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IKSonline - 2007

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Januar 2007

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Arbeiteraristokratie: Ursprung einer Mystifikation

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In dem Artikel "Die Arbeiteraristokratie: eine soziologische Theorie, um die Arbeiterklasse zu spalten" (siehe INTERNATIONALE REVUE Nr. 7, erhältlich bei der Kontaktadresse) zeigten wir auf, daß die Theorie der Arbeiteraristokratie "auf einer soziologischen Untersuchung, die das historische Klassenwesen des Proletariats außer Acht läßt, beruht" (S. 26) und "daß die praktische Schlußfolgerung dieser Auffassung automatisch zu einer Spaltung der Arbeiter in ihren Kämpfen, zur Isolierung der "meist ausgebeuteten" Arbeiter vom Rest der Klasse führt" (S.26)

In diesem Artikel wollen wir die Fehler der ökonomischen Prämissen dieser Theorie verdeutlichen. Alle Versionen dieser Theorie stützen sich ausdrücklich oder unausgesprochen auf eine Variante des Lassallschen "eisernen Lohngesetzes", d.h. auf der falschen Auffassung, daß der Wert der Arbeitskraft einfach dem physiologischen Minimum für das Überleben eines Arbeiters gleichgesetzt werden kann. Für die Verteidiger der Theorie der Arbeiteraristokratie kann irgendein dauerhafter Anstieg der Löhne über dieses physiologische Minimum nur durch die Tatsache erklärt werden, daß die Arbeiter etwas von den Extraprofiten der Kapitalisten mit abbekommen, die aus den arbeitenden Massen in den Kolonien und Halbkolonien herausgepreßt werden. Diese Auffassung, derzufolge die Arbeiter, deren Löhne ein gewisses natürliches Minimum übersteigen, nicht aus den Töpfen des variablen Kapitals sondern aus dem Mehrwert bezahlt werden, derzufolge auch die Arbeitermassen in der fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaft und die Arbeiter der modernen Industriezweige in den rückständigen Ländern die Bundesgenossen der Kapitalisten bei der Plünderung der kolonialen Massen sind, ist eine zutiefst reaktionäre und arbeiterfeindliche Theorie. Der Marxismus lieferte schon vor langer Zeit eine niederschmetternde Widerlegung des gesamten Netzes der kleinbürgerlichen Theorien und Vorurteile, die die Verteidiger der Theorie von der Arbeiteraristokratie als wissenschaftliche Theorie darzustellen versuchen. Bei all ihrem Enthusiasmus für das Aufstöbern von Zitaten - egal in welchem Zusammenhang sie geschrieben wurden -, wo Engels oder Lenin von einer Arbeiteraristokratie sprechen, lassen die gegenwärtigen Vertreter dieser Theorie absichtlich die ökonomischen Schriften von Marx (Grundrisse, Kapital, Theorien über den Mehrwert) außer Acht, wo nämlich die Funktionsweise des Wertgesetzes, das die einzige Grundlage für das Begreifen der Lohnbewegungen im Kapitalismus ist, erklärt wurde. Unsere eigenen Ausführungen werden die Form eines auf der Marxschen Analyse aufbauenden aber notwendigerweise kurzen Umrisses der Elemente annehmen, die wirklich den Wert der Ware Arbeitskraft bestimmen, sowie der verschiedenen Faktoren, die eine Wertminderung oder -steigerung derselben beeinflussen.. Weiterhin werden wir die eigentliche Lohnbewegung in den verschiedenen Phasen der kapitalistischen Gesellschaft untersuchen.

Im ersten Band des Kapitals zeigte Marx auf, daß "der Wert der Arbeitskraft der Wert für die Subsistenzmittel ist, die für die Aufrechterhaltung der Arbeitskraft des Lohnarbeiters erforderlich ist". Jedoch können diese notwendigen Subsistenzmittel, von denen Marx spricht, nicht auf irgendein physiologisches Mindestmaß reduziert werden, das notwendig wäre, um das Leben eines Arbeiters als ein biologischer Organismus sicherzustellen. Sie müssen ausreichen, um ihn in seinem normalen Zustand als Arbeiter am Leben zu halten, d.h. in einem Zustand, wo er fähig ist für das Kapital Mehrwert zu produzieren. Diese Tatsache weist auf den historisch variablen Charakter des Wertes der Arbeitskraft hin, da:"der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt (ist und sie) hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat. Im Gegensatz zu den anderen Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element" (K. Marx, "Das Kapital", Erster Band, MEW 23, S. 185). Das einzigartige Wesen der Arbeitskraft als Ware liegt daher nicht nur in ihrer Fähigkeit, mehr Wert zu produzieren als sie besitzt, also einfach einen Mehrwert zu produzieren, sondern ebenso in der Tatsache, daß ihr eigener Wert "selber keine fixe, sondern eine variable Größe ist, selbst die Werte aller andern Waren als gleichbleibend unterstellt"(K. Marx, "Lohn, Preis und Profit", MEW Bd. 16, S. 148).

Bei der Bestimmung dessen, was eigentlich die für die Arbeiter zu einem gegebenen Zeitpunkt und an einem Ort erforderlichen Subsistenzmittel sind, ist dieses "historische und moralische Element", das Marx betont, von größerer Bedeutung als das physiologisch notwendige Element. Einer der Hauptfaktoren, der den Verlauf der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft auszeichnet, ist das, was Marx als den Rückzug oder Senkung der natürlichen Grenzen im Arbeitsprozeß bezeichnete. Damit meinte Marx das abnehmende Gewicht der natürlichen Bedingungen im Produktionsprozeß und die immer größere Sozialisierung der Produktionsaktivitäten - diese Entwicklung wurde bislang vom Kapitalismus auf die höchste Stufe getrieben. Jedoch kann dieses Absinken der natürlichen Grenzen ebenso in der Produktion und der Reproduktion der Arbeitsfähigkeit der Arbeiterklasse gesehen werden. Die Befriedigung grundsätzlich physiologischer Bedürfnisse - die das Kennzeichen der arbeitenden Massen in der vorkapitalistischen Gesellschaft war, z.B. Sklaven, Leibeigene usw. - verliert proportional als Faktor bei der Aufrechterhaltung der Arbeiterklasse an Gewicht, und ein noch größerer Teil der Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft des Proletariats in der kapitalistischen Gesellschaft befaßt sich mit der Befriedigung der Bedürfnisse, die aus der zunehmenden Vergesellschaftung der Produktion hervorgehen. Diese Bedürfnisse schließen ein: das allgemeine Bildungsniveau, das heute selbst ein einfacher Arbeiter erreichen muß, um Mehrwert unter den Bedingungen der hohen Produktivität des Arbeitsprozesses abzuwerfen; das Radio, Fernsehen, Kinos, Urlaub usw. Sie sind alle zu einem notwendigen Bestandteil der Aufrechterhaltung der Arbeitskraft unter den gegenwärtigen Bedingungen der intensiven Arbeit geworden. Weiter zählen dazu die Diäten und die medizinische Versorgung, die unabdingbar sind, wenn der Arbeiter 40 Jahre in der Fabrik schuften muß - und das ist das Normale in der modernen Industrie; sowie eine ganze Reihe anderer sozialer Bedürfnisse, auf die wir hier nicht näher eingehen können. Mit anderen Worten: der Wert der Arbeitskraft eines Arbeiters kann auf keinen Fall einfach mit der Größe gleichgesetzt werden, die für die Befriedigung seiner rein natürlichen Bedürfnisse erforderlich ist. "Der wirkliche Wert seiner Arbeitskraft weicht von diesem physischen Minimum ab; er ist verschieden je nach dem Klima und dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung; er hängt ab nicht nur von den physischen, sondern auch von den historisch entwickelten gesellschaftlichen Bedürfnissen, die zur zweiten Natur werden" (K. Marx, "Das Kapital", Dritter Band, MEW Bd. 25, S. 866).

Dieses physiologische Minimum stellt in Wirklichkeit nur die untere Grenze des Werts der Arbeitskraft eines Arbeiters dar, die obere Grenze dagegen wird durch den "traditionellen Lebensstandard" gebildet."Er betrifft nicht das rein physische Leben, sondern die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse, entspringend aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, in die die Menschen gestellt sind und unter denen sie aufwachsen" (K. Marx, "Lohn, Preis und Profit", MEW Bd. 16,S. 148). Die Größe dieser historisch variablen Obergrenze, der eigentliche Wert der Ware Arbeitskraft zu einem gegebenen Zeitpunkt und an einem gegebenen Ort, hängt selbst stark von 3 Faktoren ab: der Akkumulationsrate des Kapitals, der Größe der industriellen Reservearmee, der Stärke des Klassenkampfes. Das komplexe Zusammenwirken dieser 3 Faktoren bestimmt das eigentliche Lohnniveau,und wir sollten in Erinnerung behalten, daß dauerhafte Änderungen des Lohnniveaus, d.h. des Preises der Arbeitskraft, eine Änderung ihres Wertes darstellen.

Marx schrieb:"Die Größe der Akkumulation ist die unabhängige Variable, die Lohngröße die abhängige, nicht umgekehrt" ("Das Kapital", Erster Band, MEW 23, S. 648).

Wenn der Umfang der Kapitalakkumulation schnell anwächst, m.a.W. wenn die Mehrwertrate ansteigt, werden neue Märkte für die Realisierung des Mehrwertes geöffnet und somit neue Sphären für die Kapitalisierung des Mehrwertes zur Verfügung stehen, der objektiven ökonomischen Grundlage für einen Anstieg der Reallöhne.

Bevor wir die eigentliche Beziehung zwischen Akkumulation und Löhnen untersuchen, ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß wir es bei der Berücksichtigung des Mehrwertes und der Reallöhne nicht mit einer festgesAtzten Größe zu tun haben, sondern eher mit elastischen Größen. Sowohl der Mehrwert als auch die Reallöhne können gleichzeitig ansteigen und auch im gleichen Verhältnis zueinander sich erhöhen. Somit bedeutet ein Anstieg der Reallöhne nicht unbedingt eine Senkung der Masse der Mehrwertrate - historisch gesehen war das auch fast nie der Fall. Deshalb schließt Marxens absolut richtige Schlußfolgerung, wo er sagte,"die Erhöhung des Arbeitspreises bleibt also eingebannt in Grenzen, die die Grundlagen des kapitalistischen Systems nicht nur unangetastet lassen, sondern auch seine Reproduktion auf wachsender Stufenleiter sichern" (K. Marx, "Das Kapital", Erster Band, MEW Bd 23, s. 649), einen dauerhaften Anstieg der Reallöhne nicht aus, vorausgesetzt die Akkumulation nimmt sowohl in ihrem Umfang als auch in ihrem Rythmus zu.

Im Kapital untersuchte Marx auch die Änderungen der Höhe der Preise der Arbeitskraft und des Mehrwerts. Er bewies, daß eine Änderung der Löhne aber auch des Mehrwertes durch die Veränderung der Länge des Arbeitstages, der Intensität und Produktivität der Arbeit hervorgebracht werden könnten. Bei all diesen Fällen zeigte Marx die Möglichkeit eines gleichzeitigen Anstiegs der Reallöhne und der Rate und Masse des Mehrwerts auf. Die Ausdehnung des Arbeitstages kann offensichtlich zu einer Erhöhung des aus den Arbeitern gepreßten Mehrwertes führen, aber auch zu einer Erhöhung der Reallöhne.

"Da das Wertprodukt, worin sich der Arbeitstag darstellt, mit seiner eignen Verlängerung wächst, können Preis der Arbeitskraft und Mehrwert gleichzeitig wachsen, sei es um gleiches oder ungleiches Inkrement (Zunahme)" (K.Marx,"-Das Kapital", Erster Band, MEW

Bd. 23,S. 549).

Ein ähnliches Ergebnis kann erzielt werden, wenn aie Arbeitsintensität erhöht Wird."Wachsende Intensität der Arbeit unterstellt vermehrte Ausgabe von Arbeit in demselben Zeitraum. Der intensivere Arbeitstag verkörpert sich daher in mehr Produkten als der mnnder intensive von gleicher Stundenzahl...Bei gleichbleibender Stundenzahl verkörpert sich also der intensivere Arbeitstag in höherem Wertprodukt. . .Es ist klar: Variiert das Wertprodukt des Arbeitstages, ... so können beide Teile dieses Wertprodukts, Preis der Arbeitskraft und Mehrwert, gleichzeitig wachsen, sei es in gleichem oder ungleichem Grad"(K. Marx, "Das Kapital",

Erster Band, MEW Bd 23, s. 547). Während in beiden der oben erwähnten Fälle ein dauerhafter Anstieg der Reallöhne zu einer Erhöhung des Wertes der Arbeitskraft führen kann, ist es ebenso möglich, daß der Wert der Arbeitskraft fällt, selbst wenn ihr Preis steigt. Dies kann entweder im Falle einer Ausdehnung des Arbeitstages geschehen oder durch eine Intensivierung der Arbeit, Weil "die Preiserhöhung der Arbeitskraft ihren beschleunigten Verschleiß nicht kompensiert" (K. Marx, "Das Kapital", Erster Band, MEW Bd 23, S. 547).

Obgleich ein Anstieg der Arbeitsproduktivität immer ein Sinken des Wertes der Arbeitskraft mit sich bringt, ist es ebenso vereinbar mit einem Anstieg des Lebensstandard der Arbeiter. "Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit, ihre Zunahme oder Abnahme,wirkt'in umgekehrter Richtung auf den Wert der Arbeitskraft und in direkter auf den Mehrwert" (K. Marx, "Das Kapital", Erster Band, MEW Bd. 23, S. 543). Wenn somit die Produktivität der Arbeit ansteigt, steigt ebenso der Mehrwert an, während der Wert der Arbeitskraft sinkt. Dies bedeutet jedoch nicht ein Sinken der Reallöhne, ein Verschlechtern des Lebensstandards, der gar ansteigen kann. "Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert eines bestimmten Quantums von Lebensmitteln. Was mit der Produktivkraft der Arbeit wechselt, ist der Wert dieser Lebensmittel, nicht ihre Masse. Die Masse selbst kann, bei steigender Produktivität der Arbeit, für Arbeiter und Kapitalist gleichzeitig und in demselben Verhältnis wachsen ohne irgendeinen Größenwechsel zwischen Preis der Arbeitskraft und Mehrwert" (K. Marx, "Das Kapital", Erster Band, MEW Bd. 23, S. 545).

Aber egal wie groß der Umfang der Akkumulation auch ist, das Kapital gesteht nie aus eigener Initiative reale Lohnerhöhungen zu. In Wirklichkeit bringt die Steigerung der Akkumulation des Kapitals, die die objektive Basis für eine Erhöhung der Reallöhne schafft, ebenso eine entgegengesetzte Tendenz zum Vorschein, die jede Erhöhung des Lebensstandards der Arbeiter beschränkt und eingrenzt. "Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee ... Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Überbevölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. DIES IST DAS ABSOLUTE, ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION. Es wird gleich allen anderen Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert ..."(K. Marx, "Das Kapital", Erster Band, MEW 23, s. 673). Insbesondere die Veränderungen bei der Funktionsweise dieses spezifischen Gesetzes, das Maße, in dem die Reservearmee unter bestimmten Bedingungen zunimmt oder sinkt, bestimmen das Ansteigen oder Sinken der Reallöhne (und des Wertes der Arbeitskraft). "Im grossen und ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Arbeitslohnes ausschließlich reguliert durch die Expansion und Kontraktion der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Zyklus entsprechen" (K. Marx, "Das Kapital", Erster Band, MEW 23, S. 666).

Während die Ausdehnung der Reservearmee das Steigen der Reallöhne hemmt - obgleich ihr Schrumpfen solch eine Erhöhung begünstigt - (was immer von der Akkumulationsrate abhängt),ist der ausschlaggebende Faktor für das wirkliche Ansteigen oder Sinken der Löhne das Niveau des Klassenkampfes. Nur durch den Rückhalt eines kämpferischen Klassenkampfes kann das Proletariat dem Kapital eine größere Masse an Subsistenzmitteln abzwingen, die es durch seine eigene Arbeit geschaffen hat. Jedoch wird das Niveau des Klassenkampfes selber durch die globalen Bedingungen des Akkumulationsprozesses und die Größe der Reservearmee beeinflußt.

Wir können nun dazu übergehen, auf die tatsächliche Entwicklung der Löhne sowohl während der aufsteigenden als auch während der dekadenten Phase des Kapitalismus einen Blick zu werfen, um die.Gründe für die Reallohnsteigerungen aufzudecken, die zeitweilig stattgefunden haben. Es gibt vor allem 3 Zeiträume, mit denen wir uns gesondert befassen müssen, weil die Löhne damals wirklich lange anstiegen.

Zunächst in Europa von 1850 bis 1913, dem Höhepunkt der aufsteigenden Phase des Kapitalismus. Zweitens in den Siedlerkolonien wie die USA, Kanada, Australien, wo während der gesamten Phase des aufsteigenden Kapitalismus selbst während des I. Weltkrieges und gar bis zum Ausbruch der Wirtschaftskrise von 1929 die Löhne real anstiegen. Drittens der Zeitraum des Wiederaufbaus in den fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften, der sich dem 2. Weltkrieg anschloß und bis 1967 dauerte. In den ersten beiden Fällen kam es zu einem enormen Anstieg des Wertes der Arbeitskraft, und im 3. Fall ist der Anstieg des Wertes der Arbeitskraft etwas fragwürdiger - obgleich der Preis der Arbeitskraft zweifellos anstieg (ganz zu schweigen von der zeitlich engen Begrenzung dieses Phänomens).

Wir werden als Beispiel England nehmen, um die Lohnentwicklung während des Höhepunktes des aufsteigenden Kapitalismus zu verfolgen, weil England das klassische Beispiel. einer fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaft während der damaligen Zeit war, und weil die Theoretiker der Arbeiteraristokratie es als einen Beweis für ihre Ideen betrachten. Die Löhne entwickelten sich zwischen 1789 und 1900 folgendermaßen:

Reallöhne (1900 = 100)

1789-98 58 1859-68 63

1809-18 43 1869-79 74

1820-26 47 1880-86 80

1849-58 57 1887-95 91

1895-1903 99

(Jürgen Kuczynski, "A Short History of Labour Conditions Under Industrial Capitalism in Great Britain and the Empire", 1944, S. 68)

Während der Phase der primitiven Akkumulation (ca. 1789 -1826) führten die Auswirkungen der Landflucht zu der Schaffung einer massiven Reservearmee, welche den Klassenkampf stark einengte und eine Senkung der Reallöhne mit sich brachte.

,Erst ab 1858 erreichten die Reallöhne erneut den Stand von 1789. Von 1858 bis 1900 stiegen die Reallöhne enorm an, was zu einer bedeutsamen Erhöhung des Wertes der Arbeitskraft führte. Eine Reihe von Faktoren spielten dabei eine entscheidende Rolle. Die Akkumulationsrate

stieg sehr schnell an, verbunden mit einem noch nie dagewesenen Anstieg der Arbeitsproduktivität und der Arbeitsintensität, wodurch so das bis dahin am häufigsten verwendete Mittel der Verlängerung des Arbeitstages durch den Anstieg der Arbeitsproduktivität ersetzt wurde. Dies schuf im Zusammenhang mit der schnellen Ausdehnung der Kolonialmärkte aufgrund der weltweiten Ausdehnung des britischen Imperialismus die Basis für die Beschäftigung eines immer größer werdenden Teiles der Reservearmee in der Metropole. Dies fiel mit dem Ende der Phase der primitiven Akkumulation und der Verarmung der Landbevölkerung zusammen, was bedeutete, daß die überflüssige Bevölkerung nicht mehr so schnell anwuchs wie vorher. Weiterhin schufen die endlosen Möglichkeiten der Auswanderung in die Siedlerkolonien zusätzliche "Abzugswege", dies beschränkte zugleich die Größe der Reservearmee. All dies schuf optimale Bedingungen für das Proletariat, um einen wirkungsvollen Kampf um höhere Löhne und Reformen zu führen. Dieses Zusammenspiel zwischen einer besonders schnellen Akkumulationsrate, dem zeitweiligen Rückgang der Reservearmee und der großen Kampfbereitschaft der Arbeiter erklärt den Anstieg des Wertes der Arbeitskräfte während jenes Zeitraums.

In den Siedlerkolonien (USA, Kanada, Australien usw.) beruhte der Anstieg des Wertes der Arbeitskraft, der natürlich letzten Endes durch den Klassenkampf,-des Proletariats selber herbeigeführt wurde, auf der unabdingbaren Vorbedingung der gewaltigen Akkumulation und zuvorderst auf dem fast vollständigen Fehlen einer Reservearmee (praktisch bis fast nach dem 1. Weltkrieg). Dieser letztgenannte Faktor wurde von Marx als der Schlüssel für das Begreifen der Gründe für die hohen Reallöhne in diesen Ländern hervorgehoben:

"Was die Grenzen des Werts der Arbeit angeht,so hängt seine faktische Festsetzung immer von Angebot und Nachfrage ab ...In Kolonialländern begünstigt das Gesetz von Angebot und Nachfrage den Arbeiter. Daher der relativ hohe Lohnstandard in den Vereinigten Staaten. Das Kapital kann dort sein Äußertes versuchen. Es kann nicht verhindern, daß der Arbeitsmarkt ständig entvölkert wird durch die ständige Verwandlung von Lohnarbeitern in unabhängige, selbstwirtschaftende Bauern. Die Tätigkeit eines Lohnarbeiters ist für einen sehr großen Teil des Amerikanischen Volks nur eine Probezeit, die sie sicher sind, über kurz oder lang durchlaufen zu haben" (K. Marx, "Lohn, Preis und Profit", MEW Bd. 16, S. 149).

Die Abwesenheit einer größen überflüssigen Bevölkerung bedeutete aufgrund der Verfügbarkeit von billigem Land, daß das Kapital in diesen Ländern insbesondere davon abhängig war, die Arbeitsproduktivität als ein Mittel der Auspressung des Mehrwerts zu erhöhen. Dies schuf gar noch günstigere Bedingungen für die Akkumulation, weil die objektive ökonomische Basis für den Anstieg des Wertes der Arbeitskraft erweitert wurde.

Der Anstieg der Reallöhne während der Wiederaufbauphase nach dem 2. Weltkrieg fölgte einem starken Rückgang des Lebensstandards des Proletariats, der mit dem Ausbruch deroffenen Krise im Jahre 1929 begonnen hatte. Die durcf den Krieg verursachte massive Zerstörung von überschüssigem Kapital schuf die ökonomische Basis für einen Zeitraum des Wiederaufbaus während dessen die Akkumulation bedeutend zunahm.Dieser wachsenden Akkumulation müssen die Auswirkungen einer bis dahin unerreichten Zerstörung der "überschüssigen Bevölkerung" durch das imperialistische Abschlachten hinzugefü¢ werden, die zu einer Abnahme der Reservearmee während einer langen Zeit führte. Dieses Zusammenwirken von einer zeitweilig schnellen Akkumulationsrate und dem Rückgang der Reservearmee schuf die objektive Grundlage für die während dieser Zeit aufgetretenen Reallohnerhöhungen. Jedoch waren die Verlängerung des Arbeitstages durch obligatorische Überstunden und die mörderischen Beschleunigungen des Arbeitstempos, die die Arbeit bis zum Zerreißen intensivierten, so bedeutend, daß es als fragwürdig erscheint, ob diese Reallohnsteigerung dazu ausreichte, um den Verschleiß der Arbeitskraft unter diesen Bedingungen auszugleichen. Kurzum, es gibt beträchtliche Beweise dafür, daß trotz des zeitweiligen Ansteigens der Reallöhne die Arbeitskräfte unter ihrem Wert, dh. unter den Kosten ihrer Unterhaltung bezahlt wurden.

Nun müssen wir die nationalen Unterschiede bei den Löhnen untersuchen, denn diese Unterschiede dienen den Theoretikern der Arbeiteraristokratie zum großen Teil als Argument für die Behauptung, daß die höheren Löhne in den fortgeschrittenen Ländern die Krümel von den Extraprofiten sind, die aus der Arbeit der schlechtbezahlten Massen der Kolonien und Halbkolonien gepreßt werden. Während es vollkommen stimmt, daß die Profitrate in den rückständigen Ländern mit ihrer niedrigen organischen Zusammensetzung des Kapitals höher ist, wird dies durch die viel größere Profitmasse, die durch die produktiven Arbeiter in den fortgeschrittenen Ländern produziert wird, in den Schatten gedrängt, gerade aufgrund der höheren organischen Zusammensetzung (dabei müssen wir die Auswirkungen des Ausgleiches der Profitraten hinzufügen, welche sich zum Nachteil dieser ,Länder auswirken). Was für uns nun am wichtigsten zu berücksichtigen ist, ist die Tatsache, daß die Mehrwertrate, d.h. die Ausbeutungsrate in den fortgeschrittenen Ländern viel größer ist als in den rückständigen. Nur weil die Arbeiter in den am meisten fortgeschrittenenen Ländern am meisten ausgebeutet werden, mehr als sogar ihre Klassenbrüder in den rückständigen Ländern, könnnen ihre Reallöhne höher sein. "Je produktiver ein Land gegen das andere auf dem Weltmarkt, um so höher sind die Arbeitslöhne in ihm, verglichen mit den andren Ländern. Nicht nur der nominelle, sondern der reelle Arbeitslohn in England ist höher als auf dem Kontinent. Der Arbeiter ißt mehr Fleisch, befriedigt mehr Bedürfnisse .... Aber er ist nicht höher im Verhältnis zur Produktivität der englischen Arbeiter" (K. Marx, "Theorien über den Mehrwert", Zweiter Teil, MEW Bd. 26.2, S. 8).

Zu dem höheren Ausbeutungsgrad und der größeren Produktivität der Arbeiter in den Metropolen muß eine besonders wichtige Änderung des Wertgesetzes hinzugefügt werden, die von der folgenden Tatsache herrührt: "Noch mehr aber wird das Wertgesetz in seiner internationalen Anwendung dadurch modifiziert, daß auf dem Weltmarkt die produktivere nationale Arbeit ebenfalls als intensivere zählt" (K. Marx, "Das Kapital", Erster Band, MEW Bd 23, S. 584).

Daher ist die Arbeit der Arbeiter in den Metropolen nicht nur produktiver als die der Arbeiter in den früheren Kolonien, sondern sie schafft ebenso mehr Wert, da sie intensiver ist. Daher bestimmen diese Faktoren zusammen mit der ungeheuren Größe der "überflüssigen" Bevölkerung in den rückständigen Ländern (aufgrund des Einflusses derselben auf das Kräfteverhältnis zwischen dem Proletariat und dem Kapital) und die unterschiedlichen historischen Ergebnisse des Klassenkampfes die sehr niedrigeren Arbeitslöhne (Reallöhne) in den früheren Kolonien und dementsprechend die,-viel höheren Reallöhne in den fortgeschrittenen Ländern. Die Befürworter der Theorie von der Arbeiteraristokratie richten sich ausschließlich auf die Frage der Reallöhne (die sie zudem vollkommen falsch verstehen), und sie lassen die sehr wichtige Frage der relativen Löhne außer acht. Marx wies auf die Bedeutung der relativen Löhne zum Verständnis der Lage der Lohnarbeiter in der kapitalistischen Gesellschaft hin:

"Aber weder der nominelle Arbeitslohn, d.h. die Geldsumme, wofür der Arbeiter sich an den Kapitalisten verkauft, noch der relle Arbeitslohn, d.h. die Summe Waren, die er für dies Geld kaufen kann, erschöpfen die im Arbeitslohn enthaltnen Beziehungen. Der Arbeitslohn ist vor allem noch bestimmt durch sein Verhältnis zum Gewinn, zum Profit des Kapitalisten- verhältnismäßiger, relativer Arbeitslohn. Der relle Arbeitslohn drückt den Preis der Arbeit im Verhältnis zum Preis der übrigen Waren aus, der relative Arbeitslohn dagegen den Anteil der unmittelbaren Arbeit an dein von ihr neu erzeugten Wert im Verhältnis des Anteils davon, der der aufgehäuften Arbeit, dem Kapital, zufällt" (K. Marx, "Lohnarbeit und Kapital", Peking 1969).

Marx zeigte weiterhin auf, daß die relativen Löhne sinken können, während die Reallöhne ansteigen, und daß in diesem Falle folgendes wichtig ist: "Die Macht der Kapitalistenklasse über die Arbeiterklasse ist gewachsen, die-gesellschaftliche Stellung des Arbeiters hat sich verschlechtert, ist um eine Stufe tiefer unter die des Kapitalisten herabgedrückt" (K. Marx, "Lohnarbeit und Kapital", Peking, 1969, S. 38): Genau dies traf im Fall der englischen Arbeiterklasse während des Höhepunktes der aufsteigenden Phase des Kapitalismus zu:

Relative Löhne, 1859-1903 (1900 = 100)

Relativer Anteil der Produktion,

Löhne, Kapitalisten pro

Industriekapital

Produktion

 

Löhne

Kapitalisten

1869-79

66

1iT

$9

1880-86

83

96

104

1887-95

96

95

105

1895-1903

105

94

106

(Kuczynski, ebenda, S. 82)

So erhielt die Arbeiterklasse gar einen kleineren Anteil von dem großen Reichtum, den sie durch ihre eigene Arbeitskraft während dieses Zeitraums geschaffen hatte - wohingegen die Verteidiger der Theorie der Arbeiteraristokratie behaupten, es handele sich um ein korrurnpiertes Werkzeug der Reaktion. Die absolute Unfähigkeit dieser Theoretiker, die Bedeutung der relativen Löhne zu begreifen, hängt mir ihrem Unvermögen zusammen, das eigentliche Wesen des Mehrwerts selber zu begreifen.

Die simplistische Argumentationsweise der Verteidiger der Theorie der Arbeiteraristokratie und ihr Außerachtlassen des Wertgesetzes in der kapitalistischen Gesellschaft tritt somit offen hervor. Die Theorie von der Arbeiteraristokratie mit ihren politischen Schlußfolgerungen ist eine Mystifizierung, die die revolutionären Marxisten entschlossen bekämpfen müssen.

MacIntosh, Aug. 1981

Erstveröffentlichung in Weltrevolution Nr. 7, 1982

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [1]

China 1927: Letztes Aufbäumen der Weltrevolution

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Im März 1927 erhoben sich in Schanghai die Arbeiter in einem erfolgreichen Aufstand; binnen kürzester Zeit übernahmen sie die Kontrolle in der Stadt, gleichzeitig war ganz China in Bewegung geraten. Im April wurde dieser Aufstand von den Kräften Tsching Kai-scheks brutal niedergeschlagen, diesem Tschiang, den die Kommunistische Partei Chinas als den Held der chinesischen "nationalen" Revolution gefeiert hatte. Anläßlich des 60. Jahrestages dieses Aufstandes wollen wir als Revolutionäre die Ereignisse kurz in Erinnerung rufen und die Hauptlehren aus den Kämpfen für die Arbeiterklasse ziehen.

Die Haupttragödie dieses Aufstandes war die Tatsache, daß die Arbeiterklasse in China genauso wie das chinesische Kapital, das zu spät auf dem Weltmarkt auftauchte, in diese Kämpfe gegen das Kapital zu einer Zeit eintrat, als die internationale revolutionäre Welle von Kämpfen, welche aus dem I. Weltkrieg hervorgegangen war, sich schon im Rückzug befand.

Im März 1927 erhoben sich in Schanghai die Arbeiter in einem erfolgreichen Aufstand; binnen kürzester Zeit übernahmen sie die Kontrolle in der Stadt, gleichzeitig war ganz China in Bewegung geraten. Im April wurde dieser Aufstand von den Kräften Tsching Kai-scheks brutal niedergeschlagen, diesem Tschiang, den die Kommunistische Partei Chinas als den Held der chinesischen "nationalen" Revolution gefeiert hatte. Anläßlich des 60. Jahrestages dieses Aufstandes wollen wir als Revolutionäre die Ereignisse kurz in Erinnerung rufen und die Hauptlehren aus den Kämpfen für die Arbeiterklasse ziehen.

Die Haupttragödie dieses Aufstandes war die Tatsache, daß die Arbeiterklasse in China genauso wie das chinesische Kapital, das zu spät auf dem Weltmarkt auftauchte, in diese Kämpfe gegen das Kapital zu einer Zeit eintrat, als die internationale revolutionäre Welle von Kämpfen, welche aus dem I. Weltkrieg hervorgegangen war, sich schon im Rückzug befand.

Der I. Weltkrieg hatte der Entwicklung der chinesischen Industrie einen gewaltigen Auftrieb verliehen. Dadurch war eine zahlenmäßig kleine, aber hochkonzentrierte und furchtbar ausgebeutete Zahl von Proletariern in den Großstädten wie Schanghai, Hangchow und Kanton entstanden. Diese Arbeiter erhoben zum ersten Mal Anfang der 20er Jahre ihre Stirn gegen die Ausbeutung.

Die Erschütterungen des Kapitalismus nach dein I. Weltkrieg zogen aber auch das chinesische Kapital in ihren Sog. Die Zuspitzung der inter-imperialistischen Spannungen und die Spannungen innerhalb der örtlichen bürgerlichen Fraktionen, der Ausbruch von großen Bauernrevolten gegen ein überholtes Grundbesitzsystem und das Auftauchen einer großen kämpferischen Arbeiterklasse stellten den Hintergrund für die Schlüsselperiode der chinesischen Revolution von 1925-27 dar. Aber letztendlich hing der Ausgang der Ereignisse in China 1925-27 nicht von der Situation in China selbst ab, sondern wurde auf Weltebene entschieden.

Russland: Hochburg der Konterrevolution

Die große revolutionäre Welle, die mit der Oktoberrevolution ausgelöst worden war, trat nach 1920 in eine Rückflußphase ein; danach erreichte sie nie mehr ihren ursprünglichen Schwung, trotz der verzweifelten Kämpfe in Deutschland 1921 und 1923, Bulgarien 1923 und China 1925-27. Dieser Rückfluß hatte die tiefstgreifenden und tragischsten Konsequenzen für die ursprüngliche Hochburg der Revolution, Sowjetrußland. Bei dem Versuch, in einer kapitalistischen Welt zu überleben, wurden der russische Staat und die Bolschewistische Partei, die sich mit diesem verschmolzen hatte, schnell zu einem

der Hauptzentren der Konterrevolution. In Rußland selbst führten die Bedürfnisse des Kapitals zur Niederschlagung der Arbeiteraufstände in Petrograd und Kronstadt 1921, der Verfolgung von oppositionellen kommunistischen Fraktionen und zur rücksichtslosen Kapitalakkumulierung auf Kosten der Arbeiterklasse. Auf Weltebene erforderten die gleichen Notwendigkeiten eine zunehmende Unterwerfung der internationalen Revolution unter die Bedürfnisse des russischen Staates, insbesondere seiner Suche nach Bündnissen und wirtschaftlicher Hilfe von dem Rest der kapitalistischen Welt. Gleichzeitig wurden die Parteien der Kommunistischen Internationale zunehmend zu einer Fessel bei der Entwicklung des Klassenkampfes.

Nach 1924 verstärkte die Fraktion um Stalin in Bußland ihre Machtposition und räumte die letzten Widerstände bei der unbegrenzten Verfolgung der Interessen des russischen nationalen Kapitals aus dem Weg. Aber schon vor 1924 trug die Politik der Bolschewisten den Keim der Niederlage in sich. 1922 hatte der Vertreter der Kommunistischen Internationale in China, H. Maring, alias Sneevliet, die Grundlage für ein Bündnis zwischen der Chinesischen Kommunistischen Partei und der Kuomintang eingefädelt. Dahinter steckte die Absicht der Bildung einer "vereinigten antiimperialistischen Front" für den Kampf um die nationale Befreiung Chinas, was in erster Linie einen militärischen Kampf gegen die war-lords insbesondere im Norden Chinas bedeutete, da diese große Teile des Landes beherrschten. Dieses Bündnis führte dazu, daß Mitglieder der chinesischen KP sich der Kuomintang als Individuen anschlossen, und gleichzeitig die Partei förmlich eine politische Autonomie aufrechterhielt. In der Praxis bedeutete dies jedoch eine fast vollständige Unterwerfung der KP unter die Ziele der Kuomintang. Auf dem IV. Kongreß der Komintern im Jahre 1922- der gleiche Kongreß, welcher die Politik der "Arbeiterfronten" im Westen beschlossen hatte - verwarf Radek die Zögerungen einiger Delegierter der KP hinsichtlich des Bündnisses mit der Kuomintang: "Genossen, ihr müßt begreifen, daß heute in China weder der Sozialismus noch eine Sowjetrepublik auf der Tagesordnung stehen". M.a.W: China müßte eine "bürgerlich, demokratische Phase" durchlaufen, bevor die Diktatur des Proletariats auf der Tagesordnung stünde. In Rußland hatten die Menschewisten 1917 die gleiche Argumentation gehabt.

Es handelte sich um einen großen Rückschritt der Komintern gegenüber den Erklärungen ihres I. Kongresses, als sie behauptete, nur die proletarische Weltrevolution könnte die unterdrückten Massen der kolonialen Gebiete befreien. Die spätere Politik der von Stalin und Bucharin beherrschten Komintern führte diese Logik nur zu ihrer letzten Konsequenz. Das Bündnis zwischen der chinesischen KP und der Kuomintang von 1922 spiegelte den Versuch Rußlands wider, sich mit der chinesischen Bourgeoisie zu verbünden und so einen Schutzring gegen jene imperialistischen Mächte aufzubauen (GB insbesondere), die immer noch eine unnachgiebige Feindschaft gegenüber der SU aufrechterhielten. Das chinesische Proletariat wurde mehr und mehr als Handelsware bei den Geschäften Rußlands mit der chinesischen Bourgeoisie betrachtet. Gleichzeitig bedeutete dies, daß jeder Versuch des chinesischen Proletariats für seine eigenen Interessen einzutreten, nur als eine Bedrohung des Bündnisses mit der Kuomintang aufgefaßt werden könnte.

Unter Stalins Schirmherrschaft verfolgte die Kernintern diese Linie ohne Zögern oder Zweifel. Aber von 1923 an strömten russische Waffen und militärische Berater nach China, um dieses sowjetische Bündnis mit der Kuomintang und der chinesischen KP zu unterstützen. In der chinesischen KP war Mao Tse-tung einer der entschlossensten Verteidiger des Bündnisses mit der Kuomintang.

Die revolutionären Kämpfe von 1925- 1927

Am 30. Mai 1925 demonstrierten in Schanghai Arbeiter und Studenten aus Solidarität mit einem Streik in einer Fabrik, die sich im Besitz von Japanern befand. Von Briten angeführte Polizei schoß auf die Demonstranten und tötete 12. Die Antwort der Arbeiter ließ nicht auf

sich warten. Innerhalb weniger Wochen wurden Schanghai, Kanton und Hong Kong von einem Generalstreik gelähmt. In Schanghai wurde der Streik von der KP-geführten Allgemeinen Arbeiterunion geleitet. In Kanton und Hong Kong aber lag die Organisierung des Streiks in den Händen eines embryonären Sowjets, der Delegiertenkonferenz der Streikenden. Unterstützt von 250.000 Streikenden, die einen Delegierten pro 50 Arbeiter wählten, stellte die Konferenz 2000 Streikposten auf, kontrollierte Krankenhäuser und Schulen, übernahm die Verwaltung der Justiz und führte einen totalen Boykott aller britischen Güter ein.

Die westlichen imperialistischen Mächte reagierten mit Schrecken. Aber auch die Kuomintang, welche ein Bündnis verschiedenster Teile der nationalen Bourgeoisie war (Industrielle, Militärs, Studenten, verträumte Kleinbürger), änderte ihre Haltung. War sie vor den Streiks der Arbeiter davon ausgegangen, daß ein Bündnis der Kuomintang mit der KP Chinas für sie von Vorteil sein könnte, weil so das chinesische Proletariat vor den Karren der nationalen Revolution gespannt werden könnte, und dessen Kämpfe solange toleriert wurden, wie sie sich gegen die ausländischen Firmeninhaber richteten, entdeckten die Kuomintang nach diesen Streiks, daß sie mehr gemeinsame Interessen mit den "ausländischen Imperialisten" als mit den "eigenen Arbeitern" hätten.

Aus diesem Grunde vollzog sich eine Spaltung innerhalb der Kuomintang. Ein rechter Flügel entsprach den Interessen der Großbourgeoisie, die die Arbeiterkämpfe zu Ende bringen, die Kommunisten loswerden und zu irgendeinem Kompromiß mit den ausländischen Imperialisten kommen wollte. Der linke Flügel, hauptsächlich von Intellektuellen und den unteren Rängen der Armee angeführt, sprach sich für ein Bündnis mit der Sowjetunion und der russischen KP aus. Tschiang Kai-schek, ursprünglich Anhänger des linken Flügels, galt als ein entschlossener Vertreter einer Bündnispolitik mit der UdSSR und allen möglichen anderen Ordnungskräften. Im März 1926 machte er seinen ersten großen Zug gegen das Proletariat. In Kanton vollzog er einen militärischen Staatsstreich, der ihm fast unbegrenzte Kontrolle über den Parteiapparat der Kuomintang verschaffte. Kommunisten und andere Militanten der Arbeiterklasse wurden verhaftet, das Hauptquartier des Streikkomitees von Kanton-HongKong wurde überfallen. Der Streik, der schon monatelang gedauert hatte, zerbrach nun schnell unter den Schlägen der Repression der Kuomintang. Die Komintern reagierte auf diesen plötzlichen Richtungswechsel der Kuomintang mit Schweigen, oder eher mit einem Leugnen, daß es eine Unterdrückung gegen die Arbeiterklasse gegeben habe. Andererseits denunzierte die Stalin-Bucharin Fraktion jeden in der Komintern oder in der chinesischen KP, der diese Entwicklung des Bündnisses zwischen Kuomintang und KP kritisierte. Tschiang hatte diesen Staatsstreich als ein Vorspiel zu einer großen militärischen Expedition gegen die war-lords im Norden inszeniert. Diese nördliche Expedition war der verhängnisvolle Auftakt für die blutigen Ereignisse 1927 in Schanghai.

Tschiangs Truppen konnten spektakuläre Vorstöße gegen die nördlichen Militaristen unternehmen; hauptsächlich ist dies auf die Welle von Arbeiterstreiks und Bauernrevolten zurückzuführen, die zum Zusammenbruch der militärischen Kräfte des Nordens hinter der Front beitrugen. Das Proletariat und die armen Bauern kämpften gegen ihre schrecklichen Lebensbedingungen mit der Illusion, daß ein Sieg der Kuomintang ihre materielle Lage verbessern würde. Die Kommunistische Partei, die diese Illusionen nicht bekämpfte, sondern sie voll unterstützte, rief die Arbeiter nicht nur zum Kampf für den Sieg der Kuomintang auf, sondern begrenzte auch Arbeiterstreiks und Landbesetzungen durch die Bauern, als diese "zu weit gingen". Borodin, der Vertreter der Komintern, meinte, die Aufgabe der chinesischen Kommunisten und der chinesischen Arbeiterklasse bestünde darin, der "Kuomintang einen 'Kulidienst' zu erweisen".

Während die chinesische KP und die Komintern die "Auswüchse" des Klassenkampfes eifrig bekämpften, machte sich Tschiang an die Aufgabe der Niederschlagung des Proletariats und der Bauernkräfte, die ihm bei seinem Sieg geholfen hatten. Nachdem alle Arbeitskonflikte während des Nordfeldzuges verboten worden waren, schlug Tschiang die Arbeiterbewegung in Kanton, Kwangsi und anderen Städten seines Vorstoßes nieder. In der Provinz Kwangtung wurde die Bauernbewegung gegen die Grundbesitzer gewaltsam niedergemetzelt. Die Tragödie von Schanghai war nur der Höhepunkt dieses Prozesses.

Der Aufstand von Schanghai

Mit seinem Hafen und seiner Industrie war Schanghai das Zentrum des chinesischen Proletariats. Die erbitterten Kämpfe der Arbeiter gegen ihre Herrscher wurden von der Kuomintang und der chinesischen KP als eine Phase auf dem Weg des Sieges der "nationalen Revolution" gegen die war-lords gesehen. Als die Armee Kuomintangs sich auf die Stadt zu bewegte, rief der Allgemeine Arbeiterrat (von der KP angeführt) zu einem Generalstreik mit dem Ziel des Sturzes der herrschenden Klasse der Stadt und zur "Unterstützung der nördlichen Expeditionsarmee" auf. Tschiang Kai-schek sollte als Befreier begrüßt werden. Die Polizeibehörden übten einen furchtbaren Terror gegen die Arbeiterbevölkerung aus, deren Widerstandsgeist aber ungebrochen blieb. Am 21. März erhob sich die Arbeiterklasse erneut, dieses Mal war sie besser organisiert, 5.000 Milizen und zwischen 500.000 und 800.000 nahmen aktiv am Generalstreik und dem Aufstand teil. Polizeiwachen und Armeekasernen wurden angegriffen und erobert, Waffen an die Arbeiter ausgeteilt. Am nächster. Morgen befand sich die ganze Stadt in den Händen des Proletariats.

Eine unheilverkündende Übergangsphase setzte ein. Tschiang stand vor den Toren Schanghais, und konfrontiert mit diesem bewaffneten Arbeiteraufstand, begann er sofort Kontakt herzustellen mit den örtlichen Kapitalisten, Imperialisten und kriminellen Banden, um seine Niederschlagung vorzubereiten, genauso wie er es in allen anderen Landesteilen vorher gemacht hatte. Und während sich Tschiangs Absichten immer deutlicher abzeichneten, traten die Komintern und die chinesische KP weiterhin dafür ein, daß die Arbeiter der nationalen Armee vertrauen und Tschiang als Befreier begrüßen sollten. In der Zwischenzeit hatten zwar Tschiangs Unterdrückungsmaßnahmen eine Minderheit mißtrauisch gemacht, und sie zu der Einsicht in der Notwendigkeit eines Kampfes gegen Tschiang kamen lassen. In Rußland forderte z.B. Trotzki die Bildung von Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten als eine Grundlage für den bewaffneten Kampf gegen Tschiang und für die Errichtung der Diktatur. In China verteidigte eine Dissidentengruppe von Komintern-Repräsentanten -Albrecht, Nassonow u. Fokkine - eine ähnliche Position; sie warfen der chinesischen KP ihre Rückgratlosigkeit vor. Innerhalb der KP selbst rührten sich immer mehr Stimmen, die sich für einen Bruch mit der Kuomintang aussprachen. Aber die Parteiführung blieb der Linie der Komintern treu, demzufolge jeder Schritt gegen Tschiang nur der "Konterrevolution" nützen werde. Anstatt zur Gründung von Arbeiterräten aufzurufen, organisierte die chinesische KP einen" provisorischen örtlichen Stadtrat", in der sie als eine Minderheit neben der örtlichen Bourgeoisie teilnahm. Anstatt die Arbeiter vor den Absichten Tschiangs zu warnen, begrüßte die KP die Ankunft seiner Truppen in der Stadt. Anstatt den Klassenkampf zu verstärken, trat der KP-geführte General Labor Union gegen spontane Streiks auf und schnitt die Machtbefugnisse der bewaffneten Streikposten ein, die die Kontrolle in den Straßen ausübten. So vermochte Tschiang seinen Gegenangriff sorgfältig vorbereiten. Am 12. April, als er seine Söldner und kriminellen Banden loslegen ließ, waren viele Arbeiter nicht auf der Hut gewesen. Völlig \erwirrt reagierten sie auf diesen Gegenschlag. Trotz entschlossenen Widerstands der Arbeiter schaffte es Tschiang relativ schnell, die "Ordnung" nach einem Blutbad wiederherzustellen. Tausende von Arbeiter wurden auf der Straße erschossen, in Massengräbern verbrannt. Das Rückgrat der chinesischen Arbeiterklasse war gebrochen worden.

Einige Zeit nach dieser Katastrophe gaben Stalin und seine Gefolgsleute zu, daß die "Revolution einen Rückschlag erlitten" hatte. Trotzdem sei die Linie der chinesischen KP und der Komintern korrekt gewesen. Die Schanghaier Niederlage, behaupteten sie, sei "unvermeidbar" gewesen. Aber nachdem nun Tschiang und die ganze chinesische Bourgeoisie zur "Konterrevolution übergegangen waren", meinten sie es sei notwendig, daß die Arbeiter Arbeiterräte organisieren und selbst die Macht ergreifen. Diese neue Linie nahm in der "Kommune von Kanton" im Dez. 1927 Gestalt an; es handelte sich dabei um einen von der chinesischen KP organisierten Putsch in der Form eines selbsternannten "Arbeiterrates". Obgleich mehrere Tausend Arbeiter dem Aufruf der KP folgten und einen Arbeiterrat errichteten, war die Mehrheit der Klasse schon so demoralisiert durch die Verrate der KP und der Repression der Kuomintang, daß sie am Aufstand nicht teilnahmen.

Er endete in einem neuen Blutbad.

Der Tod der Kommunistischen Internationale

Stalin hatte sich sicherlich getäuscht, als er Tschiang zuviel Vertrauen geschenkte hatte und von ihm geglaubt hatte, er sei der beste Verteidiger russischer Interessen in China. Nachdem er die Arbeiterklasse in China niedergemetzelt hatte, rückte Tschiang wieder in den Einflußbereich der westlichen Imperialismen. Aber die Politik der Stalinisten war kein Fehler im Sinne von "taktischen Fehlern" in einer proletarischen Tendenz. Trotzki und die Linksopposition konnten dies nie verstehen. Der Stalinismus stellte den endgültigen Sieg der bürgerlichen Konterrevolution in Rußland und innerhalb der Komintern dar. 1928 beherrschten die Stalinisten die russische Partei vollständig, selbst die Linksopposition war ausgeschlossen worden, die Bürokratie hatte ihr Programm der beschleunigten Militarisierung und Industrialisierung als Vorbereitung des nächsten imperialistischen Weltkriegs in die Wege geleitet. Auf dem VI.Kongreß der Komintern 1928 zeichnete die formale Zustimmung zu der "Theorie des Sozialismus in einem Lande" das Todesurteil der Komintern.

Die Ereignisse des Jahres 1927 brachten auch den Tod der chinesischen KP als proletarische Organisation mit sich. Seit ihrer Gründung war sie unfähig gewesen, sich der Degenerierung der Komintern entgegenzustellen und sie hatte es zugelassen, als passives Instrument in den Dienst der Komintern gestellt zu werden. Ihre besten Elemente wurden in den Niederlagen von 1927 abgeschlachtet. Diejenigen, die das Massaker überlebten, entwickelten sich in zwei Richtungen: einige wenige wie Ch'en Tu-hsiu, einer führenden Figur vor 1927, fingen an die ganze Politik der Komintern in Frage zu stellen, verließen die Partei und schlossen sich der Linksopposition an. Aber der Rest, wie Mao Tsetung und Chou En-lai, blieben der stalinistischen Konterrevolution treu. Nachdem sie zur Niedermetzelung der Arbeiterklasse beigetragen hatten, hatten sie nun freie Bahn, um ihre neue Theorie und Praxis über die "führende Rolle" der Bauern in der "chinesischen Revolution" zu entwickeln. Die Niederlage in China im Jahre 1927 eröffnete eine neue Runde imperialistischen Abschlachtens. In all diesen Konflikten erwies sich die chinesische KP als ein treuer Diener des nationalen Kapitals, als Mobilisierungsagent der Massen für den Krieg gegen Japan in den 30er Jahren und den 2. Weltkrieg. So hatte sie gute Vorleistungen erbracht, um zum Führer des kapitalistischen Staates nach 1949 und zum Hauptkontrollorgan der Arbeiterklasse zu werden.

Die Arbeiterklasse in China, die mit diesen Kämpfen 1927 ein letztes internationales Aufbäumen der Arbeiterklasse insgesamt gezeigt hatte, wodurch die revolutionäre Welle von 1917 schließlich verebbt war, mußte den Preis für ihre eigene Unreife bezahlen. Die Arbeiterklasse in China hatte es nicht geschafft, aus der ideologischen Zwangsjacke der Kuomintang und des Nationalismus insgesamt auszubrechen und sich als eigenständige Klasse zu behaupten. Die internationale Niederschlagung der Weltrevolution ließ die Arbeiter in China in ihrer Isolierung und Verwirrung zurück, den Kräften der Konterrevolution ausgeliefert. Ihre großen spontanen Kämpfe hatten deswegen auf ein bürgerliches Terrain geführt und sie konnten schließlich niedergeschlagen werden.

Trotzki und die Lehren von 1927

Die Kritik der Linksopposition an der stalinistischen Sabotage der chinesischen Revolution, ihr Aufruf für einen unmittelbaren Kampf für die Arbeitermacht gegen die ganze chinesische Bourgeoisie (die Kuomintang eingeschlossen), war einer der letzten Augenblicke, als Trotzki und seine Anhänger eine revolutionäre Position verteidigten. Aber wie bei den meisten Positionen der Linksopposition kam alles zu spät und zu wenig; die wirklichen Lehren aus 1927 wurden von ihnen ohnehin nicht verstanden. Trotzki hatte erst 1926 angefangen, einen Bruch mit der Kuomintang zu verlangen. Er hatte sich nicht der fatalen Politik der anti-imperialistischen Einheitsfront von 1922 entgegengestellt, genauso wenig wie er dem Gegenstück im Westen, der sog. Arbeitereinheitsfront entgegengetreten war. Ebenso wenig sprach er sich gegen die Möglichkeit aus, daß die Arbeiter auch nur eine vorübergehende gemeinsame "militärische Front" mit der Kuomintang eingehen; selbst nach 1927 schloß er dies nicht aus. Diese Verwirrungen führte Trotzki und seine Anhänger später zur Verteidigung von offen konterrevolutionären Positionen im chinesisch-japanischen Krieg, als sie vertraten, der von Arbeiterblut triefende Tschiang Kai-schek sollte "kritisch" gegen die japanischen Eindringlinge unterstützt werden. So begannen die Trotzkisten ihre übliche Praxis der Unterstützung der einen oder anderen Seite in den inter-imperialistischen Kämpfen, die als sogenannte "Befreiungskriege" aufgebaut wurden.

Insbesondere stellte die Linksopposition die unantastbare Position der Unterstützung der nationalen Befreiungskämpfe, die Lenin auf dem II. Kongreß der Komintern 1920 vertreten hatte, nie in Frage. Trotz der Tatsache, daß Lenin auf der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der politischen Autonomie der Kommunisten in solchen Kämpfen bestanden hatte, was von der Komintern in ihrem Bündnis mit der Kuomintang total über Bord geworfen wurde, sollten die in diesen Thesen enthaltenen Verwirrungen den Weg bereiten für all die Mystifizierungen der "nationalen Revolution" und den "Stufen", die die Komintern eine kurze Zeit später vertrat. Schon 1921-23 hatte die Politik der Unterstützung der sog. "kolonialen Revolution" dazu geführt, daß lokale nationalistische Kräfte Arbeiter und Kommunisten in der Türkei und Persien niedermetzelten. Die kapitalistische Konterrevolution war ein weltweiter Prozeß gewesen, der das reaktionäre Wesen aller Fraktionen der kolonialen Bourgeoisie ans Tageslicht gebracht hatte.

In der dekadenten Phase des Kapitalismus kann es zu keinem Zeitpunkt eine Übereinstimmung der Interessen zwischen Bourgeoisie und Proletariat geben. Jeder Aufruf zur Bildung einer "vereinigten antiimperialistischen Front", "militärischer Blöcke" oder "antifaschistischer Fronten" mit einem sog. progressiven Teil der Bourgeoisie führt nur zur Entwaffnung und zum Abschlachten der Arbeiter. Nach dem Massaker von 1927 kann es daran keinen Zweifel geben. Die Arbeiterklasse kann sich nur durch ihre autonomen Organe und durch den entschlossenen Klassenkampf gegen alle kapitalistischen Fraktionen zur Wehr setzen. In einer Zeit, in der alle Nationalstaaten und alle nationalen Bourgeoisien nur eine Fessel für die Entwicklung der Produktivkräfte sind, hat die Arbeiterklasse keine nationalen Aufgaben zu verwirklichen. Ihre Zukunft liegt einzig und allein in der Errichtung des Kommunismus auf Weltebene.

(aus World Revolution, Zeitung der IKS in GB) CDW.

(Erstveröffentlichung in Weltrevolution Nr. 26, 1987)

Geographisch: 

  • China [2]

DAS REVOLUTIONÄRE WESEN DER ARBEITERKLASSE

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Wenn die Arbeiterklasse ihre Kraft offen zeigt, die Produktionsmaschinerie zu lähmen droht, den Staat zurückdrängt, ein Aufwallen des Lebens in der gesamten Gesellschaft entfesselt, wie es z.B. während des Massenstreiks in Polen im Sommer 1980 der Fall war, dann scheint die Frage, ob die Arbeiterklasse die revolutionäre Kraft unserer Zeit ist, als lächerlich. In Polen, wie in allen sozialen Bewegungen, die den Kapitalismus erschüttert haben, war das Herz der sozialen Bewegung nichts anderes als das Herz der Arbeiterklasse selber: die Schiffswerften der Ostsee, die Stahlbetriebe in Nowa Huta, die Bergwerke Schlesiens. Als die polnischen Bauern in den Kampf traten, die Studenten oder die Künstler den Staat bekämpfen wollten, war ihre erste Handlung,"sich an die Arbeiter zu wenden".

Wenn die Arbeiter die Kräfte, die sie atomisieren, zerschlagen, wenn sie sich gegen die herrschende Kraft vereinigen und ihr gesamtes Herrschaftsgebäude erschüttern, so daß diese zurückweichen muß, ist es einfach, gar unleugbar, zu verstehen, wie und weshalb die Arbeiterklasse die einzige Kraft ist, die in der Lage ist, eine revolutionäre Umwälzung in der Gesellschaft zu begreifen und durchzuführen.

Aber sobald der offene Kampf ruht, sobald das Kapital die Oberhand wiedergewinnt und seine Kontrolle über die Gesellschaft wieder verstärkt, dann scheint das zu verblassen, was eine Zeitlang so klar war, und das dekadente Kapital zwingt seinen Knechten seine eigene Auffassung der Welt auf: die einer unterworfenen, atomisierten Arbeiterklasse, die jeden Morgen schweigend zur Arbeit trottet und unfähig ist, die Fesseln des Kapitalismus selber zu zerbrechen.

Wenn die Arbeiterklasse ihre Kraft offen zeigt, die Produktionsmaschinerie zu lähmen droht, den Staat zurückdrängt, ein Aufwallen des Lebens in der gesamten Gesellschaft entfesselt, wie es z.B. während des Massenstreiks in Polen im Sommer 1980 der Fall war, dann scheint die Frage, ob die Arbeiterklasse die revolutionäre Kraft unserer Zeit ist, als lächerlich. In Polen, wie in allen sozialen Bewegungen, die den Kapitalismus erschüttert haben, war das Herz der sozialen Bewegung nichts anderes als das Herz der Arbeiterklasse selber: die Schiffswerften der Ostsee, die Stahlbetriebe in Nowa Huta, die Bergwerke Schlesiens. Als die polnischen Bauern in den Kampf traten, die Studenten oder die Künstler den Staat bekämpfen wollten, war ihre erste Handlung,"sich an die Arbeiter zu wenden".

Wenn die Arbeiter die Kräfte, die sie atomisieren, zerschlagen, wenn sie sich gegen die herrschende Kraft vereinigen und ihr gesamtes Herrschaftsgebäude erschüttern, so daß diese zurückweichen muß, ist es einfach, gar unleugbar, zu verstehen, wie und weshalb die Arbeiterklasse die einzige Kraft ist, die in der Lage ist, eine revolutionäre Umwälzung in der Gesellschaft zu begreifen und durchzuführen.

Aber sobald der offene Kampf ruht, sobald das Kapital die Oberhand wiedergewinnt und seine Kontrolle über die Gesellschaft wieder verstärkt, dann scheint das zu verblassen, was eine Zeitlang so klar war, und das dekadente Kapital zwingt seinen Knechten seine eigene Auffassung der Welt auf: die einer unterworfenen, atomisierten Arbeiterklasse, die jeden Morgen schweigend zur Arbeit trottet und unfähig ist, die Fesseln des Kapitalismus selber zu zerbrechen.

Es fehlt dann nicht an "Theoretikern", die es jedem, der es hören will, gerne lang und breit erklären, daß die Arbeiterklasse als solche integriertes Bestandteil des Systems ist, daß sie innerhalb des Systems einen Platz zu verteidigen hat,und daß nur blinde Fanatiker diese Masse von geldgierigen und geldbewußten Individuen als den Träger einer neuen Gesellschaft ansehen können.

Die ständigen Verteidiger der Wohltaten des kapitalistischen Systems - ob in seiner "westlichen" oder "stalinistischen" Form - legen immer das gleiche Glaubensbekenntnis ab. Aber in den Rückflußphasen des Klassenkampfes tauchen auch regelmäßig Gruppen oder Publikationen wieder auf, die die "Zweifel" an der historischen Natur der Arbeiterklasse theoretisieren; das geschieht selbst bei denjenigen, die sich auf die kommunistische Revolution berufen, und die außerdem keine Illusionen über die Natur der sogenannten "sozialistischen" Länder oder der westlichen sog. "Arbeiterparteien" haben.

Die alten Ideen anarchistischen oder populistischen Ursprungs, denen zufolge die Revolution hauptsächlich das Werk nicht einer spezifischen ökonomischen Klasse, sondern der gesamten Menschen sein wird, die auf irgendeine Weise die Unmenschlichkeit des Systems ertragen, gewinnen wieder an Einfluß.

So wie zur Zeit des Rückflusses der Arbeiterkämpfe nach der Kampfwelle von 1968-74 scheint die "modernistische" Ideologie, die Ideologie der "modernen Theorie der Revolution", die die "alte Arbeiterbewegung"und "ihren verstaubten Marxismus" verwirft,zur Zeit mit dem Rückfluß der Arbeiterkämpfe nach Polen einen Aufschwung zu erfahren. Das Erscheinen der Revue "I,a Banquise"(1) und der Übergang zum vierteljährlichen Erscheinen der Revue "La Guerre Sociale" (2) in Frankreich, sowie das Wiedererscheinen von "Solidarity" (3) in GB sind Beispiele dieser Entwicklung (4).

Diese Publikationen sind relativ unterschiedlich voneinander. "La Guerre Sociale" und "La Banquise" verfolgen eine direktere theoretische Linie, die durch "Invariance"und"Le Mouvement Communiste" geht.(5) Aber alle teilen die gleiche Ablehnung dieser Grundidee des "alten Marxismus": die Arbeiterklasse ist die einzig wirklich revolutionäre Klasse der Gesellschaft; die Zerstörung des Kapitalismus und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft erfordern eine Übergangsperiode, die durch die politische Diktatur des Proletariats gekennzeichnet ist.

Wir wollen hier keine vollständige Kritik der gesamten, von dieser Art Strömung vertretenen Ideen entwickeln. Im übrigen ist die Polemik mit diesen Tendenzen oft steril und langweilig, da es sich erstens um informelle Gruppen handelt (die darauf stolz sind), die verschiedene "unabhängige" Individuen gruppieren, so daß man von einem Artikel zum anderen in der gleichen Publikation unterschiedliche, sich widersprechende Konzepte und Ideen findet, und zweitens vertreten die Anhänger des Modernismus ständig Zweideutigkeiten und "Ja, aber", "Nein, aber" vor allem gegenüber dem Marxismus, auf dessen Wortschatz sie sich oft und mit Leichtfertigkeit stützen (Marx wird bei jeder Gelegenheit zitiert), dabei aber das Wesentliche des Marxismus verwerfen. Deshalb können sie immer auf die Kritiken mit dem klassischen Satz antworten "so haben wir das nicht gesagt, Ihr entstellt unsere Ideen".

Unser Ziel ist es, in einem Zeitraum des vorübergehenden Zurückweichens der Klassenkämpfe und des sich beschleunigenden Heranreifens der sozialen Voraussetzungen für die kommunistische Revolution, die zentrale Rolle der Arbeiterklasse erneut zu bestätigen, zu erklären, warum sie die revolutionäre Klasse ist, und warum die Verwerfung dieser Tatsache heutzutage einerseits zu einem Unverständnis des Laufs der Geschichte, wie sie sich vor unseren Augen abspielt, führt (siehe z.B. den Pessimismus von "La Banquise"), und andererseits dazu verleitet, in die gröbsten Fallen der bürgerlichen Ideologie zu rennen (siehe die Zweideutigkeiten von "La Guerre Sociale" und von "Solidarity" über die Gewerkschaft "Solidarnosc" in Polen). Dies ist umso notwendiger, als manche modernistische Gruppen - so wie die "radikalen" Studenten von 1968 - oft eine klare und vertiefte Analyse bestimmter Aspekte des dekadenten Kapitalismus liefern, wodurch die Glaubwürdigkeit ihrer politisch unsinnigen Aussagen nur noch zunimmt.

WAS IST DAS PROLETARIAT ?

Bei Marx, wie bei allen Marxisten, waren die Begriffe Arbeiterklasse und Proletariat seit jeher gleichbedeutend. Dennoch kommt es oft vor, daß von denjenigen, die die revolutionäre Natur der Arbeiterklasse als solcher in Frage stellen, ohne sich dabei direkt auf den Anarchismus oder den radikalen Populismus des Ende des letzten Jahrhunderts berufen zu wollen, ein Unterschied zwischen beiden Begriffen erfunden wird. Die Arbeiterklasse, das wären demnach die Arbeiter und Angestellten, die alltäglich unter dem Joch des Kapitals für bessere Löhne und Arbeitsplätze kämpfen. Das Proletariat wäre eine mehr oder weniger definierte Kraft, die alles, was sich irgendwann gegen die Autorität des Staates auflehnt, zusammenschließt. Das geht vom Stahlarbeiter über die geschlagenen, reichen oder armen Frauen, die Homosexuellen oder Studenten bis hin zum professionellen Dieb, je nach dem "modernistischen Denker"(siehe wie fasziniert die "Situationi'siische Internationale" oder "Mouvement Communiste" von den "Gesetzlosen" waren, siehe die Zeitung "Die Rowdys" in den 70er Jahren, siehe die Begeisterung von "Solidarity" für den Feminismus).

In der Zeitschrift "Invariance"(Camatte) wurde 1974 die Definition des Proletariats letztendlich bis zu ihrem Extrem geführt: es umfaßt die gesamte Menschheit. Aus dem Verständnis heraus, daß die Herrschaft des Kapitalismus über die Gesellschaft immer totalitärer und unpersönlicher geworden ist, schloß man, daß sich die "menschliche Gemeinschaft" gegen das Kapital erheben müßte. Dies bedeutete die Verwerfung des Klassenkampfes als Dynamik der Revolution. Heute bietet uns "La Guerre Sociale" eine andere, etwas einschränkende, aber kaum präzisere Definition an: "Der Arbeiter ist nicht der Arbeiter oder gar der Arbeiter oder Angestellte, der auf der untersten Stufe arbeitet. Der Proletarier ist nicht der Produzent, auch wenn der Produzent Proletarier sein kann. Der Proletarier, das ist der "Abgeschnittene", "Ausgeschlossene", der "ohne Rückhalt" ist". ("La Guerre Sociale", Nr. 6, "Offener Brief an die Genossen der weiterbestehenden Internationalen Kommunistischen Partei", Dez. 82). Tatsächlich ist der Proletarier ausgeschlossen, von jeglichem wirklichen Einfluß auf die Führung des sozialen Lebens und somit seines eigenen abgeschnitten. Tatsächlich - und im Gegensatz zu bestimmten vorkapitalistischen ausgebeuteten Klassen - besitzt er nicht seine Produktionsmittel und lebt ohne Reserven. Aber der Proletarier ist nicht j nur das. Er ist nicht nur ein Armer wie andere. Er ist auch Produzent, der Produzent des Mehrwerts, der in Kapital verwandelt wird. Er wird kollektiv ausgebeutet beutet und sein Widerstand gegen das Kapital ist unmittelbar kcllektiv. Das sind wesentliche Unterschiede.

Die Definition des Proletariats auszuweiten, führt nicht zu einer Vergrößerung der revolutionären Klasse, sondern zu ihrer Auflösung im Nebel des Humanismus.

Nach "Invariance" glaubt "La Banquise" sich auf • Marx beziehen zu können, um den Begriff "Proletariat" ausdehnen zu können.

"Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Prozeß des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters,d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehn. Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehn"(Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, S.531, S.Abschnitt,l4.Kap.).

Marx entwickelte hier nicht die Idee, daß irgendjemand und jeder auf der Welt Produzent oder Proletarier geworden sei. Er betonte vielmehr, daß im entwikkelten Kapitalismus die spezifische Qualität einer von diesem oder jenem Arbeiter geleisteten Arbeit kein Maßstab dafür sei, um zu bestimmen, ob er produktiv ist oder nicht. Mit der Veränderung des Produktionsprozesses nach seinen Bedürfnissen beutet das Kapital die ge;amte von ihm gekaufte Arbeitskraft wie die eines

ein-zigen produzierenden Arbeiters aus. Die konkrete Verwendung jedes einzelnen Arbeiters - ob Bäckergehilfe pder Büroangestellter, Rüstungsarbeiter oder Straßenreger - ist zweitrangig für die Bedeutung der Frage, wer vom Kapital ausgebeutet wird. Die kollektive Gekamtheit wird ausgebeutet. Das Proletariat schließt heute als Arbeiterklasse die meisten Angestellten des sogenannten "tertiären" Sektors ein.

Trotz ihrer gewaltigen Entwicklung hat die Herrschaft des Kapitals nicht die gesamte Gesellschaft proletarisiert. Das Kapital hat riesige Massen von beschäftigungslosen Randgruppen vor allem in der 3. Welt hervorgebracht. Es hat die vorkapitalistischen Bereiche wie die individuellen Kleinbauern, die Kleinhändler, die Handwerker , die Freiberuflichen überleben lassen.

Das Kapital beherrscht alle Bereiche der Gesellschaft.Und alle diejenigen, die unter seiner Herrschaft der Misere leben, haben Grund genug, sich gegen diese Herrschaft zu erheben. Aber nur der Teil, der durch die Lohnarbeit und die Produktion des Mehrwerts mit dem Kapital direkt verbunden ist, steht wirklich im Gegensatz zum Kapital, nur dieser Teil bildet das Proletariat, die Arbeiterklasse.

WARUM IST DAS PROLETARIAT DIE REVOLUTIONÄRE KLASSE ?

Vor Marx blieb die Dynamik der Geschichte der Gesellschaft ein Geheimnis. Man bezog sich auf religiöse Begriffe wie die "Vorsehung", auf das Genie militärischer Führer oder erklärte die Geschichte durch große Persönlichkeiten, und versuchte so ein kohärentes Bild darzustellen. Durch die Verdeutlichung der zentralen Rolle des Klassenkampfes in dieser Dynamik ermöglichte der Marxismus zum ersten Mal ein Verständnis dieser Dynamik. Dadurch wurde aber nicht ein Mittel zur Interpretierung der Welt geschaffen, sondern eine Auffassung zur Veränderung der Welt. Marx betrachtete als seine größte Entdeckung nicht die Existenz des Klassenkampfes an sich - was im übrigen von den bürgerlichen Theoretikern schon aufgezeigt worden warsondern die Tatsache, daß dieser Klassenkampf zur Diktatur des Proletariats führt.

Der unversöhnliche Widerspruch zwischen Arbeiterklasse und Kapital muß Marx zufolge zu einem revolutionären Kampf für die Zerstörung der kapitalistischen sozialer Verhältnisse und die Einführung einer kommunistischer Gesellschaft führen. Der Hauptträger dieser Revolutior wird die Arbeiterklasse sein; sie wird sich als autonome Klasse gegenüber dem Rest der Gesellschaft organisieren und eine politische Diktatur ausüben müssen, damit die Grundlagen der alten Gesellschaft vollständig zerstört werden. Diese Analyse wird von den Modernisten verworfen:

"Um ihre Existenzbedingungen wirklich zu verändern, dürfen sich die Proletarier nicht als "Arbeiterklasse erheben; das gerade ist aber schwierig, da sie ausge-+ rechnet von ihren Lebensbedingungen ausgehend kämpfen Der Widerspruch wird erst in der Theorie völlig geklärt werden, wenn er in der Praxis überwunden sein wird" ("La Banquise" Nr. 1) "Das Proletariat hat nich als gesellschaftliche Kraft aufzutreten, bevor es die Welt verändert" (ebenda, Nr. 2).

"Aber schon jetzt verschließt man sich in dieser Un terdrückung, wenn man sich nicht als Proletarier ode als Mensch dagegen wehrt, und nicht auf der Grundlage einer zu verteidigenden oder zu erhaltenden Spezifizi tät, die ohnehin mehr und mehr illusorisch wird. Das Schlimmste ist, wenn man aus dieser Spezifizität ableitet, daß das Proletariat die Fähigkeit zur Revo te habe" ("La Guerre Sociale", Nr. 5, S.32).

Die Modernisten wissen nicht, was das Proletariat ist weil sie nicht verstehen, warum es revolutionär ist. Warum sollte sich das Proletariat getrennt als Klasse organisieren, wenn es für die Abschaffung der Klasse kämpfen muß? Für die Modernisten ist die Arbeiterkla se als Klasse nicht revolutionärer als irgendjemand anders: als Klasse bleibt ihr Kampf im Rahmen der Lohnerhöhungsstreitigkeiten und der Verteidigung der Sklavenarbeit begrenzt. Statt sich als politische Klasse zu bilden, sollte sich also das Proletariat als Klasse verneinen und sich als "...Menschen" behaupten. Das Schlimmste, sagt "La Guerre Sociale" sei, aus einer Besonderheit - z.B. Arbeiter zu seineinen "Ansatzpunkt oder ein Terrain für die Fähigkeit zur Revolte" zu machen.

Für die Modernisten scheint die Geschichte immer mit ihnen selbst zu beginnen. Die Pariser Kommune, der Massenstreik in Rußland 1905, die Oktoberrevolution von 1917, die revolutionäre Bewegung in Deutschland von 1919, all das habe nichts aufgezeigt, nichts gelehrt. "Der Widerspruch kann erst in der Theorie völlig geklärt werden, wenn er in der Praxis überwunden sein wird", sagt "La Banquise". Wer hat aber die revolutionären Kämpfe seit mehr als einem Jahrhundert gegen das Kapital geführt, wenn nicht die Arbeiterklasse, die für die Verteidigung ihrer spezifischen Bedürfnisse kämpfte.

Warum war das immer so?

"Weil die Abstraktion von alter Menschlichkeit, selbst von dem Schein der Menschlichkeit im ausgebildeten Proletariat praktisch vollendet ist, weil in den Lebensbedingungen des Proletariats alte Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft in ihrer unmenschlichsten Spitze zusammengefaßt sind, weit der Mensch in ihm sich selbst verloren, aber zugleich nicht nur das theoretische Bewußtsein dieses Verlustes gewonnen hat, sondern unmittelbar durch die nicht mehr abzuweisende, nicht mehr zu beschönigende, absolut gebieterische Not - dem praktischen Ausdruck der Notwendigkeit - zur Empörung gegen diese Unmenschlichkeit gezwungen ist, darum kann und muß das Proletariat sich selbst befreien. Es kann sich aber nicht selbst befreien, ohne seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben. Es kann seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alte unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben" (Marx, "Die heilige Familie", -Der dialektische Gegensatz von Proletariat und Reichtum-).

Dies ist die Besonderheit der Arbeiterklasse: ihre unmittelbaren und historischen Interessen treffen mit denen der ganzen Menschheit zusammen, was bei keiner anderen Schicht der Gesellschaft zutrifft. Sie kann sich von der kapitalistischen Lohnarbeit als der vollendetsten Form der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nur befreien, indem sie jegliche Form der Ausbeutung abschafft. Daraus folgt keineswegs, daß alle Teile der Menschheit die materielle Kraft und das notwendige Bewußtsein besitzen, um eine kommunistische Revolution in Angriff zu nehmen.

Die Arbeiterklasse stützt ihre Kraft vor allem auf ihrer zentralen Stellung im Produktionsprozeß. Das Kapital besteht nicht aus Maschinen und Rohstoffen, es ist ein gesellschaftliches Verhältnis. Wenn die Arbeiterklasse durch ihren Kampf gegen dieses Verhältnis antritt, ist das Kapital sofort gelähmt. Es gibt kein Kapital ohne Mehrwert, kein Mehrwert ohne die Arbeit der Proletarier. Darin besteht die Kraft der Massenstreikbewegungen. Dies erklärt auch zum Teil, warum die Arbeiterklasse materiell die Zerstörung des Kapitalismus in Angriff nehmen kann. Aber das reicht nicht aus zu erklären, warum sie die Grundlage einer kommunistischen Gesellschaft schaffen kann.

Die Sklaven von Spartakus in der Antike, oder die Leibeigenen im Feudalismus besaßen auch eine zentrale, bestimmende Stellung im Produktionsprozeß. Dennoch konnten ihre Revolten zu keiner kommunistischen Perspektive führen.

"Die Spaltung der Gesellschaft in eine ausbeutende und eine ausgebeutete, eine herrschende und eine unter" (F. Engels, in "Antti-Dühring", Dritter Abschnitt, Sozialismus, II. Theoretisches).

drückte Klasse war die notwendige Folge der frühern geringen Entwicklung der Produktion. Solange die gesellschaftliche Gesamtarbeit nur einen Ertrag liefert, der das zur notdürftigen Existenz aller Erforderliche nur um wenig übersteigt, solange also die Arbeit alle oder fast alle Zeit der großen Mehrzahl der Gesellschaftsmitglieder in Anspruch nimmt, solange teilt sich die Gesellschaft notwendig in Klassen

Das Proletariat ist Träger des Kommunismus, weil die kapitalistische Gesellschaft die materiellen Mittel zu seiner Verwirklichung geschaffen hat. Indem er die materiellen Reichtümer der Gesellschaft soweit entwickelt hat, so daß ein ausreichender Überfluß möglich geworden ist, um die ökonomischen Gesetze abzuschaffen - d.h. die Verwaltungsgesetze des Mangels - hat der Kapitalismus eine revolutionäre Perspektive für die Klasse eröffnet, die er ausbeutet.

Letztendlich ist das Proletariat Träger der kommunistischen Revolution, weil es der Träger des kommunistischen Bewußtseins ist. Wenn man die halbreligiösen, vorkapitalistischen Auffassungen einer ausbeutungslosen Gesellschaft beiseite läßt, stellt man fest, daß sich das Projekt einer kommunistischen Gesellschaft ohne Privateigentum, ohne Klassen, in der die Produktion ausschließlich auf die menschlichen Bedürfnisse orientiert ist, mit der Existenz der Arbeiterklasse und ihren Kämpfen entstand und sich entwickelte. Die sozialistischen Ideen von Babeuf, SaintSimon, Owen, Fourier drückten die Entwicklung der Arbeiterklasse am Ende des 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts aus. Die Entstehung des Marxismus, der ersten kohärenten und wissenschaftlich begründeten Theorie des Kommunismus, entspricht dem Erscheinen der Arbeiterklasse als politisch spezifische Kraft (Chartismus in England, Revolutionen von 1848). Seitdem haben alle wichtigen Käm' Dfe der Arbeiterklasse auf die eine oder andere Weise mit mehr oder weniger Klarheit die kommunistischen Ideen aufgegriffen.

Die kommunistischen Ideen, die revolutionäre Theorie, haben sich nur durch und im Hinblick auf das Verständnis der Arbeiterkämpfe entwickelt. Alle großen Schritte der Theorie der kommunistischen Revolution nach vorn waren das Produkt logischer Schlußfolgerungen nicht von einigen isolierten Denkern, sondern von militanten und engagierten Analysen der großen Schritte der wirklichen Bewegung der Arbeiterklasse.

Aus diesem Grund konnte auch nur die Arbeiterklasse die Zerstörung der kapitalistischen Macht in einem kommunistischen Sinn in der Praxis (Pariser Kommune, Oktober 1917) in Angriff nehmen.

Die Geschichte der kommunistischen Bewegung ist nichts anderes als die Geschichte der Arbeiterbewegung.

Bedeutet das, daß das Proletariat die Revolution allein machen und dabei den Rest der Gesellschaft ignorieren kann ? Seit dem 19. Jahrhundert weiß das Proletariat, daß der Kommunismus die "Vereinigung der menschlichen Gattung" sein muß. Die Erfahrung der Russischen Revolution hat ihm die Wichtigkeit der Unterstützung aller ausgebeuteten Schichten für seinen Kampf klar aufgezeigt. Aber die Erfahrung hat auch verdeutlicht, daß nur das Proletariat in der Lage ist, ein kohärentes revolutionäres Programm anzubieten. Die Vereinigung der Menschheit, und im ersten Moment aller Ausgebeuteten, kann nur auf der Grundlage der Aktivität und des Programms der Arbeiter-klasse geschehen. Das Proletariat spaltet nicht die Gesellschaft, indem es sich getrennt organisiert, sondern es gibt sich die Mittel, die kommunistische Vereinigung durchzuführen.

Deshalb beginnt im Gegensatz zu den Behauptungen der Modernisten der Weg zur kommunistischen Revolution mit der einheitlichen Organisierung der Arbeiterklasse als Kraft mit der Diktatur des Proletariats.

Der Modernismus und seine Irrwege

DIE HISTORISCHE PERIODE

Wenn man außer Acht läßt, daß die Arbeiterklasse die revolutionäre Kraft ist, ist es sehr schwer,die jetzige historische Periode zu verstehen, genauso schwer ist es, das Ende des Feudalismus zu verstehen, wenn man die Entwicklung der revolutionären Bourgeoisie nicht berücksichtigt.

Es ist schwer zu erkennen, ob die Bedingungen für einen revolutionären Umsturz heranreifen, wenn man den Träger dieser Revolution nicht identifizieren kann.

Wer die Geschichte der Arbeiterbewegung kennt und ihre revolutionäre Natur begreift, weiß, daß der Prozeß, der das Proletariat zur kommunistischen Revoluiton führt, weder geradlining noch automatisch ist. Er ist eine dialektische Dynamik mit Rückschritten und Vorstößen, in denen eine lange Praxis und Erfahrung des Kampfes es Millionen von Arbeitern ermöglicht sich zu vereinigen, die Lehren aus vorangegangenen Kämpfen zu ziehen, die Fesseln der herrschenden Ideologie zu zerschlagen, um einen neuen Angriff gegen die herrschende Ordnung unter dem Druck der Misere zu starten. Wenn man aber in den Arbeiterkämpfen der Klasse als solcher nur aussichtslose Kämpfe sieht, und diese nicht in ihrer Dynamik und ihrem revolutionären Potential beqreift, kann man nur "enttäuscht" sein.

Wenn man die Kämpfe wie die in Polen 1980 als Kämpfe "innerhalb" des Kapitals betrachtet, kann man 15 Jahre nach dem Mai 1968 nur deprimiert sein; es ist auch normal, daß man trotz des momentanen Rückflusses der Arbeiterkämpfe seit 1980 die Bedeutung der Streiks, welche hier und da in den Industriezentren (Belgien 82, Italien 83) stattfanden, unterschätzt, ebensowenig kann man dann auch nicht die Bedeutung der Tatsache erkennen, daß die Arbeiter sich nicht für die Interessen des nationalen Kapitals und für ihre Gewerkschaftsführer mobilisieren lassen, sondern eher zu gewalttätigen Zusammenstößen mit den Gewerkschaften neigen.

So beginnt z.B. die erste Nummer von "La Banquise" mit diesem Satz, der von der Nostalgie und den Barrikaden des Mai '68 in Paris geprägt ist und einen depressiven Ton aufweist:

"Unter dem Pflasterstein Ziegt der Strand', sagten wir von der großen Eiszeit. Heute hat das Packeis all das bedeckt. Zehn, zwanzig, hundert Meter Eis über dem Pflasterstein, dann der Strand..."

Diese Niedergeschlagenheit ist so senil wie die Begeisterung der radikalen Studenten von 1968 kindisch war, die "Alles sofort" wollten.

OHNMACHT UND KONFUSION DES MODERNISMUS GEGENÜBER DEM KLASSENKAMPF

Es ist kein Zufall, daß modernistische Publikationen wie "Solidarity" oder "La Guerre Sociale" zur Zeit der Arbeiterkämpfe in Polen ihr Erscheinen einstellten. Ebenso wie die Kleinbourgeoisie, die in der modernistischen Strömung einen "radikalen" Ausdruck findet, lebt diese Strömung in der Zweideutigkeit und der Unschlüssigkeit, zwischen der Ablehnung der bürgerlichen Ideologie und der Verachtung für die allzu "materiellen" Kämpfe der Arbeiter. Wenn sich die Kraft der Revolution wie in Polen behauptet, neigt die Geschichte dazu, sich der Zweideutigkeiten und somit der darin versinkenden Ideologien zu entledigen. Das gleiche geschah mit dem Modernismus während des Jahres 1980.

Aber leider hört die politische Verwirrung dieser Strömung nicht mit ihrer Ohnmacht auf. Sie kann sogar zu überaus platten linkskapitalistischen Positionen führen, wenn es darum geht, zu einem Kampf der Ärbeiterk1asse Stellung zu beziehen.

So z.B. "La Guerre Sociale", die neben den Trotzkisten und anderen Demokraten heute behauptet, die Gewerkschaft "Solidarnosc" - welche die Niederlage der Arbeiter in Polen organisierte - sei ein proletarisches Organ: "Ohne Zweifel ist "Solidarnosc" ein Organ des Proletariats. Die Tatsache, daß Elemente aus anderen geseZZschaftZichen Schichten als der ArbeiterkZasse (Intellektuelle und andere) an ihrer Führungsspitze Platz genommen haben, ändert nichts an der Tatsache, daß sich das Proletariat von vornerein damit identifiziert hat. Wie sollte man sonst erklären, daß beinahe das gesamte polnische Proletariat ihr beigetreten ist? Wie sollte man den Einfluß der Gewerkschaft auf das Proletariat erklären? ("La Guerre Sociale", Nr. 6).

Diese Art bornierter Beweisführung ist typisch für die extremen Linken und die Ausrichtung der degenerierenden 3. Internationalen. Dieser Logik zufolge sollte die polnische Kirche, die mehr Anhänger unter den Arbeitern als Solidarnosc hat, "ohne Zweifel ein Organ des Proletariats" sein und der Papst... Lenin!

"La Guerre Sociale" spricht auch in allgemeinen Begriffen von dem Wesen der Gewerkschaften, serviert uns aber dabei den alten Kaffee der Gruppe "Pouvoir Ouvrier" (Gruppe in Frankreich Ende der 60er Jahre, stammte auch von "Socialisme ou Barbarie") hinsichtlich der "Doppelnatur der Gewerkschaften":

"Der Hauptunterschied zwischen "Solidarnosc" und dem polnischen Pr,)Zetariat ist, daß die erste die nationaZen und internationalen ökonomischen Interessen berücksichtigte, während das zweite die Verteidigung seiner unmittelbaren Interessen verfolgte, ohne sich im geringsten um die Probleme der Kapitalverwertung zu kümmern" (ebenda).

Im dekadenten Kapitalismus gibt es keine Zusammenarbeit zwischen Kapitalisten und Arbeitern zugunsten der Arbeiter. Die Auffassung einer Identität zwischen Gewerkschaften und Arbeiterklasse ist heute nichts anderes als Propaganda der herrschenden Klassen (die im übrigen auf Weltebene zusammenarbeiten, um eine glaubwürdige Gewerkschaft "Solidarnosc" aufzubauen). Die Auffassung beinhaltet, daß es eine Gemeinsamkeit zwischen den Interessen des Kapitals und denen des Proletariats geben könnte; diese Auffassung ignoriert die revolutionäre Natur der Arbeiterklasse. So kann "La Guerre' Sociale" folgende naive Feststellung machen: "Die Gewerkschaft ist kein Organ des Kapitals, keine Kriegsmaschine gegen das Proletariat, sondern der organisationelle Ausdruck dessen Verhältnis zum Kapital: Gegensatz und Kooperation. Dies bringt zum Ausdruck, daß das Kapital ohne das Proletariat nichts ist und gleichfalls umgekehrt" (ebenda).

Nur wenn man die revolutionäre Natur des Proletariats ignoriert und die Arbeiterklasse hauptsächlich als einen Teil des Kapitals betrachtet und nicht als seinen Zerstörer, kann man irgendeine Gleichheit zwischen den nationalen und internationalen ökonomischen Interessen des "Kapitals" und den "unmittelbaren Interessen" des Proletariats sehen.

Die Verwirrung, die aus der fehlenden Erkenntnis des Wesens der Arbeiterklasse entsteht, führt somit zu gleichen Auffassung wie die der Linken, die der radikale Modernismus so sehr kritisiert.

Das Proletariat ist die erste revolutionäre Klasse der Geschichte, die gleichzeitig eine ausgebeutete Klasse ist. Der Kampfprozeß, durch den das Proletariat zur kommunistischen Revolution übergeht, weist unvermeidlich Perioden der Rückflüsse und Rückzüge auf. Diese Rückflüsse werden nicht nur durch die Abnahme der Anzahl von Arbeiterkämpfen gekennzeichnet. Auch auf der Ebene des Bewußtseins erlebt das Proletariat eine Verwirrung, die sich in der Abschwächung ihrer politischen revolutionären Ausdrücke aufzeigt, und die ebenfalls das Wiederentstehen von politischen Strömungen ermöglicht, die "Zweifel an der Arbeiterklasse" hegen.

Der Bruch, den die Kämpfe von 1968 mit einem halben Jahrhundert siegreicher Konterrevolution vollzogen, hat einen Kurs zur Entwicklung immer entscheidenderer Klassenzusammenstössen eröffnet. Dieser Kurs wurde durch den Rückfluß nach Polen ebensowenig umgekehrt wie durch den Rückfluß von 1975-78. Die historischen Bedingungen dieses Riickflusses werden mit der Vertiefung der ökonomischen Krise zunehmend schwächer wirksam, da die Realität langsam aber sicher die Fundamente der dekadenten, bürgerlichen Ideologie zerstört (Wesen der Ostblockländer, Wohlfahrtsstaat, parlamentarische Demokratie, Gewerkschaften, Kämpfe für nationale Befreiung usw.).

Alle Bedingungen-reifen heran, damit das Proletariat mit all seiner Kraft durch seinen Kampf die Zukunft der Menschheit erneut aufzeigt und alle Zweifel hinsichtlich seiner revolutionären Natur hinwegfegt. R.V.

(1) "La Banquise", B.P. 214, 75623 Paris, Cede 13, F.

(2)'"La Guerre Sociale", B.P.88,75623 Paris,Cedex 13 ' Erschien von 1977 bis 1979 jährlich, verschwand dann 1980, dem Jahr der großen Kämpfe in Polen... tauchte dann im Mai '81 wieder auf und erscheint seit Juni '82 vierteljährlich. Die Gruppe Solidarity stammt aus den 60er Jahren., Während der 70er Jahre veröffentlichten sie relativ regelmäßig eine Revue mit dem cJleichen Namen. Aber im Herbst 1980 verschwand die Revue, weil die Gruppe unfähig aar, eine kohärente Position zu den Kämpfen in Polen und eine Einstellung zu Solidarnosc zu beziehen.

Diese 3 Gruppen sind mehr oder weniger direkt oder indirekt mit "Sozialismus oder Barbarei" verbunden, einer Zeitschrift während der 50er und 60er Jahre, deren Hauptträger Castoriadis (alias Chaulieu, Cardan, Coudray) war und die die meiste Zeit damit verbrachten, das Veraltetsein des Marxismus zu theoretisieren.

(3) (4)

(aus der INTERNATIONALEN REVUE, Nr. 35, drittes Quartal 1983) Erstveröffentlichung in Weltrevolution Nr. 12, 1983

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [1]

Februar 2007

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Der Spartakusaufstand: Eine Inspiration für das Proletariat

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Der weltweite Erfolg des Films Gladiator hat ein erneuertes Interesse am alten Rom und der Rolle der Gladiatoren erzeugt. Wenn man sich mit dieser Frage befasst, stößt man auf den Sklavenkrieg zwischen 73 und 71 v. Chr., welcher von dem Gladiator Spartakus angeführt wurde. Im Gegensatz zu dem im Film auftretenden Gladiator, welcher die im Zentrum stehende Figur und seine kleine Gruppe von Gladiatoren dem bösen Kaiser Kommodus gegenüberstellt, beteiligten sich an der wirklichen Sklavenrevolte 100.000 oder mehr Sklaven im Kampf gegen ihre römischen Unterdrücker. Dabei besiegten sie immer wieder die als unbesiegbar geltenden Legionen. Obwohl sie blutig niedergeschlagen wurde, inspirierte diese Revolte revolutionäre Bewegungen. Die größte Gruppe von Revolutionären in Deutschland, welche sich gegen den 1. Weltkrieg stellte, nannte sich Spartakusbund. Damit wollte sie ihre Entschlossenheit, einen Krieg gegen die herrschende Klasse zu führen, zum Ausdruck bringen. Und wie im Falle Spartakus und der Sklavenarmee wurde der revolutionäre Kampf der Arbeiter in Deutschland im Blut ertränkt. Folglich wurde der Name Spartakus zum Inbegriff der revolutionären Bestrebungen der Ausgebeuteten. Dagegen dreht sich der Film ’Gladiator’ um den Helden und seine kleine Gruppe von Anhängern, welche gegen den ach so bösen Kommodus für ein Reich eintraten, das sich auf "Gerechtigkeit" stützte (die Ausbeutung von Sklaven wird nicht mal erwähnt), kurzum im Film kämpft man für Demokratie gegen Diktatur.

Das Ziel dieses Artikels ist nicht eine Kritik an Gladiator oder eine detaillierte Geschichte Spartakus zu verfassen, statt dessen wollen wir zeigen, warum die Spartakusrevolte, obwohl sie von einer anderen ausgebeuteten Klasse getragen wurde, nur verstanden und für sich beansprucht werden kann durch die ausgebeutete Klasse in dieser Gesellschaft, das moderne Proletariat.

Dabei werden wir zeigen, wie die heutige Klasse von "Sklavenbesitzern", die Bourgeoisie, versucht, die Geschichte von Spartakus zu verdrehen und für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.

Die Sklavenkriege

Die Erhebung der Sklaven zwischen 73- 71 v. Chr. Erfolgte nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie spiegelte die breite soziale Aufruhr wider, welche die Römische Republik erschütterte. Im 2. J.H. v. Chr. hatte die römische Armee den Mittelmeerraum erobert und sich weiter über Europa ausgedehnt. Die fortgesetzten Eroberungen sorgten für einen wachsenden Zustrom von Sklaven und ersetzten die Bauern, welche die Grundlage des Römischen Reiches gewesen waren. Anstelle des alten Systems der kleinbäuerlichen Wirtschaft entstanden nun große Latifundien, die Sklavenarbeit zum Abbau von Rohstoffen und zur Herstellung von landwirtschaftlichen Produkten nutzten. In den Städten wurden die Handwerker immer mehr durch Sklavenarbeit ersetzt. Zur gleichen Zeit war eine sehr kleine Minderheit der herrschenden Klasse in der Lage, die Kontrolle über die Ausbeutung der Reichtümer der neu eroberten Gebiete zu erlangen. Dies erzeugte starke soziale Spannungen: zwischen der herrschenden Klasse und denen, welche auf dem Land arbeitslos wurden oder als Arbeitslose vom Land in die Städte getrieben wurden. Auch verschiedene Interessen innerhalb der herrschenden Klasse prallten aufeinander. Wir haben hier keinen Platz, um dies im Rahmen dieses Artikels näher zu analysieren. Stattdessen empfehlen wir Karl Kautsky's „Der Ursprung des Christentums" zu lesen. Diese Spannungen führten ab 130 v. Chr. zu einer Serie von blutigen Bürgerkriegen. Während dieser Periode führten die Brüder Gracchus die Bewegung der Besitzlosen gegen den Staat, insbesondere der früheren Legionäre, welche einst Parzellen von Land als Vergütung für ihre jahrelangen Dienste erhalten hatten. "Die privaten Söldner kämpften um und starben für das Wohlergehen und den Luxus der Großen. Sie wurden eingestuft als Herren der Welt, während sie keinen Fuß Land besaßen" (Tiberius Gracchus erwähnt von M Beer's Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe,. Russel & Russel, 1957). 132 v. Chr. wurde Tiberius und sein Unterstützer von der herrschenden Partei ermordet, und 121 v. Chr. traf seinen Bruder Caius und seine Unterstützer ein ähnliches Schicksal. In den darauf folgenden Jahren wurden Massaker und blutige Bürgerkriege zur Norm. Zehntausende fanden bei den Kämpfen unter verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse um die Kontrolle des Staates den Tod.

Mitten in diesem Aufruhr brach der von Spartakus angeführte Sklavenaufstand aus. Aber nochmals, dies ist im Kontext mit den zwei vorhergehenden Sklavenkriegen zu sehen, welche in Sizilien stattfanden (v. Chr. 134-32, 104-101). In diesen Kriegen erhoben sich Tausende von Sklaven auf den großen Gütern, die auf der Insel bestanden, und besiegten ihre römischen Herrscher, bevor sie dann wiederum gegen römische Legionen kämpften. In diesen Kämpfen wurden sie mit großer Gewalt niedergeschlagen. Zur Zeit des ersten Krieges in Kleinasien stand im Königreich von Pergamum, Aristonikos, der Halbbruder des früheren Königs, den Römern gegenüber. Er befreite die Sklaven und gründete den Sonnenstaat, welchem eine "kommunistische" Ordnung nachgesagt wurde. Dort gab es eine "vollständige politische Demokratie; die Gesamtheit der Bewohner, alteingesessen oder ausländisch, mit Eigentum oder enteignet, bekamen Stimmrecht und die Unabhängige Befugnis über ihren Staat" (Beer, ibid, p153). Von 133 bis 129 führten die Römer Krieg gegen den Sonnenstaat bevor sie ihn letztendllich zerstörten. Auf diesem Hintergrund des sozialen Aufruhrs und einer Reihe von blutigen Sklavenkriegen brach der dritte große Sklavenkrieg aus.

Der Verlauf der Revolte

Die Informationen, die wir über Spartakus und den Sklavenkrieg, haben sind sehr begrenzt- einige tausend Worte, geschrieben von altertümlichen Historikern der herrschenden Klasse: Sallust, ein römischer Senator (1. Jahrhundert v. Chr.), Plutarch und Appian waren wohlhabende Aristokraten ( 2. J.h. n. Chr.). Die Tatsache, dass diese Mitglieder der herrschenden Klasse es für notwendig erachteten, sich mit dieser Revolte zu befassen, zeigt wie wichtig sie war. Wie wir gesagt haben, wollen wir hier keine historische Schilderung liefern, sondern die Hauptzüge dieses Kampfes aufzeigen. Anfänglich brachen Spartakus und 70 weitere andere Gladiatoren aus ihrer Gladiatorschule in Capua aus, nachdem ihr Plan eines größeren Ausbruchs aufgedeckt wurde. Die Tatsache, dass solch eine Gruppe von Gladiatoren mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund, die dafür ausgebildet waren, sich gegenseitig zu töten, einen solchen Plan ausarbeiten konnten, zeugt von einer wirklichen Solidarität unter ihnen. Sobald sie frei waren, flohen sie zum Berg Vesuv. Hier sagt Appian, verbanden sich viele Sklaven und einige freie Menschen mit ihnen. "Seitdem Spartakus die Einnahmen aus Überfällen zu gleichen Teilen verteilte, ließ dies ihm schnell eine große Anzahl von Streitern zuströmen" (Appian, in Spartakus und der Sklavenkrieg, eine kurze Geschichte mit Dokumenten, von Brent D. Shaw, S. 140). Solche vorkommunistischen Maßnahmen belegen die Führungsrolle Spartakus: "Spartakus verbot Händlern Gold und Silber zu importieren, und er verbot seinen eigenen Leuten welches zu erwerben. Zum größten Teil kaufte er Eisen und Kupfer und kritisierte nicht diejenigen, die diese Metalle importierten" (Appian, ibid, S.142). Diese Maßnahmen mussten eine sehr wichtige Eigenschaft des Sklavenkrieges sein, denn der römische Historiker Pliny verglich dies mit der Gier des Reichs: "Wir wissen", sagt Pliny in dem dreiunddreißigsten Buch seiner Naturgeschichte, "dass Spartakus in seinem Lager kein Gold und Silber erlaubte. Unsere ausgerissenen Sklaven überragen uns in der Größe des Geistes" (zitiert in Kautsky's Der Ursprung des Christentums). Diese Handlungen konnten den Massen der Sklaven nicht von Spartakus aufgedrängt worden sein, sondern mussten den Wunsch der Mehrheit nach einer Gesellschaft mit größerer Gleichheit reflektiert haben. Spartakus war auch gegen die mutwillige Plünderung von Teilen seiner Armee, insbesondere gegen diejenigen, die unter dem Kommando von Gaul Krixos ausgeführt wurden. "Spartakus besaß nicht die Mittel sie aufzuhalten, obwohl er sich wiederholt eindringlich dagegen aussprach und sogar versuchte einen Boten zu schicken, um andere Städte vor solchen Plünderungen zu warnen (Shaw, S. 148). Diese Spaltungen innerhalb der Sklavenarmee waren scheinbar einer der Hauptgründe dafür, dass sie nicht aus Italien ausbrechen konnten, obwohl die Armee zweimal die Alpen erreichte. Jedoch sagte Florus (Florus 2. J.h. n. Chr.), nachdem die Armee, die von Lentulus geführt wurde, in den Alpen ausgelöscht wurde und sie danach das Lager von Gaius Crassus angriffen, dachte Spartakus daran Rom anzugreifen. Am Ende, nachdem sie durch Crassus in den äußersten Süden Italiens abgedrängt wurden und immer mehr Legionen aus dem Ausland eintrafen, mussten Spartakus und die Sklaven sich entweder gefangen nehmen lassen oder einen letzten Aufstandsversuch machen. Die Sklavenarmee entschied sich für letzteres. In vollen Schlachtreihen traten sie den sie verfolgenden Legionen entgegen. 36.000 starben auf dem Schlachtfeld, später kamen noch viel mehr hinzu, nachdem die herrschende Klasse erbarmungslos diejenigen zur Strecke brachte, die die Kühnheit besessen hatten, ihre Legionen zu besiegen, ihre Generäle und Würdenträger der Oberschicht zu töten und gegen die herrschende Klasse aufzustehen. Als eine Warnung an alle anderen Rebellen kreuzigte die herrschende Klasse 6.000 Überlebende der Sklavenarmee entlang der Via Appia, der Hauptstraße nach Rom. Schließlich war die Niederwerfung der Sklavenarmee nicht einfach auf die inneren Spaltungen oder taktischen Fehlern zurückzuführen. Sie spiegelte vielmehr die geschichtliche Begrenztheit der Epoche wider. Obwohl sie die damals am höchsten entwickelte Gesellschaft war, welche die Welt bis damals gesehen hatte, konnte die römische Sklavengesellschaft nie die Produktivkräfte bis zu dem Punkt entwickeln , ab dem eine wirkliche allgemeine kommunistische Gesellschaft hätte hervorgebracht werden können. Der Niedergang der Sklavengesellschaft konnte nur durch ein fortschrittlicheres System der Ausbeutung ersetzt werden (so entstand nach dem Niedergang der Sklavengesellschaft in Europa der Feudalismus). Auf diesem Hintergrund kann man verstehen, dass die Sklaven keine revolutionäre Klasse waren, die mit ihrem Kampf die Grundlage für ein neues Gesellschaftssystem gelegt hätten und noch weniger ein bewusstes Programm für seine Verwirklichung. Ihre Hoffnungen auf eine Gesellschaft, in der privater Besitz nicht länger existieren würde, konnten nur Träume bleiben, die auf Erinnerungen an eine verlorene gegangene Stammesordnung und auf Mythen eines ursprünglichen goldenen Zeitalters basierten. Das bedeutet nicht, dass Marxisten auf diese Revolte oder die kommunistischen Träume der früheren ausgebeuteten Klassen mit Verachtung herabblicken. Im Gegenteil, diese Revolten haben Generationen von Proletarier inspiriert und diese Träume bleiben unentbehrliche Schritte hin zu einer wissenschaftlichen kommunistischen Ansicht über die moderne Arbeiterklasse.

Die Reaktion der herrschenden Klasse auf Spartakus

Die Entwicklung der Reaktion der herrschenden Klasse auf den Sklavenkrieg ist sehr aufschlussreich. Im Frankreich des 18. Jahrhunderts hielt die revolutionäre Bourgeoisie Spartakus für einen Helden und einen Ausdruck ihres eigenen Kampfes gegen den Feudalismus; im 19. Jahrhundert wurde er ebenso von der italienischen Bourgeoisie für sich eingenommen. Sobald jedoch die Bourgeoisie ihre unbestrittene Vorherrschaft gefestigt hatte, wurde Spartakus zu einer gefürchteten Gestalt, weil der Sklavenkrieg beunruhigend nahe rückte an den Klassenkrieg, der nun zwischen der Bourgeoisie und ihrem Todesfeind, der Arbeiterklasse, Gestalt annahm. Diese Angst vor dem Klassenkampf nahm durch die revolutionären Kämpfe zwischen 1917 und 1927 eine konkrete Form an, als die "Spartakisten" zu einem Synonym für "Bolschewismus" und Weltrevolution wurde: "Übrigens ist der Name ‚Spartakusleute’, den die deutschen Kommunisten jetzt tragen, diese einzige Partei in Deutschland, die wirklich gegen das Joch des Kapitalismus kämpft, von diesen gewählt worden, weil Spartakus einer der hervorragendsten Helden eines der größten Sklavenaufstände vor ungefähr zweitausend Jahren war" (V. I Lenin, Über den Staat, Lenin Bd. 29, S. 472) In die Fußstapfen der blutigen Unterdrückung der ursprünglichen Spartakusbewegung durch Rom tretend, schlug die deutsche Bourgeoisie den Sklavenkrieg von heute mit großer Brutalität nieder.

In den folgenden Jahren der Konterrevolution fühlte sich die herrschende Klasse weniger durch das Gespenst des Klassenkampfes bedroht, und ab den Fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts fühlte sie sich selbstbewusst genug, Spartakus für den kalten Krieg einzuspannen. Zu diesem Zweck benutzte die amerikanische Bourgeoisie Hollywood und Stanley Kubrick's Film Spartakus, mit Kirk Douglas in der Hauptrolle. Dies soll nicht den künstlerischen Verdienst des Filmes bestreiten, der dem jüngsten Gladiatorfilm mit seiner Flut von Spezialeffekten mit dem Ziel der Aktualisierungsversuche bei weitem überlegen ist. Tatsächlich enthält der Film Szenen, welche wunderschön die befreiende Kraft der Solidarität vermitteln, wie zum Beispiel die Darstellung des anfänglichen Ausbruch aus der Gladiatorenschule und ganz besonders die unvergessliche Szene, als die römischen Sieger versuchten Spartakus zu identifizieren, Tausende von gefangenen Sklaven nach vorne traten und angaben "ich bin Spartakus". Nichtdestoweniger ist die ideologische Absicht des Films offensichtlich. Spartakus selbst wird zu einer Christus-ähnlichen Gestalt verdreht, welche die Sklaven in die Freiheit führt. Dies wird deutlich am Ende des Films, als er gekreuzigt wird. Dies ist eine vorsätzliche Lüge, um die Erinnerung an den Sklavenkrieg auszulöschen. Spartakus starb nicht am Kreuz, sondern im Endkampf auf seinem Weg zu Crassus, dem überragenden Symbol der herrschenden Klasse Rom's - er war der reichste und mächtigste Mann in Rom. "Als man ihm sein Pferd brachte, zog Spartakus sein Schwert und rief, wenn er die Schlacht gewänne, würde er viele gute Pferde haben, wenn er sie aber verlieren würde, bräuchte er kein Pferd mehr. Daraufhin tötete er das Tier. Dann stürmte Spartakus, sich seinen Weg durch Waffen und Verwundete bahnend, zu Crassus. Er erreichte niemals den Römer, aber er tötete zwei Centurios, die mit ihm fielen" (Plutarch, ibid 136).

Der Film wurde benutzt, um die westlichen Werte des "Westens" gegen die Diktatur aufzubauschen. Der Film wollte die Botschaft vermitteln, dass der Diktatur nur durch Freiheit, Demokratie und Christentum entgegen getreten werden kann. Am Anfang des Filmes sagt der Kommentator, während Spartakus und die Sklaven im Krieg besiegt wurden, war es das Christentum, welches schließlich die Sklaven befreite (während man gleichzeitig nicht erwähnte, dass das Christentum im 16. bis zum 19. Jahrhundert eine Hauptstütze der Sklaverei in Europa war). Die Sklaverei wurde als Schandfleck der römischen Zivilisation dargestellt und nicht als ihre Grundlage.

Er war ebenso Teil der Bestrebungen der USA, die Märkte der früheren britischen Kolonien zu gewinnen. Kirk Douglas sagte in seiner Autobiographie, ‚Ragman's Son’, er habe darauf bestanden, dass alle Hauptrollen der herrschenden Klasse Roms durch britische Schauspieler gespielt werden sollten und die Sklavenrollen durch amerikanische oder andere Schauspieler.

Der Stalinismus trug auch zur Verzerrung der Bedeutung des Spartakus-Aufstandes bei. Der "Skriptschreiber" des Films, Dalton Trumbo, ein Stalinist, stellte Spartakus mit Stalin und den heißspornigen Krixos, welcher sich im Film von Spartakus trennte, um Rom anzugreifen, mit Trotzki gleich.

Der Film stützt sich auf den Roman von Howard Fast. Im Film werden die Sklaven so gezeigt, als ob sie Spartakus bis zum bitteren Ende gefolgt wären, aber im Buch werden die Sklaven für das Scheitern des Krieges verantwortlich gemacht. Aber als ein guter Stalinist hatte Howard Fast für die Arbeiterklasse nichts als Verachtung übrig. Dies wird im Buch deutlich, in dem die Sklaven so dargestellt werden, als ob sie die Idealen Spartakus nicht erfüllen konnten. Dies ist auch die Botschaft, die in Arthur Koestler's Roman ‚The Gladiator’ vermittelt werden soll. Koestler war in der 1930er Jahren ein Stalinist, aber er wurde offenkundig von der Revolution und dem Proletariat enttäuscht. Für ihn wie für Fast war Spartakus ein revolutionärer Führer, der einen Pöbel anführt, welcher nicht seinen Idealen entsprach.

Ein noch bösartigerer Angriff ist kürzlich von Alan Baker in seinem Buch „Der Gladiator -Die geheime Geschichte Roms Kriegssklaven" lanciert worden, das sich den Erfolg des Films zunutze macht. In einem Kapitel über Spartakus bestätigt Baker die Meinung des Historikers Christian Meir, dass dieser "ein Räuberchef im großen Stil" war. Das zeigt, auf welches niedrige Niveau die Bourgeoisie herabsinkt, um die Bewegung anzugreifen, die ihre Vorfahren bedrohte. Die Historiker des Altertums zeigten mehr Würde, und obwohl sie Spartakus und all das, wofür er stand, hassten, kannten sie seine Stärke und Persönlichkeit an. "Spartakus war ein Thraker, geboren inmitten von nomadischen Hirten. Er besaß nicht nur einen großen Geist und körperliche Stärke, sondern er war auch intelligenter und nobler als sein Schicksal und er war griechischer als seine Herkunft aus Thrakien vermuten lassen könnte" (Plutarch, op cit S. 131-2).

Am Anfang des Jahres brachte der englische Sender Channel 4 einen Film über Spartakus. Obwohl die Sendung ausgeglichener war, zeigte die Sendung erneut Spartakus nicht seinem revolutionären Image entsprechend, weil er bei einer Gelegenheit gefangene Römer in Gladiatorenspielen kämpfen ließ und ebenso einen gefangenen Römer kreuzigte. Noch aufschlussreicher war, dass der Dokumentarfilm von einem früheren Armeeoffizier erstellt wurde, der sich auf Spartakus’ außerordentliche strategische und taktische Fähigkeiten konzentrierte. Es wurde nichts über die sozialen Ideale der Bewegung gesagt und noch weniger darüber, wie eine so gewaltige Masse von Sklaven und anderen unterdrückten Schichten die Organisierung des Kampfes zustande brachten (tatsächlich bleibt dies bis heute nahezu völlig undurchsichtig).

Die herrschende Klasse wird bestimmt weiter versuchen, jeden möglichen Gebrauch von den großen Klassenkriegern der Geschichte zu machen. Aber im Falle Spartakus stimmen wir mit der Einschätzung Marxens überein, die er in einem Brief an Engels schrieb: "Spartacus erscheint als der famoseste Kerl, den die ganze antike Geschichte aufzuweisen hat. Großer General (kein Garibaldi), nobler Charakte, real representative des antiken Proletariats" (MEW, Bd. 30, S. 160).

Für Marx war die Größe Spartakus letztendlich auf die Tatsache zurückzuführen, das er ein "real representative des antiken Proletariats" war: mit anderen Worten, er war ein Produkt des Kampfes einer ausgebeuteten Klasse, welche es wagte, ihre Ausbeuter herauszufordern. In einer Welt, die immer noch auf der Ausbeutung einer Klasse durch eine andere gründet, bleibt Spartakus ein einflussreiches Symbol für das moderne Proletariat, das die Fähigkeit besitzt, alle Formen der Sklaverei für immer zu beenden. Phil, 17.7.2001

Diskussionsveranstaltung der IKS - Wir müssen den Kapitalismus zerstören, bevor er den Planeten zerstört

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Bei der Frage, die wir heute diskutieren wollen, geht es schlicht und ergreifend um die des Überlebens der Menschheit.

Eine Bewertung der neuesten Prognosen der Wissenschaftler zur Klimakatastrophe zeigt unleugbar, dass, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, die stufenweise Zerstörung des Planeten und damit die Vernichtung der Lebensgrundlagen der Menschen vorprogrammiert ist.

Geht allein die Klimaerwärmung so weiter wie bisher, sind die Konsequenzen langfristig so katastrophal, dass das Überleben der Menschen auf dem Spiel steht.

Bei einem weiteren Anstieg der Durchschnittstemperaturen der Erde seien hier nur einige der Konsequenzen erwähnt, die die Wissenschaftler erwarten:

Die Dramatik der Lage – was steht auf dem Spiel?

Bei der Frage, die wir heute diskutieren wollen, geht es schlicht und ergreifend um die des Überlebens der Menschheit.

Eine Bewertung der neuesten Prognosen der Wissenschaftler zur Klimakatastrophe zeigt unleugbar, dass, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, die stufenweise Zerstörung des Planeten und damit die Vernichtung der Lebensgrundlagen der Menschen vorprogrammiert ist.

Geht allein die Klimaerwärmung so weiter wie bisher, sind die Konsequenzen langfristig so katastrophal, dass das Überleben der Menschen auf dem Spiel steht.

Bei einem weiteren Anstieg der Durchschnittstemperaturen der Erde seien hier nur einige der Konsequenzen erwähnt, die die Wissenschaftler erwarten:

Die Polkappen und Gletscher schmelzen. Dadurch steigt der Meeresspiegel bedrohlich an. Mit steigendem Meeresspiegel erhöht sich der Druck der Wassermassen in den Ozeanen. Es wird befürchtet, dass dadurch unberechenbare Prozesse entstehen, zum Beispiel tektonische Verschiebung in der Erdkruste, was die Gefahr von Erdbeben erhöht und zu einer Häufung von Vulkanausbrüchen führt.

Durch noch längere und verheerendere Dürreperioden in den einen Weltregionen und sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen in den anderen wird die Landwirtschaft nicht mehr ausreichend Lebensmittel bereitstellen können. Eine massive Lebensmittelknappheit ist nur noch eine Frage der Zeit.

Durch die weiter ansteigende Verpestung der Luft mit CO2 nehmen die damit verbundenen Krankheiten noch epidemischere Ausmaße an. Mensch und Umwelt werden also immer stärker bedroht.

Viele Siedlungsgebiete dieser Welt, in denen allein 40 Prozent der Weltbevölkerung lebt, sind durch den Anstieg des Meeresspiegel von Überflutung bedroht. Die Zahl der dadurch in die Flucht getriebenen Menschen ist einfach unvorstellbar.

Die Gefahr irreparabler Schäden wird immer offensichtlicher, denn die jetzt aufgetretenen Schäden sind das Ergebnis der Emissionen der letzten Jahrzehnte. Und bislang ist der Trend nicht mal gebrochen. Es steht uns also ein wahres Inferno bevor.

Kein Wunder, dass die Warnrufe selbst aus dem bürgerlichen Lager lauter und deutlicher werden. Kein Wunder, dass der Film Al Gores „Die unbequeme Wahrheit" auf solch großes Interesse stößt. Kein Wunder, dass die Warnung vor der bevorstehenden Explosion der durch die Umweltverschmutzung bedingten Kosten vom britischen Ökonomen und Regierungsberater Stern so viel Aufmerksamkeit erregte. Kein Wunder, dass von vielen Seiten der Ruf nach einschneidenden Maßnahmen zu hören ist.

Wir wollen uns deshalb mit der Frage befassen, ob es möglich ist, innerhalb des Kapitalismus, d.h. mit Hilfe kapitalistischer Regulierungsmittel, die Umweltzerstörung aufzuhalten, deren Schäden zu reparieren und künftige gar zu verhindern. Doch zuvor muss man klären, wie es dazu kommen konnte, dass die Zerstörung der Umwelt solche Ausmaße angenommen hat, um zu verstehen, was man heute und in der Zukunft machen kann.

Ursachen der Umweltzerstörung

Mit ihrer Fortentwicklung hat die Menschheit die Quellen der Natur immer intensiver genutzt und dabei immer ausgefeiltere Techniken zur Herstellung von Produkten entwickelt.

Doch stets konnten die Menschen, sobald die Ressourcen der Natur an einem Ort oder einer Region knapp wurden, weiterziehen, um in anderen, üppiger ausgestatteten Regionen nach Nahrung suchen, konnten sie sich woanders niederlassen, um jungfräulichen Boden zu bestellen. Der Einfluss der Menschen auf die Natur blieb meist lokal beschränkt und so lange geringfügig, wie die Menschen nur für sich produzierten. Zwar führten auch im Altertum und im Mittelalter große Kriege und die damit verbundene Aufrüstung zum Abholzen ganzer Wälder, aber das Ausmaß dieser Eingriffe in die Natur blieb noch relativ begrenzt.

Erst mit dem Aufkommen des Kapitalismus änderten sich die Bedingungen. Der Kapitalismus ist die erste Produktionsweise, die sich immer mehr ausdehnen, immer mehr expandieren muss, um zu überleben. Daher muss diese Produktionsweise der gesamten Welt ihre Mechanismen aufzwingen - mit den entsprechenden globalen Konsequenzen. Die Umweltverschmutzung belastet Luft, Wasser und Boden, und da die Emissionen nicht an einem Ort der Erde verharren, sondern sich über den ganzen Erdball ausdehnen, sind die Auswirkungen nicht auf einen Ort der Erde beschränkt, sondern sie sind überall zu spüren.

Worin bestehen diese Mechanismen, die eine derartige Umweltverschmutzung hervorbringen?

Profitproduktion versus Produktion für die Bedürfnisse des Menschen

Der Kapitalismus produziert nicht für die Bedürfnisse der Menschen, sondern für den Profit, für den Tauschwert. Nicht der Gebrauchswert, d.h. nicht der Nutzen einer Ware für die menschlichen Bedürfnisse motiviert den Kapitalisten, er produziert, was sich verkaufen lässt.

Während in den früheren Produktionsformen Produkte hergestellt wurden, die dem täglichen Gebrauch dienten, sei es dem Konsum der Ausgebeuteten oder dem Luxusbedürfnis der Herrschenden, wird im Kapitalismus ausschließlich für Profit produziert.

Nutzen, Art, Zusammensetzung, Entstehung, Verwertung und Entsorgung der produzierten Waren sind dem Kapitalisten schnuppe – Hauptsache, es lässt sich damit Geld machen. Dieser Mechanismus führt dazu, dass im Kapitalismus Waren hergestellt werden, die oft nur einen geringen oder gar keinen Gebrauchswert haben.

Ist der Nutzen eines Produktes oft schon verschwindend gering, nimmt die Herstellung vieler Produkten noch absurdere Züge an. Es werden Produkte hin- und hertransportiert, nicht weil deren Beschaffenheit oder Veredelung dies verlangen würde, sondern weil die Herstellung bzw. Verarbeitung an verschiedenen Standorten für den einzelnen Kapitalisten kostengünstiger ist.

Beispiele gibt es genug: So wird Milch von Deutschland über die Alpen nach Italien transportiert, um dort zu Joghurt verarbeitet zu werden, bevor dieser wieder nach Deutschland über die Alpen zurückbefördert wird, um hier verkauft zu werden. Ein anderes Beispiel: PKWs werden heute aus einzelnen Bestandteilen an vielen verschiedenen Orten hergestellt, die durch halb Europa gekarrt werden, ehe sie in den riesigen Montagebetrieben zusammengebaut werden und vom Band laufen. Bevor eine Ware im Regal zum Verkauf bereitliegt, haben ihre Bestandteile in verschiedenster Form schon unzählige Kilometer zurückgelegt. Warum? Es ist das günstige Verhältnis zwischen Lohn- und Transportkosten, das den einzelnen Unternehmer dazu veranlasst, seine Produktion zu verlagern und auf verschiedene Standorte aufzuteilen.

So sind unglaublich umfangreiche Güterbewegungen entstanden, die bei einer vernünftigen Produktionsweise, die sich nicht nach den Profitinteressen des einzelnen Unternehmers richtet, sondern nach den Bedürfnissen der Menschen, nicht anfallen würden. Solange die Unternehmer ihre Güter hin und herkarren, nur weil in dem einen Ort billiger produziert werden kann als in dem anderen, lassen sich die weltweiten CO

Unsere Behauptung lautet also: Es ist die geradezu wahnhafte Logik eines Systems, das nicht für die Bedürfnisse der Menschen, sondern für Profit produziert, die den Kapitalismus dazu treibt, immer mehr Verkehr und damit immer größere CO2-Emissionen nicht vermeiden. Allein ein Drittel dieser Emissionen sind auf den Verkehr zurückzuführen. Ein Teil dieser vom Verkehr verursachten Emissionen ist aber auch dem Umstand geschuldet, dass aufgrund der Konzentration der immer weniger werdenden Arbeitsplätze in Ballungsgebieten jeden Tag Hunderte von Millionen Menschen pendeln müssen. Viele Arbeiter legen auf dem Weg zu ihrer Arbeit wahre Marathonstrecken zurück, oft stundenlang, mit entsprechendem CO2-Ausstoß. 2-Emissionen zu produzieren. Und die Prognosen der Wissenschaftler sagen ein weiteres enormes Wachstum des Transport- und Logistiksektors voraus...

Konkurrenz und Anarchie – bringen der Menschheit und der Natur den Tod

Ein weiteres Prinzip im Kapitalismus ist, dass jeder Kapitalist für sich produziert. Er steht in meist mörderischer Konkurrenz zu anderen Produzierenden. Weil somit jeder der Rivale des anderen ist, kann es keine Absprachen, keine Planung, kein gemeinsames Vorgehen geben, sondern nur ein Sich-Durchsetzen des einen auf Kosten des anderen. Leidtragender ist die Natur und damit letztendlich der Mensch. Denn die Konkurrenz hat zur Folge, dass bei der Erstellung eines Produktes nicht danach gefragt wird, ob der Bau der dafür notwendigen Fabrik im Einklang steht mit den Gegebenheiten der Natur, ob der Anbau eines landwirtschaftlichen Erzeugnisses gesamtwirtschaftlich, d.h. gesellschaftlich sinnvoll ist.

Die Folge: Unternehmer können Fabriken inmitten unberührter Landschaften errichten, weil sich dort leichter Rohstoffe fördern lassen oder mit billigen Löhnen produziert werden kann. Bauern bestellen die Felder mit Pflanzen, die ohne künstliche Bewässerung, ohne Unmengen von Pestiziden und Fungiziden usw. nicht gedeihen können, während sie an anderen Orten auf der Erde ohne all diese Hilfsmittel bzw. mit einem viel geringeren Aufwand gedeihen könnten. Mittlerweile reift in der Landwirtschaft ein Drittel der Ernteerzeugnisse mit künstlicher Bewässerung heran. Die Folge: zwei Drittel des weltweit vorhandene Süßwassers wird von der Landwirtschaft zur künstlichen Bewässerung benötigt.

Die Folgen des Raubbaus an der Natur sind bekannt: Überdüngung, Entzug des Grundwassers, Versalzung der Böden. So ist infolge der künstlichen Bewässerung weltweit ca. ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche durch Versalzung bedroht. Die langfristigen Auswirkungen dieser durch die Konkurrenz entstandenen Schäden an der Umwelt sind noch gar nicht abzusehen.

Wie lässt sich die Tatsache erklären, dass mehr als 150 Jahre Kapitalismus eine ökologische Trümmerlandschaft hinterlassen haben, dass die jeweiligen Konkurrenten – vom einzelnen Unternehmer bis hin zu den Staaten – nicht miteinander, sondern gegeneinander arbeiten? Stimmt es, was Rosa Luxemburg schon vor nahezu 100 Jahren schrieb?

„In dem Ganzen, das sich über Ozeane und Weltteile schlingt, macht sich kein Plan, kein Bewusstsein, keine Regelung geltend; nur blindes Walten unbekannter, ungebändigter Kräfte treibt mit dem Wirtschaftsschicksal der Menschen sein launisches Spiel. Ein übermächtiger Herrscher regiert freilich auch heute die arbeitende Menschheit: das Kapital. Aber seine Regierungsform ist nicht Despotie, sondern Anarchie. Erkennen und bekennen, dass Anarchie das Lebenselement der Kapitalsherrschaft ist, heißt in gleichem Atem das Todesurteil sprechen, heißt sagen, dass ihrer Existenz nur eine Gnadenfrist gewährt ist" (Rosa Luxemburg, Einführung in die Nationalökonomie, Gesammelte Werke, Ökonomische Schriften, Bd. 5, S. 578).

Solange es also keine Planung, keine Abstimmung über eine ökologisch vernünftige, auf Nachhaltigkeit abzielende Produktion gibt, werden die Mechanismen der kapitalistischen Produktion uns und unsere Umwelt weiter vergiften; denn der Kapitalist fragt nicht, was wo wie am vernünftigsten produziert werden kann. Und solange die Produktion nicht nach diesen Kriterien organisiert wird, werden die Müllberge, die Deponien und Kloaken weiter wachsen.

Nun sagen die selbsternannten Umweltschützer und andere, weil die Lage so dramatisch sei und die Welt durch die Umweltzerstörung vernichtet werde, müsse man sofort handeln. Sonst sei es zu spät... In der Tat läuft der Menschheit die Zeit davon. Jeder Tag Kapitalismus bedeutet weitere Zerstörungen und Schäden, die immer irreparabler werden. Die Frage ist, ob die von den Umweltschützern propagierten Maßnahmen die Umweltzerstörung verhindern können. An dieser Stelle wollen wir nur ein Beispiel anführen, um zu verdeutlichen, warum diese Maßnahmen nicht greifen können.

In Kyoto wurde 1997 ein Abkommen, unterzeichnet, das vorsieht, die CO2-Emissionen bis 2012 um X Prozent zu senken. Nun, abgesehen davon, dass in Anbetracht des gigantischen Anstiegs der COs-Emissionen und der daraus erforderlichen Maßnahmen die angestrebte Reduzierung von X Prozent lächerlich gering ist, ja nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein - was hat der Beschluss selbst bewirkt? Einige Länder haben sich an die Vorgaben gehalten, andere dagegen haben noch mehr CO2 emittiert. Unter dem Strich hat der globale CO2-Ausstoß noch weiter zugenommen. Ein Land, das weniger CO2 ausstößt, kann mehr ausstoßen, indem es Geld von einem anderen, mehr ausstoßenden Land erhält, das angeblich für umweltfreundlichere Produktion benutzt werden soll. So werden weltweit nicht die globalen Emissionen gesenkt, sondern nur verlagert.

Weil man das Problem mittels finanzieller Anreize und „Sanktionen" zu regeln versucht, anstatt an seiner Wurzel zu packen, hat der kapitalistische Unternehmergeist keine substanziellen Reduzierungen hervorgebracht, sondern.... eine Emissionenbörse. Man betreibt Schacher mit den Emissionen.

Zudem hat ausgerechnet die größte Industrienation der Welt, die USA, das Abkommen nicht unterzeichnet. Die Bush-Regierung rechtfertigte ihre Weigerung mit der Verteidigung der Konkurrenzfähigkeit der US-Wirtschaft, die durch eine Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls bedroht sei.

Die bald zweitgrößte Industriemacht, der neue Wachstumsstar China, wurde als Entwicklungsland eingestuft, genau so wie Indien – mit besonderen Konzessionen. Doch China ist nicht nur bei den Wachstumszahlen, sondern auch in der Umweltverschmutzung Spitzenreiter. Allein zwei Drittel der chinesischen Städte können beispielsweise nur auf verseuchtes, gesundheitsgefährdendes Trinkwasser zurückgreifen. Ähnliches, wenn auch in etwas geringerem Maße, trifft auf Indien zu. Sollten diese Länder tatsächlich eines Tages mehr Umweltschmutzmaßnahmen ergreifen, so würden sich ihre Produktionskosten erhöhen, die Wettbewerbsvorteile würden im Nu dahinschmelzen, und der Boom in China und in Indien käme zum Erliegen. Tatsache ist, dass man in Anbetracht der bislang registrierten Umweltschäden und Erkrankungen jetzt schon vorhersehen kann, dass es zu einem ökologischen Super-Gau in China und Indien kommen wird; große Gebiete werden aufgrund der ökologischen Zerstörungen unbewohnbar werden. Die Konsequenzen sind unvorstellbar.

Kurzum: Die ökologischen Reformen, die die Umweltschützer vorschlagen, setzen also keineswegs die Mechanismen des Kapitalismus außer Kraft.

Die Folgen der Dekadenz

Nun, diese verheerenden Mechanismen sind untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden und bestehen seit seinem Beginn. Es stand diesen Widersprüche von Anfang an in den Genen geschrieben, eines Tages die Menschheit in die Zerstörung zu stürzen. Die verheerenden umweltzerstörenden, und gesundheitsschädlichen Auswirkungen dieser Produktionsweise wurden schon früh ersichtlich, doch nachdem der Kapitalismus 1914 in seine Niedergangsphase eingetreten ist, hat die Umweltverschmutzung ganz andere Dimension angenommen. Die Zuspitzung des Konkurrenzkampfes, Weltkriege, lokale Kriege ohne Unterbrechung und der Militarismus hatten und haben katastrophale Auswirkungen auf Mensch und Umwelt.

Rückblickend kann man sagen, dass uns viele tödliche, giftige Hinterlassenschaften des Kapitalismus erspart geblieben wären, wenn der Kapitalismus in der revolutionären Welle von Kämpfen 1917-23 überwunden worden wäre. Die Perspektiven der Menschheit würden heute anders aussehen.

 

Theoretische Fragen: 

  • Umwelt [3]

Klassenbewusstsein - Motor der Revolution

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Für das Proletariat ist sein Bewußtsein seine wichtigste und entscheidende Waffe, ohne die es seine historischen Interessen nicht durchsetzen kann. Da wir jetzt in einem Zeitraum leben, in dem die Entscheidung für den Kommmunismus oder die Barbarei gefällt wird, ist die Frage des Bewußtseins von grundsätzlicher Bedeutung.

Die nachfolgenden Artikel wurden Mitte der 1980er Jahre während einer Debatte der IKS zur Frage der Entwicklung des Klassenbewusstseins veröffentlicht.

Klassenbewußtsein, Motor der Revolution

Für das Proletariat ist sein Bewußtsein seine wichtigste und entscheidende Waffe, ohne die es seine historischen Interessen nicht durchsetzen kann. Da wir jetzt in einem Zeitraum leben, in dem die Entscheidung für den Kommmunismus oder die Barbarei gefällt wird, ist die Frage des Bewußtseins von grundsätzlicher Bedeutung.

Die Bourgeoisie versucht das Proletariat in einen Nihilismus zu treiben, ihm seine Orientierung zu nehmen und die Perspektiven zu verdecken, um es so später zu besiegen und in den Krieg zu führen.

Vor allem möchte die Bourgeoisie das Proletariat in den Sumpf des Apolitismus drängen. Das Klassenbewusstsein ist hauptsächlich ein politisches Bewußtsein; ein Bewußtsein über die Notwendigkeit der Verstärkung des Klassenkampfes gegen den bürgerlichen Staat, für seine Zerstörung und für den Aufbau des Kommunismus. Dieses Bewußtsein setzt das Begreifen voraus, daß das Proletariat in seinen Reihen eine eigene politische Partei schaffen muß, die sein Bewußtsein über den Kommunismus vertieft und ausbreitet. Während die Bourgeoisie in den 70er Jahren das Proletariat für ihre Alternativen zu begeistern suchte (Demokratie, Antifaschismus, Verstaatlichungen usw.), muß sich die Bourgeoisie in Anbetracht des Verschleißes dieser Mythen, der sich vertiefenden Krise und dem Voranschreiten des Klassenkampfes bemühen, die Entpolitisierung zu verstärken. So will sie verhindern, daß die Verwerfung der Politik der Bourgeoisie zu einer Entfaltung der autonomen proletarischen Politik führt.

Deshalb ist eine Diskussion über das Wesen, die Funktion und den Prozeß der Entwicklung des revolutionären Bewußtseins eine grundlegende Frage der militanten Arbeit der Revolutionäre. In diesem ersten Teil der Artikelserie wollen wir uns zunächst mit der Rolle des Bewußtseins in der Geschichte und einer Beschreibung des Wesens des Klassenbewußtseins befassen.

Bei der Entwicklung der Menschheit kann man 3 Faktoren hervorheben: die Natur, die Entwicklung der Produktivkräfte und das Bewußtsein. Die Natur, die über einen langen Zeitraum hinweg ein entscheidender Faktor war, wurde durch die Entwicklung der Produktivkräfte stark gebändigt, die nun mit dem Kapitalismus eine entscheidende Stufe erreichten: sie legten die Grundlagen für die Überwindung des Mangels und der Misere und die bewußte Vereinigung der gesamten Menschheit. Aber dies führt uns zum 3. Faktor, dem Bewusstsein.

Jahrhundertelang war das Bewußtsein ein zweitrangiger und untergeordneter Faktor in der Entwicklung derMenschheit. Erstens weil es ein verschleiertes Bewußtsein der Wirklichkeit war, denn die ausbeutenden Klassen haben es immer der Verteidigung ihrer Interessen untergeordnet. Zweitens weil es hauptsächlich eine betrachtende Widerspiegelung der vorher stattgefundenen Veränderungen der Infrastruktur der Gesellschaft war. Das Bewußtsein hat in den historischen Prozessen eine Rolle gespielt, aber in letzter Instanz war der entscheidende Faktor die Umwälzung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse, die wiederum das Bewußtsein bestimmt haben. Mit dem Erscheinen des Proletariats muß der Faktor Bewußtsein zum Motor der Entwicklung der Menschheit werden.

- Erstens weil das Proletariat gleichzeitig als ausgebeutete und revolutionäre Klasse nicht das geringste Interesse daran hat, ein falsches Bewußtsein der Welt zu haben, oder sich über seine eigenen historischen Klasseninteressen Illusionen zu machen - die Abschaffung der Ausbeutung und der Klassen setzt ein umfassendes Verständnis der Welt voraus, das weder Tabus, noch irgendwelche Einschränkungen akzeptieren kann.

- Zweitens erfordert und läßt die von den Produktivkräften erreichte Entwicklung der Menschheit es möglich werden, daß die Arbeiterklasse die Kontrolle und die bewußte Orientierung über diese Produktivkräfte ausübt. In der geschichtlichen Existenz des Proletariats liegt die Lösung für den Widerspruch, in dem der Kapitalismus die ganze Menschheit, gefangen hält: einerseits hat er auf phantastische Weise die Produktivkräfte umgewälzt, sie weltweit vorangetrieben, andererseits läßt seine gesellschaftliche Grundlage - das Privateigentum an Produktionsmitteln, die Ausbeutung der Lohnarbeit - sie zu erschreckenden Zerstörungskräften werden, die die Gesellschaft in eine Krise versinken lassen, welche die Bedrohung einer Auslöschung der Menschheit in einen neuen Holocaust eines 3. Weltkrieg bedeutet.

Das revolutionäre, bewußte Handeln des Proletariats stellt eine positive Lösung des historischen Widerspruches zwischen Krieg und Revolution, Barbarei oder Kommunismus dar.

"Der Kommunismus unterscheidet sich von allen bisherigen Bewegungen dadurch, daß er die Grundlage aller bisherigen Verkehrsverhältnisse umwälzt und alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen behandelt, ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen unterwirft" (Die deutsche Ideologie, MEW Band 3, S.70).

DIE ERSTE BEWUSSTE REVOLUTION IN DER GESCHICHTE

Aufgrund seines Zieles, seiner Mittel und des Prozesses seiner Verwirklichung ist der Kommunismus die erste bewußte Revolution der Geschichte.

Sein Ziel ist die volle Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse. Das Ziel des Kapitalismus besteht nicht in der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, sondern in der Produktion von Mehrwert, was eine allgemeine Misere für die Arbeiter bedeutet, die nur in Zeiten wirtschaftlichen "Wohlstands" überdeckt wird.

Dagegen ist der Kommunismus die Organisierung des gesellschaftlichen Lebens in ihrer Gesamtheit für die volle Verwirklichung der menschlichen Bedürfnisse. Er beinhaltet die weltweite bewußte Kontrolle und Planung der Produktivkräfte, ihrer Ausrichtung und ihrer Entfaltung.

Die Mittel für die Verwirklichung des Kommunismus sind die menschliche Weltgemeinschaft, die das bewußte Ergebnis der Diktatur des Proletariats sein wird, die wiederum die notwendigen Bedingungen schaffen wird, damit die Gattung Msnsch bewußt und frei ihre Geschichte bestimmen kann.

"Das Subjekt der kommunistischen Revolution, das Proletariat, ist aufgrund seiner Stellung in der Geschichte Träger einer Bewußtseinsform, die eine wirkliche und keine verschleierte, eine globale und keine partielle, eine aktive und keine rein widerspiegelnde Erkenntnis der Welt besitzt.

"Die Aneignung ist ferner bedingt durch die Art und Weise, wie sie vollzogen werden muß. Sie kann nur vollzogen werden durch eine Vereinigung, die durch den Charakter des Proletariats selbst wieder nur eine universelle sein kann, und durch eine Revolution, in der einerseits die Macht der bisherigen Produktions- und Verkehrsweise und gesellschaftlichen Gliederung gestürzt wird und andererseits der universelle Charakter und die zur Durchführung der Aneignung nötige Energie des Proletariats sich entwickelt, ferner das Proletariat alles abstreift, was ihm noch aus seiner bisherigen Gesellschaftsstellung geblieben ist." (ibid S.68)

Zwischen der kommunistischen Revolution und allen vorherigen Revolutionen gibt es einen gewaltigen Unterschied. Wie alle früheren Revolutionen ist sie notwendigerweise eine gewalttätige und ersetzt die Macht einer Klasse durch die einer anderen. Aber hier hören auch schon die Gemeinsamkeiten auf. Das Proletariat zielt nicht darauf ab, eine neue Form der Ausbeutung zu errichten, sondern sie abzuschaffen.

Es strebt nicht danach, seine Herrschaft als neue Klasse aufrechtzuerhalten, sondern alle bestehenden Klassen abzuschaffen. Im Gegensatz zu der Bourgeoisie besitzt es keine ökonomische Macht, auf deren Grundlage es die politische Macht erobern könnte, sondern es ist vollkommen "besitzlos", seine einzigen Waffen sind die Grundlage der zukünftigen Gesellschaft: die Einheit und das Klassenbewußtsein.

All das wird von vielen Revolutionären außer Acht gelassen, die die Auffassung von der Revolution verteidigen, welche sich auf die Modelle der Bourgeoisie stützen und denen gemeinsam ist, daß sie alle die entscheidende Rolle des massiven Bewußtseins des Proletariats verkennen.

So fassen die Rätekommunisten die proletarische Revolution als das spontane Ergebnis der Zuspitzung der Wirtschaftskrise auf, die die Arbeitermassen zu einer revolutionären Radikalisierung zwingen würde. Solch eine Betrachtungsweise stützt sich auf die bürgerliche Revolution, deren wirtschaftlichen Erschütterungen der alten Ordnung die Massen auf die Straße jagen würden, die dann wiederum als Werkzeug durch die Bourgeoisie bei der Eroberung ihrer Macht mißbraucht wurden. So wird die entscheidende Rolle des Bewußtseins in der proletarischen Revolution außer Acht gelassen, die sich nämlich als bewußte Reaktion gegen die Todeskrise des Kapitalismus entwickelt.

Die Bordigisten vertrauen nur der Partei, die einziger Träger des Bewußtseins sei und die Massen zur Revolution führe. Solch ein Modell stammt aus bürgerlichen Vorstellungen, in der eine politische Minderheit die Unzufriedenheit und den Kampf der Massen für die Ziele der Bourgeoisie ausnützt, da diese kein Bewußtsein

entfalten könnten. Um seine Befreiung durchzusetzen, muß das Proletariat sich voll der Ziele und Mittel seines Kampfes bewußt werden, denn dieser Kampf kann von keiner Minderheit durchgeführt oder ihr delegiert werden. Diese Auffassungen lassen außer Acht, "daß also die Revolution nicht nur nötig ist, weil die herrschende Klasse auf keine andere Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in einer Revolutlon, dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden." (Die deutsche Ideologie MEW Band 3, S. 70).

DAS WESEN DES KLASSENBEWUSSTSEINS

Das Klassenbewußtsein bedeutet für das Proletariat die Kenntnis seiner selbst - nicht nur seiner unmittelbaren Existenz als vom Kapital ausgebeuteten Klasse, sondern seiner geschichtlichen Existenz als Trägerin des Kommunismus. Deshalb ist das Klassenbewußtsein kein einfaches Begreifen des Proletariats, sondern gleichzeitig ein umfassendes Verständnis seiner gegenwärtigen Lage und vor allem seiner Zukunft.

Von den 3 Momenten der Wirklichkeit, die untrennbar mit dem Bewußtsein verbunden sind (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) ist die Zukunft das richtungsweisende Element. Für das Proletariat ist die Zukunft ein aktives Element, weil ein zu verwirklichendes Ziel. Sie ist die Grundlage der Handlung, der Wille zum Handeln wird durch sie genährt, sie ist der Kompaß im Bewußtwerdungsprozeß, der Maßstab, der es ermöglicht, den zurückgelegten Weg zu messen, ihn zu korrigieren und den noch austehenden Weg abzuschätzen, der Bezugspunkt zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Orientierung, der Anziehungspunkt und daher dynamische Faktor in diesem Prozess.

All das führt dazu, daß sich das Wesen des Klassenbewußtsein des Proletariats grundlegend von der Ideologie und dem bürgerlichen "Wissen" unterscheidet.

1) Für das Proletariat ist das Bewußtsein ein aktiver Faktor eine materielle Kraft. Es ist keine bloße Widerspiegelung der objektiven Bedingungen und der lebendigen Erfahrung sondern entsteht aus der Existenz des Proletariats, beeinflußt seine Kämpfe (genau wie es von ihnen selbst beeinflußt wird), bis es zu einem entscheidenden Faktor bei seinen Handlungen wird (in der revolutionären Periode).

Dagegen ist die bürgerliche Ideologie hauptsächlich eine betrachtende Wiederspiegelung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, sie kann immer nur eine Rechtfertigung der Gesellschaftsordnung sein. Diese Bewußtseinsform ist charakteristisch für eine ausbeutende K1asse, die eine wirtschaftliche Macht in der Gesellschaft besitzt und deren Hauptinteresse in der Verteidigung der Ausbeutungsgesellschaft besteht.

2) Das Bewußtsein des Proletariats stellt eine historische Kontinuität dar. Es ist kein für immer etabliertes Dogma, (was eine statische und somit die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Verhältnisse befürwortende Auffassung wäre), sondern entwickelt sich, indem es in einer höher entwickelten Synthese die Errungenschaften der Kämpfe und die durch die geschichtliche Entwicklung entstandenen Veränderungen integriert. Das Bewußtsein taucht nicht bei dem jeweiligen Entflammen der Kämpfe jeweils wieder neu auf, um danach wieder spurlos zu verschwinden, sondern es hält eine historische Kontinuität aufrecht, die die Grundlage ihres aktiven und militanten Wesens ist.

3) Es handelt sich um ein politisches Bewußtsein. So ist es keine reine Erkenntnis der ökonomischen Lage der Arbeiterklasse, auch keine ökononisch-soziologische Untersuchung der gegenwärtigen Lage und genausowenig ein Reformkatalog um die Welt zu verbessern, sondern eine militante Waffe der revolutionären Klasse, um die Macht der herrschenden Klasse zu zerstören und die eigene Klassenherrschaft zu errichten. .......

4) Es hat einen kollektiven Charakter. Das Proletariat kann seine Revolution nur durchführen, wenn es voll bewusst kämpft, ohne dabei seine Macht an irgendeine Minderheit zu delegieren oder auf andere Kräfte zu vertrauen.

Die Grundlagen des kollektiven Wesens des Bewußtseins des Proletariats findet man auf zwei Ebenen:

erstens sein Ursprung. Das Bewußtsein entstammt nicht dem Gehirn einer Handvoll von geniereichen Individuen, genausowenig ist es die Summe dessen, was alle Arbeiter denken- es entsteht vielmehr aus dem gesamten Proletariat, dh. gleichzeitig aus seiner historischen Stellung und der historischen Kontinuität seines Kampfes als weltweite historische Gesamtheit. Als ausgebeutete Klasse, in deren Reihen es keine spezifischen Interessen gibt, ist die Vorbedingung für ihre Selbstorganisation, die Entfaltung ihrer Einheit, ihrer Solidarität, ihrer gemeinsamen Handlungen, ihr Bewußtsein als kollektives Ganzes; all das macht ihre Stärke aus.

- zweitens sein Ziel. Die kommunistische Revolution, die gigantischste Umwälzung der Geschichte, das Ende der Herrschaft des Mangels und der Anfang der Herrschaft der Freiheit können als Ausgangspunkt nicht unbewußte und desorganisierte Handlungen der Proletariermassen haben, sondern erfordern als Grundvoraussetzung ihre massive und bewußte Teilnahme, ihre Fähigkeit, den revolutionären Prozeß kollektiv zu leiten. Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.

Es geht nicht darum, daß statistisch gesehen alle Arbeiter das gleiche Niveau an Klarheit hätten (das ist eine kindische Auffassung, die von dem individuellen bürgerlichen Denken geprägt ist), sondern es geht um die massive Aktivität der Klasse, ihres Kampfes, ihrer Entschlossenheit, die kollektiven Diskussionen, die Überzeugung, für die schrittweise die große Mehrheit der Arbeiter gewonnen werden muß. .......

5)Schließlich entwickelt und gipfelt das Klassenbewußtsein in der Vereinigung von Theorie und Praxis. Die Ausbeutungsgesellschaft zwingt die Spaltung zwischen geistiger und manueller Arbeit, zwischen Theorie und Praxis auf. Die Theorie ist das Monopol einer Minderheit von Spezialisten, die die Mehrheit zu assimilieren, ihr passiv zuzustimmen habe. Das Bewußtsein des Proletariat unterscheidet sich davon gewaltig. Es ist Ausdruck seines bewußten Seins und entspricht zutiefst seinen Denkweisen, seinen Zielen, Initiativen und Überlegungen.

"Das Verdienst Marx und Engels besteht nicht darin, wie die Bourgeoisie glaubt, dem Proletariat ihre Ideen aufgezwungen zu haben, sondern die Ideen des Proletariats zum Ausdruck gebracht zu haben. Sie haben das ausgedrückt was in Millionen von Köpfen sich entfaltet, sie haben dem Proletariat geholfen sich über diesen Prozeß bewußt zu werden ...

Der kommunistische Agitator versucht die Arbeiter zu sich selbst zu bringen. Er gibt nicht vor, ihnen etwas aufzuzwingen was ihnen fremd ist, sondern sie zu dem zu bringen, was ihnen wirklich eigen ist."

(0. Strasser, Der Arbeiter und die Nation).

"Er will das Bewußtsein über diese Tatsache etablieren, er will also, wie die übrigen Theoretiker nur ein richtiges Bewußtsein über ein bestehendes Faktum hervorbringen, während es dem wirklichen Kommunisten darauf ankommt das Bestehende umzustürzen." (ibid S.42)

Als dynamische Kraft ist das Klassenbewußtsein für das Proletariat in seinem Kampf gegen den Kapitalismus und für die Herausarbeitung von Perspektiven ein praktisches Bewußtsein und gleichzeitig eine bewußte Praxis.

Soweit zu einigen allgemeinen Charakteristiken des Bewußtseins. In einem nächsten Artikel werden wir den konkreten Prozeß untersuchen, in dem das Proletariat bewußt wird und dieses Bewußtsein in der ganzen Klasse homogener wird.

(aus Accion Proletaria, Zeitung der IKS in Spanien) Nr. 16, 1984,

Teil 2: aus Weltrevolution Nr.19, 1985,

Klassenbewusstsein – Motor der Revolution

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe von Artikeln, die wir in Weltrevolution Nr.16 angefangen haben, und die sich mit dem Klassenbewußtsein befassen. In dem letzten Artikel haben wir die Rolle des Bewußtseins in der Geschichte der Menschheit behandelt, um die Grundlagen aufzuzeigen, warum das Bewußtsein des Proletariats eine neue und höhere Form des Bewußtseins darstellt, welches das Bewußtsein der Menschheit von der Notwendigkeit des Kommunismus ankündigt.

In diesem Artikel werden wir aufzeigen, wie das Proletariat sein Bewußtsein entwickelt, welchen Prozeß es dabei durchläuft und welche Überreste des Drucks der bürgerlichen Ideologie es dabei über Bord werfen muß, um letztendlich ein klares, kollektives Bewußtsein seiner historischen Aufgabe und der Mittel, sie zu verwirklichen, zu entfalten.

Klassenbewusstsein und Bewusstsein der Klasse

Weil das Proletariat gleichzeitig eine ausgebeutete und revolutionäre Klasse ist, kann sein Klassenbewußtsein nicht zu jedem Zeitpunkt die gleiche Ausdehnung und die gleiche Tiefe haben, weil es ständig folgenden Faktoren unterworfen ist:

- dem Druck der herrschenden Ideologie,

- dem Einfluß und dem Gewicht der verschiedenen Traditionen,. seinem unterschiedlichen Konzentrationsgrad, der Stellung in der Wirtschaft, Kultur usw.,

- den Auswirkungen der normalen Bewegungen des Kapitalismus, der das Proletariat atomisieren und die Konkurrenz in seinen Reihen verstärken will.

"Die grundlegende Schwierigkeit der sozialistischen Revolution besteht in dieser komplexen und widersprüchlichen Lage; einerseits kann die Revolution nur als bewußte und von der großen Mehrheit der Arbeiter getragenen Revolution stattfinden, andererseits stößt dieser Bewußtwerdungsprozeß mit den von der kapitalistischen Gesellschaft den Arbeitern aufgezwungenen Bedingungen zusammen, die die Bewußtwerdung über die historischen Aufgaben des Proletariats ständig zu behindern und zu zerstören suchen" (INTERNATIONALISME, "Zur Natur und Funktion der Partei"(1)).

Die Bewegung des Klassenkampfes besteht in einer Dynamik, die von der Heterogenität zur Homogenität, von einer bewußten Minderheit zu einem massiven, in den breiten Arbeitermassen vorhandenen Bewußtsein verläuft. Den schwierigen und widersprüchlichen Bewußtwerdungsprozeß zu verstehen, heißt das "Geheimnis" der proletarischen Revolution zu begreifen: die historische Dynamik, mit Hilfe derer die Arbeiterklasse, die die gesamte Unmenschlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft zu ertragen hat, zum bewußten Träger der Befreiung der Menschheit wird.

Die Fähigkeit des Proletariats, ein ständiges Bewußtsein seines Seins und seiner Aufgabe zu haben, zeigt sich am deutlichsten in dem Auftauchen von kommunistischen Minderheiten in seinen Reihen, welche dieses Bewußtsein ausdehnen und vertiefen (wir werden diesen Punkt an anderer Stelle ausführlich behandeln). Um diesen Bewußtwerdungsprozeß zu begreifen, müssen wir beim Klassenbewußtsein zwei Aspekte oder Dimensionen unterscheiden: das Klassenbewußtsein, und das zu einem bestirnten Zeitpunkt vorhandene Bewußtsein in der Klasse, oder anders ausgedrückt: seine Tiefe und Ausdehnung.

Obwohl beide Teil der gleichen unteilbaren Einheit sind und sich gegenseitig beeinflussen, dürfen sie nicht miteinander verwechselt werden. Das Klassenbewußtsein ist das Bewußtsein seiner Selbst, das das Proletariat nicht nur hinsichtlich seiner unmittelbaren Zukunft entwickelt, sondern vor allem hinsichtlich seiner kommunistischen Zukunft. Das Bewußtsein in der Klasse hängt von einer Reihe von Faktoren ab, insbesondere von der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat. "Die Ideen der herrschenden Klasse sind die herrschenden Ideen in der Gesellschaft" schrieb Marx; das bedeutet, der Bewußtwerdungsprozeß wird ständig durch den brutalen Druck der herrschenden Ideologie erschwert, und nur die Verstärkung der Kämpfe sowie der Ausbau der historischen Errungenschaften kann die Macht der bürgerlichen Ideologie zerbrechen. So tragen auch die Wirtschaftskrise und der sich daraus ergebende Zerfall der Werte der bürgerlichen Gesellschaft zur Verstärkung des Klassenbewußtseins bei.

Die beiden Dimensionen des Bewußtseins, Tiefe und Ausdehnung durchschreiten nicht immer die gleiche Bewegung, ebenso wenig dürfen sie in den revolutionären Zeiträumen miteinander verwechselt werden, d.h. das erste löst sich nicht in der zweiten Bewegung auf. Das Klassenbewußtsein ist ständig vorhanden: die ständige Ausarbeitung, das Voranschreiten seiner politischen Positionen und seines Programms; das Bewußtsein in der Klasse schwankt dagegen je nach der Epoche, und es fällt in den Zeiten der siegreichen Konterrevolution in sich zusammen, weicht zurück, um bei den nächsten bedeutenden aufsteigenden Kämpfen wieder zuzunehmen und in den revolutionären Phasen seinen Höhepunkt zu erreichen.

Das Klassenbewußtsein hängt nicht ausschließlich von den Arbeiterkämpfen ab. Obgleich diese eine große Bereicherung darstellen, und vor allem zu seiner Ausdehnung beitragen, werden sie ebenso von den politischen Positionen des Proletariats bestimmt, welche dieses im Verlaufe seines weltweiten historischen Kampfes entwickelt.

Wenn das Klassenbewußtsein ausschließlich von den Kämpfen abhinge und nach deren Ende jedesmal wieder verschwinden würde, würde es aufhören, ein aktiver Faktor zu sein und würde anstelle dessen ein empirisches und unmittelbares Wissen darstellen, das sich durch nichts von der bürgerlichen Ideologie unterscheiden würde. Es wäre nicht mehr die Stimme und die Stärke einer Klasse, die die Zukunft der Menschheit darstellt; es bliebe ein passiver Zeuge der blinden Kämpfe einer Klasse ohne Zukunft. Das Klassenbewußtsein kann nicht auf die Momente des Kampfes selber reduziert werden, es hat einen viel breiteren Weg zurückzulegen, umfaßt gleichzeitig die tag-täglichen Kämpfe der Klasse wie auch die Zeiträume seiner revolutionären Aktionen. Ebenso umfaßt es die unterirdische Reifung, die die Arbeiterklasse, insbesondere die Aktivitäten ihrer kommunistischen Organisationen durchläuft.

Jede Etappe des Klassenkampfes beruht auf einer Vorbereitung und Reifung des Klassenbewußtseins und wird wiederum auf dialektische Weise durch dieses bereichert und verändert, so daß die neuen Kämpfe der Klasse auf einer breiteren und weiter fortgeschrittenen Grundlage anfangen. Von einem historischen Standpunkt aus betrachtet, ist das Klassenbewußtsein der historische rote Faden der Arbeiterkämpfe, der diese ständig orientiert auf dem Weg hin zu der Selbstverwirklichung des Proletariats, dem Kommunismus.

Die kommunistischen Gruppen haben bei dem Bewußtwerdungsprozeß eine Hauptrolle zu spielen. In den dunkelsten Zeiten der Konterrevolution aber auch in den Phasen des zeitweiligen Zurückweichens des Klassenkampfes oder einfach in Anbetracht der Schwankungen oder Zögerungen, die in der Klasse auftauchen, haben sie die Verantwortung, die Entwicklung des Klassenbewußtseins voranzutreiben und zu versuchen, es in der gesamten Klasse zu verbreitern. Das heißt nicht, daß sie ein Monopol des Bewußtseins besäßen und daß die Mehrheit der Arbeiter dieses Bewußtsein nur passiv assimilieren könnten.

An erster Stelle sprechen wir von einem Bewußtsein, das aus der Existenz des Proletariats als Träger und Kämpfer eines historisch-weltweiten Kampfes selbst hervorgeht. Wir meinen damit nicht, daß das Bewußtsein außerhalb des Proletariats entstünde, unter den bürgerlichen Intellektuellen, und daß von diesen dann das Bewußtsein in das Proletariat - wie Kautsky meinte - von Außen "eingeimpft" würde.

Zweitens muß man immer die Bewußtwerdung in ihrer Gesamtheit und nicht nur zu einem gegebenen Zeitpunkt betrachten. Das Proletariat nimmt an dieser Bewußtseinsentwicklung insgesamt teil, und nicht nur die Kommunisten.

Das Proletariat in seiner Gesamtheit durchläuft einen mehr oder weniger ausgedehnten unterirdischen Reifungsprozeß seines Bewußtseins (der berühmte alte Maulwurf, von dem Marx sprach). Es vollzieht sich ein umfassender Prozeß der Reflektion, Kritik, Infragestellung, der in den Reihen der Arbeiter Gestalt annimmt und in den Zeiten intensiver Kämpfe ans Tageslicht tritt, vor allem während der revolutionären Zeiträume (2). Deshalb wäre man blind, wenn man dies nicht erkennen würde. Gerade weil der bürgerliche Staat und insbesondere die Linken und die Gewerkschaften einen Druck ausüben, kann dieser Reifungsprozeß nicht ständig ans Tageslicht treten. Daher haben die Revolutionäre die Aufgabe, ihn laut auszusprechen, ihm seine gesamte historische Dimension zu verleihen. Darüber hinaus bringen die Kämpfe selbst Korrekturen und für das Bewußtsein der Klasse unabdingbare Vertiefungen und Erweiterungen mit sich, vor allem in den revolutionären Phasen.

Die Klasse besitzt ein kollektives Gedächtnis, vor allem in den konzentriertesten und am meisten fortgeschrittenen Teilen, die auch die größten Traditionen haben. Dieses Gedächtnis wirkt wiederum direkt auf die Kämpfe ein. Weil die Bourgeoisie mit Hilfe ihrer Gewerkschaften und der Extremen Linke dieses Bewußtsein entstellt, verzerrt, müssen die Revolutionäre dieses Bewußtsein vorantreiben, damit es seine Rolle in den Kämpfen voll erfüllt.

Aber die Kommunisten erweitern und vertiefen dieses Bewußtsein nicht außerhalb des Lebens der Klasse in einer Welt abstrakter Gedanken, die man in die Massen in Gestalt von agitatorischen Lösungen einzugehen hätte. Im Gegenteil: die Grundlage und die Ebene ihrer Intervention und ihrer Reflektion ist der Klassenkampf, den man auf historischer und weltweiter und nicht auf örtlich begrenzter und unmittelbarer Ebene betrachten muß.

Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung" (Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 474).

Obgleich die Kommunisten die besondere Aufgabe der Ausarbeitung des Klassenbewußtseins haben, entsteht dieses wiederum nicht als ein Monopol der revolutionären Organisationen, das ihnen die Klasse überlassen hätte.

Nur indem die Revolutionäre den Prinzipien des Proletariats treu bleiben und praktische Antworten auf die Probleme haben die sich im Laufe der Bewegung stellen, erfüllen sie ihre Rolle. Auch sind die Revolutionäre nicht immer gegenüber dem Druck der bürgerlichen Ideologie immun, genau wie die Klasse insgesamt leiden sie auch darunter und müssen dagegen ankämpfen.

Klassenbewusstsein und kommunistisches Programm

Weil es eine Klasse ist, die als Endziel die bewußte Umwälzung der Welt anstrebt, muß das Proletariat die Ziele seines Kampfes sowie die Mittel ihn voranzutreiben, in einem Prinzipiensystem festhalten: das muß das kommunistische Programm sein.

Das kommunistische Programm hat nichts mit den Programmen der bürgerlichen Parteien gemeinsam, die aus einem Katalog demagogischer Forderungen bestehen, welche dazu bestimmt sind, das Proletariat zu verwirren und dessen Bruch mit dem Kapitalismus zu verhindern. Im Gegenteil: das kommunistische Programm ist der Ausdruck der Avantgarde des Bewußtseins des Proletariats, die Speerspitze seiner Entfaltung - sowohl bei der Vertiefung als auch bei der Ausdehnung. Das Programm spielt eine klärende, erleuchtende Rolle, das zur Stärke und Einheit der Klasse treibt. Die Ausarbeitung und Verteidigung des kommunistischen Programms ist die besondere und ständige Aufgabe der revolutionären Organisationen des Proletariats. Das heißt nicht, das Programm wäre ein vom Bewußtwerdungsprozeß des gesamten Proletariats getrenntes Element, sondern es ist der lebendigste Faktor, die systematischste und mächtigste Kraft. Es faßt die gewaltige Menge an Erfahrung, Reflektion und Tendenzen des Proletariats in klaren und Handlungsweisen aufzeigenden Prinzipien zusammen.

Das kommunistische Programm ist keine Doktrin, die den Massen eingegeben werden müßte, welche sie dann nur noch passiv zu folgen hätten.

Das kommunistische Programm hat einen weltweit gültigen Charakter. Es ist keine einfache Wiederholung von Prinzipien, auch soll durch seinen internationalen Charakter nicht geleugnet werden, daß es in jedem Land besondere Schwierigkeiten und spezifische Faktoren zu berücksichtigen gibt.

An erster Stelle ist also das Programm eine Waffe für den Kampf, eine Methode, um die Kämpfe zu analysieren und zu orientieren, deren Besonderheiten erst im Licht der historisch weltweiten Erfahrung verstanden werden können.

Das kommunistische Programm ist kein unabänderliches Dogma, wie die Bordigisten behaupten, die davon ausgehen, daß das kommunistische Programm seit 1848 bis heute unverändert gelte, sondern eine Gesamtheit von schrittweise, im Laufe des historischen Kampfes des Proletariats ausgearbeiteten Positionen. Die neuen "Daten", "Elemente", die sowohl durch die Entwicklung des Kapitalismus als auch durch den Klassenkampf entstehen, werden auf einer höheren Ebene integriert, die die früheren Positionen nicht annulliert, sondern sie nur präzisiert, prägnanter faßt und sie stärker hinsichtlich des Endziels -der Kommunismus - konkretisiert. Die auf diese Art entwickelten Positionen sind unwiderruflich, stellen eine Klassengrenze zwischen Proletariat und Bourgeoisie dar.

Das kommunistische Programm wird ständig durch den Opportunismus bedroht, der Ausdruck des Gewichtes der bürgerlichen Ideologie in den Reihen der Arbeiter ist (wir werden in den nächsten Artikeln näher darauf eingehen). Jede proletarische Gruppe, die die Klassenpositionen vergißt oder sie indirekt oder offen in der Theorie oder in der Praxis relativiert, verfällt dem Opportunismus und wird dazu verurteilt, wenn sie diesem Prozeß nicht Einhalt gebietet, sich selbst zu zerstören und sich dem Feindeslager anzuschließen.

Die unnachgiebige Verteidigung des kommunistischen Programms bedeutet nicht einem Purismus oder Sektierergeist zu verfallen, wie zynischerweise die opportunistischen Rätisten und Bordigisten behaupten. Erstens weil die Klassengrenzen des Proletariats, sein Prinzipiensystem das Geheimnis seines Kampfes selber, seine tiefgreifende Dynamik erklären. Zweitens weil diese theoretische Stärke des Programms es ermöglicht, "in jedem Kampf die historische und geographische Dimension der Bewegung hervorzuheben, was nicht bedeutet, sich mit der Erwähnung der Endziele, dem Kommunismus auf Weltebene, zufrieden zu geben. Es kommt gerade darauf an, zu jedem Zeitpunkt den springenden Punkt hervorzuheben und Vorschläge zu machen, die zu verwirklichen sind und gleichzeitig einen wirklichen Schritt nach vorne für den Kampf und die Entwicklung der Einheit und des Klassenbewußtseins der gesamten Klasse sind" (aus Broschüre der IKS zu "Kommunistische Organisation und Klassenbewußtsein", S. 80).

Der Marxismus – treibende Kraft bei der Entwicklung des Klassenbewußtseins

Das Bewußtsein, das erst mit dem Auftauchen des Proletariats entsteht, hat seine eigene Dynamik, die auf der Reflektion, der Ausarbeitung und theoretischen Untersuchung beruht. Die Theorie ist ein unabdingbares Element bei der Ausdehnung und Entwicklung des Bewußtseins des Proletariats. Logischerweise ist ihr Verhältnis zur Gesamtheit der Klasse nicht das Gleiche, wie das zwischen der bürgerlichen Theorie und ihrer Klasse. Ebenso ist die Ausarbeitung, ihre Weiterentwicklung vollkommen anders.

So ist die Theorie keine bloße abstrakte Widerspiegelung der Welt, sondern ist zu jedem Zeitpunkt ungeachtet der Tatsache, daß sie einen gewissen Abstraktionsgrad benötigt, um die einzelnen Fakten zu begreifen und sie in ihrem historischen Rahmen zu sehen, ein Element des praktischen Kampfes des Proletariats. Im Gegensatz zu der bürgerlichen Theorie hat sie keinen ahistorischen, auf das menschliche Gattungswesen als solchen oder den Einzelnen bezogenen Charakter. Sie zeichnet sich vor allem durch ihren historischen Charakter und ihre Zugehörigkeit zu einer Klasse aus, die zur Aufgabe hat, die umfassendste gesellschaftliche Umwälzung zu vollziehen, die bislang in der Geschichte der Menschheit stattgefunden hat. Schließlich entfaltet sich die proletarische Theorie nicht nach den Regeln der Arbeitsteilung zwischen Intellektuellen und Handarbeitern, die in allen Ausbeutungsgesellschaften vorherrschten ; die Art, wie sie sich entwickelt, spiegelt vielmehr schon ihr Endziel wider - nämlich die Abschaffung der Arbeitsteilung.

"Der Marxismus ist die grundlegende theoretische Errungenschaft des proletarischen Kampfes. Auf seiner Grundlage gliedern sich alle Errungenschaften des proletarischen Kampfes in ein kohärentes Ganzes ein. Indem er den Verlauf der Geschichte durch die Entwicklung des Klassenkampfes erklärt, und indem er das Proletariat als den Träger der Revolution anerkennt, die den Kapitalismus abschaffen wird, wird der Marxismus zur einzigen Weltauffassung, die wirklich den Standpunkt der Arbeiterklasse ausdrückt" (Plattform der IKS, S.4).

Wenn wir vom Marxismus sprechen, meinen wir nicht das Werk von Karl Marx als solches, sondern wir meinen damit eine Auffassung von der Welt und eine Methode des Begreifens ihrer Entwicklung, deren erster und systematischer Autor Marx war. Diese Methode ist die kohärenteste und radikalste Ausarbeitung der programmatischen Positionen des Proletariats.

"Heute Marxist zu sein bedeutet nicht, jeden einzelnen Buchstaben des Werkes Marxens wörtlich zu übernehmen. Dies würde viele Probleme aufwerfen, da sich in verschiedenen Abschnitten der Schriften Marx° Widersprüche befinden. Dies ist kein Beweis für die Inkohärenz, sondern ein Zeichen dafür, daß seine Gedanken lebendig in ständiger Entwicklung waren und sich auf die Wirklichkeit und die historische Erfahrung bezogen" (International Review, Nr. 33, "Marx ist immer aktuell"). Der Marxismus ist weder eine Summe von Positionen noch ein geschlossenes System, das von bestimmten abstrakten Prämissen ausginge, die ebenso zu bestimmten abstrakten Schlußfolgerungen führten, (wie das bei den meisten philosophischen Systemen der Fall ist) ebensowenig ist er ein System der Klassifizierung der Wirklichkeit, bei der jedes Phänomen genau definiert würde, ohne daß dabei seine Dynamik und seine Evolution berücksichtigt wird.

Er steht im Gegensatz zu solchen Denkweisen. Der Marxismus ist eine Methode, die ständig und konstant auf die Notwendigkeiten des historischen Kampfes des Proletariats Antworten gibt. Dabei darf er nicht als statisch betrachtet werden; er ist vielmehr eine dynamisch-dialektische Methode; deshalb ist er keine Summe von Rezepten für den Klassenkampf, auch keine Garantie, daß man nie Fehler macht, sondern eine lebendige Methode, die ständig eine für das Proletariat vorantreibende Rolle spielt.

Der Marxismus umfaßt die am meisten fortgeschrittenen Errungenschaften des Gedankengutes der Bourgeoisie, als diese noch eine revolutionäre Klasse war, d.h. genau gesagt den wissenschaftlichen und dialektischen Charakter der Methode Hegels, der als erster den partiellen und statischen und idealistischen Charakter der Philosophie verworfen hatte. "Die Geschichte der Philosophie und die Geschichte der Sozialwissenschaft zeigen mit aller Deutlichkeit, daß der Marxismus nichts enthält, was einem "Sektierertum" im Sinne einer abgekapselten, verknöcherten Lehre ähnlich wäre, die abseits von der Heerstraße der Entwicklung der Weltzivilisation entstanden ist. Im Gegenteil: Die ganze Genialität Marx' besteht gerade darin, daß er auf die Fragen Antworten gegeben hat, die das fortgeschrittene Denken der Menschheit bereits gestellt hatte" (Lenin, "Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus", 1913).

Der Marxismus schreitet voran, indem er sowohl dem Druck der feindlichen Klasse wie den unzureichenden Positionen entgegentritt, die als zögernde, schwankende und unklare Positionen in den Reihen des Proletariats existieren können.

Die marxistische Methode ist materialistisch, historisch und dialektisch. Sie ist materialistisch, weil sie die Welt als eine konkrete historische Gesamtheit auffaßt, in der sich der Mensch und die Natur in einer einzigen Globalität bewegen, und deren inneren Entwicklungsgesetze er analysieren kann. "Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg (Schöpfer) des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materie" (Marx, Nachwort zur 2. Auflage des Kapitals, NEW 23, Bd. 1, S. 27).

Aber der Marxismus ist kein vulgärer Materialismus, gegen den er im Gegenteil antritt: "Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus - den Feuerbachschen mit eingerechnet - ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung aufgefaßt wird; nicht aber als menschliche sinnliche Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv" (Marx, Thesen über Feuerbach, 1.These).

Er ist historisch, weil er vom Klassenkampf als dem Motor der Geschichte ausgeht, und diesen jeweils in ein dialektisches Verhältnis mit der Entwicklung der Produktivkräfte stellt. Er begreift das Proletariat als Klasse, das ausgehend von einer bestimmten Entwicklung der Produktivkräfte seine geschichtliche Aufgabe, die Abschaffung der Ausbeutung und der Klasse erfüllt.

Es ist dialektisch, weil er die Geschichte nicht als eine ständige Rückkehr in die Vergangenheit oder als bei Null beginnend auffaßt, sondern als eine Entwicklung, die sich in Widersprüchen bewegt (These-Antithese-Synthese) ; das ist der Rahmen, innerhalb dessen sich eine Kontinuität zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart herstellt, wobei sie ständig durch die Zukunftsperspektive (den Kommunismus) angezogen und geleitet wird, und die den Bezugspunkt gegenüber dem Gewicht der Vergangenheit (Konservatismus, Dogmatismus) und den Schwächen der Gegenwart (Empirismus, Immediatismus, Revisionismus) darstellt.

Wenn wir uns auf den Marxismus berufen, treten wir damit auch den Verzerrungen und Entstellungen entgegen, die die Bourgeoisie in die Welt setzt, um den Marxismus als Waffe des Proletariats zu entschärfen, insbesondere die Stalinisten, die Sozialdemokratie, Trotzkisten usw. sowie die Marxologen, die Universitätsmarxisten betreiben diese Arbeit.

Die ersten leugnen die Grundprinzipien des Marxismus: den Internationalismus, die Diktatur des Proletariats, seine politische Selbständigkeit… Der universitäre Marxismus dagegen reduziert ihn auf ein philosophisches System, dessen praktische Auslegung nur zur Verteidigung des bestehenden Systems dient.

Unter dem Gewicht der bürgerlichen Ideologie vertreten viele Teile des proletarischen Lagers eine verzerrte und konfuse Auffassung des Marxismus: die Bordigisten reduzieren ihn auf ein Dogma, die Rätisten machen aus ihm eine Methode der ‚gesellschaftlichen Untersuchungen’, andere verwerfen ihn ganz oder teilweise, weil sie dem Marxismusanspruch der Stalinisten und Trotzkisten auf den Leim gehen und sich dadurch abgeschreckt fühlen. Und schließlich machen ihn viele zu einem reinen Akademismus.

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Im nächsten Artikel werden wir darauf eingehen, wie die Bourgeoisie als herrschende Klasse versucht, den Bewußtwerdungsprozeß des Proletariats zu verhindern und welche Abweichungen und Schwächen innerhalb des Proletariats vorhanden sind, insbesondere der Opportunismus. (aus Acción Proletaria, Zeitung der IKS in Spanien).

(1) In ‚Geschichte der russischen Revolution’ von Trotzki, und ‚10 Tage, die die Welt erschütterten’, von J. Reed sowie in ‚Massenstreik, Partei und Gewerkschaften’ von Rosa Luxemburg findet man genug Material, das die Eigenständigkeit und das massive Bewusstsein des Proletariats in Zeiten revolutionärer Kämpfe verdeutlicht.

Teil 3 – aus Weltrevolution Nr. 20, 1985,

KLASSENBEWUSSTSEIN, MOTOR DER REVOLUTION(3)

In diesem letzten Artikel der Serie über das Klassenbewußtsein des Proletariats wollen wir die Krankheiten untersuchen, die den Bewußtwerdungsprozeß des Proletariats bedrohen: der Opportunismus und Zentrismus.

Der Opportunismus und Zentrismus greifen bevorzugt die politischen Organisationen des Proletariats an: verstricken die neu entstehenden Gruppen in einem Wirrwarr politischer Konzessionen an die Bourgeoisie, der Versöhnung oder dem Schwanken zwischen konsequent proletarischen Positionen und denen der Bourgeoisie. Sie hemmen ernsthaft deren Bemühungen, eine marxistische Kohärenz zu entwickeln. Andererseits bedrohen sie die Gruppen, die fest im Marxismus verankert sind, mit dem Krebs der mangelnden Festigkeit bei der Vertiefung der Prinzipien, dem Außerachtlassen der Prinzipien in der Praxis u.a. Die Geschichte beweist, daß der Opportunismus und Zentrismus eine entscheidende Rolle bei der Degenerierung der proletarischen Organisationen wie bei der II. und III. Internationale und der Integration der verschiedenen Parteien in den bürgerlichen Staat gespielt haben.

Heute muß das Proletariat die größtmögliche Klarheit und Entschlossenheit erlangen, um das Kräfteverhältnis gegenüber der Bourgeoisie zu seinen Gunsten ausschlagen zu lassen; und dazu muß es Opportunismus und Zentrismus energisch bekämpfen.

Das Wesen des Opportunismus und Zentrismus

Um zu begreifen, warum die Krankheiten des Opportunismus und Zentrismus das Proletariat befallen, ist es notwendig, die Bedingungen zu begreifen, unter denen das Proletariat sein Bewußtsein entwickelt.

Das Proletariat muß die gewaltigste Revolution der Geschichte der Menschheit verwirklichen: die jahrtausend alten Ausbeutungsgesellschaften zerstören, eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und ohne Klassen aufbauen, die menschliche Weltgemeinschaft, etwas ganz Neues, bislang noch nie Dagewesenes. Und diese ungeheuer große Aufgabe muß es als ausgebeutete Klasse verwirklichen, die dem Druck und der ständigen Wachsamkeit der herrschenden Klasse unterworfen ist.

Auf dem Hintergrund der wirklichen, materiellen Bedingungen entwickelt das Proletariat sein Bewußtsein und kämpft um die Durchführung seiner historischen Aufgabe. Diese Bedingungen bringen es mit sich, daß das Proletariat nicht abgeschlossen, im luftleeren Raum sein Bewußtsein entwickelt, in einem Bereich, in dem es keine Widerstände gäbe, sondern es ist ständig den Angriffen der herrschenden Klasse ausgesetzt:

- dem furchtbaren Druck der bürgerlichen Ideologie,

- die Bourgeoisie führt gegen die Arbeiterklasse die Strategie der Linken in der Opposition zu Felde;

- dem Einfluß der Kleinbourgeoisie, die Träger konfuser und reaktionärer Werte und Aktivitäten sind;

- dem Gewicht einer jahrhunderte alten Ausbeutung mit ihrem untragbaren Taster der Unterwerfung, dem Individualismus und dem Obskurantismus.

Diese Gesamtheit der Bedingungen führt dazu, daß die Bewußtwerdung des Proletariats inmitten einer gewaltigen Konfusion, einem zerbrechlichen, geschwächten Umfeld stattfindet, wodurch ein ständiger Prozeß der Klärung und politischen Loslösung und Herausarbeitung durch die politischen Organisationen erforderlich ist.

Aus diesen Bedingungen der Konfusion und permanenten Schwierigkeiten gehen die Krankheiten des Opportunismus und Zentrismus hervor, welche sich ständig zwischen der kohärentesten proletarischen Position einerseits (den marxistischen Organisationen) und dem Lager der Bourgeoisie andererseits einzunisten versuchen. Es handelt sich um ein sumpfiges, konfuses Gebilde, das das gesamte Proletariat und die konsequentesten Verteidiger seines Programms, die marxistischen Organisationen, heimsucht.

Der Opportunismus besteht in der Kapitulation gegenüber den Positionen der Bourgeoisie; er verwirft oder entstellt die revolutionären Prinzipien aus Gründen der "Taktik", "um möglichst mehr zu sein, anstatt alleine da zu stehen", "damit wir in der Klasse auf Gehör stoßen" oder einfach indem er sich den unmittelbaren Bedingungen oder einer rein empiristisch oder idealistischen Analyse unterwirft. Der Zentrismus ist eine Variante des Opportunismus, der in der Theorie die kommunistischen Prinzipien mit Worten nach Außen hin vorgibt zu verteidigen, in Wirklichkeit aber nicht zu ihnen steht; sie in der Praxis relativiert oder sie mit offen opportunistischen Positionen zu verbinden sucht.

Der Opportunismus und Zentrismus in den politischen Organisationen des Proletariats

Der Opportunismus und Zentrismus gehören nicht dem Lager der Bourgeoisie an, sondern sind Tendenzen, die aus den Reihen des Proletariats hervorgehen.

Die KPs, SPs, Gewerkschaften und Parteien der Extremen Linke sind keine Zentristen oder Opportunisten, sondern Teil des kapitalistischen Staates, die bewußt gegen das Proletariat vorgehen, um dessen Kämpfe zu sabotieren.

Dagegen tauchen die opportunistischen und zentristischen Tendenzen in den Reihen des Proletariats in den Organisationen und unter den Elementen auf, die versuchen, seinen Kampf zu stärken und sein Klassenbewußtsein zu entwickeln, die aber dann dem ständigen Druck der Bourgeoisie und dem zersetzenden Einfluß des Kleinbürgertums nachgeben und eine Reihe von Konzessionen gegenüber den Positionen des Kapitalismus machen und den Marxismus aufgeben.

Die Gewerkschaften, Linke und Extreme Linke müssen mit der Waffe in der Hand bekämpft werden, weil sie Teil des kapitalistischen Staates sind; die zentristischen und opportunistischen Tendenzen werden durch eine klare , unnachgiebige politische Ablehnung der Konfusionen, eine offene und systematische Diskussion, eine energische Debatte bekämpft, um zu verhindern, daß sich die jetzigen revolutionären Elemente im Sumpf der Bourgeoisie verfangen.

Die Opportunisten und Zentristen spielten bei der Entartung der alten Arbeiterorganisationen und dem Übergang ins kapitalistische Lager eine entscheidende Rolle; das trifft insbesondere zu für den Verlust der II. und III. Internationale für das Proletariat (aus der II. Internationale gingen die "sozialistischen" Parteien hervor, die eine gute Arbeit für das Kapital leisteten, und aus der III. Internationale, aus der die Stalinisten entstanden, die die Sozialdemokratie um kein Manöver und kein Verbrechen zu beneiden brauchen, haben sie doch genauso viele gegen die Arbeiter vollbracht).

Von 1890 an entfalteten sich opportunistische Tendenzen in der Arbeiterbewegung eindeutig: in den Reihen der Sozialdemokratie mit dem Reformismus (dessen Sprecher Bernstein, Vollmer usw. waren), der einen schrittweisen Kampf für die friedliche Umwälzung des Kapitalismus vorschlug und damit die proletarischen Prinzipien über Bord warf. Außerhalb der Sozialdemokratie gab es den Anarcho-Syndikalismus, der den Selbstverwaltungsreformismus theoretisierte und Propaganda für den Generalstreik am Tage X betrieb.

Aber zwischen der revolutionären marxistischen Position (Lenin, R.Luxemburg, Pannekoek) und den opportunistischen Tendenzen tauchte eine zentristische, versöhnliche, von Kautsky verkörperte Tendenz auf, die langsam anfing , die Grundsatzpositionen des Marxismus selber in Frage zu stellen. Kautsky erschien als der orthodoxeste Verteidiger des Marxismus, aber seine Verteidigung war in Wirklichkeit der schlimmste Angriff. 3 Grundsatzfragen verdeutlichten die große Gefahr, die seine zentristische Position darstellte:

Als R. Luxemburg den 1905 in Rußland aufgetauchten Massenstreik als einen Ausdruck des Wechsels der historischen Periode analysierte und aus diesem den Schluß zog, daß nunmehr die Revolution auf der Tagesordnung der Geschichte stand, und als sie dabei den Gradualismus und Reformismus der Gewerkschaften kritisierte, bezeichnete Kautsky, der sich als den Verteidiger des Massenstreiks ausgab, R. Luxemburg als "Anarchistin". Er war unfähig die historischen Veränderungen zu erkennen.

Als Lenin und Pannekoek die grundlegende Notwendigkeit der proletarischen Revolution hervorhoben, (die Zerstörung des bürgerlichen Staates), griff Kautsky diese grundlegende Position an und bezeichnete sie als "anarchistisch";

- Als 1914der imperialistische Krieg ausbrach, trat Kautsky an die Spitze einer Tendenz, die sich zwischen die Sozialpatrioten (die endgültig in das Lager der Bourgeoisie übergewechselt waren), welche für die bedingungslose Unterstützung des Krieges im Namen der "Verteidigung des Vaterlandes" eintraten, und die konsequenten Revolutionäre (Lenin, Luxemburg, Liebknecht) stellten. Die konsequenten Revolutionäre traten für die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg, d.h. in einen Klassenkrieg ein.

Der Opportunismus und Zentrismus machten in Anbetracht des langsamen Zurückweichens der revolutionären Welle von 1917-23 den gewaltigen Schritt zunichte, den das Weltproletariat mit der Gründung der III. Internationale vollzogen hatte. Die Klarheit und Vertiefung des Marxismus, welche die Theorien des I. Kongresses der Komintern ermöglicht hatten, wurden schnell durch das Abgleiten ihrer Hauptführer (Lenin, Trotzki, Sinowjew, Radek usw.) aufgeweicht zu einer zentristischen Haltung zwischen dem unverblümten Opportunismus, der aus den alten sozialdemokratischen Parteien hervorging und den unnachgiebigen marxistischen Positionen der Kommunistischen Linke (KAPD, Bordiga).

Verschiedene Tatsachen verdeutlichen diesen Prozeß:

Unterstützung durch die Kornintern auf ihrem II. Kongreß der nationalen Befreiungsbewegungen, der These von der Wiedereroberung der Gewerkschaften und des revolutionären Proletariats, was eine Verwerfung der marxistischen Position zu den Bedingungen des Arbeiterkampfes im dekadenten Kapitalismus bedeutete,

Aufnahme der opportunistischen Strömungen, die aus dem linken Flügel der Sozialdemokratie staunten, in die Kornintern, ohne daß dabei feste Kriterien berücksichtigt worden wären (trotz der verschärften Aufnahmebedingungen).

- Verabschiedung der Thesen zur "Einheitsfront" auf dem III. Kongreß, was ein schrittweises Abgleiten hin zu einer Kapitulation gegenüber den sozialdemokratischen Parteien bedeutete, die voll in den kapitalistischen Staat integriert waren.

Der Krebs des Opportunismus und Zentrismus führte zur Auslöschung der III. Internationale als proletarische Organisation und zum Übergang der verschiedenen kommunistischen Parteien in den Dienst des jeweiligen nationalen Kapitals.

Die Geschichte der Arbeiterbewegung - insbesondere ihrer marxistischen Organisationen - beweist, daß der Zentrismus und Opportunismus eine tödliche Gefahr sind, die langsam die Avantgardeorganisationen des Proletariats erwürgen und sie schließlich durch ihre Auflösung, Auslieferung, Verfaulung und Schwächung dem staatlichen kapitalistischen Monster übereignen.

Der Opportunismus und Zentrismus sind ein Phänomen falschen Bewußtseins in den Reihen des Proletariats. Sie stellen eine Aufgabe der marxistischen Methode, ihrer Kohärenz zwischen Theorie und Praxis dar, zwischen der Analyse der ummittelbaren oder besonderen Lage und der Verteidigung der allgemeinen historischen Perspektive, zwischen der Verteidigung der Prinzipien und ihrer Anwendung in einer konkreten Situation.

Opportunismus und Zentrismus sind ein Virus, der das Proletariat zutiefst schwächt und es gegenüber den Mystifikationen und Machenschaften der Bourgeoisie, insbesondere ihrer Gewerkschaften und linken Apparate anfällig macht. Vor allem in den entscheidenden Augenblicken gegen den bürgerlichen Staat haben sie eine lähmende Wirkung. Wenn sie in den Reihen des Proletariats siegen, besiegelt das die Niederlage des Proletariats.

In der heutigen, für das Proletariat und die Menschheit entscheidenden historischen Situation muß das Proletariat und seine kommunistischen Organisationen seine Wachsamkeit und den politischen Kampf gegen die opportunistischen und zentristischen Tendenzen, die in seinen Reihen entstehen und entstehen werden, verstärken. Die Loslösung und energische Bekämpfung dieser Tendenzen ist von grundlegender Bedeutung für die Gründung der zukünftigen Kommunistischen Weltpartei des Proletariats und des Sieges der proletarischen Revolution.

(aus Acción Proletaria, Zeitung der IKS in Spanien).

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [4]

März 2007

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AIRBUS, TELEKOM, BAYER: Die Notwendigkeit der internationalen Arbeitersolidarität

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Am Mittwoch, den 28. Februar kündigte der Airbus-Konzern den Abbau von 10.000 Arbeitsplätzen binnen vier Jahren in Europa an, davon 4.300 Stellen in Frankreich, 3.700 in Deutschland, 1.600 in Großbritannien und 400 in Spanien. Betroffen davon werden je zur Hälfte Zeitarbeiter und Festangestellte sein. Die Werke St. Nazaire in Frankreich und Varel und Laupheim in Deutschland sollen verkauft, Nordenham als „Joint Venture“ geführt werden. In mehreren französischen Werken reagierte man auf das „Power 8“ getaufte „Sparprogramm“ mit Arbeitsniederlegungen. In Varel, Laupheim und Nordenham fanden ebenfalls sofort Proteststreiks statt, welche meistenteils bis zum darauf folgenden Montag andauerten. Obwohl die Konzernleitung sichtlich bemüht war, den Eindruck zu erwecken, dass die Zukunft der wichtigsten, sich in städtischen Ballungsräumen befindenden deutschen Standorte – Hamburg und Bremen –gesichert sei, fanden auch dort erste Arbeitsniederlegungen statt. Dies geschah teilweise als Reaktion auf den auch dort vorgesehenen Stellenabbau (1.000 Jobs in Hamburg, 900 in Bremen stehen zur Disposition) und teilweise aus Solidarität mit den noch härter betroffenen Belegschaften. Überall war von den betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter zu hören, dass die Beschäftigten der verschiedenen Standorte im In- und Ausland unbedingt zusammenstehen und verhindern müssen, dass die Belegschaften gegen einander ausgespielt werden.

Am Mittwoch, den 28. Februar kündigte der Airbus-Konzern den Abbau von 10.000 Arbeitsplätzen binnen vier Jahren in Europa an, davon 4.300 Stellen in Frankreich, 3.700 in Deutschland, 1.600 in Großbritannien und 400 in Spanien. Betroffen davon werden je zur Hälfte Zeitarbeiter und Festangestellte sein. Die Werke St. Nazaire in Frankreich und Varel und Laupheim in Deutschland sollen verkauft, Nordenham als „Joint Venture“ geführt werden. In mehreren französischen Werken reagierte man auf das „Power 8“ getaufte „Sparprogramm“ mit Arbeitsniederlegungen. In Varel, Laupheim und Nordenham fanden ebenfalls sofort Proteststreiks statt, welche meistenteils bis zum darauf folgenden Montag andauerten. Obwohl die Konzernleitung sichtlich bemüht war, den Eindruck zu erwecken, dass die Zukunft der wichtigsten, sich in städtischen Ballungsräumen befindenden deutschen Standorte – Hamburg und Bremen –gesichert sei, fanden auch dort erste Arbeitsniederlegungen statt. Diese geschahen teilweise als Reaktion auf den auch dort vorgesehenen Stellenabbau (1.000 Jobs in Hamburg, 900 in Bremen stehen zur Disposition) und teilweise aus Solidarität mit den noch härter betroffenen Belegschaften. Überall war von den betroffenen Arbeiterinnen und Arbeitern zu hören, dass die Beschäftigten der verschiedenen Standorte im In- und Ausland unbedingt zusammenstehen und verhindern müssen, dass die Belegschaften gegen einander ausgespielt werden.

An eben diesem 28. Januar legten 12.000 Telekom-Beschäftigte gleichfalls die Arbeit nieder und zogen protestierend vor die Konzernzentrale in Bonn. Sie reagierten damit auf die Ankündigung des Managements, 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Konzern auszugliedern, was zunächst bedeutet: für deutlich weniger Geld vier Stunden die Woche mehr arbeiten zu müssen.  Inzwischen will die ‚Wirtschaftswoche‘ erfahren haben, dass nicht 50.000 sondern 85.000 Opfer dieses „Outsourcing“ werden sollen.

 

 

Genau zwei Tage später, am 2. März, demonstrierten aufgebrachte Arbeiterinnen und Arbeiter vor der Schering-Zentrale in Berlin. Ihr Protest galt dem soeben angekündigten Abbau von 6.100 Stellen weltweit. Betroffen sind Standorte in den USA, Japan, Kanada, Südamerika, dem asiatisch-pazifischen Raum sowie in Deutschland vornehmlich der Sitz der Bayer Schering Pharma AG mit 1.200 Stellen.

 

 

Mit diesen Aktionen bewiesen die Betroffenen wieder einmal die urwüchsige Klugheit der kollektiv in Bewegung geratenen Arbeiterklasse. Indem sie die falschen Alternativen - passives Hinnehmen oder  kopflos und isoliert bis zum bitteren Ende streiken - vermieden, setzten die Betroffenen ein erstes aber deutliches Signal, mit den Plänen des Kapitals nicht einverstanden zu sein und sie nicht hinnehmen zu wollen. Dabei rückte die Frage der Solidarität unvermeidlich in den Mittelpunkt des Arbeiterkampfes. Mit ihrer Betonung des Zusammenhalts aller Airbus-Beschäftigten in Europa, mit den Solidaritätsaktionen in Hamburg und Bremen knüpfen die Betroffenen an die besten Traditionen der Arbeiterbewegung wieder an, wie das beispielsweise vor drei Jahren bei Mercedes geschah, als das Werk Bremen aus Solidarität mit den angegriffenen Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart mitstreikte.

 

 

 

 

Der Verlust der Illusionen

 

So die ersten Reaktionen der Arbeiter. Und wie reagiert die Politik, wie  reagieren die Regierungen dieser Welt auf diese neue Welle der Massenentlassungen und der „Präkarisierung“? Sie reagieren mit Sympathiebekundungen gegenüber den Betroffenen sowie mit Zusicherungen, helfen zu wollen. Warum plötzlich diese „Sympathie“ der Regierenden, die sich sonst gnadenlos zeigen, wenn es darum geht, die Lasten der kapitalistischen Wirtschaftskrise auf die Schultern der Arbeiterklasse abzuwälzen? Von Sympathie war jedenfalls wenig zu spüren, als es darum ging, Hartz IV, die Rente mit 67, die „Lockerung“ des Kündigungsschutzes oder den erbarmungslosen Lohnabbau durchzusetzen. Die Herrschenden kennen keine Sympathie mit der Klasse, von deren Ausbeutung sie leben. Sie sind aber jetzt aufgeschreckt, da die neuen Massenentlassungen im Herzen der modernen Industrie sowie die Reaktionen der Betroffenen die kommenden sozialen Explosionen ankündigen. Eigentlich wollte die Große Koalition am 28. Februar triumphal die Senkung der offiziellen Arbeitslosenzahlen um 826.000 gegenüber dem Vorjahr ankündigen und feiern lassen. Die Hiobsbotschaften  von Airbus, Telekom und dann Bayer, aber auch die von China ausgehende Panik an den Weltbörsen haben Union und SPD einen Strich durch die Rechnung gemacht. Von der immer krasser werdenden Retouchierung der Erwerbslosenstatistiken abgesehen, fragen sich immer mehr Menschen zu recht, was das für neue Jobs sein sollen, die entstehen, während (mit einer Ausnahme) sämtliche in Deutschland börsennotierten Unternehmen im vergangenen Jahr kräftig Arbeitsplätze abgebaut haben (Mercedes z.B. in aller Stille 15.000). Es handelt sich offensichtlich um Arbeit zu Hungerlöhnen, das, was man „working poor“ nennt.

 

 

Die Herrschenden sind also alarmiert und wollen kein Öl ins Feuer gießen. Sie sind nicht weniger besorgt als der Betriebsratsvorsitzende von Opel in Bochum, der die aufkommenden Spekulationen darüber, dass General Motors erneut in Erwägung zieht, ein Werk in Europa – entweder Bochum oder Antwerpen – zu schließen, Anfang März so kommentierte: „wer dies tue, riskiere es, einen Krieg auszulösen“. Dabei meinte er einen Klassenkrieg. Dieser Krieg wird zwar nicht so schnell kommen. Aber die ersten Vorgeplänkel dazu finden jetzt schon statt.

 

 

Sie gehen einher mit dem Verlust der Illusionen der Lohnabhängigen in die Möglichkeit, Verbesserungen innerhalb dieses Systems zu erzielen. Statt dessen merken sie, dass sie ihren jetzigen Lebensstandard im Kapitalismus nicht mehr halten können. Dies gilt um so mehr, da derzeit sogar solche Firmen ihre Belegschaften massiv angreifen, die noch satte Profite erzielen (wie die Telekom) oder volle Auftragsbücher zu verzeichnen haben (wie bei Airbus). So wird das alte Märchen zunehmend der Lächerlichkeit preisgegeben, demzufolge es sich lohne, sich als Arbeiter für die Interessen des Kapitals zu opfern, da es den Arbeitern gut gehe, wenn es „ihren“ Firmen gut geht. Stattdessen wird der Interessengegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital immer unübersehbarer.

 

 

 

 


Auffallend an den Äußerungen der Demonstrierenden bei Airbus oder Telekom war die Beschäftigung mit der Zukunft, mit der (mangelnden) Perspektive der kommenden Generation, also mit der Frage, in welcher Welt unsere Kinder leben werden. Es handelt sich um erste Ansätze, die Frage einer Alternative zum Kapitalismus wieder aufzuwerfen.

 

 

Was die Entlassungen derzeit v.a. bei Airbus außerdem verdeutlichen, ist dass die Arbeiter aller Länder vor denselben Problemen stehen. Seit Jahren will uns die bürgerliche Propaganda weiß machen, dass es der arbeitenden Bevölkerung verschiedener europäischer Nachbarstaaten besser gehe als „hierzulande“, da dort die Wirtschaft –sprich der Kapitalismus – besser funktioniere. Auch hier macht die Realität dieser Propaganda den Ausbeutern einen Strich durch die Rechnung. Brisant bei Airbus ist nicht zuletzt die sich abzeichnende Erkenntnis, dass die Arbeiterklasse in Frankreich und Deutschland gleichzeitig frontal angegriffen wird. Brisant nicht nur, weil der moderne Kapitalismus in den letzten 150 Jahren die Arbeiter Frankreichs und Deutschlands in drei mörderischen Kriegen gegeneinander gehetzt hat, sondern auch, weil die Arbeiterbewegung dieser beiden Länder in der Geschichte immer wieder imstande war, von einander zu lernen und durch ihre Kämpfe den Arbeitern aller Länder ein Signal zu geben. Aber auch die jüngste Ankündigung Daimler-Chryslers, Tausende von Stellen v.a. in den USA abzubauen, hilft zu verdeutlichen, dass es weltweit eine Arbeiterklasse gibt, der ein einziger Gegner gegenübersteht.

 

 

 

 

 

 

 

Die Gewerkschaften: Speerspitzen der kapitalistischen Konkurrenz

 

Und wie reagieren die Gewerkschaften? Sie haben angekündigt, um jeden Arbeitsplatz und um jeden Standort kämpfen zu wollen. Diesen „Kampf um jeden Arbeitsplatz“ kann man natürlich nur als Floskel auffassen, wenn man bedenkt, welch millionenfache Arbeitsplatzvernichtung gerade die Gewerkschaften in der Vergangenheit mit unterschrieben und auch durchgesetzt haben. Dabei haben sie oft genug vorauseilend ihre eigenen „Sparpläne“ vorgelegt, welche nicht selten über die der Unternehmen hinausgingen und noch raffinierter die Betroffenen unter einander spalteten.

Sie taten und tun dies nicht in erster Linie aus Bösartigkeit, oder weil sie korrumpiert sind, sondern weil sie als bekennende Verteidiger des Kapitalismus die Konkurrenz bejahen. Die Konkurrenz aber ist das Grundprinzip des Kapitalismus, während die Solidarität das Grundprinzip des Arbeiterkampfes bildet. Diese beiden Dinge lassen sich niemals vereinbaren. Dies macht derzeit z.B. die Haltung der französischen Gewerkschaften gegenüber der Lage bei Airbus deutlich. Sie quittierten die Nachricht von den „Power 8“ Plänen des Konzerns mit einem Aufschrei gegen „den Ausverkauf der französischen Industrie“. Seitdem hetzen sie gegen „die Deutschen“, die angeblich bei Airbus „die Franzosen“ über den Tisch gezogen haben.

 

 

Was ist aber mit der IG Metall (IGM) in Deutschland? Redet sie nicht der „internationalen Solidarität“ das Wort? War es nicht die IGM, welche als erste zu einem europaweiten Aktionstag bei Airbus (Mitte März) aufgerufen hat? Diese wohlfeilen Phrasen der internationalen Solidarität stehen den deutschen Gewerkschaften schlecht zu Gesicht. Auch sie kennen sich bestens aus, wenn es darum geht, sich der nationalistischen Hetze zu bedienen. Jedoch bietet die augenblickliche Lage in Deutschland, mit der Gleichzeitigkeit der Angriffe in verschiedenen Branchen, wenig Gelegenheit dazu. Oder sollen die Franzosen auch noch für die Misere bei der Telekom oder bei Bayer herhalten? So übernimmt die IGM in einer Art urwüchsigen Arbeitsteilung den Part des „internationalistischen“ Verteidigers des europäischen Airbuskonzerns insgesamt: Gegenüber der Konkurrenz von Boeing aus Amerika. Das verspricht eine „gehobenere“, transatlantische Art, die Arbeiter verschiedener Länder gegeneinander aufzuhetzen. Dabei verteidigt diese Gewerkschaft damit durchaus die ureigenen Interessen des deutschen Kapitals. Denn Deutschland allein ist nicht imstande, gegenüber der amerikanischen Konkurrenz eine eigene Flugzeugindustrie zu unterhalten. Die Interessen des deutschen Kapitals verlangen somit eine Mäßigung der inner-europäischen Konkurrenz innerhalb des Airbuskonzerns, um Boeing die Stirn bieten zu können. Das titulieren sie dann „Solidarität aller europäischen Standorte“. Die Gewerkschaften sind immer dabei, wenn es darum geht, den jeweiligen Betrieb, Konzern oder die Nation gegen andere zu verteidigen. Einen besonderen Eifer entfalten sie allerdings dann, wenn es um die Verteidigung der strategischen Interessen des eigenen Nationalstaats geht. Bei Airbus beispielsweise geht es auch und gerade um militärische Fragen, um den neuen, riesigen europäischen Militärtransporter, um die Satellitentechnologie des EADS Konzerns usw. Da ist die IG Metall sehr engagiert. Nicht weniger engagiert zeigt sich die Gewerkschaft Verdi gegenüber der Deutschen Telekom. Jahrelang hat Verdi die Monopolstellung bzw. die Restprivilegien des einstigen Staatskonzerns erbittert verteidigt – angeblich im Interesse der Beschäftigten. Dabei sprechen die jetzt vom neuen Konzernchef Obermann vorgelegten Zahlen eine deutliche Sprache: Verluste im Inland, Gewinne im Ausland. Was bedeutet das? Jahrelang durfte die Telekom mittels überhöhter Inlandspreise spektakuläre Einkäufe im Ausland finanzieren, um zum „global player“ aufzusteigen. Von wegen: "im Interesse der Beschäftigten", deren Arbeitsplätze immer wieder zehntausendfach abgebaut wurden! Es ging stattdessen um die Positionierung des deutschen Kapitals im strategisch wichtigen Telekommunikationsbereich, welcher für die kapitalistische Wirtschaft ebenso zentral ist wie fürs Militär. Jetzt, wo dieses Ziel mehr oder weniger erreicht ist, kann das deutsche Kapital es sich leisten, dem Druck der Europäischen Union (sprich der europäischen Konkurrenz!) nachzugeben und mehr Konkurrenz im Inland zuzulassen. Dies liegt sogar im Interesse des deutschen Kapitals, denn langfristig bedeuten überhöhte Telekommunikationspreise einen Standortnachteil. Wie vorher das Erlangen der Konkurrenzfähigkeit im Ausland, erfordert nun die Konkurrenzfähigkeit im Inland neue Opfer der Beschäftigten! Nachdem Verdi zuvor die Kolleginnen und Kollegen bei der Telekom eine 34h Woche mitsamt 8%igen Lohneinbußen aufzubürden half, sollen sie nun wieder vier Stunden mehr, und zwar gratis, arbeiten!

 

 

Man könnte viele andere solche Beispiele nennen, etwa die deutsche Energiewirtschaft, die letztens wieder von sich reden machte im Rahmen des Vorziehens der Bergbauschließungen an der Ruhr und an der Saar. Diese Konzerne haben jahrelang mit Unterstützung der Gewerkschaft eine Art Monopolstellung in Deutschland bewahren können und damit viel Kapital angehäuft, mit dem man nun versucht, die Energiewirtschaft anderer Staaten, wie z.B. Spanien, unter ihre Kontrolle zu bekommen. Es geht dabei um mehr als nur das Erzielen von Gewinnen. Denn wer die Energiewirtschaft anderer Staaten kontrolliert, kann diese Staaten auch erpressen, wie die jüngsten Konflikte Russlands mit der Ukraine und zuletzt Weißrussland wieder gezeigt haben. Es ist selbstredend, dass nicht nur der deutsche, sondern dass alle Staaten nach diesem Gesetz des Dschungels gegeneinander verfahren.

 

 

Kein Wunder also, wenn der Airbus-Chef Gallois seinen „Power 8“ Masterplan nicht als starres Schema vorstellte, sondern als Richtlinie, welche zusammen mit den Gewerkschaften „schöpferisch“ konkretisiert werden soll. Man zählt auf die Gewerkschaften vor Ort, die die Verhältnisse bestens kennen und für das in-Schach-Halten der Arbeiterklasse zuständig sind. Sie sollen dafür sorgen, dass der Widerstand der Arbeiter versandet, lokal abgekapselt und isoliert wird. Und die Gewerkschaften haben sofort ihre verantwortungsvolle Mitarbeit angekündigt. Sie werden umso „konstruktiver“ mitarbeiten, da es nicht nur um das Wohl des Konzerns, sondern um das des Vaterlandes geht. Sie werden gegebenenfalls auch nicht zögern, die Arbeiter gegeneinander in einen imperialistischen Krieg zu hetzen, so wie sie es bereits im Ersten Weltkrieg getan haben.

 

 

 

 

Das Problem des „Missmanagements“

 

Was die Krise bei Airbus betrifft, beeilte sich Bundeskanzlerin Merkel, den Gewerkschaften beizupflichten, die von Missmanagement sprechen gegenüber der Konzernleitung, welche den „schwachen Dollar“ als Hauptursache der Misere ausgemacht haben wollen. Das ist eine alte Leier. Wenn immer eine Firma ins Wanken gerät, sollen die Arbeiter denken, das liege nicht am kapitalistischen System sondern daran, dass man nicht kapitalistisch genug sei.

 

 

Jetzt sehen sich die Verteidiger des Systems allerdings bei ihren Klagen über Missmanagement gezwungen, ein wenig mehr zu verallgemeinern. Auf einmal gibt es drei Spitzenkonzerne, die unter dieser Krankheit leiden. Was schlagen sie uns also vor? Eine bessere Ausbildung für Manager? Schön. Es gibt gute und schlechte Manager. Die Firmen mit „gutem“ Management haben einen Konkurrenzvorteil gegenüber den schlecht geführten. Was wäre aber, wenn es nur noch gute Manager gäbe? Das Problem der Eliminierung der weniger konkurrenzfähigen Firmen und damit des permanenten Drucks, Stellen abzubauen und die Löhne zu drücken, würde wohl kaum verschwinden – deren Ursache nicht im „Missmanagement“ sondern in der kapitalistischen Konkurrenz liegt.

 

 

Oder wollen die Gewerkschaften beim Management der Konzerne mehr mitmischen, um dadurch deren Leitung aufzubessern? Dies ist seit Jahrzehnten längst geschehen! Die Gewerkschaften haben alle Entscheidungen bei Airbus oder der Telekom mitgetragen, die sie nun als „Missmanagement“ abkanzeln!

 

 

 

 

Die Notwendigkeit der internationalen Solidarität

 

Bei Airbus sehen sich die Arbeiter mit den beiden derzeitig hauptsächlichen Denkrichtungen der Bourgeoisie konfrontiert. Die Konzernleitung unter Gallois stellt den Typus der neoliberalen Globalisierer dar, welche die Firma als international operierendes Unternehmen ohne Rücksicht auf die politischen Interessen der beteiligten Nationalstaaten führen möchte. Das ist natürlich eine Utopie. Denn Airbus ist überhaupt erst als staatliches Geschöpf entstanden, als eine Willensbekundung bestimmter europäischer Staaten. Aber selbst wenn das realistisch wäre, was würde es der Arbeiterklasse anderes bescheren als das, was ohnehin angekündigt worden ist?

 

 

Die zweite, mehr protektionistisch ausgerichtete, die Rolle des Nationalstaates betonende Richtung wird auch heute wieder vornehmlich von der Politik und von den Gewerkschaften hochgehalten. Aber auch die Ideologie der „Globalisierungsgegner“ wie ATTAC steht dieser Sichtweise nah. Sie fordern die Nationalstaaten dazu auf, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung gegenüber den „Multis“ zu wahren. Das bedeutet aber, dass diese Richtung offen die nationale Konkurrenz befürwortet. Nebenbei bemerkt: einer der Gründe, weshalb Airbus trotz voller Auftragsbücher in die Krise rutschte, war, weil etliche Aufträge aufgrund nicht passender Teile (z.B. zu kurze oder zu dicke Kabel!) nicht rechtzeitig ausgeführt werden konnten! Diese unglaubliche Inkompetenz, ebenso wie das unsinnige hin- und her Transportieren von Teilen durch halb Europa, ist u.a. ein klassisches Produkt der „Einmischung der Nationalstaaten zugunsten der arbeitenden Bevölkerung“!

 

 

Die neoliberale und die nationalstaatliche Richtung sind in Wahrheit keine Gegensätze und erst recht keine Alternativen, sondern stellen zwei Seiten ein- und derselben Medaille dar. Kapitalismus bedeutet Weltwirtschaft und zugleich Konkurrenz der Nationalstaaten. Die soeben erwähnten Ideologien betonen lediglich mehr die eine oder andere Seite dieses im Kapitalismus unlösbaren Widerspruchs.

 

 

Wir brauchen unbedingt eine Weltwirtschaft. Denn kein einziges der großen Probleme der Menschheit kann heute anders als auf Weltebene gelöst werden. Aber die kapitalistische Konkurrenz, die Produktion für den Markt, die Lohnarbeit – einst eine unentbehrliche Stachel, um die noch unterentwickelten Produktivkräfte der Menschheit zur Entfaltung zu bringen – brauchen wir längst nicht mehr. Sie sind vielmehr zu einer riesigen Fessel der Entwicklung von Wirtschaft und Kultur geworden.

 

 

Die objektive Lage selbst wirft die Systemfrage auf und damit die Frage des Internationalismus. Nur die Arbeiterklasse ist international. Die Lohnsklaven bei Airbus müssen auf der Hut sein, dürfen sich nicht ausspielen lassen, nicht nur zwischen den einzelnen Airbus-Standorten, sondern auch zwischen Airbus und Boeing, zwischen Europa und Amerika (und China usw.). Das Kapital mit seiner Konkurrenz ist weltweit. Die Arbeiterklasse muss ihren Kampf aufnehmen. Das Wesen dieses Kampfes liegt in der Aufhebung der Konkurrenz unter den Arbeitern, in der Führung des Kampfes in allen Ländern im Zeichen der internationalen Solidarität.

 

 

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

 

 

IKS. 5. März 2007.

 

 

Der Kommunismus ist nicht nur eine schöne Idee, sondern er steht auf der Tagesordnung der Geschichte

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Der nachfolgende Artikel ist der 3. Teil der Zusammenfassung unserer bisher in der International Review erschienen Artikelserie zum Thema Kommunismus. Die ersten beiden Teile erscheinen im Laufe des Jahres 2007 auf unserer Webseite und in der Internationalen Revue auf Deutsch.

Die Lehren der Niederlage begreifen, die Vision der Zukunft aufrechterhalten

Im ersten Teil unserer Zusammenfassung des 2. Bandes untersuchten wir, wie das kommunistische Programm durch die großen Fortschritte bereichert wurde, die die Arbeiterbewegung während der Welle revolutionärer Kämpfe gemacht hatte, welche durch den I. Weltkrieg hervorgerufen worden war. In diesem zweiten Teil werden wir untersuchen, wie die Revolutionäre sich darum bemühten, den Rückfluss und die Niederlage der revolutionären Welle zu begreifen. Wir werden dabei aufzeigen, dass diese Phase auch eine Quelle unschätzbar wichtiger Lehren für die zukünftigen Revolutionen darstellt.

Kommunismus: Die Menschheit tritt in ihre wirkliche Geschichte ein (3)

Der Kommunismus ist nicht nur eine schöne Idee, sondern er steht auf der Tagesordnung der Geschichte

(Zusammenfassung Teil II)

Der nachfolgende Artikel ist der 3. Teil der Zusammenfassung unserer bisher in der International Review erschienen Artikelserie zum Thema Kommunismus. Die ersten beiden Teile erscheinen im Laufe des Jahres 2007 auf unserer Webseite und in der Internationalen Revue auf Deutsch.

Die Lehren der Niederlage begreifen, die Vision der Zukunft aufrechterhalten

Im ersten Teil unserer Zusammenfassung des 2. Bandes untersuchten wir, wie das kommunistische Programm durch die großen Fortschritte bereichert wurde, die die Arbeiterbewegung während der Welle revolutionärer Kämpfe gemacht hatte, welche durch den I. Weltkrieg hervorgerufen worden war. In diesem zweiten Teil werden wir untersuchen, wie die Revolutionäre sich darum bemühten, den Rückfluss und die Niederlage der revolutionären Welle zu begreifen. Wir werden dabei aufzeigen, dass diese Phase auch eine Quelle unschätzbar wichtiger Lehren für die zukünftigen Revolutionen darstellt.

Die Revolution kritisiert ihre Fehler (Teil 1)

Da die Russische Revolution, wie Rosa Luxemburg sagte, „die allererste Erfahrung der Diktatur des Proletariats in der Geschichte der Welt ist“, muss folglich jeder Versuch, den Weg zu einer künftigen Revolution zu bahnen, auf die Lehren zurückgreifen, die aus dieser Erfahrung hervorgingen. Eingedenk der Tatsache, dass die proletarische Bewegung nur Schaden erleiden kann, wenn sie versucht, vor der Wirklichkeit zu fliehen, gingen die Bemühungen, diese Lehren zu begreifen, auf die ersten Tage der Revolution selbst zurück, auch wenn es mehrere Jahre schmerzhafter Erfahrungen und ebenso quälender Überlegungen brauchte, um das Erbe der Russischen Revolution umfassend zu begreifen.

Die Vorlage zur Analyse der Fehler der Revolution wurde von Rosa Luxemburg in ihrer Broschüre „Zur Russischen Revolution“ geliefert, die sie 1918 im Gefängnis niederschrieb. Luxemburgs Ausgangspunkt war die grundsätzliche Solidarität mit der Sowjetmacht und der bolschwistischen Partei. Sie erkannte, dass die Schwierigkeiten, vor denen beide standen, zuallererst das Ergebnis der Isolation der russischen Bastion waren und dass sie nur überwunden werden konnten, wenn das Weltproletariat – insbesondere das deutsche Proletariat – seine Verantwortung übernahm und das Urteil der Geschichte über den Kapitalismus vollstreckte.

Innerhalb dieses Rahmens kritisierte Luxemburg die Bolschewiki in drei Bereichen:

-          in der Landfrage: Auch wenn sie anerkannte, dass die bolschwistische Parole: „Das Land den Bauern“ taktisch notwendig war, um die Bauernmassen für die Sache der Revolution zu gewinnen, war Luxemburg der Auffassung, dass die Bolschewiki ihre eigenen Schwierigkeiten noch vergrößerten, als sie die Aufteilung des Landes in Parzellen formalisierten. Aber auch wenn Luxemburg richtig vorhersah, dass dieser Prozess schlussendlich eine konservative Schicht von kleinen Landbesitzern hervorbringen würde, war ebenso klar, dass die Kollektivierung des Bodens als solche keine Garantie für eine Bewegung hin zum Sozialismus war, solange die Revolution isoliert blieb.

-          in der nationalen Frage: Luxemburgs Kritik an der Parole der nationalen Selbstbestimmung (die von Pjatakow und anderen innerhalb der bolschwistischen Partei vertreten wurde) wurde durch die späteren Erfahrungen vollauf bestätigt. In Wirklichkeit kann „nationale“ Selbstbestimmung nur „Selbstbestimmung“ für die Bourgeoisie bedeuten. Doch in der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution entschieden sich all die Länder (d.h. die Bourgeoisien), die von der Sowjetmacht in die „nationale Unabhängigkeit“ entlassen worden waren, dafür, sich den großen imperialistischen Mächten und deren Kampf gegen die Russische Revolution anzuschließen. Das Proletariat konnte die nationalen Befindlichkeiten der Arbeiter der „unterdrückten“ Nationen nicht ignorieren; doch diese hätten für die revolutionäre Sache nur gewonnen werden können, wenn man an ihre Klassenbedürfnisse und nicht an ihre nationalistischen Illusionen  appelliert hätte.

-          in der Frage der „Demokratie“ und „Diktatur“: In Luxemburgs Auffassungen zu diesen Fragen gibt es zutiefst widersprüchliche Aussagen. Auf der einen Seite meinte sie, dass sich die Abschaffung der Konstituierenden Versammlung durch die Bolschewiki negativ auf das Leben der Revolution auswirken werde. Damit legte sie eine seltsame Nostalgie für überholte Formen der bürgerlichen Demokratie an den Tag. Auf der anderen Seite rief das Spartakusprogramm, das kurze Zeit später verfasst wurde, zur Ersetzung der alten parlamentarischen Versammlungen durch Kongresse der Arbeiterräte auf, was darauf hinweist, dass sich Rosa Luxemburgs Auffassungen zu dieser Frage schnell weiterentwickelt hatten. Doch Luxemburgs Kritik an der Tendenz der Bolschewiki, die Redefreiheit in der Arbeiterbewegung einzuschränken, war sehr wohl begründet. Diese gegen andere Gruppen der Arbeiterklasse und gegen andere Parteien getroffenen Maßnahmen sowie die Umwandlung der Sowjets in ausführende Organe des von der bolschwistischen Partei angeführten Staates erwiesen sich in der Tat als negativ für das Überleben und die Integrität der proletarischen Diktatur.

In Russland selbst kam es bereits 1918 zu ersten Reaktionen gegen die Gefahr der Kursabweichung der Partei. Ihr  Zentrum (zumindest unter den Strömungen des revolutionären Marxismus) war die linkskommunistische Tendenz in der bolschwistischen Partei. Diese Tendenz war hauptsächlich wegen ihres Widerstandes gegen den Brest-Litowsker Vertrag bekannt geworden, von dem sie fürchtete, dass er nicht nur zur Aufgabe von Teilen des Landes, sondern auch zur Aufgabe der Prinzipien selbst führen würde. Doch auf der Ebene der Prinzipien ist ein Vergleich zwischen Brest-Litowsk und dem vier Jahre später abgeschlossenen Rapallo-Vertrag unzulässig. Ersterer wurde in aller Offenheit verhandelt; es gab keinen Versuch der Verschleierung der brutalen Folgen des Vertrages. Letzterer dagegen wurde geheim ausgehandelt und führte de facto zu einem Bündnis zwischen dem deutschen Imperialismus und dem sowjetischen Staat. Zudem fußte, wie Bilan später unterstrich,  die Position, die von Bucharin und anderen Linkskommunisten zugunsten eines „revolutionären“ Krieges vertreten wurde, auf einer ernsthaften Konfusion: auf der Vorstellung, dass die Revolution hauptsächlich durch militärische Mittel in der einen oder anderen Form ausgedehnt werden könne, während sie in Wirklichkeit die Arbeiter der ganzen Welt nur durch den Einsatz von im Wesentlichen politischen Mitteln (wie die Bildung der Kommunistischen Internationale 1919) für sich gewinnen kann.

Nützlicher für das Verständnis der Lehren aus der Revolution waren die ersten Debatten zwischen Lenin und der Linken über den Staatskapitalismus. Lenin trat dafür ein, die deutschen Waffenstillstandsbedingungen zu akzeptieren, um so der Sowjetmacht die dringend benötigte „Atempause“ zu verschaffen, in der sie ein Mindestmaß an gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Leben wieder aufbauen sollte.

Die Divergenzen kreisten um zwei Fragen:

-          um die Frage der in diesem Prozess verwendeten Mittel: Lenin, dessen besonderes Anliegen der Kampf um Produktivität und Effizienz gegen das erdrückende Gewicht der russischen Rückständigkeit war, plädierte für strenge Maßnahmen wie die Übernahme des Taylor-Systems und die Ein-Mann-Führung der Betriebe, während die Linke darauf beharrte, dass solche Methoden für die Selbsterziehung und die Selbstaktivierung des Proletariats schädlich seien. Ähnliche Debatten entbrannten in der Frage, in welchem Maße die Prinzipien der Kommune auf die Rote Armee angewandt werden sollen.

-          um die Gefahr des Staatskapitalismus: Aus Lenins Sicht war der Staatskapitalismus ein Schritt vorwärts, weil die russische Wirtschaft zuvor fragmentiert gewesen und in einem halb-mittelalterlichen Zustand verharrt geblieben sei. Dies stand in Einklang mit der Auffassung, dass der große Schub staatskapitalistischer Entwicklung in den entwickelten Ländern nach dem 1. Weltkrieg in einem gewissen Sinne eine Vorbereitung für die sozialistische Umwälzung sei. Die Linken wiederum neigten dazu, die dem Staatskapitalismus innewohnende Bedrohung für die Arbeitermacht zu sehen, und warnten vor der Gefahr, dass die Partei durch den Prozess bürokratischer Staatskontrolle vereinnahmt und sich letztendlich gegen die Interessen des Proletariats wenden werde.

Die Kritik der Linken am Staatskapitalismus steckte sicherlich erst in ihren Anfängen und enthielt viele Konfusionen. Sie neigte dazu, die Hauptgefahr im Kleinbürgertum zu lokalisieren; und sie war sich auch im Unklaren darüber, dass die Staatsbürokratie selbst die Rolle einer neuen Bourgeoisie spielen könnte. Auch hegten die Linken Illusionen über die Möglichkeit einer echten sozialistischen Umwälzung innerhalb russischer Grenzen. Doch Lenin irrte, als er im Staatskapitalismus etwas anderes als die Negation des Kommunismus erblickte. Auch mit ihrer Warnung vor der Entwicklung in Russland sollten die Linken Recht behalten; ihre Vorhersagen sollten sich als geradezu prophetisch erweisen.

2) „1921 – Das Proletariat und der Übergangsstaat“

(International Review, Nr. 100)

Trotz der großen Differenzen innerhalb der bolschwistischen Partei wegen des Kurses der Revolution und insbesondere wegen der Richtung, den der sowjetische Staat einschlug, bewirkte die Notwendigkeit der Einheit in Anbetracht der unmittelbaren Bedrohung durch die Konterrevolution, dass diese Differenzen in gewisser Weise eingedämmt wurden. Das Gleiche kann man hinsichtlich der Spannungen in der russischen Gesellschaft insgesamt sagen: Trotz der schrecklichen Bedingungen für die Arbeiter und Bauern während der Bürgerkriegszeit wurde der wachsende Konflikt zwischen den materiellen Interessen und den politischen und ökonomischen Forderungen des neuen Staatsapparates durch den Kampf gegen die weiße Konterrevolution unter Kontrolle gehalten. Doch mit dem Sieg im Bürgerkrieg war der Deckel entfernt worden. Und mit der zunehmenden Isolation der Revolution infolge einer Reihe von entscheidenden Niederlagen des Proletariats in Europa trat der Konflikt erneut als zentraler Widerspruch des „Übergangsregimes“ hervor.

Innerhalb der Partei kam das grundlegende Problem, vor dem die Revolution stand, durch die Debatte über die Gewerkschaftsfrage ans Tageslicht, die auf dem 10. Parteikongress im März 1921 stattfand. Diese Debatte drehte sich hauptsächlich um drei verschiedene Positionen, obgleich es zwischen ihnen und um sie selbst herum viele unterschiedliche Schattierungen gab:

-          die Position Trotzkis: Nachdem er die Rote Armee trotz oft überwältigender Schwierigkeiten zum Sieg gegen die Weißen Armeen geführt hatte, war Trotzki zu einem glühenden Verfechter militärischer Methoden geworden. Er wollte sie in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens angewandt sehen, insbesondere im Arbeitsleben. Da der Staat, der diese Methoden anwende, ein „Arbeiterstaat“ sei, meinte er, könne es keine Interessenkonflikte zwischen der Arbeiterklasse und den Forderungen des Staates geben. Er ging sogar so weit, die Zwangsarbeit als historisch fortschrittliche Möglichkeit zu theoretisieren. In diesem Zusammenhang empfahl er, dass die Gewerkschaften offen als Organe der Arbeitsdisziplin  zugunsten des Arbeiterstaates handeln sollten. Gleichzeitig begann Trotzki, eine ausdrückliche theoretische Rechtfertigung des Begriffs der Diktatur der Kommunistischen Partei und des Roten Terrors zu entwickeln.

 -         die Position der Arbeiteropposition um Kollontai, Schljapnikow und andere: Aus der Sicht Kollontais hatte der Sowjetstaat einen heterogenen Charakter, und er war höchst zugänglich für den Einfluss nicht-proletarischer Kräfte wie Bürokraten und Bauern. Für die schöpferische Arbeit, die bei dem Aufbau der russischen Wirtschaft zu leisten sei, sei es deshalb nötig, dass diese von spezifischen Organen der Arbeiter geleitet würden, wofür aus der Sicht der Arbeiteropposition die Industriegewerkschaften in Frage kamen. Ihr zufolge konnte die Arbeiterklasse mit Hilfe der Industriegewerkschaften die Kontrolle der Produktion aufrechterhalten und entscheidende Schritte zum Kommunismus einleiten. Diese Strömung brachte eine proletarische Reaktion gegenüber der wachsenden Bürokratisierung des Sowjetstaates zum Ausdruck, aber sie litt auch an einer ernsthaften Schwäche. Ihre Befürwortung der Industriegewerkschaften als der beste Ausdruck der Interessen der Arbeiterklasse bedeutete einen Rückschritt im Verständnis der Rolle der Arbeiterräte, die in der neuen revolutionären Epoche als das Instrument des Proletariats zur Leitung nicht nur des wirtschaftlichen, sondern auch des politischen Lebens entstanden waren. Und gleichzeitig kam mit den Illusionen der Opposition über die Möglichkeit der Errichtung neuer kommunistischer Verhältnisse in Russland eine erhebliche Unterschätzung der negativen Auswirkungen der Isolation der Revolution zum Ausdruck. 1921 war die Isolation fast total.

-          die Position Lenins: Lenin wehrte sich vehement gegen die Exzesse Trotzkis in dieser Debatte. Er wandte sich gegen den Sophismus, demzufolge es auf unmittelbarer Ebene keinen Interessenkonflikt zwischen Staat und Arbeiterklasse geben könne, da es sich bei diesem Staat um einen Arbeiterstaat handle. Zwar behauptete Lenin einst, dass der Arbeiterstaat faktisch ein „Arbeiter- und Bauernstaat“ sei, aber er räumte auch ein, dass es sich dabei um einen bürokratisch sehr deformierten Staat handle. In solch einer Lage müsse die Arbeiterklasse immer noch ihre materiellen Interessen verteidigen können, wenn notwendig, auch gegen den Staat. Die Gewerkschaften sollten deshalb nicht nur als Organe der Arbeitsdisziplin, sondern auch als Organe der proletarischen Selbstverteidigung betrachtet werden. Gleichzeitig verwarf Lenin die Position der Arbeiteropposition als eine Konzession gegenüber dem Anarcho-Syndikalismus.

Rückblickend können wir sagen, dass die Grundlagen dieser Debatte mit großen Schwächen behaftet waren. Zunächst war es kein Zufall, dass die Gewerkschaften so widerstandslos bereit waren, zu Organen der Arbeitsdisziplin im Interesse des Staates zu werden. Diese Richtung wurde durch die neuen Bedingungen der kapitalistischen Dekadenz aufgezwungen. Nicht die Gewerkschaften, sondern die Organe, mit denen die Klasse auf diese neue Zeit reagiert hatte – Fabrikkomitees, Räte usw. –, hatten zur Aufgabe, die Autonomie der Arbeiterklasse zu verteidigen. Gleichzeitig waren all die Strömungen, die sich an dieser Debatte beteiligten, mehr oder weniger der Idee verbunden, dass die Diktatur des Proletariats durch die Kommunistische Partei ausgeübt werden sollte.

Doch die Debatte zeigte bei aller Konfusion den Versuch zu begreifen, was geschieht, wenn die Staatsmacht, die von der Revolution geschaffen wurde, anfängt, der Kontrolle des Proletariats zu entgleiten und sich gegen die Interessen des Proletariats zu richten. Dieses Problem sollte noch dramatischer durch den Kronstädter Aufstand illustriert werden, der während des 10. Kongresses der Partei nach einer Reihe von Arbeiterkämpfen in Petrograd ausbrach.

Die Führung der Bolschewiki prangerte die Rebellion anfangs als eine reine Verschwörung der Weißen Garden an. Später legte sie die Betonung auf ihren kleinbürgerlichen Charakter, aber die Niederschlagung der Revolte wurde mit dem Argument gerechtfertigt, dass sie sowohl geographisch wie auch politisch der Konterrevolution den Weg bereitet habe. Und dennoch war Lenin gezwungen einzugestehen, dass die Revolte eine Warnung vor einer weiteren Fortsetzung der Zwangsarbeitsmethoden der kriegskommunistischen Phase bedeutete und eine Art „Normalisierung“ der kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse anmahnte. Doch hinsichtlich der Auffassung, dass die Verteidigung der proletarischen Macht in Russland die ausschließliche Rolle der bolschwistischen Partei sei, gab es keinen Kompromiss. Diese Auffassung wurde von vielen russischen Linkskommunisten geteilt. Auf dem 10. Kongress zählten Mitglieder der oppositionellen Gruppen zu den ersten Freiwilligen für den Angriff auf die Kronstädter Garnison. Sogar die KAPD in Deutschland leugnete, dass sie die Rebellen unterstützte. Auch Viktor Serge verteidigte schweren Herzens die Niederschlagung der Revolte als das geringere der beiden Übel, da die Alternative der Sturz der Bolschewiki und der Aufstieg einer neuen weißen Tyrannei sei.

Dennoch gab es innerhalb des revolutionären Lagers diesbzüglich auch Meinungsverschiedenheiten. Da gab es natürlich die Anarchisten, die schon viele richtige Kritiken an den Exzessen der Tscheka und der Unterdrückung der Organisationen der Arbeiterklasse geübt hatten. Doch der Anarchismus bietet wenige nützliche Lehren aus dieser Erfahrung, da aus seiner Sicht die Reaktion der Bolschewiki auf die Revolte von Anfang an dem Wesen einer jeden marxistischen Partei entsprach.

In Kronstadt selbst schlossen sich jedoch auch viele Bolschewiki auf der Grundlage der ursprünglichen Ideale des Oktober 1917 dem Aufstand an: für die Sowjetmacht und die Weltrevolution. Der Linkskommunist Miasnikow verweigerte die Unterstützung derjenigen, die sich am Angriff auf die Garnison beteiligt hatten. Er ahnte die katastrophalen Ergebnisse, die die Niederschlagung der Arbeiterrevolte durch den „Arbeiterstaat“ verurachen würde. Damals war dies noch eine Ahnung. Erst in den 1930er Jahren, als die Italienischen Linkskommunisten sich mit der Frage befassten, konnten mit größter Klarheit die Lehren daraus gezogen werden. Die Italienische Linke, die die Revolte als ohne Zweifel proletarisch bezeichnete, meinte, dass die Ausübung von Gewalt innerhalb der Arbeiterklasse aus Prinzip abgelehnt werden müsse; dass die Arbeiterklasse über Mittel zu ihrer eigenen Verteidigung gegen den Übergangsstaat verfügen müsse, der aufgrund seines Wesens Gefahr laufe, ein Anziehungspunkt für die Kräfte der Konterrevolution zu werden, und dass die Kommunistische Partei sich nicht mit dem Staatsapparat  vermischen dürfe, sondern ihre Unabhängigkeit ihm gegenüber bewahren müsse. Die Italienische Linke stellte die Prinzipien über den Schein der Zweckmäßigkeit. Deshalb war sie auch der Auffassung, dass es besser gewesen wäre, Kronstadt zu verlieren, als die Macht zu behalten, da dadurch die grundlegenden Ziele der Revolution untergraben worden seien.

1921 stand die Partei vor einem historischen Dilemma: die Macht zu behalten und zu einem Träger der Konterrevolution zu werden oder in die Opposition zu gehen und in den Reihen der Arbeiterklasse tätig zu werden. Indes war die Verschmelzung zwischen Partei und Staat schon zu weit fortgeschritten, als dass die Partei in ihrer Gesamtheit den letztgenannten Weg hätte einschlagen können. Daher stand konkret die Arbeit einer linken Fraktion an, die innerhalb und außerhalb der Partei tätig werden musste, um sich der zunehmenden Degeneration zu widersetzen. Das Fraktionsverbot innerhalb der Partei nach dem 10. Kongress bedeutete, dass diese Aufgabe zunehmend außerhalb der Partei und schließlich gegen die bestehende Partei angegangen werden musste.

3) „1922-23: Die kommunistischen Fraktionen gegen die ansteigende Konterrevolution“ (International Review Nr. 101)

Die Konzessionen an die Bauernschaft – für Lenin waren sie eine unumgängliche Notwendigkeit, die durch den Kronstädter Aufstand um so dringender geworden waren -  fanden ihren Ausdruck in der Neuen Ökonomischen Politik. Diese wurde als ein zeitweiliger Rückzug angesehen, der es der vom Krieg zerrissenen proletarischen Macht erlauben werde, ihre in Schutt und Asche liegende Wirtschaft wieder aufzubauen, um sich so als Bastion der Weltrevolution am Leben zu halten. In der Praxis jedoch führte der Versuch, die Isolation des Sowjetstaates zu durchbrechen, zu grundlegenden Konzessionen in Grundsatzfragen, nicht nur bezüglich des Handels mit kapitalistischen Mächten (was als solches kein Bruch der Prinzipien war), sondern auch bezüglich geheimer militärischer Bündnisse, wie der Rapallo-Vertrag mit Deutschland. Und neben diesen militärischen Bündnissen entstanden unnatürliche politische Allianzen mit Kräften der Sozialdemokratie, die zuvor als der linke Flügel der Bourgeoisie entlarvt worden waren. Dies war die Politik der „Einheitsfront“, die vom 3. Kongress der Komintern verabschiedet worden war.

Lenin hatte bereits 1918 behauptet, dass der Staatskapitalismus für ein rückständiges Land wie Russland einen Schritt vorwärts bedeute; 1922 behauptete er ferner, dass der Staatskapitalismus dem Proletariat nützen könne, solange er von einem „proletarischen Staat“ geleitet werde. Gleichzeitig jedoch musste er einräumen, dass der Staat - weit entfernt davon der Staat zu sein, den man in der Revolution geerbt hatte - dabei war, alles zu lenken, aber nicht in die Richtung, die er einschlagen sollte, sondern zurück zu einer bürgerlichen Restaurierung.

Lenin erkannte schnell, dass die Kommunistische Partei selbst zutiefst von diesem Prozess der Regression erfasst worden war. Zunächst führte er das Problem hauptsächlich auf die unteren Schichten von kulturlosen Bürokraten zurück, die begonnen hatten, massenhaft in die Partei einzudringen. Aber in seinen letzten Lebensjahren wurde ihm auf schmerzhafte Weise klar, dass der Fäulnisprozess bis in die höchsten Ebenen der Partei vorgedrungen war. Wie Trotzki hervorhob, konzentrierte sich Lenins letzter Kampf hauptsächlich auf Stalin und den aufkommenden Stalinismus. Im Gefängnis des Staates eingesperrt, war Lenin jedoch unfähig, mehr als nur administrative Maßnahmen zur Eindämmung der aufkommenden Bürokratie vorzuschlagen. Hätte er länger gelebt, wäre er sicher dazu gedrängt worden, eine oppositionellere Haltung einzunehmen; so aber musste der Kampf gegen die aufsteigende Konterrevolution jetzt von anderen übernommen werden.

1923 brach die erste Wirtschaftskrise in der Phase der NEP aus. Für die Arbeiterklasse hieß dies Lohnkürzungen und Stellenstreichungen sowie eine Welle von spontanen Streiks. Innerhalb der Partei rief sie Konflikte und Debatten hervor; auch brachte sie neue Oppositionsgruppen hervor. Ihr erster expliziter Ausdruck war die Plattform der 46, der auch Prominente wie Trotzki (er wurde damals schon zunehmend von dem herrschenden Triumvirat Stalin, Kamenew und Sinowjew kritisiert) und Mitglieder der Gruppe Demokratischer Zentralismus angehörten. Die Plattform kritisierte die Bereitschaft, die NEP als adäquaten Weg zum Sozialismus zu betrachten; sie forderte mehr statt weniger zentrale Planung. Wichtiger noch - sie warnte vor der zunehmenden Erdrosselung des Parteilebens. 

Gleichzeitig distanzierte sich die Plattform von den radikaleren oppositionellen Gruppen, die damals entstanden waren. Die wichtigste unter ihnen war die Arbeitergruppe Miasnikows, die an den Streiks in den Industriezentren beteiligt war. Obwohl sie als eine verständliche, aber „morbide“ Reaktion gegen die aufkommende Bürokratie angesehen wurde, war das Manifest der Arbeitergruppe in Wirklichkeit ein Ausdruck der Ernsthaftigkeit der russischen Kommunistischen Linken:

- Die Schwierigkeiten des Sowjetregimes erklärten sie mit der Isolation und der fehlgeschlagenen Ausdehnung der Revolution.

- Ihre Kritik an der opportunistischen Politik der Einheitsfront war hellsichtig; sie bekräftigte ihre ursprüngliche Analyse, dass die sozialdemokratischen Parteien Verteidiger des Kapitalismus seien.

- Sie warnten vor den Gefahren des Aufkommens einer neuen kapitalistischen Oligarchie und riefen zur Erneuerung der Sowjets und der Fabrikkomitees auf.

- Gleichzeitig waren sie äußerst vorsichtig bei der Einschätzung der Charakteristiken des Sowjetregimes und der bolschwistischen Partei. Im Gegensatz zu Bogdanows Gruppe Arbeiterwahrheit wollten sie nichts mit der Idee zu tun haben, dass die Revolution oder die bolschwistische Partei von Anfang an bürgerlich gewesen sei.  Sie begriffen ihre Rolle im Wesentlichen als die einer linken Fraktion, die innerhalb und außerhalb der Partei für ihre Wiederaufrichtung kämpfte.

Die Linkskommunisten waren deshalb die theoretische Avantgarde im Kampf gegen die Konterrevolution in Russland. Die Tatsache, dass Trotzki 1923 eine offen oppositionelle Haltung eingenommen hatte, war in Anbetracht seines Rufs als Führer des Oktoberaufstandes von großer Bedeutung. Jedoch zeichnete sich im Vergleich zu den kompromisslosen Positionen der Arbeitergruppe Trotzkis Opposition gegen den Stalinismus durch eine zögerliche und zentristische Herangehensweise aus:

-          Trotzki verpasste eine Reihe von Gelegenheiten, einen offenen Kampf gegen den Stalinismus  zu führen; insbesondere zögerte er, Lenins „Testament“ zu benutzen, um Stalin anzuprangern und ihn aus der Parteiführung zu drängen.

-          Er neigte dazu, während vieler Debatten innerhalb des bolschwistischen Zentralorgans zu schweigen.

Diese Schwächen sind vor allem auf Charakterfragen zurückzuführen. Trotzki war kein durchtriebener Intrigant wie Stalin, er besaß keine umfassenden persönlichen Ambitionen. Aber es gab noch tieferliegende, politische Gründe für Trotzkis Unfähigkeit, seine Kritik so weit wie die radikalen Schlussfolgerungen der Kommunistischen Linken zu entwickeln.

-          Trotzki hatte nie verstanden, dass Stalin und seine Fraktion keine verirrte, fehlgeleitete zentristische Tendenz innerhalb der Arbeiterbewegung darstellten, sondern die Speerspitze einer bürgerlichen Konterrevolution.

-          Trotzkis eigener Werdegang als eine Person im Mittelpunkt des Sowjetregimes erschwerte es ihm, sich von dem Prozess des Niedergangs zu lösen. Ein tief in der Partei verwurzelter „Parteipatriotismus“ erschwerte es zudem Trotzki und anderen Oppositionellen anzuerkennen, dass die Partei sich irren kann.

4) „1924-28: Der Triumph des stalinistischen Staatskapitalismus“

(International Review Nr. 102)

1927 hatte Trotzki akzeptiert, dass die Gefahr einer bürgerlichen Restaurierung in Russland bestand – eine Art schleichende Konterrevolution ohne den förmlichen Sturz des bolschwistischen Regimes. Aber er unterschätzte sehr stark, bis zu welchem Punkt dieser Prozess schon gereift war, ja dass er nahezu abgeschlossen war.

- Es war für ihn sehr schwer zu begreifen, dass er selbst in großem Maße am Niedergangsprozess beteiligt war (durch die Politik der Militarisierung der Arbeit, der Niederschlagung Kronstadts usw.).

- Während er begriff, dass die Probleme, vor denen die Sowjetunion stand, ein Ergebnis der Isolierung und des Rückzugs der internationalen Revolution waren, verstand Trotzki nicht das Ausmaß der Niederlage, die die Arbeiterklasse im Begriff war zu erleiden. Vor allem aber erkannte er nicht, dass die Sowjetunion schon dabei war, sich in das imperialistische Weltsystem einzugliedern.

- Trotzki glaubte, dass der russische „Thermidor“ durch einen Sieg jener Kräfte erfolgen würde, die auf eine Rückkehr des Privateigentums (NEP-Leute, Kulaken, die Rechte um Bucharin) drängten. Der Stalinismus wurde als eine Art Zentrismus, nicht als eine Speerspitze der staatskapitalistischen Konterrevolution definiert.

Die ökonomischen Theorien der linken Opposition um Trotzki erschwerten die Erkenntnis, dass der „Sowjetstaat“ selbst zum direkten Träger der Konterrevolution geworden war, ohne dass es eine Rückkehr zum klassischen Privateigentum gegeben hatte. Die Bedeutung der Erklärung Stalins vom „Sozialismus in einem Land“ wurde sehr spät und nie vollständig begriffen. Durch den Tod Lenins und die offensichtliche Stagnation der Weltrevolution mutiger geworden, vollzog Stalin mit dieser Erklärung einen offenen Bruch mit dem Internationalismus und verpflichtete sich, Russland zu einer imperialistischen Weltmacht aufzubauen. Dies stand im völligen Gegensatz zum Bolschewismus des Jahres 1917, der betont hatte, dass der Sozialismus nur das Ergebnis einer erfolgreichen Weltrevolution sein kann. Aber je mehr die Bolschewiki an der Verwaltung des Staates und der Wirtschaft in Russland beteiligt und durch sie absorbiert wurden, um so mehr neigten sie dazu, die Verwirklichung des Sozialismus auch in einem isolierten und rückständigen Land zu theoretisieren. So wurde die Debatte über die NEP beispielsweise aus diesem Blickwinkel betrachtet: Die Rechte argumentierte, dass der Sozialismus durch das Wirken der Marktkräfte eingeführt werden könne, wohingegen die Linke die Rolle der Planwirtschaft und der Schwerindustrie betonte. Preobrashenski, der Haupttheoretiker der linken Opposition in ökonomischen Fragen, sprach von der Überwindung des kapitalistischen Wertgesetzes durch ein Monopol im Außenhandel und der Akkumulation im staatlichen Sektor. Man nannte dies gar „primitive sozialistische Akkumulation“.

Die Theorie der primitiven sozialistischen Akkumulation verwechselte fälschlicherweise das Wachstum der Industrie mit den Interessen der Arbeiterklasse und des Sozialismus. In Wirklichkeit war ein Industriewachstum in Russland nur durch die wachsende Ausbeutung der Arbeiterklasse möglich. Kurzum, primitive sozialistische Akkumulation konnte nur heißen: Akkumulation von Kapital. Deshalb warnte die Italienische Linke zum Beispiel vor jeder Tendenz, industrielles Wachstum oder die Verstaatlichung von Industrien als eine fortschrittliche, zum Sozialismus weisende Maßnahme zu betrachten.

Nach dem Auseinanderbrechen des herrschenden Triumvirates wurde der Kampf gegen die Theorie des „Sozialismus in einem Lande“ von der Gruppe um Sinowjew aufgenommen. Dies führte zur Bildung der Vereinigten Opposition 1926, die anfangs auch die Demokratischen Zentralisten umfasste. Obwohl man sich formell dem Verbot der Bildung von Fraktionen unterwarf, war die neue Opposition zunehmend gezwungen, ihre Kritik am Regime auf die unteren Ränge der Partei und sogar direkt auf die Arbeiter auszudehnen. Dabei stieß sie auf Drohungen, Beleidigungen, erfundene Beschuldigungen,  Repression und Ausschluss. Dennoch war sie noch immer nicht in der Lage, das Wesen dessen, wogegen sie kämpften, zu begreifen. Stalin machte sich ihren Wunsch nach Versöhnung innerhalb der Partei zunutze, indem er sie zwang, auf jede so genannte Fraktionsaktivität zu verzichten. Die Gruppe um Sinowjew und einige Anhänger Trotzkis kapitulierten sofort. Und als Stalin 1928 seine „Linkswende“ und eine zügige Industrialisierungspolitik verkündete, nahmen viele Trotzkisten, Preobrashenksi eingeschlossen, an, dass Stalin doch noch ihre Positionen übernommen habe.

Gleichzeitig jedoch gerieten jene Mitglieder der Opposition unter den wachsenden Einfluss der Linkskommunisten, denen es besser gelungen war zu begreifen, dass die Konterrevolution schon eingetreten war. Die Demokratischen Zentralisten zum Beispiel, die zwar noch Hoffnungen auf eine radikale Reform des Sowjetregimes hegten, waren sich weitaus klarer darüber, dass die verstaatliche Industrie nicht mit dem Sozialismus gleichzusetzen war, dass die Verschmelzung zwischen Staat und Partei zur Liquidierung der Partei führte und dass die Außenpolitik des Sowjetregimes sich zunehmend gegen die internationalen Interessen des Proletariats richtete. Nach dem massenhaften Ausschluss der Opposition 1927 entwickelten die Linkskommunisten mehr und mehr die Auffassung, dass Regime und Partei nicht mehr reformierbar waren. Die Reste der Miasnikow-Gruppe spielten eine Schlüsselrolle bei der nun einsetzenden Radikalisierung. Doch im Verlauf der nächsten Jahre sollten die lebhaften Debatten über das Wesen des Regimes vor allem in Stalins Gefängnissen geführt werden.

5) „Die Lösung des russischen Rätsels: 1926-36“

(International Review Nr. 105)

In Anbetracht des Ausmaßes der Niederlage verlagerte sich jetzt der Schwerpunkt der Bemühungen, das Wesen des stalinistischen Regimes zu begreifen, nach Westeuropa. In dem Maße, wie die Kommunistischen Parteien „bolschewisiert“, d.h. in leicht beeinflussbare Instrumente der russischen Außenpolitik verwandelt wurden, entstand in ihren Reihen eine Vielzahl von Oppositionsgruppen, die sich jedoch schnell von der Partei abspalteten oder ausgeschlossen wurden.

In Deutschland umfassten diese Gruppen manchmal Tausende von Mitgliedern, wenngleich ihre Mitgliederzahlen schnell schrumpften. Die KAPD existierte noch und intervenierte gegenüber diesen Gruppen. Eine der bekanntesten war die Gruppe um Karl Korsch; die Korrespondenz zwischen ihm und Bordiga in Italien verdeutlicht viele der Probleme, vor denen die Revolutionäre damals standen.

Eines der Merkmale der Deutschen Linken – ein Faktor, der zu ihrem organisatorischen Zerfall mit beitrug – war die Tendenz, voreilige Schlüsse über das Wesen des neuen Systems in Russland zu ziehen. Während sie dessen kapitalistisches Wesen erkannten, waren sie oft nicht in der Lage, die Hauptfrage zu beantworten: Wie kann sich eine proletarische Macht in ihr Gegenteil verkehren? Oft bestand ihre Antwort in der Leugnung, dass diese jemals proletarisch gewesen war. Man behauptete, dass die Oktoberrevolution nichts anderes als eine bürgerliche Revolution und die Bolschewiki nichts als eine Partei der Intelligentsia gewesen seien.

Bordigas Antwort verkörperte die eher geduldigere Methode der Italienischen Linken. Sie war gegen den überstürzten Versuch des Aufbaus einer Organisation ohne eine gesunde programmatische Grundlage. Bordiga unterstützte die Notwendigkeit einer umfassenden und tiefgreifenden Diskussion der Lage, die viele neue Fragen aufgeworfen hatte. Dies war die einzige Grundlage einer substanziellen Umgruppierung. Gleichzeitig weigerte er sich, den proletarischen Charakter der Oktoberrevolution in Frage zu stellen. Statt dessen betonte er, dass die Frage, vor der die revolutionäre Bewegung stünde, laute: Wie konnte eine isolierte, auf ein Land beschränkte proletarische Macht in einen solchen Prozess der inneren Degeneration geraten?

Mit dem Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland verlagerte sich erneut der geographische Schwerpunkt der Diskussionen – dieses Mal nach Frankreich, wo eine Reihe von Oppositionsgruppen 1933 eine Konferenz in Paris abhielt, um über das Wesen des Regimes in Russland zu diskutieren. Es beteiligten sich auch die „offiziellen“ Anhänger Trotzkis, doch die meisten Gruppen standen eher links, wie auch die Exilgruppe der Italienischen Linken. In der Konferenz tauchten viele Theorien über den Charakter des Regimes auf, von denen viele sich stark widersprachen: dass es sich um einen Klassensystem neuen Typs handelte, welches man nicht mehr unterstützen dürfe; dass es sich um ein Klassensystem neuen Typs handelte, welches man dennoch weiter unterstützen müsse; dass es ein proletarisches Regime geblieben sei, welches man aber nicht mehr verteidigen dürfe… All dies spiegelte die großen Schwierigkeiten der Revolutionäre wider zu begreifen, in welche Richtung sich die Sowjetunion entwickelte und was dies bedeutete. Aber es zeigte auch, dass die „orthodoxe“ trotzkistische Position – wonach die UdSSR trotz ihrer Entartung ein Arbeiterstaat bleibe und gegen den Imperialismus verteidigt werden müsse – von verschiedenen Seiten angegriffen wurde.

Größtenteils aufgrund dieses Drucks seitens der Linken schrieb Trotzki 1936 seine berühmte Analyse der russischen Revolution: „Die verratene Revolution“.

Dieses Buch belegt, dass Trotzki, obwohl er zunehmend dem Opportunismus anheimfiel, ein Marxist geblieben war. So zertrümmerte er schlagfertig die Behauptung des Stalinismus, die UdSSR sei ein Paradies für die Arbeiter. Sich auf die Aussage Lenins stützend, dass der Übergangsstaat „ein bürgerlicher Staat ohne Bourgeoisie“ ist, lieferte er wichtige Erkenntnisse über das Wesen dieses Staates und seine von ihm für das Proletariat ausgehende Gefahr. Trotzki kam damals sogar zur Schlussfolgerung, dass die alte bolschwistische Partei tot sei und die Bürokratie nicht mehr reformiert werden könne, sondern mit Gewalt gestürzt werden müsse. Doch das Buch hat eine fundamentale Schwäche – es wendet sich ausdrücklich gegen die Auffassung, dass die UdSSR eine Form des Staatskapitalismus war. Trotzki verteidigte hartnäckig die These, dass die  staatlichen Eigentumsformen ein Beleg für den proletarischen Charakter des russischen Staates seien. Während er theoretisch eingestand, dass es in der kapitalistischen Niedergangsphase eine Tendenz zum Staatskapitalismus gibt, lehnte er die Idee ab, dass die stalinistische Bürokratie eine neue herrschende Klasse sei, denn sie besitze keine Aktien und könne ihr Eigentum nicht weiter vererben. Damit reduzierte er das Kapital auf eine juristische Form, anstatt es als ein im Wesentlichen unpersönliches gesellschaftliches Verhältnis zu betrachten.

Und was die Idee angeht, dass die UdSSR immer noch ein Arbeiterstaat sei,  obgleich er selbst eingestehen musste, dass die Arbeiterklasse als solche von der politischen Macht völlig ausgeschlossen war,  so brachte dies ein mangelndes, oberflächliches Verständnis des Wesens der proletarischen Revolution zum Vorschein. Die proletarische Revolution ist die erste Revolution in der Geschichte, die das Werk einer eigentumslosen Klasse ist; eine Klasse, die nicht über ihre eigenen Wirtschaftsformen verfügt und die ihre Befreiung nur erreichen kann, wenn sie in der Lage ist, ihre politische Macht als einen Hebel zu benutzen, um die „spontanen“ Gesetze der Wirtschaft unter die bewusste Kontrolle der Menschen zu bringen. 

Vor allem aber zwang Trotzkis Charakterisierung der UdSSR seine Bewegung dazu, in der ganzen Welt den Stalinismus radikal zu verteidigen. Dies ging deutlich aus Trotzkis Argument hervor, wonach das schnelle Industriewachstum unter Stalin – das sich auf eine schreckliche Ausbeutung der Arbeiterklasse stützte und Teil der Vorbereitungen der Kriegswirtschaft im Hinblick auf eine neue imperialistische Aufteilung der Welt war – ein Beweis für die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus sei. Es wurde auch offenkundig angesichts Trotzkis entschlossener Unterstützung der russischen Außenpolitik und der kompromisslosen Verteidigung der Sowjetunion gegen imperialistische Angriffe zu einer Zeit, als der russische Staat selbst zu einem aktiven Mitspieler auf der imperialistischen Weltbühne geworden war. Diese Analyse barg den Keim für den Verrat der Trotzkisten am Internationalismus im II. Weltkrieg in sich.

Trotzkis Buch gab der Idee Auftrieb, dass die Frage der Sowjetunion noch nicht endgültig geklärt sei und dass dies nur entscheidende historische Ereignisse wie ein Weltkrieg regeln könnten. In seinen letzten Schriften, in denen er sich möglicherweise der Risse in seiner Theorie des „Arbeiterstaates“ bewusst wurde, aber noch zögerte anzuerkennen, dass die UdSSR ein kapitalistisches Gebilde war, begann er darüber zu spekulieren, dass, wenn der Stalinismus eine neue Form der Klassenherrschaft darstellte, die weder kapitalistisch noch sozialistisch wäre, der Marxismus seine Glaubwürdigkeit verloren hätte. Trotzki selbst wurde ermordet, bevor er sich dazu äußern konnte,  ob der Krieg in der Tat das „russische Rätsel“  gelöst hatte. Doch nur diejenigen unter seinen Gefolgsleuten, welche dem Weg folgten, den die Kommunistische Linke eingeschlagen hatte, und die Analyse des Staatskapitalismus übernahmen (wie Stinas in Griechenland, Munis in Spanien und Trotzkis Frau Natalia),  blieben dem proletarischen Internationalismus während und nach dem II. Weltkrieg treu.

6) „Das russische Rätsel und die Italienische Kommunistische

Linke 1933-46“ (International Review Nr. 106)

Die Kommunistische Linke fand ihren klarsten Ausdruck unter jenen Teilen des Weltproletariats, die den Kapitalismus in der revolutionären Welle am stärksten herausgefordert hatten. Neben Russland waren dies das deutsche und italienische Proletariat; folglich waren die Deutsche und Italienische Kommunistische Linke die theoretische Avantgarde der internationalen Kommunistischen Linken.

Als es darum ging, das Wesen des Regimes zu begreifen, das auf den Trümmern der Niederlage in Russland entstanden war, bewies die Deutsche Linke mit ihrer Fähigkeit,  Schlussfolgerungen zu ziehen, eine gewisse Frühreife. Sie erkannte nicht nur, dass das stalinistische System eine Spielart des Staatskapitalismus war; sie entwickelte auch wichtige Einsichten in den Staatskapitalismus als eine universelle Tendenz des krisengeschüttelten Kapitalismus. Dennoch waren diese Erkenntnisse zu oft mit der Neigung verbunden, die Solidarität mit der Oktoberrevolution aufzukündigen und den Bolschewismus als Speerspitze einer bürgerlichen Revolution zu bezeichnen. In dieser Auffassung spiegelte sich die Überstürzung wider, in der die deutsche Linke die Notwendigkeit einer proletarischen Partei aufgab und die Rolle der revolutionären Organisation unterschätzte.

Die Italienische Linke dagegen brauchte lange, um das Wesen der UdSSR klar zu begreifen, aber sie ging an die Frage mit größerer Vorsicht und Stringenz heran. Ihre grundlegenden Prämissen waren:

- Sie hielt an der Überzeugung fest, dass der Rote Oktober eine proletarische Revolution gewesen war.

- Da der Weltkapitalismus ein im Niedergang befindliches System war, stand die bürgerliche Revolution nirgendwo mehr auf der Tagesordnung.

- Vor allem durfte es keinen Kompromiss beim proletarischen Internationalismus geben, der eine totale Ablehnung der Auffassung vom „Sozialismus in einem Lande“ bedeutete. 

Trotz dieser soliden Grundlagen war die Auffassung der Italienischen Linken über das Wesen der UdSSR in den 1930er Jahren sehr widersprüchlich. Oberflächlich betrachtet, teilten sie mit Trotzki die Auffassung, dass die UdSSR ein proletarischer Staat sei, da er staatliche Eigentumsformen aufrechthalte. Die stalinistische Bürokratie wurde eher als eine parasitäre Kaste denn als eine eigenständige Ausbeuterklasse bezeichnet.

Aber der tief verwurzelte Internationalismus der Italienischen Linken zog eine scharfe Trennungslinie zu den Trotzkisten, deren Position, die Verteidigung des degenerierten Arbeiterstaates, sie in die Fänge des imperialistischen Krieges trieb, in ihre Teilnahme an ihm. Die theoretische Zeitschrift der Italienischen Linken, Bilan, erschien ab 1933. Nach anfänglichem Zögern überzeugten die Ereignisse jener Zeit (Hitlers Machtergreifung, die Unterstützung der französischen Wiederbewaffnung, Russlands Beitritt zum Völkerbund, der Krieg in Spanien) Bilan, dass, auch wenn die UdSSR proletarisch blieb, sie dennoch nun eine konterrevolutionäre Rolle auf der ganzen Welt spielte. Deshalb verlangten die internationalen Interessen der Arbeiterklasse, dass die Revolutionäre ihre Solidarität mit diesem Staat verweigerten.

Diese Analyse war mit Bilan’s Erkenntnis verbunden, dass das Proletariat eine historische Niederlage erlitten hatte und die Welt sich auf einen neuen imperialistischen Krieg hinzubewegte.  Bilan sagte mit bestechender Genauigkeit voraus, dass die UdSSR sich letztendlich mit dem einen oder anderen in der Bildung befindlichen Block verbünden werde. Damit lehnte sie die Auffassung Trotzkis ab, derzufolge die UdSSR grundsätzlich feindlich gegenüber dem Weltkapital eingestellt sei und die imperialistischen Mächte zum Zusammenschluss gegen sie gezwungen seien.

Im Gegenteil, Bilan meinte, dass trotz des Überlebens der „kollektivierten“ Eigentumsformen die Arbeiterklasse in der UdSSR einer rücksichtslosen kapitalistischen Ausbeutung unterworfen sei. Die beschleunigte Industrialisierung, die als „Aufbau des Sozialismus“ tituliert wurde, bedeutete nichts anderes als den Aufbau einer Kriegswirtschaft, welche es der UdSSR ermöglichen sollte,  sich an der nächsten imperialistischen Aufteilung der Beute zu beteiligen. Deshalb lehnte Bilan Trotzkis Lobpreisungen der Industrialisierung in der UdSSR ab.

Bilan war sich des Weiteren bewusst darüber, dass es auch in den westlichen Ländern eine wachsende Tendenz zum Staatskapitalismus gab,  ob er nun in Gestalt des Faschismus oder des demokratischen „New Deal“ auftrat. Dennoch zögerte Bilan, den letzten Schritt  zu machen - anzuerkennen, dass die stalinistische Bürokratie tatsächlich eine Staatsbourgeoisie war. Statt sie als Verkörperung einer neuen kapitalistischen Klasse zu betrachten, sah man sie als „Vertreter des Weltkapitals“.

Nachdem die Auffassung vom „proletarischen Staat“ mit den Ereignissen in der realen Welt immer mehr in Konflikt geraten war, begann eine Minderheit von Genossen in der Fraktion die ganze Theorie in Frage zu stellen. Und es war kein Zufall, dass diese Minderheit am besten dafür gerüstet war, die anfängliche Verwirrung zu überstehen, die der Kriegsausbruch in der Fraktion ausgelöst hatte. Diese war zuvor durch die revisionistische Theorie der „Kriegswirtschaft“ in eine Sackgasse geführt worden - eine Theorie, derzufolge kein Weltkrieg stattfinden werde.

Es war immer als selbstverständlich angesehen worden, dass die russische Frage so oder so durch den Ausbruch des Krieges gelöst werden würde. Und für die klarsten Teile der Italienischen Linken lieferte die Beteiligung der UdSSR am imperialistischen Räuberkrieg den letzten Beweis.  Die kohärentesten Argumente für die Position, dass die UdSSR imperialistisch und kapitalistisch sei, wurden von jenen Genossen entwickelt, die die Arbeit Bilan‘s in der Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken und, nach dem Krieg, in der Gauche Communiste de France (Kommunistische Linke Frankreichs) fortsetzten. Durch die Integration der wertvollsten  Erkenntnisse der Deutschen Linken - ohne dabei rätekommunistischen Verleumdungen der Oktoberrevolution auf dem Leim zu gehen - zeigte diese Strömung auf, warum der Kapitalismus in seiner Niedergangsphase hauptsächlich die Form des Staatskapitalismus annahm. Was Russland anbetraf, so wurden die letzten Reste einer „juristischen“ Definition  des Kapitalismus über Bord geworfen. Es wurde die grundlegende marxistische Auffassung bekräftigt, dass das Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis ist, das von einem zentralisierten Staat genauso wie von einer Gruppe von Privatkapitalisten ausgeübt werden kann. Und es wurde die notwendige Schlussfolgerung bezüglich der proletarischen Herangehensweise gegenüber der Übergangsperiode gezogen. Die Fortentwicklung zum Kommunismus kann nicht daran gemessen werden, in welchem Maße der staatliche Bereich wächst – denn damit ist die große Gefahr einer Rückkehr des Kapitalismus verbunden –, sondern in der Tendenz, dass lebendige Arbeit tote Arbeit beherrscht und dass die Produktion für den Mehrwert durch eine Produktion ersetzt wird, die auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse abzielt.

6)       „Die Debatte über die ‚proletarische Kultur’ im

revolutionären Russland“

 

(International Review, Nr. 109)

Entgegen der zunehmend oberflächlichen Herangehensweise an das Problem der Kultur im bürgerlichen Denken, die dazu neigt, die Kultur auf die unmittelbarsten Ausdrücke bestimmter Länder bzw. ethnischer Gruppen oder gar auf den Status vorübergehender gesellschaftlicher Verhaltensweisen zu reduzieren, stellt der Marxismus die Frage in ihrem umfassensten und tiefsten historischen Zusammenhang: die grundlegenden Charakteristiken der Menschheit und ihrer Entstehung aus der Natur im Rahmen der großen Zyklen aufeinander folgender Produktionsformen, die die Geschichte der Menschheit kennzeichnen.

Die proletarische Revolution in Russland, die so viele reichhaltige Lehren hinsichtlich der politischen und ökonomischen Ziele der Arbeiterklasse enthält, war auch auf dem Gebiet der Kunst und Kultur von einer kurzen, aber mächtigen Explosion der Kreativität geprägt – in der Malerei, Bildhauerei, Architektur, Musik und Literatur, in der praktischen Organisierung des Alltagslebens auf gemeinschaftlicher Grundlage, in den Humanwissenschaften wie die Psychologie und so weiter. Gleichzeitig wurde die allgemeine Frage des Übergangs der Menschheit von der bürgerlichen Kultur zu einer  höheren, kommunistischen Kultur aufgeworfen.

Eine der Hauptdiskussionen unter den russischen Revolutionären kreiste um die Frage, ob dieser Übergang zur Entwicklung einer spezifischen proletarischen Kultur führen werde. Da auch frühere Kulturen aufs Engste mit den Ansichten der herrschenden Klasse verbunden waren, schienen manche zu meinen, dass die Arbeiterklasse, sobald sie zur herrschenden Klasse geworden ist, ihre eigene Kultur schaffen werde, die im Gegensatz zur Kultur der alten, ausbeutenden Klasse stehen werde. Dies war jedenfalls die Meinung der „Proletkult“-Bewegung, die in den ersten Jahren nach der Revolution über eine große Anhängerschaft verfügte.

In einer dem „Proletkult“-Kongress von 1920 vorgelegten Resolution schien selbst Lenin diese Idee einer besonderen proletarischen Kultur zu akzeptieren. Gleichzeitig kritisierte er gewisse Aspekte der „Proletkult“-Bewegung: ihre philisterhafte „Arbeitertümelei“, die dazu führte, die Arbeiterklasse in ihrem Ist-Zustand zu idealisieren, statt ihren Soll-Zustand anzustreben, und ihr Hang zur bilderstürmerischen Ablehnung der früheren kulturellen Errungenschaften der Menschheit. Lenin misstraute der Gruppe „Proletkult“ auch wegen ihrer Tendenz, als eine eigenständige Partei mit eigenem Organisationsapparat und eigenem Programm aufzutreten. So empfahl Lenin in seiner Resolution, dass die Orientierung der Kulturarbeit im Sowjetregime unter der direkten Leitung des Staates stehen sollte. Doch im Grunde lag Lenins Hauptinteresse in Kulturfragen woanders. Aus seiner Sicht hatte die Kulturfrage weniger mit der grandiosen Fragestellung zu tun, ob es eine neue proletarische Kultur in Sowjetrussland geben kann, als vielmehr mit dem Problem, die gewaltige kulturelle Rückständigkeit der russischen Massen zu überwinden, unter denen mittelalterliche Sichtweisen und der Aberglaube noch ein großes Gewicht hatten. Lenin war sich des niedrigen kulturellen Entwicklungsstandes der Massen bewusst; er wusste, dass dies ein Nährboden für die Ausbreitung der Geißel der Bürokratie im Sowjetstaat werden kann. Die Anhebung des kulturellen Niveaus der Massen war für Lenin ein Mittel zur Bekämpfung dieser Geißel und zur Verstärkung der Fähigkeit der Massen, die politische Macht in den Händen zu behalten.

Trotzki dagegen entwickelte eine tiefergehende Kritik der „Proletkult“-Bewegung. Aus seiner Sicht, die er in einem Kapitel seines Buches „Literatur und Revolution“ darstellte, war der Begriff proletarische Kultur als solche schon eine unzutreffende Bezeichnung. Als ausbeutende Klasse, die ihre ökonomische Macht über eine ganze Zeit lang innerhalb des Rahmens des alten Feudalsystems aufbauen konnte,  konnte die Bourgeoisie auch eine eigene, spezifische Kultur entfalten. Dies trifft auf das Proletariat nicht zu, das als eine ausgebeutete Klasse nicht über die materiellen Grundlagen für die Entwicklung einer eigenen Kultur innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft verfügt. Es stimmt, dass das Proletariat während der Übergangsperiode zum Kommunismus zur herrschenden Klasse werden muss, doch handelt es sich dabei lediglich um eine vorübergehende politische Diktatur, deren Endziel nicht darin besteht, die Existenz des Proletariat als solches unbegrenzt aufrechtzuerhalten, sondern darin, das Proletariat in der neuen menschlichen Gemeinschaft aufzulösen. Die Kultur dieser neuen Gemeinschaft wird die erste wirklich menschliche Kultur sein, die alle früheren kulturellen Fortschritte, die die Gattung Mensch erzielt hat, integrieren wird.

Trotzki verfasste sein Buch „Literatur und Revolution“ im Jahr 1924. Es war ein wichtiges Werkzeug in Trotzkis Kampf gegen den emporkommenden Stalinismus. Nachdem „Proletkult“ durch die Befürwortung der Eigeninitiative der Arbeiter anfangs ein wichtiges Sammelbecken für die linken Gruppen gewesen war, die sich gegen das Aufblähen der sowjetischen Bürokratie stellten, neigten seine Nachfolger später dazu, sich mit der Ideologie des „Sozialismus in einem Land“ zu identifizieren. Aus ihrer Sicht schien dies in Einklang mit der Auffassung zu stehen, dass eine „neue“ Kultur in der Sowjetunion bereits im Aufbau war. Trotzkis Schriften zur Kultur zeigten auf, dass solche Ansprüche haltlos waren. Er wandte sich auch heftig gegen die Verwandlung der Kunst in eine Staatspropaganda. Stattdessen propagierte er eine „anarchistische“ Politik auf dem Gebiet der Kultur, die von niemand verordnet werden dürfe, weder von der Partei noch vom Staat.

7)       „Trotzki und die Kultur des Kommunismus“

(International Review Nr. 111 )

Trotzki entwickelt seine Auffassung über die kommunistische Kultur der Zukunft im letzten Kapitel seines Buchs „Literatur und Revolution“. Er wiederholt zunächst seine Ablehnung des Begriffs „proletarische Kultur“ als Bezeichnung des Verhältnisses zwischen Kunst und Arbeiterklasse in der Übergangsperiode. Stattdessen schlägt er eine Unterscheidung zwischen revolutionärer und sozialistischer Kunst vor. Die erste hebt sich vor allem durch ihren Gegensatz zur bestehenden Gesellschaft hervor. Trotzki meinte gar, dass sie tendenziell von einem „gewissen gesellschaftlichen Hass“ geprägt sein wird. Er warf auch die Frage auf, welche Kunst-„Schule“ einer revolutionären Periode am offensten gegenüber eingestellt sein wird. Er benutzte den Begriff „Realismus“ zur Beschreibung dieses Phänomens Aber dies hieß in seiner Sicht nicht die geisttötende Unterwerfung der Kunst unter die Staatspropaganda, die von der stalinistischen Schule des „sozialistischen Realismus“ betrieben wurde. Ebenso wenig bedeutete dies, dass Trotzki blind gegenüber der Möglichkeit einer Eingliederung der Errungenschaften von Kunstformen war, die nicht direkt mit der revolutionären Bewegung verbunden waren oder sich gar durch eine verzweifelte Flucht vor der Realität auszeichneten.

Sozialistische Kunst würde Trotzki zufolge von höheren und positiveren Emotionen durchdrungen sein, die in einer Gesellschaft aufblühen werden, die sich auf Solidarität stützt. Gleichzeitig verwarf Trotzki die Idee, dass in einer Gesellschaft, die Klassenspaltungen und andere Quellen von Unterdrückung und Angst überwunden hat, die Kunst steril werden könnte. Im Gegenteil, sie werde dazu neigen, alle Aspekte des Alltaglebens mit einer schöpferischen und harmonischen Energie zu durchdringen. Und da Menschen in einer kommunistischen Gesellschaft immer noch mit den grundlegenden Fragen des menschlichen Lebens – vor allem Liebe und Tod – konfrontiert sein werden, wird es immer noch Raum für die tragischen Dimensionen der Kunst geben. Hier stimmte Trotzki völlig überein mit der Herangehensweise von Marx an die Frage der Kunst in den Grundrissen, in denen er erklärte, warum die Kunst früherer menschlicher Epochen nicht ihren Charme für uns verlieren werde. Denn die Kunst könne nicht auf die politischen Aspekte des menschlichen Lebens reduziert werden und auch nicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse einer spezifischen Epoche in der Geschichte, sondern spiegele die grundlegenden Bedürfnisse und Bestrebungen des menschlichen Wesens wider.

Und die Kunst der Zukunft werde auch nicht monolithisch sein. Im Gegenteil, Trotzki fasste sogar die Möglichkeit einer Bildung von „Parteien“ ins Auge, die für oder gegen besondere Herangehensweisen in der Kunst oder bei Projekten plädierten, mit anderen Worten: eine lebendige und fortdauernde Debatte unter frei assoziierten gesellschaftlichen Produzenten.

In der zukünftigen Gesellschaft werde die Kunst in der Herstellung von Gütern, im Städtebau und in der Landschaftsgestaltung integriert sein.  Weil sie nicht mehr der Bereich von Spezialisten sind wird, wird die Kunst, wie Bordiga es nannte, ein „Plan zum Leben für die menschliche Gattung“ werden; sie wird die Fähigkeiten der Menschen ausdrücken, eine Welt zu errichten, die „im Einklang steht mit den Gesetzen der Schönheit“, wie Marx schrieb.

Bei der Landschaftsgestaltung werden die Menschen in Zukunft nicht versuchen, eine längst verlorengegangene ländliche Idylle wiederherzustellen. Die kommunistische Zukunft wird sich auf die fortschrittlichsten Entdeckungen der Wissenschaft und der Technologie stützen. Deshalb wird die Stadt und nicht so sehr das Dorf die Kerneinheit der Zukunft bilden. Doch Trotzki lehnte nicht die Befürwortung einer neuen Harmonie zwischen Stadt und Land und damit eines Endes der gewaltigen, überbevölkerten Megastädte ab, die zu solch einer zerstörerischen Wirklichkeit im dekadenten Kapitalismus geworden sind. Das wird durch Trotzkis Idee deutlich, dass z.B. Tiger und Dschungel von den künftigen Generationen geschützt  und in Frieden gelassen werden.

Schließlich wagte Trotzki das Bild der Menschen in einer späteren, weit entfernten kommunistischen Gesellschaft zu umreißen. Diese Menschen werden nicht mehr beherrscht werden durch blinde Natur- und gesellschaftliche Kräfte. Da die Menschheit nicht mehr durch die Todesangst beherrscht wird, wird sie den Instinkten des Lebens freie Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Die Männer und Frauen der Zukunft werden mit Anmut und Präzision vorgehen, sie werden die Gesetze der Schönheit bei der „Arbeit, beim Gehen und im Spiel“ befolgen. Der Durchschnittsmensch wird sich auf das „Niveau eines Aristoteles, Goethe oder Marx erheben“. Darüber hinaus werde die Menschheit bei der Erkundung und Beherrschung der Tiefen des Unbewussten nicht nur wirklich menschlich werden, sondern sie werde in einem gewissen Sinne auch zu einer neuen Gattung übergehen:

 „Der Mensch wird sich zum Ziel setzen, seiner eigenen Gefühle Herr zu werden, seine Instinkte auf die Höhe des Bewusstseins zu heben, sie durchsichtig zu machen, mit seinem Willen bis in die letzten Tiefen seines Unbewussten vorzudringen und sich auf eine Stufe zu erheben – einen höheren gesellschaftlich-biologischen Typus, und wenn man will – den Übermenschen zu schaffen“.

Dies ist sicherlich einer der kühnsten Versuche seitens eines kommunistischen Revolutionärs, die mögliche Zukunft der Menschen zu beschreiben. Da er sich dabei fest auf das wirkliche Potenzial der Menschheit und auf die proletarische Weltrevolution als ihre unabdingbare Vorbedingung stützte, kann seine Auffassung nicht als ein Rückgriff auf den utopischen Sozialismus verworfen werden. Gleichzeitig gelang es ihm, die inspiriertesten Spekulationen der alten Utopisten auf eine solidere Grundlage zu stellen. Dies ist der Kommunismus als ein Reich der unbegrenzten Möglichkeiten.

CDW      (International Review, Nr. 126)

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Dritte Internationale [5]

Theoretische Fragen: 

  • Kommunismus [6]

Die verlustreichen Spekulationsgeschäfte der Gewerkschaftsbank in Österreich

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Anmerkung der Redaktion von Weltrevolution:

Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Gruppe Internationalistische Kommunisten aus Österreich, welche den nachstehenden – wie wir finden hochinteressanten – Artikel verfasst und uns zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat.

 

Wie eng die heutigen Gewerkschaften mit dem Kapitalismus verbandelt sind, nicht nur durch ihre staatstragende Haltung, durch ihr stetes Eintreten für die Stabilität des nationalen Kapitalismus und für sozialen Frieden, sondern auch finanziell, hat die jüngste Entwicklung in Österreich offenbart – die desaströse Entwicklung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und der in seinem Eigentum befindlichen Bank für Arbeit und Wirtschaft (BAWAG) (der „Gewerkschaftsbank“). Erst 2006 kam nämlich ans Tageslicht, dass der Gewerkschaftspräsident und der ÖGB-Finanzchef, beide SPÖ-Mitglieder, einige Jahre zuvor das gesamte Vermögen des ÖGB, darunter auch den sogenannten Streikfonds, verpfändet hatten, um die BAWAG zu retten, die in hochriskanten Spekulationsgeschäften in den USA – den „Karibik-Geschäften“ - große Verluste eingefahren hatte. Es war eine einsame Entscheidung der beiden Gewerkschaftsbosse gewesen. Sie hatten niemanden sonst im ÖGB, nicht einmal ihre KollegInnen aus den höchsten Gewerkschaftsgremien, geschweige denn die 1,3 Millionen Mitglieder in die Sache eingeweiht bzw. ihre Zustimmung zu einer solchen Verwendung der angesammelten Mitgliederbeiträge eingeholt. Sowohl die verlustreichen Spekulationsgeschäfte des BAWAG-Vorstands als auch die Entscheidung der beiden Spitzengewerkschafter waren jahrelang geheim gehalten worden. Erst 2006 erfuhr die Öffentlichkeit über den fließenden Zusammenhang von internationalen Finanzmärkten und dem Firmenimperium des ÖGB inklusive Streikfonds.

 

 

 

Anmerkung der Redaktion von Weltrevolution:

Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Gruppe Internationalistische Kommunisten aus Österreich, welche den nachstehenden – wie wir finden hochinteressanten – Artikel verfasst und uns zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat.

 

Wie eng die heutigen Gewerkschaften mit dem Kapitalismus verbandelt sind, nicht nur durch ihre staatstragende Haltung, durch ihr stetes Eintreten für die Stabilität des nationalen Kapitalismus und für sozialen Frieden, sondern auch finanziell, hat die jüngste Entwicklung in Österreich offenbart – die desaströse Entwicklung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und der in seinem Eigentum befindlichen Bank für Arbeit und Wirtschaft (BAWAG) (der „Gewerkschaftsbank“). Erst 2006 kam nämlich ans Tageslicht, dass der Gewerkschaftspräsident und der ÖGB-Finanzchef, beide SPÖ-Mitglieder, einige Jahre zuvor das gesamte Vermögen des ÖGB, darunter auch den sogenannten Streikfonds, verpfändet hatten, um die BAWAG zu retten, die in hochriskanten Spekulationsgeschäften in den USA – den „Karibik-Geschäften“ - große Verluste eingefahren hatte. Es war eine einsame Entscheidung der beiden Gewerkschaftsbosse gewesen. Sie hatten niemanden sonst im ÖGB, nicht einmal ihre KollegInnen aus den höchsten Gewerkschaftsgremien, geschweige denn die 1,3 Millionen Mitglieder in die Sache eingeweiht bzw. ihre Zustimmung zu einer solchen Verwendung der angesammelten Mitgliederbeiträge eingeholt. Sowohl die verlustreichen Spekulationsgeschäfte des BAWAG-Vorstands als auch die Entscheidung der beiden Spitzengewerkschafter waren jahrelang geheim gehalten worden. Erst 2006 erfuhr die Öffentlichkeit über den fließenden Zusammenhang von internationalen Finanzmärkten und dem Firmenimperium des ÖGB inklusive Streikfonds.

Dazu ist anzumerken, dass der ÖGB in dem ganzen halben Jahrhundert nach 1945 die Sozialpartnerschaft und den absoluten sozialen Friedens als Credo gepredigt hatte und sich in vielen Situationen erfolgreich als Streikvermeider hervortat, gewerkschaftsintern auch mit dem Argument, ein Streik koste die Mitglieder mehr (Zahlung von Streikgeldern) als er an Erfolgen bringen würde. Der ÖGB rühmte sich stets, wesentlich daran mitzuwirken, dass in Österreich die Streikzeit pro Beschäftigtem und Jahr nur in Streiksekunden zu messen sei. (Die einzigen größeren Streiks waren der eintägige branchenübergreifende Streik gegen die Pensionsreform und ein 3-tägiger Eisenbahnerstreik 2003 gewesen.) Als es um die Abdeckung von Finanzverlusten der ÖGB-eigenen Bank ging, gingen die zwei Gewerkschaftsbosse plötzlich sehr großzügig mit dem sagenumwitterten „Streikfonds“ um, dessen Ausmaß stets als Betriebsgeheimnis, von dem kein Mitglied erfahren durfte, gehandhabt wurde („der Gegner darf nicht über unsere Reserven im Streikfall Bescheid wissen, das würde ihm Vorteile verschaffen“).

 

Die verlustreichen Geschäfte der BAWAG und die Krise des ÖGB

Im März 2006 kam also zutage, dass sich bei der im Eigentum des ÖGB befindlichen Bank für Arbeit und Wirtschaft (BAWAG), der viertgrößten Bank Österreichs, nach riskanten Finanzspekulationen in den USA während der 90er-Jahre (sogenannte „Karibik-Geschäfte“) Verluste von 1,9 Milliarden Euro angesammelt hatten, die die Bank anschließend, seit 2000, durch ein Geflecht von Stiftungen, Tochtergesellschaften und Scheinfirmen zu verstecken und abzubauen versucht hatte. Nach einem neuerlichen Großverlust im Oktober 2005 war das Debakel aber nicht mehr zu verbergen. Für die Verluste musste nun der Gewerkschaftsbund als Eigentümer der Bank gerade stehen. Zuerst operierte die BAWAG am Rande des Konkurses - tausende Kunden hoben nach dem Publikwerden des Finanzdesasters 2006 ihre Sparguthaben ab und die Regierung musste eine Rettungsaktion unternehmen, „damit der Finanzplatz Österreich keinen größeren Schaden nehme“ -, dann, nach der Übertragung der Verluste auf den Gewerkschaftsbund, befand sich die Gewerkschaft in dieser misslichen Situation. Die Schulden betrugen fast das Zwanzigfache der jährlichen Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen (über 2 Milliarden Euro). Für längere Zeit war ein Konkurs des ÖGB im Bereich des Möglichen, ganz abgesehen vom moralischen Imageschaden bei den Gewerkschaftsmitgliedern und den nicht im ÖGB organisierten Teilen der Arbeiterklasse bzw. der Öffentlichkeit.

Dieses Desaster von ÖGB und BAWAG, die in Österreich beide der „sozialdemokratischen Reichshälfte“ zugeordnet werden, wirbelte in Österreich viel Staub auf und dominierte die österreichische Innenpolitik im Jahr vor den Nationalratswahlen (= Pendant zu den deutschen Bundestagswahlen) im Oktober 2006, fand aber im Ausland, etwa in Deutschland, in den Medien kaum Beachtung. Das Debakel kratzte stark am Image der SPÖ und lieferte der regierenden ÖVP (Schwesterpartei der CDU) willkommene Munition im Wahlkampf („Die Roten können nicht wirtschaften“). Eine nach den Jahren der Rechtskoalition schon als sicher geltende „rot“-grüne Mehrheit kam bei den Wahlen nicht mehr zustande, wenngleich es auch der SPÖ gelang, kurz vor den Wahlen aus dem Tief wieder herauszukommen und die ÖVP doch noch knapp zu überrunden.

 

Die Verluste sind nicht mehr zu verheimlichen – der BAWAG-ÖGB-Skandal 2005/06

Die Verluste der BAWAG kamen an die Öffentlichkeit, nachdem der BAWAG-Vorstand, Jahre nach den eigentlichen „Karibik-Geschäften“, im Oktober 2005 einen Blitzkredit von 350 Millionen Euro an einen amerikanischen Geschäftspartner, das Wertpapierhaus Refco, schon am Tag nach der Kreditvergabe als verloren vermelden musste. Denn der BAWAG-Vorstand in Wien war nicht darüber informiert gewesen, dass Refco zur Zeit der Kreditvergabe schon auf dem Weg in den Konkurs war.

Ein paar Monate später, im März 2006, nach einer weiteren Kalamität, musste auf einer öffentlich zugänglichen Vorstandssitzung des neuen BAWAG-Vorstandes (der alte Vorstand war in der Zwischenzeit abgelöst worden) der Finanzchef des ÖGB und gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzende der BAWAG, Günter Weninger, zugeben, dass er fast als Einziger im ÖGB von den Spekulationsgeschäften und Verlusten der BAWAG gewusst und im Jahr 2000 eine unbegrenzte Haftung des ÖGB für die Verluste der Bank abgegeben hatte. Es war dies „der offizielle Beginn vom Ende der alten Gewerkschaftsbank, die völlige Entzauberung des ÖGB als Bankeigentümer – und die an Harakiri grenzende Selbst-Demontage von Bawag-Kontrollor Weninger. Er sollte in den folgenden Minuten aufhören, die viel zitierte „graue Eminenz des ÖGB“, der „mächtige ÖGB-Finanzchef“ zu sein; er stülpte sich stattdessen coram publico in die Rolle eines der Hauptdarsteller der Causae BAWAG und ÖGB.“ (1)

Außer Weninger war nur der ÖGB-Präsidenten Verzetnitsch informiert, die beiden bewahrten all die Jahre absolutes Stillschweigen gegenüber dem „Rest“ des ÖGB und auch gegenüber den Finanzbehörden. Sie hielten sich an das Schweigegebot, das der Chef der BAWAG, Helmut Elsner, der die „Karibik-Geschäfte“ betrieben hatte, nach einem Totalverlust im Jahr 1998 dem restlichen Bankvorstand auferlegt hatte. Seine Lösung nach den Verlusten damals: „Stillschweigen nach allen Seiten“ - gegenüber der behördlichen Finanzmarktaufsicht, den Eigentümern (ÖGB und Bayerische Landesbank) und selbstverständlich den Medien bewahren, um die Bank nicht ins Gerede zu bringen und dadurch am Ende erst recht einen Run der Kunden auf die Bank und damit den Konkurs der Bank auszulösen. Als einzige Eigentümervertreter waren – mit Verzögerung – die zwei obersten Gewerkschafter, Verzetnitsch und Weninger, in die Sache eingeweiht, weil man sie für die Haftung, ohne die man im Jahr 2000 keine Bilanz mehr hätte erstellen können, brauchte.

 

Diese Vorgänge warfen ein grelles Licht auf die hierarchische Entscheidungsstruktur des ÖGB, die offenbar so weit getrieben wurde, dass zwei Spitzenfunktionäre über das gesamte Gewerkschaftsvermögen entscheiden konnten. (Tatsächlich ist vereinsintern der ÖGB-Finanzchef allein für die Finanzen der ÖGB-Stiftung, wo sich ein großer Teil des Vermögens befindet, zeichnungsberechtigt, die Mitglieder haben absolut keine Verfügungsgewalt über die Verwendung ihrer Beiträge bzw. des sogenannten Streikfonds). Es stellte sich nun außerdem heraus, dass der Streikfonds in einer Stiftung angelegt war und diese nichts anderes war als das Aktienkapital des ÖGB an der BAWAG (Aussage von Weninger in einer Pressekonferenz am 24. März 2006 in Wien), also im Streikfall gar nicht so schnell flüssig zu machen gewesen wäre.

Den zwei ÖGB-Obersten wurde gewerkschaftsintern und auch sonst vor allem auch vorgeworfen, sie hätten als Eigentümervertreter den Generaldirektor der Bank, Helmut Elsner, vorbehaltlos schalten und walten lassen. Auch daran, dass der Generaldirektor vor drei Jahren trotz der angerichteten Megaverluste, die der ÖGB nun zu tragen hatte, mit ungeschmälerten Abfindungs- und Pensionsansprüchen in Pension gehen konnte, hatten die beiden obersten Gewerkschafter, die über den BAWAG-Aufsichtsrat in solche Entscheidungen involviert waren, nichts auszusetzen gehabt. Sie hinterließen einen finanziellen wie moralischen Scherbenhaufen und mussten im April 2006 zurücktreten. Außerdem wurde der Gewerkschaftspräsident, Verzetnitsch, vom seinem Nachfolger als Angestellter des ÖGB fristlos entlassen.

Ein in den bürgerlichen Medien breit getretener Stein des Anstoßes war es auch, dass Elsner (Direktor der BAWAG) und ÖGB-Präsident Verzetnitsch in luxuriösen Penthäusern auf dem Dach des BAWAG-Gebäudes residierten, die ihnen von der BAWAG zu Spottpreisen, einem Bruchteil ihres eigentlichen Werts, verkauft worden waren bzw. vermietet wurden.

Wie bereits eingangs festgestellt, wäre es verfehlt, die ganze Entwicklung als bloßen Betriebsunfall anzusehen. Nein, wenn ein Gewerkschaftsbund die viertgrößte Bank eines Landes besitzt, die sich obendrein in einem großen Umfang auf höchst riskante Finanzgeschäfte einlässt, und die so genannten Streikgelder nichts anderes als das Aktienpaket an eben dieser Bank sind, so zeigt dies die tiefgreifende institutionelle und finanzielle Verquickung eines nationalen Gewerkschaftsbundes mit dem Finanzkapitalismus, welche die das kapitalistische System stützende Praxis der Gewerkschaften bei der Unterordnung der Arbeiter unter die Kapitalinteressen begleitet und zementiert.

 

Der ÖGB inszeniert einen Reformprozess

Der ÖGB befand sich also im Jahr 2006 in einer doppelten Krise - einer finanziellen wie moralischen. 40.000 Mitglieder traten aus dem ÖGB aus, dessen Mitgliederzahl bereits seit 1985 von 1,6 Millionen auf 1,3 Millionen abgenommen hatte (ein Rückgang des „gewerkschaftlichen Organisationsgrades“ der Beschäftigten von 55 auf 40 %). Ein bürgerlicher Kommentator meinte (vermutlich etwas voreilig): „Der Österreichische Gewerkschaftsbund in seiner bisherigen Form ist tot. Hingerichtet durch die Spekulationsgeschäfte der BAWAG und die Übernahme ihrer Schulden.“ (2) Der ÖGB stand unter Druck. Neben der Bereinigung der finanziellen Situation musste die moralische Glaubwürdigkeit der Gewerkschaft wiederhergestellt werden. Die Zauberworte des ÖGB-Vorstands: „Reform“ und „Totalerneuerung“.

Man beschloss, sich von der Bank zu trennen – der Verkaufserlös sollte es dem ÖGB ermöglichen, sich von den Schulden zu befreien. Außerdem fährt der Vorstand nun unter dem Motto „Schlank und effizient“ einen rigoroser Sparkurs, muss man doch in Zukunft auf die Einnahmen aus den Dividenden der BAWAG (rund ein Drittel der Einnahmen) verzichten und noch verbliebene Schulden abdecken: Das Gebäude der Gewerkschaftszentrale und sonstige Gebäude und Liegenschaften werden verkauft, Personal abgebaut, die Betriebspensionen der Gewerkschaftsangestellten gegen eine einmalige Abfindung gestrichen.

Ansonsten wird ein Reformprozess inszeniert. Der neue ÖGB-Präsident klapperte das ganze Jahr 2006 hindurch einen Betrieb nach dem anderen ab und verkündete den „Reformwillen“, auf Regionalkonferenzen wurden Reformvorschläge ausgearbeitet, im Jänner 2007 fand ein „Reformkongress“ statt. Doch dazu weiter unten.

 

 

2) Die Geschichte des BAWAG-ÖGB-Desasters

 

Die Karibikgeschäfte der BAWAG 1998-2000 – die Verluste des Herrn Flöttl …

Die Gewerkschaftsproblematik ist die eine Seite der Angelegenheit. Die andere sind die spekulativen „Karibikgeschäfte“ und die Krise der Bank selbst, welche am Schluss auf die Gewerkschaft durchschlugen. Die gewerkschaftseigene BAWAG war 1922 als „Arbeiterbank“ gegründet worden, ihr Geschäftsfeld waren Konten, Sparbücher und Kredite (häufig sogenannte „Betriebsratskredite“) für kleine Kunden und Sparer – Gewerkschaftsmitglieder, Arbeiter, Angestellte. Sie agierte lange Zeit sehr konventionell.

Anfang der 90er-Jahre, im Sog der rapiden Ausdehnung der globalen Finanzmärkte und Kapitalspekulation, begann sich auch der BAWAG-Vorstand spekulativen Finanzgeschäften in den USA zuzuwenden, die höhere Gewinne versprachen. Der Vorstandsvorsitzende Walter Flöttl beauftragte seinen Sohn damit - Wolfgang Flöttl, der nach Wirtschaftsstudien in Wien und Harvard als Investmentbanker in New York tätig war und mehrere Investmentgesellschaften (mit Sitz in verschiedenen Steueroasen der Karibik) gegründet hatte. Er war in kurzer Zeit mit Wertpapierspekulationen zu großem Vermögen gekommen. Der Vater und Bankdirektor in Wien beauftragte ihn bald mit der spekulativen Veranlagung von BAWAG-Geldern. „In Wien war man vom blühenden Handel mit Derivaten und anderen komplexen Finanzprodukten noch weit entfernt. Erst recht in der Gewerkschaftsbank…. Doch unbemerkt von der Öffentlichkeit begannen sich alte Gewerkschaftswelt und neue Finanzwelt miteinander zu verbinden. Die Verknüpfer hießen Flöttl – Walter und Wolfgang.“ (3)

Wolfgang Flöttl legte das von der BAWAG in Form von Krediten erhaltene Geld riskant in Währungs- und Zinsswaps (Termingeschäften mit Dollar-Yen-Kursen und japanischen Zinsentwicklungen) sowie Bonds an, außerdem in PIPE-Geschäften an. Gemanagt wurden diese Geschäfte von seinen eigenen Investmentgesellschaften – er agierte wie ein ausgelagerter Portfolio-Manager der BAWAG. Für die Veranlagung gründete Flöttl im Einverständnis mit dem BAWAG-Vorstand eine Vielzahl von Stiftungen bzw. Briefkastenfirmen, die er selbst kontrollierte, stets mit Sitz in der Karibik – Anguilla, Cayman Islands – oder in Liechtenstein. So kam ein Firmengeflecht zustande mit Namen wie Global Arbitrage, Stretegic Arbitrage, Financial Arbitrage, Narrow Investment, Felixton Ltd., Ophelia Ltd., Glen Star, Hapenney Ltd, Benson Stiftung, Treval Stiftung, Biamo Foundation, Huntington Investment Ltd., Madison Capital Holdings Ltd. Columbia Investment Ltd., West End International Investments Ltd. usw.

Anfangs waren die Geschäfte gewinnbringend, doch in den Jahren 1998, 1999 und 2000 machte Flöttl dreimal hintereinander Totalverlust, d.h. das gesamte Geld war verloren, jeweils zwischen 500 und 700 Millionen Dollar. Flöttl setzte innerhalb kurzer Zeit 1,9 Milliarden Dollar in den karibischen Sand. Einmal (1998) war ein Bankencrash an der Wall Street dazwischen gekommen (einer der größten Hedgefonds, „Long Term Capital“, mit 4 Milliarden Dollar Eigenkapital (!), machte bankrott), wodurch der Dollar gegenüber dem Yen plötzlich fiel statt weiter zu steigen, worauf Flöttl spekuliert hatte. Ein andermal (2000) hatte Flöttl das gesamte Geld in japanischen Zinsswaps angelegt und spekulierte auf eine bestimmte Zinsentwicklung des Yen. Die unerwartete Änderung der japanischen Geldmengenpolitik und damit der Zinsentwicklung im Zuge der Asienkrise führte abermals zum Totalverlust.

Nach dem ersten Verlust hatte der BAWAG-Vorstand (unter dem neuen Chef Helmut Elsner) Flöttl erneut Geld gegeben, damit er die Verluste wieder wettmache. Nach dem nächsten Verlust nochmals dasselbe. Flöttl spekulierte jedes Mal noch riskanter, setzte den Hebel bzw. Leverage-Effekt der Derivate (Verhältnis von Einsatz und möglichem Gewinn oder Verlust ausgehend vom Basiswert des Produkts, auf dessen Wertentwicklung spekuliert wird) jedes Mal höher an, um die vergangenen Verluste wieder auszugleichen.

Ein weiterer Verlust ergab sich durch die Schließung eines Großcasinos in Jericho, an der die BAWAG maßgeblich beteiligt war, aufgrund der Ereignisse der zweiten Intifada.

 

… und ihre Vertuschung

Aufgrund der angehäuften Verluste (netto circa 1,6, Milliarden Dollar oder 1,3 Milliarden Euro) konnte die BAWAG (Eigenkapital: 3,3 Milliarden Euro) 2000 keine Bilanz mehr erstellen. Der Vorstand unter Generaldirektor Helmut Elsner fürchtete, ein Öffentlichwerden der Verluste und der bisher geheim betriebenen Karibik-Geschäfte würde einen Run der Kunden auf die Bank auslösen und die Bank womöglich in den Konkurs treiben. Also beschloss man, die Verluste nicht in der Bilanz auszuweisen, sondern durch Scheingeschäfte mit extra für diesen Zweck gegründeten Stiftungen und Briefkastenfirmen zu verstecken und in den folgenden Jahren durch Gegenrechnung gegen laufende Gewinne und Aufwertungen von Beteiligungen sukzessive abzubauen. Statt die ursprünglichen Kredite der BAWAG an die Flöttl-Firmen als verloren auszuweisen, wurden sie als rückgeführt verzeichnet, die BAWAG verkaufte diesen Firmen die Verluste (als Schuldverschreibungen) und stattete sie mit neuen Krediten aus, mit denen sie eben diese zurückzahlen sollten. Die Verluste konnten somit in der Bilanz als werthaltige Forderungen ausgewiesen werden.

Manchmal waren die Konstruktionen komplizierter, um die Sache besser zu tarnen. Es wurden z.B. BAWAG-eigene Stiftungen zwischen den Flöttl-Firmen und der BAWAG zwischengeschaltet, und zwischen ihnen, den Flöttl-Firmen und der BAWAG konstruierte man Finanztransaktionen der verschiedensten Art. Die BAWAG verkaufte etwa in einem Fall uneinbringliche Flöttl-Bonds (in der Höhe von 550 Millionen Dollar) an eine neu gegründete Stiftung (Liquid Opportunity Plus Fund) und kaufte im Gegenzug in mehreren Tranchen Anteile dieses Fonds zum selben Wert. Natürlich wurde dabei auch nicht auf Aktennotizen vergessen, die für spätere Bankprüfungen gedacht waren und die diese Scheinwelt glaubhaft machen sollten- samt Erfindung von Zahlungsterminen, Namen von Managern usw.

Die interne wie die behördliche Kontrolle wurden damit hinters Licht geführt, der Komplex Karibik-Geschäfte war sozusagen eine Bank in der Bank. Später wurde aber auch kritisiert, die dem Finanzministerium unterstehende Finanzmarktaufsicht hätte versagt. Teils hatte sie sich austricksen lassen, teils wurden warnende Berichte vom Finanzministerium ignoriert.

Den restlichen Vorstand verpflichtete Generaldirektor Elsner, wie schon oben dargestellt, nach allen Seiten Stillschweigen zu bewahren“ – gegenüber den Eigentümern (ÖGB und damals auch noch Bayerische Landesbank), bankintern, gegenüber dem Aufsichtsrat sowie gegenüber der Öffentlichkeit. Nur der Aufsichtsratsvorsitzende, der ÖGB-Finanzchef Weninger, wurde – stark verspätet – dann doch noch informiert. Dieser gab die bekannte unlimitierte Garantie des ÖGB für die BAWAG-Verluste ab. In der Haftung war der Streikfonds enthalten. Informiert wurde außer dem inzwischen zurückgetretenen ÖGB-Präsidenten Verzetnitsch, der an der Haftung nichts auszusetzen hatte, niemand. Die entsprechenden ÖGB-Gremien wurden umgangen. Die beiden ÖGB-Bosse rechtfertigten sich später, nach dem Auffliegen der Sache, damit, dass ohne diese Haftung die Bank und damit tausende Arbeitsplätze und die Bankeinlagen von über 1 Million Kunden gefährdet gewesen wären.

Unter dem Dach der ÖGB-Garantien konnte die Bank tatsächlich die Schulden in den folgenden Jahren stark verringern.

 

Der ÖGB bekommt die BAWAG-Schulden umgehängt

Später fusionierte die BAWAG mit der Postsparkasse (P.S.K.). Dabei wurden die Schulden aufgrund einer speziellen Konstruktion auf den ÖGB übertragen. D.h., die Schulden wurden in der „alten BAWAG“ zurückgelassen, die nicht mehr als Bank operierte, sondern als bloße Hülle bzw. Finanzholding zurückblieb, während die Eigenmittel in die neue Bank BAWAG P.S.K. wanderten. Diese rechtliche Umgründung wurde in einer Aufsichtsratssitzung von einem ÖGB-Funktionär mit unterschrieben, der die Bedeutung dieser Transaktion für den ÖGB (Schuldenübernahme in Milliardenhöhe) nicht erkennen konnte, da er vom damaligen allein informierten ÖGB-Präsidenten Verzetnitsch nicht über die BAWAG-Schulden in Kenntnis gesetzt worden war – ein gewerkschaftsinterner Skandal für sich!

 

Weitere Summen in den Sand gesetzt – das Refco-Debakel

Das Pech war, dass die BAWAG im gleichen Jahr einen neuen Riesenverlust baute, der dann das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Wie oben dargestellt, überwies der BAWAG-Vorstand im Oktober 2005 einen Blitzkredit von 430 Millionen Dollar (oder 350 Milliarden Euro) (!) an den britisch-amerikanischen Investmentbanker Philipp Bennett bzw. dessen Refco Group Holding, ohne zu wissen, dass dieser Philipp Bennett bereits insolvent war. Tags zuvor war Bennett der Zutritt zur Firmenzentrale des US-Wertpapierhauses Refco, deren Chef er war, verweigert worden, nachdem bekannt geworden war, dass er durch Jahre hindurch Verluste aus anderweitigen Spekulationsgeschäften, die er in der Russland- und Asienkrise erlebt hatte, in seiner Firma Refco Group Holding, einer Tochter von Refco, versteckt hatte. Drei Tage später wurde der Handel mit Refco-Aktien an der Wall Street ausgesetzt, die Firma ging in Konkurs – mit 48 Milliarden Dollar (!) die viertgrößte Pleite in der US-Geschichte. Bennett wurde festgenommen, ihm wird Bilanzfälschung, Betrug, illegale Bereicherung vorgeworfen. Der BAWAG-Kredit war aber verloren.

Die BAWAG ihrerseits hatte schon längere Zeit mit Refco zu tun, sie hatten sich aus den Flöttl-Geschäften ergeben. Vorübergehend hatte sie über eine ÖGB-Stiftung in Liechtenstein 10 % der Aktien von Refco gehalten.

Nun begann der bürgerliche Staat - die Aufsichtsbehörden und die Justiz - die internationalen Geschäfte der BAWAG zu durchforsten. Dabei flogen die geheim gehaltenen Verluste aus den Karibik-Geschäften auf, es wurde klar, dass alle internen Kontrollen und die Bankenaufsicht versagt hatten. Der BAWAG-ÖGB-Skandal war perfekt. (Wenn Spekulationsgeschäfte die Gewinne steigern, werden sie allerseits gut geheißen, sobald sie aber schief gehen, sind die Akteure Verbrecher und ist das Ganze ein Skandal.)

Die finanziellen Transaktionen sind ein so undurchschaubares Gewirr, dass natürlich leicht Geld abgezweigt werden hätte können. Auch dahin gehend wird ermittelt. „Es stellt sich die grundsätzliche Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass ein erfahrener Portfoliomanager wie Wolfgang Flöttl über Jahre hindurch jedes ihm anvertraute Geld in einen Totalverlust führt.“ (4)

Der BAWAG-Vorstand trat zurück, Strafverfahren wegen Bilanzfälschung, Betrug, Untreue laufen. Und das ÖGB-Führungsduo Verzetnitsch-Weninger musste die Erteilung der unbeschränkten Haftung des ÖGB für die BAWAG zugeben und trat ebenfalls zurück, Verzetnitsch wurde von seinem Nachfolger zusätzlich aus dem ÖGB geschmissen.

 

Sammelklage aus den USA, die Bank gerät ins Strudeln

Im Frühjahr 2006 drohte der BAWAG neues Ungemach aus den USA in der Refco-Affäre – zusätzlich zum Kreditschaden. Vom Refco-Konkurs betroffene Refco-Wertpapierbesitzer und -Gläubiger drohten mit einer Sammelklage, sie warfen der BAWAG Beihilfe zum Bilanzbetrug bei Refco vor. Der neue BAWAG-Vorstand wies das zurück und erreichte einen Vergleich, um einen jahrelangen Rechtsstreit vor amerikanischen Gerichten zu vermeiden: Die BAWAG erklärte sich bereit, 700 Mio. Dollar zu zahlen. Das Refco-Debakel (Kreditverlust, Sammelklage usw.) kostete die BAWAG 1,3 Milliarden Dollar (ca. 1 Milliarde Euro). Auch diesen Verlust sollte später die Gewerkschaft übernehmen.

Inzwischen setzte ein Run auf die BAWAG ein, täglich hoben Kunden hoben ihre Ersparnisse ab, die Bank kam ins Trudeln.

 

Rettungsaktion der Regierung

Die rechte Bundesregierung Schüssel schnürte ein Rettungspaket für die „rote“ Bank, um „den Finanzplatz Österreich nicht zu gefährden.“. Sie gab eine limitierte Staatshaftung für die Bank und veranlasste die anderen österreichischen Großbanken, der BAWAG Geld zur Verfügung zu stellen.

Das Rettungspaket verpflichtete gleichzeitig den Eigentümer ÖGB, für die gesamten Verluste der BAWAG aufzukommen und zu diesem Zweck Liegenschaften, Firmen, Beteiligungen zu verkaufen. Erst wenn all das nicht ausreichen sollte, sollte die Staatshaftung schlagend werden. Der ÖGB stand geschwächt da und musste gegenüber dem Staat bzw. der Nationalbank seine Vermögensverhältnisse offen legen, auch den Streikfond, aus dem in der Vergangenheit immer so ein Geheimnis gemacht worden war, auch gegenüber den Mitgliedern.

Der ÖGB ist über die BAWAG und direkt tatsächlich an einer Reihe von Unternehmen beteiligt, z.B. an der Nationalbank (20 %), an der Bausparkasse (7 %), an den Österreichischen Lotterien (34 %) und am privaten TV-Kanal ATV, der vorwiegend Müll sendet (42 %), er ist Alleinaktionär (via BAWAG) an der easy bank, der Österreichischen Verkehrskreditbank, der Sparda Bank und der slowenischen Istrobanka und besitzt Immobiliengesellschaften.

Nachdem der ÖGB die Schulden der BAWAG übernommen hatten, stand ihrem Verkauf nichts mehr im Wege. Den Zuschlag bekam just ein amerikanischer Hedgefonds (Cerberus), er zahlte über 2 Milliarden. Der Erlös machte den ÖGB schuldenfrei. Aber er war um eine Bank ärmer, und es war das Ende der BAWAG als Gewerkschaftsbank – sehr zum Missfallen des sozialdemokratischen Bankklientels und mancher Gewerkschafter.

 

3) Der ÖGB versucht die Krise zu bewältigen – der

„Reformprozess“

Das BAWAG-Debakel ließ, wie oben angedeutet, in den Gewerkschaften den Ruf nach Reform des ÖGB aufkommen. Viele GewerkschafterInnen sahen in der fundamentalen aktuellen Krise die historische Chance gekommen, den ÖGB, der sich durch wenig Mitbestimmung der Mitglieder auszeichnete, zu reformieren und „demokratisieren“. Es bildete sich eine innergewerkschaftliche Plattform für Gewerkschaftsreform - „Zeichen setzen“. Der Ruf nach Reform kam von Vertrauensleuten in den Betrieben, verstärkt von bestimmten Fraktionen (linken „Unabhängige Gewerkschafter“, teilweise sozialdemokratische Gewerkschafter), aber auch aus dem Apparat selbst, der im Zusammenhang mit dem BAWAG-Desaster aufgescheucht war. Es sollte unter anderem die enge Verbindung von Gewerkschaft und Parteien gelöst werden, die in der Vergangenheit zu Mehrfachfunktionen (Gewerkschaftsfunktion, Parteifunktion, Abgeordneter in Parlament, Landtag oder Gemeinderat) und dadurch zu „Interessenskollisionen“ und häufig zur bloßen Nachvollziehung von Parteibeschlüssen in Gewerkschaftsgremien statt einer „ehrlichen Interessensvertretung“ geführt hätten. Unter der Devise „Für einen starken und demokratischen ÖGB“ bildeten sich die folgenden Forderungen heraus:

 

  • Trennung von Parteipolitik und Gewerkschaft, stärkere „Unabhängigkeit“ der Gewerkschaft von den Parteien - die Spitzengewerkschafter sollen in Hinkunft kein Mandat mehr in gesetzgebenden Körperschaften ausüben dürfen

  • Demokratisierung – direkte Wahl aller Leitungsgremien der Teilgewerkschaften durch die Mitglieder, Urabstimmungen in wichtigen Angelegenheiten (z.B. Gehaltsabschlüssen), mehr Mitgliederbefragungen, Einführung von regelmäßigen regionalen Versammlungen der gewählten GewerkschaftsvertreterInnen, deren Rolle gegenüber den Leitungsgremien und dem Apparat verstärkt werden soll, Recht von Betriebsräten, die Bearbeitung von Themen zu initiieren, regionale Gewerkschaftshearings, verbesserte Kommunikation zwischen Führung und Basis usw.

  • stärkeres Bemühen des ÖGB um die Bedürfnisse bisher vernachlässigter „Zielgruppen“ (prekär bzw. atypisch Beschäftigte, Scheinselbstständige, Arbeitslose, Frauen in schlecht bezahlten Teilzeitjobs, Angehörige von Sozialberufen, MigrantInnen), um neue Mitglieder zu gewinnen

  • mehr Frauen in den Leitungsgremien (Frauenquoten)

  • Einkommensobergrenzen für Spitzenfunktionäre, da die bisherigen Spitzengagen samt üppigen Pensionsregelegungen und Doppelbezügen aufgrund Mehrfachfunktionen die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaft bei den ArbeiterInnen beeinträchtigt und zu einer „Entfremdung von der Basis“ geführt hätte. (Es wurde als Obergrenze 4500,- Euro netto gefordert, beschlossen wurden schließlich 5800,- netto)

 

Projektgruppen zu einzelnen Themenbereichen arbeiteten Reformvorschläge aus. In ein paar Dutzend Regionalkonferenzen ließ man die daran teilnehmenden Betriebsräte und einfachen Mitglieder Reformvorschläge ausarbeiten. Allerdings waren diese Regionalkonferenzen vom Gewerkschaftsapparat gelenkt, auch wenn Kritik aufkam. So wurden gewisse Fragestellungen und Forderungen von den Konferenzleitern von vornherein ausgesiebt, und die ausgearbeiteten Vorschläge wurden nicht abgestimmt und standen am Schluss der Konferenzen als unverbindliche Appelle im Raum. Es stand in den Sternen, was der die Fäden ziehende Apparat damit dann anfing.

Die Vorschläge der Projektgruppen wurden anschließend in einen langwierigen organisatorischen Prozess geschickt, sie wurden in einer Klausur der leitenden Gremien modifiziert und dann in einem „Reformkongress“ beschlossen. Nun arbeiten Umsetzungsgruppen an der Implementierung der beschlossenen Veränderungen in den gewerkschaftlichen Alltag. Wie zu erwarten, hat der Apparat die Kontrolle behalten. Die Maßnahme, die am ehesten den Willen der Gewerkschaftsführung durchkreuzen könnte – die Einführung von Urabstimmungen -, wird nun nochmals 2 Jahre lang von einer Umsetzungsgruppe diskutiert und zunächst einem Testlauf unterworfen. Erst danach wird sie eventuell (!) verbindlich beschlossen – vermutlich aber nicht, da sich bis dahin der Reformzwang wieder verlaufen haben wird.

 

Desinteresse der Mitglieder

Auffallend war das Desinteresse der Mitglieder des ÖGB, der Arbeiter und Angestellten, am Reformprozess. Nur relativ wenige Mitglieder beteiligten sich. Den Leuten ist es entweder egal oder sie sehen keine große Möglichkeit der Änderung. Den Reformkatalog der Plattform „Zeichen setzen“ unterzeichneten gerade einmal 6200 Mitglieder (0,5 % aller Mitglieder). Den von der ÖGB-Spitze an die Mitglieder versandten Fragebogen, in dem diese ihre Präferenzen für verschiedene vorgefertigte Reformvorschläge ankreuzen konnten, sandten nur 58.000 Mitglieder (4 % aller Mitglieder) zurück. (Die Auswertung der Ergebnisse des Fragebogens war übrigens erst nach dem Vorliegen der Ergebnisse der Projektgruppen fertig und fand gar keine Berücksichtigung mehr, das zeigt den Alibicharakter!) An den Regionalkonferenzen nahmen österreichweit vielleicht 3000 Personen teil (ebenfalls im Promillebereich der Mitglieder).

Vor ein paar Jahren hatten sich noch weit mehr Mitglieder an einer Mitgliederbefragung beteiligt, in der die ÖGB-Führung die Mitglieder befragte, ob sie sich grundsätzlich im Falle von Konflikten mit Arbeitgebern oder Regierung an Kampfaktionen inklusive Streiks beteiligen würden. (Damals waren die Erwartungen der ÖGB-Führung übertroffen worden, und die Umsetzung von manchen Ergebnissen wurde fallengelassen.)

Alle diese Versuche, die Gewerkschaft zu reformieren, ändern nichts an der grundsätzlichen Rolle des ÖGB und der Gewerkschaften überhaupt, die bestehende kapitalistische Ordnung zu verteidigen, die Anliegen der Lohnabhängigen nur innerhalb des Rahmens der kapitalistischen gelten zu lassen und die ArbeiterInnen vom direkten Kampf für ihre Interessen abzuhalten. Die Reform zielt darauf ab, den ÖGB durch symbolische Akte (Reforminszenierung) und die Beseitigung der gröbsten „Missstände“ (Beseitigung von Mehrfachfunktionen bei den hohen Funktionären, Herstellung eines Minimums von Mitsprache der VertreterInnen an der Basis, Ansprache neuer „Zielgruppen“) aus seiner Glaubwürdigkeitskrise zu holen und in die Lage zu versetzen, seine oben beschriebenen Aufgaben weiterhin wahrzunehmen. Wie der Präsident des Wirtschaftsbundes, einer Interessensorganisation der Unternehmer, letztes Jahr sagte: „Wir brauchen eine starke Gewerkschaft.“

Es ist eine Illusion, wie etwa die trotzkistischen Gruppen (z.B. Arbeitsgruppe Marxismus AGM oder Antifaschistische Linke) zu glauben, man könne die Funktion der Gewerkschaft, die man für grundsätzlich verteidigenswert hält, ändern und einen „demokratischen und klassenkämpferischen ÖGB“ erreichen, der nicht von den sozialdemokratischen und christdemokratischen Funktionären bzw. dem Apparat, sondern von den KollegInnen in den Betrieben kontrolliert wird. Die Funktion der Gewerkschaften ist fest in die bürgerliche Gesellschaft eingeschrieben. Die ArbeiterInnen können sich nur durch einen unmittelbaren Kampf, der außerhalb der Kontrolle des ÖGB bzw. der Gewerkschaften ist, gegen kapitalistische Angriffe zur Wehr setzen und zusammenschließen. Die Gewerkschaft sabotiert und zersplittert diesen Kampf, egal, wie „demokratisch“ sie ist oder wie viel die obersten Funktionäre verdienen.

 

Gruppe Internationalistische Kommunisten (GIK), Österreich

Postfach 96, A-6845 Hohenems, Österreich

__________

 

1 Standard, 17.6. 2006, S.2

2 Herbert Langsner, in: FORMAT, Juni 2006

3 Richard Schneider: Das Syndikat der Totengräber. Eine Dokumentation über die

Hinrichtung des roten Bankenriesen BAWAG und seines Eigentümers ÖGB. Wien 2006.

S.26)

4 Prüfbericht der Nationalbank, zit. In NEWS, Juni 2006, zit. in: Richard Schneider, S.49

 

 

 

Geographisch: 

  • Österreich [7]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die Gewerkschaftsfrage [8]

Flugblatt der IKS - AIRBUS: Wenn wir heute die Opfer hinnehmen, werden die Herrschenden morgen noch härter zuschlagen!

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Nach wochenlangen Verrenkungen seitens der Airbus-Spitze und nach einem Treffen zwischen Chirac-Merkel ist das Fallbeil niedergegangen : 10.000 Stellenstreichungen in Europa, Schließung oder Verkauf mehrerer Standorte.

Die Geschäftsleitung beteuert : «Es wird keine harten Entlassungen geben », « Alles wird über Frühpensionierungen und freiwillige Kündigungen geregelt ». 

Keine Entlassungen bei Airbus, aber hier handelt es sich nur um die Hälfte der Betroffenen. Die 5.000 Zeitarbeiter oder Beschäftigten der Zulieferer müssen woanders Arbeit suchen. Und die Airbus-Beschäftigten wissen selbst, was für sie « freiwilliges Ausscheiden » bedeutet: ständiges Mobbing durch die Vorgesetzen, um die Mitarbeiter heraus zu ekeln. Insgesamt wird es dabei noch mehr Arbeitslose vor allem unter den arbeitssuchenden Jugendlichen geben. Und für diejenigen, die ihren Job behalten, heißt dies – ein noch schlimmerer Arbeitsrhythmus, Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich und sogar noch weniger.

Nach wochenlangen Verrenkungen seitens der Airbus-Spitze und nach einem Treffen zwischen Chirac-Merkel ist das Fallbeil niedergegangen: 10.000 Stellenstreichungen in Europa, Schließung oder Verkauf mehrerer Standorte. Die Geschäftsleitung beteuert: «Es wird keine harten Entlassungen geben», «Alles wird über Frühpensionierungen und freiwillige Kündigungen geregelt». Keine Entlassungen bei Airbus, aber hier handelt es sich nur um die Hälfte der Betroffenen. Die 5.000 Zeitarbeiter oder Beschäftigten der Zulieferer müssen woanders Arbeit suchen. Und die Airbus-Beschäftigten wissen selbst, was für sie «freiwilliges Ausscheiden» bedeutet: ständiges Mobbing durch die Vorgesetzen, um die Mitarbeiter heraus zu ekeln. Insgesamt wird es dabei noch mehr Arbeitslose vor allem unter den arbeitssuchenden Jugendlichen geben. Und für diejenigen, die ihren Job behalten, heißt dies – ein noch schlimmerer Arbeitsrhythmus, Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich etc.  

Wie die Bourgeoisie und die Gewerkschaften die Krise bei Airbus erklären

 

Um die Krise bei Airbus und die damit verbundenen Maßnahmen zu erklären, lenkt jeder auf seine Art von den wahren Ursachen ab. Gallois, Vorstandsvorsitzender von Airbus, zufolge, ist hauptsächlich der starke Euro schuld. Die Airbus-Flugzeuge seien daher zu teuer im Vergleich zu den von Boeing produzierten. Die Gewerkschaften wiederum sehen die Ursache allen Übels im schlechten Management oder in der Raffgier der Aktionäre. Für die Arbeitgeber jedoch ist der Staat der Schuldige, der sich zu sehr in die Industriepolitik eingemischt habe, denn dies sei auch gar nicht seine Aufgabe. Man müsse die Privatinvestoren alleine zurecht kommen lassen. Aber die linken Parteien nun werfen dem Staat vehement vor, seine Rolle als Aktionär nicht wahrgenommen zu haben. Für die französische Presse ist ganz klar der deutsche Staat schuld, denn der habe sich die besten Brocken in diesem Deal erhascht. Für die deutsche Presse wiederum  – mit der herrschenden Klasse auf ihrer Seite – ist es schwierig, dieses Argument ebenso nun der französischen Regierung vorzuwerfen, schließlich sind bei Bayer-Schering 6.100 Stellenstreichungen vorgesehen und dafür kann man dann wohl doch kaum Frankreich den schwarzen Peter zuschieben. Und bei Deutsche Telekom ist die Auslagerung von 50.000 Stellen vorgesehen, was nur der Vorbereitung späterer Entlassungen dient, sobald die Beschäftigten auf eine Vielzahl kleinerer Betriebe verteilt sind. Diejenigen, die bei der Telekom ihren Arbeitsplatz behalten, müssen ohne Lohnausgleich länger arbeiten. Mit Hilfe der Medien versucht die deutsche Bourgeoisie daher eher, die Beschäftigten zu beschwichtigen und behauptet, es hätte noch viel schlimmer kommen können, zudem habe es die Franzosen am härtesten getroffen. Der gleiche Ton ist in der spanischen Presse zu vernehmen: Für uns ist es nicht so schlimm gekommen, weil wir wettbewerbsfähiger sind. Und als Beilage bei diesen nationalistischen Tönen werden die Deutschen und Franzosen beschuldigt, jeweils in ihrer Ecke ihr eigenes Süppchen zu kochen, ohne die Spanier zu konsultieren. Was die britische Presse betrifft, wird die ganze Sache eher diskret behandelt, denn just in diesem Moment sollen Hunderttausende Beschäftigte im Gesundheitswesen eine Einfrierung ihrer ohnehin schon niedrigen Löhne hinnehmen. Was schlagen uns diejenigen vor, die die Entscheidungen von Airbus verwerfen?  Für die deutschen Gewerkschaften sind die Schwierigkeiten von Airbus lediglich ein Beispiel unter vielen für das schlechte Management der Arbeitgeber (so auch bei Deutsche Telekom und Bayer-Schering). Daher fordern sie mehr Mitbestimmung bei den Entscheidungsprozessen, obwohl sie praktisch schon über die Hälfte der Stimmen in den Aufsichtsräten verfügen und bereits bei allen Entscheidungen bei Airbus oder in anderen Firmen beteiligt wurden. In diesem Zusammenhang schlagen sie vor, dass die zur „Aufrechterhaltung der Zukunft von Airbus“ erforderlichen Maßnahmen vor Ort, in den Betrieben, zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern diskutiert werden. Die französischen Gewerkschaften wiederum prangern auch das schlechte Management der gegenwärtigen Geschäftsleitung an und schlagen vor, dass der Staat sich mehr an der Verwaltung von Airbus beteilige. Dieser Vorschlag wird ebenfalls vom gegenwärtigen Premierminister und den Kandidaten der Rechten und des Zentrums bei den nächsten Präsidentenwahlen, Sarkozy und Bayrou unterstützt.  Die sozialistische Präsidentschaftskandidatin, Ségolène Royal, befürwortet zudem, dass die französischen Regionen Kapitalanteile erwerben und beim Management von Airbus einsteigen. Dies wäre also die gleiche Praxis, wie sie bereits in den Bundesländern Deutschlands gehandhabt wird, die schon Anteile von Airbus erworben haben. Man kann sehen, wohin dies geführt hat!  

 

Wir dürfen uns durch die kapitalistische Konkurrenz nicht spalten lassen!

 

 

 

Bei einigen dieser Erklärungen mag ein Körnchen Wahrheit dran sein. Es stimmt, dass der starke Euro eine Hürde für den Verkauf von in Europa hergestellten Flugzeugen gegenüber der Konkurrenz von Boeing ist. Es stimmt, dass es Managementprobleme bei Airbus gibt. Es stimmt insbesondere, dass die Konkurrenz zwischen dem deutschen und französischen Staat die Sache nicht leichter macht. Jeder mag bis zu einem gewissen Maße recht haben, aber sie alle verbreiten die gleiche Lüge: Die Arbeiter, die heute für die Schwierigkeiten von Airbus aufkommen sollen, hätten die gleichen Interessen wie ihre Arbeitgeber. Kurzum – sie sollten sich alle dem Ziel unterwerfen, auf das alle Anstrengungen bei Airbus ausgerichtet sind – die Konkurrenzfähigkeit von Airbus gegenüber Boeing zu unterstützen. Genau dasselbe sagen die amerikanischen Unternehmer ihren Beschäftigten; und aus demselben Grunde mussten diese in den letzten Jahren Zehntausende von Stellenstreichungen hinnehmen. Letztendlich laufen alle Aussagen der «Verantwortlichen», ob Regierung, Arbeitgeber oder Gewerkschaften, darauf hinaus, dass die amerikanischen Arbeiter die Gegner der europäischen Arbeiter seien, genau so wie die französischen, deutschen, englischen und spanischen Arbeiter auch jeweils untereinander Gegner seien. Im gegenwärtigen Handelskrieg wollen alle Teile der Kapitalistenklasse die Arbeiter der verschiedenen Länder gegeneinander hetzen, genau so wie sie es in den militärischen Kriegen tun. Sie sagen uns immer wieder, dass die kapitalistischen Staaten in Konkurrenz zueinander stehen – und dies trifft natürlich zu. Die Kriege des 20. Jahrhunderts aber beweisen, dass die Arbeiter am meisten im Konkurrenzkampf der kapitalistischen Nationen untereinander zu verlieren haben, und dass sie kein Interesse daran haben, sich den Befehlen und den Interessen ihrer jeweiligen nationalen Bourgeoisie zu unterwerfen. Der Logik des Kapitalismus zufolge müssen die Arbeiter Europas und Amerikas immer mehr Opfer bringen. Wenn Airbus gegenüber Boeing wieder rentabel wird, werden die Beschäftigten bei Boeing neuen Angriffen ausgesetzt (jetzt schon sind 7000 Stellenstreichungen bei Boeing geplant), und dann werden im Gegenzug wieder die europäischen Beschäftigten erpresst. Jedes Zurückweichen der Arbeiter vor den Forderungen der Kapitalisten führt nur dazu, dass überall neue, noch heftigere Angriffe gegen die Arbeiter beschlossen werden. Daher bleibt dem Kapitalismus keine andere Wahl, denn das System steckt tief in einer unüberwindbaren Krise –und die einzige „Lösung“, die dem System übrig bleibt, sind immer mehr Stellenstreichungen und eine immer schrecklichere Ausbeutung der Arbeiter, die gegenwärtig noch das „Glück“ haben, ihren Arbeitsplatz zu behalten.

 

Eine einzige Lösung : Einheit und Solidarität der ganzen Arbeiterklasse!

 

 

 

Den von den Sparmaßnahmen bei Airbus-Betroffenen bleibt heute nichts anderes übrig als zu kämpfen. In den Airbus-Werken haben sie dies sofort verstanden: Gleich nach der Verkündung der Firmenpläne haben mehr als 1000 Beschäftigte in Laupheim spontan die Arbeit niedergelegt, während gleichzeitig in Meault, in der Picardie, die Arbeit niedergelegt wurde. Erst nachdem die Gewerkschaften meldeten, dass das Werk nicht verkauft werden würde, haben die Arbeiter in Meault wieder die Arbeit aufgenommen. Aber die Zusage der Gewerkschaften war eine Lüge. Doch die Airbus-Beschäftigten sind nicht die einzig Betroffenen. Alle Ausgebeuteten müssen sich solidarisch fühlen gegenüber den Angriffen, denen heute die Beschäftigten des Flugzeugbaus ausgesetzt sind, denn morgen werden die gleichen Angriffe auf die Beschäftigten der Automobilindustrie, der Telekom, der Chemie und aller anderen Bereiche niederprasseln. Überall müssen die Arbeiter in souveränen Vollversammlungen zusammenkommen, in denen sie über die Ziele und die Mittel des Kampfes diskutieren und entscheiden können. Ihr Kampf ist nicht nur eine Angelegenheit der Arbeiter selbst. Nicht die Kandidaten bei den Präsidentenwahlen werden für die Beschäftigten handeln, denn ihre Versprechungen werden – sobald sie an der Macht sind – vergessen sein. Auch die Gewerkschaften verteidigen die Arbeiter nicht. Denn die sorgen nur für die Spaltung der Arbeiter, sei es in den Betrieben, sei es innerhalb der gleichen Produktionsabteilung (wie man heute in Toulouse sehen kann, wo die größte Gewerkschaft ‚Force Ouvrière’ versucht, die „Blaumänner“ und die  „Angestellten“ der Airbus-Zentrale zu spalten, obwohl diese auch sehr stark von Stellenstreichungen betroffen sind). Auch die Beschäftigten der betroffenen Länder, versuchen sie zu spalten, denn sie schwingen als erste die Nationalfahne (die französischen Gewerkschaften, mit Force Ouvrière an der Spitze, behaupten, „man muss kämpfen“, ja man müsse auch die Produktion lahm legen, um eine „bessere Verteilung der Opfer“ zu erreichen, mit anderen Worten, man will erreichen, dass die Beschäftigten in Deutschland noch härter getroffen werden). Und selbst wenn eine Gewerkschaft wie die IG-Metall für Mitte März einen Aktionstag aller Länder mit Airbus-Standorten ankündigt, handelt es sich nur um ein Manöver, das dazu dienen soll, die Arbeiter von der Bewusstseinsentwicklung abzuhalten, dass ihre Interessen nicht mit denen des nationalen Kapitals übereinstimmen, während sie gleichzeitig Stellung gegen Streiks beziehen, weil man sich „verantwortlich“ verhalten müsse. Aber die Gewerkschaften wollen auch eine „Solidarität“ der europäischen Beschäftigten von Airbus gegen die amerikanischen Arbeiter  von Boeing herbeiführen, die sich im Herbst 2005 massiv mit Streiks gegen die Angriffe der Arbeitgeber gewehrt haben. Die notwendige Solidarität aller Beschäftigten zeigt sich ansatzweise insbesondere durch spontane Arbeitsniederlegungen in den etwas weniger hart betroffenen Standorten wie Bremen und Hamburg. Vor kurzem beteiligten sich die Beschäftigten von Airbus im Süden Spaniens, die heute ebenso angegriffen werden, an den Demonstrationen der Beschäftigten des Automobilzulieferers Delphi, der ein Werk in Puerto Real dicht machen will. Dies muss der Weg für alle Arbeiter sein. Während die Bosse dazu aufrufen, die Stellenstreichungen, die Lohnsenkungen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hinzunehmen, müssen wir mit einer Stimme antworten: Wir weigern uns, diese Opfer zu bringen, die nur noch zu immer heftigeren Angriffen führen werden. Nur der Kampf lohnt sich!  >

 

 

 

Gegen die Spaltungsversuche der Beschäftigten der verschiedenen Betriebe oder Länder - Solidarität der ganzen Arbeiterklasse!

Gegen die Isolierung, die immer zu Niederlagen führt, müssen wir die Ausdehnung der Kämpfe durchsetzen. Die Vollversammlungen müssen massive Delegationen zu den anderen Betrieben schicken, damit alle Arbeiter sich an einer Solidarisierungsbewegung beteiligen können.  

Gegenüber einem kapitalistischen Weltsystem, das im Niedergang begriffen ist, und das nur noch zu immer heftigeren Angriffen gegen die Arbeiter in allen Branchen und allen Ländern in der Lage ist, haben die Arbeiter keine andere Wahl als immer entschlossener, immer solidarischer zu kämpfen und den Kampf stetig weiter auszudehnen. 

Dies ist das einzige Mittel aller Beschäftigten, um der Zuspitzung ihrer Ausbeutung, der Verschlechterung ihrer immer unmenschlicher werdenden Lebens- und Arbeitsbedingungen  entgegenzutreten, und auch um die Überwindung dieses Systems vorzubereiten, das Not und Elend, Krieg und Barbarei verbreitet. 

Internationale Kommunistische Strömung, 5.3.07  www.internationalism.org [9]  

E-mail: [email protected] [10]

Kontaktadresse: Postfach 410308, 50863 Köln

 

 

Als PDF herunterladen:

files/de/airbus_entlassungen50307.pdf [11]
 

 

 

Theoretische Fragen: 

  • Politische Ökonomie [12]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [13]

Mai 2007

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Airbus, Telekom, Opel, VW-Skoda - Kämpfen lohnt sich

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Keine zwei Monate, nachdem die Turbulenzen bei Airbus in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerückt waren, haben sich die Medien wieder anderen Themen zugewandt. Zumindest in Deutschland ist dieses Thema mittlerweile ins Abseits gedrängt worden. Die Lage bei Airbus ist wieder zu einer ausschließlichen Angelegenheit der „Spezialisten“ aus den Vorstandsetagen und den Gewerkschaftsführungen gemacht worden, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit nun diskret das Schicksal Tausender Beschäftigter „abwickeln“ wollen. Erneut beweisen sich die Gewerkschaften, auf deutscher Seite vor allem die IG Metall, als Virtuosen auf der Klaviatur der Spaltungsmanöver.

Keine zwei Monate, nachdem die Turbulenzen bei Airbus in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerückt waren, haben sich die Medien wieder anderen Themen zugewandt. Zumindest in Deutschland ist dieses Thema mittlerweile ins Abseits gedrängt worden. Die Lage bei Airbus ist wieder zu einer ausschließlichen Angelegenheit der „Spezialisten“ aus den Vorstandsetagen und den Gewerkschaftsführungen gemacht worden, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit nun diskret das Schicksal Tausender Beschäftigter „abwickeln“ wollen. Erneut beweisen sich die Gewerkschaften, auf deutscher Seite vor allem die IG Metall, als Virtuosen auf der Klaviatur der Spaltungsmanöver. Völlig ungeniert spielen sie dabei mit der nationalistischen Karte, indem sie mit Argusaugen darauf achten, dass das eigene Land bei der Verteilung der Lasten des Krisenmanagements bei Airbus nicht übervorteilt wird. Dabei werfen sie sich auch noch in die Brust und behaupten, dies alles im Interesse der Beschäftigten zu tun. Das Gegenteil ist der Fall! Indem sie systematisch und bewusst die ArbeiterInnen des einen Landes gegen die Airbus-Beschäftigten anderer Länder, die Beschäftigten des einen Airbus-Betriebes gegen die Kollegen und Kolleginnen anderer Betriebe auszuspielen trachten, versuchen sie, die Airbus-Beschäftigten in Frankreich, Spanien, Großbritannien und Deutschland davon abzuhalten, zu ihrer wirkungsvollsten Waffe gegen derlei Attacken der Herrschenden zu greifen – zur buchstäblich grenzenlosen Solidarität der Arbeiterklasse, zur Solidarisierung unter den ArbeiterInnen über alle betrieblichen oder nationalen Grenzen hinweg. Offensichtlich sind die Gewerkschaften bisher recht erfolgreich bei ihren Bemühungen, den Kampfgeist der Airbus-Beschäftigten auf kleiner Flamme zu halten. Jedenfalls deuten die bisher recht müden Aktionen Letzterer eher auf eine Demoralisierung denn auf große Kampfbereitschaft der Betroffenen hin.

Dies die momentane Lage. Jedoch werden die Versuche der Gewerkschaften, die Illusion zu verbreiten, dass die Beschäftigten durch „Realismus“ und „kreative Mitgestaltung“ des Umstrukturierungsprozesses das Schlimmste verhindern und die Anzahl der Jobverluste minimieren könnten, an den unerbittlichen Realitäten zerschellen. Neuerdings wird aus der Konzernzentrale in Toulouse vernommen, dass jedenfalls in Hamburg und vielleicht auch anderswo weitaus mehr Arbeitsplätze gestrichen werden sollen als bislang angekündigt.

Was die Situation in Deutschland auch für die Herrschenden derzeit brisant macht, das ist die Tatsache, dass neben den Airbus-Beschäftigten auch andere Bereiche der Arbeiterklasse massiven Angriffen ausgesetzt sind. An erster Stelle seien hier die Beschäftigten der Deutschen Telekom genannt, die sich zurzeit mit einem der massivsten Angriffe in der jüngeren Geschichte Deutschland konfrontiert sehen. Vor dem Hintergrund schwerer Einbrüche auf dem Telekommunikationsmarkt sieht sich der Telekom-Vorstand gezwungen, zu drastischen Maßnahmen zu greifen. 50.000 Arbeitsplätze sollen aus dem Telekom-Konzern „ausgegliedert“ werden; die Betroffenen sollen dabei 12%ige Lohneinbußen hinnehmen und – als ob dies nicht schon genug wäre – darüber hinaus vier Stunden pro Woche länger arbeiten – natürlich unentgeltlich. Mitte April begannen die Verhandlungen zwischen dem Telekom-Vorstand und Ver.di. Von Anfang an war die Verhandlungsstrategie von Ver.di darauf ausgerichtet, irgendeine Art von „Kompensationen“ für die angestrebte Ausgliederung zu erhalten. Mit anderen Worten: Ver.di hoffte, dass sich die Telekom-Beschäftigten bereits in ihr Schicksal fügen, ehe sie überhaupt erst den Kampf aufgenommen zu haben. Doch anscheinend hat Ver.di die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Nicht nur, dass die dreitägigen Warnstreiks, an denen jeweils mehr als 10.000 Telekom-Beschäftigten Mitte April teilnahmen, von einem kämpferischen Geist beseelt waren. Hinzu kommt, dass die Beschäftigten keinesfalls das uneingestandene Ziel Ver.dis teilen. Die Äußerungen vieler Teilnehmer der Warnstreiks vor den zahlreich vertretenen Fernsehkameras deuten darauf hin, dass die Ausgliederung von 50.000 Arbeitsplätzen für die Beschäftigten selbst noch längst keine beschlossene Sache ist. Denn hier geht es nicht mehr darum, auf die Urlaubsreise oder ein neues Auto zu verzichten. Hier geht es um die nackte Existenz! Es wird berichtet, dass Tausende von Telekom-Beschäftigten ihr Heim werden verpfänden müssen, falls das Vorhaben des Vorstandes Realität wird. Unter diesen Umständen ist eine geräuschlose Abwicklung dieses üblen Plans nicht mehr möglich. Nachdem sie zwischenzeitlich versucht hatte, durch die vorläufige Suspendierung der Verhandlungen mit dem Telekom-Vorstand Zeit zu gewinnen und die Dinge etwas zu beruhigen, muss Ver.di nun wohl oder übel schärfere Töne anschlagen. Doch wenn die Gewerkschaftsführung nun unverhohlen von der Unvermeidlichkeit eines Streiks bei der Telekom spricht, so können wir getrost davon ausgehen, dass sie dies nicht freiwillig, aus Jux und Dollerei macht. Jeder große Streik, welcher um wirkliche Klassenforderungen geführt wird, birgt das Potential in sich, die Arbeiterklasse an ihre eigene Identität und Kraft als Klasse zu erinnern. Dies auch der Grund, weshalb Gesamtmetall und IG Metall sich so sehr einig waren, die diesjährigen Tarifverhandlungen in der wichtigsten Branche der deutschen Industrie ohne Streik zu beenden. Wenn also Ver.di nun offen vom Streik spricht, dann aus dem einfachen Grund, weil sie es muss. Die immer martialischeren Töne aus der gewerkschaftlichen Ecke sind nur dem Schein nach an den Telekom-Vorstand gerichtet. Der eigentliche Adressat, das sind die Telekom-Beschäftigten, deren Kampfgeist gezügelt, deren Wut ventiliert und deren Vertrauen in die Kompetenz der Gewerkschaft erhalten werden soll.

Am 18. April - am gleichen Tag, als Ver.di die Verhandlungen mit dem Telekom-Vorstand vorläufig einstellte – gab General Motors seinen jüngsten „Sanierungs“plan für die europäischen Werke bekannt. Er sieht u.a. die Vernichtung von 1.700 Arbeitsplätzen bei Opel Bochum vor. Für die ArbeiterInnen des Bochumer Werks ist dies dennoch ein „Glück“ im Unglück, denn anders als von den Experten und der Börse erwartet, wird das Bochumer Werk nicht nur nicht geschlossen, sondern sogar zum zentralen Standort für die Produktion des Erfolgsmodells, den Opel Astra, ausgebaut. Es stellt sich die Frage, warum das Opel-Werk in Bochum nicht geschlossen wird, obwohl viele Gründe gegen Bochum sprechen, nicht zuletzt die völlig veraltete Infrastruktur des dortigen Werkes. Die Antwort lautet unserer Auffassung nach schlicht und einfach: Die Verantwortlichen haben einen Heidenrespekt vor dem Kampfgeist der Bochumer Belegschaft. Bereits Anfang März, als die ersten Neuigkeiten über den Sanierungsplan durchsickerten und das Gerücht über eine eventuelle Schließung des Bochumer Werkes die Runde machten, warnte der Betriebsratsvorsitzende des betroffenen Werkes, dass eine solche Maßnahme einen „Krieg“ auslösen könnte, d.h. einen Klassenkrieg, und das mitten im Ruhrgebiet. Und er weiß, wovon er spricht. Die Belegschaft des Bochumer Werkes hat eine lange Kampftradition. Angefangen von den wilden Streiks in den siebziger Jahren bis hin zum mehrtägigen Streik im Sommer 2003 – nie haben die OpelarbeiterInnen in Bochum Zweifel an ihrer Kampfbereitschaft gelassen. Nun, die Warnung des als sehr konziliant geltenden Herrn Betriebsratsvorsitzenden scheinen erhört worden zu sein. Das Kapital geht, wie zumeist, den Weg des geringeren Widerstandes.

Bei einem anderen Automobilhersteller in Deutschland ist dagegen der worst case bereits eingetreten. Bei VW wurde gestreikt, nicht in Deutschland, sondern bei der VW-Tochter Skoda in Tschechien. Den dünnen Verlautbarungen der hiesigen bürgerlichen Medien zufolge sind am Montag, den 16. April, die ArbeiterInnen der Skoda-Werke in Pilsen und Mlada Boleslaw in den Ausstand getreten; die Produktion ist völlig zum Erliegen gekommen. 28.000 Beschäftigte waren an dem Ausstand beteiligt. Durch die allgemeine Unzufriedenheit unter Druck geraten, hatten die Gewerkschaften zu einem dreistündigen Warnstreik aufgerufen. Damit sollte Druck abgelassen und unwirksam gemacht werden. Nachdem jedoch der Streik über dieser dritte Stunde hinaus fortgesetzt wurde und die Beteiligten keine Anstalten machten, auch am darauf folgenden Tag die Arbeit wieder aufzunehmen, musste die Konzernleitung noch am selben Tag einlenken. Anlass des Kampfes ist eine 12%ige Lohnerhöhung gewesen, die die ArbeiterInnen vom VW-Konzern fordern. Solch eine hohe Lohnforderung in Zeiten des allgemeinen Lohnraubs ist ungewöhnlich und lässt erahnen, wie unerträglich das Lohnniveau für die ArbeiterInnen in Ländern wie der Tschechischen Republik mittlerweile geworden ist. Die Kapitalseite gab offenbar so schnell nach, weil sie eine weitere Ausdehnung des Kampfes innerhalb der tschechischen Republik, aber auch die internationale politische Signalwirkung eines solchen, größeren Kampfes fürchten musste. Denn ein solcher Kampf muss nicht zuletzt auch die Arbeiterklasse in  Deutschland und Westeuropa ermutigen. Bis dato hat die hiesige Bourgeoisie gerne auf die niedrigen Löhne in den osteuropäischen und asiatischen Ländern hingewiesen, um die Löhne hierzulande in einem nie gekannten Ausmaß zu kürzen. Nun haben die Skoda-ArbeiterInnen gezeigt, dass es noch eine andere, eine proletarische Antwort auf das Problem des Lohngefälles gibt. Sollte ihr Kampf in den Billiglohnländern Schule machen, so wäre er eine große Ermutigung ihrer Brüder und Schwestern in den westlichen Industrieländern. Denn Lohnkämpfe in den Billiglohnländern erschweren es der hiesigen Bourgeoisie, die Arbeiterklasse in den Kernländern des Weltkapitalismus mit der Drohung der Auslagerung von Arbeitsplätzen zu erpressen und zum Stillhalten zu zwingen.

Airbus, Telekom, Opel und Skoda: vier aktuelle Beispiele aus der Chronik des Klassenkampfes, vier unterschiedliche Konstellationen und Erfahrungen, aber eine einzige Schlussfolgerung – Kampfbereitschaft zahlt sich aus. Sie bremst die Angriffslust der Herrschenden und hemmt sie bei der Verfolgung ihrer menschenverachtenden Logik, aber vor allem verschafft der Kampf der Arbeiterklasse erst das Gefühl für ihre eigene Stärke und Identität – ein Gefühl, das seit 1989 etwas verloren gegangen ist. Mögen die meisten Kämpfe heute noch mit Misserfolgen enden oder bestenfalls von sehr kurzfristigen Erfolgen gekrönt sein – die Tageskämpfe von heute werden spätestens in den revolutionären Kämpfen von morgen ihre „Rendite“ abwerfen. Weltrevolution - 7.5.07

Chavez-Regierung in Venezuela: „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ (Einleitung zur Diskussionsveranstaltung)

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Venezuela ist kein Land von internationaler Bedeutung und Macht wie die USA, Deutschland, Japan, Russland oder China.

Venezuela ist auch nicht einer der heutigen akuten kriegerischen Brandherde der Welt, wie der Irak oder Äthiopien.

Unsere heutige Diskussion will sich aber dennoch etwas genauer mit den Umständen in diesem Land befassen. Weshalb dies?

Die gegenwärtige Regierung in Venezuela unter Hugo Chavez verkörpert für viele Menschen, auch hier in Europa, ein internationales Sinnbild für eine neue Perspektive: das Projekt des „Sozialismus im 21. Jahrhundert“, die so genannte „Bolivarische Revolution“.

Kurz gesagt: Die Regierung in Venezuela sagt, sie führe ihr Land handfest und mit Taten „auf den Weg des Sozialismus“. Ein langsamer gesellschaftlicher Prozess sei ins Rollen gebracht worden, der die Kluft zwischen Arm und Reich stetig kleiner mache. Die Regierung um Hugo Chavez ist, verglichen mit anderen, die in der Vergangenheit von Sozialismus gesprochen haben, bescheiden: Sie behauptet nicht, wie die untergegangenen stalinistischen Bürokraten-Regimes des Ostblocks, dass der Sozialismus bereits verwirklicht sei, sondern dass „der Weg zum Sozialismus“ erst begonnen werde. Vermutlich sind wir uns einig: Der ehemalige Ostblock unter russischer Führung, der vor 18 Jahren in sich zusammenbrach, war nicht der „wirkliche Sozialismus“. Es ist kein Geheimnis, dass es dort eine gehobene Klasse der Staatsbürokratie gab, die ein besseres Leben führte als die einfachen Leute, die schufteten. Der Ostblock steckte ja auch alle Ressourcen in die militärische Rüstung und führte permanent irgendwo Kriege. Als der Ostblock 1989 kollabierte, schien für viele das Kapitel „Sozialismus“ abgeschlossen zu sein. Die Geschichte habe gezeigt, dass der edle Gedanke einer gerechten Gesellschaft leider nicht in die Wirklichkeit umzusetzen sei. Auch wenn viele Menschen den Ostblock richtigerweise nicht als einen „wirklichen Sozialismus“ betrachteten, so zerbrach für sie 1989 doch eine Hoffnung. Andere Regime, die sich „sozialistisch“ nennen, haben diese Zeit überlebt: Nordkorea oder Kuba. Doch diese Länder können uns ja auch kaum als Leitbilder des Sozialismus zu überzeugen. Sie sind Staaten einer immer größeren Armut, wo eine Clique von greisen Bürokraten wie Könige die Macht ausübt. Wer dort über die Gesellschaft bestimmt, dazu hat die einfache Bevölkerung nichts zu sagen.

Mit der Chavez-Regierung in Venezuela ist aber nun offenbar etwas anderes angebrochen:

  • Wurde sie nicht 1998 gerade in freien Volkswahlen gewählt?

  • Sie wurde am 3. Dezember 2006 mit 63% überzeugend wieder gewählt!

  • Die Ärmsten der Armen haben in Jahre 2006 mehr Sozialhilfe bekommen!

Also: im Gegensatz zu einem absurden, diktatorischen Armenhaus wie Nordkorea ein wirklicher „Sozialismus von unten“?

In einem bekannten Dokumentarfilm mit dem Titel „5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela“ wird von einem regierungstreuen Gefährten von Chavez (ein hoher nationaler Gewerkschaftsfunktionär und Leiter einer Aluminium-Gießerei) deutlich und offen gesagt, dass „Venezuela weiterhin ein kapitalistisches Land sei und Ausbeutungsverhältnisse existieren“. Es gilt also kaum darum zu streiten, ob Venezuela zum heutigen Zeitpunkt eine „Verwirklichung des Sozialismus“ darstellt oder nicht.

Die Frage, die sich uns stellt, ist demnach vielmehr folgende:

- Führt die Politik der Chavez-Regierung in die richtige Richtung, also hin zum Sozialismus?

- Oder verkörpert sie nicht eine Politik, welche die Interessen der Arbeiterklasse und anderer unterdrückter Schichten vertritt?

1998, kurz nach der Wahl von Chavez hätte man noch sagen können: ‚Schauen wir doch erst einmal, was die nächste Zeit bringt, und geben wir allen kommenden Versuchen den Kredit des Neuen!’ Doch heute, nach fast neun Jahren eines Venezuela unter dieser Regierung, ist es sicher möglich, eine Bilanz zu ziehen. Werfen wir doch kurz einen Blick auf drei Meilensteine, welche den sog. Weg zum Sozialismus in Venezuela markieren.

Eines der wichtigsten Argumente der Chavez-Regierung, auf dem richtigen „Weg zum Sozialismus“ zu sein, ist die staatliche Übernahme von Hunderten von Betrieben und Fabriken, welche nun von den Arbeitern selbst geführt werden.

Die meisten dieser Betriebe waren aufgrund der enormen wirtschaftlichen Krise dermaßen marode, dass sie von den ehemaligen Privateigentümern selbst stillgelegt worden waren. Gegen die Übernahme der Fabriken durch den Staat wurde von diesen Privateigentümern denn auch kein Widerstand geleistet, da sie mit den ausbezahlten Abfindungen noch ein letztes Mal Verdienst einfahren konnten. Handelte es sich in Tat und Wahrheit also nicht eher um die Übergabe der abgewirtschafteten und unrentablen Betriebe in die Hände des Staates? Ein Staat, der weiterhin der Staat eines kapitalistischen Landes ist? Auf jeden Fall können wir feststellen, dass es sich bei den Verstaatlichungen in Venezuela um eine ganz andere Sache handelt als um die Enteignung der herrschenden Klasse, wie dies bei vergangenen revolutionären Anläufen der Arbeiterklasse stattfand. Die Besitzer der Produktionsmittel wurden in der Zeit der Revolution in Russland 1917 davongejagt – im heutigen Venezuela sind sie vielmehr eine alte Last losgeworden, um in andere, einträglichere Sektoren zu investieren.

Die „Arbeiterselbstverwaltung“ in Venezuela wurde vom Staat unterstützt und eingeleitet, indem er diesen Betrieben Start-Kredite zur Verfügung stellte. Konkret wird die Leitung der Betriebe durch die Strukturen der regierungstreuen Gewerkschaften aufgebaut. Haben sich in den letzten Jahren dadurch die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse auch wirklich verbessert?

Als Argumente dafür hört man folgendes:

- „Die Arbeiter der vormals geschlossenen Betriebe haben dadurch wieder Arbeit bekommen.“

- „Es gibt eine größere Identifikation der Arbeiter mit den Interessen des Betriebes und eine bessere Arbeitsmoral, denn - es sind ja nun ‚unsere’ Fabriken!“

- „Die Produktion konnte dadurch gesteigert werden, zum Teil um stolze 30%!“

Doch bei genauerem Hinsehen hat sich auch anderes für die Arbeiter verändert:

  • Es wurden flexiblere Arbeitszeiten eingeführt, um die Produktion in der „eigenen“ Fabrik lückenloser zu gewährleisten.

  • Es gibt eine gut funktionierende Überwachungsstruktur gegen Quertreiber, die den „kollektiven“ Betrieb behindern.

  • Wer gegen die Arbeitsbedingungen protestiert, oder gar von Streik spricht, wendet sich damit gegen seine Arbeitskollegen und sabotiert den „eigenen Betrieb“.

  • Um den „eigenen“ Betrieb über Durststrecken zu führen, müssen die Arbeiter auch Lohneinbußen in Kauf nehmen - sozusagen in „gemeinsamer Solidarität“.

Um noch einmal Mal auf den erwähnten Film über die „Arbeiterselbstverwaltung in Venezuela “ zurückzukommen, den man mit gutem Gewissen als eine Propaganda für die Politik von Chavez betrachten kann: Wir hatten ihn jüngst auf einer Diskussionsveranstaltung anlässlich der „Anarchistischen Woche“ in Winterthur, Schweiz, gesehen und mit zwei Dutzend sehr jungen Leuten danach beherzt diskutiert. Mit einem gesunden Instinkt versehen, hatten sich bei allen etwas die Haare gesträubt. Nachdem man ausführlich gesehen hatte, was sich für die venezolanischen Arbeiter durch die „Selbstverwaltung“ unter Chavez im Leben verändert, wurden Zweifel geäußert, ob dies nun wirklich der „Weg zum Sozialismus“ sei!

Wir können dieses Gefühl nur teilen. Es tut einem auch etwas weh zuzusehen, wie die Hoffnungen und der Enthusiasmus der Arbeiter für die Steigerung der Produktion verwendet werden: Produkte für den kapitalistischen Warenmarkt!

Möglicherweise müsste man die Politik der Chavez-Regierung bezüglich der „Selbstverwaltung“ der Betriebe nicht als Marsch auf dem „Weg zum Sozialismus“ bezeichnen, sondern folgendermaßen: „Arbeiter, hier habt ihr die Misere, verwaltet sie selbst und organisiert eure Ausbeutung selbst!“ Oder liegen wir komplett falsch mit dieser Einschätzung?

Der zweite Meilenstein, mit der die Politik von Chavez berühmt geworden ist, sind die Maßnahmen gegenüber den Ärmsten der Armen.

Jeder ehrliche Mensch, der sich die heutige Welt etwas genauer betrachtet, stößt auf die Frage der enormen Armut und Verelendung auf allen Kontinenten. Es ist schlicht notwendig und menschlich, dass in Zukunft für all die Millionen von Menschen, die gar nie Arbeit hatten, betteln, oder durch ihre Not in die Kriminalität und Prostitution getrieben werden, ein Ausweg gefunden werden muss. Die Situation gerade in den Städten Venezuelas ist seit langem eine der dramatischsten von ganz Lateinamerika. Unter den korrupten Regierungen der anderen großen Parteien hatte sich die Lage in den 80er Jahren laufend verschlechtert. Jedes Land in Lateinamerika kennt verzweifelte soziale Explosionen, wie Venezuela 1989 oder vor einigen Jahren in Argentinien. Leider sind sie oft ein Feld für die unverhohlene Manipulation durch die verschiedenen politischen Parteien, von links bis rechts.

Die vorherige Regierung wurde von der sozialdemokratischen „Demokratischen Aktion“ und der christlich-demokratischen „COPEI“ gestellt, unfähig, auch nur irgendeine soziale Stabilität aufrechtzuerhalten. Es lag also auf der Hand, dass die neu angetretene Chavez-Regierung nach 1998 sich dieser Frage annehmen musste. Gerade deshalb, weil das populistische Programm dieser Partei vor allem auf den Hoffnungen und den Wählerstimmen der verarmtem Bevölkerung aufbaut. Wenn wir heute eine Bilanz über die letzten Jahre ziehen, sehen wir, dass die Frage der Armut nicht, wie von anderen politischen Parteien, nach der gewonnenen Wahl still beiseite gelegt wurde. Im Gegenteil, sie wurde eine der zentralen Themen, welche die Regierung von Chavez auch über die Landesgrenzen hinaus berühmt gemacht hat. Chavez begegnete dieser Frage nicht nur mit einfachen Floskeln, sondern entwickelte ein so genanntes „Programm des sozialen Ausgleichs“. Die Reichen sollen abgeben zugunsten der Ärmsten. Doch wir wissen, dass in Venezuela die wirklich Reichen nicht ihr ganzes Geld hergeben mussten. Die Chavez-Regierung hat sich vor allem an den allzu hohen Löhnen der Arbeiter in der Ölindustrie oder niederer Staatsangestellter wie der Lehrer gestört. Die seien gegenüber dem, was die Bewohner der Slums in den Händen haben, einfach unverhältnismäßig. Man müsse diese Schicht als „Arbeiteraristokratie“ bezeichnen. Sie leben besser als die Ärmsten und sollen aus Gerechtigkeit und Solidarität etwas zurückschrauben. Gerade den Arbeitern in der Ölindustrie, welche das wirtschaftliche Herzstück Venezuelas bildet, wurden die Löhne in den letzten Jahren gekürzt. Es fanden auch massenhafte Entlassungen dieser angeblich „privilegierten Arbeiter“ statt. Also offenbar handfeste Taten der Regierung zum sozialen Ausgleich!

Wir haben - ehrlich gesagt - große Mühe, darin eine Solidarität zugunsten der Ärmsten zu sehen. Solidarität unter rudernden Sklaven auf einer römischen Galeere bedeutet kaum die Peitschenschläge gerechter unter alle zu verteilen – sondern sich gemeinsam dagegen zu erheben! Ist dies der eingeschlagene „Weg zum Sozialismus“? Oder werden die Arbeiter in Venezuela damit nicht eher gegeneinander aufgebracht und gespalten? Was denkt ihr dazu?

In den riesigen Slums rund um die großen Städte Venezuelas beschränkte sich die Politik der Regierung unter Hugo Chavez gerade im Jahre 2006 nicht auf leere Versprechungen. Staatlich subventionierte Lebensmittel wurden dort während des ganzen Jahres eingeführt und zu niedrigen Preisen verkauft. Also eine momentane Erleichterung für die Millionen von Armen!

Doch solche wohltätigen Maßnahmen sind in Venezuela nicht neu! Schon die vorherigen Regierungen hatten in den Monaten vor den Wahlen ähnliche Maßnahmen ergriffen. Weshalb? Um schnell Wählerstimmen zu gewinnen! Die Menschen in den Slums führen ein Hundeleben, das wissen wir alle. Und in Kreisen von Hundezüchtern gilt folgende Regel: „Ein Hund folgt demjenigen, der ihm zu Fressen gibt“.

Selbstverständlich sind für uns Kommunisten die Millionen von Slumbewohnern keine „Hunde“, sondern die am stärksten an den Rand und in die Perspektivlosigkeit gedrängten Teile der Arbeiterklasse. Leider oft auch ohne Chance, das Gefühl zu bekommen, einer proletarischen Klasse anzugehören, da sie nie Arbeit haben und in die Kriminalität abrutschen. Aber die herrschende Klasse behandelt sie als Hunde! Und ob die Chavez-Regierung in den Monaten vor den Wahlen 2006 wirklich einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat, sollten wir zusammen mit euch diskutieren.

Vergessen wir auch nicht die Tatsache, dass im Jahre 2006 die Staatsverschuldung Venezuelas um 58% gegenüber 2005 zugenommen hat und jetzt 35% des Bruttosozialprodukts ausmacht. Die „Politik der Spenden an die Ärmsten“ hat damit das Problem der generellen wirtschaftlichen Krise verschärft. Ein „Weg zum Sozialismus“ also auf der Basis von kapitalistischer Verschuldung? Die eiserne Hand der kapitalistischen Gesetze wird schnell zurückschlagen und den „Weg zum Sozialismus“ von Chavez steinig machen. Ausbaden wird es wohl die Arbeiterklasse.

Als Letztes wollen wir der Aussenpolitik der Chavez-Regierung kurz unsere Aufmerksamkeit widmen.

Vor ungefähr einem Monat machten zwei wichtige Häupter in der lateinamerikanischen Politik zur selben Zeit, aber jeder für sich, eine mehrtägige Besuchstour durch verschiedene Länder Lateinamerikas: Der US-Präsident Gorge Bush und Hugo Chavez. Der eine buchstäblich nach rechts rum im Kreise, der andere links rum. Die USA sind zweifellos diejenige Macht, welche von außen her den größten Einfluss in Lateinamerika hat. Jahrzehntelang hatten sich die USA und Russland auf diesem Kontinent in den Haaren gelegen und blutige Stellvertreterkriege geführt. Unterlegen ist Ende der 80er Jahre der russische Block durch seinen ruhmlosen Zusammenbruch. In Lateinamerika besteht eine lange Tradition des nationalistischen Widerstandes gegen den Einfluss der US-amerikanischen „Gringos“: Che Guevara, Fidel Castros Cuba, die Sandinisten in Nicaragua oder Dutzende von Guerillabewegungen. Der so genannte „Anti-Imperialismus“ aber wurde damals immer tatkräftig unterstützt durch den damals mächtigen russischen Imperialismus.

Hugo Chavez und seine Regierung treten heute auf ihrem Weg in die Fußstapfen dieses „Antiimperialismus“. „Leg dich nicht an mit mir, Mädchen!“ sagte Chavez zur amerikanischen Außenministerin Condoleeca Rice. Eines der wichtigsten politischen Projekte der Chavez-Regierung ist es, den Einfluss der USA in Lateinamerika zurückzudrängen. Dies war in den letzten Jahren auch tatsächlich von Erfolg gekrönt. Chavez hat seine Freunde in anderen Staatschefs gefunden: Lula in Brasilien, Ortega in Nicaragua, Correa in Equador und selbstverständlich den Castros in Kuba.

Der Spielraum, den Einfluss der USA zurückzudrängen, ist in den letzten Jahren durch die Krise der US-amerikanischen Außenpolitik, welche im Irakischen Debakel versinkt, zweifellos größer geworden.

Eine lateinamerikanische Front gegen die „Gringos“ zu schmieden ist Chavez sicher gelungen. Also auch wieder Taten statt Worte! Der Anti-Amerikanismus ist heute eine der wichtigsten Stützpfeiler der venezolanischen Regierung. Angesichts dessen, dass die USA seit Beginn des 20. Jahrhunderts definitiv zu einem der mächtigsten Staaten geworden sind und seither durch Kriege in aller Welt eine grausame imperialistische Politik betreiben, verbindet bei vielen Menschen den Begriff Imperialismus direkt mit den USA.

Doch wir hatten uns zu Beginn ja eine andere Frage gestellt als diejenige, welche Seite im Gerangel unter kapitalistischen Staaten die bessere sei! Wir wollen heute in dieser Diskussionsveranstaltung klären, ob der „Weg zum Sozialismus“ durch die Politik von Chavez eröffnet wird.

Es gibt noch andere Fronten gegen die „Gringos“, so zum Beispiel auf wirtschaftlicher Ebene die EU.

Und es gibt auch andere Regierungen oder politische Gruppen außer Chavez, welche pointiert anti-amerikanische Propaganda machen: Nicolas Sarkozy und seine Regierung in Frankreich, die Herrschenden in Nordkorea oder im Iran, die Hamas und Al-Kaida im Nahen Osten und im Irak, usw. Doch mit einem „Weg zum Sozialismus“ haben sie wohl kaum etwas zu tun!

Ob es also ein „Weg zum Sozialismus“ ist, die Arbeiterklasse für „Fronten gegen die USA“ zu mobilisieren, ist eine weitere Frage!

Soweit einige Gedanken der IKS. Und nun sind wir gespannt, was Ihr dazu denkt!

Geographisch: 

  • Venezuela [14]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • "Selbstverwaltung" [15]

Spontane Arbeitsniederlegungen bei Airbus-Frankreich

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Zum Zeitpunkt der Drucklegung unserer Zeitung und am Tag nach der ersten Runde der Präsidentenwahlen in Frankreich, erfahren wir, dass die Beschäftigten bei Airbus erneut ihre Wut über die Angriffe des Kapitals zum Ausdruck gebracht haben.

Am Mittwoch, den 25. April, kündigte das Airbus-Management eine Prämienerhöhung für dieses Jahr von 2.88 Euro (!) an. (1)

Mit dem Gefühl, dass sie wie Hunde behandelt wurden, denen man ein paar Abfälle vorwarf, reagierten die Airbus-Beschäftigten sofort. Ausgehend von Toulouse nahmen die Arbeiter in den Fertigungshallen den Kampf auf. An einem Fließband wurde spontan und ohne Vorwarnung die Arbeit niedergelegt. Dann zogen die Arbeiter zu den anderen Abteilungen und forderten sie auf, mit ihnen zur Firmenleitung zu gehen. Von einer Abteilung zur anderen wuchs die Entschlossenheit, sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen

Spontane Arbeitsniederlegungen bei Airbus – Frankreich

Arbeiter verschaffen sich Gehör Zum Zeitpunkt der Drucklegung unserer Zeitung und am Tag nach der ersten Runde der Präsidentenwahlen in Frankreich, erfahren wir, dass die Beschäftigten bei Airbus erneut ihre Wut über die Angriffe des Kapitals zum Ausdruck gebracht haben. Am Mittwoch, den 25. April, kündigte das Airbus-Management eine Prämienerhöhung für dieses Jahr von 2.88 Euro (!) an. (1) Mit dem Gefühl, dass sie wie Hunde behandelt wurden, denen man ein paar Abfälle vorwarf, reagierten die Airbus-Beschäftigten sofort. Ausgehend von Toulouse nahmen die Arbeiter in den Fertigungshallen den Kampf auf. An einem Fließband wurde spontan und ohne Vorwarnung die Arbeit niedergelegt. Dann zogen die Arbeiter zu den anderen Abteilungen und forderten sie auf, mit ihnen zur Firmenleitung zu gehen. Von einer Abteilung zur anderen wuchs die Entschlossenheit, sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen. Ein Arbeiter schilderte folgendes: „Als ich gestern um 6.00 h eintraf, hatten alle in meiner Abteilung von der 2.88 Euro Prämie erfahren. Die Kollegen weigerten sich weiter zu arbeiten, sie legten spontan die Arbeit nieder. Die ganze Fließbandfertigung wurde stillgelegt.“ Und dieser Streikende betonte, dass es sich um eine spontane Reaktion handelte, die gegen die Ansicht der Gewerkschaften stattfand. „Ein offizieller Gewerkschaftsvertreter sprach mit uns und versuchte uns zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen; er meinte uns versichern zu können, die symbolische Handlung dieser Bewegung sei wahrgenommen worden, aber jetzt sei es besser wieder die Arbeit aufzunehmen“. Diese Zeugenaussage beweist, dass die Gewerkschaften geschickte Saboteure des Kampfes sind, und dass die Arbeiter mehr und mehr dazu gezwungen werden, auf sich selbst zu bauen, wenn sie sich wehren wollen. So versuchte ein Gewerkschaftsvertreter, der sehr besorgt war, die Kontrolle über die Lage zu verlieren, seine Gewerkschaft diskret über das Ausmaß der Kampfbereitschaft zu informieren und forderte sie indirekt auf, sich zu beruhigen. „Diese Aktion war keine Initiative der Gewerkschaften. Wir müssen aufpassen, was wir tun“.  

Das gleiche Szenario in St Nazaire und Nantes. Auch hier war die Empörung groß. Die Arbeiter traten in die Fußstapfen ihrer Kollegen in Toulouse, indem sie auch wild streikten. Sie verließen massenhaft das Fabrikgelände, um die Fabriktore zu blockieren. Auch dieser Schritt wurde ohne und gar gegen die Zustimmung der Gewerkschaften vollzogen.  

„Diese Initiative ging von keiner Gewerkschaft aus. Sie ist darauf zurückzuführen, dass die Arbeiter die Schnauze voll haben“ – berichtete ein Arbeiter den Medien. In beiden Werken wurde die Ankündigung dieser lächerlich geringen Prämienzahlung als eine Beleidigung aufgefasst, die wie ein Hohn auf all den Druck und das Leiden, das die Arbeit hervorruft, wirkt. „Man verlangt von uns, samstags Überstunden zu machen, obwohl sie keine Neueinstellungen vornehmen und die Verträge von Beschäftigten mit Zeitverträgen werden nicht erneuert“. 2.88 Euro – innerhalb weniger Stunden wurde diese Zahl zu einem Symbol der unmenschlichen Bedingungen der Arbeiter.   

Natürlich haben die Gewerkschaften in Toulouse wie in St Nazaire, obwohl sie den Ausbruch der Wut der Arbeiter nicht verhindern konnten, sehr schnell wieder die Lage  in den Griff bekommen, indem sie sich der Bewegung „anschlossen“. So bemerkte ein Beschäftigter des Toulouser Werkes: „einige Stunden später, vor der Mittagspause, hatte die Gewerkschaft FO (Force Ouvrière) eine Scheinarbeitsniederlegung organisiert, wobei sie aber sorgfältig vermieden, alle Arbeiter aufzufordern, sich daran zu beteiligen“. 

Indem sie sich gemeinsam gegen ihre Ausbeuter zur Wehr setzten, sich weigerten, wie Vieh behandelt zu werden, haben die Airbus-Beschäftigten gezeigt, dass sie ihre Würde verteidigen. Sie haben klar gezeigt: In Anbetracht der endlosen Angriffe durch die Arbeitgeber und den Staat gibt es keine andere Lösung als den gemeinsamen Kampf. Trotz all der Spaltungsmanöver seitens der Herrschenden, die darauf abzielen, die Beschäftigten gegeneinander auszuspielen, ist die soziale Lage geprägt durch eine wachsende Tendenz hin zu aktiver Solidarität unter den Arbeitern. Ein Beschäftigter in St Nazaire meinte ausdrücklich: “Wir wollen uns mit der Bewegung in Toulouse solidarisieren". Indem sie von einer Abteilung und  von einer Fertigungshalle zur  anderen zogen, schließlich von Werk zu Werk, belegt diese Reaktion der Beschäftigten von Airbus, dass die gesamte Arbeiterklasse nur einen Weg einschlagen kann, um gegenüber den zahllosen Provokationen der Herrschenden zu reagieren. Erneut wurde deutlich, dass die Gewerkchaften ein Organ der kapitalistischen Disziplinierung sind. In den nächsten Monaten und Jahren werden die Arbeiter keine andere Wahl haben als sich der Sabotage der Gewerkschaften entgegenzustellen, um ihre Einheit und Solidarität als Klasse zu entfalten. 

Schließlich zeigen diese Wutausbrüche bei Airbus (sowie die zahlreichen kleineren Streiks in der Automobilbranche, bei der Post und im Erziehungswesen), dass trotz des ganzen Wahlspektakels und des “Triumpfes der Demokratie” es keinen Waffenstillstand im Klassenkampf gibt. Beatrice 28.4.07 (Artikel aus der Presse der Internationalen Kommunistischen Strömung in Frankreich – www.internationalism.org [16])  

(1) Diese besonders skandalöse Ankündigung könnte als Provokation aufgefasst werden, um die Ankündigung vom 27.April der Details des Arbeitsplatzabbaus in den Werken in den Hintergrund zu drängen. Nichtsdestotrotz ist diese spontane Reaktion exemplarisch.

Ägypten: Keime des Massenstreiks

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In Worldrevolution 302 haben wir über eine Streikwelle berichtet, die zu Jahresbeginn über zahlreiche Sektoren in Ägypten schwappte: In Zement- und Geflügelbetrieben, in Bergwerken, bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben wie Bus und Bahn, im Reinigungssektor und vor allem in der Textilindustrie setzten sich die Arbeiterinnen und Arbeiter mit einer Serie von illegalen Streiks gegen das massive Senken des realen Lohns und die enormen Kürzungen der Zulagen zur Wehr. Einen Einblick in das kämpferische und spontane Wesen dieser Kämpfe kann man durch den unten stehenden Bericht erhalten, der schildert, wie im letzten Dezember der Streik in dem großen Spinnerei-und Weberei-Komplex von Mahalla al-Kubra Misr nördlich von Kairo ausbrach. Dieser Komplex bildete das Epizentrum der Kämpfe. Der Auszug entstammt dem von Joel Beinin und Hossam el-Hamamawy verfassten Bericht „Ägyptische TextilarbeiterInnen konfrontieren die neue wirtschaftliche Ordnung“, der im Internet auf Middle East Report Online und auf libcom.org veröffentlicht wurde. Er basiert auf Interviews mit zwei Arbeitern der Fabrik, Muhammed ´Attar und Sayyid Habib.

„Die 24.000 Arbeiterinnen und Arbeiter des Spinnerei-und-Weberei-Komplexes von Mahalla al-Kubra Misr waren begeistert, als sie am 3. März 2006 die Nachricht erhielten, dass der Premierminister Ahmad Nazif einen Anstieg der jährlichen Zulagen für alle gewerblichen Beschäftigten im staatlichen Sektor von den gegenwärtigen 100 Ägyptischen Pfund (17$) auf zwei Monatslöhne verordnet hatte. Die jährlichen Zulagen waren zuletzt 1984 angehoben worden, damals von 75 auf 100 Pfund.

‚Wir lasen die Verordnung und begannen unverzüglich diese Neuigkeit im Betrieb zu verbreiten,‘ sagt ´Attar. ‚Ironischerweise veröffentlichten sogar die regierungsfreundlichen Gewerkschaftsfunktionäre diese Nachricht als eine ihrer Errungenschaften.‘ Und er fährt fort: ‚Als der Dezember kam (in dem die jährlichen Zulagen ausbezahlt werden), waren alle gespannt. Dann entdeckten wir, dass man uns hintergangen hatte. Sie boten uns nur die gleichen alten 100 Pfund. Genau genommen waren es sogar nur 89 Pfund, denn die Abzüge [für Steuern] fallen ja noch an.‘

Ein kämpferischer Geist lag in der Luft. In den nächsten zwei Tagen verweigerten ganze Gruppen von ArbeiterInnen aus Protest die Annahme ihrer Löhne. Dann, am 7. Dezember 2006, begannen die ArbeiterInnen der Frühschicht sich auf Mahallas Tal`at Harb-Platz zu versammeln, der vor dem Fabrikeingang liegt. Das Arbeitstempo war zwar bereits verlangsamt worden, aber die Produktion kam erst zum Stillstand, als etwa 3.000 Arbeiterinnen der Bekleidungsindustrie ihre Betriebe verließen und zu den Spinnerei- und Webereibetrieben herübermarschierten, wo ihre Kollegen die Maschinen noch nicht abgeschaltet hatten. Die Arbeiterinnen stürmten hinein und riefen: ‚Wo sind die Männer? Hier sind die Frauen!‘ Beschämt schlossen sich die Männer dem Streik an.

Nun versammelten sich etwa 10.000 ArbeiterInnen auf dem Platz und skandierten: ‚Zwei Monate! Zwei Monate!‘, um ihrem Anspruch auf die versprochenen Zulagen Nachdruck zu verleihen. Die schwarz gekleideten Sondereinheiten der Polizei wurden rasch um die Fabrik und in der ganzen Stadt aufgestellt, aber sie taten nichts, um den Protest niederzuschlagen. ‚Sie waren zu schockiert, als sie sahen, wie viele wir waren‘, sagt `Attar. ‚Sie hatten die Hoffnung, dass wir uns bis Einbruch der Nacht oder spätestens bis zum nächsten Tag auflösen würden.‘ Auf Anregung des Staatsschutzes bot das Management schließlich eine Zulage von 21 Tagen Lohn an. ‚Aber‘, wie sich `Attar sich lachend erinnert, ‚die Arbeiterinnen rissen jeden Vertreter vom Management, der zum Verhandeln kam, beinahe in Stücke.‘

‚Als die Nacht hereinbrach‘, sagt Sayyid Habib, ‚hatten die Arbeiter Schwierigkeiten, die Arbeiterinnen davon zu überzeugen, heimzugehen. Letztere wollten bleiben und in der Fabrik übernachten. Erst nach Stunden gelang es uns, sie davon zu überzeugen, zu ihren Familien nach Hause zu gehen und am folgenden Tagen wiederzukommen.‘ Breit grinsend fügt `Attar hinzu: ‚Die Frauen waren viel kämpferischer als die Männer. Obwohl sie Einschüchterungsversuchen und Drohungen ausgesetzt waren, hielten sie allem stand.‘

Noch vor den Morgengebeten drang das Sonderkommando der Polizei in die Fabrik ein. 70 Arbeiter, unter ihnen auch `Attar und Habib, schliefen noch in der Fabrik, wo sie sich eingeschlossen hatten. ‚Die Staatssicherheitleute sagten uns, wir seien nur wenige, und dass wir uns besser ergeben sollten‘, sagte `Attar. ‚Tatsächlich aber wussten sie nicht, wie viele von uns drinnen waren. Wir logen und behaupteten, wir seien Tausende. `Attar und Habib weckten schnell ihre Kollegen und gemeinsam begannen die Arbeiter dann so laut es ging, gegen die Eisentonnen zu hämmern. ‚So weckten wir alle in der Firma, aber auch in der Stadt. Bald hatten wir kein Guthaben mehr auf unseren Handys, weil wir alle unsere Familien und Freunde draußen anriefen und baten, sie sollten ihre Fenster öffnen und so den Staatsschutz wissen lassen, dass er beobachtet wird. Zudem riefen wir alle ArbeiterInnen, die wir kannten, dazu auf, so schnell wie möglich zur Fabrik zu kommen.‘

Bis dahin hatte die Polizei bereits das Wasser und den Strom in der Fabrik abgeschaltet. Staatliche Agenten hasteten zu den Bahnhöfen, um den aus der Stadt kommenden ArbeiterInnen zu erzählen, dass die Fabrik auf Grund eines elektrischen Kurzschlusses geschlossen worden sei. Diese List schlug jedoch fehl.

‚Mehr als 20.000 ArbeiterInnen erschienen‘, sagt `Attar. ‚Wir organisierten eine riesige Demonstration und inszenierten Scheinbeerdigungen für unsere Chefs. Die Frauen brachten uns Essen und Zigaretten und schlossen sich dem Demonstrationszug an. Die Sicherheitskräfte wagten es nicht einzugreifen. Schülerinnen und Schüler von den nahe gelegenen Grundschulen und weiterführenden Schulen gingen ebenfalls auf die Straße, um die Streikenden zu unterstützen.‘ Am vierten Tag der Werksbesetzung boten die inzwischen panischen Regierungsvertreter den Streikenden eine Zulage in Höhe von 45 Tageslöhnen an und versicherten, dass der Betrieb nicht privatisiert werde. Der Streik wurde nun ausgesetzt, nachdem die von der Regierung kontrollierte Gewerkschaftsföderation durch den Erfolg der nicht autorisierten Aktionen der ArbeiterInnen der Misr-Spinnerei und Weberei gedemütigt worden war.“

Der Sieg bei Mahalla inspirierte auch zahlreiche andere Sektoren, in den Streik einzutreten, und bis heute ist die Bewegung weit entfernt davon nachzulassen. Im April brach erneut eine Auseinandersetzung zwischen den Mahalla-ArbeiterInnen und dem Staat aus. Die ArbeiterInnen hatten nämlich beschlossen, eine große Delegation nach Kairo zu entsenden, um mit der Zentrale der Allgemeinen Förderation der Gewerkschaften über Lohnforderungen zu verhandeln (!) und um die Anschuldigungen gegen das Gewerkschaftskommitee der Mahalla-Fabrik weiter aufrechtzuerhalten, da dieses während des Dezemberstreiks die Firmenchefs unterstützt hatte. Die Antwort des Staatsschutzes war die Umstellung der Fabrik. Daraufhin traten die ArbeiterInnen aus Protest in den Streik und zwei weitere große Textilfabriken erklärten ihre Solidarität mit Mahalla: Ghazl Shebeen und Kafr el-Dawwar. Das Solidaritätsschreiben Letzterer war besonders beeindruckend und klar:

Die ArbeiterInnen von Kafr el-Dawwar sitzen im gleichen Boot wie die von Ghazl el-Mahalla

„Wir, die ArbeiterInnen von Kafr el-Dawwar, verkünden unsere ganze Solidarität mit euch; auf, dass ihr eure gerechtfertigten Forderungen durchsetzt, welche die gleichen sind wie die unsrigen. Wir verurteilen aufs Schärfste die Sicherheitsoffensive, welche die ArbeiterInnendelegation von Mahalla daran hinderte, zu Verhandlungen mit der Allgemeinen Föderation der Gewerkschaften in Kairo anzureisen. Außerdem verurteilen wir die Stellungnahme von Said el-Gohary an Al-Masry Al-Youm vom letzten Sonntag, wo er euren Schritt als ‚Unsinn‘ bezeichnete. Wir verfolgen mit großer Anteilnahme, was euch widerfährt, und verkünden unsere Solidarität mit dem Streik der ArbeiterInnen der Bekleidungsindustrie vorgestern und dem Streik in Teilen der Seidenfabrik.

Uns ist wichtig, dass ihr wisst, dass wir ArbeiterInnen von Kafr el-Dawwar und ihr, die ArbeiterInnen von Mahalla, zusammenstehen und einen gemeinsamen Feind haben. Wir unterstützen euren Kampf, weil wir die gleichen Forderungen haben. Seit dem Ende eures Streiks in der ersten Februarwoche hat die Betriebsabteilung der Gewerkschaft nichts getan, um unsere Forderungen durchzusetzen, die wir in unserem Streik vorgebracht haben. Im Gegenteil, sie haben unseren Interessen geschadet (…) Wir wollen unsere Unterstützung für eure Forderungen nach Reformierung der Löhne zum Ausdruck bringen. Wir, ebenso wie ihr, sind schon gespannt, ob Ende April die Arbeitsministerin unsere diesbezüglichen Forderungen in die Tat umsetzen wird oder nicht. Allerdings setzen wir nicht viele Hoffnungen in die Ministerin, da wir weder von ihr noch von der Betriebsabteilung der Gewerkschaft irgendeine Regung gesehen haben. Wir werden uns nur auf uns selbst verlassen können, um unsere Forderungen durchzusetzen.

Daher betonen wir:

  1. Wir sitzen im gleichen Boot mit euch und werden zur gleichen Reise mit euch aufbrechen

  2. Wir erklären unsere volle Solidarität mit euren Forderungen und bekräftigen, dass wir bereit stehen, solidarische Aktionen auszuführen, solltet ihr euch zum Arbeitskampf entschließen

  3. Wir werden die ArbeiterInnen von Artificial Silk, El-Beida Dyes und Misr Chemicals über euren Kampf informieren, um so Brückenköpfe zur Ausweitung unserer solidarischen Front zu errichten. Alle ArbeiterInnen sind in Zeiten des Kampfes Brüder und Schwestern.

  4. Wir müssen eine breite Front errichten, um eine Entscheidung in unserem Kampf gegen die staatlichen Gewerkschaften zu unseren Gunsten zu erreichen. Wie müssen diese Gewerkschaften heute überwinden und nicht erst morgen.“ (Übersetzung von der Arabawy Webseite und auf Englisch zuerst veröffentlicht bei libcom.org)

Dies ist eine exzellente Stellungnahme, denn sie verdeutlicht die grundlegende Basis jeglicher wirklichen Klassensolidarität über alle Berufs- und Betriebsgrenzen hinweg – das Bewusstsein, derselben Klasse anzugehören und den gleichen Feind zu bekämpfen. Zudem ist diese Stellungnahme beeindruckend klar hinsichtlich der Notwendigkeit, den Kampf gegen die staatlichen Gewerkschaften aufzunehmen.

Auch anderswo brachen in dieser Zeit Kämpfe aus: So stürmten etwa die Müllarbeiter in Giza aus Protest die Firmenzentrale, da ihre Löhne nicht ausgezahlt worden waren; 2.700 TextilarbeiterInnen besetzten eine Textilfabrik in Monofiya; 4.000 TextilarbeiterInnen streikten ein zweites Mal, nachdem das Management versucht hatte, die Lohnauszahlungen wegen des ersten Streiks zu kürzen. Auch dies waren illegale, inoffizielle Streiks.

Zudem hat es auch andere Versuche gegeben, Arbeitskämpfe mittels Gewalt zu brechen. Die Sicherheitspolizei schloss oder drohte mit der Schließung von ‚Zentren der Gewerkschaften und der Arbeiterdienste‘ in Nagas Hammadi, Helwan und Mahalla. Den Zentren wurde vorgeworfen, „eine Kultur des Streiks“ zu pflegen.

Die Existenz solcher Zentren deutet bereits an, dass es klare Anstrengungen gibt, neue Gewerkschaften aufzubauen. Es wird sich wohl kaum vermeiden lassen, dass in einem Land wie Ägypten, wo die ArbeiterInnen bisher nur mit Gewerkschaften konfrontiert waren, die offen als Polizei im Betrieb auftreten, die besonders kämpferischen Arbeiterinnen und Arbeiter für die Idee zugänglich sein werden, dass die Antwort auf ihre Probleme in der Gründung wirklich „unabhängiger“ Gewerkschaften liege; ähnlich, wie es damals, 1980-81, die polnischen ArbeiterInnen dachten. Die Art und Weise, wie der Streik bei Mahalla organisiert wurde (d.h. spontane Demonstrationsmärsche, massive Delegationen und Versammlungen an den Werkstoren), macht jedoch deutlich, dass die ArbeiterInnen am stärksten sind, wenn sie ihre Interessen selbst in die Hände nehmen, statt ihre Macht an einen neuen Gewerkschaftsapparat zu übergeben.

In Ägypten zeigten sich bereits deutlich die Keime des Massenstreiks, nicht nur durch die Fähigkeit der ArbeiterInnen, sich massenhaft und spontan zu organisieren, sondern auch durch das hohe Niveau des Klassenbewusstseins, wie es in dem Solidaritätsschreiben von Kafr el-Dawwar zum Ausdruck kommt.

Bis jetzt ist noch keine bewusste Verknüpfung zwischen diesen Ereignissen und anderen Kämpfen auf den verschiedenen Seiten der imperialistischen Spannungslinien des Nahen Ostens erkennbar. So gab es Streiks von Hafenarbeitern und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Israel und kürzlich auch unter Lehrern für Lohnerhöhungen, wie auch von Studenten, welche in Demonstrationszügen gegen die Erhöhung der Studiengebühren die Polizei konfrontierten. Des Weiteren unterbrachen Tausende von Arbeitern die offiziellen, staatlich organisierten 1.Mai-Kundgebungen im Iran, indem sie regierungskritische Losungen anstimmten sowie an nicht genehmigten Kundgebungen teilnahmen und sich daher bald massiver Polizeirepression ausgesetzt sahen. Die Gleichzeitigkeit dieser Bewegungen jedoch entspringt in jedem Fall der gleichen Quelle – dem Drang des Kapitalismus, die Arbeiterklasse weltweit in großes Elend zu stürzen. In diesem Sinne tragen alle diese Kämpfe die Keime für die zukünftige internationalistische Einheit der Arbeiterklasse in der ganzen Welt in sich, durch welche alle Mauern des Nationalismus, der Religionen und der imperialistischen Kriege eingerissen werden.

(aus Worldrevolution, IKS-Zeitung in GB; Mai 2007)

Geographisch: 

  • Afrika [17]

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [13]

Juni 2007

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Bilanz des G-8-Gipfels: Das Rütteln am Zaun

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Der G8-Gipfel in Heiligendamm ist zu Ende. Zeit, Bilanz zu ziehen. Eine Bilanz des Gipfels wie auch der Gipfelproteste. Was haben sie gebracht? Das Unbehagen der Mächtigen

Das Gipfeltreffen der Mächtigen hat – vom Standpunkt der Regierenden selbst betrachtet – einen verheerenden Eindruck hinterlassen. Das letzte Mal, als die Regierungchefs der führenden Industrieländer in Deutschland zusammenkamen – damals in Köln –, speisten sie im Schatten des Kölner Doms, im Herzen der Innenstadt. Heute undenkbar. Heutzutage treffen sie sich in der Abgeschiedenheit eines in Vergessenheit geratenen mecklenburgischen Ostseebades und müssen sich dennoch hinter Verteidigungslinien verschanzen. Nichts könnte eindrücklicher den Verlust an Ansehen und Popularität der demokratisch gewählten „world leaders“ in den Augen der eigenen Bevölkerungen verdeutlichen.

Der G8-Gipfel in Heiligendamm ist zu Ende. Zeit, Bilanz zu ziehen. Eine Bilanz des Gipfels wie auch der Gipfelproteste. Was haben sie gebracht? Das Unbehagen der Mächtigen

Das Gipfeltreffen der Mächtigen hat – vom Standpunkt der Regierenden selbst betrachtet – einen verheerenden Eindruck hinterlassen. Das letzte Mal, als die Regierungchefs der führenden Industrieländer in Deutschland zusammenkamen – damals in Köln –, speisten sie im Schatten des Kölner Doms, im Herzen der Innenstadt. Heute undenkbar. Heutzutage treffen sie sich in der Abgeschiedenheit eines in Vergessenheit geratenen mecklenburgischen Ostseebades und müssen sich dennoch hinter Verteidigungslinien verschanzen. Nichts könnte eindrücklicher den Verlust an Ansehen und Popularität der demokratisch gewählten „world leaders“ in den Augen der eigenen Bevölkerungen verdeutlichen.
Die Maßnahmen, die getroffen wurden, um die Sicherheit der Herrschenden zu garantieren, riefen in der ganze Welt üble Assoziationen hervor. Der millionenteure, zwölf Kilometer lange Sicherheitszaun mit „NATO-Stacheldraht“ erinnerte manchen an die Berliner Mauer, andere an die Sperranlagen der US-Grenze zu Mexiko oder an die Demarkationslinien der Kriegsparteien in Nordirland oder zwischen Israel und Palästina. Die Entnahme von „Geruchsproben“ „potenzieller Verbrecher“ im Vorfeld des Gipfels, um sie speziell abgerichteten Polizeihunden zuzuführen, belebte eine altbewährte Methode der ostdeutschen Staatssicherheit wieder. Was die Einsperrung Hunderter von Demonstranten in Käfigen nach der Demonstration vom 2. Juni in Rostock betrifft – wo sie die Nacht über ohne Kontakt zu ihren Anwälten und überhaupt zur Außenwelt festgehalten und bei ununterbrochener Beleuchtung wachgehalten und gefilmt wurden –, so musste jeder unwillkürlich an Guantanamo denken. Haben nicht die führenden Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union jahrelang gegen die menschenunwürdige Unterbringung und Behandlung der Gefangenen in Guantanamo durch die Vereinigten Staaten protestiert? Die Tatsache, dass jetzt mitten in Europa Gefangene ebenfalls in Käfige eingesperrt werden, wirft ein anderes Licht auf diese Proteste. Es wird deutlich: Was die Führer Europas missbilligen wollten, war nicht die Unmenschlichkeit, sondern die in Guantanamo zum Ausdruck gekommene Machtdemonstration der USA.
Und tatsächlich: in Heiligendamm ist nicht nur der Ansehensverlust der Mächtigen der Industriestaaten und ihre Angst vor der eigenen Bevölkerung sichtbar geworden, sondern auch ihre Zerstrittenheit. Während die Sprecher von ATTAC und die Anführer der „künstlerischen Opposition“ wie Campino oder Grönemeyer die G8 als eine Art Weltregierung bezeichnen, knisterten die tödlichen Rivalitäten der führenden Industrieländer kaum verborgen unter der Oberfläche. So versuchte Russlands Präsidenten Putin, das amerikanische Vorhaben zu torpedieren, ein Raketenabwehrsystem in Osteuropa aufzubauen. Er tat so, als schenkte er den Beteuerungen Washingtons Glauben, dieses amerikanische Abwehrschild richte sich vornehmlich gegen den Iran, und schlug Bush vor, dieses System gemeinsam in Aserbaidschan (in unmittelbarer Nachbarschaft zum Iran also) zu errichten. Bush zeigte sich - nachdem er sich von einer plötzlichen Magenverstimmung erholt hatte -  „offen“ und „interessiert“. Doch sobald der G8-Gipfel beendet war, eilte er nach Warschau, um zu versichern, dass der Abwehrschild auf jeden Fall dort errichtet werden soll. Hintergrund dieser pikanten Geschichte: vorausgesetzt, es funktioniert tatsächlich, würde dieses Militärprojekt die Vereinigten Staaten in die Lage versetzen, die Raketenarsenale aller anderen Staaten zu neutralisieren. Damit würden die USA ihre militärische Überlegenheit erheblich ausbauen, auch gegenüber anderen G8-Staaten wie Russland, Frankreich oder Großbritannien.
Aber nicht nur die Zerstrittenheit – genauer gesagt: die kapitalistischen Interessensgegensätze und die imperialistischen Rivalitäten – der führenden Industrieländer wurde sichtbar, sondern auch und noch mehr ihre Unfähigkeit, Antworten auf die großen Schicksalsfragen der Gegenwart zu finden. Gerade weil die Augen der Welt auf Heiligendamm gerichtet waren und gerade wegen der peinlichen Verschanzung der „Volksvertreter“ mussten die Gipfelteilnehmer darauf bedacht sein, jeden Eindruck eines Scheiterns dieses Gipfels zu vermeiden. Es war eher diesem „Erfolgsdruck“ als der Gipfeldiplomatie von Frau Merkel (der von einem deutschen Revolverblatt der Titel „unsere Miss World“ verliehen wurde) zu verdanken, dass Bush sich in der Klimafrage auf die Position der Europäer hinzubewegte und die Vereinten Nationen als „Dachorganisation“ der Klimapolitik nicht mehr prinzipiell ausschließt! Was kam dabei heraus? Eine Absichtserklärung, derzufolge die G8 „ernsthaft in Betracht zieht“, Maßnahmen zu ergreifen, um den Anstieg der Klimaerwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Wenn nicht der Gipfel von Heiligendamm, so wird wenigstens diese Formulierung in die Geschichte eingehen. Eines Tages werden sich vielleicht die ehemaligen Bewohner längst versunkener Küstenregionen daran erinnern.

Die Ohnmacht des schwarzen Blocks

Wie ein Überbleibsel aus einer längst versunkenen Welt wirkte die Kulisse des einst mondänen Seebads von Heiligendamm. Die Weltführer zeigten sich hinter ihrem Zaun zerstritten und zur planvollen Umgestaltung der Welt unfähig. Hatten sie wirklich so viel Angst vor einigen zehntausend Protestierenden? Kamen sie sich nicht ein wenig lächerlich vor?
Polizeitechnisch betrachtet, wäre es ein Leichtes gewesen, sich die Demonstranten auch ohne Zaun vom Halse zu schaffen. Das Sicherheitsproblem dieses Gipfels war nicht so sehr militärischer als politischer Natur. Wie die Protestierenden zur „Räson“ bringen, ohne das sinkende Ansehen der Regierungen in der Bevölkerung noch mehr zu schädigen? Soll heißen: Wie diejenigen einschüchtern, die es wagen, das System zu hinterfragen, ohne die diktatorische Fratze der parlamentarischen Demokratie sichtbar werden zu lassen?
Dieses Problem erwies sich als lösbar. Erheblich dazu beigetragen hat die politische Unbeholfenheit des „schwarzen Blocks“. Dabei stellen wir die antikapitalistischen Absichten der großen Mehrheit der autonomen Szene keineswegs in Frage. Aber der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert. Die großen Schwächen dieses Milieus sind die Theoriefeindlichkeit und die Gewaltverherrlichung. Diese Grundauffassungen teilt dieses Milieu leider mit manch anderer politischen Bewegung, die keineswegs antikapitalistisch eingestellt ist. Denn es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Gewalt an sich revolutionär oder auch nur radikal ist. In diesen Irrtum gefangen, begriff der schwarze Block nicht, dass das Unbehagen der Regierenden von Heiligendamm nicht polizeilicher, sondern politischer Natur war. Die Staatsmacht suchte nach einem Vorwand für den eigenen Einsatz von Gewalt. Dazu war es lediglich nötig, die am 2. Juni nach Rostock zur Auftaktdemo Anreisenden kaum zu kontrollieren und den schwarzen Block ohne die übliche massive Polizeieinkesselung marschieren zu lassen. Provokateure unter den vermummten Demonstranten mögen das Ihre beigetragen haben, um eine Eskalation der Gewalt in Gang zu setzen. Es reichte jedenfalls, um gegenüber den Medien aus aller Welt den Eindruck zu erwecken, als sei die Staatsmacht die wehrlose, angegriffene Partei. Die Demonstranten, die vor Ort waren, wissen es besser. Die ganz große Mehrheit der während dieser Gipfeltage festgenommenen und zusammengeschlagenen Menschen hat keine Gewalt ausgeübt, ja vielfach versucht, sie zu verhindern. Dabei ging es aber nicht nur darum, die Protestierenden ordentlich zu verdreschen. Es ging auch um die Frage, welche Bilder um die Welt gehen und die Wirkung des Gipfels auf die Bevölkerung prägen. Das Image von angeblich wehrlosen Polizisten lässt vielleicht den Eindruck des Zauns vergessen machen... Mehr noch: nicht nur vor Ort wird die wirkliche Frage verdrängt. Man diskutiert, wenn überhaupt, nur noch um die Frage, ob man „friedlich“ oder „gewaltsam“ protestieren soll. Die wirkliche Frage wird verdrängt: Wofür kämpft man?

Die Sackgasse der Antiglobalisierungsbewegung

Aber nicht nur die Vermeidung von Debatten über die Perspektive unsere Gesellschaft droht das Potenzial der Infragestellung des Systems zunichte zu machen. Auch die Ideologie der „Globalisierungsgegner“ selbst erwies sich erneut als Sackgasse.
Auffallend: aus ganz Deutschland, teilweise aus der ganzen Welt kommen Menschen zusammen, um gegen Verarmung und Ausbeutung zu protestieren. Sie kommen in eine Gegend, wo eine Erwerbsloslosenrate von über 20 Prozent herrscht - Mecklenburg-Vorpommern. Sie protestieren in einem Land, in dem Massenentlassungen, Werksschließungen, Ausgliederungen von Produktionsstätten, Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen zum Alltag gehören.  Gerade während des Gipfels streikten Zehntausende bei der Telekom gegen eine 12%-ige Lohnkürzung sowie eine – unbezahlte – Ausdehnung der Arbeitszeit um wöchentlich vier Stunden. Die Lage in Deutschland ist stellvertretend für die Entwicklung in allen G8-Ländern, ja in allen Industrieländern. Dennoch wurde bei den Anti-G8-Protesten zu keinem Zeitpunkt die Verarmung, die zunehmende Ausbeutung, sprich: die soziale Lage in den Industrieländern thematisiert. Nirgends wurde die Verbindung des Kampfes der Lohnabhängigen in den Industrieländern zum Kampf gegen globale Armut, Krieg und Umweltzerstörung hergestellt!
Wie erklärt sich diese verblüffende Unterlassung? Sie ist kein Zufall. Die Ideologie der Antiglobalisierung schließt eine solche Verbindung aus. Diese Ideologie, ein Kind der Zeit nach dem Fall der Mauer, rühmt sich ihres praktischen Charakters. Sie ist stolz darauf, angeblich keine neuen Ideologien zu predigen und keinen Utopien nachzuhängen. Dennoch ist und bleibt das Weltbild von ATTAC und Freunden eine Ideologie. Es teilt die Welt in zwei Lager ein, in das Lager der Industrieländer und in jenes der Armenhäuser dieser Welt, und behauptet, das Erstere lebe von der Ausbeutung des Letzteren. Diese Sichtweise verschließt sich gegenüber dem Kampf der arbeitenden Bevölkerung in den Industrieländern, indem sie diese Länder undifferenziert als privilegierte Zonen betrachtet, ohne den Klassencharakter dieser Gesellschaften selbst zu berücksichtigen. Andererseits betrachtet sie die Bevölkerung der Armutsländer ebenfalls als eine undifferenzierte Masse. So werden die arbeitenden Menschen dieser Länder mit ihren Ausbeutern vor Ort in ein Boot geschmissen. Sie werden zu passiven Opfern herabgestuft, die ausgerechnet auf die Hilfe der G8 angewiesen seien. So verschließt man die Augen vor der Notwendigkeit, aber auch der Möglichkeit des gemeinsamen Kampfes der Lohnabhängigen aller Länder, die den Kampf der Ausgebeuteten der ganzen Welt gegen die herrschende Weltordnung anführen können und müssen.

Zaun und Kapitalismus

Ein wenig unbeholfen wirkte diese waffenstarrende Welt von Heiligendamm angesichts des jugendlichen Elans und des aufkeimenden Idealismus einiger Zehntausend Protestierender, die nach Alternativen zum Kapitalismus suchen. Um zu versuchen, diese Unbeholfenheit zu überspielen, ließen die Mächtigen der Welt „Gegengipfel“ organisieren. Ein unter dem Dach der UNESCO stehender Gipfel der Kinder und Jugend ließ acht handverlesene Jugendliche mit den sichtlich genervten und desinteressierten Staatschefs „diskutieren“.
Die protestierende Jugend lief indessen unentwegt zum Zaun. Viele waren wirklich sehr jung. Und schon wenden sie sich angewidert von der herrschenden Weltordnung ab. Sie träumten davon, den Gipfel zu stören, zu blockieren. Sie wollten ihn sogar belagern. Sie wollten am Zaun rütteln. Eine Illusion. Die waffenstarrende Macht des Staates lässt sich nicht so leicht in die Enge treiben. Aber die aufrüttelnde Jugend hat etwas anderes erreicht, etwas, was mehr bedeutet. Sie haben diesen Zaun zum Symbol gemacht. Zum Symbol dieses Gipfels. Zum Symbol dieser Weltordnung. Die Menschheitsgeschichte lehrt uns, wie wichtig Symbole sind für die Entwicklung des Klassenkampfes. So die Erstürmung der fast leerstehenden, aber symbolträchtigen Bastille am Anfang der französische Revolution.
Was bedeutet heute der Zaun? Zäune weisen die Verzweifelten ab, die dort Zuflucht und menschlichen Beistand suchen, wo noch kein Krieg, keine Dürre oder Hungersnot herrscht. Zäune riegeln den Besitz der Herrschenden ab. Die Reichen riegeln ihre Wohlviertel immer mehr ab. Sie leben verbarrikadiert. Zäune bzw. Mauern trennen irrsinnig aufeinander gehetzte Volksgruppen auf dem Balkan oder im Nahen Osten. Andere, unsichtbare Zäune halten die Produkte aus anderen Weltgegenden ab.
Die linken Professoren und Politiker von ATTAC wettern gegen die Globalisierung. Aber die Jugend spürt, dass das Problem nicht die wachsende Globalität der Gesellschaft ist, sondern die Zäune. Einst brach der Kapitalismus auf, um die ganze Welt zu erobern. Dabei riss er alle chinesischen Mauern nieder, wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest schrieben. Aber er vereinigte die Menschheit nicht. Er schuf lediglich die Voraussetzungen dafür. Zugleich erhob er etwas zum Weltprinzip, auf dem letztlich alle Zäune der modernen Geschichte ruhen, ob der Stacheldraht von Auschwitz oder die Berliner Mauer: das Prinzip der Konkurrenz. Die Jugend von Heiligendamm hat Recht. Es gilt, alle Zäune niederzureißen. Der Zaun ist entstanden mit dem Privateigentum, der Keimzelle des modernen Kapitalismus. Diese Keimzelle hat sich zur beherrschenden Macht aufgeschwungen, zur Bedrohung der Menschheit. Die Überwindung des Zauns bedeutet in Wahrheit die Überwindung des Privateigentums von Produktionsmitteln. Sie bedeutet die Ablösung der Konkurrenzgesellschaft durch eine Welt der gemeinschaftlichen Produktion und der Solidarität.   13.06.07

Tarifrunde 2007: Der Lohnraub geht weiter

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Deutschland im Jahr 2007: die Wirtschaft boomt, die Auftragsbücher sind prall gefüllt, die Exportindustrie schlägt ein Rekord nach dem anderen, und das Wirtschaftswachstum wird Monat für Monat immer höher prognostiziert. Auch der Finanzminister der Großen Koalition in Berlin hat Grund zum Jubeln: Nicht nur, dass die Maastrichter Schuldenkriterien um fast die Hälfte unterboten wurden; Steinbrück erwartet darüber hinaus fürs nächste Jahr gar einen schuldenfreien Haushalt. Doch je optimistischer die Meldungen von der Wirtschaftsfront, desto größer auch die Begehrlichkeiten. Vor allem die Gewerkschaften verkündeten vor den diesjährigen Tarifverhandlungen, dass die Jahre des Verzichts für die ArbeitnehmerInnen angesichts der Gewinne der Unternehmen vorüber seien. „Plus ist Muss“ war das Motto der IG Metall für die diesjährigen Tarifverhandlungen. Jahrelang habe man den Beschäftigten angesichts der Rezession und der schwächelnden Unternehmen eine Reduzierung ihrer Nettoeinkommen zugemutet. Nun, wo die Wirtschaft brummt und die Unternehmen Rekordgewinne einfahren, sei es nur zu gerecht, wenn auch die Beschäftigten ihren Anteil daran fordern.

Es scheint, als habe das Kapital ein Einsehen gehabt. Eine der größten und wichtigsten Wirtschaftsbranchen Deutschlands, die Metallindustrie, gewährte ihren Beschäftigten ohne größeren Widerstand eine Tariferhöhung, die so hoch wie lange nicht mehr ist: 4,1 Prozent in diesem Jahr und 1,7 Prozent im Juni 2008 incl. Einmalzahlungen. Es liegt auf der Hand, dass die IG Metall dies als einen Erfolg für uns Beschäftigte feierte. Hat sich doch nach ihrer Lesart ihre Politik bewährt: Zurückhaltung, wenn es der Wirtschaft schlecht geht, und kräftig zulangen, wenn sie boomt. Doch wie verhält es sich tatsächlich mit diesen – auf dem ersten Blick sehr hoch anmutenden – Tariferhöhungen in der Metallindustrie? Bewahrheitet es sich am Ende doch, dass, wenn es der Wirtschaft gut geht, es auch der Arbeiterklasse gut geht? Oder ist – umgekehrt - der aktuelle Aufschwung neben anderem nicht gerade durch eine massive Erhöhung der Ausbeutungsrate, d.h. durch die Verbilligung der Arbeitskraft zustande gekommen?

Die Prekarisierung greift um sich

In den 60er Jahren galt unter den ArbeiterInnen Westdeutschlands das geflügelte Wort: „Keiner arbeitet für Tariflohn!“ Die Tariflöhne bildeten nur die untere Grenze der tatsächlich bezahlten Löhne; sie stellten faktisch Mindestlöhne dar. Noch heute schwärmt diese Generation der Arbeiterklasse in Deutschland von jenen Zeiten, als die Unternehmen bei der Anwerbung von Arbeitskräften sich einander geradezu überboten. Nun, diese Zeiten sind unwiderbringlich vorbei. Denn sie waren mit einer Phase in der Bundesrepublik verknüft, als Vollbeschäftigung herrschte, als die Unternehmen noch händeringend nach Arbeitskräften suchten und den ersten Arbeitsimmigranten, die ins Land kamen, geradezu den roten Teppich ausrollten. Heute, fast 40 Jahre nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, hat der eingangs zitierte Spruch eine andere Bedeutung bekommen. Infolge des sukzessiven Wachstums der Arbeitslosigkeit, die mittlerweile Millionen von ArbeiterInnen in die Reservearmee des Kapitals geworfen hat, hat sich das Blatt im wirtschaftlichen Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit gründlich zuungunsten Letzterer gewendet. Der Druck auf die Löhne hat heute Auswüchse angenommen, die es immer weniger Arbeiter und Arbeiterinnen erlauben, mittels Arbeit ihre reinen Reproduktionskosten zu decken, d.h. ihre bloße Existenz – das Dach über dem Kopf, die tägliche warme Mahlzeit, etc. – zu sichern. Obwohl sie einer Vollzeit-Beschäftigung nachgehen, sind sie auf öffentliche Unterstützung angewiesen. Die zu Hungerlöhnen schuftenden Callcenter-ArbeiterInnen, die wachsende Heerschar von ZeitarbeiterInnen und Tagelöhnern, das als „Generation P“ (P wie Praktikum) bezeichnete akademische Proletariat – all sie sind Ausdruck der Tatsache, dass die „working poor“, die noch vor wenigen Jahren als typisch amerikanisches Phänomen dargestellt wurden, nun auch hierzulande um sich greifen.

Doch wer meint, das sog. Prekariat als einen besonderen, in sich abgeschlossenen Teil der hiesigen Arbeiterklasse zu identifizieren, dem gegenüber der „privilegierte“ Kern der Facharbeiter stehe, übersieht, dass die wachsende Tendenz zur relativen und absoluten Pauperisierung längst sämtliche Teile unserer Klasse erfasst hat. Was wir gerade derzeit erleben, ist ein beispielloser Angriff gegen jene Bereiche der Arbeiterklasse in Deutschland, die noch zu Tariflöhnen arbeiten. Obwohl die Tariflöhne in den letzten 15 Jahren auf breiter Front schrumpften, bemühen sich immer mehr Unternehmen darum, sich vom Korsett der Tarifgemeinschaft zu lösen, indem sie große Teile ihrer Produktion auslagern. Jüngstes – und besonders krasses - Beispiel für die massive Verbilligung der Arbeitskraft auch in den Kernbereichen der Arbeiterklasse in Deutschland ist die Telekom (wir haben bereits an anderer Stelle darüber berichtet).

ERA und die Relativierung des Metallabschlusses

Eine besonders perfide Art des Lohnraubs findet derzeit in der Metallindustrie statt. Seit dem Frühjahr gelten die - bereits 2002 von der IG-Metall und den Arbeitgebern ausgehandelten - Bestimmungen eines neuen „Entgeltrahmentarifabkommens“ (kurz: ERA). Dieses neue Rahmentarifabkommen sollte angeblich mehr „Gerechtigkeit“ bei der Entlohnung der Beschäftigten in der Metallindustrie schaffen. Kernstück von ERA ist die Abschaffung der unterschiedlichen Kategorien von Lohn und Gehalt. Künftig sollen Arbeiter und Angestellte nach einem einheitlichen Tarif bezahlt werden. Unterschiedliche Bezahlungen für dieselbe Tätigkeit sollen so aus dem Weg geräumt werden. Doch was für die beiden Tarifparteien – IG-Metall und Metallarbeitgeberverband – eine „Revolution“ ist, entpuppt sich für Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende von Beschäftigten als böse Überraschung. Denn die Arbeitgeber nutzten die Gelegenheit, um die Anpassung der bisherigen Löhne und Gehälter an die neue Entgeltstruktur überwiegend durch Herabstufungen vorzunehmen. Massenhaft wurden hohe Gehalts- und Lohngruppen gekappt und in niedrigere ERA-Gruppen gedrückt. Neben den Angestellten ist vor allem eine Gruppe von diesen Herabstufungen betroffen, die den um Kostenminimierung bemühten Unternehmen bislang ein Klotz am Bein war – jene trotz Frühverrentung immer noch relativ große Schar an Beschäftigten (darunter viele Facharbeiter), die sich im Laufe ihrer langen Betriebszugehörigkeit höhere Lohngruppen erarbeitet hatten. „So kann es passieren, dass sich ein Facharbeiter mit der alten Lohngruppe 8 mit einem monatlichen Einkommen von 1970,13 Euro plötzlich in der neuen ERA-Gruppe 3 mit einem Einkommen von 1770 Euro wiederfindet. Aufs Jahr gerrechnet hätte er mehr als 2000 Euro Verlust.“ (1)

Vor diesem Hintergrund erscheinen die eingangs erwähnten Tariferhöhungen in der Metallindustrie in einem völlig neuen Licht. Für viele der 3,4 Millionen Beschäftigten ist der „kräftige Schluck aus der Pulle“, den IG-Metall-Vorsitzender Peters, stolz wie Oskar, am Abend des Abschlusses verkündete, nur ein leichtes Nippen an der Flasche. Denn um größeren Unmut unter den Betroffenen zu vermeiden, sollen die Herabstufungen nicht abrupt erfolgen, sondern durch den völligen oder teilweisen Ausschluss der Betroffenen von den diesjährigen und den kommenden Tariferhöhungen schrittweise vonstatten gehen. Doch die IG Metall hat noch ein weiteres Mittel in petto, um den Widerstand der Beschäftigten in Grenzen zu halten. Indem dieses famose Entgeltrahmentarifabkommen – typischer euphemistischer Beamtensprech – jedem Beschäftigten die Möglichkeit des „Widerspruchs“ einräumt und gleich mehrere Vermittlungsinstanzen bis zur endgültigen Entscheidung durch das Arbeitsgericht (!) vorsieht, soll der anschwellende Strom der Unruhe und des Missmuts in den Belegschaften in Abertausende kleine Rinnsale des individuellen Protestes auf dem (juristischen) Terrain des Klassengegners aufgespalten werden. Dennoch: es tut sich was. Belegschaftsversammlungen, die bislang tröge und monoton waren, haben sich mittlerweile zu lebhaften Veranstaltungen entwickelt. Die Betriebsräte haben alle Mühe, die erhitzten Gemüter der Kollegen und Kolleginnen zu besänftigen. Und plötzlich erwacht der Kampfgeist auch in Schichten der Arbeiterklasse, die diesbezüglich bis dahin noch nicht aufgefallen waren. So beteiligten sich zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte ihrer Branche die Sekretärinnen von Siemens-Erlangen an einer Demonstration gegen diesen Lohnraub. Es stellt sich die Frage, ob sich ERA nicht letztendlich als ein Bumerang für die herrschende Klasse erweisen wird. Denn ERA hebt nicht nur die formale Spaltung zwischen Angestellten und Arbeitern auf und trägt zur Proletarisierung des Bewusstseins der Ersteren bei, die einst als „Industriebeamte“ treu ihren Dienst für die Kapitalisten taten. ERA fördert zudem in immer größeren Teilen unserer Klasse die Einsicht, dass wir alle – ob Angestellte oder Arbeiter, ob festangestellte oder ZeitarbeiterInnen, ob Callcenter-Beschäftigte oder Facharbeiter – einer mal mehr, mal weniger drastischen Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Das „Prekariat“ ist das Proletariat!

  1. Spiegel, Nr. 22, 26. Mai 2007.

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in Deutschland [18]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [19]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die Gewerkschaftsfrage [8]

Werner Bräunigs wiederentdeckter Roman: Rummelplatz DDR

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Der Anfang 2007 veröffentlichte Roman Rummelplatz von Werner Bräunig wird von der Kritik bereits als die Neuerscheinung des Jahres und als „literarische Sensation“ gefeiert.  Vom Herausgeberverlag Aufbau wird es als der „berühmteste ungedruckte Roman der Nachkriegszeit“ gepriesen. Nicht zu Unrecht. Die 1965 im Oktoberheft der „Neuen Deutschen Literatur“, der Zeitschrift des Schriftstellerverbandes der DDR, lediglich in einem kurzen Auszug veröffentliche Schrift wurde rasch zur Zielscheibe einer öffentlichen Diffamierungskampagne der stalinistischen Regierungspartei SED. Als 1976 Werner Bräunig  im Alter von nur 42 Jahren starb, befand sich das noch unveröffentlichte Manuskript des Buches in seiner winzigen Einzimmerwohnung in Halle-Neustadt. Ursprünglich wurde das Projekt „Der eiserne Vorhang“ tituliert und sollte auch einen zweiten Band umfassen, der die Zeit bis 1959 bearbeiten sollte. Diese Fortsetzungsarbeit wurde offenbar nicht mehr in Angriff genommen.

Der vorliegende Roman schildert das Leben von vier jungen Menschen in der DDR in der Zeit zwischen 1949 und 1953.

Rummelplatz DDR

Was das SED-Mitglied Bräunig ganz besonders erschüttert, ist die Entdeckung, dass der Rummelplatz mit allem, was er für ihn bedeutet, in der DDR fortdauert und sich als unentbehrliche Einrichtung erweist. „Hinter dem Platz lauert die Dunkelheit. Zwei Farben nur hat die Landschaft, weiß und grau, das Dorf ist schmutzig am Tag und schon finster am Nachmittag, abends ist es ein böses, geschundenes, heimtückisches Tier, zu Tode erschöpft und gierig. Es ist ein Tier auf der Lauer, ein Tier in der Agonie, es hat sich verborgen in der Dunkelheit, es schweigt. Der Platz aber ist hell, er täuscht Wärme vor und Lebendigkeit.(...) Der Platz aber ist hell, und die Menschen hier hungern nach Helligkeit stärker und verzweifelter als anderswo. Im Gebirge sind sie fremd, untertage sind sie allein, allein mit sich und dem Berg, allein mit ihren Hoffnungen, ihren Zweifeln, ihrer Gleichgültigkeit, allein mit der Dunkelheit und der Gefahr. Die Dunkelheit ist um sie und in ihnen, und ist auch kein bestirnter Himmel über ihnen, da ist nur der Berg mit seiner tödlichen Last und seiner Stille. Als Glücksritter sind sie aufgebrochen, als Gestrandete, Gezeichnete, Verzweifelte, als Hungrige. Sie sind über das Gebirge hergefallen wie die Heuschrecken. Jetzt zermürbt sie das Gebirge mit seinen langen Wintern, seiner Eintönigkeit, seiner Nacktheit und Härte. Wenn nichts sie mehr erschüttern kann, nach allem, was hinter ihnen liegt, das Licht erschüttert sie. Wenn sie nichts mehr ernst nehmen, das ‚Glück auf‘ nehmen sie ernst. Uralte Verlockung der Jahrmärkte. Locker sitzen die Fäuste in den Taschen, die Messer, die zerknüllten Hundertmarkscheine, der Rubel rollt.“ (S. 75-76). Wir zitieren aus dem Kapital IV des Romans, wo der - sagen wir mal: sozialistische - Rummelplatz im Bergwerkrevier des Erzgebirges thematisiert wird. Just jenes Kapitel, das von den Stalinisten ausgewählt, vorabgedruckt und angegriffen wurde. Auch die Kunstbanausen der SED, mit dem sicheren Instinkt der Ausbeuterklasse, wussten sofort, dass eine solche Symbolik eine Untergrabung des stalinistischen Systems bewirken müsse. Der damalige Parteiführer Walter Ulbricht meinte dazu: „Dort werden nun alle Schweinereien geschildert, die möglich sind und damals möglich waren (...) Wir geben uns Mühe zu erziehen. Aber mit solchen Romanen wie Rummelplatz kann man sie nicht erziehen.“1 [20]

Der Unrast des ausgehungerten Herzens

Tatsächlich ist Bräunigs Roman voller Hinweise auf das ausbeuterische Wesen der DDR: die Lohnabzüge für alles Mögliche, das Hochschrauben der Arbeitsnormen und die Aufrufe zur Mehrarbeit, die Bespitzelungen und die Sabotagevorwürfe gegen die Arbeiter, die die Sollvorgaben nicht erreichen, die Zwangsarbeit der Strafgefangenen. Auch erhalten wir Einblick in die Klassenstruktur der DDR. Einen seiner Charaktere lässt er darüber nachsinnen: „Immer wirst du unten bleiben mit der Nase im Dreck, Peter Loose, wirst dein Leben lang schuften in harter Mühle und dich für ein paar Stunden entschädigen auf den Rummelplätzen der Welt, beim Wodka, an der warmen Haut eines Mädchens, denn es fehlen dir ein paar Kleinigkeiten, ohne die man in dieser Zeit nicht hochkommt. Ein bißchen Anpassungsfähigkeit fehlt dir und ein bißchen Arschkriecherei, ein bißchen Gebetsmühlendreherei und ein bißchen fortschrittsträchtige Skrupellosigkeit (...) Die Kriecher und Musterknaben werden ins Kraut schießen, zu hohen Preisen werden die Jesuiten gehandelt werden, und für deinesgleichen werden sie die Mär vom befreiten Arbeitsmann herunterbeten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, vom Schöpfer aller Werke und Herrscher dieses Landstrichs, auf dass du bei der Stange bleibst und dir die Brust voll Ruhm und Hoffnung schaufelst, Ruhm, den sie einheimsen, Hoffnung, die sie gepachtet haben“ (S.82) Man ist erstaunt, solche Zeilen aus der Feder eines SEDlers zu lesen... Werner Bräunig, ein anti-stalinistischer Dissident, gar ein verkappter Revolutionär in Zeiten der Konterrevolution? Tatsächlich hat die SED, sobald sie seinen Roman zu Gesicht bekam, an seine Regimetreue gezweifelt. Interessanterweise wurde seine scheinbar parteikonforme Darstellung des 17. Juni 1953 ebenfalls beanstandet bzw. ihm nicht abgenommen. Bräunig und sein Roman geben Rätsel auf. Das er damals bereits verstanden hat, dass der Stalinismus kein Sozialismus war, sondern eine Sonderform des Staatskapitalismus, ist mehr als unwahrscheinlich. Denn zur damaligen Zeit – am Tiefpunkt der stalinistischen Konterevolution - gab es auf der ganzen Welt nur ganz wenige, echt marxistische Revolutionäre, die das verstanden hatten. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Bräunig zumindest geglaubt haben wird, dass die DDR gegenüber der BRD einen Fortschritt darstellte, als er an seinem Roman arbeitete. Wie viele andere in dieser Zeit wird er in der Abschaffung der Klasse der Privatunternehmer, die in Deutschland den Zweiten Weltkrieg ausgelöst und den Holocaust organisiert hatte, einen Schritt in Richtung Sozialismus erblickt haben. Andernfalls bleibt unerklärlich, wie er überhaupt an eine Veröffentlichung seines Romans jemals geglaubt haben konnte. Zumindest ein Schlüssel zur Auflösung dieses Rätsels liegt in der Biographie des Schriftstellers. 1934 als Sohn eines Hilfsarbeiters und einer Näherin in Chemnitz („Manchester des Ostens“) geboren, erlebte er das Kriegsende und den Zusammenbruch als Elfjähriger. Dazu schrieb er später: „Es war das Hungerjahr 1945. Aber es war nicht nur der Hunger, der mich auf die Straße trieb, auf die Schwarzmärkte, hin zu den Rudeln heimatloser Halbwüchsiger, die in den unzähligen Ruinen hausten. Schlimmer als der leere Magen war der Hunger im Herzen. Hier, unter elternlosen, lungernden, allein untergehenden und deshalb zusammenhaltenden jungen Wölfen (..) war alles einfach, überschaubar und klar. Friß oder stirb, der Starke kommt durch...“ (Anhang, S.627). Es war eine entwurzelte, heimatlose, verwahrloste neue Generation.  Es war eine entwurzelte, heimatlose, verwahrloste neue Generation. Unter den älteren Kinder gab es auch solche, die vor Kriegsende „ihren Geburtstag um zwei Jahre vorzuverlegen begann(en)“ (S. 235), um in den Krieg ziehen zu können. Jetzt wurden sie auch noch von quälenden Gewissenbissen gemartert. So gab es in den ersten Nachkriegsjahren Millionen von Menschen, darunter viele Kinder und Jugendliche, die ziellos über die Autobahnen wanderten und nachts in Bunkern schliefen. Andere, durch Hunger und Kälte, aber auch von Abenteuerlust getrieben, liefen zu Fuß bis nach Neapel oder sonstwo hin - nur weg. Bräunig aber gehörte zu jenen, die sich mit Schmuggel und Kleinkriminalität durchschlugen. Im Schicksalsjahr 1953 wurde er dafür in der DDR zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Er wurde als Strafgefangener in der Steinkohle und in einer Papierfabrik eingesetzt, nachdem er zuvor als Fördermann den Uranabbau in der Wismut kennengelernt hatte. Während dieser Zeit schwor er seinem bisherigen Leben ab – und geriet von einem Wolfsrudel in den anderen: in die stalinistische Jugendorganisation FDJ. Der Hunger im Herzen scheint ihn auch hier angetrieben zu haben. Und auch hier war alles „einfach, überschaubar und klar.“ Auch hier hieß es: Friß oder stirb! Nicht bei den Stalinisten fand Bräunig das, wonach sein Herz sehnte, sondern bei den Arbeitern auf der Wismut.

Die Wismut und der Kalte Krieg

Auf der Wismut scheint Bräunig den von ihm gesuchten Antworten auf die Probleme Krieg und Unmenschlichkeit näher gekommen zu sein. Die Wismut war das größte Reparationsunternehmen des 20. Jahrhunderts. Von der UdSSR nach Kriegsende beschlagnahmt, deckte es Ende der 1950er Jahre beinahe 60 Prozent des sowjetischen Uranerzbedarfs. Damals hatte es 200.000 Beschäftigte. Im Nachwort von Angela Drescher lesen wir dazu: „Die Objekte wurden von Militär bewacht, es gab ein auf militärischen Prinzipien beruhendes Betriebssystem, eigene Rechtvorschriften, härteste Arbeitsbedingungen, nahezu autarke Strukturen.“ (S.642) Andererseits fiel die Entlohnung höher aus als anderswo in der DDR, so dass es nicht nur Ausgehungerte dorthin zog, sondern auch Abenteurer und Desperados. Dazu Bräunig im Roman: „Die Wismut ist ein Staat im Staate, und der Wodka ist ihr Nationalgetränk.“ (S.76) Hier entdeckte Bräunig tiefere Wurzeln der Abstumpfung der arbeitenden Bevölkerung als den berühmt-berüchtigten Schachtkoller. „War Peter Loose etwa gern allein? Ja, manchmal schon. Aber das heulende Elend packte einen, wenn man nichts weiter hat als seine vier Barackenwände und seine acht Stunden mit der Schaufel am Stoß, der Stumpfsinn kriecht in die Gehirnwindungen und füllt den Schädel mit Blei, bis er platzt, bis man irgend etwas zerdrischt oder zur Flasche greift oder aufbrüllt wie ein Stier. Schachtkoller nannte man das. Als ob es nur der Schacht wäre! Es was das ganze Elend dieses verpfuschten Lebens, dieses Lebens ohne Aussicht, das einen herumstieß, das blindlings einprügelte auf Gerechte und Ungerechte, das wiedergeprügelt sein wollte, und wenn’s nur zur Erleichterung wäre. Denn ausrichten konnte man wenig, allein gegen alle, es war einem eingetränkt worden bis hoch übern Eichstrich.“ (S.79) Diese Perspektivlosigkeit liefert in der Tat die wichtigste der moralischen Erklärungen dafür, dass der Kapitalismus seine geschundenen Lohnsklaven mit in die Barbarei reißen kann. Auch ist diese Perspektivlosigkeit der sicherste Beweis dafür, dass die Arbeiter der DDR sich keinesfalls in einer Gesellschaft befanden, die dem Sozialismus entgegenstrebte. Für Bräunig stand die Wismut aber auch für ein anderes Phänomen, das den Tragödien des 20. Jahrhunderts zugrunde liegt. Es ist die relative Primitivität der Arbeitsmittel im Vergleich zu der Ausgefeiltheit der Zerstörungsmittel. Die USA hatten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Atomwaffen entwickelt und auch eingesetzt. Für die Sowjetunion war es zur Überlebensfrage geworden, sich ebenfalls mit Kernwaffen auszustatten, um damit ein Gleichgewicht des Schreckens herzustellen. Vor allem dazu diente die Schinderei in der Wismut. Einen der hiesigen Bergleute lässt er sagen: „Ja – ganze Städte in den Himmel blasen, das ging. Da hatten sie eine Mordstechnik entwickelt, da war Geld für da, ein Riesenerfindergeist investiert, und massenhaft Leut gab’s, da gab’s alles. Aber hier? Große Töne spucken, von wegen Kernphysik. Aber hier, am Ursprung, da gingen sie den Fels an wie vor zweitausend Jahren.“ (S.112) Der Kalte Krieg, das Damoklesschwert der nuklearen Vernichtung, das über der Menschheit schwebte (und heute noch schwebt), lässt die Figuren in Bräunigs Roman an den Unterschied zwischen Ost und West zweifeln. „Und die sagen, sie seien für friedliche Zeiten, sie haben allesamt das Schwert hinterm Rücken, sofern sie die Staatsmacht haben, oder wenigsten ein Messer, solange sie noch klein sind, und sie sagen: Wir wollen den vorzeitigen Tod abschaffen, dazu bedarf es des Tötens. Oder wenigstens der gewaltsamen Bekehrung. Oder also der Rüstung gegen die Gerüsteten. Denn wir sind die Friedlichen, und das Schwert ist nur geschmiedet zur Abschreckung, das sagen die anderen auch (...) Bleibt da ein Rest? Ja. Die Frau am Verpackungsautomaten, Persilwerke, Düsseldorf. Kenne ich eine, die sitzt am Fließband, Glühlampenwerke Ostberlin, Arbeiter-und-Bauern-Staat, und du kannst hingehen und Glühbirnen kaufen, falls es welche gibt, und kaufst immer ein Stück mit von ihr, und die sitzt acht Stunden jeden Tag, achtundvierzig die Woche, ob die Kinder krank sind, der Mann vermisst wird, jemand den nie gekannten Wohlstand verkündet, also in einer Zweizimmerwohnung lebt sie, Hinterhaus, ringsum Trümmer, da spielen die drei Kinder, und das Geld reicht grad so wie in Düsseldorf oder auch nicht, und dann muß sie noch zu Aufbaueinsätzen, freiwilligen, und zu Kundgebungen und Aufmärschen und Versammlungen, also wenn du das meinst. (...) Übrigens die Gefängnisse sind auch hier nicht leer, keine Spur, und verboten ist manches, ein freundliches innenpolitisches Klima, wie man so sagt, raus darf keiner. Kriegsverbrecher allerdings sind enteignet, das ist wahr.“

Die Toten an die Lebenden

Bräunig lebte in einer Zeit der schrecklichen politischen Verirrung. Es war die Zeit der welthistorischen Niederlage des Proletariats. Ab 1968 wehrte sich eine neue Generation der Arbeiterklasse, die nicht mehr durch die Weltkriege und die stalinistische Konterrevolution traumatisiert war. Und heute wächst eine zweite ungeschlagene Generation des Proletariats heran, die erst nach dem Zusammenbruch der Ostblockregimes 1989 zu politischem Bewusstsein gekommen ist und sich mit neuer Kraft an die Entwicklung einer wirklichen Alternative zum Kapitalismus heranmachen kann. Dieses Glück war der Generation von Werner Bräunig nicht beschieden. Der Weg zur politischen Klarheit war durch die Weltlage selbst weitestgehend versperrt. Aber Bräunig suchte die Wahrheit seiner Epoche mit den Mitteln der Kunst. Da er mit Ernst, Aufrichtigkeit und auch mit Begabung suchte, waren seine Bemühungen nicht umsonst. Nicht die Politik stand bei ihm im Mittelpunkt. Das Ziel seines Lebens wurde es, den Arbeitern und ihrem Leben eine Stimme zu geben. Er glaubte, dieses Ziel in der DDR erreichen zu können. Schließlich redete der ostdeutsche Staat der „Arbeiterliteratur“ das Wort. Der Stalinismus jedoch strebte nicht nach Kunst. Was er brauchte, war Propaganda. Es strebte nicht nach Wahrheit, sondern nach Verklärung – auch und gerade, wenn es um die Lage der Arbeiterklasse im eigenen Lager ging. Werner Bräunig hat sich nicht als Gegner der DDR gesehen. Aber seine Kunst wurde zur Herausfordererung des Systems. Hat Bräunig das verstanden? Die stalinistische Bourgeoisie hat es verstanden.

Werner Bräunig hat den öffentlichen Angriffen gegen seinen Roman tapfer widerstanden. Zu keinem Zeitpunkt ist er zu Kreuze gekrochen. Er verhinderte das Ansinnen der Herrschenden, seinen Roman in verstümmelter Form herauszugeben. Auch gegenüber den Überwachungs- und Einschüchterungsmaßnahmen der Stasi blieb er fest. Aber dass es ihm nicht mehr gelang, sein Lebenswerk zu erfüllen, das darin bestand, seinem Mitgefühl für die Arbeiter als Verkörperung der Entfremdung der ganzen Menschheit Ausdruck zu verleihen, verkraftete er nicht. Die Veröffentlichung von Rummelplatz heute bedeutet, dass es dem Stalinismus doch nicht gelungen ist, die Stimme des Dichters zum Schweigen zu bringen. Werner Bräunig starb zweiundvierzigjährig an Alkoholismus. Die DDR hat ihn umgebracht. In den Zeilen seines Roman erreicht uns die Verzweifelung seiner Generation, eine mahnende Stimme der Toten an die Lebenden. (S.477-478). „Früher lagen Zigarrenstummel, Apfelsinenschalen und Papier auf der Straße, Hoffnungen auch, ja, manchmal auch Hoffnungen; heute sind es Menschen, das sagt weiter nichts (...) und die Menschen gehen vorbei, achtlos, resigniert, blasiert, und gleichgültig, gleichgültig, so gleichgültig. Ach ja, wer fragt, wie es sich denn sitzt in dem Zug, wie denn der Komfort sei und welcher Platz einem zugedacht, aber wohin es geht, danach fragt keiner. Und wir gehen an ihnen vorbei, einer geht am anderen vorbei, alle gehen vorbei; wohin sollen wir denn auf dieser Welt? Warum schweigt ihr denn? Warum redet ihr denn nicht? Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt? Warum gibt er denn keine Antwort? Gibt keiner Antwort? Gibt denn keiner, keiner Antwort?“

1 [20] Zitiert von Angela Drescher im Nachwort zum Roman: „Aber die Träume, die haben doch Namen. Der Fall Werner Bräunig“, S.642.

Theoretische Fragen: 

  • Kultur [21]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Stalinismus, der Ostblock [22]

Juli 2007

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Ein internationalistisches Flugblatt zum Flüchtlingstag 2007 in der Schweiz

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Unter dem Titel „Wir sind nicht die Schweiz - Ein Aufruf zur Zerstörung der Nation“ schrieben und verteilten die Gruppen Eiszeit, Libertäre Aktion Ostschweiz und Systembruch im Juni 2007 ein zweisprachiges Flugblatt (deutsch und französisch), dessen deutsche Version wir nachstehend abdrucken. Das Flugblatt ist bei uns sofort auf Zustimmung gestossen, da es gegenüber der linken staatsbejahenden Ideologie Klartext spricht: Nicht irgendein Nationalstaat ist der Hebel für eine Veränderung, sondern die Arbeiterklasse, deren Interessen mit denjenigen des bürgerlichen Staates nicht zu vereinbaren sind, auch wenn dieser noch so demokratisch ist. Demokratie und Menschenrechte sind nicht eine Gefahr für die herrschende Ordnung, sondern „schlicht die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft“, wie das Flugblatt sagt.

 

Unter dem Titel „Wir sind nicht die Schweiz - Ein Aufruf zur Zerstörung der Nation“ schrieben und verteilten die Gruppen Eiszeit, Libertäre Aktion Ostschweiz und Systembruch im Juni 2007 ein zweisprachiges Flugblatt (deutsch und französisch), dessen deutsche Version wir nachstehend abdrucken. Das Flugblatt ist bei uns sofort auf Zustimmung gestossen, da es gegenüber der linken staatsbejahenden Ideologie Klartext spricht: Nicht irgendein Nationalstaat ist der Hebel für eine Veränderung, sondern die Arbeiterklasse, deren Interessen mit denjenigen des bürgerlichen Staates nicht zu vereinbaren sind, auch wenn dieser noch so demokratisch ist. Demokratie und Menschenrechte sind nicht eine Gefahr für die herrschende Ordnung, sondern „schlicht die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft“, wie das Flugblatt sagt.

 

Wir sind nicht die Schweiz

Ein Aufruf zur Zerstörung der Nation

Bereits zum dritten Mal findet unter dem Titel «Wir sind die Schweiz» eine schweizweite Grossdemonstration statt. «Gleiche Rechte für alle» fordern die OrganisatorInnen im Untertitel des Aufrufes und machen sich für ein «Recht auf Mitsprache im Staat» für alle stark. Dass Illegalisierte die gleichen Rechte fordern, welche SchweizerInnen besitzen, ist verständlich. Die Verbesserung des Rechtsstatus ist für viele MigrantInnen ein materielles oder gar existenzielles Interesse. Doch die Parole der Demonstration lautet nicht «Nieder mit den Grenzen» oder «für freies Fluten», was dringend nötig wäre: Es geht im Aufruf nicht um eine autonome Organisierung für materielle Interessen und uneingeschränkten Aufenthalt für alle. Stattdessen wird die konstruktive Teilnahme am Staat unter dem Motto «Wir sind die Schweiz» gefordert. Um zu erkennen, was diese Forderung letztlich bedeutet, muss man sich erstmal Rechenschaft darüber ablegen, was denn diese Schweiz ist, die wir alle sein sollen. Die Schweiz ist ein Staat mit festen Grenzen, Gesetzen und Institutionen zur Sicherung der bestehenden kapitalistischen Verhältnisse. Wenn sich nun einige (linke) PatriotInnen dazu bemüssigt fühlen, innerhalb dieser staatlichen Grenzen ein «Wir» zu konstruieren, so beziehen sie sich positiv auf die repressive Einrichtung namens Nationalstaat - auch wenn sie die MigrantInnen in dieses «Wir» mit einbeziehen. Das machen sie gleich selbst deutlich, indem sie sich auf die durch den Staat zumindest formell gewährten Rechte und Pflichten beziehen und eine Mitsprache – und damit faktisch eine konstruktive Beteiligung – am Staat fordern. Dem Aufruf ist der erste Artikel der «Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte» beigestellt. Wie alle Rechte brauchen auch die Menschenrechte eine bewaffnete Instanz, welche ihre Durchsetzung garantieren kann und so ist es auch: Noch im hinterletzten von einer demokratischen Nation geführten Krieg geht es doch hochoffiziell um die Durchsetzung der Menschenrechte. Sei dies nun im Kosovo, in Afghanistan oder kürzlich im Irak. Die realen nationalen Interessen verschwinden hinter humanem Geraune. In der Regel decken sich die wirklichen materiellen Interessen auch mit den Menschenrechten, da der Normalmodus kapitalistischer Ausbeutung in stabilen gesellschaftlichen Verhältnissen leichter rund läuft. Und genau dies versprechen die Menschenrechte, indem sie das Recht auf Privateigentum, die Freiheit, seine Arbeitskraft zu verkaufen, die Zugehörigkeit zu einer Nation und den Rechtsstatus als solchen garantieren. So ist die Frage zwischen Diktatur und demokratischer Herrschaft eine der ökonomischen und politischen Nützlichkeit. Kurzum: Die Menschenrechte sind (in Form der Bürgerrechte) schlicht die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft.

Natürlich ist es zu unterstützen, dass niemand gefoltert oder in Sklaverei gehalten wird! Doch dass dieser menschenvernünftige Umstand in Gesetze gegossen werden muss, sagt vieles über die kapitalistische Gesellschaft aus. In einer Welt, in der die Menschen in Konkurrenz gegeneinander geworfen werden und sich Klassen objektiv unversöhnlich gegenüberstehen – unabhängig davon, ob diese an der Oberfläche wahrnehmbar sind –, braucht es eine Rechtsform und deren Garanten, damit sich die einzelnen Menschen, die Klassen und letztlich die Staaten nicht gegenseitig an die Gurgel gehen. Dass der grösste Teil der Weltbevölkerung als Teil der ausgebeuteten Klasse allen Grund hätte, dem System und seinen RepräsentantInnen an die Gurgel zu gehen, das will weder die linke Politikerin, noch der nette Sozialarbeiter hören.

Ausbeutung findet immer statt, wo unter kapitalistischen Bedingungen gearbeitet wird. Denn Arbeitsplätze gibt es ganz grundsätzlich nur, wenn ein Mehr an Wert produziert wird, als den ArbeiterInnen ausbezahlt werden muss. Das ist auch schon der ganze Witz der Ausbeutung: Wir produzieren mehr, als wir erhalten. Dass diese Tatsache sich bei Illegalisierten in elenden Lebens- und Arbeitsverhältnissen widerspiegelt, ist dabei die krasseste Ausformung eines Systems, das grundsätzlich auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft basiert. Was wir mit den Illegalisierten teilen, ist der Umstand, dass wir unsere Arbeitskraft verkaufen müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Dieser Erkenntnis steht eine nationale Identität («Wir sind die Schweiz») im Wege. Der Staat ist eben keine neutrale Sphäre, die über den wirtschaftlichen Zwängen schwebt, sondern er ist der Staat des Kapitals, der die optimalen Ausbeutungsbedingungen erst garantiert. Wirtschaftsflüchtlinge, Kriege und kontinentale Abschottungen sind Produkte des gesellschaftlichen Fundaments, der kapitalistischen Produktionsweise, welche durch den Nationalstaat aufrechterhalten wird. Diesen Zustand (den Kapitalismus) abzuschaffen, mitsamt den Kräften und Instanzen, die ihn zu verewigen trachten, dass ist das gemeinsame Interesse, welches wir als weltweite Klasse der Lohnabhängigen haben. Und genau da müssen wir gemeinsam ansetzen: An der Abschaffung dieser scheiss Verhältnisse; an der Abschaffung von Klassengesellschaft und Nationen!

Wir sind nicht die Schweiz

Klassenkampf statt (linkem) Nationalismus

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Eine Abrechnung mit der MLPD: Vorwort der IKS

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Wir veröffentlichen hiermit einen Leserbrief, den wir aus Bayern erhalten haben. Es handelt sich um eine Abrechnung mit der linkskapitalistischen MLPD, geschrieben von einem Genossen, der einst unter dem Einfluss dieser Organisation stand. Wir begrüßen die Vorgehensweise des Genossen, die darin besteht, die politische Klärung ehrlich und systematisch zu betreiben, indem das Unzulängliche nicht unter den Teppich gekehrt, sondern kritisiert und überwunden wird.

Wir veröffentlichen hiermit einen Leserbrief, den wir aus Bayern erhalten haben. Es handelt sich um eine Abrechnung mit der linkskapitalistischen MLPD, geschrieben von einem Genossen, der einst unter dem Einfluss dieser Organisation stand. Wir begrüßen die Vorgehensweise des Genossen, die darin besteht, die politische Klärung ehrlich und systematisch zu betreiben, indem das Unzulängliche nicht unter den Teppich gekehrt, sondern kritisiert und überwunden wird.

Wie weit der Genosse sich von den Vorstellungen linksreformistischer und antifaschistischer Politik bereits entfernt hat, beweist sein Beitrag. Nichts zeigt die Dynamik bei der Überwindung der Einflüsse der radikaleren Ideologien der Bourgeoisie besser als die Klarheit, mit der der Genosse den Zweiten Weltkrieg als imperialistisches Gemetzel auf allen kriegsführenden Seiten bezeichnet und die Arbeiterklasse zur Verteidigung der eigenen Klassenautonomie aufruft. Neben dem Antifaschismus und der damit einhergehenden „kritischen“ Verteidigung der bürgerlichen Demokratie bezeichnet der Text auch die Gewerkschaften als Staatsorgane, die ein wesentlicher Bestandteil des Systems geworden sind. Wir freuen uns auf eine Fortsetzung dieser Diskussion über die Gewerkschaftsfrage, wo es dann beispielsweise um die Frage gehen könnte, warum die Gewerkschaften als einstige Organisationen der Arbeiterklasse für die Bedürfnisse des Klassenkampfes unzulänglich und gar schädlich geworden sind und warum sie ab diesem Zeitpunkt nicht einfach verschwanden, sondern in die Hände des Klassenfeindes fielen.

Besonders wichtig erscheint es uns, dass der Genosse nicht nur die politischen Positionen der MLPD (und vergleichbarer linker Organisationen) in Frage stellt, sondern ebenso sehr ihre Geisteshaltung (etwa die quasi-religiöse Gläubigkeit gegenüber den eigenen „Parteidoktrin“ wie etwa die der „Arbeiteroffensive“ der MLPD) oder ihre Interventionsweise (die Verpulverung der Energien und der Opferung des Idealismus von Militanten zugunsten eines sinnlosen Aktivismus). Er zeigt uns auf, wie die Politik solcher linker Organisationen – ähnlich der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt, z.B. in der Werbung – systematisch Camouflage betreibt, um eine eigene, nicht vorhandene Wichtigkeit und Radikalität vorzutäuschen. Diese und andere Hinweise des Textes sind in der heutigen Zeit umso wichtiger, da die Mythen der linken Ideologie immer mehr ins Wanken geraten sind und immer mehr ihrer Militanten auf der Suche nach wirklich revolutionären Alternativen sind. Der Genosse schreibt in seinem Text, dass beispielsweise bei den antifaschistischen Mobilisierungen der Linken regelmäßig nur Kleinbürger anwesend sind. Dass dies nicht immer ganz der Fall ist, dass auch aufrichtig nach einer kommunistischen Perspektive suchende Klassenkämpfer unter den Einfluss solcher Kreise geraten, aber sich auch wieder davon lösen können, beweist am besten der Brief des Genossen selbst.

In einem Punkt des Briefes besteht offenbar eine wichtige Meinungsverschiedenheit des Genossen gegenüber den Positionen der Kommunistischen Linken. Der Genosse kritisiert die (klassisch maoistische) Vorstellung der MLPD, derzufolge der Kapitalismus in der UdSSR nach dem Tod Stalins wiedereingeführt wurde. Er weist zurecht darauf hin, dass die herrschende Nomenklatura vor und nach dem Tod Stalins dieselbe war. Es ist in der Tat mehr als unwahrscheinlich, dass zwei entgegengesetzte Gesellschaften wie der Sozialismus und der Kapitalismus von ein und derselben herrschenden Gruppe verwaltet wurden! Daraus schließt der Genosse allerdings, dass der Kapitalismus in Russland erst nach dem Sturz Gorbatschows und der Wiederentstehung einer konventionelleren Herrschergruppe, die auch persönliches Eigentum an Produktionsmitteln kannte, wiederhergestellt wurde. Der Genosse argumentiert, dass die herrschende Nomenklatura in der UdSSR keine Bourgeoisie war, da sie keine Produktionsmittel besaß und die Arbeiter auch keine freien Lohnarbeiter waren.

Es ist nicht leicht ist, den Klassencharakter der UdSSR nach der Niederlage der Weltrevolution zu verstehen, denn die Erscheinungsform der stalinistischen Gesellschaft war alles andere als die klassische Form des Kapitalismus. So ist es sozusagen nicht normal, dass im Kapitalismus die Herrschenden persönliche Anteile an den Produktionsmitteln nicht erwerben können, dass die Anteile der Herrschenden am Produkt der Mehrarbeit der Arbeiterklasse stattdessen von einer Behörde verteilt werden. Es ist auch nicht „normal“ – und für das gute Gelingen der kapitalistischen Ausbeutung alles anders als günstig –, wenn die Lohnarbeiter nicht entlassen werden oder wenn unproduktive Betriebe nicht pleite gehen können. Aber dass der Stalinismus kein normaler und auch kein halbwegs vernünftig funktionierender Kapitalismus war, beweist noch lange nicht, dass er kein Kapitalismus war oder dass die Arbeiter in der UdSSR keine Lohnsklaven waren.

Um sich von den äußeren Erscheinungen nicht blenden zu lassen, ist es unserer Meinung nach notwendig, auf die Grundlagen des Marxismus zurückzukommen. Und da sehen wir, dass der Kapitalismus, und somit das Lohnsystem, nur auf Weltebene überwunden werden kann. Dies hat beispielsweise Trotzki Mitte der 1920er Jahre gegenüber Stalins bürgerlicher Theorie des „Sozialismus in einem Land“ eindrucksvoll bewiesen – auch wenn Trotzki selbst nicht alle Konsequenzen daraus ziehen konnte. Für uns besteht die Hauptkonsequenz darin, dass der Kapitalismus in der UdSSR niemals abgeschafft wurde – auch damals nicht, als die Diktatur des Proletariat dort herrschte. Da die Weltrevolution scheiterte, da die Diktatur des Proletariats, die Macht der Arbeiterräte sich in der Isolation nicht halten konnte, kam eine konterrevolutionäre Nomenklatura an die Macht, die die Aufgabe vorfand, den Kapitalismus zu verwalten, und allein schon deshalb als ein Teil der Kapitalistenklasse verstanden werden muss.

Wir würden uns jedenfalls über die Fortsetzung dieser Debatte freuen. Denn anders als im Lager der Pseudolinken darf man – nein: muss man – offen, solidarisch und ohne Tabus über alle Fragen diskutieren, damit die kollektive Klärung vorangetrieben wird.


 

 

 

Zur Kritik an Politik und Ideologie der MLPD

 

Zwei Vorbemerkungen: Um gewollte Missverständnisse auszuschließen, einige der nachfolgenden Gedanken und Überlegungen sind keinesfalls dazu da, die Politik der NPD zu verteidigen oder zu relativieren.

Diese Kritik am Beispiel der MLPD gilt sinngemäß auch für vergleichbare Organisationen (Trotzkisten, die Gerontologen der DKP etc.). Die MLPD wurde deshalb ausgewählt, weil sie die größte und aktivste „linksradikale" Organisation der BRD ist.

I. Zur Gewerkschaftsfrage. Das Warten der MLPD im Rahmen ihrer ständigen Behauptung, wir befänden uns mitten in einer „Arbeiteroffensive" auf eine „linke, klassenkämpferische Gewerkschaftsspitze", entspricht dem Warten auf Godot. Anders formuliert, man wartet hier seitens der MLPD auf den St. Nimmerleinstag. Seit Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts sind die Gewerkschaften aller entwickelten kapitalistischen Länder unwiderruflich Teile des die herrschende Bourgeoisie stützenden Machtapparates. Sie stabilisieren besonders die Herrschaft der sich „demokratisch" nennenden Kapitalisten. Sie sind so sehr in das herrschende System integriert, dass sie längst zu einem zentralen Bestandteil des bürgerlichen Herrschaftsapparates geworden sind. Die Vorstellung der MLPD, die Gewerkschaften bzw. deren Führer würden sich ausgerechnet von dieser kleinen Splitterpartei im Sinne ihres Kampfes für den „echten" Sozialismus instrumentalisieren lassen, ist so wirklichkeitsfremd, wie wenn man dies vom BDI oder der CDU erwarten würde: Jeder selbstorganisierte, „wilde" Streik, so beispielsweise der bei Opel Bochum, wird gegen die Gewerkschaftsbürokratie durchgesetzt. Auch von den famosen „linken" Gewerkschaftern ist bei solchen Aktivitäten in der Regel nichts zu sehen und nichts zu hören. Sei es, dass sie abwesend sind oder sei es, dass es sie gar nicht gibt. Das Ergebnis jedenfalls ist immer dasselbe: Ob „links" oder „rechts", die Gewerkschaftsführer sabotieren selbständige Streikbewegungen nach Kräften und das nicht erst seit kurzem, sondern seit langem. Angesichts dieses Sachverhaltes ist das Festhalten der MLPD an den Gewerkschaften bzw. ihr ständiger Versuch, etwaige Ausschlüsse ihrer Mitglieder aus diesen durch Anpassung oder das Ausschöpfen von Rechtsmitteln zu verhindern, rational kaum noch nachvollziehbar. Man kann es sich eigentlich nur noch so erklären, dass der Gründungsvater der MLPD, Willi Dickhut nach seinem Ausschluss aus der KPD in den Gewerkschaften so etwas wie eine politische Ersatzheimat gefunden hatte, an der er emotional hing. Das ist aber nun wirklich kein Grund für Marxisten, auf immer und ewig hinter der Gewerkschaftsbürokratie herzuhecheln, in der - man entschuldige den Ausdruck - wahnhaften Hoffnung, diese für die Sache der Arbeiterklasse an einem fernen Tag gewinnen zu können.

2. Antifaschismus und Faschismus. Der Antifaschismus nicht zuletzt der MLPD fesselt die Arbeiter an die Verteidigung des bürgerlichen Staates. Er lenkt die revolutionäre Linke ab vom Klassenkampf auf das Gebiet der bürgerlichen, der parlamentarischen Demokratie. Der Antifaschismus unterscheidet zwischen den „guten, demokratischen" Kapitalisten und den „bösen, faschistischen". Das klingt nicht nur ähnlich wie die Differenzierung der Faschisten zwischen den „guten, schaffenden" Kapitalisten und ihren „bösen, raffenden" Klassengenossen - es ist im Kern dieselbe Denkweise.

Für die Arbeiterklasse gibt es aber keine „gute, vernünftige, zu unterstützende, demokratische Fraktion", kein kleineres Übel innerhalb der Kapitalistenklasse im Gegensatz zu der „bösen, faschistischen Fraktion." Marxisten verteidigen die Kapitalistenklasse (auch keine Fraktion derselben) unter keinen Umständen, weil es zwischen dieser und der Arbeiterklasse keine Gemeinsamkeit gibt. Das sollte eigentlich eine Binsenweisheit sein, für die MLPD gilt das scheinbar aber nicht. Wer als Marxist meint, die „demokratischen" Kapitalisten und ihre Politiker verteidigen zu müssen, der integriert zwangsläufig die Arbeiterklasse in den nationalen Konsens, der da heißt: „Nie wieder Faschismus!" Bekanntlich hat aber die Arbeiterklasse kein Vaterland, auch keines, das von einer sich „demokratisch-antifaschistisch" tarnenden Bourgeoisie beherrscht wird. Einer Bourgeoisie, die als angebliche Hauptlosung den Kampf gegen den Faschismus ausgibt und glaubt, so die Massen an sich binden zu können. Stattdessen gilt ihr wirkliches Hauptaugenmerk dem Kampf gegen die Interessen der arbeitenden Klasse, ein Sachverhalt, den die MLPD in ihrem zunehmend hysterisch werdenden Antifaschismuskampf zu vergessen scheint.

Einige Beispiele, zu welch manchmal absurden Konsequenzen der Antifaschismus der MLPD zwangsläufig führen muss:

- Stichwort Abbau sozialer Errungenschaften. So habe ich die NPD als Autorin der Hartz IV Gesetze nicht mehr so deutlich in Erinnerung, um mich ganz vorsichtig auszudrücken. Vielmehr waren es aus meiner Sicht doch eher die „demokratisch-antifaschistischen" Parteien CDU/CSU, SPD und Grüne, die Millionen von Arbeitern ins soziale Elend gestürzt haben bzw. stürzen werden. Die Parteien also, die die MLPD als kleineres Übel ansieht und bei der Verteidigung ihrer Privilegien aktiv unterstützt.

- Ist es wirklich revolutionäre Politik, wenn Marxisten-Leninisten zusammen mit den reaktionärsten Vertretern der „demokratisch-antifaschistischen" Kapitalistenklasse, nämlich den Gefolgsleuten von Stoiber, Schäuble und Westerwelle, zusammen demonstrieren gehen? Oder um ein bekanntes Sprichwort abzuwandeln: „Sage mir, mit wem Du demonstrierst und ich sage Dir, wer Du bist!"

- Stichwort Antikriegstag I. September: Sind allen Ernstes nur faschistische Regimes wie das von Hitler oder Mussolini Kriegstreiber gewesen? Sind bzw. waren „demokratisch-antifaschistische" Bourgeoisien wie beispielsweise die US-Administration wirklich nie Kriegstreiber? War u.a. die englische, französische, spanische oder belgische Bourgeoisie zu keinem Zeitpunkt als Haupttäter an imperialistischen Kriegen beteiligt? Sind die Millionen Arbeiter auf Seiten der Alliierten im 2. Weltkrieg wirklich für ihre Klasseninteressen gestorben oder doch nicht eher für die Interessen ihrer jeweiligen Bourgeoisien? Diese Frage stellt sich die MLPD leider auch nicht.

Mit der Unterstützung des Antifaschismus unterwirft sich die MLPD bewusst oder unbewusst der ideologischen Hegemonie der SPD und gesellt sich zu deren Trabanten PDS, WASG und Grüne. Damit wird sie selbst zu einer weiteren - extrem linksliberalen bzw. kleinbürgerlichen – staatstragenden Partei, und dies trotz aller pseudorevolutionären Phraseologie. Für all diese Parteien ist der Antifaschismus konstitutiv und zur Staatsräson geworden. Für Marxisten sollte aber etwas anderes konstitutiv sein: nämlich die Zerschlagung der Kapitalistenklasse und die Errichtung der Arbeitermacht. Das Ziel einer kommunistischen Arbeiterpartei muss es sein, die Produktionsmittel in ihren Besitz zu bringen, den erwirtschafteten Mehrwert zu vergesellschaften und somit der privaten Aneignung zu entziehen. Auch diese Binsenweisheit ist der MLPD fremd. Stattdessen scheint sie bereits zufrieden zu sein, wenn der Austausch von Abgeordneten (z.B. SPD-Parlamentarier statt NPD-Abgeordnete) und sonstigen Würdenträgern des bürgerlichen Staates auf „antifaschistischer" Grundlage erfolgt.

Wie gedankenlos die MLPD ihren Antifaschismus betreibt, das zeigt das Interview mit dem Parteivorsitzenden Stefan Engel in der Roten Fahne 51/52 (2006) auf Seite 19: Dort beschwert er sich, die NPD würde die ihr zustehenden Staatsgelder dazu benutzen „... um ihren faschistischen Parteiaufbau zu forcieren.." Hatte er etwa erwartet, die NPD verwende die Gelder, um eine marxistisch-leninistische Partei aufzubauen? Nein, die Arbeiterklasse hat nun wirklich nicht darauf gewartet, dass auch noch die MLPD daherkommt, um den „demokratisch-antifaschistischen" Kapitalismus gegen dessen faschistischen Doppelgänger zu verteidigen. Das tun bereits alle anderen Parteien des „Verfassungsbogens", von der DKP bis zur FDP.

Wer demonstriert denn bei Antifademos, welche Menschen versuchen da welche Klasseninteressen zu vertreten? Klassenbewusste Arbeiter oder Kleinbürger? Es sind, wie jeder weiß, Kleinbürger (dazu natürlich viele Jugendliche, die in erster Linie ihren Spaß haben wollen), die bei einem zunehmenden Einfluss faschistischer Parteien tatsächlich in Gefahr geraten, ihre Posten im Rahmen des kapitalistischen Systems an die Parteigänger der NPD zu verlieren. Dabei denken sie aber doch nicht im Traum daran, das kapitalistische Wesen des bürgerlichen Staates, der gerade der ihre ist und von ihnen hauptsächlich getragen wird, in Zweifel zu ziehen oder diesen gar zu bekämpfen. Ganz im Gegenteil, sie wollen ihn behalten, genauso wie er ist, ihn konservieren und gegen alle Angriffe anderer - in diesem Falle der Faschisten - verteidigen. Es sind also konservative, gesellschaftlich betrachtet sogar rückschrittliche Personen, mit denen die MLPD hier zusammenarbeitet. Das kann insofern nicht überraschen, weil die MLPD selber ihre Klassenbasis im Kleinbürgertum hat. Dass übrigens die Faschisten noch reaktionärere Einstellungen haben, beweist doch nicht die Fortschrittlichkeit des kleinbürgerlichen Antifaschismus! Um ein Bild zu gebrauchen: Eine versalzene Suppe wird nicht dadurch schmackhafter und gesünder, weil eine andere Suppe noch stärker versalzen ist: Eine richtig gesalzene Suppe wäre die Alternative und zwar nicht nur aus dialektischer Sicht. Die MLPD hat sich so sehr von den Klassenpositionen des Proletariats entfernt, dass ihr die beschriebenen Sachverhalte gar nicht mehr aufzufallen scheinen.

Es sei noch darauf hingewiesen, dass es weitere, ernsthafte Kritikpunkte an der Ideologie und Politik der MLPD gibt. So beispielsweise ihre Behauptung, nach dem Tode Stalins sei in der Sowjetunion der Kapitalismus restauriert worden. Die angeblich neue Bourgeoisie, die Nomenklatura, die sich nach seinem Tode ausbreitete (abgesehen davon war sie natürlich auch schon vor seinem Tode vorhanden, nur vielleicht für manche nicht so offensichtlich erkennbar) besaß weder die Produktionsmittel (allenfalls hatte sie die Verfügungsgewalt über sie) noch mussten die Arbeiter ihre Arbeitskraft als Ware auf dem freien Markt verkaufen, denn ihre Arbeitsplätze waren staatlich garantiert. Diese angeblich kapitalistische Nomenklatura wehrte sich am heftigsten gegen die tatsächliche Einführung des Kapitalismus unter Gorbatschow. Es würde aber zu weit führen, diese Kritik an dieser Stelle weiter auszuführen. Dazu gehört auch der Hinweis, dass natürlich bereits unter Stalin die Macht der Arbeiterräte längst durch eine bürokratische Schicht, die eben erwähnte Nomenklatura, abgelöst worden war.

Abschließend soll nicht verschwiegen werden, dass in den beiden genannten Punkten die IKS (Internationale Kommunistische Strömung) Positionen vertritt, die man als Marxist weitaus besser nachvollziehen kann, weil sie strikt zwischen den Interessen der Arbeiter- und Kapitalistenklasse zu unterscheiden vermag. Sicher ist die IKS, nicht zuletzt in Deutschland, eine zahlenmäßig weitaus unbedeutendere Strömung als die MLPD. Wie die Geschichte aber der russischen Revolution zeigt, ist dies unerheblich. Unerheblich vor allem dann, sobald sich eine revolutionäre Situation ergibt. Es geht nicht darum, wer jetzt die meisten Infostände aufbauen kann oder wer heute bei Gewerkschaftsdemonstrationen die „schönsten" Transparente mit sich rumschleppt, sondern darum, was für eine Information, welche Ideologie, Strategie und Taktik für den zukünftigen Kampf dabei rübergebracht wird. Anders gesagt, wer in der revolutionären Situation in der Lage sein wird, massenwirksam am richtigen Ort das Richtige zu sagen, dem gehört die Zukunft. In einer solchen Situation wird es sich zeigen, wer in der Lage sein wird, die Massen für den Kampf zu mobilisieren und wer nicht. Eine sich vorher „antifaschistisch" ans alte System anbiedernde Kraft wird dabei genauso wenig gefragt sein wie jemand, der jahrzehntelang irgendwelchen Gewerkschaftsführern nachgelaufen ist, deren Interesse stets der Stabilisierung desselben alten Systems gegolten hatte. Eine Perspektive im Sinne eines revolutionären Marxismus sieht jedenfalls anders aus, als es sich die MLPD-Führung heute vorstellt. (Frühjahr 2007).

 

Zusammenstöße zwischen Hamas – Fatah: Die palästinensische Bourgeoisie ist ebenso blutrünstig wie die anderen

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„Für einen freien und selbstständigen Palästinenserstaat - so lautet seit Jahrzehnten der Schlachtruf aller Linken auf dieser Erde. Sie prangern die barbarische Politik des israelischen Staates und die unmenschlichen Bedingungen der Menschen im Gaza-Streifen oder im Westjordanland an. Ihre „Lösung“ lautete stets – die Schaffung einer wahren palästinensischen Nation, mit einem eigenen Staat, einer eigenen Armee, einer eigenen Bourgeoisie.

„Für einen freien und selbstständigen Palästinenserstaat - so lautet seit Jahrzehnten der Schlachtruf aller Linken auf dieser Erde. Sie prangern die barbarische Politik des israelischen Staates und die unmenschlichen Bedingungen der Menschen im Gaza-Streifen oder im Westjordanland an. Ihre „Lösung“ lautete stets – die Schaffung einer wahren palästinensischen Nation, mit einem eigenen Staat, einer eigenen Armee, einer eigenen Bourgeoisie.

Die Bevölkerung in diesem Gebiet ist in der Tat ständig ihrem Elend, einer gewalttätigen Unterdrückung und dem Krieg ausgeliefert. Aber im Gegensatz zu allem Schein, allen „guten Absichtserklärungen“ seitens der Linken dienen ihre Krokodilstränen und humanitär klingenden Aufschreie nur der Rechtfertigung von immer mehr Schrecken und Gewalt. Die Perspektive eines selbstständigen palästinensischen Staates bedeutet in Wirklichkeit eine Sackgasse. Schlimmer noch, sie war immer ein Mythos zur Benebelung und Mobilisierung der palästinensischen Massen in den blutigen Auseinandersetzungen, wobei deren Wut und Verzweiflung ausgeschlachtet wurden, um dem imperialistischen Gemetzel im Mittleren Osten Kanonenfutter zuzuführen.

Die Kämpfe zwischen den Palästinensern während der letzten Wochen belegen dies erneut. Die Bevölkerung geriet ins Sperrfeuer von zwei korrupten und bis an die Zähne bewaffneten Fraktionen, die vorgeben, gemeinsam diesen schönen ‚selbstständigen, menschlicheren Staat“ errichten zu wollen. Tatsächlich aber stürzt der Krieg zwischen Hamas und Fatah die Bevölkerung in einen noch größeren Terror, noch mehr Chaos und Hunger.

Palästinensische Gebiete: Die Errichtung des nationalistischen Mythos‘

Warum kann man sagen, dass der Wunsch nach einem selbstständigen palästinensischen Staat  ein Mythos ist? Hat nicht der nach der ersten Intifada 1987 eingeleitete „Friedensprozess“ das Gegenteil bewiesen? Ende der 1980er Jahre wurden in der Tat offizielle Diskussionen zwischen Israel und Repräsentanten der palästinensischen Bourgeoisie eröffnet. Die Organisation für die Befreiung Palästinas (PLO 1) wurde als „Repräsentant des palästinensischen Volkes“ durch die UNO anerkannt. Diese Organisation handelte anschließend das Osloer Abkommen mit der israelischen Regierung Yitzak Rabins aus, was zur Schaffung der Palästinensischen Autonomiebehörde führte. Nachdem sie 1988 einen eigenen Palästinenserstaat ausgerufen hatte, erhielt die PLO bei der UNO einen permanenten Beobachterstatus. 1996 änderte die PLO gar ihre Charta, die auf die Zerstörung des Staates Israel abzielte. Aber in Wirklichkeit belegte dieser ganze Prozess eigentlich nur, dass es gar keinen eigenständigen Palästinenserstaat geben kann. All diese Abkommen, diese „Fortschritte“, diese „Anerkennungen“ kamen unter dem Druck der USA zustande. Jahrelang verfügten die USA als Supermacht über die Mittel, die imperialistischen Ambitionen aller in dieser Region aktiven Hyänen zu bremsen, den Staat Israel eingeschlossen. Ihr Interesse bestand darin, dass die Lage in Palästina unter ihrer Vorherrschaft so ruhig wie möglich blieb.

Um ihre imperialistischen Interessen zu verteidigen, waren die USA Ende der 1990er Jahre dazu gezwungen, ihre Strategie zu ändern und an der Seite der israelischen Bourgeoisie eine immer offensivere Politik gegenüber der palästinensischen Bourgeoisie zu betreiben. Daraufhin stürzte das palästinensische „Volk“ noch mehr in Not und Verzweiflung.

2000 legte die zweite Intifada dieses Elend bloß. Unvergessen sind die mit Lumpen bekleideten Kinder, die israelische Panzer  verzweifelt mit Steinen bewerfen. Unvergessen sind die in den Lagern eingepferchten Menschen, von denen viele ermordet wurden. Für die Palästinensische Autonomiebehörde und die PLO war es ein willkommener Anlass, um gemeinsam mit allen Linken ihr nationalistisches Gift zu verbreiten und die Forderung zu erheben, dass auch die Palästinenser Anspruch auf einen Staat hätten. Diese nationalistische Sprache versuchte nicht einmal, all die Skandale, den ganzen Betrug und die Ermordungen, an denen die verschiedenen Fraktionen der palästinensischen Bourgeoisie - PLO, Fatah und Hamas - beteiligt waren,  zu vertuschen.

Der Gaza-Streifen – ein Bündel imperialistischer Spannungen

Heute kann der Konflikt zwischen Hamas und Fatah nicht mehr vertuscht werden. Er hat sich zu einem totalen Krieg entwickelt, bei dem der jeweilige Gegner vernichtet werden soll. Jede der beteiligten bürgerlichen Fraktionen hat sich mit ausländischen imperialistischen Mächten verbündet. Dies ist das wahre Gesicht – Blut, Krieg und imperialistische Allianzen; wenn es nach den Linken geht, sollten wir bürgerliche palästinensische Fraktionen unterstützen.

Der Gaza-Streifen befindet sich heute in den Händen der Hamas, man hat ihn gar in ‚Hamastan’ umbenannt. Diese 1978 von Scheich Yassin gegründete Fraktion verfolgt eine sunnitische Ausrichtung. Ihr militärischer Arm ist unter dem Namen Mudschahedin aktiv. Sie unterhält Ausbildungslager im Libanon, Sudan und Iran. Durch ihre Unterstützung hoffen Syrien und vor allem der Iran darauf, von der Schwächung der USA zu profitieren und ihre eigenen Schützlinge in Stellung zu bringen.

Was die Fatah betrifft, ist es kein Zufall, dass ihre bewaffneten Kämpfer nach Ägypten oder Jordanien flüchten konnten. In arabischen Staaten neigen die schiitischen und sunnitischen Gruppen immer mehr zu Zusammenstößen. Länder mit einer sunnitischen Bevölkerungsmehrheit wie Ägypten, Jordanien oder Saudiarabien sind besonders besorgt wegen des Machtzuwachs des schiitisch dominierten Irans. Diese Staaten versuchen also die dahinsiechende Regierung von Mahmud Abbas zu unterstützen. All diese Unterstützungen sind keineswegs beseelt von einer Sorge um das Wohlergehen der  palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen. Die Besorgnis ist sogar so groß, dass Ägypten auch den Einsatz von multinationalen Verbänden im Gazastreifen vorgeschlagen hat, der auch ohne die Zustimmung der palästinensischen Gruppen oder Israel durchgeführt werden sollte.

In den letzten Tagen haben sich all diese imperialistischen Haie, von den großen bis zu den kleinen, getroffen, um eine Eindämmung des Chaos anzustreben. In Scharm El Sheich haben Abbas und Olmert, der ägyptische Präsident Mubarak und der jordanische König Abdallah nach Mitteln zur Unterstützung der auseinanderfliegenden Fatah erörtert.

Der Mittlere Osten am Rande des Abgrunds

Das Drama im Gazastreifen offenbart, dass der ganze asiatische Kontinent am Abgrund kriegerischer Konflikte steht. Heute gibt es dort vier Epizentren von Konflikten und Spannungen: Irak, Iran, Syrien, Libanon und daneben den israelisch-palästinensischen Konflikt. Auch wenn diese Konflikte jeweils ihre eigene kriegerische und barbarische Dynamik haben, sind sie dabei, sich teilweise zu verschmelzen, so dass es nunmehr unmöglich wird, ihre tiefergehende Dynamik auseinanderzuhalten. Einige Wochen vor den kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen wurde diese komplexe Dynamik uns vor Augen geführt durch die bewaffneten Zusammenstöße im Palästinenserlager Nah El Bared im Norden Libanons zwischen der libanesischen Armee und den von Fata-Al-Ilsam unterstützten Milizen, die wahrscheinlich wiederum von Syrien Hilfe erhalten. Die israelische Presse kommentierte dazu: „Die israelische Presse erörtert die Möglichkeit der Auslösung von Militäroperationen gegen Damaskus von diesem Sommer an, die politischen Führer werden aufgefordert, Entscheidungen zu treffen“.  Das Chaos im Gazastreifen wird sich notwendigerweise auf die anderen Palästinenserlager im Libanon und Jordanien ausdehnen. Die palästinensische Regierung Abbas übt nur noch die Kontrolle in einigen wenigen Gebieten im Westjordanland aus. Ihre Macht wird noch weiter abnehmen; die Zusammenstöße zwischen Hamas und Fatah werden sich noch weiter verschärfen. Der Kampf um eine palästinensische Nation war seit jeher nur eine Verschleierung in den Händen der verschiedenen bürgerlichen palästinensischen Fraktionen, um die Arbeiter und die anderen Teile der Bevölkerung auf die Schlachtbank zu führen. Die von Hamas und Fatah betriebene Politik und die nunmehr nicht mehr abreißenden gewalttätigen Auseinandersetzungen zeigen, wohin dies führt: in die Barbarei und ins Nichts.    Rossi, 6.Juli 2007 (aus der Zeitung der IKS in Frankreich).

 (1) Die PLO wurde 1964 gegründet, sie setzte sich aus mehreren Organisationen zusammen – dazu gehörten Fatah, die Volksfront für die Befreiung Palästinas (FPLP) und die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (FDLP).

August 2007

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Arbeitsniederlegungen in Krefeld

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Durch eine Vertreterin des Netzwerks Linke Opposition, die im Juli 2007 an unserer öffentlichen Diskussionsveranstaltung in Köln teilgenommen hat, haben wir über den Streik der Arbeiter der Firma Gellep-Stratum in Krefeld erfahren. Wichtig an diesem Streik ist die Solidarität, die dadurch zum Ausdruck gekommen ist, dass die ArbeiterInnen für ihre kranken und behinderten Kollegen gestreikt haben, die entlassen werden sollten. Ferner ist die Tatsache von großer Wichtigkeit, dass die ArbeiterInnen ohne Gewerkschaft gestreikt haben. Sie haben ihren Streik selber in die Hand genommen, haben ihn selber organisiert und durchgeführt.

Langsam beginnt sich wieder die Tendenz hin zu wilden Streiks zu zeigen, welche nach 1968 international so stark zum Ausdruck kam, um dann vor allem nach 1989 (Fall der Mauer) eine Zeitlang in den Hintergrund zu treten. Ausdrücke dieser Bewegung der unterirdischen Reifung, sind gerade das selbstständige Handeln der Klasse ohne Gewerkschaften und die Solidarität. Das Besondere an der Solidarität der Gellep-Stratum Belegschaft ist, dass sie sich schützend vor ihre kranken und behinderten Kollegen gestellt haben, derer sich die Geschäftsleitung in völligem Einklang mit der kapitalistischen Logik entledigen wollte. Wir alle kennen zu Genüge die hehren Sonntagsreden von verschiedenen Vertretern der Bourgeoisie, dass unsere demokratische Gesellschaft die „Schwächeren" schütze. Wer aber die „Schwächeren" in unserer Gesellschaft wirklich verteidigt, hat dieser Streik gezeigt: die Arbeiterklasse. Die Solidarität ist ein Wesensmerkmal der Arbeiterklasse, ohne die sie nicht kämpfen könnte. Die Solidarität der Arbeiterklasse bedeutet auch, dass man ein Bewusstsein darüber hat, dass ein Angriff der Bourgeoisie gegen einen Teil der Klasse einen Angriff gegen die gesamte Klasse bedeutet. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass wir in den öffentlichen Medien möglichst wenig über Streiks wie bei Gellep-Stratum lesen können, weil die Arbeiterklasse ja erfahren könnte, dass man kämpfen kann und vor allem, dass sich das kämpfen lohnt!

IKS, August 2007

 

Gellep-Stratum: Kündigungen - Kollegen legen Werk lahm

Die Belegschaft des Autoteile-Herstellers TRW setzte sich durch: Die zehn Entlassungen sind „vom Tisch“.

Krefeld. Mit einer in heutiger Zeit ungewöhnlichen Solidaritätsaktion hat die 454-köpfige Belegschaft des Autoteileherstellers TRW Automotive GmbH in Gellep-Stratum die Werksleitung derart unter Druck gesetzt, dass zehn geplante Kündigungen nun vom Tisch sind. Die Mitarbeiter ließen einfach drei Schichten ausfallen. Acht Stunden standen sie jeweils auf dem Parkplatz des Werkes am Heidbergsweg.

Peter Behr, IG-Metall-Bevollmächtigter in Krefeld, war selbst überrascht. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, teilte er am Donnerstag mit. Das wegen zunehmenden Einsatzes von Leiharbeitern abseits des Haustarifvertrages ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Betriebsrat und Werksleitung hatte vergangene Woche seinen Tiefpunkt erreicht.

Da legte der Arbeitgeber fünf Kündigungsanträge für Dauerkranke (länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, bekommen keine Bezüge der Firma mehr) vor und offenbarte, auch noch fünf Schwerbehinderte entlassen zu wollen. Grund: Der Personalstand sei zu hoch, der Krankenstand ebenfalls.

Als der Werksleiter am vergangenen Freitag kurzfristig Mehrarbeit beantragte, so der Betriebsrat in seinem Flugblatt „Jagdzeiten 4“, habe er versichert, dass die beabsichtigten Kündigungen „auf Eis“ gelegt würden und noch keine Kündigung ausgesprochen worden sei. Fünf Minuten später habe dem Betriebsrat das Fax einer eigenhändig vom Chef unterschriebenen Kündigung vorgelegen.

Sonntagabend erschien die Nachtschicht um 22 Uhr – und blieb auf dem Parkplatz vor dem Werkstor stehen. Ebenso verfuhren die beiden folgenden Schichten. Die Leiharbeiter einer Zeitarbeitsfirma wurden heimgeschickt.

 Nach 24 Stunden hatten die TRW-Mitarbeiter gesiegt. Unter Mitarbeit der Gewerkschaft und des Arbeitgeberverbandes wurde vereinbart, dass alle zehn Kündigungen vom Tisch sind, zwei Betriebsratsmitglieder bis zur nächsten Wahl freigestellt bleiben und jede Maßregelung von Beschäftigten unterbleibt. Nur die ausgefallene Arbeitszeit bekommen die Solidaritäts-Streikenden nicht bezahlt; sie können ihr Arbeitszeitkonto heranziehen.

In Gellep werden Querlenker und Spurstangen gefertigt

Weder Werksleiter noch Personalchef in Gellep-Stratum oder der für Europa zuständige Personalchef mit Sitz in Koblenz war en für die WZ erreichbar. „TRW Automotive Chassis Systems“ mit Standort Michigan (USA) beschäftigt weltweit 61 000 Mitarbeiter, in Deutschland an 19 Standorten 12 200. Am Heidbergsweg werden für Pkw Querlenker, Rad- und Flanschgelenke sowie Bremsmodule und für Lkw Lenk- und Spurstangen gefertigt.

06.04.2007
Von Alexander Alber/Westdeutsche Zeitung,

September 2007

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17. Kongress der IKS: Resolution zur internationalen Lage

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Resolution zur internationalen Lage

1. Einer der wichtigsten Faktoren, die das derzeitige Leben der kapitalistischen Gesellschaft prägen, ist ihr Eintritt in die Zerfallsphase. Die IKS hat bereits seit dem Ende der achtziger Jahre auf die Ursachen und Wesenszüge dieser Zersetzungsphase der Gesellschaft hingewiesen. Sie hat insbesondere die folgenden Tatsachen hervorgehoben:

a) Die Phase des Zerfalls des Kapitalismus ist ein wesentlicher Bestandteil der Dekadenzperiode dieses Systems, die mit dem Ersten Weltkrieg eröffnet wurde (wie dies die große Mehrheit der Revolutionäre zu jenem Zeitpunkt erkannt hatte). In diesem Zusammenhang behält sie die Haupteigenschaften bei, die der Dekadenz des Kapitalismus eigen sind, wobei aber neue, bislang unbekannte Merkmale im gesellschaftlichen Leben hinzukommen.

b) Sie stellt die letzte Phase dieses Niedergangs dar, in der sich nicht nur die verhängnisvollsten Erscheinungen der vorhergehenden Phasen häufen, sondern das gesamte gesellschaftliche Gebäude am lebendigen Leib verfault.

c) Praktisch alle Aspekte der menschlichen Gesellschaft sind durch den Zerfall betroffen, auch und besonders jene, die für ihr Schicksal entscheidend sind, wie die imperialistischen Konflikte und der Klassenkampf. In diesem Sinn und vor dem Hintergrund der Zerfallsphase mit all ihren Begleiterscheinungen ist die gegenwärtige internationale Lage unter ihren hauptsächlichen Gesichtspunkten zu untersuchen, nämlich unter den Gesichtspunkten der wirtschaftlichen Krise des kapitalistischen Systems, der Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse insbesondere auf der imperialistischen Bühne und schließlich unter dem Gesichtspunkt des Kampfes zwischen den zwei wesentlichen Gesellschaftsklassen, der Bourgeoisie und dem Proletariat.

2. Paradoxerweise ist die wirtschaftliche Lage des Kapitalismus am geringfügigsten vom Zerfall beeinträchtigt. Dies verhält sich hauptsächlich deshalb so, weil es gerade diese wirtschaftliche Lage ist, die in letzter Instanz die anderen Aspekte des Lebens dieses Systems bestimmt, einschließlich jener, die sich aus dem Zerfall ergeben. Ähnlich wie schon die Produktionsweisen, die dem Kapitalismus vorausgegangen waren, ist auch die kapitalistische Produktionsweise nach der Epoche ihres Aufstiegs, die Ende des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht hatte, zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Epoche ihres Niedergangs eingetreten. Die eigentlichen Ursachen dieser Dekadenz sind, wie auch bei den früheren Wirtschaftsordnungen, die wachsenden Spannungen zwischen den sich entwickelnden Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen. Was konkret den Kapitalismus angeht, dessen Entwicklung durch die Eroberung außerkapitalistischer Märkte bedingt ist, so war der Erste Weltkrieg das erste bedeutende Anzeichen seiner Dekadenz. Als die koloniale und wirtschaftliche Eroberung der Welt durch die kapitalistischen Metropolen abgeschlossen war, waren diese dazu gedrängt, sich um die bereits verteilten Märkte zu streiten. In der Folge trat der Kapitalismus in eine neue Periode seiner Geschichte ein, die 1919 von der Kommunistischen Internationale als Ära der Kriege und der Revolutionen bezeichnet wurde. Das Scheitern der revolutionären Welle, die aus dem Ersten Weltkrieg entstanden war, ebnete so den Weg zu wachsenden Erschütterungen der kapitalistischen Gesellschaft: die große Rezession der dreißiger Jahre und ihre Folge, der Zweite Weltkrieg, der noch viel mörderischer und barbarischer war als der Erste Weltkrieg. Die darauffolgende Phase, von einigen bürgerlichen "Experten" als die "glorreichen Dreißig" bezeichnet, ließ die Illusion aufkommenen, dass der Kapitalismus seine zerstörerischen Widersprüche überwunden habe, eine Illusion, der selbst Strömungen erlegen waren, die sich auf die kommunistische Revolution beriefen. Ende der 1960er Jahre folgte auf dieser "Wohlstandsära", die sowohl auf zufälligen Umständen als auch auf spezifischen Gegenmaßnahmen zur Abmilderung der Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise beruhte, erneut die offene Krise der kapitalistischen Produktionsweise, die sich Mitte der 70er Jahre noch verschärfte. Diese offene Krise des Kapitalismus deutete wieder auf die Alternative, die schon von der Kommunistischen Internationale angekündigt worden war: Weltkrieg oder Entwicklung der Arbeiterkämpfe mit der Perspektive der Überwindung des Kapitalismus. Der Weltkrieg ist im Gegensatz zu dem, was bestimmte Gruppen der Kommunistischen Linken denken, keineswegs eine "Lösung" der Krise, die es dem Kapitalismus erlauben würde, "sich zu regenerieren" und dynamisch einen neuen Zyklus zu beginnen. Die Sackgasse, in der sich dieses System befindet, die Zuspitzung der Spannungen zwischen den nationalen Sektoren des Kapitalismus führt auf der militärischen Ebene unweigerlich in die Flucht nach vorn, an deren Ende der Weltkrieg steht. Tatsächlich haben sich infolge der wachsenden wirtschaftlichen Zwänge des Kapitalismus die imperialistischen Spannungen ab den 1970er Jahren zugespitzt. Aber sie konnten nicht in dem Weltkrieg münden, da sich die Arbeiterklasse 1968 von ihrer historischen Niederlage wieder erholt hatte und sich gegen die ersten krisenbedingten Angriffe zur Wehr setzte. Trotz ihrer Fähigkeit, die einzig mögliche Perspektive (sofern man hier von "Perspektive" sprechen kann) der Bourgeoisie zu vereiteln, und trotz einer seit Jahrzehnten ungekannten Kampfbereitschaft, konnte aber auch die Arbeiterklasse ihre eigene Perspektive, die kommunistische Revolution, nicht in Angriff nehmen. Genau diese Konstellation, in der keine der beiden entscheidenden Klassen der Gesellschaft ihre Perspektive durchsetzen kann, in der sich die herrschende Klasse darauf beschränken muss, tagtäglich und sukzessiv das Versinken ihrer Wirtschaft in einer unüberwindbaren Krise zu "verwalten", ist die Ursache für den Eintritt des Kapitalismus in seine Zerfallsphase.

3. Eines der deutlichsten Anzeichen der fehlenden historischen Perspektive ist die Entwicklung des "Jeder-für-sich", das alle Ebenen der Gesellschaft, vom Individuum bis zu den Staaten, betrifft. Doch wäre es falsch zu meinen, dass es seit dem Beginn der Zerfallsphase im wirtschaftlichen Leben des Kapitalismus eine prinzipielle Änderung gegeben habe. Denn das "Jeder-für-sich", die Konkurrenz aller gegen alle gehört seit eh und je zum Wesen der kapitalistischen Produktionsweise Mit Eintritt in seine Dekadenzphase konnte der Kapitalismus diese Eigenschaften nur durch eine massive Intervention des Staates in die Wirtschaft bändigen; solche Staatsinterventionen begannen im Ersten Weltkrieg und wurden in den 1930er Jahren insbesondere mit den faschistischen und keynesianischen Programmen reaktiviert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde dieser Staatsinterventionismus durch die Etablierung von internationalen Organisationen wie den IWF, die Weltbank und die OECD ergänzt, denen später die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgte (die Vorläuferin der heutigen Europäischen Union). Zweck dieser Institutionen war es, zu verhindern, dass die wirtschaftlichen Widersprüche in einer allgemeinen Auflösung münden, wie dies nach dem "Schwarzen Donnerstag" von 1929 der Fall gewesen war. Trotz aller Reden über den "Triumph des Liberalismus" und das "Gesetz des freien Marktes" verzichten die Staaten heute weder auf Interventionen in die Wirtschaft noch auf Strukturen, die die Aufgabe haben, die internationalen Beziehungen wenigstens ansatzweise zu regulieren. Im Gegenteil: in der Zwischenzeit sind weitere Institutionen geschaffen worden, wie beispielsweise die Welthandelsorganisation. Doch weder jene Programme noch diese Organisationen haben es erlaubt, die Krise des Kapitalismus zu überwinden, auch wenn sie das Tempo derselben beträchtlich gebremst hatten. Trotz ihrer Reden über die "historischen" Wachstumsraten der Weltwirtschaft und die außergewöhnlichen Leistungssteigerungen der beiden asiatischen Riesen, Indien und insbesondere China, ist es der Bourgeoisie nicht gelungen, mit der Krise fertig zu werden. In Tat und Wahrheit ist Letztere keineswegs Auswuchs eines "schlechten" Kapitalismus, der seine Verantwortung dafür "vergessen" habe, in wirklich produktive Sektoren zu investieren. Wie Marx schon im 19. Jahrhundert festgestellt hat, ist die Spekulation eine Folge der Tatsache, dass die Kapitalbesitzer angesichts des Mangels an zahlungskräftigen Absatzmärkten für ihre produktiven Investitionen es vorziehen, ihr Kapital zwecks Gewinnmaximierung kurzfristig in eine gigantische Lotterie zu stecken, eine Lotterie, die heute den Kapitalismus in ein weltumspannendes Kasino verwandelt hat. Der Wunsch, dass der Kapitalismus heutzutage auf die Spekulation verzichtet, ist so realistisch wie der Wunsch, dass aus Tigern Vegetarier werden. Darüber hinaus stellt die extreme Exportabhängigkeit der chinesischen Wirtschaft einen empfindlichen Punkt im Falle eines Nachfragerückgangs dar, eines Rückgangs, der unweigerlich kommen wird, insbesondere wenn die amerikanische Wirtschaft gezwungen wird, etwas Ordnung in die schwindelerregende Schuldenwirtschaft zu bringen, die es ihr momentan erlaubt, die Rolle der "Lokomotive" der weltweiten Nachfrage zu spielen. So wie das "Wunder" der asiatischen "Tiger" und "Drachen", die durch zweistellige Wachstumsraten geglänzt hatten, 1997 ein schmerzhaftes Ende fand, wird das heutige "chinesische Wunder", auch wenn es andere Ursachen hat und über wesentlich ernsthaftere Trümpfe verfügt, früher oder später unweigerlich in der historischen Sackgasse der kapitalistischen Produktionsweise landen. .

4. Die Gründe für die Wachstumsraten im weltweiten Bruttosozialprodukt im Laufe der letzten Jahre, welche die Bourgeois und ihre intellektuellen Lakaien in Euphorie versetzen, sind grundsätzlich nicht neu. Es sind dieselben wie jene, die verhindert haben, dass die Sättigung der Märkte, die den Ausbruch der Krise Ende der 1960er Jahre bewirkte, die weltweite Wirtschaft vollständig erdrosselt hatte; sie lassen sich unter dem Begriff der wachsenden Verschuldung subsummieren. Gegenwärtig stellt die gewaltige Verschuldung der amerikanischen Wirtschaft - sowohl in ihrem Staatsbudget als auch in ihrer Handelsbilanz - die wichtigste "Lokomotive" für den weltweiten Wachstum dar. Effektiv handelt es sich dabei um eine Flucht nach vorn, die weit entfernt davon ist, die Widersprüche des Kapitalismus zu lösen und uns nur eine noch schmerzhaftere Zukunft beschert, mit einer brutalen Verlangsamung des Wachstums, wie dies seit mehr als dreißig Jahren immer wieder der Fall gewesen war. Schon jetzt lösen die Gewitterwolken, die sich im Immobiliensektor in den Vereinigten Staaten - einer wichtigen Triebkraft der nationalen Ökonomie - mit der Gefahr von katastrophalen Bankenpleiten zusammenbrauen, große Sorgen in den maßgeblichen Wirtschaftskreisen aus. Diese Sorgen werden verstärkt durch die Aussicht auf andere Pleiten, die von "Hedgefonds" (spekulative Fonds) ausgehen, wie das Beispiel von Amaranth im Oktober 2006 veranschaulicht hat. Die Bedrohungslage ist um so ernsthafter, als diese Gebilde, deren Zweck darin besteht, kurzfristig große Profite zu machen, indem mit den Kursänderungen bei den Währungen oder den Rohstoffen spekuliert wird, keineswegs Heckenschützen des internationalen Finanzsystems sind. Vielmehr platzieren die "seriösesten" Finanzinstitute einen Teil ihrer Guthaben in diesen "Hedgefonds". So sind die in diesen Fonds investierten Summen derart gewaltig, dass sie dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt eines Landes wie Frankreich gleichkommen, wobei sie wiederum einem noch sehr viel beträchtlicheren Kapitalverkehr als "Transmissionsriemen" dienen (etwa 700.000 Milliarden Dollar im Jahr 2002, das heißt 20 Mal mehr als die Transaktionen von Gütern und Dienstleistungen, also der "realen" Produkte). Und es gibt keine Weisheiten von "Globalisierungsgegnern" und anderen Gegnern der "Verfinanzung" der Wirtschaft, die daran auch nur das Geringste ändern könnten. Diese politischen Strömungen möchten einen "sauberen", "gerechten" Kapitalismus, der insbesondere die Spekulation unterbindet.

5. Die außergewöhnlichen Wachstumsraten, die gegenwärtig Länder wie Indien und insbesondere China erleben, stellen in keiner Weise einen Beweis für einen "frischen Wind" in der Weltwirtschaft dar, selbst wenn sie im Laufe der letzten Zeit beträchtlich zum erhöhten Wachstum derselben beigetragen haben. Die Grundlage dieses außergewöhnlichen Wachstums in beiden Ländern wiederum ist paradoxerweise die Krise des Kapitalismus. In der Tat resultiert die wesentliche Dynamik dieses Wachstums aus zwei Faktoren: den Ausfuhren und den Investitionen von Kapital, das aus den höchstentwickelten Ländern stammt. Wenn der Handel dieser Länder sich immer mehr auf Güter verlagert, die in China statt in den "alten" Industrieländern hergestellt werden, so geschieht dies, weil sie zu sehr viel niedrigeren Preisen verkauft werden können, was immer mehr zum obersten Gebot wird, je gesättigter die Märkte sind und je schärfer die Handelskonkurrenz wird. Gleichzeitig erlaubt dieser Prozess dem Kapital, die Kosten der Arbeitskraft in den Industrieländern zu vermindern. Der gleichen Logik gehorcht auch das Phänomen der "Auslagerung", des Transfers der Industrieproduktion der großen Unternehmen in Länder der Dritten Welt, wo die Arbeitskräfte unvergleichlich billiger sind als in den höchstentwickelten Ländern. Es ist übrigens festzustellen, dass die chinesische Wirtschaft einerseits von diesen "Auslagerungen" auf ihr eigenes Territorium profitiert, andererseits aber selbst dazu tendiert, genauso gegenüber Ländern zu verfahren, wo die Löhne noch niedriger sind.

6. Das "zweistellige Wachstum" Chinas (insbesondere seiner Industrie) findet vor dem Hintergrund einer hemmungslosen Ausbeutung der Arbeiterklasse dieses Landes statt, die oft Lebensbedingungen kennt, die mit jenen der englischen Arbeiterklasse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergleichbar sind – Arbeitsbedingungen, die von Engels 1844 in seinem bemerkenswerten Werk Die Lage der arbeitenden Klasse in England angeprangert wurden. Für sich genommen sind diese Bedingungen kein Kennzeichen des Bankrotts des Kapitalismus, denn dieses System hat sich einst mithilfe einer ebenso barbarischen Ausbeutung des Proletariats aufgemacht, die Welt zu erobern. Und doch gibt es grundlegende Unterschiede zwischen dem Wirtschaftswachstum und den Bedingungen der Arbeiterklasse in den ersten kapitalistischen Ländern des 19. Jahrhunderts einerseits und denjenigen im heutigen China andererseits:

- in den Erstgenannten hat die Erhöhung der Zahl der Industriearbeiter in dem einen Land nicht mit einer Verminderung in dem anderen korrespondiert; vielmehr haben sich die Industriesektoren in Ländern wie England, Frankreich, Deutschland oder den Vereinigten Staaten parallel entwickelt. Gleichzeitig haben sich die Lebensbedingungen des Proletariats insbesondere dank seines Widerstandes während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig verbessert;

- was das heutige China betrifft, so wächst die Industrie dieses Landes (wie die anderer Länder der Dritten Welt) auf Kosten zahlreicher Industriesektoren, die in den alten kapitalistischen Ländern verschwinden; gleichzeitig sind die "Auslagerungen" Waffen eines allgemeinen Angriffs auf die Arbeiterklasse dieser Länder, eines Angriffs, der begonnen hat, lange bevor die "Auslagerungen" zur gängigen Praxis geworden sind. Doch die Auslagerungen von Produktionsstätten erlaubt es der Bourgeoisie, den Angriff in puncto Arbeitslosigkeit, berufliche Dequalifizierung, Verelendung und Senkung des Lebensstandards zu intensivieren.

Somit ist das "chinesische Wunder" und anderer Länder der Dritten Welt weit entfernt davon, einen "frischen Wind" für die kapitalistische Wirtschaft darzustellen. Es ist nichts anderes als eine Variante des niedergehenden Kapitalismus.

7. In keinem Land dieser Erde kann die Wirtschaft den Zwangsläufigkeiten der Dekadenz entgehen. Und das mit gutem Grund, denn die Dekadenz geht vor allem von der ökonomischen Frage aus. Dennoch äußern sich heute die deutlichsten Zeichen des Zerfalls nicht auf der ökonomischen Ebene. Vielmehr zeigen sie sich im politischen Bereich der kapitalistischen Gesellschaft, in den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Sektoren der herrschenden Klasse und insbesondere in den imperialistischen Auseinandersetzungen. So trat das erste bedeutende Anzeichen für den Eintritt des Kapitalismus in die Zerfallsphase auf der Ebene der imperialistischen Konflikte auf: des Zusammenbruchs des imperialistischen Ostblocks Ende der 1980er Jahre, der sehr schnell auch die Auflösung des westlichen Blocks nach sich zog. Es sind heute also vor allem die politischen, diplomatischen und militärischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Staaten, in denen sich das "Jeder-für-sich", das Hauptmerkmal der Zerfallsphase, äußert. Das Blocksystem im Kalten Krieg beinhaltete zwar die Gefahr eines dritten Weltkrieges (der allerdings nicht ausbrach, weil seit Ende der 1960er Jahre die internationale Arbeiterklasse im Weg stand); gleichzeitig ermöglichte jedoch die Existenz der Blöcke, dass die imperialistischen Spannungen gewissermaßen in "geordnete Bahnen" gelenkt wurden, vor allem durch die Kontrolle, die in beiden Lagern durch die jeweils führende Macht ausgeübt wurde. Seit 1989 ist die Situation eine völlig andere. Zwar hat sich die akute Gefahr eines Weltkrieges vermindert, doch gleichzeitig fand eine wahre Entfesselung imperialistischer Rivalitäten und lokaler Kriege unter direkter Beteiligung der größeren Mächte statt, allen voran der USA. Das weltweite Chaos, das seit dem Ende des Kalten Krieges um sich griff, zwang die USA, ihre Rolle als "Weltpolizist", die sie seit Jahrzehnten spielt, noch zu verstärken. Jedoch führt dies keineswegs zu einer Stabilisierung der Welt; den USA geht es nur noch darum, krampfhaft ihre führende Rolle aufrechtzuerhalten. Eine Führungsrolle, die vor allem durch die ehemaligen Verbündeten permanent in Frage gestellt wird, da die Grundvoraussetzung der ehemaligen Blöcke, die Bedrohung durch den anderen Block, nicht mehr existiert. In Ermangelung der "sowjetischen Gefahr" bleibt das einzige Mittel für die USA zur Durchsetzung ihrer Disziplin das Ausspielen ihrer größten Stärke - der absoluten militärischen Überlegenheit. Dadurch wird die Politik der USA selbst zu einem der stärksten Zerrüttungsfaktoren der Welt. Seit Beginn der 1990er Jahre häufen sich die Beispiele dafür: Der erste Golfkrieg 1991 hatte zum Ziel, die sich auflösenden Verbindungen zwischen den Ländern des ehemaligen Westblocks wieder fester zu schnüren (es ging nicht, wie vorgetäuscht, um die "Verteidigung des verletzten Völkerrechts" und gegen die Besetzung Kuwaits durch den Irak). Kurz darauf zerrissen die Bande unter den Ländern des ehemaligen westlichen Blocks gänzlich: Deutschland schürte das Feuer in Jugoslawien, indem es Slowenien und Kroatien ermunterte, ihre Unabhängigkeit zu erklären. Frankreich und Großbritannien bildeten erneut, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eine "Große Allianz", indem sie gemeinsam die imperialistischen Interessen Serbiens unterstützten, und die USA spielten sich als die Beschützer der Muslime Bosniens auf.

8. Die Niederlage der US-Bourgeoisie während der 1990er Jahre in den verschiedenen Militäroperationen, mit denen sie ihre Führungsrolle verankern wollte, hat sie dazu gezwungen, einen neuen "Feind" der "freien Welt" und der Demokratie zu suchen, mit dem sie die Großmächte, vor allem aber ihre ehemaligen Verbündeten, hinter sich scharen konnte: Sie fand ihn im islamistischen Terrorismus. Die Attentate des 11. September 2001, die in den Augen eines Drittels der amerikanischen Bevölkerung und der Hälfte der Einwohner von New York vom amerikanischen Staat wahrscheinlich so gewollt oder sogar vorbereitet wurden, dienten als Anlass für den neuen Kreuzzug. Fünf Jahre später ist das Ergebnis dieser Politik offenkundig. Wenn die Attentate des 11. September es den USA noch erlaubt hatten, Länder wie Frankreich und Deutschland in ihre Intervention in Afghanistan einzubinden, so hatte es nicht mehr dazu gereicht, diese in das Abenteuer im Irak 2003 zu zwingen. Im Gegenteil hatten diese beiden Länder zusammen mit Russland ein kurzfristiges Bündnis gegen die Intervention im Irak geschmiedet. Auch jene "Verbündete", die anfangs der "Koalition" angehörten, die im Irak intervenierte, wie Spanien und Italien, haben mittlerweile das sinkende Schiff verlassen. Die US-Bourgeoisie hat keines ihrer zu Beginn groß angekündigten Ziele erreicht: weder die Zerstörung von "Massenvernichtungswaffen" im Irak noch die Errichtung einer friedlichen "Demokratie" in diesem Land oder die Stabilisierung und Rückkehr des Friedens in der gesamten Region unter der Ägide der USA, die Zurückdrängung des Terrorismus oder die Akzeptanz der militärischen Interventionen ihres Regimes in der US-Bevölkerung. Das Geheimnis der "Massenvernichtungswaffen" hatte sich schnell gelüftet: Es wurde klar, dass die einzigen im Irak vorhandenen Massenvernichtungswaffen von der "Koalition" selbst mitgebracht worden waren. Dies enthüllte die Lügen, mit denen die Bush-Administration ihre Intervention in dieses Land rechtfertigen wollte. Bezüglich der Zurückdrängung des Terrorismus gilt festzustellen, dass die Invasion im Irak ihm keineswegs die Flügel gestutzt hat, sondern im Gegenteil zu dessen Verstärkung beigetragen hat, sei es im Irak selbst oder in anderen Teilen der Welt so wie auch in den Metropolen des Kapitalismus, wie aus den Anschlägen im März 2004 in Madrid und im Juli 2005 in London ersichtlich wird. Aus der geplanten Errichtung einer friedlichen "Demokratie" im Irak ist lediglich die Installation einer Marionetten-Regierung geworden, die ohne die massive Unterstützung der US-Truppen nicht die geringste Kontrolle über das Land ausüben könnte. Eine "Kontrolle", die sich ohnehin nur auf einige "Sicherheitszonen" beschränkt und den Rest des Landes der gegenseitigen Massakrierung der schiitischen und sunnitischen Bevölkerungsteile sowie den Terroranschlägen überlassen hat, die seit der Entmachtung Saddam Husseins Tausende von Menschenleben gefordert haben. Stabilität und Frieden im Mittleren und Nahen Osten waren noch nie so weit entfernt wie heute. Im 50-jährigen Konflikt zwischen Israel und Palästina hat es in den vergangenen Jahren eine neuerliche Zuspitzung der Situation als Ganzes sowie der Zusammenstöße unter den Palästinensern zwischen Fatah und Hamas gegeben; auch der ohnerhin schon beträchtliche Gesichtsverlust der israelischen Regierung wird immer dramatischer. Zweifellos ist der Autoritätsverlust des amerikanischen Riesen in der Region infolge seiner bitteren Niederlage im Irak eng mit dem Chaos und dem Scheitern des "Friedensprozesses", dem er Paten stand, verknüpft. Dieser Autoritätsverlust ist auch Grund für die vermehrten Schwierigkeiten der NATO-Truppen in Afghanistan und für en Kontrollverlust der Regierung Karzai gegenüber den Taliban. Überdies ist die zunehmende Dreistigkeit, die der Iran bei der Vorbereitung seiner Atomwaffenproduktion an den Tag legt, eine direkte Konsequenz aus dem Versinken der USA im irakischen Sumpf, was Letzteren weitere militärische Interventionen verunmöglicht. Und schlussendlich haben sich die Anstrengungen der US-Bourgeoisie, das "Vietnam-Syndrom" endlich zu überwinden, also den Widerstand innerhalb der heimischen Bevölkerung gegen die Entsendung von Soldaten auf das Schlachtfeld aufzuheben, gerade in ihr Gegenteil verkehrt. Nachdem die Emotionen, die durch die Attentate des 11. September geschürt wurden, zunächst die nationalistischen Aufwallungen, den Willen zur "nationalen Einheit" und die Entschlossenheit, sich am "Kampf gegen den Terrorismus" zu beteiligen, gestärkt hatten, sind mittlerweile die Zweifel am Krieg und an der Entsendung von amerikanischen Truppen wieder erheblich gewachsen. Heute steckt die US-Bourgeoisie im Irak in einer regelrechten Sackgasse. Einerseits haben die USA nicht die militärischen, wirtschaftlichen und politischen Mittel, um in diesem Land irgendeine "Ordnung" wiederherzustellen. Andererseits können die USA es sich nicht erlauben, sich aus dem Irak zurückzuziehen, die Niederlage ihrer Politik offen einzugestehen und den Irak einer totalen Zerstückelung sowie die gesamte Region einer wachsenden Destabilisierung zu überlassen.

9. Die Regierungsbilanz von Bush junior ist sicher eine der katastrophalsten in der Geschichte der USA. Die Beförderung der so genannten "Neokonservativen" an die Staatsspitze 2001 war ein regelrechtes Desaster für die US-Bourgeoisie. Weshalb hat die führende Bourgeoisie der Welt diese Bande von Abenteurern und Stümpern dazu berufen, ihre Interessen zu vertreten? Was war der Grund für die Blindheit der herrschenden Klasse des stärksten kapitalistischen Landes der Welt? Tatsächlich war die Beauftragung der Bande um Cheney, Rumsfeld und Konsorten mit den Regierungsgeschäften keineswegs eine ebenso simple wie gigantische "Fehlbesetzung" durch die US-Bourgeoisie. Wenn sich die Lage der USA auf dem imperialistischen Terrain noch sichtbarer verschlechtert hat, so ist dies vor allem Ausdruck der Sackgasse, in der sich dieses Land schon zuvor durch den zunehmenden Verlust ihrer Führungsrolle befand, und des allgemein herrschenden "Jeder-für-sich" in den internationalen Beziehungen, das die Zerfallsphase kennzeichnet. Dies beweist die Tatsache, dass die erfahrenste und intelligenteste Bourgeoise der Welt, die herrschende Klasse Großbritanniens, sich in das Irak-Abenteuer ziehen ließ. Ein anderes Beispiel für den Hang zu Unheil bringenden imperialistischen Schritten von Seiten der "fähigsten" Bourgeoisien - jener, die bisher meisterlich ihre militärische Stärke ausspielen konnten – ist, eine Nummer kleiner, das katastrophale militärische Abenteuer Israels im Libanon im Jahr 2006. Eine Offensive, die grünes Licht aus Washington erhalten hatte und die Hisbollah schwächen sollte, aber im Gegenteil eine Stärkung dieser Gruppierung zur Folge hatte.

10. Das militärische Chaos, das sich über die Erde ausbreitet und ganze Gebiete in einen Abgrund der Verwüstung stürzt - vor allem im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika – ist keineswegs der einzige Ausdruck der historischen Sackgasse, in der sich der Kapitalismus befindet, und letztlich auch nicht die größte Bedrohung für die Gattung Mensch. Heute wird immer deutlicher, dass die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems und seiner Funktionsweise auch die Zerstörung der Umwelt, die die Entwicklung der Menschheit erst ermöglichte, mit sich bringt. Der anhaltende Ausstoß von Treibhausgasen im heutigen Ausmaß und die Erwärmung des Planeten werden nie dagewesene klimatische Katastrophen auslösen (Orkane, Verwüstungen, Überschwemmungen, usw.), die mit schrecklichen menschlichen Leiden (Hunger, Vertreibung von Millionen von Menschen, Überbevölkerung in den bisher am meisten verschonten Regionen, usw.) einhergehen. Angesichts der unübersehbaren Anzeichen der Umweltzerstörung können die Regierungen und die führenden Teile der Bourgeoisie die Dramatik der Lage und die sich abzeichnenden Katastrophen nicht länger vor der Bevölkerung verheimlichen. Darum präsentieren sich die Bourgeoisien und fast alle bürgerlichen Parteien der Industrieländer im grünen Gewand und versprechen, Maßnahmen zu ergreifen, um die aufkommenden Katastrophen von der Menschheit abzuwenden. Doch mit dem Problem der Umweltzerstörung verhält es sich ähnlich wie mit den Kriegen: Alle Teile der herrschenden Klasse sind gegen den Krieg, und dennoch ist diese Klasse seit dem Eintritt des Kapitalismus in die Dekadenz unfähig, einen Frieden zu garantieren. Hier handelt es sich keinesfalls um eine Frage des guten oder schlechten Willens (auch wenn in den Fraktionen, die den Krieg am eifrigsten anfeuern, die schmutzigsten Interessen zu finden sind). Selbst die "pazifistischsten" Führer der herrschenden Klasse können der objektiven Logik nicht entfliehen, die ihren "humanistischen" Anwandlungen und der "Vernunft" keinen Raum lässt. Im gleichen Maße ist der von den Spitzen der herrschenden Klasse plakativ zur Schau gestellte "gute Wille", die Umwelt zu schützen, angesichts der Zwänge der kapitalistischen Wirtschaft wirkungslos. Meist handelt es sich eh nur um Lippenbekenntnisse, mit denen möglichst viele Wählerstimmen erschlichen werden sollen. Sich dem Problem des Ausstoßes von Treibhausgasen ernsthaft zu stellen würde beträchtliche Veränderungen in der Industrie, der Energieproduktion, dem Transportwesen und den Wohnverhältnissen erfordern und massive Investitionen in diese Sektoren nach sich ziehen. Es würde überdies die gewichtigen ökonomischen Interessen der großen Masse der Unternehmer, aber auch des Staates selbst in Frage stellen. Konkret: Jeder Staat, der die notwendigen Maßnahmen ergreifen würde, um einen wirkungsvollen Beitrag zur Lösung des Problems beizusteuern, fände sich sofort und massiv in seiner Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Markt eingeschränkt. Die Staaten verhalten sich bezüglich der Maßnahmen zur Eindämmung der Erderwärmung so wie die Fabrikanten gegenüber den Lohnerhöhungen der Arbeiter: Sie sind alle dafür… solange die anderen davon betroffen sind. So lange die kapitalistische Produktionsweise besteht, ist die Menschheit dazu verdammt, unter einer immer dickeren Rußschicht zu leiden, die dieses System in seiner Agonie über den Erdball zieht, ein Phänomen, das das System selbst zu bedrohen beginnt. Wie die IKS schon vor mehr als 15 Jahren hervorgehoben hat, bedeutet der zerfallende Kapitalismus eine Bedrohung für das Überleben der Menschheit. Die von Engels Ende des 19. Jahrhunderts formulierte Alternative "Sozialismus oder Barbarei" ist im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einer schrecklichen Realität geworden. Was uns das 21. Jahrhundert in Aussicht stellt, ist in der Tat "Sozialismus oder Zerstörung der Menschheit". Und das ist die Herausforderung, vor der die einzige Klasse in der Gesellschaft steht, die den Kapitalismus überwinden kann, die Arbeiterklasse.

11. Mit dieser Aufgabe ist die Arbeiterklasse konfrontiert, seit sie 1968 wieder auf die historische Bühne getreten war und damit der schlimmsten Konterrevolution in ihrer Geschichte ein Ende bereitet hatte. Ihr Wiederauftreten verhinderte, dass der Kapitalismus seine Lösung für die offene Wirtschaftskrise, den Weltkrieg, durchsetzen konnte. In den darauffolgenden zwei Jahrzehnten fanden Kämpfe der Arbeiterklasse mit all ihren Höhen und Tiefen, Fortschritten und Rückschlägen statt; Kämpfe, die es der Arbeiterklasse erlaubten, Erfahrungen zu sammeln, vor allem über die Rolle der Gewerkschaften als Saboteure des Klassenkampfes. Doch gleichzeitig wurde die Arbeiterklasse zunehmend dem Gewicht des Zerfalls ausgesetzt, was vor allem erklärt, dass die Ablehnung der klassischen Gewerkschaften vom Rückzug in den Korporatismus begeleitet war, eine Folge des Jeder-gegen-Jeden, das selbst im Klassenkampf seinen Ausdruck findet. Es war tatsächlich der Zerfall des Kapitalismus, der durch seine spektakulärste Äußerung, den Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regimes 1989, dieser ersten Reihe von Arbeiterkämpfen ein Ende bereitet hatte. Die ohrenbetäubende Kampagne der Bourgeoisie über das "Ende des Kommunismus", den "endgültigen Sieg des liberalen und demokratischen Kapitalismus" und das "Ende des Klassenkampfes", ja der Arbeiterklasse selbst haben dem Proletariat auf der Ebene des Bewusstseins und der Kampfbereitschaft einen herben Rückschlag versetzt. Dieser Rückschlag war nachhaltig und dauerte über zehn Jahre. Er hat eine ganze Generation von Arbeitern geprägt und Ratlosigkeit, ja selbst Demoralisierung ausgelöst. Diese Ratlosigkeit machte sich aber nicht lediglich aufgrund der Ereignisse Ende der 1980er Jahre breit, sondern auch angesichts ihrer Folgeerscheinungen wie den ersten Golfkrieg 1991 und den Krieg in Ex-Jugoslawien. Diese Ereignisse widerlegten zwar klar und deutlich die euphorischen Erklärungen von US-Präsident Bush senior nach dem Ende des Kalten Krieges, dass nun eine "Ära des Friedens und Wachstums" angebrochen sei, doch bewirkten sie angesichts der allgemeinen Ratlosigkeit in der Klasse keine Weiterentwicklung des Bewusstseins. Im Gegenteil hatten diese Ereignisse ein tiefes Gefühl der Machtlosigkeit in der Arbeiterklasse hinterlassen, was das Selbstvertrauen und die Kampfbereitschaft weiter sinken ließ.

Doch auch in den 90er Jahren hatte die Arbeiterklasse den Kampf nicht völlig aufgegeben. Die anhaltenden Angriffe des kapitalistischen Systems zwangen sie zur Gegenwehr. Doch diese Kämpfe wiesen nicht die Dimension, das Bewusstsein und die Fähigkeit auf, den Gewerkschaften so entgegenzutreten, wie dies noch in der vorangegangenen Periode der Fall gewesen war. Erst im Laufe des Jahres 2003 begann sich das Proletariat vor allem in Gestalt der großen Mobilisierungen in Frankreich und Österreich gegen die Angriffe auf die Altersrenten wieder von den Rückschlägen nach 1889 zu erholen. Seither hat sich die Tendenz zur Wiederaufnahme des Klassenkampfes und zur Weiterentwicklung des Bewusstseins bestätigt. Überall in den zentralen Ländern haben Arbeiterkämpfe stattgefunden, auch in den wichtigsten wie in den USA (Boeing und öffentlicher Verkehr in New York 2005), in Deutschland (Daimler und Opel 2004, Spitalärzte im Frühling 2006, Deutsche Telekom im Frühling 2007), Großbritannien (Londoner Flughafen im August 2005, öffentlicher Dienst im Frühling 2006), Frankreich (Studenten und Schüler gegen den CPE im Frühling 2006), aber auch in einer eine ganze Reihe von peripheren Ländern wie Dubai (Bauarbeiter im Frühling 2006), Bangladesh (Textilarbeiter im Frühling 2006), Ägypten (Textil- und Transportarbeiter im Frühling 2007).

12. Engels schrieb einst, dass die Arbeiterklasse ihren Kampf auf drei Ebenen führt: auf der ökonomischen, der politischen und der theoretischen Ebene. Erst wenn wir die Welle von Kämpfen nach 1968 und jene seit 2003 auf diesen Ebenen vergleichen, können wir die Perspektive der gegenwärtigen Phase ausmachen. Die Kämpfe nach 1968 hatten eine große politische Bedeutung: Sie stellten das Ende der Periode der Konterrevolution dar. Sie riefen auch einen theoretischen Denkprozess hervor, der das Wiederauftauchen von linkskommunistischen Strömungen begünstigte, von denen die Gründung der IKS 1975 der wichtigste Ausdruck war. Die Arbeiterkämpfe vom Mai 1968 in Frankreich und der "Heiße Herbst" 1969 in Italien ließen angesichts ihrer politischen Forderungen vermuten, dass eine Politisierung der Arbeiterklasse auf internationaler Ebene bevorsteht. Doch diese Erwartungen wurden nicht erfüllt. Die Identität, die sich innerhalb der Klasse durch diese Kämpfe entwickelte, war vielmehr von ökonomischen Kategorien geprägt und weniger eine Identifizierung mit ihrer politischen Kraft innerhalb der Gesellschaft. Die Tatsache, dass diese Kämpfe die herrschende Klasse daran hinderten, den Weg zu einem dritten Weltkrieg einzuschlagen, wurde von der Arbeiterklasse (inklusive der Mehrheit der revolutionären Gruppierungen) nicht wahrgenommen. Der Massenstreik in Polen 1980 hatte, auch wenn er einen (seit dem Ende der revolutionären Welle nach dem Ersten Weltkrieg) neuen Höhepunkt in puncto Organisationskraft der Arbeiterklasse darstellte, eine entscheidende Schwäche: Die einzige "Politisierung", die stattfand, war die Annäherung an bürgerlich-demokratische Ideen und an den Nationalismus. Die IKS hatte schon damals folgende Feststellungen gemacht:

- das langsame Tempo der Wirtschaftskrise machte es im Gegensatz zum imperialistischen Krieg, aus dem die erste globale revolutionäre Welle hervorgegangen war, möglich, den Niedergang des Systems zu verschleiern, was Illusionen über die Fähigkeit des Kapitalismus schürte, der Arbeiterklasse ein gutes Leben zu sichern;

- es existierte aufgrund der traumatischen Erfahrung mit dem Stalinismus ein Misstrauen gegenüber den revolutionären politischen Organisationen (unter den Arbeitern in den Ländern des Ostblocks hatte dies gar große Illusionen über die "Vorteile" der traditionellen bürgerlichen Demokratie hervorgerufen);

- der organische Bruch hatte die revolutionären Organisationen von ihrer Klasse abgeschnitten.

13. Die Situation, in der sich heute die neue Welle von Klassenkämpfen entfaltet, ist eine völlig andere:

- nahezu vierzig Jahre der offenen Krise und Angriffe gegen die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und vor allem die wachsende Arbeitslosigkeit und Prekarisierung haben die Illusionen weggefegt, "dass es uns morgen besser gehen wird": Die alten und auch die jungen Generationen werden sich immer bewusster, dass es ihnen morgen noch schlechter ergehen wird als heute;

- das Andauern der immer barbarischeren kriegerischen Auseinandersetzungen sowie die Bedrohung durch die Umweltzerstörung erzeugen eine (wenn auch noch konfuse) Ahnung, dass sich diese Gesellschaft grundsätzlich ändern muss. Das Auftauchen der Antiglobalisierungs-Bewegung mit ihrer Parole: "Eine andere Welt ist möglich" stellt dabei ein Gegengift dar, das von der bürgerlichen Gesellschaft verbreitet wird, um diese Ahnungen auf falsche Bahnen zu lenken;

- das Trauma, das durch den Stalinismus und die nach seinem Zerfall vor fast zwanzig Jahren ausgelösten Kampagnen verursacht wurde, klingt langsam ab. Die Arbeiter der neuen Generation, die heute ins aktive Leben treten und sich damit auch potenziell am Klassenkampf beteiligen, befanden sich zur Zeit der schlimmsten Kampagnen über den so genannten "Tod des Kommunismus" noch im Kindesalter.

Diese Bedingungen bewirken eine Reihe von Unterschieden zwischen der heutigen Welle von Kämpfen und jener, die 1989 endete. Auch wenn sie eine Reaktion auf ökonomische Angriffe sind, die ungleich heftiger und allgemeiner sind als jene, die das spektakuläre und massive Auftauchen der ersten Welle verursacht hatten, so haben die aktuellen Kämpfe in den zentralen Ländern des Kapitalismus noch nicht denselben massiven Charakter. Dies vor allem aus zwei Gründen:

- das historische Wiederauftauftauchen der Arbeiterklasse Ende der 1960er Jahre hatte die herrschende Klasse überrascht. Heute dagegen ist dies nicht mehr der Fall. Die Bourgeoisie unternimmt alles Mögliche, um der Arbeiterklasse zuvorzukommen und die Ausdehnung der Kämpfe vor allem durch ein systematisches mediales Ausblenden zu verhindern;

- der Einsatz von Streiks ist heute viel heikler, weil das Gewicht der Arbeitslosigkeit als Druckmittel gegen die Arbeiterklasse wirkt und Letztere sich auch bewusst ist, dass der Spielraum der Bourgeoisie zur Erfüllung von Forderungen immer kleiner wird.

Dieser letzte Aspekt ist jedoch nicht nur ein Faktor, der die Arbeiter vor massiven Kämpfen zurückschrecken lässt. Er erfordert auch ein tiefes Bewusstsein über das endgültige Scheitern des Kapitalismus, das eine Bedingung dafür ist, dass sich ein Bewusstsein über die Notwendigkeit der Überwindung dieses Systems bildet. In einer gewissen Weise sind die Hemmungen der Arbeiterklasse, sich in den Kampf zu stürzen, durch das schiere Ausmaß der Aufgaben bedingt, mit denen die kämpfende Klasse konfrontiert wird, nämlich mit nichts Geringerem als die proletarische Revolution. Auch wenn die ökonomischen Kämpfe der Klasse momentan weniger heftig sind als die Kämpfe nach 1968, enthalten sie eine gewichtigere politische Dimension. Bereits jetzt machen sich die Kämpfe, die wir seit 2003 erleben, mehr und mehr die Frage der Solidarität zu eigen, eine Frage von höchster Wichtigkeit, da sie das wirksamste "Gegengift" zum für den gesellschaftlichen Zerfall typischen "Jeder-für-sich" darstellt und vor allem weil sie in ihrem Kern die Fähigkeit des Weltproletariates ausmacht, nicht nur die gegenwärtigen Kämpfe zu entfalten, sondern auch den Kapitalismus zu überwinden:

- der spontane Streik der Daimler-Arbeiter in Bremen gegen die Angriffe auf die Belegschaft ihres Betriebes in Stuttgart;

- der Solidaritätsstreik der GepäckarbeiterInnen in einem Londoner Flughafen gegen die Entlassungen von Angestellten eines Catering-Unternehmens, und dies trotz der Illegalität des Streiks;

- der Streik der Transportangestellten in New York aus Solidarität mit der jungen Generation, die die Direktion unter schlechteren Konditionen einstellen wollte.

14. Die Frage der Solidarität stand auch im Zentrum der Bewegung gegen das CPE-Gesetz in Frankreich im Frühjahr 2006, die sich -unter hauptsächlicher Beteiligung von StudentInnen und OberschülerInnen – voll und ganz auf dem Terrain der Arbeiterklasse befand:

- aktive Solidarität der Studierenden besser gestellter Universitäten mit den StudentInnen anderer Universitäten;

- Solidarität gegenüber den Kindern der Arbeiterklasse in den Vorstädten, deren Revolten im Herbst 2005 die miserablen Lebensbedingungen und die fehlenden Perspektiven, die ihnen der Kapitalismus bietet, ans Licht gebracht hatten;

- Solidarität unter den verschiedenen Generationen: zwischen jenen, die vor der Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsbedingungen stehen, und jenen, die sich bereits in einem Lohnarbeitsverhältnis befinden; zwischen jenen, die nun in den Klassenkampf eintreten, und jenen, die bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt haben.

15. Diese Bewegung war auch beispielhaft für die Fähigkeit der Klasse, ihre Kämpfe selbst in die Hand zu nehmen, mit Vollversammlungen und ihnen gegenüber verantwortlichen Streikkomitees (dies haben wir auch während des Streiks in den Metallbetrieben im spanischen Vigo Frühjahr 2006 gesehen, wo tägliche Vollversammlungen aller beteiligten Belegschaften auf der Straße abgehalten wurden). Die extreme Schwäche der Gewerkschaften im studentischen Milieu hatte dies ermöglicht; die Gewerkschaften konnten ihre traditionelle Rolle als Saboteure des Klassenkampfes nicht ausüben, eine Rolle, die sie bis zur Revolution verkörpern werden. Ein Beispiel für die arbeiterfeindliche Rolle der Gewerkschaften ist die Tatsache, dass die jüngsten Kämpfe oft in Ländern stattfanden, in denen die Gewerkschaften noch sehr schwach vertreten sind (wie in Bangladesh) oder direkt als Organe des Staates auftreten (wie in Ägypten).

16. Die Bewegung gegen das CPE-Gesetz, die in jenem Land stattfand, in dem auch die erste und spektakulärste Manifestation des historischen Wiedererwachens der Arbeiterklasse stattgefunden hatte, der Generalstreik in Frankreich 1968, deutet noch auf andere Unterschiede zwischen der heutigen Welle von Klassenkämpfen und der vorangegangenen hin:

- 1968 waren die Studentenbewegung und die Kämpfe der Arbeiterklasse, auch wenn sie sich zeitlich überschnitten und eine gegenseitige Sympathie vorhanden war, Ausdruck von zwei verschiedenen Realitäten zurzeit des Eintritts des Kapitalismus in seine offene Krise: einerseits eine Revolte des intellektuellen Kleinbürgertums in Gestalt der Studenten gegen die Degradierung ihres Status‘ innerhalb der Gesellschaft, andererseits ein ökonomischer Kampf der Arbeiterklasse gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Die Bewegung der StudentInnen im Jahr 2006 war eine Bewegung der Arbeiterklasse und zeigte klar auf, dass die Veränderungen in der Arbeitswelt in den entwickeltsten Ländern (Vergrößerung des tertiären Sektors auf Kosten des industriellen Sektors) die Fähigkeit der Arbeiterklasse, Klassenkämpfe zu führen, nicht in Frage stellen;

- in der Bewegung von 1968 wurde die Frage der Revolution tagtäglich diskutiert. Doch dieses Interesse ging hauptsächlich von den StudentInnen aus, von denen sich die große Mehrheit bürgerlichen Ideologien hingab: dem Castrismus aus Kuba oder dem Maoismus aus China. In der Bewegung von 2006 wurde die Frage der Revolution viel weniger diskutiert, dafür herrschte aber ein viel klareres Bewusstsein darüber, dass nur die Mobilisierung und Einheit der gesamten Arbeiterklasse ein wirkungsvolles Mittel sind, um den Angriffen der Bourgeoise entgegenzutreten.

17. Diese letzte Frage führt uns zum dritten Aspekt des Klassenkampfes, den Engels formuliert hatte: zum theoretischen Kampf, zur Entwicklung des Bewusstseins innerhalb der Arbeiterklasse über die grundsätzlichen Perspektiven ihres Kampfes und zum Auftauchen von Elementen und Organisationen, die ein Produkt dieser Anstrengungen sind. Wie 1968 geht heute die Zunahme der Arbeiterkämpfe mit einem vertieften Nachdenken einher. Dabei stellt das Auftauchen neuer Leute, die sich den Positionen der Kommunistischen Linken zuwenden, lediglich die Spitze des Eisbergs dar. Jedoch bestehen auch hier erhebliche Unterschiede zwischen dem heutigen Denkprozess und den Reflexionen nach 1968. Damals setzte das Nachdenken aufgrund massiver und spektakulärer Kämpfe ein, wohingegen der heutige Denkprozess nicht darauf wartet, bis die Arbeiterklasse Kämpfe derselben Dimension entfacht. Dies ist ein Resultat der unterschiedlichen Bedingungen, mit denen das Proletariat heute - im Gegensatz zu denen Ende der 1960er Jahre - konfrontiert ist: Ein Charakteristikum der Kampfwelle, die 1968 begann, bestand darin, dass sie aufgrund ihrer Ausbreitung das Potenzial einer proletarischen Revolution erahnen ließ. Ein Potenzial, das infolge der schlimmen Konterrevolution und der Illusionen, die das "Wachstum" des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg produziert hatte, aus den Köpfen verschwunden war. Heute ist es nicht die Möglichkeit einer Revolution, die den Denkprozess nährt, sondern – angesichts der katastrophalen Perspektive des Kapitalismus – ihre Notwendigkeit. Aus diesem Grund vollzieht sich alles langsamer und weniger sichtbar als in den 1970er Jahren. Der ganze Prozess ist jedoch viel nachhaltiger und nicht so abhängig von Schwankungen im Kampf der Arbeiterklasse. Der Enthusiasmus für die Revolution, der sich 1968 und in den darauffolgenden Jahren ausgedrückt hatte, trieb die Mehrheit der Menschen, die an eine Revolution glaubten, in die Arme linksextremistischer Gruppen. Nur eine kleine Minderheit, die den radikalen kleinbürgerlichen Ideologien und der Momentbezogenheit der Studentenbewegung weniger stark ausgesetzt war, konnte sich den Positionen des Linkskommunismus annähern und seinen Organisationen beitreten. Die Schwierigkeiten, auf welche die Arbeiterklasse angesichts diverser Gegenoffensiven der herrschenden Klasse gestoßen war, und der gesellschaftliche Kontext, der noch Illusionen in die Überlebensfähigkeit des Kapitalismus erlaubte, ließen reformistische Ideologien wiederaufleben, die vor allem die "extremen" Gruppen links des offiziellen, diskreditierten Stalinismus förderten. Heute, nach dem Zusammenbruch des Stalinismus, nehmen die linken Gruppen seinen frei gewordenen Platz ein. Die "Etablierung" dieser Gruppierungen im politischen Spiel der Bourgeoisie löst eine Gegenreaktion ihrer ehrlichsten Anhänger aus, die auf der Suche nach Klassenpositionen sind. Aus diesem Grund drückt sich das Nachdenken in der Arbeiterklasse nicht nur durch das Auftauchen junger Leute aus, die sich dem Linkskommunismus zuwenden, sondern auch durch Ältere, die bereits Erfahrungen in Organisationen der bürgerlichen Linken gesammelt haben. Dies ist ein sehr positives Phänomen, das uns verspricht, dass die revolutionären Kräfte, die unvermeidlich aus den Kämpfen der Arbeiterklasse auftauchen, nicht mehr so einfach sterilisiert und eingebunden werden können, wie dies im Laufe der 1970er Jahre noch der Fall gewesen war, und dass sie sich vermehrt den Positionen und Organisationen der Kommunistischen Linken anschließen. Die Verantwortung der revolutionären Organisationen, und vor allem der IKS, besteht darin, aktiver Teil in diesem Denkprozess innerhalb der Klasse zu sein. Dies nicht nur durch aktive Interventionen in den sich entwickelnden Klassenkämpfen, sondern auch durch die Stimulierung der Gruppen und Einzelpersonen, die sich diesem Kampf anschließen wollen.

August 2007

Geographisch: 

  • China [2]

Theoretische Fragen: 

  • Imperialismus [26]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Dekadenz des Kapitalismus [27]

30 Jahre nach dem Deutschen Herbst: Staatsterror damals und heute

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Wir haben untenstehend einen Artikelbeitrag zum sog. Deutschen Herbst von 1977 veröffentlicht. Damals lieferte die Entführung und Ermordung des Arbeitergeberpräsidenten Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF) den Vorwand für eine in der westdeutschen Nachkriegszeit beispiellosen Welle der staatlichen Repression, des Ausschwärmens der Sicherheitskräfte und der Einschüchterungen der Bevölkerung durch die bürgerliche Staatsmacht. Allerorts wurden Razzien durchgeführt, ganze Wohnblocks abgeriegelt, ja sogar öffentliche Verkehrsmittel auf offener Strecke angehalten und mit vorgehaltenen Maschinengewehren durchsucht. Welche Atmosphäre der Angst, der Hysterie und der öffentlichen Verdächtigungen damals erzeugt wurde und welche Rolle die bürgerlich-demokratischen Medien dabei gespielt haben, kann in Heinrich Bölls Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" nachgelesen und nachempfunden werden. Wie sehr die Schleyer-Entführung lediglich den Vorwand lieferte, um diese Machtdemonstration durchzuführen bzw. um neue Repressionsmaßnahmen zu rechtfertigen, ließ im Nachhinein die Zeitschrift Stern durchblicken, indem sie andeutete, wie gut die Polizeikräfte schon frühzeitig über den Aufenthaltsort von Schleyer und seiner Entführer Bescheid wussten.

Wir haben untenstehend einen Artikelbeitrag zum sog. Deutschen Herbst von 1977 veröffentlicht. Damals lieferte die Entführung und Ermordung des Arbeitergeberpräsidenten Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF) den Vorwand für eine in der westdeutschen Nachkriegszeit beispiellosen Welle der staatlichen Repression, des Ausschwärmens der Sicherheitskräfte und der Einschüchterungen der Bevölkerung durch die bürgerliche Staatsmacht. Allerorts wurden Razzien durchgeführt, ganze Wohnblocks abgeriegelt, ja sogar öffentliche Verkehrsmittel auf offener Strecke angehalten und mit vorgehaltenen Maschinengewehren durchsucht. Welche Atmosphäre der Angst, der Hysterie und der öffentlichen Verdächtigungen damals erzeugt wurde und welche Rolle die bürgerlich-demokratischen Medien dabei gespielt haben, kann in Heinrich Bölls Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" nachgelesen und nachempfunden werden. Wie sehr die Schleyer-Entführung lediglich den Vorwand lieferte, um diese Machtdemonstration durchzuführen bzw. um neue Repressionsmaßnahmen zu rechtfertigen, ließ im Nachhinein die Zeitschrift Stern durchblicken, indem sie andeutete, wie gut die Polizeikräfte schon frühzeitig über den Aufenthaltsort von Schleyer und seiner Entführer Bescheid wussten.

Unser Artikel zeigt auf, wie der Terrorismus der RAF und der Bewegung 2. Juni in Deutschland oder der Roten Brigaden in Italien Ausdruck der Empörung über den Kapitalismus war, aber auch der Zweifel, ja der Verzweifelung über die Rolle der Arbeiterklasse. Dies führte zu einer ohnmächtigen, in Grunde genommen kleinbürgerlichen - weil individualistischen - Auflehnung gegen den Staat, die die Obrigkeit nicht nur nicht gefährden konnte, sondern ihr sogar in den Kram passte. Wie sehr die Herrschenden diese terroristische Auflehnung nicht nur auszunutzen, sondern auch zu manipulieren wussten, darüber klärte uns schon damals das Buch eines Augenzeugen dieser Bewegung auf: Bommi Baumanns „Wie alles anfing". Hier wurde geschildert, wie die ersten bewaffneten Kämpfer, ohne es zu wissen oder auch nur zu ahnen, ihre ersten Waffen von Agenten des Verfassungsschutzes erstanden hatten.

Die Bourgeoisie als Nutznießer des Terrorismus

Die bürgerliche Klasse nutzte diese Generation des „bewaffneten Kampfes" auf zweifache Weise auf. Zum einem musste Letztere als Schreckgespenst herhalten, um eine Aufrüstung des Staates zu rechtfertigen, die sich nicht so sehr gegen den „Terrorismus" als vielmehr – präventiv - gegen die „eigene" Bevölkerung und vor allem gegen die Arbeiterklasse richtete. Zum anderen wurden die bewaffneten Gruppen aufgrund ihrer politischen Konfusionen und nicht zuletzt aufgrund der eigenen Ohnmacht unweigerlich in die innerbürgerlichen Machtkämpfe verwickelt (ob nun in den Ost-West-Konflikt oder in den palästinensischen Nationalismus). Ohnehin war der Terrorismus bereits damals in erster Linie ein Mittel des imperialistischen Kampfes zwischen kapitalistischen Staaten und Fraktionen (IRA, PLO usw.)

Wie wenig die zwei Hauptanwendungen des Terrorismus durch den Staat – als Waffe des imperialistischen Krieges und als Rechtfertigung der Repression gegen die Arbeiterklasse – einander ausschließen, wie sehr sie sich stattdessen ergänzen und sich gegenseitig potenzieren, zeigt am besten die Welt von heute. Das Aufkommen des islamischen Terrorismus ist in erster Linie eine Waffe in den Händen einer Reihe von Staaten und Cliquen gegenüber ökonomisch und militärisch häufig überlegenen imperialistischen Gegnern. Vor allem aber ist der „Kampf gegen den Terrorismus" spätestens seit „9/11" zur Kriegsparole sämtlicher führender Industriestaaten dieser Erde geworden. Dies trifft nicht nur auf die USA zu, die zuletzt die Invasion und Besetzung Iraks damit rechtfertigten. Es trifft nicht weniger auf den deutschen Imperialismus zu, der offen gegen den amerikanischen Irakkrieg opponierte, aber die eigenen kriegerischen Einsätze in Afghanistan, Afrika oder vor der libanesischen Küste ganz ähnlich rechtfertigt. Auch bei den gewaltigen Repressionsmaßnahmen im Inneren, die zuletzt auch in Deutschland nicht gefehlt haben, stand zunächst die Abwehr von Terrormaßnahmen feindlicher Staaten und Cliquen noch im Vordergrund. Aber die Herrschenden wissen sehr genau, dass ihr natürlicher und eigentlicher Todfeind das Proletariat ist: Dies ist der Feind sowohl „im eigenen Land" wie auch weltweit. Gegenüber dem Terrorismus hingegen kennt der kapitalistische Staat keine Berührungsängste. Denn der Terrorismus ist nicht nur eine Waffe „der Anderen" gegen „unsere Zivilisation", sondern auch eine Waffe, zu der beispielsweise die Bundesrepublik selbst gern greift. Hinlänglich bekannt ist, wie die USA Bin Ladens Organisation ursprünglich mit aufbauten, aufrüsteten und ausbildeten. Aber es würde sich auch lohnen, die länger bestehenden, engen Beziehungen der bundesdeutschen Politik zu Terrorgruppen in Nahost, auf dem Balkan oder aber die jüngst geknüpften Beziehungen in Afghanistan eingehender zu recherchieren.

Aufrüstung des Staates damals und heute

Die Ereignisse im Jahr 2007 in Deutschland haben nun, sechs Jahre nach den Anschlägen in New York, auf eindrucksvolle Weise die zweite Speerspitze des „Krieges gegen den Terrorismus" - gegen die Radikalisierung an der sozialen Front - sichtbar werden lassen. 30 Jahre nach dem „Deutschen Herbst" folgt 2007 sozusagen der „deutsche Sommer". Zum einem hat man die überwiegend jugendlichen Demonstranten, die gegen den G8-Gipfel in Rostock und Heiligendamm marschierten, um eine „andere Welt" einzufordern, mit den Mitteln des staatlichen Terrors traktiert, sie, wie in Guantanamo, in Käfige eingesperrt. Zum anderen hat man die Aktivitäten einer sog. Militanten Gruppe (MG) zum Anlass genommen, um „systemkritisches", sprich: antikapitalistisches Denken in die Nähe des Terrorismus zu rücken und auch mit Verhaftung, Kontaktsperre, Isolationshaft zu ahnden. Diese Gruppe soll an Sachbeschädigungen gegen „Symbole des Kapitalismus" wie Luxusautos oder Lastwagen der Bundeswehr beteiligt gewesen sein.

Über das Wesen dieser in der Öffentlichkeit recht nebulös gebliebenen Gruppe gibt es bis heute kaum gesicherte Erkenntnisse. Sicher und auch auffallend ist die Art und Weise, wie der Staat darauf reagiert. Die symbolischen Sachbeschädigungen werden mit der ganzen Wucht des „Krieges gegen den Terrorismus" geahndet. Wir zitieren aus einem Offenen Brief an die Generalbundesanwaltschaft gegen die Kriminalisierung kritischer Wissenschaft und politischen Engagements, der am 15. August von Kolleginnen und Kollegen eines der Verhafteten aus dem In- und Ausland verfasst wurde.

„Am 31. Juli 2007 wurden die Wohnungen und teilweise auch die Arbeitsplätze von Dr. Andrej Holm und Dr. Matthias B. sowie von zwei weiteren Personen durchsucht. Dr. Andrej Holm wurde festgenommen, mit einem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen und dort dem Haftrichter vorgeführt. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft in Berlin. Der Vorwurf lautet bei allen ‚Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB’. Sie sollen Mitglieder einer ‚militanten gruppe’ (mg) sein. Wie im Rahmen der Hausdurchsuchungen bekannt wurde, läuft das Ermittlungsverfahren unter diesem Vorwurf gegen die vier bereits seit September 2006 – und sie wurden seitdem rund um die Uhr observiert. Wenige Stunden vor den Hausdurchsuchungen wurden in Brandenburg Florian L., Oliver R. und Axel H. festgenommen. Ihnen wird versuchte Brandstiftung auf vier Fahrzeuge der Bundeswehr vorgeworfen. Andrej Holm soll einen der drei im ersten Halbjahr 2007 zweimal unter angeblich konspirativen Umständen getroffen haben. Die Bundesanwaltschaft geht deshalb davon aus, dass sowohl die vier oben Genannten als auch die drei in Brandenburg Festgenommenen Mitglieder einer ‚militanten gruppe’ seien und ermittelt gegen alle sieben wegen des Verdachts der ‚Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung’ (§129a StGB).

Der Vorwurf gegen die vier Erstgenannten wird laut Haftbefehl gegen Andrej Holm derzeit so begründet:

Dr. Matthias B. habe in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen ‚Phrasen und Schlagwörter’ verwendet, die auch die ‚mg’ verwende;

Dr. Matthias B. sei als promovierter Politologe intellektuell in der Lage, ‚die anspruchsvollen Texte der 'militanten gruppe’ zu verfassen. Darüber hinaus stünden ihm ‚als Mitarbeiter eines Forschungsinstituts Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Texte der 'militanten gruppe' erforderlichen Recherchen durchzuführen’;

Ein weiterer Beschuldigter habe sich mit Verdächtigen konspirativ getroffen: ‚So wurden regelmäßig Treffen vereinbart, ohne jedoch über Ort, Zeit und Inhalt der Zusammenkünfte zu sprechen’; er sei zudem in der ‚linksextremistischen Szene’ aktiv gewesen.

Bei einem dritten Beschuldigten sei eine Adressenliste gefunden worden, auf der auch die Namen und Anschriften der anderen drei standen;

Dr. Andrej Holm, der als Stadtsoziologe arbeitet, habe enge Kontakte zu allen drei in Freiheit befindlichen Beschuldigten,

Dr. Andrej Holm sei ‚in dem von der linksextremistischen Szene inszenierten Widerstand gegen den Weltwirtschaftsgipfel 2007 in Heiligendamm aktiv’ gewesen.

Als konspiratives Verhalten wird u.a. gewertet, dass er angeblich absichtlich sein Mobiltelefon nicht zu einem Treffen mitnahm

Andrej Holm sowie Florian L., Oliver R. und Axel H. sind seit dem 01.08.2007 unter sehr rigiden Bedingungen in Berlin-Moabit inhaftiert: Sie sind 23 Stunden am Tag in einer Einzelzelle und haben eine Stunde Hofgang. Sie können alle 14 Tage für insgesamt eine halbe Stunde besucht werden, Kontakte sind nur mit Trennscheibe erlaubt. Auch die Anwälte können mit ihren Mandanten nur mit Trennscheibe sprechen, die Verteidigerpost wird kontrolliert.

Aus den Vorwürfen in den Haftbefehlen wird ein Konstrukt deutlich, dass auf abenteuerlichen Analogieschlüssen basiert. Es ist von vier grundlegenden Hypothesen getragen, die alle von der Bundesanwaltschaft (BAW) [Attorney of the Federal Supreme Court] nicht genauer belegt werden können, aber durch ihre Zusammenstellung den Eindruck einer ‚terroristischen Vereinigung’ hinterlassen sollen.

Die Sozialwissenschaftler seien wegen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit, ihrer intellektuellen Fähigkeiten und dem Zugang zu Bibliotheken die geistigen Köpfe der angeblichen ‚Terror-Organisation’. Denn eine Vereinigung ‚militante gruppe’ soll laut BAW dieselben Begriffe verwenden wie die beschuldigten Sozialwissenschaftler. Als Beleg dafür gilt ihr der Begriff ‚Gentrification’, einer der Forschungsschwerpunkte von Andrej Holm und Matthias B. in den vergangenen Jahren, zu dem sie auch international publiziert haben. Ihre Forschungsergebnisse haben sie dabei nicht im ivory tower (Elfenbeinturm, die Red.) gelassen, sondern ihre Expertise auch Bürgerinitiativen und Mieterorganisationen zur Verfügung gestellt – so wird eine intellektuelle Urheberschaft konstruiert."

Die Repressionsorgane bereiten sich auf den Klassenkampf vor

Nicht weniger auffallend ist die Art und Weise, wie über diese Vorgänge in den Medien berichtet wird. Zum einem wird diesem Thema keine breite Öffentlichkeit gewidmet. Man ist offenbar bemüht, die Sache herunterzuspielen, um die Bevölkerung nicht zu sehr gegen sich aufzubringen. Denn anders als die RAF-Morde im Vorfeld des „Deutschen Herbstes" taugen die Sachbeschädigungen in Berlin oder Brandenburg kaum dazu, eine Stimmung der öffentlichen Angst und Entrüstung auszulösen. Darüber hinaus ist die Zeit seit 1977 nicht stehen geblieben. Im Zeitalter der offenen Wirtschaftskrise, des massiven Sozialabbaus und der behördlichen Drangsalierung der Bevölkerung ist es deutlich schwieriger geworden, die Bevölkerung auch nur vorübergehend hinter den Staat zu scharen (wie sich nach den Anschlägen in New York rasch herausstellte). Es scheint die Repressionsorgane vielmehr darum zu gehen, die politisch suchenden Minderheiten, die begonnen haben, die bürgerliche Gesellschaft in Frage zu stellen, einzuschüchtern und abzuschrecken. Zum anderen werden die Anschläge, dort wo sie zur Sprache kommen, mit einem „geistigen Umfeld" in Zusammenhang gebracht, das als „Nährboden des Terrorismus" bezeichnet wird. So haben die Medien mehrmals das „Gerede von der Weltrevolution" als ein Merkmal dieses Milieus bezeichnet (die 3SAT-Sendung Kulturzeit hat zu Recht kritisch auf diese Tendenz im öffentlichen Diskurs hingewiesen). Man spricht von ominösen Theoretikern, die aufgrund der Radikalität ihrer Auffassungen auch dann als „geistige Brandstifter" gelten sollen, wenn sie selbst mit Terrorismus nichts am Hut haben. In diesem Zusammenhang passt es auch, dass die jüngste Welle von Razzien in Berlin vor dem Roten Antiquariat nicht halt machte – ein Buchladen, der wie kaum ein anderer in Deutschland die Möglichkeit bietet, die Ideen und Publikationen internationalistischer revolutionärer Gruppen kennenzulernen. Auch hier ist der Unterschied zum Vorgehen der Bourgeoisie in den 70er Jahren auffallend. Damals scherten sich die Medien in Deutschland oder Italien einen Dreck um die politischen Ideen der RAF oder der Roten Brigaden. Die Anschläge dieser Gruppen wurden vielmehr als Ausgeburt einer Geistesgestörtheit hingestellt, der sogar mit Hirnoperationen zu Leibe gerückt werden sollte. Damals war das Gros der Politisierten sehr aktivistisch und folgte zumeist mehr oder weniger unkritisch bis gedankenlos den Parolen des Stalinismus. Was heute die neue Generation auszeichnet – allem Aktivismus zum Trotz –, ist ein viel kritischeres und tieferes Nachdenken, das für den Kapitalismus entsprechend gefährlicher zu werden droht. Daher die Kriminalisierung der radikalen Theorie.

Das Wiederauftauchen einer Praxis von Anschlägen gegen „Symbole des Systems" mutet ein wenig merkwürdig an. Auch wenn diese Aktionen sich derzeit nicht mehr gegen Personen richten, so weisen sie darauf hin, dass die Lehren aus den Erfahrungen mit der RAF oder den Roten Brigaden nicht oder nur sehr unzureichend gezogen worden sind. Solche sinnlosen Verzweifelungstaten sind auch heute Ausdruck einer tiefen Empörung gegen das herrschende System. Eine Empörung, die wir voll und ganz teilen. Daher unsere Solidarität mit den Opfern des staatlichen Terrors, ungeachtet, ob die Verhafteten und Drangsalierten an solchen Aktionen beteiligt waren oder nicht. Aber solche Taten sind auch Ausdruck einer großen Schwierigkeit, die wirkliche revolutionäre Kraft innerhalb dieser Gesellschaft zu erkennen. Diese Schwierigkeit ist nicht verwunderlich. Denn was die Welt von heute im Vergleich zu 1977 auszeichnet, ist nicht nur die weitaus dramatischere und gefährlichere Sackgasse, in die der Kapitalismus die Menschheit geführt hat, sondern auch der weitgehende Verlust an Klassenidentität des Proletariats nach 1989. Jedoch beginnt heute das Weltproletariat die eigene Kraft wieder zu entdecken. Und die politischen Vordenker dieser Klasse beginnen die eigenen revolutionären Theorien und Positionen zu entdecken und weiter zu entwickeln. Zur Solidarität des Proletariats mit den Opfern des staatlichen Terrors gehört der Kampf, um auch die Verzweifelten für die Sache und für die Methoden der Arbeiterklasse zu gewinnen (siehe untenstehenden Artikel).

31.08.2007.

Die Lehren aus dem Deutschen Herbst 1977

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Die bürgerlichen Medien haben mit viel Aufwand über den „Deutschen Herbst" 1977 berichtet. Schon im letzten Winter, als der Bundespräsident über die Begnadigung der noch in Haft sitzenden Terroristen zu entscheiden hatte, wurden die damaligen Anschläge wieder in Erinnerung gerufen. Meist drehten sich die Artikel und Berichte um noch ungeklärte Tatabläufe, unbekannte Täter, die Rolle dieses oder jenes Beschuldigten. Wir wollen dagegen in diesem Artikel der Frage nachgehen, warum seinerzeit der Terrorismus solch einen Auftrieb erhalten hatte und warum die Kommunisten ihn ablehnen.

Die bürgerlichen Medien haben mit viel Aufwand über den „Deutschen Herbst“ 1977 berichtet.  Schon im letzten Winter, als der Bundespräsident über die Begnadigung der noch in Haft sitzenden Terroristen zu entscheiden hatte, wurden die damaligen Anschläge wieder in Erinnerung gerufen. Meist drehten sich die Artikel und Berichte um noch ungeklärte Tatabläufe, unbekannte Täter, die Rolle dieses oder jenes Beschuldigten. Wir wollen dagegen in diesem Artikel der Frage nachgehen, warum seinerzeit der Terrorismus solch einen Auftrieb erhalten hatte und warum die  Kommunisten ihn ablehnen.

 

 

Die Lage nach 1968

 

Als 1968 in Frankreich mit dem imposanten Massenstreik unter Beteiligung von zehn Millionen ArbeiterInnen ein gewaltiger Ruck durch die Gesellschaft ging und auch in einer Reihe von anderen Ländern (wie in Italien, Deutschland, Großbritannien, Polen, Argentinien) Arbeiterkämpfe aufflammten, keimte neue Hoffnung auf. Die seit den 1920er Jahren über der Arbeiterklasse niedergegangene Konterrevolution war zu Ende. Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen verschob sich. Das Proletariat trat wieder auf die Bühne der Geschichte. Damit tauchte erneut die Perspektive der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft auf – auch wenn dies damals nicht von allen verstanden wurde. Aber der endlich wieder spürbare Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus zog unzählige Menschen, die ihre Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaft zum Ausdruck bringen wollten, in seinen Bann. Vor allem viele junge Leute wurden politisiert und fingen an, nach Mitteln des Kampfes gegen diese Gesellschaft zu suchen.

 

 

Der herrschenden Klasse gelang es jedoch nach einiger Zeit, die sich entfaltenden  Arbeiterkämpfe wieder in den Griff zu bekommen. Aufgrund der Gegenoffensive, die vor allem von den Gewerkschaften und den linken Parteien getragen wurde, konnte das Kapital eine weitere Radikalisierung der Kämpfe verhindern. Bei den meisten Menschen, die zuvor noch von den Arbeiterkämpfen angezogen worden waren und sich in den Widerstand gegen die bürgerliche Gesellschaft einreihen wollten, aber nun keinen Bezugspunkt mehr in der Arbeiterklasse finden konnten, machte sich eine große Desorientierung breit.

 

 

Die Flucht in die Verzweiflung

 

Ein Teil von ihnen ließ sich von linkskapitalistischen Organisationen (Trotzkisten, Maoisten u.a.) einfangen und irreführen. Diese Organisationen sorgten dafür, dass ihr „anti-kapitalistischer“ Elan schnell verpuffte. So wurde z.B. ihre anfängliche Ablehnung des Kapitalismus in eine Unterstützung der „anti-imperialistischen Befreiungsbewegungen“ umgeleitet. In den zahlreichen Stellvertreterkriegen, die damals, zurzeit des Kalten Krieges, tobten, ließen sich viele vom Mythos der nationalen Befreiungskämpfe beeindrucken und hatten für die Arbeiterklasse nur noch Spott und Hohn übrig. Einige Elemente aus den linksextremistischen Kaderorganisationen machten später steile Karrieren. Ob der einstige Pressesprecher des maoistischen Kommunistischen Bundes Norddeutschland (KB Nord), Jürgen Trittin, das ehemalige Mitglied des gleichermaßen maoistischen Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), Renate Schmidt, der einstige Jusovorsitzende Gerhard Schröder, Joschka Fischer, in den 1970er Jahren Aktivist in der Frankfurter Krawallszene, oder Otto Schily, der einst Strafverteidiger der RAF in den Stammheim-Prozessen gewesen war – sie alle, die ihr Handwerk bei den Linken gelernt hatten, sind in der rot-grünen Ära in Staats- oder andere Führungsämter der kapitalistischen Wirtschaft aufgestiegen. Andere wiederum wandten sich vollends von der Politik ab oder wurden gar zu Vordenkern der Neonazis, wie Horst Mahler, der seinerzeit mit der RAF geliebäugelt und sie vor Gericht verteidigt hatte.

 

 

Doch daneben gab es noch jene, die darüber verbittert waren, dass  die kapitalistische Gesellschaft den wiedererwachten Kampfgeist der Arbeiterklasse so schnell wieder in den Griff bekommen hatte, die aber dennoch nicht bereit waren, sich mit der Gesellschaft zu arrangieren oder den Rückzug aus der Politik anzutreten.  Stattdessen stemmten sie sich mit aller Macht gegen dieses System. Ihre Devise lautete: Wenn die ArbeiterInnen nicht aus eigener Kraft den Kampf aufnehmen, dann müssen wir sie nach vorn treiben. So bestand denn ihre Strategie darin, den bürgerlichen Staat durch symbolische Schläge gegen dessen Repräsentanten dergestalt zu provozieren, dass er gegenüber der Arbeiterklasse seine „faschistische Fratze“ enthüllte. So die damals in diesem Milieu vorherrschende Denkrichtung. Man begann also, sich terroristischen Methoden zuzuwenden und den  bewaffneten Kampf zu propagieren. Die Serie von Anschlägen, Entführungen, terroristischen Angriffen gegen Personen und Einrichtungen kulminierte schließlich im berüchtigten „Deutschen Herbst“ mit seinen Morden an Ponto, Buback und Schleyer. Schwerpunkte der Aktivitäten dieser terroristischen Gruppen war dabei vor allem Deutschland und Italien. 

 

 

Kommunisten gegen Terrorismus

 

Von den Abertausenden vorwiegend jungen Menschen, die durch die Arbeiterkämpfe inspiriert worden waren, gelang es nur ganz wenigen, sich in geduldiger, mühevoller Arbeit mit der Geschichte, dem Vermächtnis und der Erfahrung insbesondere der linkskommunistischen Kräfte zu befassen, die den Jahrzehnten der Konterrevolution widerstanden, die Lehren der Niederlage in Russland 1917 gezogen und die zukünftigen Kämpfe vorbereitet hatten. Vor allem in Deutschland beschränkte sich der Kreis der Leute, die sich intensiv mit dem Linkskommunismus im Besonderen und mit der Geschichte der Arbeiterbewegung im Allgemeinen befassten, auf ganz wenige, die sich auch durch die fortdauernden Schwierigkeiten des Klassenkampfes nicht entmutigen ließen.

 

 

Die Internationale Kommunistische Strömung, die aus den Kämpfen von 1968 hervorgegangen ist und als ein Zusammenschluss auf internationaler Ebene 1976 gegründet wurde, hat stets terroristische Methoden abgelehnt. In einem Text, der nach dem „Deutschen Herbst“ 1977 veröffentlicht wurde, betonten wir: „Der Terror ist ein strukturiertes, permanentes von den ausbeutenden Klassen ausgeübtes Herrschaftssystem. Der Terrorismus dagegen ist eine Reaktion der unterdrückten Klassen. Es handelt sich um eine vorübergehende Reaktion, um Racheaktionen, die ohne Kontinuität und Zukunft sind. Als ein gewaltsames Aufmucken der Machtlosen kann der Terrorismus nicht den Terror der herrschenden Klasse erschüttern. Es ist wie ein Mückenstich in die Haut einen Elefanten. Dagegen kann er und wird er oft vom Staat zur Rechtfertigung und Verstärkung dessen Terrors benutzt. Wir müssen unbedingt den Mythos verurteilen, demzufolge der Terrorismus als Sprengkapsel dazu diene oder dazu dienen könne, den Kampf des Proletariats in Gang zu setzen. Es ist vollkommen absurd vorzutäuschen, dass der Terrorismus der radikalisierten Schichten der Kleinbourgeoisie das Verdienst habe, in der Arbeiterklasse die Auswirkungen der demokratischen Verschleierungen der bürgerlichen Legalität zu zerstören und ihr den unvermeidbaren Weg zur Gewalt klarzumachen. Das Proletariat hat von dem radikalen Terrorismus keine Lehren zu ziehen, abgesehen davon, dass er von ihm abrücken und ihn zurückweisen soll, denn die im Terrorismus beinhaltete Gewalt befindet sich grundsätzlich auf bürgerlichem Boden. Zu einem Verständnis der Notwendigkeit und Unabdingbarkeit der Gewalt kommt das Proletariat aufgrund seiner eigenen Existenz, mittels seines eigenen Kampfes, seiner eigenen Erfahrung, der Konfrontationen mit der herrschenden Klasse. Es ist eine Klassengewalt, die sich ihrem Wesen, ihrem Inhalt, ihrer Form und in ihren Methoden sowohl vom kleinbürgerlichen Terrorismus als auch vom Terror der herrschenden ausbeutenden Klasse unterscheidet.

 

 

Es stimmt, daß die Arbeiterklasse im Allgemeinen eine Haltung der Solidarität und der Sympathie einnimmt, zwar nicht gegenüber dem Terrorismus, den sie als Ideologie, als Organisationsform und als Methode verurteilt, sondern gegenüber den Elementen, die vom Terrorismus in die Sackgasse geführt werden. Dies aus den folgenden Gründen:

 

 

1. weil diese Elemente gegen die bestehende Ordnung des Terrors revoltieren, auf dessen grundlegende Zerstörung das Proletariat hinarbeitet ;

 

 

2. weil diese Elemente genau wie die Arbeiterklasse ebenso die Opfer der schrecklichen Ausbeutung und Unterdrückung durch die Todfeinde des Proletariats sind (...) Die einzige Art für das Proletariat, seine Solidarität mit diesen Opfern zu zeigen, liegt darin, zu versuchen, sie aus der tödlichen Sackgasse des Terrorismus zu holen, in die sie sich verrannt haben und sie vor den Henkern des staatlichen Terrors zu retten.“ („Terror, Terrorismus und Klassengewalt“, Internationale Revue, Nr. 3, 1979, www.internationalism.org [16])

 

 

Mit diesem Standpunkt stellten wir uns in die Tradition der Kommunisten. Schon früh hat die Arbeiterbewegung terroristische Methoden abgelehnt, weil sie der Auffassung war, dass Ziel und Mittel des Kampfes miteinander im Einklang stehen müssen. Auch haben die Kommunisten immer betont, dass die historisch notwendige Revolution von der großen Mehrheit der Bevölkerung getragen werden muss. Und gegenüber jenen, die sich zu gewaltsamen Aktionen hinreißen lassen, weil sie es ablehnen, das Bewusstsein der Arbeiterklasse geduldig voranzutreiben, haben die Kommunisten auch stets unterstrichen, dass die Arbeiterklasse keinen Hass, keine Rachegelüste gegenüber Personen ausleben darf, sondern die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft anstreben muss.

 

 

In den Fangarmen des bürgerlichen Staates

 

Die Spirale des Terrorismus und der staatlichen Repression nahm schließlich ihren Lauf. Schließlich verfing sich die RAF, auf der Suche nach Rückzugsräumen vor dem sich immer enger zusammenziehenden Fahndungsnetz des westdeutschen Repressionsapparates, in den Maschen der ostdeutschen Staatssicherheitsorgane, die in ihr ein Vehikel zur Destabilisierung des westdeutschen Staates sahen. Bereit, mit dem Feind des Feindes zu kooperieren, geriet die RAF so vom Regen in die Traufe. Zudem begann sie – neben anderen terroristischen Gruppen Europas - auch mit Terrorgruppen im Nahen Osten zusammenzuarbeiten, die sich im imperialistischen Krieg gegen Israel aller Mittel, einschließlich des nackten Terrors, bedienten. Die Spirale der Barbarei hat diese Kräfte, von denen sich die Terroristen vor 30 Jahren ausbilden ließen,  mittlerweile dazu getrieben, systematisch Massenmorde mit  Selbstmordattentätern zu planen, in denen es nur noch darum geht, möglichst viele Zivilisten in den Tod zu reißen, und in denen Kinder als Bombenwerfer oder Kuriere missbraucht werden.

 

 

Von dem anfänglichen Wunsch, den Kapitalismus zu bekämpfen, war nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen war man in die Fangarme eines der beiden Lager im Kalten Krieg geraten. Der westdeutsche Staat wiederum nutzte die Anti-Terrorismus-Kampagne, die er gegen die RAF entfachte hatte, aus, um seinen Repressionsapparat, den er schon 1969, unmittelbar nach dem Wiederaufflammen der Arbeiterkämpfe, mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze aufgerüstet hatte, weiter auszubauen. So schuf er sich u.a. ein ganzes Arsenal an Anti-Terrorismus-Gesetzen wie beispielsweise den berüchtigten Paragraphen 129, mit denen er heute jene drangsaliert, die sich, wenn auch oftmals mit untauglichen Mitteln, auf die Suche nach Antworten auf die immer dringendere Frage der Systemüberwindung begeben (s. den Artikel in dieser Ausgabe über die sog. Militante Gruppe). Mittlerweile verfügt der Staat über ein noch viel breiter gefächertes Überwachungssystem, das er unablässig verfeinert, wie die Gesetzesinitiativen von Innenminister Schäuble veranschaulichen.

 

 

Die Herausforderung heute: Die Tragödie von damals vermeiden

 

Jenen, die wegen der damaligen historischen Umstände ins Fahrwasser dieser Bewegung gerieten, sagen wir: Wer aufrichtig an der Perspektive festhält, dieses verrottete System zu überwinden, wer auch heute meint, dass der Kapitalismus auf den Misthaufen der Geschichte gehört, der muss ohne Scheuklappen eine schonungslose  Bilanz der politischen Entwicklung und der Irrwege ziehen, in denen er gelandet war. Es ist nie zu spät, diese Bilanz zu ziehen. Im Gegenteil,  diese Methoden zu kritisieren und zu begreifen, wie man in dieser Sackgasse landen konnte, ist nicht nur unabdingbar, sondern auch ein wertvoller Beitrag gerade für all jene, die heute politisiert werden und nach Antworten und Perspektiven suchen und denen wir solche Sackgassen ersparen müssen.

 

 

Nachdem vor 30 Jahren viele junge Menschen in ihrer Konfusion und Ratlosigkeit durch linkskapitalistische Kräfte politisch vergewaltigt, irregeführt oder zermürbt wurden und einige davon aus Verzweiflung im Terrorismus landeten, müssen wir heute alles daran setzen, dass solch eine Tragödie sich nicht wiederholt. Dies ist die Herausforderung, vor denen wir uns als Revolutionäre heute sehen: jene, die heute politisiert werden und nach Antworten und Mitteln des Kampfes suchen, für einen langfristigen, geduldigen Kampf gegen das verbrecherische Gesellschaftssystem des Kapitalismus zu gewinnen. 31.08.07

 

 

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„In den bürgerlichen Revolutionen waren Blutvergießen, Terror, politischer Mord die unentbehrliche Waffe in der Hand der aufsteigenden Klassen. Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie haßt und verabscheut den Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmittel nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutionen bekämpft, weil sie nicht mit naiven Illusionen in die Arena tritt, deren Enttäuschung sie blutig zu rächen hätte. Sie ist kein verzweifelter Versuch einer Minderheit, die Welt mit Gewalt nach ihrem Ideal zu modeln, sondern die Aktion der großen Millionenmasse des Volkes, die berufen ist, die geschichtliche Mission zu erfüllen und die geschichtliche Notwendigkeit in Wirklichkeit umzusetzen“  (Was will der Spartakusbund?, 14. 12.1918).

 

 

 

Die Studentenbewegung in Venezuela

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In Caracas begannen am 28. Mai Studentendemonstrationen, die sich rasch auf  verschiedene Städte quer durch das ganze Land ausbreiteten[1]; das vordergründige Motiv war der Beschluss der Regierung, den Fernsehsender Radio Caracas Televisión (RCTV) zu schließen, das bis dahin das wichtigste Sprachrohr unter den Medien für jene Bereiche des nationalen Kapitals war, die gegen die Regierung von Chávez opponieren. Dies führte dazu, dass die soziale Unzufriedenheit geweckt wurde, die innerhalb der arbeitenden Massen und der gesamten Bevölkerung herangereift war, diesmal ausgedrückt durch die Studentendemonstrationen.

 

 

Angesichts dieser Proteste rief  Chávez selbst am 29. Mai die Bewohner der Slumsiedlungen dazu auf, "die Revolution zu verteidigen"; etwas später unterstützten die "radikalen" Abgeordneten der Nationalversammlung (ausschließlich von Abgeordneten gebildet, die die so genannte "bolivarische Revolution" unterstützen) vorbehaltlos den  Aufruf ihres Führers an die Bewohner der Barrios, gegen die Studentenbewegungen zu demonstrieren. Jedoch ließen sich die Einwohner der Slumsiedlungen und der Armenviertel, die den Ruf haben, hinter dem Chávismus zu stehen, bis jetzt nicht mobilisieren. Dies zeigt eine gewisse Sympathie für die Parolen der Bewegung, die die Medien als zweitrangig behandelt haben, wie die Notwendigkeit, den Problemen der Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Gesundheit und der allgemeinen Armut gegenüberzutreten [2].

 

 

Ein neuer  Versuch, sich von der  falschen Alternative zwischen Chávismus und  Opposition zu befreien

 

In Caracas begannen am 28. Mai Studentendemonstrationen, die sich rasch auf  verschiedene Städte quer durch das ganze Land ausbreiteten[1]; das vordergründige Motiv war der Beschluss der Regierung, den Fernsehsender Radio Caracas Televisión (RCTV) zu schließen, das bis dahin das wichtigste Sprachrohr unter den Medien für jene Bereiche des nationalen Kapitals war, die gegen die Regierung von Chávez opponieren. Dies führte dazu, dass die soziale Unzufriedenheit geweckt wurde, die innerhalb der arbeitenden Massen und der gesamten Bevölkerung herangereift war, diesmal ausgedrückt durch die Studentendemonstrationen.

 

 

Angesichts dieser Proteste rief  Chávez selbst am 29. Mai die Bewohner der Slumsiedlungen dazu auf, "die Revolution zu verteidigen"; etwas später unterstützten die "radikalen" Abgeordneten der Nationalversammlung (ausschließlich von Abgeordneten gebildet, die die so genannte "bolivarische Revolution" unterstützen) vorbehaltlos den  Aufruf ihres Führers an die Bewohner der Barrios, gegen die Studentenbewegungen zu demonstrieren. Jedoch ließen sich die Einwohner der Slumsiedlungen und der Armenviertel, die den Ruf haben, hinter dem Chávismus zu stehen, bis jetzt nicht mobilisieren. Dies zeigt eine gewisse Sympathie für die Parolen der Bewegung, die die Medien als zweitrangig behandelt haben, wie die Notwendigkeit, den Problemen der Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Gesundheit und der allgemeinen Armut gegenüberzutreten [2].

 

 

Mehr noch, der Unwille sich von den martialischen Aufrufen des "Comandante" mobilisieren zu lassen, könnte darauf hindeuten, dass dem lügnerischen Geschwätz von Chávez, er sei der "Vertreter der Armen", nicht mehr so wie bisher von diesen Bevölkerungsschichten geglaubt wird, die einst gehofft hatten, er würde ihre Armut mindern.

 

 

Inzwischen führen der Präsident, seine Familie und seine Gefolgsleute das Leben der Reichen wie die vergangenen Regierungen auch[3].

 

 

Was Chávez und seiner Anhänger betrifft, die diesen Aufruf erließen, so mobilisierten diese die Repressionskräfte und bewaffneten Banden, um die Studenten und jene einzuschüchtern und zu unterdrücken, die aus ihren Häusern und Wohnungen herauskamen, um ihre Unterstützung zu zeigen. Gleich beim ersten Angriff wurden 200 Studenten festgenommen, etliche verletzt, darunter zahlreiche junge Menschen. Während diese wildgewordene Meute die Protestierenden attackierte, kriminalisierte und als „Lakaien des Imperialismus“, „Verräter des Vaterlandes“ sowie als „Wohlstandskinder“ beschimpfte, schloss sich Daniel Ortega, der „revolutionäre“ Mandatsträger Nicaraguas, während eines Besuches der Nationalversammlung diesen Angriffen an, als er die protestierenden Studenten beschuldigte von den reichsten Klassen Venezuelas zu stammen und ihrem „Traum vom Aufruhr der Straßen“ dienen. Jedoch diente die Repression und Verunglimpfung zur Einschüchterung der Studenten nur dazu, die Bewegung zu radikalisieren und weiter zu verbreiten. 

 

 

Was steckt hinter dieser Studentenbewegung?

 

Sind diese Demonstrationen ein weiterer Ausdruck der Konfrontation zwischen den bürgerlichen Fraktionen von Chávez und der Opposition? Geht es den Studenten dabei nur um ihre eigenen Angelegenheiten?

 

 

Wir denken nein. Diese Bewegung von eines wichtigen Teils der Studenten hat zur Überraschung der Regierung und der Opposition einen Charakter angenommen, der dazu tendiert, mit den starren Schemata der politischen Polarisierung zwischen bürgerlichen Fraktionen zu brechen. Die Bewegung drückt vielmehr eine soziale Unzufriedenheit  aus, die bis jetzt in dieser Polarisation gefangen war. Sie ist daher mehr als ein bloßer studentischer Protest:

 

 

- Es ist unbestreitbar, dass die politischen Kräfte der Regierung und der Opposition versucht haben, die Bewegung für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen: Erstere stellen die Bewegung  als bloße Manipulation durch die der Regierung entgegengesetzten politischen Kräfte dar (einschließlich des US-Imperialismus); Letztere sagen, dass es eine politische Bewegung der Opposition sei, die ihre Parolen für Meinungsfreiheit und gegen "Staatstotalitarismus" teile; bürgerliche Parolen, die  von der Opposition vertreten werden, um die Chávez-Regierung zu stürzen. Jedoch hat die Bewegung versucht, sowohl zur Regierung als auch zur Opposition auf Distanz zu gehen. Die Studenten haben den politischen Charakter des Protests nicht versteckt, sondern klar gemacht, dass sie weder der Regierung noch der Opposition Gehorsam schulden. Die Erklärungen der Anführer dieser Bewegung waren eindeutig: "Die Politiker haben ihre Tagesordnung, wir haben unsere".

 

 

Mit diesem Ziel hat die Bewegung sich organisatorische Formen gegeben wie die Versammlungen, in denen sie diskutieren,   Kommissionen wählen und entscheiden können, was zu tun ist: dies hat auf der lokalen und nationalen Ebene stattgefunden. In diesen Versammelungen, die in mehreren Universitäten gebildet wurden, erörterten sie das Ziel der Bewegung und bereiteten die ersten Aktionen vor, welche den restlichen Studenten mitgeteilt wurden. Die Studenten organisierten auch die Deckung der Kosten für die Mobilisierungen durch ihre eigenen Mittel, durch Geldsammlungen unter den Studenten und in der Öffentlichkeit.

 

 

In diesem Sinn befindet sich die sich entfaltende Studentenbewegung in einem "latenten" Zustand, teils aufgrund der Maßnahmen der Regierung und Opposition, sie zu kontrollieren und zu einzudämmen. Doch sie strebte danach, mit den Schemata der vergangenen Studentenbewegungen zu brechen, und drückte einen sozialen Inhalt aus, beeinflusst von Tendenzen in ihr, die den Interessen der Lohnarbeiter Ausdruck verliehen.

 

 

 Ein anderes wichtiges Merkmal der Bewegung bestand von Anfang an darin, die Notwendigkeit des Dialogs und der Diskussion über die Hauptprobleme der Gesellschaft zu betonen: Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit, Solidarität mit den ärmsten Sektoren. Zu diesem Zweck haben  die Studenten die gesamte Bevölkerung - ob Chavisten oder nicht – zu einem offenen Dialog in den Universitäten, in den Barrios und auf den Straßen, außerhalb der  von der Regierung als auch der Opposition kontrollierten Organe und Institutionen aufgerufen. In diesem Sinn verstanden es die Studenten, die Fallen der Regierung zu umgehen, als diese vorschlug, mit den Chávez-treuen Studenten in der Nationalversammlung zu diskutieren. Der Plan schlug fehl: Andere Studenten mobilisierten sich und lasen mutig aus einem Dokument vor, in dem  die Abgeordneten der Versammlung angeklagt wurden, die Bewegung zu kriminalisieren, und in dem die Versammlung angeprangert wurde,  kein unparteiischer Ort zu sein, an dem sie debattieren und ihre Forderungen formulieren können. Sie verließen  das Gebäude angesichts des Zorns und der Überraschung der Abgeordneten und der chavistischen Anhänger [4].

 

 

Die Parolen der Bewegung haben einen zunehmend politischen Charakter angenommen. Obwohl die Medien, hauptsächlich jene von der Opposition kontrollierten, den "Kampf für Meinungsfreiheit", den "Stopp der Schließung von RCTV" und die "Verteidigung die Autonomie der  Universitäten " zur Hauptsache gemacht hatten, vertrat die Mehrheit der Studenten von Anfang offen politische Forderungen: Ende der Unterdrückung, Freilassung der verhafteten Studenten und jener, die sich täglich bei der Polizei melden müssen,  Solidarität mit den 3.000 Angestellten von RCTV, gegen Kriminalität und Armut und für die Notwendigkeit,  "eine bessere Welt zu schaffen", etc.

 

 

 

 

 

Woher kamen diese Merkmale der neuen Studentenbewegung?

 

Die Entstehung dieser Bewegung hat ihre Ursachen in der Verschlimmerung  der ökonomischen und politischen Krise in diesem Land. Eine Wirtschaftskrise, die der Chávismus hinter den enormen Ressourcen des Ölreichtums zu verschleiern versucht, der nur dazu gedient hat, den Machterhalt der neuen "revolutionären" Elite zu stärken, während der Rest der Bevölkerung trotz der vom Staat durch „Wohltätigkeitsorganisationen“' verteilten Brosamen fortschreitend ärmer wird. Einer der Hauptausdrücke dieser Krise wird im unaufhörlichen Wachstum der Inflation gesehen, welches entsprechend den unzuverlässigen amtlichen Zahlen im Durchschnitt während der  letzten drei Jahre 17% (dem Höchststand in Lateinamerika) beträgt. In der Tat sind die Zunahmen des von der Regierung geleiteten Mindestlohns im Grunde genommen durch die unaufhörlichen Erhöhungen der Preise der Nahrung, Waren und Dienstleistungen verursacht. Das viel publik gemachte Wirtschaftswachstum, das durchschnittlich in derselben Zeit bei einer 10% Zunahme des BIP gelegen hat, ist im Wesentlichen auf  einer Zunahme der Ausbeutung basiert, einem Wachstum prekärer und informeller Arbeit (getarnt als Genossenschaften und  Regierungsaufträge), welche etwa 70% der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung einschließlich der Arbeitslosen betrifft. Dies alles bedeutet, dass die große Mehrheit der Lohnarbeiter keine legalen Sozialleistungen erhält und dass sie  nicht einmal den offiziellen Mindestlohn verdienen. Diese Wirtschaftskrise, das Ergebnis der Krise, die das ganze kapitalistische System betrifft, existierte lange vor der Chávez Regierung, aber sie während der 8 Jahre dieser Regierung verschlimmert und  zu einer zunehmenden Verarmung  der Gesellschaft [5] geführt.

 

 

Zusammen mit den dauernd steigenden Lebenshaltungskosten und dem Wachstum prekärer Arbeit, haben wir die Knappheit der Nahrung, Mangel an Wohnungen  gesehen, eine gesteigerte Kriminalität welche im Jahr 2006 1700 Venezolanern das  Leben kostete, hauptsächlich junge Leute aus den ärmsten Schichten. Es tauchen wieder  Krankheiten wie Malaria und Denguefieberfieber auf, was herrührt von der schlechten Körperkonstitution der Verschlechterung von öffentlichen Gesundheitsversorgung. Wir könnten die Reihe fortsetzen.

 

 

Diese Situation ist nichts, als der Ausdruck Staatskapitalismusmodell a la Chávez Bewegung, der keinen anderen Kurs hat, als fortzufahren, die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und der ganzen Bevölkerung anzugreifen, gerade so wie vorherige Regierungen es auch taten, Prekasierung der Arbeiter und Verarmung. aber diesmal im Namen des "Sozialismus".

 

 

Eindeutig sind die Studenten über diese Situation nicht uninformiert, da die Mehrheit von ihren aus  proletarischen Familien stammt oder von Familien, die durch die Krise verarmt sind. Viele Studenten in den öffentlichen und privaten Universitäten erfahren Ausbeutung, weil sie formell oder informell arbeiten müssen, um die Kosten für das  Studium wenigstens teilweise aufzubringen, oder umd ihren  Familie zu helfen. Noch sind sich die Studenten über die Tatsache nicht , dass sich ihre Hoffnungen  in die Zukunft nicht realisieren werden: Die Mehrheit kleiner Berufstätiger, die in letzten Jahrzehnten aus den Universitäten herausgekommen sind, ist zunehmend  proletarisiert worden, wie es  Tausende von Gesundheits-, Bildungsberufstätige und Ingenieure erfahren haben. Sie haben Schwierigkeiten, mehr als zweimal den offiziellen Mindestlohn [6] zu verdienen, während die Verschlechterung des Soziallohns die Möglichkeit unterhöhlt, ein würdevolles Leben zu haben, sogar wenn du zu den  "Privilegierten", gehörst, wie sie von den Regierungssprechern genannt werden. 

 

 

Ebenso hat ein guter Teil der Jugend, die auf den Straßen protestiert, gesehen, was die Verwüstungen ihren Familien und der Gesellschaft zugefügt haben durch von der  Chávez Bewegung und den Oppositionsführern hervorgerufenen Polarisierung in ihrem Konkurrenzkampf um die Macht. Sie sind Opfer der Teilung der Gesellschaft und einer Schwächung der sozialen Bindungen und der  Solidarität; viele von ihnen und ihre Eltern sind in den Netzen politischer Polarisierung gefangen worden, indem sie sogar  Fanatiker der einen oder anderen bürgerlichen Fraktion geworden sind, und dabei jeden Ausblick verloren haben. Sie haben auch Opfer des  Kampfes der herrschenden Klasse und ihrem Motto  "Der Zweck heiligt die Mittel" geworden", Opfer der  skrupellosen Lügen und der Manipulationen als Ergebnis des  Zerfalls bürgerlichen Moral.

 

 

Deshalb ist  die Studentenbewegung, obwohl sich spontan ergeben,  nicht das Ergebnis einer "Kinderkrankheit" noch ist sie  von geheimen Führern geschaffen worden; viel weniger ist es etwas, das  aus den Hirnen der Oppositionsführer oder vom CIA stammt,  wie Chávez und seine Anhänger endlos wiederholt haben. Es ist das Produkt eines Prozesses der Reflexion, die seit mehreren Jahren im Gang innerhalb der Gesellschaft gewesen ist, und besonders unter den neuen Generationen, die damit konfrontiert sind, in einer Gesellschaft zu leben, wo es keine Chance gibt, ein würdevolles Leben zu führen. Daher ist es kein Zufall, dass der Student protestiert, dass Slogans  mit einem eindeutig sozialen Inhalt angenommen wurden: der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und  Kriminalität, Hilfe für  Kinder und Mütter, gegen Armut, aber auch gegen Lüge, Intoleranz Unmoral und Unmenschlichkeit, die die Gesellschaft verzehren.

 

 

Diese Merkmale zeigen, dass diese Bewegung den Konflikt zwischen Opposition und Regierung überstiegen hat und die Saat enthält, das Ganze des kapitalistischen Systems der Ausbeutung in Frage zu stellen; auf diese Art hat es sich fraglos in den gesamten Kampf der Lohnarbeiter eingetragen. Die Mittel und Methoden, die es dem Kampf gegeben hat, (Versammlungen, Wahl  von der Versammlung gegenüber verantwortlichen Delegierten, die Tendenz, sich zu vereinigen, der Aufruf zu  Diskussion nach außerhalb der Universitäten usw.) sind jene des Proletariats in seinen Kämpfen für die Verteidigung seiner Interessen. Obwohl noch wenig entwickelt und unbewusst, es gibt die Tendenz in dieser Bewegung, die Interessen der Arbeiterklasse auszudrücken, und dies hat es vorangetrieben.

 

 

In den  letzten Jahre hat es Studentenbewegungen in anderen Teilen der Welt wie Brasilien, Chile, Frankreich gegeben, mehr oder weniger entwickelt, aber alle mit  denselben Merkmalen. In Frankreich waren es Proteste und Demonstrationen, die von den Studenten im Mai 2006 gegen die Regierungsversuche geführt wurden, prekäre Arbeit aufzuerlegen, die Millionen von Menschen in  Frankreich [7] mobilisierten. Die Studentenbewegung in Venezuela hat viele Ähnlichkeiten mit diesen Bewegungen. Diese Bewegungen zeigen, dass die Studenten in Venezuela nicht isoliert sind, sondern denselben  Prozess der Reflexion ausdrücken, die innerhalb der neuen Generationen stattfindet, die nach einer Perspektive suchen, in einer Gesellschaft, die keine Zukunft anbietet.

 

 

Gefahren, die der Bewegung drohen

 

Die Studentenbewegung hat sich in einer zerbrechlichen und unsicheren Situation entfaltet. Der von der Bourgeoisie ausgeübte Druck zu kontrolliern und zu zerschlagen, ist sehr stark. Beide Regierung und Opposition machen dabei vollen Gebrauch von ihren Parteimaschinen, materiellen Mitteln und den Medien. Es gibt auch die Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft durch die  Regierung und die Opposition, die eine Wichtigkeit hat, die nicht unterschätzt werden kann. Nicht unterschätzt werden darf die Einschüchterung und Unterdrückung, die ausgeführt wurden, nicht nur durch den offiziellen Repressionsapparat, sondern auch von den Banden der Chávez Bewegung.

 

 

Jedoch sind eine der wichtigsten Gefahren für diese Bewegung die demokratischen Illusionen. Slogans wie der Kampf für "Meinungsfreiheit" oder "bürgerliche Rechte" u.a., selbst wenn damit gemeint die  Notwendigkeit, den Institutionen des  Staates gegenüberzutreten, die dem Kampfs im Wege stehen, sind sie im Wesentlichen Ausdrücke von Illusionen über die Möglichkeit, in der Lage zu sein, Freiheit und "Rechte" innerhalb des Kapitalismus haben zu können; dass es möglich (vielleicht mit einer anderen Regierung) ist, die Demokratie zu verbessern, um in der Lage zu sein, es wirklich in etwas zu verwandeln, das das Überwinden der Schwierigkeiten ermöglichen würde, die Gesellschaft zu reformieren. Demokratie mit seinen Institutionen, Parteien, Mechanismen (hauptsächlich Wahlen) ist das System, das die  Bourgeoisie perfektioniert hat, um das System der Vorherrschaft durch eine Minderheit über der Mehrheit der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. "Meinungsfreiheit" ist Teil der Gesamtheit von "demokratischen Freiheiten", die das Bürgertum seit der französischen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts verkündet hat, welche nur dazu gedient haben, die ausgenutzte Masse zu verwirren, um seine Klassenherrschaft zu behaupten. Alle diese "Rechte" sind nichts als die Kodierung von diesen Illusionen. Alle bürgerlichen Regimes können "Freiheit" und "Rechte" anerkennen, solange die kapitalistische Ordnung und der Staat, der sie sichert, nicht bedroht werden. Deshalb ist es kein Zufall, dass in der Konfrontation zwischen den Regierungs- und Oppositionsgangstern jeder von ihnen behauptet, die wahren Verteidiger der demokratischen Ordnung zu sein.

 

 

Der Kampf für die "Autonomie von den Universitäten" ist ein anderer Ausdruck dieser demokratischen Illusionen. Es ist eine alte Forderung des Universitätsmilieus, das die Idee verteidigt, dass diese Institutionen von Staatseingriff frei sein können. Das ignoriert die Tatsache, dass Universitäten und Schulen  das Hauptmittel dafür sind, die Ideologie  der herrschenden Klasse zu verbreiten (ob von den Linken oder Rechten) unter der  neuen Generation und für das Trainieren des Kaders, für das Verwalten dieser Ordnung. Diese Forderung, vorgebracht hauptsächlich von den Studentenföderationen und Universitätsverwaltungen, versucht, den auftauchenden Kampf innerhalb der vier Mauern der Universitäten gefangen zu halten, es vom Ganzen der Gesellschaft isolieren. [8]

 

 

Eine andere Gefahr, der die Bewegung gegenübersteht, ist die Ähnlichkeit zwischen seinen Forderungen  und jenen der Opposition. Das spielt den  Interessen in die Hände, die versuchen die Bewegung zu kontrollieren und die Regierung in die Lage zu versetzen, die Bewegung mit der Opposition zu identifizieren. Die Bewegung muss derselben Klarheit und Vehemenz, wie sie die Regierung hat, haben. Wenn sie das nicht hat, wird sie aufgehen in einer Bewegung, die nur dazu dient, die Opposition an die Macht zu bringen, wie das schon in anderen Ländern geschehen ist, wobei die grundsätzliche Situation unverändert und das kapitalistischen System intakt bleibt. Die Studenten müssen  verstehen, dass die Opposition  ebenso wie die Regierung für die Situation, in der wir leben, verantwortlich ist, dass die Opposition als  Steigbügelhalter fungierte, auftrat, um  Chávez an die Macht zu bringen. und dass, wenn sie zur Macht zurückkehrt, sie die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse ebenso angreifen wird wie die  Chávez Bewegung heute, und dass sie beide bürgerliche Kräfte  sind, die versuchen, die vorhandene Ordnung zu verteidigen.

 

 

Perspektiven

 

Diese Studentenbewegung, die wir begrüßen und unterstützen, hat die große Tugend, zu versuchen, mit dem giftigen Teufelskreis der Polarisierung zu brechen, indem sie auf  Dialog und Diskussion durch Versammlungen setzt, die entscheiden sollen, was zur Diskussion ansteht und die Bedingungen festlegen. Dies ist ein Gewinn für die Studenten, für die Arbeiter und für die Gesellschaft als Ganzes, da es die wirklichen Verbindungen der Solidarität stärkt.

 

 

Jedoch wäre es illusorisch, zu denken, dass der Kampf der Studenten, ganz gleich, wie tapfer und mutig er gewesen ist, den gegenwärtigen Zustand der Dinge ändern wird. Diese Bewegung trägt wirklich Früchte, wenn es zum Verbreiten der proletarischen Elemente führen kann, die es nicht nur in den Barrios gibt, sondern noch bedeutsamer für die  Arbeiter in den Fabriken und in den privaten und öffentlichen Unternehmen. Dies kann nicht durch die Gewerkschaften und die politischen Parteien, sondern  nur durch die Einladung  an Arbeiter aus  allen Sektoren und an Arbeitslosen an den Versammlungen teilzunehmen, getan werden. Auf diese Weise werden die Arbeiter in der Lage sein, zu sehen, wie die proletarische Ader  durch die Bewegung läuft. Zur gleichen Zeit wird dies das Nachdenken und auch den Kampf des Proletariats stimulieren, dessen Taten unentbehrlich sind dem Staat gegenüberzutreten und fähig zu sein, um die Hauptursachen  für die Barbarei, in der wir leben - das kapitalistische System der Ausnutzung anzugreifen, und einen wirklichen Sozialismus basierend auf der Macht der Arbeiterräte durchzusetzen. Jedoch wenn es eine flüchtige Bewegung bleibt, eingespannt in Kampf zwischen bürgerlichen Fraktionen, wird sie zerschlagen werden..

 

 

Die fortschrittlichsten Teilnehmer der Bewegung müssen versuchen, sich in Diskussionszirkeln umzugruppieren, um in der Lage zu sein, eine Bilanz  der Bewegung bis jetzt zu ziehen, und nach Möglichkeiten zu suchen, die proletarischen Elemente der Bewegung zu stärken, welche sich erst im Embryozustand befinden. Sie  werden sich vertiefen mit der Verschlimmerung  der ökonomischen und sozialen Krise.

 

 

Unabhängig von der Zukunft dieser Bewegung  etwas für den zukünftigen Klassenkampf sehr wichtiges ist aufgetreten: die Eröffnung  eines Prozesses der Reflexion und Diskussion. Internacionalismo, Sektion der IKS in Venezuela

 

 

Juli 2007.

 

 

 

 

 

[1] Laut dem Minister des inneren Pedro Carrenos am ersten Tag, als es 94 Demonstrationen überall in dem Land gab.  

 

 

[2] "Wir wollen nicht gegen unsere Brüder kämpfen", erklärte ein Mitglied des Gemeinderats des Barrios von Patarse im Osten von Caracas, sich auf den Aufruf des Präsidenten Chávez beziehend, der  die Barrios gegen die Studenten mobilisieren wollte.

 

 

[3] "Reich zu sein, ist schlecht" das wiederholt Chávez endlos in seinen häufigen Mediendarstellungen, während das Proletariat und seine Anhänger (in der Mehrheit die ärmsten Schichten der Bevölkerung) daran gewöhnt sind, eine prekäre Existenz zu leben das wirkliche Ziel des "21. Jahrhundertsozialismus". Jedoch, er und seine Familie, zusammen mit der höchsten Ebene der Bürokraten, befolgen dieses Motto nicht. Um das zu erläutern bringt  die französische Zeitung Le Monde im Juni  eine Artikelserie unter der Titel "Les Bons affaires DE La famille chavez" ('die Geschäftsangelegenheiten der Familie Chávez') heraus, wo sie die Art beschrieben, wie die Neureichen der so genannten "bolivarianischen Bourgeoisie" leben. Diese Artikel zeigten, dass Chávez ein Objekt des Interesses seitens der  französischen Bourgeoisie geworden ist, die  die "bolivarianische Revolution" und ihren  fanatischen "Antiamerikanismus" zu ihrem  Vorteil verwenden will.

 

 

[4] Die Studenten wurden von der Polizei eskortiert, als sie in die Versammlung gingen oder sie verließen. Die Chávez Banden  umlagerten das Versammlungsgebäude.

 

 

[5] Entsprechend den offiziellen Zahlen der Regierung wurde die  Armut von 54% 2003 auf 32% im Jahr 2006 reduziert. Jedoch gibt es hinter diesen Zahlen Staatsmanipulation (vornehmlich was die Preise der Nahrungsmittel anbetrifft), um sicher zu stellen, dass die Rede der Regierung darüber, ein Ende der Armut, wie sie  2001 herrschte, herbeizuführen, den Zahlen entspricht. Dennoch zur gleichen Zeit hat es die Zunahme der Anzahl von Bauchladenverkäufer, Straßenverkäufer) gegeben. Die Zunahme des im Jahr 2006 amtlich eingetragenen Verbrauchs war durch die Zunahme von öffentlichen Ausgaben, die durch die Wahlen verursacht wurden, aber nicht zu einer Verminderung der Armut führten. Die katholische Andrés Bello Universität, die die Armutsniveaus seit  Jahren verfolgt hat, sagt, dass die Armut um  58% im Jahr 2005 zunahm.  

 

 

[6] Über $ 300 laut amtlichen Wechselkurses  2150 Bolivars gegenüber $, die weniger als $ 150 zum Schwarzmarktwechselkurs beträgt.  

 

 

[7] Siehe "Thesen zur Studentenbewegung im  Frühjahr in Frankreich"

 

 

[8] Ein Beweis davon war die am 22. Juni im Basketballstadion der Universidad Central de Venezuela von der Föderation der Centros Universitarios gehaltene Versammlung, die  Universitätsverwaltungen und die Opposition unterstützten. Dies war eine Schau, um Aufmerksamkeit von den wirklichen Versammlungen abzulenken. Angesichts dessen riefen  einige Studenten: "Wir wollen keine Schaus, wir wollen Versammlungen".  

 

 

[9] Siehe u.a.: ' Ukraine: Das autoritäre Gefängnis und die Falle der Demokratie ' https://en.internationalism.org/ir/126_authoritarian_democracy [28]

 

Geographisch: 

  • Venezuela [14]

Frankreich - Die Regierung Sarkozy offenbart die bürgerliche Natur der Linken

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Die Regierung Fillon-Sarkozy reißt sich ihre Wahlkampfmasken vom Gesicht und zeigt den Arbeitern, dass ihr Slogan einer „wieder gefundenen Rechten“ kein Vergnügen ist. Die neue französische Regierung hat nicht einmal die Parlamentswahlen abgewartet, um eine Reihe von schweren Angriffen zu starten: Überstunden, Erschwernisse beim Zugang zu Krankenpflegeleistungen, Erhöhung der indirekten Steuern, eine massive Reduktion der Stellen im öffentlichen Dienst (zwischen zehn- und zwanzigtausend bei den Lehrkräften). – Kurzum, ein Vorgeschmack auf die Zukunft, in der der so genannte „Wandel des Lebensstils“, den die herrschende Klasse in Frankreich während dem ganzen Wahlkampf 2007 propagierte, in die Tat umgesetzt werden soll.

Die Regierung Fillon-Sarkozy reißt sich ihre Wahlkampfmasken vom Gesicht und zeigt den Arbeitern, dass ihr Slogan einer „wieder gefundenen Rechten“ kein Vergnügen ist. Die neue französische Regierung hat nicht einmal die Parlamentswahlen abgewartet, um eine Reihe von schweren Angriffen zu starten: Überstunden, Erschwernisse beim Zugang zu Krankenpflegeleistungen, Erhöhung der indirekten Steuern, eine massive Reduktion der Stellen im öffentlichen Dienst (zwischen zehn- und zwanzigtausend bei den Lehrkräften). – Kurzum, ein Vorgeschmack auf die Zukunft, in der der so genannte „Wandel des Lebensstils“, den die herrschende Klasse in Frankreich während dem ganzen Wahlkampf 2007 propagierte, in die Tat umgesetzt werden soll.

Gegen die Arbeiterklasse…

Die Parole des Präsidentschaftskandidaten Sarkozy „Mehr Arbeiten, um mehr zu verdienen“ war selbst schon eine Frechheit. Bereits am 6. Juni wurde eine Vorlage eingereicht, welche die Steuerbefreiung von Überstunden vorsieht und am 1. Oktober in Kraft treten wird. Mit dieser Steuerbefreiung kosten die Überstunden die Unternehmer (privat und öffentlich) fast gleichviel wie die normalen Arbeitsstunden. So wäre es ja fast schade für das Kapital, nicht Profit daraus zu schlagen! Damit ist die Bahn geebnet und grünes Licht an die Unternehmer gegeben worden, das maximale Kontingent von 220 jährlichen Überstunden voll auszuschöpfen. Unter diesen Bedingungen werden die Löhne schnell eingefroren. Doch welch „wunderbare Kompensationsmöglichkeit“ für die Arbeiter, um einige Euros „mehr zu verdienen“! Die Belegschaft des Kronenbourg-Betriebes in Obernai hatte, als sie Anfang Juni in den Streik trat, sehr wohl verstanden, dass es sich dabei in Tat und Wahrheit um „Mehr arbeiten, um schneller zu sterben“ handelte. Schon als das neue Gesetz, welches den Rückgriff auf Überstunden erleichtert, noch nicht in Kraft getreten war, hatten die Angestellten von Kronenbourg mit ihren 50-Stunden Wochen das Gefühl „ihr Leben im Betrieb zu verbringen“. „Das sind vier Wochen, in denen ich Sonntagmorgens um 6 Uhr mit arbeiten aufhörte und dann am Montagmorgen um 6 Uhr wieder beginne“, erklärt ein Arbeiter.

Ist das Ziel dieser Steuerbefreiungspolitik eine Erleichterung für die Unternehmer, und woher will der Staat denn seine Einkünfte beziehen? Ganz einfach, es geht darum, die Arbeiterklasse unter Druck zu setzen. Im französischen Fernsehen wurde das folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Man muss alles in Betracht ziehen, auch die Möglichkeit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer.“ Die Steigerung der indirekten Steuer auf Konsumgütern hat eine drastische Senkung der Kaufkraft für Lebensmittel zur Folge.

Auch bei der Krankenpflege kündigt die Einführung eines neuen Selbstbehalts bis im Herbst den Abbau des Gesundheitssystems an; diese Demontage wird von allen Regierungen weiter getrieben, seien sie linke oder rechte.

Jedes Jahr muss beim ersten Arztbesuch oder Krankenhausaufenthalt, bei der ersten Laboruntersuchung oder dem ersten Kauf von Medikamenten der Kranke erneut einen Selbstbehalt bezahlen, bevor er von der Krankenversicherung eine Rückerstattung erhält.

Hier geht es zweifellos darum, aus den medizinischen Rückerstattungen einen Spießrutenlauf zu machen, so dass die Erkrankten dann schlussendlich eine Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen aufgeben. In Wirklichkeit führen die seit 2004 eingeführten Reformen immer mehr Leute dazu, Behandlungen zu verschieben oder ihre Schulden gegenüber Krankenhäusern zu vergrößern.

¡­ Rechts oder Links, gehupft wie gesprungen!

Und wenn die Linke die Wahlen gewonnen hätte, wäre dann die Zukunft nicht ein etwas rosiger - oder wenigstens nicht so knallhart? Weit gefehlt!

Um sich davon zu überzeugen, reicht es, sich die Umstände anzuschauen, die die gegenwärtige Regierung für all diese Angriffe veranstaltet. So sind hier einige Köpfe (und nicht die geringsten) der Linken zu finden, die sich brüderlich neben diejenigen der Sarkozy-Rechten gesellen. Es handelt sich um eine unübertreffliche Veranschaulichung der Wahlkampfparole von Ségolène Royal: „gagnant, gagnant“ („jeder gewinnt“)! So leistet sich die Linke, nachdem sie bereits die befürchtete blaue Welle bei der ersten Runde der Parlamentswahlen eingedämmt hat, den Luxus, Sitze zu gewinnen – und zwar in der Regierung Fillon II selbst.

Bis jetzt haben sich linke und rechte Regierungen abgewechselt, indem sie versicherten, die Kontinuität der Angriffe in den wichtigen Bereichen zu wahren (Gesundheit, Altersrenten, Beschäftigung usw.). Heute verlangt der präsidiale „neue Stil“, dass die Schläge gegen die Arbeiterklasse kollegial von der rechten Regierung ausgeteilt werden, in welcher der linke Partner seinen Platz hat: Kouchner (der Humanitäre ohne Grenzen),  Jouyet (Vertrauter des Ex-Paares Hollande/Royal), Hirsch (der Freund der Armen, der schnell begriffen hat, dass die Wohltätigkeit bei sich selber beginnt), bis zu den zuletzt in die Regierung eingetretenen, dem sozialistischen Bürgermeister von Mülhausen, Jean-Marie Bockel, und Fadela Amara (Präsidentin des Vereins „Ni Putes Ni Soumises“ („Weder Huren noch Unterwürfige“), aber unter dem Strich dann doch etwas „Hure“). Die Bourgeoisie hat viel Wert darauf gelegt, uns klar zu machen, dass Rechte und Linke nicht „Jacke wie Hose“ sind. So verkündete eine sozialistische Abgeordnete des Departements Deux-Sèvres vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, dass „die Linke und die Rechte nicht gleich sind … es handelt sich um zwei verschiedene Arten, die Welt zu sehen, die Früchte der Arbeit zu verteilen“. Na mal sehen!

Auch die extreme Linke verbreitete in den beiden Wahlgängen mit ihrer Parole: „Alles außer Sarkozy“ genau diese Botschaft.

So viel Anstrengungen, ideologischer Verbissenheit und – schwuppdiwupp: Die Gewählten haben ihr „Coming out“ mit einer innigen Umarmung Sarkozys.

Die Sozialistische Partei kann immer noch erklären, dass es sich dabei bloß um Judasse handle, üble Verräter, die ihr „soziales Ideal“ für ein Linsengericht dem Teufel verkauft haben. Es bleibt dabei, dass die Transplantation nicht möglich gewesen wäre ohne eine gewisse Verträglichkeit.

Sarkozy hatte wirklich die Qual der Wahl im großen Laden der Linken. Heute noch geben die historischen Führer, unter ihnen die einflussreichsten der Sozialistischen Partei, Fabius oder Jack Lang, auf der Treppe zum Regierungspalast Pfote und wedeln mit dem Schwanz in der Hoffnung, dass sie mit irgend einem Schlüsselposten (Präsidentschaft des IWF) oder weiteren Ministeraufgaben belohnt werden.

Malek Boutih (früherer Vorsitzender von SOS Racisme und Mitglied der Sozialistischen Partei) brach auch ohne weiteres ein Lanze für Fadela Amara, als er ihre Ernennung als „gute Nachricht“ feierte und ausrief: „Man darf nicht im Namen von politischen Divergenzen Personen verurteilen!“

Doch von welcher Divergenz spricht er? Handelt es sich etwa um diejenige zwischen einer Linken, die „historisch im Gesellschaftlichen verankert“ ist, der „ausländischen“, der „Erbfeindin“ der Rechten, und dieser Rechten, die „an das Unternehmertum gebunden“ ist – mal ehrlich: Dieser Schwindel hatte schon vorher viel Blei in den Flügeln und fliegt in Zukunft so gut wie ein Amboss.  

Die Eile, mit der einige sozialistische Parlamentarier und linke Verbündete in die Regierung Fillon eintreten, nachdem sie eine (harte) Kampagne gegen Sarkozy geführt haben, sagt ebenso viel über die Überzeugungen dieser linken Galionsfiguren aus, die angeblich die Arbeiterklasse und die Armen vertreten, wie die kürzlich erfolgte Erklärung von Ségolène Royal, wonach sie nie an das von ihr verteidigte Programm der Sozialistischen Partei geglaubt habe (insbesondere mit dem Mindestlohn von € 1500.--).

Was schließlich die einzige Überzeugung der Politiker von rechts bis links ist und wovon wir uns selber überzeugen müssen, ist ihre Zugehörigkeit mit Haut und Haar zur Klasse der Ausbeuter. 28.06.07

(aus Révolution Internationale

 von Juli/August 2007) 

Oktober 2007

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Wiederveröffentlichung: Gegenwärtige Probleme der Arbeiterbewegung - Internationalisme Nr. 25 – August 1947

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Einleitung der IKS

Dieser Text von Internationalisme ist ein Auszug aus einer Artikelreihe, die während des Jahres 1947 unter dem Titel „Gegenwärtige Probleme der Arbeiterbewegung“ veröffentlicht wurde. Wir verweisen unsere Leser/Innen auf die Vorstellung des ersten Teils in der Nr. 33 der englisch/französisch/spanischen Ausgabe unserer Internationalen Revue, in der die Kritik von Internationalisme an den Organisationsauffassungen des Parti Communiste Internationaliste Italiens (PCInt) in den historischen Kontext der damaligen Epoche eingebettet wird. Nach der Kritik im ersten Teil an der Auffassung vom „brillanten Führer“, derzufolge nur besondere Individuen die Fähigkeit besitzen, die revolutionäre Theorie zu vertiefen, greift Internationalisme im zweiten Teil die „Disziplin“ an, dem Analogschluss dieser Auffassung, demzufolge die Mitglieder der Organisation schlicht und einfach als Roboter betrachtet werden, die über die politischen Orientierungen der Organisation nicht diskutieren dürften. Internationalisme unterstreicht: „Die Organisation und das konzertierte Handeln der Kommunisten stützen sich ausschließlich auf das Bewusstsein der Mitglieder der Organisation. Je größer und klarer dieses Bewusstsein ist, desto stärker ist die Organisation und desto konzertierter und wirksamer ist ihr Handeln.“Seit den 1940er Jahren gründeten sich die wiederholten  Abspaltungen vom PCInt auf dieser ruinösen Vision der Organisation, bis zur heutigen Auflösung der größten dieser Abspaltungen (der Parti Communiste Internationale - „Programme Communiste“), was lediglich die Richtigkeit der Warnung von Internationalisme vor diesen Auffassungen bestätigt hatte.  

„Disziplin – unsere Hauptstärke“

Während der Parlamentswahlen in Italien Ende 1946 ist im Zentralorgan des PCInt ein Leitartikel erschienen, der als solcher programmatisch war. Seine Überschrift lautete: „Unsere Stärke“, sein Verfasser war der Generalsekretär der Partei. Worum ging es in dem Artikel? Um die Unruhe, die in den Reihen des PCInt aufgrund der Beteiligung an den Parlamentswahlen entstanden war. Ein Teil der Genossen, die allem Anschein nach lediglich an der abstentionistischen Tradition der Fraktion um Bordiga hingen und dieser folgten, anstatt eine klare Gesamtposition zu vertreten, erhob sich gegen die Politik der Wahlbeteiligung. Diese Genossen reagierten eher auf ein Unbehagen in ihren Reihen, auf eine mangelnde Begeisterung und auf praktische „Nachlässigkeiten“ in der Wahlkampagne und nicht so sehr aufgrund eines offenen politischen und ideologischen Kampfes innerhalb der Partei. Ein anderer Teil der Genossen ging in seiner Begeisterung für die Wahlen gar soweit, sich am Referendum „Für die Monarchie oder die Republik“ zu beteiligen, wobei er ungeachtet der abstentionistischen Position der Partei und des Zentralkomitees gegenüber dem Referendum für die Republik stimmte.

Indem sie vermeiden wollten, wegen einer allgemeinen Diskussion über den Parlamentarismus „Unruhe“ in der Partei zu verbreiten, und sich dabei auf die längst hinfällig gewordene Politik des „revolutionären Parlamentarismus“ beriefen, haben sie in Wirklichkeit nur das Bewusstsein der Mitglieder getrübt, die nicht wussten, welchem „Führer“ man folgen sollte. Die einen beteiligten sich zu eifrig an der Kampagne, die anderen zu wenig; die Partei ging dabei jedenfalls durch ein Wechselbad der Gefühle und ist aus diesem Wahlkampfabenteuer nicht ganz unbeschadet herausgekommen. (1).

Der Generalsekretär stemmte sich in seinem Editorial vehement gegen diese Entwicklung. Er drohte mit dem Bannstrahl der Disziplin und  prangerte die örtlichen linken oder rechten politischen Dissidenten an. Er meinte, dass es nicht darauf ankomme, ob eine Position richtig oder falsch ist, sondern darauf, die allgemeine politische Linie anzuerkennen, nämlich die des Zentralkomitees, der man Gehorsamkeit leisten müsse. Das sei eine Sache der Disziplin. Die Disziplin sei die Hauptstärke der Partei… und der Armee, würde ein jeder Unteroffizier hinzufügen. Es stimmt, dass der Sekretär von einer freiwillig vereinbarten Disziplin spricht. Gott sei Dank! Mit diesem Zusatz fühlen wir uns gleich viel sicherer…

Welche tollen Ergebnisse sind nach dem Aufruf zur Disziplin zu verbuchen gewesen? Vom Süden bis zum Norden, von links bis rechts hat eine wachsende Zahl von Genossen auf ihre Weise diese „freiwillig vereinbarte Disziplin“ umgesetzt und ist freiwillig aus der Partei ausgetreten. Die Führer des PCInt haben uns bis zum Überdruss erzählt, dass es sich hier um eine „Umwandlung von Quantität in Qualität“ gehandelt habe und dass die zahlreichen Parteiaustritte die Partei von einer falschen Auffassung über die kommunistische Disziplin gewahrt haben. Wir antworten darauf, dass wir davon überzeugt sind, dass jene, die in der Partei verblieben sind - das Zentralkomitee an erster Stelle -, nicht einer falschen Disziplinauffassung aufgesessen sind, sondern einer falschen Auffassung über den Kommunismus schlechthin.

Was ist Disziplin? Ein Aufzwingen des Willens auf Andere. Das Adjektiv „freiwillig vereinbart“ ist letztendlich nur eine rhetorische Beschönigung, um die Sache attraktiver zu machen. Wenn sie von denen ausgeübt wird, die sich ihr unterwerfen, ist es nicht notwendig, sie daran zu erinnern – und sie vor allem pausenlos daran zu erinnern, dass sie eine „freiwillig vereinbarte“ Disziplin ist.

Die Bourgeoisie hat stets behauptet, dass ihre Gesetze, ihre Ordnung, ihre Demokratie Ausdruck des Volkswillens seien. Im Namen dieses „freien Willens“ wurden Gefängnisse an der Front gebaut, an deren Tore in Blut geschrieben stand: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. So wurde das Volk in den Armeen mobilisiert, deren Massaker in den Feuerpausen als „freier Wille“ verkauft wurden, der sich „Disziplin“ nannte.

Die Ehe ist, so scheint es,  ein freier Vertrag, so dass die Scheidung, die Trennung als nicht hinnehmbare Farce erscheint. „Unterwerfe dich deinem eigenen Willen“, war die Vervollkommnung der jesuitischen Devise der ausbeutenden Klassen gewesen.  So wird die Unterdrückung – hübsch in Geschenkpapier eingepackt und mit Bändern geschmückt – den Unterdrückten präsentiert. Jeder weiß, dass die christliche Inquisition die Ketzer aus Liebe, aus Respekt vor ihrer göttlichen Seele, die sie retten wollte, und aus Mitleid verbrannte. Die göttliche Seele der Inquisition von damals ist heute zur „freiwillig vereinbarten“ Disziplin geworden.

„Eins - zwei, eins - zwei, links, rechts … vorwärts Marsch!“  Übt eure „freiwillig vereinbarte“ Disziplin aus, und ihr werdet glücklich sein!

Worin besteht die kommunistische Auffassung über die Organisation und die Handlungsweise, wenn es nicht – um es zu wiederholen – die Disziplin ist? Sie geht von dem Postulat aus, dass die Menschen nur dann frei handeln, wenn sie sich ihrer Interessen voll bewusst sind. Die historische, ökonomische und ideologische Entwicklung bedingt diese Bewusstseinsentwicklung. Die „Freiheit“ existiert nur, sofern dieses Bewusstsein erlangt ist. Da, wo es kein Bewusstsein gibt, ist Freiheit nur eine Worthülse, eine Lüge; sie bedeutet lediglich Unterdrückung und Unterwerfung, auch wenn sie formal „freiwillig vereinbart“ ist.

Die Kommunisten haben nicht die Aufgabe, der Arbeiterklasse irgendeine Freiheit zu verschaffen. Sie haben keine Geschenke zu verteilen. Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, der Arbeiterklasse zu helfen, sich über die allgemeinen Ziele der Bewegung bewusst zu werden, wie es das Kommunistische Manifest sehr treffend formuliert.

Der Sozialismus ist nur als ein bewusstes Handeln der Arbeiterklasse möglich. Alles, was die Bewusstwerdung begünstigt, ist sozialistisch, und nichts anderes. Man kann den Sozialismus nicht mit dem Knüppel einführen. Nicht weil der Knüppel unmoralisch ist - wie es ein Koestler behauptet -, sondern weil der Knüppel nicht das Element des Bewusstseins enthält. Der Knüppel ist durchaus moralisch, wenn das Ziel, das man verfolgt, Unterdrückung und Klassenherrschaft sind, weil er solche Ziele konkret umsetzen kann. Es gibt keine anderen Mittel für diesen Zweck, und kann sie auch nicht geben. Wenn man auf den Knüppel zurückgreift – und die Disziplin ist ein moralischer Knüppel –, um das mangelnde Bewusstsein zu ersetzen, wendet man sich vom Sozialismus ab und führt die Bedingungen für einen Nicht-Sozialismus herbei. Deshalb wenden wir uns kategorisch gegen die Gewalt innerhalb der Arbeiterklasse nach dem Triumph der proletarischen Revolution und sind entschiedene Gegner einer Hingabe gegenüber der Disziplin innerhalb der Partei.

Um Missverständnisse auszuschließen: Wir lehnen nicht die Notwendigkeit der Organisation ab, auch nicht die Notwendigkeit eines konzertierten Vorgehens. Im Gegenteil. Wir lehnen jedoch die Idee ab, dass Disziplin jemals als Grundlage des Handelns dienen kann, da ihr Wesen Letzterem fremd ist. Die Organisation und die konzertierte Handlung der Kommunisten stützen sich ausschließlich auf das Bewusstsein der Mitglieder der Organisation. Je größer und klarer dieses Bewusstsein ist, desto stärker ist die Organisation und desto konzertierter und wirksamer ist ihr Handeln.

Lenin hat mehr als einmal entschieden die Zuflucht zur „freiwillig vereinbarten Disziplin“ als einen Knüppel der Bürokratie verurteilt. Wenn er von Disziplin sprach, so meinte er damit – und er äußerte dies vielmals - immer den Willen zum organisierten Handeln, das sich auf ein revolutionäres Bewusstsein, auf die feste Überzeugung eines jeden Militanten stützt.

Man kann von den Mitgliedern nicht verlangen (wie es das Zentralkomitee der PCInt tut), eine Handlung auszuführen, die sie nicht verstehen oder die gegen ihre Überzeugung gerichtet ist. Das hieße zu glauben, dass man revolutionäre Arbeit mit einer Masse von Kretins oder Hörigen betreiben kann. Die Notwendigkeit der Disziplin als revolutionäre Theologie wird dann verständlich. In Wirklichkeit kann die revolutionäre Aktivität nur von bewussten und überzeugten Mitgliedern ausgeführt werden. Nur dann zerbricht diese Aktivität alle Ketten und somit auch jene, die durch die heilige Disziplin auferlegt werden.

Die alten Militanten erinnern sich daran, welch eine Falle, welch fürchterliche Waffe gegen die Revolutionäre diese Disziplin in den Händen der Bürokraten und Führer der Komintern gebildet hat. Die Nazis hatten ihre heiligen Tribunale, die Sinowjews an der Spitze der Komintern ihre heilige Disziplin: eine wahrhaftige Inquisition, mit ihren Kontrollkommissionen, die die Seele eines jeden Genossen quälten und untersuchten. Die Parteien wurden in eine Zwangsjacke gesteckt, die jede Manifestation der Entwicklung von revolutionärem Bewusstsein erstickte. Der Gipfel der Durchtriebenheit bestand darin, Militante dazu zu zwingen, öffentlich das zu verteidigen, was sie in den Organisationen und Organen, deren Teil sie waren, verurteilten. Dies war der Test des perfekten Bolschewiki. Die Moskauer Prozesse unterschieden sich in ihrem Wesen nicht von dieser Auffassung der freiwilligen vereinbarten Disziplin. Wenn die Geschichte der Klassenunterdrückung diesen Begriff der Disziplin nicht geschaffen hätte, dann hätte ihn spätestens die stalinistische Konterrevolution erfinden müssen.

Wir kennen erstrangige Mitglieder des PCInt, die, um diesem Dilemma, sich gegen ihre Überzeugung an der Wahlkampagne zu beteiligen, zu entkommen oder sich der Disziplin zu entziehen, nichts anderes zu tun wussten, als zu der List zu greifen, rechtzeitig zu verreisen. Bewusst zur List, zur Täuschung zu greifen, nicht einverstanden zu sein und trotzdem den Mund zu halten - das ist das deutlichste Ergebnis dieser Methode. Welche Erniedrigung der Partei, welche Entwürdigung der Mitglieder!

Die Disziplin des PCInt beschränkt sich nicht nur auf die Mitglieder der Partei Italiens, sie wird ebenfalls von den belgischen und französischen Fraktionen verlangt. Der Abstentionismus war in der Internationalen Kommunistischen Linken selbstverständlich. So schrieb eine Genossin der Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken einen Artikel in deren Zeitung, mit dem sie versuchte, den Abstentionismus mit der Politik der Wahlbeteiligung des PCInt in Einklang zu bringen. Ihr zufolge handle es sich nicht um eine Prinzipienfrage; die Wahlbeteiligung des PCInt sei sehr wohl zulässig, auch wenn sie einer Enthaltung des PCInt den „Vorzug“ gegeben hätte. Wie man sehen kann, keine allzu „bissige“ Kritik – diktiert vor allem von der Notwendigkeit, die Kritik der Französischen Fraktion an der Wahlbeteiligung der Trotzkisten in Frankreich zu rechtfertigen.

Doch selbst diese Kritik reichte aus, dass der Parteisekretär in Italien die sündige Genossin zur Ordnung rief. Mit großem Tamtam erklärte der Sekretär, dass die Kritik im Ausland an der Politik des Zentralkomitees des PCInt nicht zulässig sei. Erneut wurde der Dolchstoß-Vorwurf erhoben, doch diesmal kam die Beschuldigung aus Italien und richtete sich gegen Frankreich.

Marx und Lenin sagten stets: Lehren, erklären, überzeugen. „Disziplin, Disziplin und noch einmal Disziplin“ hallte es dagegen aus dem Zentralkomitee zurück. Es gibt keine wichtigere Aufgabe als die Bildung von bewussten Militanten durch eine stetige Arbeit der Erziehung, der Erklärung und der politischen Diskussion. Diese Aufgabe ist gleichzeitig das einzige Mittel, mit dem das revolutionäre Handeln garantiert und gestärkt werden kann. Der PCInt hat jedoch ein wirksameres Mittel entdeckt: die Disziplin. Das überrascht uns nach alledem nicht. Wenn man sich zum Konzept des Genius bekennt, der nur auf sich hört und sich in seinem Licht aalt, dann wird das Zentralkomitee zum Generalstab, der dieses Licht in Anordnungen und Ukasse destilliert und umwandelt. Die Militanten werden zu Leutnants, Offizieren und Unteroffizieren – und die Arbeiterklasse zu einer Masse von Soldaten, der beigebracht werden soll, dass „Disziplin unsere Hauptstärke“ sei.

Diese Auffassung über den Kampf der Arbeiterklasse und der Partei entspricht den Auffassungen eines Ausbildungsoffiziers der französischen Armee. Sie ist verwurzelt in der uralten Unterdrückung und Herrschaft des Menschen über den Menschen. Es ist die Aufgabe der Arbeiterklasse, dies ein für allemal zu überwinden.

Das Recht auf Fraktionsbildung und die Funktionsweise der revolutionären Organisation

Nach so vielen Jahren gewaltiger Kämpfe innerhalb der Komintern um das Fraktionsrecht mag es unglaublich sein, heute auf diese Frage wieder zurückkommen zu müssen. Sie schien für jeden Revolutionär aufgrund der erlebten Erfahrung gelöst zu sein. Und trotzdem müssen wir dieses Fraktionsrecht heute gegen die Führer des PCInt verteidigen. 

Kein Revolutionär kann von der Freiheit oder der Demokratie im Allgemeinen sprechen. Denn kein Revolutionär lässt sich durch die Allgemeinplätze irreführen, weil er immer versuchen wird, ihren wirklichen gesellschaftlichen Inhalt, ihren Klasseninhalt aufzuzeigen. Mehr als irgendeinem Anderen kommt Lenin das Verdienst zu, den Schleier zerrissen und die schamlose Lüge bloßgelegt zu haben, die von den schönen Worten der „Freiheit“ und „Demokratie“ im Allgemeinen verdeckt wurde.

Was für die Klassengesellschaft gilt, trifft auch auf die politischen Gruppierungen zu, die innerhalb der Klassengesellschaft aktiv sind. Die II. Internationale war sehr demokratisch, aber ihre Demokratie lief darauf hinaus, den revolutionären Geist in einem Meer des bürgerlichen ideologischen Einflusses zu ertränken. Die Kommunisten wollen nichts mit solch einer Demokratie zu tun haben, mit der die revolutionäre Flamme gelöscht werden soll. Der Bruch mit den Parteien der Bourgeoisie, die von sich behaupteten, sozialistisch und demokratisch zu sein, war notwendig und gerechtfertigt. Die Gründung der III. Internationale auf der Grundlage des Ausschlusses der so genannten Demokratie war eine historische Reaktion darauf. Diese Antwort ist definitiv eine Errungenschaft der Arbeiterbewegung.

Wenn wir von der Arbeiterdemokratie sprechen, von der Demokratie innerhalb der Organisation, dann meinen wir damit etwas ganz Anderes als die sozialistische Linke, die Trotzkisten und andere Demagogen. Die Demokratie, die sie uns mit bebender und honigsüßer Stimme  verkaufen wollen, ist eine Demokratie, in der die Organisation die „Freiheit“ hat, Minister für die Verwaltung des bürgerlichen Staates zu stellen, ist eine Demokratie, die es uns ermöglicht, „freiwillig“ am imperialistischen Krieg teilzunehmen. Diese organisierten Demokratien liegen uns nicht näher als die nicht-demokratischen Organisationen Hitlers, Mussolinis und Stalins, die genau die gleiche Arbeit verrichten. Nichts ist verwerflicher als die Vereinnahmung Rosa Luxemburgs für diese Zwecke (die sozialistischen Parteien sind Meister darin) durch die Taschenspieler der sozialistischen Linken, die damit versuchen, ihren „Demokratismus“ der bolschewistischen „Intoleranz“ entgegenzusetzen. Rosa Luxemburg hatte noch weniger als Lenin alle Probleme der Arbeiterdemokratie gelöst, doch beiden wussten, was diese sozialistische Demokratie bedeutete, und beide prangerten sie entsprechend an.

Wenn wir vom inneren Regime sprechen, meinen wir eine Organisation, die sich auf Klassenkriterien stützt, auf ein revolutionäres Programm, das nicht den Advokaten aus den Reihen der Bourgeoisie offen steht. Unsere Freiheit ist keine abstrakte Freiheit, keine Freiheit als solche, sondern äußert sich hauptsächlich konkret. Es ist die Freiheit von Revolutionären, die gemeinsam versuchen, die besten Mittel zu finden, um für die gesellschaftliche Befreiung zu handeln. Auf dieser gemeinsamen Grundlage treten bei dem Versuch, auf das gemeinsame Ziel hinzuarbeiten, unvermeidlich etliche Divergenzen auf. Diese Divergenzen bringen immer entweder den Mangel einer richtigen Antwort, wirkliche Schwierigkeiten des Kampfes oder auch eine Unreife der Gedanken zum Ausdruck. Sie können weder verschwiegen noch verboten werden, sondern müssen im Gegenteil durch die Erfahrung des Kampfes und durch die freie Auseinandersetzung der Ideen überwunden werden. Die Funktionsweise der Organisation besteht also nicht darin, diese Divergenzen zu ersticken, sondern die Bedingungen für ihre Lösung zu schaffen. Das heißt, sie zu fördern, ans Tageslicht zu bringen, statt zuzulassen, dass sie sich heimlich ausbreiten. Nichts vergiftet mehr die Atmosphäre in der Organisation als Divergenzen, die verborgen bleiben. Damit verzichtet die Organisation nicht nur auf jede Möglichkeit, sie zu überwinden; sie untergräbt auch langsam ihre eigenen Grundlagen. Bei der ersten Schwierigkeit, beim ersten ernsthaften Rückschlag gerät das Gebäude, das vorher so solide erschien, ins Wanken, bricht zusammen und hinterlässt nur einen Haufen Steine. Was anfänglich nur ein Unwetter war, wird zu einer verheerenden Katastrophe.

Die Genossen des PCInt sagen uns: Wir brauchen eine starke Partei, eine geeinte Partei. Die Existenz von Tendenzen, von Fraktionskämpfen spalte und schwäche sie. Zur Unterstützung dieser Thesen berufen sich die Genossen auf die von Lenin vorgestellte und vom 10. Kongress der russischen KP verabschiedete Resolution, die die Existenz von Fraktionen innerhalb der Partei verbot. Die Berufung auf die berühmte Resolution Lenins und ihre Verabschiedung heute charakterisiert am klarsten die ganze Entwicklung der zur Partei gewordenen Italienischen Fraktion. Das, wogegen die Italienische  Linke und die ganze Linke der Komintern sich mehr als 20 Jahre lang aufgelehnt und was sie bekämpft haben, wird heute zu einem Glaubensbekenntnis des „perfekten“ Militanten des PCInt. Müssen wir in Erinnerung rufen, dass die erwähnte Resolution drei Jahre nach der Revolution (vorher hätte sie nie ins Auge gefasst werden können) von einer Partei verabschiedet wurde, die vor einer endlosen Zahl von Problemen stand: äußere Blockade, Bürgerkrieg, Hungersnot, wirtschaftlicher Ruin im Inneren? Die Russische Revolution steckte in einer fürchterlichen Sackgasse. Entweder würde die Weltrevolution sie retten, oder sie würde unter dem vereinten Druck von außen und der inneren Schwierigkeiten zerbrechen. Die an der Macht befindlichen Bolschewiki unterwarfen sich diesem Druck und wichen auf ökonomischer Ebene und – was tausendmal schlimmer war – vor allem auf politischer Ebene zurück. Die Resolution zum Verbot der Fraktionen, die Lenin übrigens als vorübergehend präsentierte und die von den furchtbaren Bedingungen diktiert wurde, war nur eine von einer Reihe von Maßnahmen, die die Revolution alles andere als verstärkten, sondern den Niedergang der Revolution nur beschleunigten.

Der 10. Kongress erlebte, als diese Resolution angenommen wurde, gleichzeitig auch die Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in Kronstadt durch die Staatsgewalt und den Beginn der massenhaften Deportationen von innerparteilichen Opponenten nach Sibirien. Die ideologische Erstickung innerhalb der Partei ging einher mit der Anwendung von Gewalt innerhalb der Klasse. Der Staat, das Organ der Gewalt und des Zwangs, trat anstelle der ideologischen, wirtschaftlichen Einheitsorganisationen der Klasse - der Partei, der Gewerkschaften und der Sowjets. Die GPU ersetzte die Diskussion. Die Konterrevolution ertränkte unter dem Banner des Sozialismus die Revolution; ein inquisitorisches staatskapitalistisches Regime wurde konstituiert.

Marx sagte hinsichtlich Louis Bonaparte, dass die großen Ereignisse der Geschichte zweimal stattfinden: „das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce“. Was der PCInt vorführte, war eine Farce im Vergleich zur Erhabenheit und Tragödie der Russischen Revolution und der bolschewistischen Partei. Das Antifaschistische Koalitionskomitee von Brüssel trat an die Stelle des Petrograder Sowjets, Vercesi an die Stelle von Lenin, das armselige Zentralkomitee von Mailand an die Stelle der Kommunistischen Internationale in Moskau, wo die Revolutionäre aller Länder zusammengekommen waren, und die kleingeistigen Intrigen einiger provinzieller Führer traten an die Stelle des tragischen Kampfes von Dutzenden von Millionen Menschen. Das Schicksal der Russischen und Weltrevolution entschied sich 1921 rund um die Frage des Fraktionsrechts. „Keine Fraktion“ war 1947 in Italien der Schrei der Hilfslosen, die nicht dazu gezwungen werden wollten, kritisch zu denken, und in ihrer Ruhe nicht gestört werden wollten. „Keine Fraktion“ führte 1921 zur Auslöschung der Revolution. „Keine Fraktion“ ist 1947 nichts als die Fehlgeburt einer nicht überlebensfähigen Partei.

Aber noch als Farce wurde das Fraktionsverbot zu einem ernsthaften Handikap beim Wiederaufbau einer revolutionären Organisation. Der Wiederaufbau des Internationalen Büros der Kommunistischen Linken diente als offensichtliches Beispiel der vorherrschenden Methoden. Wir wissen, dass das Internationale Büro bei Ausbruch des Krieges auseinanderfiel. Während des Krieges manifestierten sich politische Divergenzen in und zwischen den Gruppen, die zur Internationalen Kommunistischen Linken (IKL) gehörten. Welche Methode hätte man beim Aufbau der organisatorischen und politischen Einheit der IKL verfolgen müssen? Unsere Gruppe trat für die Einberufung einer internationalen Konferenz aller Gruppen ein, die der IKL angehörten, und bezweckte damit eine breite Diskussion der anstehenden Fragen. Uns wurde die andere Methode entgegengesetzt, die darin bestand, die Divergenzen so weit wie möglich zu verschweigen, die Gründung der Partei in Italien zu begrüßen und für den Zusammenschluss um sie herum einzutreten. Weder eine internationale Diskussion noch eine internationale Kritik wurden akzeptiert. Und Ende 1946 gab es dann das Trugbild einer Konferenz. Unser kritischer Geist und unsere offene Diskussion wurden als nicht hinnehmbar und nicht vertretbar aufgefasst. Und als Antwort auf unsere Dokumente (die einzigen, die als Diskussionsbeitrag der Konferenz vorgelegt wurden) zog man es vor, sie nicht nur nicht zu diskutieren, sondern uns darüber hinaus schlicht und einfach von der Konferenz auszuschließen.

Wir haben in Internationalisme Nr. 16 im Dezember 1946 unser Dokument veröffentlicht, das - mit Blick auf die Konferenz - an alle Gruppen gerichtet war, die der IKL angehören. In diesem Dokument haben wir der alten Tradition entsprechend alle bestehenden politischen Divergenzen in der IKL artikuliert und unseren Standpunkt dazu offen dargelegt. In der gleichen Ausgabe von Internationalisme wurde auch die Antwort dieses eigenartigen Internationalen Büros veröffentlicht. In der Antwort steht: „Da Eurer Brief erneut  Tatsachen und politische Positionen verzerrt, die vom PCInt oder von der Französischen und Belgischen Fraktion vertreten wurden“, und weiter, „da Eure Aktivität sich darauf beschränkt, Verwirrung zu stiften und unsere Genossen mit Dreck zu bewerfen, haben wir es einstimmig abgelehnt, dass Ihr Euch an dem internationalen Treffen der Organisationen der IKL beteiligt.“

Bezüglich des Geistes, der in dieser Antwort zum Ausdruck kam, mag man denken, was man will. Doch muss man feststellen, dass diese Entscheidung in Ermangelung politischer Argumente vor bürokratischer Energie nur so strotzt. Was die Antwort nämlich verschweigt und was für die Auffassung über die allgemeine Disziplin bezeichnend ist, die von dieser Organisation vertreten und praktiziert wird, ist die Tatsache, dass diese Entscheidung heimlich getroffen wurde (2). Dazu schrieb uns ein Genosse des PCInt unmittelbar nach diesem internationalen Treffen: „Am Sonntag, den 8. Dezember, fand das Treffen der Delegierten des Internationalen Politischen Büros der IKL Italiens statt. Bezüglich Eures Briefs, der an die Genossen der Fraktion der IKL Italiens gerichtet war, werdet Ihr bald eine offizielle Antwort erhalten. Eure Bitte um gemeinsame Treffen für spätere Diskussionen wurde abgelehnt. Abgesehen davon wurde jedem Genossen die Anweisung erteilt, jede Verbindung mit den als Dissidenten bezeichneten Fraktionen abzubrechen. Ich bedauere deshalb Euch mitteilen zu müssen, dass ich meine Verbindungen mit Eurer Gruppe nicht aufrechterhalten darf.“ (Jober, 9. 12. 1946).

Bedarf diese intern und heimlich getroffene Entscheidung noch eines Kommentars? Sicherlich nicht. Wir möchten nur hinzufügen, dass in Moskau Stalin natürlich über geeignetere Mittel verfügt, um die Revolutionäre zu isolieren:  Gefängniszellen in der Ljublanka, die Isolationshaft in Verkni Uralsk und, wenn nötig, den Genickschuss. Gott sei Dank hat die GCI noch nicht diese Macht - und wir werden alles unternehmen, damit sie diese auch nicht erhält -, doch dies trägt nicht zu ihrer Entlastung bei. Was aber zählt, ist das verfolgte Ziel und die Methode, die in dem Versuch besteht, die Gegner zu isolieren, in dem Wunsch, Andersdenkende zum Schweigen zu bringen. Dies beinhaltet eine fatale Logik: Entsprechend der Stellung und Macht, über die man verfügt, werden immer gewaltsamere Mittel ergriffen. Der Unterschied zum Stalinismus ist keine Frage des Wesens, sondern nur des Ausmaßes.

So ist der PCInt bedauerlicherweise dazu gezwungen, auf jämmerliche Mittel zurückzugreifen und den Mitgliedern jeden Kontakt mit den kritischen Fraktionen zu verbieten. Die Auffassung über die Funktionsweise der Organisation und über ihr Verhältnis zur Klasse wird nach unserer Auffassung durch diese monströse und abstoßende Entscheidung verdeutlicht und konkretisiert. Exkommunizierung, Verleumdung, ein erzwungenes Schweigen - das sind die Methoden, die an die Stelle der Erläuterung, der politischen Diskussionen und der ideologischen Konfrontation treten. Dies ist ein typisches Beispiel für die neue Organisationsauffassung. 

Schlussfolgerung

Ein Genosse der IKL hat uns einen langen Brief geschrieben, um, wie er schrieb, „all das loszuwerden, was mir angesichts der Antifaschistischen Koalition und der neuen Parteiauffassung auf dem Magen liegt.“ Er schrieb: „Die Partei ist nicht das Ziel der Arbeiterbewegung, sie ist nur ein Mittel. Aber das Ziel rechtfertigt nicht alle Mittel. Die Mittel müssen vom angestrebten Ziel durchdrungen sein. Das Ziel muss bei jedem der eingesetzten Mittel erkennbar sein. Folglich kann die Partei nicht mittels leninistischer Auffassungen aufgebaut werden, denn das würde - einmal mehr – die Abwesenheit der Demokratie bedeuten: militärische Disziplin, Verbot der freien Meinungsäußerung und des Fraktionsrechts, die Mystifikation des Monolithismus der Partei. Auch wenn die Demokratie der größte Schwindel aller Zeiten ist, darf uns das nicht daran hindern, für die proletarische Demokratie in der Partei, für die proletarische Demokratie in der Arbeiterbewegung und in der Arbeiterklasse einzutreten. Oder man soll uns einen anderen Begriff vorschlagen. Das Wichtigste ist jedoch, dass sich an der Sache nichts geändert hat. Proletarische Demokratie bedeutet Meinungsfreiheit, Freiheit der Gedanken, die Möglichkeit, nicht einverstanden zu sein, das Verbot nackter Gewalt und jeglichen Terrors in der Partei - und natürlich in der Klasse“. Wir verstehen und teilen vollständig die Empörung dieses Genossen, wenn er gegen das Gebilde der Partei als Kaserne und Diktatur über die Arbeiterklasse kämpft. Wie sehr sich diese gesunde und revolutionäre Auffassung über die Funktionsweise der Organisation von dem unterscheidet, was neulich ein Führer des PCInt zum Besten gegeben hat! Er sagte wörtlich: „Unsere Auffassung der Partei ist die einer monolithischen, homogenen und monopolistischen Partei“.

Solch eine Auffassung hat, verbunden mit dem Konzept des brillanten Führers und einer militärischen Disziplin, überhaupt nichts mit der revolutionären Aufgabe der Arbeiterklasse zu tun, nach der alles durch die Anhebung des Bewusstseins, durch die ideologische Reifung der Arbeiterklasse bedingt ist. Monolithismus, Homogenität und Monopolismus sind die heilige Dreifaltigkeit des Faschismus und des Stalinismus.

Die Tatsache, dass eine Person oder Partei, die sich als revolutionär bezeichnet, sich auf diese Formel beruft, zeigt tragischerweise die ganze Dekadenz, den ganzen Niedergang der Arbeiterbewegung auf. Die Partei der Revolution wird nicht auf dieser Dreifaltigkeit aufgebaut werden können, sondern nur eine neue Kaserne für die Arbeiter. Damit trägt man in Wirklichkeit nur dazu bei, dass die Arbeiter in einem Zustand der Unterwerfung und Beherrschung gehalten werden. Es handelt sich um eine konterrevolutionäre Handlung.

Was uns an der Möglichkeit der Wiederaufrichtung des PCInt zweifeln lässt, sind, mehr noch als die eigentlichen politischen Irrtümer, die Organisationsauffassungen und ihr Verhältnis zur gesamten Klasse. Die Ideen, die das Ende des revolutionären Lebens der bolschewistischen Partei zum Ausdruck brachten und den Beginn des Abstiegs verdeutlichten - Fraktionsverbot, Abschaffung der Meinungsfreiheit in der Partei und in der Klasse, die Verherrlichung der Disziplin, die Lobpreisung des unfehlbaren Führers - dienen heute als Grundlage für den PCInt und die IKL. Wenn der PCInt diesen Weg fortsetzt, wird er niemals der Sache des Sozialismus dienen können. In vollem Bewusstsein über die ganze Tragweite dessen, was wir sagen, rufen wir aus: „Stopp! Macht kehrt, denn hier beginnt der Abgrund“.

Marc

(1) Den jüngsten Nachrichten zufolge wird der PCInt sich nicht an den nächsten Wahlen beteiligen. So hat das Zentralkomitee entschieden. Erfolgt dieser Beschluss nach einer Überprüfung der Position und einer Diskussion in der Partei? Täuscht euch nicht! Es ist immer noch zu früh, eine Diskussion zu eröffnen, die die Gefahr birgt, die Genossen zu verunsichern, antwortete der bekannte Führer. Aber was waren dann die Gründe? Ganz einfach: die Partei hat eine Reihe von Mitgliedern verloren, und die Parteikasse ist leer. So hat das Zentralkomitee wegen fehlender Munition beschlossen, den Krieg zu beenden und sich nicht an den nächsten Wahlen zu beteiligen. Diese Position passt jedem in den Kram, zudem bereitet sie niemand Probleme. Es handelt sich um das, was unser Führer „die umgekehrte Umwandlung von Quantität in Qualität“ nennen.

(2) Es handelt sich um den Genossen Jober, der schließlich im Auftrag der Föderation Turins in Diskussionen mit uns stand, deren Repräsentant er war. Seitdem hat die Föderation von Turin, die gegen die Methoden des Zentralkomitees protestiert hat, ihre Unabhängigkeit erklärt und in dieser Eigenschaft an der Internationalen Kontaktkonferenz teilgenommen (siehe Internationalisme Nr. 24).     

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [29]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Italienische Linke [30]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [4]

Worin unterscheidet sich die Kommunistische Linke von der 4. Internationale

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Die Bolschewiki standen an der Spitze der Revolution in Russland und der weltweiten revolutionären Kämpfe von 1917-23. Die Bolschewiki diskutierten mit den revolutionären Tendenzen, die sich dem imperialistischen Krieg widersetzten, und trieben den Kampf für die internationale proletarische Revolution voran. Sie debattierten mit den Spartakisten, den Tribunisten, den italienischen Maximalisten, mit all den Tendenzen des linken Flügels der II. Internationale; aber auch mit den revolutionären Anarchisten und Syndikalisten. Die Bolschewiki standen an der Spitze der Revolution in Russland und der weltweiten revolutionären Kämpfe von 1917-23. Die Bolschewiki diskutierten mit den revolutionären Tendenzen, die sich dem imperialistischen Krieg widersetzten, und trieben den Kampf für die internationale proletarische Revolution voran. Sie debattierten mit den Spartakisten, den Tribunisten, den italienischen Maximalisten, mit all den Tendenzen des linken Flügels der II. Internationale; aber auch mit den revolutionären Anarchisten und Syndikalisten. Sie standen an der Spitze des Prozesses der Bildung der III. Internationale, deren erster Kongress im März 1919 in Moskau abgehalten wurde. Dieser verabschiedete Resolutionen, Manifeste und Thesen, die der höchste Ausdruck des proletarischen Bewusstseins der damaligen Zeit waren. (1) Jede proletarische Organisation läuft Gefahr, vom Opportunismus zerfressen zu werden, denn die Arbeiterklasse und damit auch die revolutionären Organisationen leiden unter dem Gewicht der bürgerlichen Ideologie. Der Opportunismus ist die Kristallisierung des Gewichtes der bürgerlichen Ideologie in den Reihen der politischen Organisationen des Proletariats. Die Bolschewiki, die die Führung der Weltrevolution mit übernommen und einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hatten, fielen einem schnellen opportunistischen Degenerationsprozess anheim: 1920 und 1921 waren entscheidende Jahre beim Aufkommen dieser Tendenz. Einige Meilensteine: die Verabschiedung der Thesen über die Gewerkschaftsfrage und zur nationalen Frage auf dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale; die Position zum so genannten revolutionären Parlamentarismus wie die Kritik an der Einheitsfront und den Arbeiterregierungen auf dem III. Kongress der Komintern. Auf dem X. Kongress der bolschewistischen Partei wurde die Bildung von Fraktionen innerhalb der Partei verboten (...)

Wir können hier nicht im Einzelnen auf diesen Prozess eingehen, doch soviel sei gesagt: 1922 war die bolschewistische Partei nur noch eine Karikatur dessen, was sie fünf Jahre zuvor gewesen war. Die wahren Bolschewiki waren verdrängt und marginalisiert worden; an ihre Stelle trat schrittweise eine Reihe von Karrieristen und Aufsteigern; zu diesen gehörten auch ehemalige Anhänger des Zaren (2). Wie konnte es dazu kommen? Die Partei war in die Klauen des russischen Staates geraten und stellte mit schöner Regelmäßigkeit die Interessen desselben (d.h. die nationalen Interessen) über die Interessen der Weltrevolution. Sie befürwortete das Bündnis mit den Sozialdemokraten und den Eintritt in die reaktionären Gewerkschaften. Wie ein Krebs hatte der Opportunismus allmählich die Substanz und das proletarische Leben der bolschewistischen Partei vernichtet. Gegen 1924, als Lenin starb, war die bolschewistische Partei praktisch zu einer Staatspartei geworden; ihre neuen Existenzbedingungen wurden durch Stalin und seine Funktionärsriege bestimmt. Diese verhielten sich immer machtbewusster und entfernten zunächst (und verfolgten schließlich) die alte bolschewistische Garde, die eine führende Rolle in der Revolution gespielt hatte und innerhalb der Partei immer mehr in die Minderheit gedrängt worden war. (3)

Im Oktober 1923 wurde die „Gruppe der 46“ gegründet, die zum Keim der Linksopposition werden sollte. Ihr prominentestes Mitglied war von Anfang an Trotzki. Dem Kampf der Opposition gegen den Aufstieg des Stalinismus gebühren wichtige Verdienste; es gab einige wichtige Episoden wie den Kampf gegen die verheerende Politik der Komintern in China. Aber es ist wichtig festzustellen, dass die politischen Grundlagen der Linksopposition sehr zerbrechlich und schwach waren. Sie berief sich auf die ersten vier Kongresse der Komintern. Sie theoretisierte also den Opportunismus und ließen ihm freien Lauf - Stichwort Einheitsfront, Arbeiterregierung, ihre Position zu den Gewerkschaften, der Sozialdemokratie und der nationalen Befreiung, die Theorie des schwächsten Gliedes. Anders ausgedrückt: die Linke Opposition nahm für sich in Anspruch, gegen den Stalinismus zu kämpfen, doch stützte sie sich dabei auf die politischen Postulate des Opportunismus, die diesem zum Aufstieg verholfen hatten. Als 1928 die Tendenz um Stalin einen „Linksschwenk“ vollzogen und die Linke Opposition die irrigen Thesen zur Industrialisierung und die Politik gegenüber den Bauern übernommen hatte, kapitulierte eine Reihe von ihnen und schloss sich dem stalinistischen Lager an.

Davon hob sich die Haltung der Kommunistischen Linken ab. Schon seit Beginn der 1920er Jahre führten sie einen viel klareren und entschlosseneren Kampf gegen die Degeneration der bolschewistischen Partei und die proletarische Bastion, die zuvor in Russland errichtet worden war. Die Fraktionen der Kommunistischen Linken (1) kritisierten eine Reihe von Positionen, die vom II. Kongress der Komintern verabschiedet worden waren, die in Wirklichkeit dem Stalinismus den Weg bereiteten. Es ging um die Frage der nationalen Befreiung, um die Gewerkschaftsfrage und die Beteiligung an Parlamentswahlen. Entgegen der theoretischen Inkonsequenz und den Schwankungen und Widersprüchen der Linksopposition vertrat die Kommunistische Linke eine viel kohärentere und kritischere Position, die es ihr ermöglichte, eine Bilanz der weltweiten Welle von revolutionären Kämpfen und des darauf folgenden Zeitraums (die Konterrevolution, der Aufstieg des Faschismus, der Weltkrieg) zu ziehen (2). Auch wenn dies sehr schematisch sein mag, können wir die Unterschiede zwischen der Kommunistischen Linken und der Linksopposition tabellarisch folgendermaßen zusammenfassen:

Kommunistische Linke

Linksopposition

Sie berief sich auf den I. Kongress der Komintern und bezog eine kritische Haltung gegenüber den Positionen des II. Kongresses. Sie lehnte die meisten Positionen des III. und IV. Kongresses ab.

Sie berief sich auf die ersten vier Kongresse – ohne eine kritische Bewertung derselben.

Sie bewertete die Ereignisse in Russland kritisch und kam zu der Schlussfolgerung, dass man die russische Bastion nicht unterstützen dürfe, da sie in die Hände des Weltkapitalismus gefallen sei

Sie schätzte Russland als einen degenerierten Arbeiterstaat ein, der dennoch unterstützt werden müsse.

Isbesondere die deutsch-holländische Linke weigerte sich, in den Gewerkschaften zu arbeiten, und kam zu der Schlussfolgerung, dass die Gewerkschaften zu Staatsorganen geworden waren.

Sie befürwortete die Gewerkschaften als Arbeiterorgane und verteidigte die Notwendigkeit, in den Gewerkschaften zu arbeiten.

Sie lehnte die nationalen Befreiungskämpfe ab.

Sie unterstützte nationale Befreiungskämpfe.

Sie lehnte das Parlament und die Wahlbeteiligung ab.

Sie befürwortete die Wahlen und den „revolutionären Parlamentarismus“.

Sie betrachtete die Fraktionsarbeit als notwendig, um die Lehren aus den Niederlagen zu ziehen und die Grundlagen für den späteren Aufbau der Weltpartei des Proletariats zu legen.

Sie befürwortete eine Oppositionsarbeit, die soweit ging, dass man Entrismus in den sozialdemokratischen Parteien betrieb.

In den 1930er Jahren und insbesondere durch die Stimme Bilans (dem Organ der Italienischen Kommunistischen Linken) erwartete die Kommunistische Linke einen Kurs zum II. Weltkrieg. Infolgedessen könne die Partei nicht gegründet werden. Stattdessen gehe es darum, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und die Zukunft vorzubereiten. Deshalb gab Bilan als Gebot der Stunde aus: „Keinen Verrat üben“.

Mitten in der Konterrevolution glaubte Trotzki, dass die Bedingungen für die Schaffung der Partei vorhanden seien; 1938 wurde die IV. Internationale gegründet.

Ablehnung des II. Weltkrieges. Beide kriegführenden Seiten wurden abgelehnt. Die Kommunistische Linke trat stattdessen für die proletarische Weltrevolution ein.

Mit ihrer Unterstützung für das eine bzw. andere Lager gab sie den Internationalismus auf.

1938 gründete die Linksopposition die IV. Internationale. Es handelte sich hierbei um ein opportunistisches Manöver, da eine Weltpartei zu einer Zeit, in der alle Zeichen auf einen neuerlichen imperialistischen Krieg standen, nicht gegründet werden kann, weil Letzterer bedeutete, dass die Arbeiterklasse eine tiefe Niederlage erlitten hat. Die Ergebnisse waren eine einzige Katastrophe: 1939-1940 bezogen die Gruppen der IV. Internationale unter den unterschiedlichsten Vorwänden Stellung für den Weltkrieg: Die Mehrheit unterstützte das russische „sozialistische Vaterland“, eine Minderheit hingegen das Frankreich Pétains, das wiederum ein Satellit der Nazis war. Auf diese Degeneration der trotzkistischen Organisationen reagierten die letzten verbliebenen internationalistischen Kräfte, die in ihren Reihen verblieben waren: insbesondere die Frau Leo Trotzkis und der spanische Revolutionär G. Munis (3).

Seitdem sind die trotzkistischen Organisationen zu radikalen Verfechtern des Kapitals geworden (4), die die Arbeiterklasse mit allerlei „revolutionären Themen“ täuschen wollten – Themen, die im Allgemeinen zur Unterstützung antiimperialistischer Fraktionen der Bourgeoisie führen (wie heute z.B. den berüchtigten Offizier Chávez). Ebenso treiben sie die vom parlamentarischen Spektakel abgestoßenen Arbeiter wieder an die Wahlurnen zurück, indem sie diese dazu aufrufen, die Sozialisten „kritisch“ zu unterstützen. Nur so könne man den vordringenden Rechten den Weg versperren. Schließlich verbreiten sie die Illusion, dass man die Gewerkschaften zurückerobern könne. So mobilisieren sie für „kämpferische“ Kandidaten, womit sie die Basisorgane dieses kapitalistischen Apparates unterstützen. Unsere Haltung besteht darin, die trotzkistischen Organisationen zu entblößen und einen politischen Kampf gegen sie zu führen, genauso wie wir die Rechten, die „Sozialisten“ und die Stalinisten (die sich als Kommunisten bezeichnen) bekämpfen.

Dabei richten wir uns jedoch nicht gegen Personen. Einzelne können sich durchaus in der Ideologie und den Organisationen der Trotzkisten verfangen, obwohl sie ehrlich und aufrichtig für die Befreiung der Menschheit und die Interessen des Proletariats eintreten. Unsere Haltung gegenüber diesen Menschen ist, dass wir mit ihnen aufrichtig und nachhaltig diskutieren, mit der Absicht, ihnen zu helfen, eine kohärente revolutionäre Position zu finden. Gegenwärtig gibt es Gruppen und Einzelpersonen, die ihren politischen Werdegang zwar bei den Trotzkisten begonnen haben, aber mittlerweile ernsthaft diese Ideologie kritisieren und nach einer revolutionären Alternative suchen. Unsere Haltung ihnen gegenüber ist die der Debatte und Bemühungen der Klärung.

IKS, 8.6.2007

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [29]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [31]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Linke Opposition [32]

November 2007

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Der Streik der Eisenbahner ist die Sache der gesamten Arbeiterklasse

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 Das Urteil des Chemnitzer Landesarbeitsgerichtes vom 2. November, das der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GDL) in allen Belangen rechtgab und die Bahn freimachte für Streiks auch im Fern- und Güterverkehr, ist, sofern man die jüngsten Entwicklungen genau verfolgt hat, keineswegs überraschend. Schon vor diesem Urteil gab es einige Anzeichen, die auf eine Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen den Lokführern und der Bahn hindeuteten. Bereits vor der Berufung der GDL gegen das erstinstanzliche Verbot einer Ausweitung des Streiks auf den Fern- und Güterverkehr war absehbar, dass dieses Verbot nicht der letzten Weisheit Schluss war. Weit entfernt, ein Ausdruck des „demokratischen Pluralismus“ zu sein, ist die Tatsache, dass dieses Verbot vom Landesarbeitsgericht kassiert wurde, nichts weiter als das Eingeständnis der deutschen Bourgeoisie, dass der Streik der Lokführer nicht mehr mit juristischen Mitteln eingedämmt werden kann. In der Tat ließ sich die bis dahin von ihr vertretene Argumentationsweise, die nach dem Motto verfuhr: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass und die „Unverhältnismäßigkeit“ des Streiks im Güter- und Fernverkehr als Grund für sein Verbot anführte, zuletzt immer weniger in der Öffentlichkeit und besonders unter den betroffenen Arbeitern aufrechterhalten. 

Die GDL und der ungebrochene Kampfgeist der Lokführer

Es war sicherlich ein einmaliger Vorgang, als ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Auseinandersetzung mit dem Bahnvorstand nach dem Scheitern des Vermittlungsversuchs durch Geißler und Biedenkopf zu eskalieren drohte, der GDL-Vorsitzende Schell den Vorsitz vorläufig an seinen designierten Nachfolger und jetzigen Vize Weselsky abgab, um... in die Kur zu gehen. Die Sache wird auch dadurch nicht weniger erstaunlich, dass, wie Weselsky der Öffentlichkeit auftischte, Schell wegen des Streiks bereits zweimal seine Kur verschoben habe. Dies um so weniger, als mit dem „vorläufigen“ Personalwechsel an der Spitze der GDL auch eine gewisse Kurskorrektur der GDL einherging.  In der Zeit zwischen seinem Abgang und seinem Wiedererscheinen in der Öffentlichkeit (anlässlich der Urteilsverkündung des Chemnitzer Landesarbeitsgerichtes) fand eine leise, aber effektive Umorientierung der GDL statt: Die einseitige Ausrichtung der GDL-Führung unter Schell - einem altgedienten westdeutschen Gewerkschaftsfunktionär - auf die Durchsetzung der Forderung nach Anerkennung als Spartengewerkschaft der Lokführer wurde unter der Führung des Leipzigers Weselsky aufgegeben. Nun demonstrierte die GDL plötzlich auch Härte bei ihrer Lohnforderung von 30 Prozent. Forsch kündigte Weselsky eine härtere Gangart in der Konfrontation mit Mehdorns Bahnvorstand an und ließ seinen Worten auch Taten folgen – den 30-stündigen Streik im Nah- und Regionalverkehr vom 25./26. Oktober. Betroffen von diesem Streik war vor allem der Osten Deutschlands, wo der Schienennahverkehr in einigen Städten (wie Cottbus) praktisch zum Erliegen kam. Im Vergleich dazu kam der Rest Deutschlands glimpflich davon; in Süddeutschland lief der Schienenverkehr gar ohne Einschränkungen. Beides – die andere Akzentuierung der GDL-Politik unter dem Vorsitz von Weselsky und die Konzentration des Streiks auf Ostdeutschland – hat gemeinsame Ursachen. Die GDL hat ihre stärksten Bataillone in Ostdeutschland, wo die übergroße Mehrheit nicht, wie in den Gebieten der alten Bundesrepublik, verbeamtet ist.  So liegt es auf der Hand, dass  die GDL die meisten ihrer Mitglieder aus den ostdeutschen Bundesländern rekrutiert hat. Und genauso erklärlich ist es, dass es den angestellten Lokführern selbst weniger um die Anerkennung der GDL als eigenständiger Tarifpartner neben den beiden anderen Eisenbahner-Gewerkschaften Transnet und GDBA ging. Die GDL war in ihren Augen nur das Vehikel für die Durchsetzung ihrer allzu berechtigten Lohnforderungen. Wenn es nach den Funktionären der GDL gegangen wäre, wäre der Streik spätestens nach den von Geißler und Biedenkopf moderierten Vermittlungsgesprächen zwischen GDL und Bahngesellschaft beendet worden, war der GDL doch im Grundsatz zugesichert worden, künftig über Entgelte und Arbeitszeiten der Lokführer – allerdings in „enger Abstimmung“ mit den beiden anderen Gewerkschaften – zu verhandeln. Dass diese Rechnung nicht aufging, dass die GDL stattdessen eine schärfere Tonart gegenüber der Bahnzentrale anschlug, hat keineswegs mit einer Läuterung der GDL-Funktionäre zu tun. Sie haben genauso wenig wie die bürgerliche Justiz, die nun den Lokführern das „volle“ Streikrecht einräumt, plötzlich ihr Herz für die Sache der ArbeiterInnen entdeckt. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass sich hinter ihrem Umdenken die Erkenntnis verbirgt, dass es besser ist, selbst in die Offensive zu gehen, ehe die Dinge aus der Kontrolle geraten.In der Tat scheint die Wut der Lokführer über die Hinhaltetaktik durch die GDL, die es sich bis dahin hinter dem gerichtlichen Verbot einer Ausweitung der Streiks auf den Güter- und Fernverkehr bequem gemacht hatte, mit jedem Streiktag gewachsen zu sein. Wie groß der Unwille der Lokführer zuletzt war, die gerichtlichen Auflagen zu akzeptieren, zeigt der Fall jener beiden Lokführer, die in der vergangenen Woche fristlos gekündigt wurden. Sie hatten ihre Loks auf freier Strecke verschlossen abgestellt, um sich am Streik zu beteiligen, wobei es naheliegt, dass sie die Blockade des Zugverkehrs wissentlich in Kauf nahmen, wenn nicht sogar beabsichtigten. Für sie – und jene Dutzenden von Kollegen, die eine Abmahnung erhielten - muss es eigentlich wie Hohn vorkommen, dass die GDL nun ihretwegen vor das Arbeitsgericht ziehen will. Es gibt nur eine Macht, die in der Lage ist, Mehdorn zur Rücknahme dieser Kündigungen zu zwingen: die Solidarisierung ihrer Kollegen mit ihnen und ganz gewiss nicht die Winkeladvokaten der bürgerlichen Justiz. 

Die Rolle der Justiz: „Pluralistische“ Spielchen zur Aufwertung der GDL

Von Anbeginn war die GDL darum bemüht, sich peinlich genau an die „demokratischen Spielregeln“ zu halten. Klaglos akzeptierten ihre Funktionäre die abschlägigen Urteile der Arbeitsgerichte in Düsseldorf, Mainz, Nürnberg und Chemnitz, deren Begründung die wirtschaftlichen Schäden eines bundesweiten Streiks der Lokführer beanstandete. (Als ob der Sinn von Streiks nicht zuletzt darin besteht, Druck auf die Arbeitgeber auszuüben, indem ihnen durch die Arbeitsverweigerung der Ausgebeuteten eben ein solcher wirtschaftlicher Schaden zugefügt wird.) Nun, das Urteil des Chemnitzer Landesarbeitsgerichtes zeigt deutlich, dass die Justiz durchaus nicht bereit ist, die Gewerkschaften im Allgemeinen und die Spartengewerkschaft GDL im Besonderen im Regen stehenzulassen. Nachdem sich herausgestellt hat, dass die erstinstanzlichen Urteile dem Kampfgeist der Lokführer keinen Einhalt geboten haben, sondern im Gegenteil ihn noch angestachelt haben, soll nun das jüngste Urteil, das der GDL ab sofort und ohne Abstriche gestattet, den Streik auf den Fern- und Güterverkehr auszuweiten, die Reputation der GDL unter den Lokführern, die Schaden zu nehmen drohte, wieder aufpolieren. Um zu vermeiden, dass es zu einer Radikalisierung der Streikenden – womöglich außerhalb des gewerkschaftlichen Korsetts – kommt, nimmt das staatskapitalistische Regime in Gestalt der Gerichte sogar gewisse wirtschaftliche Schäden für die Privatwirtschaft in Kauf, wohl wissend, dass die Bonzen der GDL ihre neuen Freiheiten mit „Augenmaß“ nutzen werden.  Wie wir bereits in unserem Artikel „Spartengewerkschaften oder Einheitsgewerkschaft – eine falsche Alternative“ in der Weltrevolution Nr. 144 berichteten, beteuerte auf einer Veranstaltung des Netzwerkes Linke Opposition der Chef der GDL Nordrhein-Westfalen in entlarvender Offenheit, dass die Forderung nach einer 30%-igen Lohnerhöhung für die Lokführer ursprünglich gar nicht beabsichtigt war, sondern der GDL vom Bahnvorstand sozusagen in den Mund gelegt worden war. Wie bereits deutlich gemacht, war es das Hauptziel der GDL lediglich, als eigenständiger Tarifpartner neben der Transnet und GDBA anerkannt zu werden. Den GDL-Bonzen ging es von Anfang nur darum, in den Genuss des Privilegs eines gleichrangigen Verhandlungspartners der Bahn neben den beiden anderen Hausgewerkschaften zu gelangen. Über alles Weitere könne man durchaus reden....  

Die Rolle des Gerichts

Das Chemnitzer Arbeitsgericht hat Recht gesprochen. Die bürgerliche Rechtssprechung – und gerade das Arbeitsrecht - wird nicht zuletzt deshalb so umständlich, zweideutig und widersprüchlich formuliert, um den Gerichten einen politischen Spielraum zu lassen, um nach eigenem Ermessen der realen Entwicklung eines „Sachverhalts“ Rechnung tragen zu lassen. Dabei werden die Meinungen und Argumente der Sachverständigen ebenso berücksichtigt wie die der „Streitparteien“ vor Gericht (also in diesen Fall die Deutsche Bahn und die GDL). So kann und soll ein Gericht Repressionsmaßnahmen gegen die arbeitende Bevölkerung beschließen, bestätigen, gegebenenfalls verschärfen usw. Aber in einer „funktionierenden Demokratie“ wird die Gerichtsbarkeit dazu angehalten, Urteile nach Möglichkeit zu vermeiden, die die Autorität von Justiz und Staat in den Augen der Bevölkerung untergraben könnten. Das Chemnitzer Gericht hatte also den Tatbestand zu berücksichtigen, dass es erste Anzeichen für eine Bereitschaft der kämpfenden Eisenbahner gab, angesichts von Streikverboten zu illegalen Aktionen überzugehen. Mit anderen Worten, es zeichnete sich ab, dass das bisherige Streikverbot nicht einschüchternd und dämpfend, sondern eskalierend auf die Kampfbereitschaft eingewirkt hat. Selbstverständlich gehört es zum Handwerk der Jurisprudenz, dass in der Urteilsverkündung solche Erwägungen nicht in den Vordergrund gestellt werden. Die Streikenden sollen auf keinen Fall zu der Einsicht gelangen, dass es ihre Militanz war -  und nicht etwa die Winkelzüge der Anwälte der GDL –, die diesen taktischen Rückzug des Staates erzwungen hat!Aber die Chemnitzer Richter haben nicht nur auf die Empörung der Streikenden Rücksicht nehmen müssen. Eine Woche nach dem Urteil von Chemnitz förderte das „ZDF Politbarometer“ eine Entwicklung an den Tag, womit die Richter sich ebenfalls befasst haben werden: Aller Hetze der Medien zum Trotz steigt die Beliebtheit dieses Streiks innerhalb des breiten Publikums unaufhörlich weiter! Die angeblich unabhängige Justiz hinter den Arbeitgebern einerseits, die arbeitende Bevölkerung hinter den Streikenden andererseits – eine solche Gegenüberstellung wollte der bürgerliche Staat in dieser Deutlichkeit unbedingt vermeiden! Nun sollen nicht mehr Justiz und Polizei, sondern die „politischen Instanzen“ wieder in den Vordergrund rücken, um die Kampfbereitschaft der Arbeiterschaft zu entschärfen. Und dazu gehört die GDL selbst.  

Die Herrschenden: All ihrer Rivalitäten zum Trotz einig gegen die Arbeiterklasse

Wenn wir die Behauptung aufstellen, dass die GDL ein wichtiges Instrument der herrschenden Klasse gegen die langsam steigende Kampfbereitschaft der Lohnabhängigen ist, so übersehen wir nicht, dass diese Spartengewerkschaft keineswegs auf ungeteilte Sympathie innerhalb der Kapitalistenklasse stößt. Das Management der Deutschen Bahn gehört ebenso wenig zu den Freunden der GDL wie die Transnet, der DGB-Gewerkschaft unter den Eisenbahnern. Diese beiden mächtigen Organisationen haben in den letzten Jahren gemeinsam, unter der Leitung ihres Vorsitzenden Mehdorn und Hansen, erfolgreich mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze bei der Bahn abgebaut und die ohnehin unerfreuliche Arbeitswelt der verbleibenden Eisenbahner in eine Hölle verwandelt. Mit diesen gemeinsam erzielten Erfolgen im Rücken wollen Konzernspitze und Transnet – vom Staat unterstützt und vorangepeitscht – die DB in ein weltweit operierendes Logistikunternehmen verwandeln, in einen „Global Player“ nach dem Vorbild der aus der Deutschen Post hervorgegangenen DHL. Diese fette Beute wollen sie nicht mit einem Quereinsteiger wie die GDL teilen!Zu den von der GDL wenig Begeisterten gehört auch die SPD. So haben sich in diesen Tagen Parteichef Beck und der Fraktionsvorsitzende Struck öffentlich und resolut hinter Mehdorn und Hansen gestellt. Auch das nimmt nicht Wunder. Der DGB ist im Wesentlichen der Gewerkschaftsbund der Sozialdemokratie. Mittels dieser Organisation sind die Sozialdemokraten an der Leitung der Wirtschaft auf zweifache Weise direkt beteiligt: nicht nur durch ihre Parteifreunde und andere Freunde in den Konzernspitzen, wie die CDU auch, sondern darüber hinaus durch die Macht der Gewerkschaften in diesen Unternehmen. Das geht ganz offiziell vor sich, wie in der Metallindustrie mit seiner gewerkschaftliche Mitbestimmung. Oder es vollzieht sich mittels einer „ausgezeichneten“, zugleich beinahe monopolartigen Partnerschaft, wie im Falle von Transnet. Nun, Schell und seine Freunde wollen an dieser Goldgrube mit beteiligt sein. Dies behagt der Sozialdemokratie umso weniger, da sie im Kampf um die Futterplätze am Trog des Kapitals neuerdings von einer anderen Seite Konkurrenz zu spüren bekommt – von Lafontaine und der jetzt auch im Westen stärker werdenden Linkspartei. Wie dem auch sei: Das bürgerliche Establishment wird am Ende Platz machen, Platz machen müssen für eine der Ihren, für die GDL. Auch Mehdorn, Hansen und die SPD werden das zu akzeptieren haben. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat das längst erkannt und findet dieser Entwicklung auch gar nicht so schlecht. Zwar könne das Aushandeln von Tarifverträgen bei der Bahn demnächst komplizierter werden – so die Zeitung. Aber Konkurrenz (unter den Gewerkschaften) belebt das Geschäft. Man darf jedoch nicht übersehen, um welche Art von Konkurrenz es sich hier handelt. Die Gewerkschaften konkurrieren untereinander um ihren Anteil am Profit, der aus der Ausbeutung der Arbeiterklasse herausgepresst wird. Aber die Konkurrenz, deren Förderung das Ur-Anliegen des Kapitals ist, ist die Konkurrenz unter den Arbeitern - einer Konkurrenz, die notwendig ist, um den Profit an sich erst zu sichern. Zusätzliche Gewerkschaften, die eigene Tarifverträge abschließen können, bedeuten, dass man nunmehr auch in Deutschland zunehmend das kämpfende Proletariat nicht nur nach Unternehmen, Beruf, nach Ost oder West usw. spalten kann, sondern auch in ein und denselben Beruf und Unternehmen voneinander absondern, gegeneinander ausspielen kann. Und das ist der Grund, warum selbst die SPD und der DGB sich mit der GDL anfreunden werden und sie schon jetzt nicht nur als lästigen Konkurrent, sondern vor allem auch als Schützenhilfe gegen die Arbeiterklasse sieht.Denn was steckt hinter dem kometenhaften Aufstieg dieser ältesten aller deutschen Gewerkschaften, die Jahrzehnte lang wie eine verstaubte Mumie überlebte? Was hat diesem Altherrenverein so plötzlich die Gelegenheit verschafft, Anspruch zu erheben, als Mitspieler bei der „neuen Bahn“ mitzumischen? Nichts anderes als die massive Unzufriedenheit der Eisenbahner mit den bestehenden Gewerkschaften. Scharenweise und verbittert verließen sie Hansens Transnet, verzweifelt auf der Suche nach Alternativen. Und hier wird ein Problem offenbar, das die Arbeitsgerichte vermutlich auch berücksichtigen müssen: die Unerfahrenheit der GDL. Die Arbeiterinnen und Arbeiter gingen zur GDL, nicht weil sie Spartengewerkschaften toll finden und als Lokführer unter sich sein wollen, sondern weil sie kämpfen wollen und es sich (noch) nicht zutrauen, dies auf eigene Faust zu tun. Dies beweist schon die Tatsache, dass nicht allein Lokomotivführer, sondern Tausende vom Bordpersonal (darunter auch Ausländer) zur Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer gegangen sind. Und da geht ein Manfred Schell hin und erzählt immer wieder vor laufender Kamera, dass es ihm nicht um das Anliegen der Lokführer, sondern um den eigenständigen Tarifvertrag der eigenen Gewerkschaft geht! Da geht sein Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen hin und erzählt, dass man die anderen Arbeiter, die keine Lokomotivführer sind, eigentlich gar nicht haben will! Und während die Medien versuchen, Schell als einen unbeugsamen, besessenen Arbeiterführer darzustellen - fast so einer wie Trotzki als Vorsitzender des Arbeiterrates von Petrograd während der Russischen Revolution –, tritt der Mann  mitten im Streikgetümmel seine wohlverdiente Kur an!Die Bourgeoisie wird also die GDL nicht nur als gleichberechtigten Partner in die „Tarifgemeinschaft“ aufnehmen. Sie greift dieser Gewerkschaft heute schon massiv unter die Arme, damit sie helfen kann, den Bestrebungen des Proletariats entgegenzutreten. Denn heute gibt es wieder weltweit ein Bestreben der Arbeiterklasse, das man bereits in der Zeit nach 1968 auf breiter Front beobachten konnte. Es ist das Bestreben, die gewerkschaftliche Kontrolle über die Klasse und deren Kämpfe in Frage zu stellen. Damals, im Mai 1968 in Frankreich, im heißen Herbst 1969 in Italien, aber auch in den Septemberstreiks von 1969 in der Bundesrepublik, äußerte sich dieses Bestreben sehr direkt durch wilde, selbstorganisierte, durch Vollversammlungen und gewählte Streikkomitees geführte Streiks. Heute sind die Kampfesschritte ungleich zaghafter, denn die Kämpfenden haben momentan viel weniger Selbstvertrauen, während die Herrschenden auf diese Entwicklung viel besser vorbereitet sind als damals. Und dennoch: die Tendenz des proletarischen Klassenkampfes bewegt sich nicht in Richtung Spartengewerkschaften, sondern in Richtung Infragestellung der Gewerkschaften. Nur dass heute die materielle Lage der Arbeiterklasse viel schlechter, die Wirtschaftskrise viel tiefer, der Zustand der Welt viel dramatischer ist, so dass die Reifung innerhalb der Klasse am Ende viel tiefere Wurzeln schlagen muss und auch wird. IKS 9. November 2007

Nationale Situationen: 

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Hinter dem Lokführerstreik: Die wachsende Kampfkraft und Solidarität der Arbeiterklasse

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16. November: Der jetzige Streik der Lokomotivführer in Deutschland ist ein großartiges Beispiel für die wiedererstarkte Kampfkraft und Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse. Seit sieben Monaten schwelt nun der Konflikt um die Lohnforderungen der Zugführer und auch eines Teils des Bordpersonals. Seit sieben Monaten versucht die Deutsche Bahn mit Drohungen, mit Repressalien, mit Kraftmeierei die Beschäftigten einzuschüchtern. Seit sieben Monaten versuchen die Medien Stimmung gegen die Streikenden zu machen.

16. November: Der jetzige Streik der Lokomotivführer in Deutschland ist ein großartiges Beispiel für die wiedererstarkte Kampfkraft und Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse. Seit sieben Monaten schwelt nun der Konflikt um die Lohnforderungen der Zugführer und auch eines Teils des Bordpersonals. Seit sieben Monaten versucht die Deutsche Bahn mit Drohungen, mit Repressalien, mit Kraftmeierei die Beschäftigten einzuschüchtern. Seit sieben Monaten versuchen die Medien Stimmung gegen die Streikenden zu machen. Seit sieben Monaten versuchen Gerichte und Politiker, den sich Wehrenden das Streiken zu verbieten oder auszureden. Seit sieben Monaten hetzen die nicht am Streik beteiligten Gewerkschaften gegen die Kämpfenden, und zwar auf eine Art und Weise, die an Feindseligkeit und Niederträchtigkeit alles in den Schatten stellt, was die Arbeitgeber und die Politiker bisher von sich gegeben haben. Seit sieben Monaten versucht die GDL, die Kampfbereitschaft der Lokführer hinzuhalten, es bei symbolischen Aktionen bewenden zu lassen, wobei sie kaum eine Gelegenheit ausgelassen hat zu beteuern, es gehe der GDL nicht in erster Linie um Lohnforderungen oder um die Arbeitsbedingungen der Lokführer, sondern um das Recht der eigenen Gewerkschaft, eigenständige Tarifverträge abzuschließen.

Aber die Eisenbahner haben sich nicht zermürben lassen. Jetzt, nach sieben Monaten, haben sie den größten Eisenbahnerstreik in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands vom Zaun gebrochen. Drei Tage lang wird der Güterverkehr bestreikt, zwei Tage lang der Personenverkehr in ganz Deutschland. Die Folgen: ein Drittel aller Fernzüge, die Hälfte aller Regionalzüge fielen aus. Im Osten verkehrten nur 10% aller Züge. In den Seehäfen begannen sich die Container zu stauen, und bei Audi in Brüssel standen die Bänder still, weil Zulieferteile aus der Slowakei in Ostdeutschland liegen geblieben waren.

Zugegeben: das erwartete "große Chaos" blieb aus. Kein Wunder! Das Chaos, das angerichtet wurde, war das Werk von nur 6.000 Lokomotivführern und Zugbegleitern, während die Mitglieder der anderen Gewerkschaften durch ihre angeblichen Interessensvertretungen vom Streik ferngehalten wurden, während das noch verbeamtete Zugpersonal schwerste Repressalien durch "Vater Staat" zu befürchtet hat, sollten es sich am Streik beteiligen.

Das Wichtigste an diesem Streik - an jedem Streik letztendlich - ist nicht das Ausmaß des Chaos, das er verursacht. Das Kennzeichen der Arbeiterklasse ist nicht, dass sie Chaos bewirkt, sondern dass sie in der Lage ist, eine Perspektive aufzuzeigen gegenüber dem Chaos, in das der Kapitalismus die Menschheit gestürzt hat.

 

Der Klassenkampf rückt ins Zentrum der Gesellschaft

Der Streik bei der Deutschen Bahn hat nicht nur die Kampfbereitschaft der Lohnabhängigen unter Beweis gestellt, er hat die Kampfkraft unserer Klasse angedeutet. Er hat die ganze Gesellschaft wieder daran erinnert, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, in der alles von der Arbeit der entrechteten, eigentumslosen, arbeitenden Bevölkerung abhängt. Die verzweifelte Lage der Eisenbahner, die sie dazu zwingt, sich zu wehren, macht deutlich, dass diese Klasse der Gesellschaft nicht nur schlecht behandelt, sondern ausgebeutet wird. Zugleich deutet er die potenzielle Macht dieser Klasse an, die daher rührt, dass die Lohnabhängigen durch ihre Arbeit die ganze Gesellschaft auf ihren Schultern trägt. Außerdem sind diese Produzenten nicht voneinander isoliert, sondern durch Produktion, Verkehr, durch die Gesellschaft miteinander verbunden. Nach dem Fall der Berliner Mauer hieß es: Die Idee der Klassengesellschaft, des Klassenkampfes, des Sozialismus, einer Arbeiterbewegung aus dem 19 Jahrhundert - mit einem Wort: die Ideen des Marxismus - seien tot, es lebe die klassenlose Leistungsgesellschaft. Jetzt beginnt es vielen zu dämmern: Wir leben in einer Klassengesellschaft. Der Klassenkampf lebt.

Der lebendige Klassenkampf der Eisenbahner ist auch deshalb so wichtig, weil aufgrund der Abhängigkeit der modernen Gesellschaft von ihren Verkehrsmitteln dieser Streik nicht totgeschwiegen werden kann. Jeder ist davon betroffen. Jeder fühlt sich aufgefordert, sich dazu zu positionieren. So trägt dieser Kampf in nicht geringem Maße dazu bei, die soziale Atmosphäre in der Gesellschaft zu verändern. Dabei sind zwei Gegebenheiten von besonderer Bedeutung.

 

Der Arbeiterkampf ist international

Zum einem wurde zufällig zur gleichen Zeit in Deutschland und in Frankreich der Schienenverkehr bestreikt. Dass es links des Rheins um die Rentenbezüge, rechts des Rheins um Gehälter und Arbeitsbedingungen geht, zeigt nur auf, wie umfassend die Angriffe des Kapitals heute sind. Aber die Gleichzeitigkeit des Streiks zeigt vor allem auf, dass der Kampf der Arbeiterklasse wirklich international ist, wie das Kommunistische Manifest von Marx und Engels es einst formulierte ("Proletarier aller Länder, vereinigt euch"). In Deutschland versucht die GDL, die Lage der Eisenbahner in Deutschland als eine Ausnahme hinzustellen. Die Gehälter der Lokführer bei der DB seien im europäischen Vergleich erschreckend niedrig, von daher könne man diese Sparte besondere Zuwendungen zukommen lassen, ohne die allgemeine Notwendigkeit für die Lohnabhängigen in Abrede zu stellen, den Gürtel enger zu schnallen. In Frankreich wiederum behauptet die Regierung Sarkozy, die französische Eisenbahner seien eine privilegierte Minderheit, der man ruhig zumuten könne, bis zur Rente länger zu arbeiten. Gerade die internationale Dimension des Klassenkampfes macht aber deutlich, wie weltweit alle Arbeiter mit denselben Unzumutbarkeiten konfrontiert werden.

 

Das Geheimnis des Arbeiterkampfes ist die Solidarität

Zum anderen ist die große Popularität des Streiks bei der Deutschen Bahn innerhalb der Bevölkerung sehr bedeutsam. Die Medienmacher selbst sind verdutzt wegen dieser Tatsache. Wie kann es sein, dass eine kleine Gruppe, im Wesentlichen aus einer Berufssparte bestehend, Lohnforderungen von angeblich bis zu 31% für sich beansprucht und zu diesem Zweck einen Streik veranstaltet, der die arbeitende Bevölkerung, vor allem die Berufspendler trifft - und dennoch eine solche Beliebtheit erfährt? Am heutigen dritten Streiktag ergab eine Blitzumfrage der ARD eine Zustimmung zum Streik von 61% der Befragten - allen Unannehmlichkeiten und aller Hetze der herrschenden Klasse zum Trotz!

Auf dieses Rätsel angesprochen, gab einer der Chefredakteure des deutschen Staatsfernsehens, der ARD, Ressort Politik, folgende Antwort: Die Stimmung in der Bevölkerung sei in den letzten paar Jahren "gekippt". Bis dahin habe man die Notwendigkeit der "Lohnmäßigung" hingenommen, wenn auch mit Widerwillen. Inzwischen herrsche aber eine breite Verärgerung und ein "Ungerechtigkeitsgefühl" gegenüber der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Man begrüße den Streik der Eisenbahner vor allem deshalb, weil man sie sozusagen als Vorkämpfer betrachtet, den man am liebsten nachmachen möchte. Und während die "Politik" schon länger eine allgemeine und wachsende Empörung gegenüber den Angriffen auf die Sozialleistungen für Arbeitslose registriert habe (die sie nunmehr durch kleinere Korrekturmaßnahmen zu beschwichtigen versucht), habe man bislang unterschätzt, wie groß der Unmut vor allem angesichts der Lohnentwicklung in den letzten Jahren inzwischen geworden ist.

Der gute Mann hat recht. Genau hier liegt der springende Punkt dieses Streiks; das, was viele Kommentatoren das Paradoxon des Kampfes der Eisenbahner genannt haben. Die GDL als Organisator des Streiks propagiert offen die Aufkündigung der Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse. Jede Berufsgruppe soll allein für sich im Kampf dastehen. Es steht für einen Trend, der im Nachkriegsdeutschland relativ neu ist, international aber sattsam bekannt ist: der Trend zu Spartengewerkschaften. Nach der Vereinigung Cockpit für die Piloten und dem Marburger Bund für die Klinikärzte kommt nun die GDL mit ihrem Versprechen einer heilen Welt für Lokführer. Ihr Motto, ganz offen herausposaunt, lautet: Was mit den anderen Berufsgruppen geschieht, geht uns nichts an! Die Einheitsgewerkschaften des DGB wiederum übernehmen den Part, im Namen der "Einheit" und der "Solidarität" gegen die streikenden Piloten, Klinikärzte oder Lokführer zu hetzen und sie als Privilegierte, ja als Feinde der anderen Berufsgruppen zu verfemen. Was hinter diesem Trend zur Spartengewerkschaft steckt, ist Folgendes: Zum einem versucht man, die scharenweise sich von den bestehenden Gewerkschaften abwendenden Arbeiterinnen und Arbeiter in "alternativen" Gewerkschaften aufzufangen, damit die Arbeiterklasse nicht wieder damit anfängt, wie in den Jahren nach 1968 eigenständig und selbstorganisiert zu kämpfen. Zugleich will man die Lohnabhängigen vor die falsche Alternative zwischen Unterordnung unter die sozialdemokratischen Einheitsgewerkschaften einerseits und isolierten bis unsolidarischen Aktionen unter der Regie der Spartengewerkschaften andererseits stellen. Dass die SPD und der DGB unwirsch auf diese neue Macht der Spartengewerkschaften reagieren, weil sie eine Schwächung der eigenen Macht und Privilegien innerhalb des Staatsapparates fürchten, ändert nichts an der Tatsache, dass diese falsche Alternative zwischen zwei Gewerkschaftsformen der gesamten herrschenden Klasse im Kampf gegen die Arbeiterklasse zugute kommt. Im Gegenteil verleiht es dieser Alternative - und momentan vor allem der Spartengewerkschaft - eine zusätzliche Glaubwürdigkeit.

Dass die herrschende Klasse mit diesem Vorgehen Erfolge verbuchen kann, zeigt der derzeitige Auftrieb der GDL. Schaut man genauer hin, so erkennt man, dass das, was die arbeitende Bevölkerung heute umtreibt, nicht der Traum von voneinander isoliert kämpfenden Berufsgruppen ist - was für die Arbeiterinnen und Arbeiter ein Albtraum wäre. Hinter dem Streik der Eisenbahner zeigt sich ein wachsendes Gefühl der Arbeitersolidarität. Allein die Tatsache, dass nicht allein Lokführer sondern auch Zugbegleiter zur Lokführergewerkschaft gingen, zeigt, dass es den Betroffenen nicht um Berufsdünkel geht, sondern um die Suche nach Alternativen zu den bestehenden Gewerkschaften. Und die Beliebtheit des Eisenbahnerstreiks innerhalb der Bevölkerung zeigt uns das Gleiche. Das, wonach die Arbeiterklasse noch unsicher tastend zu suchen begonnen hat, wird sie nicht bei den Gewerkschaften finden (egal welchen) sondern im gemeinsamen, solidarischen Kampf.

 

Wie weiter?

Dieses Tasten, das sich dahinter verbergende Potenzial des Widerstands gegen die kapitalistischen Angriffe, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die kämpfenden Eisenbahner durch die Gewerkschaften in eine faktische Isolierung geführt worden sind. Sie mussten bisher ohne die ganz große Mehrheit ihrer Kolleginnen und Kollegen bei der Deutschen Bahn, isoliert und abgeschirmt auch von anderen Teilen ihrer Klasse ihren Kampf ausfechten. Es gilt jetzt, Initiativen zu entwickeln, um dieser Isolierung entgegenzutreten, indem man das Gespräch mit anderen Eisenbahnern sucht, indem man die arbeitende Bevölkerung insgesamt nicht mehr nur als "Bahnkunden" betrachtet, wie die GDL das tut, sondern als Mitstreiter, die als Lohnabhängige alle die gleichen Interessen haben. Die spontane Sympathie der Bevölkerung zeigt auf, wie falsch es wäre, den Kampf gegen Hungerlöhne und schlimme Arbeitsbedingungen als eine Besonderheit der Bahn aufzufassen. Wenn die Herrschenden in den letzten Wochen gelernt haben, den Kampf der Eisenbahner zu fürchten, und sich nun nicht mehr ohne Weiteres trauen, mit Streikverboten vorzustoßen, dann vor allem deswegen, weil sie wissen, dass sich dahinter eine allgemeine Unzufriedenheit der Arbeiterklasse anstaut.

Außerdem gilt es, wachsam zu sein gegenüber dem, was die "Tarifparteien" an "Lösungen" auf Kosten der Betroffenen auszutüfteln versuchen werden.

Für die gesamte Arbeiterklasse gilt es, die Kampfkraft der Eisenbahner zum Beispiel zu nehmen, damit aus einer isolierten Auseinandersetzung allmählich ein allgemeiner und solidarischer Kampf werden kann. IKS 16. November 2007

Leserbrief: Gore: Friedensengel?

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Wieder einmal wurde weltweit die Bekanntgabe aus Oslo erwartet. Wer hat sich dieses Jahr den Friedensnobelpreis verdient für besondere Bemühungen um den Weltfrieden? Da schau her, der Al Gore. Der selbsternannte Klimaschutzapostel. Was ist denn eigentlich sein besonderes Verdienst für die Menschheit? Der fliegt, laut seinem Film "Eine unbequeme Wahrheit" mit Flugzeugen durch die ganze Welt, um seinen Vortrag über die gefährlichen Umweltsünden zu halten und wie wenig Zeit der Menschheit wohl noch

Wieder einmal wurde weltweit die Bekanntgabe aus Oslo erwartet. Wer hat sich dieses Jahr den Friedensnobelpreis verdient für besondere Bemühungen um den Weltfrieden? Da schau her, der Al Gore. Der selbsternannte Klimaschutzapostel. Was ist denn eigentlich sein besonderes Verdienst für die Menschheit? Der fliegt, laut seinem Film "Eine unbequeme Wahrheit" mit Flugzeugen durch die ganze Welt, um seinen Vortrag über die gefährlichen Umweltsünden zu halten und wie wenig Zeit der Menschheit wohl noch bleiben wird, wenn nicht bald handfeste Maßnahmen ergriffen werden, um die Zerstörung des Planeten Erde aufzuhalten. (Übrigens kostet sein Dienst an der Menschheit, also jeder Vortrag nur wenig mehr als 150.000 $!) In einem Punkt hat Gore aber leider recht. Die Zeit drängt in der Tat. Zwar kann unser Planet auf eine Milliarden alte Geschichte zurückblicken, doch die letzten 200 Jahre haben Mutter Erde arg zugesetzt. Es sind eben die letzten 200 Jahre, die den Sieges- und Zerstörungszug des Kapitalismus gesehen haben mit rauchenden Schornsteinen, Atombomben, Leerfischung der Meere etc.

Nach Al Gores Verständnis gibt es einen klaren Schuldigen: den Menschen. Aber nicht verzweifeln, es gibt auch einen Weg aus der Sackgasse. Es braucht nämlich nur einen solch tollen Kerl wie Gore, der der Welt mit dramatischen Bildern ein schlechtes Gewissen macht und dann wie ein wahrer Held die Lösung parat hat. So verkündet er zum Schluss seines Films auf die Frage, was tun, stolz, kauft neue stromsparendere Kühlschränke und Autos. Denn wenn alle dies täten, dann würde die Zerstörung der Erde auf den Stand der 1970er (!) zurückgehen. Danke, Mister Gore, welch revolutionärer und wirksamer Ansatz!

Für eben diesen wahnsinnig effektiven Ansatz hat Gore also den Friedensnobelpreis erhalten. Was fällt hier auf? Zum einen, dass jeder allein seinen Lösungsweg durchziehen soll. Zudem konsumiert man so mehr und kurbelt nebenbei auch noch die Wirtschaft an (notfalls auf Pump). Zum anderen aber fällt gerade auf, dass dies überhaupt keine Lösung darstellt. Natürlich sind umweltfreundlichere Kühlschränke begrüßenswert, aber mal ehrlich, reicht dies, um die Erde und die Menschheit vor einer ökologischen Katastrophe zu bewahren? Sicher nicht.

Unkraut wächst schließlich immer wieder nach, es sei denn, man reißt es an der Wurzel raus. Die Wurzel des Übels liegt aber nicht im Kühlschrank, sondern im Kapitalismus höchst selbst. Ein System, dessen wichtigstes Lebensprinzip ist: MEHR Profit, um JEDEN Preis, so kann er nichts und niemanden zu liebe auf Profit verzichten. Auch nicht der Umwelt zuliebe. Sonst geht das eigene Unternehmen noch unter.

Wenn es stimmen würde, dass man rein auf indivudeller Ebene einen echten Fortschritt in Sachen Umweltschutz erzielen könnte, weshalb hat denn dann der gute Mister Gore nicht selbst die Welt erretten können? Schließlich war Gore zwei Legislaturperioden (sprich acht Jahre) lang der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, der Weltmacht Nr.1 und nebenbei bemerkt als Industriemacht einer der Haupterzeuger der Umweltverschutzungen. Der ehemals zweitwichtigste Mann der Erde und beinahe-Präsident - und dennoch keine Kehrtwende in Sachen Umweltschutz? Und nicht nur das. Zum Umweltschutz gehört natürlich auch, dass es keine Kriege mehr gibt. Darum geht es ja zumindest dem Namen nach auch bei der Vergabe des Friedensnobelpreises. Aber siehe da. Gore und seine Regierung zogen seinerzeit in den Balkankrieg. So erhält wieder einmal ein Kriegstreiber einen Friedensnobelpreis.

Aber es ist ja auch bekannt, dass die Vergabe des Friedensnobelpreises stets politisch motiviert ist. In diesem Jahr ist die Botschaft wohl ein Schuss vor den Bug der Bushregierung. Ein europäischer Aasgeier versucht dem amerikanischen ein Auge auszuhaken.

Wem wirklich ernsthaft an Frieden, Menschlichkeit und an einer lebensfähigen Umwelt gelegen ist, der kann unmöglich auf diesen oder irgendeinen von der herrschenden Klasse gekürten Friedensheiligen schauen. Was wir als arbeitende Bevölkerung brauchen, ist Mut und Zuversicht, dass unser Kampf für eine klassenlose Gesellschaft gelingen kann. Erst in einer solchen Welt ohne Krieg, Profitgier und Ausbeutung können Mensch und Natur in Einklang miteinander leben. Es mag verrückt klingen, aber auch die Natur braucht dringend den Klassenkampf und die Weltrevolution, keinesfalls aber diese lahme Friedenstaube von Gore. 7.11.2007

Rede der EKS auf dem 17. Internationalen Kongress der IKS: Probleme des dekadenten Kapitalismus in der Türkei

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Dies ist der Wortlaut der Rede, die ein Genosse der türkischen Gruppe Enternasyonalist Komünist Sol (Internationalistische Kommunistische Linke) auf dem 17. Internationalen Kongress der Internationalen Kommunistischen Strömung im Mai dieses Jahres zur Situation in der Türkei gehalten hatte. Wir denken, dass wir unseren Lesern die Aussagen dieser Rede nicht vorenthalten dürfen. Dies ist der Wortlaut der Rede, die ein Genosse der türkischen Gruppe Enternasyonalist Komünist Sol (Internationalistische Kommunistische Linke) auf dem 17. Internationalen Kongress der Internationalen Kommunistischen Strömung im Mai dieses Jahres zur Situation in der Türkei gehalten hatte. Wir denken, dass wir unseren Lesern die Aussagen dieser Rede nicht vorenthalten dürfen. Gerade die Äußerungen des Genossen über die imperialistischen Ambitionen der Türkei im Nordirak, haben bis heute nichts an ihrer Richtigkeit und Aktualität eingebüßt, wie der erst in jüngster Zeit erfolgte Aufmarsch von über 100.000 türkischen Soldaten an der Grenze zum Irak zeigt.   

In den letzten fünf Monaten passierten etliche Besorgnis erregende Ereignisse in der Türkei. Nach dem Mordanschlag auf Hrant Dink (einem armenischstämmigen Journalisten) im Januar hat es äußerst brutale Angriffe gegen Ausländer, etliche nationalistische Massendemonstrationen, Bombenanschläge wegen des andauernden blutigen Krieges zwischen bewaffneten kurdischen Nationalisten und der türkischen Armee gegeben. Es hat den Anschein, als wird die Lage immer schlimmer. Die letzte Bombe der Bourgeoisie explodierte vor einigen Tagen in Ankara; sie tötete sechs Menschen und verletzte mehr als hundert. Daraufhin rief der Ministerpräsident zur nationalen Einheit gegen den Terrorismus auf, dem sich auch die meisten linksbürgerlichen Organisationen anschlossen.

Die Türkei ist besonders in den Großstädten mittlerweile in eine künstliche Polarisierung zwischen der säkular-bürokratischen Opposition und den Anhängern der liberalen islamistischen Regierung geraten. Die Presseorgane der säkular-bürokratischen Opposition, die sich wichtiger nimmt, als sie tatsächlich ist, setzten die Behauptung in Umlauf, dass das „Regime in Gefahr“ sei, und begannen Massendemonstrationen gegen ihre politischen Gegner zu organisieren. Obwohl die bürgerlichen, säkular-nationalistischen Medien behaupteten, dass es sich hierbei um eine „Basis“-Bewegung handle, war offensichtlich, dass jenen, die demonstrieren gingen, dies auch leicht gemacht wurde und sie die Unterstützung einer starken Fraktion der Bourgeoisie genossen. Der vielleicht bedeutendste Aspekt dieser Demonstrationen waren jedoch die linksnationalistischen Parolen, die skandiert wurden. Was diese Parolen zeigten, ist, dass das Elend der verknöcherten Staatsbourgeoisie durch den Zerfall der alten kemalistischen Staatsideologie verursacht wird. Die Probleme dieser Ideologie beschränken sich nicht auf solche Parolen: Winzige faschistische Sekten, die von Generälen a.D. gegründet wurden, schwören, zu töten und zu sterben, um das Land zu retten; alte linksextremistische Gruppen, die sich offenbar dem Rechtsextremismus zugewandt haben, schreiben Parolen an die Mauern, mit denen zur Invasion des Nordirak und mehr aufgerufen wird; und gelegentlich rufen hochrangige Armeekader zur „Befreiung“ der irakischen Turkmenen auf. Die Armeebürokratie ist noch immer eine der stärksten Mächte in der Türkei. Jedoch ist nicht alles Gold, was glänzt; die Propaganda ist ein Beweis dafür. Niemals zuvor hatte diese Fraktion der Bourgeois eine solch massive Propaganda machen müssen, um sich den Anschein zu geben, als erhielte sie massive Unterstützung. Auch wenn es ihr gelang, Hunderttausende dazu zu bringen, durch die Straßen zu marschieren, so handelt es sich hier um einen Akt der Verzweiflung. Je verzweifelter die Bourgeoisie ist, desto bösartiger wird sie.

Was den anderen Flügel der Bourgeoisie anbelangt, so scheint auch er große Probleme zu haben. Als die Regierung von Tayyip Erdoğan mit der Unterstützung der Hauptfraktion der kapitalistischen Klasse gewählt worden war, bestand die Absicht, den alten Traum zu verwirklichen, eine Brücke nach Europa für das Öl von Baku zu bilden, um so der Europäischen Union beitreten zu können. Noch bis vor kurzem hatte es den Anschein, als habe der Traum eine Chance auf Verwirklichung; doch anders als Russland, dem es gelang, wovon die Türkei träumte, wurden die imperialistischen Ambitionen der Türkei inzwischen größtenteils zerstört. Die Möglichkeit, der Europäischen Union beizutreten, schwindet. Obwohl Erdoğans Regierung noch immer sehr stark ist, erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass sie auch nach den kommenden Wahlen noch so stark sein wird wie heute. Erdoğans Regierung schien kein Interesse daran zu haben, den Irak zu betreten, als sie von den Vereinigten Staaten dazu eingeladen wurde. Sie wollte durchaus imperialistische Interessen im Nordirak verfolgen, doch sie wollte nicht dorthin gehen, wo es die Vereinigten Staaten wünschten - und dies war damals sicherlich nicht der Nordirak. Es ist auch wichtig zu bemerken, dass die sozialen Bedingungen angesichts der massiven Antikriegswelle sich damals nicht wirklich für eine massenhafte Kriegsmobilisierung eigneten. Doch nun werden Hunderttausende für den Nationalismus mobilisiert und von antikurdischen Ressentiments aufgestachelt. Es stellt sich hier die Frage, ob die Invasion des Nordirak der Fantasie winziger faschistischer Sekten entsprungen ist oder eine tatsächliche Option ist. Wird der amerikanische Imperialismus den türkischen Imperialismus gegenüber den bürgerlichen kurdischen Fraktionen vorziehen, denen es nicht gelang, das Gebiet zu kontrollieren? Könnte die türkische Bourgeoisie ihre imperialistischen Ambitionen auf die Kontrolle des Erdöls im Nordirak richten? Ein neuer imperialistischer Krieg im Mittleren Osten könnte früher als erwartet ausbrechen. Die wichtigsten Fernsehsender in der Türkei, einschließlich des berüchtigten Fox Television Network, der erst kürzlich seinen Sendebetrieb in der Türkei aufgenommen hat, haben bereits mit der Debatte begonnen, ob die Türkei in den Nordirak eindringen soll oder nicht. Obwohl die Linksextremisten in der Türkei eifrig dabei sind, unabhängige Kandidaten für die kommenden Wahlen aufzustellen, um die bürgerliche Versammlung in einen herzlichen und freudvollen Ort zu verwandeln, könnten die Wahlen mit der Bildung eines Kriegskabinetts enden, das die Unterstützung jener erhält, die für die Verteidigung des Säkularismus und Kemalismus mobilisiert worden waren. Es ist eine Möglichkeit: vielleicht nicht die wahrscheinlichste, aber doch eine bedeutende und gefährliche Möglichkeit. Was diese Möglichkeit zeigt, ist die Mentalität der Bourgeoisie in Bezug auf imperialistische Kriege. Im dekadenten Kapitalismus werden imperialistische Kriege der Kriegsführung wegen geführt.

1974, als die türkische Armee in Zypern einmarschierte, schickten Armeekommandeure Panzer und Soldaten an die Grenze zu Griechenland. Wäre es möglich gewesen, hätten sie nicht gezögert, einen blutigen Krieg mit Griechenland anzuzetteln. Heute werden sie, wenn es die Bedingungen ermöglichen, den Nordirak anzugreifen und die endlosen Konflikte, die Zerstörungen, die Gewalt und das Leid ignorieren, die dies mit sich bringen würde. Die Bourgeoisie in der Türkei hat ernste Probleme: Es gibt schwere Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie, der Sozialstaat ist im Rückzug begriffen, das alte bürgerliche Konzept vom Staatsbürgertum zerbröselt, die türkische Bourgeoisie ist hinsichtlich ihrer Beziehungen zur kurdischen Bourgeoisie gescheitert, und die alten politischen und ideologischen Strukturen des Kemalismus, die das Fundament des türkischen Regimes bilden, erweisen sich als zu belastend für die Bourgeoisie. Und doch bedeutet die Zerstörung jener alten Strukturen das gesamte Regime aufs Spiel zu setzen, da die politische Rechtfertigung des bürgerlichen Regimes auf dem Kemalismus beruht. Die türkische Bourgeoisie wandelt auf dünnem Eis. Die einzige Lösung, die sie gegenüber ihren Problemen anbieten kann, ist ein neuer imperialistischer Krieg. Wenn dies heute nicht im Nordirak passiert, wird es morgen vielleicht anderswo passieren: Doch es wird passieren. Wie das Manifest der Kommunistischen Linken an die Arbeiter Europas, im Juni 1944 von der Gauche Communiste de France verfasst, erklärte: „Solange es Ausbeuter und Ausgebeutete gibt, ist der Kapitalismus Krieg und der Krieg Kapitalismus.“ Und wenn wir all die vielen endlosen lokalen Kriege, die Explosionen in den Städten, die brutalen Morde auf der Welt betrachten, sehen wir deutlich, dass der Kapitalismus die Menschheit in die Barbarei führt.

Die proletarische Weltrevolution ist die einzige Alternative zur kapitalistischen Barbarei

Dies führt zur Frage der Lage des Proletariats in der Türkei. Nach der Niederlage der massiven Welle proletarischer Kämpfe in der Türkei, die 1989 mit den Streiks der öffentlichen Bediensteten begann und sich schnell auf gewerkschaftliche und nicht gewerkschaftliche ArbeiterInnen in den privaten Sektoren ausbreitete, zur Bildung von unabhängigen Fabrikkomitees führte und 1995, nach der Besetzung des Kizilay-Platzes in Ankaras, wo sich die Verwaltungszentren der türkischen Regierung befinden, durch Arbeiter des Öffentlichen Dienstes endete, gelang es den Gewerkschaften, einen sehr großen Einfluss auf das Proletariat zu erringen. In den letzten Jahren gab es ein bemerkenswertes Wachstum in der Zahl von Klassenkämpfen. Besonders in den letzten Monaten gab es etliche ziemlich große Arbeiterdemonstrationen, eine erhebliche Welle von Fabrikbesetzungen und zahllose Streiks in einer ganzen Reihe von Industriezweigen. Jedoch gelang es in nahezu keinem dieser Kämpfe, einen bedeutenden Erfolg zu erlangen, was zumeist auf die Tatsache zurückzuführen war, dass jene Kämpfe – auch wenn sie zahlreich waren – sich auf einzelne Sektoren oder gar einzelne Arbeitsplätze beschränkten und sich nicht ausweiteten. Da es keinen vereinten Kampf gab, hatte die Bourgeoisie keine große Mühe, die kämpfende Arbeiterklasse zu besiegen. Es ist auch wichtig zu bemerken, dass die meisten jener Kämpfe aktiv von den Gewerkschaften sabotiert wurden; beispielsweise bestand während einer Fabrikbesetzung die Methode der Gewerkschaft, um die Arbeiter zum Einlenken zu zwingen, darin, ihnen eine türkische Flagge auszuhändigen, um sie über das Fabriktor aufzuspannen. In der Tat machten Arbeiter in den meisten dieser Kämpfe ihren Unmut über die Gewerkschaften kund. Tatsächlich beteiligen sich die Gewerkschaften in der Türkei zwar nicht aktiv an der Sabotierung des Kampfgeistes der Arbeiter durch die türkische Bourgeoisie, aber sie spielen eine aktive Rolle bei der Mobilisierung des Proletariats für die nationalistische Sache. Selbst linksextreme Gewerkschaften beteiligten sich aktiv dabei, die Arbeiter in den säkularistischen Demonstrationen hinter einer Abteilung der Bourgeoisie aufzustellen.

Die Rolle der Gewerkschaften wurde noch sichtbarer während der letzten 1.Mai-Demonstration in Istanbul. Die wichtigste linksnationalistische Gewerkschaft hatte erklärt, dass sie den Mai-Feiertag in einer „verbotenen“ Zone in Istanbul, auf dem Taksim-Platz, begehen wollte, da sich dieses Jahr der berüchtigte Blutige 1.Mai zum dreißigsten Mal jährte. Damals hatten sich fast eine Million Demonstranten auf dem Taksim-Platz versammelt und waren von unbekannten Schützen aus zwei Gebäuden und einem Auto nahebei unter Feuer genommen worden. Der Istanbuler Bürgermeister, der wegen seiner Sympathien für Erdoğans Partei bekannt ist, war entschlossen, solch eine Demonstration zu verbieten; jedoch hatten etliche linksextremistische Gruppierungen und Parteien bereits erklärt, dass sie sich der Gewerkschaft auf dieser Demonstration anschließen würden. Bald darauf geriet dieses Ereignis aus der Kontrolle der Gewerkschaft und der linksextremistischen Gruppierungen. Der diesjährige 1.Mai in Istanbul war ziemlich brutal: Die Istanbuler Stadtregierung hatte die Polizei angewiesen, kompromisslos einzuschreiten, was diese auch tat. Wo immer sich ArbeiterInnen versammelten, um den Taksim-Platz zu betreten, wurden sie von der Polizei angegriffen. Viele von ihnen wurden zusammengeschlagen, rund eintausend wurden festgenommen, und eine alte Person starb in ihrer Wohnung infolge des Tränengases, mit dem die Polizei um sich warf. Während die rechtsbürgerlichen Medien die Polizisten als Helden darstellten, gaben die liberalen Nationalisten und die Linksextremisten dem Bürgermeister die Schuld an den Verkehrsproblemen, die auftraten, und die Gewerkschaftsführer, denen es von der Polizei gestattet wurde, den Platz zu betreten, und die ihn sogleich wieder verließen, um später vor den Fernsehkameras ihren Sieg zu erklären, wurden als Helden gefeiert. Jedoch hatten die Gewerkschaften erwartungsgemäß nichts zum Klassenkampf beigetragen. Auch wenn die einfache Androhung eines eintägigen Streiks ausgereicht hätte, um viele davor zu bewahren, zusammengeschlagen oder festgenommen zu werden, bewiesen die Gewerkschaften einmal mehr, dass sie der Arbeiterklasse nichts zu geben haben. Stattdessen nannte die Gewerkschaft diesen 1.Mai einen Kampf für die Demokratie, und die Gewerkschaftsführer gingen gar so weit, die Polizeiattacken gegen das Proletariat als die Rache gegen die jüngsten säkular-nationalistischen Demonstrationen darzustellen.

Wenn wir die Lage des Proletariats in der Türkei betrachten, sehen wir, dass das Proletariat unter sehr schlechten Bedingungen lebt. Die Bedingungen des Industrie- und Landproletariats sind in einigen Teilen der Türkei unvorstellbar. Große Teile der Akademiker, selbst Ärzte und Ingenieure, sind stark proletarisiert und äußerst ausgebeutet, wenn sie denn einen Job haben. Es gibt eine massive Arbeitslosigkeit, besonders unter jungen Menschen, und mit dem Zerfall der Staatsideologie sowie in Ermangelung einer starken kommunistischen Stimme werden die meisten Arbeitslosen in bürgerliche Ideologien wie den Islamismus, Nationalismus und die nationale Befreiung hineingezogen. Es gibt sehr kämpferische Teile der Arbeiterklasse, doch die Vorherrschaft der Gewerkschaften und der Einfluss bürgerlicher Ideologien auf die ArbeiterInnen hindern dieselben an einer Vereinigung auf Klassengrundlage. Die einzige Lösung der Probleme des Proletariats, das einzige Heilmittel gegen die Bedrohung des proletarischen Kampfes durch bürgerliche Ideologien ist der proletarische Internationalismus und die internationale Klassensolidarität.

Die Bourgeoisie führt das Proletariat zu noch mehr Leid, zu noch mehr Elend und noch mehr Toten. Der Kommunismus ist die einzige realistische Alternative zum Versinken in die Barbarei. Unter diesen Umständen denken wir, dass es äußerst wichtig für die verschiedenen proletarischen Gruppierungen ist, sich in regelmäßigen Diskussionen und in internationaler Solidarität zu üben.

Dieser Text wurde auch veröffentlicht auf: en.internationalism.org/forum [33] und auf Libcom.

EKS

Juli 2007

Geographisch: 

  • Naher Osten [34]

Theoretische Fragen: 

  • Imperialismus [26]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Dekadenz des Kapitalismus [27]

Vom Streik zur Bewegung? Überlegungen zum Arbeitskampf bei BSH Berlin

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Wir veröffentlichen im Folgenden ein Flugblatt, dass die Freunde und Freundinnen der klassenlosen Gesellschaft vor rund einem Jahr anlässlich des Streiks der Beschäftigten der Bosch-Siemens Haushaltsgeräte (BSH) in Berlin herausgegeben haben. Wir stimmen den in dieser Flugschrift geäußerten Aussagen hinsichtlich der Rolle der Gewerkschaften – hier der IG Metall – und der Notwendigkeit einer Ausweitung des Kampfes im Wesentlichen zu. Wir denken ferner, dass der Kampf der ArbeiterInnen der BSH eine viel größere Öffentlichkeit verdient hat, als ihm die bürgerlichen Medien eingeräumt haben, die naturgemäß kein Interesse daran haben konnten, seinem Anliegen mehr Gehör zu verschaffen. In diesem Sinne begrüßen wir, dass die Genossen und Genossinen dieser Gruppe sich darum bemüht haben, ihre Stimme gegen die Ignoranz der bürgerlichen Medien zu erheben und auf die Bedeutung dieses Kampfes hinzuweisen. Dieser Kampf war in der Tat eine wichtige Episode im Kampf unserer Klasse, da die Beschäftigten der BSH wichtige Erfahrungen gesammelt haben, die unbedingt weiteren Kreisen der Arbeiterklasse selbst ein Jahr danach zugänglich gemacht werden sollten.

Tatsache ist: Die deutsche Disziplin und Ruhe könnten trügerisch sein. Eine neue RAF… ist nicht in Sicht. Aber wenn irgendwo 200 empörte Arbeiter, die entlassen werden sollen, obwohl der Konzern insgesamt schwarze Zahlen schreibt, alles kurz und klein schlagen, kann ein einziger Gewaltausbruch dieser Art einen Flächenbrand auslösen, wie einst der unpolitische Mordversuch an Rudi Dutschke zu Ostern 1968.

Peter Glotz (SPD), Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.5.2005  

Trotz einiger Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen, beispielsweise bei Opel Bochum, AEG Nürnberg und dem Berliner Baumaschinenwerk CNH, kam es bisher nicht zu dem von Peter Glotz befürchteten Flächenbrand. Die verschiedenen Streiks und Auseinandersetzungen, die in den letzten Jahren stattfanden, blieben weitestgehend isoliert voneinander. Auch der Kampf bei Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH) Berlin im Herbst 2006, der sich gegen die geplante Schließung des Produktionsstandorts richtete, war kein Startschuss für eine breitere Bewegung. Im Gegensatz zu anderen Auseinandersetzungen suchten die BSH-Arbeiter jedoch den Zusammenschluss mit anderen Beschäftigten und probten den Aufstand gegen die Gewerkschaft. Dennoch gelang es ihnen nicht, dem Unternehmen ihren Willen aufzuzwingen und den Erhalt aller Arbeitsplätze durchzusetzen. Auf ihrem Solidaritätsmarsch durch die Bundesrepublik traten sie in direkten Kontakt mit anderen Arbeitern und entwickelten im Laufe dieser Reise durch die ihnen entgegengebrachte Solidarität ein Gefühl der eigenen Stärke. Sie lehnten den von der IG Metall ausgehandelten und als Sieg verkauften Kompromiss mit einer satten Zweidrittelmehrheit ab und äußerten lautstark ihren Unmut über dieses Ergebnis. Dennoch fügten sie sich letztendlich der Aufforderung zur Beendigung aller Kampfmaßnahmen, denn die Enttäuschung über die Verhandlungsführer führte nur zu Frustration, Wut und Resignation. So schafften die Streikenden es nicht, sich aus der gewerkschaftlichen Gängelung zu befreien und das weitere Vorgehen selbst zu bestimmen.
Nachdem zwei Wochen lang täglich Betriebsversammlungen durchgeführt wurden und die Produktion still stand, entschloss sich die Gewerkschaft Ende September zu einem offenen Streik gegen die drohende Betriebsschließung zum Jahresende. Es folgte das übliche Ritual: Tische und Stühle wurden aufgestellt, IG Metall-Fähnchen in den Boden gesteckt, beschriftete Müllsäcke über den Kopf gezogen, das Firmenlogo mit der obligatorischen Botschaft („Dieser Betrieb wird bestreikt“) geschmückt und nicht sonderlich originelle Transparente mit Aufschriften wie „Wir wollen arbeiten“ und „Siemens entlässt seine besten Kinder“ aufgehangen. Ganz im sozialpartnerschaftlichen Sinne war sich die IG Metall mit der Unternehmensleitung schon im Voraus einig, ihren Beitrag zu der geplanten „Kostensenkung“ im Umfang von 8,5 Millionen Euro leisten zu wollen – nur über das Wie herrschte Uneinigkeit.Hier und da wurde zwar über den angebotenen Lohnverzicht gemurrt, aber wenn man die Beschäftigten in jenen Tagen fragte, wie es denn weitergehen solle und welche Aktionen geplant seien, verwiesen sie achselzuckend auf ihre Anführer. Es machte den Anschein, als hätten die Arbeiter den Lohn des Betriebs gegen den Scheck der Gewerkschaft getauscht, die Anweisungen des Vorarbeiters gegen jene der Funktionäre und die monotone Beschäftigung im Werk gegen das gelangweilte Herumsitzen außerhalb.So plätscherte der Streik vor sich hin, weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Es folgten ein paar kleinere Aktionen, eine Demonstration durch Siemensstadt und ein Solidaritätsfest auf dem Betriebsgelände. Einige Politiker ließen sich sehen und bekundeten ihre Solidarität – die Beschäftigten dankten es ihnen mit Applaus. Von Selbsttätigkeit und Leidenschaft war, zumindest auf dem Werksgelände, wenig zu spüren und so könnte man diesen Streik in eine Reihe von Abwehrkämpfen stellen, wie sie selbst in diesem beschissenen Land in letzter Zeit des öfteren aufflammten, z. B. bei der AEG Nürnberg oder dem Berliner Baumaschinenwerk CNH.

Solidarität und Selbsttätigkeit

Der Streik nahm jedoch eine andere Entwicklung, als man es in diesen Tagen vermutet hätte – ausgehend von einer Idee des Kampfes, der über die Grenze des eigenen Betriebes hinausgehen sollte. Während in Berlin weiter die Toreinfahrten bewacht wurden, um einen möglichen Abtransport der Maschinen zu verhindern, machten sich etwa 50 Arbeiter auf, um andere Produktionsstandorte in ganz Deutschland zu besuchen. Auf dem so genannten Marsch der Solidarität besuchten sie verschiedene Betriebe, diskutierten mit anderen Lohnabhängigen über ihre Situation und verteilten Flugblätter in den jeweiligen Fußgängerzonen. Sie warben um Solidarität mit dem Ziel, zusammen mit möglichst vielen Arbeiterinnen aus den verschiedensten Fabriken vor der Siemenszentrale in München mit einer Großkundgebung ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.In Nauen blockierten sie einen Tag lang das dort ansässige BSH-Werk, in Kamp Lintfort schlossen sie sich mit den Beschäftigten der ehemaligen Siemens-Mobiltelefonsparte BenQ zusammen und demonstrierten durch den Ort, begleitet von der städtischen Feuerwehr, den ortsansässigen Stahlkochern und weiten Teilen der Bevölkerung. Doch nicht nur Betriebe des Siemens-Konzerns waren das Ziel, auch den Beschäftigten von Miele statteten sie einen Besuch ab und leisteten dadurch einen Beitrag, der Konkurrenz unter den Arbeitern praktisch entgegen zu wirken. Eine weitere positive Erfahrung machten sie bei AEG Nürnberg, wo ein großer Teil der dort Beschäftigten seine Arbeit unterbrach, um mit den Berliner Streikenden zu diskutieren.Durch die ihnen entgegengebrachte Solidarität entwickelte sich allmählich Vertrauen in die eigene Macht. Verteilten sie anfänglich noch Flugblätter, die ihnen die Gewerkschaft mit auf den Weg gab, schrieben sie später ihre eigenen mit selbst aufgestellten Forderungen. Sie traten immer selbstbewusster auf, und, gestärkt durch die Zusage vieler anderer Arbeiter auch nach München kommen zu wollen, diskutierten sie auch andere von kämpfenden Arbeitern gemachte Erfahrungen jenseits des Legalismus wie z. B. Bahnhofs- und Autobahnbesetzungen. Das Neue gegenüber vergleichbaren Streiks in den letzten Jahren bestand nicht darin, dass die Ziele radikaler gewesen wären. Genau wie bei Opel oder AEG waren die Arbeiter von BSH in der Defensive. Das Neue lag in der Tatsache, dass sie sich nicht einfach in ihrem Werk verbunkert, sondern den ersten und unverzichtbaren Schritt für jede Bewegung von Lohnabhängigen gegen das Kapital gemacht haben: Sie suchten den Kontakt zu anderen Arbeitern, selbst zu Arbeitern von Konkurrenzbetrieben. Und sie haben begonnen, Selbsttätigkeit zu entwickeln.  

Die Gewerkschaft würgt den Streik ab

Eben das missfiel nicht nur der Unternehmensleitung, sondern auch der Gewerkschaft. Einerseits brauchen Gewerkschaften eine auch mal grollende Basis, mit der sie Unternehmern und Regierung drohen können. Andererseits haben sie vor nichts so viel Angst wie vor eben der „Aufkündigung des sozialen Friedens“, von der sie immer reden, wenn sie ihre Verhandlungsposition verbessern wollen. Wenig verwunderlich daher, dass die IG Metall der sich entwickelnden Dynamik des Solidaritätsmarsches in einer Nacht- und Nebelaktion ein jähes Ende bereitete – genau einen Tag vor dem erwarteten Höhepunkt: der Großkundgebung vor der Siemens-Zentrale in München. Die Verhandlungsführer unterzeichneten einen „Kompromiss“ ganz nach Geschmack der Unternehmensleitung und teilten diesen schon der Öffentlichkeit in einer Pressemeldung mit, bevor die davon betroffene Belegschaft im Ganzen auch nur informiert worden war: 216 Entlassungen, Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, Wegfall der Schichtzulage, Streichung der Jahreszulage, Kürzungen bei der Urlaubsvergütung und den Sonderzahlungen. Die Gegenleistung: Eine unverbindliche Absichtserklärung, das Werk in Spandau bis 2010 zu erhalten. Die Kundgebung wurde abgeblasen, die Arbeiter, die bereits in Bussen auf dem Weg nach München waren, wurden kurzerhand zurückgerufen, nachdem sie wochenlang durchs Land gezogen waren und Solidarität mit ihrem Streik eingefordert hatten. „Wir sind von der IG-Metall, der wir zu hundert Prozent vertraut haben, vollkommen benutzt und verarscht worden“, so ein BSH-Arbeiter (siehe das nachstehende Interview).

Zwischen Rebellion und Resignation

Wie sehr es bei dem Deal darum ging, die durch den Streik entstandene Unruhe und Bewegung so schnell wie möglich zu beenden, wurde bei der Präsentation des Verhandlungsergebnisses deutlich: Ein Punkt in der Einigung zwischen Siemens und IG Metall lautete, dass es keine Kundgebungen und Demonstrationen außerhalb Berlins mehr geben dürfe. Ob ein solcher Knebelvertrag überhaupt legal ist, mögen die Rechtsgelehrten entscheiden und tut hier nichts zur Sache. Die BSH-Belegschaft jedenfalls traute ihren Ohren nicht, als die Einigung vorgetragen wurde, erhob sich von den Bänken und forderte in einer öffentlichen Abstimmung die Fortführung des Streiks. Wutentbrannt verließen die Arbeiterinnen das Streikzelt und beschimpften die Verhandlungsführer als Streikbrecher. Bei der Urabstimmung fiel das miserable Verhandlungsergebnis dann auch durch: Zwei Drittel der Belegschaft votierten dagegen, ein Drittel dafür. Doch das deutsche Streikrecht ist eine ausgeklügelte Technik des sozialen Friedens: Während ein Streik nur mit 75 Prozent Zustimmung begonnen werden darf, reichen 25 Prozent Zustimmung, um ihn zu beenden. Die Mehrheit der Arbeiter war gegen das Ende des Streiks, aber juristisch betrachtet hatten IG Metall und Unternehmensleitung ihr Ziel erreicht. Für kurze Zeit schien alles möglich, zwischen den Arbeiterinnen und ihren Repräsentanten hatte sich eine Kluft aufgetan, die nur mühsam wieder geschlossen werden konnte.Nach zwei Tagen Ungewissheit wurde der Streik auf einer Versammlung endgültig begraben. Der Betriebsratsvorsitzende Güngor Demirici machte den verständnisvollen demokratischen Moderator; er hatte offensichtlich die Hosen voll und erklärte vor etwa 200 Arbeiterinnen und Arbeitern gebetsmühlenartig, jetzt könne man ja „miteinander reden“. Und tatsächlich: Er redete wie ein Wasserfall – nur die Gegner des Streikabbruchs blieben stumm, abgesehen von einigen Zwischenrufen. Die Versammlung wurde beendet und der Streik war erledigt. Wilde Streiks und Fabrikbesetzungen sind in Deutschland ungewöhnlich und nicht unriskant. Es wäre dreist, den BSH-Arbeitern vorzuhalten, dass sie diesen Schritt nicht gemacht haben – zumal wenn man selbst nur Unterstützer des Streiks ist, der nichts riskiert. Aber es war bitter zu sehen, wie eine Belegschaft, die sich noch kurz zuvor gegen die Gewerkschaft aufgelehnt hatte, plötzlich, als es ernst wurde, ratlos und sprachlos da stand. Der kurze Moment des Aufruhrs war verstrichen und die Macht des Gewerkschaftsapparates und die Angst vor dem Existenzverlust erdrückten alles Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Vom Kampf gegen Betriebsschließungen zur Kritik des Lohnsystems?

Das Ende des Streiks bei BSH hat wieder einmal gezeigt, dass die Drohung der Produktionsverlagerung ein wirksames Mittel ist, um Lohnkosten zu senken und Kündigungen in großem Umfang durchzusetzen. Die sich zur Wehr setzenden Arbeiterinnen und Arbeiter sind in der Defensive, und sogar die traditionellen gewerkschaftlichen Forderungen nach Lohnerhöhung oder besseren Arbeitsbedingungen bleiben in der allgemeinen Stimmung des Durchpeitschens sozialer Angriffe immer öfter auf der Strecke. Die Ausgangslage für Arbeitskämpfe scheint sich verschlechtert zu haben, und die Gewerkschaften geben sich mittlerweile meist schon mit dem bloßen Standorterhalt zufrieden. Entsprechend feiert die IG Metall den ausgehandelten Kompromiss bei BSH als einen Sieg: „Wichtigstes Ziel erreicht: Arbeit und Produktion bleiben erhalten!“ Die BSH-Arbeiter fühlen sich zu Recht verarscht, denn ihnen ging es um den Erhalt aller Arbeitsplätze, und die Gewerkschaft hat den Kampf genau in dem Moment sabotiert, als er an Schwung gewann. Keine Frage: Solche Streiks gegen Betriebsschließungen stellen die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht in Frage. Aber sie beschneiden die Freiheit des Kapitals, nach Belieben hier ein Werk dicht und dort eines mit billigeren Arbeitern aufzumachen. Moralische Empörung darüber ist lächerlich. Das Kapital kennt keine andere Logik als die, aus einem Euro zwei zu machen. Es lebt von der Konkurrenz unter den Arbeitern. Mit dem Marsch der Solidarität hat die BSH-Belegschaft begonnen, diese Konkurrenz zu überwinden. Wenn die Arbeiterinnen anfangen sich auszutauschen und feststellen, dass alle in der gleichen Situation stecken, sie ständig damit bedroht sind, ausrangiert und auf Hartz IV gesetzt zu werden, dann ist immerhin ein Anfang gemacht. Aber es kann nicht um eine Bewegung für den Erhalt von Arbeitsplätzen gehen. Die ständige Unsicherheit und die Erpressung durch die Unternehmen sind zwingende Folgen des Lohnsystems, also einer Gesellschaft, in der wir unsere knappe Lebenszeit verkaufen müssen, um überleben zu können. In der wir nicht darüber bestimmen können, was und wie produziert wird. In der Arbeiter darum kämpfen, weiterhin 40 Stunden die Woche in einer beschissenen Fabrik arbeiten zu dürfen, weil ihnen andernfalls der soziale Abstieg droht. Aus diesem Elend könnte nur eine Bewegung für die Vergesellschaftung der Produktion herausführen, die mit der Lohnarbeit Schluss macht. Nur dann wäre die weltweit steigende Produktivität auch nicht länger eine Bedrohung, die Angst um die eigene Existenz auslöst, sondern die Grundlage für ein von der Schufterei befreites Leben. Die Abschaffung der Lohnarbeit ist nichts, was sich eine einzelne Belegschaft auf die Fahnen schreiben könnte. Sie wird erst zur praktischen Möglichkeit, wenn die soziale Krise eine breite Bewegung auf den Plan ruft. Der Kampf der BSH-Arbeiter hätte der Anfang einer solchen Bewegung werden können. Mit ihrer Sabotage des Streiks hat die Gewerkschaft in aller Deutlichkeit gezeigt, dass sie daran kein Interesse hat. Zukünftige Auseinandersetzungen werden sich nicht zuletzt daran entscheiden, ob die Arbeiterinnen und Arbeiter die Konsequenzen daraus ziehen und ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen. freundinnen und freunde der klassenlosen gesellschaft, Dezember 2006

„Es muss sich in dieser Scheiß-Republik was bewegen!“
Interview mit einem Schicht-Arbeiter, seit rund 20 Jahren bei BSH Berlin.

Wie ist nach dem Streik die Stimmung im Werk? Vergiftet und demoralisiert. Es besteht allgemein Wut auf den Gesamtbetriebsrat und die IG Metall. Die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich von der Gewerkschaft verraten. Ich persönlich vermeide heute den Kontakt zum Betriebsrat, mit einer Ausnahme. Auch mit den Kollegen, die sich als Streikbrecher entpuppt haben, will ich keinen Kontakt haben. Vierzehn Tage vor Beginn des Streiks ist noch eine erstaunlich hohe Anzahl von Kollegen in die IG Metall eingetreten. Die haben teilweise ein höheres Streikgeld bekommen als Leute die seit über 20 Jahren einbezahlt haben, da sie einen höheren Monatssatz abdrückten. Für die Zukunft müsste man sich überlegen, ob man es zulässt, dass kurzfristig Leute in die Gewerkschaft eintreten. Außerdem waren das vor allem Leute, die sich an den vorherigen Auseinandersetzungen nie beteiligt und auch sonst sehr unsolidarisch verhalten haben. Meine Vermutung ist, dass ihnen unter der Hand ein Angebot der Übernahme unterbreitet wurde, was dazu geführt hat, dass besonders diese Gruppe von Kolleginnen und Kollegen bei der Urabstimmung für die Beendigung des Streiks gestimmt und dies auch öffentlich erklärt hat. Ich persönlich möchte mit diesen Leuten nichts zu tun haben, weil ich der Meinung bin, dass man mit Streikbrechern und Mobbern keine Diskussionen führen sollte. 

Diskutiert ihr gemeinsam über eure Zukunft oder regelt das jeder für sich alleine? Und gibt es Tendenzen im Werk, sich die Abfindung zu schnappen und damit endlich eine Möglichkeit zu haben, dem grauen Fabrikalltag zu entfliehen?

Die Auseinandersetzung um die Abfindungen und die Zukunft der Kollegen ist keine berufliche, sondern eine existenzielle Frage. Die meisten Kollegen wollen kündigen und sich mit einer guten Abfindung aus dem Werk verabschieden. Denn ein Großteil der Leute sieht für sich keine Zukunft mehr bei BSH Berlin. Neue Investitionen in das Werk sind nicht vorgesehen, dafür gehen viele Aufträge an das Werk in Nauen, nach Polen und in die Türkei. Es ist momentan noch total unklar, wer gekündigt und wer übernommen werden soll. Der Krankenstand im Berliner Werk ist dementsprechend hoch. Die Kollegen haben keine Energie mehr für einen erneuten Arbeitskampf. Deshalb wird es wahrscheinlich viel mehr Kollegen geben, die freiwillig kündigen wollen, als im Verhandlungsergebnis vereinbart wurde. Ich schätze die Zahl auf etwa 400 Leute, aber es soll ja nur für 216 Kollegen aus dem Siemens-Fonds eine Abfindung gezahlt werden. In diesem Fonds sind 23 bis 25 Millionen Euro, pro Person macht das eine Abfindungssumme von etwa 90.000 Euro brutto – verdammt wenig für Leute die teilweise 20 oder 25 Jahre hier arbeiten! Es ist übrigens kaum bekannt, dass Siemens die Abfindungen nicht allein aus eigener Tasche bezahlt, sondern dafür durch das deutsche Steuerabschreibungsrecht auch staatlich bezuschusst wird. Einerseits wollen die Leute gehen, andererseits haben sie aber auch Angst davor, da das Geld wahrscheinlich nicht reichen wird. Diese Entwicklung ist brisant und kann zu einem neuen Konflikt nach der Verkündigung des Ergebnisses der Sozialtarifverhandlungen führen.  Versucht die Konzernzentrale, oder auch die Gewerkschaft, unliebsame Kollegen auszusortieren?Ich persönlich rechne damit gekündigt zu werden. Es ist ziemlich sicher, dass die Personalabteilung eine so genannte Schwarze Liste mit unliebsamen Kolleginnen und Kollegen führt, die sich schon vor oder während des Streiks engagiert und gestört haben.  

„Im Streik wurden die ethnischen Trennungen überwunden“

Täuschte unser Eindruck, dass die Belegschaft stark nach Nationalitäten und Geschlecht gespalten ist? Und wurden diese Trennungen während des Streiks aufgebrochen?

Bis zum Streik gab es sehr strikte Trennungen zwischen den verschiedenen Gruppen. Dabei spielten hohe Sprachbarrieren eine große Rolle, besonders bei den asiatischen und türkischen Kolleginnen und Kollegen. Vor allem zum vorwiegend aus türkischen Kollegen zusammengesetzten Betriebsrat blieben die anderen Nationalitätengruppen auf Distanz, da dieser nur seine eigenen Leute informierte. Die Konzernführung übte in der Vergangenheit systematisch Druck auf die verschiedenen Gruppen – vor allem auf die Frauen – aus und hat gezielt Gerüchte gestreut und damit die Unterteilung in ethnische Gruppen gestützt. Die türkischen Frauen wendeten sich ab, sobald ein Deutscher in ihre Nähe kam. Während des Streiks hat sich die Beziehung allerdings sehr verbessert, es gab viele persönliche Gespräche und gegenseitige Unterstützung. Vor allem beim Solidaritäts-Marsch spielten ethnische Zugehörigkeiten keine Rolle mehr. Am Streik, wie auch an einer spontanen Demo, haben sich türkische Frauen stark beteiligt. Der Druck gegenüber Frauen im Werk ist stark und sie sind in den letzten Jahren massiv zusammengestrichen worden, aber die Streikbereitschaft der Verbliebenen war sehr hoch. 

Habt ihr euch nach Ausbruch des Streiks neu zusammengefunden oder liefen die Diskussionen weitestgehend in den schon vorher vorhandenen Grüppchen ab?

Meine persönlichen Kontakte zu anderen Kolleginnen und Kollegen haben sich seit dem Streik vermehrt, es werden auch mehr persönliche Gespräche geführt. Es kommen viele Kollegen mit ihren Problemen zu mir, auch türkische, polnische, afrikanische und vietnamesische. Es handelt sich dabei aber eher um individuelle Kontakte, es haben sich meines Wissens keine neuen Gruppen gebildet. Die Kommunikation lief und läuft dabei mehr über meine Person als untereinander ab. Meine guten Kontakte haben vor dem Streik dazu geführt, dass der Betriebsrat versucht hat, mich in die Streikvorbereitungen einzubinden und als Vermittler zwischen ihm und der Belegschaft einzusetzen, nachdem er es bis zum letzten Moment unterlassen hat, die Kostensenkungs- und Standortschließungspläne der Unternehmensleitung der Belegschaft mitzuteilen. Der Betriebsrat war eigentlich ohnehin nicht gut auf mich zu sprechen und hatte in der Vergangenheit bereits versucht, mir ein Redeverbot auf den Vollversammlungen zu erteilen.  

„Die Informationsveranstaltung über Hartz IV war der Wendepunkt“

 Was ist auf den über zwei Wochen dauernden Betriebsversammlungen passiert?Zunächst fanden Informationsveranstaltungen statt. Zum Beispiel hat jemand vom Finanzamt erklärt, dass ein Drittel der Abfindung an den Staat geht und man dies Geld zusätzlich einfordern muss. Als nächstes kam jemand von einem Schöneberger Stadtteil-Laden und hat uns über Hartz IV informiert, zum Beispiel darüber, dass unsere Abfindung zu 60 Prozent aufgebraucht sein muss, bevor wir ein Anrecht auf ALG II haben. Diese Informationsveranstaltung war der Wendepunkt. In diesem Moment haben alle realisiert, was ihnen blüht, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Alle waren bestürzt, und man hätte eine Nadel fallen hören können, nachdem der Referent seinen Vortrag beendet hatte. Eine Kollegin musste sich übergeben und Kerlen standen die Tränen in den Augen. Den meisten war nun klar geworden, dass sie für ihren Job kämpfen müssen. Und das wurde dann auch in der anschließenden Debatte so diskutiert. Es gab zwar auf den Betriebsversammlungen eine breite Redebeteiligung, auch von den Frauen, aber erst nach dem Hartz IV-Vortrag wurde so etwas wie Kampfgeist unter den Kollegen deutlich, den die IG Metall ja auch unterstützt hat. Bis zum Verhandlungsabschluss nach dem Streik hatten die Kollegen u. a. deshalb auch hundertprozentiges Vertrauen zur Gewerkschaft!Es war auf den Betriebsversammlungen auch klar, dass die Unternehmensleitung über ein Mikrofon zuhört, das in der Mitte des Raumes an der Decke hing. Mit der Behauptung, zu Beginn des Streikes anonyme Drohbriefe bekommen zu haben, versuchte die Unternehmensleitung die Belegschaft zu kriminalisieren und kam sogar mit Leuten vom Wachschutz in die Versammlung. Das machte aber überhaupt keinen guten Eindruck auf die Kollegen, die den Abzug des Wachschutzes durchsetzten. Die Unternehmensleitung hat sich dann auch nicht mehr blicken lassen, aber es war klar: Wir lassen uns nicht kriminalisieren! Und deshalb konnten die ruhig hören, was wir in den Versammlungen zu besprechen hatten. Wie ist die Idee für den Solidaritätsmarsch entstanden?Die Idee hatte ein Kollege auf der fortlaufenden Betriebsversammlung geäußert, die Gewerkschaft hat sich eher drangehängt. Es war anfänglich völlig unklar, wie viele sich an dem Marsch beteiligen würden und ich war eher skeptisch, ob er zustande kommt. Letztendlich waren dann aber etwa 50 Leute kontinuierlich mit dabei, an manchen Orten kamen noch weitere aus Berlin hinzu und wir haben gut 4500 km zurückgelegt.Bevor es los ging hatten wir riesengroßen Schiss, überhaupt auf die Öffentlichkeit zuzugehen, aber mit der Zeit legte sich das. Der Marsch war von Anfang an mit der Idee verbunden, eine soziale Bewegung in Gang zu bringen. Wir haben die Öffentlichkeit über die Situation bei BSH und die Konzern-Politik informiert, zum Beispiel darüber, dass die Verluste, von denen geredet wird, oft nur bedeuten, dass dem Unternehmen zusätzlicher Gewinn entgangen ist. Wir haben auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Werken besucht, auch von Konkurrenzunternehmen wie zum Beispiel Miele. Ein Arbeiter von CNH hatte uns auf einer der Betriebsversammlungen darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig die mediale Öffentlichkeit für die Vermittlung des eigenen Anliegens ist.

„Der Solidaritätsmarsch sollte eine soziale Bewegung in Gang bringen“

Welche Erfahrungen habt ihr auf dem Marsch gemacht?Die erste Station unseres Marsches war unser Schwesterwerk in Nauen. Dort haben wir die Zufahrten blockiert und versucht, mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Wir wollten sie unbedingt bei unserem Protest dabeihaben, aber es war sehr schwierig an sie heranzukommen. Ich habe noch nie so viele verängstigte und eingeschüchterte Gesichter gesehen und wir haben es leider bis zum Ende nicht geschafft, dass sie sich mit uns solidarisieren. Man muss allerdings bedenken, dass die Arbeitsplatzsituation in Nauen noch viel schlimmer ist als in Berlin. Viele von ihnen haben Zeitverträge, verdienen weniger, obwohl sie im Vergleich zu anderen mehr arbeiten müssen, und waren verunsichert ohne Ende.Ziemlich krass war auch, dass einige Kollegen aus unserem Werk dort als Streikbrecher weiter arbeiteten. Sie quetschten ihre Gesichter an die Decke des Busses, als sie an uns vorbeifuhren, um sich zu verstecken. Das war einfach nur lächerlich und ich habe große Verachtung für diese Leute. Im Nauener Werk sind sie übrigens nicht gut angesehen - allerdings nicht, weil sie Streikbrecher sind, sondern weil sie zu dem bei uns gültigen Tariflohn arbeiten und damit mehr verdienen. Das Werk in Nauen ist zwar nicht mehr im Tarifverbund, dafür gilt der Fortbestand des Werkes aber zunächst als sicher.Ein besonderes Gänsehauterlebnis hatte ich in Kamp Lintfort. Dort haben wir uns mit den Kollegen von BenQ getroffen und eine Demo durch die Innenstadt gemacht. Es beteiligten sich 4000 bis 5000 Leute, die städtische Feuerwehr, Stahlkocher, Kindergärten, kirchliche Gruppen... eigentlich war der ganze Ort auf den Beinen.Wir haben noch viele weitere Fabriken und Städte besucht, mit den Leuten vor Ort über unsere Situation diskutiert, aber auch die Politik der großen Konzerne thematisiert. Vor allem junge Leute zwischen 20 und 35 Jahren, die ja vor allem in befristeten Verträgen stecken, waren für unsere Ideen sehr empfänglich. Unsere Forderungen waren: Keine Entlassungen, kein Arbeitsplatzabbau aus Profitgründen und die Schaffung neuer Ausbildungsplätze.Uns war wichtig, dass dies keine rein betriebliche Auseinandersetzung ist, sondern eine politische. Wir haben anderen Kollegen angeboten, ihnen zu Hilfe zu kommen und es zu einer Angelegenheit aller Beschäftigten zu machen, wenn ihr Werk von Verlagerung bedroht ist und geschlossen werden soll. Überall wurde uns zugesagt, zu der großen Kundgebung vor der Siemens-Zentrale in München zu kommen, die dann 24 Stunden vorher von der IG Metall-Führung abgesagt wurde.  War der Marsch eher eine Gewerkschaftsveranstaltung oder habt ihr eigene Ziele und Forderungen entwickelt?Der IG Metall ist der Marsch langsam aus den Händen geglitten, und deshalb hat sie einfach einen Rückzieher gemacht. Stuttgart war in dieser Hinsicht ein Wendepunkt. Hier, wie auch in Kamp Lintfort und Dillingen, haben wir angefangen, eigene Kontakte zu Betriebsräten zu knüpfen und unsere Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wir haben gemerkt, dass wir wesentlich besser bei den Leuten ankommen, wenn wir unsere eigenen Inhalte vertreten. Die Flugblätter, die wir von der IG Metall zum Verteilen in die Hände gedrückt bekamen, haben nicht das vermittelt, um was es uns ging.Dafür bildeten wir eine Kreativgruppe, an der sich sieben bis acht Leute beteiligten. Wir haben eigene Flugblätter geschrieben, neue Buttons entworfen, mit denen wir dann die IG Metall-Logos überklebt haben, und selbst Transparente gemalt. Unsere Flugblätter mussten wir selbst finanzieren, und so kam auch die grundsätzliche Frage auf, welche Möglichkeiten der Eigenfinanzierung von Selbstorganisierung bestehen. Viele Kollegen waren auf jeden Fall bereit, auf einen Monatslohn zu verzichten.Ein weiteres Problem war unser Streikleiter, der gleichzeitig Schichtleiter im Betrieb war. Er wurde von der IG Metall-Führung eingesetzt und hat, wie wir später erfahren haben, falsche Infos über unseren Protest nach Berlin weitergegeben. Der Streikleiter hat auch eingefordert, alle Reden zu halten, wir haben dann aber einen Wechsel durchgesetzt. Wir wurden im Verlauf unserer Reise immer selbstbewusster, standen nicht mehr als Horde rum, sondern haben verschiedene Trupps mit fünf bis acht Leuten gebildet. Wir haben uns über die ganze Stadt verteilt und allmählich unsere Macht gespürt. Die Chefs hatten schon Angst vor uns und beschäftigten sich intensiv mit unserem Protest. Das wurde uns in einem Gespräch mit dem Bosch-Chef klar, der eine Delegation in seinem Zimmer empfing und den Kollegen klar machte, dass er unsere Aktionen und T-Shirts mit den Aufschriften „Wir machen die Plattmacher platt“ nicht gut fände und sie aufforderte: „Beenden Sie das sofort“. Die Unternehmensleitung von Siemens hatte noch mehr Schiss. Sie gerieten unter Druck und standen auch in der Presse ziemlich schlecht da, unter anderem wegen der geplanten Erhöhung der Managergehälter um 30% und der Schmiergelder, die bei BenQ gezahlt wurden. Wann habt ihr von dem beschissenen Abschluss und der Absage der Kundgebung in München durch die IG Metall erfahren? Wir waren gerade in Ulm, als uns der dortige Jugendgewerkschaftssekretär frühmorgens darüber informierte, dass alles abgeblasen sei. Wir wollten eigentlich gerade weiter fahren und waren völlig überrascht. Später gab es dann noch einen Anruf aus Berlin, der uns noch mal bestätigte, dass es zu einem Abschluss kam und alle Proteste beendet seien. Nach einigen Telefonaten hin und her packten wir unsere Sachen und traten die Heimreise an.  Gab es Überlegungen, die Kundgebung auf eigene Faust durchzuziehen?Wir kamen auf der Rückfahrt immer näher an München ran und fingen an zu diskutieren, was wir jetzt machen sollen. Ab auf die nächste Raststätte und uns Bier besorgen oder doch einfach nach München fahren? Wir waren aber völlig führungslos und die Stimmung im Bus war auch nicht eindeutig für eine Weiterfahrt auf eigene Faust. Die Enttäuschung war riesengroß und wir haben uns dann für die nächste Raststätte entschieden...Wir wollten unbedingt nach München, mit den anderen Arbeitern zusammen kämpfen und haben auch schon über weitere Schritte nachgedacht.Immerhin hatte der IG Metall-Sekretär Luis Sergio zu Beginn des Marsches noch verkündet: „In München lassen wir die Puppen tanzen!“, und dann sagt die Gewerkschaft in letzter Minute alles ab. Das war das Ende eines Traums! Wir sind von der IG Metall, der wir zu 100 % vertraut haben, vollkommen benutzt und verarscht worden. Es muss endlich eine soziale Bewegung her, damit sich in dieser Scheiß-Republik was bewegt, damit der lohnabhängige Arbeiter bei Entlassung nicht nur die Alternative Arbeitsamt und Hartz IV hat, sondern gegen seinen möglichen Arbeitsplatzverlust und sozialen Abstieg kämpfen und streiken darf!  

 

 

Im Berliner Werk hat das Verhandlungsergebnis zu Tumulten geführt, die Mehrheit der Belegschaft hat sich gegen die Gewerkschaftsvertreter aufgelehnt.

Wir sind zurückgekommen, als die Tumulte schon im Gange waren. Die ruhigsten Leute waren auf einmal am Schreien. Wir hätten nie für möglich gehalten, dass die IG Metall uns so verarschen könnte. Aber nachdem die IG Metall kurzfristig die Kontrolle über den Streik verloren hatte, konnte sie wie auch die Unternehmensleitung den ausgehandelten Kompromiss in der Öffentlichkeit als ihren Sieg verkaufen.   

"Unser Fehler war, der Gewerkschaft zu vertrauen"

Woran lag das? Unser Eindruck war, dass die „guten“ Führer beklatscht und die „schlechten“ ausgebuht wurden, aber jede Vorstellung davon fehlte, das Heft des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen.

Die Kollegen bei BSH sind nicht streikerprobt gewesen, denn auch bei den vorherigen Kündigungswellen hat es keinen Streik gegeben! Es gab somit auch keine konkrete Planung für eine selbstorganisierte Versammlung, und es herrschte Angst davor eine einzuberufen, da der Kollege, der es machen sollte, akut von Kündigung bedroht gewesen wäre. Immerhin hätte nicht nur die Unternehmensleitung gegen die Belegschaft gestanden, sondern auch der IG Metall-Vorstand und der Betriebsrat hätten gegen eine eigenständige Weiterführung des Streiks agiert. In den Betriebsratsvorsitzenden Demirci fehlte das Vertrauen. Somit herrschte eine gewisse Führungslosigkeit unter den kampfbereiten Arbeitern. Es hätte aber sowieso einer doppelten Führung während des Streiks bedurft: Am besten wären zwei Streikführer, die sich nicht leiden können, um Kungeleien zu verhindern. Aber es war auch die Angst vor dem Verlust der Abfindung, die die Kampfbereitschaft verringerte. Denn es gab Überlegungen weiter zu machen und das Werk zu besetzen, aber dies hätte zur Folge haben können, dass man alles verliert. Welche Lehren könnte man aus dem Streik ziehen? Was hätte anders laufen können?Mir ist klar geworden, dass man sich nicht auf die Gewerkschaft verlassen darf, und dass man Mut zu kritischen Fragen auf den Betriebsversammlungen haben muss. Wichtig ist außerdem, sich nicht einschüchtern zu lassen. Man muss auch die Kontakte selber knüpfen und darauf achten, dass Informationen nicht monopolisiert werden. Ein Fehler war sicherlich, dass wir hundertprozentig der IG Metall vertraut haben. Aber was hätten wir denn auch ohne Führung ausrichten können? Was wäre gewesen, wenn wir, was auch diskutiert wurde, mit 200, vielleicht 300 Leuten ohne Rückhalt der Gewerkschaft das Werk besetzt hätten? Wir waren auf das Streikgeld angewiesen und hatten außerdem durch die Pressemitteilungen der IG Metall nach der Urabstimmung den Rückhalt in der Öffentlichkeit verloren. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass das Streikrecht dahingehend geändert werden muss, dass die einfache Mehrheit für eine Weiterführung des Streiks reicht. Was rätst Du Kollegen, die durch angedrohte Betriebsschließungen in eine ähnliche Situation geraten?Das wichtigste ist die Solidarität. Man muss auf jeden Fall andere Betriebe aufsuchen und sie um Hilfe bitten. Ein weiterer Vorschlag wäre, Betriebsversammlungen im Werk zu veranstalten, zu denen man Beschäftigte aus allen anderen Betrieben einlädt, um zusammen die weiteren Schritte zu diskutieren.Und selbstverständlich das Erstellen von Infoblättern, in denen man klarstellt, worum es geht und was man eigentlich will, am besten auch zweisprachig, was wir leider nicht hingekriegt haben. Die Forderungen sollte man als existenziell Betroffene aufstellen, die eigenen Probleme selbst darstellen und sich nicht auf höhere Instanzen verlassen.Es ist wichtig eigene Netzwerke aufzubauen und die Leute dazu zu bringen, dass sie das Thema Fabrik-Verlagerungen und die Bedeutung des Arbeitsplatzverlustes an ihren Schulen und in den Familien diskutieren. Als persönlichen Erfolg würde ich verbuchen, dass an einer Berliner Schule ein selbstgeschriebenes Flugblatt zur Grundlage genommen wurde, um über Standortverlagerungen von Betrieben zu diskutieren.  Wie ist heute Dein Verhältnis zur Gewerkschaft?Ich bin immer noch Mitglied der IG Metall, obwohl ich von ihr sehr enttäuscht bin. Ich möchte bei zukünftigen IG Metall-Versammlungen sprechen und erzählen, wie sie uns in den Rücken gefallen ist – und dafür muss ich weiterhin Mitglied der Gewerkschaft sein. 

Gibt es noch Kontakte zu Leuten die ihr auf eurer Reise kennen gelernt habt? Und wie haben sie auf die Absage der Großkundgebung reagiert?

Vereinzelt gibt es noch Kontakte. Andere wiederum habe ich mehrmals angerufen, aber es kam keine Rückmeldung mehr. Ich habe den Eindruck, dass sich die Kollegen vor allem von BenQ von uns im Stich gelassen fühlen. Ich wehre mich allerdings dagegen ein Verräter zu sein. Der Abbruch der Protestaktionen wurde uns vom IG Metall-Vorstand aufgezwungen.

 Wie haben die Streikenden die Unterstützung durch linke Gruppen aufgenommen?Ich habe mich sehr über die Unterstützung dieser Gruppen gefreut und die übergroße Mehrheit der Belegschaft sieht das genauso. Wir fragen nicht nach Parteibuch, Religion usw. und ohne diese Gruppen wären wir ein einsamer Haufen geblieben. Sie haben uns teilweise mit wertvollen Informationen versorgt und besonders hilfreich war es, wenn sie Kontakte zu Kollegen aus anderen Werken herstellten oder uns bestimmte Printmedien zur Verfügung stellten. Ohne diese Gruppen hätten wir auf jeden Fall weniger Wirkung gehabt. Wie stellst Du Dir Deine persönliche Zukunft vor? Nicht besonders rosig . Ich nehme wohl die Abfindung plus Übernahme in die Transfergesellschaft und hoffe, einen anderen Job zu kriegen. Mal sehen was kommt. Für mich ist jedenfalls nach dem Kampf vor dem Kampf!  Das Interview wurde Mitte November 2006 geführt.  

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Dezember 2007

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Der Kampf der Bahnarbeiter hat das Potential zu einem Kampf mit Weichenstellung

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Zunehmend wird deutlich, dass das Kapital an Grenzen stößt, die Arbeiterklasse mit den herkömmlichen Mitteln zu erpressen und und zu disziplinieren. Der drohende Zeigefinger der ökonomischen Krise, die Argumentation mit der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen auf dem Weltmarkt, verliert seine Integrationsfähigkeit, mit der sich die Belegschaften hinter die Rezepte ihres Managements und der politische Bourgeoisie einreihen.

Der nachfolgende Text wurde uns als Stellungnahme zum Eisenbahnerstreik zugeschickt. Da wir mit den Hauptaussagen übereinstimmen, veröffentlichen wir ihn hier nachfolgend. IKS


Zunehmend wird deutlich, dass das Kapital an Grenzen stößt, die Arbeiterklasse mit den herkömmlichen Mitteln zu erpressen und und zu disziplinieren. Der drohende Zeigefinger der ökonomischen Krise, die Argumentation mit der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen auf dem Weltmarkt, verliert seine Integrationsfähigkeit, mit der sich die Belegschaften hinter die Rezepte ihres Managements und der politische Bourgeoisie einreihen. Die ritualisierten Tarifverhandlungen reichen immer weniger aus um das gestörte Gerechtigkeitsempfinden und die materielle Unzufriedenheit der Werktätigen zu dämpfen. Das Gefühl einen Arbeitsplatz zu haben und ihn mittels Schulterschluss mit der Geschäftsleitung gegen die Marktkonkurrenten zu verteidigen, weicht immer mehr der Erkenntnis, dass man vorgeführt wird. War man durchaus massenhaft bereit reale Einkommensverluste und Ausdehnung unbezahlter Arbeit zur Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes hin zu nehmen, und schenkte der Propaganda der politischen Bourgeoisie glauben, beweist die Realität der Werktätigen das genaue Gegenteil und es macht sich die Erkenntnis breit, das Glauben-Warten-Hoffen zu einer immer größeren Verschlechterung der eigenen Situation führt. Die durchaus realen und steigenden Unternehmensprofite sind nicht Ausdruck wachsender Prosperität der Warenproduktion in ihrer Gesamtheit, sondern vor allem durch massive Ausdehnung der unbezahlten Arbeit, Lohnverzicht und Verfügbarkeit für die Unternehmensinteressen erzielt.

Die steigenden Unternehmensprofite erhöhen eben nicht den Wohlstand der Werktätigen, sondern fördern lediglich die weitere Forcierung der nationalen und weltweiten Konkurrenzsituation unter den Lohnabhängigen selber. Das die wachsenden Profite der Konzerne auch gar nicht dafür vorgesehen sind, den allgemeinen Wohlstand der Arbeiterschaft zu erhöhen, sondern lediglich dazu dienen in der Konkurrenzwirtschaft die Ausgangsposition für die eigene Akkumulation zu erhöhen, beweist sich durch die permanenten Mahnungen seitens des Staates und des Kapital, das zarte Pflänzchen ihres Aufschwungs nicht durch überzogene Lohnforderungen zu zerstören.

Die Profite von heute sind eben die Investitionen von morgen.

Genau so argumentieren die Vertreter der Bahn AG. Stolz erklären sie uns ihre Sanierungserfolge der Vergangenheit, um gleichzeitig mahnend an zu heben, welche überlebensnotwendigen, riesigen Investitionssummen im internationalen Konkurrenzkampf, unmittelbar auf sie zu kommt und begründet so die Unverantwortlichkeit der Forderungen der Bahnarbeiter, nach mehr Lohn und Verkürzung der Arbeitszeit, die über die GDL in den Spielregeln des bürgerlichen Tarifkonflikts transformiert werden.

Kapital benötigt eben mehr Kapital um den nächsten Akkumaltionszyklus zu finanzieren.

Die Bahn AG ist nicht fähig das notwendige Investitionskapital für ihre strategischen Ziele aus der Unternehmenskasse zu finanzieren, sondern bedarf der Finanzierung durch Fremdkapital, das man aus einer Umwandlung in eine offenen AG erzielen möchte. Da Aktien Vorschusslorbeeren auf gelungene Geschäfte in der Zukunft sind, muss man bei den Investoren natürlich das Vertrauen in die Rentabilität ihrer Investition erzeugen. Dies funktioniert nur mit einer folgsamen und zugerichteten Belegschaft, die, die strategischen Ziele und Interessen der Geschäftsleitung verinnerlicht hat und bereit ist sich weiter zu opfern.

Das überraschende, bzw. das besondere an diesem Konflikt ist allerdings, wie wenig sich die Arbeiter auf die Argumentation und Szenarien der Unternehmensleitung ein und die Militanz eine konkrete Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu erkämpfen.

War die GDL bisher fähig das ganze als einen Konflikt für ihre Anerkennung

als eigenständiger Tarifpartner darzustellen und zu kanalisieren, wird im Verlaufe des Konflikts immer deutlicher, dass diese Forderung eigentlich ein Klotz am Bein der kämpferischen Arbeiter ist. Verhindert sie doch eine Solidarisierung unter der Gesamtbelegschaft der Bahn AG und der Werktätigen im Allgemeinen.

Die GDL fokussiert auf ihre Anerkennung als Tarifpartner mit der Argumention, dass die sparten übergreifenden Konkurrenzgewerkschaften des DGB nicht fähig oder willens sind, die Interessen der Lokführern in angemessenen Maße zu vertreten. Sei ihre Anerkennung als tariflicher Ansprechpartner erst einmal durchgesetzt, werde man die Verbesserung der Arbeitsbedingungen schon den richtigen Ausdruck verleihen können. Diese Argumentation ist ein trojanisches Pferd, das die Kampfbereitschaft der Arbeiter von innen angreift. Denn der Anerkennung der GDL als Tarifpartner werden die unmittelbare Verbesserung der Lebens.- und Arbeitsbedingungen der Bahnarbeiter geopfert und diese Forderungen dienen der GDL Führung lediglich als Druckmittel und Verhandlungsmasse und spaltet die die Gesamtinteressen der Arbeiter in Berufsgruppen auf.

Das Interesse der Arbeiter kann aber nicht eine weitere wie auch immer geartete Gewerkschaft sein, sondern eben nur eine wirkliche Verbesserung ihrer Arbeits.- und Lebensbedingungen. In der GDL sehen sie momentan nur das realistische Instrument zur Durchsetzung dafür.

Allerdings dient die GDL der Bourgeoisie als Kontrollinstrument des Arbeitskampfes, dass die Wut der Bahnarbeiter nicht auf andere Belegschaften überspringt und die Kämpfe sich spontan ausdehnen, oder gar einen internationalen Bezug auf die Situation in Frankreich erhalten.

Dieses Szenario ist nicht abwegig, wenn man die Gleichzeitigkeit des Kampfes der französischen Transportarbeiter und die direkten Folgen eines erfolgreichen Streiks bedenkt.

Der Erfolg des Streiks wäre nicht nur an den Prozenten der Lohnerhöhung zu messen, sondern dass er der Arbeiterschaft als gesamte Klasse eine kämpferische Perspektive eröffnet, die die gesamten Argumentationsketten der Bourgeoisie durchbricht und die autonomen Interessen der Arbeiterschaft als Klasse wieder in den Fokus der gesellschaftlichen Auseinandersetzung bringt.

Die Herrschenden verpacken dies zwar vorsorglich propagandistisch mit den negativen Folgen

auf die gesamtwirtschaftliche Situation und erklären die Streikenden schon mal im Voraus als Schuldige für die nächsten Angriffe auf unsere Lebensbedingungen, ihnen ist allerdings auch nur zu bewusst, dass die Bahnarbeiter nicht ohne Sympathie und unter genauster Beobachtung der gesamten Arbeiterklasse kämpfen.

Eine aktive Solidarisierung muss unter allen Umständen verhindert werden. Deswegen wird der politische Druck auf Tiefensee, Mehdorn und GDL wachsen am Verhandlungstisch rasch eine Lösung zu finden. Ob die Bahnarbeiter auf den Leim der GDL gehen und sich mit der Anerkennung der Gewerkschaft zufrieden geben, sich ihre Kampfkraft erschöpft und sie gedemütigt und geschlagen werden, oder einen neuen Zyklus des Kampfes einläuten, ist abhängig von der Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiterschaft, die erkennen muss, dass dieser Konflikt weit über das Niveau der üblichen Tarifkonflikte hinausgeht.

Werden die Bahnarbeiter geschlagen, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf uns alle. Denn dafür hat dieser Arbeitskampf schon viel zu große politische Kreise gezogen und an Gesamtbedeutung auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse gewonnen.

Die Wechselwirkung der Solidarität unter der Arbeiterschaft ist der Kern dieses Konflikts und der wirkliche Gradmesser des Erfolgs. Hier zeigen sich auch die direkten Aufgaben der Kommunisten, genau dies zu unterstützen und von den Werktätigen einzufordern.

Bruno

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Krupp- Rheinhausen - vor 20 Jahren

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Wir veröffentlichen nachfolgend einige Artikel, die wir in unserer Zeitung Weltrevolution vor 20 Jahren zum Kampf der Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen (Duisburg) veröffentlichten.    Lehren aus den Dezember-Kämpfen

Wir veröffentlichen nachfolgend einige Artikel, die wir in unserer Zeitung Weltrevolution vor 20 Jahren im Jan. 1988 zum Kampf der Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen (Duisburg) veröffentlichten.   

Lehren aus den Dezember-Kämpfen Solidarität muß zum Zusammenschluß der Kämpfe führen

 

Am 27. Nov. letzten Jahres brach der Kampf um Krupp-Rheinhausen aus. Zu einer Zeit, in der die Bourgeoisie massive Angriffe gegen die gesamte Arbeiterklasse vornimmt, wurden die Schließung des Duisburger Werkes von Krupp-Rheinhausen und die Entlassung von über 5.000 Arbeitern angekündigt. Diese Nachricht löste den massivsten Kampf aus, der seit den 1920er Jahren in Deutschland stattgefunden hat.. Die Arbeiter dehnen den Kampf aus Als die Entlassungen bekannt wurden, reagierten die Ar­beiter sofort: sie legten die Arbeit nieder und riefen alle Arbeiter der Stadt zu einer Vollversammlung auf. Die Belegschaften von Thyssen und Mannesmann in Duis­burg traten sofort in Solidaritätsstreiks. Somit wurde klar, daß die Entlassungen bei Krupp alle Arbeiter angehen, und daß vor allem im Ruhrgebiet die aktive Solidarität nicht ausbleiben durfte. Am 30.11. fand eine Vollversammlung mit 9.000 Arbeitern von Krupp und massiven Delegationen der anderen großen Fabriken in Duisburg statt. Die Versammlung rief zum gemeinsamen Kampf im Ruhrgebiet auf. Am 1.12. fanden in 14 Krupp-Werken im Bundesgebiet Demos und Vollversammlungen statt, an denen sich starke Delegationen aus Rheinhausen beteiligten. Am 3.12. demonstrierten 12.000 Schüler in Rheinhausen gegen die geplanten Entlassungen. Eine Delegation von Bergarbeitern forderte einen gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Das gesamte Ruhrgebiet war mobilisiert und kampfbereit! Am 8.12. demonstriertem Bedienstete der Stadt Duisburg (über 10.000) in Rheinhausen, um ihre Solidarität zu bekunden. Die Gewerkschaften, die zunächst Schwierigkeiten hatten, diese Flut der Solidarität der Arbeiter einzudämmen. traten auf den Plan. Sie kündigten am 5.12. einen Aktionstag für den 10.12. an, an dem sich das ganze Ruhrgebiet beteiligen sollte. Ihr Ziel war es, die Kampfbewegung unter ihre Kontrolle zu bringen und sie somit scheitern zu lassen. Da der Solidaritätswille der Arbeiter nicht leicht zu brechen und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes für alle Arbeiter klar war, mußten die Gewerkschaften diesen Drängen der Arbeiter zum Schein nachgeben, um der Bewegung so die Spitze zu brechen. Der Aktionstag sollte angeblich den Verkehr im Ruhrgebiet lahmlegen. Was geschah aber tatsächlich? Denn in Wirklichkeit bedeutete dies, daß die Arbeiter nicht gemeinsam und vereinigt demonstrierten, nicht in Massenversammlungen den weiteren Verlauf des Kampfes diskutieren konnten, sondern daß sie isoliert voneinander, über das ganze Ruhrgebiet zerstreut, in Gruppen zersplittert Straßen blockierten. Nach einigen Stunden dieser Aktion waren nur noch wenige Arbeiter an den Straßenkreuzungen von Duisburg anzutreffen. Die meisten waren mit einem miesen Gefühl nach Hause gegangen. Und dennoch hätte es ganz anders kommen können. An diesem Tag fand eine Vollversammlung um 7.30 Uhr bei Krupp statt, an der 3.000 Arbeiter teilnahmen. Um 10.00 Uhr fand eine weitere Vollversammlung der Thyssen-Arbeiter statt. Postbeschäftigte und Arbeiter aus Süddeutschland kamen nach Rheinhausen. 90.000 Stahlarbeiter standen im Kampf, gleichzeitig legten 100.000 Bergleute aus Solidarität für einige Stunden die Arbeit nieder. An verschiedenen Orten verließen die Arbeiter die Fabriken und demonstrierten wie z.B. bei Opel-Bochum. Das Ausmaß der Mobilisierung und der Kampfbereitschaft an diesem Tag hätte zu einer riesigen Machtdemonstration der Kraft der Arbeiterklasse werden können. Wenn all die mobilisierten Arbeiter nicht durch unendlich viele Straßenblockaden zerstreut voneinander gewesen, sondern geschlossen, zusammen auf die Straße gegangen wären, hätte die Kampfbewegung einen starken Impuls bekommen. Der 10.12. war der Höhepunkt des Kampfes um Rheinhausen, gleichzeitig aber zeigte er all die Schwächen des Kampfes auf, die die Gewerkschaften ausnutzen konnten, um den Kampf zu entschärfen. Am 11.12 kündigte Bonn die Entlassung von 30.000 Bergleuten an. Es kam aber nicht zu einem gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Dafür hatte die IG-Bergbau gesorgt, die vor Solidaritätsaktionen gewarnt hatte mit den Vorwand, daß die Forderungen der Bergarbeiter dann untergehen würden, wenn sich die Bergleute mit den Stahlarbeitern solidarisierten.Die Gewerkschaften ließen dann eine Woche verstreichen, bevor eine erneute Massenaktion stattfand (18.12.)... ein Fackelzug mit anschließendem Gottesdienst. Sicherlich das beste Mittel, um die kämpferischsten Arbeiter fernzuhalten. In den nachfolgenden Wochen wurde klar, daß die Kampfbereitschaft der Kruppianer weiterhin sehr stark war, wie die spontane Reaktion in der Nacht des. 6. Januar aufzeigt, als die Arbeiter die Nachtschicht verließen und auf die Straße gingen, nachdem die Schließung von Rheinhausen als unvermeidlich angekündigt worden war. Dennoch ist die „aufsteigende Dynamik“ die der Kampf bis zum 10.12. aufwies, durch die Sabotagearbeit der Gewerkschaften gebrochen worden. Im neuen Jahr ver­anstalteten- die Gewerkschaften Aktionswochen in Form von sog. "Spaziergängen" mit Bus und Autos zu anderen Fabriken. Das ist eine Karikatur von dem, was die Arbeiter Anfang Dezember als eine Notwendigkeit spürten: die Ausdehnung und Vereinigung des Kampfes.Lehren aus dem Kampf – Nur die Vereinigung der Kämpfe kann die Angriffe zurückdrängenAls Anfang Dezember die Arbeiter in Rheinhausen den Kampf aufnahmen, dehnte er sich innerhalb von ein paar Tagen auf das ganze Ruhrgebiet aus. Heute hingegen "spazieren" die Krupp-Arbeiter von einem Betrieb zum anderen und erhalten schön klingende Solidaritätserklärungen der Betriebsräte dieser Betriebe. Es ist keine Rede mehr vom gemeinsamen Kampf. Das weiß auch die Bourgeoisie, die ihre Position verhärtet und die Schließung von Rheinhausen als unausweichlich erklärt. Die Frage muß also gestellt werden, was diese Wende herbeigeführt hat, wieso nach dem anfänglich so breiten Kampf letztendlich die Krupp-Arbeiter alleine zurückbleiben? Und die Lehre, die man ziehen muß, ist, daß Sympathiestreiks und Solidaritätsbekundungen zwar ein wichtiger Schritt sind, daß sie aber nicht ausreichen, um die Entlassungen und die Angriffe der Bourgeoisie zurückzudrängen. Die Solidarität muß zur Vereinigung der Kämpfe selber führen. Aber was heißt Vereinigung?Wenn die Arbeiter in Rheinhausen den Kampf gegen Entlassungen aufnehmen, dann sind ihr Kampf und ihre Forderungen grundsätzlich die gleichen wie in anderen Betrieben und Branchen. Die Bergleute werden wie die Stahlarbeiter von Massenentlassungen betroffen. Aber auch im öffentlichen Dienst werden die Angriffe stärker Haushaltskürzungen, Streichung von Krankenhausbetten, Privatisierungspläne bei der Post, Stellenstreichungen bei der Bahn...Die Solidarität mit Rheinhausen bedeutet den Kampf für die eigenen Forderungen aufnehmen. Grund genug dazu gibt es.Gerade für die Bergleute bestand kein Anlaß, sich zu verkriechen und sich zurückzuhalten, als die Stahlkocher zum gemeinsamen Kampf, zur Solidarität aufriefen. Denn wenn sich so wichtige Teile wie die Bergleute und die Stahlkocher zusammen in Bewegung setzen und gemeinsam ihr Gewicht in die Waagschale werfen, wenn sich bei; dieser Bewegung andere Beschäftigte anschließen, wie das Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und Opel-Arbeiter ansatzweise taten, entsteht eine Sogwirkung, in der immer mehr Teile der Arbeiterklasse in Fluß geraten. Dann geraten die Kapitalisten und ihr Staat erst richtig unter Druck, und kein Teil der Arbeiterklasse steht dann mehr allein mit seinen Forderungen dem Kapital gegenüber. So haben die Bergleute im Dezember eine große Gelegenheit verpaßt, und es ist kein Zufall, daß just einen Tag nach dem 10.12., als der Zusammenschluß zwischen Bergbau und Stahl nicht hergestellt wurde, der Staat den Abbau von ca. 30.000 Arbeitsplätzen im Bergbau beschloß. Es liegt auf der Hand. Die besten Kampfmöglichkeiten bestehen dann, wenn andere Arbeiter schon in den Kampf getreten sind. Dann sind gemeinsames Auftreten, gemeinsame Demos, gemeinsame Vollversammlungen und Massendelegationen, gemeinsame Aktionen überhaupt einfacher durchzuführen. Aber um das zu erreichen, müssen sich die Arbeiter darüber bewußt werden, daß wenn heute die Arbeiter in einer Fabrik von Angriffen getroffen werden, sie selbst wenig später in die Schußlinie geraten werden. Deshalb: der Kampf der einen Arbeiter muß der Kampf der anderen Arbeiter werden!Und wenn es die Arbeiter irgendwo schaffen, die Angriffe des Kapitals zurückzudrängen, dann nur weil andere Arbeiter ebenfalls in den Kampf getreten sind. So können die Rheinhausener Arbeiter die Entlassungen nur abwehren, wenn das ganze Ruhrgebiet dahintersteht und mitkämpft.Die Krupp-Arbeiter haben durch ihren Kampf eine große Solidaritätswelle hervorgerufen Diese explosiven Reaktionen lassen darauf schließen, daß die aufsteigende Kampfbereitschaft immer größere Teile der Klasse zu neuen, heftigen Klassenauseinandersetzungen führen wird, In diesen werden die Arbeiter wieder den gleichen Schwierigkeiten und Spaltungstaktiken der Gewerkschaften gegenübertreten. Deshalb müssen sich bereits heute alle Arbeiter die Lehre zu Eigen machen, daß aktive Solidarität mehr als Sympathiebekundungen verlangt. Ja, nun muß selbst in den Kampf treten und versuchen, den Widerstand aller Arbeiter wirkungsvoll zusammenzuschließen, ihn  zu "vernetzen", wie es von den Rheinhausener Arbeitern formuliert wurde. Dies heißt aber. daß sich die Arbeiter nicht mehr in den Fangnetzen der Gewerkschaften fangen lassen dürfen. Die Bestrebungen zum Zusammenschluß der Kämpfe können nur gegen den Widerstand, gegen die Sabotagetaktik der Gewerkschaften erfolgen. Und dies erfordert nichts anderes, als daß die Arbeiter selbst die Initiative in die Hand nehmen. Daß diese Perspektive keine Utopie, sondern eine reale Möglichkeit ist, beweist die Initiative von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, wie wir in dieser Zeitung zeigen.17.1.1988 Nat. (Weltrevolution Nr. 30, Jan-März 1988) 

Die Intervention der IKS in den Kämpfen

In Weltrevolution Nr. 29 schrieben wir einen Artikel zum Klassenkampf in der BRD mit dem Titel: "Massive Kämpfe rücken näher". Wir zeigten anhand vieler Beispiele des Widerstands gegen die Flut der Angriffe auf allen Ebenen auf, wie in der BRD zunehmend das Potential für einen breiten Abwehrkampf der Arbeiter heranreift. Diese Einschätzung war Anlaß für die IKS, ein Flugblatt mit dem Titel: "Für bundesweite Aktionen aller Arbeiter gegen alle Angriffe" herauszugeben. Die Gleichzeitigkeit des Widerstands bei Stahl, Kohle und im öffentlichen Dienst bietet die Möglichkeit der massiven Ausdehnung und Vereinigung des Arbeiterkampfes. Demonstrationen und Versammlungen sind dazu besonders geeignete Mittel. "Entschlossene Arbeiter müssen jetzt schon dafür eintreten, bei Diskussionen, Versammlungen, Demonstrationen das Wort ergreifen, um sich für diese Perspektive des gemeinsamen Kampfes stark zu machen. Arbeiter verschiedener Betriebe und Branchen müssen direkten Kontakt zueinander aufnehmen, um den Zusammenschluß der Kämpfe in die Wege zu leiten" (17. Nov.'87). Im Rahmen ihrer Analyse der Lage in der BRD wurde die IKS vom Ausbruch des Kampfes der Krupp-Beschäftigten dessen Ausbreitung nicht überrascht. Das oben erwähnte Flugblatt wurde vor und während des 10. Dezembers an Fabriken im Ruhrgebiet und in Köln, die unterschiedlichen Branchen von Chemie und Automobil über öffentlichen Dienst, Maschinenbau bis zur Stahlindustrie angehören, verteilt. Der 10. Dezember 1987 konnte schon im voraus zumindest als der erste Höhepunkt dieser Kampfbewegung eingeschätzt werden - der Tag, an dem sich das Schicksal der weiteren Bewegung entscheiden sollte. Auf dem Spiel stand, ob es den Arbeitern gelingen würde, der Ausdehnung des Kampfes auf andere Betriebe Schritte näher zu kommen, oder ob die Gewerkschaften trotz der massenhaften Mobilisierung dcr Arbeiter die einzelnen Bereiche voneinander isolieren könnten. In dieser Lage konzentrierte sich unsere Intervention entsprechend unserer bescheidenen Kräfte auf Punkte, wo möglichst viele Arbeiter in Versammlungen zusammenkamen - die Kundgebung  um 7 Uhr vor den Tor I von Krupp-Rheinhausen und die Belegschaftsversammlung  bei Thyssen. Ziel war es, für massive Versammlungen bzw. Demonstrationen zu werben, auf denen die Arbeiter aus verschiedenen Branchen über die Fortführung des Kampfes debattieren und entscheiden könnten, und die Isolierungsstrategie der Gewerkschaften mit ihren Straßenblockaden als Falle zu entblößen. Tatsächlich hat das gewaltsame Eindringen der Rüttger-Arbeiter bei der Thyssen-Versammlung in Duisburg-Hamborn uns mit dieser Orientierung recht gegeben. Diese Arbeiter hatten nämlich den Werkschutz beiseite gedrängt, der nur den Zutritt von Thyssen-Arbeitern zulassen wollte. Dennoch blieben solche Vorstöße auf dem halben Weg stecken, wie bei Thyssen, wo die Rüttger-Arbeiter sich letztlich der Versammlungsleitung des Betriebsrates beugten und einfach ruhig im Saal Platz nahmen, nachdem der BR selbst zu Beginn der Versammlung "betriebsfremde" Arbeiter zum Verlassen des Saales aufgefordert hatte.Dieser Tag hat sowohl die ganze Kraft und das ganze Ausmaß der Bewegung ans Licht gebracht, als auch ihre Grenzen aufgezeigt, die in den nachfolgenden Aktionen überwunden werden mußten, sollte die positive Dynamik des Kampfes nicht endgültig gebrochen werden. Die IKS brachte sofort ein weiteres Flugblatt heraus, mit dem die Lehren des 10.12. gezogen werden sollten, um so auf die weitere Entwicklung Einfluß zu nehmen. "Die Verstärkung des Kampfes liegt aber jetzt darin, die Arbeitsniederlegungen auszunutzen, um möglichst  massive Straßendemonstrationen aller Arbeiter durchzuführen, sowie öffentliche Massenkundgebungen, wo die Arbeiter selber ans Mikrophon gehen, Kampferfahrungen austauschen und gemeinsame Forderungen ausarbeiten. Aus Solidarität die Arbeit niederzulegen und bei Demos mitzumarschieren, ist ein erster Schritt, der aber als solcher nicht ausreicht. Ihm muß ein zweiter folgen: die anderen Arbeiter müssen ihre eigenen Forderungen aufstellen und selbst in den Kampf treten (Flugblatt der IKS 12.12.1988).Die Waffen des Proletariats sind sein Klassenbewußtsein und seine Organisationsfähigkeit. Das eine kann sich ohne das andere nicht entwickeln, und der Kampf selbst ist die Schule, in denen beides gelernt wird. Die Aufgabe der Revolutionäre kann also nicht nur im Aufzeigen des allgemeinen Ziels der Arbeiterkämpfe bestehen. Sie müssen darüber hinaus in der Lage sein, in den Kämpfen der Arbeiter konkret und realistisch die nächsten Schritte aufzuzeigen. Die Klarheit der Prinzipien in allen grundsätzlichen Fragen ist dabei ebenso wichtig wie die Anwendung der marxistischen Methode zur Analyse der Lage im Allgemeinen, wie von Tag zu Tag und die Entschlossenheit nicht abseits zu stehen, sondern einzugreifen und teilzunehmen am Kampf der Arbeiter. EMT (Jan. 1988).  Das unten abgedruckte Flugblatt, von Arbeitern aus Kölner Krankenhäusern herausgegeben , und vertrieben, und unter anderem bei Krupp-Rheinhausen im Dezember verteilt, zeigt konkret auf, daß es möglich ist, völlig unabhängig von  gewerkschaftlichen oder anderen staatlichen Organen, direkt die Initiative zu ergreifen und auf einen Zusammenschluß aller Arbeiter hinzuarbeiten. Leider geben die Herausgeber des Flugblatts keine Kontaktadresse an. Auf jeden Fall ist diese wie ähnliche Initiativen in anderen Ländern ein Beispiel, das Schule machen sollte.

 

Arbeiter- ergreifen selbst die Initiative

Gemeinsam können wir  mehr  erreichen Wir sind eine kleine Gruppe, die sich aus dem Personal der Kölner Krankenhäuser zusammengesetzt hat. Wir sind keiner Gewerkschaft und keiner Partei untergeordnet, sondern wir vertreten hier unsere eigene Meinung. Weshalb wir uns zu Wort melden ist, daß die Bedingungen in den Krankenhäusern für das Personal sowie für die Patienten immer unerträglicher werden. Den Anstoß für diese Stellungnahme haben uns die Beispiele aus dem Ruhrgebiet gegeben, wo Hundertausende sich gemeinsam und solidarisch gegenüber den Massenentlassungen im Bereich der Stahlindustrie und dem Bergbau gezeigt haben.Auch der öffentliche Dienst einschließlich der Krankenhäuser haben sich durch Arbeitsniederlegungen und Teilnahme an Demos daran beteiligt, wobei aber noch keine eigenen Forderungen gestellt wurden. Denn es geht nicht darum, aus Mitleid mit den Kruppianern auf die Straße zu gehen, sondern es gilt zu verstehen, daß wir alle den gleichen Angriffen ausgesetzt werden und uns auch nur gemeinsam dagegen wehren können. Das Gegenstück der Massenentlassungen in der Industrie ist im öffentlichen Dienst der Stellenabbau bzw. Einstellungsstop.Die Auswirkungen sind jeweils die gleichen: auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit; auf der anderen die Mehrbelastung der noch Übriggebliebenen. Durch die Streichung der Steuerfreibeträge für Wochenend-, Feiertags- und Nachtarbeit werden gleichermaßen der öffentliche Dienst sowie die Industrie betroffen. Durch Blüms "Reform" des Gesundheitswesens wird nicht nur das Personal der Krankenhäuser sondern die ganze Bevölkerung getroffen.Es hat sich gezeigt, daß "Vater Staat" genauso rücksichtslos und brutal mit seinen Beschäftigten umspringt wie jeder private Unternehmer. Angesichts dieser Tatsache befürworten wir, daß möglichst massive Protestaktionen und Demos zustande kommen, bei denen die Rücknahme der Massenentlassungen, der "Gesundheitsreform" usw. . verlangt wird.Wir sollten dem Beispiel des Ruhrgebiets folgen und uns ebenfalls in Köln solidarisch erklären mit der KHD (2000 Entlassungen).Dieses Schriftstück soll ein Beispiel dafür sein, daß wir auch als kleine Gruppe, ohne die Parteien, Gewerkschaften usw. selbst aktiv werden können. Wir sind keine passive Manövriermasse. Jeder kann und muss sich zu Wort melden.   

"Neue Töne der Linken zur Verteidigung des Kapitals"

Seit Jahren hat man sich daran gewöhnt, bei gewerkschaftlich orientierten Veranstaltungen zum Thema Klassen­kampf mit Schlachtrufen wie "bedingungslose Verteidigung der Gewerkschaften" (die das Kapital angeblich 'zerschlagen' will) regelrecht bombardiert zu werden. Zwar vergaßen die Linken und die Basisgewerkschafter meistens nicht, die Gewerkschaftsführung zu kritisieren. Aber wenn jemand behauptete, die Arbeiter können und müssen ihren eigenen Kampf gegen die gewerkschaftliche Sabotage selber führen, bekamen diese regelrechte Wutanfälle und blockierten jede Diskussion darüber sofort ab.Bei einer öffentlichen Großveranstaltung des basisgewerkschaftlichen Solidaritätskomitees Krupp am 12. Februar 1988 in Berlin konnte man jetzt ganz andere Töne hören. Bereits das Einführungsreferat des Sprechers des Komitees erzählte etwas über eine "neue Arbeiterbewegung", und über die Suche der Arbeiter im Ruhrgebiet im Dezember nach "neuen, wirkungsvolleren Kampfformen", die "mehr Spaß machen" als die "traditionellen, langweiligen, gewerkschaftlichen Methoden". Auch der Hauptredebeitrag des Abends, vom Krupp - Rheinhausener Betriebsratsvertreter T. Steegmann gehalten, der als direktes Ausführungsinstrument der IGM Klassenkampf-Sabotage vor Ort sogar den "Kollegen Steinkühler" in Schutz nehmen wollte, betonte vor allem die Eigeninitiative der Arbeiter während der Dezemberkämpfe.Was steckt hinter dieser neuen Tonart der "kritischen" aber unerbittlichen Verteidiger der Gewerkschaften? Sie haben ihre Rolle nicht aufgegeben; sie haben sich nicht geändert. Sie passen sich lediglich einer veränderten Situation an, damit sie ihre alte Bremserrolle des Klassenkampfes weiterspielen können. Vor Jahren haben sie voller Schadenfreude zu uns gesagt: "wartet ab, bis die Kämpfe richtig ernst werden. Dann werden die Arbeiter euch die Fresse polieren, wenn ihr immer noch vom Klassenkampf außerhalb und gegen die Gewerkschaften sprecht". Aber es ist anders gekommen. Die 'Linken' in Deutschland wissen ganz genau, dass während des Eisenbahnerstreiks in Frankreich im Dezember 1986 oder in den Kämpfen im öffentlichen Dienst in Italien im Frühjahr letzten Jahres eine enorme gewerkschaftsfeindliche Stimmung unter den Arbeitern herrschte, und dass die französischen und italienischen "Linken" vielfach ihre gewerkschaftlichen Mitgliedsbücher und Anstecknadeln wegstecken müssen, um überhaupt in die Arbeiterversammlungen reinkommen zu können. Sie wissen inzwischen auch, dass der IG-Metall Chef Steinkühler, der am 12. Dez. am Rheinhausener Bahnhof noch kritisiert wurde, erst so spät nach Rheinhausen gekommen zu sein, am 17. Februar von den versammelten Belegschaften von Krupp, Thyssen und Mannesmann in Duisburg einfach ausgepfiffen worden ist, als er die Entlassungen dort zu rechtfertigen versuchte. Kurzum, sie wissen, dass der gleiche Reifungsprozess des Arbeiterbewusstseins so wie in Frankreich oder Italien auch in der BRD Fortschritte macht und die gewerkschaftliche Kontrolle über die Kämpfe wackliger macht. GEWERKSCHAFTLICHE "SOLIDARITÄT" = GELDSAMMLUNGEN UND GRUSSBOTSCHAFTEN
Auch wenn die Basisgewerkschafter zu den "traditionellen, bürokratischen, legalistischen Methoden" der Gewerkschaften auf Distanz gehen, auch wenn linkskapitalistische Gruppen wie die stalinistische MLPD von der Initiative "der Basis" schwärmen oder der trotzkistische BSA gegen den "Verrat der IGM - Führung" Sturm läuft, sie vertreten immer noch konsequent die gleiche gewerkschaftliche Ausrichtung, die den Arbeiterkampf unweigerlich in Niederlagen führen will. Denn die Botschaft dieser Veranstaltung, von sämtlichen Podiumssprechern sowie von vielen Vertrauensleuten aus verschiedenen Berliner Betrieben lautete: Solidarität mit Krupp heißt Geld auf das Rheinhausener "Solidaritätskonto" zu überweisen, Sympathiebekundungen und -botschaften zu organisieren usw.WIRKLICHE SOLIDARITÄT HEISST SELBER DEN KAMPF AUFNEHMEN UND IHN ZUSAMMENSCHLIESSENAuch die IKS hat auf dieser Veranstaltung das Wort ergriffen, um eine ganz andere Orientierung vorzuschlagen! Solidarität heißt, selber den Kampf aufnehmen, für die eigenen Forderungen eintreten und diesen Kampf mit dem Kampf der Kruppianer sofort Branchen und Regionen übergreifend verschmelzen. Auch wenn diese Perspektive - die einzige, die genügend Kraft schöpfen kann, um das Kapital zurückzudrängen - nicht sofort im vollen Umfang realisierbar ist, riefen wir alle Anwesenden auf, selber die Initiative zu ergreifen, um diese Perspektive vorzubereiten. Anstatt Geld zu überweisen, sollte man das Geld selber nehmen, um z.B. ein Flugblatt herauszubringen, das sich für die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes aller Arbeiter stark macht. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die kämpferischen Arbeiter zusammenzuschließen, Kampfkomitees zu bilden, wo die am meisten fortgeschrittenen Arbeiter außerhalb jeder gewerkschaftlichen Bevormundung zusammenkommen.Während das Präsidium und die linken Gewerkschafter mit keinem Wort auf diesen Beitrag eingegangen sind, beweist die lebhafte Zustimmung, die es unter den mehreren Hundert Anwesenden gab, dass immer mehr Ar­beiter dabei sind, sich mit den wirklichen Lehren aus den Dezemberkämpfen auseinanderzusetzen.Es geht hier um die politische Vorbereitung der kommenden Kämpfe, damit sie weiter gehen können als die bisherigen. Gerade die Kämpfe im Ruhrgebiet im Dezember haben diesem Prozess schon Auftrieb verliehen. Aber die Berliner Großveranstaltung zeigt auf, dass die Basisgewerkschafter die Gefahren dieser Entwicklung für das kapitalistische System - die zu einer offenen Infragestellung der Gewerkschaften führen kann - voll erkannt haben. Sie machen mobil, um zu verhindern, dass die wirklichen Lehren gezogen werden.Sie stellen als die Stärken der Dezemberbewegung gerade ihre Schwächen heraus - ihr Unvermögen, über noch zu beschränkte Solidaritätsgesten hinauszugehen oder die gewerkschaftliche Kontrolle abzuschütteln, Die Geschichte und die Erfahrung aus anderen Ländern zeigen, dass der linke Flügel des Kapitals zu vielerlei "Gesichtsveränderungen" in der Lage ist, um jeweils neue Sackgassen für die Arbeiter aufzubauen. Sie können alle erdenklichen Vorschläge machen, auch z.B. "neue, von den Arbeitern selbst verwaltete Gewerkschaften" zu gründen oder zu befürworten, die Gewerkschaftsführer vor die Tür zu setzen. Ähnlich wie man bei einem Gefängnis den Direktor verjagen kann, das Gebäude bleibt aber ein Knast, auch wenn er jetzt von den Wärtern, den kleinen Basisfunktionären, selbst verwaltet wird!     Kr. (Weltrevolution Nr. 31, April 1988) 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [19]

Leserbrief an die Redaktion

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  Nachfolgend veröffentlichen wir einen Leserbrief, der sich mit wichtigen Fragen beschäftigt, und unsere Antwort.  Hallo,
ich bin durch Zufall auf eure Seite gestoßen und hätte ein paar Fragen:
1. Seid ihr als Rätekommunisten grundlegende Gegner des
Parlamentarismus? Oder glaubt ihr nicht auch, dass, solange man die
ArbeiterInnenklasse noch nicht zur Revolution geeint hat, man innerhalb
dieses Systems das Beste  für die ArbeiterInnenklasse rausholen sollte?

2. Wie steht ihr zu sozialistischen Nationalstaaten? Glaubt ihr, dass ihr
eure Ziele nur erreichen könnt in einer großen weltweiten Revolution
oder das es wahrscheinlicher ist, dass die Revolution erst in einem Land
siegt und ein Staat nach dem anderen durch die Räte ersetzt wird?

3. Wie viele Mitglieder habt ihr weltweit/ in Deutschland und in welchen
Städten habt ihr Gruppen?


Vielen Dank in Voraus,
mit roten Grüßen

 

Unsere Antwort

 

Hallo, vielen Dank für Deinen Brief. Bitte entschuldige, dass wir erst jetzt antworten. Wir freuen uns, dass Du auf unsere Homepage gestoßen bist. Hoffentlich hast Du dort Interessantes gefunden. Nun zu Deinen Fragen. Zunächst einmal sind wir mit Dir einverstanden, dass die Arbeiterklasse innerhalb des Kapitalismus so lange das Beste für sich herausholen sollte, bis sie so weit ist, um das System selbst überwinden zu können. Denn die Arbeiterklasse kann die Revolution nur machen, wenn sie vereint ist, wie Du völlig zu Recht festgestellt hast. Wir meinen, dass die Arbeiterklasse lernen muss, sich selbst zu vereinigen – niemanden außerhalb der Arbeiterklasse kann dies stellvertretend für sie bewerkstelligen – und dass die Verteidigungskämpfe innerhalb des Systems eine der wichtigsten Gelegenheiten sind, wo die Arbeiter lernen, sich zu vereinigen, und wo die Vereinigung praktisch vonstatten geht. Wir sind auch einverstanden mit Deiner Formulierung, dass die Klasse für sich das Beste herauszuholen versuchen muss. Allerdings: wenn man die Lage gerade heute anschaut, wird man unweigerlich feststellen, dass „das Beste“ sozusagen nicht mehr genug ist. Selbst wenn in solchen Kämpfen beispielsweise Lohnerhöhungen durchgesetzt werden, so werden diese binnen kurzer Zeit wieder zunichte gemacht durch die Verteuerung, durch Steuer- und Abgabenerhöhungen, durch Entlassungen und Ausgliederungen usw. Dies ist selbstverständlich kein Argument gegen die Notwendigkeit des Kampfes. Denn wenn das Proletariat sich nicht wehrt, wird ihm rasch noch mehr weggenommen. Außerdem wird, wie Marx es formuliert hat, eine Klasse, die es nicht gelernt hat, sich im Alltag zur Wehr zu setzen, niemals imstande sein, eine neue Gesellschaft zu gründen. Aber die Tatsache, dass selbst die selten gewordenen Verbesserungen, die im Kampf errungen werden, rasch zunichte gemacht werden, weist darauf hin, dass im modernen Kapitalismus schon lange keine dauerhaften Verbesserungen mehr möglich sind. Und das ist auch der Grund, warum wir die Ausnutzung des Parlamentarismus im Interesse der Arbeiterklasse in der heutigen Zeit nicht – mehr – für sinnvoll halten. Denn die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts hat vor allem deshalb das Parlament ausnutzen können, weil es damals noch möglich war, über die parlamentarische Schiene echte und langanhaltende Verbesserungen für die Arbeiterklasse herauszuholen, wie etwa die Einschränkung der Arbeitszeit oder die Begrenzung der Ausbeutung der Frauen und Kinder.

Was Deine zweite Frage betrifft, nämlich ob die Revolution nur weltweit siegen kann oder ob sie eher zunächst in einem Land siegen wird, um dann sozusagen um sich zu greifen, so meinen wir zunächst einmal, dass dies kein Frage des „Entweder - oder“ sein muss. Die Revolution kann in einem Land anfangen, aber sie kann nicht in einem einzelnen Land lange überleben, ohne entweder von außen mit Gewalt niedergeworfen zu werden oder von innen durch einen Prozess der Entartung zu verkommen, wie es in Russland geschehen ist. Warum ist das so? Weil der Kapitalismus ein Weltsystem ist, dessen ökonomische Gesetzmäßigkeiten und politische Herrschaft nur auf Weltebene überwunden werden kann. Und die Arbeiterklasse ist nicht zuletzt deshalb die revolutionäre Klasse heute, weil sie die einzige weltweit durch die Produktion und durch die eigene radikale Eigentumslosigkeit verbundene Klasse mit gemeinsamen Interessen ist. Was die Frage der sozialistischen Nationalstaaten betrifft, so sind wir der Meinung, dass es im Sozialismus weder Klassen noch Staaten noch Nationen geben wird. Was den Prozess der revolutionären Umwälzung selbst betrifft, so ist klar, dass die Arbeiterklasse die Herrschaft der Bourgeoisie zunächst auf nationaler Ebene stürzen muss, da der Kapitalismus ja in Nationalstaaten aufgeteilt ist. Aber die Machtergreifung des Proletariats nur in einem Land setzt bereits das Vorhandensein eines internationalen revolutionären Ansturm des Proletariats voraus. Denn wenn dieser Ansturm nur in einem Land stattfinden würde, so könnten die vereinten Kräfte der Weltbourgeoisie seinen Erfolg sicher verhindern. Außerdem gehen wir davon aus, dass das Proletariat, sobald es die Macht in mehrere Länder ergriffen hat, sich nicht in der Form einer revolutionären Föderation dieser Länder vereinigen wird, sondern eine internationale Klasse, schließlich einen Weltrat der Arbeiterklasse bilden wird. Das Wesen der proletarische Revolution wird nicht bestimmt durch die Natur der in rivalisierende Nationalstaaten gespaltenen Bourgeoisie, sondern wird durch den internationalen Charakter ihrer proletarischen Träger bestimmt.

Aus unserer Sicht gibt es eine Verbindung zwischen den beiden von Dir gestellten Fragen. Dies liegt an der Verbindung zwischen dem Ziel, den Kommunismus, und  dem Weg dorthin, sprich: die Arbeiterbewegung bzw. die Bewegung der Klasse. Wie Rosa Luxemburg in ihrer Schrift gegen Bernstein am Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt hat (Sozialreform oder Revolution?), liegt die besondere Herausforderung für die Arbeiterklasse darin, dass ihr Ziel in der Zukunft, außerhalb des Kapitalismus liegt, während die Bewegung dorthin sich innerhalb des Systems abspielt. Deswegen dient nicht jedes x-beliebige Mittel dem Ziel des Kommunismus; die Mittel müssen im Einklang mit diesem Endziel stehen. Auch können die anzuwendenden Mittel sich mit den Bedingungen des Kampfes wandeln, wie dies hinsichtlich der Möglichkeit von Reformen oder der Teilnahme am Parlamentarismus der Fall war, die einst probate Mittel der Arbeiterbewegung waren, aber mittlerweile hinfällig geworden sind.

Zum Schluss noch ein kurzer Hinweis. Du bezeichnest uns als rätekommunistisch. Wenn darunter zu verstehen ist, dass die Macht der siegreichen Arbeiterklasse durch die Arbeiterräte, und nicht durch eine stellvertretend für sie handelnde Klassenpartei ausgeübt werden soll, so trifft dies auf uns zu. Jedoch hat sich die Gewohnheit durchgesetzt, nur diejenigen als „Rätekommunisten“ zu bezeichnen, die die Notwendigkeit von politischen Parteien des Proletariats grundsätzlich ablehnen. Nach dieser Definition ist die IKS nicht als rätekommunistisch zu bezeichnen (und wir bezeichnen uns auch nicht als solche), da wir die Notwendigkeit von politische Organisationen der Arbeiterklasse befürworten.

Die Anzahl der Sektionen der IKS in den verschiedenen Länder und auf den verschiedenen Kontinenten sowie die Orte, an denen wir öffentliche Veranstaltungen abhalten (im deutschsprachigen Raum v.a. Köln und Zürich) sind unserer Website zu entnehmen (www.internationalism.org [9]). Wir hoffen, zumindest erste Antworten auf Deine Fragen gegeben zu haben, und würden uns auf einen weiteren Meinungsaustausch mit Dir freuen.

Mit freundlichen Grüßen

IKS

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Rätekommunismus [36]

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [37]

Vor 20 Jahren - 1987 - Krupp-Rheinhausen

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Wir veröffentlichen nachfolgend einige Artikel, die wir in unserer Zeitung Weltrevolution vor 20 Jahren zum Kampf der Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen (Duisburg) veröffentlichten.    Lehren aus den Dezember-Kämpfen Wir veröffentlichen nachfolgend einige Artikel, die wir in unserer Zeitung Weltrevolution vor 20 Jahren zum Kampf der Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen (Duisburg) veröffentlichten.    Lehren aus den Dezember-Kämpfen Solidarität muß zum Zusammenschluß der Kämpfe führen  Am 27. Nov. letzten Jahres brach der Kampf um Krupp-Rheinhausen aus. Zu einer Zeit, in der die Bourgeoisie massive Angriffe gegen die gesamte Arbeiterklasse vornimmt, wurden die Schließung des Duisburger Werkes von Krupp-Rheinhausen und die Entlassung von über 5.000 Arbeitern angekündigt. Diese Nachricht löste den massivsten Kampf aus, der seit den 1920er Jahren in Deutschland stattgefunden hat.. Die Arbeiter dehnen den Kampf aus Als die Entlassungen bekannt wurden, reagierten die Ar­beiter sofort: sie legten die Arbeit nieder und riefen alle Arbeiter der Stadt zu einer Vollversammlung auf. Die Belegschaften von Thyssen und Mannesmann in Duis­burg traten sofort in Solidaritätsstreiks. Somit wurde klar, daß die Entlassungen bei Krupp alle Arbeiter angehen, und daß vor allem im Ruhrgebiet die aktive Solidarität nicht ausbleiben durfte. Am 30.11. fand eine Vollversammlung mit 9.000 Arbeitern von Krupp und massiven Delegationen der anderen großen Fabriken in Duisburg statt. Die Versammlung rief zum gemeinsamen Kampf im Ruhrgebiet auf. Am 1.12. fanden in 14 Krupp-Werken im Bundesgebiet Demos und Vollversammlungen statt, an denen sich starke Delegationen aus Rheinhausen beteiligten. Am 3.12. demonstrierten 12.000 Schüler in Rheinhausen gegen die geplanten Entlassungen. Eine Delegation von Bergarbeitern forderte einen gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Das gesamte Ruhrgebiet war mobilisiert und kampfbereit! Am 8.12. demonstriertem Bedienstete der Stadt Duisburg (über 10.000) in Rheinhausen, um ihre Solidarität zu bekunden. Die Gewerkschaften, die zunächst Schwierigkeiten hatten, diese Flut der Solidarität der Arbeiter einzudämmen. traten auf den Plan. Sie kündigten am 5.12. einen Aktionstag für den 10.12. an, an dem sich das ganze Ruhrgebiet beteiligen sollte. Ihr Ziel war es, die Kampfbewegung unter ihre Kontrolle zu bringen und sie somit scheitern zu lassen. Da der Solidaritätswille der Arbeiter nicht leicht zu brechen und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes für alle Arbeiter klar war, mußten die Gewerkschaften diesen Drängen der Arbeiter zum Schein nachgeben, um der Bewegung so die Spitze zu brechen. Der Aktionstag sollte angeblich den Verkehr im Ruhrgebiet lahmlegen. Was geschah aber tatsächlich? Denn in Wirklichkeit bedeutete dies, daß die Arbeiter nicht gemeinsam und vereinigt demonstrierten, nicht in Massenversammlungen den weiteren Verlauf des Kampfes diskutieren konnten, sondern daß sie isoliert voneinander, über das ganze Ruhrgebiet zerstreut, in Gruppen zersplittert Straßen blockierten. Nach einigen Stunden dieser Aktion waren nur noch wenige Arbeiter an den Straßenkreuzungen von Duisburg anzutreffen. Die meisten waren mit einem miesen Gefühl nach Hause gegangen. Und dennoch hätte es ganz anders kommen können. An diesem Tag fand eine Vollversammlung um 7.30 Uhr bei Krupp statt, an der 3.000 Arbeiter teilnahmen. Um 10.00 Uhr fand eine weitere Vollversammlung der Thyssen-Arbeiter statt. Postbeschäftigte und Arbeiter aus Süddeutschland kamen nach Rheinhausen. 90.000 Stahlarbeiter standen im Kampf, gleichzeitig legten 100.000 Bergleute aus Solidarität für einige Stunden die Arbeit nieder. An verschiedenen Orten verließen die Arbeiter die Fabriken und demonstrierten wie z.B. bei Opel-Bochum. Das Ausmaß der Mobilisierung und der Kampfbereitschaft an diesem Tag hätte zu einer riesigen Machtdemonstration der Kraft der Arbeiterklasse werden können. Wenn all die mobilisierten Arbeiter nicht durch unendlich viele Straßenblockaden zerstreut voneinander gewesen, sondern geschlossen, zusammen auf die Straße gegangen wären, hätte die Kampfbewegung einen starken Impuls bekommen. Der 10.12. war der Höhepunkt des Kampfes um Rheinhausen, gleichzeitig aber zeigte er all die Schwächen des Kampfes auf, die die Gewerkschaften ausnutzen konnten, um den Kampf zu entschärfen. Am 11.12 kündigte Bonn die Entlassung von 30.000 Bergleuten an. Es kam aber nicht zu einem gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Dafür hatte die IG-Bergbau gesorgt, die vor Solidaritätsaktionen gewarnt hatte mit den Vorwand, daß die Forderungen der Bergarbeiter dann untergehen würden, wenn sich die Bergleute mit den Stahlarbeitern solidarisierten.Die Gewerkschaften ließen dann eine Woche verstreichen, bevor eine erneute Massenaktion stattfand (18.12.)... ein Fackelzug mit anschließendem Gottesdienst. Sicherlich das beste Mittel, um die kämpferischsten Arbeiter fernzuhalten. In den nachfolgenden Wochen wurde klar, daß die Kampfbereitschaft der Kruppianer weiterhin sehr stark war, wie die spontane Reaktion in der Nacht des. 6. Januar aufzeigt, als die Arbeiter die Nachtschicht verließen und auf die Straße gingen, nachdem die Schließung von Rheinhausen als unvermeidlich angekündigt worden war. Dennoch ist die „aufsteigende Dynamik“ die der Kampf bis zum 10.12. aufwies, durch die Sabotagearbeit der Gewerkschaften gebrochen worden. Im neuen Jahr ver­anstalteten- die Gewerkschaften Aktionswochen in Form von sog. "Spaziergängen" mit Bus und Autos zu anderen Fabriken. Das ist eine Karikatur von dem, was die Arbeiter Anfang Dezember als eine Notwendigkeit spürten: die Ausdehnung und Vereinigung des Kampfes.Lehren aus dem Kampf – Nur die Vereinigung der Kämpfe kann die Angriffe zurückdrängenAls Anfang Dezember die Arbeiter in Rheinhausen den Kampf aufnahmen, dehnte er sich innerhalb von ein paar Tagen auf das ganze Ruhrgebiet aus. Heute hingegen "spazieren" die Krupp-Arbeiter von einem Betrieb zum anderen und erhalten schön klingende Solidaritätserklärungen der Betriebsräte dieser Betriebe. Es ist keine Rede mehr vom gemeinsamen Kampf. Das weiß auch die Bourgeoisie, die ihre Position verhärtet und die Schließung von Rheinhausen als unausweichlich erklärt. Die Frage muß also gestellt werden, was diese Wende herbeigeführt hat, wieso nach dem anfänglich so breiten Kampf letztendlich die Krupp-Arbeiter alleine zurückbleiben? Und die Lehre, die man ziehen muß, ist, daß Sympathiestreiks und Solidaritätsbekundungen zwar ein wichtiger Schritt sind, daß sie aber nicht ausreichen, um die Entlassungen und die Angriffe der Bourgeoisie zurückzudrängen. Die Solidarität muß zur Vereinigung der Kämpfe selber führen. Aber was heißt Vereinigung?Wenn die Arbeiter in Rheinhausen den Kampf gegen Entlassungen aufnehmen, dann sind ihr Kampf und ihre Forderungen grundsätzlich die gleichen wie in anderen Betrieben und Branchen. Die Bergleute werden wie die Stahlarbeiter von Massenentlassungen betroffen. Aber auch im öffentlichen Dienst werden die Angriffe stärker Haushaltskürzungen, Streichung von Krankenhausbetten, Privatisierungspläne bei der Post, Stellenstreichungen bei der Bahn...Die Solidarität mit Rheinhausen bedeutet den Kampf für die eigenen Forderungen aufnehmen. Grund genug dazu gibt es.Gerade für die Bergleute bestand kein Anlaß, sich zu verkriechen und sich zurückzuhalten, als die Stahlkocher zum gemeinsamen Kampf, zur Solidarität aufriefen. Denn wenn sich so wichtige Teile wie die Bergleute und die Stahlkocher zusammen in Bewegung setzen und gemeinsam ihr Gewicht in die Waagschale werfen, wenn sich bei; dieser Bewegung andere Beschäftigte anschließen, wie das Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und Opel-Arbeiter ansatzweise taten, entsteht eine Sogwirkung, in der immer mehr Teile der Arbeiterklasse in Fluß geraten. Dann geraten die Kapitalisten und ihr Staat erst richtig unter Druck, und kein Teil der Arbeiterklasse steht dann mehr allein mit seinen Forderungen dem Kapital gegenüber. So haben die Bergleute im Dezember eine große Gelegenheit verpaßt, und es ist kein Zufall, daß just einen Tag nach dem 10.12., als der Zusammenschluß zwischen Bergbau und Stahl nicht hergestellt wurde, der Staat den Abbau von ca. 30.000 Arbeitsplätzen im Bergbau beschloß. Es liegt auf der Hand. Die besten Kampfmöglichkeiten bestehen dann, wenn andere Arbeiter schon in den Kampf getreten sind. Dann sind gemeinsames Auftreten, gemeinsame Demos, gemeinsame Vollversammlungen und Massendelegationen, gemeinsame Aktionen überhaupt einfacher durchzuführen. Aber um das zu erreichen, müssen sich die Arbeiter darüber bewußt werden, daß wenn heute die Arbeiter in einer Fabrik von Angriffen getroffen werden, sie selbst wenig später in die Schußlinie geraten werden. Deshalb: der Kampf der einen Arbeiter muß der Kampf der anderen Arbeiter werden!Und wenn es die Arbeiter irgendwo schaffen, die Angriffe des Kapitals zurückzudrängen, dann nur weil andere Arbeiter ebenfalls in den Kampf getreten sind. So können die Rheinhausener Arbeiter die Entlassungen nur abwehren, wenn das ganze Ruhrgebiet dahintersteht und mitkämpft.Die Krupp-Arbeiter haben durch ihren Kampf eine große Solidaritätswelle hervorgerufen Diese explosiven Reaktionen lassen darauf schließen, daß die aufsteigende Kampfbereitschaft immer größere Teile der Klasse zu neuen, heftigen Klassenauseinandersetzungen führen wird, In diesen werden die Arbeiter wieder den gleichen Schwierigkeiten und Spaltungstaktiken der Gewerkschaften gegenübertreten. Deshalb müssen sich bereits heute alle Arbeiter die Lehre zu Eigen machen, daß aktive Solidarität mehr als Sympathiebekundungen verlangt. Ja, nun muß selbst in den Kampf treten und versuchen, den Widerstand aller Arbeiter wirkungsvoll zusammenzuschließen, ihn  zu "vernetzen", wie es von den Rheinhausener Arbeitern formuliert wurde. Dies heißt aber. daß sich die Arbeiter nicht mehr in den Fangnetzen der Gewerkschaften fangen lassen dürfen. Die Bestrebungen zum Zusammenschluß der Kämpfe können nur gegen den Widerstand, gegen die Sabotagetaktik der Gewerkschaften erfolgen. Und dies erfordert nichts anderes, als daß die Arbeiter selbst die Initiative in die Hand nehmen. Daß diese Perspektive keine Utopie, sondern eine reale Möglichkeit ist, beweist die Initiative von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, wie wir in dieser Zeitung zeigen.17.1.1988 Nat. (Weltrevolution Nr. 30, Jan-März 1988) 

Die Intervention der IKS in den Kämpfen

In Weltrevolution Nr. 29 schrieben wir einen Artikel zum Klassenkampf in der BRD mit dem Titel: "Massive Kämpfe rücken näher". Wir zeigten anhand vieler Beispiele des Widerstands gegen die Flut der Angriffe auf allen Ebenen auf, wie in der BRD zunehmend das Potential für einen breiten Abwehrkampf der Arbeiter heranreift. Diese Einschätzung war Anlaß für die IKS, ein Flugblatt mit dem Titel: "Für bundesweite Aktionen aller Arbeiter gegen alle Angriffe" herauszugeben. Die Gleichzeitigkeit des Widerstands bei Stahl, Kohle und im öffentlichen Dienst bietet die Möglichkeit der massiven Ausdehnung und Vereinigung des Arbeiterkampfes. Demonstrationen und Versammlungen sind dazu besonders geeignete Mittel. "Entschlossene Arbeiter müssen jetzt schon dafür eintreten, bei Diskussionen, Versammlungen, Demonstrationen das Wort ergreifen, um sich für diese Perspektive des gemeinsamen Kampfes stark zu machen. Arbeiter verschiedener Betriebe und Branchen müssen direkten Kontakt zueinander aufnehmen, um den Zusammenschluß der Kämpfe in die Wege zu leiten" (17. Nov.'87). Im Rahmen ihrer Analyse der Lage in der BRD wurde die IKS vom Ausbruch des Kampfes der Krupp-Beschäftigten dessen Ausbreitung nicht überrascht. Das oben erwähnte Flugblatt wurde vor und während des 10. Dezembers an Fabriken im Ruhrgebiet und in Köln, die unterschiedlichen Branchen von Chemie und Automobil über öffentlichen Dienst, Maschinenbau bis zur Stahlindustrie angehören, verteilt. Der 10. Dezember 1987 konnte schon im voraus zumindest als der erste Höhepunkt dieser Kampfbewegung eingeschätzt werden - der Tag, an dem sich das Schicksal der weiteren Bewegung entscheiden sollte. Auf dem Spiel stand, ob es den Arbeitern gelingen würde, der Ausdehnung des Kampfes auf andere Betriebe Schritte näher zu kommen, oder ob die Gewerkschaften trotz der massenhaften Mobilisierung dcr Arbeiter die einzelnen Bereiche voneinander isolieren könnten. In dieser Lage konzentrierte sich unsere Intervention entsprechend unserer bescheidenen Kräfte auf Punkte, wo möglichst viele Arbeiter in Versammlungen zusammenkamen - die Kundgebung  um 7 Uhr vor den Tor I von Krupp-Rheinhausen und die Belegschaftsversammlung  bei Thyssen. Ziel war es, für massive Versammlungen bzw. Demonstrationen zu werben, auf denen die Arbeiter aus verschiedenen Branchen über die Fortführung des Kampfes debattieren und entscheiden könnten, und die Isolierungsstrategie der Gewerkschaften mit ihren Straßenblockaden als Falle zu entblößen. Tatsächlich hat das gewaltsame Eindringen der Rüttger-Arbeiter bei der Thyssen-Versammlung in Duisburg-Hamborn uns mit dieser Orientierung recht gegeben. Diese Arbeiter hatten nämlich den Werkschutz beiseite gedrängt, der nur den Zutritt von Thyssen-Arbeitern zulassen wollte. Dennoch blieben solche Vorstöße auf dem halben Weg stecken, wie bei Thyssen, wo die Rüttger-Arbeiter sich letztlich der Versammlungsleitung des Betriebsrates beugten und einfach ruhig im Saal Platz nahmen, nachdem der BR selbst zu Beginn der Versammlung "betriebsfremde" Arbeiter zum Verlassen des Saales aufgefordert hatte.Dieser Tag hat sowohl die ganze Kraft und das ganze Ausmaß der Bewegung ans Licht gebracht, als auch ihre Grenzen aufgezeigt, die in den nachfolgenden Aktionen überwunden werden mußten, sollte die positive Dynamik des Kampfes nicht endgültig gebrochen werden. Die IKS brachte sofort ein weiteres Flugblatt heraus, mit dem die Lehren des 10.12. gezogen werden sollten, um so auf die weitere Entwicklung Einfluß zu nehmen. "Die Verstärkung des Kampfes liegt aber jetzt darin, die Arbeitsniederlegungen auszunutzen, um möglichst  massive Straßendemonstrationen aller Arbeiter durchzuführen, sowie öffentliche Massenkundgebungen, wo die Arbeiter selber ans Mikrophon gehen, Kampferfahrungen austauschen und gemeinsame Forderungen ausarbeiten. Aus Solidarität die Arbeit niederzulegen und bei Demos mitzumarschieren, ist ein erster Schritt, der aber als solcher nicht ausreicht. Ihm muß ein zweiter folgen: die anderen Arbeiter müssen ihre eigenen Forderungen aufstellen und selbst in den Kampf treten (Flugblatt der IKS 12.12.1988).Die Waffen des Proletariats sind sein Klassenbewußtsein und seine Organisationsfähigkeit. Das eine kann sich ohne das andere nicht entwickeln, und der Kampf selbst ist die Schule, in denen beides gelernt wird. Die Aufgabe der Revolutionäre kann also nicht nur im Aufzeigen des allgemeinen Ziels der Arbeiterkämpfe bestehen. Sie müssen darüber hinaus in der Lage sein, in den Kämpfen der Arbeiter konkret und realistisch die nächsten Schritte aufzuzeigen. Die Klarheit der Prinzipien in allen grundsätzlichen Fragen ist dabei ebenso wichtig wie die Anwendung der marxistischen Methode zur Analyse der Lage im Allgemeinen, wie von Tag zu Tag und die Entschlossenheit nicht abseits zu stehen, sondern einzugreifen und teilzunehmen am Kampf der Arbeiter. EMT (Jan. 1988).  

 

Das unten abgedruckte Flugblatt, von Arbeitern aus Kölner Krankenhäusern herausgegeben , und vertrieben, und unter anderem bei Krupp-Rheinhausen im Dezember verteilt, zeigt konkret auf, daß es möglich ist, völlig unabhängig von  gewerkschaftlichen oder anderen staatlichen Organen, direkt die Initiative zu ergreifen und auf einen Zusammenschluß aller Arbeiter hinzuarbeiten. Leider geben die Herausgeber des Flugblatts keine Kontaktadresse an. Auf jeden Fall ist diese wie ähnliche Initiativen in anderen Ländern ein Beispiel, das Schule machen sollte.

 

Arbeiter- ergreifen selbst die Initiative

Gemeinsam können wir  mehr  erreichen Wir sind eine kleine Gruppe, die sich aus dem Personal der Kölner Krankenhäuser zusammengesetzt hat. Wir sind keiner Gewerkschaft und keiner Partei untergeordnet, sondern wir vertreten hier unsere eigene Meinung. Weshalb wir uns zu Wort melden ist, daß die Bedingungen in den Krankenhäusern für das Personal sowie für die Patienten immer unerträglicher werden. Den Anstoß für diese Stellungnahme haben uns die Beispiele aus dem Ruhrgebiet gegeben, wo Hundertausende sich gemeinsam und solidarisch gegenüber den Massenentlassungen im Bereich der Stahlindustrie und dem Bergbau gezeigt haben.Auch der öffentliche Dienst einschließlich der Krankenhäuser haben sich durch Arbeitsniederlegungen und Teilnahme an Demos daran beteiligt, wobei aber noch keine eigenen Forderungen gestellt wurden. Denn es geht nicht darum, aus Mitleid mit den Kruppianern auf die Straße zu gehen, sondern es gilt zu verstehen, daß wir alle den gleichen Angriffen ausgesetzt werden und uns auch nur gemeinsam dagegen wehren können. Das Gegenstück der Massenentlassungen in der Industrie ist im öffentlichen Dienst der Stellenabbau bzw. Einstellungsstop.Die Auswirkungen sind jeweils die gleichen: auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit; auf der anderen die Mehrbelastung der noch Übriggebliebenen. Durch die Streichung der Steuerfreibeträge für Wochenend-, Feiertags- und Nachtarbeit werden gleichermaßen der öffentliche Dienst sowie die Industrie betroffen. Durch Blüms "Reform" des Gesundheitswesens wird nicht nur das Personal der Krankenhäuser sondern die ganze Bevölkerung getroffen.Es hat sich gezeigt, daß "Vater Staat" genauso rücksichtslos und brutal mit seinen Beschäftigten umspringt wie jeder private Unternehmer. Angesichts dieser Tatsache befürworten wir, daß möglichst massive Protestaktionen und Demos zustande kommen, bei denen die Rücknahme der Massenentlassungen, der "Gesundheitsreform" usw. . verlangt wird.Wir sollten dem Beispiel des Ruhrgebiets folgen und uns ebenfalls in Köln solidarisch erklären mit der KHD (2000 Entlassungen).Dieses Schriftstück soll ein Beispiel dafür sein, daß wir auch als kleine Gruppe, ohne die Parteien, Gewerkschaften usw. selbst aktiv werden können. Wir sind keine passive Manövriermasse. Jeder kann und muss sich zu Wort melden.   

"Neue Töne der Linken zur Verteidigung des Kapitals"

Seit Jahren hat man sich daran gewöhnt, bei gewerkschaftlich orientierten Veranstaltungen zum Thema Klassen­kampf mit Schlachtrufen wie "bedingungslose Verteidigung der Gewerkschaften" (die das Kapital angeblich 'zerschlagen' will) regelrecht bombardiert zu werden. Zwar vergaßen die Linken und die Basisgewerkschafter meistens nicht, die Gewerkschaftsführung zu kritisieren. Aber wenn jemand behauptete, die Arbeiter können und müssen ihren eigenen Kampf gegen die gewerkschaftliche Sabotage selber führen, bekamen diese regelrechte Wutanfälle und blockierten jede Diskussion darüber sofort ab.Bei einer öffentlichen Großveranstaltung des basisgewerkschaftlichen Solidaritätskomitees Krupp am 12. Februar 1988 in Berlin konnte man jetzt ganz andere Töne hören. Bereits das Einführungsreferat des Sprechers des Komitees erzählte etwas über eine "neue Arbeiterbewegung", und über die Suche der Arbeiter im Ruhrgebiet im Dezember nach "neuen, wirkungsvolleren Kampfformen", die "mehr Spaß machen" als die "traditionellen, langweiligen, gewerkschaftlichen Methoden". Auch der Hauptredebeitrag des Abends, vom Krupp - Rheinhausener Betriebsratsvertreter T. Steegmann gehalten, der als direktes Ausführungsinstrument der IGM Klassenkampf-Sabotage vor Ort sogar den "Kollegen Steinkühler" in Schutz nehmen wollte, betonte vor allem die Eigeninitiative der Arbeiter während der Dezemberkämpfe.Was steckt hinter dieser neuen Tonart der "kritischen" aber unerbittlichen Verteidiger der Gewerkschaften? Sie haben ihre Rolle nicht aufgegeben; sie haben sich nicht geändert. Sie passen sich lediglich einer veränderten Situation an, damit sie ihre alte Bremserrolle des Klassenkampfes weiterspielen können. Vor Jahren haben sie voller Schadenfreude zu uns gesagt: "wartet ab, bis die Kämpfe richtig ernst werden. Dann werden die Arbeiter euch die Fresse polieren, wenn ihr immer noch vom Klassenkampf außerhalb und gegen die Gewerkschaften sprecht". Aber es ist anders gekommen. Die 'Linken' in Deutschland wissen ganz genau, dass während des Eisenbahnerstreiks in Frankreich im Dezember 1986 oder in den Kämpfen im öffentlichen Dienst in Italien im Frühjahr letzten Jahres eine enorme gewerkschaftsfeindliche Stimmung unter den Arbeitern herrschte, und dass die französischen und italienischen "Linken" vielfach ihre gewerkschaftlichen Mitgliedsbücher und Anstecknadeln wegstecken müssen, um überhaupt in die Arbeiterversammlungen reinkommen zu können. Sie wissen inzwischen auch, dass der IG-Metall Chef Steinkühler, der am 12. Dez. am Rheinhausener Bahnhof noch kritisiert wurde, erst so spät nach Rheinhausen gekommen zu sein, am 17. Februar von den versammelten Belegschaften von Krupp, Thyssen und Mannesmann in Duisburg einfach ausgepfiffen worden ist, als er die Entlassungen dort zu rechtfertigen versuchte. Kurzum, sie wissen, dass der gleiche Reifungsprozess des Arbeiterbewusstseins so wie in Frankreich oder Italien auch in der BRD Fortschritte macht und die gewerkschaftliche Kontrolle über die Kämpfe wackliger macht. GEWERKSCHAFTLICHE "SOLIDARITÄT" = GELDSAMMLUNGEN UND GRUSSBOTSCHAFTEN
Auch wenn die Basisgewerkschafter zu den "traditionellen, bürokratischen, legalistischen Methoden" der Gewerkschaften auf Distanz gehen, auch wenn linkskapitalistische Gruppen wie die stalinistische MLPD von der Initiative "der Basis" schwärmen oder der trotzkistische BSA gegen den "Verrat der IGM - Führung" Sturm läuft, sie vertreten immer noch konsequent die gleiche gewerkschaftliche Ausrichtung, die den Arbeiterkampf unweigerlich in Niederlagen führen will. Denn die Botschaft dieser Veranstaltung, von sämtlichen Podiumssprechern sowie von vielen Vertrauensleuten aus verschiedenen Berliner Betrieben lautete: Solidarität mit Krupp heißt Geld auf das Rheinhausener "Solidaritätskonto" zu überweisen, Sympathiebekundungen und -botschaften zu organisieren usw.WIRKLICHE SOLIDARITÄT HEISST SELBER DEN KAMPF AUFNEHMEN UND IHN ZUSAMMENSCHLIESSENAuch die IKS hat auf dieser Veranstaltung das Wort ergriffen, um eine ganz andere Orientierung vorzuschlagen! Solidarität heißt, selber den Kampf aufnehmen, für die eigenen Forderungen eintreten und diesen Kampf mit dem Kampf der Kruppianer sofort Branchen und Regionen übergreifend verschmelzen. Auch wenn diese Perspektive - die einzige, die genügend Kraft schöpfen kann, um das Kapital zurückzudrängen - nicht sofort im vollen Umfang realisierbar ist, riefen wir alle Anwesenden auf, selber die Initiative zu ergreifen, um diese Perspektive vorzubereiten. Anstatt Geld zu überweisen, sollte man das Geld selber nehmen, um z.B. ein Flugblatt herauszubringen, das sich für die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes aller Arbeiter stark macht. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die kämpferischen Arbeiter zusammenzuschließen, Kampfkomitees zu bilden, wo die am meisten fortgeschrittenen Arbeiter außerhalb jeder gewerkschaftlichen Bevormundung zusammenkommen.Während das Präsidium und die linken Gewerkschafter mit keinem Wort auf diesen Beitrag eingegangen sind, beweist die lebhafte Zustimmung, die es unter den mehreren Hundert Anwesenden gab, dass immer mehr Ar­beiter dabei sind, sich mit den wirklichen Lehren aus den Dezemberkämpfen auseinanderzusetzen.Es geht hier um die politische Vorbereitung der kommenden Kämpfe, damit sie weiter gehen können als die bisherigen. Gerade die Kämpfe im Ruhrgebiet im Dezember haben diesem Prozess schon Auftrieb verliehen. Aber die Berliner Großveranstaltung zeigt auf, dass die Basisgewerkschafter die Gefahren dieser Entwicklung für das kapitalistische System - die zu einer offenen Infragestellung der Gewerkschaften führen kann - voll erkannt haben. Sie machen mobil, um zu verhindern, dass die wirklichen Lehren gezogen werden.Sie stellen als die Stärken der Dezemberbewegung gerade ihre Schwächen heraus - ihr Unvermögen, über noch zu beschränkte Solidaritätsgesten hinauszugehen oder die gewerkschaftliche Kontrolle abzuschütteln, Die Geschichte und die Erfahrung aus anderen Ländern zeigen, dass der linke Flügel des Kapitals zu vielerlei "Gesichtsveränderungen" in der Lage ist, um jeweils neue Sackgassen für die Arbeiter aufzubauen. Sie können alle erdenklichen Vorschläge machen, auch z.B. "neue, von den Arbeitern selbst verwaltete Gewerkschaften" zu gründen oder zu befürworten, die Gewerkschaftsführer vor die Tür zu setzen. Ähnlich wie man bei einem Gefängnis den Direktor verjagen kann, das Gebäude bleibt aber ein Knast, auch wenn er jetzt von den Wärtern, den kleinen Basisfunktionären, selbst verwaltet wird!     Kr. (Weltrevolution Nr. 31, April 1988) 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [19]

Vor 20 Jahren - Krupp Rheinhausen Winter 1987/88

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Wir veröffentlichen nachfolgend einige Artikel, die wir in unserer Zeitung Weltrevolution vor 20 Jahren im Jan. 1988 zum Kampf der Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen (Duisburg) veröffentlichten.   

Lehren aus den Dezember-Kämpfen Solidarität muß zum Zusammenschluß der Kämpfe führen

Am 27. Nov. letzten Jahres brach der Kampf um Krupp-Rheinhausen aus. Zu einer Zeit, in der die Bourgeoisie massive Angriffe gegen die gesamte Arbeiterklasse vornimmt, wurden die Schließung des Duisburger Werkes von Krupp-Rheinhausen und die Entlassung von über 5.000 Arbeitern angekündigt. Diese Nachricht löste den massivsten Kampf aus, der seit den 1920er Jahren in Deutschland stattgefunden hat.. Die Arbeiter dehnen den Kampf aus Als die Entlassungen bekannt wurden, reagierten die Ar­beiter sofort: sie legten die Arbeit nieder und riefen alle Arbeiter der Stadt zu einer Vollversammlung auf. Die Belegschaften von Thyssen und Mannesmann in Duis­burg traten sofort in Solidaritätsstreiks. Somit wurde klar, daß die Entlassungen bei Krupp alle Arbeiter angehen, und daß vor allem im Ruhrgebiet die aktive Solidarität nicht ausbleiben durfte. Am 30.11. fand eine Vollversammlung mit 9.000 Arbeitern von Krupp und massiven Delegationen der anderen großen Fabriken in Duisburg statt. Die Versammlung rief zum gemeinsamen Kampf im Ruhrgebiet auf. Am 1.12. fanden in 14 Krupp-Werken im Bundesgebiet Demos und Vollversammlungen statt, an denen sich starke Delegationen aus Rheinhausen beteiligten. Am 3.12. demonstrierten 12.000 Schüler in Rheinhausen gegen die geplanten Entlassungen. Eine Delegation von Bergarbeitern forderte einen gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Das gesamte Ruhrgebiet war mobilisiert und kampfbereit! Am 8.12. demonstriertem Bedienstete der Stadt Duisburg (über 10.000) in Rheinhausen, um ihre Solidarität zu bekunden. Die Gewerkschaften, die zunächst Schwierigkeiten hatten, diese Flut der Solidarität der Arbeiter einzudämmen. traten auf den Plan. Sie kündigten am 5.12. einen Aktionstag für den 10.12. an, an dem sich das ganze Ruhrgebiet beteiligen sollte. Ihr Ziel war es, die Kampfbewegung unter ihre Kontrolle zu bringen und sie somit scheitern zu lassen. Da der Solidaritätswille der Arbeiter nicht leicht zu brechen und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes für alle Arbeiter klar war, mußten die Gewerkschaften diesen Drängen der Arbeiter zum Schein nachgeben, um der Bewegung so die Spitze zu brechen. Der Aktionstag sollte angeblich den Verkehr im Ruhrgebiet lahmlegen. Was geschah aber tatsächlich? Denn in Wirklichkeit bedeutete dies, daß die Arbeiter nicht gemeinsam und vereinigt demonstrierten, nicht in Massenversammlungen den weiteren Verlauf des Kampfes diskutieren konnten, sondern daß sie isoliert voneinander, über das ganze Ruhrgebiet zerstreut, in Gruppen zersplittert Straßen blockierten. Nach einigen Stunden dieser Aktion waren nur noch wenige Arbeiter an den Straßenkreuzungen von Duisburg anzutreffen. Die meisten waren mit einem miesen Gefühl nach Hause gegangen. Und dennoch hätte es ganz anders kommen können. An diesem Tag fand eine Vollversammlung um 7.30 Uhr bei Krupp statt, an der 3.000 Arbeiter teilnahmen. Um 10.00 Uhr fand eine weitere Vollversammlung der Thyssen-Arbeiter statt. Postbeschäftigte und Arbeiter aus Süddeutschland kamen nach Rheinhausen. 90.000 Stahlarbeiter standen im Kampf, gleichzeitig legten 100.000 Bergleute aus Solidarität für einige Stunden die Arbeit nieder. An verschiedenen Orten verließen die Arbeiter die Fabriken und demonstrierten wie z.B. bei Opel-Bochum. Das Ausmaß der Mobilisierung und der Kampfbereitschaft an diesem Tag hätte zu einer riesigen Machtdemonstration der Kraft der Arbeiterklasse werden können. Wenn all die mobilisierten Arbeiter nicht durch unendlich viele Straßenblockaden zerstreut voneinander gewesen, sondern geschlossen, zusammen auf die Straße gegangen wären, hätte die Kampfbewegung einen starken Impuls bekommen. Der 10.12. war der Höhepunkt des Kampfes um Rheinhausen, gleichzeitig aber zeigte er all die Schwächen des Kampfes auf, die die Gewerkschaften ausnutzen konnten, um den Kampf zu entschärfen. Am 11.12 kündigte Bonn die Entlassung von 30.000 Bergleuten an. Es kam aber nicht zu einem gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Dafür hatte die IG-Bergbau gesorgt, die vor Solidaritätsaktionen gewarnt hatte mit den Vorwand, daß die Forderungen der Bergarbeiter dann untergehen würden, wenn sich die Bergleute mit den Stahlarbeitern solidarisierten.Die Gewerkschaften ließen dann eine Woche verstreichen, bevor eine erneute Massenaktion stattfand (18.12.)... ein Fackelzug mit anschließendem Gottesdienst. Sicherlich das beste Mittel, um die kämpferischsten Arbeiter fernzuhalten. In den nachfolgenden Wochen wurde klar, daß die Kampfbereitschaft der Kruppianer weiterhin sehr stark war, wie die spontane Reaktion in der Nacht des. 6. Januar aufzeigt, als die Arbeiter die Nachtschicht verließen und auf die Straße gingen, nachdem die Schließung von Rheinhausen als unvermeidlich angekündigt worden war. Dennoch ist die „aufsteigende Dynamik“ die der Kampf bis zum 10.12. aufwies, durch die Sabotagearbeit der Gewerkschaften gebrochen worden. Im neuen Jahr ver­anstalteten- die Gewerkschaften Aktionswochen in Form von sog. "Spaziergängen" mit Bus und Autos zu anderen Fabriken. Das ist eine Karikatur von dem, was die Arbeiter Anfang Dezember als eine Notwendigkeit spürten: die Ausdehnung und Vereinigung des Kampfes.Lehren aus dem Kampf – Nur die Vereinigung der Kämpfe kann die Angriffe zurückdrängenAls Anfang Dezember die Arbeiter in Rheinhausen den Kampf aufnahmen, dehnte er sich innerhalb von ein paar Tagen auf das ganze Ruhrgebiet aus. Heute hingegen "spazieren" die Krupp-Arbeiter von einem Betrieb zum anderen und erhalten schön klingende Solidaritätserklärungen der Betriebsräte dieser Betriebe. Es ist keine Rede mehr vom gemeinsamen Kampf. Das weiß auch die Bourgeoisie, die ihre Position verhärtet und die Schließung von Rheinhausen als unausweichlich erklärt. Die Frage muß also gestellt werden, was diese Wende herbeigeführt hat, wieso nach dem anfänglich so breiten Kampf letztendlich die Krupp-Arbeiter alleine zurückbleiben? Und die Lehre, die man ziehen muß, ist, daß Sympathiestreiks und Solidaritätsbekundungen zwar ein wichtiger Schritt sind, daß sie aber nicht ausreichen, um die Entlassungen und die Angriffe der Bourgeoisie zurückzudrängen. Die Solidarität muß zur Vereinigung der Kämpfe selber führen. Aber was heißt Vereinigung?Wenn die Arbeiter in Rheinhausen den Kampf gegen Entlassungen aufnehmen, dann sind ihr Kampf und ihre Forderungen grundsätzlich die gleichen wie in anderen Betrieben und Branchen. Die Bergleute werden wie die Stahlarbeiter von Massenentlassungen betroffen. Aber auch im öffentlichen Dienst werden die Angriffe stärker Haushaltskürzungen, Streichung von Krankenhausbetten, Privatisierungspläne bei der Post, Stellenstreichungen bei der Bahn...Die Solidarität mit Rheinhausen bedeutet den Kampf für die eigenen Forderungen aufnehmen. Grund genug dazu gibt es.Gerade für die Bergleute bestand kein Anlaß, sich zu verkriechen und sich zurückzuhalten, als die Stahlkocher zum gemeinsamen Kampf, zur Solidarität aufriefen. Denn wenn sich so wichtige Teile wie die Bergleute und die Stahlkocher zusammen in Bewegung setzen und gemeinsam ihr Gewicht in die Waagschale werfen, wenn sich bei; dieser Bewegung andere Beschäftigte anschließen, wie das Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und Opel-Arbeiter ansatzweise taten, entsteht eine Sogwirkung, in der immer mehr Teile der Arbeiterklasse in Fluß geraten. Dann geraten die Kapitalisten und ihr Staat erst richtig unter Druck, und kein Teil der Arbeiterklasse steht dann mehr allein mit seinen Forderungen dem Kapital gegenüber. So haben die Bergleute im Dezember eine große Gelegenheit verpaßt, und es ist kein Zufall, daß just einen Tag nach dem 10.12., als der Zusammenschluß zwischen Bergbau und Stahl nicht hergestellt wurde, der Staat den Abbau von ca. 30.000 Arbeitsplätzen im Bergbau beschloß. Es liegt auf der Hand. Die besten Kampfmöglichkeiten bestehen dann, wenn andere Arbeiter schon in den Kampf getreten sind. Dann sind gemeinsames Auftreten, gemeinsame Demos, gemeinsame Vollversammlungen und Massendelegationen, gemeinsame Aktionen überhaupt einfacher durchzuführen. Aber um das zu erreichen, müssen sich die Arbeiter darüber bewußt werden, daß wenn heute die Arbeiter in einer Fabrik von Angriffen getroffen werden, sie selbst wenig später in die Schußlinie geraten werden. Deshalb: der Kampf der einen Arbeiter muß der Kampf der anderen Arbeiter werden!Und wenn es die Arbeiter irgendwo schaffen, die Angriffe des Kapitals zurückzudrängen, dann nur weil andere Arbeiter ebenfalls in den Kampf getreten sind. So können die Rheinhausener Arbeiter die Entlassungen nur abwehren, wenn das ganze Ruhrgebiet dahintersteht und mitkämpft.Die Krupp-Arbeiter haben durch ihren Kampf eine große Solidaritätswelle hervorgerufen Diese explosiven Reaktionen lassen darauf schließen, daß die aufsteigende Kampfbereitschaft immer größere Teile der Klasse zu neuen, heftigen Klassenauseinandersetzungen führen wird, In diesen werden die Arbeiter wieder den gleichen Schwierigkeiten und Spaltungstaktiken der Gewerkschaften gegenübertreten. Deshalb müssen sich bereits heute alle Arbeiter die Lehre zu Eigen machen, daß aktive Solidarität mehr als Sympathiebekundungen verlangt. Ja, nun muß selbst in den Kampf treten und versuchen, den Widerstand aller Arbeiter wirkungsvoll zusammenzuschließen, ihn  zu "vernetzen", wie es von den Rheinhausener Arbeitern formuliert wurde. Dies heißt aber. daß sich die Arbeiter nicht mehr in den Fangnetzen der Gewerkschaften fangen lassen dürfen. Die Bestrebungen zum Zusammenschluß der Kämpfe können nur gegen den Widerstand, gegen die Sabotagetaktik der Gewerkschaften erfolgen. Und dies erfordert nichts anderes, als daß die Arbeiter selbst die Initiative in die Hand nehmen. Daß diese Perspektive keine Utopie, sondern eine reale Möglichkeit ist, beweist die Initiative von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, wie wir in dieser Zeitung zeigen.17.1.1988 Nat. (Weltrevolution Nr. 30, Jan-März 1988) 

Die Intervention der IKS in den Kämpfen

In Weltrevolution Nr. 29 schrieben wir einen Artikel zum Klassenkampf in der BRD mit dem Titel: "Massive Kämpfe rücken näher". Wir zeigten anhand vieler Beispiele des Widerstands gegen die Flut der Angriffe auf allen Ebenen auf, wie in der BRD zunehmend das Potential für einen breiten Abwehrkampf der Arbeiter heranreift. Diese Einschätzung war Anlaß für die IKS, ein Flugblatt mit dem Titel: "Für bundesweite Aktionen aller Arbeiter gegen alle Angriffe" herauszugeben. Die Gleichzeitigkeit des Widerstands bei Stahl, Kohle und im öffentlichen Dienst bietet die Möglichkeit der massiven Ausdehnung und Vereinigung des Arbeiterkampfes. Demonstrationen und Versammlungen sind dazu besonders geeignete Mittel. "Entschlossene Arbeiter müssen jetzt schon dafür eintreten, bei Diskussionen, Versammlungen, Demonstrationen das Wort ergreifen, um sich für diese Perspektive des gemeinsamen Kampfes stark zu machen. Arbeiter verschiedener Betriebe und Branchen müssen direkten Kontakt zueinander aufnehmen, um den Zusammenschluß der Kämpfe in die Wege zu leiten" (17. Nov.'87). Im Rahmen ihrer Analyse der Lage in der BRD wurde die IKS vom Ausbruch des Kampfes der Krupp-Beschäftigten dessen Ausbreitung nicht überrascht. Das oben erwähnte Flugblatt wurde vor und während des 10. Dezembers an Fabriken im Ruhrgebiet und in Köln, die unterschiedlichen Branchen von Chemie und Automobil über öffentlichen Dienst, Maschinenbau bis zur Stahlindustrie angehören, verteilt. Der 10. Dezember 1987 konnte schon im voraus zumindest als der erste Höhepunkt dieser Kampfbewegung eingeschätzt werden - der Tag, an dem sich das Schicksal der weiteren Bewegung entscheiden sollte. Auf dem Spiel stand, ob es den Arbeitern gelingen würde, der Ausdehnung des Kampfes auf andere Betriebe Schritte näher zu kommen, oder ob die Gewerkschaften trotz der massenhaften Mobilisierung dcr Arbeiter die einzelnen Bereiche voneinander isolieren könnten. In dieser Lage konzentrierte sich unsere Intervention entsprechend unserer bescheidenen Kräfte auf Punkte, wo möglichst viele Arbeiter in Versammlungen zusammenkamen - die Kundgebung  um 7 Uhr vor den Tor I von Krupp-Rheinhausen und die Belegschaftsversammlung  bei Thyssen. Ziel war es, für massive Versammlungen bzw. Demonstrationen zu werben, auf denen die Arbeiter aus verschiedenen Branchen über die Fortführung des Kampfes debattieren und entscheiden könnten, und die Isolierungsstrategie der Gewerkschaften mit ihren Straßenblockaden als Falle zu entblößen. Tatsächlich hat das gewaltsame Eindringen der Rüttger-Arbeiter bei der Thyssen-Versammlung in Duisburg-Hamborn uns mit dieser Orientierung recht gegeben. Diese Arbeiter hatten nämlich den Werkschutz beiseite gedrängt, der nur den Zutritt von Thyssen-Arbeitern zulassen wollte. Dennoch blieben solche Vorstöße auf dem halben Weg stecken, wie bei Thyssen, wo die Rüttger-Arbeiter sich letztlich der Versammlungsleitung des Betriebsrates beugten und einfach ruhig im Saal Platz nahmen, nachdem der BR selbst zu Beginn der Versammlung "betriebsfremde" Arbeiter zum Verlassen des Saales aufgefordert hatte.Dieser Tag hat sowohl die ganze Kraft und das ganze Ausmaß der Bewegung ans Licht gebracht, als auch ihre Grenzen aufgezeigt, die in den nachfolgenden Aktionen überwunden werden mußten, sollte die positive Dynamik des Kampfes nicht endgültig gebrochen werden. Die IKS brachte sofort ein weiteres Flugblatt heraus, mit dem die Lehren des 10.12. gezogen werden sollten, um so auf die weitere Entwicklung Einfluß zu nehmen. "Die Verstärkung des Kampfes liegt aber jetzt darin, die Arbeitsniederlegungen auszunutzen, um möglichst  massive Straßendemonstrationen aller Arbeiter durchzuführen, sowie öffentliche Massenkundgebungen, wo die Arbeiter selber ans Mikrophon gehen, Kampferfahrungen austauschen und gemeinsame Forderungen ausarbeiten. Aus Solidarität die Arbeit niederzulegen und bei Demos mitzumarschieren, ist ein erster Schritt, der aber als solcher nicht ausreicht. Ihm muß ein zweiter folgen: die anderen Arbeiter müssen ihre eigenen Forderungen aufstellen und selbst in den Kampf treten (Flugblatt der IKS 12.12.1988).Die Waffen des Proletariats sind sein Klassenbewußtsein und seine Organisationsfähigkeit. Das eine kann sich ohne das andere nicht entwickeln, und der Kampf selbst ist die Schule, in denen beides gelernt wird. Die Aufgabe der Revolutionäre kann also nicht nur im Aufzeigen des allgemeinen Ziels der Arbeiterkämpfe bestehen. Sie müssen darüber hinaus in der Lage sein, in den Kämpfen der Arbeiter konkret und realistisch die nächsten Schritte aufzuzeigen. Die Klarheit der Prinzipien in allen grundsätzlichen Fragen ist dabei ebenso wichtig wie die Anwendung der marxistischen Methode zur Analyse der Lage im Allgemeinen, wie von Tag zu Tag und die Entschlossenheit nicht abseits zu stehen, sondern einzugreifen und teilzunehmen am Kampf der Arbeiter. EMT (Jan. 1988).  Das unten abgedruckte Flugblatt, von Arbeitern aus Kölner Krankenhäusern herausgegeben , und vertrieben, und unter anderem bei Krupp-Rheinhausen im Dezember verteilt, zeigt konkret auf, daß es möglich ist, völlig unabhängig von  gewerkschaftlichen oder anderen staatlichen Organen, direkt die Initiative zu ergreifen und auf einen Zusammenschluß aller Arbeiter hinzuarbeiten. Leider geben die Herausgeber des Flugblatts keine Kontaktadresse an. Auf jeden Fall ist diese wie ähnliche Initiativen in anderen Ländern ein Beispiel, das Schule machen sollte.

 

Arbeiter- ergreifen selbst die Initiative

Gemeinsam können wir  mehr  erreichen Wir sind eine kleine Gruppe, die sich aus dem Personal der Kölner Krankenhäuser zusammengesetzt hat. Wir sind keiner Gewerkschaft und keiner Partei untergeordnet, sondern wir vertreten hier unsere eigene Meinung. Weshalb wir uns zu Wort melden ist, daß die Bedingungen in den Krankenhäusern für das Personal sowie für die Patienten immer unerträglicher werden. Den Anstoß für diese Stellungnahme haben uns die Beispiele aus dem Ruhrgebiet gegeben, wo Hundertausende sich gemeinsam und solidarisch gegenüber den Massenentlassungen im Bereich der Stahlindustrie und dem Bergbau gezeigt haben.Auch der öffentliche Dienst einschließlich der Krankenhäuser haben sich durch Arbeitsniederlegungen und Teilnahme an Demos daran beteiligt, wobei aber noch keine eigenen Forderungen gestellt wurden. Denn es geht nicht darum, aus Mitleid mit den Kruppianern auf die Straße zu gehen, sondern es gilt zu verstehen, daß wir alle den gleichen Angriffen ausgesetzt werden und uns auch nur gemeinsam dagegen wehren können. Das Gegenstück der Massenentlassungen in der Industrie ist im öffentlichen Dienst der Stellenabbau bzw. Einstellungsstop.Die Auswirkungen sind jeweils die gleichen: auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit; auf der anderen die Mehrbelastung der noch Übriggebliebenen. Durch die Streichung der Steuerfreibeträge für Wochenend-, Feiertags- und Nachtarbeit werden gleichermaßen der öffentliche Dienst sowie die Industrie betroffen. Durch Blüms "Reform" des Gesundheitswesens wird nicht nur das Personal der Krankenhäuser sondern die ganze Bevölkerung getroffen.Es hat sich gezeigt, daß "Vater Staat" genauso rücksichtslos und brutal mit seinen Beschäftigten umspringt wie jeder private Unternehmer. Angesichts dieser Tatsache befürworten wir, daß möglichst massive Protestaktionen und Demos zustande kommen, bei denen die Rücknahme der Massenentlassungen, der "Gesundheitsreform" usw. . verlangt wird.Wir sollten dem Beispiel des Ruhrgebiets folgen und uns ebenfalls in Köln solidarisch erklären mit der KHD (2000 Entlassungen).Dieses Schriftstück soll ein Beispiel dafür sein, daß wir auch als kleine Gruppe, ohne die Parteien, Gewerkschaften usw. selbst aktiv werden können. Wir sind keine passive Manövriermasse. Jeder kann und muss sich zu Wort melden.   

"Neue Töne der Linken zur Verteidigung des Kapitals"

Seit Jahren hat man sich daran gewöhnt, bei gewerkschaftlich orientierten Veranstaltungen zum Thema Klassen­kampf mit Schlachtrufen wie "bedingungslose Verteidigung der Gewerkschaften" (die das Kapital angeblich 'zerschlagen' will) regelrecht bombardiert zu werden. Zwar vergaßen die Linken und die Basisgewerkschafter meistens nicht, die Gewerkschaftsführung zu kritisieren. Aber wenn jemand behauptete, die Arbeiter können und müssen ihren eigenen Kampf gegen die gewerkschaftliche Sabotage selber führen, bekamen diese regelrechte Wutanfälle und blockierten jede Diskussion darüber sofort ab.Bei einer öffentlichen Großveranstaltung des basisgewerkschaftlichen Solidaritätskomitees Krupp am 12. Februar 1988 in Berlin konnte man jetzt ganz andere Töne hören. Bereits das Einführungsreferat des Sprechers des Komitees erzählte etwas über eine "neue Arbeiterbewegung", und über die Suche der Arbeiter im Ruhrgebiet im Dezember nach "neuen, wirkungsvolleren Kampfformen", die "mehr Spaß machen" als die "traditionellen, langweiligen, gewerkschaftlichen Methoden". Auch der Hauptredebeitrag des Abends, vom Krupp - Rheinhausener Betriebsratsvertreter T. Steegmann gehalten, der als direktes Ausführungsinstrument der IGM Klassenkampf-Sabotage vor Ort sogar den "Kollegen Steinkühler" in Schutz nehmen wollte, betonte vor allem die Eigeninitiative der Arbeiter während der Dezemberkämpfe.Was steckt hinter dieser neuen Tonart der "kritischen" aber unerbittlichen Verteidiger der Gewerkschaften? Sie haben ihre Rolle nicht aufgegeben; sie haben sich nicht geändert. Sie passen sich lediglich einer veränderten Situation an, damit sie ihre alte Bremserrolle des Klassenkampfes weiterspielen können. Vor Jahren haben sie voller Schadenfreude zu uns gesagt: "wartet ab, bis die Kämpfe richtig ernst werden. Dann werden die Arbeiter euch die Fresse polieren, wenn ihr immer noch vom Klassenkampf außerhalb und gegen die Gewerkschaften sprecht". Aber es ist anders gekommen. Die 'Linken' in Deutschland wissen ganz genau, dass während des Eisenbahnerstreiks in Frankreich im Dezember 1986 oder in den Kämpfen im öffentlichen Dienst in Italien im Frühjahr letzten Jahres eine enorme gewerkschaftsfeindliche Stimmung unter den Arbeitern herrschte, und dass die französischen und italienischen "Linken" vielfach ihre gewerkschaftlichen Mitgliedsbücher und Anstecknadeln wegstecken müssen, um überhaupt in die Arbeiterversammlungen reinkommen zu können. Sie wissen inzwischen auch, dass der IG-Metall Chef Steinkühler, der am 12. Dez. am Rheinhausener Bahnhof noch kritisiert wurde, erst so spät nach Rheinhausen gekommen zu sein, am 17. Februar von den versammelten Belegschaften von Krupp, Thyssen und Mannesmann in Duisburg einfach ausgepfiffen worden ist, als er die Entlassungen dort zu rechtfertigen versuchte. Kurzum, sie wissen, dass der gleiche Reifungsprozess des Arbeiterbewusstseins so wie in Frankreich oder Italien auch in der BRD Fortschritte macht und die gewerkschaftliche Kontrolle über die Kämpfe wackliger macht. GEWERKSCHAFTLICHE "SOLIDARITÄT" = GELDSAMMLUNGEN UND GRUSSBOTSCHAFTEN
Auch wenn die Basisgewerkschafter zu den "traditionellen, bürokratischen, legalistischen Methoden" der Gewerkschaften auf Distanz gehen, auch wenn linkskapitalistische Gruppen wie die stalinistische MLPD von der Initiative "der Basis" schwärmen oder der trotzkistische BSA gegen den "Verrat der IGM - Führung" Sturm läuft, sie vertreten immer noch konsequent die gleiche gewerkschaftliche Ausrichtung, die den Arbeiterkampf unweigerlich in Niederlagen führen will. Denn die Botschaft dieser Veranstaltung, von sämtlichen Podiumssprechern sowie von vielen Vertrauensleuten aus verschiedenen Berliner Betrieben lautete: Solidarität mit Krupp heißt Geld auf das Rheinhausener "Solidaritätskonto" zu überweisen, Sympathiebekundungen und -botschaften zu organisieren usw.WIRKLICHE SOLIDARITÄT HEISST SELBER DEN KAMPF AUFNEHMEN UND IHN ZUSAMMENSCHLIESSENAuch die IKS hat auf dieser Veranstaltung das Wort ergriffen, um eine ganz andere Orientierung vorzuschlagen! Solidarität heißt, selber den Kampf aufnehmen, für die eigenen Forderungen eintreten und diesen Kampf mit dem Kampf der Kruppianer sofort Branchen und Regionen übergreifend verschmelzen. Auch wenn diese Perspektive - die einzige, die genügend Kraft schöpfen kann, um das Kapital zurückzudrängen - nicht sofort im vollen Umfang realisierbar ist, riefen wir alle Anwesenden auf, selber die Initiative zu ergreifen, um diese Perspektive vorzubereiten. Anstatt Geld zu überweisen, sollte man das Geld selber nehmen, um z.B. ein Flugblatt herauszubringen, das sich für die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes aller Arbeiter stark macht. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die kämpferischen Arbeiter zusammenzuschließen, Kampfkomitees zu bilden, wo die am meisten fortgeschrittenen Arbeiter außerhalb jeder gewerkschaftlichen Bevormundung zusammenkommen.Während das Präsidium und die linken Gewerkschafter mit keinem Wort auf diesen Beitrag eingegangen sind, beweist die lebhafte Zustimmung, die es unter den mehreren Hundert Anwesenden gab, dass immer mehr Ar­beiter dabei sind, sich mit den wirklichen Lehren aus den Dezemberkämpfen auseinanderzusetzen.Es geht hier um die politische Vorbereitung der kommenden Kämpfe, damit sie weiter gehen können als die bisherigen. Gerade die Kämpfe im Ruhrgebiet im Dezember haben diesem Prozess schon Auftrieb verliehen. Aber die Berliner Großveranstaltung zeigt auf, dass die Basisgewerkschafter die Gefahren dieser Entwicklung für das kapitalistische System - die zu einer offenen Infragestellung der Gewerkschaften führen kann - voll erkannt haben. Sie machen mobil, um zu verhindern, dass die wirklichen Lehren gezogen werden.Sie stellen als die Stärken der Dezemberbewegung gerade ihre Schwächen heraus - ihr Unvermögen, über noch zu beschränkte Solidaritätsgesten hinauszugehen oder die gewerkschaftliche Kontrolle abzuschütteln, Die Geschichte und die Erfahrung aus anderen Ländern zeigen, dass der linke Flügel des Kapitals zu vielerlei "Gesichtsveränderungen" in der Lage ist, um jeweils neue Sackgassen für die Arbeiter aufzubauen. Sie können alle erdenklichen Vorschläge machen, auch z.B. "neue, von den Arbeitern selbst verwaltete Gewerkschaften" zu gründen oder zu befürworten, die Gewerkschaftsführer vor die Tür zu setzen. Ähnlich wie man bei einem Gefängnis den Direktor verjagen kann, das Gebäude bleibt aber ein Knast, auch wenn er jetzt von den Wärtern, den kleinen Basisfunktionären, selbst verwaltet wird!     Kr. (Weltrevolution Nr. 31, April 1988) 


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