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IKSonline - 2009

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Januar 2009

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Gaza: Solidarität mit den Opfern erfordert Klassenkampf gegen alle Ausbeuter!

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Nachdem die Wirtschaft des Gazastreifens durch die Blockade von Öllieferungen und Medikamenten, die Verhinderung des Exportes und es palästinensischen Arbeitern unmöglich gemacht wurde, auf israelischem Gebiet Arbeit zu suchen, zwei Jahre lang erstickt wurde, nachdem der ganze Gazastreifen in ein gewaltiges Gefangenenlager verwandelt wurde, aus dem verzweifelte Palästinenser zu flüchten versuchen, indem sie die Grenze nach Ägypten durchbrechen, unterwirft die israelische Militärmaschine diesen dicht bevölkerten, verarmten Streifen der Erde der ganzen Bestialität einer praktisch endlosen Bombardierung aus der Luft. Hunderte Menschen sind schon ermordet worden und die schon völlig überforderten Krankenhäuser können den endlosen Strom von Verwundeten nicht mehr aufnehmen.

Nachdem die Wirtschaft des Gazastreifens durch die Blockade von Öllieferungen und Medikamenten, die Verhinderung des Exportes und es palästinensischen Arbeitern unmöglich gemacht wurde, auf israelischem Gebiet Arbeit zu suchen, zwei Jahre lang erstickt wurde, nachdem der ganze Gazastreifen in ein gewaltiges Gefangenenlager verwandelt wurde, aus dem verzweifelte Palästinenser zu flüchten versuchen, indem sie die Grenze nach Ägypten durchbrechen, unterwirft die israelische Militärmaschine diesen dicht bevölkerten, verarmten Streifen der Erde der ganzen Bestialität einer praktisch endlosen Bombardierung aus der Luft. Hunderte Menschen sind schon ermordet worden und die schon völlig überforderten Krankenhäuser können den endlosen Strom von Verwundeten nicht mehr aufnehmen. Die Behauptung Israels, es versuche die Zahl ziviler Opfer zu begrenzen, ist ein schmutziger Witz, liegt doch jedes ‚militärische’ Ziel in dicht besiedelten Gebieten, meist direkt neben Wohngebäuden, und da Moscheen und die islamische Universität offen als Ziele ausgewählt wurden, ist die Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen völlig sinnlos geworden. Die Folgen liegen auf der Hand: Unzählige Zivilisten, darunter viele Kinder, wurden getötet oder verletzt, eine noch größere Zahl durch die nicht aufhörenden Bombenangriffe terrorisiert und traumatisiert. Während wir diesen Artikel verfassen, beschreibt der israelische Premierminister Ehud Olmert die Offensive als nur die erste Stufe. Panzer stehen zum Einmarsch bereit und eine breit gefächerte Bodenoffensive wird nicht ausgeschlossen.

Die israelische Rechtfertigung für diese Grausamkeiten – die von der Bush-Administration in den USA unterstützt wird – ist, dass Hamas trotz des sogenannten Waffenstillstandes immer wieder israelische Zivilisten mit Raketen beschossen hat. Das gleiche Argument wurde vor zwei Jahren vorgebracht, um die Invasion des Südlibanons zu rechtfertigen. Es stimmt zwar, dass Hisbollah und Hamas sich hinter der palästinensischen und libanesischen Bevölkerung verstecken und diese zynisch den israelischen Racheakten ausliefern, bei denen jeweils der Tod einer Handvoll von israelischen Zivilisten als ein Beispiel des ‚Widerstandes’ gegen die israelische militärische Besatzung dargestellt wird. Aber die Reaktion Israels ist absolut typisch für das Vorgehen jeder Besatzungsmacht: Die gesamte Bevölkerung wird für die Taten einer Minderheit von bewaffneten Kämpfern bestraft. Dies geschah schon bei der Wirtschaftsblockade, welche eingeführt wurde, nachdem Hamas bei der Kontrolle des Gazastreifens die Fatah besiegte; das gleiche geschah im Libanon und genau das gleiche machen sie heute bei der Bombardierung des Gazastreifens. Dies ist die barbarische Logik aller imperialistischen Kriege, in denen Zivilisten von beiden Seiten als menschliche Schutzschilde und Ziele eingesetzt werden, und bei denen jeweils immer mehr Zivilisten sterben als uniformierte Soldaten.

Wie bei jedem imperialistischen Krieg hat das Leiden, das der Bevölkerung auferlegt wird, und die absichtliche Zerstörung von Häusern, Krankenhäusern und Schulen, nichts anderes zur Folge als die Vorbereitung neuer Zerstörungswellen. Israel verkündet als sein Ziel die Zerschlagung der Hamas und die Förderung von Möglichkeiten, dass eine eher „moderatere“ Palästinenserführung im Gazastreifen gebildet wird. Aber selbst frühere israelische Nachrichtenoffiziere (zumindest einer der …klügeren von ihnen) erkennen die Nutzlosigkeit dieser Herangehensweise. Der ehemalige Mossad Offizier Yossi Alpher meinte anlässlich der Wirtschaftsblockade: „Die ökonomische Belagerung des Gazastreifens hat keines der erwünschten politischen Ziele verwirklicht. Die Palästinenser sind nicht dazu manipuliert worden, die Hamas zu hassen; all das ist wahrscheinlich konterproduktiv gewesen. Es war nur eine sinnlose Kollektivstrafe.“ Das trifft noch mehr zu für die Luftangriffe. Der israelische Historiker Tom Segev meinte dazu: „Israel hat immer geglaubt, indem man der palästinensischen Zivilbevölkerung Leiden zugefügt wird, würde sich diese gegen ihre nationalen Führer erheben. Diese Annahme hat sich immer wieder als falsch herausgestellt.“ (beide Zitate aus The Guardian, 30.12.08). Im Libanon wurde die Hisbollah 2006 durch die israelischen Angriffe gestärkt; die Offensive im Gazastreifen könnte sehr wohl das gleiche Ergebnis für die Hamas bringen. Aber ob geschwächt oder gestärkt, sie wird sicher mit noch mehr Angriffen auf israelische Zivilisten reagieren. Wenn dies nicht mit Raketenangriffen erfolgt, dann durch eine Neuauflage von Selbstmordattentaten.

Die ‘Spirale der Gewalt’ spiegelt den Niedergang des Kapitalismus wider

„Besorgte“ Führer der Welt wie der Papst oder der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprechen oft davon, dass das Vorgehen Israels nur dazu führe, den nationalen Hass aufzustacheln und die „Spirale der Gewalt“ im Nahen Osten weiter anzufachen. All das stimmt: der ganze Zyklus von Terrorismus und staatlicher Gewalt in Israel/Palästina brutalisiert die Bevölkerung und die Kämpfer auf beiden Seiten und schafft neue Generationen von Fanatikern und ‚Märtyrern’. Aber was der Vatikan und die UN nicht sagen, ist dass der Abstieg in die Hölle des nationalen Hasses das Ergebnis eines Gesellschaftssystem ist, welches überall Fäulniserscheinungen zeigt. Im Irak sieht es ähnlich aus. Dort packen sich Sunniten und Schiiten an die Kehle, auf dem Balkan kämpfen Albaner oder Kroaten gegen Serben, in Indien/Pakistan Hindus gegen Moslems und in den endlosen Kriegen Afrikas kann man die ethnisch begründeten Kriege gar nicht mehr zählen. Die Explosion all dieser Konflikte auf der Erde sind Zeichen einer Gesellschaft, welche der Menschheit keine Zukunft mehr anzubieten hat.

Und die Beteiligung der ‘besorgten’, ‘humanitär denkenden’, demokratischen Weltmächte bei der Zuspitzung dieser Konflikte wird ebenso verschwiegen, es sei denn die gegnerische Seite in einem Konflikt bringt dies zur Sprache. So schwieg zum Beispiel die britische Presse nicht zur Unterstützung Frankreichs für die Mörderbanden der Hutus 1994 in Ruanda. Sie hält sich mehr zurück bei der Rolle britischer und amerikanischer Geheimdienstkräfte hinsichtlich der Spaltungen zwischen Schiiten und Sunniten im Irak. Im Mittleren Osten sind die Unterstützung der USA für Israel und die Irans und Syriens für Hisbollah und Hamas ein offenes Geheimnis, aber auch andere Mächte wie Frankreich, Deutschland, Russland und andere Länder, die eher eine verdecktere bzw. ausgeglichenere Rolle einnehmen, sind nicht unschuldig.

Der Konflikt im Mittleren Osten hat seine besonderen Aspekte und Ursachen, aber er kann eigentlich nur im Zusammenhang der globalen kapitalistischen Maschinerie verstanden werden, welche außer Kontrolle geraten ist. Die Zunahme von Kriegen auf der ganzen Erde, die unkontrollierbare Wirtschaftskrise, die sich zuspitzende Umweltkatastrophe belegen dies deutlich. Aber während der Kapitalismus uns keine Hoffnung auf Frieden und Wohlstand bietet, gibt es eine andere Hoffnung: Die Erhebung der ausgebeuteten Klasse gegen die Brutalität des Systems. Eine Erhebung, die in Europa in den letzten Wochen durch die Bewegung der jungen Generation in Italien, Frankreich, Deutschland und vor allem Griechenlands zu Tage getreten ist. Diese Bewegungen haben die Notwendigkeit von Klassensolidarität hervorgehoben sowie die Überwindung aller nationaler und ethnischer Spaltungen. Obgleich noch in der Anfangsphase steckend, liefern sie ein Beispiel für das, was in anderen Teilen der Erde, die am meisten von den Spaltungen innerhalb der Ausgebeuteten betroffen sind, aufgegriffen werden kann. Dies ist keine Utopie. In den letzten Jahren schon waren Beschäftigte des öffentlichen Dienstes im Gazastreifen in Streik getreten, um gegen ausstehende Lohnzahlungen zu protestieren, während nahezu gleichzeitig Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Israel gegen die Auswirkungen der Sparpolitik streikten, die wiederum eine direkte Folge der Rüstungswirtschaft ist. Diese Bewegungen waren sich der Existenz der jeweils anderen Bewegungen nicht bewusst, aber sie belegen dennoch die objektiv gemeinsamen Interessen der Arbeiter auf beiden Seiten der imperialistischen Lager.

Solidarität mit der notleidenden Bevölkerung der kapitalistischen Kriegsgebiete bedeutet nicht, ein ‚geringeres Übel’ zu oder eine ‚schwächere’ kapitalistische Bande zu wählen wie Hisbollah oder Hamas gegen die scheinbar offen aggressiver auftretenden Mächte wie die USA oder Israel. Hamas hat schon bewiesen, dass sie eine bürgerliche Kraft darstellt, welche die palästinensischen Arbeiter unterdrückt – insbesondere als sie die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes als Kräfte beschimpfte, die gegen die ‚nationalen Interessen’ handelten, und als sie in der Auseinandersetzung mit der Fatah in einem mörderischen Machtkampf um die Kontrolle der Region die Bevölkerung des Gazastreifens als Geisel nahm. Solidarität mit den Opfern der imperialistischen Kriege erfordert, dass man alle Kriegsparteien verwerfen und den Klassenkampf gegen die Herrschenden und Ausbeuter auf der ganzen Welt entfalten muss. 2.Januar 2009

Geographisch: 

  • Naher Osten [1]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Hamas [2]
  • Hisbollah [3]
  • Israel [4]
  • Internationalismus [5]
  • Palästinakonflikt [6]
  • Palästina Gaza [7]

Theoretische Fragen: 

  • Imperialismus [8]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die nationale Frage [9]

Februar 2009

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Debatte: Zur Frage der subjektiven und objektiven Faktoren des Klassenkampfes

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Die IKS bietet auf ihrer Webseite ihren Lesern die Möglichkeit an, Meinungen und Kommentare zu den einzelnen Artikeln zu hinterlassen, und damit öffentliche Diskussionen anzuregen. Von Stellungnahmen unserer Organisation zu den weltweiten Schüler- und Studentenprotesten ausgehend, hat sich seit Anfang der zweiten Januarwoche daraus eine Art spontaner Blog dazu entwickelt, was wir sehr herzlich begrüßen. Dabei haben v.a. zwei Teilnehmer, Hama und Bruno, teils heftigen Einspruch erhoben gegen unsere Sichtweise dieser Jugendproteste als Zeichen des verstärkten internationalen Widerstandes der Arbeiterklasse gegenüber der sich rasant verschärfenden Wirtschaftskrise. Es stellte sich rasch heraus, dass weder die Einschätzung des proletarischen Charakters der Proteste noch die Aussage über den sich formierenden und sich allmählich verstärkenden Widerstand der Klasse insgesamt auf ungeteilte Zustimmung stießen. Wir müssen zugeben, dass wir jedenfalls anfangs Schwierigkeiten hatten, das genauere Anliegen der Genossen zu begreifen, welche hauptsächlich Kritik erhoben hatten. Umso schöner war es für uns zu erleben, wie – im Verlauf der Diskussion und durch die Diskussion – uns die sehr berechtigten Sorgen dieser Genossen klarer wurden. Dazu beigetragen haben die Kritikführer selbst mit ihrer unermüdlichen Bemühung, ihr Anliegen immer deutlicher zu machen, als auch die Einwände und Fragestellungen der anderen Teilnehmer an der Debatte wie etwa der Genosse Riga. Nicht weniger befriedigend ist es zu erleben, wie im Verlauf die Teilnehmer aufeinander eingehen, ihre Ansichten weiter entwickeln und, wenn nötig, auch korrigieren. Wir verweisen also auf die Beiträge dazu und ermuntern alle unsere Leser, sich an diesem und ähnlichen Blogs zu beteiligen.

Wir wollen nun kurz auf einige wenige Beiträge eingehen, in denen aus unserer Sicht wichtige Entwicklungen in der Diskussion stattfanden und die tiefer liegenden Sorgen und Sichtweisen sich erhellten. Wir werden aus Platzgründen nicht ausführlich aus diesen Beiträgen zitieren, sondern die Ideen zusammenfassen, und verweisen unsere Leser auf die Kommentare, die man ja selber nachlesen kann.

Im Beitrag von Bruno vom 19. Jan. 09 „Nicht mit den Wölfen heulen“ merkt der Genosse selbstkritisch an, dass sein(e) „Sarkasmus und Polemik“ gegenüber der These der erwachenden Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse „scheinbar“ (wie er schreibt) in Widerspruch stehen zu seinen eigenen Aussagen damals zur Zeit der Eisenbahnerstreiks in Deutschland. Damals vertrat er ja die Ansicht, dass die Argumente der Ausbeuter, etwa dass wir alle in einem Boot sitzen würden, an Glaubwürdigkeit und Integrationskraft verlören. Auch würde die Klasse sich weniger als vorher durch die Erpressung der Arbeitslosigkeit davon abhalten lassen, sich zu wehren, je mehr die Lohnabhängigen mitbekämen, wohin ein solcher Verzicht führe.

 

Eine Bemerkung zur Frage der Moral

Bruno erklärt nun, diese Widersprüchlichkeit seiner Argumentation sei Ausdruck einer „moralischen Ungeduld“. Das ist eine couragierte Aussage. Es stoße ihm auf, dass die Menschen erst dann reagieren, wenn sie selbst betroffen werden. Somit kritisiert der Genosse seine eigene bisherige Diskussion als Ausdruck einer moralischen und nicht marxistischen Sichtweise des Klassenkampfes. Wir sind mit dieser Argumentationslinie ganz einverstanden, wobei wir, unsererseits, da wir die Rolle der Moral im Klassenkampf hochschätzen, eher von einem „moralisierenden“ als von einem „moralischen“ Ansatz sprechen würden, den es zu überwinden gilt.

Hier hat der Genosse jedenfalls eine sehr wertvolle Anregung geliefert. Anders als die christliche Nächstenliebe (die so leicht in Hass umschlägt) geht die Auffassung des proletarischen Klassenkampfes davon aus, dass Eigenliebe und Nächstenliebe zusammen gehören. Ansonsten läuft man Gefahr, den in Not Geratenen noch mit Vorwürfen zu kommen. Wäre es für die Arbeiterklasse möglich, auf Dauer im Kapitalismus sich sozusagen häuslich einzurichten, wäre eine proletarische Revolution nichts als ein frommer Wunsch. Dann würde es auch nichts bringen, die Klasse dafür zu tadeln. Der Kapitalismus kann aus unserer Sicht nur überwunden werden, wenn es eine Klasse dieser Gesellschaft gibt, welche ein dringendes Eigeninteresse an der Überwindung dieser Gesellschaft hat. Im Verlauf des Kampfes dieser Klasse wird es möglich sein, eine tief verwurzelte Solidarität mit der ganzen Menschheit zu entwickeln, da die Interessen dieser Klasse – die Überwindung der Klassengesellschaft – sich mit denen der Menschheit insgesamt decken. Im übrigen ist in dieser Frage die Haltung Lenins während des Ersten Weltkriegs ein Beispiel. Er hat immer unterschieden zwischen dem Chauvinismus der herrschenden Klasse, welcher ihrem Klasseninteresse entspricht, und dem vieler Arbeiter, welche verwirrt sind und dessen Chauvinismus ihrem Klasseninteressen widerspricht, und deshalb überwunden werden kann und sollte.

Aber auch in einer weiteren wichtigen Frage bringt der Beitrag von Bruno die Debatte weiter, meinen wir: nämlich mit der Frage nach dem Klassencharakter der Jugendproteste. Riga hat zurecht darauf hingewiesen, dass man die subjektiven Faktoren eines Kampfes sehr beachten muss, um eine Bewegung richtig einzuschätzen. Auf das Bewusstsein, auf das Verhalten, auf die Forderungen, auf die Lernfähigkeit und Kampffähigkeit komme es vor allem an; daraus könne man am besten auf den Klassencharakter schließen. Dieser Idee Rigas stimmen wir zu. Allerdings betont Riga, dass man nicht ohne weiteres „objektive“, gewissermaßen ökonomische oder soziale Kriterien anwenden könne, ohne Gefahr zu laufen, die Arbeiterklasse zu verdinglichen, sie als eine Sache und nicht mehr als etwas Lebendiges zu betrachten. Es ist sicher richtig, auf diese Gefahr hinzuweisen. Dennoch meinen wir, dass Bruno zurecht darauf hinweist, dass der Kapitalismus selbst die Lohnabhängigen versachlicht und degradiert, und dass wir folglich gut tun werden, bei der Einschätzung der Klassennatur einer Bewegung auch die objektiven Faktoren zu berücksichtigen, und diese beiden zusammengehörenden Ebenen der Analyse einander nicht gegenüberzustellen.

 

Welche Einschätzung der weltweiten Schüler- und Studentenbewegung?

Wie ist es also mit den weltweiten Schüler- und Studentenbewegungen in dieser Hinsicht bestellt? „Schüler“ oder „Studenten“ sind ganz gewiss keine Klassenkategorien. Seitdem Schulpflicht besteht, wird den Angehörigen aller Klassen bürgerliche Bildung zuteil. Mit der wachsenden Komplexität und Wissenschaftlichkeit des Produktionsapparates werden auch mehr Arbeiterkinder an die Universitäten geschickt als zu Kaisers Zeiten. Schüler, Studenten, sind klassenübergreifende Kategorien. Hier kommen die von Riga zurecht betonten subjektiven Faktoren ins Spiel. Wenn Schüler, wenn Studenten im Verlauf eines Kampfes proletarische Forderungen stellen, proletarische Kampfmethoden anwenden, so fühlen wir uns berechtigt, anzunehmen, dass es sich im Kampf vorwiegend um die proletarischen Teile der Jugendlichen handelt, oder aber dass innerhalb einer breiteren Bewegung der Einfluss der proletarischen Bestandteile überwiegt. Noch wichtiger dabei als etwa die Vollsammlungen (auch andere Schichten können solche abhalten) erscheint uns die Tatsache, dass man sich an die Klasse insgesamt richtet und ihre Solidarität sucht. Aber dieser subjektive Faktor muss eine objektive Grundlage haben, wie Bruno und auch Hama betonen. Bruno merkt an, dass man als Proletarier nicht geboren wird. Er hat damit, meinen wir, nur bedingt recht. Er hat insofern recht, als es im Kapitalismus, anders z.B. als im Feudalismus eine weitreichende Durchlässigkeit und Fluktuation zwischen den Klassen gibt. Wer in einem schwarzen Ghetto Chicagos zur Welt kommt, kann Frau Obama werden und auch umgekehrt. Er hat insofern nicht recht damit, als auch die Reproduktion der LohnarbeiterInnen durch die Klasse zum Kapitalismus gehört, so dass die Reproduktionskosten der neuen Generation zu den Lohnkosten gehören. Allen Fluktuationen zum Trotz: Es wird immer einen Kern von proletarischen Kindern geben, welche Arbeiterfamilien entstammen, und deren „Schicksal“ ebenfalls die Lohnsklaverei ist. Die Tatsache, dass viele dieser Jugendlichen noch nicht in der Produktion stehen, stellt sie nicht außerhalb der Klasse, ansonsten wären die Erwerbslosen auch nicht Teil der Arbeiterklasse. Die proletarische Jugend ist nicht per se radikaler oder „revolutionärer“ als andere (Hama deutet zurecht auf diese Tatsache hin). Aber die lernenden oder studierenden Proletarier haben, wie die Erwerbslosen auch, zumindest den Vorteil, dass sie (noch) nicht so stark durch die Bedrohung der Arbeitslosigkeit erpressbar sind. Da sie (noch) nicht durch das Eingeschlossensein in den einzelnen Betrieben und durch die Gewerkschaften voneinander so abgetrennt werden, haben sie es leichter, zusammenzukommen. Und dadurch, dass sie jung sind, in die entwickelte kapitalistische Krise sozusagen hinein geboren wurden und dadurch weniger Illusionen haben, können sie vielleicht eher jetzt vorangehen im Kampf der Klasse zu einem Zeitpunkt, in dem die schiere Wucht der Wirtschaftskrise zunächst überwiegend einschüchternd auf die Beschäftigten wirken muss.

 

Macht es heute noch Sinn, die Kategorien von Klasse noch zu verwenden?

Den Genossen Hama treibt neben dieser auch eine andere Frage um, eine noch grundsätzlichere Frage, meinen wir. Dies kommt deutlich zum Ausdruck im Beitrag des Genossen vom 26. Jan. 09. Dort stellt er die Frage, ob es überhaupt noch richtig ist, an die Kämpfe von heute mit Kategorien von Klassen heranzutreten. Damals, noch in den 1930er Jahren, konnte man von einem Weltproletariat reden, so sein Argument, heute aber eher nicht mehr. Was wir sehen, ist vielmehr Widerstand bestimmter Gruppen, deren Kampf eher keinen deutlichen Klassencharakter hat, und dennoch möglicherweise das Potenzial entwickeln kann, irgendwann in eine kommunistische Richtung zu gehen. Es geht dem Genossen also weniger darum, ob etwa die Bewegung in Griechenland proletarisch sei, sondern v.a. darum, ob es überhaupt noch vertretbar sei, das Instrument der Klassenanalyse anzuwenden und die Lösung der Krise des Kapitalismus von einer bestimmten Klasse der Gesellschaft, spricht durch den Klassenkampf zu erwarten und die Intervention dementsprechend auszurichten? Auf die Frage von Riga, wer denn außer der Arbeiterklasse etwa in der Übergangsperiode nach einer Machtergreifung für eine Ausrichtung hin zum Kommunismus „garantieren“ könne, findet Hama zwar keine schlüssigen Antworten; dennoch müsse diese Tatsache nicht automatisch die anderen nicht den Klassenkampf befürwortenden Ansätze (etwa den der „Wertkritiker“) disqualifizieren.

Hier geht es allerdings ums Grundsätzliche, nämlich um das marxistische Verständnis des Wesens des Kapitalismus als Abschnitt der Menschheitsgeschichte. Wie Engels in Anti-Dühring argumentiert (und wir schließen uns dieser Ansicht an), besteht das besondere, das Revolutionäre am Kapitalismus darin, dass er erstmals in der Geschichte die Einzelproduktion mit vereinzelten Arbeitsinstrumenten ersetzt hat durch eine gesellschaftliche, nur gemeinsam durch viele Menschen anwendbare Produktionsmittel. Durch eine gigantische Steigerung der Produktivität der Arbeit hat der Kapitalismus erstmals die Voraussetzungen für den Kommunismus geschaffen. Diese Steigerung wurde aber ermöglicht durch die Assoziation der Arbeit. Erst dadurch wurde der systematische Einsatz von Maschinen und von Wissenschaft in der Produktion möglich. Der Hauptwiderspruch dieses Systems liegt nun darin, dass die Produktion gewissermaßen „vergesellschaftet“ geschieht, während die Aneignung der Früchte dieser Arbeit weiterhin privat und anarchisch bleibt. Das Wesen der kommunistischen Revolution besteht nun darin, die sozusagen halbe Revolution des Kapitalismus zu vollenden, die Vergesellschaftung zu vollenden. Da der Kapitalismus als System der Konkurrenz und der Verallgemeinerung der Warenzirkulation kein anderes System neben sich duldet, hat er nicht nur einen Weltmarkt, sondern auch noch ein Weltproletariat hervorgebracht. Nach der Sichtweise des Marxismus fällt es nun schwer, sich einen anderen Träger der zuvollziehenden Transformation als das Weltproletariat vorzustellen als die Kraft, welche ohnehin die bereits vorhandene Assoziation verkörpert.

Es stimmt, dass die Arbeiterklasse heute, im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, im Gegensatz vielleicht noch zu den 1930er Jahren, ihre Abwehrkämpfe nicht mehr mit dem Bewusstsein führt, dass dies Schritte auf den Weg zum Sozialismus seien. Da das Wesen des proletarischen Klassenkampfes aus marxistischer Sicht wesentlich bestimmt wird durch das Endziel des Kommunismus, ist die Frage mehr als berechtigt, ob Abwehrkämpfe, welche ohne das Bewusstsein eines solchen Ziels ausgetragen werden, überhaupt noch als Klassenkämpfe in diesem Sinne zu betrachten sind. Aber gerade bei dieser Frage wird deutlich, welche Bedeutung neben den „subjektiven“ Faktoren des Bewusstseins gerade die „objektiven“ Faktoren haben müssen. Der Marxismus jedenfalls geht davon aus, dass die Arbeiterklasse der Träger des Kommunismus ist und bleibt, und zwar unabhängig davon, ob die Mehrzahl der Arbeiterinnen und Arbeiter das momentan wissen oder überhaupt wollen.

Die Redaktion von Weltrevolution. 03.02.2009.

Aktuelles und Laufendes: 

  • Jugendproteste [10]
  • Schüler- und Studentenproteste [11]
  • Kategorie Klasse [12]
  • subjektive objektive Faktoren des Klassenkampfes [13]

Ein Willkommensgruß an die neuen Sektionen de IKS in der Türkei und den Philippinen

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Auf dem letzten Kongress der IKS hoben wir einen internationalen Trend des Auftauchens neuer Gruppen und Einzelpersonen hervor, die sich auf die Positionen der Kommunistischen Linken zubewegen. Wir unterstrichen sowohl die Bedeutung dieses Prozess als auch die Verantwortung, die sich daraus für unsere Organisation ergibt.   „Die Arbeit dieses Kongresses drehte sich um die Analyse der Wiederbelebung des Kampfes der Arbeiterklasse und die entsprechende Verantwortung, vor die diese Entwicklung unsere Organisation stellt, insbesondere angesichts einer auftauchenden neuen Generation von Leuten, die sich einer revolutionären politischen Perspektive zuwenden“".[1]  “Die Verantwortung der revolutionären Organisation, und vor allem der IKS, besteht darin, aktiver Teil in diesem Denkprozess innerhalb der Klasse zu sein. Dies nicht nur durch aktive Interventionen in den sich entwickelnden Klassenkämpfen, sondern auch durch die Stimulierung der Gruppen und Einzelpersonen, die sich diesem Kampf anschließen wollen“. [2] “Der Kongress hat ebenfalls eine sehr positive Bilanz über unsere Arbeit gegenüber Gruppen und Einzelpersonen gezogen, welche sich für die Verteidigung oder Annäherung an linkskommunistische Positionen einsetzen. (…) der positivste Aspekt dieser Arbeit ist zweifellos die Verstärkung des Kontaktes zu anderen Organisationen, welche revolutionäre Positionen vertreten, und dies wurde durch die Präsenz von vier Gruppen auf unserem 17. Kongress konkretisiert.“ [3]

 

Auf dem letzten Kongress der IKS wiesen wir auf einen internationalen Trend des Auftauchens neuer Gruppen und Einzelpersonen hin, die sich auf die Positionen der Kommunistischen Linken zubewegen. Wir unterstrichen sowohl die Bedeutung dieses Prozesses als auch die Verantwortung, die sich daraus für unsere Organisation ergibt.   „Die Arbeit dieses Kongresses drehte sich um die Analyse der Wiederbelebung des Kampfes der Arbeiterklasse und die entsprechende Verantwortung, vor die diese Entwicklung unsere Organisation stellt, insbesondere angesichts einer auftauchenden neuen Generation von Leuten, die sich einer revolutionären politischen Perspektive zuwenden.“[1]  „Die Verantwortung der revolutionären Organisation, und vor allem der IKS, besteht darin, aktiver Teil in diesem Denkprozess innerhalb der Klasse zu sein. Dies nicht nur durch aktive Interventionen in den sich entwickelnden Klassenkämpfen, sondern auch durch die Stimulierung der Gruppen und Einzelpersonen, die sich diesem Kampf anschließen wollen.“ [2] „Der Kongress hat ebenfalls eine sehr positive Bilanz über unsere Arbeit gegenüber Gruppen und Einzelpersonen gezogen, welche sich für die Verteidigung oder Annäherung an linkskommunistische Positionen einsetzen (…) der positivste Aspekt dieser Arbeit ist zweifellos die Verstärkung des Kontaktes zu anderen Organisationen, welche revolutionäre Positionen vertreten, und dies wurde durch die Präsenz von vier Gruppen auf unserem 17. Kongress konkretisiert.“ [3]

 

So konnten wir auf unserem letzten internationalen Kongress zum ersten Mal seit 25 Jahren Delegationen verschiedener Gruppen begrüßen, die eindeutig internationalistische Klassenpositionen vertreten (OPOP aus Brasilien, SPA aus Korea, EKS aus der Türkei, die Gruppe Internasyonalismo aus den Philippinien (4), obgleich letztere nicht direkt am Kongress teilnehmen konnte). Seitdem haben wir auch mit anderen Gruppen und Leuten aus anderen Teilen der Welt Kontakte geknüpft und Diskussionen geführt, insbesondere in Lateinamerika, wo wir öffentliche Diskussionsveranstaltungen in Peru, Ecuador, und Santo Domingo [5] abhalten konnten. Die Diskussionen mit uns bewogen die Genossen der EKS und Internasyonalismo dazu, ihre Aufnahme in die IKS zu beantragen, nachdem sie immer mehr mit unseren Positionen übereinstimmten. Seit einiger Zeit haben wir Diskussionen im Rahmen des Integrationsprozesses durchgeführt, die sich an dem ausrichteten, was wir in unserem Text "Wie der IKS beitreten?" geschrieben hatten.[6]  

In dieser Zeit haben sie vertieft über unsere Plattform diskutiert, wobei sie uns jeweils über den Stand der Diskussionen unterrichtet hatten. Mehrere Delegationen der IKS haben sie vor Ort besucht und waren von der tiefen militanten Überzeugung der GenossInnen und der Klarheit ihrer Übereinstimmung mit unseren Organisationsprinzipien sehr beeindruckt. Nach Abschluss dieser Diskussionen fasste das letzte Plenartreffen des Zentralorgans der IKS den Beschluss der Integration der beiden Gruppen als neue Sektionen unserer Organisation.

Die meisten der IKS-Sektionen befinden sich in Europa [7] oder in Amerika [8] - und bislang war die einzige Sektion außerhalb dieser beiden Kontinente die Sektion in Indien. Die Integration dieser beiden neuen Sektionen in unsere Organisation erweitert somit beträchtlich die geographische Ausdehnung der IKS.

Auf den Philippinen gab es in der letzten Zeit eine hohes industrielles Wachstum, wodurch auch die Zahl der Beschäftigten zunahm - ganz zu schweigen von der Diaspora von acht Millionen im Ausland tätiger philippinischer Arbeiter/Innen.  In den letzten Jahren hat dieses Wachstum viele Illusionen über einen angeblich „zweiten Frühling“ des Kapitalismus hervorgerufen. Dagegen wird es heute klar, dass die „Schwellenländer“ jetzt genauso wenig den Auswirkungen der Wirtschaftskrise entkommen können wie die „alten“ kapitalistischen Länder. Die Widersprüche des Kapitalismus werden sich deshalb in der nächsten Zeit in dieser Region gewalttätig zuspitzen, und dies wird unvermeidbar soziale Abwehrkämpfe hervorrufen, die sich nicht auf die Hungerrevolten wie die vom Frühjahr 2008 beschränken werden, sondern auch den Kampf der Arbeiterklasse umfassen werden.

Die Gründung einer Sektion der IKS in der Türkei verstärkt die Präsenz der IKS auf dem asiatischen Kontinent, insbesondere in einer Region, die in der Nähe der kritischsten Konfliktherde der heutigen imperialistischen Spannungen liegt: dem Mittleren Osten. Die GenossInnen der EKS intervenierten schon letztes Jahr mit einem Flugblatt, um die militärischen Manöver der türkischen Bourgeoisie in Nordirak anzuprangen (siehe dazu „Flugblatt der EKS: Gegen die jüngste Militäroperation der Türkei“ auf unserer Webseite).

Die IKS ist mehrfach beschuldigt worden, eine „eurozentristische“ Sichtweise der Entwicklung der Arbeiterkämpfe und der revolutionären Perspektiven zu haben, weil sie auf der entscheidenden Rolle des Proletariats Westeuropas hingewiesen hat. „Nur wenn die Arbeiterkämpfe direkt in den ökonomischen und politischen Zentren des Kapitalismus ausbrechen:

-              verbietet sich die Errichtung eines wirtschaftlichen Absperrringes von selbst, wären doch diesmal die reichsten Ökonomien davon betroffen;

-              verliert ein politischer Cordon sanitaire seine Wirksamkeit, da nun das höchstentwickelte Proletariat der stärksten Bourgeoisie gegenüberträte. Erst diese Kämpfe werden das Signal für die weltweite Ausdehnung geben.

(…) Nur durch einen Angriff auf das Herz und Hirn kann das Proletariat die kapitalistische Bestie zerstören.

Herz und Hirn der kapitalistischen Welt sind historisch seit Jahrhunderten in Westeuropa angesiedelt. Dort hat der Kapitalismus seine ersten Schritte getan, und dort wird auch die Weltrevolution ihre ersten Gehversuche unternehmen. Dort sind in der Tat alle Bedingungen für die Revolution am offenkundigsten und am weitesten fortgeschritten. (…) Es ist das westeuropäische Proletariat (ein Proletariat, das über die größte Kampferfahrung verfügt und das schon seit Jahrzehnten mit den heimtückischsten Mystifikationen der ‚Arbeiterparteien‘ zu tun hat) das der Vorreiter des Weltproletariats bei der Entwicklung des für die revolutionären Kämpfe unabdingbaren politischen Bewusstseins sein wird."[9]

Dies ist keine „eurozentristische“ Auffassung. Der Kapitalismus hat sich von Europa aus entwickelt, hier existiert das älteste Proletariat mit dem größten Erfahrungsschatz.

Unsere Organisation hat auf diese Beschuldigungen des „Eurozentrismus“ bereits geantwortet.

Vor allem sind wir immer davon ausgegangen, dass die Revolutionäre eine entscheidende Rolle in den Ländern der kapitalistischen Peripherie zu spielen haben.

„Das soll nicht heißen, dass der Klassenkampf oder die Aktivitäten der Revolutionäre in den anderen Weltteilen keinen Sinn machten. Die Arbeiterklasse ist ein unteilbares Ganzes. Der Klassenkampf existiert überall, wo sich Arbeit und Kapital gegenüberstehen. Die Lehren aus den verschiedenen Kämpfen sind für die gesamte Klasse gültig, gleichgültig, wo sie gemacht werden. Insbesondere wird die Erfahrung der Kämpfe in den peripheren Ländern den Verlauf der Kämpfe in den Zentren dieser Welt beeinflussen. Auch wird die Revolution weltweit sein, das heißt alle Länder umfassen. Die revolutionären Strömungen der Klasse sind überall wertvoll, wo die Arbeiterklasse mit der Bourgeoisie zusammenstößt, also  auf der ganzen Welt.“ (ebenda).

Dies trifft insbesondere auf Länder wie die Türkei und die Philippinien zu.

In diesen Ländern ist der Kampf zur Verteidigung der kommunistischen Ideen in der Tat sehr schwierig. Man muss den klassischen Mystifikationen der herrschenden Klasse zur Blockierung der Entwicklung des Klassenkampfes und der  Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse entgegentreten (die Illusionen in die Demokratie und die Wahlen, die Sabotage der Arbeiterkämpfe durch den Gewerkschaftsapparat, das Gewicht des Nationalismus). Aber mehr noch, der Kampf der Arbeiterklasse und der Revolutionäre prallt nicht nur direkt und unmittelbar mit den offiziellen Repressionskräften der Regierung zusammen, sondern auch mit bewaffneten Kräften, die gegen die Regierung kämpfen, wie die PKK in der Türkei oder die verschiedenen Guerillabewegungen auf den Philippinen. Diese stehen in Brutalität und Skrupellosigkeit der Regierung nichts nach, weil auch sie den Kapitalismus - wenn auch unter einem anderen Gewand - verteidigen. Dadurch werden die Aktivitäten der beiden neuen Sektionen der IKS gefährlicher als in Europa oder in Nordamerika sein.

Vor ihrem Beitritt in die IKS veröffentlichten die Genossen auf den Philippinen bereits ihre eigene Webseite auf Tagalog (die offizielle Amtssprache) sowie auf Englisch (das auf den Philippinen sehr weit verbreitet ist). Unter den gegenwärtigen Bedingungen können wir noch keine regelmäßige gedruckte Presse veröffentlichen (abgesehen von gelegentlich veröffentlichten Flugblättern) und unsere Webseite wird somit das Hauptmittel zur Verbreitung unserer Positionen werden.

Die Sektion in der Türkei wird weiterhin die Zeitschrift „Dunya Devrimi“ veröffentlichen, die nunmehr zum IKS-Organ in diesem Land werden wird.

Wie wir in unserer "International Review" Nr. 122 (deutsche Ausgabe Nr. 36, S. 7) schrieben:

"Wir heißen diese Genossinnen und Genossen, die sich den kommunistischen Positionen und unserer Organisation zuwenden, willkommen. Wir rufen ihnen zu: Ihr habt eine gute Wahl getroffen, die einzig mögliche, wenn ihr im Sinn habt, euch in den Kampf für die proletarische Revolution einzureihen. Aber es ist keine einfache Wahl: Ihr werdet nicht sofort Erfolg ernten, ihr werdet Geduld und Hartnäckigkeit brauchen und lernen müssen, nicht aufzugeben, wenn die erreichten Resultate noch nicht den gehegten Hoffnungen entsprechen. Aber ihr seid nicht allein: Die Militanten der IKS sind an eurer Seite,  und sie sind sich der Verantwortung bewusst, die eure Annäherung ihnen auferlegt. Ihr Wille, der am 16. Kongress zum Ausdruck kam, ist, auf der Höhe dieser Verantwortung zu sein." (IKS, 16. Kongress.). Diese Worte waren an all die Personen und Gruppen gerichtet, die sich dafür entschieden hatten, die Positionen der Kommunistischen Linken zu verteidigen. Sie treffen natürlich vor allem auf die beiden neuen Sektionen zu, die jetzt unserer Organisation beigetreten sind.

Die IKS heißt die beiden neuen Sektionen und die GenossInnen, die sie gegründet haben, herzlich und brüderlich willkommen.

IKS

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Kommunistische Linke Türkei [14]
  • Kommunistische Linke Philippinen [15]
  • Internationalisten Türkei [16]
  • Internationalisten Philippinen [17]

Streiks in den Erdölraffinerien und Kraftwerken: Arbeiter fangen an, den Nationalismus infrage zu stellen.

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Die Welle wilder Streiks, die durch den Kampf der Bauarbeiter der Lindsey Raffinerie ausgelöst wurde, war einer der wichtigsten Arbeiterkämpfe in Großbritannien seit den letzten 20 Jahren. Tausende von Bauarbeiter anderer Raffinerien und Kraftwerke traten aus Solidarität in den Streik. Massenversammlungen fanden regelmäßig statt. Arbeitslose Bau-, Stahl,- Hafen und andere Arbeiter schlossen sich den Streikposten an und demonstrierten außerhalb verschiedener Kraftwerke und Raffinerien. Die Arbeiter kümmerten sich nicht im Geringsten um das illegale Vorgehen, als sie ihre Solidarität mit den streikenden Kollegen, ihre Wut gegenüber der anschwellenden Arbeitslosigkeit und der Unfähigkeit der Regierung, dagegen etwas unternehmen zu können, zum Ausdruck brachten. Als 200 polnische Bauarbeiter sich dem Kampf anschlossen, wurde ein Höhepunkt erreicht, indem direkt der Nationalismus infragestellt wurde, welcher von Anfang an diese Bewegung überschattet hat. Die Welle wilder Streiks, die durch den Kampf der Bauarbeiter der Lindsey Raffinerie ausgelöst wurde, war einer der wichtigsten Arbeiterkämpfe in Großbritannien seit den letzten 20 Jahren. Tausende von Bauarbeiter anderer Raffinerien und Kraftwerke traten aus Solidarität in den Streik. Massenversammlungen fanden regelmäßig statt. Arbeitslose Bau-, Stahl,- Hafen und andere Arbeiter schlossen sich den Streikposten an und demonstrierten außerhalb verschiedener Kraftwerke und Raffinerien. Die Arbeiter kümmerten sich nicht im Geringsten um das illegale Vorgehen, als sie ihre Solidarität mit den streikenden Kollegen, ihre Wut gegenüber der anschwellenden Arbeitslosigkeit und der Unfähigkeit der Regierung, dagegen etwas unternehmen zu können, zum Ausdruck brachten. Als 200 polnische Bauarbeiter sich dem Kampf anschlossen, wurde ein Höhepunkt erreicht, indem direkt der Nationalismus infragestellt wurde, welcher von Anfang an diese Bewegung überschattet hat. Die Entlassung von 300 Zeitarbeitern bei der Lindsey Ölraffinerie, der Vorschlag, dass ein anderer Subunternehmer den Auftrag übernehmen und dabei auf 300 italienische und portugiesische Arbeiter zurückgreifen sollte (die wegen schlechterer Arbeitsbedingungen geringere Löhne erhalten), und die Ankündigung, dass kein Beschäftigter aus Großbritannien für diesen Auftrag zum Einsatz käme, brachten das Pulverfass der Unzufriedenheit unter den Bauarbeitern zur Explosion. Seit Jahren schon wurden immer mehr Bauarbeiter nach England gekarrt, die meist geringere Löhne bekamen und schlechtere Arbeitsbedingungen hatten, wodurch der Konkurrenzkampf unter den Arbeitern um Arbeitsplätze verschärft und die Löhne und Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten verschlechtert wurden. Zusammen mit der rezessionsbedingten Welle von Entlassungen in der Baubranche und in anderen Branchen wurde dadurch ein tiefgreifendes Gefühl der Kampfbereitschaft erweckt, welches sich nun in diesen Kämpfen äußert.

Von Anfang an stand diese Bewegung vor einer grundlegenden Frage, die nicht nur die Streikenden betraf, sondern die ganze Arbeiterklasse heute und in der Zukunft: Können wir uns gegen Arbeitslosigkeit und andere Angriffe wehren, indem wir uns als „britische Arbeiter“ betrachten und uns gegen „ausländische Arbeiter“ richten, oder müssen wir uns nicht als Arbeiter mit gemeinsamen Interessen mit allen anderen Arbeitern verstehen, egal woher die Arbeiter kommen. Dies ist eine zutiefst politische Frage, mit der sich diese Bewegung befassen muss.

Von Anfang an schienen die Kämpfe von Nationalismus beherrscht zu sein. Bilder von Arbeitern mit selbst gefertigten Spruchbändern wie „British Jobs for British Workers“ wurden gezeigt, und mehr professionell hergestellte Gewerkschaftsspruchbänder trugen die gleichen Forderungen vor. Offizielle Gewerkschaftsvertreter vertraten mehr oder weniger offen diese Forderung; die Medien sprachen von einem Kampf gegen ausländische Arbeiter und zeigten Arbeiter, die diese Meinung teilten. Diese Bewegung von wilden Streiks hätte potenziell durch den Nationalismus ertränkt und mit einer Niederlage für die Arbeiterklasse enden können, wobei sich die Arbeiter gegenseitig bekämpft und massenhaft nationalistische Forderungen vertreten und verlangt hätten, dass die wenigen Arbeitsstellen britischen Arbeitern vorbehalten bleiben und italienische und portugiesische Arbeiter ihre Stellen verlieren müssten. Die Fähigkeit der Arbeiterklasse, einen Abwehrkampf zu führen, wäre geschwächt worden und der herrschenden Klasse wäre es umso leichter gefallen, die Arbeiterklasse noch schärfer anzugreifen und sie zu spalten.

Die Berichterstattung in den Medien (und was einige der Arbeiter sagten) ließ einen leicht glauben, dass die Forderungen der Lindsey Beschäftigten tatsächlich „British Jobs for British Workers“ lauteten. Aber das stimmt nicht. Die in den Vollversammlungen diskutierten und abgestimmten Forderungen gingen keineswegs in diese Richtung, und es gab auch nicht diese Feindseligkeit gegenüber ausländischen Arbeitskräften. Komisch, wie die Medien dies ‚verpassten’. Sie brachten eher Illusionen in die Fähigkeit der Gewerkschaften zum Ausdruck, die Unternehmer daran zu hindern, die Arbeiter gegeneinander auszuspielen. Aber eine offene Form des Nationalismus trat nicht zutage. Der allgemeine Eindruck, welcher von den Medien vermittelt wurde, war, dass die Streikenden sich gegen ausländische Beschäftigte wandten.

Das fortdauernde Gewicht des Nationalismus

Der Nationalismus ist ein wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen Ideologie. Jedes nationale Kapital kann nur durch einen gnadenlosen Konkurrenzkampf auf ökonomischer und militärischer Ebene mit den Rivalen überleben. Ihre Kultur, Medien, Bildung, ihre Unterhaltungsindustrie und Sport – sie alle verbreiten immerzu das nationalistische Gift und versuchen die Arbeiterklasse an die Nation zu fesseln. Die Arbeiterklasse kann dem Einfluss dieser Ideologie nicht entweichen. Aber wichtig an dieser Bewegung war, dass das Gewicht des Nationalismus infragestellt wurde, als die Arbeiter vor der Frage standen, ihre grundlegenden materiellen Interessen zu verteidigen.

Der nationalistische Slogan “British Jobs for British Workers”, welcher durch den Premierminister Gordon Brown von der British National Party (BNP) übernommen wurde, hat ein großes Unwohlsein unter den Streikenden und der Klasse hervorgerufen. Viele Streikenden erläuterten, dass sie keine Rassisten seien und auch nicht die BNP unterstützen, die, als sie bei den Streikposten auftauchte, meist von den Streikenden verjagt wurden.

Neben der Verwerfung der BNP versuchten natürlich viele im Fernsehen interviewte Arbeiter sich zur Bedeutung ihres Kampfes zu äußeren. Sie seien nicht gegen ausländische Arbeiter; sie selbst hätten im Ausland geschuftet, aber sie seien nunmehr arbeitslos oder sie wollten Arbeit für ihre Kinder haben, deshalb meinten sie, die Stellen sollten zunächst an „britische“ Arbeiter vergeben werden. Solche Auffassungen führen immer dazu, dass man davon ausgeht, „britische“ und „ausländische“ Arbeiter hätten keine gemeinsamen Interessen. Man wird somit zu einem Gefangenen des Nationalismus. Aber diese Äußerungen zeigten, dass ein Prozess des Nachdenkens, der Auseinandersetzung stattfindet.

Auf der anderen Seite betonten andere Beschäftigte die gemeinsamen Interessen aller Arbeiter und hoben hervor, dass sie Arbeit für alle Arbeiter wollten. „Ich wurde vor zwei Wochen als ein Stauer entlassen. Ich habe 11 Jahre lang in Cardiff und Barry Docks gearbeitet und bin heute hierher gekommen in der Hoffnung, dass wir die Regierung in Bedrängnis bringen können. Ich meine, das ganze Land sollte in Streik treten, da die ganze britische Industrie den Bach runter geht. Aber ich habe gar nichts gegen ausländische Arbeiter. Man kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie dorthin gehen, wo es noch Arbeit gibt“. (Guardian On-Line 20.1.2009). Einige Arbeiter meinten auch, dass der Nationalismus eine wirkliche Gefahr sei. Ein im Ausland beschäftigter Arbeiter warnte auf einem Bauarbeiter-Internetforum vor den Versuchen der Unternehmer, die nationalen Spaltungen gegen die Arbeiter einzusetzen. „Die Massenmedien, die die nationalistischen Kreise aufgestachelt haben, werden sich gegen euch richten und die Demonstranten in das schlechtest mögliche Licht stellen. Das Spiel ist aus. Das Letzte, was die Unternehmer und die Regierung wollen, ist dass sich britische Arbeiter mit den Arbeitern aus anderen Ländern zusammenschließen. Sie meinen, sie könnten uns weiter an der Nase herumführen, dass wir uns gegenseitig bekämpfen. Es wird ihnen kalt den Rücken runter laufen, wenn sie feststellen, dass wir uns zusammenschließen“. Und in einem anderen Beitrag verband er diesen Kampf in Großbritannien mit den Kämpfen in Frankreich und Griechenland und der Notwendigkeit internationaler Verbindungen unter den Arbeitern. „Die massiven Proteste in Frankreich und Griechenland sind nur ein Vorläufer von dem, was wir noch sehen werden. Habt ihr jemals daran gedacht, mit diesen Arbeitern Kontakt aufzunehmen und zu ihnen Verbindungen herzustellen und damit europaweite Proteste gegen die Angriffe auf die Arbeiter zu entfalten? Das scheint ein viel besserer Weg anstatt zuzulassen, dass die wirklich schuldigen Parteien, diese Bande von Unternehmern, korrupten Gewerkschaftsführern und New Labour weiterhin von den Schwächen der Arbeiter profitieren“ (Thebearfacts.org). Arbeiter aus anderen Branchen der Wirtschaft meldeten sich auch auf diesem Forum zu Wort, um den nationalistischen Slogans entgegenzutreten.

Diese Diskussionen unter den am Streik Beteiligten und innerhalb der Klasse insgesamt über die Frage der nationalistischen Slogans erreichte am 3. Februar einen neuen Höhepunkt, als 200 Arbeiter aus Polen sich anderen 400 Beschäftigten in einem wilden Streik zur Unterstützung der Lindsey Arbeiter auf der Baustelle des Langage Kraftwerks in Plymouth anschlossen. Die Medien unternahmen alles, um diesen Schritt internationaler Solidarität zu vertuschen. Das örtliche BBC-Studio erwähnte den Streik überhaupt nicht und auf nationaler Ebene wurde er kaum erwähnt.

Die Solidarität dieser polnischen Arbeiter war besonders wichtig, weil sie sich letztes Jahr an einem ähnlichen Kampf beteiligt hatten. 18 Arbeiter waren seinerzeit entlassen worden und andere Arbeiter legten damals aus Solidarität die Arbeiter nieder, polnische Arbeiter eingeschlossen. Damals versuchte die Gewerkschaft den Kampf in einen Widerstand gegen die Anwesenheit von ausländischen Arbeitern zu verwandeln, aber die Streikbeteiligung von polnischen Arbeitern untergrub dieses Vorhaben.

Die Beschäftigten von Langage nahmen diesen Kampf mit einem gewissen Bewusstsein auf, wie die Gewerkschaften versucht haben, mit Hilfe des Nationalismus die Arbeiter zu spalten. Ein Tag nach der Arbeitsniederlegung wurde auf einer Vollversammlung in Lindsey ein selbst angefertigtes Schild hochgehalten: „"Langage Power Station - Polish Workers Join Strike: Solidarity", (Kraftwerk Langage – Polnische Arbeiter schließen sich dem Kampf an – Solidarität“), was bedeutete, dass einer oder mehrere polnische Arbeiter die siebenstündige Reise auf sich genommen hatten, um dort hinzufahren und dass ein Beschäftigter in Lindsey diese Aktion hervorheben wollte.

Gleichzeitig tauchte bei den Streikposten in Lindsey ein Schild auf, in dem italienische Arbeiter aufgerufen wurden, sich dem Streik anzuschließen. Es war auf englisch und italienisch verfasst, und es wurde berichtet, dass einige Arbeiter Parolen hochhielten wie „Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch“ (Guardian, 5.2.09). Kurzum, wir sehen den Anfang einer bewussten Anstrengung seitens einiger Arbeiter, für einen wirklich proletarischen Internationalismus einzutreten; ein Schritt, der nur zu mehr Nachdenken und Diskussionen innerhalb der Klasse führen kann.

All dies erfordert, dass der Kampf eine neue Stufe erreichen muss, in dem man sich direkt gegen die Kampagne wendet, den Kampf als eine nationalistische Regung darzustellen. Das Beispiel der polnischen Arbeiter zeigt die Möglichkeit auf, dass sich Tausende von ausländischen Arbeitern dem Kampf auf den größten Baustellen in Großbritannien wie auf den Baustellen der Olympiade in Ost-London anschließen. Es bestand auch die Gefahr, dass die Medien die internationalistischen Sogans nicht hätten vertuschen können. Damit wären die nationalistischen Hürden überwunden worden, welche die Herrschenden zwischen den kämpfenden Arbeitern und dem Rest der Klasse errichtet haben. Es ist kein Zufall, dass der Konflikt so schnell gelöst wurde. Innerhalb von 24 Stunden wechselten die Gewerkschaften, die Unternehmer und die Regierung den Ton. Während sie anfangs sagten, es werde Tage, wenn nicht Wochen dauern, um den Streik beizulegen, wurde er dadurch schnell beigelegt, dass zusätzlich 102 Arbeitsplätze errichtet werden, auf die sich „britische Arbeitskräfte“ bewerben können. Dies war eine Einigung, mit der die meisten Streikenden sich scheinbar zufrieden gaben, weil damit kein Verlust von Arbeitsplätzen für die italienischen und portugiesischen Arbeiter verbunden war, sondern wie ein Streikender meinte: „warum sollten wir kämpfen müssen, nur um Arbeit zu bekommen?“

Innerhalb von wenigen Wochen fanden die größten wilden Streiks seit Jahrzehnten statt. Arbeiter haben Vollversammlungen abgehalten und ohne zu zögern illegale Solidaritätsaktionen durchgeführt. Ein Kampf, der im Nationalismus hätte erstickt werden können, fing an, dieses Gift infrage zu stellen. Dies bedeutet nicht, dass damit die Gefahr des Nationalismus abgewendet ist. Er ist eine ständige Gefahr, aber diese Bewegung hat für spätere Kämpfe viele wichtige Lehren zu bieten. Der Anblick von Spruchbändern auf angeblich nationalistischen Streikposten, auf denen „Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch“ gefordert wird, wird innerhalb der herrschenden Klasse große Sorgen über das, was die Zukunft bringen wird, hervorrufen.

Phil, 7.2.09 - aus der Presse der Internationalen Kommunistischen Strömung in Großbritannien

Aktuelles und Laufendes: 

  • Nationalismus [18]
  • wilde Streiks in England [19]
  • British jobs for British workers [20]

März 2009

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Die Gründung der Kommunistischen Internationale vor 90 Jahren

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Wiederveröffentlichung eines Artikels den wir vor 20 Jahren 1989 schrieben

Das Proletariat hat sich heute mehr und mehr von den Ketten der Konterrevolution befreit.

Umso wichtiger ist es, 70 Jahre nach der Gründung der III. Internationale, den Beitrag der Komintern zu verstehen und sich wiederanzueignen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muss man nicht nur die stalinistischen Verfälschungen ablehnen, sondern auch den folgenschweren Fehler Trotzkis, der die Anerkennung der gesamten vier ersten Kongresse der Komintern zur Bedingung und Garantie für den Kampf gegen den Stalinismus machte. Ebenso irrig ist die entgegengesetzte Haltung der Rätekommunisten, die die III. Internationale von Beginn an außerhalb des proletarischen Lagers stellten, weil nach dem 5. Kongress der Prozess der Degeneration voll in Gang kam. Die Grundlage dieser Fehleinschätzungen ist ein mangelndes Verständnis des Prozesses, den die Komintern durchlief: den Versuch der Arbeiterklasse und ihrer Vorhut, den Bruch, den der I. Weltkrieg darstellte, zu begreifen.

„Wenn es uns gelungen ist, uns trotz aller polizeilichen Schwierigkeiten und Verfolgungen zu versammeln, wenn es uns gelungen ist, in kurzer Zeit ohne irgendwelche ernst zu nehmenden Differenzen wichtige Beschlüsse über alle brennenden Fragen der heutigen revolutionären Epoche zu fassen, so verdanken wir das dem Umstand, dass die Massen des Proletariats der ganzen Welt eben diese Fragen schon durch ihr praktisches Auftreten auf die Tagesordnung gestellt und praktisch zu entscheiden begonnen haben“ (Rede Lenins bei Beendigung des I. Kongress der Komintern, 6. 3.1919).

Diese Feststellung Lenins drückt ganz deutlich aus, in welchem Zusammenhang die Komintern gegründet wurde: der Bruch von immer größeren Massen von Arbeitern mit der Konterrevolution, die die endgültige Niederlage der II. Internationale und den Ausbruch des imperialistischen Gemetzels verursacht hatte. Der tragischen Begeisterung für den Krieg folgte ziemlich rasch eine wachsende Abneigung angesichts der Wirklichkeit des Krieges, die die Barbarei eines überholten Systems zuspitzte.

Schon 1916 brachen die ersten großen Meutereien und Streiks aus, insbesondere in Russland. Auch wenn dies anfänglich nur eine Minderheit war, auch wenn die Reaktion der Arbeiter nicht über den Wunsch nach Beendigung des Krieges hinausging, tat sich durch diese Kämpfe ein Bruch in dem grausamen Burgfrieden der Proletarier mit ihren Ausbeutern für das Vaterland auf. Zur gleichen Zeit begannen die wenigen revolutionären Kräfte, die den Verrat vom August 1914 und die Zusammenarbeit der Arbeiterparteien mit dem Imperialismus verworfen hatten, sich zu organisieren und zusammenzufinden (Konferenz von Zimmerwald und Kienthal). Auch da, wo die Bolschewiki, gefolgt von einigen kleinen Gruppen der deutschen Linken als einzige eine wirkliche Alternative zeigten – „Umwandlung des imperialistischen Kriegs in Bürgerkrieg“ -, wurde ein erster Schritt gemacht.

Im Februar 1917 kam diese Entwicklung zum ersten Mal auf breiter Ebene deutlich zum Vorschein. Oktober 1917 war der Höhepunkt und zugleich der Ausgangspunkt für die Ausdehnung der revolutionären Welle: gewaltige Streiks brachen in Italien, Großbritannien, den USA aus; etwas später stand. Deutschland kurz vor dem proletarischen Aufstand, in Ungarn entstand die 2. Räterepublik, während in „weiter entwickelten Kolonien geht der Kampf schon jetzt nicht bloß unter dem Banner der nationalen Befreiung, sondern nimmt gleich einen offen ausgesprochenen sozialen Charakter an“. (Manifest). Die Gründung der Komintern fand in dieser revolutionären Welle statt, in der die Arbeiter mit ihrem neuen Wachhund - der Sozialdemokratie, die zum Feind übergewechselt war - brachen. Unter dem Einfluss dieser Kämpfe verstärkte sich die kommunistische Minderheit. 1916 kündigten sie schon mit Lenin an ihrer Spitze an, dass es nicht möglich sei, die II. Internationale wieder aufzurichten, und dass eine neue Internationale gegründet werden muss.

Die tragische Verspätung bei der Gründung der Komintern (der Bürgerkrieg war seit einem Jahr im Gange) drückte die mangelnde Reife des Proletariats und die sehr große Schwierigkeit für die Revolutionäre aus, die neue Zeit und ihre Erfordernisse zu verstehen. Nur die Umgruppierung der Revolutionäre auf Weltebene konnte die Vertiefung dieses Verständnisses ermöglichen. Darin bestand die Aufgabe, die sich der I. Kongress der Komintern setzte, und insofern war er ein wichtiger Moment in der Geschichte des proletarischen Kampfes.

„Die dritte Internationale ist die Internationale der offenen Massenaktion, die Internationale der revolutionären Verwirklichung, die Internationale der Tat.“(Manifest)

Die KI betonte den unüberwindbaren Widerspruch zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die absolute Unmöglichkeit eines schrittweisen und friedlichen Übergangs zum Sozialismus und die Notwendigkeit der gewaltsamen Zerstörung des bürgerlichen Staates.

Der proletarische Internationalismus wurde angesichts des nationalistischen Giftes, das die Sozialdemokratie zerfressen hatte, hochgehalten.

„Die Internationale, die den Interessen der internationalen Revolution die sogenannten nationalen Interessen unterordnet, wird die gegenseitige Hilfe des Proletariats der verschiedenen Länder verwirklichen, denn ohne wirtschaftliche und andere gegenseitige Hilfe wird das Proletariat nicht imstande sein, die neue Gesellschaft zu organisieren“(Richtlinien der Komintern).

Dreh- und Angelpunkt für diese Verteidigung des Marxismus und die Bloßstellung der sozialdemokratischen Parteien als Agenten der Bourgeoisie war die Erkenntnis, dass eine neue Epoche angebrochen war: „Die neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung, die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats.“

Der gesamte Kongress war von dieser Idee geprägt. Es entstanden neue Erfordernisse mit dieser neuen Epoche:

- Der Kapitalismus ist in unüberwindbare Widersprüche verstrickt und nimmt in seinem Niedergang neue Formen an. So betonte Bucharin in seinem Bericht, dass man nicht nur die allgemeinen Merkmale des kapitalistischen und imperialistischen Systems beschreiben müsse, sondern auch den Zerfallsprozess und den Zusammenbruch des Systems. Das kapitalistische System dürfe nicht nur in seiner abstrakten Form, sondern müsse auch praktisch als Weltkapitalismus, als ökonomische Ganzheit gesehen werden.

Von dem Verständnis, dass der Kapitalismus als System die gesamte Erde erobert hat, hängt die Haltung des Proletariats zu nationalen Befreiungskämpfen und zu vorübergehenden Bündnissen mit Fraktionen der Bourgeoisie ab. Bucharin führte dazu aus:

„Die primitiven Formen des Kapitalismus sind nahezu verschwunden. Dieser Prozess begann schon vor dem Krieg und beschleunigte sich während desselben. Dieser Krieg war ein großer Organisator. Unter seinem Gewicht wurde das Finanzkapital in eine höhere Stufe übergeführt, umgewandelt: Staatskapitalismus.“

Der Staatskapitalismus, wie Bucharin mit Recht feststellte, verringert nicht die kapitalistische Anarchie, sondern bringt sie auf die höchste Stufe, auf die Ebene der Staaten selbst. Darin liegt die Grundlage für das Verständnis der besonderen Form des dekadenten Kapitalismus, wobei die sog. sozialistischen Länder nur eine Spielart dessen sind.

- In einer anderen grundsätzlichen Frage - der Machteroberung und der Diktatur des Proletariats - wird deutlich, dass eine neue Epoche der proletarischen Revolutionen angebrochen war. Die Erfahrung des Klassenkampfes lieferte die Grundlage dieser Erkenntnis. Bis dahin hatte die Pariser Commune einige wertvolle, aber begrenzte Elemente zur Frage geliefert, wie das Proletariat seine Diktatur ausübt. Und diese Erkenntnisse waren durch das Gewicht jahrzehntelangen parlamentarischen Kampfes vergessen worden. „Diktatur des Proletariats! Das war bisher Latein für die Massen. Mit der Ausbreitung des Sowjetsystems in der ganzen Welt ist dieses Latein in alle modernen Sprachen übersetzt worden: die praktische Form der Diktatur ist durch die Arbeitermassen gefunden (...) Alles dieses beweist, dass die revolutionäre Form der proletarischen Diktatur gefunden, dass das Proletariat jetzt praktisch imstande ist, seine Herrschaft auszuüben.“ (Rede Lenins bei Eröffnung des I. Kongresses der KI, 2.3.1919)

Während des ganzen Kongresses wurde die Wichtigkeit der Arbeiterräte betont. Die dringende Notwendigkeit, mit der II. Internationale und ihren linken Spielarten radikal zu brechen, wurde stets im Zusammenhang mit den Arbeiterräten, den Organen des revolutionären Proletariats betrachtet. Der erste Kongress verwarf die Auffassung, übernommen aus der bürgerlichen Revolution, in der eine Minderheit der revolutionären Arbeiterklasse die Macht im Namen aller ausübt. Diese Auffassung war auf die proletarische Revolution übertragen und durch die vielen Jahre des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Kampfes verstärkt worden. Durch das Verständnis der Änderung der Periode und der neuen proletarischen Praktiken, die daraus entstanden, konnten die Fragen der Gewerkschaften und des Parlamentarismus neu gestellt werden. Überall da, wo radikale Kämpfe stattfanden, wurden die Gewerkschaften von Streikkomitees verdrängt. Meistens, wie in Deutschland oder Großbritannien, stellten sich die Gewerkschaften offen gegen die revolutionäre Bewegung, während die kämpferischen Arbeiter sich von ihnen abwandten. Dennoch ermöglichte die Vielfalt der Erfahrungen und die Tatsache, dass der Prozess der Einbeziehung der Gewerkschaften in den Staat erst am Anfang stand, es nicht, dass eine klare und umfassende Antwort auf diese Frage gegeben werden konnte. Auch wenn die Möglichkeit einer revolutionären Ausnutzung des Parlaments noch verteidigt wurde, unter anderem auch von den Bolschewiki, wurde die Notwendigkeit, die parlamentarische Frage im Zusammenhang mit der neuen Epoche zu diskutieren, erkannt.

Der wesentliche Beitrag des I. Kongresses der Komintern kann aber nicht auf eine einfache Wiederaneignung des Marxismus reduziert werden. Der Marxismus ist vor allem der Ausdruck der lebendigen Erfahrung des Proletariats und hat nichts mit einer erstarrten Lehre zu tun, die man nur zu bestimmten Zeitpunkten hervorzuholen brauchte. Auf der Grundlage der vergangenen Erfahrungen konnte die Komintern den Marxismus mit neuen Elementen bereichern. Der erste Kongress der Komintern verdeutlichte das revolutionäre Programm des Proletariats in seiner Gesamtheit, so wie es damals von seinen revolutionären Minderheiten aufgefasst und formuliert wurde. Durch die großen Kämpfe des Proletariats gibt es immer eine Bereicherung des Programms, auch auf der Ebene grundsätzlicher Fragen. Mit der Pariser Kommune machte das Proletariat die Erfahrung, dass es den bürgerlichen Staat nicht erobern, sondern zerstören muss. Erst durch die Kämpfe von 1917 konnte es verstehen, welche Form seine Klassendiktatur annehmen muss: die Macht der Arbeiterräte.

Als Ausdruck der revolutionären Welle, der Möglichkeit und Notwendigkeit der kommunistischen Revolution verdeutlichte der I. Kongress eindrücklich die Änderungen der Epoche und die Probleme, die diese Veränderungen für die gesamte Arbeiterklasse mit sich brachten. Aus diesem Grund stellt er einen der wichtigsten Momente in der Geschichte der Arbeiterklasse dar. Heute muss jedes revolutionäre Programm die Errungenschaften der Komintern und insbesondere ihres ersten Kongresses anerkennen. Jedoch genügt es nicht, die von der Komintern entwickelten Positionen vorbehaltlos in ihrer Gesamtheit zu übernehmen. Denn obwohl die Komintern einen enormen Schritt für die Arbeiterbewegung bedeutet hat, konnte sie angesichts des Rückflusses der proletarischen Bewegung und der Tatsache, dass sie an der Schwelle zwischen zwei Epochen des Kapitalismus gegründet wurde, nicht alle Folgen dieser Analyse herausarbeiten und sich völlig von der alten sozialdemokratischen Auffassung befreien. Die Grundlagen, die die Komintern geschaffen hat, haben es den aus der Komintern hervorgegangen Fraktionen der Kommunistischen Linke ermöglicht, diesen Bruch mit der alten sozialdemokratischen Auffassung vollständig zu vollziehen und zu vertiefen. Das Werk der Kommunistischen Internationale heute fortzusetzen bedeutet, die theoretischen, programmatischen und organisatorischen Konsequenzen der vom ersten Kongress entwickelten Analysen vollständig zu ziehen.

(aus Révolution Internationale, Nr. 64, Zeitung der IKS in Frankreich, Dez. 1979).

Historische Ereignisse: 

  • Kommunistische Internationale [21]
  • Gründung der Kommunistische Internationale 1919 [22]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Dritte Internationale [23]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Welle 1917-1923 [24]

Eine Initiative zu debattieren und zusammen zu kommen

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Wir veröffentlichen nachfolgend eine Stellungnahme, welche von einem Diskussionstreffen angenommen wurde, auf dem zwei große Themenkomplexe behandelt wurden:

Die gegenwärtige Krise des Kapitalismus

Wie können die Arbeiter gegen ihre Verarmung und die sich zuspitzende Verschlechterung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen kämpfen?

An diesem Treffen beteiligten sich Mitglieder der IKS mit der Absicht, zur Debatte und zu damit verbundenen praktischen Schritten beizutragen.

Aus unserer Sicht erscheint diese Initiative als sehr wichtig und sie reiht sich ein in ähnliche Initiativen in anderen Ländern (z.B. Frankreich, Korea, Peru, Mexiko).

Diese Initiative geht in drei Richtungen:

- die Isolierung und Atomisierung zu überwinden, welche uns dazu treibt, dass sich jeder in seine Ecke zurückzieht und dass jeder nur für sich handelt. All das erschwert die Entwicklung des Kampfes und des Bewusstseins der Arbeiter; diese können nur entstehen als ein Ergebnis der Debatte und eines klar kollektiven Vorgehens.

- eine Debatte unter Revolutionären voranzutreiben, welche Antworten auf die zahlreichen Fragen liefert, die durch den Kampf für eine revolutionäre Alternative der Arbeiterklasse aufgeworfen werden.

- das wirklich revolutionäre und internationalistische Lager von den Leuten abzugrenzen, die sich „sozialistisch“ und „revolutionär“ nennen, aber uns mit ihren Rezepten wie „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ , „Sozialismus mittels staatlichen Eingreifens“ und anderem nationalistischen Plunder hinters Licht führen, weil sie nur zur Aufrechterhaltung des Kapitalismus unter angeblich „neuen Formen“ beitragen.

Aus unserer Sicht sind die Bemühungen dieses Treffens Teil einer internationalen und internationalistischen Bewegung, welche dazu dient, in den Reihen des Proletariats eine Alternative gegenüber dem Spinngewebe falscher Antworten mit unterschiedlichsten Farben und Tendenzen aus dem bürgerlichen Lager zu entwickeln. Deshalb unterstützen wir dieses Treffen und rufen zur Beteiligung daran auf. IKS 20.02.09

(ESPAREVOL): Ort der Debatte und des Zusammenkommens unter Revolutionären

Genoss/Innen aus verschiedenen Städten Spaniens (Barcelona, Alicante, Granada, San Sebastián, Valencia)[1] haben sich am Wochenende vom 31. Januar bis 1. Februar in Barcelona getroffen, um über folgende Themen zu diskutieren:

- die gegenwärtige kapitalistische Krise und ihre Perspektiven

- der Kampf der Arbeiter gegen die Krise

- wie können wir uns zusammenschließen und die Atomisierung und Isolierung all derjenigen überwinden, welche gegen dieses in der Krise versinkende und immer unmenschlicher, ungerechter und zerstörerischer werdende Gesellschaftssystem kämpfen wollen?

In dem Treffen kamen wir zu einer Reihe von Schlussfolgerungen, die wir hier aufführen wollen, damit sie als Anstoß von all denjenigen aufgegriffen werden, die zu diesem Kampf mit beitragen möchten.

Die Krise:

1. Wir glauben nicht, dass es sich um eine zyklische Krise handelt, welche überwunden werden und eine neue Blütephase einleiten wird. Wir meinen, solch eine Sicht verschweigt, dass wir Opfer bringen, die Klappe halten, unseren „weisen Regierungen“ glauben müssen, welche uns mit „ihren Diensten“ aus dem Schlamassel ziehen würden, in welchen sie uns hineingetrieben haben.

2. Wir meinen, dass wir zurzeit vor der zweiten großen Depression des kapitalistischen Systems stehen. Die letzte war die von 1929. Diese zog schwerwiegende Folgen nach sich, unter anderem die Auslösung des 2. Weltkriegs mit 60 Millionen Toten.

3. Wir glauben nicht, dass es sich um eine Krise des „Neoliberalismus“ handelt, sondern um eine Systemkrise des Kapitalismus insgesamt. Das Eingreifen des Staates wird die Probleme nicht aus der Welt schaffen, sondern sie nur noch verschärfen. Zudem handelt dieser nicht neutral noch zugunsten der Beschäftigten, sondern er verteidigt die Interessen des Kapitalismus.

4. Der Großteil der Weltbevölkerung leidet unter der Krise: Massenarbeitslosigkeit, Verzweiflung über die Wohnungsnot, Gefahr des Bankrotts der Rentenkassen, Lohnkürzungen, Hungersnöte in Afrika usw.

5. Die Krise beschränkt sich aber nicht auf den Bereich der Wirtschaft: die Barbarei im Gazastreifen verdeutlicht, wie sehr sie mit dem imperialistischen Krieg verbunden ist. Sie spitzt die Umweltzerstörung weiter zu. Aber sie ist auch eine gesellschaftliche und menschliche Krise, denn die Atomisierung, die Zerstörung der menschlichen Beziehungen, die moralische Barbarei verschärfen sich All dies birgt die Gefahr, dass das Überleben der Menschheit und elementare Solidarität unter den Ausgebeuteten und Unterdrückten untergraben und zerstört werden.

Der Kampf der Arbeiter:

1. Die Arbeiter dürfen nicht die Hände in den Schoß legen. Es gibt keinen individuellen Ausweg. Auch gibt es keine „Nischen“, in die man sich zurückziehen könnte, bis der Sturm vorüber gezogen wäre. Wir brauchen den kollektiven und solidarischen Kampf der Arbeiter.

2. Die Kämpfe der Arbeiter müssen sich auf internationaler Ebene entfalten. Allein im Januar 2009 gab es wichtige Kämpfe in Litauen, Island, Bulgarien und Lettland. In China kommt es immer wieder zu Abwehrkämpfen der entlassenen Arbeiter, die nicht aufs Land zurückkehren wollen. In Griechenland entfalteten sich im Dezember 2008 wichtige Kämpfe. Auch unter den Jugendlichen in Frankreich und Deutschland rumort es. Die Arbeiterkämpfe nehmen immer mehr eine internationale Dimension an. Es ist aufschlussreich, dass ganz in der Nähe eines brutalen barbarischen Kriegsschauplatzes wie im Gaza-Streifen die Arbeiter Ägyptens 2006, 2007 und 2008 wichtige Kämpfe geführt haben.

3. Aber wir sind uns dessen bewusst, dass die Arbeiterkämpfe immer noch sehr schwach und begrenzt sind. Auch herrschen bislang immer noch Spaltungen vor wie jüngst in Großbritannien, als Beschäftigte im Energiebereich gegen die Anstellung von Beschäftigten aus anderen Ländern protestierten. Wir merken, dass immer noch Angst und Unentschlossenheit, das Gefühl der Isolierung, Zerstreuung und Spaltung dominieren.

4. Wir meinen, um zu kämpfen müssen wir selbständig handeln, d.h. gemeinsam und massiv den Kampf aufnehmen. Wir müssen uns alle daran beteiligen. Wir müssen nach Einigkeit streben und versuchen, die Spaltungen in Betriebe, Branchen, Nationalität, Rasse usw. zu überwinden. Wir müssen die Solidarität als Beschäftigte und die eigenständige Organisierung in Vollversammlungen anstreben, die allen Beschäftigten anderer Branchen, anderer Städte usw. offen stehen. Das einzige, was die Gewerkschaften und Parteien, welche von sich behaupten, die Arbeiter zu „vertreten“, tun, ist die Kämpfe zu sabotieren und zu schwächen.

Ein revolutionärer Ort:

1. Wir meinen, dass als ein Beitrag zum Kampf die Einrichtung eines Ortes der Debatte und des Zusammenkommens nützlich ist. Wir wollen als ein unabhängiges Kollektiv handeln, aber wir sind offen für die Beteiligung von proletarischen und internationalistischen Organisationen.

2. Es geht nicht darum, einfach im leeren Raum zu diskutieren. Wir diskutieren um zu handeln. Wir meinen, dass eine lebendige Debatte mit Beteiligung aller, ohne Vorbedingungen und Dogmen, zum Arbeiterkampf und dessen Entwicklung und Stärkung beitragen kann.

3. Wir stellen uns diesen Ort als einen Rahmen vor, in dem man zur Entfaltung der Arbeiterkämpfe beitragen kann. Wir wollen schnell über Kämpfe berichten. Die Kämpfe sollen schnell bekannt werden, damit sich Solidarität entfalten kann und sich die Beschäftigten aus anderen Branchen oder Städten schnell auf die Erfahrung der anderen stützen können.

4. Wir wollen diese Initiative weiter anderen Genoss/Innen öffnen. Deshalb haben wir beschlossen, in anderen Städten auch solche örtlichen Initiativen anzuregen. Wir bieten unsere Bereitschaft an, solche Treffen in anderen Städten zu arrangieren und dazu beizutragen, falls es dazu interessierte Kollektive gibt.

Wir möchten euch dazu auffordern, unsere Initiative zu unterstützen. Nehmt Kontakt mit uns auf: [email protected] [25]

Wir haben einen Blog geschaffen. groups.google.com/g/esparevol?hl=es [26]

[1]Genoss/Innen aus Sevilla und Madrid konnten sich nicht beteiligen, unterstützen aber das Projekt und sie haben schriftliche Diskussionsbeiträge geschickt. Auch haben sich Genoss/Innen beteiligt, die an ähnlichen Initiativen in anderen Städten in Marseille (Frankreich) mitwirken, womit der internationale und internationalistische Charakter des Treffens deutlicher wurde. Mitglieder von zwei politischen Gruppen – die Internationale Kommunistische Strömung und „Democracia Comunista Luxemburguista“ waren ebenso anwesend. Die anderen Mitglieder gehören im Augenblick keiner politischen Organisation an.

Aktuelles und Laufendes: 

  • Weltwirtschaftskrise [27]
  • Arbeiterkämpfe 2009 [28]

USA: Rettunganker - Staatskapitalismus

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Wir veröffentlichen nachfolgend einen Auszug aus einem Artikel der Presse der IKS in den USA, Internationalism, der sich hauptsächlich mit der Frage befasst, ob das angekündigte massive Eingreifen des Staates in der US-Wirtschaft etwas Neues und eine wirkungsvolle Waffe zur Bekämpfung sei.

* Staatskapitalismus ist keine Wirtschaftspolitik, welche Regierungen nach Gutdünken einführen oder aufgeben kann, sondern eine historisch neue Form des Kapitalismus, den alle Länder seit dem Beginn der Dekadenz dieses Wirtschaftssystems übernommen haben. In einer Welt, die von ständigen ökonomischen Rivalitäten, barbarischen imperialistischen Auseinandersetzungen und dem Gespenst der proletarischen Revolution zerrüttet wird, hat sich die herrschende Klasse seit 1914 um den Nationalstaat geschart, weil dieser als letzte Bastion gegen die Auflösungserscheinungen der Wirtschaftskrise und als Hauptverteidiger der nationalen imperialistischen Interessen auf der Welt wirkt.

* Das wesentliche Merkmal des Staatskapitalismus ist die Tendenz des Staates, jegliches gesellschaftliches Leben in seinen Händen zu bündeln. Auf ökonomischer Ebene äußert sich diese Tendenz darin, dass der Staat die direkte Kontrolle der Produktion und der Verteilung der Waren übernimmt, politisch durch die Bündelung der politischen Macht in den Händen einer übermächtigen Bürokratie, die alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens überwacht. Politische Abweichler werden unterdrückt, insbesondere die aus den Reihen der Arbeiterklasse. Ihre früheren permanent existierenden politischen Organisationen, Parteien und Gewerkschaften sind in den Staat und in die herrschende Klasse integriert worden.

* Der Staatskapitalismus kann je nach historischen Besonderheiten eines Landes oder nach besonderen Umständen verschiedene Formen annehmen. Er tauchte zum ersten Mal im 1. Weltkrieg auf, als jede am Krieg beteiligte Regierung sich gezwungen sah, die Kontrolle über den Produktionsapparat zu übernehmen und alle Kräfte der Gesellschaft auf die Kriegsmobilisierung zu richten. Aber der Staatskapitalismus ist nicht begrenzt auf die Zeiträume von offenen Kriegen oder offenen Wirtschaftskrisen wie Roosevelts "New Deal" usw. Die untergegangene ‚sozialistischen' Regime Russlands und Osteuropas, des ‚kommunistischen' Chinas und Kubas heute, sind nichts anderes als eine besondere Form des Staatskapitalismus. Das gleiche trifft auf die faschistischen Regime und die offenen Militärdiktaturen in vielen Dritte-Welt-Ländern zu. Ebenso gilt dies für die heutigen so-genannten westlichen Demokratien, ihre ideologische Loyalität gegenüber der "freien Marktwirtschaft" und "politischer Freiheit".

- Der Staatskapitalismus ist weder fortschrittlich noch eine Lösung für die Krise des Systems. Im Gegenteil - der Staatskapitalismus ist selbst ein Ausdruck der Krise des Systems. Er spiegelt die Tatsache wider, dass die Produktionsverhältnisse zu eng geworden sie für die heute bestehenden Produktionsmöglichkeiten der Gesellschaft. Wenn die Wirtschaftspolitik des Staats nicht ein einfaches Werkzeug für die Mobilisierung aller Ressourcen der Gesellschaft für den imperialistischen Krieg sind, dient diese Politik des Staates vor allem dazu, den Kapitalismus am Leben zu erhalten, indem die ökonomischen Gesetze des Systems umgangen und ausgetrickst werden. Dies ist die Erklärung hinter der offensichtlich absurden Politik der Regierungen, koste was es wolle Unternehmen zu retten, die "zu groß sind kaputt zu gehen", weil damit das uralte kapitalistische Prinzip des Kapitalismus, dass "nur der stärkste überlebt" verwischt wird.

Mr. Obama New Deal

In Anbetracht der Ähnlichkeiten der gegenwärtigen Wirtschaftskrise mit der großen Depression in den 1930er Jahren, wird oft der Vergleich angestellt zwischen Obamas Machtübernahme und der Rolle Roosevelts 1933. Obamas angekündigte "Steuererleichterungen" mit der Reihe von Steuersenkungen und staatlich finanzierter Infrastrukturprogramme wird als eine Art neuer New Deal dargestellt, mit Hilfe dessen die Wirtschaft erneut angekurbelt werden und der amerikanische Kapitalismus gerettet werden könnte.

Aber ungeachtet der Ähnlichkeiten der heutigen Situation mit der großen Depression damals ist aus unserer Sicht die Lage des Weltkapitalismus heute viel schlimmer als in den 193er Jahren. Natürlich war der Zusammenbruch des Finanzsystems, der Rückgang der Produktion, der Anstieg der Arbeitslosenrate - um nur einige Indikatoren zu nennen - damals in der großen Depression viel dramatischer als das, was wir heute sehen. 1933 war die Arbeitslosigkeit in den USA auf 25% angestiegen; die Inlandsproduktion um 30% gesunken, die Aktien um ca. 90% gefallen, und mehr als ein Drittel der Banken des Landes waren bankrott. Um Vergleich dazu ist die gegenwärtige Arbeitslosenrate von 7.2% noch ganz günstig und die Wachstumszahlen sehen noch nicht so verheerend aus.

Aber damit haben wir noch nicht das ganze Bild gesehen. Die "Spezialisten" vergessen oft, dass die gegenwärtige Krise nicht erst 2007 begonnen hat. Wie wir öfter hervorgehoben haben, ist die gegenwärtige Rezession nur ein Moment in der offenen Krise des Kapitalismus, die Ende der 1960er Jahre begann, und die sich seitdem nur noch verschlechtert hat, trotz all der Wiederankurbelungen, die jeweils den immer schlimmeren Rezessionen während der letzten vier Jahrzehnte folgten. Während all dieser Jahre hat es diese staatskapitalistische Politik - bislang - geschafft, eine dramatischen Zusammenbruch so wie seinerzeit in der Zeit der großen Depression zu verhindern, aber das geschah nur auf Kosten der langfristigen Zuspitzung der chronischen Wirtschaftskrise. So stellt die gegenwärtige Rezession - in den USA und auf der ganzen Welt - mit all den dramatischen Erschütterungen im Finanzbereich und der mangelnden Kehrtwende ungeachtet der zahlreichen Ankurbelungsprogramme der Staaten, eine Abrechnung mit der Wirklichkeit eines Systems dar, welches durch die staatskapitalistische Politik künstlich am Leben erhalten wird.

Die jetzt von Obamas ‚schlauen Leuten' propagierte Politik ist nicht neu. Sie ist nur eine Variante der gleichen kapitalistischen Politik, welche seit den letzten 40 Jahren praktiziert wurde, und die zuvor schon unter Rooselvelt zur Anwendung kam. Aber die Unfähigkeit der wirtschaftlichen Maßnahmen des Staates, eine Änderung herbeizuführen und auch die Unfähigkeit, dieses todgeweihte System am Leben zu halten, verleiht der gegenwärtigen Rezession ihre wahre historische Bedeutung. Und das ist kein gutes Omen für Obama. Heute ist der Spielraum des Staates für sein Eingreifen viel geringer als den 1930er Jahren. Es ist auch ein Mythos zu behaupten, der New Deal habe seinerzeit die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre überwinden können. Nachdem es ihm gelang, den 1929 begonnen Abwärtstrend aufzuhalten, ging dem New Deal schnell die Luft aus. Erneut kam es 1937 zu einem katastrophalen Absturz. Der Zeitraum der Depression wurde nur durch die Kriegswirtschaft während der Massaker des 2. Weltkriegs beendet. Und die Blütephase der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in der Wiederaufbauphase war nicht nur das Ergebnis staatskapitalistischer Maßnahmen, sondern ein Ergebnis einer besonderen historischen Konstellation, die heute nicht mehr denkbar ist (siehe dazu unsere Artikel in der Internationalen Revue zur Erklärung des Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg).

Wie wir immer wieder betont haben, verfügt die herrschende Klasse über keine Mittel, die Krise zu lösen. Sie kann nur eine noch größere  Zuspitzung der Krise und mehr imperialistische Kriege anbieten. Staatskapitalistische Maßnahmen sind nur ein letztes "aufschiebendes" Mittel für ein todgeweihtes kapitalistisches System.  E.S.  15.01.09

Aktuelles und Laufendes: 

  • Obamas Rettungspakete [29]
  • Staatskapitalismus USA [30]

April 2009

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Bürgerkrieg in Deutschland 1918 – 19- Teil IV

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In den ersten drei Teilen unserer Serie über die Deutsche Revolution 1918-19 zeigten wir, wie sich nach dem Zusammenbruch der Sozialistischen Internationale im Angesicht des I. Weltkrieges das Blatt zugunsten des Proletariats wendete, mit dem Höhepunkt der Novemberrevolution von 1918, die, wie die Oktoberrevolution ein Jahr zuvor, ein Aufstand gegen den imperialistischen Krieg war. Während der Rote Oktober den ersten mächtigen Schlag der Arbeiterklasse gegen den „Großen Krieg“ darstellte, war es die Tat des deutschen Proletariats, die ihn letztendlich beendete.

Laut den Geschichtsbüchern der herrschenden Klasse endet damit auch die Parallele zwischen den Bewegungen in Russland und Deutschland. Die revolutionäre Bewegung in Deutschland habe sich lediglich auf den November 1918 beschränkt und gegen den Krieg gerichtet. Im Gegensatz zu Russland habe es in Deutschland nie eine revolutionäre sozialistische Bewegung gegeben, die sich gegen das kapitalistische System als solches gerichtet habe. Die „Extremisten“, die für eine „bolschewistische“ Revolution in Deutschland gefochten hatten, hätten dies nicht begriffen und dafür mit ihrem Leben bezahlt. So die Behauptungen.

In den ersten drei Teilen unserer Serie über die Deutsche Revolution 1918-19 zeigten wir, wie sich nach dem Zusammenbruch der Sozialistischen Internationale im Angesicht des I. Weltkrieges das Blatt zugunsten des Proletariats wendete, mit dem Höhepunkt der Novemberrevolution von 1918, die, wie die Oktoberrevolution ein Jahr zuvor, ein Aufstand gegen den imperialistischen Krieg war. Während der Rote Oktober den ersten mächtigen Schlag der Arbeiterklasse gegen den „Großen Krieg“ darstellte, war es die Tat des deutschen Proletariats, die ihn letztendlich beendete.

Laut den Geschichtsbüchern der herrschenden Klasse endet damit auch die Parallele zwischen den Bewegungen in Russland und Deutschland. Die revolutionäre Bewegung in Deutschland habe sich lediglich auf den November 1918 beschränkt und gegen den Krieg gerichtet. Im Gegensatz zu Russland habe es in Deutschland nie eine revolutionäre sozialistische Bewegung gegeben, die sich gegen das kapitalistische System als solches gerichtet habe. Die „Extremisten“, die für eine „bolschewistische“ Revolution in Deutschland gefochten hatten, hätten dies nicht begriffen und dafür mit ihrem Leben bezahlt. So die Behauptungen.

Doch die herrschende Klasse jener Zeit besaß nicht die Nonchalance der heutigen Historiker hinsichtlich der Unerschütterlichkeit der kapitalistischen Herrschaft. Ihr damaliges Programm: Bürgerkrieg!

Die „Doppelherrschaft“ und das Rätesystem

Diese Orientierung wurde durch eine Situation der Doppelherrschaft veranlasst, die aus der Novemberrevolution resultierte. Wenn die Beendigung des imperialistischen Krieges das Hauptresultat vom November war, so war sein Hauptprodukt das System der Arbeiter- und Soldatenräte, die sich, wie in Russland und Österreich-Ungarn, über das ganze Land erstreckten.

Die deutsche Bourgeoisie, insbesondere die Sozialdemokratie, zog sofort die Lehren aus dem, was in Russland passiert war, intervenierte von Anfang an, um diese Revolutionsorgane zu einer leeren Hülle zu machen. In vielen Fällen erzwangen sie die Wahl von Delegierten auf der Grundlage von Parteilisten, die sich die SPD und die schwankende, versöhnlerische USPD teilten, was im Endeffekt auf den Ausschluss von Revolutionären aus diesen Organen hinauslief. Auf dem ersten nationalen Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin hinderte der linke Flügel des Kapitals Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am Sprechen. Vor allem paukte er einen Antrag durch, in dem die Absicht erklärt wird, alle Macht einer kommenden parlamentarischen Regierung auszuhändigen.

Diese Erfolge der Bourgeoisie bilden noch immer die Grundlage des Mythos‘, dass im Gegensatz zu Russland die Räte in Deutschland nicht revolutionär gewesen seien. Dabei wird jedoch übersehen, dass auch in Russland die Räte zu Beginn der Revolution keinen revolutionären Kurs verfolgten, dass die meisten Delegierten, die zunächst gewählt worden waren, keine Revolutionäre waren und dass es auch dort die „Sowjets“ anfangs eilig hatten, ihre Macht abzugeben.

Nach der Novemberrevolution machte sich die deutsche Bourgeoisie keine Illusionen über die angebliche Harmlosigkeit des Rätesystems. Auch wenn sie die Macht für sich beanspruchten, erlaubten diese Räte dem bürgerlichen Staatsapparat auch weiterhin, mit ihnen zusammen zu koexistieren. Andererseits war das Rätesystem durch seine eigentliche Natur dynamisch und elastisch, seine Zusammensetzung, Haltung und Handlungsweise in der Lage, sich allen Wendungen anzupassen und zu radikalisieren. Die Spartakisten, die dies sofort begriffen hatten, begannen mit einer pausenlosen Agitation für die Neuwahl von Delegierten, die eine scharfe Linkswende in der gesamten Bewegung konkretisieren würde.

Niemand verstand die potenzielle Gefahr dieser „Doppelherrschaft“ besser als die deutsche Militärführung. General Groener, dazu ernannt, die Operationen der Reaktion zu leiten, aktivierte umgehend die geheime Telefonverbindung 998 zum neuen Kanzler, den Sozialdemokraten Ebert. Und genauso wie der legendäre römische Senator Cato zweitausend Jahre zuvor jede Rede mit den Worten „Karthago (der Todesfeind Roms) muss vernichtet werden“ beendet hatte, dachte Groener an die Zerstörung der Arbeiterräte und vor allem der Soldatenräte. Obwohl während und nach der Novemberrevolution die Soldatenräte teilweise ein konservatives totes Gewicht darstellten, um die Arbeiter zurückzuhalten, wusste Groener, dass die Radikalisierung der Revolution diese Tendenz umkehren würde, wenn die Arbeiterräte beginnen würden, die Soldaten hinter sich zu ziehen. Vor allem: die Ambitionen der Soldatenräte bestanden darin, das Kommando zu übernehmen und die Herrschaft der Offiziere über die Streitkräfte zu brechen. Dies lief auf nichts anderes hinaus als die Bewaffnung der Revolution. Keine herrschende Klasse hat jemals freiwillig die Aufgabe ihres eigenen Monopols über die Streitkräfte akzeptiert. In diesem Sinn setzte die bloße Existenz des Rätesystems den Bürgerkrieg auf die Agenda.

Mehr noch: die Bourgeoisie begriff, dass im Anschluss an der Novemberrevolution die Zeit nicht mehr auf ihrer Seite war. Die spontane Tendenz der gesamten Situation wies in Richtung Radikalisierung der Arbeiterklasse, Verlust ihrer Illusionen bezüglich der Sozialdemokratie und der „Demokratie“ sowie eines wachsenden Selbstbewusstseins. Ohne das geringste Zögern schlug die deutsche Bourgeoisie den Weg zu einer Politik der systematischen Provozierung militärischer Auseinandersetzungen ein. Ihr Ziel: ihrem Klassenfeind entscheidende Konfrontationen aufzuzwingen, noch bevor die revolutionäre Situation herangereift war. Konkreter: die „Enthauptung“ des Proletariats durch eine blutige Niederlage der Arbeiter der Hauptstadt Berlin, dem politischen Zentrum der deutschen Arbeiterbewegung, bevor die Kämpfe in den Provinzen eine „kritische“ Stufe erreicht hatten.

Der offene Kampf zwischen zwei Klassen, von denen jede entschlossen war, ihre eigene Macht durchzusetzen, jede mit ihren eigenen Organisationen der Klassenherrschaft, konnte nur ein temporärer, instabiler, unhaltbarer Zustand sein. „Doppelherrschaft“ endet im Bürgerkrieg.

Die Kräfte der Konterrevolution

Im Gegensatz zur Lage in Russland 1917 stand die Deutsche Revolution den feindlichen Kräften der gesamten Weltbourgeoisie gegenüber. Die herrschende Klasse war nicht mehr durch den imperialistischen Krieg in zwei rivalisierende Lager gespalten. Als solche stand der Revolution nicht nur die deutsche Bourgeoisie gegenüber, sondern auch die Kräfte der Entente, die sich auf der Westseite des Rheins sammelten, bereit, militärisch zu intervenieren, sollte die deutsche Regierung die Kontrolle über die soziale Lage verlieren. Die Vereinigten Staaten, ein relativer Newcomer auf der weltpolitischen Ebene, spielten die Karte der „Demokratie“ und des „Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung“, wobei sie sich selbst als die einzige Garantie für Frieden und Wohlstand präsentierten. Als solche versuchten sie eine politische Alternative zum revolutionären Russland zu formulieren. Die französische Bourgeoisie, die ihrerseits von ihrem eigenen imperialistischen Durst nach Rache besessen war, brannte darauf, tiefer auf deutsches Territorium vorzudringen und die Revolution dabei in Blut zu ertränken. Es war Großbritannien, damals die größte Macht auf der Welt, das die Führung dieser konterrevolutionären Allianz übernahm. Statt das Embargo, das es während des Krieges gegen Deutschland verhängt hatte, aufzuheben, verschärfte Großbritannien es teilweise sogar noch. London war entschlossen, die Bevölkerung Deutschlands solange auszuhungern, bis dieses Land ein politisches Regime installiert hatte, das von der Regierung Ihrer Majestät befürwortet wurde.

Innerhalb Deutschlands selbst war die zentrale Achse der Konterrevolution das Bündnis zwischen den Hauptkräften der Sozialdemokratie und des Militärs. Die Sozialdemokratie war das trojanische Pferd des weißen Terrors, indem sie hinter den Linien des Klassenfeindes operierte, die Revolution von innen sabotierte und ihre verbliebene Autorität als ehemalige Arbeiterpartei (und in Gestalt der Gewerkschaften) nutzte, um ein Maximum an Konfusion und Demoralisierung zu schaffen. Das Militär lieferte die bewaffneten Kräfte, brachte aber auch die Erbarmungslosigkeit, Verwegenheit und strategische Fähigkeit mit, die es seit jeher auszeichnen.

Was für ein schwankender, halbherziger Haufen die russischen Sozialisten um Kerenski 1917 doch waren, verglichen mit den kaltblütigen Konterrevolutionären der deutschen SPD! Was für ein unorganisierter Mob die russischen Offiziere doch im Vergleich mit der grimmigen Effizienz der preußischen Militärelite waren[1]!

In den Tagen und Wochen nach der Novemberrevolution machte sich diese morbide Allianz daran, zwei Hauptprobleme zu lösen: Angesichts der Auflösung der imperialistischen Armeen musste sie den harten Kern einer neuen Kraft, eine Weiße Armee des Terrors, zusammenhalten. Sie bezog ihr Rohmaterial aus zwei Hauptquellen, aus dem alten Offizierskorps und aus jenen entwurzelten Speichelleckern, die durch den Krieg verrückt geworden waren und nicht mehr in das „zivile“ Leben integriert werden konnten. Als gebrochene Opfer des Imperialismus waren diese ehemaligen Soldaten auf der Suche nach einem Ventil für ihren blinden Hass und nach jemanden, der für ihre Dienste zahlte. Aus diesen Desperados rekrutierten und trainierten die adligen Offiziere – politisch unterstützt und gedeckt durch die SPD – das, was zu den Freikorps werden sollte, die Söldner der Konterrevolution, Kern der späteren Nazibewegung.

Diese bewaffneten Kräfte wurden durch eine ganze Reihe von Spionageringen und Agents provocateurs unterstützt, die von der SPD und dem Armeestab koordiniert wurden.

Das zweite Problem war, wie man den Arbeitern gegenüber den Einsatz des weißen Terrors rechtfertigte. Es war die Sozialdemokratie, die dieses Problem löste. Vier Jahre lang hat sie im Namen des Friedens den imperialistischen Krieg gepredigt. Nun predigte sie den Bürgerkrieg im Namen der... Verhinderung des Bürgerkrieges. Wir kennen niemanden, der Blutvergießen will, erklärte sie – außer Spartakus! Zu viele Arbeiter haben ihr Blut vergossen im Großen Krieg – aber Spartakus dürstet nach mehr!

Die damaligen Massenmedien verbreiteten diese schamlosen Lügen: Spartakus mordet und plündert und heuert Soldaten für die Konterrevolution an und kollaboriert mit der Entente und erhält Geld von den Kapitalisten und bereitet eine Diktatur vor. Die SPD beschuldigte Spartakus dessen, was sie selbst tat!

Die erste große Menschenjagd des 20. Jahrhunderts in einer der hoch-„zivilisierten“ Industrienationen Westeuropas richtete sich gegen Spartakus. Und während die höchsten Tiere aus Kapital und Militär enorme Belohnungen für die Liquidierung der Spartakusführer auslobten, wobei sie es vorzogen, anonym zu bleiben, rief die SPD in ihrer Parteipresse offen zur Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg auf. Anders als ihre bürgerlichen Freunde wurde die SPD zu dieser Kampagne nicht nur durch ihren (bürgerlichen) Klasseninstinkt und durch ihr strategisches Denken veranlasst, sondern auch durch einen Hass, der nicht weniger grenzenlos war wie der der Freikorps.

Die deutsche Bourgeoisie ließ sich nicht vom oberflächlichen und flüchtigen Eindruck des Moments blenden: von Spartakus als eine kleine, abseits stehende Gruppe. Sie wusste, dass hier das Herz des Proletariats schlug, und war bereit, zum tödlichen Schlag auszuholen.

Dezember 1918: Erste Siege des Proletariats

Die konterrevolutionäre Offensive begann am 6. Dezember in Berlin mit einem Angriff an drei Fronten. Das Hauptquartier der Roten Fahne, der Zeitung des Spartakusbundes, war Ziel einer Razzia. Eine andere Gruppe von Soldaten versuchte die Führer des Exekutivorgans der Arbeiterräte, die sich in einer Sitzung befanden, festzunehmen. Die Absicht, die Arbeiterräte als solche zu eliminieren, war offensichtlich. Eine weitere Gruppe von Soldaten kam ihnen um der Ecke entgegen und forderte Ebert dazu auf, den Vollzugsrat zu verbieten. Außerdem geriet eine Demonstration von Spartakus nahe des Stadtzentrums, in der Chausseestraße, in den Hinterhalt: 18 Tote, 30 Verletzte. Dank proletarischer Tapferkeit und Erfindungsgabe gelang es, Schlimmeres zu verhüten. Die Führer des Vollzugsausschusses waren in der Lage, den Soldaten diese Aktion auszureden. Und eine Gruppe russischer Kriegsgefangener, die von hinten die Friedrichstraße entlang kam, war imstande, mit ihren bloßen Händen die Maschinengewehrschützen von der Chausseestraße zu überraschen und zu überwältigen[2].

Am folgenden Tag wurde ein Versuch unternommen, Karl Liebknecht in den Büros der Roten Fahne festzunehmen (bzw. zu kidnappen) und zu ermorden. Seine eigene Kaltschnäuzigkeit rettete ihm bei dieser Gelegenheit das Leben.

Diese Aktionen provozierten die ersten gigantischen Solidaritätsdemonstrationen des Berliner Proletariats mit Spartakus. Von nun an waren sämtliche Demonstrationen des Spartakusbundes bewaffnet, mit Maschinengewehrbatterien bestückte Lastwagen an der Spitze. Gleichzeitig intensivierte sich angesichts solcher Provokationen die gigantische Streikwelle, die im November in den Schwerindustrieregionen Oberschlesiens und der Ruhr ausgebrochen war.

Das nächste Ziel der Konterrevolution war die Volksmarinedivision, bewaffnete Matrosen, die von den Hafenstädten an der Küste nach Berlin gekommen waren, um die Revolution zu verbreiten. Ihre bloße Existenz war für die Behörden eine Provokation, dies um so mehr, seitdem sie den Palast der geheiligten preußischen Könige besetzt hatten[3].

Diesmal bereitete die SPD den Boden vorsichtiger. Sie wartete die Resultate des nationalen Rätekongresses ab, die sich als vorteilhaft für die Übergabe der Macht an die SPD-Regierung und an die künftige Nationalversammlung herausstellten. Eine Medienkampagne beschuldigte die Matrosen des Marodierens und Plünderns. Kriminelle, Spartakisten!

Am Morgen des 24. Dezember, Heiligabend, präsentierte die Regierung den 28 Matrosen im Palast und ihren 80 Genossen im Marstall ein Ultimatum[4]: bedingungslose Aufgabe. Die schlecht bewaffnete Armeegarnison gelobte, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Genau zehn Minuten später (es war nicht einmal genug Zeit, Frauen und Kinder aus den Gebäuden zu evakuieren) weckte das Donnern der Artillerie die Großstadt.

„Das wäre nun, trotz aller Zähigkeit der Matrosen, weil sie mit ihren Waffen keinen Staat machen konnten, eine verlorene Schlacht geworden – wenn sie irgendwo sonst stattgefunden hätte. Aber sie fand mitten in Berlin statt. Bei Schlachten spielen bekanntlich Flüsse, Hügel, Geländeschwierigkeiten eine große Rolle. In Berlin waren die Geländeschwierigkeiten Menschen.

Wie die Kanonen stolz und großmäulig krachten, weckten sie Zivilisten aus dem Schlaf, die sofort verstanden, was die Kanonen sagten. Sie liefen herbei, um auch ihre Ansicht zu äußern. Und dass sie herbei- und nicht wegliefen, war ein Zeichen, dass sie die Kanonen verstanden.” (Bd. 4. Seite 143)[5]

Anders als Großbritannien oder Frankreich war Deutschland keine dauerhafte zentralisierte Monarchie gewesen. Anders als London oder Paris wurde Berlin nicht zu einer Weltmetropole unter der Anleitung eines Regierungsplanes gestaltet. Ähnlich dem Ruhrtal wucherte Berlin wie ein Krebs. Das Ergebnis war, dass das Regierungsviertel letztendlich auf drei Seiten von einem „roten Gürtel“ riesiger Arbeiterbezirke umgeben war[6]. Bewaffnete Arbeiter eilten zum Ort des Geschehens, um die Matrosen zu verteidigen. Arbeiterinnen und Kinder standen zwischen den Gewehren und deren Zielen, nur mit ihrem Mut, ihrem Humor und ihrer Überzeugungskraft ausgerüstet. Die Soldaten warfen ihren Waffen weg und entwaffneten die Offiziere[7].

Am folgenden Tag nahm die massivste Demonstration in der Hauptstadt seit dem 9. November Besitz vom Stadtzentrum – diesmal gegen die SPD und in Verteidigung der Revolution. Am gleichen Tag besetzten Arbeitergruppen die Büros des Vorwärts, der Tageszeitung der SPD. Es gibt wenig Zweifel daran, dass diese Tat das spontane Ergebnis der tiefen Empörung des Proletariats war. Jahrzehntelang war der Vorwärts das Sprachrohr der Arbeiterklasse gewesen – bis die SPD-Führung ihn während des Weltkrieges stahl. Jetzt war er das schamloseste und unehrlichste Organ der Konterrevolution.

Die SPD sah sofort die Möglichkeit, die Situation für eine neue Provokation auszunutzen, indem sie eine Kampagne gegen den angeblichen „Angriff auf die Pressefreiheit“ startete. Doch die Obleute, die revolutionären Delegierten, eilten zur Zentrale des Vorwärts und überzeugten die Besetzer von der taktischen Klugheit eines vorläufigen Rückzugs, um eine vorzeitige Konfrontation zu vermeiden.

Das Jahr endete mit einer weiteren Demonstration der revolutionären Entschlossenheit: die Beerdigung der elf toten Matrosen aus der Schlacht um den Marstall. Am gleichen Tag verließ die USPD die Koalitionsregierung mit der SPD. Und während die Ebert-Regierung mit dem Gedanken spielte, aus der Hauptstadt zu fliehen, begann der Gründungskongress der KPD.

Die Eichhorn-Affäre und die zweite Vorwärts-Besetzung

Die Ereignisse des Dezember 1918 enthüllten, dass eine tiefgehende Konsolidierung der Revolution begonnen hatte. Die Arbeiterklasse gewann die ersten Konfrontationen in der neuen Phase, entweder durch die Kühnheit ihrer Aktionen oder durch die Klugheit ihrer taktischen Rückzüge. Die SPD hatte zumindest begonnen, ihren konterrevolutionären Charakter vor den Augen der gesamten Klasse zu entblößen. Es stellte sich schnell heraus, dass die bürgerliche Strategie der Provokationen schwierig, ja riskant war.

Mit dem Rücken zur Wand zog die herrschende Klasse mit bemerkenswerter Klarheit die Lehren aus diesen ersten Geplänkeln. Sie realisierte, dass die direkte und massive Anvisierung von Symbolen und Identifikationsfiguren der Revolution – Spartakus, die Führung der Arbeiterräte oder die Marinedivisionen – sich als kontraproduktiv erwies, da sie die Solidarität der gesamten Arbeiterklasse provozierte. Besser die weniger prominenten Figuren angreifen, die nur die Solidarität von Teilen der Klasse genossen, um so die Arbeiter in der Hauptstadt zu spalten und sie vom Rest des Landes zu isolieren. Solch eine Figur war Emil Eichhorn, der dem linken Flügel der USPD angehörte. Ein verrückter Zufall, eine der Parodoxien, die jede große Revolution produziert, hatte diesen Mann zum Präsidenten der Berliner Polizei gemacht. In dieser Funktion begann er Waffen an die Arbeitermilizen zu verteilen. Er war eine Provokation für die herrschende Klasse. Ihn zum Ziel der Angriffe zu machen würde dabei helfen, die Kräfte der Konterrevolution zu galvanisieren, die noch unter den ersten Rückschlägen wankten. Gleichzeitig war die Verteidigung eines Polizeichefs ein zwiespältiger Anlass für die Mobilisierung der revolutionären Kräfte!

Doch die Konterrevolution hatte eine zweite Provokation im Ärmel, nicht weniger zwiespältig, mit nicht geringerem Potenzial, um die Klasse zu spalten und ins Stocken zu bringen. Es war der SPD-Führung nicht entgangen, dass die kurze Besetzung der Vorwärts-Büros sozialdemokratische Arbeiter schockiert hatte. Die meisten dieser Arbeiter schämten sich für den Inhalt dieser Zeitung. Was sie besorgte, war etwas anderes: Es könnte das Menetekel des militärischen Konfliktes zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern – mit grellen Farben von der SPD an die Wand gemalt – aus solchen Besetzungen resultieren. Diese Sorge wog umso schwerer – und die SPD-Führung wusste dies -, weil sie von dem realen proletarischen Anliegen, die Einheit der Klasse zu verteidigen, getragen wurde.

Die gesamte Provokationsmaschinerie wurde wieder in Bewegung gesetzt.

Schwall von Lügen: Eichhorn sei korrupt, ein Krimineller, der, von den Russen bezahlt, einen konterrevolutionären Putsch vorbereite!

Ultimatum: Eichhorn müsse umgehend zurücktreten oder mit Gewalt entfernt werden!

Entfaltung roher Gewalt: Diesmal wurden 10.000 Mann im Stadtzentrum postiert, 80.000 in unmittelbarer Nähe zusammengezogen. Miteingeschlossen die höchst disziplinierte Elitedivision des General Maercker, Infanterietruppen, eine „eiserne Brigade“ von der Küste, Milizen aus den bürgerlichen Bezirken und die ersten Freikorps. Doch sie umfassten auch die „Republikanische Garde“, eine bewaffnete Miliz der SPD, wo der Name Eichhorn unbekannt war.

Die fatale Falle des Januar 1919

Wie die Bourgeoisie erwartete, mobilisierte der Angriff gegen Eichhorn nicht jene Truppen in der Hauptstadt, die mit der Revolution sympathisierten. Auch die Arbeiter in den Provinzen, wo der Name Eichhorn unbekannt war, erhoben sich nicht.

Doch es gab eine neue Komponente in der Situation, die alle überraschte. Dies war die Massivität und Intensität der Reaktion des Proletariats von Berlin. Am Sonntag, den 5. Januar, folgten 150.000 dem Aufruf der Revolutionären Obleute[8] zur Demonstration vor dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Am folgenden Tag legten über eine halbe Million Arbeiter die Werkzeuge beiseite und nahmen das Stadtzentrum in ihren Besitz. Diese Arbeiter waren bereit, zu kämpfen und zu sterben. Sie hatten sofort begriffen, dass es nicht um Eichhorn, sondern um die Verteidigung der Revolution ging.

Obgleich sie von der machtvollen Antwort verblüfft war, war die Konterrevolution kaltblütig genug, mit ihren Plänen weiterzumachen. Einmal mehr wurde der Vorwärts besetzt, aber auch andere Pressebüros im Stadtzentrum. Diesmal allerdings hatten Agents provocateurs von der Polizei die Initiative ergriffen[9].

Die junge KPD warnte sofort die Arbeiterklasse. In einem Flugblatt und in Artikeln auf der ersten Seite der Roten Fahne rief sie das Proletariat dazu auf, neue Delegierte für ihre Räte zu wählen und sich selbst zu bewaffnen, sich aber auch zu vergegenwärtigen, dass der Moment der bewaffneten Erhebung noch nicht gekommen war. Solch eine Erhebung erforderte eine zentralisierte Führung auf der Ebene des gesamten Landes. Diese konnte nur durch die Arbeiterräte geschaffen werden, in welchen die Revolutionäre Einfluss ausübten.

Am Abend des 5. Januar kamen die revolutionären Führer zu Beratungen im Hauptquartier von Eichhorn zusammen. Um die 70 Obleute waren anwesend, von denen gute 80 Prozent Anhänger der Linken in der USPD waren, der Rest Anhänger der KPD. Die Mitglieder des Zentralkomitees der Berliner Organisation der USPD kreuzten genauso wie zwei Mitglieder des Zentralkomitees der KPD, Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck, auf.

Zunächst waren sich die Delegierten der Arbeiterorganisationen unsicher darüber, wie sie antworten sollten. Doch dann verwandelte sich die Atmosphäre, ja wurde elektrisiert durch die eintreffenden Berichte. Diese Berichte betrafen die bewaffneten Besetzungen im Zeitungsviertel und die angebliche Bereitschaft verschiedener Garnisonen, sich einer bewaffneten Erhebung anzuschließen. Nun erklärte Liebknecht, dass unter diesen Umständen nicht nur die Zurückweisung des Angriffs gegen Eichhorn notwendig geworden ist, sondern auch die bewaffnete Erhebung.

Die Augenzeugenberichte dieses dramatischen Treffens deuten an, dass die Intervention von Liebknecht der fatale Wendepunkt gewesen war. Den ganzen Krieg hindurch war er für das deutsche, ja für das Weltproletariat der politische Kompass und das moralische Gewissen gewesen. Nun, in diesem eminent wichtigen Moment der Revolution verlor er seinen Kopf und seine Orientierung. Vor allem ebnete er den Weg für die Unabhängigen, die damals noch die dominierende politische Kraft waren. Bar jeglicher klar definierter Prinzipien, einer klaren langfristigen Perspektive und eines tieferen Vertrauens in die Sache des Proletariats, war diese „unabhängige“ Strömung dazu verdammt, unter dem Druck der unmittelbaren Situation beständig hin und her zu schwanken und sich so mit der herrschenden Klasse zu versöhnen. Doch die andere Seite der Münze, des „Zentrismus“, war das starke Bedürfnis nach Teilnahme, wann immer eine unklare „Aktion“ anstand, nicht zuletzt um die eigene revolutionäre Entschlossenheit zu dokumentieren.

„Die Unabhängige Partei hatte kein klares politisches Programm; aber nichts lag ihr ferner, als ein Handstreich gegen die Regierung Ebert-Scheidemann. In dieser Konferenz lag die Entscheidung bei den Unabhängigen. Und da zeigte es sich, daß sich insbesondere jene schwankenden Gestalten, wie sie im Berliner Zentralvorstand saßen, die sich gewöhnlich nicht gern in Gefahr begaben, aber doch überall dabei sein wollten, als die wildesten Schreier und recht ‚revolutionär‘ gebärdeten.“[10]

Laut Richard Müller eskalierte die Situation so in eine Art Konkurrenz zwischen der USPD-Führung und der KPD-Delegation.

„Jetzt wollten die Unabhängigen Mut und Konsequenz zeigen, indem sie das von Liebknecht gesteckte Ziel noch übertrumpften. Konnte Liebknecht angesichts des ‚revolutionären‘ Feuers dieser ‚schwankenden und zagenden Elemente‘ zurückstehen? Das lag nicht in seiner Natur.“[11]

Warnungen wie jener von Soldatendelegierten, die ihre Zweifel über die Kampfbereitschaft der Truppen äußerten, wurde nicht Gehör geschenkt.

„Richard Müller wandte sich in der schärfsten Form gegen das vorgeschlagene Ziel des Kampfes, Sturz der Regierung. Er legte dar, daß dafür weder politisch noch militärisch die Voraussetzungen gegeben seien. Die Bewegung im Reiche wachse von Tag zu Tag. In kurzer Zeit könnten die politischen, militärischen und psychologischen Voraussetzungen für den Kampf um die Macht geschaffen sein. Ein verfrühtes isoliertes Vorgehen in Berlin könne die weitere Entwicklung der Revolution gefährden. – Nur mit Mühe konnte er seine ablehnende Haltung gegen den allseitigen Widerspruch vortragen.“[12]

Drei wichtige Entscheidungen wurden zur Abstimmung gestellt und angenommen. Der Aufruf zu einem Generalstreik wurde einmütig verabschiedet. Die beiden anderen Entscheidungen, die Aufrufe, die Regierung zu stürzen und die Besetzung der Pressebüros aufrechtzuhalten, wurden mit großen Mehrheit angenommen, jedoch mit sechs Gegenstimmen[13].

Schließlich wurde ein „provisorisches revolutionäres Aktionskomitee“ mit 53 Mitgliedern und drei Vorsitzenden, Liebknecht, Ledebour, Scholze, gebildet.

Nun war das Proletariat in die Falle getappt.

Die so genannte Spartakuswoche

Nun folgte eine blutige Woche der Kämpfe in Berlin. Die Bourgeoisie nannte sie die „Spartakuswoche“: die Vereitelung eines „kommunistischen Putsches“ dank der „Helden der Freiheit und Demokratie“. Das Schicksal der deutschen und Weltrevolution wurde in dieser Woche vom 5. bis zum 12. Januar besiegelt.

Am Morgen nach der Konstituierung des Revolutionskomitees war der Generalstreik in der Stadt fast total. Noch mehr Arbeiter als tags zuvor strömten in das Stadtzentrum, viele von ihnen bewaffnet. Doch gegen Mittag waren alle Hoffnungen auf eine aktive Unterstützung durch die Garnisonen zerstoben. Selbst die Matrosendivision, eine lebende Legende, erklärte sich selbst für neutral, ja ging soweit, dass sie ihren eigenen Delegierten, Dorrenbach, wegen seiner in ihren Augen unverantwortlichen Beteiligung am Aufruf zum Aufstand festsetzte. Am Nachmittag desselben Tages wies dieselbe Volksmarinedivision das Revolutionskomitee aus den Marstall, wo es Schutz gesucht hatte. Auch die konkreten Maßnahmen, um die Regierung zu entfernen, wurden vereitelt oder sogar ignoriert, da keine sichtbare bewaffnete Macht hinter ihnen stand[14]!

Den ganzen Tag hindurch waren die Massen auf den Straßen, auf weitere Instruktionen von ihren Führern wartend. Doch es kamen keine solche Instruktionen. Die Kunst der erfolgreichen Ausführung von Massenaktionen besteht in der Konzentration und Ausrichtung aller Energien auf ein Ziel, das über den Ausgangspunkt hinausgeht, das den Teilnehmern das Gefühl des kollektiven Erfolges und der kollektiven Stärke gibt. In der gegebenen Situation war die bloße Wiederholung des Streiks und der Massendemonstrationen früherer Tage nicht genug. Ein wirklicher Fortschritt wäre zum Beispiel die Umzingelung der Kasernen und die Agitation der Soldaten gewesen, um diese für die neue Stufe der Revolution zu gewinnen, die Entwaffnung der Offiziere, der Beginn einer breiteren Bewaffnung der Arbeiter[15]. Doch das selbsternannte Revolutionskomitee schlug keine solche Maßnahmen vor, nicht zuletzt, weil es bereits einen Handlungsrahmen vorgeschlagen hatte, der weitaus radikaler, aber unglücklicherweise auch unrealistischer war. Nachdem es zu nichts Geringerem als den bewaffneten Aufstand aufgerufen hatte, wären konkretere, aber weitaus weniger spektakuläre Maßnahmen eine Enttäuschung gewesen, ein Anti-Höhepunkt, ein Rückzug. Das Komitee und mit ihm das Proletariat waren Gefangene eines fehlgeleiteten, leeren Radikalismus.

Die Führung der KPD war entsetzt, als sie die Neuigkeiten über den vorgeschlagenen Aufstand vernahm. Besonders Rosa Luxemburg und Leo Jogiches beschuldigten Liebknecht und Pieck, sich nicht nur von den Beschlüssen des Parteikongresses in der vorherigen Woche, sondern auch vom Parteiprogramm selbst abgewendet zu haben[16].

Doch diese Fehler konnten nicht ungeschehen gemacht werden und waren als solche (noch) nicht die dringendste Frage. Die Wende in den Ereignissen konfrontierte die Partei mit einem fürchterlichen Dilemma: Wie sollte sie das Proletariat aus der Falle befreien, in der Letztere gefangen war?

Diese Aufgabe war weitaus schwieriger als jene, die während der berühmten „Juli-Tage“ von 1917 in Russland von den Bolschewiki gemeistert worden war, als es der Partei gelang, der Klasse zu helfen, der Falle einer vorzeitigen militärischen Konfrontation auszuweichen.

Die erstaunliche, weil paradoxe Antwort, die die Partei, angetrieben von Rosa Luxemburg, fand, war folgende. Die KPD, der entschlossenste Gegner einer bewaffneten Revolution bis dahin, musste nun zu ihrem glühendsten Protagonisten werden. Dies aus einem einzigen Grund. Die Macht in Berlin zu übernehmen war der einzige Weg, um das blutige Massaker zu verhindern, das nun drohte, die Enthauptung des deutschen Proletariats. Wenn diese Gefahr einmal gebannt war, konnte das Berliner Proletariat das Problem angehen, durchzuhalten oder sich geordnet zurückzuziehen, bis die Revolution im gesamten Land reif war.

Karl Radek, der geheime Emissär der russischen Partei in Berlin, schlug einen alternativen Kurs vor: sofortiger Rückzug bei voller Bewaffnung, aber, falls notwendig, die Aufgabe. Doch die Klasse in ihrer Gesamtheit hatte noch immer keine Waffen. Das Problem war, dass der Schein eines „undemokratischen“ kommunistischen „Putsches“ der Regierung den Vorwand gab, den sie benötigte, um ein Blutbad anzurichten. Kein Rückzug der Kombattanten konnte dies verhindern.

Der von Rosa Luxemburg vorgeschlagene Handlungsverlauf beruhte auf der Analyse, dass das militärische Kräfteverhältnis in der Hauptstadt für das Proletariat nicht ungünstig war. Und in der Tat: auch wenn der 6. Januar die Hoffnungen des Revolutionskomitees auf „seine“ Truppen zerschmetterte, so wurde rasch deutlich, dass die Konterrevolution sich ebenfalls verkalkuliert hatte. Die Republikanische Garde und jene Truppen, die mit der SPD sympathisierten, weigerten sich nun ihrerseits, Gewalt gegen die revolutionären Arbeiter anzuwenden. In ihren Berichten über die Ereignisse bestätigten sowohl der Revolutionär Richard Müller als auch später der Konterrevolutionär Noske die Richtigkeit der Analyse von Rosa Luxemburg: Vom militärischen Standpunkt aus war das Kräfteverhältnis zu Beginn der Woche zu Gunsten des Proletariats.

Doch die entscheidende Frage war nicht das militärische, sondern das politische Kräfteverhältnis. Und dies sprach gegen das Proletariat aus dem einfachen Grund, dass die Führung der Bewegung immer noch in den Händen der „Zentristen“ lag, den schwankenden Elementen, und noch nicht in den Händen konsequenter Revolutionäre. Gemäß der marxistischen „Kunst des Aufstandes“ ist die bewaffnete Erhebung der letzte Schritt in dem Prozess einer im Aufwind befindlichen Revolution, der lediglich die letzten Widerstandsnester wegfegt.

Als das provisorische Komitee die Falle realisierte, in der es sich selbst hineinmanövriert hatte, begann es, statt das Proletariat zu bewaffnen, mit der Regierung zu verhandeln, die es soeben noch als enthoben erklärt hatte, ohne überhaupt zu wissen, worüber es verhandeln wollte. Angesichts des Verhaltens des Komitees zwang die KPD am 10. Januar Liebknecht und Pieck, aus ihm auszutreten. Doch der Schaden war schon angerichtet. Die Politik der Versöhnung lähmte das Proletariat und brachte all seine Zweifel und all sein Zaudern ans Tageslicht. Die Arbeiter einer ganzen Reihe von großen Fabriken kamen mit Erklärungen heraus, in denen die SPD verurteilt wurde, aber auch Liebknecht und die „Spartakisten“ und zur Wiederversöhnung der „sozialistischen Parteien“ aufgerufen wurde.

Zu diesem Zeitpunkt, als die Konterrevolution taumelte, rettete der Sozialdemokrat Noske alles. „Einer muss ja der Bluthund sein. Ich fürchte mich nicht vor der Verantwortung“, erklärte er. Während sie „Verhandlungen“ vortäuschte, um Zeit zu gewinnen, forderte die SPD nun die Offiziere, Studenten, die bürgerlichen Milizen offen auf, den Arbeiterwiderstand in Blut zu ertränken. So gespalten und demoralisiert, wie das Proletariat war, war der Weg nun offen für den grausamsten weißen Terror. Diese Gräueltaten umfassten die Bombardierung von Gebäuden mit Artillerie und Minen, die Ermordung von Gefangenen und sogar von Verhandlungsdelegierten, das Lynchen von Arbeitern, aber auch von Soldaten, die Revolutionären die Hände geschüttelt hatten, die Belästigung von Frauen und Kindern in den Arbeiterbezirken, die Schändung von Leichen, aber auch die systematische Jagd und Ermordung von Revolutionären wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Wir werden zum Charakter und zu der Bedeutung dieses Terrors im letzten Artikel dieser Serie zurückkommen.

Revolutionärer Massenstreik, Januar-März 1919

In einem berühmten Artikel, veröffentlicht in der Roten Fahne am 27. November 1918, mit dem Titel „Der Acheron in Bewegung“, kündigte Rosa Luxemburg den Beginn einer neuen Phase in der Revolution an: die Phase des Massenstreiks. Dies wurde bald in beeindruckender Manier bestätigt. Die materielle Lage der Bevölkerung verbesserte sich nicht nach dem Ende des Krieges. Das Gegenteil war der Fall. Inflation, Entlassungen und Massenarbeitslosigkeit, Kurzarbeit und fallende Reallöhne schufen neues Elend für Millionen von Arbeitern, Staatsbeamten, aber auch für große Teile der Mittelschichten. In wachsendem Maße zwang das materielle Elend, aber auch die bittere Enttäuschung über die Resultate der Novemberrevolution die Massen zur Selbstverteidigung. Ihre leeren Bäuche waren ein mächtiges Argument gegen die angeblichen Wohltaten der neuen bürgerlichen Demokratie. Vor allem im ersten Vierteljahr 1919 rollten erfolgreiche Streikwellen durch das Land. Neben den traditionellen Zentren der organisierten sozialistischen Bewegung wie Berlin, die Hafenstädte oder die Ballungsgebiete des Maschinenbaus und der hochtechnologisierten Sektoren[17], wurden auch politisch weniger erfahrene Teile des Proletariats in den revolutionären Prozess gespült. Diese schlossen die, wie Rosa Luxemburg sie in ihrem „Massenstreik“ nannte, „Helotenschichten“ mit ein[18]. Es waren die besonders unterdrückten Teile der Klasse, die wenig von der sozialistischen Erziehung profitiert hatten und auf welche die sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Funktionäre vor dem Krieg oft herabgeblickt hatten. Rosa Luxemburg hatte vorausgesagt, dass sie in einem künftigen Kampf für den Sozialismus eine führende Rolle spielen würden.

Und nun waren sie da. Zum Beispiel die Millionen von Bergarbeiter, Metall- und Textilarbeiter in den Industriebezirken am Niederrhein und in Westfalen[19]. Dort wurden die defensiven Arbeiterkämpfe sofort von einem brutalen Bündnis der Arbeitgeber und ihres bewaffneten Werkschutzes, der Gewerkschaften und der Freikorps konfrontiert. Aus diesen ersten Konfrontationen kristallisierten sich zwei Hauptforderungen der Streikbewegung heraus, die auf einer Konferenz der Delegierten aus der ganzen Region Anfang Februar in Essen formuliert wurden: Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten! Sozialisierung der Fabriken und des Bergbaus!

Die Situation eskalierte, als das Militär versuchte, den Soldatenrat zu entwaffnen und zu schleifen, und 30.000 Freikorps entsandte, um das Ruhrgebiet zu besetzen. Am 14. Februar riefen die Arbeiter- und Soldatenräte zu einem Generalstreik und zum bewaffneten Widerstand auf. Die Entschlossenheit der Arbeiter war in einigen Gebieten so groß, dass die weiße Söldnerarmee nicht anzugreifen wagte. Die Empörung über die SPD, die das Militär offen unterstützte und den Streik anprangerte, war unbeschreiblich. So groß, dass am 25. Februar die Räte – unterstützt von den kommunistischen Delegierten – beschlossen, den Streik zu beenden. Unglücklicherweise in einem Augenblick, als er in Zentraldeutschland begann! Die Führung befürchtete, dass die Arbeiter die Bergwerke fluten oder sozialdemokratische Arbeiter attackieren[20]. Tatsächlich aber demonstrierten die Arbeiter einen hohen Grad an Disziplin, mit einer großen Minderheit, die den Aufruf zur Rückkehr an die Arbeit respektierte – obwohl sie damit nicht einverstanden war.

Ende März brach ein zweiter gigantischer Massenstreik aus, der trotz der Repression durch die Freikorps einige Wochen lang dauerte.

„Er zeigt auch weiter, daß die sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführer den Einfluß auf die Massen verloren hatten. Die Kraft der revolutionären Bewegung der Monate Februar und März lag nicht in dem Besitz und Gebrauch von militärischen Waffen, sondern in der Möglichkeit, der bürgerlich-sozialdemokratischen Regierung das wirtschaftliche Fundament durch Stillegung der wichtigsten Produktionsgebiete zu entziehen (...) Der gewaltige militärische Aufzug, die Bewaffnung der Bourgeoisie, die Brutalitäten der Militärs, konnten diese Kraft nicht brechen, konnten die streikenden Arbeiter nicht zur Arbeit zwingen.“[21]

Das zweite Zentrum des Massenstreiks lag in Mitteldeutschland[22]. Dort explodierte die Streikbewegung Mitte Februar nicht nur als Reaktion auf die Verarmung und Repression, sondern auch aus Solidarität mit den Opfern der Repression in Berlin und mit den Streiks an Rhein und Ruhr. Wie in der letztgenannten Region deutlich wird, bezog die Bewegung ihre Stärke daraus, dass sie von den Arbeiter- und Soldatenräten angeführt wurde, in denen die Sozialdemokraten rapide an Einfluss verloren.

Doch auch wenn im Ruhrgebiet die Beschäftigten der Schwerindustrie dominierten, umfasste die Bewegung nicht nur Bergarbeiter, sondern nahezu jeden Beruf und jede Industriebranche. Zum ersten Mal seit dem Beginn der Revolution schlossen sich die Eisenbahnarbeiter dem Streik an. Dies war von besonderer Bedeutung. Eine der ersten Maßnahmen der Ebert-Regierung zu Kriegsende bestand darin, die Löhne bei den Eisenbahnen substanziell zu erhöhen. Die Bourgeoisie musste diesen Sektor neutralisieren, um in der Lage zu sein, ihre konterrevolutionären Brigaden von einem Ende Deutschlands zum anderen zu bewegen. Nun wurde zum ersten Mal diese Möglichkeit in Frage gestellt.

Nicht weniger bedeutsam war, dass die Soldaten in den Garnisonen herauskamen, um die Streikenden zu unterstützen. Die Nationalversammlung, die vor den Berliner Arbeitern geflohen war, ging nach Weimar, um ihre konstituierende Parlamentssitzung abzuhalten. Sie traf inmitten eines akuten Klassenkampfes und feindlich gesinnter Soldaten ein und musste sich hinter einer Barriere aus Artillerie und Maschinengewehren treffen[23].

Die selektive Besetzung von Städten durch die Freikorps provozierte Straßenkämpfe in Halle, Merseburg und Zeitz, Explosionen der Massen, erzürnt bis zur Raserei, wie Richard Müller es formulierte. Wie an der Ruhr waren diese militärischen Aktionen nicht imstande, die Streikbewegung zu brechen.

Der Aufruf der Fabrikdelegierten zu einem Generalstreik am 24. Februar sollte eine weitere enorm bedeutsame Entwicklung enthüllen. Er wurde einmütig von allen Delegierten unterstützt, einschließlich jener von der SPD. Mit anderen Worten: die Sozialdemokratie verlor sogar über ihre eigenen Mitglieder die Kontrolle.

„Der Streik hatte sich unmittelbar nach Ausbruch in größtmöglichstem Maße entfaltet. Eine weitere Steigerung war nicht möglich es sei denn durch den bewaffneten Aufstand, der von den Streikenden abgelehnt wurde und auch aussichtslos erschien. Die einzige Möglichkeit den Streik wirksamer zu machen, lag bei der Berliner Arbeiterschaft.“[24]

So forderten also die Arbeiter das Proletariat von Berlin auf, sich anzuschließen, ja die Bewegung anzuführen, die in Zentraldeutschland und an Rhein und Ruhr aufgelodert war.

Und die Arbeiter Berlin antworteten so gut sie konnten, trotz der Niederlage, die sie gerade erlitten hatten. In Berlin verlagerte sich das Epizentrum von den Straßen zu den Massenversammlungen. Die Diskussionen, die in den Fabriken, Büros und Kasernen stattfanden, bewirkten ein kontinuierliches Schrumpfen des Einflusses der SPD und der Anzahl ihrer Delegierten in den Arbeiterräten. Die Versuche der Noske-Partei, die Soldaten zu entwaffnen und ihre Organisationen zu liquidieren, beschleunigte lediglich diesen Prozess. Eine allgemeine Versammlung der Arbeiterräte von Berlin rief am 28. Februar das gesamte Proletariat dazu auf, seine Organisationen zu verteidigen und sich auf den Kampf vorzubereiten. Der Versuch der SPD, diese Resolution zu verhindern, wurde durch ihre eigenen Delegierten durchkreuzt.

Diese Versammlung wählte aufs Neue ihr Aktionskomitee. Die SPD verlor ihre Mehrheit. In den nächsten Wahlen zu diesem Organ am 19. April bekam die KPD fast soviele Delegierte gewählt wie die SPD. In den Berliner Räten wendete sich das Blatt zugunsten der Revolution.[25]

Im Wissen, dass das Proletariat nur triumphieren kann, wenn es von einer vereinten, zentralisierten Organisation geführt wird, begann die Massenagitation in Berlin für die Neuwahlen der Arbeiter- und Soldatenräte im gesamten Land sowie für den Aufruf zu einem neuen nationalen Rätekongress. Trotz der hysterischen Opposition der Regierung und der SPD gegen diesen Vorschlag begannen die Soldatenräte sich zu seinem Gunsten auszusprechen. Die Sozialdemokraten spielten auf Zeit, waren sie sich doch der praktischen Schwierigkeiten bei der Realisierung solcher Pläne damals völlig bewusst.

Doch die Bewegung in Berlin war mit einer weiteren dringenden Frage konfrontiert: der Aufruf zur Unterstützung durch die Arbeiter in Mitteldeutschland. Die allgemeine Versammlung der Arbeiterräte von Berlin traf sich am 3. März, um über diese Frage zu entscheiden. Die SPD, die wusste, dass der Albtraum der Januar-Woche immer noch in den Köpfen des Proletariats der Hauptstadt spukte, war entschlossen, einen Generalstreik zu verhindern. Und tatsächlich zögerten die Arbeiter zunächst... Die Revolutionäre, die für die Solidarität mit Mitteldeutschland agitierten, wendeten allmählich das Blatt. Delegationen aus allen wichtigen Fabriken der Stadt wurden zur Räteversammlung gesandt, um sie darüber zu informieren, dass die Massenversammlungen an den Arbeitsplätzen schon längst beschlossen hatten, die Arbeit niederzulegen. Es wurde klar, dass dort die Kommunisten und Linksunabhängigen nun die Mehrheit der Arbeiter hinter sich wussten.

Auch in Berlin war der Generalstreik fast total. Nur in Betrieben, die von den Arbeiterräten entsprechend angewiesen worden waren (Feuerwehren, Wasser-, Strom- und Gasversorgung, Medizin, Nahrungsmittelproduktion), wurde die Arbeit fortgesetzt. Die SPD und ihr Sprachrohr, der Vorwärts, prangerten umgehend den Streik an und riefen jene Delegierte, die Parteimitglieder waren, dazu auf, genauso zu verfahren. Das Resultat: diese Delegierten erklärten sich nun gegen die Position ihrer eigenen Partei. Darüber hinaus schwenkten auch die Drucker, die zu den wenigen Berufen gehörten, die unter starkem sozialdemokratischen Einfluss standen und sich nicht der Streikfront angeschlossen hatten, jetzt um – aus Protest gegen das Verhalten der SPD. Auf diese Weise wurde ein wichtiger Bestandteil der Hasskampagne der Konterrevolution zum Schweigen gebracht.

Trotz all dieser Anzeichen von Reifung erwies sich das Trauma vom Januar als fatal. Der Generalstreik in Berlin kam zu spät, erst als dieser in Mitteldeutschland endete. Schlimmer noch: die Kommunisten, die in der Tat durch die Januar-Niederlage traumatisiert waren, weigerten sich, sich zusammen mit Sozialdemokraten an der Streikführung zu beteiligen. Die Einheit der Streikfront begann zu bröckeln. Spaltung und Demoralisierung grassierten.

Dies war der Augenblick für die Freikorps, um in Berlin einzumarschieren. Die Lehren aus den Januar-Ereignissen ziehend, versammelten sich die Arbeiter in den Fabriken und nicht auf den Straßen. Doch statt die Arbeiter sofort anzugreifen, marschierten die Freikorps zunächst gegen die Garnisonen und Soldatenräte und begannen dabei mit jenen Regimentern, die sich an der Unterdrückung der Arbeiter im Januar beteiligt hatten, jene, die die wenigsten Sympathien in der Arbeiterbevölkerung genossen. Erst danach wendeten sie sich dem Proletariat zu. Wie im Januar gab es summarische Exekutionen auf den Straßen, Revolutionäre wurden ermordet (unter ihnen Leo Jogiches), die Leichen in die Spree geworfen. Diesmal war der Terror noch schlimmer als im Januar und forderte mehr als tausend Menschenleben. Der Arbeiterbezirk Lichtenberg östlich des Stadtzentrums wurde von der Luftwaffe bombardiert.

Müller schrieb über die Kämpfe zwischen Januar und März: „Das war die gewaltigste Erhebung des deutschen Proletariats, der Arbeiter, Angestellten und Beamten und selbst eines Teils der kleinbürgerlichen Mittelschichten, eine Erhebung, die an Größe und Tiefe bisher noch nicht zu verzeichnen war, und die später in solchem Ausmaße nur noch einmal, im Kapp-Putsch, erreicht wurde. Nicht nur in den hier behandelten Teilen Deutschlands standen die Volksmassen im Generalstreik: in Sachsen, in Baden und Bayern, überall schlugen die Wellen der sozialen Revolution gegen die Mauern der kapitalistischen Produktions- und Eigentumsordnung. Das war es, was dieser Bewegung die Bedeutung gab. Die Arbeitermassen schritten auf dem Weg weiter, der zur Fortführung der politischen Umwälzung vom November 1918 beschritten werden mußte.“[26]

Jedoch:

„Auf der revolutionären Bewegung lastete noch der Fluch der Januaraktion, deren sinnloses Beginnen und tragische Folgen die Berliner Arbeiterschaft so zerrissen, so aktionsunfähig gemacht hatten, daß es wochenlanger zäher Arbeit bedurfte, um zu einem neuen Kampf zu kommen. Wäre der Januarputsch nicht gemacht worden, dann hätte das Berliner Proletariat die Kämpfenden in Rheinland-Westfalen und in Mitteldeutschland rechtzeitig unterstützen können, die Revolution wäre erfolgreich weitergeführt worden und das neue Deutschland hätte ein anderes politisches und wirtschaftliches Gesicht bekommen.“[27]

Hätte die Revolution siegen können?

Das Unvermögen des Weltproletariats, den I. Weltkrieg zu verhindern, erschwerte die Bedingungen für eine erfolgreiche Revolution. Im Vergleich zu einer Revolution, die primär eine Reaktion auf eine Wirtschaftskrise ist, birgt eine Revolution gegen den Weltkrieg einige Nachteile. Erstens tötet oder versehrt der Krieg Millionen von Arbeitern, viele von ihnen erfahrene und klassenbewusste Sozialisten. Zweitens kann die Bourgeoisie, anders als bei einer Wirtschaftskrise, solch einen Krieg stoppen, wenn sie sieht, dass seine Fortsetzung ihr System bedrohen würde. Dies geschah im November 1918. Es bewirkte eine Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse jeden Landes zwischen jenen, die mit einer Waffenruhe zufrieden waren, und jenen, für die nur der Sozialismus das Problem lösen konnte. Drittens ist das internationale Proletariat gespalten, zuerst durch den Krieg selbst und dann zwischen den Arbeitern in den „besiegten“ und in den „siegreichen“ Ländern. Es ist kein Zufall, dass eine revolutionäre Situation dort entstand, wo der Krieg verloren wurde (Russland, Österreich-Ungarn, Deutschland) – nicht unter den Hauptmächten der Entente (Großbritannien, Frankreich, die Vereinigten Staaten).

Doch heißt das, dass der Erfolg einer proletarischen Revolution unter diesen Umständen von Anfang an eine Unmöglichkeit war? Wir möchten daran erinnern, dass dies eines der Hauptargumente war, die von der Sozialdemokratie geltend gemacht wurden, um ihre konterrevolutionäre Rolle zu rechtfertigen. Doch in Wahrheit war dies nicht im entferntesten der Fall.

Erstens: obwohl der „Große Krieg“ das Proletariat physisch dezimierte und psychologisch schwächte, hinderte dies die Klasse nicht daran, einen mächtigen revolutionären Angriff gegen den Kapitalismus zu entfesseln. Das Blutbad, das verübt wurde, war immens, aber geringer als das vom II. Weltkrieg ausgelöste und nicht zu vergleichen mit dem, was ein Dritter Weltkrieg mit thermonuklearen Waffen bedeuten würde.

Zweitens: obwohl die Bourgeoisie den Krieg zum Halten bringen konnte, heißt dies nicht, dass sie seine materiellen und politischen Konsequenzen vermeiden konnte. Zu diesen Konsequenzen gehörte die Auspowerung des Produktionsapparates, die Desorganisation der Wirtschaft und die Überausbeutung der Arbeiterklasse in Europa. Besonders in den besiegten Ländern führte die Beendigung des Krieges keineswegs zu einer raschen Restauration des Vorkriegs-Lebenstandards der Bevölkerungsmassen. Das Gegenteil war der Fall. Obwohl die Forderung nach der „Sozialisierung der Industrie“ auch die Gefahr beinhaltete, die Klasse vom Kampf um die Macht abzulenken und zu einer Art von Selbstverwaltungsprojekten zu führen, wie sie die Anarchisten und Syndikalisten favorisierten, war 1919 in Deutschland die Haupttriebfeder hinter dieser Forderung die Sorge um das physische Überleben des Proletariats. Die Arbeiter, die mehr und mehr überzeugt von der Unfähigkeit des Kapitalismus waren, genügend Nahrungsmittel, Kohle, etc. zu erschwinglichen Preisen herzustellen, um die Bevölkerung durch den Winter zu bringen, begannen zu realisieren, dass eine unterernährte und ausgezehrte Arbeitskraft, die vom Ausbruch von Krankheiten und Infektionen gefährdet ist, diese Probleme in die eigene Hand nehmen muss – bevor es zu spät war.

In diesem Sinne endete der Kampf gegen den Krieg nicht mit dem Krieg selbst. Ferner hinterließ der Einfluss des Krieges tiefe Spuren im Bewusstsein der Klasse. Er beraubte der modernen Kriegsführung ihr heroisches Image.

Drittens war der Graben zwischen den Arbeitern in den „besiegten“ Ländern und den Arbeitern in den „Sieger“ländern nicht unüberwindbar. Besonders in Großbritannien gab es mächtige Streikbewegungen sowohl während des Krieges als auch nach Kriegsende. Das auffälligste Phänomen von 1919, dem „Jahr der Revolution“ in Mitteleuropa, war die relative Abwesenheit des französischen Proletariats auf der Bühne. Wo war dieser Sektor der Klasse, der von 1848 bis zur Pariser Kommune 1871 die Vorhut der proletarischen Erhebung gewesen war? Zu einem großen Umfang war er vom chauvinistischen Taumel der Bourgeoisie infiziert, die „ihren“ Arbeitern eine neue Ära des Wohlstandes auf der Grundlage der Reparationen versprach, die sie von Deutschland erzwingen wollte. Gab es kein Gegenmittel zum nationalistischen Gift? Ja, das gab es. Der Sieg des Proletariats in Deutschland wäre dieses Gegenmittel gewesen.

1919 war Deutschland das unerlässliche Scharnier zwischen der Revolution im Osten und dem schlummernden Klassenbewusstsein im Westen. Die europäische Arbeiterklasse von 1919 war im Geiste des Sozialismus erzogen worden. Ihre Überzeugung von der Notwendigkeit und Möglichkeit des Sozialismus war noch nicht von der stalinistischen Konterrevolution ausgehöhlt worden. Der Sieg der Revolution in Deutschland hätte die Illusionen über die Möglichkeit einer Rückkehr zu einer scheinbaren „Stabilität“ der Vorkriegswelt unterminiert. Die Wiedererlangung der führenden Rolle im Klassenkampf durch das deutsche Proletariat hätte das Vertrauen in die Zukunft des Sozialismus enorm gestärkt.

Doch war der Triumph der Revolution in Deutschland selbst jemals eine realistische Möglichkeit? Die Novemberrevolution 1918 offenbarte die Macht und das Heldentum der Klasse, aber auch enorme Illusionen, Konfusionen und Schwankungen. Doch dies war nicht weniger der Fall in Russland Februar 1917. In den folgenden Monaten enthüllte der Verlauf der Russischen Revolution die fortschreitende Reifung eines immensen Potenzials, das zum Sieg im Oktober führte. Doch auch in Deutschland sehen wir von November 1918 an – trotz der Beendigung des Krieges – eine ähnliche Reifung. Im ersten Vierteljahr 1919 haben wir die Ausbreitung von Massenstreiks gesehen, das Hineinziehen der gesamten Klasse in den Kampf, eine wachsende Rolle der Arbeiterräte und der Revolutionäre in ihnen, erste Bemühungen zur Schaffung einer zentralisierten Organisation und Führung der Bewegung, die fortschreitende Entlarvung der konterrevolutionären Rolle der SPD und der Gewerkschaften sowie die Grenzen der Wirksamkeit der Staatsrepression.

Im Verlauf von 1919 wurden lokale Erhebungen und „Räterepubliken“ in den Küstenstädten, in Bayern und anderswo liquidiert. Diese Episoden sind voller Beispiele des proletarischen Heldentums und bitterer Lehren für die Zukunft. Für den Ausgang der Revolution in Deutschland waren sie nicht entscheidend. Die Ausschlag gebenden Zentren lagen anderswo. Erstens in den riesigen industriellen Ballungsgebieten im heutigen Bundesland Nordrhein-Westfalen. In den Augen der Bourgeoisie wurde diese Region von einer finsteren Spezies aus einer Art Unterwelt bevölkert, die nie das Tageslicht erblickte und außerhalb der Grenzen der Zivilisation lebte. Sie war erschrocken, als sie diese ungeheuerliche graue Armee in wuchernden Städten sah, wo die Sonne selten schien und wo der Schnee schwarz war, Folge der Bergwerke und Hochöfen. Erschrocken, ja noch erschrockener, als sie in Berührung kam mit der Intelligenz, der menschlichen Wärme, dem Sinn für Solidarität und Disziplin dieser Armee, nicht mehr das Kanonenfutter imperialistischer Kriege, sondern Protagonist des eigenen Klassenkrieges. Weder 1919 noch 1920 war die kombinierte Brutalität von Militär und Freikorps im Stande, diesen Widersacher auf dessen eigenem Terrain zu zerschmettern. Er wurde erst überwältigt, als diese Arbeiter nach der Abwehr des Kapp-Putsches 1920 den Fehler begingen, ihre „Rote Ruhr-Armee“ aus den Städten und den Kohlehalden hinauszuschicken, um eine konventionelle Schlacht zu kämpfen.

Zweitens in Mitteldeutschland mit seiner sehr alten, hochqualifizierten Arbeiterklasse, von der sozialistischen Tradition durchdrungen[28]. Vor und während des Weltkrieges wurden äußerst moderne Industrien wie die chemische, die Flugzeugindustrie errichtet, die zehntausende von Arbeitern anzogen, unerfahren zwar, aber kämpferisch, radikal, voller Sinn für die Solidarität. Auch dieser Sektor sollte sich in weiteren Massenkämpfen 1920 (Kapp) und 1921 (März-Aktion) engagieren.

Doch wenn Rhein und Ruhr sowie Mitteldeutschland die Lungen, das Herz und die Verdauungsorgane waren, so war Berlin das Gehirn. Berlin, die drittgrößte Stadt in der Welt (nach New York und London), war so etwas wie das Silicon Valley des damaligen Europa. Die Grundlage seines wirtschaftlichen Aufstiegs war die Genialität seiner Arbeitskraft, hoch gebildet, mit einer langen sozialistischen Erziehung, das Herz im Prozess der Bildung der Klassenpartei.

Die Eroberung der Macht war im ersten Vierteljahr 1919 noch nicht auf der Tagesordnung. Aufgabe damals war es, Zeit für die Reifung der Revolution in der gesamten Klasse zu gewinnen und eine entscheidende Niederlage zu vermeiden. Die Zeit war in diesem entscheidenden Moment auf der Seite des Proletariats. Das Klassenbewusstsein reifte heran. Das Proletariat strebte danach, seine für den Sieg notwendigen Organe zu schaffen – die Partei, die Räte. Die Hauptbataillone der Klasse schlossen sich dem Kampf an.

Doch durch die Niederlage im Januar 1919 in Berlin wechselte die Zeit die Seiten, ging über auf die Seite der Bourgeoisie. Die Berliner Niederlage kam in zwei Teilen: im Januar und im März-April 1919. Dabei war der Januar entscheidend, weil er eine moralische und nicht nur eine physische Niederlage war. Die Vereinigung der entscheidenden Sektoren der Klasse im Massenstreik war die Kraft, die in der Lage war, die Strategie der Konterrevolution zu durchkreuzen und den Weg zum Aufstand zu öffnen. Doch dieser Vereinigungsprozess – dem ähnlich, was in Russland Ende des Sommers 1917 angesichts des Kornilow-Putsches stattgefunden hatte – hing vor allem von zwei Faktoren ab: von der Klassenpartei und den Arbeitern in der Hauptstadt. Die Bourgeoisie hatte mit ihrer Strategie der vorbeugenden Zufügung von schweren Verletzungen an diesen beiden entscheidenden Elementen Erfolg. Das Scheitern der Revolution in Deutschland in ihren „Kornilow-Tagen“ war vor allem das Resultat ihres Scheiterns in der deutschen Version der Juli-Tage[29].

Der auffälligste Unterschied zu Russland war die Abwesenheit einer revolutionären Partei, die in der Lage war, eine zusammenhängende und klare Politik gegenüber den unvermeidbaren Stürmen der Revolutionen und den Divergenzen in den eigenen Reihen zu formulieren und zu vertreten. Wie wir im vorhergegangenen Artikel gesagt hatten, konnte die Revolution in Russland auch ohne die Konstituierung einer weltweiten Klassenpartei triumphieren – aber nicht in Deutschland.

Daher widmeten wir einen ganzen Artikel dieser Reihe dem Gründungskongress der KPD. Dieser Kongress begriff viele Fragen, aber nicht die brennendsten Themen der Stunde. Obwohl er formell die Analyse der Lage, die von Rosa Luxemburg vorgestellt wurde, annahm, unterschätzten in Wirklichkeit zu viele Delegierte den Klassenfeind. Obgleich der Text nachdrücklich auf die Rolle der Massen bestand, war ihre Sichtweise der Revolution noch immer von den Beispielen der vergangenen bürgerlichen Revolutionen beeinflusst. Die Machtergreifung durch die Bourgeoisie war nichts anderes als der letzte Akt auf ihrem Weg zur Macht, der durch den Aufstieg ihrer wirtschaftlichen Macht vorbereitet worden war. Da das Proletariat als ausgebeutete Klasse ohne Eigentum keinen Reichtum anhäufen kann, muss es seinen Sieg mit anderen Mitteln vorbereiten. Es muss Bewusstsein, Erfahrung, Organisation anhäufen. Es muss aktiv werden und lernen, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen[30].

Zeitökonomie der Revolution

Die kapitalistische Produktionsweise bestimmt den Charakter der proletarischen Revolution. Die proletarische Revolution enthüllt das Geheimnis der kapitalistischen Produktionsweise. Durch die Stufen der Kooperation, der Manufaktur und der Industrialisierung schreitend, bringt der Kapitalismus die Produktivkräfte hervor, die die Vorbedingung für die klassenlose Gesellschaft sind. Er tut dies durch die Etablierung der assoziierten Arbeit. Dieser „kollektive Produzent“, der Erzeuger von Reichtum, wird von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen zum Sklaven gemacht, und zwar durch die private, konkurrenzfähige, archaische Aneignung der Früchte der assoziierten Arbeit. Die proletarische Revolution schafft das Privateigentum ab, indem sie die Aneignungsweise auf eine Linie mit dem assoziierten Charakter der Produktion bringt. Unter dem Kommando des Kapitals hat das Proletariat von Anfang an die materiellen Bedingungen für seine eigene Befreiung geschaffen. Doch die Totengräber der kapitalistischen Gesellschaft können ihre historische Mission nur erfüllen, wenn die proletarische Revolution selbst das Produkt der „assoziierten Arbeit“ ist, der ArbeiterInnen der Welt, die handeln müssen, indem sie als eine Person sprechen. Das Kollektiv der Lohnarbeit muss zur bewussten kollektiven Assoziation des Kampfes werden.

Dieses Zusammenschweißen sowohl der Klasse in ihrer Gesamtheit als auch ihrer revolutionären Minderheiten im Kampf braucht Zeit. In Russland dauerte es über ein Dutzend Jahre, vom Kampf für eine „neue Art der Klassenpartei“ 1903 über die Massenstreiks von 1905/06 und den Vorabend des Ersten Weltkrieges bis zu den berauschenden Tagen von 1917. In Deutschland, in den westlichen Ländern insgesamt gewährte der Kontext des Weltkrieges und die brutale Beschleunigung der Geschichte nur wenig Zeit für diese nötige Reifung. Die Intelligenz und Entschlossenheit der Bourgeoisie nach dem Waffenstillstand von 1918 reduzierten die verfügbare Zeit noch weiter.

Wir haben wiederholt in dieser Artikelserie über die Erschütterung des Selbstvertrauens der Klasse und ihrer revolutionären Avantgarde durch den Zusammenbruch der Sozialistischen Internationale angesichts des Kriegsausbruchs gesprochen. Was bedeutete dies?

Die bürgerliche Gesellschaft begreift die Frage der Selbstvergewisserung als Vertrauen des Individuums in seine eigenen Kräfte. Diese Konzeption vergisst, dass die Menschheit mehr als jede andere Spezies, um zu überleben und sich weiterzuentwickeln, der Gesellschaft bedarf. Dies trifft um so mehr auf das Proletariat zu, die assoziierte Arbeit, die nicht individuell, sondern kollektiv produziert und kämpft, die nicht individuelle Revolutionäre, sondern revolutionäre Organisationen hervorbringt. Die Machtlosigkeit des individuellen Arbeiters – die viel extremer ist als die des einzelnen Kapitalisten oder gar des individuellen Kleineigentümers – enthüllt sich im Kampf als reale, bis dahin verborgene Stärke dieser Klasse. Ihre Abhängigkeit vom Kollektiv nimmt den Charakter der künftigen kommunistischen Gesellschaft vorweg, wo die bewusste Stärkung der Gemeinschaft erstmalig die Entwicklung der vollen Individualität erlaubt. Das Selbstvertrauen des Individuums setzt das Vertrauen der einzelnen Teile im Ganzen, das gegenseitige Vertrauen der Mitglieder der Kampfgemeinschaft voraus.

Mit anderen Worten: nur durch die Zusammenschweißung einer Einheit im Kampf kann die Klasse den Mut und das Vertrauen entwickeln, die notwendig sind für ihren Sieg. Nur auf kollektive Weise können ihre theoretischen und analytischen Waffen ausreichend geschärft werden. Die Fehler der KPD-Delegierten in einem entscheidenden Moment in Berlin waren in Wirklichkeit das Produkt der immer noch unzureichenden Reife dieser kollektiven Stärke der jungen Klassenpartei insgesamt.

Unser Beharren auf den kollektiven Charakter des proletarischen Kampfes leugnet keineswegs die Bedeutung der Rolle von Individuen in der Geschichte. Trotzki schrieb in seinem Buch Die Geschichte der russischen Revolution, dass ohne Lenin die Bolschewiki im Oktober 1917 möglicherweise zu spät den richtigen Augenblick für den Aufstand erkannt hätten. Die Partei war nahe dran, ihr „Rendezvous mit der Geschichte“ zu verpassen. Wenn die KPD statt Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck die scharfsinnigen Analytiker Rosa Luxemburg und Leo Jogiches am 5. Januar ins Hauptquartier von Emil Eichhorn geschickt hätte, wären die historischen Folgen möglicherweise andere gewesen.

Wir streiten nicht die Bedeutung von Lenin oder Rosa Luxemburg in den damaligen revolutionären Kämpfen ab. Was wir bestreiten, ist, dass ihre Rolle vor allem das Produkt ihrer individuellen Genialität war. Ihre Bedeutung rührte vor allem aus ihrer Fähigkeit, kollektiv zu sein, wie ein Prisma alles Licht, das von der Klasse und der Partei als Ganzes ausgestrahlt wird, zu konzentrieren und zu lenken. Die tragische Rolle von Rosa Luxemburg in der Deutschen Revolution, die Tatsache, dass ihr Einfluss auf die Partei im entscheidenden Moment nicht groß genug war, ist mit der Tatsache verknüpft, dass sie die lebendige Erfahrung der internationalen Bewegung in einem Augenblick verkörperte, als die Bewegung in Deutschland noch an ihrer Isolation vom Rest des Weltproletariats litt.

Wir möchten betonen, dass die Geschichte ein offener Prozess ist und dass die Niederlage der ersten Welle der Weltrevolution keine vorhersehbare Entwicklung war. Es ist nicht unsere Absicht, zu erzählen, „was gewesen wäre“. Es gibt nie einen Weg zurück in der Geschichte. Es gibt nur einen Weg vorwärts. Im Nachhinein ist der Verlauf, den die Geschichte nimmt, stets „unvermeidlich“. Doch übersehen wir hier, dass die Entschlossenheit – oder der Mangel an Entschlossenheit – des Proletariats, seine Fähigkeit, Lehren zu ziehen und seine Kräfte international zu vereinigen, Bestandteile dieser Gleichung sind. Mit anderen Worten, das, was „unvermeidlich“ wird, hängt auch von uns ab. Unsere Bemühungen um ein bewusstes Ziel sind eine aktive Komponente in der Gleichung der Geschichte.

Im nächsten, abschließenden Kapitel dieser Reihe werden wir die enormen Konsequenzen aus der Niederlage der Deutschen Revolution untersuchen und dabei die Relevanz dieser Ereignisse für heute und morgen berücksichtigen.

Steinklopfer

[1]Dieses Bündnis zwischen dem Militär und der SPD, das sich als entscheidend für den Sieg der Konterrevolution herausstellte, wäre ohne die Unterstützung der britischen Bourgeoisie nicht möglich gewesen. Die Zerschmetterung der Macht der preußischen Militärkaste war eines der Kriegsziele Londons. Diesem Ziel wurde abgeschworen, um die Kräfte der Reaktion nicht zu schwächen. In diesem Sinne ist es keine Übertreibung, von einer Allianz zwischen der deutschen und britischen Bourgeoisie als den Pfeiler der damaligen internationalen Konterrevolution zu sprechen. Wir werden zu dieser Frage im letzten Teil dieser Serie zurückkommen.

[2]Tausende von russischen und anderen Kriegsgefangenen wurden trotz des Kriegsendes noch immer von der deutschen Bourgeoisie festgehalten und zur Zwangsarbeit verurteilt. Sie beteiligten sich zusammen mit ihren deutschen Klassenbrüdern- und schwestern aktiv an der Revolution.

[3]Dieses monumentale barocke Gebäude, das den II. Weltkrieg überlebt hatte, wurde von der DDR gesprengt und vom stalinistischen „Palast der Republik“ ersetzt. Das „wiedervereinigte“ Deutschland hat nun diesen Palast abgerissen und beabsichtigt, die Fassade des alten zu rekonstruieren.

[4]Dieses Gebäude, das hinter dem Palast liegt, existiert immer noch.

[5]Dies ist die Formulierung des Autors Alfred Döblin in seinem Buch Karl und Rosa, dem letzten Teil seiner Novelle in vier Bänden: November 1918. Als ein Sympathisant des linken Flügels der USPD war er Augenzeuge der Revolution in Berlin. Seine monumentale Beschreibung wurde in den 30er Jahren geschrieben und ist von der Konfusion und Verzweiflung angesichts der triumphierenden Konterrevolution gezeichnet.

[6]Im Laufe des Wiederaufbaus des Stadtzentrums nach dem Fall der Berliner Mauer wurden Fluchttunnel verschiedener Regierungen des 20. Jahrhunderts ausgegraben, die in den offiziellen Plänen nicht verzeichnet sind. Denkmäler der Angst der herrschenden Klasse, die dokumentieren, wovor die Bourgeoisie Angst hat.

[7]Es gab Sympathiestreiks, Demonstrationen und Hausbesetzungen in einer Anzahl von Städten, einschließlich Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf.

[8]Revolutionäre Delegierte aus den Fabriken (siehe die vorherigen Artikel dieser Reihe).

[9]Diese Entwicklung, die von Richard Müller in seiner Geschichte der Deutschen Revolution in Gänze dokumentiert wurde, verfasst in den 1920er Jahren, ist heute eine akzeptierte Tatsache unter Historikern.

[10]Band 3 von Müllers Geschichte der Deutschen Revolution: Bürgerkrieg in Deutschland. S. 35, 36.

[11]Ebenda.

[12]Ebenda, S. 33. Richard Müller war einer der erfahrensten und talentiertesten Führer der Bewegung. Es gab gewisse Parallelen zu Trotzki 1917 in Russland. Beide waren Vorsitzende des Aktionsausschusses der Arbeiterräte in der Hauptstadt. Beide wurden schließlich Historiker der Revolution, in der sie direkt beteiligt waren. Es tut weh zu sehen, wie pauschal Wilhelm Pieck die Warnungen solch eines erfahrenen und verantwortungsvollen Führers wegwischte.

[13]Die sechs Gegner waren Müller, Däumig, Eckert, Malzahn, Neuendorf und Rusch.

[14]Der Fall Lemmgen, ein revolutionärer Matrose, ist legendär, aber leider unwahr. Nach dem Scheitern seiner wiederholten Versuche, die Staatsbank, die Reichsbank, zu konfiszieren (ein öffentlich Bediensteter, genannt Hamburger, bestritt die Gültigkeit der Unterschriften unter seiner Anordnung), war der arme Lemmgen so demoralisiert, dass er nach Hause ging und sich in sein Bett vergrub.

[15]Genau dieser Handlungsverlauf wurde öffentlich von der KPD vorgeschlagen, insbesondere in ihrem zentralen Presseorgan, die Rote Fahne.

[16]Besonders die Passage im Programm, die erklärte, dass die Partei nur mit der Unterstützung der großen Massen des Proletariats die Macht annehmen werde.

[17]So wie in Thüringen, die Region um Stuttgart oder das Rheintal seit langem bestehende Bastionen der marxistischen Bewegung.

[18]Die Heloten war Repräsentanten einer höchst militanten revolutionären Bewegung des jüdischen Proletariats in der Antike.

[19]Gelegen an den Flüssen Ruhr und Wupper.

[20]Am 22. Februar griffen kommunistische Arbeiter in Mülheim eine öffentliche Versammlung der SPD mit Maschinengewehren an.

[21]R. Müller, Band 3, S. 141, 142.

[22]Die Provinzen von Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Das Epizentrum war die Stadt Halle und der nahegelegene Chemiegürtel rund um die gigantische Leuna-Fabrik.

[23]Der Begriff „Weimarer Republik“, die sich in der deutschen Geschichte von 1919 bis 1933 erstreckte, kommt ursprünglich aus dieser Episode.

[24]Müller, ebenda, S. 146.

[25]In den ersten Wochen der Revolution hatten die USPD und der Spartakusbund lediglich ein Viertel aller Delegierten hinter sich. Die SPD dominierte massiv. Die Parteimitgliedschaft der Delegierten, die in Berlin zu Beginn 1919 gewählt wurden, war wie folgt:

28. Februar: USPD 305; SPD 271; KPD 99; Demokraten: 73.

19. April: USPD 312; SPD 164; KPD 103; Demokraten 73.

Es sollte bemerkt werden, dass die KPD in dieser Periode nur in der Klandestinität operieren konnte und dass eine beträchtliche Zahl von USP-Delegierten, die gewählt worden waren, in Wahrheit mit den Kommunisten symphatisierte und sich ihnen bald darauf anschließen sollte.

[26]Müller, ebenda, S. 161.

[27]Ebenda, S. 154.

[28]Kein Zufall, dass die Wiege der marxistischen Bewegung in Deutschland mit den Namen thüringischer Städte verbunden wird: Eisenach, Gotha, Erfurt.

[29]Die Juli-Tage von 1917 waren einer der wichtigsten Momente nicht nur in der Russischen Revolution, sondern in der Geschichte. Am 4. Juli bestürmte eine bewaffnete Demonstration, eine halbe Million stark, die Führer des Petrograder Sowjets, die Macht zu übernehmen, zerstreute sich jedoch wieder friedlich nach einem Appell der Bolschewiki. Am 5. Juli eroberten konterrevolutionäre Truppen die Stadt zurück und begannen, die Bolschewiki sowie die militantesten unter den Arbeitern zu jagen. Doch indem es einen vorzeitigen Machtkampf vermied, da es als Klasse insgesamt noch nicht bereit dafür war, hielt das Proletariat seine revolutionären Kräfte intakt. Dies ermöglichte den Arbeitern, die wesentlichen Lehren aus den Ereignissen zu ziehen, insbesondere ihre Erkenntnisse über den konterrevolutionären Charakter der bürgerlichen Demokratie und der neuen Linken des Kapitals – den Menschewiki und Sozialrevolutionären, die die Sache der Arbeiter und der armen Bauern verraten hatten und ins feindliche Lager übergewechselt waren. Nie war die Gefahr einer entscheidenden Niederlage des Proletariats und der Liquidierung der bolschewistischen Partei größer als in diesen dramatischen 72 Stunden. Zu keiner anderen Zeit war das tiefe Vertrauen der fortgeschrittensten Bataillone des Proletariats in ihre Klassenpartei, der kommunistischen Avantgarde, von solcher Bedeutung.

Nach der Niederlage der Arbeiter im Juli dachte die Bourgeoisie, sie könne dem Albtraum der Revolution ein Ende bereiten. Dank der Arbeitsteilung zwischen Kerenskis „demokratischem“ Block und dem offen reaktionären Block des Armeechefs Kornilow organisierte die herrschende Klasse zwischen August und Anfang September den Staatsstreich des Letztgenannten, in dem versucht wurde, die Kosaken und die kaukasischen Regimenter, die noch zuverlässig schienen, gegen die Sowjets einzusetzen. Der Versuch endete in einem Fiasko. Die massive Reaktion der Arbeiter und Soldaten, ihre stabile Organisierung durch das Verteidigungskomitee, das für den Oktoberaufstand verantwortlich war, führte dazu, dass Kornilows Truppen sich entweder ergaben, ohne je mobilisiert worden zu sein, oder, was weitaus häufiger der Fall war, auf die Seite der Arbeiter und Soldaten desertierten.

[30]Anders als Luxemburg, Jogiches oder Marschlewski, die sich während der Revolution von 1905/06 in Polen aufhielten (damals Teil des russischen Reiches), mangelte es den meisten von jenen, die die KPD gründeten, an direkter Erfahrung mit dem Massenstreik; sie hatten Schwierigkeiten, seine Unerlässlichkeit für den Sieg der Revolution zu erkennen.

Leute: 

  • Rosa Luxemburg [31]
  • Leo Jogiches [32]
  • Liebknecht [33]
  • Richard Müller [34]
  • Noske [35]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [36]

Historische Ereignisse: 

  • Bürgerkrieg in Deutschland [37]
  • Spartakuswoche [38]
  • revolutionäre Obleute [39]
  • USPD [40]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Deutsche und Holländische Linke [41]

Darwin und die Arbeiterbewegung

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In diesem Jahr findet der 200. Geburtstag von Charles Darwin (und der 150. Jahrestag der ersten Veröffentlichung von „Über die Entstehung der Arten im Tier- und Pflanzenreich durch natürliche Züchtung oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampf ums Dasein“) statt. Der marxistische Flügel der Arbeiterbewegung hat Darwins herausragende Beiträge zur Selbsterkenntnis der Menschheit und zu ihrem Verständnis der Natur stets gewürdigt.

In vielerlei Hinsicht war Darwin typisch für seine Zeit. Er interessierte sich für die Beobachtung der Natur und führte begeistert Experimente mit Tieren und Pflanzen durch. In seinen empirischen Arbeiten, die sich durch größte Genauigkeit und Sorgfalt auszeichneten, befasste er sich unter anderem mit Bienen, Käfern, Würmern, Tauben und Rankenfußkrebsen. Darwin befasste sich so beharrlich mit den Rankenfußkrebsen, dass seine jüngere Kinder „zu denken begannen, dass alle Erwachsenen mit ähnlichen Dingen beschäftigt sein müssen, so dass man sich über den Nachbarn fragte: ‚Wohin steckt er seine Rankenfußkrebse?‘“ (Darwin, Desmond & Moore).

 

In diesem Jahr findet der 200. Geburtstag von Charles Darwin (und der 150. Jahrestag der ersten Veröffentlichung von „Über die Entstehung der Arten im Tier- und Pflanzenreich durch natürliche Züchtung oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampf ums Dasein“) statt. Der marxistische Flügel der Arbeiterbewegung hat Darwins herausragende Beiträge zur Selbsterkenntnis der Menschheit und zu ihrem Verständnis der Natur stets gewürdigt.

 

In vielerlei Hinsicht war Darwin typisch für seine Zeit. Er interessierte sich für die Beobachtung der Natur und führte begeistert Experimente mit Tieren und Pflanzen durch. In seinen empirischen Arbeiten, die sich durch größte Genauigkeit und Sorgfalt auszeichneten, befasste er sich unter anderem mit Bienen, Käfern, Würmern, Tauben und Rankenfußkrebsen. Darwin befasste sich so beharrlich mit den Rankenfußkrebsen, dass seine jüngere Kinder „zu denken begannen, dass alle Erwachsenen mit ähnlichen Dingen beschäftigt sein müssen, so dass man sich über den Nachbarn fragte: ‚Wohin steckt er seine Rankenfußkrebse?‘“ (Darwin, Desmond & Moore).

Darwin hob sich durch seine Fähigkeit ab, über Einzelheiten hinauszugehen, historische Prozesse zu erforschen und zu theoretisieren, wo andere sich damit begnügten, Phänomene einfach zu katalogisieren oder bestehende Erklärungen zu akzeptieren. Ein typisches Beispiel dafür war seine Reaktion auf die Entdeckung von Meeresfossilen in den Andenhöhen. Ausgestattet mit eigenen Erfahrungen mit einem Erdbeben sowie mit Lyells „Principles of Geology“, war er in der Lage, über das Ausmaß der Erdbewegungen spekulieren, welche dazu geführt hatten, dass der Inhalt des Meeresgrunds in die Berge gespült worden war, ohne dabei auf Erzählungen der Bibel über eine Sintflut zurückgreifen zu müssen. „Ich glaube fest daran, dass es ohne Spekulation keine guten & originalen Beobachtungen geben kann“ (wie er in einem Brief an A.R. Wallace schrieb, 22.12.1857).

Er fürchtete sich nicht davor, Beobachtungen auf einem Gebiet auch anderswo anzuwenden. Während Marx die meisten Schriften von Thomas Malthus mit Verachtung strafte, war Darwin in der Lage, dessen Ideen zum Bevölkerungswachstum bei der Erarbeitung seiner Evolutionstheorie zu verwerten. „Im Oktober 1838 las ich aus Spaß Malthus zur Bevölkerungsfrage. Da ich bereit war, den Existenzkampf zu akzeptieren, der überall durch langwierige Beobachtungen der Gewohnheiten der Tiere und Pflanzen festzustellen ist, fiel mir sofort auf, dass unter solchen Bedingungen günstige Varianten dazu neigten, fortzubestehen, und ungünstige dazu, zerstört zu werden. Das Resultat würde die Bildung neuer Arten sein. Hier hatte ich nun endlich eine Theorie, mit der ich arbeiten konnte.“ (Darwin: „Erinnerungen zur Entwicklung meines Denkens und meines Charakters“, eigene Übersetzung)

Erst 20 Jahre später fand diese Theorie in „Über die Entstehung der Arten“ ihren Weg in die Öffentlichkeit, aber die wesentlichen Ideen waren bereits vorhanden. In „Über die Entstehung der Arten“ erklärte Darwin, dass er „den Begriff 'Kampf ums Dasein'"(…) "in einem weiten breiten und metaphorischen Sinne gebrauche" und „der Bequemlichkeit halber“ (Darwin, Über die Entstehung der Arten, 4. Kapitel, Natürliche Zuchtwahl oder Überleben des Passendsten, Frankfurt 2009, S. 404) benutzt und er versteht unter natürlicher Auswahl "diese Erhaltung günstiger individueller Verschiedenheiten und Abänderungen und die Zerstörung jener, welche nachteilig sind, ist es, was ich natürliche Zuchtwahl nenne oder Überleben des Passendsten" (Darwin, Über die Entstehung der Arten, 4. Kapitel, Natürliche Zuchtwahl oder Überleben des Passendsten, Frankfurt 2009, S. 414).

Die Evolutionsidee war nicht neu, aber schon 1838 entwickelte Darwin eine Erklärung dafür, wie sich Arten entwickelten. Er verglich die Technik von Windhund- und Taubenzüchtern (künstliche Zucht) mit natürlicher Selektion und hielt das für „den schönsten Teil meiner Theorie“ (Darwin, zitiert von Desmond & Moore).

 

Die Methode des historischen Materialismus

Drei Wochen nach der Veröffentlichung von "Über die Entstehung der Arten" schrieb Engels an Marx: „Übrigens ist der Darwin, den ich jetzt gerade lese, ganz famos. Die Teleologie war nach einer Seite hin noch nicht kaputt gemacht, das ist jetzt geschehen. Dazu ist bisher noch nie ein so großartiger Versuch gemacht worden, historische Entwicklung in der Natur nachzuweisen, und am wenigsten mit solchem Glück.“ (Engels an Marx, 11/12. Dezember 1859, MEW Bd. 29, S. 524). Die Zerstörung der Teleologie bezieht sich auf den Schlag, den „Über die Entstehung der Arten“ allen religiösen, idealistischen oder metaphysischen Ideen versetzte, welche die Phänomene durch ihren Zweck anstatt durch ihre Ursache zu „erklären“ versuchen. Dies ist für eine materialistische Sicht der Welt wesentlich. Wie Engels im Anti-Dühring schrieb, versetzte Darwin der metaphysischen Auffassung der Natur den schwersten Schlag durch seinen Beweis, dass alles organische Leben, Pflanzen, Tiere und der Mensch selber Ergebnisse eines Entwicklungsprozesses sind, der seit Millionen Jahren andauert.

In seinen Planskizzen zu „Dialektik der Natur“ unterstrich Engels die Bedeutung des Buches „Über die Entstehung der Arten“. "Darwin, in seinem epochemachenden Werk, geht aus von der breitesten vorgefundnen Grundlage der Zufälligkeit. Es sind grade die unendlichen zufälligen Verschiedenheiten der Individuen innerhalb der einzelnen Arten, Verschiedenheiten, die sich bis zur Durchbrechung des Artcharakters steigern und deren selbst nächste Ursachen nur in den wenigsten Fällen nachweisbar sind, die ihn zwingen, die bisherige Grundlage aller Gesetzmäßigkeit in der Biologie, den Artbegriff in seiner bisherigen metaphysischen Starrheit und Unveränderlichkeit, in Frage zu stellen.“ [Engels: Dialektik der Natur, S. 339. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 8662 (vgl. MEW Bd. 20, S. 489)]

Aber ohne den Artbegriff war die ganze Wissenschaft nichts. Alle ihre Zweige hatten den Artbegriff als Grundlage nötig.

Marx las „Über die Entstehung der Arten“ ein Jahr nach der Veröffentlichung und schrieb sofort an Engels (19. Dezember 1860), dies sei „das Buch, das die naturhistorische Grundlage für unsere Ansicht enthält”. (MEW, Bd. 30, S. 131). Später schrieb er, dass das Buch „die naturwissenschaftliche Unterlage des geschichtlichen Klassenkampfes“ (Brief an Lassalle, 16.1.1861, ebenda S. 578) liefert.

Trotz ihrer Begeisterung für Darwin übten Marx und Engels auch Kritik an ihm. Sie waren sich des Einflusses von Malthus bewusst und auch, dass Darwins Erkenntnise vom „Sozialdarwinismus“ benutzt wurden, um den Status quo der viktorianischen Gesellschaft mit ihrem großen Wohlstand für einige und Gefängnis, Arbeitshaus, Krankheiten, Hunger und Auswanderung für die Armen zu rechtfertigen. In seiner Einleitung zur „Dialektik der Natur“ ging Engels dabei auf einige der sich daraus ergebenden Folgen ein. „Darwin wußte nicht, welch bittre Satire er auf die Menschen und besonders auf seine Landsleute schrieb, als er nachwies, daß die freie Konkurrenz, der Kampf ums Dasein, den die Ökonomen als höchste geschichtliche Errungenschaft feiern, der Normalzustand des Tierreichs ist.“ [Engels: Dialektik der Natur, S. 29. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 8352 (vgl. MEW Bd. 20, S. 324)] Erst „eine bewußte Organisation der gesellschaftlichen Produktion“ kann die Menschheit vom Überlebenskampf zur Erweiterung der Produktionsmittel als die Lebensgrundlage führen, und diese „bewußte Organisation“ erfordert eine Revolution durch die Produzenten, die Arbeiterklasse.

Engels erkannte auch, wo die Kämpfe der Menschheit (und das marxistische Verständnis für sie) über Darwins Rahmen hinausgingen. "Schon die Auffassung der Geschichte als einer Reihe von Klassenkämpfen ist viel inhaltsvoller und tiefer als die bloße Reduktion auf schwach verschiedne Phasen des Kampfs ums Dasein." [Engels: Dialektik der Natur, S. 483. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 8806 (vgl. MEW Bd. 20, S. 566)]

Aber diese Kritik entwertet keineswegs Darwins Verdienst um die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens. In seiner Rede an Marx‘ Grab betonte Engels: „Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte“. (Engels: Das Begräbnis von Karl Marx, MEW Bd. 19, S. 335)

 

Der Marxismus nach Darwin

Während Darwin im bürgerlichen Denken immer wieder in und aus der Mode gekommen ist (bei. seriösen Wissenschaftlern aber nicht), hat der marxistische Flügel der Arbeiterbewegung ihm nie den Rücken gekehrt.

In einer Fußnote seines Textes „Zur Frage der Entwicklung des monistischen Geschichtsauffassung“ (Kapitel 5, Der moderne Materialismus) geht Plechanow auf die Beziehung zwischen dem Denken Darwins und Marx‘ ein. „Darwin gelang es, die Frage zu lösen, wie die Pflanzen- und Tierarten im Existenzkampf entstehen. Marx gelang es, die Frage zu lösen, wie die verschiedenen Arten gesellschaftlicher Organisation im Kampf der Menschen um ihre Existenz entstehen. Logischerweise beginnt Marxens Untersuchung gerade dort, wo Darwins Untersuchung endet (...) Der Geist der Forschung ist bei beiden Denkern völlig gleich. Darum kann man auch sagen, dass der Marxismus der auf die Gesellschaftswissenschaften angewandte Darwinismus ist.“ (Frankfurt, 1975, S. 279).

Ein Beispiel der wechselseitigen Beziehung zwischen dem Marxismus und den Beiträgen von Darwin liefert uns Kautskys „Ethik und materialistische Geschichtsauffassung“. Obgleich Kautsky die Bedeutung Darwins überschätzt, bezog er sich auf „Die Abstammung des Menschen und geschlechtliche Zuchtwahl“ (1875), als er versuchte, die Bedeutung altruistischer Gefühle und sozialer Instinkte in der Entwicklung der Moral zu umreißen. Im 5. Kapitel von „Die Abstammung des Menschen und geschlechtliche Zuchtwahl“ beschreibt er, wie der Urmensch“ sozial wurde und "sie werden sich gegenseitig vor drohender Gefahr gewarnt und bei Angriff und Verteidigung unterstützt haben. Dies alles bedingt einen gewissen Grad von Sympathie, Treue und Mut." Er betonte: "Wenn zwei in selbem Gebiet lebende Stämme von Urmenschen in Wettbewerb traten, von denen der eine bei sonst gleichen Verhältnissen eine große Zahl mutiger, einander ergebener und treuer Mitglieder umfasste, die in Not und Gefahr stets bereit waren, einander zu warnen, zu helfen und zu verteidigen, so ging schließlich dieser Stamm als Sieger aus dem Wettstreit hervor. Vergessen wir nicht, welche überragende Bedeutung der Treue und dem Mut in den unaufhörlichen Kämpfen der Wilden zukommt. Die Überlegenheit disziplinierter Soldaten über undisziplinierte Horden entspringt hauptsächlich dem Vertrauen jedes einzelnen in seine Gefährten. (…) Selbstsüchtige, unverträgliche Menschen können nicht zusammenhalten, und ohne Eintracht kann nichts erreicht werden." (Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen, 5. Kapitel: Über die Entwicklung der intellektuellen und moralischen Fähigkeiten während der vorgeschichtlichen und zivilisierten Zeiten; Frankfurt/M, 2009, S. 161).

Darwin übertrieb zweifelsohne, wenn er sagte, dass die primitiven Gesellschaften ständig Krieg gegeneinander führten; die Notwendigkeit der Zusammenarbeit als Überlebensgrundlage war bei Aktivitäten wie der Jagd und der Verteilung des gesellschaftlichen Produkts nicht weniger wichtig. Dies ist die andere Seite des „Kampfes ums Dasein“, wo wir den Triumph der gegenseitigen Solidarität und des Vertrauens über Widerspenstigkeit und Egoismus erleben.

 

Von Darwin zu einer kommunistischen Zukunft

Anton Pannekoek war nicht nur ein großer Marxist, sondern auch ein herausragender Astronom (ein Krater auf dem Mond und ein Asteroid wurden nach ihm benannt). Man kann das Thema „Marxismus und Darwinismus“ nicht umfassend behandeln, ohne Bezug zu nehmen auf seinen 1909 erschienenen Artikel mit eben diesem Titel. Zunächst entwickelt Pannekoek unser Verständnis des Verhältnisses zwischen Marxismus und Darwinismus weiter.

„Hier sehen wir also, wie dasselbe Grundprinzip des Kampfes ums Dasein, das Darwin formulierte und Spencer betonte, bei Mensch und Tier verschieden wirkt. Das Prinzip, dass der Kampf zu einer Vervollkommnung der Waffen führt, womit gekämpft wird, erzeugt bei Mensch und Tier verschiedene Merkmale. Bei dem Tier führt er zu einer stetigen Entwicklung der natürlichen Leibesorgane; dies ist die Grundlage der Abstammungslehre, der Kern des Darwinismus. Bei dem Menschen führt er zu einer stetigen Entwicklung der Werkzeuge, der Technik, der Produktivkräfte. Dies ist aber die Grundlage des Marxismus.

Hier stellt sich nun heraus, dass Marxismus und Darwinismus nicht zwei unabhängige Lehren sind, deren jede auf ihrem eigenen Gebiet gilt, die aber miteinander nichts zu tun haben. Sie kommen in Wirklichkeit auf dasselbe Grundprinzip hinaus. Sie bilden eine Einheit. Die neue Richtung, die mit der Entstehung des Menschen eingeschlagen wird, die Ersetzung der natürlichen Organe durch künstliche Werkzeuge, bewirkt, dass dieses Grundprinzip sich in der Menschenwelt in ganz anderer Weise als in der Tierwelt äußert, dass dort der Darwinismus, hier der Marxismus das Entwicklungsgesetz bestimmt. (Anton Pannekoek, Marxismus oder Darwinismus, 1914, 2. Auflage, S. 40)

Pannekoek ging auch auf die Idee des sozialen Instinktes auf der Grundlage der Beiträge von Kautsky und Darwin ein.

„Diejenige Herde, die sich den Feinden gegenüber am besten zu behaupten weiß, bleibt in diesem Kampfe bestehen, während die schlechter Veranlagten zugrunde gehen. Nun werden sich aber diejenigen am besten behaupten in denen die sozialen Triebe am stärksten entwickelt sind. Wo sie schwach sind, fallen die Tiere am leichtesten den Feinden zum Opfer oder finden sie weniger günstige Futterplätze. Diese Triebe werden zu wichtigsten und entscheidenden Merkmalen, die über das Überleben im Kampfe ums Dasein entscheiden. Deshalb werden die sozialen Triebe durch den Daseinskampf zu allesbeherrschender Kraft herangezüchtet.

Die Tiergruppe, worin die gegenseitige Hilfe am stärksten ausgeprägt ist, behaupten sich am besten in dem Daseinskampf“ (ebenda, S. 29)

Der Unterschied zwischen geselligen Tieren und dem Homo sapiens liegt unter anderem im Bewusstsein. „Für den Menschen gilt nun alles, was für die sozialen Tiere gilt. Unsere affenähnlichen Vorfahren und die sich aus ihnen entwickelnden Urmenschen waren wehrlose schwache Tiere, die, wie fast alle Affenarten, ursprünglich in Trupps zusammenlebten. Hier mussten also dieselben sozialen Triebe und Gefühle entstehen, die sich nachher bei den Menschen zu sittlichen Gefühlen entwickelten. Daß unsere Sichtlichkeit und Moral nichts anderes als die sozialen Gefühle der Tierwelt sind, ist allbekannt; auch Darwin sprach schon von den mit ihren sozialen Institutionen in Verbindung stehenden Eigenschaften der Tiere, „die man bei den Menschen moralisch nennen würde“. Der Unterschied liegt nur in dem Maße des Bewusstseins; sobald die sozialen Gefühle den Menschen selbst klar bewusst werden, bekommen sie den Charakter sittlicher Gefühle.“ (ebenda, S. 30)

 

Auch Pannekoek griff den „Sozialdarwinismus“ scharf an. Er zeigte, wie die „bürgerlichen Darwinisten“ sich im Kreis drehen - die Welt, wie sie von Malthus und Hobbes beschrieben wurde, ähnelt wenig überraschend der Welt, welche... von Hobbes und Malthus beschrieben wurde.

„Daher kommt es, dass unter dem Kapitalismus die Menschenwelt am meisten der Welt der Raubtiere ähnelt. Daher kommt es, dass die Bourgeois-Darwinisten bei den einsam kämpfenden Tieren ihre Vorbilder für die Menschengesellschaft suchten; sie gingen dabei in der Tat von der Erfahrung aus, und ihr Fehler bestand nur darin, dass die kapitalistischen Verhältnisse für die ewig menschlichen ansahen. Die Verwandtschaft der besonderen kapitalistischen Kampfesverhältnisse mit denen der alleinlebenden Tiere hat Engels in der historischen Darstellung in seinem Anti-Dühring in dieser Weise ausgedrückt: „Die große Industrie endlich und die Herstellung des Weltmarkts haben den Kampf universell gemacht und gleichzeitig ihm eine unerhörte Heftigkeit gegeben. Zwischen einzelnen Kapitalisten wie zwischen ganzen Industrien und ganzen Ländern entscheidet die Gunst der natürlichen oder geschaffnen Produktionsbedingungen über die Existenz. Der Unterliegende wird schonungslos beseitigt. Es ist der Darwinsche Kampf ums Einzeldasein, aus der Natur mit potenzierter Wut übertragen in die Gesellschaft. Der Naturstandpunkt des Tiers erscheint als Gipfelpunkt der menschlichen Entwicklung.“ (ebenda, S. 43)

[Engels: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, S. 58. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 8296 (vgl. MEW Bd. 19, S. 216)]

 

Aber die kapitalistischen Verhältnisse bestehen nicht ewig, und die Arbeiterklasse hat die Fähigkeit, sie zu überwinden und die Spaltung der Gesellschaft in Klassen mit antagonistischen Klasseninteressen zu beenden.

„Mit der Beseitigung der Klassen wird die ganze zivilisierte Menschheit zu einer einzigen großen solidaren Produktionsgemeinschaft. Dafür gilt dasselbe, was für jede gesellschaftliche Gruppe gilt: in ihr hört der gegenseitige Kampf ums Dasein auf; dieser wird nur noch nach außen geführt. Aber an Stelle der früheren kleinen Gruppen ist jetzt die ganze Menschheit getreten. Das bedeutet also, dass der Kampf ums Dasein innerhalb der Menschenwelt aufhört. Er wird nur noch nach außen geführt, nicht mehr als Wettkampf gegen Artgenossen, sondern als Kampf um den Lebensunterhalt gegen die Natur. Aber die Entwicklung der Technik und der damit zusammengehenden Wissenschaft bewirkt, dass dieser Kampf kaum noch ein Kampf zu nennen ist. Die Natur ist den Menschen untertan geworden bietet ihnen mit leichter Mühe einen sicheren, überschüssigen Lebensunterhalt. Damit tritt die Entwicklung der Menschheit in neue Bahnen; die Periode, worin sie sich allmählich aus der Tierwelt emporhob und den Kampf ums Dasein in eigenen, durch den Werkzeuggebrauch bestimmten Formen führte, nimmt ein Ende; die menschliche Form des Kampfes ums Dasein hört auf; ein neuer Abschnitt der menschlichen Geschichte fängt an.“ (ebenda S. 44) Car 28/1/9

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Darwin Arbeiterbewegung [42]
  • Marxismus Darwinismus [43]

Leute: 

  • Darwin [44]
  • Pannekoek [45]

Historische Ereignisse: 

  • Darwin Arbeiterbewegung [46]
  • Marxismus Darwinismus [47]

Theoretische Fragen: 

  • Umwelt [48]

Der Balkankrieg 1999 - Artikelsammlung von Artikeln der IKS vor 10 Jahren zum Balkankrieg

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Wir veröffentlichen nachfolgend 7 Artikel zum Jugoslawienkrieg, welcher 1999 von den westlichen Mächten ausgelöst wurde. Diese Artikel erschienen in unserer Zeitung Weltrevolution Nr. 93 + 93 im Frühjahr 1999.

Der Krieg hatte auf dem Balkan nur wenige Monate nach dem Ende des ersten Golfkriegs im Frühjahr 1991 unter Bush Sen. seinen Einzug gehalten. Kroatien und Slowenien hatten, durch Deutschland ermuntert, ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärt und damit die Auflösung des künstlichen, von Serbien dominierten Gebildes Jugoslawien eingeleitet. Eine Reihe von militärischen Auseinandersetzungen (z.B. Belagerung Sarajevos) und Massakern (z.B. Srebrenica) sollte von Anfang der 1990 Jahre nahezu ein Jahrzehnt lang Hunderttausende Menschen in die Flucht treiben. Die Tendenz des „jeder für“ und „jeder gegen jeden“ begann zu wüten. Die früheren Großmächte Deutschland, Frankreich, Großbritannien, welche in der Zeit des kalten Krieges in einer Blockdisziplin unter den USA zusammengehalten wurden, prallten auf dem Balkan aufeinander, und nützten den Nationalismus rivalisierender bürgerlicher Fraktionen vor Ort zu ihren Gunsten aus. Russland, traditionell ‚Schutzmacht’ Serbiens, mischte mit und natürlich die USA unter der Führung des demokratischen Präsidenten Bill Clinton. Die Reihe von militärischen Auseinandersetzungen erreichte mit dem Balkankrieg im Frühjahr 1999 nur eine neue Stufe.

Der damaligen Rot-Grünen Regierung steht das große Verdienst zu, zum ersten Mal nach dem 2. Weltkrieg wieder die direkte Beteiligung des deutschen Militärs bei Kriegshandlungen ermöglicht zu haben. Dies sollte der Auftakt sein zu einer Reihe von mittlerweile weltweiten Einsätzen des deutschen Militärs. Angewidert von der kriegerischen Politik der Rot-Grünen Regierung hatte deren Verhalten einen wichtigen Prozess des Nachdenkens in den Reihen politisierter Leute über die Rolle nicht nur der linken Regierungen, sondern auch der nationalen Frage im Kontext des heutigen Kapitalismus gefördert.

Mehr dazu in unserer Presse…

Aus Weltrevolution Nr. 93 (April-Mai 1999)

Nato-Bombardierungen in Jugoslawien - Kapitalismus heißt Krieg, Krieg dem Kapitalismus!

Erneut wird das ehemalige Jugoslawien verwüstet. Aber heute handelt es sich nicht mehr um Massaker zwischen ethnischen Gruppen, wie es sie seit 1991 immer wieder gegeben hat, und die im übrigen nur möglich waren aufgrund der Waffenlieferungen und der Unterstützung der Großmächte für diese oder jene nationalistische Clique.

Heute entfesseln die „Demokratien“, die innerhalb der NATO zusammengeschlossen sind, ein Inferno gegen die Bevölkerungen Serbiens, Montenegros und des Kosovos. Denn wir brauchen uns nichts vorzumachen: den Bomben fallen nicht nur militärische Anlagen zum Opfer. Zu den Opfern gehören auch: Soldaten, die sich nicht freiwillig am Krieg beteiligen, und die Arbeiter und Bauern in Uniform sind; die zivile Bevölkerung, Frauen, Kinder, Alte, die das Pech haben, in der Nähe der Militärbasen, der Rüstungsbetriebe und der Raffinerien zu leben, d.h. hauptsächlich Arbeiterfamilien. Zehntausende Menschen, die hilflos und terrorisiert diesen Angriffen ausgesetzt sind, werden in die Flucht getrieben.

Die kapitalistische „Ordnung“ zeigt erneut ihr wahres Gesicht, das einer beispiellosen Barbarei, wo die „Wunder“ der Technik der Großmächte der „zivilisierten“ Welt in den Dienst des Mordens und der Zerstörung gestellt werden.

Vorbei die Illusionen über einen neuen „Friedenszeitraum“, der uns beim Zusammenbruch des Ostblocks versprochen wurde! Der Untergang dieses so genannten „sozialistischen“ Blocks und das Ende des „kalten Krieges“ haben kein Ende der kriegerischen Konflikte gebracht. Im Gegenteil! Seit 1989 haben die Massaker und die militärischen Spannungen nur noch zugenommen: im Irak, im ehemaligen Jugoslawien, in den Republiken der ehemaligen UdSSR, auf dem ganzen afrikanischen Kontinent, in Afghanistan, in Indien, in Pakistan usw.

Das ist die Wirklichkeit der von den großen Demokratien nach dem Zusammenbruch des russischen Blocks so viel gepriesenen neuen „Weltordnung“: ein immer blutigeres Chaos, das sich jetzt im Herzen Europas breit macht.

Es ist der Weltkapitalismus, der in all seinen Formen – ob „demokratisch“ oder „totalitär“ – den Krieg hervorbringt.

Milosevic, Clinton und Konsorten: Alle sind Gangster und Mörder!

Während der furchtbaren Operation „Wüstensturm“ im Golfkrieg im Januar 1991 wollten uns alle Regierungen der „schönen“ westlichen „Demokratien“ glauben machen, dass man einen „sauberen und chirurgischen“ Krieg zur Verteidigung des „internationalen Rechts“ und zur Beseitigung des „Schlächters von Bagdad“ geführt hätte. Heuchlerische Schufte!

Dieser „saubere“ Krieg hat mehrere Hunderttausend Tote hinterlassen und heute noch muss die Zivilbevölkerung die Kosten für dieses schreckliches Abschlachten bezahlen, während Saddam weiterhin im Irak seine Diktatur ausübt. Unter dem Vorwand, „Diktatoren“ zu bekämpfen, werden die von diesen Diktatoren unterdrückten Bevölkerungen mit Bombenteppichen belegt und ausgehungert.

Was das „internationale Recht“ angeht, haben die großen Demokratien Europas und Amerikas dieses immer wieder mit Füßen getreten.

Heute noch wird das noch klarer: die Nato-Bombardierungen in Serbien, die nicht einmal das Feigenblatt eines UNO-Mandats besitzen, zeigen überdeutlich auf, dass die „Großen“, die die Welt regieren, nichts mit diesem „internationalen Recht“ zu tun haben.

All diese imperialistischen Gangster behaupten, dem „Recht“ Geltung zu verschaffen. Das stimmt, aber welchem Recht? Ihr Recht ist das Recht des Dschungels, des Stärkeren, das Recht der Gangster, das Recht der kapitalistischen Barbarei!

Milosevic ist wie Saddam ein blutiger Diktator der schlimmsten Art. Aber die großen Demokratien stehen ihm in nichts nach. In Hiroshima, Korea, Algerien, Vietnam, im Irak... haben sie nie vor Folter und großen Massakern an der Bevölkerung zurückgeschreckt.

Und der Zynismus dieser angeblichen Verteidiger der unterdrückten Völker ist das nicht die Höhe, wenn man weiß, dass die meisten dieser von „Diktatoren“ geführten Regime wie Milosevic (Pinochet, Saddam Hussein, Mobutu, Kabila und Konsorten) gerade von denen an die Macht gebracht, bewaffnet und unterstützt wurden, die heute lauthals deren Taten anprangern.

Die linken Parteien – Speerspitze der kriegerischen Barbarei

Die linken Parteien – Sozialisten, Sozialdemokraten, Labour-Partei oder „Grüne“ – beanspruchen heute die Verteidiger der Unterdrückten und Ausgebeuteten, Verfechter der „Menschenrechte“ und Friedensapostel zu sein.

Diese linken Regierungen heute stehen in der Mehrzahl an der Spitze der Regierungen, die sich an den Massakern beteiligen Parteien. An der Regierung handelt die Linke als loyaler Verteidiger der Wirtschaftsinteressen des Kapitalismus, wobei sie immer mehr die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse angreifen. Und wo immer an der Regierung beteiligen sich die linken Parteien voll und ganz, ohne zu zögern an der kriegerischen Barbarei des Kapitalismus hinter dem „Demokraten“ Clinton.

Schröder, Jospin, Blair und Konsorten sind die würdigen Erben der „sozialistischen“ Führer von 1914, die aktiv die Arbeiter für den Ersten Weltkrieg mobilisierten und die Massaker an den Arbeitern verübten, als die Arbeiter wie in Deutschland 1919 versucht hatten, den Kapitalismus zu stürzen.

Der Kapitalismus bedeutet immer mehr Chaos und immer mehr Massaker

Krieg führen, um den „Frieden“ zu bewahren und die „menschlichen Werte der Demokratie“ zu schützen – diese Lüge ist so alt wie abscheulich! Die Bourgeoisie hat die Massaker des 1. Weltkriegs ausgelöst und sie dargestellt als den allerletzten Krieg, der im Namen der „Zivilisation“ geführt wurde. 20 Jahre später kam es noch zu einem schlimmeren Abschlachten. Der Sieg der Alliierten im 2. Weltkrieg war angeblich der der „Demokratie“ gegen die „barbarischen Nazis“. Seitdem hat es immer wieder Kriege gegeben, mit genau so viel Toten insgesamt wie während des Weltkriegs selber.

All diese blutigen Schufte, die sich beim Waffengang zwischen der NATO und Milosevic beteiligen, sind sehr wohl „würdige“ Repräsentanten des Systems, das die Welt beherrscht. Ein System, das selbst in den „wohlhabendsten“ Staaten Dutzende von Millionen von Menschen in die Armut treibt, sie auf die Straße wirft, und ¾ der Menschheit dem Hunger, Epidemien und endlosen Massakern ausliefert. Ein System, das heute ein wahnsinniges Chaos hervorbringt.

Indem sie ihren schrecklichen Militärapparat entfesselt haben, behaupten die USA als Boss und ihre europäischen Komplizen, dass sie dieses Chaos bekämpfen und die Massaker an der Bevölkerung aufhalten wollen. Aber nichts ist falscher als das! Die Folgen der Operation „Entschlossene Kraft“ können nur neue Massaker an der albanischen Bevölkerung sein, die man angeblich schützen will; ein Großbrand auf dem Balkan, die Entfesselung eines blutigen Chaos in Europa.

Die Koalitionskräfte der NATO mögen wohl -um ein „Beispiel zu setzen“ -so viele Menschenleben in Serbien massakrieren wie sie wollen. Aber aus diesem neuen „humanitären“ Kreuzzug wird genauso wenig wie im Irak eine „Weltordnung“ hervorgehen.

Kriege sind nicht auf „Fehler der Diplomatie“ zurückzuführen oder auf den „mangelnden Willen“ der Führer dieser Welt. Sie sind die einzige Antwort des Kapitalismus auf die unüberwindbare Wirtschaftskrise. Diese Krise verschärft die Konkurrenz und die Rivalitäten zwischen allen Nationen. Je mehr sich diese Krise zuspitzt, wie das heute der Fall ist, und je mehr der Kapitalismus Massaker verüben wird, desto mehr wird sich der Krieg auf die höchst entwickelten Staaten zubewegen.

Und genau das kann man heute beobachten: zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert entfesseln die Großmächte offen und massiv den Krieg auf dem Boden Europas. Und das ist noch nicht das Ende. Die Zukunft wird noch mehr Blut und Barbarei bringen als die Vergangenheit.

Nur der Klassenkampf des Proletariats kann die kapitalistische Barbarei beenden

Heute wie damals sind die Zivilbevölkerungen und insbesondere die Arbeiterklasse die ersten Opfer des imperialistischen Krieges. In Serbien wie im Irak sind es zum Großteil Arbeiter in Uniform und nicht die Regierungsmitglieder, die als Kanonenfutter abgeschlachtet werden. In den Ländern der NATO, die sich an diesem Angriff beteiligen, werden die Arbeiterfamilien ihre toten Kinder zu beweinen haben, wenn es zum Einsatz von Bodentruppen kommt.

Aber im Krieg ist die Arbeiterklasse nicht nur das Hauptopfer. Sie ist auch die einzige Kraft, die wirklich die kapitalistische Barbarei bekämpfen kann. Durch ihren revolutionären Kampf in Russland 1917 und in Deutschland 1918 hat die Arbeiterklasse die Bourgeoisie dazu gezwungen, den 1. Weltkrieg zu beenden.

Und sie konnte den 2. Weltkrieg nicht verhindern oder beenden, weil sie von der stalinistischen Konterrevolution geschlagen, vom Faschismus terrorisiert oder von den Linksparteien für die „Volksfronten“ und die „Resistance“ mobilisiert worden waren.

Weil die Weltarbeiterklasse seit den massiven Streiks vom Mai 1968 in Frankreich ihre Kämpfe entfaltet und sich damit geweigert hat, sich der Logik des krisengeschüttelten Kapitalismus zu unterwerfen, hat sie die Auslösung eines 3. Weltkriegs verhindern können.

Alle Fraktionen der Bourgeoisie wollen diese Kraft der Arbeiterklasse, die sie in sich birgt, ihr gegenüber vertuschen:

- indem ihr glauben gemacht werden soll, dass Krieg und „Frieden“ nur von dem diplomatischen Schacher zwischen den Führern der Welt abhingen,

- indem ihre Ängste und ihre Wut auf das verfaulte Terrain der Illusionen über einen „friedlichen“ Kapitalismus abgelenkt werden sollen.

Der „Pazifismus“ war immer der beste Komplize der kriegerischen Propaganda. Die Massaker werden nicht verhindert durch Demonstrationen für Verhandlungen und Aufrufe an die Regierungen zu mehr „Umsicht“. Dies zeigt die Erfahrung aus der Zeit vor den beiden Weltkriegen, dem Vietnamkrieg oder im Golfkrieg. All diese Maskeraden haben immer nur dazu gedient, um die Arbeiterklasse von ihrem einzigen Kampf abzulenken, der wirklich einen Widerstand gegen den Krieg darstellen und die Barbarei endgültig aus der Welt schaffen kann: der massive und vereinigte Kampf der ausgebeuteten Klasse gegen ihre Feindesklasse, die Ausbeuter und Massakrierer.

Indem die Arbeiter die Opfer verweigern, die ihnen die Bourgeoisie zur Finanzierung ihrer Kriege und zur Hinnahme der Auswirkungen der Wirtschaftskrise ihres Systems auferlegen will, entwickeln die Arbeiter die gemeinsame Stärke, um sich dem höchsten Opfer entgegenzustellen, nämlich ihr Leben im imperialistischen Krieg zu lassen.

Indem sie sich weigern, sich durch die grauenhafte Demonstration der Stärke seitens der Großmächte einschüchtern zu lassen, können sie ihr Gefühl der Hilflosigkeit überwinden und wieder das Selbstvertrauen in ihre Fähigkeit finden, eine entscheidende Rolle für die Zukunft der Menschheit zu spielen.

Indem sie massiv ihre Kämpfe für die Verteidigung ihrer Interessen als ausgebeutete Klasse gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen entwickeln, indem sie in diesen Kämpfen ihre Solidarität, ihre Einheit und ihre Klassenstärke entfalten, indem sie ihr Bewusstsein über das vorantreiben, was in der gegenwärtigen Lage auf dem Spiel steht, werden die Arbeiter aller Länder dazu in der Lage sein, den Kapitalismus und all seine Barbarei zu überwinden.

Die Arbeiter haben kein Vaterland!

Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch!

Dem Krieg der imperialistischen Gangster müssen wir unseren Klassenkrieg entgegenstellen!

Wir müssen den Kapitalismus zerstören, bevor er die Menschheit zerstört!

Internationale Kommunistische Strömung (25.3.1999)

Dieses Flugblatt wird in Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Italien Mexiko, Niederlande, Schweden, Schweiz Spanien, USA, Venezuela, Österreich, Australien, Russland verteilt.

Ein blutiger Konflikt um die imperialistische Hackordnung 26.03.1999

Es sind Szenen, wie man sie in Europa seit dem 2.Weltkrieg nicht mehr zu sehen bekommen hat. Hunderttausende Zivilisten versuchen sich in Luftschutzräumen vor Bomben und Raketen in Sicherheit zu bringen. In den großen Städten Jugoslawiens brennen Fabriken, Munitions- und Treibstofflager, Kasernen und Wohnhäuser. In den Vororten der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad: Einschlagkrater, Tote und Verletzte. In allen Teilrepubliken Jugoslawiens – in Serbien, Montenegro, im Kosovo - Bilder der Verwüstung, Opfer unter der schutzlosen Zivilbevölkerung. Einige hundert Kilometer vor den Toren Wiens und Budapests werden auch im Norden Serbiens Ziele von der NATO unter Beschuss genommen. In den Hauptstädten Westeuropas und Nordamerikas treten Verteidigungsminister und hohe Militärs vor die Presse und verkünden siegesgewiss militärische Erfolge. Im Kosovo, dessen Bevölkerung durch diese Militäraktion angeblich geschützt werden soll, herrscht indessen Pogromstimmung. Sondereinheiten der serbischen Polizei und die Soldateska der albanischen UCK machen Jagd auf die Bevölkerung der "Gegenseite". Nachbarn werden gelyncht. Während dort Hunderttausende auf der Flucht sind, treten die Innenminister der Abschiebestaaten Europas in Konsultationen darüber ein, wie das Flüchtlingsproblem bewältigt werden könne. Erste Maßnahmen werden bereits getroffen: die Grenzen der Nachbarländer werden geschlossen, damit die gejagten Menschen nicht entkommen können.

Das Jahrhundert schließt, wie es begonnen hat, mit einem imperialistischen Krieg in Europa. Das letzte Jahrzehnt des Jahrtausends endet, wie es begann: mit einem mörderischen militärischen Feldzug der "Staatengemeinschaft" gegen ein zum "Schurkenstaat" abgestempeltes Land - damals Irak, diesmal Jugoslawien. So sehen der "Triumph des Kapitalismus" und die "neue Weltordnung" aus, welche der amerikanische Präsident George Bush vor zehn Jahren mit seinen Bomben auf Bagdad feierlich verkündete. Damals wie heute treten die "großen Demokratien des Westens" mit Marschflugkörpern und lasergesteuerten Bomben für internationales Recht, für Frieden und Freiheit ein. Damals gab man vor, das kleine Kuwait, heute das kleine Kosovo vor einer "humanitären Katastrophe" zu bewahren. Indessen wird deutlicher: die "humanitäre Katastrophe" ist der Kapitalismus, der militaristische Imperialismus selbst.

Acht Jahren nach dem Golfkrieg von 1991 zeigt der Krieg in Jugoslawien, wie blutig und gefährlich die militärischen Widersprüche des niedergehenden Kapitalismus sich zugespitzt haben. Die neue Weltordnung ist außer Kontrolle geraten. Denn inzwischen ist der Krieg vom Persischen Golf bis ins Zentrum des Weltkapitalismus nach Europa vorgerückt. Inzwischen ist der führende imperialistische Staat Europas, ist die deutsche Wehrmacht zum ersten Mal seit 1945 an Kriegshandlungen beteiligt. Wie 1941 bombardiert die deutsche Luftwaffe heute wieder Jugoslawien: Befehligt von einem sozialdemokratischen Kanzler und einem friedensbewegten Außenminister in den militärischen Fußstapfen Hitlers und Görings.

Ein blutiger Konflikt um die imperialistische Hackordnung

Wie im Golfkrieg 1991 ist die militärische Strafexpedition heute eine Machtdemonstration des Weltpolizisten USA. Serbien wird angegriffen, nicht wegen der "ethnischen Säuberungen" im Kosovo, sondern weil Milosevic sich nicht dem Diktat Washingtons auf der "Friedenskonferenz" von Rambouillet beugte, und damit die Autorität Amerikas in Frage stellte. Wie damals die Bomben auf Bagdad, so gelten die amerikanischen Raketen auf Belgrad heute politisch nicht nur Serbien, sondern allen imperialistischen Herausforderern der USA. Sie sind eine deutliche Warnung sowohl an die imperialistischen Gönner Serbiens wie Russland und (wenn auch diskreter) Frankreich und Großbritannien ebenso wie an die historischen Erzfeinde Serbiens wie Deutschland oder die Türkei. Schon der erste Golfkrieg war eine solche Warnung. Damals schon zwangen die USA ihre imperialistischen Rivalen, sich in einer Kriegskoalition der amerikanischen Führung unterzuordnen. Bereits damals ging es nicht um Kuwait und nicht um Öl, sondern um die Autorität der Weltführungsmacht gegenüber ihren ehemaligen westlichen Verbündeten nach dem Verschwinden des gemeinsamen Gegners aus dem Kalten Krieg. Gerade heute geht es wieder um die Hackordnung unter den imperialistischen Gangstern, und nicht um das Schicksal der Flüchtlinge im Kosovo. Nicht um Milosevics Militärpotential auszuschalten muss Washington heute seine Milliarden-teuren Tarnkappenbomber Stealth über den Atlantik zum Einsatz fliegen, sondern um die lieben Verbündeten einzuschüchtern und bei der Stange zu halten.

Deshalb kommt in London, Paris oder Berlin - allen Erfolgsmeldungen des NATO-Militärs zum Trotz - keine Siegesstimmung auf. Die europäische Bourgeoisie hat Clintons Warnung sehr gut verstanden. Seit Monaten beschwert man sich ja in den Hauptstädten Europas darüber, dass ein NATO-Einsatz gegen den "souveränen Staat" Jugoslawien völkerrechtlich nicht zulässig sei, weil es dafür kein Mandat des UN-Weltsicherheitsrates gibt. Für den Golfkrieg 1991 gab es ein solches Mandat, weil damals die USA noch mächtig genug waren, um ein solches durchzusetzen. In der Zwischenzeit allerdings wurden die Vereinten Nationen zunehmend von den anderen ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates - Großbritannien, Frankreich, Russland und China - instrumentalisiert, um die Politik Amerikas vor allem gegenüber dem Irak und auf dem Balkan zu sabotieren. Infolgedessen griffen die USA, nur unterstützt von Großbritannien, im Dezember 1998 den Irak erstmals ohne ein solches Mandat militärisch an. Noch bemühte sich damals die amerikanische Bourgeoisie um den Anschein der "Legalität", indem sie sich auf bisherige Resolutionen des Weltsicherheitsrates berief. Jetzt aber, gegenüber Jugoslawien, musste Washington auch diese Fassade fallenlassen. Da ein Mandat hierfür nicht zu haben war, - die diskret pro-serbischen Regierungen in London und Paris konnten sich hinter dem klaren Veto Russlands und Chinas verstecken - erhob Washington ein neues Prinzip zur Richtschnur der imperialistischen Weltpolitik: die der "humanitären Notlage".

Das "Völkerrecht" stellt nichts anderes dar als die Spielregeln beim rücksichtslosen Kampf der imperialistischen Gangster untereinander. Es ist bezeichnend für die neue Weltunordnung des zerfallenden Kapitalismus, dass ausgerechnet der Weltpolizist USA, der eigentlich dazu berufen ist - und als Einziger dazu in der Lage wäre - die Einhaltung dieser Spielregeln durchzusetzen, selbst gezwungen ist, sie über Bord zu werfen. Das Prinzip der humanitären Hilfe bedeutet, dass künftig allein die USA als mit Abstand stärkster Macht bestimmen wollen, wann und gegen wen Krieg geführt werden soll, ohne Rücksicht zu nehmen auf die "berechtigten Interessen" der "Freunde und Verbündeten". Der Krieg in Jugoslawien bedeutet, dass die USA bereit und imstande sind, jeden Herausforderer mit Tod und Verderben zu überziehen - nicht nur im Nahen Osten oder in Afrika, sondern in Europa selbst. Mit dem Jugoslawienkrieg hält der Krieg als Mittel der imperialistischen Konfliktregelung in Europa wieder Einzug. Die Bomben, die heute auf Belgrad niederprasseln, können und werden in Zukunft auch andere europäische Hauptstädte heimsuchen.

Dieser Krieg bedeutet eine weitere Zuspitzung des imperialistischen Jeder gegen Jeden, eine neue Stufe des weltweiten Chaos, eine Entwicklung, die selbst von den Großmächten immer weniger beherrscht wird.

Das Jeder gegen Jeden in Europa und die Untergrabung der Autorität der USA

Die Warnung der Weltmacht an ihre wichtigsten Herausforderer in Europa geht weit über das hinaus, was in den letzten Jahren am Persischen Golf geschah. Aber nicht hierin liegt der Hauptunterschied zum damaligen Golfkrieg, sondern in der Tatsache, dass es den USA selbst trotz immer brutalerer Militärschläge immer näher zum Zentrum des Systems hin immer weniger gelingt, ihren Führungsanspruch durchzusetzen.

Bereits die Notwendigkeit dieser erneuten Machtdemonstration heute beweist am besten das politische Scheitern des Golfkrieges von 1991. Zwar besitzen die USA mehr militärische Machtmittel als alle ihre Herausforderer zusammengenommen, trotzdem reichen diese Mittel nicht aus, um die einstigen Verbündeten Amerikas zum Gehorsamkeit zu zwingen, weil seit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 der gemeinsame Gegner fehlt. Militärbündnisse werden nicht durch die Freundschaft der Verbündeten, sondern durch die Angst vor gegnerischen Bündnissen zusammengehalten. Wurde der Golfkrieg damals absichtlich von den Vereinigten Staaten angezettelt, um die übrige Welt zu disziplinieren, so folgte dem sehr bald ein Krieg in Europa, der gegen den Willen Amerikas von seinem Hauptherausforderer Deutschland angefacht wurde. Dies war der erste Jugoslawienkrieg, der durch die Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens von Seiten Deutschlands und Österreichs begünstigt wurde und zur Auflösung des Bundesstaates Jugoslawiens führte.

Es war kein Zufall, dass die Sprengung Jugoslawiens die erste unabhängige außenpolitische Handlung des gerade wiedervereinigten Deutschlands war. Es ist ebenso wenig ein Zufall, dass der erste Kriegseinsatz Deutschlands seit 1945 in Jugoslawien stattfindet. Bereits vor dem 1. Weltkrieg wurde der Balkan zum wichtigsten Aufmarschgebiet des deutschen Imperialismus, seinem Einfallstor zur Weltgeltung via Mittelmeer, Mittlerer Osten und Asien. Nach dem 1. Weltkrieg schmiedeten die Siegermächte von Versailles - Großbritannien und Frankreich - in Mittel- und Südosteuropa folgerichtig eine "Kleine Entente" gegen Deutschland, aus den neuen Staaten Polen, Tschechoslowakei und Jugoslawien bestehend. Jugoslawien, unter der Führung Serbiens wurde damals „gestiftet“, um Deutschland vom Mittelmeer und dem Donauraum abzuschneiden. Hitler-Deutschland wiederum jagte Jugoslawien schon am Anfang des 2.Weltkrieges auseinander, und setzte die kroatische Bourgeoisie als Statthalter ihrer Interessen in der Region ein. Die Niederlage Deutschlands im 2. Weltkrieg und die Teilung Europas entlang des "Eisernen Vorhangs" schnitt daraufhin die deutsche Bourgeoisie bis 1989 von ihrer traditionellen Südost-Expansionsroute ab - auch wenn sie nie darauf verzichtete, "besondere Verhältnisse" zu Jugoslawien und der Türkei zu pflegen, ganz bewusst ihre "Gastarbeiter" vornehmlich von dort bezog usw. Als der Bundesstaat Jugoslawien 1991 auseinanderbrach, und damit die Südostroute für Deutschland sich wieder öffnete, erklärte ein französischer Diplomat, sein Land habe damit nachträglich nicht nur den Zweiten, sondern auch noch den Ersten Weltkrieg verloren.

Was folgte, war eine entschlossene Reaktion der anderen europäischen Mächte, um Deutschlands Vormarsch Richtung Mittelmeer und Mittelasien aufzuhalten. In Bosnien, Slawonien und der Krajina griffen Großbritannien, Frankreich und Russland, zunehmend auch Italien für die Serben Partei gegen die Kroaten. Das Schlimmste - aus der Sicht Amerikas - war aber, dass diese blutigen Konflikte der europäischen Mächte in Kroatien und Bosnien ausbrachen, ohne dass irgend jemand von ihnen sich um die Meinung - geschweige denn die Erlaubnis - der Weltmacht geschert hätte. Um sich als Führungsmacht zu verteidigen, griffen die USA in die Kriegswirren auf dem Balkan ein und erzwangen mit dem Daytoner Abkommen zu Bosnien eine Art Pax Americana für das ehemalige Jugoslawien.

Mit dieser Pax Americana konnten die europäischen Herausforderer der USA nichts anfangen. Vor allem Deutschland konnte nicht akzeptieren, dass ein restjugoslawischer Staat unter serbischer Führung überleben sollte, der weiterhin dem wachsenden deutschen Einfluss entlang der Donau einen Riegel vorschieben würde. Das Anliegen Deutschlands wurde durch die Tatsache begünstigt, dass auch Restjugoslawien ein "Vielvölkerstaat" ist. Diskret aber wirkungsvoll begann Deutschland, von Österreich und der Schweiz unterstützt, die Kosovo-Albaner mittels der so genannten Befreiungsarmee UCK zur Loslösung von Belgrad zu verhelfen. London, Paris, Moskau und Rom hingegen ermunterten Serbien dazu, den albanischen Separatismus erbarmungslos niederzuwerfen. Man begreift somit die abgrundtiefe Heuchelei der "großen Demokratien", welche heute vorgeben, militärisch einzugreifen, um eine menschliche Katastrophe herbeizuführen, die sie selbst herbeigeführt haben. Man begreift ebenfalls, wie fadenscheinig die Einheit der jetzigen "Wertegemeinschaft" der NATO in Wirklichkeit ist.

Und nicht zuletzt war die Autorität der USA erneut, aber diesmal viel gravierender herausgefordert. Washington begriff, dass es hier nicht mehr allein um seine globale Führung ging, sondern um seine Stellung in der europäischen Politik, um seinen Platz im Herzen des Weltkapitalismus, im Zentrum der imperialistischen Spannungen in diesem Jahrhundert.

In Rambouillet bei Paris wollte Washington also der serbischen und kosovo-albanischen Bourgeoisie eine neue Pax Americana aufzwingen, und somit das Daytoner Abkommen absichern und seine Führungsrolle auf dem Balkan unterstreichen. Dieser Versuch misslang kläglich. Tatsächlich waren die Amerikaner als Einzige am Gelingen eines solchen Abkommens interessiert. Für Serbien war die Stationierung von NATO-Truppen auf seinem Territorium ebenso wenig hinnehmbar wie für die UCK das Verbleiben Kosovos im jugoslawischen Verbund. Die kosovo-albanische Seite leistete schließlich doch ihre Unterschrift aus ihrer Position der Schwäche heraus, vor allem aber weil sie (von Deutschland gut beraten) sicher sein konnte, dass Serbien ohnehin nicht unterschreiben, das Abkommen somit auch nicht rechtsgültig werden könnte. Damit wurden die USA unter Zugzwang gesetzt, die in der Weltöffentlichkeit sich weigernde serbische Seite "zur Raison" bringen zu bringen.

An diesem Punkt wird das ganze Ausmaß der Untergrabung der Position der USA seit dem Golfkrieg sichtbar. Der Golfkrieg war eine von vorn herein von den Vereinigten Staaten geplante und beherrschte Operation, wobei Saddam Hussein in eine amerikanische Falle hineingelockt wurde, indem man ihm vorher zu verstehen gab, nichts gegen eine irakische Annexion Kuwaits zu haben. Auch noch im vergangenen Dezember beim letzten größeren Angriff gegen den Irak brannten die Amerikaner förmlich darauf loszuschlagen. Jetzt hingegen, nach dem Scheitern von Rambouillet, wollten die USA ganz offensichtlich eine Militäraktion gegen Jugoslawien umgehen. Immer wieder ließ Washington Ultimaten verstreichen, immer wieder wurden der serbischen Regierung - die gar nicht darum bat - neue "Bedenkzeiten" eingeräumt.

Die gesamte Weltlage ließ der einzig verbleibenden Supermacht keine andere Wahl, als den Machtapparat des serbischen Staates in Grund und Boden zu bombardieren. Nichts Geringeres wird reichen, um die Autorität Amerikas angesichts des Ausmaßes der Anfechtungen zu untermauern. Aber es ist offensichtlich, dass eine solche Schwächung der serbischen Seite keineswegs im strategischen Interesse der Vereinigten Staaten liegt. Es droht damit das Auseinanderfallen Restjugoslawiens, wobei zunehmend nicht nur das Kosovo, sondern auch Montenegro abtrünnig wird. Es droht die Destabilisierung der gesamten Balkanhalbinsel. Bereits in den ersten Tagen des NATO-Angriffs gegen Jugoslawien brachen z.B. schwere Unruhen in Mazedonien aus, wo gewichtige serbische und albanische Minderheiten einander gegenüberstehen. Ein eventueller Zerfall Mazedonien wiederum würde den Kampf zwischen Serbien, Bulgarien und Griechenland um die Überreste dieses kaum überlebensfähigen Ministaates mächtig anheizen - mit kaum überschaubaren Folgen für die gesamte Region. Es droht die weitere Entfremdung Russlands gegenüber den USA, und damit die verstärkte Annäherung des zerfallenden Riesenreichs an Europa. Der Angriff gegen Jugoslawien löst eine Kettenreaktion aus, die die Führungsmacht selbst nicht mal überblicken, geschweige denn beherrschen kann. Dies ist auch der Sinn des Ausspruchs des kränkelnden russischen Präsidenten Jelzins, dass nach diesem Krieg Europa nicht mehr dasselbe sein wird.

Nicht zuletzt wird dieser Krieg die Konflikte innerhalb der NATO sichtbar werden und zuspitzen lassen. Nach der UNO wird die NATO selbst, das Hauptinstrument des amerikanischen Führungsanspruchs in Europa, zum zentralen Schlachtfeld des Gerangels unter den führenden "Demokratien". Allen Einigkeitsbeschwörungen zum Trotz zeigen sich diese Zwistigkeiten seit Beginn der Operation "Entschlossene Kraft". Der NATO-"Partner" Griechenland - ein traditioneller Verbündeter Serbiens und Großbritanniens - hat von Anfang an die Beteiligung seiner Streitkräfte an dieser Mission ausgeschlossen. Der ebenfalls Serbien-freundliche NATO-"Partner" Italien machte rasch deutlich, seine auch nur halbwegs aktive Teilnahme an Militäroperationen würde zum Sturz der Regierung in Rom führen. Auch die Streitkräfte des beispielsweise gegenüber dem Irak sonst so forschen Großbritannien, wie auch der in Afrika nicht weniger forschen französischen Militärs nehmen demonstrativ nur halbherzig an den Kampfhandlungen des Bündnisses teil.

Der Aufstieg Deutschlands schürt die Flammen des Krieges

Aber die aus Sicht des amerikanischen Imperialismus vielleicht gravierendste negative Folge des jetzigen Krieges ist die damit verbundene Verstärkung Deutschlands. Es ist auffallend, wie aktiv die deutsche Kriegsmaschinerie sich neben den Amerikanern am Krieg gegen Serbien beteiligt. Bereits bei der ersten Angriffswelle der NATO flogen deutsche Tornados in der ersten Reihe. Deutschland hat für die jetzige Operation mehr Flugzeuge zur Verfügung gestellt als beispielsweise England. Die ursprünglich für das Amselfeld vorgesehene, aus 12.000 Soldaten bestehende europäische "Friedenstruppe" der NATO, die heute z.T. in Mazedonien stationiert ist, besteht überwiegend aus je ca. 4.000 deutschen und britischen Bewaffneten.

Tatsächlich ergreift die deutsche Bourgeoisie heute besonders gern die Gelegenheit, um ausgerechnet ihren historischen Erbfeind Serbien zu bombardieren. Die USA können sich dieser Hilfe auch nicht erwehren. Washington ist jetzt sogar auf die Hilfe Deutschlands angewiesen, um politisch nicht allein dazustehen.

Indem es Jugoslawien militärisch schwächt, steigert Deutschland nicht nur sein imperialistisches Ansehen in der Welt. Im Gegensatz zu den USA fördert es damit zugleich seine strategischen Interessen in der Region. Durch diesen Krieg wird Deutschland erstmals seinem seit 1989 diskret ausgesprochenen Anspruch gerecht, die führende imperialistische Macht Europas zu sein.

Clinton und seine Berater wissen genau: ein Auseinanderfallen der Republik Jugoslawiens würde für Deutschland das Tor nach Südosten weit aufreißen. Dennoch haben die USA bislang kein Mittel gefunden, um diese Entwicklung wirkungsvoll einzudämmen. So haben die USA alles getan, um Deutschland und die Türkei - das Schüsselland der gesamten deutschen Südostpolitik - auseinanderzudividieren. So hat Washington Ankara immer wieder dazu aufgestachelt, eine nicht realisierbare EU-Mitgliedschaft einzufordern. Es hat zuerst mittels der Unterstützung der PKK, zuletzt durch seine Hilfe bei der Festnahme des PKK-Führers Öcalan versucht, die Kurdenfrage und damit die Bedrohung der staatlichen Einheit in den Mittelpunkt der türkischen Politik zu stellen, um Ankara von der Verfolgung gemeinsamer außenpolitischer Ziele mit Deutschland abzuhalten. Heute aber stehen Deutschland und die Türkei erstmals seit Jahrzehnten auf derselben Seite in einem Krieg, und zwar auf dem Balkan, wo beide Staaten wirklich gemeinsame Interessen haben. Es ist bedeutsam, dass mit Ausbruch des jetzigen Jugoslawienkrieges die deutsche Justiz in Köln einen gewissen Kaplan, (ein besonders berüchtigter "fundamentalistischer" türkischer Regimegegner) verhaften ließ.

Wir Marxisten verteidigen gerade heute das Prinzip der internationalen Arbeitersolidarität zwischen den Proletariern der kriegführenden Länder. Die Arbeiter Westeuropas und Nordamerikas und die Arbeiter des Balkans haben nur einen gemeinsamen Feind: den barbarischen niedergehenden Kapitalismus mit seinen blutrünstigen Vertretern von Clinton bis Milosevic, von Schröder bis Rugova.

In diesen finsteren Tagen der über die westeuropäische „Zivilisation“ hereinbrechenden anti-serbischen Kriegshetze rufen wir gerne die großartige internationalistische Haltung der proletarischen Revolutionäre Serbiens bzw. Jugoslawiens am Anfang dieses Jahrhunderts in Erinnerung. Als im August 1914 mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an das „kleine“ Serbien der 1. Weltkrieg begann, lehnte die Mehrheit der sozialistischen Abgeordneten im Belgrader Parlament die Kriegskredite ab – eine Haltung, die Lenin zu Recht vorbildlich nannte. Am Ende dieses grausamen Krieges gründeten diese Internationalisten die Kommunistische Partei Jugoslawiens und traten der Kommunistischen Internationalen bei. Im Angesicht der nationalistischen Hysterie auf dem gesamten Balkan vertrat diese Partei kompromisslos die Zukunft der Menschheit – die kommunistische Weltrevolution. Dafür wurden sie der erbarmungslosesten Verfolgung durch den neugegründeten jugoslawischen Staat ausgesetzt, wobei die Belgrader Regierung die tatkräftigste Unterstützung durch die westlichen Demokratien dafür erhielt. Später wurden die besten Vertreter dieser Partei gerade deshalb von der stalinistischen Konterrevolution gejagt, weil sie eben diese internationalistischen Prinzipien hochhielten (siehe „Das russische Rätsel“ von Anton Ciliga).

Heute bietet allein dieses Prinzip der weltweiten Solidarität des internationalen Proletariats einen Ausweg aus der Barbarei des imperialistischen Krieges. In dieser Tradition steht heute unsere Organisation, wenn wir heute - in 13 Ländern auf drei Kontinenten gleichzeitig – ein internationalistisches Flugblatt gegen den Krieg in Jugoslawien verteilen. 26.3.99

Zweimal in diesem Jahrhundert war Europa das Hauptschlachtfeld imperialistischer Welt­kriege. Zweimal wurden die Arbeiter der Industriestaaten millionenfach dahingemordet. Zweimal gelang es der Bourgeoisie, die Pro­letarier aller Länder dazu zu bringen, einander blutig zu bekämpfen. Der imperialistische Krieg ist eine strenge Prüfung der Treue der revolutionären Kommu­nisten gegenüber der Arbeiterklasse. Hier wird von den Marxisten das Äußerste ver­langt: die unbeugsame Verteidigung des pro­letarischen Internationalismus angesichts des repressiven Armes des Militarismus und der hy­sterischen kapitalistischen Kriegspropaganda. Zahlreich sind die Arbeiterorganisation, klangvoll oft die Namen der Revolutionäre, welche im Kriegsfall ihre Klasse verraten ha­ben. Mit dem ersten Weltkrieg ging die Sozial­demokratie, mit dem zweiten Weltkrieg der Trotzkismus ins Lager des Kapitals über. Re­volutionäre Führer wie Plechanow und Kautsky schlossen ihren Frieden mit dem blutrün­stigen Imperialismus. Und dennoch gab es an­gesichts des Krieges mitunter auch die ruhm­reichsten Sternstunden des Marxismus. Die furchtlose Verteidigung der internationalen Ar­beitersolidarität durch Bebel und Wilhelm Liebknecht im Deutsch-Französischen Krieg 1870, durch Lenin und die Bolschewiki, durch Luxemburg, Karl Liebknecht und die Sparta­kisten im 1. Weltkrieg, durch kleine inter­nationalistische Gruppen in Italien, Holland und Frankreich im 2. Weltkrieg werden un­vergessen bleiben, solange es klassenbewusste Arbeiter gibt. Der jetzige Konflikt im ehemaligen Jugosla­wien ist die größte Herausforderung des pro­letarischen Internationalismus seit dem Zu­sammenbruch des Ostblocks vor 9 Jahren. Be­reits gegenüber dem Golfkrieg verteidigten die heute kleinen, aber entschlossenen marxistischen Gruppen den wirklichen Internationalismus. Nicht nur die IKS, auch die anderen Gruppen des revolutionären Milieus entlarvten die ka­pitalistische Linke, die Sozialdemokraten, Sta­linisten und Trotzkisten, welche scheinmarxi­stische Phrasen droschen, um die Arbeiter auf Seiten einer der beiden Kriegsparteien zu zie­hen (zumeist durch die "kritische" Unterstüt­zung des Irak). Gruppen wie Battaglia Comunista und die CWO, Programma Comunista oder Il Co­munista (Le Proletaire) haben, wie die IKS, auch gegenüber den Kriegen auf dem Balkan die internationalistische Haltung Lenins und Karl Liebknechts verteidigt.

Klar ist, dass die Frage des Krieges heute eine noch viel wichtigere Rolle spielen wird in der Entwicklung des Klassenbewusstseins als dies vor 1989 der Fall war. Da in der Zeit vor 1989 die Welt in zwei imperialistische Blöcken auf­geteilt war, die einander in Europa waffenstar­rend gegenüberstanden, konnte ein größerer Krieg in Europa nur eine Ost-West-Konfronta­tion, d.h. ein Weltkrieg sein. Da das Proleta­riat aber für einen solchen Weltkrieg nicht zur Verfügung stand, entwickelte sich der Arbeiter­kampf gegen die Krise stetig, aber in einem Kon­text, wo es keinen Krieg in Europa gab. Heute ist das anders. Zwischen den Nationalstaaten herrscht das Treiben des "jeder gegen jeden". Zwar steht damit zunächst kein Weltkrieg auf der Tagesordnung. Dafür werden aber größere lokale Konflikte wie jetzt auf dem Balkan wieder möglich.

Aus Weltrevolution Nr. 94, Juni/Juli 1999

Jugoslawien Klassenkampf gegen den Krieg 22.05.1999

Was ist der wirkliche Grund für die NATO-Bombardierungen, für den täglichen Bombenhagel auf Serbien, Montenegro und Kosovo? Was ist der wirkliche Grund für diesen Krieg, an dem zum ersten Mal seit dem Ende des 2. Weltkriegs die europäischen Großmächte militärisch auf dem Boden Europas beteiligt sind, und das nur eine Flugstunde von Frankfurt entfernt?

Man erzählt uns, dass diese schreckliche Barbarei eine „humanitäre“ Aktion sei, um die Bevölkerung im Kosovo zu verteidigen und gar zu retten.

Beim Golfkrieg war es das Gleiche: es wurde behauptet, dass die Großmächte massiv militärisch eingriffen, um der Bevölkerung zu helfen, die unter einer grausamen Diktatur zu leiden hat. Die Medien und die Politiker geben vor, empört zu sein über die Schrecken der von Milosevic angeordneten „ethnischen Säuberungen“. Sie behaupten, tief betroffen zu sein über die Entdeckung von neuen Massengräbern im Kosovo. Sie lassen Krokodilstränen fließen über die Hunderttausenden von Flüchtlingen, die vor den Massakern fliehen und wie Vieh in verdreckten Lagern eingepfercht werden, wo Frauen, Kinder und Alte auf Hilfe oder ein provisorisches Visum warten, und wobei sie jeden Tag mit Hunger, Kälte und Krankheiten kämpfen müssen.

Aber das „humanitäre“ Argument, das von den Regierungen und den Medien vorgebracht wird, ist nichts als eine ekelhafte Lüge.

In Wirklichkeit verfolgen die Großmächte mit ihrem militärischen Eingreifen im ehemaligen Jugoslawien nur ihre nackten imperialistischen Interessen. Hinter der Fassade der Einheit zwischen den Großmächten spielt jede nationale Bourgeoisie ihre eigene Karte, versucht jeder imperialistische Hai seine eigene Einflußsphäre zu verteidigen und die seiner Rivalen auf dem Balkan zu untergraben, eine Zone, die schon seit mehr als einem Jahrhundert ein strategisch wichtiger Zankapfel ist.

Für die Großmächte lautet die wirkliche Frage, welche imperialistische Macht das Rennen gewinnen und welche Macht es schaffen wird, das Protektorat Kosovo zu kontrollieren, welches aus der schlussendlichen Aufteilung dieses Gebietes hervorgeht; genau wie es 1996 darum ging, wer von ihnen den größten Nutzen aus der Aufteilung Bosniens ziehen würde.

Die Heuchelei und der Zynismus der Großmächte

Der wirkliche Grund für diesen Krieg liegt weder in dem Streben nach Frieden in Europa noch in der Verteidigung der Menschenrechte. Es geht auch nicht um den Versuch der Großmächte, dem Chaos Einhalt zu gebieten, wie es die bürgerliche Propaganda behauptet.

In Wirklichkeiten geben die „Demokratien“ einen Scheißdreck um das Schicksal der Bevölkerung im Kosovo. Die Massaker und das Schicksal der Flüchtlinge lässt sie kalt. Die abgrundtiefe Verachtung seitens der Demokratien gegenüber der Bevölkerung, die als Geisel genommen wird und Opfer des Krieges ist, zeigt sich allein schon anhand der Sprache der Medien, der Politiker und Militärs, welche von „Kollateralschäden“ und „Unfällen“ sprechen, wenn sie über Tausende von Opfern in der Zivilbevölkerung – sowohl unter der serbischen Bevölkerung wie unter den albanischen Flüchtlingen – sprechen, die jetzt schon auf das Konto der Nato-Bombardierungen gehen. Die Heuchelei über die „ethnischen Säuberungen“ ist nicht weniger abstoßend. Die amerikanische, englische und deutsche Regierung wie viele andere haben vorbehaltlos Regime unterstützt, die ähnliche Massaker in Indonesien gegen die Chinesen, in der Türkei gegen die Kurden durchgeführt haben. Jüngst erst stellte in Frankreich eine Untersuchungskommission in einem Bericht „Kein einziger Zeuge darf überleben“ fest, dass der Völkermord in Ruanda - von der Hutu-Regierung ausgeführt – lange vorher geplant und abgesprochen worden war mit der französischen Regierung.

Diese schändliche Doppelmoral trifft auch auf das Milosevic-Regime zu. Heute wird er als der „Teufel“ in Person und als „Diktator von Belgrad“ dargestellt, genauso wie seinerzeit Saddam Hussein als „der Schlächter von Bagdad“ galt. Aber 1991 haben die USA, Frankreich und Großbritannien alle Milosevic unterstützt, als es darum ging, dem deutschen Vorstoß in Kroatien entgegenzutreten. Und England und Frankreich haben ihn weiter gegen den wachsenden Einfluss der USA (die in der Zwischenzeit auf die Seite Bosniens übergewechselt waren) verdeckt unterstützt. Unterdessen wurden ethnische Säuberungen von allen dortigen nationalistischen Cliquen – (den serbischen, bosnischen, kroatischen und der Clique im Kosovo) betrieben, mit jeweiliger Unterstützung durch die eine oder andere Großmacht.

Eine ideologische Vergiftungskampagne gegen die Arbeiterklasse

Aber was soll man von der steigenden Zahl von Kritiken an der Art und Weise der Intervention halten, die von den Medien und den bürgerlichen Politikern formuliert werden? So wird behauptet, Milosevics Durchhaltevermögen sei unterschätzt worden, oder umgekehrt dass die NATO überschätzt habe, dass die Bomben Milosevic abschrecken könnten. Oder dass die Intervention zu spät begonnen habe, weil Serbien die ethnische Säuberung im Kosovo seit drei Monaten geplant hatte. Diese Argumente belegen nur, dass der Zynismus und die Heuchelei der Bourgeoisie grenzenlos sind. Denn die „humanitäre Notlage“ der Kosovo-Albaner war nicht nur vorhergesehen, sondern sie ist von den Großmächten selber herbeigeführt worden. Mehr als 2 Jahre wussten die Großmächte von der Unterdrückung der Kosovo-Albaner, und sie waren sich sehr wohl im Klaren, dass eine Bombardierung die Unterdrückung nur noch verschärfen würde. Es waren gerade die Schreckensbilder der Vertreibungen und der Gewaltanwendungen, worauf die Großmächte warteten, um eine Rechtfertigung für ihren Krieg präsentieren zu können (den Umfragen zufolge), wogegen die Bevölkerung anfänglich gegenüber den Bombardierungen zögerte. Mehr noch: diese „unvorhergesehenen Schwierigkeiten“ werden als Vorwand genutzt, um noch mehr Material und Kräfte für die Angriffe einzusetzen.

Und wenn die NATO solange mit einer militärischen Intervention gewartet hat, obwohl die Repression schon mehr als 2 Jahre dauerte, dann nicht deshalb, weil sie irgendwelche Skrupel hätte, einen Krieg auszulösen und Zerstörung zu bringen. Dies geschah nur, weil die meisten der „Alliierten“, insbesondere die USA, froh waren, dass sie Milosevic die Drecksarbeit überlassen konnten, den Aufstand im Kosovo niederzuschlagen, und damit den Bestrebungen ihres Rivalen Deutschland entgegentraten, da Deutschland am meisten an der Unabhängigkeit des Kosovos und dem Projekt eines Großalbanien interessiert ist. Diese gleiche Methode wurde schon im Golfkrieg angewandt, als die amerikanische Bourgeoisie zunächst die Schiiten und Kurden zur Rebellion im Irak antrieb, und sie nachher schutzlos der Repression durch Saddam Hussein überließ, da die USA alles andere als einen kurdischen Staat und keinen weiteren pro-iranischen Staat wollten.

Die ganze gegenwärtige Kampagne über die „Fehler“ und „Schwierigkeiten“ der NATO, über die „Unwirksamkeit ihrer Luftangriffe“ und ihre „Unfähigkeit“, Milosevic zum Nachgeben zu zwingen, verfolgt vor allem das Ziel, die öffentliche Meinung weich zu klopfen, die Bevölkerung der Industriezentren, und vor allem die Arbeiterklasse für eine neue Eskalation in diesem imperialistischen Konflikt vorzubereiten: kurzum für den Einsatz von Bodentruppen. Es stimmt zwar, dass diese vielen Fragen zur Nato die Bemühungen der europäischen Rivalen der USA zum Ausdruck bringen, die absolute Autorität des Weißen Hauses infragezustellen. Aber gleichzeitig müssen alle nationalen Bourgeoisien die Arbeiterklasse dazu bringen, die militärische Eskalation zu schlucken. Deshalb kündigen sie schon an, dass „dieser Krieg lang und blutig“ sein wird, und sie blähen künstlich die erforderliche Zahl von Soldaten für die Bodentruppen auf, so dass ein Gefühl der Erleichterung aufkommt, wenn die tatsächlich notwendigen Zahlen verkündet werden. Die Bourgeoisie muss sich so stark bemühen, den Boden zu bereiten, weil sie weiß, dass die einzige Hürde für die Beschleunigung ihres Strebens hin zum Krieg die Arbeiterklasse der Industriezentren ist.

Die Arbeiterklasse wird bald mit der Tatsache konfrontiert werden, dass mit dem Einsatz von Bodentruppen Tausende von Arbeiterkindern in den Kämpfen getötet werden. Genauso wird vor allem die Arbeiterklasse die astronomische Rechnung für den Krieg zu bezahlen haben. Wenn man berücksichtigt, dass die Kosten des Krieges pro Tag alleine auf 200 Mio. $ geschätzt werden (von denen allein die Hälfte die USA tragen), wissen wir wie viele neue „Opfer“ die Bourgeoisie verlangen wird, und in welchem Maße die Erhöhung der Militärausgaben eine Kürzung der Sozialausgaben mit sich bringen wird.

Auch wenn bislang Informationen zurückgehalten oder entstellt werden über stattgefundene Proteste gegen die Kriegsmaschinerie Milosevics in Serbien, so zeigen die Mitte Mai bekannt gewordenen Proteste in verschiedenen Städten Serbiens, dass auch die serbische Arbeiterklasse keineswegs in „nationaler Eintracht“ hinter dem Klassenfeind Milosevic steht, sondern anfängt, ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Fest steht jetzt schon: diese Bewegung kann nur eine wirkliche Perspektive erhalten, wenn die Arbeiterklasse in den Industriezentren Westeuropas und in den USA den Druck auf die Kapitalistenklasse mächtig erhöht.

Die Arbeiterklasse ist nicht einfach Opfer des Krieges. Sie ist die einzige internationalistische Klasse in der Gesellschaft. Sie ist die einzige Kraft, die durch einen rücksichtslosen Abwehrkampf gegen die verschärften Angriffe des Kapitals auf seine Lebensbedingungen das weitere Abgleiten in die militärische Barbarei verhindern kann. Sie ist als einzige Klasse dazu in der Lage, dieses todbringende System zu zerstören und die Tür aufzustoßen für eine menschliche Gesellschaft. 22.5.99

Rot/Grün: Speerspitze des deutschen Militarismus 20. 05.1999

Als der deutsche Imperialismus das letzte Mal vor mehr als einem halben Jahrhundert seine Streitkräfte in den offenen Krieg schickte, hieß die verantwortliche Regierungspartei NSDAP, der Regierungschef Adolf Hitler. 54 Jahre danach führt der deutsche Imperialismus unter einer Koalitionsregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit einem Kanzler Schröder wieder Krieg in Europa.

1933 kam die NSDAP inmitten der Weltwirtschaftskrise an die Regierung, weil diese Partei damals am besten geeignet war, um im Interesse des deutschen Kapitals Krieg zu führen.

1998 gewannen Rot-Grün inmitten der Weltwirtschaftskrise die Bundestagswahlen nicht zuletzt, weil diese Parteien am besten geeignet sind, um im Interesse des deutschen Kapitals Krieg zu führen.

1933 - 15 Jahre nachdem die internationale proletarische Erhebung 1917-18 den 1. Weltkrieg beendet hatte - war die Widerstandskraft der Arbeiterklasse gebrochen. Der Weg zum erneuten Weltkrieg lag somit offen. Weil seine Lage von allen Großmächten am verzweifelsten war, musste Deutschland den 2. Weltkrieg beginnen und diesen Krieg mit unerbittlicher Härte gegenüber der Übermacht seiner Rivalen führen. Dafür war die NSDAP Hitlers die geeignete Partei. 1999 ist - 10 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges - der imperialistische Krieg in Europa wieder unvermeidbar geworden. Das wiedervereinigte Deutschland will wieder die imperialistische Führungsmacht Europas werden und fordert somit seine europäischen Rivalen genauso wie die Weltmacht USA heraus. Der Balkan ist ein entscheidender Schauplatz dieses Kampfes.

Aber 1999 ist die internationale Arbeiterklasse noch nicht geschlagen. Der Weg zum Weltkrieg steht nicht offen. Außerdem, Deutschland

besitzt noch lange nicht die notwendigen Machtmittel, um seine Hauptrivalen, um vor allem die USA offen und militärisch herauszufordern: weder die entsprechenden Waffensysteme noch das erforderliche Bündnissystem eines imperialistischen Blockes. Andererseits aber befindet sich Deutschland gegenüber seinen Rivalen auch nicht in der verzweifelten Lage von 1933.

Weil die Arbeiterklasse nicht geschlagen ist, weil "lokale" Kriege und nicht der Weltkrieg anstehen, können und müssen die imperialistischen Kriege von heute als "humanitäre Missionen" verkauft werden. Alle westlichen Großmächte führen heute nur noch Krieg im Namen der "Demokratie" und der "Menschenrechte". Das ist einer der Gründe, weshalb fast alle am Jugoslawien-Krieg beteiligten NATO-Staaten von linken Regierungen in den Krieg geführt werden. Die"Linken", die "humanistischen" und "pazifistischen" Heuchler, welche die "Freunde des kleinen Mannes" sein wollen, sind am besten geeignet, um die imperialistische Barbarei auf diese Weise zu verkaufen.

Aber in keinem Land der Welt ist eine linke Regierung für die kapitalistische Kriegsführung so wichtig wie heute in Deutschland. Nach Jahrzehnten der unfreiwilligen Abwesenheit von den blutigen Schlachtfeldern dieser Welt muss Deutschland heute dort anknüpfen, wo es in zwei Weltkriegen aufgehört hatte. Z.B. auf dem Balkan, wo heute die deutsche Luftwaffe - nicht mehr unter Göring, sondern unter Scharping - Belgrad bombardieren lässt. Für die deutsche Bourgeoisie, die Bourgeoisie von Auschwitz ist das ein Problem - nicht nur im Hinblick auf die Arbeiterklasse, die heute nicht für den generalisierten Krieg mobilisiert ist. Die imperialistischen Rivalen Deutschlands benutzen die Erinnerung an die Rolle Deutschlands in den Weltkriegen, um die Rolle Deutschlands in den Kriegen von heute einzuengen.

In dieser Hinsicht besitzt die Rot-Grüne Kriegsregierung heute eine politische Bedeutung für das deutsche Kapital, die weit über den jetzigen Balkankonflikt hinausragt. Rot-Grün ist derzeit die unverzichtbare politische Waffe des deutschen Kapitals, um die Behinderungen seiner Kriegsziele, welche von der Vergangenheit herrühren, möglichst abzuschütteln. Indem rechtzeitig zum ersten heißen Kriegseinsatz eine Regierung aus Sozialdemokraten und Pazifisten eingesetzt wurde, soll ein radikaler Bruch mit der militaristischen Vergangenheit des deutschen Imperialismus suggeriert und eine andere, demokratische und antifaschistische, - dazu noch zutiefst nationale Kriegsideologie - geschmiedet werden. Dazu eignet sich prächtig die blutrünstige Sozialdemokratie, welche bereits im 1. Weltkrieg entscheidend dazu beitrug, die Arbeiterklasse für die Schlachtbank zu mobilisieren. Dazu eignen sich nicht weniger die Friedensbewegten von den Grünen mit ihrer "Basisdemokratie" und ihrem "Pazifismus“, um den Krieg als einen „gerechten“ zu rechtfertigen.

Gegenwärtig wird von den verschiedenen Medien und Propagandaministerien so getan, als ob die neue Bundesregierung von den krie­gerischen Zuspitzungen überrascht wäre, als ob die Regierungsparteien nur ungern, zähneknir­schend ihren Kriegspflichten aus „Bündnistreue“ nachkämen. In Wahrheit ist Rot-Gün derzeit nicht weniger unentbehrlich für den Kriegskurs des Vaterlandes als damals Hitler und die NSDAP. Die Bedeutung der neuen Regierung fand dennoch ihre Würdigung in einem Editorial der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 07.05.99. Die Linken an der Regierung sollen dafür bürgen, dass heute die deutsche Bourgeoisie, die Bourgeoisie von Auschwitz auf der "richtigen Seite" steht. "Der Kosovo-Krieg markiert nicht nur das Ende einer linken Protest- und Widerstandskultur, sondern er ist auch deren Fortsetzung mit anderen Mitteln.(...) 1968 holte man den Widerstand gegen den "Faschismus", den die Väter versäumt hatten, mit Demonstrationen, Sit-ins und Happenings nach. Heute blickt man, so sagt es der Verteidigungsminister, im Kosovo in die böse Fratze der deutschen Vergangenheit und bekämpft einen blutigen ethnischen Nationalismus kriegerisch im Verein mit dem mächtigsten Militärbündnis der Welt. Die jugoslawische Armee erscheint als Wiedergängerin der Wehrmacht (..) Der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr zertrümmert deren Traditionszusammenhang mit der Wehrmacht wirkungsvoller als der radikalste Traditionserlass tun könnte, den ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister sich ausdenkt. So erlebt der "Antifaschismus", der als Ideologie totalitärer Diktaturen und antidemokratischer Parteien eine erbärmliche Lüge war, in neuer Form einen unverhofften Frühling."

Die wahren Kriegsgründe 23.04.1999

“Dieser neue Krieg, der jetzt im ehemaligen Jugoslawien mit den NATO-Bombardierungen Serbiens, Kosovos und Montenegros ausgelöst wurde, stellt auf der imperialistischen Bühne das wichtigste Ereignis seit dem Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 80er Jahre dar. Die Gründe dafür sind:

- Dieser Krieg findet im Gegensatz zum Golfkrieg 1991 nicht in einem Land der Peripherie sondern in Europa statt.

- Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg wird ein Land in Europa - und insbesondere die Hauptstadt - massiv bombardiert.

- Zum ersten Mal greift das Land, das der Hauptverlierer des 2. Weltkriegs war, Deutschland, militärisch direkt in die Kampfhandlungen ein.

Dieser Krieg stellt einen weiteren, schwerwiegenden Schritt im Destabilisierungprozess Europas dar, mit gewaltigen Auswirkungen auf die Zuspitzung des weltweiten Chaos.”

(Resolution zur internationalen Situation, 13. Kongress der IKS, April 1999, Punkt 1)

Die imperialistischen Rivalitäten unter den Großmächten sind für den jetzigen Krieg verantwortlich

“Einer der Aspekte, der am meisten die große Tragweite des jetzigen Krieges verdeutlicht, ist gerade die Tatsache, dass er im Zentrum des Balkans stattfindet, der seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts als das Pulverfass Europas bezeichnet wird (...)

Deshalb zeigte die sehr offensive Haltung Deutschlands gegenüber dem Balkan unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Ostblocks (...), dass diese Region erneut zu einem Hauptkonfliktfeld der Zusammenstöße zwischen den imperialistischen Mächten in Europa geworden war.

Heute belegt ein weiterer Faktor den Ernst der Lage. Im Gegensatz zum Ersten oder gar zum Zweiten Weltkrieg behaupten die USA ihre militärische Präsenz in diesem Teil der Welt. Die größte Macht der Welt konnte sich von einer der Hauptbühnen der imperialistischen Zusammenstöße in Europa und im Mittelmeer nicht fernhalten, womit sie ihre Entschlossenheit zum Ausdruck brachte, in allen entscheidenden Gebieten präsent zu sein, wo die unterschiedlichen imperialistischen Interessen aufeinanderprallen.”(ebenda, Punkt 2)

Zu einem Zeitpunkt, wo der 50. Jahrestag der NATO-Gründung gefeiert wurde, die NATO-Luftangriffe gegen den als Nr. 1 deklarierten Hauptfeind Milosevic nun schon mehrere Wochen dauern, und die Alliierten eine weitere Intensivierung der Angriffe angekündigt haben, mit dem eventuellen Einsatz von Bodentruppen, - der – falls er stattfindet – sehr lange dauern und viele Toten auf beiden Seiten hinterlassen wird, treten alle Widersprüche und imperialistischen Spannungen unter den “Verbündeten” wieder ans Tageslicht. Die Fassadeneinheit um die Operation “Entschlossene Kraft” ist dabei zu bröckeln und wird langfristig auseinander brechen. Denn eines der neuen Merkmale dieses Krieges besteht darin, dass “die gegenwärtige Form des Krieges (alle NATO-Länder gegen Serbien) nicht die wirklichen Interessensgegensätze, die zwischen den verschiedenen Kriegsteilnehmern bestehen, widerspiegelt.” (ebenda, Punkt 3)

Dieser Krieg verdeutlicht die Rivalitäten und die Spannungen zwischen den imperialistischen Gangstern, die sich um die Überreste des im Zerfall begriffenen ehemaligen Jugoslawien streiten.

Das wiedervereinigte Deutschland, das seinen neuen Platz in der imperialistischen Hackordnung in Europa gemäß seiner Wirtschaftskraft einnehmen wollte, hat 1991 das Feuer an die Lunte auf dem Balkan gelegt, als es damals seine Bauern im Schachspiel – Slowenien und Kroatien – dazu drängte, ihre Unabhängigkeit zu erklären, womit Deutschland einen strategisch wichtigen Zugang zum Mittelmeer und eine Öffnung hin zum Nahen Osten erhielt. Alle seine Hauptrivalen (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland) sind gegen diese Bestrebungen Deutschlands angetreten, indem sie den “schrecklichen Diktator” Milosevic materiell und militärisch im mörderischen Krieg gegen Kroatien unterstützt haben. Am Ende dieser Konfrontation 1992 musste Kroatien hinnehmen, dass fast ein Drittel seines Territoriums von der serbischen Armee und Milizen kontrolliert wurde.

1993 leitete der Ausbruch des Bosnien-Konfliktes eine neue, noch blutigere Etappe in der Auseinandersetzung unter den Rivalen ein. Die imperialistischen Ambitionen wurden durch die Anwesenheit von drei ethnischen Gruppen verschärft, welche gegeneinander aufgestachelt wurden: die Kroaten, die immer von Deutschland unterstützt wurden, die Serben, die von Russland, Frankreich und Großbritannien unterstützt wurden, die Bosnier, die offen von den USA verteidigt wurden (welche sich von 1992 an für die Unabhängigkeit Bosniens ausgesprochen haben). Diese Lage hat die Tendenz des “jeder für sich” gefördert, die den unterschiedlichen imperialistischen Interessen der anwesenden Rivalen entsprach. Insbesondere haben die Initiativen der “zweitrangigen” Staaten wie Frankreich und Großbritannien (Großbritannien bestätigte damals den Bruch seiner historischen Allianz mit den USA), die ihre Präsenz in der Region verteidigen wollen, am stärksten mit zur Eskalation des Konfliktes beigetragen. Die direkte Besatzung des Terrains durch britische und französische Truppen zunächst in UN-Uniformen, dann unter jeweils eigener Nationalfahne durch die ‚Schnellen Eingreiftruppen‘ war sehr stark mit ausschlagend, um die US-Bestrebungen zu vereiteln, mit Hilfe ihrer bosnischen Verbündeten vor Ort fest Fuß zu fassen. Ihre Vorgehensweise, die Aktionen der Bosnier zu behindern oder zu lähmen und der Offensive der serbischen Armee Rückendeckung zu geben, hat die amerikanische Bourgeoisie dazu gezwungen, einerseits direkt in den Konflikt einzugreifen, unter dem Deckmantel der “Hilflosigkeit der Europäer, den Frieden herzustellen”, andererseits haben die USA sich vorübergehend mit Deutschland in einer “kroatisch-moslemischen Föderation” zusammengeschlossen. Die USA haben schließlich ihre Gegenoffensive durch Gewaltanwendung durchgesetzt, indem sie 1995 in Bosnien für den Abzug der UNO-Truppen durch die ersten Bombardierungen Bosniens durch die NATO sorgten.

Den USA gelang es auf Kosten der Zerstückelung des Territoriums, die Lage in Bosnien zu stabilisieren, indem sie direkt mit Milosevic verhandelten und das zerbrechliche Daytoner Abkommen von 1996 durchsetzten. Aber der seinerzeit von den USA mit dem Zustandekommen dieses Abkommens erzielte Sieg war kein endgültiger Sieg in diesem Teil der Welt. Genauso wenig konnte damit die allgemeine Tendenz der Abschwächung ihrer Vorherrschaft in der Welt aufgehalten werden.

Die gleichen Widersprüche, die vorher schon den Zusammenprall unter den Großmächten bewirkten, insbesondere unter den Ländern der “Kontaktgruppe” (Deutschland, USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Russland), die angeblich im ehemaligen Jugoslawien den “Frieden sicherstellen” sollen, und die schon in verschiedenen Eigenschaften mit vielen Truppen militärisch präsent sind, sind direkt für die Eskalation des Kosovo-Konfliktes verantwortlich. Das Scheitern der Konferenzen von Rambouillet und Paris ist nicht nur zurückzuführen auf die “Unnachgiebigkeit Milosevics” und dessen Weigerung, dem Kosovo einen Autonomiestatus zu verleihen. Der “Diktator von Belgrad” hat übrigens genauso wie seinerzeit Saddam Hussein die unterschiedlichen Interessen zwischen seinen Gegnern geschickt ausgenutzt.

Die Flucht nach vorne in den Krieg und wachsende Schwierigkeiten für alle Beteiligten

Deutschland hat erneut die UCK zur Rebellion getrieben. Die USA haben mit den Bombardierungen losgeschlagen, um ihre Autorität als Weltpolizist zu verteidigen, obgleich sie das militärische Eingreifen monatelang hinausgezögert hatten, in der Hoffnung, mit Milosevic handeln zu können, nachdem man diesen zuvor die Kosovo-Rebellen hatte niederschlagen lassen. Gegenüber Deutschland war die amerikanische Bourgeoisie nämlich überhaupt nicht daran interessiert, dass ein unabhängiges Kosovo geschaffen würde. Die militärische Karte der USA, so wie sie heute von diesen gespielt wird, ist auf das Scheitern der diplomatischen Option (mit der militärischen Erpressung) zurückzuführen, wie es die Mission des amerikanischen Sondergesandten Holbrooke bei Milosevic verdeutlichte, die als diplomatischer Versuch “im letzten Augenblick” wenige Tage vor der Auslösung der militärischen Angriffe durch die NATO gestartet worden war.

Ein Monat nach Beginn der Bombardierungen durch die NATO hat diese Flucht nach vorne in den Militarismus eine ganze Reihe von wachsenden Schwierigkeiten für die am Konflikt beteiligten Großmächte mit sich gebracht.

Für Russland bedeutet die Intervention der NATO gegen Serbien, seinen traditionellen Verbündeten, eine wahre Provokation, die es nur noch mehr destabilisieren kann. Die von Russland immer wieder geäußerten “Drohungen” können kaum seine Hilflosigkeit übertünchen. Sein Wunsch, Serbien zu Hilfe zu eilen, wird durch die völlige wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeit des ehemaligen Blockführers von den westlichen “Zahlungen” vereitelt. Insbesondere reichte es aus, dass der IWF damit drohte, den Geldhahn zuzudrehen, um es zur “Vernunft” zu bringen. Russland ist heute dazu verdammt, eine rein diplomatische Rolle zu spielen; es musste sich gar entwürdigen lassen und als Emissär für die Forderungen der NATO (das Bündnis, das 40 Jahre lang zur Aufgabe hatte, den russischen Imperialismus zu bekämpfen) gegenüber seinem serbischen Verbündeten auftreten. Die Lähmung der Autorität Moskaus kann die vielen Republiken der russischen Föderation nur dazu verleiten, die Zentralregierung in Moskau herauszufordern.

Sicher hat Deutschland am Anfang des Konfliktes einen bedeutenden Punktgewinn erzielen können, nachdem ihm die NATO einen Deckmantel bot und es ihm ermöglichte, das implizite Verbot zu umgehen, das seit seiner Niederlage im 2. Weltkrieg bestanden hatte, außerhalb seiner Grenzen militärisch einzugreifen.

Weil die gegenwärtige Operation gegen Serbien, Erzfeind Deutschlands und Sperrriegel für dessen Vorrücken auf dem Balkan Richtung Naher Osten, gerichtet ist, dient diese den Interessen des deutschen Imperialismus, vor allem, wenn sie durch die Abtrennung des Kosovos zur Zerstückelung der jugoslawischen Föderation und Serbiens selber führen sollte.

Jedoch sind die USA nun gegenüber Deutschland in ein direktes Konkurrenzverhältnis bei der Unterstützung der UCK getreten. Die USA haben es nämlich geschafft, große Teile der Rebellen auf “ihre Seite zu ziehen”, indem sie ihnen hochmoderne Waffen und eine militärische Schnellausbildung gewährt haben.

Die in Vorbereitung befindliche Bodenoperation dient darüber hinaus nicht den imperialistischen Interessen der deutschen Bourgeoisie, denn sie läuft Gefahr, dass die anderen Mächten ihr zuvorkommen, da Deutschland für die Entsendung von Bodentruppen nicht gut vorbereitet ist (auch nicht, was das ideologische Weich klopfen der Bevölkerung angeht). Daraus entsteht für Deutschland ein Nachteil.

Aus der Sicht Großbritanniens und Frankreich hätte eine Nichtbeteiligung an der Operation “Entschlossene Kraft” geheißen, dass sie von Anfang an aus einer so strategisch wichtigen Region herausgeschmissen worden wären. Die Rolle, die sie bei einer diplomatischen Lösung der Jugoslawienkrise spielen könnten, hing vom Umfang ihrer Beteiligung an den militärischen Operationen ab. Aber der Widerspruch zwischen ihrem traditionellen Bündnis mit Serbien und dem gegenwärtigen kriegerischen Eingreifen, zu dem sie gezwungen wurden, untergräbt ihre Glaubwürdigkeit als Großmächte und ihre Fähigkeit, als zuverlässige Verbündete zu handeln, sehr stark. Diese beiden Gangster, die noch durch gemeinsame Interessen miteinander verbunden sind, haben keine andere Wahl als die Karte des Einsatzes von Bodentruppen voll auszuspielen, da sie nur so die Gelegenheit ergreifen können, vor Ort in irgendeiner Form präsent zu sein, und da sie nur so ihre Hauptrivalen, die USA und Deutschland, schädigen können.

Was die USA angeht, so wird deren Vorherrschaft und ihr Anspruch, weiterhin weltweit die Gendarmenrolle zu spielen, gar auf der Ebene untergraben, wo sie bislang ihre erdrückende Überlegenheit einsetzen konnten: auf militärischer Ebene. So bedeuten die zahlreichen Kritiken der letzten Zeit, vor allem von Seiten Großbritanniens und Frankreichs an der Durchführung der militärischen Operationen durch die NATO und der Vorschlag einer Machtverlagerung hin zur UNO oder gar zur OSZE (das noch in den Kinderschuhen steckende Projekt einer gemeinsamen europäischen Verteidigung, die bislang unter strenger NATO-Kontrolle stand) implizit eine Infragestellung der Führung und der ausschließlichen Kontrolle dieser Operationen durch die USA. Um ihr Image als Weltpolizist und ihre Rolle als erste Großmacht der Welt zu verteidigen, sind die USA gezwungen, ihre militärische Karte bis zum Ende auszuspielen, ungeachtet der großen Risiken, in dem Krieg zu versinken. Nachdem sie mehr als einen Monat lang wiederholt hatten, dass sie keine Bodentruppen schicken würden oder dass sie dagegen wären, müssen sie heute ihre früheren Aussagen widerrufen und unter dem Druck von Frankreich und Großbritannien das Szenario ins Auge fassen, gegenüber dem sie am meisten gezögert haben: die Vorbereitung des Einsatzes von Bodentruppen. Dieses Schwanken und die mangelnde Kontrolle hebt sich besonders stark von der Lage im Golfkrieg 1991 ab; damals lag das Szenario, das die USA erstellt hatten, von der ersten bis zur letzten Zeile von vorne herein fest.

Der Krieg, der jetzt ausgelöst wurde, birgt darüber hinaus die Gefahr in sich, ernsthafte Spannungen in den Reihen der Bourgeoisie verschiedener europäischer Staaten hervorzurufen.

Innerhalb der französischen Bourgeoisie hat der Krieg Risse innerhalb der meisten Parteien hervorgerufen, insbesondere innerhalb des RPR, deren Präsident mit einem großen Paukenschlag zurücktrat. Dies ist direkt auf den Widerspruch zwischen der traditionellen Bindung an Serbien und der Beteiligung an den NATO-Schlägen zurückzuführen. Dieser gleiche Spalt ist ebenso innerhalb der britischen Bourgeoisie zu erkennen; dort verwerfen einige konservative Fraktionen die Infragestellung des historischen Bündnisses mit Serbien. Die “pazifistische” Bewegung und die gegen die NATO gerichteten Stellungnahmen sind auf das größte Echo innerhalb der italienischen Bourgeoisie gestoßen, in deren Reihen ein Teil dazu neigt, die Stellung Italiens innerhalb der NATO-Struktur infragezustellen, da Italien wegen seiner geographischen Nähe zum Kriegsschauplatz besonders unter den Nebenwirkungen des Krieges leidet. Dies kann die Risse innerhalb dieser Bourgeoisie nur noch vergrößern und die Anhänger einer pro- oder anti-amerikanischen Orientierung nur noch mehr polarisieren.

Europa versinkt im kriegerischen Chaos

Diese unausweichliche Flucht in den Krieg kann nur zu einer noch größeren Zuspitzung des Chaos auf der Welt führen. Und ein Einsatz von Bodentruppen mit jeweils unterschiedlichen Interessen der beteiligten Konkurrenten wird ebenso die Dynamik des “jeder für sich” beschleunigen.

Hinsichtlich zukünftiger Verhandlungen mit Milosevic gibt es schon verschiedene Pläne zur Aufteilung des Kosovos; ein Plan wurde von den USA erstellt, ein anderer von Frankreich ausgebrütet, ein dritter schließlich stammt aus Deutschland. Ein Einsatz von Bodentruppen wird schließlich den gesamten Balkan weiter destabilisieren. Alle Bedingungen sind vorhanden, damit der imperialistische Beutezug im Kosovo zu einer Beschleunigung des Chaos führt. Der wichtigste Teil des Balkans, Serbien, steht vor der Gefahr, auseinander gerissen zu werden, während die Möglichkeit der Auflösung der Überreste des ehemaligen Jugoslawien (Serbien und Montenegro) in greifbare Nähe rückt.

Die Zunahme von NATO-feindlichen Demonstrationen in Mazedonien, wo viele westliche Truppen stationiert sind (und wo die Bevölkerung schon französische Truppen angegriffen hat) weist auf die Gefahr hin, dass diese Region ihrerseits wiederum von diesem Feuer erfasst wird und im Chaos versinkt. Darüber hinaus aber würden neben diesem Land, dessen Bevölkerung hauptsächlich aus Griechen und einer großen Minderheit bulgarischen Ursprungs zusammengesetzt ist, Bulgarien und Griechenland direkt in die Kriegsspirale mit hineingezogen. Mit der möglichen Beteiligung der Türkei, die dazu versucht sein könnte, ihre alten Streitigkeiten mit ihrem Erzfeind Griechenland zu regeln, beinhaltet die gegenwärtige Krise die Gefahr, einen wahren Flächenbrand in der ganzen Balkanregion und einem beträchtlichen Teil des Mittelmeers auszulösen. Jetzt schon hat der Krieg den Schiffsverkehr auf der Donau lahm gelegt, womit die Wirtschaft Bulgariens und Rumäniens in Mitleidenschaft gezogen wird und Gefahr läuft zu ersticken. Aber die Spirale des Chaos und das Ausufern des Krieges - immer weniger kontrolliert und immer mehr Nahrung erhaltend durch die Auseinandersetzungen zwischen den großen westlichen “Demokratien” - werden nicht nur die Balkanstaaten erfassen, sondern eine tief greifende Destabilisierung des europäischen Kontinentes mit sich bringen.

CY 23.04.99

Die Extreme Linke – nationalistische Kriegstreiber 20.05.1999

Im Krieg muss jede politische Gruppierung Farbe bekennen. In dieser Ausgabe von Weltrevolution haben wir über die entschlossene und unzweideutige internationalistische Position der Gruppen der Kommunistischen Linken berichtet. Im Gegensatz dazu stehen die Positionen der Gruppen der extremen kapitalistischen Linken, die sich mit dem Namen ‚revolutionär‘ schmücken, in Wirklichkeit aber verdeckte Kriegstreiber sind.

Diese linkskapitalistischen Gruppen decken ein ganzes Spektrum ab. Eine Gruppierung beispielsweise kritisiert eher die Nato und die Großmachtpolitik der USA ein. So brandmarkt die trotzkistische Gruppe Linksruck die Rolle der USA, die keinen „Widerspruch gegen die US-Weltherrschaft dulden werden, egal ob von großen oder kleinen Staaten... Die USA versuchen aber, die Nato-Staaten wieder auf Linie zu bringen, indem sie klarmachen, daß sie die einzigen sind, die als Weltpolizist agieren können.“ (Linksruck, Mai 99) Diese Gruppe, die vor den Wahlen noch frenetisch auf Stimmenfang für die kapitalistische SPD ging, hält sich bezeichnenderweise sehr zurück, wenn es darum geht, die kriegstreibende und destabilisierende Rolle Deutschlands bloßzustellen. Eine andere trotzkistische Gruppe, „Voran“, tritt wiederum vehement für ein „unabhängiges, sozialistisches Kosovo ein“. Im Kosovo unterstützen wir die Separation, die Bildung eines unabhängigen Staates.“ (Voran, Mai 99) Dass die Bildung eines angeblich „unabhängigen“ Kosovo den Interessen des deutschen Imperialismus dient, der gerade auf eine Zerstückelung Restjugoslawiens abzielt, stört diese Leute nicht im Geringsten, sondern weist sie als treue Vasallen des deutschen Kapitals aus.

Im Gegensatz zu diesen Gruppierungen, die die Stoßrichtung der deutschen Regierungspolitik „kritisch“ unterstützen, stellt ein anderer Flügel dieser linkskapitalistischen Gruppen dagegen vor allem die deutschen imperialistischen Ambitionen an den Pranger. Mit dem Spruch Liebknechts aus dem 1. Weltkrieg auftretend, „der Hauptfeind steht im eigenen Land“, wollen sie sich als konsequente Internationalisten präsentieren. Aber sind sie wirklich entschlossene Kriegsgegner?

Auf einer Diskussionsveranstaltung in Köln zeigten z.B. eine Vertreterin der Ökologischen Linken, Jutta Dittfurth und der stalinistische Publizist Stefan Eggerdinger, wie viel Blut an den Fingern des deutschen Imperialismus klebt. Insbesondere betonten sie, wie die Zersetzung Jugoslawiens durch Deutschland systematisch vorangetrieben wurde und welche kriegstreibenden Wirkungen dies hatte. Aber während diese Leute sich alle Mühe geben, die „Schandtaten“ des deutschen Imperialismus anzuprangern, verlieren sie kaum ein Wort über die andere Kriegsseite – über Serbien, sowie über die anderen Rivalen Deutschlands in der Nato. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, nicht das kapitalistische System insgesamt, sondern allein Deutschland als Ursache des Krieges hinzustellen.

Während die USA durch die Auslösung des jetzigen Krieges um ihre globale Vorherrschaft auf der Welt kämpfen, und sie bereit sind, dafür grenzenlose Zerstörung anzurichten, raufen sich die europäischen Rivalen um ihre Einflußgebiete auf dem Balkan. Wie an anderer Stelle in dieser Zeitung aufgezeigt, will Deutschland Serbien auseinanderreißen; dabei hat es sich immer wieder auf Kroatien stützen können; gleichzeitig ist es auf die deutschen Rivalen – Frankreich, Großbritannien und Russland gestoßen, die jeweils Serbien unterstützt haben. Dieser Krieg ist also ein Krieg aller europäischen Rivalen und der USA. Nach dem Ende der Blöcke nach 1989 heißt die Devise nun: jeder gegen jeden! Es stimmt zwar, dass dadurch die Lage viel komplexer und unübersichtlicher wird, der Frontenverlauf damit nicht mehr so deutlich erkennbar wird. Die Kriegstreiberrolle aber nur einer Seite zuzuschieben, die imperialistischen Ambitionen der jeweiligen Kriegsgegner zu vertuschen, bedeutet das eigentliche Ausmaß des kriegerischen Überlebenskampfes dieses dekadenten Systems zu verharmlosen. Man muss also die imperialistischen Ambitionen aller Rivalen aufdecken! Indem sie das nicht tun, verschweigen diese Gruppen, dass das kapitalistische System selbst den Imperialismus hervorbringt.

„Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ – die Gefahr der Irreführung der Arbeiterklasse

Der Schlachtruf „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ wurde von Karl Liebknecht im 1. Weltkrieg dem Verrat der SPD entgegengeschleudert. Damals hatte eine Reihe von ehemaligen Arbeiterparteien die Interessen der Arbeiterklasse verraten und jeweils ihre eigene nationale Bourgeoisie unterstützt. Damals trat noch keine der ehemaligen Arbeiterparteien auf, um die andere Kriegsseite zu unterstützen, sondern sie schlugen sich jeweils auf die Seite der eigenen nationalen Bourgeoisie.

Somit war die Parole „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ damals ein Mittel, um das internationalistische Lager des Proletariats entschieden gegenüber den sozialdemokratischen Vaterlandsverteidigern abzugrenzen. Allerdings war bereits damals diese Parole Liebknechts nicht die klarstmögliche Formulierung der internationalistischen Haltung der Marxisten, da die Idee eines Hauptfeindes zumindest implizit die Tür offenließ für den Gedanken, dass es neben dem Hauptfeind einen Nebenfeind geben kann, womit nicht alle imperialistischen Seiten im gleichen Maße zu bekämpfen wären. So lehnte der holländische Linkskommunist Herman Gorter bereits 1915 in seiner Schrift „Die Ursachen des Nationalismus im Proletariat“ die Idee eines ersten und zweiten Feindes ab und betonte die Notwendigkeit, alle Kriegsfronten abzulehnen. Und während im 2. Weltkrieg auch im Lager der Internationalisten beispielsweise Amadeo Bordiga den US-amerikanischen Imperialismus zum Hauptfeind erklärte, die Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD) hingegen den sowjetischen Imperialismus, übernahmen andere proletarische Internationalisten, die in ihrer Haltung gegenüber dem Krieg klarer waren, den oben erwähnten Standpunkt Gorters.

Denn im Gegensatz zum 1. Weltkrieg gab es im 2. Weltkrieg bereits viele politische Strömungen der Bourgeoisie, welche die Unterstützung der „eigenen Regierung“ verwarfen, um stattdessen das gegnerische Lager zu unterstützen. Dies traf insbesondere auf die Stalinisten und Trotzkisten am Anfang des Weltkrieges zu, als noch nicht deutlich abzusehen war, auf welcher Seite die UdSSR in den Krieg treten würde.

Genau dies war z.B. im 2. Weltkrieg in Deutschland ab 1941 mit dem Ende des Hitler-Stalin-Paktes der Fall, als „antifaschistische“ und überwiegend stalinistische Kräfte gegenüber dem Hitler-Regime dessen Sturz forderten. Sie wünschten die Niederlage der „eigenen Bourgeoisie“, damit das vom Hitler-Faschismus „befreite“ Deutschland ein Bündnis mit der Sowjetunion gegen die USA einginge. Die Gruppe „Komitee Freies Deutschland“, die von Ulbricht & Co angeführt wurde, bezeichnete Hitler als den Hauptfeind. Ihre Haltung war keineswegs die des proletarischen Internationalismus, also Kampf gegen beide imperialistischen Seiten, sondern eine offen patriotische, da sie aus Sorge um das nationale Interesse Deutschlands ein Bündnis mit Rußland gegen das andere imperialistische Lager vorschlugen.

Diese bürgerliche Version der Haltung, „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, gepaart mit den Beschuldigungen gegen die „eigene Bourgeoisie“ verstärkt die kapitalistische Ideologie, da sie unter dem Deckmantel der Anklage gegen eine kriegstreibende Seite nicht nur die anderen Kriegstreiber ungeschoren davonkommen lässt, sondern auch für den Krieg und für den Imperialismus Partei ergreift. Nicht das System mit seinem Krebsgeschwür – Militarismus und Krieg – werden angeklagt, sondern nur eine Seite.

Kein Wunder, dass viele von diesen Leuten ihre Sympathie für die serbische Seite nicht gerade verbergen. Wie überhaupt auffällt, dass dieser Flügel sich aus enttäuschten Anhängern der untergegangenen DDR und des gesamten Ostblocks rekrutiert, wobei sie Osteuropa als irgendwie etwas „Fortschrittliches und Verteidigenswertes“ darstellen. Aber das Ganze bleibt nicht bei einer Nostalgie für die untergegangenen stalinistischen Regime stehen. Wenn ein Vertreter der deutschen Bourgeoisie wie Gregor Gysi schon kurz nach Ausbruch des Krieges als erster Politiker aus einem Nato-Staat sich vertraulich mit Milosevic treffen kann und vorher seine Reise mit dem Auswärtigen Amt in Bonn abspricht, so wird an diesem Beispiel deutlich, wie die Stalinisten auch heute noch in die Kriegsstrategien auch der eigenen Bourgeoisie eingebunden sind und ihren Handlungsspielraum erweitern. Die besonders engen Beziehungen der deutschen Stalinisten mit ihren politischen Freunden im ehemaligen Ostblock, zumal in Russland, ist eine weitere Trumpfkarte der deutschen Bourgeoisie heute, die den Balkankonflikt unter anderem dazu auszunutzen trachtet, um Russland näher an Deutschland zu ziehen.

Im 2. Weltkrieg und in zahlreichen „nationalen Befreiungskriegen“ in der Zeit des kalten Kriegs haben gerade die Stalinisten und Trotzkisten immer wieder ein verteidigenswertes imperialistisches Lager gefunden, jeweils unter dem Vorwand, es sei „weniger reaktionär“ und ein „Fortschritt gegenüber dem Imperialismus“. Diese Leute vertreten keineswegs eine internationalistische Tradition, sondern sind heimliche Kriegstreiber für eines der beiden imperialistischen Lager.

Heute aber, wo die herrschende Klasse gerade vor dem Dilemma steht, dass sie die Arbeiterklasse in den Industriestaaten nicht für den Krieg mobilisieren kann, können diese Vertreter der extremen Linken noch nicht offen zum Krieg aufrufen. Ihr Hauptbeitrag besteht darin, Verwirrung zu stiften, den wirklichen imperialistischen Charakter des Krieges, den Bankrott des Systems zu vertuschen. Die Arbeiterklasse aber braucht keine „radikal“ erscheinenden Elemente an ihrer Seite, die lauthals eine Kriegstreiberseite anprangern, um heimlich oder offen (wie die trotzkistische „Spartakist–Tendenz“, die offen zur Verteidigung Serbiens aufruft) für die andere Partei zu ergreifen, sondern sie braucht Kräfte, die zum Zusammenschluss aller Arbeiter gegen alle kriegführenden, kapitalistischen Seiten beitragen. 20.05.99 

Die Schweiz und der Kosovokrieg - Auch kleine Imperialisten machen mit

Mitte April hat die Schweiz die Initiative ergriffen, direkt ins Kampfgebiet Kosovo Hilfe zu bringen. Die Regierung schickte die Chefs der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps (SKH) nach Belgrad und Moskau. In Zusammenarbeit mit Russland und Griechenland werden nun Dutzende von Hilfskonvois ins Kriegsgebiet geschickt. Diese "Hilfe" auch für die serbische Seite steht in scheinbarem Widerspruch zum offenen Engagement der Schweiz für die andere Kriegspartei. (vgl. dazu unsere Analyse in Weltrevolution Nr. 91) Was ist der Hintergedanke der Schweizer Bourgeoisie bei dieser Initiative?

Die Schweiz macht sich unentbehrlich

Der Krieg im Kosovo reiht sich ein in die Kette der Kriege in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Auch hier geht es den beteiligten Staaten nicht um die ”humanitäre Katastrophe”, sondern um die imperialistischen Rivalitäten. Die Menschen dieser Region zahlen dafür, dass keine Gross- oder Mittelmacht einem ihrer Konkurrenten einen entscheidenden Vorteil überlassen will. Sogar die Schweiz muss mitmachen. Sie hat nicht einmal die schlechtesten Karten und nimmt sogar in den vorderen Rängen der kapitalistischen Hackordnung ihren Platz ein.

Die Schweiz unterstützt seit einigen Jahren die UCK. Damit hat sie jetzt ein gutes Pfand in der Hand. Ihre sogenannte ”Neutralität” kann die Schweiz am besten ausspielen, wenn sie Kontakte und Einflussmöglichkeiten bei den verschiedenen Kriegsparteien hat, wie dies die jüngsten Kontakte zu Serbien zeigen. Grundsätzlich ist die Schweiz ebenso durchtrieben und machiavellistisch wie alle anderen Staaten auch. Sie ist reich, liegt im Herzen von Europa und wird von einer erfahrenen und alten Bourgeoisie regiert. Die Rangstellung der Schweiz ist für ihre Grösse und Bevölkerungszahl sehr ansehnlich im Vergleich zu anderen. Zudem ist die Schweiz oft vom Krieg verschont geblieben, was sie benutzte, um sich zu bereichern. Sie ist ein kleiner, aber potenter imperialistischer Gangster. Sie kann ihre ”Guten Dienste” aus einer starken Stellung heraus anbieten. Diplomatie, Hilfsgüter, Waffen und auch Truppen sind verkaufbare Güter, die in Zeiten des Krieges hoch bezahlt werden. Nein, die Heuchelei kennt keine Grenzen, denn es ist die Moral der Bourgeoisie, die den Kapitalismus als human bezeichnet.

Es ist immer das selbe Muster, nach dem sich die schweizerische Aussenpolitik verhält: Es geht darum, überall ein Eisen im Feuer zu haben.

Die sogenannten Guten Dienste

Wie wir schon in Weltrevolution Nr. 91 schrieben, will der Schweizer Imperialismus mit Militär vor Ort präsent sein. Seit dem 6. April bringen drei Super-Puma-Helikopter Hilfsgüter nach Tirana; sie sind auch dort stationiert. Armeelastwagen bringen die eingeflogenen Güter in den Norden Albaniens (Aufmarschgebiet der UCK). Und für die albanische Armee bildet Schweizer Militär Offiziere aus. Bis Mitte April bestanden die Einsatzkräfte des Bundespersonals in Albanien, Montenegro, Mazedonien und Serbien aus 81 Personen (Schweizerisches Rotes Kreuz SRK, SKH, DEZA).

Die Schweiz betreibt schon seit 1996 ein Camp von OSZE-Beobachtern in Sarajevo. Auch jetzt bietet sie wieder "Hilfe" an, einerseits die ”Guten Dienste” der Diplomatie, andererseits aber auch bewaffnete Truppen mit Gerät und Maschinen. Der Kriegsminister ergriff die Gelegenheit, um den schon lange geplanten Vorstoss zur Bildung von bewaffneten Kontingenten für den Einsatz im Ausland zu lancieren.

Es ist bemerkenswert, dass die Organisationen, die nun auf dem Balkan zum Einsatz kommen, alle staatlich eingebunden und zentral koordiniert sind. Sie sind übrigens auch in allen anderen Krisengebieten präsent (z.B. Georgien, Aserbaidschan, Tadschikistan, Ruanda, Eritrea und Somalia).

In Zusammenarbeit mit Russland und Griechenland werden ”Hilfskonvois” nach Belgrad gefahren. Somit erhalten jetzt beide Seiten Schlafsäcke der Schweizer Armee. In Pristina wird von diesen drei Ländern gemeinsam eine Vertretung aufgebaut.

Geld und zumindest Handfeuerwaffen gelangen aus der Schweiz zur UCK. Lebensmittel werden grosszügig - aus den ohnehin bis zur Decke gefüllten Lagerhallen - auf den Balkan transportiert. Damit will sich die Schweiz unentbehrlich machen. Die Schweiz kann sich eine solche Politik leisten. Die Unentbehrlichkeit soll aber für die Schweiz eine Investition, ein Faustpfand sein, welches als Erpressungsmittel eingesetzt werden kann.

Die USA fragten (wie schon zuvor England und Deutschland) die Schweiz an, ob sie in Belgrad ihre diplomatische Interessensvertretung übernehme. Allen Seiten wurde eine reservierte Zurückgezogenheit vorgespielt. Obschon Milosevic seinerseits die Schweiz nicht kontaktiert haben will, ist wichtig zu wissen, dass er Millionen von Franken auf Schweizer Bankkonten hat. Pikanterweise wurde gerade von proserbischer Seite, d.h. in französischen Tageszeitungen, auch schon die Ansicht geäussert, dass doch am besten die Grossbanken in der Schweiz bombardiert werden sollten.

Die Schweiz weiss sich im Geschäft zu halten Das humanitäre Geschrei der Schweizer Bourgeoisie dient nur dazu, ihre imperialistischen Interessen zu wahren. Es schert sie keinen Dreck, mit wem sie verhandelt. Hauptsache, das Spiel kann weiter gehen. Wer draussen ist, hat verloren. Das hat die Schweiz gut verstanden. Deshalb versucht sie mit immer neuen diplomatischen Initiativen am Ball zu bleiben. Nur so kann man die eigenen strategischen Interessen verteidigen. Gegenwärtig gibt es keine dauerhaften Bündnisse mehr. Es gilt das Gesetz: jeder für sich. Jeder Staat ist sich der Nächste. Auch die Schweiz.

Diese Haltung des schweizerischen Imperialismus soll vertuscht werden mit der humanitären Hilfe. Wie bei allen anderen Imperialisten auch. Die humanitären Interventionen der westlichen Demokratien sind das Feigenblatt dazu.

In diesem Zusammenhang kann die Stellung der Schweiz nur noch im internationalen Ringen um Einfluss auf dem Balkan gesehen werden.

Was tun?

Auf ihrer letzten öffentlichen Veranstaltung in Zürich (wie auch an verschiedenen anderen Orten auf der Welt) hat die IKS die Frage des Krieges aufgegriffen. Die Aktualität des Themas hat eine grosse Anzahl von Leuten angesprochen. Es kamen sehr unterschiedliche Leute. Allen gemeinsam war der Drang, gegen den Krieg unmittelbar etwas zu tun.

Die IKS hob hervor, dass gegen den Krieg in erster Linie eine internationalistische Position eingenommen werden muss. Bevor man über ein gemeinsames Vorgehen sprechen kann, muss man sich über die Einschätzung und die Grundhaltung einig sein. In der Arbeiterklasse besteht eine Tradition zur Frage des Krieges. Im 20. Jahrhundert mit den 2 Weltkriegen wurde die Position zum imperialistischen Krieg zum entscheidenden Kriterium, welches das proletarische Lager von der Bourgeoisie trennt. Die IKS rief in Erinnerung, dass auch in diesem Krieg wieder die Interventionen der Gruppierungen des revolutionären Millieus diese Tradition darstellen. Es gibt einige Flugblätter dieser revolutionären Organisationen zum Krieg, die wir an dieser Veranstaltung ausgelegt haben.

Auch fordert die IKS immer wieder dazu auf, die Diskussion zu suchen. Unsere Betroffenheit muss sich darin manifestieren, dass darüber gesprochen wird. Gesprochen wird über den Krieg und seine Gründe, seine Auswirkungen. In der Arbeiterklasse ist die öffentliche Diskussion das Mittel, die Politisierung voranzutreiben.

”Der Krieg spaltet die SP”

Die Sozialdemokraten haben seit 2-3 Jahren in zahlreichen Ländern die Regierungsgeschäfte übernommen. Ist das Zufall? In den USA sind es die Demokraten, welche den Krieg als Zuspitzung der Krise im Kapitalismus managen sollen.

Die linke Fraktion der Bourgeoisie gibt sich kämpferisch. Die Sozialdemokratie befürwortet nicht nur den Krieg, sie führt ihn auch. Gegen die Interessen der Arbeiterklasse! Wenn der Kapitalismus ausweglos in der Krise steckt, verwaltet die Sozialdemokratie das alte System oft am besten, nämlich die Klasseninteressen eines kleinen Teiles der Gesellschaft, der Bourgeoisie. Die Sozialdemokratie kann diese Interessen am besten vertreten: "die Sozialdemokratie, die Hauptströmung, die für die Niederschlagung der Weltrevolution nach 1917-1918 verantwortlich ist; die Strömung, die seinerzeit den Kapitalismus gerettet hat und die heute wieder die Regierungsgeschäfte übernimmt, um die bedrohten Interessen der Kapitalistenklasse zu verteidigen" (Resolution zur internationalen Lage, 13.Kongress der IKS).

Ganz bewusst versucht die Linke der Bourgeoisie möglichst die ganze Arbeiterklasse gegenüber dem Krieg auf den ideologischen Boden des Kapitals zu locken, indem einige SP-Politiker (z.B. die Parteipräsidentin Koch) "die Entsendung von Bodentruppen nach Kosovo" befürworten und andere Exponenten der gleichen Partei (z.B. Ex-Bundesratskandidat Cavalli) gegen die NATO-Bombadierungen Stellung beziehen. So titelte der Tages Anzeiger: ”Der Krieg spaltet die SP”. Die Arbeiterklasse soll damit in Diskussionen verwickelt werden, welche Politik für die Schweiz die beste sei. Die Proletarier sollen sich nach dieser Logik mit dem Interesse der nationalen Bourgeoisie identifizieren. Und damit sollen sie auch für jede Konsequenz des Kriegsverlaufs verantwortlich gemacht werden: Wenn Bodentruppen geschickt werden, sind die Arbeiter angeblich mitschuldig für den Tod der Soldaten; wenn keine geschickt werden, sind sie mitverantwortlich für die Leiden der Zivilbevölkerung.

Nur die Arbeiterklasse kann der Barbarei entgegentreten

In der Diskussionsveranstaltung der IKS war bei vielen Teilnehmern eine Ungeduld zu spüren. Sie wollten sofort und unmittelbar etwas gegen den Krieg unternehmen. Andere Teilnehmer wiesen darauf hin, dass nur die Arbeiterklasse eine Antwort auf den Krieg hat. Der 1. Weltkrieg wurde durch die revolutionären Kämpfe des Proletariats in Russland, Deutschland, Österreich, Ungarn und zahlreichen anderen Ländern beendet. Auch nach 1968 war es die Arbeiterklasse, die mit ihren Kämpfen den Weg zum 3. Weltkrieg bis heute versperrt hat.

Wir müssen uns aber bewusst sein, dass der gegenwärtige Krieg auf dem Balkan aufgrund des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen nicht durch das Proletariat beendet werden kann. Es wird nach diesem Krieg eine neue Stufe der imperialistischen Unordnung geben, die wieder zu neuen Kriegen führt. Dies ist die einzige Perspektive, die der Kapitalismus anzubieten hat.

Gleichzeitig spitzt sich aber auch die Wirtschaftskrise zu, was die Arbeiterklasse zunehmend zwingen wird, ihre Kämpfe auf dem eigenen Terrain zu entwickeln. In diesen Kämpfen wird die Einheit der Klasse geschmiedet und das Bewusstsein vertieft. Gerade in diesen Kämpfen wird sich die Arbeiterklasse auch bewusst, dass die zunehmende Verschärfung der Angriffe auf die Lebensbedingungen und die Kriegstreiberei zusammenhängen und eine existenzielle Bedrohung darstellen. Schon heute stellt man fest, dass der Krieg bei einer Minderheit innerhalb der Klasse dazu führt, das System zu hinterfragen. Dies zeigen zahlreiche Diskussionen auf öffentlichen Veranstaltungen oder beim Flugblattverteilen.

Auch heute ist sich die Bourgeoisie bewusst, dass das Zusammentreffen von Krise und Krieg ihre Ideologie untergräbt. Deshalb ist das Wichtigste, was wir tun können, die Diskussion über die Folgen von Krise und Krieg zu suchen. Insbesondere in der Arbeiterklasse den Prozess des Nachdenkens zu fördern und die Zweifel und Kritik zu verstärken.

Einzig die Arbeiterklasse hat das historisch-politische Programm für diese Aufgabe. Die Arbeiter haben kein Vaterland. Daraus ist die Haltung des revolutionären Defätismus abzuleiten, wie ihn bereits die Zimmerwalder Linke 1915 vertreten hat. Dies ist die Haltung der Revolutionäre gegen den Krieg. Der Heuchelei der Pazifisten müssen wir den Klassenkampf entgegenstellen. Nur der ”Burgfrieden” erlaubt es der Bourgeoisie, das Proletariat in den Krieg zu mobilisieren. Deshalb ist der Klassenkampf das einzige Mittel gegen den Krieg. ST 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Balkankrieg [49]

Historische Ereignisse: 

  • Balkankriege 1990er Jahre [50]
  • Balkankrieg 1999 [51]
  • Rot-Grün und Kriegsfrage [52]

Theoretische Fragen: 

  • Imperialismus [8]

Gaza und die nationale Frage

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Überall auf der Welt haben Menschen ihre Abscheu und ihren Horror vor den israelischen Massakern im Gaza-Streifen zum Ausdruck gebracht. Das Ziel dieses Artikels ist nicht, hier auf die Details der Kämpfe im Einzelnen einzugehen. Aber die Zahl der Todesopfer, man schätzt ca. 1200 oder mehr Palästinenser und 13 Israelis starben, spricht für sich selbst. Sie zeigt, dass es sich nicht um einen Kampf zwischen zwei gleichstarken Mächten handelte, sondern ganz einfach um ein Massaker. Dies ist ein wichtiger Punkt, den man berücksichtigen muss, wenn man die Frage stellt, wie Kommunisten Konflikte dieser Art einschätzen.

Überall auf der Welt haben Menschen ihre Abscheu und ihren Horror vor den israelischen Massakern im Gaza-Streifen zum Ausdruck gebracht. Das Ziel dieses Artikels ist nicht, hier auf die Details der Kämpfe im Einzelnen einzugehen. Aber die Zahl der Todesopfer, man schätzt ca. 1200 oder mehr Palästinenser und 13 Israelis starben, spricht für sich selbst. Sie zeigt, dass es sich nicht um einen Kampf zwischen zwei gleichstarken Mächten handelte, sondern ganz einfach um ein Massaker. Dies ist ein wichtiger Punkt, den man berücksichtigen muss, wenn man die Frage stellt, wie Kommunisten Konflikte dieser Art einschätzen.

Obgleich es in einigen Ländern Unterstützung für Israels militärisches Vorgehen und gar einige Kundgebungen zur Verteidigung der Massaker gab, gab es wesentlich mehr Proteste und Kundgebungen gegen die Massaker. Massendemonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmern wurden aus Damaskus, Madrid, Kairo, Istanbul und gar aus Israel selbst gemeldet. Auch wenn viele Staaten sich weigerten, den israelischen Angriff zu verurteilen oder ihn zu befürworten, gab es nirgendwo auf der Welt eine große öffentliche Unterstützung für dieses Vorgehen. In der ‚islamischen Welt’ insbesondere wurde es fast einhellig verurteilt. In Syrien organisierte der Staat selbst die Demonstrationen, und hier in der Türkei gelang es Präsident Gül irgendwie zu beschließen, dass „Israels Bombardierung des Gaza-Streifens einen mangelnden Respekt für die Republik Türkei“ darstellt, und Tayip sorgte zeitweilig für großes Aufsehen in den Medien. Tatsächlich waren in der Türkei wie auch in den meisten arabischen Ländern alle politischen Kräfte in der Gesellschaft gegenüber diesem Thema einer Meinung.

Wenn diese Art ‚nationaler Eintracht’ entsteht, müssen die Revolutionäre als erstes fragen, wessen Klasseninteressen hier vertreten werden? Natürlich muss die Antwort lauten: Es werden nicht die Interessen der Arbeiterklasse vertreten.

In Wirklichkeit unterscheiden sich die politischen Klassen in der Türkei und Israel nicht. Jeder, der den israelischen Politikern bei deren Rechtfertigung der von ihren Truppen verübten Morde zuhörte, hätte genau die gleichen Töne aus dem Munde türkischer Politiker hören können, die seit Jahren nichts anderes sagen. Die Armee „verteidigte unschuldige Zivilisten gegen mörderische Terroristen“. Wir wissen alle, von wem wir solche Sprüche immer wieder hören. Die Lügen des israelischen Staates zur Rechtfertigung seiner Kriege sind genau die gleichen, wenn nicht gar wortgenau die gleichen wie die des türkischen Staates bei der Rechtfertigung seiner Barbarei im Südosten und in den kurdischen Gebieten des Nordirak.

Natürlich sticht die Heuchelei der herrschenden Klassen sofort ins Auge. Die Argumente einiger linker Organisationen sind jedoch viel subtiler. Letzten Endes laufen diese darauf hinaus, die palästinensische nationale „Befreiungsbewegung“ zu unterstützen, insbesondere HAMAS. Die große Mehrzahl dieser Organisationen weiß sehr wohl, dass HAMAS eine reaktionäre, arbeiterfeindliche Organisation ist. Einige werden sich sogar daran erinnern, dass HAMAS im September 2006 Lehrer und andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes angriff. Aber sie behaupten dessen ungeachtet, es sei für Sozialisten notwendig, HAMAS zu unterstützen, da sie die einzige Kraft seien, die gegen die Israelis kämpften, und die einzigen, die das palästinensische Volk verteidigen könnten.

Aber die Tatsachen vor Ort widerlegen dies. Die Zahl der Opfer belegt, dass sie völlig unfähig sind, die palästinensische Bevölkerung zu schützen. Der Mythos des Kampfes der Palästinenser, welcher von den Linken verbreitet wird, ist der, dass diese ‚tapferen nationalen Kräfte’ eines Tages über das ‚israelische zionistische Regime’ siegen werden. Und seine Propagandawerkzeuge sind Bilder von Nationalfahnen, toten Kindern, hübschen jungen Frauen mit Sturmgewehren. Aber es scheint nur ein Hauptproblem bei der ganzen Sache zu geben, und das ist, dass all dies gar nicht der Wirklichkeit entspricht.

Die palästinensische Nationalbewegung wird nie dazu in der Lage sein, Israel alleine zu zerstören. Die eingangs erwähnten Opferzahlen sind selbstredend. Für jeden getöteten Israeli starben nahezu 100 Palästinenser. Kommunisten, die eine internationalistische Position vertreten, nämlich keine Unterstützung für irgendeine der beiden Seiten im Krieg der Kapitalisten, wurde von den linksextremen Organisationen entgegnet, dass der Kampf völlig ungleich sei, und wenn man nicht HAMAS Kampf unterstütze, würde man für die Imperialisten eintreten. Natürlich stimmt es, dass die beiden Seiten ungleich sind. Aber während es verständlich sein mag, den Schwächeren in einem Fußballspiel zu unterstützen, zum Beispiel wenn Haccetepe bei Fener spielt, kann man darauf keine politische Analyse stützen.

Der Imperialismus beschränkt sich heute nicht auf die USA und ihre Verbündeten. Der Imperialismus ist zu einem Weltsystem geworden. Alle großen Länder verfechten imperialistische Interessen. Nicht nur die die USA, Großbritannien und Frankreich. Russland und China vertreten auch imperialistische Interessen, genauso wie viel kleinere Staaten wie die Türkei, Syrien, Iran. Und im Kampf zwischen diesen Mächten zählen die Belange verschiedener nationaler Minderheiten wenig mehr als die Belange von Bauern auf einem Schachbrett. Das Beispiel der Kurden ist aufschlussreich. Jahrelang haben sich kurdische nationalistische Organisationen mit all den regionalen und Großmächten verbündet. Das Beispiel der Unterstützung Syriens für die PKK ist nur eines von vielen. In der heutigen Zeit können nationale Befreiungsbewegungen kaum etwas anderes sein als Werkzeuge im Kampf zwischen den verschiedenen Mächten; so auch in diesem Fall im Kampf zwischen Syrien und dem Iran gegen Israel.

Sprechen wir die Verhältnisse klar aus: es gibt gegenwärtig absolut keine Möglichkeit eines palästinensischen Sieges. Das ‚beste’, worauf sie hoffen können, ist eine Art ‚Homeland’ wie die Bantustans im Apartheidregime Südafrikas, bei dem palästinensische Polizei die von Israel diktierte Ordnung aufrechterhält. Gegenwärtig kann man keine militärische Niederlage Israels und seiner Unterstützer, der USA, erwarten. Das wird einfach nicht passieren.

Die einzige Möglichkeit, dass solch eine militärische Niederlage eintreten würde, wäre, wenn es zu einer tiefgreifenden Umwälzung der Machtverhältnisse käme, wenn die USA von ihrem Thron als Herrscher im Mittleren Osten gestoßen würden. Eine neue Koalition von verbündeten Mächten müsste sich zusammenschließen, um die US-Hegemonie herauszufordern. Für den Mittleren Osten würde dies sicherlich eine Verschärfung des mörderischen Zyklus der nationalistischen-ethnischen-religiösen Konflikte bedeuten, welche die Region immer tiefer in die Barbarei treiben. Ein Sieg der Palästinenser im Gaza-Streifen würde nur neue Massaker bedeuten, nur dass diesesmal Araber Juden massakrieren würden.

… Und die palästinensische Arbeiterklasse? Die Geschichte der nationalen Befreiungsbewegungen zeigt, was sie erwarten würde. Siegreiche nationalistische Bewegungen neigen dazu, Kehrtwendungen zu vollziehen und Unterstützer aus den Reihen der Arbeiterklasse oder der Sozialisten zu massakrieren, wenn diese etwas mehr wollen. Die Ermordung von Tausenden von Arbeitern und Kommunisten in Shanghai 1927 ist eines der am besten bekannten Beispiele. Aber dies ist nur ein Teil einer langen Kette von Erfahrungen, die von Musta Suphi und den Führern der Türkischen Kommunistischen Partei zu den kurdischen Nationalisten im Irak reicht, die heute streikende Beschäftigte in Zementwerken niederschießen.

Die Rolle der Kommunisten und Revolutionäre besteht nicht darin, die schwächere Seite in einem Kampf zu unterstützen. Ebenso wenig besteht ihre Aufgabe darin, Arbeiter zu mobilisieren, um für Bosse zu sterben. Wir stammen aus einer anderen Tradition.

Es ist eine Tradition, die die Klasseninteressen an erste Stelle setzt und nicht die nationalen Interessen. Es handelt sich um die Tradition Lenins und der revolutionären Aufstände, die den Ersten Weltkrieg beendeten. Es ist eine Tradition, die damals wie heute sagt, dass Arbeiter kein Vaterland haben.

Sabri -

Der Artikel wurde aus unserer türkischen Presse entnommen

Aktuelles und Laufendes: 

  • Nationalismus [18]
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Mai 2009

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Der G20 Gipfel in London: eine neue kapitalistische Welt ist nicht möglich

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„Die erste globale Krise der Menschheit“ (Welthandelsorganisation, April 2009)[1]. Die „schlimmste und am stärksten überall gleichzeitig wirkende Rezession in der Menschheitsgeschichte“ (OECD, März 2009)[2]! Selbst die großen internationalen Institutionen müssen eingestehen, dass die gegenwärtige Wirtschaftskrise ein bisher noch nie da gewesenes Ausmaß erreicht hat. Um ihr entgegenzuwirken, mobilisiert die herrschende Klasse seit Monaten alle Kräfte. Sie versucht mit allen Mitteln, den Abstieg in die Hölle der Weltwirtschaftskrise zu verhindern. Das Treffen der G20 ist sicherlich das stärkste Symbol dieser internationalen Reaktion[3]. Alle Hoffnungen der Kapitalisten ruhten auf London, wo dieser rettende Gipfel Anfang April stattfand; er sollte die „Wirtschaft wieder ankurbeln und dem Kapitalismus einen moralischen Auftrieb“ verleihen. Den Erklärungen der verschiedenen Führer der Welt zufolge war dieser Gipfel ein echter Erfolg. „An diesem Tag hat sich die Welt versammelt, um gegen die Rezession anzukämpfen“, erklärte der britische Premierminister Gordon Brown. „Wir haben viel mehr erreicht als erwartet“, äußerte bewegt der französische Präsident Nicolas Sarkozy. „Es handelt sich um einen historischen Kompromiss gegenüber einer außergewöhnlichen Krise“, meinte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und aus Barack Obamas Sicht war der Gipfel eine „Wende“.

Natürlich sieht die Wirklichkeit ganz anders aus.

Der einzige Erfolg des Gipfeltreffens der G20 ist, dass es stattgefunden hat!

In den letzten Monaten hat die Wirtschaftskrise die internationalen Spannungen stark angefacht. Zunächst ist die Versuchung des Protektionismus gestiegen. Jeder Staat neigt zunehmend dazu, einen Teil seiner Wirtschaft durch Subventionen und die Gewährung von Privilegien für einheimische Unternehmen gegen die ausländische Konkurrenz zu retten. Das war zum Beispiel beim Unterstützungsplan für die französische Automobilindustrie der Fall, der von Nicolas Sarkozy beschlossen wurde und der von seinen europäischen „Freunden“ scharf kritisiert wurde. Schließlich gibt es eine wachsende Tendenz, ohne gemeinsame Absprachen Ankurbelungsprogramme zu verabschieden, insbesondere um den Finanzsektor zu retten. Dabei versuchen viele Konkurrenten, die missliche Lage der USA, dem Epizentrum des Finanzbebens und Schauplatz einer schlimmen Rezession, auszunutzen, um die wirtschaftliche Führungsrolle der USA weiter zu untergraben. Dies ist jedenfalls das Anliegen hinter den Aufrufen Frankreichs, Deutschlands, Chinas, der südamerikanischen Staaten zum „Multilateralismus“ …

Der Gipfel von London war von Spannungen überschattet, die Debatten müssen in der Tat sehr erregt gewesen sein. Aber man hat den Schein bewahren können. Die Herrschenden konnten das katastrophale Bild eines chaotischen Gipfels vermeiden. Die herrschende Klasse hat nicht vergessen, in welchem Maße mangelnde internationale Abstimmung und die Tendenz des „Jeder für sich“ zum Desaster von 1929 beigetragen haben. Damals wurde der Kapitalismus von der ersten großen Wirtschaftskrise im Zeitalter seines Niedergangs erfasst[4]; die herrschende Klasse wusste noch nicht, wie sie reagieren sollte. Und so reagierten die Staaten zunächst überhaupt nicht. Von 1929 bis 1933 wurde fast keine Maßnahme ergriffen, während Tausende von Banken der Reihe nach Bankrott gingen. Der Welthandel brach buchstäblich zusammen. 1933 zeichneten sich erste Reaktionen ab – der New Deal Roosevelts[5] wurde beschlossen. Dieser Ankurbelungsplan umfasste eine Politik der großen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und der staatlichen Verschuldung, aber auch ein protektionistisches Gesetz, den „Buy American Act“[6]. Damals stürzten sich alle Länder in ein protektionistisches Wettrennen. Der Welthandel, der bereits sehr stark geschrumpft war, erlitt einen weiteren Schock. So haben die herrschenden Klassen in den 1930er Jahren durch ihre eigenen Maßnahmen die Weltwirtschaftskrise noch verschärft.

Heute also wollen alle herrschenden Klassen eine Wiederholung dieses Teufelskreises von Krise und Protektionismus verhindern. Sie sind sich dessen bewusst, dass sie alles unternehmen müssen, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Es war unbedingt erforderlich, dass dieser Gipfel der G20 die Einheit der Großmächte gegenüber der Krise zur Schau stellt, insbesondere um das internationale Finanzsystem zu stützen. Der IWF hat dazu gar einen besonderen Punkt in seinem „Arbeitsdokument“ zur Vorbereitung des Gipfels formuliert, um gegen diese Gefahr des „Jeder für sich“ zu warnen[7]. Es handelt sich um den Punkt 13: „Das Gespenst des Handels- und Finanzprotektionismus stellt eine wachsende Sorge dar“: „Ungeachtet der von den G20-Ländern [im November 2008] eingegangenen Verpflichtungen, nicht auf protektionistische Maßnahmen zurückzugreifen, ist es zu besorgniserregenden Entgleisungen gekommen. Es ist schwer, zwischen dem öffentlichen Eingreifen, das darauf abzielt, die Auswirkungen der Finanzkrise auf die in Schwierigkeiten geratenen Bereiche einzudämmen, und den nicht angebrachten Subventionen für die Industrien zu unterscheiden, deren langfristige Überlebensfähigkeit infrage gestellt werden muss. Bestimmte Unterstützungsmaßnahmen für den Finanzbereich verleiten auch die Banken dazu, Kredite in ihre Länder zu lenken. Gleichzeitig gibt es wachsende Risiken, dass bestimmte Schwellenländer, die mit einem von Außen kommenden Druck auf ihre Konten konfrontiert sind, danach streben, Kapitalkontrollen aufzuerlegen.“ Und der IWF war nicht der einzige, der solche Warnungen äußerte: „Ich befürchte, dass eine allgemeine Rückkehr des Protektionismus wahrscheinlich ist. Denn die defizitären Länder wie die USA glauben damit ein Mittel gefunden zu haben, die Binnennachfrage und die Beschäftigung anzukurbeln. […] Wir befinden uns in einem entscheidenden Moment. Wir müssen eine Wahl treffen zwischen einer Öffnung nach Außen oder einem Rückzug auf Lösungen ‚innerhalb‘ eines Landes. Wir haben diesen zweiten Lösungsansatz in den 1930er Jahren versucht. Dieses Mal müssen wir den ersten versuchen.“ (Martin Wolf, vor der Kommission auswärtiger Angelegenheit des US-Senats, am 25. 6.2009)[8].

Der Gipfel hat die Botschaft vernommen: Die Führer der Welt konnten das Bild einer scheinbaren Einheit bewahren und dieses in ihrer Abschlusserklärung schriftlich festhalten: „Wir werden die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen“. Die Welt atmete auf. Wie die französische Wirtschaftszeitung „Les Echos“ am 3. April schrieb: „Die erste Schlussfolgerung, die man nach dem gestrigen G20 von London ziehen kann, ist, dass er nicht gescheitert ist, und das ist schon viel wert. Nach den Spannungen der letzten Wochen haben die 20 größten Länder ihre Einheit gegenüber der Krise gezeigt.“

Konkret haben sich die Länder verpflichtet, keine Handelsschranken zu errichten, auch nicht gegen Finanzströme. Die Welthandelsorganisation wurde beauftragt, sorgfältig darauf zu achten, dass diese Verpflichtungen eingehalten werden. Darüber hinaus wurden 250 Milliarden Dollar für die Unterstützung des Exports oder von Investitionen zugesagt, um den internationalen Handel wieder anzukurbeln. Aber vor allem haben die gestiegenen Spannungen die Atmosphäre auf diesem Gipfel nicht vergiften können, der sonst in einen offenen Faustkampf ausgeartet wäre. Der Schein bleibt also gewahrt. Dies ist der Erfolg des Gipfels der G20. Und dieser Erfolg ist sicherlich zeitlich beschränkt, denn der Stachel der Krise wird die internationalen Divergenzen und Spannungen weiter verschärfen.

Die Verschuldung von heute bereitet die Krisen von morgen vor

Seit dem Sommer 2008 und der berühmten „Subprime“-Krise verabschiedeten die Regierungen wie entfesselt ein Konjunkturprogramm nach dem anderen. Nach der ersten Ankündigung von massiven Kapitalspritzen im Milliardenumfang kam vorübergehend Optimismus auf. Doch da sich die Krise unbeirrt weiter zuspitzte, wuchs mit jedem jeden neuen Programm auch die Skepsis. Paul Jorion, ein auf den Wirtschaftsbereich spezialisierter Soziologe (er war zudem einer der ersten, die die gegenwärtige Krise ankündigten) macht sich lustig über dieses wiederholte Scheitern: „Wir sind unbemerkt von den kleinen Anschüben des Jahres 2007 im Umfang von einigen Milliarden Euro oder Dollar zu den großen Paketen von Anfang 2008 übergegangen, dann kamen schließlich die gewaltigen Pakete von Ende 2008, die mittlerweile Hunderte von Milliarden Euro oder Dollar umfassen. 2009 ist das Jahr der ‚kolossalen‘ Anschübe, die diesmal Summen von ‚Trillionen‘ Euro oder Dollar beinhalten. Und trotz pharaonischer Ambitionen gibt es noch immer nicht das geringste Licht am Ende des Tunnels“[9].

Und was schlägt der Gipfel vor? Man überbietet sich mit einer Reihe von Maßnahmen, von denen die eine noch unwirksamer ist als die andere! Bis Ende 2010 sollen 5.000 Milliarden Dollar in die Weltwirtschaft gepumpt werden[10]. Die Bourgeoisie verfügt über keine andere „Lösung“; sie offenbart damit ihre eigene Machtlosigkeit[11]. Die internationale Presse hat sich in dieser Hinsicht nicht geirrt. „Die Krise ist noch lange nicht vorüber, man muss naiv sein zu glauben, dass die Beschlüsse des G20 alles ändern werden“ (La Libre Belgique), „Sie sind zu einem Zeitpunkt gescheitert, als die Weltwirtschaft dabei war zu implodieren“ (New York Times).

Die Vorhersagen der OECD, die normalweise ziemlich optimistisch sind, lassen für 2009 keinen Zweifel daran aufkommen, was auf die Menschheit in den nächsten Monaten zukommen wird. Ihnen zufolge wird die Rezession in den USA zu einer Schrumpfung des Bruttoinlandprodukts von vier Prozent, in der Euro-Zone von 4.1 Prozent und in Japan von 6.6 Prozent führen. Die Weltbank prognostizierte am 30. März für das Jahr 2009 „einen Rückgang des Welt-BIP von 1.7 Prozent, was den stärksten, je registrierten Rückgang der globalen Produktion bedeutet“. Die Lage wird sich also in den nächsten Monaten noch weiter zuspitzen, wobei die Krise bereits heute verheerendere Ausmaße als 1929 angenommen hat. Die Ökonomen Barry Eichengreen und Kevin O’Rourke haben errechnet, dass der Rückgang der Weltindustrieproduktion allein in den letzten neun Monaten schon so stark war wie 1929, die Aktienwerte zweimal so schnell verfielen und auch der Welthandel schneller schrumpft[12].

All diese Zahlen entsprechen einer sehr konkreten und dramatischen Wirklichkeit für Millionen von ArbeiterInnen auf der Welt. In den USA, der größten Wirtschaftsmacht der Erde, wurden allein im März 2009 663.000 Arbeitsplätze vernichtet, womit sich die Zahl der vernichteten Arbeitsplätze innerhalb der letzten beiden Jahre auf 5.1 Millionen erhöht hat. Heute werden alle Länder von der Krise brutal erfasst. So erwartet Spanien 2009 einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über 17 Prozent.

Aber diese Politik ist heute nicht nur einfach unwirksam; sie bereitet auch noch gewaltigere Krisen in der Zukunft vor. Denn all diese Milliardenbeträge können nur dank massiver Verschuldung zur Verfügung gestellt werden. Doch eines Tages (und dieser Tag liegt nicht in der fernen Zukunft) müssen diese Schulden zurückgezahlt werden. Selbst die Bourgeois sagen: „Es liegt auf der Hand, die Folgen dieser Krise sind mit hohen Kosten verbunden. Die Menschen werden Reichtümer, Erbgüter, Einkommen, Ersparnisse, Arbeitsplätze verlieren. Es wäre demagogisch zu denken, dass irgendjemand davon verschont werden wird, alles oder einen Teil dieser Rechnung zu bezahlen“ (Henri Guaino, Sonderberater des französischen Staatspräsidenten, 3.04.2009).[13] Durch die Anhäufung dieses Schuldenbergs ist letzten Endes die wirtschaftliche Zukunft des Kapitalismus mit einer gewaltigen Hypothek belastet.

Und was soll man zu all den Journalisten sagen, die sich darüber freuen, dass der IWF eine viel größere Bedeutung erlangt hat? Seine Finanzmittel sind in der Tat vom Gipfel verdreifacht worden; er verfügt nun über 750 Milliarden Dollar Mittel, hinzu kommen 250 Milliarden Dollar Sonderziehungsrechte.[14] IWF-Präsident Dominique Strauss-Kahn erklärte, dass es sich um den größten „jemals in der Geschichte beschlossenen koordinierten Ankurbelungsplan“ handelt. Er wurde beauftragt, „den Schwächsten zu helfen“, insbesondere den am Rande der Pleite stehenden osteuropäischen Staaten. Aber der IWF ist eine seltsame letzte Rettung. Denn diese Organisation ist zu Recht verrufen wegen der drakonischen Sparmaßnahmen, die sie in der Vergangenheit stets dann erzwungen hat, wenn ihre „Hilfe“ gefordert wurde. Umstrukturierungen, Entlassungen, Arbeitslosigkeit, Abschaffung bzw. Kürzung von medizinischen Leistungen, Renten usw.- all das sind die Folgen der „Hilfe“ des IWF. Diese Organisation hat – um nur ein Beispiel zu nennen – am vehementesten jene Maßnahmen vertreten, die Argentinien in den 1990er Jahren auferlegt wurden, bis dessen Wirtschaft 2001 kollabierte…

Der Gipfel der G20 hat also nicht nur den kapitalistischen Horizont nicht aufgehellt, sondern im Gegenteil bewirkt, dass noch dunklere Wolken aufziehen werden.

Der große Bluff eines moralischeren Kapitalismus

In Anbetracht der sattsam bekannten Unfähigkeit der G20, wirkliche Lösungen für die Zukunft anzubieten, fiel es den Bourgeois schwer, eine schnelle Rückkehr zum Wachstum und zu einer strahlenden Zukunft zu versprechen. Unter den Arbeitern breitet sich eine tiefe Verachtung gegen den Kapitalismus aus; immer mehr machen sich Gedanken über die Zukunft. Die herrschende Klasse ihrerseits ist eifrig darum bemüht, auf ihre Art auf diese Infragestellungen einzugehen. So hat denn auch dieser Gipfel mit großem Tamtam einen neuen Kapitalismus versprochen, der besser reguliert, moralischer, ökologischer sein werde…

Aber dieses Manöver ist so auffällig wie lächerlich. Um zu beweisen, wie ernst sie es mit einem „moralischeren“ Kapitalismus meinen, haben die G20-Staaten ihren Zeigefinger gegen einige „Steuerparadiese“ erhoben und mit eventuellen Sanktionen gedroht, über die man bis zum Ende des Jahres nachdenken werde (sic!), falls diese Länder keine Anstrengungen um größere „Transparenz“ unternehmen. Insbesondere wurde auf vier Länder verwiesen, die nunmehr die berühmte „schwarze Liste“ anführten: Costa Rica, Malaysia, die Philippinen, Uruguay. Auch anderen Ländern wurden Vorhaltungen gemacht; sie wurden auf eine „graue Liste“ gesetzt. Unter anderem gehören Österreich, Belgien, Chile, Luxemburg, Singapur und die Schweiz dazu.

Die großen „Steuerparadiese“ dagegen kommen allem Anschein nach ihren Pflichten nach. Die Kaiman-Inseln und ihre Hedgefonds, die von der britischen Krone abhängigen Territorien (Guernsey, Jersey, Ilse of Man), die Londoner City, die US-Bundesstaaten wie Delaware, Nevada oder Wyomin - all diese Gebiete sind offiziell weiß wie Schnee und gehören der weißen Liste an. Diese Klassifizierung der Steuerparadiese durch den Gipfel der G20 bedeutet, den Bock zum Gärtner zu machen.

Als Gipfel der Heuchelei kündigte nur wenige Tage nach dem Gipfel in London die OECD, die für diese Einstufungen verantwortlich ist, die Streichung der vier o.g. Länder von der schwarzen Liste an, nachdem diese Anstrengungen zu mehr Transparenz angekündigt hatten!

All dies kann nicht überraschen. Wie könnte man von all diesen Verantwortlichen des Kapitalismus, die in Wirklichkeit Gangster ohne Gesetz und Glauben sind, eine „moralischere Haltung“ erwarten?[15] Und wie kann ein System, das auf Ausbeutung und Profitstreben beruht, „moralischer“ werden? Niemand erwartete übrigens von diesem Gipfel einen „menschlicheren Kapitalismus“. Dieser existiert nicht, auch wenn die politischen Führer davon reden, wie Eltern ihren Kindern vom Weihnachtsmann erzählen. Diese Krisenzeiten enthüllen im Gegenteil noch deutlicher die unmenschliche Fratze dieses Systems. Vor fast 130 Jahren schrieb Paul Lafargue: „Die kapitalistische Moral […] belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem feierlichen Bannfluch: Ihr Ideal besteht darin, die Bedürfnisse des Produzenten (das heißt des wirklich Produzierenden) auf das geringste Minimum zu reduzieren, seine Genüsse und Leidenschaften zu ersticken und ihn zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, aus der man ohne Rast und ohne Dank Arbeit nach Belieben herausschindet“ (Paul Lafargue, Das Recht auf Faulheit, Vorwort). Wir könnten hinzufügen: Die einzig mögliche „Ruhe“ ist die Arbeitslosigkeit und das Elend. Wenn die Krise zuschlägt, werden Beschäftigte entlassen und fliegen auf die Straße wie Ausschuss. Der Kapitalismus ist und bleibt stets ein brutales und barbarisches Ausbeutungssystem.

Aber das Manöver ist so offensichtlich wie entlarvend. Es zeigt, dass der Kapitalismus der Menschheit keinen Ausweg mehr anzubieten hat, außer noch mehr Verarmung und Leid. Die Aussichten auf einen „ökologischen“ oder „moralischen“ Kapitalismus sind genauso groß wie die Aussichten eines Alchimsten, Blei in Gold zu verwandeln.

Der Londoner Gipfel belegt jedenfalls eins: Eine andere kapitalistische Welt ist nicht möglich. Es ist wahrscheinlich, dass der Krisenverlauf Höhen und Tiefen durchschreiten wird, wobei es zeitweise auch zu einem Wachstum kommen kann. Aber im Wesentlichen wird der Kapitalismus weiter in der Krise versinken, noch mehr Armut und Kriege hervorrufen.

Von diesem System kann man nichts erwarten. Mit ihren internationalen Gipfeln und Konjunkturprogrammen stellt die herrschende Klasse keinen Teil der Lösung dar, sondern sie selbst ist das Problem. Nur die Arbeiterklasse kann die Welt umwälzen, dazu muss sie aber Vertrauen in die Gesellschaft entwickeln, die sie aufbauen muss: den Kommunismus! Mehdi, 16.04.09

[1]Déclaration de Pascal Lamy, Erklärung des Generaldirektors der Welthandelsorganisation.

[2]Rapport intermédiaire – Zwischenbericht der OECD.

[3]Der G20 besteht aus den Mitgliedsländern des G8 (Deutschland, Frankreich, USA, Japan, Kanada, Italien, Großbritannien, Russland), zu dem jetzt Südafrika, Saudi-Arabien, Argentinien, Australien, Brasilien, China, Südkorea, Indien, Indonesien, Mexiko, Türkei und schließlich die Europäische Union dazu gekommen sind. Ein erster Gipfel hatte im November 2008 inmitten der Finanzerschütterungen stattgefunden.

[4]Siehe unsere Artikelserie „Die Dekadenz des Kapitalismus begreifen“

[5]Weit verbreitet ist heute der Mythos, dass der New Deal von 1933 es der Weltwirtschaft ermöglicht habe, aus dem wirtschaftlichen Schlamassel herauszukommen. Daher die logische Schlussfolgerung, heute zu einem neuen „New Deal“ aufzurufen. Aber in Wirklichkeit blieb die US-Wirtschaft zwischen 1933-38 besonders kraftlos. Erst der zweite New Deal, der 1938 beschlossen wurde, ermöglichte die Ankurbelung der Wirtschaft. Doch dieser zweite New Deal war nichts anderes als der Beginn der Kriegswirtschaft (die den 2. Weltkrieg vorbereitete). Es ist verständlich, dass diese Tatsache weitestgehend verschwiegen wird!

[6]Dieses Gesetz verpflichtete die US-Behörden zum Kauf von auf US-Märkten hergestellten Produktionsgütern.

[7]Quelle: contreinfo.info/prnart.php3?id_article=2612

[8]Martin Wolf ist ein britischer Wirtschaftsjournalist. Er war assoziierter freischaffender Redakteur und Chef-Kommentator im Bereich Wirtschaftsfragen bei der Financial Times.

[9]„L’ère des ‘Kolossal’ coups de pouce“ (Die Ära der „kolossalen“ Anschübe), veröffentlicht am 7 April 2009.

[10]Tatsächlich handelt es sich um 4.000 Milliarden Dollar, die von den USA als Rettungsmaßnahmen während der letzten Monate angekündigt wurden.

[11]In Japan wurde jüngst ein neues Konjunkturprogramm im Umfang von 15.400 Milliarden Yen (116 Milliarden Euro) beschlossen. Dies ist das vierte Programm, das innerhalb eines Jahres von Tokio beschlossen wurde!

[12]Quelle : voxeu.org [56]

[13]Zur Rolle der Verschuldung im Kapitalismus und zu seinen Krisen siehe den Artikel in dieser Ausgabe der Internationalen Revue Nr. 43, „Die schlimmste Wirtschaftskrise in der Geschichte des Kapitalismus“.

[14]Die Sonderziehungsrechte sind ein Währungskorb, der aus Dollar, Euro, Yen und britischen Pfund-Sterling besteht.

Insbesondere China hat auf diesen Sonderziehungsrechten bestanden. In den letzten Wochen hat das Reich der Mitte mehrere offizielle Erklärungen abgegeben und zur Schaffung einer internationalen Währung aufgerufen, die den Dollar ablösen soll. Zahlreiche Ökonomen auf der Welt haben diese Forderung aufgegriffen und vor dem unaufhaltsamen Verfall der US-Währung und den wirtschaftlichen Erschütterungen gewarnt, die daraus resultieren würden.

Es stimmt, dass die Schwächung des Dollars mit jedem weiteren Versinken der US-Wirtschaft in der Rezession eine echte Bedrohung für die Weltwirtschaft darstellt. Kurz vor Ende des II. Weltkrieges als internationale Leitwährung eingeführt, fungierte der Dollar seither als ein Stützpfeiler für die kapitalistische Stabilität. Dagegen ist die Einführung einer neuen Leitwährung (ob Euro, Yen, Britisches Pfund oder die Sonderziehungsrechte des IWF) vollkommen illusorisch. Keine Macht wird die USA ersetzen können, keine wird deren Rolle als internationaler ökonomischer Stabilitätsanker übernehmen können. Die Schwächung der US-Wirtschaft und ihrer Währung bedeutet somit wachsendes monetäres Chaos.

[15]Lenin bezeichnete den Völkerbund, eine andere internationale Institution, als „Räuberbande“.

Aktuelles und Laufendes: 

  • Weltwirtschaftskrise [27]
  • G 20 London [57]

Filmbesprechung: Charles Darwin und der Baum des Lebens

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David Attenboroughs BBC-Beitrag zur 200-Jahresfeier Darwins (Charles Darwin und der Baum des Lebens, 1.2.09) war eine meisterhafte Verteidigung der Evolutionstheorie. Attenborough vermittelte dabei mit seiner bekannten Fähigkeit komplexe wissenschaftliche Ideen. Er benutzte eine unkomplizierte Sprache und viele tolle Darstellungen durch Filme. Sein Enthusiasmus sprang wieder auf den Zuschauer über, und wie immer zeigte er Respekt vor der Natur.

 

David Attenboroughs BBC-Beitrag zur 200-Jahresfeier Darwins (Charles Darwin und der Baum des Lebens, 1.2.09) war eine meisterhafte Verteidigung der Evolutionstheorie. Attenborough vermittelte dabei mit seiner bekannten Fähigkeit komplexe wissenschaftliche Ideen. Er benutzte eine unkomplizierte Sprache und viele tolle Darstellungen durch Filme. Sein Enthusiasmus sprang wieder auf den Zuschauer über, und wie immer zeigte er Respekt vor der Natur.

Indem er die Ideen Darwins in ihren historischen Kontext einbettete, hob Attenborough die subversiven Folgen der Evolutionstheorie durch natürliche Zuchtwahl hervor, da das wissenschaftliche Establishment, mit dem Darwin es in den 1840er und 1850er Jahren zu tun hatte, noch stark durch eine statische Sicht der Natur beeinflusst war, der zufolge Wesen durch göttliche Schöpfung geschaffen wurden. Damals wurden weite Bereiche der Frühgeschichte der Erde durch die Entwicklung der Geologie zum ersten Mal erforscht. Attenborough zeigte sehr deutlich auf, wie Darwin mitgerissen wurde von der Kraft dieses neuen Fortschrittes des Bewusstseins der Menschen über ihre Stellung in der Natur, trotz seines Widerwillens, seine fromme Frau zu beleidigen und einen Skandal in der ‚höflichen’ Welt hervorzurufen. Abgesehen davon, dass sie ein mächtiger Ansporn für Darwin war die Veröffentlichung seines Werkes voranzutreiben, belegte die zeitgleiche Formulierung einer Theorie der natürlichen Zuchtwahl durch Alfred Wallace die unwiderstehliche Macht der Entwicklung der Ideen, wenn die Bedingungen dafür gereift sind.

Als er auf die zeitgenössischen Einwände gegen Darwins Theorie einging, behandelte Attenborough diese aber nicht mit Verachtung. Er ordnete sie lediglich auf dem Hintergrund der historischen Grenzen ein und zeigte mit großer Überzeugung, wie neue Erkenntnisse der Paläontologie und der Zoologie deren Grundlagen zerstörten. Mit besonderer Freude erzählte er die Geschichte der Archaeopteryx und des Schnabeltiers, Übergangsformen zwischen Reptilien und Vögeln und Säugetieren, die eine solide Antwort auf die Frage lieferte: „Wenn sich Arten entwickeln, wo sind die fehlenden Glieder?“

Natürlich war Darwin das Erzeugnis eines Bürgertums, das sich noch sehr in seiner Aufstiegsphase befand. Ein klares Zeichen, dass diese Phase lange hinter uns liegt, sieht man darin, dass heute, im 21. Jahrhundert, ziemlich einflussreiche Flügel der herrschenden Klasse – ob die christliche Rechte in den USA oder die verschiedenen islamischen Parteien in der ganzen Welt – sich zurückentwickelt haben und an der wortgetreuen Version des Kreationismus der Bibel oder des Korans klammern und Darwin weiterhin verteufeln, obgleich in den letzten 150 Jahren eine Menge Beweise für seine grundlegenden Ideen zusammengetragen wurden. Aber wie Pannekoek und andere hervorgehoben haben, wurden die Tendenzen des Bürgertums, in Religion zu flüchten und die kühnen, bilderstürmerischen Auffassungen ihrer revolutionären Blütezeit aufzugeben, ersichtlich, sobald das Proletariat offen als eine dem Kapitalismus entgegen gesetzte Kraft in Erscheinung trat (vor allem nach den Aufständen von 1848). Und ebenso begriff die Arbeiterbewegung sofort die revolutionären Folgen einer Theorie, die aufzeigte, dass Bewusstsein aus den unbewussten Schichten des Lebens als Reaktion auf ein materielles Umfeld entstehen kann und nicht durch die Vermittlung eines Herrschers von Oben. Die offensichtlichen Konsequenzen daraus waren, dass die weitestgehend unbewussten Massen auch ihr Bewusstsein über sich selbst entwickeln können mittels ihres Kampfes zur Befriedigung ihrer eigenen materiellen Bedürfnisse.

Natürlich hat sich nicht gesamte bürgerliche Klasse zum Kreationismus zurück entwickelt; es gibt nämlich auch einen bürgerlichen Konsensus, dem zufolge Wissenschaft und Technologie als solche fortschrittlich seien. Aber indem man sie von den gesellschaftlichen Verhältnissen abstrahiert, die deren Entwicklung ermöglichten, ist es unmöglich zu erklären, warum so viel wissenschaftliche Forschung und so viele technologische Durchbrüche dazu verwandt wurden, die Gesellschaft und die Natur zugrunde zu richten. Gerade diese Entwicklung hat viele derjenigen, die aus dem gegenwärtigen Gesellschaftssystem keinen Nutzen ziehen, dazu bewogen, nach Antworten in den Mythologien der Vergangenheit zu suchen. Das gleiche Phänomen der Abstoßung trifft auch auf die Auffassung von der Stellung des Menschen im Universum zu, die so viele bürgerliche 'Verteidiger' der Wissenschaft vertreten. Es handelt sich dabei um eine grenzenlos düstere Sicht, denn sie bringt eine zutiefst entfremdete Auffassung der grundlegenden Trennung des Menschen von einer feindlichen Umwelt zum Vorschein. Aber Attenborough gehört nicht dieser Kategorie an. Fliegende Vögel bewundernd oder spielende Schimpansen anlachend, schloss Attenborough seine Vorstellung im Film damit ab, indem er an eine andere Konsequenz der Darwinschen Theorie erinnerte, dass sie nämlich eine Infragestellung der Auffassung der Bibel vom Menschen als einem Wesen ist, das die Natur "beherrscht". Stattdessen bekräftigt er das tiefgehende Verhältnis der Menschen mit anderen Lebewesen und unsere völlige gegenseitige Interdependenz mit diesen. An dieser Stelle hörte sich Attenborough ein wenig an wie Engels und dessen Aussage in "Der Anteil der Arbeit in der Menschwerdung des Affen“ der eine Warnung gegen Hybris (Anmaßungen) aber auch eine Perspektive für die Zukunft enthält:

„Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordabhang des Gebirgs so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südabhang vernutzten, ahnten nicht, daß sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, daß sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahrs das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit um so wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wußten nicht, daß sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht - sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ [Engels: Dialektik der Natur, S. 274. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 8597 (vgl. MEW Bd. 20, S. 453)]

Amos 6.2.09, aus World Revolution, Zeitung der IKS in Großbritannien

Stellungnahme des Treffens kommunistischer Internationalisten in Lateinamerika

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Wir veröffentlichen nachfolgend die gemeinsame Stellungnahme, die von sieben Gruppen oder Organisationen verabschiedet wurde, welche in acht lateinamerikanischen Staaten existieren[1]. Diese Stellungnahme berichtet über ein  Internationalistisches Treffen, das neulich stattfand[2]. Dieses Treffen, dessen Projekt vor einem Jahr geplant worden war, ist in erster Linie möglich geworden durch die Entstehung dieser Gruppen, von denen die meisten (mit Ausnahme von OPOP und der IKS) vor drei Jahren noch nicht existierten. Zweitens wäre dieses Treffen nicht möglich gewesen ohne den gemeinsamen Willen aller Teilnehmer, die Isolierung zu durchbrechen und eine gemeinsame Arbeit zu entfalten[3]. Die Grundlage dieser Arbeit bestand darin, dass die Teilnehmer die Kriterien akzeptieren – welche in der Stellungnahme aufgeführt werden -, die diese als Bestandteile einer Abgrenzung zwischen der proletarischen und bürgerlichen Seite betrachten.

Der erste Schritt dieses Treffens war notwendigerweise die politische Diskussion, welche eine Klärung der bestehenden Konvergenzen und Divergenzen unter den Teilnehmern ermöglichen sollte, mit dem Ziel, einen Diskussionsrahmen zu erstellen, welcher zu einer Klärung der Divergenzen führen sollte.

Wir begrüßen aufs wärmste, dass dieses Treffen stattgefunden hat und dazu in der Lage war, wichtige Diskussionen abzuhalten wie zum Beispiel zum Thema gegenwärtige Lage des internationalen Klassenkampfes und Wesen der gegenwärtigen Krise, welche den Kapitalismus erschüttert. Wir haben volles Vertrauen, dass die Fortsetzung der Debatte fruchtbringende Klärungen hervorbringen wird[4].

Wir sind uns dessen bewusst, dass das Treffen nur ein kleiner Schritt hin zur Bildung eines internationalen Bezugspols ist, dessen Existenz, öffentliche Debatten und Interventionen, den Genossen, Kollektiven und Gruppen eine Orientierung bieten kann, die jetzt überall auf der Welt auftauchen und die Suche nach einer proletarischen internationalistischen Antwort auf eine immer schlimmere Lage darstellen, in welche der Kapitalismus die Menschheit treibt.

Aber wenn wir mit früheren Erfahrungen vergleichen – wie zum Beispiel den Internationalen Konferenzen der Kommunistischen Linken vor 30 Jahren[5] – stellt dieses Treffen eine Überwindung gewissser Schwächen dar, die damals aufgetreten waren. Während diese Konferenzen unfähig waren, eine gemeinsame Position gegenüber dem Afghanistankrieg zu verabschieden, welcher eine große Bedrohung für die Menschheit darstellte, vertritt die jetzige, einstimmig von den Teilnehmern angenommene Stellungnahme klare proletarische Positionen gegenüber der Krise des Kapitalismus.

Insbesondere wollen wir die entschlossene Anprangerung der kapitalistischen Alternativen der ‘Linken’ durch die Stellungnahme hervorheben, die überall auf dem amerikanischen Kontinent in Mode sind und auf der Welt nicht wenige Illusionen verbreiten. Von den USA mit dem Phänomen Obama bis zum argentinischen Patagonien, wird der Kontinent heute von Regierungen beherrscht, die von sich behaupten, die Armen, die Arbeiter, die Marginalisierten zu verteidigen, und die sich als Beschützer eines ‘sozialen’, ‘menschlichen’ Kapitalismus darstellen, oder in seinen ‘radikaleren’ Versionen, die  – wie im Falle Chávez in Venezuela, Morales in Bolivien und Correa in Ecuador – beanspruchen, nichts weniger als den “Sozialismus des 21. Jahrhunderts” zu verkörpern.

Es erscheint uns höchst wichtig, dass gegenüber solchen Betrügern ein einheitlicher, brüderlicher und kollektiver Pol von internationalistischen Minderheiten seine Stimme erhebt, welche den Weg bereiten für Diskussionen und Stellungnahmen für internationale Solidarität, den unnachgiebigen Klassenkampf für die Weltrevolution, gegenüber dem Staatskapitalismus, dem Nationalismus, der Verewigung der Ausbeutung, welche von diesen “neuen Propheten” verkörpert wird.   IKS, 26.4.09

Stellungnahme des Treffens in Lateinamerika

Nachfolgend veröffentlichen wir die gemeinsame Stellungnahme, die von dem Internationalistischen Treffen verabschiedet wurde. Demnächst werden wir die Beiträge der verschiedenen Teilnehmer für die Vorbereitung des Treffens und auch eine Synthese der Diskussionen veröffentlichen, die während des Treffens stattfanden.

Gemeinsame Stellungnahme

Der Kampf für den authentischen Kommunismus, d.h.. für eine klassenlose Gesellschaft, ohne Armut und ohne Kriege, ruft erneut ein wachsendes Interesse in einer Minderheit auf der ganzen Welt hervor. Als Zeuge dieses Phänomens hat im März 2009 aufgrund einer Initiative der Internationalen Kommunistischen Strömung und von Oposição Operaria (OPOP) in Lateinamerika ein Treffen internationalistischer Diskussion stattgefunden, an dem sich verschiedene Gruppen, Zirkel und einzelne Genoss/Innen des Kontinentes beteiligt haben, die klar internationalistische und proletarische Positionen vertreten. Neben der IKS und OPOP haben die folgenden Gruppen teilgenommen:

  • Grupo de Lucha Proletaria (Perú)
  • Anarres (Brésil)
  • Liga por la Emancipación de la Clase Obrera (Costa Rica und Nicaragua)
  • Núcleo de Discusión Internacionalista aus der Dominikanischen Republik
  • Grupo de Discusión Internacionalista aus Ecuador

Darüber hinaus haben Genoss/Innen aus Peru und Brasilien ebenfalls an den Arbeiten dieses Treffens teilgenommen. Andere Genoss/Innen aus anderen Ländern wollten ebenfalls teilnehmen, konnten dies aber wegen materieller oder administrativer Schwierigkeiten nicht tun. Alle Teilnehmer erkennen die Kriterien an, welche wir nachfolgend zusammenfassen und die global ebenfalls bei der Durchführung der Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linken in den 1970er und 1980er Jahren angenommen worden waren:

  1. Berufung auf den proletarischen Charakter des Oktober 1917 und der Kommunistischen Internationale, wobei diese Erfahrungen einer kritischen Bilanz unterzogen werden müssen, welche dann neue revolutionäre Anstürme des Proletariats leiten sollen.
  2. Bedingungslose Verwerfung jeglicher Idee, dass heute auf der Welt Länder bestehen, die sozialistisch wären oder von einer Arbeiterregierung geführt würden, auch wenn sie als “degeneriert” bezeichnet werden; Verwerfung ebenso jeglicher staatskapitalistischer Regierungsformen und der Ideologie des “Sozialismus des 21. Jahrhunderts” .
  3. Verwerfung der Sozialistischen und Kommunistischen Parteien und all deren Anhängsel als Parteien des Kapitals.
  4. Kategorische Verwerfung der bürgerlichen Demokratie, des Parlamentarismus und der Wahlprozesse, da dies Waffen sind, mit denen die Herrschenden es wiederholt geschafft haben, die Arbeiterkämpfe einzudämmen und abzulenken, indem fälschlicherweise zwischen Demokratie und Diktatur, Faschismus und Antifaschismus gewählt werden soll.
  5. Verteidigung der Notwendigkeit, dass die internationalistischen Revolutionäre hin zur Bildung einer internationalen Organisation der politischen Avantgarde voranschreiten sollen, die eine unabdingbare Waffe für den Sieg der proletarischen Revolution ist.
  6. Verteidigung der Rolle der Arbeiterräte als Organe der Arbeitermacht, sowie der Autonomie der Arbeiterklasse gegenüber den anderen Klassen und Schichten der Gesellschaft.

Auf der Tagesordnung der Diskussion standen die folgenden Punkte:

  1. Die Rolle des Proletariats und die gegenwärtige Situation, das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen;
  2. Die Lage des Kapitalismus [der Hintergrund für die Entwicklung der gegenwärtigen Kämpfe], und als eine globalere Überlegung das Konzept der Dekadenz des Kapitalismus und/oder Strukturkrise des Kapitalismus;
  3. Die sich zuspitzende Umweltkatastrophe, in welche uns das System treibt. Obgleich dieser Punkt aus Zeitgründen nicht mehr behandelt werden konnte, wurde beschlossen, die Diskussion dazu im Internet durchzuführen.

Hinsichtlich des ersten Punktes wurden Beispiele aus Lateinamerika verwendet, um die Analyse der gegenwärtigen Entwicklung des Klassenkampfes zu verdeutlichen, aber das Anliegen der meisten Teilnehmer war, dies als einen Teil der allgemeinen Bedingungen des Arbeiterkampfes auf internationaler Ebene einzuordnen. Dennoch hat das Treffen beschlossen, die Entblößung der verschiedenen Regierungen hervorzuheben, die sich “links” schimpfen, und in den meisten Ländern Lateinamerikas an der Macht sind. Sie sind Todesfeinde der Arbeiterklasse und deren Kampfes. Auch wurden die Kräfte angeprangert, die die ‘linken’ Regierungen ‘kritisch’ unterstützen. Ebenso hat das Treffen die Kriminalisierung der Arbeiterkämpfe durch diese Regierungen verworfen. Es hat betont, dass die Arbeiterklasse keine Illusionen in legalistische und demokratische Kampfmethoden haben darf, sondern nur Vertrauen haben darf in ihren eigenen, autonomen Kampf.Dabei wurden insbesondere die folgenden Regierungen angeprangert:

· Kirchner in Argentinien,

· Morales in Bolivien,

· Lula in Brasilien,

· Correa en Ecuador,

· Ortega in Nicaragua

· Und insbesondere Chávez in Venezuela, dessen proklamierter "Sozialismus des 21. Jahrhunderts” nichts anderes ist als seine große Lüge, die dazu dient, Arbeiterkämpfe in diesem Land zu sabotieren und niederzuschlagen und den Arbeitern in den anderen Ländern Sand in die Augen zu streuen.

Beim zweiten Punktes stimmten alle Teilnehmer überein hinsichtlich der Schwere der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus und der Notwendigkeit, sie tiefer innerhalb des Rahmens einer theoretischen und historischen Perspektive zu begreifen. Als Schlussfolgerung haben die Teilnehmer übereinstimmend erklärt:

  • Die Durchführung des Treffens ist ein Ausdruck der gegenwärtigen Tendenz der Entwicklung des Kampfes und der revolutionären Bewusstwerdung des Proletariats auf internationaler Ebene.
  • Die beträchtliche Zuspitzung der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus kann langfristig nur diese Tendenz zur Entfaltung der Arbeiterkämpfe verstärken; damit wird die Verteidigung von revolutionären Positionen innerhalb des Proletariats immer notwendiger.
  • In diesem Sinn halten alle Teilnehmer die Fortführung der Anstrengungen für erforderlich, die dieses Treffen mit dem Ziel zum Ausdruck bringt, eine aktive Rolle beim Kampf des internationalen Proletariats  zu spielen. 

Konkret haben wir als ersten Schritt dieser Anstrengungen beschlossen:

  1. Einrichtung einer Internet-Webseite auf Spanisch und Portugiesisch unter der gemeinsamen Verantwortung der Teilnehmergruppen am Treffen. Auch haben wir die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Broschüre auf Spanisch mit Texten von der Webseite erörtert.
  2. Auf dieser Webseite sollen veröffentlicht werden:
  • Diese Stellungnahme (welche ebenso auf den Webseiten der teilnehmenden Gruppen veröffentlicht wird)
  • Die Beiträge zur Vorbereitung des Treffens
  • Eine Synthese der Protokolle der verschiedenen Diskussionen
  • Jeder Beitrag der anwesenden Gruppen und Einzelpersonen sowie jeder anderen Gruppe oder Genoss/In, die mit den Prinzipien und Anliegen, die in diesem Treffen im Mittelpunkt standen, übereinstimmen.

Das Treffen legt insbesondere Wert auf der Notwendigkeit einer offenen und brüderlichen Debatte unter Revolutionären und verwirft jedes Sektierertum und Kapellengeist.

[1]Mexiko, Dominikanische Republik, Brasilien, Costa Rica, Nicaragua, Ecuador, Peru und Venezuela.

[2]Die Teilnehmer waren OPOP, IKS, LECO (Liga por la Emancipación de la Clase Obrera, Costa Rica - Nicaragua), Anarres (Brasil), GLP (Grupo de Lucha Proletaria, Peru), Grupo de Discusión Internacionalista de Ecuador, Núcleo de Discusión Internacionalista aus der Dominikanischen Republik, sowie einzelne Genossen.  

[3]Wir haben von diesen neuen Regungen in unserem Artikel “Zwei neue Sektionen der IKS” berichtet. Siehe es.internationalism.org/cci-online/200902/2494/salud-a-las-nuevas-secciones-de-la-cci-en-turquia-y-filipinas [58]

[4]Eine der Entscheidungen des Treffens war die Schaffung eines Internet Forums [59], in dem die gemeinsame Stellungnahme und die Debatten veröffentlicht werden sollen.

[5]Siehe z.B.  https://es.internationalism.org/node/2065 [60]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Sozialismus 21. Jahrhundert [61]
  • Internationalisten Lateinamerika [62]

Leute: 

  • Chavez [63]

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [64]

Juli 2009

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Der Krieg in Pakistan - Die USA verwandeln Pakistan in einen Kriegsschauplatz

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(Der Artikel wurde von unserer Sektion in Indien geschrieben)

Wenige Tage bevor der pakistanische Präsident Zardari Präsident Obama treffen sollte, machte die Nachricht die Runde, dass die Taliban die Stadt Buner eingenommen hätten. Sofort wurde die Angst geschürt: Die Taliban kommen nach Islamabad, sie stehen nur noch 60 km vor der Stadt. Vielleicht ergreifen sie gar in ganz Pakistan die Macht und gewinnen somit die Kontrolle über die Atomwaffen. Als Zardari ins Flugzeug zu seiner Reise in die USA stieg, forderte das pakistanische Militär die Menschen im Swat-Tal und woanders auf, ihre Häuser zu verlassen und sich in Flüchtlingslager zu begeben. Bevor das Flugzeug Zardaris am 6 Mai in den USA landete, hatte die pakistanische Armee angefangen, Buner und andere Teile Pakistans aus Hubschraubern, Kampfflugzeugen, Panzern und mit Artillerie zu beschießen und zu bombardieren. Bald darauf flüchteten ca. 3 Mio. Menschen aus dem Kriegsgebiet, in dem sich die Armee und die pakistanischen Taliban bekämpften. Als Zardari in den USA am 6. Mai eintraf, verkündete Pakistan, 38 Talibankämpfer getötet zu haben. Natürlich erhielt Zardari dafür Lob von Obama.

Der pakistanische Staat macht keinen Hehl daraus, dass er von den USA dazu gezwungen wurde, gegen die Taliban Maßnahmen zu ergreifen. Aber die Wahrheit liegt ganz woanders, und es mag keine Überraschung sein, wenn man eines Tages herausfinden wird, dass die Taliban vom pakistanischen Geheimdienst ISI oder den US-Geheimdiensten dazu ermuntert wurden, sich in Buner niederzulassen, damit man einen Vorwand für diesen Krieg hat. Erregte Propaganda über den Feldzug der Taliban auf Islamabad ermöglichte es der pakistanischen Bourgeoisie in diesem Krieg die Bevölkerung um sich zu scharen. So konnte Amerika den Eindruck erwecken, es habe Pakistan dazu getrieben, diesen Krieg zu seinem eigenen Vorteil auszulösen.

In Wirklichkeit geht es bei diesem Krieg nicht darum, Osama bin Laden oder die islamischen Terroristen zu besiegen. Es ist bekannt, dass die USA selbst Osama bin Laden und die islamischen Mudschaheddin groß gezogen haben, um sie für ihre imperialistischen Interessen gegen die Sowjetunion einzusetzen. Sowohl die Taliban- und islamischen fundamentalistischen Horden, welche heute in Pakistan aktiv sind, wurden vom pakistanischen Staat hochgepäppelt, um sie als Werkzeug bei dessen imperialistischer Politik und als soziales Kontrollmittel zu verwenden. Es stimmt, "die Geister, die ich rief, werd' ich nun nicht mehr los", aber bei diesem Krieg geht es um mehr als dies.

Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und später des westlichen Blocks bemühen sich die USA darum, ihre globale Vormachtstellung aufrechtzuerhalten und sie der Welt weiterhin aufzuzwingen. Während der letzten beiden Jahrzehnte ist ihre Macht immer mehr untergraben worden, aber ihre Entschlossenheit die Nummer Eins unter den globalen imperialistischen Gangstern zu bleiben, hat nicht nachgelassen. Die USA begannen den Krieg im Irak, um ihre Rivalen abzuschrecken und in einer Region Fuß zu fassen, die von großer strategischer Bedeutung ist. Ihr Angriff gegen Afghanistan 2001 und der seitdem fortdauernde Krieg sollen dazu dienen, ihre Vorherrschaft in Süd- und Zentralasien zu errichten, um ihre Rivalen China und Russland auszubremsen. Indem Pakistan zu einem Kriegsschauplatz wurde, haben die USA ihre Position aber nicht nur in Afghanistan ausgebaut. Sie haben damit auch den Einfluss Chinas in Pakistan eingedämmt sowie den US-Einfluss in der ganzen Region erweitert, um so auch den imperialistischen Träumen Indiens entgegentreten zu können. Diese Ziele vor Augen, haben die USA seit einem Jahr Schritte unternommen, um Pakistan noch mehr in den Krieg zu treiben.

Der jüngste Krieg in Pakistan wälzt die ganze Region von Südasien bis zum Mittleren Osten erneut um. Auch werden dadurch nur neue, zukünftige Kriege vorbereitet. Als ein kleiner Gangster, der in den Klauen eines großen Gangsters festhängt, wurde Pakistan gezwungen, sich einzureihen, aber selbst in dieser sehr gefährlichen Lage verzichtet es nicht darauf, seine eigenen imperialistischen Interessen auszufechten.

Die Geschichte der imperialistischen Politik Pakistans

Der maoistischen und stalinistischen Legende zufolge, ist der Imperialismus nur das Merkmal der USA und anderer westlicher Staaten. Ihnen zufolge spielen herrschende Cliquen in Drittweltländern wie Indien und Pakistan, wenn sie sich in blutigen militärischen Abenteuern gegenseitig bekämpfen, nur die Rolle von "Kompradoren" oder Lakaien von der einen oder anderen Großmacht, ohne jeweils eigene imperialistische Ambitionen zu haben.

Es gibt natürlich auf der ganzen Welt endlos viele Beispiele, die diese Mythen der Linken entlarven und aufzeigen, dass die herrschende Klasse jeder Nation, egal wie arm und erbärmlich sie sind, von den gleichen imperialistischen Appetiten wie die "Großmächte" getrieben werden. Vor wenigen Monaten lieferte Sri Lanka ein skrupelloses und blutiges Beispiel einer kleinen kapitalistischen Bande, die sich in einen Quasi-Völkermord an den Tamilen stürzte, um deren weitere Unterdrückung sicherzustellen.

Die Geschichte Pakistans ist ein deutliches Beispiel einer hartnäckigen, rücksichtslosen Verteidigung der imperialistischen Interessen selbst gegenüber der feindseligen Haltung der globalen Mächte. Die herrschende Klasse Pakistans wurde nie durch 'minderwertige' Aspekte abgeschreckt wie der Tatsache, dass die Bevölkerung in großer Armut und mittelalterlicher Rückständigkeit lebt, die Wirtschaft am Rande des Bankrotts taumelt und der politische Apparat immer dabei ist sich zu zerfetzen, wo "gewählte" Regierungen regelmäßig von Militärjuntas abgelöst werden, die "Zivilverfassungen" nur als Toilettenpapier benutzen.

Die Bruchstücke ihres eigenen Staates und der auseinander brechenden Gesellschaft lassen die herrschende Klasse Pakistans nur noch rücksichtsloser werden. Dies spiegelt sich in ihren Genoziden an Bangladeshis wider, ihrem Schwarzhandel mit Nuklearprodukten, den nur gering verschleierten terroristischen Angriffen gegen ihren Rivalen Indien oder durch die frenetische Unterstützung der fundamentalistischen Gangs, mit denen sie sich jetzt herumschlägt.

"Goldene" Jahre pakistanischer imperialistischer Politik

In vieler Hinsicht waren die Jahre des Krieges gegen Russland in Afghanistan und die Zeit danach die "goldenen" Jahre der imperialistischen Politik Pakistans. Obgleich damals der Konflikt im Wesentlichen zwischen den USA und der UdSSR geführt wurde, passte dieser gut den imperialistischen Ambitionen Pakistans. Die afghanischen Mudschaheddin entstanden und später die Taliban, welche von den USA als ein Kriegswerkzeug gegen die Sowjets bewaffnet und finanziert wurden; aber die direkte Kontrolle dieser Kräfte lag in den Händen der Armee und der Geheimdienste Pakistans, der ISI. Als die Sowjets Afghanistan verließen und einige Jahre später die Taliban Kabul übernahmen, bedeutete dies einen großen Sieg Pakistans. Pakistan verfügte nun mit Afghanistan über einen Satellitenstaat. Es konnte davon träumen, seinen Einfluss in Zentralasien auszudehnen, und seine Armee prahlte damit, nun mehr strategisches Gewicht gegenüber Indien gewonnen zu haben. Darüber hinaus konnte es seinen Rivalen Indien mit Hilfe der Gewalt der Separatisten in Kashmir, die damals ihren Höhepunkt erreichte, an die Wand drängen.

Aber als die USA Afghanistan bei ihrem "Krieg gegen den Terror" angriffen und das Taliban-Regime in Kabul im November 2001 fiel, erlitt Pakistan einen herben Rückschlag. All seine Gewinne aus den vergangenen zwei Jahrzehnten waren verloren. Nicht nur verfügte Pakistan nun über keinen Einfluss mehr in Afghanistan, sondern auch sein Erzfeind Indien war dabei, dort Fuß zu fassen. Aber wie alle anderen imperialistischen Staaten konnte Pakistan nicht umhin, seine imperialistischen Interessen zu verteidigen. Selbst als die US-geführte Allianz in Kabul einmarschierte und die Taliban dort verjagt wurden, versuchte Pakistan seine "strategischen Pfründe" zu retten – die ganze Taliban-Führung zog nach Pakistan um und ihr wurde vom pakistanischen Geheimdienst ISI eine Fluchtstätte in Balutschistan angeboten. Seitdem hat Pakistan trotz seines Bündnisses mit den USA die Taliban-Führung, die in Quetta ihr Quartier aufgeschlagen hat, eifrig geschützt.

 

Nach November 2001 blieben die USA in ihrem Krieg im Irak stecken, ihre Macht ist geschwächt, der Einfluss der Taliban ist in Afghanistan wieder auf dem Vormarsch, ein Prozess, bei dem Pakistan keine geringfügige Rolle gespielt hat. Bis zum Hals im Irak in Schwierigkeiten steckend, hat der US-Imperialismus "sorgsam ignoriert, dass sich die afghanischen Taliban und die Führung von Al Quaida in den Stammesgebieten Pakistans versammeln…". Der pakistanische Staat hat dies dazu ausgenutzt, um "die Taliban als Stellvertreter Pakistans für den Krieg einzuspannen… Bis 2008 sah es so aus, als ob Pakistan das Spiel gewinnen würde" (Ahmed Rashid, Yale Global, 18.09.2008).

Aber in dem Maße wie die Taliban stärker wurden und die US-Kontrolle über Afghanistan infrage stellten, fing die US-Armee Mitte 2008 an, gegenüber der Präsenz der afghanischen Taliban in den Stammesgebieten Pakistans zu reagieren. Seit August 2008 haben die USA regelmäßig Angriffe mit Drohnen in afghanischen Talibanhochburgen in FATA in Pakistan durchgeführt. Im September 2008 drangen US-Soldaten in FATA ein. Sie wollten eine deutliche Botschaft an den pakistanischen Staat übermitteln, um diesen zu zwingen, sich den imperialistischen Interessen der USA unterzuordnen. Seitdem bedroht die US-Bourgeoisie ständig Pakistan, "entweder geht ihr gegen die Taliban-Hochburgen in Pakistan vor oder wir gehen selbst gegen sie vor".

Diese Af-Pak genannte Politik ist seit der Machtübernahme durch Obama nur intensiviert worden. Kernpunkt dieser Politik ist, wenn die USA in Afghanistan siegen wollen, müssen sie Pakistan zwingen, gegen afghanische und pakistanischeTaliban in Pakistan Krieg zu führen. Aber es geht den USA nicht nur um einen Sieg in Afghanistan.

Die Af-Pak Politik bringt auch Pakistan unter eine strengere und direktere Kontrolle der USA, so dass sie sich besser mit China und Russland in unmittelbarer Umgebung befassen können. Diese Politik bringt auch die indische Bourgeoisie in Bedrängnis, weil diese nun nicht weiß, was sie tun soll.

Um ihre Ziele zu verfolgen, müssen die USA den pakistanischen Staat genau wie den Nachbarstaat Afghanistan in einen Bürgerkrieg und Chaos stürzen – koste es was es wolle!

Die Taliban – ein Monster, das aus imperialistischem Krieg und dem Zerfall der Gesellschaft geboren wurde.

NWFP, FATA und die Nördlichen Territorien in Pakistan, in denen mehr als 30 Millionen Paschtunen wohnen, sind vielleicht die ärmsten Gebiete eines verarmten Landes. In einem Gebiet wie den FATA, wo 5.6 Mio. Menschen wohnen, leben nur 3% der Menschen in Städten, lediglich 17% können lesen und schreiben. Der große Landadel, dessen Wurzeln bis in den Feudalismus zurückreichen, besteht weiterhin und raubt eine verarmte Bauernschaft aus. Das Verwaltungssystem, (agency system) wurde von den Briten im 19. Jahrhundert eingeführt, um die Paschtunen niederzuhalten. Bis vor einigen Jahren besaß die Bevölkerung kein Wahlrecht und sie durfte auch keiner politischen Partei beitreten. In diesen verarmten Gegenden brodelten oft ethnische Unruhen. Paschtunen kämpften gegen den pakistanischen Staat. In den 1960er und 1970er Jahren entstand eine größere paschtunische Separatistenbewegung, die von Indien und Afghanistan unter Zahir Shah unterstützt wurde.

 

 

Diese Bewegung wurde niedergeschlagen, aber die Feindseligkeit der Paschtunen gegenüber der von Punjabis beherrschten Region des pakistaninschen Staats verschwand damit nicht. Dem pakistanischen Staat gelang es lediglich während des Kampfes gegen die Russen in Afghanistan diese für sich einzuspannen. Damals flüchteten Millionen von Menschen aus Afghanistan, meistens Paschtunen, in Lager in NWFP und FATA. Als die USA und Pakistan mit der Rekrutierung und dem Aufbau der islamischen Mudschaheddin und später den Talibankräften für Afghanistan begannen, unterstützten sie islamisch fundamentalistische Kräfte im Interesse ihrer Infrastruktur.

 

Einige Jahre lang konnte Pakistan zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – als es die militärischen Verbände der Mudschaheddin und der Taliban aufstellte, um den USA und seinen eigenen imperialistischen Interessen in Afghanistan zu dienen, wurde die paschtunische Bevölkerung zur Unterstützung dieser militärischen Verbände geworben und mobilisiert. Damit nahm der Einfluss der islamischen Fundamentalisten und der Taliban in dieser Region zu.

Aber diese Entwicklung blieb nicht auf den Nordwesten Pakistans beschränkt. Durch ein Gefühl der eigenen "Unverzichtbarkeit" für die USA in Afghanistan beflügelt, förderte der pakistanische Staat ebenfalls fundamentalistische Organisationen in anderen Teilen des Landes. Diese dienten einerseits als ein Werkzeug für die Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhaltes in einer auseinanderbrechenden Gesellschaft und als Rekrutierzentren für afghanische Taliban und für die eskalierende Separatistenbewegung in Kaschmir in Indien, die damals die blutigsten Ausmaße annahm. Fundamentalistische und Jihad-Ideologie drangen in den pakistanischen Staat vor, vor allem in seine Armee und seine Geheimdienste, so dass es schwierig wurde zwischen "Steuernden" und "Gesteuerten" zu unterscheiden.

Diese Politik gelang solange die Taliban in Kabul an der Macht waren. Aber das Spiel wurde gefährlich, als die Taliban 2001 ihre Macht verloren. Seitdem ist der paukistische Staat gezwungen, ein doppeltes Spiel zu betreiben – sowohl mit den Amerikanern als auch mit den islamischen Kräften in Pakistan selbst. Gleichzeitig bietet er vertriebenen afghanischen Führungskräften Schutz an und einen Nährboden für deren örtlichen islamischen Gangs in NWFP, FATA, um diese wieder mit neuen Kräften zu versorgen. Gleichzeitig muss der pakistanische Staat aufgrund von US-amerikanischen Drohungen, Angriffen von Drohnen und anderen militärischen Vorstößen von Zeit zu Zeit gegen lokale islamistische und Taliban vorgehen.

Die Einheit, die zuvor zwischen den islamistischen Kräften und großen Teilen des pakistanischen Staates bestanden hatte, neigte dazu sich aufzulösen, als islamistische und pakistanische Talibans anfingen, gegen den pakistanischen Staat zu kämpfen. Aber bis zum letzten Moment, bis wenige Wochen vor dem 5. Mai 2009, war der pakistanische Staat unwillig einen Krieg gegen die Taliban in Pakistan zu starten, da er spürte, man werde auf einen noch größeren Abgrund zusteuern. Die letzten Ereignisse weisen darauf hin, dass selbst nachdem der pakistanische Staat in einen Abgrund stürzt, dieser nicht aufgehört hat, den Mullah Omar und andere afghanische Taliban als eine Verhandlungsmasse mit den USA zu benutzen.

Die ausgebeutete Bevölkerung wird in eine wahre menschliche Tragödie gestürzt

Als die Armee mit der Bombardierung der Städte und Dörfer am 6. Mai 2009 begann, wurde der ursprünglich auf Bunder und das Swat-Tal begrenzte Aufruf, die Häuser zu verlassen, auf mehrere Bereiche des NWFP (NorthWest Frontier Province) Nordwestliche Grenzprovinz, oder auch kurz Nordwestprovinz genannt, und FATA Federally Administered Tribal Areas/Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) Pakistans ausgedehnt. Wer dem Aufruf nicht folgte, wurde zur Flucht gezwungen, als "Hubschrauber, Kampfflugzeuge und Artillerie loslegten und die Gegend beschossen" (The Dawn, 8.5.2009) und Zivilisten sowohl von den Taliban als auch von der Armee als menschliche Schutzschilde verwendet wurden, die Panzer in engen, dicht bevölkerten Straßen stationierte. Straßen wurden entweder von den Taliban oder der Armee blockiert. "Telefonnetze, Wasser und Elektrizität wurden alle von den Behörden der Stadt Mingora unterbrochen" (BBC, 9.5.09).

Bald stieg die Zahl der Binnenflüchtlinge, d.h. Menschen, die vor dem Krieg zwischen zwei bürgerlichen Lagern, der Armee und den Taliban, flüchten mussten, auf fast drei Millionen. In einigen der Bezirke wie Buner mussten bis zu 90% der Bevölkerung ihre Wohnungen verlassen. In anderen Bezirken wie dem Swat-Tal, Bajaur und Mohmand ist die Hälfte der Bevölkerung geflüchtet. Städte wie Mingora, in denen ca. 500.000 Menschen leben, wurden zu Geisterstädten, in denen Panzer auf den Straßen patrouillierten. Während die pakistanische Armee, die nur sich selbst verantwortlich ist, und die war-lords der Taliban ihre Kämpfe gnadenlos untereinander austragen – das Verhalten der beiden Seiten zeigt den Zerfall des pakistanischen Staates -, leben drei Millionen Menschen in Zelten oder nur auf der Straße und in Slums. Einige der Flüchtenden "starben auf der Straße", niemand war bereit uns irgendeine Hilfe anzubieten, weder die Armee noch die Taliban. Sie verüben beide Grausamkeiten und Gewalttaten an der Zivilbevölkerung" (Al Jazira, 11.5.09, Berichte eines Flüchtlings).

Am ersten Tag der Kämpfe starben 35 Zivilisten. Seitdem zählt das Militär die Zahl der Toten unter den Zivilisten nicht mehr, obgleich sie behaupten, ca. 1600 Taliban-Kämpfer getötet zu haben. Aus der Sicht des Herrn Gilani, den pakistanischen Premierminister, stellt die Tötung von Zivilisten durch die Armee lediglich ein "Kollateralschaden" dar. Aber für die drei Millionen Flüchtlinge und all die armen Dorfbewohner, die erst gar nicht fliehen konnten, ist das eine riesige Tragödie. Für sie ist die Rolle der Taliban und der Armee abscheulich. Unter Tränen berichtete ein junges, geflüchtetes Mädchen der pakistanischen Zeitung, The Dawn, am 8.5.09: "Wir haben Angst vor den Taliban und der Armee… Wenn sie sich gegenseitig bekämpfen wollen, sollten sie sich gegenseitig töten, sie sollten aber nicht in unsere Häuser flüchten".

 

 

Kein Ende der Kriege und der Barbarei innerhalb des Kapitalismus

Afghanistan wird seit mehr als drei Jahrzehnten durch Bürgerkrieg und Chaos zerrüttet. Unfähig die Lage in Afghanistan trotz ihrer mehr als achtjährigen Anwesenheit zu stabilisieren, haben die USA nun Pakistan dazu getrieben, sich in einen Bürgerkrieg und noch mehr Chaos zu stürzen. Die Voraussetzungen für noch mehr Kriege in der Zukunft werden geschaffen. Die ganze Region, von Pakistan über Afghanistan und Irak, ist zu einem Kriegsschauplatz geworden, mit einer unglaublichen Barbarei und menschlichen Tragödien.

Die pakistanische Armee mag verkünden, einen schnellen Sieg über die Taliban im Swat-Tal errungen zu haben, aber diesem Krieg in Pakistan wird damit kein schnelles Ende gesetzt. Ein Bericht der New York Times schrieb. "Die Taliban schmolzen sozusagen ohne einen größeren Kampf hinweg; vielleicht nur um wieder aufzutauchen, sobald sich das Militär zurückgezogen hat oder um woanders Kämpfe anzuzetteln." NYT, 27.6.2009. Nachdem der Krieg nach Süd-Wasiristan und andere Gebiete Pakistans gebracht wurde, muss die pakistanische Armee in den 'eroberten Gebieten' nun verbleiben, um dort weiterhin Kämpfe auszutragen. Es gibt jetzt schon Anzeichen, dass der Krieg zwischen pakistanischen Taliban und dem pakistanischen Staat zu einem Krieg zwischen Paschtunen und den pakistanischen Staat mutieren könnte. Als ein Hinweis auf zukünftige Kämpfe meinte ein früherer pakistanischer Botschafter in Afghanistan, ein Paschtune, Rustam Shah Mohmand, das militärische Vorgehen sei ein "Genozid an den Paschtunen" (Al Dschasira, 12. Mai 2009).

Auch amerikanische Experten sehen diese Gefahr. "Die pakistanische Armee beseht größtenteils aus Pundjabis. Die Taliban sind ausschließlich Paschtunen. Jahrhunderte lang haben Paschtunen dafür gekämpft, Pundjabis vom Eindringen abzuhalten. Wenn man Pundjabi-Soldaten in Paschtunengebiet zur Bekämpfung von Djihad-Kämpfern schickt, treibt dies das Land in einen ethnisch bestimmten Bürgerkrieg“ (Selig S. Harrison, Washington Post, 11h May 2009).

 

All das zeigt nicht in Richtung Frieden sondern bereitet nur noch mehr Kriege unter rivalisierenden bürgerlichen Fraktionen und noch mehr Barbarei und menschliche Misere für die Arbeiterklasse und die ausgebeuteten Schichten vor.

Eingeklemmt zwischen dem globalen Zerfall ihres Systems und der größten Krise ihrer Geschichte, hat die herrschende Klasse der Arbeiterklasse und den anderen ausgebeuteten Schichten nichts anderes als Kriege und Barbarei anzubieten. Für die Arbeiterklasse wäre es ein großer Rückschlag und ein Sieg für die Herrschenden, wenn es diesen gelingen sollte, die Arbeiterklasse hinter den pakistanischen Staat zu mobilisieren oder hinter Teilen der ethnisch sich abgrenzenden Bourgeoisie (Paschtunen, Balutschen, Sindhi).

Der einzige Weg vorwärts für die Arbeiterklasse und die ausgebeuteten Schichten ist die Entwicklung des Klassenkampfes und die Errichtung der Einheit als Klasse über alle ethnischen und nationalen Grenzen hinweg. Nur so kann die Arbeiterklasse die Mittel entwickeln, um das faulende kapitalistische System zu überwinden und die Spirale der Barbarei zu zerschlagen. AM, 5.7.09

 

 

Die pakistanische [65] Nordwestliche Grenzprovinz, auch North-West Frontier Province [1] [66] (englisch), NWFP oder auch kurz Nordwestprovinz genannt, ist die flächenmässig kleinste der vier pakistanischen Provinzen. Sie ist überwiegend von Paschtunen [67] bevölkert. Große Teile der Provinz gehörten einst zu Afghanistan [68]. Die Hauptstadt der NWFP ist Peschawar [69]. Die Nordwestprovinz und die Stammesgebiete unter Bundesverwaltung [70] (FATA) werden von den Afghanen Ost-Afghanistan oder auch Paschtunistan genannt.

Deutsche Revolution Teil V: Die von der Sozialdemokratie eingeleitete Repression bereitete dem Faschismus den Weg

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Die Niederlage der proletarischen Revolution in Deutschland war ein entscheidender Wendepunkt im 20. Jahrhundert, weil sie auch die Niederlage der Weltrevolution bedeutete. In Deutschland markierte die Etablierung des Nazi-Regimes, das auf der Zerschmetterung des revolutionären Proletariats aufbaute, die Beschleunigung des Marsches Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg. Die besondere Barbarei des Nazi-Regimes sollte sehr bald als eine Rechtfertigung für die antifaschistischen Kampagnen dienen, die darauf abzielten, das Proletariat des „demokratischen“ imperialistischen Lagers in den nahe bevorstehenden Krieg zu zwingen. Laut der antifaschistischen Ideologie war der demokratische Kapitalismus das kleinere Übel, das bis zu einem gewissen Grad die Bevölkerung vor all dem Schlechten in der bürgerlichen Gesellschaft bewahren könne. Diese Mystifikation, die noch immer gefährliche Auswirkungen auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse hat, wird durch die revolutionären Kämpfe in Deutschland widerlegt. Sie wurden von der Sozialdemokratie besiegt, die eine Herrschaft des Terrors entfesselte und so den Weg für den Faschismus ebnete. Dies ist einer der Gründe, warum die herrschende Klasse es vorzieht, diese Ereignisse in einen dicken Mantel des Schweigens zu hüllen.

Die Niederlage der proletarischen Revolution in Deutschland war ein entscheidender Wendepunkt im 20. Jahrhundert, weil sie auch die Niederlage der Weltrevolution bedeutete. In Deutschland markierte die Etablierung des Nazi-Regimes, das auf der Zerschmetterung des revolutionären Proletariats aufbaute, die Beschleunigung des Marsches Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg. Die besondere Barbarei des Nazi-Regimes sollte sehr bald als eine Rechtfertigung für die antifaschistischen Kampagnen dienen, die darauf abzielten, das Proletariat des „demokratischen“ imperialistischen Lagers in den nahe bevorstehenden Krieg zu zwingen. Laut der antifaschistischen Ideologie war der demokratische Kapitalismus das kleinere Übel, das bis zu einem gewissen Grad die Bevölkerung vor all dem Schlechten in der bürgerlichen Gesellschaft bewahren könne. Diese Mystifikation, die noch immer gefährliche Auswirkungen auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse hat, wird durch die revolutionären Kämpfe in Deutschland widerlegt. Sie wurden von der Sozialdemokratie besiegt, die eine Herrschaft des Terrors entfesselte und so den Weg für den Faschismus ebnete. Dies ist einer der Gründe, warum die herrschende Klasse es vorzieht, diese Ereignisse in einen dicken Mantel des Schweigens zu hüllen.

Ordnung herrscht in Berlin

Am Abend des 15. Januars 1919 verlangten fünf Mitglieder der bewaffneten bürgerlichen Selbstschutztruppe des wohlhabenden Bezirks Wilmersdorf in Berlin, unter ihnen ein Geschäftsmann und ein Branntweinbrenner, Einlass in die Wohnung der Familie Marcusson, wo sie drei Mitglieder des Zentralorgans der jungen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) entdeckten: Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Wilhelm Pieck. „Konventionelle“ Geschichtsbücher sagen noch immer, dass die KPD-Führer „verhaftet“ worden seien. In Wahrheit wurden Liebknecht, Luxemburg und Pieck verschleppt. Obwohl die Aktivisten der „Bürgermiliz“ davon überzeugt waren, dass ihre Gefangenen Kriminelle waren, händigten sie sie nicht der Polizei aus. Stattdessen brachten sie sie in das Luxushotel Eden, wo erst am Morgen desselben Tages die Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) ihr neues Hauptquartier eingerichtet hatte.

Die GKSD war eine Eliteeinheit der kaiserlichen Armee gewesen, ursprünglich die Leibwache des Kaisers selbst. Wie ihre Nachfolger im II. Weltkrieg, die SS, entsandte sie „Schock“truppen an die Kampffront, hatte aber auch ihr eigenes Spionage- und Sicherheitssystem. Sobald die Neuigkeiten vom Ausbruch der Revolution die Westfront erreicht hatten, marschierte die GKSD heimwärts, um die Führung der Konterrevolution zu übernehmen, und erreichte den Großraum Berlin am 30. November. Dort führte sie den Angriff vom Heiligabend gegen die revolutionären Matrosen im kaiserlichen Stadtschloss an, wobei sie Artillerie und Gasgranaten inmitten der City einsetzte.[1]

In seinen Memoiren rief der Oberbefehlshaber der GKSD, Waldemar Pabst, in Erinnerung, wie einer seiner Offiziere, ein katholischer Aristokrat, Rosa Luxemburg zu einer „Heiligin“ erklärte, nachdem er eine Rede von ihr gehört hatte, und ihn bat, ihr zu gestatten, sich an seine Einheit zu wenden. „In diesem Augenblick“, erklärte Pabst, „erkannte ich die ganze Gefährlichkeit der Frau Luxemburg. Sie war gefährlicher als alle anderen, auch die mit der Waffe“.[2]

Die fünf kühnen Vertreter von Recht und Ordnung aus Wilmersdorf wurden, als sie das Paradies von Hotel Eden erreichten, stattlich für ihre Dienste belohnt. Die GKSD war eine der drei Organisationen in der Hauptstadt, die beträchtliche finanzielle Belohnungen für die Ergreifung von Liebknecht und Luxemburg ausgelobt hatten.[3]

Pabst erstattete einen kurzen Bericht über das Verhör Rosa Luxemburgs an jenem Abend. „Sind Sie Frau Luxemburg?“, fragte er. „Entscheiden Sie bitte selber. „Da sagte ich, nach dem Bilde müssen Sie es sein. Darauf entgegnete sie mir: Wenn Sie es sagen“ (ebenda, S. 28). Dann nahm sie eine Nadel heraus und begann, ihr Kleid zu flicken, dessen Saum bei ihrer Festsetzung zerrissen worden war. Schließlich begann sie eines ihrer liebsten Bücher – Goethes Faust – zu lesen und die Anwesenheit ihres Verhörers zu ignorieren.

Sobald sich die Nachricht von der Ankunft der ergriffenen „Spartakisten“ verbreitete, brach eine Pogromatmosphäre unter den Gästen des eleganten Hotels aus. Pabst jedoch hatte seine eigenen Pläne. Er rief die Leutnants und Offiziere der Marine, hoch respektierte Ehrenmänner, zusammen. Männer, deren „Ehre“ in besonderer Weise verletzt worden war, da es ihre eigenen Untergebenen, die Matrosen der Reichsflotte, waren, die gemeutert und die Revolution begonnen hatten. Diese Herrschaften schworen schließlich einen Eid unter Ehrenmännern, ein Schweigegelübde für den Rest ihres Lebens über das, was nun folgen sollte.

Ihnen ging es darum, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden, eine „standrechtliche Exekution“ oder ähnliches, die die Opfer als Helden oder Märtyrer erscheinen lassen würde. Die „Spartakisten“ sollten einen schändlichen Tod sterben. Es wurde verabredet vorzutäuschen, Liebknecht ins Gefängnis zu bringen, dabei einen Autoschaden im Tiergarten vorzutäuschen und ihn „auf der Flucht“ zu erschießen. Da solch eine Lösung wohl kaum glaubwürdig gewesen wäre, was Rosa Luxemburg mit ihrem allseits bekannten Hüftschaden, der sie humpeln ließ, betraf, wurde beschlossen, dass sie dem Schein nach einem Mob von Zivilisten zum Opfer fallen sollte. Die Rolle des Mobs wurde dem Marineleutnant Herman Souchon überantwortet, dessen Vater, Admiral Souchon, im November 1918 als Kommandant von Kiel schändlicherweise dazu gezwungen wurde, mit den revolutionären Arbeitern und Matrosen zu verhandeln. Er sollte außerhalb des Hotels warten, um zum Auto hinüberzulaufen, Rosa Luxemburg wegzureißen und ihr in den Kopf zu schießen.

Im Verlaufe der Ausführung dieses Plans trat ein unvorhergesehenes Element auf, in Gestalt eines Soldaten namens Runge, der mit seinem Hauptmann, einen Mann namens Petri, vereinbart hatte, nach seinem Feierabend um 23 Uhr dienstbereit zu bleiben. Sie waren entschlossen, die Hauptbelohnung für die Liquidierung dieser Revolutionäre einzuheimsen. Als Liebknecht zum Auto vor dem Hotel gebracht wurde, versetzte Runge ihm mit dem Gewehrkolben einen heftigen Schlag auf den Kopf – eine Tat, die die Story, Liebknecht sei „auf der Flucht erschossen“ worden, erheblich in Misskredit brachte. Bei der allgemeinen Konsternierung, die diese Tat verursachte, dachte niemand daran, Runge vom Ort zu entfernen. Als Rosa Luxemburg aus dem Hotel gebracht wurde, schlug Runge, in voller Uniform, sie bewusstlos, indem er dasselbe Mittel anwendete. Als sie auf dem Boden lag, versetzte er ihr einen zweiten Schlag. Nachdem sie halbtot in das wartende Auto geworfen wurde, versetzte ihr ein anderer dienstbereiter Soldat, von Rzewuski, einen weiteren Schlag. Erst dann rannte Souchon nach vorn, um sie zu exekutieren. Was folgte, ist hinreichend bekannt. Liebknecht wurde im Tiergarten erschossen. Die Leiche Rosa Luxemburgs wurde in den nahe gelegenen Landwehrkanal versenkt[4]. Am folgenden Tag hatten die Mörder ihre Fotos zu ihrer Feier mitgenommen.

Nachdem sie ihr Entsetzen und ihre Verurteilung dieser „Gräueltaten“ ausgedrückt hatte, versprach die sozialdemokratische Regierung die „rigoroseste Untersuchung“ – die sie in die Hände der Garde-Kavallerie-Schützen-Division legte... Der Leiter der Untersuchung, Jorns, der durch Enthüllungen über den Völkermord der deutschen Armee in „Deutsch-Südwestafrika“ vor dem Krieg zu einer gewissen Reputation gelangt war, richtete sein Büro im Hotel Eden ein, wo er in seinen „Ermittlungen“ von Pabst und einem der beschuldigten Mörder, von Pflugk-Harrtung, assistiert wurde. Der Plan, auf Zeit zu spielen und dann die Idee eines Gerichtsfalls zu begraben, wurde jedoch von einem Artikel durchkreuzt, der am 12. Februar in der Roten Fahne, der Zeitung der KPD, erschien. Dieser Artikel, der dem bemerkenswert nahe kam, was sich als konkrete historische Wahrheit dieser Mörder herausstellen sollte, löste einen öffentlichen Aufschrei aus[5].

Der Prozess begann am 8. Mai 1919. Das Gerichtsgebäude wurde unter den „Schutz“ bewaffneter Kräfte der GKSD gestellt. Der angekündigte Richter war ein weiterer Repräsentant der Reichsflotte, Wilhelm Canaris, ein persönlicher Freund von Pabst und Pflugk-Harrtung. Später wurde er Chef der Spionage in Nazi-Deutschland. Erneut ging alles nach Plan – außer, dass Einzelne aus dem Personal des Hotels Eden trotz der Angst davor, den Arbeitsplatz zu verlieren und auf die Abschussliste der militärischen Killerkommandos zu geraten, wahrheitsmäßig bezeugten, was sie gesehen hatten. Die junge Raumpflegerin Anna Berger berichtete eingehend, dass sie die Offiziere darüber sprechen gehört habe, was für ein „Empfang“ Liebknecht im Tiergarten bevorstünde. Die Kellner Mistelski und Krupp, beide 17 Jahre alt, identifizierten Runge und enthüllten seine Verbindung zu Petri. Trotz alledem akzeptierte das Gericht ungefragt die „Erschossen auf der Flucht“-Version und sprach die Offiziere, die geschossen hatten, frei. Was Rosa Luxemburg anbetraf, bestand die Schlussfolgerung darin, dass zwei Soldaten versucht hätten, sie zu töten, aber dass es sich um keinen Mord handle. Auch sei ihre Todesursache nicht bekannt, da ihr Körper nicht gefunden worden war.

Erst am 31. Mai 1919 fanden Arbeiter an einer Kanalschleuse den toten Körper von Rosa Luxemburg. Als er vernahm, dass „sie“ wiedererschienen war, ordnete SPD-Innenminister Gustav Noske sofort eine Nachrichtenblockade in dieser Frage an. Erst drei Tage später wurde ein offizielles Statement veröffentlicht, in dem behauptet wurde, dass die sterblichen Überreste Rosa Luxemburgs gefunden worden seien, aber nicht von Arbeitern, sondern von einer Militärpatrouille.

Entgegen aller Regeln lieferte Noske die Leiche an seine militärischen Freunde aus, in die Hände von Rosas Mörder. Die verantwortlichen Behörden konnten nicht eingreifen und wiesen darauf hin, dass Noske faktisch eine Leiche gestohlen habe. Offensichtlich fürchteten sich die Sozialdemokraten selbst vor dem toten Körper Rosa Luxemburgs.

Der Mantel des Schweigens, der im Hotel Eden ausgebreitet wurde, hielt jahrzehntelang. Doch wurde das Schweigen schließlich von Pabst selbst gebrochen. Er konnte es nicht mehr aushalten, keine öffentliche Anerkennung für seine Tat zu erhalten. In den Jahren nach dem II. Weltkrieg begann er in Interviews mit den neuen Magazinen (Spiegel, Stern) dunkle Andeutungen zu machen und wurde noch deutlicher in Diskussionen mit Historikern und in seinen Memoiren. In der demokratischen westdeutschen Bundesrepublik bot der „Antikommunismus“ des Kalten Krieges günstige Bedingungen. Pabst berichtete, dass er am Abend des 15. Januars 1919 mit dem sozialdemokratischen Innenminister Noske telefoniert habe, um sich dessen Rat einzuholen, wie er mit seinen illustren Gefangenen umgehen solle. Sie stimmten in der Notwendigkeit überein, dem Bürgerkrieg ein Ende zu bereiten. Über die Mittel, mit denen man zu diesem Ende kommen wollte, sagte Noske: „Das soll der General tun, es sind seine Gefangenen“[6] In einem Brief an Dr. Franz schrieb Pabst 1969: „Noske und ich waren uns in dieser Auffassung restlos einig. Die Anordnungen konnte Noske natürlich nicht selbst geben[7]. Und in einem anderen Brief schrieb Pabst: „Tatsache ist: Die Durchführung der von mir angeordneten Befehle [...] ist erfolgt, und dafür sollten diese deutschen Idioten Noske und mir auf den Knien danken, uns Denkmäler setzen und nach uns Straßen und Plätze genannt haben! Der Noske war damals vorbildlich, und die Partei (bis auf ihren halbkommunistischen linken Flügel) hat sich in dieser Affäre damals tadellos benommen. Dass ich die Aktion ohne Noskes Zustimmung gar nicht durchführen konnte (mit Ebert im Hintergrund) und auch meine Offiziere schützen musste, ist klar“[8].

Das System des politischen Mordes

Die Jahre 1918 bis 1920 in Deutschland waren historisch sicherlich nicht einzigartig darin, dass einer versuchten proletarischen Revolution oder Erhebung mit einem schrecklichen Massaker, das bis zu 20.000 Proletariern das Leben kostete, begegnet wurde. Ähnliche Szenen wurden auch in Paris während der Juli-Revolution 1848 und der Pariser Kommune 1871 beobachtet. Und während die erfolgreiche Oktoberrevolution von 1917 fast ohne Blutvergießen ausging, kostete der Bürgerkrieg, den das internationale Kapital als Reaktion darauf erzwang, Millionen Menschen das Leben. Was neu an Deutschland war, das war die Anwendung eines System des politischen Mordes nicht erst am Ende des revolutionären Prozesses, sondern von Beginn an[9].

In dieser Frage können wir uns nach Klaus Gietinger auf einen weiteren Zeugen berufen: Emil Julius Gumbel, der 1924 ein berühmtes Buch veröffentlichte, Vier Jahre politischer Mord. Wie Klaus Gietinger war Gumbel kein revolutionärer Kommunist. Tatsächlich war er ein Vertreter der in Weimar etablierten bürgerlichen Republik. Doch er war vor allen Dingen ein Mann auf der Suche nach der Wahrheit, bereit, sein Leben im Prozess zu riskieren[10].

Für Gumbel war das, was die Entwicklungen in Deutschland charakterisierte, der Übergang vom „handwerklichen Mord“ zu dem, was er eine „industriellere“ Methode nannte[11]. Diese beruhte auf Todeslisten, die von Geheimorganisationen zusammengestellt und von Todeskommandos „abgearbeitet“ wurden, die sich aus Offizieren und Soldaten zusammensetzten. Diese Todeskommandos existierten nicht nur in friedlicher Koexistenz mit den offiziellen Organen des demokratischen Staates – sie kooperierten darüber hinaus aktiv mit Letzterem. Eine Schlüsselrolle in dieser Strategie wurde von den Medien gespielt, die die Anschläge vorbereiteten und rechtfertigten und im Nachhinein den Toten all das, was ihnen geblieben war, raubten: ihren guten Ruf.

Nachdem er den linken, hauptsächlich individuellen Terrorismus[12] vor dem Krieg mit dem neuen rechten Terror verglichen hatte, schrieb Gumbel: „Die unglaubliche Milde des Gerichts ist den Tätern wohl bekannt. So unterscheiden sich die heutigen politischen Morde in Deutschland von den früher in anderen Ländern üblichen durch zwei Momente: Ihre Massenhaftigkeit und ihre Unbestraftheit. Früher gehörte zum politischen Mord immerhin eine gewisse Entschlusskraft. Ein gewisser Heroismus war dabei nicht zu leugnen: Der Täter riskierte Leib und Leben. Flucht war nur unter außerordentlichen Mühen möglich. Heute riskiert der Täter gar nichts. Mächtige Organisationen mit ausgebreiteten Vertrauensleuten im ganzen Lande sichern ihm Unterkunft, Schutz und materielles Fortkommen. Gut ‚gesinnte‘ Beamte, Polizeipräsidenten geben falsche ‚richtige‘ Papiere, zur eventuell nötigen Auslandsreise... Man lebt in den besten Hotels herrlich und in Freuden. Kurz, der politische Mord ist aus einer heroischen Tat zur alltäglichen Handlung, ja beinahe zu einer leichten Erwerbsquelle... geworden“[13]

Was auf den individuellen Mord gemünzt war, trifft ohne weiteres auch auf einen rechten Putsch zu, der benutzt wurde, um in massivem Umfang zu töten – was Gumbel den „halborganisierten Mord“ nannte. „Gelingt der Putsch, um so besser, misslingt er, so werden die Gerichte schon dafür sorgen, dass den Mördern nichts passiert. Und sie haben dafür gesorgt. Kein einziger Mord von Rechts ist wirklich gesühnt. Selbst gegen geständige Mörder wird das Verfahren aufgrund der Kapp-Amnestie eingestellt.“(ebenda, S. 125).

Als Antwort auf den Ausbruch der proletarischen Revolution in Deutschland wurde eine große Anzahl solcher konterrevolutionären Organisationen gebildet[14]. Und als sie endlich im restlichen Land gebannt wurden, als das Kriegsrecht und die Sondergerichte aufgehoben wurden, wurde all dies in Bayern weiter aufrechterhalten, so dass München zum „Nest“ der deutschen (und russischen Exil-)Rechtsextremen wurde. Was als „bayrischer Partikularismus“ dargestellt wurde, entsprang in Wahrheit einer Arbeitsteilung. Die Hauptträger dieser „bayrischen Fronde“ waren Ludendorff und seine Unterstützer aus dem militärischen Hauptquartier, die keinesfalls nur Bayern waren[15].

Die Sozialdemokratie, das Militär und das System des Terrors

Wie wir im zweiten Teil dieser Serie angemerkt hatten, wurde die „Dolchstoßlegende“ im September 1918 von Ludendorff in die Welt gesetzt. Sobald er realisiert hatte, dass der Krieg verloren war, rief er zur Bildung einer Zivilregierung auf, die den Frieden erwirken würde. Seine ursprüngliche Idee bestand darin, die Zivilisten dazu zu veranlassen, die Schuld auf sich zu nehmen und die Reputation der Streitkräfte zu bewahren. Die Revolution war noch nicht ausgebrochen. Doch sobald dies geschah, gewann die Dolchstoßlegende eine neue Bedeutung. Die Propaganda, dass ruhmreiche Streitkräfte, die auf dem Schlachtfeld ungeschlagen war, im letzten Moment durch die Revolution um ihren Sieg gebracht worden seien, zielte auf eine irre gemachte Gesellschaft ab, besonders auf die Soldaten, mit ihrem brennenden Hass auf die Revolution.

Als den Sozialdemokraten zunächst ein Sitz in einer solchen zivilen „Regierung der Schande“ angeboten wurde, wollte der clevere Scheidemann in der SPD-Führung dieses Angebot ausschlagen, da er erkannte, dass es eine Falle war[16]. Er wurde von Ebert überstimmt, der dafür plädierte, das Wohl des Vaterlandes über die „Parteipolitik“ zu stellen[17].

Als am 10. Dezember 1918 die SPD-Regierung und das militärische Oberkommando Massen von Soldaten, die von der Front heimkehrten, durch die Straßen Berlins marschieren ließen, war es ihre Absicht, diese Kräfte zu benutzen, um die Revolution zu zerschmettern. Zu diesem Zweck richtete sich Ebert am Brandenburger Tor an die Truppen und begrüßte die Armee als „auf dem Schlachtfeld nie besiegt“. In diesem Augenblick machte Ebert die Dolchstoßlegende zu einer offiziellen Doktrin der SPD und seiner Regierung[18].

Natürlich beschuldigte die Dolchstoß-Propaganda nicht wörtlich die Arbeiterklasse für Deutschlands Niederlage. Dies wäre auch nicht ratsam gewesen in einem Moment, als der Bürgerkrieg begann, d.h. als es für die Bourgeoisie notwendig wurde, die Klassenteilungen zu verwischen. Es mussten Minderheiten gefunden werden, die die Massen manipuliert und in die Irre geführt haben und die als die wahren Missetäter identifiziert werden konnten.

Einer dieser Missetäter waren die Russen und ihr Agent, der deutsche Bolschewismus, die eine primitive, asiatische Form des Sozialismus repräsentierten, den Sozialismus des Hungers und ein Bazillus, der die „europäische Zivilisation“ bedrohte. Diese Themen waren, unter anderer Bezeichnung, eine direkte Fortsetzung der antirussischen Propaganda der Kriegsjahre. Die SPD war der größte und verkommenste Verbreiter dieses Gifts. Das Militär war im Grunde viel zögerlicher hier, da einige seiner wagemutigsten Vertreter zeitweise mit der Idee des, wie sie es nannten, „Nationalbolschewismus“ spielten (die Idee, dass ein militärisches Bündnis des deutschen Militarismus mit dem proletarischen Russland gegen die „Versailler Mächte“ auch ein geeignetes Mittel sein könnte, die Revolution sowohl in Deutschland als auch in Russland moralisch zu zerstören).

Der andere Missetäter waren die Juden. Ludendorff hatte sie von Anfang an im Kopf. Auf dem ersten Blick mag es erscheinen, als folgte die SPD diesem Beispiel nicht. In Wahrheit wiederholte ihre Propaganda im Grunde den Schmutz, den die Offiziere verbreitet hatten - ausgenommen das Wort „Jude“, das durch „Fremde“, „Elemente ohne nationalen Wurzeln“ oder „Intellektuelle“ ersetzt wurde. Begriffe, die im damaligen kulturellen Kontext dasselbe meinten. Dieser anti-intellektuelle Hass auf die „Bücherwürmer“ ist ein wohlbekanntes Merkmal des Antisemitismus. Zwei Tage, bevor Liebknecht und Luxemburg ermordet wurden, veröffentlichte der Vorwärts, der SPD-Tageszeitung ein „Gedicht“ – tatsächlich ein Pogromaufruf – namens Das Leichenhaus, in dem bedauert wurde, dass unter den Getöteten nur Proletarier seien, während „Karl, Rosa, Radek“ und „dergleichen“ entkommen seien.

Die Sozialdemokratie sabotierte die Arbeiterkämpfe von innen. Sie leitete die Bewaffnung der Konterrevolution und ihre militärischen Kampagnen gegen das Proletariat. Indem sie die Revolution besiegte, schuf sie die Möglichkeit für den späteren Triumph des Nationalsozialismus, bereitete ihm unwissentlich den Weg. Die SPD tat gar noch mehr als ihre Pflicht bei der Verteidigung des Kapitalismus. Indem sie half, die inoffizielle Söldnerarmee der Freikorps zu bilden, indem sie die Todeskommandos der Offiziere schützte, die Ideologien der Reaktion und des Hasses verbreitete, die das politische Leben Deutschlands im nächsten Vierteljahrhundert dominieren sollten, war sie aktiv an der Kultivierung des Milieus beteiligt, das das Hitler-Regime zum Leben verhalf.

„Ich hasse die Revolution wie die Sünde“, erklärte Ebert brav. Dies war nicht der Hass der Industriellen und Militärs, die um ihr Eigentum fürchteten und für die die herrschende Ordnung so natürlich erschien, dass sie nicht anders konnten, als alles andere zu bekämpfen; die Sünden, die die Sozialdemokraten hassten, waren die Sünden ihrer eigenen Vergangenheit, ihrer Verwicklung in einer Bewegung zusammen mit überzeugten Revolutionären und proletarischen Internationalisten – selbst wenn viele von ihnen niemals solche Überzeugungen geteilt hatten. Es war der Hass der Renegaten auf die verratene Sache. Die Führer der SPD und der Gewerkschaften glaubten, dass die Arbeiterbewegung ihr eigenes Eigentum sei. Als sie sich bei Ausbruch des Weltkrieges mit der imperialistischen Bourgeoisie zusammentaten, nahmen sie an, dass dies das Ende des Sozialismus sei, ein illusorisches Kapitel, das sie nun zu schließen gedachten. Als die Revolution nur vier Jahre später ihr Haupt erhob, war es wie die Wiedererscheinung eines entsetzlichen Albtraums aus der Vergangenheit. Der Hass auf die Revolution war gleichzeitig Angst vor ihr. Da sie ihre eigenen Gefühle auf ihre Feinde projizierten, fürchteten sie auch, von den „Spartakisten“ gelyncht zu werden (eine Furcht, die sie mit den Offizieren der Todeskommandos teilten)[19]. Ebert war zwischen Heiligabend und Neujahr 1918 auf dem Sprung, aus der Hauptstadt zu fliehen. All dies kristallisierte sich vor allem in einer Person: Rosa Luxemburg, die zur Hauptzielscheibe ihres Hasses wurde. Die SPD war zum Sammelbecken alles Reaktionären im verwesenden Kapitalismus geworden. So war die bloße Existenz von Rosa Luxemburg, ihre Prinzipientreue, ihr Mut, ihre intellektuelle Brillanz, die Tatsache, dass sie eine Ausländerin war, jüdischer Herkunft und eine Frau, eine einzige Provokation für sie. Sie nannten sie die „rote Rosa“, ein Flintenweib, blutrünstig und auf Rache aus.

Wir müssen dies vor Augen haben, wenn wir eines der auffälligsten Phänomene der Revolution in Deutschland untersuchen: das Ausmaß der Unterwürfigkeit der Sozialdemokratie gegenüber dem Militär, das selbst die preußische Offizierskaste abstoßend und lächerlich fand. Während der gesamten Periode der Kollaboration des Offizierskorps‘ mit der SPD hörten Erstere nie auf, öffentlich ihre Absicht kundzutun, Letztere „zur Hölle“ zu schicken, sobald sie sie nicht mehr benötigen. Nichts von alledem konnte die hündische Loyalität der SPD erschüttern. Diese Unterwürfigkeit war natürlich nicht neu. Sie hatte das Verhalten der Gewerkschaften und der reformistischen Politiker lange vor 1914 geprägt[20]. Doch nun wurde sie kombiniert mit der Überzeugung, dass allein das Militär den Kapitalismus und somit auch die SPD schützen könne.

Im März 1920 putschten rechtsextreme Offiziere gegen die SPD-Regierung – der Kapp-Putsch. Unter den Putschisten finden wir die Kollaborateure von Ebert und Noske beim Doppelmord am 15. Januar: Pabst und sein General von Lüttwitz, die GKSD und die oben erwähnten Leutnants von der Marine. Kapp und Lüttwitz hatten ihren Truppen eine erkleckliche finanzielle Belohnung für den Sturz Eberts in Aussicht gestellt. Der Coup wurde nicht durch die Regierung (die nach Stuttgart floh) vereitelt, auch nicht durch das offizielle Militärkommando (das sich selbst für „neutral“ erklärte), sondern durch das Proletariat. Die drei Konfliktparteien der herrschenden Klasse, die SPD, die „Kappisten“ und das militärische Oberkommando (nun nicht mehr neutral) taten sich erneut zusammen, um die Arbeiter zu besiegen. Der Zweck heiligt die Mittel! Außer eins: Was macht man mit den armen Meuterern und ihren Hoffnungen auf Belohnung für den Sturz Eberts? Kein Problem! Die Ebert-Regierung zahlte, zurück im Amt, selbst diese Belohnung aus.

Soviel zum Argument (vorgetragen zum Beispiel von Trotzki vor 1933), dass die Sozialdemokratie trotz ihrer Integration im Kapitalismus sich noch immer gegen die Behörden auflehnen und den Faschismus verhindern könnte – um ihre eigene Haut zu retten.

Kapitalistische Diktatur und Sozialdemokratie

In der Tat war das Militär nicht so sehr gegen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften als vielmehr gegen das herrschende System an sich[21]. Schon das Vorkriegs-Deutschland war nicht von politischen Parteien regiert worden, sondern von der Militärkaste, einem System, das die Monarchie symbolisierte. Schritt für Schritt wurde die weitaus mächtigere industrielle und finanzielle Bourgeoisie in dieses System integriert, durch inoffizielle Strukturen und insbesondere durch den Alldeutschen Verein, der das Land vor und während des Weltkrieges sehr wirksam beherrschte[22].

Das Parlament im Deutschen Reich (der Reichstag) hatte so gut wie keine Macht dagegen zu setzen. Die politischen Parteien hatten keine reale Regierungserfahrung und waren eher Lobbygruppen für verschiedene wirtschaftliche oder regionale Fraktionen als irgendetwas anderes.

Was ursprünglich ein Produkt der politischen Rückständigkeit Deutschlands gewesen war, stellte sich als ein enormer Vorteil dar, sobald der Weltkrieg einmal ausgebrochen war. Um mit dem Krieg und der ihm folgenden Revolution fertigzuwerden, war die diktatorische Kontrolle des Staates über die Gesamtheit der Gesellschaft eine Notwendigkeit. In den alten westlichen „Demokratien“, insbesondere in den angelsächsischen Ländern mit ihren raffinierten Zweiparteiensystemen, entwickelte sich der Staatskapitalismus durch ein allmähliches Verschmelzen der politischen Parteien und der verschiedenen ökonomischen Fraktionen der Bourgeoisie mit dem Staat. Diese Form des Staatskapitalismus erwies sich zumindest in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten als äußerst effektiv. Doch es beanspruchte eine relativ lange Zeit zur Entstehung.

In Deutschland existierte die Struktur für solch eine diktatorische Staatsintervention bereits. Eines der größten „Geheimnisse“ der Fähigkeit Deutschlands, mehr als vier Jahre lang einen Krieg gegen fast alle anderen Großmächte der Welt – die die Ressourcen ihrer Kolonialreiche hinter sich wussten - auszuhalten, liegt in der Effizienz dieses Systems. Auch deswegen spielten die westlichen Alliierten nicht nur „für die Galerie“, als sie am Kriegsende die Liquidierung des „preußischen Militarismus“ forderten.

Wie wir im Verlaufe dieser Reihe bereits gesehen haben, wollte nicht nur das Militär, sondern auch Ebert selbst die Monarchie am Ende des Krieges bewahren, mit einem Reichstag im Stile der Vorkriegszeit. Mit anderen Worten, sie wollten jene staatskapitalistischen Strukturen aufrechterhalten, welche sich während des Krieges bewährt hatten. Angesichts der Gefahr der Revolution mussten sie jedoch abgeschafft werden. Das ganze Arsenal und Gepränge der politischen Parteidemokratie wurde gebraucht, um die Arbeiter ideologisch in die Irre zu führen.

Dies produzierte das Phänomen der Weimarer Republik: ein Wirt von unerfahrenen und ineffektiven Parteien, die größtenteils unfähig waren, zusammenzuarbeiten oder sich selbst diszipliniert in das staatskapitalistische Regime einzufügen. Kein Wunder, dass das Militär sie loswerden wollte! Die einzig wirkliche politische Partei der Bourgeoisie, die in Deutschland existierte, war die SPD.

Doch wenn die Aufrechterhaltung des staatskapitalistischen[23] Kriegsregimes durch die Revolution verunmöglicht worden war, so wurde auch der Plan Großbritanniens und insbesondere der USA durch die Revolution unmöglich gemacht. Die westlichen „Demokratien“ mussten den Kern der Militärkaste und ihrer Macht intakt lassen, um das Proletariat zu zerschmettern. Dies blieb nicht ohne Konsequenzen. Als 1933 die traditionellen Führer Deutschlands, die Streitkräfte und die Großindustrie, der Weimarer Republik den Laufpass gaben, gewann Deutschland im Zuge der Vorbereitung des II. Weltkrieges seinen organisatorischen Vorteil gegenüber den imperialistischen Rivalen des Westens zurück. Auf der Ebene seiner Zusammensetzung war der Hauptunterschied zwischen dem alten und dem neuen Regime, dass die SPD von der NSDAP, der Nazi-Partei, ersetzt wurde. Die SPD war derart erfolgreich bei der Niederringung des Proletariats gewesen, dass ihre Dienste nicht mehr erforderlich waren.

Russland und Deutschland: Dialektische Pole der Weltrevolution

Im Oktober 1917 rief Lenin die Partei und die Sowjets in Russland zum Aufstand auf. In einer Resolution an das bolschewistische Zentralkomitee, geschrieben „von Lenin mit Bleistiftstummel auf einer karierten Kinderheftseite“ (Trotzki)[24], schrieb er: „Das Zentralkomitee stellt fest, dass sowohl die internationale Lage der russischen Revolution (der Aufstand in der deutschen Flotte als höchster Ausdruck des Heranreifens der sozialistischen Weltrevolution in ganz Europa, ferner die Gefahr eines Friedens der Imperialisten mit dem Ziel, die Revolution in Russland zu erdrosseln, als auch die militärische Lage (der nicht zu bezweifelnde Entschluss der russischen Bourgeoisie sowie Kerenski & Co., Petrograd den Deutschen auszuliefern, und die Eroberung der Mehrheit in den Sowjets durch die proletarische Partei – dass all dies im Zusammenhang mit dem Bauernaufstand und mit der Tatsache, dass sich das Vertrauen des Volkes unserer Partei zugewandt hat, (die Wahlen in Moskau) und endlich die offenkundige Vorbereitung eines zweiten Kornilow-Putsches... – dass all dies den bewaffneten Aufstand auf die Tagesordnung setzt“[25]

Diese Formulierung enthält die gesamte damalige marxistische Sichtweise der Weltrevolution und der Schlüsselrolle Deutschlands in diesem Prozess. Einerseits müsse die Erhebung in Russland als Reaktion auf den Beginn der Revolution in Deutschland erfolgen, die das Signal für Gesamteuropa sei. Andererseits beabsichtige die russische Bourgeoisie, unfähig, die Revolution auf dem eigenen Territorium niederzuschlagen, diese Aufgabe der deutschen Regierung, dem Gendarmen der Konterrevolution auf dem europäischen Festland, anzuvertrauen (dabei Petersburg den Deutschen überlassend). Lenin zürnte über die innerparteilichen Gegner eines Aufstandes, jene, die ihre Solidarität mit der Revolution in Deutschland erklärten und dabei die russischen Arbeiter aufriefen, auf das deutsche Proletariat zu warten, um ihm die Führung anzuvertrauen.

 „Man bedenke nur: Die Deutschen haben, unter verteufelt schwierigen Verhältnissen, mit nur einem Liebknecht, (der dazu noch im Zuchthaus sitzt) ohne Zeitungen, ohne Versammlungsfreiheit, ohne Sowjets, angesichts einer ungeheuren Feindseligkeit aller Bevölkerungsklassen bis zum letzten begüterten Bauern gegen die Idee des Internationalismus, angesichts der ausgezeichneten Organisation der imperialistischen Groß-, Mittel- und Kleinbourgeoisie, die Deutschen, d.h. die deutschen revolutionären Internationalisten, die Arbeiter im Matrosenkittel, haben einen Aufstand in der Flotte begonnen – bei einer Chance von vielleicht 1:100. Wir aber, die wir Dutzende von Zeitungen, die wir Versammlungsfreiheit haben, über die Mehrheit in den Sowjets verfügen, wir, die wir im Vergleich zu den proletarischen Internationalisten in der ganzen Welt die besten Bedingungen haben, wir werden darauf verzichten, die deutschen Revolutionäre durch unseren Aufstand zu unterstützen. Wir werden argumentieren, wie die Scheidemänner und die Renaudel: Das Vernünftigste ist, keinen Aufstand zu machen, wenn man uns niederknallt, so verliert die Welt in uns so prächtige, so vernünftige, so ideale Internationalisten !!)“[26]. Als er diesen berühmten Text, „Die Krise ist herangereift“, verfasste (29. September 1917) waren jene, die den Aufstand in Russland verschieben wollten: „wären Verräter, denn sie würden durch ihr Verhalten die deutschen revolutionären Arbeiter verraten, die in der Flotte einen Aufstand begonnen haben“[27].

Dieselbe Debatte fand in der bolschewistischen Partei anlässlich der ersten politischen Krise statt, die der Machtergreifung folgte: Unterzeichnung des Vertrages von Brest-Litowsk mit dem deutschen Imperialismus – ja oder nein. Oberflächlich betrachtet, scheint es, als haben die Fronten in der Debatte gewechselt. Es war nun Lenin, der zur Vorsicht mahnt: Wir müssen die Demütigung dieses Vertrages akzeptieren. Doch tatsächlich gibt es eine Kontinuität. In beiden Fällen wurde, da das Schicksal der Russischen Revolution auf dem Spiel stand, die Perspektive einer Revolution in Deutschland zum Fokus der Debatten. In beiden Fällen bestand Lenin darauf, dass alles davon abhängt, was in Deutschland passiert, aber auch, dass der Sieg der Revolution dort länger dauern und unendlich schwieriger sein wird als in Russland. Daher musste die Russische Revolution im Oktober 1917 die Führung übernehmen. Daher musste, wie in Brest-Litowsk, die russische Bastion darauf vorbereitet sein, einen Kompromiss zu machen. Sie habe die Verantwortung, „durchzuhalten“, um in der Lage sein, die deutsche und die Weltrevolution zu unterstützen.

Von Anbeginn war die Deutsche Revolution durchdrungen von einem Verantwortungssinn gegenüber der Russischen Revolution. Es lag am deutschen Proletariat, die russischen Arbeiter aus ihrer internationalen Isolation zu befreien. Wie Rosa Luxemburg im Gefängnis in ihren Notizen über Die russische Revolution, 1922 posthum erschienen, schrieb:

„Alles, was in Russland vorgeht, ist begreiflich und eine unvermeidliche Kette von Ursache und Wirkungen, deren Ausgangspunkte und Schlusssteine: das Versagen des deutschen Proletariats und die Okkupation Russlands durch den deutschen Imperialismus“[28]

Den russischen Ereignissen gebührt der Ruhm, mit der Weltrevolution begonnen zu haben.

„Dies ist das Wesentliche und Bleibende der Bolschewiki-Politik. In diesem Sinne bleibt ihnen das unsterbliche, geschichtliche Verdienst, mit der Eroberung der politischen Gewalt und der praktischen Problemstellung der Verwirklichung des Sozialismus dem internationalen Proletariat vorangegangen zu sein und die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in der ganzen Welt mächtig vorangetrieben zu haben. In Russland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Russland gelöst werden. Es kann nur international gelöst werden. Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem ‚Bolschewismus‘“[29]

Die praktische Solidarität des deutschen mit dem russischen Proletariats ist also die die revolutionäre Eroberung der Macht, die Zerstörung der Hauptbastion der militaristischen und sozialdemokratischen Konterrevolution in Kontinentaleuropa. Allein dieser Schritt kann die in Russland erreichte Bresche in eine weltweite revolutionäre Flut verwandeln.

In einem anderen Beitrag aus ihrer Gefängniszelle, Die russische Tragödie, warf Rosa Luxemburg ein Licht auf die beiden tödlichen Gefahren der Isolation der Russischen Revolution. Die erste Gefahr sei die eines schrecklichen Massakers, das vom Weltkapitalismus – zum damaligen Zeitpunkt repräsentiert vom deutschen Militarismus - eigenhändig verübt werden kann. Die zweite Gefahr sei jene einer politischen Degenerierung und eines moralischen Bankrotts der russischen Bastion selbst, ihre Eingliederung in das imperialistische Weltsystem. Zu dem Zeitpunkt, als sie diese Zeilen verfasste (nach Brest-Litowsk), sah sie diese Gefahr von der Seite kommen, die zur so genannten nationalbolschewistischen Denkrichtung innerhalb des deutschen militärischen Establishments werden sollte. Diese konzentrierte sich rund um die Idee, dem „bolschewistischen Russland“ ein Militärbündnis anzubieten, nicht nur um den deutschen Imperialismus zur Welthegemonie gegen seine europäischen Rivalen zu verhelfen, sondern auch um gleichzeitig die Russische Revolution moralisch zu korrumpieren – vor allem durch die Zerstörung ihrer Grundprinzipien des proletarischen Internationalismus.

Tatsächlich überschätzte Rosa Luxemburg bei weitem die Bereitschaft der deutschen Bourgeoisie zu jener Zeit, sich auf solch ein Abenteuer einzulassen. Doch lag sie völlig richtig bei der zweiten Gefahr und als sie erkannte, dass ihre Realisierung das direkte Resultat aus der Niederlage der deutschen und der Weltrevolution sein werde. Wie sie schloss:

„Jeder politische Untergang der Bolschewiki im ehrlichen Kampfe gegen die Übermacht und Ungunst der geschichtlichen Situation wäre diesem moralischen Untergang vorzuziehen“ (Rosa Luxemburg, Die russische Tragödie, Gesammelte Werke Bd. 4, S. 390).

Die Russische und die Deutsche Revolution können nur zusammen verstanden werden. Sie sind zwei Momente ein und desselben Prozesses. Die Weltrevolution begann am Rande Europas. Russland war das schwache Glied im Imperialismus, weil die Weltbourgeoisie durch den imperialistischen Krieg gespalten war. Ihm musste ein zweiter Schlag folgen, ausgetragen im Herzen des Systems, wenn die Weltrevolution eine Chance haben sollte, den Weltkapitalismus zu stürzen. Dieser zweite Schlag wurde in Deutschland ausgeführt, und er begann mit der Novemberrevolution 1918. Doch die Bourgeoisie war in der Lage, diesen tödlichen Schlag gegen ihr Herz abzuwenden. Dies wiederum besiegelte das Schicksal der Revolution in Russland. Die Folgen dort entsprachen jedoch nicht der ersten, sondern der zweiten Hypothese Rosa Luxemburgs, jene, die sie am meisten fürchtete. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit besiegte das rote Russland die einfallenden weißen, konterrevolutionären Kräfte. Eine Kombination von drei Hauptfaktoren machte dies möglich. Erstens die politische und organisatorische Führung des russischen Proletariats, das durch die Schule des Marxismus und durch die Schule der Revolution gegangen war. Zweitens die schiere Größe des Landes, die bereits geholfen hat, Napoleon zu besiegen, die dazu beitragen sollte, Hitler zu besiegen, und die auch hier zum Nachteil der konterrevolutionären Invasoren wurde. Drittens das Vertrauen der Bauern, der großen Mehrheit der russischen Bevölkerung, in die revolutionäre Führung des Proletariats. Es war die Bauernschaft, die den Löwenanteil der Truppen der Roten Armee unter Trotzki stellte.

Was folgte, war die kapitalistische Degenerierung der isolierten Revolution von innen: eine Konterrevolution im Namen der Revolution. So war die Bourgeoisie in der Lage gewesen, das Geheimnis der Niederlage der Russischen Revolution zu vertuschen. All dies basierte auf der Fähigkeit der Bourgeoisie, die Tatsache geheimzuhalten, dass es eine revolutionäre Erhebung in Deutschland gegeben hat. Das Geheimnis ist, dass die Russische Revolution nicht in Moskau oder Petersburg besiegt wurde, sondern in Berlin und an der Ruhr. Die Niederlage der Deutschen Revolution ist der Schlüssel zum Verständnis der Niederlage der Russischen Revolution. Die herrschende Klasse hatte diesen Schlüssel verborgen. Ein großes historisches Tabu, an dem sich alle verantwortlichen Zirkel hielten. Im Hause des Henkers erwähnt man den Strick nicht.

In einem gewissen Sinn ist die Existenz revolutionärer Kämpfe in Deutschland eher ein Problem als in Russland. Genau aus diesem Grund wurde die Revolution in Deutschland von der Bourgeoisie in einem offenen Kampf besiegt. Nicht nur die Lüge, dass Stalinismus gleich Sozialismus sei, sondern auch die Lüge, dass die bürgerliche Demokratie, dass die Sozialdemokratie in unüberbrückbarem Gegensatz zum Faschismus stünden, steht und fällt damit, dass die deutschen Kämpfe der Vergessenheit anheimgefallen sind.

Was bleibt, ist Verlegenheit. Ein Unbehagen, das sich vor allem bezüglich der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts äußert, die zum Symbol für den Triumph der Konterrevolution geworden war[30]. In der Tat ist dieses Verbrechen, das für Zehntausende andere steht, das Sinnbild für die Unbarmherzigkeit, für den bedingungslosen Siegeswillen der Bourgeoisie bei der Verteidigung ihres Systems. Doch wurde dieses Verbrechen nicht unter der Führung der bürgerlichen Demokratie begangen? War es nicht das gemeinsame Produkt der Sozialdemokratie und der Rechtsextremen? Waren nicht seine Opfer, und nicht seine Täter, die Verkörperung des Besten, des Humansten, die besten Repräsentanten der glänzendsten Zukunft für unsere Spezies? Und warum sind schon damals und auch heute jene, die sich verantwortlich fühlen für diese Zukunft, so aufgewühlt durch diese Verbrechen und so angezogen von jenen, die ihnen zum Opfer fielen? Diese prahlerischen Verbrechen, die dabei halfen, das System vor 90 Jahren zu retten, mögen sich jetzt als ein Bumerang erweisen.

In seiner Untersuchung des Systems der politischen Morde in Deutschland zieht Emil Gumbel eine Verbindung zwischen dieser Praxis und der individualistischen, „heroischen“ Vision der Vertreter der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung, die die Geschichte als Produkt von Individuen betrachten. „Entsprechend ist die Rechte geneigt zu hoffen sie könne die linke Opposition, die getragen ist durch die Hoffnung auf eine radikal andere Wirtschaftsordnung, dadurch vernichten, dass sie die Führer beseitigen“[31] Doch die Geschichte ist ein kollektiver Prozess, gemacht und erlebt von Millionen von Menschen, nicht nur von der herrschenden Klasse, die deren Lehren zu monopolisieren versucht.

In seiner Untersuchung der Deutschen Revolution, in den 1970er Jahren verfasst, folgerte der „liberale“ deutsche Historiker Sebastian Haffner, dass diese Verbrechen eine offene Wunde hinterlassen haben und ihre langfristigen Resultate noch immer eine offene Frage seien.

„Heute sieht man mit Schrecken, dass diese Episode das eigentliche geschichtsträchtige Ereignis des deutschen Revolutionsdramas gewesen ist. Aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts betrachtet, hat sie etwas von der unheimlich, unberechenbar weit tragenden Wirkung des Ereignisses auf Golgotha bekommen – das ja ebenfalls kaum etwas zu ändern schien als es stattfand.“ Und: „Der Mord vom 15. Januar 1919 war ein Auftakt – der Auftakt zu den tausendfachen Morden in den folgenden Monaten der Noske-Zeit, zu den millionenfachen Morden in den folgenden Jahrzehnten der Hitler-Zeit. Es war das Startzeichen für alle anderen“.

Kann sich die gegenwärtige und künftige Generation der Arbeiterklasse diese historische Realität wiederaneignen? Ist es langfristig möglich, revolutionäre Ideen zu liquidieren, indem man jene tötet, die sie in die Welt setzen? Die letzten Worte des letzten Artikels von Rosa Luxemburg, bevor sie starb, wurden im Namen der Revolution gesprochen: „Ich war, ich bin und ich werde sein.“

[1]Dieser Angriff wurde durch eine spontane Mobilisierung der Arbeiter vereitelt. Siehe die vorangegangenen Artikel dieser Serie

[2]Zitiert von Klaus Gietinger: Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs, S. 17, Hamburg 2008. Gietinger, Soziologe, Drehbuchautor und Regisseur, hat einen bedeutenden Teil seines Lebens der Aufklärung der Umstände der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts gewidmet. Sein jüngstes Buch – „Waldemar Pabst: Der Konterrevolutionär – stützt sich auf die Einsicht in Moskau und Ostberlin vorhandene historische Dokumente, welche die Verstrickung der SPD noch umfassender belegen.

[3]Die anderen waren das monarchistische „Regiment Reichstag“ sowie die Spitzelorganisation der SPD unter der Leitung von Anton Fischer.

[4]Wilhelm Pieck war der einzige der drei Verhafteten, der mit seinem Leben davonkam. Es bleibt bis heute unklar, ob er sich herausreden konnte, ob er freigelassen wurde, weil man ihn nicht kannte, oder ob man ihm die Flucht gestattete, nachdem er seine Genossen verraten hatte. Pieck wurde später Präsident der Deutschen Demokratischen Republik.

[5]Der Autor dieses Artikels, Leo Jogiches, wurde ein Monat später „auf der Flucht“ erschossen.

[6]General von Lüttwitz.

[7] Anlässlich des 70. Jahrestages dieser Verbrechen schlug die Liberale Partei Deutschland (FDP) die Errichtung eines Denkmals für Noske in Berlin vor. Profalla, Generalsekretär der CDU, rechte Hand der Kanzlerin Angela Merkel, beschrieb die Aktionen Noskes als „eine mutige Verteidigung der Republik“ (Zitat aus der Berliner Tageszeitung „Tagesspiegel“, 11.01.2009).

[8]K. Gietinger, Die Ermordung Rosa Luxemburgs, siehe Kapitel „74 Jahre danach“.

[9]Die Wichtigkeit dieses in Deutschland unternommenen Schrittes wurde unterstrichen durch den Schriftsteller Peter Weiss, ein deutscher Künstler jüdischen Ursprungs, der nach Schweden floh, um der Verfolgung der Nazis zu entkommen. In seinem monumentalen Roman „Die Ästhetik des Widerstandes“ erzählt er die Geschichte des schwedischen Innenministers Palmstierna, der im Sommer 1917 einen Emissär nach Petrograd schickte, um – vergeblich – Kerenski, Ministerpräsident der Entente-freundlichen russischen Regierung, dazu aufzurufen, Lenin zu ermorden. Kerenski lehnte dies ab, wobei er leugnete, dass Lenin eine wirkliche Gefahr darstellte.

[10]E. Gumbel, Vier Jahre politischer Mord (Malek-Verlag, Berlin), wiederveröffentlicht 1980 durch Wunderhorn Heidelberg.

[11]Wer kann diese Wörter heute lesen ohne an Auschwitz zu denken?

[12]Beispielsweise den westeuropäischer Anarchisten oder den russischer Narodniki und Sozialrevolutionäre.

[13]Gumbel führt „einige“ dieser Organisationen in seinem Buch auf. Wir geben diese Liste an dieser Stelle wider, nur um einen Eindruck der Dimension des Phänomens zu vermitteln: 
Verband nationalgesinnter Soldaten, Bund der Aufrechten, Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund, Stahlhelm, Organisation “C”, Freikorps und Reichsfahne Oberland, Bund der Getreuen, Kleinkaliberschützen, Deutschnationaler Jugendverband, Notwehrverband, Jungsturm, Nationalverband Deutscher Offiziere, Orgesch, Rossbach, Bund der Kaisertreuen, Reichsbund Schwarz-Weiß-Rot, Deutschsoziale Partei, Deutscher Orden, Eos, Verein ehemaliger Baltikumer, Turnverein Theodor Körner, Allgemeiner deutschvölkischer Turnvereine, Heimatssucher, Alte Kameraden, Unverzagt, Deutscher Eiche, Jungdeutscher Orden, Hermannsorden, Nationalverband deutscher Soldaten, Militärorganisation der Deutschsozialen und Nationalsozialisten, Olympia (Bund für Leibesübungen), Deutscher Orden, Bund für Freiheit und Ordnung, Jungsturm, Jungdeutschlandbund, Jung-Bismarckbund, Frontbund, Deutscher Waffenring (Studentenkorps), Andreas-Hofer-Bund, Orka, Orzentz, Heimatbund der Königstreuen, Knappenschaft, Hochschulring deutscher Art, Deutschvölkische Jugend, Alldeutscher Verband, Christliche Pfadfinder, Deutschnationaler Beamtenbund, Bund der Niederdeutschen, Teja-Bund, Jungsturm, Deutschbund, Hermannsbund, Adler und Falke, Deutschland-Bund, Junglehrer-Bund, Jugendwanderriegen-Verband, Wandervögel
 völkischer Art, Reichsbund ehemaliger Kadetten.

[14]Es war General Ludendorff, der eigentliche Diktator Deutschlands während des Ersten Weltkriegs, welcher den sog. Hitlerputsch von 1923 in München mit organisierte.

[15]Scheidemann selbst wurde das Ziel eines (erfolglosen) Attentatsversuchs von Rechtsaußen, da man ihm vorwarf, den sogenannten Versailler-Diktat der Westmächte hingenommen zu haben.

[16]Die Hochachtung des ehemaligen Kanzlers Helmut Schmidt für das staatsmännische Verhalten Eberts ist wohlbekannt.

[17]Jedoch, angesteckt durch die revolutionäre Stimmung in der Hauptstadt, verbrüderten sich die meisten Truppen mit der Bevölkerung oder lösten sich auf.

[18]Nachdem sie Karl Liebknecht ermordet hatten, äußerten Mitglieder der GKSD die Befürchtung, dass sie gelyncht werden könnten, falls sie im Gefängnis landeten.

[19]Während des Massenstreiks Dezember 1918 in Berlin war Scheidemann von der SPD Teil einer Abordnung von Arbeitern, welche entsandt wurde, um im Regierungsgebäude zu verhandeln. Als sie dort ankamen, wurden sie ignoriert. Die Arbeiter beschlossen, wieder abzuziehen. Scheidemann hingegen flehte die Beamten an, die Delegation zu empfangen. Sein Gesicht flammte rot vor Freude auf, als einige dieser Beamten vage Versprechen abgaben. Die Delegation wurde nicht empfangen. Dieser Vorfall wurde von Richard Müller erzählt – in „Vom Kaiserreich zur Republik“, S. 106

[20]Insgesamt hegte das Militär eine große Wertschätzung insbesondere für Ebert und Noske. Stinnes, der reichste Mann im Nachkriegsdeutschland, nannte seine Yacht nach Kurt Legien, der Anführer der sozialdemokratischen Gewerkschaft ADGB.

[21]Laut Gumbel war er auch der Hauptorganisator des Kapp-Putsches.

[22]Oder „statt Sozialismus“ wie Walter Rathenau, Präsident des Elektroriesen AEG es enthusiastisch bezeichnete“.

[23]Trotzki, Geschichte der russischen Revolution, 3 Bände, 2. Teil –Oktoberrevolution; S. 816)

[24]Sitzung des Zentralkomitees der SDAPR (B), 10. (23.) Oktober 1917, Resolution, Bd. 26, (Lenin Gesammelte Werke), S. 178

[25]Lenin, Gesammelte Werke, Bd. 26, S. 191 – Brief an den Genossen!.

[26]Lenin, Bd. 26, , Die Krise ist herangereift, Bd. 26, S. 64

[27]Rosa Luxemburg, Zur Russischen Revolution, Gesammelte Werke Bd. 4, S. 364,

[28]Rosa Luxemburg, Zur Russischen Revolution, Gesammelte Werke Bd. 4, S. 365,

[29]Die hartgesottenen Liberalen der FDP in Berlin schlugen vor, einem öffentlichen Ort in Berlin auf Noskes Namen zu taufen, wie wir oben erwähnten. Die SPD, die Partei Noskes, lehnte dieses Ansinnen ab. Es wurde keine plausible Erklärung für diese untypische Bescheidenheit geliefert.

[30]Gumbel, ebenda, S. 146

[31]S. Haffner, 1918/1919 – Eine deutsche Revolution, Hamburg, 1981, S. 147, S. 158

Leute: 

  • Rosa Luxemburg [31]
  • Karl Liebknecht [71]
  • Leo Jogiches [32]
  • Noske [35]
  • Pabst [72]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [36]

Historische Ereignisse: 

  • politischer Mord [73]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Deutsche und Holländische Linke [41]

Einige Anmerkungen zu den jüngsten Studentenprotesten in Frankreich und Spanien

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n mehreren Ländern Europas fanden in der jüngsten Zeit Studentenproteste statt. Die Schüler- und Studentenproteste in Deutschland, über die wir in unserer Presse berichteten, reihen sich ein in diese breitere internationale Bewegung. Wir veröffentlichen nachfolgend einige Beobachtungen und Anmerkungen zu den Bewegungen in Frankreich und Spanien In mehreren Ländern Europas fanden in der jüngsten Zeit Studentenproteste statt. Die Schüler- und Studentenproteste in Deutschland, über die wir in unserer Presse berichteten, reihen sich ein in diese breitere internationale Bewegung. Wir veröffentlichen nachfolgend einige Beobachtungen und Anmerkungen zu den Bewegungen in Frankreich und Spanien.

Frankreich

Seit Oktober 2007 werden die Beschäftigten des Bildungswesen und die Studenten mit einer Reihe von Reformen konfrontiert, insbesondere dem LRU-Gesetz, das die Autonomie der Unis regelt, und das zur Folge hat: eine allgemeine Prekarisierung der zukünftigen Dozenten, Schließung bestimmter Institute wie IUFM, Reform des Studentenwerks, Verschärfung der Konkurrenz unter den Beschäftigten bei ihrer Beförderung, Schließung wenig rentabler Einrichtungen, drastische Mittelkürzungen beim Wartungspersonal, für die Bibliothekare, Sekretariate usw. Bei den "öffentlichen Universitäten" ,die als ein illusorisches Eldorado der Arbeiterkinder gelten, ist nichts vor dem Rotstift sicher. Jedes Jahr drängen sich immer mehr Studenten in die überfüllten Hörsäle, deren Bauzustand sich immer mehr verschlechtert. Viele von ihnen hoffen auf eine Stelle im Bildungswesen, durch die sie aber keinen privilegierten Status erhalten. Je mehr der Kapitalismus in der Krise versinkt, werden sich immer mehr über die miserablen Zukunftsaussichten bewusst, die ihnen dieses System bietet. Mit den Abschlüssen an den öffentlichen Universitäten, die immer mehr zu "Müll-Unis" werden, bleibt oft nichts anderes übrig als sich in die Schlangen an den Arbeitsämtern einzureihen. Denn ungeachtet der Lügen, die die Studenten als faule und privilegierte Kinder darstellen, sieht die Wirklichkeit im universitären Bildungsbereich ganz anders aus. Ein Großteil der Wirtschaftselite hat sich aus den Unis zurückgezogen und ist in die großen Privatunis übergewechselt, welche unbezahlbare Studiengebühren verlangen, aber über große Mittel verfügen. Abgesehen von schlechten Zukunftsaussichten sind viele Studenten jetzt schon zur Finanzierung ihres Studiums dazu gezwungen, unter schrecklichen Bedingungen Geld zu verdienen. Immer mehr Studenten schuften z.B. in den Schnellrestaurants.

 

Gegenüber diesen Angriffen ist es immer häufiger zu Protesten und Mobilisierungen gekommen, insbesondere im Herbst 2007 und Anfang 2009. Dabei kam es zu zahlreichen Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern, der Blockierung von Universitätseinrichtungen und "Kommando-Aktionen". Aber die Wut der Studenten und der Uni-Beschäftigten ist nur ein Aspekt der breiteren Dynamik der zunehmenden Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse und insbesondere der Jugend: Im Dezember 2004 und im April 2005 schon beteiligten sich viele Studenten an Protesten gegen das Gesetz Filon (ca. 165.000 Protestierende), am Kampf gegen das CPE mit Millionen Protestierenden im Frühjahr 2006. Schließlich die Reaktionen der Jugend 2008 in Griechenland, Italien, Spanien, Frankreich (insbesondere in den Schulen), in Deutschland, die viele Regierungen ins Schwitzen gebracht haben, weil sie Angst hatten vor dem griechischen Beispiel und der daraus hervorgehenden Gefahr der "Ansteckung". Ungeachtet der lange andauernden Bewegung, die langsam ausläuft, ungeachtet all der vielen Blockierungen, ungeachtet einer gewissen Radikalität, hat der jüngste Kampf in den Universitäten in Frankreich der Regierung keine Angst eingejagt. Stattdessen konnte diese sogar provozierend vorgehen, wie die frechen Aussagen von Xavier Darcos, dem Bildungsminister, zeigen. "Es wird keine Streikdiplome, keine Master für Wiederholer und keine Doktorwürden für Blockierer geben". Wie kann man erklären, dass die jüngste Bewegung im Vergleich zur früheren Bewegung der Gymnasiasten und Studenten gegen das CPE gescheitert ist?

 

Rezepte für einen siegreichen Streik?

Die Geschichte des Klassenkampfes zeigt uns, dass es keine Regel in dieser Frage gibt. Es gibt kein magisches Rezept für einen siegreichen Streik, denn die Bedingungen für einen wirksamen Kampf hängen von dem Kontext, dem Grad der Mobilisierung, dem möglichen Kräfteverhältnis usw. ab. Während zum Beispiel die Blockaden während des Konfliktes gegen den CPE eine wertvolle Waffe waren, wurden dessen Grenzen in dem jüngsten Konflikt schnell deutlich. Dagegen gibt es ein Prinzip, welches sich das Proletariat unbedingt aneignen muss, um siegen zu können. Dieses Prinzip entspringt einer seiner Stärken, seiner Zahl, auf die die Arbeiterklasse, die über keine ökonomische und politische Macht verfügt, zählen kann: ihre Einheit! Mit anderen Worten: wenn die Studenten und Beschäftigten des Erziehungswesens sich mobilisieren, muss ihr Hauptziel darin bestehen, ihre Bewegung so weit wie möglich auszudehnen. Sie müssen über ihre Universität hinausgehen, sie auf alle Bereiche ausdehnen. Der Kampf gegen den CPE, bei dem es zu einer echten Solidarität kam, war deshalb erfolgreich, weil es sich nicht um einen klassischen Konflikt an der Uni handelte, sondern um eine Auseinandersetzung, von der sich alle betroffen fühlten und mitmachen konnten. Die Studenten, die anfangs allein in den Konflikt eingetreten waren, konnten sehr schnell vermitteln, weshalb dieses Gesetzprojekt alle betraf und dass es ein Teil eines Gesamtangriffs gegen die ganze Arbeiterklasse war. Auch im November 2007 hat ein Teil der Schüler versucht, ihre Bewegung mit den streikenden Eisenbahnern zusammenzuführen. Und in Griechenland entfaltete sich Ende 2008 eine gewaltige Solidaritätsbewegung um die "Generation der 200 Euros". Beschäftigte, Rentner, Arbeitslose, alle kamen auf der Straße zusammen, um die junge Generation zu unterstützen, deren Zukunft völlig düster ist.

Aber der Bewegung an den Universitäten 2009 in Frankreich gelang es nicht, ihren Kampf auszudehnen. Sie blieben isoliert und damit machtlos. Dennoch waren die Lehren aus der Bewegung gegen den CPE präsent. Denn am Anfang der Bewegung haben viele Vollversammlungen die Frage der Notwendigkeit der Ausdehnung der Bewegung gestellt. So beschloss beispielsweise eine Vollversammlung in der Normandie, in Caen, die Beteiligung aller Menschen zu ermöglichen. Auch in Toulouse wurden die Vollversammlungen auf alle Toulouser Unis ausgedehnt. Mit den Beschäftigten wurde Kontakt aufgenommen, das Gespräch gesucht. In vielen Unis kamen zum Beispiel die Beschäftigten der Universitäten und die Studenten zusammen, wie in Nancy. Dies geschah jeweils gegen den Widerstand der Studentenverbände.

Aber während in mehreren Vollversammlungen die Absicht bekundet wurde, die Bewegung auszudehnen, haben die Gewerkschaften sofort alles unternommen, um die Bewegung zu schwächen und abzuwürgen. Die studentenspezifischen Belange wurden in den Vordergrund gestellt; das Gemeinsame und Verbindende zwischen Studenten und Beschäftigten wurde vernebelt und in den Hintergrund gedrängt. Die Folge: niemand konnte sich dann mit diesem Kampf identifizieren. Von Außen betrachtet erschien es als eine Auseinandersetzung, die nur Studenten und Forscher etwas anging. Die Einschränkung auf bestimmte Branchen oder Ausbildungsrichtungen nahm manchmal lächerliche Formen an. So gab es eine Vielzahl von Vollversammlungen in verschiedenen Fakultäten, als ob die Interessen z.B. von zukünftigen Geschichtslehrern unterschiedlich seien als die von zukünftigen Psychologen.

Ein anderer gewerkschaftlicher Trick war, die Debatten in den VV ausschließlich auf die Frage der Blockierung der Universitätsgebäude zu richten. Während des Konfliktes um den CPE dienten die Blockierungen in der Phase, als sich die Solidarität entfaltete, dazu, die Vollversammlungen zu einem Ort der Diskussionen zu machen. Aber 2009 drehten sich die Vollversammlungen aufgrund der Isolierung der Studenten nur darum, die jeweiligen Blockademaßnahmen abzustimmen, zudem diese von den Gewerkschaften als die einzig mögliche Kampfmaßnahme und das Wesen des Kampfes selbst dargestellt wurden. Auch wurden viele Studenten für sinnlose Aktionen mobilisiert wie Unterschriftensammeln vor Wahlveranstaltungen zu den Europawahlen usw. und ihr Blick total eingeschränkt auf spezifische Belange.

Die Herrschenden wissen, dass die Einheit der Arbeiterklasse eine Kraft ist, gegen die sie nichts ausrichten können. Und sie wissen, indem sie die Arbeiterklasse spalten, können sie sie besiegen. Deshalb versuchen sie mit Hilfe der Gewerkschaften, den Organisationen der Extremen Linken und den Studentenverbänden Verwirrung zu stiften und den Zusammenschluss der Betroffenen zu verhindern. V, (leicht gekürzter Artikel aus unserer Presse in Frankreich).

 

Spanien

Die Wichtigkeit der Solidarität

Spanische Studenten wehren sich gegen den "Bologna-Prozess", der es wohlhabenderen Studenten ermöglichen wird, leichter im Ausland zu studieren. Die Studenten in Barcelona haben in den jüngsten Kämpfen unter Beweis gezeigt, dass sie ungeachtet ihrer eigenen unmittelbaren schwierigen Situation nicht umhin können über die Zukunft des Kapitalismus nachzudenken und das, was er der gesamten Arbeiterklasse – allen Generationen - anzubieten hat. Hinzu kommen ihre Angst und Hoffnungen, eine Arbeit nach Abschluss ihres Studiums zu finden. Sie waren ebenso sehr empört über die Unterdrückung der jungen Leute durch die Mosso-Einheit (regionale katalanische Polizei), welche unter dem Befehl der linken Regierungskoalition in Katalonien (dieser gehören Sozialisten, katalanische Nationalisten, ehemalige Stalinisten an) steht. Diese Einheit hatte Studenten zusammengeschlagen, viele gewaltsam verhaftet und besetzte Einrichtungen geräumt. Es lag auf der Hand, wenn sie den Rahmen eines Kampfes in den Universitäten nicht überwinden, stünden sie isoliert da, den Manövern und der Repression durch die Regionalregierung allein ausgesetzt. Als sie versuchten, ihren Kampf auf Lehrer und andere Beschäftigte auf anderen Branchen auszudehnen sowie auf Schüler, gewannen sie an Stärke und ließen die Regierung zögern. In einer Demonstration von 30.000 Lehrern am 18. März in Barcelona spielten sie eine große Rolle, denn dort wurden sie ganz normal in der Demo integriert und nicht gezwungen, einen separaten Block zu bilden.

Nachdem ihre Besetzung der Uni von der Polizei gewaltsam beendet und die Repression abends mit vielen Verhaftungen und der Verletzung von 60 Teilnehmern von einer Gesamtzahl von 5000 fortgesetzt gesetzt wurde, reagierten die Studenten mit der Organisierung einer Solidaritätsdemo. Die katalonische Regierung wurde dazu gezwungen, sich zu entschuldigen, im Innenministerium mussten Leute abtreten. Seitdem wurden Vollversammlungen abgehalten, gestreikt, Gebäude besetzt und Unterstützer getroffen. Man hat mit anderen Universitäten debattiert und sich mit ihnen ausgetauscht, insbesondere Valencia und Madrid.

Ein Flugblatt wurde verteilt, in dem man hervorhob: "Wir sind keine Delinquenten, keine Rebellen ohne Grund, noch sind wir Kanonenfutter für die Mossos (katalanische Polizei) und Bürokraten. (…) "Dank einer breiten Studentenbewegung, und weil Einheit Stärke bedeutet, wollen wir nicht nur die Angriffe des Kapitals zurückschlagen, sondern wir kämpfen auch für eine gerechte, tolerante, und freie solidarische Gesellschaft, denn wir meinen, wir sind dazu in der Lage die Welt, in der wir leben, zu ändern." ("Einige Überlegungen …. Zu den Ereignissen vom 18. März in Barcelona", ein Flugblatt, das am 26. März auf einer Demonstration verteilt wurde). Diese Demonstration stützte sich auf die Solidarität derjenigen, die sich auch dessen bewusst sind, dass die Lage immer schlechter wird und keine Anzeichen einer Verbesserung in Sicht sind. Sie stützten sich auf ihre Gesinnungsgenossen, Lehrer, auf alle, die ihre Sorgen teilen, und wissen, dass sie die Beschäftigten von Morgen sind.

Die Regionalregierung bereitete sich inzwischen auf die Demonstrationen vor, indem sie systematisch die Angst schürte vor gewaltsamen Auseinandersetzungen, so wie es zum Beispiel die herrschende Klasse in Großbritannien anlässlich der Proteste gegen den G20 in London gemacht hatte. Die Mossos sollten sich auf alle möglichen Situationen einstellen. All das wurde durch eine intensive Medienkampagne zur Vorbereitung eines Gewalteinsatzes begleitet.

Die Studenten und andere blieben trotz der Angst vor Repression sehr tapfer und standfest während der Demonstration. Als die Mossos der Demonstration den Weg versperrte, wichen sie der Provokation aus und schlugen eine andere Richtung ein. Im Gegensatz zu einer von den Gewerkschaften organisierten Demo wurde auf dieser Demo diskutiert, man trug eigene Forderungen vor. Immer mehr Menschen schlossen sich der Demo an, Studenten, ihre Eltern, Beschäftigte, so dass zum Schluss ca. 10.000 Menschen mitmarschierten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Studentenproteste Frankfreich [74]
  • Spanien [75]
  • Mosso [76]
  • CPE [77]

August 2009

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September 2009

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Debatte über den „Luftbrücken“-Artikel der IKS - Das Menetekel des Kapitalismus

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Bereits in Weltrevolution, Nr. 154, der Juni-Juli Ausgabe der deutschsprachige Zweimonatszeitung der IKS, haben wir Kommentare zu unserem Artikel über die Berliner Luftbrücke unsererseits kommentiert, wo es um die uns unterstellte Leugnung des Unterschieds zwischen Faschismus und Demokratie ging. Wir versuchten dort aufzuzeigen, dass die Kommunistische Linke keineswegs Unterschiede zwischen diesen beiden Formen der Diktatur des Kapitals leugnet. Die italienische Fraktion der Kommunistische Linke hat Mitte der 1930er Jahre vielmehr auf diesen Unterschied hingewiesen, um die Tatsache zu erklären, dass nach dem Sieg des Hitlerfaschismus in Deutschland es der Bourgeoisie der westlichen Demokratien nun möglich geworden war, auch ohne vorherige physische Zerschlagung die eigene Arbeiterklasse für den zweiten imperialistischen Weltkrieg zu mobilisieren, und zwar mittels des Antifaschismus. Für uns sind Faschismus und Demokratie nicht gleich, aber sie sind historisch betrachtet gleich reaktionär, gleichermaßen Feinde des Proletariats.

Debatte über den „Luftbrücken“-Artikel der IKS

 

Das Menetekel des Kapitalismus

 

Bereits in Weltrevolution, Nr. 154, der Juni-Juli Ausgabe der deutschsprachige Zweimonatszeitung der IKS, haben wir Kommentare zu unserem Artikel über die Berliner Luftbrücke unsererseits kommentiert, wo es um die uns unterstellte Leugnung des Unterschieds zwischen Faschismus und Demokratie ging. Wir versuchten dort aufzuzeigen, dass die Kommunistische Linke keineswegs Unterschiede zwischen diesen beiden Formen der Diktatur des Kapitals leugnet. Die italienische Fraktion der Kommunistische Linke hat Mitte der 1930er Jahre vielmehr auf diesen Unterschied hingewiesen, um die Tatsache zu erklären, dass nach dem Sieg des Hitlerfaschismus in Deutschland es der Bourgeoisie der westlichen Demokratien nun möglich geworden war, auch ohne vorherige physische Zerschlagung die eigene Arbeiterklasse für den zweiten imperialistischen Weltkrieg zu mobilisieren, und zwar mittels des Antifaschismus. Für uns sind Faschismus und Demokratie nicht gleich, aber sie sind historisch betrachtet gleich reaktionär, gleichermaßen Feinde des Proletariats.

In einem seiner ersten Kommentare zum Luftbrücken-Artikel auf unsere Webseite vermisst der Genosse Hama den „großen Zusammenhang“ in diesem Artikel, den er wie folgt formuliert: „Systematische Verfolgung und Vernichtung der Juden überall auf der Welt (soweit sie den Nazis und Kollaborateuren zugänglich waren), Menschenversuche und schrecklichste Folter in den Kzs und Vernichtungsstätten, Erfassung und Vernichtung ‚unwerten Lebens‘ - unglaubliches Wüten der deutschen Armeen und Sonderstäbe in den überfallenden Ländern -

Wenn ich da hergehe und sage, es war Krieg der Imperialisten in all seiner Grausamkeit und nur die Arbeiterklasse konnte dem ein Ende bereiten. Und dann einsetze mit Nachkrieg und sage, die Alliierten haben die Arbeiterklasse bewusst dezimieren wollen, weil sie sich gefürchtet haben, es könne erneut zu einer revolutionären Erhebung kommen...dann bin ich auch ohne die ‚Todeslager‘- Argumentation (die direkt aus dem Arsenal der Holocaustleugner und Neofaschistin stammt) mitten dabei, über all das, was ich oben aufgezählt habe, elegant hinwegzusehen.“ (Bereits zitiert in „Faschismus = Demokratie?“ in Weltrevolution, Nr. 154).

So schreibt Hama an anderer Stelle: „Der Artikel der IKS enthält Aussagen, die sich nicht relativieren oder zurecht biegen lassen: dazu sind sie zu unmissverständlich geschrieben worden. Sie lassen sich nur ausdrücklich zurücknehmen. Der Satz, mit Besetzung Deutschlands durch die Alliierten sei es ein Todeslager geworden ist neofaschistisch, nicht nur, weil im Artikel die Vernichtung der Juden, für die Deutschland tatsächlich zum Todeslager wurde, keine Rolle spielt.“

(Siehe die Kommentare auf unserer Webseite).

Diese von Hama erhobene Forderung findet Unterstützung. Estragon schreibt (19.07.2009): „Hama hat ganz recht, der Artikel muss auf alle Fälle zurückgenommen werden, er ist absolut unseriös und hält einer marxistisch-materialistischen Analyse nicht stand. Seine Motivation ist rein moralischer Natur und versucht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, stellt Dinge in falsche Zusammenhänge und bedient sich dabei Argumentationen, die man eher im neonazistischen Umfeld vermutet.“ Riga (20.07.2009) „befürchtet“ dass „weder der Appell von Estragon, noch der von Hama dafür sorgen wird, dass dieser und ähnliche Artikel zum Thema Faschismus/Antifaschismus von der IKS in absehbarer Zeit revidiert werden.“

 

Die Frage der Quellen

Zunächst einmal sind wir sehr dankbar gegenüber allen GenossInnen, die sich die Mühe gemacht und ihr Herzblut eingesetzt haben, um unsere Presse zu kommentieren. Sie haben nicht nur die Kommentarseite unserer Webseite belebt und bereichert, sie haben die IKS auch konkret weiter geholfen. Zum Beispiel Anonymous, der zu Recht darauf hinwies (05.05.2009), dass wir in manchem Artikel dubiose Quellen benutzt haben. „Ich stehe ja der IKS in vielen Positionen nicht allzu fern, aber gewisse Texte der IKS rund um den 2. Weltkrieg finde ich schon sehr schwierig. V.a. zitiert die IKS immer mal wieder Revisionisten und/oder Holocaust-Leugner wie z.B. David Irving oder, wie in diesem Text, James Bacque und gibt diesen Herren und ihren Positionen damit eine gewisse Legitimation (und suggeriert im schlimmsten Fall gar, dass die Revisionisten sowas wie eine kritische, fortschrittliche Position in der Debatte rund um den 2. Weltkrieg einnehmen würden)“. Tatsächlich werden nicht alle Historiker, die die Verbrechen der Alliierten untersuchen, von der Wahrheitssuche und wissenschaftlichen Ethik geleitet. Manche von ihnen sind offene oder versteckte Sympathisanten der von Hitlerdeutschland im Zweiten Weltkrieg angeführten Koalition. Ihr Motiv besteht tatsächlich darin, durch die Übertreibung der Verbrechen der „Anderen“ und die Verharmlosung der „eigenen“ Untaten das eine imperialistische Lager gegenüber dem anderen in ein besseres Licht erscheinen zu lassen. So wäre es tatsächlich besser, bei konkreten historischen Gegebenheiten die unterschiedlichen Zahlen und ihre Quellen anzugeben und kritisch zu kommentieren, anstatt eine bestimmte Version herauszugreifen. Eine solche Vorsicht walten zu lassen ist wichtig, denn ungenaue Zahlen und dubiose Quellen können nur dazu führen, die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der politischen Aussagen zu schwächen.

 

Die Frage der Todeslager

Ein anderer Stein des Anstoßes ist folgende Formulierung im Luftbrücken-Artikel: „Deutschland wurde in der Tat durch die russischen, britischen und US-amerikanischen Besatzungsmächte zu einem Todeslager.“ Dabei bezieht sich der Artikel auf die vielen Opfer unter den Vertriebenen aus dem Osten, unter den Kriegsgefangenen sowie unter der hungernden Zivilbevölkerung.

Man mag sich darüber streiten, ob die Formulierung „Todeslager“ angemessen ist oder nicht. Wir finden, man soll sich darüber „streiten“, womit wir meinen, solidarisch darüber debattieren. Die IKS ist keine monolithische Organisation. Die Artikel, die in unserer Presse veröffentlicht werden, bringen von ihrer politischen Ausrichtung her entweder die Meinung der Organisation bzw. der Redaktion zum Ausdruck, oder sie werden als divergierende Meinung als solche gekennzeichnet. Texte, welche die Meinung der Organisation insgesamt zum Ausdruck bringen, werden ebenfalls als solche gekennzeichnet, entweder als von unseren Kongressen verabschiedete Dokumente oder mit dem Namen der Organisation unterschrieben. Das Gros der Artikel in unserer Presse bringt also in seiner Ausrichtung zwar die Meinung der Organisation zum Ausdruck, in den einzelnen Formulierungen aber die Meinung des jeweiligen Autoren. Daher werden diese Artikel persönlich gezeichnet. Die Formulierung „Deutschland als Todeslager“ ist mithin keine Position oder Meinung der IKS als Organisation. Die politische Ausrichtung des Artikels hingegen schon. Wir sehen jedoch keinen Anlass, diese Formulierung „zurückzunehmen“, da der Genosse zur Unterstützung seiner Formulierung ernstzunehmende Argumente angeführt hatte, die es verdienen, weiter diskutiert zu werden. Außerdem finden wir ganz entschieden, dass weder der Artikel als solcher noch die „Todeslager“-Formulierung irgendetwas „Neofaschistisches“ an sich hat. Diesen Vorwurf können wir beim besten Willen nicht verstehen.

Ein Beispiel: nach 1989 wurde von bürgerlicher Seite viel Aufhebens gemacht um die stalinistischen Konzentrations- und Todeslager in der UdSSR, China, Kambodscha usw. Die Absicht war klar. Man wollte den Stalinismus benutzten, um den Kommunismus zu diskreditieren und darüber hinaus die westliche Demokratie als das denkbar beste Gesellschaftssystem erscheinen zu lassen. Aber es gab auch genügend Sympathisanten der Rechtsextremen, die die Gunst der Stunde, sprich: die „Enthüllungen“ über die Verbrechen des Stalinismus aufgegriffen haben, um die Verbrechen der Nazis zu relativieren bzw. um sie als verständliche, gegenüber den „Bolschewismus“ rein defensiv motivierte Aktionen erscheinen zu lassen. Das zum einem.

Auf der anderen Seite hat die Kommunistische Linke, wie auch andere proletarische Oppositionelle, sehr früh das System der Konzentrationslager in der UdSSR entlarvt und angeprangert. Sie setzte diesen Kampf fort, auch und gerade zu den Zeiten, als die westlichen Demokratien von der Existenz dieses Lagersystems nichts wissen wollten. Es ist klar: Das Anprangern des GULAG durch die Revolutionäre hatte und hat ein völlig anderes Motiv, eine vollkommen unterschiedliche Bedeutung als das Anprangern desselben Phänomens durch die faschistische und die demokratische Bourgeoisie. Die Revolutionäre bekämpften den GULAG, weil die eigenen GenossInnen drin saßen, weil er ein Teil der Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse war, ein Teil der alten Welt, die man zu Grabe tragen will. Die Bourgeoisie bekämpfte das Lagersystem nicht, sondern nutzte es für die eigene Propaganda (oder auch nicht, je nachdem was gerade passend war).

Das Gleiche gilt für die Verbrechen der Alliierten. Die Rechtsradikalen sprechen davon, um das von ihnen befürwortete Ausbeutungsregime in ein besseres Licht erscheinen zu lassen und um die Konkurrenten möglichst schlecht aussehen zu lassen. Die proletarischen Internationalisten sprechen darüber, um das Ausmaß der Barbarei des gesamten Systems anzuprangern. Schlimm wäre es (und ein Sieg für die Demokratie, ja für den Kapitalismus), wenn wir aus lauter Angst davor, mit den Rechten in einen Topf geschmissen zu werden, über die Verbrechen der Demokratien schweigen oder sie nicht beim Namen nennen würden. Denn es geht darum aufzuzeigen, dass diese Barbarei nicht das Produkt ausschließlich einer bestimmten Form des Kapitalismus ist, sondern ein Produkt des Kapitalismus insgesamt.

Der Kapitalismus ist ein Konkurrenzsystem. Nicht nur einzelne Kapitalisten, auch Nationen, ja Staatenkoalitionen bekämpfen sich. Die Lebensweise dieser Gesellschaft beherrscht das Alltagsbewusstsein so sehr, dass es vielen in der heutigen Zeit schier unmöglich zu sein scheint, anders als in Kategorien von miteinander konkurrierenden Lagern und Ideologien zu denken. Entlarvt man die eine Seite, so wird zunächst angenommen, man sei für die andere Bande. Das ist ein Problem, was sich nicht leicht beheben lässt, solange es innerhalb der Arbeiterklasse nicht wieder üblich wird, in Klassenkategorien zu denken.

Estragon z.B. hat einen sehr interessanten Kommentar geliefert, worin er auf recht präzise und differenzierte Weise die Unterschiede aufweist zwischen der Lage der Bevölkerung in Deutschland am Kriegsende und der Lage der Insassen des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Anders als die Opfer der Konzentrationslager konnte die deutsche Bevölkerung sich frei bewegen, arbeitete z.T. in der Landschaft, besaß Anbauparzellen oder konnte sich über den Schwarzmarkt mit Lebensmittel versorgen. Er weist darauf hin, dass die Lage in der französisch besetzten Zone schlimmer war als in der britischen oder amerikanischen, da Frankreich selbst durch den Krieg stark ausgepowert war; dass unter der deutschen Zivilbevölkerung das städtische Proletariat und die Flüchtlinge mehr unter Hunger litten als das Landvolk usw. Alles richtig (außer vielleicht, dass der internierte Teil der Bevölkerung sich eben nicht frei bewegen konnte). Ziel dieser Ausführungen ist es, den „Bergen-Belsen-Vergleich“ der IKS zu widerlegen. Der besagte IKS-Artikel aber „vergleicht“ Bergen-Belsen nicht mit Deutschland 1945. Die Herangehensweise des Artikels ist: Bergen-Belsen ist schlimm, die Behandlung der deutschen Zivilbevölkerung nach 1945 durch die Alliierten war schlimm. Solches darf nicht hingenommen werden! Der Artikel schreibt: „In der französischen Besatzungszone, wo die Lage am schlimmsten war, betrug 1947 die Ration 450 Kalorien pro Tag, die Hälfte der Ration des berühmt-berüchtigten KZ's in Bergen-Belsen.“ Ist das ein Vergleich? Es ist eine Tatsache, von dem der Artikel überzeugt ist. Daraus schließt der Artikel, dass die damals von den Militärbehörden angegebenen Mortalitätsraten zu niedrig angesetzt sind. Estragon liefert eine andere, nicht weniger plausible Erklärung, nämlich dass sich die Bevölkerung mehr Nahrung beschaffen konnte, als ihr offiziell zustand. Vielleicht waren beide Aspekte am Werk. Nun schreibt Estragon: „Die Kalorienzuteilungen lagen 1947 in der französischen Zone mindestens zwischen 900 und 1100 Kalorien. Diese schlossen jedoch die mögliche Selbstversorgung mit Lebensmitteln nicht aus, sondern setzten sie voraus – was in Bergen-Belsen jedoch nicht der Fall war.“ Wenn wir richtig verstehen, so wird hier den französischen Militärbehörden ein Versorgungspflichtgedanke unterstellt: Sie hätten die Mindestrationen nur deshalb so niedrig angesetzt, weil sie sicher waren, dass sich die Bevölkerung ohnehin mehr und ausreichend zum Überleben verschaffen werde. Das kann stimmen, muss aber nicht. Was dagegen spricht, ist die jahrzehntelange Erfahrung von Krieg im Kapitalismus und was sie hervorrufen: Chauvinismus, Völkerhass, Rachegelüste. Man wünscht dem Gegner den Tod.

 

Die Frage des Luftkriegs

Auch in seiner Abhandlung über den Luftkrieg und Bombenterror ist Estragon bemüht, jeden Gedanken zu widerlegen, dass die Demokratien Massentötung betrieben haben könnten. Zunächst wird der IKS unterstellt, den Bombenkrieg als eine „Spezialität der Alliierten“ hinzustellen. Allerdings steht das weder in diesem noch in irgendeinem anderen Artikel der IKS. Dafür wird uns vorgeworfen, den Luftkrieg der deutschen Luftwaffe „ausgeblendet“ zu haben. „Hier bewegt man sich ganz im herrschenden Diskurs und bedient deutschnationale Vorurteile.“ Aber warum, bitte schön, sollten wir in einem Artikel über die Verbrechen der Alliierten und über den beginnenden Kalten Krieg über die Massenmorde der deutsche Luftwaffe schreiben? Und warum sollten wir „deutschnationale Vorteile“ bedienen wollen? Wie dem auch sei, Estragon führt weiter aus: „Die Luftangriffe auf den sowjetischen Städte wurden in der klaren Absicht ausgeführt, die dortige Bevölkerung ohne jegliche Rücksicht zu dezimieren, gemäß den Vorgaben eines erklärten Vernichtungskrieges mit dem der deutsche Imperialismus über die Länder im Osten hergefallen war. Derartige Beweggründe lassen sich aber dem britischen und amerikanischen Imperialismus nicht unterstellen, auch wenn die Opferzahlen in Deutschland durch den Luftkrieg annähernd vergleichbar waren.“ Es gehörte zu den strategischen Kriegszielen des deutschen Imperialismus, große Gebiete Osteuropas zu entvölkern, d.h. die dort lebende Bevölkerung zu ermorden und durch deutsche Ansiedler zu „ersetzen“. Von den demokratischen Imperialisten sind keine solchen Kriegspläne gegen Deutschland für die Zeit während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt. Soweit können wir der Argumentationsweise von Estragon folgen. Und weiter: „Auf dem westlichen Kriegsschauplatz hatte sich der Bombenkrieg gegenseitig und allmählich zum Vergeltungskrieg hochgeschaukelt und wurde schließlich zur einer Art Selbstläufer, an dem vor allem die blühende Bombenindustrie in den Vereinigten Staaten ein gesteigertes Interesse hatte. Und obwohl in den militärischen Stäben an der militärischen Sinnhaftigkeit der Bombardierungen gezweifelt wurde, musste der ständig wachsende Output vor allem der amerikanischen Bombenindustrie verwertet werden. Auch die Atombombenabwürfe auf das quasi bereits geschlagene Japan sollten schließlich den weltpolitischen Profit bringen, der den ungeheuren Investitionen der amerikanischen Bourgeoisie in das Alamo-Projekt entsprach.“ Das alles klingt ein wenig verharmlosend in unseren Ohren, nach dem Motto: Die Nazis betreiben Massenmord, die Demokratien Geschäfte. Betreiben die Nazis keine Geschäfte? Betreiben die Demokratien keinen Massenmord? War Hiroshima, war Nagasaki kein Massenmord? Was haben wir uns unter „weltpolitischen Profit“ vorzustellen? Haben die US-Imperialisten ihre Atombomben verkauft, oder haben sie ihre Atombomben abgeworfen? Und warum war die Bombenindustrie der Vereinigen Staaten eine „blühende“? Hing diese Blüte nicht damit zusammen, dass auch die USA in diesen Krieg das Ziel verfolgte, möglichst viele Menschen der gegnerischen Seite zu töten? Abgesehen von der besonderen Massenmordpolitik der Nazis - ist es nicht das eigentliche „Geschäft“, ja das Wesen des modernen kapitalistischen Krieges, möglichst effektive Massentötungen zu veranstalten, auch und gerade gegenüber der Zivilbevölkerung?

 

Die Unterscheidung zwischen Mord und unterlassener Hilfeleistung

Auf die IKS Bezug nehmend, schreibt Estragon weiter. „Es zeigt sich, wie wenig man den Artikel Bordigas ‚Auschwitz oder das große Alibi‘ verstanden hat. Bordiga zweifelt keinesfalls die ‚Singularität‘ des Holocaust an, die eben nicht in der Tatsache des millionenfachen Mordens, sondern in ihrer industriellen, durchgerechneten und durchgeplanten Ausführung liegt. Er macht lediglich darauf aufmerksam, daß diejenigen, die heute Auschwitz dazu benutzen, ihre moralische Überlegenheit darzustellen, nicht weniger menschenverachtend sind. Die Nazis sind einstweilen geschlagen, das Morden für Profit geht weiter (...) Bordiga, so jedenfalls verstehe ich ihn, kommt nicht zu dem fatalen Schluss: ‚Die Alliierten und Nazis sind beide verantwortlich für das Holocaust‘, dann nämlich setzt man der Simplifizierung die Krone auf, unterscheidet nicht mehr zwischen ‚Mord‘ und ‚unterlassene Hilfeleistung‘. Mit dieser Schablone sind wir alle ‚schuldig‘ und wir bewegen uns auf dem Niveau christlich-bürgerlicher Moral anstatt einer marxistisch-materialistischen Analyse.“ Wir lassen es dahingestellt, ob der angesprochene „Auschwitz-Alibi“-Artikel tatsächlich von Amadeo Bordiga geschrieben wurde, wie Estragon behauptet. Wir lassen es dahingestellt, ob dieser Artikel „lediglich“ „diejenigen“ als nicht weniger menschenverachtend entlarvt, die Auschwitz benutzen, um ihre moralische Überlegenheit darzustellen (immerhin macht der Artikel den Kapitalismus insgesamt dafür verantwortlich und meint mit „diejenigen“ unmissverständlich die Demokratie!). In unserer Zeitung Weltrevolution haben wir auf den Vorwurf geantwortet, dass wir nicht zwischen Faschismus und Demokratie „unterscheiden“ Jetzt wirft man uns vor, nicht zwischen Mord und unterlassener Hilfeleistung zu unterscheiden. Was ist damit gemeint? Vermutlich dies: die Nazis haben die Juden ermordet, die Demokratien haben es unterlassen, Hilfe zu leisten. Das ist nicht das Gleiche, sagt Estragon (womit er Recht hat). Trotzdem sagen wir, dass die Demokratien mitverantwortlich sind für den Holocaust. Hat Estragon also doch Recht mit diesem Vorwurf? Wir meinen: Nein. Außerdem scheint Estragon zu meinen, die IKS würde die „Singularität“ des Holocaust leugnen. Woher nimmt Estragon das eigentlich? Der Holocaust war „singulär“ (sprich: einmalig), und nicht nur aufgrund seiner „industriellen Ausführung“, wie Estragon zu glauben scheint. Dieser Massenmord widersprach zu radikal und tief jeder bisherigen Vorstellung von menschlicher Moral, so dass er nur inoffiziell, sozusagen im Halbverborgenen ausgeführt werden konnte. So mussten die Euthanasiekampagne in Deutschland, die Pogrome in Dänemark oder in Bulgarien stillschweigend heruntergefahren werden, nachdem einzelne couragierte Kirchenvertreter sich öffentlich dagegen ausgesprochen hatten. Die Frage ist oft gestellt worden, weshalb die Alliierten die Bahnlinien nach Auschwitz nicht durch ihre Bombardierungen zu unterbinden versucht hatten. Man kann noch mehr fragen. Hätten die Alliierten, nachdem sie (recht früh) vom Völkermord erfahren hatten, in aller Form erklärt, alle daran beteiligten Personen nach Kriegsende dafür zur Rechenschaft zu ziehen, hätte das sehr wahrscheinlich dieser mörderischen Maschinerie zumindest einen starken Dämpfer versetzt.

Hama wiederum wirft uns vor, nur die üblichen marxistischen Schemata wie Mehrwertauspressung und Klassenanalyse ins Feld führen zu können, um den Holocaust zu erklären. In einem Kommentar vom 24.05.2009 springt Riga Hama bei. Hama wolle, so Genosse Riga, auf das Irrationale der Shoa, auf den durch keine ökonomische Klassenanalyse erklärbaren, irrationalen Vernichtungswillen hinaus. Wir dürfen nicht bei der Feststellung stehenbleiben, so Riga weiter, dass die Niederlage des Weltproletariats diese Katastrophe ermöglicht hat, sondern wir brauchen eine tiefere Erklärung, die die Entfremdung, aber auch psychische und moralische Aspekte mit berücksichtigt.

In der Tat. Allein, wir wissen nicht, wie die Genossen dazu kommen, der IKS vorzuwerfen, die Rolle des Irrationalen, der Moral oder der Psychologie zu verleugnen. Warum auch immer - der deutsche imperialistische Staat wurde von einer Bande in den Zweiten Weltkrieg geführt, die extreme, schockierende Anzeichen des Irrsinns aufwies. Großbritannien und den USA hingegen wurden von eher traditionellen, gewachsenen Gruppierungen, von Churchill und Roosevelt, von der konservativen bzw. demokratischen Partei angeführt. Die eine Seite, die teilweise irrsinnige, ermordete sechs Millionen Juden. Die andere Seite, die „normalen“ und „gesunden“ Imperialisten, schauten weg. Ist das das Gleiche? Keineswegs. Ist das eine weniger „schlimm“ als das andere? Nicht unbedingt. Nicht, wenn die Hilfe unterlassen wird, um selbst ungehindert weiter morden zu können.

 

Das Menetekel

Es gibt auf Englisch den häufig benutzten Ausdruck: „The writing is on the wall“. Das bringt einen weit verbreiteten Glauben zum Ausdruck, dass die von politischen Aktivisten, Dichter oder Verrückte an Mauern und Unterführungen geschriebenen Parolen und Graffitis dringende, ernstzunehmende Warnungen enthalten. Das Ganze bezieht sich auf eine Bibelgeschichte aus dem Buch Daniel, auf ein geheimes Schriftzeichen, das das Ende des Königsreichs von Babylon Belsazar, dem Sohn des Nebukadnezar II, ankündigte.

„Und sieh! Und sieh! An weißer Wand

Da kam`s hervor wie Menschenhand;

Und schrieb, und schrieb an weißer Wand

Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.

Der König stieren Blicks da saß,

Mit schlotternden Knien und totenblass.

Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,

Und saß gar still, gab keinen Laut.

Die Magier kamen, doch keiner verstand

Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.“

So stellte sich der Dichter Heinrich Heine die Szene vor (in seinem Gedicht „Belsatzar“). Man sagt, die herbeigerufenen Schriftgelehrten haben die Schrift deshalb nicht zu deuten gewusst, weil die Wörter „mene mene tekel u- pharsin“ in der aramäischen Sprache ein Wortspiel enthalten, die sie nicht verstanden hatten. Seitdem gilt das Menetekel als eine Unheil verkündende Warnung, einen ernsten Mahnruf oder ein Vorzeichen drohenden Unheils. Die Tücken der Geschichtsdeutung liegen darin, dass die Zeichen der Zeit oft etwas Geheimnisvolles haben oder Wortspiele enthalten. Sie sind zweideutig. Werden die Zeichen der Zeit nicht richtig, nicht rechtzeitig gelesen, so lässt sich die Katastrophe nicht mehr abwenden. Aber in Wahrheit gibt es nicht nur ein Zeichen, der Gang der Geschichte drückt sich vielfältig aus. So wie die einzelnen Wörter erst zusammen ihren Sinn preisgeben, so müssen die Schlüsselereignisse der Geschichte, auch und gerade die unheilvollen, zusammen und nicht gegeneinander gelesen werden. An der Somme und an der Marne, im Ersten Weltkrieg, begann das Zeitalter der maschinellen Vernichtung von Menschen, die Massenproduktion des Todes. In diesem Stadium brachten sich die Opfer gegenseitig um. Das waren die zivilisierten Staaten Europas, damals noch das Zentrum des Kapitalismus. Auschwitz lag nicht mehr an der Front, Völkermord als Industriezweig, voll ausgelastet. Das waren die Nazis. Dann kam Hiroshima. Die Wissenschaft erobert die Fähigkeit, die Menschheit selbst auszulöschen, und stellte es unter Beweis. Das war die Demokratie (die Nazis hätten das auch gern getan, aber tatsächlich war es die US-Bourgeoisie). Nun gibt es die Diskussion, ob man Auschwitz mit Hiroshima vergleichen kann, was schlimmer sei, ob man das eine verharmlost, wenn man vom anderen spricht. So dachten vermutlich die Schriftgelehrten von Babylon auch. Sie verstanden es nicht, die Zeichen zusammen zu lesen.

Marx sprach davon, dass Niedergangsphasen in der menschlichen Vorgeschichte dann eintreten, wenn die Produktionsverhältnisse, Eigentumsverhältnisse zu Fesseln werden. Die Produktivkräfte rebellieren gegen diese Enge, das sind die Überproduktionskrisen. Die Produzenten rebellieren gegen eine Ausbeutung, die nicht mehr hinnehmbar erscheint. Das ist der revolutionäre Kampf. Es zeigt sich aber, dass diese Enge, die zu einer Erstickung zu werden droht, auch zu einer explosionsartigen Entwicklung der Zerstörungskräfte führt. Darunter verstehen wir die Anhäufung und Perfektionierung der Waffen, aber auch die Akkumulation von Hass und Zerstörungswut, was sich verträgt mit einer unheimlichen, für den Kapitalismus eigentümlichen eisigen Erstarrung der Welt. Dieses Menetekel hat schon die große Mehrheit der Sozialdemokratie vor 1914 nicht zu deuten gewusst. Man hielt krampfhaft an einem naiven Fortschrittsglauben fest, wollte von der nahenden Katastrophe nichts wissen. Aber auch der Antifaschismus ist blind gegenüber der „Schrift an der Wand“. Die Lehre aus Auschwitz, dass der Faschismus, der Nationalsozialismus ein Monstrum ist, ist vollkommen richtig – aber zu wenig. Wenn man daraus schließt, dass andere Formen des Kapitalismus weniger „schlimm“ sind, so kehrt sich Wahrheit in ihr Gegenteil um. Für uns ist die Lehre aus Auschwitz, dass der Kapitalismus als solcher und in seiner Gesamtheit dringendst überwunden werden muss, bevor es zu spät ist.

In einem Kommentarbeitrag (24.05.2009) schreibt der Genosse Riga, dass man die Welt nicht verändern kann, wenn man nicht die Köpfe und die Herzen der Proletarier für die Sache der Befreiung gewinnt, und dass man die Köpfe und Herzen nicht gewinnen kann, wenn man die Leute von jeder Verantwortung freispricht. Damit hat der Genosse zutiefst Recht. Zugleich wirft er aber der IKS vor, die Unschuld der ArbeiterInnen in Deutschland gegenüber der Nazizeit beweisen zu wollen. Was er hier mit „Schuld“ und „Unschuld“ genau meint, wissen wir nicht. Es wäre sicherlich für die Diskussion fruchtbar, wenn er dass erläutern würde.

Was wir aber wissen, ist, dass die Ideologie des Antifaschismus die Leute unfähig macht, Mitgefühl gegenüber den Opfern des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit innerhalb der deutschen Bevölkerung zu empfinden. Doch die Sache der Emanzipation wird nur dann siegreich sein, wenn es Mitgefühl und Solidarität mit allen Opfern des Kapitalismus empfinden kann.

Die Redaktion Weltrevolution. 15/09/2009.

Historische Ereignisse: 

  • Luftbrücke Berlin [78]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Italienische Linke [79]

Theoretische Fragen: 

  • Krieg [80]

Debatte über die subjektiven und objektiven Faktoren der Revolution

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Verschiedene Artikel der IKS über die weltweiten Jugendproteste der letzten Zeit haben eine lebhafte Debatte auf unserer Webseite ausgelöst in Form von Kommentaren zu unseren Artikeln und zu unseren Kommentaren zu den Kommentaren. Es geht bei dieser Debatte zum bedeutenden Teil um die Frage, wie man die Klassennatur von solchen Bewegungen überhaupt einschätzt. Wir haben uns dafür ausgesprochen, dass man sowohl objektive wie auch subjektive Kriterien hierzu anwenden sollte, um zu einer richtigen Einschätzung zu kommen, d.h. man sollte sowohl die Rolle der Akteure in der kapitalistischen Wirtschaft ebenso in Betracht ziehen wie ihren Bewusstseinsstand, ihre angewandten Kampfmethoden, ihre aufgestellten Forderungen. Darüber hinaus argumentierten wir, dass das eventuelle Zustandekommen eines kommunistischen Bewusstseins und einer revolutionären Situation das Vorhandensein und Zusammenkommen  von objektiven und subjektiven Faktoren zur Voraussetzung hätte.

Verschiedene Artikel der IKS über die weltweiten Jugendproteste der letzten Zeit haben eine lebhafte Debatte auf unserer Webseite ausgelöst in Form von Kommentaren zu unseren Artikeln und zu unseren Kommentaren zu den Kommentaren. Es geht bei dieser Debatte zum bedeutenden Teil um die Frage, wie man die Klassennatur von solchen Bewegungen überhaupt einschätzt. Wir haben uns dafür ausgesprochen, dass man sowohl objektive wie auch subjektive Kriterien hierzu anwenden sollte, um zu einer richtigen Einschätzung zu kommen, d.h. man sollte sowohl die Rolle der Akteure in der kapitalistischen Wirtschaft ebenso in Betracht ziehen wie ihren Bewusstseinsstand, ihre angewandten Kampfmethoden, ihre aufgestellten Forderungen. Darüber hinaus argumentierten wir, dass das eventuelle Zustandekommen eines kommunistischen Bewusstseins und einer revolutionären Situation das Vorhandensein und Zusammenkommen von objektiven und subjektiven Faktoren zur Voraussetzung hätte.

In seinem Kommentar zu diesem Beitrag vertritt Bruno nun den Standpunkt, dass die objektiven Bedingungen (sprich die Krisen und Katastrophen des Kapitalismus) niemals von alleine eine revolutionäre Situation und ein revolutionäres Bewusstsein schaffen werden. „Die Krise wird es nicht richten und nicht das kollektive Bewusstsein für die richtigen Schlüsse der Arbeiterklasse erzeugen“, so Bruno.

Wir sind damit einverstanden. Es war eine der fatalsten Schwächen der Sozialistischen Internationalen, welche das Versagen dieses Organs gegenüber dem Ersten Weltkrieg ermöglichte, an eine Unvermeidbarkeit des Sozialismus geglaubt zu haben, welcher sich gewissermaßen als Ergebnis der Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus wie ein Naturgesetz realisiert. Demgegenüber haben zunächst Friedrich Engels und dann Rosa Luxemburg die Alternative aufgestellt: Sozialismus oder Barbarei. Diese Alternative schließt die Möglichkeit ein, dass die Arbeiterklasse im Kampf um eine klassenlose Gesellschaft letztendlich versagen kann. In diesem Fall hätte sich die zentrale Arbeitshypothese des Marxismus – dass das Proletariat imstande ist, den Kapitalismus zu überwinden – nicht bewahrheitet. Es schließt ebenfalls die Erkenntnis ein, dass nicht alle objektiven Faktoren der Krise des niedergehenden Kapitalismus für die Realisierung des Sozialismus günstig sind. Dazu zählt nicht zuletzt das schiere Ausmaß der Zerstörung (auch der inneren Zerstörung im Menschen selbst), welche das System anrichtet.

Bruno’s Pochen auf der Unabdingbarkeit der subjektiven Faktoren, der Entwicklung des Bewusstseins oder des revolutionären Willens, ist somit mehr als berechtigt. Wir haben dies aber auch nicht bestritten. Uns ging es um die notwendige Einheit zwischen den objektiven und subjektiven Bedingungen. Ohne revolutionäre Organisation, ohne die Entwicklung von Klassenbewusstsein, ohne die „Schule des Kommunismus“ kann es keinen revolutionären Ansturm geben. Aber ohne objektive Erschütterung des Systems, ohne Wirtschaftskrise und andere Katastrophen, ohne Massenverelendung des Proletariats auch nicht. Fehlt auch nur einer dieser Faktoren, so kann es keine Revolution geben.

Bruno scheint mit diesem Gedanke zu hadern. Es will uns scheinen, dass er beide Faktoren nicht als Einheit sieht, sondern sie gegeneinander zu stellen geneigt ist. Er schreibt: „Es stellt sich vielmehr die Frage, benötigt die Menschheit das Drama der Exzesse von Gewalt und Verarmung, um ein Bewusstsein für eine sozialistische und demokratische Gesellschaft zu erlangen.“

Zur Zeit der Sozialistischen Internationalen gab es neben der Idee von der „Unvermeidbarkeit des Sozialismus“ einen anarchistischen Gegenpart. Dessen Idee war, dass die Revolution keine andere Voraussetzung kennt als die subjektive, als die Entwicklung des Bewusstseins, als den Willen und den Entschluss, den Kapitalismus zu stürzen. Folgerichtig glaubte diese Denkrichtung, dass die Revolution jederzeit losbrechen kann, etwa in Form eines Generalstreiks, wenn nur genügend Massen dafür sind. Dies lässt aber die Frage offen, wie es möglich ist, dass die große Masse der Proletarier zu einem revolutionären Bewusstsein gelangt. Allein durch die Propaganda der Revolutionäre? In dieser Sichtweise ist der wissenschaftliche Anspruch des Marxismus, demzufolge der Sozialismus selbst ein Produkt des Kapitalismus und dessen Widersprüche ist, demzufolge das Proletariat nicht eine künftige Gesellschaft aus dem blauen Dunst ausheckt, sondern dass das Proletariat die Hebamme, die Geburtshelferin, der klassenlosen Gesellschaft darstellt, aufgegeben. Der Sozialismus wird wieder zu einer Utopie. Und so drehte sich die Debatte zwischen Sozialdemokraten und Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten vor dem Ersten Weltkrieg sinnlos im Kreis. Man warf sich gegenseitig, und zurecht, entweder Fatalismus oder Utopismus vor, anstatt zu erkennen, wie Rosa Luxemburg oder Lenin es taten, dass nur das Zusammenkommen von gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und revolutionärer Subjektivität der Klasse zur Revolution führt. Mit anderen Worten: Einerseits muss das Proletariat durch wachsende Unsicherheit und wachsendes Elend zu einer Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit und Möglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft „gezwungen“ werden. Aber diese Revolution siegt nicht zwangsläufig, sondern nur wenn die Klasse die Notwendigkeit der Revolution versteht und bejaht. Das Proletariat wird gezwungen, aber es muss auch können und wollen! Und warum ist das so? Weil wir noch in der „Vorgeschichte der Menschheit“ leben, noch nicht im „Reich der Freiheit“, um Formulierungen von Engels zu gebrauchen. Und dennoch wäre die proletarische Revolution der erste große Schritt in dies Reich der Freiheit. Denn Freiheit bedeutet nicht Willkür, sondern die Fähigkeit, das, was notwendig ist, zu erkennen und es freiwillig und mit Überzeugung zu tun.

Wir haben zumindest den Eindruck, dass Genosse Bruno ziemlich sauer auf die Arbeiterklasse ist, da sie offenbar den Stachel der Verelendung braucht, um für die Interessen der Menschheit zu kämpfen.

„Der Wunsch an dem Konsum und Erwerb ihres eigenen Arbeitsproduktes teilnehmen zu können treibt die Menschen in die Lohnarbeit und der Klassenkampf verbleibt innerhalb der legalistischen Formen juristischer Eigentumstitel, der lediglich der reproduktiven Verteilung des Arbeitsproduktes dient, der Aufrechterhaltung der Konsumfähigkeit der Arbeiterklasse“.

Als Beschreibung des Systems der Lohnsklaverei klingt das sogar ein wenig beschönigend. Statt „Wunsch an dem Konsum und Erwerb ihres Arbeitsproduktes teilnehmen zu können“ könnte man auch schreiben, dass es der Hunger ist, die indirekte, weil ökonomische Gewalt, die radikale und blutige Trennung von den Produktionsmittel, welche die Menschen in die Lohnarbeit treibt. Bruno spricht vom Konsum „ der Lebensmittel, von dem der individuelle Arbeiter versucht möglichst viel abzubekommen. Darin unterscheidet er sich um nichts von anderen Subjekten.“ Das klingt merkwürdig vorwurfsvoll, als ob die Lohnabhängigen sich auch noch ihres „Konsums“ schämen müssten. Warum übrigens unterscheidet sich der Kampf der Proletarier um ihre Lebensmittel, sprich um ihr Überleben, „in nichts“ von der Revenue, vom Protz und Luxus der herrschenden Klasse?

Es gibt Leute, die dem Proletariat sogar moralische Vorwürfe machen, weil sie ihre Arbeitskraft an den Kapitalisten verkaufen, anstatt die Revolution zu machen. Wenn man aber versteht, dass das ein bitterer Zwang ist, dass es immer nur kleine (und immer kleiner werdende) Minderheiten sein werden, welche diesen Zwang austricksen können, um ihrem individuellen „Kampf gegen die Arbeit“ zu fronen, so hat man mehr Verständnis dafür, dass diese Masse der Lohnabhängigen nur wagen kann, offen gegen das System aufzutreten und an eine revolutionäre Alternative zu denken, wenn es die Geborgenheit der Massenkämpfe, der Kampfgemeinschaft erfährt. Und das geht ohne die Stachel des Elends und der Unsicherheit nicht.

Diskussionsveranstaltung der IKS in Peru - Eine internationalistische Debatte

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Letzten August fand in Lima eine öffentliche Diskussionsveranstaltung der IKS zum Thema "Gegenüber der Krise ist die einzige Alternative der Arbeiterkampf" statt.

Es waren zahlreiche Teilnehmer erschienen. Aber vor allem die Debatte war sehr tiefgehend und dynamisch. Es beteiligten sich dabei zwei internationalistische Gruppen aus Peru: der "Proletarische Kern aus Peru" (Núcleo Proletario de Perú-NPP) und die "'Gruppe proletarischer Kampf" (Grupo de Lucha Proletaria – GLP). Ebenso anwesend war ein Genosse, der von den Internationalistischen Kernen aus Ecuador (Núcleos Internacionalistas de Ecuador) entsandt worden war. Ein Genosse der Oposición Obrera (Arbeiteropposition) Brasiliens wollte am Treffen teilnehmen, aber er war schließlich verhindert.[1] D.h. das Treffen trug einen deutlich internationalistischen Charakter[2].

Nach einer kurzen Einführung, deren Ziel es nicht war, irgendwelche "Lehren zu erteilen"[3] sondern eine Debatte voranzutreiben, gab es mehrere Wortbeiträge zu verschiedenen Themen, die wir kurz zusammenfassen wollen[4].

Es gab Übereinstimmung darin, die verheerende Tragweite der Krise und die furchtbaren Kosten für die Arbeiterklasse und die anderen nicht-ausbeutenden Schichten zu unterstreichen. So meinte ein Genosse der NPP: „Wir stehen vor der größten Krise des Kapitalismus; nie zuvor hat es in früheren Systemen das gegeben, was wir heute im Kapitalismus erleben: Hunger nicht aufgrund eines Mangels an Produkten, sondern wegen überschüssiger Produkte.“

Die Krise entsteht nicht, wie uns immer wieder eingetrichtert wird, aufgrund schlechten Managements oder wegen zu wenig Staatsintervention, sondern weil der Kapitalismus sich auf die Lohnarbeit und die Warenproduktion stützt und unter einer ausweglosen Überproduktion leidet, welche zu immer mehr Barbarei, Zerstörung und Verarmung des Großteils der Bevölkerung führt.

"Die Krise ist wie ein schwarzes Loch, das Leben und 'Illusionen' verschluckt", sagte ein anderer Teilnehmer. Die Krise kann nicht auf makro-ökonomische Zahlen reduziert werden und auch nicht auf Erfolgsrechnungen. Das Hauptmerkmal der Krise sehen wir anhand des Leidens von Millionen von Menschen, die trotz ihrer manchmal übermenschlichen Anstrengungen in einen Strudel der Verarmung, Ausgrenzung und Zerstörung hineingezogen werden. Ein Beispiel zeigt das: In Guatemala gibt es „eine große Hungersnot, unter der mehr als 54.000 arme Familien im Lande leiden, die seit Anfang des Jahres mindestens 462 Menschen das Leben gekostet hat" (El País, 9.9.09).

Sind Internationalismus und Nationalismus vereinbar?

Aber der größte Teil der Diskussion drehte sich nicht um die Krise und ihr Wesen, sondern um die Frage, wie man gegen diese kämpfe könne. Ist das Proletariat die einzige revolutionäre Klasse, die in der Lage ist, einen Ausweg aus der Krise des Kapitalismus zu finden? Mit welchen Mitteln kämpft die Arbeiterklasse? Für welche Gesellschaft kämpft sie?

An dieser Stelle kam eine Prinzipienfrage auf, zu der es in der Diskussion eine wichtige Klärung gab: Kann man gleichzeitig Nationalist und Internationalist sein?

Dies fragte ein Genosse, der eine trotzkistische Orientierung vertrat und sich aktiv an der Diskussion beteiligte. Er meinte einerseits, "das Proletariat ist eine internationale Klasse und es muss mit den Kämpfen solidarisch sein, die auf der Welt entstehen", aber andererseits meinte er auch, dass "Peru an die chilenische Bourgeoisie verkauft werde"; ein anderer Teilnehmer fügte dem hinzu "Peru wird gegenwärtig von ausländischem Kapital überflutet".

In mehreren Wortbeiträgen wurde dem entgegengehalten, dass die Verbündeten des Proletariats in Peru die Proletarier in Chile sind,[5] dass das Proletariat nur die notwendige Kraft zum kämpfen entwickeln kann, wenn es von einer Klassensolidarität ausgehend kämpft, die sich über alle Landesgrenzen, Rassen oder Branchengräben hinwegsetzt. Ein Genosse des NPP warf ein wesentliches Argument ein: "Der Kapitalismus ist ein weltweit operierendes Produktionssystem, das die Arbeit der Proletarier zu einer weltweiten Kollektivität werden lässt".

Nationalismus und Internationalismus sind nicht vereinbar, sie sind wie Wasser und Feuer. Das deutlichste Symbol des Triumphes der Konterrevolution waren in den 1930er Jahren 1936 die Streiks in Frankreich, als man in den besetzten Fabriken gleichzeitig die Trikolore des "ewigen Frankreichs" und rote Fahnen schwenkte und die Arbeiter gleichzeitig die Marseillaise und die Internationale sangen.

Ist es nicht übertrieben, vom Proletariat als einer revolutionären Klasse zu sprechen?

Neben der Klärung der Frage des Internationalismus drehte sich die Diskussion um die Frage des revolutionären Wesens des Proletariats.

Ein Genosse anarchistischer Ausrichtung meinte, dass "wir nicht in eine Fetischisierung des Proletariats verfallen sollten, zudem dieses zahlenmäßig geschrumpft und großen Änderungen unterworfen sei, die sein Bewusstsein zurückentwickelt oder gar bewirkt haben, dass es kein Klassenbewusstsein habe".

Es stimmt, dass im Verlaufe von drei Jahrhunderten seit der Entstehung des Proletariats dieses in seiner soziologischen Zusammensetzung große Änderungen durchlaufen hat; auch hat sich die Form der Arbeit, der Konzentrationsgrad, die technische und kulturelle Bildung usw. desselben gewandelt. Mitte des 19. Jahrhunderts war ein herausragendes Merkmal noch Heimarbeit, während Ende des 19. Jahrhunderts und am Anfang des 20. Jahrhunderts die hoch technisierte Arbeit vorherrschte. In den 1970er Jahren waren viele Arbeiter in Großfabriken tätig; dagegen herrscht heute eine weltweit assoziierte Arbeit vor, so dass man gegenwärtig bei keinem Produkt sagen kann, dass es ausschließlich von den Arbeitern dieses oder jenes Landes oder Werkes produziert wurde. Wesentlich ist die weltweite Arbeitsteilung in der Produktion, wodurch die objektiven Grundlagen für die internationale Einheit des Proletariats gelegt werden.

Die Genossen des NPP betonten, dass diese Umwälzungen jedoch nichts am Wesen der Arbeiterklasse geändert haben. "Die Arbeiterklasse ist die Mehrwert produzierende Klasse, die ausgebeutete Klasse", aber andere fügten ein weiteres Argument hinzu: "Wer kann eine andere Gesellschaft herbeiführen? Nur die Arbeiterklasse, weil sie die produzierende Klasse ist, aber auch vor allem weil sie eine Klasse mit Geschichte ist." Das Proletariat ist der kollektive Produzent des Großteils der Reichtümer der Welt. Aber es ist nicht nur die Hauptproduzentin der Gesellschaft, es ist auch eine Klasse, die ein kollektives Bewusstsein entwickeln kann über mehrere Generationen hinweg. Ihr Kampf stützt sich auf eine historische Kontinuität, welche ihr über mehrere Generationen hinweg ermöglicht, Lehren aus ihren Kämpfen zu ziehen, aus ihren Fehlern zu lernen, klarer und deutlicher ihre Prinzipien und Ziele zu formulieren. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von den früheren ausgebeuteten Klassen – den Sklaven und den Leibeigenen- die ebenfalls produzierende Klassen waren, aber deren Kampf keine Kontinuität und keine Zukunft hatte. Die Arbeiterklasse ist die erste ausgebeutete Klasse der Geschichte, die gleichzeitig revolutionär ist.

Die Kampfmittel des Proletariats

Die jetzige Lage des Proletariats ermöglicht aber keine empirische und unmittelbare Überprüfung dieser Wirklichkeit. Die gegenwärtigen Kämpfe weisen wichtige Merkmale der Suche nach Solidarität und der Bewusstwerdung auf, aber sie erreichen noch keine massiven und größeren Ausmaße, die den Arbeitern die soziale und geschichtliche Kraft vor Augen führt und der Bevölkerung verdeutlicht, dass das Proletariat die einzige Klasse mit einer eigenen Perspektive ist.

Dies ruft Zweifel hervor an der Fähigkeit des Proletariats, an seinen Kampfmitteln; diese kamen in der Diskussion offen zur Sprache.

Ein Teilnehmer wandte ein: "Wenn die Arbeiter 12 bis 14 täglich arbeiten, welche Zeit verbleibt ihnen dann zu diskutieren und sich zu mobilisieren?" In der Tat, wenn man sich die Arbeiter vor Augen führt, wie sie eingeschüchtert werden durch die Krise und immer noch sehr atomisiert sind, ist es schwierig sich vorzustellen, dass sie in der Lage sein sollen, massiv und gemeinsam wie eine eigenständige Klasse mit einer eigenen Alternative zu handeln. Aber Rosa Luxemburg zeigte anhand der russischen Revolution von 1905 auf, dass sich unter den allgemeinen Bedingungen des Massenstreiks "der vorsichtige Familienvater, der sich um seine Kinder kümmert, zu einem romantischen Revolutionär" wird.

In der Diskussion wurden die Wege zu dieser psychologischen Umwälzung besprochen, die heute als ein Wunder erscheinen mag. Ein Mittel ist die wachsende Einheit zwischen Forderungskampf und revolutionärem Kampf. Aber diese Frage konnte in der Diskussion selbst nicht weiter vertieft werden. Aus unserer Sicht gibt es keinen Gegensatz zwischen beiden Dimensionen des proletarischen Kampfes: der Forderungskampf gegen die Ausbeutung und der revolutionäre Kampf zur Abschaffung der Ausbeutung[6].

Wie ein Genosse des NPP hervorhob: "Der Klassenkampf ist kein Kampf von Minderheiten, sondern ein Massenkampf", und diesem entspricht die Notwendigkeit, dass das Proletariat sich eine massive und allgemeine Organisation schafft, die dazu in der Lage ist, seine Kraft zu bündeln und als Ort der Debatte und Entscheidungen dient. In der Diskussion wurde betont, dass diese Organisation in der Geschichte seit den Erfahrungen von 1905 und 1917 in Russland die Arbeiterräte sind. Eine Genossin der GLP meinte, diese seien "eine Einheitsorganisation, an der sich alle beteiligen können".

An dieser Stelle fragte ein Genosse anarchistischer Orientierung: "Propagiert ihr hinsichtlich der Arbeiterräte das russische Modell?" Aus der Diskussion ging hervor, dass man die Arbeiterräte von 1905 und 1917 nicht als unfehlbare Modelle ansehen darf, wie eine Art Rezept, das in allen zukünftigen Kämpfen benutzt werden könnte. Die Arbeiterräte von 1917-23 in Russland und in anderen Ländern Europas und Amerika sind eine wertvolle Erfahrung, die kritisch untersucht werden muss, damit man klar ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten erkennen und Schlussfolgerungen formulieren kann, die für die zukünftigen Kämpfe des Proletariats wesentlich sind.

Auf die Frage des gleichen Genossen, ob "wir Anhänger des leninistischen Parteimodells sind", antworteten wir – wie auch andere Teilnehmer der Diskussion – im gleichen Sinne: Wir wollen keine Modelle nachahmen, wir können uns auf Erfahrungen stützen, die uns Lehren für die gegenwärtige historische Epoche anbieten. Der Bolschewismus hat uns einen unnachgiebigen Internationalismus überliefert, der ihn an die Spitze des Kampfes gegen den Krieg treten ließ. Sie verstanden die Rolle der Arbeiterräte als "diese Form ist das Sowjetsystem mit der Diktatur des Proletariats”, was sich in der klaren Losung “Alle Macht den Räten” niederschlug. Aber sie vertraten auch falsche Auffassungen, die übrigens auch von anderen proletarischen Strömungen der damaligen Zeit vertreten wurden, wie die, dass die Partei die Macht im Namen der Klasse ausübt, was sicherlich zur Niederlage und zum Niedergang der Revolution mit beitrug[7].

Der Kommunismus und die revolutionäre Perspektive

Wie eine Genossin meinte: "Was ist das Ziel einer Organisation des Proletariats? Ich glaube dies kann nur eins sein: der Kommunismus." Das Treffen debattierte weiter über das historische Ziel des Arbeiterkampfes und dies geschah als eine Antwort auf die konkrete Überlegung, die ein Genosse anarchistischer Orientierung aufgeworfen hatte: "Als die UdSSR existierte, gab es noch ein Modell. Genau so gab es das Modell des Guerilla-Kampfes, bei dem 'freie Zonen' geschaffen wurden. Aber mittlerweile haben alle Modelle Schiffbruch erlitten. Ein neues Modell wäre die Selbstverwaltung, sie würde tatsächlich Zonen – Stadtteile, Betriebe - schaffen, die von den Ausgebeuteten befreit wären."

In der Diskussion wurde unterstrichen, dass die UdSSR kein Modell war, sondern eine der Erscheinungsformen des Staatskapitalismus war. Genauso wenig war die Guerilla ein Modell, weil es sich um blutige Zusammenstöße zwischen Flügeln der Herrschenden handelt, die Arbeiter und Bauern als Geiseln nehmen.

Aber wenn man weiter schaut, "kann das Ziel des Proletariats ein Modell einer neuen Gesellschaft sein?" Mehrere Wortbeiträge betonten, dass es gerade ein Fehler sei, ein "Modell" zu suchen, weil dies dann nur eine sektiererische und doktrinäre Vorgabe für den Rest der Arbeiterklasse sein würde. Die Russische Revolution und die ganze weltweite Welle revolutionärer Kämpfe im Anschluss daran (1917-23) waren keineswegs ein "Gesellschaftsexperiment im Labor", sondern die Antwort des Proletariats auf die furchtbare Entwicklung der Barbarei und der Zerstörung, welcher der Erste Weltkrieg mit sich brachte. All dies wurde durch den Eintritt des Kapitalismus in seine Niedergangsphase verursacht, d.h. den Zeitraum, in dem dieser zu einer Fessel für die gesellschaftliche Entwicklung wird, und nachdem er zunächst eine fortschrittliche Rolle gespielt hat, schlug er in sein dialektisches Gegenteil um: er wurde zu einer zerstörerischen, barbarischen Kraft, die eine Bedrohung für das Überleben der Menschheit darstellt[8].

Der Kommunismus ist kein Idealzustand. Der Kommunismus bedeutet die Überwindung und Lösung der Widersprüche, die unter dem Kapitalismus die Menschheit ins Verderben und Zerstörung treiben. So ist die Überproduktion, die unter dem Kapitalismus zu Hunger und Arbeitslosigkeit führt, im Kommunismus die Grundlage für die volle Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit. Der gesellschaftliche und weltweite Charakter der Produktion, der im Kapitalismus die Konkurrenz anspornt und Kriege zwischen Nationen auslöst, ist im Kommunismus die Grundlage für die brüderliche Zusammenarbeit aller Arbeiter, für die Organisierung einer weltweiten Menschengemeinschaft.

In der Diskussion wurde ebenso hervorgehoben, dass der Kommunismus nur weltweit bestehen kann oder gar nicht. Deshalb wurde in mehreren Redebeiträgen das stalinistische Modell des "Sozialismus in einem Land" oder das Guerilla-Modell der "befreiten Zonen" verworfen. Aber in der Diskussion wurde ebenso betont, dass die Selbstverwaltung kein Mittel ist, den nationalistischen Rahmen zu überwinden. Weder der "Sozialismus in einer einzigen Fabrik" noch der "Sozialismus in einem Stadtteil" sind eine Alternative für den „Sozialismus in einem Land“ des Stalinismus[9].

Die Perspektive neuer Debatten

Eine Genossin kommentierte, « die Debatte ist sehr gut. Sie dient dazu, dass jeder versteht, was der andere sagt, denn jeder spricht seinen eigenen Jargon. „ Wir glauben, dass die intensive Debatte in der öffentlichen Diskussionsveranstaltung dazu diente, sich besser zu verstehen, die Anliegen der Teilnehmer besser in der Tiefe zu begreifen und darauf einzugehen, die Besonderheiten zu überwinden, die uns abgrenzen: die Jargons, das gegenseitige Misstrauen, das mangelnde gegenseitige Verstehen…

Eine Genossin der NPP trat für eine Orientierung ein, die wir teilen: „Unsere Hauptaufgabe ist die Entfaltung einer Debatte, Studienkreise zu schaffen, Fragen zu vertiefen. Das ist unsere kurzfristige Funktion. Dies sind Mittel für die revolutionäre Umwälzung. Der revolutionäre Wechsel kann nicht aufgezwungen werden; er muss aus den Bedingungen für denselben hervorgehen“.

Wir meinen, neue öffentliche Veranstaltungen sind erforderlich, in denen neue Themen aufgegriffen werden, welche die verschiedenen Diskussionsstränge vertiefen, die in der letzten Diskussion offen geblieben sind. Die Debatte in Peru ist ein Teil einer Tendenz zur internationalen Debatte, welche sich mehr entfaltet, und die durch das jüngste lateinamerikanische Treffen internationalistischer Kommunisten einen Impuls erhalten und eine Ausrichtung erhalten hat. So sind die Diskussionsveranstaltung in Peru und die neuen Diskussionen, welche in Gang kommen können, ein Teil dieses internationalen Mediums und stellen einen aktiven Beitrag zu demselben dar. Wie wir in der Berichterstattung über die erste öffentliche Diskussionsveranstaltung in Peru 2007 schrieben: „Für den Aufbau eines Milieus einzutreten, bei dem die proletarische Debatte im Mittelpunkt des politischen Lebens steht, ist eine Perspektive in Peru wie auf der ganzen Welt, welche die zukünftige Weltrevolution vorbereiten wird.“[10] IKS 10.09.09

(aus der Presse der IKS in Spanien).

[1]Es gab mehrere Treffen mit beiden Gruppen, an denen sich der Genosse aus Ecuador beteiligte, wo ebenfalls wichtige Diskussionen zu den Themen Arbeiterräte, das Proletariat, die Weltpartei, die Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus stattfanden. Auf diesen Treffen wurde der Brief der Genossen von Oposición Obrera aus Brasilien vorgelesen (siehe unsere spanische Webseite).

[2]Vorher haben wir schon 2007 und 2008 öffentliche Diskussionsveranstaltungen in Peru durchgeführt. Siehe “Hin zum Aufbau eines Umfeldes der Debatte und der Klärung” (https://es.internationalism.org/node/2107 [81]) und „Öffentliche Diskussionsveranstaltung in Peru „Eine leidenschaftliche Debatte zur Krise“(https://es.internationalism.org/node/2385 [82])

[3]Siehe den Anhang auf unserer spanischen Webseite.

[4]Wir haben versucht, die Wortmeldungen der Teilnehmer/Innen so gut wie möglich wiederzugeben, aber wenn jemand meint, wir hätten ihre Beiträge unrichtig zitiert oder interpretiert, bitten wir euch um eventuelle Korrektur.

[5]1879 brach der Pazifische Krieg aus, bei dem Peru von seinem chilenischen Rivalen besiegt wurde, dessen Militär sogar bis nach Lima vordrang. Seither warnt der peruanische Nationalismus immer vor der „chilenischen Invasion“. Gewerkschaften und Linksparteien sind noch stärker antichilenisch als die Rechten. Gegenüber dieser nationalistischen Phobie muss das Proletariat in Erinnerung rufen, dass in Iquique 1907 chilenische, peruanische und bolivianische Arbeiter gemeinsam aus gegenseitiger Solidarität in einen Streik traten, der von dem chilenischen Staat mit Unterstützung seiner Rivalen in Peru und Bolivien niedergemetzelt wurde.

[6]Um genau zu sein: der Forderungskampf hat nichts mit dem gewerkschaftlichen Kampf zu tun, die nur einen verzerrten Kampf führen, und die ökonomischen Forderungen der Arbeiter den Bedürfnissen des Kapitals unterwerfen.

[7]Zu unserer Position zur Partei und ihre Beziehungen zur Klasse siehe es.internationalism.org/revista-internacional/200604/892/el-partido-y-sus-lazos-con-la-clase [83] und „Die entstellte Partei – die bordigistische Partei“ in es.internationalism.org/node/2132 [84]. Zum Bolschewismus siehe: „Sind wir zu Leninisten geworden? [85]“.

[8]Wie sonst könnte man die dramatische Entwicklung bezeichnen, die durch die Krise, die Kriege – wie den Afghanistan-Krieg oder die gewaltige Aufrüstung, an der sich die meisten südamerikanischen Staaten beteiligen -, und die gigantische Umweltzerstörung, von der die Zerstörung des Urwaldes am Amazonas nur ein Ausdruck ist, bezeichnen?

[9]Es gab keine Zeit, um die tragische Erfahrung in Spanien 1936 und die wahre Bedeutung der selbstverwalteten Kollektive, auf die sich die Anarchisten berufen, zu diskutieren.

[10]siehe unsere Webseite https://es.internationalism.org/node/2556 [86]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Internationalismus & Nationalismus [87]
  • Aufrüstung in Südamerika [88]
  • Kommunismus in Südamerika [89]

Historische Ereignisse: 

  • Krieg Peru Chile [90]

Oktober 2009

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Der Sozialdarwinismus – eine reaktionäre Ideologie des Kapitalismus

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Die Faktoren, welche der menschlichen Gattung den Aufstieg zur Zivilisation ermöglicht haben, gehören zu den wichtigsten Themen, die jahrhundertelang Philosophen und andere Denker beschäftigt haben. Es geht um nichts weniger als um die Entdeckung des Motors der Geschichte. 1848 bot das Kommunistische Manifest eine revolutionäre Auffassung zu dieser Frage an, die den Menschen und seine Tätigkeiten auf gesellschaftlicher Ebene in den Mittelpunkt des menschlichen Fortschritts stellte. Diese Auffassung stimmte natürlich nicht mit den Ideen der neuen herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, überein, die sehr enthusiastisch war wegen der damals aufsteigenden Entwicklung des kapitalistischen Systems. Dieser Aufstieg war zum einen begleitet von einer Ideologie des Individualismus, zum anderen war es für die herrschende Klasse noch zu früh, auch nur im geringsten die Möglichkeit zu erwägen, dass die kapitalistische Gesellschaft überwunden werden könnte.

Die Faktoren, welche der menschlichen Gattung den Aufstieg zur Zivilisation ermöglicht haben, gehören zu den wichtigsten Themen, die jahrhundertelang Philosophen und andere Denker beschäftigt haben. Es geht um nichts weniger als um die Entdeckung des Motors der Geschichte. 1848 bot das Kommunistische Manifest eine revolutionäre Auffassung zu dieser Frage an, die den Menschen und seine Tätigkeiten auf gesellschaftlicher Ebene in den Mittelpunkt des menschlichen Fortschritts stellte. Diese Auffassung stimmte natürlich nicht mit den Ideen der neuen herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, überein, die sehr enthusiastisch war wegen der damals aufsteigenden Entwicklung des kapitalistischen Systems. Dieser Aufstieg war zum einen begleitet von einer Ideologie des Individualismus, zum anderen war es für die herrschende Klasse noch zu früh, auch nur im geringsten die Möglichkeit zu erwägen, dass die kapitalistische Gesellschaft überwunden werden könnte.

Als 11 Jahre später Charles Darwin das Ergebnis seiner Untersuchungen über die Entwicklung der Organismen als Ergebnis der natürlichen Zuchtwahl veröffentlichte, konnte die herrschende Klasse nicht umhin, einen Erklärungsansatz für die Entwicklung menschlicher Gesellschaften vorzuschlagen, der sich ausschließlich auf den Mechanismen der Selektion der am besten angepassten Individuen stützte. Diese Tendenz, die unter dem Sammelbegriff 'Sozialdarwinismus' zusammengefasst werden kann, ist heute noch weit verbreitet, auch wenn ihre Hypothesen noch unter Beweis gestellt werden müssen und dern Ausgangspunkt, der Wettbewerb ums Überleben, von Darwin hinsichtlich der menschlichen Entwicklung selbst sehr schnell verworfen wurde[1].

Definition des 'Sozialdarwinismus'

"Der Sozialdarwinismus ist eine Art Soziologie, deren Postulate folgende sind:

a) Dass die Gesetze der menschlichen Gesellschaft direkt oder fast direkt die Gesetze der Natur sind, da der Mensch ein Teil der Natur ist.

b) Dass die Gesetze der Natur das Überleben des Fähigsten sind, der Kampf ums Überleben und die Vererbungsgesetze.

c) Dass es für das Wohlergehen der Menschheit notwendig ist, auf die richtige Anwendung dieser Gesetze in der Gesellschaft zu achten. 

"Man unterscheidet zwei Formen des Sozialdarwinismus. Eine, individualistischer Inspiration, geht davon aus, dass die gesellschaftliche Basiszelle das Individuum ist, und ausgehend von einem Kampf zwischen Individuen der gleichen Gattung die grundlegenden Gesetze der Kampf zwischen Individuen einer gleichen Gruppe sind, und wo der Kampf zwischen ethnischen Gruppen (oder Rassen) nur die Ausdehnung desselben ist. Die andere, ganzheitlicher Inspiration, geht dagegen davon aus, dass die gesellschaftliche Basiszelle die Gesellschaft und der Motor der Geschichte der Kampf zwischen den Rassen ist, und der Kampf zwischen Individuen einer gleichen Gruppe ein zweitrangiges Gesetz darstellt, d.h. gar eine Beeinträchtigung bedeutet für das Überleben der Rasse. (…)

"Der Sozialdarwinismus entfaltete sich seit den 1850er Jahren (d.h. schon vor der Veröffentlichung des Buches von Darwin "Die Entstehung der Arten") und war eine wichtige Ideologie bis in die 1880er Jahre (…) Er ging meistens einher mit der Ideologie des ökonomischen laissez-fair und befürwortete das Nicht-Eingreifen des Staates (…). Der ganzheitliche Sozialdarwinismus, oft offen rassistisch, blühte vor allem nach 1880 auf. Meistens trat er für ein Eingreifen des Staates in der Gesellschaft und protektionistische Maßnahmen ein (ökonomische Schutzmaßnahmen, aber auch Schutzmaßnahmen für die Rasse (…). Die Rassenreinheit ist in Gefahr"[2].

Der am meisten bekannte Vertreter dieser Ideologie war ein englischer Zeitgenosse Darwins, Herbert Spencer. Als Ingenieur, Philosoph und Soziologe erblickte er in der "Entstehung der Arten" den Schlüssel für das Begreifen der Entwicklung der Zivilisation und damit des Postulats, dass die menschliche Gesellschaft sich nach den gleichen Prinzipien entfaltet habe wie lebendige Organismen. Davon ausgehend sei der Mechanismus der natürlichen Zuchtauswahl, wie er von Darwin beschrieben wurde, auch ganz auf die Gesellschaft übertragbar. Spencer war ein bürgerlicher Ideologe, welcher die damalige Epoche gut widerspiegelte. Er war stark geprägt vom damals vorherrschenden Individualismus und Optimismus der herrschenden Klasse, als der Kapitalismus sich noch in voller Entfaltung befand. Von den damals in Mode befindlichen Theorien, wie zum Beispiel dem Utilitarismus Benthams, ließ er sich stark beeinflussen. Plechanow meinte von ihm, er sei ein "konservativer Anarchist, ein bürgerlicher Philosoph"[3]. Aus Spencers Sicht bringt die Gesellschaft brillante Menschen hervor und formt diese, welche dann ausgewählt werden, um dieser Gesellschaft weitere Fortschritte zu ermöglichen. Durch Berufung auf die Theorie Darwins wurde die Auffassung Spencers zu einer "Auswahl der Fähigsten", die man auf die Gesellschaft anwandte.

Der Sozialdarwinismus, wie er später von seinem Verfechter Spencer genannt wurde, beansprucht im Prinzip die Überlegenheit der Vererbung über Erziehung, d.h. die Vorherrschaft der angeborenen über die erworbenen Eigenschaften. Falls die Prinzipien der natürlichen Zuchtauswahl in der Gesellschaft wirken, kommt es darauf an, ihnen keine Fesseln anzulegen, um den gesellschaftlichen Fortschritt und die langfristige Auflösung des "Unnormalen" wie Armut und der verschiedenen Fähigkeiten sicherzustellen.

Später wurde der Sozialdarwinismus als Grundlage vieler politischer Positionen und Rechtfertigung übernommen, die von den Bedürfnissen der kapitalistischen Entwicklung diktiert wurden.

Heute noch dient die Theorie Herbert Spencers als pseudo-wissenschaftliche Rechtfertigung für die reaktionäre Ideologie des Gewinners und des Gesetz des Stärkeren.

Fortdauernder ideologischer Einfluss und Konsequenzen

Aus rein wissenschaftlicher Sicht trieben die Auffassungen Spences zu den unterschiedlichsten Untersuchungen an wie Kraniologie (Untersuchung der Form und Größe des menschlichen Schädels, dessen Ergebnisse zurechtgebogen wurden), Versuche der Messung menschlicher Intelligenz oder der kriminellen Anthropologie mit der Theorie des "zum Verbrecherdasein Geborenen" von Lambroso, dessen Auffassungen heute noch unter bestimmten bürgerlichen politischen Kreisen verbreitet sind, wenn man den zukünftigen Kriminellen so früh wie möglich aufspüren will.

Das Übergewicht des Angeborenen bewog Spencer auch den Rahmen einer Erziehungspolitik aufzuzeigen, dessen Folgen noch heute in den britischen Grundschulen zu sehen sind, wo man versucht, dem Kind eine für seine persönliche Entfaltung, seine eigenen Forschungen und Entdeckungen günstige Umgebung zu bieten anstatt ihm Lernmethoden anzubieten, welche die Entwicklung neuer Fähigkeiten ermöglichen würden. Dies ist ebenso die theoretische Grundlage des Konzeptes "Chancengleichheit".

Aber der bekannteste Ableger des Sozialdarwinismus ist vor allem die Eugenik. Francis Galtan, ein Vetter Charles Darwins, vertrat als erster eugenistische Auffassungen, wobei er sich auf die unterschwellige Intuition Spencers stützte, derzufolge die natürliche Zuchtwahl automatisch zu gesellschaftlichem Fortschritt führt, und alles, was diesen behindert, kann nur den Zugang der Menschen zum Glück verzögern. Vereinfacht gesagt befürchtete Galton, dass die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung, von denen viele unter dem Druck des Klassenkampfes ergriffen wurden, langfristig einen globalen Niedergang der Zivilisation auslösen.

Während Spencer eher ein Anhänger des "laisser-faire", des nicht-Eingreifens des Staates war (eines seiner Werke, das 1850 erschien, lautete "Das Recht, den Staat zu ignorieren), befürwortete Galton dagegen aktive Maßnahmen, um den Fortschritt der natürlichen Zuchtwahl zu begünstigen. So lieferte er lange und mehr oder weniger direkt Rechtfertigungen für die Sterilisierungspolitik von Geisteskranken, die Praxis der Todesstrafen für Kriminelle usw. Die Eugenik wird immer als eine zentrale wissenschaftliche Rechtfertigung für die faschistischen und Naziideologien gesehen, auch wenn schon bei Spencer Elemente vorhanden sind, die zur Rechtfertigung der rassistischen Auffassungen vorhanden waren, die zu einer Hierarchiesierung der Rassen führten. Schon im 19. Jahrhundert wurden die Auffassungen Spencers als Rechtfertigung für die biologischen Grundlagen des technologischen und kulturellen Hinterherhinkens der Bevölkerung der sog. "Wilden" benutzt. Damit wurde die Kolonialpolitik 'wissenschaftlich' begründet, indem man ihr eine moralische Charakterisierung der Zivilisation zuschrieb.

Aber die Eugenik ermöglichte einen zusätzlichen Schritt zu vollziehen, als man die massenhafte Auslöschung von Individuen anstrebte, die als unfähig und als mögliche Bremser für den gesellschaftlichen Fortschritt angesehen wurden. Alexis Carrel ging sogar 1935 so weit, dass sie bis ins Detail die Schaffung von Einrichtungen vorschlugen, in denen generalisierte Euthanasie betrieben werden sollte.

Aber man darf den Sozialdarwinismus nicht nur unter dem theoretischen und wissenschaftlichen Blickwinkel sehen. Dieses Konzept muss in seinem historischen Kontext gesehen werden, mit dem er einhergeht und zu dessen Rechtfertigung er dient. Dieser historische Kontext muss jeweils eingeordnet werden. Der Einfluss des historischen Kontextes ist wesentlich, wenn man begreifen will, wie sich diese Strömung entwickeln konnte. Auch wenn die von ihm angebotenen Antworten im Wesentlichen falsch sind, sind die Fragen, die vom Sozialdarwinismus aufgeworfen worden, immer noch zentral für das Begreifen des Wesens des Menschen für die eigene gesellschaftliche Entwicklung.

Die wissenschaftliche Theoretisierung des aufsteigenden Kapitalismus

Als Darwin "Die Entstehung der Arten" veröffentlichte, befand sich England inmitten des viktorianischen Zeitalters. Die europäische Bourgeoisie hatte die Macht übernommen und war bereit die Welt zu erobern. In der Gesellschaft wimmelte es von Beispielen von "self-made men"; von Menschen, die mit nichts angefangen hatten, die vom kapitalistischen industriellen Aufschwung getragen wurden und an die Spitze blühender Unternehmen gelangen konnten. Damals war die herrschende Klasse von radikalen Strömungen geprägt, die die vererbten Privilegien infrage stellten, welche zu Fesseln der neuen Entwicklungsmöglichkeiten des Kapitalismus geworden waren. Spencer hatte mit diesem "Dissidenten"-Milieu Kontakt, das sehr stark anti-sozialistisch eingestellt war[4]. Die große Armut der Arbeiterklasse in England bezeichnete er als ein provisorisches Stigma einer sich wandelnden, anpassenden Gesellschaft, die unter dem Bevölkerungsdruck sich neu organisieren muss, der als ein Faktor des Fortschritts angesehen werden kann. Aus seiner Sicht war der Fortschritt unvermeidbar, weil die Menschen sich an die Entwicklung der Gesellschaft anpassen, solange man sie frei handeln lässt.

Diese Euphorie wurde damals von der gesamten Gesellschaft geteilt. Hinzu kam ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu einer Nation, die im Aufbau begriffen war und durch Kriege gestärkt wurde, wie der zwischen Preußen und Frankreich. Die Entwicklung des Klassenkampfes, die mit der Entfaltung des Kapitalismus einherging, trieb die herrschende Klasse dazu, eine andere Auffassung der gesellschaftlichen Solidarität zu vertreten, die sich auf Gegebenheiten stützte, die sie für unantastbar hielt. Das war der Boden für die Theoretisierung des kapitalistischen Aufstiegs und seiner unmittelbaren Wirkungen: die Proletarisierung im Schweiß, die vor Blut triefende Kolonialisierung, die schmutzige Konkurrenz.

Dies ist ein wesentliches Merkmal des Sozialdarwinismus, denn aus wissenschaftlicher Sicht liefert er keine richtige Antwort auf die grundsätzlichen Fragen, mit denen er sich auseinandersetzte.

Eine ideologische Rechtfertigung ohne wissenschaftliche Grundlagen

Der Wissenschaft ist es – auch trotz größter Anstrengungen – nie gelungen, die grundlegenden Hypothesen des "Sozialdarwinismus" zu belegen. Schon der Name dieser Geistesströmung ist falsch. Darwin ist nicht der Vater der Eugenik, genauso wenig wie er der Ziehvater des ökonomischen Liberalismus, der kolonialen Expansion und des 'wissenschaftlichen' Rassismus war. Darwin war auch kein Malthusianer. Im Gegenteil, er war einer der ersten, der den Theorien Spencers und Galtons widersprach.

Nachdem er seine Auffassung von der Entwicklung der Lebewesen in "Die Entstehung der Arten" dargelegt hatte, befasste sich Darwin 12 Jahre später mit den Mechanismen seiner eigenen Gattung, der Mensch. Durch die Veröffentlichung der "Abstammung des Menschen" im Jahre 1871 stellte er sich gleichzeitig gegen das Gedankengut des Sozialdarwinismus. Aus Darwins Sicht ist der Mensch das Ergebnis der Evolution und somit ein Teil des natürlichen Selektionsprozesses. Aber bei den Menschen bedeutete der Überlebenskampf nicht die Auslöschung der Schwachen[5].

Das Evolutionsprinzip ermöglicht es dem Menschen, sich von den Mechanismen der natürlichen Zuchtwahl zu befreien, indem er über den Überlebenskampf all das stellt, was den Prozess der Zivilisation fördert, d.h. die moralischen Qualitäten, Bildung, Kultur, Religion…, welcher Darwin die "Sozialinstinkte" nennt. Damit stellt er die Auffassung Spencers von der Vorherrschaft des Angeborenen über das Erworbene, der Natur über die Kultur infrage. Auf gesellschaftlicher Ebene, in der Zivilisation wirkt die natürliche Zuchtwahl nicht mehr auf der Ebene der Organismen. Sie wird im Gegenteil zu einer Auswahl des gesellschaftlichen Verhaltens getrieben, bei der man sich den Gesetzen der natürlichen Zuchtwahl entgegenstellt. Dies wurde von Patrick Tort mit seiner Theorie des "Umkehreffektes der Evolution" bewiesen[6].

Während der Sozialdarwinismus in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften nur das Ergebnis der Selektion der fähigsten Individuen sieht, begriff Darwin dies im Gegenteil als die wachsende Reproduktion der Sozialinstinkte wie Selbstlosigkeit, Solidarität, Sympathie usw. Der Sozialdarwinismus stellte den Kapitalismus als den besten Rahmen für den "gesellschaftlichen Fortschritt" dar, während Darwin mit Nachdruck bewies, dass die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus, die sich auf Konkurrenz stützen, die Menschen daran hindern, seine Sozialinstinkte voll zu entfalten. Indem diese letzte historische Fessel überwunden, der Kapitalismus abgeschafft wird, kann die Menschheit eine Gesellschaft errichten, in der diese Sozialinstinkte sich voll entfalten und die ganze menschliche Zivilisation aufblühen lassen. GD

[1]Dieser Artikel stützt sich auf Zitate und Hinweise auf mehrere Artikel und Texte, die nicht systematisch im Einzelnen dargestellt werden. Unter anderem wurden folgende Quellen verwendet:

- Wikipedia (insbesondere die Artikel zu Sozialdarwinismus, Herbert Spencer und Francis Galton).

– Dictionnaire de sociologie, le Robert, Seuil, 1999 (Wörterbuch der Soziologie)

– Brian Holmes, Herbert Spencer, “Perspectives”, vol. XXIV, n° ¾, 1994.

– Patrick Tort, Darwin et le darwinisme, Que sais-je?, PUF.

– Pierre-Henri Gouyon, Jacques Arnould, Jean-Pierre Henry, les Avatars du gène, la théorie néo-darwinienne de l’évolution, Belin, 1997.

[2]Dictionnaire du darwinisme et de l’évolution, PUF, pages 1008-1009.

[3]Dans “Anarchisme et socialisme”.

[4]“Ich hasse sowohl den Krieg als auch den Sozialismus in all seinen Formen", zitiert von Duncan, “The Life and letters of Herbert Spencer”, 1908.

[5]Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen 1871.

[6]Siehe unseren Artikel unseren Artikel zum letzten Buch Patrick Torts ": Der Darwineffekt (Webseite der IKS, iksonline und Weltrevolution Nr. 153, 2009).

Die Welt am Rande einer Umweltkatastrophe (II) – Wer ist verantwortlich?

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Im ersten Artikel dieser Serie zur Umweltfrage, der auf unserer Webseite und in der Internationalen Revue Nr. 41 veröffentlicht wurde, haben wir eine Bestandsaufnahme gemacht und versucht, das Wesen der Gefahr herauszuarbeiten, vor der die ganze Menschheit steht. Zu den bedrohlichsten Erscheinungen auf dem ganzen Erdball gehören:

- Die Zunahme des Treibhauseffektes

- Die enorme Müllproduktion und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für dessen Entsorgung

- Die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und die Tatsache, dass diese von Umweltverschmutzung bedroht sind.

Wir setzen die Artikelserie mit diesem zweiten Artikel fort. Wir wollen aufzeigen, dass die Umweltprobleme nicht die Schuld irgendeiner Einzelperson oder bestimmter Unternehmen sind, die Umweltschutzgesetze nicht respektieren würden – obgleich man natürlich auch von der Verantwortung Einzelner oder einzelner Betriebe sprechen muss –, sondern dass der Kapitalismus mit seinen Gesetzen der Profitmaximierung der wahre Verantwortliche ist.

Anhand einer Reihe von Beispielen wollen wir versuchen aufzuzeigen, auf welcher Ebene die spezifischen Mechanismen des Kapitalismus die ausschlaggebenden Probleme der Umweltverschmutzung hervorrufen, unabhängig vom Willen irgendeines Kapitalisten. Die weit verbreitete Auffassung, der zufolge der heute erreichte wissenschaftliche Fortschritt uns immer besser vor Naturkatastrophen schützen und entscheidend dazu beitragen könnte, Umweltprobleme zu vermeiden, werden wir verwerfen. Anhand einiger Zitate von Amadeo Bordiga werden wir aufzeigen, dass die moderne kapitalistische Technologie keinesfalls gleichzusetzen ist mit Sicherheit, und dass die Entwicklung der Wissenschaft und der Forschung nicht von der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geleitet wird, sondern den kapitalistischen Erfordernissen der Realisierung des größtmöglichen Profits unterworfen ist. Diese unterliegen den Gesetzen des Kapitalismus, der Konkurrenz und den Regeln des Marktes – und wenn notwendig – auch den Erfordernissen des Krieges. Im dritten und letzten Artikel wollen wir dann auf die Lösungsvorschläge der verschiedenen Bewegungen der Umweltschützer usw. Eingehen, um deren völlige Wirkungslosigkeit ungeachtet des guten Willens der meisten Umweltschützer aufzuzeigen und zu verdeutlichen, dass aus unserer Sicht nur die kommunistische Weltrevolution eine Lösung bringen kann.

Die Identifizierung des Problems und seiner Ursachen

Wer ist für die verschiedenen Umweltkatastrophen verantwortlich? Die Beantwortung dieser Frage ist von größter Wichtigkeit, nicht nur aus ethischer und moralischer Sicht, sondern auch und vor allem weil die richtige oder falsche Identifizierung der Ursachen des Problems entweder zur richtigen Lösung des Problems oder in eine Sackgasse führen kann. Wir werden zunächst eine Reihe von Gemeinplätzen, falschen Antworten oder nur teilweise richtigen Antworten besprechen, von denen es keiner gelingt, die wirkliche Ursache und den Verantwortlichen für die heute wachsende Umweltzerstörung zu identifizieren. Wir wollen im Gegenteil zeigen, in welchem Maße diese Dynamik keine gewünschte oder bewusste, sondern eine objektive Folge des kapitalistischen Systems ist.

Das Problem wäre nicht so schwerwiegend, wie man uns glauben machen will.

Heute stellt sich jede Regierung jeweils "grüner" dar als alle anderen. Die Aussagen der Politiker, die man jahrzehntelang hören konnte, haben sich geändert. Aber diese Einschätzung ist immer noch eine klassische Position der Unternehmer, die gegenüber einer Gefahr, welche Arbeiter, die Bevölkerung oder die Umwelt bedroht, ganz einfach dazu neigt, die Tragweite des Problems herunterzuspielen, weil Maßnahmen für die Sicherheit am Arbeitsplatz bedeutet, mehr Geld auszugeben und aus den Arbeitern weniger Profit herauszupressen. Dies wird jeden Tag ersichtlich anhand der Hunderten von Toten, die tagtäglich auf der ganzen Welt auf der Arbeit sterben, was den Aussagen der Unternehmer zufolge nur als einfache Fatalität angesehen werden soll, obwohl es sich in Wirklichkeit um ein echtes Produkt der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeitskraft handelt.

Das Problem besteht, aber seine Wurzeln sind umstritten

Der große Müllberg, der von der gegenwärtigen Gesellschaft produziert wird, wäre einigen Erklärungen zufolge auf „unseren“ Konsumrausch zurückzuführen. Tatsächlich aber haben wir es mit einer Wirtschaftspolitik zu tun, die zur Förderung von Wettbewerbsvorteilen beim Verkauf von Waren seit Jahrzehnten danach strebt, Kosten zu senken, indem ungeheure Mengen nicht abbaubares Verpackungsmaterial verwendet werden[1].

Anderen zufolge wäre die Umweltverschmutzung des Planeten die Folge eines mangelnden Bürgersinns, dem gegenüber man reagieren müsse, indem man Kampagnen zur Säuberung von Stränden, Parks usw. anleiert, um so die Bevölkerung besser zu erziehen. Aus gleicher Perspektive beschuldigt man einen Teil der Regierungen unfähig zu sein, die Anwendung der Gesetze im Schiffsverkehr usw. zu überwachen. Oder auch die Mafia und ihr Handel mit verseuchtem Müll werden herangezogen, als ob die Mafia diesen produzieren würde und nicht die Industrie, welche zum Zweck der Kostensenkung bei der Produktion auf die Mafia zurückgreift, um ihre schmutzigen Geschäfte zu verrichten. Industrielle seien tatsächlich schuld, aber nur die schlechten unter ihnen, die Habgierigen.

Als ein Vorfall bekannt wurde wie der Brand bei Thyssen Krupp in Turin im Dezember 2007, bei dem sieben Arbeiter aufgrund der Nichtbeachtung der Sicherheitsnormen und des Brandschutzes ums Leben kamen, kam es auch unter Industriellen zu Solidaritätsäußerungen. Aber dabei wurde nur die irreführende Idee geäußert, dass solche Vorfälle nur eintreten, weil es skrupellose Manager gebe, die sich auf Kosten der anderen bereicherten.

Aber stimmt das wirklich? Gibt es auf der einen Seite gierige Kapitalisten, und auf der anderen solche, die sich verantwortlich verhalten und gute Manager ihres Unternehmens sind?

Einzig verantwortlich für die Umweltkatastrophe - das kapitalistische Produktionssystem

Alle Ausbeutungsgesellschaften, die dem Kapitalismus vorhergingen, haben zur Umweltverschmutzung insbesondere im Bereich der Produktion mit beigetragen. Einige Gesellschaften, die die ihnen zur Verfügung stehenden Reichtümer der Natur exzessiv ausgebeutet haben, wie dies wahrscheinlich bei den Bewohnern der Osterinseln[2] der Fall war, sind aufgrund der Erschöpfung dieser Reichtümer untergegangen. Aber die dadurch entstandenen Schäden stellten in diesen Gesellschaften keine solch große Gefahr dar, dass dadurch das Überleben des Planeten selbst bedroht gewesen wäre, wie das heute mit dem Kapitalismus der Fall ist. Ein Grund dafür liegt darin, nachdem der Kapitalismus einen ungeheuer gewaltigen Schub des Wachstums der Produktivkräfte ermöglichte, hat der Kapitalismus auch zu einem ähnlich gewaltigen Anwachsen der damit verbundenen Gefahren geführt, die nun den gesamten Erdball bedrohen, nachdem das Kapital diesen vollständig erobert hat. Aber dies ist nicht die wesentlichste Erklärung, da die Entwicklung der Produktivkräfte als solche nicht notwendigerweise bezeichnend für die mangelnde Beherrschung derselben ist. Es geht vor allem darum, wie diese Produktivkräfte von der Gesellschaft verwendet und verwaltet werden. Dabei stellt sich der Kapitalismus als der Höhepunkt eines historischen Prozesses dar, bei dem alles der Herrschaft der Waren geopfert wird und ein weltweit bestimmendes, Waren produzierendes System regiert, in dem alles verkauft werden kann. Wenn die Gesellschaft aufgrund der Herrschaft der Warenbeziehungen in ein Chaos gestürzt wird, das weit über das enge Phänomen der Umweltverschmutzung hinausgeht, sondern auch zu einer Verknappung der Reichtümer der Natur führt, es dabei immer mehr zu einer wachsenden Verwundbarkeit durch "Naturkatastrophen" kommt, geschieht dies aufgrund einer Reihe von Gründen, die wir kurz zusammenfassen können:

- die Arbeitsteilung, mehr noch die Produktion unter der Herrschaft des Geldes und des Kapitals spaltet die Menschheit in eine Vielzahl von konkurrierenden Einheiten ;

- das Ziel ist nicht die Produktion von Gebrauchswert, sondern die Produktion von Tauschwert; von Waren, die um jeden Preis abgesetzt werden müssen, egal welche Konsequenzen dabei für die Menschheit und den Planeten entstehen, damit so Profite realisiert werden können.

Diese Notwendigkeit zwingt die Kapitalisten ungeachtet der mehr oder weniger großen Moral der einzelnen Kapitalisten dazu, ihr Unternehmen der Logik der größtmöglichen Ausbeutung der Arbeiterklasse zu unterwerfen.

Dies führt zu einer Verschwendung und einem gewaltigen Verschleiß der menschlichen Arbeitskraft und der Ressourcen der Erde, auf die Marx schon in Das Kapital hingewiesen hat:

"Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung der Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. (…) Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt : die Erde und den Arbeiter" (Karl Marx, Das Kapital, Bd 1, IV. Abschnitt: Die Produktion des relativen Mehrwerts; 13. Kapitel: Maschinerie und große Industrie, 10. Große Industrie und Agrikultur, MEW Bd 23, S. 529).

Als Gipfel der Irrationalität und der Absurdität der Produktion im Kapitalismus findet man nicht selten Unternehmen, die chemische Erzeugnisse herstellen, welche die Umwelt stark verschmutzen aber gleichzeitig auch Kläranlagen verkaufen, die den Boden und das Wasser von den gleichen Umweltverschmutzern säubern sollen. Andere stellen Zigaretten her und Produkte, die den Zigarettenkonsum verhindern sollen, wiederum andere sind Waffenhändler, verkaufen aber gleichzeitig pharmazeutische Produkte und medizinische Geräte.

Dies sind Gipfel, die in früheren Gesellschaften nicht existierten, als die Güter im Wesentlichen noch wegen ihres Gebrauchswertes hergestellt wurden (oder weil sie nützlich für die Produzenten oder die Ausgebeuteten waren oder dem Prunk der herrschenden Klasse dienten).

Das wahre Wesen der Warenproduktion macht es den Kapitalisten unmöglich, sich für den Nutzen, die Art und die Zusammensetzung der hergestellten Güter zu interessieren. Ihn interessiert einzig und allein, wie man damit Geld machen kann. Dieser Mechanismus hilft uns zu verstehen, warum eine Reihe von Waren nur eine begrenzte Haltbarkeit hat, wenn sie nicht gar vollständig nutzlos sind.

Da die kapitalistische Gesellschaft vollständig auf Konkurrenz fußt, bleiben die Kapitalisten, auch wenn sie in Teilbereichen Absprachen treffen können, im Wesentlichen unnachgiebige Konkurrenten. Die Marktlogik verlangt nämlich, dass das "Glück" des einen dem "Pech" des anderen entspricht. Dies bedeutet, dass jeder Kapitalist nur für sich selbst produziert, jeder ist Rivale des anderen, und es kann keine wirkliche Planung geben, die von allen Kapitalisten lokal und international abgestimmt wird, sondern nur einen ständigen Wettbewerb mit Verlierern und Gewinnern. Und in diesem Krieg ist einer der Verlierer gerade die Natur.

Bei der Wahl eines neuen industriellen Produktionsstandortes oder der Flächen und der Modalitäten eines neuen landwirtschaftlichen Anbauproduktes berücksichtigt der Unternehmer nur seine unmittelbaren Interessen; für ökologische Belange gibt es keinen Raum. Auf internationaler Ebene gibt es kein zentralisiertes Organ, welches über genügend Autorität verfügt, um eine Orientierung zu geben oder einzuhaltende Grenzen oder Kriterien zu erzwingen. Im Kapitalismus werden Entscheidungen nur getroffen aufgrund der Realisierung des höchst möglichen Profites, so dass z.B. ein Einzelkapitalist am profitträchtigsten produzieren und verkaufen kann, oder der Staat die Maßnahmen durchsetzt, die am besten den Interessen des nationalen Kapitals entsprechen und damit global den Kapitalisten der jeweiligen Nation.

Es gibt zwar in jedem Land Gesetze, die gewisse Grenzen setzen. Wenn sie zu starke Einschränkungen mit sich bringen, geschieht es häufig, dass ein Unternehmen zur Erhöhung seiner Rentabilität einen Teil seiner Produktion in Länder verlagert, wo diese Auflagen geringer sind. So hatte Union Carbide, ein amerikanischer Chemie-Multi eines seiner Werke in Bhopal, Indien, errichtet, ohne dort allerdings ein ausreichendes Kühlsystem zu installieren. 1984 entwich in diesem Werk eine giftige Gaswolke mit 40 Tonnen Pestiziden. Unmittelbar und in den darauffolgenden Jahren starben mindestens 16.000 Menschen, ca. Eine Million Menschen erlitten irreparable physische Schäden[3]. Die Regionen und Meere in der Dritten Welt werden oft als billige Müllhalden benutzt, wo Firmen, die ihren Sitz in den entwickelten Ländern haben, ihren Giftmüll entweder legal oder illegal entsorgen, weil die Kosten für die Entsorgung in den Industriestaaten sehr viel höher liegen.

Solange es auf internationaler Ebene keine koordinierte und zentralisierte Planung für die Landwirtschaft und Industrie gibt, welche die notwendige Abstimmung der heutigen Bedürfnisse und die Erhaltung der Umwelt für morgen sicherstellt, werden die Mechanismen des Kapitalismus weiterhin die Natur mit all ihren dramatischen Folgen zerstören.

Häufig wird die Schuld für diese Zustände den Multis oder einer besonderen Industriebranche aufgrund der Tatsache zugeschoben, dass die Ursprünge des Problems in den "anonymen" Mechanismen des Marktes liegen.

Aber könnte der Staat diesem Wahnsinn ein Ende setzen, wenn er verstärkt eingreifen würde? Nein, weil der Staat diese Anarchie nur "regulieren" kann. Durch die Verteidigung der Landesinteressen trägt der Staat zur Verstärkung der Konkurrenz bei. Im Gegensatz zu den Forderungen der NGO (Nicht-Regierungsorganisationen) und der Antiglobalisierungsbewegung vermag ein verstärktes Eingreifen des Staates die Probleme der kapitalistischen Anarchie nicht zu lösen. Übrigens hat der Staat ungeachtet des früher proklamierten "Liberalismus", und wie die jüngste Krisenentwicklung wieder offenbarte, in Wirklichkeit schon verstärkt eingegriffen.

Quantität gegen Qualität

Wie wir gesehen haben ist das einzige Anliegen der Verkauf von Waren zu einem Höchstprofit. Aber es geht hier nicht um den Egoismus eines einzelnen, sondern um ein Gesetz des Systems, dem sich kein Unternehmen, ob groß oder klein, entziehen kann. Das wachsende Gewicht der Investitionskosten in der Industrie bedeutet, dass diese gewaltigen Investitionskosten nur durch einen immer größeren Absatz amortisiert werden können.

So muss zum Beispiel der Flugzeughersteller Airbus mindestens 600 Exemplare seines Großflugzeuges A 380 absetzen, bevor er damit Gewinn macht. Oder PKW-Hersteller müssen Hunderttausende Autos verkauft haben, bevor sich ihre Investitionskosten amortisieren. Kurzum, jeder Kapitalist muss so viel wie möglich verkaufen und dafür ständig nach neuen Märkten suchen. Aber dazu muss er sich auf einem gesättigten Markt gegenüber seinen Konkurrenten durchsetzen, was ihn wiederum zwingt, mit einem Riesenaufwand Werbung zu betreiben, die eine große Verschwendung menschlicher Arbeit und natürlicher Ressourcen mit sich bringt, wie z.B. der Druck von Tausenden Tonnen Werbematerial auf Hochglanzpapier.

Diese Gesetze der Wirtschaft (welche zur Kostensenkung treiben, und damit auch eine Minderung der Produktionsqualität und Massenproduktion erforderlich machen) bewirken, dass der Kapitalist sich kaum um die Zusammensetzung seiner Produkte kümmert und sich auch nicht die Frage stellen muss, ob die Erzeugnisse gefährlich sind. Obwohl die Gesundheitsgefährdung durch fossile Brennstoffe (als Krebserreger) seit langem bekannt ist, ergreift die Industrie keine entsprechenden Maßnahmen, um das Übel zu bekämpfen. Die Gesundheitsgefährdungen durch Asbest sind auch seit Jahren bekannt. Aber erst das qualvolle Dahinsiechen und der schreckliche Tod von Tausenden von Arbeitern haben die Industrie gezwungen, sehr spät zu reagieren. Viele Nahrungsmittel sind mit Zucker und Salz oder mit Glutamaten angereichert, um deren Absatz auf Kosten von Gesundheitsschädigungen zu erhöhen. Eine unglaublich große Menge von Nahrungsmittelzusätzen wird verwendet, ohne dass die daraus entstehenden Risiken für den Verbraucher bekannt sind, obwohl man mittlerweile festgestellt hat, dass viele Krebsarten ernährungsbedingt sind.

Einige altbekannten Irrationalitäten der Produktion und des Verkaufs

Einer der irrationalsten Aspekte des gegenwärtigen Produktionssystems ist, dass die Waren oft um die Welt befördert werden, bevor sie als Endprodukt auf den Markt gelangen. Dies hängt keineswegs mit der Beschaffenheit der Waren zusammen oder einem Erfordernis der Produktion, sondern einzig weil die Verarbeitung in dem einen oder anderen Land günstiger ist. Ein berühmtes Beispiel ist die Herstellung von Joghurt. Milch wird von Deutschland nach Italien über die Alpen transportiert, wo sie zu Joghurt verarbeitet wird, um dann wieder von Italien nach Deutschland befördert zu werden. Ein anderes Beispiel ist das der Automobilproduktion. Die Einzelteile kommen aus verschiedenen Ländern, bevor sie in der Endmontage am Fließband zusammengeführt werden. Im Allgemeinen, bevor ein Gut auf dem Markt zur Verfügung steht, haben seine Bestandteile schon Tausende von Kilometern in der unterschiedlichsten Form zurückgelegt. Elektro- oder Haushaltsgeräte werden z.B. in China in diesem Fall aufgrund der sehr niedrigen Löhne hergestellt, und weil es dort quasi keine oder nur ganz wenige Umweltauflagen gibt, obwohl es aus technischer Sicht keine Schwierigkeiten gegeben hätte, diese Produkte dort zu produzieren, wo sie verkauft werden. Oft werden Produkte zunächst im "Verbraucherland" auf den Markt gebracht, bevor deren Produktion dann später ausgelagert wird, weil die Produktionskosten, vor allem die Löhne anderswo niedriger sind.

Das Beispiel von Weinen, die in Chile, Australien oder in Kalifornien hergestellt und auf europäischen Märkten verkauft werden, während gleichzeitig in Europa die Reben aufgrund der Überproduktion verfaulen, oder das Beispiel der Äpfel, die aus Südafrika importiert werden, während die europäischen Apfelbauern nicht mehr wissen wohin mit ihren Überschüssen, sprechen auch für sich.

Aufgrund der Logik des maximalen Profits anstatt eines rationalen Einsatzes und aufgrund des minimalen Einsatzes von Menschen, Energie und natürlichen Ressourcen, werden die Waren irgendwo auf dem Planeten hergestellt, um dann in andere Teile der Welt zum Verkauf befördert zu werden. Deshalb wundert es nicht, dass Waren mit gleicher technologischer Zusammensetzung und Wert wie Automobile, die von verschiedenen Herstellern auf der Welt produziert werden, in Europa zusammengebaut werden, um anschließend in Japan oder den USA verkauft zu werden, während gleichzeitig in Japan oder Korea fabrizierte Autos auf dem europäischen Markt verkauft werden. Dieses Transportnetz an Waren – in dem nur Waren hin- und her gekarrt werden aufgrund der Profitgesetze, der Konkurrenz und den Marktgesetzen, ist völlig wahnwitzig und ursächlich mitverantwortlich für die katastrophalen Folgen der Umweltzerstörung.

Eine rationale Planung der Produktion und des Vertriebs könnte diese Güter zur Verfügung stellen, ohne dass sie diese verrückten Transportwege hinter sich gelegt haben, die nur ein Ausdruck des kapitalistischen Wahnsinns sind.

Der Gegensatz zwischen Stadt und Land

Die Umweltzerstörung, die aufgrund des aufgeblähten Transportnetzes entsteht, ist keine vorübergehende Erscheinung, da deren Wurzeln im tiefgreifenden Widerspruch zwischen Stadt und Land zu finden sind. Ursprünglich hat die Arbeitsteilung innerhalb der Länder Industrie und Handel von der Arbeit auf dem Land abgeschnitten. Daraus ist der Gegensatz zwischen Stand und Land mit den daraus folgenden Interessensgegensätzen entstanden. Im Kapitalismus hat dieser Gegensatz seinen Höhepunkt des Wahnsinns erreicht[4].

Zur Zeit der Landwirtschaft im Mittelalter, als die Produktion ausschließlich aus Subsistenzgründen erfolgte, war es kaum erforderlich, Waren zu transportieren. Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Arbeiter oft in der Nähe der Fabrik oder des Bergwerkes lebten, war es meist möglich, zu Fuß zu Arbeit zu gehen. Seitdem haben sich die Entfernungen zwischen Arbeitsplatz und Wohnort immer mehr erhöht. Zudem haben die Konzentration von Kapital an bestimmten Standorten (wie zum Beispiel in Industriegebieten oder unbewohnten Gebieten, um Steuervorteile oder günstige Bodenpreise auszunutzen), die Deindustrialisierung und die Explosion der Arbeitslosigkeit, verbunden mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, die Transportwege ohnehin stark verändert. So müssen jeden Tag Hunderte von Millionen Menschen oft über lange Entfernungen pendeln. Viele von ihnen sind dabei auf Autos angewiesen, weil sie oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln ihre Arbeitsstätte nicht erreichen.

Aber schlimmer noch: die Konzentration von großen Menschenmassen am gleichen Ort wirft eine Reihe von Problemen auf, die ebenso die Umwelt in bestimmten Gebieten gefährden. Die Funktionsweise einer Bevölkerungskonzentration von 10-20 Millionen Menschen auf engstem Raum führt zu einer Anhäufung von Müll (menschliche Ausscheidungen, Haushaltsmüll, Abgase aus Fahrzeugen, der Industrie und Heizungen…), an einem Ort, der zu eng und klein geworden ist, um die Abfälle ausreichend zu entsorgen.

Der Albtraum der Nahrungs- und Wasserknappheit

Mit der Entwicklung des Kapitalismus wurde die Landwirtschaft den tiefst greifenden Umwälzungen ihrer mehr als 10.000 jährigen Geschichte unterworfen. Diese traten ein, weil die Landwirtschaft im Kapitalismus im Gegensatz zu den früheren Produktionsformen, als die Landwirtschaft für die direkten Bedürfnisse der Menschen produzierte, sich seitdem den Gesetzen des Weltmarktes unterwerfen musste. Dies bedeutete immer auf Kostensenkungen ausgerichtet zu sein. Die Notwendigkeit, ständig die Rentabilität zu erhöhen, hat katastrophale Auswirkungen auf die Qualität der Böden gehabt.

Diese Konsequenzen, die untrennbar mit dem Aufkommen des starken Gegensatzes zwischen Stadt und Land verbunden sind, wurden schon im 19. Jahrhundert von der Arbeiterbewegung angeprangert. Anhand der folgenden Zitate kann man erkennen, wie schon Marx auf die untrennbare Verbindung zwischen der Ausbeutung der Arbeiterklasse und der Verwüstung der Böden hingewiesen hat: "Auf der anderen Seite reduziert das große Grundeigentum die agrikole Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in großen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riss hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebenen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eigenen Landes hinausgetragen wird." (Marx, Das Kapital, Bd 3, VI. Abschnitt, Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente; 47. Kapitel-Genesis der kapitalistischen Grundrente; V. Die Metäriewirtschaft und das bäuerliche Parzelleneigentum, MEW Bd 25, S. 821).

Die Landwirtschaft musste ständig immer mehr chemische Produkte verwenden, um höhere Erträge zu erzielen und mehr Anbauflächen zu schaffen. In den meisten Gebieten der Erde praktizieren Bauern Anbaumethoden, die ohne den Einsatz von großen Mengen Pestiziden, Düngemitteln und künstlichen Bewässerungen unmöglich wären. Dabei wäre es möglich, durch den Anbau von Pflanzen in anderen Gebieten auf diese Mittel zu verzichten oder diese nur in geringen Maßen zu verwenden. Alfalfa in Kalifornien, Zitrusfrüchte in Israel, Baumwolle am Aralsee in der ehemaligen Sowjetunion, Getreide in Saudi-Arabien oder im Jemen, d.h. Pflanzen in Gegenden anzubauen, in denen die natürlichen Wachstumsbedingungen nicht gegeben sind, führt zu einer gigantischen Wasserverschwendung. Die Liste der Beispiele ist endlos, denn gegenwärtig werden 40% der landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch künstliche Bewässerung angebaut mit der Folge, dass 75% des auf der Erde verfügbaren Wassers von der Landwirtschaft verwendet wird.

So hat zum Beispiel Saudi-Arabien ein Vermögen ausgegeben, um Grundwasser abzupumpen und eine Million Hektar Fläche in der Wüste zu bewässern, weil dort Getreide angebaut wird. Für jede Tonne Getreide liefert die Regierung 3000 Kubikmeter Wasser, d.h. dreimal mehr als der übliche Wasserbedarf von Getreide. Und dieses Wasser kommt aus Brunnen, die nicht durch Regenwasser aufgefüllt werden. Ein Drittel der Bewässerungsanlagen auf der Welt greift auf Grundwasser zurück. Aber obgleich diese Grundwasservorkommen nicht wieder erneuert werden und dabei sind auszutrocknen, bestehen die Bauern der indischen Region Gujarat, die verzweifelt Wasser brauchen, darauf, Milchkühe zu züchten. So erfordert die Gewinnung von einem Liter Milch den Aufwand von 2000 Liter Wasser. In einigen Gebieten der Erde benötigt man bis zu 3000 Liter Wasser zur Gewinnung von einem Kilo Reis. Die Folgen der Bewässerung und des breitgefächerten Einsatzes von chemischen Produkten sind desaströs: Versalzung, Überdüngung, Verwüstung, Bodenerosion, sinkende Grundwasserpegel und infolge dessen versiegende Trinkwasserreserven.

Verschwendung, Urbanisierung, Dürre und Umweltverschmutzung verschärfen die weltweite Wasserkrise. Millionen und Millionen Liter Wasser verdunsten beim Einsatz von offenen Bewässerungskanälen. Vor allem in den Gebieten um die Megastädte, aber auch in ganzen Landstrichen sinkt der Grundwasserpegel ständig und irreversibel.

In der Vergangenheit war China ein Land der Wasserwirtschaft. Seine Wirtschaft und Zivilisation haben sich dank seiner Fähigkeit entwickelt, trockene Flächen zu bewässern und Dämme zu bauen, um das Land vor Überschwemmungen zu schützen. Aber im heutigen China erreicht das Wasser des mächtigen Gelben Flusses, der großen Arterie im Norden, an mehreren Monaten im Jahr nicht das Meer. 400 der 600 Städte Chinas leiden an Wassermangel. Ein Drittel der chinesischen Brunnen sind ausgetrocknet. In Indien sind 30% der Anbauflächen durch Versalzung bedroht. Auf der ganzen Welt sind insgesamt ca. 25% von dieser Geißel gefährdet.

Aber die Gewohnheit, Pflanzen in Gegenden anzubauen, die aufgrund ihres Klimas oder der Beschaffenheit ihres Bodens für deren Anbau nicht geeignet sind, ist nicht die einzige Absurdität der gegenwärtigen Landwirtschaft. Insbesondere aufgrund des Wassermangels ist die Kontrolle über Flüsse und Deiche zu einer grundlegenden strategischen Frage geworden, gegenüber der alle Nationalstaaten sich rücksichtslos über die Interessen der Natur hinwegsetzen.

In mehr als 80 Ländern wurde eine Wasserknappheit gemeldet. Einer UN-Prognose zufolge werden in den nächsten 25 Jahren ca. 5.4 Milliarden Menschen unter Wasserknappheit leiden. Obgleich es viele Anbauflächen gibt, nimmt die Zahl der tatsächlich nutzbaren Anbauflächen aufgrund der Versalzung und anderer Faktoren ständig ab. In Urgesellschaften mussten Nomadenstämme weiterziehen, als das Wasser knapp wurde. Im Kapitalismus fehlt es an Grundnahrungsmitteln, obgleich das System selbst an Überproduktion leidet. Aufgrund der verschiedenen Schäden in der Landwirtschaft ist die Nahrungsmittelknappheit vorprogrammiert. So hat zum Beispiel seit 1984 das Wachstum der Getreideproduktion nicht mehr mit dem Bevölkerungswachstum Schritt gehalten. Innerhalb von 20 Jahren ist die Getreideproduktion von 343 kg pro Person auf 303 kg pro Person gesunken.

So scheint das Gespenst der Nahrungsmittelknappheit, das von Anfang an über der Menschheit hing, jetzt wieder Einzug zu halten, nicht weil es an Anbauflächen oder an Mitteln für die Landwirtschaft fehlt, sondern aufgrund der absoluten wahnsinnigen Verwendung der Ressourcen der Erde.

Eine fortgeschrittene Gesellschaft garantiert nicht mehr Sicherheit

Während der Fortschritt der Wissenschaften und der Technologie der Menschheit Werkzeuge zur Verfügung gestellt hat, deren Existenz man in der Vergangenheit sich nicht einmal vorstellen konnte, und die heute Unfälle und Naturkatastrophen verhindern können, ist nicht von der Hand zu weisen, dass dieser Einsatz sehr kostspielig ist und die Werkzeuge nur benutzt werden, wenn sich daraus ökonomische Vorteile ergeben. Wir wollen erneut betonen, dass nicht eine egoistische und habsüchtige Haltung einzelner Unternehmer ursächlich dafür verantwortlich ist, sondern dahinter steckt der Zwang, dem sich alle Betriebe und Länder beugen müssen, die Produktionskosten der Waren oder Dienstleistungen so stark wie möglich zu senken, um in der weltweiten Konkurrenz zu überleben.

In unserer Presse haben wir dieses Problem oft aufgegriffen. Dabei haben wir aufgezeigt, dass die angeblichen Naturkatastrophen kein Zufall und auch keine Schicksalsfügung sind, sondern das logische Ergebnis der Senkung der Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen, um Geld zu sparen. So schrieben wir beispielsweise anlässlich des Wirbelsturms Hurrikans Katrina in New Orleans 2005:

"Das Argument, demzufolge diese Katastrophe nicht vorhergesehen wurde, ist Unfug. Seit fast 100 Jahren haben Wissenschaftler, Ingenieure und Politiker darüber diskutiert, wie der Verletzbarkeit New Orleans durch Überschwemmungen und Hurrikans begegnet werden könnte. Mitte der 1980er Jahre wurden durch verschiedene Gruppen von Wissenschaftlern und Ingenieuren mehrere Projekte entwickelt, die (unter der Verwaltung Clinton) 1998 zum Vorschlag des Projektes Küste 2050 führten. Dieses Projekt beinhaltete die Verstärkung und den Umbau der bestehenden Deiche, den Bau eines Systems von Schleusen und die Schaffung neuer Kanäle, durch welche das mit Sedimenten gefüllte Wasser abgeleitet würde, um die Sumpfgebiete wieder herzustellen, welche als Pufferzone im Delta dienten. Dieses Projekt erforderte allerdings die Investition von 14 Milliarden Dollar in einem Zeitraum von 10 Jahren. Washington gab zur Zeit Bushs nicht seine Zustimmung,erst unter Clinton" (International Review, 2005, Nr. 124).

Letztes Jahr hat die Armee 105 Mio. Dollar für den Kampf gegen Zyklone und Überschwemmungen in New Orleans angefordert, aber die Regierung hat nur 42 Millionen gebilligt. Gleichzeitig stimmte der Kongress der Zahlung von 231 Mio. Dollar für den Bau einer Brücke zu einer kleinen, unbewohnten Insel in Alaska zu[5]. Wir haben auch den Zynismus und die Verantwortung der Herrschenden beim Tod von 160.000 Menschen infolge des Tsunamis vom 26. Dezember 2004 angeprangert.

Heute wird selbst offiziell klar eingestanden, dass keine Warnung ausgegeben wurde aus Furcht vor Schäden für den Tourismus! Mit anderen Worten: Zehntausende Menschenleben wurden geopfert für die Verteidigung von schmutzigen ökonomischen und finanziellen Interessen.

Diese Verantwortung der Regierungen zeigt erneut den wahren Charakter dieser Klasse auf, die sich wie Haifische bei der Verwaltung des Lebens und der Produktion in dieser Gesellschaft verhält. Die bürgerlichen Staaten sind bereit, wenn notwendig genau so viele Menschenleben zu opfern, um die Ausbeutung und die kapitalistischen Profite zu verteidigen. Und die Interessen der Kapitalisten bestimmen ebenso die Politik der herrschenden Klasse. Im Kapitalismus ist die Vorbeugung keine rentable Tätigkeit, wie heute alle Medien zugeben müssen: "Bislang haben Länder der Region sich taub gestellt, wenn es darum ging, ein Frühwarnsystem zu installieren, weil damit gewaltige finanzielle Kosten verbunden sind. Den Experten zufolge würde ein Frühwarnsystem Dutzende Millionen Dollar kosten, aber damit könnten Zehntausende Menschenleben geschützt werden." (Les Echos, 30.12.)[6]

Man könnte auch noch das Beispiel des Öls nehmen, das jedes Jahr ins Meer geschüttet wird (egal ob absichtliche oder ungewollte Verknappungen von Öl, ob aus endogenen Quellen oder ob das Öl aus Flüssen mitgeschleppt wurde usw.): Man spricht von drei bis vier Millionen Tonnen Öl jedes Jahr. Die Legambiente berichtete: "Wenn man die Ursachen der Störfälle untersucht, kann man von 64% Störfällen ausgehen, die auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. 16% aufgrund technischer Pannen und 10% aufgrund der Struktur von Schiffen, während die verbleibenden 10% keiner eindeutig festzulegenden Ursache zuzuordnen sind"[7].

Man kann leicht nachvollziehen, wenn man von "menschlichem Versagen" spricht – wie zum Beispiel bei Unfällen im Eisenbahnbetrieb, die auf Fehler eines Eisenbahners zurückzuführen sind -, meint man Fehler, die ein Beschäftigter begangen hat, weil seine Arbeitsbedingungen starken Stress und Erschöpfung hervorrufen. Zum Beispiel lassen Ölgesellschaften oft Öltanker verkehren, selbst wenn sie alt und heruntergekommen sind, um das schwarze Gold zu befördern, denn im Fall eines Schiffuntergangs verlieren sie höchstens den Wert der Ladung, während der Kauf eines neuen Schiffs sie sehr viel mehr kostet. Deshalb sieht man immer häufiger untergegangene oder havarierte Öltanker vor den Küsten, deren Ladung entweicht. Man kann behaupten, dass insgesamt mindestens 90% der Ölpest-Vorfälle die Folge einer totalen Schlampigkeit der Ölgesellschaften sind, die darauf zurückzuführen ist, dass sie die Kosten so stark wie möglich senken und den Profit so hoch wie möglich schrauben wollen.

Es ist das Verdienst Amadeo Bordigas[8] in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg die durch den Kapitalismus verursachten Katastrophen auf eine systematische, scharfsinnige, tiefgreifende und argumentierte Art und Weise entblößt zu haben. In dem Vorwort zu seinem Buch "Drammi gialli e sinistri della moderna decadenza sociale" (Gelbe und finstere Dramen des modernen gesellschaftlichen Niedergangs), in dem verschiedene Artikel Amadeo Bordigas zusammengetragen wurden, schrieb dieser: "In dem Maße, wie der Kapitalismus sich entfaltet und dann in sein Stadium der Fäulnis eintritt, prostituiert er mehr und mehr diese Technik, die eigentlich eine Befreiung sein könnte, den Bedürfnissen der Ausbeutung, der Vorherrschaft und der imperialistischen Plünderung. Dabei wird der Punkt erreicht, wo er dessen eigene Fäulnis überträgt und sie gegen den Gattung Mensch richtet. (…) In allen Bereichen des Alltagslebens der "friedlichen" Phasen, wo wir in einer Zeit zwischen zwei imperialistischen Massakern oder zwei Unterdrückungsmaßnahmen leben, pfercht das ständig auf der Suche nach einem Höchstprofit befindliche Kapital die Menschen zusammen, und die prostituierte Technik vergiftet, erstickt, verstümmelt, massakriert die Individuen. (…) Der Kapitalismus trägt auch seine Verantwortung bei den sogenannten "Naturkatastrophen". Ohne das Wirken von Naturkräften, die der Mensch nicht kontrollieren kann, beiseite zu lassen, zeigt der Marxismus auf, dass viele Katastrophen indirekt durch gesellschaftliche Ursachen hervorgerufen oder verschlimmert wurden. (…) Die bürgerliche Zivilisation kann nicht nur aufgrund ihrer Jagd nach Profiten und durch den überragenden Einfluss des Geldes auf den Verwaltungsapparat direkt Katastrophen hervorrufen (…), sondern sie erweist sich als unfähig, einen wirksamen Schutz vor diesen Gefahren zu organisieren, weil die Vorbeugung keine rentable Angelegenheit ist."[9]

Bordiga entschleierte die Legende, der zufolge: "die gegenwärtige kapitalistische Gesellschaft mit der gemeinsamen Entwicklung der Wissenschaften, Technik und Produktion die Gattung Mensch in die ausgezeichnete Lage versetzen würde, gegen die Schwierigkeiten der natürlichen Umwelt zu kämpfen"[10]. Bordiga fügte hinzu, "während das wirtschaftliche und industrielle Potential der kapitalistischen Welt weiter anwächst und nicht zurückgeht, kann man sagen, je größer dessen Kraft ist, desto schlimmer sind die Lebensbedingungen der Menschen gegenüber den Katastrophen der Natur und der Geschichte."[11] Zur Beweisführung seiner Behauptungen analysierte Bordiga eine Reihe von Katastrophen, die an verschiedenen Orten der Welt stattfanden. Er zeigte jedes Mal auf, dass sie keinem Zufall oder einer Fatalität geschuldet waren, sondern der dem Kapitalismus immanenten Tendenz, Höchstprofite herauszuschlagen, indem so wenig wie möglich in Sicherheit investiert wird, wie das Beispiel des Flying Enterprise aufzeigt.

"Das ganz neue prunkvolle Schiff, das Carlsen so polieren ließ, dass es wie ein Spiegel glänzte, und welches eine garantiert sichere Überquerung ermöglichen sollte, fuhr mit Flachkiel. Wie war es möglich, dass ganz moderne Werften wie Flying die Methode des "flachen Kiels", d.h. der Seeschiffe übernommen haben? Eine Zeitung schrieb es ungeschminkt: um die Produktionskosten pro Einheit zu reduzieren; (…) hier handelt es sich um den Schlüssel der ganzen modernen Wissenschaft. Ihre Untersuchungen, ihre Forschungen, ihre Berechnungen, ihre Innovationen zielen auf dieses Ziel ab: die Kosten (auch Transportkosten) zu reduzieren. Daher der Prunk der Spiegelsäle und Vorhänge um die Wohlhabenden anzulocken, verlauste Knauserigkeit bei den tragenden Teilen, die am Rande der mechanischen Haltbarkeit liegen, und auch bei Größe und Gewicht. Diese Tendenz zeichnet die ganze moderne Ingenieurswissenschaft aus, vom Bau bis zur Mechanik, d.h. einen Eindruck des Reichtums zu erwecken, um die Bürgerlichen zu beeindrucken; Erscheinungen und Ausführungen zu benutzen, die jeder Dummkopf bewundern kann (die gerademal ein Kulturniveau des Schunds erreichen, welches man sich im Kino und in den Klatschblättern abgeschaut hat), und bei den tragenden Strukturen. welche dem Laien unsichtbar und unverständlich sind, ist mannachlässig"[12].

Auch wenn die von Bordiga analysierten Katastrophen keine ökologischen Konsequenzen hatten, ändert das nichts an den Kernaussagen. Denn anhand dieser Beispiele wie auch anhand der Beispiele, die in dem Vorwort zu seiner Artikelreihe "Menschliche Gattung und Erdoberfläche" dargestellt werden, von denen wir einige zitieren, kann man sich leicht die Auswirkungen der gleichen kapitalistischen Logik vorstellen, wenn diese sich direkt und entscheidend auf die Umwelt auswirkt, wie zum Beispiel bei der Planung und Wartung der Atomreaktoren: "In den 1960er Jahren, explodierten mehrere britische Flugzeuge des Typs "Comet", welches als der letzte Schrei der höchst entwickelten Technik galt, in der Luft und töteten dabei alle Insassen. Die langwierigen Untersuchungen brachten schließlich hervor, dass die Explosionen auf eine Materialermüdung der Metallschichten des Flugzeugs zurückzuführen waren, weil diese zu dünn angelegt worden waren, denn man wollte beim Metall, bei der Reaktorstärke, den gesamten Produktionskosten sparen, um höhere Profite zu machen. 1974 führte die Explosion einer DC 10 über Ermenonville zum Tod von mehr als 300 Menschen. Man wusste, dass das Türschließsystem des Gepäckraums schadhaft war, aber dieses zu erneuern, hätte Geld gekostet… Aber der wahnsinnigste Bericht erschien in der englischen Zeitschrift The Economist (24.9.1977) nach der Entdeckung von Rissen im Metall von 10 Trident Flugzeugen und der unerklärlichen Explosion eines Boeing-Flugzeuges. Der "neuen Auffassung" zufolge, die beim Bau von Transportflugzeugen angewandt wird, werden diese nicht mehr nach einer gewissen Anzahl von Flugstunden aus dem Verkehr gezogen und generalüberprüft, sondern man ging davon aus, dass diese "sicher" wären… bis man erste Risse aufgrund von Materialermüdung des Metalls feststellte. Man kann sie also so lange wie möglichen nutzen, da sie bei einer zu frühen Stilllegung zu große Verlust für die Fluggesellschaften verursachen würden."[13] Wir haben schon im ersten Teil dieser Artikelserie den Unfall im Atomkraftwerk 1986 in Tschernobyl erwähnt. Im Wesentlichen handelt es sich um das gleiche Problem, das 1979 bei der Fusion eines atomaren Reaktors auf der Insel Three Mile Island in Pennsylvania, USA, zum Tragen kam.

Die Wissenschaft im Dienste der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft

Es ist von größter Bedeutung, den Platz der Technik und der Wissenschaft in der kapitalistischen Gesellschaft zu begreifen, wenn man herausfinden will, ob diese eine Hilfe sind, um das Voranschreiten der Umweltzerstörung einzudämmen und wirksame Instrumente gegen einige der Auswirkungen derselben zu entwickeln.

Wenn die Technik, wie eben gesehen, sich im Dienst der Bedürfnisse des Marktes prostituieren muss, trifft das auch zu auf die Entwicklung der Wissenschaften und der wissenschaftlichen Forschung? Gibt es Mittel sicherzustellen, dass diese außerhalb des Interessensbereichs der Wirtschaft wirken?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir von der Erkenntnis ausgehen, dass die Wissenschaft eine Produktivkraft ist und ihre Entwicklung eine schnellere Entfaltung und Bereicherung der Ressourcen der Gesellschaft ermöglicht. Die Kontrolle der Entwicklung der Wissenschaften ist deshalb eine wichtige Frage für die Verwalter der Wirtschaft und des Staates. Deshalb wird die wissenschaftliche Forschung, insbesondere einige Bereiche besonders üppig, mit großen finanziellen Mitteln ausgestattet. Die Wissenschaft ist deshalb kein neutraler Bereich – in einer Klassengesellschaft wie dem Kapitalismus könnte es nicht anders sein -, in dem es eine Freiheit der Forschung gäbe, und die vor ökonomischen Interessen geschützt wäre, weil die herrschende Klasse sehr davon profitiert, die Wissenschaft und die Wissenschaftler ihren Interessen unterzuordnen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Entwicklung der Wissenschaften und der Erkenntnis im Zeitraum des Kapitalismus nicht durch eine eigenständige und unabhängige Dynamik getrieben wird, sondern dem Ziel untergeordnet ist, einen höchst möglichen Profit zu erwirtschaften.

Dies hat wichtige Folgen, über die man sich selten bewusst ist. Nehmen wir zum Beispiel die Entwicklung der modernen Medizin. Die medizinischen Untersuchungen und Behandlungen des Menschen sind unter Dutzende verschiedene Spezialisten aufgeteilt worden, denen in letzter Instanz eine Gesamtübersicht der Funktionsweise des menschlichen Körpers fehlt. Warum ist es dazu gekommen? Weil das Hauptziel der modernen Medizin in der kapitalistischen Welt nicht darin besteht, dass jeder Mensch gut lebt, sondern "die menschliche Maschine" wieder "repariert" werden muss, wenn sie eine Panne hat und sie so schnell wie möglich wieder hergerichtet werden soll, um weiter arbeiten zu können. Auf diesem Hintergrund versteht man gut, warum so massiv auf Antibiotika zurückgegriffen wird, und warum die Diagnosen immer die Ursachen der Erkrankungen unter den Besonderheiten suchen anstatt in den allgemeinen Lebensbedingungen der untersuchten Menschen.

Eine andere Folge der Abhängigkeit von der wissenschaftlichen Entwicklung gegenüber der Logik der kapitalistischen Welt ist, dass Forschung ständig auf die Produktion neuen Materials gerichtet ist (resistenter und billiger), deren Auswirkungen aus toxikologischer Sicht auf unmittelbarer Ebene nie ein großes Problem dargestellt haben, wodurch auf wissenschaftlicher Ebene sehr wenig oder gar nichts ausgegeben wird, um das auszulöschen oder unschädlich zu machen, was die Sicherheit der Produkte bedroht. Aber Jahrzehnte später muss man die Rechnung begleichen, oft weil bei den Menschen irgendein Schaden aufgetreten ist.

Anhand nachfolgender Zitate kann man sehen, in welchem Maße die wissenschaftliche Entwicklung der staatlichen Kontrolle und militärischen Bedürfnissen untergeordnet ist, so dass in der Nachkriegszeit überall wissenschaftliche "Kommissionen" entstanden, die geheim für das Militär arbeiteten, während anderen Wissenschaftlern das Endziel der Forschungen unbekannt war, die verdeckt betrieben wurden : "Die Wichtigkeit der Mathematik für die Offiziere der Kriegsmarine und der Artillerie erforderte eine besondere Ausbildung in Mathematik; so war im 17. Jahrhundert die größte Gruppe, die von sich behaupten konnten, über Kenntnisse in Mathematik zu verfügen (zumindest Grundlagenkenntnisse), Armeeoffiziere. (…) (Im Großen Krieg) wurden zahlreiche neue Waffen geschaffen und perfektioniert – Flugzeuge, U-Boote, Sonaranlagen zum Kampf gegen diese, Chemiewaffen. Nach einigen Zögerungen des Militärapparates wurden zahlreiche Wissenschaftler für die Entfaltung des Militärs eingesetzt, auch wenn es nicht darum ging, Forschung zu betreiben, sondern sie waren als Ingenieure tätig, die auf höchster Ebene ihren schöpferischen Beitrag leisteten. (…) Auch wenn es nicht mehr im 2. Weltkrieg wirksam zum Einsatz kommen konnte, wurde 1944 das "Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach" in Deutschland gegründet. Zwar gefällt dies deutschen Mathematikern nicht so sehr, aber es handelte sich um eine sehr klug geplante Struktur, die darauf abzielte, den ganzen Bereich der Mathematik "nützlich" zu machen : der Kern bestand aus einer kleinen Gruppe Mathematiker, die gut im Bilde waren über die Probleme, vor denen das Militär stand, und die in der Lage waren, die Probleme zu entdecken, die sich mathematisch lösen ließen. Um diesen Kern sollten andere, sehr kompetente Mathematiker, welche sich gut in den Kreisen der Mathematiker auskannten, diese Probleme in mathematische Fragen übersetzen und sie nach deren Aufbereitung spezialisierten Mathematikern vorlegen (die sich mit militärischen Fragen, welche am Anfang der Fragestellungen standen, nicht auskennen mussten und sie auch gar nicht kennen sollten). Sobald die Lösungen vorlagen, funktionierte das Netz in der entgegengesetzten Richtung.

In den USA gab es während des Krieges schon eine ähnliche Struktur, auch wenn sie ein wenig improvisiert war, um Marston Morse. In der Nachkriegszeit war eine ähnliche Struktur namens „Wisconsin Army Mathematics Research Center" (…) tätig, die jedoch nicht mehr improvisiert war.

Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass sie es der Militärmaschinerie ermöglichen, die Kompetenzen vieler Mathematiker auszunutzen, ohne dass sie "direkt für sie" arbeiten, mit all dem, was damit verbunden ist : Verträge, die Notwendigkeit von Abmachungen, Unterordnung usw"[14].

1943 wurden in den USA spezialisierte Forschungsgruppen eingerichtet, die sich eigens mit Fragen beschäftigten wie der Größe von Schiffskonvois, der Wahl von Kriegszielen bei Luftangriffen, dem Aufspüren und der Abwehr von feindlichen Flugzeugen. Während des 2. Weltkriegs wurden im Vereinten Königreich, in Kanada und in den USA allein 700 Mathematiker eingesetzt. "Im Vergleich zur britischen Forschung zeichnete sich die amerikanische Forschung seit dem Anfang durch einen höher entwickelteren Einsatz der Mathematik aus, und insbesondere der Wahrscheinlichkeitsrechnung und ein häufigerer Rückgriff auf Modellrechnungen (…). Operations Research (die in den 1950er Jahren ein eigenständiger Bereich der angewandten Mathematik wurde) machte somit ihre ersten Schritte als eine Reaktion auf strategische Schwierigkeiten und der Optimierung kriegerischer Ressourcen. Was ist die beste Taktik im Luftkampf? Was ist die beste Aufstellung von Soldaten bei bestimmten Angriffspunkten? Wie können Rationen an die Soldaten verteilt werden, indem man am wenigsten verschwendet und die bestenfalls sättigen?"[15]

"(…) Das Projekt Manhattan(…) war das Zeichen für eine große Wende, nicht nur weil darin die Arbeit von Tausenden von Wissenschaftlern und Technikern aus verschiedenen Fachbereichen in einem Projekt zusammengebündelt wurde, welches von Militärs gesteuert und kontrolliert wurde, sondern auch weil es einen gewaltigen Sprung für die Grundlagenforschung bedeutete, da es – wie man es später nannte – die "big science" einläutete. (…) Die wissenschaftliche Gemeinschaft für ein genaues Projekt, das unter direkter Kontrolle der Militärs stand, einzuspannen, war eine Notmaßnahme gewesen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht ewig dauern konnte (dazu gehörte azch die "Freiheit der Forschung", die von den Wissenschaftlern beansprucht wurde) Das Pentagon konnte jedoch auf die wertvolle, unverzichtbar gewordene Mitarbeit der Gemeinschaft der Wissenschaftler verzichten. Auch musste es eine Form der Kontrolle ihrer Aktivitäten aufrechterhalten: man musste zwangsweise eine neue Strategie einschlagen und eine andere Sprache benutzen. (…) 1959 wurde aufgrund einer Initiative von anerkannten Wissenschaftlern, die auch die US-Regierung berieten, eine halb-ständig tagende Expertengruppe eingerichtet, die regelmäßig Treffen abhielt. Diese Gruppe wurde "Divsion Jason" genannt, in Anlehnung an den mythischen griechischen Helden, der sich auf die abenteuerliche Suche nach dem Goldenen Vlies mit dem Argonauten, Jason, begab. Es handelte sich um eine Elitegruppe von ca. 50 Wissenschaftlern, von denen mehrere mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden waren. Sie trafen sich jeden Sommer einige Wochen lang, um ganz unbeschwert die Fragen der Sicherheit, der Verteidigung und der Kontrolle der von dem Pentagon angeschafften Waffen zu besprechen, sowie dem Energieministeriums und anderen Bundesbehörden. Sie erstellten detaillierte Berichte, welche zum Großteil 'geheim' blieben und direkt die Politik der nationalen Sicherheit mit bestimmten. Die Division Jason spielte während des Vietnamkrieges eine herausragende Rolle gegenüber Verteidigungsminister Robert McNamara, indem sie drei besonders wichtige Studien lieferten, welche einen wichtigen Einfluss auf die Strategie der USA haben sollten. Hinsichtlich der Wirksamkeit der strategischen Bombardierungen zur Unterbrechung der Nachschublinien der Vietkong, zum Bau einer elektronischen Schranke durch Vietnam und zu den taktischen Nuklearwaffen."[16]

Die Angaben aus diesen langen Zitaten zeigen, dass die Wissenschaft heute ein wichtiger Eckpfeiler der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems und der Festlegung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen ist. Die wichtige Rolle der Wissenschaftler während und nach dem 2. Weltkrieg konnte nur noch weiter anwachsen, auch wenn die Bourgeoisie diese systematisch vertuscht.

Zusammenfassend können wir sagen, dass wir versucht haben aufzuzeigen, wie die ökologischen und Umweltkatastrophen, selbst wenn sie von Naturphänomen ausgelöst wurden, die Menschen, insbesondere die Ärmsten brutal treffen, weil dahinter eine bewusste Wahl seitens der herrschenden Klasse hinsichtlich der Verteilung der Ressourcen und dem Einsatz der wissenschaftlichen Forschung selbst steckt. Die Auffassung, dass die Modernisierung, die Entwicklung der Wissenschaften und der Technologie automatisch mit der Schädigung der Umwelt und einer stärkeren Ausbeutung des Menschen verbunden sind, muss kategorisch verworfen werden. Im Gegenteil, es gibt ein großes Potential zur Entwicklung der menschlichen Ressourcen, nicht nur auf der Ebene der Produktion von Gütern sondern – was am wichtigsten ist- hinsichtlich der Möglichkeiten anders zu produzieren, in Harmonie mit der Umwelt und dem Wohlergehen des Ökosystems, zu dem der Mensch gehört. Die Perspektive ist also nicht die einer Rückkehr in die Vergangenheit, weil es unmöglich ist, zu unserem Ursprung zurückzukehren, als die Umwelt noch mehr verschont war. Im Gegenteil, die Menschheit muss auf einem anderen Weg vorwärts gehen, den der Entwicklung, die wirklich in Harmonie mit dem Planeten Erde steht.

Ezechiele, 5. April 2009.

[1]Siehe den ersten Teil dieses Artikels "Die Welt am Vorabend einer Umweltkatastrophe", veröffentlicht in Internationale Revue Nr. 41.

[2]Siehe den ersten Teil dieser Serie in Internationale Revue Nr. 42.

[3]ebenda

[4]Im 20. Jahrhundert gab es eine wahre Explosion des Wachstums der Megacities. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es sechs Städte mit mehr als einem Millionen Einwohner; Mitte des 20. Jahrhunderts gab es nur vier Städte mit mehr als fünf Millionen Einwohnern. Vor dem 2. Weltkrieg gab es Megacities nur in den Industriestaaten. Heute befinden sich die meisten Megacities in den Ländern der Peripherie. In einigen Städten ist die Bevölkerung innerhalb von Jahrzehnten um das Zehnfache angestiegen. Gegenwärtig lebt die Hälfte der Erdbevölkerung in Städten, 2020 werden es zwei Drittel sein. Aber keine dieser Städte, in die jeden Tag mehr als 5.000 Zuwanderer strömen, ist in der Lage, solch einem unnatürlichen Bevölkerungswachstum Stand zu halten, so dass die Zuwanderer, die nicht in das soziale Netz der Stadt integriert werden können, die Vorstadtslums weiter anschwellen lassen, und fast immer fehlt es völlig an Dienstleistungen und adäquaten Infrastrukturen.

[5]"Hurrikan Katrina – der Kapitalismus ist verantwortlich für die gesellschaftliche Katastrophe", International Review Nr. 123,

[6]Tödliche Flutwelle in Südostasien: die wahre Katastrophe ist der Kapitalismus" Révolution Internationale, Nr. 353

[7]www.legambientearcipelagotoscano.it/globalmente/petrolio/incident.htm [91]

[8]Bordiga, Führer der linken Strömung der Kommunistischen Partei Italiens, zu deren Gründung er 1921 wesentlich mit beitrug, und aus der er 1930 nach dem Prozess der Stalinisierung ausgeschlossen wurde, beteiligte sich aktiv an der Gründung der Internationalen Kommunistischen Partei 1945.

[9](Anonymes) Vorwort zu "Drammi gialli e sinistri della moderna decadenza sociale" von Amadeo Bordiga, Edition Iskra, Seiten 6, 7, 8 et 9. auf Französisch: Vorwort zu "Espèce humaine et Croûte terrestre“; Petite Bibliothèque Payot 1978, Préface, pages 7,9 et 10)

[10]Veröffentlicht in Battaglia Comunista n°23 1951 und auch in "Drammi gialli e sinistri della decadenza sociale", édition Iskra, Seite 19.

[11]ebenda

[12]A. Bordiga, Politica e ”costruzione”, veröffentlicht in Prometeo, serie II, n°3-4, 1952 und auch in "Drammi gialli e sinistri della decadenza sociale", edition Iskra, Seiten 62-63.

[13]Vorwort zu "Espèce Humaine et Croûte terrestre", op.cit. (Menschengattung und Erdkruste)

[14]Jens Hoyrup, Universität von Roskilde, Dänemark. "Mathematik und Krieg", Konferenz Palermo, 15. Mai 2003. Forschungshefte Didaktik, N°13, GRIM (Départment of mathematics, University of Palermo, Italy) http//math.unips.it/-grim/Horyup_mat_guerra_quad13.pdf.

[15]Annaratone, http//www.scienzaesperienza.it/news.php?/id=0057 [92]

[16]Angelo Baracca, "Fisica fondamentale, ricerca e realizzazione di nuove armi nucleari”.

Aktuelles und Laufendes: 

  • Umweltverschmutzung [93]
  • Ökologie [94]
  • Stadt Land [95]
  • Bhopal [96]
  • Umweltzerstörung [97]
  • Mensch Natur [98]
  • Kapitalismus Umweltzerstörung [99]
  • Wasserknappheit [100]
  • Wissenschaft Kapitalismus [101]

November 2009

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Der Kampf der Automobilarbeiter von Gurgaon

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Am Abend des 18.Oktobers 2009, einem Sonntag, versuchten die Beschäftigten von RICCO Auto, Gurgaon, die sich seit dem 3. Oktober im Streik befanden, Streikbrecher aufzuhalten. Der Wachdienst des Betriebs und Streikbrecher, meistens Kriminelle, die zur Einschüchterung der Arbeiter rekrutiert worden waren, reagierten mit einem gewaltsamen Angriff auf die streikenden Arbeiter. Die Polizei, die seit Streikbeginn an den Fabriktoren zur Einschüchterung der Streikenden aufmarschiert war, eröffnete das Feuer auf die Arbeiter. Ein Arbeiter wurde erschossen und 40 weitere verletzt.

Diese gewaltsame Repression löste eine Welle von Empörung unter den Arbeitern im Industriegürtel von Gurgaon-Manesar aus, von denen sich 30.000 Beschäftigte in den letzten Monaten gegen die Arbeitgeber in mehreren Werken zur Wehr gesetzt hatten. Aber auch Arbeiter in anderen Betrieben reagierten empört.

 

Am Abend des 18.Oktobers 2009, einem Sonntag, versuchten die Beschäftigten von RICCO Auto, Gurgaon, die sich seit dem 3. Oktober im Streik befanden, Streikbrecher aufzuhalten. Der Wachdienst des Betriebs und Streikbrecher, meistens Kriminelle, die zur Einschüchterung der Arbeiter rekrutiert worden waren, reagierten mit einem gewaltsamen Angriff auf die streikenden Arbeiter. Die Polizei, die seit Streikbeginn an den Fabriktoren zur Einschüchterung der Streikenden aufmarschiert war, eröffnete das Feuer auf die Arbeiter. Ein Arbeiter wurde erschossen und 40 weitere verletzt.

 

Diese gewaltsame Repression löste eine Welle von Empörung unter den Arbeitern im Industriegürtel von Gurgaon-Manesar aus, von denen sich 30.000 Beschäftigte in den letzten Monaten gegen die Arbeitgeber in mehreren Werken zur Wehr gesetzt hatten. Aber auch Arbeiter in anderen Betrieben reagierten empört.

 

Diese Wut äußerte sich darin, dass die beiden Zwillingsstädte Gurgaon und Manesar am 20. Oktober 2009 am ersten Regelarbeitstag nach der Tötung des Arbeiters bei RICCO Auto die Arbeit niederlegten. Obgleich die Gewerkschaften zu dem Streik aufgerufen hatten, gingen Massen von Arbeitern aus den Betrieben, in denen sich die Arbeiter zuvor schon zur Wehr gesetzt hatten, auf die Straße und riefen andere Beschäftigte auf, die Arbeit niederzulegen. Vom frühen Dienstagmorgen an legten die Arbeiter von RICCO Auto und Sunbeam Casting mit ihren Protesten los. Die Autobahn 8 wurde blockiert. Ihnen schlossen sich Unmengen von Arbeitern aus anderen Betrieben an wie Sona Koyo Steering Systems, TI Metals, Lumax Industries, Bajaj und Hero Honda Motors Ltd.. Die Stadtverwaltung erklärte offiziell, ca. 100.000 Beschäftigte aus 70 Autozulieferbetrieben in Gurgaon-Manesar hätten sich an dem Tag in Streik begeben.

Obgleich die Arbeiter der meisten Betriebe am 21. Oktober die Arbeit wieder aufnahmen und der Kampf sich nicht ausdehnte, stellen diese Ereignisse einen wichtigen Schritt voran bei den Arbeiterkämpfen in Indien dar. Sie sind das Ergebnis der Intensivierung des Klassenkampfes in verschiedenen Teilen Indiens. So waren in Gurgaon-Manesar im Juli 2005 Arbeiter der Honda Motorcycles Werke mit dem Staat zusammengeprallt. Seitdem hat eine Reihe von Kämpfen die Entschlossenheit der Arbeiter bekräftigt, sich gegen die Unternehmer zu wehren – dabei sind immer mehr Kämpfe gleichzeitig ausgebrochen.

Bittere Ernte des Wirtschaftsbooms

Während all der “Boom-Jahre” bis 2007, als die indische Wirtschaft beträchtlich expandierte, hat sich die Lage der Arbeiterklasse unaufhörlich verschlechtert. Offensichtlichstes Merkmal dieser Verschlechterung war der Verlust von Arbeitsplätzen. Trotz der Expansion der Wirtschaft während der „Boomjahre“ haben die Unternehmer ganz massiv Stammbelegschaften reduziert und sie durch viel schlechter bezahlte prekär Beschäftigte ersetzt, die zudem keine Sozialleistungen erhalten. Betriebe wie Hero Honda, Maruti und Hyundai, deren Produktion in diesen Boomjahren um ein mehrfaches zunahm (so vervielfachte sich die Produktion bei Hero Honda von 200.000 auf mehr als 3.6 Millionen), haben ständig Arbeitsplätze abgebaut. Gleichzeitig wurden Teilzeitbeschäftigte eingestellt. So verlief es bei allen Firmen in Indien. Die Betriebe der Automobilindustrie und andere Autoteilelieferanten in Indien, die alle einem mörderischen Konkurrenzkampf ausgesetzt sind, standen an vorderster Front dieser Angriffe gegen die Arbeiter. Aber in den ersten Jahren, vor allem in den ersten Jahren dieses Jahrzehnts, fanden die Arbeiter es schwierig, sich gegen diese Angriffe zu wehren. Unaufhörliche Angriffe seitens der Arbeitgeber und das Unvermögen sich entsprechend zu wehren waren das Merkmal der bitteren Lage der Arbeiterklasse auch in anderen Ländern.

Mit dem Beginn der wirtschaftlichen Talfahrt 2007 hat sich die Lage noch zugespitzt. In allen Bereichen wurden massiv Arbeitsplätze abgebaut, Löhne und Sozialleistungen gekürzt. Gleichzeitig zogen die Preise der wichtigsten Konsumgüter stark an. Die Preise von Grundnahrungsmitteln wie Gemüse, Hülsenfrüchte und anderen Lebensmittel haben sich mehr als verdoppelt. Dies war keine jahreszeitlich bedingte Erscheinung, sondern dies hat sich nun schon mehr als zwei Jahre hingezogen. Nach dem Einfrieren der Löhne und dem Anstieg der Preise sind die Lebensbedingungen der Beschäftigten nur immer prekärer und verzweifelter geworden.

Auch wenn die Unternehmer heute von einem Ende der Rezession und einem erneuten großen Wachstum der indischen Wirtschaft reden, hat sich die Lage der Arbeiter nicht verbessert. Die Prekarisierung der Arbeitsbedingungen dauert an, die Löhne sind weiter eingefroren.

Die Entfaltung des Klassenkampfes

Aber in den letzten Jahren hat die Entschlossenheit der Arbeiter, sich zu wehren, zugenommen. Die Einsicht breitet sich stärker aus, wenn man sich nicht zusammenschließt und sich wehrt, werden die Unternehmer immer mehr Druck ausüben. Diese Erkenntnis äußert sich in einer verstärkten Kampfbereitschaft, die in den letzten Jahren deutlicher Gestalt angenommen hat. Diese Entwicklung ist auch in anderen Ländern erkennbar, wie zum Beispiel die zweimonatige Fabrikbesetzung in Ssangyong, dem fünft größten Autohersteller in Korea im Juli 2009, die Besetzung des Visteon Werkes im April 2009 und Vestas Windsystems im Juli 2009 in Großbritannien, oder der Postbeschäftigtenstreik im Oktober 2009 ebenso in Großbritannien. (…)

 

Die Arbeiterklasse in Indien tritt häufiger in den Kampf

Gegenüber der Krise und den Angriffen der Bosse haben sich die Arbeiter stärker zur Wehr gesetzt. Es gab zum Beispiel im öffentlichen Dienst wichtige Streiks: Die Angestellten der Banken streiken, ein landesweiter Streik der Beschäftigten der Ölförderung im Januar 2009, der Streik der Air India-Piloten, ein Streik von (250.000) Staatsbediensteten in West-Bengal, ein Streik der Regierungsbeschäftigten im Januar 2009 in Bihar. Einige dieser Konflikte waren harte Auseinandersetzungen, bei denen der Staat brutal zuschlagen und die Arbeiter niederschlagen wollte. Das war zum Beispiel beim Kampf der Ölarbeiter der Fall, als der Staat auf Sondergesetze zurückgriff, um die Beschäftigten auf die Knie zu zwingen und sie mit Repressionsmaßnahmen bestrafte. Auch Regierungsbeschäftigte in Bihar bekamen die harte Hand des Staates zu spüren, der den Beschäftigten eine Lehre erteilen wollte. Gegenüber den Ölbeschäftigten musste die Regierung nachgeben, da die Gefahr der Ausdehnung der Streiks auf andere staatliche Beschäftigte die Regierung von einem härteren Vorgehen abhielt.

Wie ihre Kolleg/Innen im öffentlichen Dienst haben auch Beschäftigte aus anderen Branchen gekämpft. Einer der massivsten und radikalsten Kämpfe war der der Beschäftigten in der Diamentenindustrie 2008 in Gujarat. Die Mehrheit der Beschäftigten der Diamentenindustrie arbeitet in kleinen Betrieben, in denen die Gewerkschaften nicht so die Oberhand haben. Die Streiks brachen dort aus und dehnten sich schnell als Massenrevolte auf mehrere Städte aus - Surat, Ahmedabad, Rajkot, Amerli usw. – und der Staat ergriff polizeiliche Repressionsmaßnahmen in all diesen Städten.

Zudem gab es in allen größeren Automobilzentren Indiens - Tamilnadu, Maharashtra, und Gurgaon-Manesar wiederholte und hartnäckige Versuche seitens der Beschäftigten, um für ihre Arbeitsplätze und gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen zu kämpfen.

Arbeiter im zweitgrößten Automobilwerk in Indien, Hyundai Motor in Chennai, traten mehrfach im April, Mai und Juni 2009 für höhere Löhne in den Streik. Seit langem schon versuchen die Unternehmer die Kämpfe der Arbeiter zu unterdrücken; oft haben sie z.B. mit Werksschließungen gedroht. In der Nähe von Coimbatore haben Beschäftigte des Automobilzulieferers Pricol Indien sich mehr als zwei Jahre lang gegen die Entlassungspläne ihres Arbeitgebers und den Abbau der Stammbelegschaft und deren Ersetzung durch Beschäftigte mit Zeitverträgen usw. gewehrt. Der Kampf nahm jüngst einen gewaltsamen Verlauf, als das Management 52 Beschäftigte der Stammbelegschaft feuern wollte und beschloss, sie im September 2009 durch Zeitarbeiter zu ersetzen. Bei darauf folgenden gewaltsamen Auseinandersetzungen wurde ein leitender Manager von Pricol am 22. September 2009 getötet. Beschäftigte der MRF Reifenfabrik und Nokia Werke in Namilnadu kämpften zur gleichen Zeit.

In Maharashtra traten Beschäftigte von Mahindra und in Nasik für höhere Löhne im Mai 2009 in den Ausstand. Und bei den Cummins Werken in Puna und dem Autoteilehersteller Bosch kam es ebenfalls vom 15.-25. September zu Arbeitsniederlegungen, um der Forderung nach höheren Löhnen Nachdruck zu verleihen und gegen Prekarisierung zu protestieren.

Gleichzeitig von Kämpfen und die Entwicklung der Klassensolidarität

Heute beobachten wir, dass mehr und mehr Arbeiter bereit sind den Kampf gegen die Angriffe des Kapitals aufzunehmen. Mit einer Häufung der Kämpfe in mehreren Teilen Indiens, nimmt auch die Gleichzeitigkeit von Kämpfen in der gleichen Region zu. Dies bereitet die Möglichkeit vor, die Kämpfe zu verbinden und sie auszudehnen. Die massiven Streiks der Beschäftigten der Diamantenindustrie in Gujarat, die in mehreren Städten gleichzeitig spontan in den Ausstand traten, belegt dies. Auch Streiks der Beschäftigten der Autoindustrie in Tamilnadu und Puna und Nasik, die in mehreren Gegenden gleichzeitig in den Streik traten, gehen in die gleiche Richtung. In anderen Fällen spürte die herrschende Klasse diese Gefahr und nahm Repressionsmaßnahmen zurück. Diese Gleichzeitigkeit ist das Ergebnis einer Reihe von gleichartigen Angriffen gegen alle Beschäftigten heute.

Vor den jüngsten Kämpfen hatten schon Beschäftigte in einer Reihe von Werken in Gurgaon-Manesar die Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern aufgenommen. Bei Hondo Motorcycles ist die Lage seit Monaten sehr angespannt, nachdem Arbeiter mehrfach für höhere Löhne und gegen die Einführung von mehr Zeitverträgen protestiert haben. Dem Management zufolge ist dadurch die Produktion um die Hälfte gesunken; ein neues Fertigungsband konnte nicht in Betrieb genommen werden. Um die Arbeiter einzuschüchtern drohte das Honda Motorcycles Management am 10. Oktober mit der Schließung des Werkes in Indien oder das Werk in andere Teile des Landes zu verlagern. 2500 Beschäftigte von RICO Autowerken protestierten Ende September gegen die Entlassung von 16 Kollegen und für bessere Löhne. Am 3. Oktober traten sie in den Ausstand. Obgleich es noch nicht zu Arbeitsniederlegungen kam, häufen sich die Proteste von 25.000 Beschäftigten bei TI Metals, Microtech, FCC Rico, Satyam Auto und mehreren anderen Betrieben seit September, bei denen vor allem für höhere Löhne protestiert wird.

Business Line berichtete am 2. Oktober 2009: “Nachdem mittlerweile 25.000-30.000 Beschäftigte der Zulieferindustrie in dem Industriegürtel von Gurgaon-Manesar seit sechs Tagen für Unruhe sorgen, stehen die großen Automobilhersteller, die von diesen Zulieferern abhängig sind, vor schwierigen Zeiten.“ Und die Sorge der Unternehmer aufgreifend schrieb die Economic Times [of India] am 11. Oktober 2009: „Die wiederholt auftretenden Arbeitskämpfe im Gurgaon und Manesar-Gürtel sind ein Grund zur Sorge für die gesamte Industrie. Die fortdauernden Arbeiterproteste bei einigen Zulieferern haben schon große Autohersteller wie Honda und Maruti Suzuki erfasst.“

Die Tatsache, dass Arbeiter aus mehreren Firmen in den Streik getreten waren und gleichzeitig mehrere Tausend Beschäftigte aus anderen Betrieben ebenfalls streikten, bietet die Möglichkeit der Ausdehnung und Vereinigung dieser Kämpfe, denn dies ist der einzige Hebel, um sich gegen die Angriffe der Unternehmer zu wehren und diese zurückzudrängen. Davor fürchten sich die Herrschenden und die Gewerkschaften wollen so etwas unbedingt vermeiden. Bei den Kämpfen in Gurgaon, als sich die Wut der Arbeiter über die Erschießung eines Kollegen bei RICCO entlud, bestand die Rolle der Gewerkschaften darin, den Kampf in eine Sackgasse zu führen und die Tendenz zur Ausdehnung und Vereinigung zu blockieren. Durch den Aufruf zu eintägigen Aktionen wollen sich die Gewerkschaften dem Bestreben zusammenzukommen und Klassensolidarität zu entfalten, entgegenstellen. Ungeachtet dessen war der Streik vom 20. Oktober eine Demonstration der Klassensolidarität von nahezu 100.000 Beschäftigten. Er verdeutlichte deren Entschlossenheit, sich den Angriffen des Kapitals entgegenzustellen.

 

Gleichzeitig haben bei den Kämpfen in Gurgaon und bei Hyundai, Pricol, M & M und in anderen Auseinandersetzungen um höhere Löhne und gegen Arbeitsplatzabbau die Gewerkschaften auch versucht, diese in Sackgassen zu drängen und sie zu Kämpfen für Gewerkschaftsrechte umzumünzen.

Ohne Zweifel gibt es eine starke Dynamik zur Entwicklung des Klassenkampfes, seiner Ausdehnung und Entwicklung der Klassensolidarität. Aber um diese Dynamik umzusetzen, ist es wichtig, dass die Arbeiter die Tricks der Gewerkschaften durchschauen und den Kampf in die eigenen Hände nehmen. Die Lage entwickelt sich in eine Richtung, in der es für Revolutionäre wichtig ist, in dieser Dynamik einzugreifen, damit sie mit dazu beitragen können, dass die kämpfenden Arbeiter das Potenzial und die Stärken dieser Kämpfe sowie die gewerkschaftlichen Fallen erkennen. AM, 27.10.2009

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Streiks Indien [102]
  • Gurgaon [103]
  • Manesar [104]
  • indischer Wirtschaftsboom [105]

Honduras – Das Proletariat darf bei der Auseinandersetzung zwischen Banditen keine Seite unterstützen

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Wir veröffentlichen nachfolgend eine Stellungnahme unserer Sektion in Venezuela, die sie kurze Zeit nach dem Militärputsch in Honduras im Sommer 2009 verfasste.

Auch wenn die Ereignisse mittlerweile aus dem Fokus der Medien verschwunden und enige Monate vergangen sind, ist es wichtig, diese in einen größeren Rahmen zu stellen und zu analysieren. Unsere Genossen in Venezuela gehen dabei sowohl auf die imperialistischen Ambitionen der venezolanischen Bourgeoisie, die angeschlagene Vormachtstellung der USA sowie auf Bestrebungen anderer Länder der Region, z.B. Brasilien ein, die Schwächung der USA zu ihren Gunsten auszunutzen. Während bislang aus erklärlichen Gründen die imperialistischen Konflikte im Mittleren Osten im Vordergrund standen, müssen wir die Lage in anderen Teilen der Welt jedoch auch verfolgen. Vor allem auf unserer spanischen Webseite bieten wir mehr Hintergrundmaterial zur Entwicklung in Südamerika und die dadurch entstehenden Debatten.

Wir veröffentlichen nachfolgend eine Stellungnahme unserer Sektion in Venezuela, die sie kurze Zeit nach dem Militärputsch in Honduras im Sommer 2009 verfasste.

Auch wenn die Ereignisse mittlerweile aus dem Fokus der Medien verschwunden und enige Monate vergangen sind, ist es wichtig, diese in einen größeren Rahmen zu stellen und zu analysieren. Unsere Genossen in Venezuela gehen dabei sowohl auf die imperialistischen Ambitionen der venezolanischen Bourgeoisie, die angeschlagene Vormachtstellung der USA sowie auf Bestrebungen anderer Länder der Region, z.B. Brasilien ein, die Schwächung der USA zu ihren Gunsten auszunutzen. Während bislang aus erklärlichen Gründen die imperialistischen Konflikte im Mittleren Osten im Vordergrund standen, müssen wir die Lage in anderen Teilen der Welt jedoch auch verfolgen. Vor allem auf unserer spanischen Webseite bieten wir mehr Hintergrundmaterial zur Entwicklung in Südamerika und die dadurch entstehenden Debatten.

 

 

 

Honduras – Das Proletariat darf bei der Auseinandersetzung zwischen Banditen keine Seite unterstützen

Unsere Sektion in Venezuela, Internacionalismo, hat zu den Auseinandersetzungen in Honduras folgende Analyse erstellt. Die politische Krise, die mit dem Putsch gegen den Präsidenten Manuel Zelaya am 28. Juni ausgelöst wurde, stellt nicht einfach einen “weiteren Putsch” in dieser armen und kleinen ‘Bananenrepublik’ mit 7.5 Millionen Einwohnern dar. Diese Ereignisse sind von großer geopolitischer Bedeutung, aber sie haben auch wichtige Folgen für den Klassenkampf.

 

Die Tatsachen

Zelaya, Unternehmer und Angehöriger der honduranischen Oligarchie begann seine Amtszeit Anfang 2006 als eine Führungsfigur der Liberalen Partei Honduras. Seit 2007 näherte er sich der Politik Chávez des ”Sozialismus des 21. Jahrhunderts”. Im August 2008 gelang es ihm mit Unterstützung seiner Partei, den Kongress dazu zu bewegen, dass sich Honduras der ALBA (Alternativa Bolivariana para América Latina y El Caribe) anschließt, ein von der Regierung Chávez geschaffener Mechanismus, um sich dem Einfluss der von den USA unterstützten ALCA (Amerikanische Freihandelszone) entgegenzustellen. Dieser Schritt, welcher von politischen Kreisen und Unternehmern kritisiert wurde, ermöglichte es dem honduranischen Staat seine Ölrechnung zu begleichen, die in der Wirtschaft des Landes ein großes Gewicht ausmacht.

Mit dem Beitritt zum ALBA erhielt es einen Kredit von 400 Millionen Dollar für den Kauf von Energie aus Venezuela, welche zu vorteilhaften Bedingungen bezahlt werden konnte. Es handelte sich um eine wichtige “Hilfe” für ein Land mit einem BIP von 10.800 Millionen Dollar (Angaben des CEPAL für 2006). Die honduranischen Energieeinfuhren machen ca. 30% des BIP aus (gleiche Quelle). Aber der “Sozialismus des 21. Jahrhunderts” ist kein einfaches Handelsprodukt. Dieser fordert nämlich, dass die Regierungen, die ihn übernehmen wollen, eine Reihe von populistischen Maßnahmen linksradikaler Couleur ergreifen; dass die Exekutive offen die Staatsinstitutionen und die öffentliche Hand kontrolliert, sowie ein Frontalangriff gegen die alten nationalen “Oligarchien” gehört dazu. Deshalb schlug Zelaya innerhalb weniger Monate eine politische Kehrtwende um 180° ein; von einem Rechtsliberalen wurde er zu einem Linken, der die Armen und den “Sozialismus” verteidigte. In Anbetracht der bevorstehenden Wahlen im November 2008 erhöhte Zelaya von Februar 2008 an den Druck auf die staatlichen Institutionen, um seine Wiederwahl zu begünstigen. Dies führte zu Konflikten sowohl zwischen der Exekutive und anderen staatlichen Kräften als auch mit seiner eigenen Partei. Letzten Mai übte er mit Hilfe von gewerkschaftlichen und “Volksorganisationen” Druck auf das Militär aus, um einen Plebiszit zur Änderung der Verfassung mit dem Ziel seiner Wiederwahl durchzusetzen. Dieses Vorgehen wurde von der Armeeführung des Landes verworfen.
Am 24. Juni 2008 setzte Zelaya den Vorsitzenden des Gemeinsamen Stabschefs ab, welcher darauf hin sofort wieder vom Obersten Gerichtshof eingesetzt wurde. Dies diente als Auslöser für den Staatsstreich am 28. Juni 2008. Dieser Tag war von der Exekutive als der Tag der Volksabstimmung geplant gewesen. An jenem Tag wurde Zelaya vom Militär gezwungen, “im Schlafanzug und barfuß” aus Tegucigalpa (Hauptstadt Honduras) nach San José (Costa Rica) auszureisen. Mit der Unterstützung des Militärs und dem Obersten Gerichtshof ernannte der Kongress Roberto Micheletti (Vorsitzender des Kongresses) als neuen Präsidenten.

 

Unsere Analyse

Es ist offensichtlich, an der Wurzel der politischen Krise Honduras stecken die imperialistischen Ambitionen Venezuelas in der Region. In dem Maße wie sich der Chavismus konsolidiert hat, versucht die venezolanische Bourgeoisie ihr neues geopolitisches Interesse, Venezuela zu einer Regionalmacht zu erheben, zu verfolgen. Zu diesem Zweck benutzt es das Projekt des “Sozialismus des 21. Jahrhunderts”, dessen gesellschaftliche Stütze vor allem die ärmsten Schichten des Landes sind, und das die Ölvorkommen und die Öleinnahmen als eine Waffe zur Überzeugung und als Zwang benutzt. Die zunehmende Verarmung, der Zerfall der alten führenden Schichten und die geopolitische Schwächung der USA auf der Welt haben es der venezolanischen Bourgeoisie ermöglicht, schrittweise ihre Pläne in mehreren Ländern der Region voranzutreiben: Bolivien, Ecuador, Nicaragua, Honduras und in einigen Ländern der Karibik.

 

Das Projekt Chávez erfordert aufgrund seiner populistischen Eigenschaften und seines ‘radikalen’ Antiamerikanismus die totalitäre Kontrolle der staatlichen Institutionen. Ebenso schafft er eine politische Polarisierung zwischen “Reichen und Armen”, “Oligarchen gegen das Volk” usw., dadurch wird es zu einer ständigen Quelle der Regierungsunfähigkeit für das eigene nationale Kapital. Seine Umsetzung erfordert ebenfalls Verfassungsänderungen durch die Schaffung von verfassungsgebenden Versammlungen, welche ihr eine legale Basis für die notwendigen Änderungen verschaffen, um die neuen ‚sozialistischen’ Eliten an der Macht zu festigen und die Wiederwahl von Präsidenten zu befürworten. Dieser Maßnahmenkatalog, welche der Chavismus anwendet, ist hinreichend bei den Bürgerlichen der Region bekannt. Honduras ist ein kostbares geostrategisches Ziel des Chavismus. Damit würde Venezuela die Errichtung eines Brückenkopfes durch die Hafenstadt Cortés an der zentralamerikanischen Atlantikküste gelingen. Dieser Hafen dient auch dem Außenhandel El Salvadors und Nicaraguas. Somit würde Venezuela über einen “Landweg” verfügen, der den Atlantik mit dem Pazifik über Nicaragua verbindet. Wenn Nicaragua und Honduras unter Venezuelas Kontrolle stünden, würde es noch mehr Einfluss in El Salvador gewinnen, womit der von den USA und Mexiko vorgeschlagene Plan Puebla Panamá auf mehr Schwierigkeiten stoßen würde.

Andererseits zählt Honduras auf die ”natürlichen” Bedingungen für die Entwicklung des linkspopulären Projektes Chávez, denn es ist das drittärmste Land Amerikas nach Haiti und Bolivien. Die Masse der Verarmten, deren Zahl durch die Verschärfung der Krise immer mehr zunimmt, wird am meisten durch die falschen Hoffnungen getäuscht, die Armut überwinden zu können. Darauf baut das Arzneibuch des ”Sozialismus im 21. Jahrhundert”. Die Botschaft Chávez richtet sich an diese Massen. Dazu ist eine permanente Mobilisierung notwendig, mit Unterstützung der Gewerkschaften, der Linksparteien, der extremen Linken, der Bauernorganisationen, der Einheimischen usw. Der Chavismus, der selbst ein Ergebnis des Fäulnisprozesses der Herrschenden Venezuelas und der Welt ist, schlachtet die Erscheinungen des Zerfalls innerhalb der Herrschenden der Region aus und verschärft sie. Aufgrund der Notwendigkeit der Polarisierung der Zusammenstöße zwischen den bürgerlichen Fraktionen wird der Chavismus zu einem Faktor der Unregierbarkeit, welche wiederum eine Eigendynamik des Zerfalls entfaltet. Die jüngste Krise in Honduras stellt eine Zuspitzung der Lage in den ”Bananenrepubliken” Mittelamerikas dar, die seit den 1980er Jahren nicht mehr so tief in einer Krise versunken waren, als damals die Konflikte in Guatemala, El Salvador und Nicaragua fast eine halbe Million Tote und Millionen Vertriebener hinterließen.

 

Unglaubliche Heuchelei

Schon kurze Zeit vor dem Staatsstreich hatte Chávez seine geopolitische Maschinerie in Gang gesetzt ; er warnte die « befreundeten » Präsidenten und prangerte die « Gorilla-Militärs » an. Sobald der Putsch vorüber war, rief er ein Dringlichkeitstreffen der ALBA-Mitgliedsstaaten in Nicaragua ein, auf dem er ankündigte, die Lieferung von Öl an Honduras werde gestoppt. Auch drohte er mit der Entsendung von Truppen, falls die venezuelanische Botschaft in Honduras angegriffen werden sollte. Ebenso stellte er Zelaya Mittel des venezuelanischen Staates zur Verfügung : der Außenminister ist quasi zu einem persönlichen Assistenten des Präsidenten geworden, nachdem er diesem anbot, ihn auf dessen Auslandsreisen zu begleiten ; die staatlichen Medien, hauptsächlich der internationale Fernsehsender TV Telesur, überschütten uns mit Informationen über Zelaya. Dabei wird er als Opfer und als großer Menschenfreund und Verteidiger der Armen dargestellt. Die Rede Zelayas vor der UNO wurde im venezolanischen Radio und Fernsehen live übertragen. Chávez ruft unaufhörlich die « Völker Amerikas » zur Verteidigung der Demokratie auf, die von den « nach Staatsstreichen dürstenden militärischen Gorrillas » bedroht werden. Vielleicht will er damit vergessen machen, dass er selbst 1992 in Venezuela einen Staatsstreich gegen den sozialdemokratischen Präsidenten Andrés Pérez anführte. Dabei sind es gerade diese « militärischen Gorrillas », die Polizei des von Chávez angeführten Staates und dessen Schocktruppen, die die Repression ausüben. Dies richtet sich nicht nur gegen Oppositionelle, die gegen das Regime demonstrieren, sondern auch gegen die Arbeiter in Venezuela, wie Internacionalismo schon öfters angeprangert hat (siehe « El Estado "socialista" de Chavez nuevamente reprime y asesina proletarios, https://es.internationalism.org/node/2589 [106])

 

Aber die ganze „internationale Gemeinschaft“ verhält sich so unglaublich heuchlerich. Die OAS (Organisation amerikanischer Staaten) , die UNO, die Europäische Union und viele andere Länder haben den Putsch verurteilt und die Wiedereinsetzung Zelayas gefordert. Viele haben ihre Botschafter aus Honduras abgezogen. Aber all das sind nur formalistische Schritte; sie sollen Sand in die Augen streuen und das schlechte Ansehen der bürgerlichen Demokratie und all der Organisationen, die immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren, aufmöbeln.

 

Wie kann man das Verhalten der USA gegenüber der Krise erklären?

Sehr zur Überraschung der sogenannten „Linken“ und der „Extremen Linken“ haben die USA ebenso den Putsch veurteilt und die Rückkehr Zelayas verlangt. Den Aussagen von Hilary Clinton, der US-Außenministerin, haben die US-Botschaft in Honduras und Tom Shannon, Unterstaatssekretär im Außenministerium eine aktive Rolle in den Monaten vor dem Putsch gespielt, um eine Krise zu vermeiden. Die Frage steht im Raum, ob den USA die Lage entglitten ist? Ist die US-Diplomatie derart geschwächt nach der Regierungszeit von Bush?

 

Wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die USA tatsächlich die verschiedenen, im Clinch liegenden Fraktionen der honduranischen Bourgeoisie nicht nicht im Griff haben. Dies wäre ein Anzeichen für den Grad des Zerfalls der Bürgerlichen und der geopolitischen Schwächen der USA in ihrem „Hinterhof“. Für die USA ist es schwierig, sich den Auswirkungen des linken Neopopulismus seitens der Regierungen entgegenzustellen, deren Präsidenten auf demokratische Art gewählt wurden (in vielen Fällen durch eine überwältigende Mehrheit),. Aber sobald diese Leute das Präsidentenamt übernommen haben, übernehmen sie die Kontrolle im Staat und treten als wahre Diktatoren auf mit einem demokratischen make-up. Aber wir meinen, dass diese Vermutung falsch ist. Mit der Verurteilung des Putsches und der Forderung nach der Wiedereinsetzung Zelayas benutzen die USA die Krise in Honduras, um zu versuchen, ihr Ansehen in der Region aufzupolieren, das unter Bush ziemlich ramponiert wurde. Wenn Obama so wie Bush gehandelt hätte (als dieser zum Beispiel den versuchten Staatsstreich gegen Chávez im Apirl 2002 unterstützte), würde damit der Antiamerikanismus in der Region weiter angefacht und die Strategie der diplomatischen Öffnung der neuen Administration unter Obama geschwächt.

Es ist nicht auszuschließen, dass die USA zugelassen haben, dass die Krise in Honduras „ihren Lauf“ nimmt, und die USA die Krise zur Schwächung des Chavismus in der Region ausnutzen wollen. Die Vorgehensweise der USA zwingt Chávez , „die Suppe auszulöffeln“, um seinen Zögling Zelaya zu stützen. Auch können die USA somit darauf hoffen, dass die brandstiftende Rolle von Chávez in der honduarnischen Krise sich entblößt.

 

Andererseits wird somit der OAS und anderen Führern in der Region ermöglicht, nach einer Krisenlösung zu suchen, bei der die USA ein weiterer Beteiligter sein würden. So könnte die “amerikanische Gemeinschaft” als Helfer zur Überwindung der Krise auftreten, während es langsam immer deutlicher wird, dass Chávez und Zelaya die Verursacher dieser Krise sind. Die Verwerfung der Entscheidung der OAS, Zelaya als gewählten Präsidenten zu betrachten, die Maßnahmen der Micheletti-Regierung am 5.Juli, die Landung des aus Washington kommenden venezolanischen Flugzeuges mit Zelaya an Bord zu verhindern, haben die Krise nur noch weiter verschärft und Chávez geschädigt, der dahinter ein Drahtziehen des “Yankee-Imperialismus” sah und von Obama, der “Opfer dieses Imperialismus” sei, forderte, dass dieser viel energischer in Honduras eingreife.

Zweifelsohne ist die Lage für die USA sehr kompliziert. Einerseits wollen sie Chávez und seinen Nachläufern eine Lehre erteilen; andererseits zwingen sich den USA andere geopolitische Prioritäten auf – wie Afghanistan, die Krise mit Nordkorea usw. Darüber hinaus kann der Fäulnisprozess der honduranischen Bourgeoisie wie der Bourgeoisie der ganzen Region eine unkontrollierbare Lage hervorrufen. Wir haben soeben erfahren, dass Zelaya die Vermittlung auf Bitten der US-Außenministerin H. Clinton durch den Präsidenten Costa Ricas Oscar Arias angenommen habe. Damit wird die zentrale Rolle der USA in dieser Krise ersichtlich.

 

Einige Überlegungen zur Geopolitik in der Region

Die Krise in Honduras ist von größerem Ausmaß als die jüngste Krise zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela hinsichtlich der Frage des FARC, bei der ebenso die Regierung Chávez an herausragender Stelle mit beteiligt war. Nicaragua, das mit Chávez verbunden ist, steht in einem Konflikt mit Kolumbien hinsichtlich des Archipels St. Andrés in der Karibik. Bei diesen Konflikten war immer die Rede von Mobilisierung von Truppen. Auch Venezuela setzte an der kolumbianischen Grenze seine Truppen in Marsch, als der Konflikt mit Ecuador losbrach. Obgleich diese Mobilisierungen das Ziel verfolgen, einen möglichst großen Medienwirbel zu verursachen, um die Arbeiterklasse und die Bevölkerung insgesamt abzulenken, benutzt die herrschende Klasse auf dem Hintergrund des Versinkens in der Krise und ihrem Zerfall eine immer kriegerische Sprache und immer mehr militärische Mittel. So ist der Einfluss Chávez und seiner Anhänger bei den letzten Krisen und Zusammenstößen in Bolivien zu spüren, bei den Wahlfälschungen, welche die Opposition in den letzten Wochen bei den Kommunalwahlen in Nicaragua anprangerte, und die peruanische Regierung verurteilte auch, dass sich Bolivien und Venezuela bei den Zusammenstößen von Bagua eingemischt hätten. Es wurden Bündnisse mit Staaten und Organisationen aufgebaut, welche sich durch ihren radikalen Antiamerikanismus auszeichnen: Iran, Nordkorea, Hamas usw. Andererseits hat sich die Lage in Venezuela im Lande ziemlich zugespitzt infolge rückläufiger Öleinkünfte (im Wesentlichen aufgrund der Geopolitik des venezolanischen Staates) aufgrund der Krise und der Entwicklung von Arbeiterkämpfen, welche die Regierung dazu zwingen, ein Klima starker Spannungen nach Innen und Außen aufrechtzuerhalten.

 

 

Die USA befinden sich im Nachteil, um Ordnung in ihrem Hinterhof herzustellen. Regionale Bourgeoisien wie die Mexikos, welche sich dem Chavismus und den politischen Krisen in ihrem natürlichen Einflussgebiet Zentralamerika entgegenstellen könnten, sind offenbar durch innere Krisen und die Auseinandersetzungen mit den Drogenhändlern beansprucht. Ein US-amerikanischer Senator meinte gar vor kurzem, es gebe keinen mexikanischen Staat mehr. Kolumbien, die US-Bastion in der Region, hat keine freie Hand, um der Offensive Chávez entgegenzutreten; stattdessen stehen Kolumbien und Venezuela in einem sehr zerbrechlichen Verhältnis zueinander. Brasilien, wiederum, das wirtschaftliche Interessen in Zentralamerika verfolgt (das Land hat viel Geld in den Anbau von Biokraftstoffen in der Region investiert), hat schon geopolitische Schritte eingeleitet, was zu einer Verstärkung seiner regionalen Vormachtstellung geführt hat. Scheinbar hat es genauso wenig wie die anderen Länder ein großes Interesse daran, eine von Chávez angestachelte Krise zu lösen. Die beiden treten als Rivalen in der Region auf. Vermutlich wird es Venezuela "im eigenen Saft schmoren lassen", obwohl es auch Anzeichen dafür gibt, für eine gewisse Stabilität in der Region sorgen zu wollen. Es handelt dabei als eine Macht, die sich ihren eigenen Freiraum in der Region verschaffen will; deshalb gerät es auch mit den USA aneinander. Die Perspektiven in der Region deuten klar auf mehr Konflikte hin; dies wiederum wird umfangreiche Kampagnen erforderlich machen um zu versuchen, die Arbeiterklasse dafür einzuspannen. Dabei wird es zu einer politischen Polarisierung um diese Fragen kommen. Diese Fragen müssen im internationalistischen Milieu vertieft werden.

 

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Arbeiterklasse?

Zweifelsohne geht die herrschende Klasse aus dieser Krise verstärkt gegenüber der Arbeiterklasse hervor. Gleich ob Zelaya zurückkehrt oder nicht, die politische Polarsierung in Honduras ist losgetreten worden und wird weiter an Schärfe zunehmen. All dies führt zu Spaltungen und Konfrontationen innerhalb der herrschenden Klasse selbst, wie wir es in Venezuela, Bolivien, Nicaragua und Ecuador sehen. Andererseits wird die herrschende Klasse die Lage ausschlachten, um die demokratische Mystifikation zu verstärken. Sie wird vorgeben, sie sei in der Lage sich selbst zu kritisieren, um die staatlichen Institutionen zu säubern. Deshalb wird der Wirbel um die anstehenden Wahlen die demokratische Mystifizierung verstärken.


Die Krise wird die Verarmung in einem der ärmsten Länder Zentralamerikas weiter verschärfen. Die Geldüberweisungen, die die Auslandshonduraner an ihre Familien leisten (ca. 25% des BIP) versiegen langsam. Der gesellschaftliche Zerfall, der Hunderttausende Jugendliche dazu verurteilt, vom Bandenwesen zu « leben », die Kriminalität und Drogen, wird sich aufgrund der Krise und des politischen Zerfalls in den Reihen der Herrschenden noch zuspitzen. Diese Masse Armer ist ein ausgezeichneter Nährboden für das Aufkommen neuer lokaler oder regionaler Gestalten wie Chávez, welche jeweils Hoffnung unter den Verarmten verbreiten, aber nie einen wirklichen Ausweg anbieten. Deshalb muss das honduranische Proletariat, aber auch das Proletariat in der Region und auf der Welt sowie das internationalistische Milieu jegliche Unterstützung irgendeines Flügels der nationalen oder regionalen Bourgeoisie verwerfen. Man muss die politische Polarisierung, die durch die Konflikte unter den Herrschenden gezeugt wird und schon viele Opfer gefordert hat, ablehnen. Die Auseinandersetzungen in Honduras zeigen, dass der Kapitalismus immer mehr verfault und Teile der Herrschenden (in einen Land oder zwischen kleinen, mittelstarken und größeren Ländern )immer mehr aneinander geraten. Diese Konflikte werden sich noch mehr zuspitzen. Ungeachtet seiner zahlenmäßigen Schwäche kann nur der Kampf der honduranischen Arbeiter auf ihrem Klassenterrain mit Unterstützung des Proletariats in der Region und auf der Welt sich dieser ganzen Barbarei entgegenstellen. Internacionalismo, 12.07.09

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Honduras [107]
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Leute: 

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Mexiko: Die Liquidierung von Luz y Fuerza del Centro (LyFC) (staatlich kontrollierter Energielieferant Mexikos)

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(Der nachfolgende Text wurde jüngst in Mexiko von drei Gruppen gemeinsam verfasst und als Flugblatt verteilt:   Grupo Socialista libertario,  Revolución Mundial Sektion in Mexico der Corriente Comunista Internacional (IKS) und Proyecto Anarquista Metropolitano)

Entlassungen und mehr Angriff: Wir müssen kämpfen, aber nicht unter den Gewerkschaften!

Am Samstagabend, den 10. Oktober, besetzte die Bundespolizei alle Stationen und Zentren von LyFC;[1] ihr Vorgehen entsprach dem Präsidentendekret, das die Auflösung des Unternehmens und die Entlassung von ca. 44.000 Beschäftigten angeordnet  hatte. Dies hat eine große Verwirrung, gar einen Schock, Wut und ein Gefühl der Ohnmacht ausgelöst… und damit der Arbeiterklasse einen weiteren Schlag durch den Staat versetzt. Diese Situation verlangt notwendigerweise, dass nach Methoden und Reaktionen des Widerstandes gesucht wird, die von der Einheit unserer Klasse ausgehen.

Der Angriff ist gegen uns alle gerichtet, wir müssen uns gemeinsam wehren!

Die sich weiter ausdehnende Wirtschaftskrise, die die gesamte kapitalistische Welt erfasst hat, zwingt die Herrschenden in jedem Land dazu, immer brutalere Maßnahmen zu ergreifen, um die schlimmsten Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Durch diese „Anpassungsmaßnahmen“ verschlechtern sich die Lebensbedingungen der Beschäftigten, gleichzeitig erfolgen Angriffe auf  ihre Renten, Löhne, Sozialleistungen usw. Weil die Kapitalisten versuchen, sich somit über Wasser zu halten, haben die Regierungen in allen Ländern den Weg eingeschlagen, „die Renten anzupassen“ (d.h. zu senken), die Lebensarbeitszeit zu erhöhen. Überall nimmt die Kaufkraft ab, die Arbeitsbedingungen werden immer unerträglicher, und die Arbeitslosigkeit ist schlussendlich der Gipfel unseres Alltagselends.

Was wir in Mexiko erleben, ist also keine „Folklore oder einen Fehltritt“ im Kapitalismus. Der Staat, der der Repräsentant der herrschenden bürgerlichen Klasse ist, hat zur Aufgabe, stets deren  Interessen auszufechten. Dies trifft auf rechte wie linke Regierungen zu.

Die LyFC aufzulösen war schon lange ein Vorhaben der Herrschenden. Ihre Umsetzung war lediglich verzögert worden, weil sie (wer ist „sie“?) sich auf die gewerkschaftlichen Strukturen verlassen konnten (erinnert sei daran, dass die SME [mexikanische Gewerkschaft] seinerzeit den Präsidentschaftskandidaten Carlos Salinas unterstützte und dass dieser mit der Wiederherstellung des Betriebes liebäugelte).

Doch die Zuspitzung der Krise hat die Herrschenden vor eine neue Lage gestellt, in der es keinen Weg mehr zurück gibt; die katastrophale Lage lässt sich nicht mehr leugnen. Hinzu kommt die Notwendigkeit für das Kapital, die Gewerkschaften zu reformieren. Dabei will es keineswegs die Gewerkschaften zerstören, wie die Linke des Kapitals fälschlicherweise vorgibt. Die Arbeiter haben am eigenen Leib die Erpressungen und das Joch der Gewerkschaften erfahren und gesehen, wie diese die Unzufriedenheit im Griff zu halten und die Mobilisierungen zu sabotieren versuchen. Ungeachtet all der schönen Reden sind die Gewerkschaften Feinde der Arbeiterklasse, von denen die Herrschenden verlangen, dass sie besser und gewiefter die Ausbeutung der Arbeiterklasse durchsetzen und aufrechterhalten.

Erinnern wir uns an die gewaltige Kampagne der Diffamierung und Degradierung, die monatelang gegen die Beschäftigten der Elektrizitätswerke geführt wurde, welche in der Öffentlichkeit als „Privilegierte“, „Ineffiziente“ usw. dargestellt wurden, so dass es heute vielen Arbeitern schwerfällt zu begreifen, dass man diesem Angriff gegen die Elektriker entgegentreten muss (heute sind sie an der Reihe, morgen sind andere dran!).

Die Beschäftigten dürfen die Lügen der Herrschenden und ihrer treuen Diener nicht schlucken: Die Schließung von LyFC bringt dem „mexikanischen Volk“ keinen Nutzen; es handelt sich um einen Frontalangriff gegen die Arbeiterklasse insgesamt. Die neuen Arbeitsverträge (für die übrig gebliebenen Beschäftigten) werden sicherlich viel schlechter sein, während viele schlicht und ergreifend in die Arbeitslosigkeit abgeschoben werden.

Die Herrschenden und ihr politischer Apparat wollen uns die folgende Botschaft eintrichtern: So wie diese Beschäftigten nichts unternehmen konnten, obwohl sie eine „mächtige Gewerkschaft“ an ihrer Seite haben, müssen sich alle Beschäftigten den Bedürfnissen des Kapitals und seines Staates beugen und weitere Opfer hinnehmen. Aber die Arbeiterklasse darf ihren Kampf gegen den Kapitalismus nicht aufgeben. Die Angriffe von heute kündigen nur noch viel Schlimmeres an, falls wir uns nicht als Klasse zur Wehr setzen. In Anbetracht all der Angriffe, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, und in Anbetracht der Preissteigerungen und der verstärkten Repression (mit der Verstärkung des Polizei- und Armeeapparates) ist es unabdingbar, dass alle Teile der Arbeiterklasse – Beschäftigte und Arbeitslose, Stammbelegschaften und Leiharbeiter oder Schwarzarbeiter - die Notwendigkeit ihres Zusammenschlusses anerkennen und darauf hinarbeiten. Dazu müssen wir unsere Feinde erkennen.

Gewerkschaften, Regierung und politische Parteien: Alle sind unsere Feinde!

Um diesen Angriff ohne große Mühe über die Bühne zu bringen, haben sich die Kräfte der herrschenden Klasse die Arbeit geteilt. Die einen provozierten mit dem sinnlosen Kampf zwischen verschiedenen Gewerkschaftsflügeln, die sich in Wahlen gegenüberstanden, eine Spaltung unter den  Elektrikern. Andere wiederum stellten die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen als einen „Angriff auf die Gewerkschaften und die demokratischen Freiheiten“ dar, und wiederum andere machten Stimmung gegen die Beschäftigten, die sie als „Privilegierte“ darstellten. Diese Vorgehensweise erleichterte schließlich ihr Vorhaben, das darin bestand, Arbeiter für eine „Verteidigung der Gewerkschaften“ zu mobilisieren oder für die „Verteidigung des Betriebes und der Volkswirtschaft“ einzuspannen. Solche Forderungen führen nämlich nur dazu, dass die verschiedenen Teile der Arbeiterklasse aus den Augen verlieren, ihre Forderungen als ausgebeutete Klasse zu stellen!

Nach diesem Schlag gegen die Arbeiter wird man jetzt den Überraschungseffekt auszunutzen versuchen und danach streben, die Niederlage und Demoralisierung noch zu verstärken. Die Gewerkschaft spielt dabei eine wirklich reaktionäre Rolle. Heute mit den Gewerkschaften zu kämpfen heißt daher, die Niederlage in Kauf zu nehmen, denn die Gewerkschaften haben zusammen mit dem Staat die Beschäftigten erst in diese Lage gedrängt. Sie werden jetzt die Beschäftigten nicht dazu ermuntern, sich zu wehren - im Gegenteil. Heute zum Beispiel verbreitet die Gewerkschaft SME den Aufruf, man solle eine „juristische Schlacht, vor den Gerichten“ durchführen. Damit werden aber die Beschäftigten erneut in eine Sackgasse gedrängt. Sie sollen Mittel ergreifen, die sie der Hilflosigkeit preisgeben. Erinnern wir uns, wie die Gewerkschaften nach der Änderung der Sozialgesetzgebung die Kämpfe zersplitterten, die Unzufriedenheit verpuffen ließen und die Mobilisierung dank juristischer Ablenkungsmanöver abwürgten. Die juristischen Auseinandersetzungen, in welche die Gewerkschaften die Beschäftigten hineindrängen wollen, führen nur zu sinnlosen Geplänkeln, da die Arbeiter auf dieser Ebene nicht als Klasse handeln, sondern als „Bürger“, die „die Gesetze respektieren und schützen“. Dabei liefern all diese Gesetze nur den juristischen Rahmen für die Rechtfertigung unserer prekären Arbeitsbedingungen und unsere Verarmung.

Es liegt auf der Hand, dass die Gewerkschaften keine Einheit bewirken und eine wirkliche Solidarität verhindern wollen; stattdessen wollen sie uns spalten. Die Tatsache, dass heute die Regierung zu solch einem Schlag gegen die Elektriker ausgeholt hat, kommt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, sondern wurde nur möglich dank der vorher erfolgten Spaltung durch die Gewerkschaften.

Die Strategie der Herrschenden zur Durchsetzung ihres Schachzugs besteht darin, die tatsächlich vorhandene Unzufriedenheit der Elektrizitätsbeschäftigten zu untergraben und zu verhindern, dass die Klassenbrüder und -schwestern ihre Solidarität zum Ausdruck bringen. Sie werden alles unternehmen, um die Reaktionen der Arbeiter auf das Terrain der Verteidigung der Nation und der Gewerkschaften zu zerren; d.h. uns in einen Kampf zu locken, bei dem das kapitalistische Ausbeutungssystem nicht in Frage gestellt wird; schlussendlich werden sie uns dazu aufrufen, unsere ganze Unzufriedenheit beim nächsten Wahlzirkus zum Ausdruck zu bringen.

Es gibt keinen anderen Weg:  Gemeinsam kämpfen, die Solidarität als Klasse herstellen!

Die Solidarität ist keine gewerkschaftliche Pantomime, bei der ein gewerkschaftlicher Bonze dem anderen seine Unterstützung erklärt; genauso wenig ist sie eine „moralische Unterstützung“. Echte Solidarität kommt dadurch zustande, dass man selbst in den Kampf tritt. Heute sehen sich die Elektriker, genau wie viele andere Beschäftigte auch, Angriffen ausgesetzt; die anderen Beschäftigten müssen ihre wirkliche Solidarität zum Ausdruck bringen, indem sie selbst den Kampf aufnehmen; indem sie die Gräben überwinden, die zwischen den (noch) Beschäftigten und Arbeitslosen, zwischen verschiedenen Wirtschaftsbranchen und zwischen den Regionen bestehen. Dazu muss zu Vollversammlungen aufrufen werden, die allen Arbeitern offenstehen (Aktiven und Arbeitslosen und anderen Bereichen). Auf diesen Versammlungen muss offen über die Lage geredet werden, in der wir uns alle befinden. Dadurch kann die Unzufriedenheit in Aktionen und Mobilisierungen münden, die von den Betroffenen selbst kontrolliert werden und nicht in den Händen der Gewerkschaften liegen.

Um den Schlag gegen die Arbeiter abzuschließen, werden die Gewerkschaften die Elektrizitätsbeschäftigten von den anderen Beschäftigten zu isolieren und sie für ihre Art von Mobilisierung einzuspannen versuchen, wie die von López Obrador, die darauf abzielt, die Beschäftigten zu fesseln und zu verhindern, dass sie ihre eigenen Kampfinstrumente entwickeln. So sollen die Betroffenen in die falsche Auseinandersetzung zwischen Staatsbetrieb und Privatbetrieb gelockt werden. Deshalb müssen die Beschäftigten angesichts dieser Angriffe, mit denen sie es zu tun haben, gemeinsam nachdenken. Dies muss außerhalb und gegen den Willen der Gewerkschaften geschehen. Nur so können sie sich wirksam zur Wehr setzen. Wenn wir unser Schicksal in die Hände der Gewerkschaften und der politischen Parteien legen, sind wir zur Niederlage verurteilt. Ein Kampfruf des Proletariats geht erneut um die Welt: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiter selbst sein“. Die Ausgebeuteten haben nichts zu verlieren als ihre Ketten!

Oktoer2009

Grupo Socialista libertario

https://webgsl.wordpress.com/ [116]

  Revolución Mundial

Sektion in Mexico der Corriente Comunista Internacional (IKS)

[email protected] [117]

  Proyecto Anarquista Metropolitano

proyectoanarquistametropolitano.blogspot.com

[1]staatlich kontrollierter Energielieferant Mexikos

Aktuelles und Laufendes: 

  • LyFC [118]
  • Arbeiterkämpfe Mexiko [119]
  • Luz y Fuerza del Centro LyFC [120]

Zusammenarbeit und Annäherung zwischen revolutionären Gruppen: Welche Kriterien (Leserbrief)

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Ein Leser, der seine Zuschrift mit JM unterzeichnet, hat auf unserer Webseite einen sehr interessanten Kommentar verfasst, in dem die Frage der notwendigen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen revolutionären Gruppen aufgeworfen wird. In seiner Zuschrift, die mit "Bedingungen für Bündnisse und Annäherungen zwischen Organisationen" betitelt wird, fragt der Genosse, welche Kriterien die IKS bei ihrer Zusammenarbeit mit einer anderen Organisation verwendet.

Ein Leser, der seine Zuschrift mit JM unterzeichnet, hat auf unserer Webseite einen sehr interessanten Kommentar verfasst, in dem die Frage der notwendigen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen revolutionären Gruppen aufgeworfen wird. In seiner Zuschrift, die mit ”Bedingungen für Bündnisse und Annäherungen zwischen Organisationen” betitelt wird, fragt der Genosse, welche Kriterien die IKS bei ihrer Zusammenarbeit mit einer anderen Organisation verwendet.

Unsere nachfolgende Antwort greift zum Teil auf die verschiedenen Kommentare zurück, die im Verlaufe dieser Diskussion verfasst wurden. Wir möchten alle unsere Leser/Innen ermuntern, sich an den Diskussionen auf unserer Webseite zu beteiligen, Kommentare zu verfassen, Kritik zu üben oder Fragen zu stellen zu unseren Artikeln oder Vorschläge zu machen.

Die Zuschrift von JM

In euren Artikeln versucht ihr manchmal, euch anderen Gruppen zu nähern. Zum Beispiel den Anarchisten. 

Habt ihr ein offizielles Dokument, das sich mit den Bedingungen für Bündnisse und Annäherungen befasst? Oder geht ihr jeweils von Fall zu Fall vor?

Zum Beispiel hat eine trotzkistische Organisation CIQI vor kurzem ihre Unterstützung der Gewerkschaften, die sie seit langem verteidigten, aufgegeben. Bei dieser Frage haben sie sich der Kommunistischen Linken angenähert. (https://wsws.org/francais/News/2009/sep2009/opel-s19.shtml [121])

Man hat manchmal den Eindruck, wenn sich Organisationen annähern oder von einander abrücken, geschieht dies oft infolge bürokratischer Prinzipien, um nicht zu sagen aus Opportunismus.  In dem einen Fall mag eine Organisation nicht mit einer anderen diskutieren, weil die eine von der anderen aufgesaugt werden könnte. Dies spiegelt eine organisatorische Schwäche wider. In dem anderen Fall fühlen sich die Mitglieder der ersten Organisation nicht sattelfest und befürchten, sie könnten durch die andere Organisation einem ”schlechten” Einfluss unterworfen werden. Dies spiegelt eine theoretische Schwäche wider.

Man kann auch behaupten, dass eine Diskussion nicht wünschenswert ist, wenn sie keinen neuen theoretischen Beitrag leistet oder eine Zusammenarbeit zu einer konkreten Frage ermöglicht. Aber ich habe das Gefühl, dass man die technischen Aufgaben nicht gemeinschaftlich genug anpackt, die doch eigentlich politisch neutral sein sollten (Transport, Unterkunft, Informationen usw.) und die politische Zusammenarbeit bei konkreten Fragen (Wortmeldungen in Vollversammlungen usw.) ein wenig auf gut Glück geschieht, ohne dass weitere Schritte folgen. Meines Erachtens bräuchte man einen Text, in dem man aufzeigt, unter welchen Bedingungen und warum eine Zusammenarbeit mit Mitgliedern einer Organisation möglich ist. Dieser Text sollte nicht zu restriktiv noch zu weitgehend formuliert sein, um die Organisation nicht zu lähmen oder zu untergraben. Solch ein Text wäre sehr nützlich. Was haltet ihr davon?

“Nur diejenigen, die nicht genügend Selbstvertrauen haben, fürchten vorübergehende Bündnisse, selbst mit unsicheren Leuten. Keine politische Partei könnte ohne diese Bündnisse bestehen”. (Was tun? Lenin).” 

Antwort der IKS

JM wirft eine wesentliche Frage in seinem Beitrag auf. Seit einigen Jahren hat die Arbeiterklasse einen langsamen, aber tiefgreifenden Prozess des Nachdenkens angefangen. Sie wird sich immer mehr über den desaströsen Zustand des Kapitalismus und seiner Unfähigkeit, der Menschheit irgendeine Zukunft anzubieten, bewusst. Konkret, über die noch viel zu selten stattfindenden Kämpfe hinaus wird diese Dynamik vor allem ersichtlich anhand eines reichhaltigeren Lebens in den Reihen des revolutionären Milieus. Relativ alte Gruppen (wie OPOP in Brasilien) und andere noch jüngere oder gerade erst entstandene Gruppen wie auch in Erscheinung getretene Individuen versuchen ein internationales Netz aufzubauen, innerhalb dessen eine offene und brüderliche Debatte stattfindet (2). Die Revolutionäre sind heute auf der ganzen Welt erst ein kleiner Haufen; nichts ist verheerender als die Isolierung. Der Aufbau von Verbindungen und Debatten auf internationaler Ebene ist also lebenswichtig. Die Divergenzen, wenn sie offen und aufrichtig diskutiert werden, sind eine Quelle der Bereicherung für das Bewusstsein der ganzen Arbeiterklasse.

Aber was so augenfällig ist, ist noch nicht für jeden selbstverständlich. Innerhalb des revolutionären Lagers herrscht heute noch eine gewisse Zerstreuung vor;  man arbeitet wenig gemeinsam, schlimmer noch - es gibt noch viel Sektierertum! Die verschiedenen Standpunkte und Analysen,  welche leider keine aufrichtigen Debatten auslösen, sind viel zu oft ein Vorwand für den Rückzug auf sich selbst. Es gibt eine Tendenz zur Verteidigung der eigenen "Kapelle", eine Art Krämergeist, der eigentlich in der Arbeiterklasse nicht vorhanden sein sollte (um dies zu verdeutlichen, benutzt die IKS lieber den Begriff der "Zusammenarbeit”, "gemeinsame Arbeit", "gemeinsame Stellungnahmen" usw. statt "Bündnis", wie JM es tut). Die Revolutionäre stehen in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander. Wir stimmen also vollkommen überein mit JM, wenn er schreibt: “Man hat manchmal den Eindruck, wenn sich Organisationen annähern oder von einander abrücken, geschieht dies oft infolge bürokratischer Prinzipien, um nicht zu sagen aus Opportunismus.  In dem einen Fall mag eine Organisation nicht mit einer anderen diskutieren, weil die eine von der anderen aufgesaugt werden könnte. Dies spiegelt eine organisatorische Schwäche wider. In dem anderen Fall fühlen sich die Mitglieder der ersten Organisation nicht sattelfest und befürchten, sie könnten durch die andere Organisation einem ‘schlechten’ Einfluss unterworfen werden. Dies spiegelt eine theoretische Schwäche wider.”

JM hat auch Recht zu verlangen, dass solch eine Zusammenarbeit sich auf klare Kriterien stützt und dass man nicht nach taktischen Erwägungen vorgeht. Die kapitalistische Gesellschaft, so lautet eine Grundlage des Marxismus, ist in zwei unversöhnliche Lager mit entgegengesetzten Interessen gespalten:  die bürgerliche Klasse und die Arbeiterklasse. Die ganze Politik unserer Organisation fußt auf dieser Methode. Aus der Sicht der IKS ist in der Tat die größtmögliche Zusammenarbeit zwischen den Organisationen, die dem proletarischen Lager angehören, und die größte Standhaftigkeit gegenüber dem bürgerlichen Lager erforderlich. Dies bedeutet, dass man die grundlegenden Unterschiede zwischen diesen beiden Lagern festlegen muss. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass dieser Unterschied offensichtlich ist. Denn schließlich beruft sich jede Organisation offiziell auf eine Strömung, sei es indem sie offen das gegenwärtige System unterstützt (im Allgemeinen die Rechten), oder indem man behauptet, die Interessen der Arbeiter zu verteidigen (was die Linken und die extremen Linken von sich beanspruchen). Es gibt zahlreiche Gruppen, die von sich behaupten, revolutionär zu sein: Kommunisten, Trotzkisten, Maoisten (die heute zahlenmäßig geschrumpft sind), offizielle Anarchisten…

Aber was eine Organisation von sich selbst behauptet, reicht nicht aus. Die Geschichte wimmelt von Beispielen von Organisationen, die mit der Hand auf dem Herz schwören, die Sache der Arbeiterklasse zu verteidigen, um ihr so nur besser ein Messer in den Rücken stoßen zu können.  Die deutsche Sozialdemokratie behauptete 1919 von sich, eine Arbeiterorganisation zu sein, während sie gleichzeitig den Mord an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Tausenden anderen Arbeitern organisierte. Die stalinistischen Parteien haben die Arbeiteraufstände von Berlin 1953 und Ungarn 1956 im Namen des "Kommunismus" (d.h. im Interesse der UdSSR) blutig niedergeschlagen.

Wenn die "Verpackung" nicht ausreicht, um das Wesen einer Organisation zu definieren, nach welchen Kriterien soll man deren "Inhalt" dann einschätzen (Programm, Plattform mit den politischen Positionen) ?

JM unterstreicht, dass eine trotzkistische Gruppe, die CIQI, jetzt nicht mehr die Gewerkschaften unterstützt. Er meint, dass bei diesem Punkt die CIQI sich der "Kommunistischen Linken genähert" habe (eine Strömung, aus der die IKS hervorgegangen ist). Aber dieses Kriterium allein reicht nicht aus oder es ist nicht entscheidend für solch eine Annäherung.  Gab es doch in Frankreich in den 1970er Jahren maoistische Organisationen wie die Proletarische Linke (welche die Zeitung "Cause du Peuple" herausbrachte), welche die Gewerkschaften auch als bürgerliche Organe ansahen, was sie aber nicht daran hinderte, sich auf Stalin und Mao zu berufen, welche zwei verschworene Feinde und Mörder der Arbeiterklasse waren!

Eine politische Position allein kann deshalb nicht über das Wesen einer Organisation entscheiden. Aus der Sicht der IKS gibt es grundsätzliche Kriterien. Die Unterstützung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus bedeutet, sowohl unmittelbar gegen die Ausbeutung anzukämpfen (bei Streiks zum Beispiel), als auch immer das historische Ziel vor Augen zu haben: die Überwindung des Ausbeutungssystems durch die Revolution. Dazu darf eine Organisation auf keine Weise irgendeinen Teil der Bürgerlichen (auch nicht auf "kritische", "taktische" Art oder unter dem Vorwand der Wahl des "geringeren Übels") unterstützen: weder die "demokratische" Bourgeoisie gegen die "faschistische" Bourgeoisie, weder die Linke gegen die Rechte, noch die palästinensische gegen die israelische Bourgeoisie usw.. Solche eine Politik hat zwei konkrete Auswirkungen:

1) Man muss jede Unterstützung von Wahlen und Zusammenarbeit mit den Parteien ablehnen, die das kapitalistische System verwalten oder als Verteidiger des Systems in der einen oder anderen Form tätig sind (Sozialdemokratie, Stalinismus, "Chavismus" usw.) .

2) Vor allem bei jedem Krieg muss man einen unnachgiebigen Internationalismus aufrechterhalten, indem man sich weigert, das eine oder andere imperialistische Lager zu unterstützen. Während des 1. Weltkriegs wie während aller Kriege im 20. Jahrhunderts haben all die Organisationen, die diese Politik nicht vertreten haben, den Boden des Kommunismus verlassen und eine der beteiligten imperialistischen Seiten unterstützt; sie haben dabei die Arbeiterklasse verraten und sind dabei endgültig ins Lager der Bürgerlichen gewechselt.

Die Frage der Anarchisten und Trotzkisten

Die kurze Nachricht von JM wirft tatsächlich die Frage auf: Welchem Lager ordnet die IKS die Anarchisten und die Trotzkisten zu?

Die meisten Anarchisten berufen sich nicht auf den Marxismus und vertreten bei vielen Fragen ganz andere Positionen als die IKS. Jedoch wie JM bemerkte: "In euren Artikeln versucht ihr manchmal euch anderen politischen Gruppen anzunähern. Zum Beispiel den Anarchisten." In der Tat laufen seit einigen Jahren Diskussionen zwischen bestimmten anarchistischenen Gruppen oder Individuen und der IKS. Zum Beispiel arbeiten wir mit der KRAS in Russland zusammen (Sektion der anarcho-syndikalistischen AIT), wobei wir ihre internationalistischen Positionen z.B. gegenüber dem Tschetschenienkrieg veröffentlicht und begrüßt haben. Die IKS betrachtet diese Anarchisten, mit denen wir diskutieren, trotz unserer Differenzen als einen Teil des proletarischen Lagers. Warum? Weil sie sich von all den Anarchisten (wie denjenigen der Anarchistischen Föderation) und all jenen "Kommunisten" (wie denjenigen der KPF) abgrenzen, die theoretisch den Internationalismus beanspruchen, sich diesem aber in der Praxis widersetzen, indem sie bei jedem Krieg eine Kriegsseite gegen die andere unterstützen. Man darf nicht vergessen, dass 1914 bei Ausbruch des Weltkrieges und 1917 während der Russischen Revolution die "Marxisten" der Sozialdemokratie auf Seiten der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse standen, während die spanische CNT den imperialistischen Krieg anprangerte und die Revolution unterstützte! Aus diesem Grunde wurde sie übrigens zum 2. Kongress der Kommunistischen Internationale eingeladen.

Was die Trotzkisten betrifft, denken die meisten, die mit dieser Strömung sympathisieren, aufrichtig, sie kämpften für die Abschaffung des Kapitalismus (was auch viele innerhalb der anarchistischen Strömung denken). Die von der [in Frankreich jüngst gegründeten Partei] NPA angezogenen Jugendlichen sind oft echt empört über die Unmenschlichkeit dieses Ausbeutungssystems. Aber unser Leser sollte sich fragen, ob in Anbetracht der oben erwähnten "grundlegenden Kriterien" der Trotzkismus als Strömung (mit den Organisationen, die sich auf ihn berufen) nicht ins Lager der Bourgeoisie übergewechselt ist. Denn sie haben sich am 2. imperialistischen Weltkrieg auf der Seite der Résistance beteiligt, die UdSSR unterstützt (d.h. das russische imperialistische Lager), HoChiMinh im Vietnamkrieg und heute Chavez unterstützt. Weiter haben sie [in Frankreich] zur Wahl der Linken im zweiten Wahlgang bei den Wahlen aufgerufen (d.h. für Chirac 2002), sind Wahlbündnisse mit der KPF und der PS eingegangen (insbesondere bei Kommunalwahlen), haben gemeinsam eine Wahlkampagne zur Ablehnung des Referendums zur Europawahl im Mai 2005 gemacht.

Aber in Anbetracht dieser fälschlicherweise als proletarisch ausgegebenen, tatsächlich aber eindeutig bürgerlichen Politik ist es sehr wohl möglich, dass Arbeiter, auch wenn sie in diesen Organisationen aktiv sind, sich Fragen stellen und kraft ihres Nachdenkens dazu kommen, sich von diesen Organisationen zu lösen und proletarischen Positionen annähern. Während eine Organisation nicht als solche vom bürgerlichen ins proletarische Lager wechseln kann, ist es immer möglich, dass kleine Minderheiten oder – wahrscheinlicher - einzelne Leute, die sich individuell vom Nationalismus des Trotzkismus lösen, sich internationalistischen proletarischen Positionen nähern. Dies findet übrigens gegenwärtig zum Teil in Lateinamerika statt, wo die an der Macht befindlichen Linksextremisten (Chavez, Lula usw.) jeden Tag mehr ihr arbeiterfeindliches Wesen in den Augen bestimmter Minderheiten offenbaren.

Die IKS ist immer bereit, mit all diesen Leuten offen und mit Enthusiasmus zu diskutieren!    Tibo, 16. Oktober 2009

 

1)      Dieser "Kommentar" wurde ausgehend von einem Artikel zu den Kämpfen bei Freescale verfasst, die zwischen April und Juni stattfanden ("Freescale: Wie die Gewerkschaften die Bemühungen der Arbeiter zu kämpfen, sabotieren", Révolution Internationale, Nr. 404, Sept. 2009).

2)      In unserer Presse sind wir auf diesen embryonalen Prozess eingegangen. Zwei Beispiele unter vielen: "Internationalistische Erklärung aus Korea gegen Kriegsdrohungen", und "Ein Treffen internationalistischer Kommunisten in Lateinamerika".

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Zusammenarbeit revolutionäre Gruppen [122]
  • Trotzkismus [123]
  • Anarchismus [124]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • "Offizieller" Anarchismus [125]

Dezember 2009

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Die zukünftigen Kämpfe vorbereiten

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Nachfolgend veröffentlichen wir ein Flugblatt des Kollektivs "Einheit an der Basis in Tours" (1). Diese Genossen, von denen die meisten junge Studenten sind, treffen sich, um sich an Vollversammlungen zu beteiligen, die für alle offen stehen. Sie lehnen die branchenspezifischen Abgrenzungen ab, in welche die Gewerkschaften die Kämpfe einzusperren versuchen. Sie waren lange Zeit sehr aktiv und haben versucht, mit Beschäftigten an deren Arbeitsplatz Kontakt aufzunehmen , um mit ihnen zu diskutieren und sie dazu aufzurufen, den Kampf auszudehnen. Dieses Flugblatt hat das große Verdienst, die Frage der revolutionären Perspektive aufzugreifen und die Notwendigkeit hervorzuheben, dass die gesamte kapitalistische Gesellschaft infrage gestellt werden muss.

Gleichzeitig versucht es Lehren zu ziehen und eine Bilanz der jüngsten Kämpfe zu erstellen. Aus unserer Sicht ist dies eine wichtige politische Herangehensweise, die unerlässlich ist für die Vorbereitung zukünftiger Kämpfe.

Nachfolgend veröffentlichen wir ein Flugblatt des Kollektivs "Einheit an der Basis in Tours" (1). Diese Genossen, von denen die meisten junge Studenten sind, treffen sich, um sich an Vollversammlungen zu beteiligen, die für alle offen stehen. Sie lehnen die branchenspezifischen Abgrenzungen ab, in welche die Gewerkschaften die Kämpfe einzusperren versuchen. Sie waren lange Zeit sehr aktiv und haben versucht, mit Beschäftigten an deren Arbeitsplatz Kontakt aufzunehmen , um mit ihnen zu diskutieren und sie dazu aufzurufen, den Kampf auszudehnen. Dieses Flugblatt hat das große Verdienst, die Frage der revolutionären Perspektive aufzugreifen und die Notwendigkeit hervorzuheben, dass die gesamte kapitalistische Gesellschaft infrage gestellt werden muss.

Gleichzeitig versucht es Lehren zu ziehen und eine Bilanz der jüngsten Kämpfe zu erstellen. Aus unserer Sicht ist dies eine wichtige politische Herangehensweise, die unerlässlich ist für die Vorbereitung zukünftiger Kämpfe.

 

Flugblatt des Kollektivs

Kann man unser Schicksal in die Hände von Privatinteressen legen?

Die Wirtschaftskrise verschärft sich. Vom der Finanzwelt ausgehend hat sie mittlerweile alle Bereiche der Wirtschaft erfasst. Standorte werden verlagert oder geschlossen. In der Bauindustrie zum Beispiel sind viele Projekte zum Erliegen gekommen. Aber die Betriebe in dieser Branche sind in der Regel keine Großbetriebe. Sie ziehen weniger die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, welche auf der Suche nach spektakulären Ereignissen sind und vieles entsprechend aufbauschen.

Gasflaschen

Die Rechnung für die Krise der Bourgeoisie (die Besitzer der Produktionsmittel und des Kapitals), die für diese verantwortlich ist, soll von den Arbeitern und den zukünftigen Beschäftigten aller Länder beglichen werden. Unendlich lange ist die Liste der Werksschließungen, Produktionsverlagerungen, Entlassungen, Kurzarbeit usw. geworden, deren Last die Arbeiter tragen sollen. Die Krise führt zu einer Zuspitzung der Gewalt bei den Beziehungen unter den Klassen. Dies hat einerseits zur Folge, dass immer mehr soziale Errungenschaften abgebaut oder ganz abgeschafft werden. Arbeitszeitverlängerungen ("länger arbeiten um mehr zu verdienen"…), Verzögerung des Renteneintrittalters (67 Jahre, gar 70 Jahre …), Verschlechterung der Arbeitszeitregelungen (Sonntagsarbeit…) usw. Damit wird nur ein Ziel verfolgt: Verschärfung der Ausbeutung! Andererseits nimmt die Entschlossenheit der Arbeiter, sich dagegen zu wehren, zu; die Kampfbereitschaft ist größer geworden. Manager werden von Beschäftigten festgesetzt (3M…), es gibt harte Streiks mit Betriebsbesetzungen (Continental…), auf nationaler und internationaler Ebene werden Beziehungen geknüpft, Beschäftigte aus mehreren Werken eines Konzerns treffen sich an einem Ort (Michelin, Caterpillar…) und es kommt zur Kontaktaufnahme mit Beschäftigten anderer Länder (Continental mit Deutschland…), einige haben sogar gedroht, ihre Fabrik in die Luft zu sprengen, um ordentliche Abfindungen zu erhalten (New Fabris….).

Aber diese Kämpfe scheinen nun eine neue Richtung einzuschlagen. Viele kämpferische Beschäftigte haben keine Hoffnung mehr, ihre Jobs zu behalten und damit den Produktionsstandort zu bewahren. Sie wollen, dass bei den Sozialplänen (die Technokratensprache für Massenentlassungen) möglichst viel herausspringt. So sind die Aktionäre gezwungen, mehr Geld herauszurücken als sie geplant hatten; andererseits können die Beschäftigten trotz der geringen Arbeitslosengeldzahlungen ein wenig länger durchhalten. Damit wird die Frage der Würde und der Lebensbedingungen aufgeworfen. Aber all das ändert nichts daran, dass sie – und wir auch – in einer Sackgasse stecken.

 

Und was folgt danach?

Wir stehen vor einer wirklichen Krise der Perspektive. Mit ihrer Politik der Krisenbegleitung bieten die Gewerkschaftsverbände keinen Ausweg aus dieser Sackgasse. Dies zeigt, dass wir uns unbedingt anders organisieren müssen, indem wir versuchen neue Perspektiven zu entwickeln, die einen Bruch mit dem Kapitalismus bedeuten würden. Dies zu tun ist dringend und entscheidend. Wie kann man den Reichtum der Gesellschaft egalitär verteilen? Wie kann man die Vorherrschaft der Aktionäre und anderer kleiner Chefs überwinden, die unseren Alltag zerstören? Letztendlich geht es um unser alltägliches Leben, aber auch um die Zukunft der Menschheit, die Zukunft der Erde – es geht um die Entscheidung für oder gegen eine ganze Gesellschaft! Können die Gewerkschaften einen Raum schaffen, um über unseren Alltag hinaus zu überlegen, wie wir diesen umwälzen? Kann man sich vorstellen, dass die Gewerkschaftsbürokratien die Vorstellungskraft und den Kampf für eine Zukunft begünstigen, in dem die gesellschaftlichen Verhältnisse zum zentralen Anliegen der gesellschaftlichen Organisation werden, und wo nicht mehr die Jagd nach Profiten für eine raffgierige Minderheit im Vordergrund steht?

Der Erfolg der großen Mobilisierungen vom 29. Januar und 19. März bot Anlass zu Hoffnung. Aber wir müssen uns eingestehen, dass all das, was die Gewerkschaften seitdem veranstaltet haben, überhaupt nicht unseren Erwartungen entspricht. Die meisten Gewerkschaftsführungen haben sich damit zufrieden gegeben, mit der Regierung zu reden, "Aktionstage" zu veranstalten. Konkret ist daraus nichts wirklich Positives hervorgegangen, um die Stellung der Arbeiter und aller Unterdrückten zu stärken und die Klassensolidarität zu entfalten. Das hat zu den Friedhofsprozessionen vom 26. Mai und 13. Juni geführt.

 

Viele von uns (Arbeiter, prekär Beschäftigte, Arbeitslose, Rentner, gewerkschaftlich Organisierte…) hofften, raunten oder grölten und wirkten hin auf den unbegrenzten Generalstreik. Aber nichts in diese Richtung wurde unternommen. Die Fesseln, die uns die gewerkschaftlichen Bürokratien angelegt haben, greifen noch. Wir müssen jetzt revolutionäre Perspektiven entfalten, um die kapitalistische Gesellschaft radikal umzuwälzen. Wir müssen uns an der Basis organisieren, Klassensolidarität entfalten, Kampfinstrumente entwickeln, um den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen und heute schon anfangen, eine andere Zukunft aufzubauen!

In den Betrieben, in den Stadtvierteln, in den Universitäten… müssen wir Komitees errichten, unsere Kollektive aufbauen und all die Kampfformen entfalten, die uns als nützlich erscheinen.

Überwinden wir die branchenspezifischen Gräben, die uns schwächen!

Solidarität unter allen Ausgebeuteten und Unterdrückten, egal ob sie in Gewerkschaften organisiert sind oder nicht!

Kämpfen wir für die Einheit unserer Klasse, indem wir klar zwischen Freund und Feind unterscheiden

Wir haben die Schnauze voll von den Krümeln, nehmen wir uns die ganze Bäckerei!

Kollektiv – Einheit an der Basis aus Tours (Sommer 2009)

 

 

Ein Kommentar der IKS

 

Dieses Flugblatt zeigt sehr gut auf, dass eine Minderheit der Arbeiterklasse nicht in Passivität versinken möchte und nicht bereit ist, die Ausbeutungsbedingungen dieser Gesellschaft hinzunehmen.

Auch wenn wir nicht mit allen Formulierungen des Flugblattes einverstanden sind, erscheint uns eine Frage ein zentrales Anliegen zu sein: „Wir müssen jetzt revolutionäre Perspektiven entfalten, um die kapitalistische Gesellschaft radikal umzuwälzen“ (…) Dies wirft die Frage nach einer neuen Gesellschaft auf; und wir teilen voll dieses Anliegen.

(…)

Wir meinen, dass es sich um zentrale Fragen handelt, die in der Tat in der Arbeiterklasse diskutiert und die weiter geklärt werden müssen, um so das allgemeine Nachdenken voranzubringen.

Wir meinen, auf dem Hintergrund der heftigen Angriffe gegen die Arbeiterklasse infolge der Krise, müssen diejenigen, die nach einer Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus suchen, notwendigerweise die Rolle einer Minderheit bei der politischen Vorbereitung der Aktionen und der Interventionen in den zukünftigen Kämpfen ausüben werden. Nach den ersten Keulenschlägen durch die Wirtschaftskrise, die noch lange andauern wird, wird die Arbeiterklasse, sobald sie den Kampf wieder aufnehmen wird, ihre Kämpfe in die eigenen Hände nehmen, die Initiative selbst ergreifen müssen, um einen wirklich kollektiven Kampf zu führen, in denen die Entscheidungen aus echten Vollversammlungen hervorgehen, die allen offen stehen und souverän sind. Die zukünftigen Vollversammlungen, die wirklich lebendig sein müssen, werden das einzige Mittel sein, um den Kampf wirksam und selbständig zu führen. Es wird die Aufgabe der Beteiligten selbst und nicht der Gewerkschaften sein, Entscheidungen zu treffen, was getan werden soll, weil die Gewerkschaften die Kämpfe nur lähmen und sabotieren. Die Arbeiter selbst müssen ihre Solidarität im und durch den Kampf zeigen, kollektiv handeln, indem sie zum Beispiel massive Delegationen zu anderen Betrieben schicken, um sich mit den anderen Beschäftigten in einem gemeinsamen Kampf zusammenzuschließen. Das Herz des Kampfes schlägt durch Initiativen für gemeinsame, branchenübergreifende, offene Vollsammlungen. Nur wenn die Arbeiter den Kampf selbst in die Hand nehmen, wird eine aktive, wirkliche Solidarität möglich sein, die die anderen Klassenbrüder und –schwestern mit einbezieht. Jedoch stößt die Umsetzung dieses Schrittes auf eine Reihe von Hindernissen. Diese können nur aus dem Weg geräumt werden, wenn die Arbeiter selbst, in den Vollversammlungen darüber diskutieren und nach einem Weg suchen, sie gemeinsam zu überwinden. Es besteht kein Zweifel, die Vollversammlungen bleiben eine wirklich proletarische Organisationsform , die eine echte kollektive Kontrolle über den Kampf ausüben können. Sie stellen gewissermaßen Embryonen der späteren Arbeiterräte dar. Diese Organe, in welchen die Arbeiter massenhaft zusammen kommen können, ermöglichen die Vereinigung der Klasse und können zu einer revolutionären Kraft für die Überwindung des Kapitalismus werden. Sie werden die Überwindung der gesellschaftlichen Ausbeutungsverhältnisse mit dem Ziel der Schaffung einer neuen Gesellschaft ermöglichen.

Zusammenfassend möchten wir hervorheben, dass wir uns erlaubt haben, diese Kommentare mit der Sorge zu verfassen, zum Nachdenken beizutragen. IKS (Oktober 2009)

Aktuelles und Laufendes: 

  • Studentenproteste [126]
  • Studentenproteste Frankreich [127]

Ein kurzer Kommentar zum Ablauf des Klimagipfels in Kopenhagen: Das Schicksal des Planeten in den Händen von…

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Wir sind an anderer Stelle schon auf die Ursachen der Umweltzerstörung im Kapitalismus, seine Mittel und Möglichkeiten des Umweltschutzes eingegangen. Auch wollen wir auf die „Ergebnisse“ der Konferenz und die zu erwartende weitere Entwicklung später ausführlicher in unserer Presse eingehen. An dieser Stelle möchten wir nur einige Eindrücke von bürgerlichen Pressebeobachtern mit einigen Kommentaren von uns widergeben.

Nach jahrelangen Vorbereitungen, bei denen keine Einigung über die konkreten Schritte erreicht werden konnte, begann Anfang Dezember 2009 der Verhandlungsmarathon mit Delegierten aus mehr als 192 Staaten. Zum Schluss trafen immer mehr Staatschefs ein, um dem Gipfel doch noch zu einem „erfolgreichen Abschluss“ zu verhelfen. Mit großem Pomp ließ sich US-Präsident Obama einfliegen und bilanzierte in seiner Rede nach seiner Ankunft: „Vierzehn Tage dauere diese Konferenz, zwanzig Jahre dauern schon die Klimaverhandlungen, und man habe doch wenig vorzuweisen außer einer drastischen Beschleunigung der Klimawandeleffekte“ (www.faz.net [128]). Schauen wir uns an, wie Beobachter bürgerlicher Medien den Verlauf der Konferenz wahrnahmen und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen.

 

Wir sind an anderer Stelle schon auf die Ursachen der Umweltzerstörung im Kapitalismus, seine Mittel und Möglichkeiten des Umweltschutzes eingegangen. Auch wollen wir auf die „Ergebnisse“ der Konferenz und die zu erwartende weitere Entwicklung später ausführlicher in unserer Presse eingehen. An dieser Stelle möchten wir nur einige Eindrücke von bürgerlichen Pressebeobachtern mit einigen Kommentaren von uns widergeben.

Nach jahrelangen Vorbereitungen, bei denen keine Einigung über die konkreten Schritte erreicht werden konnte, begann Anfang Dezember 2009 der Verhandlungsmarathon mit Delegierten aus mehr als 192 Staaten. Zum Schluss trafen immer mehr Staatschefs ein, um dem Gipfel doch noch zu einem „erfolgreichen Abschluss“ zu verhelfen. Mit großem Pomp ließ sich US-Präsident Obama einfliegen und bilanzierte in seiner Rede nach seiner Ankunft: „Vierzehn Tage dauere diese Konferenz, zwanzig Jahre dauern schon die Klimaverhandlungen, und man habe doch wenig vorzuweisen außer einer drastischen Beschleunigung der Klimawandeleffekte“ (www.faz.net [128]). Schauen wir uns an, wie Beobachter bürgerlicher Medien den Verlauf der Konferenz wahrnahmen und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen.

Zunächst zwei Journalisten der „Welt“:

https://www.welt.de/politik/ausland/article5581658/US-Praesident-Obama-stuerzt-vom-Klima-Gipfel.html [129]

Kopenhagen gescheitert

US-Präsident Obama stürzt vom Klima-Gipfel

Von D. Wetzel und G. Lachmann 19. Dezember 2009, 13:17 Uhr

Das faktische Scheitern der Klimaverhandlungen in Kopenhagen ist eine schwere Niederlage für US-Präsident Barack Obama auf internationaler Ebene. Nicht nur, dass er und Bundeskanzlerin Angela Merkel vorzeitig abreisten, ohne ein sicheres Ergebnis erzielt zu haben. Er ließ sich zudem von den Chinesen vorführen.

Seiner Ankunft folgte sogleich ein markiger Auftritt. Kaum hatte US-Präsident Barack Obama das Konferenzzentrum betreten, ließ er die Anwesenden wissen: „Die Zeit für Reden ist vorbei.“ Ab jetzt wollte er die Verhandlungsführung übernehmen.

Zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, den „Chefs“ aus Russland, Brasilien, Japan, der Europäischen Union und anderer wichtiger Länder machte sich Obama an die Arbeit. Doch es lief nicht so, wie der Friedensnobelpreisträger es sich vorgestellt hatte. […]

Stattdessen bahnte sich ein Fiasko an. Es begann in der Nacht von Freitag auf Samstag. Ein enger Verhandlungskreis von 30 wichtigen und repräsentativ ausgewählten Staaten, darunter Deutschland, diskutierten noch immer die Grundzüge eines Zwölf-Punkte-Papiers. Es trug den Titel „Copenhagen Accord“ und bestand aus einer dreiseitigen Sammlung vager politischer Absichtserklärungen ohne fest definierte Ziele oder rechtliche Bindung.

Obwohl China zu den größten Klimaverschmutzern zählt und längst zu einer ernst zu nehmenden Industriemacht aufgestiegen ist, fehlte Premier Wen Jiabao bei den Gesprächen. Nicht, dass man ihn nicht hätte dabeihaben wollen. Im Gegenteil.

Nach Gerüchten aus dem Bella Center soll US-Präsident Barack Obama gegen 21 Uhr ungeduldig um ein Gespräch mit Wen Jiabao gebeten haben, um die Dinge voranzubringen. Doch Obama musste warten. Wen, der Gerüchten zufolge sein Hotelzimmer während des gesamten Kongresses kaum je verlassen hatte, war lange Zeit unauffindbar. Schließlich gelang es der US-Delegation, den chinesischen Premier in einem Verhandlungszimmer ausfindig zu machen. Ein offenbar zornentbrannter Obama soll daraufhin in das Zimmer gestürmt sein. „Sind Sie jetzt bereit mit mir zu reden, Herr Premier?“, soll er gerufen haben. „Sind Sie jetzt bereit? Herr Premier, sind Sie bereit mit mir zu reden?“ Welch ein Auftritt eines US-Präsidenten.

Wen war zudem nicht allein im Zimmer, als Obama buchstäblich hereingeplatzt kam, wie es aus Kongresskreisen hieß. Der Chinese befand sich in Gesprächen mit Indiens Staatschef Mammohan Singh und dem Süd-Afrikanischen Präsidenten Jacob Zuma. Urplötzlich sah sich die Gruppe zu einem Gespräch mit dem US-Präsidenten genötigt.

Auf Drängen des ungeduldigen Obama einigte sich diese rein zufällig besetzte Runde schließlich auf einen Minimalkompromiss.

Diesen hätte Obama nun eigentlich mit seinen engsten Partnern, etwa der Europäischen Union oder der G77-Gruppe der Entwicklungsländer abstimmen müssen. Das jedoch habe er unterlassen, so heißt es, und rief stattdessen gegen 22.25 Uhr einige US-Journalisten zu einer improvisierten Pressekonferenz zusammen. Dort verkündete Obama den „Kopenhagen Akkord“ als Abschluss der zweiwöchigen Konferenz. Er sei sich bewusst, dass viele Länder das Ergebnis für ungenügend halten werden, sagte der US-Präsident. Mehr sei aber nicht zu erreichen gewesen.

Er wertete es als Erfolg, dass sich große Schwellenländer wie Indien und China überhaupt erstmals zur Notwendigkeit der Emissionsminderung bekannt hätten und das Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, akzeptiert hätten.

Sodann packte er seine Koffer und flog heim. Auch Kanzlerin Angela Merkel machte sich auf den Weg zurück nach Berlin. Beide verließen Kopenhagen, ohne ein klares Ergebnis erzielt zu haben. Und, was noch schwerer wiegt, ohne sich um den weiteren Verlauf der als historisch geplanten Konferenz zu kümmern. Sie überließen das Klima den anderen. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich bald zeigen sollte.

Während Obama und Merkel auf dem Heimweg waren, erklärte sich die EU-Kommission spät in der Nacht zähneknirschend bereit, Obamas Minimalkompromiss anzunehmen. Anders als die Europäer waren viele afrikanische Staaten dazu nicht bereit. Als in den frühen Morgenstunden das Plenum zusammentrat, geriet Sudans Staatschef Lumumba Di-Aping geradezu außer sich. Niemand habe das Mandat zur Zerstörung Afrikas, sagte der Sudanese als Sprecher der G77-Entwicklungsländer. Das vorgelegte Dokument töte Millionen Menschen. Schließlich sorgte Di-Aping dann noch mit einem Holocaust-Vergleich für Empörung im Versammlungssaal.“

Kommentar der IKS:

Wir zitieren diese Darstellung aus Welt.de so ausführlich, weil sie – auch wenn diese Schilderung sich nur „auf Gerüchte“ stützt - ein grelles Licht auf die Haltung und den Charakter der Herrschenden wirft.

Zunächst wertet der Artikel den Kopenhagener Gipfel als „schwere Niederlage für US-Präsident Barack Obama auf internationaler Ebene“. Aus der Sicht der Bürgerlichen gibt es meist Gewinner und Verlierer. Dass das Schicksal des Planeten und damit der Menschheit in Kopenhagen in den Hintergrund getreten sind, weil sich die dort versammelten Delegierten und Staatschefs nicht auf entscheidende Schritte einigen konnten, stellt nicht den Fokus der Beobachtungen dar. Stattdessen erhalten wir einen Einblick in die Art und Weise, wie der US-Präsident mit dem chinesischen Staatschef einen Deal auszuhandeln sucht, dieser in Hinterzimmermanier mit Hilfe einiger (zufällig) Anwesender aus der Sicht des US-Präsidenten als akzeptiert betrachteet wird – ohne Abstimmung selbst mit anderen „gewichtigen“ Staaten (wie z.B. europäischen Staaten oder Japan), um dann den restlichen Delegierten der Welt zur Annahme vor die Füße geworfen zu werden…

Dies spricht Bände von der Ernsthaftigkeit und dem Umgang der dort versammelten Führer. Es wirft ein typisches Bild auf die Ruchlosigkeit einer besitzenden und ausbeutenden Klasse.

 

Der Korrespondent des Spiegel lieferte folgende Eindrücke, von denen wir einige zitieren möchten.

https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,668098,00.html [130]
Eskalation beim Gipfel

So lief das Chaos von Kopenhagen

Aus Kopenhagen berichtet Christian Schwägerl

Sie kamen, sahen - und siegten nicht: Barack Obama, Wen Jiabao und andere mächtige Staatschefs wollten der Welt einen Mini-Klimakompromiss diktieren. Doch in stundenlangen Nachtsitzungen geriet die Uno-Beratung darüber zum Fiasko. SPIEGEL ONLINE dokumentiert die dramatische Nacht.

Nachdem die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Länder, von denen einige schon abgereist waren, ohne Konsultation der Führer des Rests der Welt diesen Entscheidung aufzwingen wollten, geschah folgendes:

 

„Es ist 3.15 Uhr am Samstagmorgen, als Ian Fry aus Tuvalu [nördlich von Neuseeland gelegene pazifische Inselgruppe] im großen Plenarsaal mit zitternder Stimme das Wort erhebt. Der Vertreter eines 26 Quadratkilometer großen Landes mit 12.100 Einwohnen lehnt sich gegen die USA auf, gegen China, Indien, Brasilien - gegen all jene Staatschefs, die am Abend angeführt von US-Präsident Barack Obama einen "Deal" abgeschlossen haben wollen. Und abreisten, bevor sich das Plenum der Uno-Klimakonferenz in Kopenhagen überhaupt mit ihren Vorschlägen befassen konnte.

"Wir führen unsere Verhandlungen nicht über die Medien, sondern hier im Plenum", sagt Ian Fry. Und dann beschreibt er, was der Konsens von rund 30 Staaten, an dem auch Entwicklungsländer beteiligt waren, für seine Nation bedeuten würde: "Den Tod."

Tuvalu fürchtet unterzugehen, wenn die Erderwärmung zwei Grad erreicht, wie es im Mini-Kompromissentwurf der 30 als Obergrenze steht. "1,5 Grad Celsius sind das Maximale", sagt Fry. Dann weist er das Geld zurück, das die Industrieländer für den Klimaschutz in ärmeren Ländern angeboten haben - 30 Milliarden Dollar zwischen 2010 und 2012 und immerhin 100 Milliarden Dollar jährlich ab 2020. (…)

Mit diesem Eklat beginnt die Abschlusssitzung der Weltklimakonferenz.

Und plötzlich steht selbst der dürftige Minimalkompromiss vom Abend zur Disposition. Weil es auf Klimakonferenzen üblich ist, dass Beschlüsse einvernehmlich gefällt werden, droht (…) nun das absolute Fiasko - das komplette Scheitern des Gipfeltreffens ohne jede Abschlusserklärung.

[Die Vertreter Boliviens, Venezuelas und Nicaraguas ergreifen das Wort]. (Nicaraguas Vertreter) … erhebt den Vorwurf, es gebe einen "Übernahmeversuch" einer G-22, also der Gruppe der führenden Staaten bei dem Kompromissentwurf, gegen die G-192, also die Vereinten Nationen. Dann fordert er im Namen von acht Staaten, darunter Kuba und Ecuador, einen vorläufigen Abbruch der Konferenz. (…) Die Debatte im Plenum der Weltklimakonferenz, die viele Staatenvertreter als "beispiellos" in der Geschichte der Vereinten Nationen bezeichnen, kehrt um 7.06 Uhr zu Ian Fry zurück, dem Mann aus Tuvalu. Alle seien müde und emotional, es fielen Worte, die unter anderen Umständen nicht fallen würden. Die Klimakonferenz sei von innenpolitischen Schwierigkeiten eines Landes gefesselt gewesen, deshalb sei es angebracht, die Schwächen des Textes der Gruppe um die USA anzuerkennen. Er dürfe nicht beschlossen werden, vielmehr solle man versuchen, die Verhandlungen später fortzusetzen und "etwas zu erreichen, auf das wir stolz sein können".

Die Blockade löst Verzweiflung aus. "Das ist das fürchterlichste Klimagipfelplenum, das ich je erlebt habe", sagt der Unterhändler Saudi-Arabiens, "nichts ist richtig gelaufen." (…) Das Deal-Dokument könne deshalb "nicht beschlossen werden, jedenfalls nicht hier." Sein Handywecker gehe gerade zum zweiten Mal los, er sei seit 48 Stunden wach und wolle jetzt nach Hause.

Hinter all den Verfahrensvorschlägen verstärken sich knallharte Positionen: Die Länder, die das von Barack Obama ausgehandelte Papier zum Infodokument herabstufen wollen, trachten danach, sich nicht von einem Club der Mächtigen bevormunden zu lassen. Inselstaaten wie Tuvalu fürchten um ihre Existenz.

Um 8 Uhr platzt die Bombe. Nach Beratung mit Rechtsexperten der Vereinten Nationen sagt Rasmussen: "Wir können dieses Papier heute nicht beschließen." Man könne nur ein Register anlegen, in dem die Staaten in den kommenden Monaten ihre Unterstützung für das Papier hinterlegen könnten. Entsetzt beantragt der britische Unterhändler eine Unterbrechung.

Doch die dauert eineinhalb Stunden. Es geht nun um alles. Besonders Präsident Obama hat viel zu verlieren. "Wie ein Kaiser" sei der US-Präsident nach Kopenhagen gekommen, hat die Unterhändlerin von Venezuela kritisiert.

Um 10.30 Uhr sitzt Ministerpräsident Rasmussen nicht mehr auf dem Podium, er wurde durch einen unbekannten Delegierten als Präsident ausgetauscht, der sich nicht vorstellt und keinen Grund für die Ablösung nennt. "Wir versuchen drei Sachen schnell hinzubekommen", sagt der Mann und liest vor: "Die COP nimmt Kenntnis vom Kopenhagen-Akkord vom 18. Dezember. Das ist jetzt so beschlossen", fügt er sekundenschnell hinzu und haut mit seinem Hammer auf den Tisch. Es gibt Applaus, und der neue Chef nutzt den Rückenwind, rattert einen anderen Kurzbeschluss herunter und schlägt wieder mit dem Hammer zu.

Der Gipfel wird zur Farce.

Jetzt geht es nur noch darum, dass die Konferenz nicht in totalem Chaos endet, sondern wenigstens mit einem formalen Beschluss, dass nichts beschlossen worden ist - und mit der Chance, irgendwie weiterzumachen. Die Stakkato-Strategie des Neuen geht nicht auf. Es gibt noch eine Nachfrage des Sudan. Der Präsident versteht sie nicht und bittet um Wiederholung. China meldet sich zu Wort und erhebt Einspruch dagegen, dass der Vorstand der Konferenz eigenmächtig handelt.

"Ladies and Gentlemen, ich fahre jetzt nach Hause"

Indien, Saudi-Arabien, Sudan machen Einwürfe. Um 11.30 Uhr betritt Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon die Bühne. Er hält die Rede, die er hätte halten sollen, wenn die Konferenz gelungen wäre: "Es ist ein großes Vergnügen, mit Ihnen an der Bekämpfung des Klimawandels zu arbeiten... Es war sehr schwierig, es gab dramatische und emotionale Momente... Ich hoffe, unsere erhitzte Diskussion hat nicht nur Erderwärmung beigetragen. Sie haben gezeigt, was globale Führungskraft bedeutet... Wir haben uns auf viele wichtige Punkte geeinigt, auf das Zwei-Grad-Ziel, auf den Schutz der Wälder, auf einen Sofortfonds von 30 Milliarden Dollar und einen Grünen Fonds von 100 Milliarden Dollar im Jahr 2020... Eine sofortige Umsetzung ist nötig und eine Transformation dieses Akkords in ein rechtsverbindliches Abkommens im kommenden Jahr... Sie waren der Herausforderung gewachsen während dieser Konferenz. Heute sind wir einen entscheidenden Schritt nach vorne getreten."

Ban Ki Moon sagt vor der Presse, er habe nur zwei Stunden geschlafen. Vielleicht hat er nach dem Aufwachen das Manuskript verwechselt. Seine Abschlussrede ist höchstens ein Ausdruck verzweifelter Hoffnung, wenn nicht von Wirklichkeitsverlust. Denn inhaltlich beschlossen wurde in Kopenhagen nichts. Die Ziele im "Akkord", die in fast jedermanns Urteil weder ausreichend noch verbindlich waren, wurden lediglich "zur Kenntnis genommen."

Um 12 Uhr enthüllt der Konferenzpräsident, woher er kommt: "Ladies and Gentlemen, ich räume diesen Posten und werde durch jemanden ersetzt, denn ich fahre jetzt nach Hause nach Nassau, wo es soweit ich weiß 25 Grad Celsius warm ist."

Der neue Veranstaltungsleiter hat ein Problem: "Ich hoffe, die Übersetzer sind nicht zu müde, um noch arbeiten zu können." Sie halten durch. Die Sprecherin der kleinen Inselstaaten zieht eine vernichtende Bilanz: Kein verbindliches Ergebnis, keine Ziele, die sich an der Wissenschaft orientieren. "Wir entschuldigen uns bei jedem Delegierten, der sich verletzt oder betrogen fühlt. Das genaue Gegenteil war unser Ziel."

Eine rührende Geste.

Noch rührender ist nur, dass die Dame neun Stunden nach Beginn dieser Plenardebatte wieder das 1,5-Grad-Ziel ins Spiel bringt, das die Großmächte doch so effektiv versenkt hatten. Zahlreiche Sprecher geben zu, wegen Müdigkeit nicht mehr ganz im Besitz ihrer Kräfte zu sein.

Alles liegt in Trümmern

Um 12.50 Uhr leeren sich die Reihen. Das Großereignis verliert sich in Bürokratismen: "Wir brauchen eine Fußnote, um diesen Klärungsversuch zu klären." Ein neuer Vertreter des Sudan, Antreiber des Großkonflikts im Saal, dankt für das "wunderbare Ergebnis dieser Sitzung". Das nutzt der Chef-Chinese dazu, sich von dem Dokument zu distanzieren, das sein Ministerpräsident Wen Jiabao erst am Vortag mit Barack Obama abgeschlossen hatte. Es werde nicht akzeptiert oder unterstützt, sondern nur zur Kenntnis genommen, das sei sehr wichtig. Konkrete Verpflichtungen ergäben sich darauf nicht. Irgendwo werde sich schon eine Fußnote finden lassen, wo es sich unterbringen lasse, dass jeder Staat dieses Dokument unterzeichnen könne oder auch nicht.

Die Forderung der USA, den Akkord rechtlich zu stärken, wies China zurück. Selbst die amerikanisch-chinesische Achse, die in Kopenhagen jeden Erfolg verhindert hatte, ist brüchig.

Auch Indien distanziert sich deutlich von dem Akkord, dem Deal-Dokument. Und der Konferenzpräsident muss immer und immer wieder betonen, dass der Text weder beschlossen wurde noch konkrete Verpflichtungen mit sich bringt. "Wir könnten seine Existenz anerkennen, ohne zu sagen, was er ist und was er bedeutet", ergänzt der Unterhändler Russlands.

Um 14 Uhr bringt Jonathan Pershing, stellvertretender Delegationsleiter, Verzweiflung über diese Entwicklung zum Ausdruck: "Wir dachten, dass die Führer dieser Nationen gestern dem Text zugestimmt haben, deshalb sind wir nun ein bisschen überrascht, dass dies wieder in Frage gestellt wird. Ich möchte betonen, dass wir uns selbst an das Dokument binden, es aber nicht mehr verändert werden darf, da es von den Staats-und Regierungschefs vereinbart wurde."

Jetzt liegt endgültig alles in Trümmern: Der Text des großen Führertreffens vom Freitag, der im Plenum des Gipfels an einer kleinen Gruppe Länder scheiterte, wird nicht einmal von seinen Initiatoren respektiert. Ein Uno-Polizist fragt, wann die Konferenz zu Ende ist. Als er hört, dass es noch lange dauert, sagt er: "Fuck."

Der Gipfel des Versagens endet absurd und bitter.

Mitarbeit: Christoph Seidler 19.12.2009

Kommentar der IKS

Wenn man diese Beobachtungen über den Ablauf des Gipfels liest, kann man eigentlich nicht genügend Abscheu vor den dort versammelten Führern finden.

Während sich immer mehr besorgniserregende Nachrichten über die zunehmende Umweltzerstörung häufen und es klar wird, dass die Zeit abzulaufen droht, haben diese Leute nichts anderes im Sinn gehabt, als ihre nationalen Wirtschaftsinteressen auf höchster Ebene zu vertreten. Hinter den üblichen Festungsmauern, um sich vor den Demonstranten zu schützen, für die man genügend Repressionsmittel bereit hielt, fetzten die Führer der Welt sich um die Kostenübernahme der ohnehin schon völlig unzureichenden Reduktionsmaßnahmen. Was kann man von den Vertretern der Kapitalistenklasse anders erwarten?

Das Anliegen der Staatschefs der „armen“ und Schwellenländer war angeblich die Verteidigung ihrer nationalen Souveränität. Man wolle sich von den „reichen“ Ländern, den Industriestaaten nichts aufzwingen lassen, sondern selbstbestimmt handeln. Ob den Führern der großen oder kleinen, reichen oder armen Staaten, ihnen allen ging es tatsächlich nur ums nationale Interesse. Anstatt sich um den Fortbestand des Planeten zu kümmern, haben die Führer dort ein plastisches Beispiel der Art und Weise gezeigt, wie Konkurrenz und nationalstaatliche Interessensvertretung dazu führen, den Planeten und die Menschheit auf dem Altar des Profits zu opfern.

Und während der US-Präsident nach seinem Coup schon wieder Richtung Washington düste, wurde dort am gleichen Tag der US-Verteidigungshaushalt vorgelegt.

 

„Der US-Senat hat grünes Licht für den größten Verteidigungshaushalt der Geschichte der Vereinigten Staaten gegeben. Mit 88 zu zehn Stimmen verabschiedeten die Senatoren am Samstag (19.12.) den Etat in Höhe von 626 Milliarden Dollar für das bereits vor drei Monaten angelaufene Haushaltsjahr. Der Etat sieht Ausgaben von 128,3 Milliarden Dollar für die Kriege im Irak und in Afghanistan vor. Die US-Regierung hat bereits signalisiert, dass sie schätzungsweise weitere 30 Milliarden Dollar benötigen wird, nachdem Obama kürzlich die Entsendung 30 000 zusätzlicher Soldaten nach Afghanistan.“

Damit wir uns der Proportionen und Prioritäten bewusst sind: Während die ganze Staatengemeinschaft gerade mal 30 Milliarden Dollar als Sofortfonds und 100 Milliarden Dollar im Jahre 2020 bereitstellen will, absorbiert das Krebsgeschwür Militarismus in Afghanistan allein in einem Jahr für die Entsendung von 30.000 zusätzlicher Soldaten nach Afghanistan 30 Milliarden Dollar…

Wir werden in kürze näher auf die Ergebnisse des Kopenhagener Gipfels eingehen. Weltrevolution 20.12.09

Aktuelles und Laufendes: 

  • Ökologie [94]
  • Kopenhagen Klimagipfel [131]
  • Umweltpolitik [132]

Internationalisme 1947: Was die Revolutionäre von den Trotzkisten unterscheidet

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Nachfolgend veröffentlichen wir zwei Artikel aus dem Jahr 1947 aus der Zeitschrift Internationalisme, Organ der Kommunistischen Linken Frankreichs (GCF)[1], die sich mit der Frage des Trotzkismus befassen. Damals schon hatte sich der Trotzkismus durch seine Aufgabe des proletarischen Internationalismus hervorgetan, als er sich im Gegensatz zu den Gruppen der Kommunistischen Linken[2] am 2. Weltkrieg beteiligte. In den 1930er Jahren hatte die Kommunistische Linke der opportunistischen Welle widerstanden, welche durch die Niederlage der weltweiten Welle revolutionärer Kämpfe von 1917-23 entstanden war. Unter diesen Gruppen definierte die Italienische Linke um die Zeitschrift Bilan (sie wurde 1933 gegründet) die Aufgaben der Stunde richtig. Gegenüber dem Weg in den Krieg darf man nicht die Grundprinzipien des Internationalismus verraten, man muss die 'Bilanz' des Scheiterns der revolutionären Welle und der russischen Revolution insbesondere erstellen. Die Kommunistische Linke bekämpfte die von der degenerierenden Dritten Internationalen verbreiteten opportunistischen Positionen, insbesondere die von Trotzki vertretene Politik der Einheitsfront mit den sozialistischen Parteien, die jegliche zuvor gewonnene Klarheit hinsichtlich der ins Lager des Kapitalismus übergewechselten Parteien über Bord warf. Mehrfach musste sie ihre politische Herangehensweise mit der Methode der damals noch proletarischen Strömung um Trotzki direkt gegenüberstellen, insbesondere als versucht wurde, die verschiedenen politischen Gruppen, die sich der Politik der Komintern und der stalinisierten Parteien entgegenstellten, zu vereinigen.[3] 

Mit der gleichen Methode, die Bilan angewandt hatte, analysierte die Kommunistische Linke Frankreichs die Politik des Trotzkismus, die sich nicht so sehr durch ihre "Verteidigung der UdSSR" auszeichnet, auch wenn diese Frage am klarsten ihre Verirrung zum Ausdruck bringt,  sondern durch ihre Haltung gegenüber der Frage des imperialistischen Krieges. Wie der erste Artikel "Die Funktion des Trotzkismus" zeigt, wurde die Beteiligung am Krieg seitens dieser Strömung nicht an erster Stelle bestimmt durch deren Willen zur Verteidigung der UdSSR, wie die Tatsache belegt, dass einige ihrer Tendenzen, welche die These vom "entarteten Arbeiterstaat" verwarfen, sich dennoch am imperialistischen Krieg beteiligten.  Noch entscheidender war die Idee des „geringeren Übels“, der Beteiligung am Kampf gegen „die ausländische Besatzung“ und der „Antifaschismus“.  Dieses Merkmal des Trotzkismus tritt besonders deutlich im zweiten Artikel "Bravo Abd-al-Krim oder die kurze Geschichte des Trotzkismus" zum Vorschein, in der festgestellt wird, dass die "gesamte trotzkistische Geschichte sich um die Frage der "Verteidigung" von irgendetwas dreht", die im Namen des geringeren Übels erfolgt. Dieses "irgendetwas" war alles andere als etwas Proletarisches. Dieses Markenzeichen des Trotzkismus hat sich seitdem nicht geändert, wie die verschiedenen aktivistischen Illustrationen des gegenwärtigen Trotzkismus belegen, wie auch sein Drängen, für ein Lager gegen ein anderes in den zahlreichen Konflikten, die den Planeten auch seit der Auflösung der UdSSR übersäen, Stellung zu beziehen.

An der Wurzel dieser Irrfahrt des Trotzkismus findet man, wie der erste Artikel betont, die Zuweisung einer fortschrittlichen Rolle "bestimmter Fraktionen des Kapitalismus, bestimmter kapitalistischer Länder (und wie das Übergangsprogramm ausdrücklich sagt, der meisten Länder).

Dieser Auffassung zufolge "ist die Befreiung des Proletariats nicht das Ergebnis des Kampfes, bei dem das Proletariat als Klasse gegenüber dem gesamten Kapitalismus auftritt, sondern diese wird das Ergebnis einer Reihe von politischen Kämpfen sein, im engen Sinne des Wortes und bei denen dieses durch schrittweise Bündnisse mit verschiedenen politischen Fraktionen der Bourgeoisie gewisse Fraktionen eliminieren wird und es somit schrittweise schaffen wird, die Bourgeoisie zu schwächen, sie zu besiegen, indem sie gespalten und scheibchenweise geschlagen wird.“    Da gibt es nichts mehr revolutionär Marxistisches.  

Die Funktion des Trotzkismus

(Internationalisme n° 26 – September 1947)

Es ist ein großer, weit verbreiteter Fehler zu meinen, was die Revolutionäre von den Trotzkisten unterscheidet, sei die Frage der "Verteidigung der UdSSR".

Es ist selbstverständlich, dass die revolutionären Gruppen,  welche die Trotzkisten gerne mit ein wenig Verachtung als "extreme Linke" bezeichnen (eine verächtliche Einschätzung der Trotzkisten gegenüber den Revolutionären,  die dem gleichen Geist entspricht wie dem der "Hitler-Trotzkisten", welchen die Stalinisten verwenden); es ist selbstverständlich, dass die Revolutionäre jede Art Verteidigung des russischen kapitalistischen Staates (Staatskapitalismus) verwerfen. Aber den russischen Staat nicht zu verteidigen, ist keineswegs die theoretische und programmatische Grundlage revolutionärer Gruppen. Und es ist nur eine politische Konsequenz, die ganz normal in ihren allgemeinen Auffassungen, ihrer revolutionären Plattform enthalten ist und aus diesen hervorgeht. Umgekehrt stellt die "Verteidigung  der UdSSR" keineswegs die Besonderheit des Trotzkismus dar.

Wenn von allen politischen Positionen, die sein Programm darstellen, die "Verteidigung der UdSSR" wirklich am stärksten hervorsticht und ihre Verirrung und Blindheit am deutlichsten zum Ausdruck bringt, würde man trotzdem einen großen Fehler begehen, wenn man den Trotzkismus nur aus diesem Blickwinkel betrachtet. Im äußersten Fall spiegelt diese Verteidigung die typischste und klarste abszessartige Fixierung des Trotzkismus wider. Dieser Abszess ist so offensichtlich, dass sein Anblick immer mehr Mitglieder der Vierten Internationale anekelt, und wahrscheinlich ist es eine der Ursachen dafür, dass einige ihrer Sympathisanten davor zurückschrecken, in diese Organisation einzutreten. Aber dieser Abszess ist nicht die Krankheit,  sondern nur die Stelle, wo diese in Erscheinung tritt.

Wenn wir so sehr auf diesem Punkt bestehen, geschieht dies, weil beim Anblick der äußeren Erscheinungen einer Krankheit so viele Leute sich erschrecken, aber diese dann auch sehr leicht dazu neigen, sich schnell zu beruhigen, sobald die äußeren, erkennbaren Zeichen aus dem Blick geraten. Sie vergessen, dass eine "weißgewaschene Krankheit" keine geheilte Krankheit ist. Diese Art Leute sind sicherlich ebenso gefährlich, ebenso anfällig, wenn nicht noch mehr für die Verbreitung von Korruption wie diejenigen, die aufrichtig meinen, davon geheilt zu sein.

Die "Workers' Party" in den USA (eine dissidente trotzkistische Organisation, die durch den Namen ihres Führers, Shachtman bekannt ist), die Tendenz G. Munis in Mexiko[4], die Minderheiten um Gallien und Chaulieu in Frankreich, all diese Minderheitentendenzen der IV. Internationale, die aufgrund der Tatsache, dass sie die traditionelle Verteidigung Russlands verwerfen, glauben vom "Opportunismus" der trotzkistischen Bewegung geheilt zu sein (jedenfalls behaupten sie dies). In Wirklichkeit bleiben sie weiterhin von dieser Ideologie stark geprägt und von ihr total eingenommen.

Das wird dadurch offensichtlich, wenn man die brennendste Frage anschaut, nämlich diejenige, die am wenigsten Ausflüchte offen lässt, welche am unnachgiebigsten die Klassenpositionen des Proletariats und der Bourgeoisie aufeinander prallen lässt, d.h. die Frage der Haltung gegenüber dem imperialistischen Krieg. Was sehen wir?

Die einen wie die anderen, Mehrheiten und Minderheiten, beteiligen sich alle mit unterschiedlichen Slogans am imperialistischen Krieg.

Man möge jetzt nicht die mündlichen Erklärungen der Trotzkisten gegen den Krieg zitieren, um dies zu widerlegen. Wir kennen diese sehr gut. Worauf es ankommt, sind nicht die Erklärungen, sondern die praktische Politik, die aus all den theoretischen Positionen hervorgeht und die in der ideologischen und praktischen Unterstützung der kriegstreibenden Kräfte konkretisiert wird. Es zählt hier nicht, mit welchem Argument diese Beteiligung gerechtfertigt wurde. Die Verteidigung der UdSSR ist sicherlich eine der wichtigsten Kernfragen, durch die das Proletariat an den imperialistischen Krieg gefesselt und in diesen getrieben wird. Aber dies ist nicht der einzige Schlüssel. Die trotzkistischen Minderheiten, welche die Verteidigung der UdSSR verwarfen, haben genau wie die Linkssozialisten und die Anarchisten andere Gründe gefunden, die nicht weniger gültig und nicht weniger von einer bürgerlichen Ideologie inspiriert waren, um ihre Beteiligung am imperialistischen Krieg zu begründen. Aus der Sicht der einen war es die Verteidigung der « Demokratie », aus der Sicht der anderen der « Kampf gegen den Faschismus » oder die Unterstützung der « nationalen Befreiung » oder des « Selbstbestimmungsrechts der Völker ».

Für alle war es eine Frage des "geringeren Übels", welche sie zur Kriegsbeteiligung oder in die Résistance auf Seiten eines imperialistischen Blocks gegen einen anderen trieb.

Die Partei Shachtmans hatte völlig recht, den offiziellen Trotzkisten vorzuwerfen, dass sie den russischen Imperialismus unterstützten, welcher aus ihrer  Sicht kein "Arbeiterstaat" mehr war; aber damit wurde Shachtman noch lange nicht zu einem Revolutionär, denn er erhob diesen Vorwurf nicht ausgehend von einer Klassenposition des Proletariats gegen den imperialistischen Krieg, sondern aufgrund der Tatsache, dass Russland ein totalitäres Land ist, wo es weniger "Demokratie" als anderswo gibt. Seiner Ansicht nach musste man konsequenterweise Finnland gegen den russischen Aggressor unterstützen, das weniger "totalitär" und demokratischer sei[5].  

Um das Wesen seiner Ideologie zu zeigen, insbesondere hinsichtlich der zentralen Frage des imperialistischen Kriegs, braucht der Trotzkismus keineswegs, wie wir eben gesehen haben, auf die Position der Verteidigung der UdSSR zurückzugreifen. Diese Verteidigung der UdSSR erleichtert natürlich seine Position der Kriegsbeteiligung, wodurch er diese hinter einer pseudo-revolutionären Phrase verbergen kann, aber von sich aus vertuscht er sein tieferes Wesen  und verhindert, die Frage des Wesens der trotzkistischen Ideologie in aller Deutlichkeit zu stellen.

Lassen wir einmal zur Erreichung einer größeren Klarheit die Existenz Russlands außer Acht, oder besser gesagt all die Spitzfindigkeit hinsichtlich des sozialistischen Wesens des russischen Staates, mit Hilfe derer die Trotzkisten das eigentliche Problem des imperialistischen Krieges und der Haltung des Proletariats vernebeln. Stellen wir deutlich die Frage der Haltung der Trotzkisten im Krieg. Die Trotzkisten werden natürlich mit einer allgemeinen Antwort gegen den Krieg reagieren.

Aber sobald die Litanei vom "revolutionären Defätismus" im Abstrakten korrekt heruntergeleiert worden ist, fangen sie sofort konkret an, mit spitzfindigen "Unterscheidungen" Einschränkungen zu machen, sie sagen "aber"… usw., was sie in der Praxis dazu führt, dass sie Partei für einen Kriegsteilnehmer ergreifen und die Arbeiter dazu aufrufen, sich am imperialistischen Abschlachten zu beteiligen.

Wer mit dem trotzkistischen Milieu in Frankreich während der Jahre 1939-45 irgendwie in Kontakt stand, kann Zeugnis davon ablegen, dass die bei ihnen vorherrschenden Gefühle nicht so sehr von der Position der Verteidigung Russlands bestimmt waren, sondern von der Wahl des "geringeren Übels", der Wahl des Kampfes gegen die "ausländische Besatzung" und den "Antifaschismus".

Dies erklärt ihre Beteiligung an der ‘Résistance’[6], an der F.F.I.[7] und bei der Befreiung. Und wenn die PCI[8] Frankreichs von den Sektionen anderer Länder gelobt wurde für die Rolle, die sie bei dem, die wie sie es nannten « Volksaufstand » der Befreiung spielte, lassen wir ihnen die Befriedigung, die sie durch den Bluff der Bedeutung ihrer Beteiligung empfinden (welch große Bedeutung mögen die wenigen Dutzenden Trotzkisten bei der « großen Volkserhebung » gehabt haben !). Aber wir wollen vor allem den politischen Inhalt solch eines Lobs im Kopf behalten.

Welches Kriterium für die revolutionäre Haltung im imperialistischen Krieg ?

Die Revolutionäre gehen von der Feststellung des imperialistischen Stadiums aus, das von der Weltwirtschaft erreicht worden ist. Der Imperialismus ist kein nationales Phänomen. Die Gewalt der kapitalistischen Widersprüche zwischen dem Grad der Entwicklung der Produktivkräfte – des gesamten gesellschaftlichen Kapitals – und der Entwicklung des Marktes bestimmt die Gewalt der Widersprüche unter den Imperialisten. Auf dieser Stufe gibt es keine nationalen Kriege mehr. Die imperialistische Weltstruktur bestimmt die Struktur aller Kriege. Im Zeitalter des Imperialismus gibt es keine « fortschrittlichen » Kriege. Der einzige Fortschritt besteht nur in der gesellschaftlichen Revolution. Die historische Alternative, vor der die Menschheit steht, ist die sozialistische Revolution oder der Niedergang, das Versinken in der Barbarei durch die Zerstörung des durch die Menschheit angehäuften Reichtums, die Zerstörung der Produktivkräfte und die ständigen Massaker des Proletariats in einer unendlichen Reihe von lokalen und generalisierten Kriegen. Es handelt sich also um ein Klassenkriterium gegenüber der Analyse der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft, das durch die Revolutionäre aufgeworfen wird.

 « Aber nicht alle Länder der Welt sind imperialistisch. Im Gegenteil. Die Mehrheit der Länder sind Opfer des Imperialismus. Einige Kolonialländer oder Halbkolonialländer versuchen zweifelsohne den Krieg auszunutzen, um die Geissel der Versklavung abzuschütteln. Was diese Länder betrifft,  ist der Krieg kein imperialistischer, sondern ein Befreiungskrieg. Die Aufgabe des internationalen Proletariats besteht darin, den im Krieg unterdrückten Ländern gegen die Unterdrücker zu helfen » (Das Übergangsprogramm, Kapitel : Der Kampf gegen Imperialismus und Krieg).

So bezieht sich das trotzkistische Kriterium nicht auf die historische Periode, in der wir leben, sondern es schafft und bezieht sich auf einen abstrakten und falschen Begriff des Imperialismus. Nur die Bourgeoisie eines dominierenden Landes sei imperialistisch. Der Imperialismus ist keine politisch-ökonomische Stufe des Weltkapitalismus, sondern nur des Kapitalismus in einigen Ländern, während die anderen kapitalistischen Länder, welche die Mehrheit ausmachen, nicht imperialistisch sind.  Wenn man dies rein formell betrachtet, werden heute alle Länder der Welt ökonomisch von zwei Ländern beherrscht: den USA und Russland. Kann man daraus schlussfolgern, dass ausschließlich die Bourgeoisie dieser beiden Länder imperialistisch ist und die Gegnerschaft des Proletariats gegenüber dem Krieg nur in diesen beiden Ländern zum Tragen kommt?

Besser noch, wenn man der trotzkistischen Argumentation folgt und Russland dabei herausnimmt, da das Land per Definition „nicht imperialistisch“ ist, gelangt man zu der absurden Schlussfolgerung, dass nur ein Land auf der Welt imperialistisch ist: die USA. Damit kommen wir zu der tröstlichen Schlussfolgerung, dass das Proletariat allen anderen Ländern der Welt helfen muss, da sie alle ‚nicht-imperialistisch und unterdrückt sind’.  Schauen wir konkret, wie diese trotzkistische Unterscheidung sich in der Praxis äußert.  

1939 ist Frankreich ein imperialistisches Land: revolutionärer Defätismus

1940-45 war Frankreich besetzt: Von einem imperialistischen Land wurde es zu einem unterdrückten Land. Sein Krieg wurde ein "Befreiungskrieg", "Es ist Aufgabe des Proletariats diesen Kampf zu unterstützen". Perfekt! Aber plötzlich wurde Deutschland 1945 zu einem besetzten und 'unterdrückten' Land. Damit wurde es zur Aufgabe des Proletariats, eine eventuelle Befreiung Deutschlands gegen Frankreich zu unterstützen. Was für Frankreich  und Deutschland zutrifft, gilt ebenso für irgendein anderes Land: Japan, Italien, Belgien usw.  Man braucht jetzt nicht die Kolonien und halb-kolonialen Länder zu erwähnen.  Im Zeitalter des Imperialismus wird jedes Land, das beim rücksichtslosen Konkurrenzkampf zwischen den Kapitalisten nicht das Glück oder die Kraft hat Sieger zu werden, de facto zu einem "unterdrückten" Land. Beispiel: Deutschland und Japan, und im entgegengesetzten Sinn – China.

Das Proletariat hätte somit zur Aufgabe, seine Zeit damit zu verbringen, auf der imperialistischen Waagschale hin-und her zu hüpfen, je nach dem, welche Anweisungen von den Trotzkisten erteilt werden. Es sollte sich dabei abschlachten lassen im Namen dessen, was die Trotzkisten folgendermaßen umschreiben: "Einen gerechten und fortschrittlichen  Krieg zu unterstützen…" (siehe das Übergangsprogramm – gleiches Kapitel).

Dies ist der grundsätzliche Charakter des Trotzkismus, der jeweils in allen Situationen und allen seinen Positionen dem Proletariat eine Alternative anbietet, die einen echten Gegensatz und eine Lösung als Klasse gegen die Bourgeoisie darstellt,  aber in Wirklichkeit nur eine Wahl zwischen zwei "unterdrückten" kapitalistischen Kräften bedeutet: zwischen einer faschistischen und antifaschistischen Bourgeoisie, zwischen "Reaktionären " und "Demokraten", zwischen Monarchie und Republik, zwischen imperialistischen Krieg und "gerechten und fortschrittlichen" Kriegen.

Ausgehend von dieser ewigen Wahl zwischen dem "geringeren Übel" haben sich die Trotzkisten am imperialistischen Krieg beteiligt. Die Notwendigkeit der Verteidigung der UdSSR stand keineswegs im Vordergrund. Bevor diese verteidigt wurde, hatten sie sich schon am Spanienkrieg (1936-1938) im Namen der Verteidigung des republikanischen Spaniens gegen Franco beteiligt. Dann verteidigten sie das China Chiang Kai-Sheks gegen Japan.

Die Verteidigung der UdSSR erscheint somit nicht mehr  als Ausgangs-  sondern als Endpunkt ihrer Positionen. Sie spiegelt unter anderem ihre Grundprinzipien wider. Diese Grundprinzipien verlangen nicht, dass die Arbeiterklasse eine eigenständige Klassenposition gegenüber dem imperialistischen Krieg hat, sondern dass sie eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen nationalen kapitalistischen Gruppierungen treffen kann und muss, die sich zu einem gewissen Zeitpunkt gegenüberstehen. Sie müssen als „fortschrittlich“ erachtet werden und ihre Hilfe erhalten; d.h. in der Regel soll der schwächere, rückständigere, der ‚unterdrückte’ Flügel der Bourgeoisie unterstützt werden.

Diese Position zu einer so grundsätzlichen, zentralen Frage wie der des Krieges stellt die Trotzkisten von vornherein als politische Strömung außerhalb des Proletariats und rechtfertig als solche schon die Notwendigkeit eines totalen Bruchs der proletarischen revolutionären Kräfte mit ihnen.

Die Trotzkisten machen die Arbeiterklasse zum Anhängsel der für „fortschrittlich“ erklärten Bourgeoisie

Aber wir haben nur eine Wurzel des Trotzkismus aufgegriffen. Im Allgemeinen stützt sich die trotzkistische Auffassung auf die Idee, dass die Befreiung des Proletariats nicht das Ergebnis eines „reinen“ Kampfes sei, bei dem das Proletariat als Klasse gegenüber dem gesamten Kapitalismus reagiert, sondern das Ergebnis einer Reihe von politischen Kämpfen in einem engeren Sinne, bei dem nach schrittweisen Bündnissen mit verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie einige ausgelöscht werden sollten, wodurch es dem Proletariat stufenweise gelingen würde, die Bourgeoisie zu schwächen, sie mittels Spaltung zu besiegen und sie scheibchenweise zu schlagen.

Dies ist sicherlich eine strategisch sehr weitsichtige, subtile und maliziöse  Sicht, die sich in dem Slogan „getrennt marschieren, gemeinsam schlagen….“ spiegelt. Es handelt sich um eine der Grundlagen der trotzkistischen Auffassung, die auch in der Theorie der „permanenten Revolution“ bestätigt wird (eine neue Art). Der zufolge meint die permanente Revolution, dass die Revolution selbst als eine ständige Abfolge von politischen Ereignissen als eines von vielen anderen Ereignissen gesehen wird. Dieser Auffassung zufolge ist die Revolution kein Prozess der ökonomischen und politischen Überwindung einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft. Der Aufbau des Sozialismus aber ist nur möglich und kann erst begonnen werden, nachdem das Proletariat die Macht ergriffen hat.

Es stimmt, dass diese Auffassung von der Revolution zum Teil dem Schema Marxens « treu » bleibt. Aber dies ist nur eine Treue gegenüber dem Wort. Marx vertrat dieses Schema 1848, als die Bourgeoisie noch eine historisch revolutionäre Klasse darstellte. In der Hitze der bürgerlichen Revolutionen, die über eine Reihe von Ländern Europas hinweg zogen, hoffte Marx, dass diese nicht auf der Stufe einer bürgerlichen Revolution stehen bleiben würden, sondern von dem Proletariat weiter bis zur sozialistischen Revolution getragen würden.

Auch wenn die Wirklichkeit Marx nicht bestätigt hat, handelte es sich bei ihm um eine sehr gewagte revolutionäre Auffassung, die den historischen Möglichkeiten voraus war.  Die permanente Revolution der Trotzkisten ist aber eine völlig andere Sache. Den Worten Marxens bleibt sie schon treu, aber sie bleibt dem Geist nicht treu. Ein Jahrhundert nach dem Ende der bürgerlichen Revolutionen, zur Zeit des Weltimperialismus, während die kapitalistische Gesellschaft insgesamt in ihren Niedergang eingetreten ist, meint der Trotzkismus, dass bestimmte Fraktionen des Kapitalismus in einigen kapitalistischen Ländern (und wie es das Übergangsprogramm ausdrücklich sagt, in den meisten Ländern) eine fortschrittliche Rolle spielen können.

Marx wollte das Proletariat 1848 an die Spitze der Gesellschaft treten lassen; aber die Trotzkisten lassen die Arbeiterklasse 1947 zu einem Anhängsel der als « fortschrittlich » ernannten Bourgeoisie werden. Man kann sich kaum eine groteskere Karikatur, eine gröbere Verzerrung des Schemas der permanenten Revolution von Marx als die der Trotzkisten vorstellen.

So wie Trotzki dies im Jahre 1905 wieder aufgegriffen und formuliert hatte, behielt dieses Schema der permanenten Revolution seine revolutionäre Bedeutung. 1905, zu Beginn des Zeitraums des Imperialismus, als der Kapitalismus noch viele Jahre Wohlstand vor sich zu haben schien, kam Trotzki in dem Land, das in Europa mit am rückständigsten war, und wo weiterhin noch eine politisch feudale Infrastruktur bestand, wo die Arbeiterbewegung ihre ersten Schritte machte, gegenüber all den Fraktionen der russischen Sozialdemokratie, die den Eintritt der bürgerlichen Revolution ankündigten, gegenüber Lenin, der aufgrund vieler Einschränkungen nicht wagte weiter zu gehen, als der zukünftigen Revolution bürgerliche Reformen unter einer demokratisch revolutionären Führung durch Arbeiter und Bauern zuzuschreiben, in dieser Situation kam Trotzki unzweifelhaft das Verdienst zu, verkündet zu haben, dass die Revolution entweder eine sozialistische sein werde, die der Diktatur des Proletariats, oder dass sie keine Revolution sein werde. 

Die Betonung der Theorie der permanenten Revolution lag auf der Rolle des Proletariats, das damals zur einzig revolutionären Klasse geworden war.  Diese war eine sehr kühne revolutionäre Verkündung, die sich ganz gegen die kleinbürgerlichen, verängstigten und skeptischen sozialistischen Theoretiker richtete sowie gegen die zögernden Revolutionäre, denen es an Vertrauen in die Arbeiterklasse mangelte.

Während heute die Erfahrung von mehr als 40 Jahren diese theoretischen Elemente vollauf bestätigt hat, ist die Theorie der permanenten Revolution "neuen Verschnitts" in einer kapitalistischen Welt, die ihren Höhepunkt überschritten hat und schon in ihren Niedergang eingetreten  ist, nur gegen die revolutionären "Illusionen" dieser Tollköpfe der extremen Linke, dieser Sündenböcke des Trotzkismus, gerichtet.

Heute wird die Betonung auf die rückständigen Illusionen der Proletarier gelegt, auf die Unvermeidbarkeit der Zwischenstufen, auf die Notwendigkeit einer realistischen und positiven Politik, auf die Arbeiter- und Bauernregierungen, auf die gerechten Kriege und fortschrittlich nationalen Revolutionen der Befreiung.

Dies ist heute das Schicksal der permanenten Revolution, sie liegt in den Händen der Jüngeren, die nur die Schwächen aufrechterhalten haben, aber nichts von der Größe, der Stärke und der revolutionären Tugend des Meisters übernommen haben.

Die "fortschrittlichen" Tendenzen und Fraktionen der Bourgeoisie und den revolutionären Weg des Proletariats zu unterstützen, die Spaltung und Gegensätze unter den Kapitalisten auszunutzen, sind nichts als die beiden Seiten der gleichen trotzkistischen Theorie. Wir haben gesehen, was aus der ersten geworden ist, schauen wir uns nun die zweite an.

Worin bestehen die Divergenzen im kapitalistischen Lager?

Erstens in der Art und Weise, wie man besser die kapitalistische Ordnung schützt. D.h. besser die Ausbeutung des Proletariats sicherstellt.  Zweitens hinsichtlich der unterschiedlichen ökonomischen Interessen verschiedenen Gruppen der Kapitalistenklasse. Trotzki, der sich oft durch seinen bildhaften Stil und seine Metapher hat fortreißen lassen, so dass er manchmal den wirklichen gesellschaftlichen Inhalt aus den Augen verlor,  hat stark auf diesem zweiten Aspekt bestanden. "Man darf nicht den Kapitalismus als eine Einheit sehen", meinte er. "Die Musik ist auch ein Ganzes, aber man wäre ein schlechter Musiker, wenn man nicht die unterschiedlichen Noten lesen könnte."  Diese Metapher wandte er auch auf die gesellschaftliche Bewegung und die Klassenkämpfe an. Niemand würde wirklich vorhandene Interessensunterschiede - auch nicht innerhalb der Kapitalistenklasse - und die daraus entstehenden Kämpfe leugnen oder verkennen. Es geht darum, welchen Platz diese Interessensunterschiede in der Gesellschaft und in den verschiedenen Kämpfen einnehmen. Man wäre ein sehr schlechter revolutionärer Marxist, wenn man die Kämpfe zwischen den Klassen und den Kampf zwischen Gruppen innerhalb der gleichen Klasse auf die gleiche Ebene stellt. "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“. Diese Grundsatzthese des Kommunistischen Manifestes verkennt natürlich nicht die Existenz von zweitrangigen Auseinandersetzungen verschiedener wirtschaftlicher Gruppen und Individuen innerhalb der gleichen Klasse und deren relative Bedeutung. Aber der Motor der Geschichte sind nicht diese zweitrangigen Faktoren, sondern der Kampf zwischen der herrschenden Klasse und der unterdrückten Klasse. Wenn eine neue Klasse in der Geschichte entsteht und eine alte ersetzt, die unfähig geworden ist, die Gesellschaft zu führen, d.h. in einer historischen Epoche der Umwälzungen und der gesellschaftlichen Revolution, bestimmt und dominiert der Kampf zwischen diesen beiden Klassen absolut all die gesellschaftlichen Ereignisse und alle zweitrangigen Konflikte. In solchen historischen Zeiträumen wie unserem auf die zweitrangigen Konflikte zu bestehen, mit deren Hilfe man die Richtung der Bewegung des Klassenkampfes, seine Richtung und sein Ausmaß bestimmen möchte, zeigt sonnenklar auf, dass man nichts von den Grundsätzen der marxistischen Methode verstanden hat. Man betreibt nur abstrakte Spielereien mit Musiknoten und unterwirft konkret den gesellschaftlichen historischen Kampf des Proletariats den Zufälligkeiten der politischen Konflikte unter den Kapitalisten.

Diese ganze Politik beruht im Kern auf einem tiefgreifenden Mangel an Vertrauen in die eigenen Kräfte des Proletariats. Offensichtlich haben die letzten drei Jahrzehnte ununterbrochener Niederlagen tragisch die Unreife und die Schwäche des Proletariats deutlich werden lassen. Aber es wäre ein Fehler, die Wurzel dieser Schwächen in der Selbstisolierung des Proletariats zu suchen, in der Abwesenheit eines ausreichend weichen, anpassungsfähigen  Verhaltens gegenüber den anderen Klassen, Schichten und politischen Strömungen, die der Arbeiterklasse feindlich gegenüber eingestellt sind. Das Gegenteil ist der Fall. Seit der Gründung der Komintern warnte man unaufhörlich vor der Kinderkrankheit der Linksradikalen; man entwarf die unrealistische Strategie der Eroberung der großen Massen, der Eroberung der Gewerkschaften, der revolutionären Ausnutzung der Parlamentstribüne, der politischen Einheitsfront mit dem "Teufel und seiner Großmutter" (Trotzki), der Beteiligung an Arbeiterregierungen in Sachsen usw.

Und das Ergebnis?

Ein Desaster.  Jeder neuen Eroberung mit einer "sanften Strategie" folgte eine noch größere und tiefergreifende Niederlage. Um diese Schwäche auszugleichen, für die das Proletariat verantwortlich gemacht wurde, stützte man sich zur "Stärkung" des Proletariats nicht nur auf Kräfte, die außerhalb des Proletariats standen (Sozialdemokraten), sondern auch auf ultrareaktionäre Kräfte: "revolutionäre" Bauernparteien; internationale Bauernkonferenzen, internationale Konferenzen der Kolonialvölker.  Je mehr Niederlagen das Proletariat einstecken musste, desto mehr Bündnisse en masse wurden errichtet und die Politik der Ausbeutung triumphierte in der Kommunistischen Internationale. Sicher liegt die Wurzel dieser Politik in der Existenz des russischen Staates, der seine Existenz zu rechtfertigen suchte und von seinem Wesen her nichts mit sozialistischer Revolution zu tun hatte, denn er war dem Proletariat fremd und Gegner der Ziele desselben.

Zur  Aufrechterhaltung  seiner Existenz und seiner Stärkung muss der Staat Bündnisse mit den "unterdrückten" Bourgeoisien, den "Völkern" und Kolonien und "fortschrittlichen" Ländern  suchen; diese findet er auch, denn diese sozialen Gruppierungen müssen ebenso einen Staat errichten. Er kann über die Spaltung und die Konflikte zwischen anderen Staaten und kapitalistischen Gruppen spekulieren, weil er das gleiche Klassenwesen wie diese besitzt.

In diesen Konflikten kann die Schwächung einer dieser Antagonismen zu einer Bedingung für seine Verstärkung werden. Dies trifft aber auf die Arbeiterklasse und ihre Revolution nicht zu. Sie kann sich auf keinen dieser Verbündeten oder Kräfte stützen. Sie steht alleine da und steht immer in einem unüberwindbaren historischen Widerspruch zu all diesen Kräften und Leuten, die sich ihr gegenüber zu einer untrennbaren Einheit zusammenfügen.

Das Proletariat sich seiner Position und seiner historischen Aufgabe bewusst werden zu lassen, ihm die großen Schwierigkeiten seines Kampfes nicht zu vertuschen, ihm aufzuzeigen, dass es aber auch keine Wahl hat, wenn es seine menschliche und physische Existenz bewahren will, ihm zeigen, dass es trotz dieser Schwierigkeiten siegen kann und muss, dies ist der einzige Weg der Stärkung des Proletariats für seinen Sieg.

Aber wenn man versucht, diesen Schwierigkeiten auszuweichen, indem man für die Arbeiterklasse mögliche Verbündete sucht (auch nur vorübergehende) und ihm "fortschrittliche" Kräfte anderer Klassen anbietet, auf die sie sich in ihrem Kampf stützen sollte, heißt die Arbeiterklasse zu täuschen, um sie zu trösten, zu entwaffnen und sie in die Irre zu führen. Darin besteht die Funktion der Trotzkisten heute.  Marc

"Bravo Abd-al-Krim" oder eine kurze Geschichte des Trotzkismus  
(Internationalisme n° 24 – Juli 1947)

Einige Leute leiden unter einem Minderwertigkeitsgefühl, andere unter Schuldgefühlen, wieder andere unter Verfolgungswahn. Der Trotzkismus wiederum leidet unter einer Krankheit, die man mangels besserer Bezeichnung "Verteidigungsmanie" nennen könnte. Die ganze Geschichte des Trotzkismus dreht sich um die "Verteidigung" von irgendetwas. Und wenn die Trotzkisten unglücklicherweise in 'flauen Wochen' nichts und niemanden zum Verteidigen finden,  werden sie sprichwörtlich krank. Dann erkennt man sie an ihren traurigen Gesichtern, ihren niedergeschlagenen Minen, ihrem verstörten Blick, wie sie wie ein Drogenabhängiger ihre tägliche Giftdosis suchen: eine Sache oder ein Opfer, für dessen Verteidigung sie eintreten könnten.

Gott sei Dank gibt es ein Russland, in dem es einmal eine Revolution gegeben hat. Dies dient den Trotzkisten ewig zur Rechtfertigung ihres Dranges der Verteidigung. Was immer in Russland passiert, bleiben die Trotzkisten unerschütterlich für die "Verteidigung der UdSSR", denn sie haben in Russland eine unerschöpfliche Quelle gefunden, welche ihr Laster der "Verteidigung" befriedigt.

Aber nicht nur die großen Verteidigungen zählen. Um das Leben des Trotzkismus zu bereichern, braucht man zusätzlich zu der großen Verteidigung die unsterbliche, bedingungslose "Verteidigung der UdSSR" – welche die Grundlagen und die Daseinsberechtigung des Trotzkismus liefern. Der Trotzkismus ist erpicht auf die "alltäglichen…Verteidigungen", das, was er "jeden Tag verteidigen" kann.

In der Niedergangsphase des Kapitalismus entfesselt dieser eine allgemeine Zerstörung, von der die Arbeiterklasse betroffen ist, die wie immer Opfer des Regimes wird. Repression und Massaker breiten sich aus, sogar bis in die Kapitalistenklasse hinein pflanzt sich die Zerstörung fort. Hitler massakrierte die republikanischen Bürgerlichen, Churchill und Truman hängten und erschossen Goering und Co., Stalin erhielt das Einverständnis aller, als er verschiedene Leute massakrierte.  Ein blutiges allgemeines Chaos, die Auslösung einer perfektionierten Bestialität und ein bislang unbekannter raffinierter Sadismus sind das zu zahlende unausbleibliche Lösegeld, wenn es dem Kapitalismus unmöglich geworden ist, seine Widersprüche zu überwinden. Gott sei gelobt.  Welch ein Glücksfall für diejenigen, die auf der Suche einer verteidigungswerten Sache sind.  Unsere Trotzkisten freuen sich! Jeden Tag bieten sich für unsere modernen Ritter neue Möglichkeiten, bei denen sie ihr großzügiges Wesen ihres Kampfes zur Wiedergutmachung jeglichen Unrechts und der Rache der Beleidigten zeigen können.

Werfen wir einen Blick auf die Geschichte des Trotzkismus

Im Herbst 1935 fing Italien eine militärische Kampagne gegen Äthiopien an. Es handelte sich zweifelsohne um einen imperialistischen Krieg der kolonialen Eroberung eines rückständigen Landes, Äthiopiens, das wirtschaftlich und politisch noch halbfeudal war, durch ein fortgeschrittenes kapitalistisches Land, Italien. In Italien herrschte das Regime Mussolinis, in Äthiopien das Regime Negus, der "König der Könige". Aber der italienisch-äthiopische Krieg ist viel mehr noch als ein einfacher, klassischer Kolonialkrieg.   Es handelte sich um die Vorbereitung, den Auftakt des sich ankündigenden Weltkriegs. Aber die Trotzkisten brauchen nicht so weit voraus zu schauen. Es reicht zu sehen, dass Mussolini der "böse Angreifer" gegen das "arme Königreich" des Negus ist, um unmittelbar die "bedingungslose" Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit Äthiopiens zu übernehmen. Ah, aber wie! Sie reihen ihre Stimme in den allgemeinen Chor ein (vor allem den Chor des angel-sächsischen "demokratischen" Blocks, welcher noch in der Bildung begriffen ist und sich noch sucht), um internationale Sanktionen gegen die "faschistische Aggression" zu fordern. Die stärksten Verteidiger unter allen, die zudem von niemanden in diesen Fragen Lehren erhalten können, schelten und prangern sie die aus ihrer Sicht unzureichende Verteidigung durch den Völkerbund an[9], und rufen die Arbeiter der Welt dazu auf, die Verteidigung Äthiopiens und des Negus zu übernehmen. Es stimmt zwar, dass die Verteidigung des Königs Negus durch die Trotzkisten diesem nicht besonders viel Glück gebracht hat, weil er trotz deren Verteidigung geschlagen wurde. Aber gerechterweise muss man sagen, dass ihnen die Schuld dieser Niederlage  nicht angehaftet werden kann, denn wenn es um die Verteidigung geht, selbst die eines Negus, nörgeln die Trotzkisten nicht. Sie sind zur Stelle und wie!

1936 brach der Spanienkrieg los. In Gestalt eines inneren "Bürgerkrieges", durch welchen die spanische Bourgeoisie in einen frankistischen und republikanischen Clan gespalten wurde, wurde dieser auf Kosten des Lebens und des Bluts der Arbeiter geführt. Er war das Vorspiel für den bevorstehenden Weltkrieg. Die Regierung, welche aus Republikanern, Stalinisten und Anarchisten zusammengesetzt war, war offensichtlich militärisch unterlagen. Natürlich eilten die Trotzkisten der Republik zur Hilfe, die "durch die faschistische Gefahr bedroht wurde". Ein Krieg kann natürlich nicht fortgesetzt werden, wenn es an Kämpfern und Material fehlt. Er würde zum Erliegen kommen. Aus Angst vor solch einer Perspektive, wo man nichts mehr verteidigen könnte, setzen die Trotzkisten alles daran, Kämpfer für die internationalen Brigaden zu rekrutieren und bringen alle Mittel für die Entsendung von "Kanonen für Spanien" auf. Aber die republikanische Regierung, zu der Azaña, Negrin, Francos Freunde von gestern und heute gehören, sind die Feinde der Arbeiterklasse. Die Trotzkisten schauen nicht so genau hin. Sie verhandeln nicht ihre Hilfe. Man ist für oder gegen die Verteidigung. Wir Trotzkisten, wir sind Neo-Verteidiger. Punkt, basta!

1938 tobte der Krieg im Fernen Osten. Japan griff das China Tschiang Kai-Sheks an.Ah! Keine Zögerungen! "Alle geschlossen wie ein Mann für die Verteidigung Chinas". Trotzki selbst erklärte, dies sei nicht der Zeitpunkt, um das blutige Massaker der Tausenden und Tausenden Arbeiter Shanghais und Kantons durch die Armeen des gleichen Tschiang Kai-Sheks während der Revolution von 1927 in Erinnerung zu rufen. Die Regierung Tschiang Kai-Shek mag wohl eine kapitalistische Regierung sein, die im Solde des amerikanischen Imperialismus steht, und die bei der Ausbeutung und der Repression der Arbeiter dem japanischen Regime in nichts nachsteht, all das zählt wenig angesichts des höheren Prinzips der nationalen Unabhängigkeit. Das internationale Proletariat, das für die Unabhängigkeit des chinesischen Kapitalismus mobilisiert wurde, bleibt immer unabhängig… vom Yankee-Imperialismus, aber Japan hat tatsächlich China verloren und ist geschlagen worden. Die Trotzkisten können zufrieden sein. Zumindest haben sie die Hälfte ihres Ziels erreicht. Es stimmt, dass dieser antijapanische Sieg  Dutzende Millionen von Arbeitern, die im sieben Jahre dauernden Krieg an allen Fronten während des Weltkriegs massakriert wurden, das Leben gekostet hat.[10] Aber zählt das neben der garantierten Unabhängigkeit Chinas?

1939 griff Hitler-Deutschland Polen an. Vorwärts mit der Verteidigung Polens. Aber der russische "Arbeiterstaat" griff ebenfalls Polen an, und fiel zudem noch in Finnland ein und entriss Rumänien Gebietsstreifen. Das stiftet ein wenig Verwirrung in den Köpfen der Trotzkisten, die wie die Stalinisten erst wieder klarer sehen als die Feindseligkeiten zwischen Deutschland und Russland ausbrachen. Danach wurde die Lage wieder einfacher, zu einfach, tragisch einfach. Fünf Jahre lang riefen die Trotzkisten die Arbeiter aller Länder dazu auf, sich für die "Verteidigung der UdSSR" abschlachten zu lasen und auf Umwegen alle Verbündeten der UdSSR. Sie bekämpften die Regierung Vichys, die das französische Kolonialreich Deutschland dienstbar machen wollte und somit "seine Einheit" aufs Spiel setzte. Sie bekämpften Pétain und andere Quisling[11]. In den USA forderten sie die Kontrolle der Armee durch die Gewerkschaften, um besser die Verteidigung der UdSSR gegen die Bedrohung durch den deutschen Faschismus sicherzustellen. Sie waren bei allen Maquis, allen Résistance in allen Ländern präsent. Dies war die Blütezeit der "Verteidigung".

Der Krieg mag wohl zu Ende kommen, aber der tiefgreifende Wunsch der Trotzkisten nach "Verteidigung" ist unbegrenzt. Das weltweite Chaos, das dem offiziellen Ende des Krieges folgte, die verschiedenen Bewegungen rasender Nationalismen, die bürgerlich-nationalistischen Erhebungen in den Kolonien, waren allemal Ausdrücke des weltweiten Chaos nach dem offiziellen Ende des Krieges, welches schließlich durch die Großmächte benutzt und angefacht wurde, um sie ihren imperialistischen Interessen unterzuordnen. Sie lieferten genug Stoff für die Trotzkisten zur Rechtfertigung ihrer "Verteidigungsargumentation". Vor allem im Namen der bürgerlichen Kolonialbewegungen, unter den Fahnen der "nationalen Befreiung" und des "Kampfes gegen den Imperialismus" (eine verbalradikaler Schlachtruf) schlachtete man weiter Tausende Arbeiter ab. All das stellt den Höhepunkt der „Verteidigungsaufrufe“ der Trotzkisten dar.  

In Griechenland prallten der russische und anglo-amerikanische Block um die Vorherrschaft auf dem Balkan aufeinander; vor Ort geschah dies in Form von Partisanenkämpfen gegen die offizielle Regierung. Die Trotzkisten waren mit dabei. "Finger weg von Griechenland", schrien sie, und sie kündigten die gute Nachricht den Arbeitern an, nämlich die Gründung von internationalen Brigaden auf dem jugoslawischen Territorium des Befreiers Tito[12], wo sie die Arbeiter dazu aufriefen, in Brigaden zum Kampf um die Befreiung Griechenlands einzutreten.

Nicht weniger enthusiastisch berichten sie von ihren heldenhaften Kämpfen in China in den Reihen der sog. Kommunistischen Armee,  die genau so kommunistisch ist wie die russische Regierung Stalins, von der sie abstammt. Indochina, wo die Massaker ebenfalls gut organisiert worden sind, wird erneut ein Paradebeispiel für die trotzkistische Verteidigung der "nationalen Unabhängigkeit Vietnams" sein. Mit dem gleichen generösen Elan unterstützten und verteidigten die Trotzkisten die nationale bürgerliche Partei Destour in Tunesien, der nationalen bürgerlichen Partei (PPA) in Algerien. Sie fanden Befreiungstugenden bei der MDRM, der bürgerlich nationalistischen Bewegung in Madagaskar. Die Verhaftung von Funktionären der Republik und von Abgeordneten in Madagaskar durch die kapitalistische Regierung Frankreichs trieb die Empörung der Trotzkisten auf den Höhepunkt. Jede Woche wurde La Vérité mit neuen Aufrufen für die Verteidigung der "armen" Abgeordneten Madagaskars gedruckt. "Befreit Ravoahanguy, befreit  Raharivelo, befreit Roseta !"Der Platz in der Zeitung reichte nicht mehr, um all die Aufrufe zur "Verteidigung", an der sich die Trotzkisten beteiligen sollten, zu veröffentlichen. Verteidigung der in den USA bedrohten stalinistischen Partei! Verteidigung der pan-arabischen Bewegung gegen den jüdischen Kolonisationszionismus in Palästina, und Verteidigung der Wütenden vor der chauvinistischen jüdischen Kolonisation, der terroristischen Führer des Irgun gegen England!

Verteidigung der Sozialistischen Jugend gegen das Führungskomitee der SFIO.

Verteidigung der SFIO gegen denn neo-sozialistischen Ramadier.

Verteidigung der CGT (französische Gewerkschaft) gegen ihre Führer

Verteidigung der "Freiheiten…. gegen die Bedrohungen durch die "Faschisten um de Gaulle"

Verteidigung der Verfassung gegen die Reaktion

Verteidigung der Regierung von PS-PC-CGT gegen die MRP.

Und über allem stehend Verteidigung des "armen" Russlands Stalins, das von einer Umzingelung durch die USA bedroht ist.

Arme, arme Trotzkisten, auf den zarten Schultern lastet die schwere Bürde so vieler "Verteidiger"!

Am 31. Mai diesen Jahres hat etwas Sensationelles stattgefunden: Abd-al-Krim, der alte Führer des Rifs[13], hat die französische Regierung einfach stehen lassen, indem er  bei seiner Überstellung nach Frankreich flüchtete. Diese Flucht wurde durch die Komplizenschaft des Königs Faruk aus Ägypten vorbereitet und ausgeführt, der ihm Asyl anbot, das man königlich nennen kann. Das Ganze erfolgte mit ziemlichem Wohlwollen der USA. Die Presse und die französische Regierung sind bestürzt. Die Lage Frankreichs in den Kolonien ist alles andere als sicher, und es wird neue Unruhen geben. Aber mehr als eine wirkliche Gefahr ist die Flucht Abd-al-Krims vor allem ein Ereignis, das Frankreich lächerlich aussehen lässt, dessen Prestige auf der Welt ohnehin schon angeschlagen ist. Auch versteht man die Proteste der ganzen Presse, die sich über den Vertrauensbruch Abd-al-Krims gegenüber der demokratischen französischen Regierung beschweren, der trotz seines Ehrenwortes flüchtete.

Dies ist natürlich ein "tolles" Ereignis für unsere Trotzkisten, die vor Freude mit den Füßen trampeln. La Vérité vom 6. Juni titelt "Bravo Abd-al-Krim", sie empfindet Mitleid mit dem, der "den heldenhaften Kampf des marokkanischen Volkes anführte".La Vérité lobt die revolutionäre Größe seiner Geste. "Wenn sie diese Herren des Generalsstabs und des Ministeriums der Kolonien getäuscht haben, haben sie das toll gemacht. Man muss wissen, wie man die Bourgeoisie hinters Licht führt, sie belügt, sie austrickst, lehrte uns Lenin", schreibt La Vérité. So wurde Abd-al-Krim zu einem Schüler Lenins gemacht, in Erwartung, dass er ein Ehrenmitglied des Exekutivkomitees der 4. Internationale wird.

Die Trotzkisten versichern uns, "als alter Kämpfer des Rifs, der wie in der Vergangenheit die Unabhängigkeit seines Landes wollte,… so lange wie Abd-al-Krim kämpft, werden alle Kommunisten auf der Welt ihm helfen und ihn unterstützen". Sie sagen zum Schluss: "Was gestern die Stalinisten sagten, wiederholen wir Trotzkisten heute".

Tatsächlich könnte man das nicht deutlicher sagen.

Aber wir werfen den Trotzkisten nicht vor, "das heute zu wiederholen, was die Stalinisten gestern gesagt haben" und das zu tun, was die Stalinisten immer getan haben. Wir werfen den Trotzkisten auch nicht vor, das zu "verteidigen" was sie wollen. Sie erfüllen eigentlich ganz ihre Rolle.

Aber es möge uns gestattet sein, einen Wunsch auszudrücken, einen einzigen Wunsch. Mein Gott! Hoffen wir, dass die Notwendigkeit der Verteidigung der Trotzkisten nicht eines Tages dem Proletariat zufällt. Denn mit dieser Art Verteidigung wird die Arbeiterklasse sich nie mehr erheben können.

Die Erfahrung mit dem Stalinismus reicht vollkommen!    Marc

[1]Siehe unsere Broschüre  La Gauche Communiste de France [133].

[2]Siehe unseren Artikel  La Gauche Communiste et la continuité du marxisme [134].

[3]Siehe dazu das erste Kapitel unserer Broschüre zur "Gauche Communiste de France". Die gescheiterten Versuchte der Schaffung einer Gauche Communiste de France".

[4][Hinweis der Redaktion] Ein besonderer Hinweis auf Munis sei hier angebracht, welcher mit dem Trotzkismus auf der Grundlage der Verteidigung des proletarischen Internationalismus brach. Siehe dazu unseren Artikel in Internationale Revue Nr. 58 (französische Ausgabe). "Dem Gedenken an Munis, Kämpfer der Arbeiterklasse". A la mémoire de Munis, un militant de la classe ouvrière [135].

[5][Hinweis der Redaktion]: Es handelt sich um die russische Offensive 1939, die neben Finnland auch auf Polen gerichtet war (das seinerzeit von Hitler überfallen wurde), sowie auf die Baltischen Staaten und Rumänien.

[6]Es ist ganz typisch, dass die Gruppe Johnson-Forest, die sich von der Partei Schachtmans getrennt hat und sich als "sehr links" bezeichnet, weil sie gleichzeitig die Verteidigung der UdSSR ablehnt und die antirussischen Positionen Schachtmans, dass die gleiche Gruppe heftig die französischen Trotzkisten kritisiert, die ihnen zufolge sich nicht direkt aktiv genug an der 'Résistance' beteiligt haben. Dies ist ein typisches Beispiel des Trotzkismus.

[7][Hinweis der Redaktion]: Forces Françaises de l'Intérieur, Gesamtheit der militärischen Gruppen der französischen inneren Résistance, die im besetzten Frankreich gebildet worden waren, und im März 1944 unter den Befehl des General Königs und der politischen Autorität des General de Gaulles gestellt worden war.

[8][Hinweis der Redaktion] :Parti Communiste Internationaliste, Ergebnis des Zusammenschlusses 1944 der Parti Ouvrier Internationaliste und des Comité Communiste Internationaliste

[9][Hinweis der Redaktion] Völkerbund, Vorläufer vor dem Krieg der Vereinten Nationen

[10]Man lese zum Beispiel La Vérité vom 20.06.1947. « Der heldenhafte Kampf der chinesischen Trotzkisten": "In der Provinz Chandung wurden unsere Genossen zu den besten Kämpfern der Guerilla… In der Provinz Xiang-Chi wurden die Trotzkisten von den Stalinisten als die 'loyalsten Kämpfer gegen Japan' begrüßt. Usw."

[11][Hinweis der Redaktion]: Vidkum Quisling war der Führer der norwegischen Nasjonal Samling (Nazipartei) und Führer der Phantomregierung, die von Deutschland nach der Besetzung Norwegens eingesetzt worden war.

[12][ Hinweis der Redaktion]:  Josip Broz Tito war einer der Hauptverantwortlichen der jugoslawischen Résistance am Ende des Krieges.

[13][Hinweis der Redaktion] Mohammed Abd al-Karim Al Khattabi (in Ajdir, Marokko,ca. 1882 geboren), verstorben am 6.Februar 1963 in Kairo in Ägypten), führte einen langen Widerstandskampf gegen die Kolonialbesetzung des Rifs – Bergregion im Norden Marokkos – zunächst gegen die Spanier, dann gegen die Franzosen. Ihm gelang es 1922 , eine "Konföderierte Republik der Stämme des Rifs" auszurufen. Der Krieg zur Niederschlagung dieser neuen Republik wurde von einer Armee von 450.000 Soldaten geführt, die Frankreich und Spanien zusammengestellt hatten. Als er sah, dass seine Sache aussichtslos war, stellte sich Abd-al-Krim den Behörden als Kriegsgefangener, um das Leben von Zivilisten zu schützen, was aber die Franzosen nicht daran hinderte, die Dörfer mit Senfgas zu bombardieren, wodurch 150.000 Menschen getötet wurden. Abd-al-Krim ging ab 1926 nach La Réunion ins Exil, wo er unter Hausüberwachung stand, aber 1947 durfte er nach Frankreich zurückkehren. Als sein Schiff in Ägypten Zwischenstop machte, übertölperte er seine Bewacher, und verbrachte den Rest seines Lebens in Kairo. (siehe Wikipedia).

Aktuelles und Laufendes: 

  • Trotzkismus Kriegsfrage [136]

Leute: 

  • Tito [137]
  • Abd al Krim [138]
  • G. Munis [139]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Trotzkismus [140]

Historische Ereignisse: 

  • Spanienkrieg [141]
  • Krieg Griechenland [142]

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  • Internationalismus [64]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Angebliche "Arbeiterparteien" [143]

Notizen zu den Studentenprotesten:

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Nachfolgend veröffentlichen wir einige Notizen zu den Studentenprotesten in Deutschland, die wir als Zuschrift erhalten haben. Wir begrüßen solche Reaktionen und möchten sie hiermit zur Debatte stellen. - Weltrevolution -

Notizen zu den Studentenprotesten:

1) Die Gesamtsituation im Juni und jetzt ist unterschiedlich (im Juni z.B. Streik der Erzieherinnen – jetzt mehr Niedergeschlagenheit durch Firmenschließungen wie Karstadt und Quelle)

2) Die Studenten haben im Juni nichts erreicht, die Bourgeoisie hat angesichts der nahenden Sommerferien das Ganze ausgesessen. Deshalb jetztwieder Proteste – sie haben sich nicht entmutigen lassen.

3) Einiges finden ich bemerkenswert bei diesen Protesten:

a) Kämpferisch und motiviert – Die Studenten investieren viel Zeit und Energie, sie lassen sich nicht einlullen durch Versprechungen und angebliches „Verständnis“, hinter denen nichts steckt

b) Kollektives Entscheiden und Handeln – in den besetzten Hörsälen wird diskutiert und gemeinsam entschieden und zwar tagtäglich – die Arbeitskreise, die einzelne Themen erarbeiten, legen regelmäßig Rechenschaft ab.

c) An vielen Orten autonomes Handeln – die Asten und Studentenparlamenten haben Schwierigkeiten, einen Zugang zu den Protesten zu finden und bleiben bei Solidaritätsbekundungen (es ist allerdings je nach Uni unterschiedlich – hier da, dort weniger)

d) Parteien sind selten gern gesehen, aber es gibt nicht unbedingt eine Abneigung gegen Politik – jeder kann reden, egal ob organisiert oder nicht

e) Die Studenten besetzen nicht die Räume, um sich darin einzusperren, sondern als Ort der Zusammenkunft, um auch vor dort aus andere Unis zu besuchen

f) Die Proteste gehen über Städte, Regionen und Länder hinweg – praktischer internationaler Zusammenhalt und Vernetzung. Zwei Beispiele: Die Wuppertaler sind z.B. vor einer Woche abends nach ihrem Plenum spontan zu 40 nach Aachen gefahren, um die dortigen Studenten zu besuchen und zu unterstützen – es hat allen gut getan, sie haben eine spontane Demo gemacht und über zwei Stunden diskutiert ; als sie hörten, dass in Deutschland Unis mit Polizeigewalt geräumt wurden, begaben sich die Wiener Studenten spontan als Demo zu der deutschen Botschaft (bringt zwar nicht viel, aber eine spontane Reaktion der Solidarität)

g) Solidarität ist insgesamt wichtig – eine Demo gegen die Repressalien wird z.B. jetzt am 25.11. in Duisburg stattfinden

h) Die Studenten sind offen auch für andere (Eltern, Dozenten) und freuen sich über Beteiligung

i) Mich begeistert ihre Kreativität, wie sie mit Problemen umgehen, wie sie neue Lösungen und Ideen immer wieder finden, wie sie das Ganze künstlerisch, humorvoll und einfallsreich aufarbeiten

j) Die Reaktionen der Bevölkerung finde ich auch interessant: die Studenten bekommen Unterstützung (einige Beispiele: Anwohner und andere Menschen haben den Studenten in Köln 40 Schüsseln mit Salaten gebracht; Bäckereien schenken Brot und Gebäck; Druckereien drücken umsonst Flyers, etc.)

4) Selbstverständlich sind erhebliche Grenzen auch vorhanden:

a) Während die Studenten sich viel über die Organisation ihres Protestes Gedanken machen, sind inhaltliche Diskussionen oft zu selten – was steckt hinter den Forderungen, in welcher Situation weltweit und in Deutschland/Österreich befinden wir uns, ist der universitäre Rahmen der einzige, um den es geht, was ist mit den Beschäftigten... viele Diskussionsthemen, die stattfinden sollten auch über die verschiedenen Vernetzungsmöglichkeiten, aber es meiner Meinung nach zu wenig tun –allerdings habe ich nur einen eingeschränkten Blick, bin ja nicht überall, es kann auch Unterschiede geben. Insgesamt ist es meiner Meinung nach aber eher unpolitisch und damit eine leichte Beute für die bürgerlichen Medien und Parteien/Organe/Ideologie

b) Die Grenzen liegen in der Natur des Studentendaseins selbst – die Zusammensetzung ist heterogen und sie sind noch nicht im Produktionsprozess integriert – mit Illusionen und wenig Erfahrungen (auch wenn sie instinktiv oft richtig reagieren)

c) Die gesamte Situation bietet wenig Möglichkeiten, dass sie sich bestehenden Kämpfen der Arbeiter anschließen – denn die gibt es im Moment nicht. Dadurch werden Appelle, sich auch an die Arbeiter zu wenden, abstrakt. Da, wo Reaktionen der Arbeiter bestehen, gibt es aber ein natürliches Zusammenkommen mit den Studenten (z.B. letzten Samstag in Wien, als Erzieherinnen für bessere Arbeitsbedingungen demonstrierten, waren die Studenten dabei und haben die Demonstranten zu einer „Kindergartenjause“ im Audimax der Uni eingeladen).

5) Die Reaktion der Bourgeoisie:

a) Der Bourgeoisie ist das Ganze unangenehm. Erst hat sie versucht, es totzuschweigen (über die Proteste in Österreich ist die erste Zeit gar nicht berichtet worden). Dann ging es nicht mehr, also durfte sie den Studenten das Feld nicht überlassen und kein Tag vergeht ohne Berichterstattung, Interviews und „viel Verständnis“ sogar von Merkel! In einer Zeit, in der der soziale Frieden über kurz oder lang Risse bekommt und Kämpfe unvermeidbar werden, ist das Beispiel der Studenten und die Solidarität der Bevölkerung so gar nicht in ihrem Sinne. Sie versucht mit der ganzen Palette von Repression bis Zustimmung das Nachdenken zu verhindern.

b) Reaktionen wie Räumung der Unis durch Polizei und Strafanzeigen halte ich nicht für ein Zeichen der Stärke der Bourgeoisie. Wird da geräumt, gehen sie durch eine andere Tür wieder rein – es beeindruckt sie nicht, macht sich aber in der Bevölkerung nicht besonders gut und gießt Öl aufs Feuer – zumal die Studenten sich durch Gewalt nicht provozieren lassen.

c) Reaktionen der Bildungsministeriums wie Bafögerhöhung oder Sparpläne für zukünftige Studenten (die Oma und Opa anlegen können) sind lächerlich, und was ich mitkriegen konnte, werden auch von Nichtstudenten als solche wahrgenommen.

d) Dass die Bourgeoisie hinter allen Maßnahmen das Sparen bezweckt, wird immer deutlicher – ob Kindergarten oder Uni, es soll billig sein – je mehr Bildung auf der Packung steht, desto weniger ist Bildung drin. Die Unfähigkeit des Kapitalismus, den Menschen u.a. auch in ihrem Bedürfnis nach Lernen eine Perspektive zu bieten, offenbart sich auch zunehmend darin, dass die Bourgeoisie nicht in der Lage sein kann, auf die Studentenproteste wirklich einzugehen. Diese Unfähigkeit des Kapitalismus verstehen die Studenten aber noch nicht und darin liegen ihre Illusionen.
N. 23.11.09

Offener Brief an die Studenten

„Liebe Wuppertaler Studenten, Ich verfolge mit Spannung seit dem Sommer Eure Proteste und war gestern Abend mit Twitter und Lifestream in Gedanken bei Euch, deshalb einige Kommentare:

Bin schwer beeindruckt von dem Durchhaltevermögen und der Entschlossenheit der Studenten in Wuppertal und allen anderen Städten. Während im Sommer viel versprochen, aber nichts gehalten wurde, wollt Ihr jetzt etwas erreichen. Ihr habt recht, es geht ja auch um Eure Zukunft. Erreichen könnt Ihr nur was, wenn Ihr ein Kräfteverhältnis zu Euren Gunsten schafft, d.h. wenn die Verantwortlichen so richtig das Zittern bekommen und ihnen nichts anderes übrigbleibt, als nachzugeben. Das war die Situation 2006 in Frankreich, als die Studenten die Regierung zur Rücknahme eines Gesetzpaketes gezwungen haben. Was macht euch stark? - stark macht euch erst einmal die gesamte Situation in Deutschland (und weltweit): Tausende Beschäftigte verlieren z.Zt. ihre Arbeit (Quelle, Karstadt etc.), Opel steht auf der Kippe, unzählige Zulieferbetriebe der Autoindustrie und andere Branchen haben Kurzarbeit, nicht zu vergessen den Streik der Erzieherinnen im Sommer, die nach wie vor unzufrieden sind – der soziale Frieden, der in Deutschland solange gepflegt wurde, bekommt Risse. - stark macht es Euch aus diesem Grund, wenn Ihr den Kontakt zu den Beschäftigten im Bildungsbereich und woanders sucht, denn Eure Probleme sind im Grunde die gleichen: Studiengebühren und Bachelor haben den Zweck, die Bildung möglichst preisgünstig zu gestalten, an Euch und Eurer Zukunft zu sparen – nicht anders als in Kindergärten oder bei Opel. Damit meine ich nicht in Form von Grußbotschaften der Gewerkschaften, sondern indem Ihr auf die Straße geht oder auch zu Betrieben. Z.B. Auszubildende und Dualstudenten haben schwer zu tragen und sind Eure Verbündete – auch sie könnten sich mit ihren eigenen Forderungen Euch anschließen.

- stark macht es Euch, wenn Ihr so zahlreich wie möglich seid, wenn Ihr miteinander diskutiert, wenn Ihr nicht in eurer Uni eingesperrt bleibt, sondern Gedanken und Erfahrungen mit anderen Unis austauscht – in diesem Sinne sind die Vorschläge, mehrere Unis zu besuchen und geschlossen zu
demonstrieren zu begrüßen. Unibesetzungen sind kein Selbstzweck, sondern bieten eine Gelegenheit, miteinander zu diskutieren, sich zu sammeln und loszuziehen zu anderen Unis, Schulen, zu den Menschen auf der Straße, die Euren Protest oft wohlwollend wahrnehmen, ihn aber als „die Sache der Studenten, mit der sie doch nichts zu tun haben“, betrachten.

  • stark macht es Euch, wenn Ihr geschlossen und so zahlreich wie möglich Euch gegen jetzige und zukünftige Repressalien wehrt (Strafanzeigen u.a.)
  • dies nicht in Form von Petitionen, denn Papier ist geduldig und beeindruckt wenig.
  • ich hoffe, dass ihr genug Zeit findet, viele Diskussionen zu führen und Eure Gedanken auf Papier zu bringen, z.B. in „Talsperre“ und ins Internet, damit sich Studenten und andere Menschen beteiligen können und der Gewinn Eures Protestes sich auch darin ausdrückt.

17.11.09

Aktuelles und Laufendes: 

  • Studentenproteste Deutschland [144]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/IKSonline/2009

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