenden Rolle des Proletariats in ihr widersprechen. Mit Paupers werden keine Revolutionen von dieser politischen Reife und Gedankenklarheit gemacht, und der im Vordertreffen des Kampfes stehende Petersburger und Warschauer, Moskauer und Odessaer Industriearbeiter ist kulturell und geistig dem westeuropäischen Typus viel näher, als sich diejenigen denken, die als die einzige und unentbehrliche Kulturschule des Proletariats den bürgerlichen Parlamentarismus und die regelrechte Gewerkschaftspraxis betrachten.“[5] Es trifft zu, dass die Entwicklung des Kapitalismus in Russland auf einer brutalen Ausbeutung der Arbeiter basierte, mit langen Arbeitstagen und schlimmen Arbeitsbedingungen, die an das frühe 19. Jahrhundert in Grossbritannien erinnerten. Doch der Arbeiterkampf entwickelte sich schnell im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert.
Diese Entwicklungen konnten insbesondere in den Putilow-Werken in St. Petersburg betrachtet werden, welche Waffen herstellten und Schiffe bauten. Die Werke beschäftigten Zigtausende von Arbeitern und waren fähig, Waren auf einem Niveau herzustellen, das sie in die Lage versetzte, mit ihren entwickelteren Rivalen zu konkurrieren. Die Arbeiter dort entwickelten eine Tradition der Militanz und standen im Mittelpunkt der revolutionären Kämpfe sowohl von 1905 als auch von 1917. Auch wenn die Putilow-Werke mit ihrem Niveau hervorstachen, waren sie dennoch Bestandteil eines allgemeineren Trends zur Entwicklung grösserer Fabriken, die überall in Russland entstanden. Zwischen 1863 und 1891 stieg die Zahl der Fabriken im europäischen Russland von 11.810 auf 16.770, ein Anstieg um ungefähr 42 Prozent, während die Zahl der Arbeiter von 357.800 auf 738.100 anstieg, eine Zunahme von ungefähr 106 Prozent.[6] In Regionen wie St. Petersburg ging die Zahl der Fabriken de facto zurück, während die Zahl der Arbeiter anstieg, was auf einen noch stärkeren Trend zur Konzentration der Produktion und somit des Proletariats hinweist.[7]
Die Lage der Eisenbahnarbeiter in Russland stützte Luxemburgs Argument hinsichtlich der Stellung der entwickeltsten Teile der russischen Arbeiterklasse. Auf materieller Ebene hatten sie einige bedeutende Errungenschaften erzielt: Zwischen 1885 und 1895 stiegen die Reallöhne bei den Eisenbahnen durchschnittlich um 18 Prozent, obwohl dieser Durchschnitt die grossen Lohnunterschiede zwischen Arbeitern mit verschiedenen Tätigkeiten und in unterschiedlichen Regionen des Landes verdeckte. Auf der kulturellen Ebene gab es eine Tradition des Kampfes, die bis in die 1840er und 1850er Jahre zurückreichte, als zunächst Leibeigene für den Eisenbahnbau rekrutiert wurden. Mit dem letzten Viertel des Jahrhunderts wurden die Eisenbahnarbeiter zu einem zentralen Bestandteil des städtischen Proletariats mit einer bedeutenden Kampferfahrung: Zwischen 1875 und 1884 gab es 29 „Zwischenfälle“ und im folgenden Jahrzehnt 33. Als sich die Löhne und Arbeitsbedingungen nach 1895 zu verschlechtern begannen, stellten sich die Eisenbahnarbeiter dieser Herausforderung: „... zwischen 1895 und 1904 war die Zahl der Eisenbahnstreiks dreimal höher als in den vorherigen zwei Jahrzehnten zusammengenommen (...) Die Streiks der späten 1890er Jahre waren entschiedener und weniger defensiv (...) Nach 1900 antworteten die Arbeiter auf das Einsetzen der Wirtschaftskrise mit wachsend militantem Widerstand, bei dem die Metallarbeiter der Eisenbahnen oft in Übereinstimmung mit Handwerkern aus der privaten Industrie handelten, und politische Agitatoren, zumeist Sozialdemokraten, machten bedeutende Fortschritte.“[8] In der Revolution von 1905 sollten die Eisenbahnarbeiter eine Hauptrolle spielen, indem sie ihr Geschick und ihre Erfahrung in den Dienst der gesamten Arbeiterklasse stellten und darauf drängten, den Kampf auszuweiten und von den Streiks zum Aufstand überzugehen. Dies war kein Kampf von Pauperisierten, die durch den Hunger zum Aufruhr getrieben wurden, oder von Bauern in Arbeitermontur, sondern von einem vitalen und klassenbewussten Teil der internationalen Arbeiterklasse. Erst vor diesem Hintergrund gemeinsamer Bedingungen und Kämpfe kamen die besonderen Aspekte der Situation in Russland, der Krieg mit Japan im Ausland und die politische Repression zuhause, zur Geltung.
Der Russisch-Japanische Krieg von 1904-05 war eine Folge der imperialistischen Rivalität zwischen diesen beiden neuen kapitalistischen Ländern am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Konfrontation entzündete sich während der 1890er Jahre über die Frage des Einflusses in China und Korea. Zu Beginn des Jahrzehnts wurden die Arbeiten an der Transsibirischen Eisenbahn begonnen, die Russland den Zugang zur Mandschurei ermöglichen sollte, während Japan seine Wirtschaftsinteressen in Korea ausbaute. Die Spannungen zwischen beiden Rivalen wuchsen das ganze Jahrzehnt hindurch, als Russland Japan zwang, sich von seinen Positionen auf dem Festland zurückzuziehen. Und sie spitzten sich zu, als Russland begann, seine eigenen Interessen in Korea zu verfolgen. Japan schlug vor, dass die beiden Länder sich darauf einigen sollten, ihre gegenseitigen Einflusszonen zu respektieren. Nachdem Russland es versäumt hatte zu antworten, startete Japan im Januar 1904 einen Überraschungsangriff gegen Port Arthur. Zunächst schien der Ausgang des Krieges angesichts der riesigen Ungleichheit zwischen den Streitkräften der beiden Widersacher eine klare Sache zu sein, und so wurde der Kriegsausbruch in Russland anfangs mit einem Ausbruch an patriotischer Inbrunst, mit Denunziationen der „frechen Mongolen“ und Studentendemonstrationen zur Unterstützung des Kriegseintritts begrüsst. Doch es kam nicht zum schnellen Sieg. Die Transsibirische Eisenbahn war noch nicht fertiggestellt, so dass die Truppen nicht schnell zur Front transportiert werden konnten. Die russische Armee wurde zurückgeschlagen; im Mai war die Garnison abgeschnitten und die russische Flotte, die zu ihrer Hilfe entsandt wurde, zerstört. Und am 20. Dezember, nach 156tägiger Belagerung, fiel Port Arthur. Auf militärischer Ebene war der Krieg einmalig. Millionen von Soldaten wurden ins Feld geschickt; 1,2 Millionen Reservisten wurden in Russland ausgehoben. Die Industrie konzentrierte sich auf den Krieg, was zu Konjunktureinbrüchen und zur Vertiefung der Wirtschaftskrise führte. In der Schlacht von Mukden im März 1904 kämpften 600.000 Soldaten zwei Wochen lang, 16.000 von ihnen fielen. Es war die grösste Schlacht in der Geschichte und eine erste Andeutung dessen, was 1914 kommen sollte. Der Fall von Port Arthur bedeutete den Verlust der russischen Pazifikflotte und eine Demütigung der Autokratie. Lenin verwies auf die weitergehende Bedeutung dieser Ereignisse: „Aber der militärischen Katastrophe, von der die Selbstherrschaft ereilt wurde, kommt noch grössere Bedeutung zu als Symptom für den Zusammenbruch unseres ganzen politischen Systems. Unwiederbringlich sind die Zeiten dahin, als die Kriege von Söldnern oder den Angehörigen einer vom Volk halb losgelösten Kaste geführt wurden. (...) Die Kriege werden jetzt von den Völkern geführt, und darum tritt heute besonders deutlich eine grosse Eigenschaft des Krieges hervor: dass er vor den Augen von Million und aber Millionen Menschen handgreiflich jenes Missverhältnis zwischen Volk und Regierung aufdeckt, das bis dahin nur einer kleinen bewussten Minderheit sichtbar war. Die Kritik, die von allen fortgeschrittenen russischen Menschen, von der russischen Sozialdemokratie, vom russischen Proletariat an der Selbstherrschaft geübt wurde, ist jetzt durch die Kritik der japanischen Waffen bestätigt worden, so sehr bestätigt worden, dass die Unmöglichkeit, unter der Selbstherrschaft zu leben, sogar von denen immer mehr empfunden wird, die nicht wissen, was die Selbstherrschaft bedeutet, sogar von denen, die das wissen, aber von ganzer Seele die Selbstherrschaft aufrechterhalten möchten. Die Unvereinbarkeit der Selbstherrschaft mit den Interessen der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung, mit den Interessen des ganzen Volkes (abgesehen von einem Häuflein Beamten und Magnaten) kam an den Tag, sobald das Volk in der Tat, mit seinem Blut, die Rechnung für die Selbstherrschaft begleichen musste. Durch ihr dummes und verbrecherisches Kolonialabenteuer ist die Selbstherrschaft in eine Sackgasse geraten, aus der nur das Volk selbst den Ausweg bahnen kann, und zwar nur durch die Vernichtung des Zarismus.“[9]
In Polen waren die ökonomischen Folgen des Krieges angesichts von 25 bis 30 % der Warschauer Arbeiter, die ihre Arbeit verloren hatten, und von 30 bis 50%igen Lohneinbussen katastrophal. Im Mai 1904 gab es Zusammenstösse zwischen Arbeitern und Polizei, wobei Kosaken Letztere verstärkten. Der Krieg fing an, zunehmend eine starke Opposition zu hervorzurufen. Während des Blutigen Sonntags, als die Truppen die Arbeiter, die gekommen waren, um an den Zaren zu appellieren, niederzumetzeln begannen, „haben die Arbeiter von Petersburg nicht umsonst den Offizieren zugerufen, sie kämpften gegen das russische Volk erfolgreicher als gegen die Japaner“[10] Später rebellierten einige Teile des Militärs gegen ihre Lage und begannen, auf die Seite der Arbeiter zu treten: „Die Moral der Soldaten war durch die Niederlagen im Osten und durch die offenkundige Unfähigkeit ihrer Führer auf einen Tiefstand gesunken. Gesteigert wurde die Unzufriedenheit durch das Sträuben der Regierung, ihr Versprechen einer schnellen Demobilisierung zu erfüllen. Das Resultat waren Meutereien in vielen Regimentern und gelegentlich offene Feldschlachten. Berichte über Unruhen solcher Art kamen aus weit weg liegenden Gegenden wie Grodno, Samara, Rostow und Kursk, aus Rembertow nahe Warschau, aus Riga in Lettland und Vyborg in Finnland, aus Wladiwostok und Irkutsk.
Im Herbst hatte auch die revolutionäre Bewegung in der Marine an Stärke gewonnen, mit der Folge, dass im Oktober eine Meuterei in der Marinebasis von Kronstadt im Baltikum losbrach, die nur unter Einsatz von Gewalt niedergeschlagen werden konnte. Ihr folgte umgehend eine weitere Meuterei in der Schwarzmeerflotte in Sebastopol, die an einem bestimmten Punkt drohte, die Kontrolle über die ganze Stadt zu übernehmen.“[11]
In ihrem Appell an die Arbeiterklasse im Mai 1905 zogen die Bolschewiki die Frage des Kriegs und der Revolution zu einer einzigen zusammen: „Genossen! Wir stehen jetzt in Russland am Vorabend grosser Ereignisse. Wir haben den letzten erbitterten Kampf gegen die absolutistische Zarenregierung aufgenommen, und wir müssen diesen Kampf bis zum siegreichen Ende führen. Seht, welches Unglück diese Regierung der Wüteriche und Tyrannen, die Regierung der käuflichen Zarenhöflinge und der Steigbügelhalter des Kapitals über das ganze russische Volk gebracht hat! Die Zarenregierung hat das russische Volk in den wahnwitzigen Krieg gegen Japan getrieben. Hunderttausende junge Menschenleben sind dem Volk entrissen und im Fernen Osten zugrunde gerichtet worden. Es fehlen einem die Worte, um all die Leiden zu beschreiben, die dieser Krieg mit sich bringt. Und worum geht es in diesem Krieg? Um die Mandschurei, die unsere räuberische Zarenregierung China weggenommen hat. Um fremdes Land wird russisches Blut vergossen und unser Land ruiniert. Immer schwerer wird das Leben des Arbeiters und des Bauern, immer fester ziehen ihnen Kapitalisten und Beamte die Schlinge um den Hals, die Zarenregierung aber schickt das Volk aus, fremdes Land zu rauben. Die unfähigen zaristischen Generale und die käuflichen Beamten haben die russische Flotte der Vernichtung preisgegeben, haben Hunderte und Tausende von Millionen Volksvermögen verschleudert, haben ganze Armeen verloren - der Krieg aber wird weiter fortgesetzt und fordert immer neue Opfer. Das Volk wird ruiniert, Industrie und Handel kommen zum Erliegen, Hunger und Cholera drohen auszubrechen, die absolutistische Zarenregierung aber geht in sturer Verblendung den alten Weg: Sie ist bereit, Russland zugrunde gehen zu lassen, wenn nur das Häuflein der Wüteriche und Tyrannen gerettet wird, sie beginnt neben dem Krieg gegen Japan einen zweiten Krieg - den Krieg gegen das ganze russische Volk.“[12]
Der Krieg diente auch dazu, von der Kampagne abzulenken, die gegen die repressive Polizei der Autokratie angewachsen war. Im Dezember 1903 soll Innenminister Plehwe, so wird berichtet, gesagt haben: „Um eine Revolution zu verhindern, brauchen wir einen kleinen erfolgreichen Krieg.“[13] Die Macht der Autokratie wurde nach dem Attentat auf Zar Alexander II. gestärkt, das 1881 Mitglieder der Gruppe Volkswille verübten, die sich dem Gebrauch des Terrorismus gegen die Autokratie verschrieben hatte.[14] Neue „Notstandsmassnahmen“ wurden eingeführt, um jegliche politische Handlung ausser Gesetz zu stellen, und weit davon entfernt, eine Ausnahme zu sein, wurden sie zur Regel: „Man kann durchaus sagen (...), dass zu keiner Zeit zwischen der Bekanntmachung der Statuten vom 14. August 1881 und dem Sturz der Dynastie im März 1917 die ‚Notstandsmassnahmen‘ nicht in irgendeinem Teil des Landes – und oftmals in grösseren Teilen von ihm – in Kraft waren.“[15] Unter dem „strengeren Recht“ dieser Massnahmen konnten die Gouverneure der davon betroffenen Gebiete Leute drei Monate lang ohne jeden Prozess einsperren, jegliche Versammlungen, ob privat oder öffentlich, verbieten, Fabriken und Geschäfte schliessen sowie Menschen in weit von der Heimat entfernte Gebiete deportieren. Das „Ausserordentliche Dekret“ stellte das betroffene Gebiet faktisch unter Militärrecht, mit willkürlichem Arrest, Inhaftierung und Geldstrafen. Der Einsatz von Soldaten gegen Streiks und Arbeiterproteste wurde allgemein üblich, und viele Arbeiter wurden im Kampf niedergeschossen. Die Zahl der Insassen von Gefängnissen und Strafkolonien wuchs, so wie die Zahl der in entfernte Gebiete des Landes Verbannten.
In dieser Periode stieg der Anteil von Arbeitern beständig an, die wegen Staatsverbrechen angeklagt wurden. Zwischen 1884 und 1890 bestand gerade einmal ein Viertel der Angeklagten aus Handarbeitern; 1901 bis 1903 stieg ihr Anteil auf drei Fünftel. Dies spiegelte den Wandel in der revolutionären Bewegung von einer von Intellektuellen dominierten zu einer aus Arbeitern zusammengesetzten Bewegung wider. Wie ein Gefängniswärter Berichten zufolge kommentiert haben soll: „Wie kommt es, dass immer mehr politische Bauern hierher gebracht werden? Früher waren es Herren, Studenten und junge Damen, doch nun ist es der graue bäuerliche Arbeiter wie wir.“ [16]
Abgesehen von diesen formellen, „legalen“ Formen der Unterdrückung benutzte der russische Staat zwei wenig schmeichelhafte Formen. Auf der einen Seite ermutigte der Staat die Entwicklung von Antisemitismus, indem er sich gegenüber den Pogromen und Massakern blind stellte und gleichzeitig sicherstellte, dass die Organisationen, die die schmutzige Arbeit taten, wie die Union des Russischen Volkes, besser bekannt als die Schwarzhundertschaften, offen vom Zaren unterstützt wurden und seinen Schutz genossen. Revolutionäre wurden als Teil eines organisierten jüdischen Komplotts zur Machtübernahme denunziert. Diese Strategie sollte auch gegen die Revolution von 1905 verwendet werden und auch danach die Arbeiter und Bauern verfolgen.
Auf der anderen Seite trachtete der Staat danach, die Arbeiter friedlich zu stimmen, indem er eine Reihe von „Polizeigewerkschaften“ schuf, die von Leutnant Subatow angeführt wurden. Diese Gewerkschaften waren dazu bestimmt, die revolutionären Leidenschaften der Arbeiterklasse in die Grenzen der unmittelbaren ökonomischen Forderungen zu zwängen, doch die Arbeiter in Russland stiessen zunächst gegen diese Grenzen, um sie dann 1905 zu überrennen. Lenin argumentierte, dass die politische Situation in Russland, wo „die Arbeiter, die einen ökonomischen Kampf führen, nachdrücklich auf die politischen Fragen ‚gestossen‘“[17] werden, bedeutete, dass die Arbeiterklasse von diesen Gewerkschaften Gebrauch machen konnten, solange diese Fallen, die von der herrschenden Klasse für sie aufgestellt wurden, von den Revolutionären aufgedeckt wurden. „In diesem Sinne können und müssen wir zu den Subatow und den Oserow sagen: Macht nur weiter, ihr Herren, macht nur weiter! Soweit ihr den Arbeitern (...) eine Falle stellt, werden wir für eure Entlarvung sorgen. Soweit ihr einen Schritt vorwärts tut – wenn auch nur in der Form eines ‚schüchternen Zickzacks‘, aber immerhin einen Schritt vorwärts -, werden wir sagen: Bitte sehr! Ein wirklicher Schritt vorwärts kann nur eine tatsächliche, wenn auch nur winzige Ellenbogenfreiheit für die Arbeiter sein. Und jede solche Erweiterung wird für uns von Nutzen sein und die Entstehung legaler Vereine beschleunigen, in denen nicht die Lockspitzel Sozialisten fangen, wohl aber die Sozialisten sich Anhänger fangen werden.“[18] In der Tat waren es nicht die Gewerkschaften, die zunächst 1905, schliesslich 1917 gestärkt wurden, sondern eine neue Organisation, die der revolutionären Aufgabe entsprach, ehe das Proletariat dafür geschaffen wurde: die Sowjets.
Während die oben genannten Faktoren helfen zu erklären, warum die Ereignisse von 1905 in Russland stattfanden, geht die wahre Bedeutung dieser Ereignisse weit über Russland hinaus. Worin liegt die Bedeutung von 1905? Was macht 1905 aus?
Eine Auffälligkeit von 1905 war die Entwicklung bewaffneter Kämpfe im Dezember. Trotzki liefert eine eindrucksvolle Darstellung des Kampfes, der in Moskau stattfand, als in den Arbeiterbezirken Barrikaden zur Verteidigung gegen die zaristischen Truppen errichtet wurden, während die sozialdemokratische Kampforganisation einen Guerillakrieg in den Strassen und Häusern ausfocht: „Im folgenden das Bild eines der ersten Gefechte. Durch die Strasse zieht eine georgische Kampfgruppe – eine der verwegensten. Die 24 Mann schreiten ganz offen in Paaren einher. Die Menge warnt sie, dass 16 Dragoner unter Anführung eines Offiziers im Anzuge sind. Die Schützen ordnen sich und schlagen ihre Mausergewehre an. Kaum wird die Patrouille sichtbar, als sie auch schon von der einer Salve in Empfang genommen wird. Der Offizier ist verwundet, die vordersten Pferde bäumen sich, die Reiter geraten in Verwirrung, so dass die Soldaten von ihren Karabinern keinen Gebrauch machen können. Inzwischen geben die revolutionären Schützen etwa hundert Schüsse ab und schlagen die Soldaten, die mehrere Tote und Verwundete zurücklassen, regelrecht in die Flucht. ‚Jetzt aber fort‘, mahnt die Menge, ‚gleich kommt ein Geschütz.‘ Und in der Tat erscheint bald darauf Artillerie auf der Bildfläche. Sofort nach der ersten Salve fallen zahlreiche Tote und Verwundete aus der wehrlosen Menge, die nicht erwartet hat, dass man auf sie schiessen werde. Zu derselben Zeit sind aber die Georgier längst über alle Berge und machen an einer neuen Stelle dem Militär hart zu schaffen... Den Schützen ist nicht beizukommen, weil sie der dichte Panzer der allgemeinen Sympathie unverwundbar macht.“[19] Dennoch ist es nicht der bewaffnete Kampf, gleichgültig, wie mutig, der 1905 auszeichnete. Der bewaffnete Kampf ist in der Tat ein Ausdruck des Kampfes um die Macht zwischen den Klassen, doch er kennzeichnet die letzte Phase, entsteht, wenn das Proletariat sich mit dem Erfolg des Gegenangriffs der herrschenden Klasse konfrontiert sah. Zunächst versuchten die Arbeiter, die Truppen für sich zu gewinnen, doch die bewaffneten Zusammenstösse häuften sich allmählich und wurden blutiger. Der bewaffnete Kampf war eher ein Versuch, die Arbeiterbezirke zu verteidigen, denn die Revolution auszubreiten. Zwölf Jahre später, als die Arbeiterklasse erneut mit dem Militär zusammenstiess, war es ihr erfolgreiches Bemühen, bedeutende Teile der Armee und Marine für sich zu gewinnen, der das Überleben und den Fortschritt der Revolution sicherte.
Darüber hinaus haben bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie eine lange Geschichte. Die frühen Jahre der Arbeiterbewegung in Grossbritannien waren von gewalttätigen Zusammenstössen gekennzeichnet. Beispielsweise gab es 1800 und 1801 eine Welle von Hungerrevolten, von denen einige im Voraus geplant zu sein schienen, mit gedruckten Handblättern, die die Arbeiter dazu aufriefen, sich zu versammeln. Ein Jahr später gab es Berichte über Arbeiter, die nicht nur mit Spiessen, sondern auch mit Geheimorganisationen ausgerüstet waren, welche die Revolution ausheckten. Im folgenden Jahrzehnt breiteten sich, als Antwort auf die Verarmung von Tausenden von Webern, die Ludditen und deren „Army of Redressers“ („Armee der Wiederhersteller“) aus, um den eigentlichen Namen dieser Organisation zu verwenden. Einige Jahre später hegte die „Physical Force Army“ der Chartisten Aufstandspläne. Die Pariser Kommune von 1871 zeigte, wie die gewaltsame Konfrontation zwischen den Klassen offen ausbrach. In Amerika provozierte die brutale Ausbeutung, die mit der rapiden Industrialisierung des Landes einher ging, gewaltsamen Widerstand, wie im Falle der Molly Maguires, die darauf spezialisiert waren, Fabrikbosse zu töten, und Streiks in bewaffnete Konflikte verwandelten.[20] Das Einzigartige an 1905 war nicht die bewaffnete Konfrontation, sondern die Organisation des Proletariats auf einer Klassengrundlage, um seine allgemeinen Ziele zu erlangen. Dies mündete in einem Typ von Organisation, dem Sowjet, mit neuen Zielen, der die Gewerkschaften notwendigerweise überflüssig machte.
In einer der ersten und wichtigsten Untersuchungen der Sowjets vertritt Oskar Anweiler „die der Wirklichkeit näher stehende Ansicht (…), dass die Sowjets von 1905 und auch die von 1917 sich lange Zeit völlig unabhängig von der bolschewistischen Partei und Ideologie entwickelt haben und ihr Ziel keineswegs von vornherein die Eroberung der Staatsgewalt gewesen ist“.[21] Dies ist eine akkurate Einschätzung der ersten Phase der Sowjets, aber bezogen auf die späteren Stufen wäre es falsch zu suggerieren, dass die Arbeiterklasse damit zufrieden gewesen wäre, weiterhin Pater Gapon hinterher zu marschieren und an ihr „Väterchen Zar“ zu appellieren. Zwischen Januar und Dezember 1905 hat sich etwas verändert. Zu verstehen, was sich geändert und wie es sich verändert hat, ist der Schlüssel zum Verständnis von 1905.
Im ersten Artikel betonten wir den spontanen Charakter der Revolution. Die Streiks von Januar, Oktober und Dezember schienen aus dem Nichts zu kommen und wurden durch scheinbar bedeutungslose Ereignisse ausgelöst, wie die Entlassung zweier Arbeiter aus einer Fabrik. Die Handlungen überwältigten selbst die meisten Scheinradikalen der Gewerkschaften: „Am 12. Oktober begann es in den Werkstätten der Moskau-Kursker- und der Moskau-Kasan-Bahn zu gären. Diese beiden Bahnen sind bereit, schon am 14. Oktober die Kampagne zu eröffnen. Sie werden jedoch vom Eisenbahnverband zurückgehalten, der sich von partiellen Streiks im gegenwärtigen Augenblick keinen Erfolg verspricht. Gestützt auf die Erfahrung der Februar-, April- und Juli-Streiks auf einzelnen Bahnstrecken, bereitete er einen allgemeinen Eisenbahnerstreik zur Zeit der Einberufung der Reichsduma vor. Doch die Gärung hält an. Schon am 3. Oktober waren die Delegierten der Eisenbahner zu einer offiziellen Beratung über die Frage der Pensionskassen in Petersburg zusammengetreten. Diese Versammlung erweiterte nun eigenmächtig den engen Rahmen ihrer Kompetenz und verwandelte sich unter dem Beifall der ganzen Eisenbahnerwelt zu einem unabhängigen gewerkschaftlich-politischen Kongress. Von allen Seiten liefen Begrüssungen und Zustimmungskundgebungen bei dem Kongress ein - die Gärung im Volke erhielt ständig neue Nahrung, sie wuchs mehr und mehr, und der Gedanke, unverzüglich einen allgemeinen Eisenbahnerstreik zu inszenieren, tritt im Moskauer Knotenpunkt immer stärker hervor.“[22]
Die Sowjets entwickelten sich auf einem Fundament, das über den Rahmen der Gewerkschaften hinausging. Die erste Körperschaft, die als Sowjet klassifiziert werden kann, tauchte in Iwanow-Wosnesensk in Zentralrussland auf. Am 12. Mai brach in einer Fabrik jener Stadt, die als das russische Manchester berüchtigt war, ein Streik aus; binnen weniger Tage waren alle Fabriken geschlossen und 32.000 Arbeiter im Ausstand. Auf Anregung eines Fabrikinspektors wurden Delegierte gewählt, um die Arbeiter in Gesprächen zu repräsentieren. Die Delegiertenversammlung, aus 110 Arbeitern zusammengesetzt, traf sich regelmässig in den darauffolgenden Wochen. Ihre Absicht war es, den Streik zu führen, separate Aktionen und Verhandlungen zu vermeiden, die Ordnung und das organisierte Verhalten der Arbeiter sicherzustellen sowie die Arbeit nur auf ihre Anweisung wieder aufnehmen zu lassen. Der Sowjet unterbreitete eine Reihe von sowohl ökonomischen als auch politischen Forderungen, einschliesslich denjenigen nach Achtstundentag, höheren Minimallöhnen, Krankheitsgeld, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Sie bildete sodann eine Arbeitermiliz, um die Arbeiterklasse vor Angriffen der Schwarzhundertschaften zu schützen, Zusammenstösse zwischen Streikenden und jenen zu vermeiden, die noch arbeiteten, und um mit den Arbeitern in entfernteren Gebieten in Kontakt zu bleiben. Die Behörden willigten angesichts der organisierten Stärke der Arbeiterklasse zunächst ein, doch Ende des Monats begannen sie mit dem Verbot der Miliz zu reagieren. Anfang Juni wurde eine Massenversammlung durch Kosaken angegriffen, die einige Arbeiter töteten und andere festnahmen. Die Lage spitzte sich gegen Ende des Monats in Gestalt von Unruhen und weiteren Zusammenstössen mit den Kosaken weiter zu. Im Juli gab es einen neuen Streik, der 10.000 Arbeiter umfasste, aber nach drei Monaten niedergeschlagen wurde. Der einzig sichtbare Erfolg war eine Reduzierung der Arbeitszeit.
Schon in diesen ersten Gehversuchen wird der fundamentale Charakter der Sowjets deutlich: eine Vereinheitlichung der ökonomischen und politischen Interessen der Arbeiterklasse, die, da die Sowjets die Arbeiter auf einer Klassenbasis und nicht auf einer gewerkschaftlichen Grundlage vereinen, unvermeidlich dazu neigt, mit fortschreitender Zeit immer politischer zu werden, was zu einer Konfrontation zwischen der etablierten Macht der Bourgeoisie und der aufkommenden Macht des Proletariats führt. Dass die Frage der Arbeitermiliz im Mittelpunkt des Sowjets von Iwanow-Wosnesensk stand, hatte weniger mit der unmittelbaren militärischen Bedrohung, die sie darstellte, zu tun als vielmehr damit, dass sie die Frage der Klassenmacht stellte.
Diese Tendenz zur Bildung von rivalisierenden Mächten zieht sich durch den ganzen Bericht Trotzkis über 1905 und stellte sich ab 1917 nachdrücklich angesichts der herrschenden Situation der Doppelherrschaft: „Wenn der Staat die Organisation der Klassenherrschaft ist, die Revolution aber die Ablösung der herrschenden Klasse, so muss der Übergang der Macht von der einen Klasse zur anderen notwendigerweise widerspruchsvolle Staatszustände schaffen, vor allem in Form der Doppelherrschaft. Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ist keine mathematische Grösse, die sich von vornherein berechnen lässt. Wenn das alte Regime aus dem Gleichgewicht geschleudert ist, kann das neue Kräfteverhältnis sich nur als Resultat ihrer gegenseitigen Nachprüfung im Kampf ergeben. Das eben ist die Revolution.“[23] Zwar trat die Situation der Doppelherrschaft 1905 noch nicht ein, doch die Frage stellte sich von Anfang an: „Der Rat stand von dem Moment seines Entstehens bis zum Augenblicke seines Untergangs unter dem mächtigen Drucke der revolutionären Elementargewalt (...) Jeder Schritt der Arbeitervertretung war im voraus bestimmt und die „Taktik“ war klar. Kampfmethoden brauchten nicht beraten zu werden, man hatte kaum genügend Zeit, sie unter eine Formel zu bringen.“[24] Dies ist die wesentliche Qualität der Sowjets und unterscheidet sie von den Gewerkschaften. Die Gewerkschaften sind eine Waffe im Kampf des Proletariats innerhalb des Kapitalismus; die Sowjets sind eine Waffe in seinem Kampf gegen den Kapitalismus. Im Grunde stehen beide insofern nicht in einem Gegensatz zueinander, als beide aus den objektiven Bedingungen des Klassenkampfes ihrer Zeit entstanden sind und sich in einer Kontinuität befinden, solange sie für die Interessen der Arbeiterklasse kämpfen. Doch sie gerieten in einen Gegensatz, als die gewerkschaftliche Form weiter existierte, obwohl ihr Klasseninhalt – ihre Rolle bei der Organisierung der Klasse und der Entwicklung ihres Bewusstseins – in die Sowjets übergegangen war. 1905 trat dieser Gegensatz noch nicht offen zutage; Sowjets und Gewerkschaften konnten noch nebeneinander existieren und sich bis zu einem gewissen Umfang gegenseitig stärken. Dennoch existierte er insofern hintergründig, als die Sowjets die Gewerkschaften aushebelten.
Die Massenstreiks, die sich im Oktober 1905 ausbreiteten, führten zur Schaffung vieler weiterer Sowjets, mit dem Sowjet von St. Petersburg an der Spitze. Alles in allem konnten zwischen 40 und 50 Sowjets sowie einige Bauern- und Soldatensowjets ausgemacht werden. Anweiler betont ihre ungleiche Herkunft: „Sie entstanden teilweise in Anknüpfung an ältere Organisationen, wie Streikkomitees oder Deputiertenversammlungen, oder unmittelbar durch die Initiative der sozialdemokratischen Parteiorganisationen, die dann einen erheblichen Einfluss im Sowjet ausübten. Häufig waren die Grenzen zwischen einem einfachen Streikkomitee und einem ausgebildeten Arbeiterdeputiertenrat fliessend, und nur in den Hauptzentren der Revolution und der Arbeiterschaft, wie (ausser Petersburg) Moskau, Odessa, Novorossijsk, im Donaubecken, gewannen die Räte eine ausgeprägte organisatorische Gestalt.“[25] Dies mag objektiv zutreffen, schmälert jedoch in keiner Weise ihre Bedeutung als direkte Ausdrücke des revolutionären Kampfes des Proletariats. In ihrer Neuheit wuchsen und schrumpften sie mit den Gezeiten der Revolution: „Die Stärke des Petersburger und der anderen Sowjets lag in dieser revolutionären Verfassung der Massen, in der Unsicherheit der Regierung. In der politischen Hochstimmung der ‚Freiheitstage’ antwortete die Arbeiterschaft bereitwillig auf den Ruf ihres selbstgewählten Organs; sobald sie nachliess und an ihre Stelle Müdigkeit und Enttäuschung traten, verloren auch die Sowjets an Einfluss und Autorität.“[26]
Die Sowjets und die Massenstreiks entstanden aus den objektiven Bedingungen der Arbeiterexistenz, so wie die Gewerkschaften vor ihnen: „Der Arbeiter-Delegiertenrat entstand als die Erfüllung eines objektiven, durch den Gang der Ereignisse erzeugten Bedürfnisses nach einer Organisation, die die Autorität darstellen könnte, ohne Traditionen zu haben, einer Organisation, die mit einem Male die zerstreuten, nach Hunderttausenden zählenden Massen umfassen könnte, ohne ihnen viele organisatorische Hemmungen aufzuerlegen, nach einer Organisation, die die revolutionären Strömungen innerhalb des Proletariats vereinigen, die einer Initiative fähig und automatisch sich selbst kontrollieren könnte und, was die Hauptsache ist, einer Organisation, die man innerhalb 24 Stunden ins Leben rufen könnte.“[27] Aus diesem Grund ist die Form der Sowjets bzw. Arbeiterräte im Jahrhundert nach 1905 immer wieder aufgetaucht, sobald die Arbeiterklasse in die Offensive ging: „Die Bewegung in Polen beweist durch ihren Massencharakter, ihre Schnelligkeit, ihre Ausweitung über die Kategorien und Regionen hinaus nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Möglichkeit der Generalisierung und Selbstorganisation des Kampfes.“[28] „(...) der übliche Gebrauch der Propaganda durch die Behörden basierte auf einer massiven und systematischen Verzerrung der Realität. Die totalitäre Kontrolle aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durch den Staat zwang die polnischen Arbeiter dazu, ein Ausmass an Selbstorganisation zu entwickeln, das im Vergleich mit dem, was in früheren Kämpfen erreicht wurde, einen immensen Schritt nach vorn darstellt.“[29]
North, 14. Juni 2005
Diese Artikelserie wird in der nächsten Ausgabe der Internationalen Revue fortgesetzt und in Gänze auf unserer Website veröffentlicht. Die nächste Folge wird sich insbesondere mit den folgenden Themen befassen:
Der Petersburger Sowjet war der Höhepunkt der Revolution von 1905; er ist der vollständigste Ausdruck des Charakters des Sowjets als einer Waffe des revolutionären Kampfes: ein Ausdruck des Kampfes selbst, mit Blick auf seine Weiterentwicklung durch die Organisierung der gesamten Arbeiterklasse.
Die revolutionäre Praxis der Arbeiterklasse klärte die Gewerkschaftsfrage, lange bevor sie theoretisch begriffen wurde. Als sich 1905 Gewerkschaften bildeten, neigten sie dazu, über ihren ursprünglichen Zweck hinauszugehen, da sie vom revolutionären Strom mitgerissen wurden. Nach 1905 zerfielen sie schnell, und 1917 war die Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus erneut in den Sowjets organisiert.
Der Gedanke, die Revolution von 1905 sei das Ergebnis der Rückständigkeit Russlands, hat, obwohl falsch, auch heute ein gewisses Gewicht. Gegen diese Idee verwiesen sowohl Lenin als auch Trotzki auf den tatsächlichen Entwicklungsgrad des russischen Kapitalismus.
[1] Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, Kap. I.
[2] Leo Trotzki, Die Revolution von 1905, Kap. 22: Die Bilanz der Revolution.
[3] Die Internationale Arbeiterbewegung, Bd. 2, Kap. 8, Progress Publishers, Moskau, 1976.
[4] siehe unsere Artikel, Was ist revolutionärer Syndikalismus? und Der Anarchosyndikalismus angesichts eines Epochenwandels: die CGT bis 1914, in: Internationale Revue Nr. 118 und Nr 120 (engl./franz./span. Ausgabe).
[5] R. Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, in: Werke Bd. 2 Kap. 5.
[6] W.I. Lenin, Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland, in: Werke Bd. 3, Anhang II.
[7] ebenda, Anhang III.
[8] Henry Reichman, Railways and revolution, Russia 1905, in: University of California Press, 1987 (eigene Übersetzung).
[9] W.I. Lenin, Der Fall von Port Arthur, Werke Bd. 8 S. 37 f.
[10] W.I.Lenin, Revolutionstage, Kapitel 8. Die Zahl der Toten und Verwundeten, in: Werke Bd. 8 S. 109.
[11] David Floyd, Russia in Revolt, Kap. 6 (eigene Übersetzung).
[12] W. I. Lenin, Der 1. Mai, in: Werke Bd. 8 S. 343 ff.
[13] Ein aktuelleres Werk widerspricht dieser Ansicht und argumentiert, dass diese Aussage „bloss zeigt, dass (...) Plehwe keinen Einwand dagegen zu haben schien, in den Krieg gegen Japan zu ziehen, in der Annahme, dass ein militärischer Konflikt die Massen von politischen Dingen ablenken könnte“ (Ascher, The Revolution of 1905, 2. Kapitel Krieg und politische Umwälzung, eigene Übersetzung).
[14] Lenins Bruder war Mitglied einer Gruppe, die vom Gedankengut der Gruppe Volkswille beeinflusst war. Er wurde 1887 nach einem Attentatsversuch auf Zar Alexander III. gehängt.
[15] Edward Crankshaw, The Shadow of the Winter Palace, Kap. 16, The Peace of the Graveyard (eigene Übersetzung).
[16] Theodor Shanin, Russia 1905-07. Revolution as a moment of truth, Kap. 1: A revolution comes to the boil (eigene Übersetzung).
[17] W. I. Lenin, Was tun?, Kap. IV Die Organisation der Arbeiter und die Organisation der Revolutionäre, Ges. Werke, Bd. 5.
[18] ebenda.
[19] Leo Trotzki, Die Russische Revolution von 1905, Kap. Dezember.
[20] Louis Adamic: Dynamite, Rebel Press, 1984.
[21] Die Rätebewegung in Russland 1905-1921, Kap. II: Die Sowjets in der Russischen Revolution von 1905.
[22] Leo Trotzki, Die Russische Revolution von 1905, Kap. Der Oktoberstreik.
[23] Leo Trotzki, Die Geschichte der Russischen Revolution, Kap. Doppelherrschaft.
[24] Leo Trotzki, Die Russische Revolution von 1905, Kap. Die Entstehung des Arbeiterdelegiertenrates.
[25] Die Rätebewegung in Russland 1905–1921, Kap. II Die Sowjets in der Russischen Revolution von 1905 S. 59.
[26] ebenda S. 69.
[27] Leo Trotzki, Die Russische Revolution von 1905, Kap Die Entstehung des Arbeiterdelegiertenrates.
[28] s. Massenstreiks in Polen 1980: Das Proletariat schlägt eine neue Bresche, in: Internationale Revue Nr. 23 (engl., franz., span. Ausgabe).
[29] s. Die internationale Dimension der Arbeiterkämpfe in Polen, in: Internationale Revue Nr. 24 (engl., franz., span. Ausgabe).
Der Abstieg in die Hölle
Die letzte Rezession von 2000/2001 entblösste die theoretischen Hirngespinste über die sogenannte „dritte industrielle Revolution“, basierend auf Mikroprozessoren und neuen Informationstechnologien. Weiter entlarvte der Börsenkrach die Fantastereien über die Entwicklung eines „Eigentümerkapitalismus“, der an die Stelle des Lohnempfängers den Teilaktionär setzen würde (!), eine weitere Version der Legende vom „Volkskapitalismus“, in dem jeder Arbeiter „Kleinbesitzer“ im Sinne eines Aktionärs „seines“ Unternehmens wäre.
Während Europa in den Abgründen der Wirtschaftsflaute versinkt, konnten die Vereinigten Staaten in ihrem Bemühen, die Rezession in Schranken zu halten, Erfolge verzeichnen. Dabei werden wir belehrt, die Triebkraft des amerikanischen Wiederaufschwungs gründe auf dem stärkeren Engagement innerhalb der famosen „neuen Ökonomie“ und der stärkeren Deregulierung sowie Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Die Erstarrung auf dem europäischen Kontinent hingegen fände ihre Erklärung in ihrem Rückstand in eben diesen Bereichen. Um diesem Manko abzuhelfen, orientiert sich die Europäische Union an der sogenannten „Strategie von Lissabon“. Letztere sieht vor, bis 2010 „die wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaft der Welt“ zu errichten. In den von der Europäischen Union verfassten „Leitlinien für Beschäftigung“, auf die sich die neue Verfassung bezieht, lesen wir, dass die Staaten zur Reform der „allzu restriktiven Bedingungen der Gesetzgebungen hinsichtlich Beschäftigung“ angehalten werden, „welche die Dynamik des Arbeitsmarktes betreffen“. Weiter sollen sie „die Vielfalt der Modalitäten in Form von Arbeitsverträgen, vor allem hinsichtlich der Arbeitszeit“ fördern. Die herrschende Klasse versucht, das Blatt zu wenden, indem sie uns die letzte Rezession und den Börsenkrach als Schicksalswende auf dem Wachstumspfad und der Wettbewerbsfähigkeit präsentiert. Von neuem versucht sie sich als Verkünder einer besseren Zukunft - wenn nur die Arbeiter zu einigen zusätzlichen Opfern bereit wären, so dass endlich das Paradies auf Erden Wirklichkeit werden könne.
Im Folgenden soll anhand einer marxistischen Analyse offizieller Statistiken der Bourgeoisie gezeigt werden, dass diese Diskurse und Verordnungen zur Erhöhung der Sparquote äusserst realitätsfremd sind. Ein letzter Abschnitt des Artikels widmet sich der Widerlegung der von Battaglia Comunista (einer anderen revolutionären Organisation) entwickelten Methode zur Analyse der Krise.
Die letzte Rezession 2000/01 ist die sechste seit den 60er Jahren, welche die kapitalistische Wirtschaft erschütterte, und somit alles andere als ein einfacher Zwischenfall (vgl. Grafik 1). okograph1a
Die Rezessionen von 1967, 1970/71, 1974/75, 1980-82, 1991-93 und 2001/02 wurden tendenziell jedes Mal länger und tiefgreifender. Sie stehen im Kontext einer andauernden Abnahme der durchschnittlichen Wachstumsrate der Weltwirtschaft, die sich jedes Jahrzehnt verschärft. Diese Rezessionen sind also keineswegs unbedeutende Fehltritte auf dem Weg der Errichtung der „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaft der Welt“. Vielmehr verkörpern sie Etappen des langsamen, aber unaufhörlichen Abstiegs in die Hölle, dem die kapitalistische Produktionsweise nicht entgehen kann. Die triumphierenden Diskurse über die „new economy“ sind zahlreich: Liberalisierung der Märkte, EU-Erweiterung, technologische Revolution, Globalisierung sowie wiederholte Medienbluffs über die Leistungen der so genannten Schwellenländer, über die Öffnung der Märkte der Oststaaten und die Entwicklung Südostasiens und Chinas. Nichtsdestotrotz: die Wachstumsrate des Welt-Bruttoinlandprodukts pro Kopf sinkt jedes Jahrzehnt auf ein tieferes Niveau[1] [16].
Sicherlich, betrachtet man einzelne Indikatoren wie Arbeitslosigkeit, Wachstumsrate, Profitrate oder Welthandel, so hat die aktuelle Krise weitaus weniger Bedeutung und ein geringeres Tempo als der Zusammenbruch der Weltwirtschaft in den 30er Jahren. Seit der Krise in den 30er Jahren und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Ökonomien aller Länder allmählich unter die direkte oder indirekte und immer umfassendere Kontrolle ihrer Staaten gebracht. Hinzu kam die Errichtung von Wirtschaftskontrollen auf der Ebene der imperialistischen Blöcke (durch den IWF für den Westblock und den COMECON für den Ostblock)[2] [17]. Mit dem Zusammenbruch der Blöcke verschwanden auch die oben genannten internationalen Institutionen oder wurden zumindest zu einem Rückzug auf der Ebene politischer Bestimmungen gezwungen, wenn auch einige unter ihnen eine beschränkte ökonomische Einflussnahme beibehalten konnten. Diese „Organisation“ der kapitalistischen Produktion erlaubte es während Jahrzehnten, die Systemwidersprüche viel wirksamer als damals in den 30er Jahren im Zaun zu halten. Dadurch erklärt sich auch das zuweilen geringe Tempo der gegenwärtigen Krise. Durch eine Milderung der Folgen aus den Systemwidersprüchen ist aber noch keine Lösung gefunden.
Die gegenwärtige Wirtschaftsentwicklung lässt sich nicht mit einem Jo-Jo vergleichen, bei dem die Hoch- und Tiefpunkte gleichermassen zum Bewegungsablauf gehören. Die heutige Entwicklung findet im Rahmen einer globalen und unumkehrbaren Tendenz des Niedergangs statt – auch wenn regulierende Interventionen der Staaten und internationalen Institutionen das Tempo dieser Entwicklung mindern mögen.
So steht es etwa mit dem als Musterbeispiel gepriesenen amerikanischen Wiederaufschwung: Die Vereinigten Staaten konnten das Ausmass ihrer Rezession in Grenzen halten, aber nur indem sie neue Ungleichgewichte auf sich nahmen, welche bei der nächsten Rezession für umso grösseren Schaden sorgen werden. Die Folgen für die Arbeiterklasse und alle Ausgebeuteten dieser Welt werden umso dramatischer sein. Es nützt nichts, sich mit der empirischen Feststellung der Abfolge von Rezession und Wiederaufschwung zu begnügen. Denn im Bestreben, die fortschreitende Abnahme der Wachstumsrate der Weltwirtschaft seit den 60er Jahren zu ergründen, sind wir damit noch keinen Schritt weitergekommen. Die wirtschaftliche Entwicklung seit den 60er Jahren verweist auf die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus. Sie besteht aus der Aufeinanderfolge von Rezessionen und Wiederaufschwüngen, wobei die Erholungsphasen auf zunehmend unsicherem Boden gründen. Der in den USA auf die Rezession 2000/2001 folgende Wiederaufschwung basierte im Wesentlichen auf drei äusserst zufallsbedingten Faktoren:
1. einem schnellen und gravierenden Anstieg des Handelsdefizits,
2. einer Wiederbelebung des Konsums, basierend auf zunehmender Verschuldung, auf der Aufhebung der Staatsersparnisse und auf Aussenfinanzierung,
3. einer spektakulären Senkung des Zinssatzes, wodurch eine verschärfte Instabilität internationaler Finanzmärkte angekündigt wird.
Seit Ende der 60er Jahre sind die Rezessionen (1967, 1970, 1974/75 und 1980-82) jedes Mal tiefgreifender (Grafik 2, unterbrochene Linie : Wachstumsraten des amerikanischen BIP, ausgezogene Linie: die öffentliche Verschuldung). okograph2 Im Vergleich dazu erscheinen die Rezessionen von 1991 und 2001 weniger bedeutsam und unterbrochen von längeren Erholungsphasen (1983-1990 und 1992-1999). Sind darin etwa die ersten Folgen einer aufstrebenden „new economy“ erkennbar, die von mancherlei Seite so gerne hervorgehoben werden? Sind wir Zeugen eines sich anbahnenden Umschwungs der Tendenz der fortgeschrittensten Volkswirtschaft der Welt? Und wartet dieser Umschwung nur darauf, in andere Erdteile exportiert und verallgemeinert zu werden? Diese Fragen sollen im Folgenden untersucht werden.
Die Feststellung von wirtschaftlichen Wiederaufschwüngen (auch geringer Bedeutung) kann uns nur dann nützlich sein, wenn wir die tiefer liegenden Triebkräfte verstehen. Zu diesem Zweck haben wir die Entwicklung des amerikanischen Staatsdefizits (s. ausgezogene Linie in Grafik 2) der Entwicklung der amerikanischen Wachstumsrate (s. unterbrochene Linie ebd.) gegenübergestellt. Dabei wird deutlich, dass erstens jeder Phase des Wiederaufschwungs ein erhebliches Staatsdefizit vorausgeht und zweitens dieses Staatsdefizit jedes Mal das vorangegangene an Ausmass und/oder Länge übertrifft.
Wachstumsrate pro Jahrzehnt
USA Europa
1950–59 4,11 4,72
1960–69 4,41 5,01
1970–79 3,24 3,29
1980–89 2,98 2,24
1990–99 3,00 1,74
(Quelle: BEA und A. Maddison, L’économie mondiale, OECD)
Auch die bisher längsten Phasen des Wiederaufschwungs in den 80er und 90er Jahren ebenso wie die relative Abschwächung der Rezessionen sind vor allem auf ein langfristig erhöhtes Staatsdefizit zurückzuführen. Dasselbe gilt für den Wiederaufschwung, der auf die Rezession 2000/01 folgte. Das „Wachstum“ der USA könnte einer Deflation nur knapp entgehen, würde es sich nicht auf ein Staatsdefizit abstützen, dessen Ausmass und Anstiegstempo historische Rekorde erreicht. Die Kombination von Steuersenkungen (welche v.a. die hohen Einkommen betreffen) und Militärausgaben hatte ein Budgetdefizit von bis zu 3,5 % zur Folge, während es im Jahr 2000 noch bei 2,4 % lag. Ausserdem sollten die für das Jahr 2005 gesetzten Prioritäten entgegen den Versprechungen während dem Präsidentschaftswahlkampf durch eine zusätzliche Erhöhung dieses Defizits umgesetzt werden, unter Berücksichtigung der zunehmenden Rüstungs- und Sicherheitsausgaben sowie bedeutender Steuersenkungen für die Reichsten[3] [18]. Die wenigen Massnahmen, die dem steigenden Staatsdefizit entgegenwirken sollen, werden auf dem Rücken der Ausgebeuteten umgesetzt, denn vorgesehen ist die Streichung von Staatsausgaben, welche den Ärmsten zugesprochen waren[4] [19].
Schliesslich müssen wir auch dem Mythos einer neuen, aufstrebenden Tendenz der Vereinigten Staaten ein Ende setzen. Seit dem starken Einbruch Ende der 60er Jahre verharren die Wachstumsraten pro Jahrzehnt auf einem Niveau von etwa 3%. Sie liegen also unter dem Niveau früherer Jahrzehnte. Und darüber kann auch die um zwei Hundertstel Prozente höhere Wachstumsrate von 1990-99 gegenüber 1980-89 nicht hinwegtäuschen! Dem Versuch, aus diesen zwei Hundertsteln einen Trendwechsel ableiten zu wollen, entgeht jede Glaubwürdigkeit.
Dieser Mythos von einer durch die USA eröffneten neuen Wachstumsphase ist eine Schöpfung der amerikanischen Bourgeoisie in ihrem Bestreben, eine auch noch so geringe europäische Leistungsfähigkeit zu entkräften. Tatsächlich aber konnte Europa bis in die 90er Jahre ihren Rückstand gegenüber der führenden Volkswirtschaft der Welt aufholen[5] [20].
Die grössere Stabilität der amerikanischen Wirtschaft beruht nicht so sehr auf Investitionen im Bereich der so genannten „new economy“ und einer daraus resultierenden höheren Effizienz. Vielmehr beruht sie auf einer durchaus klassischen, enormen Verschuldung aller Wirtschaftsakteure, die im Übrigen ihre finanzielle Grundlage in ausländischen Vermögen haben. Dasselbe gilt für den Anstieg des Staatsdefizits sowie für die weiteren Parameter, welche dem amerikanischen Wiederaufschwung zugrunde liegen. Dies soll im Folgenden gezeigt werden.
Einer der Gründe für das grössere Wachstum in den Vereinigten Staaten liegt in der Konsumförderung der Haushalte. Dafür werden mehrere Mittel eingesetzt:
- spektakuläre Steuersenkung zur Konsumförderung der Reichen, zum Preis einer zusätzlichen Verschlechterung des Staatsbudgets;
- Senkung des Zinssatzes von ehemals 6,5 % Anfang 2001 auf 1 % Mitte 2004, Senkung der Sparquote (Grafik 4), was die Verschuldung der Haushalte auf Rekordhöhe anstiegen liess (Grafik 5) und eine Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt ankündigt.
Eine solche Dynamik des Konsums der Haushalte führt zu folgenden drei Problemen: einer wachsende Verschuldung der Haushalte mit drohendem Immobilienkrach; einem wachsenden Handelsdefizit gegenüber der übrigen Welt (5,7 % des amerikanischen BIP im Jahr 2004 – d.h. über ein Prozent des Welt-BIP – im Vergleich zu 4,8 % im Jahr 2003) und einer immer ungleicheren Einkommensverteilung[6] [21].
Grafik 4 zeigt, dass bis zu Beginn der 80er Jahre die Haushalte 8 bis 9 % ihres Einkommens, nach Abzug der Steuern, sparten. Sodann wurde ein kontinuierlicher Fall der Sparquote bis auf etwa 2 % eingeleitet. Der darauf beruhende Konsum gehört zur Basis des zunehmenden Aussendefizits der USA. Die USA importieren jeweils mehr Güter und Dienstleistungen, verglichen mit ihrem Auslandsabsatz, als die übrige Welt. Letztere wird bei diesem Kurs zu einem immer wichtigeren Kreditgeber der Vereinigten Staaten. Ermöglicht wurde eine solche Entwicklung dadurch, dass Ausländer, welche durch das amerikanische Aussendefizit zu Dollar gelangen, diese direkt auf den amerikanischen Finanzmärkten anlegen können, anstatt sie in andere Devisen umtauschen zu müssen. Dieser Mechanismus lässt die Bruttoverschuldung der USA gegenüber der übrigen Welt aufblähen. Sie stieg von 20 % des BIP um 1980 auf 90 % um 2003 und erreicht damit eine hundertzehnjährige Rekordhöhe[7] [22]. Eine so hohe Schuldenlast gegenüber anderen Ländern schwächt auch die Einkommen aus dem amerikanischen Kapital, aus denen die Zinsen finanziert werden müssen. Fragt sich also, wie lange die amerikanische Wirtschaft diesem Druck noch standhalten kann.
Denn hinzu kommt, dass die oben besprochene Verschuldung der amerikanischen Haushalte Teil einer tendenziellen Zunahme der Gesamtverschuldung der amerikanischen Wirtschaft ist. Diese Verschuldung nimmt gigantische Ausmasse an: Sie übersteigt 300 % des amerikanischen BIP im Jahr 2002 (Grafik 7) okograph7 – genau genommen 360 %, wenn die staatliche Bruttoverschuldung mitberücksichtigt wird. Wollte man die gesamte Verschuldung zurückzahlen, würde dies mehr als drei Jahre Gratisarbeit bedeuten. Hierdurch wird das oben Gesagte bestätigt: kürzere Rezessionsphasen verbunden mit längeren Wiederaufschwungsphasen seit Beginn der 80er Jahre sind kein Argument für eine neue Wachstumsphase, welche auf einer „dritten industriellen Revolution“ gründen würde. Die erwähnten Wiederaufschwungsphasen haben keine „gesunde“ Ausgangslage, sondern beruhen auf einer zunehmend künstlichen Wachstumsbasis.
Kommen wir zum dritten Faktor des amerikanischen Wiederaufschwungs: dem fortschreitenden Fall der Zinsrate. Diese sank von 6,5 % Anfang 2001 auf 1 % Mitte 2004. Somit wurde der Binnenmarkt gestärkt und eine konkurrenzfähige, deflationäre Dollarpolitik auf dem internationalen Markt ermöglicht.
Die tiefen Zinssätze trieben die Verschuldung weiter an (v.a. durch den dadurch billig gewordenen Hypothekarkredit). Deshalb konnten Konsum und Wohnungsmarkt die Wirtschaftsaktivität ankurbeln und die Ausgaben fördern, trotz rückläufiger Beschäftigungsquoten während der Rezession. Dies zeigt sich im Konsumanteil der amerikanischen Haushalte am BIP, welcher von 1950 bis 1980 um 62 % schwankte und seither kontinuierlich bis auf über 70 % zu Beginn des 21. Jahrhunderts angestiegen ist.
Zu beachten ist aber auch die Antwort auf das amerikanische Handelsdefizit: eine starke Dollarabwertung (ca. 40 %) gegenüber den nicht der führenden Währung angepassten Devisen, also hauptsächlich gegenüber dem Euro (und teilweise auch dem Yen). Das amerikanische Wirtschaftswachstum beruht also auf Pump und vollzieht sich auf dem Rücken der übrigen Welt. Finanziert wird die US-Wirtschaft nämlich von Kapitalströmen ausländischen Ursprungs, ermöglicht durch die hegemoniale Stellung der USA. Tatsächlich wäre jedes andere Land, das sich in derselben Lage befände, zu einem hohen Zinssatz gezwungen, um Kapitalströme anzuziehen.
Wir haben gesehen, dass die Erholung nach der Rezession von 2001 noch zerbrechlicher war als alle vorangegangenen. Sie fand während einer Zunahme von Rezessionen statt, welche eine Veranschaulichung des konstanten Niedergangs der Wachstumsrate seit Ende der 60er Jahre sind. Um diese sinkende Tendenz der Wachstumsrate und vor allem ihren unumkehrbaren Charakter zu verstehen, müssen wir die Gründe dafür genauer betrachten.
Mit der Erschöpfung der zu Ende des Zweiten Weltkrieges lancierten Dynamik, als die wieder aufgebaute europäische und japanische Wirtschaft den Markt mit überschüssigen Produkten (im Verhältnis zur den zahlungskräftigen Absatzmärkten) zu überfluten begannen, begann sich das Produktivitätswachstum der Arbeit zu verlangsamen, und zwar seit Mitte der 60er Jahre in den USA und zu Beginn der 70er Jahre auch in Europa (siehe Grafik 8). okograph8
Seit das Wachstum der Produktivität zum Hauptfaktor geworden ist, um dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegen zu treten, ist das verlangsamte Wachstum zu einem verstärkenden Faktor für den tendenziellen Fall der Profitrate geworden, sowie auch für den Druck auf andere grundlegende Anteile der kapitalistischen Wirtschaft: vor allem auf die Akkumulationsrate8 [23] und das wirtschaftliche Wachstum9 [24]. Die Grafik 9 okograph9 zeigt klar diesen Fall der Profitrate, der Mitte der 60er Jahre in den USA und zu Beginn der 70er Jahre in Europa begann und bis 1981-82 anhielt.
Wie diese Grafik deutlich zeigt, hörte der Fall der Profitrate zu Beginn der 80er Jahre auf, und die Kurve zeigt seither nach oben. Die grundlegende Frage ist nun die nach den Gründen für diese Umkehr, da die Profitrate eine zusammengesetzte Variable ist, welche durch verschiedene Parameter bestimmt wird, die wir unter den folgenden Übertiteln zusammenfassen können: die Mehrwertrate, die organische Zusammensetzung des Kapitals und die Arbeitsproduktivität10 [25]. Um es bildlich darzustellen und auf den Kern der Sache zu sprechen zu kommen, kann man sagen, dass der Kapitalismus dem tendenziellen Fall der Profitrate entweder „nach oben“ entfliehen kann durch die Intensivierung der Arbeitsproduktivität oder „nach unten“ durch verstärkte Angriffe gegen die Lohnarbeiter. Die in diesem Artikel aufgeführten Daten zeigen deutlich, dass der Anstieg der Profitrate nicht Resultat neuer Fortschritte in der Arbeitsproduktivität ist, die in der Folge einer „dritten industriellen Revolution aufgrund der Mikroprozessoren“ (der so genannten „new economy“) eine Verringerung oder Bremsung des Wachstums der organischen Zusammensetzung des Kapitals nach sich ziehen würde. Nein, er entstand aufgrund direkter und indirekter Lohnbeschneidungen und der anwachsenden Arbeitslosigkeit (siehe Grafiken.
Der heutigen Situation liegt die Tatsache zu Grunde, dass weder die Akkumulation (Grafik 12), noch die Produktivität noch das Wachstum in den letzten 25 Jahren Schritt gehalten haben mit der in de gleichen Zeit wieder gefundenen Rentabilität der Unternehmen. Im Gegenteil blieben all diese grundlegenden Faktoren rückläufig. Normalerweise jedoch wächst in den historischen Perioden, in denen die Profitrate ansteigt, die Akkumulationsrate ebenfalls, und vergrössern sich damit auch die Produktivität und das Wachstum. Wir müssen uns deshalb folgende grundlegende Frage stellen: Weshalb haben trotz einer neuen Gesundung und Aufwärtsbewegung der Profitrate die Kapitalakkumulation und das wirtschaftliche Wachstum nicht mitgezogen?
Die Antwort darauf gibt Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie, und besonders im Kapital, in dem er seine zentrale These der Unabhängigkeit zwischen der Produktion und den Märkten aufstellt: „(…) es ist dann möglich, da Markt und Produktion zwei gegeneinander gleichgültige Momente sind, dass die Erweiterung des einen de Erweiterung der andren nicht entspricht“ (Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.2 S. 525). “Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft, die andren durch die Proportionalität der verschiednen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft.“ (MEW Bd. 25 S. 254). Dies heisst, dass die Produktion nicht ihren eigenen Markt schaffen kann (umgekehrt hat aber die Sättigung des Marktes eine Wirkung auf die Produktion, weil die Kapitalisten sie zurückschrauben müssen, um ihren totalen Ruin zu vermeiden). Mit anderen Worten: Der Hauptgrund, weshalb der Kapitalismus in eine Situation gerät, in der zwar die Rentabilität seiner Betriebe wiederhergestellt ist, aber ohne dass die Produktivität, die Investitionen, die Akkumulationsrate und somit ein Wachstum dieser Tendenz folgen, liegt in den unzureichenden zahlungskräftigen Absatzmöglichkeiten.
Es sind auch diese unzureichenden zahlungskräftigen Absatzmöglichkeiten, welche den Grund für die sogenannte Tendenz zur „Verfinanzung der Wirtschaft“10a [26] bilden. Wenn die heutigen überschüssigen Profite nicht wieder investiert werden, dann nicht wegen einer tiefen Rentabilität von investiertem Kapital (wie in der Logik derer, die sich die Krise allein durch den tendenziellen Fall der Profitrate erklären), sondern eben gerade wegen unzureichenden zahlungskräftigen Absatzmärkten. Dies ist in der Grafik 12 deutlich ersichtlich, welche zeigt, dass trotz eines Anstiegs der Profite (die Grenzrate gibt das Verhältnis zwischen Profit und zugefügtem Wert an) als Resultat verschärfter Sparpolitik die Investitionsrate weiter gesunken ist (und ebenso das wirtschaftliche Wachstum), was die Zunahme der Arbeitslosigkeit und der nicht investierten Profite, die in Form von finanziellen Erträgen ausgezahlt werden, erklärt11 [27]. In den USA bildeten finanzielle Erträge (Zinsen und Dividenden, ohne Kapitalgewinne) im Durchschnitt 10% der totalen Erträge zwischen 1952 und 1979. Danach stiegen sie zwischen 1980 und 2003 stetig an bis auf 17%.
Der Kapitalismus ist nur fähig, die Auswirkungen seiner Widersprüche zu kontrollieren indem er den Tag der grossen Abrechnung hinausschiebt. Dies hat die Widersprüche nicht gelöst, sondern nur explosiver gemacht. Die gegenwärtige Krise, klar verdeutlicht durch die Unfähigkeit der seit den 30er Jahren und dem Zweiten Weltkrieg installierten wirtschaftlichen Massnahmen und der eingeschlagenen Politik, ist tiefer und bedeutender bezüglich der Widersprüche des Systems als alle vorangegangenen Krisen.
Wir haben gesehen, dass die Erklärungen der herrschenden Klasse keinen Heller wert sind und nichts anders als eine Mystifizierung darstellen, um den historischen Bankrott ihres Systems zu verschleiern. Leider haben auch einzelne revolutionäre politische Gruppen diese Konzepte aufgegriffen (ob freiwillig oder nicht), entweder in den offiziellen Versionen oder in linken und Globalisierungsgegner-Varianten. Wir wollen hier die Analyse genauer betrachten, die von Battaglia Comunista entwickelt wurde12 [28].
Dabei gilt es zu Beginn festzuhalten, dass alles bisher Aufgezeigte eine klare Widerlegung der „Analysen“ über eine „dritte industrielle Revolution“, über die „parasitäre Finanzierung“ des Kapitalismus und die „Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse“ darstellt. Erstere hat Battaglia offenbar direkt von der offiziellen Propaganda der herrschenden Klasse übernommen, die zwei andern den Linken und Globalisierungsgegnern von den Lippen abgelesen13 [29].
Battaglia scheint felsenfest davon überzeugt zu sein, dass sich der Kapitalismus inmitten einer „dritten industriellen Revolution durch die Mikroprozessoren“ befindet und „eine Umstrukturierung seines Produktionsapparates“ sowie eine „konsequente Veränderung der früheren Klassenzusammensetzung“ vornimmt. All dies mache ihm einen „lang anhaltenden Widerstand gegen die Krise des Akkumulationszyklus“ möglich14 [30]. Nun, das zwingt uns wahrlich zu einigen Bemerkungen:
1. Wenn der Kapitalismus sich wirklich inmitten einer „industriellen Revolution“ befinden würde, wie Battaglia sagt, dann sollte doch wenigstens – per Definition – ein Anstieg der Arbeitsproduktivität sichtbar sein. Genau davon scheint Battaglia auch überzeugt, wenn es ohne Zögern und ohne Überprüfung behauptet „die tief greifende Restrukturierung des Produktionsapparates hat eine Schwindel erregende Steigerung der Produktivität mit sich gebracht“, und wenn es wiederholt in der letzten Ausgabe seiner theoretischen Zeitschrift meint: „…eine industrielle Revolution, mit anderen Worten des Produktionsprozesses, hatte immer den Effekt der Erhöhung der Arbeitsproduktivität“15 [31]. Doch haben wir vorher nicht deutlich gesehen, wie sich in der Realität bezüglich der Arbeitsproduktivität genau das Gegenteil abspielt, als es der Bluff der bürgerlichen Propaganda behauptet, welcher von Battaglia aufgegriffen wird? Diese Organisation scheint nicht zu wissen, dass das Anwachsen der Arbeitsproduktivität vor mehr als 35 Jahren einzubrechen begann und seit den 80er Jahren mehr oder weniger stagniert (siehe Grafik 8)16 [32].
2. Wir haben gesehen, wie für Battaglia die „dritte industrielle Revolution durch die Mikroprozessoren“ angeblich dermassen potent ist, dass sie eine „Schwindel erregende Steigerung der Produktivität bewirkt“ habe, welche es möglich mache „das ansteigende Wachstum der organischen Zusammensetzung zu vermindern“. Doch nur schon eine Untersuchung der wirklichen Dynamik der Profitrate zeigt, wie der Rezession von 2000-2001 in den USA schon 199717 [33] eine zeitweilige Rückentwicklung vorangegangen war (siehe Grafik 9), vor allem weil die wunderbare „new economy“ zu einer Vergrösserung des Kapitals geführt hatte, mit anderen Worten: zu einem Anstieg der organischen Zusammensetzung und nicht zu einem Rückgang, wie Battaglia behauptet18 [34]. Die neuen Technologien erlaubten zwar schon einen gewissen Produktivitätszuwachs19 [35], doch war dieser unzureichend, um die Investitionskosten wett zu machen, und zwar trotz des Sinken ihres relativen Preises, was schliesslich bei der organischen Zusammensetzung des Kapitals ins Gewicht fiel und so zu einer Wende in der Profitrate in den USA führte, die seit 1997 wieder sinkt. Diese Feststellung ist wichtig, weil sie alle Illusionen in die Fähigkeit des Kapitalismus, sich von seinen eigenen Gesetzten zu befreien, zerstört. Die neuen Technologien sind keine Zauberformel, die es erlauben würde, Kapital gratis zu akkumulieren.
3. Hinzu kommt: Wenn die Arbeitsproduktivität tatsächlich eine „Schwindel erregende Steigerung“ erleben würde, dann müsste (für jeden der Marx nur einigermassen kennt) auch die Profitrate ansteigen. Und das versucht uns Battaglia auch weis zu machen, ohne es jedoch ausdrücklich zu sagen, wenn sie behauptet: „Im Vergleich zu vorangegangenen industriellen Revolutionen (…) hat diejenige, die auf den Mikroprozessoren beruht (…) auch die Investitionskosten reduziert, in der Wirklichkeit also die Kosten des konstanten Kapitals, was somit den Anstieg der organischen Zusammensetzung vermindert“20 [36]. Wie wir sehen, geht Battaglia nicht davon aus, dass es eine Vergrösserung der Profitrate gegeben hat. Haben die Genossen vergessen, was ihre Schwesterorganisation, die CWO, vor einiger Zeit schrieb: „Wenn die Produktivität schneller wächst als die organische Zusammensetzung des Kapitals, so sinkt die Profitrate nicht, im Gegenteil sie wird ansteigen“ (Revolutionary Perspectives Nr. 16, alte Serie, „Kriege und Akkumulation“, Seite 15-17)? Battaglia zieht es vor, diskret von „der Verminderung des Anstiegs der organischen Zusammensetzung“ zu sprechen, als Resultat „der Schwindel erregenden Steigerung der Produktivität aufgrund der industriellen Revolution, die auf den Mikroprozessoren beruht“, statt vom Anstieg der Profitrate. Weshalb solche sprachliche Windungen? Weshalb wird die Wirklichkeit der Wirtschaft dem Leser vorenthalten? Ganz einfach: weil das Resultat der eigenen Untersuchungen (ob sie nun richtig sind oder nicht) über die Entwicklung der Arbeitsproduktivität das alte Dogma, sich die Krise ausschliesslich durch den tendenziellen Fall der Profitrate zu erklären, ins Wanken bringen würde. Battaglia Comunista hat nie eine Gelegenheit verpasst, ihr altes Credo vom stetigen Fall der Profitrate zu unterstreichen. Diese Organisation ist dermassen besorgt „die Welt zu verstehen“, und zwar ausserhalb der angeblich abstrakten Schemen der IKS, dass sie darob gar nicht bemerkt, wie die Profitrate im letzten Vierteljahrhundert entschieden angestiegen ist (Grafik 9) und nicht gesunken, wie sie immer noch behauptet! Für diese 28-jährige Blindheit gibt es nur eine Erklärung: Wie könnte sie weiterhin gegenüber der Arbeiterklasse über die Krise des Kapitalismus sprechen, ohne gleichzeitig das Dogma des tendenziellen Falls der Profitrate als alleinigen Grund für die Krise in Frage zu stellen, wenn jene seit Beginn der 80er Jahre wieder gestiegen ist?
4. Der Kapitalismus überlebt nicht, indem er durch eine „industrielle Revolution“ aufwärts strebt und „eine Schwindel erregende Steigerung der Produktivität“ erlebt, wie Battaglia vorgibt, sondern indem er abwärts driftet, durch eine drastische Verringerung der Lohnmasse, welche die Welt in eine Misere führt und dabei gleichzeitig seine Absatzmärkte reduziert. Wer aufmerksam die Triebkräfte hinter dem Steigen der Profitrate im letzten Vierteljahrhundert verfolgt, sieht, dass dies nicht wegen einer „Schwindel erregenden Steigerung der Produktivität“ geschieht oder der „Verminderung des Anstiegs der organischen Zusammensetzung“, sondern wegen einer brutalen Sparpolitik auf den Schultern der Arbeiterklasse.
Da die Profitrate seit 25 Jahren ansteigt, ist die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus eine klare, mit Fakten untermauerte Widerlegung der Argumente derjenigen, die den Mechanismus des „tendenziellen Falls der Profitrate“ zur einzigen Begründung für die ökonomische Krise machen. Wenn die Krise heute trotz der wieder gefundenen Rentabilität der Unternehmen andauert, dann deshalb, weil die Unternehmen nicht wie früher die Produktion erhöhen, sondern weil sie durch ungenügende Absatzmärkte an Grenzen stossen. Dies zeichnet sich durch kärgliche Investitionen und somit ein schwaches Wachstum aus. Battaglia Comunista ist unfähig, dies zu verstehen, da diese Organisation die grundlegende These von Marx über die Unabhängigkeit zwischen der Produktion und Markt (wie schon aufgezeigt) nicht verstanden hat und ihr die absurde Idee entgegenstellt, dass die Entwicklung oder Begrenzung des Marktes von der auf- oder niedergehenden Dynamik der Profitrate abhängig sei21 [37].
Angesichts all dieses Unverständnisses selbst grundlegender Gesetzmässigkeiten können wir Battaglia Comunista gegenüber nur unseren Ratschlag wiederholen: Studiert das ABC der marxistischen ökonomischen Lehre, bevor ihr versucht, Lehrer und Richter der IKS zu spielen! Battaglias Weigerung, uns eine Antwort zu geben, dient lediglich dazu, ihre offensichtliche und wachsende Unfähigkeit, auf unsere Argumente politisch einzugehen, zu verbergen22 [38].
Battaglia behauptet, im Vergleich zu den „abstrakten Schemen der IKS“, die „ausserhalb des historischen Materialismus stehen“, selber „…die Fakten der Krise im Westen mit all ihren finanziellen Aspekten und auf der Ebene der Wiederbelebung, ausgelöst durch die revolutionäre Welle der Mikroprozessoren, gut analysiert zu haben“23 [39]. Wir haben jedoch gesehen, wie Battaglias „Studie“ nichts anderes ist als ein Abklatsch von linken und Globalisierungsgegner-Theorien über den „Parasitismus der Zinsen“24 [40]. Ihre Kopie ist nicht nur ungenügend, sondern überhaupt nicht schlüssig und in sich widersprüchlich, da Battaglia die marxistischen ökonomischen Konzepte schlecht beherrscht, auf die sie sich berufen will. Sie versteht diese Konzepte nicht und schreckt auch nicht davor zurück, sie nach ihren Gutdünken umzuwandeln wie die These von Marx über die Unabhängigkeit von Produktion und Markt. In der geheimnisvollen Welt der Dialektik à la Battaglia wird sie umgewandelt in ein Gesetz der absoluten Abhängigkeit von „ökonomischem Zyklus und dem Prozess der Verwertung, die den Markt „kaufkräftig“ oder „nicht kaufkräftig“ machen“. Wir erwarten von kritischen Beiträgen, die vorgeben, die marxistische Methode der angeblich idealistischen der IKS entgegenzusetzen, mehr als eine Ansammlung von Dummheiten.
Bei grundlegenden Fragen der ökonomischen Analyse tappt Battaglia Comunista laufend in die Falle, bei den Erscheinungen stehen zu bleiben, statt deren Wesen mit einem marxistischen Rahmen zu verstehen. Wir haben auch gesehen, wie Battaglia Comunista das Geschwätz der Bourgeoisie über eine „dritte industrielle Revolution“ für bare Münze nimmt, und dies lediglich wegen dem empirischen Erscheinen gewisser neuer Technologien im Mikrotechnologie-Sektor und in der Informatik, wie spektakulär diese auch sein mögen25 [41]. Als Resultat davon gelangt Battaglia zur absolut spekulativen Behauptungen über „Schwindel erregende Steigerungen in der Produktivität“ und eine „Reduktion der Kosten des konstanten Kapitals, die das Anwachsen der organischen Zusammensetzung vermindert“. Doch im Gegenteil, eine handfeste marxistische Analyse über die grundlegenden Kräfte in der Dynamik der kapitalistischen Ökonomie (den Markt, die Profitrate, die Mehrwertrate, die organische Zusammensetzung des Kapitals, die Produktivität der Arbeit, usw.) hat uns nicht nur ermöglicht zu begreifen, dass es sich dabei im Wesentlichen um einen Medien-Bluff handelt, sondern dass die Realität gerade umgekehrt ist als das ganze Geschwätz der Bourgeoisie, welches leider auch von Battaglia Comunista wiedergekäut wird.
Die Krise zu verstehen, ist nicht eine akademische Übung, sondern allem voran eine militante Anstrengung. Wie schon Engels schrieb: “Ihre Aufgabe (der ökonomischen Wissenschaft) ist vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken.“ Und dies wird nur möglich, „(...) wenn die fragliche Produktionsweise ein gutes Stück ihres absteigenden Astes hinter sich, wenn sie sich halb überlebt hat, wenn die Bedingungen ihres Daseins grossenteils verschwunden sind und ihr Nachfolger bereits an die Tür klopft (...)“ (Engels, Anti-Dühring, MEW, Bd. 20, S. 138/139). Dies ist die Bedeutung und das Ziel der Arbeit der Revolutionäre auf der Ebene der ökonomischen Analyse. Sie erlaubt uns, den Rahmen zu verstehen, in dem sich das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen entwickelt und welches ihre bestimmenden Faktoren sind, seit der Kapitalismus in seine dekadente Phase eingetreten ist. Hier liegt auch die materielle und (potentielle) subjektive Basis für die proletarische Revolution. Genau dies versucht die IKS in ihren Analysen immer aufzuzeigen. Doch Battaglia Comunista hat dies durch die Zurückweisung des Konzepts der Dekadenz des Kapitalismus26 [42] und durch die Übernahme einer akademistischen und monokausalen Vision vollständig vergessen. Ihre „wissenschaftliche Ökonomie“ dient nicht mehr dazu „die soziale Härte“, die „Anzeichen der beginnenden Zersetzung“ des Kapitalismus aufzuzeigen, wie es schon die Gründer des Marxismus taten, sondern versucht uns zum Narren zu halten mit linker und Globalisierungsgegner-Prosa über die „Überlebenskapazitäten des Kapitalismus“ durch die „Verfinanzung des Systems“, durch die „Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse“ und vor allem durch die „grundlegenden Wandlungen des Kapitalismus“ aufgrund der „dritten industriellen Revolution, die auf den Mikroprozessoren basiert“, sowie auf den neuen Technologien, usw.
Heute ist Battaglia Comunista völlig desorientiert und weiss nicht mehr, was sie gegenüber der Arbeiterklasse vertreten soll: Ist die kapitalistischen Produktionsweise in der Dekadenz, ja oder nein27 [43]? Ist es die kapitalistische Produktionsweise oder die soziale Struktur des Kapitalismus, die sich in der Dekadenz befindet28 [44]? Ist der Kapitalismus „schon seit über 30 Jahren in der Krise“29 [45], oder erlebt er eine „dritte industrielle Revolution durch die Mikroprozessoren“, die eine „Schwindel erregende Steigerung der Produktivität“ auslöst30 [46]? Ist die Profitrate im Steigen begriffen, wie es die Statistiken belegen, oder ist sie stetig am Sinken wie Battaglia andauernd wiederholt, bis zum Punkt an dem der Kapitalismus gezwungen sei, weltweite Kriege zu entfesseln, um seinen Bankrott zu verhindern31 [47]? Befindet sich der Kapitalismus heute in einer Sackgasse, oder verfügt er über eine „lange Fähigkeit zu überleben“ durch die „dritte industrielle Revolution“32 [48], oder verfügt er sogar über eine „Lösung“ seiner Krise mittels Kriegen: „(…) die kriegerische Lösung scheint das wesentliche Mittel zu sein für die Verwertung des Kapitals“ (Plattform des IBRP)? Dies alles sind entscheidende Fragen, wenn es darum geht, sich in der heutigen Situation zurecht zu finden. Battagila Comunista dreht sich im Kreise und ist unfähig, der Arbeiterklasse auf diese Fragen eine klare Antwort zu geben.
CC
Damit sich der Leser / die Leserin besser ein Urteil darüber bilden kann, ob es wirklich eine „dritte industrielle Revolution, die auf dem Mikroprozessor beruht“, gibt, wie dies Battaglia Comunista behauptet, drucken wir nachstehend einige aussagekräftige Abschnitte aus dem Buch von P. Artus über die neue Ökonomie ab (La nouvelle économie, erschienen bei La Découverte), der sich für seine Analyse über weite Strecken marxistischer Werkzeuge bedient: „Die neue Ökonomie beschleunigte das Wachstum von 1992 bis 2000 aufgrund des Zuschusses an verwendetem Kapital, den sie anzog, aber ohne dass dadurch die allgemeine Produktivität der Faktoren (der allgemeine technische Fortschritt) gesteigert worden wäre. In diesem Sinn weicht die neue Ökonomie klar von früheren technologischen Errungenschaften wie der Elektrizität ab. (…) Paradoxerweise kann man sich sogar fragen, ob es die neue Ökonomie wirklich gibt. Wir beobachten in der Tat ein „Aufschäumen“ … (…) Es geht nicht darum, dies zu bestreiten, aber sich zu fragen, ob es sich dabei wirklich um einen technologischen Zyklus handelt. D.h. um eine anhaltende Beschleunigung des technischen Fortschritts und des Wachstums auch über den Zeitpunkt hinaus, in welchem die Investitionsanstrengungen wieder aufhören. (…) Der Sektor der neuen Ökonomie (Telekommunikation, Internet, Produktion von Computern und Software …) stellt 8% der ganzen amerikanischen Wirtschaft dar; und selbst wenn dessen Wachstum schnell ist, vergrössert es das gesamte Wachstum der USA nur um 0.3% pro Jahr. In der übrigen Wirtschaft (den restlichen 92%) hat sich das Wachstum der gesamten Produktivität der Faktoren (d.h. das Wachstum der Produktivität, die für ein gegebenes Kapital und die entsprechende Arbeit möglich ist, der reine technische Fortschritt) in den 1990er Jahren nicht stark beschleunigt. Man beobachtet eine gewaltige Investitionsanstrengung der Unternehmen, die die neuen Technologien in ihr produktives Kapital integrieren, und es ist im wesentlichen diese Investitionsanstrengung, die den Wachstumszuwachs hervorruft, und zwar sowohl bei der Nachfrage (die Investitionen wachsen stark) als auch beim Angebot (das Volumen des vorhandenen produktiven Kapitals wächst um mehr als 6% pro Jahr). Auch diese Situation lässt sich aber nicht lange aufrechterhalten. (…) Wenn es wirklich einen technologischen Zyklus geben soll, so müsste die Kapitalakkumulation in einem bestimmten Augenblick eine Wachstumsbeschleunigung bei der allgemeinen Produktivität hervorrufen, es müsste also spontan ein schnelleres Wirtschaftswachstum geben, ohne dass das produktive Kapital sich weiterhin schneller als das BIP vergrössert (*). Gewisse Leute vertreten angesichts dieser fehlenden neuen Ökonomie die Meinung, dass das Internet keine technologische Errungenschaft sei, die mit den bedeutenden Erfindungen der Vergangenheit verglichen werden könne (Elektrizität, Automobil, Telefon, Dampfmaschine, (…) ein Grund dafür sei, dass die neuen Informationstechnologien nur ältere Techniken ersetzten, sie träten an ihre Stelle, seien aber kein völlig neues Produkt, das einen Zuwachs bei der Nachfrage und dem Angebot nach sich ziehen würde; ein anderer Grund sei, dass die Kosten für die Installation, den Betrieb und die Verwaltung dieser neuen Technologien hoch seien und den Gewinn gleich wieder aufheben würden. (…) Diese Unsicherheiten bei der neuen Ökonomie sind natürlich durch die Rezession der Jahre 2001-2002 verstärkt worden. Es ist klar zum Ausdruck gekommen, dass Ende der 1990er Jahre zuviel investiert worden ist, dass sich die Rentabilität der Unternehmen durch die Investitionen in neue Technologien nicht grundlegend verbessert hat (…)“. (S. 4-8)
*) die Red.: Genau dies ist der Unterschied zwischen einer wirklichen industriellen Revolution und dem vorliegenden Schein einer neuen Ökonomie. Wenn Battaglia Comunista Marx lesen könnte, hätte sie das schon lange begriffen.
[1] [49] Auf den Fall China und Indien können wir aus Platzgründen erst in einer späteren Nummer zurückkommen.
[2] [50] Die Institutionen auf der Ebene der imperialistischen Blöcke sind vor allem Ausdruck eines Kräfteverhältnisses, basierend auf der Wirtschafts- und noch mehr auf der militärischen Macht der führenden Länder dieser Blöcke, also der USA und der UdSSR.
[3] [51] 70% der Steuersenkungen begünstigen Haushalte aus den obersten 20% der Einkommensskala.
[4] [52] Vorgesehen ist die Reduktion von Essensgutscheinen für die unteren Einkommensschichten. Von dieser Massnahme werden etwa 300'000 Personen betroffen sein. Das Budget der Sozialhilfe für arme Kinder ist für den Zeitraum von 5 Jahren eingefroren worden; das Budget zur Krankenversorgung der Ärmsten wurde vermindert.
[5] [53] Die Ökonomien Deutschlands, Frankreichs und Japans zusammen genommen verkörperten um 1950 45 % der US-Wirtschaft, bis in die 1970er Jahre stieg das Verhältnis auf 80 %, im Jahr 2000 lag es bei 70 %.
[6] [54] Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs erzielten 1 % der vermögendsten Haushalte der USA etwa 16 % des amerikanischen Gesamteinkommens. Innerhalb weniger Jahre fiel dieser Anteil und betrug gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nur noch 8 %. Dieses Verhältnis blieb bis zu Beginn der 80er Jahre bestehen und stieg infolge wieder auf die früheren 16 % an (Piketty T., Saez E., Income Inequality in the United States, 1913-1998, in: The Quarterly Journal of Economics, Bd. CXVIII, Nr. 1, S.1-39).
[7] [55] Die Nettoverschuldung trägt u.a. den Einkommen Rechnung, die aus amerikanischen Vermögen im Ausland stammen. Auch diese Nettoverschuldung ist illustrativ: negativ bis im Jahr 1985 (d.h. die Einkommen amerikanischer Vermögen im Ausland übertreffen die Einkommen der in den Vereinigten Staaten angelegten Vermögen aus dem Rest der Welt). Danach nahm diese Nettoverschuldung aber positive Werte an und stieg auf 40 % des BIP im Jahr 2003 (also der umgekehrte Fall: die Einkommen ausländischer Vermögen in den USA übertreffen die Einkommen amerikanischer, im Ausland angelegter Vermögen).
8 [56] Die Akkumulationsrate des Kapitals ist das Verhältnis zwischen Investitionen von neuem fixem Kapital und dem schon bestehenden fixen Kapital.
9 [57] vgl. unseren Artikel „Die Krise wiederspiegelt den Niedergang der kapitalistischen Produktion“ in International Review Nr. 115, engl./franz./span. Ausgabe
10 [58] Diese drei Parameter sind wiederum ableitbar aus und bestimmt durch die Entwicklung der Arbeitszeitdauer, des Reallohns, des Grades der Technisierung der Produktion, des Wertes der Produktions- und Konsumptionsmittel und der Produktivität des Kapitals.
10a [59] Eigene Übersetzung des französischen Begriffs „financiarisation de l’économie“, der unseres Wissens auf deutsch noch nicht existiert.
11 [60]Die Realität hat hier tausendmal alle Theorien widerlegt, die bis zum Erbrechen wiedergekäut werden, wie z.B. vom sozialdemokratischen deutschen Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt: „Die heutigen Profite sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.“ Die Profite sind tatsächlich da, aber die Investitionen und die Arbeitsplätze nicht!
12 [61] Wir werden auf andere Analysen, die im unbedeutenden akademistischen oder parasitären Milieu existieren, in anderen Artikeln über die Krise zurückkommen, sowie in der Serie „Die Theorie der Dekadenz im Zentrum des Historischen Materialismus“ (Internationale Revue Nrn. 34 ff.)
13 [62] „Die Gewinne aus der Spekulation sind dermassen hoch, dass sie nicht nur für die „klassischen“ Unternehmen attraktiv sind, sondern auch für viele andere wie unter anderem die Versicherungsgesellschaften oder die Pensionskassen, wobei Enron ein wunderbares Beispiel darstellt (…) Die Spekulation ist das ergänzende, wenn nicht sogar hauptsächliche Mittel der herrschenden Klasse, sich den Mehrwert anzueignen (…) Eine Regel hat sich etabliert: 15% als minimaler Profit aus Kapital, welches in Unternehmen investiert wurde (…). Die Akkumulation von Finanz- und Spekulationsprofiten bringt einen Prozess der Deindustrialisierung mit sich und damit Arbeitslosigkeit und eine Misere über den gesamten Planeten.“ (IBRP in Bilan et Perspectives Nr. 4 S. 6-7).
14 [63] „Der lang anhaltende Widerstand des westlichen Kapitals gegen die Krise des Akkumulationszyklus (oder heute gegen die Entwicklung des tendenziellen Falls der Profitrate) hat bis jetzt den vertikalen Zusammenbruch verhindert, der den sowjetischen Staatskapitalismus erschüttert hatte. Ein solcher Widerstand war aufgrund von vier grundlegenden Faktoren möglich: 1. die ausgeklügelten Massnahmen der Finanzkontrolle auf internationaler Ebene; 2. eine tief greifende Umstrukturierung des Produktionsapparates, die zu einer Schwindel erregenden Steigerung der Produktivität geführt hat(…); 3. die konsequente Zerstörung der früheren Klassenzusammensetzung, mit dem Verschwinden überholter Aufgaben und Rollen und dem Auftauchen neuer Aufgaben, neuer Rollen, und einem neuen Typus von Arbeitern (…) Die Umstrukturierung des Produktionsapparates ist zur selben Zeit geschehen wie das, was wir als die dritte industrielle Revolution des Kapitalismus definieren. (…) Die dritte industrielle Revolution ist durch die Mikroprozessoren gekennzeichnet (…)“ (Prometeo, Nr. 8, Dezember 2003, „Thesenvorschlag des IBRP über die Arbeiterklasse in der aktuellen Periode und ihre Perspektiven“).
15 [64] Prometeo, Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“.
16 [65] Die etwas schnellere Beschleunigung der Produktivität in den USA in der zweiten Hälfte der 90er Jahre (welche eine Steigerung der Akkumulationsrate erlaubte und das amerikanische Wachstum unterstützte) steht in keinem Gegensatz zum massiven Abfall seit Ende der 60er Jahre (siehe Grafik 8). Wir werden in künftigen Artikeln auf diesen Punkt gesondert eingehen. Wir sollten jedoch hervorheben, dass dieses Phänomen die Basis für ein sehr tiefes Niveau zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, verglichen mit früheren Zeiten des Aufschwungs, ist; dass dieser Aufschwung nur halbherzig stattfindet; dass Zweifel an der Dauerhaftigkeit der Fortschritte in der Produktivität bestehen und dass die Hoffnung auf eine Ausbreitung auf andere wichtige Wirtschaftszweige praktisch ausgeschlossen ist. Überdies wird in den USA ein Computer als Kapital verbucht, während er in Europa als laufende Ausgabe gilt. Die Statistiken der USA haben deshalb den Hang, das BIP (und damit die Produktivität) zu überschätzen im Vergleich zu den europäischen Statistiken, weil jene die Entwertung des Kapitals mitrechnen. Wenn wir diese Abweichungen sowie den Faktor der Arbeitszeit korrigieren, stellen wir fest, dass sich der Unterschied in der Produktivitätssteigerung 1996-2001 zwischen Europa (1,4%) und den USA (1,8%) stark reduziert und dass diese Steigerungen verglichen mit den 5- bis 6%-igen in den 50er und 60er Jahren sehr gering sind.
17 [66] Diese Rückentwicklung ist konjunkturabhängig, da die Profitrate Mitte 2001 einen Höhepunkt erreichte und Ende 2003 wieder auf das Niveau von 1997 gesunken war. Die Ankurbelung wurde erreicht durch eine strikte Kontrolle der Beschäftigung (man sprach von einem „Aufschwung ohne Jobs“), aber auch durch die klassischen Mittel der Steigerung der Mehrwertrate wie die Verlängerung der Arbeitszeit oder die Einfrierung der Löhne, was aufgrund der schwachen Dynamik des Arbeitsmarktes erleichtert wurde. Das Bremsen der Akkumulationsrate erlaubte zudem, das Gewicht der organischen Zusammensetzung des Kapitals zu verringern, welches auf der Rentabilität lastet.
18 [67] Für eine einigermassen seriöse Analyse dieser Frage siehe den Artikel von P. Artus „Karl Marx ist zurück“, publiziert in Flash Nr.2002-04 (https://hussonet.free.fr/marx2e.pdf [68]), sowie sein Buch: „Die new economy“ in der Kollektion Repères-La Découverte, Nr. 303, aus dem wir am Ende dieses Artikels einen Ausschnitt abdrucken.
19 [69] Wobei zu präzisieren ist: „… von verschiedenen Studien wurde belegt, dass ohne die Einführung von flexiblen Arbeitszeiten die „new economy“ den Unternehmen keine Effizienzsteigerung gebracht hätte“ (P. Artus, a.a.O.)
20 [70] Prometeo, Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“.
21 [71] „(für die IKS) erscheint dieser Widerspruch zwischen Produktion von Mehrwert und dessen Realisierung als eine Überproduktion von Gütern und deshalb als eine Sättigung der Märkte, die sich dem Akkumulationsprozess entgegenstellt. Dies mache das System als Ganzes unfähig, dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken. In Wahrheit ist der ganze Prozess umgekehrt (…). Es sind der ökonomische Zyklus und der Prozess der Verwertung, welche den Markt „zahlungsfähig“ oder „nicht zahlungsfähig“ machen. Man kann sich die „Krise“ der Märkte nur erklären, wenn man von den Widersprüchen ausgeht, die den Akkumulationsprozess regeln.“ (Einführungstext von Battaglia Comunista für die erste Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken).
22 [72] „…wir haben erklärt, dass wir nicht mehr an einer Debatte oder Konfrontation mit der IKS interessiert sind (…) Wenn dies die theoretischen Grundlagen der IKS bilden – und sie tun es -, so soll klar gesagt sein, dass wir keine Zeit, kein Papier und keine Tinte mehr vergeuden, um mit ihnen zu diskutieren oder eine Polemik zu führen“ (Prometeo, Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“); und: „Wir sind es müde, über Nichtiges zu diskutieren, wenn es darum geht, zu verstehen, was auf der Welt vor sich geht“ („Antwort auf die stupiden Anschuldigungen einer Organisation auf dem Weg zum Auseinanderbrechen“, publiziert auf der Website des IBRP (https://www.ibrp.org [73])
23 [74] Prometeo, Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“
24 [75] Siehe auch den Artikel „Die Krise ist ein Ausdruck der historischen Sackgasse der kapitalistischen Produktionsweise“, Internationale Revue Nr. 33, deutsche Ausgabe.
25 [76] Mehr über den Bluff der sogenannten dritten industriellen Revolution im erwähnten Artikel über die Krise in Internationale Revue Nr. 33, aus dem wir hier einen Ausschnitt zitieren: „Die „technologische Revolution“ existiert nur in den bürgerlichen Kampagnen und in der Vorstellung derjenigen, die leichtfertig daran glauben. Die empirische Feststellung einer seit den 60er-Jahren ununterbrochenen Verlangsamung der Produktivität (des technischen Fortschritts und der Arbeitsorganisation) widerspricht dem in den Medien vermittelten und gut in den Köpfen verankerten Bild eines technologischen Wandels, einer neuen industriellen Revolution, die heute von der Informatik und der Telekommunikation, dem Internet und von Multimedia getragen werde. Wie kann man die Kraft dieser Mystifikation, die die Realität in unseren Köpfen verdreht, erklären?
Zuallererst muss man daran erinnern, dass der Fortschritt in der Produktivität nach dem Zweiten Weltkrieg weit spektakulärer war als das, was uns heute als new economy präsentiert wird. (...) Deshalb befindet sich das Produktivitätswachstum im Niedergang (...). Weiter wird eine permanente Verwirrung zwischen dem Auftauchen neuer Konsumgüter und dem Produktivitätsfortschritt aufrecht erhalten. Der Innovationsfluss, die Vervielfachung von noch so aussergewöhnlichen Neuheiten (DVD, GSM-Telefone, Internet, usw.) auf der Ebene der Konsumgüter deckt sich nicht mit dem Phänomen der Produktivitätssteigerung. Diese bedeutet nämlich die Fähigkeit, Ressourcen bei der Produktion einer Ware oder Dienstleistung einzusparen. Der Ausdruck „technischer Fortschritt“ muss immer im Sinn eines Fortschritts der Produktions- und/oder Organisationstechnik verstanden werden, also vom strikten Standpunkt der Einsparung von Ressourcen in der Herstellung einer Ware oder der Ausrichtung einer Dienstleistung. So vorzüglich das numerische Wachstum auch sein mag, es übersetzt sich nicht in ein bedeutendes Wachstum der Produktivität im Produktionsprozess. das ist der ganze Bluff der new economy“.
26 [77] Siehe dazu unsere Artikelserie „ Die Theorie der Dekadenz im Zentrum des historischen Materialismus“, 1. Teil Internationale Revue Nr. 34 auf deutsch, oder ab Nr. 118, engl., franz., span.
27 [78] Dies ist der Grund, weshalb Battaglia Comunista in der Nr. 8 seiner theoretischen Revue eine grosse Studie zur Frage der Dekadenz angekündigt hat: „...das Ziel unserer Recherchen ist es, zu prüfen ob der Kapitalismus seine Kraft zur Entwicklung der Produktivkräfte verbraucht hat, und wenn dies wahr ist, in welchem Masse und vor allem weshalb.“ (Prometeo Nr. 8, Serie VI, Dezember 2003: „Eine Definition des Konzepts der Dekadenz“).
28 [79] „Gewiss sind wir konfrontiert mit einer Form der Ausweitung der Barbarei in der Gesellschaftsformation, den sozialen, politischen und zivilen Verhältnissen, und gewiss – seit den 90er-Jahren - mit einem Rückschritt im Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit (mit der Wiederkehr der Suche nach dem absoluten Mehrwert, noch mehr als diejenige nach dem relativen, im immer reineren Stil des Manchester-Kapitalismus), doch diese „Dekadenz“ betrifft nicht die kapitalistische Produktionsweise, sondern mehr seine Gesellschaftsformation im aktuellen Zyklus der kapitalistischen Akkumulation der fast seit 30 Jahren in der Krise steckt!“ (Prometeo Nr. 10, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“) Wir werden in einer der nächsten Ausgabe unserer Presse auf diese theoretische Fantasie von Battaglia Comunista zurückkommen, die vorgibt, dass sich lediglich die „Gesellschaftsformation des Kapitalismus“ in der Dekadenz befindet, jedoch nicht die kapitalistische Produktionsweise! Erwähnen wir nur kurz, dass im aufgeführten Zitat von Engels sowie in allen Schriften von Marx und Engels (siehe unseren Artikel in der Internationalen Revue Nr. 34) immer von der Dekadenz der kapitalistischen Produktionsweise gesprochen wird, und nicht nur von der Dekadenz der Gesellschaftsformation.
29 [80] „...im aktuellen Zyklus der kapitalistischen Akkumulation, der fast seit 30 Jahren in der Krise steckt! (Prometeo Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“).
30 [81] Prometeo Nr. 8, Dezember 2003, „Thesenprojekt des IBRP über die Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Periode und ihre Perspektiven“
31 [82] „In der marxistsichen Kritik der politischen Ökonomie existiert ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Krise des Akkumulationszyklus des Kapitals und dem Krieg, aufgrund der Tatsache, dass an einem Punkt jedes Akkumulationszyklus, aufgrund des tendenziellen Falls der Profitrate, sich eine absolute Überakkumulation von Kapital ergibt, so dass ein Krieg notwendig wird zur Zerstörung und, um einen neuen Akkumulationszyklus zu beginnen.“ (Prometeo Nr. 8, Dezember 2003, „La guerra mancata“).
32 [83] „Der lange Widerstand des westlichen Kapitals gegenüber der Krise des Akkumulationszykluses (oder gegenüber dem sich verstärkenden tendenziellen Fall der Profitrate) hat bisher einen totalen Kollaps verhindert...“ (Prometeo Nr. 8, Dezember 2003, „Thesenprojekt des IBRP über die Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Periode und die Perspektiven“).
Die für die Befreiung der Arbeiterklasse unabdingbare Entwicklung des Klassenbewußtseins ist ein fortdauernder und unaufhörlicher Prozeß. Er wird bestimmt durch das soziale Wesen des Proletariats als eine historische Klasse, die als einzige Klasse die Lösung der unüberwindbaren Gegensätze des Kapitalismus in sich birgt, wobei der Kapitalismus selbst die letzte der in Klassen geteilten Gesellschaften ist. Sowie die historische Aufgabe, die die menschliche Gesellschaft zerreißenden Klassengegensätze aufzulösen, nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann, kann das Bewußtsein über diese Aufgabe dem Proletariat keineswegs von außen 'importiert' oder eingetrichtert werden, sondern es ist das Produkt seines wahren Seins, seiner eigenen Existenz. Es ist die wirtschaftliche, soziale und politische Stellung in der Gesellschaft, die die praktischenHandlungen und den historischen Kampf des Proletariats bestimmen.
Diese unaufhörliche Bewegung hin zu einem Bewußtwerdungsprozeß drückt sich in den Versuchen des Proletariats, sich selber zu organisieren und in der Bildung politischer Gruppen innerhalb der Arbeiterklasse, die in der Bildung der Partei gipfelt, aus.
Gerade dieser Frage, der Bildung der Partei, wird in der Nr. 76 von "Programme Communiste" (März '78), dem theoretischen Organ der IKP (Internationale Kommununistische Partei), ein sehr langer Artikel gewidmet: "Auf dem Wege zur 'kompakten und starken' Partei von Morgen"(1). Es muß erst festgestellt werden, daß man mit dem üblichen Schwulst der bordigistischen Sprache, den auf vielen Seiten zu findenden Drehungen und Wendungen- nach denen man sich schließlich auf dem Ausgangspunkt wiederfindet -, dem Einrennen offener Türe und den sich wiederholenden Bestätigungen, die eine Argumentation ersetzen sollen, die wirklich zur Diskussion stehenden Probleme viel schwerer und umständlicher begreifen kann. Die darin bestehende Vorgehensweise, ein Bestätigung dadurch zu beweisen, indem man die früheren Bestätigungen zitiert, welche selbst wieder auf vorherigen Bestätigungen aufgebaut - sodaß es einem fast schwindelig wird - kann nötigenfalls eine Kontinuität der Bestätigungen beweisen, sie kann aber nie eine schlüssige Beweisführung sein. Unter diesen Umständen und trotz unserer festen Absicht, uns nur mit den Bestätigungen auseinanderzusetzen, die die bordigistischen Positionen hinsichtlich der Partei ausdrücken, welche wir für falsch und als zu bekämpfen betrachten, können wir es nicht vollständig vermeiden, auf eine Anzahl anderer Punkte, welche mit diesen Bestätigungen zusammenhängen, zu sprechen zu kommen.
Es wäre sicherlich keine kleine Überraschung für die Mehrzahl der Leser des "Kommunistischen Programms" und wahrscheinlich auch für die Mehrzahl der Mitglieder der IKP plötzlich zu erfahren, daß "trotz ihrer objektiven (7) Grenzen, die 'Linke Fraktion im Ausland' ein Teil der Geschichte"(2) der Italienischen Linke ist und als solche selbst "unsere Fraktion im Ausland zwischen 1928 und 1940" wurde. In diesem Punkt hatte uns "Kommunistisches Programm" eher an eine große Zurückhaltung, ein lastendes Schweigen, wenn nicht gar einfach an ein Mißbilligung der Fraktion gewöhnt. Wie sollte man sonst verstehen, daß innerhalb 30 Jahre Bestehens der IKP sie keine Mühe gescheut hat, in ihren Zeitungen, theoretischen Zeitschriften, Broschüren und Büchern die Texte der Linke von 1920-1926 wiederaufzulegen und erneut zu veröffentlichen, aber gleichzeitig nie weder die Zeit, noch die Mittel, noch den Platz gefunden hat, auch nur einen einzigen Text der Fraktion zu veröffentlichen, die das "Bulletin d'Information", die Zeitschrift "Bilan", die Zeitung "Prometeo", die Bulletins "Il Seme" und soviel andere Texte veröffentlichte ? Es ist dennoch kein reiner Zufall, wenn man in "Kommunistisches Programm" nie weder irgendeine Bezugnahme, noch eine Erwähnung der politischen Positionen, die "unsere" Fraktion verteidigt hat, und auch nie ein Zitat von "Bilan" vorfindet. Einige Genossen der IKP, die einmal davon etwas vage gehört hatten, behaupteten, daß die Partei sich weder auf die politische Aktivität noch auf die Schriften "Bilans" berufe, und andere Genossen der gleichen Partei wußten noch nicht einmal etwas von der Existenz und von dem Namen.
Heute entdeckt man das "Verdienst unserer Fraktion", ein Verdienst, welches - das stimmt - ziemlich begrenzt ist, aber immer noch groß genug, um davor den Hut abzunehmen. Warum heute ? Ist es deshalb, weil die Lücke in der organischen Kontinuität (ein von der IKP so geschätztes Wort), die von 1926 bis...1952 dauert, etwas störend geworden ist und weil man diese Lücke so recht und schlecht stopfen mußte, oder ist es deshalb, weil die IKS so lange schon davon gesprochen hat, so daß man jetzt nicht mehr länger das Schweigen aufrechterhalten kann ? Und warum die Fraktion zwischen 1928 und 1940 einordnen, zumal sie sich - zu Unrecht -erst im Juli 1945 aufgelöst hat, um sich dann in die "Partei" zu integrieren, die endlich in Italien rekonstituiert worden war, nachdem sie in der Zwischenzeit das italienische antifaschistische Komitee in Brüssel verurteilt hatte und seinen Vorkämpfer Vercesi ausgeschlossen hatte.
Es war der gleiche Vercesi, der später ohne Diskussion wieder in die IKP und sogar noch in die Führung aufgenommen wurde. Geschieht all dies aus Unwissenheit, oder weil während des Krieges die Fraktion noch viel weiter in der Richtung gegangen war, die"Bilan" schon vor dem Kriege eingeschlagen hatte, insbesondere in der Frage Rußlands, in der Frage des Staates und der Partei -was die Differenzen zwischen den von "Kommunistisches Programm" verteidigten Positionen und denen "Bilans" noch verstärken sollte. Jedenfalls werden die "Bilan" zugestandenen"Verdienste" schnell durch umso schärfere Kritik zurückgenommen.
"Die Unmöglichkeit - schreibt 'Kommunistisches Programm' - den sozusagen subjektiven (?!) Kreis der Konterrevolution zu zerschlagen, führte bei der Fraktion zu bestimmten Abweichungen, wie z.B. in der nationalen und kolonialen Frage oder in Bezug auf Rußland, nicht so sehr in der Einschätzung, was aus Rußland geworden war, als vielmehr in der Suche nach einem unterschiedlichen Weg gegenüber dem der Bolschewisten in der Ausübung ihrer Diktatur..., ein Weg der in der Zukunft eine Wiederholung der Katastrophe der Jahre 1926-27 verhindern sollte; und auch in einem gewissen Sinne in Bezug auf die Partei oder die Internationala—erwartete die Fraktion auch den Wiederaufbau (der Partei) von der Rückkehr der großen Massen auf den Boden der direkten Auseinandersetzung mit dem Feind."(Programme Communiste, Nr.76, 8.8) (1).
Wenn es stimmt, daß die Treue zu den revolutionären Grundlagen des Marxismus in Zeiten der Niederlagen zweifelsohne ein großes Verdienst ist, so liegt das große Verdienst der Fraktion, wodurch sie sich besonders von den damaligen Gruppen unterscheidet, gerade in dem, was der Artikel des "Kommunistischen Programms" "Abweichungen" nennt. Die Fraktion meinte: "Der Rahmen für die zukünftigen Parteien des Proletariats kann nur aus dem tiefgreifenden Verständnis der Ursachen der Niederlagen hervorgehen. Und dieses Verständnis darf weder durch Verbote noch durch Verfemung beeinträchtigt werden.”(3)
Leute, für welche das Programm etwas "Vollendetes und Unveränderbares" ist, die den Marxismus in ein Dogma verwandelt und Lenin zu einem unantastbaren Propheten gemacht haben, müssen es als unhaltbar annehmen, daß die Fraktion es gewagt hat, (da läuft es einem kalt den Rücken runter !) im Lichte der Realität nicht die Grundlagen des Marxismus, sondern die politischen und programmatischen Positionen der bolschewistischen Partei und der Komintern zu überprüfen. Wenn man innerhalb des theoretischen Rahmens und der kommunistischen Bewegung eine Überprüfung der politischen Positionen, die eine Rolle in Niederlagen gespielt haben, verlangt, die "weder durch Verbote noch durch Verfemung beeinträchtigt werden darf", dann ist das die wildeste Ketzerei; eine "Abschweifung" würde "Kommunistisches' Programm" dazu sagen.
Das große Verdienst der Fraktion -neben ihrem Festhalten am Marxismus und ihren Stellungnahmen zu den großen, wichtigen Fragen, gegen die von Trotzki verlangte Einheitsfront, gegen die Volksfront, gegen die Kollaboration und die Unterstützung des Spanienkrieges, gegen die niederträchtigen Verschleierungsmethoden des Antifaschismus - lag darin, es gewagt zu haben, mit der Methode zu brechen, die damals in der revolutionären Bewegung überhand genommen hatte. Durch diese Methode war nämlich die Theorie zu einem Dogma, die Prinzipien in Tabus verwandelt worden und jedes politische Leben erstickt worden. Ihr Verdienst war es, die Revolutionäre zu Debatten aufgerufen zu haben, was sie nicht zu "Abschweifungen" geführt hat, sondern in die Lage versetzt hat, reiche und wertvolle Beiträge zu dem revolutionären Werk zu leisten.
Bei all ihrer Standhaftigkeit zu ihren Überzeugungen hatte die Fraktion die Bescheidenheit, nicht vorzutäuschen, alle Probleme gelöst zu haben und auf alle Fragen Antworten zu haben: "Wenn wir jetzt mit der Veröffentlichung dieses Bulletins anfangen, glaubt unsere Fraktion nicht, endgültige Lösungen für die schrecklichen Probleme gefunden zu haben, vor denen die Proletarier aller Länder stehen."(4) Und selbst dann, wenn sie überzeugt war, Antworten geliefert
zu haben, verlangte sie nicht von anderen die einfache Anerkennung, die Übernahme dieser Antworten, sondern die kritische Überprüfung, die Konfrontation in den Diskussionen: "Sie (die Fraktion) beabsichtigt nicht, die politisch 'Nahestehenden' dazu zu drängen, mit den von ihnen vorgeschlagenen Lösungen für die augenblickliche Lage einverstanden zu sein. Im Gegenteil, sie ruft alle Revolutionäre dazu auf, die von ihr verteidigten Positionen und grundlegenden politischen Dokumente im Lichte der Ereignisse zu überprüfen." Und im gleichen Sinne schrieb sie: "Unsere Fraktion hätte es vorgezogen, daß solch eine Arbeit (die Veröffentlichung von "Bilan") von einem internationalen Organismus getragen würde, weil wir von der Notwendigkeit der politischen Konfrontation zwischen den Gruppen, die die Arbeiterklasse in den verschiedenen Ländern repräsentieren, überzeugt sind," (Bilan, Nr.1)
Um die bestehenden Unterschiede zwischen den Vorstellungen der Fraktion und den der bordigistischen Partei hinsichtlich der Art und Weise, wie die Beziehungen zwischen den kommunistischen Gruppen aussehen sollen, voll zum Vorschein treten zu lassen, genügt es, das oben aufgeführte Zitat von "Bilan" mit dem nachfolgenden Zitat aus "Kommunistisches Programm" zu vergleichen. So schreibt "Kommunistiches Programm" in Bezug auf ihre eigene sich"Partei" nennende Gruppe "'Parteikern' ? Im Vergleich zur 'kompakten und starken Partei von morgen', ganz gewiß. Aber Partei; eine Partei, die nur auf ihren eigenen Grundlagen wachsen kann, nicht durch die 'Konfrontation' verschiedener Standpunkte, sondern durch den Kampf selbst gegen diejenigen, die ihr'nahezustehen' scheinen." (Kommunistisches Programm, Nr.18, S. 20). Wie kürzlich ein Sprecher der IKP in einer öffentlichen Veranstaltung von "Révolution Internationale" (Sektion der IKS in Frankreich) in Paris sagte: "Wir kommen nicht, um zu diskutieren, auch nicht um unsere Standpunkte mit Euren zu konfrontieren, sondern nur um hier unseren Standpunkt kundzutun. Wir kommen zu eurer Veranstaltung, so wie wir zu den Veranstaltungen der stalinistischen Partei hingehen." Solch eine Einstellung beruht nicht auf der Standhaftigkeit von Überzeugungen, sondern sie beruht auf Selbstgefälligkeit und Arroganz. Das vorgetäuschte "vollendete und unveränderliche" Programm - als dessen Erben und Beschützer die Bordigisten sich ausgeben - verdeckt nichts anderes als einen enormen Größenwahn.
Je mehr ein Bordigist von Zweifeln und Unverständnis erschüttert wird, desto mehr schwanken seine Überzeugungen; und so fühlt er immer stärker das Bedürfnis, morgens nach dem Aufstehen sich auf die Erde zu knien, den Kopf auf die Erde zu beugen, sich auf die Brust zu schlagen und die Litanei der Mohammedaner aufzusagen: "Gott, mein Gott ist der einzige Gott und Mohammed ist sein Prophet". Oder wie doch irgendwo Bordiga sagte: "Um Mitglied der Partei zu sein, braucht man nicht alles zu verstehen und von allem überzeugt zu sein; es genügt, laß man glaubt und der Partei gehorcht."
Es handelt sich hier nicht darum, ausführlich auf die Geschichte der Fraktion einzugehen, ihre Verdienste und Fehler, die Gültigkeit ihrer Positionen darzustellen. Wie sie selbst sagte, oft habe sie nur herumtasten können, aber ihr Beitrag war umso größer, da sie ein politisch lebendiger Körper war, der es wagte, die Debatte zu eröffnen, ihre Positionen mit anderen zu konfrontieren, sie anderen gegenüberzustellen, denn sie war nicht so verkalkt und größenwahnsinnig wie die bordigistische "Partei". Daher kann man verstehen, daß die Fraktion sich auf die Italienische Linke berufen konnte, wohingegen dies ein großer Mißbrauch ist, wenn die bordigistische Partei von "unserer Fraktion im Ausland" spricht.
Die für das Proletariat unabdingbare Partei wird auf den soliden Fundamenten eines kohärenten Programms, auf klaren Prinzipien aufgebaut. Diese geben ihr eine allgemeine Orientierung, die möglichst klare Antworten auf die im Klassenkampf entstehenden politischen Probleme beinhalten. Dies hat überhaupt nichts gemein mit dem mythischen "vollendeten und unveränderbaren" Programm der Bordigisten.
"In jeder Periode sehen wir, daß die Möglichkeit der Bildung der Partei bestimmt wird durch die Grundlage der vorherigen Erfahrung und der neuen Probleme, vor denen das Proletariat steht."(Bilan, Nr.1, S.15)
Was für das Programm zutrifft, trifft ebenfalls für die lebendigen politischen Kräfte, die die Partei physisch darstellen, zu. Die Partei ist sicher keine Ansammlung aller möglichen Gruppen und heterogenen politischen Tendenzen. Aber sie ist auch nicht der "monolithische Block", von dem die Bordigisten sprechen, und der übrigens nie außer in ihrer Einbildung bestanden hat. "In jeder Periode, in der die Bedingungen vorhanden sind für die Bildung der Partei, in der sich die Arbeiterklasse als Klasse organisieren kann, wird die Partei auf folgende Punkte gegründet:
auf ein Bewußtsein der am meisten fortgeschrittenen Positionen, welche das Proletariat vertreten muß;
auf die wachsende Kristallisierung der Kräfte, die für die proletarische Revolution handeln können."(Bilan,Nr.1).
Nur sich selbst und niemand anderen aus Prinzip und a priori als einzige für die Revolution handelnde Kraft anzuerkennen, zeugt nicht von revolutionärer Standhaftigkeit, sondern von Sektierergeist.
Als Engels die Bedingungen, unter denen die Erste Internationale gegründet wurde, ausführlich beschrieb, schrieb er: "Die Ereignisse und Wechselfälle im Kampf gegen das Kapital, die Niederlagen noch mehr als die Siege, konnten nicht verfehlen, den Menschen die Unzulänglichkeit ihrer diversen Lieblingsquacksalbereien zum Bewußtsein zu bringen und den Weg zu vollkommener Einsicht in die wirklichen Voraussetzungen der Emanzipation der Arbeiterklasse zu bahnen." (MEW,Bd. 21, "Vorrede zum 'Manifest der Kommunistischen Partei'", englische Ausgabe von 1888, S. 353).
Die Wirklichkeit hat überhaupt nichts zu tun mit diesem Spiegel, vor dem die bordigistische "Partei" die meiste Zeit verbringt, und der ihr nichts anderes zeigt als ihr eigenes Bild. In der ganzen Geschichte der Arbeiterbewegung, d.h. in der Wirklichkeit, zeichnete sich die Bildung der Parteien durch einen Zusammenschluß mit gleichzeitigem Herausschälen der Kräfte, die für die Revolution handeln können, aus. Andernfalls müßte man schlußfolgern, daß niemals eine andere Partei als die bordigistische existiert hat. Einige Beispiele: Der Bund der Kommunisten, dem sich Marx und Engels sowie ihre Freunde anschlossen, war der ehemalige Bund der Gerechten, der aus mehreren Gruppen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich, Belgien und England entstand, wobei sich die Strömung Weitlings aufgelöst hatte. Die Erste Internationale beinhaltete gleichzeitig die Auflösung der Sozialisten ä la Louis Blanc und Mazzini und den Zusammenschluß anderer Strömungen. Die Zweite Internationale bedeutete die Auflösung der Anarchisten und den Zusammenschluß der marxistischen sozialdemokratischen Parteien. Die Dritte Internationale kam nach der Auflösung der Sozialdemokraten und faßte die revolutionären kommunistischen Strömungen zusammen. Das Gleiche finden wir wieder mit der Bildung der sozialdemokratischen Partei in Deutschland, die aus der Eisenacher und der Lassaller Partei hervorgegangen ist. Das Gleiche trifft für die sozialistische Partei Frankreichs zu, die ihren Ursprung in der Partei Guesdes und Lafargue und in der Jaures hat. Wiederum das Gleiche mit der Bildung der sozialdemokratischen Partei in Rußland, die aus isolierten über alle Städte und Gebiete Rußlands zerstreuten Gruppen hervorgegangen war, wobei die Tendenz Struves eliminiert wurde.
Man könnte hier weitere Beispiele aus der Geschichte der Parteigründungen aufführen; man findet immer diese gleiche Bewegung, die sich gleichzeitig durch Auflösung und Zusammenschluß vollzieht. Die kommunistische Partei Italiens selbst konstituierte sich auf der Grundlage der abstentionistischen Fraktion Bordigas und der Gruppe Gramscis nach der Auflösung der Maximalisten Seratis.
Es gibt keine gültigen Kriterien, die absolut und gleich für alle Zeiten währen. Es kommt darauf an, in jeder Epoche klar zu definieren, welche die Kriterien des Zusammenschlusses der Kräfte, und welche die Kriterien der Abgrenzung sind. Und genau das weiß die bordigistische "Partei"nicht, die sich ohne Kriterien mittels einer Zusammenwürfelung von Kräften konstituiert hat: der im Norden gegründeten Partei, Gruppen aus dem Süden mit einem Beigeschmack von Partisanen, der Tendenz Vercesis im antifaschistischen Komitee Brüssels, der aus der Fraktion ausgeschlossenen Minderheit, die 1936 an den republikanischen Milizen im Spanienkrieg teilnahm, und schließlich der 1945 vorzeitig aufgelösten Fraktion. Wie man sehen kann, hat das "Kommunistische Programm" allen Grund dazu, von Unnachgiebigkeit, organischer Kontinuität zu sprechen und Lehren über Standhaftigkeit und revolutionärer Reinheit zu erteilen. In der Verleumdung eines jeden Versuchs der Konfrontation und der Debatten zwischen revolutionären Gruppen handelt es sich hier keineswegs um Prinzipienfestigkeit, auch nicht um politische Kurzsichtigkeit, sondern ganz einfach um die Sorge für den Schutz und den Wohlerhalt der eigenen, kleinen Kapelle.
Im Übrigen variiert (entschuldigt die Invarianz) diese unheimliche - nur verbale - Unnachgiebigkeit der Bordigisten gegen jede "Konfrontation" und um so mehr noch gegen jede Umgruppierung, die von vornherein und ohne jedes Kriterium als ein konfuses Unterfangen abgestempelt wird je nach dem Augenblick und nach dem Geschmack. So haben sie 1949 einen "Aufruf zur internationalen Reorganisierung der revolutionären marxistischen Bewegung" veröffentlicht, den sie 1952 und 1957 wiederholten, in dem man lesen kann: "In Übereinstimmung mit der marxistischen Position...richten heute die Kommunisten der Italienischen Linke einen Aufruf an die revolutionären Arbeitergruppen aller Länder. Sie fordern sie dazu auf, einen langen und schwierigen Weg zu begehen, einen gewaltigen Versuch zu unternehmen, um sich auf internationaler Ebene auf einer strengen Klassenbasis zu sammeln."(Programme Communiste, Nr.18/19 der franz. Ausgabe).
Aber es ist unbedingt notwendig, zwischen der bordigistischen Partei und jeder anderen Organisation unterscheiden zu wissen; man würde den schwersten Fehler begehen, wenn man glaubte, daß das, was der Partei erlaubt ist,- welch als Einzige ein "vollendetes und unveränderbares" Programm besitzt - ebenfalls für eine einfache sterbliche Organisation der Revolutionäre zulässig sein dürfte. Die Partei hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt und auch nicht kennen kann. Wenn die Bordigisten zu einer "internationalen Sammlung" aufrufen, dann ist das reines, pures Gold, aber wenn andere revolutionäre Organisationen zu einer einfachen Konferenz zur Kontaktaufnahme und Diskussion aufrufen, dann ist das selbstverständlich die größte Scheiße, "Prinzipienhandel" und ein konfuses Unterfangen...Aber kommt das nicht wirklich daher, daß die Bordigisten sich heute mehr denn je in ihrer Verkalkung verrannt haben und daß sie fürchten, ihre schwankenden Positionen mit den lebendigen, revolutionären Strömungen zu konfrontieren, welche existieren und sich entwickeln ? Oder ziehen sie nicht vielmehr vor, sich zu verschließen und zu isolieren ?
Es ist interessant, die in diesem Sammlungsaufruf vorgebrachten Kriterien in Erinnerung zu rufen, die ja auch in dem kürzlich erschienenen Artikel wiederholt wurden:
Verurteilung der gemeinsamen Sozialprogramme und der politischen Bündnisse mit den nichtlohnabhängigen Klassen;
Ächtung des kapitalistischen Charakters der Sozialstruktur Rußlands;("Die Macht - der Staat in Rußland - wird von einer hybriden und komplexen Koalition ausgeübt, welche die internen Interessen der klein- und halbbürgerlichen Klassen, der versteckten Unternehmer und der internationalen Kapitalistenklasse vertritt': (Schlußfolgerung: Mißbilligung jeder Unterstützung des russischen Militär Imperialismus, kategorischen Defätismus gegen den Amerika)s."
Wir haben somit die sechs Überschriften der Kapitel genannt, die alle durch Kommentare näher erläutert werden; sie hier wiederzugeben wäre allerdings zu lang. Es handelt sich auch nicht darum, im einzelnen diese Punkte hier zu behandeln, obgleich ihre Formulierung zu wünschen übrig lassen, insbesondere was die Frage des Terrors angeht, der als Prinzip und grundsätzliche Waffe der Revolution ausgegeben wird (5) oder weiterhin der subtile Unterschied in der Schlußfolgerung zwischen der einzunehmenden Haltung gegenüber den USA Defätismus) und gegenüber Rußland (Mißbilligung). Oder noch ein anderer Punkt, nämlich diese seltsame (es ist das mindeste, was man sagen kann) Definition der Macht in Rußland, die nicht ganz einfach Staatskapitalismus sei, sondern eine "hybride Koalition der kleinbürgerlichen Klassen... und der internationalen kapitalistischen Interessen". Man könnte ebenso auf die ausdrückliche Abwesenheit anderer Kriterien hinweisen, insbesondere auf die Forderung nach der Anerkennung des proletarischen Charakters der Oktoberrevolution oder weiterhin die Notwendigkeit der Klassenpartei. Uns kommt es hier darauf an zu betonen, daß diese Kriterien in der Tat eine ernsthafte Grundlage darstellen, wenn auch nicht für eine unmittelbare Sammlung, so doch mindestens für eine Kontaktaufnahme und Diskussion zwischen den bestehenden revolutionären Gruppen. Es ist die damals von der Fraktion benutzte Vorgehensweise, die wir auch heute fortsetzen: sie war die Grundlage des internationalen Treffens in Mailand im letzten Jahr. In der Dunkelkammer ihrer Invarianz aber bräuchen die Bordigisten sowas heute nicht mehr..., weil sie ja schon die Partei konstituiert haben (mikroskopisch, aber immerhin eine Partei).
Doch ist dieser Aufruf damals schon von der IKP unterzeichnet worden, werden sich naive Leser fragen ? Ja,... aber es war damals nur die Internationalistische Kommunistische Partei und noch nicht die Internationale Kommunistische Partei, - eine Nuance. Aber diese Internationale Kommunistische Partei war Bestandteil der damaligen Internationalistischen Kommunistischen Partei, und sie gibt sogar vor, in der Mehrheit gewesen zu sein 1 "Ja aber", wird uns geantwortet, damals war sie dabei, ihre Konstitution zu vollenden, -eine Nuance 1 Aber heute beruft sie sich auf den Aufruf als ein Text der heutigen Partei 7
"Ja aber, aber aber....".
Da wir gerade bei diesem Punkt sind: kann man ein für allemal erfahren, seit wann diese "tapfere, mikroskopische Partei" besteht ? Es ist heute Mode - warum eigentlich? - zu bestätigen, daß die Partei erst im Jahre 1952 konstituiert wurde, und der oben zitierte Artikel besteht auf diesem Datum.(6) Jedoch zitiert man in dem oben erwähnten Artikel grundlegende Texte aus dem Jahre 1946, eine Plattform stammt aus dem Jahre 1945, andere ebenso grundlegende Texte aus den Jahren 1948-49-51. Diese erwähnten Texte, der eine so grundlegend wie der andere, von wem stammen sie genau ? Von einer Partei, von einer Gruppe, von einer Fraktion, von einem Kern, von einem Embryo ?
In Wirklichkeit konstituierte sich die IKP im Jahre 1943 im Norden Italiens nach dem Sturz Mussolinis. Dann rekonstituierte sie sich ein zweites Mal nach der "Befreiung" des Nordens von der deutschen Besatzung; dies erlaubte den Gruppen, die sich in der Zwischenzeit im Süden gebildet hatten, sich in die im Norden bestehende Organisation zu integrieren und zu vereinigen. Um sich in diese Partei zu integrieren, spricht sich die Italienische Fraktion der Linken Kommunisten fast einstimmig für die eigene Auflösung aus. Diese Selbstauflösung und die Konstituierungserklärung der Partei rufen in der GCI (Internationalen Kommunistischen Linken) Diskussionen und erbitterte Polemiken hervor, was in Frankreich zu einer Spaltung in der Französischen Fraktion der Linken Kommunisten führt, von der nur die Minderheit dieser Politik zustimmt und sich von der Mehrheit trennt. Diese spricht sich gegen die vorschnelle Auflösung der Italienischen Fraktion aus, verurteilt die Proklamation in Italien kategorisch und öffentlich als künstlich und voluntaristisch; Sie stellt klar den Opportunismus heraus, der als politische Basis dieser neuen Partei gedient hat.(7) Ende 1945 wird der erste Kongreß dieser Partei (IKP) abgehalten, der eine politische Plattform veröffentlicht und eine Zentraldirektion der Partei sowie ein internationales Büro ernennt, das aus Vertretern der IKP, der französischen und belgischen Sektion zusammengesetzt ist. Der Artikel des "Kommunistischen Programms" bezieht sich auf "Elemente einer marxistischen Orientierung, unser Text aus dem Jahr 1946". 1948 gibt es von neuem programmatische Texte der Partei usw. 1951 bricht die erste Krise innerhalb dieser Partei aus, die mit einer Spaltung zwischen 2 IKPs endet, von denen jede beansprucht, die Kontinuität der alten Partei zu sein, worauf "Kommunistisches Programm" nie verzichtet hat.
Heute erfindet man ein neues Datum der Bildung der Bordigistischen Partei. Warum ? Kommt es daher, daß erst im Jahre 1951 "unsere Strömung dieses kritische Bewußtsein hat erreichen können, dank der Kontinuität ihres Kampfes zur Verteidigung einer wirklich allgemeinen und nicht zufällig linken Linie", so daß sie sich "zum organisierten kritischen Bewußtsein, zum handelnden militanten Organismus, zur Partei konstituieren konnte."(Kommunistisches Programm, Nr.18, S. 15) Aber wo waren doch die Bordigisten mit Bordiga zwischen 1943/45 und 1951 ? Was wird bei alle dem aus dem Programm, das seit 1848 immer unverändert geblieben ist: war es während dieser Jahre abhanden gekommen und konnten sie damals "dieses kritische Bewußtsein (noch nicht) erreichen", welches ihnen ermöglichte, 1951 die Partei zu gründen ? Aber waren sie nicht seit 1943/45 als Mitglieder und führende Mitglieder organisiert ? Es ist schwierig, sehr schwierig über solch eine schwerwiegende Frage mit Leuten zu diskutieren, die alle Begriffe verwechseln, die keine Unterscheidungen treffen können und nicht zwischen dem Augenblick der Schwangerschaft und dem der Geburt unterscheiden können. Das sind Leute, die nicht wissen, was sie selber sind, und in welchem Stadium sie sich befinden, die sich "Partei" nennen und gleichzeitig die Notwendigkeit der Konstituierung der Partei herausschreien. Wie kann man Leute ernst nehmen, die nach der Angemessenheit des Tages den Zeitpunkt der Geburt 1943, 1945 oder gar 1952 festlegen, oder gar noch an einem weniger bestimmten Datum, in der Zukunft.
Mit dem Datum der Gründung der IKP verhält es sich genauso wie mit der Links-"Fraktion" im Ausland. Entweder beruft man sich darauf oder man verwirft sie, je nachdem, ob es ihnen paßt. Wie immer das auch mit dem Datum sein mag, was die Bildung der Partei angeht, "können (wir) aber auf Anhieb sagen, daß die Erlangung dieses kritischen Bewußtseins nicht von einer aufsteigenden Bewegung getragen wurde, sondern ganz im Gegenteil ihr weit vorausging."(Kommunistisches Programm, Nr.18, 5.15). Hier haben wir also wieder etwas Eindeutiges. Die Konstituierung der Partei wird keineswegs durch eine aufsteigende, wachsende Bewegung im Klassenkampf bestimmt, "sondern sie geht ihr im Gegenteil weit voraus." Aber warum dann diesen Eifer, gleich hinzufügen, daß es darauf ankomme, "die wahre Partei,...die kompakte und starke Partei aufzubauen, die wir noch nicht sind" ? Im Grunde eine Partei,...die die Partei aufbaut. Mit anderen Worten, eine Partei, die keine ist. Aber warum ist diese Partei, die ein "vollendetes und unveränderbares" Programm besitzt, die ebenso das notwendige kritische und organisatorische Bewußtsein erreicht hat, warum ist sie nicht die "wahre Partei" ? Was fehlt ihr also, um es zu sein ? Sicher ist es keine Frage der Anzahl der Militanten, aber indem sie schreibt:"...die Partei (befand sich)'im Aufbau', und sie wußte, daß sie 'in ihrem Entstehungsprozeß begriffen' und nicht etwa ‚vollendet' war, ... Die Klassenpartei befindet sich immer im ‚Aufbau‘ von ihrer Entstehung bis zu ihrem Verschwinden..."(Kommunistisches Programm, S. 20, Nr.18), betreibt sie nur ein Wortspiel, um besser der erfragten Antwort auszuweichen und gleichzeitig geht sie über die Frage selbst hinweg. Es ist eine Sache zu sagen, daß der Eisprung eine Bedingung einer späteren Geburt ist, es ist allerdings eine andere Sache vorzutäuschen, daß der Eisprung die eigentliche Geburt darstellt, das eigentliche Entstehen eines Lebewesens. Die geniale Originalität des "Kommunistisches Programms" besteht darin zu behaupten, daß beide ein und dasselbe sind. Mit solch einer Scheinargumentation kann man alles Mögliche beweisen. Die Notwendigkeit der Entwicklung und der andauernden Verstärkung einer wirklich existierenden Partei beweist nicht, daß sie schon existiert, genauso wenig wie die Notwendigkeit der Entwicklung und des Wachstums des Kindes nicht beweist, daß das Ei schon ein Kind ist, sondern nur zeigt, daß unter bestimmten Umständen das Ei ein Kind werden kann. Die dem einen gestellten Probleme unterscheiden sich stark von jenen, die dem anderen gestellt werden.
Diese ganze Spitzfindigkeit der durch den dauernden Aufbau existierenden Partei und des durch die schon existierende Partei dauernden Aufbaus dient dazu, auf Schleichwegen die andere bordigistische Theorie der wirklichen Partei und der formalen Partei einzuführen. Eine weitere Spitzfindigkeit ist die, nach der die wirkliche Partei ein reines "historisches"
nicht notwendigerweise in der Realität existierendes Phantom ist, und schließlich die formale Partei, die tatsächlich in der Wirklichkeit existiert, dies aber nicht unbedingt ausdrückt. In der bordigistischen Dialektik ist die Bewegung kein Zustand der Materie und somit etwas Materielles, sondern eine metaphysische Kraft, welche die Materie schafft. So wird die Wendung aus dem Kommunistischen Manifest "diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei" in der bordigistischen Vorgehensweise zu "mittels der Konstituierung der Partei wird das Proletariat zu einer Klasse". Das führt zu widersprüchlichen Schlußfolgerungen, die gleichzeitig auf die Scholastik hinweisen: entweder bestätigt man entgegen jeder Gewißheit der Partei, daß sie seit ihrem Erscheinen nie zu existieren aufgehört hat (sagen wir seit Babeuf und seit den Chartisten) oder man geht von der offensichtlichen Tatsache aus, daß die Partei während längerer Zeiträume in der Geschichte nicht existiert hat, und man gelangt zu der Schlußfolgerung, daß die Klasse dauernd oder nur zeitweilig verschwunden ist (Vercesi, Camatte). Die einzige Beständigkeit des Bordigismus liegt darin, sioh dauernd zwischen beiden Polen in dem Rahmen dieser scholastischen Vorgehensweise hin und herzubewegen.
Um mehr Klarheit zu erzielen, könnte man vielleicht die Frage auf eine andere Art stellen. Die Bordigisten definieren die Partei als eine Doktrin, als ein Programm und als eine Fähigkeit zur praktischen Intervention, als einen Willen zur Handlung. Diese etwas kurzgefaßte Definition der Partei wird heute durch das andere Postulat vervollständigt: das Bestehen der Partei hängt nicht ab und muß im Gegenteil absolut unabhängig sein von einem gegebenen Zeitraum. Nun sagt man uns, daß eine der beiden Grundlagen, das Programm und der Willen zur Handlung, auf die sich die Partei stützt, die erste Grundlage - das Programm - seit dem Kommunistischen Manifest 1848 vollendet und unveränderbar ist. Hier stehen wir vor einem offensichtlichen Widerspruch: das Programm, als Essenz der Partei, ist vollendet, aber die Partei als Umsetzung des Programms befindet sich im unaufhörlichen Aufbau 1 Mehr noch: sie verschwindet sogar ganz und gar. Wie ist das möglich und warum
1852 löst sich der Bund der Kommunisten auf und verschwindet. Warum 7 Haben die Gründer des Programms, Marx und Engels, das Programm verloren 7 Man könnte vielleicht gegen sie vorgeben, daß sie den Willen zur Handlung verloren hätten, indem man sich auf die von ihnen vorgenommene Spaltung gegen die Minderheit (Willich-Schapper) des Bundes bezieht und auf ihre Zurückweisung des voluntaristischen Aktionismus dieser Minderheit verweist. Aber wäre das nicht ein Wandern von einer Absurdität zu einer anderen, noch größeren Absurdität 7 Was bleibt uns also anders übrig als die Auflösung - ob es den Bordigisten paßt oder nicht - durch eine damals eingetretene tiefgreifende Änderung der Situation zu erklären 7 Engels, der darüber Bescheid weiß, erklärt in diesen Begriffen das Verschwinden des Bundes: "Die Niederschlagung der Pariser Juni-Insurrektion von 1848 - dieser ersten großen Schlacht zwischen Proletariat und Bourgeoisie - drängte die sozialen und politischen Bestrebungen der Arbeiterklasse Europas zeitweilig wieder in den Hintergrund... Die Arbeiterklasse wurde beschränkt auf einen Kampf um politische Ellbogenfreiheit und auf die Position eines äußerlichen linkes Flügels der radikalen Bourgeoisie. Wo selbständige proletarische Bewegungen fortführen, Lebenszeichen von sich zu geben, wurden sie erbarmungslos niedergeschlagen...-Sofort nach dem Urteilsspruch (des Prozesses der Kölner Kommunisten im Oktober 1852) wurde der Bund durch die noch verbliebenen Mitglieder formell aufgelöst."(MEW, Bd. 21, S. 353).
Diese Erklärung scheint unsere Bordigisten nicht zu überzeugen. Sie müssen sie im Übrigen vollkommen unnütz finden, denn für sie hat sich die Partei nie wirklich aufgelöst, da sie in der Person von Marx und Engels fortbestand. Um dies zu bejahen, zitieren sie als Stellenangabe einen witzigen Einfall aus einem Brief von Marx an Engels, und wie jedesmal, wenn das ihnen in den Reim paßt, machen sie aus einem Wort, aus einem Satzteil und selbst aus einem witzigen Einfall in einem Brief eine Absolutheit, ein unveränderbares und unwandelbares Prinzip.(8) Was die Existenz der Partei angeht: was war zwischen der Auflösung des Bundes der Kommunisten im Jahre 1852 und der Geburt der Internationalen 1864 geschehen ? Gemäß den Bordigisten überhaupt nichts, das Programm blieb unveränderbar, der Willen zur Handlung war vorhanden, Marx und Engels waren da und die Partei mit ihnen. Nichts, überhaupt nichts Wichtiges schien passiert zu sein. Das scheint aber nicht die Meinung Engels gewesen zu sein, der schrieb: "Als die europäische Arbeiterklasse wieder genügend Kraft zu einem neuen Angriff auf die herrschende Klasse gesammelt hatte, entstand die Internationale Arbeiterassoziation." (MEW,Bd, 21, S.353)
Wenn "Kommunistisches Programm" in seinem Artikel schreibt: ",..die revolutionäre marxistische Partei (ist) nicht das Produkt der unmittelbaren Bewegung, d.h. der Aufstiegs- und Rückflußphasen..."(S.20), verfälscht es entweder aus Unverständnis oder aus Absicht die Debatte, indem dieses kleine Wort "Produkt" - im franz. Text unterstrichen - eingeführt wird. Selbstverständlich, die Notwendigkeit einer Partei resultiert nicht aus besonderen Situationen, sondern aus der allgemeinen historischen Lage der Klasse (dies lernt man im Grundkurs des Marxismus und das ist kein Grund, sich wegen solcher Sachen eines großen Wissens zu rühmen). Die Kontroverse bezieht sich nicht darauf, sondern ob wirklich die Existenz der Partei an die Schwankungen dem Klassenkampfes gebunden ist oder nicht, ob spezifische Bedingungen noch notwendig sind, damit die Revolutionäre tatsächlich - und nicht nur in Worten - die Rolle erfüllen können, die der Partei auszuüben zukommt. Es reicht nicht aus zu sagen, daß ein Kind ein menschliches Produkt ist, um aus dieser Tatsache schlußzufolgern, daß die notwendigen Lebensbedingungen - Luft zum Atmen, Lebensmittel zur Ernährung, Pflege im Allgemeinen - ihm damit gleichzeitig gegeben sind und ohne die Erfüllung dieser Bedingungen ist das Kind unwiderruflich verloren. Die Partei ist eine wirkungsvolle Intervention, eine treibende Kraft, ein tatsächlicher Einfluß im Klassenkampf und dies ist nur möglich, wenn der Klassenkampf in einer aufsteigenden Entwicklung verläuft. Darin liegt der Unterschied zwischen der Partei und ihrer wirklichen Existenz gegenüber der Fraktion oder der Gruppe. Das hat die IKP noch nicht verstanden und will es auch nicht verstehen.
Der Bund der Kommunisten konstituierte sich mit dem Erstarken des Klassenkampfes, der die Welle revolutionärer Kämpfe des Jahres 1848 ankündigte; ebenso löst sich derselbe Bund - wie wir gerade mit Engels festgestellt haben - mit den Niederlagen und dem Zurückweichen des Klassenkampfes auf. Dies ist keine vorübergehende, sondern eine allgemeine Tatsache, welche entlang der ganzen Arbeiterbewegung überprüfbar ist, und nicht anders sein konnte. Die Erste Internationale entstand, als die europäische Arbeiterklasse wieder genügend Kraft zu einem neuen Angriff auf die herrschende Klasse gesammelt hatte." Und wir können uns vollständig den Worten des Berichterstatters des Generalrates auf dem ersten Kongreß der Internationale anschließen, der damals auf die Angriffe der bürgerlichen Presse antwortete: "Nicht die Internationale hat die Streiks der Arbeiter ausgelöst, sondern es sind die Arbeiterstreiks, die der Internationale solche Stärke verleihen."
Die Internationale wiederum, wie beim Bund der Kommunisten, überlebte nicht lange die blutige Niederlage der Pariser Kommune und brach kurz darauf zusammen, trotz der Anwesenheit Marxens und Engels und des "vollendeten und unveränderbaren" Programms in ihrer Mitte.
Um das Gegenteil dessen zu beweisen, was wir gerade festgestellt haben, versucht der Artikel vergeblich zurückzugreifen auf "Konkrete Belege... Es gibt sogar Gebiete, wo ausgesprochen heftige Kämpfe stattgefunden haben (so in England und Nordamerika), wo...die Partei nicht einmal existiert hat."("Kommunistisches Programm", S. 20). Hier handelt es sich um ein Argument, das überhaupt nichts beweist, außer die Tatsache, daß es keine mechanische Verbindung zwischen den Klassenkämpfen und dem Entstehen einer Partei gibt, und daß andere Faktoren bestehen, die dem Prozeß der Konstituierung der Partei entgegenwirken; daß im allgemeinen ein Abstand zwischen den objektiven Bedingungen und den subjektiven, zwischen dem Sein und der Bewußtwerdung besteht. Wenn das Argument Gültigkeit haben soll, dann hätte uns das Gegenteil bewiesen werden müssen, d.h. Beispiele aufgezeigt werden müssen, wo die Partei sich außerhalb Zeiträume und Länder mit steigendem Klassenkampf des Proletariats gegründet hat. Es gibt keine Beispiele. Es sei denn, das einzige Beispiel würde aufgeführt (ganz zu schweigen von der IV. Trotzkistischen Internationale), das Beispiel der IKP. Aber es ist eine ganz andere Geschichte, nämlich die der Maus, die so groß sein wollte wie der Elefant. Die IKP war niemals eine Partei, außer dem Namen nach.
Die Beispiele des Bundes der Kommunisten und der Ersten Internationale, die Beispiele der Geburt der Zweiten Internationale und ihr niederträchtiger Tod, und mehr noch die Bildung der III. Internationale und ihr schändliches Ende - sie ist stalinistisch geworden - lassen uns zu der end- gültigen Überzeugung gelangen, daß die von der Italienischen Fraktion verteidigten Thesen, auf die wir uns auch vollständig berufen, Gültigkeit besitzen. Es handelt sich um die Unmöglichkeit der Bildung der Partei in einer Periode des zurückweichenden Klassenkampfes.(9) Ganz anders lautet natürlich die Vorstellung des "Kommunistischen Programms": die Rekonstituierung der Partei sollte stattfinden, "bevor das Proletariat aus dem Abgrund, in dem es hinabgestürzt war, wiederaufsteigt. Mehr noch: sie muß diesem Wiederaufschwung der proletarischen Klassenbewegung notwendigerweise vorausgehen."(S.17)
Man versteht, daß der Artikel sich mit Nachdruck auf Lenins "Was Tun ?" bezieht, vor allem auf den Teil, der von dem trade-unionistischen Bewußtsein der Arbeiterklasse handelt. Denn wenn man genau hinsieht, ist das die Grundlage der Argumentationsweise des Artikels der IKP, nicht mal so sehr die Überschätzung der Rolle der Partei und ihre Tendenz zum Größenwahn, sondern ihm liegt vor allem eine himmelschreiende Unterschätzung der Fähigkeit der Bewußtwerdung der Klasse zugrunde ; ein tiefes Mißtrauen der Klasse gegenüber, und um alles zu sagen, eine kaum verdeckte Verachtung der Arbeiterklasse und ihrer Fähigkeit, die Welt zu begreifen.
"Und wenn diese Zukunft für uns Materialisten sicher und unausweichlich ist, so nicht, weil innerhalb der Arbeiterklasse ein 'Reifungsprozeß des Bewußtseins' über ihre historische Mission stattfinden würde. Sie ist unausweichlich, weil die Arbeiterklasse bevor sie es weiß und ohne daß sie es weiß, durch die objektiven Bedingungen dazu getrieben wird, für den Kommunismus zu kämpfen."(S.21, Nr.18, Kommunistisches Programm). Durch den ganzen Artikel hindurch findet man diese verachtenden Komplimente für die Arbeiterklasse: eine rohe und abgestumpfte Masse, die ohne zu wissen und ohne zu verstehen handelt, die aber glücklicherweise von einer Partei geführt wird, die alles versteht, und die das Verständnis an sich ist. Man gestatte uns dieser erdrückenden Verachtung die Meinung des alternden, aber frischen Engels gegenüberzustellen: "Für den schließlichen Sieg der im 'Manifest' aufgestellten Sätze verließ sich Marx einzig und allein auf die intellektuelle Entwicklung der Arbeiterklasse, wie sie aus der vereinigten Aktion und der Diskussion notwendig hervorgehen mußte."(Vorrede für "das Kommunistische Manifest", vierte deutsche Ausgabe, London, I. Mai 1890).
Jeder Kommentar erübrigt sich. Fahren wir fort. Gemäß der bordigistischen Vorstellung erfordert die Rekonstituierung der Partei - die vollständig von den konkreten Bedingungen getrennt ist - die theoretische Reife und den Willen zum Handeln. Weiterhin wird in dem Artikel die folgende Ansicht vertreten, derzufolge die Fraktion "noch nicht die Partei, sondern erst ihr Vorspiel war, so nicht mangels praktischer Arbeit, sondern eher infolge der Unzulänglichkeit ihrer theoretischen Arbeit."(S.25) Das ist eine Ansicht und sie taugt, was sie taugt. Aber was versteht der Artikel gerade unter ausreichender theoretischer Arbeit ? Die Wiederherstellung, die Wiederaneignung, die Aufrechterhaltung des "vollendeten und unveränderbaren" Programms ? Vor allem ohne Überprüfung der Positionen der Vergangenheit, ohne Suche nach einer Antwort auf die neuen Probleme. Es ist vor allem diese Arbeit, die der Artikel der Fraktion zum Vorwurf macht, und die er als schwerwiegende Abweichungen betrachtet. Diese Museumskonservatoren, die ihre eigene Sterilität zum Ideal erhoben haben, würden gern glauben lassen, daß Lenin genau wie sie niemals etwas anderes gemacht hat als die vollendete Theorie Marxens "wiederherzustellen". Vielleicht könnten sie mal darüber nachdenken , was Lenin zu der Frage der Theorie gesagt hat :
"Wir betrachten die Theorie von Marx keineswegs als etwas Abgeschlossenes und Unantastbares: wir sind im Gegenteil davon überzeugt, daß sie nur das Fundament der Wissenschaft gelegt hat, die die Sozialisten nach allen Richtungen weiterentwickeln müssen (von Lenin unterstrichen), wenn sie nicht hinter dem Leben zurückbleiben wollen."(Lenin, "Unser Programm", zweite Hälfte, 1899).
Der Artikel, aus dem dieses Zitat stammt, nennt sich gerade "unser Programm".
Und wie messen unsere Päpste des Marxismus den Grad der theoretischen Reife ? Gibt es solche festgelegten Maßstäbe ? Um nicht willkürlich vorzugehen, müssen die Maßstäbe auch nicht genau festgelegt werden, und es gibt keine bessere Art vorzugehen als die theoretische Reife zu überprüfen in ihrer Umsetzung in politischen Positionen, die man verteidigt.
Wenn man durch dieses Mittel die Reife messen kann, und wenn dies der Hauptmaßstab für die Bildung der Partei ist, dann können wir ruhig aber mit der ganzen notwendigen Überzeugung sagen, daß die Bordigisten nicht im Jahre 1943, auch nicht 1945 und vor allem nicht 1952 die Partei hätten konstituieren sollen, sondern daß sie besser bis zum Jahre 2000 gewartet hätten. Jeder hätte dabei gewonnen, sie als erste.
Wir können noch nicht sagen, wie sich die kompakte und starke Partei von morgen bilden wird, aber, was heute feststeht, ist daß die IKP es nicht ist. Das Drama des Bordigismus ist, das sein zu wollen, was er nicht ist: die Partei, und das nicht sein zu wollen, was er ist: eine politische Gruppe. So erfüllt die IKP nicht - außer in Worten - die Funktionen der Partei, weil sie sie nicht erfüllen kann, und verwirklicht auch nicht die Aufgaben einer politischen Gruppe - die in ihren Augen schäbig sind. Wenn man ihre politische Reife nach ihren Positionen mißt und dabei ihre Entwicklung beobachtet, dann sieht es ganz danach aus, daß sie niemals ihr Ziel erreichen wird, denn bei jedem Schritt vorwärts macht sie gleichzeitig 2 oder 3 Schritte zurück.
M.C.
FUSSNOTEN :
(1): Dieser Artikel ist auch zu finden in deutscher Sprache in "Kommunistisches Programm", Nr.18, Mai 1978.
Soweit die deutsche Übersetzung der IKP mit dem Originaltext übereinstimmte, haben wir diese Übersetzung verwendet. Andernfalls haben wir selbst den Originaltext übersetzt.
(2): Programme Communiste, Nr.76, 5.5. Dieser Satz ist in der deutschen Übersetzung nicht zu finden.
(3) : Bilan, Nr.1, Vorwort, S.3
(4) : idem
(5) : Siehe unseren Artikel "Terror, Terrorismus und Klassengewalt" in dieser Nummer, in dem dieses Thema ausführlich behandelt wird.
(6) : Der Proletarier (franz. Ausgabe "Le Proléaire" vom 8/21 April 1978, Nr. 264) drückt sich noch deutlicher aus: "...die charakteristischen Thesen aus dem Jahre 1951, die den Geburtsakt und die Zugehörigkeitsgrundlagen darstellen."
(7)) : Siehe "L'Etincelle" und "Internationalisme", Veröffentlichungen der linken Kommunisten Frankreichs bis 1952.
(8) : Es ist höchste Zeit, diesem unglaublichen Mißbrauch ein Ende zu setzen, den manche mit Zitaten betreiben, indem sie mit den Zitaten alles mögliche ausdrücken wollen. Dies trifft besonders für die Bordigisten zu, hin‑
sichtlich der Vorstellung Marxens von der Partei. Vielleicht ist es nicht unnütz, den folgenden, etwas überraschenden und rätselhaften Satz aus dem "Kommunistischen Manifest" zu ihrer Aufmerksamkeit zu bringen, und sie darüber zum Nachdenken anzuregen und zu erklären zu versuchen: "Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien."(Kapitel II, "Proletarier und Kommunisten").
(9) : Es ist übrigens bekannt, daß Bordiga mehr als widerwillig der Erklärung der Konstituierung der Partei gegenüberstand und daß er widerwillig dem ihm gegenüber von allen Seiten ausgeübten Druck nachgegeben hat, um sich ihr anzuschließen. Vercesi seinerseits wartete nicht lange, bevor er die Bildung der Partei öffentlich in Frage stellte. Aber wer A sagt, muß auch B sagen. Man kann das Echo dieser Zurückhaltung in dem "Vorentwurf der Prinzipienerklärung für das Internationale Büro der (neuen) internationalen Kommunistischen Linke" finden, den er entworfen hat und in Belgien am Ende des Jahres 1946 veröffentlicht hat. Darin kann man lesen: "Der Prozeß der Umwandlung der Fraktionen in eine Partei wurde von der kommunistischen Linke in seinen großen Linien nach einem Schema festgelegt, das besagt, daß die Partei erst dann in Erscheinung treten kann, wenn die Arbeiter Kampfbewegungen begonnen haben, welche den Rohstoff zur Machteroberung liefern."(Kommunistisches Programm, S. 24)
(erschienen in Internationale Revue Nr:3,1978)
Vor 70 Jahren, im Mai 1936, brach spontan eine riesige Welle von Arbeiterkämpfen gegen die wachsende Ausbeutung aus, die von der Wirtschaftskrise und der Ausbreitung der Kriegswirtschaft ausgelöst wurde. Im Juli desselben Jahres begann die Arbeiterklasse in Spanien unvermittelt einen Generalstreik und erhob, als Reaktion auf den Militärputsch Francos, die Waffen. Viele Revolutionäre, einschließlich einige der bekanntesten wie Trotzki, interpretierten diese Ereignisse als den Beginn einer neuen internationalen revolutionären Welle. Tatsächlich aber ließen sie sich durch die begeisterte Unterstützung der Massen, durch ein oberflächliches Verständnis der vorhandenen Kräfte und durch den „radikalen“ Charakter einiger ihrer Reden in die Irre führen.
Auf der Grundlage einer klaren Analyse des Kräfteverhältnisses auf internationaler Ebene realisierte die Italienische Kommunistische Linke (in ihrer Zeitschrift Bilan), dass die Volksfronten alles andere als der Ausdruck einer sich entwickelnden revolutionären Bewegung waren. Im Gegenteil, diese deuteten an, dass sich die Klasse immer mehr in der nationalistischen und demokratischen Ideologie verfangen und vom Kampf gegen die Auswirkungen der historischen Krise des Kapitalismus abgelassen hatte. „Die Volksfront hat sich selbst als Auflösungsprozess des proletarischen Klassenbewusstseins erwiesen, als Waffe, die darauf abzielte, die Arbeiter auf dem Terrain des Schutzes der bürgerlichen Gesellschaft in jeglichem Aspekt ihres sozialen und politischen Lebens festzuhalten.“ (Bilan, Nr. 31, Mai – Juni 1936) In aller Eile setzten sich sowohl in Frankreich als auch in Spanien die Politapparate der „sozialistischen“ und „kommunistischen“ Linken an die Spitze dieser Bewegungen. Indem sie die Arbeiter in die falsche Alternative Faschismus/Antifaschismus einsperrten, sabotierten sie die Bewegung von innen, verpflichteten sie zur Verteidigung des demokratischen Staates und heuerten die Arbeiter in Frankreich und Spanien schließlich für das zweite weltweite imperialistische Gemetzel an.
Heute gibt es eine allmähliche Wiederbelebung des Klassenkampfes, und neue Generationen begeben sich auf die Suche nach radikalen Alternativen zum Kapitalismus, dessen Scheitern immer offenkundiger wird. In diesem Zusammenhang prangern „Antiglobalisierungs“bewegungen wie Attac den zügellosen Liberalismus und „die Diktatur des Marktes“ an, der „die politische Macht den staatlichen Händen und somit den Bürgern entrissen hat“, und rufen zur „Verteidigung der Demokratie gegen die Finanzdiktatur“ auf. Die „andere Welt“, die von den Anhängern der „Antiglobalisierung“ vorgestellt wird, nimmt häufig eine Form an, die von der Politik der 30er, 50er oder 70er Jahre inspiriert ist, als der Staat angeblich eine weitaus wichtigere Rolle als unmittelbarer Wirtschaftsfaktor gespielt hatte. Die Politik der Volksfrontregierungen, die mit ihren Programmen der staatlichen Kontrolle über die Wirtschaft, „der Einheit aller Schichten der arbeitenden Bevölkerung gegen die kapitalistische und faschistische Bedrohung“ eine „soziale Revolution“ in Gang gesetzt habe, wird schöngefärbt, um die Behauptung zu stützen, dass „eine andere Welt“, dass eine andere Politik innerhalb des Kapitalismus möglich sei.
Daher ist es absolut wichtig, anlässlich dieses 70. Jahrestages die Zusammenhänge und die Bedeutung der Ereignisse von 1936 in Erinnerung zu rufen:
- die tragischen Lehren aus diesen Erfahrungen ins Gedächtnis zurückzurufen, insbesondere die verhängnisvolle Falle, in die die Arbeiterklasse lief, als sie ihr Terrain, die kompromisslose Verteidigung ihrer spezifischen Interessen, verließ, um sich den Bedürfnissen des einen oder anderen bürgerlichen Lagers zu unterwerfen;
- die Lügen zu entlarven, die über die „Linke“ in Umlauf gesetzt werden und denen zufolge sie die Interessen der Arbeiterklasse während dieser Ereignisse verkörpert hatte, und aufzuzeigen, dass sie in Tat und Wahrheit ihr Henker war.
Die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren von der Niederlage der revolutionären Welle von 1917-23 und dem Triumph der Konterrevolution gekennzeichnet. Sie unterscheiden sich fundamental von der heutigen historischen Periode der Wiederbelebung der Kämpfe und der allmählichen Entwicklung des Bewusstseins. Dennoch stößt auch die neue Generation von Proletariern, die der konterrevolutionären Ideologie zu entkommen versucht, auf dieselbe „Linke“, dieselben Fallen und ideologischen Manipulationen, obgleich diese die neuen Kleider der „Antiglobalisierung“ tragen. Ihnen zu entgehen ist nur durch die Wiederaneignung der so teuer erkauften Lehren aus den vergangenen Erfahrungen des Proletariats möglich.
Die Volksfronten behaupteten, dass sie die „Kräfte des Volkes gegen die Arroganz der Kapitalisten und den Aufstieg des Faschismus“ vereinigt hatten. Aber setzten sie wirklich eine Dynamik in Gang, die den Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung stärkte? Waren sie wirklich ein Schritt vorwärts in der Entwicklung der Revolution? Um darauf zu antworten, kann sich eine marxistische Vorgehensweise nicht darin erschöpfen, ausschließlich auf den radikalen Ton der Reden und auf die Gewalt der gesellschaftlichen Eruptionen zu achten, die etliche westeuropäische Länder damals erschütterten. Eine Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen auf internationaler Ebene und für die gesamte historische Periode muss die Grundlage einer solchen Methode sein. In welchem Kontext standen die Stärken und Schwächen des Proletariats und seines Todfeindes, der Bourgeoisie? In welchem Zusammenhang fanden die Ereignisse von 1936 statt?
Die mächtige revolutionäre Welle zwang die Bourgeoisie dazu, den Krieg zu beenden, brachte die Arbeiterklasse in Russland an die Macht und erschütterte die bürgerliche Herrschaft in Deutschland und in ganz Mitteleuropa bis in ihre Grundfesten. Was folgte, war eine Reihe von blutigen Niederlagen des Proletariats in den 20er Jahren. Die Niederschlagung des deutschen Proletariats erst 1919 und schließlich 1923 durch die Sozialdemokraten der SPD ebnete den Weg für Hitlers Aufstieg zur Macht. Die tragische Isolierung der Revolution in Russland war der Sargnagel für die Kommunistische Internationale und öffnete die Tür zum Triumph der stalinistischen Konterrevolution, die die gesamte alte Garde der Bolschewiki und die Lebenskräfte des Proletariats vernichtete. Schließlich wurde auch der letzte proletarische Funke, in China 1927, gnadenlos ausgelöscht. Der Kurs der Geschichte hatte sich gedreht. Die Bourgeoisie hatte entscheidende Siege über das internationale Proletariat erzielt, der Kurs zur Revolution machte einem unaufhaltsamen Marsch in den Weltkrieg Platz. Dies bedeutete den schrecklichsten Rückfall in die kapitalistische Barbarei.
Dennoch gab es immer noch, trotz dieser niederschmetternden Niederlagen der Bataillone der Avantgarde des Weltproletariats, zum Teil wichtige Episoden der Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse. Dies war besonders in jenen Ländern der Fall, in denen die Arbeiter keine direkte Niederlage, weder physisch noch ideologisch, im Kontext der revolutionären Konfrontationen von 1917-1927 erlitten hatten. So brach auf dem Höhepunkt der Krise in den 30er Jahren ein wilder Streik unter den Bergarbeitern Belgiens aus, der rasch die Dimensionen eines Aufstandes annahm. Er ging von einer Bewegung gegen Lohnkürzungen in den Bergwerken von Borinage aus. Als die Streikenden gefeuert wurden, verbreitete sich die Bewegung über die ganze Provinz, und es kam zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei. Von 1931 bis 1934 beteiligte sich die Arbeiterklasse in Spanien an einer Reihe von Kämpfen, die brutal unterdrückt wurden. Im Oktober 1934 befanden sich sämtliche Bergbauregionen Asturiens und der Industriegürtel von Oviedo und Gijon in einer selbstmörderischen Erhebung, die von der republikanischen Regierung und ihrer Armee zerschmettert wurde. Sie endete in einer brutalen Repression. Auch in Frankreich wurde eine gewisse Kampfbereitschaft an den Tag gelegt, obwohl die Arbeiterklasse durch die „linke“ Politik der KP tief demoralisiert war, derzufolge noch 1934 die Revolution unmittelbar bevorstand und es daher notwendig war, „überall Sowjets zu bilden“. Im Sommer 1935 fanden angesichts einer Gesetzgebung, die massive Lohnkürzungen für die Arbeiter im Staatssektor verordnete, eindrucksvolle Demonstrationen und gewaltsame Konfrontationen auf den Werften von Toulon, Tarbes, Lorient und Brest statt. In Brest gab es, nachdem Soldaten einen Arbeiter mit den Gewehrkolben totgeschlagen hatten, zwischen dem 5. und 10. August gewaltsame Demonstrationen und Ausschreitungen. Diese endeten mit drei Toten und Hunderten von Verletzten; Dutzende von Arbeiter wurden ins Gefängnis gesteckt.[i] [85]
Diese Ausdrücke einer anhaltenden Militanz, die oftmals von Wut, Verzweiflung und politischer Desorientierung geprägt war, waren in Wahrheit „Ausbrüche der Verzweiflung“, die die Schwächen der Arbeiter in einer weltweiten Situation der Niederlage und Zerstreuung aufzeigten. Die Zeitschrift Bilan brachte dies im Falle Spaniens auf den Punkt: „Wenn die internationalen Kriterien etwas bedeuten, dann müssen wir sagen, dass angesichts der Tatsache einer sich ausbreitenden Konterrevolution auf der ganzen Welt die Orientierung in Spanien zwischen 1931 und 1936 nur in die gleiche Richtung zielen kann (nämlich hin zu einem konterrevolutionären Verlauf der Ereignisse), statt in die entgegen gesetzte Richtung einer revolutionären Bewegung. Die Revolution kann sich nur vollständig entwickeln, wenn sie das Resultat einer revolutionären Situation auf internationaler Ebene ist.“ (Bilan, Nr. 35, Januar 1937)
Doch um die Arbeiter jener Länder zu mobilisieren, in denen die revolutionäre Bewegung nicht zerschlagen worden war, waren die nationalen Bourgeoisien gezwungen, auf eine besondere Mystifikation zurückzugreifen. In den Ländern, in denen das Proletariat bereits in einer direkten Klassenkonfrontation niedergeschlagen worden war, war die spezifische Form der sich entwickelnden Konterrevolution die ideologische Kriegsmobilisierung für den Faschismus bzw. Nazismus oder für die stalinistische Ideologie der „Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes“. In den politischen Regimes, die „demokratisch“ geblieben waren, wurde dieselbe Mobilisierung im Namen des Antifaschismus unternommen. Die französische und spanische Bourgeoisie (und andere wie die belgische Bourgeoisie zum Beispiel) benutzten den Machtantritt der Linken, um die Klasse hinter dem Antifaschismus und der Verteidigung des „demokratischen“ Staates zu mobilisieren und die Kriegswirtschaft zu etablieren.
Die Position, die die Linke gegenüber den oben erwähnten Kämpfen einnahm, zeigt deutlich, dass die Volksfront keine Politik praktizierte, um die Dynamik der Arbeiterkämpfe zu stärken. Während der aufstandsartigen Kämpfe 1932 in Belgien weigerten sich der Parti Ouvrier Belge (Belgische Arbeiterpartei, POB) und seine Gewerkschaften, die Bewegung zu unterstützen. Dies führte dazu, dass die Wut der Arbeiter sich auch gegen die Sozialdemokratie richtete. Die Streikenden griffen das Maison du Peuple in Charleroi an und zerrissen oder verbrannten ihre POB- und Gewerkschaftsmitgliedsausweise. Ende 1933 stellte die POB den „Plan de Travail“ (Arbeitsplan) als „Volksalternative“ zur kapitalistischen Krise vor, um die Wut und Verzweiflung der Arbeiter zu kanalisieren.
Auch Spanien veranschaulicht deutlich, was das Proletariat von einer „republikanischen“ oder „linken“ Regierung zu erwarten hat. Von Anbeginn ihrer Existenz hatte die spanische Republik bewiesen, dass sie nichts von den faschistischen Regimes lernen musste, um Arbeiter zu massakrieren. Eine große Anzahl von Kämpfen in den 30er Jahren wurde von republikanischen Regierungen oder vom Partido Socialista Obrero Español (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei, PSOE) zerschlagen. Der PSOE, der sich damals in der Opposition befand, zettelte mit seinem „revolutionären“ Gerede den selbstmörderischen Aufstand im Oktober 1934 in Asturien an. Anschließend isolierte er zusammen mit seiner Gewerkschaft, der UGT, die Bewegung vollständig, indem er jegliche Ausbreitung der Bewegung vereitelte. Damals entlarvte Bilan den Charakter der „linksdemokratischen“ Regimes überaus deutlich: „In der Tat schafft der ‚Linksrutsch‘ der spanischen Republik, der in der Zeit zwischen ihrer Gründung im April 1931 und dem Dezember 1931 stattfand – die Bildung der Azaña-Caballero-Lerroux-Regierung, die Amputation ihres rechten Flügels, der von Lerroux repräsentiert wurde, im Dezember 1931 –, keine günstigen Bedingungen für die Entwicklung von proletarischen Klassenpositionen oder für die Bildung von Organen, die in der Lage sind, den revolutionären Kampf anzuführen. Es geht keinesfalls darum, dass die republikanische oder radikalsozialistische Regierung alles zum Guten der (...) kommunistischen Revolution zu tun trachtet. Es geht darum, die Bedeutung dieses Wechsels zu den Linken oder den Rechtsextremen, diesen einstimmigen Chor der Sozialisten und Gewerkschafter für die Verteidigung der Republik zu analysieren. Hat dies die Bedingungen für eine Entwicklung von Arbeitererrungenschaften und für eine revolutionäre Ausrichtung des Proletariats geschaffen? Oder war dieser Linksrutsch vom kapitalistischen Bedürfnis diktiert, die Arbeiter zu betäuben, die von der weitgreifenden revolutionären Welle mitgerissen worden waren, sicherzustellen, dass sie nicht den Weg des revolutionären Kampfes einschlagen? Der Weg, den die Bourgeoisie im Oktober 1934 einschlug, wäre 1931 zu gefährlich gewesen...“ (Bilan Nr. 12, November 1934)
Schließlich ist es besonders aufschlussreich, dass die gewaltsamen Konfrontationen in Brest und Toulon im Sommer 1935 in dem Moment ausbrachen, als die Volksfront gebildet wurde. Da sie sich spontan gegen die Losungen der politischen und gewerkschaftlichen Führer entwickelten, zögerten Letztere nicht, jene als „Provokateure“ zu verunglimpfen, die die „republikanische Ordnung“ störten: „... weder die Volksfront noch die Kommunisten, die in der vordersten Reihe stehen, zerschlagen Fensterscheiben, plündern Cafés oder zerreißen die Nationalflagge“ (Humanité-Leitartikel, 7. August 1935).
So beruhten, wie Bilan in puncto Spanien seit 1933 aufzeigte, die Politik der Volksfront und der linken Regierungen in keiner Weise auf einer dynamischen Verstärkung des proletarischen Kampfes. Im Gegenteil, sie entwickelten sich gegen ihn, sie kollidierten bewusst mit jenen noch auf einem Klassenterrain befindlichen Arbeiterbewegungen, um diese letzten Ausbrüche des Widerstandes gegen die „totale Auflösung des Proletariats im Kapitalismus“ (Bilan Nr. 22, August – September 1935) zu ersticken: „In Frankreich wird die Volksfront, getreu ihrer verräterischen Tradition, nicht nachlassen, zur Ermordung jener aufzurufen, die sich weigern, sich der ‚französischen Entwaffnung‘ zu beugen, und die sich, wie in Brest und Toulon, weiterhin in Streiks für ihre eigenen Forderungen, in Klassenschlachten gegen den Kapitalismus und außerhalb des Zugriffs der Klauen der Volksfront engagieren.“ (Bilan Nr. 26, Dezember – Januar 1936)
Hat die Volksfront nicht wenigstens „die Kräfte des Volkes gegen den Aufstieg des Faschismus vereint“? Als Hitler Anfang 1933 in Deutschland an die Macht kam, nutzte die Linke den Erfolg der rechtsextremistischen und faschistischen Fraktionen in den „demokratischen“ Ländern, um zu zeigen, dass es notwendig sei, die Demokratie mit einer breiten antifaschistischen Front zu verteidigen. Diese Strategie wurde erstmals Anfang 1934 in Frankreich praktiziert und durch ein gigantisches Manöver in Gang gesetzt. Den Vorwand hierfür lieferte die gewaltsame Protestdemonstration am 6. Februar 1934 gegen die Auswirkungen der Krise und gegen die korrupten Regierungen der Dritten Republik. Neben Militanten der KP wurden auch Gruppen von Rechtsradikalen (Croix de Feu, Camelots du Roi) in diese Demonstration eingeschleust. Einige Tage später, nach einem Strategiewechsel seitens Stalin und der Dritten Internationale, änderte die KP ihre Haltung abrupt. Erstere hatten beschlossen, die Taktik der Klassenkonfrontation durch eine Politik der Annäherung an die sozialistischen Parteien zu ersetzen. Von diesem Augenblick an wurde der 6. Februar als eine „faschistische Offensive“ und als „versuchter Staatsstreich“ in Frankreich dargestellt.
Die Ausschreitungen am 6. Februar versetzten die Linke in die Lage, die Bedrohung durch den Faschismus zu übertreiben und eine breite Kampagne zu organisieren, um die Arbeiter im Namen der Verteidigung der „Demokratie“ zu mobilisieren. Der Generalstreik, zu dem sowohl die KP als auch die SFIO[ii] [85] für den 12. Februar aufgerufen hatte, krönte den Antifaschismus mit der Parole „Einheit! Einheit gegen den Faschismus!“ Die französische KP machte sich die neue Ausrichtung rasch zu eigen, und auf der nationalen Konferenz in Ivry im Juni 1934 war der einzige Punkt auf der Tagesordnung „die Organisation der Einheitsfront des antifaschistischen Kampfes“.[iii] [85] Diese Perspektive mündete schnell in der Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens zwischen der KP und der SFIO im Juli 1934.
Auf diese Weise wurde der Antifaschismus zu dem Mittel schlechthin, um alle bürgerlichen Kräfte, die „in die Freiheit verliebt“ waren, hinter der Flagge der Volksfront zu sammeln. Er ermöglichte es auch, die Interessen des Proletariats an jene des nationalen Kapitals zu binden, indem er ein „Bündnis der Arbeiterklasse mit den Arbeitern der Mittelschichten“ bildete, um Frankreich die „Schande und die Krankheiten einer faschistischen Diktatur“ zu ersparen, wie Thorez es formulierte. Des weiteren verbreitete die französische KP die Leier von den „200 Familien, die Frankreich ausplündern und die nationalen Interessen ausverkaufen“. So leide jeder, mit Ausnahme dieser „Kapitalisten“, an der Krise und sei in Solidarität mit allen anderen verbunden. Auf diese Weise wurden die Arbeiterklasse und ihre Klasseninteressen im Volk und in der Nation im Kampf gegen „eine Handvoll von Parasiten“ ertränkt.
Andererseits wurde Tag für Tag der Faschismus hysterisch als einziges kriegstreiberisches Element angeprangert. Die Volksfront mobilisierte die Arbeiterklasse für die Verteidigung des Vaterlandes gegen die faschistischen Invasoren, und das deutsche Volk wurde mit dem Nazismus identifiziert. In ihren Parolen rief die französische KP jedermann dazu auf, nur „französische Waren zu kaufen“, und glorifizierte die nationale Versöhnung. So drängte die Linke mit den Mitteln des abscheulichsten Nationalismus, des schlimmsten Ausdrucks von Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit das Proletariat hinter das Staatsschiff.
Der Höhepunkt dieser intensiven Kampagne waren ein Wahlbündnis und die offizielle Bildung der Volksfront am 14. Juli 1935. Zu diesem Anlass wurden die Arbeiter dazu gebracht, unter den gemeinsamen Porträts von Marx und Robespierre die französische Nationalhymne zu singen und zu skandieren: „Lang lebe die französische Sowjetrepublik!“ Indem alle Handlungen auf die Entfaltung einer Wahlkampagne für die „Volksfront für Frieden und Arbeit“ konzentriert wurden, lenkte die Linke die Kämpfe vom Klassenterrain auf das Terrain der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie, ertränkte das Proletariat in der formlosen Masse des „französischen Volkes“ und leitete seinen Kampf um in die Verteidigung der nationalen Interessen. „Dies war ein Resultat der neuen Positionen vom 14. Juli, die die logische Konsequenz aus der Politik des Antifaschismus waren. Die Republik war kein Kapitalismus, sie war das Reich der Freiheit, der Demokratie, die, wie wir wissen, die Plattform des Antifaschismus ist. Die Arbeiter schworen feierlich, diese Republik gegen innere wie äußere Unruhestifter zu verteidigen, während Stalin sie aufforderte, der Bewaffnung des französischen Imperialismus im Namen der Verteidigung der UdSSR zuzustimmen.“ (Bilan Nr. 22, August – September 1935)
Dieselbe Strategie zur Mobilisierung der Arbeiterklasse auf dem Terrain der Wahlen und für die Verteidigung der Demokratie wurde auch in vielen anderen Ländern praktiziert. Sie integrierte die Arbeiter in die Allgemeinheit der Volksschichten und mobilisierte sie für die Verteidigung der nationalen Interessen. In Belgien wurden bei der Mobilisierung der Arbeiter hinter die Kampagne für den „Plan de Travail“ Mittel der psychologischen Propaganda benutzt, die der nazistischen oder faschistischen Propaganda in nichts nachstanden. Am Ende trat der POB 1935 in die Regierung ein. Der antifaschistische Rausch, der insbesondere von der Linken des POB entfacht wurde, erreichte 1937 seinen Höhepunkt mit der Allianz zwischen Degrelle, dem Führer der faschistischen Königspartei, und dem Premierminister Van Zeeland, der die Unterstützung aller „demokratischen“ Kräfte einschließlich der belgischen KP genoss. Im gleichen Jahr bekräftigte Spaak, einer der Führer des linken Flügels des POB, den „nationalen Charakter“ des Programms der belgischen Sozialisten. Er schlug außerdem vor, dass die Partei zu einer Volkspartei werden solle, da sie die allgemeinen Interessen und nicht die Interessen einer einzigen Klasse vertrete!
Jedoch war Spanien das Land, in dem das französische Beispiel die Politik der Linken am nachhaltigsten inspirierte. Auch nach dem Massaker in Asturien konzentrierte der PSOE seine Politik auf die Propaganda für den Antifaschismus, für die „vereinigte Front aller Demokraten“, und rief zu einem Volksfrontprogramm gegen die faschistische Gefahr auf. Im Januar 1935 unterzeichnete er ein „Volksfrontbündnis“ mit der Gewerkschaft UGT, den republikanischen Parteien und der spanischen KP, mit kritischer Unterstützung der CNT[iv] [85] und des POUM .[v] [85] Diese „Volksfront“ rief offen zu einer Ersetzung des Arbeiterkampfes durch den Kampf auf bürgerlichem Terrain auf, gegen die faschistischen Fraktionen der Bourgeoisie und zugunsten ihres „antifaschistischen“ und „demokratischen“ Flügels. Der Kampf gegen den Kapitalismus wurde zugunsten eines illusorischen „Reformprogramms“ und einer „demokratischen Revolution“ des Systems aufgegeben. Mittels der Mystifikation der falschen antifaschistischen und demokratischen Front mobilisierte die Linke das Proletariat auf dem Terrain der Wahlen und errang darüber hinaus im Februar 1936 einen Wahltriumph: „Diese (die republikanisch-sozialistische Koalition 1931-33) war eine aufschlussreiche Demonstration, wie man die Demokratie als Manövriermasse für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Regimes einsetzt (...) auch 1936 ergab sich auf dieselbe Weise die Möglichkeit, das spanische Proletariat nicht hinter seinen Klasseninteressen aufzustellen, sondern hinter der Verteidigung der ‚Republik‘, des ‚Sozialismus‘ und des ‚Fortschritts‘ gegen Monarchismus, Klerikalfaschismus und Reaktion. Dies zeigt die tiefe Verwirrung der Arbeiter in Spanien, wo das Proletariat erst kürzlich seine Kampfbereitschaft und seinen Opfergeist bewiesen hatte.“ (Bilan Nr. 28, Februar – März 1936)
In der Tat gelang es der antifaschistischen Politik der Linken und der Bildung der „Volksfronten“, die Arbeiter zu atomisieren, innerhalb der Bevölkerung zu verwässern, sie für die demokratische Umwandlung des Kapitalismus zu mobilisieren, ja sie mit chauvinistischem und nationalistischem Gift zu durchtränken. Bilans Einschätzung erwies sich als richtig, als am 14. Juli 1935 die Volksfront offiziell verkündet wurde: „Eindrucksvolle Massendemonstrationen signalisieren die Auflösung des französischen Proletariats in das kapitalistische Regime. Trotz der Tatsache, dass Abertausende von Arbeitern durch die Straßen von Paris marschieren, gibt es keinen Arbeiterkampf für die eigenen Ziele mehr, genauso wenig wie in Deutschland. In diesem Zusammenhang markiert der 14. Juli einen entscheidenden Moment im Prozess der Desintegration des Proletariats und des Wiederaufbaus der heiligen Einheit der kapitalistischen Nation (...) Die Arbeiter trugen geduldig die Nationalfahne, sangen die Nationalhymne und applaudierten gar Daladier, Cot und anderen kapitalistischen Ministern, die zusammen mit Blum und Cachin[vi] [85] feierlich geschworen hatten, ‚den Arbeitern Brot, den Jungen Arbeit und der Welt Frieden zu geben‘. Was bedeutete: Bleikugeln, Kasernen und imperialistischer Krieg für jedermann.“ (Bilan Nr. 21, Juli – August 1935)
Aber hat die Linke die Schrecken der freien Konkurrenz des „Monopol“-Kapitalismus nicht zumindest gelindert durch ihre Maßnahmen zur Stärkung der staatlichen Kontrolle über die Wirtschaft? Hat sie somit nicht die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse verteidigt? Es ist einmal mehr notwendig, die von der Linken gerühmten Maßnahmen in den allgemeinen Rahmen der Situation des Kapitalismus zu stellen.
Zu Beginn der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts herrschte totale Unordnung in der kapitalistischen Produktion. Die weltweite Krise warf Millionen von Proletariern auf die Strasse. Die ökonomische Krise, hervorgerufen durch die Dekadenz des kapitalistischen Systems, manifestierte sich in der großen Depression der 30er Jahre (Börsenkrach 1929, rekordhohe Inflationsraten, Rückgang in Wachstum und industrieller Produktion, dramatische Beschleunigung der Arbeitslosigkeit). Dies drängte die siegreiche Bourgeoisie unerbittlich zum imperialistischen Krieg um die Neuaufteilung des übersättigten Weltmarktes. „Exportiere oder stirb“ wurde der Slogan jeder nationalen Bourgeoisie. Die nationalsozialistischen Führer drückten dies klar aus.
Nach dem Ersten Weltkrieg fand sich Deutschland durch den Versailler Vertrag seiner wenigen Kolonien beraubt und von Kriegsschulden und Reparationszahlungen niedergedrückt. Es war eingezäunt im Zentrum Europas und von diesem Zeitpunkt an wuchs dort das Problem heran, welches die Politik aller europäischen Länder für die nächsten zwei Jahrzehnte bestimmen sollte. Im Zuge des Wiederaufbaus seiner Wirtschaft war Deutschland gezwungen, neue Absatzmöglichkeiten für seine Güter zu finden, wobei seine Expansion nur im Rahmen Europas stattfinden konnte. Die Ereignisse beschleunigten sich, als Hitler 1933 an die Macht kam. Die ökonomischen Bedürfnisse, die Deutschland in den Krieg drängten fanden ihren Ausdruck in der nationalsozialistischen Ideologie: Die Ablehnung des Versailler Vertrages, die Forderung nach „Lebensraum“, der nur in Europa sein konnte.
Dies überzeugte gewisse Teile der französischen Bourgeoisie, dass der Krieg unvermeidlich war und dass Sowjetrussland ein guter Alliierter sei, die pangermanischen Aspirationen abzuwehren. Dies umso mehr, als die Situation auf internationaler Ebene immer klarer wurde: Deutschland verließ den Völkerbund und die UdSSR trat ihm bei. Ehemals hatte diese die deutsche Karte gegen die Kontinentalblockade der westlichen Demokratien ausgespielt. Aber dann wurde die Beziehung Deutschlands zu den USA besser, als diese vermehrt in die deutsche Wirtschaft investierten, die dank dem Dawes-Plan[vii] [85] wieder in Fahrt kam, und so den ökonomischen Wiederaufbau einer westlichen „Bastion“ gegen den Kommunismus förderten. An diesem Punkt orientierte das stalinistische Russland seine Außenpolitik neu in Richtung eines Bruches dieser Allianz. In der Tat glaubten wichtige Teile der Bourgeoisie in den westlichen Ländern bis zu einem späten Zeitpunkt, dass sich der Krieg mit Deutschland mit Hilfe von wenigen Konzessionen und vor allem, indem man Deutschlands notwendige Expansion in den Osten lenkte, verhindern ließe. München 1938 brachte dieses kontinuierliche Unverständnis der Situation und des kommenden Krieges zum Ausdruck.
Die Reise des französischen Außenministers Laval nach Moskau unterstrich 1935 mit der französisch-russischen Annäherung dramatisch diese Aufstellung der imperialistischen Bauern auf dem europäischen Schachbrett. Stalins Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages implizierte die Anerkennung der französischen Verteidigungspolitik und ermutigte die französische KP, für die Militärkredite zu stimmen. Wenige Monate später, im August 1935, zog der VII. Kongress der Komintern für Russland die politischen Konsequenzen einer möglichen Allianz mit den westlichen Ländern zwecks Konfrontation des deutschen Imperialismus. Dimitrow benannte den neuen Feind, den es zu bekämpfen galt: Faschismus. Die Sozialisten, welche bis anhin heftig kritisiert wurden, wurden zu einer demokratischen Kraft (unter anderen) mit welcher man sich, wenn es galt, den faschistischen Feind zu besiegen, verbünden musste. Die stalinistischen Parteien in anderen Ländern folgten der 180-Grad-Drehung des großen Bruders, der KPdSU, und wurden so die feurigsten Verteidiger der imperialistischen Interessen des so genannten „Sozialistischen Vaterlandes“.
Kurz gesagt fühlten alle industrialisierten Länder einen großen Drang, ihre Kriegsökonomie zu entwickeln; nicht nur die Rüstungsproduktion, sondern auch die ganze Infrastruktur, welche für diese Produktion nötig war. Alle Großmächte, sowohl die „demokratischen“ wie die „faschistischen“, entwickelten eine ähnliche Politik der großen öffentlichen Werke unter Staatskontrolle und einer Rüstungsindustrie, welche gänzlich auf die Vorbereitung eines zweiten Weltkrieges ausgerichtet war. Darum herum organisierte sich die Wirtschaft, sie erzwang eine Reorganisation der Arbeit, von welcher der „Taylorismus“ der vorzüglichste Sprössling war.
Eine der Hauptcharakteristiken „linker“ Wirtschaftspolitik war die Stärkung staatlicher Maßnahmen mit dem Zweck, die krisengeschüttelte Wirtschaft zu unterstützen, und die staatliche Kontrolle über verschiedene Sektoren der Wirtschaft. Dies rechtfertigte Maßnahmen „einer ‚kontrollierten Wirtschaft’, eines ‚Staatssozialismus’, der die Bedingungen reifen lässt, welche es den ‚Sozialisten’ erlauben sollen, ‚friedlich’ und stufenweise die Mühlen des Staates zu erobern“ (Bilan Nr. 3, Januar 1934). Solche Maßnahmen wurden allgemein von der ganzen europäischen Sozialdemokratie gepriesen. Sie wurden in das Wirtschaftsprogramm der Volksfront in Frankreich aufgenommen, bekannt als Jouhaux-Plan. In Spanien beinhaltete das Programm der Volksfront eine breite Politik von Agrarkrediten, einen Plan für weitläufige öffentliche Investitionen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie eine Arbeitsgesetzgebung, welche zum Beispiel einen Minimallohn festsetzte. Wir können deren eigentliche Bedeutung erkennen, indem wir eines ihrer Vorbilder untersuchen, den „New Deal“, welcher in den USA unter Roosevelt nach der Krise von 1929 eingeführt wurde. Ebenfalls analysiert werden sollte die best entwickelte theoretische Konkretisierung dieses „Staatssozialismus“, der „Plan de Travail“ des belgischen Sozialisten Henri De Man.
Der „New Deal“, in Kraft gesetzt in den USA ab 1932, war ein Plan des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und des „sozialen Friedens“. Die Intervention von Seiten der Regierung zielte ab auf die Wiederherstellung des Gleichgewichts des Bankensystems, die Wiederbelebung des Finanzmarktes, die Umsetzung bedeutender öffentlicher Investitionen (Dammbauten durch die Behörden des Tennessee Valleys gehen auf diese Zeit zurück) und bestimmter sozialer Programme (Pensionssystem, Arbeitslosenversicherung, usw.). Die Rolle der neuen Bundesagentur, der „National Recovery Administration“ (NRA, etwa „Nationale Wiederaufschwungsverwaltung“), bestand darin, Preise und Löhne in Zusammenarbeit mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zu stabilisieren. Sie schuf die „Public Works Administration“ (PWA, Verwaltung öffentlicher Bauten) zur Förderung einer Politik großer öffentlicher Investitionen.
Hat die Regierung von Roosevelt, ohne es zu wissen, den Arbeiterparteien den Weg bereitet, die wichtigsten Hebel der staatlichen Macht zu erobern? Für Bilan war das Gegenteil wahr: „Die Intensität der Wirtschaftskrise akkumulierte zusammen mit der Arbeitslosigkeit und dem Elend von Millionen die Gefahr eines ernsthaften sozialen Konflikts, welche der amerikanische Kapitalismus mit allen möglichen Mitteln entschärfen oder ersticken musste“ (Bilan Nr. 3, Januar 1934). So gesehen waren diese Maßnahmen alles andere als förderlich für das Wohl der Arbeiter, die Maßnahmen für den „sozialen Frieden“ waren direkte Angriffe auf die Klassenautonomie des Proletariats. „Roosevelt hatte nicht vor, die Arbeiterklasse in die Klassenopposition zu führen, sondern dieselbe innerhalb des kapitalistischen Regimes und unter der Kontrolle des kapitalistischen Staates aufzulösen. So konnten soziale Konflikte nicht mehr aus dem realen (Klassen-)Kampf zwischen den Arbeitern und den Unternehmern heraus entstehen, sondern wurden auf den Gegensatz zwischen Arbeiterklasse und NRA, einem staatskapitalistischen Organ begrenzt. So mussten die Arbeiter jegliche Initiative in diesem Kampf aufgeben und ihr Schicksal dem Gegner überlassen“ (ebenda).
Einer der Hauptarchitekten dieser Maßnahmen der Staatskontrolle und geistiger Vater einer Mehrzahl derselben war Henri De Man. Er war der Kopf des Institutes der POB-Kader sowie Vizepräsident und führende Figur der Partei ab 1933. Seine Maßnahmen wurden sowohl von der Volksfront als auch von faschistischen Regimes (Mussolini war einer seiner großen Bewunderer) in die Praxis umgesetzt. Für De Man, der detaillierte Studien über industrielle und soziale Entwicklung in den USA und in Deutschland durchgeführt hatte, mussten „alte Dogmas“ überwunden werden. Für ihn war die Grundlage des Klassenkampfes das Gefühl einer sozialen Minderwertigkeit der Arbeiter. So sollte der Sozialismus weniger auf die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse einer Klasse (der Arbeiter), sondern vor allem auf universelle geistige Werte wie Gerechtigkeit, Respekt der menschlichen Persönlichkeit und die Sorge um das „Allgemeinwohl“ ausgerichtet werden. So wurden die unvermeidlichen und unversöhnlichen Gegensätze zwischen der Arbeiterklasse und den Kapitalisten beseitigt. Nicht nur musste die Revolution abgelehnt werden, sondern auch der „alte Reformismus“, welcher in Perioden der Krise nicht anwendbar war. Es mache keinen Sinn, ein immer größeres Stück eines konstant schwindenden Kuchens zu verlangen. Ein neuer und größerer Kuchen musste gebacken werden. Das war das Ziel seiner so genannten „konstruktiven Revolution“. Innerhalb dieses Rahmens entwickelte er 1933 für den „Weihnachts“-Kongress des POB seinen „Plan de Travail“, welcher „strukturelle Reformen“ des Kapitalismus anstrebte:
- Verstaatlichung der Banken, welche weiter existieren, jedoch einen Teil ihrer Aktien einer staatliche Kreditinstitution verkaufen und die Richtlinien des wirtschaftlichen Plans befolgen sollten;
- die gleiche Kreditinstitution sollte Anteile großer Monopole in einigen zentralen Industriesektoren (zum Beispiel dem Energiesektor) kaufen, so dass diese zu gemischten Unternehmen unter der gemeinsamen Kontrolle der Kapitalisten und des Staates würden;
- Neben diesen „assoziierten“ Unternehmen sollte ein freier kapitalistischer Sektor weiter existieren, der vom Staat gefördert und unterstützt würde;
- die Gewerkschaften sollten mit Hilfe einer „Arbeiterkontrolle“ direkt in die Koordination dieser gemischten Ökonomie eingebunden werden – eine Richtlinie, die De Man auf der der Grundlage von Erfahrungen in großen US-amerikanischen Fabriken verteidigte.
Wie führten diese von De Man angepriesenen „Strukturreformen“ zur Verteidigung des Klassenkampfes der Arbeiter? Für Bilan wollte De Man „zeigen, dass sich der Kampf der Arbeiter natürlich begrenzen musste auf nationale Ziele in Form und Inhalt und dass Sozialisierung fortschreitende Verstaatlichung der kapitalistischen oder gemischten Wirtschaft bedeutete. Unter dem Deckmantel der „unmittelbaren Aktion“ predigte De Man eine nationale Anpassung der Arbeiter an die „einzigartige und unteilbare Nation“ und stellte dies dar als die äußerste Zuflucht der von der kapitalistischen Reaktion gehemmten Arbeiter.“ Schließlich „zielen die strukturellen Reformen von H. De Man darauf ab, den realen Kampf der Arbeiter – und das ist deren einziges Ziel - in den Bereich des Irrealen zu verbannen. Sie schließen jeglichen Kampf für die Verteidigung unmittelbarer oder historischer Interessen des Proletariats im Namen einer strukturellen Reform aus, welche, was ihre Konzeption und Mittel betrifft, der Bourgeoisie nur helfen konnte, ihren Klassenstaat zu stärken, indem die Arbeiterklasse auf ihre Ohmacht reduziert wurde.“ (Bilan Nr. 4, Februar 1934).
Aber Bilan ging noch weiter und setzte den „Plan de Travail“ in den Kontext der Rolle, welche die Linke im damaligen historischen Rahmen spielte. „Der Aufstieg des Faschismus in Deutschland beendete eine bestimmende Periode von Arbeiterkämpfen. (...) Die Sozialdemokratie, welche ein wesentliches Element in diesen Niederlagen war, war auch ein Element in der organischen Reformation des Lebens des Kapitalismus. (...) Sie benutzte eine neue Sprache, um mit ihren Aufgaben fortzufahren. Sie lehnte verbal den Internationalismus ab, da dieser nicht länger notwendig war und ging über zu einer offenen ideologischen Vorbereitung der Arbeiter zur Verteidigung „ihrer Nation“. (...) Hier findet sich der wahre Ursprung von De Mans Plan. Dieser ist ein konkreter Versuch, mit Hilfe einer adäquaten Mobilisation, die Niederlage des revolutionären Internationalismus genau so zu sanktionieren wie die ideologische Vorbereitung einer Integration des Proletariats in den Kampf des Kapitalismus Richtung Krieg. Deswegen spielt ihr nationaler Sozialismus dieselbe Rolle wie der National-Sozialismus der Faschisten.“ (Bilan Nr. 4, Februar 1934).
Die Analyse des New Deals und von De Mans Plan zeigt gut, dass diese Maßnahmen in keiner Weise in Richtung einer Stärkung des proletarischen Kampfes gegen den Kapitalismus gingen. Im Gegenteil, sie zielten darauf ab, das Proletariat in die Ohnmacht zu treiben, es den Bedürfnissen der nationalen Verteidigung zu unterwerfen. Wie Bilan sagte, kann De Mans Plan auf keine Weise unterschieden werden von den Programmen der Staatskontrolle der faschistischen und Naziregimes oder von denen der stalinistischen Fünfjahrespläne, welche von 1928 an in den UdSSR durchgesetzt wurden und anfangs die Demokraten in den USA inspirierten.
Solche Maßnahmen wurden allgemein verbreitet, weil sie den Bedürfnissen eines dekadenten Kapitalismus entsprachen. In dieser Periode war die allgemeine Tendenz zum Staatskapitalismus eine der dominanten Charakteristiken des sozialen Lebens. „Da in dieser Epoche kein nationales Kapital in der Lage ist, sich uneingeschränkt zu entwickeln, und jedes von ihnen mit einer unbarmherzigen imperialistischen Konkurrenz konfrontiert ist, wird jedes Nationalkapital gezwungen, sich so effektiv wie möglich zu organisieren, um sich nach außen, gegen seine Rivalen, ökonomisch und militärisch bestmöglich zu wappnen und um im Innern der wachsenden Zuspitzung der gesellschaftlichen Widersprüche Herr zu werden. Die einzige Kraft in der Gesellschaft, die diese Aufgaben durchführen kann, ist der Staat.
Nur der Staat kann:
- die Volkswirtschaft global und zentral kontrollieren und die innere Konkurrenz reduzieren, welche die Wirtschaft schwächt. Dabei lautet seine oberste Maxime, die Konkurrenzfähigkeit der nationalen Wirtschaft zu stärken, um der Konkurrenz auf dem Weltmarkt vereint zu begegnen;
- die militärischen Vorkehrungen treffen (Aufbau von militärischen Streitkräften), welche für die Verteidigung der Interessen des nationalen Kapitals in Anbetracht der Verschärfung der internationalen Gegensätze notwendig sind;
- schließlich dank eines ständig verstärkten Unterdrückungsapparates und seiner Bürokratie den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft stärken, welcher durch den sich beschleunigenden Verfall ihrer ökonomischen Grundlagen bedroht ist. (...)“ (Plattform der IKS).
In Tat und Wahrheit waren alle diese Programme der Reorganisation nationaler Produktion unter Staatskontrolle gänzlich auf den ökonomischen Krieg und die Vorbereitung eines neuen weltweiten Schlachtens (Kriegswirtschaft) ausgerichtet. Sie entsprachen genauestens den Bedürfnissen der Bourgeoisie, innerhalb des Kapitalismus in seiner dekadenten Periode zu überleben.
Aber wurden diese pessimistischen Analysen nicht hinweggefegt von den massiven Streiks im Mai und Juni 1936 in Frankreich, von den sozialen Maßnahmen, welche die Volksfrontregierung ergriff, und von der „spanischen Revolution“, welche im Juli 1936 begann? Bestätigen diese Ereignisse nicht im Gegenteil, dass der Ansatz der „antifaschistischen“ oder „Volksfront“ korrekt war? Waren diese nicht sogar ein konkreter Ausdruck der „sozialen Revolution“ in Aktion? Untersuchen wir das Wesen dieser Ereignisse.
Die große Streikwelle, welche unmittelbar auf den Antritt der Volksfrontregierung nach ihrem Wahlsieg am 5. Mai 1936 folgte, sollte die Grenzen der Arbeiterbewegung aufzeigen. Diese Grenzen waren abgesteckt durch die Niederlage der revolutionären Welle und das Gewicht der Konterrevolution.
Am 7. Mai brach eine Streikwelle in der Flugzeugindustrie aus, gefolgt von der Bau- und der Automobilindustrie. Begleitet wurde sie von spontanen Fabrikbesetzungen. Trotz ihrer kämpferischen Natur waren diese Auseinandersetzungen ein Zeichen der beschränkten Fähigkeit der Arbeiter, den Kampf auf ihrem eigenen Klassenterrain auszufechten. In den ersten Tagen der Bewegung war die Linke erfolgreich darin, die Ablenkung der Kampfbereitschaft der Arbeiter auf das Terrain der nationalen Interessen als „Sieg der Arbeiter“ darzustellen. Es stimmt zwar, dass zu dieser Zeit die ersten Fabrikbesetzungen überhaupt in Frankreich stattfanden, aber es war auch das erste Mal, dass man Arbeiter gleichzeitig die Marseillaise und die Internationale singen hörte oder sie sowohl hinter der roten Fahne als auch der nationalen „Trikolore“ marschieren sah. Der Kontrollapparat der KP und die Gewerkschaften blieben Herren der Situation und konnten die Arbeiter erfolgreich in ihren Fabriken eingeschlossen halten, zu der besänftigenden Musik des Akkordeons. Währenddessen wurde an der Spitze über ihr Schicksal entschieden, in den Verhandlungen, welche zum Matignon-Abkommen führen sollten. Einheit bestand zwar, aber diejenige des bourgeoisen Kontrollapparates über die Arbeiterklasse, und nicht die Einheit der Arbeiterklasse. Als sich eine kleine Menge Widerspenstiger weigerte zu verstehen, dass es nach der Unterzeichnung des Abkommens Zeit war, wieder an die Arbeit zu gehen, erklärte ihnen die Humanité, dass es „notwendig war, zu wissen, wie man einen Streik stoppt... es sogar notwendig war zu wissen, wie man einen Kompromiss eingeht“ (Maurice Thorez, Rede im Juni 1936) und dass „wir unsere radikalen Freunde nicht erschrecken dürfen“.
Während des Riom-Prozesses, den das Vichy-Regime führte, um die Verantwortlichen für die „moralische Dekadenz Frankreichs“ zu bestrafen, erklärte Léon Blum persönlich, wie die Fabrikbesetzungen in die nationale Mobilisierung hinein passten: „Die Arbeiter waren da als Wächter, Aufseher und in einem gewissen Sinne auch als Mitbesitzer. Und vom speziellen Gesichtspunkt aus, der Sie interessiert, führt die Feststellung, dass es gegenüber dem nationalen Kulturgut eine Gemeinschaft von Rechten und Pflichten gibt, nicht zur Sicherung und Vorbereitung seiner gemeinsamen und einhelligen Verteidigung? (...) auf diese Weise schafft man Schritt für Schritt für die Arbeiter ein gemeinsames Eigentum im Vaterland; auf diese Weise lehrt man sie das Vaterland zu verteidigen.“
Die Linke kriegte was sie wollte: Sie brachte die Kampfbereitschaft der Arbeiter auf den unfruchtbaren Boden des Nationalismus, des nationalen Interesses. „Die Bourgeoisie ist gezwungen, sich an die Volksfront zu wenden, um den unvermeidlichen Ausbruch des Klassenkampfes zu ihrem Wohl zu kanalisieren, speziell da die Volksfront als Ausfluss der Arbeiterklasse erscheint und nicht als die kapitalistische Macht, welche das Proletariat auflöste, um es für den Krieg zu mobilisieren“ (Bilan Nr. 32, Juni-Juli 1936). Um jeglichem Arbeiterwiderstand ein Ende zu setzen, benutzten die Stalinisten ihre Knüppel gegen jene, welche „sich selbst zu kurzsichtigen Aktionen provozieren ließen“ (M. Thorez, 8. Juni 1936), und die Volksfront holte 1937 die Polizei herbei, um die Arbeiter in Clichy niederzuschießen. Indem sie die letzten Reste an aufsässigen Arbeitern zusammenschlug oder tötete, zwang die Bourgeoisie das ganze französische Proletariat in die Verteidigung der Nation.
Im Wesentlichen gab es im Programm der Volksfront nichts, um was sich die Bourgeoisie hätte Sorgen machen müssen. Am 16. Mai versicherte Daladier, der Präsident der Radikalen Partei: „Kein Artikel des Volksfrontprogramms enthält irgendetwas, was die legitimen Interessen irgendeines Bürgers beeinträchtigen, Investoren beunruhigen oder die gesunde Kraft der französischen Arbeit schädigen könnte. Es gibt keinen Zweifel, dass es viele derjenigen, die es so leidenschaftlich bekämpfen, noch nicht einmal gelesen haben“ (L’Oeuvre, 16. Mai 1936). Nichtsdestotrotz musste die Linke, um ihre antifaschistische Ideologie zu verbreiten und in ihrer Rolle als Verteidiger des Vaterlandes und des kapitalistischen Staates glaubwürdig zu bleiben, ein paar Krümel verteilen. Die Matignon-Abkommen und der Pseudoerfolg von 1936 machten es möglich, die Linke an der Macht als „großen Sieg der Arbeiter“ darzustellen und deren Vertrauen in die Volksfront und in ihre Verteidigung des bürgerlichen Staates sogar in Kriegszeiten zu gewinnen.
Dieses berühmt berüchtigte Matignon-Abkommen, unterzeichnet am 7. Juni 1936, von der CGT gefeiert als ein „Sieg über die Armut“ und bis heute dargestellt als ein Vorbild für „soziale Reformen“, war somit der Köder, mit Hilfe dessen den Arbeitern die Volksfront verkauft wurde. Was hat es konkret gebracht? Unter dem Anschein von „Konzessionen“ an die Arbeiterklasse, wie zum Beispiel Lohnerhöhungen, der 40-Stundenwoche und von bezahlten Ferien, sicherte die Bourgeoisie vor allem die Produktion unter der Führung eines „unparteiischen“ Staates, wie der CGT-Führer Léon Juhaux aufzeigte: „(...) der Beginn einer neuen Ära (...), der Ära direkter Beziehungen zwischen den beiden großen organisierten wirtschaftlichen Kräften des Landes (...). Entscheidungen wurden gänzlich unabhängig getroffen, unter der Schirmherrschaft der Regierung, welche nötigenfalls die Rolle eines Schiedsrichters übernahm, was ihrer Rolle als Repräsentant des allgemeinen Interesses entspricht“ (Radioansprache des 8. Juni 1936). Das Ziel war, die Arbeiter dazu zu bringen, beispiellose Produktionsbeschleunigungen durch Einführung neuer Methoden der Arbeitsorganisation zu akzeptieren, welche das Ziel hatten, die stündliche Produktivität speziell in der Rüstungsindustrie zu verzehnfachen. Dies bedeutete die Verallgemeinerung des Taylorismus, der Fließbandproduktion und die Diktatur der Stoppuhr in den Fabriken.
Es war Léon Blum persönlich, der den „sozialen“ Schleier lüftete, welcher die Gesetze von 1936 verdeckte, und zwar in seiner Rede vor dem Riom-Prozess 1942, welcher die Schuld an der Niederlage gegen die Nazis der Volksfront und der 40-Stundenwoche in die Schuhe schieben wollte: „Was liegt hinter der Stundenproduktivität? (...) Sie hängt ab von der guten Koordination und Anpassung der Bewegungen des Arbeiters an die Maschine; sie hängt ebenso vom moralischen und physischen Zustand des Arbeiters ab.
Es gibt in Amerika eine ganze Denkschule, die Schule von Taylor und den Bedeau-Ingenieuren, welche man auf Inspektion am Fabrikband sehen kann. Diese unternahmen gründliche Studien der materiellen Organisationsmethoden, welche die Stundenproduktion einer Maschine maximieren, was genau ihre Absicht war. Aber es gibt auch die Gilbreth-Schule, welche Daten zur physischen Verfassung der Arbeiter untersuchte, damit diese Steigerung erreicht werden kann. Der Hauptpunkt ist, die Erschöpfung des Arbeiters zu beschränken (...) Glauben sie nicht, dass all unsere soziale Gesetzgebung darauf hinauslief, diese moralische und physische Verfassung zu verbessern: Der kürzere Arbeitstag, mehr Muße, bezahlte Ferien, das Gefühl, eine gewisse Würde und Gleichheit erobert zu haben - all dies sollten Elemente sein, um die Stundenproduktivität, die der Arbeiter aus der Maschine herausholen konnte, zu erhöhen.“
Aus diesen Gründen und auf diese Weise waren die „sozialen“ Maßnahmen der Volksfrontregierung notwendig, um das Proletariat in die neuen Produktionsmethoden einzubinden, welche auf eine schnelle Wiederbewaffnung der Nation abzielten, bevor der Krieg ausbrach. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass bezahlte Ferien in der einen oder anderen Form in allen kriegswilligen entwickelten Ländern gleichzeitig garantiert wurden und so ihren Arbeitern derselbe Produktionsrhythmus aufgezwungen wurde.
Im Juni 1936 brach in Belgien unter dem Eindruck der Bewegung in Frankreich ein Dockarbeiterstreik aus. Nachdem die Gewerkschaften zuerst versucht hatten, ihn zu stoppen, anerkannten sie schließlich die Bewegung und richteten sie auf Forderungen aus, die denen der französischen Volksfront glichen: Lohnerhöhungen, die 40- Stundenwoche und eine Woche bezahlten Urlaubs. Am 15. Juni breitete sich die Bewegung aus auf Borinage und die Regionen von Liège und Limburg: Im ganzen Land standen 350'000 Arbeiter im Streik. Das Hauptresultat der Bewegung war die Verbesserung sozialer Konsultation durch die Einsetzung der nationalen Arbeitskonferenz, in der sich Bosse und Gewerkschaften auf den nationalen Plan zur Optimierung der Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Industrie einigten.
Sobald einmal die Streiks beendet und ein bleibender Zuwachs der Stundenproduktivität erreicht waren, hatte die Volksfrontregierung freie Hand, wieder zurück zu nehmen, was sie gewährt hatte. Die Lohnerhöhungen wurden innerhalb von Monaten von der Inflation weggefressen (die Nahrungsmittelpreise stiegen zwischen 1936 und 1938 um 54%), die 40-Stundenwoche wurde ein Jahr später von Blum selbst in Frage gestellt und dann komplett vergessen, sobald Daladiers radikale Regierung 1938 die ganze wirtschaftliche Maschinerie in Vorbereitung des Krieges beschleunigte: Abschaffung der Extrazahlungen für die ersten 250 Überstunden sowie der Arbeitsverträge, welche Akkordarbeit verboten, und Bestrafung all jener im Namen der nationalen Verteidigung, welche Überstunden ablehnten. „Fabriken, welche für die nationale Verteidigung arbeiteten, wurden ohne weiteres von der Auflage der 40-Stundenwoche befreit. In den meisten anderen Dingen erhielt ich 1938 von den Arbeiterorganisationen die Zustimmung für eine 45-Stundenwoche in Fabriken, welche direkt oder indirekt für die nationale Verteidigung arbeiteten“ (Blum während des Riom-Prozesses). Schlussendlich erhielten die Bosse mit Unterstützung der Regierung Blum und der Zustimmung der Gewerkschaften ihre bezahlten Ferien zurück. Weihnachten und Neujahr wurden in die bezahlte Ferienzeit integriert. Dem folgte die Abschaffung von allen existierenden öffentlichen Feiertage: das Ganze summierte sich auf 80 Stunden Extraarbeit auf, welche genau den von der Volksfront gewährten zwei Wochen bezahlter Ferien entsprachen.
Was die Anerkennung der Gewerkschaftsdelegierten und der Tarifverträge betrifft, symbolisierte dies nichts mehr als die Stärkung des gewerkschaftlichen Zugriffs auf die Arbeiter durch die Verstärkung ihrer Präsenz in den Fabriken. Léon Juhaux, Sozialist und Gewerkschaftsführer, erklärte diesen Zweck mit folgenden Worten: „Die Arbeiterorganisationen (d.h. die Gewerkschaften) wollen sozialen Frieden. Zum einen, um die Volksfrontregierung nicht in Verlegenheit zu bringen, und zum andern, um die Wiederaufrüstung nicht zu behindern.“ Wenn die Bourgeoisie den Krieg vorbereitet, muss der Staat die ganze Gesellschaft kontrollieren, um all ihre Energie auf dieses blutige Ziel zu konzentrieren. Und in den Fabriken sind es die Gewerkschaften, welche es dem Staat erlauben, die Arbeitskraft zu überwachen.
Wenn es einen Sieg gab, dann war es der Unheil verkündende Sieg des Kapitals, welches seine einzige „Lösung“ der Krise vorbereitet: den imperialistischen Krieg.
In Frankreich wurde die Verteidigung der imperialistischen Interessen der französischen Bourgeoisie seit dem Beginn der Volksfront mit ihrer Parole „Frieden, Brot, Freiheit“ und über den Antifaschismus und den Pazifismus hinaus mit den demokratischen Illusionen vermischt. Auf diesem Hintergrund nützte die „Linke“ geschickt die Kriegsvorbereitung, die in internationalem Maßstab stattfand, aus, um zu zeigen, dass die „faschistische Gefahr vor den Türen des Landes“ stehe, indem sie zum Beispiel eine Kampagne über den italienischen Angriff auf Äthiopien vom Zaun riss. Noch offensichtlicher teilten sich die SFIO und die KP die Arbeit hinsichtlich des spanischen Bürgerkrieges: Während die SFIO die Intervention in Spanien im Namen des „Pazifismus“ ablehnte, propagierte die KP genau diese Intervention im Namen des „antifaschistischen Kampfes“.
Wenn somit das französische Kapital der Volksfrontregierung dankbar sein muss, so ist es insbesondere dafür, die Aufgabe der Kriegsvorbereitung übernommen zu haben. Sie hat dies auf dreierlei Arten bewerkstelligt:
- Zuerst einmal konnte die Linke die riesigen Arbeitermassen, die sich im Streik befanden, als Druckmittel gegen die rückständigsten Kräfte der Bourgeoisie benützen, indem sie ihnen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz des nationalen Kapitals angesichts der Krise aufzwang und dies gleichzeitig als einen Sieg der Arbeiterklasse verkaufte.
- Weiter setzte die Volksfront ein Rüstungsprogramm um, das die Verstaatlichung der Kriegsindustrie beinhaltete und über das Blum später während des Riom-Prozesses zu Protokoll geben sollte: „Ich habe ein großes Steuerpaket unterbreitet (…), das darauf abzielte, alle Kräfte der Nation auf die Rüstung zu konzentrieren, und das diese intensiven Rüstungsanstrengungen zur Bedingung selbst, zum eigentlichen Element eines endgültigen industriellen und wirtschaftlichen Aufschwungs machte. Es ließ die liberale Wirtschaftspolitik hinter sich und stellte sich auf die Ebene einer Kriegswirtschaft.“
Tatsächlich war sich die Linke des kommenden Krieges bewusst; allen voran sie drängte auf ein französisch-russisches Bündnis, sie griff die Münchener Tendenzen innerhalb der französischen Bourgeoisie aufs Schärfste an. Die „Lösungen“, die sie angesichts der Krise durchsetzt, waren nicht anders als diejenigen im faschistischen Deutschland, in den USA mit ihrem New Deal oder im stalinistischen Russland: Entwicklung des unproduktiven Sektors der Waffenindustrie. Welches auch immer die Maske war, hinter der sich das nationale Kapital versteckte, waren die ergriffenen wirtschaftlichen Maßnahmen die gleichen. Wie Bilan feststellte: „Es ist kein Zufall, dass die großen Streiks in der Metallindustrie ausbrachen und da in den Flugzeugfabriken begannen (…) es sind diese Sektoren, die heute aufgrund der im ganzen Land befolgten Rüstungspolitik voll ausgelastet sind. Dies spüren die Arbeiter und sie mussten ihre Bewegung auslösen, um den brutalen Rhythmus des Fliessbandes zu bremsen (…)“.
- Schließlich und vor allem führte die Volksfront das Proletariat auf das schlimmste Terrain, nämlich auf dasjenige seiner Niederlage und Vernichtung: des Nationalismus.
Mittels der vaterländischen Hysterie, die die Linke in der Form des Antifaschismus lostrat, wurde das Proletariat dazu gebracht, eine Fraktion der Bourgeoisie gegen die andere zu verteidigen, die demokratische gegen die faschistische, einen Staat gegen einen anderen, Frankreich gegen Deutschland. Die KPF verkündete: „Die Stunde der Umsetzung der allgemeinen Volksbewaffnung hat geschlagen, der Umsetzung der radikalsten Reformen, die eine Verzehnfachung der Kraft der militärischen und technischen Mittel des Landes erlauben werden. Die Armee des Volkes, die Armee der in Reih und Glied stehenden Arbeiter und Bauern, die wohl ausgebildet, wohl geführt werden durch der Republik treue Offiziere“. Im Namen dieses „Ideals“ feierten die „Kommunisten“ Jeanne d’Arc, „die große Befreierin Frankreichs“, rief die KP zur Bildung einer Französischen Front auf und übernahm die Losung, die noch ein paar Jahre zuvor diejenige der extremen Rechten gewesen war: „Frankreich den Franzosen!“ Unter dem Vorwand, die durch den Faschismus bedrohten demokratischen Freiheiten zu verteidigen, brachten sie die Proletarier dazu, die für die Gesundheit des französischen Kapitals nötigen Opfer zu erbringen und schließlich das eigene Leben im Gemetzel des Zweiten Weltkrieges zu opfern.
Für diese Henkersaufgabe fand die Volksfront effiziente Verbündete bei ihren Kritikern auf der Linken: der Sozialistischen Arbeiter- und Bauernpartei (PSOP) von Marceau Pivert, Trotzkisten und Anarchisten. Diese spielten die Rolle der Einpeitscher gegenüber den kämpferischsten Teilen der Arbeiterklasse und warfen sich in die Pose der „Radikaleren“, doch waren sie nur „radikaler“ in der Verblendung der Arbeiter. Die Sozialistischen Jugendorganisationen der Seine, wo die Trotzkisten eines Craipeau oder Roux Entrismus betrieben, waren die ersten, die auf antifaschistische Milizen setzten und sie organisierten, die Freunde Piverts, die dem PSOP beitraten, kritisierten am lautesten die „Feigheit“ von München. Alle waren sie einmütig in der Verteidigung der spanischen Republik, Seite an Seite mit den Antifaschisten, und alle sollten später am interimperialistischen Blutbad als Teil der Résistance teilnehmen. Alle leisteten ihren Beitrag zum Schutze des nationalen Kapitals, sie machten sich verdient um das Vaterland!
Mit der Bildung der Volksfront (Frente Popular) und ihrem Sieg in den Wahlen vom Februar 1936 brachte die Bourgeoisie das Gift der "demokratischen Revolution" in die Arbeiterklasse und es gelang ihr so, die Arbeiterklasse an die Verteidigung des "demokratischen" bürgerlichen Staates zu binden. Als unmittelbar nach den Wahlen eine neue Streikwelle ausbrach, bremsten und sabotierten sie die Linken und die Anarchisten, weil sie angeblich „Wasser auf die Mühlen der Unternehmer und der Rechten“ war. Diese Politik fand während des militärischen Putsches vom 18. Juli 1936 einen konkreten und tragischen Ausdruck. Die Arbeiter reagierten auf den Staatsstreich sofort mit Streiks, der Besetzung von Kasernen und der Entwaffnung der Soldaten, und zwar gegen die Anweisungen der Regierung, die zur Ruhe aufrief. Dort wo die Aufrufe der Regierungen befolgt wurden ("die Regierung befiehlt, die Volksfront gehorcht"), übernahm das Militär das Kommando, worauf eine blutige Unterdrückung folgte.
Doch die Illusion der "spanischen Revolution" wurde verstärkt durch das vermeintliche „Verschwinden“ des republikanischen Kapitalistenstaates und die Nichtexistenz der Bourgeoisie, wo sich alle hinter einer „Pseudoarbeiterregierung“ und hinter „noch linkeren“ Organisationen wie dem „Zentralkomitee der Antifaschistischen Milizen“ oder dem „Zentralrat der Wirtschaft“ versteckten, welche die Illusion einer Doppelmacht aufrechterhielten. Im Namen dieses „revolutionären Wechsels“, der so leicht errungen war, verlangte und erhielt die Bourgeoisie von den Arbeitern den Burgfrieden mit dem alleinigen Ziel, Franco zu schlagen. Aber „die Alternative ist nicht diejenigen zwischen Azaña und Franco, sondern zwischen Bourgeoisie und Proletariat; ob der eine oder der andere der beiden Partner geschlagen wird, der wirkliche Verlierer ist in jedem Fall das Proletariat, das den Preis eines Sieges entweder von Azaña oder von Franco bezahlt“ (Bilan n°33, Juli-August 1936).
Sehr schnell lenkte die republikanische Regierung der Volksfront mit Hilfe der CNT (3) und des POUM (4) die Reaktion der Arbeiter auf den franquistischen Staatsstreich um auf den Weg eines antifaschistischen Kampfes. Sie manövrierte, damit der soziale, wirtschaftliche und politische Kampf gegen die gesamten Kräfte der Bourgeoisie einer militärischen Konfrontation in den Schützengräben Platz machte, die nur gegen Franco gerichtet war. Und die Bewaffnung der Arbeiter fand nur statt, damit sie an die militärische Front des „Bürgerkrieges“ ins Gemetzel geschickt werden konnten, weit weg von ihrem Klassenterrain. „Man könnte annehmen, dass die Bewaffnung der Arbeiter vom politischen Gesichtspunkt her an sich eine gute Sache ist und dass die Arbeiter, wenn sie einmal bewaffnet sind, ihre verräterischen Führer in die Wüste schicken und den Kampf auf eine höhere Stufe bringen könnten. Nichts dergleichen ist passiert. Der Volksfront ist es gelungen, die Arbeiter mit der Bourgeoisie zu verbinden, denn sie kämpfen nun unter der Führung und für den Sieg einer der bürgerlichen Fraktionen; somit berauben sich die Arbeiter der Möglichkeit, auf der Grundlage von Klassenpositionen zu wachsen“ (Bilan Nr. 33, Juli-August 1936).
Außerdem war es nicht ein „Bürgerkrieg“, sondern schnell ein ganz normaler Konflikt zwischen Imperialisten und damit eine Hauptprobe für den Zweiten Weltkrieg. Während die Demokratien und Russland sich auf die Seite der Republikaner schlugen, unterstützten Italien und Deutschland die Falangisten. „Anstelle von Klassengrenzen, die allein die Regimente Francos hätten auflösen und den durch die Rechte terrorisierten Bauern Vertrauen geben können, sind andere Grenzen gezogen worden, die wesentlich kapitalistischen, und der Burgfrieden wurde ausgerufen für das imperialistische Gemetzel, Region gegen Region, Stadt gegen Stadt in Spanien, und durch die Ausweitung Staaten gegen Staaten in den beiden Blöcken, in dem demokratischen und dem faschistischen. Dass der Weltkrieg noch nicht begonnen hat, heißt nicht, dass die Mobilisierung des spanischen und internationalen Proletariats für das gegenseitige Abschlachten unter den imperialistischen Fahnen des Faschismus und des Antifaschismus nicht bereits abgeschlossen wäre.“ (Bilan n°34, August-September 1936).
Doch der Krieg in Spanien hat noch einen weiteren Mythos hervorgebracht. Indem die Volksfront den Klassenkampf des Proletariats gegen den Kapitalismus durch den Krieg zwischen „Demokratie“ und „Faschismus“ ersetzte, entstellte sie das Wesen der Revolution: Seine zentrale Zielsetzung ist nun nicht mehr die Zerstörung des bürgerlichen Staates und die Ergreifung der politischen Macht durch das Proletariat, sondern die Maßnahmen der angeblichen Sozialisierung und der Arbeiterselbstverwaltung in den Fabriken. Es sind vor allem die Anarchisten und bestimmten Tendenzen, die sich als rätistisch verstehen, welche diesen Mythos besonders pflegen und so weit gehen zu behaupten, dass in diesem republikanischen, antifaschistischen und stalinistischen Spanien die Eroberung sozialistischer Positionen weiter gegangen sei als das, was die Oktoberrevolution in Russland zustande gebracht habe.
Ohne diese Frage hier aufzurollen, muss doch gesagt werden, dass diese Maßnahmen, selbst wenn sie radikaler gewesen wären, als sie es wirklich waren, nichts an dem grundlegend konterrevolutionären Wesen des Prozesses in Spanien geändert hätten. Für die Bourgeoisie wie für das Proletariat kann der zentrale Punkt der Revolution nichts anders als die Zerstörung oder die Bewahrung des kapitalistischen Staates sein.
Es ist nicht so, dass sich der Kapitalismus bloß vorübergehend mit der Selbstverwaltung oder angeblichen Sozialisierungen (der Schaffung von Kooperativen/Genossenschaften) in der Landwirtschaft abfände, während er nur darauf wartete, sie bei der nächst besten Gelegenheit wieder rückgängig zu machen; vielmehr kann er sie durchaus zur Verschleierung und Ablenkung der proletarischen Energien einführen, damit diese sich in illusorischen Siegen verflüchtigen und das Proletariat von seinem zentralen Ziel abgebracht wird, das mit der Revolution unauflöslich verbunden ist: das der Zerstörung der kapitalistischen Herrschaft, des Staates.
Das Loblied auf die so genannten sozialen Maßnahmen als höchsten Punkt der Revolution ist nichts als Verbalradikalismus, der das Proletariat abbringen soll von seinem revolutionären Kampf gegen den Staat die Mobilisierung als Kanonenfutter im Dienste der Bourgeoisie versteckt. Nachdem das Proletariat sein Klassenterrain verlassen hatte, wurde es in die antifaschistischen Milizen der Anarchisten oder der POUM eingepackt und als Kanonenfutter ins Massaker an der Front geschickt; damit einher ging eine gnadenlose Überausbeutung in immer mehr Opfer im Namen der Produktion für den „Befreiungskrieg“, der antifaschistischen Kriegswirtschaft: Lohnsenkungen, Inflation, Rationierungen, Militarisierung der Arbeit, Verlängerung des Arbeitstages. Und als sich im Mai 1937 das Proletariat in Barcelona verzweifelt erhob, unterdrückten die Volksfront und die Generalitat von Barcelona, an der die Anarchisten aktiv teil hatten, offen den Aufstand, metzelten die Arbeiterklasse dieser Stadt nieder, während die Franquisten ihre Feindseligkeiten einstellten, um die linken Henker ihre Bluttat vollenden zu lassen.
Von den Sozialdemokraten bis zu den Linksextremen sind sich alle einig darüber (und dazu gehören selbst gewisse Fraktionen der bürgerlichen Rechten), dass die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Linke 1936 in Frankreich und Spanien (aber auch, obwohl zweifellos in weniger spektakulärem Maßstab, in anderen Ländern wie Schweden und Belgien) ein großer Sieg der Arbeiterklasse und ein Zeichen seiner Kampfbereitschaft und Stärke während der dreißiger Jahre gewesen sei. Gegenüber diesen ideologischen Verdrehungen müssen die Revolutionäre heute wie ihre Vorgänger von der Zeitschrift Bilan klar und deutlich den benebelnden Charakter der Volksfronten und ihrer so genannten "Sozialrevolutionen" aufzeigen. Der Einzug der Linken in die Regierung brachte damals vielmehr die Tiefe der Niederlage des Weltproletariats zum Ausdruck und ermöglichte der Bourgeoisie, die Arbeiterklasse in Frankreich und Spanien auf den imperialistischen Krieg auszurichten, den die gesamte Bourgeoisie vorbereitete, indem sie die Arbeiter massenhaft in die antifaschistische Ideologie einlullte.
„(…) Und ich dachte vor allem, dass es ein großartiges Ergebnis und ein großartiges Verdienst war, diese Massen und diese Arbeiterelite zur Liebe und zum Pflichtgefühl gegenüber dem Vaterland geführt zu haben“ (Erklärung von Blum im Riom-Prozess).
1936 ist für die Arbeiterklasse eine der finstersten Zeiten der Konterrevolution, als ihr die schlimmsten Niederlagen als Siege verkauft wurden; als die Bourgeoisie dem Proletariat, das nach der Niederlage der 1917 begonnenen revolutionären Welle noch ohnmächtig darniederlag, fast ohne Opposition ihre „Lösung“ der Krise - den Krieg aufzwingen konnte.
Jos
[i] [85] s. B. Kermoal, "Colère ouvrière à la veille du Front populaire", Le Monde diplomatique, Juni 2006, S. 28.
[ii] [85] Abkürzung für: Section Française de l’Internationale Ouvrière, Französische Sektion der Arbeiterinternationale, gemeint der II. Internationalen, die das Proletariat 1914 verriet.
[iii] [85] Die Zitate betreffend die Volksfronten stammen normalerweise aus: L. Bodin und J. Touchard, Front populaire 1936, Paris: Armand Colin, 1985.
[iv] [85] Confederación Nacional de Trabajo, anarcho-syndikalistische Zentrale.
[v] [85] Partido Obrero de Unificación Marxista, eine kleine, auf Katalonien konzentrierte Partei, die die „radikale“ extreme Linke der Sozialdemokratie darstellte. Sie war Teil des „Londoner Büros“, das international die linken sozialistischen Strömungen (die deutsche SAPD, den französischen PSOP, die britische Independent Labour Party etc.) zusammenfasste.
[vi] [85] Edouard Daladier: Führer der Radikalen Partei, ab 1924 immer wieder Minister (insbesondere zuständig für die Kolonien bzw. die Verteidigung), Regierungschef in den Jahren 1933, 1934 und 1938. In dieser Funktion unterschrieb er am 30. September 1938 das Münchner Abkommen. Pierre Cot: Er begann seine politische Laufbahn als Radikaler und beendete sie als Weggefährte der KPF. Er wurde 1933 von Daladier zum Luftfahrtminister ernannt. Léon Blum: Historischer Führer der SFIO (der sozialistischen Partei) nach der Spaltung am Kongress von Tours 1920, wo die Kommunistische Partei gegründet wurde. Marcel Cachin: Sagenumwobene Figur der KPF, Direktor der Humanité von 1918-1958. Sein Leistungsausweis spricht für sich: Während des Ersten Weltkrieges gehörte er zu den unnachgiebigen Vaterlandsverteidigern, so dass er von der französischen Regierung zu Mussolini geschickt wurde, der damals noch Sozialist war, um diesem das nötige Geld zuzustecken, das er für die Gründung der Zeitung Il popolo d’Italia brauchte, um damit Propaganda für den Kriegseintritt Italien zu treiben. 1917 wurde er nach der Februarrevolution nach Russland geschickt, um die Provisorische Regierung davon zu überzeugen, den Krieg fortzusetzen. Er rühmte sich später, dass er 1918 vor Freude geweint habe, als nach dem Sieg Frankreichs über Deutschland in Strassburg wieder die französische Fahne im Wind geflattert habe. 1920 trat er der KPF bei, wo er zusammen mit Frossard den rechten Flügel der Partei repräsentierte. Während seines ganzen Lebens zeichnete er sich durch Strebertum und Unterwürfigkeit aus, was es ihm erlaubte, alle Kursänderungen der KPF spielend mitzumachen.
[vii] [85] Dieser Plan wurde auf Vorschlag des amerikanischen Bankiers Charles Dawes im August 1924 durch die Londoner Konferenz angenommen, wo sich die Siegermächte und Deutschland versammelt hatten. Dieser Plan sah vor, Deutschland von den „Reparationszahlungen“, die es den Siegern (insbesondere Frankreich) leisten musste, zu entlasten, was ihm eine Wiederankurbelung seiner Wirtschaft und den Amerikanern Investitionen erlauben sollte.
Im ersten Artikel dieser Serie, den wir in der Internationalen Revue Nr. 32 veröffentlicht hatten, sahen wir, dass die Dekadenztheorie im eigentlichen Zentrum des historischen Materialismus, in Marxens und Engels‘ Analyse der Evolution der Produktionsweisen steht. Des Weiteren finden wir denselben Begriff im Mittelpunkt programmatischer Texte von Arbeiterorganisationen. Darüber hinaus beließen es diese Organisationen nicht dabei, diesen Grundstein des Marxismus einfach nur zu übernehmen, sondern entwickelten diese Analyse und/oder ihre politischen Implikationen weiter. Wir beabsichtigen hier, kurz die politischen Ausdrücke der Arbeiterbewegung Revue passieren zu lassen. In diesem Teil werden wir mit der Bewegung zu Lebzeiten von Marx, mit der Zweiten Internationale, der marxistischen Linken, die ihr entstammte, und mit der Kommunistischen Internationale zurzeit ihrer Gründung beginnen. Im nächsten Teil, der in einer späteren Ausgabe erscheinen wird, werden wir detaillierter den analytischen Rahmen für die politischen Positionen untersuchen, die von der Dritten Internationale und schließlich von den linken Fraktionen entwickelt wurden, die zu Beginn ihrer Degeneration auftauchten und von denen wir unsere politischen und organisatorischen Ursprünge beziehen.
Marx und Engels drückten stets sehr deutlich die Ansicht aus, dass die Perspektive einer kommunistischen Revolution von der materiellen, historischen und globalen Entwicklung des Kapitalismus abhängt. Die Auffassung, dass eine Produktionsweise nicht ihr Leben aushaucht, bevor die Produktionsverhältnisse, auf denen sie beruht, zu einem Hindernis für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte geworden sind, war die Grundlage der gesamten politischen Aktivitäten von Marx und Engels sowie für die Erarbeitung eines jeden politischen Programms des Proletariats. Obgleich es zwei Momente gab, in denen Marx und Engels vermeinten, den Beginn der Dekadenz des Kapitalismus festgestellt zu haben[i] [87], korrigierten sie diese Einschätzung schnell und erkannten, dass der Kapitalismus immer noch ein progressives System war. Ihre Ansicht – bereits im Kommunistischen Manifest umrissen und seitdem in all ihren Werken vertieft -, dass, wenn das Proletariat in dieser Periode an die Macht käme, es seine hauptsächliche Aufgabe sein müsste, den Kapitalismus auf fortschrittlichste Art und Weise weiterzuentwickeln, statt ihn einfach zu zerstören, war ein Ausdruck dieser Analyse. Daher basierte die Praxis der Marxisten in der Zweiten Internationale völlig zu Recht auf der Erkenntnis, dass, solange der Kapitalismus eine fortschrittliche Rolle spielte, es notwendig war für die Arbeiterbewegung, bürgerliche Bewegungen zu unterstützen, die dabei helfen sollten, den historischen Boden für den Sozialismus zu bereiten. Wie das Kommunistische Manifest es nennt: „Wir sahen oben schon, dass der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“ Die Kommunisten „kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung. In Frankreich schließen sich die Kommunisten an die sozialistisch-demokratische Partei an gegen die konservative und radikale Bourgeoisie, ohne darum das Recht aufzugeben, sich kritisch zu den aus der revolutionären Überlieferung herrührenden Phrasen und Illusionen zu verhalten. In der Schweiz unterstützen sie die Radikalen, ohne zu verkennen, dass diese Partei aus widerstrebenden Elementen besteht, teils aus demokratischen Sozialisten im französischen Sinn, teils aus radikalen Bourgeois. Unter den Polen unterstützen die Kommunisten die Partei, welche eine agrarische Revolution zur Bedingung der nationalen Befreiung macht, dieselbe Partei, welche die Krakauer Insurrektion von 1846 ins Leben rief. In Deutschland kämpft die Kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt, gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei.“[ii] [87]
Parallel dazu war es für die Arbeiter notwendig, den Kampf um Reformen fortzusetzen, solange der Kapitalismus sie ermöglichte, und in diesem Kampf sollten die Kommunisten „für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse“ (Manifest) kämpfen. Diese materialistischen Positionen wurden auch gegen die ahistorischen Rufe der Anarchisten nach sofortiger Abschaffung des Kapitalismus und gegen ihre totale Opposition gegenüber jedweder Reform vertreten.[iii] [87]
Die Zweite Internationale machte sich diese Anpassung der Arbeiterpolitik an die historische Periode noch ausdrücklicher zu Eigen, indem sie zusammen mit einem Minimalprogramm (Anerkennung der Gewerkschaften, Arbeitszeitverkürzung, etc.) auch ein Maximalprogramm, den Sozialismus, verabschiedete, das in Kraft treten sollte, sobald die unvermeidliche historische Krise des Kapitalismus in Erscheinung trat. Dies wird deutlich im Erfurter Programm, das den Sieg des Marxismus innerhalb der Sozialdemokratie konkretisierte: „So verwandelt das Privateigenthum an den Produktionsmitteln (…) für die ganze Gesellschaft sein ursprüngliches Wesen in sein Gegentheil. Aus einer Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung wird es zu einer Ursache der gesellschaftlichen Versumpfung, des gesellschaftlichen Bankerotts. (…) Sein Untergang ist gewiss. Es fragt sich nur: Soll es die Gesellschaft mit sich in den Abgrund reißen oder soll diese sich der verderblichen Bürde entledigen, um frei und neugestärkt den Weg weiter wandeln zu können, den die Gesetze der Entwicklung ihr vorschreiben? (…) Die Produktivkräfte, die sich im Schooße der kapitalistischen Gesellschaft entwickelt haben, sind unvereinbar geworden mit der Eigenthumsordnung, auf der dieselbe beruht. Diese Eigenthumsordnung aufrecht erhalten wollen, heißt jeden weiteren gesellschaftlichen Fortschritt unmöglich machen, heißt die Gesellschaft zum Stillstand, zur Verwesung verurtheilen (…) Der Untergang dieses Privateigenthums ist nur noch eine Frage der Zeit. Er kommt sicher, wenn auch Niemand mit Bestimmtheit sagen kann, wann und in welcher Weise er eintreten wird. (…) Ein Beharren in der kapitalistischen Zivilisation ist unmöglich; es heißt entweder vorwärts zum Sozialismus oder rückwärts in die Barbarei. (…) die Geschichte der Menschheit (wird) nicht durch die Ideen der Menschen, sondern durch die ökonomische Entwicklung bestimmt (…), welche unwiderstehlich fortschreitet, nach bestimmten Gesetzen, nicht nach den Wünschen und Launen der Menschen“ (aus: Das Erfurter Programm, In seinem grundsätzlichen Teil erläutert von Karl Kautsky, Stuttgart 1892, korrigiert und unterstützt von Engels.[iv] [87]
Doch für die Mehrheit der offiziellen Führung der Zweiten Internationale wurde das Minimalprogramm immer mehr zum einzig gültigen Programm der Sozialdemokratie: „Das Endziel ist nichts, die Bewegung ist alles“, wie Bernstein es formulierte. Der Sozialismus und die proletarische Revolution wurden auf Plattitüden und Moralpredigten anlässlich von 1.-Mai-Kundgebungen reduziert, während die Energie der offiziellen Bewegung immer mehr darauf gerichtet wurde, der Sozialdemokratie einen Platz innerhalb des kapitalistischen Systems zu verschaffen, zu welchem Preis auch immer. So war es unvermeidlich, dass der opportunistische Flügel der Sozialdemokratie die eigentliche Idee von der Notwendigkeit der Zerstörung des Kapitalismus abzulehnen und die Idee von einer langsamen, allmählichen Umwandlung des Kapitalismus in den Sozialismus zu vertreten begann.
In Reaktion auf die Ausbreitung des Opportunismus in der Zweiten Internationale tauchten in einer Reihe von Ländern linke Fraktionen auf. Sie sollten die Basis für die Bildung kommunistischer Parteien sein, die als Folge auf den Verrat am proletarischen Internationalismus durch die Sozialdemokratie bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs ins Leben traten. Diese Fraktionen nahmen unüberhörbar und entschlossen die Fackel des Marxismus und das Erbe der Zweiten Internationale auf; wobei sie gezwungen waren, dieses Vermächtnis im Angesicht neuer Herausforderungen weiterzuentwickeln, die durch die Eröffnung einer neuen Epoche des Kapitalismus, der Dekadenzperiode, entstanden waren.
Diese Strömungen erschienen zu einem Zeitpunkt, als der Kapitalismus durch die letzte Phase seines Aufstiegs ging, als die imperialistische Expansion es ermöglichte, sich eine Ahnung von den kommenden Konfrontationen zwischen den Großmächten auf Weltebene zu verschaffen, und als die Arbeiterklasse immer öfter ihr Haupt erhob (die Entwicklung von politischen Generalstreiks und vor allem der Massenstreiks in etlichen Ländern). Gegen den Opportunismus von Bernstein und Co. verteidigte der linke Flügel der Sozialdemokratie – die Bolschewiki, die holländischen Tribunisten, Rosa Luxemburg und andere Revolutionäre – all die Implikationen des Marxismus: das Verständnis der Dynamik am Ende der aufsteigenden Phase des Kapitalismus und des unvermeidlichen Bankrotts des Systems[v] [87], die Gründe der opportunistischen Abweichungen[vi] [87] und die Bekräftigung der Notwendigkeit einer gewaltsamen und endgültigen Zerstörung des Kapitalismus.[vii] [87] Unglücklicherweise wurde all diese theoretische Arbeit der linken Fraktionen nicht auf internationaler Ebene ausgeführt. All diese Fraktionen arbeiteten isoliert voneinander und mit einem unterschiedlich ausgeprägten Verständnis der gewaltigen gesellschaftlichen Konvulsionen im ersten Teil des 20. Jahrhunderts, verkörpert durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und der aufständischen Bewegungen auf internationaler Ebene. Wir maßen uns hier nicht an, all die Beiträge der linken Fraktionen zu diesen Fragen darzustellen oder zu analysieren; wir wollen uns vielmehr auf einige wenige Schlüsselpositionen der beiden Organisationen beschränken, die das Rückgrat der neuen Internationale bildeten – die Bolschewiki und die deutsche Kommunistische Partei mit ihren hervorragendsten Repräsentanten, Lenin und Rosa Luxemburg.
Auch wenn Lenin nicht die Begriffe „Aufstieg“ und „Dekadenz“ benutzte (jedoch Ausdrücke wie „die Epoche des fortschrittlichen Kapitalismus“, „einst ein Faktor des Fortschritts“, „die Epoche der fortschrittlichen Bourgeoisie“, um die Aufstiegsperiode des Kapitalismus zu charakterisieren, und: „die Epoche der reaktionären Bourgeoisie“, „der Kapitalismus ist reaktionär geworden“, „sterbender Kapitalismus“, „die Epoche eines Kapitalismus, der seinen Zenit überschritten hat“, um die Dekadenzperiode des Kapitalismus zu charakterisieren), machte er ausgiebig Gebrauch von diesem Konzept und seinen wesentlichen Auswirkungen, besonders in seiner Analyse des Charakters des Ersten Weltkriegs. So war Lenin im Gegensatz zu den Sozialchauvinisten, die, indem sie sich die Analysen von Marx in der aufsteigenden Epoche des Kapitalismus zunutze machten, damit fortfuhren, zur Unterstützung bestimmter bürgerlicher Fraktionen und ihrer nationalen Befreiungskämpfe aufzurufen, in der Lage, im Ersten Weltkrieg den Ausdruck eines Systems zu sehen, das seine historische Funktion erschöpft hat, und die Notwendigkeit zu erklären, es durch eine weltweite Revolution zu überwinden. Daher seine Charakterisierung des imperialistischen Krieges als total reaktionär und seine Betonung der Notwendigkeit, ihm den proletarischen Internationalismus und die Revolution entgegenzusetzen:
„Aus einem Befreier der Nationen, der er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus war, ist der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche zum grössten Unterdrücker der Nationen geworden. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt reaktionär geworden, er hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass der Menschheit entweder den Übergang zum Sozialismus oder aber ein jahre-, ja sogar jahrzehntelanger bewaffneter Kampf der „Groß“mächte um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus mittels der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung bevorsteht.“ (W. I. Lenin: „Sozialismus und Krieg“, in: LW Bd. 21 S. 302)
„Die Epoche des kapitalistischen Imperialismus ist die des reifen und überreifen Kapitalismus, der vor dem Zusammenbruch steht, der reif ist, dem Sozialismus Platz zu machen. Die Epoche 1789 bis 1871 war die des fortschrittlichen Kapitalismus, als auf der Tagesordnung der Geschichte die Niederringung des Feudalismus, des Absolutismus, die Abschüttelung des fremden Joches stand.“ (W. I. Lenin: „Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationalen“, in: LW Bd. 22 S. 108)
„Es sind eben der Parasitismus und die Fäulnis des Kapitalismus, die seinem höchsten geschichtlichen Stadium, d.h. dem Imperialismus, eigen sind (...) Der Imperialismus ist der Vorabend der sozialen Revolution des Proletariats. Das hat sich seit 1917 im Weltmaßstab bestätigt“ (W. I. Lenin, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, in: LW Bd. 22 S. 191)
Die Haltung zu Krieg und Revolution war stets eine klare Trennungslinie innerhalb der Arbeiterbewegung gewesen. Lenins Fähigkeit, die historische Dynamik des Kapitalismus wahrzunehmen, das Ende der „Epoche des fortschrittlichen Kapitalismus“ zu erkennen, zu sehen, dass der „Kapitalismus reaktionär geworden ist“, versetzte ihn nicht nur in die Lage, den Ersten Weltkrieg klar zu charakterisieren, sondern auch das Wesen und die Bedeutung der Revolution in Russland zu erfassen. Als in diesem Land die revolutionäre Situation heranreifte, erlaubte es die Wahrnehmung der durch die neue Periode aufgezwungenen Aufgaben den Bolschewiki, gegen die mechanistischen und nationalistischen Auffassungen der Menschewiki anzukämpfen. Als Letztere versuchten, die Bedeutung der revolutionären Welle unter dem Vorwand herunterzuspielen, dass Russland viel zu unterentwickelt für den Sozialismus sei, beharrten die Bolschewiki darauf, dass der weltweite Charakter des imperialistischen Krieges enthüllt hatte, dass der Weltkapitalismus einen Punkt der Reife erreicht hat, wo die sozialistische Revolution zu einer Notwendigkeit geworden ist. Somit kämpften sie für die Machtergreifung durch die Arbeiterklasse in Russland, die sie als den Auftakt zur proletarischen Weltrevolution betrachteten.
Zu den ersten und klarsten Ausdrücken dieser Verteidigung des Marxismus gehörte die Broschüre Sozialreform oder Revolution, die 1899 von Rosa Luxemburg verfasst wurde. Auch wenn sie anerkannte, dass der Kapitalismus noch immer durch „die plötzliche Erweiterung des Gebiets der kapitalistischen Wirtschaft“ (d.h. den Imperialismus) expandierte, bestand Luxemburg darauf, dass der Kapitalismus sich unabwendbar auf seine „Senilitätskrise“ hinzubewegt, die die revolutionäre Machtergreifung durch das Proletariat notwendig macht. Darüber hinaus erkannte Luxemburg mit großem politischen Scharfsinn die neuen Erfordernisse, die sich durch den Wandel in der historischen Periode den Kämpfen und den politischen Positionen des Proletariats stellten, insbesondere bezüglich der Gewerkschaftsfrage, der parlamentarischen Taktik, der nationalen Frage und der neuen Methoden des Kampfes, die durch den Massenstreik in den Mittelpunkt rückten.[viii] [87]
Über die Gewerkschaften: „Hat die Entwicklung der Industrie ihren Höhepunkt erreicht und beginnt für das Kapital auf dem Weltmarkt der ‚absteigende Ast‘, dann wird der gewerkschaftliche Kampf doppelt schwierig (...) Der bezeichnete Gang der Dinge ist es, dessen andere Seite und Korrelat der Aufschwung des politischen und sozialen Klassenkampfes sein muss.“ (Sozialreform oder Revolution?, „Einführung des Sozialismus durch soziale Reformen“)
Über den Parlamentarismus: „Entweder Nationalversammlung oder die ganze Macht den Arbeiter- und Soldatenräten, entweder Verzicht auf den Sozialismus oder schärfster Klassenkampf im vollen Rüstzeug des Proletariats gegen die Bourgeoisie: Das ist das Dilemma. Ein idyllischer Plan dies: auf parlamentarischem Wege, durch einfachen Mehrheitsbeschluss den Sozialismus zu verwirklichen! (...) Auch der Parlamentarismus war eine Arena des Klassenkampfes für das Proletariat, solange der ruhige Alltag der bürgerlichen Gesellschaft dauerte: Er war die Tribüne, von der aus die Massen um die Fahne des Sozialismus gesammelt, für den Kampf geschult werden konnten. Heute stehen wir mitten in der proletarischen Revolution, und es gilt heute, an den Baum der kapitalistischen Ausbeutung selbst die Axt zu legen. Der bürgerliche Parlamentarismus hat, wie die bürgerliche Klassenherrschaft, deren vornehmstes politisches Ziel er ist, sein Daseinsrecht verwirkt. Jetzt tritt der Klassenkampf in seiner unverhüllten, nackten Gestalt in die Schranken. Kapital und Arbeit haben sich nichts mehr zu sagen, sie haben einander nur mit eiserner Umarmung zu packen und im Endkampf zu entscheiden, wer zu Boden geworfen wird.“ (Nationalversammlung oder Räteregierung?)
Über die nationale Frage: „5. Der Weltkrieg dient weder der nationalen Verteidigung noch wirtschaftlichen oder politischen Interessen irgendwelcher Volksmassen, er ist lediglich eine Ausgeburt imperialistischer Rivalitäten zwischen den kapitalistischen Klassen verschiedener Länder um die Weltherrschaft und das Monopol in der Aussaugung und Auspowerung der letzten Reste der noch nicht vom Kapital beherrschten Welt. In der Ära dieses entfesselten Imperialismus kann es keine nationalen Kriege mehr geben. Die nationalen Interessen dienen nur als Düpierungsmittel, um die arbeitenden Volksmassen ihrem Todfeind, dem Imperialismus, dienstbar zu machen.“ (Entwurf zu den Junius-Thesen, in: Luxemburg-Werke Bd. 4 S. 44)
Von den revolutionären Bewegungen, die dem Ersten Weltkrieg ein Ende bereitet hatten, ins Leben gerufen, wurde die Kommunistische Internationale (KI) auf der Grundlage der Erkenntnis gegründet, dass die fortschrittliche Rolle der Bourgeoisie beendet war, wie der linke Flügel der Zweiten Internationale vorhergesagt hatte. Konfrontiert mit der Aufgabe, den Wendepunkt zu begreifen, der im Ausbruch des Weltkriegs und in den aufständischen Bewegungen auf internationaler Ebene zum Ausdruck kam, erblickten die KI und die Gruppen, aus denen sie zusammengesetzt war, in der Dekadenz mehr oder weniger den Schlüssel zu ihrem Verständnis der neuen Epoche. So wird in der Richtlinien der Kommunistischen Internationale gesagt: „Eine neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seines inneren Zersetzung, die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats.“ (in: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen, Bd. 1 S. 40). Dieser analytische Rahmen findet sich mehr oder weniger in allen Grundsatzerklärungen der KI[ix] [87], wie in den „Thesen zum Parlamentarismus“, die auf ihrem Zweiten Kongress verabschiedet wurden: „Der theoretische klare Kommunismus muss dagegen den Charakter der gegenwärtigen Epoche richtig einschätzen (Höhepunkt des Kapitalismus; imperialistische Selbstverneinung und Selbstvernichtung, ununterbrochenes Anwachsen des Bürgerkrieges usw.).“ (in: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen, Bd. 1 S. 178)
Dieser analytische Rahmen erschien mit noch größerer Klarheit im „Bericht über die internationale Lage“, der von Trotzki verfasst und vom Dritten Kongress angenommen wurde: „Zyklische Schwankungen – sagten wir in unserem Bericht an den 3. Kongress der KI - begleiten die kapitalistische Gesellschaft in ihrer Jugend, in ihrem Erwachsensein und in ihrem Zerfall, so wie die Herzschläge den Menschen selbst auf seinem Totenbett begleiten“ (aus: Die Flut steigt, Jan. 1922, eigene Übersetzung). Was auch in den Diskussionen rund um diesen Bericht bestätigt wurde: „Wir sahen gestern im Detail, wie Genosse Trotzki – und ich denke, alle, die hier sind, stimmen mit ihm überein – auf der einen Seite das Verhältnis zwischen kurzen Krisen und kurzen Perioden zeitweiliger zyklischer Krisen und auf der anderen Seite das Problem der Krise und des Niedergangs des Kapitalismus auf der Ebene der großen historischen Epochen aufzeigt. Wir stimmen alle darin überein, dass die große aufsteigende Kurve nun unwiderstehlich in die andere Richtung gehen wird und dass in dieser Kurve weiterhin Schwankungen, ein Auf und Ab stattfinden werden.“ (Authier D., Dauve G., Ni parlement ni syndicats... les conseils ouvriers!, Edition „Les nuits rouges“ 2003, eigene Übersetzung).[x] [87] Schließlich wird dieser Rahmen noch ausdrücklicher in den „Thesen über die Taktik der Komintern“ bestätigt:
„2. Die Niedergangsperiode des Kapitalismus. Nach Abschätzung der ökonomischen Weltlage konnte der 3. Kongress mit vollkommener Bestimmtheit konstatieren, dass der Kapitalismus nach Erfüllung seiner Mission, die Entwicklung der Produktion zu fördern, in unversöhnlichen Widerspruch zu den Bedürfnissen nicht nur der gegenwärtigen historischen Entwicklung, sondern auch der elementarsten menschlichen Existenzbedingungen geraten ist. Im letzten imperialistischen Kriege spiegelte sich dieser fundamentale Widerspruch wider, der durch den Krieg noch verschärft wurde und der die Produktions- und Zirkulationsverhältnisse den schwersten Erschütterungen aussetzte. Der überlebte Kapitalismus ist in das Stadium getreten, in dem die Zerstörungsarbeit seiner zügellosen Kräfte die schöpferischen, wirtschaftlichen Errungenschaften, die das Proletariat noch in den Fesseln kapitalistischer Knechtschaft geschaffen hat, lähmt und vernichtet.“ (in: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen, Bd. 2, 4. Weltkongress, S. 6)
Der Ausbruch des imperialistischen Krieges 1914 markierte einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte sowohl der Bourgeoisie als auch der Arbeiterbewegung. Das Problem der „Senilitätskrise“ des Systems war nicht mehr Gegenstand einer rein theoretischen Debatte zwischen den verschiedenen Fraktionen der Arbeiterbewegung. Die Erkenntnis, dass der Krieg eine neue Periode des Kapitalismus als historisches System eröffnet hatte, erforderte auch eine Änderung in der politischen Praxis, die die Klassengrenzen neu justierte: auf der einen Seite die Opportunisten, die sich selbst deutlich als Agenten des Kapitalismus gezeigt haben, indem sie die Revolution zugunsten der nationalen Verteidigung in einem imperialistischen Krieg „vertagten“; und auf der anderen Seite die Bolschewiki um Lenin, die Gruppe Internationale, die Bremer Linksradikalen, die holländischen Tribunisten, etc., die sich in Zimmerwald und Kienthal versammelten und bekräftigten, dass der Krieg die Ära der „Kriege und Revolutionen“ eröffnet hat und dass die einzige Alternative zur kapitalistischen Barbarei die revolutionäre Erhebung des Proletariats gegen den imperialistischen Krieg war. Unter allen Revolutionären, die an diesen Konferenzen teilnahmen, waren die Bolschewiki am klarsten in der Kriegsfrage, und diese Klarheit resultierte direkt aus der Auffassung, dass der Kapitalismus in seine Dekadenzphase getreten ist, da die „Epoche der fortschrittlichen Bourgeoisie“ abgelöst wurde durch die „Epoche der reaktionären Bourgeoisie“, wie in folgender Passage von Lenin unmissverständlich klargemacht wurde: „Die russischen Sozialchauvinisten (an ihrer Spitze Plechanow) berufen sich auf die Taktik von Marx im Kriege von 1870; die deutschen Sozialchauvinisten (vom Schlage der Lensch, David und Co.) berufen sich auf die Erklärungen von Engels im Jahre 1891, in denen er von der Pflicht der deutschen Sozialisten spricht, im Falle eines gleichzeitigen Krieges gegen Russland und Frankreich das Vaterland zu verteidigen. (…) All diese Berufungen sind eine empörende Verfälschung der Auffassungen von Marx und Engels zugunsten der Bourgeoisie und der Opportunisten (…) Wer sich jetzt auf Marx´ Stellungnahme zu den Kriegen in der Epoche der fortschrittlichen Bourgeoisie beruft und Marx´ Worte ´Die Arbeiter haben kein Vaterland´ vergisst – dies Worte, die sich gerade auf die Epoche der reaktionären, überlebten Bourgeoisie beziehen, auf die Epoche der sozialen Revolution –, der fälscht Marx schamlos und ersetzt die sozialistische Auffassung durch die bürgerliche.“ (W. I. Lenin: Sozialismus und Krieg, in LW Bd. 21 S. 309 f.)
Diese politische Analyse der historischen Bedeutung des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs bestimmte die Stellung, die von der gesamten revolutionären Bewegung eingenommen wurde, von der marxistischen Fraktion innerhalb der Zweiten Internationale[xi] [87] über die Kommunistische Internationale bis hin zu den Gruppen der Kommunistischen Linken. Exakt dies hatte Engels Ende des 19. Jahrhunderts vorhergesehen. „Friedrich Engels sagt einmal: Die bürgerliche Gesellschaft steht vor einem Dilemma, entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall in die Barbarei. Was bedeutet ein ‚Rückfall in die Barbarei‘ auf unserer Höhe der europäischen Zivilisation? Wir haben wohl alle die Worte bis jetzt gedankenlos gelesen und wiederholt, ohne ihren furchtbaren Ernst zu ahnen. Ein Blick um uns in diesem Augenblick, was ein Rückfall der bürgerlichen Gesellschaft in die Barbarei bedeutet. Dieser Weltkrieg – das ist ein Rückfall in die Barbarei. Der Triumph des Imperialismus führt zur Vernichtung der Kultur – sporadisch während der Dauer eines modernen Krieges und endgültig, wenn die nun begonnene Periode der Weltkriege ungehemmt bis zur letzten Konsequenz ihren Fortgang nehmen sollte. Wir stehen also heute, genau wie Friedrich Engels vor einem Menschenalter, vor vierzig Jahren, voraussagte, vor der Wahl: entweder Triumph des Imperialismus und Untergang jeglicher Kultur, wie im alten Rom, Entvölkerung, Verödung, Degeneration, ein großer Friedhof; oder Sieg des Sozialismus, d.h. der bewussten Kampfaktion des internationalen Proletariats gegen den Imperialismus und seine Methode: den Krieg. Dies ist ein Dilemma der Weltgeschichte, ein Entweder – Oder, dessen Waagschalen zitternd schwanken vor dem Entschluss des klassenbewussten Proletariats. Die Zukunft der Kultur und der Menschheit hängt davon ab, ob das Proletariat sein revolutionäres Kampfschwert mit männlichem Entschluss in die Waagschale wirft.“ (R. Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie, in: Werke Bd. 4 S. 62)
Es war auch dieses Verständnis, das die revolutionären Kräfte bei der Gründung der Kommunistischen Internationale antrieb. So stellte Letztere unmissverständlich fest: „Die III. Kommunistische Internationale bildete sich beim Ausbruch des imperialistische Krieges 1914-1918, in welchem die imperialistische Bourgeoisie der verschiedenen Länder 20 Millionen Menschen opferte. `Gedenke des imperialistischen Krieges!` das ist das erste, womit sich die Kommunistischen Internationale an jeden Werktätigen wendet, wo er auch leben mag, in welcher Sprache er auch sprechen mag. Gedenke dessen, dass dank des Bestehens der kapitalistischen Ordnung ein kleines Häufchen von Imperialisten die Gelegenheit hatte, im Verlauf von vier langen Jahren die Arbeiter der verschiedenen Länder zu zwingen, einander den Hals abzuschneiden! Gedenke dessen, dass der Krieg der Bourgeoisie über Europa und die ganze Welt die fürchterlichste Hungersnot und das entsetzlichste Elend heraufbeschwor! Gedenke dessen, dass ohne den Sturz des Kapitalismus die Wiederholung von derartigen Raubkriegen nicht nur möglich, sondern unvermeidlich ist. (...) Die Kommunistische Internationale hält die Diktatur des Proletariats für das einzige Mittel, welches die Möglichkeit gibt, die Menschheit von den Greueln des Kapitalismus zu befreien.“ (in: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen, Bd. 1 S. 142)
Ja, mehr denn je müssen wir uns an die Analysen „erinnern“, die von unseren illustren Vorgängern angefertigt wurden. Wir müssen all dies umso nachdrücklicher bekräftigen, wenn parasitäre Grüppchen versuchen, sie als „bürgerlichen Moralismus und Humanismus“ abzutun, indem sie den imperialistischen Krieg und den Genozid bagatellisieren. Unter dem Vorwand einer Kritik an der Dekadenztheorie greifen solche Gruppen in Wahrheit die fundamentalsten Errungenschaften der Arbeiterbewegung an: „Um zum Beispiel zu demonstrieren, dass sich die kapitalistische Produktionsweise in der Dekadenz befindet, bekräftigt Sander, dass ihr Kennzeichen der Völkermord ist und dass mehr als drei Viertel aller Kriegstoten in den letzten 500 Jahren auf das 20. Jahrhundert fielen. Diese Art von Argumentation kommt auch im Denken des Tausendjährigen Reiches vor. Für die Zeugen Jehovas war der Erste Weltkrieg wegen seiner Erhabenheit und Intensität ein Wendepunkt in der Geschichte. Ihnen zufolge war die Zahl der Toten während des Ersten Weltkriegs ‚siebenmal höher als alle 901 vorhergehenden Kriege in den 2400 Jahren vor 1914‘. Gemäß einem polemischen Werk von Ruth Leger Sivard, das 1996 veröffentlicht wurde, hinterließ das Jahrhundert rund 110 Millionen Tote in 250 Kriegen. Wenn wir diese Zahl bis zum Ende des Jahrhunderts hochrechnen, werden es 120 Millionen sein, sechsmal mehr als im 19. Jahrhundert. Wenn wir diese Zahl zum Bevölkerungswachstum ins Verhältnis setzen, sind es nur noch zweimal soviel (...) Selbst dann bleiben die Auswirkungen der Kriege zweitrangig gegenüber jenen von Fliegen und Mücken (...) Nicht indem man sich hinter Konzepte schart, die zum bürgerlichen Gesetz gehören (wie der Völkermord), gestaltet von der demokratischen Ideologie und den Menschenrechten im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg, werden wir den Materialismus nach vorn bringen; schon gar nicht werden wir unser Verständnis über die Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise vergrößern.“ (Robin Goodfellow, „Comrade, one more effort to no longer be revolutionary“, eigene Übersetzung)
Die Verheerungen des imperialistischen Krieges als etwas darzustellen, das „zweitrangig gegenüber den Auswirkungen von Fliegen und Mücken“ ist, heißt auf die Millionen von Proletariern, die auf den Schlachtfeldern niedergemetzelt wurden, und auf die Tausenden von Revolutionären zu spucken, die ihr Leben geopfert haben, um dem mörderischen Arm der Bourgeoisie Einhalt zu gebieten und den Ausbruch der revolutionären Bewegungen zu forcieren. Es ist eine skandalöse Beleidigung von Generationen von Kommunisten, die mit aller Macht darum kämpften, die imperialistischen Kriege anzuprangern. Der Vergleich der Analysen, die uns von Marx, Engels und all unseren Vorgängern aus der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Linken hinterlassen wurden, mit den Zeugen Jehovas und mit dem bürgerlichen Moralismus ist wirklich irrsinnig. Angesichts solcher Verunglimpfungen stimmen wir mit Rosa Luxemburg überein, die argumentierte, dass die Empörung des Proletariats eine revolutionäre Kraft ist!
Für diese parasitären Elemente sind die gesamte Dritte Internationale, Lenin, Trotzki, Bordiga einem beklagenswerten Irrtum aufgesessen und haben dummerweise den Ersten Weltkrieg, den die KI-Plattform das „größte aller Verbrechen“ nannte, mit etwas verwechselt, dessen Auswirkungen „zweitrangig gegenüber denen von Fliegen und Mücken“ waren. All die Revolutionäre, die annahmen, dass der imperialistische Krieg die gigantischste Katastrophe für das Proletariat ist – „Die Katastrophe des imperialistischen Krieges hat alle Eroberungen des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Kampfes weggefegt“ (Manifest der Komintern) –, hätten den größten aller Fehler begangen: Sie haben den Ersten Weltkrieg als Eröffnung der Niedergangsepoche des Kapitalismus theoretisiert. Sie haben tollkühn behauptet, dass „der Kapitalismus nach Erfüllung seiner Mission, die Entwicklung der Produktion zu fördern, in unversöhnlichen Widerspruch zu den Bedürfnissen nicht nur der gegenwärtigen historischen Entwicklung, sondern auch der elementarsten menschlichen Existenzbedingungen geraten ist. Im letzten imperialistischen Kriege spiegelte sich dieser fundamentale Widerspruch wider, der durch den Krieg noch verschärft wurde und der die Produktions- und Zirkulationsverhältnisse den schwersten Erschütterungen aussetzte.“ (Thesen über die Taktik der Komintern, 4. Weltkongress, a.a.O.)
Die hochnäsige Geringschätzung der Errungenschaften der Arbeiterbewegung, die mit dem Blut unserer Klassenbrüder erkauft wurden, durch diese Parasiten wird nur von der Geringschätzung, die die Bourgeoisie gegenüber dem Elend der Arbeiter zeigt, und vom seelenlosen Zynismus erreicht, den diese Klasse an den Tag legt, wenn sie ihre brutalen Statistiken benutzt, um die „Errungenschaften“ des Kapitalismus aufzuzeigen. In Anlehnung an den berühmten Satz von Marx gegenüber Proudhon über das Elend könnte man sagen, dass diese Parasiten in den Zahlen nichts als Zahlen, und nicht die darin enthaltene gesellschaftliche und revolutionäre Bedeutung sehen.[xii] [87] Alle Revolutionäre jener Periode hatten den qualitativen Unterschied begriffen, die ganze gesellschaftliche und politische Bedeutung dieses Massenuntergangs der „Kerntruppen des internationalen Proletariats“: „Aber das heutige Wüten der imperialistischen Bestialität in den Fluren Europas hat noch eine Wirkung, für welche die ‚Kulturwelt‘ (und die heutigen Parasiten) kein entsetztes Auge, kein schmerzzuckendes Herz hat: Das ist der Massenuntergang des europäischen Proletariats. Nie hat ein Krieg in diesem Maße ganze Volksschichten ausgerottet (...) Es sind die besten, intelligentesten, geschultesten Kräfte des internationalen Sozialismus, die Träger der heiligsten Traditionen und des kühnsten Heldentums, der modernen Arbeiterbewegung, die Vordertruppen des gesamten Weltproletariats: die Arbeiter Englands, Frankreichs, Belgiens, Deutschlands, Russlands, die jetzt zuhauf niedergeknebelt, niedergemetzelt werden (...) Hier enthüllt der Kapitalismus seinen Totenschädel, hier verrät er, dass sein historisches Daseinsrecht verwirkt, seine weitere Herrschaft mit dem Fortschritt der Menschheit nicht mehr vereinbar ist.“ (R. Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie, in Werke Bd. 4, S. 162 f.)[xiii] [87]
C. Mcl.
[i] [87] Für weitere Details siehe den ersten Artikel dieser Serie in Internationale Revue Nr. 32.
[ii] [87] Leider wurde diese Sichtweise, die Marx sehr richtig in dieser Epoche zum Ausdruck gebracht hatte, in der Epoche der Dekadenz als reaktionäre Konfusion benutzt, indem die Maßnahmen, die im Kommunistischen Manifest befürwortet worden waren, weiterhin gepredigt wurden, so als seien sie in der gegenwärtigen Periode noch geeignet.
[iii] [87] Diese scheinbar ultrarevolutionären Positionen waren in Wahrheit der Ausdruck eines kleinbürgerlichen Wunsches nach Abschaffung des Kapitalismus und der Lohnarbeit, nicht indem man sich in Richtung ihrer historischen Überwindung bewegt, sondern indem man sich in eine Welt unabhängiger Kleinproduzenten zurückzieht.
[iv] [87] Der erste Artikel in dieser Reihe hat bereits mit Hilfe einer Reihe von Zitaten aus ihrem gesamten Werk deutlich gemacht, dass das Konzept der Dekadenz wie auch der Begriff selbst ihren Ursprung in den Schriften von Marx und Engels haben und den Mittelpunkt des historischen Materialismus, des Verständnisses der Aufeinanderfolge von Produktionsweisen bildeten. Dies weist eindeutig die verrückte Behauptung der akademischen Zeitschrift Aufheben zurück, dass „die Theorie des kapitalistischen Niedergangs erstmals in der Zweiten Internationale auftauchte“ (s. die Serie „Über die Dekadenz: Theorie des Niedergangs oder Niedergang der Theorie“ in Aufheben Nr. 2, 3 und 4, eigene Übersetzung). Doch auch die Erkenntnis, dass die Dekadenztheorie in der Tat ein Kernbereich im marxistischen Programm der Zweiten Internationale war, überführt allein die absurden Behauptungen der Lüge, die der Chor der parasitären Gruppen anstimmt. So tauchte für die IFIKS diese Theorie zuerst Ende des 19. Jahrhunderts auf. „Wir haben den Ursprung des Begriffs der Dekadenz in den Debatten rund um den Imperialismus und der historischen Alternative zwischen Krieg und Revolution gezeigt, die am Ende des 19. Jahrhunderts angesichts der tiefen Umwälzungen, durch die der Kapitalismus ging, stattfand.“ Für die RIMC (Revue Internationale du Mouvement Communiste) wurde er laut ihrem Artikel „Die Dialektik der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse in der kommunistischen Theorie“ nach dem Ersten Weltkrieg in die Welt gesetzt: „Ziel dieses Werks ist es, eine globale und definitive Kritik an dem Konzept der ‚Dekadenz‘ zu üben, das die kommunistische Theorie vergiftet hat und eine der Hauptabweichungen war, die in der Nachkriegszeit in die Welt gesetzt wurde und aufgrund ihres total ideologischen Charakters jeglicher wissenschaftlichen Arbeit zur Restaurierung der kommunistischen Theorie im Weg stand.“ Und für Internationalist Perspective („Auf zu einer neuen Theorie der Dekadenz des Kapitalismus“) war es schließlich Trotzki, der das Konzept erfand: „Das Konzept der Dekadenz des Kapitalismus entstand in der Dritten Internationale und wurde insbesondere von Trotzki entwickelt.“ Das einzige, was diese Gruppen gemeinsam haben, ist die Kritik an unserer Organisation und insbesondere an unserer Dekadenztheorie. Doch in Wahrheit weiß keine von ihnen wirklich, worüber sie spricht.
[v] [87] Was zum Beispiel von Lenin in Der Imperialismus, die höchste Stufe des Kapitalismus oder von Rosa Luxemburg in Die Akkumulation des Kapitals getan wurde.
[vi] [87] Was wiederum von Luxemburg in Sozialreform oder Revolution und später von Lenin in Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky getan wurde.
[vii] [87] Auch hier waren Lenin und Luxemburg tätig, in Staat und Revolution und Was will der Spartakusbund?
[viii] [87] siehe ihr Buch Der Massenstreik, die Partei und die Gewerkschaften.
[ix] [87] Wir werden diese Idee im dritten Teil dieses Artikels noch anschaulicher machen.
[x] [87] Diese Passage ist ein Ausdruck aus einer Intervention von Alexander Schwab, einem KAPD-Delegierten auf dem 3. Kongress der KI, in der Diskussion über Trotzkis Bericht über die weltwirtschaftliche Lage („Thesen zur Weltlage und zu den Aufgaben der Kommunistischen Internationalen“). Sie gewährt einen guten Einblick in den Tenor, die Richtung und vor allem den konzeptionellen Rahmen dieses Berichts und der Diskussionen in der KI rund um den Begriff des Aufstiegs und Niedergangs des Kapitalismus auf der Ebene der „großen historischen Epochen“.
[xi] [87] „Eines ist sicher: Der Weltkrieg ist eine Weltwende. Es ist ein törichter Wahn, sich die Dinge so vorzustellen, dass wir den Krieg nur zu überdauern brauchen, wie der Hase unter dem Strauch das Ende des Gewitters abwartet, um nachher munter wieder in den alten Trott zu verfallen. Der Weltkrieg hat die Bedingungen unseres Kampfes verändert und uns selbst am meisten.“ (R. Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie, in Werke Bd. 4 S. 56)
[xii] [87] Selbst auf der Zahlenebene sind unsere Zensoren immer noch gezwungen, gemäß ihren weisen Kalkulationen anzuerkennen, dass in der Dekadenz doppelt so viele Menschen starben wie in der Epoche des Aufstiegs.
[xiii] [87] Wenn wir uns überhaupt mit solchen Beleidigungen auseinandersetzen, dann nicht nur, um sie zu stigmatisieren und die theoretischen Errungenschaften aller Generationen von Proletariern und Revolutionären zu verteidigen, sondern auch um das kleine Milieu der Parasiten deutlich zu brandmarken, das diese Art von Prosa kultiviert und verbreitet. Wir haben es hier mit einem von vielen Beispielen ihres vollkommen parasitären Charakters zu tun: Ihre Rolle ist es, die Errungenschaften der Kommunistischen Linken zu zerstören, das proletarische Milieu kaputt zu machen und insbesondere die IKS zu diskreditieren.
Vor 25 Jahren endete der Zyklus der internationalen Konferenzen der Kommunistischen Linken in Chaos und Durcheinander, die auf Initiative der Internationalistischen Kommunistische Partei (PC Int. Battaglia Communista) hin einige Jahre zuvor stattgefunden hatten, in Folge eines von Battaglia Communista und der Communist Workers' Organisation gestellten Antrages über die Parteifrage. Dieser Antrag hatte das Ziel, die IKS wegen ihrer angeblichen "spontaneistischen" Haltung zur Organisationsfrage auszuschließen. Diese Konferenzen sind von der IKS als einen positiven Schritt begrüßt worden, um aus der Zersplitterung und den Missverständnissen unter den Gruppen herauszukommen, die das internationale proletarische Milieu geplagt hatten. Sie stellen jetzt noch eine wertvolle Erfahrung dar, aus welcher die heute entstehende neue Generation von Revolutionären viele Lehren ziehen kann. Es ist wichtig für diese neue Generation, sich die Debatten, die an den Konferenzen und um diese stattfanden, wieder anzueignen. Dennoch können wir die negativen Auswirkungen der Art und Weise, wie sie endeten, nicht ignorieren. Ein kurzer Blick auf den jämmerlichen Zustand des politischen proletarischen Milieus heute zeigt, dass wir immer noch unter den Folgen des Scheiterns des Versuchs leiden, einen organisierten Rahmen für eine brüderliche Debatte und eine politische Klärung unter den Gruppen zu schaffen, die der Tradition der Kommunistischen Linken angehören.
Angesichts des Techtelmechtels des IBRP mit dem parasitären, selbsternannten Grüppchen "Interne Fraktion der IKS" (FICCI) und dem Abenteurer, der sich hinter dem "Circulo de Comunistas Internacionalistas" in Argentinien verbirgt, sind die Beziehungen zwischen dem IBPR und der IKS noch nie so schlecht gewesen wie heute. Entweder begnügen sich die Gruppen bordigistischer Tradition im sektiererischen Alleinsein des Elfenbeinturms, in dem sie Ende der 70er Jahre vor den Konferenzen Schutz gesucht haben, oder sie haben sich – so z.B. Le Prolétaire - wie das IBRP für die Verführungsspielchen und Schmeicheleien der FICCI empfänglich gezeigt. Jedenfalls haben sich die Bordigisten von der traumatischen Krise des Jahres 1981, aus der sie in Bezug auf ihre wichtigsten Schwächen nur wenig Lehren gezogen haben, noch nicht erholt. Was die letzten Erben der deutsch/holländischen Linken angeht, so sind sie inzwischen praktisch verschwunden. So steht es heute mit den Gruppen der Kommunistischen Linken - und dies gerade jetzt, wo eine neue Generation von Leuten auf der Suche nach einer richtungweisenden Antwort auf ihre Fragen sich der organisierten kommunistischen Bewegung nähert, und das auch zu einem Zeitpunkt, an dem historisch so viel auf dem Spiel steht wie nie zuvor.
Als Battaglia den Beschluss fasste, die Teilnahme der IKS an den Konferenzen zu sabotieren, behauptete sie "die Verantwortung, die man von einer seriösen Führungskraft zu erwarten berechtigt ist", übernommen zu haben (Antwort auf die Adresse der IKS an das Proletarische Milieu 1983). Indem wir auf die Geschichte dieser Konferenzen zurückkommen, wollen wir unter anderem die Verantwortung aufzeigen, die diese Gruppe für die Desorganisierung der Kommunistischen Linken trägt.
Wir werden kein ausführliches Protokoll der Diskussionen, die in und um die Konferenzen stattgefunden haben, liefern. Die Leser können verschiedene Publikationen nachschlagen, die die Texte und Protokolle dieser Konferenzen beinhalten, obwohl diese nur noch selten zu finden sind (in diesem Sinne sind alle Hilfsangebote, diese Publikation online zur Verfügung zu stellen, willkommen). Der Zweck dieses Artikels ist vielmehr, die wesentlichen Themen zusammenzufassen, die in diesen Konferenzen behandelt wurden, und vor allem die wichtigsten Gründe ihres Scheiterns zu untersuchen.
Die Zersplitterung der Kräfte der Kommunistischen Linken war 1976 keine neue Erscheinung. Die Kommunistische Linke hat ihren Ursprung in den linken Fraktionen der Zweiten Internationale, die den Kampf gegen den Opportunismus ab dem Ende des 19. Jahrhunderts geführt haben. Schon dieser Kampf war zersplittert geführt worden.
Als z.B. Lenin den Kampf gegen den menschewistischen Opportunismus in der russischen Partei aufnahm, war die erste Reaktion Rosa Luxemburgs, sich auf die Seite der Menschewiki zu stellen. Als Luxemburg die wirkliche Bedeutung der Kapitulation Kautskys begriff, brauchte Lenin länger, um zu realisieren, dass sie recht hatte. Das alles kam daher, dass die Parteien der Zweiten Internationale auf einer nationalen Grundlage entstanden waren und fast alle ihre Arbeit auf nationaler Arbeit führten; die Internationale war eher ein Zusammenschluss nationaler Parteien als eine vereinigte Weltpartei. Auch wenn die Kommunistische Internationale (KI) sich verpflichtete, diese nationalen Besonderheiten zu überwinden, behielten diese ein sehr großes Gewicht. Es gibt keinen Zweifel, dass die linken kommunistischen Fraktionen, die gegen die Degenerierung der KI Anfang der 20er Jahre zu reagieren begannen, von dem Gewicht der Vergangenheit auch beeinträchtigt waren; die Linke antwortete abermals alles andere als einheitlich auf das Anwachsen des Opportunismus innerhalb der proletarischen Internationale. Der gefährlichste und schädlichste Ausdruck dieser Zerstreuung war der Graben, der die Deutsche und die Italienische Linke fast von Anfang an ab den 20er Jahren voneinander trennte. Bordiga neigte dazu, die Bedeutung, die die deutsche Linke der entscheidenden Rolle der Arbeiterräte beimaß, der "Verherrlichung der Fabrikräte" durch Gramsci gleichzusetzen; die deutsche Linke wiederum vermochte nicht wirklich in der italienischen "leninistischen" Linken einen möglichen Verbündeten gegen die Degenerierung der KI zu erkennen.
Die Konterrevolution, die die Arbeiterbewegung Ende der 20er Jahre mit voller Wucht traf, hat zur weiteren Zersplitterung der Linken beigetragen, obwohl die Italienische Fraktion diese Tendenz mit aller Kraft bekämpfte, indem sie eine Diskussion und eine internationale Zusammenarbeit auf der Basis von Prinzipien zu etablieren versuchte. So veröffentlichte sie in ihrer Presse die Debatten mit den holländischen Internationalisten, den Dissidenten-Gruppen der Linksopposition und anderen. Die geistige Offenheit, die bei Bilan (Presseorgan der Italienischen Fraktion) vorhanden war – neben anderen allgemeineren programmatischen Vorstößen der Fraktion – wurde durch die opportunistische Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei am Ende der Krieges weggefegt. Dem nationalen Kleingeist zu einem guten Stück unterworfen, beeilte sich die Mehrheit der Italienischen Fraktion, die Bildung einer neuen Partei (nur in Italien!) zu begrüßen, worauf die Fraktion sich auflöste und ihre Mitglieder einzeln der Partei beitraten. Der voreilige Zusammenschluss verschiedener, sehr heterogener Kräfte hat nicht zu der Verfestigung der Einheit der Strömung der italienischen Linken geführt, sondern hat neue Spaltungen verursacht. Dies schon 1945 mit der französischen Fraktion, deren Mehrheit sich gegen die Auflösung der Italienischen Fraktion ausgesprochen hatte und die opportunistischen Grundlagen der neuen Partei kritisierte. Die Französische Fraktion wurde ohne Rücksicht aus der internationalen Organisation des PCI (der Internationalen Kommunistischen Linken) ausgeschlossen und gründete dann die Kommunistische Linke Frankreichs. 1952 erlitt die Partei selbst eine große Spaltung zwischen ihren zwei Hauptflügeln – den "Damenisten" um Battaglia Communista und den "Bordigisten" um Programma Communista; diese entwickelten insbesondere eine theoretische Rechtfertigung des strengsten Sektierertums, indem sie sich für die einzige proletarische Partei des Planeten hielten (was andere Spaltungen sowie die Koexistenz verschiedener "einzig wahrer" Internationaler Kommunistischer Partei in den 70er Jahren nicht verhinderte).
Dieses Sektierertum war ohne Zweifel ein Tribut an die Konterrevolution. Einerseits war es der Ausdruck des Versuchs, in einer feindlichen Umwelt die Prinzipien zu bewahren, indem eine Mauer "invarianter" (unveränderlicher) Formeln um schwer errungene Grundsätze errichtet wurde. Andererseits war es Ausdruck der zunehmenden Absonderung der Revolutionäre von der gesamten Arbeiterklasse und ihres Zirkelgeistes. Ihre Neigung, in der eigenen Welt kleiner Gruppen zu leben, konnte den Zirkelgeist und – wie bei Sekten – die Diskrepanz zu den wirklichen Bedürfnissen der proletarischen Bewegung nur begünstigen.
Nach 40 Jahren Konterrevolution – am tiefsten Punkt der Schwäche des internationalen revolutionären Milieus - begann sich das soziale Klima zu verändern. Das Proletariat erschien wieder auf der historischen Bühne mit den Streiks im Mai 68. Diese Bewegung besaß eine unermesslich tiefe politische Dimension, denn sie stellte die Frage nach der Errichtung einer neuen Gesellschaft und hatte eine Vielzahl von Gruppen entstehen lassen, deren Suche nach revolutionärer Kohärenz sie naturgemäß zu einer Wiederaneignung der Traditionen der Kommunistischen Linken führte. Unter den ersten, die die Veränderung der Lage erkannten, befanden sich die Genossen der alten Kommunistischen Linken Frankreichs, die mit einigen jungen Interessierten eine politische Aktivität in Venezuela wiederaufgenommen und 1964 die Gruppe Internacionalismo gegründet hatten. Nach den Ereignissen vom Mai 1968 reisten Genossen von Internacionalismo nach Europa, um in das neue, von dieser starken Bewegung erzeugte proletarische Milieu zu intervenieren. Diese Genossen ermunterten insbesondere die alten Gruppen der Italienischen Linken, die den Vorteil hatten, über eine Presse und eine strukturierte Organisationsform zu verfügen, dazu, durch die Einberufung einer internationalen Konferenz als Zentrum der Debatte und des Kontaktes für die neuen suchenden Elemente zu fungieren. Sie bekamen eine eisige Antwort, denn die zwei Flügel der Italienischen Linken sahen im Mai 68 (und sogar im Heißen Herbst in Italien) nicht viel mehr als eine Welle studentischer Aufruhr.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen, die italienischen Gruppen von ihrer Verantwortung zu überzeugen (vgl. den Brief der IKS an Battaglia in der Broschüre Dritte Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken, Mai 1980, Protokoll), konzentrierten die Genossen von Internacionalismo und der neu gegründeten Gruppe Révolution Internationale ihre Bemühungen auf die Umgruppierung der neuen Elemente, die dank des Wiedererstarkens des Proletariats auf der sozialen Bühne politisiert wurden. 1968 kamen zwei Gruppen in Frankreich - Cahiers du Communisme de Conseils und die Rätistische Organisation von Clermont-Ferrand – mit der Gruppe Révolution Internationale zusammen und gründeten die Zeitung RI "neue Serie", die mit Internacionalismo und Internationalism (USA) eine internationale Tendenz bildeten. 1972 schlug Internationalism die Bildung eines internationalen Korrespondenznetzes vor. Erneut hielten sich die italienischen Gruppen von dieser Entwicklung fern. Diese führte zu positiven Ergebnissen – insbesondere zu einer Reihe von Konferenzen 1973-74, an der Révolution Internationale sowie einige neue Gruppen aus England teilnahmen. Eine von ihnen – World Revolution – schloss sich der internationalen Tendenz an, die 1975 zur Bildung der IKS führen sollte (damals aus 6 Gruppen bestehend: Révolution Internationale in Frankreich ; Internationalism USA ; World Revolution England ; Internacionalismo Venezuela ; Accion Proletaria Spanien und Rivoluzione Internazionale Italien).
Der Zyklus internationaler Konferenzen wurde 1976 eröffnet, als Battaglia Communista endlich ihre Isolation in Italien beendete und einigen Gruppen der Welt ein internationales Treffen vorschlug.
Die Gruppen waren die folgenden:
Frankreich: Révolution Internationale, Pour une Intervention Communiste, Union Ouvrière, Combat Communiste;
England: Communist Workers’ Organisation, World Revolution;
Spanien: Fomento Obrero Revolucionario (FOR);
USA: Revolutionary Workers' Group;
Japan: Japan Revolutionary Communist League, Revolutionary Marxist Fraction (Kahumaru-Ha) ;
Schweden: Forbundet Arbetarmakt (Workers' Power League);
Portugal: Combate.
Das Vorwort zur Broschüre „Texte und Protokolle der von der Internationalistischen Kommunistischen Partei (Battaglia Communista) organisierten internationalen Konferenz“ bemerkt: „Durch die Auflösung von Union Ouvrière und der RWG und den Abbruch der Kontakte mit Combat Communiste, dessen politische Prinzipien sich mit den Themen der Konferenz als unvereinbar herausstellten, fand sehr schnell eine „natürliche Auslese“ statt. Die Kontakte mit der portugiesischen Gruppe wurden nach einer Zusammenkunft zwischen ihren Vertretern und einem Gesandten der PCInt in Lissabon im Übrigen unterbrochen, als die Entfernung dieser Gruppe von den Grundauffassungen der kommunistischen Bewegung festgestellt wurde. Die japanische Organisation hat nie geantwortet, was vermuten lässt, dass sie die „Adresse“ der PCInt nicht bekommen haben.“
Die schwedische Gruppe zeigte Interesse, konnte aber nicht teilnehmen.
Es war ein wichtiger Schritt, den Battaglia da tat – die Anerkennung der überaus großen Wichtigkeit nicht von internationalen Verbindungen (wie jede linke Gruppe es auch befürwortet), sondern der internationalistischen Aufgabe, die Spaltungen in der weltweiten revolutionären Bewegung zu überwinden und auf eine Zentralisierung und letztendlich Umgruppierung hinzuarbeiten. Die IKS hat die Initiative von Battaglia Communista als einen Schlag gegen Sektierertum und Zersplitterung wärmstens begrüßt. Ihr Beschluss an dieser Initiative teilzunehmen hatte zudem eine heilsame Wirkung auf ihr eigenes politisches Leben, denn keine Gruppe ist gänzlich vor der schädlichen Neigung gefeit, sich als die „einzige und alleinige“ revolutionäre Gruppe zu betrachten. In Folge von Fragestellungen, die innerhalb der IKS über das proletarische Wesen der aus der Italienischen Linken stammenden Gruppen entstanden waren, entwickelte sich eine Diskussion über die Kriterien zur Beurteilung der Klassenzugehörigkeit politischer Organisationen. Eine Resolution über die proletarischen politischen Gruppen wurde infolgedessen beim Internationalen Kongress der IKS 1977 verabschiedet.
Gewichtige Schwächen gab es dennoch im Vorschlag Battaglias und bei der dann stattfindenden Konferenz in Mailand im April/Mai 1977. Erstens fehlten in dem Vorschlag von Battaglia klare Kriterien für die Teilnahme. Mit etwas zeitlichem Abstand betrachtet war der ursprünglich angegebene Grund für den Aufruf zur Konferenz vollkommen richtig: die Annahme des „Eurokommunismus“ durch die wichtigsten westeuropäischen Kommunistischen Parteien. Die Schlussfolgerungen einer Diskussion über das, was Battaglia die „Sozialdemokratisierung“ der KP’s nannte, waren nicht klar. Noch wichtiger war aber die Tatsache, dass der Aufruf die wesentlichen Klassenpositionen, die gewährleisten, dass jede Zusammenkunft proletarischer Gruppen den linken Flügel des Kapitals ausschließt, keineswegs definierte. Die Verschwommenheit in dieser Frage war nicht neu für Battaglia, die in der Vergangenheit bereits zu einer internationalen Konferenz mit der Teilnahme der Trotzkisten von Lutte Ouvrière aufgerufen hatte. Diesmal beinhaltete die Liste der eingeladenen Gruppen auch radikale Linke wie die japanische Gruppe oder Combat Communiste. Die IKS betonte also die Notwendigkeit, dass die Konferenz ein Minimum an grundsätzlichen Prinzipien annimmt, die sowohl die Linkskapitalisten ausschließt, als auch diejenigen, die – auch wenn sie eine gewisse Anzahl an Klassengrundsätzen verteidigen – die Idee einer Klassenpartei ablehnen. Das Ziel der Konferenz wurde also begriffen als Teil eines langfristigen Prozesses hin zu der Bildung einer neuen weltweiten Partei.
Ebenfalls wandte sich die Konferenz direkt gegen das Sektierertum, das die Bewegung beherrschte. Battaglia schien sich z.B. als alleinige Vertreterin der „Italienischen Linken“ zu betrachten und hatte demnach keine einzige andere bordigistische Gruppe zur Konferenz eingeladen. Diese Vorgehensweise spiegelte sich auch darin wider, dass der Aufruf nicht an die IKS gerichtet war (die schon eine Sektion in Italien hatte), sondern nur an einige territoriale Sektionen der IKS. Dann gab es die plötzliche Bekanntgabe der Gruppe Pour une Intervention Communiste, nicht teilzunehmen, obwohl sie anfänglich dazu bereit gewesen war. In einem Schreiben vom 25.04.1977 behauptet sie, diese Zusammenkunft würde zu keinem Dialog führen. Letztendlich zeigte sich in der Konferenz etwas, das sich später zu einem massiven Problem entwickeln sollte: die Unfähigkeit der Konferenzen, irgendeine gemeinsame Stellungnahme zu verabschieden. Am Ende des Treffens schlug die IKS ein kurzes Statement vor, das die Übereinstimmungen und Meinungsverschiedenheiten, die sich in der Diskussion herausgestellt hatten, klarstellen sollte. Das war für Battaglia schon zu viel. Obwohl diese Gruppe für die Konferenz großartige Ziele hatte: „die Grundzüge einer Plattform grundsätzlicher Prinzipien, um eine gemeinsame Arbeit beginnen zu können; ein internationales Koordinationsbüro“ (dritter Rundbrief des PCInt., Februar 1977), wurde schon vor den allerersten Schritten in diese Richtung die Initiative Battaglias gebremst bei dem Gedanken daran, mit der IKS die noch so bescheidene Zusammenfassung der Übereinstimmungen und Unterschiede zu unterschreiben. Die einzigen Gruppen, die in der Lage waren, an der Konferenz teilzunehmen, waren in der Tat Battaglia und die IKS. Die Communist Workers' Organisation war einverstanden zu kommen, konnte aber aus praktischen Gründen doch nicht teilnehmen – dies war dennoch ein großer Schritt, da sie bislang jeglichen Kontakt mit der IKS, die sie wegen ihrer Analyse des Niedergangs der Russischen Revolution als „konterrevolutionär“ bezeichnete, abgebrochen hatte. Auch die um Munis in Spanien und Frankreich gegründete Gruppe FOR konnte nicht teilnehmen. Die Diskussion hatte trotz allem viele Punkte behandelt und eine Reihe von entscheidenden Fragen erörtert, die in der von der IKS vorgeschlagenen gemeinsamen Stellungnahme zusammengefasst sind. Die Diskussion hatte folgendes hervorgehoben:
Einverständnis über die Tatsache, dass der Kapitalismus in seine Dekadenzphase eingetreten ist, obwohl Differenzen in den Analysen der Ursachen dieser Dekadenz bestehen: die IKS verteidigte die These Rosa Luxemburgs, wonach der Hauptwiderspruch des Kapitalismus in seiner Niedergangsphase die Frage der Realisierung des Mehrwerts ist, während für Battaglia dieser Faktor gegenüber der Senkung der Profitrate zweitrangig ist.
Einverständnis über den Beginn einer neuen Phase akuter ökonomischer Krise.
Kein Einverständnis über die Bedeutung der Klassenbewegung am Ende der 60er Jahre und am Anfang der 70er. Für die IKS war dies das Zeichen des Endes der Konterrevolution, während für Battaglia die Konterrevolution noch andauerte.
Einverständnis über die konterrevolutionäre Rolle der Sozialistischen und Kommunistischen Parteien. Die IKS kritisierte dabei Battaglia, dass sie diese Organisationen lediglich als „opportunistisch“ oder „reformistisch“ bezeichnete, denn solche Attribute können nur für proletarische Organisationen, die von der bürgerlichen Ideologie beeinflusst werden, angewendet werden.
Einverständnis über das Wesen der Gewerkschaften als Organisationen der Bourgeoisie, aber kein Einverständnis über die Intervention ihnen gegenüber. Battaglia verteidigte noch die Notwendigkeit einer Arbeit innerhalb der Gewerkschaften – einschließlich der Möglichkeit, in basisgewerkschaftlichen Fabrikkomitees gewählt zu werden. Gleichzeitig verteidigte Battaglia die Notwendigkeit, ihre eigenen „Fabrikgruppen“ zu bilden, die sie „kommunistische Fabrikgruppen“ oder „kommunistische Gewerkschaftskomitees“ nannte.
Diese Frage der Fabrikgruppen war auch ein Hauptelement der Diskussionen, da Battaglia sie als „einen Keilriemen zwischen Klasse und Partei“ betrachtete, während die IKS die Existenz solcher „Keilriemen“ in der Phase der kapitalistischen Dekadenz leugnete, da die Arbeiterklasse keine dauerhaften Massenorganisationen mehr entstehen lassen kann, um die Gewerkschaften zu ersetzen.
Diese Diskussion hing mit erheblichen Differenzen über die Frage der Partei und des Klassenbewusstseins zusammen: Battaglia vertrat die Auffassung Lenins, wonach die Partei das Bewusstsein „von außen“ zu den Arbeitern bringt. Diese Frage sollte bei der nächsten Konferenz wiederaufgenommen werden. Diese Fragen sind Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten zwischen der IKS und Battaglia (und dem IBRP) seit den Konferenzen (als schwerwiegend kommt hinzu, dass sich das IBRP vom Dekadenzbegriff abgewandt hat – siehe unsere kürzlich veröffentlichten Artikel in der Internationalen Revue). Dieser Widerstreit war dennoch keineswegs der Ausdruck sinnloser Auseinandersetzungen. Battaglia hat sich tatsächlich bezüglich der Gewerkschaftsfrage weiter entwickelt und fügt sogar ihren Fabrikgruppen den Begriff „gewerkschaftlich“ nicht mehr hinzu. Auch zeigten während der Mailänder Konferenz einige der Antworten der IKS auf Battaglia zur Frage des Klassenbewusstseins einen starken „Anti-Leninismus“, den die IKS in den darauf folgenden Jahren in den eigenen Reihen bekämpfen sollte – insbesondere ab 1984 in der Debatte mit denjenigen, die später die FECCI („Externe Fraktion der IKS“) gegründet haben. Kurzum, die Diskussion führte zu Klärungen auf beiden Seiten und war für das gesamte politische Milieu äußerst interessant. Die Konferenz zog eine positive Bilanz ihrer Arbeit, denn es herrschte Übereinstimmung über die Weiterführung dieses Diskussionsprozesses.
Die Tatsache, dass die nächste Konferenz gegenüber der ersten einen wichtigen Schritt vorwärts bedeuten sollte, zeigte die Richtigkeit dieser Schlussfolgerungen. Die nächste Konferenz war viel besser organisiert, die politischen Teilnahmekriterien waren klarer und mehr Organisationen waren anwesend. Zahlreiche Diskussionsbeiträge sowie die Protokolle wurden veröffentlicht (Siehe Band I und II der Broschüre „Zweite Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken“, auf Französisch noch erhältlich).
Diesmal beteiligten sich viele: Battaglia, die IKS, die CWO, der Nucleo Communista Internazionalista (NCI aus Italien), For Kommunismen (Schweden) und das FOR. Drei andere Gruppen waren interessiert, konnten aber nicht teilnehmen: Arbetarmakt (Schweden), Il Leninista aus Italien und die Organisation Communiste Révolutionnaire Internationaliste aus Algerien.
Die Themen der Zusammenkunft waren eine Fortsetzung der Diskussionen auf der ersten Konferenz – die Krise und die ökonomischen Ursachen der kapitalistischen Dekadenz, die Rolle der Partei. Es gab auch eine Diskussion über die nationalen Befreiungskämpfe – Stein des Anstoßes für die meisten Gruppen bordigistischer Tradition. Diese Debatten lieferten einen wichtigen Beitrag im allgemeinen Klärungsprozess. Erstens ermöglichten sie einigen der bei der Konferenz anwesenden Gruppen zu erkennen, dass ausreichend gemeinsame Positionen vorhanden waren, um in einen Prozess der Umgruppierung einzutreten, der den allgemeinen Rahmen der Konferenzen nicht in Frage stellen würde. Dies war der Fall für die IKS und die schwedische Gruppe For Kommunismen. Hinzu kam, dass diese Debatten einen unschätzbaren Bezugspunkt für das gesamte politische Milieu darstellten – einschließlich für die Einzelnen, die keiner bestimmten Gruppe angehörten, aber eine revolutionäre Kohärenz suchten.
Diesmal stellte sich aber das Problem des Sektierertums besonders deutlich.
Die bordigistischen Gruppen waren zur Zweiten Konferenz eingeladen, aber ihre Antwort war ein typischer Ausdruck ihrer Ablehnung der wirklichen Bewegung, ihrer zutiefst sektiererischen Haltung. Die Internationale Kommunistische Partei (IKP) „Florenz“ (die sich 1972 von der bordigistischen Gruppe Programma gespalten hatte und Il Partito Communista veröffentlicht) antwortete, sie möchte mit „Missionaren der Vereinigung“ nichts zu tun haben. Wie wir aber in unserer Antwort „Die Zweite Internationale Konferenz“ (International Review Nr. 16, frz./engl./span. Ausgabe) betonen, war die Vereinigung mit Sicherheit nicht die unmittelbare Absicht: „Die Stunde der Vereinigung der verschiedenen heute bestehenden kommunistischen Gruppen in eine einzige Partei hat noch nicht geschlagen.“
Der gleiche Artikel widmet sich auch der Antwort von Programma: „Nicht viel anders in der Argumentation ist die Antwort der zweiten IKP – Programma. Wichtigster Unterschied ist ihre Vulgarität. Der Titel der Artikels „der Kampf zwischen Fottenti und Fottuti“ (wörtlich: zwischen Fickenden und Gefickten) zeigt schon, auf welches wahrhaftig für andere schwer erreichbare „Niveau“ Programma sich stellt. Muss man annehmen, dass Programma so sehr von stalinistischen Umgangsweisen geprägt ist, dass sie die Gegenüberstellung von Positionen unter Revolutionären nur in Begriffen von „Vergewaltigern und Vergewaltigten“ auffasst? Für Programma ist keine Diskussion möglich unter Gruppen, die sich auf den Kommunismus berufen und dem kommunistischen Lager tatsächlich angehören – vor allem nicht unter diesen Gruppen. Man kann gegebenenfalls mit Trotzkisten und anderen Linken in einem Möchtegern-Soldatenkomitee marschieren oder mit ihnen oder ihresgleichen gemeinsame Flugblätter für die „Verteidigung der Gastarbeiter“ unterschreiben, aber niemals zieht man die Möglichkeit der Diskussion unter kommunistischen Gruppen, nicht einmal unter den vielen bordigistischen Gruppen in Betracht. Da kann es sich nur um einen Machtkampf handeln: wenn man sie nicht zerstören kann, dann zumindest ihre Existenz ignorieren! Vergewaltigung oder Ohnmacht ist die einzige Alternative, die Programma für die kommunistische Bewegung und die Beziehungen unter den Gruppen sieht. Da sie keine andere Auffassung vertritt, glaubt sie sie überall zu erkennen und schreibt sie gern den anderen zu. Eine Internationale Konferenz kommunistischer Gruppen kann in ihren Augen nichts anderes sein und kein anderes Ziel haben, als Mitglieder der anderen Gruppe abzuwerben. Programma hat aus Furcht ohnmächtig zu sein nicht teilgenommen, obwohl der Wunsch zu „vergewaltigen“ sicherlich vorhanden war... Für Programma kann man nur mit sich selber diskutieren. Aus Angst, in einer Auseinandersetzung mit anderen kommunistischen Gruppen den Kürzeren zu ziehen, flüchtet sich Programma lieber in die „Masturbation“. Das ist die Männlichkeit einer Sekte und ihr einziges Mittel der Befriedigung.“
Die IKP hatte auch noch ein anderes Argument hervorgehoben: Die IKS sei parteifeindlich. Andere verweigerten ihre Teilnahme, weil sie gegen die Partei waren – Spartacusbond (Niederlande) und die PIC, die – wie der Artikel es zeigt – die Gesellschaft des sozialdemokratischen linken Flügels der der „Bordigo-Leninisten“ bei Weitem bevorzugte. Und:
„Die Konferenz erlebte durch die Haltung der Gruppe FOR eine Überraschung. Diese hatte ihr volles Einverständnis zur ersten Konferenz in Mailand und zur zweiten gegeben, mit Diskussionstexten beigetragen, zog sich aber bei der Eröffnung der Konferenz mit dem Argument zurück, sie sei mit dem ersten Punkt auf der Tagesordnung – der Entwicklung der Krise und ihrer Perspektiven - nicht einverstanden. Das FOR entwickelte die These, dass sich der Kapitalismus in keiner ökonomischen Krise befand. Die jetzige Krise sei nur eine konjunkturelle, wie der Kapitalismus sie im Laufe ihrer Geschichte immer wieder erlebt und überwunden habe. Sie eröffne demnach keine neue Perspektive, und schon gar nicht eine Wiederaufnahme der proletarischen Kämpfe, sondern eher das Gegenteil. Das FOR stellte die These einer von der ökonomischen Situation völlig unabhängigen „Zivilisationskrise“ auf. Man findet in dieser These den Beigeschmack des Modernismus als Erbe des Situationismus wieder. Wir werden hier keine Debatte eröffnen, um zu beweisen, dass es für die Marxisten absurd erscheint, von Dekadenz und Zusammenbruch einer historischen Gesellschaft zu sprechen, indem man sich ausschließlich auf infrastrukturelle und kulturelle Phänomene beruft, ohne sich auf die ökonomische Struktur zu beziehen, und gleichzeitig behauptet, diese Struktur – Grundlage jeder Gesellschaftsform – werde immer stärker und blühe förmlich auf. Diese Gedankengänge ähneln mehr den Hirngespinsten eines Marcuse als Marxens Denken. Auf diese Weise gründet das FOR die revolutionäre Tätigkeit weniger auf einen objektiven ökonomischen Determinismus als vielmehr auf den subjektiven Voluntarismus, der alle Protestler kennzeichnet. Wir sollten der Frage aber nachgehen, ob diese Verirrungen die wirkliche Ursache dafür sind, dass das FOR die Konferenz verlassen hat? Bei weitem nicht. In der Ablehnung der Teilnahme an der Konferenz und an der Debatte drückt sich vor allem der Cliquengeist des Jeder-für-sich aus, der die sich auf den Linkskommunismus berufenden Gruppen noch so stark prägt“.[i] [89]
Es war in der Tat relativ eindeutig, dass das Sektierertum ein Problem als solches darstellte. Dennoch lehnte die Konferenz den Vorschlag der IKS ab, eine gemeinsame Stellungnahme zur Verurteilung solcher Verhaltensweisen zu verabschieden (obwohl der Nucleo dies unterstützt hätte): nicht die Haltung der Gruppen sei das Problem, sondern ihre politischen Divergenzen. Dies stimmte für Gruppen wie den Spartacusbond oder die PIC, die aufgrund ihrer Ablehnung der Klassenpartei die Kriterien der Konferenz nicht annehmen konnten. Falsch ist aber die Idee, dass die politische Aktivität einzig und allein aus der Verteidigung oder Ablehnung politischer Positionen besteht. Die Haltung, der Werdegang, das Verhalten und die organisatorische Praxis der politischen Gruppen und ihrer Mitglieder sind ebenso maßgeblich, und die sektiererische Haltung fällt selbstverständlich unter diese Kategorie.
Wir haben vom IBRP angesichts verschiedener Krisen innerhalb der IKS die gleiche Antwort bekommen. Für sie ist der Versuch, interne Krisen als Ausdruck des Zirkelgeistes, des Klanverhaltens oder des Parasitismus zu verstehen, nichts als eine Vermeidung „politischer“ Debatten, gar eine bewusste Verschleierung. Mit dieser Auffassung kann man alle organisatorischen Probleme der IKS mit ihrer irrtümlichen Analyse der internationalen Situation oder der historischen Periode erklären; der tägliche Einfluss der bürgerlichen Gewohnheiten und Ideologie innerhalb der proletarischen Organisationen ist einfach ohne Belang. Der eindeutigste Beweis, dass die IBRP dafür absichtlich blind ist, ist ihre bedauernswerte Reaktion auf die letzten Angriffe der parasitären FICCI und des Abenteurers, der hinter dem „Circulo“ in Argentinien steckt, gegen die IKS. Unfähig, die wirklichen Beweggründe dieser Gruppen zu sehen, die nichts mit der Klärung politischer Differenzen zu tun haben, wurde das IBRP zum unmittelbaren Komplizen ihrer zerstörerischen Machenschaften.[ii] [89] Die Fragen des Verhaltens sind keine falschen Fragen für das proletarische politische Leben. Vielmehr sind sie eine Prinzipienfrage – die Frage eines Prinzips, das mit einem lebenswichtigen Anliegen jeder Organisationsform der Arbeiterklasse einhergeht: die Anerkennung eines gemeinsamen Interesses, das den Interessen der Bourgeoisie entgegengesetzt ist. Kurzum, die Notwendigkeit der Solidarität – keine proletarische Organisation kann diese elementare Notwendigkeit ignorieren, ohne dafür zu büßen. Dies gilt auch für das Sektierertum, das auch die solidarischen Bande unter den Organisationen der Arbeiterklasse abschwächt. Die Weigerung der Zweiten Konferenz, das Sektierertum zu verurteilen, hat der Grundlage dieser Reihe von Konferenzen selbst – die dringende Notwendigkeit, über den Tellerrand zu gucken und die wirkliche Einheit der revolutionären Bewegung voranzutreiben – einen Schlag versetzt. Mit ihrer Ablehnung jeglicher gemeinsamen Stellungnahme, fiel sie umso mehr in die Falle des Sektierertums.
Die Definition von Marx lautete: „Die Sekte sucht ihre raison d'être und ihren point d'honneur [Daseinsberechtigung und Ehre] nicht in dem, was sie mit der Klassenbewegung gemein hat, sondern in dem besonderen Schibboleth, das sie von ihr unterscheidet." (Marx an Schweitzer 13/10/1868, Briefwechsel...). Sie beschreibt genau die Haltung der großen Mehrheit der Gruppen, die an den internationalen Konferenzen teilgenommen haben.
Obwohl wir in Bezug auf die Arbeit der Zweiten Konferenz optimistisch blieben, da sie einen bedeutsamen Fortschritt gegenüber der ersten bedeutete, waren Anzeichen von Gefahr doch erkennbar. Sie bestätigten sich bei der Dritten Konferenz. Die teilnehmenden Gruppen waren: die IKS, Battaglia, die CWO, l’Eveil Internationaliste, die Nuclei Leninisti Internazionalisti (entstanden aus der Fusion zwischen dem Nucleo und Il Leninista), die Organisation communiste révolutionnaire d’Algérie (war selbst nicht anwesend, sondern wurde vertreten) und die Groupe communiste internationaliste als „Beobachter“.[iii] [89]
Die wichtigsten Fragen auf der Tagesordnung waren erneut die Krise und ihre Perspektiven sowie die Aufgaben der Revolutionäre heute. Die von der IKS gezogene Bilanz: „Einige allgemeinen Bemerkungen zu den Beiträgen für die dritte internationale Konferenz“ (erschienen in der Broschüre Die Dritte Konferenz) stellte einige wichtige Übereinstimmungspunkte als Grundlage der Konferenz heraus:
Der Kapitalismus steht vor einer sich vertiefenden Krise, die das System zu einem dritten Weltkrieg führt;
Dieser Krieg wird imperialistisch sein und die Revolutionäre müssen beide Lager verurteilen;
Die Kommunisten müssen als Ziel haben, zu der revolutionären Aktion ihrer Klasse beizutragen, die allein der Entwicklung zum Krieg entgegentreten kann;
Die Arbeiterklasse muss sich vom Einfluss der angeblichen „Arbeiterparteien“ und Gewerkschaften befreien, und auf dieser Ebene ist die Aktivität der Revolutionäre unerlässlich.
Der Texte vermerkt auch, dass bedeutende Differenzen über den historischen Kurs insbesondere mit Battaglia bestehen: Sie behauptete, es könne gleichzeitig einen Kurs zum Krieg und einen Kurs zur Revolution geben und es sei nicht die Aufgabe der Revolutionäre zu entscheiden, welcher sich durchsetzen würde. Die IKS wiederum stützte sich auf die Methode der Italienischen Fraktion in den 30er Jahren und unterstrich die Tatsache, dass ein Kurs zum Krieg nur auf der Grundlage einer Schwächung und Niederlage der Arbeiterklasse entstehen kann und dass die Klasse, wenn sie sich in einer Dynamik zur revolutionären Konfrontation mit dem Kapitalismus befindet, für einen Krieg nicht angeworben werden kann. Sie fügte hinzu, es sei für die Revolutionäre von herausragender Bedeutung, die möglichst klarste Position zu der vorherrschenden Tendenz zu haben, da die Form und der Inhalt ihrer Tätigkeit auf einer Analyse über den historischen Kurses gründet.
Die Frage der Fabrikgruppen war wieder ein Reibungspunkt für die anwesenden Gruppen. Während Battaglia sie als ein Mittel zur Entwicklung einer reellen und konkreten Einflussnahme innerhalb der Klasse präsentierte, stellte diese Auffassung für die IKS eher die Sehnsucht dar nach der längst verflossenen Zeit der permanenten Organisationen der Arbeiterklasse (z.B. der Gewerkschaften). Der Gedanke, die kleinen revolutionären Gruppen von heute könnten ein solches Netz, einen „Keilriemen zwischen der Partei und der Klasse“ schaffen, zeugte von einem gewissen Größenwahn bezüglich der tatsächlichen Möglichkeiten revolutionärer Tätigkeit zu dieser Zeit.
Die Diskrepanz zwischen dieser Auffassung und einem wirklichen Verständnis der reellen Bewegung konnte eine bedenkliche Unterschätzung der tatsächlichen Arbeit der Revolutionäre zur Folge haben und verhindern, dass eine Intervention in den Organisationsformen, die anfänglich in den Kämpfen des Proletariats 1978-80 entstanden waren, als notwendig erachtet wurde: nicht nur in den Vollversammlungen und Streikkomitees (die zwar am spektakulärsten in Polen auftraten, aber auch schon im Streik der Hafenarbeiter von Rotterdam zu finden waren), sondern auch in den Gruppen und Zirkeln, die kämpferische Minderheiten während oder am Ende der Streiks ins Leben riefen. In dieser Frage war die Auffassung der IKS der der NLI und deren Kritik des „Fabrikgruppen“-Schemas Battaglias ähnlich. Jegliche Möglichkeit, die Diskussion zu dieser Frage oder anderen zu führen, wurde aber durch den endgültigen Sieg des Sektierertums in den Konferenzen restlos vernichtet. Zuerst wurde der Vorschlag der IKS abgelehnt, eine gemeinsame Erklärung angesichts der Kriegsdrohung zu verfassen, die in Folge des Einmarsches Russlands in Afghanistan zu dieser Zeit besondere Brisanz besaß:
„Die IKS forderte die Konferenz auf, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, und schlug eine Resolution vor, um gemeinsam die Haltung der Revolutionäre gegenüber dem Krieg zu bekräftigen. Der PCInt und dann die CWO und l’Eveil Internationaliste lehnten ab. Die Konferenz blieb stumm. Aufgrund der Kriterien für die Teilnahme an der Konferenz teilten alle anwesenden Gruppen zweifellos die gleiche grundlegende Position über die Haltung, die das Proletariat im Falle der Gefahr eines weltweiten Konfliktes einzunehmen hat. „Wir unterschreiben nicht mit irgendjemand, das wäre opportunistisch“, sagen uns die Befürworter des Schweigens. Wir antworten: Opportunismus bedeutet, Prinzipien bei der erstbesten Gelegenheit zu verraten. Wir schlugen nicht vor, ein Prinzip zu verraten, sondern es so kraftvoll wie möglich zu bekräftigen. Das internationalistische Prinzip ist eins der höchsten und wichtigsten für den proletarischen Kampf. Unabhängig davon, welche Differenzen zwischen den internationalistischen Gruppen ansonsten bestehen, gibt es nur wenige politische Organisationen auf der Welt, die dieses Prinzip konsequent verteidigen. Die Konferenz musste zum Krieg Stellung beziehen und dies so laut wie möglich. Der Inhalt dieser glänzenden „nicht opportunistischen“ Schlussfolgerung lautet: Da die revolutionären Organisationen nicht in allen Fragen eine Einigung erreicht haben, dürfen sie nicht zu den Fragen sprechen, über die sie seit langem einverstanden sind. Die Besonderheiten jeder Gruppen sind wichtiger als das Gemeinsame. Genau das ist Sektierertum. Das Schweigen der drei Konferenzen ist der klarste Ausdruck der Machtlosigkeit, zu der das Sektierertum führt.“ (International Review Nr. 22 „Das Sektierertum – Erbe der Konterrevolution“).
Das Problem ist nicht verschwunden: 1999 und 2003 trat es bei dem Vorschlag der IKS, gemeinsame Erklärungen zu den Kriegen in Jugoslawien und Irak zu verfassen, wieder auf.
Ferner wurde die Debatte plötzlich unterbrochen, als am Ende der Versammlung Battaglia und die CWO ein neues Kriterium hervorholten, das die IKS wegen ihrer Position zur Ablehnung der Machtergreifung durch die Partei in einer revolutionären Phase herausdrängen sollte. Dieses neue Kriterium lautete: „Die proletarische Partei ist zur politischen Führung der revolutionären Klassenbewegung und der revolutionären Macht selbst notwendig.“ Dies bedeutete, die Debatte zu schließen, bevor sie überhaupt anfangen konnte. Für Battaglia war es das Zeichen eines Ausleseprozesses, das die „Spontaneisten“ aus den Reihen der Konferenz aussondern sollte, damit nur diejenigen bleiben, die ernsthaft an der Bildung einer revolutionären Partei interessiert sind. Tatsächlich waren aber alle anwesenden Gruppen de facto an der langfristigen Bildung der Partei beteiligt. Nur die Diskussion in Verbindung mit der wirklichen Praxis der Revolutionäre konnte die wichtigsten Differenzen zur Struktur und Funktion der Partei beseitigen.
Das Kriterium von Battaglia und der CWO zeigt, dass diese Gruppen selbst zu keiner klaren Position zur Rolle der Partei gelangt waren. Zur Zeit der Konferenz und trotz der großen Phrasen über die Partei als „Kapitän der Klasse“ betonte Battaglia die Notwendigkeit für diese, sich vom Staat zu unterscheiden. Dabei verwarf sie eindeutig die „offener“ bordigistische Auffassung, die die Diktatur der Partei vertritt. Bei der Zweiten Konferenz hatte die CWO vor allem gegen die Kritik der IKS an den „substitutionistischen“ Fehlern der Bolschewiki polemisiert und entschieden behauptet, dass die Partei die Macht ergreife, wenngleich das „durch“ die Räte erfolgen soll. Diese beiden Gruppen konnten also schwer verkünden, die Debatte sei „beendet“. Der Grund, weshalb Battaglia (die die Konferenzen ohne Kriterien begonnen hatte und jetzt fanatisch besonders „selektive“ Kriterien hervorholte) dieses Kriterium in den Vordergrund stellte, war keineswegs der Wille zur Klärung, sondern vielmehr der sektiererische Drang, die IKS als die zu vernichtende Rivalin loszuwerden, um sich als der einzige internationale Pol der Umgruppierung hervorzutun. Diese Politik wurde in den 80er und 90er Jahren immer mehr zur Theorie und Praxis des IBRP. Sie führte zu der Aufgabe des Konzeptes eines proletarischen Lagers und zu der Selbsternennung als die einzige Kraft, die die Errichtung der Weltpartei vorantreiben könne. Wichtig ist auch zu verstehen, dass die andere Seite des Sektierertums der Opportunismus, der Schacher mit Prinzipien ist. Das hat die Methode gezeigt, mit welcher Battaglia dieses neue Kriterium aus dem Hut gezaubert und zur Abstimmung gebracht hat (nach Verhandlungen mit der CWO hinter den Kulissen): genau zu dem Zeitpunkt, als die einzige Gruppe, die ebenso dagegen war (die NCI), die Konferenz schon verlassen hatte (solche Manöver gehören zur Methode der bürgerlichen Parlamente und haben definitiv nichts in einer Versammlung kommunistischer Gruppen zu suchen).
Der Brief der IKS an Battaglia nach der Konferenz (in der Broschüre Die Dritte Konferenz veröffentlicht) zeigt gegenüber solchen Methoden, was eine verantwortliche Haltung gewesen wäre: „Wenn Ihr tatsächlich dachtet, es sei an der Zeit, ein zusätzliches, viel selektiveres Kriterium für die Einladung zu zukünftigen Konferenzen einzufügen, wäre die einzige ernsthafte, verantwortungsvolle Haltung gewesen, die mit dem Bestreben nach der notwendigen brüderlichen Klärung und Diskussion unter revolutionäre Gruppen zu vereinbaren ist, die Konferenz aufzufordern, diese Frage explizit auf die Tagesordnung zu stellen und entsprechende Diskussionstexte vorzubereiten. Dennoch habt Ihr zu keinem Zeitpunkt während der Vorbereitung auf die Dritte Konferenz diese Frage ausdrücklich angesprochen. Erst nach Verhandlungen mit der CWO hinter den Kulissen habt Ihr am Ende der Konferenz Eure kleine Bombe platzen lassen.
Wie soll man Eure Kehrtwendung und die vorsätzliche Verheimlichung Eurer wirklichen Absichten verstehen? Wir können schwer etwas anderes darin erkennen als den Willen die Grundsatzdebatte zu vermeiden, die der Einführung eines zusätzlichen Kriteriums zur Frage der Partei eventuell einen Sinn verliehen hätte. Obwohl wir der Meinung waren, eine „Selektion“ sei auch nach einer solchen Diskussion sehr verfrüht, schlugen wir, gerade um diese Grundsatzdebatte zu führen, für die Tagesordnung der nächsten Konferenz folgende Frage vor: „die Frage der Partei – ihre Natur, Funktion und das Verhältnis zwischen Partei und Klasse ausgehend von der historischen Darstellung dieser Frage in der Arbeiterbewegung und der historischen Beweisführung dieser Konzepte“ (von der IKS vorgeschlagener Resolutionsentwurf). Genau dieser Diskussion wolltet Ihr aus dem Weg gehen (stört sie Euch so sehr?). Dies wurde sehr deutlich, als Ihr Euch am Ende der Konferenz geweigert habt, eine Erklärung zu Eurem Vorschlag für ein Kriterium zu liefern: „die proletarische Partei als notwendiges Organ der politischen Führung der revolutionären Klassenbewegung und der revolutionären Macht selbst.“ Allen Teilnehmern war klar, dass Eure einzige Absicht nicht die Klärung der Debatte war, sondern die Konferenzen sollten sich der Elemente – unter anderen der IKS - „entledigen“ , die Ihr als „spontaneistisch“ bezeichnet hattet.
Eine solche Vorgehensweise verrät die größte Geringschätzung gegenüber den teilnehmenden Gruppen – sowohl den anwesenden als noch vielmehr denjenigen, die aus materiellen Gründen nicht hatten kommen können, und darüber hinaus des gesamten revolutionären Milieus, für welches die Konferenzen eine Referenz waren; sie scheint auch darauf hinzudeuten, dass Battaglia Communista die Konferenzen als IHR Ding betrachtete, das sie nach Gutdünken aufbauen oder zerstören kann.
Nein Genossen! Die Konferenzen waren nicht Battaglias Eigentum, nicht einmal dasjenige der sie organisierenden Gruppen. Sie gehören dem Proletariat, sind eine Etappe auf seinem mühsamen Weg zur Bewusstwerdung und zur Revolution. Keine Gruppe hat das Recht auf ihr Bestehen oder ihre Auflösung, weder aufgrund einer Laune noch wegen der ängstlichen Weigerung, über die Probleme, mit denen die Klasse konfrontiert ist, vertieft zu diskutieren.“
Der Opportunismus, der sich in der Vorgehensweise von Battaglia und der CWO gezeigt hatte, wurde in der vierten Konferenz in London 1982 voll bestätigt. Es wurde ein Flop in puncto Organisation: viel weniger Teilnehmer als bei den vorigen Konferenzen, keine veröffentlichten Texte oder Protokolle, keine Fortsetzung. Außerdem ein gefährliches Aufweichen der Prinzipien, denn die einzige anwesende Gruppe waren die Unterstützer der Einheit Kommunistischer Militanter (SUCM) – eine radikale stalinistische Gruppe in direkter Verbindung mit dem kurdischen Nationalismus, die sich jetzt Kommunistische Partei der Arbeiter Irans nennt (auch bekannt unter dem Namen „Hekhmatisten“). Die sektiererische „Strenge“ gegenüber der IKS und dem proletarischen Milieu ging mit einer sehr nachgiebigen Haltung gegenüber der Konterrevolution einher. Wie wir es in dem Artikel „Polemik mit dem IBRP: eine opportunistische Umgruppierungspolitik führt lediglich zu Fehlgeburtent“ (Internationale Revue Nr. 36) zeigten, sollte das IBRP unverhohlen diese opportunistische Auffassung der Umgruppierung noch öfters vertreten.
Die 70er Jahre waren für die revolutionäre Bewegung, die noch die Früchte des ersten Ansturms von Arbeiterkämpfen am Ende der 60er Jahre erntete, Wachstumsjahre. Seit Anfang der 80er Jahre war aber das politische Umfeld erheblich düsterer. Der Einmarsch Russlands in Afghanistan und die aggressive Antwort der USA darauf machten eine Zuspitzung der interimperialistischen Konflikte deutlich; die damit verbundene Gefahr eines Weltkrieges nahm Form an. Die Bourgeoisie verkündete immer weniger eine strahlende Zukunft und immer mehr den Realismus, dessen Symbol die Politik der „Eisernen Lady“ in Großbritannien wurde.
Zu Anfang des Jahrzehnts erkannte die IKS, dass die Jahre der Illusionen vorbei waren und die Jahre der Wahrheit begannen. Mit der dramatischen Vertiefung der Krise und der Beschleunigung der Kriegsvorbereitungen konfrontiert, vertraten wir die Ansicht, dass die Arbeiterklasse ihre Kämpfe auf ein höheres Niveau stellen müsse und dass das kommende Jahrzehnt für das weitere Schicksal des Kapitalismus entscheidend sein könne. Das Proletariat war gezwungen, den Klassenkampf auf eine höhere Stufe zu stellen. Im August 1980 kam in Polen der klassische Massenstreik hervor, der die Fähigkeit der Arbeiterklasse, sich auf der Ebene eines ganzen Landes zu organisieren, erneut aufzeigte. Obwohl diese Bewegung isoliert blieb und letztendlich brutal niedergeschlagen wurde, zeigte die in Belgien 1983 begonnene Kampfeswelle, dass die Arbeiter der westeuropäischen Schlüsselländer bereit waren, auf die durch die Krise bedingten vermehrten Angriffe auf ihre Lebensbedingungen zu antworten. Die Revolutionäre hatten zahlreiche und wichtige Gelegenheiten, in der darauf folgenden Bewegung zu intervenieren, dennoch war es keine „einfache“ Zeit für die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Organisation. Der Ernst der Lage forderte zu viel von denjenigen, die zu einem langfristigen Engagement für die Sache des Kommunismus nicht bereit waren oder die sich mit vielen von den „happy days“ der 60er Jahre geerbten kleinbürgerlichen Illusionen in der Bewegung verirrt hatten. Hinzu kommt, dass die damaligen Kämpfe, so wichtig sie waren, es nicht schafften, ein ausreichendes Niveau von Politisierung zu erreichen. Der Kampf der englischen Bergarbeiter, des Schulpersonals in Italien, der Eisenbahner in Frankreich, der Generalstreik in Dänemark ... – all diese Kämpfe und andere mehr waren Ausdruck des offenen Misstrauens einer nicht besiegten Klasse, die den Weg der Bourgeoisie zum Weltkrieg versperrte. Sie waren aber nicht in der Lage, die Perspektive einer neuen Gesellschaft aufzuzeigen und haben das Potential des Proletariats als revolutionäre Klasse der Zukunft nicht deutlich herausgestellt. Sie haben auf Grund dessen keine neue Generation von proletarischen Gruppen und Militanten hervorgebracht.
Das globale Ergebnis dieses Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen war das, was wir die Phase des kapitalistischen Zerfalls genannt haben, in welcher keine der beiden historischen Klassen ihre eigene Perspektive durchzusetzen vermag: weltweiten imperialistischen Krieg oder proletarische Revolution. Die „Jahre der Wahrheit“ sollten die ganze Schwäche des proletarischen Milieus gnadenlos offenbaren. Die IKP (Programma) wurde Anfang der 80er Jahre von einer verheerende Krise infolge eines Geburtsgebrechens ihres programmatischen Gerüstes geschüttelt – insbesondere die Frage der nationalen Befreiungskämpfe führte zu einem Eindringen linker und nationalistischer Elemente in ihre Reihen. Die Krise der IKS von 1981 (die in die Abspaltung der „Chénier“-Tendenz mündete) war weitestgehend der Preis, den die IKS für ihr schwaches Verständnis organisatorischer Fragen zu zahlen hatte. Der Bruch mit der „Externen Fraktion der IKS“ (FECCI) zeigte außerdem, dass unsere Organisation die Überreste rätistischer Auffassungen ihrer Anfangsjahre noch nicht überwunden hatte. 1985 bildete sich das IBRP aufgrund einer Verbindung zwischen Battaglia und der CWO. Die IKS bezeichnete diesen Zusammenschluss als „opportunistischen Bluff“. Die darauf folgende Unfähigkeit des IBRPs, eine wirklich zentralisierte internationale Organisation aufzubauen, hat dies bestätigt.
All diese Schwierigkeiten wären gewiss nicht aufgetreten, wenn die Konferenzen nicht Anfang des Jahrzehnts sabotiert worden wären. Aber das Fehlen von Konferenzen bedeutete einmal mehr, dass das proletarische Milieu ungeordnet ihnen entgegentreten musste. Bezeichnenderweise sind die Konferenzen am Vorabend des Massenstreiks in Polen gescheitert; damit wurde die Unfähigkeit des proletarischen Milieus deutlich, nicht nur zur Frage des Krieges, sondern auch angesichts eines derart offenen und anregenden Ausdrucks der proletarischen Alternative mit einer einzigen Stimme zu sprechen.
Die Schwierigkeiten, mit denen das heutige politische proletarische Milieu konfrontiert ist, sind keineswegs das Produkt des Scheiterns der internationalen Konferenzen. Wie wir gesehen haben, liegen die Wurzeln viel tiefer und breiter. Aber der Mangel an einem organisierten Rahmen der politischen Debatte und Zusammenarbeit hat zu ihrer Verstärkung beigetragen.
Die Entstehung einer neuen Generation von proletarischen Gruppen und Elementen wird sicherlich in Zukunft das Bedürfnis nach einem organisierten Rahmen hervorbringen. Eine der ersten Initiative des NCI in Argentinien war ein Vorschlag in dieser Richtung. Fast die gesamten Gruppen des proletarischen Milieus haben abschlägig reagiert. Solche Vorschläge werden aber wieder gemacht werden, auch wenn die Mehrheit der „etablierten“ Gruppen immer weniger in der Lage ist, einen einigermaßen positiven Beitrag zur Entwicklung der Bewegung zu liefern. Wenn diese Vorschläge fruchten, wird man sich die Lehren aus den Konferenzen 1976-1980 aneignen müssen.
In Ihrem Schreiben an Battaglia in der Broschüre „Die Dritte Konferenz“ zieht die IKS die wichtigsten Lehren:
„Wichtigkeit dieser Konferenzen für das revolutionäre Milieu und die gesamte Klasse,
Notwendigkeit von Kriterien,
Notwendigkeit, Stellung zu beziehen,
Ablehnung von überstürztem Verhalten,
Notwendigkeit der tiefstmöglichen Diskussion über die entscheidenden Fragen, mit denen das Proletariat konfrontiert ist.“
Wenn sich die neue Generation diese Lehren zu Eigen macht, dann wird der erste Zyklus internationaler Konferenzen in seiner Aufgabe nicht gänzlich gescheitert sein.
Amos
Einige der erwähnten Gruppen sind später verschwunden.
Eine der letzten Gruppen der Kommunistischen Holländischen Linken, die aber in den 70er Jahren nur noch ein Schatten des Rätekommunismus der 30er Jahre und des Spartacusbond der Nachkriegszeit war, der die Notwendigkeit einer proletarischen Partei anerkannt hatte.
Schwedische Gruppe mit einer seltsamen Mischung aus Rätekommunismus und linker Ideologie.
Sie bezeichnete die UdSSR als „staatsbürokratische Produktionsweise“, unterstützte die nationalen Befreiungskämpfe und die Arbeit in den Gewerkschaften. Erheblich Differenzen waren vorhanden und einige der Mitglieder verließen sie Ende der 70er Jahre und schlossen sich der IKS an.
Ende 1973 aus der IKS ausgetreten, weil diese angeblich nicht ausreichend intervenieren würde (für die PIC war Intervention gleichbedeutend mit: Unmengen an Flugblättern produzieren). Die Gruppe orientierte sich relativ schnell hin zu halb-rätistischen Positionen und verschwand.
Aus der IKP (Programma) in Italien Ende der 70er Jahre entstanden, hatte diese Gruppe anfänglich eine viel offenere Haltung gegenüber der Tradition von Bilan und dem bestehenden proletarischen Milieu, wie man in ihren Interventionen während der Konferenz feststellen kann. Zur Zeit der Dritten Konferenz fusionierte sie mit Il Leninista und gründete die Nuclei Leninisti Internazionalisti. Später entstand die Organizzazione Comunista Internazionalista, die sich aber zu den Linken entwickelte. Die ursprüngliche Schwäche der NCI zur nationalen Frage bildete einen fruchtbaren Boden und verfestigte sich: die OCI unterstützte offen Serbien im Krieg 1999 und den Irak in beiden Golfkriegen.
Formento Obrero Revolucionario
Entstand Ende der 70er Jahre infolge eines Bruchs mit dem Maoismus. Hat bei der Dritten Konferenz alle anderen Gruppen über ihre Unzulänglichkeiten in Theorie und Intervention belehrt und ist kurz darauf spurlos verschwunden.
Auch
bekannt unter dem Namen TIL (nach ihrer Zeitschrift Travailleurs Immigrés
en Lutte), unterstützte sie die Konferenzen, konnte aber aus
Sicherheitsgründen angeblich nicht teilnehmen. Tatsächlich war dies Teil eines
größeren Problems: die Konfrontation mit dem revolutionären Milieu zu
vermeiden. Sie überlebte noch bis in die 80er Jahre.
[i] [89] Das FOR scheint einen nachträglichen Sieg bei der Konferenz errungen zu haben. Es gibt nämlich eine frappierende Ähnlichkeit zwischen seiner Idee, die kapitalistische Gesellschaft, aber nicht die kapitalistische Wirtschaft sei dekadent und der neuen Entdeckung des IBRP, die zwischen der kapitalistischen (nicht dekadenten) Produktionsweise und dem gesellschaftlichen (dekadenten) Überbau unterscheidet. Siehe insbesondere den Text von Battaglia: Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion sowie unsere Antwort auf unserer französischsprachigen Webseite.
[ii] [89] siehe den „Offenen Brief an die Genossen des IBRP“ auf unserer Webseite.
[iii] [89] Die Haltung der GCI bei der Konferenz zeigte, wie wir es in der International Review Nr. 22 gezeigt haben, dass diese Gruppe keinen Platz in einer Zusammenkunft von Revolutionären hatte. Obwohl die IKS zur Zeit der Konferenzen ihre Auffassung des politischen Parasitentums noch nicht entwickelt hatte, konnte man bei der GCI alle Charakteristiken dessen finden. Sie war nur zur Konferenz gekommen, um sie als „Betrug“ zu denunzieren, betonte, sie sei nur als Beobachterin gekommen, habe jederzeit das Recht, das Wort zu allen Fragen zu ergreifen, und verursachte fast eine Schlägerei. Kurzum, diese Gruppe existiert, um das proletarische Milieu zu sabotieren. Bei der Konferenz schwenkte sie große Reden über den revolutionären Defätismus und den Internationalismus in Aktion und nicht in Worten. Wie viel wert diese Phrasen waren, kann man an den Lobliedern, die die GCI später über die nationalistischen Gangs in Peru und El Salvador gesungen hat, und an ihrer aktuellen Auffassung über einen proletarischen Kern des „Widerstandes“ im Irak messen.
Gegenüber dem Krieg, der im Nahen und Mittleren Osten ständig wütet, und neulich wieder gegenüber dem Konflikt zwischen Israel und Libanon, vertreten die Revolutionäre eine klare Position. Deshalb unterstützen wir voll und ganz die wenigen internationalistischen und revolutionären Stimmen, die in dieser Region zu vernehmen waren, wie die der Gruppe Enternasyonalist Komunist Sol der Türkei. In ihrer Stellungnahme zur Lage im Libanon und Palästina, die wir in den verschiedenen Organen unserer territorialen Presse veröffentlicht haben, verwirft diese Gruppe entschlossen jede Unterstützung der aufeinander prallenden rivalisierenden bürgerlichen Cliquen und Fraktionen, deren direkte Opfer Millionen Proletarier sind, ob sie nun palästinensischen, jüdischen, schiitischen, sunnitischen, kurdischen, drusischen oder anderen Ursprungs sind. Diese Gruppe hat zu Recht hervorgehoben: „Der Imperialismus ist die natürliche Politik eines jeden Nationalstaates und einer jeden Organisation, die wie ein Nationalstaat funktioniert“. Sie hat ebenso die folgende Tatsache angeprangert: “In der Türkei als auch in der übrigen Welt gewährte eine große Mehrheit der Linksextremisten der PLO und der Hamas völlige Unterstützung. Im letzten Konflikt sagten sie einstimmig: „Wir alle sind Hisbollah“. Der Logik „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ folgend, umarten sie innig diese gewalttätige Organisation, die ihre Arbeiterklasse in einen katastrophalen nationalistischen Krieg stieß. Die Unterstützung, die die Linksextremisten dem Nationalismus gewährten, zeigt uns, warum Linksextremisten nicht viel anderes sagen als Parteien wie die MHP (Partei der nationalistischen Bewegung – die faschistischen Grauen Wölfe)… Sowohl der Krieg zwischen der Hisbollah und Israel als auch der Krieg in Palästina ist ein imperialistischer Konflikt, und alle Seiten benutzen den Nationalismus, um die Arbeiter ihrer Territorien auf ihre Seite zu ziehen. Je mehr die Arbeiter vom Nationalismus aufgesaugt werden, desto mehr werden sie die Fähigkeit verlieren, als Klasse zu handeln. Daher dürfen Israel, die Hisbollah, die PLO oder die Hamas unter keinen Umständen unterstützt werden.“ (siehe Weltrevolution Nr. 138). Dies belegt, dass die proletarische Perspektive immer noch vorhanden ist und sich nicht nur durch die Entwicklung der Kämpfe der Arbeiterklasse überall auf der Welt äußert (in Europa, USA, Lateinamerika, Indien oder Bangladesh), sondern auch durch das Auftauchen von kleinen Gruppen und politisierten Leuten in verschiedenen Ländern, die bestrebt sind, internationalistische Positionen zu verteidigen, welche das herausragende Merkmal proletarischer Politik sind.
Der Krieg im Libanon vom letzten Sommer war eine neue Etappe zu einem weiteren Blutvergießen im ganzen Nahen und Mittleren Osten. Die Welt versinkt in einem immer weniger kontrollierbaren Chaos, einem Krieg, zu dem alle imperialistischen Mächte der angeblichen ‚internationalen Weltgemeinschaft’ beigetragen haben, von den größten bis zu den kleinsten Staaten. 7000 Luftangriffe allein auf libanesisches Territorium, abgesehen von den unzähligen Raketenangriffen auf Nordisrael, mehr als 1200 Tote im Libanon und Israel (darunter mehr als 300 Kinder unter 12 Jahren), mehr als 5000 Verletzte, eine Million Zivilisten, die vor den Bomben und Kämpfen flüchten mussten. Andere, die zu arm sind zu fliehen, suchen irgendwo total verängstigt Schutz. Ganze Stadtviertel und Dörfer in Schutt und Asche gelegt, überfüllte Krankenhäuser: Dies ist die Bilanz eines Monats Krieg im Libanon und in Israel nach der Tsahal-Offensive, die dazu dienen sollte, den wachsenden Einfluss der Hisbollah einzudämmen, und eine Reaktion auf eine der zahlreichen tödlichen Angriffe der islamistischen Milizen über die israelisch-libanesische Grenze hinweg war. Man schätzt den wirtschaftlichen Schaden auf mehr als 6 Milliarden Euro, zusätzlich zu den militärischen Kosten des Krieges.
Der israelische Staat hat mit einer unglaublichen Brutalität, Wildheit und Besessenheit eine Politik der verbrannten Erde gegenüber der Zivilbevölkerung in den Dörfern des Südlibanons praktiziert. Die Menschen wurden aus ihren Wohngebieten vertrieben, man überließ sie dem Hunger, ohne Wasser, den schlimmsten Epidemien ausgesetzt. 90 Brücken und zahlreiche Verkehrswege wurden systematisch zerstört (Straßen, Autobahnen…), drei Elektrizitätswerke und Tausende von Wohnungen vernichtet, durch die pausenlosen Bombardierungen wurde eine Umweltkatastrophe ausgelöst. Die israelische Regierung und ihre Armee erklärten unaufhörlich, man wolle die ‚Zivilisten verschonen’. Massaker wie das in Kanaa wurden als ‚bedauerliche Unfälle’ dargestellt (wie die berühmten ‚Kollateralschäden’ im Golfkrieg und auf dem Balkan). Aber unter der Zivilbevölkerung gab es die meisten Opfer – 90% der Getöteten waren Zivilisten!
Auch wenn die Hisbollah nur über begrenzte und damit weniger spektakuläre Mittel verfügt, hat sie genau die gleiche mörderische und blutrünstige Politik der ziellosen Beschießungen betrieben. Ihre Raketen trafen vor allem die Zivilbevölkerung und die im Norden Israels gelegenen Städte (75% der Getöteten gehörten gar der arabischen Bevölkerung an, die angeblich geschützt werden sollte).
Wie festgefahren die Lage im Nahen Osten war, konnte man schon deutlich anhand des Eintritts der Hamas in die Regierung der palästinensischen Gebiete (dort hat die Unnachgiebigkeit der israelischen Regierung dazu beigetragen, den Großteil der palästinensischen Bevölkerung zu ‚radikalisieren’) und den offenen Riss zwischen den Fraktionen der palästinensischen Bourgeoisie sehen, hauptsächlich zwischen Fatah und Hamas. Jegliche Verhandlungslösung galt als ausgeschlossen. Gegenüber dieser Sackgasse reagierte Israel so, wie heute alle Staaten reagieren: mit der Flucht nach vorne. Um seine Autorität wieder zu behaupten, hat sich Israel umgewandt mit dem Ziel, den wachsenden Einfluss der Hisbollah im Südlibanon einzudämmen, die vom Iran Hilfe, Geld und Waffen erhalten. Israel begründete sein Vorgehen mit dem Vorwand der Befreiung zweier, von der Hisbollah verschleppter israelischer Soldaten, die aber vier Monate nach ihrer Verschleppung noch immer Gefangene der schiitischen Milizen sind. Der andere Rechtfertigungsgrund war die ‚Neutralisierung’ und Entwaffnung der Hisbollah, deren Angriffe und Eindringen vom Südlibanon aus auf israelisches Gebiet als eine ständige Bedrohung für die Sicherheit des israelischen Staates angesehen werden.
Schließlich erwies sich die militärische Operation als ein großer Misserfolg, der den Mythos der Unbesiegbarkeit und Unverletzbarkeit der israelischen Armee plötzlich auffliegen ließ. Zivilisten und Militärs innerhalb der israelischen Bourgeoisie schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu für den schlecht vorbereiteten Krieg. Im Gegenzug geht die Hisbollah verstärkt aus dem Konflikt hervor und verfügt in den Augen der arabischen Bevölkerung aufgrund ihres Widerstandes gegen Israel über eine neue Legitimität. Anfangs war die Hisbollah wie auch Hamas nur eine der zahlreichen islamischen Milizen, die sich gegen den israelischen Staat gebildet hatten. Sie entstand 1982 während der israelischen Offensive im Südlibanon. Aufgrund des starken Gewichtes der Schiiten konnte sie dank der umfangreichen finanziellen Hilfe des Ayatollahregimes und der iranischen Mullahs gedeihen. Syrien hat die Hisbollah ebenfalls durch seine umfangreiche logistische Unterstützung benutzt. Damit konnte die Hisbollah für Syrien als Stützpunkt dienen, nachdem sich Syrien 2005 aus dem Libanon zurückziehen musste. Diese Mörderbande konnte gleichzeitig geduldig ein ganzes Netz von Rekrutierungsoffizieren errichten, wobei diese medizinische, sanitäre und soziale Hilfe anboten, die aus Geldmitteln der iranischen Öleinkünfte finanziert wurden. Diese Gelder ermöglichen nun gar die Ersetzung der durch den Bomben- oder Raketenbeschuss zerstörten Häuser, damit die Stimmung der Bevölkerung für die Hisbollah mobilisiert werden kann. In Berichten über diese „Schattenarmee“ konnte man sehen, dass ihr viele männliche Jugendliche im Alter von 10–15 Jahren angehören, die bei ihren blutigen Abrechnungen jeweils als Kanonenfutter verwendet werden.
Syrien und Iran bilden gegenwärtig den homogensten Block um Hamas und Hisbollah. Insbesondere der Iran zeigt offen seine Bestrebungen, die führende imperialistische Macht in der Region zu werden. Wenn der Iran in den Besitz von Atomwaffen käme, würde er in der Tat eine solche Rolle erfüllen können. Dies ist genau eine der Hauptsorgen der USA, denn seit ihrer Gründung im Jahre 1979 hat die ‚islamische Republik’ eine ständige Feindseiligkeit gegenüber den USA an den Tag gelegt.
Die USA haben für die Auslösung der israelischen Offensive gegen den Libanon grünes Licht gegeben. Nachdem sie bis zum Hals in den Krieg im Irak und im Afghanistan verwickelt sind, und nach dem Scheitern ihres „Friedensplans“ zur Regelung des Palästinenserkonfliktes müssen die USA das Scheitern ihrer Strategie feststellen, die darauf abzielte, eine „Pax Americana“ im Nahen und Mittleren Osten zu errichten. Insbesondere hat die US-Präsenz im Irak seit drei Jahren zu einem blutigen Chaos, einem schrecklichen regelrechten Bürgerkrieg zwischen verschiedenen rivalisierenden Fraktionen und zu tagtäglichen Attentaten geführt, die die Bevölkerung wahllos treffen und jeden Tag zwischen 80-100 Toten hinterlassen.
Auf diesem Hintergrund stand es außer Frage, dass die USA selbst intervenieren, obwohl es ihr erklärtes Ziel ist, sich die Staaten vorzuknüpfen, die als „terroristisch“ und als Verkörperung der „Achse des Bösen“ dargestellt werden wie Syrien und vor allem der Iran, der die Hisbollah unterstützt. Die israelische Offensive sollte den beiden Staaten als eine Warnung dienen; sie zeigte die völlige Interessensidentität zwischen dem Weißen Haus und der israelischen Bourgeoisie. Deshalb stellt das Scheitern Israels ebenso ein Zurückweichen der USA und die fortgesetzte Schwächung der US-Führungsrolle dar.
Der Gipfel des Zynismus und der Heuchelei wurde von der UNO erreicht, als diese während der ein Monate dauernden Kriegshandlungen im Libanon unaufhörlich ihren „Friedenswillen“ verkündete und gleichzeitig ihre „Machtlosigkeit“ zur Schau stellte.[i] [91] Dies ist total verlogen. Diese Verbrecherbande (wie Lenin die Vorläuferorganisation der UNO, den Völkerbund, nannte) ist ein Ort, wo sich die gefährlichsten Krokodile der Erde bekämpfen. Die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder sind die größten Räuber der Erde:
- Die USA, deren Vorherrschaft auf der militärischen Armada des stärksten Staates der Welt fußt, und deren Verbrechen seit der 1990 erfolgten Verkündung einer „Ära des Friedens und des Wohlstands“ durch Bush Senior (die beiden Golfkriege, die Intervention auf dem Balkan, die Besetzung des Iraks, der Krieg im Afghanistan…) für sich selbst sprechen.
- Russland, das für die schrecklichsten Grausamkeiten in seinen beiden Kriegen in Tschetschenien verantwortlich ist, weil es den Zusammenbruch der UdSSR nicht verkraftet hat und nach Rache dürstet, zeigt heute seine neuen imperialistischen Ambitionen, nachdem es von der Schwäche der USA profitiert hat. Deshalb spielt es die Karte der Unterstützung des Irans und etwas diskreter der Hisbollah.
- China, das von seinem wachsenden wirtschaftlichen Einfluss profitiert, träumt davon, Zugang zu neuen Einflusszonen außerhalb Südostasiens zu bekommen. Es hat insbesondere den Iran umworben, der ein privilegierter Wirtschaftspartner ist, welcher ihm Öl zu besonders günstigen Beziehungen verkauft. Russland und China haben die jüngsten UN-Resolutionen zu sabotieren versucht.
- Bislang hat Großbritannien die großen Strafaktionen seitens der USA für die Verteidigung seiner eigenen Interessen mitgetragen. Es will so sein altes Einflussgebiet wieder zurückgewinnen, über das es seinerzeit in Gestalt der alten Protektorate in dieser Region verfügte (insbesondere Iran und Irak).
- Die französische Bourgeoisie zeigt weiterhin eine Nostalgie für eine Zeit, zu der sie die Einflussgebiete im Nahen und Mittleren Osten mit Großbritannien teilen konnte. Deshalb unterstützte sie die US-Pläne gegenüber Libanon anlässlich der berühmten UN-Resolution 1201 und willigte gar dem Plan des Einsatzes von UNIFIL-Truppen zu. Deshalb hat sie auch der Entsendung von zunächst 400, mittlerweile 2000 Soldaten in den Südlibanon im Rahmen der UNIFIL zugestimmt.
Andere Mächte sind ebenfalls auf den Plan getreten wie Italien, das als Belohnung für die Entsendung des größten Kontingentes an UN-Truppen nach Februar 2007 das Oberkommando über die UNIFIL im Libanon übernehmen wird. Einige Monate nach dem Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak tritt Prodi, der zuvor das Engagement der Berlusconi-Mannschaft im Irak kritisiert hatte, in dessen Fußstapfen im Libanon und beweist damit die Ambitionen Italiens, am Tisch der Großen mit sitzen zu wollen, auch wenn es dabei wieder Federn lassen muss. Das verdeutlicht wieder einmal, dass alle imperialistischen Mächte Kriegstreiber sind.
Der Nahe und Mittlere Osten liefert uns heute eine gebündelte Illustration des irrationalen Charakters des Krieges, wo jeder Imperialismus sich immer stärker engagiert, um seine eigenen Interessen zu vertreten, was zur Folge hat, dass dadurch Konfliktfelder immer größer und blutiger werden, weil immer mehr Staaten daran beteiligt sind.
Die Ausdehnung der blutigen Konfliktherde auf der ganzen Welt zeigt somit den unausweichlich barbarisch-kriegerischen Charakter des Kapitalismus. Krieg und Militarismus sind zur ständigen Überlebensform des im Zerfall begriffenen dekadenten Kapitalismus geworden. Es handelt sich um einen Hauptwesenszug der tragischen Sackgasse eines Systems, das der Menschheit nichts anderes anzubieten hat als Tod und Elend.
Der Polizist, der angeblich den Schutz der „Weltordnung“ sicherstellen soll, ist heute selber ein aktiver Faktor bei der Zunahme der Unordnung.
Wie ist es möglich, dass die stärkste Armee der Welt, mit den modernsten Technologien und den mächtigsten Geheimdiensten ausgerüstet, mit hoch komplexen Waffen, die ein Tausende Kilometer weit entferntes Ziel präzise treffen können, sich plötzlich in einer Fallgrube gefangen vorfindet? Wie kommt es, dass die USA, das mächtigste Land der Welt, von einem Halbidioten regiert werden, der seinerseits von einer Bande von Aktivisten umgeben ist, die nicht gerade dem Bild entsprechen, das man sich von einer verantwortungsvollen „großen Demokratie“ der Bourgeoisie traditionellerweise macht? Bush Junior, der vom Schriftsteller Norman Mailer als „schlimmster Präsident der Vereinigten Staaten: ignorant, arrogant und vollkommen blöd“ bezeichnet wird, hat sich mit einer Mannschaft von „klugen Köpfen“ umgeben, die ihm die Politik diktieren: von Vizepräsident Dick Cheney über den Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und seinen Guru-Manager Karl Rove bis zum „Theoretiker“ Paul Wolfowitz. Dieser hat sich seit Beginn der 1990er Jahre als konsequentester Verfechter einer „Doktrin“ hervorgetan, die klar behauptet, dass „die wesentliche politische und militärische Mission von Amerika nach dem Kalten Krieg darin besteht, zu verhindern, dass irgendeine rivalisierende Supermacht in Westeuropa, in Asien oder in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion entstehen kann“. Diese „Doktrin“ wurde im März 1992 publik, als die amerikanische Bourgeoisie sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der Wiedervereinigung Deutschlands noch Illusionen über den Erfolg ihrer Strategie machte. Mit diesem Ziel erklärten jene Leute vor ein paar Jahren, dass „es ein neues Pearl Harbor bräuchte“, um die Nation wachzurütteln, der ganzen Welt die demokratischen Werte Amerikas zu vermitteln und die imperialistischen Rivalitäten zu überwinden. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass der japanische Angriff auf den Stützpunkt der amerikanischen Seestreitkräfte im Dezember 1941, der 4500 Tote und Verletzte auf amerikanischer Seite forderte, den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten an der Seite der Alliierten erlaubte, da in der öffentlichen Meinung, die sich bis zu diesem Zeitpunkt gegen eine Beteiligung am Krieg wandte, ein Stimmungsumschwung stattfand, während die höchsten politischen Gremien in den USA über den Angriffsplan auf dem Laufenden waren und nicht intervenierten. Seit Cheney und seinesgleichen dank dem Sieg von Bush Junior im Jahr 2000 an die Macht gekommen sind, haben sie genau die vorgesehene Politik umgesetzt: Die Angriffe vom 11. September haben ihnen als „neues Pearl Harbor“ gedient, und im Namen ihres Kreuzzuges gegen den Terrorismus haben sie die Invasionen zuerst in Afghanistan und dann im Irak wie auch die äußerst kostspieligen neuen Rüstungsprogramme gerechtfertigt, ohne dass wir dabei die beispiellose Intensivierung der polizeilichen Kontrolle über die Bevölkerung vergessen dürfen. Dass sich die USA solche Führer geben, die mit dem Schicksal des Planeten wie Zauberlehrlinge spielen, gehorcht der gleichen Logik des dekadenten, krisengeschüttelten Kapitalismus, die seinerzeit einen Hitler in Deutschland an die Macht brachte. Es ist nicht dieses oder jenes Individuum an der Spitze eines Staates, das den Kapitalismus in diese oder jene Richtung sich entwickeln lässt; vielmehr ist es dieses auseinander brechende System, das diesem oder jenem Repräsentanten dieser Entwicklung, wenn er sie in Gang bringen kann, erlaubt, an die Macht zu gelangen. Das bringt die historische Sackgasse, in welche der Kapitalismus die Menschheit hineinzieht, klar zum Ausdruck.
Die Bilanz dieser Politik ist erschütternd: 3000 Soldaten, die seit Beginn des Krieges vor drei Jahren im Irak gestorben sind (unter ihnen mehr als 2800 von den amerikanischen Truppen), 655’000 Iraker sind zwischen März 2003 und Juli 2006 umgekommen, während die mörderischen Attentate und die Konfrontationen zwischen schiitischen und sunnitischen Fraktionen ständig weiter eskalieren. 160'000 Soldaten der Besatzungsmächte stehen auf irakischem Boden unter dem Oberkommando der USA, und sie sind unfähig „ihren Auftrag zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu erfüllen“ in einem Land, das am Rande des Zusammenbruchs und des Bürgerkriegs steht. Im Norden versuchen die schiitischen Milizen ihre Regeln durchzusetzen und führen immer mehr Machtdemonstrationen durch, im Süden rufen aktivistische Sunniten, die stolz auf ihre Verbindungen zu den Taliban und Al Kaida sind, eine „islamische Republik“ aus, während im Zentrum des Landes, in der Gegend um Bagdad, die Bevölkerung plündernden Banden und Autobomben ausgesetzt ist und jeder Patrouillengang von amerikanischen Truppen in einem Hinterhalt enden kann.
Die Kriege im Irak und in Afghanistan verschlingen darüber hinaus Unsummen von Geld, was das Budgetdefizit der USA noch mehr vergrößert und sie in eine gewaltige Verschuldung treibt. Die Situation in Afghanistan ist nicht minder katastrophal. Die unendliche Jagd nach Al Kaida und die Anwesenheit einer Besatzungsmacht auch hier, geben den Taliban neuen Kredit, die 2002 von der Macht vertrieben worden sind, die aber vom Iran und diskreter von China mit Waffen ausgerüstet werden und ihre Hinterhalte und Anschläge wieder verstärken. Die „terroristischen Dämonen“, d.h. Bin Laden und das Taliban-Regime, sind aber alle beide „Geschöpfe“ der USA im seinerzeitigen Kampf gegen die UdSSR, zur Zeit der imperialistischen Blöcke nach der Invasion der russischen Truppen in Afghanistan. Bin Laden ist ein ehemaliger Spion, den die CIA 1979 rekrutierte und der, nachdem er in Istanbul als Finanzintermediär bei einem Waffenhandel von Saudiarabien und den USA mit Bestimmungsort afghanische Guerilla „ganz natürlich“ von Anbeginn der russischen Intervention an zum Vermittler der Amerikaner bei der Verteilung der finanziellen Hilfe an den afghanischen Widerstand wurde. Die Taliban wurden von den USA bewaffnet und finanziert, und ihr Aufstieg an die Macht stand unter dem vollen Segen von Uncle Sam.
Längst ist unbestritten, dass der grosse Kreuzzug gegen den Terrorismus keineswegs zu dessen Ausmerzung führte, sondern vielmehr in eine Vervielfachung von terroristischen Angriffen und Selbstmordanschlägen mündete, deren einziges Ziel darin besteht, möglichst viele Opfer zu verursachen. Heute muss das Weiße Haus ohnmächtig erdulden, dass ihm das iranische Regime auf der Nase herumtanzt. Was wiederum die Flügel von Mächten im vierten oder fünften Rang wachsen lässt wie von Nordkorea, das sich am 8. Oktober einen Atomwaffentest erlauben konnte und damit zum 8. Land wurde, das Atomwaffen besitzt. Diese gewaltige Herausforderung stellt das Gleichgewicht in ganz Südostasien in Frage und ermutigt neue Anwärter in ihren Plänen, sich auch nuklear zu rüsten. Sie rechtfertigt damit auch die erneute Militarisierung und Wiederaufrüstung Japans und dessen Marschrichtung hin zur Produktion von Atomwaffen, um damit dem unmittelbaren Nachbarn die Stirn bieten zu können. Diese Gefahr besteht durchaus und sie veranschaulicht den „Dominoeffekt“ bei dieser Flucht nach vorn in den Militarismus und das „Jeder-für-sich“.
Dabei ist auch die absolut chaotische Lage zu erwähnen, die im Nahen Osten und insbesondere im Gazastreifen herrscht. Nach dem Wahlsieg der Hamas Ende Januar wurde die direkte ausländische Hilfe eingestellt, und die israelische Regierung verhängte ein Steuer- und Zollembargo über die palästinensische Behörde. 165'000 Beamte sind schon während sieben Monaten nicht mehr entlöhnt worden, doch ihre Wut und diejenige der ganzen Bevölkerung, von der 70% unter der Armutsgrenze leben (bei einer Arbeitslosenrate von 44%), wird leicht in den Straßenkämpfen aufgefangen, in denen sich seit dem 1. Oktober von neuem die Milizen der Hamas und der Fatah gegenüber stehen. Die Versuche, eine Regierung der nationalen Einheit auf die Beine zu stellen, scheitern einer nach dem anderen. Auch nachdem sich die israelische Armee aus dem Südlibanon zurückgezogen hatte, verstärkte sie die Kontrolle an der Grenze zwischen Ägypten und Gazastreifen und nahm die Beschießung der Stadt Rafah mit Raketen unter dem Vorwand wieder auf, Hamasaktivisten zu verfolgen. Für diejenigen, die noch eine Arbeit haben, gibt es unaufhörlich Kontrollen. Die Bevölkerung lebt in einem ständigen Klima des Terrors und der Unsicherheit. Seit dem 25. Juni wurden in den Territorien 300 Tote gezählt.
Das Fiasko der amerikanischen Politik ist offensichtlich. Deshalb wird die Bush-Administration auch immer mehr in Frage gestellt, und zwar selbst von Leuten aus dem eigenen, republikanischen Lager. Die Gedenkfeiern zum fünften Jahrestag des 11. September waren Anlass für eine geballte Ladung von bissiger Kritik an Bush, die durch die Medien ausgebreitet wurde. Vor fünf Jahren setzte sich die IKS dem Vorwurf aus, sie habe eine machiavellistische Sichtweise der Geschichte, als sie die Hypothese aufstellte und untermauerte, dass das Weiße Haus die Ausführung der Anschläge in Kenntnis der Dinge zuließ, um die sich in Vorbereitung befindenden militärischen Abenteuer zu rechtfertigen.[ii] [91] Heute stellen unglaublich zahlreiche Bücher, Dokumentarfilme, Artikel im Internet nicht nur die offizielle Version über den 11. September in Frage, sondern ein großer Teil dieser Stellungnahmen vertritt wesentlich härtere Theorien und klagt die Bush-Regierung des Komplotts und der konzertierten Manipulation an. In der Bevölkerung selber geht nach den jüngsten Meinungsumfragen mehr als ein Drittel der Amerikaner und fasst die Hälfte der New Yorker Bevölkerung davon aus, dass eine Manipulation hinter den Anschlägen stand, dass der 11. September ein „inside job“ (eine innere Angelegenheit) war.
Während 60% der amerikanischen Bevölkerung den Krieg im Irak für eine „schlimme Sache“ halten, glaubt ein Großteil von ihnen nicht mehr an die These über das Atomwaffenprogramm und ebenso wenig an die Verbindungen zwischen Saddam und Al Kaida, sondern geht davon aus, dass es sich dabei um Vorwände für den Einmarsch im Irak gehandelt hat. Etwa ein halbes Dutzend von kürzlich erschienen Büchern (darunter dasjenige des Starjournalisten Bob Woodward, der den Watergate-Skandal zur Zeit von Nixon aufdeckte) legen unwiderlegbares Material vor, um die „Staatslüge“ zu entlarven und den Rückzug der Truppen aus dem Irak zu fordern. Das bedeutet keineswegs, dass der militaristischen Politik der USA die letzte Stunde geschlagen hätte, doch ist die Regierung gezwungen, dieser Stimmung Rechnung zu tragen und ihre eigenen Widersprüche offen zu legen, um zu versuchen sich anzupassen.
Der angebliche letzte „Schnitzer“ von Bush, der darin bestand, die Parallele zum Vietnamkrieg zuzugeben, fiel zusammen mit anderen „Lecks“ - welche durch die von James Baker persönlich gewährten Interviews medial begleitet wurden. Der Plan des ehemaligen Stabchefs der Ära Reagan und dann Staatssekretärs unter Vater Bush sieht eine Eröffnung des Dialogs mit Syrien und dem Iran und insbesondere den teilweisen Truppenrückzug aus dem Irak vor. Dieser Versuch eines begrenzten Zurückweichens unterstreicht das Ausmaß der Schwächung der amerikanischen Bourgeoisie, für die der sofortige und vollständige Rückzug aus dem Irak die am lautesten schallende Ohrfeige ihrer Geschichte und deshalb untolerierbar wäre. Die Parallele mit dem Vietnamkrieg ist genauer betrachtet eine trügerische Unterschätzung der Lage. Seinerzeit erlaubte der Rückzug der Truppen aus Vietnam eine strategische Neuorientierung, die für die Bündnisse der USA vorteilhaft war und es erlaubte, China aus dem Lager der damaligen UdSSR in ihr eigenes herüberzuziehen. Heute wäre der Rückzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak eine schlichte Kapitulation ohne jeden Ausgleich und würde zu einer völligen Diskreditierung der amerikanischen Macht führen. Ein solcher Rückzug würde gleichzeitig den Zusammenbruch des Iraks nach sich ziehen und damit das Chaos in der ganzen Region beträchtlich vergrößern. Diese Widersprüche sind ein schreiender Ausdruck der Krise, der Schwächung der amerikanischen Vormachtstellung und des fortschreitenden „Jeder-für-sich“, das wiederum das sich zuspitzende Chaos in den internationalen Beziehungen belegt. Und eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Kongress anlässlich der nächsten Zwischenwahlen, ja selbst die allfällige Wahl eines demokratischen Präsidenten in zwei Jahren würde keine andere Perspektive bieten als die Flucht nach vorn in weitere militärische Abenteuer. Die Bande von Besessenen, die in Washington regiert, hat zwar ein Ausmaß an Inkompetenz unter Beweis gestellt, das durch die amerikanische Verwaltung nur selten erreicht wird. Doch wie auch immer die Ablösungsmannschaft zusammengesetzt sein wird – sie wird die die Matrix nicht ändern können: Angesichts eines kapitalistischen Systems, das in seiner Todeskrise versinkt, ist die herrschende Klasse unfähig, eine andere Antwort anzubieten als die Flucht nach vorn in die Kriegsbarbarei. Auch und gerade die ranghöchste Bourgeoisie der Welt wird sich so an ihre Rolle klammern müssen.
In den USA ist der zentnerschwere Chauvinismus, der unmittelbar nach dem 11. September überall verbreitet wurde, aufgrund der Erfahrung mit dem doppelten Fiasko des Kampfes gegen den Terrorismus und des Kontrollverlustes im Irakkrieg weitgehend verschwunden. Die Rekrutierungskampagnen der Armee bekunden Mühe bei der Suche nach Kandidaten, die bereit wären, sich im Irak die Haut durchlöchern zu lassen, während die Truppen immer mehr demoralisiert sind. Trotz den sich stellenden Risiken gibt es immer mehr Soldaten, die desertieren. Es sind mehr als 1000 Deserteure gezählt worden, die nach Kanada geflohen sind.
Diese Lage ist aber nicht nur ein Ausdruck der Sackgasse der Bourgeoisie, sondern sie kündigt eine Alternative an. Das immer unerträglichere Gewicht des Krieges und der Barbarei in der Gesellschaft ist eine unabdingbare Dimension im Bewusstwerdungsprozess der Proletarier, wenn es darum geht, den Bankrott des kapitalistischen Systems zu begreifen. Die einzige Antwort der Arbeiterklasse auf den imperialistischen Krieg, die einzige Solidarität, die sie ihren Klassenbrüdern und –schwestern angesichts der schlimmsten Massaker anbieten kann, ist die eigene Mobilisierung auf ihrem Klassenterrain gegen die Ausbeuter. Das bedeutet, zu kämpfen und ihre Kämpfe auf dem gesellschaftlichen Terrain gegen die nationale Bourgeoisie weiter zu treiben. Und dies hat die Arbeiterklasse bereits zu tun begonnen, z.B. im Solidaritätsstreik, den die Flughafenangestellten in Heathrow im August 2005 trotz aller antiterroristischer Kampagnen nach den Anschlägen von London zusammen mit den beim Catering-Unternehmen Gate Gourmet entlassenen pakistanischen Arbeitern führten. Ebenso tat sie es mit der Mobilisierung der zukünftigen Proletarier in Frankreich gegen den Erstanstellungsvertrag (CPE) oder der Metallarbeiter in Vigo in Spanien. Auch die 18'000 Mechaniker von Boeing in den USA zeigten im September 2005 den Weg, als sie sich gegen Rentenkürzungen wehrten und sich gleichzeitig weigerten, eine Diskriminierung der jungen gegenüber den älteren Arbeitern hinzunehmen. Dasselbe gilt für die Angestellten der U-Bahn und des öffentlichen Verkehrs in New York, die kurz vor Weihnachten 2005 in den Streik traten. Konfrontiert mit einem Angriff auf die Renten, der eigentlich vordergründig nur die in Zukunft anzustellenden Arbeiter betroffen hätte, stellten sie ein wachsendes Bewusstsein darüber unter Beweis, dass der Kampf für die Zukunft unserer Kinder Teil unseres Kampfes überhaupt ist. Diese Kämpfe sind noch schwach, und der Weg hin zu entscheidenden Konfrontationen zwischen Bourgeoisie und Proletariat ist noch lang und schwierig, aber sie legen Zeugnis über die Wiederaufnahme des Klassenkampfes in weltweitem Maßstab ab. Sie stellen den einzigen möglichen Hoffnungsschimmer für eine andere Zukunft dar, für eine Alternative der Menschheit zur kapitalistischen Barbarei.
W, 21. Oktober 2006
[i] [91] Diesen Zynismus und diese Heuchelei konnte man deutlich vor Ort anhand einer Kriegsepisode der letzten Kriegstage erkennen. Ein Flüchtlingstreck eines Teils der Bevölkerung eines libanesischen Dorfes, in dem sich viele Frauen und Kinder befanden, welcher aus dem Kampfgebiet fliehen wollte, war wegen einer technischen Panne liegen geblieben und wurde von der israelischen Armee beschossen. Die Flüchtlinge wollten in einem nahe gelegen UN-Kontrollpunkt Unterschlupf suchen. Man antworte ihnen, es sei unmöglich sie unterzubringen, weil man kein Mandat dafür habe. Die meisten Flüchtlinge (58) starben unter israelischem Beschuss und vor den passiven Augen der UNIFIL-Kräfte (so die Zeugenaussage einer Mutter im Fernsehen, deren Familie lebend durchkommen konnte).
[ii] [91] s. unseren Artikel „Pearl Harbor 1941, Twin Towers 2001 – Der Machiavellismus der herrschenden Klasse“, in: Internationale Revu Nr. 29.
Die ersten Artikel dieser Reihe warfen einen Blick zurück, um zu überprüfen, was diese Veränderung bedeutete, stellten Form und Inhalt von 1905 dem Vergangenen gegenüber und untersuchten, inwiefern sie der neuen Periode in der Dekadenz des Kapitalismus entsprachen. Wir zeigten auf, dass die Gewerkschaften von den Sowjets als jene organisatorische Form verdrängt wurden, die am besten zum Zweck und Charakter des Kampfes passt, welchen die Arbeiterklasse heute führt. Wir haben gezeigt, dass es falsch war, die Sowjets als ein Produkt der angeblichen Rückständigkeit Russlands zu betrachten, und haben das Augenmerk auf die Tatsache geworfen, dass die Bildung der Sowjets im Gegenteil Ausdruck eines fortgeschrittenen Bewusstseinstandes der Arbeiterklasse war. In dieser neuen Periode hörten die Gewerkschaften auf, ein Mittel zur Durchsetzung der Interessen der Arbeiterklasse zu sein, und verwandelten sich in ein Hindernis gegen die Weiterentwicklung des Kampfes und in eine Falle für die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse sowie ihrer entschlossensten Elemente. Die Entwicklung von Gewerkschaften in Russland 1905 und auch 1917 spiegelte die revolutionäre Leidenschaft der Arbeiterklasse, welche jedes Mittel zu nutzen versuchte, um ihren Kampf voran zu bringen, aber auch einen faktischen Mangel an Erfahrungen mit den Gewerkschaften wider. Es waren die Sowjets, die den Kampf anführten und ihm einen revolutionären Charakter verliehen; die Gewerkschaften trotteten nur hinterher.
Die Entstehung der Sowjets war untrennbar mit dem Massenstreik verbunden, der als Kampfmethode gegen den Kapitalismus auftauchte, als Teilreformen und Linderungen nicht mehr zu erlangen waren. Wie die Sowjets entsprang er einem Bedürfnis der gesamten Klasse und brachte dieselbe nicht nur zusammen, sondern förderte auch ihr Klassenbewusstsein. Dadurch stieß er mit den Beschränkungen der Gewerkschaften und Teilen der revolutionären Bewegung zusammen, die in einer solchen Bewegung nur ein anarchistisches Spektrum erblickten. Es blieb der Linken der Arbeiterklasse, mit Rosa Luxemburg und Anton Pannekoek an der Spitze, überlassen, den Massenstreik nicht als bloße Taktik der Führung, sondern als eine elementare, revolutionäre und erneuernde Kraft zu verteidigen, die inmitten der Arbeiterklasse entstanden war und fähig ist, ihre Kampfbereitschaft und ihr Bewusstsein auf eine neue und höhere Ebene zu stellen.
1905 zeigte auf, dass der Kampf um Reformen vom Kampf für die Revolution verdrängt worden war.
Wir haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass diese Veränderungen nichts spezifisch Russisches waren, sondern die gesamte Arbeiterklasse betrafen, als der Kapitalismus in seine dekadente Phase eintrat. Die Arbeiterklasse, die sich als eine internationale Klasse konsolidiert hatte und für ihre Interessen zu kämpfen bereit war, sah sich von nun an mit der Notwendigkeit konfrontiert, den Kapitalismus zu überwinden und die Produktionsverhältnisse umzuwandeln, statt für Verbesserungen in ihnen zu kämpfen. Überall auf der Welt fand in den Jahrzehnten vor dem I. Weltkrieg eine Eskalation und Intensivierung von Streiks statt, die die alten Organisationsweisen und die alten Ziele des Kampfes in Frage zu stellen begannen und die von Zeit zu Zeit in einem offenen Konflikt mit dem Staat aufflammten. Kurzum: Nach 1905 wurde der Kampf der Arbeiterklasse zum Kampf für den Kommunismus.
Die wahre Bedeutung von 1905 ist also, dass dieses Ereignis zukunftsweisend war und den Weg für sämtliche Streiks ebnete, die im dekadenten Kapitalismus stattfanden, das heißt für alle Kämpfe der letzten hundert Jahre und für jene von morgen.
Die Rolle, die 1905 bei der Wegbereitung der Zukunft spielte, konnte man mit großer Klarheit 1917 sehen, als die Sowjets die Hauptwaffe der Revolution waren. Sie waren die Form, die Letztere annahm. Die Sowjetmacht stand gegen die bürgerliche Macht der Provisorischen Regierung, wie Trotzki beredt in seinem Werk Die Geschichte der Russischen Revolution schilderte: „Wie war die reale Konstitution des Landes nach der Aufrichtung der neuen Macht?Die monarchistische Reaktion verkroch sich in die Löcher. Sobald nur die ersten Wasser der Sintflut zurückwichen, gruppierten sich die Besitzenden aller Arten und Richtungen um das Banner der Kadettenpartei, die mit einem Male die einzige nichtsozialistische Partei und gleichzeitig die äußerste Rechte in der offenen Arena geworden war. (...) Die Massen ergossen sich in die Sowjets wie in ein Triumphtor der Revolution. Alles, was außerhalb der Sowjets blieb, fiel von der Revolution gleichsam ab und schien einer anderen Welt zugehörig (...) Den Sowjets wandten sich alle Aktiven aus den Massen zu, und während der Revolution siegte mehr denn je die Aktivität; da nun die Massenaktivität von Tag zu Tag wuchs, so erweiterte sich die Basis der Sowjets ununterbrochen. Dies war auch die einzige reale Basis der Revolution.“[i] [94]
Die Sowjets – und nur die Sowjets – haben eine Organisationsform, die sowohl für die Mittel als auch den Zweck des Kampfes für den Kommunismus geeignet ist. Jedoch war dies zu damaliger Zeit alles andere als klar, insbesondere für die Revolutionäre in Russland. Dies wurde in der Diskussion über die Gewerkschaftsfrage auf dem Ersten Kongress der Dritten Internationale offensichtlich, wie wir im Artikel „Von Marx zur Kommunistischen Linken, Teil 3“ in der Internationalen Revue Nr. 123 (engl., franz. und span. Ausgabe)[ii] [95] gezeigt haben. Delegierte vieler europäischer Länder prangerten in der Diskussion unmissverständlich die konterrevolutionäre Rolle an, die die Gewerkschaften mittlerweile spielten. Im Gegensatz dazu argumentierte Sinowjew, der den Bericht über Russland verfasste: „Die zweite Organisationsform der Arbeiter in Russland sind die Gewerkschaften. Sie entwickelten sich hier anders als in Deutschland: Sie spielten eine wichtige revolutionäre Rolle in den Jahren 1904-05 und marschieren heute Seite an Seite mit uns in den Kampf für den Sozialismus (...) Eine große Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder unterstützt unsere Parteiposition, und sämtliche Entscheidungen der Gewerkschaften werden im Geiste jener Positionen getroffen“. Dies bestätigt keineswegs, dass die Gewerkschaften in Russland irgendwelche besonderen Tugenden besaßen, sondern bezog sich auf gewisse Besonderheiten der russischen Situation. Wie der Artikel sagt, wurden die Gewerkschaften von der Welle der Sowjets mitgerissen. Während der revolutionären Phase war ihre Rolle als Instrument des kapitalistischen Staates gegen die Arbeiterklasse weniger offensichtlich als sonst.
Auch wenn die Revolution von 1917 erst durch 1905 ermöglicht wurde, konnte die Revolution von 1905 selbst nicht zu einer weltweiten kommunistischen Revolution führen. Dies hätte erst 1917 geschehen können, wenn es der Revolution gelungen wäre, sich überall auf der Welt auszubreiten und zu triumphieren. Dennoch zogen die isolierten Gruppen von Revolutionären, die die Zerschlagung der revolutionären Welle von 1917-23 überlebt und bestrebt waren, die revolutionäre Bewegung neu zu errichten, viele Lehren aus ihr. Hierin bestand insbesondere die Rolle der Kommunistischen Linken. Die Richtigkeit dieser Lehren ist immer wieder auch von den Erfahrungen der Arbeiterklasse in ihrem täglichen Kampf und in ihren größeren Anstrengungen, wie Polen Anfang 1980, bewiesen worden. Bereits unmittelbar nach 1905 wurde begonnen, die Lehren aus dieser Revolution zu ziehen, und genau dieser Arbeit wollen wir uns nun zuwenden.
In diesem letzten Teil unserer Artikelreihe über 1905 werden wir schauen, wie die revolutionäre Bewegung sowohl bezüglich der Weiterentwicklung ihrer Positionen als auch bezüglich ihrer Methoden antwortete. Dies ist kein unwichtiger Punkt, wenn man berücksichtigt, dass eine Änderung in der tatsächlichen Lage auch andere Mittel erfordert, um mit dieser Situation richtig umzugehen.
Was an der theoretischen Auseinandersetzung und Debatte nach 1905 auffällt, ist ihr kollektiver und internationaler Charakter, auch wenn die Teilnehmer sich nicht immer völlig klar darüber waren.
Während Marx nach der Pariser Kommune von 1870 in der Lage gewesen war, ihre Bedeutung für den Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation (die Erste Internationale) in einer einzigen Broschüre zusammenzufassen, war dies nach 1905 aufgrund der Komplexität der gestellten Frage nicht möglich.
Insbesondere hatten es die Revolutionäre jener Zeit mit einem unerhörten historischen Epochenwechsel zu tun, mit Veränderungen, die viele Annahmen und Errungenschaften der Arbeiterbewegung über den Haufen warfen, wie die Rolle der Gewerkschaften und die Form des Klassenkampfes. Die Leistung der Linken der Arbeiterbewegung bestand nicht nur darin, diese Herausforderungen anzunehmen, sondern auch darin, zu solch tiefer Einsicht in so viele Fragen zu gelangen und solch ein großartiges Vermächtnis an theoretischen Mühen zu hinterlassen, und vor allem in ihrem bemerkenswerten Können bei der Anwendung der marxistischen Methode. Diese Leistung überwiegt bei weitem die Lücken und Schwächen in ihren Bemühungen. Etwas anderes, ja Perfektion zu erwarten ist nicht nur einfach naiv, sondern offenbart auch eine Unfähigkeit, den wahren Charakter des Marxismus und des gesamten Kampfes der Arbeiterklasse zu begreifen. Das wäre so, als erwarte man von der Arbeiterklasse, jeden Streik zu gewinnen, jedes Manöver der Bourgeoisie zu durchschauen und letztendlich imstande zu sein, die kommunistische Revolution aus dem Stand zu machen.
Der manchmal bruchstückhafte Charakter der Debatte und ihrer Beiträge war nicht eine Schwäche, sondern eine unvermeidliche Konsequenz aus der Entwicklung, die in Gestalt der theoretischen Auseinandersetzung als Pendant zur Entwicklung des „praktischen“ Kampfes stattgefunden hat. In der Tat kann man soweit gehen zu sagen, dass das Pendant zum Massenstreik der massenhafte theoretische Kampf ist. Natürlich umfasst Letzterer nicht so große Zahlen wie Ersterer, aber er drückt den gleichen kollektiven Geist aus und erfordert die gleichen Qualitäten der Solidarität, Bescheidenheit und Selbstaufopferung. Vor allem aber erfordert er ein aktives Engagement, wie unsere Genossen von Internationalisme vor fast 60 Jahren betonten: „Entgegen der Idee, dass Militante nur auf der Grundlage von Gewissheiten handeln können (...) bestehen wir darauf, dass es keine Gewissheiten gibt, sondern lediglich ein kontinuierlicher Prozess des Hinwegschreitens über alte Wahrheiten. Allein eine Aktivität, die auf den jüngsten Entwicklungen basiert, auf Fundamenten, die kontinuierlich angereichert werden, ist wirklich revolutionär. Im Gegensatz dazu ist eine Handlungsweise, die auf den Wahrheiten von Gestern beruht, welche bereits ihre Gültigkeit verloren haben, steril, schädlich und reaktionär. Man mag versucht sein, die Mitglieder mit absoluten Gewissheiten und Wahrheiten abzuspeisen, doch nur relative Wahrheiten, die eine Antithese, Zweifel enthalten, können eine revolutionäre Synthese bewirken.“[iii] [96] Dies ist es, was die Linke der Arbeiterbewegung – Lenin, Luxemburg, Pannekoek, etc. – vom Zentrum trennte, das von Kautsky und der offen revisionistischen, von Bernstein angeführten Rechten verkörpert wurde. Der Graben zwischen den Zentristen und der Linken wurde in der Debatte über den Massenstreik deutlich, als Kautsky sich unfähig zeigte, die grundlegenden Veränderungen im Klassenkampf zu erkennen, die von Rosa Luxemburg analysiert worden waren. Außerstande, über die Sichtweise der Vergangenheit hinauszugehen, in der der Massenstreik allein ein vom Zentralkomitee benutztes Werkzeug war, konnte Kautsky Luxemburgs Argumenten nichts abgewinnen und versuchte gar in der zweiten Stufe der Diskussionen, ihre Veröffentlichung zu blockieren.[iv] [97]
Es ist möglich, einige der Schlüsselaussagen aus den Dokumenten und der Debatte, die nach 1905 aufkamen, zu identifizieren:
- Neben den praktischen Lehren von 1905 teilten sie das Merkmal, eher Ansätze denn fertige Produkte zu sein.
- Es wurde keine einzige Arbeit produziert, die eine allgemeine Analyse bewerkstelligte.
- Kein Einzelner widmete sich allen Aspekten des Themas.
- Vieles aus der Diskussion stammte aus vergangenen Diskussionen, wie die Frage des Massenstreiks, der Rolle der revolutionären Organisation und der Arbeiterklasse in der demokratischen Revolution.
Dies spiegelte die Realität eines Epochenwechsels wider, in der es sowohl Abgrenzungen als auch den Versuch gibt, jene Abgrenzungen zu verstehen und zu meistern. In einer Periode immenser Veränderungen sind viele desorientiert. Einige verwerfen die gesamte Vergangenheit, andere hängen an dem, was sie kennen, und versuchen, die Veränderungen zu ignorieren, während wiederum andere die Veränderungen erkennen und bemüht sind, sich ihnen anzupassen, ohne jenes aus der Vergangenheit, was auch weiterhin gültig bleibt, aufzugeben. Diese unterschiedlichen Antworten existierten innerhalb der Arbeiterbewegung und bestimmten die Spaltungen, die sich zwischen den Rechten, dem Zentrum und den Linken entwickelten. Darüber hinaus verlief diese Debatte im Wesentlichen zwischen diesen Tendenzen und nicht zwischen Individuen. Wirkliche Bemühungen, die neue Situation zu verstehen, kamen nur von der Linken. Die Rechte dagegen wandte sich sowohl von den Schlussfolgerungen als auch von der marxistischen Methode ab. Auch die Zentristen kehrten ihr in wachsendem Maße zugunsten einer sterilen, konservativen Orthodoxie, die am deutlichsten von Karl Kautsky verkörpert wurde, den Rücken zu.
Die wesentliche Leistung der Linken bestand in der Erkenntnis, dass die Gesellschaft eine neue Periode betreten hat, und in ihrem Streben nach Verständnis. Dabei vertrat die Linke die marxistische Methode und somit das wahre Vermächtnis von Marx. In Lenins, Luxemburgs und Trotzkis Werken gibt es genug Hinweise darauf, dass die objektiven Bedingungen sie vorwärts getrieben haben. Alle drei entwarfen wichtige Analysen:
- Lenin über die zentrale Rolle der Organisation und auch über das Verhältnis zwischen Strategie und Taktik;
- Trotzki über die große historische Dynamik, die ihn zu einer klaren Sichtweise der Rolle der Sowjets führte; darüber hinaus kam er der Erkenntnis der Eröffnung einer Periode der proletarischen Revolution am nächsten;
- Luxemburg über die Dynamik innerhalb der Klasse, die ihren Ausdruck im Massenstreik findet.
Die theoretischen Bemühungen der Arbeiterklasse waren nicht auf diese drei beschränkt, sondern umfasste auch viele andere linke Strömungen, die entstanden waren, wo immer es eine politische, organisierte Arbeiterbewegung gab. Lenin und Luxemburg sahen sich zu dem Versuch veranlasst, sich über die Veränderungen in den Strukturen des Kapitalismus klar zu werden, auch wenn dies nicht der Zweck ihrer Untersuchung war.
In Anbetracht der Tatsache, dass das Vermächtnis von 1905 das Werk der gesamten Linken der Arbeiterbewegung war, wollen wir, statt uns der Reihe nach mit allen Individuen zu beschäftigen, einen Blick auf ihre Bemühungen werfen, die wichtigen Fragen des Ziels, der Methode und der Form der Arbeiterkämpfe in der neuen Periode zu verstehen.
Niemand erklärte es ausdrücklich, aber alle ahnten es: Alle erkannten, dass die proletarische Revolution nicht mehr in ferner Zukunft lag, nicht mehr ein bloßes Ideal war, sondern zu einer unübersehbaren Realität geworden war. Lenin, Trotzki und Luxemburg erklärten zwar formal die bürgerliche Revolution zum Ziel, doch ihre Analysen des Charakters dieser bürgerlichen Revolution und der Rolle der Arbeiterklasse stellten indirekt ihre eigene Annahme in Frage. Sie alle betonten, dass das Proletariat dabei die Hauptkraft sein wird, und erkannten, wenn auch in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem Umfang, dass dies die Situation fundamental verändert. Es war also die Methode, die sie gegen jene vereinte, die lediglich die alten Schemata anwendeten.
1906 veröffentlichte Trotzki die Schrift Ergebnisse und Perspektiven, in der er die Idee einer permanenten Revolution (oder der „ununterbrochenen Revolution“, wie sie damals noch genannt wurde) vorstellte. Darin befasste er sich mit den „Voraussetzungen der Revolution“ und vertrat die Ansicht, dass sie alle erfüllt seien.
Die erste Voraussetzung ist „produktionstechnisch“, d.h. sie betrifft den Entwicklungsgrad der Produktionsmittel. Er argumentierte, dass sie erfüllt gewesen sei: „Seit die gesellschaftliche Arbeitsteilung zur Arbeitsteilung in der Manufaktur führte und besonders, seit die Manufaktur von der Fabrik mit maschineller Produktion abgelöst wurde“.[v] [98] Er geht so weit zu behaupten, dass „ausreichende technische Voraussetzungen für die kollektivistische Produktion in diesem oder jenem Umfang schon seit 100 bis 200 Jahren gegeben sind“. Jedoch fügte er hinzu: „Aber die technischen Vorzüge des Sozialismus genügen allein keineswegs, um ihn zu verwirklichen (…) Weil es zu dieser Zeit keine soziale Kraft gab, die bereit und fähig gewesen wäre (ihn) zu realisieren“.
Dies führt zur zweiten Voraussetzung, zur „sozialökonomischen“, mit anderen Worten: zur Entwicklung des Proletariats. Hier stellt Trotzki die Frage: „(…) wie groß muß die relative, zahlenmäßige Stärke des Proletariats sein? Muß es die Hälfte, zwei Drittel oder neun Zehntel der Bevölkerung ausmachen?“, um aber sogleich einen solchen „Schematismus“ zu verwerfen und festzuhalten: „Die Bedeutung des Proletariats beruht ganz und gar auf seiner Rolle in der Großproduktion.“ Für Trotzki zählt allein die qualitative Rolle, die das Proletariat spielt, und nicht so sehr die quantitative Bedeutung. Dies hat zwei wichtige Folgen. Erstens, dass es für das Proletariat nicht notwendig ist, die Mehrheit der Bevölkerung zu bilden, um den Sozialismus einzuführen. Zweitens (und noch spezifischer), dass das Proletariat wegen der Konzentration und der Größe der Industrie ein weitaus größeres Gewicht in Russland besaß, als dies in Ländern wie Großbritannien und Deutschland der Fall war, wo der Anteil des Proletariats an der Gesamtbevölkerung ähnlich hoch war. Nach der Betrachtung der Rolle des Proletariats in anderen großen Ländern zieht Trotzki den Schluss: „Aus all dem können wir zu dem Schluss kommen, dass die ökonomische Evolution – das Wachstum der Industrie, das Wachstum der Großbetriebe. das Wachstum der Städte, das Wachstum des Proletariats im allgemeinen und des Industrieproletariats im besonderen – bereits den Schauplatz bereitet hat, nicht nur für den Kampf des Proletariats um die politische Macht, sondern auch für ihre Eroberung.“
Die dritte Voraussetzung ist die „Diktatur des Proletariats“, mit der Trotzki im Wesentlichen die Entwicklung des Klassenbewusstseins zu meinen scheint: „Es ist (…) notwendig, dass sich diese Klasse ihres objektiven Interesses bewusst ist. Es ist notwendig, dass sie versteht, daß es für sie keinen anderen Ausweg als den Sozialismus gibt; es ist notwendig, dass sie sich zu einer Armee vereint, die stark genug ist, um die Staatsgewalt in offenem Kampf zu erobern.“ Er stellt nicht ausdrücklich fest, ob dies bereits der Fall ist, aber lehnt die Idee vieler „sozialistischer Ideologen“ ab, die besagt: „Das Proletariat und „die Menschheit“ überhaupt müßten vor allem ihre alte egoistische Natur ablegen, im gesellschaftlichen Leben sollten die Impulse des Altruismus vorherrschen usw.“ Diese Erkenntnis über das dynamische Verhältnis zwischen Revolution und Bewusstsein ist eine der wichtigsten Einblicke in die ganze Frage, wie sich eine Revolution entwickelt. Beim Anblick der besonderen Lage in Russland behauptet Trotzki, dass 1905 direkt die Frage der Revolution gestellt habe: „(…) das russische Proletariat (zeigte) eine Kraft, die in diesem ungeheuren Ausmaß von den russischen Sozialdemokraten selbst in ihrer optimistischsten Stimmung nicht erwartet worden war. Der Verlauf der russischen Revolution war in seinen Grundzügen entschieden. Was vor zwei oder drei Jahren eine Möglichkeit war oder schien, ist zur unmittelbaren Wahrscheinlichkeit geworden, und alles spricht dafür, dass diese Wahrscheinlichkeit bereit ist, zur Notwendigkeit zu werden.“ [vi] [99]
Bereits in Ergebnisse und Perspektiven argumentierte Trotzki, dass eine historische Weiterentwicklung das Übergehen der revolutionären Rolle von der Bourgeoisie auf das Proletariat bedeute. Er behauptete, dass die Revolution von 1905 und die Bildung des Petersburger Sowjets dies bestätigten. Dies bedeutete, dass bürgerliche Revolutionen so, wie sie einst betrachtet worden waren, nicht mehr möglich sind. Trotzki lehnte besonders die Idee ab, dass das Proletariat erst eine Revolution ausführt und anschließend die Macht der Bourgeoisie überreicht: „Wenn man sich die Sache so vorstellt, dass die Sozialdemokratie in eine provisorische Regierung eintritt, sie während einer Periode revolutionär-demokratischer Reformen anführt, auch noch ihre radikalsten Maßnahmen verteidigt und sich hierbei auf das Organisierte Proletariat stützt, dass die Sozialdemokratie dann, nachdem das demokratische Programm erfüllt ist, aus dem von ihr gebauten Haus auszieht und den bürgerlichen Parteien den Weg freigibt, selbst in die Opposition geht und damit eine Epoche parlamentarischer Politik eröffnet: sich dies vorzustellen, hieße, die Idee einer Arbeiterregierung kompromittieren. Nicht deshalb, weil es, „prinzipiell“ unzulässig wäre – eine so abstrakte Fragestellung entbehrt jeden Inhalts –, sondern weil es völlig irreal, weil es ein Utopismus übelster Sorte, weil es eine Art von revolutionär-philisterhaftem Utopismus ist.“[vii] [100] Wenn das Proletariat die Mehrheit in der Regierung hält, ist es nicht mehr seine Aufgabe, das Minimalprogramm der Reformen zu verwirklichen, sondern das Maximalprogramm der sozialen Revolution. Dies ist keine Frage des Wollens, sondern der Dynamik der Situation. Trotzki veranschaulichte dies am Beispiel des Achtstundentages. Auch wenn diese Maßnahme „nicht im mindesten den kapitalistischen Verhältnissen widerspricht“, würde seine Einführung dennoch auf den „auf den organisierten und hartnäckigen Widerstand der Kapitalisten stoßen“, der in Aussperrungen und Betriebsschließungen enden würde. Eine bürgerliche Regierung, die damit konfrontiert wäre, würde klein beigeben und die Arbeiter unterdrücken, doch „für eine Arbeiterregierung gibt es nur einen Ausweg: die Enteignung der geschlossenen Fabriken und Betriebe und die Organisation ihrer Produktion auf der Grundlage gesellschaftlicher Rechnungsführung“. Kurz, laut Trotzki „wird die russische Revolution die Bedingungen schaffen, unter denen die Macht in die Hände des Proletariats übergehen kann (und im Falle des Sieges der Revolution muss sie dies tun), bevor die Politiker des bürgerlichen Liberalismus Gelegenheit erhalten ihr staatsmännisches Genie voll zu entfalten“.[viii] [101]
Wie Trotzki stellt auch Lenin die Revolution in den Kontext der internationalen Entwicklung der objektiven Bedingungen: „(…) wir (dürften) einen vollen Sieg der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, d.h. die revolutionäre demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft nicht fürchten (...), denn ein solcher Sieg werde uns die Möglichkeit geben, Europa zur Erhebung zu bringen, und das sozialistische Proletariat Europas werde uns, nachdem es das Joch der Bourgeoisie abgeschüttelt habe, seinerseits helfen, die sozialistische Umwälzung zu vollbringen (...) Der ‚Wperjod‘[ix] [102] zeigte dem revolutionären Proletariat Russlands eine aktive Aufgabe: im Kampf für die Demokratie siegen und diesen Sieg ausnutzen, um die Revolution nach Europa hinüberzutragen.“[x] [103]
Dies ist nur ein Auszug aus einer langen, polemischen Gegenüberstellung der bolschewistischen und menschewistischen Positionen in der Frage der Revolution von 1905, die von beiden als bürgerlich-demokratisch betrachtet wurde. Die Erstgenannten riefen (nimmt man das folgende Zitat aus der Kongressresolution) das Proletariat dazu auf, die Führung zu übernehmen, während die Letztgenannten (nimmt man die Resolution der Konferenz[xi] [104] dazu neigten, die Initiative der Bourgeoisie zu überlassen: „Die Konferenzresolution spricht von der Liquidierung der alten Ordnung im Prozess des beiderseitigen Kampfes zwischen den Elementen der Gesellschaft. Die Parteitagsresolution sagt, dass wir, die Partei des Proletariats, diese Liquidierung vornehmen müssen, dass eine wirkliche Liquidierung nur durch die Errichtung der demokratischen Republik erfolgen kann, dass wir diese Republik erkämpfen müssen, dass wir für sie und für die volle Freiheit nicht nur gegen die Selbstherrschaft, sondern auch gegen die Bourgeoisie kämpfen werden, sobald sie versuchen wird (und sie wird es unbedingt versuchen), uns unsere Errungenschaften zu entreißen. Die Parteitagsresolution ruft eine bestimmte Klasse zum Kampf auf für ein genau bestimmtes nächstes Ziel. Die Konferenzresolution stellt Betrachtungen an über den beiderseitigen Kampf verschiedener Kräfte. Die eine Resolution spiegelt die Mentalität des aktiven Kampfes, die andere die des passiven Zuschauers wider (...)“[xii] [105] Die Betonung der Notwendigkeit für das Proletariat, die führende Rolle zu übernehmen, wird immer und immer wieder von Lenin gegen die Menschewiki zitiert, die er mit Parteirechte meint: „Unser rechter Flügel glaubt nicht an einen vollen Sieg der gegenwärtigen, d.h. der bürgerlich-demokratischen Revolution in Russland, er fürchtet diesen Sieg und stellt die Losung dieses Sieges nicht entschieden und eindeutig vor dem Volke auf. Er irrt ständig zu dem grundfalschen und den Marxismus verflachenden Gedanken ab, dass nur die Bourgeoisie die bürgerliche Revolution selbständig ‚machen’ könne oder dass nur die Bourgeoisie berufen sei, die bürgerliche Revolution zu führen. Die Rolle des Proletariats als des Vorkämpfers für einen vollen und entscheidenden Sieg der bürgerlichen Revolution ist dem rechten Flügel der Sozialdemokratie nicht klar.“[xiii] [106] „In Russland werden der Sozialdemokratie von den gegenwärtigen Verhältnissen solch große Aufgaben auferlegt, wie sie vor keiner einzigen der westeuropäischen sozialdemokratischen Parteien stehen. Wir sind von der sozialistischen Umwälzung unvergleichlich weiter entfernt als die westlichen Genossen, aber wir stehen vor der bürgerlich-demokratischen Bauernrevolution, in welcher dem Proletariat die Rolle des Führers zufallen wird.“[xiv] [107] Diese Zitate zeigen den dynamischen Charakter der bolschewistischen Position, so dass die Bolschewiki, auch wenn sie nicht erkannten, dass sich die Bedingungen für die proletarische Revolution allgemein entwickelt hatten, dennoch in der Lage waren, die zentrale Rolle, die das Proletariat spielte, zu begreifen und dies deutlich in den Begriffen eines Machtkampfes auszudrücken. Obwohl Lenin ausdrücklich feststellt, dass 1905 eine bürgerliche Revolution gewesen sei[xv] [108], öffnete die von ihm entwickelte Analyse über die besondere Rolle des Proletariats das Tor zur scheinbaren Kehrtwende im April 1917 und zum Aufruf zu einer proletarischen Revolution: „Die Eigenart der gegenwärtigen Lage in Russland besteht im Übergang von der ersten Etappe der Revolution, die infolge des ungenügend entwickelten Klassenbewusstseins und der ungenügenden Organisiertheit des Proletariats der Bourgeoisie die Macht gab, zur zweiten Etappe der Revolution, die die Macht in die Hände des Proletariats und der ärmsten Schichten der Bauernschaft legen muss.“[xvi] [109] Die Frage der unmittelbaren Taktik, die so viel Platz in Lenins Schriften einnimmt und die zu scheinbaren Positionswechseln führt (wie in der Frage der Wahlen zur Duma), rührt aus der ständigen Sorge her, das allgemeine Verständnis der Situation auf die tatsächlichen Aktivitäten der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Organisation zu beziehen, statt in zeitlosen Schemata gefangen zu bleiben.
Luxemburgs Position zur Revolution von 1905 erkennt ebenfalls an, dass diese die Frage der proletarischen Revolution gestellt hat, auch hier trotz der formalen Annahme, dass deren Aufgabe die bürgerliche Revolution sei. Dies ergibt sich aus ihrer Analyse des Massenstreiks als eines Ausdrucks der Revolution: „Der Massenstreik ist bloß die Form des revolutionären Kampfes (...) Der Massenstreik, wie ihn uns die russische Revolution zeigt, ist nicht ein pfiffiges Mittel, ausgeklügelt zum Zwecke einer kräftigeren Wirkung des proletarischen Kampfes, sondern er ist die Bewegungsweise der proletarischen Masse, die Erscheinungsform des proletarischen Kampfes in der Revolution.“ [xvii] [110] Auch sie unterstreicht die zentrale Rolle, die das Proletariat gespielt hatte: „… am 22. Januar … hat zum erstenmal das russische Proletariat als Klasse die politische Bühne betreten, zum erstenmal ist endlich auf dem Kampfplatz diejenige Macht erschienen, die allein geschichtlich berufen und imstande ist, den Zarismus in den Staub zu werfen und in Russland wie überall das Banner der Zivilisation aufzupflanzen. (…) die Macht und die Zukunft der revolutionären Bewegung liegt einzig und allein im klassenbewussten russischen Proletariat“ .[xviii] [111]
Luxemburg äußert sich sehr ausdrücklich über die sich ändernde historische Periode, als sie die Französische, Deutsche und Russische Revolution miteinander vergleicht: „... die heutige russische Revolution steht auf einem Punkt des geschichtlichen Weges, der bereits über den Berg, über den Höhepunkt der kapitalistischen Gesellschaft hinweggeschritten ist, wo die bürgerliche Revolution nicht mehr durch den Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat erstickt werden kann, sondern umgekehrt zu einer neuen, langen Periode gewaltigster sozialer Kämpfe entfaltet wird, in denen die Begleichung der alten Rechnung mit dem Absolutismus als eine Kleinigkeit erscheint gegen die vielen neuen Rechnungen, die die Revolution selbst aufmacht. Die heutige Revolution realisiert somit in der besonderen Angelegenheit des absolutistischen Russlands zugleich die allgemeinen Resultate der internationalen kapitalistischen Entwicklung und erscheint weniger ein letzter Nachläufer der alten bürgerlichen als ein Vorläufer der neuen Serie der proletarischen Revolutionen des Westens. Das zurückgebliebenste Land weist, gerade weil es sich mit seiner bürgerlichen Revolution so unverzeihlich verspätet hat, Wege und Methoden des weiteren Klassenkampfes dem Proletariat Deutschlands und der vorgeschrittensten kapitalistischen Länder.“[xix] [112] Später scheint sie sogar zu argumentieren, dass die Aufgabe, der sich das deutsche Proletariat gegenübersieht, die proletarische Revolution sei: „... kann es sich bei einer Periode offener politischer Volkskämpfe in Deutschland als letztes geschichtlich notwendiges Ziel nur noch um die Diktatur des Proletariats handeln.“[xx] [113]
Luxemburgs größter Beitrag zur von 1905 angeregten Diskussion ist ihre Publikation Der Massenstreik, die politische Partei und die Gewerkschaften, die sie im August 1906 verfasst hatte[xxi] [114] und in der sie den Charakter sowie die Merkmale des Streiks analysierte. Nach einem Rückblick auf die traditionelle marxistische Position zum Massenstreik, der Kritik an den anarchistischen und revisionistischen Positionen und einem Blick auf die aktuelle Entwicklung des Streiks in Russland fasste Luxemburg die Hauptaspekte des Massenstreiks zusammen.
Erstens und im Gegensatz zu dem, was sich Anarchisten und viele in der sozialdemokratischen Partei darunter vorstellten, ist der Massenstreik nicht ein „Akt, eine Einzelhandlung“, sondern „vielmehr die Bezeichnung, der Sammelbegriff einer ganzen jahrelangen, vielleicht jahrzehntelangen Periode des Klassenkampfes“.[xxii] [115] Dies führt zu einer Unterscheidung zwischen Massenstreiks als „politische Demonstrationsstreiks“ und als „Kampfstreiks“. Erstere sind eine Taktik, die von der Partei gehandhabt wird, und weisen „das größte Maß von Parteidisziplin, bewusster Leitung und politischen Gedanken auf (...), (müssten) also nach dem Schema als die höchste und reifste Form des Massenstreiks erscheinen“.[xxiii] [116] In Wahrheit jedoch gehören sie zu den Anfängen der Bewegung und werden „mit der Entwicklung der ernsten revolutionären Kämpfe“[xxiv] [117] immer unwichtiger. Sie räumen das Feld zugunsten der elementareren Kräfte des kämpferischen Massenstreiks.
Zweitens überwindet diese Form des Massenstreiks die willkürliche Spaltung zwischen den ökonomischen und den politischen Kämpfen: „Jeder neuer Anlauf und neue Sieg des politischen Kampfes verwandelt sich in einen mächtigen Anstoß für den wirtschaftlichen Kampf, indem er zugleich seine äußeren Möglichkeiten erweitert und den inneren Antrieb der Arbeiter, ihre Lage zu bessern, ihre Kampflust erhöht. Nach jeder schäumenden Welle der politischen Aktion bleibt ein befruchtender Niederschlag zurück, aus dem sofort tausendfältige Halme des ökonomischen Kampfes emporschießen. Und umgekehrt. Der unaufhörliche ökonomische Kriegszustand der Arbeiter mit dem Kapital hält die Kampfenergie in allen politischen Pausen wach, er bildet sozusagen das ständige frische Reservoir der proletarischen Klassenkraft, aus dem der politische Kampf immer von neuem seine Macht hervorholt ...“[xxv] [118] Die Einheit zwischen ökonomischen und politischen Kämpfen ist „eben der Massenstreik“.[xxvi] [119]
Drittens ist „der Massenstreik von der Revolution unzertrennlich“. Jedoch lehnt Luxemburg das in der Arbeiterbewegung weit verbreitete Schema ab, nach dem der Massenstreik nur in einer blutigen Konfrontation mit dem Staat enden könne, die durch das Gewaltmonopol des Letztgenannten unvermeidlich zu einem massenhaften Blutvergießen führen müsse. Dies war die Grundlage, auf der der Massenstreik als nutzlose Geste bekämpft wurde. Im Gegensatz dazu entstand er, auch wenn die Russische Revolution sicherlich einen Zusammenstoß mit dem Staat und Blutvergießen beinhaltete, aus den objektiven Bedingungen des Klassenkampfes; er entstand aus dem In-die-Bewegung-Setzen von immer größeren Massen der Arbeiterklasse. Kurz: „... produziert nicht der Massenstreik die Revolution, sondern die Revolution produziert den Massenstreik“.[xxvii] [120]
Viertens kann, wie der vorherige Punkt besagt, ein wirklicher Massenstreik nicht dekretiert oder im Voraus geplant werden. Dies veranlasst Luxemburg dazu, das Element der Spontaneität zu betonen und die Idee zurückzuweisen, dass dies eine Folge der angeblichen Rückständigkeit Russlands sei: „Die Revolution ist, auch wenn in ihr das Proletariat mit der Sozialdemokratie an der Spitze die führende Rolle spielt, nicht ein Manöver des Proletariats im freien Felde, sondern sie ist ein Kampf mitten im unaufhörlichen Krachen, Zerbröckeln, Verschieben aller sozialen Fundamente. Kurz, in den Massenstreiks in Russland spielt das Element des Spontanen eine so vorherrschende Rolle, nicht weil das russische Proletariat ‚ungeschult‘ ist, sondern weil sich Revolutionen nicht schulmeistern lassen.“[xxviii] [121] Auch lässt sie sich nicht dazu verleiten, die Bedeutung der Organisation zu verneinen: „Der Entschluss und Beschluss der Arbeiterschaft spielt auch dabei eine Rolle, und zwar kommt die Initiative sowie die weitere Leitung natürlich dem organisierten und aufgeklärtesten sozialdemokratischen Kern des Proletariats zu.“[xxix] [122]
Luxemburgs Analyse unterscheidet sich deshalb so stark von jenen der Anarchisten und der orthodoxen Marxisten, weil sie innerhalb eines anderen Zusammenhangs angesiedelt ist: in jenem der Revolution. Auf den ersten Seiten von Massenstreik macht sie klar, dass ihre Schlussfolgerungen, die scheinbar jenen von Marx und Engels widersprechen, nur das Ergebnis der Anwendung ihrer Methode auf eine neue Situation sind: „... es sind dieselben Gedankengänge, dieselbe Methode, die der Marx-Engelschen Taktik, die auch der bisherigen Praxis der deutschen Sozialdemokratie zugrunde lagen, welche jetzt in der russischen Revolution ganz neue Momente und neue Bedingungen des Klassenkampfes erzeugten ...“[xxx] [123]
Kurz und gut, Luxemburg präsentiert eine Analyse der revolutionären Dynamik - mit der Arbeiterklasse an der Spitze -, die aus den sich ändernden objektiven Bedingungen entsteht. Dies führt sie richtigerweise dazu, die Spontaneität des Massenstreiks zu betonen, aber auch zur Erkenntnis, dass diese Spontaneität faktisch das Produkt der Erfahrung der Arbeiterklasse ist. Dies unterscheidet sie von solchen Leuten wie Kautsky, der, auch wenn er damals bei der Unterstützung des Massenstreiks gesehen wurde, der orthodoxen Sichtweise verbunden blieb und unfähig war, die fundamentalen Veränderungen zu begreifen, die die Russische Revolution von 1905 verkörperte.
1910 entwickelte sich eine zweite Phase der Debatte über den Massenstreik[xxxi] [124], die zum endgültigen Bruch zwischen Luxemburg und Kautsky führte. In dieser Debatte spielte Pannekoek eine wichtige Rolle und vertrat nicht nur Positionen, die denen Luxemburgs nahe standen, sondern entwickelte sie auch weiter. Er beginnt, indem er ausdrücklich die Frage des Massenstreiks mit den Lehren von 1905 verknüpft: „Das russische Proletariat … hat die Deutschen im Gebrauch einer neuen Waffe unterwiesen, des Generalstreiks“; „Die russische Revolution schaffte die Voraussetzungen für eine revolutionäre Bewegung in Deutschland“.[xxxii] [125] In seiner Auffassung über den Charakter des Massenstreiks folgt er Luxemburg, indem er ihn als einen Prozess betrachtet und Kautskys Auffassung über ihn als einen „einmaligen Akt“ kritisiert. Er argumentiert, dass der Massenstreik eine Fortsetzung des Tageskampfes bilde, und richtet eine Verbindung zwischen den aktuellen Aktionsformen, die eher klein sind, und jenen Aktionen her, die zur Eroberung der Macht führen. Er setzt die Massenaktion in Beziehung zur Entwicklung des Kapitalismus: „... unter dem Einfluss der modernen Formen des Kapitalismus haben sich in der Arbeiterbewegung neue Aktionsformen ausgebildet, die Massenaktionen (...) Als sie sich aber zu einer machtvollen Praxis entwickelten, stellten sie neue Probleme; die Frage der sozialen Revolution – bisher ein Endziel in ungreifbarer Ferne – erhob sich als eine beginnende Gegenwartsfrage vor den Augen des kämpferischen Proletariats.“[xxxiii] [126] Er fährt fort, indem er die dynamischen, entwicklungsfähigen Aspekte des Massenstreiks verteidigt: „Deshalb weisen wir noch einmal darauf hin, dass im Fortschreiten dieser Aktionen, bei denen die tiefsten Interessen und Leidenschaften der Massen zum Durchbruch kommen, nicht die Angehörigkeit zur Organisation, nicht eine traditionelle Ideologie, sondern immer mehr der reale Klassencharakter den Ausschlag gibt.“[xxxiv] [127] Er zieht den Schluss, dass der wesentliche Unterschied zwischen seiner Position und jener von Kautsky in der Frage der Revolution besteht, und zeigt damit, wohin Kautskys Zentrismus führt: „Über diese Revolution sind nun unsere Meinungen auseinander gekommen. Für Kautsky bilden sie einen Akt in der Zukunft, eine politische Katastrophe, und haben wir uns bis dahin nur auf jene große Entscheidungsschlacht vorzubereiten, indem wir unsere Macht zusammenbringen, unsere Truppen sammeln und sie einüben. Für uns ist sie ein Prozess der Revolution – in dessen erste Anfänge wir schon hineinwachsen -, weil die Massen erst gesammelt, eingeübt und zu einer zur Eroberung der Herrschaft fähigen Organisation gemacht werden können durch den Kampf um die Herrschaft selbst. Diese Verschiedenheit der Auffassung ergibt eine durchaus verschiedene Bewertung der Gegenwartsaktionen; und es ist klar, dass die revisionistische Ablehnung jeder revolutionären Aktion und ihre Hinausschiebung in unbestimmte Ferne bei Kautsky sie in mancher Gegenwartsfrage einander nahe bringen müssen, in der sie zusammen uns gegenüberstehen.“[xxxv] [128]
Trotzki schildert die Sowjets in seinem Buch 1905 als sehr mächtig, wie wir in früheren Artikeln dieser Reihe sahen. Am Ende des Buches fasst er in einer Passage, die in dieser Serie bereits teilweise zitiert wurde, die Bedeutung des Sowjets während der Revolution zusammen:
„Bereits vor der Einsetzung des Rates finden wir in den Kreisen des industriellen Proletariats zahlreiche revolutionäre Organisationen, deren Leitung hauptsächlich von der Sozialdemokratie besorgt wurde. Aber das waren Organisationen im Proletariat; ihr unmittelbares Ziel war - der Kampf um den Einfluss auf die Massen. Der Rat aber schwang sich mit einem Schlage zur Organisation des Proletariats auf, sein Ziel war – der Kampf um die revolutionäre Macht. Indem der Delegiertenrat zum Brennpunkt der revolutionären Kräfte des Landes wurde, löste er sich dennoch nicht in dem Chaos der Revolution auf, er war und blieb der organisierte Ausdruck des Klassenwillens des Proletariats. In seinem Kampfe um die Macht bediente er sich der Methoden, die sich aus dem Charakter des Proletariats als einer Klasse naturgemäß ergeben: aus seiner Rolle in der Produktion, seiner Zahl, seiner sozialen Gleichartigkeit. Noch mehr: den Kampf um die Macht an der Spitze aller revolutionären Kräfte verband er mit der allseitigen Leitung der Klassenselbsttätigkeit der Arbeitermassen – er förderte nicht nur die Organisation der Gewerkschaften, er griff sogar in die Konflikte einzelner Arbeiter mit ihren Arbeitgebern (...) Das Hauptkampfmittel des Rates war der politische Massenstreik. Die revolutionäre Wirkung eines solchen Streiks besteht darin, dass sie über den Kopf des Kapitals hinweg die staatliche Gewalt desorganisiert. Je größer und allgemeiner die von ihm herbeigeführte Anarchie wird, um so näher ist der Sieg. Aber nur in einem Falle: wenn diese Anarchie nicht mit anarchistischen Mitteln herbeigeführt wird. Die Klasse, die auf dem Wege der einmaligen Arbeitseinstellung den Produktionsapparat und zu gleicher Zeit den zentralisierten Apparat der Staatsgewalt lahm legt, indem sie die einzelnen Teile des Landes von einander isoliert und eine allgemeine Unsicherheit erzeugt, muss selbst genügend organisiert sein, wenn sie nicht als erstes Opfer der von ihr geschaffenen Anarchie fallen will. Je mehr der Streik die bestehende Staatsorganisation paralysiert, um so mehr muss die Organisation des Streiks selbst die Ausübung der Staatsfunktionen auf sich nehmen. Die Bedingungen des allgemeinen Streiks als eines proletarischen Kampfmittels waren zugleich die Bedingungen des gewaltigen Einflusses des Arbeiterdelegiertenrates.“[xxxvi] [129]
Nach der Niederlage der Revolution schaute er nach vorn, auf die Rolle, die der Rat in Zukunft spielen würde: „Das städtische Russland bildete eine zu schmale Basis für den Kampf. Der Sowjet wollte den Kampf auf Landesebene führen, er selbst blieb jedoch vor allem eine Petersburger Angelegenheit … Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich bei der nächsten Revolutionswelle solche Arbeiterräte im ganzen Land bilden werden. Ein allrussischer Arbeitersowjet, der von einem Landeskongress organisiert wird, übernimmt dann die Führung … Die Geschichte wiederholt sich nicht. Der neue Sowjet wird die Erfahrung der fünfzig Tage nicht noch einmal durchmachen müssen. Aber er wird aus diesen fünfzig Tagen sein ganzes Aktionsprogramm herleiten können …: die revolutionäre Kooperation mit der Armee, der Bauernschaft und den unteren Schichten der Mittelklassen; die Beseitigung des Absolutismus; die Zerschlagung des absolutistischen Militärapparats; die partielle Auflösung und partielle Reorganisation der Armee; die Abschaffung der Polizei und des bürokratischen Apparats; den Achtstundentag; die Bewaffnung des Volkes, vor allem der Arbeiter; die Umwandlung des Sowjets in Organe einer revolutionären, städtischen Selbstverwaltung; die Bildung von Bauernsowjets, die an Ort und Stelle die Agrarrevolution überwachen; Wahlen zur konstituierenden Versammlung … Es ist leichter, einen solchen Plan zu formulieren als ihn auszuführen. Aber wenn der Revolution der Sieg bestimmt ist, dann muss das Proletariat diese Rolle übernehmen. Es wird eine revolutionäre Leistung vollbringen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.“[xxxvii] [130]
In Ergebnisse und Perspektiven unterstreicht Trotzki, dass die Sowjets eine Kreation der Arbeiterklasse waren, die der revolutionären Periode entsprach: „Das waren keine genau vorbereiteten Verschwörerorganisationen, die in einem Moment der Erregung die Macht über die proletarische Masse ergriffen hatten. Nein, das waren Organe, die von dieser Masse selbst planmäßig zur Koordinierung ihres revolutionären Kampfes geschaffen wurden. Und diese, von der Masse gewählten und der Masse verantwortlichen Sowjets, diese unbedingt demokratischen Einrichtungen, führen eine äußerst entscheidende Klassenpolitik im Geiste des revolutionären Sozialismus.“[xxxviii] [131]
Lenins Haltung gegenüber den Sowjets von 1905 ist bereits in der Internationalen Revue Nr. 123 (engl., franz. und span. Ausgabe) kurz erwähnt worden, in der wir aus einem unveröffentlichten Brief zitierten, worin er die Opposition einiger Bolschewiki gegenüber den Sowjets ablehnte, für „sowohl den Sowjet der Arbeiterdeputierten als auch die Partei“[xxxix] [132] stritt sowie das Argument ablehnte, dass der Sowjet irgendeiner Partei angeschlossen sein müsse. Nach der Revolution verteidigte Lenin beharrlich die Rolle der Sowjets bei der Organisierung und Vereinigung der Klasse. Noch vor dem Vereinigungskongress von 1906[xl] [133] entwarf er eine Resolution über die Sowjets der Arbeiterdeputierten, in der sie als ein Kennzeichen des revolutionären Kampfes anerkannt wurden und nicht als einmaliges Phänomen von 1905: „Sowjets der Arbeiterdeputierten (entstehen) auf dem Boden der politischen Massenstreiks als parteilose Organisationen der breiten Arbeitermassen (…); (sie sind) Keimformen der revolutionären Staatsmacht“[xli] [134] Die Resolution legte ferner die Haltung der Bolschewiki gegenüber den Sowjets dar und schloss, dass die Revolutionäre an ihnen teilnehmen und die Arbeiterklasse so wie auch Bauern, Soldaten und Seeleute dazu veranlassen sollten, sich ebenfalls an ihnen zu beteiligen. Doch warnte die Resolution davor, dass die Ausweitung der Aktivitäten und des Einflusses des Sowjets in sich zusammenbrechen würde, es sei denn, sie würde von einer Armee gestützt: „daher muss die Bewaffnung des Volkes und die Verstärkung der militärischen Organisation des Proletariats als eine Hauptaufgabe dieser Einrichtungen in jeder revolutionären Situation betrachtet werden“.[xlii] [135] In anderen Texten verteidigt Lenin die Rolle der Sowjets als Organe des allgemeinen revolutionären Kampfes, wobei er allerdings sagt, dass sie allein nicht ausreichten, um eine bewaffnete Erhebung zu organisieren. 1917 erkannte er, dass die Ereignisse über die bürgerliche Revolution hinaus auf die proletarische Revolution zusteuerten und dass in ihrem Zentrum die Sowjets stünden: „Keine parlamentarische Republik – von den Sowjets der Arbeiterdeputierten zu dieser zurückzukehren wäre ein Schritt rückwärts -, sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter-, Landarbeiter- und Bauerndeputierten im ganzen Lande, von unten bis oben.“[xliii] [136] Nun analysierte er in Worten, die denen Trotzkis auffallend ähnlich waren, den Charakter der Doppelmacht, die in Russland existierte: „Diese Doppelherrschaft kommt zum Ausdruck im Bestehen zweier Regierungen: der eigentlichen, wirklichen Hauptregierung, der Regierung der Bourgeoisie, der ‚Provisorischen Regierung’ Lwow und Co., die über alle Machtorgane verfügt, und der zusätzlichen, ‚kontrollierenden’ Nebenregierung in Gestalt des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten, die über keine Organe der Staatsmacht verfügt, sich aber unmittelbar auf die anerkannt absolute Mehrheit des Volkes, auf die bewaffneten Arbeiter und Soldaten stützt.“[xliv] [137]
Die Streitfragen, die die Revolution von 1905 provozierte, haben alle folgenden revolutionären Praktiken und Debatten geprägt. In diesem Sinn ziehen wir den Schluss, dass 1905 nicht einfach eine Generalprobe für 1917 war, wie gemeinhin gesagt wird, sondern der erste Akt in einem Drama, das noch nicht sein Finale erreicht hatte. Die Fragen von Theorie und Praxis, die wir in dieser Serie öfters erwähnt haben, wurden kontinuierlich weiterentwickelt. Eine Konstante bestand darin, dass es immer die Linke der Arbeiterbewegung war, die diese Arbeit leistete. Während der revolutionären Welle schlossen sich viele andere Lenin, Luxemburg, Trotzki und Pannekoek an. Im Gefolge ihrer Niederlage, als die Konterrevolution im Allgemeinen und der Stalinismus im Besonderen triumphierten, wurden ihre Reihen drastisch ausgedünnt. Der Stalinismus war die Negation der vielgestaltigen proletarischen Formen von 1905: Arbeiter wurden im Namen des „Arbeiterstaates“ abgeschlachtet, die Sowjets wurden zugunsten einer zentralen Bürokratie erstickt, und der Begriff der proletarischen Revolution wurde zu einer ideologischen Waffe der Außenpolitik des stalinistischen Staates pervertiert.
Jedoch widerstanden überall auf der Welt Minderheiten der Konterrevolution. Die entschlossensten und gründlichsten unter ihnen waren jene Organisationen, die wir als der Kommunistischen Linken angehörig betrachten und die das Thema zahlreicher Studien der IKS gewesen sind.[xlv] [138] Die Fragen des Ziels, der Methode und der Form der Revolution standen im Mittelpunkt ihrer Arbeit, und dank ihren Bemühungen und ihrer Selbstaufopferung sind viele der Lehren von 1905 vertieft und geklärt worden.
Was die zentrale Frage der proletarischen Revolution selbst angeht, so bestand der größte Schritt vorwärts in der Erkenntnis, dass die materiellen Bedingungen für die kommunistische Weltrevolution seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts existierten. Dies wurde auf dem ersten Kongress der Dritten Internationale vertreten und von der Italienischen Kommunistischen Linken mit der Erarbeitung der Theorie der kapitalistischen Dekadenz weiterentwickelt. Sie machte deutlich, dass die Ära der bürgerlichen Revolutionen zu Ende war und dass die Diskussion in Russland über die Rolle des Proletariats nicht faktisch eine Widerspiegelung der Verspätung der bürgerlichen Revolution in diesem Land war, sondern ein Indikator dafür, dass die ganze Welt in eine neue Periode eingetreten war, in der die Aufgabe die weltweite kommunistische Revolution war und bleibt. Diese Klärung schuf den einzigen Rahmen, innerhalb dessen alle anderen Fragen verstanden werden konnten.
Die Anerkennung der unersetzlichen Rolle des Massenstreiks bedeutete ein Wiederaufgreifen der fundamentalen marxistischen Position, dass die Revolution durch eine Klassenschlacht zwischen Proletariat und Bourgeoisie erfolgt. Der parlamentarische Weg war niemals eine Option; genauso wenig würde der Kommunismus das Resultat einer Anhäufung von Reformen durch die Teilkämpfe sein. Die Massenaktion stellt Klasse gegen Klasse. Sie ist auch das Mittel, womit das Proletariat sein Bewusstsein und seine praktische Erfahrung entwickelt. Wie Pannekoek und Luxemburg erkannten, zog sie in immer höherem Tempo Arbeiter an, bildete sie und trainierte sie für den Kampf. Sie ist eine ungleichförmige Bewegung, die aus der Arbeiterklasse entsteht und innerhalb derer die revolutionären Minderheiten eine dynamische Rolle spielen. Ihre Wirklichkeit bestätigt den grundlegenden marxistischen Standpunkt über die Wechselbeziehung zwischen Bewusstsein und Aktion.
Die Diskussion über die Rolle der Sowjets bzw. die Arbeiterräte führte zur Klarheit über die Rolle der Gewerkschaften, über das Verhältnis zwischen revolutionärer Organisation und den Räten und über die ganze Frage der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus.
North, 2.2.06
[i] [139] siehe L. Trotzki, 1905, Kap. 10, Die neue Macht.
[ii] [140] Diese Artikel ist Teil der Serie Die Dekadenztheorie im Zentrum des historischen Materialismus und wird voraussichtlich in der Internationalen Revue Nr. 39 auf Deutsch erscheinen.
[iii] [141] Gegen die Auffassung vom ‚genialen Chef‘, Internationale Revue Nr. 33 (engl., franz. und span. Ausgabe).
[iv] [142] s. R. Luxemburg, Die Theorie und die Praxis,https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1910/theoprax/index.htm [143].
[v] [144] s. L. Trotzki, Ergebnisse und Perspektiven, Kap. 7, Die Voraussetzungen des Sozialismus, http://www.marxists.org/ [145]
deutsch/archiv/trotzki/1906/erg-pers/index.htm
[vi] [146] a.a.O., Kap. 8, Die Arbeiterregierung in Russland und der Sozialismus.
[vii] [147] a.a.O., Kap. 6, Das proletarische Regime.
[viii] [148] a.a.O., Kap. 4, Revolution und Proletariat.
[ix] [149] Wperjod (Vorwärts) wurde von den Bolschewiki gegründet, nachdem die Menschewiki 1903 im Anschluss an den Zweiten Kongress der russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei die Kontrolle über die Iskra (Der Funke) übernommen hatten.
[x] [150] s. W. I. Lenin, Ges. Werke, Band 9, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, Kap. 10, Die ‚revolutionären Kommunen‘ und die revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft.
[xi] [151] Im April 1905 beriefen die Bolschewiki den Dritten Kongress der RSDAP ein. Die Menschewiki verweigerten ihre Teilnahme und hielten ihre eigene Konferenz ab.
[xii] [152] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 9, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, Kap. 4, Die Liquidierung der monarchischen Staatsordnung und die Republik.
[xiii] [153] s. W. I. Lenin, Ges. Werke, Bd. 10, Bericht über den Vereinigungsparteitag der SDAPR, Kap. VIII, Die Ergebnisse des Parteitags.
[xiv] [154] s. W. I. Lenin, Ges. Werke, Bd. 10 S. 428, Der Wahlsieg der Sozialdemokratie in Tiflis, 1906.
[xv] [155] „Der Grad der ökonomischen Entwicklung Russlands (die objektive Bedingung) und der Grad des Klassenbewusstseins und der Organisiertheit der breiten Massen des Proletariats (die subjektive Bedingung, die mit der objektiven unlöslich verbunden ist) machen eine sofortige vollständige Befreiung der Arbeiterklasse unmöglich. Nur ganz unwissende Leute können den bürgerlichen Charakter der vor sich gehenden demokratischen Umwälzung ignorieren ...“ (aus: Zwei Taktiken der Sozialdemokratie ..., Kap. 2, „Was sagt die Resolution des III. Parteitags der SDAPR über die provisorische revolutionäre Regierung?“
[xvi] [156] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 24 S. 4, Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution (Die Aprilthesen)
[xvii] [157] ) s. R. Luxemburg, Der Massenstreik, die Partei und die Gewerkschaften, Kap. IV
[xviii] [158] s. R. Luxemburg, Die Revolution in Russland, Gesammelte Werke Bd. 1 /2 S. 492 ff.
[xix] [159] s. R. Luxemburg, Der Massenstreik, die Partei und die Gewerkschaften, Kap. VII.
[xx] [160] Ebenda.
[xxi] [161] Es wurde geschrieben, als Luxemburg nach ihrer Entlassung aus polnischer Haft in Finnland war, wo sie sich an der revolutionären Bewegung beteiligt hatte. Es ist möglicherweise aufschlussreich, dass sie viel Zeit in Finnland mit führenden Bolschewiki, einschließlich Lenin, verbrachte.
[xxii] [162] s. R. Luxemburg, Der Massenstreik, die Partei und die Gewerkschaften, Kap. IV.
[xxiii] [163] Ebenda.
[xxiv] [164] Ebenda.
[xxv] [165] Ebenda.
[xxvi] [166] Ebenda.
[xxvii] [167] Ebenda.
[xxviii] [168] Ebenda
[xxix] [169] Ebenda.
[xxx] [170] s.o.; Kap. I.
[xxxi] [171] Siehe unser Buch The Dutch and the German Communist Left für eine breitere Diskussion darüber.
[xxxii] [172] Prussia in Revolt, in: Internationalist Socialist Review“, Band 10, Nr. 11, Mai 1910, www.marxists.org/archive/pannekoe/1910/prussia.htm [173]
[xxxiii] [174] s. A. Pannekoek, Marxistische Theorie und revolutionäre Taktik, in: Die Neue Zeit, XXXI, Nr. 1, 1912, www.marxists.org/archive/pannekoe/1912/tactics.htm [175]
[xxxiv] [176] Ebenda.
[xxxv] [177] Ebenda.
[xxxvi] [178] s. L. Trotzki, 1905, Kap. 22, „Die Bilanz der Revolution“, www.marxists.org/archive/trotsky/1907/1905/ch22.htm [179].
[xxxvii] [180] Aus einem Beitrag zur Geschichte des Sowjets, zitiert nach Isaac Deutscher, Trotzki – Der bewaffnete Prophet 1879–1921, Kap. VI, Die ‚Permanente Revolution’
[xxxviii] [181] Trotzki, Ergebnisse und Perspektiven; Kapitel 3 1789 – 1848 – 1905.
[xxxix] [182] s. W. I. Lenin, Ges. Werke, Bd. 10, Unsere Aufgaben und der Sowjet der Arbeiterdeputierten.
[xl] [183] Der Einheitskongress der SDAPR wurde im April 1906 abgehalten und führte zur Wiedervereinigung der Bolschewiki mit den Menschewiki, was eine Folge der Dynamik der Revolution war.
[xli] [184] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 10 S. 148 f., Taktische Plattform zum Vereinigungsparteitag der SDAPR
[xlii] [185] Ebenda. Es gab keine Diskussion über die Sowjets auf dem Kongress, der von den Menschewiki dominiert war.
[xliii] [186] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 24, Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution (Aprilthesen).
[xliv] [187] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 24 S. 45, Über die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, Die eigenartige Doppelherrschaft und ihre klassenmäßige Bedeutung.
[xlv] [188] siehe unsere Bücher The Italian Left 1926-45, The Dutch and German Communist Left, The Russian Communist Left und The British Communist Left (sie sind auch in anderen Sprachen erschienen, auszugsweise auch auf Deutsch).
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[2] https://www.marxists.org/archive/lenin/works/1917/apr/x01.htm
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[4] https://de.internationalism.org/en/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/internationale-kommunistische
[5] https://de.internationalism.org/en/tag/3/48/partei-und-fraktion
[6] https://de.internationalism.org/en/tag/2/39/die-revolution-re-organisation
[7] https://de.internationalism.org/content/997/die-theorie-der-dekadenz-im-zentrum-des-historischen-materialismus-teil-3
[8] http://www.ibrp.org
[9] https://www.geocities.com/Capitol
[10] https://www.geocities.com/CapitolHill/3303/francia/syndicat_aujourd.htm
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[14] https://de.internationalism.org/en/tag/3/45/kommunismus
[15] https://de.internationalism.org/en/tag/2/40/das-klassenbewusstsein
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[175] https://www.marxists.org/archive/pannekoe/1912/tactics.htm
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