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Weltrevolution Nr. 132

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Bemerkungen über einen Diskussionsbeitrag aus Berlin

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Die Legitimierung des imperialistischen Krieges durch den Antifaschismus (Weltrevolution 130)

Wir haben in der letzten Ausgabe von Weltrevolution den Diskussionsbeitrag “Antifaschisten legitimieren bis heute die Führung imperialistischer Kriege” aus Berlin veröffentlicht.  Aufgrund der ungewöhnlichen Qualität und Klarheit dieses Beitrags, sowie der Wichtigkeit und Aktualität des behandelten Themas, beschlossen wir, diesen Artikel seiner Länge zum Trotz ungekürzt abzudrucken. Indem er eine historische Methode anwendet, kann der Artikel aufzeigen, weshalb der Antifaschismus, einst das ideologische Aushängeschild der DDR, seit 1989 zur offiziellen Staatsideologie des wiedervereinigten Deutschland avanciert ist. Es wird sehr konkret aufgezeigt, dass diese Ideologie – weit davon entfernt, einen antikapitalistischen, oder auch nur einen (von den “Anti-Deutschen” angenommenen) konsequent gegen die Interessen des deutschen Imperialismus gerichteten Charakter aufzuweisen – heute die ideale Kriegsideologie der bundesrepublikanischen Bourgeoisie geworden ist. Der Beitrag aus Berlin gibt sich aber mit diesen Feststellungen nicht zufrieden. Er zeigt grundsätzlich auf, dass diese Ideologie jeglicher gegen den Kapitalismus als System gerichteten Natur entbehrt, indem er nachweist, dass die Bezeichnung und die Ausrichtung “Antifaschismus” nur Sinn ergibt als Stigmatisierung des Faschismus gegenüber anderen, als weniger reaktionär erachteten Erscheinungsformen des Kapitalismus. Somit führt der Antifaschismus mit Notwendigkeit zur Verteidigung des Profitsystems unter dem Denkmantel der Demokratie. Indem er sich auch hier auf die Erfahrung der Geschichte stützt, zeigt der Artikel auf, dass der von antifaschistischer Seite geforderte Zusammenschluss aller Demokraten niemals gegen die Faschisten, sondern immer nur gegen die Arbeiterklasse stattfand, wobei dieser antiproletarische Zusammenschluss auch die Faschisten mit einschließen kann.  Nicht zuletzt wird die Behauptung widerlegt, derzufolge der Faschismus eine vorbeugende Konterrevolution gegen eine zu erwartende soziale Revolution gewesen sei, sondern erst siegen konnte, nachdem die Demokratie der Arbeiterklasse  entscheidende Niederlagen zugefügt hatte.
Soweit stimmen wir der Hauptargumentation dieses Artikels uneingeschränkt und mit großer Überzeugung zu. Wobei vielleicht noch anzumerken wäre, dass der Artikel, auch in den Teilen, wo die aktuelle Weltlage mit behandelt wird, zumeist präzise und nuanciert argumentiert. Sogar die in linken Kreisen übliche Behauptung, die Europäische Union sei bereits ein um die deutsch-französische Achse herum ausgebildeter, gegen Amerika gerichteter imperialistischer Block, wird hier etwas vorsichtiger und differenzierter als sonst behandelt (schließlich waren die beispielsweise zur Zeit des letzten Irakkrieges amerikafreundlich eingestellten Länder – von Spanien und Italien bis Großbritannien und Polen – ebenfalls innerhalb der EU reichlich vertreten!)

Nur eine selbständig kämpfende Arbeiterklasse kann den rechten Schlägern erfolgreich entgegentreten

Es sind bloß einige wenige Sätze des Berliner Artikels, welche uns unklar erscheinen. Diese Sätze betreffen nicht so sehr die historische Argumentationsweise, als die Frage, wie man sich konkret zu antifaschistischen Aktionen heute verhält. Dennoch glauben wir, dass eine unklare Praxis auch die Klarheit der theoretischen Position trüben wird. Der Artikel sagt dazu: “Es kann nicht darum gehen, Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden zu denunzieren. Im Gegenteil: Da im Unterschied zu den demokratischen Formierungen die Faschisten gerade ihre außerinstitutionelle Mobilisierung in den Vordergrund stellen, ist es geraten, dort wo sie reale Macht auf den Straßen entfalten, den Selbstschutz zu organisieren.” Was an dieser Aussage auffällt, ist die politisch abstrakte Formulierungsweise. Während sonst im Artikel das bürgerliche, antifaschistische Geschwätz dadurch messerscharf auseinandergenommen wird, indem stets von Klassen statt von ewigen Werten die Rede ist, spricht man hier von “Widerstand” an sich, ohne seinen Klassencharakter zu erörtern. Von welchem Widerstand ist hier die Rede? An anderer Stelle des Artikels ist sehr richtig von den marschierenden Nazis die Rede, welche von “großen Teilen der staatstragenden und -bejahenden linken Oppositionellen” von PDS und Wahlalternative bis zu SAV und Linksruck “zum Popanz aufgebläht” werden. Dazu heißt es weiter: “Zwar stellen in zumeist ländlichen Gegenden und hauptsächlich im Osten Deutschlands die Kneipen- und Straßenschläger eine immense Gefahr für Migranten, Obdachlose, Homosexuelle, linke und andere nicht ins volksgemeinschaftliche Bild passende dar, der unbedingt und mit aller Konsequenz begegnet werden muss, aber im öffentlichen Diskurs sind sie völlig isoliert und weit davon entfernt, wie in den späten 20er und 30er Jahren Unterstützung bei den Eliten zu finden.” Diese Einschätzung der vergleichsweise mangelnden Unterstützung der Nazischläger von Seiten der heutigen herrschenden Eliten gegenüber der Zeit der Konterrevolution, sowie der von den militanten Antifaschisten zum Popanz aufgeblähten rechten Gefahr teilen wir voll und ganz. Wir nehmen außerdem an, dass diese Stelle die Antwort auf unsere Frage liefert, welcher Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden gemeint ist. Und trotzdem bleibt unsere Frage unbeantwortet: Vom Widerstand welcher Klasse ist hier die Rede?
Es wäre in der Tat blödsinnig, irgend jemandem – ob Mann oder Frau, Deutschen oder Migranten, Homosexuellen oder Heterosexuellen, das Recht abzusprechen, sich zu verteidigen. Nicht weniger unsinnig wäre es, die Notwendigkeit in Abrede zu stellen, anderen in Not geratenen Menschen beizustehen. Gerade revolutionäre Marxisten sind von der Notwendigkeit überzeugt, angegriffenen Menschen – ob Migranten, Obdachlosen, Homosexuellen oder anderen – zu Hilfe zu eilen. Wer die Geschichte der Arbeiterbewegung kennt, wird wissen, wie oft das Leben von Revolutionären gerettet wurde von Menschen, welche mit den Zielen des Marxismus überhaupt nicht sympathisierten, und dennoch aus einer tiefen Menschlichkeit heraus handelten, oft unter Einsatz des eigenen Lebens. Diese Menschlichkeit ist nicht notwendigerweise mit einer bestimmten politischen Ausrichtung oder einer gewissen Klassenzugehörigkeit verbunden. Im Gegenteil: Sie wird erst dort zu voller Entfaltung gelangen, wo es keine Klassen und keine im heutigen Sinne politischen Ausrichtungen mehr gibt – im Kommunismus. Es ist allerdings unsere Überzeugung, dass diese Menschlichkeit heutzutage am ehesten in den Reihen der ausgebeuteten, kollektiv produzierenden, eigentumslosen Klasse der Lohnabhängigen anzutreffen ist, vor allem aber beim kämpfenden Proletariat, und dass diese Menschlichkeit sich um so mehr vertiefen und verbreiten muss, je gigantischer die Kämpfe dieser Klasse und die Ziele dieser Kämpfe werden.
Solche urwüchsigen Ausdrücke des gemeinschaftlichen Wesens unserer Gattung sind aber wohl kaum gemeint, wenn von “Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden” gesprochen wird. Wo nicht von spontaner Hilfsbereitschaft, sondern von organisierten Aktionen die Rede ist, kommt ein Marxist nicht umhin, nach der politischen Ausrichtung und dem Klasseninhalt solcher Aktionen zu fragen.
Somit zwingt sich eine erste Feststellung auf: Da allein das Proletariat imstande ist, einen autonomen und zukunftsweisenden Klassenkampf gegen das Kapital insgesamt zu führen, ist das Proletariat auch die einzige Klasse, welche den Faschismus, als eine Spielart der Kapitalherrschaft, und die Faschisten als eine politische Strömung der bürgerlichen Klasse erfolgreich bekämpfen kann. Gerade deshalb kann es in diesem Kampf kein Bündnis mit anderen Klassen d.h. mit den Antifaschisten eingehen. Genau diese Lehre hat der Berliner Artikel aus der Geschichte (namentlich aus der Erfahrung des proletarischen Kampfes gegen den Kapp Putsch von 1920 in Deutschland) gezogen: “1920 hatte sich gezeigt, dass die Verhinderung des Faschismus nur auf dem Terrain des Klassenkampfes, und damit in der Dynamik vom Angriff auf das Regime hin zum Angriff auf den Staat, und eben nicht auf der Basis bürgerlicher Realpolitik erreicht werden konnte.”
Das bedeutet aber zweitens, dass allein das Proletariat imstande ist, wirkungsvoll und zukunftsweisend Minderheiten vor dem Zugriff der Rechtsradikalen, wie vor den Angriffen anderer Teile der Bourgeoisie zu schützen. Die Geschichte liefert uns zahlreiche Beispiele dieser Bereitschaft und Fähigkeit der Arbeiterklasse, die wehrlosen Opfer der kapitalistischen Barbarei zu beschützen. So haben die Arbeiterräte von 1905 in Russland bewaffnete Milizen aufgestellt und entsandt, um Pogrome gegen die Juden zu unterbinden. Und selbst mitten im 2. Weltkrieg, während das antifaschistische Kriegsbündnis des amerikanischen, britischen und russischen Imperialismus keinen Finger krumm machte, um den Holocaust zu verhindern, erreichte die kämpfende niederländische Arbeiterklasse mittels eines Massenstreiks zumindest das vorläufige Aussetzen der Deportationen in die Konzentrationslager.

Die Arbeiterklasse ist noch nicht in der Lage, verfolgte Menschen systematisch zu beschützen

Kommen wir aber jetzt zum heutigen “Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden” beispielsweise in “ländlichen Gegenden Ostdeutschlands”. Es liegt auf der Hand, dass es sich hierbei heutzutage leider noch lange nicht um Klassenaktionen zum Schutze  dieser Opfer handelt. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass das Proletariat verpflichtet und auch befähigt ist, einen solchen Schutz zu bieten. Während diese Verpflichtung stets da ist, wird die Arbeiterklasse nicht immer dazu imstande sein. Diese Fähigkeit hängt mit einer Reihe von Faktoren zusammen, deren wichtigste die historische Periode und das vorherrschende Kräfteverhältnis sind.
Heute ist es in bestimmten Kreisen, welche erst neulich mit den Traditionen der Kommunistischen Linken Bekanntschaft gemacht haben, scheinbar geradezu eine Modeerscheinung geworden, verächtlich die Arbeiterbewegung in der Zeit vor 1914 als eine bürgerliche Angelegenheit abzutun. Jedoch war es z.B. in der Zeit der Bismarckschen Antisozialistengesetze üblich, dass in Deutschland sozialistisch gesinnte Arbeiter offen und kämpferisch beispielsweise gegen die Antisemitenbewegung auftraten. Und dies, obwohl sie dabei Gefahr liefen, außer Landes gewiesen und damit brotlos und sogar obdachlos zu werden. Dass es damals so etwas gab, hängt damit zusammen, dass es permanente Massenorganisationen der Arbeiterbewegung noch geben konnte, welche den Typus des klassenbewussten Arbeiters hervorbrachten. Sozialistische Parteien stellten häufig jüdische Genossen als Kandidaten zu den Wahlen auf, wobei diese Wahlkämpfe regelmäßig zu Lehrstunden des proletarischen Internationalismus wurden. Aber nicht nur gegenüber dem Antisemitismus, sondern gegenüber jeder Art von Chauvinismus ging die Arbeiterbewegung vor. Als im Oktober 1895 Teile der britischen Gewerkschaften eine gesetzliche Begrenzung der Einwanderung forderten, organisierte der revolutionäre Flügel der Arbeiterbewegung große Protestbewegungen dagegen. Und als im Jahr darauf in England im Zeichen des aufziehenden Rüstungswettlaufs zwischen London und Berlin eine antideutsche Hetzkampagne in den Medien hochgepeitscht wurde, wurde Wilhelm Liebknecht auf die Insel eingeladen, wo er auf einer Reihe von Massenveranstaltungen als Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung frenetisch gefeiert wurde.
Als die Zeit der dauerhaften Reformen innerhalb des Kapitalismus mittels ständiger Massenorganisationen der Arbeiterklasse mit dem 1. Weltkrieg zu Ende ging, blieb diese politische Kultur der Arbeiterklasse zunächst bestehen. Ja, sie vertiefte sich im Verlauf der großen revolutionären Kämpfe. Aber da dieser revolutionäre Ansturm letztlich scheiterte, und  eine Jahrzehnte dauernde Konterrevolution folgte, ging diese politische Kultur, dieses unschätzbare Erbe  eines Jahrhunderts proletarischer Kämpfe wieder verloren. Zwar leben wir heute nicht mehr in Zeiten der Konterrevolution. Aber da die Klasse in der Niedergangsphase des Kapitalismus sich nur im Verlauf ihrer Massenkämpfe  selbst organisieren kann, und diese Organisationen nach Beendigung des Kampfes nicht weiterbestehen können, wird das Proletariat vermutlich noch viele Jahre brauchen und etliche Kämpfe durchstehen müssen, bis es wieder einen solchen Grad an politischer Kultur erlangt, dass es bewusst, organisiert und selbständig seine historische Rolle der Beschützung der Menschheit vor der viehischen bürgerlichen Verfolgung wiederaufnehmen kann. In der Zwischenzeit liegt die Aufgabe der Revolutionäre in dieser Hinsicht darin, alles zu tun, um die Arbeiterklasse in diese Richtung zu leiten und aufzuklären. Es nutzt der Sache des Proletariats rein gar nichts, wenn man auf die Tatsache, dass die Klasse zumeist noch nicht so weit ist, reagiert, indem man an Stelle der Klasse handelt. Noch weniger hilfreich ist es, wenn man den Boden des selbständigen Klassenkampfes verlässt und sich an den Aktionen des Antifaschismus beteiligt.

Was heißt es, die Antifaschisten beim Wort zu nehmen?

Neben der Ausklammerung der Klassenfrage ist uns bei der Formulierung des Problems eines Widerstands gegen Rechts in dem Beitrag aus Berlin noch eine weitere Unklarheit aufgefallen. Es handelt sich um die bereits oben zitierte Behauptung, derzufolge die Faschisten “im Unterschied zu den demokratischen Formierungen gerade ihre außerinstitutionelle Mobilisierung in den Vordergrund stellen.” Diese Unterscheidung wird als  Grund dafür angegeben, weshalb es geraten sei, dort, wo die Nazis “reale Macht auf den Straßen entfalten, den Selbstschutz zu organisieren.”
Nun, diese behauptete Unterscheidung zwischen den Faschisten und den demokratischen Formierungen trifft so nicht zu. Es trifft zu für die CDU und auch für die SPD. Für die Linkspartei-PDS trifft es schon nur bedingt zu. Für SAV, Linksruck und die anderen Hauptaktivisten des Antifaschismus trifft es gar nicht zu. Diese Gruppierungen stellen, nicht weniger als die Faschisten, ihre “außerinstitutionelle Mobilisierung in den Vordergrund” auch wenn sie sich, wie die Faschisten auch, an den Parlamentswahlen beteiligen. Es ist sogar allgemein bekannt, dass diese linken außerparlamentarischen Kräfte, welche der Berliner Diskussionsbeitrag völlig zu recht als staatstragend bezeichnet, ebenfalls ihr Hauptbetätigungsfeld “auf den Straßen” sehen, und zwar genau in solchem “Widerstand gegen die faschistischen Schläger”. Meistens ist von “Migranten, Obdachlosen und Homosexuellen” weit und breit nichts zu sehen, wenn Faschisten und Antifaschisten “organisiert” aufeinander losgehen.
Es liegt uns fern, dem Autor des von uns veröffentlichten Beitrags vorzuwerfen, antifaschistische Bündnisse vor Ort einzugehen, da wir ohnehin wenig über seine momentane politische Praxis wissen. Was wir aber wissen, ist, dass in den letzten Jahren verhältnismäßig viele politisch Nachdenkende, welche - nicht ohne Bauchschmerzen- sich theoretisch vom Antifaschismus verabschiedet haben, sich weiterhin an den üblichen antifaschistischen Aktionen beteiligen. Sie tun sozusagen weiterhin im kleinen, was sie im großen und ganzen, auf der Ebene der Geschichte ablehnen.
Jedenfalls scheint auch der Berliner Beitrag zur Kenntnis zu nehmen, dass bei  besagtem “Widerstand” die “staatstragenden” Linken kräftig mit von der Partie sind; denn, direkt nachdem die “Organisierung” des “Selbstschutzes” beschworen wird, heißt es: “Und dennoch nehmen wir Antifaschisten beim Wort. Dass sie (zumeist) einerseits mit dem Staatsantifaschismus nichts zu tun haben wollen, und andererseits ihre primäre politische Ausrichtung mit dem Kampf gegen die Nazis begründen, ist ein Widerspruch, der sich letztlich in Mobilisierungen zusammen mit der Herrschaft gegen den braunen Mob ausdrückt.” Wie ist das gemeint: Die Antifaschisten beim Wort nehmen? Wir wissen es nicht. Denn auch diese Aussage wird nicht konkretisiert. Wir wollen auch nicht darüber spekulieren, wie der Autor es gemeint hat. Statt dessen wollen wir darauf hinwiesen, dass in dem Milieu, welches sich theoretisch vom Antifaschismus gelöst hat, aber weiterhin an den antifaschistischen Aktionen beteiligt ist, die Redewendung “die Antifaschisten beim Wort nehmen” häufig gebraucht wird, und zumeist etwas ganz Bestimmtes meint. In der längst zum Ritual gewordenen Auseinandersetzung zwischen rechts und links gibt es nicht zwei Parteien sondern drei: Die Faschisten, die Antifaschisten und die Polizei. Innerhalb des antifaschistischen Blocks gibt es zumeist solche (oft bilden sie die Mehrheit), welche Pfui rufen, wenn die Polizei die Faschisten schützt, und zujubeln, wenn die Polizei die Faschisten verprügelt. Diese Leute wollen, dass sich die Polizei auf die Seite der Antifaschisten gegen die Nazis stellt. Mit “die Antifaschisten beim Wort nehmen” wird in diesem Kontext gemeint, dass man die Antifas dazu aufruft, konsequent nicht nur gegen die Nazis, sondern auch gegen die Polizei vorzugehen. Kann man den Antifaschismus bekämpfen, indem man die Antifaschisten dazu auffordert, ihr Handwerk konsequenter zu verrichten? Wird der Antifaschismus als Ideologie und als Bewegung weniger bürgerlich dadurch, dass man sich mit der Polizei anlegt? In Belfast haben sich zuletzt die Anhänger des Oranienordens Nächte lange Straßenschlachten mit der britischen Polizei geliefert. Dabei sind diese Oranier nicht nur stockreaktionär und staatstragend, sondern sogar unbedingte Verfechter der Zugehörigkeit Nordirlands zum britischen Staat.
Jemanden beim Wort nehmen heißt normalerweise, Konsequenz von ihm einzufordern. Sind die Antifaschisten inkonsequent, wenn sie sich mit dem Staat identifizieren? Der Berliner Genosse hat selbst in seinem Beitrag nachgewiesen, dass das Gegenteil der Fall ist!
Es liegt auf der Hand, dass gerade die Revolutionäre das Bedürfnis verspüren, den Opfern der kapitalistischen Repression beizustehen. Jedoch besteht die spezifische, von niemanden sonst zu erfüllende Rolle der Revolutionäre darin, die politischen Prinzipien des Proletariats hochzuhalten. Natürlich kann man jetzt einwenden, dass die Revolutionäre es sich durch die Anwesenheit der staatstreuen Linken auch nicht nehmen lassen, sich an  Arbeiterkämpfen zu beteiligen. Richtig. Jedoch handelt es sich bei den Arbeiterkämpfen um eine Auseinandersetzung zwischen Proletariat und Bourgeoisie, während es sich beim Zusammenstoß zwischen rechts und links um eine Auseinandersetzung innerhalb der Bourgeoisie handelt. Das ist der ganze Unterschied. 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Antifaschismus/-rassismus [1]

Theoretische Fragen: 

  • Imperialismus [2]

Der Hurrikan Katrina: Eine dem Kapitalismus geschuldete Katastrophe

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Jeder hat die schrecklichen Bilder gesehen. Blutige Kadaver, die in den übelriechenden Wassern in New Orleans dahintrieben. Ein älterer Mann, in einem Gartenstuhl sitzend, gekrümmt, tot, gestorben an Hitze und Mangel an Essen und Trinken. Überlebende neben ihm, die nach Essen und Trinken schmachten. Mütter  mit ihren kleinen Kindern, in der Falle sitzend, seit drei Tagen nichts zu essen und zu trinken. Chaos in den Zufluchtszentren, zu denen die Opfer sich auf Empfehlung der Behörden begeben sollten, um sich in Sicherheit zu bringen. Diese beispiellose Tragödie ereignete sich nicht in irgendeinem notleidenden Winkel der Dritten Welt, sondern im Herzen der größten imperialistischen und kapitalistischen Macht der Erde.
Als im Dezember letzten Jahres der Tsunami Asien traf, beschuldigten die reichen Länder die armen Länder der Unfähigkeit, weil sie die Warnzeichen missachtet hatten. Diesmal gibt es keine solche Ausrede, weil es jetzt nicht der Gegensatz zwischen armen und reichen Ländern, sondern der zwischen reichen und armen Menschen ist. Als der Aufruf erlassen wurde, New Orleans und die ganze übrige Golfküste zu evakuieren, so war das in typisch kapitalistischer Manier die Angelegenheit des Einzelnen, der einzelnen Familie sich zu retten. Diejenigen, die ein Auto besaßen und sich das Benzin, dessen Preis in die Höhe schnellte (typisch für den Kapitalismus, Notsituationen Preis treibend auszunützen),  leisten konnten, machten sich auf in Richtung Norden und Westen, um in Sicherheit zu gelangen; suchten Zuflucht in Hotels, Motels, bei Freunden und Verwandten. Aber die Armen, die Älteren, die Kranken, die am meisten vom Orkan getroffen wurden, konnten nicht fliehen. In New Orleans hatten die örtlichen Behörden die Superdome Arena und das Kongresszentrum geöffnet als Zufluchtsstätten vor dem Unwetter, aber sie hatten nicht gesorgt für Hilfsdienste, für Nahrung und Wasser, für eine ordentliche Organisation, als Tausende Leute, in ihrer Mehrheit Schwarze, sich dort hineindrängten und sich selbst überlassen wurden. Für die Reichen, die in New Orleans blieben, war die Lage völlig anders. Festsitzende Touristen und VIP’s, die in ihren 5-Stern Hotels in der Nähe der Superdome Arena blieben, wohnten in Luxus und wurden von bewaffneten Polizisten beschützt, die den “Pöbel” der Superdome Arena in Schach hielten.
Anstatt die Verteilung von Nahrung und Wasservorräten, die sich in den Supermärkten und Warenhäusern der City stapelten, zu organisieren, stand die Polizei bereit, als die Armen begannen, die Lebensmittelvorräte zu “plündern” und zu verteilen. Sicherlich versuchte das Lumpenproletariat die Situation auszunützen und Elektronikartikel, Geld, Waffen zu stehlen, aber dieses Phänomen entwickelte sich anfänglich als ein Versuch, unter den unmenschlichsten Bedingungen zu überleben. Gleichzeitig begleitete bewaffnete Polizei Beschäftigte eines Luxushotels, die zu einer nahen Apotheke geschickt wurden, um Wasser, Lebensmittel, Medikamente zu plündern zum Wohlergehen der noblen Hotelgäste. Ein Polizeibeamter erklärte, dies sei kein Plündern, sondern eine Beschlagnahmung von Vorräten durch die Polizei, die dazu im Notfall autorisiert ist. Die Unterscheidung zwischen Plündern und Beschlagnahmen besteht im heutigen Amerika im Unterschied zwischen Arm- und Reichsein.

Das System trägt die Verantwortung

Die Unfähigkeit  des Kapitalismus, auf die Katastrophe mit auch nur einem Anschein von menschlicher Solidarität reagieren zu können, zeigt, dass die Kapitalistenklasse nicht mehr in der Lage ist, die Gesellschaft zu führen, dass ihre Produktionsweise in einen Prozess der sozialen Auflösung versinkt - buchstäblich an den Füßen verfault -, dass die Kapitalistenklasse der Menschheit nur noch eine Zukunft von Tod und Zerstörung  anzubieten hat. Das Chaos, das in den letzten Jahren ein Land nach dem anderen in Asien und Afrika ergriffen hat, ist nur ein Vorgeschmack davon, was der Kapitalismus auch für die industrialisierten Länder in der Zukunft auf Lager hat, und New Orleans gewährt uns einen Einblick in diese  trostlose Zukunft.
Wie immer war die Bourgeoisie schnell dabei, uns alle möglichen Alibis anzubieten, um ihre Schandtaten und Fehlschläge zu entschuldigen. Mit einem Schwall an Ausreden heule sie uns vor, sie hätten doch alles getan, was sie könnten; es sei eine natürliche Katastrophe gewesen und keine Menschen gemachte;  niemand hätte diese in der Geschichte der Nation schlimmste Katastrophe erwartet; niemand hätte vorhersehen können, die Dämme würden die Wassermassen nicht zurückhalten und brechen. Kritiker der Regierung sowohl in den USA als auch im Ausland beschuldigen die Bush-Regierung der Unfähigkeit, zugelassen zu haben, dass sich eine Naturkatastrophe zu einer sozial Katastrophe wird. Das ganze bürgerliche Geschwafel lenkt vom Kern des Problems ab. Es wird versucht die Aufmerksamkeit von der Wahrheit wegzulenken, nämlich dass das kapitalistische System selbst der Verantwortliche ist.

“Wir tun alles, was wir können”, ist schnell das meist gebrauchte Klischee im Vorratslager der bürgerlichen Propaganda geworden. Sie tun alles, was sie können, um den Irakkrieg zu beenden, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu kriegen, das Schul- und Erziehungswesen zu verbessern, die Kriminalität aufzuheben, Raumfähren sicher zu machen, den Drogenhandel und -konsum zu stoppen, etc., etc. Es gibt sonst nichts oder nichts mehr, was sie tun könnten. Man könnte denken, die Regierung hätte nicht zwischen verschiedenen Möglichkeiten gewählt, nie die Möglichkeit gehabt, eine alternative Politik zu versuchen. Welch ein Unsinn. Die Regierung verfolgt eine Politik, zu der sie sich bewusst entschieden hat - mit katastrophalen Folgen für die Gesellschaft.
Was das Argument ‚Naturphänomen‘ versus ‚künstlich von Menschen gemacht‘ angeht, sicher, der Hurrikan Katrina war eine Naturkraft, aber das Ausmaß der natürlichen und sozialen Katastrophe war nicht unvermeidlich. Sie war in jeder Hinsicht gemacht und ermöglicht vom Kapitalismus und seinem Staat. Die wachsende Zerstörungskraft der Naturkatastrophen in der ganzen Welt heute resultiert eindeutig aus der vom Kapitalismus in seiner frenetischen Jagd nach Profit betriebenen rücksichtslosen Wirtschafts- und Umweltpolitik, ob die vorhandene Technologie von Frühwarnsystemen für Tsunamis nicht angewandt wird, womit die bedrohte Bevölkerung rechtzeitig gewarnt werden könnte, ob die Wälder an den Berghängen in der Dritten Welt abgeholzt werden, was die zerstörerische Wirkung des Monsunregens vergrößert, ob es die verantwortungslose Luftverschmutzung durch Treibhausgase ist, die die globale Erwärmung noch verschlimmern und so wahrscheinlich dazu beitragen, dass das Wetter verrückt spielt. Es ist ziemlich offensichtlich, dass die globale Erwärmung zur Erhöhung der Wassertemperatur und damit zur Entstehung einer größeren Anzahl tropischer Sturmtiefs, von Stürmen und Hurrikans in den letzten Jahren geführt hat. Als Katrina auf Florida im Osten traf, war es erst ein Hurrikan der Stärke eins, aber als er dann eine Woche lang über das 32° C warme Wasser des Golfs von Mexiko kreiste, baute er sich zu einem Sturm der Stärke fünf auf mit Windgeschwindigkeiten von 280 km/h, bevor er auf die Küste traf.
Die Linken haben begonnen auf Bush’ Verbindungen zu den Energiekonzernen und auf seine Ablehnung der Kyoto Protokolle hinzuweisen als verantwortlich für die Katrinakatastrophe, aber diese Kritik akzeptiert den Rahmen, der eine Debatte innerhalb des Weltbourgeoisie ist, - als ob die Ausführung des Kyoto Abkommens wirklich die Wirkungen der globalen Erwärmung umstoßen könnte und die Länder, die den Kyoto Protokollen zustimmten, tatsächlich daran interessiert wären, die kapitalistischen Produktionsmethoden umzumodeln. Noch schlimmer, die Linke will vergessen machen, dass die Clinton Regierung, die, auch wenn sie sich als umweltfreundlich darstellte, die erste war, die das Kyoto Abkommen ablehnte. Die Weigerung, sich mit der globalen Erwärmung zu befassen, ist die Position der US-amerikanischen Bourgeoisie und nicht nur der Bush Regierung.
Zusätzlich, New Orleans mit seiner Bevölkerung von 600.000 und noch mehr Menschen in den Vorstädten ist eine Stadt, die zum größten Teil unterhalb des Meeresspiegels liegt und deshalb ziemlich gefährdet durch die Wassermassen des Mississippi, des Pontchartrain-Sees und des Golf von Mexiko ist. Seit 1927 bauten Pionierverbände der US-Armee ein Deichsystem auf und hielten  es instand, um  die jährliche Überflutung des Mississippi zu verhindern, was somit ermöglichte, dass sich Industrie und Landwirtschaft bis zu den Ufern des Mississippi ansiedeln und ausbreiten konnten, und es der Stadt New Orleans erlaubte zu wachsen; aber dadurch unterband man auch die jährlichen Sedimentablagerungen, die auf natürliche Weise die Feuchtgebiete und Marschen des Mississippi-Deltas unterhalb der Stadt hin zum Golf von Mexiko immer wieder mit Erdreich auffüllten. Das lief darauf hinaus, dass die Feuchtgebiete und das Watt, die als Puffer zu den Meereswogen einen natürlichen Schutz für New Orleans bildeten, gefährlich ausgewaschen wurden und die Stadt ungeschützter gegenüber den Meeresfluten machte. Dies war nicht auf die Natur zurückzuführen, sondern von Menschen gemacht.
Es war auch keine Naturgewalt, die die Nationalgarde von Louisiana zu einem großen Teil abzog, um im Irakkrieg eingesetzt zu werden, so dass nur 250 Nationalgardisten übrig blieben, um in den ersten drei Tagen nach den Deichbrüchen die örtliche Polizei und die Feuerwehr in ihren Hilfsaktionen zu unterstützen. Ein noch größerer Prozentsatz des Mississippi Garderegiments war ebenfalls in den Irak abkommandiert worden.
Das Argument, dass die Katastrophe nicht vorhersehbar ist, ist genauso dummes Gerede. Seit beinahe 100 Jahren debattieren Wissenschaftler, Ingenieure und Politiker darüber, wie man mit der Verwundbarkeit New Orleans’ gegenüber Hurrikans und Überschwemmungen fertig werden könnte. In der Mitte der 1990er Jahre wurden von verschiedenen Wissenschaftler- und Ingenieursgruppen mehrere miteinander konkurrierende Pläne entwickelt, die schließlich 1998 (also während der Clinton Regierung) zu dem Vorhaben “Coast 2050” führten. Dieser Plan forderte eine Verstärkung und einen Neuaufbau der vorhandenen Deiche, den Bau eines Systems von Fluttoren und das Ausheben von neuen Kanälen, die Sediment mit sich führendes Wasser heranbringen sollten, um die geschrumpften Feuchtgebiet-Pufferzonen im Mississippi-Delta wieder herzustellen. Die Kosten des Plans waren mit 14 Mrd. Dollar veranschlagt für einen Zeitraum von 10 Jahren. Der Plan scheiterte, weil er nicht die Zustimmung Washingtons, das damals unter Clinton’s und nicht Bush’ Aufsicht stand, gewinnen konnte. Letzten Jahr forderten die für die Deicherhaltung zuständigen Armeestellen 105 Millionen Dollar für Hurrikan- und Überschwemmungsprogramme in New Orleans, aber die Regierung bewilligte nur 42 Mio. Dollar. Doch gleichzeitig bewilligte der Kongress 231 Mio. Dollar für den Bau einer Brücke zu einer kleinen unbewohnten Insel in Alaska.  
Noch eine Widerlegung des “Man konnte es nicht vorhersehen-Alibis” ist, dass der Direktor der Federal Emergency Management Administration (FEMA, die US-Katastrophenbehörde) am Vorabend, bevor der Hurrikan auf die Küste traf, in einem Ferninterview prahlte, er habe einen Notstandsplan ausarbeiten lassen für ein Szenario, dass es in New Orleans so schlimm werden würde wie beim Tsunami in Südasien, und die FEMA überzeugt sei, mit allen Eventualitäten fertig zu werden. Berichte aus New Orleans deuten an, dass dieser FEMA-Plan eine Entscheidung beinhaltete, LKWs, die gespendetes, in Flaschen abgefülltes Wasser hätten transportieren können, weggeschickt wurden, dass die Lieferung von 1000-Gallonen  Dieseltreibstoff, welches von der Küstenwache befördert werden sollte, verweigert wurde und das Notkommunikationsnetz der örtlichen Polizeibehörden der Vorstädte New Orleans’ eingeschränkt werden sollte. Der Direktor der FEMA hatte sogar die Frechheit, es zu entschuldigen, dass man die 25.000 Leute im Kongresszentrum nicht befreite, weil die Behörden erst Ende der Woche davon erfahren hätten, dass sich die Leute dort aufhielten, und das, obwohl die Medien schon drei oder vier Tage lang darüber berichteten.
Und während der Bürgermeister Ray Nagin von der Demokratischen Partei die Tatenlosigkeit der Provinzbehörden verurteilt und dagegen gewettert hatte, machte seine lokale Verwaltung absolut keine Anstalten, für eine sichere Evakuierung der Armen und Kranken zu sorgen, nahm die Verteilung von Nahrung und Getränken nicht in die Hand, stellte keine Mittel für die Evakuierungszentren bereit, sorgte nicht für die Sicherheit in ihnen, und überließ die Staat dem Chaos und der Gewalt.

Nur die Arbeiterklasse kann eine Alternative bieten

Millionen Arbeiter waren erschüttert vom beklagenswerten Leid an der Golfküste und empört über die Herzlosigkeit der Verantwortlichen. Besonders in Arbeiterklasse gab es ein sehr starkes echt menschliches Solidaritätsgefühl für die Opfer des Unglücks. Während die Bourgeoisie ihr Mitgefühl austeilte je nach Rasse und Besitzstand der Opfer, existierte für die meisten amerikanischen Arbeiter solch eine Unterscheidung nicht. Auch wenn der Rassismus oft eine Trumpfkarte ist, die die Herrschenden gebrauchen, um schwarze und weiße Arbeiter zu spalten, und verschiedene schwarze nationalistische Führer dem Kapitalismus dienen, indem sie darauf bestehen, die Krise in New Orleans sei auf ein Rassenproblem zurückzuführen, sind das gegenwärtige Leid und das Elend der armen Arbeiter und der unteren Klassen in New Orleans abscheulich für die Arbeiterklasse. Die Bush Regierung ist zweifellos eine armselige Herrschermannschaft für die Kapitalistenklasse; sie ist ungeschickt, neigt zu leeren Gesten, reagiert schwerfällig auf die gegenwärtige Katastrophe, und das wird zu ihrer wachsende Unpopularität beitragen. Aber die Bush Regierung ist keine Anomalie, sondern eher ein Ausdruck der Tatsache, dass die USA die verblassende Supermacht ist, einer Welt vorstehend, die ins Chaos versinkt. Kriege, Hunger, ökologische Katastrophen - das ist die Zukunft, in die der Weltkapitalismus uns führt. Wenn es eine Hoffnung für die Zukunft der Menschheit gibt, dann liegt sie darin, dass das Weltproletariat sein Bewusstsein entwickelt und das wirkliche Wesen der Klassengesellschaft verstehen lernt und seine historische Verantwortung übernimmt, das anachronistische, zerstörerische kapitalistische System beiseite zu schieben und es zu ersetzen durch eine revolutionäre Gesellschaft geführt von der Arbeiterklasse, in welcher echt menschliche Solidarität und die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse das leitende Prinzip ist.  
Internationalism, Sektion der IKS in den USA, 4. Sept. 05 

Geographisch: 

  • Vereinigte Staaten [3]

Theoretische Fragen: 

  • Umwelt [4]

Die Herrschenden wollen den Bankrott des Kapitalismus vertuschen

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Von den Bundestagswahlen vom 18. September in Deutschland wird behauptet, dass niemand als klarer Sieger daraus hervorgegangen sei. CDU/CSU ziehen zwar als stärkste Fraktion in den neuen Bundestag ein, haben dennoch eine empfindliche Wahlschlappe erlitten. Die SPD hat zwar im Verlauf des Wahlkampfes stark aufgeholt und dennoch ihr drittschlechtestes Ergebnis der Nachkriegszeit erzielt. Die FDP hat zwar zugelegt, so dass sie nunmehr wieder die drittstärkste Parlamentsfraktion geworden ist, und dennoch hat sie ihr Ziel der Ablösung von Rot-Grün durch eine Schwarz-Gelbe Koalition verfehlt. Zwar haben die Grünen ihre Stellung ungefähr halten können, erklärten sich aber am Wahlabend zunächst für abgewählt. Nur der Linkspartei-PDS, die auf Anhieb mehr Sitze als die Grünen errungen hat, wird so etwas wie ein Wahlsieg zugestanden. Dagegen gilt ausgerechnet der Standort Deutschland als der größte Verlierer dieser Wahlen. Dies nicht nur weil die Wirtschaft im In- und Ausland im Vorfeld auf eine Regierung aus CDU/CSU/FDP gesetzt habe, sondern v.a. weil der Einzug von politischer Instabilität in der zumindest in dieser Hinsicht bislang als äußerst stabil geltenden Bundesrepublik befürchtet wird. Zu diesem Szenario werden gezählt: Die Möglichkeit  unklarer Mehrheitsverhältnisse, eine schwierige Regierungsbildung, das Fortdauern der gegenseitigen Blockade bestimmter Gesetze zwischen Bundestag und Bundesrat, sowie von erneuten vorgezogenen Wahlen. All dies könne dazu führen, das Tempo der Verwirklichung der von der herrschenden Klasse frenetisch eingeforderten "Reformen" zu drosseln.
Demgegenüber bleibt festzustellen, dass auf jeden Fall ein ganz eindeutiger Sieger aus den Wahlen hervorgeht: die bürgerliche Klasse insgesamt gegen ihren Hauptfeind, die Arbeiterklasse.

Die Wahlen gegen die Arbeiterklasse

Als Bundeskanzler Schröder nach der bitteren Niederlage der SPD bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai vorgezogene Bundestagswahlen für diesen Herbst ansetzte, wurde diese Entscheidung einhellig von der herrschenden Klasse als notwendige Antwort auf die wachsende "Reformmüdigkeit" und "Politikverdrossenheit" der Bevölkerung begrüßt. Nun, der "kurze aber intensive" Wahlkampf hat ebenso wenig wie der allgemein als "Sensation" und als "politisches Erdbeben" bezeichnete Wahlausgang die in den Medien beklagte Entfremdung der Bevölkerung gegenüber der herrschenden "Elite" und ihrem politischen System aus der Welt schaffen können. Aber der Bourgeoisie ist eindeutig das Kunststück gelungen,  dieser Entfremdung und Verdrossenheit zum Trotz die lohnabhängige Bevölkerung an die Wahlurne zu locken. Die Wahlbeteiligung lag immerhin mit fast 78% nur um einen Prozentpunkt niedriger als vor drei Jahren. Außerdem haben die verschiedenen Rededuelle der Politiker im Fernsehen relativ hohe Einschaltquoten erzielt. Darüber hinaus ist es nicht zu übersehen, dass der Wahlzirkus in den letzten Wochen zum Hauptgesprächsthema geworden ist in den Cafés und auf öffentlichen Plätzen. Themen wie die Art und Weise, wie die Regierenden die Ärmsten der arbeitenden Bevölkerung in den Südstaaten der USA tagelang ihrem oft todbringenden Schicksal überlassen haben, wurden nach wenigen Tagen wieder von den Medien verdrängt. Andere Meldungen, wie über den Solidaritätsstreik bei British Airways in London Heathrow, über gigantische Angriffspläne bei Volkswagen im Stammwerk Wolfsburg, oder über Massenentlassungen und mögliche Werksschließungen bei Henschel im Ruhrgebiet, oder bei Siemens und Infineon, gingen ziemlich unter. Wie ist es der Bourgeoisie gelungen, aller Politikverdrossenheit zum Trotz so viele Menschen an die Wahlurne zu bewegen, damit sie um so nachdrücklicher die politische Legitimität beanspruchen kann, die sie braucht, um möglichst ohne Widerstand noch brutalere Angriffe gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen? Wie ist es gelungen, eine lohnarbeitende Bevölkerung, welche allein durch die Wucht der Wirtschaftskrise und der Angriffe täglich durch die Realität darauf gestoßen wird, dass es im Kapitalismus sehr wohl eine ausbeutende und eine ausgebeutete Klasse gibt, über Monate so sehr das Gefühl zu vermitteln, dass die Gesellschaft doch nicht aus Klassen, sondern aus "mündigen Bürgern" besteht, von denen jeder durch seine Wahlzettel einen gewissen Einfluss auf das Geschick der Gesamtheit nehmen kann?

Wie die Bourgeoisie die Bevölkerung doch noch an die Wahlurne locken konnte

Um diese Fragen zu beantworten, ist es zunächst von Nutzen, auf zwei bemerkenswerte Ergebnisse dieser Bundestagswahl 2005 aufmerksam zu machen. Erstens auf das starke Abschneiden der Linkspartei-PDS. Seit der "Wiedervereinigung" Deutschlands ist die PDS, als Nachfolger der einstigen Regierungspartei der DDR, immer mehr zu einer regionalen Protestpartei des Ostens verkümmert. Bei den letzten Bundestagswahlen vor drei Jahren verfehlte sie sogar erstmals ihr Minimalziel, in Fraktionsstärke ins Parlament einzuziehen. Jetzt ist sie als gesamtdeutsche Partei mit verdoppeltem Stimmenanteil aus den Wahlen hervorgegangen. Und obwohl sie im Westen die 5% Marke knapp verfehlt hat - und somit eine Partei hauptsächlich des Ostens bleibt - hat sie dank ihrem Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine in dessen Wahlkreis im Saarland einen  Stimmenanteil von über 18% errungen. Der Stimmenanteil der Linkspartei-PDS von bundesweit 8,7% verkörpert zum großen Teil Wähler, welche ohne das Auftreten einer "linken Alternative" (welche angeblich Hartz 4 und die Agenda 2010 der scheidenden Bundesregierung ablehnt) vermutlich überhaupt nicht zur Wahl gegangen wären. Vor allem Erwerbslose sollen für die Linken gestimmt haben. Lafontaine und Gysi haben somit wesentlich zum Mobilisierungserfolg der Bourgeoisie beigetragen.

Zweitens ist das Aufholen der SPD im Verlauf des Wahlkampfes nicht weniger bemerkenswert. Das katastrophale Abschneiden der Sozialdemokratie bei der NRW-Wahl war, wie gesagt, der unmittelbare Auslöser der jetzigen vorgezogenen Bundestagswahl. Und siehe da, die SPD ist nicht nur fast gleichauf mit der Union ins Parlament gezogen - sie ist ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen als stärkste Partei hervorgegangen. Man darf dabei nicht vergessen, dass NRW immer noch eine der bedeutendsten Konzentrationen der Arbeiterklasse in Deutschland aufweist. Tatsächlich ist es der Sozialdemokratie gelungen, unerwartet viele ihrer sogenannten Stammwähler zu mobilisieren und damit alle demoskopischen Vorhersagen Lügen zu strafen. Dieses unerwartet gute Abschneiden der SPD war für die gesamte Bourgeoisie nicht nur in Hinblick auf die Mobilisierung des Wahlvolkes erfreulich. Die Sozialdemokratie ist das wertvollste Juwel in der Krone des politischen Systems der Bourgeoisie in Deutschland, vielleicht sogar in Europa. Insbesondere war diese Partei maßgeblich beteiligt an der Niederschlagung der proletarischen Revolution in Deutschland - und damit weltweit - am Ende des Ersten Weltkrieges. Eine zu schwere Niederlage der Sozialdemokratie bei dieser Wahl hätte zu aufreibenden internen Machtkämpfen und damit möglicherweise zu einer länger anhaltenden Schwächung dieser Partei führen können.
Lange Zeit haben die Umfragen eine absolute Mehrheit für eine konservative, aus Union und FDP bestehende Regierung vorausgesagt, sowie ein Abschneiden der SPD z.T. unter der 30% Marke. Unmittelbar nach der NRW Wahl wurde sogar eine absolute Mehrheit für CDU/CSU für möglich gehalten. Im Vergleich dazu ist das Ergebnis der Union von knapp 35% geradezu verheerend.

Das Phänomen der Protestwähler

Wie ist es dazu gekommen? Nachdem die Regierung Schröder-Fischer sieben Jahre lang zunehmend brutale Angriffe gegen die Arbeiterklasse durchgesetzt hatte, welche alles in den Schatten stellten, was unter der rechten Regierung von Helmut Kohl beschlossen wurde, machte sich in der Bevölkerung eine Stimmung breit, v.a. die SPD dafür durch eine Art Protestwahl abzustrafen. Dieses Wahlverhalten, weit davon entfernt, die Herrschenden zu beunruhigen, wurde von der Bourgeoisie begünstigt und instrumentalisiert. Denn gerade dieses Protestwahlverhalten bindet einen (wohlgemerkt) wachsenden Teil der Bevölkerung - aller Wut gegen die Angriffe und gegen die Regierenden zum Trotz - an die demokratische Staatsräson. Darüber hinaus wollte man durchaus von dieser Stimmung profitieren, um einen Regierungswechsel herbeizuführen. Dies, nicht so sehr aus Unzufriedenheit gegen-über der bestehenden Regierung, sondern weil es wichtig war angesichts der immer deutlicher werdenden Unmöglichkeit innerhalb des Kapitalismus der Massenarbeitslosigkeit Herr zu werden, so zu tun, als ob dies an der Regierung und nicht am kapitalistischen System läge. Angesichts der für sie seinerzeit äußerst günstig erscheinenden Umfragewerte hat sich die Kanzlerkandidatin der Union Angela Merkel auf ein riskantes Spiel eingelassen. Sie wollte dem wachsenden Misstrauen gegenüber der bürgerlichen Politik dadurch entgegentreten, indem sie einen auf Ehrlich macht und zumindest einen Teil der geplanten Angriffe bereits vorab bekannt gibt. So kündigte sie beispielsweise eine Erhöhung der Mehrwertsteuer an. Das Ergebnis: Die bestehende Proteststimmung, den Politikern einen Denkzettel zu verpassen, welche sich bis dahin gegen Schröder richtete, wandte sich nun gegen die Union. Da die Union begonnen hatte, sich bereits vor der Wahl wie eine Regierungspartei aufzuführen, begann sie, die Wut der Bevölkerung auf sich zu ziehen, welche sich normalerweise gegen die Regierung richtet. Als sie dann, wenige Wochen vor den Wahlen, Paul Kirchhoff als Finanzminister in spe und als "neuen Ludwig Erhard" dem staunenden Publikum präsentierte, der sofort seine Vorliebe für ein Steuersystem zum besten gab, indem Millionäre und Putzfrauen denselben Steuersatz bezahlen, brachte die Kanzlerkandidatin beinahe das Kunststück fertig, eine satte Mehrheit fast vollständig zu verspielen. Offensichtlich glaubte die überzeugte Christin und ehemalige Aktivistin der stalinistischen Jugendorganisation der DDR, die "Menschen draußen im Lande" würden ihre Ehrfurcht vor Professoren und anderen Experten mit Doktortiteln teilen.
Auch wenn dieses Protestwahlverhalten dem parteipolitischen Spiel ein für bundesdeutsche Verhältnisse ungewohntes Maß an Unberechenbarkeit beschert, ist es vor allem der Beweis dafür, wie mächtig und geschmeidig sich die Demokratie als wichtigste Waffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse erweist. Selbst dann, wenn Arbeiter mit der Politik der Bourgeoisie nichts mehr am Hut haben, können sie oft noch dazu gebracht werden, sich an den Spielregeln der Demokratie zu beteiligen.

Eine von der Bourgeoisie nicht gewollte Pattsituation

Bei der sog. Elefantenrunde (d.h. dem üblichen gemeinsamen Fernsehauftritt der Spitzenpolitiker am Wahlabend) gab es einen Auftritt des Bundeskanzlers, welcher weithin als erstaunlich, arrogant und peinlich bezeichnet wurde. Von seinem unerwartet guten Abschneiden an den Wahlurnen sichtlich berauscht, gab Schröder zum besten, dass nur er - keineswegs aber Angela Merkel - berechtigt und auch befähigt sei, eine Regierung zu bilden und die Geschicke des Staates zu lenken. Zudem brachte er unverhüllt seine Schadenfreude darüber zum Ausdruck, dass die Medien, einschließlich der staatlichen Rundfunkstationen, sich vergeblich bemüht hatten, seinen Verbleib im Amt mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu verhindern. Dass Schröder arrogant auftreten kann und mitunter erstaunliches von sich gibt, ist nicht neu. Recht haben aber diejenigen, die meinen, das Auftreten des Kanzlers sei unbeherrscht gewesen. Gerade diese - für Schröder ungewöhnliche - Unbeherrschtheit ließ tief blicken. Tatsächlich warf sein Auftritt ein grelles Licht auf die politischen Probleme, welche zu einem von der deutschen Bourgeoisie nicht gewollten Wahlergebnis - zu einer Pattsituation - geführt haben.
Schröder hat recht mit seiner Behauptung, dass die Medien versucht haben, die Wiederwahl seiner rot-grünen Koalition zu verhindern. Dabei ist es aber in den Augen der Bourgeoisie eine ziemliche Entgleisung, wenn der Staatschef so etwas vor der ganzen Welt ausposaunt und damit ein schlechtes Licht auf das geheiligte Märchen von der Unabhängigkeit der demokratischen Medien fallen lässt! Wenn damals - nach der NRW Wahl - die gesamte Bourgeoisie Schröders Entscheidung begrüßte, die Bundestagswahlen um ein Jahr vorzuziehen, so nicht nur, um eine neue politische Legitimierung für die Angriffe einzuholen und um die Arbeiterklasse mittels des Wahlzirkus zu benebeln. Es herrschte innerhalb der herrschenden Klasse "Wechselstimmung". Nicht zuletzt deshalb, weil man der Meinung war, dass der Sozialdemokratie nach sieben Jahren an der Regierung eine Erholung in der Opposition gut tun würde.
Als sich jedoch Schröder für Neuwahlen entschied, verfolgte er dabei seine eigene Strategie mit dem Ziel, an der Macht zu bleiben. Wir haben bereits damals (in Weltrevolution 130) darauf aufmerksam gemacht. Wir zeigten damals auch auf, worin diese Strategie bestand. Es ging zum einen darum, durch vorzeitige Wahlen Richtungskämpfen innerhalb der SPD vorzubeugen. Denn angesichts  wachsender Unpopularität und des Verlusts von Machtpositionen in den Ländern und Kommunen begann sich eine gewisse Sehnsucht auch innerhalb der Partei bemerkbar zu machen, die Regierungsverantwortung im Bunde eine Zeit lang los zu werden. Schröder wusste, dass bei deutschen Sozialdemokraten das Prinzip immer noch gilt: kein Zwist während eines Wahlkampfes.
Zum anderen ging es darum, die Union zu zwingen, sich auf Schröders Wunschgegner Merkel als Kanzlerkandidatin festzulegen. Der einstige Protegé Helmut Kohls aus dem Osten, die über keine ausreichende Machtbasis in der eigenen Partei verfügt, war zunächst mehr oder weniger provisorisch Vorsitzende geworden, weil sich keiner der mächtigen Landesfürsten der CDU im Machtkampf gegeneinander durchsetzen konnte. Zudem rechnete Schröder damit, dass seine unerfahrene Herausforderin unter Druck die Nerven verlieren und Fehler machen würde, wie bereits unmittelbar vor der amerikanischen Invasion des Iraks geschehen, als Merkel - mehr als jeder andere deutsche Politiker - öffentlich Verständnis für die Haltung der Bush-Administration an den Tag legte. Schröder behielt damit Recht. Um die Wahlen zu gewinnen, brauchte die Union sich eigentlich nur darauf zu beschränken, auf das Versagen der Amtsinhaber gegenüber der Arbeitslosigkeit hinzuweisen und selber ein paar vage Versprechungen abzugeben. Aber eben weil sie über keine eigene Hausmacht in der Union verfügte, wollte Merkel unbedingt dem Wahlkampf ihren eigenen Stempel aufdrücken. Die Parteigranden der Union bemühten sich mehr oder weniger erfolglos um Contenance und um Schadensbegrenzung, während die Kanzlerkandidatin mit ihren Versuchen, eigene "Zukunftsvisionen" zu entwerfen, den Vorsprung der eigenen Partei verspielte. Das ganze reichte für Schröder nicht mehr aus, um seine eigene Mehrheit zu verteidigen. Aber es reichte vollkommen aus, um die deutsche Bourgeoisie in einen Schlamassel zu bringen. Jedenfalls waren in der deutschen Nachkriegsgeschichte die Voraussetzungen für die Bildung einer stabilen Regierung nach einer Wahl noch nie so ungünstig wie jetzt.
Es ist schon ein ungewohnter Anblick zu sehen, wie mit Schröder, ein bundesdeutscher (und auch noch ein sozialdemokratischer) Politiker auch dann wie besessen um seinen Machterhalt kämpft, wenn sein Verbleib im Amt nicht unbedingt der vorherrschenden Interpretation der Staatsräson entspricht. Dabei erklärt er aller Welt, dass nur er in der Lage sei, das zu bewahren, was er als die strategischen Errungenschaften seiner Regierungszeit betrachtet. Beispielsweise wurde mitten im Wahlkampf eine Entscheidung bekannt gegeben, welche ganz Osteuropa, v.a. aber Polen und die baltischen Staaten (und im Hintergrund vermutlich Washington) in helle Aufregung versetzte. Es handelt sich um den Beschluss, eine Erdöl- und Erdgaspipeline von Russland nach Deutschland zu bauen. Diese Pipeline wird am Grund der Ostsee entlang geführt werden, obwohl diese Lösung um mehrere Milliarden Euro teuerer sein wird als eine landgestützte Ölleitung. Solche Projekte sollen den deutsch-russischen Beziehungen einen langfristigen und strategischen Charakter verleihen. Die Vertragsunterschreibung wurde extra vorverlegt, damit der russische Präsident Putin kurz vor dem deutschen Wahlgang dafür zu Schröder nach Berlin anreisen konnte.
Ausschlaggebend bei dieser Wahl war aber nicht die Außen-, sondern die Innenpolitik. Von Anfang bis Ende blieben die Wirtschaftskrise und die Massenarbeitslosigkeit die vorherrschenden Themen. Auch das ganze Geschick Schröders als Wahlkämpfer hätte nicht gereicht, um einen deutlichen Sieg der Konservativen zu verhindern, wenn die Merkel-Leute die Stimmung im Lande nicht falsch eingeschätzt hätten. Die Wirtschaftskrise im führenden Industriestaat Europas ist heute so weit fortgeschritten, dass die Angst vor Verelendung große Teile der Bevölkerung erfasst hat, einschließlich der bis jetzt weniger betroffenen Mittelschichten. Davon ist auch ein Teil der bisherigen Stammwählerschaft der CDU selbst betroffen. Wir leben nicht mehr im Zeitalter von Maggie Thatcher. Durch die Radikalisierung ihrer neoliberalen Parolen in den Wochen vor der Wahl hat Merkel einen Teil der eigenen Wählerschaft verprellt.

Die Bourgeoisie beginnt auf eine historisch sich wandelnde Lage zu reagieren

Die deutsche Bourgeoisie hat allerdings bereits damit begonnen, ihren parteipolitischen Apparat umzubauen, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Angesichts einer insgesamt unberechenbarer werdenden politischen Situation, angesichts  gewisser Zersplitterungstendenzen innerhalb der eigenen Reihen (beispielsweise des andauernden Zwists zwischen Bund und Länder) v.a. aber angesichts  erster Zeichen einer unterirdischen Bewusstseinsentwicklung innerhalb der Arbeiterklasse, muss auch die politische Struktur den neuen Anforderungen genügen, welche auch sonst angesichts der Weltwirtschaftskrise und der Zuspitzung des Militarismus an Wirtschaft und Armee verlangt werden: Die politische Struktur muss flexibler, effizienter, vielseitiger und "intelligenter" werden.
Die wichtigste Säule dieses Umbaus ist momentan der versuchte Ausbau zu einem Fünfparteiensystem durch die Etablierung der Linkspartei als gesamtdeutsche Kraft. Auch die mächtigste Bourgeoisie kann nicht auf Anhieb eine solche neue Kraft hervorzaubern. Die meisten neuen politischen Parteien Westeuropas der letzten Jahrzehnte gingen entweder aus irgendwelchen "sozialen Bewegungen" hervor (wie die Grünen aus der Studentenbewegung, den "Antikriegskampagnen und der Anti-AKW Bewegung), oder verdanken ihren Aufstieg einer charismatischen Führungspersönlichkeit wie Le Pen in Frankreich, Bossi in Italien oder Fortyn in den Niederlanden. In Österreich hatte eine ähnliche Persönlichkeit, Jörg Haider, eine bereits bestehende Partei zu ihren Zwecken umfunktioniert. Die neue Linkspartei in Deutschland setzt sich aus allen dreien dieser Bestandteile zusammen. Die ehemalige SED der DDR liefert den bestehenden Kern. Die Proteste der Arbeitslosen im vergangenen Jahr wurden ausgenutzt, um eine gewisse Parteistruktur auch im Westen unter tatkräftiger Mitarbeit diverser Trotzkisten aufzubauen. Schließlich ist der charismatische, demagogische ehemalige Parteichef der SPD Lafontaine dazu gestoßen, um die neue Partei anzuführen.
Ein erster Erfolg der Linkspartei bei den Wahlen bestand darin, ein gewisses Protestpotenzial abzuschöpfen, welches sonst möglicherweise zum Teil rechtsradikal gewählt hätte. Einen Einzug der NPD in den Bundestag, wie es sich nach dem Wahlerfolg dieser Partei in Sachsen abgezeichnet hat, wäre v.a. außenpolitisch eine Belastung für den heute sich gerne antifaschistisch gebenden deutschen Imperialismus gewesen. Aber es geht bei diesem Projekt auch um längerfristige Zielsetzungen. Die Flexibilität und Stabilität des politischen Systems der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit beruhte auf einem Dreiparteiensystem mit zwei Hauptparteien und der kleinen FDP als Zünglein an der Waage. Dieses Arrangement erlaubte jederzeit einen Regierungswechsel, indem die FDP die Seite wechselte, während  andererseits, verkörpert durch die Liberalen, eine Kontinuität der Regierungsarbeit, insbesondere in der Außenpolitik, mit eingebaut war. Dieses Gleichgewicht musste geopfert werden, als es notwendig wurde, durch die Etablierung der Grünen als vierte Kraft das Potenzial der 68er Generation für die Führung der Staatsgeschäfte abzuschöpfen. Sollte es gelingen, die Linkspartei langfristig als fünfte Kraft zu etablieren, so wäre das Gleichgewicht der parteipolitischen Landschaft Deutschlands - wenngleich in einer anderen, komplizierteren Konstellation - wiederhergestellt. Dabei könnten dann sowohl die Liberalen als Mitterechtspartei und die Grünen als Mittelinkspartei die Rolle des Königsmachers bzw. des Garanten der Kontinuität - gegebenenfalls abwechselnd - übernehmen. Allerdings: Diese anvisierte neue Parteienlandschaft ist immer noch eine Baustelle. Ob die Bourgeoisie sich schon jetzt dieses erst entstehenden System  bedienen kann, um einen Ausweg aus der etwas verzwickten Lage zu finden, welche das Wahlresultat gebracht hat, wird sich erst im Verlauf der bevorstehenden Verhandlungen zur Regierungsbildung zeigen.

Die Herrschenden sind gezwungen, auf eine keimende unterirdische Bewusstseinsentwicklung zu antworten

Das historisch bedeutsamste aber an dieser Entwicklung ist, dass zum ersten Mal seit 1945 die Kernbereiche der herrschenden Klasse (sprich der "westdeutschen" Bourgeoisie bis 1989) es ernsthaft in Erwägung ziehen, gesamtdeutsch eine politische Kraft links von der SPD zu etablieren. Das ist in der Tat ein erstrangiges Anzeichen einer grundlegenden Änderung der gesamtgesellschaftlichen Lage, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Nach 1989 hieß es: es gibt zum Kapitalismus definitiv keine Alternative. In der ganzen Zeit danach war die Tatsache, dass alle etablierten Parteien dasselbe verlangten und auch durchsetzen, höchstens im Tempo und in der Begründung sich unterscheidend, weniger eine politische Schwäche der Bourgeoisie als vielmehr die lebendige Bestätigung der These, dass außer Kapitalismus und Demokratie nichts mehr geht. Jetzt aber hat die Bourgeoisie erkannt, dass es zu einer politischen Gefahr geworden ist, wenn alle im Bundestag vertretenen Parteien unerbittlich dasselbe betreiben, während niemand Kritik äußert und mit Scheinalternativen aufwartet. Was die herrschende Klasse befürchtet, ist, dass die Arbeiterklasse dazu übergehen könnte, die Ausweglosigkeit der Krise im Kapitalismus zu erkennen, und sich auf der Suche nach Alternativen zum Kapitalismus, zur Ausbeutung und Klassengesellschaft begeben könnte.                            19.09.2005 

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in Deutschland [5]

Geographisch: 

  • Deutschland [6]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [7]

Hinrichtung in Stockwell, London

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Die demokratische „Todesschuss“-Praxis von heute
bereitet den Weg für die Todesschwadronen von morgen

 Am Freitag, den 22. Juli, um zehn Uhr morgens erschoss die Polizei mit vier Schüssen kaltblütig und aus kürzester Entfernung Jean-Charles de Menezes, einen 27jährigen brasilianischen Elektriker. Das Verbrechen dieses jungen Arbeiters, für das er kurzerhand hingerichtet wurde, bestand darin, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein und möglicherweise (wenn man die offizielle Version nicht anzweifelt) vor einer Gruppe von bedrohlichen Polizisten davongerannt zu sein, die ihn mit irgendjemand anderen verwechselt hatten. Dies ereignete sich nicht in einer Favela in Rio de Janeiro, und die Waffen schwingenden Polizeibeamten waren keine Mitglieder der „Todesschwadronen“, denen die Behörden in Brasilien und anderen Drittweltländern freie Hand dabei gewähren, mit den „asozialen Elementen“ (ob Kleinkriminelle oder politische Opponenten) „aufzuräumen“. Es geschah in London, der Hauptstadt des „demokratischsten Landes auf der Welt“, und die Polizisten waren „Bobbies“, die überall auf der Welt für ihren guten Charakter berühmt sind und unter dem Kommando der prestigeträchtigsten Polizeiagentur der Welt, Scotland Yard, arbeiten. 

Überflüssig zu sagen, dass dieses Verbrechen gewisse Emotionen unter den Sprechern der herrschenden Klasse provoziert hat: Die Financial Times sprach von einer „potenziell gefährlichen Wende“ durch die Sicherheitskräfte. Selbstverständlich „entschuldigte“ sich Londons Polizeichef Sir Ian Blair für den „Irrtum“ und bekundete der Familie des Opfers sein Beileid. Überflüssig zu sagen, dass eine Untersuchungskommission eingerichtet wurde, um „die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen“. Es ist durchaus möglich, dass der eine oder andere Polizeibeamte dafür belangt wird, nicht zwischen einem brasilianischen Katholiken und einem pakistanischen Moslem unterschieden zu haben. Doch es sind nicht die schießwütigen Pistolenhelden, die für dieses Verbrechen verantwortlich sind. Wenn sie Jean-Charles töteten, dann deshalb, weil sie den Befehl hatten zu schießen, um zu töten („shoot to kill“). 

Es gibt keinen Mangel an Erklärungen, versehen mit der ganzen subtilen Heuchelei, die so kennzeichnend für die herrschende Klasse in Großbritannien ist. Laut Sir Ian Blair gibt es „nichts Grundloses oder Anmaßendes daran. Es gibt keine Todesschuss-Praxis, es gibt den Todesschuss, um die Polizei zu schützen“ (1) Sein Vorgänger, John Stevens, der nicht mehr aufpassen muss, was er sagt, sprach dies einige Monate zuvor noch brutaler aus: „Es gibt nur einen sicheren Weg, einen Selbstmordattentäter, der entschlossen ist, seine Mission zu erfüllen, aufzuhalten – die sofortige und ultimative Zerstörung seines Gehirns. Das bedeutet ihn mit vernichtender Wirkung in den Kopf zu schießen, um ihn auf der Stelle zu töten.“ (2) Auch ist es nicht nur die Polizei, die sich einer solchen Sprache bemächtigt hat; der durch und durch „linke“ Bürgermeister von London, Ken Livingstone, hat die Erschießung mit den folgenden Worten gerechtfertigt: „Wenn man es mit jemanden zu tun hat, der möglicherweise ein Selbstmordattentäter ist, muss man davon ausgehen, dass er, falls er aufpasst, eine Plastikbombe oder was auch immer er am Körper trägt, auslöst. Daher läuft angesichts dieser überwältigenden Umstände alles auf eine Todesschuss-Praxis hinaus.“ (3)

Damit kein Missverständnis entsteht: Das Argument der „Selbstmordattentäter, die entschlossen sind, ihre Mission zu erfüllen“, ist ein irreführender Vorwand. Als britische Truppen unschuldige irische Bürger erschossen, angeblich weil sie dachten, Letztere wären Terroristen, geschah dies nicht, weil die IRA-Terroristen Selbstmordattentäter waren (Selbstmord ist im Übrigen von der katholischen Kirche verboten). In Wahrheit hat der kapitalistische Staat in Großbritannien wie in all den anderen „demokratischen“ Ländern terroristische Anschläge, wie jene am 7. und 21. Juli in London, stets als Vorwand benutzt, um seinen Repressionsapparat zu stärken, um Maßnahmen in Kraft zu setzen, die allgemein als typisch für „totalitäre“ Regimes betrachtet werden, und vor allem um die Bevölkerung an sie zu gewöhnen. Genau dies ereignete sich nach dem 11. September in den USA oder nach den Bombenanschlägen in Frankreich 1995, die einer algerischen „Groupes Islamistes Armés“ zugeschrieben wurden. Laut der Propaganda der herrschenden Klasse haben wir die Wahl: entweder eine noch erstickendere Polizeipräsenz überall und allzeit zu akzeptieren oder „den Terroristen in die Hände zu spielen“. In Großbritannien hat diese allgegenwärtige Polizeipräsenz extreme Ausmaße angenommen: Sie hat nicht nur das Recht, sondern sogar den Befehl, jeden zu töten, der „verdächtig“ sein könnte oder ihren Aufforderungen nicht nachkommt. Und dies in einem Land, das 1679 die Habeas Corpus erfunden hat, welche willkürliche Verhaftungen ächtete. Üblicherweise darf man in Großbritannien wie in allen „demokratischen“ Ländern nicht länger als 24 Stunden ohne Anklage festgehalten werden. Heute gibt es in Großbritannien bereits Menschen, die ohne Anklage verhaftet wurden und im Belmarsh-Gefängnis (nahe London) festgehalten werden. (4) Nun können sie beim ersten Anblick auf der Straße erschossen werden!

Im Augenblick sind „Selbstmordattentäter“ das offizielle Ziel. Doch es wäre ein fürchterlicher Fehler zu denken, dass die herrschende Klasse es dabei belassen wird. Die Geschichte hat immer und immer wieder gezeigt, dass, wann immer sich die herrschende Klasse bedroht fühlt, sie nicht zögert, auf ihren eigenen „demokratischen Prinzipien“ herumzutrampeln. In der Vergangenheit waren diese Prinzipien eine Waffe in ihrem Kampf gegen Willkürrecht und aristokratische Vorherrschaft. Nachdem sie schließlich die ungeteilte Macht über die Gesellschaft übernommen hatte, benutzte sie diese als schmückendes Beiwerk, um die ausgebeuteten Massen in die Irre zu führen und dazu zu bringen, ihre Ausbeutung zu akzeptieren. Während des 19. Jahrhunderts konnte sich die allmächtige britische Bourgeoisie den Luxus leisten, politischen Flüchtlingen aus den niedergeschlagenen Revolutionen auf dem ganzen Kontinent Asyl zu bieten, so wie den französischen Arbeitern, die nach der Zerschlagung der Pariser Kommune 1871 aus Frankreich flohen. Die Bourgeoisie wird nicht vom „islamischen Terrorismus“ bedroht. Die Hauptopfer dieses kriminellen Terrors sind vielmehr die Arbeiter, die die U-Bahn nehmen, um zur Arbeit zu gelangen, oder die Büroangestellten der Twin Towers. Und dank des vollkommen gerechtfertigten Schreckens, den er in der Bevölkerung anrichtet, hat der „Terrorismus“ einen perfekten Vorwand für eine ganze Reihe von Staaten geliefert, um ihre imperialistischen Abenteuer in Afghanistan und im Irak zu rechtfertigen. 

Nein, die einzige Kraft, die die Bourgeoisie bedrohen kann, ist die Arbeiterklasse. Im Moment sind die Arbeiterkämpfe weit davon entfernt, eine Bedrohung für die bürgerliche Ordnung darzustellen, doch die herrschende Klasse weiß zu gut, dass die unerbittliche Krise ihres Systems und noch mehr die gewaltsamen Angriffe, die sie gegen die Arbeiter richten muss, die Letzteren nur zu noch ausgedehnteren Kämpfen drängen werden, bis zu dem Punkt, wo sie die Macht ihrer Ausbeuter bedrohen. Wenn das passiert, werden es nicht „Terroristen“ sein, die wie räudige Hunde niedergeschossen werden, sondern die kämpferischsten Arbeiter und revolutionärsten Elemente (die bei dieser Gelegenheit natürlich als „Terroristen“ hingestellt werden) (5) sowie Kommunisten. Und dann wird es keine Habeas Corpus geben.

Dies sind keine eitlen Spekulationen oder Weissagungen aus der Kristallkugel. So hat sich die Bourgeoisie verhalten, wann immer ihre vitalen Interessen auf dem Spiel standen. Diese Behandlung, die normalerweise der Dritten Welt oder kolonialisierten Bevölkerung durch alle „demokratischen“ Länder angediehen wird, wird auch auf die Proletarier angewandt, sobald diese gegen ihre Ausbeutung revoltieren. 1919 wurden in Deutschland, das damals von der Sozialdemokratischen Partei regiert wurde - mit anderen Worten: der Partei von Gerhard Schröder, dem Gegenpart von Tony Blairs Labour Party -, Tausende von Arbeitern massakriert, weil sie nach der Revolution von 1917 gegen die bürgerliche Ordnung aufgestanden waren. Was Revolutionäre wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht angeht, so wurden sie von Soldaten ermordet, die sie unter dem Vorwand der „Fluchtgefahr“ festgenommen hatten. Der widerliche Mord in Stockwell sollte nicht nur als solcher gebrandmarkt werden. Dies können auch all die üblichen weinerlichen Liberalen, die sich über die „Beschädigung demokratischer Freiheiten“ beklagen. Vor allem sollte er als eine Lehre für die Arbeiter in Großbritannien und überall auf der Welt dienen, um den wahren Charakter und die wirklichen Methoden ihres Klassenfeindes, der kapitalistischen Klasse, zu begreifen. Sie sind die „Todesschwadronen“, denen die Bourgeoisie heute überall auf der Welt den Weg ebnet und die morgen von der Arbeiterklasse konfrontiert werden müssen. 

IKS, 25. Juli 2005 

(1) The Guardian, 24. Juli 2005

(2) News of the World, Sonntagsausgabe, 6. März 2005, S. 13 “Forget Human Rights. Kick out the Fanatics” von Sir John Stevens, ehemaliger Regierungskommissar der Metropolitan Police.

(3) News24.com, 22. Juli.

(4) dank der „Sondergesetze“ wie jene, die jahrelang in Nordirland benutzt wurden.

(5) Während der großen Streiks in Frankreich im Sommer 1995 verglich der damalige Innenminister Charles Pasqua die streikenden Arbeiter mit den Terroristen, die einige Monate zuvor eine Bombe in der Pariser Metro hochgehen ließen, die acht Menschen tötete.

Geographisch: 

  • Großbritannien [8]

Theoretische Fragen: 

  • Terrorismus [9]

Indien - die größte Demokratie zeigt ihr hässliches Gesicht

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Polizeibrutalität gegen streikende  Honda Arbeiter in Gurgaon, Indien

Als sich mehrere tausend streikende Arbeiter von Honda-Motorrädern und Arbeiter von nahe gelegenen Fabriken, die ihre Solidarität mit den Honda-Arbeitern  ausdrückten, am 25. Juli 05 nachmittags beim Minisekretariat in Gurgaon versammelten, wurden sie sofort von  Polizei und paramilitärischen Einheiten umstellt. Diese paramilitärischen Kräfte waren tagsüber von den Behörden in Gurgaon aus anderen Bezirken herbeigerufen worden. Was folgte, war ein vorausgeplanter Angriff auf unbewaffnete Arbeiter, die dann gefangen genommen wurden. Über das Ganze wurde von den bürgerlichen Medien berichtet. Als der brutale Überfall um 20 Uhr zu Ende war, sind 800 Arbeiter ernsthaft verletzt, die meisten von ihnen erlitten Kopfverletzungen. Um dieser Repression die Krone aufzusetzen, wurden mindestens 400 Arbeiter ins Gefängnis geworfen. Dass es die Absicht der Behörden war, den Arbeitern eine Lektion zu erteilen, ist aus der Tatsache ersichtlich, dass die Repression am 25. Juli nicht aufhörte. Als Arbeiter und ihre Familien am nächsten Tag die verletzten Arbeiter im Krankenhaus besuchen wollten, sahen sie sich wieder der Rage der Polizei ausgesetzt.
Das Parlament, das zur gleichen Zeit in New Delhi tagte, verlieh seinem ‘Schock’ über diese ‘Grausamkeit’ Ausdruck. Premierminister Man Mohan Singh drückte seine ‘tiefe Besorgnis’ aus. Von den Stalinisten über die hinduistischen Fundamentalisten bis zu Sonia Gandhi, der Vorsitzenden der Regierungspartei, eilten die Politiker  aller Couleur nach Gurgaon, um Mitgefühl für die verletzten Arbeiter zu heucheln. Die nächsten paar Tage waren die bürgerlichen Medien voll von geheucheltem Schock über diese Polizeibrutalität, als ob etwas Ungewöhnliches für den bürgerlichen indischen Staat geschehen wäre.
In Wirklichkeit steht diese jüngste Repression ganz in der Tradition gewalttätiger Unterdrückung der Arbeiterklasse durch den indischen Staat. Den älteren Arbeitern in der Region Delhi Region drängte sich sofort die Erinnerung an den Oktober 1979 auf. Damals besetzten staatliche Repressionsorgane fast ganz Faridabad, einen Industrievorort im Süden Neu Delhis, um eine steigende Welle von radikalen Arbeiterstreiks einzudämmen. Durch eine Reihe von Erschießungen in verschiedenen Teilen der Stadt und durch die Verhängung der Ausgangssperre Ende Oktober 1979 war die Bourgeoisie  in der Lage, die Arbeiterbewegung nieder zu halten und zu ersticken. Ein paar Jahre vorher wurden die Arbeiter der Swadeshi-Baumwollmühlen in Kanpur eingeschlossen und auf sie von den staatlichen Repressionskräften das Feuer eröffnet, wobei mindestens 400 Arbeiter getötet wurden. Eine ununterbrochene Kette der Repression, die zurückreicht bis zur Niederschlagung des Eisenbahner-Streiks 1974 und vieler anderer  Arbeiterkämpfe.
Doch die Bourgeoisie ist wirklich geschockt - nicht wegen der Polizeibrutalität, sondern weil sich die Arbeiterklasse noch immer lebendig zeigt und um sich tritt und wehrt, und die Kühnheit hat nach fünfzehn Jahren erbarmungsloser Offensive der Bourgeoisie ihr Haupt zu erheben. Dies kam eindeutig in der Wirtschaftspresse der Bourgeoisie durch. Die Bourgeoisie ist ernsthaft darüber besorgt, dass sich die “ansteckende Seuche” ausbreiten könnte.
Der Business Standard vom 6. August 2005 befürchtete: “Der Aufruhr, der dem Streit zwischen Kapital und Arbeit in Gurgaon bei den Honda- Motorrad & Scooter India (HMSI) folgte, könnte erst der Auftakt von etwas Größerem sein.” Dass die Arbeiter “nach eineinhalb Jahrzehnten marktfreundlicher Politik [Liberalisierung]... ihr Haupt wieder erheben..” Und dass kämpferische Arbeiter  “ vom Staat zerdrückt werden, ist nicht ganz neu. Aber Indien hat keine ernsten Probleme damit  gehabt, seit es von den Fesseln der ‚Control Raj‘  in den frühen 1990er Jahren befreit wurde..” Laut   financial Express am 6. August 2005: “Die Arbeiterunruhen in Gurgaon haben dem dortigen Management eiskalte Schauer den Rücken runterlaufen lassen.” Der Indian Express vom 9. August 2005 fürchtete, dass der Gurgaon Vorfall eine ‘Dominowirkung’ haben könnte.
Diese Sorge der Bourgeoisie war im ganzen Staat  sowohl auf provinzieller Ebene als auch auf zentraler Ebene zu spüren. Die Bourgeoisie war überrascht, eine Arbeiterklasse zu sehen, wie sie sie in den letzten Jahren nicht mehr gesehen hatte. Nach anfänglicherer Überraschung beschloss sie, schnell den Streit beizulegen.
Nur zwei Tage nach der Polizeibrutalität vom 25. Juli 2005 berief der Haryana Chief Minister, Herr Hooda, ein Treffen des Honda Managements und der Gewerkschaftsbosse für den 27. Juli ein und schusterte eine ‘Vereinbarung’ zusammen. Um für die Polizeiunterdrückung büßen und sühnen zu lassen, ordnete Herr Hooda eine ‘richterliche Untersuchung’ durch den Richter im Ruhestand G. C. Garg an. Die Wirksamkeit  dieser ‘Untersuchung’ wurde verstärkt durch die Tatsache unterstrichen, dass Herr G. C. Garg als Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs von  Punjab und Haryana 1999 für seine rauen Manieren und für den Einsatz von Polizeirepression bekannter war als für seinen Gerechtigkeitssinn.
Die Linken und die Gewerkschaften bejubelten all dies als Sieg für die Arbeiter, auch wenn sie einige kritische Bemerkungen dazu machten. Dies trotz der Tatsache, dass fast einhundert Arbeiter immer noch im Gefängnis sind. Die Gewerkschaften versprachen, die Arbeiter werden ein Jahr keine Lohnforderungen stellen. Und die Geschäftsleitung nahm die Aussperrung von 67 Arbeitern zurück, bestand aber darauf, sie von der Fertigungsabteilung fern zu halten.

Die Bedeutung des Honda Streiks

Ein Teil des Schocks der Bourgeoisie ist möglicherweise aufgebauscht; sie mimen den heulenden Wolf. Ein Teil war politisches Theater wie bei der Koalitionsregierung in New Delhi, die vorgibt, volksfreundlich zu sein, und unterstützt wird dabei von den Linken.
Unter den Honda Arbeitern in Gurgaon, einem Industrievorort westlich von Delhi, herrscht seit Anfang dieses Jahres Wut. Sie streikten seit dem 27. Juni 2005 und haben es abgelehnt, die Forderung der Geschäftsleitung nach einer Art Friedenspflicht zu unterschreiben. Gleichzeitig wurde ihre Bewegung von den Linken kontrolliert, die Partner der Regierungskoalition in New Delhi sind, und in die Zwickmühle des politischen Spiels zwischen verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie im Zentrum und auf Staatsebene getrieben.   
Nicht irgend ein besonderer Kampfgeist der Honda Arbeiter beunruhigt die Bourgeoisie. Es ist die Tatsache, dass trotz aller Hindernisse Arbeiter in der Lage waren, ihrem Ärger und ihrem Widerstand Ausdruck zu verleihen. Die Bourgeoisie ist besorgt, um die Worte des BUSINESS STANDARD zu gebrauchen: “... [Die Arbeiter] scheinen ihr Haupt nach eineinhalb Jahrzehnten wieder zu heben”.
Die indische Bourgeoisie hat guten Grund, mit den letzten eineinhalb Jahrzehnten zufrieden zu sein. Erstens hat sie sich beispiellos bereichert und ihre Ambitionen sind gestiegen. Zum anderen ist sie erfolgreich bei der Durchführung einer erbarmungslosen Offensive gegen die Arbeiterklasse gewesen, ohne ernsthaften Widerstand. In der gesamten Wirtschaft hat man einen enormen Stellenabbau gesehen, ihre Umwandlung in prekäre Arbeit mit viel niedrigerem Lohn und ohne soziale Absicherung. In Gurgaon selbst bei Hero Honda, ein anderer Motorradtyp (JV) von Honda, dessen Produktion im letzten Jahrzehnt von ein paar Hunderttausend auf 2,6 Millionen Motorräder hochgeschnellt, ist die Anzahl der Festangestellten die gleiche geblieben. Andererseits ist die Anzahl von Arbeitern mit Zeitverträgen um viele Tausende gestiegen, die gezwungen sind für 50 Euro im Monat zu arbeiten, - das ist der Standardlohn von Millionen Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen.  Ähnlich in der Autofabrik von  Maruti-Suzuki, wo trotz gestiegener Produktion innerhalb weniger Jahre, und ohne dass die Arbeiter fähig waren, zurückzuschlagen, fast 3000 Dauerarbeiter entlassen wurden. Sie wurden ersetzt durch Arbeiter mit Zeitverträgen. So ist es bei allen anderen Firmen überall in Indien. Deprimierend dabei ist, dass die Arbeiterklasse wegen der Verwirrung, in der sie sich befindet, gezwungen war, all diese Angriffe mit gesenktem Haupt hinzunehmen.

Die Honda Motorradarbeiter sahen sich den gleichen heftigen Angriffen gegenüber.

Das Honda Management wollte die 1.000 festangestellten Arbeiter rausschmeißen und durch Zeitarbeiter ersetzen. Es ist ein Zeichen der sich verändernden Stimmung bei den Arbeitern, dass die Honda Arbeiter einen offenen, wenn auch begrenzten Widerstand entwickelten. Die Repression hat der Arbeiterklasse nicht wirklich Furcht eingeflößt. Im Gegenteil, sie hat eine elementare Basis an Selbstsicherheit erzeugt, ein Gefühl, dass nach Jahren ein Teil der Klasse imstande war, sich der Bourgeoisie entgegenzustellen.
Dies ist es, wovor sich die Bourgeoisie fürchtet. Dies ist es, was ein wirkliches Versprechen für die Arbeiterklasse und die Revolutionäre enthält. Wie die Arbeiterklasse im Rest der Welt unternimmt die Arbeiterklasse in Indien erste Schritte in Richtung, den Pfad des Klassenkampfes wieder zu entdecken. Dieser Weg der Wiederentdeckung wird lang und schwierig sein, und das Eingreifen der Revolutionäre in diesen Prozess wird unentbehrlich sein, damit er weiter geht und Frucht trägt.
Communist Internationalist, Sektion der IKS in Indien, 27. August 2005

Geographisch: 

  • Indien [10]

Theoretische Fragen: 

  • Historischer Kurs [11]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [12]

Schweiz/EU - Ausweitung der Personenfreizügigkeit

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Am 25. September war in der Schweiz wieder einmal Abstimmungswochenende. Es ging um das Verhältnis dieses Staates zur EU, zu der er ja nicht gehört, aber engste politische und wirtschaftliche Beziehungen pflegt. Nachdem gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten das Referendum ergriffen worden war, wurde die Regierungsvorlage, hinter der die massgebenden Kreise der herrschenden Klasse standen, nun auch an der Urne zur Abstimmung gestellt. Diese Gesetzesvorlage beinhaltet nicht nur den schrittweisen Ausbau des so genannten freien Personenverkehrs zwischen der Schweiz und den neuen EU-Staaten, sondern auch die Inkraftsetzung von staatlichen Kontrollen gegenüber “Lohn- und Sozialdumping”, d.h. gegen die zu rasche Senkung der Löhne auf EU-Niveau.
Wenn wir den “Streitgesprächen” der verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse in den letzten Monaten Glauben schenken, war das Wohl der Arbeiterklasse davon abhängig, ob dieses erweiterte Personenfreizügigkeits-Abkommen angenommen oder abgelehnt wird. Weite Teile der herrschenden Klasse wollten den Ausbau der Personenfreizügigkeit mit der EU. Dies wurde bereits am 6. Juni, als über den Beitritt der Schweiz zu den Abkommen von Schengen und Dublin (Zusammenarbeit mit der EU in Polizei- und Asylwesen) abzustimmen war, deutlich. Es kam selten vor, dass am Montag nach der Durchführung einer Abstimmung sofort für die nächste mobilisiert wurde. Dies kommt einem Dauerabstimmungskampf gleich. Immer grössere Teile der Arbeiterklasse sollen sich für die Politik der Bourgeoisie interessieren. Es sind solche Kampagnen, die bezwecken, die Demokratie in den Augen der Arbeiter als die Regierungsform ohne Alternative erscheinen zu lassen. In vielen Ländern muss die Bourgeoisie immer mehr auf Wahlen und Referenden als Mittel dazu zurückgreifen.

Vor welcher Wahl stand die Arbeiterklasse?

Die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der erweiterten EU hat in der Tat etwas mit der Arbeiterklasse zu tun. Denn es sind in erster Linie Arbeiter, die dazu gezwungen sind, den Ort, wo sie herkommen, zu verlassen und anderswo eine Stelle anzunehmen, wenn es hier eine gibt. Es trifft auch zu, dass die Arbeitslosigkeit in der Schweiz geringer ist als in den meisten EU-Staaten. Dies hat viel damit zu tun, dass die Schweizer Fremdenpolizei die ImmigrantInnen als Manövriermasse benutzt und die Aufenthaltsbewilligungen nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes erteilt oder wieder entzieht. Mit anderen Worten wird die Arbeitslosigkeit bis jetzt mehr oder weniger erfolgreich ins Ausland (nicht nur in die EU) exportiert. Schliesslich ist es auch eine Tatsache, dass gerade in den zehn neuen EU-Staaten das Lohnniveau teilweise bedeutend tiefer liegt als in der Schweiz. Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass polnische, ungarische, tschechische oder slowakische Arbeiter auch in der Schweiz nach Arbeit suchen, sofern die Wirtschaftskrise sie dazu zwingt, ihre Nächsten zu verlassen und auszuwandern.
Was soll nun angesichts dieser Tatsachen ein Arbeiter oder eine Arbeiterin zu einer Abstimmung über die Personenfreizügigkeit sagen? Sollen wir uns auf den Standpunkt des ungarischen Kollegen stellen, der eine Aufenthaltsbewilligung für die Arbeitssuche in der Schweiz braucht? Dann müssten wir für die Freizügigkeit sein. Oder sollen wir umgekehrt - quasi vom Standpunkt des schweizerischen Arbeiters - im Auge behalten, dass die Löhne nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage sinken werden, wenn Arbeitskräfte aus Ungarn hier arbeiten kommen? Dann müssten wir ja gegen die Personenfreizügigkeit sein? - Dieser Zwiespalt, diese zwei Seelen in der Arbeiterbrust zeigen auf, wie absurd es von einem proletarischen Standpunkt aus ist, eine Antwort auf die falsche, weil bürgerliche Frage “Grenzen auf oder Grenzen zu?” zu geben. Die Arbeiterklasse ist eine Klasse der ganzen Welt. Der proletarische Standpunkt ist immer der internationale. Wir wollen nicht mehr oder weniger offene Grenzen, sondern eine Gesellschaft ohne Klassen und ohne Grenzen. Wir dürfen uns also nicht auf dieses falsche Terrain zerren lassen, wo wir auf einmal zwischen Pech und Cholera nach dem geringeren Übel suchen. Die Kommunisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie “die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen (...), stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten” (Kommunistisches Manifest). Das Interesse der Gesamtbewegung der Arbeiterklasse besteht darin, ihr Selbstbewusstsein und ihre Kampfbereitschaft zu stärken. Im Kapitalismus sind die anstehenden Probleme der Arbeitslosigkeit, des Krieges, des Abgleitens in die Barbarei nicht zu lösen. Vielmehr muss dieses System durch den Kampf des Proletariats auf revolutionärem Weg überwunden werden. Die Stärkung des Proletariats kann nicht dadurch erreicht werden, dass es auf falsche Fragen eine Antwort zu geben versucht.
Und es kann sich auch nicht an der Abstimmungs- oder Wahlurne stärken, wo jeder und jede einzeln als Bürger oder Bürgerin unter das parlamentarische Joch kriecht. Hier entsteht kein Klassenbewusstsein, kein Bewusstsein darüber, als Arbeiter zu einer und derselben Klasse zu gehören. Das Klassenbewusstsein entsteht vielmehr dort, wo wir auf unserem Terrain gemeinsam in den Kampf treten, wie dies in den letzten Monaten bei den Streiks in Heathrow/London oder bei Honda in Gurgaon/Indien geschehen ist.   
So ist denn auch die Ablehnung jeder Beteiligung am Abstimmungs- und Wahlzirkus der Bourgeoisie heute ein proletarisches Prinzip. Wer sich für die proletarische Revolution einsetzen will, kann nicht gleichzeitig durch eine Beteiligung an demokratischen Abstimmungskämpfen Wasser auf die Mühlen des bürgerlichen Staatsapparats lenken.

Die Bourgeoisie leidet unter den Erscheinungen des kapitalistischen Zerfalls

Die Feststellung, dass die Arbeiterklasse an der Wahlurne im Allgemeinen und an der Abstimmung über die Erweiterung der Personenfreizügigkeit im Besonderen nichts verloren hat, hindert uns nicht daran, von einem kommunistischen Standpunkt aus zu analysieren, in welcher Lage sich die Schweizer Bourgeoisie gegenwärtig befindet. Wir haben bereits in einem früheren Artikel aufgezeigt, dass sich die herrschende Klasse gerade in der Frage des Verhältnisses der Schweiz zur EU nicht einig ist (“Schweiz-EU: Ausdruck des Zerfalls des Kapitalismus” in Weltrevolution Nr. 126). Die Streitigkeiten innerhalb der Schweizer Bourgeoisie sind nicht lediglich Scheinwidersprüche oder Ablenkungsmanöver gegenüber der Arbeiterklasse. Es gibt in der Tat Spannungen zwischen dem, was man den verantwortungsbewussteren Teil der Bourgeoisie nennen kann, und denjenigen Teilen der herrschenden Klasse, die lediglich ihre kurzfristigen Einzelinteressen im Auge haben und die Tendenz des “Jeder-für-sich” repräsentieren. Deshalb wurde das Referendum gegen die Gesetzesvorlage überhaupt ergriffen, und zwar zunächst von rechtspopulistischen Kreisen.
Dass kurz nacheinander zwei Vorlagen zum Verhältnis zur EU vorgelegt werden, hat damit zu tun, dass die herrschende Klasse einerseits Wege braucht, um gegenüber der EU flexibler reagieren zu können, falls es die Situation erfordert, und dass sie andererseits im internationalen Konkurrenzkampf nicht völlig den Anschluss verlieren darf. Besonders für kleine Länder ist dies wichtig, weil es für diese noch schwieriger ist, sich unter den grossen Haifischen zu behaupten. Die Fragen der Aussenpolitik bieten sich hier in einem besonderen Masse an, sich ständig der Zustimmung des “Volkes” für diesen oder jenen Kurs zu versichern. Aufgrund der sich zuspitzenden kapitalistischen Krise gibt es auch in der schweizer Bourgeoisie einen Teil, der sich immer isolationistischer und irrationaler verhält; diese Kreise sind auch ein Ausdruck des Zerfalls des kapitalistischen Systems, sie sind eine rückwärtsgewandte Antwort darauf.
Diese Widersprüche hindern die herrschende Klasse nicht daran, gleichzeitig eine Verschleierungskampagne gegen die Arbeiterklasse zu führen und auf diesem Weg doch noch einen Nutzen daraus zu ziehen. Im Gegenteil: Im Kampf gegen die Arbeiterklasse ist sie sich einig, auch und gerade, wenn es um die Einimpfung der demokratischen Ideologie geht.

Demokratiekampagne zur Verschleierung der kapitalistischen Krise

In der Kampagne, die vor der Abstimmung vom 25. September geführt wurde, spielte nicht nur die isolationistische Rechte die Oppositionsrolle gegen dieses EU-Abkommen, sondern es schaltete sich auch der linke Rand der parlamentarischen und ausserparlamentarischen Parteien und Bewegungen gegen dieses Abkommen ein. Und dies war gerade für die ideologische Kampagne gegen die Arbeiterklasse vonnöten. So war diesmal wirklich das ganze Spektrum des bürgerlichen Apparats für oder gegen ein Thema mobilisiert, das für die Arbeiterklasse und ihre Lebensbedingungen keinen entscheidenden Einfluss hat, da das wirkliche Problem die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems ist, welche ihre Lebensbedingungen je länger je unerträglicher machen.
Wenn die Arbeiter und Arbeiterinnen als solche angesprochen werden sollen, ist die bürgerliche Linke gefragt. Die Rechten können diese Aufgabe viel schlechter erfüllen als die linken Parteien und Organisationen, die sich mehr oder weniger ausdrücklich auf die Arbeiterklasse berufen und vorgeben, die Tradition der Arbeiterbewegung zu verkörpern.
Die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften in ihrer Mehrheit befürworteten das erweiterte Personenfreizügigkeits-Abkommen. Vor allem sie setzten alles daran, um diese Abstimmung für die Arbeiterklasse zu einer “Schicksalsfrage” zu machen. Die Sozialdemokratische Partei, die grossen Gewerkschaften und ihr Dachverband legten sich für die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit ins Zeug.
Bei den kleinen linken Parteien und Gewerkschaften gab es aber auch Nein-Parolen. Die trotzkistische Bewegung für den Sozialismus (BFS) beispielsweise verlangte eine zweite Abstimmung mit weitergehenden flankierenden Massnahmen, bevor sie zustimme. Dies ist eine weitere Verschleierung des bürgerlichen Staates, und zwar in zweierlei Hinsicht:
- Erstens macht die herrschende Klasse nur Zugeständnisse an die Arbeiterklasse, wenn sie von dieser dazu gezwungen wird. Ein solches Kräfteverhältnis, mit dem die Arbeiterklasse die Bourgeoisie zu etwas zwingt, kann von vornherein nicht an der Wahlurne, sondern nur im Kampf der Arbeiter auf ihrem Terrain entstehen. Wenn sich die Arbeiter als Arbeiter wehren, z.B. in einem Streik, entwickeln sie ihre Stärke, nicht aber, wenn sie sich als Staatsbürger an die Urne begeben.
- Zweitens sind materielle Zugeständnisse der herrschenden Klasse im Sinne von andauernden Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen eh eine Illusion in einer Situation, in der sich der Kapitalismus in der permanenten Krise befindet und gar nichts mehr anzubieten hat als ständig mehr Arbeitslosigkeit und Zunahme der Ausbeutung.

Welche Antwort der Arbeiterklasse?

Seit dem Beginn des 20. Jahrhundert, insbesondere seit dem 1. Weltkrieg, ist der Kapitalismus in seine Dekadenzphase eingetreten, von da an werden die wichtigen Entscheide in der Exekutiven, und nicht mehr in den Parlamenten gefällt. Daher ist es falsch, sich hinter die eine oder andere parlamentarische Fraktion zu stellen, da dies nur dazu dient, die Illusion des Parlamentarismus zu stärken.
Es ist falsch, wenn sich die Arbeiterklasse von der einen oder anderen kapitalistischen Option einbinden lässt, da alle nur Bemühungen darstellen, eine Lösung im bestehenden kapitalistischen System zu suchen, die es nicht gibt.
Nein, die Arbeiterklasse hat keine Wahl im Kapitalismus. Nur der Klassenkampf ist dass Mittel der Arbeiter, sich gegen die ausbeuterische Lohnarbeit zur Wehr zu setzen. Die Arbeiter werden sich als Klasse organisieren müssen, um gegen den totalitären Staat der Bourgeoisie ihre Klasseninteressen durchsetzen zu können. Dies wird nur gelingen, wenn die Arbeiter, getrieben und ausgehend von ihren ökonomischen Kämpfen zum politischen Kampf voranschreiten und sich damit bewusst gegen die herrschende Klasse stellen. Dies ist möglich, wenn die Arbeiter diesen Kampf in die eigenen Hände nehmen, und sich auf keine Helfer und angeblichen Interessensvertreter wie Gewerkschaften mehr verlassen. Die Arbeiterklasse kann wieder zu ihrer Klassenautonomie zurückfinden, indem sie ihre Klassenidentität voranbringt. Davor hat die Bourgeoisie Angst und versucht, alles zu unternehmen, um dies möglichst lange zu verhindern.
25.09.05, Ko/Re

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in der Schweiz [13]

Geographisch: 

  • Schweiz [14]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [7]

Sieger der Bundestagswahlen: Die herrschende Klasse

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Lassen wir uns nicht irreführen! Die herrschende Klasse hat mit dem Abhalten von vorgezogenen Neuwahlen und dem Hickhack um die Bildung einer neuen Bundesregierung gegenüber der Arbeiterklasse clever gepunktet.
Nicht, dass wir die Verschiebungen in der bürgerlichen Parteienlandschaft, das nach den Wahlen neu entstandene Kräfteverhältnis unter den Parteien und das Gerangel um eine Regierungskoalition für unwichtig halten (siehe dazu den Artikel in dieser Zeitung). Denn zweifelsohne hat das Ergebnis der Neuwahlen für die herrschende Klasse unerwartete und ungewollte Komponenten entstehen lassen. Aber all dies ist für die Arbeiterklasse zweitrangig.
Denn egal worüber die Bürgerlichen im Wahlkampf und vor allem nach Verkündigung des Wahlergebnis streiten, wer mit wem koalieren möchte und kann, und ungeachtet der dadurch zum Vorschein gekommenen Rivalitäten und Machtkämpfe  – es ist und bleibt ein Streit innerhalb des bürgerlichen Lagers. Es ist ihr Machtpoker, nicht unser Spiel!
Weiter steht fest: Alle Parteien sind sich in einer Sache über alle Parteigrenzen hinweg einig - alle Reformprojekte, sprich die weiter zu verschärfenden Sparmaßnahmen, die durch die Krise notwendig werden, sollen auf die Schultern der Arbeiterklasse abgewälzt werden.
Indem unsere Aufmerksamkeit seit Monaten mit allen Tricks auf den Wahlkampf,  den ”offenen Wahlausgang”, das Kopf-an-Kopf-Rennen, auf die verschiedenen Sondierungsgespräche und möglichen Koalitionsverhandlungen gelenkt wurde, ist es der herrschenden Klasse gelungen, die Arbeiterklasse davon abzuhalten, für ihre eigenen Interessen zu kämpfen und ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Das Wahlspektakel der bürgerlichen Demokratie hat wieder einmal seine große Nützlichkeit für das Kapital erwiesen. 

Warum hat die herrschende Klasse die Wahlen abgehalten?

Schröder fädelte im Frühsommer die Wahlen ein, als greifbarer wurde, dass die Massenarbeitslosigkeit, die 5 Millionengrenze der offiziell deklarierten Arbeitslosen überschritt (die wirkliche Zahl liegt wesentlich höher), und die brutale Verschlechterung der Lage aller Arbeiter (Hartz IV, Einsparungen in allen Bereichen, Verschärfung der Arbeitshetze, Kürzungen der Renten usw.) in immer größeren Kreisen von Arbeitern Zweifel am kapitalistischen System aufkommen lassen können. Versuchte nicht die SPD mit ihrer ”Heuschreckenkritik” im Frühjahr schon Ansätze eines Nachdenkens über diese Gesellschaft abzublocken, als sie - nach Jahren rücksichtsloser Durchsetzung von kapitalistischen Sparmaßnahmen - plötzlich proklamierte, ”Korrekturen” an diesem System seien nötig.
Dieser schwierige Prozess der Infragestellung des kapitalistischen Systems, der bislang nur langsam und auch sehr gewunden in bestimmten Teilen der Arbeiterklasse in Gang kommt, stellt allerdings einen historisch bedeutsamen Schritt dar, da der Kapitalismus sich nach dem Zusammenbruch des Stalinismus 1989 als das einzig mögliche System präsentieren konnte, gegenüber dem es keine Alternative gebe.
Wenn nun z.B. in dem Land des einstigen Wirtschaftswunders, in Deutschland, die Massenarbeitslosigkeit auf über 5 Millionen angeschwollen ist und keine Aussicht auf einen merklichen Rückgang dieses Millionenheeres besteht - obwohl der sozialdemokratische Bundeskanzler in der Vergangenheit eine Halbierung dieser Zahlen versprochen hatte -, die Hilflosigkeit aller bürgerlichen Parteien, ja des Systems selbst gegenüber dieser Frage durchzuschimmern beginnt, dann besteht für die herrschende Klasse Handlungsbedarf!
Um dem wachsenden Drang in Teilen der Arbeiterklasse der Auseinandersetzung mit den wirklichen Perspektiven des Kapitalismus entgegenzutreten und die aufkommende Wut der Betroffenen zu kanalisieren, entschloss sich Schröder mit Zustimmung der ganzen herrschenden Klasse zu einem Schachzug, nämlich mit Hilfe eines grandiosen Wahlspektakels zu versuchen, den Glauben an die Demokratie zu verstärken und gleichzeitig die Arbeiter davon abzuhalten, sich mit dem Bankrott des Kapitalismus und der Suche nach einem Ausweg, gar der Frage nach der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft zu befassen. Dieser Schachzug gegenüber der Arbeiterklasse ist dem Kapital gelungen.
Jetzt schon lässt sich erkennen, dass das Kapital im Windschatten des Wahlkampfes viele Angriffe durchgeboxt hat. Denn tatsächlich ist es der herrschenden Klasse gelungen, gegenüber einer Reihe von seitdem angekündigten Massenentlassungen für eine außerordentlich große Ruhe in den Betrieben zu sorgen. Dabei wurde in einigen der größten Betrieben des deutschen Kapitals – VW und Siemens – massiver Stellenabbau angekündigt. Wie eine alles erstickende Brandbombe hat das Wahlkampfspektakel und der Zirkus um die Bildung einer neuen Regierung stark mit zu einer Eindämmung der Widerstandsbereitschaft der Beschäftigten gegen die Entlassungen beigetragen.
Was ist den Herrschenden nützlicher als eine Situation, wo sich die Beschäftigten, die Arbeitslosen, die Rentner usw. von der Auseinandersetzung um die für sie wichtigen Fragen abhalten, sich statt dessen an die Wahlurnen locken lassen und durch die Auseinandersetzung blenden lassen, welche der bürgerlichen Parteien nunmehr über den größten Stimmenanteil verfügt und bei einer Regierungskoalition welche Rolle spielt?
Als ob nicht alle Parteien allen in der Öffentlichkeit vorgetragenen Differenzen zum Trotz sich in einem Punkte einig sind und auch dort ihren gemeinsamen Nenner finden, nämlich dass “Reformen” notwendig sind, dass diese ”Reformen tiefe Einschnitte” verlangen, will heißen, dass dafür die Arbeiterklasse blechen muss.
Wir haben von allen bürgerlichen Parteien nichts anderes zu erwarten als noch mehr Opfer von der Arbeiterklasse
Deshalb dürfen wir uns nicht weiter durch das Wahlspektakel und das Gerangel um die Bildung einer Regierung von der Verteidigung unserer Interessen abhalten lassen. Denn egal, welche Parteienkoalition die Regierungsgeschäfte übernimmt, für die Arbeiterklasse kommt dabei nur eines raus: noch mehr Opfer hinnehmen.
Dabei gibt es für die Arbeiterklasse allen Anlass, sich des wirklichen Ernstes der Lage des Kapitalismus weiter bewusst zu werden, statt sich an der Nase herumführen zu lassen.
Haben nicht die letzten Monate weiter vor Augen geführt, wie sehr der Kapitalismus die Menschheit in den Abgrund treibt!
Sprechen nicht die Auswirkungen des Hurrikan Katrina in den USA Bände, wie der Kapitalismus mit dem Leben der Menschen umgeht! Hat nicht die Haltung der US-Regierung veranschaulicht, wie der Kapitalismus unzählige Menschenleben aufs Spiel setzt! Jetzt schon hat die US-Regierung, die jedes Jahr Hunderte Milliarden Dollar auf Kriegsschauplätzen verpulvert, angekündigt, dass für das versprochene Wiederaufbauprogramm an der US-Golfküste die Beschäftigten in den USA durch Lohnkürzungen zur Kasse gebeten werden.
Zeigt nicht die jüngste Welle von Bombenattentaten in dem ältesten Industriestaat der Welt, Großbritannien,  dass die Zunahme von Terrorismus und staatlichem Terror nicht auf die alltäglichen Bombenmassaker im Irak oder anderswo im Mittleren Osten begrenzt sind, sondern auch im Herzen der Industriestaaten immer mehr Menschen davon betroffen sind.
Und dass die herrschende Klasse gegenüber dem Versinken ihres Systems in einem noch größeren Chaos von Kriegen, Zerstörungen aller Art, Terror usw. nur noch mehr Militarisierung, Repression und Todesschüsse versprechen kann.
Wer  bislang noch glaubte, dass der Kapitalismus vor allem durch Kriege Zerstörungen und Verwüstung hervorruft (gerade dieses Jahr erinnerten die Jahresfeiern an die Vernichtungen ganzer Städte im 2. Weltkrieg - Dresden, Hiroshima - usw. daran), der muss nun erkennen, dass die jüngsten ”Naturkatastrophen” (Überschwemmungen in großen Teilen Europas, Trockenheit und Waldbrände in Portugal, Hurrikans in den USA), auch ein Ergebnis des Raubbaus des Kapitalismus an der Natur, seiner wilden Anarchie sind, die dieses System unvermeidlich mit sich bringt. Immer mehr sind die zerstörerischen Folgen des Niedergangs dieses Systems auch im Herzen der Industriestaaten selbst zu spüren.
Dem Kapital graut es davor, dass die Arbeiterklasse anfängt, über die Ausweglosigkeit dieses Systems und den Zusammenhang zwischen Krise, Krieg, Zerstörung, Terror, Militarisierung, Verarmung usw. nachzudenken und darüber zu reden anfängt. Die Herrschenden wollen partout vermeiden, dass der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Aspekten unserer Lage zur Sprache kommt.
Mit den Ablenkungsmanövern verschiedenster Art müssen die Kapitalisten auf der Welt versuchen, von den eigentlichen Ursachen der ganzen Misere und den wahren Perspektiven dieses System ablenken.
Für die Arbeiterklasse kommt es mehr denn je darauf an, sich nicht durch ein bürgerliches Wahlspektakel blenden zu lassen, sondern über das Wesen und die Ausweglosigkeit dieses Systems nachzudenken und zu diskutieren.
Dies erfordert und beinhaltet eine Bewusstseinsentwicklung, die die Herrschenden unbedingt blockieren wollen.
Dazu ist es unabdingbar, dass die Arbeiter gegenüber all den Angriffen ihren eigenen Widerstand organisieren.
Dieser Widerstand kommt nicht mit Hilfe  irgendwelcher ”Brandreden” im Parlament durch die neu gewählten Chefdemagogen der Linkspartei zustande, sondern nur durch die Initiative der Arbeiter selbst. Nicht im Parlament kann Gegendruck entfaltet werden, sondern nur durch die massive Gegenwehr der Betroffenen selbst. Das zeigt das jüngste Beispiel der Beschäftigten am Heathrower Flughafen in London.
Nichts kann das Denken, das Handeln, die Initiative der Arbeiter selbst ersetzen. 24.09.05

Nationale Situationen: 

  • Wahlen in Deutschland [15]

Geographisch: 

  • Deutschland [6]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [7]

Streik auf dem Flughafen London-Heathrow im August 05

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Die Medien, die öffentliche Stimme des Staats und der herrschenden Klasse, haben ihrer Wut gegen die Streikenden von Heathrow freien Lauf gelassen. Wie konnten die Arbeiter nur wagen, Klassensolidarität über die Profite des Unternehmens zu stellen? Wissen sie denn nicht, dass Dinge wie die Solidarität der Arbeiter und Klassenkampf veraltet, überholt sind? Wissen sie nicht, dass all diese Sachen in den 7oer Jahren aus der Mode gekommen sind? Laut einem leitenden Angestellten eines Konkurrenzunternehmens von British Airways, zitiert in der Sunday Times vom 13. August, ist die Luftfahrt in verschiedener Hinsicht die letzte noch nicht reformierte Industrie. In ihr herrschen noch Zustände wie an den Docks, in den Bergwerken oder in der Autoindustrie in den 70er Jahren. Warum wollen diese Dinosaurier-Arbeiter nicht endlich Vernunft annehmen und akzeptieren, dass das Prinzip der heutigen Gesellschaft das  „Jeder- für- sich“ ist und nicht das „Arbeiter der Welt, vereinigt euch!“?

Es ist doch seltsam, wie diese neue Philosophie der individuellen Freiheit die Bosse nicht daran hindert, absoluten Gehorsam von den Lohnsklaven zu fordern. Einige Medienstimmen, das ist wahr, sind ein bisschen kritisch gewesen gegenüber der von Gate Gourmets' offen propagierten Todesschuss-Praxis: Als die Mitarbeiter dieser Catering-Firma eine Versammlung abhielten, um darüber zu diskutieren, wie sie auf den Angriff des Managements auf ihre Arbeitsplätze reagieren sollten, wurde das Treffen von Security-Schlägertypen eingeschlossen und 600 Arbeiter – auch jene, die, die krank oder im Urlaub waren - auf der Stelle entlassen, weil sie an einer nicht erlaubten Versammlung teilgenommen hatten, einige von ihnen auf Zuruf. Dies ist ziemlich heftig, aber es ist nur ein offenerer Ausdruck dafür, was sich die Firmenleitungen überall heute erlauben. Arbeiter bei Tesco müssen damit rechnen, dass die ersten drei Krankheitstage nicht mehr bezahlt werden, und  andere Firmen schauen mit Interesse auf diese neue Reform bei Tesco. Lagerarbeiter müssen einen elektronischen Clip tragen, damit sichergestellt werden kann, dass auch nicht eine Sekunde der Geschäftszeit vergeudet wird. Das gegenwärtige politische Klima, in dem wir jede Polizeischikane im Namen des Antiterrorismus annehmen sollen, steigert nur die Arroganz der Chefs.

Diese Angriffe sind nicht darauf zurückzuführen, dass der oder jener Chef besonders habgierig ist oder amerikanische Methoden anwendet. Die wachsende Brutalität der Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen  ist der einzige Weg, wie die Kapitalistenklasse auf die Weltwirtschaftskrise antworten kann. Die Löhne müssen gekürzt, die Arbeitshetze erhöht, die Renten radikal herabgesetzt, die Arbeitslosenunterstützung gesenkt werden, weil jede Firma und jedes Land verzweifelt darum bemüht ist, die Konkurrenten auf dem überschwemmten Weltmarkt auszubooten.

Angesichts dieser Angriffe ist die Solidarität unter uns Arbeitern die einzige Verteidigung. Die Gepäckarbeiter und anderes Personal in Heathrow zeigten mit ihrem Streik gegen die Massenentlassungen bei Gate Gourmet, dass sie das voll verstanden hatten. Sie selbst sind denselben Angriffen ausgesetzt und in ähnliche Abwehrkämpfe verwickelt wie die Arbeiter der Catering-Firma. Die unmittelbare Wirksamkeit ihres Streiks zeigte die Macht der Arbeiter, wenn sie vereinigt und  entschlossen handeln. Es ist die einzige Basis, um die Bosse zu zwingen, die entlassenen  Arbeiter wieder einzustellen, und es wird die Flughafenchefs zögern lassen, ähnliche Angriffe in der nächsten Zeit zu starten. Isoliert und in Branchen getrennt, sind die Arbeiter eine leichte Beute für die herrschende Klasse. Aber sobald der Kampf beginnt, sich auf andere Arbeiter auszubreiten, ändert sich das Bild.

Klassensolidarität: die wahre Hoffnung der Menschheit

Es gibt jedoch eine noch wichtigere Bedeutung der Arbeitersolidarität. In einer Gesellschaft, die überall um uns herum zerfällt, wo das Prinzip des „Jeder-für-sich“ die Form von Terroristenbomben, rassistischen Anschlägen, Gangstertum und Willkür aller Arten annimmt, liefert die Arbeitersolidarität  über alle Berufs-, religiösen, Geschlechts- oder nationalen Trennungen hinweg das einzige Gegenmittel zu diesem System, den einzigen Ausgangspunkt für die Schaffung  einer anderen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet und nicht duch die Jagd nach dem Profit bestimmt wird. Angesichts eines Systems, das allerorten in Krieg und Selbstzerstörung versinkt, ist es keine Übertreibung zu sagen, dass Klassensolidarität die einzige wirkliche  Hoffnung für das Überleben des Menschheit darstellt.

Dass dies keinesfalls eine illusorische Hoffnung ist, wird deutlich, wenn man über die Grenzen Großbritanniens schaut. Nach Jahren der Konfusion und Zerstreuung hat es in den letzten zwei Jahren eine wachsende Belebung der Arbeiterkämpfen gegeben. In den bedeutendsten von ihnen, den Kämpfen der französischen Arbeiter gegen Angriffe auf die Renten im Jahr 2003 und dem Kampf der deutschen Automobilarbeiter gegen Entlassungen, war das Element der Solidarität wesentlich gewesen. Diese Bewegungen bestätigen, dass die internationale Arbeiterklasse nicht verschwunden oder besiegt ist.

Natürlich haben die Medien die Bedeutung der solidarischen Aktionen in Heathrow zu verstecken und herunterzuspielen versucht. Sie begannen von familiären Beziehungen zwischen den Arbeitern der Catering-Firma und den Gepäckarbeitern und anderen Flughafenangestellten zu reden. Diese existieren, doch während die Mehrheit der Catering-Angestellten indischer Herkunft ist, sind die Gepäckarbeiter mehrheitlich weißer Hautfarbe. Kurz, es handelte sich um echte Klassensolidarität, die über alle ethnischen Spaltungen hinausging.

Die Nachrichtensendungen versuchten auch, die Sympathie, die den Streikenden des Flughafens von anderen Arbeitern entgegengebracht wurde, kleinzureden, indem sie die Scheinwerfer auf die Leiden der Passagiere richteten, deren Flüge durch den Streik unterbrochen wurden. Wenn man den besten Teil des Jahres, den Urlaub, wo man weit weg von der Arbeit ist, schwitzend auf dem Flughafen verbringen muss, ist es sicher keine Freude zu sehen, wie die Urlaubspläne durcheinander gebracht werden. Anderen Arbeitern und der Bevölkerung ihre Taten zu erklären ist im Allgemeinen eine Aufgabe, die alle Arbeiter auf sich nehmen müssen, wenn sie in den Kampf treten. Aber sie müssen auch der heuchlerischen Medienerpressung widerstehen, die stets versucht, sie als die Übeltäter darzustellen.

Die wirkliche Rolle der Gewerkschaften

Wenn die herrschende Klasse nicht will, dass wir Klassensolidarität erkennen, sobald wir sie vor uns haben, dann deswegen, weil es eine andere Wahrheit gibt, die die Herrschenden zu verbergen suchen: dass die Arbeitersolidarität und die Gewerkschaften nicht mehr dasselbe sind.

Die bei diesem Kampf verwendeten Methoden waren eine direkte Herausforderung für das pedantische Regelwerk der Gewerkschaften:

- Die Arbeiter von Gate Gourmet beschlossen, eine Vollversammlung in ihrer Kantine abzuhalten, um über die neuesten Manöver des Managements zu diskutieren. Die Versammlung wurde inoffiziell während der Arbeitszeit abgehalten. Eine solche Praxis, Vollversammlungen abzuhalten, auf deneAn diskutiert wird und Entscheidungen getroffen werden, richtet sich gegen alle offiziellen Gewerkschaftsgepflogenheiten.

- Die anderen Flughafenangestellten ignorierten die offiziellen Gewerkschaftsrichtlinien, indem sie streikten, ohne sich vorher der Abstimmungsprozedur zu unterziehen, und sie widersetzten sich dem Gewerkschaftreglement  weiter, indem sie sich an einer Folgeaktion beteiligten.

Solche Aktionen sind für die herrschende Klasse gefährlich, weil sie aus der Kontrolle der Gewerkschaften zu geraten drohen. Die Gewerkschaften sind offizielle, d.h. staatlich anerkannte Organisationen, um den Klassenkampf unter Kontrolle zu halten. Und in letzter Zeit haben „wilde Streiks“ zugenommen: der letzte größere Arbeitskampf in Heathrow, die zahlreichen Streiks bei der Post; und zu derselben Zeit wie der letzte Kampf in Heathrow gab es inoffizielle Streiks bei den Busfahrern Edinburghs und in der Fordgießerei in Leamington Spa.

Im Falle von Heathrow gelang es der TGWU (Gewerkschaft), die Lage zu beruhigen. Offiziell durfte der TGWU den inoffiziellen Streik nicht anerkennen und musste die Arbeiter zurück an ihre Arbeit bringen. Aber mit der Hilfe der  „revolutionären“ Gruppen wie der SWP ist es der T und G gelungen, den Kampf als einen Angriff auf die Gewerkschaften hinzustellen, wobei sie die Schikanierung von militanten Arbeitern - die sicherlich Teil der Strategie von Gate Gourmet - mit einem Angriff auf die Gewerkschaft gleichstellte. Dies macht es für die Vertreter der Basisgewerkschafter - von denen die meisten wirklich glauben, dass sie für ihre Kollegen etwas tun - leichter, den Kampf im gewerkschaftlichen Rahmen zu halten.

Aber was sich da zusammenbraut, ist kein Kampf zur Verteidigung der Gewerkschaften, sondern es handelt sich zunehmend um Massenbewegungen, in denen die Arbeiter auf die Gewerkschaftsmaschinerie als ihr erstes Hindernis stoßen. Um eine im und durch den Kampf weitest mögliche Klassensolidarität aufzubauen, werden sich die Arbeiter gezwungen sehen, ihre eigenen, für alle Arbeiter offenen Vollversammlungen abzuhalten und Streikkommittees zu wählen, die den Vollversammlungen verantwortlich sind. Militante Arbeiter, die diese Perspektive verstehen, sollten jetzt nicht isoliert bleiben, sondern beginnen, zusammen zu kommen, um miteinander zu diskutieren und die Kämpfe der Zukunft vorzubereiten.          

                                              World Revolution , Zeitung der Sektion der IKS in Großbritannien,  August 05

Geographisch: 

  • Großbritannien [8]

Theoretische Fragen: 

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Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [12]

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