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Weltrevolution - 1990s

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Die Arbeiterklasse: Eine Klasse von Immigranten

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Das Kapital kann nur überleben, indem es die Arbeiter spaltet. Für die Arbeiter ist eine der verheerendsten Spaltungen die in Na­tionen. Anstatt uns dem Kapital vereint ent­gegenzustellen, sollen wir uns mit einer Na­tion identifizieren, uns alle als "Deutsche", als "Belgier", "Franzosen" usw. auffassen. Wir sollen vergessen, daß die Ar­beiter kein Vaterland haben. Wir sollen ver­gessen, daß es dem Kapital zunächst mal selber egal ist, woher man kommt, oder wel­che Hautfarbe man hat, solange es aus uns Mehrwert, Profit rausziehen kann. Ja der Kapitalismus hat sich nur entwickeln kön­nen, weil er sich von Anfang an freien Zu­griff auf die Ar­beitskräfte verschafft hat.

DER KAPITALISMUS HAT SICH DANK DER MIGRATION VON AR­BEITSKRÄFTEN ENTWIC­KELT

Seit dem Entstehen des Kapitalismus ist die Klasse, die all die Waren, die ganzen Reichtümer dieser Gesellschaft produ­ziert, eine Arbeiterklasse gewesen, die von An­fang an international zusammengesetzt war. Ohne das Hin- und Herverschieben von Arbeitskräften hätte die herrschende Klasse, die Bourgeoisie, ihr Produktions­system, nicht entwickeln können.

So fand vom 15. Jahrhundert an, insbeson­dere in GB die "primitive Akkumulation" statt, wo die Bauern ausgebeutet, von ih­ren Besitztümern verdrängt und in die er­sten Betriebe gesteckt wurden. Oft waren sie mit Gewalt von ihren Besitztümern vertrieben und aufgrund des Hungers in die Städte getrieben worden. Überall stellten diese rui­nierten Bauern und Handwerker die ersten Migrationsarbeits­kräfte dar. Das gleiche Bild spielte sich dann in all den Ländern ab, in denen es zu einer "industriellen Revolu­tion" kam.

Und diese riesige Landflucht, die mit die­ser wilden, ungestümen Entwicklung des Ka­pitals einherging, hatte Rüc­kendeckung erhalten durch eine Reihe von blutigen Unterdrückungsmaßnahmen sei­tens des Kapitals, die an Brutalität nicht zu über­treffen waren. Es gibt eine Vielzahl von Beschreibungen dieser Phase, u.a. bei Marx in "Das Kapital" Band I und bei En­gels "Die Lage der arbeitenden Klasse in England".

So konnte z.B. in Großbritannien die herr­schende Klasse ihre Vormachtstellung ge­genüber den anderen Konkurrenten ge­rade aufgrund des Zustroms billiger Arbeits­kräfte vom Lande, mit einem ho­hen Anteil aus Irland ausbauen. Diese "Reservearmee", die größtenteils aus den irischen Einwan­derern zusammengesetzt war, ermöglichte es dem englischen Kapital, die Konkurrenz unter den Ar­beitern zu verschärfen, um größere Lohnforderungen abzublocken und allzu große Konzessionen bei den ohnehin schon schlimmen Lebensbedingungen zu vermeiden.

So war die Migration seit dem Beginn des Kapitalismus ein Teil der Lebens- und Exi­stenzbedingungen der Arbeiterklasse selber. Die Arbeiterklasse ist von ihrem Wesen her eine Klasse von Migranten, von Opfern der blutigen Zerstörung der feudalen Produkti­onsverhältnisse.

Diese Migration sollte sich Mitte des letzten Jahrhunderts über die nationalen Grenzen hinaus ausdehnen, als der Kapi­talismus an­fing, auf das Problem der Überproduktion in den großen Industrie­ballungsgebieten Westeuropas zu stoßen.

Die zyklischen Produktionskrisen, die das kapitalistische Europa Mitte des letzten Jahrhunderts erfaßten, zwangen Millionen von Proletarier dazu, Schutz zu suchen vor der Arbeitslosigkeit und dem Hunger, in­dem sie in die "neue Welt" auswanderten. Zwischen 1848 und 1914 verließen mehr als 50 Mio. europäische Arbeiter den alten Kontinent, um ihre Arbeitskräfte in den neu "entdeckten" Gebieten zu verkaufen, insbe­sondere in Amerika.

Ebenso wie es England im 16.Jahrhundert möglich gewesen war, sein kapitalistisches System dank der Migration von Arbeits­kräften zu entwickeln, bildete sich die Wirt­schaft der USA dank des großen Zu­stroms von Mio. von Arbeitskräften her­aus, die aus Europa gekommen waren (insbesondere Irland, GB, Deutschland und andere Län­der).

Bis 1890 gewann das amerikanische Ka­pital dank einer ungeheuren Ausbeutung, die von "Taylorschen" Produktionstechni­ken unter­stützt wurden, auf dem Welt­markt an Be­deutung. Nach 1890 kam es aber auch zu ei­ner Verknappung der Fel­der und Ar­beitsplätze. Die neu angekom­menen Ein­wanderer hauptsächlich aus den Mittel­meergebieten und die slawi­schen Ursprungs blieben in den Ghettos der Großstädte hän­gen und mußten sich mit viel niedrigeren Einkommen abfinden (Siehe die Romanbe­schreibungen dieser Bedingungen durch J. London, U. Sin­clair). Die Tore Amerikas fingen auch an, sich zu schließen. Als das amerikanische Kapital keine neuen Einwan­derungsarbeitskräfte mehr brauchte, er­richtete die herrschende Klasse Einwande­rungsschranken, die eine strikte Auswahl der Einwanderer vornahmen. Von 1898 an wurden die Grenzen nur noch sehr selektiv geöffnet, den asiati­schen Einwanderern wurde die Einreise ungeheuer erschwert. Man nahm nicht mehr einfach neue Ar­beitskräfte ohne Auswahl auf, sondern be­harrte auf gut ausgebildeten, die nicht krank oder auf­müpfig waren.

Gerade weil sich damals der Kapitalismus noch in seiner Ausdehnungs- und Erobe­rungsphase befand - jeder erinnert sich an die Wildwest-Filme, als die Eisenbahnen in Richtung Westküste gebaut wurden, und die Ausdehnungsmöglichkeiten unbe­grenzt er­schienen - konnte der Kapitalis­mus die Ar­beitslosigkeit in den alten In­dustriezentren wie GB, Deutschland auf­saugen, denn die Arbeitslosen konnten damals lange pro­blemlos in die USA oder in andere Gebiete ausreisen und dort Ar­beit finden.

Das Gleiche traf damals auf die Migration innerhalb Europas zu. In den großen Mi­nen im Norden Frankreichs oder im Ruhrgebiet kamen die Bergleute aus allen möglichen Gegenden Europas: aus Polen, Deutschland selber, Italien usw.

Wenn also heute die Herrschenden uns dazu auffordern, wir sollten uns mit unse­rer je­weiligen Nation identifizieren, diese vertei­digen, dann ist dies eine große Falle. Denn die ganze Entwicklung des Kapita­lismus sel­ber ist von Anfang an die einer internatio­nalen Ausdehnung, und einer internationa­len Zusammensetzung und Mobilität, freien Verfügbarkeit der Ar­beitskräfte im Inter­esse des Kapitals ge­wesen. Es hat Arbeits­kräfte aus allen möglichen Teilen der Erde in die Zwangsjacke der Lohnarbeit gesteckt und somit für alle Arbeiter - weltweit - die gleichen Interessen geschaffen.

Die Klasse, die für die Kapitalisten den Mehrwert schafft, ist also seit ihrem Beste­hen eine zutiefst internationale Klasse. Des­halb hoben Marx und Engels schon im Kommunistischen Manifest, das 1848 ge­schrieben wurde, hervor: Die Ar­beiter sind an keine Nation gebunden, sie haben kein Vaterland.

Aber auch für das Kapital selber ist es das wichtigste Bedürfnis, daß seine Waren in je­der Hinsicht mobil sind. Es muß überall verkaufen, überall erwerben können. Und dies gilt insbesondere für sein Bedürfnis der Arbeitskraft, die ja im Kapitalismus nur eine Ware wie jede andere ist. "Das Kapital kann ohne die Produktionsmittel und die Arbeits­kräfte des gesamten Erdballs nicht aus­kommen, zur ungehinderten Ent­faltung sei­ner Akkumulationsbewegung braucht es die Naturschätze und die Ar­beitskräfte aller Erdstriche" (Rosa Luxem­burg, "Die Akku­mulation des Kapitals").

Als sich aber das kapitalistische System Anfang dieses Jahrhunderts über den gan­zen Erdball ausgedehnt hatte, das System an seine Grenzen gestoßen, der Welt­markt ge­sättigt war, der Kapitalismus in seine Nie­dergangsphase (Dekadenz) ein­trat, bedeu­tete dies, daß seitdem dieses System nur noch durch den Zyklus von Krise - Krieg - Wiederaufbau - Krise ... überlebt hat.

Für die Arbeiterklasse hatte dies schwer­wiegende Konsequenzen, weil der Bedarf des Kapitals an der Ware Arbeitskraft sich grundlegend geändert hat.

- Während das System im vorigen Jahrhun­dert gigantische Massen von Ar­beitskräften aus der Bauernschaft und dem Handwer­kertum kommend in die Produktion inte­grierte, oder sie in "die neue Welt" emigrie­ren konnten, um dort Arbeit und Brot zu finden, ist es nun nicht mehr dazu in der Lage. Die weltweite Überproduktion hat den Bedarf des Ka­pitals an Arbeitskräften schrumpfen las­sen. Nur in Wiederaufbau­zeiten nach dem Krieg saugt es noch große Massen auf - wohlgemerkt nachdem zuvor gewaltige Menschenmassen umgebracht und ver­heerende Zerstörungen angerichtet wur­den. Ist der Wiederaufbau zu Ende, taucht das Gespenst der Massenarbeitslosigkeit wieder auf, dann ist Schluß mit den "offenen Grenzen". Überall versucht man die Gren­zen dicht zu machen - natürlich nicht für die spekulierenden Dollars oder die Drogengel­der, die überall zirkulieren, sondern für die Ware Arbeitskraft.

- Der Anteil der Arbeiter an der Gesamtbe­völkerung, der im vorigen Jahr­hundert noch gestiegen war, ist seitdem rückläufig. Nicht nur nimmt die Weltbe­völkerung rapide zu. Das System ist vor allem immer weniger dazu in der Lage, neue, zusätzliche Ar­beitsplätze in produk­tiven Bereichen zu schaffen. Immer weni­ger Arbeiter liefern heute die Produkte für immer mehr Men­schen.

Hinzu kommen weitere Faktoren:

- der wirtschaftliche Konkurrenzkampf zwingt zu immer größeren Rationalisierun­gen (Arbeitskräftefreisetzungen) und vor al­lem in Rezessionen zu Entlassungen, wo­durch die Zahl der Arbeitslosen gewaltig ansteigt (allein in den Industriestaaten der OECD über 25 Mio.). Aber wenn es nur bei den Arbeitslosen infolge der Krise bliebe. Nein, hinzukommt, daß durch die unzähli­gen Kriege (der Krieg ist zur Überlebens­form des Kapitalismus gewor­den) Hunderte von Millionen von Men­schen zu Flüchtlin­gen werden, deren Zahl durch die Hungers­nöte, Epidemien, Öko­katastrophen nur noch vergrößert wird.

Immer mehr Menschen werden durch den Mechanismus der Zerstörung (Kapitalvernichtung in Krisen, Betriebsstil­legungen usw.) aus der Pro­duktion heraus­geschmissen und vegetie­ren außerhalb der Produktion. Und je nach Teil der Erde wer­den sie verjagt durch Kriege und vagabun­dieren als Bettler und Bauchladenverkäufer.

Kurzum, die wirtschaftliche Entwicklung ist seitdem derart blockiert, daß eine Integra­tion dieser riesigen Bevölkerungs­massen in eine Industrie heute nicht mehr möglich ist. Flüchtlingswellen von Dut­zenden von Mio. von Menschen sind zu einer Alltagserschei­nung im dekadenten Kapitalismus gewor­den. Die Tatsache, daß es heute überall diese Riesenstädte wie Mexiko, Sao Paulo, Kairo usw. gibt, in denen die Menschen in den unmöglichsten Bedingungen hausen, ohne Aussicht auf das Hervorsprießen einer neuen Indu­strialisierung mit entsprechen­dem Ar­beitskräftebedarf, zeigt, daß diese Gesell­schaft total in der Sackgasse steckt.

DIE LÖSUNGEN DES KAPITALISMUS

In der Tat vermag der Kapitalismus die Ar­mee der Arbeitslosen und Flüchtlingsheer­scharen überhaupt nicht in die Produktion aufzusaugen. Nur verhei­zen kann er sie in Kriegen und Massakern, gigantische Zer­störungen anrichten, um später große Men­schenmassen im Wie­deraufbau zu benöti­gen... so geschehen nach der Krise von 1929 und dem 2. Welt­krieg. Aber heute gibt es keine Aus­sichten, all diese hungernden, ar­beits- und wohnungslosen, deshalb oft flüchtenden Menschenmassen in die Pro­duktion zu integrieren. Bürgerliche Politiker rufen dazu auf, man müsse die Verhältnisse vor Ort verbessern, damit diese Menschen nicht mehr zu flüchten bräuchten. Stimmt! Nur, warum geschieht dies nicht? Ob das wohl all die Waffenhändler gehört haben, die als Profiteure an dieser Kriegswirt­schaft für das Verjagen von so vielen Menschen verantwortlich sind? Und wie verhält es sich mit der Konkurrenz? Die Konkurrenzver­hältnisse sind doch heute so, daß keiner der großen Industriegigan­ten, die sich wegen der gesättigten Märkte heute schon an die Kehle kriegen, das Entstehen von neuen, zusätzlichen Pro­duktionseinheiten, die auf die Märkte der Industrieländer dringen würden, akzeptie­ren könnte. Nein, die wirt­schaftliche Ent­wicklung dieser Länder ist im Kapitalis­mus vollständig in Fesseln gelegt, die in diesen kapitalistischen Verhält­nissen nicht abgelegt werden können. Des­halb werden die Menschen von dort immer weiter flüchten.

Und die andere Lösung, die von einigen die­ser scheinheiligen Humanisten vorgeschla­gen wird? Grenzen auf für alle? Nun, das jeweilige nationale Kapital wird sich mit al­ler Kraft dagegen stemmen, denn der unge­hemmte Zustrom der Opfer der kapitalisti­schen Verhältnisse würde die hiesigen Stra­ßen bald so aussehen las­sen wie die von Calcutta und Marrakesch: Bettler, campie­rende Flüchtlinge auf Frankfurts Zeil in nie gekanntem Ausmaß. Unkontrollierbare Zu­stände!

Und Grenzen dicht? Solange die Men­schen wegen der unerträglichen Verhält­nisse in die Flucht getrieben werden, wird auch keine noch so hohe und stark befe­stigte Grenze die Flüchtlinge davon ab­halten, zu versuchen, ihrer Misere zu ent­kommen. Auch wenn eine "moderne" Grenzbefesti­gung wie an der US-texani­schen Grenze, die GSG 9, oder ein Gra­ben mit Krokodilen er­richtet, und alle möglichen Monster an den Grenzen sta­tioniert würden - die Flucht der Elendigen ließe sich nicht aufhalten, weil dieses Sy­stem immer mehr Elend hervor­bringt.

Es gibt eben keine Lösung für die Misere, die Kriegsopfer, die Arbeitslosigkeit inner­halb dieses Systems - da sie allemal die reinrassigen Produkte dieses Systems selber sind. Deshalb muß man die Ursa­chen dieser Geschwüre selber ausmerzen. Und das heißt: das Befreien der Mensch­heit aus den Fesseln der kapitalistischen Verhältnisse überhaupt.

D. Khan (9.11.91)


WR 36





Die Fähigkeit der herrschenden Klasse, die Wirklich­keit zu entstellen, scheint unerschöpflich zu sein. Kaum daß sie gezwungen sind, mit der Aufschwungspropa­ganda lei­ser zu treten und das Vorhandensein von Mas­senarmut und Wohnungsnot zuzugeben, da stürzen sie sich auf einen anderen, ebenso unübersehbaren Ausdruck des ka­pitalistischen Elends - die Aussiedler- und Asylanten­frage -, um den deutschen Arbeitern doch noch zu bewei­sen, wie gut sie es eigentlich haben. 'Der Spiegel' etwa prägte das Schlagwort "Traumland Bundes­republik". Die ganze verelendete Welt möchte bei uns wohnen, um an "unserem Wohlstand" beteiligt zu sein, heißt es. Also doch noch eine Bonner Schlaraffenrepu­blik?

Das grausame Schicksal der hier ankommenden Asylsu­chenden, ebenso wie die Tatsache, daß es für einige hunderttausende Aussiedler keinen Platz im 'Wirtschafts­wunderland' mehr gibt, beweisen ganz im Gegenteil, wie tief gerade die führenden Industrie­staaten in der Krise stecken.

AUSSIEDLER : KEIN PLATZ MEHR IM GOLDENEN WESTEN

Der herrschenden Klasse des "Traumlandes BRD" entgeht heute keine Gelegenheit, um den Aussiedlern klarzuma­chen, daß sie im Westen nicht mehr erwünscht sind. Die Ausreise aus dem Osten bzw. die Einreise im Westen soll erschwert werden. Die hier angebotenen sozialen Leistungen und Starthilfen sollen gekürzt werden. In den Massenmedien werden sie für die Massenarbeitslo­sigkeit und die Wohnmisere mit verantwortlich gemacht.

Wahrhaftig eine politische Kehrtwendung um 180ø. Seit dem 2. Weltkrieg gehörte die unbegrenzte Aufnahme von Deutschstämmigen aus dem Osten ununterbrochen zur Po­litik der Bundesrepublik. Bis vor kurzem bezahlte Bonn beispielsweise 10.000 DM pro Kopf an die rumänische Regierung, um einen Deutschstämmigen loszukaufen. Seit Jahrzehnten fordern die Westmächte pausenlos "freie Ausreisemöglichkeit für jeden Bürger" gegenüber dem Osten.

Heute dagegen werden Absprachen mit dem östlichen Staatskapitalismus getroffen, damit die Ausreisewilli­gen es schwerer haben, das Land zu verlassen. Der Grund für diese neue Haltung liegt darin, daß auf dem Hintergrund der internationalen Wirtschaftskrise auch das tief in der Krise steckende westdeutsche Kapital mittlerweile absolut unfähig ist, ein paar Millionen Menschen aus dem Osten aufzunehmen. Die 300.000, die z. Zt. jährlich rüberkommen, werden in Baracken, Zelte und Obdachlosenheime, in Container und Rheinschiffe gesteckt. 90.000 Aussiedler sind arbeitslos; Zehntau­sende mehr erwartet das gleiche Schicksal nach Ab­schluß ihres einjährigen Sprachkurses. Der Anteil der Aus- und Umsiedler unter den Obdachlosen der Groß­städte ist weit überproportional hoch.

Nach dem Krieg, als die BRD noch kein "Traumland" war, sondern ein Trümmerhaufen, kamen 16 Mio. Menschen aus dem Osten herüber. Trotzdem herrschte bald Arbeits­kräftemangel. Zig Millionen Ausbeutungsobjekte mußten aus dem Mittelmeerraum herangeholt werden. Nach dem Zustrom der "Flüchtlinge" aus dem Osten setzte der Zu­strom von Millionen von "Gastarbeitern" aus Italien, Spanien, der Türkei, Jugoslawien usw. ein. Als 1961 die Berliner Mauer errichtet wurde, protestierten die bundesdeutschen Arbeitgeberverbände lautstark da­gegen, daß ihnen damit eine wichtige Quelle billiger Arbeits­kräfte verloren ging. Die Krise hatte noch nicht ihren Einzug gehalten, der Wiederaufbau nach dem Krieg lief noch auf Hochtouren.

Heute dagegen ist auch das mächtigste nationale Kapi­tal Westeuropas nicht mal mehr in der Lage, die "Ost­arbeiter" profitabel auszubeuten. Sie kommen in eine Wirtschaft hinein, die jetzt schon nicht in der Lage ist, vielen Millionen Arbeitern eine Stelle zu geben. Wenn der hohe Aussiedlerzustrom ein Gradmesser der Wirtschaftsmisere im Osten ist, ist die Misere, in welche die Aussiedler hier weiter reinfallen, ein Zei­chen der Tiefe der Krise im Westen. Die Illusionen über den Goldenen Westen zerbröckeln. Das "Traumland" BRD wird zum Alptraum.

Bei einer Arbeitslosigkeit, die selbst nach den offi­ziellen Zahlen seit 8 Jahren die 2 Mio. Grenze nicht mehr unterschritten hat, braucht das westdeutsche Ka­pital die Ostarbeiter nicht mal mehr, um das allge­meine Lohnniveau nach unten zu drücken. Die Aussiedler ("unsere lieben Landsleute" - Kohl) stellen für das Kapital vielmehr eine riesige finanzielle Belastung dar - für den Staatshaushalt und für die Nürnberger Kassen. Und, indem sie das Heer der Arbeitslosen, die Armut der Arbeiter, der Wohnungssuchenden vergrößern, gefährden sie den jedem Kapitalisten teuren "sozialen Frieden". Auch wenn sie heute die Möglichkeit, Aus­siedler und einheimische Arbeiter gegeneinander auszu­spielen, um die Arbeiterklasse zu dividieren, voll ausschlachten: was die Herrschenden vor allem befürch­ten, ist eine durch die Aussiedler bedingte wei­tere Vergrößerung des Arbeitslosenheeres, und daß dies zu einer Verschärfung der Klassengegensätze führen könnte.

Die Hetze über die Privilegien der Aussiedler, die Maßnahmen, um ihren "Zustrom" zu drosseln, werden da­mit gerechtfertigt, daß man "das arme Drittel der Wohnstandsgesellschaft" (Lafontaine) vor zu viel Kon­kurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt schützen will. Sie wollen als unsere "Beschützer" anerkannt werden, obwohl gerade sie unsere sämtlichen Soziallei­stungen, für Hunderttausende selbst den Arbeitsplatz gekürzt, bzw. weggenommen haben. Sämtliche Parteien, die für die Multimillionäre dieser Gesellschaft spre­chen, wollen für Gerechtigkeit sorgen, indem sie die angeblichen Privilegien der Aussiedler wegnehmen.


Nein, nicht die Aussiedler, sondern das Kapital ge­nießt sämtliche Privilegien dieser Gesellschaft. Nicht die Aussiedler, das Kapital ist der wirkliche Feind der Arbeiterklasse.

ASYLANTEN: ALPTRAUMLAND BRD

Da die Aussiedler immerhin Deutsche sein sollen, müs­sen die Asylanten als Hauptsündenbock der derzeitigen bürgerlichen Überfremdungspanik herhalten. Hiernach besteht fast die gesamte Welt ausschließlich aus Men­schen, die in die BRD übersiedeln wollen. Kommt auch nur ein Bruchteil davon hierhin, wird München so über­völkert sein wie Kalkutta, und der deutsche Lebens­standard auf das Niveau von Bangladesh herabgedrückt.

Schlimmer noch: wir sollen dieser Überfremdungswelle sogar hilflos ausgeliefert sein. Unsere "demokra­tische Verfassung" gewährt angeblich jedermann poli­tisches Asyl, der darum bittet. Das Ende vom Lied: das Traumland BRD ist von Außen durch eine neue Sintflut der Verdammten dieser Erde bedroht. "Unser Wohlstand" ist gefährdet, der wirkliche Feind ist nicht das Kapi­tal, sondern der Asylant und Wirtschaftsflüchtling. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Tatsache ist, daß der Löwenanteil der vielen Millionen Menschen, die vor Hungerstod, Krieg, Folter und Katastrophen auf der Flucht sind, nicht mal über die finanziellen oder Transportmittel verfügen, um nicht ständig zwischen irgendwelchen Kriegsfronten in ihrer sog. Heimat zu geraten.

Glatt gelogen ist die auf Panikmache und Angsteinjage­rei ausgerichtete Behauptung, der moderne, mit Compu­tern und Abhorchsatelliten ausgerüstete Polizeistaat wache und bestimme nicht darüber, wer die kapi­talistischen Grenzen überquert. Das humanitäre Gefasel über Asylrecht dient dazu, die Tatsache zu verschlei­ern, daß die Anzahl der reingelassenen Flüchtlinge in er­ster Linie vom Bedarf der kapitalistischen Wirt­schaft hierzulande an extrem billigen Arbeitskräften bestimmt wird.

Die Anzahl der Aufgenommenen wird genau bestimmt; die Aufnahmebedingungen je nach Bedarf entweder erleich­tert (z.B. die Geduldung von bereits abgelehnten An­tragstellern) oder erschwert (schnelleres Abschieben, erschwerte Visumerteilung in den "Ausreiseländern" usw).

Indem der Staat die Asylsuchenden mit oft langjährigen Arbeitsverboten belegt und fast ohne Geldmittel läßt, zwingt er sie, für 3,- DM die Stunde ohne Kranken- und Sozialversicherung in der illegalen "Wirtschaft" zu arbeiten, die heute bis 10% des BSP der BRD herstellt (Baubranche, Zulieferindustrien, usw.). Durch die Asylanten kann die BRD Wirtschaft in manchen Sektoren mit den Billig-Lohnländern wieder konkurrieren.

Im 2. Weltkrieg wurden Millionen von Ostarbeitern nach Deutschland verschleppt und dort zu Tode gearbeitet. Wer nicht mehr konnte oder wollte, wurde erschossen. Heute aber - im Traumland BRD - droht jedem der sog. geduldeten Asylsuchenden täglich die Todesstrafe, falls er sich gegen das Diktat des Kapitals auflehnt. Da wir aber heute in einer "Demokratie" leben, wird das Todesurteil nicht hier vollstreckt. Die Abgescho­benen werden einfach der sie verfolgenden Heimatregie­rung aus­geliefert. Der Terror gegen die NS-Zwangsar­beiter fand in einer Ausnahmesituation statt - nämlich während des 2. Weltkrieges. Heute dagegen, ist die Barbarei zum Alltag geworden. Das ist das Traumland, das ist der Wohlstand, den wir verteidigen sollen? Diese terrori­sierten Arbeiter, unsere Klassenbrüder und Schwestern sollen unsere Feinde sein?

Nein, das grausame Schicksal der Aussiedler und Asylanten ist heute das Schicksal der gesamten Arbei­terklasse. Mit ihren infamen rassistischen Spaltungs­kampagnen zeigen die Bürgerlichen in Wirklichkeit das barbarische Wesen ihres Systems, das sie eigentlich vertuschen wollen. Wir können nur Feindschaft empfin­den gegenüber dem Kapital.

Arbeiter: Wir lassen uns nicht in "Deutsche", "Gastar­beiter", "Aussiedler", "Umsiedler", "Asylanten" auf­spalten. Wenn wir uns gegeneinander aufhetzen lassen wegen der angeblichen Privilegien anderer Arbeiter, die genauso unter dem Joch des Kapitals leiden wie wir, werden wir gespalten der Barbarei dieses Systems hilflos ausgeliefert sein.

Blücher


In der nächsten WR:

- nicht die Zuwanderer bringen die Krise hervor, son­dern umgekehrt;

- Arbeiteremigration: nicht mehr die Folge kapitali­stischer Expansion, sondern kapitalistischer Barbarei.

Weltrevolution - 1992

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Weltrevolution Nr. 52

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Sozialdemokratie und Kommunismus - von Anton Pannekoek

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Während die Herrschenden gerne so tun, als ob die Arbeiterbewegung längst Schiffbruch erlitten habe und sie der Vergangenheit angehöre, nur um die Geschichte der Arbeiterbewegung zu verzerren und auf den Kopf zu stellen, wenn sie nicht gar ganz zu verschweigen, wollen wir uns hier in unserer Zeitung um eine Darstellung der wirklichen Geschichte der Arbeiterbewegung bemühen. Nachfolgend veröffentlichen wir einen Beitrag aus dem Jahre 1920 von Anton Pannekoek, der den Werdegang der Arbeiterbewegung im vorigen Jahrhundert bis 1918/1919 aufrollt.

SOZIALDEMOKRATIE UND KOMMUNISMUS

DER WERDEGANG DER ARBEITERBEWEGUNG

Der Weltkrieg hat nicht nur eine gewaltige Umwälzung aller wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse gebracht: er hat auch den Sozialismus völlig umgewandelt. Wer mit der deutschen Sozialdemokratie aufgewachsen ist und sich in ihren Reihen an dem Kampf der Arbeiterklasse beteiligte, steht oft verwirrt den neuen Erscheinungen gegenüber und fragt sich, ob denn alles, was er bisher gelernt und getätigt hat, falsch war und weshalb er umlernen und einer neuen Lehre folgten soll. Die Antwort ist: es war nicht falsch, aber es war eine unvollkommene, zeitweilige Wahrheit. Der Sozialismus ist nicht eine feste unveränderliche Lehre. Mit der Entwicklung der Welt wächst die Einsicht der Menschen und mit den neuen Verhältnissen kommen neue Methoden zur Erreichung unseres Ziels auf. Das zeigt sich schon bei einem kurzen Überblick über die Entwicklung des Sozialismus im letzten Jahrhundert.

Am Anfang des 19. Jahrhunderts herrschte der utopische Sozialismus. Weitblickende Denker mit klarem Empfinden für die Unerträglichkeiten des Kapitalismus arbeiteten Entwürfe für eine bessere Gesellschaft aus, in der die Arbeit genossenschaftlich organisiert sein sollte. Ein Wendepunkt trat ein, als Marx und Engels 1847 das kommunistische Manifest herausgaben. Hier treten zuerst die Hauptpunkte des späteren Sozialismus klar hervor: aus dem Kapitalismus selbst wird die Kraft zur Umwandlung in eine sozialistische Gesellschaft herauswachsen: diese Kraft ist der Klassenkampf des Proletariats. Die armen, verachteten, unwissenden Arbeiter werden die Träger dieser Umwälzung sein, indem sie den Kampf gegen die Bourgeoisie aufnehmen, dadurch Kraft und Fähigkeit erwerben und sich als Klasse organisieren: durch eine Revolution wird das Proletariat die politische Herrschaft erobern und die wirtschaftliche Umwälzung durchführen.

Hervorzuheben ist dabei, daß Marx und Engels ihr Ziel nicht Sozialismus und sich selbst nicht Sozialisten nennen. Engels hat das nachher erklärt: zu jener Zeit wurden mit dem Namen Sozialismus verschiedene Richtungen der Bourgeoisie bezeichnet, die aus Mitleid mit dem Proletariat oder aus anderen Gründen, die kapitalistische Ordnung umändern wollten: oft waren ihre Ziele reaktionär. Der Kommunismus dagegen war eine proletarische Bewegung. Kommunisten hießen die Arbeitergruppen, die das System des Kapitalismus bekämpften. Von dem Kommunistischen Arbeiterbund ging das Manifest aus, das dem Proletariat Ziel und Richtung seines Kampfes wies.

Das Jahr 1848 brachte die bürgerlichen Revolutionen, die dem Kapitalismus den Weg in Mitteleuropa bahnten und damit auch die Umwandlung der überlieferten Kleinstaaterei in kräftige Nationalstaaten vorbereitete. Die Industrie entwickelte sich in den 50er und 60er Jahren in einem gewaltigen Tempo und in dieser Prosperität versank alle revolutionäre Bewegung so gründlich, daß sogar der Name des Kommunismus vergessen wurde. Als dann in den 60er Jahren aus diesem breiteren Kapitalismus die Arbeiterbewegung wieder emporkam, in England, Frankreich und Deutschland, hatte sie zwar einen viel breiteren Boden als die früheren kommunistischen Sekten, aber ihre Ziele waren viel begrenzter und bescheidener: Verbesserung der unmittelbaren Lage, Gewerkschaften, demokratische Reformen. In Deutschland entfaltete Lassalle eine Agitation für Produktionsgenossenschaften mit Staatshilfe: der Staat sollte sich seiner sozialen Aufgaben zugunsten der Arbeiterklasse bewußt werden, und um ihn dazu zu zwingen, sollte die Demokratie, die Herrschaft der Massen über den Staat dienen. So wird es verständlich, daß die von Lassalle begründete Partei sich den bescheidenen Namen Sozialdemokratie zulegte: in diesem Namen wird zum Ausdruck gebracht, daß das Ziel der Partei die Demokratie mit sozialem Zweck war.

Aber allmählich wuchs die Partei über diese engen ersten Ziele hinaus. Die stürmische kapitalistische Entwicklung Deutschlands, die Kriege zur Gründung des deutschen Reiches, das Bündnis von Bourgeoisie und junkerlichem Militarismus, das Sozialistengesetz, die reaktionäre Zoll- und Steuerpolitik, trieben die Arbeiterschaft in einen scharfen Klassenkampf hinein und machten sie zur Führerin in der europäischen Arbeiterbewegung, die ihren Namen und ihre Losungen übernahm. Die Praxis schärfte ihren Geist zum Verständnis der Marx'schen Lehren, die vor allem von Kautsky in zahlreichen Popularisierungen und Anwendungen den Sozialisten zugänglich gemacht wurden. Und so wurden die Prinzipien und Ziele des alten Kommunismus: das kommunistische Manifest von ihr als ihre Programmschrift, der Marxismus als ihre Theorie, der Klassenkampf als ihre Taktik, die Eroberung der politischen Herrschaft durch das Proletariat, die soziale Revolution als ihr Ziel anerkannt.

Dennoch war ein Unterschied vorhanden: der Charakter des neuen Marxismus, der Geist der ganzen Bewegung war anders als der alte Kommunismus. Die Sozialdemokratie wuchs empor inmitten einer kräftigen kapitalistischen Entwicklung. An einen gewaltsamen Umsturz war vorerst nicht zu denken. Deshalb verlegte man die Revolution auf die ferne Zukunft und stellte sich mit Propaganda und Organisation zu deren Vorbereitung und mit dem Kampfe für unmittelbare Verbesserungen zufrieden. Die Theorie betonte, daß die Revolution als Folge der wirtschaftlichen Entwicklung notwendig kommen müsse, und vergaß dabei, daß die Aktion, die spontane Tätigkeit der Massen zu ihrem Kommen notwendig sei. So wurde sie zu einer Art ökonomischer Fatalismus. Die Sozialdemokratie und die nachher emporkommenden Gewerkschaften wurden zu einem Glied der kapitalistischen Gesellschaft: sie verkörperten darin den wachsenden Widerstand und die Opposition der Arbeitermassen, und sie waren das Organ, das die völlige Verelendung der Massen durch den Druck des Kapitals verhinderten. Durch das allgemeine Wahlrecht wuchsen sie zu einer starken Opposition innerhalb des bürgerlichen Parlaments empor. Ihr Grundcharakter war, trotz der Theorie reformistisch auf das Unmittelbare, Kleine gerichtet, statt revolutionär: und die Grundursache dafür lag in der kapitalistischen Prosperität, die den proletarischen Massen eine gewisse Lebenssicherheit gab und keine wirklich revolutionäre Stimmung aufkommen ließ.

In dem letzten Jahrzehnt verstärkten sich diese Tendenzen. Die Arbeiterbewegung hatte nahezu erreicht, was unter diesen Umständen erreichbar war: sie war zu einem mächtigen Parteigebilde ausgewachsen, das eine Million Mitglieder und ein Drittel aller Wählerstimmen umfaßte, und neben ihr stand eine Gewerkschaftsbewegung, die den Hauptteil der organisierungsfähigen Arbeiter in sich aufgenommen hatte. Sie stieß jetzt ihr Haupt gegen eine mächtigere Schranke, gegen die sie mit den altbewährten Mitteln nicht aufkommen konnte: die starken Organisationen des Großkapitals in Syndikaten, Unternehmerverbänden und Interessengemeinschaften, sowie die von Finanzkapital, schwerer Industrie und Militarismus geführte Politik des Imperialismus, die größtenteils außerhalb des Parlaments geleitet wurde. Zu einer völligen Umwandlung und Erneuerung der Taktik war aber diese Arbeiterbewegung nicht fähig, die mächtigen Organisationen waren einmal da, sie waren Selbstzweck geworden und wollten sich behaupten. Träger dieser Tendenz war die Bürokratie, dies zahlreiche Heer der Beamten, Führer, Parlamentarier, Sekretäre, Redakteure, die eine eigene Gruppe mit eigenen Interessen bildeten. Unter ihren Händen war allmählich das Ziel, unter Beibehaltung der alten Namen, ein anderes geworden. Eroberung der politischen Herrschaft durch das Proletariat war für sie Eroberung der Mehrheit durch ihre Partei, Ersetzung der regierenden Politiker und der Staatsbürokratie durch sie, die sozialdemokratischen Politiker und die Partei- und Gewerkschaftsbürokratie. Neue Gesetze zugunsten des Proletariats, die sie dann erlassen würden, sollten den Sozialismus verwirklichen. Und diese Auffassung herrschte nicht nur bei den Revisionisten, auch Kautsky, der theoretische Politiker der Radikalen, erklärte in einer Diskussion, daß die Sozialdemokratie den Staat mit all seinen Organen und Ministerien erhalten und bloß andere Leute, Sozialdemokraten, an die Stelle der damaligen Minister einsetzen wollte.

Der Weltkrieg brachte auch die Krise innerhalb der Arbeiterbewegung. Die Sozialdemokratie stellte sich unter die Losung der "Vaterlandsverteidigung" überall in den Dienst des Imperialismus: die Partei- und Gewerkschaftsbürokratie arbeiteten Hand in Hand mit der Staatsbürokratie und dem Unternehmertum, die Arbeiter zu zwingen, Kraft, Blut und Leben bis zum äußersten herzugeben. Es war der Zusammenbruch der Sozialdemokratie als Partei der proletarischen Revolution. Nun kam, trotz der scharfen Unterdrückung in allen Ländern die Opposition allmählich empor und erhob aufs Neue die alte Fahne des Klassenkampfes, des Marxismus und der Revolution. Unter welchem Namen sollte sie kämpfen? Sie könnte sich mit Recht auf die alten Losungen der Sozialdemokratie berufen, die die sozialdemokratischen Parteien im Stich gelassen hatten. Aber der Name "Sozialist" war jetzt bedeutungslos und kraftlos geworden, da praktisch der Unterschied zwischen Sozialisten und Bürgerlichen völlig verschwunden war. Um den Klassenkampf zu führen, mußte zuerst und in schärfster Weise der Kampf gegen die Sozialdemokratie geführt werden, die das Proletariat in den Abgrund des Elends, der Unterwürfigkeit, des Krieges, der Vernichtung, der Machtlosigkeit gestürzt hatte. Konnten die neuen Kämpfer diesen geschändeten, entehrten Namen annehmen? Ein neuer Name war notwendig und welcher Name war da mehr geeignet als der alte ursprüngliche der ersten Träger des Klassenkampfes? In allen Ländern springt derselbe Gedanke auf, wieder den Namen Kommunismus anzunehmen.

Wieder, wie zu Marx' Zeiten stehen sich der Kommunismus als proletarisch-revolutionäre und der Sozialismus als bürgerlich-reformistische Richtung gegenüber. Und der neue Kommunismus ist nicht einfach eine Neuauflage der Lehre der radikalen Sozialdemokratie. Aus der Weltkrise hat er neue Einsichten gewonnen, die ihn weit über jene alte Lehre hinausheben. Den Unterschied dieser Lehre wollen wir jetzt betrachten.

 

Was ist der Unterschied zwischen der proletarischen und bürgerlichen Revolution? Wie kann die Arbeiterklasse die Macht ergreifen? Darf sie ihre Macht an irgendeine Partei "delegieren"? Welche Rolle spielen die Massenaktionen der Arbeiter und welche massive Entwicklung des Bewußtseins ist für diese Revolution notwendig?

Im nachfolgenden veröffentlichen wir den 2. Teil eines Artikels aus dem Jahre 1920 von A. Pannekoek, wo er die Auffassungen der Sozialdemokratie von der Revolution verwirft und die Position der Kommunisten aufzeigt. Auch wenn Pannekoek nicht näher auf den eigentlichen Hintergrund der Entwicklung eingeht, nämlich den Wechsel vom aufsteigenden zum niedergehenden Kapitalismus, halten wir es dennoch für wichtig, diesen Text unverändert, aber leicht gekürzt zu veröffentlichen. Diese "Vernachlässigung" ist z.T. darauf zurückzuführen, daß der Text 1920 geschrieben wurde, als die Diskussion um die tiefergehenden theoretischen Ursachen wegen der aktuellen Ereignisse damals in den Hintergrund gedrängt wurde. Ungeachtet dieser Schwäche liefert der Artikel einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung.

 

MASSENAKTION UND REVOLUTION

Der Gegensatz zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie trat auch schon vor dem Kriege, wenn auch nicht unter diesem Namen auf. Er betraf damals die Taktik des Kampfes. Unter dem Namen "Linksradikale" trat damals in der Sozialdemokratie eine Opposition hervor (aus ihr stammen die älteren der heutigen Kommunisten), die gegenüber den Radikalen und den Revisionisten die Notwendigkeit der Massenaktion verfocht. In diesem Streite war es vor allem, in dem die radikalen Wortführer, namentlich Kautsky, den revolutionsfeindlichen Charakter ihrer Anschauungen und ihrer Taktik hervortreten lassen mußten.

Der parlamentarische und der gewerkschaftliche Kampf hatten unter dem kräftig emporstrebenden Kapitalismus den Arbeitern einige Verbesserungen ihrer Lebensverhältnisse gebracht und zugleich einen kräftigen Damm gegen die nie ruhenden Verelendungstendenzen des Kapitalismus gebaut. Aber in dem letzten Jahrzehnt gab dieser Damm trotz der stark wachsenden Organisation allmählich nach: der Imperialismus stärkte die Macht des Unternehmertums und des Militarismus, schwächte das Parlament, trieb die Gewerkschaften in die Defensive und bereitete den Weltkrieg vor. Es wurde klar, daß die alten Kampfmethoden nicht mehr ausreichten. Instinktiv empfanden das die Massen: in allen Ländern sieht man sie in Aktionen losbrechen, oft gegen den Willen ihrer Führer, bald in riesigen gewerkschaftlichen Kämpfen, bald in Verkehrsstreiks, die die Wirtschaft lähmen, bald in Demonstrationen politischen Charakters. Oft erschüttert der Ausbruch proletarischer Empörung und proletarischer Kraft die Selbstsicherheit der Bourgeoisie in solchem Maße, daß sie Zugeständnisse macht; oft auch werden die Bewegungen durch Metzeleien erstickt. Die sozialdemokratischen Führer suchen diese Aktionen auch für ihre politischen Ziele zu benutzen; sie erkennen die Nützlichkeit politischer Streiks für bestimmte Ziele an, bloß unter der Bedingung, daß sie sich innerhalb der vorgeschriebenen Schranken halten, auf Geheiß der Führer begonnen und abgebrochen werden, und jedenfalls der offiziellen Taktik dieser Führer untergeordnet bleiben. So werden sie bisweilen auch angewandt; aber meist ohne viel Resultat. Die stürmische Gewalt des Elementarausbruchs der Massen wird durch die Politik der Kompromisse, der er dienen soll, gelähmt. Was die herrschende Bourgeoisie sonst mit Furcht schlägt: die Unsicherheit, wie weit sich die Aktion zu einer revolutionären Bewegung entwickeln könnte, fehlte bei den "disziplinierten" Massenaktionen, deren Harmlosigkeit im Voraus angekündigt wurde.

Die revolutionären Marxisten, die späteren Kommunisten haben damals schon die Beschränktheit der herrschenden sozialdemokratischen Auffassung durchschaut. Sie sahen, daß während der ganzen Geschichte die Massen, die Klassen selbst die treibende und die aktive Kraft aller Umwälzungen waren. Die Revolutionen entstanden nie aus dem klugen Beschluß anerkannter Führer; wenn die Verhältnisse, wenn die Lage unerträglich geworden war, brachen die Massen aus irgendeinem Anlaß los, fegten die alten Gewalten weg und die neue, zur Herrschaft berufene Klasse oder Schicht gestaltete Staat oder Gesellschaft nach ihren Bedürfnissen um. Nur während des letzten halben Jahrhunderts ruhiger kapitalistischer Entwicklung konnte die Illusion aufkommen, die Führer, die einzelnen Personen, lenkten nach ihrer höheren Einsicht die Geschichte. Die Parlamentarier im Parlament, die Beamten der Zentralvorstände glauben, ihre Taten, Reden, Verhandlungen, Entscheidungen, bestimmen den Gang der Ereignisse; die Massen hinter ihnen sollen nur gelegentlich auftreten, wenn sie gerufen werden, den Worten der Wortführer Nachdruck zu verleihen, um dann wieder schleunigst von der politischen Bildfläche zu verschwinden. Die Masse habe bloß eine passive Rolle zu spielen, sie habe die Führer zu wählen, die dann als die aktive wirksame Kraft der Entwicklung handeln.

War diese Auffassung schon beschränkt im Hinblick auf die früheren Revolutionen in der Geschichte, so ist sie es noch mehr, wenn man den tiefen Unterschied zwischen einer bürgerlichen und einer proletarischen Revolution ins Auge faßt. In bürgerlichen Revolutionen trat die Volksmasse von Arbeitern und Kleinbürgern nur einmal auf (wie in Paris im Februar 1848) oder nur dann und wann, wie in der großen französischen Revolution, um das alte Königtum oder eine neue unhaltbare Gewalt, wie die der Girondisten zu stürzen. Hatten sie ihre Arbeit getan, dann traten als neue Männer, als neue Regierung, die Vertreter der Bourgeoisie auf, um die Staatsinstitute, die Verfassung, die Gesetze, umzugestalten und zu erneuern. Proletarische Massenkraft war nötig, um das alte zu stürzen, aber nicht um das neue aufzubauen, denn der Neuaufbau war die Organisation einer neuen Klassenherrschaft.

Nach diesem Muster dachten sich die radikalen Sozialdemokraten auch die proletarische Revolution - die sie - im Gegensatz zu den Reformisten - als notwendig voraussahen. Eine große Volkserhebung sollte die alte militärisch-absolutistische Herrschaft wegfegen, die Sozialdemokraten an die Spitze bringen, und dies würde dann das weitere besorgen und durch neue Gesetze den Sozialismus aufbauen. So dachten sie sich die proletarische Revolution. Aber diese Revolution ist etwas ganz anderes. Die proletarische Revolution ist die Befreiung der Massen aus aller Klassenherrschaft und Ausbeutung. Das bedeutet, daß sie selbst ihre Geschicke in die Hand nehmen, daß sie selbst Meister über ihre Arbeit sein müssen. Aus dem alten Geschlecht beschränkter Arbeitssklaven, die nur an sich denken und nichts weiter sehen als ihre Werkstatt, müssen neue Menschen werden, trotzig, kampfbereit, unabhängigen Geistes, von kräftiger Solidarität erfüllt, nicht mehr durch den schlauen Betrug der bürgerlichen Lehren zu verwirren, und fähig, selbständig die Arbeit zu regeln. Diese Umwandlung kann nicht nur durch einen einzigen Revolutionsakt zustande kommen; ein langer Prozeß des Kampfes ist nötig, in dem die Arbeiter durch Not und bittere Enttäuschungen, durch gelegentliche Siege und wiederholte Niederlagen allmählich die Kraft, die feste Einheit und die Reife zur Freiheit und Herrschaft gewinnen. Dieser Kampfprozeß ist die proletarische Revolution.

 

Wie lange dieser Prozeß dauern wird, ist nach Ländern und Umständen verschieden und hängt vor allem von der Widerstandskraft der herrschenden Klasse ab. Daß er in Rußland relativ rasch vollendet war, lag daran, daß die Bourgeoisie schwach war und durch ihr Bündnis mit dem Landadel die Bauern auf die Seite der Arbeiter trieb. Das große Machtinstitut der Bourgeoisie ist die Staatsgewalt, die gewaltige, feinverzweigte Organisation der Herrschaft mit allen ihren Machtmitteln: Gesetzgebung, Schule, Polizei, Justiz, Militär und der Bürokratie, die die Leitung aller Zweige des öffentlichen Lebens in die Hand nahm. Die Revolution ist der Kampf des Proletariats gegen diesen Machtapparat der herrschenden Klasse, und es kann seine Freiheit nur gewinnen, indem es der feindlichen Organisation eine stärkere, festere Organisation gegenüberstellt. Staatsgewalt und Bourgeoisie suchen die Arbeiter machtlos, zersplittert und zaghaft zu halten, jede erwachende Einheit durch Gewalt und Betrug zu brechen, in allen Aktionen ihre Kraft zu zermürben. Demgegenüber tritt die Arbeitermasse in Massenaktionen auf, deren Wirkung die Lähmung und Abbröckelung der staatlichen Organisation ist. Solange letztere intakt bleibt, kann das Proletariat nicht siegen, denn immer wieder wird es sie gegen sich auftreten sehen. Der Kampf muß also - wenn nicht die Welt im Kapitalismus zugrunde gehen soll - damit enden, daß schließlich unter den unaufhörlichen mächtigen Aktionen des Proletariats die bürokratische Staatsmaschinerie zermürbt wird und machtlos zusammenbricht...

(Der vollständige Text kann bei der IKS angefordert werden)

Weltrevolution Nr. 53

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Weltrevolution Nr. 54

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Diskussionsveranstaltung: Ist der Kommunismus möglich?

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 Am 25. Mai 1992 lud die IKS erneut zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung nach Köln ein. Dieses Mal lautete das Thema: "Ist der Kommunismus möglich oder nicht?". Obwohl es sicherlich keine Massenveranstaltung war, zeugte die Tat­sache, daß relativ viele Leute aus den ver­schiedensten Orten dafür von weit her an­gereist waren, davon, daß bei ihnen die bürgerliche Lüge, derzufolge im zusam­mengebrochenen Osten der Kommunismus Schiffbruch erlitten habe, trotzdem nicht ankommt. Der Versuch, jeglichen Ansatz einer marxistischen Diskussion über eine klassenlose Gesellschaft zu überstimmen, gelingt bei ihnen nicht.

WARUM DER KOMMUNISMUS MÖGLICH IST

Das Einleitungsre­ferat der IKS zeigte auf, daß der Kommu­nismus keine Erfindung von Marx ist, sondern als Idee so alt ist wie die Klassen­gesellschaft selbst. Aber die Träume der ausgebeuteten Klassen von einer Welt ohne Ausbeutung waren nicht realisierbar, weil jahrtausendelang die wirtschaftliche Vorbedingung dafür, d.h. die Produktivität der menschlichen Arbeit, nicht aus­reichte. Wie der Marxismus aufzeigt, kann die Klassengesellschaft nur dadurch über­wunden werden, indem der Kampf ums Dasein durch die Überwindung des Man­gels und die Herstellung eines Überflusses an den lebensnotwendigen Dingen über­flüssig wird. Damit hat paradoxerweise erst der Kapitalismus die Voraussetzungen für den Kommunismus geschaffen. Dies sind vornehmlich zwei:

- die revolutionäre Steigerung der Produk­tivität

- sowie das Entstehen einer revolutio­nären, zugleich ausgebeuteten Klasse, das Proletariat - und dies auf Weltebene.

Erst der Kapitalismus schuf die Vorausset­zung einer kommunistischen Weltgesell­schaft, indem sie eine gegenseitige Abhän­gigkeit aller Weltteile voneinander herbei­führte. Und deshalb gehört es zu den er­sten Prinzipien des Marxismus, daß die kommunistische Revolution nur auf Weltebene siegen kann. Deshalb führte trotz der Machtergreifung der Arbeiter­klasse 1917 in Rußland vor allem die Nie­derlage der Weltrevolution (insbesondere das Scheitern der Ausdehnung nach Deutschland) notwendigerweise zur bür­gerlichen Konterrevolution innerhalb Rußlands und später auch international. Die Tatsache, daß diese Konterrevolution nicht von "Außen" kam (die gegen das Proletariat in Rußland einfallenden weißen Armeen wurden zurückgeworfen), sondern durch eine Entartung von Innen, unter Beibehaltung des Namens und der Sprache der Revolution, gibt der herrschenden Klasse heute die Möglichkeit, den Zu­sammenbruch des Stalinismus als das Scheitern des Kommunismus und des Marxismus schlechthin zu verkaufen. In Wirklichkeit war der Stalinismus der Hen­ker der kommunistischen Revolution. Und sein aufgrund der Isolation Rußlands un­vermeidbarer Sieg bestätigte in Wirklich­keit die These des Marxismus, daß die Revolution nur weltweit siegen kann. Heute, so wurde am Ende des Referates betont, gehört von daher die Verteidigung der Perspektive des Kommunismus gegen die Verleumdungen der Herrschenden zu den vorrangigsten Aufgaben der Marxi­sten.

In der anschließenden Diskussion be­merkte einer der Teilnehmer geradeheraus, er sei erstaunt darüber, daß man es heute überhaupt noch wagt, in der Öffentlichkeit über dieses Thema zu reden. Und er zwei­felte an dem Nutzen einer solchen Diskussion. Denn selbst wenn es stimmt, daß das Fiasko des Stalinismus den Kommunismus nicht trifft, so ist diese Gleichsetzung von Stalinismus und Kommunismus in den Köpfen fast aller Arbeiter der Welt heute so vollständig, daß diese Perspektive auf ewig abgeschrieben erscheint.

SOZIALISMUS ODER BARBAREI

Die Erwiderungen darauf bestritten kei­neswegs die gegenwärtigen Auswirkungen dieser antikommunistischen Kampagne in den Köpfen der Arbeiter. Es wurde aber entschieden bestritten, daß dadurch der Kommunismus und der Marxismus auf alle Ewigkeit hin erledigt seien. Zum einen wurde darauf hingewiesen, daß durch den Zusammenbruch des Ostens und dem da­mit verbundenen ideologischen Sieg des Kapitals der Klassenkampf keineswegs be­seitigt worden ist. Im Gegenteil: der Klas­senkampf besteht weiterhin als unaus­löschbarer Ausdruck des Gespaltenseins dieser Gesellschaft in einander feindlich gegenüberstehende Klassen. Mit der ge­genwärtigen Verschärfung der Krise des Kapitalismus können diese Klassengegen­sätze nur zunehmen. Damit wäre es aber mehr als verfrüht, den Marxismus endgül­tig abschreiben zu wollen. Denn der Mar­xismus ist die Theorie des Klassen­kampfes vom Standpunkt des Proletariats aus gesehen. Und der Kommunismus sei­nerseits als gesellschaftliches Ziel ist das Resultat der Existenz der Arbeiterklasse als eigenständige Klasse mit Interessen, welche innerhalb des Kapitalismus nicht erfüllt werden können. Zudem: egal wie die Arbeiter heute darüber denken, und egal ob sie den Stalinismus für ein Kind des Marxismus halten oder nicht, wird der Kapitalismus in seiner westlichen Spielart sich als ebenso bankrottes Gesellschaftssy­stem erweisen. Millionen von Arbeiter werden in den kommenden Jahren wahr­nehmen und begreifen müssen, daß der Kapitalismus gerade in seiner "klassischen" marktwirtschaftlichen Form nicht nur unfähig ist, die Probleme der Menschheit zu lösen, sondern nicht mal imstande ist, das Überleben der Mensch­heit zu sichern, sondern es immer mehr bedroht. Sobald diese Tatsache für die Masse der Arbeiter offensichtlich wird, wird auch die Notwendigkeit, Lösungen außerhalb des Systems zu suchen, zur Massenfrage. In Wahrheit ist es die Situa­tion des Kapitalismus selbst, welche die Frage des Kommunismus stellt, und nicht etwa eine Handvoll "ewig gestriger Marxi­sten". Die Frage nach einer Gesellschaft, die diese Barbarei überwindet, also eine neue Gesellschaft, d.h. der Kommunis­mus, ist das aktuellste und brennendste Thema der Menschheit überhaupt. Dies bleibt auch dann der Fall, wenn die mei­sten Arbeiter dies noch nicht erkannt ha­ben. Wie ein Teilnehmer anmerkte, geht es heute für die Menschheit um die Alter­native "Sozialismus oder Barbarei", "Weltrevolution oder Niedergang". Es gibt keine dritte Alternative.

NUR DER KOMMUNISMUS KANN DIE HEUTIGEN PROBLEME DER MENSCHHEIT LÖSEN

Bei einem anderen Teil der Diskussion ging es darum aufzuzeigen, daß der Kom­munismus nicht nur eine Notwendigkeit darstellt, sondern auch möglich ist. Das alte Argument, der Kommunismus sei nicht möglich, weil die Menschen "schlecht" und die Gesellschaft "zu kom­pliziert geworden" ist, feiert heute neue Triumphe. Auch hier stellt man gerne Strohpuppen auf, d.h. Argumente, die mit dem Marxismus nichts zu tun haben, um sie dann triumphierend umzuwerfen. Der Marxismus ist nämlich niemals davon aus­gegangen, daß die Menschen "von Grund auf gut" sind. Der Marxismus weiß sehr wohl, den Menschen in seiner Wider­sprüchlichkeit zu sehen. Und er weiß aus der Geschichte nur allzu gut, zu welchen Grausamkeiten die Gattung Mensch im­stande ist. Es war gerade das Verdienst von Marx, darauf hinzuweisen, daß es unmöglich ist, eine klassenlose Gesell­schaft durch Appelle an menschliche Güte herbeizuführen. Der Kommunismus kann nur dann zur Möglichkeit werden, wenn der Existenzkampf durch die Befreiung der Produktivkräfte von den Fesseln des Ka­pitalismus überflüssig und hinfällig wird. Ebenso wenig läßt der Marxismus die Komplexität der heutigen Gesellschaft au­ßer Acht. Und er will nicht diese Komple­xität abschaffen, sondern die Anarchie der kapitalistischen Marktgesetze. Als Beispiel für die Möglichkeit des Kommunismus heute wurde unter anderem das Beispiel Widerspruch zwischen Stadt und Land aufgeführt. Die Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land ist eine der am frühesten in der Menschheitsgeschichte entstandenen Teilung. In der vorkapitalistischen Gesell­schaft war die Stadt der Herrschaft des Landes und der Agrarwirtschaft unterwor­fen. Erst der Kapitalismus hat dieses Ver­hältnis völlig umgekehrt. Durch die Zen­tralisierung der Produktion und durch die Konzentration der Produktionsmittel in Riesenfabriken und der Reichtümer der Gesellschaft in akkumulierendes Privatka­pital entstand die hochzentralisierte Welt von heute. Die Rohstoffe, Transportmittel, die Arbeitskräfte usw., alles wurde dort zusammengeballt, wo die kapitalistische Produktion stattfand. Aber dieser Fort­schritt hat neue, im Rahmen des Kapita­lismus schier unlösbare Probleme und Wi­dersprüche herbeigeführt. Dies sind unter anderem die Entstehung der Megastädte, der Massenverarmung auf dem Lande und die damit verbundene Landflucht, sowie die Entwicklung eines weltweit gespann­ten, aber immer anarchischer, auf die Umwelt sich verheerend auswirkendes Transportsystem.

Auf der Umweltmesse zur Umweltkonfe­renz von Rio werden gegenwärtig biologi­sche und ökologische Technik und Wis­senschaft vorgestellt, die es auf modernste Weise ermöglichen, auf höchster Produk­tivitätsstufe alle Bedürfnisse der Mensch­heit im Agrarbereich wieder direkt von Bauern, wie im Mittelalter, herstellen zu lassen. Dadurch kann nicht nur die Menschheit ohne Zerstörung der Umwelt ausreichend ernährt werden, sondern der Gegensatz zwischen Stadt und Land mit all seinen verheerenden Folgen aufgehoben werden. Aber wie diese Unternehmer sel­ber beklagen: sie kommen nicht zum Zuge, weil diese Umwandlung der Gesell­schaft von den mächtigen Kapitalinteressen abgewürgt wird. Während früher gerne die These von Marx, daß im Kommunismus der Gegensatz zwischen Stadt und Land aufgehoben werden muß, als schlagendster Beweis benutzt wurde, um zu behaupten, der "Mann sei ein wirklichkeitsfremder Träumer", stellt sich jetzt unleugbar her­aus, wer die wirklichen Utopisten sind. Es sind nämlich diejenigen, die diese und alle anderen brennenden Probleme der Menschheit INNERHALB des Kapitalis­mus glauben zu lösen können.

KOMMUNISMUS KANN NUR DAS WERK DER ARBEITERKLASSE SEIN

Gegen Ende des Treffens wurde folgende Frage "provokativ" an uns gerichtet: "Wenn ihr die Lösung habt, warum habt ihr dann keine größere Anhängerschaft?" Nun, die Kommunisten sind keine bürger­lichen Marktschreier, die nur zu verkün­den brauchen: "Wählt uns, damit wir eure Probleme für euch lösen können". Im Ge­genteil. Die Kommunisten verkünden sehr unbequeme Wahrheiten, welche die mei­sten nicht gerne hören möchten und viel­leicht gar erst mal abschrecken. Wir sa­gen: es gibt unmittelbar hier und heute keine Lösungen für die Probleme der Menschheit. Diese Probleme können in­nerhalb des bestehenden Systems über­haupt nicht gelöst werden. Kein einziges dieser Probleme kann im nationalen Rah­men gelöst werden. Mehr noch: die Kom­munisten haben zwar eine Perspektive zu verteidigen, aber sie haben keine Lösun­gen. Denn nur die Arbeiterklasse kann diese gigantische Aufgabe der Umwand­lung der Gesellschaft in Angriff nehmen. Und weil die Arbeiterklasse keine wirt­schaftliche Macht innerhalb dieser Gesell­schaft besitzt, kann die Lösung der Pro­bleme auch nur beginnen durch die welt­weite Machtergreifung durch die Arbeiter­räte. Der wissenschaftliche Sozialismus, im Gegensatz zum vormarxistischen utopi­schen Sozialismus hält überhaupt nichts von ausgetüftelten Projekten, wie die Zu­kunftsgesellschaft auszusehen habe. Der Kommunismus, wie Engels sagte, ist die "Lehre von der Befreiung des Proleta­riats". Deshalb waren wir auch nicht ein­verstanden mit einem in der Diskussion aufgekommenen Vorschlag, daß wir uns zuerst darauf zu einigen haben, wie diese Zukunftsgesellschaft auszusehen hat. Richtig an dieser Sorge war natürlich die Vorrangigkeit, inhaltliche Fragen zu klä­ren. Aber das Ziel des Kommunismus können wir nur in den groben Zügen, so­zusagen negativ definieren. D.h. als Ab­grenzung gegenüber dem, was es nicht ist, oder keinesfalls sein darf - z.B. der Stali­nismus, d.h. Staatskapitalismus wie in der ehemaligen UdSSR. Aber der Kommunis­mus kann nur das Werk der Arbeitermas­sen sein. Er kann nur entstehen durch die Kreativität und kollektive Mitarbeit von Millionen und Abermillionen. Von daher - wie auch bei dieser Veranstaltung - ist die Frage des Kommunismus untrennbar mit einem anderen Grundsatz des Marxismus verbunden, daß die Arbeiterklasse heute noch die revolutionäre Kraft in dieser Ge­sellschaft darstellt.

DIE AUFGABEN DER KOMMUNISTEN

Am Ende wurde auch die Frage nach dem Zweck dieser Diskussion gestellt. Und wofür müssen es denn überhaupt Kommu­nisten geben? Wie oben aufgezeigt, wird notwendigerweise durch den Zusammen­bruch des Kapitalismus die Frage nach ei­nem Ausweg sich stellen müssen, welche über den Kapitalismus hinausführt. Aber diese Frage bedeutet keineswegs, daß automatisch auch eine Antwort darauf ge­funden werden könne. Es besteht die Ge­fahr, daß die Arbeiterklasse im entschei­denden Augenblick nicht in der Lage sein mag, eine Alternative zum Kapitalismus finden zu können. Und ein solches Versa­gen müßte aufs engste damit zusammen­hängen, daß die Perspektive des Kommu­nismus und des Marxismus durch die bür­gerliche Gleichsetzung mit dem Stalinis­mus zu stark in Mißkredit geraten ist. Von daher wird es für die Menschheit lebens­notwendig sein, daß es in einer solchen Situation Marxisten gibt, die gegenüber dem Suchen der Millionen von Arbeitern in der Lage sein werden, die Perspektive des Kommunismus deutlich und überzeu­gend verteidigen zu können. Um uns auf diese Aufgabe vorzubereiten, dazu dienen Auseinandersetzungen wie bei dieser Dis­kussionsveranstaltung.

Was ist der historische Materialismus

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 WIEDERVERÖFFENTLICHUNG

Wie kann man das, was in der Welt vor sich geht, analysieren und begreifen? Ist die Methode, die uns die bürgerliche "Wissenschaft" lehrt, dazu hilfreich? Gehört der Marxismus auf den Misthaufen der Geschichte, wie uns eingeflößt werden soll? In unserer Zeitung wollen wir unsere Leser mit den Grundbegriffen des Marxismus und der Arbeiterbewegung vertraut machen, um aufzuzeigen, daß sie ein unabdingbares Instrument für die Analyse der Welt bleiben. Nachfolgend bringen wir einen Text in unveränderter Form, der 1909 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, und der unserer Meinung nach einen wertvollen Beitrag zum Begreifen der Geschichte liefert.

WAS IST DER HISTORISCHE MA­TERIALISMUS?

von Hermann Gorter

Für jeden, der das gesellschaftliche Leben um sich herum beobachtet, ist es klar, daß die Mitglieder der Gesellschaft in be­stimmten Verhältnissen zueinander leben. Gesellschaftlich sind sie zu einander nicht gleich, sondern sie stehen auf höherer und niederer Stufe und in Gruppen und Klas­sen einander gegenüber. Der oberflächli­che Zuschauer könnte meinen, daß diese Verhältnisse nur Eigentumsverhältnisse seien: die einen besitzen Grund und Bo­den, die anderen Fabriken oder Produkti­onsmittel oder zum Verkauf bestimmte Waren, andere besitzen nichts. Der ober­flächliche Zuschauer könnte auch meinen, daß der Unterschied hauptsächlich ein po­litischer sei; einige Gruppen verfügen über die Staatsgewalt, andere haben dar­auf keinen oder fast keinen Einfluß. Wer aber tiefer blickt, bemerkt, daß hinter den Eigentums- und politischen Verhältnissen Produktionsverhältnisse stecken, das heißt, Verhältnisse, worin die Menschen zueinander stehen beim Produzieren des­sen, was die Gesellschaft braucht.

Arbeiter, Unternehmer, Reeder, Rentiers, Großgrundbesitzer, Pächter, Großhändler und Krämer, sie sind es, was sie sind, durch den Platz, den sie im Produktions­prozeß, in der Bearbeitung und der Zir­kulation der Produkte einnehmen. Dieser Unterschied ist noch tiefer als der, daß der eine Geld hat oder der andere keins. Die Verarbeitung der Naturschätze ist ja die Grundlage der Gesellschaft. Wir ste­hen zueinander in Arbeits-, in Produkti­onsverhältnissen.

Worauf stützen sich nun diese Arbeitsver­hältnisse? Schweben die Menschen als Kapitalisten und Arbeiter, Großgrundbe­sitzer, Pächter und Tagelöhner, und wie all die anderen Arten von Mitgliedern der Gesellschaft sonst noch heißen mögen, nur so in der Luft? Nein, sie stützen sich auf die Technik, auf die Werkzeuge, wo­mit sie in der Erde, in der Natur arbeiten. Die Industriellen und die Proletarier stüt­zen sich auf die Maschine, sind von der Maschine abhängig. Wenn es keine Ma­schinen gäbe, so gäbe es auch keine Indu­striellen und keine Proletarier, jedenfalls nicht solche, wie jetzt. Der einfache Web­stuhl erzeugte die Arbeit im Hause durch die eigene Familie, der zugesetzte höl­zerne Webstuhl erzeugte eine Gesellschaft mit kleinen Meistern und Gesellen, die große durch Dampf oder Elektrizität ge­triebene eiserne Webmaschine eine Ge­sellschaft mit Großindustriellen, Aktio­nären, Direktoren, Bankiers und Lohnar­beitern. Die Produktionsverhältnisse schweben nicht wie Rauch - oder Dunst­streifen in der Luft, sie bilden feste Rah­men, worin die Menschen gefaßt sind. Der Produktionsprozeß ist ein materieller Prozeß, die Werkzeuge sind wie die Eck- und Stützpunkte der Rahmen, worin wir stehen.

Die Technik, die Werkzeuge, die Produk­tivkräfte sind der Unterbau der Gesell­schaft, die eigentliche Grundlage, worauf sich der ganze riesenhafte und so verwic­kelte Organismus der Gesellschaft erhebt. Die nämlichen Menschen jedoch, die ihre gesellschaftlichen Verhältnisse nach ihrer materiellen Produktionsweise bilden, bil­den auch nach diesen Verhältnissen ihre Ideen, ihre Vorstellungen, ihre Anschau­ungen, ihre Grundsätze. Die Kapitalisten, die Arbeiter und die anderen Klassen, die durch die Technik der Gesellschaft, worin sie leben, gezwungen werden, in be­stimmten Verhältnissen- als Meister oder Knecht, Eigentümer und Besitzloser, Grundbesitzer, Pächter, Tagelöhner - zu­einander stehen die nämlichen Kapitalisten und Arbeiter usw. denken auch als Kapi­talisten, Arbeiter usw. Sie bilden ihre Ideen, ihre Vorstellungen nicht als ab­strakte Wesen, sondern als die sehr kon­kreten, wirklichen lebendigen Menschen, die sie sind, als gesellschaftliche, in einer bestimmten Gesellschaft lebende Men­schen. Also nicht nur unsere materiellen Verhältnisse hängen von der Technik ab, stützen sich auf die Arbeiter, auf die Pro­duktivkräfte, sondern da wir innerhalb unserer materiellen Verhältnisse und unter diesen Verhältnissen denken, hängen auch unsere Gedanken unmittelbar von diesen Verhältnissen und also mittelbar von den Produktivkräften ab.

Das moderne gesellschaftliche Sein des modernen Proletariers ist von der Ma­schine geschaffen worden. Seine gesell­schaftlichen Gedanken, die dem Verhält­nis entspringen, worin er als Proletarier steht, stützen sich also mittelbar auf das moderne Maschinenwesen, hängen direkt davon ab. Und so ist es mit allen Klassen der Gesellschaft. Denn die Verhältnisse, worin einzelne Menschen zueinander ste­hen, gelten nicht für sie allein. Gesell­schaftlich steht der Mensch nicht in einer besonderen, nur ihm eigenen Beziehung zu anderen; er hat viele seinesgleichen, die in genau demselben Verhältnis zu an­deren stehen. Ein Arbeiter- um bei diesem Beispiele zu bleiben - steht nicht allein als Lohnarbeiter anderen Menschen gegen­über, er ist einer von vielen, er ist Mit­glieder einer Klasse von Millionen, die sich als Lohnarbeiter in der nämlichen Lage befinden wie er. Und so ist es mit jedem Menschen in der zivilisierten Welt. Jeder gehört zu einer Gruppe, einer Klasse, deren Mitglieder sich zum Pro­duktionsprozeß in der nämlichen Weise verhalten. Es ist also nicht nur wahr, daß ein Arbeiter, ein Kapitalist, ein Bauer usw. gesellschaftlich so denken wird, wie die Arbeitsverhältnisse ihn denken ma­chen, sondern seine Anschauungen, seine Ideen, seine Vorstellungen werden in all­gemeinen Zügen übereinstimmen mit denen von Hunderttausenden anderer, die sich in derselben Lage wie er befinden. Es gibt ein Klassendenken, wie es auch eine Klassenstellung im Arbeitsprozeß gibt.

Die Form, worin die Arbeitsverhältnisse der verschiedenen Klassen, der Kapitali­sten, der Unternehmer, der Arbeiter usw. ans Licht treten, ist in der kapitalistischen und im allgemeinen in der in Klassen ge­spaltenen Gesellschaft zugleich ein Ei­gentumsverhältnis. Kapitalisten, Kauf­leute, Lohnarbeiter, Bauern habe nicht nur in der Produktion eine ihnen eigen­tümliche Stellung inne, sondern auch in dem Besitz, in dem Eigentum. Der divi­dendeneinstreichende Aktionär spielt im Produktionsprozeß nicht nur die Rolle des Geldleihers und des Schmarotzers, son­dern er ist auch Miteigentümer der Unter­nehmung, der Produktionsmittel, des Grundstücks, der Werkzeuge, der Roh­stoffe, der Produkte. Der Kaufmann ist nicht nur Austauscher, Zwischenperson, sondern auch Besitzer der Kaufwaren und des Handelsgewinns. Der Arbeiter ist nicht nur der Verfertiger von Gütern, sondern auch Besitzer seiner jedesmal von ihm verkauften Arbeitskraft und des dafür erhaltenen Preises. Mit anderen Worten, Arbeitsverhältnisse sind in einer Gesell­schaft, die in Klassen geteilt ist, zugleich Eigentumsverhältnisse.

Nicht immer war das so. In der primitiven kommunistischen Gesellschaft waren Grund und Boden, das gemeinschaftlich gebaute Hause, die Viehherden, kurz, die hauptsächlichsten Produktionsmittel, ge­meinschaftliches Eigentum. Man verrich­tete die hauptsächlichsten gesellschaftli­chen Arbeiten zusammen; man war, abge­sehen von dem Unterschied in Geschlecht und Alter, im Produktionsprozeß einander gleich, und im Eigentum gab es keinen oder nur einen geringen Unterschied. Nachdem aber die Arbeitsteilung so groß geworden war, daß besondere Berufsarten entstanden, und nachdem durch bessere Technik und Arbeitsteilung ein Überschuß über das für das Leben direkt Notwendige produziert wurde, wußten einige durch Wissen oder Streitbarkeit hervorragende Berufe, wie Priester oder Krieger, sich diesen Überschuß und schließlich auch die Produktionsmittel anzueignen. So sind die Klassen entstanden und ist das Privatei­gentum die Form geworden, worin die Arbeitsverhältnisse ans Licht treten.

Durch die Entwicklung der Technik und durch die Teilung der Arbeit sind also die Klassen entstanden, Klassenverhältnisse und Eigentumsverhältnisse beruhen auf der Arbeit. Durch die Entwicklung der Technik, die einige Berufe in den Stand setzte, sich der Produktionsmittel zu be­mächtigen, entstanden Besitzende und Be­sitzlose und wurde die große Menge des Volkes zu Sklaven, Leibeigenen, Lohnar­beitern. Und der Überschuß, den die Technik, die Arbeit über das unmittelbar Notwendige hinaus erzeugt, ist immer größer geworden und immer schroffer wurde also der Klassengegensatz zu den Besitzlosen. In gleichem Maße wuchs also auch der Klassenkampf, der Kampf, den die Klassen um den Besitz der Produkte und der Produktionsmittel führen, und so wurde es zur allgemeinen Form des Kampfes ums Dasein der Menschen in der Gesellschaft. Die Arbeitsverhältnisse sind Eigentumsverhältnisse, und Eigentums­verhältnisse sind Verhältnisse der mitein­ander kämpfenden Klassen: und alle zu­sammen beruhen sie auf der Entwicklung der Arbeit, gehen sie hervor aus dem Ar­beitsprozeß aus der Technik.

Aber die Technik steht nicht still. Sie ist in einer rascheren oder langsameren Ent­wicklung und Bewegung begriffen, die Produktivkräfte wachsen, die Produkti­onsweise ändert sich. Und wenn die Pro­duktionsweise sich ändert, müssen sich notwendig auch die Verhältnisse ändern, worin die Menschen im Arbeitsprozeß zu­einander stehen. Das Verhältnis der frühe­ren kleinen Meister zueinander und zu ih­ren Gesellen ist ein ganz anderes, als jetzt das Verhältnis der großen Unternehmer zueinander und zu dem Lohnproletariat. Die maschinenmäßige Produktion hat eine Änderung der alten Verhältnisse bewirkt. Und da in einer Klassengesellschaft Pro­duktionsverhältnisse zugleich Eigentums­verhältnisse sind, werden mit den ersten auch die zweiten umgewälzt. Und da die Anschauungen, Vorstellungen, Ideen, usw. sich bilden innerhalb der Verhält­nisse und nach den Verhältnissen, worin die Menschen leben, ändert sich ihr Be­wußtsein auch, wenn die Arbeit, die Pro­duktion und das Eigentum sich ändern: Arbeit und Denken sind in fortwährender Änderung und Entwicklung begriffen: "Der Menschen verändert, indem er durch seine Arbeit die Natur verändert, zugleich seine eigene Natur". Die Produktions­weise des materiellen Lebens bedingt das ganze gesellschaftliche Leben. "Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesell­schaftliches Sein, das ihr Bewußtsein be­stimmt".

Aber auf einer gewissen Stufe ihrer Ent­wicklung geraten die materiellen Produk­tivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktions- und Eigentumsverhältnissen. Innerhalb der alten Verhältnisse können sich die neuen Produktivkräfte nicht entwickeln, sich nicht ausleben. Dann erhebt sich ein Kampf zwischen denen, die an den alten Produktions- und Eigentumsverhältnissen interessiert sind, und denen, die ein Inter­esse an der Entwicklung der neuen Pro­duktivkräfte haben. Es tritt eine Epoche sozialer Revolution ein, bis die neuen Produktivkräfte den Sieg erringen und die neuen Produktions- und Eigentumsver­hältnisse entstanden sind, innerhalb deren sie blühen können. Und durch diese Re­volution ändert sich auch das Denken der Menschen, es ändert sich mit ihr und in ihr.

Dies ist kurzgefaßt der Inhalt unserer Lehre. In anschaulicher Darstellung kann man sie in folgender Weise noch einmal übersehen:

1) Die Technik, die Produktivkräfte bil­den die Basis der Gesellschaft. Die Pro­duktivkräfte bestimmten die Produktions­verhältnisse, die Verhältnisse, worin die Menschen im Produktionsprozeß einander gegenüberstehen. Die Produktionsverhält­nisse sind zugleich Eigentumsverhältnisse. Die Produktions- und Eigentumsverhält­nisse sind nicht nur Verhältnisse von Per­sonen, sondern von Klassen. Diese Klas­sen-, Eigentums- und Produktionsverhält­nisse (mit anderen Worten das gesell­schaftliche Sein) bestimmen das Bewußt­sein der Menschen, d.h. ihre Anschauun­gen über das Recht, Politik, Moral, Reli­gion, Philosophie, Kunst. usw.

2) Die Technik entwickelt sich fortwäh­rend. Die Produktivkräfte, die Produkti­onsweise, die Produktionsverhältnisse, die Eigentums-, die Klassenverhältnisse än­dern sich demnach ununterbrochen. Das Bewußtsein der Menschen, ihre Anschau­ungen und Vorstellungen über Recht, Po­litik, Moral, Religion usw. ändern sich also auch mit den Produktionsverhältnis­sen mit den Produktivkräften.

3) Die neue Technik gerät auf einer ge­wissen Stufe ihrer Entwicklung in Wider­spruch mit den alten Produktions- und Ei­gentumsverhältnissen.

Schließlich siegt die neue Technik. Der ökonomische Kampf zwischen den kon­servativen Schichten, die an den alten Formen, und den fortschrittlichen Schichten, die an den neuen Kräften inter­essiert sind, kommt ihnen in juristischen, politischen, religiösen, philosophischen und künstlerischen Formen zum Bewußt­sein.

(aus Gorter, Der historische Materialis­mus, Berlin 1909).


Weltrevolution Nr. 55

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Konferenz von Rio: Kein Überleben der Menschheit ohne Zerstörung des Kapitalismus

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 Viele meinen, daß nach der Konferenz von Rio dort das Todesurteil für die Erde, wahrscheinlich für die Menschheit mit gefällt wurde. Wem ist nicht wieder ein­mal deutlich geworden, daß die Politiker, alle Regierungen der Welt unfähig sind, das Überleben der Menschheit zu si­chern? Die getroffenen Entscheidungen - sie sind ein blanker Hohn in Anbetracht dessen, was eigentlich unternommen wer­den müßte. Die meisten Entscheidungen sind bekannt; wir wollen sie hier aus Platzgründen nicht weiter aufführen. Und wieder einmal soll alles übers Geld gere­gelt werden. Kein Zufall, daß bei den meisten von uns jetzt das Gefühl auf­kommt, der ganzen Umweltzerstörung hilflos ausgeliefert zu sein, machtlos mit ansehen zu müssen, wie das Todesurteil auf Raten vollstreckt wird.

Wir aber sagen: Man durfte und konnte von Rio nichts anderes erwarten. Die dort versammelten Politiker konnten nichts anderes machen als das, nämlich weiter unter dem Deckmantel von Beschlüssen des Schutzes der Umwelt zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beizutragen. Warum aber konnte man nichts anderes erwarten? Was sind die Ursachen für die Zerstörung der Natur und was muß wirk­lich getan werden? Dies wollen wir im nachfolgenden aufzuzeigen versuchen.

Während in den früheren Gesellschaften (Urgeschichte, Sklavengesellschaft) zwar meist ein Sinn für die Aufrechterhaltung der Naturbedingungen vorhanden war und es zu den einfachsten Überlebensin­stinkten gehörte, diese weitgehend zu schützen, wurde seit dem Feudalismus auch oft räuberisch und rücksichtslos gegenüber der Natur vorgegangen. Aber erst mit dem Kapitalismus trat eine neue Stufe bei der Zerstörung der Grundlagen der Natur ein. Denn während früher die Menschen zunächst Gebrauchsgegen­stände nur für ihren persönlichen Bedarf und erst später Waren für einen kleinen Markt produzierten (die Technik und der Markt dementsprechend wenig entwickelt waren), und die Zerstörung der Natur sich dabei in Grenzen hielt, änderte sich das mit dem Kapitalismus grundsätzlich.

Denn der Kapitalismus muß nämlich auf­grund seiner ihm innewohnenden Gesetze seine Produktion ständig ausdehnen. Für ihn gilt nur eins: akkumulieren, expan­dieren, verkaufen.

Der triumphale Einzug der industriellen Revolution und die damit verbundene Massenproduktion, dahinter liegend die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals, ließen einen riesigen Durst nach neuen Absatzmärkten aufkommen. Das Kapital mußte eine Jagd nach Märkten in alle Ge­biete der Erde antreten. So nahm während der aufsteigenden Phase des Kapitalis­mus, d.h. vom Ende des Mittelalters bis hin zum Anfang dieses Jahrhunderts, während der er für eine gigantische Ent­wicklung der Produktivkräfte sorgte, die rücksichtslose Ausbeutung und Zerstö­rung der Natur zwar schon neue, massive Ausmaße an, aber sie bedrohte noch nicht das Überleben der Menschheit selbst.

Erst als das System in sein Niedergangs­stadium mit dem 1. Weltkrieg eintrat, er­reichten auch die Zerstörung und Verwü­stung eine neue qualitative und quantitative Stufe. Seitdem bekämpfen sich nämlich alle kapitalistischen Nationen auf einem gesättigten Weltmarkt, bei dem die Rü­stungsindustrie mit der damit verbun­denen Schwerindustrie im Vordergrund stand. Und in dieser Entwicklung gibt es im Kapitalismus kein Zurück - entweder im Konkurrenzkampf alle Kosten drüc­ken, - d.h. Verwüstung und Zerstörung zum Überlebensmotto zu machen -, oder als Verlierer aus diesem Kampf hervorge­hen.

Auf diesem Hintergrund treten nun die Grünen auf den Plan, die eine Lösung in­nerhalb des Kapitalismus anbieten, wo mittels einiger Reformen eine Eindäm­mung der Umweltzerstörung und Arten­schutz usw. möglich sei. Dabei muß aber für jeden deutlich werden, daß der größte Killer der Umwelt- und Überlebensbe­dingungen die kapitalistische Produkti­onsweise selber ist. Warum?


DIE NATUR AUF DEM ALTAR DES PROFITS GEOPFERT

Der Kapitalismus ist ausschließlich auf Profit ausgerichtet. Ein Kapitalist läßt nur dann und dort produzieren, wenn für ihn als einzelnen Unternehmer Profit raus­springt. Welches Produkt er herstellen läßt, wie es aussieht, wo es produziert wird, all das richtet sich nur nach einem Gesichtspunkt - ob es für den Unterneh­mer lukrativ ist, die Produktion gewinn­bringend zu betreiben. Ob das Produkt (seine Erstellung und seine Verwendung, ggf. Wiederverwertung) mit den Gege­benheiten der Natur in Einklang gebracht werden kann, ob es den Interessen der Menschheit entspricht, ob es deren Ge­sundheit schädigt oder nicht, all das ist für den Kapitalisten belanglos. Er läßt halt nur eine Ware produzieren - und da ist für ihn nur von Interesse, ob er seine Waren absetzen kann... ob das jetzt Le­bensmittel, Möbel oder Panzer sind.

Die Art der Produktion, ob und wieviele Rohstoffe dabei eingesetzt werden, wie schädigend und gefährdend die Produktion oder der Konsum, bzw. Verwendung für den Menschen ist (ob für Lunge, Haut, Herz, Kreislauf, Ohren usw.), ob dies tagsüber oder nachts produziert oder ver­wendet wird, ob dafür Fließbänder laufen oder wieviel Transportaufwand darin­steckt, ob bei der Produktion und bei der Nutzung und Weiterverwendung Luft, Boden, Wasser usw. verschmutzt wird, alles spielt für den Kapitalisten keine wirkliche Rolle, wird gar billigend und rücksichtslos in kauf genommen. Denn egal, was schließlich aus dem Produkt wird, wo es schließlich landet, wie es "verwertet" wird, darüber braucht er sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Er hat die Freiheit! Denn sobald der Unternehmer für seine Ware das Geld einkassiert hat, ist für ihn die Sache erledigt. Dreck und Müll, Schrott und Zerstörung - landen bei und treffen die Gesellschaft. Es wurde für den einzelnen Unternehmer Reibach ge­macht. Das ist es, was zählt und nichts anderes! Was kümmert es die Autoindu­strie, daß die PKWs und LKWs giftige Gase ausstoßen, was schert es die Rü­stungsindustrie, daß ihre Waffen syste­matisch Menschen morden und nur zur Zerstörung dienen, was sorgt sich die chemische Industrie um die Auswirkun­gen der Düngemittel in der Landwirt­schaft und den damit verbundenen Kreis­läufen. Das Interesse eines einzelnen Un­ternehmers ist erst einmal befriedigt.

Das Ergebnis für die Gesellschaft: Chaos, Anarchie, Zerstörung der Natur, Ver­schmutzung, Verwüstung, Gesundheit der Menschen beschädigt, gar ruiniert - ohne Bedeutung für den Unternehmer.

ZWEI TODFEINDE: DIE BEDÜRF­NISSE DER MENSCHHEIT UND DIE DES KAPITALS

Und hier sind wir beim Grundübel, bei der Wurzel der rücksichtslosen Zerstö­rung der Natur, der Lebensgrundlagen der Menschen angelangt: der Wider­spruch zwischen den Interessen eines Unternehmens und den Bedürfnissen der Gesellschaft.

Weil der Kapitalist sich einen Dreck schert um die Bedürfnisse der Gesell­schaft, weil im Kapitalismus nur Waren hergestellt werden, aber nicht überprüft wird, ob es auch nützliche Sachen sind (Gebrauchswert!), weil im Konkur­renzkampf alles auf dem Altar des Profits geopfert wird, "erntet" die Gesellschaft die Resultate dieser Interessenskollision zwischen Kapital und Gesellschaft: Chaos, rücksichtslose Zerstörung, Raub­bau an allen Ressourcen der Erde - von den Rohstoffen über Luft und Wasser bis hin zum Menschen selbst.

Der einzelne Bauer, der im Konkurrenz­kampf entsprechend billig produzieren muß, fragt nicht nach den Auswirkungen der Düngemittel für den Menschen; für ihn steigt der Ernteertrag. Welche lang­fristigen Wirkungen die Gülle in der Landwirtschaft und den Wasserhaushalt hat - interessiert ihn auch nicht; es gibt nur ein kurzfristiges Interesse... Profit einheimsen.

Daß in diesem Konkurrenzkampf dann auch noch der Staat die einzelnen Unter­nehmer gegenüber anderen internationa­len Konkurrenten unterstützt, ist nicht der Gipfel der Absurdität, sondern nur ein normaler Bestandteil des gesellschaftli­chen Wahnsinns - des mörderischen Kur­ses der Zerstörung der Menschheit. So "protegiert" der Staat die Diesel-fahren­den LKW, wohlwissend, daß Diesel krebserregend wirkt; aber der Staat im Dienst des Kapitals muß den Unterneh­mern den Transport möglichst billig an­bieten - und da müssen halt Diesel-Sub­ventionen an den LKW-Transportbereich bezahlt werden. Die Gesundheit ist das Geringste, was auf dem Opfertisch des Profits geopfert werden kann...

Solange jedenfalls dieses Grundübel, diese Quelle, die all die Zerstörung und Verpestung ausspuckt, die kapitalistische Produktionsform nicht beseitigt ist, wird die Natur und damit die Menschheit wei­ter ins Verderben gestürzt. Solange diese Wurzel - die kapitalistische Produktions­form - nicht beseitigt, wird dieses Un­kraut immer weiter wachsen.

Dieser grundsätzliche menschen- und na­turverachtende Charakter der kapitalisti­schen Produktion muß jedem deutlich vor Augen treten.

Wenn man sich dieser Prinzipien des Ka­pitalismus vergegenwärtigt, muß man se­hen, auf welchem Hintergrund der Gipfel in Rio stattfand. Nach 150 Jahren kapita­listischer "Entwicklung" ist die sog. 3. Welt völlig bankrott und zum ständigen Krüppel geschlagen. Weltweit tobt ein mörderischer Handelskrieg, bei dem sich gerade die großen Industriestaaten an der Kehle liegen. Deshalb müssen Länder mit irgendwelchen Rohstoffvorkommen oder anderen Naturschätzen - wie Regenwäl­dern - diese als Waffen im Wirtschafts­krieg gegen andere Nationen ansehen und einsetzen. Für Länder wie Brasilien, die Philippinen usw. ist es nur allzu logisch, daß sie - von Zinsen erdrückt und ohne Chance auf dem Weltmarkt - bei diesem Überlebenskampf im kapitalistischen Dschungel versuchen müssen, ihre Re­genwälder abzuholzen, um zu Geld mit Holz oder anderen Stoffen dieser Art zu kommen (tatsächlich stecken oft große Multis dahinter, und hinter diesen wie­derum die großen Industriestaaten). Wäh­rend die Politiker von "Zusammenarbeit" sprechen, stechen sie sich in Wirklichkeit alle bei diesem Konkurrenzkampf Messer in den Rücken. In der gegenwärtigen Zer­fallsphase des Kapitalismus muß jede Na­tion mehr als je zuvor sich um ihr "eigenes Schicksal" kümmern. Auf die­sem Hintergrund werden diese lebens­wichtigen Fragen wie Umweltzerstörung, Abfallwirtschaft usw. nicht durch "globale Zusammenarbeit" gelöst werden, sondern der Zusammenstoß zwischen den Staaten, der Konkurrenzkampf bis hin zum Krieg, - wie der Golfkrieg mit sei­nen Zerstörungen bewies - wird all diese Probleme nicht nur nicht lösen, sondern vielmehr nur noch zuspitzen.

DIE ZUKUNFT IM KAPITALISMUS: ESKALATION DER ZERSTÖRUNG BIS HIN ZUR VERNICHTUNG DER MENSCHHEIT

Die Eskalation der Zerstörung, der Ver­nichtung unserer Lebensgrundlagen ist also nur weiter vorprogrammiert. Anstatt auf mehr Kooperation, auf Einsicht und dergleichen mehr seitens der Regierungen zu hoffen, müssen wir vielmehr mit noch mehr Zerstörung, rücksichtslosem Vor­gehen gegenüber der Menschheit rechnen!

Auf diesem Hintergrund ist es illusorisch, irgendeine Lösung von den Staatsmän­nern zu erwarten. Das hieße den Mafia­bossen sich anzuvertrauen, um einen Kampf gegen die Mafia zu erwarten.

Viele Leute sagen aber jetzt, man müsse - weil die Politiker unfähig sind, irgendet­was globales auszurichten - bei sich selbst, d.h. im kleinen anfangen, etwas zu tun. Wir haben uns in einem anderen Artikel mit diesem "Ansatzpunkt" ausein­andergesetzt. Wollen deshalb an dieser Stelle nur sagen, daß der Kern des Pro­blems getroffen werden muß, und der liegt in der Funktionsweise der kapitali­stischen Gesellschaft mit ihrer anarchi­schen, von der Konkurrenz geprägten Produktionsform und der damit verbun­denen militärisch-industriellen-politischen Infrastruktur.

Nein, die einzige wirklich an der Wurzel des Problems angreifende Lösung ist die Erkenntnis, daß die Erde nicht gerettet werden kann mit Hilfe der Politiker oder "im kleinen Rahmen". Das Überleben der Menschheit kann nur gesichert werden, indem diese kapitalistische Gesellschaft aus der Welt geschafft wird und eine neue, nicht nach Profit orientierte Gesell­schaft aufgebaut wird. Dieses Systems muß als solches über Bord geworfen wer­den. Nichts geringeres als das.

Und es steht fest - solange dies nicht ge­schieht, läuft uns die Zeit davon.

Immer mehr wird zerstört werden. Der Kapitalismus wird uns neben der Zerstö­rung der Lebensgrundlagen der Natur (Stichwort Ozonloch, Treibhauseffekt, Wasserverschmutzung-, -mangel usw.), eine ganze Horrorshow präsentieren, von der wir schon einige Ausschnitt erleben: Kriege, Flüchtlingswellen, nationalisti­sche Explosionen, nukleare fall-outs, usw...

Deshalb kann die Lösung eben nur glo­bal, weltumfassend, weltweit sein, indem halt die Strukturen, die Wurzeln dieser Gesellschaft selbst ausgerissen- und durch eine neue Gesellschaft ersetzt werden. D.h. eine weltweite, eine die Gesellschaft umwälzende Lösung - kurzum eine Welt­revolution. Dav Juli 1992


Theoretische Fragen: 

  • Umwelt [1]

Welche Vorstellungen vom Kommunismus

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Immer wenn wir mit Leuten ins Gespräch kommen, sei es beim Verkauf unserer Zeitung, oder bei Gesprächen unter Kol­legen oder sonstwo, wenn heiß diskutiert wird, wie z.B. bei unseren öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, jedes Mal wenn wir sagen, daß wir Kommunisten sind, folgt meist die Frage: "wie stellt ihr euch den Kommunismus denn eigentlich konkret vor?" Und zunächst geraten wir natürlich in etwas Verlegenheit, denn es gibt keine Vorzeigemodelle, keine Region, auf die wir hinweisen können, um zu ver­deutlichen, was uns vom Kommunismus überzeugt hat. Also erscheint unser Pro­gramm, der Kommunismus, schon mal als eine vage, nicht überzeugende Aussage. Zudem haben alle bürgerlichen Parteien (ob rechts, links, grün oder sonst was) alle ihr Programm, auch wenn sie es nachher meist nicht einhalten, um alle nur ein Programm durchzusetzen: Spar- und Kriegspolitik. Im Gegensatz zu den Bürgerlichen haben die Kommunisten also keinen demagogischen Maßnahmen­katalog, nein wir haben gleich ein ganzes Maximalprogramm, eine neue Gesell­schaft vorzuschlagen. Nichts weniger als das. Nur, wie verdeutlichen, was wir ei­gentlich damit meinen?

DER KOMMUNISMUS KANN NICHT INNERHALB, SONDERN NUR NACH DEM KAPITALISMUS ENT­STEHEN

Als erstes ist es uns dann wichtig aufzu­zeigen, daß die Umwälzung hin zum Kommunismus unter ganz anderen Be­dingungen verläuft, als das Durchbrechen neuer Produktionsformen in früheren Ge­sellschaften. Früher war es nämlich so, daß die neuen, aufsteigenden Gesell­schaften sich schon im Schoß der alten Gesellschaft heran entwickelten. Die feu­dalen Gesellschaftsstrukturen tauchten langsam innerhalb der niedergehenden Sklavengesellschaft des Römischen Rei­ches auf. Und dieser Einzug dauerte zum Teil jahrhundertelang.

Auch die bürgerliche Gesellschaft kroch langsam und mit ungleicher Geschwin­digkeit innerhalb der Feudalgesellschaft hervor. Die Bourgeoisie war schon auf ökonomischem Gebiet längst zur herr­schenden Klasse geworden, als sie die letzten politischen Fesseln des Feudalis­mus abstreifte - wie dies in der französi­schen Revolution von 1789 geschah. Während der Kapitalismus also im Feu­dalismus heranwachsen konnte, ist das beim Kommunismus nicht möglich. Der Kommunismus kann nur weltweit entste­hen, und zwar nur auf den Trümmern der kapitalistischen Gesellschaft. Der Kom­munismus ist auch in einem Land nicht möglich (Rußland zeigt das unverkenn­bar), sondern nur weltweit und gleichzei­tig. Denn die Gesetze der Marktwirt­schaft, des Weltmarktes, das Wertgesetz auf der einen, die Entschlossenheit des Kapitals auf der anderen Seite würden ein Entstehen des Kommunismus in einer Region nicht zulassen. Deshalb können die Kommunisten heute kein Modell prä­sentieren, um überzeugend zu wirken.

WAS DER KOMMUNISMUS NICHT IST

Auch wenn es unabdingbar ist, dies zu tun, hilft es gleichzeitig wenig weiter, wenn wir aufzeigen, was der Kommunis­mus nicht ist. Denn an Lügen, "hier ist der Kommunismus", hat es ja mit der Sowjetunion und den anderen Ländern wie Osteuropa und Kuba, Vietnam usw. nie gefehlt. Dadurch ist das ganze Bild vom Kommunismus total verzerrt. In al­ler kürze: für uns ist der Kommunismus kein "Staatskapitalismus", so wie es ihn in der UdSSR, in China, Kuba oder sonstwo gab. Er ist also nicht die einfa­che Verstaatlichung der Produktionsmit­tel. Auch ist er kein "Kriegskommunismus", wie er einst dar­gestellt wurde, als nämlich 1920-21 im Bürgerkrieg in Rußland das Geld abge­schafft worden war, nicht etwa weil Überfluß geherrscht hätte, sondern weil es nichts mehr wert war infolge von In­flation und Krieg. Der Kommunismus hat also nichts mit Kriegswirtschaft und Mangelwirtschaft zu tun, in der eine Staatspartei ihre Diktatur ausübt.

EINIGE HAUPTMERKMALE DES KOMMUNISMUS

Dennoch - auch wenn es unmöglich ist und man Gefahr läuft, einer Spekulation zu verfallen, so lassen sich doch einige Hauptkennzeichen des Kommunismus aufzeigen:

1) Die Produktion findet nicht mehr für Profit, sondern für die Bedürfnisse der Menschen statt.

2) Das Privateigentum wird abgeschafft sein. Alle Güter befinden sich im "Besitz" der Gesellschaft und werden geteilt.

3) Dadurch entfällt die Konkurrenz; die gesamten Mechanismen des Wett­bewerbs, die Überlebensprinzipien der kapitalistischen Gesellschaft (sprich, der Konkurrenzkampf, jeder gegen je­den bis hin zum Krieg) werden ver­schwinden.

4) Die Lohnarbeit wird abgeschafft sein. Die Menschen werden produzie­ren, schaffen, kreativ sein, nicht aus Zwang, ihre Arbeitskraft verkaufen zu müssen, um zu überleben, sondern um die Bedürfnisse der Menschen zu be­friedigen.

Aus den oben genannten Prinzipien geht hervor, daß

- Es keine Zerstörung der Produktion (wie in Krisen oder Kriegen) geben wird.

- Während bislang beispielsweise in den USA während des kalten Krieges 2 von 3 Ingenieuren für das Pentagon arbeiteten, ungeheure Ressourcen in die Kriegswirt­schaft fließen, werden die Ressourcen der Menschheit dann nicht für Zerstörung verwendet, sondern eine für den Men­schen dienliche, nützliche Produktion.

- Damit entfallen all die Mittel für Rü­stung, Militär, Armee, Verteidigung des Privateigentums, der Gewaltverhältnisse, alles Ausgaben von unvorstellbaren Grö­ßen; wenn man bedenkt, daß die Wirt­schaft der meisten Länder, allen voran, die der ehemaligen UdSSR und der USA und natürlich der 3. Welt meist auf die Rüstungsproduktion fixiert ist, wird al­lein das schon eine ungeheure Freisetzung von Ressourcen bewirken.

- Durch die Abschaffung der Konkurrenz und die Produktion nicht von Tausch­werten, um Geld zu machen, sondern von Gebrauchsgütern (nützliche Güter), pro­duziert nicht mehr jeder Konkurrent ge­gen jeden, jeder für sich in seiner Ecke, um sich von seinen Konkurrenten abzu­schotten. Stattdessen wird das ganze Wis­sen der Menschheit, das ganze Know-how, die Technik für alle nutzbringend eingesetzt werden können.

Anstatt dem Prinzip des jeder gegen je­den, jeder für sich unterworfen zu sein, werden alle Reichtümer der Gesellschaft sinnvoll und planerisch abgestimmt in die Produktion einfließen. Das dem Kapita­lismus innewohnende Chaos, hervorgeru­fen durch die Marktwirtschaft und die Konkurrenz, diese Anarchie der kapitali­stischen Produktion wird es nicht mehr geben.

VOLLE ENTFALTUNG DER SCHAFFENSKRAFT DER MEN­SCHEN

Allein die Koordination und Kombination der menschlichen Reichtümer, die For­tentwicklung des Know-how zugunsten der Menschen und nicht zugunsten militä­rischer, zerstörerischer Zwecke, die Frei­setzung von Arbeitskräften aus zerstöreri­schen, unproduktiven, parasitären Sekto­ren, die Integration der Milliarden Men­schen, die im Kapitalismus entweder un­produktiv sind oder gar auf de Straße lie­gen, all das wird zu einem Ansteigen der Produktivität der Arbeit und zu Möglich­keiten der Produktionserweiterung füh­ren. Gleichzeitig wird dadurch die Ge­samtarbeitszeit sinken. Weil sie nicht mehr der Lohnarbeit, einem Ausbeu­tungsverhältnis und auch natürlich nicht mehr einer Entfremdung unterworfen sein werden, wird unter den Menschen soviel Schöpferkraft, soviel Energie, soviel Ein­satz freigesetzt werden, daß dies weit über unser Vorstellungsvermögen hinaus­geht. Während sich die Menschen heute in der Lohnarbeit so teuer wie möglich verkaufen, und so gut wie möglich aus der Affäre ziehen, um nicht zu schnell zu verschlissen zu werden, das ganze Ver­hältnis zur Arbeit eben durch die Ent­fremdung und Ausbeutung bestimmt ist, wird es im Kommunismus ganz anders aussehen.

Zu wissen, daß die produzierten Güter den Menschen zunutze kommen, die Ein­sicht in die Planbarkeit, die Steuerbarkeit der Produktion, das Wissen, daß wir für die Menschen, für die Gesellschaft arbei­ten und nicht für einen Unternehmer, der uns ausbeutet, den letzen Tropfen Schweiß aus einem rauspreßt, all das wird ein bislang nicht gekanntes Interesse und einen Tatendrang der Menschen freiset­zen.

Das heißt im Kommunismus wird es zu einer wahren Explosion der Schaffens­kraft der Menschen kommen. Die wich­tigste Produktivkraft, der Mensch wird sich eben erst dann ungehindert entfalten können.

DAS ENDE DER ENTFREMDUNG

Indem nicht mehr alles dem Profit geopfert, sondern bewußt geplant und sinnvoll entschieden werden kann, die Produktion nicht mehr der Anarchie und dem Chaos unterliegt, sondern von der Gesellschaft selbst organisiert wird und damit darüber bewußt entschieden wird, wie, wo, was, wann produziert wird, wird die ganze Verschwendung und Zer­störung der Ressourcen (Mensch und Natur) nicht mehr vorhanden sein. Der Ansporn in den Menschen, etwas für die Menschen, für die Gesellschaft tun zu wollen, wird alle bislang von den Men­schen aufgebrachten Energien in den Schatten stellen. Während der Kapitalis­mus die Menschen, die er in Lohnarbeit gesteckt hat, aufs brutalste und stumpf­sinnig ausbeutet, deren Arbeitskraft ver­schleißt und sie jahrelang tag-tagein ins Tretwerk der Lohnmaschinerie einspannt, sind gleichzeitig Milliarden von Men­schen einem nackten Überlebenskampf ausgeliefert - arbeits-, wohnungslos, hun­gern oder vegetieren oft - wie in der 3. Welt stumpfsinnig vor sich hin. All das wird im Kommunismus ganz anders sein.

Auch wenn all das hier Erwähnte nur ein kurzer Umriß sein kann, so kann man doch schon erkennen, daß das Aufzeich­nen einer kommunistischen Gesellschaft über unser bisheriges Vorstellungsvermö­gen hinausgeht. Deshalb wollen wir die Gefahr der Spekulation vermeiden - son­dern ganz realistisch unterstreichen, daß wir noch nicht einmal wissen, sondern nur ahnen können, welche zerstörte Ge­sellschaft uns der Kapitalismus hinterlas­sen wird.

Zudem wird der Kommunismus nicht von heute auf morgen möglich sein, sondern nach der Machtergreifung durch die Ar­beiterklasse, der ein zerstörerischer Bür­gerkrieg vorausgehen wird, wird es zunächst eine Übergangsperiode vom Ka­pitalismus zum Kommunismus geben.

Klar ist jedenfalls, daß all dies eine gi­gantische Aufgabe sein wird, daß es gar eine Dauer von ganzen Generationen in Anspruch nehmen wird. Nun wird uns dann natürlich die Frage entgegenge­schleudert, ja wer soll denn eigentlich den Kommunismus errichten? Wollt ihr

das als Partei, als kleine Gruppe machen, oder wer soll das tun? Unsere Antwort, daß die Arbeiterklasse die einzige revolu­tionäre Kraft ist, die dies verwirklichen kann, stößt dann im Gegenzug auf noch mehr Zweifel... womit wir schon an einer zweiten Argumentationslinie angelangt sind... Dies ist natürlich genauso eine der am heißesten diskutierten Fragen, und wir wollen hier aus Platzgründen unsere Le­ser auf unsere bisherigen Antworten dazu (siehe WR 53) verweisen.

DER KOMMUNISMUS: DAS ERGEBNIS EINER LEBENDIGEN, REVOLUTIONÄREN KLASSE

Ja, aber der Mensch, so wie er heute ist, wird er überhaupt dazu in der Lage sein, in einer Gesellschaft ohne Profit, ohne Privateigentum zu leben? Wie werden die Menschen im Kommunismus aussehen?

Vor dieser Frage standen die Kommuni­sten schon im letzten Jahrhundert. Da­mals schon betonten Marx und Engels, die Gründer der wissenschaftlichen Erklä­rung des Kommunismus: "...ebenso wird der gemeinsame Betrieb der Produktion durch die ganze Gesellschaft und die dar­aus folgende neue Entwicklung der Pro­duktion ganz andere Menschen bedürfen und auch erzeugen"(Grundsätze des Kommunismus, 1847).

Um nicht irgendwelchen Spekulationen zu verfallen, heben wir deshalb hervor, daß der Kommunismus nur das Ergebnis einer lebendigen, revolutionären Klasse sein wird, die nicht an der Errichtung neuer Ausbeutungsverhältnisse interes­siert ist, sondern an deren Abschaffung. Zur Erreichung dieses Ziels verfügt die Arbeiterklasse nur über zwei Mittel:

- ihre Fähigkeit, sich vereinigend, über alle sie spaltenden Gräben hinweg zu­sammenzuschließen, kurzum ihre Einheit als Klasse, ihre Klassensolidarität;

- und ihr Bewußtsein.

Ja, aber wenn wir uns den jetzigen Zu­stand der Arbeiterklasse anschauen, wie aber können die Arbeiter dann zu diesem revolutionären Bewußtsein gelangen? Auch darauf antworteten damals schon Marx und Engels: "..sowohl zur massen­haften Erzeugung dieses kommunistischen Bewußtseins wie zur Durchsetzung der Sache selbst (ist) eine massenhafte Ver­änderung der Menschen nötig, die nur in einer praktischen Bewegung, in einer REVOLUTION vor sich gehen kann; daß also die Revolution nicht nur nötig ist, weil die herrschende Klasse auf keine an­dere Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in ei­ner Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden" (Deutsche Ideologie, 1845, MEW Bd. 3, S. 70).

Wie aber wird es zu dieser Entfaltung des Bewußtseins kommen? Dieses Bewußtsein wird durch den Stachel der Krise voran­getrieben werden. Denn wenn der Kapi­talismus gezwungen ist, der Arbeiter­klasse die materiellen Grundlagen für ihr Überleben zu entziehen, werden immer mehr Arbeiter die Illusionen über den Charakter dieses Systems verlieren, ler­nen, durch ihren Widerstand als Klasse ihre Kraft zu erkennen, somit an Selbst­vertrauen zu gewinnen. Aus diesen Kämpfen muß dann massenhaft das Be­wußtsein heranwachsen, daß eine neue Gesellschaft nötig ist, und daß der Träger dieser neuen Gesellschaft die Arbeiter­klasse ist. Zu dieser Erkenntnis, zu deren Verbreitung müssen wir als Revolutio­näre beitragen. Dd 7/92

 

 

Weltrevolution Nr. 56

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Verkehrschaos – Spiegelbild kapitalistischer Anarchie

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 Das alltägliche Verkehrschaos - und damit verbunden Staus, Smog, Streß, Umweltzer­störung usw. Jeder kennt es, wir brauchen es hier nicht weiter zu beschreiben. Natür­lich fühlt sich jeder hilflos, meint, man könne nichts ausrichten. Wir aber sagen: diese Anarchie im Verkehr, das alltägliche Chaos sind keine Naturgegebenheiten, denen wir hilflos ausgeliefert zu sein brau­chen. Wir meinen, dieser Verkehrsinfarkt ist das Spiegelbild der kapitalistischen Ver­hältnisse selbst. D.h. eine wilde, chaotische Verkehrsform, die notwendigerweise in ei­nem zerstörerischen Chaos enden muß. Um aus dieser Anarchie im Verkehrswesen her­auszukommen, gibt es nur einen Weg: die Überwindung dieser Gesellschaft.

Wir wollen nachfolgend die Ursachen für dieses Verkehrschaos im Kapitalismus auf­zeigen, und warum eine Lösung innerhalb dieses Systems nicht denkbar ist.

DIE TECHNISCHE REVOLUTIO­NIERUNG DER TRANSPORTMIT­TEL IM KAPITALISMUS

Zunächst ein Rückblick auf das Ver­kehrsaufkommen in der Geschichte. Denn die Transportbedürfnisse in der Gesell­schaft haben sich in der Geschichte ge­waltig verändert. Während der Antike und im Römischen Reich gab es größere Transportbewegungen meist nur in Erobe­rungsfeldzügen, ansonsten war der Wa­ren- und Personenverkehr nur sehr be­schränkt; die Produktion erfolgte lange Zeit nur für lokale Käufer, Sklaven stell­ten Sachen für ihre jeweiligen Herren und für keinen Markt her.

Die Transportmittel und die Technik blie­ben jahrhundertelang im Wesentlichen un­verändert. Selbst im Mittelalter kam es bis zum 15./16. Jahrhundert zu keinen größeren Warenbewegungen über örtliche Märkte hinaus. Die Bauernwirtschaft und damit Subsistenzwirtschaft, Abgaben an Lehnsherren und Adlige - all das ver­langte noch keine umfassenden qualitativ neuen Verkehrsmittel. Die Märkte be­fanden sich jeweils in unmittelbarer Nähe der Produktionsstätten - eine Umwälzung der alten, mehr als Tausend Jahre lang bewährten Transportmittel war noch nicht erforderlich.

Erst mit dem aufkommenden Handel im Kapitalismus und der sich dahinter ver­steckenden Notwendigkeit für das Kapital, ständig seine Produktion auszudehnen und neue Absatzmärkte zu suchen, war eine neue Triebfeder für die Entwicklung des Transportes entstanden. Die Kapitalakku­mulation, der wirtschaftliche Expansions­drang sorgten für eine Revolutionierung im Transportwesen. Die aufkommende Dampfschifffahrt, die Entwicklung und weltweite Ausdehnung der Eisenbahnen, neue Schiffahrtskanäle und Straßensy­steme, all das waren technische Wunder­werke, die der Kapitalismus neben vielen anderen technischen Erneuerungen inner­halb kürzester Zeit in der industriellen Revolution aus dem Boden sprießen ließ. In diesem Prozeß errichtete er im letzten Jahrhundert einen Weltmarkt; neue Konti­nente wurden der Kapitalsherrschaft un­terworfen. All diese neuen kapitalistischen Eroberungen, die in Westeuropa damit einhergehende Industrialisierung erfor­derte eine Umwälzung der Verkehrsver­hältnisse. Insofern hat der Kapitalismus durch seinen ihm innewohnenden Drang zur ständigen Eroberung neuer Märkte eine wahre technische Revolution, einen gewaltigen Fortschritt für die Menschheit gebracht. Das Kapital erforderte und er­möglichte eine neue Mobilität der Waren (ob Arbeitskraft oder als Güter).

Aber da der Kapitalismus auch eine auf Ausbeutung basierte Gesellschaft ist, in der wirtschaftliche Anarchie, Krise, Zer­störung und Chaos verankert sind, brachte der Kapitalismus damit auch ein neues Maß, eine neue Dimension an Anarchie und Chaos im Transportwesen mit sich.

Wenn nun die Grünen und andere Parteien "alternative Verkehrssysteme" anpreisen, dann mag sich zwar hier und da eine nützliche Verbesserung daraus ergeben, aber an den wahren Ursachen dieses Chaos wird nicht gerüttelt. Denn diese Anarchie im Verkehr hat ihre Wurzeln in den Grundwidersprüchen der kapitalisti­schen Produktionsweise selber. Aus Platzgründen können wir hier nicht näher auf die ökonomischen Grundwidersprüche dieses Systems insgesamt eingehen. Wir wollen uns nur auf die für das "Verkehrswesen" direkt relevanten be­schränken.

DIE WURZELN DES CHAOS UND DER ANARCHIE

Wenn ein Unternehmer eine Firma auf­macht, fragt er nicht nach dem Nutzen und den Konsequenzen für die Gesell­schaft. Bei der "Standortwahl" sind für ihn einzig und allein billige Produktions­bedingungen und günstige Wege zum Markt ausschlaggebend. Die Bedürfnisse der Menschen, der Natur, all das wird nicht berücksichtigt - nur finanzielle Aspekte spielen bei der Standortwahl und den damit verbundenen Warenbewegun­gen eine Rolle.

Das Beispiel der Milch, die morgens aus den bayerischen Alpen mit dem LKW nach Italien transportiert wird, um dort nach der Verarbeitung zu Joghurt wieder zu­rück über die Alpen auf den deutschen Markt befördert wird, ist mit am bekann­testen.

Anhand dieses Beispiels läßt sich aufzei­gen, daß es im Kapitalismus viele völlig überflüssige Transportbewegungen gibt, die gesellschaftlich und technisch absolut sinnlos und verschwenderisch sind, weil das Wesen des Produktes dieses Hin- und Herverschieben nicht erfordert - sondern nur billiger Arbeitskräfteeinsatz diese chaotischen Güterbewegungen erklären kann. Unterschiedliche Löhne, die best­mögliche Ausnützung von Preisen (Gütern oder Arbeitskraft) erklärt so einen Teil des Transportaufkommens.

Diese Anarchie und Willkür der Stand­ortwahl bzw. seine Festlegung nach rein kapitalistischen Kriterien, der Anteil der technisch überflüssigen und daher rein profitbedingten Transporte kann nicht in­nerhalb des Kapitalismus überwunden werden!

Neben diesem Aspekt des völlig überflüs­sigen Verkehrsanteils ergab sich so aber auch im Laufe der Zeit die Entwicklung, daß sich Produktionsstandort, Wohnort der Beschäftigten und Absatzmarkt immer weiter voneinander entfernten. Während z.B. früher der Bauer in der Subsistenz­wirtschaft auf seiner Scholle arbeitete und lebte, und selbst im Frühkapitalismus noch die ersten Industriearbeiter in un­mittelbarer Fabriknähe lebten (Stichwort Black Country in England und Ruhrgebiet in Deutschland), reisen heute die Be­schäftigten oft stundenlang zur Arbeit. Viele Innenstädte sind nachts ganz entvöl­kert, Pendler kommen tagsüber und ver­doppeln oft die Zahl der Menschen in der Stadt. Dahinter steckt die ganze Entwick­lung des Widerspruchs zwischen Stadt und Land, auf den wir hier auch aus Platzgründen nicht näher eingehen kön­nen, der aber auch ein typisches Kind des Kapitalismus ist. Auch diese Entwicklung kann nicht innerhalb des Kapitalismus ge­bremst oder umgelenkt werden. Erst in einer anderen Gesellschaft ist eine andere Organisierung möglich.

DIE UNTERNEHMER: RAUBTIERE AN DER GESELLSCHAFT

Die unüberwindbaren Interessensgegen­sätze zwischen den Interessen eines ein­zelnen Unternehmers und der Gesellschaft schlagen sich im Transportbereich auch weiter folgendermaßen nieder:

Während die Gesellschaft im Interesse ei­nes rationellen Einsatzes der Produkti­onsmittel, des Schutzes der Natur, des möglichst geringen Materialaufwandes usw. danach strebt, den Transportaufwand bei Produktion und Verkauf möglichst ge­ring zu halten, kämpft jeder Transportun­ternehmer für einen möglichst hohen Transportanteil. So reibt sich jede Flugge­sellschaft die Hände über die Kiwis und Äpfel, die sie von Neuseeland und Chile nach Europa fliegen können. Oder jeder Spediteur jubelt, wenn er Autoteile quer durch Europa herumtransportieren kann.

So ist natürlich der Transportsektor ein riesiger Markt. Während die öffentlichen Verkehrsmittel zwar auch gewaltige Inve­stitionsmittel anziehen, ist es jedoch ty­pisch, daß für das Kapital das Auto das Mittel ist, das für viele Wirtschaftsbran­chen am meisten "einfährt". Ein Anschaf­fungswert für jeden Kunden von ca. 30.000 DM, mit daran hängender Mine­ralölindustrie, Straßenbau, Versiche­rungsparasiten, Reparaturwerkstätten usw. - so ist der Autokunde eine riesige Quelle, die jeder einzelne Unternehmer anzapfen möchte. Anstatt daß jeder Ein­zelne entsprechend öffentliche Verkehrs­mittel benutzt, ist es eine typische Ausge­burt kapitalistischer Verhältnisse, daß je­der einzelne Verkehrsteilnehmer im Inter­esse der Industrie eher ein "Autokunde" ist. Pervers mögen die einen sagen, die Kapitalsvertreter antworten: "so ist das mal im Kapitalismus". Wie gesagt - wie viel gesellschaftliche Ressourcenver­schwendung, wie viel Umweltzerstörung, Lärm, Abgase, Verkehrstote usw. damit produziert werden - all das spielt keine Rolle - Hauptsache Umsatz wird ge­macht...

DER WAHNSINN DER KONKUR­RENZ

Da alles durch den Markt und die Kon­kurrenz bestimmt wird, stehen damit auch die verschiedenen Verkehrsträger in einem absurden Wettkampf gegeneinander. An­statt die artspezifischen Vorteile der je­weiligen Vekehrsträger sinnvoll abge­stimmt aufeinander einzusetzen, bekämp­fen sie sich ruinös. PKW, LKW und Busse gegen Bahn, Bahnen untereinander, Bahn gegen Schiff usw...

Daß dabei jeweils Lobbies gebildet wer­den, um die Interessen besser durchzuset­zen, liegt ebenso in der Natur der kapita­listischen Gesetze wie der Krieg selbst. Und wenn die Autoindustrie als Gewinner die Eisenbahnen als Verlierer ins Abseits drängt, so zählt dies zum normalen gesell­schaftlichen Irrsinn in dieser Gesellschaft.

Diese Ausgangsbedingungen der kapitali­stischen Produktion, die Anarchie bei der Wahl des Produktionsstandortes, die Konkurrenz der Verkehrsträger unterein­ander, die Profitinteressen der Transport­unternehmen und deren Bestreben nach hohen Transportanteilen, die Auseinande­rentwicklung zwischen Stadt und Land - all das hat im Transportwesen einen Wahnsinn, ein grenzenloses Chaos entste­hen lassen. Auch hier obsiegt das typische kapitalistische Motto. Jeder muß für sich sehen, wie er irgendwie irgendwo hin­kommt. Anstatt sich mit rationell und ge­sellschaftlich nützlich geplanten, aufein­ander abgestimmten Transportmitteln fortzubewegen, die allen Menschen leicht zugänglich zur Verfügung stehen, ist jeder im Kapitalismus auf "sich allein gestellt".

Fehlende Planung des gesamten Trans­portwesens, fehlende Zentralisierung, Wirtschaftskrieg zwischen den Verkehrs­systemen - all das hat aber in diesem Jahrhundert neue Dimensionen erreicht.

DER ZUSAMMENPRALL ZWI­SCHEN DEM TECHNISCH MÖGLI­CHEN UND DER GESELLSCHAFT­LICHEN WIRKLICHKEIT

Denn nachdem der Kapitalismus zunächst mit dem ausklingenden letzten Jahrhun­dert einen Weltmarkt hergestellt hatte, ist er seitdem auf die Grenzen seines Systems gestoßen - und überlebt seitdem nur noch durch Zerstörung.

Die damals wirtschaftlich zurückgebliebe­nen Länder, die sog. Kolonien, waren seinerzeit schon zu wirtschaftlichen Krüp­peln geschlagen waren, denn sie sollten daran gehindert werden, eine umfassende Industrialisierung im Umfang der sog. In­dustrieländer zu durchlaufen, um so neue Konkurrenten fernzuhalten. Dies schlug sich so nieder, daß es die absurdesten Kontraste zwischen den seitdem wirt­schaftlich unterentwickelt gebliebenen Ländern und den sog. Industrieländern gibt.

Weil nur Geld, d.h. ein kaufkräftiger Markt auch neue Transportmittel anzieht, die meisten Länder der sog. 3. Welt aber wirtschaftlich zurückgeblieben sind, und eine umfassende Industrialisierung dort ausgeblieben ist, sind große Teil dieser Länder von modernen Transportmitteln überhaupt abgeschnitten, bzw. es überle­ben die anachronistischsten Transport­mittel. Wenn es überhaupt Straßen, Wege und Schienen gibt, dann beherrschen oft noch Fuhrwerke, Esel, Kamel usw. die Straße. Alte, klapprige, gifte Abgase aus­spuckende LKWs und Busse, das ist das typische Straßenbild. In den Megastädten wie Mexiko, Kairo, Calcutta usw. wird die Luft bis zum Umfallen verpestet. Aber nicht nur Lärm- und Abgasterror gehören dort zum Alltag. Die Widersprüche sind noch absurder: so sehen die somalischen Flüchtlinge, die von Krieg und Dürre in den Tod gejagt werden, und wo es wegen der Kriegswirtschaft an zivilen Trans­portmitteln und -wegen fehlt, jeden Tag am Himmel über sich Flugzeuge. Sie flie­gen von und nach Europa - mit Touristen nach Kenia in die Safaris und die Billig­bordells, und Maschinen mit südafrikani­schen Trauben für den europäischen Markt. Kontraste und Absurditäten für das Geschichtsbuch.

All das nur, weil Löhne und Preise welt­weit so auseinanderklaffen. Riesige Mas­sen von Industriegütern, Nahrungsmitteln usw. werden beispielsweise aus Fernost nach Europa oder Amerika ver­schifft. Dabei fahren die Schiffe an Afrika oder Südamerika vorbei - obgleich die Men­schen dort diese Güter wirklich bräuchten. Aber weil ihre Kaufkraft nicht ausreicht, läuft der "Verkehr" an ihnen vorbei - stattdessen fließt er in die über­füllten und umkämpften kaufkräftigeren Märkte.

Auf der einen Seite also technische Rück­ständigkeit in vielen Gegenden; in den Hochburgen der Landflucht, den bekann­ten Megastädten Abgaskonzentrationen und Verkehrschaos so häufig und weit ge­diehen, so wild und dicht wie Fliegen auf der Scheiße. Andererseits eine absurde Situation in den Industrieländern, wo es die höchst entwickelte Technik, high-tech überall gibt, wo aber ein Verkehrsinfarkt die Gesellschaft jeden Tag terrorisiert. Gerade in den Industriezentren selber, wo der Kontrast zwischen den technisch vor­handenen Möglichkeiten und der tatsäch­lichen Organisationsform der Gesellschaft (hier die Organisationsform des Ver­kehrswesens) am deutlichsten auffällt, ist das Verkehrschaos mittlerweile zum All­tag geworden.

Hier wird auch am deutlichsten, daß zwar die technischen Mittel zu einer wirklich "vernünftigen" Verkehrsgestaltung vor­handen sind, daß aber der Raubtier- und Anarchiecharakter der kapitalistischen Verhältnisse dies unmöglich macht.

So ist eine wirkliche Umorganisie­rung, eine den Interessen der Menschen die­nende Transportgestaltung der Gesell­schaft nur möglich, indem diese Gesell­schaft umgekrempelt wird.

Deshalb sagen wir: jede auch noch so kleine Reform im Verkehrswesen kriegt das wirkliche Problem - die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise selber - nicht zu packen. Sie kann deshalb nur Flickwerk sein und verbreitet meist die Illusion, es sei "möglich etwas zu verbes­sern".

Genauso wie die Gesellschaft insgesamt nur noch mehr Wirtschaftskrieg, Explo­sion von nationalistischen Konflikten usw. anzu­bieten hat, so kann auch die Anarchie im Verkehrswesen nur noch zunehmen. Erst in einer neuen Gesellschaft, in der nicht für Profit, sondern für die Bedürf­nisse der Menschen produziert wird, ist eine ver­nünftige, den Menschen dienende Organi­sation des Transportes möglich. Dv, 9/92

Weltrevolution Nr. 57

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1933: Demokratie als Wegbereiter des Faschismus

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Im Jan. 1933 übernahmen die Nazis die Macht in Deutschland - demokratisch und frei gewählt im Reichstag. Programm und Ziel der Nazis: Deutschland aus der Krise von 1929 herauszuführen, und dies ging nur - dessen waren sich die Nazis von Anfang an bewußt - durch Krieg. Den bereiteten sie dann auch systematisch und planvoll vor. Was daraus geworden ist, wissen wir: KZs, der 2. Weltkrieg usw.

Heute rufen uns alle "guten Demokraten" dazu auf, daß wir uns gegen die "neue Nazi-Gefahr", gegen "Rechts" und hinter die Demokratie stellen. Die Demokraten wollen uns verkaufen, daß der Faschismus der eigentliche Feind sei, und wir uns alle gegen ihn mobilisieren sollten. Tatsächlich sind Demokratie und Faschismus aber zwei Gesichter der gleichen kapitalistischen Barbarei (siehe dazu WR 56). Es gibt keinen grundsätzlichen Gegensatz zwischen den beiden. Die Geschichte hat bewiesen, daß die Demokratie zu genauso viel Bluttaten und Barbarei zur Verteidigung des Kapitalismus fähig ist wie ihre Zwillingsbrüder Faschismus oder Stalinismus. Unsere Position ist: wir dürfen uns nicht von dieser falschen Polarisierung Antifaschismus gegen Faschismus aufsaugen lassen. Stattdessen müssen wir resolut den Standpunkt der Arbeiterklasse vertreten , die gegen alle Formen der bürgerlichen Herrschaft, ob faschistisch oder demokratisch ankämpfen muß. Nachfolgend wollen wir uns damit auseinandersetzen, warum der Faschismus in Deutschland seinen Einzug halten konnte.

DIE WIRKLICHEN URSACHEN:

DIE NIEDERLAGE DER ARBEITERKLASSE IN DEN 20er JAHREN

1914 war die Welt in einen Krieg gest

So steckte in den 20er Jahren der Arbeiterklasse ihre Niederlage tief in den Knochen. Alle ihre fr

ürzt worden - mit Unterstützung aller hurrapatriotischen bürgerlichen Parteien versteht sich - aber auch der meisten sozialdemokratischen Parteien. Der 1. Weltkrieg wurde nur durch die revolutionäre Erhebung der Arbeiter in Rußland und Deutschland zu Ende gebracht, denn im Verlaufe des Krieges entfesselte sich ein Widerstand in den Reihen der Arbeiter mit Streiks, Protestdemos, Meutereien bis hin zur revolutionären Erhebung. Um den Frieden durchzusetzen, um nicht zu verhungern, mußten die Arbeiter in Rußland die Macht ergreifen. Auch in Deutschland kam es zu mächtigen revolutionären Erschütterungen. Aber vor allem dank der Drecksarbeit der SPD und der Gewerkschaften, die sich schützend vor den bürgerlichen Staat stellten, kam die Ausdehnung der Revolution in Deutschland nicht voran. Mehr als 20.000 Arbeiter wurden 1919 umgebracht, regierungsverantwortlicher Bluthund war die SPD gewesen. Ergebnis der Niederschlagung und Versandung der Bewegung in Deutschland: die Arbeiter in Rußland blieben weitgehend isoliert. So mußten sie im Folgenden der Offensive einer imperialistischen Armee von 22 Staaten - an deren Spitze die großen Demokratien - entgegentreten, die sie zwar militärisch gewannen, aber in der sie politisch die Macht verloren. Anfang der 20er Jahre, spätestens 1923 war der revolutionären Bewegung, die ein Echo in vielen Ländern gefunden hatte, die Spitze gebrochen. Das Kapital entfaltete eine blutige Konterrevolution. Die Arbeiterklasse war physisch zu Boden gestreckt, ihre Kampfmoral untergraben, vor allem war sie politisch desorientiert. In Rußland, wo die Arbeiter infolge der Isolierung der Revolution in einem schmerzvollen Prozeß mittlerweile die Macht verloren hatten, hatte sich eine neue Herrscherclique eingenistet, die ihr Terrorregime gegen die Arbeiterklasse auszuüben begann. Der Stalinismus gab vor, die Fortsetzung der Oktoberrevolution zu sein, obwohl er tatsächlich der Totengräber derselben war. Der Kommunistische Internationale, vormals Weltpartei des Proletariats, unterwarf sich den Interessen des russischen nationalen Kapitals, kapitulierte vor dem Stalinismus, wurde zu ihrem Instrument. In Deutschland war die SPD am Ruder, deren Apparat seit 1914 in den Staat integriert war. Es war gerade die SPD gewesen, mit deren Hilfe das Kapital den Krieg hatte führen können. Und es war vor allem die Heldentat der SPD und der Gewerkschaften, die Gefahr der Ausdehnung der Revolution gebannt zu haben. Diese feinen Demokraten hatten die Arbeiter niedergestreckt, und nicht die Nazis, die erst viel später ihre Drecksarbeit ausrichten konnten. Hätten SPD und Gewerkschaften sich nicht schützend vor das Kapital gestellt, nicht dessen Terrorherrschaft ausgeübt, wäre alles ganz anders gekommen. üheren Massenorganisationen waren in das Lager des Kapitals übergewechselt: SPD, Gewerkschaften. Und diese Niederlage der Arbeiter sollte dem Kapital freie Hand geben, denn das Kapital stand nunmehr keinem mächtigen Gegner mehr gegenüber. Es konnte seine barbarischen, kriegerischen Tendenzen in einem "neuen Ausmaß" ausleben.

DER KRIEG WIRD ZUR ÜBERLEBENSART

DIE NAZIS DIE KRIEGSPARTEI

Denn der 1. Weltkrieg hatte eine neue Periode eingeläutet. Der Kapitalismus konnte nunmehr nur noch

Auch war Deutschland der große Verlierer des 1. Weltkriegs gewesen. Stark angeschlagen und mit Reparationszahlungen belastet, blieb f

Auf diesem Hintergrund waren die Nazis die konsequenteste Kriegspartei. Auch wenn sie unter den verzweifelten Kleinb

- Verstärkung des Staatskapitalismus, forcierte Militarisierung, kurzum Mobilisierung aller Ressourcen f

- und das erforderte die vollständige Unterwerfung der Arbeiterklasse, nachdem die SPD und die Gewerkschaften in den Kämpfen von 1918-23 schon die unabdingbare Vorarbeit geleistet hatten.

Erst als die Arbeiterklasse schon besiegt war und damit der Weg frei war f

Nun sagen viele, vor allem Linke, daß man den Faschismus hätte verhindern können, "wenn sich alle linken Kräfte zusammengeschlossen hätten. Wenn eine Einheitsfront aller Demokraten zustandegekommen wäre, dann hätte man den Aufstieg der Nazis vermeiden können".

 

überleben durch einen Zyklus von Krieg - Wiederaufbau - Krise - Krieg - Wiederaufbau... Nach einer kurzen Wiederaufbauphase versank die Weltwirtschaft 1929 erneut in einer Krise. Zuvor schon hatte in Deutschland die Inflation von 1923 für eine Enteignung des Mittelstandes und ein Wegschmelzen der letzten Sparguthaben der Arbeiter gesorgt. ür Deutschland kein anderer Weg, als am aggressivsten aufzutreten und den anderen Ländern deren Märkte und Rohstoffgebiete abzujagen. Aber die Krise von 1929 trieb alle Länder in diese Konfrontation - der fatalen kapitalistischen Logik folgend, blieb keine andere Lösung als die Kriegsvorbereitung auf allen Seiten. Der Krieg war zur Überlebensform schlechthin geworden. ürgern den größten Anhang fanden, wurden sie tatsächlich zur Partei des Großkapitals. Der Faschismus war nie das Kind eines deutschen Kleinbürgertums, sondern er wurde zur Trumpfkarte des deutschen Großkapitals. Die Aufgabe, die die Nazi-Partei im Namen des Kapitals zu erfüllen hatte, hieß:ür den Krieg,ür die Logik des Kapitals, konnten die Nazis aufmarschieren. D.h. erst als die Arbeiterklasse in der großen Krise von 1929, die zu einer ungeheueren Verarmung der Arbeiter führte, keinen wesentlichen Widerstand mehr leistete, brach die Nazipest herein. Der Aufstieg der Nazis zur Macht war also erst möglich geworden, nachdem die Arbeiter geschlagen waren - dann war aber auch der Faschismus nicht mehr aufzuhalten. Zu gründlich und zu brutal hatte die Demokratie der Arbeiterklasse das Blut ausgesaugt.

DER MYTHOS VOM "AUSGEBLIEBENEN WIDERSTAND"

Ihr Grundgedanke ist, der Faschismus sei etwas Schlimmeres als die Demokratie, wobei der Faschismus gerade die notwendige Etappe zum Krieg und Militarisierung der Arbeiterklasse ist, die erst möglich wurde, nachdem die Demokratie die Arbeiter entwaffnet hatte. Die Linken l

Widerstand von wem?

Der SPD?: Seit 1914 war ihre ganze Ausrichtung gewesen, die Arbeiterklasse an den Staat zu binden: ob im 1. Weltkrieg, ob 1918/1919, ob in den 20er Jahren, wenn immer sie an der Regierung stand. Und jedesmal wenn die SPD f

Die GEWERKSCHAFTEN?: Sie waren seit 1914 zur Polizei im Betrieb geworden, hatten einen Burgfrieden (Streikverbot) beschlossen, wirkten als Staudamm gegen die revolutionäre Erhebung 1918/19, wurden in den 20er Jahren vollends in den Staatsapparat integriert, sorgten daf

Von diesen beiden Organisationen also Widerstand zu erwarten, hieße als ob man von der Polizei Widerstand gegen eine Regierung erwartet. F

Die KPD?: Während sie in den Kämpfen von 1918/19 noch an der Spitze der Bewegung gestanden und resolut die Interessen der Arbeiter verteidigt hatte, war sie in den 20er Jahren fr

ügen uns etwas vor von einem nicht vorhandenen Gegensatz zwischen Demokratie und Faschismus. Und sie verlangen Widerstand von Organisationen, die längst in den Staat integriert worden waren, denen viel Blut an den Fingern klebte, und die sich alle durch ihre Feindschaft gegenüber der Arbeiterklasse in den revolutionären Kämpfen ausgezeichnet hatten, ür ein Massaker an den Arbeitern verantwortlich war, rechtfertigte sie dies, indem sie sagte, alles müsse der Verteidigung der Demokratie (d.h. der Herrschaft des Kapitals) untergeordnet werden. ür, daß kein wesentlicher Widerstand in der Krise von 1929 aufkam. Zwar wurden im Jan. 1933 Gewerkschaftsführer für eine Zeit in Haft genommen, aber kurz danach wieder freigelassen. Der Apparat stellte sich den Nazis zur Verfügung. Auch wenn die Nazis zwar schauträchtig einige Gewerkschaftshäuser anzündeten, ändert das nichts daran, daß der Gewerkschaftsapparat für sie ein unverzichtbares Instrument war. Dieser Apparat ging nämlich nahtlos über in die Deutsche Arbeitsfront, die "Nazi-Gewerkschaft". Kein Zufall, daß die Gewerkschaften am 1. Mai 1933 unter Nazi-Fahnen mitmarschierten. ür sie spielt es nämlich keine Rolle, welche Partei an der Regierung ist, ihre Aufgabe besteht darin, das System zu verteidigen!üh zum Vasallen Moskaus geworden. Sie schlug als erste den Kurs der rückhaltlosen Unterwerfung unter die Interessen des russischen Kapitals ein, ihre Stalinisierung war am schnellsten vorangeschritten. Auch stützte sie sich bei ihrer Arbeit auf die Gewerkschaften (z.B. revolutionäre Gewerkschaftsopposition) und den Parlamentarismus, ("Haltet Hitler auf, wählt Thälmann") d.h. gerade die Waffen, mit Hilfe derer die Arbeiter geschwächt, gefesselt und niedergestreckt worden waren. Schlimmer noch mit ihrem Schlachtruf der nationalen Befreiung des "unterdrückten Deutschlands" trat sie auf nationalistischem Parkett in einen Wettlauf mit den Nazis, der die Arbeiter genau von ihren Interessen ablenkte.

DER FASCHISMUS STÜTZTE SICH AUF DIE BLUTIGE VORARBEIT DER DEMOKRATIE

Man darf also nicht "

So ist der Faschismus kein besonders reaktionäres Phänomen, sondern eine Stufe in der Logik des Kapitals, der Kriegsvorbereitung, bei niedergeschlagener Arbeiterklasse.

Wenn der Faschismus 1933 aber nicht aufgehalten werden konnte, weil die Arbeiterklasse längst geschlagen war, wie sieht es denn heute aus? Wir sagen: die in der Krise verfaulende Gesellschaft wird immer mehr verzweifelte Elemente hervorbringen, die sich durch faschistische Ideen angezogen f

überrascht" sein, daß es keinen umfassenden Widerstand gegen die Nazis gegeben hat. Erstens sind sie selbst in bürgerlichen Begriffen legal an die Macht gekommen, mit demokratischen Abstimmungen, und vor allem steckt dahinter die Erwartung eines Widerstandes von diesen "demokratischen Kräften". Man glaubt damit, daß es einen Widerspruch zwischen Demokratie und Faschismus gebe. Tatsächlich war es so: indem die Demokratie der Arbeiterklasse die entscheidende Niederlage in den revolutionären Kämpfen von 1919-23 beigefügt hatte, war sie selbst zum Steigbügelhalter des Faschismus geworden. Die Demokratie ist nicht der Feind, der Staudamm gegen den Faschismus, sondern nur ihr Wegbereiter, sobald die Arbeiterklasse geschlagen ist. 1933 war ein Aufbäumen der Arbeiterklasse unmöglich geworden, weil das Kräfteverhältnis längst zugunsten des Kapitals gekippt war. ühlen. Und sie werden umso stärker, wenn die Arbeiterklasse es nicht schafft, sich auf ihrem Boden zur Wehr zu setzen. Wenn die Arbeiterklasse sich hinter die Demokratie, den Staat ziehen läßt, dann wäre langfristig das Tor zu einer Niederlage der Arbeiterklasse aufgestoßen. Aber heute ist dies noch nicht der Fall. Deshalb ist es so entscheidend, daß die Arbeiterklasse sich heute auf ihrem eigenen Boden gegen die Krise zur Wehr setzt. Wie das geht, und welche Bedingungen dafür existieren, haben wir in anderen Artikeln dieser Zeitung aufgezeigt. Dav. 12/92

DIE FRAGE DES SOZIALFASCHISMUS

Damals hat sich Trotzki insbesondere mit der Forderung identifiziert, SPD und KPD sollten sich zusammenschließen, um Hitler zu stoppen. Aber die Sozialdemokraten, die Henker der deutschen Revolution, dachten nicht im Traum daran, sich mit einer KPD zusammenzutun, die trotz ihrer späteren Entartung als ein Produkt eben dieser Revolution angesehen wurde, um eine NSDAP zu stoppen, welche sich bei Militär und Arbeitgebern einer wachsenden Beliebtheit erfreute.

Die Hauptzielscheibe von Trotzkis Kritik war jedoch die KPD bzw. die politische Linie der durch die stalinistische Konterrevolution zum Leichnam gewordenen Kommunistischen Internationale. Unter der Parole des Sozialfaschismus erklärte die Komintern bzw. die KPD die Sozialdemokraten zum Hauptfeind der Arbeiterklasse, mit der jegliche B

ündnispolitik ausgeschlossen sei. Trotzki polemisierte gegen diese Position. Dabei berief er sich auf Lenins Kritik an der Weigerung der deutsch-holländischen Linken (KAPD, KAPN) sowie der Führung der KP-Italiens Anfang der 20er Jahre (unter Bordiga), sich mit bürgerlichen "Demokraten" gegen Rechts zu verbünden. Sich auf Lenins Schrift "Der Linksradikalismus -eine Kinderkrankheit des Kommunismus" berufend, behauptete nun Trotzki, die stalinistische Politik der "Bekämpfung des Sozialfaschismus" sei identisch mit der Ablehnung der bürgerlichen Demokratie durch die kommunistische Linke. Diese Behauptung, welche von allen Trotzkisten bis auf den heutigen Tag wiederholt wird, war nichts als eine bösartige Verleumdung. Die Kommunistische Linke kämpfte für einen Zusammenschluß der Arbeiterklasse außerhalb und gegen alle bürgerlichen Institutionen, welche die Klasse stets zu spalten versuchen. Der Stalinismus dagegen wollte mit seiner "Bekämpfung des Sozialfaschismus" die SPD von der Führung eben dieser bürgerlichen Institutionen (vor allem die Gewerkschaften) verdrängen und ablösen. Diese stalinistische Anfeindung der SPD schloß eine Zusammenarbeit mit anderen bürgerlichen Parteien ausdrücklich nicht aus. So arbeitete die KPD zusammen mit den Betriebsorganisationen der NSDAP 1932 während des Berliner Verkehrsbetriebsstreiks. Dies war eine Vorwegnahme des Hitler-Stalin-Paktes von 1939. Danach - und bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 erklärten die Stalinisten, der Hauptfeind des internationalen Proletariats sei der englische und französische Imperialismus. Und während die KPD 1932 behauptete, die bevorstehende Reichskanzlerschaft Hitlers sei der unmittelbare Auftakt zur proletarischen Machtübernahme in Deutschland, verkündeten die Marxisten als einzige die bittere Wahrheit, daß Hitler den Weg zum 2. imperialistischen Weltkrieg ebnete.

Weltrevolution - 1993

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Weltrevolution Nr. 58

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Die Überproduktionskrise zeigt die Möglichkeit des Kommunismus

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Die Überproduktionskrise, die hinter all den unvermeidbaren Übeln der weltkapitalistischen Wirtschaft steckt (Massenarbeitslosigkeit, sinkende Wachstumsraten, Schulden, Inflation, Spekulation, Verschwendung) kann nicht innerhalb des Rahmens der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse gelöst werden.

DER KAPITALISMUS KANN NICHT OHNE MEHRWERT EXISTIEREN

Der Kapitalismus produziert nur für Profit. Die wirkliche Quelle des Profits ist die unbezahlte Arbeitszeit, zu der die Arbeiter gezwungen werden. Aber die Tatsache, daß den Arbeitern immer weniger bezahlt wird, als sie herstellen, bedeutet, daß "der größte Teil der Produzenten, die Arbeiter, nur ein Äquivalent für ihr Produkt konsumieren können, solange sie mehr als dies Äquivalent produzieren. Sie müssen stets Überproduzenten sein, über ihr Bedürfnis hinaus produzieren, um innerhalb der Schranken ihres Bedürfnisses Konsumenten oder Käufer sein zu können" (Marx & Engels, Theorien über den Mehrwert, 2. Band, 17. Kapitel, S. 520). ürden, ohne daß ein Gewinn gemacht wird beim Verkauf.

Der innere Markt reicht nie aus, um all die Waren aufzusaugen, die im Kapitalismus hergestellt werden. Und es wäre eine vollkommene Absurdität vom kapitalistischen Standpunkt aus gesehen, wenn Sachen verkauft w

DER KAPITALISMUS KANN NICHT OHNE KONKURRENZ LEBEN

Der Wettbewerb zwischen einzelnen Kapitaleinheiten, das Rennen um Märkte hat den Kapitalismus zu einem dynamischen System werden lassen. Ein "Kapitalismus", der alle innere Konkurrenz ausgeschaltet hätte, ist eine reine Illusion. Und wenn im Zeitraum der kapitalistischen Dekadenz, die Anfang dieses Jahrhunderts anfing, nationale Einheiten des Kapitals angefangen haben, die Konkurrenz innerhalb ihrer Landesgrenzen aufzuheben (wie z.B. während der Herrschaft des Stalinismus), geschah dies nur mit dem Ziel, auf dem Weltmarkt noch besser konkurrieren zu können. Aber da der Weltmarkt begrenzt und gesättigt ist, folgt daraus, daß ein Teil des Marktes, den ein Konkurrent beherrscht, einem anderen verloren geht. All die Versuche, den Welthandel irgendwie so zu regeln, daß alle Länder davon profitieren könnten - sind fehlgeschlagen - wie das j

- sie die Lohnarbeit und die Warenproduktion

- sie die Konkurrenz

üngste Beispiel der Gatt-Verhandlungen dies zeigt. Diese Widersprüche können nur überwunden werden, indem das grundlegende Motiv, das Ziel der Produktion selber geändert wird. Nur eine kommunistische Produktionsform kann dies bewirken, weilüberwindet. Güter werden für die Bedürfnisbefriedigung hergestellt und nicht für Profit wie im Kapitalismus. Ein offensichtliches Beispiel: im Kapitalismus werden riesige Mengen Lebensmittel weggeschmissen oder man läßt sie einfach verfaulen; Bauern erhalten Subventionen, nicht um Lebensmittel zu produzieren, sondern weil die Märkte überfüllt sind und die Lebensmittel nicht profitbringend verkauft werden können. Aber dies hat natürlich nichts mit dem Bedürfnis nach Nahrungsmitteln zu tun, weil Millionen von Menschen entweder unterernährt sind oder verhungern. Nur indem man eine Gesellschaft errichtet, in der Nahrungsmittel produziert werden, um jeden Menschen zu ernähren und in der die Sachen dann verteilt werden ohne den Mechanismus des Verkaufs und des Kaufs, kann dies überwunden werden;überwindet, indem Unternehmen, die Volkswirtschaft und Nationalstaaten abgeschafft werden. Die Ressourcen der Erde, die Mittel zur Herstellung von Wohlstand werden "Gemeineigentum" der Menschen insgesamt sein. Die Produktion wird geplant und weltweit organisiert sein. In einer kommunistischen Welt werden Landesgrenzen und alles, was damit verbunden ist - Nationalhaß, Handelskriege, imperialistische Konflikte - in das Museum der Schreckgespenster gesteckt werden.

DIE MÖGLICHKEIT DES ÜBERFLUSSES

Die Überproduktionskrise macht den Kommunismus zu einer Notwendigkeit, ja sie macht ihn auch möglich. Wie im Kommunistischen Manifest von 1848 geschrieben wurde: in allen fr

Schon 1847 hob Engels diesen Punkt in einem ersten Entwurf zum Kommunistischen Manifest hervor: "... die ausgedehnte Produktion, welche f

Wenn es möglich war, sich dies 1847 vorzustellen, als der Kapitalismus noch in den meisten Ländern in den Kinderschuhen steckte, stimmt dies heute umsomehr in einer Zeit, wo die Produktivität der Arbeit noch wesentlich höher liegt. Um zum Beispiel der Lebensmittel zur

Gleichzeitig gibt es keinen Grund mehr, daß auf der einen Seite Millionen von Menschen dazu verurteilt sein sollten, unzufriedenstellende, geistig verdummende, unter Zwang ausge

Wenn all die menschliche Arbeitskraft, die entweder in der Arbeitslosigkeit oder in den unzählig unproduktiven, parasitären oder gesellschaftlich zerstörerischen Beschäftigungsformen verschwendet wird, die zum prägenden Merkmal der verfaulenden kapitalistischen Gesellschaft geworden sind (R

üheren Zivilisationen wäre die Überproduktion als etwas Absurdes erschienen. Alle früheren Gesellschaften gingen unter, weil sie unfähig waren, ausreichend zu produzieren. Nur der Kapitalismus wird davon bedroht, daß er "zu viel" produziert. Aber die Tendenz des Kapitalismus, zu viel herzustellen, all die gewaltigen Produktionskapazitäten, die er hervorgebracht hat, hat auch die Grundlagen für eine Gesellschaft des Überflusses gelegt - eine Gesellschaft, die dazu in der Lage ist, all die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, so daß es keine materielle Grundlage mehr gibt für die Aufrechterhaltung der Klassenspaltungen und der Privilegien, für einen staatlichen Unterdrückungsapparat und für all die lasterhaften Formen der Konkurrenz unter den Menschen. Kurzum, der alte Traum der Menschheit einer freien menschlichen Gemeinschaft wird so möglich. ür die jetzige Ordnung der Gesellschaft eine Überproduktion und eine so mächtige Ursache des Elends ist, wird dann nicht mal hinreichen und noch viel weiter ausgedehnt werden müssen. Statt Elend herbeizuführen, wird die Überproduktion über die nächsten Bedürfnisse der Gesellschaft hinaus die Befriedigung der Bedürfnisse aller sicherstellen, neue Bedürfnisse und Veranlassung neuer Fortschritte sein, sie wird diese Fortschritte zustande bringen, ohne daß dadurch, wie bisher jedesmal, die Gesellschaftsordnung in Verwirrung gebracht werde" (Grundsätze des Kommunismus - auf die Frage: was werden die Folgen der schließlichen Beseitigung des Privateigentums sein?), MEW 4, S. 375).ückzukehren. Wie wir in einem früheren Artikel aufzeigten: "die sehr konkurrenzfähige Landwirtschaft Hollands allein könnte ganz Europa ernähren. Auch könnte die Menschheit heute dreimal mit der gegenwärtigen ganzen Nahrungsmittelproduktion ernährt werden". Technisch gesehen gibt es überhaupt keinen Grund dafür, daß heute Menschen nicht genug zu essen haben. Die Gründe hierfür liegen ausschließlich im gesellschaftlichen und politischen Bereich.übte Arbeit zu leisten, während auf der anderen Seite Millionen dazu verdammt sind, in der Armut der Arbeitslosigkeit oder im "Dämmerlicht" der Slums der sog. 3. Welt zu leben. üstungsproduktion, Banken, Versicherungen, Werbung usw.) - wenn all diese Arbeitskraft mit einer neuen, höchst entwickelten Technik eingesetzt würde (Automation usw.), könnten nicht nur alle lebensnotwendigen Güter produziert werden, sondern auch die Arbeitszeit, die man damit verbringen muß, sich ständig wiederholende und abstumpfende Arbeit zu verrichten, drastisch reduziert werden. Und dies wäre auch die Grundlage für die Überwindung der Spaltung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, zwischen Freizeit und Arbeitszeit, kurzum für die Ersetzung der entfremdeten Arbeit mit der freien menschlichen Aktivität und der Entfesselung der gigantischen schöpferischen Kräfte, die in den Menschen stecken.

DER EINZIGE WEG ZUM KOMMUNISMUS IST DER KLASSENKAMPF

Die "positive Überwindung" der Entfremdung, die im Lohnarbeitssystem enthalten ist, war immer das Ziel der marxistischen Bewegung (1). Und wenn wir mit Leuten

Wir haben bislang behauptet, der Kommunismus sei eine Notwendigkeit, wenn die Menschheit

So kann der Kampf um den Kommunismus nicht damit verworfen werden, indem man behauptet, es handele sich um eine viel zu vage oder messianische Idee. F

(weitere Literatur zum Thema Kommunismus- kein schöner Traum der Menschheit, sondern eine Notwendigkeit und Möglichkeit - gibt es in unserer Artikelserie dazu).

über diese Auffassung vom Kommunismus reden und dies den grotesken, abscheulichen Verzerrungen und Lügen der bürgerlichen Propaganda entgegenstellen (die behauptet, der Kommunismus, das seien Arbeitslager und die Geheimpolizei überall, kurzum Kommunismus sei Stalinismus), dann meinen tatsächlich viele, daß solch eine Gesellschaft in der Tat ein besseres, menschlicheres Leben bieten würde. Aber das Problem liegt darin, daß die Mehrheit derjenigen, die damit übereinstimmen, solch eine Gesellschaft nur als eine "schöne Idee" auffassen, d.h. bei der man keine Hoffnung haben könne, sie jemals verwirklichen zu können.überleben soll; daß er auch eine Möglichkeit ist, die in den Produktionsmöglichkeiten der heutigen Gesellschaft, im Wissensstand enthalten ist. Aber das reicht noch nicht aus. Um zu einer wirklichen Möglichkeit zu werden, kann der Kommunismus nur das Ergebnis einer Bewegung werden, die auf dem Boden dieser Gesellschaft selbst heranwächst. Und diese Kraft, diese Bewegung, die ihn hervorbringen kann, ist der Kampf der Arbeiterklasse gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise. Aufgrund der Wirtschaftskrise zwingt der Kampf der Arbeiter zur Verteidigung ihrer elementarsten Lebensinteressen (Löhne, Arbeitsplätze usw.) sie immer mehr dazu, die Logik, die Mechanismen der kapitalistischen Wirtschaft selber infragezustellen. Die Arbeiter brauchen zu essen, Kleidung, Heizung, Gesundheitsversorgung... aber der Kapitalismus in der Krise verlangt, daß sie diese Bedürfnisse immer mehr im Namen der "wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit", dem "Wohl der Nation" und anderen Vorwänden opfern, die nur den Interessen einer ausbeutenden Minderheit dienen. In dem Maße wie die Krise die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bewegungen hin zum vollständigen Zusammenbruch treibt, läuft alles immer mehr auf die Frage hinaus: entweder unterwerfen sich die Arbeiter dem zügellosen Appetit des Kapitals und gehen damit mit dem Kapital unter, oder sie übernehmen selbst die Kontrolle über die Produktionsmittel und setzen sie dazu ein, ihre wirklich menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Dies erfordert natürlich, daß die ökonomischen Abwehrkämpfe (z.B. zur Verteidigung des Lohnes, gegen andere Kürzungen usw.) der Arbeiterklasse zu einem offensiven, politischen Kampf übergehen müssen - einem Kampf um die Zerstörung des bürgerlichen Ausbeuterstaates und damit um die Machtergreifung durch die internationale Arbeiterklasse, die sich in ihren eigenen demokratischen Organen, den Arbeiterräten organisiert. Denn die Arbeiterklasse kann kommunistische gesellschaftliche und ökonomische Maßnahmen nicht ergreifen, solange die politische Macht in den Händen des Kapitals liegt. ür den Kommunismus zu kämpfen, heißt an einer wirklichen und praktischen gesellschaftlichen Bewegung mitzuwirken und alles erforderliche zu unternehmen, um diese Bewegung zu unterstützen, damit sie vereinigt und organisiert wird, sich selbst und der Hindernisse auf ihrem Weg bewußt wird. Wie Marx im Lichte der ersten revolutionären Erfahrungen der Arbeiterklasse schrieb, nämlich zur Zeit der Pariser Kommune 1871: "Die Arbeiterklasse hat keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluß einzuführen. Sie weiß, daß, um ihre eigne Befreiung und mit ihr jene höhere Lebensform hervorzuarbeiten, der die gegenwärtige Gesellschaft durch ihre eigne ökonomische Entwicklung unwiderstehlich entgegenstrebt, daß sie, die Arbeiterklasse, lange Kämpfe, eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen hat, durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden. Sie hat keine Ideale zu verwirklichen, sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben" ("Der Bürgerkrieg in Frankreich", MEW, Bd. 17, S. 343). CDW

DER KAPITALISMUS KANN NICHT OHNE MEHRWERT EXISTIEREN

Der Kapitalismus produziert nur f

Der innere Markt reicht nie aus, um all die Waren aufzusaugen, die im Kapitalismus hergestellt werden. Und es wäre eine vollkommene Absurdität vom kapitalistischen Standpunkt aus gesehen, wenn Sachen verkauft w

ür Profit. Die wirkliche Quelle des Profits ist die unbezahlte Arbeitszeit, zu der die Arbeiter gezwungen werden. Aber die Tatsache, daß den Arbeitern immer weniger bezahlt wird, als sie herstellen, bedeutet, daß "der größte Teil der Produzenten, die Arbeiter, nur ein Äquivalent für ihr Produkt konsumieren können, solange sie mehr als dies Äquivalent produzieren. Sie müssen stets Überproduzenten sein, über ihr Bedürfnis hinaus produzieren, um innerhalb der Schranken ihres Bedürfnisses Konsumenten oder Käufer sein zu können" (Marx & Engels, Theorien über den Mehrwert, 2. Band, 17. Kapitel, S. 520). ürden, ohne daß ein Gewinn gemacht wird beim Verkauf.

DER KAPITALISMUS KANN NICHT OHNE KONKURRENZ LEBEN

Der Wettbewerb zwischen einzelnen Kapitaleinheiten, das Rennen um Märkte hat den Kapitalismus zu einem dynamischen System werden lassen. Ein "Kapitalismus", der alle innere Konkurrenz ausgeschaltet hätte, ist eine reine Illusion. Und wenn im Zeitraum der kapitalistischen Dekadenz, die Anfang dieses Jahrhunderts anfing, nationale Einheiten des Kapitals angefangen haben, die Konkurrenz innerhalb ihrer Landesgrenzen aufzuheben (wie z.B. während der Herrschaft des Stalinismus), geschah dies nur mit dem Ziel, auf dem Weltmarkt noch besser konkurrieren zu können. Aber da der Weltmarkt begrenzt und gesättigt ist, folgt daraus, daß ein Teil des Marktes, den ein Konkurrent beherrscht, einem anderen verlorengeht. All die Versuche, den Welthandel irgendwie so zu regeln, daß alle Länder davon profitieren könnten - sind fehlgeschlagen - wie das j

- sie die Lohnarbeit und die Warenproduktion

- sie die Konkurrenz

üngste Beispiel der Gatt-Verhandlungen dies zeigt. Diese Widersprüche können nur überwunden werden, indem das grundlegende Motiv, das Ziel der Produktion selber geändert wird. Nur eine kommunistische Produktionsform kann dies bewirken, weilüberwindet. Güter werden für die Bedürfnisbefriedigung hergestellt und nicht für Profit wie im Kapitalismus. Ein offensichtliches Beispiel: im Kapitalismus werden riesige Mengen Lebensmittel weggeschmissen oder man läßt sie einfach verfaulen; Bauern erhalten Subventionen, nicht um Lebensmittel zu produzieren, sondern weil die Märkte überfüllt sind und die Lebensmittel nicht profitbringend verkauft werden können. Aber dies hat natürlich nichts mit dem Bedürfnis nach Nahrungsmitteln zu tun, weil Millionen von Menschen entweder unterernährt sind oder verhungern. Nur indem man eine Gesellschaft errichtet, in der Nahrungsmittel produziert werden, um jeden Menschen zu ernähren und in der die Sachen dann verteilt werden ohne den Mechanismus des Verkaufs und des Kaufs, kann dies überwunden werden;überwindet, indem Unternehmen, die Volkswirtschaft und Nationalstaaten abgeschafft werden. Die Ressourcen der Erde, die Mittel zur Herstellung von Wohlstand werden "Gemeineigentum" der Menschen insgesamt sein. Die Produktion wird geplant und weltweit organisiert sein. In einer kommunistischen Welt werden Landesgrenzen und alles, was damit verbunden ist - Nationalhaß, Handelskriege, imperialistische Konflikte - in das Museum der Schreckgespenster gesteckt werden.

DIE MÖGLICHKEIT DES ÜBERFLUSSES

Die Überproduktionskrise macht den Kommunismus zu einer Notwendigkeit, ja sie macht ihn auch möglich. Wie im Kommunistischen Manifest von 1848 geschrieben wurde: in allen fr

Schon 1847 hob Engels diesen Punkt in einem ersten Entwurf zum Kommunistischen Manifest hervor: "... die ausgedehnte Produktion, welche f

Wenn es möglich war, sich dies 1847 vorzustellen, als der Kapitalismus noch in den meisten Ländern in den Kinderschuhen steckte, stimmt dies heute umsomehr in einer Zeit, wo die Produktivität der Arbeit noch wesentlich höher liegt. Um zum Beispiel der Lebensmittel zur

Gleichzeitig gibt es keinen Grund mehr, daß auf der einen Seite Millionen von Menschen dazu verurteilt sein sollten, unzufriedenstellende, geistig verdummende, unter Zwang ausge

Wenn all die menschliche Arbeitskraft, die entweder in der Arbeitslosigkeit oder in den unzählig unproduktiven, parasitären oder gesellschaftlich zerstörerischen Beschäftigungsformen verschwendet wird, die zum prägenden Merkmal der verfaulenden kapitalistischen Gesellschaft geworden sind (R

üheren Zivilisationen wäre die Überproduktion als etwas Absurdes erschienen. Alle früheren Gesellschaften gingen unter, weil sie unfähig waren, ausreichend zu produzieren. Nur der Kapitalismus wird davon bedroht, daß er "zu viel" produziert. Aber die Tendenz des Kapitalismus, zu viel herzustellen, all die gewaltigen Produktionskapazitäten, die er hervorgebracht hat, hat auch die Grundlagen für eine Gesellschaft des Überflusses gelegt - eine Gesellschaft, die dazu in der Lage ist, all die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, so daß es keine materielle Grundlage mehr gibt für die Aufrechterhaltung der Klassenspaltungen und der Privilegien, für einen staatlichen Unterdrückungsapparat und für all die lasterhaften Formen der Konkurrenz unter den Menschen. Kurzum, der alte Traum der Menschheit einer freien menschlichen Gemeinschaft wird so möglich. ür die jetzige Ordnung der Gesellschaft eine Überproduktion und eine so mächtige Ursache des Elends ist, wird dann nicht mal hinreichen und noch viel weiter ausgedehnt werden müssen. Statt Elend herbeizuführen, wird die Überproduktion über die nächsten Bedürfnisse der Gesellschaft hinaus die Befriedigung der Bedürfnisse aller sicherstellen, neue Bedürfnisse und Veranlassung neuer Fortschritte sein, sie wird diese Fortschritte zustande bringen, ohne daß dadurch, wie bisher jedesmal, die Gesellschaftsordnung in Verwirrung gebracht werde" (Grundsätze des Kommunismus - auf die Frage: was werden die Folgen der schließlichen Beseitigung des Privateigentums sein?), MEW 4, S. 375).ückzukehren. Wie wir in einem früheren Artikel aufzeigten: "die sehr konkurrenzfähige Landwirtschaft Hollands allein könnte ganz Europa ernähren. Auch könnte die Menschheit heute dreimal mit der gegenwärtigen ganzen Nahrungsmittelproduktion ernährt werden". Technisch gesehen gibt es überhaupt keinen Grund dafür, daß heute Menschen nicht genug zu essen haben. Die Gründe hierfür liegen ausschließlich im gesellschaftlichen und politischen Bereich.übte Arbeit zu leisten, während auf der anderen Seite Millionen dazu verdammt sind, in der Armut der Arbeitslosigkeit oder im "Dämmerlicht" der Slums der sog. 3. Welt zu leben. üstungsproduktion, Banken, Versicherungen, Werbung usw.) - wenn all diese Arbeitskraft mit einer neuen, höchst entwickelten Technik eingesetzt würde (Automation usw.), könnten nicht nur alle lebensnotwendigen Güter produziert werden, sondern auch die Arbeitszeit, die man damit verbringen muß, sich ständig wiederholende und abstumpfende Arbeit zu verrichten, drastisch reduziert werden. Und dies wäre auch die Grundlage für die Überwindung der Spaltung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, zwischen Freizeit und Arbeitszeit, kurzum für die Ersetzung der entfremdeten Arbeit mit der freien menschlichen Aktivität und der Entfesselung der gigantischen schöpferischen Kräfte, die in den Menschen stecken.

DER EINZIGE WEG ZUM KOMMUNISMUS IST DER KLASSENKAMPF

Die "positive Überwindung" der Entfremdung, die im Lohnarbeitssystem enthalten ist, war immer das Ziel der marxistischen Bewegung (1). Und wenn wir mit Leuten

Wir haben bislang behauptet, der Kommunismus sei eine Notwendigkeit, wenn die Menschheit

So kann der Kampf um den Kommunismus nicht damit verworfen werden, indem man behauptet, es handele sich um eine viel zu vage oder messianische Idee. F

(weitere Literatur zum Thema Kommunismus- kein schöner Traum der Menschheit, sondern eine Notwendigkeit und Möglichkeit - gibt es in unserer Artikelserie dazu).

über diese Auffassung vom Kommunismus reden und dies den grotesken, abscheulichen Verzerrungen und Lügen der bürgerlichen Propaganda entgegenstellen (die behauptet, der Kommunismus, das seien Arbeitslager und die Geheimpolizei überall, kurzum Kommunismus sei Stalinismus), dann meinen tatsächlich viele, daß solch eine Gesellschaft in der Tat ein besseres, menschlicheres Leben bieten würde. Aber das Problem liegt darin, daß die Mehrheit derjenigen, die damit übereinstimmen, solch eine Gesellschaft nur als eine "schöne Idee" auffassen, d.h. bei der man keine Hoffnung haben könne, sie jemals verwirklichen zu können.überleben soll; daß er auch eine Möglichkeit ist, die in den Produktionsmöglichkeiten der heutigen Gesellschaft, im Wissensstand enthalten ist. Aber das reicht noch nicht aus. Um zu einer wirklichen Möglichkeit zu werden, kann der Kommunismus nur das Ergebnis einer Bewegung werden, die auf dem Boden dieser Gesellschaft selbst heranwächst. Und diese Kraft, diese Bewegung, die ihn hervorbringen kann, ist der Kampf der Arbeiterklasse gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise. Aufgrund der Wirtschaftskrise zwingt der Kampf der Arbeiter zur Verteidigung ihrer elementarsten Lebensinteressen (Löhne, Arbeitsplätze usw.) sie immer mehr dazu, die Logik, die Mechanismen der kapitalistischen Wirtschaft selber infragezustellen. Die Arbeiter brauchen zu essen, Kleidung, Heizung, Gesundheitsversorgung... aber der Kapitalismus in der Krise verlangt, daß sie diese Bedürfnisse immer mehr im Namen der "wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit", dem "Wohl der Nation" und anderen Vorwänden opfern, die nur den Interessen einer ausbeutenden Minderheit dienen. In dem Maße wie die Krise die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bewegungen hin zum vollständigen Zusammenbruch treibt, läuft alles immer mehr auf die Frage hinaus: entweder unterwerfen sich die Arbeiter dem zügellosen Appetit des Kapitals und gehen damit mit dem Kapital unter, oder sie übernehmen selbst die Kontrolle über die Produktionsmittel und setzen sie dazu ein, ihre wirklich menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Dies erfordert natürlich, daß die ökonomischen Abwehrkämpfe (z.B. zur Verteidigung des Lohnes, gegen andere Kürzungen usw.) der Arbeiterklasse zu einem offensiven, politischen Kampf übergehen müssen - einem Kampf um die Zerstörung des bürgerlichen Ausbeuterstaates und damit um die Machtergreifung durch die internationale Arbeiterklasse, die sich in ihren eigenen demokratischen Organen, den Arbeiterräten organisiert. Denn die Arbeiterklasse kann kommunistische gesellschaftliche und ökonomische Maßnahmen nicht ergreifen, solange die politische Macht in den Händen des Kapitals liegt. ür den Kommunismus zu kämpfen, heißt an einer wirklichen und praktischen gesellschaftlichen Bewegung mitzuwirken und alles erforderliche zu unternehmen, um diese Bewegung zu unterstützen, damit sie vereinigt und organisiert wird, sich selbst und der Hindernisse auf ihrem Weg bewußt wird. Wie Marx im Lichte der ersten revolutionären Erfahrungen der Arbeiterklasse schrieb, nämlich zur Zeit der Pariser Kommune 1871: "Die Arbeiterklasse hat keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluß einzuführen. Sie weiß, daß, um ihre eigne Befreiung und mit ihr jene höhere Lebensform hervorzuarbeiten, der die gegenwärtige Gesellschaft durch ihre eigne ökonomische Entwicklung unwiderstehlich entgegenstrebt, daß sie, die Arbeiterklasse, lange Kämpfe, eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen hat, durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden. Sie hat keine Ideale zu verwirklichen, sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben" ("Der Bürgerkrieg in Frankreich", MEW, Bd. 17, S. 343). CDW

Weltrevolution Nr. 59

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Geschichte der Arbeiterbewegung, Die I. Internationale

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DIE HISTORISCHEN ENTWICKLUNGSSTUFEN DER PROLETARISCHEN INTERNATIONALE

(Referat auf dem Parteitag der KAPD vom 11.-13. Sept. 1921)

Das Kommunistische Manifest hat eine Vorgeschichte, die dem einen oder anderen von Euch bekannt sein mag. Es lagen ihm bereits, als dieser Grundgedanke ausgesprochen wurde, feste Organisationen zugrunde, die allerdings mehr Vereinigungen von Einzelpersonen waren als von proletarischen Massen. Aus dem BUND DER GERECHTEN, der in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden war, hatte sich, besonders durch die Mitwirkung von Marx und Engels in Deutschland der BUND DER KOMMUNISTEN entwickelt, eine internationale Vereinigung von Einzelpersonen, die in den verschiedensten Städten Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika ihren Sitz hatte. Diese Vereinigung, die die erste Form eines internationalen Zusammenschlusses von Proletariern war, beschränkte ihre Mitgliederzahl f

Der BUND war im wesentlichen die Proklamation und des Kommunismus und des internationalen proletarischen Klassenkampfes. Es war eine Propagandagesellschaft, die dem proletarischen Klassenkampf im Sinne ihres Programms "Sturz der Bourgeoisie, Herrschaft des Proletariats, Aufhebung der alten, auf Klassengegensätzen beruhenden Gesellschaft, ohne Klassen und ohne Privateigentum" Bildung und Ziel zu geben versuchte. Seine erste und dringendste Aufgabe sah er in der Stiftung von Arbeiterbildungsvereinen in allen ihm erreichbaren Ländern mit proletarischer Bevölkerung.

Der BUND mußte sich mit dieser bescheidenen Aufgabe begn

Marx und Engels mußten dem Proletariat den Weg zeigen aufgrund der gegebenen konkreten Verhältnisse. Ihr Vorschlag f

Nach den revolutionären Machtkämpfen um die 50er Jahre herum setzte eine gewisse Stagnation und Zerr

Die englischen Arbeiter wandten sich an die französischen Arbeiter mit einer Adresse und baten diese um eine internationale Zusammenkunft, um dieser "Schmutzkonkurrenz" ein Ende zu machen. Der eigentliche Ausgangspunkt der 1. Internationale war also durchaus kein im heutigen Sinne proletarisch-revolutionärer, sondern eigentlich nur der Wille der Arbeiterklasse eines Landes, ihre Arbeitskraft weiter verkaufen zu können. Diese Zusammenkunft zwischen den französischen und englischen Delegierten, zu denen eine Reihe aus anderen Ländern hinzukamen, fand 1864 in St. Martinshall in London statt. Hier wurde die Internationale Arbeiter Assoziation ins Leben gerufen, indem auf Antrag der englischen Trade-Unionisten ein Komitee zum Entwurf von Statuten f

Es handelte sich nun darum, welche historische Aufgabe sich diese Internationale Arbeiter Assoziation stellen, welches Ziel, welche Prinzipien, welche Taktik, welche Organisationsform sie wählen sollte. Marx und Engels, die bei dieser Organisation sofort im Vordergrund standen, sahen sich gezwungen, wenn sie schon eine Arbeiterbewegung

In der 1. Internationale waren Organisationen vertreten, die so gut wie alles darstellen, was die Arbeiterbewegung an Programmen und Parteien

Schon aus dieser Gruppierung ersieht man, daß diese Internationale zu einem einheitlichen Handeln und einem entschlossenen, ernsthaften Angriff gegen die Bourgeoisie nicht fähig sein konnte. Trotzdem wäre es grundfalsch, ihre historische Notwendigkeit leugnen zu wollen, die schon daraus hervorgeht, daß die Arbeiterbewegung

Diese 1.Internationale hat sehr viele Konflikte auf allen ihren Kongressen gehabt, aber immer wieder siegte der Standpunkt der englischen Gewerkschaften. Es war unmöglich, diese Internationale auf das proletarisch-revolutionäre Gleis zu drängen, weil sie in ihrer ganzen Zusammensetzung und in ihrem Übergewicht Bewegungen aufwies, die gewerkschaftlich waren, also nicht die Aufgabe hatten, den kapitalistischen Staat zu zerstören. Hinzu kam, daß nach einigen Jahren Bakunin in die italienische Bewegung eintrat und dort zusammen mit romanischen Syndikalisten die Internationale in ein ganz bestimmtes Fahrwasser zu lenken versuchte, nämlich in ein B

Der wahre ökonomische Grund dieses Zusammenbruchs lag nat

(aus der Zeitung der KAPD 1921).

ür die einzelnen Städte auf die Zahl von 3 bis 10 Personen. Über 10 durfte die Mitgliederzahl nicht hinausgehen. Das war eine Vorsichtsmaßnahme gegen die polizeilichen Maßnahmen und die Spitzeleien der damaligen monarchischen Regierungen. Dieser ganze Bund hatte durchaus den Charakter der Illegalität. Seine Organisationsform war trotzdem bereits sehr weit gediehen. Er war aufgebaut auf Ortsgruppen, dann auf Kreisen, leitenden Kreisen, Ländern und fand seine Spitze in einer Zentralbehörde bzw. dem Kongreß. ügen, weil die Voraussetzungen für die aktiv-revolutionäre Tat der proletarischen Revolution, den Sturz der herrschenden Bourgeoisie, in den meisten Ländern historisch noch nicht gegeben waren. Und doch war gerade das theoretische Aufzeigen der Linie der proletarischen Revolution, vor allen Dingen der Taktik des Proletariats zur Eroberung der politischen Macht eine Tat ohnegleichen. Nicht nur, daß in dem Kommunistischen Manifest selbst aufzeigt ist, daß die Befreiung des Proletariats nur gehen kann über den Sturz der Bourgeoisie und über die Organisierung des Proletariats als herrschende Klasse, als proletarischer Staat, nein, diese großen Gedanken waren schon so weit entwickelt von Marx und Engels, daß in einer Ansprache an diesen BUND, die sie verfaßten, sogar schon zum ersten Male in der Geschichte der Gedanke der Arbeiterräte und der proletarischen Armee ausgesprochen wurde.ür die proletarische Taktik war der, daß das Proletariat zusammengehen müsse mit dem Bürgertum gegen die reaktionären Klassen so lange, bis die bürgerliche Klasse selbst zur Herrschaft gelangt sei. Aber während des Kampfes zwischen Feudaladel, der herrschenden Klasse, und dem Bürgertum, das damals noch nicht die politisch herrschende Klasse war, hätte das Proletariat seine eigenen Formen, seine eigenen Organisationen zu entwickeln und seinen eigenen Weg ganz klar vorauszusehen und zu gehen.üttung aller revolutionärer Bewegungen ein, die auch die Gedanken des BUNDES DER KOMMUNISTEN, dieser ersten Anfänge der proletarischen Internationale, in den Köpfen der wenigen bewußt-revolutionären Arbeiter verwischte oder wenigstens zurücktreten ließ. Die Forderung nach einem internationalen Zusammenschluß des Proletariats aller Länder tauchte erst wieder Anfang der 60er Jahre, und zwar sogleich in einer ganz anderen Form und Ausdehnung auf. Der Ursprung der 1. Internationale oder, wie sie damals hieß, der Internationalen Arbeiterassoziation, ist bezeichnend für ihre ganze spätere Entwicklung und für ihr schließliches Ende. Tatsächlich kam diese Internationale dadurch zustande, daß die englischen Arbeiter, und zwar die englischen Trade-Unions, sich bedroht fühlten durch die Konkurrenz, die die englische Bourgeoisie durch die Beschäftigung und "Einfuhr" ausländischer Arbeiter dem englischen Proletariat machte. ür eine Vereinigung gewählt wurde. Dieses Komitee, dem auch Karl Marx angehörte, setzte sich aus 50 Mitgliedern zusammen, unter welchen die englischen Trade-Unionisten ungefähr die Hälfte repräsentierten. überhaupt auf die Beine stellen wollten, theoretisch auf das Programm des BUNDES DER KOMMUNISTEN zu verzichten und diese Internationale auf eine ganz andere theoretische Grundlage als jene zu stellen. Charakteristisch dafür ist Engels' Ausspruch, daß man einerseits den englischen Trade-Unions, andererseits den italienischen, französischen, spanischen Syndikalisten und den deutschen Lassaleanern die Tür nicht versperren dürfe. Es kam in der Tat so: Die Internationale Arbeiter Assoziation hat in Wirklichkeit niemals ein ganz festes Programm und eine einheitliche Linie für alle Länder gehabt. Sie konnte das nicht haben, weil die Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse noch nicht so weit gediehen war. überhaupt hervorgebracht hat. Es war ein Gemisch aus allen Strömungen, von den terroristischen Anarchisten bis zu den reformistischen Gewerkschaftsbewegungen. Es waren vertreten vor allen Dingen englische Gewerkschaften, Trade Unions. Außerdem aus Frankreich, das damals noch keine eigentliche Sozialdemokratie hatte, zwei Richtungen: eine, geführt von Blanqui, mit keinem eigentlich proletarisch-kommunistischen Programm, auf der anderen Seite die französischen Proudhonisten, die die proletarische Revolution sich vorstellten durch die Errichtung von Tauschbänken mit Unterstützung des Staates, teilweise sogar noch des monarchischen Staates, durch Kredithilfe usw. Aus Italien die Partei Mazzinis, eine republikanische Partei ohne irgendein sozialistisches Prinzip, die später, als man den bürgerlichen Staat angriff, sofort gegen die Internationale auftrat. Aus Deutschland war noch keine eigentliche Organisation darin vertreten, wenigstens keine von den sozialdemokratischen Bewegungen, die gerade in dieser Zeit erst heranwuchsen. Die Lassaleaner, die im Prinzip nicht gegen die Internationale waren, mußten auf Drängen von Marx die Beziehung zur Internationale aufgeben, als sie erklärten, sie wären wohl im Prinzip dafür, könnten sich aber nicht anschließen, weil sie dann mit dem Gesetze in Konflikt geraten würden.überhaupt erst einmal in Fluß kommen und lebendig werden mußte. Entsprechend dem Schwergewicht, das die englischen Trade-Unionisten in der Internationalen Arbeiter Assoziation besaßen, bewegten sich ihre Hauptfragen und ihre praktische Wirksamkeit vor allem im Rahmen der englischen Arbeiterbewegung, in der wiederum besonders die Kämpfe um die englische Wahlreform und die Zehnstundenbill großen Raum einnahmen.ündnis mit der damals vorhandenen bürgerlichen Friedens- und Freiheitsliga. Dieses Bündnis wurde abgelehnt. Daraufhin organisierte Bakunin eine Allianz der sozialistischen Demokratie innerhalb der Internationale und damit eine der Ursachen ihres Zusammenbruches. Aber die eigentliche Ursache ihres Zusammenbruches war die Geburt der Pariser Kommune. Dieses Ereignis, das neben der russischen Revolution das größte Ereignis in der proletarischen Bewegung ist, wühlte die Internationale gründlichst auf. Als die Pariser Kommune zusammenbrach, zeigte es sich, wie schwach in ihrem Kern die 1. Internationale war. Die englischen Gewerkschaften lehnten die Pariser Kommune ebenso ab, wie die italienische Partei Mazzinis. Marx und Engels verteidigten in der berühmten Inauguraladresse die Errichtung der Pariser Kommune als den ersten großen selbständigen Schritt der proletarischen Revolution. So kam es, daß über diese Streitfrage die 1. Internationale gespalten wurde. ürlich in der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt. Der Kapitalismus steckte damals noch in den meisten Ländern in seinem Anfangsstadium. Er mußte sich erst, namentlich in Deutschland und Italien, zu seiner nationalen Einheit entwicklen, ehe er in das höhere Stadium des internationalen Kapitalismus einrückte. Die Arbeiterbewegung ging, als der Kapitalismus in allen Ländern die Bahn der Herstellung ihrer nationalen Einheit einschlug und seinen nationalen Staat zu formen begann, diesen Schritt mit. In dieser Zeit bildeten sich überall die nationalen sozialdemokratischen Parteien, die später die Grundlage der 2. Internationale bilden sollten.

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Erste Internationale [2]

Weltrevolution Nr. 60

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Der Rätismus (Rätekommunismus) verwirft die Lehren der Oktoberrevolution

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 Die "rätekommunistische" Bewegung entfal­tete sich in den 20er und 30er Jahren haupt­sächlich in Deutschland und Holland, als die Revolutionäre eine Bilanz der Ereignisse der russischen Revolution und die dort be­gangenen Fehler zogen. Als eine wirklich in­ternationalistische Strömung stellten sie sich nicht nur gegen den Stalinismus und den Fa­schismus, sondern auch gegen die "Demokratie", die später die Arbeiter in den 2. Weltkrieg trieb. Sie gehörten zu den ersten Kräften, die eine durchgreifende Kritik der Gewerkschaften machten, und die die Bedeu­tung der Arbeiterräte verstanden, welche in der revolutionären Welle von Kämpfen von 1917-23 aus dem Boden geschossen waren (daher der Name "Rätekommunisten"); auch bezeichneten sie die stalinistischen Regime als eine Form des Staatskapitalismus.

Aber bei der Suche nach den Wurzeln der sta­linistischen Form des Staatskapitalismus schlug der Rätekommunismus einen fatalen falschen Weg ein, denn später sprachen sie von der Oktoberrevolution als einer "bürgerlichen" Revolution, und daß die Macht von einer Partei kleinbürgerlicher Intel­lektueller ergriffen worden sei, um den Kapi­talismus im feudalen Rußland einzuführen. Sie zogen weiter die Schlußfolgerung: sobald die Arbeiterräte auf der Bühne der Geschichte aufgetaucht seien, sei die Organisationsform der Partei überholt und gar konterrevolutionär geworden. Sie stellten die Theorie des Er­scheinens einer "neuen Arbeiterbewegung" auf, die einen radikalen Bruch mit den Par­teien der 2. und 3. Internationalen vollzogen hätte. Zwar betrachteten sie sich noch als "Marxisten", die gar zu einem "reinen Mar­xismus" zurückkehrten, der von den "leninistischen Verunstaltungen" gesäubert sei, aber tatsächlich führten ihre "Neuentdeckungen" sie nur zurück zur Wie­derholung eines alten Fehlers: sie verfielen erneut dem Anarchismus.

Die Gruppen und Ideologien, die wir heute als "rätistisch" bezeichnen, berufen sich auf den Rätekommunismus. Als erbitterter Gegner ei­ner Organisierung in politischen Gruppen tritt der Rätismus heute weniger in organisierter Form auf, sondern vielmehr in Gestalt einer Ideologie, eines Verhaltens, das zwar das or­ganisierte Zusammenkommen in kleineren Gruppierungen nicht ausschließt, aber sich vor allem auszeichnet durch eine Ablehnung pro­grammatisch-theoretischer Arbeit, die notwen­digerweise auf den Zusammenschluß der Re­volutionäre abzielen muß. Und so sind die heute bestehenden Gruppen auch ein Ergebnis all der Bemühungen der herrschenden Klasse, die darauf abzielt, daß die Arbeiterklasse ihre Beziehung zur Geschichte verwirft. Vor allem sind diese rätistischen Gruppen infiziert von dem Virus der Inkohärenz, der Verherrlichung des Unmittelbaren und vielen anderen Zerfalls­erscheinungen des Kapitalismus. Sie sind so­weit heruntergekommen, daß sie im Gegensatz zu den früheren Rätekommunisten nur noch eine ganz negative Rolle im heutigen proletari­schen Milieu spielen. Zwei "rätistische" Zeit­schriften aus England, Sub­version und Wild­cat, sind ein Beweis dafür. (*)

"DIE RÜCKKEHR ZUM MARXIS­MUS"...TATSÄCHLICH RÜCKKEHR ZUM ANARCHISMUS

Als Antwort auf einen Leserbrief, der sie nach ihrem Verhältnis zum Marxismus und Anar­chismus fragte, schrieb Subversion: "Wir be­trachten uns als "Marxisten", weil wir Mar­xens Methode der Analyse unterstützen. Wir unter­stützen den historischen Materialismus und die Marxsche ökonomische Analyse des Kapita­lismus... Jedoch heißt dies nicht, daß wir die politische Praxis weder von Marx noch der "marxistischen Bewegung" akzeptieren, noch daß wir diese als eine fortzusetzende Tradition auffassen. Marxistische und anar­chistische Traditionen sind nur eine Fessel für die Revo­lutionäre. Heute müssen die Revolu­tionäre mehr von den beiden Strömungen ver­werfen als von ihnen akzeptieren" (Subversion Nr. 8).

Wildcat schreibt von sich selbst. "Die Wirt­schaftskrise wird ursprünglich durch Arbeiter­kämpfe ausgelöst" und der imperialistische Krieg "ist kEIN Ausdruck des kapitalistischen Zusammenbruchs", sondern eine Waffe gegen den Klassenkampf (Wildcat Nr.15).

Sie verwerfen jeglichen Begriff menschlichen Fortschritts, der Begriff "bürgerliche Revolu­tionen" sei ein falsches Konzept, und die Möglichkeit des Kommunismus habe nichts zu tun mit der Entwicklung der Produktivkräfte. "Der Kommunismus ist immer möglich gewe­sen". Mit solchen Aussagen verfallen die Räti­sten zurück in die alten Zeiten, als die Anar­chisten des letzten Jahrhunderts und die utopi­schen Sozialisten von alten moralistischen, ahistorischen Positionen ausgingen, und sie nicht sahen, daß die kommunistische Revolu­tion erst möglich geworden war mit dem Ent­stehen der Arbeiterklasse (siehe dazu unsere Artikelserie: Der Kommunismus kein schöner Traum...)

DIE VERWERFUNG DER OKTOBERRE­VOLUTION

Die Rätisten reihen sich damit ein in die Ideologie-Kampagne der Herrschenden über den "Tod des Kommunismus". An zentraler Stelle dieser Kampagne steht die Behauptung, die Verbrechen Stalins könnten über Lenin, die Oktoberrevolution von 1917 bis zurück zu Marx verfolgt werden.

Als die Arbeiterklasse im Oktober 1917 - nach einem Kampf gegen die Fortsetzung des 1. Weltkriegs - die Macht ergriff, stieß sie sofort auf den erbitterten Widerstand der herrschen­den Klasse, die nicht nur ideologisch gegen die Revolution in Rußland ein Trommelfeuer eröffnete, sondern einen Krieg gegen die So­wjetrepublik führte. Damals jedoch hatten die Revolutionäre verstanden, daß der erfolgrei­che Aufstand in Rußland im Oktober 1917 nur der Auftakt für eine weltweite proletarische Revolution sein konnte, deshalb ihre vorbe­haltlose Unterstützung der Revolution. Selbst als sie sahen, daß die Bolschewiki schwerwie­gende Fehler begingen, ging ihre Kritik immer noch von der rückhaltlosen Unterstützung der grundlegenden Ziele und Methoden der Ok­toberrevolution aus (siehe z.B. Rosa Luxem­burgs Schrift "Zur Russischen Revolution", die sie 1918 verfaßte). Und erst als diese Ziele und Methoden von dem späteren sowjetischen Regime (das vollkommen stalinistisch gewor­den war) aufgegeben worden waren, entzogen die Revolutionäre ihre Unterstützung.

Die Rätisten aber verfälschen die Geschichte und schreiben nach dem Staatsstreichversuch vom August 1991: "Nach der Revolution von 1917 festigte die Bolschewistische Partei ihre Macht als die tatsächlichen Besitzer aller wichtigen Produktionsmittel - unabhängig von all der Propaganda über das Eigentum, das "dem Volk" gehöre. Durch eine gewaltige Vergrößerung der Zahl der Lohnabhängigen und den weitverbreiteten Einsatz von sprich­wörtlicher Sklavenarbeit, wurde der Prozeß der Kapitalakkumulation innerhalb von 3 oder 4 Jahrzehnten vollzogen, der in Ländern wie Großbritannien und Amerika ein Jahrhundert oder länger gedauert hatte" (Subversion Nr. 8). Hier wird also kein Wort verschwendet über die Isolierung der Revolution in Rußland, die Zerstörungen im Bürgerkrieg, die Uner­fahrenheit der Bolschewiki und der damaligen revolutionären Bewegung. Zwischen dem Oktober 1917 und den Arbeitslagern gäbe es also Subversion zufolge eine Kontinuität - ge­nau wie die Herrschenden uns erzählen.

Die Gruppe Wildcat meint, das wirkliche Pro­blem bestünde darin, daß die Bolschewiki nicht für die sofortige Einführung der kom­munistischen gesellschaftlichen und wirt­schaftlichen Maßnahmen eingetreten wären, sondern einen "Arbeiterstaat" aufgebaut hät­ten, der den Kapitalismus verwaltet hätte. Zwar sagt Wildcat, daß es notwendig gewesen wäre, die Revolution international auszudeh­nen, und daß der Kommunismus in Rußland allein nicht hätte überleben können, aber für sie war das letzten Endes zweitrangig.

Hier schmeißt Wildcat den historischen Mate­rialismus in den Mülleimer. Wenn der Kom­munismus immer möglich gewesen wäre, bei­spielsweise im Persien des 4. Jahrhunderts ge­nauso wie im Deutschland des 16. Jahrhun­derts, dann warum nicht in einem rückständi­gen Land, das von all den Mächten des Welt­kapitals belagert wurde? Dabei hatte Marx schon 1845 in der "Deutschen Ideologie" den Standpunkt vertreten, daß der Kommunismus ohne die fortgeschrittene Entwicklung der Produktivkräfte auf Weltebene und ohne eine "gleichzeitige" Revolution in allen großen Ländern nicht existieren kann. Alles andere würde nur zur Ausdehnung der Misere und zum Rückfall in den alten Mist führen. Die Arbeiterklasse kann keine wirklich kommuni­stischen Maßnahmen einführen, bevor sie nicht die politische Macht auf der ganzen Welt ergriffen hat. Alle Maßnahmen bis zu diesem Zeitpunkt müssen im Hinblick auf die Mach­tergreifung getroffen werden. In dieser Hin­sicht machten die Bolschewiki viele Fehler. Sie waren nicht klar über ihr Verhältnis zum neuen Sowjetstaat, sie waren konfus über die Möglichkeit der "Kontrolle" des Staatskapita­lismus im Namen der Arbeiter bis die Revolu­tion sich weiter ausdehnte. Aber was hätte man anders erwarten können? Es gab noch keine Erfahrung der Organisierung der Herr­schaft der Arbeiterklasse in einem Land, und kein Teil der revolutionären Bewegung besaß irgendein Monopol an Klarheit dazu. Die Bol­schewiki selber waren später nicht mehr dazu in der Lage, die Lehren aus ihren Fehlern zu ziehen. Weil die Rätekommunisten damals und die Rätisten heute das Kind mit dem Bad aus­schütten und die ganze Erfahrung der rus­sischen Revolution verwerfen und alles als eine von vornherein im Interesse der Bolsche­wiki manipulierte Angelegenheit darstellen, versperren sie sich und der Arbeiterklasse den Zugang zur Wiederaufarbeitung dieses Mei­lensteins der Geschichte der Arbeiterklasse. Erst die "Linkskommunisten", die sich schon in den 20er Jahren dem Niedergang der Russi­schen Revolution und der Kommunistischen Internationale entgegen­gestellten , d.h. ein Großteil der "deutsch- holländi­schen Linken", die "russische" und die "italienische Linke" in der KPI und dann vor allem und tiefergreifend die Fortführung der italienischen Linken um die Zeitschrift Bilan waren dazu in der Lage, die Lehren aus dem Niedergang der Revolu­tion zu ziehen. Deshalb gilt für uns:

"Sich kritisch mit der russischen Revolution in all ihren historischen Zusammenhängen aus­einanderzusetzen, ist die beste Schulung der deutschen wie der internationalen Arbeiter für die Aufgaben, die ihnen aus der gegenwärti­gen Situation erwachsen" (Rosa Luxemburg).

Die Lehren der Rätisten stärken nicht die Fä­higkeit der Arbeiterklasse, sondern führen sie nur in eine Sackgasse. (CDW)

(Die Adressen von Wildcat und Subversion können bei der Kontaktadresse angefordert werden)

(*) Diese oben genannten Gruppen sollen nicht verwechselt werden mit einer Mitte der 80er Jahre in Deutschland unregelmäßig er­schienenen Schrift "Subversion" oder mit der deutschen "operaistischen" (auf "Arbeiteruntersuchungen"), auf Fabrik- & Streiksoziologie spezialisierten poli­tik- und theoriefeindlichen Postille "Wildcat", auch wenn es Parallelen zwischen den beiden "Wildcats" gibt.

In den 3 Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer feierte die bürgerliche Propaganda den angeblichen Sieg des Kapitalismus und das Ende des "Irrglaubens" an den Klassenkampf. Wie während der Nachkriegswiederaufbaupe­riode auch wurde die Arbeiterklasse als eigen­ständiger Faktor in der Gesellschaft zu Grabe getragen. Und genauso wie im Jahre 1968 durch den Massenstreik der Arbeiterklasse in Frankreich, so wurde auch jetzt dieses Lügen­gebäude ins Wanken gebracht durch die Ent­wicklung der Wirklichkeit selber. Die große Herbstbewegung 1992 des italienischen Pro­letariats erinnerte erneut daran, daß der Klas­senkampf lebt. Damals gingen Hunderttau­sende auf die Straßen aller großen Städte, um gegen das brutale Angriffspaket des Kapitals zu protestieren. Die Spitze der Gewerkschaf­ten als Vertreter des bürgerlichen Staaten in den Reihen der Arbeiter wurden ausgepfiffen.

Daß diese Kämpfe in Italien eine internationale Wiederbelebung des Klassenkampfes einlei­tete, ist seitdem durch verstärkte Auseinander­setzungen in vielen Industriestaaten bewiesen worden:

Deutschland, England, Holland, Belgien, Spa­nien, aber auch andere Länder wie Polen, Ukraine, Südkorea. Dort zeigte sich eine Wie­derbelebung der Kampfbereitschaft, welche unter dem Eindruck von welthistorischen Er­eignissen wie dem Zusammenbruch des Stali­nismus, dem

Golfkrieg,dem Putsch in Moskau, dem Ende der UdSSR, z.T. auch den Metzeleien in Jugoslawien stark zurückgegangen war.

Diese Wiederaufnahme der Kämpfe ist äußerst wichtig, weil es die Frage der Wirtschafts­krise, die Zukunft der kapitalistischen Gesell­schaft sowie die Existenz und die Rolle der Arbeiterklasse wieder auf die Tagesordnung setzt. Und dennoch: diese Wiederbelebung des Kampfes zeichnet sich bislang vor allem durch seine sehr langwierigen und z.T. zögernden Züge aus. Bereits die Kämpfe in Italien wur­den schnell wieder unter Kontrolle gebracht und zeigten große Schwierigkeiten, an die Traditionen der Ausdehnung des Kampfes und der Versuche der Selbstorganisierung, so wie es sie in den 70er und 80er Jahren gegeben hatte, anzuknüpfen. Auch der spektakuläre Charak­ter des italienischen Herbstes wiederholte sich seitdem nicht mehr. Und vor allem: in vielen von den Ländern Westeuropas, wo die Arbei­terklasse in den letzten 20 Jahren am meisten Erfahrungen mit der Krise und der sabotieren­den Kampfführung seitens der Gewerkschaften gemacht hatten - Frankreich, England, Bel­gien, Spanien - stießen die Kämpfe bislang auf besondere Schwierigkeiten, überhaupt in Gang zu kommen. Wie sind diese Schwierigkeiten zu erklären?

Die Kämpfe von heute sind zwar eine Fortset­zung des historischen Wiederauflebens des Klassenkampfes seit 1968. Dennoch finden sie heute unter radikal geänderten Bedingungen statt. Erstens hat die bürgerliche Propaganda um das Thema "Der Kommunismus ist tot" im Zuge des Zusammenbruchs des Stalinismus die Identifizierung der Arbeiterklasse mit ih­rem historischen Ziel sowie mit ihren früheren Traditionen noch viel stärker angegriffen als es schon zuvor der Fall war. Die Identität so­wie das Selbstvertrauen des Proletariats wurde erschüttert. Zweitens finden die Kämpfe unter Bedingungen des weltweiten kapitalistischen Zerfalls und des Chaos statt. Der Ausbruch von Kriegen in Europa, im Kaukasus aber vor allem auf dem Balkan verwirren das Bewußt­sein der Klasse und vermitteln ein Gefühl der Hilflosigkeit. Drittens müssen die Arbeiter sich heute gegen die schlimmste Rezession und die brutalsten Angriffe des Kapitals seit dem 2. Weltkrieg wehren. Die Krise sowie die Verschlechterung der Lebensbedingungen ha­ben eine neue Qualität erreicht, welche zunächst zum Teil eine lähmende Wirkung haben. Während es schon immer schwierig war, sich gegen Entlassungen zu wehren (was kann man erreichen, wenn die Firma ohnehin bankrott ist?), hat diese Entlassungswelle heute eine neue Qualität erreicht. Aber auch die Lohn­kämpfe sind erschwert worden durch die jetzt erreichte Schärfe der Krise und des internatio­nalen Konkurrenzkampfes. Vorher konnten viele Arbeiter noch denken, "wir kämpfen für "unseren gerechten Anteil" an einem noch profitablen Wirtschaftssystem. Jetzt aber dringt immer mehr ins Bewußtsein, daß dieses System bankrott ist und nichts mehr hergeben kann. Diese neue Situation erfordert eine viel bewußtere Infragestellung der kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten als bislang. Aber gerade diese Infragestellung ist erschwert worden durch die Identifizierung des Kommunismus mit den zusammengebrochenen Regimen des Ostens.

Aus all diesen Gründen ist die besondere Schwierigkeit der jetzigen Wiederbele­bung des Kampfes nicht verwunderlich. Aber dies bedeutet nicht, daß die Arbeiterklasse jetzt eine historische Niederlage erleidet.

Als nach dem Wallstreet Crash von 1929 eine weltweite Explosion der Massenarbeitslosig­keit und Lohnsenkungen ausgelöst wurde, reagierte die Arbeiterklasse ebenfalls wie gelähmt. Aber damals traten diese Schwierig­keiten zu einer Zeit auf, als die Kampfkraft der Arbeiterklasse vor allem in Ländern wie Rußland oder Deutschland bereits vorher durch eine Reihe von Niederlagen nach dem 1. Weltkrieg größtenteils gebrochen war. Und vor allem: Zu der Zeit wurde das Proletariat hinter die Ziele des kapitalistischen Staates für den Krieg mobilisiert. Heute dagegen ist we­der die Kampfkraft gebrochen, noch identifi­ziert sich das Proletariat mit den Zielen des Staates. Aus diesem Grunde ist die Entwick­lung von massiven Kämpfen in der Zukunft nahezu unausweichlich. Die Kämpfe von heute - so schwierig sie auch sind - so wie die Aus­einandersetzung mit der neuen historischen Situation mittels Diskussionen, Versammlun­gen der Arbeiter, Zusammenkünften auf der Straße usw., müssen dazu beitragen, unsere Klasse politisch auf diese Auseinandersetzun­gen vorzubereiten. Und hierzu ist die Arbeit der Kommunisten unerläßlich.


Politische Strömungen und Verweise: 

  • Rätismus [3]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [4]

Weltrevolution Nr. 61

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Diskussionsveranstaltung der IKS

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Der Hintergrund des Balkankonflikts

Heute herrscht weitgehend Blindheit und Unkenntnis in der Bevölkerung über die imperialistischen Machenschaften der Grossmächte im Jugoslawienkonflikt. Dafür sorgen die bürgerlichen Propagandisten und die bürgerliche “Erziehung“, welche uns die Lehren aus der Geschichte verschweigen. Denn die Rolle der Grossmächte in diesem Jahrhundert zu kennen, ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Wurzeln des jetzigen Konfliktes zu begreifen. Diese Wurzeln lehrt uns, dass die Grossmächte nicht “gleichgültig“ sind gegenüber dem Jugoslawienkonflikt von heute (wie sie selbst gerne von sich behaupten) sondern denselben, heute verborgenen Kampf um die Kontrolle dieser Region austragen, welcher bereits zu zwei Weltkriegen geführt hat. Wir veröffentlichen hiermit Auszüge aus dem einleitenden Referat, welches wir bei unserer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zum Balkankrieg vorgetragen haben. Welche Punkte in der darauffolgenden Diskussion aufkamen, haben wir in einem weiteren Artikel aufgegriffen.

Der Hintergrund des Balkankrieges

Im allgemeinen verneint die bürgerliche Propaganda keineswegs die Existenz von Konkurrenzverhältnissen, von Rivalitäten zwischen den “demokratischen“ Ländern des ehemaligen Westblocks. Offen spricht man von den konfliktbeladenen GATT-Verhandlungen, vom “Wirtschaftskrieg gegen Japan“ usw. Aber diese Konflikte seien rein wirtschaftlicher Natur und “deshalb“ friedlich auszutragen, mit Industrierobotern statt Gewehren. So wird behauptet.

Die strategische, militärische Dimension eines solchen “Wirtschaftskrieges“ wird entweder nicht erwähnt, oder auf wenige Aspekte wie die Verteidigung von Ölquellen reduziert. Aus der “Ölfrage“ kann man einen angeblichen “Kampf des Westens gegen die islamische Welt“ konstruieren, und damit den Gegensatz zwischen den führenden westlichen Mächten vertuschen. Die grossen Konflikte des 20. Jahrhunderts wie der 2. Weltkrieg oder der Ost-West-Gegensatz wurden auf ideologische Ursprünge zurückgeführt, Es sei nötig gewesen, die Welt vor den Folgen totalitärer Ideologien wie Faschismus oder “Kommunismus“ zu schützen. Jetzt aber, so heisst es, wo auch Länder wie Deutschland, Japan oder Russland zur “demokratischen Staatengemeinschaft“ beigetreten sind, seien Konzepte wie Imperialismus oder der Kampf der Grossmächte um die Weltherrschaft nichts als leeres Gefasel der ewiggestrigen Marxisten. Die Position des Marxismus sei umso abwegiger hinsichtlich des Balkankrieges, heisst es weiter, weil dort ein verarmtes, unterentwickeltes, und jetzt auch noch ausgebombtes Land wirtschaftlich von keinerlei Interesse für die Grossmächte sei.

Solche Argumente üben heute weltweit einen enormen Einfluss aus. Sie beeinflussen oder beherrschen das Denken von Millionen von Arbeitern. Denn die Massenmedien werden vollständig von der bürgerlichen Klasse beherrscht. Und dennoch sind diese Argumente von Grund auf falsch und verlogen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts bestätigt voll und ganz die Thesen des Marxismus. Diese Geschichte zeigt auf, dass der Balkan, so verarmt und unterentwickelt er auch ist, völlig unabhängig von den Ideologien der verschiedenen Grossmächte stets eines der wichtigsten Konfliktfelder des Imperialismus war. Dies war der Fall im 1. und im 2. Weltkrieg ebenso wie im Gesamtverlauf des Ost-West-Konfliktes. Und er bleibt es auch heute noch.

Der Balkan: schon 1914 ein Kriegsschauplatz

Vor dem 1. Weltkrieg war der Gegensatz zwischen England und Deutschland am wichtigsten. Dieser Gegensatz ist auch heute, gerade im Jugoslawienkonflikt von grosser Bedeutung. Damals war England nicht die einzige, aber mit Abstand die grösste Kolonialmacht. Der Konflikt um Kolonien führte solange nicht zum Weltkrieg, wie das aufstrebende, fortschrittliche kapitalistische System noch in immer neue vorkapitalistische Weltgegenden expandieren konnte. Solange gab es neben England auch für andere führende kapitalistische Nationen genug Beute. Diese Lage änderte sich um die Jahrhundertwende schlagartig, als die Expansion des kapitalistischen Markts ihre Grenzen zu erreichen begann, und die Kolonien bereits aufgeteilt waren. Vor allem die verspätet auf dem Weltmarkt auftretenden Grossmächte wie Deutschland, Japan und Italien waren ohne nennenswerten Kolonialbesitz und somit von einem wichtigen Teil des Welthandels sowie von vielen wichtigen Rohstoffen und Agrarerzeugnissen abgeschnitten. Diese zunehmende Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, weiter ausreichend zu expandieren, um die Existenzgrundlage auch nur der wichtigsten Grossmächte zu garantieren, leitete die Niedergangsphase des Kapitalismus ein. Diese Phase, durch ständige Wirtschaftskrisen, Weltkriege und “lokale“ Kriege gekennzeichnet, dauert bis zum heutigen Tag an.

Und diese Dekadenzphase zeichnet sich dadurch aus, dass der Krieg zur Überlebensform des Kapitals schlechthin geworden ist. Alles wird den Überlegungen, den Vorbereitungen des Krieges untergeordnet.

Die imperialistischen Ambitionen Deutschlands

Da zur zeit des 1. Weltkrieges Europa und nicht Amerika quasi allein im Mittelpunkt der Weltpolitik stand, und Deutschland zur führenden Macht in Europa aufgestiegen war, wurde Berlins Gegensatz zur Weltmacht England bestimmend. Schon vor 1914 gab es drei grosse Konfliktachsen zwischen England und Deutschland. Erstens der Wettlauf der Kriegsflotten beider Länder. Zweitens die Kontrolle über das Mittelmeer, wo England noch vorherrschend war. Deutschland war am Mittelmeer nur indirekt präsent mittels seines Verbündeten Österreich-Ungarn, zu dem die dalmatinische Küste des späteren Jugoslawiens gehörte. In anderen Gebieten, z.B. im Marokko, versuchte Deutschland auch direkt am Mittelmeer Fuss zu fassen. Drittens der Nahe Osten, wo die ersten grossen Ölquellen entdeckt wurden; der Nahe Osten war zugleich für Deutschland das Einfallstor nach Asien. Das Bagdadbahnprojekt (die Eisenbahnverbindung Berlin – Konstantinopel – Bagdad) dokumentierte die Expansion Deutschlands in dieser Region. Und diese Expansionsschneise verlief quer über den Balkan. Um Deutschland sowie Österreich vom Mittelmeer und auf dem Balkan zurückzudrängen, unterstützte England (aber auch Russland und Frankreich) genau wie heute den serbischen Nationalismus. Deutschland hingegen pflegte ebenso wie heute möglichst enge Beziehungen zu den österreichischen Provinzen Slowenien und Kroatien sowie zur Türkei. Das berühmte Attentat von Sarajevo, an dem scheinbar vom englischen Geheimdienst unterstützte serbische Terrorgruppen beteiligt warn, löste schliesslich den 1. Weltkrieg aus. Die nach 1919 von den Siegermächten (jetzt unter Beteiligung der USA) in Versailles festgelegte Neuordnung Europas zielte nicht zuletzt durch die Schaffung von neuen Nationalstaaten wie der Tschechoslowakei, vor allem aber Jugoslawiens darauf ab, Deutschland sowie seine traditionellen Verbündeten Österreich und Ungarn vom Balkan und somit vom Mittelmeer bzw. vom Nahen Osten abzuschneiden. Keine Überraschung also, wenn es zu den wichtigsten Kriegszielen Hitler-Deutschlands im 2. Weltkrieg gehörte, Jugoslawien zu zerschlagen und einen von Deutschland abhängigen Staat Kroatien zu schaffen. Genau so wie heute. Die “Neuordnung“ der Welt durch die Siegermächte des 2. Weltkriegs wiederum, welche in Teheran, Jalta und Potsdam festgelegt wurde, war wie schon Versailles nicht zuletzt eine Regelung gegen Deutschland. Durch die Teilung Deutschlands ging sie sogar über Versailles hinaus. Von daher darf es ebensowenig überraschen, dass zu dieser “Friedensregelung“ die Wiederherstellung Jugoslawiens als Pufferzone gehörte.

Abermals wurde Deutschland vom Mittelmeer abgeschnitten. Seitdem ist die Bundesmarine auf das Wohlwollen anderer westlicher Mächte angewiesen, um logistische Unterstützung zu erhalten, wenn sie (bislang noch selten) im Mittelmeer operieren will.

Am Ende des 2. Weltkriegs setzten darüber hinaus die USA und England gegenüber ihrem schwächeren, neuen Rivalen um die Weltherrschaft, der UdSSR, durch, dass Jugoslawien, obwohl von “kommunistischen“ d.h. von stalinistischen Partisanen unter Tito regiert, im Ost-West-Konflikt als neutrale Pufferzone zu betrachten war. Damit wollten Washington und London auch die Sowjetunion vom Mittelmeer fernhalten. Dieses Abkommen bedeutet, dass eine Infragestellung des status quo in Jugoslawien, ob von östlicher oder westlicher Seite, nur im Falle eines 3. Weltkrieges denkbar war. In der Tat, und wie wir heute wissen, sahen die Weltkriegsplanungen beider Seiten immer die militärische Besetzung Jugoslawiens schon in der Anfangsphase vor.

Nach diesem historischen Rückblick, der die strategische Bedeutung des immer umkämpften Balkans im Zusammenprall der Grossmächte gezeigt hat, wird klar: Der Ausbruch des Krieges in Jugoslawien vor zwei Jahren ist keineswegs mit einem plötzlichen Anfall von politisch-ethnischer Tollwut erklärbar, wie die bürgerliche Propaganda uns weismachen will. Er erklärt sich vielmehr durch de Auflösung zuerst des östlichen und dann des westlichen Blockes. Plötzlich war es wieder möglich, den status quo in Jugoslawien anzutasten, ohne einen Weltkrieg auszulösen. Die erste grosse, eigenständige Handlung des wiedervereinigten Deutschlands bestand darin, gegen den Willen der ehemaligen Verbündeten, durch die Unterstützung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens die Auflösung Jugoslawiens zu betreiben, um den jugoslawischen Staat zu zerstören, der als Puffer gegen eine deutsche Expansion auf dem Balkan gedient hatte.

Die Grossmächte und ihr Stellvertreterkrieg

Washington, London, Paris eilten nun herbei, um Serbien wie schon so oft zuvor im Konflikt gegen Kroatien und Slowenien zu unterstützen. Als der Konflikt auf Bosnien übergriff, wurde die Lage noch viel komplizierter. Einerseits weil dort nicht zwei, sondern drei ethnische Gruppen aufeinanderstiessen. Andererseits ist aber auch die Tendenz, dass jeder für sich kämpft, und sich keineswegs mehr den Interessen der USA oder einer anderen Grossmacht unterwerfen will, derart stark geworden, dass die ehemaligen Verbündeten der USA, die sich 40 Jahre lang der Blockdisziplin unterworfen hatten, nunmehr eigenständig ihre Interessen verfolgen. Diese Bestrebungen haben mittlerweile nach dem Golfkrieg viel grössere Ausmasse angenommen.

Während Deutschland weiterhin hinter den Kroaten steht, habe sich England, Frankreich, Russland hinter die Serben gestellt, während wiederum die USA für die Bosnier Partei ergriffen haben. Somit bedeutet die Unfähigkeit Washingtons, militärisch einzugreifen, um die bosnischen Moslems als ihren Verbündeten gegen die europäischen Rivalen einzusetzen, einen schweren Rückschlag für das weltweite Ansehen der USA in der imperialistischen Welt…

Wie sich das auf die anderen Konfliktherde auswirkt, haben wir in einem weiteren Artikel diese Zeitung dargestellt.

Weltrevolution Nr. 62

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Die Arbeiterkämpfe in Italien 1943

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 Im 1. Weltkrieg stellte sich die Arbeiterklasse vor allem in Rußland und in Deutschland zu­nehmend gegen den Krieg. Die Auf­standsbewegung in Rußland von Febr. bis Oktober 1917 und die revolutionäre Bewe­gung in Deutschland im Nov. 1918 sorgten dafür, daß der Krieg zu Ende gebracht wurde. Wäh­rend aber die Reaktion der Ar­beiterklasse ge­gen den 1. Weltkrieg relativ gut bekannt ist, sind die wenigen Phasen intensi­ven Klassen­kampfes während des 2. Welt­kriegs kaum be­kannt. Vor allem die Arbeiter in Italien setzten sich ab 1943 gegen den Krieg zur Wehr. Die Bürgerlichen jedoch stellen die Kämpfe in Ita­lien als einen Anfang der "antifaschistischen Resistance" dar. Die­ses Jahr - 50 Jahre nach diesen Kämpfen - haben die italienischen Ge­werkschaften ge­nau die­sen Mythos wieder verbreiten wollen.

1943: DAS ITALIENISCHE PROLETA­RIAT WEHRT SICH GEGEN OPFER FÜR DEN KRIEG

In der 2. Jahreshälfte 1942, als der Ausgang des Krieges immer noch offen stand, und der Faschismus noch fest im Sattel zu sitzen schien, gab es in den großen Fabriken im Nor­den Italiens sporadische Streiks gegen die Ra­tionierungen und für Lohnerhöhungen. Der Krieg hatte eine große Unzufriedenheit in der arbeitenden Bevölkerung hervorgebracht.

Am 5. März 1943 legten Arbeiter bei Mira­fiori in Turin die Arbeit nieder. Die Bewegung dehnte sich binnen Tagen auf andere Fabriken aus; Tausende von Arbeiter schlossen sich ihr an. Die Forderungen waren klar und einfach: Erhöhung der Lebensmittelrationierungen, Lohnerhöhungen und Beendigung des Krieges. Im gleichen Monat griff die Bewe­gung über auf die großen Fabriken von Mai­land, die ganze Lombardei, Ligurien und an­dere Teile Italiens.

Die faschistische Regierung reagierte mit Zuc­kerbrot und Peitsche: Sie verhaftete die be­kanntesten Arbeiter, machte aber auch Kon­zessionen gegenüber einigen unmittelbaren Forderungen. Auch wenn Mussolini hinter den Aktionen der Arbeiter antifaschistische Drahtzieher vermutete, konnte er es sich nicht leisten, daß die Bewegung noch weiter Auf­trieb erhielt. Die Vermutung, daß Antifaschi­sten hinter dieser Bewegung steckten, war falsch. Die Streiks waren vollkommen spon­tan, sie wurden von den Arbeitern selber aus­gerufen. Auslöser war die Unzufriedenheit mit den Entbehrungen durch den Krieg gewesen. Selbst "faschistische" Arbeiter beteiligten sich am Streik.

Diese Bewegung jagte den Herrschenden Angst ein - und diese Angst vor der Arbeiter­klasse überstieg die Angst vor dem Feind auf dem imperialistischen Schlachtfeld. Die Streiks verdeutlichten der herrschenden Klasse, daß das faschistische Regime kein ad­äquates Mittel war, um die Wut der Arbeiter unter Kontrolle zu halten. Die Herrschenden beschlossen, das faschistische Regime abzulö­sen und ihre "demokratischen" Kräfte neu zu organisieren...

Am 25. Juli 1943 ließ der König Mussolini ab­setzen. Der General Badoglio sollte eine neue Regierung bilden. Erste Priorität dieser Regie­rung war die Neugründung "demokratischer" Gewerkschaften, um neue Staudämme aufzu­bauen, die dazu dienten, Forderungen der Ar­beiter aufzuhalten. In der Zwischenzeit hatten die Arbeiter ihre eigenen Organe geschaffen, die Bewegung drohte au­ßer Kontrolle zu gera­ten. Der alte sozialisti­sche Gewerkschaftsfüh­rer Bruno Buozzi wurde freigelassen und wie­der an die Spitze dieser neuen Gewerkschaften gestellt. An seine Seite traten der "Kommunist" (Stalinist!) Roveda und der Christdemokrat Quadrello. Die Herrschenden hatten gut aus­gewählt. Buozzi war einer der Streikführer von 1922 gewesen (damals waren insbesondere im Nor­den viele Fabriken besetzt worden). Schon 1922 hatte er alles unternommen, um der Be­wegung die Spitze zu brechen.

Aber nicht nur mit der bürgerlichen Demo­kratie und ihren falschen Versprechungen hat­ten die Arbeiter zu kämpfen.

Wenn sie das faschistische Regime verwarfen, dann vor allem weil sie nicht mehr die Opfer bringen wollten, die ihnen der Krieg auf­zwang. Aber die Regierung Badoglio ver­langte von ih­nen, den Krieg weiter zu unter­stützen.

Deshalb traten Mitte August 1943 die Arbeiter von Turin und Mailand erneut in den Streik und forderten vehementer als je zuvor das Ende des Krieges. Und wieder antwortete die Verwaltung vor Ort mit Repression. Noch ef­fektiver jedoch war die Reise von Piccardi, Buozzi und Roveda in den Norden, um die "Stellvertreter" der Arbeiter zu treffen und sie zu bewegen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Selbst bevor sie noch ihre Organisation wie­deraufgebaut hatten, fingen die "demokratischen" Gewerkschafter ihre Drecksarbeit gegen die Arbeiter an.

Durch die Repression, durch Konzessionen und Ver­sprechungen in die Enge getrieben, warteten die Arbeiter der Dinge. Dann über­schlug sich alles. Im Juli 1943 waren die Alli­ierten in Si­zilien gelandet. Am 8. Sept. unter­schrieb Ba­doglio mit ihnen den Waffenstill­stand, flüch­tete mit dem König in den Süden und forderte die Regierung auf, den Krieg ge­gen die Nazis und die Faschisten fortzusetzen. Darauf kam es zu einer chaotischen Teilauflö­sung der Ar­mee. Viele Soldaten legten ihre Uniform nie­der, kehrten nach Hause zurück oder ver­steckten sich.

Die Arbeiter, die es nicht schafften, sich auf ihrem Klassenterrain zur Wehr zu setzen, wollten nicht die Waffen gegen die Deutschen richten. Stattdessen nahmen sie die Arbeit wie­der auf, bereit für ihre eigenen Forderungen genauso gegenüber den neuen Machthabern in Nordi­talien einzutreten. Italien war zu dem Zeitpunkt in zwei Teile gespalten. Im Süden standen die Truppen der Alliierten und eine dem Schein nach legale Regierung, im Nor­den dagegen hatten die Faschisten erneut das Kommando übernommen, oder genauer gesagt die deutschen Truppen.

Obgleich der Krieg nicht mehr von der Bevöl­kerung getragen wurde, wurde er fortgesetzt. Die Bombardierungen Norditaliens durch die Alliierten nahmen zu, die Lebensbedingungen der Arbeiter verschlechterten sich noch mehr. Mitte November-Dezember nahmen die Ar­beiter wieder den Kampf auf! Und diesmal gab es eine noch brutalere Repression. Neben den Verhaftungen wurde diesmal gedroht: Ver­schleppung nach Deutschland.

Die Arbeiter verteidigten mutig ihre Forde­rungen. Im November traten die Arbeiter in Turin in Streik, ein Großteil ihrer Forderun­gen wurde erfüllt. Anfang Dezember streikten die Arbeiter in Mailand. Wiederum Verspre­chungen und Drohungen seitens der deutschen Behörden. In Genua demonstrierten die Ar­beiter am 16. Dezember; die deutsche Wehr­macht übte eine Repression aus. Aber trotzdem gab es weiter Proteste in ganz Ligurien.

Aber es war ein Wendepunkt eingetreten. Die deutschen Behörden, die riesige Schwie­rigkeiten an der Front hatten, konnten keine Einbrüche an der Produktionsfront hinneh­men. Die Bewegung fing an, ihren spon­tanen Cha­rakter zu verlieren. Die "antifaschistischen" Kräfte versuchten, den Arbeiterforderungen ein neues Gewand über­zustreifen - sie nannten sie eine "Befreiungsbewegung vom Faschis­mus".

Obwohl es bis zum Frühjahr 1944 und gar bis 1945 noch vereinzelt Streiks gab, hatten sich viele Arbeiter, um der Repression zu entwei­chen, in den Bergen versteckt. Viele von ih­nen traten jedoch auch in die Partisanenver­bände ein.


DIE KÄMPFE VON 1943: KEIN ANTIFA­SCHISTISCHER, SONDERN EIN KLAS­SENKAMPF

Die Bourgeoisie stellt die ganze Streikbewe­gung von 1943-45 als eine antifaschistische Bewegung dar. Wir haben gezeigt, daß das falsch ist. Die Arbeiter kämpften gegen den Krieg und die ihnen aufgezwungenen Opfer. Sie prallten mit den Faschisten zusammen, als diese an der Macht waren (im März), der Re­gierung Badoglio, die nicht mehr faschistisch war (im August), mit den Nazis, als diese in Norditalien die Macht ausübten (im Dezem­ber).

Die westlichen Alliierten verzöger­ten ihren Vormarsch auf die norditalienischen Industrie­zentren so lange, bis die deutschen Be­satzer die Arbeiter gewaltsam niedergeworfen hatten. An­statt den Arbeitern zu Hilfe zu eilen, bombar­dierten die amerikanischen und briti­schen Luftwaffen gezielt die Fabriken des Nor­dens, um so ihren Teil zum Abschlachten der Arbeiter beizusteuern.

Die "demokratischen" Kräfte der bürgerlichen Linken in Italien versuchten von Anfang an, mit der "Kommunistischen Partei" an ihrer Spitze, den Klassenkampf der Arbeiter auf ein bürgerliches Terrain zu lenken - den des "patriotischen und antifaschistischen" Kampfes. Dabei hatten die bürgerlichen Lin­ken aber große Schwierigkeiten, denn aus der Sicht der Arbeiterklasse waren die Kämpfe immer gegen das Kapital insgesamt und nicht gegen eine besondere Fraktion des Kapitals ge­richtet. "Erinnern wir uns, wie wir uns am Anfang des Befreiungskampfes anstrengen mußten, den Arbeitern und Bauern beizubrin­gen, die wußten, daß sie natürlich gegen die Deutschen kämpfen mußten, die aber sagten: Wir meinen, ob unsere Kapitalisten Deutsche oder Italiener sind, das macht wirklich keinen großen Unterschied" (E. Sereni, ein Führer der damaligen KP).

Der antifaschistische Kampf war ein vollkom­men patriotischer und national-bürgerlicher Kampf, der nicht die Grundlage der Herr­schaft des Kapitals infragestellte. Im Gegen­teil.

Der Antifaschismus zielt stets darauf, das Pro­letariat hinter eine angeblich menschli­chere oder fortschrittlichere Fraktion des Ka­pitals gegen eine andere zu mobilisieren. Die Arbei­ter sollen nicht für ihre eigenen Interessen, sondern für die des Kapitals kämpfen. Damit werden sie für den imperialistischen Krieg als Kanonenfutter mobilisiert - in diesen Fall für den "westlichen" Block zusammen mit dem "sowjetischen" Imperialismus und ihren italieni­schen Verbündeten gegen Deutschland. Dage­gen unterstützten die Internationalisten der marxistischen Linken die Arbeiterstreiks gegen den Krieg sowie die Umwandlung des impe­rialistischen Krieges in einen Klassenkrieg der internationalen Arbeiterklasse gegen das Kapital im Ganzen.


50 JAHRE NACH 1943 MUSS DIE AR­BEITERKLASSE DIE LEHREN ZIEHEN

Während das Proletariat den 1. Weltkrieg durch die Entfaltung seiner Kämpfe zu Ende bringen konnte, gelang ihm dies im 2. Welt­krieg nicht. Wir müssen deshalb hier einige Hauptlehren aufzeigen.

Die Ereignisse von 1943 beweisen, daß der Krieg nicht die günstigsten Voraussetzungen für die proletarische Revolution schafft. Heute würde ein neuer Krieg so viele Zerstörungen mit sich bringen, daß die Arbeiterklasse selber zum Großteil, ja die Menschheit insgesamt vernichtet würde. Die Arbeiter müssen also unbedingt vor einem Krieg handeln. Ja ihr Handeln verhindert den Krieg!

Denn im Falle eines Weltkrieges mit seinem unvergleichlichen Zerstörungspotential wird es zu spät sein. Helios.

(Auszug aus einem Artikel in der "International Review" Nr. 75, der vollstän­dige Artikel kann bei der Kontaktadresse an­gefordert werden). Mehr Hintergrundmaterial in unserer Broschüre "Die Italienische Linke".

Historische Ereignisse: 

  • Zweiter Weltkrieg [5]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Weltrevolution - 1994

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Weltrevolution Nr. 63

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Weltrevolution Nr. 64

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Weltrevolution Nr. 65

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Kein Begreifen der Periode ohne die Dekadenz des Kapitalismus

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Die Ausgabe Nr. 7 der "Kommunistische Po­litik (Organ internationaler revolutionärer Kommunisten)" beschäftigt sich auf 28 Seiten ausschließlich mit der Dekadenztheorie. Unter dem Titel "Wider die Dekadenz revolutionärer Theorie" wird gegen die Dekadenztheorie ge­wettert, die von der IKS vertreten wird, daß der Kapitalismus sich in seiner Niedergangs­phase befindet und die Menschheit in den Ab­grund führt. Die Broschüre der IRK besteht aus 2 Texten. Der erste, "Die Dialektik von Produktions­kräften und Produktionsverhältnis­sen gemäß der kommunistischen Theorie", stammt haupt­sächlich von "Communisme ou Civilisation" (C ou C), eine in Frankreich an­sässige Aka­demikergruppe, welche sich für die Theorien des bedeutenden marxistischen Revolutionärs Amadeo Bordiga interessiert. Der 2., "Wider die Dekadenz" kommt von der IRK.

Aus Platzgründen können wir hier in diesem Artikel nicht ausführlich diese Debatte aufrol­len. Die Argumentation der IRK ist keines­wegs neu - seit 40 Jahren setzt sich unsere Strömung vor allem mit der bordigistischen Ablehnung der Dekadenz auseinander. Unsere Antwort auf die einzelnen Argumente der IRK in Bezug auf die Dekadenz (die sog. fantasti­schen Wachstumsraten nach 1945, die Rolle des unproduktiven Sektors oder des Kredits usw.) liegt schon lange vor. Wir haben einge­hend geantwortet in unserer Dekadenzbro­schüre und der Artikelserie "Wie die Deka­denz des Kapitalismus verstehen" in unserer Internationalen Revue. Hier geht es um die Methode und politischen Konsequenzen bei der IRK

WIE EINE HISTORISCHE DEBATTE DER ARBEITERBEWEGUNG ABGESCHRIE­BEN WIRD

Obwohl der erste, von C ou C verfaßte Text zugibt, daß alle großen Revolutionäre z.Zt der revolutionären Welle von Kämpfen zwischen 1917-23 einschließlich der Kom­munistischen Internationalen von einer angebro­chenen Deka­denzphase des Kapitalismus aus­gingen, und obwohl das Konzept von auf- und absteigen­den Phasen von Klassengesellschaf­ten nach­weislich von Marx selbst stammt (siehe seine Einleitung zur Kritik der politi­schen Ökono­mie), wird diese Theorie in der gesamten IRK-Broschüre quasi als ein Hirnge­spinst ab­getan. Dabei schrieb die Kommunisti­sche Internatio­nale im März 1919: "Die neue Epoche ist ge­boren! Die Epoche der Auflösung des Kapita­lismus, seiner inneren Zerset­zung..."  Als ob es von den vergange­nen Gene­rationen marxi­stischer Organisatio­nen nichts zu lernen gäbe! Der C ou C Artikel be­hauptet, die Revolutio­näre der 20er und 30er Jahre wä­ren durch den 1. Weltkrieg so­wie durch die Stagnation vor allem in Europa bis 1945 ge­blendet gewesen, so daß sie vorei­lige Schlußfolgerun­gen über den Niedergang des Systems gezogen haben. Während hier der Eindruck erweckt wird, daß der Marxismus sich damals sozusa­gen primi­tiv-empirisch vom Schein der Ereig­nisse in die Irre führen ließ, war es in Wirk­lichkeit so, daß die bedeutend­sten Vertreter der kommunisti­sche Linke, die KAPD Anfang der 20er, und die Gruppe BI­LAN in den 30er Jahren, sich auf die tiefgrei­fende theoretische Vorarbeit ge­stützt haben, welche Rosa Luxemburg bereits vor 1914 in ihrem Werk "Die Akkumulation des Kapitals" leistete. Für die IRK wiederum ist es nichts als eine Drei­stigkeit, daß die IKS und andere re­volutionäre Organisationen heute noch diese Theorie auf­rechterhalten, obwohl nach Über­zeugung der IRK allein schon der Wiederauf­bauboom nach dem 2. Weltkrieg ausreichen müßte, um alle von der Hinfällig­keit der Vor­stellung eines Niedergangs des gegenwärtigen Systems zu überzeugen.

Das revolutionäre Proletariat braucht die of­fene theoretische Auseinandersetzung wie Luft zum Atmen. Nichts ist heute dringender als die Debatte über die Frage, ob der Kapita­lismus ein dekadentes System ist oder nicht. In der Tat handelt es sich bei der IRK-Broschüre um eine Auseinandersetzung zwi­schen 2 ent­gegengesetzten Auffassungen. Eine dieser Auffassungen behauptet, der Kapitalis­mus be­findet sich im Niedergang und ist weltweit reaktio­när. Die andere meint hinge­gen, das System sei noch fortschrittlich, im­mer noch fähig, eine gigantische wirtschaftli­che Expan­sion zu bewerkstelligen. Die erste Auffassung, welche die IKS vertritt, sagt, daß eine erfolg­reiche proletarische Revolution den Nie­dergang des Systems weltweit voraussetzt. Die zweite, welche die IRK hier verteidigt, glaubt, daß eine vorübergehende zyklische Konjunk­turkrise da­für ausreicht.

Leider wird diese Auseinandersetzung in der IRK-Broschüre nicht deutlich genug dargestellt  und auf die Spitze getrieben. Sie wird im Ge­genteil ver­tuscht. Auf 28 Seiten wird alles un­ternommen, um die politische Brisanz dieser Debatte zu verschleiern. Stattdessen versucht man, diese entscheidende Auseinandersetzung, welche vor 1914 von Rosa Luxemburg gegen die Re­formisten, während des 1. Weltkrieges von Lenin gegen Kautsky, und in den 40er Jahren vom Nachfolger "Bilans", der Gauche Communiste de France (GCF) gegen Bordiga ge­führt wurde, als etwas Lachhaftes, als eine Spinnerei der IKS hinzustellen. Dabei haben wir als IKS mit unserer Position zur Dekadenz nichts Neues erfunden, sondern vertreten nur einen Standpunkt, der in diesem Jahrhundert von führenden Revolutionären vertreten wurde. Wir wollen jetzt kurz:

1) die Tricks der IRK zeigen, welche die Nichtigkeit dieser De­batte beweisen wollen,

2) die tatsächli­che Aktualität und Brisanz die­ser Debatte hervortreten lassen.

DIE TRICKS DER IRK

Seitenlang versucht die IRK, die Argumente der IKS zur Dekadenz des Systems als nicht­marxistisch und unwissenschaftlich abzutun. Die IRK will die wirkliche Gegenüberstellung der beiden Posi­tionen umgehen, indem sie die Position der IKS so darstellt, als ob sie gar nicht ernstzunehmen sei.

Hier zwei kurze Beispiele, wie die IRK dies zu drehen versucht:

- Der größte Dorn in den Augen aller, welche die Dekadenztheorie als eine Abweichung von Marx hinzustellen versuchen, ist die berühmte Einleitung zur Kritik der politischen Ökono­mie, wo Marx selbst davon spricht: "Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhan­denen Produkti­onsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhält­nissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungs­formen der Produk­tivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fes­seln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein" (Marx-Engels-Werke Band 13 S.9) Hier ist klar und deutlich: "auf einer gewissen Stufe" werden die Produktiv­kräfte "gefesselt". Dieses Umschla­gen von "Entwicklungsformen" zu Fesseln "auf einer gewissen Entwicklungsstufe" will die IRK auf keinen Fall stehenlassen. Dazu die IRK: "Der erwähnte Konflikt zwischen Produktiv­kräften und Produktionsverhältnissen ist also keines­wegs eine Frage der Geschwin­digkeit der Entwicklung der Produktivkräfte, sondern der sozialen Schranken ihrer Ent­wicklung. Diese sozialen Schranken, die Eigentumsver­hältnisse, verhindern eine Wei­terentwicklung der Produktivkräfte in Formen, die den gesell­schaftlichen Bedürfnissen ent­sprechen. Es kann aber keineswegs von dieser Tatsache ab­geleitet werden, daß sich die Pro­duktivkräfte überhaupt nur noch verlangsamt entwickeln." Marx meint laut IRK "eine ein­seitige Art der Entwicklung der Produktiv­kräfte. Die Fessel, von der Marx hier redet, ist die soziale Fessel: Verwertungsinteresse des Kapitals versus Le­bensinteresse des Proletari­ats" (Kompol 7, S. 353).

Marx spricht von einer Fesselung der Produk­tivkräfte. Die IRK behauptet das Gegenteil. Marx spricht von etwas, was auf einer gewis­sen Entwicklungsstufe eintritt, während die IRK plötzlich von etwas spricht, was vom er­sten bis zum letzten Tag des Kapitalismus im­mer vor­handen ist, nämlich der Akkumulations­zwang auf Kosten des Proleta­riats. Was Marx aufzeigt, ist, daß der Kapita­lismus trotzdem bis zu "einer gewissen Ent­wicklungsstufe" die Produktivkräfte entfalten kann, bis er an den Fesseln zunehmend reibt, welche die fallende Profitrate, vor allem aber (wie Luxemburg ge­zeigt hat) die Erschöpfung außerkapitalistischer Märkte darstellen.

- Ebenfalls ist das Konzept des globalen Ka­pitals der IRK ein Dorn im Auge. Hier geht es darum, daß Produktionsbereiche wie die Rü­stung, welche für einzelne Konzerne oder na­tionale Kapitalien äußerst gewinnbringend sein können, für das System insgesamt ein totes Gewicht dar­stellen. Wenn dies zutrifft, dann sehen die Wachstums- und Entwicklungszah­len der Nachkriegszeit, welche die IRK so nachhaltig beeindrucken, eher kümmerlich aus, wenn man die explodierenden unproduk­tiven Berei­che abzieht. Die Produktion von Särgen auf dem Balkan und in anderen Kriegsgebieten mag einen Riesenaufschwung genommen ha­ben: ob dies als eine Entwick­lung der Produktivkräfte betrachtet werden kann (die IRK be­hauptet dies in Bezug auf Rüstungsgü­ter), ist mehr als fraglich! Um das globale Ka­pital un­schädlich zu machen, ge­steht die IRK zuerst zu: "Auch das globale Kapital hat ge­meinsame Interessen, so zum Beispiel gegen­über der Ar­beiterklasse", um aber dann ein­zuwenden "Aber dieses weltweite Verhältnis impliziert gerade für das Kapital die Konkur­renz gegen­einander.." Deshalb "entpuppt" das sogenannte "Konzept des glo­balen Kapitals" sich als  "eine weitere Beigabe zum Gru­selkabinett der Entstellungen des Marxismus, als ein meta­physisches Konstrukt verkrampf­ter `Erneuerer'" (KOMPOL S. 365, 366).

Also: zuerst wird das globale Kapital mit der Klasse der Weltbourgeoisie verwechselt, um es dann unter dem Vorwand der Existenz der Konkurrenz als etwas dem Marxismus frem­des abzuschreiben. Von wegen! Wir zitieren Rosa Luxemburg:

"Die Sache bekommt aber gleich Gestalt und strengen Umriß, wenn wir die kapitalistische Produktion als Ganzes, vom Standpunkte des Gesamtkapitals, also dem in letzter Linie ein­zig maßgebenden und richtigen betrachten. Dies ist eben der Standpunkt, den Marx im 2. Band seines "Kapitals" zum erstenmal sy­stematisch entwickelt, den er aber seiner gan­zen Theorie zugrunde gelegt hat. Die selbst­herrliche Privatexistenz des Einzelkapi­tals ist in der Tat lediglich äußere Form, Ober­fläche des Wirtschaftslebens, die nur vom Vulgär­ökonomen als Wesen der Dinge und einzige Quelle der Erkenntnis betrachtet wird. Unter dieser Oberfläche und durch alle Ge­gensätze der Konkurrenz hindurch bewährt sich die Tatsache, daß alle Einzelkapitale ge­sellschaftlich ein Ganzes bilden." (Die Akku­mulation des Kapitals, Luxemburg Ge­sammelte Werke, Band 5, S. 419, 420.)

DIE POLITISCHEN KONSEQUENZEN

Das Beeindruckendste an der IRK-Broschüre ist die Inbrunst, womit nicht nur die Deka­denztheorie angegriffen, sondern auch die Überzeugung von der strotzenden Gesundheit des kapitalistischen Systems verkündet wird. Dieser Glaube hängt sicher mit folgender irri­ger Feststellung zusammen: "Marx dekla­rierte, daß die Märkte unbegrenzt seien, die IKS er­klärt die Märkte zu einer begrenzten Seeober­fläche". (Kompol 7 S. 358) Wir könn­ten Dutzende von Marx-Zitate dagegen anfüh­ren (siehe Internationale Revue Artikel zur Kri­sentheorie). Mehr noch: heute sucht die Bour­geoisie selbst verzweifelt aber ver­geblich nach diesen Märkten!

Wir erfahren weiter: "Die Krise mag subjektiv und für den Arbeiter als verheerend erschei­nen (...) Doch darüber darf nicht vergessen werden, daß die Krise gleichzeitig als "Gesundheitsbad" für den Kapitalismus wirkt, das zum Austreiben des überflüssig gewor­denen Kapitals dient". (S. 361) So lief das mit den zyklischen Krisen des vori­gen Jahrhun­derts. Aber die sich stets vertie­fende Krise der letzten 20 Jahre hat keine Gesundung zur Folge gehabt, sondern eine im­mer kränkere Weltwirtschaft. Auch das Ver­sagen der in den letzten Jahrzehnten massiv eingesetzten Mittel, um einen wirtschaftlichen Kollaps hinauszu­schieben, wie etwa die ufer­lose Verschul­dung, was selbst im bürgerli­chen Lager oft zuge­geben wird, wird von der IRK vom Tisch ge­wischt. "Diese Manipulatio­nen des Kapitals am Verlauf der Weltge­schichte wie am Wert­gesetz sind aber nichts anderes als die auf das Kapital projizierten Manipulationen der "Dekadenztheoretiker" an der marxistischen Theorie" (S. 362)

Nicht nur den Krisen des 20. Jahrhunderts wird eine dynamische, die Produktivkräfte ent­faltende Kraft zugeschrieben, sondern ebenso dem imperialistischen Krieg. Nicht nur die sog. nationalen Befreiungskriege werden als fort­schrittlich angesehen (wie bei den Bordigi­sten, von denen die IRK ihre besseren Argu­mente gegen die Dekadenz übernommen hat), son­dern sogar der 2. Welt­krieg! Da der Leser es sonst nicht glaubt, mü­ssen wir etwas aus­führlicher zitieren.

"Das politische System des Weltkapitalismus war  gerade in der Zwischenkriegsperiode für die Bedürfnisse der Akkumulation auf der in­zwischen erreichten Stufe selbst zu eng ge­worden (..) Aber diese Hindernisse waren durch das Kapital selbst hinwegzufegen ver­mittels Krieg und damit Aufhebung der ver­krusteten Strukturen.(...) Dabei spielten die Nazis, als politische Repräsentanten der deut­schen Bourgeoisie, so paradox dies erscheinen mag, eine weitaus progressivere Rolle vom Standpunkt des Kapitals aus gesehen als z.B. die verknöcherte englische Bourgeoisie, die damit beschäftigt war, mühsam das Empire zu­sammenzuhalten. Denn hinter aller großdeut­schen Phantasterei, die nur ideologisches Mittel war, verbarg sich bereits ein Konzept des europäischen Wirtschaftsraums (...) Aber die lange Phase des mehr oder weniger unge­hinderten Wachstums bis in die 60er Jahre war nicht Zaubermitteln der Bourgeoisie ge­schuldet, sondern war in gewisser Hinsicht zum einen unmittelbares Resultat der Kriegs­politik, zum anderen der Auflösung der kor­setthaften Kolonialstrukturen geschuldet. Aber dies zu sehen kann nicht von einer Strömung verlangt werden, die in den vergangenen anti­kolonialen Kriegen nichts als lokale Stellver­treterkriege sehen will" (S. 361-363). Ledig­lich dem letzten Satz stimmen wir zu.

Die IRK ist sicher stolz auf ihre theoretische Leistung. Man hat offenbar eine Menge hin­übergerettet aus der langen Zeit in linkskapi­talistischen "Kapitalzirkeln"! Aber es stellen sich Fragen. Etwa: wenn die Krise weiter­hin ein "Gesundheitsbad" bleibt, aus dem das Sy­stem jedesmal gestärkt hervorgeht, wo bleibt da die Möglichkeit der proletarischen Revolu­tion? Oder überhaupt die Notwendig­keit dazu? Läuft man hier nicht Gefahr, wie Bernstein durch das Leugnen der Fesselung der Pro­duktivkraftentwicklung dem Marxis­mus den Boden zu entziehen, die Revolution zum rei­nen Wunschdenken, einer Utopie zu machen? Wenn die proletarische Revolution nicht mehr aus der Notwendigkeit heraus ent­steht, durch die Überwindung des Privatei­gentums diese Fesseln zu sprengen, sondern nur das Ergeb­nis der materiellen Verschlech­terung der Le­benslage der Arbeiter sein soll. Dann wird damit die proletarische Revolution auf die Ebene von Hungersrevolten herabgedrückt, und die Arbeiterklasse mit den ausgebeuteten Klassen der Vergangenheit, mit den Sklaven und Leibeigenen gleichgesetzt, die zwar alle ausgebeutet wurden, aber nicht revolutionär waren. Es wird geleugnet, daß die proletari­sche Revolution nur eine bewußte Revolution sein kann. Wenn die imperiali­stischen Kriege, selbst Hitler als fortschrittlich angesehen wer­den, warum werden sie dann nicht "kritisch" unter­stützt, so wie Marx Bis­marcks Krieg ge­gen Frankreich 1870 oder Lincoln und den Nor­den im amerikanischen Bürgerkrieg mit Ein­schränkungen unter­stützte? In der Tat wird die materialistische Grundlage des proletari­schen Internationalis­mus hiermit zerstört, die Ableh­nung des Krieges zu einer moralischen Ange­legenheit degradiert (siehe unsere Pole­mik in Internationale Revue Nr.15 zum Wesen des Krieges).

Tatsächlich demoliert die IRK-Broschüre nicht die Dekadenztheorie etwa der IKS, sondern den Marxismus selbst - und dies im Namen der Invarianz, der angeblichen Unabänderlich­keit des marxistischen Programms. Deshalb übernimmt der IRK-Text konsequenterweise auch die historische Einschätzung der Ok­toberrevolution und der revolutionären Welle von 1917-23, welche die Pseudo-Marxisten wie Karl Kautsky oder die russischen Men­schewisten erstellten, d.h. daß die Weltrevolu­tion damals noch nicht auf der Tagesordnung stand.

"Die Oktoberrevolution und die damit zusam­menhängende proletarisch-revolutionäre Dy­namik in vielen anderen Ländern hat nur ge­zeigt, wie tief zu dem gegebenen Zeitpunkt die gesellschaftlichen Widersprüche gediehen wa­ren. Der Verlauf der darauf folgenden Konter­revolution zeigt aber gleichermaßen, daß diese Tiefe noch nicht ausreichend war für die WIRKLICHE Überwindung der kapitalisti­schen Produktionsweise - sprich, daß der Ka­pitalismus sein Potential noch nicht ausgereizt hatte." (S.361).

Nun scheint die IRK auch zu spüren, daß sie selbst die Bedingungen der Revolution verneint hat. Denn jetzt, nachdem die "Fesseln" seitenlang abgestritten werden, er­scheint plötzlich der Begriff der "finalen Krise", wohl um nicht ganz wie Bernstein zu erscheinen. "Die finale Krise des Systems wird erst eintreten, wenn der Kapitalismus die Welt vollständig durchdrungen und die Un­gleichzeitigkeit der Entwicklung zwischen den einzelnen Nationen durch die weltweite Di­spersion der ihm möglichen Produktions- und Verteilungsverhältnisse ein gutes Stück "nivelliert" hat, wenn sich also grob für das Weltproletariat wieder mehr oder weniger ein­heitliche Bedingungen herausgeschält ha­ben.." (S. 361)

Die letzten 80 Jahre haben ge­zeigt, daß Lenins (und Marxens) Formulie­rung des sog. Geset­zes der ungleichen Entwick­lung im Kapitalis­mus auch für seine Deka­denzphase gültig bleibt. Dies bedeutet, daß die Lage mögli­cherweise niemals eintreten wird, wo etwa die Arbeiter in Europa denselben Lebensstandard haben wie in Sahel-Afrika.

Das Werk ist vollbracht. Die Dekadenztheorie ist "widerlegt" worden. Die "Gefahr" der Re­volution ist auf Jahrzehnte hinaus gebannt. Die IRK darf ruhigen Gewissens in ihrer ru­higen Studierstube hocken - wo sie auch hin­gehört.

Aber es geht der IRK um weitaus mehr als ih­ren Seelenfrieden. Bordiga hat in den 40er Jahren die Dekadenztheorie bekämpft, weil er wußte, daß dies die theoretische Grundlage der Ablehnung insbesondere der "nationalen Befreiungsbewegungen" durch die "italienische Linke" im Exil war. Bordiga wollte nicht die opportunistischen Positionen des 2. bis 4. Kongresses der Kommunistischen Internationale infrage stellen, nicht zuletzt weil dies seine undialektische Idee eines "invarianten Marxismus" zu Fall gebracht hätte. Aber es war ein Disput zwischen Re­volutionären. Bei der IRK ist es anders. Wie bei vielen ehemaligen Stalinisten, welche sich von revolutionären Positionen teilweise ange­zogen fühlen, andererseits aber mit ihrer bür­gerlichen Vergangenheit nicht ganz brechen wollen, erscheint die Dekadenztheorie wie eine unerträgliche Provokation. Und zwar ge­rade deshalb, weil diese Theorie konsequen­terweise zu einem grundsätzlichen (und nicht nur einem "taktischen") Bruch mit Parlamen­tarismus, Nationalismus, gewerkschaftlicher Arbeit und dem Herumflirten mit stalinisti­schen oder trotzkistischen Gruppen verlangt. Deshalb konzentriert die IRK ihre Energien sowie ihr Blatt nicht auf die Formulierung der Interessen der Arbeiterklasse, sondern darauf die Dekadenztheorie lächerlich zu machen.

Weltrevolution

Historische Ereignisse: 

  • Dekadenz [7]

Theoretische Fragen: 

  • Politische Ökonomie [8]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Dekadenz des Kapitalismus [9]

Weltrevolution Nr. 66

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Weltrevolution Nr. 67

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Weltrevolution - 1995

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Weltrevolution Nr. 68

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Intellektuelle und Arbeiterbewegung (1.+2. Teil)

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 Die IKS organisiert nicht nur regelmäßig öffentliche Diskussionsveranstaltungen zu bestimmten, vorher festgelegten Themen, sondern darüberhinaus auch Diskussionsrunden ohne besonderes Thema. Hier können die verschiedensten Fragen von den Teilnehmern zur Sprache gebracht werden. Die Organisation nimmt zu diesen Problembereichen Stellung. Bei der letzten Diskussionsrunde warf ein Genosse aus dem Rheinland die Frage der Intellektuellen auf. Er bezog sich auf die Position von Lenin in ‘Was Tun’, derzufolge die Arbeiterklasse im Rahmen ihrer ökonomischen Verteidigungskämpfe spontan lediglich ein gewerkschaftliches Bewußtsein entwickeln kann. Damit die Arbeiterklasse darüberhinaus zu einem sozialistischen, auf der wissenschaftlichen Grundlage des Marxismus ruhenden Bewußtsein gelangen kann, sei das Eingreifen der sozialistischen Intellektuellen erforderlich. Im Gegensatz zu den bis auf die Knochen ausgebeuteten Arbeitern haben diese Intellektuellen sowohl den notwendigen Bildungsstand als auch die erforderliche Freizeit und Muße, um sich den wissenschaftlichen Marxismus anzueignen. So die Meinung des Genossen in Anlehnung an Lenin.

In seinem vor der Revolution von 1905 verfaßten Werk ‘Was Tun’ übernahm Lenin dieses Argument von Kautsky. Sowohl Lenin als Kautsky setzten dieses Argument gegen den opportunistischen Flügel der Arbeiterbewegung ein, der damals die Notwendigkeit eines revolutionären Umsturzes und eines unabhängigen politischen Kampfes des Proletariats gegen das Kapital zu verneinen begann. Auf den täglichen Lohnkampf käme es an, sagten die Opportunisten, nicht auf Politik oder Marxismus. Die Überschätzung der revolutionären Theorie und der marxistischen Klassenpartei sei ein Ausdruck intellektuellen Revoluzzertums und nicht Sache der Arbeiter - so die Reformisten von damals. So argumentierten die Anhänger von Bernstein in Deutschland, für die die Bewegung (der Lohnkampf) alles, das Ziel (die Revolution) nichts war. So argumentierten die ‘Ökonomisten’ in Rußland. Es war damals das große Verdienst von Lenin und Kautsky, diesem Verrat am revolutionären Marxismus den Kampf angesagt zu haben. Dabei haben diese Genossen in ihrer Argumentation - in der Hitze der Polemik - einen Fehler gemacht. Zwar waren die Opportunisten typische Beispiele für die Art kleinbürgerlicher Intellektueller, welche sich damals der Arbeiterbewegung anschlossen, ohne vom revolutionären Klassenkampf wirklich überzeugt zu sein. Aber diese kleinbürgerlichen Intellektuellen und Karrieristen setzten geschickt intellektuellen- und theoriefeindliche Argumente ein, um den rückständigsten Arbeiterschichten, welche über den Tageskampf in der einzelnen Fabrik nicht hinausblicken wollten, zu schmeicheln und sie zu gewinnen. Lenin und Kautsky, welche damals den Marxismus glänzend verteidigt haben, sind nun in einem Punkt sozusagen in die Falle der Opportunisten gegangen. Sie griffen nämlich die Behauptung der Reformisten auf, daß die großen Theoretiker der Arbeiterbewegung bis dato alle Intellektuelle gewesen seien und schleuderten zurück: Und wenn schon, dann brauchen wir halt diese revolutionären Intellektuellen, welche eine wissenschaftliche marxistische Methode, welche ein sozialistisches Bewußtsein von außen in die Arbeiterklasse hineintragen.

An dieser Stelle haben Kautsky und Lenin in ihrer Verteidigung des Marxismus selber den Boden des Marxismus verlassen. Nirgendwo in den Schriften der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, bei Marx und Engels, finden wir auch nur ein Wort über ein sozialistisches Bewußtsein, das von außen in die Arbeiterklasse hineingetragen werden müßte. Sie zeigten ja gerade das Gegenteil. Die großen sozialistischen Utopisten wie Saint Simon, Fourier und Owen glaubten ja, daß der Sozialismus ein Produkt einzelner Denker sei, von der die Arbeiter ‘von außen’ überzeugt werden müssen. Wissenschaftlich ist der Sozialismus erst geworden, als erkannt wurde, daß der Sozialismus keine außerhalb der Geschichte stehende ‘Idee’ ist, die irgendwelche klugen Intellektuellen ausgetüftelt haben, sondern eine historische Notwendigkeit. Das Proletariat selbst, durch seine Position im Kapitalismus, durch sein Wesen als eigentumslose aber produktive, internationale und kollektiv-assoziiert arbeitende Klasse verkörpert und trägt die neue, kommunistische Gesellschaft in sich. Deshalb ist diese Klasse selbst, und kein "Außenstehender" in der Lage, das Wesen des Kommunismus zu begreifen, indem es ihr eigenes Wesen begreift. Deshalb konnten Marx und Engels, obwohl keine Arbeiter, nur unter dem Einfluß der Arbeiterklasse und der Arbeiterbewegung zu einem sozialistischen Bewußtsein gelangen.

Auch das Argument, die großen Theoretiker seien keine Arbeiter gewesen, hat nicht viel zu sagen. Die überragende Rolle einzelner Theoretiker ist nur für die Anfangszeit der Arbeiterbewegung gültig. Außerdem zeigten gerade Marx und Engels wiederholt die theoretische Überlegenheit der Arbeiter auf, sobald sie politisiert werden. Z.B. die deutsche Arbeiterklasse nach 1870: "In ihrem Kampf mit den Behörden wie mit den einzelnen Bourgeois zeigten sich die Arbeiter überall als die intellektuell und moralisch Überlegenen und bewiesen namentlich in ihren Konflikten mit den sogenannten ‘Arbeitgebern’, daß sie, die Arbeiter, jetzt die Gebildeten und die Kapitalisten die Knoten sind"..."Ohne theoretischen Sinn unter den Arbeitern wäre dieser wissenschaftliche Sozialismus nie so sehr in ihr Fleisch und Blut übergegangen, wie dies der Fall ist." (Engels, Ergänzung der Vorbemerkung von 1870 zu "Der deutsche Bauernkrieg").

Um zu zeigen, daß die Schwierigkeiten der Arbeiterklasse mit der revolutionären Theorie nicht mit ihrer Stellung in der Gesellschaft, sondern mit dem Gewicht des Kleinbürgertums zu tun haben, fügt Engels hinzu: "Und welch ein unermeßlicher Vorzug dies ist, zeigt sich einerseits an der Gleichgültigkeit gegen alle Theorie, die eine der Hauptursachen ist, weshalb die englische Arbeiterbewegung, trotz aller ausgezeichneten Organisation der einzelnen Gewerke, so langsam vom Flecke kommt, und andererseits an dem Unfug und der Verwirrung, die der Proudhonismus in seiner ursprünglichen Gestalt bei Franzosen und Belgiern, in seiner durch Bakunin weiter karikierten Form bei Spaniern und Italienern angerichtet haben." (Engels, ibid, Marx-Engels-Werke Band 18, S. 515, 516).

Die Massenkämpfe von 1905 in Rußland erlaubten Lenin, seine Position von 1902 in ‘Was Tun’ zu überwinden. Die spontane Entstehung von revolutionären Arbeiterräten als revolutionäre Organisationsform und Leitung der Massenstreiks zeigte erneut und unmißverständlich, daß die Arbeiterklasse sehr wohl, auch ‘spontan’ und in ihren Abwehrkämpfen weit über ein rein ‘ökonomisches’ (man sagte damals ‘gewerkschaftliches’) Bewußtsein hinausgeht. Lenin selbst erkannte dies, indem er sagte, daß hinter jedem Streik "das Gespenst der Revolution" stecke. Kautsky hingegen fiel es nach 1905 sehr schwer, die Lehren aus den Massenstreiks in Rußland und anderswo zu ziehen. Er begann, eine formalistische und dogmatische Karikatur einer marxistischen ‘Orthodoxie’ zu verteidigen, welche den Weg zu seinem späteren Verrat an der Arbeiterklasse ebnen sollte.

In Wirklichkeit beschränkte sich weder die damalige Auseinandersetzung mit dem Opportunismus im allgemeinen, noch die Debatte über die Rolle der Intellektuellen auf die Frage, wie sich das sozialistische Klassenbewußtsein innerhalb das Proletariat entwickelt. Der Kampf gegen den Opportunismus wurde ebenfalls um die Frage der Organisation der Revolutionäre geführt. Auch hierbei ging es nicht zuletzt darum zu klären, welche Rolle die Intellektuellen innerhalb der Partei spielen. Gerade zu dieser Frage haben Lenin und Kautsky damals glänzende Beiträge geliefert, von denen die Marxisten heute noch zehren. Die Frage nach der Rolle der Intellektuellen hat damals in der Auseinandersetzung zwischen Marxisten und Opportunisten in der 2. Internationale eine entscheidende Rolle gespielt - vor allem in Rußland, wo sie 1903 mit die entscheidende Trennungslinie zwischen Bolschewismus und Menschewismus zog. Auch heute in der Debatte innerhalb der IKS, wo die Organisationsfrage im Mittelpunkt steht, spielt diese Frage eine herausragende Rolle. Deshalb wollen wir auf diese Frage in der nächsten Ausgabe von Weltrevolution zurückkommen und dabei die Argumente wieder aufgreifen, welche in der Debatte bei unserer öffentlichen Diskussionsrunde dazu gegeben worden sind.

Weltrevolution


Intellektuelle und Arbeiterbewegung – Teil 2


Die Frage, welche Rolle die radikale bürgerliche Intelligenz im proletarischen Klassenkampf spielt, ist nicht neu. Bei einer öffentlichen Diskussionsrunde der IKS hat ein Teilnehmer aus dem Rheinland diese Frage aufgeworfen. Er bezog sich auf die Position Lenins in "Was Tun?" (1902), um sein Argument zu untermauern, daß die Intelligenz eine entscheidende Rolle bei der Befreiung der Arbeiterklasse spielen muß. In "Was Tun?" hat Lenin, in Anlehnung an Kautsky, zu beweisen versucht, daß die sozialistische Theorie "von Außen" durch die Intellektuelle in die Arbeiterklasse hineingetragen wird.

In ersten Teil dieses Artikels (WR68) haben wir nachgewiesen, daß diese Auffassung völlig im Gegensatz zum marxistischen Verständnis der Bewußtseinsentwicklung der Arbeiterklasse steht. Lenin selbst überwand später diesen falschen Standpunkt. Er kehrte damit auf den Boden des Marxismus zurück, der davon ausgeht, daß "die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter selber sein kann".

Dies bedeutet aber nicht, daß die "sozialistische Intelligenz" nicht eine bestimmte "Sonderrolle" in der Arbeiterbewegung zu spielen neigt. Allerdings eine negative Rolle. Die kleinbürgerlichen Intellektuellen und Literaten haben in der Tat stets die Rolle übernommen, in der Arbeiterbewegung gegen die kollektive, disziplinierte, auf ein gemeinsames Ziel gerichtete Arbeitsweise der Klassenpartei zu rebellieren. Diese Funktionsweise der Arbeiterpartei, welche dem kollektiven, gemeinsamen, auf-einander-angewiesenen Charakter der Fabrikarbeit entspricht (Marx spricht hier von " vergesellschafteter Arbeit"), empfindet der individualistisch lebende und denkende Intellektuelle als Zwang, als Unfreiheit. Dies war z.B 1903 beim zweiten Parteitag der russischen Sozialdemokratie der Fall. Dort nahmen die Intellektuellen in der Partei eine anarchistische Haltung zu Organisationsfragen ein. Sie weigerten sich, die Beschlüsse des Parteitages anzuerkennen, bildeten eine Partei innerhalb der Partei (die Menschewiki) und betrieben eine Spaltung. Die Bolschewiki um Lenin verteidigten hingegen die Einheit und die marxistischen Prinzipien der Partei. In diesem Zusammenhang zitierte Lenin in seinem Buch "Ein Schritt vorwärts, Zwei Schritte zurück" (1903) die marxistische Auffassung zu dieser Frage, welche Kautsky in seinem Artikel über Franz Mehring 1903 in „Die Neue Zeit" (zitiert von Lenin Bd 7, Kap.: Die Wahlen. Das Ende des Parteitags.) darlegte:

"Der Literat steht also in keinem ökonomischen Gegensatz zum Proletariat. Aber seine Lebenslage und seine Arbeitsbedingungen sind keine proletarischen, und daraus erwächst ein Gegensatz im Empfinden und Denken.

Der Proletarier ist nichts als isoliertes Individuum. Seine ganze Kraft, sein ganzes Fortschreiten, alle seine Erwartungen und Hoffnungen schöpft er aus der Organisation, aus dem planmäßigen Zusammenwirken mit seinen Genossen. Er fühlt sich groß und stark, wenn er den Teil eines großen und starken Organismus bildet. Dieser ist ihm die Hauptsache, das Individuum gilt demgegenüber sehr wenig. Er kämpft mit vollster Hingabe als Stück der anonymen Masse, ohne Aussicht auf persönlichen Gewinn oder persönlichen Ruhm, erfüllt seine Pflicht auf jedem Posten, auf den er gestellt wird, in freiwilliger Disziplin, die sein ganzes Fühlen und Denken erfüllt.

Ganz anders der Literat. Er kämpft nicht mit Machtmitteln, sondern mit Argumenten. Seine Waffen sind sein persönliches Wissen, sein persönliches Können, seine persönliche Überzeugung. Er kann nur zur Geltung kommen durch seine Persönlichkeit. Vollste Freiheit für sie erscheint ihm als die erste Vorbedingung gedeihlichen Wirkens. Nur schwer fügt er sich einem Ganzen als dienendes Glied ein, nur der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe. Die Notwendigkeit der Disziplin erkennt er nur für die Masse, nicht für auserlesene Geister an. Und zu diesen rechnet er sich natürlich auch........

Nietzsches Philosophie mit ihrem Kultus des Über- oder Herrenmenschen, dem das Ausleben der eigenen Persönlichkeit alles ist und jede Unterordnung der Person unter einen großen gesellschaftlichen Zweck ebenso abgeschmackt wie erbärmlich erscheint, diese Philosophie ist die richtige Lebensanschauung des Literaten, sie macht aber völlig untauglich zur Einreihung in den Klassenkampf des Proletariats". (Karl Kautsky, "Franz Mehring").

Lenin fügt in einer Fußnote hinzu: "Ich übersetze die deutschen Ausdrücke Literat und Literatentum mit Intellektueller und Intellektueller und Intelligenz, weil damit nicht nur die Schriftsteller gemeint sind, sondern überhaupt alle Gebildeten, Vertreter freier Berufe Kopfarbeiter (brain worker, wie die Engländer sagen) zum Unterschied von den Handarbeitern." Um zu beweisen, daß einzelne Intellektuelle dennoch völlig in der Arbeiterbewegung aufgehen können, führt Kautsky Mehring, Wilhelm Liebknecht und natürlich Marx an, "der sich nie vordrängte und dessen Unterwerfung unter die Parteidisziplin in der Internationale, wo er gar manches Mal in der Minorität blieb, musterhaft war" (ibid).

Die Frage ist heute aktueller den je. Die neue Generation der Revolutionäre nach 1968 war in besonderem Maße dem Gewicht der kleinbürgerlichen, anarchistischen Intelligenz ausgesetzt. Diese revolutionäre Generation war natürlich das Produkt der historischen, weltweiten Wiederaufnahme des Kampfes der Arbeiterklasse Ende der 60er Jahre. Obwohl die Arbeiter damals Massenkämpfe entfalteten, waren die Arbeiter wegen der vorangegangenen jahrzehntelangen bürgerlichen Konterrevolution noch sehr wenig politisiert. Dieser Bruch mit den Traditionen der vergangenen Arbeiterbewegung schuf besonders günstige Bedingungen für das Sich-Ausbreiten des kleinbürgerlichen Individualismus in den Reihen der Arbeiterbewegung. Heute stellt auch die IKS fest, wie wenig es uns bis jetzt gelungen ist, die Reste dieses kleinbürgerlichen Anarchismus in Organisationsfragen auszumerzen. Deshalb haben die verschiedenen Kongresse und Konferenzen der IKS in jüngster Zeit, wie die Konferenz von Weltrevolution 1994, sich vor allem damit auseinandergesetzt, wie wir heute den Kampf Lenins gegen den kleinbürgerlichen Individualismus, gegen den Literaten-Menschewismus erfolgreich zu Ende führen können. Wir werden auf diese Frage in unserer Presse selbstverständlich zurückkommen.


Weltrevolution Nr. 69

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1905: Der Massenstreik und die Arbeiterräte

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 Vor 90 Jahren begann das Proletariat in Rußland die erste revolutionäre Bewegung dieses Jahrhunderts: die Generalprobe für die siegreiche Revolution von 1917 und die internationale Welle von revolutionären Kämpfen, die sich ihr anschloß. 1905 entfaltete die Arbeiterklasse zum ersten Mal ihre spezifische Waffe im Zeitraum der kapitalistischen Dekadenz: den Massenstreik. In Anbetracht der Schlüsselfragen, vor denen das Proletariat heute steht, ist es die Aufgabe der revolutionären Minderheiten, ihre Klasse an die gewaltigen, gegen ein System, das auf seinen Zusammenbruch hinraste, gerichteten Kämpfe von 1905 zu erinnern.Der Grund, weshalb es heute so wichtig ist, daß sich die Arbeiter die Lehren dieser Erfahrung aneignen, liegt darin, daß die Antworten auf die Fragen, vor denen die Arbeiter heute stehen, 1905 gegeben wurden: die Vereinigung der Arbeiterklasse durch die Ausdehnung und Selbstorganisierung des Kampfes, wodurch die Grundlagen für die revolutionäre Offensive gegen die kapitalistische Ordnung gelegt wurden.Die Revolution von 1905 wurde durch ein unbedeutendes Ereignis ausgelöst, das aber wie ein Funken bei einem Pulverfaß wirkte: im Dez. 1904 wurden zwei Arbeiter der Putilov-Werke in St. Petersburg deswegen entlassen, weil sie einer politischen Organisation angehörten. Am 3. Januar traten die Arbeiter der Putilov-Fabrik in den Streik, und am 7. Januar brachten 140.000 Streikende ihre Wut in den Fabriken von St. Petersburg zum Ausdruck, organisierten Vollversammlungen, in denen politische und ökonomische Forderungen formuliert wurden. Diese spiegelten die Revolte gegen die Autorität des Zaren, die Bedingungen der Misere und der Ausbeutung wider, welche durch die Wirtschaftskrise und den imperialistischen Krieg mit Japan aufgezwungen wurden. Insbesondere forderten sie Lohnerhöhungen, den 8-Stunden-Tag, Bürgerrechte, das allgemeine Wahlrecht. Von einem Priester, Gapon, angeführt, - von dem sich später herausstellte, daß er ein Polizeiagent war - marschierten die Arbeiter friedlich zum Winterpalais des Zaren. Sie wollten dem Zar eine Petition vortragen, in der sie demütig um eine Verbesserung ihrer Lebenslage nachsuchten. Aber ihnen traten die Truppen des Zaren entgegen, die wild auf die Menge schossen. Dieser ‘blutige Sonntag’ war Anlaß für die erste revolutionäre Explosion des Proletariats im ganzen Zarenreich, die erste Massenstreikbewegung in der Geschichte.

Die Ausdehnung des Massenstreiks

Während der nachfolgenden zwei Monate dehnte sich der Widerstand der Arbeiter über ganz Rußland aus, schloß später 132 Städte und nahezu eine Million Arbeiter ein. Dann flachte die Bewegung langsam ab, um spontan und mit vereinten Kräften im Herbst wieder aufzutauchen. Die Kämpfe im Herbst 1905 waren der Höhepunkt einer ganzen Bewegung. Wie im Januar 1905 wurden sie durch ein kleines Ereignis ausgelöst: am 19. Sept. traten die Arbeiter in der Sytine Druckerei in Moskau in den Streik, um ihrer Forderung nach Lohnerhöhungen und einer Verkürzung des Arbeitstages Nachdruck zu verleihen. Der erste Streik dehnte sich auf der Ebene der Branche aus: die Drucker aus andern Petersburger Druckereien legten aus Solidarität die Arbeit nieder, um die Moskauer Drucker zu unterstützen. Aber der Streik überwand schnell die Barrieren der Berufe und Branchen und dehnte sich geographisch aus. Der Funken sprang über auf die Eisenbahner und wurde noch verstärkt, als die Beschäftigten des Telegrafenamtes der Bewegung beitraten. Die Streikenden kamen zu Vollversammlungen zusammen, die sich sofort entschlossen, Räte (Sowjets) zu bilden, um ihre Kämpfe zu koordinieren und zentralisieren. 5 Tage nach der Schaffung des ersten Sowjets begann sich der Streik durch den Impuls der Eisenbahner auszudehnen, die die Eisenbahnlinien blockierten. Jegliche Verbindung zwischen Moskau und anderen Städten wurde unterbrochen. Das hinderte die Arbeiter nicht daran, die Verbindung untereinander aufrechtzuhalten. Trotz der Drohung der Repression (3-monatige Gefängnisstrafen für Streikende) ließen sich die Eisenbahner und die Telegrafenamtbeschäftigten nicht einschüchtern. Die Bewegung dehnte sich vom Zentrum zur Peripherie aus. Andere nichtausbeutende Schichten wurden ebenfalls in den Kampf einbezogen. Die Ausdehnung nahm zunehmend einen politischen Charakter an, insbesondere bei der Solidarität der Soldaten. Hier stellte das Proletariat sein Bewußtsein unter Beweis, indem es die Arbeiter und Bauern in Uniform auf seine Seite zog, deren Unterstützung gewann, was eine unabdingbare Bedingung für die Übernahme der Macht war. Die revolutionären Aufstände dehnten sich im Herbst 1905 auf ganz Rußland aus und ergriffen alle Gesellschaftsschichten. Überall nahmen die Streiks zu, es kam zu Studentendemos, Arbeiter- und Matrosenmeutereien, Bauernaufständen. Die herrschende Klasse war gezwungen, Konzessionen zu machen. Das Kriegsrecht wurde aufgehoben, Streiktage bezahlt, für die Aufständischen von Kronstadt wurde eine Amnestie ausgesprochen.

Der Massenstreik von 1905 bewies, daß das Proletariat durch die Ausdehnung seiner Kämpfe auf alle Bereiche seiner Stärke bewußt wird, und als das einzige Subjekt in der Geschichte auftreten kann.

Der ‘rote Oktober’ des Jahres 1905 bietet der Arbeiterklasse heute viele Lehren an. In Anbetracht der Hauptfrage, vor denen die Arbeiter immer wieder stehen, nämlich die Ausdehnung der Kämpfe, hat uns 1905 eine große Errungenschaft hinterlassen. In der Zeit des Massenstreiks (d.h. in der Dekadenz dieser Gesellschaft) ist die Dauer eines Kampfes keine Stärke an sich. Unter bestimmten Umständen besteht das Risiko, daß nicht die Bourgeoisie sondern das Proletariat gelähmt wird. So stellte in der Zeit vom Oktober bis November 1905 der Aufruf zur Wiederaufnahme der Arbeit in bestimmten Branchen einen wichtigen Schritt der Bewußtseinsentwicklung des Proletariats dar, der es ihm ermöglichte, seine Kämpfe später zu vereinigen. Die Züge wurden für die Beförderung von Delegierten eingesetzt, die Telegrafenleitungen für die Übermittlung von Anordnungen der Sowjets herangezogen, Druckereien gingen in die Kontrolle der Arbeiter über, um die Presse der Arbeiter zu drucken.

Die Arbeitskraft der Arbeiter nicht für das Kapital einzusetzen, sondern sie für die Ausdehnung des Streiks zu verwenden, das ist eine der Hauptlehren von 1905. Die Ausdehnung der Kämpfe für die Vereinigung der Klasse, die Entwicklung des Klassenbewußtseins, das Zurückdrängen der Bourgeoisie, die Notwendigkeit, den Massenstreik geschickt einzusetzen, so daß die Arbeiterklasse und nicht die Bourgeoisie gestärkt wird, das sind wichtige Lehren, die sich die Arbeiterklasse heute aneignen muß - so wie sie es in Polen 1980 auch gezeigt hatte.


Die Sowjets: Die Selbstorganisation des Proletariats

Aber die von den Arbeitern 1905 verwendeten Methoden zur Ausdehnung der Streiks beschränkten sich nicht nur auf die Kommunikationsmittel. Die bewußte Ausdehnung der Kämpfe erforderte ihre Koordinierung und somit die selbständige Organisierung der Klasse. Nur weil das Proletariat 1905 die ersten Arbeiterräte schuf, konnte es das große Potential der Massenstreiks ausschöpfen.

Im Okt. 1905 beschlossen die Petersburger Arbeiter, ihre Bewegung durch die Schaffung einer autonomen Arbeiterverwaltung zu zentralisieren. So wurde der erste Petersburger Arbeiterrat gegründet, in dem Delegierte aller Fabriken der Stadt vertreten waren, und der als das Nervenzentrum der revolutionären Bewegung auftrat. Drei Jahre nach der Gründung der Sowjets brachte das organisierte Proletariat eine Arbeiterpresse (Isvestia) (Nachrichten) heraus, das ein Verbindungs- und Propagandaorgan war. Im Sowjet waren Delegierte aus allen Fabriken vertreten, die gewählt und jederzeit abwählbar waren. Ständig fanden Treffen statt, deren Hauptdiskussionsthemen folgende waren:

- Wie den Kampf auf alle Bereiche ausdehnen? So schickte z.B. Anfang Oktober der Arbeiterrat große Delegationen zu den Textilfabriken Petrograds, die immer noch zögerten, sich dem Streik anzuschließen. Unmittelbar danach legten die Textilarbeiter die Arbeit nieder. Die Ausdehnung fand ohne Zwangsausübung statt. Die Sowjets hatten die zögernden Arbeiter durch ihre eigene Entschlossenheit überzeugt.

- Die Aufstellung einer Plattform von Forderungen (Garantie eines Raumes für Treffen, Lebensmittel- und Waffenlieferungen an das Proletariat...). Die Sowjets machten sich keine Illusionen über die Fähigkeit der Bourgeoisie, solche Forderungen zu erfüllen. Sie hatten vor allem agitatorischen Wert und dienten der Vertiefung des Bewußtseins des Proletariats.

Darum lag die zentralisierende Rolle der Sowjets. Indem sie die Arbeiterklasse vereinigten, bündelten sie alle Aspekte des Kampfes in sich zusammen: defensive und offensive, lokale und allgemeine, ökonomische und politische.

Die selbständige Organisation der Klasse in Arbeiterräten im dem Jahre 1905 zeigt uns andere wichtige Lehren für heute auf.

1) Der wirkliche Sieg oder die Niederlage werden nicht bestimmt durch einzelne Momente des Massenstreiks, sondern durch seinen Höhepunkt, den revolutionären Aufstand. Diese erste Lehre wurde von Nov. 1905 an deutlich. Als der Sowjet in Anbetracht des Drucks in den Reihen der Arbeiter die Kampagne für den 8-Stunden-Tag einleitete. In vielen Fabriken (insbesondere in der Textilindustrie und im Metallbereich) führten die Arbeiter ihn selbst ein. Aber die Bourgeoisie wollte nicht nachgeben und schloß Fabriken. Damit warf sie ca. 19.000 Arbeiter auf einen Schlag auf die Straße. Unter dem Zwang nachzugeben, nahmen die Arbeiter die Arbeit wieder zu den alten Bedingungen auf. Der Sowjet war sich bewußt, daß die Aussichten einer solchen Bewegung auf ‘Erfolg’ gering waren. Aber er wußte auch, daß sich hinter dieser unvermeidbaren wirtschaftlichen Niederlage ein politischer Sieg abzeichnete, der im Bewußtsein des Proletariats unauslöschliche Spuren hinterlassen würde. Denn indem das Proletariat auf eine unnachgiebige, krisengeschüttelte herrschende Klasse stieß, konnte es von 1905 an langsam die Notwendigkeit der Übernahme der Macht begreifen. So traten die Gegensätze zwischen Bourgeoisie und Proletariat in all ihrer unverkennbaren Nacktheit auf. Die Bewegung für den 8-Std.-Tag, die durch die Selbstorganisierung des Proletariats vorangetragen wurde, sollte ein Vorspiel sein für den Aufstand im Dezember in Moskau.

2.) Die zweite wichtige Lehre, die die Erfahrung aus dem Sowjet von 1905 uns heute hinterlassen hat, ist die Erkenntnis, daß es unmöglich ist, einen Streik isoliert zu entwickeln. Das Beispiel des Streiks der Petersburger Arbeiter, die im November aus Solidarität mit Kronstadt die Arbeit niedergelegt hatten, ist aufschlußreich.

Am 26. Okt. 1905 brach ein Aufstand aus in den Kasernen von Kronstadt; am nächsten Tag wurde er von den Truppen des Zaren niedergeschlagen. Sofort gab es eine breite Protestbewegung in den Petersburger Fabriken, die von dem Sowjet in die Wege geleitet wurde. Die Bewegung brach jedoch auf dem Hintergrund des allgemeinen Zurückweichens der Kämpfe in Rußland aus, und sie blieb auf die Petersburger Gegend beschränkt. In Anbetracht der Schwierigkeit, den Streik auszudehnen, rief der Sowjet zur Wiederaufnahme der Arbeit am Ende der Woche auf, weil er begriffen hatte, daß die Fortführung des Streiks unter den Bedingungen der Isolierung nur zur Demoralisierung der Petersburger Arbeiter führen würde. So kann die Fähigkeit des Proletariats, seinen Kampf zu verstärken, ebenfalls von seiner Fähigkeit abhängen, einen Rückzug anzutreten, wenn die Bedingungen für eine sofortige Offensive nicht reif genug sind. Der Petersburger Sowjet brachte dies folgendermaßen zum Ausdruck: ‘Wir fürchten weder die Schlachten noch die Niederlagen. Niederlagen sind für uns Schritte, die uns zum Sieg führen... Für jede Schlacht suchen wir die besten Bedingungen. Die Zeit arbeitet für uns, und wir haben keinen Grund etwas zu überstürzen... Alle Vorteile sind auf unserer Seite, denn morgen, Genossen, werden wir stärker sein als heute, und übermorgen stärker als morgen! Wir sollten jetzt den Streik abbrechen... und alle unsere Kräfte darauf konzentrieren, das zu schaffen und zu verstärken, was wir jetzt am meisten brauchen: Organisation und noch mal Organisation. Vergeßt nicht, daß wir in der Stunde der Entscheidung nur auf uns selbst zählen können’ (Rede des Berichterstatters vor dem Exekutivkomitee des Sowjets auf der Sitzung vom 5. Nov. 1905).

Die Kämpfe von 1905 bewiesen, daß die Arbeiterklasse ihre Kämpfe auf die neuen Bedingungen des Niedergangs des Kapitalismus einstellen konnte. Auch wenn die Gewerkschaften immer versuchen, das Proletariat in Sackgassen zu lenken (Kämpfe auf einen Bereich zu beschränken, lange, aber isolierte Streiks, ‘finanzielle’ Solidarität statt Ausdehnung und andere überholte Methoden), müssen wir aus der Erfahrung von 1905 alle Lehren ziehen. Avril


Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1905 - Revolution in Russland [10]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Umwälzungen innerhalb der Arbeiterklasse - Soziologie gegen Marxismus

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Auf der letzten Diskussionsveranstaltung der IKS in Köln wurde lebhaft über die Tatsache diskutiert, daß die Krise auf der einen Seite die Arbeiterklasse weltweit immer mehr in Existenznöte bringt, daß andererseits aber die Arbeiterklasse in letzter Zeit nicht in große Abwehrkämpfe gegen die Angriffe des Kapitals eingetreten ist. Während die IKS die Ursache für dieses Auseinanderklaffen zwischen der Heftigkeit der Krise und der zögernden Reaktion der Arbeiter vor allem dem globalen Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeiterklasse zuordnet, das in den letzten Jahren nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime im Osten zu einer Schwächung sowohl der Kampfbereitschaft als auch des Bewußtseins in der Klasse geführt hat, argumentierten einige Diskussionsteilnehmer folgendermaßen. Es habe umfassende Umschichtungen innerhalb der Arbeiterklasse gegeben. Ihre Zusammensetzung, ihre Arbeitsbedingungen haben sich derart geändert, daß dies auch zu großen politischen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse geführt habe. Dieser Ansatz, dessen Befürworter vor allem Soziologen sind, hat in den letzten Jahren viel Auftrieb erhalten. Manche gehen soweit zu behaupten, die Arbeiterklasse sei gar in der Auflösung begriffen. Wir wollen uns deshalb mit diesem Standpunkt auseinandersetzen.

Gab es die Arbeiterklasse nur im vorigen Jahrhundert?

Wenden wir uns zunächst den Argumenten der bürgerlichen Soziologen und bezahlten Historiker zu. Sie geben bereitwillig zu, daß das Proletariat zu Lebzeiten von Marx und Engels, oder sogar noch von Lenin und Luxemburg, eine revolutionäre Kraft war. Sie weisen ohne Umschweife auf die revolutionären Arbeiterkämpfe von damals hin: 1848 und 1870 in Paris, 1905 und 1917 in Rußland, 1918-1923 in Deutschland. Und sie sagen: damals war das Proletariat revolutionär, im Gegensatz zu heute. Denn damals war die Arbeiterklasse wirklich arm und mußte schwerste körperliche Arbeit verrichten. Vor allem aber: die Arbeiterklasse von damals war eine wirkliche industrielle Armee, in der Produktion in Riesenbetrieben vereinigt. Und das Proletariat war eine homogene Masse, welche ungefähr dieselben Arbeits- und Lebensbedingungen teilte.

Wie die Soziologen die Arbeiterklasse weganalysieren

Es kostet unsere Soziologen nicht viel, um die DAMALIGE revolutionäre Gesinnung des Proletariats einzugestehen, denn sie teilen uns sofort triumphal mit, daß dies heute nicht mehr gilt! Und warum nicht? Hier die gängige Antwort der bezahlten Propagandisten:

- Die Vereinigung der Arbeiter am Arbeitsplatz sei gesprengt worden durch Dezentralisierung, internationale Arbeitsteilung, das Wiederaufleben des Kleinbetriebes, durch Zulieferbetriebe, Subunternehmertum und Leiharbeit.

- Die industrielle Armee des Proletariats sei dermaßen dahingeschmolzen, daß die sog. "Tertiarisierung", d.h. die Beschäftigung im Dienstleistungsbereich, jetzt zum überwiegenden Bereich der Arbeiterklasse wird.

- Die Homogenisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen, welche laut der marxistischen Theorie durch die Krise vorangetrieben wird, hat einer rasanten Heterogenisierung weichen müssen, so daß die Arbeiterklasse enorm differenziert, aufgesplittert ist zwischen hochqualifizierten und hochbezahlten Spezialisten einerseits und "Prekär-Beschäftigten" bzw. den Arbeitern der Billiglohnländer und -bereiche andererseits, zwischen Beschäftigten und Langzeitarbeitslosen usw.

Mit anderen Worten: das Proletariat sei heute viel zu sehr nach Einkommen, Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen gespalten; sein industrieller Kern viel zu klein geworden, um noch eine revolutionäre Kraft darstellen zu können.

Der Widerhall der Soziologen bei den Operaisten

Während der durchschnittliche bürgerliche Soziologe über seine, den Fortbestand des Kapitalismus scheinbar stützende Schlußfolgerung jubelt, gibt es auch linksgerichtete Vertreter dieser Zunft, welche "mit Bedauern" zu derselben Schlußfolgerung kommen. Aber es gibt sogar Leute, welche sich als Revolutionäre ausgeben (und vielleicht sogar daran glauben, welche zu sein), aber in genau dieselbe reaktionäre soziologische Kerbe hauen. So z.B. die sog. Operaisten in Italien, oder Leute wie Karl-Heinz Roth und die Wildcat-Kreise in Deutschland. Diese Leute sind keine Marxisten. Für sie sind die kapitalistische Krise, oder die wirtschaftliche und militärische Konkurrenz zwischen Teilen der Bourgeoisie, zu vernachlässigende Größen. Sie glauben, daß die ganzen Änderungen in der "Zusammensetzung" der Arbeiterklasse, welche sie zusammen mit den anderen Soziologen zu erkennen meinen, vom Kapital ausschließlich herbeigeführt wurden, um die Arbeiterklasse zu schwächen. Sie sprechen nicht vom "Niedergang" der Arbeiterklasse sondern von ihrer "Krise" bzw. ihrer "Neuzusammensetzung". Dennoch: ob man die "Dezentralisierung" und "Tertiarisierung" der Arbeiterklasse als das Ergebnis der "neuen Revolution der Informationsgesellschaft" wie die linken Uniprofessoren, oder ob man diese "Informationsgesellschaft" als das Mittel auffaßt, womit das Kapital sein angebliches Ziel der "Dezentralisierung" und "Tertiarisierung" der Arbeiterklasse auffaßt, dies ist letzten Endes einerlei. Wesentlich ist die soziologische Methode, die Arbeiterklasse abzuschreiben.

Veränderungen in der Arbeiterklasse ja, aber nicht deren Aufhebung

Gegenüber dieser Auffassung stellen wir folgendes fest:

- Diese soziologische Methode, die Arbeiterklasse abzuschreiben, ist nichts neues. Schon um die Jahrhundertwende versuchten die politischen Gegner des Marxismus dasselbe nachzuweisen. z.B. der Revisionismus von Bernstein, welcher die verstärkte "Differenzierung" der Arbeiterklasse in den Mittelpunkt stellte. Diese Theorien wurden bereits durch den 1. Weltkrieg und die darauffolgenden revolutionären Arbeiterkämpfe widerlegt.

- Der Marxismus hat die Differenzierung der Lebens- und Arbeitsbedingungen innerhalb des Proletariats nie verneint, sondern sogar ihre Unvermeidbarkeit nachgewiesen. Er hat aber nie eine Identität der Lebens- und Arbeitsbedingungen zwischen allen Teilen der Klasse als eine Bedingung der Revolution angesehen. Wichtig ist, daß die Bedingungen aller Arbeiter sich rasant verschlechtern, damit eine revolutionäre Situation entstehen kann, und nicht daß es überall dieselben Bedingungen gibt! Den Schlüssel hierfür liefert die marxistische Untersuchung der kapitalistischen Wirtschaftskrise, und nicht die "militante Untersuchung" der verschiedenen Arbeitsplätze, welche die anti-marxistischen Operaisten propagieren.

- Trotz Desindustrialisierung und Tertiarisierung als Folge der kapitalistischen Niedergangskrise bleibt der industrielle Kern der Arbeiterklasse heute weltweit stärker und umfangreicher als jemals früher.

- Durch die Entwicklung der vergesellschafteten und industrialisierten Arbeit, die er an die Stelle der individuellen Arbeit gesetzt hat, hat der Kapitalismus die Arbeiterklasse nicht nur am Arbeitsplatz, in den einzelnen Betrieben, sondern weltweit durch die internationale Arbeitsteilung vernetzt. Während die Soziologen behaupten, die Arbeiter seien heute in der Produktion nie so isoliert von einander gewesen, trifft genau das Gegenteil zu.

- Die wirklichen Ursachen der unbestreitbaren Schwierigkeiten der Arbeiterklasse liegen nicht in einer angebliche "Krise" aufgrund ihrer "Zusammensetzung", sondern im politischen Bereich - auf der Ebene des Klassenbewußtseins. Gerade dieses Bewußtsein wird heute massiv angegriffen durch die "Thesen" einer "Krise" der Arbeiterklasse und von der "Überholtheit" des Marxismus.

Wir sind davon überzeugt, daß man der Arbeiterklasse nur aus ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten heraushelfen kann, wenn man ihre revolutionäre Theorie, den Marxismus, vorbehaltlos verteidigt. Dazu gehört an erster Stelle. die marxistische Auffassung von der Arbeiterklasse.

Widerhall der Soziologen bei den Revolutionären

Diese absurde soziologische Theorie hat neulich ihren Widerhall im revolutionären Milieu gefunden. So hat Battaglia Comunista dazu einen Artikel in ‘Communist Review’ (die es gemeinsam mit der CWO auf Englisch herausgibt) veröffentlicht. Schon immer hat Battaglia genau wie Programma Comunista behauptet, daß wir uns trotz der Kämpfe seit Ende der 60er Jahre nach wie vor in der Phase der Konterrevolution befinden, die Mitte der 20er Jahre nach der Niederschlagung der revolutionären Kämpfe von 1917-23 anfing. Denn die Partei habe ihren Einfluß über die Massen nicht zurückgewinnen können. Jetzt heißt es aber, die Schwächen des Klassenkampfes seit Ende der 80er Jahre seien auf die Entwicklung der Informatik, auf die Entqualifizierung und Dezentralisierung der Arbeitsplätze, die Tertiarisierung sowie die Entwicklung der Massenarbeitslosigkeit zurückzuführen. Die Auswirkungen des Zusammenbruchs im Osten werden nur beiläufig als ein sekundärer Faktor erwähnt. Merkwürdigerweise wird in diesem Artikel die Arbeitslosigkeit als Erpressungsmittel aber nicht als Ausdruck der Krise angesprochen.

Zwar zieht Battaglia daraus nicht direkt die Schlußfolgerung einer "Krise der Arbeiterklasse". Aber es bleibt nicht weit davon entfernt. Die Änderungen innerhalb der Arbeiterklasse werden noch länger Schwierigkeiten für das Proletariat mit sich bringen, heißt es dort. Kein Wunder! Denn die angeführten Phänomene sind kaum als vorübergehend zu betrachten! Die FECCI hingegen, die sog. "externe Fraktion" der IKS, hat schon lange die Seiten ihrer "Internationalist Perspectives" mit Humbug gefüllt über die "Krise des Proletariats" aufgrund der soziologischen "Neuzusammensetzung".

Weshalb ist das Proletariat eine revolutionäre Klasse?

Entscheidend sind 2 Faktoren. Erstens die vollständige Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln. Grundlage dafür die Lohnarbeit. Hier liegt die Quelle der spezifisch kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats, die von Marx im Band I des Kapital aufgedeckt wird. Zweitens aber die Vergesellschaftung der Arbeit. Aus individuellen werden kollektive Arbeitsmittel. Dies bedeutet, daß die Aufhebung der Trennung zwischen Produzenten und Produktionsmittel nicht mehr individuell sondern nur gemeinsam erfolgen kann, durch die kollektive Inbesitznahme durch das Proletariat. Daraus folgt das kollektive, kooperative, solidarische, internationalistische, bewußte Wesen des Proletariats. Entscheidend ist also nicht, ob mehr mit der Hand oder mit dem Kopf, ob am Fließband oder in Gruppenarbeit, ob mit konventioneller oder mittels computergesteuerter Maschinen und Werkzeugen produziert wird. Entscheidend ist, daß diese Produktion vergesellschaftet, auf der Grundlage der Lohnarbeit, der kapitalistischen Ausbeutung erfolgt. Dieses Wesen des revolutionären Proletariats hat sich nicht geändert. Es hat sich auch nicht "neu zusammengesetzt".

Dabei spielt natürlich die Konzentration des Kapitals und der Arbeiterklasse eine große Rolle. Nur ist diese Konzentration der Klasse nicht in erster Linie als eine physische, im Sinne von gemeinsamem Arbeiten innerhalb ein- und derselben Fabrik gedacht. Natürlich hängt das irgendwie zusammen. Vergleichen wir aber z.B. die Arbeiterklasse in Ost- und Westeuropa vor "der Wende" miteinander, so sehen wir, daß im Osten die Klasse viel stärker in Riesenfabriken und Kombinaten zusammengeballt war, während im Westen der Trend zu kleineren, voneinander örtlich getrennten Betrieben viel stärker war. Wo aber war die Klasse stärker konzentriert? Eindeutig im Westen! Was macht diese Konzentration z.B. in Westdeutschland aus? Die Dichte der Vernetzung aller Produktionsstätten miteinander, wofür gerade die Entwicklung der Informatik, des Transportsystems, die hochgradige Arbeitsteilung steht. Es ist also nicht die Konzentration am einzelnen Arbeitsplatz, die entscheidend ist, sondern die tatsächliche Verknüpfung aller Arbeitsplätze miteinander durch die wirkliche Konzentration des Kapitals. Außerdem sind diese Verknüpfungen nicht lokal, sondern international. Die westlichen Industriestaaten erscheinen wie Mittelpunkte von weltumspannenden Werkstätten und Märkten - im Osten war dies nicht der Fall. Es stimmt tatsächlich, daß die westliche Bourgeoisie an einer Dezentralisierung der Produktionsstätten interessiert ist, und daß dies neben wirtschaftlichen auch militärstrategische und soziale Gründe hat. Aber das Kapital kann damit die wirkliche Konzentration des Proletariats nicht rückgängig machen, welche mit der Konzentration des Kapitals selbst einhergeht. Deshalb bleibt die Bourgeoisie weit entfernt davon, sich auf die "Verkleinerung" des Einzelbetriebs verlassen zu können, sondern ist in erster Linie auf die Gewerkschaften angewiesen, um die Klasse zu spalten! Aber dieser entscheidende Punkt bleibt ein Buch mit 7 Siegeln für alle, die das revolutionäre Wesen des Proletariats nicht begreifen.

Die Fragen der Zusammensetzung der Arbeiterklasse sind nicht unwichtig. Es ist bedeutsam, daß z.B. die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes seit einem Dutzend von Jahren oft eine Vorhut des Klassenkampfes geworden sind. Oder die weitaus größere Integration der "white collar workers" seit 1968 mit großen Streikbewegungen der Lehrer oder Bankangestellten. Das Gewicht der Bergarbeiter in den Industriestaaten hat hingegen abgenommen. Natürlich ist auch die Entwicklung sowie die "Zusammensetzung" der Arbeitslosen sehr wichtig zu verfolgen. Aber diese Änderungen berühren keineswegs das revolutionäre Wesen der Klasse.

 

Weltrevolution Nr. 70

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Debatte mit der CWO: Sind die Gewerkschaften Teil des Staates?

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Im Januar diesen Jahres hielt die Communist Workers’ Organisation (CWO) eine öffentliche Diskussionsveranstaltung in London zum Thema Gewerkschaften ab. Die CWO stützt sich auf die Traditionen der Italienischen Kommunistischen Linken. Sie ist verbündet mit der Partito Comunista Internazionalista (Battaglia Comunista) in dem Internationalen Büro für die Revolutionäre Partei (IBRP). Es handelt sich um eine bedeutsame Organisation innerhalb des revolutionären Milieus; sie vertritt Positionen, die gewöhnlich unseren sehr nahe stehen.

Die CWO begann die Veranstaltung mit einem Referat, in dem aufgezeigt wurde, wie die Gewerkschaften ursprünglich Verteidigungsorgane der Arbeiterklasse waren, die dann aber die Klassengrenze mit dem Beginn der kapitalistischen Dekadenz überschritten, insbesondere als die Gewerkschaften 1914 den imperialistischen Krieg unterstützten. Dies ist grob gesehen der marxistische Rahmen um zu verstehen, warum die Arbeiter sich nicht mehr mittels der Gewerkschaften verteidigen können. Aus der Sicht der CWO jedoch haben die Gewerkschaften ihr Klassenwesen, nicht jedoch ihre Funktion geändert. Der CWO zufolge handeln die Gewerkschaften die Bedingungen der Lohnarbeit aus. Im 19. Jahrhundert, als sich das Kapital noch in der Expansionsphase befand, konnte dies defensiv für die Arbeiterklasse ausgenutzt werden, aber aufgrund der ständigen Angriffe des Kapitals gegen die Arbeiterklasse ist dies mittlerweile nicht mehr möglich. Diese theoretische Schwäche führt zu einer großen Unklarheit in der Intervention der CWO, da sie die Gewerkschaften nicht als einen Teil des Staates auffaßt, der die besondere Funktion hat, die Arbeiterklasse zu kontrollieren und sie zu unterdrücken. Dies wurde im 2. Teil der Diskussion aufgegriffen.

Wie die von den Gewerkschaften aufgezwungene Isolierung überwinden?

Das Referat endete mit der richtigen Entblößung der Basisgewerkschafter, der Entblößung ihrer angeblich ‘radikalen Geldsammlungen’, die aber nie mit einer wirklichen Ausdehnung der Kämpfe verbunden sind. Auch unterstrich die CWO, daß ständige Verteidigungsorgane sich notwendigerweise den Bedürfnissen der herrschenden Klasse unterwerfen müssen. Aber die CWO rief auch dazu auf, daß Organisationen am Arbeitsplatz eingerichtet werden müßten, die mit der revolutionären Partei verbunden sein sollten. In der Diskussion ging man auf die Schwierigkeiten ein, vor denen militante Arbeiter stehen, um die Isolierung zu durchbrechen, Diskussionen voranzutreiben und gemeinsam vorzugehen. Oder wie ein Genosse der CWO es beschrieb, die Notwendigkeit für Revolutionäre, sich eine Stimme in der Arbeiterklasse zu verschaffen.

Die Stärke der Diskussion war der Wille, die konkrete Situation zu untersuchen, die wirkliche Bewegung, in der wir uns befinden. Insbesondere wurde in den Interventionen der CWO die Erfahrung ihrer Schwesterorganisation in Italien - Battaglia Comunista - kritisch untersucht, wo unter Kampfbedingungen kommunistische Militante dazu in der Lage sind, einen Kern von Arbeitern, eine Kampfgruppe um sich herum zusammenzuführen und sie zusammenzuschließen. Dies kann am Arbeitsplatz oder auf geographischer Grundlage geschehen, wobei das letztere die Notwendigkeit des Kampfes zum Ausdruck bringt, unmittelbar eine Brücke über den Arbeitsplatz hinaus zu schaffen, um somit eine Niederlage zu vermeiden. Um dies besser zu klären, hat die CWO aufgehört, den Begriff ‘Transmissionsriemen’ zu benutzen. Diesen Begriff benutzten sie Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, als sie von den ‘internationalistischen Fabrikgruppen’ sprachen, welche sie hatten aufbauen wollen.

Aus der Sicht der CWO erschienen die territorialen Arbeiterkampfgruppen

‘Wie können wir den Funken des Bewußtseins aufrecht, sobald die Kämpfe nachlassen?’,

fragte ein Genosse der CWO hinsichtlich des zeitlich beschränkten Wesens der Kampfgruppen. Es gibt offensichtlich kein organisatorisches Schema als Antwort darauf. Ein künstlicher Versuch, um das Leben einer Kampfgruppe zu verändern, führt regelmäßig zum Fiasko der Einverleibung durch die Gewerkschaften oder durch die Linken. In Anbetracht ihrer mittlerweile gewonnen Erfahrung hat die CWO jetzt den Versuch aufgegeben, ‘Transmissionsriemen’ und künstliche Fabrikgruppen unter ihrer Kontrolle zu errichten. Aber wie der Aufruf der CWO am Ende des Einleitungsreferates sagte, als zur Bildung von ‘Organisationen am Arbeitsplatz in Verbindung mit der revolutionären Partei’ aufgerufen wurde, und die Frage zeigte, wie der Funke des revolutionären Bewußtseins aufrechterhalten werden könnte, gibt die CWO den Versuch nicht auf, organisatorische Schemen als Anleitung für ihre Intervention zu suchen. Tatsächlich aber kann es keinen Ersatz für die schmerzlich langsame und geduldige Propagandaarbeit geben, die sich auf die Intervention der revolutionären Organisation, ihre Publikationen und ihre Treffen stützt; und je nachdem wenn die Verhältnisse es zulassen, auch auf die aktive Beteiligung an den Kämpfen der Arbeiterklasse. Dies ist unser Beitrag zur Aufrechterhaltung des ‘Funken Klassenbewußtseins’.(1) als etwas Neues, das verbunden wäre mit einer soziologischen Änderung in der Arbeiterklasse, da es jetzt aufgrund des Arbeitsplatzabbaus in vielen großen Betrieben viel weniger Arbeitsplätze gibt. Aber es gab in den 80er Jahren sowohl territoriale Gruppen als auch Kampfgruppen am Arbeitsplatz, die ein Teil der Welle von internationalen Kämpfen waren. Sobald die Kämpfe abebbten, konnten diese Gruppen, von denen viele zuvor dank der aktiven Beteiligung der IKS entstanden waren, sich nicht mehr am Leben halten. Ein Beispiel dafür war die Action Group for Workers’ Unity (Aktionsgruppe Arbeitereinheit) in London, in der 1989 Arbeiter aus verschiedenen Teilen der Klasse zusammengekommen waren (Erziehungswesen, kommunale Beschäftigte, Beschäftigte aus dem Transport & Verkehrswesen (siehe World Revolution Nr. 128).

Eine Zweideutigkeit bei der Gewerkschaftsfrage führt zu Fehlern in der Intervention

Indem die CWO die Idee vertritt, daß die Gewerkschaften eine ständige Funktion des Aushandelns der Bedingungen der Lohnarbeit auszufüllen hätten, und auch durch die Abkehr von der Analyse des Staatskapitalismus, wird die CWO dazu verleitet zu leugnen, daß die Gewerkschaften ein Teil des Staates sind. Sie zitiert Marxens Beschreibung der Gewerkschaften: ‘3. Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstandes gegen die Gewalttaten des Kapitals..... Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern...’ (Lohn, Preis, Profit in MEW Bd.16, S.152) Aber die Funktion der Gewerkschaften bestand in der Verteidigung der Arbeiter gegen die Übergriffe des Kapitals, wobei sie auch Verhandlungen und Streikaktionen einsetzen, nicht nur um die Lohnarbeitsbedingungen auszuhandeln als Teil des Kapitalismus im 19. Jahrhundert.

Heute haben Gewerkschaften nicht zur Aufgabe, die Löhne auszuhandeln, sondern sie sind ein aktiver Teil des Staates, die die Arbeiterklasse disziplinieren, und die Arbeiter dazu drängen, die Angriffe des Kapitals hinzunehmen. Darin besteht die heutige Funktion der Gewerkschaften.

Während sie mit der Einschätzung des bürgerlichen und arbeiterfeindlichen Wesens der Gewerkschaften übereinstimmen, wehrt sich die CWO dagegen zu behaupten, daß die Gewerkschaften ein Teil des Staates sind. Es handelt sich hier nicht um reine Wortklauberei. Die Diskussion auf dem Treffen bezog sich auf die Debatte zwischen den Organisationen der Revolutionäre zur Zeit des Timex-Kampfes auf (siehe dazu World Revolution Nr. 167, Sept. 1993). Damals kritisierte die IKS die CWO und warf ihr vor, in die Falle der extremen Linken gelaufen zu sein. Die CWO wehrte sich gegen diese Kritik und behauptete, daß sie

a) physisch während des Streiks präsent waren,

b) mit der Schwierigkeit kämpften, genau zu wissen, was sie den im Kampf befindlichen Arbeitern sagen sollten,

c) und daß die Polemik der IKS einige Formulierungen auf eine törichte Weise aufgegriffen und die Tatsache außer Acht gelassen habe, daß die CWO den Gewerkschaften auch feindlich gesinnt sei. Als Antwort darauf haben wir hervorgehoben, welche Art Formulierung wir kritisiert haben. ‘Es stimmt, daß die Arbeiter dort eine größere Unterstützung von Gewerkschaften bekommen haben als andere Arbeiter’. Genossen der CWO, dies steht im Widerspruch zu eurer Position, daß die Gewerkschaften bürgerliche Organisationen sind!

b) wir haben die Zweideutigkeiten der CWO zur Gewerkschaftsfrage aufgegriffen. In Workers Voice Nr. 74 (Okt/Nov. 1994) sagte die CWO zum Streik der Stellwerksbediener bei den britischen Eisenbahnen: ‘Die Stellwerksbediener standen von Anfang an in Konfrontation mit dem Staat, als dieser eingriff und das Angebot von 5.7% zurücknahm’. Hier ist unsere Divergenz klar. Aus der Sicht der CWO ist es so, wenn die Regierung nicht interveniert hätte, könnte man schlußfolgern, daß der Staat bei den Kämpfen abwesend gewesen wäre. Aus der Sicht der IKS ist es wesentlich, die grundsätzliche Einheit der Bourgeoisie gegen den Klassenkampf zu erkennen. Die _Einheit der Bourgeoisie wird vom Staat organisiert und von den Gewerkschaften angeführt.

Im gleichen Artikel erklärt die CWO das bürgerliche Wesen der Gewerkschaften in rein ökonomischen Begriffen. ‘Heute benutzen die Gewerkschaften Fonds, um einen Profit mittels irgendwelcher Kapitalinvestitionen einzuheimsen, von denen sie vermuten, daß sie die größten Einkünfte abwerfen. Sie werden das Geld nicht in Streiks ausgeben und darum kämpfen, ihre eigenen Profite zu retten’. Die bewußte bürgerliche Funktion der Spaltung und Kontrolle der Arbeiterklasse, die von einem Teil des Staates - den Gewerkschaften - vollzogen wird, wird wieder geleugnet. Im besten Fall führt dies zu einer gefährlichen Unterschätzung des Klassenfeindes, im schlimmsten Fall läuft man direkt in die Arme der Propaganda der Linken.

Diese Unterschätzung wurde ziemlich deutlich zur Zeit des Timex-Streiks, als die CWO die wirkliche Bedeutung dieses Kampfes als eine exemplarische Niederlage nicht verstand. Es handelte sich um einen Kampf, der künstlich in die Länge gezogen wurde mit einer internationalen Propagandakampagne, die das Ziel verfolgte, aufzuzeigen, daß Kämpfe lange isolierte Streiks seien und sich nicht auszahlten. Für die Bourgeoisie ist es immer noch sehr wichtig, wie die Niederlagen und die Rolle der Gewerkschaften bei diesen Niederlagen dargestellt werden. Der neulich stattgefundene Streik der Stellwerksbediener war ein Ausdruck dafür: ‘Den Stellwerksbedienern sollte vor den Augen aller Arbeiter eine Abfuhr erteilt und alle anderen Arbeiter abgeschreckt werden, selbst den Kampf zu ihrer eigenen Verteidigung aufzunehmen’ (WR Nr. 178). Die ‘Regierung und die Arbeitgeber unternahmen alles, um die Stellwerksbediener in den Kampf zu locken, indem sie eine harte und provozierende Linie einschlugen. Aber die Hauptrolle bei der Niederlage der Stellwerksbediener wurde vor allem von den sog. Repräsentanten der RMT gespielt, die alles unternahmen, um den Streik vom Rest der Klasse zu isolieren’ (WR 179).

Die Gefahr des Empirismus

Die Hauptargumente der CWO gegen die Analyse, daß die Gewerkschaften ein Teil des Staates sind, waren sehr empirischer Natur. Sie sagte, einige Gewerkschaften sind illegal, Gewerkschaftsfunktionäre werden nicht wie die Polizei und die Armee vom Staat bezahlt, es ist möglich bürgerlich zu sein, ohne gleichzeitig Teil des Staates zu sein; Gewerkschaften sind in vielen Ländern der 3. Welt illegal, und sie sind nicht formell oder gesetzmäßig in den Staat eingegliedert. Deshalb könnten die Gewerkschaften nicht Teil des Staates sein, obgleich sie für den Staat Dienste leisten. Die CWO brachte sogar solche Allgemeinplätze hervor wie: ‘Sind Wohnungsgenossenchaften auch Teil des Staates? Ist der Fußballklub Manchester United auch Teil des Staates?’ Diese empirische Methode ermöglicht uns nicht, irgendwas vom kapitalistischen Staat zu verstehen. Es geht hier darum, einen Rahmen, eine Methode zu haben, die es uns ermöglicht, die Bedeutung verschiedener Elemente im Zusammenhang zu verstehen.

Jeder Staat benötigt ein Mittel zur Niederschlagung der Arbeiterklasse. Die Gewerkschaften stellen dazu das wirksamste Mittel dar. Die Tatsache, daß diese oder jene Gewerkschaft formell nicht in den Staat integriert ist, sollte uns nicht blind werden lassen. In Wirklichkeit hat der Staat im Laufe der Dekadenz des Kapitalismus mehr und mehr Teile der Gesellschaft in sich aufgesogen. Insbesondere wird das in Kriegszeiten deutlich, wenn das ganze nationale Kapital der Kontrolle des Staates für die Kriegsanstrengungen unterworfen werden muß. Diese Entwicklung wurde von den Revolutionären seit dem 1. Weltkrieg als Staatskapitalismus bezeichnet.

Für uns ist unerklärlich, wie die CWO die Labour-Partei als einen Teil des Staates erkennen kann aber nicht die Gewerkschaften, die offiziell sogar auf der Seite des Staates stehen. Der Unterschied ist vielleicht einigen Mitgliedern der CWO selbst nicht besonders klar, wie sich auch während der Diskussion herausstellte, als einige Mitglieder verwirrt nach der Meinung des Präsidiums fragten, um festzustellen, ob die Labour-Partei Teil des Staates sei.

Die Idee, daß die Gewerkschaften und die Labour-Partei nicht Teil des Staates seien, ist ein wichtiges Element der demokratischen Mystifizierung. Wir sollen damit glauben, daß diese Institutionen Organisationen seien, die man unter Druck setzen oder innerhalb derer man eine Stimme haben könnte.

Ob die Gewerkschaften in den Staat integriert sind oder nicht, hat wichtige Konsequenzen für die Intervention der Revolutionäre. In den 30er Jahren gingen sowohl BILAN, eine bedeutende Publikation der Italienischen Kommunistischen Linken, und Leon Trotzki davon aus, daß es eine sehr starke Tendenz innerhalb der Gewerkschaften gäbe, in den Staat integriert zu werden, aber daß diese Tendenz noch nicht abgeschlossen war. Als Folge dessen waren sie dafür, daß Revolutionäre innerhalb gewerkschaftlicher Strukturen arbeiteten. Aber da man jetzt sehen kann, daß die Gewerkschaften voll in den Staat integriert sind und alle Gewerkschaften die Funktion der Kontrolle der Arbeiterklasse ausüben, unabhängig von den besonderen Verhältnissen dieser oder jener Gewerkschaft, arbeiten wir nicht innerhalb der Gewerkschaften. Die CWO sollte eine kohärente Position zu dieser Frage haben. Wenn die Gewerkschaften nicht voll in den Staat integriert sind, dann sollten sie es befürworten, daß man in ihnen arbeitet. Die Mitglieder der CWO wurden ungeduldig, als die IKS ihre Position vertrat, daß die Gewerkschaften jetzt ein Teil des Staates sind. Die CWO betrachtete dies als Wortklauberei und eine abstrakte Diskussion, im Gegensatz zu den Diskussionen um Organisationen am Arbeitsplatz und Arbeiterkampfgruppen. Aber Diskussionen über die konkrete Alltagspraxis, die sich nicht auf feste theoretische Grundlagen stützen, werden unweigerlich zu Konzessionen in der Gewerkschaftsfrage und gegenüber der extremen Linken des Kapitals führen.

Aus der Zeitung der IKS in Großbritannien, World Revolution, Nr.181

Adresse der CWO: PO Box 338, Sheffield S3 9YX.

(1) Es handelt sich um Gruppen von Arbeitern, die in und um einen Kampf herum entstehen, gegen die Sabotage der Gewerkschaften für die Vereinigung und Radikalisierung des Kampfes eintreten, sich bei ihrer Arbeit nicht auf berufsspezifische Kriterien stützen, sondern auf das Überwinden dieser Barrieren, also nach geographischen - territorialen - Gesichtspunkten zusammenkommen

Kapitalismus und Drogen

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Gleichzeitig mit der immer tiefer werdenden weltweiten Krise hat sich auch das Drogenelend in den letzten Jahren immer mehr verschärft. Wir wollen hier anhand der Situation in der Schweiz aufzeigen, wie die herrschende Klasse versucht, die sich rasant zuspitzende Drogenmisere, deren Verursacher und Profiteur sie selber ist, für die Verstärkung des staatlichen Repressionsapparates auszunützen. Im Frühling dieses Jahres wurden mit massivsten Polizeiaufgeboten die offenen Drogenszenen in allen grossen Schweizer Städten aufgelöst, eine permanente Polizeipräsenz auf den Strassen ist Alltag geworden. Als ein Ausdruck des weltweiten Zerfalls des Kapitalismus ist der immer mehr jeglicher Kontrolle entgleitende Drogensumpf jedoch kein speziell "schweizerisches" Problem. Im Gegenteil finden wir heute in praktisch allen grossen Städten der Welt eine ähnliche Situation vor, sei es in Zürich, Los Angeles, Moskau, Mexiko City, Sao Paulo, Amsterdam oder anderswo. Der Drogenmarkt ist heute einer der grössten Märkte geworden, auf dem jährlich weltweit mehrere hundert Milliarden Dollar umgesetzt werden, vergleichbar mit dem Waffen- und dem Oelhandel. Ganze Länder in Asien, so zum Beispiel im "Goldenen Dreieck" Thailand, Burma, Laos oder in Südamerika, wie Peru oder Kolumbien, leben heute vornehmlich vom Anbau und Export von Drogen. Doch es sind nicht nur Länder in der Dritten Welt, deren Wirtschaft vom Drogenhandel lebt. Der grösste Produzent von Hanfprodukten wie Haschisch ist heute Kalifornien. Auch sind es lange nicht mehr nur die verarmten Bauern in Asien, Südamerika oder im Orient, welchen in der Not nicht mehr viel übrigbleibt, als auf ihren Feldern Mohn anzubauen, das zur Herstellung von Heroin verwendet wird. Es stehen ganze mafiaähnliche Organisationen dahinter, deren oberste Chefs in den Regierungen der jeweiligen Länder sitzen.

Drogen sind aber auch Haupteinnahmequellen von politischen Organisationen geworden. Die sich im afghanischen Bürgerkrieg bekämpfenden Cliquen finanzieren sich genauso mit Drogengeldern wie südamerikanische Guerillagruppierungen. Desgleichen im Libanon oder der Türkei. Diese Aufzählung liesse sich noch beliebig erweitern, von den Machenschaften des amerikanischen Geheimdienstes CIA, über Schweizer Banken, welche eine Drehscheibe für die Reinwaschung von Geld aus dem Drogenhandel geworden sind, bis zur russischen Armee, welche im Krieg in Tschetschenien Drogen einsetzt, um ihre eigenen Soldaten zu kontrollieren und sie die Schrecken dieses schmutzigen Krieges mittels Drogenkonsums vergessen zu lassen.

Wir sehen, dass es nicht lokale Gründe sind, welche den Drogenmarkt dermassen in die Höhe getrieben haben. Im Gegenteil sind es die sich immer enger zuspitzende weltweite Krise und der sich dadurch verschärfende Konkurrenzkampf unter den verschiedenen imperialistischen Staaten, die Drogen zu einem festen Bestandteil der kapitalistischen Wirtschaft und zu einer Waffe gemacht haben. Es sind im Kapitalismus nicht die Bedürfnisse der Menschen, welche die Art der produzierten Güter bestimmen, sondern die Gesetze des Profits, und mit Drogen lassen sich ungeheure Gewinne machen. Auch der Verbrauch von Waren, die Komsumtion, ist im Kapitalismus nicht "frei", wir können nur das kaufen, was wir uns je nach Lohn leisten können und was auf dem Markt erhältlich ist, nicht was wirklich unsere Bedürfnisse befriedigt. Drogen werden durch weltweit organisierte Banden überall verbreitet und angeboten und zum Beispiel Jugendlichen in Discotheken anfangs mit "Gratisabgaben" schmackhaft gemacht. Und genauso sind auch die Bedürfnisse im Kapitalismus nicht "frei". Sie werden durch perfideste Werbung manipuliert, und die miserable Situation in vielen Städten, die sich immer mehr verschlechternden Lebensbedingungen tun das ihre dazu. Diese Lebensbedingungen bilden einen idealen Nährboden für den Drogenhandel, indem sie das Bedürfnis nach einer Flucht in eine andere Welt erzeugen. So liegen auch für die Millionen von Drogensüchtigen die Gründe ihrer Abhängigkeit keineswegs in einem "besonders schwachen Charakter" oder einem "persönlichen Schicksal". Es ist gerade die stark angestiegene Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren, welche vielen Arbeitern das Gefühl von Nutzlosigkeit der eigenen Person hinterlässt und ein Grund ist, um zu Drogen verschiedenster Art, Alkohol, Medikamenten oder Heroin zu greifen. Besonders Jugendliche, welche nie eine Arbeitsstelle gefunden haben, versuchen so, ihrer perspektivlosen Situation zu entfliehen. In der Schweiz beispielsweise konsumieren laut neusten Untersuchungen ca.12 000 Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 16 Jahren täglich Alkohol. Auch der Konsum von Haschisch und chemischen Aufputschmitteln hat unter Kindern und Jugendlichen stark zugenommen.

MEHR POLIZEI, MEHR GEFÄNGNISSE

Weshalb ist es nun wichtig, über die Hintergründe der ganzen Drogenmisere zu sprechen? Die Bourgeoisie hat die katastrophale Situation in einer Stadt wie Zürich in ihren Medien aufgebläht und versucht, die Arbeiter und Arbeiterinnen für ihre "Vorschläge" zur Beseitigung des Drogensumpfes zu mobilisieren: "Entweder ihr seid für die schnelle Zerschlagung der Drogenszene mit massiven Polizeieinsätzen, oder wir können für nichts mehr garantieren". Zuerst wurde die offene Drogenszene lange frei geduldet, um, wie bei jemandem, dem man das Messer an den Hals setzt, den Ruf nach Hilfe zu erzeugen. So wurde denn auch der Ruf nach einer schnellen Zerschlagung der offenen Drogenszene immer lauter, es entstanden "Bürgerinitiativen", welche vor allem in den Quartieren ein härteres Eingreifen der Polizei forderten. Heute, vier Monate nach der Auflösung des Drogenumschlagplatzes am Zürcher Letten findet man in den Quartieren Transparente dieser "Bürgerinitiativen" hängen mit der Aufschrift: "Danke, wir leben wieder". Ein Dank an die Repressionspolitik, welche mittlerweile einer permanenten polizeilichen Belagerung ganzer Quartiere gleicht.

Doch kann ein Problem, welches im Grunde genommen nur ein Ausdruck des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft ist, isoliert gelöst werden? Keineswegs! Es ist gerade in einer Stadt wie Zürich der sozialdemokratischen Regierung geschickt gelungen, diese Illusion zu schüren und so den Ruf nach mehr Polizei und der Errichtung neuer Gefängnisse zu provozieren. So wurden alleine im Kanton Zürich im Verlaufe des letzten Jahres mehrere Hundert neue Gefängnisplätze geschaffen, ein grosser Haftanstalt-Neubau und zwei provisorische Gefängnisse. Gleichzeitig wurde dieser Schlag gegen die Drogenszene, in den ersten Wochen danach in den Medien als gelungen dargestellt. Der Zeitpunkt dieser Grossrazzien wurde bewusst einige Wochen vor den Wahlen angesetzt und von der Sozialdemokratie raffiniert als Erfolg ihrer Politik, als eine humanitäre Aktion zugunsten der Drogensüchtigen hingestellt. Mittlerweile sind, wie könnte es anders sein, verschiedenste neue Drogenumschlagplätze entstanden, zum Teil auf Schulhöfen oder an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel.

LEGALISIERUNG: UNMÖGLICH UND KEINE LÖSUNG

Da, wie oben beschrieben, heute ganze Staaten, und Teile der herrschenden Klasse in jedem Land in den Drogenhandel verstrickt sind und von den dort erwirtschafteten Geldern leben, ist eine gänzliche Legalisierung dieser Ware sowieso unmöglich. Die Kapitalisten würden sich so ja selbst den Boden für ihre enormen Profite unter den Füssen wegziehen. 80-90% der Drogengelder fliessen schlussendlich in die Kassen der Bourgeoisie in den Industrieländern. Es gibt in keinem anderen Geschäft vergleichbare Profite; so wird beispielsweise ein Gramm Heroin in der Schweiz für den ca.150-200fachen Preis verkauft, verglichen mit dem Preis, den der Produzent erhält. Die Räumung des Drogenumschlagplatzes Letten im Frühjahr 95 liess die Preise für Heroin und Kokain bis zu 500% in die Höhe schnellen. Darüber freuen sich natürlich gerade die Schweizer Banken, welche die Finanzdrehscheibe für den internationalen Drogenmarkt sind. Die herrschende Klasse lebt also auf jeden Fall besser mit illegalen Drogen und hat ökonomisch kein Interesse sich diese Profite entgehen zu lassen.

In dieselbe Kerbe wie die Repressionspolitik der Regierung hauen schlussendlich auch die Vorschläge linker politischer Gruppen, welche eine Legalisierung von harten Drogen und deren kontrollierte Abgabe durch den Staat fordern. Sie gaukeln damit gleichfalls vor, dass die Drogenprobleme innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb des Kapitalismus lösbar seien. Solche Auffassungen zu vertreten heisst, den Arbeitern und Arbeiterinnen Sand in die Augen streuen, und deshalb bekämpfen wir sie als Kommunisten genauso, wie wir die Repression des Staates entlarven. Auf den ersten Blick sehen Forderungen nach einer harten Repression gegen den Drogenmarkt und Forderungen nach Freigabe des Drogenkonsums als absolut verfeindet aus. Genau das Gegenteil ist der Fall! Beide wollen sie dem Staat die vermehrte Kontrolle über die Gesellschaft zuspielen, beide Forderungen zielen darauf ab, den kapitalistischen Staatsapparat zu stärken. Entweder wird unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung der Polizeiapparat aufgerüstet, oder der Staat selber beginnt als Drogenhändler aufzutreten, gibt Heroin oder Methadon an hunderte von Menschen ab, um so die gesellschaftlichen Zerfallserscheinungen und die Perspektivlosigkeit zu übertünchen. Wir Arbeiter sollen durch die in den Medien aufgeblähten Auseinandersetzungen zwischen diesen zwei "Lösungswegen" vor die Wahl gestellt werden, uns für das eine oder andere zu entscheiden oder uns hinter eine Kombination von beidem, Repression und Drogenabgabe stellen.

Eine Strategie, welche die Bourgeoisie, ob Rechte oder Linke, mit dem Aufblähen der Drogenmisere in Zeitungen und Fernsehen verfolgt, ist aber auch das Ablenken der Arbeiter von der Krise und ihren Folgen; den Entlassungen und dem permanenten Lohnraub. Wie wir uns dagegen zur Wehr setzen, darüber sollen wir nicht diskutieren, nein, wir sollen uns hinter die eine oder andere Strategie zur Drogenbekämpfung stellen!

Das Beispiel des Alkoholkonsums zeigt deutlich, dass der juristische Status, z.B. das Verbot von Alkohol wie in den Zwanzigerjahren in den USA (die sog. Prohibition von 1920-1933) oder heute in verschiedenen arabischen Staaten, das Problem des Alkoholismus keineswegs beseitigen kann. Das gesetzliche Verbot von Alkohol hatte in den USA keinen Einfluss auf den Konsum als solchen oder die Abhängigkeit vieler Menschen. Was sich änderte, war lediglich der Preis, der in die Höhe schnellte, und Alkoholhandel wurde ein Nährboden für das Entstehen einer riesigen Mafia. Es waren nun einfach andere Teile der herrschenden Klasse, die mehr am Alkoholhandel zu verdienen begannen. Um dieses Geschäft, via Steuern und Ausschankgebühren, wieder direkter in die staatlichen Finger, bzw. Kassen zu bekommen, wurde Alkohol bald wieder legalisiert. Verbot oder Legalisierung, die juristischen Phrasen, verändern lediglich den Preis harter Drogen und bestimmen, welche Teile der herrschenden Klasse diesen Markt kontrollieren.

KEINE LÖSUNG IM KAPITALISMUS

Genausowenig, wie im Kapitalismus die Krise oder Kriege per Gesetz beseitigt werden können, ist es auch mit Drogen. Der Grund liegt darin, dass sich eben verschiedene kapitalistische Interessen, die Gier nach Profiten,

in der Jagd nach Profiten gegenüberstehen und dies heizt die ganze Geschichte nur an. Drogen sind ein fester ökonomischer Bestandteil der Wirtschaft geworden. Doch wenn wir einerseits feststellen, dass es keine Lösung des Drogenproblems unter den bestehenden Verhältnissen gibt, heisst das keineswegs die Hände gleichgültig in den Schoss zu legen. Es ist die politische Diskussion unter uns Arbeitern und Arbeiterinnen über den Charakter des Kapitalismus und der Kampf für unsere Interessen als Lohnabhängige, die uns eine neue Perspektive geben. Diese Auseinandersetzungen werden vielen eine konkrete Richtung aufzeigen, die angebliche Sinnlosigkeit des Lebens, das "No Future", wegwischen. Doch es wäre Augenwischerei zu verheimlichen, dass einzig die Zerschlagung des Kapitalismus durch eine proletarische Weltrevolution die Ursachen der Drogenmisere endgültig beseitigen wird. Erst dann wird es möglich sein, eine Gesellschaft aufzubauen, welche die Bedürfnisse der Menschheit befriedigen kann, in der sich die Produktion nicht mehr am Profit orientiert und nicht wie heute Hunderttausende durch Hunger, Krieg oder Drogen zugrunde gehen lässt. 24.5.95

Weltrevolution Nr. 71

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Ethnische Säuberungen durch Demokratie

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Die in Paris erscheinende großbürgerliche Zeitung "Figaro" brachte am 28.07.95 folgenden Kommentar zur Lage im ehemaligen Jugoslawien:

"Wie die Vergewaltigungen und Massenhinrichtungen an den Moslems nach dem Fall von Srebrenica noch einmal gezeigt haben, ist die "ethnische Säuberung" ein nicht hinnehmbarer Horror. Aber der Austausch von Bevölkerungen, wenn das Zusammenleben unmöglich geworden ist, ist nicht unbedingt verwerflich. 1918 und 1945 hat diese Methode es ermöglicht, in Europa Minderheitenkonflikte abzuschwächen. Selbst wenn diese erzwungenen Evakuierungen besonders brutal waren, selbst wenn die Sudetendeutschen und die Schlesier die Erinnerung an ihre alte Heimat wachhalten, ist Bonn genausowenig wie Prag oder Warschau daran interessiert, auf die Vergangenheit unter dem Vorwand, sie auszulöschen, zurückzukommen. Als Zepa zwei Wochen nach Srebrenica sich ergeben mußte, haben die Blauhelme geholfen, die Einwohner zu den bosnischen Linien zu bringen. Anders ausgedrückt: Die Vereinten Nationen haben ihrerseits die Vorgehensweise, die nach den beiden Weltkriegen benutzt wurde, angewandt. Bleibt abzuwarten, ob die westlichen Diplomaten es wagen anzuerkennen, daß eine solche Vereinfachung der Landkarte eine bessere Chance bietet, den Kriegsparteien einen Kompromiß abzuringen."

Nicht nur in Frankreich entdeckt die Bourgeoisie wieder die Vorzüge der ethnischen Vertreibungen. Als am 4. August die kroatische Armee zum Sturm auf die Krajina ansetzte und damit zehntausende Serben aus der Region verjagte, fragte der Moderator des "Heute Journal" scheinheilig den Korrespondenten in Zagreb, ob nicht durch die Flucht der Serben wenigsten die "Landkarte des Balkans geordnet" werden könne? Denn durch die kroatische Offensive mit angestrebter Säuberung der Krajina sind allein ca. 150.000 Krajina-Serben in die Flucht getrieben worden. Es handelt sich um die größte Menschenvertreibung seit Beginn dieses Krieges.

Wer die bürgerlichen Medien aufmerksam und kritisch verfolgt, wird längst gemerkt haben, daß immer wieder Sprecher der herrschenden Klasse in den westlichen "Demokratien" der Notwendigkeit des "Ordnens" und des "Aufräumens" des "ethnische Chaos" auf dem Balkan das Wort reden. Zwar werden die Politiker, wenn sie zum Fenster hinaus reden, nicht müde, wenn es um die öffentliche Verurteilung ethnischer Vertreibungen geht. Sie tun so, als ob diese Verbrechen lediglich auf das Konto der "verrückt gewordenen Barbaren" vor Ort, der Karadzics und Tudjmanns gehen.

Die Vertreibung: eine alte gutbürgerliche Tradition

Tatsächlich ist die Vertreibung wie auch die Ermordung ethnischer Minderheiten ein gerade im diesem Jahrhundert bewährtes und häufig angewandtes Mittel der bürgerlichen Staatsräson. Dabei ist der ethnische Haß zumeist nicht die Ursache der Vertreibungen, sondern deren Mittel. Vertreibungen oder "Umsiedlungen" sind eine Politik des Staates, welche ganz konkreten politischen und strategischen Zielen dient. Unter Hitler betrieb Deutschland eine gigantische "Umsiedlungspolitik" im kontinentalen Maßstab, um ein möglichst großes und homogen besiedeltes Staatsgebiet zu schaffen. Denn: je 'homogener' das Gebiet eines Staates, desto besser kann es militärisch verteidigt werden. Je 'homogener' die eigene Bevölkerung, desto schwerer wird es feindlichen Staaten fallen, Teile davon gegen die eigene Regierung aufzustacheln.

In Rußland wurden unter Stalin ganze Volksgruppen oft Tausende von Kilometern weit aus politischen Gründen deportiert, z.B. die "Volksdeutschen", damit sie nicht mit den deutsche Invasoren im 2. Weltkrieg kollaborieren konnten. Am Kriegsende wurden dann ca. 15 Millionen Deutsche aus Osteuropa vertrieben, um ethnisch gereinigte Nationalstaaten herbeizuführen. Diese Vertreibungen durch die Stalinisten wurden von den ach so demokratischen westlichen Siegermächten des 2. Weltkriegs durch Absprachen sanktioniert und öffentlichen gutgeheißen.

Dieses Beispiel erinnert daran, daß neben dem Faschismus und den westlichen Demokratien gerade auch der Stalinismus über eine große, jahrzehntelange Tradition der Vertreibung von Menschen aus ethnischen und nationalistischen Gründen verfügt. In Bulgarien vertrieb das stalinistische Regime Anfang 1989 noch Hunderttausende Türken. Das ‘demokratisch’ gewählte Nachfolgeregime legitimierte diese Pogrome nachträglich. Im ehemaligen Jugoslawien sind es dieselben alten chauvinistischen, stalinistischen Henker, die heute unter bürgerlich demokratischen Cover ihre nationalistische Hetzpolitik fortführen. Milosevic, Tudjmann und Konsorten hatten in Stalin ihren Ziehvater und setzen nur dessen Tradition fort.

Im Konflikt auf dem Balkan verfolgen alle Kriegsparteien ähnliche Ziele. Sie wollen einerseits ihre eigenen Gebiete ethnisch "reinhalten", um ihre Macht über Land und Leute zu steigern. Andererseits versuchen sie ihre "Landsleute", welche auf dem Territorium des Gegners als ethnische Minderheit leben, möglichst lange dort zu halten, um sie als "5. Kolonne hinter den Feindeslinien" zu mißbrauchen. So werden ganze Bevölkerungsgruppen zu ständigen Geiseln der imperialistischen Rivalitäten der bürgerlichen Staaten. Dies gilt nicht nur für die Balkanvölker, sondern bereits heute auch für die Russen außerhalb Rußlands, für die Algerier in Frankreich, die Türken und Kurden in der Bundesrepublik usw.. Türken und Kurden dienen heute als Mobilisierungsmasse und Zielscheibe politisch-militärischer Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und der PKK,; sondern auch zwischen Deutschland und den USA.

Die Großmächte sind an den Vertreibungen mit beteiligt

Auf dem Balkan verfolgen die Großmächte, gerade weil sie nationale Gruppen vor Ort benutzen, um ihre eigenen Interessen zu wahren, ebenfalls die Politik der Vertreibungen. Man braucht etwa nicht zu glauben, daß die deutsche Regierung, konsequenter Verbündeter Zagrebs und Feind Serbiens, ein Interesse daran hat, daß nach der Rückeroberung der Krajina durch Kroatien, einige Hunderttausend Serben dort wohnen bleiben.

Dort, wo die angeblichen Verteidiger der Menschlichkeit, die westlichen Demokratien, selber auf dem Balkan Truppen stationiert haben, nehmen sie an den Vertreibungen zusammen mit ihren Verbündeten vor Ort direkt teil. So brachte etwa der Kommandant des niederländische Blauhelmkontingentes in Ostbosnien, Karremann, die Regierung in Den Haag sichtlich in Verlegung, als er öffentlich die ausgezeichnete Zusammenarbeit seiner Truppen mit den serbischen Kräften bei der Eroberung der "UN-Schutzzone" Srebrenica lobte.

Dieser Kommandant 'bekannte sich dazu, daß er sich "nachdrücklich für das Mitwirken an dem Abzug von Flüchtlingen" entschieden habe. Dadurch sei "viel Elend" in dem niederländischen UN-Stützpunkt verhindert worden. "Zugleich haben wir gelernt, daß die Parteien in Bosnien nicht in gute und schlechte Kerle eingeteilt werden können" sagte der holländische Oberst, der zuvor so anerkennende Worte für die serbischen Aggressoren gefunden hatte" wie die FAZ aus der Sicht der deutschen Bourgeoisie zornig berichtete (26.07.95).

Die Umsetzung von ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien ist sogar einer der wenigen Punkte, worauf die europäischen Großmächte sich im Laufe des Krieges einen Augenblick lang einigen konnten. Nach der diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens 1991 veröffentlichte die Europäische Union eine Art Katalog der Bedingungen, unter denen auch andere jugoslawische Republiken die diplomatische Anerkennug der Europäer erreichen könnten. Dort stand, daß in umstrittenen Gebieten per Volksabstimmung entschieden werden sollte, zu welcher Nachfolgerepublik ein Gebiet gehören sollte. Dies war nichts anderes als die Aufforderung an die lokalen Machthaber, durch ethnische Vertreibungen die Mehrheitsverhältnisse, die sie brauchten, herbeizuführen. In Bosnien wurde diese Politik denn auch sofort von der lokalen Bourgeoisie vor Ort, von Serbien, Kroatien wie auch von den moslemischen Machthabern sofort in die Tat umgesetzt.

Was die Bourgeoisie des In- und Auslands der jugoslawischen Arbeiterklasse angetan hat, darf nie vergessen werden.

"Innerhalb kurzer Zeit sind große Teile der Bevölkerung in allen Teilrepubliken verarmt, den Mittelstand gibt es praktisch nicht mehr. Die Mehrheit der Bevölkerung - über 90% - kämpft ums nackte Überleben. Hunderttausende sind aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben worden und leben nun weit verstreut, als Flüchtlinge in Kroatien, Serbien und Bosnien. Sie sind eine große Belastung für die übrigen Bewohner dieser Gebiete, deren Lage ohnehin schon schwierig genug ist. Das gesamte soziale Gefüge ist ins Wanken geraten. Sowohl in Serbien als auch in Kroatien und Bosnien steht jetzt eine kleine Schar Kriegsgewinnler an der Spitze. Diese schmale Schicht hat sich schamlos bereichert und hat in der zerfallenden Gesellschaft die beherrschende Rolle übernommen. Es sind durchweg Mitglieder der jeweiligen national gesinnten Führungsschicht, die nicht nur über den Reichtum des Landes verfügen." (Le Monde Diplomatique, Juli 1995).

 

Angesichts der antiserbischen Hetztiraden vor allem der deutschen Medien wollen wir zudem betonen, daß es die serbische Arbeiterklasse ist und nicht die Bourgeoisie, die Hunderttausende von Kriegsflüchtlingen miternährt und die entsetzlich zu leiden hat unter dem Wirtschaftsboykott der "internationalen Gemeinschaft".

Darüberhinaus aber haben die kapitalistischen Kriegsverbrecher die jugoslawische Arbeiterklasse physisch und politisch zerrissen.

Die Großmächte stacheln zum Haß an

In Bosnien ist dies besonders grausam gewesen, wo über 80% aller Ehen "ethnisch gemischt" waren. Hier sind Strassenzüge, Dörfer, ja Familien brutal gesprengt worden. Rekrutiertrupps der verschiedenen lokalen Ausbeuter haben junge Männer verschleppt, in Militäruniformen gesteckt und willkürlich als "Serbe" oder "Kroate" deklariert. So wurden Brüder gegen Brüder, Väter gegen Söhne in den Krieg geschickt. Viele solcher Soldaten, nachdem sie wiederholt desertiert waren und wieder aufgegriffen wurden, haben bereits zwangsweise 3 oder 4 verschiedenen Armeen gedient. Ein "bosnischer Moslem" unterscheidet sich nämlich nicht mal vom Akzent her, geschweige denn vom Aussehen von einem "bosnischen Serben". Dies hindert die bürgerliche Propaganda aber keineswegs daran weiter munter zu behaupten, der Konflikt in Bosnien sei durch den Haß der dortigen Bevölkerungsgruppen aufeinander hervorgerufen.

Seit Jahrzehnten behauptet diese Propaganda außerdem, Pogrome, Vertreibungen und Völkermord seien nicht das Ergebnis des kapitalistischen Systems mit seinem Konkurrenzprinzip zwischen den Nationalstaaten, sondern dies komme nur im Faschismus vor. Die Barbarei auf dem Balkan lehrt uns wieder einmal das Gegenteil. Der "demokratische" Kapitalismus hält noch viele solcher "Säuberungen" und "Vereinfachungen" der europäischen und anderer Landkarten bereit. 05.08.95 BS

Weltrevolution Nr. 72

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1984-85: Lehren aus dem britischen Bergarbeiterstreik

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Zehn Jahre sind seit dem Ende des britischen Bergarbeiterstreiks vergangen. Zehn Jahre, in denen die meisten Bergarbeiter arbeitslos gewor­den sind, die Bergarbeitersiedlungen noch weiter den Auswirkungen des gesellschaftlichen Zerfalls, der wachsenden Kriminalität, der Drogensucht und dem Zerbröckeln der Klassensolidarität ausgesetzt wurden, und in denen das kapitalistische Motto ‘Jeder für sich’ verbreitet wurde. 10 Jahre nach dem britischen Bergarbeiterstreik will die herrschende Klasse uns die Botschaft eintrichtern: ‘der Kampf lohnt sich nicht’. Um aber die Bedeutung des Bergarbeiterstreiks wirklich zu begreifen, müssen wir die Lüge verwerfen, derzufolge es sich damals um einen Kampf zwischen Gewerkschaften und den Tories gehandelt habe, zwischen Thatcher und A. Scargill (dem Bergarbeitergewerkschaftsführer). Statt dessen müssen wir den Kampf als eine Auseinandersetzung zwischen der Arbeiterklasse und der gesamten Bourgeoisie auffassen, wobei die Arbeiter auch und vor allem mit dem linken Flügel des Kapitals und den Gewerkschaften zusam­menprallten.

Die Dynamik des Bergarbeiterstreiks

Der Bergarbeiterstreik, der im Frühjahr 1984 ausbrach, fing nicht unter der Kontrolle der Ge­werkschaften an. ‘Anfangs dehnte sich der Streik als ein wilder Streik aus, als Bergarbeiter in Schottland und Wales fliegende Streikposten bildeten, um die Bergarbeiter anderer Bergwerke aufzurufen, sich ihrem Kampf gegen die Zechen­stillegungen anzuschließen.’ (aus unserer Zeitung in Großbritannien, ‘World Revolution’ Nr. 128) Die Bergarbeitergewerkschaft NUM lief den Arbeitern einige Tage hinterher; erst nachdem sie den Streik für offiziell erklärt hatte, konnte sie ihn unter ihre Kontrolle bringen.

Der Bergarbeiterstreik trug viele typische Züge der internationalen Kampfwelle, die 1983 in Bel­gien begonnen hatte. In dieser Kampfwelle zeich­neten sich die Kämpfe durch eine Reihe von Ei­genschaften aus, die eine Reifung des Klassenbe­wußtseins der Arbeiterklasse widerspiegelten:

‘- eine Tendenz zum Auftauchen von spontanen Bewegungen, die eine gewisse Überwindung der Gewerkschaften zeigten;

- eine Tendenz hin zu breitgefächerten Massen­bewegungen,

- eine wachsende Gleichzeitigkeit von Kämpfen auf internationaler Ebene,

- einen langsamen Rhythmus der Entfaltung der Kämpfe’ (‘International Review’, engl. Ausgabe, Nr. 38)

Binnen einer Woche dehnte sich der Streik auf die meisten Zechen und auf Nottingham aus. Und als Bergarbeiterstreikposten zu den Kraftwerken und den Werften zogen, um die Solidarität dieser Arbeiter einzufordern, schien eine noch größere Ausdehnung wahrscheinlich. Die Gewerkschaften konnten dies jedoch verhindern, indem sie die ganze Aufmerksamkeit auf die noch arbeitenden Bergarbeiter lenkten. Im Juli 1984 stand die Frage der Ausdehnung des Kampfes jedoch wieder auf der Tagesordnung, als die Hafenarbeiter ebenfalls in den Streik traten: ‘Dies änderte die Lage voll­kommen; es gab nunmehr ein wirkliches Potential dafür, daß die beiden Kämpfe sich miteinander verbinden würden. Davor hatte die herrschende Klasse am meisten Angst, denn wenn die Bergar­beiter und die Docker sich vereinigt hätten, hätte das ein Beispiel für die ganze Klasse gesetzt’ (‘World Revolution’ Nr. 128).

Die Frage der Ausdehnung trat zwar weniger deutlich, aber dennoch ebenfalls im November auf, als die Automobilarbeiter streikten. Jedoch war zum damaligen Zeitpunkt schon die aufwärtsstre­bende Bewegung der Bergarbeiter insbesondere hin zur Ausdehnung der Streiks, größtenteils von den Gewerkschaften gebrochen.

Der Streik räumte ebenfalls mit dem Mythos einer friedlichen britischen Demokratie auf. Statt dessen kam das wirkliche Gesicht der kapitalistischen Diktatur zum Vorschein. Straßen wurden im Süden Londons gesperrt, als Bergarbeiter aus der Grafschaft Kent nach Norden ziehen wollten, um die Bergarbeiter direkt vor Ort zu unterstützen. Unzählige Bergarbeiter wurden vor Gericht ge­zerrt, eingesperrt, ganze Gebiete wurden belagert.

Die wirklichen Errungenschaften des Streiks waren die Versuche der Ausdehnung und Vereini­gung und nicht die Dauer des Streiks. Indem die Arbeiter in die Falle eines langen und isolierten Streiks gelockt wurden, schaffte es die herr­schende Klasse, die Arbeiter zu besiegen.

Die Strategie der Bourgeoisie

Die herrschende Klasse hatte sich gut auf diesen Streik vorbereitet. Ein spezielles Regierungsko­mitee war eigens zur Überwachung eingesetzt, die Polizeieinsätze waren landesweit koordiniert, Absprachen wurden zwischen der Gewerkschaft der Docker und der der Kraftwerke getrof­fen, um gleichzeitige Aktionen zu vermeiden. Diese beiden Gewerkschaften sollten gleichzeitig die konservative Rolle übernehmen, während A. Scargill zum ‘radikalen Führer’ der Bergarbeiter­gewerkschaft erkoren wurde. Vor dem Streik wurden riesige Kohlehalden aufgehäuft, die für die Unternehmer als Reserve dienen sollten.

Die Bergarbeitergewerkschaft versuchte von Anfang an, die Bergarbeiter vom Rest der Klasse abzutrennen, indem Parolen ausgegeben wurden wie ‘Kohle statt Arbeitslosigkeit’ (‘Coal not Dole’) und ‘Verteidigt die Bergarbeiter’. Scargill redete lang und breit von Solidarität unter den Bergarbeitern, aber die vorgeschlagene Solida­rität war die von Geldsammlungen und Spenden an die Gewerkschaft. Passive Sympathie, um die Bergarbeiter dennoch im Kampf alleine dastehen zu lassen. Die Energien der Bergarbeiter sollten in sinnlosen Auseinandersetzungen mit der Polizei verpuffen, als die Arbeiter versuchten, die wenigen nicht streikenden Bergwerke mit Streikposten dichtzu­machen. Als die Hafenarbeiter im Juli in den Streik traten, betonte die Gewerkschaft der Hafenarbei­ter sofort, deren Streik habe nichts mit dem der Bergarbeiter zu tun. Beim Automobilarbeiterstreik im Herbst 85 genau das gleiche. Die ganze Blick­richtung des Streiks war immer mehr nur auf die Bergarbeiter gewandt, anstatt auf die ganze Arbei­terklasse.


Die Lehren ziehen

Der Bergarbeiterstreik brachte eine Niederlage und einen Rückschlag für die ganze Arbeiterklasse. Aber der Klassenkampf wurde damit nicht zu Boden geworfen. In Großbritannien kam es wei­terhin zu Arbeiterkämpfen, bei denen Teile der Klasse zeigten, daß sie angefangen hatten, die Lehren aus dem Bergarbeiterstreik zu ziehen. Im Februar 1988 gab es nicht nur gleichzeitig Kämpfe im Gesundheitswesen, im Bergbau, bei den Auto­mobil- und Fährbeschäftigten, sondern es gab auch wirkliche Versuche, die verschiedenen Bereiche zusammenzubringen. So zogen Krankenpfleger und Bergarbeiter zusammen als Streikposten zu den Ford-Beschäftigten. Im Juli 1989 gab es Kämpfe im öffentlichen Dienst, vor allem bei den Trans­portarbeitern. Die Frage des Zusammenschlusses, um die Isolierung zu vermeiden, war eine zentrale Sorge der Beschäftigten.

Das Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften wuchs zunehmend. Ähnliche Beispiele kann man aus anderen Ländern in Westeuropa nennen. Im Winter 1986 streikten in Frankreich Eisenbahner, die es satt hatten, sich durch die Sabotagetaktik der Gewerkschaften die Initiative entreis­sen zu lassen. Sie legten selbständig los, bildeten ein Streikkomitee. Die Gewerkschaften schafften es dann aber doch, eine Ausdehnung, einen Zusam­menschluß zwischen den verschiedenen Bereichen der Klasse zu verhindern, u.a. dadurch, daß sie jeweils das Streikkomitee unterwanderten und aushebelten. Im Dez. 1987 wehrten sich die Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen gegen die beabsichtigte Schließung des Werkes. Die Arbeiter griffen von Anfang an die Lehre aus dem britischen Bergarbeiterstreik auf und hoben hervor: ‘Wir wollen kämpfen, aber wir wollen nicht isoliert untergehen wie die britischen Bergar­beiter.’ Also erließ man einen Aufruf zur Beteili­gung aller Beschäftigten in Duisburg an ihrem Abwehrkampf. Zu Anfang der Bewegung im Dez. 87 gab es gemeinsame Vollversammlungen von Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen und Be­schäftigten aus Duisburg. Auch gab es erste Kon­taktaufnahmen zu Belegschaften aus anderen Städten. Bei diesem Streik jedoch -wie vorher schon in England und in Frankreich- waren die Gewerkschaften listig genug, den Arbeitern wieder die Initiative zu entreißen. Vor allem die Basisge­werkschaften und die linken Gruppierungen der Trotzkisten konnten den Arbeitern Fesseln anle­gen mit ‘Aktionstagen’ wie ‘Rheinhausen tote Stadt’, wo man alle Brücken und Verkehrsverbin­dungen lahmlegte, als ob so die Kampfkraft der Arbeiter wachse. Auf das Wirken dieser linken Kräfte - die von niemandem gewählt worden waren, sich aber immer geschickt an die Spitze der Bewegung zum Zweck ihrer Sabotage stellten -, ist es zurückzuführen, daß die Klassenbewegung Ende der 80er Jahre auf der Stelle trat.


Rückzug und Wiedererstarken des Klassen­kampfes

Der Zusammenbruch des Ostblocks und die Lügen vom angeblichen ‘Tod des Kommunismus’ be­wirkten einen tiefgreifenden Rückfluß sowohl der Kampfbereitschaft wie auch des Bewußtseins der Arbeiterklasse. Dadurch konnte nicht nur die Perspektive des Kommunismus als ‘vollkommen unrealistisch’ dargestellt werden, auch die Kon­trollkräfte im Dienste des Kapitals, die Gewerk­schaften, sind seitdem wieder im Aufwind und haben die wenigen Arbeiterkämpfe gut im Griff.

Zwar hat es seitdem Anzeichen einer wiedererstarkten Kampfbereitschaft gegeben, aber die Arbeiter­klasse hat sich noch nicht aus den Klauen der Gewerkschaften befreien können. Die objektive Lage, die massiven Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen wird die Arbeiterklasse immer wieder dazu zwingen, sich zu wehren und die Um­klammerung der Gewerkschaften infragezustellen. Um so wichtiger wird es deshalb bei der notwen­digen Wiederaufnahme der Kämpfe sein, daß sich die Arbeiter heute die Lehren aus dem Bergarbei­terstreik vor Augen halten: die Isolierung bedeutet den Tod einer jeden Bewegung. (Auf der Grundlage eines Artikels aus unserer Zeitung in Großbritannien ‘World Revolution’Nr. 186)


Die Konferenz von Zimmerwald

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Vorwort anlässlich des 100. Jahrestags der Zimmerwalder Konferenz

100 Jahre Zimmerwalder Konferenz: Was die Epigonen verschiedener Couleur daraus machen

Anlässlich des 100. Jahrestages der Zimmerwalder-Konferenz fand am 4. und 5. September in Zimmerwald eine Gedenkveranstaltung statt, die von einer beachtlichen Zahl von linken politischen Organisationen, Gewerkschaften, Stiftungen, Arbeitsgruppen und Bibliotheken organisiert und gesponsert wurde. Gleichzeitig hat der „Aufbau“, eine linksautonome Gruppierung mit maoistischem Einschlag aus der Schweiz, und eine stalinistische Gruppierung aus der Türkei, die MLKP, zu einer Gegenveranstaltung aufgerufen.

Für die Hauptveranstaltung wurde eine bunte Schar von Historikern, bekannten Politikern, wie Gregor Gysi von der Partei Die Linke oder der Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Christian Levrat, und weniger bekannten Politikern aus anderen Ländern eingeladen. Die offiziellen Organisatoren beriefen sich dabei auf Robert Grimm, auf seine „Friedenspolitik“ und zentristische Haltung. Lenin und der linke Flügel der damaligen Sozialdemokratie kritisierten schon damals resolut diese pazifistische, zentristische Haltung.

Der entscheidende Faktor zur Mobilisierung der Arbeiterklasse für den Ersten Weltkrieg war der Verrat durch die großen historischen Organisationen der Arbeiterklasse, Sozialdemokratie und Gewerkschaften, an der internationalistischen Tradition – sie riefen zum Krieg auf. Diese tragische Entwicklung spielte sich natürlich nicht ohne eine zähe Auseinandersetzung innerhalb der proletarischen Bewegung ab. Neben den offenen Kriegsbefürwortern aus den Reihen der alten Arbeiterorganisationen (dem „rechten“ Flügel der damaligen Arbeiterbewegung) und der klar internationalistischen Opposition (dem „linken“ Flügel) gab es aber vor allem einen schwankenden, unentschlossenen Teil (den so genannten Zentrum, die Zentristen), der seine Wurzeln in der proletarischen Bewegung hatte.

Ohne auf den eigentlichen Inhalt beider Veranstaltungen einzugehen, möchten wir hier lediglich einige Worte über den politischen Charakter sowohl der Organisatoren der „Gedenkveranstaltung“ als auch jener der Gegenveranstaltung verlieren. So verheerend die historischen zentristischen Strömungen in der Arbeiterklasse zur Zeit des Ersten Weltkrieges und danach auch waren, sie waren, wie wir bereits oben feststellten, noch immer im proletarischen Milieu verwurzelt. Dies kann man über die Veranstalter der heutigen Gedenkveranstaltungen beileibe nicht mehr sagen; ihre Wurzeln kann man ebenso wenig im proletarischen Milieu wie in einer degenerierenden, aber immerhin noch lebendigen Arbeiterorganisation verorten, so dass der historische Begriff des Zentrismus alles andere als zutreffend für sie ist.

Wann eine Arbeiterorganisation ins Lager der Bourgeoisie übergewechselt ist, kann man unter anderem am Verlust zweier wichtiger Eigenschaften einer solchen Organisation erkennen: die definitive, unumkehrbare Aufgabe des Internationalismus1 und das Entweichen jeglichen proletarischen Lebens aus der Organisation: „… eine Partei ist definitiv für die Arbeiterklasse verloren, wenn keine Tendenz, kein lebendiger (proletarischer) Körper mehr aus ihr entstehen kann. Das war 1921 bei den sozialistischen Parteien der Fall; dies war Anfang der 30er Jahre bei den Kommunistischen Parteien der Fall. Es ist also richtig, bis zu jenen Jahren von zentristischen Organisationen zu sprechen.“2

Anders gesagt: erst wenn es nicht mehr möglich ist, proletarische Positionen innerhalb einer (degenerierenden) proletarischen Partei zu vertreten, ist sie definitiv zum Klassenfeind übergegangen.

Ein Wort zu den Organisatoren der angesprochenen Gegenveranstaltung, zum „Aufbau“ und zur MLKP: Entgegen ihres Selbstverständnisses als „revolutionäre Alternative“ muss man festhalten, dass solche Gruppierungen weder zentristisch oder gar revolutionär sind oder je waren. Teil ihres genetischen Codes ist ihr politischer und praktischer Rückgriff auf das stalinistisch-maoistisches Erbe der Konterrevolution, das Ausdruck der fürchterlichen Degeneration der Kommunistischen Internationale war. Es ist nur logisch, wenn diese vom Stalinismus inspirierten Gruppierungen neuerdings in ihrer Presse Stimmung machen für die Unterstützung der YPG in Kurdistan. Eine Kostprobe gefällig? „Rojava hat gezeigt, dass wenn man eine Revolution aufbauen und verteidigen will, in diesem Fall im mittleren Osten, es eine bewaffnete Organisation braucht, eine Führung und eine Partei, die erfolgreich diese [Revolution] organisiert. Das beste Beispiel ist mit der Organisation YPG/YPJ gegeben.“3

Die von der MLKP so gerühmten YPG/YPJ schrecken offensichtlich nicht davor zurück, sowohl mit den früher von den „Antiimperialisten“ zum imperialistischen Hauptfeind erklärten USA zusammen zu kämpfen als auch ganz allgemein dazu aufrufen, mit allen „demokratischen Kräften“ eine Einheitsfront zu bilden. In einem ihrer Kommuniqués verkünden diese famosen Revoluzzer: „Die Rolle, die die französische Regierung gegen den Terrorismus einer Daesh (ISIS) spielt, ist die eines entscheidenden Unterstützers der Anstrengungen vor Ort. Wir unterstützen völlig das Volk und die französische Regierung in ihrem Kampf gegen den Terror.“ (Generalkommando der Volksverteidigungskräfte, YPG; 14. November, 2015)

Wie in den 30er Jahren dient das Gefasel von der Einheitsfront gegen den Terrorismus, das Propagieren einer klassenübergreifenden Ideologie, den herrschenden Klassen als Gelegenheit, die Ausgebeuteten für ihre niederen Interessen gegeneinander aufzuhetzen. Hier gilt es darauf zu beharren, dass es allein die Kommunistische Linke ist, die die politische Kontinuität der Zimmerwalder-Konferenz von 1915 aufrechterhalten hat, die das Erbe des linken internationalistischen Flügels angetreten hat, der sich damals in der Auseinandersetzung mit Zentristen und rechten Sozialdemokraten herausgeschält hatte. In einer schwer durchschaubaren Weltlage gegen alle Fraktionen der Bourgeoisie zu kämpfen, gegen den Strom zu schwimmen, falls erforderlich, ist eine der Hauptaufgaben der Kommunistischen Linken. Die Zuspitzung der kriegerischen Konflikte wie in Syrien und der Ukraine und die zunehmenden Spannungen zwischen den Großmächten erfordern eine klare proletarische Haltung gegen den Krieg, gerade angesichts der zunehmenden Kriegshysterie der Herrschenden und ihrer Medien nach den Anschlägen in Paris.

Die Kommunistische Linke und die internationalistischen Kräfte aus dem anarchistischen Lager müssen die historischen Prinzipien der Arbeiterklasse aufrechterhalten und gegen alle Angriffe von linken- oder linksextremen Fraktionen der Bourgeoisie verteidigen – wie es 1915 die Zimmerwalder-Linke tat. Darum ist wichtig, sich mit Zimmerwald und den Kampf gegen die Degeneration alter Arbeiterparteien auseinanderzusetzen: „Zum ersten Mal hatte eine politische Organisation der ArbeiterInnen nicht nur die Interessen der Arbeiterklasse verraten, sie wurde darüber hinaus zu einer der wirksamsten Waffen in den Händen der kapitalistischen Klasse, um den Krieg zu entfesseln und die Arbeiterrevolte gegen den Krieg zu zerschmettern. Die Lehren aus der Degeneration der Sozialdemokratie bleiben somit kreuzwichtig für die heutigen Revolutionäre.“4

1 Plattform der IKS, Punkt 13: Dies war der Fall bei der II. Internationale, als die großen ihrer Parteien, befallen vom Geschwür des Opportunismus und Zentrismus, mit dem Ausbruch des I. Weltkriegs (der den Tod der II. Internationale manifestierte) mehrheitlich dazu verleitet wurden, die Politik der „nationalen Verteidigung“ zu praktizieren. Dies geschah unter der Führung der sozialchauvinistischen Rechten, die sich zu diesem Zeitpunkt ins Lager der Bourgeoisie gesellte

2(Int. Revue Nr. 152, Engl.; The centrist currents in the political organisations of the proletariat, S. 21, 3. Spalte, zweitletzter Abschnitt): https://en.internationalism.org/international-review/201508/13354/zimmer... [11]

3https://www.aufbau.org/index.php/53-schlagzeilen2/2091-mlkp-rojava-gruss... [12]

4https://de.internationalism.org/internationalerevue/1914-wie-der-deutsch... [13]

Vorwort und Artikel zum 80. Jahrestag der Zimmerwalder Konferenz

Vor 80 Jahren fand im September 1915 in Zimmerwald die erste internationale sozialistische Konferenz gerade ein Jahr nach dem Beginn des 1.Weltkrieges statt. Dieses Ereignis wieder aufzugreifen, heißt nicht nur, eine Seite der Geschichte wieder aufzuschlagen, sondern die immer noch gültige Hauptlehre dieser Konferenz hervorzuheben: Der Kampf des Proletariats gegen den Krieg ist untrennbar mit seinem Kampf gegen die Ausbeutung verbunden. Der Kampf gegen den Krieg erfordert die Überwindung des Kapitalismus. Bei diesem Kampf tragen die Revolutionäre eine entscheidende Verantwortung für die Orientierung dieses Kampfes hin auf eine revolutionäre Perspektive. Auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Zunahme der kriegerischen Konflikte, der Verschärfung der Kriegspropaganda der Großmächte, die eine immer größere Barbarei hervorrufen, ist es wichtig, daß der Geist und die Lehren von Zimmerwald von der Arbeiterklasse heute wieder aufgegriffen werden.

Der Kriegsbeginn und die Auswirkungen auf die Arbeiterklasse und die Arbeiterorganisationen

Zimmerwald war die erste Reaktion der Arbeiterklasse gegenüber dem Abschlachten im 1.Weltkrieg. Das Echo, das von Zimmerwald ausging, ließ unter Millionen von Arbeitern Hoffnung aufkommen, die von den Schrecken des Krieges geplagt waren. Die Auslösung des 1.Weltkrieges am 4.August 1914 war eine bis dahin nie dagewesene Katastrophe für die Arbeiterbewegung. Neben einer unaufhörlichen nationalistischen ideologischen Bombardierung der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie war das entscheidende Element, das die Arbeiterklasse mit in den Krieg getrieben hatte, der Verrat des größten Teils der sozialdemokratischen Arbeiterparteien. Die parlamentarischen Fraktionen stimmten meist für die Kriegskredite im Namen der nationalen Einheit und trieben damit die Arbeitermassen dazu, sich gegenseitig im Interesse der imperialistischen Mächte abzuschlachten. Die Gewerkschaften stimmten einem Burgfrieden von Anfang an zu. Was vorher der ganze Stolz der Arbeiterklasse gewesen war, die 2.Internationale, ging in den Flammen des Weltkrieges auf, nachdem die bedeutendsten Parteien der 2.Internationalen, ein Großteil der Sozialdemokratie in Deutschland, wie auch die französische sozialistische Partei Verrat begangen hatten. Obgleich sie schon vom Reformismus und Opportunismus befallen war, hatte die 2.Internationale unter dem Einfluß der revolutionären Minderheiten, insbesondere der deutschen Linken und der Bolschewiki, sich früh gegen die Kriegsvorbereitungen und die Kriegsgefahr ausgesprochen. So hatte die 2.Internationale 1907 auf dem Stuttgarter Kongreß wie auch auf dem Baseler Kongreß 1912 und bis hin in die letzen Julitage 1914 ihre Stimme gegen die Kriegspropaganda erhoben und die militaristischen Ambitionen der herrschenden Klasse entblößt. Mit dem Verrat am 4.August 1914 jedoch wurden Jahrzehnte der Aufbauarbeit und der Bemühungen der Revolutionäre mit einem Schlag vernichtet. Aber die revolutionäre Minderheit, die dem Prinzip des proletarischen Internationalismus treu geblieben war und dieses Prinzip weiterhin unnachgiebig verteidigte, und die zuvor schon jahrelang gegen den Opportunismus in der 2.Internationalen und ihrer Parteien angekämpft hatte, leistete Widerstand. An führender Stelle in diesem Kampf standen:

  • In Deutschland die 'Gruppe Internationale', die von 1914 an um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gebildet wurde, die Zeitung 'Lichtstrahlen', sowie die Bremer Linke.
  • die Bolschewiki in Rußland und im Exil
  • In Holland die tribunistische Partei um Gorter und Pannekoek.
  • In Frankreich ein Teil der revolutionären Syndikalisten um Rosmer und Monatte.
  • In Polen die SDKPiL

Eine andere Strömung, die schwankte und zögerte und als zentristisch zu bezeichnen ist, nahm ebenfalls einen Aufschwung. Sie schwankte zwischen einer Haltung, wo heute zur Revolution und morgen zu einer pazifistischen Position aufgerufen wurde. Ihr gehörten z.B. die Menschewiki, die Gruppe Martow, die italienische sozialistische Partei)an. Einige unter ihnen suchten sich mit den sozialchauvinistischen Verrätern zu verbünden. Die revolutionäre Bewegung fing also den Kampf gegen den imperialistischen Krieg mittels einer schrittweisen Auseinandersetzung mit diesen Strömungen an und bereitete so die Bedingungen für die unvermeidbare Spaltung innerhalb der sozialistischen Parteien und die Bildung einer neuen Internationalen vor.

Die Konferenz von Zimmerwald

Auf der Tagesordnung stand also, die internationale Umgruppierung der Revolutionäre voranzutreiben. Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurden erste internationalistische Kontakte hergestellt zwischen den verschiedenen internationalistischen Stimmen, die den Sozialpatrioten nicht gefolgt waren. Vor allem in Deutschland wurde der Kampf gegen den Krieg am stärksten vorangetrieben. Liebknecht stimmte als einziger am 2.Dezember 1914 offen gegen die Kriegskredite. Andere Abgeordnete sollten ihm im Jahre 1915 mit der Ablehnung der Kriegskredite im Reichstag folgen. Die Aktivität der Arbeiterklasse gegen den Krieg wurde so durch die Reaktion der Arbeiterparteien ermuntert und erhielt eine Orientierung für die Auseinandersetzung in den Fabriken und bei den Demonstrationen. Die Grauen des Krieges mit den unzähligen Toten, nicht zuletzt in den Grabenkriegen, die Verstümmelung an der Front, die Zunahme der Armut hinter der Front, all das ermöglichte immer mehr Arbeitern die Augen über die Wirklichkeit des Krieges zu öffnen und sie aus dem nationalistischen Getaumel herauszuführen. Ab März 1915 gab es in Deutschland die ersten Demonstrationen gegen den Krieg, die von Frauen getragen wurden, welche zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gesteckt worden waren. Im Oktober 1915 kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten. Im November 1915 demonstrierten ungefähr 15.000 gegen den Krieg in Berlin. Der Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Krieg nahm aber auch in anderen Ländern, so in Österreich, in Großbritannien und in Frankreich zu. Dieses Wiedererstarken des Klassenkampfes, wie auch die Aktivität der Revolutionäre selbst sollte die Voraussetzung dafür liefern, daß unter den schwierigsten Bedingungen Propaganda gegen den Krieg betrieben werden konnte. Vom 5. bis 8. September 1915 konnte so schließlich die Konferenz von Zimmerwald in der Nähe von Bern abgehalten werden, an der sich 37 Delegierte aus 12 europäischen Ländern beteiligten. Diese Konferenz sollte das Symbol des Wiedererwachens des internationalen Proletariats werden, das bis dahin unter dem Kriegstrauma gelitten hatte. Diese Konferenz sollte zu einer entscheidenden Etappe auf dem Weg hin zur russischen Revolution und der Gründung der 3.Internationalen werden. Das von der Konferenz verabschiedete Manifest ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den verschiedenen Tendenzen. Die Zentristen traten zwar für die Beendigung des Krieges ein, aber sie vertraten noch eine pazifistische Auffassung, ohne die Notwendigkeit der Revolution hervorheben. So prallten sie auf's heftigste mit dem linken Flügel zusammen, der von der 'Gruppe Internationale', den Bremer Linken und den Bolschewiki vertreten wurde, die klar die Verbindung zwischen Krieg und Revolution zur zentralen Frage machten. Lenin kritisierte diese pazifistische Ausrichtung und hob die Tatsache hervor, daß der Krieg mit den Methoden der Pazifisten nicht bekämpft werden kann. Diese Kritik bezog sich auch auf das Manifest, bei dem Lenin kritisierte, daß die Forderung nach Frieden nichts Revolutionäres bedeute, sondern daß diese erst dann revolutionär werde, wenn er mit dem Aufruf zur Revolution, dem Kampf gegen die kapitalistische Klasse verbunden wird. Mit anderen Worten die einzige Parole in der imperialistischen Epoche muß sein: Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg. Trotz dieser Schwächen betrachtete die Linke, ohne ihre Kritik aufzugeben, das Manifest als einen Schritt vorwärts hin zum wirklichen Kampf gegen den Opportunismus, hin zum Bruch und zur Spaltung. Aber das Manifest von Zimmerwald sollte eine gewaltige Ausstrahlung in der Arbeiterklasse und unter den Soldaten haben. Mit der Intensivierung der Kämpfe in den verschiedenen Ländern und dem bedingungslosen Kampf des linken Flügels, um eine Klärung innerhalb der Reihen der Zentristen herbeizuführen, sollte die 2.Internationale Konferenz, die im März 1916 in Kienthal stattfand, eine Position einnehmen, die radikaler war und einen klaren Bruch mit den pazifistischen Formulierungen mit sich brachte. Die Intensivierung des Klassenkampfes in Deutschland wie auch in Italien im Jahre 1917, vor allem aber der Ausbruch der Revolution in Rußland, der der erste Schritt hin zur Weltrevolution war, brachte aber auch das Ende der Zimmerwalder Bewegung, die alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hatte. Von nun an war die einzige Perspektive die Schaffung einer neuen Internationalen, die - sich stützend auf die langsame Reifung des revolutionären Bewußtseins sowie auf die Bildung von konsequenten kommunistischen Parteien und in Erwartung des Ausbruchs der Revolution in Deutschland - im März 1919 eineinhalb später gegründet wurde. So hatte ungeachtet ihrer Schwächen die Bewegung von Zimmerwald eine entscheidende Bedeutung in der Geschichte der revolutionären Bewegung: Sie war das Symbol des proletarischen Internationalismus, sie stellte das Banner des Proletariats im Kampf gegen den Krieg und für die Revolution dar. Zimmerwald war insofern so etwas wie eine Brücke zwischen der 2. und der 3. Internationalen.

Die Lehren für heute

Eine der größten Lehren aus Zimmerwald, die gerade in der heutigen Zeit der Zuspitzung der Spannungen und der Verschärfung der imperialistischen Konflikte weiterhin gültig ist, ist die Erkenntnis der Tatsache, daß der Krieg für die Arbeiterklasse eine herausragende Bedeutung hat. Genauso wie der Kampf gegen die Ausbeutung ist der Kampf gegen den Krieg und die Kriegsbestrebungen der Bourgeoisie überhaupt ein integraler Bestandteil des Klassenkampfes. Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, daß der Krieg die Arbeiterklasse immer zum Hauptopfer macht. Der Krieg ist nicht einfach ein Wahnsinn im Kapitalismus. Sondern er ist ein Teil des normalen Funktionierens des Kapitalismus und in der Niedergangsphase ist er gar zu seiner Überlebensform geworden. Die reformistische Illusion eines Kapitalismus ohne Krieg kann für die Arbeiterklasse tödlich sein. Von den unüberwindbaren Widersprüchen in die Enge getrieben, von einer Wirtschaftskrise gepackt, die auf Grund der weltweiten Sättigung der Märkte keine Lösung finden kann, sind die verschiedenen nationalen Fraktionen der Bourgeoisie dazu gezwungen, sich gegenseitig auf das heftigste zu bekämpfen, um ihren Anteil am Kuchen zu haben, um dabei den anderen ihre Teile zu entreißen. Dabei ist der Krieg zu einer zentralen Tätigkeit der Gesellschaft geworden. Im Krieg stehen heute immer mehr die Auseinandersetzungen um strategische Positionen im Vordergrund. Deshalb ist der Glaube, man könne für die Verbesserung der Lebensbedingungen und für den Frieden als solchen eintreten, ohne die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft selbst anzukratzen, ein gefährlicher Trugschluß. Ohne die Perspektive eines massiven politischen revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse gibt es keinen wirklichen Kampf gegen den kapitalistischen Krieg. Der Pazifismus ist eine reaktionäre Ideologie, die dazu benutzt wird, die Unzufriedenheit und die Revolte des Proletariats gegen den Krieg in bestimmte Bahnen zu lenken, damit dessen Widerstand gegen den Krieg verpufft. Wenn die Arbeiterklasse in die Falle der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie läuft und meint, sie müßte mit ihren Ausbeutern eine gemeinsame Front aufbauen, in ein nationales Bündnis eintreten, wird sie nur in eine noch größere Barbarei hineingezogen werden. SB

Aktuelles und Laufendes: 

  • Internationalismus [14]

Historische Ereignisse: 

  • Erster Weltkrieg [15]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Zimmerwalder Bewegung [16]

Rubric: 

Verteidigung des internationalistischen und organisatorischen Erbes

Weltrevolution Nr. 73

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Ken Loachs Film: ‘Land and Freedom’

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Ken Loachs Film: ‘Land and Freedom’

Der Mythos der ‘Spanischen Revolution’

Von 1931 bis 1936 kämpften alle spanischen Arbeiter wie Löwen, aber ihre Kämpfe waren gekennzeichnet von der Niederlage des Weltproletariats. Die 30er Jahre waren eine Zeit des tiefgreifenden Rückflusses des Klassenkampfes weltweit. Es waren die Jahre des weltweiten Sieges der Konterrevolution, besonders in Rußland mit dem Triumph des Stalinismus und seiner Ausrufung des ‘Sozialismus in einem Land’. Die Kämpfe des spanischen Proletariats, so dynamisch sie auch waren, waren geprägt von der tiefen Isolation und Niederlage dieser Zeit. Das spanische Proletariat wurde für die Verteidigung der spanischen Republik mobilisiert und für die Milizen der Volksfront angeworben, um den ‘Faschismus zu bekämpfen’ und ‘die Demokratie zu verteidigen’. Dadurch wurden sie von ihrem Klassenterrain auf das Terrain des Kapitalismus gezerrt.

„Land and Freedom" nimmt das physische Abschlachten der spanischen Arbeiter und den ideologischen Angriff des Antifaschismus gegen die ganze Weltarbeiterklasse und stellt dies dar als die ‘spanische Revolution’. Dieser schreckliche Zeitraum der Niederlage für unsere Klasse wird von K. Loach dargestellt als ein Sieg der Arbeiter und Bauern. Darüberhinaus kann dieser Film nicht die Wahrheit der Niederlage für das spanische Proletariat wiedergeben, denn er ist in die Schablone des Antifaschismus gepreßt. Loach berichtet zum Beispiel nicht von der Niederlage in Barcelona im Mai 1937, als die POUM und die Anarchisten der CNT/FAI die Arbeiter zwangen, die Barrikaden niederzureißen, die gegen die staatliche Repression errichtet worden waren. Im Film wird darauf bloß angespielt, als eine Szene im Kampf um die Telefonzentrale von Barcelona eingeblendet wird. Es wird verschwiegen, daß die POUM bis zu ihrer Unterdrückung vollständig in die arbeiterfeindlichen Manöver eingebunden war durch ihre Beteiligung an der Regierung. Dieser Film verschweigt die Tatsache, daß die Volksfront Streiks für ungesetzlich erklärte und verbot, damit die Rüstungsproduktion und der Krieg reibungslos durchgeführt werden konnten. Er verschweigt weiterhin die Teilnahme der POUM an der Generalmobilmachung durch die Volksfront, d.h. an der kompletten Militarisierung der Gesellschaft durch diese; er verheimlicht die Tatsache, daß der Führer der POUM, Andres Nin, in die Regierung als Justizminister eintrat, daß die Anarchisten sich ebenfalls an der Regierung beteiligten. Des weiteren vertuscht er die Tatsache, daß die POUM und die Anarchisten auf der von der republikanischen Regierung verlangten militärischen Disziplin (Streiks wurden verboten, alles wurde dem Kriegsrecht untergeordnet)) bestanden - all dies im Namen des Kampfes gegen den Faschismus.

1996 jährt sich der Beginn des spanischen Bürgerkriegs zum sechzigsten Mal. Wiedermal wird uns die alte Lüge aufgetischt vom ‘ruhmreichen’ Kampf gegen den Faschismus, von der Glorie der spanischen Kollektive und vor allem die Lüge von der Notwendigkeit, die bürgerliche Demokratie zu verteidigen.

Nachfolgend veröffentlichen wir einen Artikel der Genossen der Italienischen Linken, die in den 30er Jahren die Zeitschrift BILAN herausgaben. In dieser Zeit der Konterrevolution verstanden die Genossen, daß der Krieg ein Ausdruck der Niederlage des spanischen und internationalen Proletariats war. Der Krieg in Spanien stellte einen Auftakt zum 2. Weltkrieg dar. Er wurde erst möglich durch das Treiben der Antifaschisten und der Volksfront. In diesem Artikel hob BILAN hervor, daß es die Aufgabe der Stunde war, keinen Verrat zu begehen und keinen Flügel der Bourgeoisie in diesem Kampf zu unterstützen, d.h. weder die ‘demokratischen’ noch die ‘faschistischen’ Kräfte. Nur so konnte eine internationalistische Position aufrechterhalten werden. Wir unterstützen diese Position und verteidigen sie gegen die Verteidiger des Antifaschismus.

 

 

Ken Loach’s Film „Land and Freedom" war ein Erfolg in ganz Europa. Er spielt im spanischen Bürgerkrieg, welcher in erster Linie eine Periode der Niederlage in der Geschichte der Arbeiterklasse darstellt, und der so gezeigt wird, als wäre er ein Sieg des spanischen und internationalen Proletariats in seinem Kampf gegen den Faschismus. Dies ist die große Lüge des Films.

Artikel von BILAN

Gegen die imperialistische Front und das Massaker an den spanischen Arbeitern

Für die Klassenfront des internationalen Proletariats

Die allgemeine Auffassung, daß heute in Spanien ein blutiger Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat im Gange sei, weit davon entfernt, eine politische Position zu beziehen zugunsten der Verteidigung und des Sieges des Proletariats, könnte derzeit zur schlimmsten Katastrophe und zu einem Massaker an den Arbeitern führen. Um zu einer positiven Einschätzung zu kommen, ist es in erster Linie notwendig zu sehen, ob die Massen auf ihrem eigenen Terrain kämpfen und sich dadurch vorwärts entwickeln, ob sie die Fähigkeit entwickeln, die Angriffe des Klassenfeindes zurückzuschlagen. Im Moment gibt es mehrere Erklärungen der politischen Situation. Folgen wir mal der, die die Volksfront vertritt und zu welcher die Zentristen eine ‘theoretische’ Beschönigung hinzufügten. Demzufolge kämpfen die ‘Dissidenten, die Rebellen, die Faschisten’ gegen die legale Regierung, welche Brot und Freiheit verteidigt’. Die Aufgabe des Proletariats sei deshalb die Verteidigung der fortschrittlichen Bourgeoisie gegen die Kräfte des Feudalismus. Wieder einmal hätten die Arbeiter geholfen, diese feudalen Elemente niederzuschlagen; sie könnten nur vorrücken zur nächsten Stufe ihres Kampfes: zum Kampf für den Sozialismus. In unserer letzten Ausgabe zeigten wir auf, daß - obwohl der spanische Kapitalismus unfähig war, die gleiche soziale Organisationsform zu erreichen, die in anderen europäischen Ländern existiert, die spanische Bourgeoisie an der Macht ist und einzig und allein das spanische Proletariat fähig ist, Spaniens ökonomische und politische Strukturen umzuwälzen.

Die Volksfront hingegen hat sich im Verlauf der Ereignisse nicht als ein Instrument der Arbeiter erwiesen, sondern als eine mächtige Waffe in den Händen der Bourgeoisie, um die Arbeiterklasse zu zerschlagen. Wir rufen nur in Erinnerung, daß unter der Volksfrontregierung die Rechte die Möglichkeit hatte, sich zu organisieren; daß es ihr möglich war, ihre Pläne und Verschwörungen vorzubereiten. (...) Bedeutender als dies ist die Tatsache, daß die Volksfrontregierung zur Demoralisierung der Bauernmassen und zu einer tiefen Feindschaft gegen die Bauern auf Seiten der Arbeiter beitrug, welche sich wieder in einer großen Streikwelle vorwärtsbewegten wie in der von 1931-32, die aber durch den Terror einer Linksregierung, die der heutigen Volksfrontregierung sehr ähnlich sah, erdrückt wurde.

Von Anfang an betrieb die Volksfront eine Politik der Kompromisse mit der Rechten, wie wir zum Beispiel beim Errichten der Barrios-Regierung sehen können. Seither ist nichts Überraschendes mehr an der Tatsache, daß Franco Azana nicht verhaftete, obwohl er am Anfang mit ihm fertig geworden wäre. Der springende Punkt ist, daß die ganze Situation sehr instabil war und obwohl die Kapitalisten für einen Frontalangriff in jeder Stadt waren, waren sie unsicher, ob ihr rechter Flügel fähig wäre, einen vollständigen Sieg zu erringen. Deshalb war die Verhaftung Azanas unmöglich, und es waren tatsächlich die weiteren Aktionen der Volksfront, welcher der kapitalistischen Offensive die größeren Erfolgschancen gaben.

Der Angriff der Rechten stieß zuerst in Barcelona und dann in anderen Arbeiterzentren auf einen Volksaufstand, der - weil er auf proletarischem Klassenterrain stand und mit der bürgerlichen Staatsmaschine in Konflikt geriet - sehr schnell zur Zersetzung der Armee führte. Als sich der Aufstand in den Straßen entfaltete, brach der Klassenkampf in den Regimentern aus und die Soldaten rebellierten gegen ihre Offiziere. An diesem Punkt bewegte sich das Proletariat auf eine intensive politische Bewaffnung zu, welche nur in einer direkten Offensive gegen die Kapitalistenklasse enden konnte; in Richtung der kommunistischen Revolution.

Infolge dieser vehementen und kraftvollen Antwort des Proletariats fühlte der Kapitalismus, daß er seinen ursprünglichen Plan des Frontalangriffs aufgeben mußte. Angesichts der aufständischen Arbeiter, welche ein mächtiges Klassenbewußtsein entwickelten, sah sich die Bourgeoisie gezwungen, sich zu schützen und der Volksfront die Aufgabe zu übertragen, die politischen Aktionen der Arbeiter zu steuern. Die Bewaffnung der Massen wurde nur toleriert innerhalb der Grenzen des ‘vereinigten Kommandos’ mit einer spezifischen kapitalistischen Orientierung. Derzeit ist Caballero dabei, dieses Instrument vom technischen Gesichtspunkt aus auszubauen und zu vervollkommnen. Anfangs waren die Arbeiter materiell schlecht und politisch gut bewaffnet; nachher wurden sie gut ausgerüstet, dafür aber gezwungen, nicht mehr auf ihrem Klassenterrain zu kämpfen. Sie wurden geradewegs auf das gegenteilige Terrain gedrängt, auf das der Bourgeoisie.

Die Volksfront erreichte ihre Ziele schnell in Madrid und weniger leicht in Asturien. Und heute befinden sich die Arbeitermassen im Glauben, daß die bürgerliche Staatsmaschinerie unzerstörbar sei und gut funktionieren müsse, um die Rechte zu schlagen, um die ‘Rebellen’ in ihre Schranken zu weisen. Dies sei die Aufgabe der Stunde.

Das Proletariat hat seine eigenen Waffen niedergelegt und einem Kompromiß mit der Volksfront zugestimmt. Anstelle des proletarischen Kampfes (des einzigen, der Franco’s Regimenter außer Gefecht setzen und das Vertrauen der durch die Rechten terrorisierten Bauern hätte wiederherstellen können) trat ein neuer Kampf, ein spezifisch bürgerlicher, und das Heilige Bündnis wurde erreicht, wodurch das imperialistische Abschlachten beginnen konnte: Stadt gegen Stadt, Region gegen Region in Spanien selber, später Staat gegen Staat im Krieg zwischen zwei Blöcken, dem demokratischen und faschistischen.

Die Tatsache, daß der Weltkrieg noch nicht ausgebrochen ist, heißt noch lange nicht, daß das spanische und internationale Proletariat nicht mobilisiert wurde, um unter den imperialistischen Slogans von Faschismus und Antifaschismus sich abzuschlachten.

Nach der Erfahrung in Italien und Deutschland ist es sehr bedrückend zu sehen, wie politisch entwickelte Arbeiter ihre Analyse auf der Tatsache aufbauen, daß die spanischen Arbeiter bewaffnet sind und dadurch zum Schluß kommen, daß weil die Volksfront diese Armeen anführt, die Bedingungen für den Sieg des Proletariats vorhanden seien. Nein, Azana und Caballero sind wertvolle Verbündete deritalienischen und deutschen Sozialchauvinisten, denn in einer äußerst schwierigen Situation verrieten sie erfolgreich die Arbeiter. Sie haben die Bewaffnung der Arbeiter zugelassen, nur weil dies zugunsten eines Klassenkampfes war - aber nicht dem des Proletariats gegen das spanische und internationale Kapital, sondern dem des Kapitals gegen die Arbeiterklasse in Spanien und weltweit - ein Kampf, der die Form eines imperialistischen Krieges annahm.

In Barcelona war die Wahrheit hinter einer Fassade versteckt. Weil die Bourgeoisie sich zeitweilig von der politischen Bühne zurückgezogen hatte, und weil einige Unternehmen ohne Bosse geführt wurden, kamen einige Leute zum Schluß, daß die politische Macht der Bourgeoisie nicht länger existiere. Aber wenn diese nicht länger existieren würde, würden wir eine andere Macht auftauchen sehen, die des Proletariats. Aber gerade hier ist die tragische Antwort der Ereignisse grausam. Alle existierenden politischen Gruppen und Parteien, gerade die extremste, die CNT, hat offen erklärt, daß nicht von der Zerstörung des kapitalistischen Staates die Rede sein könne, sondern von seiner ‘Benützung’ durch die Arbeiterklasse. Unsere Position zu dieser Frage ist klar: es gibt hier zwei direkt entgegengesetzte Prinzipien, zwei Klassen, zwei Realitäten. Es ist entweder eine Frage der Kollaboration und des Verrates oder des Kampfes. In solch einer extremen Situation greifen auch die Kräfte der Kollaboration zu extremen Methoden. Wenn in einem sozialen Zusammenstoß, wie er in Barcelona ablief, die Arbeiter sich nicht in Richtung Zerstörung des kapitalistischen Staates bewegen, sondern in Richtung Verteidigung desselben, dann hat nicht Klassenkampf, sondern Klassenkollaboration gesiegt. Klassenkampf entwickelt sich nicht durch eine Serie materieller Eroberungen, sondern durch den Ausbruch entschlossener proletarischer Aktionen. Unternehmen zu sozialisieren und dabei den Staat nicht anzutasten, ist ein Glied in der Kette, welche das Proletariat an seinen Klassenfeind fesselt, an die innere und imperialistische Front des Kampfes zwischen Faschismus und Antifaschismus. Während hingegen ein Streikausbruch, der auf einfachsten Klassenforderung basiert, gerade in einer ‘sozialisierten’ Industrie ein Moment im etwaigen Sieg des spanischen und internationalen Proletariats sein kann. Es ist unmöglich, das Proletariat mit der Bourgeoisie zu identifizieren; die gegenwärtige territoriale Front, die Armeen des Heiligen Bündnisses mit einer Klassenarmee auf eine Ebene zu stellen.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Seiten ist grundlegend und keine Detailfrage. Von Anfang an gibt es einen Grundwiderspruch zwischen den Einzelheiten und dem Grundlegenden; dem Heldentum der in die Volksfront eingebundenen Arbeiter und der historischen politischen Funktion der Volksfront. Wie Lenin im April 1917 haben wir der Frage auf den Grund zu gehen, und es ist dies die einzige politische Unterscheidung, die wir machen können. Der Angriff des Kapitals kann nur auf proletarischer Ebene beantwortet werden. Diejenigen, die dieses zentrale Problem ignorieren, stellen sich freiwillig auf die andere Seite der Barrikade. Und in den heftigsten sozialen Eroberungen heißt dies die Arbeiter an die Bourgeoisie zu binden.

Die Arbeiterklasse hat nur eine Waffe: ihren eigenen Klassenkampf. Sie kann nicht siegreich sein, wenn sie in den Fallen des Feindes gefangen ist. Und die gegenwärtige militärische Front stellt für die Klasse nichts anderes dar. Die heldenhaften Verteidiger Iruns sind zur Niederlage verurteilt. Sie kämpfen auf dem kapitalistischen Terrain der Volksfront, welche sie erfolgreich zum Verlassen des proletarischen Klassenterrains zwang und den Armeen Francos auslieferte.

Bewaffneter Kampf als Teil einer imperialistischen Front ist eine Katastrophe für das Proletariat. Die einzige Antwort des Proletariats ist ein bewaffneter Kampf auf seinem eigenen Terrain (...)

In allen Ländern, wo die Bourgeoisie dafür oder dagegen ist, Franco oder die Volksfront mit Waffen zu beliefern, müssen die Arbeiter mit ihren eigenen Klassendemonstrationen antworten, mit Streiks gegen legale Waffenlieferungen, mit Kämpfen gegen jeden Imperialismus. Nur auf diese Weise können sie ihre Solidarität mit dem spanischen Proletariat zum Ausdruck bringen.

BILAN, Nr. 34, August/Sept. 1936

 

 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • "Offizieller" Anarchismus [17]

Historische Ereignisse: 

  • Spanien 1936 [18]

Weltrevolution Nr. 76

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1973-93: Die Gewerkschaften: Spezialisten für die Sabotage der Arbeiterkämpfe

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 Die Arbeiterkämpfe im Mai 1968 in Paris und die Kämpfe im ‘heißen Herbst’ 1969 in Italien, aber auch in Deutschland -Zeichen des historischen Wiedererstarken der Arbeiterklasse- stellten nach 50 Jahren Konterrevolution eine erste Erfahrung in der Konfrontation mit der gewerkschaftlichen Sabotage dar. Von Anfang an wurden die Gewerkschaften wegen ihrer Manöver und ihrer Zusammenarbeit mit der Regierung stark in Frage gestellt. In Frankreich wie in Italien zerrissen Zehntausende Arbeiter ihre Gewerkschaftsmitgliedsausweise. Aber diese vereinzelten Wutausbrüche der Arbeiter 1968/69 waren noch nichts im Vergleich zu der Erfahrung, die die Arbeiter in den Kämpfen der 70er und 80er Jahre im Zusammenstoß mit den Gewerkschaften machen sollten.


1973-75: Wie die Gewerkschaften den Arbeiterkämpfen entgegentraten

Nach der Erfahrung aus dem Mai 68 in Frankreich hatte die Bourgeoisie nur eine Sorge: verhindern, daß sich die Arbeiter in großen Massen auf der Straße zusammenfinden. Die Gewerkschaften sollten dabei das Hauptmittel sein - indem sie die Arbeiter in den Fabriken einzusperren versuchten. Die Fabrikbesetzung der Uhrenwerke in Lip 1973 war beispielhaft für diese Strategie. Die Gewerkschaften schlugen vor, die vom Bankrott bedrohte Fabrik sollte von den Arbeitern übernommen und selbstverwaltet werden. Indem das Beispiel Lip als Sieg verkauft wurde, sollte die Verteidigung des ‘eigenen Betriebes’ als nachzuahmendes Vorbild propagiert werden. Beim Streik der Ford-Arbeiter in Köln im Herbst 1973 taten die Gewerkschaften alles für die Isolierung der Streikenden. Beim Streik der Postbeschäftigten 1974 in Frankreich haben die Gewerkschaften die Arbeiter auf die ‘Verteidigung des öffentlichen Dienstes’ und gegen die ‘Privatisierungen’ einzuschwören versucht. Im Frühjahr 1975 sollten die Beschäftigten bei Renault in einem Streik wiederum für die Verteidigung ‘ihrer Fabrik’ und für die Verstaatlichung mobilisiert werden. Die Beschäftigten wurden jedes Mal von den Gewerkschaften gegeneinander ausgespielt, indem heute hier, morgen dort zum Streik, manchmal auch nur zum Bummelstreik aufgerufen wurde. Oberstes Ziel: verhindern, daß die Beschäftigten gemeinsam zum gleichen Zeitpunkt kämpfen.

Die gleiche Vorgehensweise der Gewerkschaften im August 1975 in Italien bei den Eisenbahnen, wo in den ‘langen Verhandlungen’ eine Produktivitätssteigerung zugunsten des Kapitals durchgesetzt wurde. Der Vorsitzende der Gewerkschaft SFI-CGIL kritisierte gar die Polizei, nichts gegen die Streikenden unternommen zu haben. In Spanien lenkten die Commissiones Obreras und die KP die Streiks in die Sackgasse der Verteidigung der Demokratie gegen das Regime Francos. In Portugal wurden 1974-75 die streikenden Arbeiter immer wieder von der damals an der Regierung befindlichen KP aufgefordert, ihre Kämpfe einzustellen und Opfer zu bringen. Die Transportbeschäftigten bekamen es dann mit der Polizei zu tun. Beim Druckerstreik 1976 in Deutschland auch hier ein Meisterwerk der Isolierung dieses Teils der Arbeiterklasse durch die Gewerkschaften vom Rest der Klasse.

Die Gewerkschaften wollten überall den Arbeitern glauben machen, wenn sie für die linken Parteien bei den Wahlen stimmten, würde die Krise überwunden. Vor allem indem die linken Parteien in einigen Ländern die Regierung übernahmen, wurde der Fortsetzung dieser ersten Welle von Kämpfen ein Ende gesetzt.

Von 1974-1978 flachte der Klassenkampf wieder ab, um dann in einer Reihe von Ländern explosiv auszubrechen.


1978-1979: Die Arbeiter fingen an, die gewerkschaftlichen Zwangsjacken zu sprengen

Die Ankündigung von 20.000 Entlassungen im Stahlbereich wirkte in Frankreich wie eine Bombe. Die Reaktion der Arbeiter im Norden Frankreichs - in Denain und Longwy - kam im Jan. 1979 sofort. Zunächst akzeptierten die Gewerkschaften wie überall die Entlassungspläne. Aber die Arbeiter waren nicht bereit, diese Pläne hinzunehmen. Sie verstanden, daß sie auf die Straße ziehen mußten, um es mit dem Staat aufzunehmen, denn in den Fabriken zu verharren, wäre gewesen, als ob man sich in einem Gefängnis eingeschlossen hätte. Von Anfang an denunzierten die Gewerkschaften die Gewalt der „Provokateure“ und der „unkontrollierten Elemente“. Tatsächlich griffen die kämpferischen Arbeiter Polizeikommissariate an, besetzten Verwaltungssitze, schlossen leitende Angestellte ein. Die Gewerkschaften organisierten Aktionstage nach dem Motto ‘tote Stadt’, schafften es jedoch damit nicht, die Wut der Arbeiter einzudämmen. Am 20.Februar 1979 erklärte ein Verantwortlicher der CGT: ‘Wir fürchten jetzt vor allem, daß die Arbeiter sich selber organisieren und, ohne uns zu fragen, losschlagen, weil sie wissen, daß sie nicht mehr mit unserer Unterstützung rechnen können.’ Gleichzeitig meinte ein Delegierter der CFDT: ‘Die Arbeiter müssen sich austoben können, dafür haben wir eine Reihe von Aktionen vorgesehen.’

Als in Frankreich eine Reihe von Streiks in anderen Bereichen ausbrachen, unternahmen die Gewerkschaften auch hier wieder wie im Mai 68 alles, um die Bewegung zu sabotieren. Bei der Post, den Krankenhäusern und Banken traten sie für die Wiederaufnahme der Arbeit ein; nachdem dies geschafft war, organisierten sie am 23. März 1979 den ‘Marsch auf Paris’. Arbeitsteilig sorgten die CFDT und CGT dafür, daß die Arbeiter davon abgehalten wurden, ihre Solidarität in Paris zum Ausdruck zu bringen. Niemand wußte bis zum Schluß, wann und wo die Stahlkocher in Paris ankommen würden. Bei ihrer Ankunft in Paris sorgte ein Ordnungsdienst der Gewerkschaften und der KP dafür, daß die Demonstration im Sande verlief. Die Route der Demo wurde geändert, um ein Zusammenkommen von Stahlarbeitern und anderen Beschäftigten zu verhindern; schließlich wurde die Demonstration in der größten Zersplitterung aufgelöst. Gewerkschaftliche Ordner und Bereitschaftspolizei wirkten Hand in Hand, um die Arbeiter daran zu hindern, nach der Demonstration zusammenzukommen und Diskussionen abzuhalten.

Die KP und die CGT riefen spalterische und nationalistische Slogans: ‘Retten wir die nationale Unabhängigkeit! Schützen wir uns vor der deutschen Konkurrenz!’ Die Gewerkschaften hatten ihr ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen, um die Arbeiter zu erschöpfen und weichzukneten, damit sie die Sparpläne des Staates akzeptieren.

In diesem zweiten Schub von Kämpfen, die zwischen 1978/79 und 1983 entflammten, gab es überall eine Infragestellung der Gewerkschaften. Überall traten Arbeiter aus den Gewerkschaften aus (insbesondere in Italien, Frankreich und Belgien). In den Betrieben, den Vollversammlungen, den Demos deckten immer mehr Arbeiter den Verrat der Gewerkschaften auf. Deren Führer wurden unzählige Male ausgepfiffen und beschimpft. In den Medien sprach man gar von einer ‘Krise der Gewerkschaften’.

Anfang der 80er Jahre ebbte schließlich diese Kampfwelle ab, nachdem die Arbeiter in Polen eine Niederlage hatten einstecken müssen.

Dabei hatten die Arbeiter in Polen im Sommer 1980 der ganzen Welt die Stärke der Arbeiterklasse gezeigt, daß sie fähig ist, ihre Kämpfe in die Hände zu nehmen, sich selbst in Vollversammlungen (MKS) zu organisieren, den Kampf über alle Fabrikgrenzen hinweg auszudehnen. Dadurch waren die Arbeiter in allen Ländern ermutigt worden. Aber die Errichtung der Gewerkschaft Solidarnosc (wobei die Gewerkschaften aus dem Westen große Schützenhilfe geleistet haben) führte vor allem, nachdem die Arbeiter durch diese neugegründete Gewerkschaft im Dezember 1981 in die Arme der Repression getrieben wurden, zu einer Verwirrung in den Reihen der Arbeiter. Eine relative Ruhepause trat ein, bevor dann 1983 erneut der Klassenkampf sich in Anbetracht der zahlreichen Sparpakete wieder aufheizte. Ab Sommer 1983 gab es spontane Kämpfe, wobei die Reaktion der Arbeiter in Belgien den Auftakt darstellte. Vielerorts gab es spontane Reaktionen der Arbeiter, die sich nicht an die gewerkschaftliche Stillhaltetaktik hielten. Nicht nur war das Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften gewachsen, sondern die Arbeiter verspürten auch ein größeres Selbstvertrauen. Das Beispiel der polnischen Arbeiter vom Sommer 1980 (wo die Arbeiter vor der Schaffung der Gewerkschaft Solidarnosc die Regierung zum Nachgeben gezwungen hatten) hatte angefangen, Schule zu machen.


1983-1988:

Die Bourgeoisie schärft die Waffe der Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse

Von Anfang an stand für viele Arbeiter fest, daß sie nicht mehr isoliert voneinander in den Betrieben kämpfen, sondern diesen Kampf auf die anderen Arbeiter ausdehnen wollten. So stellten im Frühjahr 1986 die Bergarbeiter im belgischen Limburg große Delegationen auf, die sich zu anderen Arbeiterzentren begaben. Insgesamt gab es zwischen 1984-88 in Großbritannien, Schweden, Dänemark, Spanien, Italien, Deutschland usw. Versuche, den Kampf nicht in den Händen der Gewerkschaften zu lassen.

In Anbetracht des Willens der Arbeiter, die Isolierung zu durchbrechen, um geeint dem kapitalistischen Staat entgegenzutreten, mußten anfänglich die Gewerkschaften auf den Zug aufspringen, um ihn wieder kontrollieren zu können und jede Solidarität zu verhindern. Während sie zuvor offen gegen die Kämpfe auftraten und immer von der ‘Notwendigkeit zu verhandeln’ sprachen, nahmen sie nun eine andere Sprache an. Um den Arbeitern Sand in die Augen zu streuen, taten sie so, als ob sie ‘offene Opposition’ betrieben und traten mit einer radikalen Sprache gegenüber der Regierung auf. Sie verstanden es geschickt, die Bestrebungen der Arbeiter zur Vereinigung zu untergraben.

1983 verhinderten sie in Belgien den Zusammenschluß zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich, indem verschiedene Gewerkschaften ‘aufeinanderprallten’, voneinander getrennte Demonstrationen organisiert wurden.

1984: in Großbritannien beharrte die Bergarbeitergewerkschaft (NUM) auf der Ausdehnung der Streiks nur auf die Bergwerke - während es in anderen Branchen brodelte und in der Automobilindustrie und im Stahlbereich schon Streiks gab. Die NUM unternahm alles, um die Arbeiter daran zu hindern, den Kampf selber in die Hand zu nehmen. Insbesondere wurden die Arbeiter von der NUM in sinnlose Konfrontationen mit der Polizei getrieben und in Streikende und Nichtstreikende gespalten. Schließlich versandete der Streik im deprimierendsten Berufsegoismus; anstatt Ausdehnung und Verbindung mit anderen Branchen stand das Geldsammeln im Vordergrund. In einem solchen langen und isolierten Streik kann die Arbeiterklasse nur verlieren. Eine ähnliche Vorgehensweise der IG-Metall 1984, als sie in der Autoindustrie durch ihre ‘Nadelstichtaktik’ verhinderte, daß die Arbeiter wirklichen Druck gegenüber den Kapitalisten entfalteten.

In Anbetracht der steigenden Kampfbereitschaft mußten die Gewerkschaften Mitte der 80er Jahre ihre Sprache weiter radikalisieren. Überall spucken sie große Töne, reden von der Notwendigkeit ‘massiver und vereinter’ Reaktionen der Arbeiter. An vielen Orten werden Aktionen durchgeführt, die dazu dienen, Luft abzulassen, aber vor allem das Image der Gewerkschaften aufpolieren sollen. Aber seitdem die Arbeiterklasse sich mit ihren Kämpfen seit Mai 68 wieder aus der langen Konterrevolution erhoben hatte, war der Verlust der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften während dieser 20 Jahre sehr groß und tiefgreifend gewesen und die Arbeiter drängten immer häufiger auf eigenständige Aktionen.

Die Reaktion der Arbeiter in Duisburg-Rheinhausen im Dez. 1987 war keine Ausnahme, sondern Teil einer internationalen Bewegung der Klasse. Die Lehre aus dem britischen Bergarbeiterstreik aufgreifend, forderten die Beschäftigten bei Krupp nach der Ankündigung der Werksstillegung die Beschäftigten der ganzen Stadt auf, sich ihrem Abwehrkampf anzuschließen. Mehrere Tausend Beschäftigte aus Duisburg schlossen sich anfänglich gegen den Willen der Gewerkschaften den Stahlarbeitern an.

Die herrschende Klasse Europas mußte demgegenüber reagieren. Die Gewerkschaften alleine waren nicht mehr in der Lage, die Arbeiter zu kontrollieren. Die Kräfte der Extremen Linken mußten auf den Plan treten (Trotzkisten und Anarchisten). Das Kapital mußte die Waffe der Basisgewerkschafter einsetzen, es schuf neue ‘Kampfstrukturen’, Koordinationen, deren einzige Funktion darin bestand, scheinbar unabhängig und außerhalb der Gewerkschaften den Kampf in die Hand zu nehmen. Tatsächlich jedoch entfernten sie sich keinen Zentimeter von den Kampfmethoden der Gewerkschaften, sabotierten die Vollversammlungen und verhinderten Versuche der Ausdehnung und des Zusammenschlusses. Der Streik der Eisenbahner Ende 1986 und der der Krankenhausbeschäftigten 1988 in Frankreich sind ein gutes Beispiel dafür.

Als der Ostblock 1989 zusammenbrach, fiel auch diese dritte Welle von Kämpfen, die seit 1983 in Gang war, in sich zusammen. Die Bourgeoisie nutzte sofort den Zusammenbruch des Ostblocks aus, um die Arbeiter ideologisch zu behämmern und leierte eine Kampagne an vom ‘Tod des Kommunismus’. Es gebe keine Gesellschaft außerhalb der kapitalistischen und jeder Kampf gegen den Kapitalismus führe nur zu Terror und Chaos. Durch diese Kampagne wurde die Arbeiterklasse stark verwirrt, ihr Bewußtsein und ihre Kampfbereitschaft angeschlagen.

Ungeachtet all der ideologischen Manipulationen der Bourgeoisie haben die brutale Beschleuni­gung der Krise und die damit einhergehenden kapitalistischen Angriffe der Arbeiterklasse wieder vor Augen geführt, daß sie keine andere Wahl hat als zu kämpfen, daß sie gezwungen ist, den Kampf wieder aufzunehmen. Die mas­sive Reaktion der Arbeiter in Italien gegen den Amato-Plan im Herbst 1992 zeigte, daß die Arbeiterklasse nicht zu Boden geworfen ist. Dabei wurde wieder deutlich, daß in Italien wie anderswo die Arbeiter ständig mit den geschick­testen Verteidigern des Kapitals zusammenpral­len. Wenn sie ihre Interessen konsequent vertei­digen wollen, stoßen sie immer wieder auf die Gewerkschaften und ihren ‘basisgewerkschaftlichen’ Flügel. Dieser ‘radikale’ Flügel sorgt dafür, daß die Arbeiter nicht aus den Gewerkschaften ausbrechen, in ‘alternativen’ und ‘demokratischeren’ Gewerk­schaftsstrukturen festgehalten werden. Um sich gegen die Angriffe des Kapitals zur Wehr zu setzen, um die eigene Perspektive zu entwickeln, muß die Arbeiterklasse die Lehren aus den Kämpfen der letzten 20 Jahren wieder aufgreifen und erneut erkennen, daß sie nur auf ihre eigenen Kräfte bauen kann. Camille


Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die Gewerkschaftsfrage [19]

Der Kampf des Marxismus gegen das Freimaurertum

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Nach dem Ausschluß eines seiner Mitglieder (siehe die Warnung an unsere Leser) hat unsere Organisation die Verantwortung, unseren Lesern die Position der Revolutionäre gegenüber der Infiltrierung der Arbeiterbewegung durch das Freimaurertum in Erinnerung zu rufen.

 

Um die Gründung seines ‘Netzes der Eingeweihten’ innerhalb der IKS zu rechtfertigen, hatte das ehemalige Mitglied JJ insbesondere die Idee verbreitet, derzufolge die Leidenschaft für die Ideologie der Freimaurer und ihrer ‘geheimen Erkenntnisse’ ein besseres Begreifen der Geschichte ermöglichte, indem man über die Grenzen des Marxismus ‘hinausging’. So hatte er behauptet, ‘entdeckt’ zu haben, daß große Revolutionäre wie Marx und Rosa Luxemburg von der freimaurerischen Ideologie geprägt worden seien; er gab gar zu verstehen, daß sie vielleicht auch Freimaurer gewesen waren.

 

Gegenüber diesen schändlichen Verfälschungen, die darauf abzielen, den Marxismus zu entstellen, müssen wir den gnadenlosen Kampf in Erinnerung rufen, der seit mehr als einem Jahrhundert von den Revolutionären gegen das Freimaurertum und seine Geheimgesellschaften geführt wird, und daß die Revolutionäre diese als Instrument im Dienst der bürgerlichen Klasse betrachten.

 

Die I. Internationale und ihr Kampf gegen die Geheimgesellschaften

 

Schon die I. Internationale war die Zielscheibe wütender Angriffe seitens des Okkultismus. Die Anhänger des katholischen Mystizismus der Carbonari und der Mazzinisten waren erklärte Gegner der Internationale. In New York versuchten Anhänger des Okkultismus um Virginia Woodhull den Feminismus in die Internationale einzuführen: ‘freie Liebe’ und ‘parapsychologische Experimente’ in die amerikanische Sektion. In Großbritannien und in Frankreich organisierten freimaurerische Logen des linken Flügels der Bourgeoisie, die von bonapartistischen Agenten unterstützt wurden, eine Reihe von Provokationen, die die Glaubwürdigkeit der Internationale untergraben und zur Verhaftung von Mitgliedern führen sollte. Das zwang den Generalrat, Pyat und seine Anhänger auszuschließen und sie öffentlich zu entblößen. Aber die größte Gefahr ging von der Allianz Bakunins aus, die eine geheime Organisation innerhalb der Organisation war, und mit verschiedenen Graden der ‘Initiierung’ ihrer Mitglieder in die ‘Geheimnisse’ und ihren Manipulationsmethoden (der ‘revolutionäre Katechismus’ Bakunins) genau dem Beispiel der Freimaurer folgten.

 

Das Engagement von Marx und Engels im Kampf gegen diese Angriffe ist gut bekannt. Insbesondere wurden die Aktivitäten von Pyat und seiner bonapartistischen Anhänger, Mazzinis, Woodhulls offengelegt sowie das Komplott der Allianz um Bakunin gegen die Internationale (siehe dazu Internationale Revue Nr. 17). Daß sich Marx und Engels der Bedrohung, die vom Okkultismus ausgeht, voll bewußt waren, zeigt die Resolution über die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Geheimgesellschaften, die Marx selbst vorschlug und vom Generalrat angenommen wurde. In der Londoner-  Konferenz vom September 1871 bestand Marx auf der Tatsache, daß. „dieser Organisationstyp im Widerspruch zu der Entwicklung der proletarischen Bewegung [steht], weil diese Gesellschaften, statt die Arbeiter zu erziehen, sie autoritären und mystischen Gesetzen unterwerfen, die ihre Selbständigkeit behindern und ihr Bewußtsein in eine falsche Richtung lenken.“ (MEW Bd.17, S. 655, 22.Sept. 1871)

 

Die Bourgeoisie versuchte auch die Arbeiterklasse unglaubwürdig zu machen, indem die Medien behaupteten, die Internationale und die Pariser Kommune seien von einer Geheimgesellschaft der Freimaurer gesteuert worden. In einem Interview mit ‘The New York World’, die zu verstehen gab, daß die Arbeiter das Werkzeug einer innerhalb der Pariser Kommune tätigen dreisten Verschwörergruppe seien,  erklärte Marx: „Mein lieber Herr, es gibt gar kein Geheimnis zu lüften, (....) es sei denn das Geheimnis der menschlichen Dummheit bei jenen, die beharrlich die Tatsache ignorieren, daß unsere Assoziation in der Öffentlichkeit wirkt und daß ausführliche Berichte über ihre Tätigkeit veröffentlicht werden für alle, die sie lesen wollen. (....) Dann könnte es genauso eine Verschwörung der Freimaurer gewesen sein, denn ihr individueller Anteil war keineswegs gering. Ich wäre wirklich nicht erstaunt, wenn der Papst ihnen den ganzen Aufstand in die Schuhe schieben würde. Doch versuchen wir, eine andere Erklärung zu finden. Der Aufstand in Paris ist von den Pariser Arbeitern gemacht worden.“ (MEW Bd.17, S.639ff., Interview in ‘The New York World’, 12.08.1871).

 

Der Kampf gegen den Mystizismus in der II. Internationale

 

Nach der Niederlage der Pariser Kommune und der Auflösung der Internationale haben Marx und Engels den Abwehrkampf gegen den freimaurerischen Einfluß in Arbeiterorganisationen in Italien, Spanien oder den USA unterstützt (die Knights of Labour). Die 1889 gegründete II. Internationale war anfangs weniger anfällig für die okkulte Infiltrierung als die I. Internationale. Bei der I. Internationale würde ‘die Weite ihres Programms (es) selbst den Deklassierten erlauben(...), sich einzuschleichen und im Schoße der Assoziation geheime Organisationen zu bilden, deren Tätigkeit sich nicht gegen die Bourgeoisie und die bestehenden Regierungen, sondern gegen die Internationale selbst richten.“ (‘Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiterassoziation’, Bericht über das Treiben Bakunins und der Allianz, Hamburg 1873, MEW Bd.18,  S.331).

 

Während die II. Internationale auf dieser Ebene weniger anfällig war, fingen die esoterischen Angriffe nicht mittels organisierter Infiltrierung an, sondern durch eine ideologische Offensive gegen den Marxismus. Ende des 19. Jahrhunderts brüsteten sich die deutschen und österreichischen Freimaurer, aus den Universitäten und den Wissenschaftskreisen die ‘Geißel des Materialismus’ vertrieben zu haben. Mit dem Aufkommen reformistischer Illusionen und des Opportunismus in der Arbeiterbewegung zu Anfang des Jahrhunderts lieferten diese ‘Wissenschaftler’ Mitteleuropas die Grundlage dafür, daß die Bewegung um Bernstein ‘entdeckte, der Marxismus sei überholt’ worden durch den Idealismus und den neo-kantischen Agnostizismus. Auf dem Hintergrund der Niederlage der Revolution in Rußland 1905 drang die Krankheit der ‘Gotteserbauer’ bis in die Reihen der Bolschewiki vor, von denen sie aber bald ausgemerzt wurde. Die II. Internationale verteidigte den wissenschaftlichen Sozialismus heldenhaft und brillant, ohne jedoch dazu in der Lage zu sein, das Vordringen des Idealismus aufzuhalten, so daß die Freimaurer innerhalb der Arbeiterparteien Anhänger gewinnen konnten. Der berühmte französische Arbeiterführer J. Jaurès verteidigte offen die Ideologie der Freimaurer gegen das, was er die ‘arme und eng materialistische ökonomistische Interpretation des menschlichen Denkens’ des revolutionären Marxisten Franz Mehring nannte. 

 

Gleichzeitig öffnete das Aufblühen des Anarcho-Syndikalismus als Reaktion auf den Reformismus ein neues Betätigungsfeld für die Entfaltung reaktionärer Ideen, die manchmal mystischer Art waren und sich auf die Schriften von Philosophen wie Bergson, Nietzsche (er selbst bezeichnete sich als ‘Philosoph der Esoterik’) oder Sorel beriefen.

 

Das wiederum wirkte auf anarchistische Elemente innerhalb der Internationale wie Hervé in Frankreich oder Mussolini in Italien, die beim Ausbruch des 1. Weltkrieges dem rechten Flügel der Organisationen der Bourgeoisie beitraten.

 

Vergeblich versuchten die Marxisten einen Kampf gegen das Freimaurertum in der französischen Partei zu führen, oder den Mitgliedern der SPD zu verbieten, ein ‘Treuegelöbnis’ gegenüber diesen Organisationen abzulegen. Aber in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg waren sie nicht stark genug, vergleichbare organisatorische Maßnahmen durchzuführen, wie sie  Marx und Engels innerhalb der I. Internationale durchgesetzt hatten.

 

Die III. Internationale gegen das Freimaurertum

 

Die III. Internationale war entschlossen, die organisatorischen Schwächen der II. Internationale, die 1914 zu deren Bankrott geführt hatten, auszumerzen. Deshalb kämpfte die Komintern für den vollständigen Ausschluß der Mitglieder, die sich zur ‘Esoterik’ hingezogen fühlten. Gegenüber der Infiltrierung freimaurerischer Elemente in die französische Kommunistische Partei, die schon auf dem Gründungskongreß der Partei in Tours  aufgetreten war, bekräftigte der 4. Kongreß der Kommunistischen Internationale in seiner ‘Resolution zur französischen Frage’ die Klassenprinzipien folgendermaßen:

 

 „Die Unvereinbarkeit des Freimaurertums mit dem Sozialismus war von der Mehrzahl der Parteien der II. Internationale anerkannt worden (....). Der II. Kongreß der Kommunistischen Internationale hat den Eintrittsbedingungen in die Internationale nur deshalb keinen besonderen Punkt über die Unvereinbarkeit des Kommunismus mit dem Freimaurertum beigefügt, weil dieser Grundsatz bereits seinen Platz in einer besonderen Resolution gefunden hatte, die mit Einstimmigkeit vom Kongreß angenommen worden ist. Die Tatsache, daß auf dem 4. Kongreß der Kommunistische Internationale ans Licht getreten ist, daß eine bedeutende Anzahl französischer Kommunisten den Freimaurerlogen angehören, bildet in den Augen der Internationale den deutlichsten und zugleich beklagenswertesten Beweis dafür, daß unsere französische Partei nicht nur das psychologische Erbe der Epoche des Reformismus, Parlamentarismus und Patriotismus bewahrt hat, sondern auch ganz konkrete, die Spitzen der Partei höchst kompromittierende Beziehungen zu den geheimen politischen und karrieristischen Institutionen der radikalen Bourgeoisie (....).

 

Die Internationale hält es für notwendig, diesen kompromittierenden und demoralisierenden Beziehungen der Spitzen der Kommunistischen Partei zu den politischen Organisationen der Bourgeoisie ein für allemal ein Ende zu machen. Es muß für das französische revolutionäre Proletariat Ehrensache sein, seine gesamten Klassenorganisationen von allen Elementen zu säubern, die gleichzeitig beiden kämpfenden Lagern angehören wollen.

 

Der Kongreß beauftragt das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Frankreichs damit, bis zum 1. Januar 1923 jede Beziehung der Partei in der Person gewisser Mitglieder oder Gruppen zur Freimaurerei zu lösen. Jeder Kommunist, der heute noch zu den Freimaurern gehört und bis zum 1. Januar 1923 seiner Organisation durch Veröffentlichung in der Parteipresse nicht öffentlich erklärt hat, daß er mit dem Freimaurertum vollkommen gebrochen hat, scheidet damit automatisch aus der Kommunistischen Partei aus, ohne das Recht, auch in noch so ferner Zukunft wieder aufgenommen zu werden. Falls jemand seine Zugehörigkeit zum Freimaurertum verheimlicht, muß dies als das Eindringen eines feindlichen Agenten in die Reihen der Partei betrachtet und die betreffende Person vor dem gesamten Proletariat als ehrlos gebrandmarkt werden.“ (‘Beschlüsse zur französischen Frage’, ‘Das Freimaurertum, die Liga der Menschenrechte und die bürgerliche Presse’, Thesen und Resolutionen des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, 5.11. -5.12.1922).

 

Im Namen der Internationale brandmarkte Trotzki die Verbindungen zwischen „Freimaurertum und den Institutionen der Partei, dem Redaktionskomitee und dem Zentralkomitee in Frankreich. Die Menschenrechtsliga und die Freimaurerei sind Instrumente der Bourgeoisie, die das Bewußtsein der Repräsentanten des französischen Proletariats ablenken. Wir erklären einen erbarmungslosen Krieg gegen diese Methoden, denn sie stellen eine geheime und hinterlistige Waffe im Arsenal der Bourgeoisie dar. Wir müssen die Partei von diesen Elementen befreien.“ (Trotzki, ‘Die Stimme der Internationale: Die kommunistische Bewegung in Frankreich’)

 

Ähnlich bezog der Delegierte der KPD auf dem 3.Kongreß der Italienischen Kommunistischen Partei in Rom Stellung, als er sich auf die Thesen zur Taktik der Kommunisten, die von Bordiga und Terracini vorgelegt worden waren, stützte: „Die offenkundige Unvereinbarkeit, gleichzeitig der kommunistischen Partei und einer anderen Partei anzugehören, erstreckt sich außer auf die politischen Parteien auch auf jene Bewegungen, die trotz ihres politischen Charakters, nicht die Bezeichnung und die Organisation der Partei haben, (....), unter diesen vor allem das Freimaurertum.“ (P. Böttcher, ‘Die italienischen Thesen’, Die Internationale, 1922, S.399)

 

Gegenüber dem Aufblühen des Mystizismus und der Verbreitung der okkulten Sekten in der zerfallenden kapitalistischen Gesellschaft müssen sich die Revolutionäre die Lehren aus diesem gnadenlosen Kampf der Marxisten gegen die freimaurerische Ideologie aneignen. Sie müssen die Scham noch beschämender machen, indem sie sie der Öffentlichkeit zugänglich machen, wie Marx meinte, indem sie energisch diese reaktionäre Ideologie entblößen. Genauso wie die Religion, die Marx im letzten Jahrhundert als das ‘Opium für das Volk’ bezeichnete, sind die ideologischen Themen der modernen Freimaurerei ein Gift, das von dem bürgerlichen Staat verbreitet wird, um das Bewußtsein der Arbeiterklasse zu trüben.

 

Die Tatsache, daß die Arbeiterbewegung in der Vergangenheit einen heftigen Kampf gegen den Okkultismus hat führen müssen, ist heute wenig bekannt. Tatsächlich waren die Ideologie und die Methoden der geheimen Infiltrierung durch das Freimaurertum immer eine Speerspitze der Versuche der Bourgeoisie gewesen, die kommunistischen Organisationen von innen her zu zerstören. Wenn sich in der IKS wie bei vielen Organisationen in der Vergangenheit diese Art Ideologie verbreitet hat, ist es unsere Aufgabe und Verantwortung, die Lehren aus diesem Kampf für die Verteidigung des Marxismus dem gesamten proletarischen politischen Milieu mitzuteilen.

 

IKS    26. April 1996

 


 

Weltrevolution Nr. 77

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Ein weltweites Phänomen: Diskussionszirkel in der Arbeiterklasse

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Viele Arbeiter suchen heute nach Mitteln und Wegen, um die Isolation zu durchbrechen und zu einer politischen Klärung zu gelangen. Sie wollen aber nicht einer bürgerlichen Partei beitreten oder sich in einer Gewerkschaft betätigen. Was für Möglichkeiten gibt es da?

Gibt es für Zirkel bestimmte Regeln des Funktionierens?

Der Zirkel in Zürich hatte seine Anfänge gegen Ende der Achtzigerjahre, war jedoch damals eher ein kleiner Kreis von Elementen, welche sich in der Zeit der Zürcher Jugendbewegung 80/81 politisiert hatten und sich nun von den linken, bürgerlichen Ideologien entfernten, als tatsächlich ein bewusster Diskussionszirkel mit einem proletarischen Selbstverständnis. Die Initiative für diese politischen Auseinandersetzungen wurden denn auch vielmehr von einem einzelnen Individuum ausgestrahlt, welches hartnäckig versuchte, anderen Arbeitern die Augen zu öffnen und damit eine wertvolle Arbeit leistete.

Es wäre jedoch absolut falsch, das Entstehen dieses Diskussionskreises als Zufall oder als Produkt eines Individuums zu betrachten. Ganz im Gegenteil war es ein Ausdruck der Ausstrahlung und Kraft, welche die Arbeiterkämpfe Mitte der Achtzigerjahre in allen wichtigen Ländern Westeuropas hatten und einzelne Arbeiter auch in Zürich zum Nachdenken zwangen. Sie hatten gesehen, dass die Arbeiterklasse entgegen all dem linken Geschwätz von "Verbürgerlichung des Proletariates", "Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse" oder gar dem "Verschwinden der Arbeiterklasse" immer noch existierte und mit ihren Kämpfen als einzige Klasse eine Alternative gegenüber der kapitalistischen Barbarei aufzeigte. Auch waren die wiederaufflammenden Klassenkämpfe sofort für einige Elemente, welche den bürgerlichen Charakter der linken Politik zu erkennen begannen, ein politischer Orientierungspunkt geworden. Diese ersten Diskussionen wurden aber vor allem auch durch den Einfluss unserer Organisation vorangetrieben. Das Lesen von "Weltrevolution" sowie die Teilnahme an unseren öffentlichen Diskussionsveranstaltungen ermöglichte einzelnen Teilnehmern dieses unregelmässigen Zirkels, tatsächlich mit ihren bisherigen Auffassungen zu brechen. Dies ist keine "Selbst-Beweihräucherung", sondern eben gerade ein Beispiel der Funktion, welche eine revolutionäre Organisation gegenüber sich politisierenden Arbeitern zu erfüllen hat. Da wir solche Zirkel als einen Ausdruck der Arbeiterklasse betrachten, ist es gerade unsere Pflicht als kommunistische Organisation daran teilzunehmen, um eine klärende Rolle zu spielen, darin politisch zu intervenieren.

Diese erste, eher informelle Phase des Zirkels in Zürich fand jedoch mit dem Zusammenbruch des kapitalistischen Ostblocks 1989 ein Ende. Der Zusammenbruch des Ostblocks hatte in der Arbeiterklasse zwar einerseits einen deutlichen Rückgang der Kämpfe, vor allem aber des Bewusstseins hervorgerufen, denn die Bourgeoisie nutzte die Gunst der Stunde, um mit ihrer Propaganda "der Kommunismus ist tot" einen Grossteil der Arbeiterklasse zu verunsichern. Aber auf der anderen Seite löste der Zusammenbruch des Ostblocks unter vereinzelten Arbeitern auch ein Nachdenken aus. Vor allem aber der Golfkrieg zur Jahreswende 90/91 hat innert kürzester Zeit das wahre Gesicht des Kapitalismus, der sog. "Neuen Weltordnung" entlarvt. So war es kein Zufall, dass auch ein Arbeiterzirkel wieder mit neuen Elementen als Ausdruck des Reifungsprozesses einer kleinen Minderheit innerhalb der Klasse belebt wurde.

Der Zirkel öffnete sich, es trafen sich nicht mehr nur Freunde und alte Bekannte. Man diskutierte einerseits Fragen der Aktualität - z.B. die neue Konstellation der imperialistischen Mächte nach dem Zusammenbruch des Ostblocks -, andererseits Grundsatzpositionen der Arbeiterbewegung wie die Dekadenz des kapitalistischen Systems und ihre Begründung. Der Zirkel traf sich wenn möglich nicht mehr in Privatwohnungen. Man suchte sich gemeinsam den Lesestoff für das nächste Treffen aus. Ein oder zwei Teilnehmer erklärten sich bereit, eine Einführung vorzubereiten. Eine auch nur minimale Vorbereitung auf die Diskussion und eine Strukturierung derselben erleichtern den Einstieg und erlauben es, einer Linie zu folgen und so ein Thema zu vertiefen.

Das bedeutete aber nicht, dass im Zirkel über Monate ein Plan über die Diskussionspunkte festgelegt worden wäre. Vielmehr hiess Offenheit auch Bereitschaft, auf Vorschläge von neuen Teilnehmern einzugehen. Wenn ein neues Thema auf der Zunge brannte, wurde es für die nächste Sitzung traktandiert und entsprechend vorbereitet. Wesentlich war, dass es die Anwesenden interessierte und für die Arbeiterklasse von Belang war.

Die Arbeiterklasse, deren politische Ziele im Gegensatz zu denjenigen der anderen Klassen in der Geschichte nicht von ökonomischen Zwängen blind bestimmt sind, und die fähig ist, die Geschichte durch bewusste Schritte in die eigenen Hände zu nehmen, hat gerade auch über die Frage der eigenen Organisation viele Lehren gezogen. Seien es nun die Lehren zur Frage der Partei 1903 (Lenin, "Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück") oder die der Organisationsform der Räte, welche in der Russischen Revolution 1905 erstmals entstanden sind, um zwei markante Beispiele zu nennen. So war es auch kein Zufall, dass die Frage des eigenen Selbstverständnisses, der Rolle und Funktionsweise eines solchen Zirkels, geklärt werden musste.

Offener Zirkel oder ‘eigene’ Organisation?

Diese Frage tauchte im Zürcher Zirkel natürlich in einer konkreten Form auf: Gibt es Kriterien politischer Übereinstimmung, um teilnehmen zu können? Haben wir als Zirkel wie eine Organisation eine Plattform? Macht ein Zirkel wie eine Organisation in eigenem Namen Flugblätter, um zu Ereignissen wie dem Golfkrieg eine internationalistische Position zu vertreten? Ist das Ziel eines Zirkels die Gründung einer eigenen Organisation?

Um diese Fragen zu beantworten, war es zunächst unerlässlich zu klären, was ein Zirkel eigentlich ist. Ein Zirkel ist keine "eigene" politische Gruppe oder Organisation. Eine politische Organisation des Proletariats ist notwendigerweise ein international ausgerichtetes Gebilde, ein Produkt des historischen Ringens der Arbeiterklasse um programmatische Klarheit. Sie entsteht nicht lokal, sondern knüpft direkt an die politischen und organisatorischen Traditionen der marxistischen Bewegung an. Ein Zirkel hingegen ist ein geographisch und zeitlich eingegrenztes Phänomen: in einem Ort oder in einer Umgebung kommen Elemente zusammen, um die Sache des Proletariats zu diskutieren und zu klären. Was haben diese Elemente gemeinsam? Erstens wohnen sie am selben Ort. Zweitens haben sie sich programmatisch und organisatorisch möglicherweise noch nicht festgelegt; es gibt viele offene Fragen zu klären. Leute, die politische Fragen des Proletariats klären wollen, werden nicht untereinander einer Meinung sein, nur weil sie zufälligerweise in derselben Stadt wohnen. Im Gegensatz zur Bourgeoisie, wo die lokal und national verbundenen Ausbeuter gemeinsame Interessen haben werden, findet der Zusammenschluss und die Klärung im politischen Lager des Proletariats direkt auf Weltebene statt.

Das Proletarische an einem Diskussionszirkel ist nicht ein gemeinsames "lokales" Programm, sondern der gemeinsame Wille zu diskutieren und zu klären. Ein Diskussionskreis ist folglich keine programmatisch festgelegte Gruppe, sondern ein Ort: ein Ort der politischen Klärung.

Ein Zirkel ist auch nicht die Summe seiner Mitglieder oder die Summe ihrer Meinungen. Er ist ein Forum, wo Diskussionen stattfinden können. Die Anzahl und Teilnehmer des Zirkels können fluktuieren. Während manche Teilnehmer jedesmal dabei sind, kommen andere nur unregelmässig. Einige kommen gar nicht mehr, während neue dazustossen.

Die Notwendigkeit solcher Orte politischer Diskussionen, wo suchende Proletarier "vor Ort" hingehen können, ist ein permanentes Bedürfnis der Arbeiterklasse, das in der Geschichte verschiedene Formen angenommen hat. Am Anfang der Arbeiterbewegung bildeten oft Clubs oder Arbeitervereine, ja sogar Cafés und Kneipen in Arbeiterbezirken solche Orte. Später, im Westeuropa der Jahrzehnte vor 1914, waren zumeist die lokalen Sektionen der sozialistischen Massenparteien bzw. teilweise die Gewerkschaften solche Anlaufpunkte. In Rußland entstanden am Ende des vorigen Jahrhunderts, als es noch keine Arbeiterpartei und kaum Gewerkschaften gab, überall Arbeiterzirkel. Sie gingen später (nicht ohne Kampf!: siehe Lenins "Ein Schritt Vorwärts, Zwei Zurück") in den Arbeiterparteien auf.

In der Niedergangsphase des Kapitalismus, seit dem 1.Weltkrieg, nachdem die Gewerkschaften zu Organen des bürgerlichen Staates geworden sind und auch Massenparteien der Arbeiterklasse nicht mehr möglich sind, können solche Strukturen natürlich auch kein Ort der Diskussion für die Arbeiterklasse sein.

Aber das Bedürfnis nach solchen Orten besteht weiter. Vor allem in der Zeit nach 1968, als die Konterrevolution zu Ende ging und das Proletariat kämpferisch und entschlossen die Bühne geschichtlicher Handlungen erneut betrat, sind weltweit Diskussionszirkel in der heutigen Form entstanden. Diese Diskussions- orte müssen unabhängig von der Kontrolle des Staates und seiner linkskapitalistischen Fangarme geschaffen, erkämpft und verteidigt werden. Ein schwieriges Unterfangen, das ohne Klarheit über die eigene Funktion und selten ohne die Unterstützung revolutionärer Organisationen gelingen kann.

Um Orte der Klärung zu sein, und um das Leben des Proletariats ausdrücken zu können, müssen diese Zirkel also für jeden nach Klarheit Suchenden, aber auch für die Intervention aller revolutionären Gruppen offenstehen. Andererseits müssen diese Zirkel Konfusionen über die eigene Rolle bzw. Fallen der herrschende Ideologie umschiffen können, um ihrer Aufgabe treu zu bleiben.

Das Ziel eines Diskussionszirkels ist die politische Klärung der Einzelnen, die daran teilnehmen. Der Diskussionsrahmen ist ein gemeinsamer, was dem kollektiven Wesen der Arbeiterklasse entspricht. Der Weg und die Geschwindigkeit der politischen Klärung sind aber grundsätzlich für jede Person verschieden. Ein Zirkel ist also nicht ein organisatorischer Zusammenschluss, bei dem schon eine bestimmte politische Plattform massgebend wäre. Ein Zirkel ist deshalb nicht stabil oder permanent, sondern ein Moment der politischen Klärung, welcher es den Militanten erlaubt, in einem kollektiven Diskussionsprozess herauszufinden, wo sie politisch stehen gegenüber den großen Fragen proletarischer Politik von heute, sowie gegenüber den bereits existierenden historischen und internationalen Strömungen des marxistischen proletarischen Milieus. So hat unsere Organisation beispielsweise in Mexiko oder eben in der Schweiz durch diese polarisierende politische Arbeit neue Sektionen geschaffen.

Eine programmatische Homogenität kann in einem Zirkel nicht vorausgesetzt werden. Im Gegensatz dazu ist eine politische Organisation auf ein einheitliches Programm angewiesen. Wenn man also Zirkel mit Organisation verwechselt und für einen Zirkel eine politische Plattform fordert, gründet man mit jeder Zirkeldiskussion neue Organisationen.

Nicht die Gründung vieler kleiner, zerstückelter Organisationen ist das Ziel der Arbeiterklasse. Ganz im Gegenteil widerspricht dies dem einheitlichen Charakter des Proletariates, dessen besondere Interessen letztlich identisch mit den allgemeinen Interessen der Menschheit sind. Betrachten wir die politischen Organisationen, welche das Proletariat in seiner Geschichte hervorgebracht hat, so war das Ziel immer eine programmatische und organisatorische Einheit. Die Erste, die Zweite und die Dritte Internationale waren vor ihrem jeweiligen Zusammenbruch oder ihrer Degenerierung nur der reifste und klarste Ausdruck dieses einheitlichen Charakters der Arbeiterklasse und dafür, wie er sich auf organisatorischer Ebene manifestierte. Sie zeigen aber gerade auch für die Frage nach der Perspektive eines Zirkels am deutlichsten auf, dass die Gründung einer eigenen Kapelle dem Wesen des Proletariates entgegensteht.

Politische Intervention als Zirkel?

Mehrfach entstand auch aus dem Zirkel in Zürich die Initiative für eine politische Intervention mittels Flugblättern, so zum Beispiel zur Zeit des Golfkrieges. Auch eine öffentliche Veranstaltung über die Deutsche Revolution, zu der offen mobilisiert wurde, fand statt. Diese Initiative drückte im Kern eine richtige Sorge aus: Die Einsicht, dass es falsch ist, sich als politisierter Arbeiter in eine abgeschottete Diskussion zurückzuziehen und keine Verantwortung gegenüber der Arbeiterklasse als ganzes wahrzunehmen. Jedoch kann der Zirkel nicht als solcher und in seinem eigenen Namen intervenieren, weil er kein geschlossenes und homogenes Gebilde darstellt. Wohl können einzelne Mitglieder eines Zirkels in ihrem eigenen Namen intervenieren, vor allem aber können sie auch aktiv werden, um die Intervention einer revolutionären Organisation zu unterstützen, die allein über die notwendige Klarheit und die nötigen Mittel verfügt, diese Intervention durchzuführen.

Lesekreis oder Mittel zur Entwicklung des Klassenbewusstseins?

Es ist auch absolut falsch, aus einem Zirkel einen abgeschotteten Lesekreis zu bilden, der sich zurückzieht, um Bücher zu studieren. Dies, weil es nicht die Aufgabe von Arbeitern ist, sich wie an Universitäten auf das akademische Studium der Geschichte oder Ökonomie des Kapitalismus zu beschränken oder aus den Erfahrungen der Klassenkämpfe des Proletariates eine sterile, höchstens für die Bourgeoisie nützliche Wissenschaft zu machen, sondern sich auch mit der gegenwärtigen Situation, mit den Angriffen gegen das Proletariat auseinanderzusetzen, um darauf eine Antwort zu finden. Wie schon Marx richtig sagte: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern" (11. These über Feuerbach). Jeder sich politisierende Arbeiter hat auch mit die Aufgabe, seinen Klassengenossen gegenüber aktiv seine politischen Positionen zu verteidigen, um so einen Beitrag zur Entwicklung des Bewusstseins im Proletariat zu leisten.

Selbstverständlich ist es in einem Zirkel absolut notwendig, ökonomische Fragen genau zu klären oder einzelne Zeitabschnitte wie beispielsweise die weltrevolutionäre Welle von 1917-1923 vertieft zu diskutieren. Aus diesem Bedürfnis zur Vertiefung entstand jedoch in Zürich der falsche Vorschlag, die Diskussionen zu trennen, sozusagen parallel einen ‘Ökonomie-Zirkel’ zu eröffnen. Wir verwerfen eine solche Trennung der Diskussionen. Einerseits aus den oben angeführten Gründen des einheitlichen Charakters der Arbeiterklasse und der sich daraus ergebenden Schlussfolgerung, auch möglichst einheitliche Klärungsprozesse zu führen. Ein anderer Grund ist aber auch die Methode, wie politische Fragen im Proletariat geklärt werden. Die Arbeiterklasse kennt keine idealistischen Motive, um den Kapitalismus in Frage zu stellen. Auch hier bringt es der Ausdruck von Marx, „die Krise ist der beste Verbündete der Arbeiterklasse", auf den Punkt: Es sind die tagtäglichen Konfrontationen mit der Realität im Kapitalismus, die täglichen Angriffe auf das Proletariat, welche es dazu treiben, sein Bewusstsein zu entwickeln und so eine revolutionäre Perspektive zu suchen. So ist es auch richtig, immer wieder ausgehend von konkreten Ereignissen, mit denen das Proletariat konfrontiert ist, in die Tiefe zu gehen, seien es nun ökonomische Fragen oder bestimmte historische Abschnitte, um daraus eine Antwort auf die Aktualität zu finden. Verschiedene Diskussionen in einem Zirkel getrennt voneinander zu führen, in dem Glauben, das erlaube eine genauere Klärung, ist nicht nur eine Illusion, sondern bewirkt genau das Gegenteil. Die dialektische Methode besteht darin, die Aktualität und die Vertiefung als eine Einheit wahrzunehmen, die Verbindung zwischen den beiden Seiten herzustellen. Diese Einheit aufzulösen führt zu Konfusionen und raubt den Arbeitern das Instrument, in der heutigen Situation eine Antwort zu finden.

Offenheit gegenüber neuen Teilnehmern

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Offenheit eines Zirkels. Orte, an denen Arbeiter ihre politischen Fragen diskutieren, müssen jedem offen stehen, es sei denn, er sei ein direkter Vertreter der herrschenden Klasse oder mit der Absicht gekommen, diesen Klärungsprozess bewusst zu sabotieren, beispielsweise im Auftrag des bürgerlichen Staatsapparates. Im Gegenteil sind neu hinzukommende Elemente immer eine Bereicherung. In diesem Rahmen stellte sich gerade in Zürich auch immer wieder die Frage, ob es gewisse Kriterien gebe, um an diesen Diskussionen teilzunehmen. Ob ein gewisses Mass an ‘marxistischer Schulung’ nötig sei, ob man an jeder Diskussion teilnehmen müsse oder ob die Beteiligung an politischen Aktivitäten, welche von den proletarischen Positionen, an denen sich der Diskussionszirkel orientiert, abweichen, absolut unvereinbar sei für die Teilnahme eines Individuums am Zirkel. Wir als IKS sagen auch hier klar nein, da solche Auffassungen nur eine Variante des schon von Lenin scharf verworfenen Zirkelgeistes sind.

Mit bürgerlichen Auffassungen zu brechen ist oft ein langer Weg, ein Prozess, der Zeit braucht, Schwankungen beinhaltet oder Rückschritte aufweist. Meist geschieht dies bei den einzelnen Teilnehmern eines Zirkels auch in einem unterschiedlichen Tempo oder es stehen für jeden unterschiedliche politische Fragen im Vordergrund. Kriterien wie die oben erwähnten für die Teilnahme an solchen Diskussionen zu fordern, würde sofort die Funktion eines Zirkels in Frage stellen. Es würde einem Teilnehmer, der beginnt, sich politische Fragen zu stellen, eines dieser Kriterien aber nicht erfüllt, sofort Hindernisse in den Weg legen und ihn von einer weiteren politischen Klärung ausschliessen.

Gleichzeitig ist es unfruchtbar und letztlich tödlich, wenn sich ein Zirkel gegenüber den Gruppen des revolutionären Milieus verschliesst. Die Intervention der IKS im Zürcher Zirkel hat in verschiedenster Hinsicht polarisierend und klärend gewirkt. Auch andere revolutionäre Organisationen sollen eingeladen werden. (Allerdings hat dieser Zirkel auch erfahren müssen, dass nicht alle Gruppen im Milieu zu Interventionen in einem Zirkel bereit sind.)

Genauso wie der kleinbürgerliche "Zirkelgeist" mit seinem informellen, verschwörerischen und sektenhaften Charakter innerhalb einer proletarischen Organisation absolut schädlich ist, widerspricht er auch einem Diskussionszirkel der Arbeiterklasse.

Konkret sollen daher Teilnahme und Thema offen sein, ein Zirkel nicht die Form eines geschlossenen Studierclubs annehmen. So ist es auch falsch, sich in einem privaten Rahmen, bei einzelnen Teilnehmern Zuhause zu treffen, sondern ein Zirkel soll einen öffentlichen Tagungsort haben.

In einem weiteren Artikel werden wir auf die Sabotage der Zirkelarbeit durch das parasitäre Milieu eingehen. 14.7.96 V

 

 

 

 

Ein Weg ist derjenige, den in Zürich nun über Jahre hinweg verschiedene Arbeiter und andere nach Klärung strebende Elemente in wechselnder Zusammensetzung beschritten haben: die Teilnahme an einem Diskussionszirkel. Wir berichten in diesem Artikel über die bisherigen Erfahrungen dieses Zirkels, die ermutigend sind. Gleichzeitig erlaubt eine solche Zwischenbilanz, auf Gefahren hinzuweisen, die einem Zirkel drohen. Wir weisen vor allem deshalb auf dieses Beispiel hin, weil wir wissen, dass es an anderen Orten auf der Welt ebenfalls solche Diskussionszirkel gibt, die vor ähnlichen Aufgaben und Problemen stehen.

Ein Zirkel ist ein offenes, nicht permanent bestehendes Zusammenkommen von Arbeitern, welche ihre politischen Fragen diskutieren und klären wollen. Orte, welche sich das Proletariat vor allem in Zeiten, in denen keine Partei oder Arbeiterräte bestehen, selbst schafft, um sein Bewusstsein voranzutreiben. Als revolutionäre Organisation begrüssen wir das Entstehen solcher Zirkel, wir betrachten sie als konkreten Ausdruck eines Reifeprozesses innerhalb der Arbeiterklasse. Sie drücken das Bewusstsein des Proletariates aus, die heutige Krise, den Bankrott des Kapitalismus nicht einfach so hinzunehmen, den Angriffen des Kapitals nicht wehrlos gegenüberzustehen, sondern nach Wegen zu suchen, wie sich die Arbeiter dagegen wehren und eine revolutionäre Perspektive entwickeln können.

Ein weltweites Phänomen: Diskussionszirkel in der Arbeiterklasse

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [20]

Weltrevolution Nr. 78

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Weltrevolution Nr. 79

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Auslöschung der Juden im 2. Weltkrieg: Ob demokratisch oder faschistisch - alle Staaten sind für die Massaker verantwortlich

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In früheren Ausgaben von Weltrevolution haben wir schon gegen die Pressekampagne in den großen Tageszeitungen in Frankreich reagiert, die von der Gefahr einer ‘Leugnung der Massaker’ (Negationisten) durch die Linken sprechen. Die Wurzeln dieser Gefahr lägen in den Positionen der Kommunistischen Linken begründet. Diese Medieninszenierung, die sich auf tatsächliche Leugnungen einer Handvoll sog. ‘’Links-Intellektueller’ Anfang der 80er Jahre stützt, greift durch heimtückische Anspielungen eine Reihe von Texten und Persönlichkeiten der Kommunistischen Linken an. So wurden in verschiedenen Presseorganen von Le Monde über Le Figaro bis Libération nacheinander Texte aus den 30er Jahren zum Spanienkrieg, die die Zeitschrift ‘BILAN’ veröffentlicht hatte, und auf die sich unsere Strömung beruft, die Broschüre ‘Auschwitz oder das große Alibi’, die 1960 von der IKP (‘Le Prolétaire’) herausgegeben wurde, infragegestellt wie auch schließlich die Person Bordigas, der der Anführer der Italienischen Linken in den 20er Jahren war und nach dem Krieg die sog. ‘bordigistische Strömung’ leitete, auf die sich dieselbe IKP (1) beruft.

Nicht nur haben die Gruppen, die sich auf die Kommunistische Linke berufen, nie die Wirklichkeit der Auslöschung der Juden während des Krieges geleugnet, sondern sie haben das ganze Ausmaß der Barbarei entblößt, wobei sie die mörderische Logik des kapitalistischen Nazistaates UND die Komplizenschaft und Verantwortung der demokratischen Staaten aufgezeigt haben. Die bestellten Schreiberlinge, die die Broschüre der Internationalen kommunistischen Partei (IKP) ‘

Auschwitz oder das große Alibi’ als ‘Grundlagentext des linken Negationismus’ darstellen, versuchen in Wirklichkeit, den marxistischen Standpunkt zu diskreditieren. Der Marxismus stellt nicht nur die Barbarei der Nazis in den Rahmen der ganzen Barbarei und des schrecklichen Blutbades des imperialistischen Weltkriegs, sondern er entblößt auch die Art und Weise, wie die KZ’s und ihre Greueltaten seit 1945 als Alibi für die Verbrechen der großen ‘zivilisierten’, ‘demokratischen’ Staaten gedient haben. Der Marxismus zeigt auf, wie die Verbrechen der Nazis den Alliierten als Feigenblatt ihrer eigenen Verbrechen und zur nachträglichen Rechtfertigung des 2. Weltkriegs dienten

Die Verantwortung der ‘Alliierten’ bei der Auslöschung der Juden

Wenn die herrschende Ideologie sich so sehr darum bemüht, aus dem Holocaust ein unerklärliches Verbrechen zu machen, oder nur erklärbar durch metaphysische Überlegungen über die ‘teuflischen Umtriebe der menschlichen Natur’, der man nur den guten Willen der Menschen gegenüberstellen könne, soll damit der Kapitalismus von all der Verantwortung weißgewaschen werden, die er bei der organisierten Auslöschung von Millionen von Menschenleben trägt. Dann soll damit besser übertüncht werden, daß die Entfesselung des Rassismus, des Fremdenhasses oder der Judenhetze _-die Juden müssen als Repräsentanten des ‘heimatlosen’ Flüchtlings herhalten- ihre Wurzeln in der nationalistischen Ideologie hat, die die bürgerliche Klasse von ihrem Wesen her prägt. Auch soll das grundsätzlich nationalistische Wesen des Kapitals verdeckt werden, egal in welcher Staatsform es auftritt - ob ‘totalitär’ oder ‘demokratisch’.

Für das deutsche Kapital der 30er Jahre war der Rückgriff auf den Nazismus der einzige Ausweg, um sich über Wasser zu halten; der Antisemitismus war nicht nur die ideale völkische Ideologie, die Hitler die soziale Grundlage und die Schlägertrupps aus den Reihen des durch die Krise ruinierten und verzweifelten Kleinbürgertums lieferte. Den Juden die Sündenbockrolle für die Krise und Schwächung Deutschlands durch den Versailler Vertrag zuzuschreiben, diente zunächst dazu, indem sie enteignet wurden, Mittel für die Kriegsvorbereitungen des deutschen Imperialismus aufzutreiben. Ihre massive Deportation in die Arbeitslager diente schließlich dem deutschen Kapital dazu, daß diese Masse von Arbeitskräften sich zu Tode schuftete, wodurch so ein Teil der Überbevölkerung aus der Welt geschafft wurde, den nicht nur die Nazis nicht mehr wollten, sondern mit dem auch kein einziger anderer Staat etwas zu tun haben wollte.

Die massive Ausrottung als ein Mittel der Reduzierung der überflüssigen Bevölkerung richtete sich aber nicht nur gegen die Juden. Unzählige Zigeuner erlitten das gleiche Schicksal und vor ihnen Tausende von geistig Kranken aus den psychiatrischen Anstalten. Man erschoß sie zunächst; dann aber um Munition zu sparen, vergaste man die Schwächsten und die Kranken unter den Deportierten, denn man konnte ja keinen Profit mehr aus ihnen erzielen.

Die ersten militärischen Schwierigkeiten des deutschen Imperialismus sollten die systematische Ausrottungspolitik beschleunigen. Bevor die ersten Gaskammern eingerichtet wurden, wurden große Bevölkerungsteile in den besetzten Gebieten wild drauf los ermordet. In der Ukraine brauchte die Wehrmacht 1941 Lebensmittel. Um Hungerunruhen zu vermeiden, denn die Bevölkerung konnte mit verfolgen, wie Lebensmittel beschlagnahmt und rationiert wurden, beschloß der Generalstab der Wehrmacht, die Bevölkerung dieser Kornkammer durch die ‘wirtschaftlichste’ Art zu dezimieren: Gefangene wurden in LKW’s eingesperrt, die Auspuffrohre wurden ins Innere der LKW’s geleitet. Dies waren die ersten ‘Gaskammern’.

Immer mehr solcher Gaskammern wurden vom Ende des Jahres 1941 an eingerichtet, denn von diesem Zeitpunkt an erschien es der deutschen Bourgeoisie unmöglich, die ‘ungewollte Bevölkerung’ an andere kriegsführende Länder loszuwerden, denn deren Grenzen waren bewacht und verschlossen. Die Kriegslogik trieb die Nazis dazu, von der Ausweisung und Vertreibung zur Auslöschung überzugehen. Die durch den Krieg aufgezwungenen Bedingungen, die geschlossenen Grenzen und vor allem die Weigerung aller kriegsführenden Länder der beiden Seiten, sich die Flüchtlinge aufzuhalsen, bewirkte, daß diese elendige Bevölkerungsgruppe zur industriellen Ausrottung in den KZ’s verurteilt wurde.

Zu erklären, man sei erschrocken und entsetzt über das Wüten der Nazis und die Krokodilstränen der Staaten des ‘demokratischen Lagers’, die 1945 als die ‘Befreier’ der KZ’s aufgetreten sind, wäscht aber diese Staaten noch nicht weiß. Sie waren Komplizen und trugen ihre Verantwortung bei den organisierten Massakern.

Mehrfach versuchte Deutschland im Krieg die Juden an die Alliierten gegen Geld loszuwerden. Dies zeigten unter anderem die Bestrebungen von Joel Brandt, der in der Broschüre ‘Ausschwitz oder das große Alibi’ zitiert wird. J. Brandt wurde von den Nazis beauftragt, den Alliierten einen Handel vorzuschlagen: der Tausch von einer Millionen Juden, die in KZ’s einsaßen, gegen 10.000 LKW. Bei der britischen Regierung stieß er auf kategorische Ablehnung, denn sie wollte sich diese Flüchtlingsmasse nicht auf den Hals laden, deren ‘Beförderung die Kriegsmaschine beeinträchtigen’ würde. Selbst als die Nazis als Bürgschaft vorschlugen, sofort 100.000 Juden gegen überhaupt keine Gegenleistung auszuhändigen, die gleiche Weigerung.

Die amerikanische Regierung weigerte sich ebenfalls, Schiffe zu schicken, um die Juden in Europa abzuholen, weil ‘dadurch die Kriegsbemühungen geschwächt’ würden. Die Luftwaffe der Alliierten, die jederzeit bereit war, die Industriezentren und militärischen Kriegsziele in Deutschland zu bombardieren, versuchte nie, die Deportationsnetze der Nazis zu zerschlagen, z. B. durch die Bombardierung der Anfahrwege zu den KZ’s, obwohl sie sehr genau über deren Existenz und die Örtlichkeiten Bescheid wußten.

Als schließlich bei der ‘Befreiung’ das Wüten der Nazis vor aller Augen sichtbar wurde, diente dies im nachhinein dem ‘demokratischen Lager’ (2) als großes Alibi. Im Krieg hatte die Propaganda der Alliierten peinlich darauf geachtet, daß die zahlreichen Zeugenaussagen über das Schicksal der Juden in den KZ’s nicht zu sehr publik wurden.

Die Kommunistische Linke gegenüber dem Faschismus und dem Antifaschismus

Wer die Werke Amadeo Bordigas ein wenig kennt und die Positionen der Kommunistischen Linken im allgemeinen, sowohl hinsichtlich des Wesens des Faschismus und des 2. Weltkriegs und der damit verbundenen Barbarei, für den ist klar, daß die Beschuldigung, daß diese die ‘Vorfahren des Negationismus’ seien und der extremen Rechten ‘heimlichen zustimmten’ (weil sich ja die ‘Extreme aufeinanderzubewegen’) eine ungeheuerliche Verleumdung ist. Aber das ist keine ‘unschuldige’ Verleumdung, sondern ein Teil eines sehr wohl genau ausgerichteten und abgestimmten Angriffs gegen die Arbeiterklasse, gegen ihre geschichtlichen Traditionen und gegen die Organisationen des gegenwärtigen proletarischen politischen Milieus.

Wenn die bürgerliche Propaganda den Linkskommunismus der ‘heimlichen Zustimmung’ zum Faschismus bezichtigt, dann verwirft sie in Wirklichkeit die Art und Weise, wie der Marxismus das Wesen des Faschismus und die Gründe für sein Aufblühen zwischen den beiden Weltkriegen erklärt. Vor allem wollen sie dieses marxistische Verständnis verleumden, so wie es zunächst von Amadeo Bordiga in der Kommunistischen Internationalen seit Beginn der 20er Jahre verteidigt wurde.

Die offizielle Geschichtsschreibung, so wie sie von den Rechten und der Extremen Linken einstimmig geteilt wird, stellt den Faschismus als eine Art Verirrung der Geschichte dar, als den Ausdruck dunkler Kräfte oder von besonders reaktionären Teilen der Gesellschaft, die die Macht trotz und gegen den Willen der Bourgeoisie oder der ‘fortschrittlichsten Teile’ derselben an sich gerissen hätten. Im Gegensatz zu dieser Darstellung, in der die herrschende Klasse den Kapitalismus und den Faschismus als zwei feindliche Pole und den ‘Kampf’ zwischen Demokratie und Faschismus als Dreh- und Angelpunkt der Geschichte des 20. Jahrhunderts darstellt, ist es die Tradition der Kommunistischen Linken gewesen, diesem die marxistische Auffassung entgegenzuhalten. Dieser zufolge ist der Faschismus eine besonders ausgeprägte Form der Herrschaft des Kapitalismus im Zeitalter seiner Dekadenz.

Die Kommunistische Linke hat gezeigt, wie die industrielle Großbourgeoisie in Deutschland und Italien die Stärkung und schließlich die Machtergreifung durch die faschistischen Strömungen gefördert hat, zunächst weil die faschistische Herrschaftsform dazu in der Lage war, die Konzentration und Zentralisierung des Kapitals in den Händen des Kapitals schnell zu beschleunigen, schließlich den Aufbau einer Kriegswirtschaft voranzutreiben und die internen Konflikte innerhalb der Bourgeoisie zum Schweigen zu bringen. Zweitens weil die Niederlage der Arbeiterklasse, die nach dem Scheitern der revolutionären Welle von 1917-23 am Boden lag, die Aufrechterhaltung des ‘demokratischen und parlamentarischen Krimskrams’ überflüssig machte. Denn im Zeitalter der Dekadenz des Kapitalismus waren diese zu leeren Hülsen geworden, die nur noch als Aushängeschilder für die Diktatur der Bourgeoisie dienten.

Wenn die von der herrschenden Klassebesoldeten Ankläger uns ‘erklären’, daß der ‘Antikapitalismus, dann der Antifaschismus’ [dazu führen], daß man die gleiche Wellenlänge entwickelt wie ein Robert Faurisson, ein erwiesener Revisionist, der mit den Neonazis flirtet,’ versuchen sie damit nur auf’s Neue die Tradition der Kommunistischen Linken zu verleumden und mit ihr die Gruppen, die sich gegen den ‘antifaschistischen Kampf’ und gegen die ‘Verteidigung der Demokratie’ ausgesprochen haben. Damit soll die Arbeiterklasse entwaffnet und von ihrem Klassenterrain abgebracht werden.

Die gleiche alte stalinistische Leier, die immer wieder aufgetischt wird, wenn es darum geht, die Revolutionäre oder gegen die kapitalistische Ausbeutung streikende Arbeiter zu beschuldigen, ‘das Spiel des Faschismus’ zu betreiben.

Die ‘Revisionisten’ sind nicht das, was man glauben soll. Die demokratische Bourgeoisie und ihr linker Flügel wollen vergessen machen, was die Geschichte dieses Jahrhunderts Dutzende Male gezeigt hat: Die ‘antifaschistischen Einheitsfronten’, für die die Arbeiter aufgerufen wurden und deren Aufgabe es war, die Arbeiter dazu zu bringen, auf ihren Klassenkampf gegen den Kapitalismus zu verzichten, haben niemals das Emporkommen des Faschismus verhindert. Der Aufstieg des Faschismus war in den 30er Jahren deshalb möglich, weil die Arbeiterklasse vorher sowohl politisch wie auch physisch niedergeschlagen und entwaffnet worden war. Dies geschah aber nicht nur durch die faschistischen Banden, sondern durch die gleichen demokratischen und sozialdemokratischen Kräfte, die sich als Anhänger der ‘antifaschistischen Front’ ausgaben. Noch nie hat die Bourgeoisie zum Mittel des Faschismus gegriffen, wenn sie es mit einer Arbeiterklasse zu tun hatte, die auf ihrem Klassenterrain mobilisiert war.

Die deutsche Bourgeoisie übertrug Hitler erst die Macht, nachdem sie sichergestellt hatte, daß die Bedrohung, die von der Arbeiterklasse hätte ausgehen können, aus der Welt geschafft war. Diese Drecksarbeit hatten die ‘Bluthunde’ (so bezeichnete sich der Sozialdemokrat Noske selber) der Arbeiterklasse - Noske und Scheidemann - übernommen.

In Italien waren es die legalen Kräfte der parlamentarischen Demokratie, die die Welle von Arbeiterkämpfen im Jahre 1920 niederschlugen, während die Gewerkschaften dafür sorgten, daß die Arbeiter in den Fabriken eingesperrt blieben. Die Milizen Mussolinis griffen erst später ein, um die Niederlage abzuschließen (dabei erhielten Mussolinis Anhänger Unterstützung von den legalen Kräften der Regierung).

Auf dem Hintergrund und gegen den Widerstand der vorherrschenden antifaschistischen und kriegstreibenden Ideologie hatte in Spanien die Handvoll von Militanten um die Zeitschrift BILAN aufgedeckt (BILAN ist jetzt auch Zielscheibe der gegenwärtigen Verleumdungskampagne). In Spanien entwaffnete die ‘Volksfront’ die Arbeiter; drängte sie von ihrem Klassenterrain weg, um sie für die Verteidigung der Republik einzuspannen und ins imperialistische Massaker gegen Franco zu schicken.

Gegenüber dem imperialistischen Krieg: Internationalistische Unnachgiebigkeit der Kommunistischen Linken

Aber die gegenwärtige Verleumdungskampagne gegen die Kommunistische Linke richtet sich im Wesentlichen gegen ihr Hauptprinzip, das sie zum einzigen Erben von Marx und Lenin macht gegenüber dem wiederholten Verrat der Sozialistischen, Sozialdemokratischen und Kommunistischen Parteien und trotzkistischen Gruppierungen: die Verteidigung einer entschlossen internationalistischen Position gegenüber dem 2. Weltkrieg. Deshalb ist es nicht überraschend, daß die Bourgeoisie die Strömung zu verleumden sucht, die die Tradition von Lenin und Rosa Luxemburg aus dem 1. Weltkrieg laut und deutlich und auch auf die Gefahr hin aufrechterhalten hat, daß ihre Militanten inmitten des chauvinistischen und militaristischen Hasses ihr Leben verlieren: die Denunzierung des Weltkrieges als eines imperialistischen Kriegeses, die Denunzierung der antifaschistischen Ideologie als eines Alibis für die Mobilisierung der Arbeiterklasse zum weltweiten Abschlachten, die Verwerfung der nationalen Einheit, das Eintreten für den Arbeiterkampf auf seinem Klassenterrain gegen den Kapitalismus und die Kriegsspirale, den Aufruf zur Verbrüderung der Arbeiter in Uniform.

Es ist kein Zufall, wenn die gegenwärtige Kampagne nicht nur von den Schreiberlingen in ‘Le Monde’ und ‘Libération’ aufgegriffen wird, sondern besonders vehement unterstützt wird von der trotzkistischen Wochenzeitung ‘Rouge’. Vor 50 Jahren haben diese Leute schon die Prinzipien des proletarischen Internationalismus verraten und sind ins Lager der Bourgeoisie übergewechselt, als sie sich selbst am 2. Weltkrieg beteiligten und dazu im Namen der Verteidigung der Demokratie gegen den Faschismus aufriefen.

So wie die Bourgeoisie versucht, die Lehren der Arbeiterklasse aus ihren Kämpfen und ihre theoretischen Errungenschaften auszulöschen, versucht die herrschende Klasse heute die wenigen Organisationen, welche diese Lehren weiter verteidigen, zu diskreditieren und mit allen Mitteln zu zerstören. PE

(

(2) Insbesondere hat die Verurteilung der Schreckensherrschaft der Nazis durch die demokratische Bourgeoisie derselben dazu gedient, die riesigen Massaker der Alliierten zu rechtfertigen wie beispielsweise die Bombardierungen Dresdens, Hamburgs, Hiroshimas und Nagasakis am Ende des Krieges. Siehe dazu unseren Artikel in der Internationalen Revue Nr. 13 und 17

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1) Die IKP hat diese Verleumdungskampagne in einer Flugschrift entblößt ‘Ausschwitz oder das große Alibi’.

Weltrevolution - 1997

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Weltrevolution Nr. 80

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Ehrengericht - eine Waffe zur Verteidigung der revolutionären Organisation - 1996

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Auf ihrem 11. Internationalen Kongress hat die IKS im April 1995 die schwerwiegende Entscheidung getroffen, eines ihrer Mitglieder, den ehemaligen Genossen JJ wegen seines zerstörerischen und mit der Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Organisation unvereinbaren Verhaltens auszuschließen. Insbesondere hatte JJ innerhalb der IKS ein geheimes Netz von Anhängern der Ideologie der Freimaurer aufgebaut. Dieser Ausschluss erforderte von unserer Organisation, dass wir eine Warnung an unsere Leser veröffentlichten (siehe Weltrevolution Nr.76), um das ganze proletarische politische Milieu vor den Umtrieben dieses Elements zu warnen. JJ verwarf die Argumente, die uns zu seinem Ausschluss führten, insbesondere leugnet er, dass sein Verhalten  bewusst und absichtlich gewesen sei; er behauptet, die Einschätzung der IKS sei Ausdruck ‘eines kollektiven Deliriums’ und einer ‘interpretativen Paranoia’. Demgegenüber  verteidigt die IKS gemäß der Tradition der Arbeiterbewegung die proletarischen Prinzipien, indem sie dieses ehemalige Mitglied sofort nach seinem Ausschluss aufgerufen hat, ein Ehrengericht zu beantragen, das aus Mitgliedern anderer Organisationen des revolutionären Milieus besteht, um Klarheit über das Wesen seines Verhaltens und die Ursachen seines Ausschlusses zu schaffen.

Dass Mitglieder revolutionärer Organisationen sich gegenüber Verleumdungen und Beschuldigungen, zu deren Zielscheibe sie meinen geworden zu sein, verteidigen müssen, hat immer zu den Prinzipien der revolutionären Organisationen gehört. Diese dürfen nämlich keinen Verdacht in ihren Reihen dulden. Das Vertrauen zwischen Genossen, die Loyalität von Mitgliedern gegenüber der Organisation und ihre Verpflichtung, nur den Interessen der Arbeiterklasse zu dienen, sind die Grundlagen der Organisationsprinzipien der Avantgarde des Proletariats. Auf diesem politischen Vertrauen zwischen Militanten untereinander und eines jeden Militanten gegenüber der Organisation fußt die Einheit und die Solidarität der Kämpfer für die Sache des Kommunismus. Deshalb besteht eine der Waffen der Bourgeoisie zur Zerstörung der revolutionären Organisationen gerade in dem Infiltrieren von Abenteurern oder politischen Provokateuren, deren Funktion darin liegt, dieses Vertrauen zu zerstören (insbesondere indem man hinter den Kulissen gegen die Organisation, gegen ihre vom Kongress gewählten Zentralorgane und gegen ihre Mitglieder Gerüchte und Verleumdungen in Umlauf setzt).

Gegenüber dieser Gefahr, die kommunistische Organisationen immer bedroht hat, ist es deren Verantwortung, eine besondere Kommission mit der Aufgabe zu benennen, jeweils eine Untersuchung dann durchzuführen, wenn sie mit zerstörerischem Verhalten in ihren Reihen konfrontiert werden wie das bei der I. Internationalen der Fall war, die auf ihrem Haager Kongress 1872 eine Untersuchungskommission ernannt hatte, um den Fall Bakunin und seiner Geheimen Allianz zu untersuchen.

Die politische Funktion eines Ehrengerichts

Wenn gegenüber einem Mitglied schwerwiegende Beschuldigungen gemacht werden, ist  es seine Aufgabe und Verantwortung, den Beweis für die Loyalität seines Engagements zu erbringen, indem es die Einberufung eines Gerichts fordert, das aus Genossen zusammengesetzt ist, die zur Aufgabe haben, eine gründliche Untersuchung über seinen Lebenslauf, seinen Werdegang und seine Umtriebe anzufertigen. Jedes Mitglied einer kommunistischen Organisation, das sich gegenüber solchen Beschuldigungen weigert, seine Ehre als kommunistischer Militant zu verteidigen, nährt durch dieses Verhalten der Kapitulation nur den Verdacht, der auf ihm lastet, und es verstärkt damit die Verbreitung des Giftes des Misstrauens innerhalb der Organisation. Eines der Kriterien zur Einschätzung der Loyalität eines Mitglieds ist gerade die Entschlossenheit, die ganze notwendige Klarheit über das Wesen seines Verhaltens vor einem Ehrengericht zu schaffen.

Aber ein Ehrengericht einzuberufen (oder ein revolutionäres Gericht), ist nicht nur erforderlich für die Rettung des Militanten oder für die moralische Gesundheit der Organisation. Diese politische Instanz stellt ebenfalls ein Abwehrmittel des gesamten proletarischen politischen Milieus dar gegenüber den undurchsichtigen Elementen, seien es Polizeiagenten oder einfache Abenteurer, die in ihrem eigenen Interesse handeln.

Wenn eine revolutionäre Organisation die Existenz solcher Individuen in ihren Reihen aufdeckt, hat sie die Verantwortung, den Schutz anderer Organisationen des proletarischen politischen Milieus zu übernehmen. Die Einberufung eines Ehrengerichts zielt deshalb darauf ab zu vermeiden, dass diese Gruppen ihrerseits Opfer der zerstörerischen Umtriebe solcher Elemente werden.

Die Geschichte der Arbeiterbewegung, insbesondere zu Beginn dieses Jahrhunderts, liefert viele Beispiele, wo in bestimmten Situationen, die das Leben der revolutionären Organisationen oder den Ruf von Militanten gefährdeten, revolutionäre Gerichte einberufen wurden, sei es auf Wunsch der Partei oder auf die Initiative hin von Genossen, die Opfer von Verleumdungskampagnen waren (wie das insbesondere bei Trotzki 1937 der Fall war, der von den Stalinisten beschuldigt wurde, ein Agent Hitlers zu sein).

Hier führen wir nur zwei Beispiele eines Ehrengerichts von vielen auf, die es in der Geschichte der Arbeiterbewegung gegeben hat: das Ehrengericht, das von den Sozialrevolutionären (SR) 1908 einberufen wurde, um den Fall Asew aufzuklären und das von der Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens (SDKPiL) 1912 einberufe Ehrengericht zur Aufklärung der ‘Radek-Affäre’.

Der Schutz der revolutionären Organisationen gegenüber dem Eindringen von Staatsagenten

Im Falle Asews, der als Agent der zaristischen Polizei (Okrana) in die Sozialrevolutionäre Partei vorgedrungen war, war es der Journalist und Historiker Burzew, der gleichzeitig den  SR wohlgesonnen war, der Asew auffliegen ließ, nachdem er eine persönliche Untersuchung über den Werdegang und die Umtriebe desselben angestellt hatte (Burzew war zu einem Spezialisten des Aufspürens von Okrana-Agenten geworden, die in russische revolutionäre Organisationen eingedrungen waren)[1]. Als sich sein Verdacht bestätigte, dadurch dass  der ehemalige, mittlerweile zurückgetretene Leiter des Büros der Okrana in Warschau diesen Verdacht bekräftigt hatte, trat Burzew an das Zentralkomitee der SR heran und warnte die SR-Partei. Das ZK beschuldigte Burzew, die Partei diskreditieren zu wollen, indem er den beispielhaft handelnden Asew mit Dreck besudelte. Das ZK der SR dachte nicht im geringsten daran, dass Asew schuldig sein könnte; es betrachtete die Enthüllungen Burzews als ein Manöver zur Destabilisierung der Partei.

In seinem Buch ‘Was jeder Revolutionär über die Repression wissen Muss’ erinnert Victor Serge an die Haltung, die die revolutionären Organisationen gegenüber den Verdächtigungen einnehmen müssen, welche gegenüber einem ihrer Mitglieder geäußert werden: ‘Die Vorbedingung jedes siegreichen Kampfes gegen die wirklichen Provokationen, die jede verleumderische Beschuldigung gegen ein Mitglied darstellt, besteht darin, dass ein Mitglied niemals leichtfertig beschuldigt wird, und niemals darf eine Beschuldigung gegen einen Revolutionär einfach beiseitegeschoben werden. Jedes Mal wenn eine Beschuldigung gegen ein Mitglied erhoben wird, muss ein aus verschiedenen Genossen zusammengesetztes Gericht über die Beschuldigung oder die Verleumdung befinden  und sich dazu äußern. Dies ist eine einfache Regel, die aber mit großer Strenge angewandt werden muss, wenn man die moralische Gesundheit der revolutionären Organisationen bewahren will.’

So beschloss das ZK der SR ein Ehrengericht einzuberufen, das nicht nur aus Mitgliedern der SR bestand, sondern auch aus bekannten Militanten, die anderen politischen Organisationen angehörten (unter ihnen der Anarchist Kropotkin). Dieses Ehrengericht hatte das Hauptziel, Asew von jedem Verdacht reinzuwaschen und die Manöver Burzews zu verwerfen, der einen Artikel in seiner Zeitung ‘Byloe’ (Die Vergangenheit) veröffentlicht hatte, in dem er öffentlich seine Beschuldigungen gegen Asew erhob. Sobald der Artikel erschienen war, verlangte Asew, der Angst hatte vor dem Urteil des Ehrengerichts, von seinem Vorgesetzten, General Gerassimow in Sankt-Petersburg, dass er von seinem Posten bei der Okrana entbunden werde. Aber diese Beendigung seiner Funktion für die Okrana reichte Asew nicht aus, um die Verdächtigungen beiseite zu schieben, die auf ihm lasteten. Um das Vertrauen der SR zu bewahren und um sie weiter zu täuschen, beschloss er, ein Attentat gegen den Zar anzuzetteln. Dieses Manöver ermöglichte Burzew, Asew bei dem ehemaligen Polizeidirektor Lopuchin zu denunzieren, der aufgrund seines mangelnden harten Durchgreifens bei der Repression gegenüber den Arbeiterdemos 1905 abgesetzt worden war. Nach einem vertraulichen Gespräch mit Lopuchin im September 1908, in dem dieser gegenüber Burzew bestätigte, dass Asew sehr wohl ein Agent der Okrana war, konnte Burzew das revolutionäre Gericht von der nicht zu mehr zu leugnenden Schuld Asews überzeugen und die gegen ihn von den SR erhobenen Beschuldigungen aus dem Weg räumen  (Lopuchin, der sich geweigert hatte, gegenüber dem revolutionären Gericht seine Zeugenaussage zu machen, war zumindest damit einverstanden, einen Brief zu schreiben, in dem Asew beschuldigt wurde, und der schließlich von den SR später veröffentlicht wurde).

Diese verantwortliche Haltung der SR, ein Ehrengericht zur Klärung der Beschuldigungen gegenüber Asew einzuberufen, entsprach leider nicht der Haltung Lenins 1914 gegenüber dem Fall Malinowski. Als dieser verdächtigt wurde, für die Okrana zu arbeiten, schlugen die Bolschewiki vor, seinen Fall vor einem revolutionären Gericht zu behandeln. Lenin aber verweigerte die Einberufung solch einer Instanz der Partei, da er sich sicher fühlte, dass Malinowski ein Militant war, der sich der Sache des Proletariats voll und ganz verschrieben hatte. Erst nach der Oktoberrevolution 1917 wurde, nachdem man die Archive der Okrana geöffnet hatte, bewiesen, dass Malinowski ein Agent der zaristischen Polizei war, der in das Zentralkomitee der Bolschewistischen Partei eingedrungen war, und dessen Aufgabe gerade darin bestand, Freundschaftsbeziehungen mit Lenin aufzubauen, um sein Vertrauen zu erschleichen.

So hatte sich sogar Lenin, dessen Sorgfalt und Strenge bei Organisationsfragen bekannt war, von der scheinbaren ‘Aufrichtigkeit’ des Arbeiters Malinowski täuschen lassen.

Die Haltung der Revolutionäre gegenüber organisationsfeindlichem Verhalten

Beim Ehrengericht, das sich mit der Angelegenheit Radek befasste, handelte es sich um eine ganz andere Lage. Dieses Gericht hatte nicht zur Aufgabe, Zweifel aus der Welt zu schaffen, ob Radek ein Staatsagent sei, sondern es ging darum, das politische Verhalten Radeks innerhalb der Partei zu beurteilen. Im Dezember 1911 ernannte die SDKPiL eine Kommission, die den Fall Radek untersuchen sollte, der verschiedener Diebstähle beschuldigt worden war: des Diebstahls von Kleidern eines Genossen, von Büchern aus der Parteibibliothek und von Geld.

Nachdem diese Kommission zu keinem Untersuchungsergebnis kam (obgleich Radek schließlich gestand, die Bücher und die Kleider gestohlen zu haben), wurde sie am 30. Juli 1912 aufgelöst. Im August 1912 wurde ein revolutionäres Gericht der Partei gebildet; es Schloss Radek aus der Partei nicht nur wegen der ihm vorgeworfenen Diebstähle aus, sondern vor allem wegen seiner Umtriebe, denn er stiftete ständig Unruhe, insbesondere indem er die Unstimmigkeiten innerhalb der Sozialdemokratie zu seinem persönlichen Nutzen ausschlachtete.

Innerhalb der SDKPiL waren Leo Jogiches und Rosa Luxemburg am entschlossensten, Radek auszuschließen. Die Führung der SPD, der Radek ebenfalls angehörte, wurde sofort über den Ausschluss informiert; und ungeachtet der Divergenzen Rosa Luxemburgs mit Leo Jogiches über die Behandlung dieser Angelegenheit, erhielt sie die Zustimmung zur Übermittlung einer Zusammenfassung der Beschuldigungen gegen Radek. Auf dem Parteikongress von Jena Schloss die SPD 1913 ihrerseits Radek aus ihren Reihen aus. Die Härte dieser Strafmaßnahme verdeutlicht die Unnachgiebigkeit der revolutionären Organisationen gegenüber den Fragen politischen Verhaltens. So riet Rosa Luxemburg im April mehrere Monate vor der Sitzung des Parteigerichtes ihren Parteigenossen der SPD, den Zetkins, misstrauisch gegenüber Radek zu sein. Sie schrieb: ‘Radek gehört zu dieser Art Huren. Man muss sich auf alles gefasst machen, wenn er in der Nähe ist. Man muss ihn besser fernhalten.’

Unabhängig von den politischen Positionen Radeks (der 1912 den Positionen Rosa Luxemburgs zum Imperialismus sehr nahe stand), und den Dienst, den er der Sache der Arbeiterklasse aufrichtig leistete, insbesondere innerhalb der Bolschewistischen Partei während der revolutionären Periode, mussten sein organisationsfeindliches Verhalten in der Sozialdemokratie, seine Umtriebe als kleiner Dieb, die alle unvereinbar waren mit dem Verhalten eines kommunistischen Militanten, durch eine Instanz der Partei verurteilt und bestraft werden.

Diese beiden Beispiele zeigen unterschiedliche Fälle auf, für die ein revolutionäres Gericht einberufen werden kann und muss. Ein Ehrengericht Muss nicht nur die Ehre und die Loyalität eines Militanten garantieren können, sondern auch die Verteidigung der Organisation gegen das Eindringen von Staatsagenten oder gegen zerstörerisches Verhalten, das Misstrauen innerhalb der Organisation hervorrufen und das Organisationsgewebe zerstören kann.

Diese Art politischer Instanz kann entweder innerhalb derselben Organisation gebildet werden oder durch Mitglieder mehrerer Organisationen, insbesondere wenn die Sorge besteht, dass es zu Parteilichkeit kommen könnte, oder wenn zerstörerisches Verhalten eines Militanten eine Bedrohung für andere revolutionäre Organisationen darstellen kann.

Nachdem die IKS mit dem Falle JJ konfrontiert wurde, hat sie bei der Wiederaneignung der Erfahrung der Arbeiterbewegung in dieser Frage dieses ehemalige Mitglied dringend dazu aufgefordert, da er die Gründe seines Ausschlusses mit dem Argument verwarf, dass diese Entscheidung eine ‘schwerwiegende Entgleisung’ der IKS darstelle, er soll ein Ehrengericht einberufen lassen, das aus Mitgliedern verschiedener revolutionärer Organisationen besteht. Im zweiten Teil dieses Artikels werden wird sehen, wie JJ gegenüber unserem Vorschlag eines Ehrengerichts reagiert hat, aber auch wie die Gruppen der Kommunistischen Linken sich gegenüber der Frage verhalten.      IKS      21.12.1996


[1]Jean Longuet, Georgi Silber, ‘Die Bombe tötete den Großfürsten auf der Stelle, Terroristen und Geheimpolizei im alten Russland’, 1924, Berlin.

 

Theorie und Praxis: 

  • Ehrengericht [21]

Weltrevolution Nr. 81

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Februar 1917: Das Aufkommen der Arbeiterräte öffnete den Weg zur proletarischen Revolution

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 Der Ausbruch der russischen Revolution 1917 bleibt die gewaltigste, bewußteste und an Erfahrung, Initiativen und Kreativität reichste Bewegung der ausgebeuteten Massen, die es jemals in der Geschichte gegeben hat. Millionen von Arbeiter schafften es damals, ihre Atomisierung zu durchbrechen und sich bewußt zu vereinigen. Indem sie die Mittel zur Zerschlagung des bürgerlichen Staates und zur Übernahme der Macht - die Arbeiterräte (Sowjets) - geschaffen hatten, waren sie in der Lage, als gemeinsam handelnde Kraft auftreten zu können. Abgesehen von dem Sturz des Zarenregimes kündigte diese bewußte Massenbewegung nichts geringeres als den Beginn der proletarischen Weltrevolution im Rahmen einer internationalen Welle von Arbeiteraufständen gegen den Krieg und das kapitalistische System insgesamt an.

Die Bourgeoisie hat sich nicht getäuscht. Seit Jahrzehnten verbreitet sie die abscheulichsten Lügen über dieses historische Ereignis. 80 Jahre nach der Machtübernahme durch die Sowjets in Rußland singen die Propagandachefs der herrschenden Klasse immer noch das gleiche Loblied auf die Tugenden der bürgerlich-parlamentarischen ‘Demokratie’ und verbreiten gleichzeitig weiterhin die schlimmsten Verfälschungen über die ‘Diktatur des Proletariats’ in Rußland. Dabei tischen diese im Dienst des Kapitals stehenden ‘Historiker’ eine ganze Reihe von Spitzfindigkeiten auf, um die Februarrevolution 1917 als eine Bewegung für die ‘Demokratie’ darzustellen, die von dem bolschewistischen Staatsstreich abrupt zu Ende gebracht, ja vergewaltigt wurde. Februar 1917 sei eine echte ‘demokratische Revolution’ gewesen, Oktober 1917 ein gewöhnlicher ‘Staatsstreich’, eine Manipulation der rückständigen Massen des zaristischen Rußlands durch die Bolschewistischen Partei. Dieses schamlose ideologische Trommelfeuer ist ein Zeichen der Angst und der Wut, die die Weltbourgeoisie gegenüber dem kollektiven und solidarischen Werk, der bewußten Aktion der ausgebeuteten Klasse empfindet, einer Klasse, die es gewagt hat, ihr die Stirn zu bieten und die bestehende Weltordnung in Frage zu stellen. Der weltweite Widerhall der Revolution von 1917 lastet wie ein Alptraum auf dem Gedächtnis der Bourgeoisie. Deshalb setzt diese heute wie damals alles daran, der Arbeiterklasse den Zugang zu ihrer eigenen geschichtlichen Erfahrung zu versperren. Wenn die Bourgeoisie das Wesen der russischen Revolution und der Arbeiterräte verzerrt, verfolgt sie damit das gleiche Ziel wie bei ihrer hinterlistigen Kampagne zum ‘Tod des Kommunismus’. Indem der Kommunismus mit dem Stalinismus identifiziert wird, sollen revolutionäre Organisationen verleumdet und als Verfechter des Totalitarismus dargestellt werden. So wird die Idee verbreitet, daß jede Revolution nur zu einem neuen Gulag führe. Entgegen diesen Verleumdungen und Lügen ist die Verteidigung der russischen Revolution, dieses gewaltigen Werkes des im Kampf für den Kommunismus vereinten Proletariats, eine Aufgabe der Revolutionäre, um der Arbeiterklasse dabei zu helfen, den ganzen ideologischen Dreck über Bord zu werfen, den die herrschende Klasse verbreitet, und den ganzen Reichtum der Lehren dieser grundlegenden Erfahrung wieder aufzuarbeiten.

Februar 1917: Erste Episode der proletarischen Weltrevolution

Die Erhebung der Arbeiter von Sankt Petersburg (Petrograd) im Februar 1917 erfolgte nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie war eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Kämpfe, die die Arbeiter seit 1915 als Reaktion auf das Abschlachten im Weltkrieg, auf den Hunger, die grausame Verarmung und Ausbeutung bis aufs Blut und den ständigen Terror im Kriegszustand geführt hatten, und auf die die Regierung mit einer brutalen Repression antwortete. Diese Streiks und Revolten waren damals keine Besonderheit des russischen Proletariats, sondern ein integraler Bestandteil der Kämpfe und Demonstrationen der Arbeiterklasse weltweit. Die gleiche Welle von Kämpfen der Arbeiter ergoß sich über Deutschland, Österreich, Großbritannien usw. An der Front kam es vor allem unter deutschen und russischen Soldaten zu Meutereien, Massendesertierungen und Verbrüderungen zwischen den Soldaten auf beiden Seiten. Nachdem sie zunächst durch das Gift des Patriotismus verseucht und den ‘demokratischen’ Lügen der Regierungen aufgesessen war, den Verrat der Mehrzahl der demokratischen Parteien und der Gewerkschaften geschluckt hatte, erhob die internationale Arbeiterklasse ihr Haupt und fing an, die Fesseln der chauvinistischen Benebelung abzustreifen. An der Spitze der Bewegung standen die Internationalisten - die Bolschewiki, Spartakisten, die ganze Linke der 2. Internationale -, die seit seinem Ausbruch im August 1914 den Krieg als einen imperialistischen Beutezug brandmarkten und als einen Ausdruck des Debakels des Weltkapitalismus darstellten, als ein Signal, das die Arbeiterklasse dazu zwingen sollte, ihre geschichtliche Aufgabe zu erfüllen: die internationale sozialistische Revolution. Diese historische Herausforderung sollte von der Arbeiterklasse von 1917 bis 1923 auf internationaler Ebene angenommen werden. An der Spitze dieser proletarischen Bewegung, die den Krieg zu Ende brachte und die Tür zum Ausbruch der Weltrevolution aufstieß, stand im Februar 1917 das russische Proletariat. Der Ausbruch der Russischen Revolution war also keine nationale Angelegenheit oder ein isoliertes Phänomen, d.h. eine verspätet stattfindende Revolution, die sich zur Aufgabe gesetzt hätte, den absoluten Feudalismus zu stürzen - diese Bewegung stellte den Höhepunkt der Antwort des Proletariats auf den Krieg und darüber hinaus auf den Eintritt des Systems in die Phase seines Niedergangs dar.


Die Bildung der Arbeiterräte: Die spezifischen Organe der Revolution

Als Reaktion auf das historische Problem des imperialistischen Krieges brach am 22.Februar ein sechstägiger Aufstand der Arbeiter in St. Petersburg aus. Der Krieg war zum Ausdruck der Dekadenz des Kapitalismus geworden. Anfänglich ging die Bewegung von den Textilarbeitern aus; aber innerhalb von drei Tagen dehnten sich die Streiks auf nahezu alle Fabriken der Hauptstadt aus. Am 25. Februar hatten mehr als 240.000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt. Anstatt passiv in den Werkstätten zu verharren, hielten sie überall Versammlungen und Straßendemonstrationen ab. Ihren ersten Forderungen nach ‘Brot’ wurde schnell eine zweite Forderung ‘Nieder mit dem Krieg’, ‘Nieder mit der Autokratie’ hinzugefügt.

Am Abend des 27. Februar wurde der Aufstand, den die bewaffnete Arbeiterklasse in der Stadt durchgeführt hatte, erfolgreich abgeschlossen. Zum gleichen Zeitpunkt brachen in Moskau Streiks aus, und Demos wurden organisiert. Diese Bewegung dehnte sich in den nachfolgenden Tagen auf die Provinzstädte aus, insbesondere auf Samara, Saratow, Charkow. In die Isolation getrieben, war das Regime des Zars, das sich außerstande zeigte, die vom Krieg selbst angeschlagene Armee gegen die revolutionäre Bewegung einzusetzen, dazu gezwungen zurückzutreten.

Sobald die ersten Teile der Kette zerschlagen waren, wollten die Arbeiter nicht mehr zurückweichen. Und weil man nicht einfach blind in den Kampf treten wollte, stützten sie sich auf die Erfahrung von 1905. Damals waren in den Massenstreiks die ersten Arbeiterräte spontan gegründet worden. Diese Arbeiterräte waren direkt hervorgegangen aus unzähligen Versammlungen der Arbeiter in den Fabriken und Wohnvierteln. Die Versammlungen waren selbständig, die Treffen waren zentralisiert und die frei gewählten Delegierten waren jeweils gegenüber den Versammlungen rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar. Vielen Arbeitern mag dieser gesellschaftliche Prozeß heute als Utopie erscheinen, aber es handelte sich um eine Errungenschaft der Arbeiter selber, die sich von einer unterworfenen und gespaltenen Masse in eine vereinigte Klasse verwandelten, als einheitlicher Körper auftraten und sich als fähig erwiesen, den revolutionären Kampf aufzunehmen.

Trotzki hatte schon nach den Kämpfen von 1905 aufgezeigt, was ein Arbeiterrat ist:

‘Was war der Sowjet der Arbeiterdeputierten? Der Sowjet entstand als eine Reaktion auf ein objektives Bedürfnis - ein Bedürfnis, das im Laufe der Ereignisse entstanden war. Es handelte sich um eine Organisation, die Autorität ausstrahlte und dennoch über keine Tradition verfügte, und sofort eine zerstreute Masse von Hunderttausenden von Menschen zusammenfassen,... die Initiative ergreifen und spontane Selbstkontrolle ausüben konnte’ (Trotzki, 1905). Diese ‘endlich gefundene Form der Diktatur des Proletariats’, wie Lenin sie bezeichnete, bewirkte, daß die ständigen Organisationsformen, die Gewerkschaften, als überholt anzusehen waren. In dem Zeitraum, wo die Revolution historisch auf der Tagesordnung steht, brechen die Kämpfe spontan aus und neigen dazu, sich auf alle Bereiche der Produktion auszudehnen. So geht der spontane Charakter des Entstehens der Arbeiterräte direkt aus dem explosiven und nicht programmierten Wesen des revolutionären Kampfes hervor.

Die Arbeiterräte, die während der russischen Revolution entstanden, waren nicht einfach ein unbeabsichtigtes Ergebnis außergewöhnlicher objektiver Bedingungen, sondern auch das Ergebnis einer kollektiven Bewußtwerdung. Die Rätebewegung hat selber Stoff geliefert für die Bewußtwerdung und Selbsterziehung der Massen. Die Arbeiterräte führten ständig jeweils die ökonomischen und politischen Aspekte des Kampfes gegen die bestehende Ordnung zusammen. Wie Trotzki schrieb:

‘Eine Revolution lehrt, und zwar schnell. Darin besteht ihre Kraft. Jede Woche brachte den Massen etwas Neues. Jeder zweite Monat schuf eine Epoche. Ende Februar - der Aufstand. Ende April - Auftreten bewaffneter Arbeiter und Soldaten in Petrograd! Anfang Juli - ein neues Auftreten in viel breiterem Maßstab und unter entschiedeneren Parolen. Ende August - der Kornilowsche Staatsstreichversuch, von den Massen zurückgeschlagen. Ende Oktober - Machteroberung durch die Bolschewiki. Unter diesen durch die Gesetzmäßigkeit ihrer Rhthymen verblüffenden Ereignissen vollzogen sich tiefe, molekulare Prozesse, die die verschiedenartigen Teile der Arbeiterklasse in ein politisches Ganzes verschmolzen.’ (Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution,’Verschiebungen in den Massen’, S. 353, Bd. I). ‘Treffen wurden in den Gräben, auf Dorfplätzen, in den Fabriken abgehalten. Monatelang wurde in Petrograd und in ganz Rußland jede Straßenecke zu einer öffentlichen Tribüne’ (ebenda).


Die Rolle der Bolschewistischen Partei in den Arbeiterräten

Auch wenn das russische Proletariat sich mit den Arbeiterräten seine Kampfinstrumente geschaffen hatte, so stand es doch ab Februar vor einer sehr gefährlichen Situation. Denn die Kräfte der internationalen Bourgeoisie versuchten sofort, die Lage zu ihren Gunsten auszunutzen. Da sie die Bewegung nicht blutig niederschlagen konnten, versuchten sie, sie auf bürgerlich ‘demokratische’ Ziele zu lenken. Einerseits bildeten sie eine offizielle provisorische Regierung, deren Ziel in der Fortführung des Krieges bestand. Andererseits wurden die Räte sofort von den Menschewiki und den Sozialrevolutionären (SR) ins Visier genommen.

Viele Arbeiter schenkten zu Beginn der Februarrevolution den SR, deren Mehrheit im Laufe des Krieges durch die Unterstützung eben jenes Krieges auf die Seite des Kapitals gewechselt war, noch großes Vertrauen. Von dieser strategischen Position aus versuchten sie mit allen Mitteln, die Arbeiterräte zu sabotieren, sie zu zerstören.

Nach einer Situation der ‘Doppelmacht’ im Februar kam man zu einer Situation der ‘doppelten Ohnmacht’ in den Monaten Mai und Juni 1917, weil der Vollzugsrat der Arbeiterräte der Bourgeoisie als Maske diente, um ihre Ziele zu verwirklichen. Insbesondere ging es ihr darum, die Ordnung hinter der Front und an der Front selbst wiederherzustellen, um den imperialistischen Krieg fortzusetzen. Diese menschewistischen oder sozialdemokratischen Demagogen machten noch immer Friedensversprechungen und versprachen auch eine ‘Lösung des Agrarproblems’, die Einführung des 8-Stunden-Tages usw., selbstverständlich ohne all dies in die Tat umzusetzen.

Zwar waren die Arbeiter, zumindest die von Petrograd, überzeugt davon, daß nur die Macht der Arbeiterräte imstande war, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, zwar erkannten sie, daß ihre Forderungen nicht umgesetzt wurden, doch in den Provinzen und unter den Soldaten glaubte man noch immer an die ‘Versöhnler’, an die Anhänger der angeblichen bürgerlichen Revolution.

Es sollte die Aufgabe Lenins sein, mit Hilfe seiner ‘Aprilthesen’ zwei Monate nach Ausbruch der Bewegung zunächst eine Plattform anzubieten, um die Bolschewistische Partei für die Lage der Dinge zu rüsten, denn auch die Bolschewistische Partei neigte dazu, sich versöhnlich gegenüber der provisorischen Regierung zu verhalten. Lenins Thesen brachten deutlich zum Ausdruck, in welche Richtung das Proletariat gehen mußte, und sie formulierten auch die Perspektiven der Partei:

_In unserer Stellung zum Krieg... sind auch die geringsten Zugeständnisse an die ‘revolutionäre Vaterlandsverteidigung’ unzulässig’.

‘Keine Unterstützung der Provisorischen Regierung, Aufdeckung der ganzen Verlogenheit aller ihrer Versprechungen, insbesondere hinsichtlich des Verzichts auf Annexionen. Entlarvung der Provisorischen Regierung statt der unzulässigen, Illusion erweckenden ‘Forderung’, diese Regierung, die Regierung der Kapitalisten, solle aufhören, imperialistisch zu sein’...

‘Keine parlamentarische Republik - von den Sowjets der Arbeiterdeputierten zu dieser zurückzukehren wäre ein Schritt rückwärts -, sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter,- Landarbeiter- und Baunerdeputierten im ganzen Lande, von unten bis oben’. (‘Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution’, Bd 24, S. 3ff., 4. April 1917).

Mit diesem Kompaß ausgerüstet, konnte die Partei Vorschläge machen, die den Bedürfnissen und Möglichkeiten der jeweiligen Momente des revolutionären Prozesses entsprachen und sich jeweils nach der Perspektive der Machtergreifung ausrichteten. Dabei stützten sie sich auf die ‘geduldige und hartnäckige Überzeugungsarbeit’ (Lenin). Und bei diesem Massenkampf um die Kontrolle ihrer Organisationen gegen die bürgerliche Sabotage wurde es nach mehreren politischen Krisen im April, Juni und vor allem Juli, möglich, die Sowjets zu erneuern, denn die Bolschewiki hatten nunmehr in ihnen die Mehrheit erobert.

Die entscheidenden Aktivitäten der Bolschewiki richteten sich auf die Fortentwicklung des Klassenbewußtseins. Dabei hatten sie großes Vertrauen in die Fähigkeit der Arbeiterklasse zur Selbstkritik, zur Lageanalyse sowie zu ihrer eigenen Vereinigung und Selbstorganisierung. Die Bolschewiki haben nie behauptet, die Massen einem ‘Aktionsplan’ unterwerfen zu wollen, der von vornherein festgestanden habe. ‘Die Hauptstärke Lenins war, daß er die innere Logik der Bewegung begriff und danach seine Politik richtete. Er zwang den Massen seinen Plan nicht auf. Er half den Massen, ihren eigenen Plan zu erkennen und zu verwirklichen’ (ebenda S. 277, Die Umbewaffnung der Partei).

So stellten die Bolschewiki von September an klar die Frage des Aufstands in den Versammlungen der Arbeiter und Soldaten:

‘Der Aufstand wurde sozusagen auf ein festes Datum festgelegt, auf den 25. Oktober. Er wurde nicht von einem Geheimtreffen festgelegt, sondern offen und öffentlich, und die siegreiche Revolution fand genau am 25. Oktober statt’ (ebenda).

Dies weckte eine bis dahin nie dagewesene Begeisterung unter den Arbeitern der ganzen Welt. Die Revolution in Rußland wurde zum Hoffnungsschimmer, der die Zukunft aller Ausgebeuteten erstrahlen ließ..

Heute noch ist die Zerstörung der politischen und ökonomischen Macht der herrschenden Klasse eine Überlebensnotwendigkeit. Die Diktatur des Proletariats, die sich in selbständigen Arbeiterräten organisiert, bleibt der einzige realistische Weg, um die Grundlagen einer neuen, wirklich kommunistischen Gesellschaft zu legen. Im Lichte der Erfahrung von 1917 müssen sich die Arbeiter diese Lehre wieder aneignen. SB

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [4]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Weltrevolution Nr. 82

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Weltrevolution Nr. 83

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Juli 1917: Die grundlegende Rolle der Bolschewistischen Partei gegenüber den Manövern der Bourgeoisie

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 Die Ereignisse im Juli 1917 in Petrograd, die unter dem Namen ‘Julitage’ bekannt wurden, stellen eine der herausragendsten Momente der russischen Revolution dar. Während der Gärung der Arbeiter Anfang Juli 1917 verstand es die Bolschewistische Partei zu verhindern, daß der sich entwickelnde revolutionäre Prozeß nicht in einer tragischen Niederlage endete, wenn es zu einem verfrühten, von den bürgerlichen Kräfte provozierten Zusammenstoß gekommen wäre. Die Lehren, die auch noch heute aus diesen Ereignissen gezogen werden können, sind für den Kampf des Proletariats und des Wegs hin zu seiner Befreiung von grundlegender Wichtigkeit.

Der Februaraufstand hatte eine Doppelmacht entstehen lassen: die der Arbeiterklasse, die in ihren Arbeiter- und Soldatenräten organisiert war, und die der Bourgeoisie, die durch die provisorische Regierung vertreten und von den menschewistischen und sozialrevolutionären ‘Versöhnlern’ unterstützt wurde, insbesondere innerhalb des Exekutivkomitees, das von den Räten gewählt worden war (1). Diese Situation der Doppelmacht wurde umso unhaltbarer, je mehr sich die revolutionären Lage entwickelte.

Die aufsteigende Revolution

Nachdem sie anfänglich von den nie eingehaltenen Versprechungen der menschewistischen und sozialrevolutionären Demagogen über einen Frieden, ‘die Lösung der Agrarfrage’, die Einführung des 8-Stundentages usw. illusioniert und eingeschläfert worden waren, fingen die Arbeiter, insbesondere diejenigen Petrograds an sich bewußt zu werden, daß das Exekutivkomitee der Sowjets in keiner Weise auf ihre Forderungen einging. Sie merkten, daß dieses im Gegenteil als Schutzschild für die provisorische Regierung diente, damit diese ihre Ziele umsetzte, d.h. vor allem die Wiederherstellung der Ordnung hinter der Front und an der Front selber, um den imperialistischen Krieg fortzusetzen. In ihrer radikalsten Hochburg, in Petrograd, wurde sich die Arbeiterklasse mehr und mehr bewußt, daß sie hinters Licht geführt und getäuscht wurden von denjenigen, denen sie die Führung der Räte übertragen hatte. Wenngleich noch auf eine sehr verworrene Art und Weise neigte die revolutionäre Avantgarde dazu, die wirkliche Frage aufzuwerfen: wer übt wirklich die Macht aus, die Bourgeoisie oder die Arbeiterklasse?

Die Radikalisierung der Arbeiter und die Bewußtwerdung darüber, was wirklich auf dem Spiel stand, beschleunigte sich ab Mitte April, nachdem der liberale Minister Miljukow eine provozierende Note verfaßt hatte, in der er die Kriegsbeteiligung Rußlands bei der Fortsetzung des imperialistischen Krieges an der Seite der Alliierten beteuerte. Durch die zahlreichen Entbehrungen aller Art stark angespannt, reagierten die Arbeiter und Soldaten sofort durch spontane Demonstrationen, massive Versammlungen in den Arbeitervierteln und den Fabriken. Am 20. April bewirkte eine Massendemonstration den Rücktritt Miljukows. Die Bourgeoisie mußte bei ihren Kriegsplänen (vorübergehend) zurückstecken. Die Bolschewiki spielten bei dieser Gärung der Arbeiterklasse eine sehr aktive Rolle und ihr Einfluß stieg stetig in den Reihen der Arbeiter an. Die Radikalisierung der Arbeiterklasse vollzog sich um den Schlachtruf, den Lenin in seinen Aprilthesen (1) aufgestellt hatte: ‘Alle Macht den Räten’, auf das sich im Mai und Juni alle Bestrebungen der großen Arbeitermassen ausrichteten. Während des Monats Mai erschien die Bolschewistische Partei immer mehr als die einzige Partei, die an der Seite de Arbeiter kämpft. In allen Teilen Rußlands entfaltete die Partei eine frenetische Aktivität und brachte somit die revolutionäre Gärung zum Ausdruck. Das geduldige Erklären der Parole ‘alle Macht den Räten’ und ihr Engagement dafür, trug ihre Früchte darin, daß die Bolschewiki bei der Konferenz der Industriearbeiter von Petrograd - diesem kämpferischsten Teil des Proletariats - Ende Mai die Mehrheit in den Fabrikkomitees eroberten. Im Juni kam es zu einer intensiven politischen Agitation, die sehr spektakulär ihren Höhepunkt in einer gewaltigen Massendemonstration am 18. Juni erreichte. Obwohl ursprünglich die Menschewiki dazu aufgerufen hatten, um die provisorische Regierung, nachdem diese soeben eine neue militärische Offensive angeordnet hatte, zu unterstützen sowie das Exekutivkomitee des Sowjets von Petrograd, das sie noch beherrschten, wandte sich diese Demonstration gegen die ‘Versöhnler’. Tatsächlich griff die Demonstration in ihrer überwältigenden Mehrheit den bolschewistischen Schlachtruf auf: ‘Nieder mit der Offensive’. ‘Nieder mit den 10 kapitalistischen Ministern’. ‘Alle Macht den Räten’.


Die Bolschewiki vermieden die Falle des verfrühten Zusammenstoßes

Während die Nachrichten vom Scheitern der militärischen Offensive in der Hauptstadt eintrafen und somit das revolutionäre Feuer anfachten, waren sie in den anderen Landesteilen noch nicht eingetroffen. Um gegenüber dieser sehr gespannten Lage zu reagieren, fädelte die Bourgeoisie eine verfrühte Revolte in Petrograd ein, damit die Arbeiter und Bolschewiki dort niedergeworfen würden, und die Verantwortung für das Scheitern der militärischen Offensive dem Proletariat der Hauptstadt aufgebürdet werde, da dieses den an der Front kämpfenden Soldaten ‘einen Dolchstoß verpaßt habe’.

Solch ein Manöver war durch die Tatsache möglich geworden, daß die Bedingungen der Revolution noch nicht reif waren. Obgleich die Unzufriedenheit überall im Land unter den Arbeitern und Soldaten zunahm, hatte diese bei weitem noch nicht das Niveau, die Tiefe und die Homogenität wie in Petrograd erreicht. Die Bauern hatten noch Vertrauen in die provisorische Regierung. Unter den Arbeitern selber, auch unter den Petrogradern, war die vorherrschende Idee noch immer, daß man nicht die Macht ergreifen müsse, sondern daß man durch eine gewaltsame Aktion die ‘sozialistischen’ Führer dazu zwingen müßte, ‘wirklich die Macht zu ergreifen’. Es stand fest, daß eine in Petrograd niedergeschlagene Revolution und zahlenmäßig dezimierte Bolschewistische Partei es ermöglicht hätte, daß das so enthauptete Proletariat in Rußland bald insgesamt besiegt worden wäre.

Petrograd war in Gärung. Die MG-Schützen, die neben den Matrosen von Kronstadt ein Vorposten der Revolution in der Armee waren, wollten sofort losschlagen. Streikende Arbeiter begaben sich zu den Regimenten und forderten sie auf, sich auf der Straße zu versammeln und Treffen abzuhalten. In dieser Situation reichten einige von der Bourgeoisie getroffenen Maßnahmen aus, um die Revolte in der Hauptstadt auszulösen. So beschloß die Kadettenpartei, ihre vier Minister aus der ‘provisorischen’ Regierung zurückzuziehen, um wieder unter den Arbeitern und Soldaten die Forderung nach der unmittelbaren Macht der Sowjets aufzugreifen. Die Weigerung der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre, den Schlachtruf ‘Alle Macht den Räten’ zu übernehmen, weil sie an der Notwendigkeit festhielten, mit den Vertretern der ‘demokratischen Bourgeoisie’ zusammenzuarbeiten, konnte jetzt nicht mehr aufrechterhalten werden. Neben vielen anderen Provokationen drohte die Regierung jetzt damit, sofort kämpferische revolutionäre Regimenter von der Hauptstadt an die Front zu verlagern. Innerhalb weniger Stunden erhob sich die Arbeiterklasse der ganzen Stadt, bewaffnete sich und versammelte sich um den Schlachtruf ‘Alle Macht den Räten’.

Schon bei der Demonstration am 18. Juni hatten die Bolschewiki die Arbeiter öffentlich vor verfrühtem Handeln gewarnt. Da sie meinten, daß es nicht möglich wäre, die Bewegung zu stoppen, entschlossen sie sich, an deren Spitze zu treten durch ihre Unterstützung, indem sie der bewaffneten Demonstration von 500.000 Arbeitern und Soldaten einen ‘friedlichen und organisierten’ Charakter verliehen. Am gleichen Abend merkten die Arbeiter, daß sie in einer vorübergehenden Sackgasse stecken, da es unmittelbar unmöglich war, die Macht zu ergreifen. Am darauffolgenden Tag blieben sie den Anweisungen der Bolschewiki folgend zu Hause. Zu diesem Zeitpunkt trafen in Petrograd ‘neue’ Truppen ein, die die Kräfte der Bourgeoisie und ihre menschewistischen und sozialrevolutionären Anhänger unterstützen sollten. Um sie vor dem Einfluß der Bolschewiki zu ‘impfen’, wurden sie von Provokateuren unter Beschuß genommen, die im Dienst der Bourgeoisie standen, aber als Bolschewiki dargestellt wurden. Daraufhin setzte die Repression ein. Die Bourgeoisie organisierte neben dieser Repression eine Kampagne, die die Bolschewiki als ‘deutsche Agenten’ präsentierte, um die Soldaten gegen sie zu hetzen. Daraufhin mußten Lenin und andere bolschewistische Führer in den Untergrund gehen, während Trotzki und andere verhaftet wurden: ‘Der Schlag, der im Juli den Massen und der Partei zugefügt wurde, war sehr empfindlich. Aber es war kein entscheidender Schlag. Die Opfer zählen nach Zehnern, nicht nach Zehntausenden. Die Arbeiterklasse ging aus der Prüfung weder enthauptet noch verblutet hervor. Sie hatte ihre Kampfkader unversehrt erhalten, und diese Kader hatten vieles gelernt.’ (Geschichte der Russischen Revolution, Bd. 2, S. 475)

Die Lehren aus den Juli Ereignissen 1917

Gegenüber all den gegenwärtigen Kampagnen der Bourgeoisie, die Oktober 1917 als einbolschewistisches Komplott gegen die ‘junge Demokratie’ darstellen, welche die Februarrevolution hervorgebracht habe, und gegen die demokatischen Parteien, welche danach an die Macht kamen, Kadetten, Sozialrevolutionäre und Menschewiki, beweisen gerade die Juli-Ereignisse das Gegenteil. Sie belegen, daß die das Komplott betreibenden Kräfte gerade diese demokratischen Parteien waren, die in enger Zusammenarbeit mit den anderen reaktionären Teilen der russischen politischen Klasse waren und mit der Bourgeoisie der mit Rußland verbündeten imperialistischen Länder, um zu versuchen, der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beizufügen.


Juli 1917 bewies ebenfalls, daß die Arbeiterklasse gegenüber all den früheren Arbeiterparteien, die verraten haben, mißtrauisch sein und jede Illusion gegenüber ihnen über Bord werfen muß. Während der Juli-Tage gab es noch viele solcher Illusionen in der Arbeiterklasse. Aber die Erfahrung im Juli hat endgültig aufgezeigt, daß die Menschewiki und Sozialrevolutionäre unumkehrbar in das Lager der Konterrevolution übergewechselt waren. Schon Mitte Juli zog Lenin daraus eindeutig die Lehren: ‘Nach dem 4. Juli hat sich die konterrevolutionäre Bourgeoisie, Hand in Hand mit den Monarchisten und Schwarzhunderten, den kleinbürgerlichen Sozialrevolutionäre und Menschewiki einverleibt, nachdem sie diese zum Teil eingeschüchtert hatte, und sie hat die wirkliche Staatsmacht in die Hände der Cavaignac gelegt, in die Hände einer Militärclique, die die Gehorsamsverweigerer an der Front erschießt und die Bolschewiki in Petrograd niederschlägt.’ (Zu den Losungen, Lenin, Ges. Werke, Bd. 25, S. 183)

Die Geschichte belegt, daß eine gefährliche Taktik der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse darin besteht, verfrühte Konfrontationen zu provozieren. 1919 und 1921 kam es dadurch in Deutschland zu einer blutigen Niederschlagung der Arbeiterklasse. Wenn die russische Revolution die einzige große Ausnahme ist, wo die Arbeiterklasse dazu in der Lage war, solch eine Falle und eine blutige Niederlage zu vermeiden, dann vor allem weil die Bolschewistische Partei ihre entscheidende Rolle als Vorhut, als politische Führung spielen konnte.

Die Bolschewistische Partei war überzeugt davon, daß sie ständig das Kräfteverhältnis zwischen den beiden gegnerischen Klassen untersuchen muß, um dazu in der Lage zu sein, zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung des Klassenkampfes richtig intervenieren zu können. Sie wußte, daß sie unbedingt das Wesen, die Strategie und die Taktik der Feindesklasse untersuchen mußte, um ihre Manöver zu erkennen, zu begreifen und ihnen entgegentreten zu können. Sie wurde von dem marxistischen Verständnis geleitet, daß der revolutionäre Aufstand eine Kunst oder Wissenschaft ist, und sie war sich darüber im klaren, daß die Wahl des falschen Zeitpunktes für den Aufstand so fatale Auswirkungen haben kann wie das Scheitern des Versuchs der Machtübernahme zum richtigen Zeitpunkt. Das tiefgreifende Vertrauen der Partei in die Arbeiterklasse und den Marxismus, ihre Fähigkeit, sich auf die Kraft zu stützen, die sie historisch darstellen, ermöglichten ihr, den Illusionen in der Arbeiterklasse entschlossen entgegenzutreten. Auch vermochten sie damit dem Druck der Anarchisten und den Gelegenheitsdeutern der Empörung der Massen, wie Trotzki sie nannte, standzuhalten, die, angetrieben von ihrer kleinbürgerlichen Ungeduld, die Massen dazu aufstachelten, unmittelbar zu handeln.

Aber in den Juli-Tagen war das tiefgreifende Vertrauen der russischen Arbeiter in ihre Klassenpartei grundsätzlich entscheidend, denn dies ermöglichte es derselben, in der Arbeiterklasse zu intervenieren und gar die Führungsrolle zu übernehmen, obgleich für jeden erkennbar war, daß die Bolschewiki weder die unmittelbaren Ziele noch die Illusionen der Arbeiter teilten.

Die Bolschewik traten der Repression entgegen, die am 5. Juli einsetzte. Dabei hatten sie keine Illusionen über die Demokratie und kämpften gegen die Verleumdungen an, zu deren Zielscheibe sie geworden waren. Heute, d.h. 80 Jahre später, hat die herrschende Klasse ihr Wesen nicht geändert, sondern sie ist im Gegenteil noch erfahrener und zynischer; mit der gleichen ‘Logik’ betreibt sie eine Kampagne gegen die Kommunistische Linke, genauso wie die Herrschenden im Juli 1917 solch eine gegen die Bolschewiki anleierten. Im Juli 1917 wollten sie glauben machen, daß die Bolschewiki, weil sie sich weigerten, die Entente zu unterstützen, notwendigerweise auf Seite Deutschlands stünden.

Heute will die herrschende Klasse die Idee verbreiten, wenn die Kommunistische Linke sich weigerte, das imperialistische ‘antifaschistische’ Lager im 2. Weltkrieg zu unterstützen, dann weil sie damals und ihre Nachfolger heute auf Seiten der Nazis stünden. Die Revolutionäre, die heute die Bedeutung solcher Kampagnen unterschätzen, welche nur eine Vorbereitung auf zukünftige Pogrome sind, müssen noch viel aus der Erfahrung der Bolschewiki lernen, die nach den Juli-Tagen alles unternommen haben, um ihren Ruf innerhalb der Arbeiterklasse zu verteidigen.

Während jener Juli-Tage ermöglichte die Intervention der Bolschewiki der aufsteigenden Revolution, die von der Bourgeoisie gestellten Fallen zu umgehen. Dabei gab es keinen vorher festgelegten Plan eines Generalstabs, der außerhalb der Arbeiterklasse gestanden hätte, wie heute die Bourgeoisie beim Thema Oktoberrevolution zu sprechen pflegt. Die Handlungen der Bolschewiki waren im Gegenteil ein lebendiger Ausdruck der Arbeiterklasse. Denn noch drei Monate zuvor hatten die Bolschewiki nicht verstanden, daß die Februarrevolution die Frage der Machtergreifung in Rußland durch die Arbeiterklasse auf die Tagesordnung gestellt hatte; damals steckte sie noch in einer tiefgreifenden Verwirrung. Nachdem sie aber eine klare Orientierung eingeschlagen hatte, wobei sie sich auf ihre eigene Erfahrung stützte und die der gesamten Arbeiterbewegung, konnte sie die Verantwortung erfüllen, indem sie die politische Führung des Kampfes übernahm. KB

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [4]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Weltrevolution Nr. 84

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Weltrevolution Nr. 85

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Dezember 1987: Krupp-Rheinhausen - damals wie heute: Die Arbeiter dürfen den Kampf nicht in die Hände der Gewerkschaften legen

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Vor 10 Jahren brach am 27. November 1987 der Kampf der Krupp-Beschäftigten in Duisburg-Rheinhausen aus.

Damals schrieben wir in Weltreovlution Nr. 30: „Zu einer Zeit, als massive Angriffe gegen die gesamte Arbeiterklasse eingeleitet worden waren, wurde die Schließung von Krupp-Rheinhausen und die Entlassung von über 5.000 Arbeitern angekündigt.

Als die Entlassungen bekannt wurden, reagierten die Arbeiter sofort: sie legten die Arbeit nieder und riefen alle Arbeiter der Stadt zu einer Vollversammlung auf. Die Belegschaften von Thyssen und Mannesmann in Duisburg traten sofort in Solidaritätsstreiks.

Somit wurde klar, daß die Entlassungen bei Krupp alle Arbeiter angehen, und daß vor allem im Ruhrgebiet die aktive Solidarität nicht ausbleiben durfte. Am 30.November fand eine Vollversammlung mit 9 000 Arbeitern von Krupp und mit massiver Beteiligung von Delegationen der anderen großen Fabriken in Duisburg statt. Die Versammlung rief zum gemeinsamen Kampf im Ruhrgebiet auf.

Am 1. Dezember fanden in 14 Krupp-Fabriken im Bundesgebiet Demos und Vollversammlungen statt, an denen sich starke Delegationen aus Rheinhausen beteiligten. Am 3. Dezember demonstrierten 10 000 Schüler in Rheinhausen gegen die geplanten Entlassungen. Eine Delegation von Bergarbeitern forderte einen gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Das gesamte Ruhrgebiet war mobilisiert und große Teile der Arbeiter standen kampfbereit. Am 8. Dezember demonstrierten über 10.000 Bedienstete der Stadt Duisburg in Rheinhausen, um ihre Solidarität zu bekunden.“


Der Versuch des Zusammenschlusses - von den Gewerkschaften torpediert

Die Arbeiter in Duisburg-Rheinhausen hatten bei ihrem Abwehrkampf in ihrem Aufruf an die anderen Beschäftigten betont: „Laßt uns nicht allein kämpfen. Wir wollen nicht das gleiche Schicksal erleiden wie die britischen Bergarbeiter. Schließt euch unserem Kampf an.“ Die britischen Bergarbeiter hatten 1985 über ein Jahr lang alleine verbittert und mutig, aber isoliert gegen die Schließungspläne der Regierung angekämpft. Deshalb die erste spontane Reaktion der Arbeiter in Rheinhausen: sich an die ganze Arbeiterklasse zu wenden, sich gemeinsam zur Wehr zu setzen.

Dieser Abwehrkampf der Arbeiter in Duisburg war ein Teil einer internationalen Welle von Kämpfen in den 80er Jahren, in deren Mittelpunkt 1985 die britischen Bergarbeiter, im Sommer 1986 die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Belgien, 1987 die französischen Eisenbahner und die Beschäftigten des Schulwesens in Italien standen. Im Dezember 1987 traten dann die Arbeiter in Deutschland massiv auf den Plan, um als Teil dieses internationalen Widerstandes der Arbeiter den Angriffen des Kapitals die Stirn zu bieten.

Überall stemmten sich die Gewerkschaften, vor allem ihre sich als besonders radikal ausgebenden Vertreter der Basis gegen die Eigeninitiative der Arbeiter und ihre Versuche, ihre Kämpfe über die Branchengrenzen hinweg zusammenzuschließen.

Die Fähigkeit der Arbeiter von Krupp-Rheinhausen, die Lehre aus dem britischen Bergarbeiterstreik aufzugreifen und zum gemeinsamen Kampf aufzurufen, die Fähigkeit, zu Anfang des Kampfes in Rheinhausen, gemeinsam Vollversammlungen mit Beschäftigten aus anderen Branchen und Betrieben abzuhalten, war sofort von den Gewerkschaften und den anderen Beschützern des Kapitals als eine große Gefahr angesehen worden.

Nachdem die Bewegung anfänglich ohne die Gewerkschaften in Gang gekommen war, versuchten die Gewerkschaften sofort, wieder ‘auf den fahrenden Zug zu springen.’ Am 5. Dezember 1987 kündigten sie einen Aktionstag für den 10. Dezember an. Die Parole der Gewerkschaften lautete: ‘Legen wir den gesamten Verkehr im Ruhrgebiet lahm.’ Verkehrsblockaden als Mittel des Arbeiterkampfes! Die Gewerkschaften errichteten am 10. 12. Straßensperren, die die Möglichkeit der Kontaktaufnahme der Arbeiter der verschiedenen Betriebe untereinander unterbinden sollte. Denn nachdem es anfangs zu ersten gemeinsamen branchenübergreifenden Treffen und Aktionen gekommen war, ging es den Gewerkschaften darum, diesen Kontakt zu unterbinden, die Zersplitterung der Bewegung durchzusetzen. Wie wir in unserer Presse schrieben: „In Wirklichkeit bedeuten diese Art Aktionen, daß die Arbeiter nicht gemeinsam und vereinigt demonstrieren, nicht in Massenversammlungen den weiteren Verlauf des Kampfs diskutieren, sondern, daß sie isoliert voneinander, über das ganze Ruhrgebiet zerstreut, in Gruppen zersplittert Straßen blockierten. Nach einigen Stunden dieser Aktion waren die meisten mit einem miesen Gefühl nach Hause gegangen. Und dennoch hätte es anders kommen können.

An diesem Tag fand eine Vollversammlung um 7.30 h bei Krupp statt, an der 3.000 Arbeiter teilnahmen. Um 10.00 h fand eine weitere Vollversammlung bei Thyssen statt. Postler und Arbeiter aus Süddeutschland kamen nach Rheinhausen. 90.000 Stahlarbeiter standen im Kampf, gleichzeitig legten 100.000 Bergarbeiter aus Solidarität für einige Stunden die Arbeit nieder. An verschiedenen Orten verließen Arbeiter die Fabriken und demonstrierten wie z.B. bei Opel-Bochum. Das Ausmaß der Mobilisierung und der Kampfbereitschaft hätte zu einer riesigen Machtdemonstration der Kraft der Arbeiterklasse werden können.

Der 10. Dezember war der Höhepunkt des Kampfes um Rheinhausen.

Am 11. 12. kündigte Bonn die Entlassung von 30.000 Bergarbeitern an. Es kam aber nicht zu einem gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Dafür hatte die IG-Bergbau gesorgt, die vor Solidaritätsaktionen gewarnt hatte mit dem Vorwand, daß die Forderungen der Bergarbeiter dann untergehen würden, wenn sich die Bergleute mit den Stahlarbeitern solidarisierten.“ (Weltrevolution, Nr. 30).

Auch wenn der Abwehrbewegung mit dem Aktionstag der Gewerkschaften am 10. Dezember die Spitze gebrochen wurde, nachdem die Gewerkschaften die Bewegung erwürgen konnten, vermochten sie nicht zu verhindern, daß diese wichtigste Kampfreaktion der Arbeiter nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland eine gewaltige Ausstrahlung hatte. Sie war ein Impuls für den Widerstand vieler anderer Beschäftigter geworden.

Angeregt durch das Beispiel der Kruppianer hatten sich in Köln Beschäftigte zusammengefunden, die sich durch den Kampfruf der Rheinhausener - ‘Nicht isoliert kämpfen’ ermutigt fühlten und selbst die Initiative ergriffen. Wir wollen ausführlich aus dem Flugblatt zitieren, das diese Gruppe vor dem Krupp-Werk und vor anderen Betrieben verteilt hat.


Solidarität heißt selber den Kampf aufnehmen

‘Gemeinsam können wir mehr erreichen’

Wir sind eine kleine Gruppe, die sich aus dem Personal der Kölner Krankenhäuser zusammengesetzt hat. Wir sind keiner Gewerkschaft und keiner Partei untergeordnet, sondern wir vertreten hier unsere Meinung. Weshalb wir uns zu Wort melden, ist, daß die Bedingungen in den Krankenhäusern für das Personal sowie für die Patienten immer unerträglicher werden. Den Anstoß für diese Stellungnahme haben uns die Beispiele aus dem Ruhrgebiet gegeben, wo Hunderttausende sich gemeinsam und solidarisch gegenüber den Massenentlassungen im Bereich der Stahlindustrie und dem Bergbau gezeigt haben. Auch der öffentliche Dienst einschließlich der Krankenhäuser hat sich durch Arbeitsniederlegungen und Teilnahme an Demos daran beteiligt, wobei aber noch keine eigenen Forderungen gestellt wurden. Denn es geht nicht darum, aus Mitleid mit den Kruppianern auf die Straße zu gehen, sondern es gilt zu verstehen, daß wir alle den gleichen Angriffen ausgesetzt werden und uns auch nur gemeinsam dagegen wehren können.

Das Gegenstück der Massenentlassungen in der Industrie ist im öffentlichen Dienst der Stellenabbau bzw. Einstellungsstop.

Die Auswirkungen sind jeweils die gleichen: auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit, auf der anderen die Mehrbelastung der noch übriggebliebenen. ...

Es hat sich gezeigt, daß ‘Vater Staat’ genauso rücksichtslos und brutal mit seinen Beschäftigten umspringt wie jeder private Unternehmer. Angesichts dieser Tatsache befürworten wir, daß möglichst massive Protestaktionen und Demos zustande kommen, bei denen die Rücknahme der Massenentlassungen, der ‘Gesundheitsreform’ usw. verlangt wird.

Wir sollten dem Beispiel des Ruhrgebiets folgen und uns ebenfalls in Köln solidarisch erklären mit der KHD (2000 Entlassungen).

Dieses Schriftstück soll ein Beispiel dafür sein, daß man auch als kleine Gruppe, ohne die Parteien, Gewerkschaften usw. selbst aktiv werden kann.

Wir sind keine passive Manövriermasse. Jeder kann und muß sich zu Wort melden.“

Diese Beschäftigten hatten angefangen, die Lehre aufzugreifen, die aus der Bewegung gezogen werden mußte. Wie die IKS seinerzeit in unserer Presse schrieb:

„Und die Lehre, die man ziehen muß, ist, daß Sympathiestreiks und Solidaritätsbekundugen zwar ein wichtiger Schritt sind, daß sie aber nicht ausreichen, um die Entlassungen und die Angriffe der Bourgeoisie zurückzudrängen. Die Solidarität muß zur Vereinigung der Kämpfe selber führen. Aber was heißt Vereinigung?: Wenn die Arbeiter in Rheinhausen den Kampf gegen Entlassungen aufnehmen, dann sind ihr Kampf und ihre Forderungen grundsätzlich die gleichen wie in anderen Bereichen und Branchen. Die Bergleute werden wie die Stahlarbeiter von Massenentlassungen betroffen. Aber auch im öffentlichen Dienst werden die Angriffe stärker... Die Solidarität mit Rheinhausen bedeutet den Kampf für die eigenen Forderungen aufnehmen. Der Kampf eines Teils der Arbeiter muß zum Kampf der anderen Arbeiter werden’. Solidarität heißt selber den Kampf aufnehmen“.

Auch wenn die internationale Kampfwelle, die sich in den 80er Jahren entfaltet hatte, durch den Zusammenbruch des stalinistischen Ostblocks beendet wurde, seitdem die Arbeiterklasse einen tiefgreifenden Rückschritt ihres Bewußtseins und ihrer Kampfbereitschaft erlitten hat, die Idee des ‘jeder für sich’ lauthals propagiert wird und die Vorstellung eines gemeinsamen Kampfes heute in den Augen vieler als ‘Utopie’ erscheint, für Zigtausende ‘Beschäftigte war das vor 10 Jahren keine Utopie. Der Ruf nach einem gemeinsamen Kampf, nach Solidarität war das dringendste Gebot der Stunde, um den Angriffen des Kapitals entgegenzutreten. Und die Arbeiter hatten angefangen, dazu selber die Initiative zu ergreifen. Nur dank der Sabotagetaktik der Gewerkschaften gelang es diesen, den Arbeitern wieder die Zügel aus der Hand zu reißen.

Der Rückschlag, den die Klasse seit 1989 erlitten hat, und der einen verstärkten erdrückenden Einfluß der Gewerkschaften ermöglicht hat, wird nicht unüberwindbar sein. Es ist die Aufgabe aller Revolutionäre, die Lehren dieser Kämpfe für die Vorbereitung der Kämpfe von heute und morgen wieder einzubringen.

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Revolutionäre Welle 1917-1923: Die Isolierung des Proletariats in Rußland versetzte der Oktoberrevolution den Todesstoß

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 Der unglaubliche Erfahrungsschatz, den die Arbeiterklasse sich in Rußland zwischen Februar und Oktober 1917 aneignete, zeigte der Arbeiterklasse der ganzen Welt, daß es möglich war, die Macht der Bourgeoisie zu stürzen. Der Oktoberaufstand hatte den Sieg der Arbeitermassen ermöglicht, welche sich bewußt in Arbeiterräten organisiert hatten, mit ihrer politischen Vorhut in ihren Reihen, der Bolschewistischen Partei. Den weiteren Verlauf der Ereignisse nach dem Oktoberaufstand, d.h. der Prozeß der Entartung der russischen Revolution, der den Stalinismus hervorbrachte, kann man nur durch die Dynamik begreifen, die nach der Niederlage der weltweiten revolutionären Welle einsetzte, nach welcher der Stalinismus entstehen konnte. Dieser Niedergang hat nichts zu tun mit der bürgerlichen Lüge der angeblichen Kontinuität zwischen der Diktatur des Proletariats, die nach dem Oktober 1917 entstanden war und dem Stalinismus, der sich dagegen erst dank der Niederschlagung der Revolution entfalten konnte.

Die russische Revolution war kein isoliertes Phänomen, das nur durch die besonderen Bedingungen in Rußland erklärt werden könnte, sondern der Höhepunkt der ersten weltweiten revolutionären Welle, die die bürgerliche Ordnung von Deutschland bis in die USA, von Europa bis Asien und bis hin in den südamerikanischen Kontinent erschütterte. Diese revolutionäre Welle war die Reaktion auf den imperialistischen Krieg, der den Zeitraum der kapitalistischen Dekadenz eingeläutet hatte. Von da an konnte nur eine Alternative der kapitalistischen Barbarei entgegentreten: die proletarische Weltrevolution.

Ein einziger Ausweg: die Ausdehnung der Weltrevolution

Wenn Lenin und die Bolschewiki zur Vorhut der Revolutionäre werden konnten, dann weil sie davon überzeugt waren, daß die Alternative gegenüber dem Weltkrieg nur die Weltrevolution der Arbeiterklasse sein konnte. Als Internationalisten seit der ersten Stunde betrachteten sie die russische Revolution nur als eine erste Stufe der proletarischen Revolutionen, die unausweichlich als eine Folge des Krieges entstehen werden. Sobald die Übernahme der Macht in Rußland aufgrund der Reifung der Bedingungen auf internationaler Ebene und in Rußland möglich geworden war, wurde von den Revolutionären als eine elementare Aufgabe des russischen Proletariats gegenüber dem Weltproletariat aufgefaßt. Auf die Argumente der Menschewiki eingehend, denen zufolge die Revolution in einem weiter fortgeschrittenen Land beginnen sollte, rechtfertigte Lenin die Notwendigkeit der Machtübernahme folgendermaßen:

„Die Deutschen haben unter verteufelt schwierigen Verhältnissen, mit nur einem Liebknecht (der dazu noch im Zuchthaus sitzt), ohne Zeitungen, ohne Versammlungsfreiheit, ohne Sowjets, angesichts einer ungeheueren Feindseligkeit aller Bevölkerungsklassen bis zum letzten begüterten Bauern gegen die Idee des Internationalismus, angesichts der ausgezeichneten Organisation der imperialistischen Groß-, Mittel- und Kleinbourgeoisie, die Deutschen, d.h. die deutschen revolutionären Internationalisten, die Arbeiter im Matrosenkittel, haben einen Aufstand in der Flotte begonnen - bei einer Chance von vielleicht eins zu hundert. Wir aber, die wir Dutzende von Zeitungen, die wir Versammlungsfreiheit haben, über die Mehrheit in den Sowjets verfügen, wir, die wir im Vergleich zu den proletarischen Internationalisten in der ganzen Welt die besten Bedingungen haben, wir werden darauf verzichten, die deutschen Revolutionäre zu unterstützen. Wir werden argumentieren wie die Scheidemänner und die Renaudel: Das Vernünftigste ist, keinen Aufstand zu machen, denn wenn man uns niederknallt, so verliert die Welt in uns so prächtige, so vernünftige, so ideale Internationalisten!! Beweisen wir, daß wir vernünftig sind. Nehmen wir eine Sympathieresolution für die deutschen Aufständischen an und lehnen wir den Aufstand in Rußland ab. Das wird dann ein echter, vernünftiger Internationalismus sein. Und wie schnell wird der Internationalismus in der ganzen Welt aufblühen, wenn überall eine so weise Politik obsiegen wird! .....“(LW Bd.26, S.191f)

Weniger als ein Jahr nach der Machtübernahme in Rußland konnte es keinen Zweifel daran geben, daß der Rest der Arbeiterklasse der anderen Länder auf den Plan treten mußten, um die Weltrevolution weiterzutragen: „Die russische Revolution ist lediglich einer der Trupps der internationalen sozialistischen Armee, von deren Aktion der Erfolg und der Triumph der von uns vollzogenen Umwälzung abhängt (...). Das russische Proletariat ist sich bewußt, in der Revolution allein dazustehen, und erkennt klar, daß die vereinte Aktion der Arbeiter der ganzen Welt oder einiger in kapitalistischer Hinsicht fortgeschrittener Länder die notwendige Bedingung und grundlegende Voraussetzung seines Sieges ist.“ (Referat auf der Moskauer Gouvernementskonferenz der Betriebskomitees, 23. Juli 1918, LW 27, S. 547). Die russische Revolution begnügte sich nicht damit, passiv ihr Schicksal der Auslösung von proletarischen Revolutionen in anderen Ländern anzuvertrauen, sondern sie ergriff ständig Initiativen, um sie auszudehnen. Der Schlüssel für deren Weiterentwicklung lag in Deutschland. Auf der Arbeiterklasse in Deutschland lastete eine große Verantwortung.

„Die deutsche Arbeiterklasse ist der treueste und sicherste Verbündete der russischen Revolution und der proletarischen Revolution“. (Lenin).

Die Revolutionäre in Deutschland wiederum verstanden sehr wohl, was auf dem Spiel stand: ‘Darin liegt das Schicksal der russischen Revolution, darin ihr Glück und Ende eingeschlossen. Sie kann lediglich als Prolog der europäischen Revolution des Proletariats ihr Ziel erreichen. Werden hingegen die europäischen, die deutschen Arbeiter dem spannenden Schauspiel weiter wohlwollend zuschauen und nur die Zaungäste spielen, dann darf die russische Sowjetherrschaft nichts anderes gewärtigen als das Geschick der Pariser Kommune’ (Spartakus-Briefe, Januar 1918, S. 415).

Das revolutionäre Gären, das sich insbesondere in Deutschland und in Mitteleuropa während des Jahres 1918 entfaltete, ließ Hoffnung auf die unmittelbar bevorstehende Auslösung der Weltrevolution aufkommen.


Die Gegenoffensive der Bourgeoisie gegen die Ausdehnung der Revolution in Deutschland

Die Bourgeoisie ihrerseits hatte schon die Lehren aus der ersten Schlacht gezogen, die ihr Klassenfeind in Rußland gewonnen hatte. Diese Kapitalisten, die einige Monate zuvor noch ihre imperialistischen Rivalitäten auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs austrugen, begriffen die Notwendigkeit ihres Zusammenschlusses und daß sie sich vereinigen mußten, um die in Fahrt gekommene Weltrevolution zu bremsen und niederzuschlagen.

So versuchten die Kräfte der Entente keineswegs, ihren imperialistischen Feind auf den Boden zu schmeißen, als Kaiser Wilhelm im November 1918 einen Waffenstillstand erbitten mußte, denn sie wollten, daß er der aufsteigenden revolutionären Welle in Deutschland entgegentreten konnte (1).

Der Waffenstillstand und die Ausrufung der Republik in Deutschland riefen ein (naives) Gefühl des ‘Sieges’ hervor, was der Arbeiterklasse sehr teuer zu stehen kam. Während es die Arbeiter in Deutschland nicht schafften, die verschiedenen Kampfzentren untereinander zu verbinden, und sich durch die Reden und Manöver der Arbeiterparteien und Gewerkschaften täuschen ließen, die in das Lager der Bourgeoisie übergewechselt waren, organisierte sich die Konterrevolution und koordinierte das Vorgehen der Gewerkschaften, der ‘sozialistischen Parteien’ und des militärischen Oberkommandos.

Von Dezember 1918 an ging die Bourgeoisie zur Offensive über, indem sie ständig das Proletariat in Berlin zu provozieren suchte mit dem Ziel, daß es alleine in den Kampf trat und vom Rest der Arbeiterklasse in Deutschland isoliert blieb. Am 6. Januar 1919 zogen mehr als eine halbe Million Berliner Arbeiter auf die Straße. Am darauffolgenden Tag schlug der ‘Sozialist’ Noske an der Spitze der Freikorps (nach dem Waffenstillstand aus der Armee entlassene Offiziere und Unteroffiziere) die Arbeiter Berlins in einem Blutbad nieder. Um es dem Proletariat so schwer wie möglich zu machen, sich von dieser verlorenen Schlacht zu erholen, schlug die deutsche Bourgeoisie noch stärker zu: sie raubte dem deutschen Proletariat seine Vorhut, als sie die berühmtesten Führen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermorden ließ.

Mit der blutigen Niederlage, die die Arbeiterklasse in Deutschland erlitt, rückte die unmittelbare Perspektive der Ausdehnung der Weltrevolution in Sowjetrußland in immer weitere Entfernung.

Aber die proletarische Bastion in Rußland setzte sich zur Aufgabe, ‘durchzuhalten’ mit der Erwartung, daß neue revolutionäre Erhebungen in Deutschland und den anderen Ländern eintraten. Somit stand das Proletariat in Rußland vor äußerst schwierigen Bedingungen: die ganze Weltbourgeoisie hatte sich zu einem gewaltigen Kreuzzug gegen die Bolschewiki zusammengeschlossen, die Sowjetrepublik war zu einer wirklich belagerten Festung geworden. Vollständig isoliert, kämpfte die Revolution um Leben und Tod. In dieser Lage durchzuhalten, erforderte von der Arbeiterklasse endlose Opfer.

Durch die bürgerliche Koalition isoliert und erwürgt, brach die Revolution in Rußland in sich zusammen

In der Ukraine, Finnland, im Baltikum, in Besarabien, halfen Großbritannien und Frankreich Regierungen an die Macht zu kommen, die die weißen konterrevolutionären Armeen unterstützten, welche sich um die Überreste der russischen Bourgeoisie gesammelt hatten. Die Großmächte beschlossen darüber hinaus, direkt in Rußland zu intervenieren. Japanische Truppen gingen in Wladiwostok an Land, wenig später trafen französische, englische und amerikanische Truppenverbände ein. Drei Jahre lang lösten diese Truppen eine blutige Schreckensherrschaft gegen die Sowjetherrschaft aus, verübten Massaker und Grausamkeiten aller Art, die von den ‘Demokraten’ aller Länder begrüßt wurden und zu denen die ‘Sozialisten’ Europas ihre Zustimmung gaben.

Darüber hinaus kam zum Eingreifen der westlichen Truppen und der Weißen Armeen noch die Sabotage und die konterrevolutionäre Verschwörung der Bourgeoisie und der Kleinbourgeoisie in Rußland dazu. Der schreckliche Bürgerkrieg, der das Land in jenen Jahren verwüstete, zusätzlich zu all den Krankheiten und Epidemien, die durch die Wirtschaftsblockade entstanden waren, welche der Bevölkerung in Rußland aufgezwungen wurde, riß ca. 7 Millionen Menschen in den Tod. Während all dieser Zeit schlugen die Demokraten und Sozialisten die Arbeiteraufstände in Deutschland, Österreich und Ungarn scheibchenweise nieder.

All die Niederlagen, die die Arbeiterklasse in den anderen Ländern erleiden mußten, versetzten somit auch einen Schlag gegen die Arbeiterklasse in Rußland, deren Isolierung noch weiter zunahm. Während die Macht der Sowjets in Rußland nur in dem Maße konsolidiert werden konnte, wie sich die Dynamik der Ausdehnung der Weltrevolution zur Überwindung der weltweiten Herrschaft der Bourgeoisie auf internationaler Ebene verstärkte, führte diese politische Isolierung zusammen mit den Auswirkungen des Bürgerkriegs zu einer beträchtlichen Schwächung der Arbeiterklasse.

Die Arbeiterklasse in Rußland und ihre Avantgarde in Rußland standen sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand. Die Bolschewiki waren unfähig, eine andere Politik zu betreiben als die, welche ihnen durch die ungünstige Entwicklung des Kräfteverhältnis zwischen proletarischer Revolution und herrschendem Kapitalismus aufgezwungen wurde. Die Lösung für dieses Dilemma lag nicht in Rußland selber; sie lag auch nicht in den Händen des russischen Staates und auch nicht im Verhältnis zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft. Die Lösung konnte nur durch die internationale Arbeiterklasse kommen.

Deshalb stellten all die wirtschaftlichen Maßnahmen, insbesondere diejenigen, welche später als ‘Kriegskommunismus’ dargestellt wurden, keineswegs die Einführung einer ‘wirklich’ sozialistischen Politik dar. Sie bedeuteten keineswegs die Abschaffung der kapitalistischen Verhältnisse, sondern waren einfach Notmaßnahmen, die durch die kapitalistische Wirtschaftsblockade gegen die Sowjetrepublik und die aus dem Krieg hervorgegangenen Notwendigkeiten entstanden waren.

Als die revolutionäre Phase von 1921 in ihre Endphase eintrat, war die Einführung der NEP (Neuen Ökonomischen Politik) ungeachtet der heldenhaften Kämpfe, die danach noch stattfanden, keineswegs eine ‘Wiederherstellung’ des Kapitalismus, da dieser in Rußland nie aus der Welt geschafft worden war. Diese ganze Politik und diese Maßnahmen waren aufgezwungen worden durch die Erstickung, welche die Isolierung der Revolution hervorrief.

Lenin war sich dessen voll bewußt, daß trotz der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaft in Rußland von der Ausdehnung der Revolution in Europa abhing:

„Wir müssen davon ausgehen, daß, wenn die europäische Arbeiterklasse die Macht vorher ergriffen hätte, wir unser rückständiges Land hätten umwandeln können - ökonomisch sowie kulturell. Wir hätten dies mit technischer und organisatorischer Unterstützung tun können, was uns erlaubt hätte, unseren Kriegskommunismus teilweise oder gänzlich zu korrigieren oder umzugestalten, und uns in Richtung einer wirklich sozialistischen Gesellschaft geführt hätte.“ (2) Gegenüber der Entfaltung des imperialistischen Krieges, dann gegenüber dem Bürgerkrieg mußten viele Soldaten auf dem Schlachtfeld mobilisiert werden, wo sie zu den tapfersten und wertvollsten Kämpfern der Roten Armee gehörten, aber Hunderttausende von ihnen wurden eben auch abgeschlachtet. So wurden die großen Arbeiterballungen, die den fortgeschrittensten Teil der Sowjets in der Revolution stellten, ungeheuerlich durch den Krieg und die Hungersnot geschwächt. Die Isolierung der proletarischen Bastion in Rußland führte zum schrittweisen Verlust der politischen Hauptwaffe der Revolution: des massiven und bewußten Handelns der Arbeiterklasse durch ihre Arbeiterräte. Sie wurden zum Schatten ihrer selbst und wurden durch einen Staatsapparat aufgesaugt, der immer mehr zu einem bürokratischen Geschwulst wurde.

Die Notwendigkeit, ‘die Stellung zu halten’, um auf die Revolution in Europa zu warten, führte dazu, daß die Bolschewistische Partei immer mehr ihre Rolle als politische Vorhut des Proletariats zugunsten der Verteidigung des sowjetischen Staats aufgab. Diese Politik der Verteidigung des sowjetischen Staates geriet sehr schnell in Widerspruch zu den ökonomischen Interessen der Arbeiterklasse (3). Es führte zum vollständigen Aufsaugen der Bolschewistischen Partei durch den Staatsapparat. Die Identifizierung der Partei mit dem Staat bewirkte schließlich, daß die Bolschewiki 1921 den Arbeiteraufstand von Kronstadt gegen die Misere und den Hunger blutig niederschlugen. Diese tragische Episode der russischen Revolution war das spektakulärste Zeichen des Todeskampfes der russischen Revolution.


Der Stalinismus - Speerspitze der Konterrevolution

Tatsächlich kroch die Konterrevolution dort hervor, wo es die Revolutionäre am wenigsten erwarteten - nämlich innerhalb der Sowjetrepublik. Dort wurde die Macht der Bourgeoisie wiederhergestellt aufgrund eines Prozesses des Aufsaugens der Bolschewistischen Partei durch den Staat.

Durch das Aufblühen des totalitären und bürokratischen Apparates vergiftet, neigte die Bolschewistische Partei immer mehr dazu, die Verteidigung der Interessen des Sowjetstaates höher zu stellen als die Verteidigung der Prinzipien des proletarischen Internationalismus. Nach dem Tode Lenins im Januar 1924 half Stalin, der Hauptvertreter dieser Tendenz zur Aufgabe des Internationalismus, der Konterrevolution in den Sattel: dank des Einflusses, den er im geheimen innerhalb des Apparates erworben hatte, behinderte und lähmte er schließlich den Widerstand der Kräfte, die sich den konterrevolutionären Entartungen der Bolschewistischen Partei entgegenstellten.

Das Auslaufen der revolutionären Welle nach 1923, deren letztes Aufbäumen in China 1927 stattfand, verdeutlichte die Niederlage der größten revolutionären Erfahrung der Arbeiterklasse. Die proletarische Bastion in Rußland brach von innen her zusammen und die Jagd auf die internationalistischen Revolutionäre wurde innerhalb der Partei eröffnet. Die stalinistisch gewordene Bolschewistische Partei sollte somit von all denjenigen gesäubert werden, die dem Internationalismus treu geblieben waren, und die sich weiterhin auf die Prinzipien beriefen, die Lenin mit Händen und Füßen verteidigt hatte. Von 1925 an praktizierte Stalin die Theorie des ‘Aufbaus des Sozialismus in einem Lande’, mit der es möglich wurde, daß die furchtbarste Konterrevolution der Menschheitsgeschichte ihren Einzug hielt.

Diese stalinistische Konterrevolution, die jedes revolutionäre Gedankengut zu vernichten suchte, indem jede Regung des Klassenkampfes niedergeschlagen wurde durch die Errichtung einer Terrorherrschaft und der Militarisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens, indem die alte Bolschewistische Garde dezimiert wurde, wurde zu einer Verkörperung der Feindschaft gegenüber dem Kommunismus. Die UdSSR wurde zu einem eigenständigen kapitalistischen Land, wo die Arbeiterklasse unterworfen war, sie mit dem Gewehr im Rücken handeln mußte, den Interessen des nationalen Kapitals im Namen der Verteidigung des ‘sozialistischen Vaterlandes’ zu dienen hatte.

Die Niederlage der weltweiten revolutionären Welle, das Scheitern der Revolution in Rußland und die damit verbundene stalinistische Entartung waren das tragischste Ereignis der Geschichte des Proletariats und der Menschheit, denn sie riefen einen bis dahin nie gekannten Rückschlag der Arbeiterklasse hervor (ein halbes Jahrhundert weltweite Konterrevolution), und sie öffneten den Weg zum 2. Weltkrieg.

Es ist deshalb für die Arbeiterklasse lebenswichtig, all die Lehren aus der Erfahrung der russischen Revolution und ihrem Scheitern zu ziehen.

Nur wenn die Arbeiterklasse dazu in der Lage ist, sich die Lehren ihrer eigenen Erfahrung anzueignen, kann sie sich den Lügenkampagnen der Bourgeoisie entgegenstellen, die diese immer wieder auflegt, um zu verbreiten, daß der Terror des stalinistischen Regimes das ureigene Geschöpf der Oktoberrevolution sei.

Das Ziel solcher Kampagnen und dieser Lügen besteht darin, die Erfahrung des Oktober 1917 zu verzerren und glauben zu machen, daß jede proletarische Revolution nur zum Stalinismus führen kann. Die herrschende Klasse und ihre Priester versuchen somit die Arbeiterklasse daran zu hindern, daß sie die Flamme dieses gewaltigen Kampfes wieder aufnimmt, der von dieser Generation von Arbeitern vor 80 Jahren ausgefochten wurde, als die Arbeiterklasse es damals wagte, den Ansturm auf die kapitalistische Ordnung zu wagen. BS

(1) Man kann sich die ganze Entwicklung der Bourgeoisie veranschaulichen, wen man sieht, daß zwei Jahre zuvor die französische und englische Bourgeoisie die Kerenski-Regierung, die aus der Februar-Revolution hervorgegangen war, diese dazu gedrängt hatten, den Krieg um jeden Preis fortzusetzen, wodurch die provisorische Regierung gezwungen wurde, ihr bürgerliches Wesen vor den Augen der Arbeiter bloßzulegen. Damit hatte sie Öl auf das Feuer der revolutionären Flammen in Rußland gegossen.

(2) Lenin, Die NEP und die Revolution, Kommunistische Theorie und Wirtschaftspolitik beim Aufbau des Sozialismus (französische Ausgabe).

(3) Dieses Problem war der Aufmerksamkeit Lenins nicht entgangen. Dieser vertrat bei der Debatte in der Bolschewistischen Partei zur Rolle der Gewerkschaften Anfang der 20er Jahre den Standpunkt, daß die Arbeiterklasse ihre unmittelbaren Interessen noch gegenüber dem Staat in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus zu verteidigen habe. Aber unter den damaligen Bedingungen konnten die Revolutionäre ihre politischen Überlegungen zu dieser Schlüsselfrage nicht weiter vorwärtstreiben.

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [4]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Wiedererwecken des Mythos "Che" Guevara: Ein neuer ideologischer Kreuzzug

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"Von den Armen der ganzen Welt in ein  Symbol verwandelt, führt und gewinnt Che heute Schlachten wie nie zuvor." Diese Worte von Castro aus seiner Grabrede für den alten Kameraden fassen gut zusammen, wie die Medien in zahlreichen Ländern durch eine Riesenkampagne den verstorbenen Guerillero benützen und ihn als Symbol des Revolutionärs schlechthin darstellen. Was soll diese Flut von Filmen zu seinem Gedenken, von Reportagen, Büchern, Spezialmagazinen, "Guevara-Abenden", organisierten Pilgerfahrten zu seinem Geburtsort oder zum Ort seines Märtyrertums? Wie schon bei den Kampagnen über den Tod des Kommunismus, die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks geführt wurden, geht es der herrschenden Klasse auch jetzt wieder darum, die Bedeutung des Kommunismus und der Revolution zu entstellen; der "Guevarismus" hat weder mit dieser noch mit jenem auch nur das geringste zu tun.

 

Che Guevara ist vor allem bekannt als Guerillaführer in den sogenannten "nationalen Befreiungskriegen" in Kuba, in Afrika, in Südamerika. Wie es die Erfahrung seit Anfang dieses Jahrhunderts zeigt, sind diese "Befreiungskriege" aber nichts anderes als ein notwendiger Bestandteil des Kampfes auf Leben und Tod, den sich die verschiedenen imperialistischen Mächte zur Neuaufteilung der Welt liefern. Auch wenn diese "Befreiungskriege" weniger zerstörerisch sind als der 2. Weltkrieg, so haben sie doch den gleichen Charakter wie dieser mit  Millionen von massakrierten Menschen. Die jeweiligen Generalstäbe arbeiten immer im Dienst der einen oder der anderen Fraktion der Bourgeoisie. In diesem Sinne war der bärtige Guerillero nichts als ein tapferer Leutnant des Kapitalismus.

 

Der viel gefeierte Sieg von Castros Guerilla über den Diktator Battista im Jahre 1958, wo Che mit seiner energischen Kriegführung eine entscheidende Rolle spielte, ist keinesfalls eine Ausnahme, sondern eine glänzende Veranschaulichung dieser grausamen Wirklichkeit. Dieser Erfolg Castros war eigentlich schon sein zweiter Versuch, Battista zu stürzen. Den ersten führte er unter der Fahne des Rechtsextremismus und erlitt dabei eine Niederlage, was ihn ins Exil nach Mexiko zwang. Hier scharte er eine neue Gruppe von Guerilleros um sich, in der sich auch Guevara befand. Diese Schar, die darauhin wieder in Kuba strandete, vereinte die verschiedensten politischen Positionen.

 

Das Unterfangen, das sich auf die Kleinbauern stützte, konnte auch auf die Unterstützung der US-Regierung und das Wohlwollen der rechten Parteien zählen, die die Korruption von Battista anprangerten. Das Waffenembargo der USA verhinderte, sich Battista die notwendigen Mittel beschaffen konnte, um gegen die Guerilla zu kämpfen. Erst einige Monate nach Castros Machtergreifung  verschlechterten sich die Beziehungen zu den USA. Als diese mit einer Intervention drohten, wandte sich Castro dem russischen Imperialismus zu. Er erklärte sich zum "Marxisten-Leninisten" und rief die “Völker Lateinamerikas und der sozialistischen Länder“ zur Unterstützung für seine Regierung auf.

 

Aber das mythische Bild des Che ist nicht allein auf seinen Kämpferqualitäten aufgebaut. Seine "antibürokratischen" Stellungnahmen sind von den Trotzkisten und Maoisten aufgenommen worden, und waren ein Modell für die ganze Jugend, die sich gegen die bestehende Ordnung, auch gegen deren stalinistische Version in den Ostblockländern, stellte. Die damalige trotzkistische Buchhandlung François Maspero in Frankreich charakterisierte Ches politische Vision mit folgenden Worten: „Eine neue Haltung gegenüber der Arbeit, Beseitigung der Warenverhältnisse, Unterdrückung des Wertgesetzes, Ersetzung der materiellen Anreize durch moralische." (Le Monde vom 9. Oktober 1997) Was Che real umsetzte (die Agrarreform) oder was er umzusetzen versuchte, als er an der Spitze der zentralen Industrie- und Wirschaftsministerien der neuen kubanischen Macht stand, waren nichts anderes als Maßnahmen der Verwaltung und Führung einer nationalen Wirtschaft, die voll und ganz kapitalistisch war ebenso wie diejenige in China oder Rußland, einer Wirtschaft, die nichts zu tun hatte mit einem Übergang zum Kommunismus. Die Idee der Abschaffung der Warenverhältnisse unter kapitalistischer Herrschaft ist eine reaktionäre Utopie. Die verschiedenen Arten von Trotzkisten und Stalinisten haben diese Idee immer wieder zur Verschleierung der wahren Natur der stalinistischen Regime benützt.

 

Die Wirtschaftspolitik Che Guevaras änderte die kapitalistische Ausbeutung also nicht im geringsten. Die Einführung der freiwilligen und lohnlosen ”sozialistischen” Sonntage bedeutete vielmehr noch eine Verstärkung derselben. Es war ein Versuch, die Arbeiter an ihrem wöchentlichen Ruhetag zu Gratisarbeit für die ”Errichtung der neuen Gesellschaft” zu bewegen. Obwohl ihn 1964 eine Bürokratie, die er kritisiert hatte, verdrängte, wurde der Charakter seines Wirkens im Dienste des nationalen Kapitals keineswegs in Frage gestellt.

 

In der Folge verstärkte Che seine Kritik an der Bürokratie und richtete sich auch gegen Moskau. So äußerte er sich 1965 in Algier mit folgenden Worten: ”Die sozialistischen Länder sind in einem gewissen Grade die Komplizen der kapitalistischen Ausbeutung.” Könnte man nun daraus schließen, daß beim „Bärtigen mit dem roten Stern” eine Entwicklung hin zu proletarischen Positionen stattgefunden hatte, für die alle Länder, auch die sogenannten sozialistischen, kapitalistisch sind? Keinesfalls, wie seine folgenden Worte beweisen: „Für die internationalen Beziehungen braucht es ein neues Konzept nach folgenden drei Prinzipien: Austausch des Wissens, Weitergabe des Fortschritts statt Lizenzgebühren; Respektierung der Kulturen [....] und schließlich unentgeltliche Waffen.” Seine Praxis zeigt deutlich, wie sich sein Kampf in die kapitalistische Logik einreihte. Er kehrte damals zurück zur Guerilla; in den Kongo und später nach Bolivien. Dies bald im Dienste Pekings, bald im Dienste Moskaus, doch in jedem Fall für eines der imperialistischen Lager.

 

Seine Ermordung durch die Truppen des bolivianischen Staates, die durch den CIA ausgebildet wurden, machte ihn zu einem Märtyrer und Helden des bewaffneten Kampfes. Seine Haltung gegen den amerikanischen, aber für den russischen oder chinesischen Imperialismus benutzten verschiedene Guerilla-Bewegungen zur Rekrutierung ihres Kanonenfutters, das sie für ihre Kriege im Dienste anderer großer oder kleiner Imperialisten brauchten. Auch die Linke schlachtete seinen Ruf zur Genüge in ihrer Propaganda aus, um das Bewußtsein der Arbeiterklasse in den großen Industriezentren zu schwächen. Die Arbeiterklasse dazu zu bringen, entweder für das eine oder andere imperialistische Lager Partei zu ergreifen, wie vor allem während des Vietnamkrieges, hat nur ein Ziel: sie von dem Terrain wegzubringen, auf dem sich der selbständige Kampf der Arbeiterklasse ausdrückt; dasjenige des proletarischen Internationalismus. Die aktuelle Kampagne hat aber auch noch eine andere Seite: Sie will dem Proletariat mit ihrer Propaganda solche Kampfformen wie den ”bewaffneten Guerillakampf” schmackhaft machen, welche in absolutem Widerspruch zu den Mitteln und Zielen seines historischen Kampfes stehen. Solche Kampfformen können, wenn sich das Proletariat dazu verleiten läßt, nur zu einem politischen Selbstmord führen. Für die Arbeiterklasse gibt es kein anderes Kampfmittel als den Kampf der Massen und die Vollversammlungen, in denen gemeinsam Ziele und Mittel der Bewegung entschieden werden. Im Gegensatz zu den Armeen und den Guerillas des Kapitals wird das Proletariat nicht durch einen Generalstab geführt, sondern es zentralisiert seine Bewegung mit gewählten und abwählbaren Delegierten und bringt eine politische Vorhut, die revolutionären Minderheiten, und schließlich, wenn die Zeit reif ist, seine Klassenpartei hervor. Dies geschieht kollektiv und bewußt und schließt alle Aspekte des Kampfes ein, auch die dazu notwendige Gewalt.

 

Daran ist nicht zu zweifeln: Es gibt nichts am Kampfe Che Guevaras, dieses Helden der Bourgeoisie, auf das sich die Arbeiterklasse berufen könnte.  BN (19.10.97)

 

      

 

Weltrevolution - 1998

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Aufstieg und Niedergang der Autonomia Operaia

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Aufstieg und Niedergang der  

Autonomia Ope­raia     /1. Teil

 Als nach 1989 die Weltbourgeoisie den Zusammenbruch der stalinistischen Regime Osteuropas zum Anlaß nahm, um den endgültigen Bankrott des Marxismus und der „traditionellen Vorstellung vom Klassenkampf“ bekanntzugeben, witterten nicht nur Anarchisten, sondern auch Operaisten Morgenluft. Habe der Operaismus sich nicht schon Ende der 60er Jahre von vermoderten Vorstellungen des Marxismus verabschiedet, wie etwa der Wirtschaftskrise und der Verelendung der Arbeiterklasse, dem imperialistischen Krieg und dem politischen Kampf dagegen, oder der Notwendigkeit politischer Organisationen der Klasse, welche im Klassenkampf intervenieren, ohne in diesen Kämpfen jeweils aufzugehen? Während also Ende der 80er Jahre die operaistische Bewegung nach zwei Jahrzehnten aktivistischer und zumeist erfolgloser Interventionen im Klassenkampf ziemlich erschöpft und lädiert dastand, glaubte man nach 1989 wieder an die Möglichkeit, Einfluss zu gewinnen. Und tatsächlich stieg im Laufe der 90er Jahre der Bekanntheitsgrad von operaistischen „Vordenkern“ wie Toni Negri oder Karl-Heinz Roth wieder an. Und dennoch waren die Ereignisse von 1989 eine Bestätigung der Thesen nicht der Arbeiterautonomie, sondern des Marxismus. Die Regime Osteuropas brachen zusammen als Ergebnis der von Marx vorhergesehenen historischen Krise des Kapitalismus. 

 In Anbetracht der Fortentwicklung der Krise, der imperialistischen Kriege sowie der politischen Verantwortung der Arbeiterklasse und der Revolutionäre seitdem, ist es nun höchste Zeit, die ursprünglichen Thesen nicht des Marxismus sondern des Operaismus kritisch, d.h. historisch zu hinterfragen. Haben die Schlussfolgerungen, welche die Autonomie in Italien Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre zogen, der Prüfung durch die Geschichte standgehalten? Der Leser soll selbst beurteilen. Wir veröffentlichen auszugsweise eine Kritik an Potere Operaio, welche die IKS bereits 1979 verfasste, und welche seitdem – meinen wir – an Aktualität eher gewonnen als eingebüßt hat. (Aus der International Review Nr. 16, engl., franz., span. Ausgabe)

  

Die Ursprünge der „Führungskrise“ –  

Die Verwerfung der marxistischen Krisenauffassung

 Obgleich die lange Phase des Wohl­stands am Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Theorien entstehen ließ über einen schrittweisen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus - ganz einfach durch das Anheben des Bewusstseins der Arbeiter - lieferte der Eintritt des Systems in seinen Nieder­gang mit der Auslösung des 1. Welt­kriegs die historische Bestätigung der alten „Katastrophenauffassungen“ von Marx über den unvermeidbaren Zusam­menbruch der Warenwirtschaft. Es wurde deutlich, dass es für die Mensch­heit nur eine Alternative gäbe: Revolu­tion oder Reaktion und „es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird.“(Marx, Die heilige Familie, MEW 2, S. 38)

 Nach der Niederlage der revolutionären Welle in den 20er Jahren und nachdem die Kommunistische Internationale in den Dienst der Konterrevolution trat, haben die überlebenden revolutionären Gruppen weiterhin die marxistischen Prinzipen verteidigt, dass „eine neue revolutionäre Welle nur aus einer neuen Krise“ (Marx) hervorgehen werde. Nachdem es nach dem Ende des 2. Weltkriegs nicht zu einer proletarischen Erhebung wie im Roten Oktober 1917 kam, bewirkte die Phase kapitalistischer „Gesundheit“ während der Wiederauf­bauzeit in diesen kleinen Fraktionen eine Zerstreuung, wobei die meisten von ihnen von der Bildfläche verschwanden. Als ein Ergebnis dieser Periode entstan­den neue Theorien, die beanspruchten, über die marxistische Krisenauffassung hinausgegangen zu sein. So bestand die Gruppe Socialisme ou barbarie in Frankreich darauf, dass der Kapitalismus seine ökonomischen Widersprüche überwunden habe (1). Die anti-marxisti­schen Schlussfolgerungen von Socia­lisme ou barbarie wurden von einer ganzen Reihe von Gruppen aufgegriffen; eine der bekanntesten waren die Inter­nationalen Situationisten. Mai 1968 war der Altweibersommer dieser Position. Das Wiederauftauchen der Arbeiterkämpfe auf der Bühne der Geschichte zu einem Zeitpunkt, als die Wirtschaftskrise sich noch nicht voll entfaltet hatte, ließ diese Unglückseligen glauben, dass die Bewegung keinen ökonomischen Hintergrund habe: „Was die Überreste der alten nicht-trotzkisti­schen Linksradikalen angeht, müssen sie nun, nachdem sie anerkannt haben, dass es im Mai 68 eine revolutionäre Krise gab, beweisen, dass es eine unsichtbare Wirtschaftskrise im Frühjahr 68 gab. Ohne Angst, sich lächerlich zu machen, haben sie Prognosen gemacht über einen zu erwartenden Anstieg der Arbeitslosig­keit und der Preise.“ (Situationistische Internationale, Nr. 12, Dezember 1969)

 Die Theoretiker dieser „Gesellschaft des Spektakels“ konnten die Krise nur se­hen, als sie spektakulär wurde .... Aber Marxisten haben nicht solange warten brauchen, bis etwas offensichtlich wird, auf den ersten Seiten der Zeitungen erscheint und in die Köpfe der bürgerli­chen Führer vorgedrungen ist, bevor sie in der Lage sind, das Auftauchen und die Bedeutung der neuen Krise zu erkennen. Obgleich sie sich weit weg vom Zentrum der kapitalistischen Welt befanden, konnte eine Handvoll „linksradikaler“ Genossen in Venezuela in ihrer Zeit­schrift Internacionalismo im Januar 1968 schreiben: „Im Jahre 1967 fiel der Kurs des britischen Pfundes, im Jahr 1968 ergriff [Präsident] Johnson entsprechende Maßnahmen  .... Wir sind keine Propheten, und wir behaupten nicht zu wissen, wann wo was stattfinden wird. Aber wir sind uns sicher, dass man den Prozess nicht aufhalten kann, den das kapitalistische System mit diesen Reformen und anderen kapitalistischen Hilfsmitteln durchläuft, und dass dieser Prozess unaufhaltsam zu einer Krise führen wird. Der gegenteilige Prozess, die jetzige Entwicklung der Kampfbereitschaft, führt im Gegenzug das Proletariat in einen direkten und blutigen Kampf um die Zerstörung der bürgerlichen Staaten.“ Das Auftauchen der Arbeiterklasse auf der historischen Bühne nach 1968 machte es den Vertretern des „revolutionären Karnevals“ unmöglich, im Namen der Klasse zu sprechen. 1970 löste sich die Situationistische Interna­tionale in einer Orgie von gegenseitigen Ausschlüssen auf. Danach waren die verschiedenen periodischen Ausbrüche von Revolten, die den Zerfall des Klein­bürgertums widerspiegelten, unfähig, eine neue Situationistische Internatio­nale hervorzubringen. Das endete je­weils in einem Zirkus.

  

Der Voluntarismus in den Farben der Arbeiterklasse und die „Führungskrise“

 Das Wiederauftauchen der Klasse auf der Bühne der Geschichte und das Ver­schwinden der Situationisten und ande­rer „Protestler“ verlangte, dass die Theorie, der Kapitalismus sei in der Lage, die Krise zu kontrollieren, angepasst werden müsste, wobei der neuen Wirklichkeit Rechnung getragen werden musste. Anstatt einfach die Möglichkeit der Krise zu leugnen (das war zum damali­gen Zeitpunkt schon unmöglich) wurde der aktive Aspekt der Theorie aufgewer­tet: da der Kapitalismus die Krise kon­trollieren könnte, sei die wirkliche Wirt­schaftskrise durch eine Krise der Kon­trolle selber hervorgerufen worden, und dies sei wiederum durch die Aktionen der Arbeiterklasse bewirkt worden. (2)  

Dieses Thema, das schon in den letzten Texten der Situationisten neben Hirten­gedichten über die Kritik am Alltagsle­ben aufgetaucht war, wurde ein Aus­gangspunkt der Positionen der neuen Kritiker der „sozialen Barbarei“, die sich nunmehr als „Marxisten“ und Anhänger der „Arbeiterklasse“ betrachteten. In Frankreich war es typisch, dass Anstren­gungen zur Schaffung einer „Marxistischen Linken für die Macht der Arbeiterräte“ (Gauche Marxiste pour le Pouvoir des Conseils des Travailleurs) auf dieser Grundlage 1971 von der Gruppe Arbeitermacht (Pouvoir Ouvrier) unter­nommen wurden, die selbst ein „marxistischer“ Ableger von Sozialis­mus oder Barbarei war.  

In Italien wurden diese Positionen haupt­sächlich durch die Gruppe Potere Ope­raio (Arbeitermacht) entwickelt. Wir wollen uns mit deren Positionen befas­sen (3).  

Die Gruppe stützte sich auf die Aner­kennung der Allmacht des „theoretischen Gehirns des Kapitals“, das ein erfahre­ner Manipulator der krisenlosen Gesell­schaft sei: „nach 1929 hat das Kapital gelernt, wie es die Wirtschaftszyklen kontrollieren, die Krisenmechanismen überwinden und vermeiden kann, von ihnen erdrückt zu werden, um sie poli­tisch gegen die Arbeiterklasse einzuset­zen.“ Sie schlugen deshalb folgende Lösung vor: „Das strategische Ziel der Arbeiterkämpfe – mehr Geld und weni­ger Arbeit – die gegen die Entwicklung des Kapitals durchgeführt werden, hat den theoretischen Ausgangspunkt bestä­tigt, von dem wir vor 10 Jahren ausgin­gen: die Einführung eines neuen Konzep­tes der Krise des Kapitals, die keine spontane Wirtschaftskrise mehr ist, welche von inneren Widersprüchen hervorgerufen wird, sondern eine politi­sche Krise, die von den subjektiven Bewegungen der Arbeiterklasse, durch ihre Forderungskämpfe hervorgerufen wird.“ (4)  

Nach der Leugnung, dass eine „neue revolutionäre Welle nur aus einer neuen Krise hervorgehen werde“, musste jetzt jedoch erklärt werden, warum diese Subjektivität der Arbeiter sich dazu durchgerungen hatte, 1968-69 wieder durchzubrechen und nicht 1954 oder 1982. Ihre Erklärung des Ursprungs dieses Kampfzykluses legt all das man­gelnde Begreifen von Potere Operaio bloß, oder vielmehr deren Ignoranz der Geschichte der Arbeiterbewegung.  

Die Niederlagen der 20er Jahre, der Ausschluss und schließlich die Aus­löschung der revolutionären Genossen durch die Kommunistische Internatio­nale, nachdem diese für das Lager der Konterrevolution wirkte, all das hat es aus der Sicht von Potere Operaio nie gegeben, da sich alles außerhalb der Fabriktore abspielte. Potere Operaio (PO) zufolge war die Einführung des Fließbandes ausschlaggebend, das „alle Arbeiter entqualifizierte und die revolu­tionäre Welle zurücktrieb“. Erst in den 30er Jahren übernahmen die historischen Organisationen der Klasse „das Projekt des Kapitals“, und dies geschah, weil sie die Umstrukturierung des Produktions­apparates gemäß den Wirtschaftstheorien von Keynes nicht verstanden hätten. Nachdem sie das Problem auf diese Weise gestellt und die historische Erfah­rung der Arbeiterklasse verworfen hat­ten, gab es keinen Anlass zu fragen, warum die Arbeiter erst 1968 erfuhren, dass „eine neue Gesellschaft und ein neues Leben möglich waren, dass eine neue, freie Welt durch die Kämpfe eröff­net wird.“ Es reichte aus zu antworten: „Wo sind die objektiven Bedingungen, die den subjektiven politischen Willen ermöglichen werden, sobald die Arbei­terklasse organisiert ist, um das revolu­tionäre Ziel zu erreichen?“ (PO, Nr. 38-39, Mai 1971). Dieser organisatorische Vorschlag von PO an die fortgeschritte­nen Arbeiter ging von einem tiefsitzen­den Misstrauen gegenüber der wirkli­chen Selbständigkeit der Arbeiterklasse aus, die als eine leicht formbare Masse in den Händen der Partei angesehen wurde, welche (zum Trost) „innerhalb der Klasse“ stand:  „Wir haben immer gegen diejenigen Opportunisten ge­kämpft, die Spontaneität „Spontaneismus“ nennen, anstatt ihre eigene Machtlosigkeit zuzugeben, wenn sie diese Spontaneität nicht anführen und in ein organisatorisches Projekt, in eine Führung der Partei, einbinden können.“ (PO, Nr.38-39, S. 4)

 Im Mittelpunkt der Widersprüche von PO ragt die Tatsache heraus: wenn PO von der Partei als einem Teil der Klasse spricht, meint sie damit nicht eine Or­ganisation, die um ein klares Programm und somit auf einer klaren politischen Grundlage die bewusstesten Elemente zusammenfasst, die in den Arbeiter­kämpfen gebildet wurden, ungeachtet ihres sozialen Ursprungs. Sondern sie spricht von einer Schicht, einem Teil der Klasse, der aus soziologischer Sicht direkt den Massenarbeitern und der „Massenvorhut im Kampf gegen die Arbeit“ angehört. Gegenüber Lenin, dem Bolschewik, verteidigte Martow, der Menschewik, die These, dass „jeder Streikende ein Mitglied der Partei“ sein könne. Die „Bolschewiki“ von PO ha­ben Martow ein wenig „aufgemöbelt“: „Jeder entschlossen Streikende ist Mit­glied der Partei.“ Die Partei ist einfach ein großes Basiskomitee und ihr einziges Problem besteht im Erreichen der He­gemonie der Massenarbeiter über die Passivität und den Widerstand bestimm­ter Schichten der Klasse. Um die Arbeiter wieder zu beleben, muss man ihnen einen voll ausgearbeite­ten Organisationsplan aushändigen: „Warum üben die Gewerkschaften noch die Kontrolle über den Ablauf der Kämpfe aus? Einfach wegen ihrer orga­nisatorischen Überlegenheit. Es handelt sich um ein „Management“-Problem. Ein Problem, wie man ein Mindestmaß an Organisation erreicht, wie man die Kämpfe glaubwürdig und annehmbar führt.“ Wenn man die Partei den kämp­ferischen Fraktionen der Klasse auf­zwingt, ist es unvermeidlich, wenn die Kampfbereitschaft nachlässt, dass die Partei sich mehr und mehr den Arbeitern substituiert, für sie stellvertretend han­delt, in einem „vollkommen subjektiven“ Weg hin zur Askese und zum Militaris­mus.  

Die Bildung des Bereichs der Autonomia und die Auflösung von Potere Operaio

 Die Arbeiterkämpfe im Herbst 1972, die mit der Besetzung des Fiat-Werkes Mirafiori im März 73 abschlossen, bewirkten einerseits einen Verlust der Glaubwürdigkeit der linksextremen Gruppen unter den Arbeitern (und somit zur Ausdehnung der selbständigen Organe), und andererseits entstand dadurch eine interne Krise bei PO. Die ausgesprochen den Willen betonende, militaristisch ausgerichtete Linie wurde kritisiert, da „die militärische Struktur als einzige dazu in der Lage ist, eine revolutionäre Rolle zu erfüllen, indem der Klassenkampf und die politische Rolle der Arbeiterkomitees verneint wird.“ (PO Nr. 50, November 73). Aber diese Verwerfung stieß nicht bis zu den theoretischen Grundlagen dieser Entartung vor, und sie wurde eher als eine Bestätigung der Thesen von PO verfasst als eine Kritik derselben. In Wirklichkeit wurde eine Neuauflage der alten These präsentiert, um irgendwie zu erklären, dass beim Ausbleiben von Arbeiterkämpfen die Krise sich in allen Ländern zuspitzen würde. Während man vorher betonte, dass die Krise durch die Avantgarde hervorgerufen worden sei, vertrat man nun die Auffassung, die mehr Anerkennung finden würde, dass  die Krise absichtlich von den Kapitalisten ausgelöst worden sei. „Die Kapitalisten lösen die Wirtschaftskrise aus und schaffen sie sooft aus der Welt, wie sie es für nötig halten, jeweils um die Arbeiterklasse zu schlagen.“ („Von den Kämpfen zur Entwicklung der Arbeiterautonomie“ der Autonomen Versammlungen von Alfa-Romeo und Pirelli und dem Kampfkomitee von Sit-Siemens, Mai 1973). Erneut weigert man sich, eine Bilanz der historischen Erfahrung des Proletariats zu ziehen, indem man einfach „berechtigterweise über die Form der Partei lachte, die die 3. Internationale entwickelt hatte“. Aber wenn die Arbeiterklasse über ihre eigene Vergangenheit nachdenkt, geschieht das nicht, um darüber zu lachen oder zu weinen, sondern um ihre Fehler zu begreifen, und um anhand dieser Erfahrung eine Klassenlinie festzulegen und um sich vom Klassenfeind abzugrenzen. Das revolutionäre Proletariat „lacht“ nicht über den „überholten Marxismus-Leninismus Stalins“, um besser den von Mao-Tse-Tung „erneuerten“ zu verherrlichen, sondern verwirft sie beide als Waffen der Konterrevolution. Aber genau das wollen die Neo-Autonomen nicht machen: „Aus dieser Sicht verwerfen wir jede dogmatische (?!) Unterscheidung zwischen Leninismus und Anarchismus: Unser Leninismus ist der von „Staat und Revolution“, und unser Marxismus-Leninismus ist der der chinesischen Kulturrevolution.“ (PO Nr. 50, S. 3). Worin besteht schlussendlich die Rolle der Revolutionäre? „Wir müssen dazu in der Lage sein, die Kraft der Arbeiterklasse zu vereinigen und zu organisieren; wir dürfen nicht stellvertretend für sie handeln.“ (Alle Avanguardie per il Partito, PO, Dez. 1970). Diese Aussage stelle die unüberwindbare Grenze dar, über die Autonomia Operia nie hinausgehen konnte, d.h. nur die Auffassungen als substitutionistisch zu betrachten, denen zufolge die Revolution von den Abgeordneten mit Reformen gemacht wird oder von den „militarisierten“ Studenten mit Molotov-Cocktails. Aber derjenige ist substitutionistisch, der das revolutionäre Wesen der Arbeiterklasse leugnet, mit all dem, was dies bedeutet. Wenn man behauptet, die Aufgabe der Revolutionäre bestünde in der Organisierung der Arbeiterklasse, leugnet man gerade die Fähigkeit der Klasse, sich gegenüber allen anderen Klassen der Gesellschaft selbst zu organisieren. Die Arbeiterräte der ersten revolutionären Welle wurden von den Arbeitermassen spontan gebildet; Lenin hat diese 1905 nicht organisiert, sondern sie anerkannt und in ihren Reihen die revolutionären Positionen der Partei verteidigt.  Wenn „die Organisation, die Partei, heute im Kampf gegründet wird“, wie kann man dann, sobald die Kämpfe beendet sind, das Überleben dieser Partei rechtfertigen, ohne in Substitutionismus zu verfallen? Die Avantgarden, die Revolutionäre schließen sich nicht um diesen oder jenen Kampf, sondern um ein politisches Programm zusammen. Auf der Grundlage desselben und als Ergebnis des Kampfes werden sie wiederum zu einem aktiven Faktor der Kämpfe, ohne jedoch von den Höhen und Tiefen der Bewegung abhängig zu sein, oder diese durch wohlgemeinte „Organisationsarbeit“ auszugleichen. Die Unfähigkeit zu begreifen, dass  Klasse und revolutionäre Organisation zwei unterschiedliche aber nicht entgegengesetzte  Wirklichkeiten sind, liegt an der Wurzel der substitutionistischen Auffassungen, die alle Partei und Klasse gleichsetzen. Wenn die Leninisten die Klasse mit der Partei gleichsetzen, kehren die Autonomen (unbewusste Nachkömmlinge des entarteten Rätekommunismus) nur die Sache um, indem sie die Partei mit der Klasse gleichsetzen. Diese Unfähigkeit ist das Symptom eines unvollständigen Bruchs mit den Gruppen der extremen Linke. Dies kommt durch die Autonome Versammlung von Alfa-Romeo gut zum Ausdruck, in der eine Aufgabenteilung theoretisiert wird, derzufolge die politischen Gruppen politische Kämpfe betreiben (d.h. politische und Bürgerrechte, Antifaschismus, kurzum das ganze arbeiterfeindliche Verschleierungsarsenal) und die autonomen Organe, die Kämpfe in den Fabriken und den Büros. All das ist logisch aus der Sicht derjenigen, die meinen „die Fähigkeit, Valpreda mit einer Abstimmung aus dem Gefängnis zu holen, war ein Teil des siegreichen Kampfes gegen den bürgerlichen Staat(!)“(Alfa-Romeo, Arbeiterzeitung des Kampfes 1972-73, Autonome Versammlung, Oktober 1973).

 Wie wir gesehen haben, ging die Autonomia Operaia von noch ein wenig konfuseren Grundlagen als PO  aus, während die Lage viel klarere Grundlagen erforderte. All diese proletarischen Bestrebungen, die zwar eine verwirrte aber gesunde Reaktion gegen die elende Praxis der extremen Linke darstellten, drehten sich nur im Kreise herum und versickerten, wenn sie weiter in diesem verwirrten Rahmen steckenblieben.         (Fortsetzung folgt).

 (Auszug aus Internationale Revue Nr. 16, englische, französische, spanische Ausgabe, 1979).  

Aufstieg und Niedergang der Autonomia Operaia 2. Teil

 

Ende der 60er Jahre entstand der Operaismus in Italien als Neuauflage der alten Arbeiterkultideologie der ‚Militanz am Arbeitsplatz‘. Als nach 1989 der Marxismus allgemein für bankrott erklärt wurde, witterte der Operaismus Morgenluft, da er seit jeher die klassischen Thesen des Marxismus wie etwa der Wirtschaftskrise des Kapitalismus oder die Unvermeidbarkeit des imperialistischen Krieges verworfen hatte. In Anbetracht der Fortentwicklung der Krise sowie des imperialistischen Krieges ist es nun höchste Zeit, die ursprünglichen Thesen nicht des Marxismus sondern des Operaismus kritisch, d.h. historisch zu hinterfragen.  Haben die Schlussfolgerungen, welche die Automia in Italien damals zog, der Prüfung durch die Geschichte standgehalten. Wir veröffentlichen nachfolgenden in Auszügen den zweiten Teil einer Kritik an Potere Operaio, die die IKS bereits 1979 verfasste (International Review, engl./franz./span. Ausgabe, Nr. 16). Der erste Teil des Artikels erschien in Weltrevolution Nr. 95. egenüber dem Rückfluss [des Klassenkampfes Anfang der 70er Jahre] liefert die Autonomia vor allem zwei Arten von Antworten: 

 G

1)       den voluntaristischen Versuch, dem Rückfluss gegenzusteuern, indem man einen immer frenetischeren und immer substitionistischeren Kurs gegenüber der Klasse einschlägt. 

2)       Die schrittweise Verlagerung des Fabrikkampfes auf neue Kampfgebiete, die natürlich “höherstehend” seien.

Aber über diese schrittweise Unterscheidung zwischen denen, die “durchhalten” wollen  und den “alternativen” Erneuerern stolpert und zerbricht das Projekt der Zentralisierung des “Bereichs der Autonomia”, welches mit großen Ansprüchen zu dem Zeitpunkt formuliert worden war, als Potere Operaio (PO)versuchte, innerhalb der Nationalen Koordination seine Politik durchzusetzen. Diese beiden Linien haben im großen und ganzen die beiden symmetrischen Abweichungen hervorgebracht, den Terrorismus und den Marginalismus, die sich beide überschnitten und ergänzten.  

Ohne hier diese beiden “Fäden” näher untersuchen zu können, ist es dennoch wichtig aufzuzeigen, dass sie die logische Fortentwicklung ihres Ursprungs aus der Arbeiterkultszene sind und keineswegs eine Ablehnung desselben.  

“Wenn der Arbeiterkampf das Kapital in die Krise und Defensive treibt, muss die Arbeiterorganisation schon technisch vorbereitete, solide Instrumente zu ihrer Verfügung haben, mit Hilfe derer man den Willen zum Angriff seitens der Arbeiter ausdehnen, verstärken und vorantreiben kann... Die ununterbrochene Revolution gegen die Arbeit herbeiführen und organisieren, Momente der Befreiung sofort festlegen und leben.. Dies ist die Aufgabe der Arbeiteravantgarde und unsere Auffassung von der Diktatur.” (4)  

Wie man sieht, bringt PO hier die Grundsatzpositionen zum Ausdruck, die die Wurzel seiner terroristischen “Linie” bilden.  

1)       Einerseits die Auffassung, die Krise sei erst durch den Druck des Klassenkampfes entstanden.  

2)       Andererseits die Auffassung der Revolutionäre als technische Organisatoren des Klassenkampfes. Deshalb müsse man eine “bestimmte Organisationsform” erreichen, um gegenüber der Arbeiterklasse glaubwürdig zu sein und mit den Gewerkschaften konkurrieren zu können  bei der “Verwaltung” der Kämpfe.  

In dem Maße, wie die Welle von Kämpfen von 68 nachließ, entwickelte man “Tricks”, die ein guter Techniker der Guerilla in den Fabriken kennen müsse, um seine Genossen am Arbeitsplatz zum “versprochenen Paradies” zu führen. So entstand und entfaltete sich die ganze mystische Herangehensweise der “Arbeiteruntersuchung”, d.h. der Untersuchung der Fabrikstrukturen – und der Produktionszyklen - durch die Avantgarden, um deren Schwachpunkte zu entdecken: Es würde dann ausreichen, an diesen Schwachpunkten anzusetzen, um den ganzen Zyklus zu blockieren und die Bosse “in die Enge zu treiben”. (...) Die Idee, ohne Vorwarnung zu dem Zeitpunkt und an dem Ort zuzuschlagen, wenn dies den Bossen am meisten wehtut, ohne dass dadurch gleichzeitig große Verluste für die Arbeiter entstehen, ist kein bloßer Einfall, sondern eine praktische Erkenntnis der Arbeiterklasse und wird  als “wilder Streik” bezeichnet. Das Neue ist die Idee (und dies ist tatsächlich  eine fixe Idee), dass der wilde Streik von den Avantgarden programmiert werden könnte, was aber ein Widerspruch in sich ist.  

Man könnte uns erwidern, dass dies alles stimme, aber wenn man nicht die Fabriken kenne, könnte man die Kämpfe verschiedener Sektoren nicht vereinigen, man würde sich verlieren und verlaufen etc.. Das stimmt. Aber es steht keineswegs fest, dass es dank der nächtelangen “Untersuchungen” einiger Militanter den Arbeitern, z.B. denen der Lackiererei, gelingen würde, sich zum Fließband, wo  Karosserien montiert werden, oder zur Stahlpresse zu begeben. Im Verlaufe ihres Kampfes löst die Klasse in der Praxis das Problem der Absperrungen und der Gitter, in- dem sie diese niederreißt.  

Dieser Punkt, der vielleicht als widersprüchlich erscheint, zeigt klar auf, dass hinter solch einer technisch-militärischen Auffassung des Klassenkampfes eine falsche Herangehensweise steckt. Die Vereinigung der Kämpfe wird nicht dadurch möglich, indem in jeder Gruppe Genossen die Pläne der Fabriken auswendig kennen. Aus dem Bedürfnis, die Kämpfe zu vereinigen, um aus den irreführenden Sackgassen der auf einzelne Bereiche beschränkten Kämpfe herauszukommen, wird die Klasse gezwungen, die Hindernisse auf dem Weg dieser Vereinigung beiseitezufegen. Um durch eine Demonstration die Arbeiter anderer Betriebe zur Teilnahme aufzurufen, ist es keinesfalls wichtig zu wissen, wo der Aus- oder Eingang eines Betriebes ist, sondern man muss verstanden haben, dass nur die Ausdehnung des Kampfes zum Sieg führen kann. In Wirklichkeit sind nämlich die schlimmsten Hindernisse keineswegs die Absperrungen, sondern diejenigen, die sich innerhalb der Arbeiterklasse mit viel Demagogie der Reifung der Klasse entgegenstellen. Die wirkliche Mauer, die niedergerissen werden muss, ist die, die jeden Tag von den Gewerkschaftsaktivisten, den Parteien und den “Arbeitergruppen” errichtet wird, die nämlich eine nahezu unsichtbare aber hohe Mauer aufbauen, welche das Proletariat innerhalb des “italienischen Volkes” einsperren und es von seinen Klassenbrüdern auf der Welt abspalten wollen. Das ist die Fußfessel, die es an die in Schwierigkeiten geratene Volkswirtschaft binden soll. Die demagogische und radikale “Verkleidung” dieser Hindernisse zu entblößen, deren konterrevolutionäres Wesen aufzuzeigen, das ist die besondere Rolle der Revolutionäre inner- und außerhalb der Betriebe, das ist ihr unersetzlicher Beitrag zur Herausbildung des Klassenbewusstseins und der Einheit der Klasse, die ganz andere Fabriktore aufbrechen wird als die von Fiat (...)  

Mittlerweile ist es schon zu einem Allgemeinplatz in den Publikationen von Autonomia geworden, dass sie den “Roten Brigaden” “Übertreibungen” des Militarismus und  Loslösung von den Massen vorwerfen. Die Brigaden haben deren Weg des Voluntarismus eigentlich nur konsequent zu Ende beschritten (...) Die Tatsache, dass all die Kritik der Arbeiterautonomie an den Roten Brigaden nie über das übliche opportunistische Jammern, einige Aktionen seien verfrüht, hinausgeht, und nie zum Wesentlichen vordringt, ist sicherlich kein Zufall, denn die Wurzeln dieses Tatbestandes liegen in der Theorie der Arbeiterautonomie selber.  

“Man kann keine ‚klassische‘ Aufstandstheorie mehr in den kapitalistischen Metropolen anwenden. Sie hat sich als überholt erwiesen; genauso wie sich das Verständnis der Krise als ein Zusammenbruch als überholt erwiesen hat... Der bewaffnete Kampf entspricht der neuen Form der Krise, die von der  Arbeiterautonomie aufgezwungen wurde, genauso wie der Aufstand der logische  Abschluss der alten Krisentheorie als wirtschaftlicher Zusammenbruch war.” (Potere Operaio, März 1973)  

Man kann nicht den Marxismus auf dem Altar  des subjektiven Willens der Massen opfern und dann ernsthaft diejenigen kritisieren (...), die den Lauf der Geschichte zu beschleunigen versuchen, indem sie den Massen ihren eigenen “Willen” aufzuzwingen versuchen. Der Militarismus der “Roten Brigaden” ist nur die konsequente und logische Weiterentwicklung des Arbeiteraktivismus der berühmt berüchtigten “Arbeiteruntersuchungen”.  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Operaismus [22]

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [23]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Weltrevolution Nr. 86

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Hände weg von Rosa Luxemburg

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Noch nie seit dem 2. Weltkrieg haben die linkskapitalistischen Vertreter gerade der deutschen Bourgeoisie sich so intensiv wie heute mit Rosa Luxemburg befaßt. Auf „Luxemburg-Tagen“ wie im Januar 1994 in Stuttgart oder im Januar 97 an der Berliner Humboldt-Universität berufen sich kleinbürgerliche Feministen, Antifas, Trikont-Aktivisten, Sprecher der Grünen und andere Feinde des Proletariats auf die große Vorkämpferin der Arbeiterklasse. Auf den jährlich im Januar stattfindenden Demonstrationen zum Jahrestag der Ermordung von  Liebknecht und Luxemburg mobilisiert die PDS, die Partei von Ulbricht, Honecker und Gysi, regelmäßig 100.000 Teilnehmer, um Rosa für eine Art „demokratischen“ und „humanistischen“ Stalinismus zu mißbrauchen. Diese Beanspruchung von Luxemburg durch die Bourgeoisie soll vor allem eins bewirken: die nach Klarheit suchenden  revolutionären  Elemente davon abzuschrecken, sich mit dem marxistischen Erbe Rosa Luxemburgs auseinanderzusetzen.

 

Diese plötzliche Beschäftigung der herrschende Klasse mit berühmten Revolutionären ist nicht zufällig. Nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen Stalinismus stellen sich kleine, politisierte Minderheiten der Arbeiterklasse  (aus der Überzeugung heraus, nicht der Kommunismus, sondern sein stalinistischer Erzfeind ist dort gescheitert) Fragen über das wirkliche historische und theoretische Erbe der  Arbeiterklasse.  Aus der Sicht  der Bourgeoisie droht die Gefahr, daß solche Suchende vermehrt die jahrzehntelang von der stalinistischen Konterrevolution begrabene Tradition der Kommunistischen Linke wiederentdecken, welche gerade im Kampf  gegen den Stalinismus gestählt wurde. Es gibt nun keinen „Klassiker“ des  Marxismus, dessen  Erbe derart unübersehbar zu den Traditionen der Kommunistischen Linke hinführt wie Rosa Luxemburg. Im Gegensatz zu den eigentlichen, heute kaum noch bekannten „Theoretikern“ des Linkskommunismus wie Pannekoek, Gorter oder Bordiga ist Luxemburg zudem so bekannt, daß ihr Beitrag zum Marxismus nicht einfach durch  Schweigen übergangen werden kann. Zudem hat sie schon so früh und eindringlich vor den Gefahren einer Degeneration der russischen Revolution gewarnt und deutlich das Ausbleiben der Weltrevolution als Hauptquelle dieser Degeneration genannt, daß es selbst den verdrehtesten Lügnern der Bourgeoisie schwerfällt, sie als Vorläuferin des Stalinismus hinzustellen. Kurzum: im jetzigen Zeitalter des Heranreifens revolutionärer Minderheiten der Arbeiterklasse bedeutet eine etwaige proletarische Auseinandersetzung mit dem Werk Luxemburgs etwas höchst gefährliches, das die Bourgeoisie zu verhindern trachtet. Um dies zu verhindern, gehört aber nicht  nur die falsche Beanspruchung dazu (die Zeitschrift ‘Vogue’, ein bekanntes bürgerliches Brechmittel, nannte Luxemburg die „Leidensmutter der Linken“), sondern auch die Peitsche der stalinoiden Gegenpropaganda. Dies besorgt im Stil der Moskauer Schauprozesse das kleinbürgerliche Blatt Bahamas. So erfahren wir in Bahamas Nr.22 1997 (1), daß

 

- die deutsche Vorkriegsarbeiterbewegung bis 1914 „Rosa Luxemburg eingeschlossen“ nichts als eine „lassalleanischen Bewegung“ war,

 

- Luxemburg in der proletarischen Revolution „weder das Lohnarbeitsverhältnis noch den Staat abschaffen“ wollte, und daß sie „bis zu  ihrem Tod“  eine „bürgerliche Revolution mit proletarischen Mittel“ anstrebte,

 

- „Luxemburg zur Kritik der Herrschaftsform Demokratie so unfähig wie die Leninisten“ war usw.

 

Es handelt sich hierbei nicht nur um die Hirngespinste aufgeblähter, verrückt gewordener Kleinbürger, welche sich hiermit der mächtigen Großbourgeoisie empfehlen möchten. Das Ganze hat Methode. So erfahren wir bereits in Bahamas Nr. 13, 1994, daß das gesamte Werk Rosa Luxemburgs nichts taugt und niemandem anempfohlen werden kann wegen ihres angeblich...“ökonomistischen Determinismus“! (3) An diesem Determinismus wiederum, erfahren wir, sei vor allem ‘ihre Dekadenztheorie schuld’.

 

Man sieht, worum es geht: die proletarische Wiederaneignung des unerläßlichen luxemburgschen Beitrags zu torpedieren.

 

„Hände weg von Rosa Luxemburg“ lautete der Titel eines bekannten Artikels, worin Leo Trotzki auf die Verleumdung der Mitbegründerin der KPD durch die stalinistische Konterrevolution antwortete. Heute wie damals gehört es zu den wichtigsten Zielen der herrschenden Klasse im Kampf gegen den Marxismus, den gigantischen Beitrag Rosa Luxemburgs zum historischen Erbe des Proletariats zu diskreditieren und zu entstellen.  Heute wie damals gehört es zu den Aufgaben der wirklichen Marxisten, diese Angriffe zurückzuschlagen.

 

Das  Erbe Rosa Luxemburgs

 

Rosa Luxemburg war, wie Franz Mehring zu recht bemerkte, der größte Theoretiker des Marxismus seit Karl Marx. Sie bildete die Speerspitze eines zwei Jahrzehnte dauernden Kampfes um die Verteidigung des Programms und der Organisation der Arbeiterklasse gegen Opportunismus und Verrat. Sie war, neben Karl Liebknecht und dem Spartakusbund, der politische Bezugspunkt des Kampfes gegen den imperialistischen Weltkrieg von 1914-18 in Deutschland und darüber hinaus. Schließlich hatte sie bereits begonnen, gegenüber der am Kriegsende ausbrechenden deutschen Revolution eine ähnliche Rolle auszufüllen wie die Lenins und Trotzkis in Rußland - bis sie 1919 von der sozialdemokratischen Konterrevolution ermordet wurde.

 

Vor allem wurde Rosa Luxemburg nach ihrem Tod zur bedeutendsten theoretischen Wegbereiterin und Inspiratorin der Kommunistischen Linken: der klarsten und entschiedensten Opposition gegen die opportunistische Entartung der  Komintern und gegen die stalinistische Konterrevolution. Nicht nur die deutsch-holländische Linke (die Tradition der aus der KPD und der Kommunistischen Internationalen zu Unrecht als „Kinderkrankheit des Kommunismus“ ausgeschlossenen KAPD) wurde maßgeblich durch ihre programmatischen Beiträge geprägt. Auch die Auslandsfraktion der italienischen Linken (welche die politische Arbeit der Begründer der Kommunistischen Partei Italiens um Bordiga seit Ende der 20er Jahre im Exil um die Zeitschrift Bilan fortsetzte) verdankte Luxemburg entscheidende Einsichten. (3)

 

Von Rosa Luxemburg übernahm die Kommunistische Linke das Verständnis, daß in der imperialistischen Epoche des niedergehenden Kapitalismus

 

- die Organisationsform des kämpfenden Proletariats nicht mehr permanente, bereits vor dem Kampf existierende Gewerkschaften sind, sondern im Kampf selbst entstehende, die ganze Klasse erfassende Massenorganisationen

 

- die  Rolle der Arbeiterpartei nicht mehr in der Organisierung und Erziehung des Proletariats, sondern in der politischen Führung der Klasse besteht (die beiden Hauptlehren ihrer Massenstreikbroschüre)

 

- jegliche nationale Bewegung zwangsläufig zum Bestandteil des reaktionären, inter-imperialistischen Räuberkampfes der Bourgeoisie wird, und somit von der Arbeiterklasse bekämpft werden muß (Juniusbroschüre).

 

Insbesondere bereitete Rosa Luxemburg - historisch, politisch wie ökonomisch- die Grundlagen für die Anwendung der marxistische Dekadenztheorie auf den Kapitalismus durch die Kommunistische Linke vor (vor allem in ihrem Buch ‘Die Akkumulation des Kapitals) und lieferte somit die theoretische Begründung der neuen Positionen, welche nach 1914 zuerst die Kommunistische Internationale und dann die Kommunistische Linke für die angebrochene Epoche von „Kriegen und Revolutionen“ formulierten. Was Lenin in der Frage der Notwendigkeit der Zertrümmerung  des bürgerlichen Staates leistete (die Wiederherstellung, Verteidigung und Vertiefung der ursprünglichen marxistischen Position), leistete vor allem Luxemburg und die auf ihr aufbauende Kommunistische Linke in der Frage der Dekadenz des Kapitalismus.

 

Gegen die Entdeckung dieser Errungenschaften macht Bahamas, macht die Bourgeoisie nun Front.

 

Die stalinistischen Methoden von Bahamas

 

Es gab 1917-18 keinen leidenschaftlicheren Verteidiger der Russischen Revolution als Rosa Luxemburg. Wie kein zweiter setzte sie sich für die kühne Politik der Bolschewiki ein, durch Taten die Flammen der Weltrevolution zu entfachen. Der letzte große Kampf ihres Lebens war ganz der Rettung der russischen Revolution durch ihre Ausdehnung auf Deutschland gewidmet. Während die sozialdemokratischen Verräter den Bolschewiki und dem russischen  und deutschen Proletariat angesichts der Feindschaft der Weltbourgeoisie dazu rieten, die  Waffen zu strecken, betonte Luxemburg  die Pflicht zur revolutionären Klassengewalt, um die  Barbarei des Kapitalismus zu beenden.

 

Zugleich übte sie in zwei wesentlichen Punkten eine solidarische Kritik gegenüber der Form der Ausübung der proletarischen Diktatur in Rußland. Zum einem unterschied sie scharfsinnig zwischen der unabdingbaren Klassengewalt der proletarischen Massen und einem von ihr wie vom ursprünglichen Spartakusbund verworfenen, staatlich institutionalisierten „Roten Terror“. Zum anderen verteidigte sie die Unterdrückung konterrevolutionärer Organisationen, vertrat aber vehement die revolutionäre Demokratie innerhalb der Arbeiterklasse im allgemeinen, sowie den „Pluralismus“ proletarischer Parteien insbesondere. Politische Richtschnur dieser Auffassung war: jede Gewaltanwendung in den Reihen der Arbeiterklasse selbst (und sei es im Namen der „Rettung der Revolution“) führe unweigerlich zu einer fatalen Schwächung des Trägers der Revolution selbst.(4)

 

Diese Ansichten Rosa Luxemburgs, später von führenden Vertretern des Linkskommunismus sowie anderen Oppositionsgruppen gegen den Stalinismus (auch in Rußland selbst) übernommen, gehören heute wesentlich zur Schatzkammer der marxistischen Theorie über die Ausübung der revolutionären proletarischen Diktatur. Und sie beweisen:  da, wo die russischen Revolutionäre tatsächlich Fehler begangen haben (das unvermeidliche Lehrgeld der ersten landesweiten proletarischen Machtergreifung überhaupt), waren es die Marxisten selbst, welche diese Fehler erkannten und korrigierten.

 

Kein Wunder also, wenn Bahamas gerade diese Beiträge Rosa Luxemburgs ins Visier nimmt. Hier sieht man, wozu das ganze aufgeblasene Geschwafel über den angeblichen „ökonomischen Determinismus“ Luxemburgs dient. Denn Bahamas, auf die Tradition der sog. „Frankfurter Schule“ (Adorno, Marcuse usw.) zurückgreifend, will vor allem eins beweisen: die Arbeiterklasse ist keine   revolutionäre Klasse. Folgerichtig bewertet Bahamas „den Glauben an das sozialistische Wesen der proletarischen Masse“ als Beweis für den „auf dem Ökonomismus basierenden Humanismus der Luxemburg“. Im Klartext: Luxemburg glaubte nur deshalb, die proletarische Diktatur muß von dem von Bahamas verachteten Proletarier selbst ausgeübt werden, weil sie die Revolution als etwas automatisch Vorbestimmtes, von allein Sich-Vollziehendes ansah - wo sowieso nichts schief gehen kann. Der sog.  „ökonomistische Determinismus“, wogegen Bahamas wettert, ist tatsächlich nichts anderes als die eiserne marxistische „Determinierung“ der revolutionären Rolle des Proletariats als „Totengräber“ dieser Gesellschaft aus seiner Stellung in der kapitalistischen Produktion heraus. Zuviel für die zarten Verdauungsorgane unserer sensiblen kleinbürgerlichen Intellektuellen, welche die Rolle der Menschheitsbefreier eher für sich selbst in Aussicht stellen wollen. Sie schäumen geradezu vor beleidigter Wut angesichts dieses verhaßten marxistischen „Determinismus“. Als brave universitäre „Marxologen“ versuchen sie Rosa Luxemburg etwas anzulasten, was bereits schwarz auf  weiß im Kommunistischen Manifest steht. Als ob der berühmte Ausspruch „die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein“ nicht von Marx selbst stammen würde!

 

Diese ohnmächtige Wut linksintellektueller Zwischenschichten führt Bahamas zu Ver­leumdungen Rosa Luxemburgs in bester stali­nistischer Manier. Nicht zufällig: es handelt sich bei solchen Gruppen ohnehin zumeist um vom Zusammenbruch des Ostens enttäuschte ehemalige Stalinisten. Nun stimmen sie mit echter Inbrunst in die laufende Kampagne über den „Zusammenbruch der  Arbeiterbewegung“ und  den „Bankrott der alten Klassenkampf­theorie“ ein. Dabei läßt sich Bahamas zu Verleumdungen hinreißen, welche Stalin selbst in den Schatten stellen: ‘Rosa Luxemburg als Aushängeschild der BRD und der PDS!’

 

- „...die Demokratietheorie der Luxemburg ist, entkleidet man sie des Ökonomismus, der  ideale Anknüpfungspunkt für ehemals Linke, die die bestehende Bundesrepublik, dieses kapitalistische, parlamentarisch verfaßte System, für den optimalen Ausgangspunkt für einen „demokratischen Sozialismus“- in dem die Formen demokratischer Herrschaft verfeinert und einer breiteren TrägerInnenschaft zugänglich gemacht werden - halten.“

 

- In demselben „Dilemma“ (Rosa Luxemburgs gegenüber der Demokratie) „befindet sich z.B. die PDS, die Partei des demokratischen Sozialismus“ (ibid).

 

Was Luxemburg über die bürgerliche Demokratie und die „Demokratie als solche“ wirklich dachte, kann jeder selber nachlesen - hier nur eine Kostprobe: ‘Was bisher als Gleichberechtigung und Demokratie galt: Parlament, Nationalversammlung, gleicher Stimmzettel, war Lug und Trug! Die ganze Macht in der Hand der arbeitenden Masse als revolutionäre Waffe zur Zerschmetterung des Kapitalismus - das allein ist wahre Gleichberechtigung, das allein wahre Demokratie!’ (17.12.1918, Werke Band 4, S.461). 

 

Eine letzte Anmerkung dazu: Bahamas Kampagne gegen Luxemburgs „Demokratieverständnis“ dient der Verleumdung nicht nur der von ihr gezogenen Lehren aus der Russischen Revolution, sondern ebenso der Bekämpfung ihres theoretischen Hauptwerks „Die Akkumulation des Kapitals“. Letzteres wird als eigentliche Quelle ihres angeblichen Determinismus ausgemacht. Bahamas schreibt,  für Luxemburg entstehe die „revolutionäre Periode“ erst, wenn insbesondere „die Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts und damit die Kapitalakkumulation nicht mehr möglich sind,“ so daß der Sieg des Sozialismus dann von vornherein feststünde.  Jeder, der Luxemburg gelesen hat, weiß, daß für sie dieser theoretische Endpunkt der Kapitalakkumulation historisch nie eintritt und gar nicht eintreten kann, da lange zuvor der Klassenkampf „mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft“ endet „oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, um mit dem Kommunistischen Manifest zu sprechen. Die Periode des revolutionären Massenstreiks, in der der Sturz der Bourgeoisie möglich wird, kündigt sich für Luxemburg bereits 1905 in Rußland an und tritt mit dem 1. Weltkrieg endgültig in Kraft.

 

Hinter der „Determinismuskritik“: ein anarchistischer Angriff auf den Marxismus

 

Was steckt tatsächlich hinter dem großspurigen Bluff von Bahamas, Rosa Luxemburg des „ökonomistischen Determinismus“ zu bezichtigen?

 

Mit Determinismus ist hier Fatalismus gemeint: der quasi-religiöse, anti-marxistische Glaube, daß der Verlauf der Geschichte vorbestimmt, in ihrem Ausgang von vornherein feststeht, bar jeder Beeinflussung durch die menschlichen Subjekte der Geschichte. Der Begriff „ökonomistische Determinismus“ meint hier, dieser  unabwendbare  Gang nicht vom „Willen Gottes“- die Geschichtsauffassung der Zeugen Jehovas etwa-, sondern von den objektiven Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft abzuleiten. Dies wäre eine pseudo- marxistische Form des Fatalismus. Laut Bahamas vertrat nicht nur Luxemburg, sondern die  gesamte Arbeiterbewegung vor dem 1. Weltkrieg -in Anlehnung an Lassalle und im Gegensatz zu Marx-  einen solchen wirtschaftlichen Fatalismus.

 

„Was ist dann die Aufgabe der Sozialdemokratie?“ fragt Bahamas. „Diese wird bei Rosa Luxemburg zu dem, was Max Weber der SPD in der Kritik des Ökonomismus vorgeworfen hatte: zu einem Verein zur Herbeiführung einer ohnehin stattfindenden Sonnenfinsternis.“ Soll heißen, Luxemburg kämpfte nicht wirklich für den Sozialismus, weil sie geglaubt haben soll, dieser würde sich von allein durchsetzen. 

 

Um diesen Vorwurf zu erhärten, zitiert Bahamas (unvorsichtigerweise) aus Luxemburgs „Juniusbroschüre“.

 

„Der wissenschaftliche Sozialismus hat uns gelehrt, die objektiven Gesetze der geschichtlichen Entwicklung zu begreifen. Die Menschen machen  ihre Geschichte nicht aus freien Stücken. Aber sie machen sie selbst. Das Proletariat ist in seiner Aktion von dem jeweiligen Reifegrad der gesellschaftlichen Entwicklung abhängig, aber die gesellschaftliche Entwicklung geht nicht jenseits des Proletariats vor sich, es ist im gleichen Maße ihre Triebfeder und Ursache, wie es ihr Produkt und ihre Folge ist. Seine Aktion selbst ist mitbestimmender Teil der Geschichte. Und wenn wir die geschichtliche Entwicklung sowenig überspringen können wie der Mensch seinen Schatten, so können wir sie doch beschleunigen oder verlangsamen.“

 

Mögen unsere Leser spätestens an dieser Stelle in schallendes Gelächter ausbrechen. Die armen Bahamisten merken nicht mal, wie dieses Zitat, anstatt ihre sogenannte These zu erhärten,  das  genaue Gegenteil beweist. Und überhaupt: die Juniusbroschüre ist eine der glänzendsten jemals geschriebenen Verteidigungen des Marxismus gegen jeglichen Determinismus. Dort zerstört Rosa die Legende von der automatisch sich einstellenden Revolution und formuliert die schreckliche Alternative des 20. Jahrhunderts: Sozialismus oder Barbarei. Dort zeigt sie die Existenz zweier feindlicher, einander ausschließenden „Determinismen“: den des Proletariats und der Bourgeoisie. Insbesondere hängt  für Luxemburg der Sieg der Revolution vor allem vom  Bewußtseinsstand des Proletariats selbst - also vom berühmten „subjektiven“ Faktor der Geschichte - ab. Rosa Luxemburg lebte  und starb in der Gewißheit, daß der Sozialismus nur als bewußter Akt des Proletariats, als erstes völlig bewußtes, ausschlaggebendes Eingreifen der revolutionären Massen selbst im Verlauf der Weltgeschichte möglich sein wird.

 

Vertritt Luxemburg in dieser Frage Marx, vertritt Bahamas den alten anarchistischen Aberglauben, daß die Revolution jederzeit durch bloße Willensbekundung möglich ist. Während für den Marxismus die Revolution nicht der Schöpfer der neuen Gesellschaft ist, sondern deren Geburtshelfer, dessen Eingreifen für eine erfolgreiche Niederkunft unabdingbar ist, hält es Bahamas mit Bakunin oder mit den frühen Christen vor 2000 Jahren:

 

„Kein technizentristisch oder ökonomistisch bestimmter Stand irgendeines Produktionszweiges oder der Produktion als solcher ist maßgeblich für eine revolutionäre Situation verantwortlich, sondern nur die Kämpfe selbst.  Diese können überall ausbrechen und in einer Art Dominoeffekt aus allen Bereichen der Gesellschaft kommen und alle ergreifen.“ (S.43). Somit entpuppt sich der Angriff unserer Anarcho-Stalinisten -“theoretisch“ gesprochen- als beherzte Verteidigung der absoluten Freiheit des kleinbürgerlichen Individuums gegen den Zwang aller als „Determinismus“ empfundenen Gesetze - einschließlich die Gesetze der Geschichte selbst! Unsere eingebildeten „Philosophen“ erahnen nicht, was vor dem Marxismus bereits der Philosoph Hegel sehr gut wußte: daß Freiheit und Notwendigkeit sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig bedingen. M.a.W. das Proletariat muß die Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Entwicklung begreifen und sich daran halten, um die Welt erfolgreich  verändern zu können. Dafür haben wir den Marxismus.

 

Bahamas: Ein Feind  der  Arbeiterbewegung

 

Genau diese großartige, für die Befreiung des Proletariats unerläßliche Kontinuität der marxistischen Theorie will Bahamas treffen. Die Verteidigung  und Entwicklung marxistischer Theorie ist das Anliegen nicht von kleinbürgerlichen Intellektuellen, wie Bahamas glauben läßt, sondern der organisierten Arbeiterbewegung, wie Rosa Luxemburg exemplarisch zeigt. Damit diese Theorie zukünftig die proletarischen Massen ergreifen wird, muß sie sich heute auf  den  festen Boden der vergangenen Beiträge der organisierten Arbeiterbewegung gründen. Die Werke Rosa Luxemburgs bilden einen wesentlichen Bestandteil dieser Grundlage.

 

Bahamas hingegen verrichtet nur die Arbeit der Bourgeoisie, indem sie im Rahmen der herrschenden Kampagne über den „Tod des Sozialismus“ zum Bruch mit der vergangenen Arbeiterbewegung, zum Bruch mit Rosa Luxemburg aufruft.

 

„Die Person Rosa Luxemburg von  der Arbeiterbewegung zu lösen, ist falsch. Die  historische Berechtigung dieser Bewegung hat mit dem Nationalsozialismus, spätestens aber 1989 aufgehört. Der Zusammenbruch des realen Sozialismus symbolisierte das Ende ihrer historischen Wahrheit und Wirksamkeit. (...) wir sollten ein für alle Mal einen Bruch mit dieser Tradition vollziehen..“ (Bahamas Nr.22 S.30).

 

Bahamas verrät am Ende seine wahre Absicht: die Zerstörung des historischen Erfahrungsschatz des  Proletariats.     Ha.

 

  • (1) „Rosa Luxemburg und die Demokratie- über einen linken Mythos“.

     

  • (2) „Madame Geschichte und die Kämpfe: Zur Kritik der Rosa-Luxemburg-Nostalgie“.

     

  • (3) Der Einfluß der Werke Luxemburgs auf Bilan wurde vor allem durch die belgische Fraktion der „italienischen“ Linken vermittelt, welche auch die Positionen der Linkskommunisten in den Niederlanden gut kannten. Nicht zuletzt dank des Werkes Rosa Luxemburgs wurde somit ein kurzer, aber geschichtlich enorm wichtiger Prozeß der gegenseitigen Befruchtung zwischen den italienischen und den deutsch-holländischen Linken ermöglicht. Unsere eigene Organisation, die IKS, beruft sich gerade auf die Synthese zwischen den verschiedenen Hauptströmungen der Kommunistischen Linken. Zur Geschichte der italienischen und der deutsch-holländischen Linken siehe unsere dazu auf Deutsch erschienenen Broschüren bzw. unsere Bücher auf Französisch  und z.T. auf Englisch (über unsere Adressen erhältlich).

     

  • (4) Diese Ansichten Rosa Luxemburgs, als Antwort auf die Probleme der russischen und der deutschen Revolution formuliert, werden u..a. in ihrer Gefängnisschrift über die Russische Revolution sowie in „Was will der Spartakus-Bund“ entwickelt.

     

 

Weltrevolution Nr. 87

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1848: Veröffentlichung des Kommunistischen Manifestes - Ein unabdingbarer Kompaß für die Zukunft der Menschheit

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„Ein Gespenst geht um in Europa- das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten." (Manifest, Einleitung)

 

Diese Einleitungssätze aus dem Manifest, das vor genau 150 Jahren geschrieben wurde, sind heute mehr als je zuvor gültig. Anderthalb Jahrhunderte nachdem der Bund der Kommunisten seine berühmte Kriegserklärung des revolutionären Proletariats gegen das kapitalistische System verfaßte, fürchtet die herrschende Klasse immer noch das Gespenst des Kommunismus.

Die bürgerlichen ‘Gespenster des Kommunismus’

Das Kommunistische Manifest wurde zu einem entscheidenden Zeitpunkt in der Geschichte des Klassenkampfes geschrieben, nämlich als die Klasse, die Träger des kommunistischen Projektes ist, das Proletariat, anfing, sich als unabhängige Klasse in der Gesellschaft zu bilden. In dem Maße wie das Proletariat seine eigenen Kämpfe für seine Lebensbedingungen entfaltete, hörte der Kommunismus auf, ein abstraktes Ideal zu sein, das von utopischen Strömungen ausgedacht worden war, um zu der praktischen gesellschaftlichen Bewegung zur Abschaffung der Klassengesellschaft und zur Schaffung einer wirklich menschlichen kommunistischen Gesellschaft zu werden. Als solches bestand die Hauptaufgabe des Manifestes in der Ausarbeitung des wirklichen Wesens des kommunistischen Ziels des Klassenkampfes und der Hauptmittel zur Durchsetzung dieses Ziels. Dies wiederum erklärt die gigantische Bedeutung des Manifestes heute gegenüber all den Verleumdungen des Kommunismus und des Klassenkampfes durch die Bourgeoisie. Diese Bedeutung versucht die Bourgeoisie heute zu verheimlichen.

So versteht man im allgemeinen heute nicht, was mit dem berühmten Einleitungssatz des Manifestes, mit dem ‘Gespenst des Kommunismus’ gemeint ist. Das bedeutet, daß damals wie heute nicht der Kommunismus des Proletariats, sondern der falsche und reaktionäre ‘Kommunismus’ anderer gesellschaftlicher Schichten, den ‘Kommunismus’ eingeschlossen, der von der herrschenden Klasse erfunden wurde, die öffentliche Aufmerksamkeit beherrschte. Dies hieß, daß die Bourgeoisie, die es nicht wagt, die kommunistischen Tendenzen, die schon innerhalb des proletarischen Klassenkampfes bestehen, offen zu bekämpfen und sie damit öffentlich anerkennt, diese Verwirrung ausnutzt, um die Entwicklung des selbständigen Klassenkampfes der Arbeiterklasse zu bekämpfen.

‘Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Kommunismus nicht zurückgeschleudert hätte

Schon 1848 stand in einem gewissen Maße dieses falsche ‘Gespenst des Kommunismus’ im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzungen, so daß es für das junge Proletariat besonders schwierig war zu begreifen, daß der Kommunismus alles andere als getrennt von oder gar den täglichen Klassenkämpfen entgegengesetzt ist, sondern dem eigentlichen Wesen, der historischen Bedeutung und dem Endziel dieses Kampfes entspricht. Daß, wie das Manifest schrieb, „die theoretischen Sätze der Kommunisten... nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung sind." (ebenda, S. 475) Hierin liegt die dramatische Aktualität des Kommunistischen Manifestes. Genauso wie vor anderthalb Jahrhunderten zeigt uns das Manifest heute den Weg nach vorne, indem dieganzen Verfälschungen über den Kommunismus, die gegen die Arbeiterklasse gerichtet sind, aufgezeigt werden. In Anbetracht eines völlig neuen Geschichtsphänomens - Massenarbeitslosigkeit und Massenverarmung im industrialisierten Großbritannien, der Erschütterung eines immer noch halb-feudalen Europas durch zyklische Handelskrisen, der internationalen Ausdehnung der revolutionären Unzufriedenheit der Massen am Vorabend des Jahres 1848 - die am meisten bewußten Teile der Arbeiterklasse tasteten sich schon hin auf ein klareres Begreifen, daß durch die Bildung einer neuen Klasse von besitzlosen Produzenten, die durch die assoziierte Arbeit in der modernen Industrie international mit einander verbunden war, der Kapitalismus seinen eigenen potentiellen Totengräber geschaffen hatte. Die ersten großen kollektiven Arbeiterstreiks in Frankreich und anderswo, das Entstehen einer ersten proletarischen Massenbewegung in Großbritannien (Chartisten) und die Klärungen des sozialistischen Programms vor allem durch die Arbeiterorganisationen in Deutschland (von Weitling bis zum Bund der Kommunisten) brachten diese Fortschritte zum Vorschein. Um aber die proletarische Bewegung auf einer soliden Klassenbasis zu stellen, war es vor allem notwendig, das kommunistische Ziel dieser Bewegung ins richtige Licht zu rücken, wodurch auch der ‘Sozialismus’ der anderen Klassen bekämpft wurde. Die Klärung dieser Frage war dringend geboten, denn 1848 befand sich Europa vor dem Ausbruch von revolutionären Bewegungen, die in Frankreich ihren Höhepunkt mit der ersten massiven Konfrontation zwischen Bourgeoisie und Proletariat erreichen sollten.

Deshalb befaßt sich das Kommunistische Manifest in einem ganzen Abschnitt mit dem reaktionären Wesen des nicht-proletarischen Sozialismus, der auch die Elemente umfaßt, die in Wirklichkeit Ausdrücke der herrschenden Klasse und direkt gegen die Arbeiterklasse gerichtet sind:

- der feudale Sozialismus, der zum Teil auf die Mobilisierung der Arbeiter für den reaktionären Widerstand des Adels gegen die Bourgeoisie abzielt,

- der bürgerliche Sozialismus, der Ausdruck der Tatsache ist, daß „ein Teil der Bourgeoisie den sozialen Mißständen abzuhelfen (wünscht), um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern." (ebenda, S. 488)

Das Manifest wurde also geschrieben, um vor allem dieses ‘Gespenst des Kommunismus’ zu bekämpfen. Wie das Vorwort dazu meint: „Es ist hohe Zeit, daß die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen."(ebenda, S. 461)

Die Hauptteile dieser Darlegung waren die materialistische Geschichtsauffassung und die klassenlose kommunistische Gesellschaft, die an die Stelle des Kapitalismus treten sollte. Die brillante Lösung dieser historischen Aufgabe läßt heute das Manifest zum unabdingbaren Ausgangspunkt des Kampfes der Arbeiterklasse gegen den ideologischen Mist der Bourgeoisie werden, den die stalinistische Konterrevolution hinterlassen hat. Weit davon entfernt, eine überholte Schrift aus der Vergangenheit zu sein, ging 1848 seiner Zeit weit voraus. Zur Zeit seiner Veröffentlichung glaubte es fälschlicherweise, daß der Zerfall des Kapitalismus und der Sieg der Arbeiterrevolution kurz bevorstünde. Erst im 20. Jahrhundert konnte die Verwirklichung der revolutionären Auffassung des Marxismus auf die Tagesordnung der Geschichte gestellt werden. Wenn man es heute liest, meint man, daß es erst vor kurzem geschrieben wurde, dank seiner Formulierungen der Widersprüche der gegenwärtigen bürgerlichen Gesellschaft und der notwendigen Überwindung durch den Klassenkampf des Proletariats. Diese fast überwältige Aktualität stellt den Beweis dar, daß es ein echter Ausdruck einer wirklich revolutionären Klasse ist, die die Zukunft der Menschheit in ihren Händen trägt, und die gleichzeitig über eine umfassende und realistische langfristige Sicht der Menschheitsgeschichte verfügt.

?" (Manifest, MEW Bd.4, S. 461)

Das Manifest: eine unschätzbare Waffe gegen den Stalinismus

Natürlich wäre es falsch, den naiven feudalen und bürgerlichen ‘Sozialismus’ von 1848 mit der stalinistischen Konterrevolution der 30er Jahre zu vergleichen, die die erste siegreiche proletarische Revolution in der Geschichte im Namen des Sozialismus zerstörte und die kommunistische Vorhut der Arbeiterklasse physisch liquidierte und die Arbeiterklasse der barbarischsten kapitalistischen Ausbeutung unterwarf. Aber das Kommunistische Manifest deckte schon den gemeinsamen Nenner des ‘Sozialismus’ der ausbeutenden Klassen auf. Was Marx und Engels über den ‘konservativen oder bürgerlichen Sozialismus’ von damals schrieben, trifft voll auf den Stalinismus des 20. Jahrhunderts zu.

„Unter Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse versteht dieser Sozialismus aber keineswegs die Abschaffung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse, die nur auf revolutionärem Wege möglich ist, sondern administrative Verbesserungen, die auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse vor sich gehen, also an dem Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern, sondern im besten Fall der Bourgeoisie die Kosten ihrer Herrschaft vermindern und ihren Staatshaushalt vereinfachen." (ebenda, S. 489) Der Stalinismus verkündete, daß trotz des Vorhandenseins der von ihr so bezeichneten ‘sozialistischen’ Lohnarbeit das Erzeugnis dieser Arbeit der produzierenden Klasse gehöre, da die persönliche Ausbeutung durch Einzelkapitalisten durch den Übergang des Eigentums in Staatsbesitz ersetzt worden war. Als ob es schon darauf eine Antwort liefern wollte, steht dazu im Manifest:

„Schafft aber die Lohnarbeit, die Arbeit des Proletariers ihm Eigentum?" Das Manifest antwortet: „Sie schafft das Kapital, d.h. das Eigentum, welches die Lohnarbeit ausbeutet, welches sich nur unter der Bedingung vermehren kann, daß es neue Lohnarbeit erzeugt, um sie von neuem auszubeuten. Das Eigentum in seiner heutigen Gestalt bewegt sich in dem Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit [....]. Kapitalist sein, heißt nicht nur eine rein persönliche, sondern eine gesellschaftliche Stellung in der Produktion einnehmen. Das Kapital ist ein gemeinschaftliches Produkt und kann nur durch eine gemeinsame Tätigkeit vieler Mitglieder, ja in letzter Instanz nur durch die gemeinsame Tätigkeit aller Mitglieder der Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden. Das Kapital ist also keine persönliche, es ist eine gesellschaftliche Macht." (ebenda, S. 475)

Dieses grundlegende Begreifen des Manifests daß die juristische Ersetzung der Einzelkapitalisten durch Staatsbesitz im Gegensatz zu den Lügen der Stalinisten keineswegs das kapitalistische Wesen der Ausbeutung der Lohnarbeit aufhebt wurde von Engels sogar noch ausdrücklicher im Anti-Dühring formuliert:

‘Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaft noch die in Staatseigentum, hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf (...) Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesmtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben.’

Aber vor allem indem der grundlegende Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus aufgezeigt wird, zeigt das Manifest den eindeutig bürgerlichen Charakter der früheren stalinistischen Länder.

„In der bürgerlichen Gesellschaft ist die lebendige Arbeit nur ein Mittel, die aufgehäufte Arbeit zu vermehren. In der kommunistischen Gesellschaft ist die aufgehäufte Arbeit nur ein Mittel, um den Lebensprozeß der Arbeiter zu erweitern, zu bereichern, zu befördern."

Deshalb sind die Erfolge des Stalinismus bei der Industrialisierung in Rußland in den 30er Jahren auf Kosten einer wilden und brutalen Absenkung des Lebensstandards der Arbeiter der beste Beweis des bürgerlichen Wesens dieses Regimes. Die Entwicklung der Produktivkräfte auf Kosten der Kaufkraft der Produzenten ist die historische Aufgabe des Kapitalismus. Die Menschheit mußte durch diese Hölle der Kapitalakkumulation gehen, damit die materiellen Voraussetzungen für eine klassenlose Gesellschaft geschaffen werden. Der Sozialismus dagegen zeichnet sich bei jedem einzelnen Schritt in Richtung auf dieses Ziel dadurch aus, daß es zu einem quantitativen und qualitativen Wachstum des Verbrauchs kommt, insbesondere beim gestiegenen Verbrauch von Lebensmitteln, Kleidung und dem Bau von Wohnungen. Deshalb bezeichnete das Manifest die relative und absolute Verarmung der Arbeiterklasse als das Hauptmerkmal des Kapitalismus, wo klar wird, daß die ‘Bourgeoisie unfähig ist zu ‘herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muß, statt von ihm ernährt zu werden. Die Gesellschaft kann nicht mehr unter ihr leben, das heißt, ihr Leben ist nicht mehr verträglich mit der Gesellschaft.’ (ebenda, S. 473). Und dies trifft in einem doppelten Sinn zu: weil Verarmung die Arbeiterklasse zur Revolution treibt, und weil diese Massenverarmung bedeutet, daß die Ausdehnung kapitalistischer Märkte mit der Ausdehnung der kapitalistischen Produktion nicht Schritt halten kann. Das Ergebnis ist: die Produktionsform erhebt sich gegen die Austauschform, die Produktivkräfte erheben sich gegen eine Produktionsform, über die sie hinausgewachsen sind; das Proletariat erhebt sich gegen die Bourgeoisie, lebendige Arbeit gegen die Herrschaft toter Arbeit. Die Zukunft der Menschheit [.....] gegen die Beherrschung der Gegenwart durch die Vergangenheit.

(ebenda, S. 476)
(Anti-Dühring, MEW 20, S. 260).

Das Manifest: die marxistische Zerstörung der Lüge des ‘Sozialismus in einem Lande’

Der Kapitalismus hat in der Tat die Vorbedingungen für eine klassenlose Gesellschaft geschaffen; zum ersten Mal steht der Menschheit die Möglichkeit offen, den Überlebenskampf des Menschen gegen den Menschen zu überwinden und eine Fülle von Subsistenzmitteln und menschlicher Kultur zu schaffen. Allein aus diesem Grunde lobt das Manifest die revolutionäre Rolle der bürgerlichen Gesellschaft. Aber diese Vorbedingungen - insbesondere der Weltmarkt und das Weltproletariat selber - bestehen nur auf Weltebene. Die höchste Form kapitalistischer Konkurrenz (die selbst nur die moderne Version des althergebrachten Kampfes des Menschen gegen den Menschen ist, um unter den Bedingungen des Mangels zu überleben), ist der wirtschaftliche und militärische Überlebenskampf zwischen bürgerlichen Nationalstaaten. Deshalb ist die Überwindung der kapitalistischen Konkurrenz und die Errichtung einer wirklich kollektiven menschlichen Gesellschaft nur möglich durch die Überwindung des Nationalstaates, durch eine proletarische Weltrevolution. Nur die Arbeiterklasse kann diese Aufgabe erfüllen, da - wie das Manifest erklärt - die Arbeiter kein Vaterland haben. Die Herrschaft der Arbeiterklasse, so wird im Manifest aufgezeigt, wird nationale Grenzen und Gegensätze zwischen den Völkern mehr und mehr verschwinden lassen.

„Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung

Schon vor dem Manifest antworteten Marx und Engels in ‘Grundsätze des Kommunismus’ auf die Frage, ob die sozialistische Revolution in einem einzigen Lande allein vor sich gehen könne, folgendermaßen: „Nein. Die große Industrie hat schon dadurch, daß sie den Weltmarkt geschaffen hat, alle Völker der Erde, und namentlich die zivilisierten, in eine solche Verbindung zueinander gebracht, daß jedes einzelne Volk davon abhängig ist, was bei einem andern geschieht [....]. Die kommunistische Revolution wird daher keine bloß nationale, sie wird eine in allen zivilisierten Ländern, d.h. wenigstens in England, Amerika, Frankreich und Deutschland gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein." (Grundsätze des Kommunismus, MEW 4, S. 374)

Dies ist ein letzter tödlicher Schlag des Manifestes gegen die bürgerliche Ideologie der stalinistischen Konterrevolution - gegen die sogenannte Theorie des Sozialismus in einem Land. Das Kommunistische Manifest war der Kompaß, der der weltweiten revolutionären Welle von Kämpfen von 1917-23 den Weg wies. Mit dem glorreichen Schlachtruf „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!", kämpften die Arbeiter 1917 in Rußland in ihrem heldenhaften Kampf gegen den imperialistischen Krieg ums Vaterland und als sie die Macht ergriffen, um die Weltrevolution zu beginnen. Das Kommunistische Manifest war ebenso der Dreh- und Angelpunkt der berühmten Programmrede Rosa Luxemburgs auf dem Gründungskongreß der KPD inmitten der deutschen Revolution und auf dem Gründungskongreß der Kommunistischen Internationale im März 1919. Und genauso war es der kompromißlose proletarische Internationalismus des Manifestes und der ganzen marxistischen Tradition, der Trotzki bei dessen Kampf gegen ‘den Sozialismus in einem Land’ inspirierte, und der der Kommunistischen Linken in ihrem mehr als 50 Jahre langen Kampf gegen die stalinistische Konterrevolution als Richtschnur diente.

Die Kommunistische Linke ehrt heute das Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 nicht als einen Überrest aus einer fernen Vergangenheit, sondern als eine mächtige Waffe gegen die Lüge, daß der Stalinismus Sozialismus gewesen wäre. Das Manifest ist und bleibt ein unverzichtbarer Kompaß für die notwendige revolutionäre Zukunft der Menschheit. (leicht gekürzte Fassung eines Artikels aus Internationale Revue Nr. 93).

[des Proletariats]." (ebenda, S. 479)

(1) Schwarzbuch des Kommunismus, Verbrechen, Terror und Unterdrückung

(2) Der sogenannte große Lauschangriff der deutschen Bourgeoisie angeblich als Schlag gegen das organisierte Verbrechen geplant, der aber 50 verschiedene Vergehen - bestimmte Untergrundarbeit eingeschlossen - aufführt, ist dagegen gerichtet.

 

 

 

 

„Ein Gespenst geht um in Europa- das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1848 [24]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Bund der Kommunisten [25]

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [23]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Marxismus: die Theorie der Revolution [26]

Bert Brecht: Barde der GPU

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 Anläßlich des 80. Jahrestages der Oktoberrevolution von 1917 in Rußland übertraf sich die herrschende Klasse selbst in ihrer hysterischen Verleumdungskampagne. Diese erste siegreiche proletarische Revolution der Geschichte sei der direkte Wegbereiter des stalinistischen, aber indirekt auch des faschistischen Terrors im 20. Jahrhundert gewesen; ihre bekanntesten Vertreter wie Lenin und Trotzki seien nicht viel besser als Stalin oder Hitler usw.

Als es aber darum ging, 1998 das „Brecht-Jahr“ zu feiern, und somit Leben und Werk des angeblich „größten Dichters des Kommunismus“ zu würdigen, schlugen die Machthaber ganz andere Töne an. Von Rechtskonservativ bis Linksaußen wurde nicht nur das literarische, sondern auch das politische Erbe Bert Brechts in den höchsten Tönen gewürdigt. Anläßlich Brechts 100. Geburtstag wurde die Laudatio auf den berühmten Dichter in seiner Heimatstadt Augsburg von dem bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber, in Berlin von Bundespräsident Herzog gehalten.

Wie erklärt sich diese Unterschiedlichkeit der Behandlung von Seiten der Bourgeoisie? Während Lenin, Trotzki und die Oktoberrevolution haßerfüllt verleumdet werden, wird Brecht, obwohl angeblich ebenfalls ein Klassenfeind des Kapitals, umjubelt? Ist die herrschende Ausbeuterklasse also doch zur Großzügigkeit gegenüber ihren Feinden fähig? Oder bringt ihre Begeisterung gegenüber Brecht etwa einen sich über alle Klassengräben hinwegsetzenden Respekt der Bürgerlichen vor der menschlichen Kultur schlechthin zum Ausdruck?

Die Legende von Brecht als Dichter und Denker des Marxismus

Auch die bürgerliche und kleinbürgerliche Linke beteiligt sich nach Kräften an der Verleumdung der russischen Revolution sowie an der Glorifizierung Brechts, der als wahrer „Vordenker des Marxismus“, als „beispielhaft politisch engagierter Künstler“ - ja sogar als versteckter Stalinismusgegner hingestellt wird.

Diese linken Intellektuellen, deren Vorläufer sich schon in den 30er Jahre schamlos an den Stalinismus verkauften, wollen sich heute reinwaschen, indem sie „Dichter und Denker“ der damaligen Zeit wie Brecht, Lukacs oder Gramsci, welche sich mehr oder weniger dem Stalinismus unterwarfen, als die Antwort der Gegenwart auf den Stalinismus präsentieren.

Es ist aber vor allem der gewendete Stalinismus selbst, der sich dieser Tricks bedient, um sein eigenes geschichtliches Wesen zu verschleiern. So z.B. ‘Arbeiterkampf’ (12.2.98), der den Auftakt zum Brecht-Jahr feiert mit dem Artikel „Brecht und Gramsci: Kampf gegen Ökonomismus und Wiedergewinnung der Dialektik“ (1). Hier lebt die alte stalinistische Geschichtsfälschung wieder auf: die Legende von Brecht als Alternative zum Stalinismus

Die deutsche Bourgeoisie schließt ihren verlorenen Sohn Brecht wieder an die Brust

In Wahrheit ehrt die deutsche Bourgeoisie in Bert Brecht keinen Klassenfeind, sondern einen der ihren. Die (west)deutsche Bourgeoisie hat Brecht vergeben, daß er sich im Kalten Krieg auf die Seite der DDR geschlagen hat. Denn heute ist der Kalte Krieg zu Ende. Nicht zu Ende aber ist der Klassenkrieg zwischen Lohnarbeit und Kapital. Und in diesem Krieg stand Brecht auf der Seite der Ausbeuter, der Konterrevolution, der bürgerlichen Nation.

In Wahrheit ist Brecht niemals ein wirklicher Kommunist gewesen. Solange in Deutschland am Ende des 1. Weltkriegs der Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie tobte, blieb Brecht der Arbeiterbewegung fern. Der Held seines ersten Dramas Trommeln in der Nacht, ein totgeglaubter, spät heimgekehrter Frontsoldat, zieht das weiche Bett seiner Vorkriegsverlobten dem Straßenkampf an der Seite der Spartakisten vor. In den zwanziger Jahren fühlt sich Brecht nicht durch die proletarische Revolution angezogen, sondern durch den rasanten sozialen Zerfall der zukunftslosen Zwischenschichten. Der bekannte Spruch aus seiner Dreigroschenoper „erst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral“, welchen die bürgerlichen Linken von heute für das letzte Wort des Marxismus halten, formuliert in Wirklichkeit den Nihilismus der Deklassierten, vor allem des kriminellen Lumpenproletariats.

Brecht wurde erst 1930 Mitglied der KPD - zu einer Zeit also, als die stalinistische Zerstörung dieser einst wichtigsten kommunistischen Arbeiterpartei außerhalb Rußlands in vollem Gang war. Als versuchte Ehrenrettung für Brecht wird heutzutage oft betont, daß das Leiden des Proletariats durch die Weltwirtschaftskrise ab 1929 Brecht zur KPD brachte, und daß seine „Lehrer“ in Sachen Marxismus (er lernte „politische Ökonomie“ bei Fritz Sternberg und „Philosophie“ bei Karl Korsch) keine Stalinisten waren. Tatsächlich aber wurde der nihilistische, durch den Weltkrieg haltlos gewordene, ruhmsüchtige Individualist Brecht, der sich in der wirklich kollektiven, solidarischen Gemeinschaft der Arbeiterbewegung einzufügen außerstande sah, gerade durch den Stalinismus angezogen. Gerade der blinde Gehorsam, den der Stalinismus als Ausdruck des bürgerlichen Totalitarismus verlangte, gab ihm den fehlenden Halt. „Aus dieser totalen Verneinung, dieser zynischen Abkehr von allen Werten, dieser nihilistischen Leere fiel Brecht ins Entgegengesetzte, in die Bewunderung der Disziplin und der hierarchischen Ordnung der deutschen Kommunistischen Partei“, schrieb später Ruth Fischer. „Fasziniert von ihren totalitären und terroristischen Zügen wurde er der originellste Dichter, den die Partei gehabt hat.“ (2)

Die Maßnahme - Ein Lehrstück, 1929-30 entstanden, zeigt am deutlichsten Brecht als Dichter des Stalinismus. Es handelt sich dabei um ein junges Parteimitglied während der niedergeschlagenen chinesischen Arbeiterrevolution von 1925-27, das aufgrund von Feinfühligkeit - so Brecht - die Disziplin verletzt und zur Gefahr für die Partei und deswegen von seinen eigenen Parteigenossen hingerichtet wird. Indem das Opfer seiner eigenen Vernichtung vorher noch zustimmt, nimmt Brecht die Methoden des stalinistischen Terrors der 30er Jahre vorweg. Die Musik dazu komponierte Hans Eisler, dessen Bruder Gerhard 1929 nach China entsandt wurde, um nach der dort von Stalin organisierten Niederlage die proletarische Opposition innerhalb der chinesischen KP zu liquidieren.

Zugegeben: auf dem Höhepunkt der Moskauer Prozesse, als andere westliche Literaten und Intellektuelle (wie Lion Feuchtwanger) Stalin zu Füßen lagen, zog Brecht es vor zu schweigen. Er schwieg auch, als befreundete Künstler vernichtet wurden. Obwohl ihm damals sogar heimliche Sympathien gegenüber Trotzki und der proletarischen Opposition nachgesagt wurden, schwieg er. Damit kam neben seiner Faszination für den Staatskapitalismus à la Stalin ein zweiter Wesenszug Brechts wie auch anderer bürgerlicher Intellektuellen der damaligen (wie heutigen) Zeit zum Vorschein: seine abgrundtiefe Feigheit. In seinem Leben des Galilei ist er bemüht, diese Feigheit zu rechtfertigen. Während Giordano Bruno, der Trotzki und die ganze proletarische Opposition gegen den Stalinismus symbolisieren soll, sinnlos verbrannt wird, überlebt Galilei, indem er seine wirkliche Gesinnung verinnerlicht, also gegenüber Rom (sprich Moskau) verheimlicht.

Brecht: ein deutscher Patriot

Brecht war nicht nur Konterrevolutionär, sondern auch Patriot. Wie viele andere deutsche intellektuelle Stalinisten ging Brecht während der Hitlerzeit nicht in die Sowjetunion ins Exil sondern in den Westen. Er verbrachte den 2. Weltkrieg in den USA. Stalin erblickte darin zu Recht eine gewisse Opposition gegen die Vorherrschaft des „sowjetischen“ Imperialismus. Im kalifornischen Exil träumten Brecht und seine Freunde von einem gegenüber dem russischen Stalinismus unabhängigen, kulturell höherstehenden, echten deutschen Stalinismus. Als nach 1945 die Staatsmacht in der DDR in die Hände der stalintreuen Gruppe-Ulbricht überging, schlug die Enttäuschung dieser aus den USA oder Mexiko zurückkehrenden deutsch-patriotischen Intellektuellen in einen tiefen Zynismus um. Auch dieser Zynismus, welcher das Nachkriegsschaffen Brechts kennzeichnet, wird heute oft als Beweis für die Oppositionshaltung Brechts gegenüber dem Stalinismus angeführt. In Wahrheit wußte die rote Bourgeoisie der DDR sehr gut, sich dieses Zynismus zu bedienen. Wenn nicht Brecht selbst, so dienten der Zynismus und die intellektuellen Fähigkeiten dieser Patrioten dazu, den Staatssicherheitsdienst aufzubauen und zu leiten. Dieser Personentyp und deren Geisteshaltung wird heute noch von Markus Wolff sehr gut verkörpert.

Die letzten Jahre und Werke Brechts sind durch Enttäuschung, Verbitterung und zunehmende Vereinsamung des Dichters gekennzeichnet. Auslöser dieser letzten, düsteren Stimmungen war nicht das schreckliche Leiden des Proletariats nach dem Krieg, sondern im Gegenteil das Aufbegehren der Arbeiterklasse gegen ihre Ausbeutung. Angesichts des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 in der DDR zog sich Brecht immer mehr auf seine Luxusdatscha außerhalb Berlins zurück, unfähig, die ‘Undankbarkeit’ des Volkes gegenüber seinen Ausbeutern zu begreifen.

Es ist also nur folgerrichtig, wenn die Bourgeoisie heute dieses Lebenswerk als das ihre ehrt. Seine Parteinahme für die Konterrevolution, sein früher Nihilismus und später Zynismus, seine Glorifizierung der militärischen Hierarchie, seine Feigheit, seine Empörung wegen der ‘Undankbarkeit’ der Arbeiter, welche er zu verteidigen vorgab, sind eine Wiederspiegelung der Seele des Bürgertums. Vor allem ist es aber sein Patriotismus - das glatte Gegenteil des proletarischen Internationalismus -, den die Herrschenden heute loben. So hoben alle Festredner positiv hervor, daß sich Brecht im Gegensatz etwa zu Thomas Mann 1945 gegenüber den Siegermächten „für Deutschland“ einsetzte.

Hier wird deutlich, wie das Brecht-Jahr dazu dient, die häßliche, konterrevolutionäre Fratze des Stalinismus zu liften.

Nicht nur als Politiker, auch und gerade als Künstler diente Brecht dem Stalinismus; dienen die Brecht-Feierlichkeiten dazu, die größte Lüge des 20. Jahrhunderts weiter zu legitimieren: daß der Stalinismus irgendwo doch der legitime Nachfolger des Marxismus sei. Der Künstler Brecht dient in besonderer Weise dazu, weil er den Anspruch des Stalinismus vor allem mit den Mitteln der Kunst zu untermauern versuchte.

Auch der Künstler Brecht, das von ihm hinterlassene „Modell“ des „realistischen“ und „politisch engagierten“ Künstlers - der am besten dabei auch noch der Linie „der Partei“ folgt - steht für den Kampf des Stalinismus gegen das Proletariat und gegen die Kunst. Wie wenig der Marxismus die Aufgabe der Kunst darin sieht, eine bestimmte parteipolitische Linie propagandistisch zu unterstützen, zeigt bereits Friedrich Engels in einem 1888 geschriebenen Brief an Margaret Harkness: „Ich bin weit davon entfernt, darin einen Fehler zu sehen, daß Sie nicht einen waschechten sozialistischen Roman geschrieben haben (...) Je mehr die Ansichten des Autors verborgen bleiben, desto besser für das Kunstwerk.“ (3)

Das heißt keineswegs, daß der Künstler sich nicht politisch engagiert. Aber die soziale Anteilnahme des Künstlers liegt vor allem in der tiefen, objektiven Wahrheit seines Kunstwerks selbst, nicht in den subjektiven politischen Ansichten des Autors. So schrieb Rosa Luxemburg über die klassische russische Literatur: „Dostojewski ist, zumal in seinen späteren Schriften, ausgesprochener Reaktionär, frömmelnder Mystiker und Sozialistenhasser (...) Tolstois mystische Lehren schillern zum mindesten in reaktionären Tendenzen. Und doch wirken auf uns beide in ihren Werken aufrüttelnd, erhebend, befreiend. Das macht: nicht ihr Ausgangspunkt ist reaktionär, nicht sozialer Haß, Engherzigkeit, Kastenegoismus, Festhalten an dem Bestehenden beherrschen ihr Denken und Fühlen, sondern umgekehrt: weitherzige Menschenliebe und tiefstes Verantwortlichkeitsgefühl für soziales Unrecht.“ (4).

Das Beispiel Brechts mit seinen Agit-Prop „Lehrstücken und Schulopern“ im Dienste der (stalinistischen) Partei dient heute vor allem dazu, den Marxismus zu pervertieren und zu diskreditieren. Die marxistische Tradition der Verteidigung der Unabhängigkeit der Künste vor politischer Gängelung wurde vor allem von Trotzki im proletarischen Kampf gegen die stalinistische Konterrevolution verteidigt. Während Brecht 1938 auf dem Höhepunkt des stalinistischen Terrors schwieg, verfaßte Trotzki zusammen mit dem Surrealisten André Breton ein Manifest „Für eine unabhängige revolutionäre Kunst“, worin stand: „Jede fortschrittliche Tendenz in der Kunst wird vom Faschismus als Entartung gebrandmarkt. Jede freie Schöpfung wird von den Stalinisten für faschistisch erklärt.“(5)

Wenn das Proletariat gegenüber der Kunst eine Zwangsjacke anlegen würde, würde es sich damit selbst Hindernisse auf seinen Weg in die kommunistische Gesellschaft legen und damit seinen eigenen Klasseninteressen widersprechen. Kr.

(1) Dieser Artikel ist ein Auszug aus Sabine Kebir´s Buch „Gramscis Zivilgesellschaft“.

(2) Ruth Fischer: Stalin und der deutsche Kommunismus Band 2, S. 283. Fischer nannte Brecht „Den Sänger der GPU“ (d.h.der stalinistischen Geheimpolizei).

(3) Marx-Engels-Werke Band 37, S. 43.

(4) Einleitung zu Korolenko: Geschichte meines Zeitgenossen in Luxemburg Werke Band 4, S. 306).

(5) Julijana Ranc: Trotzki und die Literaten, S. 192. Wie wichtig Trotzki diese Frage nahm, zeigt die Entstehungsgeschichte dieses Manifests. In der ersten Fassung schrieb Breton, daß der Kunst volle Freiheit auch unter der proletarischen Diktatur gewährt werden muß, außer wenn sie sich gegen die Revolution richtet. Trotzki bestand darauf, diese Einschränkung aus dem Text zu streichen.

Weltrevolution Nr. 88

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Mai 1968: Das Proletariat tauchte als einzig revolutionäre Klasse der Gesellschaft erneut auf

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 Seit 30 Jahren benutzt die Bourgeoisie regelmäßig die Erinnerungen an den Mai 1968, um die Geschichte zu verfälschen. Während dieses Ereignis mit internationaler Tragweite die Rückkehr des Proletariats auf die gesellschaftliche Bühne nach mehr als 40 Jahren Konterrevolution bedeutete, kommen in der bürgerlichen Propaganda immer nur die Studentenunruhen zur Sprache. Dieser Propaganda zufolge hätte Mai 68 nur den naiven Idealismus, der mehr oder weniger von revolutionären Utopien geprägt war, der ‘verwöhnten Jugend’ ans Tageslicht gebracht, die in der Zeit des ‘Babybooms’ geboren wurde. Das beharrliche Schweigen über die Millionen streikenden Arbeiter (während man den gesellschaftlichen Erfolg der damaligen Studentenführer, die mittlerweile in die 50 gekommen sind, ausführlich aufgreift) spiegelt die Angst wider, die der Bourgeoisie vor 30 Jahren nicht durch die Studentenrevolte, sondern durch das historische Wiedererwachen des Proletariats eingejagt wurde. Bei den Lügen über die Ereignisse vom Mai 68 geht die herrschende Klasse genauso vor wie bei der Erinnerung an den 80. Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917. Das Blackout über die wirklichen Ereignisse, die Versessenheit, mit der die revolutionäre Erfahrung des Proletariats aus den Zusammenstößen mit der bürgerlichen Ordnung ausgelöscht werden soll, die Verleumdungen über die angeblichen ‘Verbrechen des Kommunismus’, der mit dem stalinistischen Henker in einen Topf geschmissen wird, zielen darauf ab, die Lüge einzutrichtern, daß die einzige revolutionäre Klasse der heutigen Gesellschaft weder Vergangenheit noch Zukunft habe. Deshalb ist es für die Arbeiterklasse absolut notwendig, sich ihre Geschichte wieder anzueignen, denn diese bestimmt weiterhin die Zukunft ihres Kampfes und damit auch den der gesamten Menschheit.

Nachfolgend veröffentlichen wir einen Artikel, den wir vor 10 Jahren in unserer Presse über die Mai-Ereignisse schrieben. Einen ausführlichen Artikel zur Einschätzung des Mai 68 gibt es in der International Revue Nr. 93 (engl./franz./span. Ausgabe).


Mai 68: Das Proletariat erscheint erneut auf der Bühne der Geschichte

Nachdem die Bourgeoisie die Arbeiterklasse in den 20er Jahren nach der Welle revolutionärer Kämpfe im Anschluß an den I. Weltkrieg physisch zerschlagen hatte, nachdem sie sie in den 30er Jahren demoralisiert und vollständig im Namen der ‘Verteidigung des sozialistischen russischen Vaterlandes’ und des ‘Antifaschismus’ desorientiert hatte, nachdem sie sie auf die Schlachtfelder des 2. Weltkriegs geschickt hatte, verwechselte die Bourgeoisie die Erschöpfung der Arbeiterklasse mit ihrer Unterwerfung. Durch ihre Siege berauscht, verblendet durch die ‘Blütezeit’ nach dem 2. Weltkrieg, die nur möglich war dank der Millionen von Kadavern, glaubte die herrschende Klasse, sie sei unsterblich geworden. Sie verhöhnte offen die Arbeiterklasse, die ihr Totengräber ist, und den Kommunismus.

Diese Illusion verbreiteten wortgewaltig die Intellektuellen, die Castoriadis, Marcuse und ihre Erben, die Enkel der stalinistischen Gangster, die allemal Grabesreden zur Beerdigung des Proletariats gehalten hatten. Diese Intellektuellen hatten ‘entdeckt’, daß der Kapitalismus sich ohne Krise werde entwickeln können. Aus ihrer Sicht war die Arbeiterklasse vereinnahmt worden, in das System integriert, verbürgerlicht. Der gleiche Kranz wurde dem Klassenkampf und dem revolutionären Wesen des Proletariates umgehängt. Doch all das waren die Illusionen der Bourgeoisie.

Mai 1968: Das Ende des Mythos der Auflösung der Arbeiterklasse

Die Bewegung des Mai 68 sollte diesen Illusionen ein Ende bereiten. Die Begräbnisfeier hatte noch nicht begonnen, da setzte ihr der Totgeglaubte jäh ein Ende. Und wie! Nach seinem ersten Erwachen nach Jahrzehnten des Erstarrens sollte das Weltproletariat in Frankreich den größten Streik seiner Geschichte auslösen: 9 Millionen Arbeiter, fast alle Arbeiter des Landes blockierten die Produktion fast einen Monat lang. Wie war das möglich?

Wir können natürlich im Rahmen dieses Artikels keinen genauen geschichtlichen Abriß der Ereignisse geben (1). Nur die wichtigsten Schritte können wir hier aufzeigen, damit sich die Leser, die an den Ereignissen nicht teilgenommen haben, eine Vorstellung davon machen können.

Selbst wenn der Streik vom Mai 68 fast alle überrascht hat, schlug er doch nicht ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Tatsächlich hatte sich in Frankreich im Jahr zuvor schon eine Reihe von sozialen Konflikten entfaltet, wie Streiks, Fabrikbesetzungen, Demos, Zusammenstöße mit der Polizei, die allemal eine wachsende Unzufriedenheit der Arbeiter widerspiegelten. Aber das auslösende Ereignis im Mai 68 war die Repression, die gegenüber den Studenten Anfang des Monats ausgeübt wurde. Seit Ende März hatten die Studentenunruhen zugenommen; insbesondere an der Uni von Nanterre (Vorort von Paris). Am 2. Mai wurde diese Uni von den CRS (französische Bürgerkriegsarmee) besetzt und geschlossen. Aus Protest besetzten am darauf folgenden Tag einige Hundert Studenten das Gelände der Sorbonne, was wiederum zum Eingreifen der CRS führte, die Verhaftungen vornahm. Die Forderung nach der ‘Freilassung unserer Kommilitonen’ mobilisierte in den nächsten Tagen Tausende von ihnen, bis hin zu den Barrikaden am 10. Mai, als die Polizei eine blutige Repression ausübte. In Anbetracht der Wut, die sich in der Mehrheit der Bevölkerung und insbesondere in der Arbeiterklasse ausbreitete, riefen die Gewerkschaftszentralen zu Demos für den 13. Mai auf. Trotz der schnellen Freilassung der Verhafteten nahmen diese Demos ein nie gekanntes Ausmaß an: fast eine Million Menschen strömten in Paris zusammen.

So führten die Studentenunruhen, die insgesamt von geringerem Ausmaß gewesen waren als in vielen anderen Ländern, aufgrund der ungeschickten Vorgehensweise einer Regierung, welche die Lage nicht mehr beherrschte, und aufgrund einer ebenso brutalen wie stupiden Repression zu der Mobilisierung von Millionen von Arbeitern. Aber die Unfähigkeit und die Überraschung der staatlichen Behörden erklären nicht alles. Unter dieser gewaltigen Mobilisierung schlummerte eine viel tiefer verwurzelte Unzufriedenheit, die bereit war auszubrechen. Streiks brachen spontan aus in Nantes bei der Sud-Aviation, dann in Renault-Cléon. Am 16. Mai trat die größte Fabrik Frankreichs, Renault-Billancourt, in den Streik, was wiederum eine Signalwirkung auf Millionen anderer Arbeiter hatte, die sich nun in den Kampf stürzten.


Wie die Bourgeoisie die Lage wieder unter Kontrolle bekam

Von diesem Streik überrascht, der sich wie ein Feuerball im ganzen Land ausdehnte, rief die CGT (der stalinistischen KP nahe stehende Gewerkschaft) am gleichen Tag zu ‘Widerstand’ auf. Damals reagierten die Arbeiter darauf, indem sie sagten: ‘Die CGT springt auf den fahrenden Zug’. Die anderen Gewerkschaftszentralen schlossen sich ihr an. Sie alle hatten die gleiche Sorge: wieder die Kontrolle über eine Bewegung auszuüben, die unabhängig, wenn nicht gar gegen ihren Willen ausgelöst worden war. Sie traten für Fabrikbesetzungen ein, die, abgesperrt durch gewerkschaftliche Streikposten, zu wahren Gefängnissen für die Arbeiter wurden. Für die Gewerkschaften und die KP kam es darauf an, im Namen der ‘Verteidigung des Arbeitsinstruments’ gegen die ‘Provokateure’, welche sich unter die Studenten geschlichen hätten, zu verhindern, daß die linksextremen Gruppen der Maoisten und Trotzkisten, deren Konkurrenz sie fürchteten, vor allem aber die Revolutionäre unter den Arbeitern Anhang fänden. Sie strebten vor allem danach, die verschiedenen Bereiche der Klasse zu spalten, sie voneinander zu isolieren, jeder Bereich in seiner Ecke, um zu verhindern, daß die Arbeiter als Klasse, als vereinigte Kraft auftraten. Aber diese Manöver reichten nicht aus, um die Ausdehnung der Bewegung abzubrechen, oder um die zahlreichen Diskussionen zu verhindern, an denen sich Tausende von Arbeitern (oft in den besetzten Unis) beteiligten, und in denen eine Vielzahl von Themen angeschnitten wurden, die die Arbeiterklasse interessierte: die Rolle der Gewerkschaften, die Arbeiterräte, die Revolution, wie heute kämpfen usw... Mit Verspätung gegenüber der KP und der CGT traten die anderen Teile des politischen Apparates der Bourgeoisie auf den Plan. Am 24. Mai schlug die Regierung gleichzeitig mit der provokativen Ausweisung des Studentenführers von Nanterre D. Cohn-Bendit Verhandlungen vor, die von den Gewerkschaften schon lautstark gefordert worden waren. Am 25. und 26. Mai schlossen alle Führer der Gewerkschaftszentralen und der Unternehmerverbände unter der Führung Pompidous des Premierministers, das Abkommen von Grenelle ab, das zur Abwürgung des Streiks diente. Obgleich dieses Abkommen eine 35% Steigerung des Mindesteinkommens vorsah (wofür nur 7% der Arbeiter in Frage kamen), sollten die anderen Löhne nur um 10% steigen, was in Anbetracht eines 4%igen Lohnverlustes infolge des Streiks und aufgrund der Preissteigerungen eine viel geringere Erhöhung als in den vorangegangenen Jahren war (die schon nicht berühmt gewesen waren).

Die Arbeiter empfanden dieses Abkommen als einen Schlag ins Gesicht. Als er dieses Abkommen in Renault-Billancourt am Morgen des 27. Mai präsentieren wollte, wurde Seguy, der Generalsekretär der CGT, stark ausgepfiffen. Er konnte nur sein Spiel gewinnen, indem er sich von einem Text distanzierte, den er zuvor zwei Tage lang mit den Arbeitgebern und der Regierung ausgearbeitet hatte, und nachdem er noch einige Stunden zuvor den Journalisten erklärt hatte, daß die ‘Wiederaufnahme der Arbeit kurz bevorstünde’. Um nicht die Kontrolle über die Lage zu verlieren, gab die CGT die Parole aus: ‘Der Kampf geht weiter’. Unterdessen reihten sich andere Kräfte der Linken in diese Sabotagearbeit ein. Am gleichen Tag fand in dem Stadion in Charlety in Paris eine Großveranstaltung statt, die eine Unterstützung für eine ‘linke Alternative’ sein sollte und dazu gedacht war, die von den Manövern der CGT angeekelten Arbeiter wieder auf die ‘richtige Bahn’ zu lenken. Auf dieser Großveranstaltung traten die CFDT (der sozialistischen Partei nahe stehende Gewerkschaft), die linken Gruppen (Maoisten, Trotzkisten, Anarchisten) Cohn-Bendit und Mendes-France Seite an Seite nebeneinander auf. Die CGT selber organisierte am 29. Mai eine große Demo in Paris, wo sie die Parole ausgab: ‘Volksregierung’.

Am 30. Mai gingen die offiziellen Autoritäten erneut zum Angriff über. De Gaulle hielt eine Rede, in der er die Auflösung der Nationalversammlung und Wahlen für Ende Juni ankündigte, gleichzeitig wurde sein Fußvolk in Paris mobilisiert, und man organisierte eine große Demo auf den Champs Elysées. Die Regierung rief zu branchenweisen Verhandlungen auf. Die Gewerkschaften und insbesondere die CGT stürzten sich auf diese Gelegenheit, um so wieder die Kontrolle über die einzelnen Branchen zu erlangen. Unter allen möglichen Vorwänden riefen sie zum Ende der Streikbewegung auf, unter anderem wäre es nötig die Streiks zu beenden, weil die Wahlen als angeblicher Sieg der Arbeiter unter normalen Umständen stattfinden sollten. Trotz des Lügengeschwafels der CGT gab es aber noch viele Teile der Klasse, in denen sich der Widerstand hielt, wie bei Renault-Flins, Peugeot-Sochaux, wo die Repression durch den Staat mehrere Tote gefordert hatte, wie auch bei Citroen-Javel, wo die Arbeit erst wieder nach der ersten Wahlrunde am 23. Juni aufgenommen wurde. Schließlich mußte die große Streikwelle vom Mai-Juni 1968 zu einer Niederlage für die Arbeiterklasse führen. Aber es handelte sich um eine unvergleichbare Erfahrung, wo Millionen von Arbeiter mit Problemen konfrontiert wurden, die sich der ganzen Klasse stellten, wo sie insbesondere sehen mußten, wie sie mit der Sabotage durch die Gewerkschaften fertig wurden (im Juni 68 wurden viele Gewerkschaftskarten zerrissen). Aber vor allem bewies der Mai 68 aufgrund seiner Ausdehnung, daß es sich nicht um eine rein ‘französische Angelegenheit’ der Studentenrevolte der 60er Jahre handelte, der so genannten Revolte gegen die ‘Konsumgesellschaft’. Es handelte sich sehr wohl um einen neuen Zeitraum, der in der Geschichte der Weltarbeiterklasse eröffnet worden war.


Das historische Wiedererstarken des Weltproletariats

Nur die revolutionären Marxisten konnten diesen neuen Zeitraum voraussehen. Nur sie wußten, daß der dekadente Kapitalismus vollkommen unfähig ist, seine ökonomischen Widersprüche zu überwinden. So schrieben unsere Genossen aus INTERNACIONALISMO in Venezuela (es handelt sich um die Vorläufergruppe der IKS) im Januar 1968 in der Nr. 9 ihrer Revue: ‘1967 gab es den Sturz des Britischen Pfundes, 1968 gibt es die Maßnahmen Johnsons... hierdurch wird der Zerfall des kapitalistischen Systems deutlich, der jahrelang hinter diesem Bild des ‘Fortschritts’ nach dem 2. Weltkrieg verdeckt worden war’. Auf diesem Hintergrund begrüßten die Genossen das Jahr 1968, denn in diesem Jahr sollten die Arbeiterkämpfe überall infolge der Krisenentwicklung auftauchen.

Viele Intellektuelle, die auf die Rolle der Studenten in den Unruhen und das revolutionäre Gerede in ihren Reihen verwiesen, überschätzten vollkommen deren Rolle in den Mai-Ereignissen, um den Platz der Arbeiterklasse herunterzuspielen. So posaunte Castoriadis laut heraus: „Man muß es laut und deutlich sagen, daß das Proletariat im Mai 68 nicht die revolutionäre Avantgarde der Gesellschaft war, sondern stumm ‘hinten anstand’’’. Die Bourgeoisie selber aber erkannte, welche Gefahr die Arbeiterklasse darstellte, denn die Kampfwelle, die im Mai 68 Frankreich erschütterte, erfaßte bald viele andere Länder bis hin zum Jahr 1974: Italien und Argentinien, BRD 1969, Spanien und Polen 1971, Belgien und England 1972. Aber während viele das Wort Revolution im Mai 68 in den Mund nahmen, um nachher mit Ungeduld deren Unmöglichkeit zu verkünden, haben die Marxisten diese unmittelbare Erwartung an die Kämpfe damals nicht geknüpft. Denn obgleich das Proletariat nach 50 Jahren Konterrevolution erneut auf die Bühne getreten war, hatte es weder in Frankreich noch irgendwo anders die notwendige Reife erreicht, um sich gegenüber der Bourgeoisie durchzusetzen und ihr entscheidende Kämpfe zu liefern.

Die Revolution wird notwendigerweise das bewußte Werk der großen Mehrheit der Arbeiter sein, und dieses Bewußtsein kann nur durch eine lange Reihe von Kämpfen entstehen, die sich mehr und mehr als eine Reaktion auf die sich zuspitzende Krise und der damit verbundenen Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse radikalisieren werden.

Dies ist die eigentliche Bedeutung der vielen Arbeiterkämpfe, die sich seit 1968 entwickelt haben. Diese Reifung des Bewußtseins der Klasse wird deutlich in dem immer größer werdenden Mißtrauen, der Verwerfung der Gewerkschaften. Auch die zahlreichen Versuche der Arbeiter, ihre Kämpfe nicht isoliert durchzuführen, sondern den Zusammenschluß mit anderen Arbeitern zu suchen, die Kämpfe selbst in die Hand zu nehmen, sind Beweise dafür.

Die marxistische Methode ist lebendig, ihre Gegner sind um Argumente verlegen. Sie hatte es den Revolutionären ermöglicht, nicht den Lockrufen der Modernisten zu erliegen. Die marxistische Methode dient dazu, die Arbeiterkämpfe zu begreifen und zu verstehen, wie man in ihnen intervenieren soll. Weil sie einen internationalen und historischen Rahmen hat, ist die marxistische Methode als einzige dazu in der Lage, den Revolutionären zu ermöglichen, konkret und mit einem theoretischen Beitrag bei der Verwirklichung dieses Prozesses mitzuwirken, der 1968 durch die Arbeiterklasse wieder ausgelöst wurde, um so schließlich den Sieg der Weltrevolution möglich zu machen.

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Weltrevolution Nr. 89

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Revolutionäre Debatte in Rußland: Die Waffe der Selbstkritik

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 Die März/April Ausgabe der „Direkte Aktion“, die Zeitung der anarchosyndikalistischen „Freien Arbeiterunion“ (FAU/IAA), veröffentlicht einen hochinteressanten Diskussionsbeitrag russischer Anarchisten. Es handelt sich dabei um einen Auszug aus einer Rede, welche beim „Ostwesttreffen“ anarchistischer und anarcho-syndikalistischer Gruppen Ende August 1997 im ukrainischen Lwow (Lemberg) gehalten wurde. Diese Rede, welche unter dem Titel „Sollen wir es anstreben, eine Massenbewegung zu sein?“ von der FAU auszugsweise wiedergegeben wird, wurde von einem Vertreter der Moskauer Ortsgruppe der „Konföderation der Revolutionären Anarchosyndikalisten“ (KRAS-IAA) gehalten.

Mit großer politischer Klarheit und Aufrichtigkeit unterzieht der Delegierte der Moskauer KRAS in Lwow die bisherigen Versuche, eine revolutionäre Strömung in der ehemaligen Sowjetunion auf der Grundlage des Anarchismus zu gründen, einer schonungslosen, beinahe vernichtenden Kritik.

„All das, was ich gestern hörte, brachte mich zum tiefen Erstaunen und zum Zweifel in Bezug auf die Perspektiven der heutigen anarchistischen Bewegung der ehemaligen Sowjetunion, ihren syndikalistischen Teil einbezogen. Die Bewegung hat nichts verstanden und nichts gelernt..(...) Sie hat keine Strategie, und von Anfang an wurde sie von einem Extrem ins andere gestürzt. Schon zehn Jahre lang gerät sie fleißig in jede Falle, die auf ihrem Weg entsteht. Zuerst waren die AnarchistInnen ein Anhängsel der „DemokratInnen“, ein „linker Flügel“ der Perestroika, später ein Anhängsel jeder neuen Opposition - der gewerkschaftlichen, der „roten“, der nationalistischen... Jedes Mal traten sie auf dieselbe Harke und jedes Mal bekamen sie einen Schlag vor die Stirn. Die Lehre haben sie daraus aber nicht gezogen. Und so hörten wir gestern, wie die AnarchistInnen von Donezk mit den offiziellen bürokratischen Gewerkschaften zusammenarbeiten, zum Schwanz des Streikkomitees geworden sind, das sie dafür loben, daß es dem Streik nicht erlaubte, in eine soziale Revolte überzugehen.“

Obwohl der Anarchismus sich stets für die denkbar radikalste politische Bewegung gehalten hat, - die reinste Bastion der „Anti-Staatlichkeit“ - zeigt diese Bilanz überdeutlich den Hang anarchistischer Gruppen zur Zusammenarbeit mit konterrevolutionären, staatlichen Organisationen und Behörden. Der Genosse spricht in diesem Zusammenhang auch von Reformismus. Dabei beschränkt er seine Kritik keineswegs auf die anarchistischen Gruppen der ehemaligen UdSSR. „Der Wunsch nach einem raschen Erfolg führte zum Reformismus, wie bei der „CNT-Paris“ oder bei der „USI-Rom“.


Die Ablehnung der Arbeit in bürgerlichen Institutionen und die Notwendigkeit des „langen Atems“

Die Lwower Rede des KRAS Genossen aus Moskau beschränkt sich nicht darauf, das Scheitern des bisherigen Versuchs, eine revolutionäre Strömung auf anarchistischer Grundlage zu gründen, festzustellen. Die KRAS-Genossen wollen die Ursachen dieses Scheiterns begreifen und damit eine Perspektive revolutionärer Politik öffnen. Ihre Kritik bewegt sich in die Richtung der Ablehnung jeglicher Arbeit in bürgerlichen Institutionen. „Die Anarchistinnen sollen nicht an Bewegungen mit zweifelhaften Ideologien teilnehmen oder mit den offiziellen Gewerkschaften - Agenten des Klassenfeindes - zusammenarbeiten.“ Auch die linkskapitalistische „Taktik“ des „Entrismus“, um angebliche Eroberungen bürgerlicher Organisationen „im Namen der Arbeiterklasse“ zu bewerkstelligen, wird abgelehnt. „Die Infiltration in eine reformistische ArbeiterInnenbewegung ist natürlich nicht besser; das wäre ganz im trotzkistischen Sinn. Das ist ein weiterer Versuch, die „ideologisch rückständigen“ Massen zu zwingen, dem nächsten „Avantgarde Führer“ zu folgen, ohne dabei den Sinn und die Motivationen ihrer Handlungen zu verstehen (oder mindestens ohne sie bis zum Ende zu verstehen).“

Bedeutend in diesem Zusammenhang ist die grundsätzliche Ablehnung des kurzfristig denkenden, opportunistischen Wunsches, die Massen politisch „erobern“ zu wollen zu einem Zeitpunkt, wo die Massen noch nicht revolutionär sind; oder selbst Teil einer Massenbewegung sein zu wollen zu einer Zeit, wo eine „Massenbewegung“ nur eine bürgerliche Bewegung sein kann.

„Gebt uns eine Massenbewegung - möglichst schnell und um jeden Preis! Im Ergebnis scheitern die AnarchistInnen einmal wieder am Problem der Bündnisse, z.B. mit den offiziellen Gewerkschaften. Die Realität ist einfach und hart. In einer Periode allgemeiner Atomisierung der Gesellschaft, in einer Periode der sozialen Konterrevolution, kann die anarchistische Bewegung nicht massenhaft sein. Mehr noch: sie soll auch nicht massenhaft sein, da die Massen eben (noch) nicht revolutionär sind. Eine Massenbewegung in der Zeit der sozialen Konterevolution kann nur konterrevolutionär sein, bis die Masse selbst revolutionär wird. Man kann dieser dabei nicht helfen, indem man zweifelhafte Bündnisse macht und für uns fremde Klassenziele, Übergangsstadien usw. kämpft.“

Was dies nach Meinung der Genossen für den Aufbau revolutionärer Organisationen bedeutet, wird so geschildert: „Man soll nach den Leuten suchen. Ein oder zwei wirklich anarchistisch denkende Menschen, die verstehen, warum und wozu sie in der Bewegung sind, und fähig sind, dieses Verständnis weiter zu verbreiten, sind besser, als ein großer Haufen Leute mit fremder Ideologie, die die AnarchistInnen auflösen lassen und hinter sich führen werden.“ Der Revolutionär soll somit heute „einen langen Atem haben. Er/sie sollte eine Revolution vorbereiten und nicht nach allen Seiten für kurzfristige taktische Erfolge herumstochern.“


Die Öffnung gegenüber der Kommunistischen Linke

Im Gegensatz zum Gros der anarchistischen Bewegung zeigen sich diese Moskauer Genossen imstande, wirkliche Lehren aus dem Scheitern der anarchistischen Bewegung zu ziehen. Dies ist auch kein Zufall. Es handelt sich bei dieser Gruppe nämlich um Genossen, welche ernsthaft bemüht sind, sich die Lehren aus der wirklichen Geschichte der Arbeiterbewegung und des Klassenkampfes anzueignen, welche über ein halbes Jahrhundert lang von der stalinistischen Konterrevolution begraben wurden. Mehr noch: um dieses Ziel zu erreichen, öffnen sich diese Genossen gegenüber der internationalen Debatte im allgemeinen, und gegenüber den Traditionen und heutigen Gruppen der Kommunistischen Linken insbesondere. So beteiligten sich diese Genossen an dem öffentlichen Teil der Debatten bei der Konferenz über Trotzkis Buch „Verratene Revolution“ 1996 in Moskau. Über diese Konferenz und die Intervention der KRAS Genossen schrieben wir in unserer Internationale Revue: „Unsere Stimme war jedoch nicht die einzige, die sich zur Verteidigung des proletarischen Internationalismus erhob. Einer der jungen russischen Anarchisten intervenierte ebenfalls, zunächst um die Manöver der Kollaborationspolitik des russischen Zweiges der Militant-Tendenz innerhalb des Trotzkismus mit anderen linken, aber auch rechten Tendenzen zu denunzieren. Doch vor allem entlarvte der Genosse den imperialistischen Charakter des 2. Weltkriegs und der Teilnahme Rußlands an ihm - wahrscheinlich die erste öffentliche und somit historische internationalistische Erklärung dieser Art durch eine neue Generation von Revolutionären in Rußland.“ (Moskauer Konferenzen: Der Beginn einer proletarischen Debatte in Rußland, Internationale Revue Nr. 21).

Auch ist uns bekannt, daß diese Genossen bemüht sind, das Erbe sowohl der Kommunistischen Linke Rußlands, wie z.B. der „Kommunistischen Arbeitergruppe“ um Gabriel Miasnikow, als auch der deutsch-holländischen Linken (z.B. die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands - KAPD) kennenzulernen und zu studieren.

Und tatsächlich: die Kritik der Genossen an dem um sie herum vorherrschenden kurzlebigen Opportunismus und der bürgerlichen „Massenbewegungspolitik“ hat mit der kleinbürgerlich-immediatistischen, scheinradikalen Tradition des Anarchismus nichts zu tun. Sie steht vielmehr in der Tradition des Kampfes der marxistischen Linken gegen den Anarchismus Bakunins in der 1. Internationale, wie auch gegen die opportunistische Degeneration innerhalb der 2. und 3. Internationalen. Wir denken dabei vor allem an Hermann Gorters berühmten „Offenen Brief an den Genossen Lenin“, in dem die deutsch-holländische Linke mutig und prinzipienfest die Opferung revolutionärer Positionen auf dem Altar der unmittelbaren „Massenbeeinflussung“ durch Lenin und die Kommunistische Internationale Anfang der 20er Jahre geißelte.

Wir sind davon überzeugt, daß die Fähigkeit dieser Genossen, bedeutende Lehren aus dem Scheitern des Projektes eines revolutionären Anarchismus in Rußland zu ziehen, nicht zuletzt mit ihrer Offenheit gegenüber dem Erbe der Kommunistischen Linke, der marxistischen Opposition gegen die stalinistische Konterrevolution zusammenhängt.


Der Anarchismus - keine Alternative zum Stalinismus

So sehr die auf der Konferenz von Lwow vorgetragene Kritik zu begrüßen ist - sie geht nicht weit genug, weil es den Genossen noch nicht gelingt, die politischen und programmatischen Grundlagen, welche ihren bisherigen Bemühungen zugrunde lagen, infrage zu stellen - nämlich den Anarchismus selbst. Indem die stalinistische Konterrevolution 60 Jahre lang ihre erzreaktionäre staatskapitalistische Ideologie ungehindert als „Marxismus“ oder „Marxismus-Leninismus“ verkaufen konnte, entstand und besteht heute noch gerade bei jungen, kämpferischen, auf der Suche nach einer alternativen „linken“ Theorie und Tradition befindlichen Revolutionären eine beinahe allergische Abneigung gegenüber dem Marxismus. Kein Wunder also, wenn viele dieser suchenden Elemente sich vom Anarchismus angezogen fühlen, welcher angesichts der Verbrechen des Stalinismus unschuldig dazustehen scheint.

Diese Unschuld des Anarchismus ist tatsächlich nur Schein. Im spanischen Bürgerkrieg mobilisierte die anarchosyndikalistische CNT die Arbeiterklasse auf dem bürgerlichen, imperialistischen Schlachtfeld des Kampfes des demokratisch-kapitalistischen Staates auf der Seite der Sowjetunion gegen Franco in einem Kampf, der den Auftakt zum 2. imperialistischen Weltkrieg bildete. Dabei trat die CNT sogar der bürgerlichen Regierung bei, wo sie gemeinsam mit den Sozialdemokraten und den Stalinisten den Arbeiteraufstand von Mai 1937 in Barcelona niederschlugen. Allein die Genossen der Kommunistischen Linke, vor allem die Italienische Linke um die Zeitschrift Bilan, blieb dem Prinzip der Autonomie und des Internationalismus des proletarischen Klassenkampfes angesichts der konterrevolutionären Massaker in Spanien treu.

Wie aber war der Verrat des Anarchosyndikalismus damals in Spanien möglich? Weshalb werden die hehren Prinzipien der „Antistaatlichkeit“ seitdem immer wieder über Bord geworfen? Weshalb besteht die innere Tendenz des Anarchismus seitdem - die Genossen der KRAS haben es selbst anhand des jüngsten russischen Beispiels aufgezeigt - darin, sich in den Staatsapparat zu integrieren?


Die Unmöglichkeit permanenter Massenorgane außerhalb des Kampfes

Der Anarchismus selbst kann diese Fragen nicht beantworten, weil er auf das unerläßliche Instrument der proletarischen Analyse der Klassengesellschaft, den Marxismus, verzichtet.

Wir wollen in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Theorie von der Dekadenz des Kapitalismus hinweisen, welche die Kommunistische Linke nach der Niederlage der russischen und der Weltrevolution ausgearbeitet hat. Erst auf der Grundlage dieser Theorie können wir wirklich begreifen, weshalb in der Niedergangsphase des Kapitalismus seit dem 1. Weltkrieg die Arbeiterklasse keine dauerhaften Reformen mehr erringen kann. Damit wird der Reformismus, d.h. die permanenten Kampforganisationen sowie die politischen Massenparteien der Arbeiterklasse selbst bürgerlich. Sie werden in den Staat integriert. Sie werden selbst zu einem Teil des herrschenden Staatskapitalismus - nicht nur unter dem Stalinismus oder Faschismus, sondern auch im „demokratischen“ Staatskapitalismus.

Weil der Anarchismus diese entscheidende Änderung in den Bedingungen des Klassenkampfes nicht begreift - nicht begreifen kann - weil seine Ablehnung des Staates eine rein moralische, individuelle, ohnmächtige ist, ist er unter den Bedingungen des 20. Jahrhunderts dazu verdammt, selbst ein Teil dieses niedergehenden Staatsapparates zu werden. Dies ist im Falle des Anarchosyndikalismus besonders deutlich, weil er eine permanente, gewerkschaftliche Organisation des Klassenkampfes betreibt. Er begreift nicht, was Rosa Luxemburg bereits 1906 in ihrer Massenstreikbroschüre deutlich zu machen begann: daß die Kampforgane des modernen Proletariats im Kampf selbst entstehen und am Ende des offenen Kampfes wieder aufgelöst werden, damit sie nicht in die Hände der Bourgeoisie fallen. Und diese Organe - die von Vollversammlungen gewählten und kontrollierten Streikkomitees, die Vorläufer der Arbeiterräte - werden genau so wenig wie der Massenstreik selbst von den Revolutionären vorgefertigt: sie sind die Schöpfung der kämpfenden Arbeiterklasse selbst. Genau so wenig kann der Anarchismus begreifen, was die Marxisten der KAPD bereits Anfang der 20iger Jahre zu verstehen begannen: daß die Organisationen der Revolutionäre, welche im Gegensatz zu den Massenorganisationen des unmittelbaren Kampfes eine permanente Aufgabe der Verteidigung programmatischer Prinzipien erfüllen, in der Dekadenzphase des Kapitalismus keine Massenorganisationen mehr sein können - auch in der Revolution selbst nicht.

Somit gelingt es den Genossen noch nicht, ihre Ablehnung des anarchosyndikalistischen Projektes des Aufbaus revolutionärer Massengewerkschaften grundsätzlicher zu formulieren. Statt dessen begründen sie ihre Ablehnung dieses Projektes, das seit Jahrzehnten immer und überall mit einer Verwicklung im bürgerlichen Staatsapparat endet, ausschließlich mit der vorübergehenden mangelnden revolutionären Stimmung der Arbeitermassen.

„Wir sollten nicht versuchen, die heutige Massenbewegung umzuformen, sondern eine neue, völlig neue zu schaffen“. Wie die Kommunistische Linke aufgezeigt hat, ist es nicht die Aufgabe der Revolutionäre, neue Massenbewegungen anstelle der alten zu schaffen, sondern Organisationen der revolutionären Minderheiten zu schaffen, welche in der Lage sind, gegenüber den zukünftigen Klassenkämpfen zu intervenieren und die Ausdehnung, Vereinigung und Selbstorganisation des Kampfes durch die Arbeiter selbst zu fördern, zu verteidigen und ihm eine revolutionäre Richtung zu geben. Mit anderen Worten: der Aufbau permanenter revolutionärer Massenorganisationen wie z.B. anarcho-syndikalistische Gewerkschaften ist heute nicht nur deshalb unmöglich, weil die Arbeiterklasse noch nicht bereit ist, die Revolution zu machen, sondern vor allem deshalb, weil solche permanent bestehenden Organe den Bedürfnissen des Klassenkampfes nicht mehr entsprechen, sondern dazu verurteilt sind, Hindernisse auf dem Weg der Selbstorganisierung zu sein (siehe dazu die Gewerkschaftsbroschüre der IKS).


Die revolutionäre Debatte in Rußland: Ein Versprechen für die Zukunft

Der Aufbau einer revolutionären anarchistischen Bewegung in Rußland wie weltweit ist vor allem daran gescheitert, daß der Anarchismus selbst den revolutionären Erfordernissen des proletarischen Klassenkampfes in keinster Weise entspricht. Die Lwower Rede hingegen neigt dazu, dieses Scheitern einerseits und zurecht der kleinbürgerlichen Ungeduld, andererseits aber und zu unrecht den Unzulänglichkeiten des heutigen Klassenkampfes selbst anzulasten. Die Genossen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Zeit der „sozialen Konterrevolution“. Es stimmt, daß das internationale Proletariat heute noch (seit 1989 mit dem angeblichen Scheitern des Kommunismus sogar verstärkt) unter den Nachwirkungen der stalinistischen Konterrevolution leidet. Dies trifft erst recht für die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion und des früheren Ostblocks zu. Der Weg zu einem möglichen zweiten Anlauf zur Weltrevolution wird sehr lang und sehr schwer sein. Wie recht also die Genossen haben, indem sie von den Revolutionären einen „langen Atem“ fordern. Aber die heutige Generation des Proletariats ist nicht niedergeschlagen. Solange die Kampfkraft und ein ausreichendes Klassenbewußtsein innerhalb der Arbeiterklasse vor allem der westlichen Industriestaaten bestehen bleibt, besteht eine historische revolutionäre Perspektive für das Proletariat der ganzen Welt. Wenn das russische Proletariat auch geschwächt ist und in einer besonders schwierigen Lage steckt: auch dort ist die Arbeiterklasse nicht geschlagen. Gerade in den letzten Monaten hat sich die Kampfkraft des russischen Proletariats zu zeigen begonnen: die Proteste der Bergarbeiter im ganzen Lande sowie von anderen Lohnabhängigen sogar in Moskau, im Zentrum der Macht, belegen dies. Auch wenn diese Kämpfe von den Gewerkschaften noch kontrolliert werden, sind sie ein deutliches Anzeichen dafür, daß die Arbeiterklasse nicht bereit ist, ihre Interessen der Logik des Kapitals unterzuordnen.

Auch die ehrliche, nach Selbstkritik, nach Klärung und nach theoretischer Tiefe drängende, neue Generation der Revolutionäre in Rußland - von dem die Lwower Rede des KRAS Genossen ein ermutigendes Zeichen gibt - zeugt von dem weiterbestehenden revolutionären Potential unserer Klasse. Wir begrüßen mit ganzem Herzen die Bemühungen dieser Genossen und engagieren weiterhin unsere Organisation, nach Kräften die internationale Debatte sowie die Aneignung des großen revolutionären Erbes unsere Klasse voranzutreiben.


Politische Strömungen und Verweise: 

  • Internationalistischer Anarchismus [27]

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [28]

Weltrevolution Nr. 90

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1918 - Generalstreik in der Schweiz

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 Im November vor 80 Jahren brach in der Schweiz ein Generalstreik aus, der grösste landesweite Streik in der bisherigen Geschichte der schweizerischen Arbeiterbewegung. Für Revolutionäre sind solche Ereignisse ein Anlass, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, die Stärken und Schwächen einer Bewegung zu analysieren, damit die Erfahrungen der früheren Generationen für die späteren fruchtbar gemacht werden können.

Das internationale Umfeld

Als die Arbeiterklasse in der Schweiz am 9. November 1918 in den Streik trat, geschah dies nicht isoliert, sondern in einem Zeitpunkt, als weltweit die Kampfbereitschaft massiv zunahm und in einigen Ländern Revolutionen im Gang waren. Der Generalstreik in der Schweiz war ein Ausdruck der weltrevolutionären Welle, die von 1917 bis 1923 dauerte. Ein Jahr zuvor hatte das Proletariat in Russland die Macht ergriffen. Seit einigen Tagen bildeten sich in Deutschland überall Arbeiter- und Soldatenräte. Der 9. November war der Tag, an dem der Kaiser in Berlin abdanken musste. Einige Monate später wurden in Bayern und Ungarn Räterepubliken ausgerufen. Die Bourgeoisie brach den Weltkrieg sofort ab und schloss sich eilig zusammen, um geeint gegen die proletarischen Bastionen vorzugehen.

Die Kämpfe in der Schweiz

1914 mit dem Beginn des Weltkrieges brach die Zweite Internationale zusammen. Bis auf wenige Ausnahmen schlossen die sozialdemokratischen Parteien Burgfrieden mit ihren jeweiligen nationalen Bourgeoisien. Auch die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) bekannte sich zur Landesverteidigungi [29] und erteilte dem Bundesrat (der Regierung) "alle ausserordentlichen Vollmachten zu Sicherung des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität".ii [29]

Früher als in anderen Ländern schwenkte aber die Mehrheit der SP in der Schweiz auf die Zimmerwald-Bewegung ein. Im September 1915 fand in Zimmerwald bei Bern die erste Internationale Sozialistische Konferenz statt, wo sich die verschiedenen sozialdemokratischen Kräfte, die sich gegen die Landesverteidigung stellten, auf ein Manifest gegen den Krieg einigten. Die SPS bezog aber nicht Stellung auf der konsequenten Linie der Zimmerwalder Linken um Lenin, Radek und Trotzki, sondern auf einer zentristischen Linie, die in Deutschland später von der USPD und in der Schweiz von der SP-Führung um Robert Grimm vertreten wurde. Während die Zimmerwalder Linke offen die Chauvinisten innerhalb der Sozialdemokratie denunzierte und zum revolutionären Kampf gegen den imperialistischen Krieg aufrief, blieben die Zentristen auf halbem Weg stehen, suchten die Versöhnung mit den rechten Sozialdemokraten und scheuten sich vor der offenen revolutionären Propaganda. Zur zweiten Internationalen Konferenz in Kiental 1916 sandte die SPS eine offizielle Delegation der Partei. Von nun an lehnte die sozialdemokratische Parlamentsfraktion Militärbudgets und Landesverteidigung ab.

Die Klassenwidersprüche verschärfen sich im Laufe des Krieges, der viel länger dauerte, als man zuerst allgemein angenommen hatte. 1917 kam es in der Schweiz zu den ersten Demonstrationsstreiks. Anfang 1918 bildeten die SPS und die Gewerkschaften zur Koordinierung des Kampfes das Oltener Aktionskomitee. Während Partei und Gewerkschaften 1913 den befristeten Generalstreik lediglich als letztes ausserparlamentarisches Kampfmittel in Aussicht genommen hatte, ermächtigte nun Ende Juli 1918 der Allgemeine Arbeiterkongress das Oltener Aktionskomitee, den allgemeinen (d.h. auch unbefristeten) Landesstreik zu beschliessen, falls der Bundesrat in verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Fragen (u.a. Versammlungsfreiheit, Zurückweisung von Deserteuren an der Grenze, 8-Stunden-Tag, Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln) keine Konzessionen macht.

In der Folge machte der Bundesrat einige Zugeständnisse, so dass das Oltener Aktionskomitee den Streik für nicht notwendig erachtete. Die Regierung bereitete sich aber ihrerseits mit der Einsetzung einer besonderen Kommission auf einen allfälligen zukünftigen Generalstreik vor.

Ende September 1918 brach in Zürich ein Bankangestelltenstreik aus, der sich schnell zu einem lokalen Generalstreik ausweitete und aufgrund der ansteigenden Kampfbereitschaft einen momentanen Sieg für das Proletariat bedeutete. Die Banken mussten in allen Punkten nachgeben: Die Löhne wurden verdoppelt, der Bankangestelltenverband als offizielle Vertretung anerkannt, und Massregelungen wegen der Teilnahme am Streik durften nicht ergriffen werden.iii [29]

Die Bourgeoisie war aufgeschreckt. Die Widersprüche spitzten sich weiter zu, da v.a. die Arbeiter durch die kriegsbedingte Lebensmittelknappheit immer tiefer ins Hungerelend gerieten. Gleichzeitig begannen die Zersetzung der Armeen der Zentralmächte und die Revolutionen in Deutschland, Österreich, Ungarn. Ein Aufruf in Zürich zu einer Demonstration aus Anlass des ersten Jahrestages der Oktoberrevolution bewegte die Armeeleitung zu einem Vorstoss: Sie verlangte vom Bundesrat die Einwilligung zur Entsendung zusätzlicher Truppen nach Zürich zur Vorbeugung gegen eine vermutete Revolution. Der Bundesrat stimmte zu, und der General bot Infanterie und Kavallerie zur Belagerung von Zürich auf. Der Truppenaufmarsch wurde vom Proletariat als so starke Provokation empfunden, dass das Aktionskomitee auf Druck der Arbeiter einen befristeten Proteststreik in 19 Städten proklamieren musste. Dieser Streik war sehr bescheiden konzipiert: Das vorgesehene Datum, der 9. November, war ein Samstag, wo ohnehin nur halbtags gearbeitet wurde. In Zürich war die Stimmung aber so heiss (nicht zuletzt durch das Verhalten der Militärs), dass die Arbeiterunion Zürich, in der die in der SPS und den Gewerkschaften organisierten Arbeiter zusammengeschlossen waren, die Fortsetzung des Generalstreiks für Zürich beschloss. Die Forderungen lauteten u.a.: Truppenrückzug, Freilassung der politischen Gefangenen, Anerkennung der Sowjetgesandtschaften. Das Oltener Aktionskomitee musste mitziehen. Zwischen 250'000 und 400'000 Arbeiter (von insgesamt (800'000 zur damaligen Zeit) schlossen sich dem Streik an; in der Schwerindustrie waren es mindestens 80%, die die Arbeit niederlegten. Der Kampf verlief auf Seiten der Arbeiterklasse sehr diszipliniert, die Armeeführung umgekehrt verfolgte die Strategie der Provokation. In mehreren Städten wurden Arbeiter durch Schüsse und Bajonette verletzt, in Grenchen sogar 3 erschossen.

Am 13. November stellte der Bundesrat dem Aktionskomitee ein Ultimatum zum Streikabbruch. Da der Bundesrat auf die Hauptforderung des Aktionskomitees nach einem Truppenabzug in Zürich nicht einging, stand die offene Schlacht bevor. Der Streik war aber in wichtigen Teilen des Landes, insbesondere in der französischen Schweiz bei weitem kein vollständiger. Die Streikbewegung weitete sich in diesen Tagen auch nicht mehr aus, sondern war zu einem Stillstand gekommen. Das Aktionskomitee beschloss nach dem Ultimatum den Streikabbruch, was ihm in weiten Teilen des kämpfenden Proletariats das Vertrauen kostete. In den grösseren Städten verlangten die in Gewerkschaften und SP organisierten Arbeiter eine Neubildung der zentralen Leitung. Und viele Arbeiter zerrissen wütend ihre Mitgliederausweise der Gewerkschaften und der Partei.


Das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat

Zum 80. Jahrestag des Landesstreiks versucht die Bourgeoisie dem Proletariat ihre Version zu verkaufen. Dabei geht sie - wie immer - arbeitsteilig vor. Der auflagenstarke TagesAnzeiger hebt die "fortschrittlichen" reformistischen Forderungen der sozialdemokratischen Streikleitung hervor: Proporzwahl für den Nationalrat, Frauenstimmrecht und Sozialversicherungen - "was die Streikenden forderten, ist heute eine Selbstverständlichkeit"iv [29]. Damit versucht die Bourgeoisie von der revolutionären Dynamik der Kämpfe insbesondere im internationalen Umfeld abzulenken. Die Stalinisten innerhalb des Aufbaus umgekehrt sprechen zwar von Revolution, um sie aber mit der Kapitulation des Oltener Aktionskomitees gleich wieder zu begraben: ”Die bedingungslose Kapitulation der sozialdemokratischen Führung erschütterte die Vorstellung an die Erreichbarkeit einer revolutionären Veränderung zutiefst.”v [29] - Als ob die Revolution eine nationale und v.a. militärische Angelegenheit wäre.

In Tat und Wahrheit war das Proletariat im November 1918 sowohl weltweit als auch in der Schweiz noch lange nicht geschlagen. Die Revolutionen in Deutschland und Mitteleuropa hatten gerade erst begonnen. Die gewaltigen Streiks im Ruhrgebiet vom Frühjahr 1919, die ungarische Räterepublik, die Gründung der Dritten Internationalen, die Kämpfe in Italien standen noch bevor. Die lokalen Generalstreiks im Sommer 1919 in Basel und Zürich erfassten im Gegensatz zum Landesstreik vom November 1918 auch die Angestellten und Beamten, zogen also weitere Teile des Proletariats in den Kampf. In den Wochen und Monaten nach dem Landesstreik nahm nicht nur die Kampfbereitschaft, sondern insbesondere auch das Klassenbewusstsein im Proletariat zu. So schrieb z.B. Jules Humbert-Droz, der spätere Sekretär der Komintern, am 19. November 1918 in der französischsprachigen Zeitung Sentinelle: "Das Oltener Aktionskomitee hat vielleicht kapituliert, die Arbeiterklasse aber hat nicht kapituliert. Überall erhebt sich Kritik gegen das Aktionskomitee; das arbeitende Volk hätte trotz der Dragoner und Maschinengewehre weiterkämpfen wollen, es war zu weiteren Opfern bereit; es hält die Kapitulation für verfrüht und bereitet neue grosse Kämpfe vor. Begeistert durch die Welle der Solidarität, die es zum Aufstand getragen hat, ist es von einem neuen revolutionären Atem durchdrungen (...)"vi [29] Die Kritik am zentristischen Aktionskomitee, der Bruch von manchen Arbeitern mit ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft und mit der Sozialdemokratie, die bevorstehende Gründung der Kommunistischen Partei der Schweiz sind klare Boten einer Vertiefung des Klassenbewusstseins.


Die Rolle der Sozialdemokratie vor und während dem Generalstreik

Die Arbeiterklasse war im Landesstreik mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert, die sie damals nicht überwinden konnte: Anders als in Deutschland bildeten sich keine Massenkampforgane, die die Leitung des Streiks in die Hand genommen hätten. Der Klasse fehlte eine der neu angebrochenen Zeit angemessene Massenstruktur (Räte, beschlussfähige Vollversammlungen, von den Arbeitern gewählte Streikkomitees). Stattdessen oblag die Streikleitung einem Aktionskomitee von Delegierten aus der Sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften. Die Arbeiter hatten somit keinen direkten Einfluss auf die Entscheide der Streikleitung. Die Delegierten der SPS und der Gewerkschaften hatten ein Mandat dieser Organisationen und konnten nicht durch die Massen abgewählt werden, wie die Deputierten eines Arbeiterrates oder die Mitglieder eines direkt von den Streikversammlungen gewählten Komitees.

Die Zusammensetzung des Oltener Aktionskomitees war das zweite Problem: Die Sozialdemokratische Partei war zu diesem Zeitpunkt bereits degeneriert, in ihrer Mehrheit hat sie bürgerliche oder zumindest zentristische Positionen vertreten, die Gewerkschaften waren mit dem Übergang zum Staatskapitalismus zu Organen des bürgerlichen Staates gewordenvii [29]. Die Revolutionäre waren z.T. bereits aus der SPS ausgeschlossen wordenviii [29], z.T. leisteten sie noch Fraktionsarbeit als Minderheit in der SPSix [29]. Diese proletarischen Kräfte waren aber im Oltener Aktionskomitee überhaupt nicht mehr vertreten, richtigerweise traten sie aus, als es seinen bürgerlichen Charakter offenbarte.

An sich war der Streikabbruch nach dem Ultimatum des Bundesrates richtig: Das Proletariat wäre zu früh in eine Konfrontation getrieben worden, der es nicht gewachsen gewesen wäre. Da die sich der Streik nicht mehr ausweitete, die Bewegung zu einem Stillstand gekommen war, wäre das Proletariat in den Industriegebieten der Nord- und Nordostschweiz isoliert geblieben und durch die Armee (fast 100'000 Mann) massakriert worden.

Die Arbeiterklasse überstand den 6tätigen Generalstreik ohne grosse physische Verluste und moralisch unbeschadet. Das Problem des Streikabbruchs bestand aber darin, dass er von einem der Klasse fremden Organ beschlossen wurde, und nicht von der Klasse selber. Die Klasse verfügte damals in der Schweiz nicht über eine Massenstruktur, die ihren Willen zum Ausdruck gebracht hätte. Deshalb musste sie sich (subjektiv) durch den Entscheid des Oltener Aktionskomitees verraten fühlen, obwohl der Streikabbruch, objektiv betrachtet, richtig war.

Effektiv hatte die Sozialdemokratie die Arbeiterklasse verraten, und zwar seit Beginn des Weltkrieges mit ihrer Burgfriedenspolitik. Im Landesstreik verhielt sich die SPS nicht anders. In ihrer Mehrheit vertrat sie bürgerliche Positionen. Nach der Trennung von der linken Fraktion Ende 1920 war die Partei für das Proletariat definitiv verloren. Im November 1918 wurde aber der bürgerliche Charakter des Oltener Aktionskomitees und der Mehrheit der SPS für viele Arbeiter noch nicht schonungslos entlarvt, da es sich die Bourgeoisie leisten konnte, die Armee an die Front des Klassenkampfes zu schicken und nicht die Sozialdemokraten. Im Januar 1919 in Deutschland war es die sozialdemokratische Regierung von Ebert, Scheidemann und Noske, die auf die Arbeiter schoss. Diese letzte Karte - die Übergabe der Regierungsgeschäfte an die Linke - musste die Schweizer Bourgeoisie nicht verspielen. Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen hatte sich noch nicht so weit zugunsten des Proletariats verschoben.

Allem offenen oder versteckten Hohn der Bourgeoisie zum Trotz ist es aber falsch, den Generalstreik vom November 1918 als Niederlage der Arbeiterklasse zu bezeichnen. Im Gegenteil: Angeschlagen war einzig das Image des Oltener Aktionskomitees. Die Kampfkraft des Proletariats war ungebrochen. Das zeigen auch die relativ milden Strafen, die die Gerichte nach dem Streik gegen die Exponenten des Kampfes aussprachen. Es war kein Rachefeldzug einer siegessicheren Bourgeoisie, sondern ein eher schüchterner Versuch der Justiz, das Gesicht zu wahren, ohne neue Unruhen heraufzubeschwören. Die revolutionäre Welle von 1917 bis 1923 hatte gerade erst begonnen.   FH

i [29]Im Parlament gab es keine Gegenstimmen, hingegen enthielten sich zwei Sozialdemokraten, Charles Naine und Paul Graber, aus pazifistischen (und nicht aus revolutionären) Erwägungen der Stimme.

ii [29]Zum imperialistischen Charakter der Neutralitätsverteidigung vgl. Lenins Artikel Der Schutz der Neutralität, LW Bd. 23, S. 271

iii [29]Im dekadenten Kapitalismus können solche Errungenschaften des Proletariats nur von vorübergehender Dauer sein. Die Lohnerhöhungen wurden durch die Inflation wieder rückgängig gemacht. Die Bankangestelltengewerkschaft wurde in den Staatsapparat integriert, und die Banken banden missliebig gewordene Angestellte in der Beförderung zurück, wenn sie sie nicht schliesslich unter einem Vorwand doch entliessen.

iv [29]TA vom 3.8.98

v [29]Aufbau Nr. 10

vi [29]zit. nach Mémoires de Jules Humbert-Droz, Mon évolution du tolstoisme au communisme, S. 283.

vii [29]siehe dazu unsere Broschüre Die Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse

viii [29]u.a. Jakob Herzog

ix [29]u.a. Fritz Platten und Jules Humbert-Droz

Geographisch: 

  • Schweiz [30]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Welle 1917-1923 [31]

Marxismus und die Wahlen: Bekämpfung der bürgerlichen Demokratie

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 Lange vor dem Wahlgang am 27. September feierte die deutsche Bourgeoisie im voraus ihren bedeutendsten Sieg bei den diesjährigen Bundestagswahlen: die erwartete besonders hohe Wahlbeteiligung. Zugleich brachten die bürgerlichen Medien in Sondersendungen und Talk-Shows ihre Sorge um die immer noch bedeutende Minderheit der Nichtwähler zum Ausdruck. Und tatsächlich: Trotz der vom Wahlzirkus in Aussicht gestellten „Abwahl“ Kohls sowie dem seit 1989 ununterbrochen gefeierten „Sieg der Demokratie“ über den „Kommunismus“ (sprich Stalinismus) bleiben dennoch viele Wähler gerade aus der Arbeiterklasse den Wahlurnen fern.

Um auch diese „Wahlunwilligen“ für das scheindemokratische Ritual des Staates zu mobilisieren, werden verschiedene „radikale Alternativen“ aufgestellt, um auch den letzten „Bürger“ wenigstens zur „Protestwahl“ zugunsten einer PDS oder DVU zu bewegen. Denn für den Erhalt des Ausbeutersystems ist es weniger wichtig, wer gewählt wird - Hauptsache es wird gewählt. Die Parlamentswahlen gehören zu den wichtigsten Mitteln, um die zerstörerische Herrschaft einer winzigen Minderheit von Kapitalisten über den Rest der Menschheit zu legitimieren. Indem die Ausgebeuteten und Entrechteten, allen voran die Mitglieder der Arbeiterklasse, sich an den Wahlen beteiligen, verleihen sie dem totalitären kapitalistischen Staat den demokratischen Anstrich, den er braucht.


Trotzkisten und Anarchisten: Fallensteller

Freilich: nicht jeder, der am Wahltag Zuhause bleibt, tut dies aus Skepsis, gar Ablehnung gegenüber diesem Gesellschaftssystem, sondern oft aus Passivität und Depolitisierung. Gefährlich hingegen sind die Strömungen innerhalb der Arbeiterklasse, welche von der Wahlurne aus dem Gefühl heraus fernbleiben, daß die bürgerlichen Parteien „alle unter einer Decke stecken“, und daß die Angriffe der Herrschenden unabhängig vom Wahlausgang erfolgen. Am gefährlichsten für die bürgerliche „Ordnung“ sind die kleinen Minderheiten, politisch suchender Leute innerhalb der Arbeiterklasse, welche aus einer klassenkämpferischen Haltung heraus die Teilnahme an den Wahlen verweigern. Um dieser gefährlichen Einstellung in der Arbeiterklasse - die heute erst von Minderheiten vertreten wird - zu begegnen, verfügt der Kapitalismus über besonders radikale Laufburschen: die extreme Linke, die Trotzkisten und Anarchisten.

Die Trotzkisten übernehmen dabei die Aufgabe, den nach revolutionärer Orientierung suchenden politischen Minderheiten der Arbeiterklasse vorzugaukeln, die „kritische“ Teilnahme an den bürgerlichen Wahlen gehöre unerschütterlich zu den Prinzipien des revolutionären Marxismus. Sie verfälschen dabei die Geschichte, indem sie ihre niederträchtigen bürgerlichen Wahlmanöver als die Fortsetzung der revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegung hinstellen. Wer sich gegenüber dieser sogenannten „Taktik“ aber sträubt, wird in die Arme der Anarchisten getrieben. Denn die Vertreter des Anarchismus wie z.B. der FAU beteiligen sich nicht an den Wahlen: aber nicht zugunsten einer proletarischen Politik, sondern weil sie die „Politik“ überhaupt, und somit auch die Klassenpolitik des Proletariats ablehnen.

Es handelt sich hierbei objektiv um eine politische Arbeitsteilung zwischen Trotzkisten und Anarchisten, um die Arbeiter vor die falsche Alternative entweder „kritische“ trotzkistische Wahlbeteiligung oder anarchistisch, entpolitisierende „Enthaltsamkeit“.


Die marxistische Haltung zu den Wahlen

Vor dem 1. Weltkrieg beteiligten sich die Marxisten, im Gegensatz zu den Anarchisten, an den bürgerlichen Wahlen. Sie beteiligten sich aber nicht etwa deshalb daran, weil der Parlamentarismus sowie die Wahlbeteiligung „ewige proletarische Wahrheiten“ wären, (wie der heutige Trotzkismus glauben machen will) sondern weil damals der Kapitalismus noch ein aufsteigendes, historisch fortschrittliches Gesellschaftsystem war, und deshalb die proletarische Revolution noch nicht möglich war. Möglich war damals dagegen der Kampf um dauerhafte Reformen innerhalb eines expandierenden Systems, sowie die Vorbereitung des Proletariats auf die künftige Revolution. Die marxistische Wahlbeteiligung war kein Selbstzweck, sondern diente diesem Ziele.

„Jeder Kommunist kennt heute die Gründe, weshalb diese Kampfmethoden während jener Zeit notwendig und nützlich waren“, schrieb Anton Pannekoek 1920 in Weltrevolution und kommunistische Taktik. „Wenn die Arbeiterklasse mit dem Kapitalismus emporkommt, ist sie noch nicht imstande und kann nicht einmal den Gedanken fassen, die Organe zu schaffen, durch die sie die Gesellschaft beherrschen und regeln könnte. Sie muss sich zuerst geistig zurechtfinden und den Kapitalismus und seine Klassenherrschaft begreifen lernen. Ihre Vorhut, die sozialdemokratische Partei, muss durch ihre Propaganda das Wesen der Regierung enthüllen und durch das Aufstellen der Klassenforderungen den Massen ihre Ziele zeigen. Dazu war es notwendig, dass ihre Wortführer in die Parlamente, die Zentren der Bourgeoisherrschaft, eindrangen, dort ihre Stimme erhoben und sich an den politischen Parteikämpfen beteiligten.“ (1)

Die stalinistischen und trotzkistischen Verfälscher der Geschichte tun so, als ob diese Bedingungen immer noch gelten würden. In der Einleitung zu den Leitsätzen des 2. Weltkongresses der Kommunistischen Internationalen, (übrigens von Trotzki selbst 1920 verfaßt) wurde allerdings das exakte Gegenteil behauptet: „Gegenwärtig kann das Parlament für die Kommunisten auf keinen Fall ein Schauplatz des Kampfes um Reformen, um Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse sein, wie das in gewissen Augenblicken der vergangenen Periode der Fall war. Der Schwerpunkt des politischen Lebens hat sich vollkommen aus dem Parlament verschoben, und zwar endgültig“. (...) Die unmittelbare historische Aufgabe der Arbeiterklasse besteht deshalb darin, diesen Apparat den Händen der Bourgeoisie zu entreißen, sie zu zerbrechen, zu vernichten, und an ihre Stelle neue, proletarische Machtorgane zu setzen.“ (2)

Während der Trotzkismus heute zur Wahl Schröders oder Gysis, ja zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie „gegen Rechts“ aufruft, rief die Kommunistische Internationale 1920 zur Vernichtung dieser Demokratie und ihres Parlaments auf, da sie nichts als Feigenblätter der Diktatur des Kapitals sind. Das ist der ganze Unterschied zwischen bürgerlicher und proletarischer Politik.

Die Anarchisten hingegen hielten damals, halten heute die Kriegserklärung der Kommunistischen Internationalen für eine Bankrotterklärung gegenüber der Parlaments- und Wahlbeteiligung der Marxisten vor dem 1. Weltkrieg. Der Anarchismus mit seiner moralischen, unhistorischen Herangehensweise ist unfähig zu begreifen, dass eine Politik, welche in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus richtig war, in der Dekadenzphase dieses Systems nach 1914 ihre Gültigkeit verliert. Wie die Leitsätze von 1920 feststellen: „Die Stellung der III. Internationale zum Parlamentarismus wird nicht durch eine neue Doktrin, sondern durch die Änderung der Rolle des Parlamentarismus selbst bestimmt. In der vergangenen Epoche hat das Parlament als Instrument des sich entwickelnden Kapitalismus in gewissem Sinne eine historisch fortschrittliche Arbeit geleistet. Aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen, unter dem zügellosen Imperialismus, ist das Parlament zu einem Werkzeug der Lüge, des Betruges, der Gewalttat und des entnervenden Geschwätzes geworden.“ (3)

Während Trotzkisten und Anarchisten mit a-historischen bürgerlichen Phrasen um sich werfen, arbeitete die Kommunistische Internationale also noch 1920 mit der revolutionären Methode des historischen Materialismus, mit der marxistischen Theorie. War das Parlament in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus ein wirkliches Machtinstrument und politisches Forum der herrschenden Klasse, brach mit dem 1. Weltkrieg das Zeitalter des Staatskapitalismus und des bürgerlichen Totalitarismus an. Während die wirklichen politischen Entscheidungen damit nicht mehr vom gesetzgebenden Parlament, sondern hinter den Kulissen von den ausführenden („exekutiven“) Staatsorganen getroffen werden, wurde dennoch die Hülle der bürgerlichen Demokratie mit ihrem parlamentarischen Herzstück als Attrappe, als Täuschung gegen die Arbeiterklasse stehengelassen. „Die Bourgeoisie stützt sich in erster Linie auf den Exekutivapparat des Staates, der ihr auch dazu dient, sich die Mehrheiten in den gewählten Institutionen zu sichern.“ (Thesen der kommunistischen wahlboykottierenden Fraktion der sozialistischen Partei Italiens - Mai 1920).


Bürgerliche Demokratie: Waffe des Kapitals

Als die Kommunistische Internationale im März 1919 gegründet wurde, auf dem Höhepunkt der revolutionären Nachkriegswelle, bildeten die Kommunisten in den meisten Ländern eine kleine Minderheit im Vergleich zu den Massenparteien und Gewerkschaften der im Weltkrieg auf die Seite des Imperialismus übergewechselten Sozialdemokratie. Anstatt deswegen zu zögern, den vollständigen Bruch mit der Sozialdemokratie und ihren politischen Positionen zu vollziehen, besannen sich die Kommunisten bei der Gründung der Internationale auf die Erfahrung der Bolschewiki während der russischen Revolution, welche Lenin bereits im Frühjahr 1917 in seinen „Aprilthesen“ so formulierte: „Es kommt nicht auf die Zahl an, sondern auf den richtigen Ausdruck der Ideen und der Politik des wirklich revolutionären Proletariats.“ Wie Lenin während des Weltkriegs stets wiederholte „Besser zu zweit bleiben, wie Liebknecht - und das heißt beim revolutionären Proletariat bleiben.“

Somit bildeten die von Lenin verfaßten Thesen über bürgerliche Demokratie und Diktatur des Proletariats - die eine glänzende Verwerfung der gerade von der Sozialdemokratie verbreiteten Illusionen über die bürgerliche Demokratie und den Parlamentarismus waren- das Hauptwerk der neugegründeten Internationalen. Und in den zwei wichtigsten Zentren der damaligen Revolution in Westeuropa, in Deutschland und Italien, eroberte rasch die Position, die die Wahlbeteiligung ablehnte, die Mehrheit unter den Kommunisten. Der Gründungsparteitag der KPD Ende 1918 lehnte mit großer Mehrheit die Teilnahme an den Parlamentswahlen ab, welche von der konterrevolutionären Sozialdemokratie einberufen wurden, um die revolutionären Arbeiterräte in Deutschland zu zerstören. Und tatsächlich: enthüllten gerade die revolutionären Kämpfe des Jahres 1919 in Europa, daß der bürgerliche Parlamentarismus seinen fortschrittlichen Charakter verloren hatte und endgültig konterrevolutionär geworden war. Neben der raschen Beendigung des Weltkriegs war es die Waffe der bürgerlichen Demokratie im allgemeinen, und der Parlamentswahlen im besonderen, welche entscheidend zur Niederlage der Revolution in Deutschland, Italien und im ehemalig österreichisch-ungarischen Reich führten.


Die Frage des Parlamentarismus auf dem 2. Kongress der Komintern 1920

Als diese Frage auf dem 2. Weltkongress der Komintern im Sommer 1920 debattiert wurde, und die Kongressmehrheit sich unter dem Eindruck der Niederlage der Revolution in Mitteleuropa und der noch ungebrochenen Stärke der Sozialdemokratie in Westeuropa für eine Teilnahme an den Parlamentswahlen aus „taktischen“ Erwägungen aussprach, bildete sich erstmals um diese Frage deutlich eine internationale Opposition der Linkskommunisten heraus. Zwar hatte das Konzept Lenins und Bukharins von einem „revolutionären Parlamentarismus“, der „von innen“ zur revolutionären Zerstörung der bürgerlichen Demokratie beitragen sollte, nichts gemein mit den rein bürgerlichen „Wahlkämpfen“ der heutigen Trotzkisten. Doch war diese Politik schon damals nicht nur eine Illusion (die bürgerliche Demokratie kann nur durch die proletarischen Massenkämpfe zerstört werden) sondern eine opportunistische Gefahr für die Internationale. Die kommunistische, die Wahlen boykottierende Fraktion der Sozialistischen Partei Italiens vertrat auf diesem Kongress die Position der Linkskommunisten. Der Bericht Bukharins zu dieser Frage wurde durch einen Gegenbericht Bordigas, dem späteren Begründer der Kommunistischen Partei in Italien, beantwortet. Die von Bordiga eingebrachten Thesen, die die Lehren aus den ersten Niederlagen der Revolution in Westeuropa zogen, erkannten, dass weder die Zerstörung der demokratischen Illusionen der Massen noch der vollständige Bruch mit den Sozialdemokratien - den zwei wichtigsten Vorbedingungen eines revolutionären Siegs - ohne Bekämpfung der Wahlen durch die Kommunisten möglich waren. Es ist unmöglich, erklärten die Thesen, die demokratischen Lügen der Bourgeoisie zu zerstören

‘ohne daß mit den traditionellen Methoden des Aufrufs an die Arbeiter zur Wahlbeteiligung Seite an Seite mit Mitgliedern der Bourgeoisie gebrochen wird, und ohne daß man aufhört, daß Delegierte des Proletariats auf dem gleichen parlamentarischen Boden handeln wie die Delegierten ihrer Ausbeuter.’ (7. These)

Die Thesen erkannten ebenfalls, dass die Bekämpfung der Wahlen nicht nur gegenüber den Massen, sondern für die revolutionäre Partei selbst lebenswichtig geworden war.

‘Wenn man den Parteien, die durch einen Mehrheitsbeschluß der III. Internationale beigetreten sind, die Fortsetzung der Wahlbeteiligung zusteht, wird der notwendige Absonderungsprozeß und die Trennung von sozialdemokratischen Elementen scheitern, ohne den die III. Internationale ihre historische Rolle nicht erfüllen könnte, und sie wäre keine disziplinierte und homogene Armee mehr der Weltrevolution.’ (11. These)


Der angebliche Anarchismus der Kommunistischen Linken

Bereits die Verteidigung der Klassenpartei durch die oben erwähnte These widerlegt die heute noch weiterverbreitete Lüge, derzufolge die Linkskommunisten in der Parlamentsfrage auf die Argumentationsweise der Anarchisten zurückgefallen seien (wie zuletzt von der trotzkistischen „Spartakist-Tendenz“ in Bezug auf die KAPD behauptet wird). Vielmehr riet Bordiga in seinem Schlußwort den anwesenden Anarchisten, nicht für die antiparlamentarischen Thesen zu stimmen, wenn sie nicht deren marxistische Begründung teilten.

In Wahrheit intervenierte aber nicht nur die italienische kommunistische Linke, sondern auch die besten Vertreter der deutsch-holländischen Linkskommunisten - obwohl auf dem 2. Kongress nicht anwesend - in dieser Debatte, um die Klassenpartei vor dem tödlichen Opportunismus zu verteidigen. So Pannekoek in seinem Text Weltrevolution und kommunistische Taktik, den er als Diskussionsbeitrag zum 2. Weltkongress schrieb.

„Aus der Vorhut, die die ganze Klasse zum revolutionären Handeln hinter sich sammelt, wird sie zu einer parlamentarischen Partei, mit derselben legalen Position wie die anderen (..) eine Neuauflage der alten Sozialdemokratie unter neuen radikalen Losungen. Während im inneren Wesen zwischen der revolutionären Arbeiterklasse und der kommunistischen Partei kein Unterschied besteht, kein Gegensatz denkbar ist, da die Partei gleichsam das zusammengefasste klarste Klassenbewußtsein des Proletariats und seine wachsende Einheit verkörpert, zerbricht der Parlamentarismus diese Einheit“. Für die deutsch-holländische Linke ist der Parlamentarismus eine Gefahr für den proletarischen Internationalismus selbst, und damit für die Internationale insgesamt geworden. „In der parlamentarischen Aktion ist das Proletariat national geteilt und ist ein wirklich internationales Auftreten nicht möglich; in den Massenaktionen gegen das internationale Kapital fallen die nationalen Trennungen fort und ist jede Bewegung, auf welche Länder sie sich ausbreiten oder beschränken mag, Teil eines gemeinsamen Weltkampfes.“ (4 Und während der Anarchismus die Ablehnung der Politik, und somit Gleichgültigkeit gegenüber den Wahlen predigte, fordert der Linkskommunismus dazu auf, die bürgerlichen Wahlen aktiv politisch zu bekämpfen, indem man zu den wichtigsten Wahlveranstaltungen der linkskapitalistischen Parteien hingeht, um dieses bürgerliche Spektakel zu entlarven.


Nicht taktisches Manövrieren, sondern selbständiger Klassenkampf !

Im niedergehenden Kapitalismus kann das Proletariat nur siegen, indem die Massen ihren Kampf selbst in der Hand nehmen mittels direkt gewählter und kontrollierter, im Kampf selbst geschaffener Organe: der Streikkomitees usw., später der Arbeiterräte in der Revolution. Die bürgerliche Demokratie hingegen ist darauf ausgerichtet, die Arbeiterklasse passiv und zersplittert zu halten - symbolisiert durch den einsamen „Akt“ der Stimmabgabe in der Wahlkabine. „Das Problem der Taktik ist, wie in der proletarischen Masse die traditionelle bürgerliche Denkweise auszurotten ist, die ihre Kraft lähmt (..) Der Parlamentarismus hat die unvermeidliche Tendenz, die eigene, zur Revolution notwendige Aktivität der Massen zu lähmen.“ (Pannekoek, ibid)

Die Linkskommunisten demolierten die „tak-tische“ Befürwortung eines „revolutionären Parlamentarismus“ durch Bukharin und Lenin, welche vor allem auf die Arbeit Karl Liebknechts im deutschen Reichstag verwiesen: „Das Beispiel des Genossen Liebknecht beweist eben die Richtigkeit unserer Taktik. Vor der Revolution (...) konnte er durch seine Proteste im Parlament eine gewaltige Kraft ausüben; in der Revolution aber nicht mehr. Sobald also die Arbeiter ihr Geschick in die eigene Hand genommen haben, müssen wir den Parlamentarismus fahren lassen.“ (Hermann Gorter: Offener Brief an den Genossen Lenin, 1920 - S.48)

„In Deutschland wurde neulich der Grund angegeben, die Kommunisten müssen ins Parlament gehen, um die Arbeiter von der Nutzlosigkeit des Parlaments zu überzeugen. Aber man geht doch nicht einen falschen Weg, um anderen zu zeigen, dass es falsch ist, sondern man geht lieber sofort den richtigen Weg.“ (Pannekoek, Weltrevolution S.137)

Bordiga schloß seine Rede auf den 2. Kominternkongress wie folgt: „Wenn die Kommunistische Internationale die Schaffung eines kommunistischen Parlamentarismus auf sich nehmen will, unterwerfen wir uns ihrer Bestimmung. Wir glauben nicht, dass dieser Plan gelingen wird; aber wir erklären, dass wir nichts unternehmen werden, um dieses Werk umzustoßen (...) so wünsche ich dem Genossen Bucharin, dass er uns ein weniger trauriges Bild des kommunistischen Parlamentarismus vorlegen kann, als das, mit welchem er diesmal seine Einleitung beginnen musste.’(Protokoll des II. Weltkongresses, S. 429f).

Bordiga sollte recht behalten. Der „revolutionäre Parlamentarismus“ der Kominterns beschleunigte eine opportunistische Anpassung der Internationalen an die sozialdemokratischen Illusionen der rückständigeren Teile der Arbeiterklasse: eine Anpassung, deren erste Schritte bereits auf dem 2. Weltkongress eingeleitet wurden. Dieser Opportunismus angesichts des Rückflusses der Weltrevolution führte bald, auf dem 3. und 4. Kongress, zu einer Wieder-Infragestellung des Bruchs der Kommunisten mit der Sozialdemokratie (Politik der „Einheitsfront“ und der „Arbeiterregierung“ mit den Sozialdemokraten; ja sogar zu einem organisatorischen Zusammenschluss mit Teilen der Sozialdemokratie). Diese Entwicklung schließlich ebnete auf dem Hintergrund der Niederlage der Weltrevolution den Sieg der stalinistischen Konterrevolution. War Anfang der 20er Jahre die Auseinandersetzung der Komintern über die Parlamentsfrage eine Debatte innerhalb des revolutionären Lagers, so verläuft heute zwischen dem marxistischen Antiparlamentarismus und den Manövern der Trotzkisten und Anarchisten ein Klassengraben. Kr.

(1) Veröffentlicht in Pannekoek/Gorter: Organisation und Taktik der proletarischen Revolution S. 136.

(2) in Dokumente des I. und II. Kongresses der Kommunistische Internationale S. 188.

Nationale Situationen: 

  • Wahlen in Deutschland [32]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [33]

Weltrevolution Nr. 91

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Weltrevolution - 1999

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Weltrevolution Nr. 92

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Veranstaltungsreihe Cajo Brendels in Deutschland

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Cajo Brendel, der letzte noch lebende Vertreter der deutsch-holländischen Linken - eine der historisch bedeutendsten linkskommunistischen Strömungen, hielt im November 1998 eine Veranstaltungsreihe von öffentlichen Diskussionen in Deutschland ab. Er führte in Berlin drei Diskussionsabende durch: über die Stellung der Rätekommunisten zur russischen Revolution und zum Bolschewismus; über die Kämpfe in Spanien der 30er Jahre sowie über die Perspektiven des kommenden Jahrhunderts. Aber auch in Dresden und Köln trat er auf. Jeweils 50 bis 100 Teilnehmer nahmen an den Meetings teil - eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, welche Mühe sich die Herrschenden seit jeher gegeben haben, die bloße Existenz des Linkskommunismus zu verschweigen. Auch die IKS nahm an den ersten beiden Treffen in Berlin sowie an der Veranstaltung in Köln teil. Tatsächlich ermöglichte Cajo Brendels Auftreten, dass in Deutschland eine größere Anzahl politisierter Leute von den Positionen der Kommunistischen Linken erfuhr als jemals zuvor in den letzten Jahren. Dank dieser Veranstaltungsreihe hörten junge Menschen z.B. aus Berlin oder Dresden von einer Strömung der Arbeiterbewegung, die ursprünglich nicht zuletzt in diesen Städten entstanden war, welche bei der Gründung der KPD Ende 1918 die Mehrheitsposition der Partei mitten in der Revolution darstellte, heute aber fast unbekannt ist, weil die Konterrevolution sie unter einem Berg von Leichen und Lügen begrub.

 

Brendel verteidigt revolutionäre Positionen

 

Durch seine Referate und Diskussionsbeiträge bewies Cajo Brendel unserer Meinung nach, dass die "klassischen" politischen Stellungnahmen der deutsch-holländischen Linken nicht an Aktualität verloren haben, auch wenn, wie Cajo mit Marx sagte „unsere Theorie kein Dogma, sondern Leitfaden zum Handeln ist“. Wie die u.a. von Anton Pannekoek und Hermann Gorter ins Leben gerufene sog. "holländische Schule des Marxismus" es seit jeher getan hat, entlarvte Genosse Brendel den bürgerlichen Charakter des Parlamentarismus, der Gewerkschaften, der Sozialdemokratie, aber auch den staatskapitalistischen Charakter des untergegangenen Ostblocks. Und während staatskapitalistische Strömungen wie  Stalinismus oder Trotzkismus die neue Rot-Grüne Regierung in Deutschland als einen Fortschritt für die Arbeiterklasse begrüßt haben, zeigte Brendel das zutiefst arbeiterfeindliche Wesen dieser Regierung auf.

 

Von diesen marxistischen Positionen ausgehend, war Brendel vor allem in der Lage, zukunftsweisende Perspektiven zu entwerfen. Er zeigte auf, dass der Marxismus kein totes Dogma, sondern eine lebendige Methode ist, um die sich stets wandelnde Wirklichkeit zu erfassen. Er zeigte auf, dass die Arbeiterklasse weder geschlagen ist noch von der Bühne der Geschichte abgedankt hat, dass der Klassenkampf lebendig ist und sich trotz aller Schwierigkeiten fortentwickelt. Es gibt heute keine andere revolutionäre Kraft als das Proletariat – vor allem dies war das Bekenntnis dieses alten Kämpfers für die Sache des Kommunismus. Er vertrat diese Überzeugung, ohne die Arbeiter zu idealisieren: das Proletariat kämpft und wird kämpfen, sagte er, weil seine Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess ihm keine andere Alternative lässt.

 

Gegenüber dem heute wieder in Mode gekommenen "Voluntarismus", erklärte Brendel, dass der Wille zur Revolution nicht reicht, um die Revolution tatsächlich machen zu können. Die Revolution setzt die objektive wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise des Systems voraus. Es ist die Aufgabe der Revolutionäre, die Widersprüche des Systems zu studieren, das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu analysieren, um die Dynamik des Klassenkampfes zu begreifen. Analyse statt Wunschdenken und Spekulation. Dies ist bezeichnend für Brendels Zugang zur Geschichte.

 

Vor allem zeigte er auf: 1989 war nicht der Zusammenbruch, sondern der Sieg des Marxismus. Für Cajo Brendel als Vertreter des Rätekommunismus ist der Marxismus die einzig mögliche Methode, zum richtigen Verständnis des Stalinismus, nämlich als logischer Phase einer bürgerlichen Revolution in Russland. (siehe dazu „N. Lenin als Stratege der bürgerlichen Revolution“ von Cajo Brendel, in Schwarze Protokolle Nr. 4, April 1973) 

 

Das Verständnis des 20. Jahrhunderts und die Frage des Determinismus

 

Die Aussagen Cajo Brendels lösten auch kontroverse Diskussionen aus. Dies war auch ganz in seinem Sinne. Die Frage der Einbettung der großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts in ein globales Verständnis der geschichtlichen Periode sowie des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen wurde aufgeworfen, insbesondere - aber nicht nur - auf der Veranstaltung über die Klassenkämpfe in Spanien von 1931-1939.  Für Brendel war eine siegreiche proletarische Revolution damals in Spanien vor allem deshalb nicht möglich, weil ein moderner Kapitalismus in Spanien noch fehlte. Für eine detaillierte Darstellung Brendels Position zu Spanien siehe seine Schrift (die zusammen mit Henri Simon verfasst wurde) "De l’antifranquisme à l’après franquisme: Illusions politiques et lutte de classes“, Edition Spartacus.

 

Für Cajo Brendel gibt es gewisse Parallelen zwischen dem Spanien der 30er Jahre und dem Russland im Jahre 1917: es handelte sich also in beiden Fällen um bürgerliche Revolutionen.

 

Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass das Spanien der 30er Jahre durchaus noch überwiegend ein Agrarstaat war, dass aber dort die Landwirtschaft sowohl wie die Industrie auf kapitalistischer Grundlage betrieben wurden. Die Hauptkritik an Brendels Auffassung, derzufolge damals vor allem die bürgerliche Revolution noch auf der Tagesordnung stand, wurde aber von ehemaligen Genossen der Gruppe "Die soziale Revolution ist keine Parteisache" geübt (seinerzeit die erste, wenn auch kurzlebige Organisation der Kommunistischen Linken, welche nach 1968 in Deutschland gegründet wurde). Cajo Brendel betrachte die Ereignisse in Spanien zu sehr für sich isoliert vom internationalen und historischen Rahmen, sagten diese Genossen. Die Frage, warum die Arbeiterkämpfe in Spanien keine Arbeiterräte hervorbrachten und in einer Niederlage enden mussten, kann nur durch die internationale Situation erklärt werden. Die Arbeiterräte in Russland, Deutschland und Mitteleuropa am Ende des 1. Weltkrieges, argumentierten die Genossen, waren der Beweis dafür, dass die proletarische Revolution nun auf der Tagesordnung stand - nicht lokal sondern weltweit. Weil aber nicht das Proletariat, sondern die sozialdemokratische und stalinistische Konterrevolution siegte, fanden die Kämpfe im Spanien im Schatten der Niederlage des Weltproletariats statt. Während also die revolutionären Kämpfe von 1917-18 den 1. Weltkrieg beenden konnten, bildeten die Auseinandersetzungen in Spanien den unmittelbaren Auftakt zum 2.imperialistischen Weltkrieg.

 

Damit unterzogen die Genossen aus Berlin die Auffassung Brendels einer zweiten wichtigen Kritik: die Tatsache, dass die revolutionären Arbeiterkämpfe in einer Niederlage enden, ist an und für sich kein Beweis, dass die proletarische Revolution noch nicht auf der Tagesordnung der Geschichte stand. Es kann keine proletarische Revolution geben, ohne dass die objektiven Bedingungen dafür reif sind. Aber die objektiven Bedingungen allein reichen nicht aus, damit die Revolution siegen kann. Indem Cajo Brendel aus der Sicht der IKS die Frage der revolutionären Bewusstseinsentwicklung innerhalb der Arbeiterklasse unterschätzt, - ein Bewußtsein, das 1917-18 eine aufsteigende Tendenz aufwies, um später deutlich abzuebben, (weshalb die spanischen Arbeiter relativ leicht für die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie mobilisiert werden konnten) - wird er unseres Erachtens Opfer einer deterministischen Auffassung.

 

Bei dieser Veranstaltung erklärte sich die IKS mit der Intervention des ehemaligen Genossen von „Soziale Revolution“ einverstanden.

 

Tatsächlich fällt der rätekommunistische Flügel der Kommunistischen Linken, wie er von Brendel vertreten wird, unserer Meinung nach bereits in der Frage der Russischen Revolution in die alte Auffassung Kautskys und der Menschewiki zurück, derzufolge wegen der Rückständigkeit Russlands 1917 lediglich eine bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung stand. Aber damals wussten alle Revolutionäre, ob Lenin oder Luxemburg, Bordiga oder Pannekoek, dass 1917 nur noch eine Revolution möglich war, und zwar die proletarische Weltrevolution. Und es waren die Schriften Gorters und Pannekoeks aus den 20er Jahren, welche mit beispielloser Klarheit nachwiesen, dass die Weltrevolution vor allem deswegen scheiterte, weil der subjektive Faktor des Klassenbewußtseins unterentwickelt, die Illusionen über die bürgerliche Demokratie und über die Möglichkeit der Rückkehr zu den "friedlicheren" und wohlhabenderen" Vorkriegsbedingungen zu groß waren (1).

 

Auf der Veranstaltung "Rätekommunismus versus Bolschewismus" in Berlin wurde von einem anderen Teilnehmer auch die Auffassung der "Zusammenbruchstheorie des Kapitalismus" zu recht kritisiert, welche in den zwanziger Jahren Teile der deutsch-holländischen Linken dazu verleitete, ein plötzliches, objektives Versagen oder Lähmung des kapitalistischen Wirtschaftslebens von einem solchen Ausmaß zu erwarten, dass die Arbeiter quasi gezwungen werden, die Revolution durchzuführen. Auch diese Auffassung unterschätzte den subjektiven Faktor des Klassenbewusstseins. Rosa Luxemburg hingegen sprach richtigerweise von der historischen Alternative Sozialismus oder Barbarei: die Niedergangskrise des Kapitalismus, welche mit dem 1. Weltkrieg beginnt, endet entweder mit dem Sieg des Sozialismus oder mit dem Untergang der Menschheit- wobei der Ausgang dieses Kampfes nicht vorher feststeht.

 

Die spanischen Ereignisse und die Dekadenz des Kapitalismus

 

Die Intervention der IKS bei der Veranstaltung zu Spanien konzentrierte sich aber darauf, die Haltung der italienischen und holländischen Linkskommunisten zu den damaligen Ereignissen zu verteidigen. Sowohl die italienische Auslandsfraktion mit der Zeitschrift Bilan, als auch die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) in den Niederlanden erklärten, dass die Franco-Faschisten und die linksbürgerliche Volksfront gleichermaßen Feinde des Proletariats waren, wobei der Beitrag der Stalinisten und CNT-Anarchisten zur Niederlage der Arbeiterklasse entscheidend war. Sowohl Bilan als auch die GIK waren sich einig, dass nicht mehr die bürgerliche Revolution, wohl aber die bürgerliche Konterrevolution auf der Tagesordnung stand. Aber auch die damalige Gruppe von Cajo Brendel, die Zeitschrift Proletarier in Den Haag - obwohl sie Spanien für eine bürgerliche Revolution hielt - weigerte sich strikt, die antifaschistische Volksfront zu unterstützen. Damit war die politische Grundlage gelegt für die Verteidigung des proletarischen Internationalismus - in der Nachfolge Lenins

 

Liebknechts und Luxemburgs - durch die Kommunistische Linke im 2. Weltkrieg.

 

Wir baten Cajo Brendel, zu unserer Darstellung der Haltung der Linkskommunisten Stellung zu beziehen. Er widersprach unserer Darstellung, ohne auf Einzelheiten einzugehen, indem er behauptete, der Ausgangspunkt dieser Strömungen sei nicht der Kampf gegen beide Fronten gewesen, sondern die Frage, wie man den Faschismus am effektivsten bekämpfen kann. In einem Brief Cajo Brendels, in dem er zum ersten Entwurf dieses Artikels über seinen Besuch in Deutschland Stellung bezieht, präzisiert er seine Haltung zur Rolle der Anarchisten in Spanien: „Nicht die CNT hat die Arbeiterklasse im Stich gelassen, sondern einige anarcho-syndikalistische Minister.“

 

Somit stellt die heutige Haltung Brendels in unseren Augen einen Rückschritt dar, nicht nur gegenüber der GIK, sondern auch gegenüber seiner eigenen damaligen Position. Für uns steht diese politische Schwäche im Zusammenhang mit seiner Ablehnung der Dekadenztheorie. Als 1919 die Kommunistische Internationale gegründet wurde, teilten alle Marxisten die Auffassung, dass der Kapitalismus 1914 in seine Niedergangsphase eingetreten war. Mit dem Sieg der Konterrevolution aber gaben vor allem nach dem 2. Weltkrieg Teile der Linkskommunisten - sowohl "Bordigisten" wie auch "Rätekommunisten" - die Dekadenztheorie auf. Dass damit die Idee Raum gewinnt, dass Fraktionen der Bourgeoisie noch eine fortschrittliche Rolle spielen können, womit die Ablehnung des Antifaschismus durch die Kommunistische Linke aufgeweicht werden kann - zeigen nach unserer Überzeugung die Thesen Brendels über Spanien.

 

Die Frage des Klassenbewußtseins

 

Lebhaften Widerspruch erntete Brendel (bei der Veranstaltung zum Rätismus und Bolschewismus in Berlin) mit seiner Behauptung, je bewusster die Arbeiter werden, desto mehr entfernen sie sich von ihren materiellen Interessen. Solche Bemerkungen bezeugen unserer Ansicht nach, wie weit sich der heutige Rätekommunismus von der Grundhaltung eines Pannekoeks entfernt hat, derzufoge Klassenbewusstsein und Selbstorganisation die einzigen Waffen des Proletariats sind. Und während die deutsch-holländische Linke der ersten Stunde die Notwendigkeit der zentralisierten, organisierten Intervention der Revolutionäre leidenschaftlich befürwortete, läuft die zeitgenössische Auffassung des Rätekommunismus unserer Meinung nach darauf hinaus, dass das Klassenbewusstsein nur lokal und unmittelbar in den Tageskämpfen erzeugt und entwickelt wird (2). Damit wird jeder Zusammenschluß der Revolutionäre in einer besonderen Organisation, wenn nicht ausgeschlossen, so doch geringgeschätzt. So hielt es Cajo Brendel während der von uns besuchten Veranstaltungen offenbar kaum für notwendig zu erwähnen, dass er selbst Mitglied einer seit vielen Jahren bestehenden politischen Gruppe ist (deren Zeitschrift "Daad en Gedachte" bedauerlicherweise zur Zeit nicht erscheint -siehe dazu Weltrevolution 91). (3) Aber die rätistische Auffassung des Klassenbewusstseins lässt nicht nur die Notwendigkeit der revolutionären Organisation, sondern damit zusammenhängend auch den Wert der historischen und theoretischen Erfahrungen des Klassenkampfes im Unklaren. Brendels erster Vortrag in Berlin über den Rätekommunismus ging nur sehr spärlich auf die Ursprünge und die Geschichte der deutsch-holländischen Linken ein. Einige junge Teilnehmer äußerten anschließend uns gegenüber ihre Enttäuschung darüber. Schließlich waren sie vor allem deshalb gekommen, um etwas über diese Tradition zu lernen und von dem enormen politischen Erfahrungsschatz Brendels zu profitieren. Vielleicht spürte Cajo Brendel etwas von dieser Erwartung; jedenfalls ging sein Vortrag zum selben Thema in Köln viel mehr auf diese geschichtlichen Hintergründe ein. Die Interventionen der IKS auf diesen Veranstaltungen verfolgten ganz bewusst das Ziel, das Erbe der kommunistischen Linken sowie ihre Bedeutung für heute deutlich zu machen. Mit Ausnahme der Frage des spanischen Bürgerkrieges bestätigte Cajo Brendel  die Richtigkeit unserer Darstellung. (4)   Als aber in Köln ein Vertreter der Gruppe Wildcat auf unseren Beitrag reagierte, indem er die Wichtigkeit, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, bestritt, fand er die Unterstützung Brendels. (5) Diese Reaktion zeigt unseres Erachtens die Zweideutigkeit des Rätekommunismus gegenüber der geschichtlichen Dimension des Klassenbewusstsein. Wie die IKS in einem zweiten Diskussionsbeitrag in Köln argumentierte, ist gerade der Beitrag der Kommunistischen Linken von ungeheurer Bedeutung, wenn es um die Verteidigung einer revolutionären Perspektive geht. Wie keine andere historische Strömung ist die Kommunistische Linke als Todfeind des Stalinismus dazu berufen, die bürgerliche Gleichstellung des Kommunismus mit dem Stalinismus zu widerlegen. Und Cajo Brendel selbst weiß unserer Meinung nach sehr wohl von der Bedeutung dieses Erbe: seine jüngste Veranstaltungsreihe selbst ist der Beweis.

 

Eine positive Bilanz

 

Aus unserer Sicht ist die Bilanz der Brendelschen Veranstaltungsreihe positiv. Es gelang vor allem, einem größeren Publikum im Ansatz die Existenz und Positionen der Kommunistischen Linken zu vermitteln. Darüber hinaus waren die Marxisten in der Lage, ein Bild von der proletarischen Diskussionskultur zu vermitteln, welche das Gegenteil der stalinistischen und trotzkistischen Politik des Manövers und der Sabotage offener Debatten darstellt. Cajo Brendel, die IKS, ehemalige Mitglieder von "Soziale Revolution" sowie andere Sympathisanten des proletarischen Milieus waren imstande, Positionen der Kommunistischen Linken gemeinsam zu verteidigen. Die Diskussionshaltung Cajo Brendels selbst war offen, kontrovers, brüderlich, und somit der Klärung politischer Fragen förderlich.

 

Die Veranstaltungen waren aber Orte nicht nur der Klärung, sondern auch des politischen Kampfes. Die herrschende Klasse verfolgte Brendels Deutschland-Rundreise aufmerksam und war gewappnet, um daraus hervorgehenden Gefahren entgegenzutreten. Die Vertreter des linken Flügels des Kapitals (staatskapitalisische Linksparteien und Gewerkschaften) waren zahlreich erschienen, traten aber zumeist nicht mit offenem Visier auf.

 

Stattdessen taten sie alles, um Diskussionen über die historische Bedeutung und über die politischen Positionen der Kommunistischen Linken zu verhindern, indem sie die Aufmerksamkeit auf die für die Bourgeoisie ungefährlichen Irrungen des heutigen Rätekommunismus lenkten. Dies wiederum bestimmte das ganze Auftreten unserer Organisation. Zwar gibt es zwischen der IKS und der Gruppe ‚Daad en Gedachte‘ zahlreiche Meinungsverschiedenheiten, welche wir in der Vergangenheit offen ausgetragen haben und in der Zukunft noch tun werden. Doch hier ging es um etwas ganz anderes: um die gemeinsame Bekanntmachung und Verteidigung unseres gemeinsamen politischen Erbes. Für uns ist Cajo Brendel ein Teil des proletarischen Milieus und somit ein Genosse im Lager des Linkskommunismus. Für uns ging es darum, zusammen mit Cajo Brendel gegen das Totschweigen durch die Herrschenden, gegen alle Anfechtungen und Verleumdungen der Bourgeoisie anzukämpfen. Aber es ging uns auch darum zu verhindern, dass die Bourgeoisie sich dieser Tradition bemächtigt, um sie zu entstellen und entmannen. Gerade die deutsche Bourgeoisie ist daran interessiert, die deutsch-holländische Linke als ein radikales Kuriosum der Vergangenheit bzw. als etwas Akademisches und Museales darzustellen, welches durchaus seinen Platz im Rahmen der bürgerlichen Demokratie einnehmen sollte. So stellten die SPD/DGB-nahen "Vereinigten Linken" sowie die Grünen, sprich die jetzige deutsche Regierung - jeweils Sprecher ab, um im offiziösen sogenannten "Haus der Demokratie" in Ostberlin eine "Podiumsdiskussion" mit Cajo Brendel zu führen. Als wir in Köln mit ihm sprachen, versicherte uns Genosse Brendel, dass er erst vor Ort entsetzt feststellte, mit wem er da das Podium teilen sollte.

 

Für uns verrät aber diese Episode die Absichten der Bourgeoisie. Die Herrschenden haben unlängst die Kommunistische Linke als längerfristigen politischen Hauptfeind ausgemacht. Erst vor wenigen Jahren haben große europäischen Tageszeitungen wie Le Monde oder die FAZ in ganzseitigen Artikeln Amadeo Bordiga wegen seiner internationalistischen Haltung im 2. Weltkrieg verleumdet. Tatsächlich ist das überragende, gemeinsame Merkmal unserer Tradition - ob "holländische", "italienische" oder "französische" Linke - das Hochhalten des Internationalismus im Spanischen Bürgerkrieg und im 2. Weltkrieg, während Anarchismus wie Trotzkismus die Sache des Proletariats verrieten.

 

Und wirklich: wie die Ereignisse im Irak und auf dem Balkan bestätigen, durchleben wir Zeiten eines beschleunigten Versinkens des Systems in Militarismus und Krieg. Wie immer in solchen Zeiten zeichnen sich die "vaterlandslosen Gesellen", die konsequenten proletarischen Internationalisten als die gefährlichsten Feinde des Kapitalismus ab. Darauf sind wir stolz.         – Weltrevolution -

 

(1) Tatsächlich wandelte sich die Haltung führender Linkskommunisten wie Pannekoek sowohl zur Frage der Russischen Revolution wie auch zur Frage der Bewusstseinsentwicklung und der Rolle der Revolutionäre im Laufe der Zeit. Während aus der Sicht der IKS der Pannekoek der 20er Jahre viel klarer war als der zur Zeit nach dem 2. Weltkrieg, betrachtet der Rätekommunismus den späteren Pannekoek als den klareren. Dazu schreibt Brendel an die IKS: „Der Rätekommunismus hat sich, Anwendung einer genauen marxistischen Analyse zufolge, auch geändert. Zu Anfang waren sowohl Gorter wie Pannekoek – um nur die beiden hier zu erwähnen – anderer Meinung als die, welche Pannekoek Mitte der 30er Jahre vertrat. Gorter hat die Ereignisse in Russland ab 1917 als „Doppelrevolution“ verstanden: eine Arbeiterrevolution und eine Bauernrevolution, welche zur gleichen Zeit stattfanden. Dass Pannekoek in seiner Schrift „Lenin als Philosoph“ diesen mittlerweile schon einigermaßen revidierten Standpunkt weiter revidierte, ist unbestreitbar. Er setzte auseinander, dass und wieso der Leninismus mit Marxismus nichts zu tun hat. Die große Mehrheit der rätekommunistischen Strömung, jedenfalls die, welche ich vertrete, ist darin Pannekoek gefolgt.“

 

(2) Wir haben den Entwurf dieses Artikels dem Genossen Cajo Brendel geschickt, damit er die Richtigkeit der Wiedergabe SEINER Position überprüfen kann. Es ging uns dabei vor allem darum, Missverständnisse auszuräumen, damit die öffentliche Debatte nicht durch Missverständnisse abgelenkt wird. Was seine Stellung zur Frage des Klassenbewußtseins bei dieser Veranstaltungsreihe betrifft, schrieb uns Genosse Brendel, „dass ich ‚die Frage der revolutionären Bewußtseinsentwicklung innerhalb der Arbeiterklasse unterlassen hätte‘, ist wirklich lächerlich. Ich habe darüber an dem ersten Abend mit einer der anwesenden jungen Frauen diskutiert. An einem anderen Abend habe ich sie nochmals angestreift. Vielleicht waren die Leute von der IKS da eben nicht dabei. Aber ... wegen Abwesenheit (dann und wann!) soll man sich natürlich vor solchen Behauptungen hüten“.

 

(3) Dazu schreibt Brendel: „Und dass ich es nicht für notwendig hielt, meine Tätigkeit für ‚Daad en Gedachte‘ zu erwähnen, ist selbstverständlich. Ich bin kein Dicktuer!“

 

(4) Er bezeichnete in Berlin allerdings unsere Darstellung des illegalen Kampfes der holländischen Internationalisten während des 2. Weltkriegs in Bezug auf seine eigene Rolle als übertrieben. Später erklärte er uns im Gespräch, dass er persönlich nicht an dieser Arbeit hätte teilnehmen können, da er sich durch die militärische Aufteilung der Niederlande durch die deutsche Besatzungsmacht von seinen Genossen völlig abgeschnitten befand. Dies ändert aber weder etwas an der Beispielhaftigkeit dieses Kampfes der Linkskommunisten noch an der politischen Zugehörigkeit Brendels hierzu.

 

(5) Die IKS ist sich klar, dass Brendels Auffassung von der Geschichte nicht die gleiche ist wie die der Operaisten wie z.B. der Anhänger von Wildcat, für die die Geschichte der Arbeiterbewegung letztendlich irrelevant ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Rätekommunismus [34]

Weltrevolution Nr. 93

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Zur Geschichte des politischen Milieus seit 1968

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 Die Zwei-Jahreskonferenz der IKS in Deutschland, die Ende 1998 stattfand, zog eine Bilanz der Entwicklung des revolutionären Milieus in Deutschland und im deutschsprachigen Raum seit 1968. Diese Frage stand nicht zufällig auf der Tagesordnung dieser Konferenz. Wir leben in einer Zeit des langsam erwachenden Interesses einer neuer Generation von suchenden Leuten, die sich Klarheit verschaffen wollen über die Geschichte revolutionärer Theorien und Organisationen der Arbeiterklasse. Denn während das Klassenbewusstsein und das Selbstvertrauen der Arbeiterklasse insgesamt durch das angebliche „Scheitern des Kommunismus“ ab 1989 stark angeschlagen waren und noch sind, reagieren politisierte Minderheiten der Klasse auf die verlogene, bürgerliche Gleichsetzung des Kommunismus mit dem Stalinismus mit der Suche nach den wahren, proletarischen Traditionen, welche von Anfang an die stalinistische Konterrevolution verstanden und sich im Kampf dagegen bewährt haben.

Die Wiederentdeckung der Kommunistischen Linken

Diese kämpferische Auseinandersetzung mit der Geschichte revolutionärer Minderheiten des Proletariats konzentriert sich notwendigerweise auf zwei unterschiedliche Geschichtsabschnitte. Der erste dieser Abschnitte ist der des Kampfes gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationalen - schon Anfang der zwanziger Jahre - sowie gegen die stalinistische Konterrevolution selbst. Jahrzehntelang haben sowohl die stalinistischen wie die bürgerlich-demokratischen Verfälscher der Geschichte alles getan, um die historische Wahrheit über diesen heldenhaften Kampf der Links-Oppositionen gegen den Verrat am Marxismus und an der Weltrevolution unter Verschluss zu halten. Insbesondere die bürgerliche „Demokratie“ des „Westens“ – die gegenüber der Arbeiterklasse bedeutend geschickter ist als ihr stalinistischer Verbündeter - konzentrierte sich darauf, die gesamte proletarische Opposition auf Trotzki zu reduzieren. Trotzki selbst wiederum wurde vom bürgerlichen Trotzkismus der Nachkriegszeit unschädlich gemacht durch einen abstoßenden, an den Praktiken des Stalinismus erinnernden Personenkult Trotzkis, welcher sämtliche Fehler dieses Revolutionärs zu einem neuen, bürgerlichen, quasi-religiösen Dogma erhob. Dabei ging es aber vor allem darum, den großartigen Beitrag der Kommunistischen Linken zu begraben, welche viel früher, entschlossener, klarer und radikaler als Trotzki den Kampf gegen Opportunismus und Stalinismus innerhalb der Internationalen aufnahm, und welche im Gegensatz zum Trotzkismus den proletarischen Internationalismus im 2. Weltkrieg nicht verriet.

Neben Italien gehörte damals inmitten der Revolution am Ende des 1. Weltkrieges vor allem Deutschland zu den wichtigsten Geburtsstätten der Kommunistischen Linken. Die klassischen Positionen der deutsch-holländischen Linken - wie die Ablehnung der bürgerlichen Wahlbeteiligung und der Arbeit in den Gewerkschaften - waren die Mehrheitsposition in der jungen KPD1919-1920, bis diese Mehrheit unter Verletzung der Parteistatuten aus der Partei hinausgedrängt wurde und sich in der Kommunistischen Arbeiterpartei KAPD neu formieren musste. Ebenfalls stützten sich die Lehren, welche Theoretiker wie Pannekoek und Gorter in Holland zogen, hauptsächlich auf die Erfahrungen des revolutionären Massenkampfes in Deutschland. Nichts verdeutlicht klarer die relativen Erfolge der Bourgeoisie im Kampf gegen das Bekanntwerden der Kommunistischen Linken als die Tatsache, dass 30 Jahre nach dem historischen Wiederaufflammen proletarischer Kämpfe 1968 die revolutionären Erfahrungen des deutschen Proletariats am Anfang dieses Jahrhunderts selbst in politisierten Kreisen noch weitgehend unbekannt sind. Diese Erfahrungen sind weltweit noch unbekannt, aber nirgends so unbekannt wie in Deutschland selbst.

Deshalb ist es sehr bezeichnend, dass das noch winzige, aber keimende weltweite Interesse am Erbe des Linkskommunismus sich auch und gerade im deutschsprachigen Raum zeigt. So wurde die erste neue territoriale Sektion der IKS in den 90er Jahren in der Schweiz gegründet. Insgesamt stieß unsere Organisation im Laufe der 90er Jahre auf zunehmendes Interesse und zunehmende Diskussionsbereitschaft auch in Deutschland. In Österreich gelang es Mitgliedern der ehemaligen Gruppe Internationale Kommunisten (GIK), sich vom zerstörerischen Einfluss des politischen Parasitismus zu lösen und sich auf die Auseinandersetzung mit den existierenden Gruppen des proletarischen Milieus (vornehmlich der „Bordigisten“ sowie Battaglia Comunista) zu besinnen. Gerade die Tatsache, dass Cajo Brendels Veranstaltungsreihe in Deutschland Ende 1998 (siehe unseren Bericht in Weltrevolution 92) Hunderte von Interessierten anzog, bestätigte das wachsende Interesse am Linkskommunismus. In politischen Buchläden sowie im Internet tauchen Wiederveröffentlichungen von Texten Pannekoeks, Rühles oder Bordigas auf. Relativ obskure Zeitschriften wie „Rote Luzi“ in Berlin beziehen sich auf Schriften von Mattick oder Korsch in Artikeln über die Russische Revolution. Und eine Strömung wie Wildcat, welche sich als Vertreter des Operaismus in Deutschland bislang kaum um marxistische Theorie oder revolutionäre Organisationsgeschichte geschert hat, veröffentlichte jüngst eine Beilage zum Wildcat-Zirkular 46/47 (Feb. 99), bestehend aus Beiträgen über Bordiga aber auch über Pannekoek.

Die Wiederentdeckung der Geschichte des Milieus nach 1968

Es versteht sich von selbst, dass dieses erwachende Interesse an der revolutionären Geschichte unserer Klasse rasch verpuffen kann, falls sie nicht an eine lebendige, linkskommunistische Tradition der Gegenwart anknüpfen kann. Es droht sich zu wiederholen, was bereits nach 1968 einmal geschah. Damals verschwanden buchstäblich Dutzende von revolutionären Zirkeln und Gruppen, weil sie nicht imstande waren, sich als Teil einer organisierten, weltweiten Wiederaneignung des Erbes der Arbeiterklasse zu begreifen. Ohne die unerlässliche Stütze, welche die politischen und organisatorischen Erfahrungen der Marxisten darstellen, ist es auch kaum möglich, längerfristig eine proletarische politische Arbeit zu leisten. Dieses Unvermögen eines Großteils der 68er Revolutionäre kam nicht von ungefähr. Normalerweise gehen die militanten und organisatorischen Erfahrungen des Proletariats von einer Generation der Revolutionäre auf die Nächste über. Diese Kette der historischen Kontinuität wurde durch die stalinistische Konterrevolution unterbrochen. Zwar gab es 1968 noch Überreste der Kommunistischen Linken. Diese Überreste jedoch, durch Jahrzehnte der Isolation erstarrt, waren außerstande, ihre Erfahrungen an die neue revolutionäre Generation weiter zu vermitteln: die Gruppen der italienischen Linken (Bordigisten, Battaglia Comunista), weil sie die neuen Arbeiterkämpfe nicht verstanden und sich davon fernhielten; die der holländischen Linken (Spartakusbond, Daad en Gedachte), weil sie auf eine Organisation, die zu einer Intervention im Klassenkampf fähig gewesen wäre, überhaupt verzichtet hatten.

Heute ist das anders, weil die Gruppen der Italienischen Linken versuchen, auf die Entwicklung der Lage zu reagieren, und vor allem weil die Gruppen, welche es nach 1968 doch geschafft haben, an die Tradition der Kommunistischen Linken wiederanzuknüpfen (IKS, Communist Workers‘ Organisation - CWO), mittlerweile selbst über eine jahrzehntelange Erfahrung verfügen.

Somit beginnen Teile der politisch Suchenden heute zu spüren, dass es außer der Zeit der Konterrevolution einen anderen Abschnitt der Organisationsgeschichte unserer Klasse gibt, an den man anknüpfen muss. Und dies ist eben die Geschichte der letzten 30 Jahre. Denn die Geschichte des revolutionären Marxismus ist nichts Totes, Museales, welches sich ausschließlich in vergilbten Dokumenten der Vergangenheit ausgraben lässt. Die Geschichte der Bemühungen der Revolutionäre um Selbstorganisierung, theoretische Klarheit und Intervention in der Klasse ist eine ständige Anstrengung des Proletariats selbst, welche nach der Überwindung der Konterrevolution Ende der 60er Jahren in eine neue und entscheidende Phase eingetreten ist.

So tauchten bei den Brendel-Veranstaltungen in Berlin nicht nur ehemalige Genossen der Gruppe „Soziale Revolution“ wieder auf, sondern auch andere Veranstaltungsteilnehmer, welche die damaligen Publikationen dieser Gruppe wiederentdeckt und schätzengelernt hatten. In Nürnberg wiederum wurde im Dezember 98 auf einer von der Autonomie (Nürnberg) und dem Proletarischen Kommitee (Berlin) organisierten Arbeitskonferenz ein Referat über „parteiunabhängige klassenkämpferische Ansätze in der BRD“ seit Ende der 60er Jahre vorgetragen und diskutiert. Obwohl dort die Rolle linkskommunistischer Gruppen noch nicht zur Kenntnis genommen wurde, befasste man sich mit autonomistischen Gruppen wie „Proletarische Front“, welche damals zumindest versuchten, Anschluss an eine revolutionäre Klassenpolitik zu finden.

Als Teil dieses Bemühens um die Wiederaneignung revolutionärer Politik als Aufgabe der Gegenwart, die die jüngste Geschichte mit einschließt, wollen wir die wichtigsten Erfahrungen und Lehren aus den letzten 30 Jahren in Deutschland und dem deutschsprachigen Raum wiedergeben. Dies wiederum ist nur ein - wenn auch sehr wichtiges - Kapitel aus der internationalen Entwicklung dieser Zeit. (Zur internationalen Geschichte des Milieus seit 1968 siehe unseren zweiteiligen Artikel in der Internationalen Revue Nr. 10 und Nr. 11 und zur Geschichte der IKS in der Internationalen Revue Nr. 16).

Die Gruppe „Soziale Revolution“: Der erste Vertreter des Linkskommunismus in Deutschland seit der Konterrevolution

Im März 1971 erschien in Berlin die erste Ausgabe der Zeitschrift „Die soziale Revolution ist keine Parteisache“. Im November 71 erschien die zweite Nummer mit dem zusätzlichen Titel „Internationale Information & Korrespondenz“. Der Name der Gruppe ging auf einen Spruch Otto Rühles zurück und war Programm: die Genossen waren rätekommunistisch und leidenschaftlich „anti-leninistisch“. Die Zeitschrift war das Ergebnis einer längeren Diskussion zwischen zwei Gruppen, von denen eine aus der Praxis Westberliner Betriebsgruppen stammte, während die andere - rätekommunistisch - vor allem theoretisch gearbeitet hatte. Auch ein Vortrag Paul Matticks im Juni 1971 in Berlin half, die Diskussionen in der Gruppe voranzutreiben.

Wegen der leidenschaftlichen Gegnerschaft zu den damals entstehenden, bürgerlichen „K-Gruppen“ lieferte die Zeitschrift zugleich eine Art Kriegserklärung sowohl gegen das damals vorherrschende Sektierertum der unzähligen „Organisationsstifter“ als auch gegen die lokalistische Geschichtslosigkeit der aufkeimenden Betriebs- und Stadtteilarbeit. Die Zeitschrift veröffentlichte neben Streikberichten aus aller Welt historische Texte vornehmlich der deutsch-holländischen Linkskommunisten wie von Mattick oder Canne Meijer ebenso wie aktuelle Beiträge des internationalen proletarischen Milieus (Cajo Brendel) sowie damals in der Diskussion stehender Gruppen (Informations Correspondance Ouvrière – ICO in Frankreich, Root and Branch in den USA). Auch der erste Artikel unserer Strömung, welcher auf deutsch erschien, wurde hier veröffentlicht: ein Beitrag der Gruppe „Révolution Internationale“ aus Toulouse zu den Gewerkschaften.

Trotz ihrer rätistischen Schwächen stellte die Gruppe damals einen enormen Fortschritt dar. Die von der Gruppe selbst verfassten Artikel zeugen von einer in der damals sehr aktivistischen Zeit ungewöhnlichen theoretischen Tiefe. Vor allem gegenüber der Frage der Wirtschaftskrise, des Staatskapitalismus und der Gewerkschaften vertraten die Genossen ziemlich klare Positionen, allen Anfeindungen zum Trotz. Während damals alle Welt noch von der Überwindung der Wirtschaftskrisen durch den Kapitalismus und der wirtschaftlichen Integration des Proletariats der Industriestaaten in das System mittels der „Ausplünderung“ peripherer Länder faselte, zeigte „Soziale Revolution“ unbeirrt auf, dass die aufflammenden Arbeiterkämpfe in Europa und Amerika das Ergebnis der Wirtschaftskrise waren, und dass die Klassenauseinandersetzungen aufgrund der objektiven Widersprüche des Systems mit der Zeit an Schärfe gewinnen würden. „Das bedeutet, dass in diesem Zeitpunkt eine weitere Akkumulation mit der absoluten Verelendung des Proletariats erkauft werden muss.“ (SR 1, S. 20).

Es war diese Vorstellung einer historischen Systemkrise, welche es der Gruppe auch erlaubte, den Staatskapitalismus als eine Universaltendenz des Jahrhunderts zu erkennen, welche im Faschismus und im New Deal ihren Ausdruck ebenso findet wie im Stalinismus. Der Staatskapitalismus ist somit ein Mittel, nicht um die Produktivkräfte fortschrittlich voranzutreiben, sondern um den Kapitalismus am Leben zu erhalten, wobei „die staatlich induzierte Nachfrage hauptsächlich den Bereich der Vergeudungs- und Waffenproduktion betrifft. Hier ist aber zu bedenken, dass die Produkte dieser Industriezweige ihren Wert nicht auf einem Markt realisieren, sondern aus dem gesellschaftlichen Reproduktionsprozess herausfallen, und demzufolge, da sie über Steuern finanziert worden sind, faktisch dem gesellschaftlichen Kapital durch den Staat enteignet wurden. (...) Das Ergebnis dieser Wirtschaftsweise ist deshalb zwar eine vergrößerte materielle Produktion, die sich auch in Geldbegriffen als solche darstellt, die aber im gesellschaftlichen Sinn eine verringerte Wertproduktion zum Ergebnis hat.“ Damit wird der linkskapitalistischen Anhimmelung des staatlichen Eingreifens in das Wirtschaftsleben eine Abfuhr erteilt. „Die durch die Nutzung der eigentlich schon unproduktiven Ressourcen entstandene Prosperität ist ...nur dadurch möglich, dass in der Staatsintervention der Versuch gemacht wurde und wird, durch die teilweise Suspendierung des Wertgesetzes die Wertproduktion aufrechtzuerhalten.“ (SZ 1, S. 18-19).

Auch die Gewerkschaftsfrage wird mit dieser Methode angegangen. „Diese Unfähigkeit der Gewerkschaften, in der Endphase der Akkumulation die Interessen der Arbeiter wirksam gegenüber dem Kapital zu verteidigen, resultiert nicht aus einem Verrat an der Arbeiterklasse, aus einem willentlichen Integrationswunsch der Bürokratie, sondern aus der Tatsache, dass in einer zerfallenden Marktwirtschaft auch deren Institutionen zerfallen bzw. ihrer Funktion verlustig gehen müssen. Damit verlieren die Gewerkschaften ihre eigentliche Funktion und werden zu Werkzeugen des Kapitals..“ (S.23).

Somit werden nicht nur die Gewerkschaften abgelehnt, sondern ebenso die damals in Mode kommende „Betriebsarbeit“, wodurch zunächst Studenten, später „Linke“ schlechthin sich „proletarisieren“ ließen, um die Fabriken zu „revolutionieren“. „In einer nicht-revolutionären Situation ist keine revolutionäre Politik möglich, und die Initiativen der Revolutionäre im Betrieb landen dann in der institutionalen Versteinerung von Vertrauensleuteposten oder Betriebsratsstellen, wenn sie die Mehrheit der anderen Arbeiter „links überholen“. Der Rückschlag ist unvermeidlich, und letztlich stellt sich heraus, dass die Intervention in dem „tagtäglich“ stattfindenden Klassenkampf die allerdings politisch begründete Anpassung an den Konservatismus der anderen Arbeiter verlangt.“ (SR 2, S. 102).

In der Zeit nach 1968 gab es zwei Phasen in der typischen Entwicklung rätistischer Gruppen. Während unmittelbar nach 68 die jungen Rätisten durch eine überschwengliche Überschätzung der spontanen Massenkämpfe oft an eine unmittelbar bevorstehende Revolution glaubten und sie voluntaristisch herbeiführen wollten, nahmen die rätekommunistischen Gruppen der späteren 70er Jahre - angesichts ihres zerrütteten Vertrauens in die Arbeiterklasse - Zuflucht in diversen „Zusammenbruchstheorien“, denen zufolge die Revolution in einer fernen Zukunft mehr oder weniger deterministisch stattfinden sollte. Die „Soziale Revolution“ hingegen war weniger aktivistisch in der Zeit nach 68, ohne aber die historische Wiedergeburt der selbstorganisierten Arbeiterkämpfe gering zu schätzen. Das Verschwinden der Gruppe nach nur kurzer Zeit war eine Tragödie für das Proletariat, weil „Soziale Revolution“ das Zeug besaß, um einen Orientierungspunkt für damals politisch Suchende inmitten von Konfusion und Unerfahrenheit zu werden. Die Gruppe verschwand letztendlich, weil ihre rätekommunistische Weltsicht, ihre Ablehnung des Beitrags der Bolschewiki usw. sie daran hinderte, ihre eigene Wichtigkeit zu erkennen. Zwar kannten die Genossen die Not der Desorientierten gegen Ende der Kampfeswelle Anfang der 70er. „Heute schon greifen kleine Gruppen aus Verzweiflung zu allen ihnen zur Verfügung stehenden Waffen, um das kapitalistische System anzugreifen. Diese Mittel reichen jedoch nicht aus, um eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse zu erzwingen, auch wenn es Maschinengewehre sind.“ (SR 2. S. 106). Und dennoch lautete das rätistische Credo: „Es ist jedoch möglich, dass diese Gruppen an inneren und äußeren Schwierigkeiten bald wieder zerbrechen oder in eine Phase der Inaktivität zurückfallen (...) Dies ist nicht eigentlich ein Unglück, da die Beziehungen jederzeit wieder aktivierbar sind.“ (S. 105) Denn schließlich glaubte man: „Die revolutionäre Organisation ist so nicht eine Bedingung der Revolution, sondern die Revolution bedeutet das objektive Ende jeder revolutionären Gruppe als Organisation.“ (S. 104)

Die Sackgasse der Autonomie

Während „Soziale Revolution“ rasch verschwand, wurde die an der Arbeiterklasse orientierte, sich von den K-Gruppen und Trotzkisten abgrenzende politische Szene Deutschlands Anfang der 70er Jahre von Gruppen wie „Revolutionärer Kampf“ (Frankfurt) oder „Proletarische Front“ (Hamburg) beherrscht. Diese und andere Strömungen aus dem Spektrum der Zeitschrift „Wir Wollen Alles“ nahmen sich die Bewegung der „Arbeiterautonomie“ zum Vorbild, welche in den riesenhaften Arbeiterkämpfen in Italien ab 1969 entstanden war. Während aber in Italien außerdem ein lebendiges Milieu von Gruppen des Italienischen Linkskommunismus weiterhin bestand, und in den meisten anderen westlichen Ländern zu dieser Zeit der Rätekommunismus sehr stark war, war Deutschland der einzig führende Industriestaat, wo die Gruppen der Autonomie damals solch eine vorherrschende Stellung errangen. Dieser Vorrang der Autonomie war ein Zeichen nicht der Vorzüge dieser Richtung, sondern der damaligen relativen politischen Unterentwicklung eines proletarischen politischen Lebens in Deutschland. Zwar gab es Parallelen zwischen autonomen Richtungen wie „Autonomia Operaia“ und der damals vorherrschenden Form des Rätekommunismus: beide hielten sich zunächst am selbständigen Klassenkampf des Proletariats und lehnten die „Führungsansprüche“ der Gewerkschaften und linksbürgerlicher „Kaderparteien“ ab; beide neigten zu blindem Aktivismus und einem naiven Glauben an die grenzenlose Fortsetzung der gerade stattfindenden Kampfeswelle. Doch stellte die Autonomie (wir meinen hier die politische Strömung) einen enormen Rückschritt selbst gegenüber dem Rätekommunismus dar. Am gravierendsten war ihr vollständiger Bruch mit dem Marxismus in der Frage der Wirtschaftskrise. Nachdem die Autonomie Ende der 60er Jahre zunächst die Existenz der Wirtschaftskrise geleugnet hatte und den Ausbruch von Arbeiterkämpfen statt dessen durch die Einführung der mit ungelernten „Massenarbeitern“ bestückten „Großraumfabriken“ zu erklären trachtete, erklärte sie später, die nicht mehr zu übersehende Krise sei vielmehr das Ergebnis der Arbeiterkämpfe, anstatt ihre materielle Grundlage. Als dann, ab Mitte der 70er Jahre die wirtschaftliche Weltlage sich weiter verschlimmerte, obwohl die Arbeiterkämpfe zurückgingen, sah sich der Operaismus genötigt, diesen Absurditäten noch die Krone aufzusetzen: die Massenarbeitslosigkeit sei eine Finte der Kapitalisten, um die Kampfbereitschaft der Arbeiter zu dämpfen (im Kauderwelsch der Autonomie ausgedrückt: um eine „technische Neuzusammensetzung des Proletariats“ zu erzwingen).

Auch die - zunächst proletarische - Reaktion der Autonomie gegen die gewerkschaftliche und linkskapitalistische Bekämpfung der Selbstorganisierung der Arbeiterkämpfe fand fernab vom Marxismus statt, indem sie den politischen „Führungsanspruch“ der „K-Gruppen“ zu kontern versuchte mit ihrem „echt proletarischen“ politischen Gegenentwurf der „Betriebsarbeit“. Während der Rätekommunismus trotz seines Verzichts auf eine wirkungsvolle Intervention im Klassenkampf immerhin noch die Selbstaktivität der Klasse fördern wollte, trat die Autonomie hingegen mit demselben Anspruch wie die gewerkschaftliche Linke an, die Arbeiterkämpfe zu inszenieren bzw. zu „organisieren“. Die Autonomie fand sich nur in einem Punkt einig mit den Rätekommunisten: im Verzicht auf den Aufbau politischer Organisationen des Proletariats auf der Grundlage klarer Klassenpositionen. Zwar betrachtete sich die Autonomie durchaus als Avantgarde. Aber eine Vorhut der Aktion sollte es sein, wobei nicht politische Prinzipien, sondern die Präsenz im Betrieb für ihren proletarischen Charakter garantieren sollte. Daraus folgte die Krise und Spaltung der „autonomen Zone“, sobald die 1968 begonnene Kampfwelle 1973 nach den Niederlagen von Fiat-Turin und Ford-Köln abflaute. Dieses Milieu war außerstande zu begreifen und zu akzeptieren, was Rosa Luxemburg bereits in ihrer Massenstreikbroschüre von 1906 nachgewiesen hatte: dass die Arbeiterkämpfe im 20. Jahrhundert nicht mehr permanent, sondern explosionsartig stattfinden und in Wellen verlaufen. Somit kehrte der Großteil der Militanten zu diesem Zeitpunkt der Arbeiterklasse den Rücken und wandte sich Häuserkämpfen, der Verteidigung der bürgerlich-demokratischen Rechte diverser Minderheiten oder dem Aufbau „alternativer Lebensstile“ zu: da war „mehr los“. Hinlänglich bekannt ist auch die Tatsache, dass beispielsweise aus dem Frankfurter Zweig dieses Milieus mehr als eine spektakuläre politische Karriere im deutschen imperialistischen Staat erwuchs.

Zwar gab es in der Geschichte des Operaismus immer wieder Versuche, sich auf die ursprüngliche Hinwendung zur Arbeiterklasse zu besinnen, oder sich sogar theoretisch mit der Geschichte der Arbeiterbewegung auseinanderzusetzen. Unsere Strömung versuchte stets, solche Reaktionen zu fördern. Die Vorläufergruppe der IKS in Amerika, Internationalism, lud u.a. neben „Soziale Revolution“ auch die Gruppe „Revolutionäre Kampf“ dazu ein, sich an einem „international correspondence network“ revolutionärer Gruppen zu beteiligen (Internationalism Nr. 4, 1973). „Révolution Internationale“ in Frankreich war bemüht, mit dem Spektrum von „Wir Wollen Alles“ in Frankfurt zu diskutieren. Auch gab es Ansätze theoretischer Diskussionen in solchen Gruppen. Die Ausgabe Nr. 10 der „Proletarische Front“ beispielsweise befasst sich mit der Geschichte der Arbeiterklasse in Deutschland seit 1933 und ist nahe daran, den imperialistischen Charakter des 2. Weltkriegs anzuerkennen - ohne aber klar Stellung zu beziehen (siehe Kapitel IV. „Die Niederhaltung des Arbeiterkampfs - Garantie der Kontinuität des Ausbeutersystems 1945 bis 1950/51). Ein kleiner Teil dieser Gruppe entwickelte sich später in Richtung IKS. Auch Anfang der 80er Jahre, als operaistisch beeinflusste Leute von der Karlsruher Stadtzeitung (Vorläufer von Wildcat) oder der Jobber-Initiative in der Balduinstrasse, Hamburg, positiv in der damaligen Arbeitslosenbewegung wirkten, haben wir dies unterstützt. Dennoch haben wir immer darauf bestanden, dass eine solche Besinnung auf die Politik der Arbeiterklasse nur gelingen kann, wenn man die Grundsätze der Autonomie infragestellt und sich dem Marxismus annähert (siehe unseren Artikel „The rise and fall of Autonomia Operaia“: International Review 16, 1979, den wir demnächst auf deutsch veröffentlichen werden).

Geographisch: 

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Weltrevolution Nr. 94

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Konferenz in Berlin: Programmatische Klärung – Unverzichtbarer Bestandteil des Klassenkampfes

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Am 12.-13. Juni fand eine Konferenz politischer Gruppen und Initiativen in Berlin statt. Organisiert wurde die Konferenz von den Gruppen Proletarisches Komitee (Berlin) und Copycat (Essen). Teil nahmen außerdem  Sprecher des Roten Aufbruchs (Hamburg), der Perspektive (Bremen) und der Revolutionären Antifaschistischen Initiative (Berlin). Letztere Gruppe arbeitet mit PK zusammen, u.a. bei der  Herausgabe der Zeitung ‚Aufbrechen‘. Am ersten Tag waren u.a. ein Vertreter von Wildcat und ein Mitglied des Internationalen Solidaritätskomitees Wolfsburg anwesend. Außerdem war die IKS von den Organisatoren der Konferenz PK und Copycat eingeladen worden. Unsere Organisation nahm als Beobachter teil. Es war die dritte Konferenz dieser Art, welche seit Dezember 1998 durchgeführt wurde, zunächst organisiert durch PK und die Organisierte Autonomie Nürnberg (OA). Unter anderem nahmen O.A., Gruppe 2 und “Zusammen kämpfen” aus München sowie die FelS  an der dritten und wohl letzten Konferenz nicht mehr teil.

 

Die Hauptthemen der Konferenz waren die Perspektiven des Klassenkampfes und die Aufgaben und die Intervention der Revolutionäre, sowie der Kosovokrieg, welche z.Zt. der Konferenz noch wütete. Es stellte sich aber schnell ein drittes Thema heraus, das vor allem am Anfang sehr kontrovers diskutiert wurde:  Die Bedeutung solcher Konferenzen sowie die damit verbundene Einladungspraxis und die Teilnahmekriterien.

 

Die Funktion von politischen Debatten

Die Konferenz öffnete mit einer Reihe von zum Teil heftig vorgetragenen Kritiken an der Entwicklung und jetzigen Ausrichtung der Konferenzen. Die Vertreter der Revolutionären Antifaschistischen Initiative (RAI) und der Bremer Perspektive bemängelten die Abwesenheit der Gruppen aus Nürnberg und München. Die bisherigen Konferenzen seien gescheitert. Es herrsche ein Mangel an praktischer Ausrichtung. Die Bremer warfen ein, ein Austausch unterschiedlicher politischer Positionen könne nicht Sinn und Zweck solcher Konferenzen sein. Wenn das so weiter gehe, bestünde ihrerseits kein Interesse mehr. Die RAI wiederum bestritt nicht die Notwendigkeit theoretischer Arbeit, fand aber, dass solche Konferenzen dazu unbrauchbar wären.

 

Am lautesten wurden diese Proteste von den kommunistisch-autonomen Gruppen (Berlin) vorgetragen, die ihren  Rückzug von den Konferenzen bekanntgaben. Neben dem “fehlenden Praxisbezug” (diese Gruppen finden, diskutieren könne man besser per E-Mail), wurde das Verlassen der Konferenz vor allem mit der Anwesenheit der IKS begründet. Man könne nicht in einem Raum diskutieren mit Linkskommunisten, welche die nationalen Befreiungskämpfe ablehnen, der PKK ihre Solidarität versagen,  und mit Begriffen wie “politischem Parasitismus” um sich werfen. Auch diese Kritik wurde von der Gruppe Perspektive sowie der RAI unterstützt. Zwar habe die Bremer Gruppe sehr kritische Fragen an die IKS zu richten, z.B. gegenüber der nationalen oder der Frauenfrage, dies würde aber den Rahmen und damit auch die Tagesordnung der Konferenz sprengen. RAI wiederum berichtete, die Einladung an die IKS habe selbst innerhalb des PK zu Kontroversen geführt. Dort habe man sich darauf geeinigt, der IKS einen Beobachterstatus einzuräumen. Die Gruppe RAI sei aber besorgt wegen der Willkür des PK bei der Einladungspraxis.

Auf diese Einwände wurde von verschiedenen Seiten geantwortet. Copycat kritisierte die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis. Es gehe darum, die politischen Werkzeuge zu schmieden, um die Welt verändern zu können. Vielleicht werde sich im Laufe der Diskussion herausstellen, dass vorrangig die nationale Frage geklärt werden müsse. In diesem Punkt stehe die IKS keineswegs allein: auch Copycat und ein Teil des PK lehnen die sogenannte nationale Befreiung ab. OA Nürnberg habe längst klargestellt, nicht mehr an den Konferenzen teilnehmen zu wollen, weil sie keine Lust hätten, mit Copycat zu diskutieren. Die jetzige Konferenz entspreche durchaus den Vorgaben. PK (wie zuvor Copycat) wies darauf hin, dass es niemals klar definierte Teilnahmekriterien für diese Konferenzen gegeben habe. Das Ziel der Konferenzen sei es nicht, politische Kampagnen zu starten, sondern eine internationale inhaltliche Diskussion voranzutreiben. Dazu sei Offenheit notwendig. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Linken, beispielsweise auch mit dem Erbe der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) der 20er Jahre sollte als Bereicherung angesehen werden.

 

So durfte am Ende unsere Organisation doch dableiben.

 

Wir haben die Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Konferenz  und die Anwesenheit der IKS deshalb ausführlich wiedergegeben, weil wir meinen, dass es sich hier um eine grundsätzliche Frage von großer Tragweite handelt. Anfang der 20er Jahre hat die KP in Italien, damals unter der Führung der Linkskommunisten mit Amadeo Bordiga stehend, die Klassenpartei des Proletariats definiert als eine unzertrennliche Einheit zwischen politischem Programm und revolutionärem Willen. Die politische Organisation existiert, um im Klassenkampf einzugreifen. Ohne den Willen zur Tat degeneriert der Marxismus zum Akademismus, die revolutionäre Kampforganisation zum bloßen Debattierklub. Aber die revolutionäre Organisation benötigt nicht nur revolutionäre Leidenschaft, sondern auch ein Klassenprogramm, wenn sie die Interessen des Proletariats verteidigen soll. Weshalb sie ein Klassenprogramm benötigt, hat bereits Marx klargestellt, imdem er darauf hinwies, dass die herrschende Ideologie die Ideologie der herrschenden Klasse ist. Nicht nur die Klasse insgesamt, sondern auch die Revolutionäre als Teil der Klasse sehen sich dem ständigen Druck der herrschenden Ideologie ausgesetzt. Um nicht selbst von der bürgerlichen Denk- und Handlungsweise beherrscht zu werden, müssen sich die Revolutionäre mit den theoretischen und praktischen Lehren aus der gesamten Geschichte des Kampfes unserer Klasse befassen. Deshalb ist Theorie, ist Geschichte für den Marxismus kein akademisches Studium und auch kein Luxus, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil des Klassenkampfes.

 

Ohne revolutionäre Theorie kein revolutionäre Praxis: dieser Grundsatz der marxistischen Bewegung findet seine Bestätigung auch in der Geschichte dieser Konferenzen. Sie verstanden sich ursprünglich quasi als Teil der sog. Arbeitslosenbewegung, welche 1998 in Frankreich und Deutschland, bei völliger Abwesenheit echter Arbeitslosenkämpfe von der herrschenden Klasse künstlich inszeniert wurden, um politische und gewerkschaftliche Auffangbecken für zukünftige, echte Arbeitslosenkämpfe vorzubereiten. Die ersten Konferenzen setzten sich zum Ziel, die Frage der Existenzgeldforderung in den Mittelpunkt zu stellen und zu diskutieren. Es stellte sich aber bald heraus, dass ein Teil der Konferenz mit  dieser Forderung als Zauberformel der Arbeitslosen nicht einverstanden war, und dass im Falle von Copycat, zunehmend auch des PK, hinter der Infragestellung dieser Forderung etwas grundsätzlicheres lag: Die Ablehnung der gewerkschaftlichen Entmündigung und Entmachtung der Arbeiterklasse. Während der zweiten Konferenz vertrat außerdem Wildcat (Potsdam) völlig zu recht die Auffassung, dass es derzeit überhaupt keine echten Arbeitslosenkämpfe gibt. Damit verloren die Konferenzen aber tatsächlich ihre bisherige Existenzberechtigung. Deshalb bildeten sich schon bei der  zweiten Konferenz gegenüber der Frage, “wie weiter?”  zwei unterschiedliche Antworten heraus. Die eine Antwort strebte ein Aktionsbündnis an, das gegenüber den Arbeitslosen oder im Stadtteil aktiv sein sollte. Diese Antwort lief darauf hinaus, entweder  neue, basisgewerkschaftliche Strukturen zu bilden, welche aber dazu verdammt gewesen wären, allein den Interessen der Herrschenden zu dienen, oder aber im autonomen Sumpf der “Eroberung des Stadtteils” hängenzubleiben. Die “Nürnberger” von OA vertraten diese Richtung. Deshalb sind sie ausgeschieden. Die andere Antwort aber lief auf die Klärung politischer Grundsatzfragen als Bestandteil der Interventionsarbeit hinaus: vornehmlich der Gewerkschaftsfrage und der nationalen Frage. Auch die Logik dieser Antwort führte am Ende zur Einstellung der Konferenzen. Aber nicht weil die Konferenzen gescheitert sind, sondern weil sie ihre Funktion erfüllt haben und damit überflüssig geworden sind. Unserer Meinung nach bestand die wirkliche Rolle dieser Konferenzen darin, deutlich zu machen, dass es ohne politische Klärung, ohne programmatischen  Bruch mit der bürgerlichen Ideologie nicht möglich ist, ein proletarisches Eingreifen im Klassenkampf zu entwickeln. Und in der Tat beschloss die dritte Konferenz, ihre Arbeit nicht fortzusetzen, sondern statt dessen Treffen einzuberufen, um Grundsatzfragen zu debattieren. Das erste solcher Treffen wird voraussichtlich die nationale Frage behandeln. Es ist nur folgerichtig, dass die Konferenzen zu einer Trennung führten zwischen denjenigen, welche bereit sind, diese militante Klärungsarbeit auf sich zu nehmen, und den anderen, die dazu nicht bereit sind.

 

Die Frage des Krieges

Obwohl die Frage des Krieges erst am zweiten Konferenztag diskutiert wurde, wollen wir sie  an dieser Stelle behandeln, weil wir meinen, dass sie sehr eng mit der obigen Frage der Haltung in der politischen Debatte zusammenhängt. Es gab neben der IKS zwei Gruppen, welche auf der Konferenz eine eindeutig internationalistische Haltung gegenüber dem Kosovokrieg vertraten: Copycat und PK. Es sind dieselben Gruppen, welche auf der Notwendigkeit politischer Klärung bestehen, und einer Debatte mit der Kommunistsichen Linken offen gegenüberstehen. Die Gruppen, welche eher drauflos intervenieren wollen, ohne diese Klärungsarbeit zu leisten, und sich eher unglücklich zeigten gegenüber der Anwesenheit der IKS, hatten eine viel weniger klare Haltung.

 

Wir denken, dass dies kein Zufall ist. Die meisten Teilnehmer an diesen Konferenzen entstammen entweder operaistischen oder  autonom-antifaschistischen Kreisen. Vor allem im autonomen-antifa Milieu ist linkskapitalistisches Gedankengut weiter verbreitet, ja vorherrschend. Gruppen aus diesem Milieu werden der Sache des Proletariats dienen können, wenn sie es schaffen, die gewerkschaftliche, nationalistische und bürgerlich-demokratische Ideologie in Frage zu stellen. Dies wiederum setzt eine grundsätzliche Offenheit gegenüber den historischen Positionen der Arbeiterbewegung voraus, welche durch 50 Jahre stalinistischer Konterrevolution begraben wurden. So setzte ein Delegierter des PK auf der Konferenz auseinander, wie die Gruppe sehr früh dazu überging, verschiedene Positionen zu hinterfragen und zu verwerfen, z.B. - die Befürwortung nationaler Befreiungsbewegungen.

 

Zwar gab es auf der Konferenz  selbst niemanden, der eine der Kriegsparteien im Kosovokonflikt offen unterstützte. Aber der Vertreter der RAI berichtete, dass es innerhalb der drei miteinander kooperierenden Gruppen in Berlin - PK, RAI sowie Rote Novemberjugend – Befürworter sowohl Serbiens als auch der UCK bei diesem Krieg gab – wobei die internationalistische Stellungnahme in der gemeinsamen Zeitung ‚Aufbrechen‘ sich als die Mehrheitsposition durchgesetzt hatte.

 

Aber auch bei der Konferenz selbst gab es Argumentationslinien, welche zumindest die Tür zur Unterstützung einer, und zwar der serbischen Kriegsseite, offenließ. So meinte Perspektive (Bremen), man müsse zwar die Verbrechen Milosevics nennen, aber nicht auf die gleiche Stufe stellen wie die der NATO. Man müsse dafür kämpfen, das NATO-Kriegsbündnis zu zerschlagen. Roter Aufbruch (Hamburg) wiederum meinte, die serbische Seite in diesem Krieg sei nicht imperialistisch, erstens weil Serbien zu schwach sei, um imperialistisch zu sein, und zweitens weil Serbien die Kriegsseite sei, welche nun die Bomben auf den Kopf geschmissen bekomme.

 

Wie die IKS (aber auch das PK) auf der Konferenz erklärte, ist “imperialistisch” sein keine Frage von Stärke oder Schwäche. Der Imperialismus ist ein globales Verhältnis, welches alle Staaten – groß oder klein – dazu verdammt, Krieg gegeneinander zu führen. Wie die serbischen Sozialisten bereits im August 1914 bei der Ablehnung der Militäranleihen für den 1. Weltkrieg erklärten, hat das “kleine” Serbien bereits 1913 im 2.Balkankrieg seinen imperialistischen Charakter hinlänglich unter Beweis gestellt, indem es zusammen mit Griechenland und Rumänien seine Bündnispartner aus dem 1. Balkankrieg Bulgarien überfiel und ausplünderte. Auch die Frage, wer den Krieg angefangen hat, oder wer die Bomben auf den Kopf geschmissen bekommt, ist hier ohne Belang. Die Tatsache, dass im 2. Weltkrieg Japan als erstes die USA angriff, machte diesen Krieg auf amerikanischer Seite nicht weniger imperialistisch. Auch Hitler-Deutschland hörte nicht auf, imperialistisch zu sein, nur weil es gegen Kriegsende unaufhörlich bombardiert wurde.

 

Es ist nicht die Aufgabe der Revolutionäre, bestimmte Kriegsbündnisse wie die NATO sondern den imperialistischen Krieg als solchen zu bekämpfen. Die Forderung nach der Auflösung der NATO entspricht heute teilweise sogar den Interessen der europäischen Bourgeoisie, insoweit die NATO von den USA als Instrument zur Unterordnung der europäischen “Bündnispartner” instrumentalisiert wird. Vor allem aber ist es die Aufgabe der Revolutionäre, die Verbrechen aller Kriegsseiten als Produkt eines Systems – des Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase – anzuprangern. Die Geschichte zeigt: Die Unterscheidung zwischen den Verbrechen der verschiedenen Kriegsseiten eröffnet stets eine Logik, die zur Parteiergreifung zugunsten des einen imperialistischen Verbrechers gegen den anderen führt.

 

Deshalb unterstützten wir die Aussage von Copycat, dass die wichtigste Aufgabe der Konferenz nicht darin bestand, eine präzise Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen den verschiedenen Großmächten zu liefern, sondern den Krieg eindeutig zu bekämpfen und von einem Klassenstandpunkt aus zu beurteilen. Zwar lieferte Copycat aus unserer Sicht die unklarste Analyse des Krieges – es vertritt die in operaistischen Kreisen weitverbreitete Vorstellung eines “Krieges gegen die Arbeiterklasse” (siehe dazu unseren Artikel über die Wildcat-Veranstaltung in Köln). Die Analyse des Krieges ist eine wichtige, aber zweitrangige Aufgabe im Vergleich zu der Notwendigkeit, gegenüber dem Krieg deutlich ein Klassenlager zu wählen: Entweder für den Krieg, und damit für das Kapital, oder gegen den Krieg und für den proletarischen Klassenkampf.

 

Die Intervention im Klassenkampf

Es gab zu diesem Thema zwei Einleitungsreferate. Das erste, von Copycat,  zog Lehren aus einer Intervention der Gruppe bei einem Bauarbeiterkampf in Ostdeutschland. Das zweite, das des PK, erläuterte die Entstehungsgeschichte, das Selbstverständnis und das Interventionskonzept der Gruppe. Beide Referate lehnten die Organisierung des Klassenkampfes durch die Gewerkschaften ab. Im Gegensatz etwa zum Konzept der Bremer Gruppe, das die Frage der Forderungen eher in den Mittelpunkt stellt – und somit, wie wir meinen eine eher gewerkschaftliche Herangehensweise pflegt – betonten die Referate die Selbstorganisierung der kämpfenden Arbeiter. PK ging sogar einen Schritt weiter, indem es permanente Organisationen der gesamten Klasse außerhalb des Kampfes als unbrauchbar ablehnte und die Arbeiterräte, nicht die Klassenpartei als das Instrument einer künftigen Diktatur des Proletariats bezeichnete.

 

In der Ablehnung jeglicher “Stellvertreterpolitik” im Klassenkampf stehen diese beiden Gruppen somit dem alten Konzept der KAPD und der deutsch-holländischen Linken nicht fern. Dennoch meinen wir, dass sowohl PK als auch und vor allem Copycat Gefahr laufen, die gewerkschaftliche “Stellvertreterpolitik” aus der Tür hinauszubefördern, um sie durchs Fenster wieder hereinzulassen. Dies hängt mit der operaistischen Interventionsvorstellung zusammen, welche die Politik vor allem von Copycat jetzt noch weitgehend prägt. Auf der Konferenz lehnte Copycat jegliche “ahistorische Organisationform des Klassenkampfes” ab, bezog diese Ablehnung aber nicht nur auf die Gewerkschaften, sondern auch auf die Prinzipien der Ausdehnung und Selbstorganisierung des Kampfes durch gewählte und jederzeit abwählbare Delegiertengremien, wie von der IKS vertreten. Dahinter erblickt Copycat eine abstrakte Vorstellung des reinen und perfekten Klassenkampfes durch die IKS, welcher in der Realität nicht zu finden sei. Dagegen fordert Copycat die konkrete “militante Untersuchung” jeden Kampfes, um den jeweiligen Schwachpunkt der Bourgeoisie zu finden. Bei einem Bauarbeiterstreik sei dies beispielsweise der Baukran, den man besetzen müsse, um die Baustelle lahmzulegen

 

Wir denken, die selbständige Organisierung und Ausdehnung des Arbeiterkampfes durch Vollversammlungen und Streikkomitees ist kein “ahistorisches” Schema, sondern eine wirkliche, dem modernen Klassenkampf seit der Jahrhundertwende innewohnende Tendenz und ein Bedürfnis, welche unabhängig von den Auffassungen der Revolutionäre und der Meinungen der einzelnen Arbeiter immer wieder zum Durchbruch drängen. Diese Kampfformen entsprechen dem Wesen der Arbeiterklasse und den Bedingungen des niedergehenden Kapitalismus. Sie wurden von den Revolutionären nicht erfunden, sondern lediglich nach der Revolution von 1905 entdeckt und beschrieben: durch Rosa Luxemburgs Schrift üben den Massenstreik und Leo Trotzkis Buch über die Arbeiterräte von 1905. Auch die Bourgeoisie weiß sehr wohl von der Existenz dieser spontanen Tendenz des Klassenkampfes. Das ist der Grund, weshalb die Gewerkschaften, nachdem sie dem Kampf der Arbeiterklasse nicht mehr dienlich waren, nicht einfach verschwanden. Sie wurden von der Bourgeoisie übernommen und am Leben erhalten, um genau diese spontane proletarische Selbstorganisierung zu bekämpfen. Und das ist auch der Grund, weshalb die spontane Selbstorganisierung sich nicht “rein” und auch nicht “spontan” durchsetzt, sondern als Ergebnis des Kampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat, zwischen Gewerkschaften und kämpfenden Arbeitern. Die Aufgabe der Revolutionäre besteht nicht darin, den Arbeiterkampf zu organisieren, sondern darin, an der Spitze des politischen Kampfes für die selbständige Entfaltung des Klassenkrieges gegen die gewerkschaftliche Sabotage zu stehen.

 

Das Konzept von Copycat hingegen verzichtet nicht wirklich darauf, die Arbeiterkämpfe organisieren zu wollen. Denn es betrachtet den Klassenkampf eher als eine technische Angelegenheit, welche von den Technokraten der “militanten Untersuchung” gelöst werden muß: Das Herausfinden der Schwachstellen, die Herstellung der Verbindung zwischen den Arbeitern durch eine geschickte “Umkehrung“ des Produktionsapparates gegen die Kapitalisten usw. Auch PK hat noch nicht wirklich auf die Organisierung der Arbeiterklasse verzichtete, da es sich als proletarische Basisinitiative sieht, d.h. die eigene Gruppe als etwas sieht, die “allen Lohnabhängigen” offensteht, also als etwas, was den kämpfenden Arbeitern als permanente Struktur bereitstehen und dienen soll. Aus unserer Sicht es also notwendig, deutlicher zu unterscheiden zwischen der revolutionären Organisation einerseits, deren Aufgabe in der Verteidigung eines historischen Programms besteht, und die deshalb einen permanenten Charakter hat, und den Kampforganisationen der gesamten Klasse, die nach dem offenen Kampf wieder verschwinden.

 

Aber diese Diskussion über den Klassenkampf und die Intervention der Revolutionäre, wie überhaupt die proletarische Debatte in diesem Milieu, ist nicht abgeschlossen, sondern hat gerade angefangen. Sich dieser Debatte zu stellen, die Bereitschaft zu entwickeln, “sektiererische Abkapselungen” zu durchbrechen, wie ein Genosse von PK es formulierte, darauf kommt es vor allem an.                          Vasso

 

 

Wildcat, K.R.Roth oder die Notwendigkeit geschichtlicher Kontinuität

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 Am Vorabend des Weltwirtschaftsgipfels der G-7 Staaten in Köln veranstalteten die Gruppe Wildcat sowie der bekannte Vordenker des politischen Operaismus Karl-Heinz Roth eine Diskussionsrunde in der Domstadt. Das Treffen befasste sich mit den Perspektiven des Klassenkampfes und den Aufgaben der Revolutionäre im Lichte des Kosovokrieges unter dem Motto: „gegen das soziale Europa“.

Es gab eingangs gleich drei Einleitungsreferenten. Ein bekannter Vertreter von Wildcat sprach in typisch operaistischer Manier von den jüngsten Entwicklungen im Produktionsprozess und im Klassenkampf unter dem in diesem Milieu bekannten Stichwort: „Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse“. Ein anderer, junger Sprecher der Gruppe referierte über den Kosovokrieg und trug die innerhalb des Operaismus selbst keineswegs mehr unumstrittene These von einem „Krieg gegen die Arbeiterklasse“ vor. Laut dieser Vorstellung handelt es sich bei diesem Krieg keineswegs um einen imperialistischen Konflikt der kapitalistischen Mächte untereinander, sondern um eine politische Maßnahme der Weltbourgeoisie, um den Klassenwiderstand der jugoslawischen Arbeiter zu brechen, die dortigen Großbetriebe endlich zu privatisieren, und die billigen Arbeitskräfte dort wie im Kosovo direkter dem Weltmarkt für Arbeitskräfte zuzuführen. Zwar blieb die Frage unbeantwortet, wie man Großbetriebe zu „privatisieren“ vermag, welche soeben durch den Krieg in Schutt und Asche gelegt worden sind. Dafür fehlte es nicht an indirekten Hinweisen auf eine mögliche geheime Absprachen zwischen Milosevic und der NATO, um einträchtig das große Werk der „Modernisierung“ des Balkans zu vollbringen. Während selbst die NATO zugibt, Jugoslawien wirtschaftlich um 30 bis 50 Jahre zurückgebombt zu haben, sieht die Theorie des „Krieges gegen die Arbeiterklasse“ die internationalen Investoren in den Startlöchern, um den Run auf den serbischen Wirtschaftsraum zu gewinnen.

Während diese beiden Einleitungen mehr oder weniger kritiklos die alten operaistischen Thesen wiederholten, waren die Ausführungen von Karl-Heinz Roth sowie die Wortmeldungen einiger Mitstreiter von Wildcat während der anschließenden Diskussion um so interessanter. 31 Jahre nach Mai 1968 war es das Anliegen Karl--Heinz Roths, das Gedankengut, ja die politische Generation der Achtundsechziger zu Grabe zu tragen. Anlaß und Auslöser dieser Grabesrede war der Jugoslawienkrieg sowie die Tatsache, dass dieser Krieg in fast allen NATO-Staaten von linken Politikern dieser Generation angeführt wurde, darunter ein deutscher Außenminister Fischer, der in seinen Frankfurter Tagen einst sogar ein Mitstreiters Roths war. Man man sah ihm die Enttäuschung und Wut im Gesicht geschrieben, als Roth die aus der Studentenrevolte hervorgegangenen Grünen, Jusos, Eurokommunisten und gewendeten Altstalinisten und Trotzkisten als die Speerspitze des kapitalistischen Krieges bezeichnete, mit denen man von nun an politisch nichts mehr zu tun haben dürfe. Dabei beschrieb Roth die Integration der Achtundsechziger in den bürgerlichen Staatsapparat in verschiedenen Stufen: die nationalistische Ausrichtung der K-Gruppen Anfang der 70er Jahre; die Errichtung von „alternativen“, geschäftstüchtigen Ghettos Ende der 70er und deren Abschottung vom Klassenkampf; die Parlamentarisierung dieser „Bewegung“ mit den Grünen in den 80ern; ihre Beteiligung an der Regierung in allen westlichen Ländern vor allem in den letzten Jahren.

In Anbetracht dieser Entwicklung rief Karl-Heinz Roth dazu auf, dieser „Bewegung“ und Tradition den Rücken zu kehren und revolutionäre Politik wieder neu zu definieren. Eine Art „Stunde Null“ der gegen den militaristischen Staat kämpfenden Revolutionäre.

Wir unsererseits unterstützten auf der Veranstaltung und begrüßen an dieser Stelle erneut die Ablehnung der kapitalistischen Linken, die hier sichtbar wird. Diese Entwicklung beschränkte sich nicht auf die Person Karl-Heinz Roths. Eine Wortmeldung in der Diskussion beispielsweise schilderte die jüngste sogenannte Arbeitslosenbewegung in Frankreich und Deutschland als eine reine Inszenierung dieser bürgerlichen Linken, die mit einem echten Kampf der Arbeitslosen nichts zu tun hat. Der Genosse schilderte wie ein führender Vertreter der französischen Arbeitslosengewerkschaft AC!, von ihm unter vier Augen darauf angesprochen, offen zugab, dass diese „Arbeitslosenbewegung“ nichts als ein Mythos war, um hinzuzufügen: „Aber mit diesem Mythos machen wir Politik“.


Die Infragestellung einiger Grundthesen des Operaismus

Das Wichtigste an dieser Veranstaltung war, dass sie die Entwicklung verdeutlichte, welche Teile der operaistischen Bewegung unter den Hammerschlägen der Weltwirtschaftskrise und des imperialistischen Krieges durchmachen. Beispielsweise die Wirtschaftskrise. Seit 30 Jahren gehört es zu den Grundsätzen des Operaismus, dass es keine objektive, in den Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise verwurzelte Wirtschaftskrise gebe. Aus dieser Sicht seien die Auswirkungen dieser Krise - etwa die Massenarbeitslosigkeit - entweder Erfindungen der Kapitalisten (um die Arbeiterklasse „neuzusammenzusetzen“), oder das Ergebnis des Klassenkampfes des Proletariats. Auf dieser Veranstaltung aber sprachen alle Vertreter dieser Denkrichtung von einer Wirtschaftskrise, sogar von einer verzweifelten Wirtschaftslage des Kapitalismus. Ein Anhänger dieser Strömung, der sich zuletzt eingehend mit der Lage in Südostasien befasst hat, setzte auseinander, dass das Wirtschaftswunder der „asiatischen Tiger“ nie etwas anderes war als ein bürgerlicher Bluff, um den desolaten Zustand der Weltwirtschaft zu verschleiern. Diese Aussage ist um so bemerkenswerter, da Wildcat zuletzt eine Schrift eines linken amerikanischen Akademikers Loren Goldner über den Linkskommunisten Amadeo Bordiga auf Deutsch herausgegeben hat, dessen Hauptanliegen nicht das der Bekanntmachung des großen Revolutionärs Bordiga ist, sondern in der Widerlegung der marxistischen Theorie von der Niederlage des Kapitalismus besteht, wobei Goldner die Bestätigung seiner These ausgerechnet bei den asiatischen Tigern sucht!


Beispielsweise die Frage des imperialistischen Krieges. Während eines der Eingangsreferate wie gesagt die traditionelle Verleugnung des imperialistischen Charakters der heutigen Kriege unter Hinweis auf die „Globalisierung“ weitertrieb, gab Roth zu, dass auch diese Grundthese des Operaismus mittlerweile hinterfragt wird, und dass manch einer in diesem Milieu unter der Parole „zurück zu Rosa Luxemburg“ die Existenz imperialistischer Rivalitäten nicht mehr bestreitet.

Es wurde darüber hinaus sichtbar, dass auch eine dritte Säule dieser Denkrichtung gerade durch den Kosovokrieg ins Wanken geraten ist: die Vorstellung von einem auf die Produktionsstätte fixierten, auf die unmittelbare Situation beschränkten Klassenkampf, welche globale politische und geschichtliche Fragen ausklammert. Jedenfalls kritisierte Wildcat eine von der Gruppe selbst aus dem Französischen übertragene Stellungnahme Henri Simons über den Kosovokrieg, worin dieser den Tageskampf der Arbeiter in den einzelnen Betrieben als einzig mögliche Antwort auf diesen Krieg bezeichnete und somit die politische Dimension des Kampfes gegen den Krieg ausklammert.


Die Intervention der IKS

Unsere Organisation verfolgte zwei Ziele bei dieser Veranstaltung. Es ging uns darum, die Erkenntnis des bürgerlichen Charakters der „Achtundsechziger Linken“ und andere Fortschritte des Operaismus wie die Anerkennung der Wirtschaftskrise zu unterstützen: Auch gegenüber den zahlreich anwesenden Vertretern dieser kapitalistischen Linken bei dieser Veranstaltung. Es ging uns aber auch darum, die Halbherzigkeiten dieser Fortschritte zu kritisieren, um die bisher nur indirekte Kritik der Grundsäulen des Operaismus explizit zu machen und weiterzutreiben.

Der Operaismus entstand ursprünglich als Reaktion gegen die Politik der K-Gruppen während der großen Arbeiterkämpfe vornehmlich in Italien ab 1969 (siehe den Artikel in dieser Zeitung zur Autonomia Operaia). Diese Kritik war aber niemals grundsätzlicher Art, sondern beschränkte sich weitgehend darauf, den K-Gruppen vorzuwerfen, „abgehoben“ draußen vor den Fabriktoren ihre Flugblätter zu verteilen, anstatt in den Fabriken verankert zu sein. Man lehnte also eher die Methoden als die Ziele z.B. der Maoisten ab. Auch heute ist der Bruch mit der bürgerlichen extremen Linken keineswegs vollzogen. Was Karl-Heinz Roth in seinem Referat lieferte, war eine mehr oder weniger genaue Beschreibung des Integrationsprozesses gewisser „Protestbewegungen“ in den bürgerlichen Staat - aber keine Erklärung dieser Entwicklung. Wovor Roth zurückschreckt, ist die Erkenntnis, dass die stalinistischen, maoistischen und trotzkistischen Ideologien, welche sich nach der Auflösung der Studentenbewegung durchsetzten, bereits bürgerliche, konterrevolutionäre Weltanschauungen waren mit einer entsprechenden Praxis.

Statt dessen bietet Roth in seinem Artikel über den Kosovokrieg in der Zeitschrift Wildcat-Zirkular die nationalistischen, arbeiterfeindlichen „Ideale“ der stalinistischen Partisanen Titos als Modell für die Arbeiterklasse an.

In Wirklichkeit ist der Aufruf zur Leichenbestattung der Altachtundsechziger und zum völligen Neuanfang in erster Linie ein Zeichen der Ratlosigkeit der operaistischen Bewegung selbst. Ihre besten Anhänger sind anständig genug, um den imperialistischen Gelüsten der räuberischen Bourgeoisie nicht folgen zu wollen. Zugleich spüren sie aber, dass das Scheitern der Altachtundsechziger auch ihr eigenes Scheitern ist. Jedenfalls ist der Aufruf zum völligen Neuanfang nichts als eine Flucht nach Vorne, die Fortsetzung der ureigenen Haltung des Operaismus, dem Marxismus und der Geschichte des wirklichen revolutionären Kampfes gegen die stalinistische Konterrevolution den Rücken zu kehren. Damals schlugen sie die marxistische Krisentheorie, die Theorie von der Verelendung des Proletariats, vom Klassenkampf als zugleich ökonomischen und politischen, zugleich unmittelbaren und historischen Kampf in den Wind, nach dem Motto: wer braucht den alten Kram? Es reiche doch, sich in den Betrieben und anderen Arbeitsplätzen bestens auszukennen. Wollen sie heute wirklich die Geschichte seit 1968 abschreiben und wieder von Vorne anfangen, wie ein Mensch ohne Vergangenheit, der nichts vergessen und nichts gelernt hat? Ist die Geschichte der letzten 30 Jahren wirklich nur die Geschichte der Entwicklung Josef Fischers und Daniel Cohn-Bendits vom Bürgerschreck zum imperialistischen Kriegstreiber? Zählen die großartigen Kämpfe des Proletariats von Frankreich 68 bis Polen 1980, zählen die Wiederentdeckung Bordigas, Pannekoeks, Rosa Luxemburgs und das Wiederaufleben der Kommunistischen Linken nach 1968 nichts mehr?

„Zurück zur wirklichen, revolutionären Geschichte der Arbeiterklasse, um den Klassenkampf von heute und von morgen verstehen und vorantreiben zu können“: dies war die Hauptaussage der IKS bei dieser Veranstaltung.

Einmal zurück zu Marx. Die Operaisten haben auf fatale Weise die Aussage des Kommunistischen Manifestes, dass die bisherige Geschichte eine Geschichte des Klassenkampfes ist, einseitig und falsch ausgelegt. Marx hat niemals die Geschichte des Kapitalismus ausschließlich auf den Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie reduziert, sondern beispielsweise den Kampf innerhalb der Bourgeoisie erfasst, sowohl wirtschaftlich (als ein Motor der wirtschaftlichen Entwicklung wie zunehmend der Krisenentwicklung) als auch politisch (Kampf der Fraktionen innerhalb jeder Nation, Kampf der imperialistischen Staaten gegeneinander). Die sogenannte Globalisierung, die Marx bereits im Manifest beschreibt, schafft den Widerspruch zwischen dem Kapitalismus als Weltwirtschaft einerseits und als Konkurrenzsystem der Nationen andererseits nicht ab, sondern treibt ihn auf die Spitze.

Zum anderen zurück zur Kommunistischen Linken, dem historischen Hauptfeind der stalinistischen Konterrevolution, die schon seit langem den bürgerlichen Charakter der sozialdemokratischen und stalinistischen Konterrevolution erkannt und erklärt hat, welche heute Roth und andere Operaisten so sehr überrascht und entsetzt hat.

Wir glauben zu erkennen, dass innerhalb des Operaismus selbst die Erkenntnis wächst, dass man ohne eine Auseinandersetzung mit dem Marxismus, der Kommunistischen Linken, der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung nicht weiterkommt. Wir hoffen, dass die jüngste Veröffentlichung von Texten über Bordiga, Pannekoek, die internationalistischen Positionen gegenüber dem Spanischen Bürgerkrieg und dem 2. Weltkrieg durch Wildcat der Anfang einer ernsten Auseinandersetzung in diesem Sinne sein wird.

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Operaismus [22]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Weltrevolution Nr. 96

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Die Septemberstreiks 1969 in Deutschland: Ein Teil des internationalen Wiedererstarkens der Arbeiterklasse

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Als im Mai 1968 in Frankreich über 10 Millionen Arbeiter in den Streik traten und deren Bewegung nur durch die Sabotagetaktik der Gewerkschaften abgewürgt werden konnte, war klar geworden, dass diese Bewegung eine gewaltige internationale Ausstrahlung haben sollte. Denn im Anschluss an die Arbeiter in Frankreich fing ein Teil der Arbeiterklasse nach dem anderen an, sich zu erheben. Ob in Grossbritannien oder in den USA, ob in Argentinien oder in Italien im Sommer 69, wo eine Reihe von Streiks das ganze Land erschütterten - das Signal, das die Arbeiter in Frankreich gesetzt hatten, wurde weltweit aufgegriffen.

Die Arbeiterklasse war aus einer nahezu fünfzigjährigen Konterrevolution auferstanden, die die herrschende Klasse den Arbeitern zugefügt hatte, nachdem die revolutionären Kämpfe von 1917-23 mit einer Niederlage endeten. Nahezu 50 Jahre lang hatten Sozialdemokratie, Stalinismus und Faschismus die Arbeiterklasse am Boden halten können. Diese internationale Welle des Klassenkampfes hat das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse geändert und damit die Phase der Konterrevolution beendet. Von nun an musste die herrschende Klasse wieder mit dem wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse rechnen.

Die Arbeiterkämpfe in Deutschland – ein Teil des internationalen Wiedererwachens der Arbeiterklasse

Auch wenn die Arbeiterklasse in Deutschland noch nicht sofort im gleichen Jahr dem Beispiel der Arbeiter in Frankreich folgte, trat die Arbeiterklasse in Deutschland ab dem Sommer 1969 massiv auf den Plan.

Deutschland war neben Russland das Zentrum der revolutionären Kämpfe von 1917-23 gewesen. Um so stärker hatte die Konterrevolution dort gewütet, und die Arbeiterklasse hatte eine um so größere Niederlage erlitten. Obwohl die Arbeiterkämpfe 1969 in Deutschland nicht so massiv und umfangreich waren wie z.B. in Frankreich, Italien oder Polen, war gerade die Beteiligung des Proletariat in Deutschland an der internationalen Kampfeswelle ein schlagender Beweis dafür, dass die Konterrevolution weltweit zu Ende ging. Tatsächlich lieferte Deutschland mit der Rezession von 1967 eine der ersten Verdeutlichungen der Tatsache, dass mit dem Ende der Nachkriegswiederaufbauphase die offene Weltwirtschaftskrise wieder ihren Einzug hielt. Auch wenn die Arbeiter dies noch nicht klar verstanden, waren die Kämpfe der Arbeiter Ende der 60er Jahre in Wahrheit eine Antwort auf das Wiederauftauchen der Krise, insbesondere gegenüber den damals hohen Preissteigerungen.

Die Septemberstreiks – Die Arbeiterklasse tritt eigenständig massiv in den Kampf

Schon ab dem Frühjahr riss die Reihe von kleineren und beschränkten spontanen Arbeitsniederlegungen, die sich alle um Lohnforderungen drehten, nicht mehr ab. Ab Anfang September löste sich eine Streiklawine los, die die Hauptindustriezentren in Westdeutschland in Windeseile erfasste. Im Mittelpunkt stand die Stahl- und Metallindustrie.

Nachdem am 2. September 27.000 Stahlkocher von Hoesch-Dortmund spontan für 2 Tage in den Streik traten, legte eine Belegschaft nach der anderen in den großen Werken die Arbeit nieder.

Um das ganze Ausmaß der Streikbewegung zu vermitteln, nennen wir einige der Zentren:

4. - 5. September Rheinstahl – Mülheim/Ruhr mit 2.900 Streikenden,

5. - 6. September 12.00 Streikende bei Mannesmann - Duisburg, 1.000 Streikende bei AEG Mülheim;

5. - 9. September: 3.300 Streikende bei Rheinstahl Gelsenkirchen

Vom 9.-11.September legten 10.000 Bergarbeiter der Ruhrkohle AG die Arbeit nieder.

Auch wenn der Schwerpunkt im Ruhrgebiet lag, wurden Arbeiter in anderen Städten mit in den Kampf gerissen. Am 8.-9. streikten bei Rheinstahl Brackwede (in der Nähe von Bielefeld) 1.800 Arbeiter, in Sulzbach –Rosenberg traten bei der Maximiliamshütte am 8. September spontan 3.000 Beschäftigte in den Streik, bei den Klöckner-Werken ruhte die Arbeit vom 5.-13. September, weil in Bremen und in der Georgsmarienhütte/ Osnabrück jeweils 3.000 – 6.000 Beschäftigte streikten.

Ein anderer Schwerpunkt war das Saarland: hier traten 6.000 Stahlkocher bei den Neunkircher Eisenwerken vom 4.-8. September, und 20.000 Bergarbeiter vom 6.-11. September in den Ausstand.

Vom 9. – 19. September folgten die Howaldt Werke in Kiel mit 7.000 Schiffsbauern.

Auch wenn die Lage in Süddeutschland ruhiger blieb, reagierten auch hier Tausende Arbeiter: Bei den Heidelberger Druckmaschinen in Geisslingen legten über 1.000 Beschäftigte am 5. September die Arbeit nieder, und bei Daimler Benz – Sindelfingen kam es zu mehreren Kurzstreiks.

Ob im Ruhrgebiet, wo auch der Funken auf kleinere Betriebe mit nur einigen Hundert Beschäftigten übergesprungen war, oder außerhalb der Großstädte (z.B. Hueck Lippstadt oder die Textilindustrie im Münsterland), oder im öffentlichen Dienst, wo ab Mitte September in einer Reihe von Städten – von Berlin über das Ruhrgebiet bis nach Süddeutschland jeweils einige Hundert Beschäftigte der Verkehrsbetriebe und der Stadtreinigung streikten – die massive Welle von Streiks brachte ans Tageslicht, dass die Arbeiterklasse in Deutschland wieder die Stirn bot.

Spontanes Wiederauftauchen der klassischen Kampfesmittel des 20. Jahrhunderts

Mehr als 140.000 Streikende in mehr als 70 Betrieben hatten bewiesen, dass auch die Arbeiterklasse in Deutschland den gleichen Weg eingeschlagen hatte wie ihre Klassenbrüder weltweit.

Überall erhoben die Arbeiter ähnliche Forderungen: Lohnerhöhungen, Bezahlung der Streiktage, keine Repression gegen Streikteilnehmer.

Überall ein ähnlicher Ablauf der Streiks: Arbeiter legen spontan die Arbeit nieder – gegen das Votum der Betriebsräte & Vertrauensleute und der Gewerkschaften.

Bei Hoesch in Dortmund versammelten sich die Arbeiter spontan um einen Werksfeuerwehrwagen mit Lautsprecher und fassten in einer nahezu ständig tagenden Vollversammlung gemeinsam Beschlüsse.

Bei Rheinstahl in Gelsenkirchen aber auch im Saarland zogen die Arbeiter mit Demonstrationszügen durch das Werk machten und forderten die anderen Beschäftigten zur Niederlegung der Arbeit auf, um dann anschließend in die Stadt zu ziehen. Bei der Ruhrkohle AG zog ein Protestzug spontan vor das Verwaltungsgebäude.

Die Arbeiter ergriffen jeweils selbst die Initiative, nahmen den Streik selbständig in die Hand und liessen sich nicht hinter den Werkstoren einsperren.

An die zuvor jahrelang durch die Konterrevolution begrabene Tradition anknüpfend, standen Ausdehnung und Selbstorganisierung der Streiks, Zusammenkommen zu Demonstrationen, gemeinsame Entscheidungen in Vollversammlungen, die Wahl von Streikkomitees mit abwählbaren Delegierten im Vordergrund.

Genauso wie in Frankreich und Italien griff die Arbeiterklasse in Deutschland – wenn auch noch unerfahren – zu den Waffen des Klassenkampfes im 20. Jahrhundert.

Überall die gleichen Gegner: In mehreren Städten (Saarbrücken, Osnabrück, Dortmund usw.) zogen die Arbeiter vor die Gewerkschaftshäuser und protestierten gegen deren Politik. So wollten in Dortmund Hunderte von wütenden Stahlkochern in das Gewerkschaftshaus eindringen und deren Dienste für das Kapital anprangern. Als auf Vollversammlungen wie bei Hoesch-Dortmund Arbeiter die Sabotagetaktik der Gewerkschaften entblößten, versuchte der Betriebsrat das Mikrofon abzustellen. "Danach sprach ein DKP-Mitglied und führte aus. Er sei der Meinung, dass jedermann seine Sorgen und Auffassungen am Lautsprecher vortragen könne, aber wir werden von nun an niemanden mehr sprechen lassen, der gegen den Betriebsrat und die Gewerkschaften auftritt." (zitiert aus "Die Septemberstreiks 1969" des DKP-nahen Pahl-Rugenstein Verlags, S. 61)

In mehreren Betrieben verhandelten die Streikleitungen neben dem Betriebsrat (BR) und den Gewerkschaften mit den Unternehmern, wobei ihnen jeweils der BR und die Gewerkschaften in den Rücken fielen.

 

Die historische Bedeutung des Wiedererstarkens der Arbeiterklasse in Deutschland

Die Arbeiterklasse, die zuvor jahrelang von der Studentenbewegung verspottet worden war, indem sie im Stile Marcuses die Arbeiter als "verkauft & verbürgerlicht" präsentierte, stand plötzlich wieder im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Der Klassenkampf war zurückgekehrt und hatte die Ideologie des sozialen Friedens und der Sozialpartnerschaft (‚wir sitzen alle in einem Boot‘) mit einem Paukenschlag zerfetzt.

Auch wenn diese Bewegung in Westdeutschland noch nicht so weit vorangeschritten war wie in Frankreich und Italien, und wenn die Arbeiter es in der BRD in dieser ersten Welle von Kämpfen noch nicht geschafft hatten, sich branchenübergreifend zusammenzuschließen, lieferten diese Kämpfe einen wichtigen Beitrag zur Fortsetzung und Stärkung dieser ersten internationalen Welle von Kämpfen. Denn nahezu wie bei einem Stafettenlauf hatte die Arbeiterklasse in Deutschland den Stab weitergereicht. Im Sommer 1970 prallten die Arbeiter in Polen mit der staatskapitalistischen Gomulka-Regierung zusammen, bis 1972 setzte sich dann diese erste Welle von Kämpfen vor allem in Europa fort.

Auch in Deutschland selber hatten diese Kämpfe eine große Ausstrahlung. Zigtausende - vor allem junge Leute – fühlten sich nunmehr durch die international wiedererstarkende Kampfkraft der Arbeiterklasse angezogen. Viele neu politisierte Elemente fingen an, sich wieder mit den Erfahrungen der Arbeiterklasse auseinanderzusetzen. Die Arbeiterräte, die im Mittelpunkt der revolutionären Welle von 1917-23 gestanden hatten, wurden plötzlich wieder zum Bezugspunkt für viele neu Politisierte (siehe dazu unsere Artikel in Weltrevolution Nr. 93 & 94). Ein Großteil der neu politisierten Elemente wurde allerdings in den Fangarmen der K-Gruppen (die Gruppen der bürgerlichen extremen Linken – Trotzkisten, Maoisten, Stalinisten usw.) erwürgt.

Die Kampfwelle, die 1968-69 weltweit eingesetzt hatte, dauerte bis 1972-73 an. Ihr Ausläufer in Deutschland war der große wilde Streik bei Ford-Köln 1973. Diese Welle der Arbeiterkämpfe flaute allerdings nicht spontan ab, sondern wurde politisch abgewürgt. An erster Stelle dadurch, dass ab 1969 unter Brandt/Scheel eine sozialdemokratisch angeführte Regierung gebildet wurde, die versprach, die Probleme, welche die Arbeiter veranlasst hatten in Streiks zu treten, mittels des bürgerlichen Staates abzustellen. Das Gegenteil geschah, so dass die Arbeiter Ende der 70er Jahre sich erneut gezwungen sahen, in einer zweiten internationalen Welle zu kämpfen, deren Höhepunkt im Sommer 1980 durch den Massenstreik in Polen erreicht wurde. Da die Arbeiter durch die Regierungsversprechungen der SPD nicht mehr aufzuhalten waren, wechselte die SPD wieder in die Opposition, um von dort die Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse besser zu sabotieren.

Die heutige Generation der Arbeiterklasse, die sich mit den Angriffen der rot-grünen Regierung ausgesetzt sieht, muss wissen, dass unsere Klasse seit 30 Jahren über eine Erfahrung der Sabotage des Klassenkampfes durch die Linken verfügt, die wir in den kommenden Kämpfen dringend benötigen werden. Nicht zuletzt darin liegt die Aktualität der Kämpfe von 1969.

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

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