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Wir veröffentlichen nachfolgend eine kurze Chronologie der verschiedenen Ereignisse und Etappen der Bewegung des Kampfes gegen die Rentenreform, die sich seit Monaten in Frankreich entfaltet hat.
Wir werden diese Aufstellung weiter ergänzen, sobald weitere Schritte erfolgen.
Diese Bewegung ist schon reich an Lehren für die Weltarbeiterklasse. Gegenüber der Lügenpropaganda der Staaten, der französischen Medien und der internationalen Presse müssen unbedingt Zeugenaussagen und verschiedene Informationen über den Kampf so breit wie möglich in allen Ländern verbreitet werden. Wir fordern also alle unsere LeserInnen dazu auf, die nachfolgende Chronologie der Ereignisse (die notwendigerweise unvollständig und auf bestimmte Teile beschränkt ist) zu ergänzen. Ihr könnt dazu unser Diskussionsforum benutzen (und wir werden uns bemühen, so weit unsere Kräfte es erlauben, diese Texte in die Hauptsprachen zu übersetzen).
23. März 2010
Ein gewerkschaftlicher Zusammenschluss (dem fast alle französischen Gewerkschaften angehören, von den Gewerkschaften, die am offensten mit der Regierung „kollaborieren“, bis zu den „radikalsten“) ruft zu einem ersten Aktionstag auf.
800.000 Demonstranten versammeln sich auf den Straßen. Die Atmosphäre zeigt eher Zurückhaltung, es herrscht Resignation vor. Die Rentenreform war seit mehreren Monaten, ja Jahren von der Regierung vorbereitet worden. Die Politiker, die Medien, die „Experten“ aller Couleur behaupten ununterbrochen, dass diese Reform unabdingbar und unumgänglich sei, ja der Fortbestand der Zahlungsfähigkeit der Rentenkassen und des Staatshaushalts stünde auf dem Spiel. Übrigens forderten die Gewerkschaften nicht „Rücknahme des Angriffs auf die Renten“. Sie riefen dazu auf, für „mehr Verhandlungen zwischen Staaten und Gewerkschaften“ zu kämpfen und für eine „gerechtere, menschlichere“ Reform.
Kurzum, alle – Staat, Arbeitgeber, Gewerkschaften – behaupteten, dieses Opfer sei eine „nützliche Notwendigkeit“. Die Unzufriedenheit über den starken Druck dieser Propaganda war zwar groß, aber die Kampfbereitschaft war noch nicht so angewachsen.
26. Mai 2010
Das gleiche Schauspiel ging wieder los. Der gewerkschaftliche Zusammenschluss ruft zu einem zweiten Aktionstag nach dem gleichen Szenario auf mit den gleichen Forderungen. Die Teilnehmerzahl liegt leicht höher (ca. eine Million Teilnehmer), aber die Stimmung ist immer noch eher durch Hoffnungslosigkeit geprägt.
24. Juni 2010
Die Gewerkschaften hoffen darauf, der Bewegung den Gnadenstoß zu versetzen. Ein dritter Aktionstag ist geplant. In Anbetracht der ziemlich gedrückten Stimmung der ersten beiden Aktionstage sollte dieser Aktionstag vor der Sommerpause eine Art „Begräbnistag“ werden. Die Maschine ist gut geölt: Ein Aktionstag mit gleicher Beteiligung hieße, dass die „Sache abgeschlossen“, über die Bühne gebracht sei. In Anbetracht der zwei bevorstehenden Monate Sommerpause soll jeder Funken Hoffnung auf eine Verstärkung des Kampfes ausgelöscht werden. Die Gewerkschaften hatten sich schon in ihren Reden darauf eingestimmt: „Wir haben alles versucht, aber die Kampfbereitschaft der Beschäftigten war nicht stark genug“. Die Entmutigung war vorhersehbar!
Diese Technik war früher schon mehrfach, oft erfolgreich, ausprobiert worden. Aber der Schuss ging daneben. Am 24. Juni ziehen zwei Millionen Beschäftigte, Arbeitslose und prekär Beschäftigte auf die Straße.
Neben der großen Teilnehmerzahl schlägt auch die Stimmung um: Wut und Empörung nehmen deutlich zu. Seit der Zuspitzung der Wirtschaftskrise 2008 verschärfen sich Verarmung und Ungerechtigkeit. Die Rentenreform wird zum Symbol der brutalen Verschlechterung der Lebensbedingungen.
Juli-August 2010
Der Aktionstag des 24. Juni hat der Moral der Arbeiterklasse wieder Auftrieb verliehen. Die Idee, dass ein druckvoller Kampf möglich ist, gewinnt an Boden. Die Gewerkschaften verspüren natürlich auch, dass der Wind sich dreht. Sie wissen, die Frage „Wie kämpfen“ weicht nicht aus den Köpfen. Sie beschließen, sofort das Terrain zu besetzen und ideologisch vorzurücken. Sie wollen verhindern, dass die Arbeiter selbständig, außerhalb der gewerkschaftlichen Kontrolle denken und handeln. Sie kündigen deshalb sofort am Tag nach dem 24. Juni einen neuen Aktionstag für die Zeit nach der Sommerpause an (7. September).
Um sicherzustellen, dass „das selbständige Denken“ eingedämmt wird, heuern sie gar Flugzeuge an, die mit Spruchbändern mit Aufrufen zu den Kundgebungen am 7. September über die Badestrände fliegen.
Aber ein anderes Ereignis, das unter „Sonstiges“ gehandelt werden könnte, lässt im Sommer die Wut weiter ansteigen – „die Woerth-Affäre“ (es geht um politische Begünstigung unter gegenwärtig an der Macht befindlichen Politikern und eine der reichsten Erbinnen des französischen Kapitals, Frau Bettencourt, Chefin von L’Oréal, mit der Beschuldigung von Steuerhinterziehungen und illegalen Absprachen aller Art). Nun ist Eric Woerth niemand anders als der für die Rentenreform verantwortliche Minister. Die empfundene Ungerechtigkeit ist groß: Die Arbeiterklasse soll den Gürtel enger schnallen, während die Reichen und Mächtigen „ihre Geschäfte untereinander machen“.
7. September 2010
Von Anfang an konnte man für diesen Aktionstag eine große Beteiligung erwarten. Dabei wurde ein Aktionstag zum ersten Mal so früh nach dem Ende der Sommerferien angesetzt. Schon vor dem 7. September und in Anbetracht der hochkochenden Wut der Arbeiter verkünden die Gewerkschaften eine neue Demonstration für einen Samstag, damit „jeder teilnehmen“ könne.
Am 7. September strömen 2.7 Millionen Demonstranten zusammen. Die Sommerpause hat nichts bewirkt; es scheint, ein heißer Herbst stehe bevor, der die Dynamik der Entwicklung vor dem Sommer fortsetzen werde. Aufrufe zu weiteren Streiks machen die Runde.
In Anbetracht des Ausmaßes der Wut und der massiven Mobilisierung reagiert der gewerkschaftliche Zusammenschluss sofort. Im Handumdrehen wird die Samstags-Demonstration abgesagt, die Möglichkeit von erneuten Streiks wird verworfen. Ein neuer Aktionstag wird für 15 Tage später (23. September) verkündet. Die Dynamik soll gebrochen, Zeit geschunden werden. Dieses „verantwortungsbewusste Handeln“ des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses wird dann später von den höchsten Instanzen des französischen Staates gelobt werden.
23. September 2010
Drei Millionen Demonstranten auf der Straße! Die Bewegung steigt also weiter an. Zum ersten Mal zögern die Demonstrationszüge nach dem Ende der Kundgebungen, sich aufzulösen. Genauer gesagt bleiben in zahlreichen Städten nach den Kundgebungen einige Dutzend Leute hier, einige Hundert Leute da zusammen. Es zirkulieren zum ersten Mal Flugblätter aus branchenübergreifenden Bereichen, die dazu aufrufen, dass die Arbeiter den Kampf in die eigenen Hände nehmen. 2. In einigen Städten organisiert die CNT-AIT “Volksversammlungen”, damit sich jeder “frei zu Wort” melden kann (die IKS schloss sich später dieser ausgezeichneten Initiative an). Von da an wurden erfolgreich diese Versammlungen auf der Straße abgehalten; es gelang mehreren Dutzenden Leuten, insbesondere in Toulouse, jede Woche zusammenzukommen (3.)
Dieser Wille zur Selbstorganisierung, der hier durch die Minderheiten zum Vorschein kommt, zeugt davon, dass in der ganzen Klasse die Gewerkschaftsstrategie infragegestellt wird, ohne daraus natürlich schon all die Konsequenzen zu ziehen.
2. Oktober 2010
Die erste Demonstration, die an einem Samstag stattfand. Die Zahl der Teilnehmer bleibt im Wesentlichen unverändert. Aber zu den drei Millionen Teilnehmern gehören dieses Mal auch neben den üblichen Teilnehmern Familien und Beschäftigte der Privatindustrie, die üblicherweise nicht in den Streik treten können.
Mehrere Versuche, Straßenversammlungen nach Kundgebungsende abzuhalten, scheitern:
- In Paris wird von der branchenübergreifenden Gruppe Turbin (der Name rührt von ihrer E-mail [email protected] her) ein Flugblatt mit dem Aufruf verteilt, an einem Zeitungsstand nach Ende der Kundgebung bei dem Spruchband „Die beste Rente ist der Angriff“, „Nehmen wir unsere Kämpfe in die eigenen Hände“ zusammenzukommen. Ein Beleg, dass dieser Aufruf tatsächlich verbreitet wurde: am vorgeschlagenen Treffpunkt warten Dutzende… Polizisten (mit Kamera!). Weil es keinen geeigneten Ort für eine Versammlung gab, konnte diese nicht abgehalten werden. Der Zug der branchenübergreifenden Gruppe beschließt daraufhin, weiter zu demonstrieren. Ca. 50 Teilnehmer ziehen los, innerhalb einer Stunde versammeln sich ca. 300 Leute.
- In Tours ruft das Komitee „Für die Ausdehnung der Kämpfe“ per Flugblatt dazu auf, „die Straße für uns zu gewinnen“.
- In Lyon sprechen sich einige Dutzend Demonstranten dafür aus, nicht sofort auseinanderzugehen, sondern zusammenzubleiben, um in einer Straßenversammlung zu diskutieren und gemeinsam zu überlegen, wie sie die Bewegung fortsetzen und entfalten können. Die Lautsprecher der CGT (die größte französische Gewerkschaft) ersticken schließlich diese Initiative; deren dröhnender Lärm macht jede wirkliche Debatte unmöglich.
Diese gescheiterten Versuche zeigen einerseits die Anstrengungen unserer Klasse, die Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen, andererseits aber auch die Schwierigkeiten der jetzigen Zeit (insbesondere das mangelnde Selbstvertrauen, das noch eine Fessel für die Ausgebeuteten ist).
In Toulouse dagegen finden die Volksversammlungen weiterhin statt. Die Initiative nimmt immer größere Ausmaße an, da die CNT-AIT und die IKS am Ende der Demonstration ein Spruchband aufstellen, auf dem steht: „Beschäftigte, Arbeitslose, Studenten, Rentner, nehmen wir den Kampf in die eigenen Hände“. Vor Ort wird eine Versammlung auf der Straße abgehalten, mehrere Dutzend Leute beteiligen sich daran.
12. Oktober 2010
An diesem neuen Aktionstag kommen ca. 3.5 Millionen Teilnehmer zusammen, ein neuer Rekord!
Wichtiger noch, die Stimmung ist ziemlich aufgewühlt. Es werden immer mehr branchenübergreifende Vollversammlungen abgehalten; es entstanden mehrere Dutzend in ganz Frankreich. Es beteiligen sich jeweils zwischen 100-200 Leuten. Die Politik der zusammengeschlossenen Gewerkschaften wird immer offener kritisiert. In zahlreichen Flugblättern der branchenübergreifenden Zusammenschlüsse wird gar ausdrücklich gesagt, dass diese absichtlich in die Niederlage führen 4. Als Zeichen dieser Dynamik wird in Toulouse neben den von der CNT-AIT (und in einem geringeren Maße von der IKS) organisierten Volksversammlungen ein Aufruf zur Abhaltung einer Straßenversammlung jeden Tag vor den Gewerkschaftshäusern um 18.00 h verfasst (bis heute, 20. Oktober, trifft man sich weiterhin täglich), und weitere Aufrufe per Flugblatt werden verfasst.
Ein neuer Streik wurde schließlich von den meisten Gewerkschaften beschlossen. Nach diesem ganzen Marathon (die Bewegung hat vor sieben Monaten angefangen!) und zahlreichen Streiktagen, an denen sich die Arbeiter an früheren Aktionstagen wiederholt beteiligten, kommt dieser verlängerbare Streik sehr spät. Die Arbeiter haben schon große Lohnverluste hinnehmen müssen. Darauf setzen jedenfalls die Gewerkschaften. Aber auch an dieser Bewegung beteiligen sich viele.
Bei den Eisenbahnern und den Lehrern der Pariser Region wurden viele Vollversammlungen abgehalten, die von den Gewerkschaften organisiert wurden. Das Ausmaß der Spaltung und Sabotage erscheinen hier schon fast lächerlich. Bei den französischen Eisenbahnen SNCF werden die gewerkschaftlichen Vollversammlungen je nach Beschäftigungsbereich organisiert (Lokführer auf der einen, Schaffner auf der anderen Seite, und das Verwaltungspersonal wiederum für sich in seiner Ecke); in einigen Krankenhäusern organisiert jede Station ihre eigene Vollversammlung. Sie sind absolut nicht souverän. Zum Beispiel am Pariser Ostbahnhof steht die Entscheidung über die Verlängerung des Streiks für Donnerstag, den 14. Oktober morgens an; die Gewerkschaftsfunktionäre stimmen schon am Mittwoch unter sich darüber ab. Diese Strategie zeigt zwei Folgen:
- Die Vollversammlung verliert ihren Zweck; die Beschäftigten gehen nicht mehr hin, da ohnehin schon alles beschlossen ist;
- Sie ermöglichen den Medien, die Abstimmung über die Verlängerung des Streiks als die Angelegenheit einer winzigen Minderheit darzustellen; so möchte man die Bewegung unpopulär machen.
Und hier spielen die Gewerkschaften ihren größten Trumpf aus: Lähmung des öffentlichen Verkehrs (vom 12. Oktober an fallen viele Züge aus, die Blockade der Raffinerien gefährdet die Benzinversorgung), um so Spannungen innerhalb der Arbeiterklasse zu schüren und diejenigen, die arbeiten wollen (und müssen), gegen die Streikenden aufzuwiegeln.
16. Oktober 2010
Die zweite Demonstration an einem Samstag. Erneut ziehen ca. drei Millionen Menschen auf die Straße.
Ein neues Element tritt in Erscheinung: die Jugend. Gymnasiasten, die einige Tage zuvor in den Kampf eingetreten sind, nehmen an den Protestzügen teil.
Am darauffolgenden Monat werden ca. 1000 Schulen blockiert und es kommt zu vielen Demonstrationen der Gymnasiasten. Die UNL, die größte Gewerkschaft der Gymnasiasten (nicht der Studenten), die diese Bewegung mit angeleiert hat, gesteht ein, von dem Ausmaß der Bewegung überrollt zu sein.
Der Staat schlachtet das Auftreten einiger weniger jugendlicher Randalierer unter den Gymnasiasten aus, um einige “Blockierer” und junge Demonstranten äußerst gewaltsam zu unterdrücken (ein siebzehnjähriger Jugendlicher verliert infolge eines Flash-Ball-Schusses in Montreuil in einem Pariser Vorort fast ein Auge). Die Ordnungskräfte fachen die Wut weiter an mit ihren polizeilichen Provokationen. Das Ziel ist klar: die Bewegung soll entarten, in blinder Gewalt versinken und in sinnlosen Zusammenstößen mit den Bullen verenden. Damit will der Staat den Kampf unpopulär machen, die Jugendlichen, ihre Eltern und die ganze Arbeiterklasse einschüchtern.
18. Oktober 2010
Die Studenten, die im Mittelpunkt der siegreichen Bewegung gegen den CPE 2006 standen, scheinen sich jetzt auch der Bewegung anzuschließen. In einigen Universitäten wird deren Blockade beschlossen (insbesondere in Paris, Toulouse, Rennes), aber bislang beteiligen sich nur ganz wenige Studenten daran.
19. Oktober 2010
Die Drohung der Blockade der Raffinerien, die seit dem 12. Oktober in der Luft lag, wird umgesetzt. Ohne irgendeine Entscheidung in Vollversammlungen zu berücksichtigen, folgen die Truppen der CGT den Anweisungen ihrer Gewerkschaft und legen die Raffinerien lahm. Sehr schnell geht vielen Tankstellen (nach Schätzungen zwischen 1000-2000) das Benzin aus.
Die Mobilisierungen nehmen auch bei der SNCF zu; mehr und mehr Züge fallen aus.
Trotz dieser Lähmung des Transportwesens wird die Bewegung nicht unpopulär. Selbst jene Medien, die üblicherweise Passanten auf der Straße interviewen, von denen dann oft viele ihren ganzen Hass äußern, weil in irgendeinem Bahnhof Züge ausfallen, müssen dieses Mal zugeben, dass dieselben „Reisenden“ mit der Bewegung solidarisch sind, dass sie Geduld und Nachsicht zeigen und die Streikenden voll unterstützen, denn „sie kämpfen für unser gemeinsames Interesse“. Einige Gewerkschaftsvollversammlungen und einige branchenübergreifende Gruppierungen beschließen gar die Unterstützung der Blockierer der Raffinerien, vor denen es oft zu sehr brutalen Übergriffen seitens der Polizei bei der „Räumung der Raffinerien“, der „Wiederherstellung der Ordnung“ und dem Vorgehen „gegen Diebe“ kommt (so der Präsident der Republik, Nicolas Sarkozy).
Trotz des Benzinmangels, trotz der ausgefallenen Züge, trotz der Einschüchterungen und der Repression strömen am 19. Oktober dreieinhalb Millionen Menschen auf der Straße zusammen. Dies spiegelt das Ausmaß der Wut der Arbeiter wider!
Gegenüber dem Ausmaß dieser neuen Mobilisierung greift der Staat noch mehr zum Polizeiknüppel und den Flash-Balls. Insbesondere in Lyon wartet ein massives Polizeiaufgebot auf den eintreffenden Demonstrationszug. Die Polizisten schüren bewusst den Hass unter den Jugendlichen. Eine Handvoll von ihnen lässt sich provozieren. Die Repression endet damit in einer Kette von Gewalt; die Bullen schlagen auf alles ein, was sich bewegt: auf Jugendliche, die irgendwie wie Randalierer aussehen (d.h. es reicht eine Kappe zu tragen) oder ganz einfach nur jung aussehen, aber auch auf Ältere. Der Staat hat sicherlich gespürt, dass er dieses Mal zu weiter gegangen ist, denn einige Minister rufen „zu Ruhe und Besonnenheit“ auf (in Wirklichkeit sind diese Aufrufe an ihre eigenen Truppen gerichtet). Die Demonstration in Paris fand anschließend „ohne Zusammenstöße“ statt, wie die Presse unterstrich.
Zusammenfassend gesagt; die Bewegung entfaltet sich nunmehr seit sieben Monaten. Die Wut ist sehr groß. Die Forderungen gegen die Rentenreform neigen dazu, in den Hintergrund zu treten. Die Medien gestehen ein, dass die Bewegung sich „politisiert“ habe. Die ganze Verarmung, die prekären Arbeitsbedingungen, die Ausbeutung usw. werden offen verworfen. Die Solidarität zwischen den verschiedenen Branchen hat auch zugenommen. Aber bislang ist es der Arbeiterklasse nicht gelungen, ihre Kämpfe wirklich in die eigene Hand zu nehmen. Sie wünscht das immer mehr; einige Minderheiten nehmen hier und da immer mehr Anläufe in diese Richtung. Das Misstrauen gegenüber den zusammengeschlossenen Gewerkschaften wächst; aber noch gelingt es den Arbeitern nicht, sich mittels autonomer und souveräner Vollversammlungen und somit außerhalb der Gewerkschaften zu organisieren. Aber solche Vollversammlungen waren das Herz der Bewegung gegen den CPE 2006; damals hatten diese der Bewegung ihre Stärke verliehen. Der Arbeiterklasse scheint es noch an Selbstvertrauen zu mangeln. Die weitere Entwicklung der Kämpfe wird uns zeigen, ob es ihr gelingen wird, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn es dieses Mal nicht gelingt, dann eben das nächste Mal. Die gegenwärtigen Kämpfe verheißen viel für die zukünftigen Kämpfe!
Fortsetzung folgt… IKS
1 All diese Teilnehmerzahlen sind Angaben des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses. Manchmal weichen die Angaben, welche die Gewerkschaften und die Polizei machen, im Verhältnis 1:10 voneinander ab. Die Medien sprechen schon von einem „Krieg der Zahlen“. Diese Zahlenspiele erwecken den Eindruck, es gebe einen radikalen Gegensatz zwischen den Gewerkschaften und dem Staat (obwohl sie nur ein anderes Instrument im gleichen Orchester und mit der gleichen Partitur spielen); die Wirklichkeit soll vernebelt werden. Niemand kennt die wirkliche Teilnehmerzahl der Demonstrationen. Wir haben immer die Angaben der Gewerkschaften herangezogen, die sicherlich der Wirklichkeit eher nahekommen, denn dadurch kann man Tendenzen erkennen und sehen, ob die Teilnehmerzahl weiter steigt oder rückläufig ist.
2 Beispiele dieser Flugblätter findet ihr auf unserem Forum unter: "Prenons nos luttes en main".
3 Siehe zum Beispiel einen der Aufrufe zu diesen Volksversammlungen: “In diesem Herbst ragen die massiven Demonstrationen heraus, die durch die Rentenreform hervorgerufen werden. Hunderttausende beteiligen sich an diesen von den Gewerkschaften organisierten Kundgebungen. Wie viele kehren frustriert nach Hause zurück? Frühere Erfahrungen haben zu genüge gezeigt, dass diese wiederholten Aktionstage nichts anderes als hilflose Sparziergänge sind. Wenn wir nicht reagieren, wenn wir nicht das Wort ergreifen, um gemeinsam zu entscheiden, wie wir unseren Kampf entfalten können, werden wir besiegt werden, und andere Niederlagen werden folgen. Deshalb fordern wir euch auf zusammenzukommen um zu debattieren, die Atomisierung zu durchbrechen. Was könnte passieren, wenn diejenigen, die ohne Stimme oder isoliert sind, zusammenkommen und ihre Stimme erheben? Muss man immer noch auf den „richtigen Augenblick“ warten oder auf eine Erlaubnis dazu? Wir schlagen vor, kommt am Montag, den 11. Oktober um 13.00 h vor der Arche zusammen, um zu diskutieren, um jetzt gemeinsam vorzugehen, damit wir eine gemeinsame Antwort geben können. Überwinden wir die Zerstreuung. Nutzen wir diesen Moment aus, um einen wirklichen Ort der brüderlichen Debatte, die allen offen steht, zu schaffen.“
4 Lest insbesondere das Flugblatt “Aufruf an alle Beschäftigten”, unterzeichnet mit “Beschäftigte und prekär Beschäftigte der branchenübergreifenden Vollversammlung des Ostbahnhofs”. In diesem Flugblatt wird zum Beispiel betont: „Wenn wir die Chérèque (CFDT), Thibault (CGT) & Co. An unserer Stelle entscheiden lassen, bereiten wir nur neue Niederlagen vor.“ Und „Die Form, die die Bewegung annehmen wird, liegt in unseren Händen. Wir müssen diese selbst schaffen – an unserem Arbeitsplatz, mit Streikkomitees, in unseren Wohnvierteln mittels souveräner Vollversammlungen. Sie müssen die arbeitende Bevölkerung im größtmöglichen Umfang zusammenbringen, die auf nationaler Ebene koordiniert mit gewählten und jederzeit abwählbaren Delegierten vorgeht. Wir selbst müssen Aktionen, Forderungen beschließen. Niemand anders kann das an unserer Stelle machen.“