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Internationale Revue - 1999

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Internationale Revue 23

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1918-1919 :Die proletarische Revolution beendet den imperialistischen Krieg

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Erst vor kurzem feierte die Bourgeoisie das Ende des Ersten Weltkrieges. Ein Unmenge von rührseligen Erklärungen wurden zu dieser schrecklichen Tragödie verbreitet. Aber in keiner der Erinnerungen, ob nun in den Erklärungen von Politikern, in Zeitungsartikeln oder in Fernsehsendungen, wurde auch nur mit einem Wort der Ereignisse gedacht, die die damaligen Regierungen zur Beendigung des Krieges bewegten. Man sprach von der militärischen Niederlage der Mittelmächte, von Deutschland und seinem Alliierten Österreich, aber man vermied peinlichst, einen Hinweis auf das entscheidendste Element für den Wunsch nach Waffenstillstandsverhandlungen zu nennen: nämlich die revolutionäre Bewegung in Deutschland, die sich Ende 1918 entwickelte. Auch war mit keinem Wort (und hier kann man die Bourgeoisie gut verstehen) von den wirklichen Gründen für diesen Krieg die Rede. Gewiss sind "Spezialisten" in die Archive der verschiedenen Regierungen gegangen, um zum Schluss zu gelangen, dass Deutschland und Österreich die Urheber des Krieges gewesen waren. Ebenso haben die Historiker die Tatsache ans Tageslicht gebracht, dass auch auf Seiten der Entente klar definierte Kriegsziele vorhanden waren. In keiner ihrer Analysen stellt man aber den wirklich Verantwortlichen an den Pranger: das kapitalistische System. Nur der Marxismus kann erklären, weshalb es nicht der Wille oder die besondere Hinterhältigkeit dieser oder jener Regierung gewesen ist, die am Anfang des Krieges standen, sondern die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus selbst. Für uns stellt der Jahrestag der Beendigung des Ersten Weltkrieges die Gelegenheit dar, auf die Analysen zurückzukommen, die die Revolutionäre damals erstellten, sowie auf den Kampf, den sie gegen den Krieg führten. Wir stützen uns insbesondere auf die Schriften, Positionen und Haltungen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die vor 80 Jahren von der Bourgeoisie getötet worden waren. Dies ist die geeignetste Würdigung für diese beiden großartigen Kämpfer für das Weltproletariat' in einer Zeit, in der die Bourgeoisie alles unternimmt, um die Erinnerung an sie auszulöschen.

Dem Ersten Weltkrieg, der in Europa im August 1914 ausbrach, waren auf diesem Kontinent zahlreiche andere Kriege vorausgegangen. Beschränkt man sich auf das 19. Jahrhundert, so kann man beispielsweise an die napoleonischen Kriege und den Krieg zwischen Preußen und Frankreich 1870 erinnern. Jedoch bestehen zwischen dem Konflikt von 1914 und allen vorangehenden Kriegen fundamentale Unterschiede. Der offensichtlichste Unterschied liegt darin, dass sich 1914 ein Blutbad und eine Barbarei über die Gesamtheit jenes Kontinents ergoss, der angeblich die "Zivilisation" verkörpern sollte. Nach der noch unglaublich größeren Barbarei des Zweiten Weltkrieges erscheint der Erste Weltkrieg heute als bescheiden. Aber im Europa des Jahrhundertanfangs, als der letzte bedeutende militärische Konflikt bereits seit 30 Jahren ( 1870) vorbei war, als noch die letzten Feuer der Belle Epoque flackerten und nachdem sich die Arbeiterklasse in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus eine bedeutende Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erkämpft hatte, erschien das Abtauchen in die brutale Massenschlächterei, in den täglichen Horror der Schützengräben und in ein seit einem halben Jahrhundert unbekanntes Elend insbesondere den Ausgebeuteten als ein nicht zu überbietender Kulminationspunkt der Barbarei. Auf beiden Seiten der Hauptrivalen, in Deutschland und in Frankreich, erzählten die Alten den Soldaten und der Bevölkerung vom Krieg von 1870 sowie von seiner Brutalität. Was sie aber jetzt erlebten, das hatte überhaupt nichts mehr mit dieser Episode zu tun. Der Konflikt 1870 hatte lediglich einige Monate gedauert und im Vergleich eine verschwindend kleine Anzahl von Opfern gefordert, und er hatte weder den Sieger noch den Besiegten ruiniert. Mit dem Ersten Weltkrieg musste man all die Verletzten, Getöteten und Behinderten in Millionen zählen. Die Dauer der täglichen Hölle musste man in Jahren messen (2). An der Front war das Überleben nur untertags in Sumpf und Dreck, im Gestank der Kadaver, in der immerwährenden Angst möglich. Und was wartete am nächsten Tag? Versehrte Körper, Verletzte, die Stunden oder Tage im Sterben lagen. Und hinter der Front lastete die schwere Arbeit, damit die Soldaten mit neuen Waffen versorgt werden können. Die Preissteigerung fraß die Löhne auf, lange Schlangen vor den leeren Geschäften, Hunger. Alle lebten in ständiger Angst, vom Tod des Ehemannes, Bruders, Vaters oder Sohnes zu erfahren. Schmerz und Verzweiflung beherrschten den Alltag.

Ein weiteres Charakteristikum dieses Krieges, das auch die massive Barbarei erklärt: Es war ein totaler Krieg. Die ganze Kraft der Industrie, alle Arbeitskräfte sind in den Dienst eines einzigen Zieles gestellt worden: Waffenproduktion. Alle Männer, vom Ende der Jugend an bis ins hohe Alter, wurden mobilisiert. Der Krieg war auch total vom Standpunkt der Zerstörungen in der Wirtschaft. Die Länder des Schlachtfeldes wurden vollständig zerstört. Die europäischen Volkswirtschaften waren vom Krieg zerstört, was das Ende der europäischen Macht und den Beginn des amerikanischen Aufstiegs einläutete. Der Krieg war nicht auf diejenigen Staaten beschränkt, die den Krieg begannen, sondern beinahe alle europäischen Länder wurden hineingezogen. Mit der Front im Nahen Osten, der Mobilisierung von Truppen in den Kolonien sowie dem Kriegseintritt von Japan, den USA und mehreren lateinamerikanischen Ländern auf Seiten der Alliierten wurde es ein Weltkrieg.

Bereits unter dem Aspekt der Barbarei und der Zerstörungen ist der Krieg von 1914-1918 eine tragische Illustration der Voraussagen der Marxisten: Der Eintritt der kapitalistischen Produktionsweise in die Niedergangsperiode, die Dekadenz. Der Krieg bestätigte die von Marx und Engels getroffene Voraussage: "Sozialismus oder Untergang in der Barbarei ".

Aber die Marxisten haben auch eine theoretische Erklärung für die neue Phase der kapitalistischen Gesellschaft gegeben.

Die grundsätzlichen Ursachen für den Ersten Weltkrieg

Das Ziel von Lenins Schrift Der Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus von 1916 war die Identifizierung dieser fundamentalen Ursachen. Aber es war Rosa Luxemburg, die bereits 1912, zwei Jahre vor Ausbruch des Krieges, mit der Akkumulation des Kapitals die tiefgründigste Erklärung der Widersprüche gab, die den Kapitalismus in seiner neuen Phase erschüttern würden.

"Der Kapitalismus bedarf zu seiner Existenz und Fortentwicklung nichtkapitalistischer Produktionsformen als seiner Umgebung (...) Er braucht nichtkapitalistische soziale Schichten als Absatzmarkt für seinen Mehrwert, als Bezugsquellen seiner Produktionsmittel und a1s Reservoirs der Arbeitskräfte für sein Lohnsystem (...) Ohne die Produktionsmittel und Arbeitskräfte kann er nicht auskommen, sowenig wie ohne ihre Nachfrage nach seinem Mehrprodukt. Um ihnen aber Produktionsmittel und Arbeitskräfte zu entnehmen, um sie in Warenabnehmer zu verwandeln, strebt er zielbewusst danach, sie a1s selbständige soziale Gebilde zu vernichten. Diese Methode ist vom Standpunkt des Kapitals die zweckmässigste, weil sie zugleich die rascheste und profitabelste ist. " (Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Kap. Der Kampf gegen die Naturalwirtschaft, Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 316f. u. 319)

"Der Imperialismus ist der politische Ausdruck des Prozesses der Kapitalakkumulation in ihrem Konkurrenzkampf um die Reste des noch nicht mit Beschlag belegten nichtkapitalistischen Weltmilieus (...) Bei der hohen Entwicklung und der immer heftigeren Konkurrenz der kapitalistischen Länder um die Erwerbung nichtkapitalistischer Gebiete nimmt der Imperialismus an Energie und an Gewalttätigkeit zu, sowohl in seinem aggressiven Vorgehen gegen die nichtkapitalistische Welt wie in der Verschärfung der Gegensätze zwischen den konkurrierenden kapitalistischen Ländern. Je gewalttätiger, energischer und gründlicher der Imperialismus aber den Untergang nichtkapitalistischer Kulturen besorgt, um so rascher entzieht er der Kapitalakkumulation den Boden unter den Füßen. Der Imperialismus ist ebensosehr eine geschichtliche Methode der Existenzverlängerung des Kapitals wie das sicherste Mittel, dessen Existenz auf kürzestem Wege objektiv ein Ziel zu setzen. Damit ist nicht gesagt, dass dieser Endpunkt pedantisch erreicht werden muss. Schon die Tendenz zu diesem Endziel der kapitalistischen Entwicklung äuJ3ert sich in Formen, die die Schlussphase des Kapitalismus zu einer Periode der Katastrophen gestalten. " (a.a.0., Kap. Schutzzoll und Akkumulation, Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 391f.)

"Je gewalttätiger das Kapital vermittelst des Militarismus drauJ3en in der Welt wie bei sich daheim mit der Existenz nichtkapitalistischer Schichten aufräumt und die Existenzbedingungen aller arbeitenden Schichten herabdrückt, um so mehr verwandelt sich die Tagesgeschichte der Kapitalakkumulation auf der Weltbühne in eine fortlaufende Kette politischer und sozialer Katastrophen und Konvulsionen, die zusammen mit den periodischen wirtschaftlichen Katastrophen in Gestalt der Krisen die Fortsetzung der Akkumulation zur Unmöglichkeit, die Rebellion der internationalen Arbeiterklasse gegen die Kapitalsherrschaft zur Notwendigkeit machen werden, selbst ehe sie noch ökonomisch auf ihre natürliche selbstgeschaffene Schranke gestossen ist.. " (Rosa Luxemburg, Antikritik, Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 520f.)

Der Kapitalismus ist die erste Wirtschaftsform mit propagandistischer Kraft, eine Form, die die Tendenz hat, sich auf dem Erdrund auszubreiten und alle anderen Wirtschaftsformen zu verdrängen, die keine andere neben sich duldet. Er ist aber zugleich die erste, die allein, ohne andere Wirtschaftsformen als ihr Milieu und ihren Nährboden, nicht zu existieren vermag, die also gleichzeitig mit der Tendenz, zur Weltform zu werden, an der inneren Unfähigkeit zerschellt, eine Weltform der Produktion zu sein. Er ist ein lebendiger historischer Widerspruch in sich selbst, seine Akkumulationsbewegung ist der Ausdruck, die fortlaufende Lösung und zugleich Potenzierung des Widerspruchs. Auf einer gewissen Höhe der Entwicklung kann dieser Widerspruch nicht anders gelöst werden als durch die Anwendung der Grundlagen des Sozialismus derjenigen Wirtschaftsform, die zugleich von Hause aus Weltform und in sich ein harmonisches System, weil sie nicht auf die Akkumulation, sondern auf die Befriedigung der Lebensbedürfnisse der arbeitenden Menschheit selbst durch die Entfaltung aller Produktivkräfte des Erdrundes gerichtet sein wird. " (a.a.0., Kap. Der Militarismus als Gebiet der Kapitalakkumulation, Bd. 5, S. 410f.) Nach dem Ausbruch des Krieges ging Rosa Luxemburg 1915 auf Kritiken ein, die an ihrem Werk Die Akkumulation des Kapitals geäußert worden waren, und aktualisierte ihre Analyse: "Das Kennzeichen des Imperialismus als des letzten Konkurrenzkampfes um die kapitalistische Weltherrschaft ist nicht bloss die besondere Energie und Allseitigkeit der Expansion, sondern - dies das spezifische Anzeichen, dass der Kreis der Entwicklung sich zu schliessen beginnt - das Zurückschlagen des Entscheidungskampfes um die Expansion aus den Gebieten, die ihre Objekte darstellen, in ihre Ursprungsländer. Der Imperialismus führt damit die Katastrophe als Daseinsform aus der Peripherie der kapitalistischen Entwicklung nach ihrem Ausgangspunkt zurück. Nachdem die Expansion des Kapitals vier Jahrhunderte lang die Existenz und die Kultur aller nichtkapitalistischen Völker in Asien, Afrika, Amerika und Australien unaufhörlichen Konvulsionen und dem massenhaften Untergang preisgegeben hatte, stürzt sie jetzt die Kulturvölker Europas selbst in eine Serie von Katastrophen, deren Schlussergebnis nur der Untergang der Kultur oder der Übergang zur sozialistischen Produktionsweise sein kann

Das Werk Lenins umgekehrt insistiert darauf, den Imperialismus mit einem Nebenaspekt zu erklären: dem Export von Kapital aus den entwickelten in rückständige Länder,

damit so dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenwirkt werde, der aus der Zunahme des konstanten Kapitals (Maschinen, Rohstoffe) gegenüber dem variablen Kapital (Löhne), dem einzig profiterzeugenden Kapitalbestandteil, resultiert. Gemäß Lenin sind es die Rivalitäten zwischen den industrialisierten Ländern um die weniger entwickelten Zonen und den Kapitalexport in diese Zonen, die notwendigerweise zu ihrem Zusammenstoß führen müssen.

Obwohl zwischen den Analysen von Lenin, Rosa Luxemburg und anderen Revolutionären Unterschiede bestehen, stimmen sie doch bei einem hauptsächlichen Punkt überein: Dieser Krieg ist nicht das Ergebnis einer schlechten Politik oder der Bosheit dieser oder jener Regierungsclique, sondern er ist die unausweichliche Konsequenz der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise. In diesem Sinn haben diese beiden Revolutionäre mit derselben Energie alle "Analysen" bekämpft, die den Arbeitern glauben machen wollten, dass es innerhalb des Kapitalismus eine Alternative zum Imperialismus gebe. So zerstörte Lenin die These von Kautsky über die Möglichkeit eines "Superimperialismus", der fähig sei, ein Gleichgewicht zwischen den Großmächten herzustellen, und so ihren kriegerischen Auseinandersetzungen ein Ende bereite. Ebenso zerstörte er alle Illusionen lieber ein "internationales Schiedsgericht", das unter der Leitung von Leuten mit gutem Willen und von "pazifistischen" Kreisen der Bourgeoisie die Kontrahenten dazu bringen sollte, sich zu versöhnen und den Krieg zu beenden. Nicht anders drückte sich Rosa Luxemburg in ihrem Buch aus:

"Im Lichte dieser Auffassung gesehen, gestaltet sich die Stellung des Proletariats gegenüber dem Imperialismus zur Generalauseinandersetzung mit der Kapitalherrschaft. Die taktische Richtschnur seines Verhaltens ist gegeben durch jene geschichtliche Alternative (des Ruins der Zivilisation oder der Errichtung der kapitalistischen Produktionsweise).

Ganz anders verlaufen die Richtlinien vom Standpunkt des offiziellen 'sachverständigen' Marxismus. Der Glaube an die Möglichkeit der Akkumulation in einer 'isolierten kapitalistischen Gesellschaft', der Glaube, dass 'der Kapitalismus auch ohne Expansion denkbar' sei, ist die theoretische Formel einer ganz bestimmten taktischen Tendenz. Diese Auffassung zielt dahin, die Phase des Imperialismus nicht als historische Notwendigkeit, nicht a1s entscheidende Auseinandersetzung um den Sozialismus zu betrachten, sondern als boshafte Erfindung einer Handvoll Interessenten. Diese Auffassung geht dahin, der Bourgeoisie einzureden, dass der Imperialismus und Militarismus ihr sel6st vom Standpunkt ihrer eigenen kapitalistischen Interessen schädlich sei, dadurch die angebliche Handvoll der Nutznießer dieses Imperialismus zu isolieren und so einen Block des Proletariats mit breiten Schichten des Bürgertums zu bilden. um den Imperialismus zu 'dämpfen', ihn durch 'teilweise Abrüstung' auszuhungern, ihm 'den Stachel zu nehmen'! (...) Die Generalauseinandersetzung zur Austragung des weltgeschichtlichen Gegensatzes zwischen Proletariat und Kapital verwandelt sich in die Utopie eines historischen Kompromisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie zur 'Milderung' der imperialistischen Gegensätze zwischen kapitalistischen Staaten." (Rosa Luxemburg, Antikritik, Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 521f.)

Lenin und Rosa Luxemburg legten schließlich in den gleichen Begriffen dar, warum Deutschland die Rolle des Auslösers für den Ausbruch des Weltkrieges gespielt hatte (die große Idee derjenigen, die den verantwortlichen Staat dafür suchen), während sie die beiden Lager genau gleich behandelten: "Anderseits hat sich gegen diese hauptsächlich englisch französische Gruppe eine andere, noch beutegierigere, noch räuberischere Gruppe in Bewegung gesetzt, eine Gruppe von Kapitalisten, die an den Tisch des kapitalistischen Schmauses herantraten, als die Plätze schon besetzt waren, dabei aber neue Verfahren zur Entwicklung der kapitalistischen Produktion, eine bessere Technik und eine unvergleichliche Organisation in den Kampf führten (...) Das eben ist die Geschichte der Ökonomie, die Geschichte der Diplomatie während mehrerer Jahrzehnte, woran niemand vorbeigehen kann. Sie allein weist den Weg zu einer richtigen Lösung der Frage des Krieges und zeigt, dass auch der gegenwärtige Krieg ein Produkt der Politik jener Klassen ist, die in diesem Krieg aneinandergeraten sind, der beiden grossen Giganten, die lange vor dem Kriege über die ganze Welt, über alle Länder die Netze ihrer finanziellen Ausbeutung gespannt, die vor dem Kriege die ganze Welt ökonomisch unter sich aufgeteilt hatten. Sie mussten auf einanderstossen, weil vom Standpunkt des Kapitalismus die Neuaufteilung dieser Herrschaft unvermeidlich geworden war. " (Lenin, Krieg und Revolution, Werke, Bd. 24, S. 401f.)

"Darüber hinaus ist bei der allgemeinen Einschätzung des Weltkrieges und seiner Bedeutung für die Klassenpolitik des Proletariats die Frage der Verteidigung und des Angriffs, die Frage nach dem 'Schuldigen'völ1ig belanglos. Ist Deutschland am allerwenigsten in der Selbstverteidigung, so sind es auch Frankreich und England nicht, denn was sie 'verteidigen', ist nicht ihre nationale, sondern ihre weltpolitische Position, ihr von den Anschlägen des deutschen Emporkömmlings bedrohter alter imperialistischer Besitzstand. Haben die Streifzüge des deutschen und österreichischen Imperialismus im Orient den Weltbrand zweifellos entzündet, so hatten zu ihm der französische Imperialismus durch die Verspeisung Marokkos, der englische durch seine Vorbereitungen zum Raub Mesopotamiens und Arabiens wie durch alle MaJ3nahmen zur Sicherung seiner Zwangsherrschaft in Indien, der russische durch seine auf Konstantinopel zielende Balkanpolitik Scheit für Scheit den Brennstoff zusammengeschleppt und aufgeschichtet. Wenn die militärischen Rüstungen eine wesentliche Rolle als Triebfeder zum Losbrechen der Katastrophe gespielt haben, so waren sie ein Wettkampf aller Staaten. "

(Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 136f.) Diese Gemeinsamkeit in der Analyse der Ursprünge des Krieges fand man bei zwei Revolutionären, die aus Ländern von sich gegenüberstehenden Kriegslagern stammten. Sie war aber auch vorhanden bezüglich der Klassenpolitik und in der Denunzierung der sozialdemokratischen Parteien, die einen Verrat am Proletariat begangen hatten.

Die Rolle der Revolutionäre im Krieg

Beim Kriegsausbruch bestand die Rolle der Revolutionäre und derjenigen, die dem proletarischen Lager treu geblieben waren, in der Denunzierung. Sie mussten insbesondere alle Lügen entlarven, die die Bourgeoisie und jene verbreiteten, die ihre Lakaien geworden waren, nämlich die sozialdemokratischen Parteien, um den Krieg zu rechtfertigen, die Proletarier einzuspannen und ins Gemetzel zu schicken. In Deutschland trafen sich einige führende Sozialdemokraten wie Karl Liebknecht, die dem proletarischen Internationalismus treu geblieben waren, in der Wohnung von Rosa Luxemburg und begannen, den Widerstand gegen den Krieg zu organisieren. Während die gesamte sozialdemokratische Presse in den Dienst der Regierungspropaganda übergelaufen war, publizierte diese kleine Gruppe eine Zeitschrift, Die Internationale, und eine Reihe von Flugschriften, die mit Spartakus unterzeichnet wurden. In der sozialdemokratischen Fraktionssitzung des Parlamentes vom 4. August widersetzt sich Liebknecht entschlossen gegen die Zustimmung zu den Kriegskrediten, aber er unterwirft sich der Mehrheit in Nachachtung der Parteidisziplin. Dies war ein Fehler, den er in Zukunft nicht mehr begehen sollte, wenn die Regierung Nachtragskredite verlangte. In der Abstimmung vom 2. Dezember 1914 war er der einzige, der dagegen stimmte; erst im August und Dezember 1915 wurde er in seiner Haltung durch andere sozialdemokratische Abgeordnete unterstützt (die jedoch bei dieser Gelegenheit eine Erklärung dahingehend abgaben, dass Deutschland keinen Verteidigungskrieg führe, da es ja Belgien und einen Teil Frankreichs besetze, welchen Vorbehalt Liebknecht als zentristisch und feige brandmarkte).

So schwierig sich die Propaganda der Revolutionäre sich in einer Zeit gestaltete, in der die Bourgeoisie einen eigentlichen Belagerungszustand ausgerufen hatte, wo jeder Ausdruck einer proletarischen Stimme unterdrückt wurde, so wichtig war die Aktivität von Rosa Luxemburg und ihren Genossen für die Vorbereitung der kommenden Ereignisse. Im April 1915, als sie im Gefängnis eingesperrt war, schrieb sie Die Krise der Sozialdemokratie, ein Werk, das "das geistige Dynamit ist, das die bürgerliche Ordnung in die Luft sprengt", wie Clara Zetkin, die Kampfgefährtin Rosa Luxemburgs, in ihrem Vorwort vom Mai 1919 schrieb.

Dieses Buch ist eine unerbittliche Anklageschrift gegen den Krieg, aber auch gegen alle Aspekte der bürgerlichen Propaganda; die beste Würdigung, die man Rosa Luxemburg erweisen kann, besteht darin, einige (zu) kurze Passagen aus diesem Werk zu zitieren.

Während sich in allen kriegführenden Ländern die verschiedenen Sprachrohre der Bourgeoisie gegenseitig im nationalistischen Gebrüll überboten, begann sie dieses Dokument mit einer schonungslosen Offenlegung der chauvinistischen Hysterie, die sich der Bevölkerung bemächtigt hatte:

"(...) ganze Stadtbevölkerungen in Pöbel verwandelt, bereit zu denunzieren. Frauen zu misshandeln, hurra zu schreien und sich selbst durch wilde Gerüchte ins Delirium zu steigern; eine Ritualmordatmosphäre, eine Kischinjow-Luft(3), in der der Schutzmann an der Strassenecke der einzige Repräsentant der Menschenwürde war ". (Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 52)

Dann entlarvte sie die Wirklichkeit dieses Krieges: "Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend - so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie, geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und Rechtsstaat mimt - a1s reiJ3ende Bestie, als Hexensabbat der Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit, so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt. " (S. 53)

Rosa geht also schon zu Beginn direkt zum Kern der Frage: Im Gegensatz zu den pazifistischen Illusionen, die eine bürgerliche Gesellschaft "ohne ihre Auswüchse" wollten, bezeichnete sie den für den Krieg Verantwortlichen: den Kapitalismus als solchen. Und sofort widmete sie sich der Aufgabe, die Rolle und den Inhalt der kapitalistischen Propaganda

Schwarzhunderter Pogrome gegen Juden und Arbeiter veranstalteten zu entlarven, einerlei ob sie von den traditionellen bürgerlichen Parteien oder von der Sozialdemokratie betrieben wurde:

" Der Krieg ist ein methodisches, organisiertes, riesenhaftes Morden. Zum systematischen Morden muss aber bei normal veranlagten Menschen erst der entsprechende Rausch erzeugt werden. Dies ist seit jeher die wohlbegründete Methode der Kriegsführenden. Der Bestialität der Praxis muss die Bestialität der Gedanken und der Gesinnung entsprechen, diese muss jene vorbereiten und begleiten. " (S. 64)

Ein wesentlicher Teil des Buches besteht darin, systematisch all diese Lügen und die Regierungspropaganda zu entlarven, die dazu bestimmt war, die Massen für das Gemetzel zu gewinnen (4). So analysierte Rosa die Kriegsziele der verschiedenen Länder, allen voran Deutschlands, um den imperialistischen Charakter dieses Kriegs aufzuzeigen. Sie analysierte die ganze Kette der Ereignisse von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni in Sarajevo zum Kriegsausbruch zwischen den wichtigsten Ländern Europas: Deutschland, Russland, Frankreich, England und Österreich-Ungarn. Sie zeigte auf, dass diese Ereignisse keineswegs einem blinden Gesetz der Unausweichlichkeit gehorchten oder von irgendeinem "Bösen" zu verantworten waren, wie es die offizielle Propaganda und die Sozialdemokratie der kriegführenden Ländern wollte, sondern dass sie seit langem vom Kapitalismus selber ausgebreitet wurden:

"Der am 4. August offiziell begonnene Weltkrieg war derselbe, auf den die deutsche und die internationale imperialistische Politik seit Jahrzehnten unermüdlich hinarbeitete, derselbe, dessen Nahen die deutsche Sozialdemokratie ebenso unermüdlich seit einem Jahrzehnt fast jedes Jahr prophezeite, dersel6e, den die sozialdemokratischen Parlamentarier, Zeitungen und Broschüren tausendmal aIs ein frivoles imperialistisches verbrechen brandmarkten, das weder mit Kultur noch mit nationalen Interessen etwas zu tun hätte, vielmehr das direkte Gegenteil von beiden Seiten wäre. " (S. 108f.)

Sie nahm vor allem die deutsche Sozialdemokratie aufs Korn, die Vorzeigepartei der Sozialistischen Internationalen, deren Verrat das Regierungsmanöver zur Vereinnahmung des Proletariats in Deutschland, aber auch in den anderen Ländern unendlich vereinfachte. Sie richtete ihre besondere Aufmerksamkeit auf das sozialdemokratische Argument, nach dem der Krieg auf deutscher Seite den Zweck verfolge, die "Zivilisation" und die "Freiheit der Völker" gegen die zaristische Barbarei zu verteidigen.

Sie denunzierte insbesondere die Rechtfertigungen der Neuen Zeit, des theoretischen Organs der Partei, das sich auf Marxens Analyse berief, nach der Russland das "Gefängnis der Völker" und die Hauptkraft der Reaktion in Europa darstellte: "Nachdem die sozialdemokratische Fraktion dem Kriege den Charakter einer Verteidigung der deutschen Nation und Kultur angedichtet hatte, dichtete ihm die sozialdemokratische Presse gar den Charakter des Befreiers fremder Nationen an. Hindenburg wurde zum Vollstrecker des Testaments von Marx und Engels. " (S. 112)

Indem Rosa die Lügen der Sozialdemokratie denunzierte, entlarvte sie deren wirkliche Rolle:

"Mit der Annahme der Burgfriedens hat die Sozialdemokratie für die Dauer des Krieges den Klassenkampf verleugnet. Aber damit verleugnete sie die Basis der eigenen Existenz, der eigenen Politik. (...) Sie überliess die "Vaterlandsverteidigung" den herrschenden Klassen und begnügte sich damit, die Arbeiterklasse unter deren Kommando zu stellen und für die Ruhe unter dem Belagerungszustand zu sorgen, d.h. die Rolle des Gendarmen der Arbeiterklasse zu spielen. " (S. 126)

Schließlich ist im Buch von Rosa Luxemburg sehr wichtig, dass eine Perspektive für das Proletariat aufgezeigt wird, nämlich diejenige der Beendigung des Krieges durch die revolutionäre Tat des Proletariats. Während sie behauptete (wobei sie bürgerliche Politiker zitierte, die sich darüber sehr klar waren), dass die einzige Kraft, die den Ausbruch des Krieges hätte verhindern können, der Kampf des Proletariats gewesen wäre, kam sie zurück auf die Resolution des Kongresses der Internationalen von 1907, die durch den Kongress von 1912 (außerordentlicher Kongress von Basel) bestätigt wurde: "Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es Pflicht der Sozialdemokratie, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen. " (S. 130)

Rosa berief sich auf diese Resolution, um den Verrat der Sozialdemokratie zu entlarven, die genau das Gegenteil dessen tat, wozu sie sich verpflichtet hatte. Sie appellierte an die geeinte Aktion des Weltproletariats, dem Krieg ein Ende zu bereiten, wobei sie gleichzeitig die Gefahr unterstrich, die dieser für die Zukunft des Sozialismus bedeutete: "Hier erweist sich aber auch der heutige Weltkrieg nicht bloss als ein grandioser Mord, sondern auch a1s Selbstmord der europäischen Arbeiterklasse. Es sind ja die Soldaten des Sozialismus, die Proletarier Englands, Frankreichs, Deutschlands, Russlands, Belgiens selbst, die einander auf Geheiss des Kapitals seit Monaten abschlachten, einander das kalte Mordeisen ins Herz stoJ3en, einander mit tödlichen Armen umklammernd zusammen ins Grab hinabtaumeln. (...) Der Wahnwitz wird erst aufhören, und der blutige Spuk der Hölle wird verschwinden, wenn die Arbeiter in Deutschland und Frankreich, in England und Russland endlich aus ihre Rausch erwachen, einander brüderlich die Hand reichen und den bestialischen Chorus der imperialistischen Kriegshetzer wie den heiseren Schrei der kapitalistischen Hyänen durch den mächtigen Schlachtruf der Arbeit überdonnern: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" (S. 163f.)

Es ist darauf hinzuweisen, dass Rosa Luxemburg in ihrem Buch wie übrigens die Gesamtheit der Parteilinken, die sich (im Gegensatz zum "marxistischen Zentrum" um Kautsky, der mit seinen Verdrehungen die Politik der Führung rechtfertigte) entschlossen gegen den Krieg wandte, nicht alle Schlussfolgerungen aus der Resolution von Basel zog und nicht die klare Losung Lenins herausgab: "Den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg verwandeln ". Genau aus diesem Grund befanden sich die Vertreter der Strömung um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im September 1915 an der Konferenz von Zimmerwald auf der "zentristischen" Position, die Trotzki vertrat, und nicht auf der linken, die Lenin einnahm. Erst an der Konferenz von Kienthal im April 1916 schließt sich jene Strömung der Linken von Zimmerwald an.

Trotz ihrer Schwächen ist die beträchtliche Arbeit Rosa Luxemburgs und ihrer Genossen in dieser Zeit hervorzuheben, eine Arbeit, die 1918 ihre Früchte tragen sollte.

Aber bevor wir auf diese letzte Periode eingehen, ist auf die äußerst wichtige Rolle des Genossen von Rosa hinzuweisen, den die Bourgeoisie am gleichen Tat wie sie ermordete: Karl Liebknecht. Dieser ging, auch wenn er die gleichen politischen Positionen vertrat, theoretisch zwar nicht so in die Tiefe wie Rosa und hatte auch nicht dasselbe Talent für seine Artikel (aus diesem Grund und aus Platzgründen zitieren wir hier nicht aus seinen Schriften). Aber seine mutige und entschlossene Haltung, seine äußerst klaren Bloßstellungen des imperialistischen Krieges und all jener, die ihn offen oder verschleiert rechtfertigten, sowie seine Entlarvung der pazifistischen Illusionen

machten ihn in dieser Zeit zum Symbol schlechthin des proletarischen Kampfes gegen den imperialistischen Krieg. Ohne hier auf die Einzelheiten seiner Aktion einzugehen (vgl. dazu unser Artikel "Die Revolutionäre in Deutschland im Ersten Weltkrieg", Internationale Revue), müssen wir an ein bezeichnendes Ereignis erinnern: seine Teilnahme an einer Demonstration von 10'000 Arbeitern am Ersten Mai 1916 in Berlin gegen den Krieg, in deren Verlauf er das Wort ergriff und rief: "Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! ", was seine sofortige Verhaftung zur Folge hatte. Diese Verhaftung bildete den Anlass für den ersten politischen Massenstreik in Deutschland, der Ende Mai ausbrach. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass er vor dem Kriegsgericht, das ihn am 28. Juni verurteilte, offen seine Tat verteidigte im Bewusstsein darüber, dass dies die Strafe nur verschärfen konnte; er nützte die Gelegenheit aus, um erneut den imperialistischen Krieg und den Kapitalismus, der dafür verantwortlich ist, zu denunzieren und die Arbeiter zum Kampf auf zurufen. Von da an wurden der Name und das Beispiel Liebknechts in allen Ländern Europas zum Banner, das jene vereinte, die - wie an erster Stelle Lenin - gegen den imperialistischen Krieg und für die proletarische Revolution kämpften.

Die proletarische Revolution und das Kriegsende

Die Perspektive, die die Resolution des Basler Kongresses enthielt, wurde im Februar 1917 in Russland zum ersten Mal konkret verdeutlicht, als die Revolution das Zarenregime stürzte. Nach drei Jahren unbeschreiblichen Tötens und Elends fing das Proletariat an, soweit sein Haupt zu erheben, dass der Zarismus gestürzt und die sozialistische Revolution entfacht wurde. Wir gehen hier nicht weiter auf die Ereignisse in Russland ein, die wir noch jüngst in unserer Internationalen Revue (5) behandelt haben. Dagegen müssen wir darauf hinweisen, dass die Arbeiter in Uniform nicht nur in diesem Land sich im Jahre 1917 gegen die kriegerische Barbarei zur Wehr setzten. Kurze Zeit nach Februar 1917 entstanden in mehreren Armeen an der Front massive Aufstandsbewegungen. So kam es in den drei größten Ländern der Entente, in Frankreich, Großbritannien und Italien, zu umfangreichen Aufständen, die deren Regierungen zu einer blutigen Repression veranlassten. In Frankreich verweigerten ca. 40'000 gemeinsam den Gehorsam; ein Teil von ihnen versuchte gar auf Paris zu marschieren, wo es zum gleichen Zeitpunkt Streiks in den Rüstungsschmieden gab. Dieses Zusammentreffen von Klassenkämpfen "hinter der Front" und der Soldatenrevolte ist wahrscheinlich einer der Gründe für die Zurückhaltung, mit der die französische Bourgeoisie ihre Repression ausführte: Von den 554 zum Tode Verurteilten wurden nur ca. 50 tatsächlich erschossen. Diese "Mäßigung" findet man nicht auf englischer und italienischer Seite, wo jeweils 306 und 750 hingerichtet wurden.

Im November 1998, als die Gedächtnisfeiern zum Ende des Ersten Weltkriegs stattfanden, haben die Bourgeoisie und insbesondere die sozialdemokratischen Parteien, die heute in den europäischen Staaten mehrheitlich die Regierungen stellen, bei den Meutereien von 1917 erneut veranschaulicht, wie heuchlerisch sie sind und wie stark ihnen an einer Zerstörung des Gedächtnisses des Proletariats gelegen ist. In Italien hat der Verteidigungsminister mitgeteilt, dass man die "Ehre" der erschossenen Meuterer "wiederherstellen" müsse, und in Großbritannien hat man sie "öffentlich geehrt". Bei der Heuchelei ragt der "Genosse" Jospin (der französische Premierminister) besonders heraus, denn wer war damals Rüstungs- und Kriegsminister? Die "Sozialisten" Albert Thomas und Paul Painleve.

Diese "Sozialisten", die heute all diese pazifistischen und "bewegten" Reden über die Grausamkeiten des Ersten Weltkriegs schwingen, vergessen zu sagen, dass sie 1914 in den wichtigsten Ländern Europas an vorderster Stelle bei der Mobilisierung der Arbeiterklasse für den Krieg standen und sie mit in das Abschlachten getrieben haben. Indem sie die Aufständischen des Ersten Weltkriegs "in das nationale Gedächtnis" einverleiben wollen, will die linke Bourgeoisie vergessen machen, dass diese Aufständischen ein Teil der Geschichte des Weltproletariats sind (6).

Was die offizielle These der Politiker und der systemtreuen Historiker angeht, die behaupten, die Revolten von 1917 seien gegen eine "unfähige Führungsspitze" der Armee gerichtet gewesen, kann diese nicht die Tatsache vom Tisch fegen, dass diese Revolten in beiden Lagern und an den meisten Fronten stattgefunden haben: Soll man etwa glauben, dass der Weltkrieg nur von unfähigen Armeeführungen geführt wurde? Darüber hinaus fanden diese Revolten statt, als in den anderen Ländern Nachrichten über die Februarrrevolution in Russland eintrafen (7).

Was die Bourgeoisie tatsächlich zu verheimlichen sucht, ist der unleugbare proletarische Inhalt der Meutereien und die Tatsache, dass der einzig wahre Widerstand gegen den Krieg nur von der Arbeiterklasse kommen kann.

Im gleichen Zeitraum wurde jenes Land von Meutereien erfasst, in dem das Proletariat am mächtigsten war und die Soldaten im direkten Kontakt mit den russischen Soldaten an der Ostfront standen: Deutschland. Die Ereignisse in Russland ließen einen großen Enthusiasmus unter den deutschen Truppen aufkommen und an der Front nahmen die Verbrüderungen zu (8) . In der Marine fingen die Meutereien im Sommer 1917 an. Die Tatsache, dass die Matrosen diese Bewegung anführten, war aufschlussreich: fast alle sind Arbeiter in Uniform (während unter den Heeressoldaten ein höherer Bauernanteil gezählt wurde). Die revolutionären Gruppen und insbesondere die Spartakisten verfügten unter den Matrosen über einen bedeutenden Einfluss, der immer mehr zunahm. Die Spartakisten zeigten klar die Perspektive für die gesamte Arbeiterklasse auf: "Die siegreiche russische Revolution im Bunde mit der siegreichen deutschen Revolution sind unbesiegbar. von dem Tage an, wo unter den revolutionären Schlägen des Proletariats die deutsche Regierung samt dem deutschen Militarismus zusammenbricht, beginnt ein neues Zeitalter, in dem Kriege, kapitalistische Ausbeutung und Bedrückung für immer verschwinden müssen." (Flugblatt der Spartakisten, April 1917).

" (...) Nur durch Massenkampf, durch Massenaufdehnung, durch Massenstreiks, die das ganze wirtschaftliche Getriebe und die gesamte Kriegsindustrie zum Stillstand bringen, nur durch Revolution und die Erringung der Volksrepublik in Deutschland durch die Arbeiterklasse kann dem Völkermord ein Ziel gesetzt und der allgemeine Frieden herbeigeführt werden. Und nur so kann auch die russische Revolution gerettet werden."(Spartakus, Nr. 6, August 1917).

Und dieses Programm sollte mehr und mehr die wachsenden Kämpfe der Arbeiterklasse in Deutschland mittragen. In Rahmen dieses Artikels können wir auf die Ereignisse nicht detaillierter eingehen (siehe dazu unsere Artikelserie in der Internationalen Revue), aber man muß an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass einer der Gründe, weshalb Lenin und die Bolschewiki im Oktober 1917 die Bedingungen als reif für die Machtergreifung durch die Arbeiterklasse erachteten, gerade die Entfaltung der Kampfbereitschaft der Arbeiter und Soldaten in Deutschland war.

Man muss insbesondere hervorheben, wie die Intensivierung der Arbeiterkämpfe und die Erhebung der Soldaten auf proletarischer Grundlage ausschlaggebend waren für die Forderung Deutschlands nach einem Waffenstillstand und damit dem Ende des Ersten Weltkriegs.

"Angespornt durch die revolutionäre Entwicklung in Russland war nach mehreren vorausgegangenen Kämpfen im April 1917 ein Massenstreik entbrannt. Im Januar 1918 stürzten sich ca. 1 Mio. Arbeiter in eine neue Streikbewegung, gründeten einen Arbeiterrat in Berlin. Unter dem Einfluß der Ereignisse in Russland zerbröckelte im Sommer 1918 die Kampfbereitschaft an den Fronten immer mehr. In den Fabriken brodelte es, auf den Straßen sammelten sich immer mehr Arbeiter, um den Widerstand gegen den Krieg zu intensivieren." (Der Beginn der Revolution, Teil 2, Internationale Revue Nr. 18, S. 17)

Am 3. Oktober 1918 wechselte die Bourgeoisie den Kanzler aus. Prinz Max von Baden löste den Grafen Georg Hertling ab, und die SPD trat der Regierung bei. Die Revolutionäre verstanden sofort die Rolle, die die Sozialdemokratie übernommen hatte. Rosa Luxemburg schrieb: "Der Regierungssozialismus stellt sich mit seinem jetzigen Eintritt in die Regierung a1s Retter des Kapitalismus der kommenden proletarischen Revolution in den Weg" (Oktober 1918).

Zum gleichen Zeitpunkt hielten die Spartakisten mit anderen revolutionären Gruppen eine Konferenz ab, die einen Aufruf an die Arbeiter verfasste: "Die spontanen Meuterungen unter den Soldaten gilt es mit allen Mitteln zu unterstützen, zum bewaffneten Aufstand überzuleiten, den bewaffneten Aufstand zum Kampf um die ganze Macht für die Arbeiter und Soldaten auszuweiten und durch Massenstreiks der Arbeiter für uns siegreich zu machen. Das ist die Arbeit der allernächsten Tage und Wochen. "

"Am 23. Oktober war Liebknecht aus dem Gefängnis entlassen worden. Mehr als 20'000 Arbeiter begrüssten ihn bei seiner Ankunft in Berlin. (...) Am 28. Oktober begann in Österreich, in den tschechischen und slowakischen Gebieten sowie in Budapest eine Welle von Streiks, die jeweils zum Sturz der Monarchie führten. Überall entstanden wie in Russland Arbeiter- und Soldatenräte (...). Als am 3. November in Kiel die Flotte zu weiteren Gefechten auslaufen sollte, erhoben sich die Matrosen und meuterten. Sofort wurden Soldatenräte gegründet, denen im gleichen Atemzug die Gründung von Arbeiterräten folgte. (...) Sie bildeten massive Delegationen von Arbeitern und Soldaten, die sich in andere Städte begaben. Riesige Delegationen wurden nach Hamburg, Bremen, Flensburg, ins Ruhrgebiet, gar bis nach Köln geschickt, die dort vor Versammlungen der Arbeiter sprachen und zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten auf riefen. So zogen Tausende von Arbeitern und Matrosen von den norddeutschen Städten auch nach Berlin und in andere Städte in die Provinz. (...) Innerhalb von einer Woche waren in den GroJ3städten Deutschlands überall Arbeiter- und Soldaten-Räte gegründet worden. "

An die Soldaten Berlins gewandt, veröffentlichten die Spartakisten am 8. November einen Aufruf, in dem steht:

"Arbeiter und Soldaten! Was Euren Genossen und Kameraden in Kiel, Hamburg, Bremen, Lübeck, Rostock, Flensburg, Hannover, Magdeburg, Braunschweig, München und Stuttgart gelungen ist: Das muss auch Euch gelingen. Denn von dem was Ihr erringt, von der Zähigkeit und dem Erfolge Eures Kampfes, hängt auch der Sieg Eurer dortigen Brüder ab, hängt der Erfolg des Proletariats der ganzen Welt ab. Soldaten! Handelt wie Eure Kameraden von der Flotte, vereinigt Euch mit Euren Brüdern im Arbeitskittel. Lasst Euch nicht gegen Eure Brüder gebrauchen, folgt nicht den Befehlen der Offiziere, schieJ3t nicht auf die Freiheitskämpfer. Arbeiter und Soldaten! Die nächsten Ziele Eures Kampfes müssen sein:."

  • 1. Befreiung aller zivilen und militärischen Gefangenen.
  • 2. Aufhebung aller Einzelstaaten und Beseitigung aller Dynastien
  • 3. Wahl von Arbeiter- und Soldatenräten, Wahl von Delegierten hierzu in allen Fabriken und Truppenteilen.
  • 4. Sofortige Aufnahme der Beziehungen zu den übrigen deutschen Arbeiter- und Soldatenräten.
  • 5. Übernahme der Regierung durch die Beauftragten der Arbeiter- und Soldatenräte.
  • 6. Sofortige Verbindung mit dem internationalen Proletariat, insbesondere mit der russischen Arbeiterrepublik
  • Hoch die sozialistische Republik!
  • Es lebe die Internationale! Die Gruppe Internationale (Spartakusgruppe) (8. November).
  • Am gleichen Tag rief ein Flugblatt der Spartakisten die Arbeiter dazu auf, auf der Straße zusammenzukommen:
  • "Heraus aus den Betrieben! Heraus aus den Kasernen! Reicht Euch die Hände! Es lebe die sozialistische Republik. "

"In den Morgenstunden des 9. November begann in Berlin der revolutionäre Aufstand (...) Hunderttausende Arbeiter folgten den Aufrufen der Spartakusgrupppe und des Vollzugsausschusses, legten die Arbeit nieder und strömten in riesigen Demonstrationszügen in das Zentrum der Stadt. An der Spitze marschierten bewaffnet Arbeitergruppen. Die große Mehrheit der Truppen schloß sich den demonstrierenden Arbeitern an, verbrüderten sich mit ihnen. Am Mittag war Berlin in den Händen der revolutionären Arbeiter und Soldaten

Vor dem Schloß der Hohenzollern sprach Liebknecht:

" Wir müssen alle Kräfte anspannen, um die Regierung der Arbeiter und Soldaten aufzubauen... Wir reichen (den Arbeitern der anderen Länder) die Hände und rufen sie zur Vollendung der Weltrevolution auf (...) Ich proklamiere die freie sozialistische Republik Deutschland. " (Liebknecht am 9. November)

Am gleichen Abend besetzten revolutionäre Arbeiter und Soldaten die Druckerei einer bürgerlichen Zeitung und ermöglichten somit den Druck der ersten Ausgabe der Roten Fahne, der Tageszeitung des Spartakusbundes. Darin wurde sofort vor der SPD gewarnt: "Es gibt keine Gemeinschaft mit denen, die euch vier Jahre verraten haben. Nieder mit dem Kapitalismus und seinen Agenten! Es lebe die Revolution! Es lebe die Internationale!"

Am gleichen Tag ergriff die Bourgeoisie gegenüber der wachsenden revolutionären Gefahr entsprechende Schritte. Sie veranlasste die Abdankung des Kaisers Wilhelm II., rief die Republik aus und ernannte einen Führer der SPD, Ebert, zum Kanzler. Er wurde ebenso vom Vollzugsrat ernannt, in dem viele sozialdemokratische Funktionäre Mandate erheischt hatten. Ein "Rat der Volksbeau8ragten" wurde gegri5ndet, der aus SPD- und USPD-Mitgliedern zusammengesetzt war (d.h. aus "Zentristen", die im Februar 1917 wie die Spartakisten aus der SPD ausgeschlossen worden waren). Tatsächlich versteckte sich hinter dem "revolutionären" Titel (es war der gleiche Titel wie der der Sowjetregiernng in Russland) eine durch und durch bürgerliche Regierung, die alles unternehmen sollte, um die proletarische Revolution zu verhindern und das Massaker an den Arbeitern vorzubereiten.

Die erste Maßnahme dieser Regierung bestand darin, einen Tag nach ihrer Ernennung einen Waffenstillstand zu unterzeichnen (während die deutschen Truppen noch Feindesland besetzt hielten). Nach der Erfahrung mit der Revolution in Rußland, wo die Fortsetzung des Krieges den entscheidenden Faktor der Mobilisierung und der Bewußtwerdung des Proletariats bis hin zum Sturz der bürgerlichen Macht im Oktober 1917 geliefert hatte, wusste die deutsche Bourgeoisie ganz genau, dass sie sofort den Krieg beenden musste, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden wie die russische Bourgeoisie.

Obgleich heute die Sprecher der Bourgeoisie sorgfältigst die Rolle der proletarischen Revolution bei der Beendigung des Krieges verheimlichen, entgeht diese Tatsache den eher ernsthafteren und sorgfältiger arbeitenden Historikern (deren Schriften nur für eine kleine Leserschaft bestimmt sind) nicht.

"Entschlossen, die Verhandlungen trotz des Widerstands von Ludendorff fortzusetzen, sollte die deutsche Regierung bald dazu gezwungen sein. Zunächst brachte die österreichische Kapitulation eine neue und schreckliche Bedrohung für den Süden des Landes mit sich. Dann und vor allem brach die Revolution in Deutschland aus (...). (Die deutsche Delegation unterzeichnete den Waffenstillstand am 17. November um 5.20 h im berühmten Eisenbahnwagen Fochs. Sie unterzeichnete im Namen der deutschen Regierung, die auf Eile drängte. (...) Die deutsche Delegation erzielte winzige Vorteile, die " - so Pierre Renouvin "das gleiche Ziel verfolgten: der deutschen Regierung die Mittel nicht einreissen, damit sie gegen den Bolschewismus kämpfen konnte. Insbesondere lieferte das Heer nur 25'000 anstatt 30'000 geforderte Maschinengewehre ab. Es konnte weiterhin das Ruhrgebiet - Zentrum der Revolution - besetzen, anstatt "neutralisiert" zu werden. " (Jean-Baptiste Duroselle, Le Monde 12.11.1968)(9)

Sobald der Waffenstillstand unterzeichnet war, entwickelte die sozialdemokratische Regierung eine ganze Strategie zur Eindämmung und zur Niederschlagung der proletarischen Bewegung. Insbesondere die Spaltung zwischen Soldaten und den revolutionärsten Arbeitern wollte sie weiter vertiefen, wobei die meisten Soldaten davon ausgingen, dass man den Kampf nicht fortzusetzen brauche, da der Krieg nunmehr beendet sei. Die Sozialdemokratie unterstützte die Illusionen, die sie in einem beträchtlichen Teil der Arbeiterklasse aufrechterhalten konnte, um die Spartakisten von den großen Arbeitermassen zu isolieren.

Wir können hier nicht weiter auf die Einzelheiten der damaligen Zeit vom Waffenstillstand bis zum Moment der Ermordung Rosa Luxemburgs . und Karl Liebknechts eingehen (dieser Zeitraum wird in zwei Artikeln in unserer Artikelserie in der Internationalen Revue Nr. 18 und 19 behandelt). Aber die einige Jahre später von General Groener, oberster Armeechef von Ende 1918 bis Anfang 1919, veröffentlichten Schriften sind sehr aufschlussreich über die von Ebert betriebene Politik, der mit ihm jeden Tag in Verbindung stand:

" Wir haben uns verbündet zum Kampf gegen den Bolschewismus. (...) Ich habe dem Feldmarschall den Rat gegeben, nicht mit der Waffe die Revolution zu bekämpfen, weil zu befürchten sei, dass bei der Tierfassung der Truppen eine solche Bekämpfung scheitern würde. Ich habe ihm vorgeschlagen, die Oberste Heeresleitung möge sich mit der SPD verbünden, da es zurzeit keine Partei gebe, die Einfluss genug habe im Volke, besonders bei den Massen, um eine Regierungsgewalt mit der Obersten Heeresleitung wieder herzustellen. (...) Zunächst handelte es sich darum, in Berlin den Arbeiter- und Soldatenräten die Gewalt zu entreiJ3en. Zu diesem Zwecke wurde ein Unternehmen geplant. 10 Divisionen sollten in Berlin einmarschieren. Ebert war damit einverstanden. (...) Wir haben ein Programm ausgearbeitet, das nach dem Einmarsch eine Säuberung Berlins und die Entwaffnung der Spartakisten vorsah. Das war auch mit Ebert besprochen, dem ich dafür besonders dankbar bin wegen seiner absoluten Vaterlandsliebe. (...) Dieses Bündnis war geschlossen gegen die Gefahr der Bolschewiken und gegen das Rätesystem " (Groener, Oktober-November 1925, Zeugenaussage).

Im Januar 1919 versetzte die Bourgeoisie den entscheidenden Schlag gegen die Revolution. Nachdem sie mehr als 80'000 Soldaten um Berlin zusammengezogen hatte, fädelte sie am 4. Januar eine Provokation ein, indem sie den Polizeipräfekten von Berlin, das USPD Mitglied Eichhorn, absetzte. Mit großen Demonstrationen wurde auf diese Provokation reagiert. Während der Gründungsparteitag der KPD mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht an seiner Spitze 4 Tage zuvor die Einschätzung entwickelt hatte, dass die Zeit noch nicht reif sei für den Aufstand, ließ sich Karl Liebknecht in eine Falle locken und beteiligte sich an einem Aktionsausschuss, der zum Auf stand aufrief Für die Arbeiterklasse bedeutete dies ein wahres Desaster. Tausende von Arbeitern, insbesondere Spartakisten wurden massakriert. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die Berlin nicht hatten verlassen wollen, wurden am 15. Januar verhaftet und ohne Prozess von den Soldaten unter dem Vorwand des "Fluchtversuchs" kaltblütig erschossen. Zwei Monate später wurde Leo Jogiches, ehemaliger Gefährte Rosa Luxemburgs und ebenfalls ein Führer der Partei, im Gefängnis umgebracht.

Heute versteht man, warum die Bourgeoisie und insbesondere ihre "sozialistischen Parteien" diese Ereignisse, die den Ersten Weltkrieg zu Ende brachten, vertuschen wollen. Insbesondere ist den "demokratischen" und vor allem den "sozialistischen" Parteien überhaupt nicht daran gelegen, dass ihre Rolle bei den Massakern an der Arbeiterklasse aufgedeckt wird; diese Rolle wird in den gegenwärtigen Märchen immer den "faschistischen Diktaturen" und den "Kommunisten" zugeschrieben.

Zweitens geht es ihnen darum, gegenüber der Arbeiterklasse zu verheimlichen, dass ihr Kampf das einzige Hindernis für den imperialistischen Krieg darstellt. Während weltweit sich überall die Massaker fortsetzen und weiter zunehmen, geht es den Herrschenden vor allem darum, dass die Arbeiterklasse ein Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber dieser Lage empfinden soll. Um jeden Preis soll sie an der Bewusstwerdung gehindert werden, dass ihre Kämpfe gegen die wachsenden Angriffe, die durch die ausweglose Krise hervorgerufen werden, das einzige Mittel sind, um die Generalisierung dieser Konflikte zu verhindern. Konflikte, welche letztendlich die Welt in eine neue kriegerische Barbarei stürzen, wie es im 20. Jahrhundert schon zweimal der Fall war. Die Arbeiter sollen somit von der Idee der Revolution abgebracht werden, die als der Grund für alles Übel dieses Jahrhunderts dargestellt wird. Doch es war die Niederschlagung der Revolution, die es ermöglichte, dass dieses Jahrhundert das blutigste und barbarischste der Geschichte wurde - gerade weil sie die einzige Hoffnung für die Menschheit darstellt.

Fabienne

    "Erinnern wir uns, dass einige Wochen nach ihrer Ermordung die erste Sitzung des ersten Kongresses der Kommunistischen Internationale mit einer Würdigung dieser beiden Militanten eröffnet wurde, seither haben die Organisationen der Arbeiterbewegungen immer wieder ihrer gedacht.

  • (2) In Frankreich wurden 16,8% aller Mobilisierten getötet. Das Verhältnis ist für Deutschland kaum geringer: 15,4%. Aber es steigt für Bulgarien auf 22%, für Rumänien auf 25%, für die Türkei auf 27%, für Serbien auf 37%. Gewisse Kategorien der Kämpfenden erlebten schrecklichere Verluste: Die Infanterie Frankreichs 25% sowie ein Drittel aller Männer die 1914 20 Jahre alt waren. Erst 1950 erreichte die Bevölkerung wieder das Niveau vom Ersten August 1914. Man muss sich auch die menschliche Tragödie der Invaliden und der Verstümmelten vorstellen. Unter den Verstümmelten gab es ganz schreckliche Fälle: Allein in Frankreich zählte man 20000 "kaputte Fressen", Soldaten, die absolut entstellt waren und nicht mehr ins soziale Leben integriert werden konnten, so dass man für sie Spezialinstitutionen schaffen musste, wo sie in einem Getto den Rest ihrer Tage verbrachten. Auch darf man die Hunderttausenden von jungen Männern nicht vergessen, die irr geworden waren und von den Behörden im Allgemeinen als "Simulanten" betrachtet wurden.
  • (3) Kischinjow: Ort in Russland, wo 1903 die vom zaristischen Regime geschaffenen
  • (4) Auf beiden Seiten überboten sich die Lügen der bürgerlichen Presse in Geschmacklosigkeit und Unverschämtheit. "Schon ab August 1914 denunzierten die Allierten die `Grausamkeiten', die die Invasoren an der Bevölkerung Belgiens und Nordfrankreichs verübt hatte: die `abgeschnittenen Hände' der Kinder, die Vergewaltigungen, die hingerichteten Geiseln und die `als Exempel' verbrannten Dörfer ... Die deutschen Zeitungen umgekehrt veröffentlichten täglich Meldungen Über die `Grausamkeiten', die die belgischen Zivilen an den deutschen Soldaten verübt hatten: ausgestochene Augen, abgeschnittene Finger, bei lebendigem Leibe verbrannte Gefangene." ("Realité et propagande: la barbarie allemande", in L'Histoire, November 1998)
  • (5) Siehe Internationale Revue Nr 88 bis 91 (englisch/französisch/spanische Ausgabe)
  • (6) Der französische Premierminister zitierte in seiner Rede eine Strophe des "Craonne-Liedes", das nach den Meutereien verfasst wurde. Aber er hat mit Bedacht den folgenden Abschnitt ausgelassen: "Diejenigen, die Geld haben, werden wiederkommen.
  • Denn für sie sterben wir.
  • (7) Nach den Meutereien in der französischen Armee wurden ca. 10'000 russische Soldaten, die neben den französischen Soldaten an der Westfront kämpften, von der Front zurückbeordert und bis Kriegsende im Lager La Courtine isoliert. Es musste verhindert werden, dass ihr Enthusiasmus, den sie für die Revolution zeigten, die sich bei "ihnen zu Hause" entwickelte, die französischen Soldaten ansteckte.
  • (8) Man muss festhalten, dass die Verbrüderungen an der Westfront einige Monate nach Kriegsbeginn und der Abreise mit Blumen im Gewehr und dem Slogan einsetzten "Nach Berlinl!" oder "Nach Paris!". "Am 25. Dezember 1914: Keine Feindestätigkeit. In der Nacht und im Laufe des 25. Dezember wurde Verbindung aufgenommen zwischen Franzosen und Bayern, von Graben zu Graben (Gespräche, Notizen seitens des Gegners mit Schmeicheleien, Zigaretten... Besuch von einigen Soldaten in den deutschen Gräben" (Aufzeichnungen und Marschbefehle der 139. Brigade). In einem Brief vom 1.1.1915 eines Generals, der an einen anderen General gerichtet war, steht: "Man muJ3 feststellen, dass die Soldaten zu lange am gleichen Ort bleiben, und somit zu sehr ihre Gegner von gegenüber kennenlernen, so dass daraus Gespräche entstehen und manchmal gar Besuche, die meistens nachteilige Auswirkungen haben. " Dies nahm im Laufe des Krieges noch zu, insbesondere 1917. In einem im November 1917 von der Post abgefangenen Brief schrieb ein französischer Soldat an seinen Schwager: "Wir sind nur 20 Meter von den Deutschen entfernt, aber sie sind ziemlich nett, denn sie geben uns Zigarren und Zigaretten, und wir geben ihnen Brot." (Zitate aus L'Histoire, Januar 1988).
  • Aber das ist jetzt vorbei, denn die Soldaten werden jetzt alle in den Streik treten "
  • (9) Jean-Baptiste Duroselle und Pierre Renouvin sind zwei sehr bekannte Historiker, Spezialisten dieses Zeitraums.

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [1]

Historische Ereignisse: 

  • Erster Weltkrieg [2]

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [3]

Deutsche Revolution VII

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Die Gründung der KAPD

Im vorherigen Artikel in der Internationalen Revue Nr. 22 haben wir gesehen, wie die KPD, deren besten Mitglieder ermordet wurden und der Repression ausgesetzt waren, es nicht schaffte, die Rolle zu erfüllen, die sie zu spielen gehabt hätte, und wie falsche Organisationsauffassungen zu einem Fiasko führten, bis hin zum Ausschluß der Mehrheit der Mitglieder der Partei! Auf dem Hintergrund politischer Konfusionen und der aufflammenden Kampfbereitschaft sollte die KAPD gegründet werden.

Am 4./5. April 1920 trafen sich drei Wochen nach dem Beginn des Kapp-Putsches und der Welle von Abwehrkämpfen, die dieser in ganz Deutschland hervorgerufen hatte,  in Berlin Delegierte der Opposition, um  eine neue Partei aus der Taufe zu heben: die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD).

Es ging darum, endlich eine Partei der ”revolutionären Aktion” zu gründen und eine Kraft haben, die dem opportunistischen Kurs der KPD entgegentrat. 

So schwerwiegend die Fehler der KPD während des Kapp-Putsches auch waren – dies war jedoch noch kein Anlaß, damit eine neue Partei aus der Taufe zu heben. Ohne vorher alle Möglichkeiten der Fraktionsarbeit ausgeschöpft zu haben, gründete man völlig überstürzt – zum Teil aus ”Frust”, fast aus Verärgerung auf die Schnelle eine neue Partei. Hauptsächlich kamen die Delegierten aus Berlin und einigen anderen Städten. Sie beanspruchten, ca.  20.000 Mitglieder zu vertreten.

Ähnlich dem Gründungskongreß der KPD war die neu gegründete KAPD sehr heterogen zusammengesetzt. Sie war wiederum eher ein  Sammelbecken der Opposition und Ausgeschlossenen (1).

Es gab:

– Die Berliner Tendenz: sie wurde von Intellektuellen wie Schröder, Schwab und Reichenbach angeführt, die alle aus dem Milieu sozialistischer Studenten kamen, und Arbeitern, die ausgezeichnete Organisatoren waren wie Emil Sachs, Adam Scharrer und Jan Appel, geprägt. Aus ihrer Sicht waren die Unionen nur ein Ableger der Partei, deswegen verwarfen sie jede Form des revolutionären Syndikalismus und den anarchisierenden Föderalismus. Sie stellten den marxistischen Flügel innerhalb der KAPD  dar.

– Die ”Parteigegner”, deren prominentester Sprecher Rühle war und die als solche eher eine lose Gruppierung waren. All ihre Kräfte auf die Unionen zu konzentrieren, darin bestand die einzige Orientierung, die sie verband. Es handelte sich um eine syndikalistisch-revolutionäre Tendenz.

– Die nationalbolschewistische Tendenz um Wolffheim und Laufenberg, die in Hamburg die Mehrheit darstellte; auch wenn Wolffheim und Laufenberg nicht direkt an der Gründung der KAPD mitwirkten, traten sie ihr bei und versuchten sie zu infiltrieren.

Gleichzeitig erhielt die KAPD schnell Zulauf von jungen, radikalisierten, unzufriedenen Arbeitern, die aber über wenig organisatorische Erfahrung, aber großen revolutionären Enthusiasmus verfügten. Selbst viele Mitglieder der Berliner Sektion waren nicht sehr stark in der Arbeiterbewegung vor dem Krieg verwurzelt gewesen. Zudem hatte der 1. Weltkrieg eine Radikalisierung vieler Künstler und Intellektueller mit sich gebracht (F. Jung, Dichter; H. Vogeler, Anhänger einer Kommune; Pfemfert und O. Kanehl, Künstler; usw.), die sich massenhaft zur KPD und später zur KAPD hingezogen fühlten. Die meisten von ihnen sollten eine verheerende Rolle spielen. Denn ähnlich dem Einfluß der bürgerlichen Intellektuellen nach 1968 haben sie sehr stark die Saat der Organisationsfeindlichkeit verbreitet und den Individualismus, die Zentralisierungsfeindlichkeit, den Föderalismus usw. propagiert. Dieses Milieu von Leuten ist leicht infizierbar durch die kleinbürgerliche Ideologie und deren Verhaltensweisen und macht sich zu deren Träger. Ohne damit von vornherein ein negatives Gesamtimage der KAPD zu zeichnen, denn die KAPD wurde später leichtfertig und pauschalisierend als ”kleinbürgerlich” beschimpft, weil der Einfluß dieser Strömung spürbar war, sollte die KAPD dennoch stark darunter leiden. Diese Intellektuellen-Kreise halfen auch bei dem Aufkommen des bis dahin in der Arbeiterbewegung nicht verbreiteten ”Proletenkults”, was sie nicht daran hinderte, selbst Feinde einer theoretischen Vertiefung zu sein. So mußte der marxistische Flügel innerhalb der KAPD von Anfang an eine Abgrenzung von den organisationsfeindlich

Wie die Schwächen bei der Organisationsfrage zum Verschwinden der Organisation führen

en Elementen vollziehen.

Es ist nicht das Ziel dieses Artikels, die programmatischen Positionen der KAPD näher zu untersuchen. Wir haben dies im Detail in unserem Buch Die holländische Linke getan. Die KAPD sollte trotz aller theoretischer Schwächen einen historisch wertvollen Beitrag hinsichtlich der Gewerkschafts- und Parlamentsfrage liefern. Sie leistete Pionierarbeit bei der Vertiefung des Verständnisses, warum im dekadenten Kapitalismus eine Arbeit in den Gewerkschaften nicht mehr möglich ist, warum die Gewerkschaften selber zu Staatsorganen geworden sind und warum sich das Parlament nicht mehr zugunsten der Arbeiterklasse benutzen läßt, sondern zu einer gefährlichen Waffe gegen das Proletariat geworden ist. Auch bezüglich der Rolle der Partei sollte die KAPD als erste Partei einen klaren Standpunkt zur Frage des Substitutionismus entwickeln. Sie hatte im Gegensatz zu den Parteien der Komintern erkannt, daß im neuen Zeitraum der Dekadenz keine Massenparteien mehr möglich sind. ”Die historisch gegebene Organisationsform zur Zusammenfassung der bewußtesten, klarsten, tatbereitesten proletarischen Kämpfer ist die Partei (...) Die kommunistische Partei  muß ein programmatisch durchgearbeitetes, in einheitlichem Wollen organisiertes und diszipliniertes Ganzes sein. Sie muß der Kopf und die Waffe der Revolution sein (....) insbesondere darf sie ihren Mitgliederbestand nie rascher erweitern, als es die Angliederungskraft des festen kommunistischen Kerns gestattet.” (Leitsätze über die Rolle der Partei in der proletarischen Revolution, Thesen der KAPD, Proletarier Nr. 7, Juli 1921).

Wir heben diese programmatischen Errungenschaften der KAPD an erster Stelle hervor, um zu betonen, daß die Kommunistische Linke sich ungeachtet der fatalen Schwächen der KAPD, auf die wir jetzt eingehen,  auf diese Errungenschaften berufen muß. Gerade die KAPD sollte verdeutlichen, daß es nicht reicht, ”programmatisch zu Schlüsselfragen” klar zu sein, denn solange man kein ausreichend klares Verständnis der Organisationsfrage hat, stellt die programmatische Klarheit zu obengenannten Fragen keine Garantie für ein Überleben der Organisation dar. Ausschlaggebend ist nämlich die Fähigkeit, eine revolutionäre Organisation nicht nur programmatisch auf solide Füße zu stellen, sondern die Organisation auch aufzubauen, sie zu verteidigen,  und sicherzustellen, daß die Organisation ihre historische Rolle erfüllt, und nicht zerfressen wird von falschen Organisationsauffassungen, und den Höhen und Tiefen des Klassenkampfes standhält. 

Als einer der ersten Tagesordnungspunkte auf dem Gründungskongreß hatte die KAPD beschlossen, sofort der Kommunistischen Internationale beizutreten, ohne vorher die Mitgliedschaft bei ihr zu beantragen. Während sie sich so von Anfang an der internationalen Bewegung zugehörig fühlte, lief die Ausrichtung ihrer Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt darauf hinaus, als Schwerpunkt ”innerhalb der 3. Internationale den Kampf gegen den Spartakusbund” zu führen. In einer Diskussion mit Vertretern des KPD  hatte man vorher erklärt, daß wir ”die reformistische Taktik des Spartakusbundes als nicht im Einklang mit den Prinzipien der 3. Internationale stehend betrachten und daß wir den Ausschluß des Spartakusbundes aus der 3. Internationale betreiben würden” (Protokoll des Gründungsparteitages, zit. bei Bock, S. 207). Als Leitmotiv bei dieser Diskussion tauchte immer wieder die Idee auf: ”Wir lehnen ein Zusammengehen mit dem Spartakusbund ab und werden ihn scharf bekämpfen... Unsere Stellung zum Spartakusbund ist klar und einfach zu präzisieren: Wir glauben, daß einzelne kompromittierte Führer aus der proletarischen Kampffront ausgeschlossen werden müssen, und wir haben die Bahn frei für das Zusammengehen der Massen gemäß dem maximalistischen Programm..... Eine Delegation von 2 Genossen, die dem Exekutiv-Komitee der 3. Internationale mündlichen Bericht erstatten sollen, wird beschlossen. Die Delegation wird von Berlin und Hamburg gestellt, da besonderes Gewicht darauf gelegt wird, die Hamburger Entwicklung klarlegen zu lassen” (ebenda S. 211).

Während ein politischer Kampf gegen die opportunistischen Positionen des Spartakusbundes in der Tat unerläßlich war, spiegelte diese dermaßen  feindliche Haltung gegenüber der KPD jedoch ein völliges Verdrehen der Prioritäten wider. Anstatt Klärung gegenüber der KPD mit dem Ziel der Festlegung für die Bedingungen der Einheit, Vereinigung zu betreiben, überwog eine sektiererische, unverantwortliche, jede Organisation zerstörerische  Haltung.  Haupttriebkraft dieser Haltung waren vor allem die Hamburger Nationalbolschewisten.

Zunächst war es ein Fiasko, daß die KAPD bei ihrer Gründung die Hamburger Nationalbolschewisten in ihre Reihen aufgenommen hatte. Diese Strömung war antiproletarisch. Allein ihre Anwesenheit ließ das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der KAPD in den Augen der Komintern von vornherein schwerwiegend absinken (2).

Als Delegierte zum im Juli tagenden 2. Kongreß der Komintern wurden Jan Appel und Franz Jung benannt (3).

In Diskussionen mit dem Exekutivkomitee der Komintern stellten sie den Standpunkt der KAPD dar. Im Anschluß an diese Diskussionen versicherten sie dem EKKI, daß sowohl die nationalbolschewistische Strömung um Laufenberg und Wolffheim als auch die parteifeindliche Strömung um Rühle aus der KAPD ausgeschlossen werden würde. Bei der Gewerkschafts- und Parlamentarismusfrage prallten die Standpunkte der KAPD und des EKKI heftig aufeinander. Lenin hatte kurz zuvor seine Schrift Der linke Radikalismus - die Kinderkrankheit im Kommunismus fertiggestellt. Nachdem die KAPD aufgrund der kriegsbedingten Blockade keine Nachricht von ihren Delegierten erhalten hatte, schickte man eine 2. Delegation, Otto Rühle und Merges. Das war das Schlimmste, das sie machen konnte. 

Vor allem Rühle war Repräsentant der föderalistischen Minderheit, die die kommunistische Partei auflösen und in ein System von Unionen überführen wollte. Jegliche Zentralisierung ablehnend, verwarfen sie deshalb auch implizit die Existenz einer Internationale überhaupt. Nach einer Reise durch Rußland, wo sie von den Auswirkungen des Bürgerkrieges, den die 21 Armeen gegen Rußland angezettelt hatten, geschockt  waren und ein ”belagertes Regime” sahen, wollten die beiden Delegierten ohne Absprache mit der KAPD wieder abreisen, überzeugt davon, daß ”die Diktatur der Bolschewistischen Partei der Nährboden für das Erscheinen einer neuen sowjetischen Bourgeoisie war”. Obwohl Lenin, Sinowjew, Radek und Bucharin ihnen eine beratende Stimme auf dem 2. Kongreß 1920 einräumen wollten, sie zur Teilnahme am Kongreß drängten, wollten sie auf die Teilnahme verzichten. Vor ihrer Abreise gestand das Exekutivkomitee der Komintern ihnen gar eine beschließende und nicht mehr nur eine beratende Stimme zu. ”Während wir uns schon in Petrograd auf dem Rückweg befanden, schickte uns das Exekutivkommission eine neue Einladung zum Kongreß, mit der Erklärung, daß die KAPD auf diesem Kongreß auch das Stimmrecht erhalte, obgleich sie keine der drakonischen Bedingungen des Offenen Briefes an die KAPD erfüllt oder auch nur versprochen hätte, sie zu erfüllen.”

Resultat war: Der 2. Kongreß der Komintern fand ohne die kritische Stimme der KAPD-Delegierten statt. Die verhängnisvolle opportunistische Entwicklung in der Komintern konnte leichter vonstatten gehen, die Arbeit in den Gewerkschaften wurde in den 21 Aufnahmebedingungen als bindend beschlossen. Der Widerstand der KAPD gegen diese opportunistische Kehrtwende war auf diesem Kongreß nicht zu spüren.

Auch war es infolgedessen nicht möglich, daß sich die kritischen Stimmen gegenüber dieser Entwicklung in der Komintern auf dem Kongreß selber zusammenfanden. Durch dieses schädliche Verhalten der KAPD-Delegierten kam es zu keinen internationalen Absprachen und keinem gemeinsamen Vorgehen. Die Ansätze einer internationalen Fraktionsarbeit wurden verpaßt.

Nach ihrer Rückkehr wurde die Strömung um Rühle aus der KAPD wegen organisationsfeindlichem Verhalten und Auffassungen ausgeschlossen. Nicht nur verwarfen die Rätekommunisten die politische Organisation des Proletariats, und leugneten damit die besondere Rolle der Partei, die diese bei der Bewußtseinsentwicklung des Proletariats zu spielen hatte (siehe dazu die Thesen zur Partei der KAPD). Sie reihten sich ein in die bürgerlichen Propagandastimmen, die die Erfahrung der Russischen Revolution verzerrten. Anstatt die Lehren aus dem Scheitern der Russischen Revolution zu ziehen,  fingen sie an, die Revolution als eine doppelte (proletarisch und bürgerlich, bzw. kleinbürgerlich) zu bezeichnen. Damit gaben sie sich selbst den politischen Todesstoß. Die ”Rätisten” wirkten nicht nur schädlich, indem sie die Rolle der Revolutionäre bei der Bewußtseinsentwicklung verneinten, sondern sie wirkten auch auf die Auflösung des revolutionären Lagers hin und verstärkten die allgemeine Organisationsfeindlichkeit. Nach ihrer Auflösung und Verstreuung konnten sie keinen politischen Beitrag mehr leisten. Diese Strömung besteht heute noch und hält sich hauptsächlich in den Niederlanden am Leben (obwohl ihre Ideologie weit über dieses Land hinaus verbreitet ist).

Der Zentralausschuß der KAPD beschloß auf dem 1. Ordentlichen Parteitag der KAPD im August 1920, daß es nicht darum ging, die 3. Internationale zu bekämpfen, sondern in ihren Reihen solange zu kämpfen, bis der Standpunkt der KAPD gesiegt habe. Diese Einstellung unterschied sich kaum von der Haltung der Italienischen Linken, allerdings änderte sich das später. Aber die Auffassung, daß man nur eine ”Opposition” und keine Internationale Fraktion innerhalb der Komintern bilden sollte, verhinderte es, daß eine internationale Plattform der Kommunistischen Linken entwickelt wurde.

Im November 1920 fuhr eine 3. Delegation nach dem 2. Kongreß der KAPD nach Moskau (ihr gehörten Gorter, Schröder und Rasch an). Die Komintern wies gegenüber der KAPD zurecht darauf hin, daß die Existenz zweier Organisationen (KPD und KAPD) in einem Land eine Anomalie sei und beendet werden müsse. Aus der Sicht der Komintern sollte der Ausschluß der Parteigegner um Rühle und der Nationalbolschewisten um Laufenberg und Wolffheim der Vereinigung der beiden Strömungen den Weg freimachen und den Zusammenschluß mit dem linken Flügel der USPD ermöglichen. Während die KAPD und die KPD sich jeweils wiederum vehement gegen den Zusammenschluß beider Parteien stellten, verwarf die KAPD prinzipiell jeden Zusammenschluß mit dem linken Flügel der USPD. Trotz dieser Ablehnung der Position der Komintern erhielt die KAPD den Status einer sympathisierenden Partei der 3. Internationale mit beratender Stimme.

Auf dem 3. Kongreß der Komintern (22.6.-13.7.1921) äußerte die Delegation der KAPD  erneut ihre Kritik an den Positionen der Komintern. Sie trat mutig und entschlossen der opportunistischen Entwicklung der Komintern in zahlreichen Redebeiträgen entgegen. Der Versuch, eine linke Fraktion auf dem Kongreß zu errichten, schlug fehl, denn von den anderen kritischen Stimmen aus Mexiko, England, Belgien, Italien und den USA, war niemand zu einer internationalen Fraktionsarbeit bereit. Nur die niederländische KAP und Genossen aus Bulgarien schlossen sich ihnen an. Schließlich wurde die Delegation mit einem Ultimatum der Komintern konfrontiert: Innerhalb von 2-3 Monaten sollte die KAPD ihre Verschmelzung mit der VKPD vollziehen. Ansonsten werde die KAPD aus der Komintern ausgeschlossen.

Damit beging die Komintern einen schwerwiegenden Fehler, denn durch ihr Ultimatum brachte sie wie die KPD zwei Jahre zuvor auf dem Oktober-Parteitag in Heidelberg eine kritische Stimme in ihren eigenen Reihen zum Schweigen. Die opportunistische Entwicklung der Komintern stieß auf eine Hürde weniger.

Die Delegation der KAPD in Moskau wollte diese Entscheidung nicht vor Ort im Namen der Partei treffen, sondern dazu die Instanzen der Partei anhören.

Als revolutionäre Strömung stand die KAPD vor einer schweren und schmerzhaften Wahl, auch deshalb, weil sie sich auf die gesamte linkskommunistische Strömung auswirken würde:

– entweder mit der VKPD zusammengehen, damit der opportunistischen Entwicklung Vorschub leisten;

– oder zu einer externen Fraktion der Internationale werden, mit der Absicht, die Komintern wiederzuerobern und auch die deutsche VKPD, wobei sich gleichzeitig andere größere Fraktionen bilden müßten;

– oder auf die Bedingungen der Gründung einer neuen kommunistischen Internationale hinarbeiten;

– oder sich künstlich und ohne Berücksichtigung der subjektiven Bedingungen für die Bildung einer neuen 4. Internationale entscheiden.

Die Führung der KAPD ließ sich vom Juli 1921 an in überstürzte Entscheidungen treiben. Trotz des Widerstands der Vertreter aus Hannover und Ostsachsen, trotz der Enthaltung des größten Parteibezirks – Großberlin – entschied sich die Führung der Partei für die Annahme einer Resolution, die den Bruch mit der 3. Internationale verkündete. Schwererwiegend als diese außerhalb des Rahmens eines Kongresses getroffene Entscheidung war der Beschluß, auf die ”Errichtung einer Kommunistischen Arbeiter-Internationale” hinzuarbeiten. Auf einem Außerordentlichen Kongreß der KAPD vom 11.-14. Sept. 1921 wurde dann einstimmig der sofortige Austritt aus der Komintern als sympathisierende Partei verkündet. 

Gleichzeitig betrachtete die KAPD alle Sektionen der Komintern als verloren. Ihr zufolge könnten aus deren Reihen keine revolutionären Fraktionen mehr hervorgehen. Die Wirklichkeit verzerrend, stellten sie die verschiedene Parteien als ”Hilfstruppen” im Dienste des Aufbaus des ”russischen Kapitals” dar. Vor lauter revolutionärem Eifer hatte die KAPD nicht nur das Potential des Widerstandes gegen die opportunistischen Entwicklung der Komintern unterschätzt, sondern auch die Prinzipien im Umgang unter revolutionären Gruppen verletzt. Diese sektiererische Haltung sollte einen Vorgeschmack auf die spätere sektiererische Haltung anderer revolutionärer Organisationen liefern. Der Feind schien nicht mehr das Kapital sondern die anderen Gruppen zu sein, denen man absprach revolutionär zu sein.

 Das Drama der Selbstverstümmelung

Einmal aus der Komintern ausgeschlossen, sollte in der KAPD eine weitere Schwäche voll zum Tragen kommen.

Nicht nur gab es auf ihren Konferenzen kaum umfassende Einschätzungen des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen auf internationaler Ebene, man beschränkte sich mehr oder weniger auf die Analyse der Lage in Deutschland und die Hervorhebung  der besonderen Verantwortung der Arbeiterklasse dort. Man war nicht bereit sich einzugestehen, daß die revolutionäre Welle international im Rückfluß begriffen war. Anstatt aus diesem Rückfluß die Lehren zu ziehen und die Aufgaben der Stunde neu zu definieren, meinte man, daß die ”Situation überreif war für die Revolution”. Und dennoch fiel sehr schnell ein Großteil der Mitglieder, vor allem jüngere, die nach dem Krieg zur Bewegung gestoßen waren, ab, als sie merkten, daß der Gipfel der revolutionären Kampfwelle überschritten war. Als Reaktion darauf versuchte man, wie wir in einem weiteren Artikel sehen werden, der Lage künstlich entgegenzutreten, indem eine Tendenz zu Einzelaktionen und Putschismus sich breit machte.

Anstatt den Rückfluß des Klassenkampfes anzuerkennen, anstatt eine zähe Fraktionsarbeit außerhalb der Komintern zu betreiben, strebte man die Gründung einer Kommunistischen Arbeiter-Internationale an. Die Sektionen der KAPD in Berlin und in Bremerhaven wandten sich gegen diese Haltung, blieben aber in der Minderheit.

Gleichzeitig fing im Winter 1921/22 ein Flügel der KAPD um Schröder an, die Notwendigkeit von Lohnkämpfen  zu verwerfen. Diese seien zur Zeit der ”Todeskrise des Kapitalismus” opportunistisch; nur politische Kämpfe, die die Frage der Macht stellen, sollten unterstützt werden. Mit andern Worten: Die Partei könne ihre Funktion nur in Zeiten revolutionärer Kämpfe ausüben; eine andere Spielart rätekommunistischer Auffassungen!

Im März 1922 gewann Schröder durch Manipulation des Abstimmungsmodus eine Mehrheit für seinen Flügel, die nicht den tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen in der Partei entsprach. Der Bezirk Groß-Berlin, der zahlenmäßig der stärkste war, schloß daraufhin Schröder, Sachs, Goldstein aus der Partei wegen ”parteischädigenden Verhaltens und wegen ihres maßlosen persönlichen Ehrgeizes” aus. Als Folge schloß der offiziell die Mehrheit vertretende Schröder den Berliner Bezirk aus, ließ sich in Essen nieder und rief eine ”Essener Strömung” ins Leben. Es gab nunmehr zwei KAPDs, zwei Zeitungen mit dem gleichen Namen. Die Zeit der persönlichen Inkrimierungen und Verleumdungen begann.

Anstatt die Lehren aus dem Ausschluß auf dem Oktober-Parteitag der KPD 1919 gezogen, anstatt die Erkenntnis aus dem Ausschluß aus der Komintern gewonnen zu haben, war es so, als wollte man die Kontinuität dieser Reihe von Fiaskos bewahren! Der Begriff der Partei wurde eine einfache Etikette für jede sich abspaltende Organisation, die auf einige wenige Hundert Mitglieder zusammenschrumpfte, wenn nicht weniger.

Um den Gipfel des organisatorischen Selbstmordes zu besteigen, gründete die Essener Strömung um Schröder dann am 2.- 6. April  1922 die Kommunistische Arbeiter-Internationale.

Nachdem die KAPD selber im April 1920 mehr oder weniger auf die Schnelle aus dem Boden gestampft worden war, ohne vorher die Möglichkeit einer Fraktionsarbeit außerhalb der KPD ausgeschöpft zu haben, beschloß man jetzt – sobald man aus der Komintern ausgeschlossen war und die unverantwortliche Spaltung der KAPD in eine Essener und Berliner Strömung selber herbeigeführt hatte – überstürzt eine neue Internationale aus dem Boden zu stampfen! Eine rein künstliche Gründung, als ob die Gründung einer Organisation  nur eine Frage des Willens sei!  Ein vollkommen unverantwortliches Verhalten – das ein weiteres Fiasko bedeutete.

Die Essener Strömung spaltete sich im November 1923 erneut, es löste sich ein ”Kommunistischer Rätebund” ab, Teile der Essener Richtung (Schröder, Reichenbach) kehrten 1925 wieder in die SPD zurück, ein anderer Teil zog sich aus der Politik ganz zurück. Die Berliner Richtung schaffte es noch, eine längere Zeit am Leben zu bleiben. Ab 1926 wandte sie sich dem linken Flügel innerhalb der KPD zu. Nachdem die Berliner Richtung der KAPD 1926 noch ca. 1.500-2.000 Mitglieder umfaßte, während ein Großteil der Ortsgruppen – vor allem im Ruhrgebiet – zusammengebrochen war, gab es noch einmal einen zahlenmäßigen Auftrieb (man zählte ca. 6.000 Mitglieder) durch den Zusammenschluß mit der ”Entschiedenen Linken”, die aus der KPD ausgeschlossen worden war.

Nach einer weiteren Spaltung 1928 versank die KAPD immer mehr in Bedeutungslosigkeit.

Die Entwicklung zeigt: Die Linkskommunisten in Deutschland hatten verhängnisvoll falsche Auffassungen in Sachen Organisationsfrage. Ihr organisatorisches Vorgehen war nichts anderes als eine Katastrophe für die Arbeiterklasse.

Zwar schwankten sie nicht hinsichtlich der Frage der Gewerkschaften und des Parlamentarismus, zur Aufarbeitung der Erfahrung der Russischen Revolution leisteten sie jedoch keinen Beitrag. Zu stark lastete der rätekommunistische Einfluß, der ja die Russische Revolution vollständig zu verwerfen begonnen hatte, in ihren Reihen. Nachdem sie von der Komintern ausgeschlossen worden waren und die Farce der Kommunistischen Arbeiter-Internationale in die Welt gesetzt hatten, konnten sie nicht einmal eine konsequente internationale Fraktionsarbeit leisten. Diese Aufgabe sollte die Italienische Linke wahrnehmen.

Die Verteidigung der Lehren der Kämpfe aus der revolutionären Welle konnte nur erfolgreich durchgeführt werden, wenn sie als Organisation selber am Leben blieben. Jedoch hatten ihre Schwächen und fehlerhaften Auffassungen zur Organisationsfrage dazu geführt, daß sie es nicht schafften, ihre Organisation – als Fraktion – am Leben zu erhalten. Zwar versuchte die Bourgeoisie von Anfang an, mit ihren Repressionskräfte (anfänglich die Sozialdemokratie, später die Stalinisten und Faschisten) die linkskommunistischen Kräfte physisch zu vernichten, aber ihre Unfähigkeit, die Organisation zu verteidigen, hatte mit zu ihrem politischen Todesurteil, zu ihrer Verstümmelung beigetragen. Das revolutionäre Erbe in Deutschland sollte – von einigen sporadischen Ausnahmen abgesehen – ausgelöscht werden. Die Konterrevolution hatte vollständig gesiegt. Die vermachten Lehren aus der Organisationserfahrung der ”Deutschen Linken” aufzuarbeiten und sich anzueignen, ist deshalb heute für die Revolutionäre eine dringende Aufgabe, um eine Wiederholung des Fiaskos von damals zu verhindern.

Die falschen Organisationsauffassun­gen der KPD beschleunigen ihren Weg zum Opportunismus

Die KPD selber sollte nach 1919, nachdem sie die ”Opposition” ausgeschlossen hatte, in einen verheerenden opportunistischen Strudel geraten.

Vor allem begann die KPD, die Arbeit in den Gewerkschaften und dem Parlament zu propagieren. Von der ”rein taktischen” Frage auf dem 2. Kongreß im Oktober 1919 war der Weg nicht weit zu einer ausgesprochenen Verteidigung und Hauptausrichtung auf diese ”Strategien”.

Weil man sah, daß die revolutionäre Welle von Kämpfen sich nicht weiter ausdehnte und radikalisierte, wollte man ”an die rückständigen” und noch ”mit Illusionen behafteten” Arbeiter in den Gewerkschaften ”rankommen”, indem man mit der Sozialdemokratie ”Einheitsfronten” in den Unternehmen aufbaute. Zunächst wurde im Dezember 1920 der Zusammenschluß mit der zentristischen USPD vollzogen in der Hoffnung, durch die Bildung einer Massenpartei mehr Einfluß zu bekommen. Vor allem nach Wahlerfolgen bei den Parlamentswahlen geriet die KPD selber unter die Räder ihrer eigenen Illusionen, indem sie glaubte, je mehr Stimmen sie bei den Wahlen gewinne, desto größer werde ihr Einfluß in der Arbeiterklasse. Schließlich wurde es für die Mitglieder Pflicht, in den Gewerkschaften mitzuarbeiten.

Beschleunigt wurde ihre opportunistische Entwicklung noch dadurch, als sie ihre Türen dem Nationalismus öffnete. Hatte sie 1919 die Nationalbolschewisten berechtigterweise rausschmeißen wollen, ließ sie ab 1920/21 selbst die nationalistischen Element durch die Hintertür rein.

Gegenüber der KAPD nahm sie eine sehr ablehnende Haltung ein. Nachdem die Komintern im November 1920 die KAPD als beratende Partei zugelassen hatte, drängte die KPD auf deren Hinauswurf aus der Komintern.

Vor allem nach den Kämpfen von 1923, und nachdem der Stalinismus in Rußland immer mehr triumphiert hatte, wurde die KPD zum Sprachrohr des russischen Staates. In den 20er Jahren wurde die KPD eines der treuesten Anhängsel Moskaus. Während große Teile der KAPD die russische Erfahrung ganz verwarfen, war die KPD völlig unkritisch geworden! Die falschen Organisationsauffassungen hatten damit selbst die Kräfte des Widerstandes innerhalb der KPD gegen den Opportunismus entscheidend geschwächt.

”Die Deutsche Revolution”: Geschichte der Schwäche der Partei

Blicken wir zurück auf die Kämpfe und die Rolle der Kommunisten, sticht sofort ins Auge, daß der Arbeiterklasse in Deutschland eine ausreichend starke Partei an ihrer Seite fehlte. War das Gewicht der Spartakisten in den Kämpfen in der Anfangsphase im November und Dezember 1918 verständlicherweise noch relativ gering gewesen, gab es ein wahres Fiasko im Januar 1919, als die frisch gegründete KPD die Provokation der Bourgeoisie nicht verhindern konnte. Das ganze Jahr 1919 über zahlte die Arbeiterklasse dann den Preis für die Schwächen der Partei. In der Welle von Kämpfen in den verschiedenen Orten hatte die KPD keinen entscheidenden Einfluß. Dieser Einfluß sank nochmehr ab, als es ab Oktober 1919 zu einer Spaltung der KPD kam. Als sich dann im März 1920 eine geballte Reaktion der Arbeiter gegen den Kapp-Putsch erhob, war wiederum die KPD nicht auf der Höhe. 

Nachdem wir aufgezeigt haben, welche Tragöde die Schwächen der Partei für die Arbeiterklasse bedeutete, und betont haben, wie die Parteiarbeit hätte aussehen sollen, könnte man meinen, damit sei das Rätsel für die Niederalge der Revolution in Deutschland entschlüsselt.

Es stimmt, daß diese Schwäche der Partei, die Fehler der Revolutionäre vor allem zu den Organisationsfragen sich nicht wiederholen dürfen.

Jedoch liefern die Fehler und Schwächen der Partei nicht die ganze Erklärung dafür, daß die Revolution in Deutschland gescheitert ist.

Oft wird hervorgehoben, die Bolschewistische Partei um Lenin habe ein Modell dafür geliefert, wie eine Revolution ”erfolgreich” durchgeführt werden könne. Und Deutschland liefere nur das Gegenbeispiel für die Schwächen der Revolutionäre. Aber damit macht man es sich zu einfach. Lenin und die Bolschewiki waren die ersten, die dies hervorhoben: ”Wenn es so leicht war, mit der Bande solcher kläglichen, schwachsinnigen Kreaturen wie Romanow und Rasputin fertig zu werden, so ist es unendlich schwieriger, gegen die organisierte und starke Clique der deutschen gekrönten und ungekrönten Imperialisten zu kämpfen” (W. Lenin, Auf dem Ersten Gesamtrussischen Kongreß der Kriegsflotte, in Werke Bd. 26, S. 342, 25. November 1917).

”Für uns war es leichter, die Revolution anzufangen, aber es ist für uns außerordentlich schwer, sie fortzusetzen und zu vollenden. Furchtbar schwer kommt die Revolution in einem so hochentwickelten Lande wie Deutschland, in einem Lande mit einer so ausgezeichnet organisierten Bourgeoisie, zustande (...)” (Lenin, Referat auf der Moskauer Gouvernementskonferenz der Betriebskomitees, 23. Juli 1918, Werke Bd. 27, S. 547).

Vor allem indem die Bourgeoisie durch den Druck der Arbeiter den Krieg zu Ende brachte, nahm sie eine wichtige Triebkraft aus den Kämpfen weg. Als dann nach Kriegsende ein Massenkampf der Arbeiter, mit zunehmendem Druck aus den Betrieben, mit verstärkter Initiative in den Arbeiterräten selbst zustande kam, prallte die Arbeiterklasse auf die ausgefeilte Sabotagetaktik der konterrevolutionären Kräfte mit der SPD und den Gewerkschaften an zentraler Stelle.

Die Lehre für heute liegt auf der Hand: Gegenüber solch einer cleveren Bourgeoisie wie sie die deutsche damals war – und in einer zukünftigen Revolution wird die ganze Bourgeoisie vereint mit allen Mitteln gegen die Arbeiterklasse ankämpfen – können die Revolutionäre nur ihre Aufgabe erfüllen, wenn sie selber solide und international organisiert sind.

Die Partei kann nur aufgebaut werden, indem sie sich auf langwierige vorherige programmatische Klärung und vor allem die Ausarbeitung fester organisatorischer Prinzipien stützt. Die Erfahrung in Deutschland zeigt: Ohne die Klarheit über eine marxistische organisatorische Funktionsweise wird jede Organisation auseinanderbrechen.

Das Versagen der Revolutionäre in Deutschland in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg beim wirklichen Parteiaufbau hat  katastrophale Auswirkungen gehabt. Nicht nur zerstümmelte und verkrüppelte die Partei sich damit selbst. Im Laufe der Konterrevolution wurden schon bis Ende der 20er Jahre die Stimmen der organisierten Revolutionäre weitestgehend zum Schweigen gebracht. In Deutschland sollte dann ein mehr als 50jährige Friedhofsruhe herrschen. Als das Proletariat dann nach 1968 auch in Deutschland wieder seine Stirn zeigte, fehlte natürlich diese revolutionäre Stimme des Proletariats. Es gehört somit zu den wichtigsten Aufgaben der Vorbereitung der zukünftigen proletarischen Revolution, den Organisationsaufbau erfolgreich in Angriff zu nehmen. Sonst wird es nicht nur zu keiner Revolution kommen, sondern ihr Scheitern wäre jetzt schon vorprogrammiert.

Deshalb steht der Kampf für den Aufbau der Organisation im Mittelpunkt der Vorbereitung der Revolution von morgen.

DV

(1) Siehe unser Buch La gauche hollandaise (Die holländische Linke) und unsere Broschüre Die deutsch-holländische Linke, in welchen Publikationen wir auf die Frage der KAPD und ihre Entwicklung detailliert eingehen, insbesondere den Teil ”Linkskommunismus und die Revolution – 1919-1927”.

(2) Erst nach der Rückkehr der Delegation am Ende des Sommers 1920 wurden sie aus der KAPD ausgeschlossen. Ihre Mitgliedschaft in der KAPD zeigt, wie heterogen die KAPD zum Zeitpunkt ihrer Gründung war, und daß sie eher ein Sammelbecken als eine Partei war, die auf soliden programmatischen und organisatorischen Grundlagen aufgebaut war.

(3) Über Land konnte man damals Moskau infolge der Belagerung durch die ”Armeen der Demokratie” und des Bürgerkriegs nicht erreichen. Erst nachdem Jan Appel und F. Jung ein Schiff gekapert hatten und die Matrosen zur Absetzung des Kapitäns überreden konnten, nahm das Schiff Kurs auf Rußland. Unter abenteuerlichen Umständen gelang es ihnen, die Blockade der russischen Häfen, die die konterrevolutionären Armeen gegen Rußland im Bürgerkrieg errichtet hatten, zu unterlaufen und Ende April Murmansk zu erreichen, von wo aus sie nach Moskau weiterfuhren.

 

 

 

 

 

Theorie und Praxis: 

  • Deutsche Revolution [4]

Die chinesische Frage (1920–1940)

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Die Linkskommunisten gegen den Verrat durch die degenerierte Kommunistische Internationale

Von der Debatte der Linkskommunisten innerhalb der Kommunistischen Internationalen bis zur Ablehnung der nationalen Befreiungskämpfe durch die Italienische Fraktion der Linkskommunisten

Wir haben in unserer Revue bereits eine Reihe von Artikeln über das sogenannte kommunistische China veröffentlicht (Internationale Revue, Nr. 81, 84, 94, engl., franz., span. Ausgabe) in denen wir den konterrevolutionären Charakter des Maoismus aufzeigten. Wenn wir hier zu dem Kampf zurückkehren, den das chinesische Proletariat in den 20er Jahren bis zur furchtbaren Niederlage führte, welche es in Shanghai und Kanton erlitt, dann nicht nur, weil er ein bedeutender Ausdruck des Kräftegleichgewichts zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf internationaler Ebene war, sondern auch weil er infolge der von ihm hervorgerufenen entscheidenden politischen Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle in der revolutionären Bewegung selbst spielte.Sinowjew schrieb 1927: ".... die Ereignisse in China sind von gleicher Bedeutung wie die Ereignisse in Deutschland im Oktober 1923. Und wenn sich die gesamte Aufmerksamkeit unserer Partei damals auf Deutschland richtete, so ist es jetzt notwendig, dasselbe in Bezug auf China zu tun, um so mehr als die internationale Lage weitaus komplizierter und beunruhigender für uns geworden ist."[1] Und Sinowjew hatte recht, als er die Bedeutsamkeit der Situation betonte, die von Revolutionären in der ganzen Welt erkannt wurde. Im Endeffekt sollten die Ereignisse in China das Ende der weltweiten revolutionären Welle markieren, da der Stalinismus sich innerhalb der Kommunistischen Internationalen immer mehr durchsetzte.Jedoch war die Situation in China eine der Fragen, die die Bildung der "Linksopposition" und die Bestätigung der "Italienischen Linken" (die die Zeitschrift Bilan veröffentlichte) als eine der wichtigsten Strömungen innerhalb der internationalen Opposition bewirkte, eine Strömung, die in den folgenden Jahren eine Aktivität und eine politische Reflexion von unschätzbarem Wert entwickelte.

Die Niederschlagung der Revolution in China

Mitte der 20er Jahre war eine kritische Periode für die Arbeiterklasse und ihre revolutionären Organisationen. Kann sich die Revolution noch weiter entfalten und auf Weltebene voranschreiten? Wenn nicht, könnte die Russische Revolution auf Dauer in ihrer Isolation überleben? Dies waren die Fragen, welche die kommunistische Bewegung vorwiegend beschäftigten, und die gesamte Komintern klammerte sich an die Möglichkeiten der Revolution in Deutschland. Seit 1923 lief die Politik der Komintern darauf hinaus, auf den Aufstand zu drängen. Sinowjew, der noch immer ihr Vorsitzender war, hatte das Ausmaß der Niederlage in Deutschland vollkommen unterschätzt.[2] Er erklärte, dass sie lediglich eine Episode sei und dass neue revolutionäre Angriffe in etlichen Ländern auf der Tagesordnung stünden. Die Komintern hatte einen sichtlich schwachen politischen Kompass, und als sie versuchte, sich auf das Abebben der revolutionären Welle einzustellen, verfiel sie einer wachsend opportunistischen Strategie. Von 1923 an entlarvten Trotzki und die erste Linksopposition ihre schweren Irrtümer und zeigten deren tragische Konsequenzen auf, gingen aber nicht so weit, von Verrat zu sprechen. Die Degeneration der Komintern nahm an Geschwindigkeit zu; Ende 1925 kam es zur Trennung des Triumvirats Sinowjew-Kamenew-Stalin, und die Komintern gelangte daraufhin unter die Führung von Stalin und Bucharin. Die "putschistische" Politik, die unter Sinowjew vorherrschte, wurde durch eine Politik ersetzt, die auf der Ansicht beruhte, dass der Kapitalismus in eine lange Phase der "Stabilisierung" eingetreten sei. Dies war der Kurs des rechten Flügels, der sich in Europa auf die Einheitsfront mit den "reformistischen" Parteien konzentrierte.[3] In China praktizierte die Komintern eine Politik, die noch über das hinausging, was die Menschewiki für die ökonomisch unterentwickelten Länder befürwortet hatten. Ab 1925 vertrat sie die Auffassung, dass die Politik der Kuomintang und die bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung stünden, die kommunistische Revolution käme erst danach. Diese Position führte dazu, die chinesischen Arbeiter dem Gemetzel auszuliefern.Tatsächlich behelligte die Komintern bereits in der ultra-linken, putschistischen Periode die KP Chinas damit, in die Kuomintang einzutreten, welche auf dem 5. Kongress der Komintern als eine mit der Internationalen "sympathisierende Partei" bezeichnet wurde (Prawda, Nr. 25, Juni 1924). Es war diese "sympathisierende Partei", die zum Totengräber des Proletariats wurde!Die stalinisierte Komintern "erkannte die Kuomintang als ein Organ der nationalen Revolution Chinas an. Die Kommunisten liefen en masse über unter den Namen und die Fahne der Kuomintang. Diese Politik führte die Kommunisten dazu, im März 1927 in die nationale Regierung einzutreten. Sie erhielten die Ministerien für Landwirtschaft (nachdem die Partei sich gegen jegliche Agrarrevolution und für den 'Stop allzu energischer Aktionen durch die Bauern' ausgesprochen hatte) und Arbeit, um die Arbeitermassen in einer Politik des Kompromisses und Verrats zu kanalisieren. Die Juli-Vollversammlung der KPCh sprach sich gegen die Inbesitznahme von Land, gegen die Bewaffnung der Arbeiter und Bauern aus - mit anderen Worten, für die Liquidierung der Partei und der Klassenbewegung der Arbeiter und ihre totale Auslieferung an die Kuomintang, um einen Bruch mit letzterer um jeden Preis zu vermeiden. Alle stimmten mit dieser kriminellen Politik überein. Von der Rechten unter Pen Chou Chek über das Zentrum unter Chen Duxiu bis hin zu den sogenannten Linken unter Tsiou Tsiou-Bo." (Bilan, Nr. 9, Juli 1934)Diese opportunistische Politik, die die KPCh in mehr oder minder aufgelöstem Zustand in die Kuomintang drängte und die von Bilan einige Jahre später so brillant analysiert wurde, endete in einer furchtbaren Niederlage der chinesischen Arbeiter: "Am 26. März begann Chiang Kai-Shek seinen Coup, indem er eine Anzahl von Kommunisten und Sympathisanten inhaftierte (...) Diese Tatsachen wurden vom Exekutivkomitee der Komintern verschwiegen, während um die antiimperialistische Rede Chiang Kai-Sheks auf dem Kongress der Arbeit 1926 viel Lärm gemacht wurde. Die Truppen der Kuomintang begannen ihren Marsch in Richtung Norden. Dies sollte als Vorwand dienen, um die Streiks in Kanton, Hongkong etc. zu beenden (...) Als sich die Truppen näherten, gab es Aufstände in Shanghai, der erste zwischen dem 19. und 24. Februar; der zweite am 21. März war siegreich. Chiang Kai-Sheks Truppen betraten die Stadt erst am 26. März. Am 3. April richtete Trotzki eine Warnung an den 'chinesischen Pilsudski'.[4] Am 5.April erklärte Stalin, dass Chiang Kai-Shek sich der Disziplin untergeordnet habe, dass die Kuomintang eine Art revolutionärer Block oder Parlament sei."[5] Am 12. April wurde aus dem Coup Tschiang Kai-Tscheks Ernst; eine Demonstration wurde mit Maschinengewehren angegriffen. Es gab Tausende von Opfern."Nach diesen Ereignissen sicherte die Delegation der Kommunistischen Internationalen am 17. April in Hunan der 'linken Kuomintang'[6], an der die kommunistischen Minister teilnahmen, ihre Unterstützung zu. Dann, am 15. Juli, gab es eine Wiederauflage des Coups von Shanghai. Der Sieg der Konterrevolution wurde abgesichert. Es folgte eine Periode systematischer Massaker: Vorsichtige Schätzungen besagen, dass 25'000 Kommunisten ermordet wurden." Und im September 1927 "legte die neue Führung der KP (...) den 13. Dezember als Termin für den Aufstand fest (...) Ein Arbeiterrat wurde auf Weisung von oben gebildet. Der Aufstand wurde auf den 10. Dezember vorverlegt. Am 13. war er vollkommen unterdrückt. Die zweite chinesische Revolution war endgültig zerschlagen."[7] Die chinesischen Arbeiter und Revolutionäre wurden in den Abgrund der Hölle gestoßen. Dies war der Preis, den sie für die opportunistische Politik der Komintern bezahlten."Trotz all dieser Zugeständnisse fand der Bruch mit der Kuomintang erst im Juli 1927 statt, als die Regierung von Hunan die Kommunisten aus der Kuomintang ausschloss und ihre Verhaftung anordnete." Daraufhin "verurteilte die Parteikonferenz vom August 1927 schließlich das, was die opportunistische Linie der alten Chen Duxiu-Führung genannt wurde, und fegte die alten Führer beiseite (...) Somit wurde die 'putschistische' Ära eröffnet, die ihren Ausdruck in der Kommune von Kanton im Dezember 1927 fand. Sämtliche Bedingungen für einen Aufstand in Kanton waren ungünstig (...) Es sollte klar sein, dass wir keinesfalls den Heroismus der Kommunarden von Kanton herabsetzen wollen, die bis zum Tod kämpften. Aber das Beispiel von Kanton war nicht das einzige. Zur gleichen Zeit erklärten sich fünf andere Regionalkomitees zugunsten eines sofortigen Aufstandes." Und trotz der siegreichen Offensive der Konterrevolution "fuhr der 6. Kongress der KPCh damit fort, die Perspektive eines siegreichen Kampfes in einer oder mehreren Provinzen aufrechtzuerhalten."[8]

Die chinesische Frage und die russische Opposition

Die Niederlage der Chinesischen Revolution stellte die schärfste Verurteilung der Strategie der Komintern nach dem Tode Lenins und vor allem der stalinisierten Komintern dar.In seinem Brief an den 6. Kongress der Komintern im Juli 1928 (siehe: Die dritte Internationale nach Lenin) schrieb Trotzki, dass die opportunistische Politik der Komintern zunächst das Proletariat in Deutschland 1923 geschwächt, dann jenes in Großbritannien und schließlich in China in die Irre geführt und verraten habe. "Hier liegen die unmittelbaren und unleugbaren Ursachen für die Niederlagen." Und er fuhr fort: "Um die Bedeutung der gegenwärtigen Wende nach links zu begreifen[9], müssen wir uns einen vollständigen Blick nicht nur über den Rutsch zur allgemeinen rechtszentristischen Linie verschaffen, der 1926-27 völlig unverkleidet stattfand, sondern auch über die vorherige ultralinke Periode von 1923-25 bei der Vorbereitung dieses Rutsches."Letztendlich hatte die Führung der Komintern 1924 ständig wiederholt, dass die revolutionäre Situation sich immer noch entwickle und dass "es in der nächsten Zukunft entscheidende Schlachten geben wird". "Auf der Basis dieser falschen Beurteilung errichtete der 6. Kongress Mitte 1924 seine ganze Orientierung."[10] Die Opposition drückte ihre Nicht-Übereinstimmung mit dieser Vision aus und "betätigte die Alarmglocken".[11] "Trotz des politischen Rückflusses orientierte sich der 5. Kongress nachweislich in Richtung Aufstand (...) 1924 wurde zum Jahr der Abenteuer in Bulgarien[12] und Estland.[13]" Dieser Linksextremismus von 1924-25, "völlig desorientiert angesichts der Situation, wurde durch eine rechte Verirrung ersetzt"[14].Die neue Vereinigte Opposition[15] wurde durch die Umgruppierung von Trotzkis alter Opposition und der Gruppe von Sinowjew und Kamenew gebildet. Etliche Themen regten 1926 die Diskussionen in der bolschewistischen Partei an, insbesondere die Wirtschaftspolitik der UdSSR und die Demokratie innerhalb der Partei. Aber die Hauptdebatte, jene, welche die Partei am tiefsten spaltete, war die Debatte über die chinesische Frage.Die Linksopposition widersetzte sich der Linie "eines Blocks mit der Kuomintang", die von Stalin und dem Ex-Menschewiki Martynow aufgestellt wurde. Die strittigen Punkte waren die Rolle der nationalen Bourgeoisie, der Nationalismus und die Klassenunabhängigkeit des Proletariats.Trotzki verteidigte seine Position in seinem Text Klassenverhältnisse in der chinesischen Revolution (3. April 1927). Er argumentierte:- dass die Chinesische Revolution vom allgemeinen Kurs der proletarischen Weltrevolution abhing; und gegen die Vision der Komintern, die die Unterstützung der Kuomintang befürwortete, um die bürgerliche Revolution durchzuführen, rief er die chinesischen Kommunisten dazu auf, die Kuomintang zu verlassen;- dass, um sich in Richtung Revolution zu bewegen, die chinesischen Arbeiter sich bewaffnen und Arbeiterräte bilden müssen.[16] Diesem Text folgten am 14. April Sinowjews an das Politbüro der KP der UdSSR gerichtete Thesen.[17] Hier bekräftigte er noch einmal Lenins Position zu den nationalen Befreiungskämpfen, insbesondere dass eine kommunistische Partei sich nicht irgendeiner anderen Partei unterordnen darf und dass sich das Proletariat nicht auf dem Terrain des Klassenversöhnlertums verlaufen darf. Er bekräftigte ebenfalls den Gedanken, dass "die Geschichte der Revolution gezeigt hat, dass jede bürgerlich-demokratische Revolution unvermeidlich den Weg der Reaktion einschlägt, wenn sie sich nicht in eine sozialistische Revolution umwandelt".Aber die russische Opposition besaß nicht die Mittel, den Kurs zur Degeneration der Komintern zu wenden, da das Proletariat nicht nur in China, sondern auch international eine Niederlage erlitt. Wir können sogar sagen, dass selbst innerhalb der bolschewistischen Partei "das Proletariat seine furchtbarste Niederlage erlitt"[18] (Bilan, Nr. 1, November 1933), und zwar in dem Ausmaß, dass die Revolutionäre, jene, die die Oktoberrevolution machten, einer nach dem anderen ins Gefängnis geschmissen, ins Exil getrieben oder gar ermordet wurden. Noch schwerer wiegt die Tatsache, dass "das internationale Programm verbannt wurde, die Strömungen der internationalistischen Linken ausgeschlossen wurden (...) Eine neue Theorie feierte ihren Einzug in die Komintern" (ebenda). Es war die Theorie vom "Sozialismus in einem Land". Von jetzt an war es das Ziel Stalins und der Komintern, den russischen Staat zu verteidigen. Als Folge des Bruchs mit dem Internationalismus aber starb die Internationale als Organ des Proletariats.

China und die Internationale Linksopposition (ILO)

Doch auch wenn sie besiegt war, so war der Kampf der Opposition innerhalb der Komintern von fundamentaler Natur. Er hatte ein beträchtliches internationales Echo in allen KPs. Vor allem steht fest, dass ohne ihn die gegenwärtigen linkskommunistischen Strömungen nicht existieren würden. In China selbst, wo die Stalinisten eine völlige Unterdrückung der Texte der Opposition erzwangen, schaffte es Chen Duxiu, seinen Brief an alle Mitglieder der KPCh zu schicken (er wurde im August 1929 aus der Partei ausgeschlossen; sein Brief ist datiert vom 10. Dezember desselben Jahres), in welchem er Stellung bezog gegen Stalins Opportunismus in der chinesischen Frage.In Europa und in der restlichen Welt versetzte dieser Kampf die oppositionellen, aus den KPs ausgeschlossenen Gruppen in die Lage, sich selbst zu strukturieren und zu organisieren. Sehr schnell sahen sie sich jedoch zersplittert, denn sie schafften es nicht, vom Stadium einer Opposition in das einer wirklichen politischen Strömung überzugehen.In Frankreich zum Beispiel veröffentlichten Souvarines Gruppe "Le Cercle Marx et Lénine", die Maurice Paz-Gruppe "Contre le Courant" und die Treint-Gruppe "Le Redressement Communiste" Dokumente der russischen Linksopposition und sammelten revolutionäre Kräfte. Anfänglich gab es in der Tat eine Vermehrung solcher Gruppen, aber leider erwiesen sie sich als unfähig, zusammenzuarbeiten.Schließlich gab es eine Umgruppierung, nachdem Trotzki aus der UdSSR ausgewiesen wurde, eine Umgruppierung, die den Namen Internationale Linksopposition (ILO) annahm, aber leider nicht genügend Gebrauch machte von den vielen Kräften dieser Zeit. 1930 sprachen sich die folgenden Gruppen zugunsten der von Trotzki vertretenen und in seinem Brief an den 6. Kongress der Komintern 1928 entwickelten Positionen aus:* die Kommunistische Liga (Opposition) für Frankreich, A. Rosmer,* die vereinigte Linksopposition der deutschen Kommunistischen Partei, K. Landau,* die spanische kommunistische Opposition, J. Andrade, J. Gorkin,* die belgische kommunistische Opposition, Hennaut,* die Kommunistische Liga von Amerika, M. Schachtmann, M. Abern,* die kommunistische Opposition (Linkskommunisten aus Österreich), D. Karl, C. Mayer,* die österreichische KP (Opposition), Frey,* die "Interne Gruppe" der österreichischen KP, Frank,* die tschechoslowakische Linksopposition, W. Krieger,* die italienische Linksfraktion, Candiani,* die Neue Italienische Opposition (NIO), Santini, Blasco. Sie unterschrieben gar eine gemeinsame Erklärung An die Kommunisten Chinas und der ganzen Welt (12. Dezember 1930). Candiani[19] unterzeichnete im Namen der Italienischen Fraktion.Die Erklärung war deutlich und machte keine Zugeständnisse an die opportunistische Politik der Klassenkollaboration."Wir, Repräsentanten der Internationalen Linksopposition, bolschewistische Leninisten, haben uns von Anbeginn dem Eintritt der Kommunistischen Partei in die Kuomintang widersetzt und sind für eine unabhängige proletarische Politik eingetreten. Seit dem Beginn des revolutionären Aufstandes haben wir die Arbeiter dazu aufgerufen, die Führung über die Bauernerhebung zu übernehmen, um sie zur Vollendung der Agrarrevolution zu geleiten. All dies ist abgelehnt worden. Unsere Partisanen sind in den Tod gehetzt, aus der KP ausgeschlossen worden, und in der UdSSR sind sie ins Gefängnis gesteckt und ausgewiesen worden. In welchem Namen? Im Namen der Allianz mit Chiang Kai-Shek."

Die Lehren der Italienischen Linken

Während die ILO sich einem klaren Verständnis für die Aufgaben der Stunde näherte, brachte ihre unkritische politische Treue gegenüber den ersten vier Kongressen der Komintern sie sehr schnell zum Abkippen in opportunistische Positionen, sobald die revolutionäre Flut sich offenkundig zurückzog. Dies galt nicht für die Italienische Fraktion, die sich deutlich in den drei zur Debatte stehenden Themen bezüglich der Kolonialländer (nationale Befreiungskämpfe, demokratische Parolen und interimperialistische Kriege in diesen Ländern) abhob.Die nationale Frage und die Revolution in den Ländern der kapitalistischen PeripherieIm Gegensatz zu den Thesen des 2. Kongresses der Komintern nahm die Fraktion eine Resolution über den chinesisch-japanischen Konflikt (Februar 1932) an, in welcher sie diese Frage in einer radikal neuen Weise für die Arbeiterbewegung stellte. Sie brach mit den klassischen Positionen zu den nationalen Befreiungskämpfen:[20] "1. In der Epoche des kapitalistischen Imperialismus existieren die Bedingungen nicht mehr, um durch eine bürgerliche Revolution innerhalb der kolonialen und halbkolonialen Ländern die Macht an eine kapitalistische Klasse zu verleihen, die imstande wäre, die fremden Mächte zu besiegen. (...)Da der Krieg das einzige Mittel zur Befreiung der Kolonialländer ist (...), ist es notwendig, nachzuweisen, welche Klasse dazu aufgerufen wird, ihn in dieser Epoche des kapitalistischen Imperialismus zu führen. Innerhalb des komplizierten Rahmens der wirtschaftlichen Gebilde in China ist es die Rolle der einheimischen Bourgeoisie, die Entwicklung der revolutionären Bewegung der Arbeiter und Bauern zu verhindern und die kommunistischen Arbeiter genau in dem Moment niederzuschlagen, wenn sich das Proletariat als die einzige Kraft zeigt, die fähig ist, den revolutionären Krieg gegen den ausländischen Imperialismus zu führen."Sie fuhr fort: "Die Rolle des Proletariats ist es, für die Errichtung der Diktatur des Proletariats zu kämpfen. (...)Punkt 4: Die Linksfraktion hat stets bekräftigt, dass die zentrale Achse der Situation sich in dem Dilemma 'Krieg oder Revolution' ausdrückt. Die gegenwärtigen Ereignisse im Fernen Osten bestätigen diese grundlegende Position. (...)Punkt 7: Die Pflicht der chinesischen Kommunistischen Partei ist es, sich an die vorderste Front des Kampfes gegen die einheimische Bourgeoisie zu stellen, einschließlich ihrer linken Repräsentanten in der Kuomintang, den berüchtigten Schlächtern von 1927. (...) Die chinesische Kommunistische Partei muss sich selbst auf der Basis des Industrieproletariats reorganisieren, sie muss in den Städten ihren Einfluss über das Proletariat wiedererobern, die einzige Klasse, die die Bauern in einen konsequenten und entscheidenden Kampf leiten kann, der zur Einrichtung wirklicher Arbeiterräte in China führen wird."Es erübrigt sich zu sagen, dass dies in allererster Linie die Ablehnung der Politik der stalinistischen (und bald darauf "maoistischen") Kommunistischen Partei Chinas bedeutete, aber es bedeutete auch eine offene Kritik an den politischen Positionen Trotzkis. Es waren diese Positionen, die ihn nicht viel später dazu verleiteten, China gegen Japan im Krieg zwischen diesen beiden Ländern zu verteidigen.Im Verlaufe der 30er Jahre wurde die Position der Fraktion noch präziser, wie man aus der Resolution über den chinesisch-japanischen Konflikt im Dezember 1937 (Bilan, Nr. 45) ersehen kann: "Die Bewegungen für nationale Unabhängigkeit, die in Europa einst eine fortschrittliche Funktion hatten, da sie die fortschrittliche Funktion ausdrückten, welche die bürgerliche Produktionsweise damals besaß, können jetzt in Asien nur die reaktionäre Funktion haben, sich dem Kurs zur proletarischen Revolution mit kriegerischen Großbränden entgegenzustemmen, deren einzige Opfer die Ausgebeuteten der kriegführenden Länder und des Proletariats aller Länder sind."

Demokratische Parolen

Bei der Frage der demokratischen Parolen stellte sich dasselbe Problem - jenes der nationalen Befreiungskämpfe. Konnte es noch immer verschiedene Programme für das Proletariat der entwickelten Länder und für jenes geben, dessen Bourgeoisie ihre Revolution noch nicht durchgeführt hatte? Konnten demokratische Parolen immer noch "fortschrittlich" sein, wie die ILO behauptete? "In Wahrheit fällt die Machteroberung durch die Bourgeoisie nirgendwo mit diesen demokratischen Parolen zusammen. Im Gegenteil, in der gegenwärtigen Periode erblicken wir die Tatsache, dass in einer ganzen Reihe von Ländern die Macht der Bourgeoisie nur auf der Basis semifeudaler Gesellschaftsverhältnisse und Institutionen möglich ist. Erst das Proletariat kann diese Verhältnisse und Institutionen zerstören, d.h. die historischen Ziele der bürgerlichen Revolution ausführen."Dies war in der Tat eine menschewistische Position in völligem Gegensatz zu dem, was Trotzki hinsichtlich der Aufgaben der Kommunisten in China in den 20er Jahren vertreten hatte.Die Position der Italienischen Linken war grundsätzlich anders. Sie wurde von ihrer Delegation auf der nationalen Konferenz der Ligue Communiste repräsentiert (Bulletin d'information de la Fraction Italienne, Nr. 3 und 4). Sie vertrat den Gedanken, dass "demokratische Parolen" in den halbkolonialen Ländern nicht mehr auf der Tagesordnung standen. Das Proletariat musste das einheitliche kommunistische Programm verteidigen, weil die kommunistische Revolution auf der internationalen Tagesordnung stand."Wir sagten, dass in Ländern, wo der Kapitalismus seine ökonomische und politische Herrschaft über die Gesellschaft nicht errichtet hatte (das Beispiel der Kolonien), in bestimmten Perioden die Bedingungen für einen Kampf des Proletariats für die Demokratie existieren. Aber wir bestanden auch darauf, dass dies sehr klar definiert werden muss, dass wir über die Klassenbasis für diesen Kampf genauestens im klaren sein müssen. (...) In der gegenwärtigen Lage der Todeskrise des Kapitalismus müßte es dazu bestimmt sein, die Diktatur der Partei des Proletariats herbeizuführen. (...)In den Ländern jedoch, wo die bürgerliche Revolution bereits gemacht worden war (...), würde dies nur zur Entwaffnung des Proletariats führen, und dies angesichts der neuen Aufgaben, die durch die Ereignisse erzwungen wurden. (...)Beginnen wir damit, der Formel der 'demokratischen Parolen' eine politische Bedeutung zu geben. Wir denken, dass wir folgende geben können:- Parolen, die direkt mit der Machtausübung durch eine gegebene Klasse verknüpft sind;- Parolen, die den Inhalt der bürgerlichen Revolutionen ausdrücken und die auszuführen der Kapitalismus - in der gegenwärtigen Situation - nicht die Möglichkeit oder Funktion besitzt;- Parolen, die sich auf die Kolonialländer beziehen, wo es eine Überkreuzung zwischen den Problemen des Kampfes gegen den Imperialismus, der bürgerlichen Revolution und der proletarischen Revolution gibt;- 'falsche' demokratische Parolen, d.h. jene, die den Lebensnotwendigkeiten der arbeitenden Massen entsprechen.Zum ersten Punkt gehören all jene Formulierungen, die zur Praxis einer bürgerlichen Regierung gehören, wie die Forderung nach einem 'Parlament und seiner freien Ausübung', 'Wahlen zu den Gemeindeverwaltungen und ihrer freien Ausübung, verfassunggebende Versammlung' etc.Zum zweiten Punkt gehören vor allem die Aufgaben der sozialen Umwandlung auf dem Lande.Zum dritten Punkt gehören die Probleme der Taktik in den Kolonialländern.Zum vierten Punkt gehört die Frage der Teilkämpfe der Arbeiter in den kapitalistischen Ländern."Die Fraktion kehrte dann zu jedem dieser vier Bereiche zurück, wobei sie sagte, dass Taktiken der entsprechenden Situation angepasst werden müssen, dass es aber notwendig sei, strikt an Prinzipien festzuhalten.

"Die institutionellen demokratischen Parolen

(...) die politische Meinungsverschiedenheit zwischen unserer Fraktion und der russischen Linken sind deutlicher zutagegetreten. Aber wir müssen klar darüber sein, dass diese Meinungsverschiedenheit dem Reich der Taktiken angehört, wie dies bei einem Treffen zwischen Bordiga und Lenin bewiesen wurde (...)."In Spanien, in Italien wie in China hat sich die Fraktion deutlich von den Taktiken abgegrenzt, die von der Linksopposition angewendet wurden."In Spanien nahm die Umwandlung vom monarchistischen Staat in einen republikanischen Staat, was einst das Resultat einer bewaffneten Auseinandersetzung gewesen war, mit der Abreise des Königs infolge einer Übereinkunft zwischen Zamora und Romanonés die Form einer Komödie an. (...)In Spanien hat die Tatsache, dass die Opposition die Position der Unterstützung der sogenannten demokratischen Umwandlung des Staates angenommen hat, jede Möglichkeit einer ernsthaften Auseinandersetzung in unserer Sektion mit den Fragen beseitigt, die sich auf die Resolution über die kommunistische Krise beziehen.Die Tatsache, dass in Italien die Partei das Programm der Diktatur des Proletariats verändert und das demokratische Programm der Volksrevolution[21] aufgegriffen hat, hat einen großen Beitrag zur Stärkung des Faschismus geliefert (...)."

Demokratische Parolen und die Agrarfrage

"(....) eine Umwandlung (die Befreiung der Landwirtschaft von den gesellschaftlichen Verhältnissen des Feudalismus) der Wirtschaft eines Landes wie Spanien in eine Wirtschaft wie die der entwickelteren Länder wird mit dem Sieg der proletarischen Revolution zusammenfallen. Dies jedoch bedeutet überhaupt nicht, dass der Kapitalismus nicht auf dem Weg zu dieser Umwandlung bereits aufbrechen kann. (...) Die programmatische Position der Kommunisten muss damit fortfahren, die Forderung nach der 'Sozialisierung des Landes' voll und ganz zu bekräftigen." Die Fraktion gibt den Sofortforderungen für das Land nur sehr wenig Raum.

Die institutionellen Parolen der Kolonialfrage

"Wir wollen uns hier mit den Kolonialländern befassen, wo trotz der Industrialisierung eines wichtigen Teils der Wirtschaft der Kapitalismus noch immer nicht als eine an der Macht befindliche Klasse existiert."Selbst wenn es nötig war, die Taktik in gewissen Ländern anzupassen, unterschieden sich für die Fraktion die Parolen des Proletariats in China oder Spanien nicht von denen für das Proletariat in den Kernländern des Kapitalismus."In China steht es zur Zeit des Manifests von 1930 und auch in der gegenwärtigen Situation außer Frage, ein Programm zur Eroberung der politischen Macht aufzustellen (...) zu einer Zeit, wo der 'Zentrismus'[22] sich politische Kunststückchen leistet, um die Verfälschung der Ziele und Bewegungen der Bauern als Sowjets zu präsentieren.Einmal mehr gibt es nur eine Klasse, die einen siegreichen Kampf führen kann, und das ist das Proletariat."

Die Teilforderungen der Arbeiterklasse

Die bürgerlichen Parteien und vor allem die Sozialdemokratie bestehen besonders auf der Notwendigkeit, die Massen zur Verteidigung der Demokratie zu führen. Sie fordern - und aufgrund des Mangels einer kommunistischen Partei haben sie es auch erreicht -, dass die Arbeiter vom Kampf zur Verteidigung ihrer Löhne und des Lebensstandards der Massen im allgemeinen ablassen, wie es jetzt in Deutschland passiert."Hier vertritt die Fraktion den Gedanken, dass die Arbeiterklasse nur den Kampf zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen entwickeln kann, dass sie auf ihrem eigenen Terrain bleiben muss, das das einzige ist, das ihr erlaubt, auf dem Weg zum revolutionären Kampf voranzuschreiten.

Der imperialistische Krieg und die chinesischen Trotzkisten

Auf diesem Gebiet endete Trotzki darin, die Positionen, die er zwischen 1925-27 vertreten hatte, zu verraten, jene, die er in Die Dritte Internationale nach Lenin (wie auch in seiner Deklaration An die Kommunisten in China und der ganzen Welt von 1930) vertreten hatte. Damals stand er noch treu zur Idee, dass der bürgerlichen Lösung des imperialistischen Krieges der Kampf des Proletariats für seine eigenen revolutionären Interessen entgegengesetzt werden muss, da "die Bourgeoisie endgültig ins Lager der Konterrevolution übergegangen ist". An die Adresse der Mitglieder der chinesischen Kommunistischen Partei gerichtet, fügte er hinzu: "Eure Koalition mit der Bourgeoisie war bis 1924 richtig, ja sogar bis Ende 1927, aber nun ist sie wertlos."Während der 30er Jahre begann er jedoch, die chinesischen Arbeiter dazu aufzurufen, "ihre ganze Pflicht im Krieg gegen Japan zu tun" (La Lutte Ouvrière, Nr. 43, 23. Oktober 1937). In Lutte Ouvrière Nr. 37 behauptete er bereits, "wenn es einen gerechten Krieg gibt, dann ist es der Krieg des chinesischen Volkes gegen seine Eroberer". Dies war dieselbe Position wie jene der Sozialverräter während des Ersten Weltkrieges! Und er fügte hinzu: "Alle Arbeiterorganisationen, alle fortschrittlichen Kräfte in China werden, ohne jede Konzession bezüglich ihres Programms und ihrer politischen Unabhängigkeit, in diesem Befreiungskrieg voll und ganz ihre Pflicht erfüllen, unabhängig von ihrer Haltung gegenüber der Chiang Kai-Shek-Regierung."Bilan attackierte in ihrer Resolution über den chinesisch-japanischen Konflikt im Februar 1927 heftig Trotzkis Position."Trotzki, der in Spanien und China eine Position zugunsten der Heiligen Union eingenommen hatte, während er in Frankreich und Belgien ein Programm in Opposition zur Volksfront aufgestellt hatte, ist ein Glied in der Kette der kapitalistischen Herrschaft, und eine gemeinsame Aktion mit ihm ist unvorstellbar. Dasselbe gilt für die Ligue Communiste Internationaliste in Belgien, die eine internationalistische Position zu China einnimmt, aber die Heilige Union in Spanien verteidigt."[23] Die Fraktion veröffentlichte sogar einen Artikel in Bilan Nr. 46, Januar 1938, der den Titel trug Ein großer Renegat mit einem Pfauensterz: Leo Trotzki.[24] Trotzkis Degeneration hätte ihn (wenn er länger gelebt und in Kontinuität zu dieser politischen Haltung Stellung zum Krieg bezogen hätte) in das Lager der Konterrevolution geführt. Und in der Tat verleitete seine Position zunächst die chinesischen Trotzkisten und dann die gesamte IV. Internationale dazu, im Verlauf des Zweiten Weltkrieges in die Arme des Patriotismus und des Sozialimperialismus zu fallen.Lediglich die Gruppe, die L'Internationale um Zheng Chaolin und Weng Fanxi veröffentlichte, hielt zur Position des "revolutionären Defätismus", und aus diesem Grunde wurden einige ihrer Mitglieder von der trotzkistischen Kommunistischen Liga Chinas ausgeschlossen, andere brachen mit letzterer (s. Internationale Revue, Nr. 94, engl., franz., span. Ausgabe).Am Ende dieses Artikels ist es wichtig zu bemerken, dass allein die Italienische Fraktion in der Lage war, die Argumente zu entwickeln, die aufzeigten, warum nationale Befreiungskämpfe nicht mehr "fortschrittlich" waren, sondern in der gegenwärtigen Phase in der Entwicklung des Kapitalismus konterrevolutionär geworden waren. Es waren die Gauche Communiste de France und später die IKS, die diese Position stärkten, indem sie ihr ein solides theoretisches Fundament verliehen haben. MR



[1] Sinowjews Thesen für das Politbüro der KP der UdSSR, 14. April 1927

[2] s. die Artikel in den jüngsten Ausgaben der Internationalen Revue über die Deutsche Revolution. Trotzki schrieb, dass das Scheitern in Deutschland 1923 "eine gigantische Niederlage" war (Die Dritte Internationale nach Lenin).

[3] Der Name, der den sozialistischen oder sozialdemokratischen Parteien verliehen wurde, die während des Ersten Weltkrieges Verrat begangen hatten.

[4] Der polnische Diktator, der die polnische Arbeiterklasse niedergeschlagen hatte: ein Gründungsmitglied der polnischen Sozialistischen Partei, die eine reformistische und nationalistische Tendenz war

[5] Trotzki in Die Dritte Internationale nach Lenin

[6] Die Existenz einer "linken Kuomintang" war ein von der stalinisierten KP ersonnenes Märchen

[7] Harold Isaacs, The Tragedy of the Chinese Revolution 1925-27

[8] Bilan, Nr. 9, Juli 1934

[9] Dies war der Begriff für den Kurs, der von der KP nach 1927 verfolgt wurde.

[10] Von Trotzki selbst hervorgehoben

[11] ebenso, Trotzki

[12] Ein Aufstand, der vom 19. bis zum 28. September stattfand, bevor er niedergeschlagen wurde.

[13] Im Dezember 1924 wurde ein Aufstand organisiert, in dem 200 KP-Mitglieder verwickelt waren. Er wurde binnen Stunden niedergeschlagen.

[14] ebenda, Trotzki

[15] Ende 1925 zerbrach das Stalin-Sinowjew-Kamenew-Triumvirat. Ein oppositioneller "Block" wurde gebildet, der Vereinigte Opposition genannt wurde.

[16] Wir wissen heute, dass diese Parole nicht angemessen war: Trotzki selbst stellte ihre Gültigkeit in Frage, da der Kurs nicht mehr günstig war für die Revolution.

[17] Thesen, die auf dem späteren 7. Plenum der Komintern und dem 15. Kongress der KP der UdSSR diskutiert werden sollten.

 

[18] Dies nannte die Opposition den "Thermidor der Russischen Revolution".

 

[19] Enrico Russo (Candiani), ein Mitglied des Exekutivkomitees der Italienischen Fraktion

[20] Selbst heute haben die Bordigisten Probleme, die Position der Fraktion aufzunehmen: Zum Beispiel beschuldigen sie die IKS, eine "indifferente" Position zu haben.

 

[21] Dies bezog sich auf die "Aventin"-Taktik, nach der sich die KP aus dem von den Faschisten dominierten Parlament zurückzog und sich in Aventin mit den Zentristen und Sozialdemokraten neu sammelte.

 

[22] Dies bezieht sich auf die stalinisierten KPs und die stalinisierte Komintern.

 

[23] Die einzige Tendenz, die dieselbe Position wie die Italienischen und Belgischen Fraktionen der Linkskommunisten aufgriff, wurde von der Revolutionary Worker's League (bekannt unter dem Namen seines Repräsentanten, Oelher) und dem Grupo de Trabajadores Marxistas (auch bekannt unter dem Namen ihres Repräsentanten Eiffel) gebildet.

 

[24] Was uns angeht, erkennen wir an, dass Trotzki die Arbeiterklasse nicht verriet, da er vor der Generalisierung des Weltkrieges starb. Dies trifft auf die Trotzkisten nicht zu (s. unsere Broschüre: Le Trotzkysme contre la Classe Ouvrière).

Aktuelles und Laufendes: 

  • Maoismus [5]
  • Tschiang Kai Schek [6]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [7]

Historische Ereignisse: 

  • Nationale Front [8]
  • Kommunistische Linke [9]
  • Niederschlagung der Aufstände von Shanghai und Kanton [10]
  • Degeneration der Komintern [11]

Internationale Revue 23 - Editorial

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Krieg in Europa: Der Kapitalismus zeigt sein wahres Gesicht

Der mit den NATO-Bombardierungen Serbiens ausgebrochene Krieg in Ex-Jugoslawien ist seit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 das weltweit bedeutendste Ereignis auf der imperialistischen Bühne. Auch wenn bisher die eingesetzten Mittel noch deutlich kleiner sind als diejenigen im Golfkrieg 1991, hat dieser Konflikt eine andere Dimension. Heute wird die Kriegsbarbarei im Herzen Europas, nur ein bis zwei Flugstunden von den wichtigsten Hauptstädten dieses Kontinents entfernt, entfesselt. Dies war zwar schon der Fall während der verschiedenen Zusammenstöße, die seit 1991 Ex-Jugoslawien verwüsteten und schon Zehntausende von Opfern forderten. Doch diesmal sind es die kapitalistischen Großmächte, allen voran der Weltpolizist, welche die Hauptakteure dieses Krieges sind.

Dass sich dieser Krieg in Europa abspielt, hat eine gewisse Bedeutung: Dieser Kontinent war, als Wiege des Kapitalismus und wichtigste Industriezone der Welt, Hauptziel und Epizentrum aller großen imperialistischen Konflikte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der beiden Weltkriege. Selbst der Kalte Krieg, in dem sich 40 Jahre lang der russische und der amerikanische Block gegenüberstanden, hatte als Hauptziel Europa, auch wenn sich die offenen kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Bühne peripherer Länder oder in ehemaligen Kolonien abspielte (Korea-Krieg, Vietnam, Naher Osten usw.). Darüber hinaus findet der heutige Konflikt auf dem Balkan in einer besonders sensiblen Zone des Kontinents statt, welche durch ihre geographische Lage (viel mehr als aus ökonomischen Gründen) schon vor dem Ersten Weltkrieg eines der umstrittensten Gebiete des Planeten war. Vergessen wir nicht, dass die erste imperialistische Schlächterei in Sarajevo ihren Auftakt hatte.

Darüber hinaus gibt es noch ein anderes Element, welches die Tragweite des gegenwärtigen Konfliktes bestimmt: die direkte und aktive Teilnahme Deutschlands in dieser Auseinandersetzung, nicht als Statist, sondern in einer bedeutenden Rolle. Dies ist seit mehr als einem halben Jahrhundert eine historische Premiere, weil Deutschland aufgrund seiner Verliererrolle im 2. Weltkrieg aus allen militärischen Interventionen ferngehalten wurde. Wenn die deutsche Bourgeoisie heute ihren Platz auf den Schlachtfeldern wieder einnimmt, ist dies bezeichnend für die allgemeine Zuspitzung der kriegerischen Spannungen, die der dekadente Kapitalismus, mit einer unlösbaren ökonomischen Krise konfrontiert, immer deutlicher hervorbringt.

Die Politiker und die Medien der NATO-Staaten präsentieren uns diesen Krieg als eine Aktion zur ”Verteidigung der Menschenrechte” gegen ein besonders widerliches Regime, verantwortlich für verschiedenste Missetaten wie die seit 1991 Ex-Jugoslawien mit Blut besudelnden ”ethnischen Säuberungen”. In Wirklichkeit kümmern sich die ”demokratischen” Staaten keineswegs um das Schicksal der Bevölkerung im Kosovo, ebensowenig wie sie das Schicksal der kurdischen und schiitischen Bevölkerung im Irak, die nach dem Golfkrieg von den Truppen Saddam Husseins massakriert wurden, rührte. Die Leiden der durch diesen oder jenen Diktator verfolgten Zivilbevölkerung dienten immer nur als Vorwand, der es den großen ”Demokratien” erlaubte, im Namen einer ”gerechten Sache” den Krieg zu entfesseln. Dies war vor allem im 2. Weltkrieg der Fall, wo die Ausrottung der Juden durch das Regime Hitlers (eine Ausrottung, gegen die die Alliierten nichts unternahmen, obwohl Möglichkeiten dazu vorhanden gewesen wären) dazu diente, im Nachhinein die von den ”Demokraten” begangenen Verbrechen zu rechtfertigen: so die 250’000 Toten in Dresden unter den Bomben der Alliierten in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 oder die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945.

Wenn uns die Medien seit Wochen mit Bildern über die Tragödie Zehntausender albanischer Flüchtlinge, die Opfer von Milosevics Barbarei sind, überschwemmen, dann nur deshalb, um die Kriegskampagne der NATO-Länder zu rechtfertigen, die schon seit Beginn unter der Bevölkerung dieser Länder auf Skepsis, wenn nicht gar Feindschaft stößt. Dabei geht es auch um die Gewöhnung und Vorbereitung auf die letzte Phase der Operation ”Entschlossene Kraft”, falls die Bombardierungen Milosevic nicht in die Knie zwingen: die Offensive mit Bodentruppen, die nicht nur auf serbischer Seite, sondern auch unter den Alliierten große Opfer fordern wird.

In Tat und Wahrheit ist die ”humanitäre Katastrophe” der Kosovo-Flüchtlinge von den ”Demokraten” vorausgesehen und beabsichtigt worden, um ihre Kriegspläne zu legitimieren. Genauso wie die Massaker an den Kurden und Schiiten im Irak beabsichtigt waren, als die Alliierten diese noch während des Golfkrieges zum Aufstand gegen Saddam Hussein aufriefen.

Der wirkliche Verantwortliche für den gegenwärtigen Krieg ist nicht in Belgrad oder Washington zu suchen. Es ist der Kapitalismus als Ganzes, der verantwortlich ist für den Krieg. Die kriegerische Barbarei mit ihren andauernden Massakern, Völkermorden und Grausamkeiten kann nur von der Weltarbeiterklasse durch die Überwindung dieses Systems beendet werden. Andernfalls droht der im Sterben liegende Kapitalismus die gesamte Menschheit zu zerstören.                    

Angesichts der imperialistischen Kriege und all ihrer Greueltaten haben die Kommunisten eine Pflicht zur Solidarität. Doch diese Solidarität gilt nicht dieser oder jener Nation oder Rasse, innerhalb derer man auch immer Ausgebeutete und Ausbeuter, Opfer und Henker findet, wie letztere in der Figur Milosevics oder der nationalistischen UCK-Clique, die schon jetzt mit Gewalt aus den Reihen der Flüchtlinge die wehrfähige Männer aushebt. Die Solidarität der Kommunisten ist eine Klassensolidarität, welche den serbischen und albanischen Arbeitern und Ausgebeuteten gilt. Den Arbeitern in Uniform aller Länder, die sich gegenseitig abschlachten lassen müssen, indem man sie zu Mördern im Namen des ”Vaterlandes” oder der ”Demokratie” macht. Der Aufruf zur Klassensolidarität richtet sich vor allem aber an die bedeutendsten Teile des Weltproletariates, die Arbeiter Europas und Nordamerikas, sich nicht unter die Fahne des Pazifismus zu stellen, sondern ihren Kampf gegen den Kapitalismus und gegen die Ausbeuter im eigenen Land zu führen.

Die Kommunisten haben die Aufgabe, mit allen Mitteln die Pazifisten als Prediger des Krieges zu entlarven. Der Pazifismus ist einer der schlimmste Feinde des Proletariates. Er verbreitet die Illusion, dass der ”gute Wille” oder die ”internationalen Verhandlungen” dem Krieg ein Ende setzen könnten. Damit streuen sie die Lüge, nach der ein ”guter Kapitalismus”, der den Frieden und die ”Menschenrechte” respektiert, möglich sei, und halten so das Proletariat vom Klassenkampf gegen den Kapitalismus als Ganzen ab. Schlimmer noch, sie sind die Antreiber der ”konsequenten Linie”, die Trompeter der Kreuzzüge: ”Weil die Kriege von ’schlechten Kapitalisten’, ’Nationalisten’ und ‘Blutsaugern’ verursacht sind, werden wir keinen Frieden haben, bevor wir diese ‘schlechten Kapitalisten’ nicht beseitigt haben - indem wir ihnen den Krieg erklären.” Genau das kann man in Deutschland beobachten, wo der große Führer der pazifistischen Bewegung Joschka Fischer heute die imperialistische Politik seines Landes anführt. Er klopft sich auch noch selbst auf die Schultern mit den Worten: ”Zum ersten Mal seit langem führt Deutschland einen Krieg für eine gerechte Sache”.

Seit Beginn dieses Krieges haben die Internationalisten mit ihren leider noch bescheidenen Mitteln die Stimme gegen die imperialistische Barbarei erhoben. Am 25. März hat die IKS ein Flugblatt herausgegeben, welches daraufhin an die Arbeiter in 13 Ländern verteilt und unseren Lesern in den territorialen Publikationen bekannt gemacht wurde. Doch unsere Organisation war nicht die Einzige, welche mit der Verteidigung internationalistischer Positionen reagiert hat. Alle Gruppen, die sich auf die Kommunistische Linke berufen, haben ebenfalls reagiert und dieselben Grundprinzipien verteidigt[1] [12]. In der nächsten Nummer unserer Internationalen Revue (engl., franz., span.) werden wir genauer auf die Positionen und Analysen eingehen, die von diesen Gruppen entwickelt wurden. Doch schon heute gilt es das zu unterstreichen, was uns verbindet (die Verteidigung internationalistischer Positionen wie sie auf den Konferenzen in Zimmerwald und Kienthal während des Ersten Weltkrieges und auf den ersten Kongressen der Kommunistischen Internationalen zum Ausdruck gebracht wurden) und alles was uns von denjenigen Organisationen (Stalinisten, Trotzkisten usw.) unterscheidet, die sich zwar auf die Arbeiterklasse berufen, aber im Proletariat das Gift des Nationalismus oder Pazifismus verstreuen.

Die Rolle der Kommunisten beschränkt sich aber keineswegs nur auf die Verteidigung der Prinzipien, so wichtig und unabdingbar diese Aufgabe auch ist. Sie besteht auch darin, der Arbeiterklasse eine laufende Analyse zum Begreifen der Ereignisse, der näheren Umstände und der grundsätzlichen Aspekte der internationalen Situation zu liefern. Die Analyse des erst gerade begonnenen Krieges in Jugoslawien bildete eine der Achsen des 13. Kongresses der IKS, der Anfangs April stattfand. In der nächsten Nummer der Internationalen Revue werden wir auf diesen Kongress zurückkommen. Wir veröffentlichen hier schon die Resolution über die internationale Situation, welche auf dem Kongress verabschiedet wurde und in der dem gegenwärtigen Krieg ein großer Platz eingeräumt wird.

10. April 1999


[1] [13] Es handelt sich um folgende Organisationen: Das Internationale Büro für die Revolutionäre Partei IBRP, den Partito Comunista Internazionale-Il Programma Comunista, den Partito Comunista Internazionale- Il Comunista und den Partito Comunista Internazionale-Il Partito Comunista.

Organisationsfrage: Sind wir "Leninisten" geworden? (Teil I)

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Seit Ende der 60er Jahre und dem Entstehen der Gruppen, welche 1975 die IKS gründen sollten, sind wir immer wieder mit zweierlei Kritiken konfrontiert worden.

Für die Einen, so vor allen die verschiedenen Internationalen Kommunistischen Parteien, welche direkt von  der Italienischen Linken abstammen, sind wir in der Frage des Klassenbewusstseins Idealisten und bezüglich der Organisationsfrage Anarchisten.

Für die Anderen, vornehmlich aus der anarchistischen oder rätistischen Strömung, welche die Notwendigkeit der politischen Organisation und einer Kommunistischen Partei verwerfen oder unterschätzen, sind wir "Parteifanatiker" oder "Leninisten". Erstere stützen sich in ihrer Behauptung auf unsere Ablehnung der "klassischen" Position der Arbeiterbewegung über die Machtübernahme durch die Kommunistische Partei während der Diktatur des Proletariates und auf unsere nicht-monolithische Sichtweise über die Funktionsweise einer politischen Organisation. Die Zweiten verwerfen unsere strenge Auffassung von der revolutionären Militanz und unsere stetigen Anstrengungen zur Bildung einer einheitlichen, international zentralisierten Organisation.

Heutzutage taucht aber noch eine andere Kritik auf, die derjenigen von Seiten der Rätisten ähnlich, aber viel bissiger ist: die IKS sei am degenerieren, eine ”leninistische”[i] [14]  Sekte geworden und stehe vor dem Bruch mit ihrer politischen Plattform und ihren Grundsatzpositionen. Wir fordern unsere Leser dazu auf, diese Lüge zu überprüfen, für die es in unserer Presse oder unseren programmatischen Texten keinerlei Bestätigung gibt. Für jemanden, der die Presse der IKS seriös und ohne Voreingenommenheit verfolgt – wir selbst sind ja offenbar einer Beurteilung unfähig –  ist die Unerhörtheit dieser Anschuldigung offensichtlich. Doch die Tatsache, dass es oft ehemalige Mitglieder unserer Organisation sind, welche diese Lüge verbreiten, kann den unaufmerksamen oder unerfahrenen Leser glauben lassen, es gebe ”kein Rauch ohne Feuer”. Diese ehemaligen Mitglieder unserer Organisation sind ein Teil dessen, was wir als den ”politischen Parasitismus” bezeichnen[ii] [14]. Diese Kreise stemmen sich unserem permanenten Kampf für die internationale Umgruppierung der militanten Kräfte und die Einheit des politischen proletarischen Milieus im historischen  Kampf gegen den Kapitalismus entgegen. Sie versuchen konsequent, unseren Kampf gegen Stümperei und  Informalismus in der militanten Arbeit und unsere leidenschaftliche Verteidigung einer international vereinigten und zentralisierten Organisation zu untergraben und zu schwächen.

 

Sind wir Leninisten geworden wie es unsere Kritiker und Ankläger behaupten? Eine solch schwerwiegende Behauptung können wir kaum übergehen. Um darauf eine seriöse Antwort zu geben, müssen wir erst wissen, von was wir überhaupt sprechen. Was ist ”Leninismus”? Was hat dies in der Geschichte der Arbeiterbewegung bedeutet?

”Leninismus” und Lenin

Der "Leninismus" tauchte zusammen mit dem Kult um Lenin nach dessen Tode auf. Seit 1922 erkrankt, konnte sich Lenin am politischen Leben bis zu seinem Tod 1924 immer weniger beteiligen. Der Rückfluss der weltrevolutionären Welle, welche den Ersten Weltkrieg beendet hatte, und die Isolierung des russischen Proletariates sind die Hauptgründe für die Machtübernahme der konterrevolutionären Kräfte in diesem Land. Die wichtigsten Ausdrücke dieses Prozesses sind die Vernichtung der Macht und das Absterben jeglichen proletarischen Lebens der Arbeiterräte, sowie die Bürokratisierung und der Aufstieg des Stalinismus in Russland,  speziell innerhalb der sich an der Macht befindlichen bolschewistischen Partei. Die politischen Fehler nahmen ein dramatisches Ausmaß an – vor allem die Gleichsetzung der Partei und des Proletariates mit dem russischen Staat, welche unter anderem die Repression in Kronstadt legitimierte. Sie spielten eine wichtige Rolle in der Entstehung der Bürokratie und des Stalinismus. Auch Lenin ist vor Kritik nicht gefeit, auch wenn er oft derjenige war, der sich am heftigsten gegen die Bürokratisierung zur Wehr setzte. So 1920, als er sich gegen Trotzki und einen großen Teil der bolschewistischen Führer wandte, welche die Militarisierung der Gewerkschaften forderten, oder während seiner letzten Lebensjahre, als er die wachsende Macht Stalins anklagte und Trotzki aufrief, eine Allianz oder, wie er sagte: einen Block, zu bilden "gegen die Bürokratisierung im allgemeinen und gegen das Organisationsbüro (unter Stalins Führung) im speziellen."[iii] [14] Als sein Tod seine politische Autorität beendet hatte, begann die konterrevolutionäre Tendenz  der Bürokraten einen Personenkult rund um Lenin aufzubauen[iv] [14]: Petrograd wurde in Leningrad umbenannt, Lenins Körper mumifiziert, und man begann vor allem, eine Ideologie des "Leninismus" und "Marxismus-Leninismus" zu konstruieren. Das Trio Stalin-Sinowjew-Kamenjew eignete sich Lenins "Erbschaft" an, als Werkzeug gegen Trotzki im Kampf innerhalb der russischen Partei und um sich der Führung der Kommunistischen Internationalen (Komintern) zu bemächtigen. Die stalinistische Offensive zur Kontrolle über die verschiedenen Kommunistischen Parteien drehte sich um die "Bolschewisierung" dieser Parteien und den Ausschluss von Militanten, welche die neue Politik zurückwiesen.

Der "Leninismus" ist der konterrevolutionäre Verrat an Lenins Erbe

1939 beschrieb Boris Souvarine[v] [14] in seiner Stalin-Biographie den Unterschied zwischen Lenin und "Leninismus": "Zwischen dem alten Bolschewismus und dem neuen "Leninismus" gibt es genau genommen keine Kontinuität.”[vi] [14] Er definierte den "Leninismus" folgendermaßen: "Stalin machte sich zu dessen erstem klassischen Autor mit seiner Broschüre Grundlagen des Leninismus, einer Sammlung von Vorlesungen bei den "Roten Studenten" der kommunistischen Swerdlov Universität Anfangs April 1924. In dieser fleißig zusammengetragenen Sammlung, in der sich abgeschriebene Sätze mit Zitaten abwechselten, sucht man vergeblich das kritische Denken Lenins. Alles Lebendige, Relative, von Bedingungen Abhängige und Dialektische in seinem Denken wird darin passiv, absolut, katechistisch und ist mit Widersprüchen übersät.[vii] [14]

 

Der "Leninismus" ist die "Theorie" des Sozialismus in einem Land und dem Internationalismus Lenins vollkommen entgegengesetzt

Der Aufstieg des "Leninismus" drückte, als die Isolation des revolutionären Russlands immer spürbarer wurde, den Sieg des opportunistischen Kurses aus, den die Komintern seit ihrem 3. Kongress eingeschlagen hatte, speziell mit der Annahme der Taktik der Einheitsfront und der Parole, "in die Massen" zu gehen. Die Fehler der Bolschewiki waren ein negativer Faktor, der diesen opportunistischen Kurs beschleunigte. Es ist ratsam, an dieser Stelle daran zu erinnern, dass die falsche Position der "Machtergreifung durch die Partei" damals von der gesamten revolutionären Bewegung vertreten wurde, Rosa Luxemburg und die Deutsche Linke inbegriffen. Erst in den frühen 20er Jahren wies die KAPD auf den Widerspruch hin, der sich für eine revolutionäre Partei auftut, welche die Macht ergreift und sich mit dem neuen Staat identifiziert, der durch den siegreichen Aufstand entsteht.

Gegen dieses erst opportunistische und danach offen konterrevolutionäre Krebsgeschwür entstanden und entwickelten sich verschiedene Widerstände. Die konsequentesten darunter waren die verschiedenen Linksoppositionen in Russland, Italien, Deutschland und Holland, welche dem Internationalismus und dem Oktober 1917 treu blieben. Den in der Internationalen aufkommenden opportunistischen Kurs bekämpfend, wurden sie allesamt im Verlauf der 20er Jahre ausgeschlossen. Diejenigen, welche sich am Leben erhalten konnten widersetzten sich den praktischen Auswirkungen des "Leninismus", der sogenannten "Bolschewisierung" der kommunistischen Parteien. Insbesondere bekämpften sie die Ersetzung der Organisierung in lokalen Sektionen (das heißt auf einer territorialen, geographischen Ebene) durch die Organisierung in Fabrikzellen, welche dazu führte, die Militanten auf einer korporatistischen Ebene zusammenzuführen, um aus den Parteien jegliches wirklich kommunistische Leben, bestehend aus Debatten und Diskussionen um die generellen Fragen, zu beseitigen.

 

Die Ausbreitung des "Leninismus" verschärfte den Kampf zwischen dem Stalinismus und der linken Opposition. Sie war begleitet von der Entwicklung der Theorie des "Sozialismus in einem Land", welche einen vollständigen Bruch mit Lenins unbeugsamem Internationalismus und der Erfahrung des Oktobers bedeutete. Sie markiert den Aufstieg des opportunistischen Kurses bis zum vollständigen Sieg der Konterrevolution. Mit der Annahme ihres Programms des "Sozialismus in einem Land" warf sie den Internationalismus über Bord, die Kommunistische Internationale starb – als Internationale – definitiv an ihrem 6. Kongreß 1928.

 

Der "Leninismus" ist die Spaltung zwischen Lenin und Luxemburg, die Spaltung zwischen der bolschewistischen Fraktion und den anderen internationalistischen Linken

1925 nahm der 5. Kongress der Kommunistischen Internationalen die Thesen über die Bolschewisierung an. Dies war Ausdruck des zunehmenden Einflusses der stalinistischen Bürokratie innerhalb der Komintern und der Kommunistischen Parteien. Als Produkt der stalinistischen Konterrevolution wurde die Bolschewisierung auf der Ebene der Organisation zum Hauptträger der zunehmenden Degenerierung der Parteien der Kommunistischen Internationalen. Die ansteigende Repression und der Staatsterror in Russland, sowie die Ausschlüsse in anderen Parteien zeigen die Schärfe und Grausamkeit der Auseinandersetzung auf. Für den Stalinismus existierte damals noch die Gefahr der Bildung einer starken internationalen Opposition rund um Trotzki, welcher als einziger fähig war, um sich herum den Großteil der überlebenden revolutionären Kräfte zu sammeln. Diese Opposition stellte sich dem Opportunismus entgegen und hatte alle Chancen, den Stalinismus der Parteiführungen erfolgreich zu bekämpfen, wie die Beispiele von Italien und Deutschland zeigten.

Eines der Ziele der ”Bolschewisierung” war es, einen Widerspruch zwischen Lenin und anderen großen Persönlichkeiten des Kommunismus der linken Strömungen zu konstruieren. Insbesondere zwischen Lenin und Trotzki, aber auch zwischen Lenin und Rosa Luxemburg: "Eine wirkliche Bolschewisierung ist unmöglich ohne die Überwindung der luxemburgistischen Irrtümer. Der "Leninismus" muss der alleinige Kompass für die Kommunistischen Parteien der ganzen Welt sein. Alles was sich vom "Leninismus" unterscheidet, unterscheidet sich auch vom Marxismus."[viii] [14]

 

Der Stalinismus brach und zerriss als erster die Verbindung und Einheit zwischen Lenin und Luxemburg, zwischen der bolschewistischen Tradition und dem Rest der Linken die aus der Zweiten Internationalen entstanden war. Die sozialdemokratischen Parteien halfen dem Stalinismus, einen unüberwindbaren Graben zwischen der "guten und demokratischen" Rosa Luxemburg und einem "bösen und diktatorischen" Lenin zu schlagen. Diese Politik gehört mitnichten der Vergangenheit an. Alles, was dies beiden großen Revolutionäre immer verband, wird auch heute noch angegriffen. Die scheinheilige Ehre, welche der Weitsicht Rosa Luxemburgs bezüglich ihrer Kritik an den Bolschewiki und der Russischen Revolution zuteilkommt, wird meist von den direkten politischen Nachkommen ihrer sozialdemokratischen Mörder, den heutigen sozialdemokratischen Parteien, auf die Beine gestellt. Dies insbesondere von den deutschen Sozialdemokraten, da Rosa Luxemburg offenbar eine Deutsche war ...!

 

Einmal mehr bestätigen sich die Allianz und die gemeinsamen Interessen zwischen der stalinistischen Konterrevolution und den ”klassischen” kapitalistischen Kräften. Vor allem die Allianz zwischen der Sozialdemokratie und dem Stalinismus mit dem Ziel, die Geschichte der Arbeiterklasse zu verfälschen und den Marxismus zu zerstören. So ist es kein Wunder, wenn die Bourgeoisie den Tag der Ermordung Rosa Luxemburgs und der Spartakisten 1919, vor achtzig Jahren, in Berlin auf ihre Weise feiert.

 

"Welch schmerzhaftes Spektakel für die revolutionären Militanten, zuzusehen wie die Mörder der Köpfe der Russischen Revolution, welche zu Verbündeten der Mörder der Spartakisten geworden sind, es wagen, den Tod der proletarischen Führer zu zelebrieren. Nein, diejenigen welche verraten und nochmals verraten haben, um die internationale Konterrevolution anzuführen haben, nicht das Recht von Rosa Luxemburg zu sprechen, deren Leben von Unbeugsamkeit, dem Kampf gegen den Opportunismus und revolutionärer Beharrlichkeit geprägt war."[ix] [14]

 

Hände weg von Rosa Luxemburg und Lenin – sie gehören zum revolutionären Proletariat!

Heutzutage hat ein Großteil des parasitären Milieus[x] [14] ein leichtes Spiel, zu diesen Verfälschungen beizutragen, indem er seine Gamaschen in den anarchistischen Morast steckt, ein anderes Milieu, das sich auf Angriffe gegen Lenin und alles, was er repräsentierte, spezialisiert hat.

Leider verfügt der Großteil der wirklich kommunistischen Strömungen und Gruppen nicht über eine politische Klarheit in dieser Frage. Auch der Rätismus trägt durch seine theoretische Schwäche und seine politischen Fehler dazu bei, zwischen der bolschewistischen Partei und der Deutsch-Holländischen Linken, zwischen Lenin auf der einen Seite und Luxemburg auf der anderen, eine Mauer zu errichten, so wie es die herrschende Klasse beabsichtigt. Auch die bordigistischen Gruppen und selbst der PCInt/Battaglia Comunista, sehen aufgrund ihrer theoretischen Schwächen oder Verwirrungen, wie der "Invarianz"-Theorie der Bordigisten, die politische Notwendigkeit nicht, Lenin, Luxemburg und alle linken Fraktionen, welche aus der Kommunistischen Internationalen hervorgingen, zu verteidigen.

 

Es ist wichtig, nicht nur auf die Einheit und Kontinuität des Kampfes der Individuen Lenin und Rosa Luxemburg hinzuweisen, sondern auch auf die der Bolschewiki und der anderen Linken innerhalb der Zweiten Internationalen. Trotz ihrer Debatten und Differenzen befanden sie sich immer auf derselben Seite der Barrikaden, wenn die Arbeiterklasse in entscheidenden Auseinandersetzungen stand. Lenin und Luxemburg waren die Führer der revolutionären Linken auf dem Stuttgarter Kongress der Sozialistischen Internationalen 1907, auf welchem sie zusammen mit Erfolg einen Abänderungsvorschlag bezüglich der Haltung der Sozialdemokraten gegenüber dem Krieg durchsetzten. Dieser rief dazu auf, "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die durch den Krieg entstandene ökonomische und politische Krise zu nutzen, um das Volk aufzuwecken und die kapitalistische Herrschaft zu überwinden". Lenin vertraute das Mandat der russischen Partei in dieser Debatte Rosa Luxemburg an. Dem internationalistischen Kampf treu stellten sie sich innerhalb ihrer jeweiligen Partei dem Ersten Weltkrieg entgegen. Die Strömung um Rosa Luxemburg, die Spartakisten, nahm zusammen mit den Bolschewiki und Lenin an den internationalistischen Konferenzen von Zimmerwald (1915) und Kienthal (1916) teil. Sie standen mit allen kommunistischen Linken enthusiastisch für die Unterstützung der Russischen Revolution ein: "Die Russische Revolution ist das gewaltigste Faktum des Weltkrieges. (...) Dass die Bolschewiki ihre Politik gänzlich auf die Weltrevolution des Proletariats stellten, ist gerade das glänzendste Zeugnis ihres politischen Weitblicks und ihrer grundsätzlichen Treue, des kühnen Wurfs ihrer Politik.(...) Die Lenin-Partei war die einzige, die das Gebot und die Pflicht einer wirklich revolutionären Partei begriff, durch die Losung: alle Macht in die Hände des Proletariates und des Bauerntums! den Fortgang der Revolution gesichert hat. (...) Die Bolschewiki haben auch sofort als Zweck dieser Machtergreifung das ganze und weitgehendste Programm aufgestellt: nicht etwa Sicherung der bürgerlichen Demokratie, sondern Diktatur des Proletariates zum Zwecke der Verwirklichung des Sozialismus. Sie haben sich damit das unvergängliche geschichtliche Verdienst erworben, zum ersten mal die Endziele des Sozialismus als unmittelbares Programm der praktischen Politik zu proklamieren."[xi] [14]

 

Heißt dies, dass es keine Differenzen gab zwischen diesen großen Figuren oder ihren Organisationen der Arbeiterbewegung? Sicher nicht! Um diese Differenzen richtig zu betrachten und daraus ein Maximum an Lehren zu ziehen, braucht es aber erst eine Erkenntnis und Verteidigung der Gemeinsamkeiten. Diese Gemeinsamkeiten waren der Klassenkampf, der geradlinige revolutionäre Kampf gegen das Kapital und gegen die Bourgeoisie und alle ihre politischen Kräfte. Rosa Luxemburgs Text, aus dem wir zitiert haben, ist eine konzessionslose Kritik an der Politik der Bolschewiki in Russland. Aber sie versteht sehr gut, den Rahmen darzustellen, in welchem ihre Kritik verstanden werden soll: Im Rahmen der Solidarität und im gemeinsamen Kampf mit den Bolschewiki. Sie entblößt auf bissige Art den Widerstand der Menschewiki und Kautskys gegenüber dem proletarischen Aufstand. Und um jeglichem Zweifel an ihren Klassenpositionen oder der Verdrehung ihrer Worte zuvorzukommen, schließt sie mir folgenden Worten ab: "In Russland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Russland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden. Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem "Bolschewismus".

 

Die Verteidigung dieser Genossen und ihrer Klasseneinheit ist eine Aufgabe die uns sie Italienische Linke vererbt hat und die wir weiter erfüllen. Lenin und Rosa Luxemburg gehören dem revolutionären Proletariat. Die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken verstand die Verteidigung dieses Vermächtnisses folgendermaßen: "An der Seite dieses brillanten proletarischen Führers (Lenin) standen gleichermaßen imposante Figuren wie Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht. Als Früchte des internationalen Kampfes gegen den Revisionismus und Opportunismus und Ausdruck des revolutionären Willens des deutschen Proletariates gehören sie uns und nicht denen, die aus Rosa das Symbol eines Anti-Leninismus und Anti-Parteigeists; aus Liebknecht das Symbol eines Anti-Militarimus, der in Tat und Wahrheit seinen Ausdruck in der Zustimmung für Militärkredite in den verschiedenen "demokratischen" Ländern fände, machen wollen."[xii] [14]

 

Wir haben auf den Vorwurf, gegenüber Lenin unsere Haltung geändert zu haben, noch nicht geantwortet. Doch der Leser kann sich ein klares Bild davon machen, dass wir dem “Leninismus” absolut entgegentreten und dass wir der Tradition der Linken Fraktionen, auf die wir uns berufen, treu bleiben, insbesondere der Italienischen Fraktion der 30er Jahre. Wir versuchen uns auf die Methode abzustützen, welche für die Verteidigung der historischen Einheit und Kontinuität der Arbeiterbewegung kämpft – gegen den ”Leninismus” und alle Versuche, die Arbeiterbewegung zu spalten oder ihre marxistischen Fraktionen gegeneinander auszuspielen. Gegen abstrakte und schematische Angriffe, meist gestützt auf Zitate, die aus dem Zusammenhang herausgerissen sind, setzen wir die verschiedenen Positionen der einzelnen Strömungen, ihre Debatten und Polemiken, in ihren tatsächlichen historischen Kontext innerhalb der Arbeiterklasse – oder in anderen Worten: ins selbe Lager. Dies ist die Methode, die der Marxismus immer anzuwenden versuchte, also das Gegenteil des ”Leninismus”, welcher von denen, die dem wirklichen Beispiel Lenins heute folgen, absolut verworfen wird. Es ist daher  amüsant zu sehen, wenn genau diejenigen, welche heute der ”stalinistischen” Methode folgen, die IKS als ”Leninisten” beschimpfen.                   

 

Hände weg von der Holländischen Linken und den Genossen Pannekoek und Gorter

Die heutigen Anhänger der ”Methode” des ”Leninismus” kann man leicht in verschiedenen Milieus ausmachen. Es ist in anarchorätistischen Kreisen und bei parasitären Elementen Mode geworden, zu versuchen, sich betrügerisch der Holländischen Linken zu bemächtigen und sie den anderen linken Fraktionen und natürlich Lenin gegenüberzustellen. Diese Kreise verraten ihrerseits, ganz so wie Stalin und sein ”Leninismus” Lenin verraten, die Tradition der Holländischen Linken und ihrer großen Persönlichkeiten wie Anton Pannekoek – auf den Lenin sich mit großem Respekt und Bewunderung in Staat und Revolution bezog – oder Herman Gorter, der diesen Klassiker des Marxismus bereits 1918 übersetzte. Bevor Anton Pannekoek in den 30er Jahren die Theorie des Rätekommunismus entwickelte, war er einer der hervorragendsten Militanten des linken Flügels zuerst in der 2. Internationale an der Seite von Rosa Luxemburg und Lenin, aber dann auch während des Krieges. Da er aufgrund seiner rätistischen Kritik des Bolschewismus von Elementen außerhalb des proletarischen Lagers leichter vereinnahmt werden kann als ein Bordiga, ist er auch heute noch Zielscheibe von Angriffen, die jede Erinnerung an seine Zugehörigkeit zur Kommunistischen Internationale, an seine Beteiligung an vorderster Front bei der Gründung des Amsterdamer Büros für den Westen und an seine begeisterte und entschlossene Unterstützung der Oktoberrevolution auszulöschen versuchen. Ebenso wie die Italienische und die Russische Linke Fraktion der Komintern gehören auch die Holländischen und Deutschen Linken dem Proletariat und dem Kommunismus. Wenn wir und auf alle linken Fraktionen, die aus der Komintern hervorgegangen sind, berufen, wenden wir die gleiche Methode an, die die Holländische Linke gegenüber der gesamten Linken hatte:

”Der Weltkrieg und die daraus hervorgegangene Revolution haben klar gezeigt, dass es in der Arbeiterbewegung nur eine Richtung gibt, die die Arbeiter wirklich zum Kommunismus führt. Nur die extreme Linke der sozialdemokratischen Parteien, die marxistischen Fraktionen, die Partei Lenins in Russland, Bela Kuns in Ungarn, Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts in Deutschland haben den guten und gemeinsamen Weg gefunden.

 

Die Richtung, die immer die gewaltsame Zerstörung des Kapitalismus zum Ziel hatte, die in der Zeit der friedlichen Evolution und Entwicklung den politischen Kampf und die parlamentarische Aktion für die revolutionäre Propaganda und für die Organisierung des Proletariats benützte; diejenige, die jetzt die staatliche Macht für die Revolution benützt. Die gleiche Richtung die auch das Mittel fand, den kapitalistischen Staat zu zerschlagen und ihn in den sozialistischen Staat umzuwandeln, und das Mittel, mit dem man den Kommunismus aufbaut: die Arbeiterräte, die selber die ganze politische und wirtschaftliche Macht verkörpern; die Richtung schließlich, die entdeckte und für alle Zukunft festhielt, was die Arbeiterklasse bis jetzt nicht wusste: die Organisation, durch die das Proletariat siegen und den Kapitalismus beseitigen kann.”[xiii] [14]

 

Sogar nach dem Ausschluss der KAPD aus der Komintern 1921 versuchte sie, ihren Prinzipien treu und mit den Bolschewiki solidarisch zu bleiben.

 

”Wir fühlen uns, auch wenn der Moskauer Kongress unsere Richtung ausschloss, völlig solidarisch mit den russischen Bolschewiki (...). Wir bleiben daher solidarisch, nicht nur mit dem russischen Proletariat, sondern auch mit seinen bolschewistischen Führern, auch wenn wir ihr Auftreten innerhalb des internationalen Kommunismus aufs schärfste kritisieren müssen.”[xiv] [14]

 

Wenn die IKS sich ”auf die Errungenschaften, die nacheinander erbracht wurden vom Bund der Kommunisten (1847-52) um Marx und Engels, den drei Internationalen (Internationale Arbeiterassoziation 1864-72, II. Sozialistische Internationale 1889-1914, Kommunistische Internationale 1919-1928), den Linkskommunistischen Fraktionen, die in den 20er und 30er Jahren aus der 3. Internationalen während ihres Niedergangs hervorgegangen waren, insbesondere der Deutschen, Holländischen und Italienischen Linken”[xv] [14], beruft und deren Einheit und Kontinuität verteidigt, so ist sie der marxistischen Tradition in der Arbeiterbewegung treu. Insbesondere reiht sie sich ein in den gemeinsamen und dauernden Kampf der ”Richtung”, wie sie Gorter bezeichnet hatte, der linken Fraktionen in der 2. und 3. Internationalen. In diesem Sinn sind wir Lenin, Rosa Luxemburg, Pannekoek und Gorter treu sowie der Tradition der linken Fraktionen in den 1930er Jahren, insbesondere der Zeitschrift Bilan.

 

Die heutigen ”Leninisten” befinden sich nicht in der IKS

Den linken Fraktionen treu, die den Stalinismus auch unter den dramatischsten Umständen bekämpften, weisen wir jede Beschuldigung des ”Leninismus” zurück. Und wir denunzieren diejenigen, die sie aussprechen: Sie sind vielmehr diejenigen, die auf die Methode Stalins und seine Theorie des ”Leninismus” zurückgreifen, indem sie diese Lenin zuschreiben. Ausgerüstet mit der ”Methode” Stalins, versuchen sie nicht einmal, ihre Beschuldigungen auf tatsächliche, konkrete Elemente zu stützen – z.B. auf unsere schriftlichen oder mündlichen Stellungnahmen –, sondern vielmehr einzig auf Gerüchte und Lügen. Sie behaupten, unsere Organisation sei eine Sekte geworden und befinde sich in voller Degenerierung, um diejenigen abzuschrecken und von uns fernzuhalten, die auf der Suche nach einer konsequenten politischen und revolutionären Perspektive sind. Die Beschuldigung ist umso verleumderischer, als sich hinter dem Wort ”Leninismus” der an uns gerichtete Vorwurf des Stalinismus verbirgt, wenn er nicht gar offen vorgebracht wird.

Die Denunzierung unseres angeblichen ”Leninismus” stützt sich im Wesentlichen auf Gerüchte über unsere interne Funktionsweise, v.a. betreffend die angebliche Unmöglichkeit der Debatte in unserer Organisation. Wir haben auf diese Anschuldigungen bereits an anderer Stelle geantwortet[xvi] [14] und kommen hier nicht darauf zurück. Wir beschränken uns darauf, das Kompliment zu erwidern, nachdem wir aufgezeigt haben, wer die wirklichen Nachahmer der ”leninistischen”, unmarxistischen, vermeintlich revolutionären Methode sind.

 

Die IKS hat sich immer auf Lenins Kampf um den Parteiaufbau berufen

Nachdem wir die Beschuldigung des ”Leninismus” zurückgewiesen haben, bleibt eine viel ernsthaftere Frage stehen: Haben wir unseren kritischen Geist gegenüber Lenin in der Frage der politischen Organisation aufgegeben? Hat es eine Änderung in der Position der IKS zu Lenin insbesondere in Organisationsangelegenheiten, in den Fragen der Partei, ihrer Rolle und ihrer Funktionsweise gegeben? Wir sehen zwischen der IKS zur Zeit ihrer Gründung in den 1970er Jahren und der IKS von heute nichts, was einen Bruch in unserer Position betreffend die Organisationsfrage und Lenin darstellen könnte.

Wir bleiben dabei, dass wir an der Seite Lenins stehen im Kampf gegen den Ökonomismus und den Menschewismus. Da gibt es nichts Neues. Wir bleiben dabei, dass wir einverstanden sind mit der angewandten Methode und der fundierten Kritik gegen den Ökonomismus und die Menschewiki. Und wir bleiben dabei, dass wir auch mit einem Großteil der verschiedenen von Lenin entwickelten Punkte einverstanden sind. Da hat sich nichts verändert.

 

Wir bleiben auch bei unserer Kritik gewisser Aspekte, die er in der Organisationsfrage vertreten hat. ”Einige von Lenin vertretene Positionen (insbesondere in ”Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück”) hinsichtlich des hierarchischen und ”militärischen” Charakters der Organisation – Positionen, die später vom Stalinismus zur Rechtfertigung seiner Methoden verwandt wurden – (müssen) verworfen werden.”[xvii] [14] Wir haben auch nicht unsere Meinung über diese Kritik geändert. Doch verdient die Frage eine genauere Antwort, einerseits um die wirkliche Tragweite der Fehler von Lenin zu begreifen, andererseits um den geschichtlichen Sinn der Debatten zu verstehen, die in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) ausgetragen wurden.

 

Um diese für die Revolutionäre zentrale Frage, inbegriffen die Fehler Lenins, ernsthaft anzugehen, sollte man der Methode und den Lehren der verschiedenen kommunistischen Linken treu bleiben, so wie wir es im ersten Teil dieses Artikels unterstrichen haben. Wir lehnen es ab, eine Wahl zu treffen zwischen dem, war uns an der Geschichte der Arbeiterbewegung gefällt, und dem, was uns daran missfällt. Eine solche Haltung ist ahistorisch und einzig denjenigen eigen, die sich nach 100 oder 80 Jahren anmaßen, über einen geschichtlichen Prozess, der aus Schwankungen, Erfolgen und Niederlagen, zahlreichen Debatten und Beiträgen besteht, die unter gewaltigen Opfern und harten politischen Kämpfen zustande gekommen sind, zu urteilen. Das gilt sowohl für die theoretischen und politischen Fragen als auch die Organisationsangelegenheiten. Weder das menschewistische Ende, das Plechanow gefunden hat, und seine chauvinistische Haltung während dem ersten Weltkrieg, noch die Verwendung Trotzkis durch den – Trotzkismus und Pannekoeks durch den Anarcho-Rätismus tun dem Reichtum ihrer politischen und theoretischen Beiträge, die immer aktuell und von militantem Interesse bleiben werden, auch nur den geringsten Abbruch. Weder der schmachvoll Tod der 2. und der 3. Internationale noch das Ende der bolschewistischen Partei im Stalinismus, schmälern irgendwie ihre Rolle in der Geschichte der Arbeiterbewegung oder die Gültigkeit ihrer organisatorischen Errungenschaften.

 

Haben wir diesbezüglich unsere Meinung geändert? Keineswegs: ”Es gibt eine organisatorische Errungenschaft ebenso eine theoretische Errungenschaft, und das eine bedingt dauernd das andere.”[xviii] [14]

 

So wie die Kritik Rosa Luxemburgs an den Bolschewiki in Zur russischen Revolution in den Rahmen der Klasseneinheit gestellt werden muss, die sie mit den Bolschewiki verbindet, ebenso muss die Kritik, die wir in der Organisationsfrage vorbringen können, in den Rahmen der Einheit gestellt werden, die uns mit Lenin in seinem Kampf verbindet – für den Aufbau der Partei. Diese Position ist nicht neu und darf nicht erstaunen. Heute ”wiederholen wir”[xix] [14] – wie wir dies schon 1991 getan haben – ”dass die ‘Geschichte der Fraktionen die Geschichte Lenins’[xx] [14] ist, und dass man nur auf der Grundlage der von ihr geleisteten Arbeit die zukünftige kommunistische Weltpartei aufbauen kann”.[xxi] [14]

 

Heißt das, dass das Verständnis der IKS über die Organisationsfrage vom Anfang ihrer Gründung bis heute das gleiche geblieben ist? Heißt das, dass dieses Verständnis während der ganzen Debatten und Kämpfe um die Organisationsfrage, die unsere Organisation führen musste, nicht angereichert und vertieft worden ist? Wenn dies der Fall wäre, könnte man uns vorwerfen, wir seien eine Organisation ohne Leben, ohne Debatte, wir seien eine Sekte, die sich darauf beschränkt, die Heiligen Schriften der Arbeiterbewegegung zu rezitieren. Wir werden nun hier nicht die ganze Geschichte der Organisationsdebatten und -kämpfe nachzeichnen, die unsere Organisation seit ihrer Gründung durchgemacht hat. Jedesmal mussten wir uns – bei Strafe der Schwächung, wenn nicht des Untergangs der IKS – auf ”die organisatorischen Errungenschaften” der Geschichte der Arbeiterbewegung abstützen, mussten wir sie uns wieder aneignen, sie präzisieren und bereichern.

 

Aber die Wiederaneignung und die Bereicherung, die wir in Organisationsangelegenheiten geleistet haben, bedeuten nicht, dass wir die Position zu dieser Frage im allgemeinen oder auch nur bezüglich Lenin geändert hätten. Sie reihen sich ein in die Geschichte der organisatorischen Errungenschaften, die uns die Erfahrung der Arbeiterbewegung vermacht hat. Wir fordern jeden heraus zu beweisen, dass es einen Bruch in unserer Position gibt. Die Organisationsfrage ist eine eigenständige politische Frage mit dem gleichen Stellenwert wie die anderen. Wir behaupten sogar, dass sie die zentrale Frage ist, die schließlich die Fähigkeit bestimmt, alle anderen theoretischen und politischen Fragen anzupacken. Wenn wir dies sagen, stehen wir in Übereinstimmung mit Lenin. Wenn wir dies sagen, ändern wir nicht die Positionen, die wir immer vertreten haben. Wir haben immer behauptet, dass die größte Klarheit in dieser Frage, insbesondere über die Rolle der Fraktion, ausschlaggebend für die Fähigkeit der Italienischen Linke war, nicht nur sich als Organisation zu halten, sondern auch die klarsten und kohärentesten theoretischen und politischen Lehren zu ziehen, inbegriffen die Aufnahme und Weiterentwicklung der anfänglichen theoretischen und politischen Beiträge der Deutsch-Holländischen Linken – über die Gewerkschaften, den Staatskapitalismus, den Staat in der Übergangsperiode.

 

Die IKS an der Seite Lenins im Kampf gegen den Ökonomismus und den Menschewismus

Die IKS hat sich immer auf den Kampf der Bolschewiki in Organisationsangelegenheiten berufen. Wir orientierten uns an ihrem Beispiel, als wir schrieben: ”Die Idee, dass sich eine revolutionäre Organisation gewollt, bewusst, mit Vorsatz bildet, ist alles andere als voluntaristisch, sondern vielmehr eine konkrete Schlussfolgerung jeder marxistischen Praxis.”[xxii] [14]

 

Insbesondere haben wir immer unsere Übereinstimmung mit Lenins Kampf gegen den Ökonomismus unterstrichen. Ebenso haben wir seit je seinen Kampf gegen diejenigen unterstützt, die am 2. Kongress der SDAPR die Menschewiki wurden. Das ist nicht neu. So wie es auch nicht neu ist, dass wir Was tun? (1902) als das wesentliche Werk im Kampf gegen den Ökonomismus und Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück (1904) als das unabdingbare Werkzeug zum Verständnis der Auseinandersetzung und der Bruchpunkte in der damaligen Partei betrachten. Diese beiden Bücher für Klassiker des Marxismus in Organisationsangelegenheiten zu halten und zu behaupten, dass die wichtigsten Lehren, die Lenin in diesen Werken zog, immer noch aktuell sind, ist für uns nicht neu. Zu sagen, dass wir mit dem Kampf, mit der angewandten Methode und einem Großteil der Argumente, die in diesem beiden Texten vorgebracht werden, einverstanden sind, hindert uns nicht daran, Lenins Fehler zu kritisieren.

 

Was war in der Wirklichkeit des Moments, d.h. 1902 in Russland das Wesentliche an Was tun?? Was erlaubte es der Arbeiterbewegung einen Schritt vorwärts zu gehen? Auf welche Seite musste man sich stellen? Auf die Seite der Ökonomisten, weil Lenin auf die falsche Auffassung Kautskys über das Klassenbewusstsein zurückgriff? Oder auf die Seite Lenins gegen das Hindernis, das die Ökonomisten bei der Gründung einer konsequenten Organisation der Revolutionäre bildeten?

 

Was ist das Wesentliche in Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück? Sich auf die Seite der Menschewiki zu stellen, weil Lenin, in der Hitze der Polemik, gewisse Punkte von falschen Auffassungen verteidigte? Oder auf Lenins Seite zugunsten der Annahme von strengen Aufnahmekriterien für Organisationsmitglieder, für eine einheitliche und zentralisierte Partei und gegen die Aufrechterhaltung von autonomen Zirkeln?

 

In diesem Fall bedeutet ”die Frage zu stellen, sie auch zu beantworten”. Die Fehler betreffend das Bewusstsein und die Auffassung von einer ”militärischen” Partei wurden von Lenin selber, insbesondere durch die Erfahrung des Massenstreiks und der Revolution 1905 in Russland, korrigiert. Die Existenz einer bolschewistischen Fraktion und einer geschlossenen Organisation hat den Bolschewiki die Mittel gegeben, um unter denjenigen zu sein, die am besten die politischen Lehren aus 1905 ziehen konnten, auch wenn sie anfänglich nicht die klarste Auffassung hatten, insbesondere wenn man sie hinsichtlich der Dynamik des Massenstreiks mit Trotzki, Rosa Luxemburg oder sogar Plechanow vergleicht. Jene Mittel haben den Bolschewiki erlaubt, die anfänglichen Schwächen zu überwinden.

 

Worin bestanden die Fehler Lenins? Sie liegen auf zwei verschiedenen Ebenen. Die einen sind der Polemik zuzuschreiben, die anderen aber theoretischen Fragen, dies betrifft v.a. die Frage des Klassenbewusstseins.

 

Wo Lenin in der Polemik ”den Bogen überspannte”

Lenin krankte an seinen eigenen Qualitäten: Als großartiger Polemiker tendiert er dazu, "den Bogen zu überspannen", indem er die Argumente seiner Gegner übernimmt, um sie gegen sie zu wenden. "Wir alle wissen jetzt, dass die Ökonomisten den Bogen nach der einen Seite überspannt haben. Um ihn wieder auszurichten, musste man ihn nach der anderen Seite spannen, und das habe ich getan."[xxiii] [14] Aber diese Methode, die zwar in der Polemik und der klaren Polarisierung – die notwendigerweise zu jeder Debatte gehört – sehr wirksam ist, hat auch ihre Grenzen und kann mitunter eine Schwäche darstellen. Indem er den Bogen überspannte, verfiel er in Übertreibungen und entstellte die wirklichen Positionen. Was tun? ist ein Beispiel dafür, was Lenin selber bei verschiedenen Gelegenheiten zugab:

"Und ich dachte auch auf dem zweiten Parteitag nicht daran, speziell meine eigenen Formulierungen, die ich in Was tun? gegeben hatte, für etwas 'Programmatisches', besondere Prinzipien Darstellendes auszugeben. Im Gegenteil, ich wandte den später so oft zitierten Vergleich mit dem überspannten Bogen an. In Was tun? wird der von den 'Ökonomisten' überspannte Bogen wieder ausgerichtet, sagte ich. (...) Der Sinn dieser Worte ist klar: Was tun? korrigiert polemisch den 'Ökonomismus', und es ist falsch, den Inhalt der Broschüre außerhalb dieser Aufgabe zu betrachten."[xxiv] [14]

 

Leider gibt es viele, die Was tun? und Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück "außerhalb dieser Aufgabe betrachten", indem sie sich krampfhaft an den Buchstaben klammern, statt sich an der Idee des Textes zu orientieren. Es gibt viele, die seine Übertreibungen als bare Münze betrachten: vorab seine Kritiker und Gegner von damals, unter denen sich Trotzki und Rosa Luxemburg befanden, welche letztere auf das zweite Werk mit dem Artikel Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie (1904) antwortete. Schwerwiegender in den Konsequenzen war, dass sich 20 Jahre später dann die Stalinisten auf seine in der Hitze der Polemik geäußerten Formulierungen stützten, um den "Leninismus" und die stalinistische Diktatur zu rechtfertigen. Wenn er angegriffen wurde, er sei ein Diktator, Jakobiner, Bürokrat, er verteidige die militärische Disziplin und eine verschwörerische Sichtweise, so übernahm er die Begriffe seiner Gegner und entwickelte sie weiter, wobei er seinerseits "den Bogen überspannte". Man warf ihm vor, eine verschwörerische Auffassung von der Organisation zu haben, wenn er strikte Aufnahmekriterien für neue Mitglieder und die Disziplin unter den Bedingungen der Illegalität und der Repression verfocht? Seine Antwort als Polemiker lautete, wie folgt:

 

"Ihrer Form nach kann eine derartige festgefügte revolutionäre Organisation in einem autokratischen Lande auch eine 'Verschwörer'organisation genannt werden, denn das französische Wort 'conspiration' entspricht dem russischen Wort für 'Verschwörung', Konspiration ist eine so unumgägliche Vorbedingung für eine solche Organisation, dass alle anderen Bedingungen (die Zahl der Mitglieder, ihre Auslese, ihre Funktionen usw.) ihr angepasst werden müssen. Es wäre darum höchst naiv, die Beschuldigung zu fürchten, dass wir Sozialdemokraten eine Verschwörerorganisation schaffen wollten. Diese Beschuldigungen müssen für jeden Feind des Ökonomismus ebenso schmeichelhaft sein wie die Beschuldigung des 'Narodowolzentums'[xxv] [14]."[xxvi] [14]

 

In seiner Antwort an Rosa Luxemburg (September 1904), deren Publikation Kautsky und die Leitung der deutschen sozialdemokratischen Partei ablehnten, bestritt Lenin, die von ihm aufgegriffenen Formulierungen als erster verwendet zu haben:

 

"Gen. Luxemburg meint, nach meiner Auffassung erscheine 'das Zentralkomitee als der eigentliche aktive Kern der Partei'. In Wirklichkeit ist das unwahr. Ich habe diese Auffassung nirgends vertreten. (...) Gen. Luxemburg meint, ich verherrliche die erzieherische Wirkung der Fabrik. Das ist nicht wahr. Nicht ich, sondern mein Gegner behauptete, dass ich mir die Partei als eine Fabrik vorstelle. Ich lachte ihn tüchtig aus und wies ihm mit seinen eigenen Worten nach, dass er zwei verschiedene Seiten der Fabrikdisziplin verwechselt, was leider auch bei der Genossin Rosa Luxemburg der Fall ist."[xxvii] [14]

 

Der Fehler in Was tun? bezüglich des Klassenbewusstseins

Auf der anderen Seite ist es viel wichtiger und ernster, auf einen theoretischen Fehler Lenins in Was tun? hinzuweisen und ihn zu kritisieren. Er sagte, "dass die Arbeiter ein sozialdemokratisches Bewusstsein gar nicht haben konnten. Dieses konnte ihnen nur von außen gebracht werden."[xxviii] [14] Wir kommen hier nicht auf unsere Kritik und unsere Position zur Bewusstseinsfrage zurück[xxix] [14]. Selbstverständlich ist diese Position, die Lenin von Kautsky übernahm, nicht nur falsch, sondern auch extrem gefährlich. Sie sollte nach dem Oktober 1917 als Rechtfertigung der Machtausübung der Partei anstelle der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit dienen. Weiter war sie später eine furchtbare Waffe in den Händen des Stalinismus, insbesondere um die putschistischen Aufstände in Deutschland in den 20er Jahren, aber auch und vor allem um die blutige Repression gegen die Arbeiterklasse in Russland zu rechtfertigen.

Ist es wirklich nötig, darauf hinzuweisen, dass unsere Position in dieser Frage unverändert geblieben ist?

 

Die Schwäche von Rosa Luxemburgs Kritik

Nach dem 2. Parteitag der SDAPR und der Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki stand Lenin einer Vielzahl von Kritikern gegenüber. Unter diesen waren Plechanow und Trotzki die einzigen, die ausdrücklich die Position verwarfen, dass das Klassenbewusstsein "von außen in die Arbeiterklasse gebracht werden muss". Bekannt ist vor allem die Kritik Rosa Luxemburgs, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, auf die sich die heutigen Verleumder Lenins abstützen – um die beiden großen Militanten gegeneinander auszuspielen und zu beweisen, dass der stalinistische Wurm bereits in der Leninschen Frucht gesteckt habe, was nichts anderes als die alte stalinistische Lüge darstellt, aber diesmal von der anderen Seite betrachtet. Im Grunde genommen befasste sich Luxemburg v.a. mit dem "überspannten Bogen" und legt dabei Auffassungen dar, die an sich richtig, aber losgelöst vom realen praktischen Kampf am Parteitag sind und deshalb abstrakt bleiben.

"Gen. Rosa Luxemburg ignoriert majestätisch die konkreten Tatsachen unseres Parteikampfes und ergeht sich großmütig in Deklamationen über Fragen, die unmöglich ernst diskutiert werden können. (...) Welche Polemik ich auf dem Parteitag führte, gegen wen ich meine Grundsätze vorbrachte, das kümmert die Genossin überhaupt nicht. Statt dessen geruht sie, mir eine ganze Vorlesung über den Opportunismus ... in den Ländern des Parlamentarismus zu halten!!"[xxx] [14]

 

Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück legte klar dar, um was es am Parteitag und im Kampf, der sich dort abspielte, ging: um den Kampf gegen die Aufrechterhaltung von Zirkeln in der Partei, für eine klare und strenge Abgrenzung zwischen der politischen Organisation und der Arbeiterklasse. Obwohl Rosa Luxemburg die konkrete Situation auf dem Parteitag nicht voll erfasste, blieb sie bezüglich der allgemeinen Ziele klar:

 

"Das Problem, an dem die russische Sozialdemokratie seit einigen Jahren arbeitet, ist eben der Übergang vom Typus der zersplitterten, ganz unabhängigen Zirkel- und Lokalorganisation, die der vorbereitenden, vorwiegend propagandistischen Phase der Bewegung entsprach, zur Organisation, wie sie für einen einheitliche politische Aktion der Masse im ganzen Staate erforderlich ist."[xxxi] [14]

 

Bei der Lektüre dieser Stelle wird klar, dass sie auf dem gleichen Boden wie Lenin stand und das gleiche Ziel vor Augen hatte. Wenn man die "zentralistische", d.h. "autoritäre" Auffassung Rosa Luxemburgs und Leo Jogiches' in der polnischen sozialdemokratischen Partei (SDKPiL) kennt, gibt es keinen Zweifel in der Frage, auf welche Seite sie sich im konkreten Kampf gegen die Zirkel und die Menschewiki gestellt hätte, wenn sie in der SDAPR anwesend gewesen wäre. Lenin wäre bestimmt gezwungen gewesen, ihre Energie zu bremsen und vielleicht sogar ihre Übertreibungen richtigzustellen

 

Unsere Position heute, fast ein Jahrhundert später, zur genauen Unterscheidung zwischen politischer Organisation und Einheitsorganisation der Arbeiterklasse, stützt sich auf die Beiträge aus der Sozialistischen Internationale, insbesondere diejenigen Lenins. Er war in der Tat der erste, der – unter den besonderen Bedingungen des zaristischen Russland – die Entwicklungsbedingungen einer kleinen Minderheitsorganisation darlegte im Unterschied zu den Antworten Trotzkis und Rosa Luxemburgs, die zu diesem Zeitpunkt immer noch von der Massenpartei ausgingen. Ebenso stützen wir uns mit unserer strengen, genauen und klar definierten Auffassung über den Beitritt und die Mitgliedschaft bei einer kommunistischen Organisation auf Lenins Kampf gegen die Menschewiki um den 1. Punkt der Statuten am 2. Kongress der SDAPR. Schließlich gehen wir davon aus, dass dieser Kongress und Lenins Kampf damals einen Höhepunkt der theoretischen und politischen Vertiefung der Organisationsfrage, insbesondere betreffend die Zentralisierung gegen alle föderalistischen, individualistischen und kleinbürgerlichen Sichtweisen, darstellte. Es war ein Moment, der trotz aller Anerkennung für die positive geschichtliche Rolle, die die Zirkel bei der Umgruppierung der revolutionären Kräfte in einer ersten Phase gespielt hatten, die Notwendigkeit unterstrich, dieser Stadium zu überwinden, um wirklich einheitliche Organisationen zu schaffen und brüderliche, von gegenseitigem Vertrauen unter allen Militanten geprägte politische Beziehungen zu entwickeln.

 

Wir haben unsere Position zu Lenin nicht geändert. Und unsere Organisationsgrundsätze, insbesondere unsere Statuten, die sich auf die Gesamtheit der Erfahrungen der Arbeiterbewegung in dieser Frage abstützen und sie synthetisieren, sind stark von den Beiträgen Lenins in den Kämpfen für die Organisation beeinflusst. Ohne die Erfahrung der Bolschewiki in Organisationsangelegenheiten würde ein wichtiger und grundlegender Teil der organisatorischen Errungenschaften fehlen, auf denen die IKS sich gegründet hat und auf welchen sich die kommunistische Partei von morgen errichten muss.

 

Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir auf das zurückkommen, was Was tun? sagt bzw. nicht sagt, dieser Text, dessen Ziel und Inhalt verkannt oder sogar absichtlich entstellt worden sind und nach wie vor werden. Wir werden genauer darlegen, inwiefern Lenins Werk einen wirklichen Klassiker des Marxismus und einen historischen Beitrag zur Arbeiterbewegung darstellt, sowohl was das Bewusstsein als auch was die Organisationsfrage betrifft. Kurz, inwiefern sich die IKS auch auf Was tun? beruft.

 

RL

 



[i] [14] Siehe beispielsweise den Text eines unserer ehemaligen Genossen, RV, Prise de position sur l`évolution récente du CCI, der von uns selbst veröffentlicht wurde in unserer Broschüre La prétendue paranoia du CCI, 1.

[ii] [14] Siehe die Thesen über den politischen Parasitismus, Internationale Revue Nr. 22

[iii] [14] Zitiert aus Trotzki: Mein Leben.

[iv] [14] Erinnern wir uns einmal mehr an das, was Lenin selbst über die Versuche, die großen revolutionären Figuren einzuverleiben, geschrieben hat: ”Nach ihrem Tode versucht man aus ihnen handlungsunfähige Ikonen zu machen, sie heilig zu sprechen,  ihren ”Namen” mit Glorie zu verkleiden um die unterdrückten Schichten zu ”trösten” und zu mystifizieren. Damit beraubt man ihren revolutionären Geist seines Inhalts, stumpft ihre revolutionäre Schärfe ab und entwürdigt sie.  (...) Und die bürgerlichen Gelehrten Deutschlands, gestern noch Experten in der Zerstörung des Marxismus, sprechen immer öfter von einem ”national-deutschen” Marx.”  Und die Stalinisten sprechen von einem ”großrussisch-nationalen” Lenin ... könnte man hier anfügen.

[v] [14] Boris Souvarine, Stalin, Editions Gérard Lebovici, 1985

[vi] [14] ebenda, Seite 311

[vii] [14] ebenda, Seite 312

[viii] [14] These 8 über die Bolschewisierung, 5. Kongreß der Komintern (von uns aus einer spanischen Version übersetzt)

[ix] [14] Bilan, Nr. 39, Theoretisches Bulletin der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken, Januar 1937.

[x] [14] Siehe: Thesen über den politischen Parasitismus, Internationale Revue Nr. 22

[xi] [14] Rosa Luxemburg, Zur Russischen Revolution, Dietz-Verlag 1987, Seite 341

[xii] [14] Bilan, Nr. 39, 1937

[xiii] [14] Herman Gorter, ”Der Sieg des Marxismus”, 1920 in il Soviet veröffentlicht, 1969 in Invariance Nr. 7 neu abgedruckt.

[xiv] [14] Artikel von Anton Pannekoek in Die Aktion Nr. 11-12, 19. März 1921, zitiert in unserer Broschüre zur Deutsch-Holländischen Linken, S. 21

[xv] [14] Aus der Zusammenfassung unserer politischen Positionen auf der Rückseite jeder Publikation

[xvi] [14] Vgl. zum 12. Kongress der IKS ”Die politische Verstärkung der IKS” in Weltrevolution Nr. 82.

[xvii] [14] ”Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre”, Januar 1982, in Internationale Revue Nr. 22

[xviii] [14] ”Bericht über die Organisationsfrage unserer internationalen Strömung”, International Review Nr. 1 (engl./franz. Ausgabe), April 1975

[xix] [14] Wir können der Versuchung nicht widerstehen einen unserer ehemaligen Militanten zu zitieren, der uns heute beschuldigt, wir seien Leninisten geworden: ”Man muss jedoch den Scharfsinn von Rosa Luxemburg begrüßen (...) ebenso wie die Fähigkeit der Bolschewiki, sich als unabhängige Fraktion mit ihren eigenen Interventionsmitteln in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands zu organisieren. Genau aus diesem Grund konnten sie zur Avantgarde des Proletariats in der revolutionären Welle am Ende des ersten Weltkriegs werden.” (RV, ”Die Kontinuität der politischen Organisationen des Proletariats”, International Review Nr. 50 (engl./franz. Ausgabe), 1987)

[xx] [14] Intervention Bordigas auf dem 6. erweiterten Exekutivkomitee der Komintern 1926

[xxi] [14] Einführung zum 3. Teil unserer Broschüre ”Das Verhältnis Fraktion – Partei in der marxistischen Tradition”

[xxii] [14] ”Bericht über die Organisationsfrage unserer internationalen Strömung”, International Review Nr. 1 (engl./franz. Ausgabe), April 1975

[xxiii] [14] Protokoll des 2. Kongresses der SDAPR, zit. nach Lenin Werke, Bd. 6, S. 490

[xxiv] [14] Lenin, "Vorwort zum Sammelband '12 Jahre'", September 1907, a.a.O., Bd. 13, S. 99f.

[xxv] [14] Von "Nardodnaya Volja", einer der geheimen Organisationen der russischen terroristischen Bewegung in den 1870er Jahren

[xxvi] [14] Was tun?, Hervorhebung durch Lenin, Kap. 'Verschwörer'organisation und 'Demokratismus', a.a.O., Bd. 5, S. 492f.

[xxvii] [14] Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. Antwort an R. Luxemburg, a.a.O., Bd. 7, S. 481ff.

[xxviii] [14] Was tun?, Kap. "Spontaneität der Massen und Bewusstheit der Sozialdemokratie", "a) Beginn des spontanen Aufschwungs", a.a.O., Bd. 5, S. 385

[xxix] [14] Vgl. unsere Broschüre Kommunistische Organisationen und Klassenbewusstsein (engl./franz./span.)

[xxx] [14] Lenin, Antwort an R. Luxemburg, a.a.O., Bd. 7, S. 484

[xxxi] [14] Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, I. Teil, Gesammelte Werke, Bd. 1/2, S. 424

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Organisation [15]

Polemik: Die Wurzeln der IKS und des IBRP, Teil II Die Gründung des Partito Comunista Internazionalista

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Polemik: Die Wurzeln der IKS und des IBRP, Teil II

Die Gründung des Partito Comunista Internazionalista

In der letzten Ausgabe der Internationalen Revue (Nr. 22) veröffentlichten wir den ersten Teil eines Artikels, der auf die Polemik „Die politischen Wurzeln der Organisationskrankheit der IKS" antwortet, welche in der International Communist Review Nr. 15 erschienen war, der englischsprachigen Revue des Internationalen Büros für die Revolutionäre Partei (IBRP), das sich aus der Communist Workers Organisation (CWO) und des Partito Comunista Internazionalista (PCInt.) zusammensetzt. In diesem ersten Teil gingen wir, nachdem wir eine gewisse Zahl von Behauptungen des IBRP berichtigt hatten, die Zeugnis für einen Mangel an Kenntnissen unserer Positionen ablegen, auf die Geschichte der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken zurück, einer politischen Strömung, auf die sich sowohl das IBRP als auch die IKS berufen. Insbesondere zeigten wir, daß die Vorfahren der IKS, die Gauche Communiste de France (GCF), mehr als eine „winzige Gruppe" war, wie es das IBRP formuliert: In Wahrheit war sie der tatsächliche politische Erbe der Italienischen Fraktion, indem sie sich auf die Basis der Errungenschaften der letztgenannten stellte. Genau diese Errungenschaften hat der PCInt, als er sich 1943 bildete und noch stärker auf seinem ersten Kongreß 1945, über Bord geworfen oder einfach abgelehnt. Dies beabsichtigen wir in diesem zweiten Teil des Artikels aufzuzeigen.

Für Kommunisten hat das Studium der Geschichte der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen nichts mit akademischer Neugier gemein. Im Gegenteil, es ist ein unersetzliches Mittel für sie, ihr Programm auf eine solide Basis zu stellen, sich selbst in der aktuellen Situation zu orientieren und klare Perspektiven für die Zukunft zu erkunden. Insbesondere ermöglicht die Untersuchung der vergangenen Erfahrungen der Arbeiterklasse die Verifizierung der Gültigkeit der Positionen, die von den früheren Klassenorganisationen vertreten worden waren, und Lehren daraus zu ziehen. Die Revolutionäre einer Epoche sitzen nicht zu Gericht über ihre Vorfahren. Aber sie müssen imstande sein, das, was in den von ihnen vertretenen Positionen immer noch gültig ist, herauszuziehen und gleichzeitig ihre Irrtümer zu erkennen, so wie sie auch in der Lage sein müssen, den Moment zu erkennen, in dem eine in einem bestimmten historischen Zusammenhang richtige Position unter veränderten historischen Bedingungen hinfällig geworden ist. Andernfalls werden sie große Schwierigkeiten haben, ihrer Verantwortung nachzukommen, dazu verdammt, die Irrtümer zu wiederholen oder an anachronistischen Positionen festzuhalten.

Solch eine Herangehensweise ist das ABC für eine revolutionäre Organisation. Wenn wir seinen Artikel betrachten, dann teilt das IBRP diese Herangehensweise, und wir erkennen es als sehr positiv an, daß diese Organisation unter anderem die Frage nach ihren eigenen Ursprüngen (oder vielmehr nach den Ursprüngen des PCInt) und den Ursprüngen der IKS stellt. Uns scheint, daß das Verständnis der Differenzen zwischen unseren beiden Organisationen mit der Untersuchung ihrer entsprechenden Geschichte beginnen muß. Aus diesem Grund wird sich unsere Antwort auf die Polemik des IBRP auf diese Frage konzentrieren. Wir begannen damit im ersten Teil dieses Artikels mit unserem Blick auf die Italienische Fraktion und die GCF. Jetzt wollen wir auf die Geschichte des PCInt eingehen.

In der Tat ist einer der wichtigsten Punkte, die behandelt werden müssen, folgender: Können wir zustimmen, daß, wie das IBRP sagt, „der PCInt die erfolgreichste Kreation der revolutionären Arbeiterklasse seit der Russischen Revolution ist" (1)? Falls dies der Fall wäre, so müßten wir die Aktionen des PCInt als beispielhaft und als Hauptinspirationsquelle der Kommunisten von heute und morgen ansehen. Die Frage, die sich stellt, ist die: Wie beurteilen wir den Erfolg einer revolutionären Organisation? Die Antwort kann nur sein: indem wir daran Maß anlegen, wie sie die Aufgaben erfüllt, die ihr in der historischen Periode, in der sie wirkt, zufallen. In diesem Sinn sind die ausgewählten Kriterien des „Erfolgs" in sich selbst bedeutsam für die Weise, wie man die Rolle und Verantwortung der Vorhutorganisation des Proletariats begreift.

Die Kriterien für den „Erfolg" einer revolutionären Organisation

Eine revolutionäre Organisation ist Ausdruck und aktiver Faktor des Prozesses, in dem das Proletariat sein Klassenbewußtsein entwickelt und so seine historische Mission des Sturzes des Kapitalismus und der Schaffung des Kommunismus übernimmt. In diesem Sinn ist solch eine Organisation ein unersetzliches Instrument des Proletariats im Augenblick des historischen Sprunges, der die kommunistische Revolution darstellt. Wenn die revolutionäre Organisation mit dieser besonderen Situation konfrontiert ist, wie dies für die kommunistischen Parteien zwischen 1917 und dem Beginn der 20er Jahre der Fall war, dann ist das entscheidende Kriterium zur Beurteilung ihrer Aktivitäten ihre Fähigkeit, die großen Massen der Arbeiter, die das Subjekt der Revolution sind, um sich und um das von ihr vetretene kommunistische Programm zu sammeln. In diesem Sinn können wir sagen, daß die bolschewistische Partei 1917 diese Aufgabe völlig erfüllte (nicht nur angesichts der Revolution in Rußland, sondern auch angesichts der Weltrevolution, da es ebenfalls die bolschewistische Partei war, die die Hauptanregung zur Bildung der Kommunistischen Internationalen 1919 gab). Vom Februar bis zum Oktober 1917 war ihre Fähigkeit, sich mit den Massen inmitten der revolutionären Gärung zu verbinden, in jedem Moment der Heranreifung der Revolution die geeignetesten Parolen aufzustellen, mit der größten Unnachsichtigkeit gegen alle Sirenen des Opportunismus zu handeln – war all dies zweifellos entscheidend für ihren „Erfolg".

So weit, so gut, doch ist die Rolle der kommunistischen Organisationen nicht auf revolutionäre Perioden beschränkt. Wenn dies der Fall wäre, dann hätten solche Organisationen nur in der Periode von 1917 bis 1923 existiert, und wir müßten die Bedeutung der Existenz des IBRP und der IKS in Frage stellen. Es ist klar, daß außerhalb direkt revolutionärer Perioden kommunistische Organisationen die Rolle besitzen, die Revolution vorzubereiten, d.h. auf bestmögliche Weise zur Entwicklung der wesentlichen Voraussetzung für die Revolution beizutragen: die Bewußtwerdung des gesamten Proletariats über seine historischen Ziele und die Mittel, um sie zu erreichen. Dies bedeutet in erster Linie, daß es die ständige Funktion von kommunistischen Organisationen (also auch in revolutionären Perioden) ist, das proletarische Programm auf die klarste und kohärenteste Weise zu definieren. In zweiter Linie, und direkt verknüpft mit der ersten Funktion, bedeutet es, politisch und organisatorisch die Partei vorzubereiten, die im Augenblick der Revolution an der Spitze des Proletariats zu sein hat. Schießlich bedeutet es eine ständige Intervention in der Klasse, entsprechend den Mitteln, die der Organisation zur Verfügung stehen, um jene Elemente für kommunistische Positionen zu gewinnen, die mit der Ideologie und den Organisationen der Bourgeoisie zu brechen versuchen.

Um zur „erfolgreichsten Kreation der Arbeiterklasse seit der Russischen Revolution", d.h. gemäß dem IBRP zum PCInt, zurückzukehren, muß die Frage gestellt werden: Über welche Art von „Erfolg" reden wir hier?

Spielte der PCInt eine entscheidende Rolle in der Aktion des Proletariats während der revolutionären Periode oder wenigstens in einer Periode intensiver proletarischer Aktivitäten?

Leistete sie entscheidende Beiträge zur Erarbeitung des kommunistischen Programms, wie zum Beispiel die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken, auf die sie sich berief?

Legte sie solide organisatorische Fundamente für die Gründung der künftigen kommunistischen Weltpartei, der Vorhut der kommenden proletarischen Revolution?

Wir wollen mit der Beantwortung der letzten Frage beginnen. In einem Brief der IKS an den PCInt vom 9.6.1980, just nach dem Nichtzustandekommen der dritten Konferenz der kommunistischen Linken, schrieben wir: „Wie erklärt Ihr (....), daß Eure Organisation, die bereits vor dem Wiedererwachen der Klasse 1968 existiert hatte, unfähig war, von diesem Wiedererwachen zu profitieren und sich auf internationaler Ebene auszubreiten, während unsere, die 1968 praktisch noch nicht existierte, seitdem ihre Kräfte gesteigert und sich in zehn Ländern eingepflanzt hat?"

Diese Frage, die wir damals stellten, bleibt bis heute gültig. Seitdem hat es der PCInt zwar geschafft, sich international auszuweiten, indem er in Gemeinschaft mit der CWO (die ihre wesentlichen Positionen und Analysen übernommen hat) das IBRP gründete (2). Aber wir kommen nicht umhin zu erkennen, daß die Bilanz des PCInt nach mehr als einem halben Jahrhundert der Existenz sehr bescheiden ist. Die IKS hat stets die extreme numerische Schwäche und den beschränkten Einfluß von kommunistischen Organisationen in der gegenwärtigen Periode, und dies schließt unsere mit ein, hervorgehoben und bedauert. Wir gehören nicht zu jenen, die mit Bluffs ihren Weg machen und behaupten, der „Generalstab" des Proletariats zu sein. Wir überlassen es anderen Gruppen, den „großen Napoleon" hervorzukehren. Trotzdem, wenn wir von dem hier untersuchten Kriterium des „Erfolges" ausgehen, schneidet die „winzige GCF" weitaus besser ab als der PCInt, auch wenn sie 1952 aufgehört hat zu existieren. Mit Sektionen oder Kernen in 13 Ländern, 11 regelmäßigen territorialen Publikationen in sieben verschiedenen Sprachen (einschließlich der am weitesten verbreiteten in den Industrieländern: Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch), einer vierteljährlichen theoretischen Zeitschrift in drei Sprachen, ist die IKS, die um die Positionen und politischen Analysen der GCF herum gegründet worden war, heute zweifellos nicht nur die größte und am weitesten verbreitete politische Organisation der Linkskommunisten, sondern auch und vor allem diejenige, die im letzten Vierteljahrhundert die positivste Dynamik in ihrer Entwicklung erfahren hat. Das IBRP mag wohl erkennen, daß der „Erfolg" der Erben der GCF, gemessen an jenem des PCInt, Beweis für die Schwäche der Arbeiterklasse ist. Wenn die Kämpfe und das Bewußtsein letzterer mehr entwickelt sind, wird sie sicherlich die Positionen und die Parolen des PCInt anerkennen und sich viel massiver um sie umgruppieren als heute. Jedenfalls ist dies ein tröstlicher Gedanke.

Tatsächlich kann das IBRP, wenn es den fabelhaften „Erfolg" des PCInt beschwört, nicht deren Fähigkeit meinen, den Grundstein für die künftige organisatorische Basis der Weltpartei gelegt zu haben (es sei denn, es nimmt Zuflucht zu Spekulationen, was das IBRP in der Zukunft sein könnte). Wir sehen uns daher veranlaßt, ein anderes Kriterium zu untersuchen: Hat der PCInt zwischen 1945 und 1946 (d.h. als er seine erste Plattform annahm) einen wesentlichen Beitrag zur Erarbeitung des kommunistischen Programms geleistet?

Wir wollen hier nicht all die in dieser Plattform enthaltenen Positionen begutachten, die sicherlich einige exzellente Dinge enthalten. Wir werden unseren Blick nur auf ein paar programmatische Punkte richten, die schon damals äußerst wichtig waren und über die wir kein großes Quantum an Klarheit in der Plattform finden können. Wir beziehen uns hier auf den Charakter der UdSSR, auf die sog. „nationalen und kolonialen Befreiungskämpfe" und auf die Gewerkschaftsfrage.

Die gegenwärtige Plattform des IBRP ist sich im klaren über die kapitalistische Natur der Gesellschaft, die bis 1990 in Rußland existierte, über die Rolle der Gewerkschaften als Instrumente zur Bewahrung der bürgerlichen Ordnung, die in keiner Weise vom Proletariat „wiedererobert" werden können, und über den konterrevolutionären Charakter der nationalen Befreiungskämpfe. Diese Klarheit ist jedoch nicht in der Plattform des PCInt von 1945 zu finden, in der die UdSSR noch immer als „proletarischer Staat" definiert ist, in der die Arbeiterklasse zur Unterstützung bestimmter nationaler und kolonialer Kämpfe aufgerufen wird und in der die Gewerkschaften noch immer als Organisationen betrachtet werden, die vom Proletariat „wiedererobert" werden können, bemerkenswerterweise durch die Schaffung von Minderheiten unter der Führung des PCInt (3). In derselben Periode hat die GCF bereits die alten Analysen der Italienischen Linken über die proletarische Natur der Gewerkschaften in Frage gestellt und begriffen, daß die Arbeiterklasse diese Organe nicht mehr wiedererobern kann. Die Analyse der kapitalistischen Natur der UdSSR war bereits während des Krieges von der Italienischen Fraktion, die sich um den Kern in Marseilles rekonstituiert hatte, erarbeitet worden. Und endlich war die konterrevolutionäre Natur der nationalen Kämpfe, die Tatsache, daß sie nichts anderes als Momente des imperialistischen Konflikts zwischen den Großmächten sind, bereits in den 30er Jahren von der Fraktion nachgewiesen worden. Deshalb halten wir heute daran fest, was die GCF 1946 über den PCInt gesagt hat und was das IBRP derart aufregt. Wie letzteres es formuliert: „Die GCF argumentiert, daß die Internationalistische Kommunistische Partei kein Fortschritt gegenüber der alten Fraktion der Linkskommunisten darstellt, die während der Mussolini-Diktatur ins französische Exil ging" (ICR, Nr. 15). Auf der Ebene der programmatischen Klarheit sprechen die Fakten für sich (4).

Wir können also nicht erkennen, daß die programmatischen Positionen des PCInt von 1945 Bestandteil seines „Erfolges" waren, zumal ein guter Teil von ihnen später revidiert wurde, besonders 1952 zur Zeit des Kongresses, als die Spaltung von der Tendenz Bordigas stattfand, und sogar noch später. Wenn uns das IBRP die kleine Ironie erlaubt, möchten wir sagen, daß einige seiner gegenwärtigen Positionen mehr von der GCF als vom PCInt von 1945 inspiriert worden sind. Also worin liegt der „große Erfolg" dieser Organisation? Alles, was übrigbleibt, ist ihre numerische Stärke und der Einfluß, den sie in einem bestimmten Augenblick der Geschichte hatte.

Es ist ganz richtig, daß zwischen 1945 und 1947 der PCInt fast 3000 Mitglieder und eine bedeutende Anzahl von Arbeitern hatte, die sich mit ihm identifizierten. Heißt das, daß diese Organisation imstande war, eine bedeutsame Rolle in den historischen Ereignissen zu spielen und sie zur proletarischen Revolution zu lenken, auch wenn dies nicht das endgültige Resultat war? Natürlich können wir dem PCInt nicht vorwerfen, angesichts einer revolutionären Situation in seiner Verantwortung versagt zu haben, weil solch eine Situation 1945 nicht herrschte. Aber genau da drückt der Schuh. Wie der Artikel des IBRP sagt, hegte der PCInt die „Erwartung, daß die Unruhen der Arbeiter sich nicht nur auf Norditalien beschränken würden, als der Krieg sich dem Ende näherte". In der Tat wurde der PCInt 1943 auf der Basis des Wiederauflebens der Arbeitermilitanz in Norditalien konstituiert, wobei er diese Kämpfe als die ersten einer neuen revolutionären Welle betrachtete, die aus dem Krieg heraus entstehen würde, wie dies am Ende des Ersten Weltkrieges der Fall gewesen war. Die Geschichte hat diese Perspektive widerlegt. Aber 1943 war es vollkommen gerechtfertigt, sie aufzustellen (5). Zwar waren die Kommunistische Internationale und die meisten kommunistischen Parteien, einschließlich der italienischen Partei, gebildet worden, als die revolutionäre Welle, die 1917 begann, mit der Zerschlagung des deutschen Proletariats im Januar 1919 am abebben war. Aber die Revolutionäre dieser Zeit waren sich dessen noch nicht bewußt (und eines der großen Verdienste der Italienischen Linken war es, zu den ersten Strömungen zu gehören, die realisierten, daß das Gleichgewicht zwischen Proletariat und Bourgeoisie umgekippt war). Als jedoch die Konferenz Ende 1945 und Anfang 1946 abgehalten wurde, war der Krieg bereits vorbei, und die proletarischen Reaktionen, die dadurch hervorgerufen worden waren, wurden durch eine systematische Politik der Prävention von seiten der Bourgeoisie schon im Keim erstickt (6). Trotzdem stellte der PCInt seine bisherige Politik nicht in Frage (auch wenn auf der Konferenz einige Stimmen laut wurden, daß nichts außer der Griff der Bourgeoisie um die Arbeiterklasse gestärkt worden ist). Was 1943 ein völlig verständlicher Irrtum gewesen war, war 1945 bereits weitaus weniger zu entschuldigen. Dennoch verfolgte der PCInt denselben Weg und stellte nie die Berechtigung seiner Gründung 1943 in Frage.

Am schlimmsten war jedoch nicht der Irrtum des PCInt bei der Einschätzung der historischen Periode und seine Schwierigkeiten, diesen Irrtum zu erkennen. Viel katastrophaler waren die Art und Weise, in der sich der PCInt entwickelte, und die Positionen, zu denen er verleitet wurde, vor allem weil er versuchte, sich den Illusionen einer im Rückzug befindlichen Arbeiterklasse „anzupassen".

Die Gründung des PCInt

 

Als er 1943 gegründet wurde, erklärte sich der PCInt selbst zum Erben der von der Italienischen Fraktion der Linkskommunisten erarbeiteten Positionen. Überdies zählte er, während sein Hauptanimator, Onorato Damen, einer der Führer der Linken in den 20er Jahren, seit 1924 in Italien blieb (die meiste Zeit in Mussolinis Gefängnissen, aus denen er während der Ereignisse von 1942/43 befreit wurde) (7), in ihren Reihen eine gewisse Zahl von Militanten der Fraktion zu sich, die zu Beginn des Krieges nach Italien zurückgekehrt waren. Und in der Tat können wir in den ersten heimlichen Ausgaben des Prometeo (das den traditionellen Namen der Zeitung der Linken in den 20er Jahren und der Italienischen Fraktion in den 30ern angenommen hatte), veröffentlicht seit November 1943, klare Denunziationen des imperialistischen Krieges, des Antifaschismus und der Partisanenbewegungen finden (8). Doch nach 1944 orientierte sich der PCInt in Richtung Agitation unter den Partisanengruppen; im Juni veröffentlichte er ein Manifest, das aufrief zur „Umwandlung der Partisanengruppen, die sich aus proletarischen Elementen mit einem gesunden Klassenbewußtsein zusammensetzen, in Organe der proletarischen Selbstverteidigung, dazu bereit, in den revolutionären Kampf um die Macht einzugreifen". Im August 1944 ging Prometeo Nr. 15 über solche Kompromisse sogar noch hinaus: „Die kommunistischen Elemente glauben aufrichtig an die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Nazifaschismus und denken, daß, wenn dieses Objekt erst einmal niedergeworfen ist, sie in der Lage sein werden, den Weg der Machteroberung und des Sturzes des Kapitalismus zu beschreiten." Dies war eine Wiederbelebung der Idee, die als Basis für all jene gedient hatte, die, wie die Anarchisten und Trotzkisten, die Arbeiter auf dem Weg zum spanischen Bürgerkrieg dazu aufgerufen hatten, „erst den Sieg über den Faschismus zu erringen und dann die Revolution zu machen". Es war das Argument jener, die die Sache des Proletariats verraten und sich unter den Fahnen des einen oder anderen imperialistischen Lagers eingereiht hatten. Dies war beim PCInt nicht der Fall, weil er von der Tradition der Linken der Kommunistischen Partei stark durchdrungen blieb, welche sich angesichts des Aufstiegs des Faschismus Anfang der 20er Jahre durch ihre unversöhnliche Klassenhaltung abhob. Gleichwohl zeigte das Erscheinen solcher Argumente in der Presse des PCInt, wie weit die Dinge gehen konnten. Darüberhinaus trat eine gewisse Anzahl von Militanten des PCInt den Partisanengruppen bei und folgten somit dem Beispiel einer Minderheit in der Fraktion, die 1936 den antifaschistischen Milizen der POUM in Spanien beitraten. Aber während eine Minderheit der Fraktion mit der Organisationsdisziplin gebrochen hatte, so war dies keineswegs der Fall bei den Militanten des PCInt: Sie erfüllten lediglich die Direktiven der Partei (9).

Es ist offenkundig, daß der Wille, ein Maximum an Arbeitern in der und um die Partei herum zu sammeln, zu einer Zeit, als erstere en masse dem „Partisanentum" erlagen, den PCInt dazu verleitete, Abstand zu nehmen von der Unversöhnlichkeit, die er ursprünglich gegenüber dem Antifaschismus und den Partisanen gezeigt hatte. Dies ist keine „Verleumdung" durch die IKS, die sich an die „Verleumdungen" der GCF anschließt. Dieser Hang zur Rekrutierung neuer Militanter ohne allzuviel Sorge um die Festigkeit ihrer internationalistischen Überzeugungen wurde vom Genossen Danielis bemerkt, der verantwortungsbewußt die Stellung in der Turiner Förderation 1945 hielt und der ein altes Mitglied der Fraktion war: „Eines muß für jeden klar sein: Die Partei hat schwer an der oberflächlichen Ausweitung ihres politischen Einflusses – das Ergebnis eines ebenso oberflächlichen Aktivismus – gelitten. Ich möchte von einer persönlichen Erfahrung erzählen, die als Warnung vor der Gefahr für die Partei dienen soll, einen oberflächlichen Einfluß auf gewisse Schichten der Massen auszuüben, der eine automatische Konsequenz der gleichermaßen oberflächlichen theoretischen Bildung ihrer Kader ist (...) Man könnte annehmen, daß kein Mitglied der Partei die Richtung des ‘Komitees der Nationalen Befreiung’ akzeptiert hätte. Jetzt, am Morgen des 25.April (der Tag der ‘Befreiung’ Turins), befand sich die gesamte Turiner Förderation unter Waffen und bestand darauf, an der Krönung von sechs Jahren Massaker teilzunehmen, und einige Genossen aus der Provinz – noch unter militärischer Disziplin – kamen nach Turin, um an der Menschenjagd teilzunehmen (...) Die Partei existiert nicht mehr; sie hat sich selbst liquidiert" (Sitzungsberichte des Kongresses des PCInt im Mai 1948 in Florenz). Offenbar war auch Danielis ein „Verleumder".

Im Ernst, wenn Wörter irgeneine Bedeutung haben sollen, dann war die Politik des PCInt, die 1945 solch einen großen „Erfolg" ermöglichte, nichts anderes als opportunistisch. Noch weitere Beispiele gefällig? Wir können aus einem vom 10. Februar 1945 datierten Brief zitieren, der vom „Agitationskomitee" des PCInt gerichtet ist „an die Agitationskomitees von Parteien mit einer proletarischen Ausrichtung und an Gewerkschaftsbewegungen in den Unternehmen, um dem revolutionären Kampf des Proletariats eine Einheit in den Direktiven und der Organisation zu verleihen (...) Zu diesem Zweck schlagen wir eine Versammlung der diversen Komitees vor, um einen gemeinsamen Plan zu entwerfen" (Prometeo, April 1945) (10). Die „Parteien mit proletarischer Ausrichtung", die hier erwähnt werden, sind die sozialistischen und stalinistischen Parteien. Wie überraschend dies heute auch erscheinen mag, es ist absolut wahr. Als wir in der International Review Nr. 32 an diese Fakten erinnerten, antwortete der PCInt: „War das Dokument ‘Appell des Agitationskomitees des PCInt’, das in der Ausgabe vom April ‘45 veröffentlicht wurde, ein Irrtum? Zugegeben, es war der letzte Versuch der Italienischen Linken, die Taktik der ‘Einheitsfront von unten’ anzuwenden, unterstützt dabei von der KP Italiens in ihrer Polemik mit der KI 1921–23. Als solches legen wir ihn in die Kategorie der ‘Jugendsünden’, denn die Genossen waren in der Lage, ihn sowohl auf politischer als auch organisatorischer Ebene mit einer Klarheit zu eliminieren, die uns heute in diesem Punkt ganz sicher macht" (Battaglia Comunista, Nr. 3, Februar 1983). Darauf antworteten wir: „Wir können die Feinheit und Vornehmheit bewundern, mit der BC sein eigenes Image umhätschelt. Wenn der Vorschlag einer Einheitsfront mit den stalinistischen und sozialdemokratischen Schlächtern nur eine ‘Jugendsünde’ war, was hätte der PCInt 1945 noch machen müssen, um wirklich einen ernsten Fehler zu begehen? (...) In die Regierung eintreten?" (International Review, Nr. 34 engl./franz./span. Ausgabe) (11) Jedenfalls ist klar, daß 1944 die Politik des PCInt einen wirklichen Rückschritt darstellte, verglichen mit jener der Fraktion. Und was für einen Rückschritt! Die Fraktion hatte lange zuvor eine eingehende Kritik der Taktik der Einheitsfront gemacht, und seit 1935 hatte sie die stalinistische Partei nicht mehr eine „Partei mit proletarischer Ausrichtung" genannt, ganz zu schweigen von der Sozialdemokratie, deren bürgerliche Natur seit den 20er Jahren erkannt war.

Diese opportunistische Politik des PCInt kann auch in der „Öffnung" und in dem Mangel an Strenge beobachtet werden, den er Ende des Krieges in seinen Expansionsbestrebungen gezeigt hatte. Die Zweideutigkeiten des PCInt im Norden des Landes waren nichts, verglichen mit jenen der Gruppen im Süden, die Ende des Krieges in die Partei hineingelassen wurden. Zum Beispiel die „Frazione di sinistra dei comunisti e socialisti", die in Neapel um Bordiga und Pistone gegründet wurde: Gleich von Beginn des Jahres 1945 an praktizierte sie eine Entrismusstrategie in die stalinistische PCI, in der Hoffnung, diese wieder auf die Beine zu stellen. Sie war besonders vage in der Frage der UdSSR. Der PCInt öffnete seine Türen auch für Elemente aus der POC (Kommunistische Arbeiterpartei), die eine Zeitlang die italienische Sektion der trotzkistischen Vierten Internationalen gebildet hatte.

Wir wollen auch daran erinnern, daß Vercesi, der während des Krieges den Schluß gezogen hatte, daß nichts zu tun wäre, und der am Ende des Krieges an der „Coalizione Antifascista" in Brüssel teilgenommen hatte (12), ebenfalls der neuen Partei beitrat, ohne daß letztere verlangt hätte, daß er seine antifaschistischen Abweichungen verurteilt. Über diesen Punkt und zugunsten des PCInt schrieb O. Damen im August 1976 an die IKS: „Das Brüsseler Antifaschistische Komitee in der Person von Vercesi, der dachte, in den PCInt eintreten zu müssen, als dieser gegründet wurde, hielt an seinen pervertierten Positionen fest, bis die Partei unter den Opfern, die die Klarheit erfordert, sich selbst von dem toten Stamm des Bordigismus losmachte." Darauf antworteten wir: „Was für eine elegante Art der Darstellung! Er – Vercesi – dachte, er müsse eintreten!? Und die Partei – was dachte die Partei darüber? Oder ist die Partei ein Bridge-Klub, dem jeder beitreten kann?" (IR, Nr. 8 engl./franz. Ausgabe). Es sollte angemerkt werden, daß Damen in diesem Brief offen genug war anzuerkennen, daß die Partei 1945 noch nicht „die Opfer, die die Klarheit erfordert", geleistet hatte, sondern erst später, im Jahre 1952. Wir können diese Bestätigung nur unterstreichen, die allen Fabeln über die „große Klarheit" widerspricht, die über die Gründung des PCInt die Aufsicht führte, welche gemäß des IBRP einen „Schritt vorwärts" gegenüber der Fraktion darstellte (13).

Der PCInt äußerte keinerlei Bedenken gegenüber den Mitgliedern der Minderheit in der Fraktion, die sich 1936 den antifaschistischen Milizen in Spanien angeschlossen hatten und die daraufhin der Union Communiste (14) beitraten. Diese Elemente wurden für würdig erklärt, in die Partei integriert zu werden, ohne auch nur die leiseste Kritik an ihren vergangenen Irrtümern zu üben. O. Damen schrieb über diese Frage im selben Brief:

„Bezüglich der Genossen, die während des Krieges in Spanien entschieden haben, die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken abzuschaffen und sich selbst in ein Abenteuer zu werfen, das sie außerhalb der Klassenpositionen führt: Wir sollten uns daran erinnern, daß die Ereignisse in Spanien, die die Positionen der Fraktion nur bestätigten, diesen Genossen eine Lehre war und ihnen erlaubte, zur revolutionären Linken zurückzukehren." Worauf wir antworteten: „Es ging diesen Elementen niemals darum, zu den Linkskommunisten zurückkehren, bis die Fraktion sich auflöste und ihre Militanten in den PCInt integriert wurden (Ende 1945). Es ging niemals darum, eine ‘Lehre’ zu ziehen, oder darum, daß diese Militanten ihren alten Positionen abschworen und ihre Teilnahme im antifaschistischen Krieg in Spanien verurteilten" (ebenda). Wenn das IBRP dies als eine neue „Verleumdung" durch die IKS ansieht, dann sollte es uns die Dokumente zeigen, die das beweisen. Und wir fuhren fort: „Es ging einfach darum, daß die Euphorie und Konfusion bei der Gründung der Partei ‘mit Bordiga’ diese Genossen dazu anregte, (...) der Partei beizutreten... Die Partei in Italien forderte diese Genossen nicht zur Rechenschaft über ihre vergangenen Aktivitäten auf. Dies geschah nicht aus Ignoranz (...) Es geschah, weil es an der Zeit gewesen sei, ‘alte Streits’ zu vergessen: Die Rekonstitution der Partei wischte den Tisch rein. Einer Partei, die sich nicht sehr klar über die Wirkung der Partisanenbewegung auf ihre eigenen Militanten ist, ist eine strenge Haltung gegenüber dem, was die Minderheit einige Jahre zuvor getan hatte, kaum zuzutrauen. Also war es nur ‘natürlich’, daß sie ihre Türen diesen Genossen öffnete..." (ebenda).

In der Tat war die GCF die einzige Organisation, die nicht die Gunst des PCInt fand und zu der letzterer keinerlei Beziehung haben wollte, und zwar deshalb, weil sie sich auf den Boden derselben Strenge und Unnachgiebigkeit stellte, die die Fraktion in den 30er Jahren auszeichneten. Und es trifft zu, daß die Fraktion jener Periode den Mischmasch, aus dem der PCInt gebildet wurde, nur verurteilt hätte. In der Tat ähnelte es der Praxis des Trotzkismus, für den die Fraktion nur die harschesten Worte übrig hatte.

In den 20er Jahren hatten sich die Linkskommunisten der opportunistischen Orientierung auf dem Dritten Kongress der Kommunistischen Internationalen widersetzt, besonders dem Bestreben, „zu den Massen zu gehen", zu einer Zeit, als die revolutionäre Welle im Rückfluß begriffen war. Diese Orientierung hatte Fusionen mit den aus den sozialistischen Parteien stammenden zentristischen Strömungen (die Unabhängigen in Deutschland, die „Terzini" in Italien, Cachin-Frossard in Frankreich etc.) und die Politik der „Einheitsfront" mit den SPs zur Folge. Dieser Methode der „breiten Sammlung", die von der KI benutzt wurde, um Kommunistische Parteien zu errichten, widersetzten sich Bordiga und die Linken, die die Methode der „Auswahl" vorzogen, die auf einer strengen und unnachgiebigen Verteidigung der Prinzipien basierte. Die Politik der KI hatte mit der Isolation und dem endgültigen Ausschluß der Linken sowie der Invasion der Partei durch opportunistische Elemente, die die besten Träger der Degeneration waren, tragische Konsequenzen.

Zu Beginn der 30er Jahre hatte die Italienische Linke, voller Vertrauen in ihre Politik der 20er Jahre, innerhalb der internationalen Linksopposition für dieselbe Rigorosität gegenüber der opportunistischen Politik Trotzkis gefochten, für den die Anerkennung der ersten vier Kongresse der KI und vor allem seine eigenen taktischen Manöver weitaus wichtigere Kriterien für die Umgruppierung waren als die Auseinandersetzungen, die innerhalb der KI gegen deren Degeneration ausgetragen wurden. Bei einer solchen Politik waren die gesundesten Elemente, die danach trachteten, eine internationale Strömung der Linkskommunisten aufzubauen, entweder korrupt, entmutigt oder zur Isolation verurteilt. Auf solch zerbrechlichem Fundament basierend, durchlitt die trotzkistische Strömung eine Krise nach der anderen, ehe sie während des Zweiten Weltkrieges mit Sack und Pack ins bürgerliche Lager wechselte. Was die Italienische Linke angeht, so war das Resultat ihrer unnachgiebigen Haltung ihr Ausschluß aus der Linksopposition 1933 mit Trotzki gewesen, der auf das Phantom einer „Neuen Italienischen Opposition" (NIO) setzte, die sich aus Elementen zusammensetzte, die an der Spitze der PCI 1930 für den Ausschluß von Bordiga aus der Partei gestimmt hatten.

1945 nahm der PCInt, sorgsam darauf bedacht, seine Mitgliederschaft so gut wie möglich zu verstärken, und mit dem Anspruch angetreten, Erbe der Linken zu sein, tatsächlich nicht die Politik letzterer gegenüber der KI und dem Trotzkismus auf, sondern genau jene Politik, die von der Linken bekämpft worden war: eine „breite" Sammlung, die auf programmatischen Zweideutigkeiten beruht, eine Umgruppierung – ohne nach irgendeiner „Rechenschaft" zu fragen – auf der Basis von Militanten und „Persönlichkeiten" (15), die sich den Positionen der Fraktion während des Krieges in Spanien widersetzt hatten, eine opportunistische Politik, die den Illusionen der Arbeiter in Partisanenverbänden und Parteien, welche längst zum Feind übergelaufen waren, schmeichelte etc. Und um diese Sammlung so vollständig wie möglich zu machen, mußte die GCF aus der internationalen linkskommunistischen Strömung ausgeschlossen werden, eben weil sie am loyalsten zum Kampf der Fraktion stand. Gleichzeitig war die einzige Gruppe, die als Repräsentant der Linkskommunisten in Frankreich anerkannt wurde, die Französische Fraktion der Kommunistischen Linken (FFGC bis). Dabei sollte man sich in Erinnerung rufen, daß diese Gruppe von drei jungen Elementen gegründet wurde, die sich im Mai 1945 von der GCF abgespalten hatten, Mitglieder der Ex-Minderheit in der Fraktion die während des Spanischen Krieges ausgeschlossen wurden, und der ehemaligen Union Communiste, die zur gleichen Zeit dem Antifaschismus anheimgefallen war (16). Gibt es nicht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dieser Haltung des PCInt und der Politik Trotzkis gegenüber der Fraktion und der NIO?

Marx schrieb, daß „Geschichte sich stets wiederholt, das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce". Ein bißchen davon trifft auf die nicht sehr glorreiche Episode der Gründung des PCInt zu. Unglücklicherweise sollten die folgenden Ereignisse zeigen, daß diese Wiederholung der von der Linken in den 20er und 30er Jahren vertretenen Politik durch den PCInt von 1945 eher dramatische Konsequenzen hatte.

Die Konsequenzen der opportunistischen Herangehensweise des PCInt

Wenn wir die Sitzungsberichte der Konferenz des PCInt von Ende 1945, Anfang 1946 lesen, sind wir lediglich von der Heterogenität beeindruckt, die hier vorherrscht.

Die Hauptführer waren sich uneinig über die Analyse der historischen Periode, die eine ganz wichtige Frage war. Damen fuhr fort, die „offizielle Position" zu vertreten: „Der neue Kurs der Geschichte des proletarischen Kampfes ist offen. Unsere Partei hat die Aufgabe, diesen Kampf in die Richtung zu lenken, die es ermöglichen wird, während der nächsten unvermeidlichen Krise dem Krieg und seinen Betreibern rechtzeitig und endgültig durch die proletarische Revolution das Handwerk zu legen" („Bericht über die internationale Situation und die Perspektiven", S. 12).

Aber gewisse Stimmen bemerkten, ohne es offen zu sagen, daß die Bedingungen für die Bildung der Partei nicht günstig waren:

„.... was heute vorherrscht, ist die ‘Kampf-bis-zum-Ende’-Ideologie der CLN und der Partisanenbewegung, und deshalb sind die Bedingungen für die siegreiche Behauptung des Proletariats nicht vorhanden. Folglich können wir den gegenwärtigen Augenblick nur als reaktionär qualifizieren" (Vercesi, „Die Partei und internationale Probleme", S. 14).

„Als Schlußfolgerung aus dieser politischen Bilanz ist es notwendig, uns selbst zu fragen, ob wir weitermachen sollen mit einer Politik der Erweiterung unseres Einflusses, oder ob uns die Situation in einer vergifteten Atmosphäre die Notwendigkeit aufzwingt, die elementaren Fundamente unserer politischen und ideologischen Abgrenzung zu schützen, die Kader ideologisch zu stärken, sie gegen die Bazillen, die man in der gegenwärtigen Umwelt einatmet, zu immunisieren und sie so auf die neuen politischen Positionen vorzubereiten, die sich ihnen morgen präsentieren. Nach meiner Auffassung sollte die Aktivität der Partei erst in zweiter Linie auf alle Bereiche gerichtet sein" (Maffi, „Politisch-organisatorische Beziehungen in Norditalien").

Mit anderen Worten, Maffi befürwortet die klassische Arbeit einer Fraktion.

In der parlamentarischen Frage sehen wir dieselbe Heterogenität:

„Daher werden wir unter einem demokratischen Regime alle Zugeständnisse, soweit diese Situation die Interessen des revolutionären Kampfes nicht beeinträchtigt, ausnutzen. Wir bleiben unwiderruflich antiparlamentarisch; aber der Sinn fürs Konkrete, der unsere Politik anregt, läßt uns jede, im voraus bestimmte abstentionistische Position ablehnen" (Damen, ebenda, S. 12).

„Maffi, der über die durch die Partei abgesegneten Schlußfolgerung hinaus ging, fragte, ob das Problem des Wahlabstentionismus in seiner alten Form (Teilnahme an den Wahlen nur, wenn die Situation sich in Richtung einer revolutionären Explosion bewegt) gestellt werden sollte, oder ob es im Gegenteil in einem Umfeld, das von Wahlillusionen korrumpiert sei, nicht besser wäre, eine klar gegen die Wahlen gerichtete Position einzunehmen. Sich nicht an die uns von der Bourgeoisie gemachten Zugeständnissen klammern (Zugeständnisse, die nicht ein Ausdruck ihrer Schwäche, sondern ihrer Stärke sind), sondern uns mit dem realen Prozeß des Klassenkampfes und unserer linken Tradition verbinden" (ebenda; S. 12)

Sollen wir noch hervorheben, daß Bordigas linke Strömung in der Italienischen Sozialistsichen Partei während des Ersten Weltkrieges als „Abstentionistische Fraktion" bekannt war?

Auch in der Gewerkschaftsfrage argumentiert der Berichterstatter Luciano Stefanini gegen die schließlich angenommene Position: „Die politische Linie der Partei in der Gewerkschaftsfrage ist noch nicht genügend deutlich. Auf der einen Seite sehen wir die Gewerkschaften als Dependancen des kapitalistischen Staates an; auf der anderen Seite laden wir die Arbeiter dazu ein, innerhalb ihrer zu kämpfen und sie von innen zu erobern, um sie zu Klassenpositionen zu bringen. Diese Möglichkeit wird jedoch durch die oben erwähnte kapitalistische Evolution ausgeschlossen. Die gegenwärtigen Gewerkschaften können ihre Physiognomie als Staatsorgan nicht ändern. Die Forderung nach neuen Massenorganen ist heute nicht gültig, aber die Partei hat die Pflicht, den Verlauf der Ereignisse vorherzusagen und den Arbeitern anzuzeigen, welche Art von Organen, die aus der Entwicklung der Situation heraus entstehen, als einheitliche Führung für das Proletariat unter der Leitung der Partei nötig sind. Die Vorstellung, Kommandostellen im gegenwärtigen Gewerkschaftsorganismus zu halten, um sie umzuwandeln, muß endgültig zu Grabe getragen werden" (S. 18/19).

Nach dieser Konferenz schrieb die GCF:

„Die neue Partei ist keine politische Einheit, sondern ein Konglomerat, eine Addition von Strömungen und Tendenzen, die es nicht fertigbringen, aufzutreten und einander zu konfrontieren. Der gegenwärtige Waffenstillstand kann nur provisorisch sein. Die Eliminierung der einen oder anderen Strömung ist unvermeidbar. Früher oder später wird sich eine politische und organisatorische Definition von allein aufdrängen" (Internationalisme, Nr. 7, Februar 1946).

Nach einer Periode der intensiven Rekrutierung begann die Phase der Definitionssuche. Ende 1946 führte die Unruhe, die im PCInt durch seine Teilnahme an Wahlen provoziert wurde (viele Militante konnten die abstentionistische Tradition der Linken einfach nicht vergessen), die Parteiführung dazu, eine Stellungnahme in der Presse mit dem Titel „Unsere Stärke" zu veröffentlichen, worin zur Disziplin aufgerufen wurde. Nach der Euphorie der Turiner Konferenz verließen viele entmutigte Militante die Partei. Eine gewisse Anzahl von Elementen spaltete sich ab, um an der Gründung der trotzkistischen POI teilzunehmen, Beweis dafür, daß es für sie keinen Platz gab in einer Organisation der Linkskommunisten. Viele Militante wurden ausgeschlossen, ohne daß die Divergenzen klar zutage traten, zumindest in der öffentlichen Presse. Eine der Förderationen spaltete sich ab, um die „Autonome Turiner Förderation" zu bilden. 1948, auf dem Florentiner Kongreß, hatte die Partei bereits die Hälfte ihrer Mitglieder und ihre Presse die Hälfte ihrer Leser verloren. Was den „Waffenstillstand" von 1946 anbetrifft, so wurde er in einen „bewaffneten Frieden" umgewandelt, den die Führer nicht zu stören versuchten, indem sie bei den Hauptdivergenzen Irreführung betrieben. So sagte Maffi, daß er „davon absieht, dieses oder jenes Problem anzusprechen, weil ich weiß, daß diese Diskussion die Partei vergiften würde". Dies hinderte den Kongreß jedoch nicht daran, die Position zu den Gewerkschaften, die anderthalb Jahre zuvor angenommen worden war (die Position von 1945, die angeblich durch so viel Klarheit glänzt), radikal in Frage zu stellen. Dieser bewaffnete Frieden führte schließlich zu einer offenen Konfrontation (besonders nachdem Bordiga 1949 der Partei beigetreten war), was 1952 in die Spaltung zwischen der Damen-Tendenz und der von Bordiga und Maffi angeregten Tendenz mündete, die der Ursprung von Programma Comunista war. Was die „Schwesterorganisationen" angeht, die der PCInt bei der Bildung eines Internationalen Büros der Kommunistischen Linken aufgezählt hat, so sind ihre Ergebnisse noch weniger beneidenswert. Die belgische Fraktion hörte mit der Veröffentlichung von L’Internationaliste 1949 auf und verschwand bald darauf; die französische Fraktion FFGC ging durch einen zweijährigen Niedergang, in dem die meisten ihrer Mitglieder sie verließen, bevor sie als die französische Gruppe der Internationalen Kommunistischen Linken wieder erschien, die sich mit der bordigistischen Strömung verband (17).

Der „größte Erfolg seit der Russischen Revolution" war also kurzlebig. Und wenn uns das IBRP zur Stärkung seiner Argumente für diesen „Erfolg" erzählt, daß der PCInt „trotz eines halben Jahrhunderts der weiteren kapitalistischen Vorherrschaft, seine Existenz fortgesetzt hat und heute wächst", vergißt es darauf hinzuweisen, daß der heutige PCInt in Bezug auf die Mitgliederschaft und auf seine Zuhörerschaft nicht viel damit zu tun hat, was er Ende des letzten Krieges dargestellt hat. Ohne lange bei Vergleichen zu verweilen, können wir sagen, daß die Größe dieser Organisation heute annähernd jener des direkten Erben der „winzigen GCF" entspricht, der französischen Sektion der IKS. Und wir wollen in der Tat glauben, daß der PCInt „heute wächst". Auch die IKS hat in der jüngsten Periode herausgefunden, daß es ein größeres Interesse an den Positionen der Kommunistischen Linken gibt, was sich insbesondere durch eine gewisse Anzahl neuer Mitglieder ausgedrückt hat. Dennoch denken wir nicht, daß das gegenwärtige Wachstum es dem PCInt ermöglichen wird, schnell auf den Mitgliederstand von 1945/46 zurückzukehren.

So reicht dieser große „Erfolg" nur bis zur nicht sehr glorreichen Situation, in der eine Organisation, die damit fortfährt, sich selbst eine „Partei" zu nennen, tatsächlich dazu gezwungen ist, die Rolle einer Fraktion zu spielen. Was viel bedenklicher ist, ist, daß heute das IBRP nicht die Lehren aus dieser Erfahrung zieht und vor allem nicht die opportunistische Methode in Frage stellt, welche einer der Gründe dafür ist, daß der „glorreiche Erfolg" von 1945 den darauf folgenden „Mißerfolg" einleitete (18).

Dieses unkritische Verhalten gegenüber den opportunistischen Abweichungen des PCInt in seinen Ursprüngen läßt uns befürchten, daß das IBRP, wenn die Klassenbewegung entwickelter als heute ist, versuchen wird, zu denselben opportunistischen Zweckmäßigkeiten Zuflucht zu nehmen, wie wir sie hervorgehoben waren. Die Tatsache, daß das Haupt-"Kriterium des Erfolgs" einer proletarischen Organisation für das IBRP die Anzahl der Mitglieder und der Einfluß ist, den sie zu einem gegebenen Augenblick hat, wobei die programmatische Strenge und die Fähigkeit, das Fundament für eine langfristige Arbeit anzulegen, außer acht gelassen werden, enthüllt die immediatistische Herangehensweise, die es gegenüber der Organisationsfrage pflegt. Und wir wissen, daß der Immediatismus der Vorraum des Opportunismus ist. Wir können auch einige andere, akutere Konsequenzen für die Unfähigkeit des PCInt hervorheben, seine Ursprünge zu kritisieren.

An erster Stelle verleitete die Tatsache, daß er (als es evident wurde, daß die Konterrevolution immer noch in Saft und Kraft war) die Gültigkeit der Gründung der Partei aufrechterhielt, den PCInt von 1945/46 dazu, die gesamte Auffassung der Italienischen Fraktion über die Beziehung zwischen Partei und Fraktion radikal zu revidieren. Für den PCInt konnte von nun an die Bildung der Partei in jedem Augenblick stattfinden, unabhängig vom Gleichgewicht der Kräfte zwischen Proletariat und Bourgeoisie (19). Dies ist die Position der Trotzkisten, nicht der Italienischen Linken, welche stets anerkannte, daß die Partei erst im Gefolge des historischen Wiedererwachens der Klasse gebildet werden kann. Aber gleichzeitig bedeutete diese Revision auch die Infragestellung der Idee, daß es bestimmte und antagonistische historische Kurse gibt: den Kurs hin zu entscheidenden Klassenkonfrontationen oder den Kurs in den Weltkrieg. Für das IBRP können diese beiden Kurse parallel verlaufen, ohne sich gegenseitig auszuschließen, was in der Unfähigkeit endet, die gegenwärtige historische Periode zu analysieren, wie wir in unserem Artikel „Die CWO und der historisch Kurs: Ein Berg von Widersprüchen" (Internationale Revue Nr. 20) aufgezeigt haben. Deshalb schrieben wir im ersten Teil des vorliegenden Artikels: „Genauer betrachtet nämlich hat die gegenwärtige Unfähigkeit des IBRP, eine Analyse des historischen Kurses herauszuarbeiten, ihre Wurzeln zu einem grossen Teil in politschen Irtümmern bezüglich der Organisationsfrage und im Speziellen in der Frage des Verhältnisses zwischen Fraktion und Partei". (Internationale Revue Nr. 22)

Hinsichtlich der Frage, ob die Erben der „winzigen GCF" da Erfolg haben, wo jene der ruhmreichen Partei von 1943-45 versagen, d.h. in der Bildung einer wirklich internationalen Organisation, schlagen wir dem IBRP vor, über folgendes nachzudenken: Die GCF, und in ihrem Kielwasser die IKS, waren bzw. sind erfolgreich, weil sie volles Vertrauen in die Herangehensweise hatten, mit der sich die Fraktion in die Lage gesetzt hatte, zur Zeit des Schiffbruchs der KI zur größten und aktivsten Strömung der Kommunistischen Linken zu werden, nämlich:

– als Fundament einer Organisation eine programmatische Strenge, die jeglichen Opportunismus, jegliche Hast, jegliche Politik der „Rekrutierung" auf wackligen Fundamenten ablehnt;

– eine klare Vorstellung von dem Begriff der Fraktion und ihrer Zusammenhänge mit der Partei;

– die Fähigkeit, die Natur des historischen Kurses korrekt zu identifizieren.

Der größte Erfolg seit dem Tod der KI (und nicht seit der Russischen Revolution) war nicht der PCInt, sondern die Fraktion. Nicht in numerischen Begriffen, sondern im Rahmen ihrer Fähigkeit, die Fundamente für die Weltpartei der Zukunft vorzubereiten, trotz ihres eigenen Verschwindens.

Im Prinzip präsentiert sich der PCInt (und nach ihm das IBRP) selbst als die politischen Erben der Italienischen Fraktion. Wir haben in diesem Artikel aufgezeigt, wie weit sich der PCInt seit seiner Gründung von der Tradition und den Positionen der Fraktion distanziert hatte. Seither hatte der PCInt eine Reihe von programmatischen Fragen geklärt, was wir als äußerst positiv ansehen. Nichtsdestotrotz erscheint es uns, daß der PCInt erst dann in der Lage ist, seinen vollen Beitrag zur Gründung der zukünftigen Weltpartei zu leisten, wenn er seine Erklärungen und seine Aktionen auf eine Linie bringt, d.h. wenn er sich die politische Herangehensweise der Italienischen Fraktion wiederaneignet. Und das bedeutet an erster Stelle, daß er sich als fähig erweist, eine ernsthafte Kritik über die Erfahrung aus der Gründung des PCInt 1943-45 zu leisten, statt sie zu rühmen und sie zum Beispiel, dem man folgen sollte, zu machen. Fabienne

Fussnoten:

 

(1) Wir nehmen an, daß der Autor des Artikels, von seinem Enthusiasmus dahingerissen, Opfer eines Schreibfehlers geworden ist und daß er eigentlich schreiben wollte „seit dem Ende der ersten revolutionären Welle und der Kommunistischen Internationalen". Wenn er es aber doch so meint, wie er schrieb, dann hätten wir gern ein paar Fragen an seine Geschichtskenntnisse und seinen Realitätssinn zu stellen: Hat er unter anderem nie von der Kommunistischen Partei Italiens gehört, welche Anfang der 20er Jahre einen viel größeren Einfluß besaß als der PCInt 1945 und gleichzeitig die Avantgarde der Internationalen in einer ganzen Reihe von politischen Fragen darstellte? Wir ziehen es jedenfalls für den Rest des Artikels vor, uns für die erste Hypothese zu entscheiden. Gegen Absurditäten zu polemisieren ist nicht in unserem Interesse.

(2) Wir erlauben uns die Bemerkung, daß während dieser Periode die IKS drei neue Territorialsektionen integrierte: in der Schweiz und in zwei Ländern der kapitalistischen Peripherie, Mexiko und Indien, Gebiete, denen das besondere Interesse des IBRP gegolten hatte (siehe insbesondere die Annahme der „Thesen über die kommunistischen Taktiken in den Ländern der kapitalistischen Peripherie" durch den 6. Kongreß des PCInt 1977).

(3) So wurde die Politik des PCInt gegenüber den Gewerkschaften formuliert: „... der substantielle Inhalt von Punkt 12 der Parteiplattform kann in folgenden Worten konkretisiert werden:

1. Die Partei strebt nach der Wiederherstellung der CGL durch den direkten Kampf des Proletariats gegen die Bosse in einzelnen und allgemeinen Klassenbewegungen.

2. Der Kampf der Partei dient nicht direkt der Spaltung der Massen von den Gewerkschaften.

3. Der Prozeß der Wiederherstellung der Gewerkschaften, der nicht ohne die Eroberung der gewerkschaftlichen Führungsorgane vonstatten gehen kann, leitet sich von einem Programm zur Organisierung des Klassenkampfes unter Führung der Partei ab."

(4) Der PCInt von heute wird durch diese Plattform von 1945 eher in Verlegenheit gebracht. Kümmerte er sich, als er 1974 dieses Dokument zusammen mit dem „Schema eines Programms", das 1944 von der Damen-Gruppe verfaßt wurde, wiederveröffentlichte, also um eine gründliche Kritik der Plattform, indem er sie dem „Schema eines Programms" gegenüberstellte, welches nicht hoch genug gelobt werden konnte? In der Einführung sagt er, daß „1945 das Zentralkomitee den Entwurf einer politischen Plattform von Genosse Bordiga erhielt, der, wir betonen, kein Mitglied der Partei war. Das Dokument, dessen Annahme in Form eines Ultimatums eingefordert wurde, wurde als unvereinbar mit den festen Positionen angesehen, welche von der Partei zu den wichtigsten Problemen eingenommen wurden, und trotz aller unternommener Modifikationen wurde das Dokument stets als Beitrag zur Debatte und nicht als De-facto-Plattform anerkannt (...) Wie wir gesehen haben, konnte das ZK das Dokument nicht akzeptieren, es sei denn als Beitrag einer einzelnen Person zur Debatte auf dem künftigen Kongreß, der, als er 1948 stattfand, die Existenz von ganz anderen Positionen erbrachte." Wir sollten noch deutlicher machen, wer genau es war, der dieses Dokument einen „Beitrag zur Debatte" nannte. Wahrscheinlich Damen und ein paar andere Militante. Sie behielten jedoch ihre Eindrücke für sich, da die Konferenz von 1945/46, d.h. die Repräsentanten der gesamten Partei eine ganz andere Position einnahmen. Das Dokument wurde einmütig als Plattform des PCInt angenommen und diente als Basis für Parteibeitritte und für die Bildung eines Internationalen Büros der Linkskommunisten. Tatsächlich wurde das „Schema eines Programms" für die Diskussion auf dem nächsten Kongreß aufgehoben. Und wenn die Genossen des IBRP wieder einmal denken, daß wir lügen, dann sollten sie in den mündlichen Sitzungsberichten der Turiner Konferenz Ende 1945 nachschlagen. Wenn etwas lügnerisch ist, dann die Art, in der der PCInt seine „Version" der Dinge 1974 darstellt. Tatsächlich ist der PCInt über gewisse Aspekte seiner eigenen Geschichte so wenig stolz, daß er es notwendig findet, sie ein bißchen zu verschönern. Angesichts dieser Feststellung können wir uns fragen, warum der PCInt es zuließ, sich irgendeinem „Ultimatum" zu unterwerfen, wo es doch von jemand stammte, der nicht einmal Parteimitglied war.

(5) Wie wir im ersten Teil dieses Artikels gesehen haben, zog die Italienische Fraktion auf ihrer Konferenz vom August 1943 die Schlußfolgerung, daß „mit dem durch die August-Ereignisse in Italien eröffneten Kurs nun der Weg frei ist für die Umwandlung der Fraktion in eine Partei". Die GCF griff bei ihrer Gründung 1944 dieselbe Analyse auf.

(6) Wir haben in unserer Presse bei einer Reihe von Gelegenheiten gezeigt, woraus diese systematische Politik der Bourgeoisie bestand – wie diese Klasse, die Lehren aus dem ersten Krieg ziehend, systematisch die Arbeit aufteilte, indem sie den besiegten Ländern die „schmutzige Arbeit" überließ (Repression gegen die Arbeiterklasse in Norditalien, die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes etc.), während die Sieger gleichzeitig die Arbeiterkonzentrationen in Deutschland systematisch bombardierten, die besiegten Länder besetzten, um sie zu überwachen, und noch etliche Jahre nach Kriegsende Kriegsgefangene interniert hielten.

(7) Die GCF und die IKS haben oft die von Damen vertretenen Positionen genauso wie seine politischen Methoden kritisiert. Dies ändert nichts an unserer Hochachtung gegenüber der Tiefe seiner kommunistischen Überzeugung, seiner militanten Energie und seinem großen Mut.

(8) „Arbeiter! Setzt dem Schlachtruf des Nationalkrieges, der die italienischen Arbeiter gegen die deutschen und englischen Arbeiter bewaffnet, den Schlachtruf der kommunistischen Revolution entgegen, der die Arbeiter der gesamten Welt gegen ihren gemeinsamen Feind vereint: den Kapitalismus." (Prometeo, Nr. 1, 1. November 1943) „Dem Aufruf des Zentrismus (so nannte die Italienische Linke den Stalinismus), in die Partisanenbanden einzutreten, müssen wir mit unserer Präsenz in den Fabriken entgegentreten, und nur von hier kommt die Klassengewalt her, die die wesentlichen Zentren des kapitalistischen Staates zerstören wird." (Prometeo, 4. März 1944)

(9) Mehr über das Verhalten des PCInt gegenüber den Partisanen in „The ambiguities of the Internationalist Communist Party over the ‘partisans’ in Italy in 1943", International Review, Nr. 8 (engl./franz. Ausgabe).

(10) In der International Review Nr. 32 (engl./franz./span. Ausgabe) veröffentlichten wir den vollständigen Text dieses Appells wie auch unseren Kommentar dazu.

(11) Wir sollten unterstreichen, daß in dem Brief, den der PCInt der SP als Antwort auf deren Reaktion auf den Appell schickte, der PCInt diese sozialdemokratischen Schurken in der Anrede „liebe Genossen" nannte. Nicht gerade die beste Art, die Verbrechen zu demaskieren, die diese Parteien gegen das Proletariat seit dem Ersten Weltkrieg und der ihm folgenden revolutionären Welle begangen hatten. Aber ein exzellenter Weg, den Illusionen der Arbeiter, die ihnen noch folgten, zu schmeicheln.

(12) siehe den ersten Teil dieses Artikels in Internationale Revue Nr. 22;

(13) Es ist wert, über dieses Thema andere Passagen zu zitieren, die vom PCInt verfaßt wurden: „Die vom Genossen Perrone (Vercesi) zum Ausdruck gebrachten Positionen sind freie Ausdrücke einer sehr persönlichen Erfahrung und einer auf Phantasie basierenden politischen Perspektive, welche nicht als massgebend für eine Kritik der Gründung des PCInt verwendet werden können." (Prometeo, Nr. 18, 1972) Das Problem ist, daß diese Positionen im Bericht über „Die Partei und internationalen Probleme" zum Ausdruck kamen, welcher der Konferenz durch das Zentralkomitee, dessen Mitglied Vercesi war, vorgestellt wurde. Das Urteil der Militanten von 1972 über ihre Partei 1945/46 ist wahrlich hart, eine Partei, deren Zentralorgan einen Bericht präsentiert, in dem egal was gesagt werden kann. Wir nehmen an, daß nach diesem Artikel der Autor ernsthaft dafür gemaßregelt wird, daß er den PCInt von 1945 „verleumdet" hat, anstatt die Schlußfolgerung zu wiederholen, die O. Damen aus der Diskussion über den Bericht gezogen hatte: „Es gab keine Divergenzen, sondern eine besondere Sensibilität, die eine organische Klärung dieser Probleme erlaubt." (Sitzungsberichte, S. 16) Es trifft zu, daß derselbe Damen später entdeckte, daß diese „besondere Sensibilität" „pervertierte Positionen" waren und daß „organische Klärung" die „Trennung von dem toten Stamm" bedeutete. Einerlei, lang lebe die Klarheit von 1945!

(14) Über die Minderheit in der Fraktion 1936 siehe den ersten Teil dieses Artikels in Internationale Revue Nr. 22

(15) Es ist klar, daß einer der Gründe, warum der PCInt von 1945 der Integration von Vercesi zustimmte, ohne ihn aufzufordern, Rechenschaft über seine vergangenen Aktivitäten abzulegen, und warum er es zuließ, daß Bordiga sich in der Frage der Plattform „durchsetzte", darin liegt, daß er mit dem Prestige dieser beiden „historischen" Führer rechnete, um ein Maximum an Arbeitern und Militanten anzuziehen. Bordigas Feindschaft hätte den PCInt die Gruppen und Elemente in Süditalien gekostet, Vercesis Feindschaft die belgische Fraktion und die FFGC bis.

(16) Über diese Episode siehe den ersten Teil dieses Artikels.

(17) Wir können daher daran festhalten, daß die „winzige GCF", die mit soviel Geringschätzung behandelt und sorgfältig von den anderen Gruppen ferngehalten wurde, noch länger überlebte als die belgische Fraktion und die FFGC bis. Bis zu ihrem Verschwinden 1952 veröffentlichte sie 46 Ausgaben von Internationalisme, ein unschätzbares Erbe, worauf die IKS errichtet wurde.

(18) Es trifft zu, daß die opportunistische Methode nicht die einzige Erklärung für den Einfluß ist, den der PCInt 1945 erreichen konnte. Es gibt zwei fundamentale Ursachen dafür:

* Italien war das einzige Land, das eine wirkliche und mächtige Bewegung der Arbeiterklasse während des imperialistischen Krieges und gegen ihn erblickte.

* Die Linkskommunisten hatten, da sie sich die Führung der Partei bis 1925 angeeignet hatten und weil Bordiga der Hauptgründer dieser Partei war, ein Prestige unter den Arbeitern Italiens, das in keinem Vergleich stand zu jenem in anderen Ländern.

Andererseits liegt eine der Ursachen für die numerischen Schwächen der GCF gerade in der Tatsache, daß es in der Arbeiterklasse Frankreichs keine Tradition des Linkskommunismus gab und daß erstere nicht in der Lage gewesen war, sich während des Krieges zu erheben. Da ist auch die Tatsache, daß die GCF jedes opportunistische Verhalten bezüglich der Illusionen der Arbeiter in die „Befreiung" und die Partisanen vermied. Hier folgte sie dem Beispiel der Fraktion 1936 angesichts des Spanischen Krieges, der sie der Isolation überließ, wie sie in Bilan Nr. 36 selbst bemerkte.

(19) Zu dieser Frage siehe insbesondere die Broschüre „Das Verhältnis Fraktion – Partei in der marxistischen Tradition"

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Bordigismus [16]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Französische Kommunistische Linke [17]

Theoretische Fragen: 

  • Partei und Fraktion [18]

Resolution zur internationalen Lage 1999

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Internationale Revue 24

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13. Kongress der IKS

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Die gewachsene Verantwortung der Revolutionäre gegenüber der zugespitzten historischen Lage

Die IKS hat Ende März/Anfang April ihren 13. Kongress in einem historischen Augenblick abgehalten, wo sich die Geschichte beschleunigt, und wo der todgeweihte Kapitalismus eine der schwierigsten und gefährlichsten Phasen der modernen Geschichte durchläuft. Die Tragweite, die diese Periode kennzeichnet, ist vergleichbar mit denen der beiden Weltkriege, dem Entstehen der proletarischen Revolution 1917-1919 oder der großen Depression 1929. Der Ernst der Lage wird durch eine Verschärfung der Widersprüche auf allen Ebenen geprägt:

- Zuspitzung der imperialistischen Spannungen und Entfaltung des weltweiten Chaos,

- eine sehr fortgeschrittene und gefährliche Phase der Krise des Kapitalismus,

- Angriffe gegen die internationale Arbeiterklasse, wie es sie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr gegeben hatte,

- ein beschleunigter Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft.

Die IKS, die sich über die gewaltige Verantwortung bewusst ist, welche durch diese Lage auf den Schultern des Proletariats lastet, hat die Debatten ihres Kongresses darauf ausgerichtet, die Perspektiven mit der in dieser historischen Situation erforderlichen größtmöglichen Klarheit aufzuzeigen. Nur indem die Arbeiterklasse ihre Kampfbereitschaft und ihr Bewusstsein entfaltet, kann sie die revolutionäre Alternative aufzeigen, die einzig und allein dazu in der Lage ist, das Überleben der Menschheit zu garantieren. Aber die größte Verantwortung lastet auf den Schultern der Kommunistischen Linken, auf den Organisationen des proletarischen Lagers. Nur sie können die theoretischen und historischen Lehren sowie die marxistische Methode vermitteln, die für die revolutionären Minderheiten unabdingbar sind, welche heute im Entstehen begriffen sind, damit sie am Aufbau der zukünftigen Klassenpartei mitwirken können. In gewisser Hinsicht ist die Kommunistische Linke heute wie seinerzeit BILAN in den 30er Jahren[i] [19] dazu gezwungen, eine bislang noch nicht dagewesene, neue historische Situation zu begreifen. Diese Herausforderung verlangt sowohl eine weitreichende Übernahme der theoretischen und historischen Herangehensweise des Marxismus wie auch revolutionäre Kühnheit, um die neue Lage zu begreifen, die mit den Schemen der Vergangenheit nicht so einfach verstanden werden kann.

Diese Verantwortung hat die IKS auf ihrem 13. Kongress vor Augen gehabt, damit wir in der Lage sind, durch unsere Analysen, unsere Positionen und unsere Intervention zur proletarischen Antwort gegenüber der ganzen Tragweite der Weltlage am Vorabend des nächsten Jahrtausends beizutragen.

Die internationale Lage: eine sich verstärkende Tendenz zum Chaos

Die Debatten über die Analyse und Perspektiven der internationalen Situation waren die zentrale Achse unseres 13. Kongresses (siehe dazu die ”Resolution zur Internationalen Situation” – Internationale Revue Nr. 23). Und das durfte nicht anders sein. Kurz vor unserem Kongress war der neue Balkankrieg ausgelöst worden.[ii] [19] Der Kongress hob klar hervor, dass dieser neue Krieg das wichtigste Ereignis seit dem Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 80er Jahre auf imperialistischer Ebene darstellte. Der jetzige Krieg und seine destabilisierenden Wirkungen auf europäischer Ebene und gar weltweit verdeutlichen erneut das Dilemma, vor dem heute die USA stehen. Die Tendenz des ”jeder für sich” und die immer deutlichere Formulierung der imperialistischen Ansprüche ihrer ehemaligen Verbündeten haben die USA zunehmend dazu gezwungen, ihre gewaltige militärische Überlegenheit zur Schau zu stellen und einzusetzen. Gleichzeitig kann diese Politik nur zu einer noch größeren Zuspitzung des schon vorhandenen weltweiten Chaos führen.

So unterstrich der Kongress, dass der Krieg im ehemaligen Jugoslawien der klarste Ausdruck einer neuen Etappe der Entfaltung der Irrationalität des Krieges im dekadenten Kapitalismus mit sich bringt, die direkt mit der Zerfallsphase des Systems verbunden ist. Dies bestätigt eine grundlegende These des Marxismus hinsichtlich der Entwicklung des Kapitalismus im 20. Jahrhundert, wonach in der Niedergangsphase des Kapitalismus der Krieg zu seiner Überlebensform geworden ist.

Solch eine Zuspitzung des Chaos, begleitet von einer ständigen Auseinandersetzung zwischen den Großmächten, wird durch die Beschleunigung der kapitalistischen Krise noch verschärft. Die Krise, die Ende der 60er Jahre wieder ausbrach, nachdem die Wiederaufbauperiode nach dem 2. Weltkrieg zum Abschluss kam, hat sich seitdem immer mehr vertieft. Anfang der 90er Jahre versuchte die Bourgeoisie dieses Phänomen zu vertuschen, als sie den Zusammenbruch des Ostblocks als den endgültigen Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus verkaufen wollte. In Wirklichkeit war der Bankrott des Ostblocks eine Schlüsselphase der Vertiefung der kapitalistischen Weltkrise. Er hat den Bankrott eines bürgerlichen Krisenverwaltungssystems offenbart: des Stalinismus. Seitdem haben alle ”Wirtschaftsmodelle” eins nach dem anderen ins Gras gebissen, angefangen bei der zweiten und dritten Industriemacht der Erde: Japan und Deutschland. Ihnen folgten der Absturz der ”Tiger” und ”Drachen” Asiens und der ”Schwellenländer” Lateinamerikas. Der offene Bankrott Russlands hat die Unfähigkeit des ”westlichen Liberalismus” bloßgelegt, Osteuropa wieder auf die Beine zu bringen. Die Bourgeoisie hat diese Wirtschaftskatastrophe als besonders schmerzhaft dargestellt, die jedoch nur eine begrenzte, aufgrund von Besonderheiten nur konjunkturelle Erscheinung sei. In Wirklichkeit aber sind diese Länder in eine in jeder Hinsicht so brutale und zerstörerische Depression hineingerutscht wie die der 30er Jahre. Und dies ist nur das Vorspiel für eine neue, weltweite offene Rezession.

Hinsichtlich des Klassenkampfes hat unser Kongress hervorgehoben, dass die Arbeiterklasse historisch nicht geschlagen ist, auch wenn der Zerfall, der durch die Sackgasse hervorgerufen wird, in der der Kapitalismus steckt, ein großes Gewicht ausübt, und auch wenn die Arbeiterklasse einen historischen Rückschlag erlitten hat, der durch den Zusammenbruch des russischen Blocks 1989 auf  Bewusstseinsebene und hinsichtlich der  Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse eingetreten ist – wobei die Weltbourgeoisie den Zusammenbruch des russischen Blocks so dargestellt hat, als ob damit die Perspektive des Kommunismus gestorben sei. Obgleich die Zeit nicht zugunsten der Arbeiterklasse wirkt, da sie die Ausbreitung all der Zerfallserscheinungen einer verfaulenden Gesellschaft nicht verhindern kann, können wir am Ende dieses Jahrzehnts wieder Anzeichen einer ansteigenden Kampfbereitschaft feststellen. Um dieser entgegenzutreten, mussten die Gewerkschaften wieder anfangen, die Kampfbewegungen zu isolieren und zu sabotieren, und die Bourgeoisie muss erneut die Politik des black-outs der Kämpfe auf internationaler Ebene betreiben, um das ”schlechte Beispiel” von Arbeiterkämpfen nicht weiter zu verbreiten.

Aber trotz der Schwierigkeiten, die weiterhin auf der Arbeiterklasse aufgrund des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft lasten, urteilte der 13. Kongress der IKS, dass es langfristig viele besonders günstige Faktoren für ein neues Entfalten des Bewusstseins der Arbeiterklasse gibt:

- das fortgeschrittene Stadium der Krise selber, die das Nachdenken innerhalb der Arbeiterklasse über die Notwendigkeit, dem System entgegenzutreten und es zu überwinden, fördert;

- der immer massivere, gleichzeitige und generalisierte Charakter der Angriffe, der die Notwendigkeit einer breiten, umfassenden Klassenreaktion aufwirft;

- der Krieg wird allgegenwärtig. Er zerstört die Illusionen über einen ”friedlichen” Kapitalismus. Der jetzige Balkankrieg, der in der Nähe der wichtigsten Zentren des Kapitalismus stattfindet, wird das Bewusstsein der Arbeiter wesentlich beeinflussen, da er die katastrophalen Perspektiven des Kapitalismus für die Menschheit entlarvt;

- die Verstärkung der Kampfbereitschaft einer unbesiegten Klasse, die mehr gegen die Verschlechterung ihrer Existenzbedingungen ankämpfen wird;

- eine neue Generation von Arbeitern wird sich in den Kampf einreihen, deren Kampfbereitschaft ungebrochen ist, und die aus den Erfahrungen der Kämpfe seit 68 lernen kann;

- das Auftauchen von Diskussionszirkeln oder von fortgeschrittenen Arbeiterkernen, die versuchen werden, sich die unmittelbare und historische Erfahrung der Arbeiterbewegung anzueignen. Auf dem Hintergrund solch einer Perspektive lastet auf den Schultern der Kommunistischen Linken eine viel größere Verantwortung als in den 30er Jahren. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Bourgeoisie sich voll der Gefahr bewusst ist, dass die Arbeiterklasse ihre Geschichte aufarbeitet, und sie deshalb eine Verleumdungskampagne gegen die Geschichte und die jetzige Rolle ihres Klassenfeindes angeleiert hat.

Besorgt über die Gefahr, die von der Arbeiterklasse ausgeht, hat die herrschende Klasse in 13 von 15 Ländern der Europäischen Union sowie in den USA die Sozialdemokratie die Regierungsgeschäfte übernehmen lassen. Sie beabsichtigt damit, die Wahlmystifizierung und die ”demokratische Alternative” aufzupäppeln, nachdem die Rechten jahrelang an der Regierung waren, insbesondere in Schlüsselländern wie Deutschland und Großbritannien. Aber darüber hinaus und vor allem besitzt die Linke den Vorteil gegenüber der Rechten, die notwendige Intensivierung der Angriffe gegen die Arbeiter auf eine geschicktere und weniger provozierende Art durchzusetzen.

Schlussendlich hat der 13. Kongress betont, wenn heute die linken Parteien die meisten Regierungen bilden, zeigt dies, in welchem Maße die Bourgeoisie sich der Gefahr bewusst ist, die von einer Arbeiterklasse ausgeht, welche ihre historische Rolle kennt, was für sie jeweils ein Anlass war, all diese präventiven Aktionen einzuleiten, um die aufsteigende Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse zu untergraben.

Die Aktivitäten der IKS werden durch die neue Periode geprägt

Der 13. Kongress der IKS hat eine Bilanz unserer Aktivitäten erstellt auf dem Hintergrund einer historisch noch nie dagewesenen Lage, die sich als besonders schwierig und gefährlich erweist, und wo die Großmächte ihr mörderisches Arsenal mitten im Herzen Europas einsetzen.

Der 13. Kongress zog eine sehr positive Bilanz unserer Aktivitäten. Das ist keine Selbstbeweihräucherung, sondern eine objektive und kritische Einschätzung unserer Aktivitäten. Der 12. Kongress hatte beschlossen, dass die IKS wieder ein Gleichgewicht ihrer Aktivitäten herstellen müsse, nachdem wir drei Jahre lang einen Kampf für die Wiederherstellung unseres Organisationsgewebes geführt hatten. Gemäß dem Mandat des 12. Kongresses wurde diese ”Normalisierung” unserer Aktivitäten konkretisiert durch:

- eine Öffnung hin zum proletarischen politischen Milieu und hin zu den Kontakten, während wir gleichzeitig den Kampf gegen die parasitären Gruppen und Elemente fortgesetzt haben;

- eine theoretisch-politische Verstärkung, die Entwicklung der Fähigkeit, unserer Propaganda eine historische Dimension zu verleihen, indem wir uns auf den Marxismus und die Erfahrung der Klasse stützen;

- eine Verstärkung des ”Parteigeistes”, weil wir nur so die revolutionäre Organisation verstärken können.

Die Verstärkung der Organisation wurde ebenso belegt durch die Fähigkeit der IKS, neue Militante in sieben territorialen Sektionen integrieren zu können (insbesondere in unserer Sektion in Frankreich). So widerlegt die numerische Verstärkung der IKS (die sich fortsetzen wird, wie durch die Wünsche weiterer Sympathisanten, die sich jüngst um eine Mitgliedschaft beworben haben) all die Verleumdungen des parasitären Milieus, das unsere Organisation beschuldigt, zu einer ”auf sich selbst zurückgezogenen Sekte” geworden zu sein. Im Gegensatz zu den Verleumdungen unserer Kritiker hat der Kampf unserer Organisation um die Verteidigung des Parteigeistes die Leute, die nach Klassenpositionen suchen, nicht abgeschreckt, sondern im Gegenteil ihre Annäherung und politische Klärung ermöglicht.

Die IKS hat eine ernsthafte und klare, auf einer langfristigen Sicht aufgebauten Intervention mit dem Ziel der Annäherung an die Gruppen des proletarischen politischen Milieus fortgesetzt. Diese Ausrichtung wurde auf die Kontakte und Sympathisanten erweitert, auf deren Sorgen und Fragestellungen wir ernsthaft und vertiefend eingehen müssen, und denen es möglich gemacht werden soll, ihr mangelndes Begreifen und Misstrauen gegenüber der Rolle der revolutionären Organisationen zu überwinden. Diese Orientierung der IKS ist nicht auf irgendeine grössenwahnsinnige Auffassung zurückzuführen, sondern eine historische Notwendigkeit, die erforderlich macht, dass die Arbeiterklasse und die revolutionären Minderheiten an ihrer Seite ihre Pflicht erfüllen.

Die Verteidigung des proletarischen Milieus verlangte ebenso einen Kampf gegen die Konteroffensive der parasitären Elemente. So haben wir zwei Broschüren mit dem Titel Die angebliche Paranoia der IKS veröffentlicht und eine öffentliche ”internationale” Diskussionsveranstaltung zur Verteidigung der Organisation  abgehalten. An dieser haben sich mehrere unserer Kontakte beteiligt. So hat die Organisation die Frage des politischen Parasitismus vertiefen können. Dazu haben wir die ”Thesen zum politischen Parasitismus” verabschiedet und veröffentlicht, die ein Instrument zum historischen und theoretischen Begreifen der Gruppen des Milieus darstellen. Die Verteidigung des proletarischen Milieus hieß ebenso, dass die IKS die Haltung verstärkt, Diskussionen und die Annäherung voranzutreiben,  wobei wir mit anderen Gruppen dieses Milieus gemeinsame Interventionen gegenüber den antikommunistischen Kampagnen, die die Bourgeoisie anlässlich des 80. Jahrestages der Oktoberrevolution entfaltete, durchgeführt haben. Diese Arbeit wurde ebenso konkretisiert durch die Interventionen gegenüber dem politischen Milieu, das sich in Russland entfaltet.

Der 13. Kongress beschloss, dass die Intervention gegenüber dem ”politischen Sumpf” entschlossener von der Organisation angegangen werden muss. Dieses unbestimmte ”Niemandsland” zwischen Bourgeoisie und Proletariat ist das unvermeidbare Durchgangslager aller Elemente der Klasse, die sich hin zu einer Bewusstwerdung entwickeln. Deshalb ist der ”politische Sumpf” eine besondere Zielscheibe der Aktivitäten der Parasiten, mit denen sozusagen ein Wettlauf um die Zeit stattfindet. Auch darf die Organisation nicht erwarten, dass die ”suchenden Elemente” uns ”entdecken”, um Interesse an uns zu finden. Im Gegenteil muss die Organisation sich an diese ”suchenden Elemente” wenden und den Kampf gegen die Bourgeoisie im Sumpf selber führen.

Diese Verstärkung unserer Auffassung vom proletarisch politischen Milieu ist ein Ergebnis der politischen und theoretischen Verstärkung. Der Kongress unterstrich, dass die politisch-theoretische Verstärkung nicht als ein ”abgesondertes” Feld, als ein ”eigenständiger” oder ”zusätzlicher” Aufgabenbereich aufgefasst werden soll. In der gegenwärtigen historischen Lage und ausgehend von den langfristigen Perspektiven der Aktivitäten der revolutionären Organisation ist die politisch-theoretische Verstärkung ein Aspekt, der unsere Aktivitäten, unser Nachdenken und unsere Entscheidungen inspirieren und deren Grundlage darstellen muss.

Die positive Bilanz unserer Aktivitäten stützt sich auf eine klarere Auffassung darüber, dass  Organisationsfragen gegenüber anderen Aspekten unserer Aktivitäten ausschlaggebend sind. Deshalb ist sich die IKS bewusst, dass wir unsere Anstrengungen und unseren Kampf für das Erlangen des ”Parteigeistes” fortsetzen müssen, insbesondere indem wir gegen die Auswirkungen der herrschenden Ideologie auf das militante Engagement ankämpfen müssen. Während der letzten 25 Jahre hat die IKS die Folgen des Bruchs der organischen Kontinuität mit den revolutionären Organisationen der Vergangenheit ertragen müssen. Obgleich wir eine positive Bilanz aus dieser Erfahrung ziehen, wissen wir, dass die Errungenschaften in diesem Bereich nie endgültig sind; vor allem in der Zeit des Zerfalls, wenn die Bemühungen der Organisation, mit Parteigeist zu funktionieren, von den Tendenzen der Gesellschaft des ”jeder für sich”, des Nihilismus, der Irrationalität ständig untergraben werden, was sich in der Organisation durch Phänomene wie Individualismus, Misstrauen, Demoralisierung, Immediatismus, Oberflächlichkeit äußert.

Der 13. Kongress hat die Orientierung der Aktivitäten der IKS (Presse, Vertrieb, öffentliche Diskussionsveranstaltungen und Permanenzen) in die Perspektive eingebettet, dass wir auf der einen Seite von einer Zunahme der zerstörerischen Auswirkungen des Zerfalls ausgehen, auf der anderen Seite aber auch eine Beschleunigung der Geschichte erwarten, die sich durch eine Zuspitzung der Krise des Kapitalismus und wiedererstarkende Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse äußert. Die IKS und mit uns das gesamte proletarische Milieu ist durch diesen Kongress besser gerüstet, um sich den historischen Herausforderungen zu stellen.      

IKS



[i] [19] Revue der Kommunistischen Linken Italiens in den 30er Jahren – siehe unsere Broschüre /Buch ”Die Italienische Kommunistische Linke”

[ii] [19] Siehe unser internationales Flugblatt, das in allen Ländern, wo es IKS-Sektionen gibt, sowie in Kanada, Australien und Russland verteilt wurde. Siehe ebenso den Artikel in dieser Ausgabe zur Intervention der anderen Gruppen des proletarischen politischen Milieus.

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [20]

Deutsche Revolution VIII

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Der Kapp-Putsch 1920

Die Rechten greifen an, die Demokratie fügt den Arbeitern die Niederlage bei

In der Internationalen Revue Nr. 19 haben wir aufgezeigt, dass die Arbeiterklasse 1919 nach dem Scheitern des Januaraufstands in einer Reihe von zerstreuten Kämpfen schwerwiegende Niederlagen hinnehmen musste. Mit der blutrünstigsten Gewalt schlug die herrschende Klasse in Deutschland gegen die Arbeiter zu.

1919 war der Spitze der revolutionären Welle überschritten. Und nachdem die Arbeiterklasse in Russland gegenüber dem Ansturm der konterrevolutionären Truppen, die die demokratischen Staaten gegen Russland organisiert hatten, isoliert blieb, wollte in Deutschland die Bourgeoisie die Arbeiterklasse, die durch die 1919 erlittenen Niederlagen angeschlagen war, weiter angreifen und vollständig auf den Boden werfen.

Die Arbeiterklasse sollte die Kosten des Krieges tragen

Nach dem Desaster des Krieges, als die Wirtschaft dabei war zusammenzubrechen, wollte die herrschende Klasse die Situation ausnutzen, um der Arbeiterklasse die ganzen Kosten des Krieges aufzubürden. In Deutschland waren zwischen 1913 und 1920 die Ernten in der Landwirtschaft und die industrielle Produktion um mehr als die Hälfte gefallen. Von der vorhandenen Produktion sollte noch ein Drittel an die Siegerländer abgeführt werden. In vielen Wirtschaftszweigen brach die Produktion weiter zusammen. Unterdessen schossen die Preise rasant in die Höhe; betrugen die Lebenshaltungskosten 1913 100 Einheiten, waren sie 1920 auf 1.100 Einheiten. Nach dem Hungern im Krieg stand jetzt wieder der Hunger im ‘Frieden’ auf dem Programm. Die Unterernährung dehnte sich weiter aus. Chaos und Anarchie der kapitalistischen Produktion, Verarmung und Hunger in den Reihen der Arbeiter herrschten überall.

Die Bourgeoisie setzt den Versailler Vertrag zur Spaltung der Arbeiterklasse ein

Gleichzeitig wollten die Siegermächte des Westens die deutsche Bourgeoisie als Verlierer des Krieges zur Kasse bitten. Zu dem Zeitpunkt bestanden jedoch große Interessensgegensätze zwischen den Siegermächten.

Während die USA daran interessiert waren, dass Deutschland als Gegenpol gegen England wirken könnte und sich deshalb gegen eine Zerschlagung Deutschlands stellten, wollte Frankreich die möglichst nachhaltigste militärische, wirtschaftliche und territoriale Schwächung und gar eine Zerstückelung Deutschlands. Im Versailler Vertrag (28. Juni 1919) wurde deshalb beschlossen, dass in Deutschland das Militär bis zum 10. April 1920 von 400.000 auf 200.000 Mann, bis 10. Juli auf 100.000 Mann reduziert werden solle. Von 24.000 Offizieren würden nur 4.000 in die neue republikanische Armee, die Reichswehr, übernommen werden. Die Reichswehr fasste diesen Beschluss als eine lebensgefährliche Bedrohung für sie auf und wollte sich mit allen Mitteln dagegen zur Wehr setzen. Unter allen bürgerlichen Parteien – von SPD über Zentrum bis zu den Rechten– herrschte Einigkeit, dass der Versailler Vertrag wegen nationalen Interessen verworfen werden sollte. Nur aufgrund des von den Siegermächten ausgeübten Zwangs beugten sie sich. Gleichzeitig benutzte die Bourgeoisie den Versailler Vertrag dazu, die schon im Krieg vorhandene Spaltung in der internationalen Arbeiterklasse noch weiter zu vertiefen: in Arbeiter der Siegermächte und der Verliererstaaten.

Vor allem große Teile des Militärs fühlten sich durch den Versailler Vertrag bedroht und wollten sofort ihren Widerstand organisieren. Erneut strebten sie einen Krieg mit den Siegermächten an. Dazu musste aber der Arbeiterklasse eine weitere entscheidende Niederlagen schnell beifügt werden.

Aber das Großkapital wollte die Militärs nicht an die Macht kommen lassen. Die SPD hatte bislang an der Spitze des Staates ganze Arbeit geleistet. Seit 1914 hatte sie die Arbeiterklasse gefesselt, in den revolutionären Kämpfen im Winter 1918/1919 die Sabotage und Repression organisiert. Das Kapital brauchte nicht die Militärs, um seine Herrschaft aufrechtzuerhalten, es hatte die Diktatur der Weimarer Republik und setzte weiter auf sie. So schossen von der SPD befehligte Polizeitruppen am 13. Januar 1920 auf eine Massendemo vor dem Reichstag. 42 Tote blieben auf der Strecke. In einer Streikwelle im Ruhrgebiet Ende Februar wurde von der ‘demokratischen Regierung’ die Todesstrafe gegen revolutionäre Arbeiter angedroht.

Als im Februar Teile des Militärs Putschbestrebungen in Gang setzten, wurden diese deshalb nur von wenigen Kapitalfraktionen gestützt. Vor allem der agrarische Osten bildete ihren Stützpunkt, da er besonders stark an einer Rückeroberung durch den Krieg verloren gegangener Gebiete interessiert war.

Der Kapp-Putsch Die Rechten greifen an ...

Dass ein Putschversuch in Vorbereitung war, pfiffen die Spatzen von den Dächern. Aber die SPD-geführte Regierung unternahm zunächst nichts gegen diese Bestrebungen. Am 13. März zog eine ‘Marine-Brigade’ unter dem Kommando des Generals von Lüttwitz in Berlin ein, umstellte das Regierungsgebäude und rief den Sturz der Ebert-Regierung aus. Nachdem Ebert die Generale Seeckt und Schleicher um sich versammelte, um mit ihnen die Niederschlagung des rechtsradikalen Putsches durch die SPD-geführte Regierung zu besprechen, weigerten sich die Militärs, denn wie der oberste Militärchef sagte: ‘Die Reichswehr will keinen ‘Bruderkrieg’ Reichswehr gegen Reichswehr zulassen’.

Die Regierung floh zunächst nach Dresden und dann nach Stuttgart. Zwar erklärte Kapp die bürgerliche Regierung für abgesetzt, aber sie wurde nicht einmal verhaftet. Vor ihrer Flucht nach Stuttgart konnte die Regierung noch einen Aufruf zum Generalstreik erlassen, der ebenfalls von den Gewerkschaften unterstützt wurde, und zeigte damit erneut, wie heimtückisch dieser linke Flügel des Kapitals gegen die Arbeiter vorzugehen verstand.

”Kämpft mit jedem Mittel um die Erhaltung der Republik. Lasst allen Zwist beiseite! Es gibt nur ein Mittel gegen die Diktatur Wilhelm II.:

- Lahmlegung jeden Wirtschaftslebens

- Keine Hand darf sich nicht mehr rühren

- Kein Proletarier darf der Militärdiktatur helfen

- Generalstreik auf der ganzen Linie

- Proletarier vereinigt Euch. Nieder mit der Gegenrevolution.

Die sozialdemokratischen Mitglieder der Regierung: Ebert, Bauer, Noske,

Der Parteivorstand der SPD– O. Wels”

Gewerkschaften und SPD traten sofort für den Schutz der bürgerlichen Republik ein – auch wenn sie dabei eine ‘arbeiterfreundliche Sprache’ benutzten.[i] [21] Kapp erklärte die Nationalversammlung für aufgelöst, kündigte Neuwahlen an und drohte jedem streikenden Arbeiter mit der Todesstrafe.

Die Reaktion der Arbeiterklasse:  Der bewaffnete Abwehrkampf

Die Empörung unter den Arbeitern war riesig. Ihnen war sofort klar, dass es sich um einen Angriff gegen die Arbeiterklasse handelte. Überall entflammte heftigster Widerstand. Natürlich ging es nicht darum, die für abgesetzt erklärte, verhasste Scheidemann-Regierung zu verteidigen, die vorher so blutig gegen die Arbeiterklasse gewütet hatte.

Von der Waterkant über Ostpreußen, Mitteldeutschland, Berlin, Baden-Württemberg, Bayern bis zum Ruhrgebiet, keine Großstadt, in der es nicht Demonstrationen gab, kein Industriezentrum, wo nicht die Arbeiter in den Streik traten und versuchten, Polizeistationen zu stürmen und sich zu bewaffnen. Keine Fabrik, wo es keine Vollversammlung gab, um über den Widerstand zu entscheiden. In den meisten Großstädten fingen die putschistischen Truppen oder die Reichswehr an, auf demonstrierende Arbeiter zu schießen. Dutzende von Arbeitern fielen am 13. und 14. März unter den Schüssen der Putschisten.

In den Industriezentren wurden Aktionsausschüsse, Vollzugsräte, Arbeiterräte gebildet. Die Arbeitermassen strömten auf die Straße.

Seit dem November 1918 war die Mobilisierung der Arbeiter noch nie so stark gewesen.

Überall bäumte sich die heftigste Wut der Arbeiter gegen die rechten Militärs gleichzeitig auf.

Am 13. März, dem Tag des Einmarsches der Kapp-Truppen in Berlin, reagierte die KPD-Zentrale in Berlin mit Abwarten. In einer ersten Stellungnahme riet die KPD-Zentrale noch vom Generalstreik ab, ”Das Proletariat wird keinen Finger rühren für die demokratische Republik ... Die Arbeiterklasse, die gestern noch in Banden geschlagen war von den Ebert-Noske, und waffenlos, .. ist in diesem Augenblick nicht aktionsfähig. Die Arbeiterklasse wird den Kampf gegen die Militärdiktatur aufnehmen in dem Augenblick und mit den Mitteln, die ihr günstig erscheinen. Dieser Augenblick ist noch nicht da ...” Doch die KPD-Zentrale täuschte sich. Die Arbeiter selber wollten nicht abwarten, sondern innerhalb von wenigen Tagen reihten sich mehr Arbeiter in diesen Abwehrkampf ein, als sich seit Beginn der revolutionären Welle in den vielen zerstreuten Bewegungen zuvor mobilisiert hatten. Überall hieß die Parole ‘Bewaffnung der Arbeiter’, ‘Niederschlagung der Putschisten’.

Während 1919 in ganz Deutschland zerstreut gekämpft worden war, hatte der Putsch an vielen Orten die Arbeiterklasse gleichzeitig mobilisiert. Dennoch kam es abgesehen vom Ruhrgebiet kaum zu Kontaktaufnahmen der Arbeiter in den verschiedenen Städten untereinander. Landesweit erhob sich der Widerstand spontan, ohne eine ihn zentralisierende Bewegung.

Das Ruhrgebiet, die größte Konzentration der Arbeiterklasse, war zentrale Zielscheibe der Kappisten gewesen. So wurde das Ruhrgebiet zum Zentrum des Abwehrkampfes. Von Münster aus wollten die Kappisten die Arbeiter im Ruhrgebiet einkesseln. Nur die Arbeiter im Ruhrgebiet bündelten ihre Kämpfe in mehreren Städten und bildeten eine zentrale Streikleitung. Überall werden Aktionsausschüsse gebildet. Es wurden systematisch bewaffnete Arbeiterverbände aufgestellt. Man spricht von 80.000 bewaffneten Arbeitern im gesamten Ruhrgebiet. Dies war die größte militärische Mobilisierung in der Geschichte der Arbeiterbewegung neben dem Abwehrkampf in Russland.

Obwohl der Widerstand der Arbeiter auf militärischer Ebene nicht zentral geleitet wurde, gelang es den bewaffneten Arbeitern, den Vormarsch der Kapp-Putschisten zu stoppen. In einer Stadt nach der anderen konnten die Putschisten verjagt werden. Diese Erfolge hatten die Arbeiter 1919 in den verschiedenen Erhebungen nicht verbuchen können. Am 20. März musste sich das Militär gar aus dem Ruhrgebiet ganz zurückziehen. Am 17. März war Kapp schon zurückgetreten, sein Putsch hatte keine 100 Stunden gedauert. Der Widerstand der Arbeiterklasse hatte ihn zu Fall gebracht.

Ähnlich der Entwicklung ein Jahr zuvor hatten sich die stärksten Widerstandszentren in Sachsen, Hamburg, Frankfurt und München gebildet.[ii] [21] Die machtvollste Reaktion der Arbeiter kam jedoch im Ruhrgebiet zustande.

Während in den anderen Orten Deutschlands die Bewegung nach dem Rücktritt Kapps und dem Scheitern des Putsches sofort wieder stark abflachte, war im Ruhrgebiet mit dem Rücktritt des Putschisten die Bewegung nicht zu stoppen. Viele Arbeiter glaubten, dass man jetzt weitergehen müsse.

Die Grenzen der Reaktion der Arbeiter

Während sich spontan und in Windeseile eine große Abwehrfront der Arbeiter gegen die blutrünstigen Putschisten erhoben hatte, war klar, dass die Frage des Sturzes der Bourgeoisie keineswegs auf der Tagesordnung stand, sondern es ging in den Augen der meisten Arbeiter nur um ein Zurückschlagen eines bewaffneten Angriffs.

Und welcher Schritt der erfolgreichen Abwehr des Putschistenangriffes hätte folgen sollen, war damals unklar.

Abgesehen vom Ruhrgebiet erhoben die Arbeiter in anderen Regionen kaum Forderungen, die der Bewegung der Klasse eine größere Dimension hätte geben können. Solange sich der Druck aus den Betrieben gegen den Putsch richtete, gab es eine einheitliche Linie unter den Arbeitern, aber sobald die putschistischen Truppen niedergeworfen wurden, trat die Bewegung auf der Stelle und suchte ein klares Ziel. Einen Teil des Militärs zurückschlagen, ihn in einer Gegend zum Rückzug zu zwingen, heißt noch nicht, die Kapitalistenklasse gestürzt zu haben,

An verschiedenen Orten gab es Versuche von anarcho-syndikalistisch-rätistischen Kräften, erste Maßnahmen in Richtung Sozialisierung der Produktion in Gang zu setzen, weil man glaubte, nachdem man in einer Stadt die rechtsradikalen Kräfte vertrieben hatte, die Tür zum Sozialismus öffnen zu können. So wurden vielerorts durch die Arbeiter eine Reihe von ‘Kommissionen’ gebildet, die dem bürgerlichen Staat Anweisungen geben wollten, was zu tun sei. Erste Maßnahmen der Arbeiter nach einer erfolgreichen ‘Schlacht’ auf dem Weg zum Sozialismus, erste winzige Ansätze einer Doppelmacht – als solche wurden sie dargestellt. Aber diese Auffassungen sind ein Zeichen der Ungeduld, die in Wirklichkeit von der dringendsten Aufgabe ablenkt. Solche Maßnahmen ins Auge zu fassen, nachdem man nur LOKAL ein günstiges Kräfteverhältnis aufgebaut hat, sind eine große Gefahr für die Arbeiterklasse, weil sich die Machtfrage zunächst für ein ganzes Land und in Wirklichkeit nur international stellt. Deshalb müssen solche Zeichen kleinbürgerlicher Ungeduld und des ‘sofort alles haben wollen’ bekämpft werden.

Während die Arbeiter wegen der Bedrohung durch die Militärs sich sofort militärisch mobilisierten, fehlte jedoch der unabdingbare Druck aus den Fabriken. Ohne den entsprechenden Impuls aus den Betrieben, ohne die Masseninitiative, die auf die Straße drängt und sich in Arbeiterversammlungen äußert, wo gemeinsam die Lage diskutiert wird und Entscheidungen getroffen werden, kann die Bewegung nicht wirklich von der Stelle kommen. Dazu ist aber die größtmögliche Eigeninitiative, das Bestreben nach der Ausdehnung und dem Zusammenschluss der Bewegung erforderlich, was wiederum mit einer tiefgreifenden Bewusstseinsentwicklung verbunden ist, wo die Feinde des Proletariats entlarvt werden.

Deswegen reicht nicht einfach die Bewaffnung und die entschlossene militärische Abwehrschlacht – die Arbeiterklasse selber muss ihr wichtigstes Geschütz auffahren: ihr Bewusstsein über ihre eigenen Rolle, ihre Fähigkeit, sich selbst zu organisieren, vorantreiben. Dazu stehen die Arbeiterräte an zentraler Stelle. Die Arbeiterräte und Aktionsausschüsse, die in den Abwehrkämpfen wieder spontan entstanden waren, waren jedoch noch zu schwach entwickelt, um der Bewegung als Sammelpunkt und als Speerspitze zu dienen.

Hinzu kam, dass die SPD von Anfang an alles unternahm, um gerade ihren Sabotagehebel gegen die Räte anzusetzen. Während die KPD den Schwerpunkt ihrer Intervention auf die Neuwahl der Arbeiterräte setzte, die Initiative in den Räten selber verstärken wollte, blockierte die SPD diese Versuche ab.

SPD und Gewerkschaften: Speerspitze bei der Niederschlagung der Arbeiterklasse

Im Ruhrgebiet saßen wiederum viele SPD-Vertreter in den Aktionsausschüssen und in der zentralen Streikleitung. So versuchte die SPD erneut wie zwischen November 1918 und Ende 1919 die Bewegung sowohl von Innen wie auch von Außen her zu sabotieren, um, sobald die Arbeiter entscheidend geschwächt waren, mit der Repression gegen sie vorzugehen.

Denn nachdem am 17. März Kapp zurückgetreten war und seine Truppen aus dem Ruhrgebiet am 20. März abzogen, und nachdem die ‘geflüchtete’ SPD-geführte Regierung um Ebert-Bauer wieder die Geschäfte übernommen hatte, konnte die Regierung und mit ihr das Militär ihre Kräfte neu gruppieren.

Wieder einmal kamen SPD und Gewerkschaften dem Kapital zu Hilfe. Sie verlangten das sofortige Ende der Kämpfe. Die Regierung stellte ein Ultimatum. Mit großer demagogischer Kunst wollten sie die Arbeiter zum Einstellen der Kämpfe bewegen. Ebert und Scheidemann riefen sofort zur Wiederaufnahme der Arbeit auf: ”Kapp und Lüttwitz sind erledigt, aber junkerliche und syndikalistische Empörung bedrohen noch immer den deutschen Volksstaat. Ihnen gilt der weitere Kampf, bis auch sie sich bedingungslos unterwerfen. Für dieses große Ziel ist die republikanische Front noch inniger und fester zu schließen. Der Generalstreik trifft bei längerer Dauer nicht nur die Hochverräter, sondern auch unsere eigene Front. Wir brauchen Kohlen und Brot zur Fortführung des Kampfes gegen die alten Mächte, deshalb Abbruch des Volksstreiks, dafür aber stets Alarmbereitschaft.”

Gleichzeitig bot die SPD politische Scheinkonzessionen an, mit deren Hilfe sie der Bewegung die Spitze brechen wollte. So versprach sie ”mehr Demokratie” in den Betrieben, einen ”entscheidenden Einfluss auf die Neuregelung der wirtschaftlichen und sozialen Gesetzgebung” und die Säuberung der Verwaltung von putschfreundlich gesinnten Kräften. Vor allem die Gewerkschaften legten sich ins Zeug, damit ein Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Im sogenannten Bielefelder Abkommen wurden dann Konzessionen versprochen, die aber nur ein Vorwand sein konnten, um nach dem Bremsen der Bewegung um so heftiger die Repression zu organisieren

Gleichzeitig wurde wieder mit der ‘ausländischen Intervention’ gedroht. Sollte es zu einer weiteren Ausdehnung der Kämpfe kommen, würden ausländische Truppen – vor allem die USA – eingreifen. Lebensmittellieferungen aus Holland an die hungernde Bevölkerung wurden von den Militärs unterbunden.

So sollten SPD und Gewerkschaften wieder zum Drahtzieher der Repression gegen die Arbeiter werden. Dieselbe SPD, deren Minister einige Tage zuvor noch, am 13. März, zum Generalstreik gegen die Putschisten aufgerufen hatten, nahmen jetzt wieder die Zügel in die Hand für die Repression. Denn während die ‘Waffenstillstandsverhandlungen’ stattfanden, die Regierung scheinbare Konzessionen machte, war die volle Mobilisierung der Reichswehr in Absprache mit der SPD schon im Gange. So gingen viele Arbeiter von der fatalen Illusion aus, da man Regierungstruppen vor sich habe, die der ‘demokratische Staat’ der Weimarer Republik gegen die Putschisten geschickt habe, würden diese keine Kampfhandlungen gegen die Arbeiter unternehmen. So rief das Verteidigungskomitee in Berlin-Köpenick die Arbeiterwehren dazu auf, den Kampf einzustellen. Nach dem Einzug der ‘regierungstreuen Truppen’ wurden sofort Standgerichte gebildet, deren Wüten sich in nichts von dem blutrünstigen Vorgehen der Freikorps ein Jahr zuvor unterschied. Jeder, der im Besitz von Waffen war, wurde sofort erschossen. Tausende Arbeiter wurden misshandelt, gefoltert und erschossen und unzählige Frauen vergewaltigt. Man spricht von mehr als 1.000 ermordeten Arbeitern allein im Ruhrgebiet.

Es waren die Truppen des frisch gegründeten demokratischen Staates, die gegen die Arbeiterklasse geschickt wurden.

Und während die Schergen der Putschisten es nicht geschafft hatten, die Arbeiter zu Boden zu werfen, sollten dies die Henker der Demokratie bewerkstelligen.

Seit dem 1. Weltkrieg sind alle bürgerlichen Parteien reaktionär und Todfeinde der Arbeiterklasse

In der dekadenten Phase des Kapitalismus hat die Arbeiterklasse seitdem diese Erkenntnis immer wieder gewinnen müssen: Es gibt keine Fraktion der herrschenden Klasse, die weniger reaktionär oder der Arbeiterklasse gegenüber weniger feindselig eingestellt ist. Im Gegenteil: Die linken Kräfte, wie die SPD es wieder einmal unter Beweis stellen sollte, sind nur noch hinterlistiger und heimtückischer in ihren Angriffen gegen die Arbeiter.

Im dekadenten Kapitalismus gibt es keine Fraktion der Bourgeoisie, die noch irgendwie fortschrittlich und unterstützungswert wäre. Deshalb sollten die Illusionen über die Sozialdemokratie in Wirklichkeit mit dem Blut der Arbeiterklasse bezahlt werden. Bei der Niederschlagung der Bewegung gegen den Kapp-Putsch zeigte die SPD erneut ihre ganze heimtückische List, wie sie im Dienste des Kapitals handelt.

Einmal trat sie als ”radikaler Vertreter der Arbeiter” auf. Nicht nur schaffte sie es, die Arbeiter zu täuschen, sondern auch die Arbeiterparteien ließen sich durch die SPD Sand in die Augen streuen. Denn während die KPD laut und deutlich vor der SPD auf Reichsebene warnte, vorbehaltlos den bürgerlichen Charakter ihrer Politik aufzeigte, wurde sie vor Ort selber Opfer der Heimtücke der SPD. Denn in den verschiedenen Städten unterzeichnete die KPD mit der SPD Aufrufe zum Generalstreik:

In Frankfurt z.B. riefen SPD, USPD und KPD dazu auf: ”Nun gilt es den Kampf aufzunehmen, nicht zum Schutze der bürgerlichen Republik, sondern zur Aufrichtung der Macht des Proletariats. Verlaßt sofort die Betriebe und die Büros!”

In Wuppertal beschlossen die Bezirksleitungen von SPD, USPD und KPD den Aufruf: ”Der einheitliche Kampf muss geführt werden mit dem Ziel:

1. Erringung der politischen Macht durch die Diktatur des Proletariats, bis zur Festigung des Sozialismus auf der Grundlage des reinen Rätesystems.

2. Sofortige Sozialisierung der dazu reifen Wirtschaftsbetriebe.

Dieses Ziel zu erreichen, rufen die unterzeichneten Parteien (USPD, KPD, SPD) dazu auf, am Montag, den 15. März, geschlossen in den Generalstreik zu treten ...”

Die Tatsache, dass KPD und USPD die wahre Rolle der SPD hier nicht entblößten, sondern der Illusion einer möglichen Einheitsfront mit dieser Partei Vorschub leisteten, die die Arbeiterklasse verraten hatte und der soviel Blut an den Fingern wegen der von ihr organisierten Repression gegen die Arbeiter klebte, sollte für die Arbeiterklasse verheerende Auswirkungen haben.

Die SPD wiederum zog in Wirklichkeit alle Fäden der Repression gegen die Arbeiter. Sie sorgte sofort nach Rückzug der Putschisten mit Ebert an der Regierungsspitze dafür, dass die Reichswehr einen neuen Chef – von Seeckt – bekam, der sich als ausgekochter Militär einen Ruf als Henker der Arbeiterklasse verdient hatte. Mit grenzenloser Demagogie stachelte das Militär den Hass gegen die Arbeiter an: ”Während der Putschismus von rechts zerschlagen abtreten muss, erhebt der Putschismus von links aufs neue das Haupt (..). wir führen die Waffen gegen jeden Putsch.” So wurden die Arbeiter, die gegen die Putschisten gekämpft hatten, als die eigentlichen Putschisten beschimpft. ”Lasst euch nicht irremachen durch bolschewistische und spartakistische Lügen. Bleibt einig und stark. Macht Front gegen den alles vernichtenden Bolschewismus. Im Namen der Reichsregierung: von Seeckt und Schiffer.”

Das wirkliche Blutbad gegen die Arbeiter übte die Reichswehr aus, die von der SPD dirigiert wurde. Es rückte die ‘demokratische Armee’, die Reichswehr gegen die Arbeiter vor, die Kappisten hatten längst die Flucht ergriffen!

Die Schwäche der Revolutionäre – für die Arbeiterklasse fatal

Während die Arbeiterklasse sich mit großem Heldenmut dem Angriff der Militärs entgegenwarf und nach einer weiteren Orientierung für ihre Kämpfe suchte, hinkten die Revolutionäre selbst der Bewegung hinterher. So wurde das Fehlen einer starken Kommunistischen Partei zu einer der entscheidenden Ursachen des erneuten Rückschlags, den die proletarische Revolution in Deutschland erleiden sollte.

Wie wir in früheren Artikeln aufgezeigt haben, war die KPD durch den Ausschluss ihrer Opposition auf dem Heidelberger Parteitag im Oktober 1919 entscheidend geschwächt worden, und im März 1920 gab es in Berlin gerademal einige Hundert Mitglieder, die Mehrzahl der Mitglieder war ausgeschlossen worden.

Zudem lastete über der Partei das Trauma der verheerenden Fehler der Revolutionäre aus der blutigen Januarwoche 1919, als die KPD nicht geschlossen die Falle, die die Bourgeoisie für die Arbeiter aufgestellt hatte, aufdecken und die Arbeiter nicht daran hindern konnte, in diese zu laufen.

So schätzte die KPD jetzt am 13. März das Kräfteverhältnis falsch ein, denn sie meinte, es sei zu früh zum Zurückschlagen. Fest stand, dass die Arbeiterklasse gegenüber einer Offensive der Bourgeoisie nicht die Wahl des Zeitpunktes hatte, und die Abwehrbereitschaft der Arbeiter war groß. In dieser Lage war die Orientierung der Partei vollkommen richtig: ”Sofortiger Zusammentritt in allen Betrieben zur Neuwahl von Arbeiterräten. Sofortiger Zusammentritt der Räte zu Vollversammlungen, die die Leitung des Kampfes zu übernehmen und die über die nächsten Maßnahmen zu beschließen haben. Sofortiger Zusammentritt der Räte zu einem Zentralkongreß der Räte. Innerhalb der Räte werden die Kommunisten kämpfen: für die Diktatur des Proletariats, für die Räterepublik ...” (15. März 1920).

Aber nachdem die SPD nach dem 20. März die Zügel der Regierungsgeschäfte wieder in die Hand genommen hatte, erklärte die KPD-Zentrale am 21. März 1920:

”Für die weitere Eroberung der proletarischen Massen für den Kommunismus ist ein Zustand, wo die politische Freiheit unbegrenzt ausgenützt werden, wo die bürgerliche Demokratie nicht als die Diktatur des Kapitals auftreten könnte, von der größten Wichtigkeit für die Entwicklung in der Richtung zur proletarischen Diktatur.

Die KPD sieht in der Bildung einer sozialistischen Regierung unter Ausschluß von bürgerlich-kapitalistischen Parteien einen erwünschten Zustand für die Selbstbetätigung der proletarischen Massen und ihr Heranreifen für die Ausübung der proletarischen Diktatur.

Sie wird gegenüber der Regierung eine loyale Opposition treiben, solange diese Regierung die Garantien für die politische Betätigung der Arbeiterschaft gewährt, solange sie die bürgerliche Konterrevolution mit allen ihr zu Gebot stehenden Mitteln bekämpft und die soziale und organisatorische Kräftigung der Arbeiterschaft nicht hemmen wird” (21. März 1920, Zentrale der KPD).

Wenn die KPD der SPD gegenüber eine ‘loyale Opposition’ versprach, was erwartete sie von dieser? War es nicht die gleiche SPD gewesen, die während des Krieges und seit Beginn der revolutionären Welle alles unternommen hatte, um die Arbeiter zu täuschen, sie an den Staat zu binden und immer wieder kaltblütig die Repression organisiert hatte!

Indem die KPD-Zentrale diese Haltung einnahm, ließ sie sich auf das gefährlichste durch die Manöver der SPD täuschen.

Wenn die Avantgarde der Revolutionäre sich schon so irreführen ließen, war es nicht verwunderlich, dass unter den Massen der Arbeiter die Illusionen über die SPD noch größer waren!

Diese Politik der Einheitsfront ‘von unten’, die im März 1920 von der KPD-Zentrale schon praktiziert wurde, sollte dann von der Komintern Zug um Zug übernommen werden. Die KPD hatte damit einen tragischen Anfang gesetzt.

Für die aus der KPD im Oktober 1919 ausgeschlossenen Genossen sollten die Fehler der KPD-Zentrale dann der Anlass sein, nur kurze Zeit später, Anfang April 1920, in Berlin die KAPD zu gründen.

Wieder einmal hatte die Arbeiterklasse in Deutschland heldenhaft gegen das Kapital gekämpft. Während international die Kampfeswelle schon stärker abgeklungen war, hatte sich die Arbeiterklasse in Deutschland ein weiteres Mal den Angriffen des Kapitals entschlossen entgegengeworfen. Aber erneut musste die Arbeiterklasse ohne eine wirklich schlagkräftige Organisation an ihrer Seite auskommen.

Das Zögern und die politischen Fehler der Revolutionäre in Deutschland verdeutlichen, wie schwerwiegend die Unklarheit und das Versagen einer revolutionären Organisation ins Gewicht fällt.

Diese von der Bourgeoisie angezettelte Provokation nach dem Kapp-Putsch endete leider in einer neuen und schwerwiegenden Niederlage der Arbeiterklasse in Deutschland. Trotz des heldenhaften Mutes und der Entschlossenheit, mit der sich die Arbeiter in den Kampf stürzten, mussten die Arbeiter erneut ihre weiterhin bestehenden Illusionen über die SPD und die bürgerliche Demokratie teuer bezahlen. Durch die chronische Schwäche ihrer revolutionären Organisation politisch gehandikapt, durch die Politik und das heimtückische Vorgehen der Sozialdemokratie getäuscht, erlitten sie eine Niederlage und wurden schließlich nicht den Kugeln der rechtsextremen Putschisten ausgeliefert, sondern der sehr demokratischen Reichswehr, die unter dem Befehl der SPD-geführten Regierung stand.

Aber diese neue Niederlage des Proletariats in Deutschland war vor allem ein Schlag gegen die weltweite revolutionäre Welle, wodurch Sowjetrussland noch weiter in die Isolation geriet.

Dv



[i] [21] Die Frage ist bis heute ungeklärt, ob es sich nicht um eine gezielte Provokation gehandelt hat, wo es eine Absprache zwischen den Militärs und Regierung gab. Man kann keinesfalls als ausgeschlossen betrachten, dass die herrschende Klasse einen Plan hatte, um die Putschisten als provozierenden Faktor einzusetzen nach dem Konzept: die ‘Rechten’ locken die Arbeiter in die Falle, die ‘demokratische’ Diktatur schlägt dann zu!

[ii] [21] In Mitteldeutschland trat zum ersten Mal Max Hoelz in Erscheinung, der durch die Organisierung von bewaffneten Kampfverbänden der Arbeiter Polizei und Militär viele Gefechte lieferte, bei seinen Aktionen in Geschäften Waren beschlagnahmte und sie an Arbeitslose verteilte. Wir werden in einem späteren Artikel erneut auf ihn zurückkommen.

Theorie und Praxis: 

  • Deutsche Revolution [4]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [22]

Internationale Revue 24 - Editorial

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Timor, Tschetschenien...Kapitalismus heisst Chaos und Barbarei

Nach Kosovo Osttimor, nach Timor Tschetschenien. Das Blut aus den einen Massakern ist noch nicht vertrocknet, da gibt es schon neue Blutbäder an anderen Orten der Erde. Gleichzeitig liegt der afrikanische Kontinent immer mehr in seinem Todeskampf: neben den chronischen Kriegen, die jeden Tag Eritrea,  Sudan, Somalia, Sierra Leone, Kongo und viele andere Länder mehr ausbluten, hat es wieder Massaker in Burundi sowie Zusammenstöße zwischen den beiden “befreundeten” Staaten Ruanda und Uganda gegeben, während gleichzeitig der Krieg in Angola wieder aufflammt. Von den Verheißungen des amerikanischen Präsidenten Bush, der genau vor 10 Jahren beim Zusammenbruch des Ostblocks versprach, es werde eine “neue Weltordnung des Friedens und des Wohlstands” geben, keine Spur. Der einzige Frieden, der im letzten Jahrzehnt weiter vorangeschritten ist, ist der der Friedhöfe.

Jeden Tag wird das Versinken der kapitalistischen Gesellschaft im Chaos, ihre Fäulnis immer deutlicher.

Timor und Tschetschenien: Zwei Ausdrücke der Zerfallserscheinungen des Kapitalismus

In Ost-Timor sind die Massaker (Tausende von Toten) und die Zerstörungen (in bestimmten Gebieten sind 80-90% der Häuser verbrannt) nichts Neues. Nachdem Portugal Ost-Timor im Mai 1975 in seine Unabhängigkeit entlassen hatte, waren eine Woche später die indonesischen Truppen einmarschiert, um es zur 27. Provinz Indonesiens zu erklären. Damals hatten die Massaker und Hungersnöte 200.000-300.000 Tote hinterlassen, und das bei einer Gesamtbevölkerungszahl von weniger als einer Million Menschen. Aber die Ereignisse in Ost-Timor sind keine bloße Neuauflage der Ereignisse von 1975. Damals gab es schon sehr viele, oft mörderische Konflikte (der Vietnamkrieg wurde erst 1975 beendet). Aber die systematische Ausrottung von Zivilbevölkerungen aufgrund ethnischer Zugehörigkeit war damals noch eine Ausnahme, während sie heute zur Regel geworden ist. Die Massaker an den Tutsis 1994 in Ruanda waren keine “afrikanische” Besonderheit, die auf die Unterentwicklung dieses Kontinentes zurückzuführen gewesen wären. Die gleiche Tragödie hat vor einigen Monaten im Herzen Europas, im Kosovo, stattgefunden. Und wenn es heute in Timor zur Wiederholung solcher barbarischer Taten kommt, dann muss man diese als einen Ausdruck der gegenwärtigen Barbarei des Kapitalismus und des Chaos verstehen, in das dieses System versinkt, und nicht als eine Besonderheit dieses Landes, das auf eine gescheiterte Entkolonialisierung vor 25 Jahren zurückzuführen wäre.

Die Tatsache, dass die gegenwärtige Phase sich deutlich von der vor dem Zusammenbruch des Ostblocks abhebt, wird in dem jetzigen Krieg klar deutlich, der heute Tschetschenien verwüstet. Vor 10 Jahren hatte die UdSSR innerhalb weniger Wochen ihren imperialistischen Block verloren, den sie zuvor vier Jahrzehnte lang mit eiserner Hand beherrscht hatte. Aber da dieser Zusammenbruch des Blocks an erster Stelle auf eine Wirtschaftskrise und eine katastrophale Politik seiner Führungsmacht zurückzuführen war, was wiederum zu einer völligen Lähmung der UdSSR führte, war das Auseinanderbrechen der UdSSR auch vorprogrammiert gewesen: die baltischen, kaukasischen, zentralasiatischen Republiken und selbst die Osteuropas (Ukraine und Weissrussland) wollten dem Beispiel Polens, Ungarns, Ostdeutschlands, der Tschecholoswakei usw. folgen. 1992 war das Spiel vorbei und Russland stand allein auf weiter Flur. Aber Russland selbst, das aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzt ist, fing an, Opfer des gleichen Prozesses des Auseinanderbrechens zu werden, wie der Krieg in Tschetschenien zwischen 1994-96 vor Augen führte. Dieser Krieg, in dem mehr als 100.000 Tote auf beiden Seiten zu beklagen und die größten Städte zerstört worden waren, endete in einer russischen Niederlage und der Unabhängigkeit Tschetscheniens.

Der Einmarsch islamischer Truppen des tschetschenischen Chamil Bassajew und seiner Konsorten um den Jordanier Khattab im Monat August in Dagestan lieferten den Auftakt zu einem neuen Krieg in Tschetschenien. Dieser neue Krieg kristallisiert die Erscheinungen des kapitalistischen Zerfalls, welcher den gesamten Kapitalismus erfasst.[i] [23]

Einerseits ist er ein Ergebnis des Zusammenbruchs der UdSSR, der selbst wiederum der tiefstgreifende Ausdruck der Zerfallsphase der bürgerlichen Gesellschaft ist. Andererseits wird dadurch der Aufstieg des islamischen Fundamentalismus ersichtlich, der ebenso in vielen Ländern (Iran, Afghanistan, Algerien usw.) die Fäulnis des Systems zeigt, und deren Gegenstück in den entwickelten Staaten die Zunahme der Gewalt in den Städten, der Drogensucht und des Sektenwesens ist.

Wenn es darüber hinaus zutrifft, dass Bassajew und seine Clique – wie von vielen behauptet (dies ist gar ziemlich wahrscheinlich) – von dem Mafia-Milliardär Berezovski, der grauen Eminenz Jelzins finanziert werden, oder dass die Explosionen in Moskau im September auf die Machenschaften der russischen Geheimdienste zurückzuführen sind, dann wären dies nur weitere Erscheinungen des Zerfalls des Kapitalismus, die sich auch nicht auf Russland beschränken. Der Terrorismus wird von den bürgerlichen Staaten selber immer häufiger eingesetzt (und nicht nur von kleinen unkontrollierten Gruppen); zudem häuft sich immer mehr die Korruption. Auch wenn die russischen “Geheimdienste” nicht hinter den Attentaten steckten, wurden diese von der Staatsgewalt ausgenutzt, um den Fremdenhass in Russland zu schüren und den neuen Krieg gegen Tschetschenien zu rechtfertigen. Dieser Krieg wurde von allen Kreisen der politischen Klasse Russlands (mit Ausnahme von Lebed, der das Abkommen von Kassaviur im August 1996 mit Tschetschenien unterschrieb) gewollt, angefangen von den Stalinisten um Siuganow bis hin den zu den “Demokraten” des Bürgermeisters von Moskau. Obwohl breite Teile des politischen Apparates Russlands Klage führen über Korruption und Unfähigkeit der Jelzin-Clique, unterstützen sie deren Flucht nach vorne in ein Abenteuer, das die wirtschaftliche und politische Katastrophe nur noch verschlimmern kann. Das spricht dies Bände.

Der Zynismus und die Heuchelei der “Demokratien”

Vor einigen Monaten war die militärische Offensive der NATO-Verbände in Jugoslawien mit dem Feigenblatt der “humanitären Einmischung” verdeckt worden. Nur dank einer intensiven Medienpropaganda, die unaufhörlich Bilder vom Elend der kosovarischen Flüchtlinge und der Massengräber vermittelte, die nach dem Rückzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo entdeckt worden waren, konnte gegenüber der Bevölkerung in den NATO-Staaten die Tatsache übertüncht werden, dass diese militärische Intervention als erste Konsequenz die Auslösung “ethnischer Säuberungen” der Milizen Milosevics gegen die Albaner in dieser Provinz zur Folge hatte.

Heute erreicht die Heuchelei mit den Ereignissen in Osttimor eine neue Stufe. Als diese Region 1975-76 von den Truppen Suhartos besetzt wurde, wobei ca. ein Drittel der Bevölkerung umgebracht wurde, hatten sich die Medien und die westlichen Regierungen noch wenig um diese Tragödie gekümmert. Auch wenn die Vollversammlung der UNO diese Annexion nicht anerkannte, unterstützen die westlichen Großmächte Suharto vorbehaltlos, da sie in ihm den Garanten der westlichen Ordnung in diesem Teil der Welt sahen.[ii] [24] Natürlich ragten die USA insbesondere durch ihre Waffenlieferungen und die Ausbildung der indonesischen Kampftruppen (welche die gegen die Unabhängigkeit kämpfenden Milizen organisierten, wobei sie aus den Reihen der timoresischen Gangster Leute rekrutierten) und durch ihre Unterstützung der Henker im Timor heraus. Aber sie waren nicht die einzigen, da Frankreich und Großbritannien auch ihre Waffenlieferungen fortsetzten (die Elitetruppen Indonesiens waren vom britischen “Secret Action Service” ausgebildet worden). Das Land, das heute als der “Retter” der Bevölkerung Osttimors dargestellt wird,  Australien, hatte damals als einziger Staat die Annexion Osttimors anerkannt (wofür es 1981 mit der Beteiligung an der Ausbeutung der Ölvorkommen an der Küste Timors belohnt wurde). Vor kurzem noch hat Australien ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit unterzeichnet, das insbesondere gegen den Terrorismus gerichtet ist – zu denen natürlich die Unabhängigkeitsguerilla Osttimors zählte.

Heute bemühen sich alle Medien, die Barbarei zu entblößen, deren Opfer die Bevölkerung Osttimors wurde, nachdem diese mehrheitlich für die Unabhängigkeit gestimmt hatte. Und dieser Medienrummel hat natürlich die Zustimmung zum Eingreifen der UN-Interventionskräfte unter australischem Kommando erhöht. Wie im Kosovo ging die Kampagne zum “Schutz der Menschenrechte” der bewaffneten Intervention voraus.

Erneut brachten die Militärs die humanitären Organisationen (die ganze Heerschar von NGO) in ihrem Gepäck mit, womit die Lüge gerechtfertigt werden sollte, das bewaffnete Eingreifen verfolge kein anderes Ziel als die Verteidigung von Menschenleben (und sicherlich nicht die Verteidigung imperialistischer Interessen).

Aber die Massaker an den Albanern im Kosovo waren vorhersehbar (und von der NATO gewünscht, um im nachhinein ihre Intervention zu rechtfertigen). Das Massaker an der Bevölkerung Osttimors war nicht nur vorhersehbar, sondern offen von den Tätern, den pro-indonesischen Milizen, angekündigt worden. Trotz all der Warnungen hat die UNO ohne Bedenken die Vorbereitung des Referendums zur Unabhängigkeit vom 30. August unterstützt, womit die Bevölkerung Osttimors den angekündigten Massakern ausgeliefert wurde.

Als die Verantwortlichen der UNO befragt wurden, warum sie so sorglos gewesen waren, antwortete einer ihrer Verantwortlichen ganz ruhig: “Die UNO stellt nur die Summe ihrer Mitglieder dar.”[iii] [25] Und in der Tat wirkte der Verlust der Glaubwürdigkeit der UNO zugunsten der USA. Nach dem Ende des Kosovo-Krieges, wo eine von der NATO ausgelöste Bombardierung mit einer Verstärkung der UNO endete, die immer mehr der Kontrolle der USA entweicht, nachdem sich eine wachsende Zahl von Ländern, insbesondere Frankreich, der Vorherrschaft der USA entgegenstellt, suchten die USA nach einer Gelegenheit, um dieser Entwicklung gegenzusteuern.

Die Position der USA war übrigens mehrfach von den wichtigsten US-Führern herausgestrichen worden:

“Es kommt nicht in Frage, kurzfristig UNO-Truppen zu schicken, die Indonesier müssen selber wieder die Kontrolle über die verschiedenen Teile der Bevölkerung erlangen.” (Peter Burleigh, Stellvertretender US-Botschafter bei der UNO)[iv] [26] Das ließ sich leicht sagen, solange mehr als offensichtlich war, dass die Gegner der Unabhängigkeit im Solde der indonesischen Armee standen. “Auch wenn wir Belgrad bombardiert haben, brauchen wir jetzt nicht Dili bombardieren.” (Samuel Berger, Leiter des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus) “Osttimor ist nicht das Kosovo.” (James Rubin, Sprecher des Außenministeriums)[v] [27]

Diese Aussagen zeigen zumindest die Heuchelei und Doppelzüngigkeit Clintons, der einige Monate zuvor am Ende des Kosovokrieges herausposaunt hatte: “Ob Ihr in Afrika, Mitteleuropa oder woanders lebt, wenn jemand ein massives Verbrechen gegen die unschuldige Zivilbevölkerung begehen will, muss er wissen, dass wir ihn - wenn wir können – daran hindern werden.”[vi] [28]

Die die Intervention ablehnende Haltung der USA kann nicht nur durch den Willen der USA erklärt werden, der UNO das Maul zu stopfen. Abgesehen davon, dass die erste Weltmacht nicht die “Gefühle” ihres treuen Verbündeten in Jakarta verletzen wollte (mit dem sie noch am 25. August gemeinsame Manöver unter dem Motto “Humanitäre und Hilfsoperationen in Notfällen” durchgeführt hatten), wollten sie die Polizeioperation des indonesischen Staates unterstützen, als dieser durch die Milizen Massaker an der Zivilbevölkerung ausüben ließ. Auch wenn die indonesische Armee (die die wichtigsten Zügel der Macht in den Händen hält) wusste, dass sie in Osttimor nicht endgültig die Kontrolle aufrechterhalten konnte (deshalb stimmte sie dem Einsatz von Interventionstruppen der UNO zu), verfolgte sie mit den Massakern, die von ihr nach dem Referendum ausgeübt wurden, das Ziel, eine Warnung an all diejenigen auszusprechen, die in diesem gewaltigen Inselreich weiter Unabhängigkeitsbestrebungen zeigen würden. Die Bevölkerung in Nordsumatra, auf Sulawesi oder den Molukken, die durch nationalistische Bewegungen in Versuchung geraten könnte, sollte gewarnt werden. Und dieses Ziel der indonesischen Bourgeoisie wurde von den Bourgeoisien der anderen Staaten der Region (Thailand, Burma, Malaysia) voll mitgetragen, die auch mit Problemen ethnischer Minderheiten konfrontiert sind. Es wird ebenso von einem Teil der amerikanischen Bourgeoisie unterstützt, die über die Destabilisierung in der Region besorgt ist, nachdem die Lage schon in anderen Teilen der Welt so instabil geworden ist.

Bei der Operation “Wiederherstellung der Ordnung” in Osttimor – die unbedingt stattfinden musste, um nicht die in den letzten Jahren uns so stark eingetrichterte “humanitäre” Ideologie zu gefährden – haben die USA die Arbeit Australien übertragen. Damit ergab sich für sie der Vorteil, sich nicht direkt gegenüber Indonesien zu kompromittieren, wobei ihr treuester und solidester Verbündeter in der Region gleichzeitig an Stärke gewinnen konnte. Denn für Australien war dies auch eine gute Gelegenheit, seinen Bedürfnissen nach Verstärkung seiner imperialistischen Positionen in der Region nachzukommen (selbst auf Kosten eines vorübergehenden Streits mit Indonesien). Für die USA geht es als Weltmacht grundsätzlich darum, in dieser Region durch Stellvertreter eine starke Präsenz aufrechtzuerhalten, denn sie wissen, dass der allgemeine Trend der imperialistischen Spannungen in der heutigen geschichtlichen Situation die Gefahr in sich birgt, dass der Einfluss der anderen beiden Großmächte, die in der Region eine Rolle beanspruchen könnten, Japan und China, zunehmen könnte.

Diese gleiche geostrategische Sorge erklärt die gegenwärtige Haltung der USA und der anderen Großmächte gegenüber dem Tschetschenien-Krieg. In dieser Region wird die Zivilbevölkerung jeden Tag mehr durch die Bombardierung der russischen Luftwaffe abgeschlachtet. Die Zahl der Flüchtlinge übersteigt schon mehrere Hunderttausend, Zehntausende Familien obdachlos geworden,  und das auf dem Hintergrund des bald hereinbrechenden Winters. Gegenüber dieser seit Wochen andauernden “humanitären” Katastrophe äußern sich die westlichen Führer nicht. Clinton zeigte sich “besorgt” über die Lage in Tschetschenien und Laurent Fabius, Präsident der französischen Nationalversammlung, behauptet ganz unverblümt, dass man sich gegen alle Unabhängigkeitsbestrebungen innerhalb der Russischen Föderation wenden solle: “Frankreich unterstützt die territoriale Integrität der russischen Föderation  und verurteilt den Terrorismus, die Destabilisierungsversuche, den Fundamentalismus, die alle Gefahren für die Demokratie sind.”[vii] [29]

Obgleich die Medien weiter einen auf “humanitär” machen, gibt es eine Übereinkunft auch zwischen den Ländern, die oft anderswo aufeinanderprallen (wie Frankreich und die USA), Russland keine Schwierigkeiten zu machen und es ihm zu erlauben, weiter Massaker auszuüben. Tatsächlich sind alle Teile der westlichen Bourgeoisie daran interessiert, eine neue Zuspitzung des Chaos zu verhindern, in das das größte Land der Welt, das zwischen zwei Kontinenten liegt, immer mehr versinkt, und das im übrigen noch immer Tausende von Atomsprengköpfen besitzt.

An den beiden Enden des gewaltigen asiatischen Kontinentes, der der bevölkerungsreichste der Erde ist, steht die Weltbourgeoisie einem wachsenden Chaos gegenüber. Dieser Kontinent war schon im Sommer 1997 durch die brutalen Angriffe der Krise erschüttert worden, wodurch die politischen Verhältnisse in einigen Ländern destabilisiert wurden, wie im Falle Indonesiens besonders deutlich wurde (das zwar kein Teil des asiatischen Festlandes ist, aber in unmittelbarer Nähe liegt). Gleichzeitig sind andere, das Chaos beschleunigende Faktoren  hinzugekommen, insbesondere durch die Zuspitzung  traditioneller Konflikte wie der zwischen Indien und Pakistan Anfang 1999. Das langfristige Risiko, vor denen der gesamte asiatische Kontinent steht, ist die von  Explosion von Widersprüchen, wie zur Zeit im Kaukasus sichtbar, die Entwicklung einer ähnlichen Lage wie in Afrika, aber natürlich mit viel katastrophaleren Konsequenzen für die gesamte Welt.

Das sich immer weiter ausbreitende Chaos ruft natürlich große Sorgen unter allen Teilen der Weltbourgeoisie hervor, insbesondere unter den Führern der Großmächte. Aber diese Sorge bleibt hilflos. Die Absicht, ein Mindestmaß an Stabilität zu bewahren, gerät ständig in Konflikt mit den widersprüchlichen Interessen der verschiedenen nationalen Teile der herrschenden Klasse. So verhalten sich die fortgeschrittenen Länder, die “großen Demokratien” meisten als feuerlegende Feuerwehrleute, die eingreifen, um eine Lage zu “stabilisieren”, die sie selbst haben chaotisch werden lassen (wie man insbesondere im ehemaligen Jugoslawien erkennen konnte oder heute in Osttimor).

Aber das sich auf der imperialistischen Bühne ausdehnende Chaos ist nur ein Ausdruck des allgemeinen Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft. Dieser Zerfall hat seine Wurzeln in der Unfähigkeit der herrschenden Klasse auch nur irgendeine Lösung für die unüberwindbare Wirtschaftskrise zu finden – selbst ein Weltkrieg, in den sie 1914 und 1939 die Welt gestürzt hatte, ist heute nicht möglich. Dieser Zerfall äußert sich durch ein langsames Verfaulen der gesamten Gesellschaft. Und dieser Zerfall ist nicht beschränkt auf die rückständigen Länder, sondern er erfasst auch die großen bürgerlichen Metropolen. Dies belegen der schreckliche Eisenbahnunfall am 5. Oktober in London, Hauptstadt des ältesten kapitalistischen Zentrums der Welt (also keineswegs eines 3.Welt-Landes) wie auch der Unfall im AKW am 30. September in Tokaimura in Japan, einem Land, das den Ruf von “Qualität” und “technischer Makellosigkeit” genoss. Dieser Zerfall wird nur dann zu Ende gebracht werden können, wenn der Kapitalismus selber überwunden ist. Dies kann nur durch die Arbeiterklasse geschehen, wenn sie dieses System überwindet, das heute gleichbedeutend ist mit Chaos und Barbarei.

Fabienne (10/10/99)


[i] [30] Für eine vertiefte Analyse des Zerfalls des Kapitalismus siehe unseren Artikel in “Internationale Revue” Nr. 10 & 13.

[ii] [31] Der Staatsstreich Suhartos 1965 gegen Sukarno, der als den “sozialistischen” Ländern zu nahestehend bezichtigt wurde, wurde mit US-amerikanischer Hilfe durchgeführt. Die US-Regierung war besonders froh darüber, dass ihre Hilfe für die indonesische Armee “diese ermutigt hatte, gegen die Kommunistische Partei vorzugehen, als sich die Gelegenheit dazu bot.” (so die Aussage Mac Namaras, damaliger Chef des Pentagons).

[iii] [32] Le Monde, 16.9.1999

[iv] [33] Libération 5.9.1999

[v] [34] Le Monde 14.9.1999

[vi] [35] Le Monde 16.9.1999

[vii] [36] Le Monde 7.10.1999

Organisationsfrage: Sind wir "Leninisten" geworden? (Teil II)

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Im ersten Teil dieses Artikels sind wir auf die Anschuldigung eingegangen, dass wir ”Leninisten” geworden seien und unsere Position bezüglich der Organisationsfrage geändert hätten. Wir haben gezeigt, dass der ”Leninismus” nicht nur unseren Prinzipien und politischen Positionen widerspricht, sondern auch auf die Zerstörung der historischen Einheit der Arbeiterbewegung abzielt. Insbesondere verwirft er den Kampf der marxistischen Linken zuerst inner-, später außerhalb der II. sowie der III. Internationale. Er hetzt Lenin gegen Rosa Luxemburg, Pannekoek usw. auf. Der ”Leninismus” ist nichts anderes als die Negation des militanten Kommunisten Lenin und Ausdruck der stalinistischen Konterrevolution zu Beginn der 20er Jahre.

Wir haben auch festgehalten, dass wir uns immer auf den Kampf Lenins für den Parteiaufbau gegen die menschewistische und die ökonomistische Opposition bezogen haben. Wir haben auch daran erinnert, dass wir seine Fehler bezüglich der Organisation, insbesondere bezüglich ihres hierarchischen und militärischen Charakters, sowie auf theoretischer Ebene bezüglich der Frage des Klassenbewusstseins, das gemäß seiner Anschauung von außen in die Klasse hineingetragen wird, zurückgewiesen. Wir haben seine Fehler in den historischen Kontext gestellt, um ihre Dimension und wirkliche Bedeutung zu verstehen.

Welche Position nimmt die IKS zu Was tun? und Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück ein? Weshalb bekräftigen wir, dass diese zwei Werke von Lenin unersetzbare theoretische, politische und organisatorische Errungenschaften darstellen? Stellen unsere Kritiken, die bei erstrangigen Fragen ansetzen - insbesondere bezüglich der in Was tun? entwickelten Frage des Bewusstseins - unsere prinzipielle Übereinstimmung mit Lenin nicht in Frage?

Die Position der IKS zu Was tun?

”Es wäre falsch und eine Entstellung der Geschichte, wenn man den substituionistischen Lenin von Was tun? der klaren und gesunden Sichtweise einer Rosa Luxemburg oder eines Leo Trotzki (der in den 20er Jahren ein eiserner Verfechter der Militarisierung der Arbeit und der allmächtigen Diktatur der Partei wurde!) gegenüberstellen wollte.“[i] [37]

Wie man sieht, beginnt unsere Position zu Was tun? mit der Anwendung unserer Methode, die Geschichte der Arbeiterbewegung zu verstehen. Diese Methode stützt sich auf die Einheit und Kontinuität dieser Bewegung, wie wir dies im ersten Teil dieses Artikels dargestellt haben. Sie ist nicht neu und reicht bis zur Gründung der IKS zurück.

Was tun? gliedert sich in zwei große Teile. Der erste ist der Frage des Klassenbewusstseins und der Rolle der Revolutionäre gewidmet. Der zweite geht direkt zu Organisationsfragen über. Die Schrift stellt eine unversöhnliche Kritik der “Ökonomisten” dar, für die die Entwicklung des Klassenbewusstseins der Arbeiter ausschließlich von unmittelbaren Kämpfen ausgehen kann. Sie tendieren auch dazu, die aktive politische Rolle der revolutionären Organisationen zu unterschätzen, ja zu negieren: Deren Aufgabe sei lediglich die Unterstützung der ökonomischen Kämpfe. Als natürliche Konsequenz dieser Unterschätzung der Rolle der Revolutionäre widersetzen sich die “Ökonomisten” der Bildung einer zentralisierten und einheitlichen Partei, die in der Lage wäre, mit großer Kraft und einheitlicher Stimme zu allen ökonomischen und politischen Fragen zu intervenieren.

Lenins Text Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück  ist eine Ergänzung zu Was tun?. Er geht auf die Spaltung der SDAPR am 2. Kongress in Bolschewisten und Menschewisten ein.

Der Schwachpunkt von Was tun? liegt beim Klassenbewusstsein. Welche Haltung nahmen diesbezüglich andere Revolutionäre ein? Bis zum 2. Kongress stellte sich nur der “Ökonomist” Martinow dagegen. Erst nach dem Kongress kritisierten Plechanow und Trotzki die irrige Anschauung Lenins  über das von außen in die Arbeiterklasse hineingetragene Klassenbewusstsein. Sie waren die einzigen, die die von Lenin übernommene Position Kautskys ausdrücklich zurückwiesen, gemäß der der Sozialismus und der Klassenkampf des Proletariats ”nebeneinander entstehen, nicht auseinander (und) der Träger der Wissenschaft nicht das Proletariat ist, sondern die bürgerliche Intelligenz”.[ii] [38]

Die Antwort Trotzkis ist zwar richtig, aber auch sehr begrenzt. Vergessen wir nicht, dass wir uns im Jahr 1903 befinden und die Antwort von Trotzki Unsere politischen Aufgaben aus dem Jahr 1904 datiert. In Deutschland hat die Debatte über den Massenstreik kaum begonnen, und sie entwickelt sich kaum vor den Erfahrungen von 1905 in Russland. Trotzki weist die Position von Kautsky deutlich zurück und unterstreicht die in ihr enthaltene Gefahr des Substitutionismus. Doch obwohl Trotzki die Position Lenins zu den Organisationsfragen hart angreift, grenzt er sich in der Frage des Klassenbewusstseins nicht klar von Lenin ab. Er versteht und erklärt die Gründe hinter Lenins Position folgendermaßen:

”Als Lenin Kautsky die absurde Vorstellung bezüglich des Verhältnisses von ‘spontanem’ und ‘bewusstem’ Element in einer revolutionären Bewegung des Proletariats unterschob, zeichnete er damit mit groben und unsauberen Strichen ganz einfach die Aufgabe seiner Epoche.”[iii] [39]

Zugunsten Trotzkis muss man sagen, dass sich unter den Opponenten Lenins vor dem II. Kongress der SDAPR niemand gegen die Position Kautskys zum Bewusstsein erhoben hat. Am Kongress hat Martow, der Führer der Menschewiki, genau dieselbe Position wie Kautsky und Lenin vertreten: ”Wir sind der bewusste Ausdruck eines unbewussten Prozesses.”[iv] [40] Nach dem Kongress wird dieser Frage ein so geringes Gewicht zugemessen, dass die Menschewiki jegliche programmatische Divergenz verneinen und die Spaltung einzig auf Lenins organisatorische ”Hirngespinste” zurückführen: ”Mit meiner bescheidenen Intelligenz bin ich nicht unfähig zu verstehen, was mit ‘Opportunismus in Organisationsfragen’ losgelöst von jeder organischen Verbindung zu programmatischen und taktischen Ideen  gemeint sein soll.”[v] [41]

Die Kritik von Plechanow bleibt, wenn auch richtig, so doch ziemlich generell und gibt sich mit einem marxistischen Positionsbezug zufrieden. Sein Hauptargument bestand darin, dass es nicht wahr sei, dass ”die Intellektuellen ihre eigenen sozialistischen Theorien ‘völlig unabhängig vom spontanen Wachstum der Arbeiterbewegung ausgearbeitet’ haben - das geschah nie und konnte nie geschehen”[vi] [42].

Vor und während des Kongresses, als Plechanow noch einig mit Lenin war, beschränkte er sich auf eine theoretische Erörterung der Frage des Bewusstseins. Er griff aber die Debatten des II. Kongresses nicht auf und antwortete auch nicht auf die zentrale Frage: Welche Partei und welche Rolle für diese Partei? Einzig Lenin antwortete darauf.

Die zentrale Frage von Was tun?: Hebung des Bewusstseins in der Klasse

Lenin hatte in seiner Polemik gegen den “Ökonomismus” auf theoretischer Ebene eine zentrale Sorge: die Frage des Klassenbewusstseins und seine Entwicklung in der Arbeiterklasse. Lenin war mit den Erfahrungen des Massenstreiks und dem Auftauchen der ersten Sowjets 1905 in Russland schnell auf die Position Kautskys zurückgekommen. Im Januar 1917, vor dem Ausbruch der Russischen Revolution und während des Wütens des 1. Weltkriegs, griff Lenin auf den Massenstreik von 1905 zurück. Ganze Passagen über die "unlösbare Verflechtung von ökonomischem und politischem Streik" erscheinen wie von Rosa Luxemburg oder Trotzki verfasst.[vii] [43] Und sie geben einen guten Eindruck über die Revision seiner ursprünglichen Idee, die zu einem wesentlichen Teil der ”Überspannung des Bogens” in der Hitze der Polemik geschuldet war[viii] [44].

”Die wirkliche Erziehung der Massen kann niemals getrennt vom und außerhalb vom selbständigen politischen und besonders revolutionären Kampfe der Masse selbst geschehen. Erst der Kampf erzieht die ausgebeutete Klasse, erst der Kampf gibt ihr das Maß ihrer Kräfte, erweitert ihren Horizont, steigert ihre Fähigkeit, klärt ihren Verstand auf, stählt ihren Willen.” [ix] [45] Das ist weit entfernt von Kautskys Position.

Doch schon in Was tun? finden sich widersprüchliche Stellen über das Bewusstsein. Neben der falschen Position schreibt Lenin beispielsweise auch: ”Dies zeigt uns, dass das ‘spontane Element’ eigentlich nichts anderes darstellt als die Keimform der Bewusstheit.”[x] [46]

Diese Widersprüche sind Ausdruck der Tatsache, dass Lenin 1902 ebenso wie die übrige Arbeiterbewegung noch keine sehr klare und präzise Auffassung über das Klassenbewusstsein hatte[xi] [47]. Die Widersprüche in Was tun? und seine späteren Stellungnahmen zeigen, dass Lenin nicht besonders für die Position Kautskys eingenommen war. Es finden sich übrigens nur drei gut abgegrenzte Stellen in Was tun?, in denen Lenin schreibt, dass "das Bewusstsein von außen gebracht werden müsse". Und von diesen dreien hat eine überhaupt nichts mit Kautsky zu tun.

Lenin verwirft die Möglichkeit, ”dass man das politische Klassenbewusstsein der Arbeiter aus ihrem ökonomischen Kampf sozusagen von innen heraus entwickeln könne, d.h. ausgehend allein (oder zumindest hauptsächlich) von diesem Kampf, basierend allein (oder zumindest hauptsächlich) auf diesem Kampf”, und er setzt dem entgegen: ”Das politische Klassenbewusstsein kann dem Arbeiter nur von außen gebracht werden, das heißt aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern.”[xii] [48] Die Formulierung ist konfus, aber die Idee dahinter richtig, und diese stimmt nicht mit dem an anderer Stelle im Zusammenhang mit dem Bewusstsein verwendeten Wort "von außen" überein. Seine Gedanken sind an anderer Stelle noch viel präziser: ”Der politische Kampf der Sozialdemokratie ist viel umfassender und komplexer als der ökonomische Kampf der Arbeiter gegen die Unternehmer und die Regierung.”[xiii] [49]

Lenin verwirft ganz klar die von den Ökonomisten entwickelte Auffassung über das Klassenbewusstsein, wonach es das unmittelbare, direkte, mechanische und ausschließliche Produkt der ökonomischen Kämpfe sei.

Wir stimmen mit Was tun? im Kampf gegen den Ökonomismus überein. Wir erklären uns mit den kritischen Argumenten gegen den Ökonomismus einverstanden und betrachten sie bezüglich ihres politischen und theoretischen Inhalts auch heute noch als aktuell.

”Der Gedanke, dass das Klassenbewusstsein nicht mechanisch aus den ökonomischen Kämpfen hervorgeht, ist völlig richtig. Der Fehler von Lenin besteht aber im Glauben, dass man das Klassenbewusstsein ausgehend von den ökonomischen Kämpfen gar nicht entwickeln kann und dass es von außen durch eine Partei hineingetragen werden muss.”[xiv] [50]

Handelt es sich hier um eine neue Einschätzung der IKS? Nachstehend einige Zitate aus Was tun?, die wir 1989 in einer Polemik mit dem IBRP[xv] [51] verwendet haben, um zu unterstreichen, was wir auch heute sagen:

”Das sozialistische Bewusstsein der Arbeitermassen (ist) die einzige Grundlage, auf der der Sieg sichergestellt werden (kann). (...) die Partei (muss) immer die Möglichkeit haben, der Arbeiterklasse den Gegensatz zwischen ihren Interessen und denen der Bourgeoisie aufzuzeigen. (Das von der Partei erreichte Bewusstsein muss) in die Arbeitermassen in immer größerem Maße eingeflößt werden. (...) es ist notwendig, alles zu tun, um das Niveau der Bewusstheit der Arbeiter im allgemeinen zu heben. (...) die Aufgabe der Partei ist (es), die Funken politischen Bewusstseins, die der ökonomische Kampf in den Arbeitern entstehen lässt, auszunutzen, um die Arbeiter auf das Niveau des sozialdemokratischen (d.h. kommunistischen) politischen Bewusstseins zu heben”.[xvi] [52]

Für die Verleumder von Lenin künden die in Was tun? vorgestellten Auffassungen den Stalinismus an. Es gebe also, wird behauptet, zwischen Lenin und Stalin bezüglich der Organisationsfrage eine Verbindung[xvii] [53]. Wir haben diese Lüge auf historischer Ebene bereits im ersten Teil dieses Artikels widerlegt. Und wir weisen sie auch auf politischer Ebene, d.h. auch in Bezug auf die Frage des Klassenbewusstseins und die politische Organisation zurück.

Zwischen Was tun? und der Russischen Revolution gibt es eine Einheit und eine Kontinuität, jedoch bestimmt nicht mit der stalinistischen Konterrevolution. Diese Einheit und Kontinuität erstreckt sich über den ganzen revolutionären Prozess vom Massenstreik 1905 über den Februar bis zum Oktober 1917. Was tun? kündet bereits die Aprilthesen von 1917 an: ”In Anbetracht dessen, dass breite Schichten der revolutionären Vaterlandsverteidiger aus der Masse es zweifellos ehrlich meinen und den Krieg anerkennen in dem Glauben, dass er nur aus Notwendigkeit und nicht um Eroberungen geführt werde, in Anbetracht dessen, dass sie von der Bourgeoisie betrogen sind, muss man sie besonders gründlich, beharrlich und geduldig über ihren Irrtum, über den untrennbaren Zusammenhang von Kapital und imperialistischem Krieg aufklären. (...) Aufklärung der Massen darüber, dass die Sowjets der Arbeiterdeputierten die einzig mögliche Form der revolutionären Regierung sind (...).”[xviii] [54] Was tun? kündet auch den Oktoberaufstand und die Sowjetmacht an.

Die heutigen ”antileninistischen” Verleumder kümmern sich keinen Deut um diese Hauptsorge von Was tun?. Sie verfallen so einem Element des Stalinismus, das wir bereits im ersten Teil dieses Artikels denunziert haben. So wie Stalin militante Bolschewisten auf Fotos ausradieren ließ, so blenden sie das Wesentliche von Lenins Aussagen aus und beschuldigen uns, ”Leninisten”, d.h. Stalinisten, geworden zu sein.

Für die kritiklosen Anhänger Lenins wie beispielsweise die bordigistische Strömung sind wir hoffnungslose Idealisten, da wir auf der wichtigen Rolle des Klassenbewusstseins in der Arbeiterklasse im historischen und revolutionären Kampf der Arbeiterklasse beharren. Wer genau liest, was Lenin geschrieben hat, und wer sich in den tatsächlichen Diskussionsprozess sowie in die politischen Konfrontationen der damaligen Zeit vertieft, der wird erkennen, dass beide Anschuldigungen falsch sind.

Der Unterschied zwischen politischer Organisation und Einheitsorganisation in Was tun?

Was tun? enthält auf politischer und organisatorischer Ebene weitere wichtige Beiträge. Es handelt sich hauptsächlich um die von Lenin getroffene präzise Unterscheidung zwischen den Organisationen, die die Arbeiterklasse in ihren täglichen Kämpfen benötigt, den sogenannten Einheitsorganisationen, und den politischen Organisationen. Betrachten wir diese Errungenschaft vorerst auf politischer Ebene.

”Solche Zirkel, Verbände und Organisationen sind überall in möglichst großer Zahl und mit den mannigfaltigsten Funktionen erforderlich, aber es wäre unsinnig und schädlich, sie mit einer Organisation der Revolutionäre zu verwechseln, die Grenzen zwischen ihnen zu verwischen (...).” ”Die Organisation einer revolutionären sozialdemokratischen Partei muss unvermeidlich anderer Art sein als die Organisation der Arbeiter für den ökonomischen Kampf.”[xix] [55]

Auf dieser Ebene war die Unterscheidung noch keine Entdeckung für die Arbeiterklasse. Die internationale Sozialdemokratie, insbesondere die deutsche, war sich darüber bereits im klaren. Jedoch war Was tun? im Kampf jener Zeit gegen die russische Variante des Opportunismus, den Ökonomismus, sowie angesichts der speziellen Kampfbedingungen im zaristischen Russland gezwungen, weiter voranzuschreiten und eine neue Idee zu unterstreichen.

”Die Organisation der Revolutionäre muss vor allem und hauptsächlich Leute erfassen, deren Beruf die revolutionäre Tätigkeit ist (...). Hinter dieses allgemeine Merkmal der Mitglieder einer solchen Organisation muss jeder Unterschied zwischen Arbeitern und Intellektuellen, von den beruflichen Unterschieden der einen wie der anderen ganz zu schweigen, völlig zurücktreten. Diese Organisation muss notwendigerweise nicht sehr umfassend und möglichst konspirativ sein.”[xx] [56]

Halten wir hier kurz inne. Es wäre verfehlt, die in dieser Passage geäußerten Überlegungen auf die einzigartigen historischen Bedingungen der russischen Revolutionäre, insbesondere die Illegalität, Klandestinität und Repression zu reduzieren. Lenin stellte drei Punkte mit universellem und historischem Anspruch in den Vordergrund, deren Gültigkeit bis heute erhalten geblieben ist. Erstens ist die kommunistische Militanz ein freiwilliger und ernsthafter Akt (er verwendete das Wort "professionell", das in den Kongressdebatten auch von den Menschewiki gebraucht wurde), der den Militanten prägt und sein Leben bestimmt. Wir stimmen seit jeher mit dieser Auffassung über das militante Engagement überein, die jede dilettantische Sichtweise oder Haltung ausschließt.

Zweitens verteidigt Lenin eine Anschauung zum Verhältnis zwischen den militanten Kommunisten, die die Trennung von Arbeitern und Intellektuellen aufhebt[xxi] [57]. Heute würden wir von Führern und Geführten sprechen. Lenin überwand jegliche Sichtweise einer Hierarchie oder einer individuellen Überlegenheit in einer Kampfgemeinschaft in der Partei, in der revolutionären Organisation. Weiter widersetzte er sich jeglicher beruflichen oder korporativen Spaltung zwischen den Militanten. Er verwarf auch die Fabrikzellen, die später  während der Bolschewisierung im Namen des ”Leninismus” eingeführt wurden[xxii] [58].

Schließlich definierte er die Organisation, die "nicht sehr breit sein soll". Als erster sieht er das Ende der Periode der Massenparteien der Arbeiterklasse[xxiii] [59]. Gewiss begünstigten die Bedingungen in Russland diese Klarheit. Jedoch waren es die neuen Lebens- und Kampfbedingungen, die sich insbesondere im Massenstreik manifestierten, die auch die neuen Bedingungen für revolutionäre Aktivitäten bestimmten, ganz besonders den weniger breiten, minoritären Charakter der revolutionären Organisation in der Dekadenz des Kapitalismus, die mit dem Beginn des Jahrhunderts einsetzte.

”Doch wäre es (...) ‘Nachtrabpolitik’, wollte man glauben, dass irgendwann unter der Herrschaft des Kapitalismus fast die gesamte Klasse oder die gesamte Klasse imstande wäre, sich bis zu der Bewusstheit und der Aktivität zu erheben, auf der ihr Vortrupp, ihre sozialdemokratische Partei steht.”[xxiv] [60]

Rosa Luxemburg, Pannekoek und Trotzki gehörten zwar zu den ersten, die aus dem Auftauchen von Massenstreik und Arbeiterräten die Lehren zogen, sie blieben jedoch der Auffassung der Massenpartei verhaftet. Rosa Luxemburg kritisierte Lenin vom Standpunkt der Massenpartei aus[xxv] [61], und zwar so, dass sie selber in einen Fehler verfiel, als sie schrieb: ”Tatsächlich ist die Sozialdemokratie aber nicht mit der Organisation der Arbeiterklasse verbunden, sondern sie ist die eigene Bewegung der Arbeiterklasse.”[xxvi] [62] Sie war selber ein Opfer ihrer Positionierung auf der Seite der Menschewiki bezüglich der am II. Kongress der SDAPR auf dem Spiel stehenden Fragen. Sie glitt leider auf das Terrain der Menschewiki und der Ökonomisten ab und ließ die revolutionäre Organisation in der Klasse aufgehen[xxvii] [63]. Sie korrigierte ihren Fehler später, aber bezüglich der Unterscheidung zwischen Organisation der ganzen Arbeiterklasse und Organisation der Revolutionäre blieb Lenin der klarste. Er geht hier am weitesten.

Wer ist Parteimitglied?

Was tun? und Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück stellen also in der Arbeiterbewegung wesentliche politische Fortschritte dar. Die zwei Werke sind praktische politische Errungenschaften auf organisatorischer Ebene. Wie Lenin hat auch die IKS die Organisationsfrage immer als eine eigenständige politische Frage betrachtet. Die politische Organisation der Klasse unterscheidet sich von der Einheitsorganisation, was wiederum praktische Auswirkungen nach sich zieht: Die genaue Definition von Aufnahme und Zugehörigkeit zur Partei, d.h. die Definition des Militanten, seine Aufgaben, Pflichten und Rechte, kurz sein Verhältnis zur Organisation sind hier wichtig. Die Auseinandersetzung am II. Kongress der SDAPR um Artikel 1 der Statuten ist bekannt: Es ist der erste Zusammenstoß zwischen Bolschewiki und Menschewiki. Der Unterschied zwischen den beiden von Lenin und Martow vorgeschlagenen Formulierungen kann als völlig unbedeutend erscheinen:

Für Lenin gilt ”als Mitglied der Partei jeder, der ihr Programm anerkennt und die Partei sowohl in materieller Hinsicht als auch durch die persönliche Betätigung in einer der Parteiorganisationen unterstützt”. Für Martow gilt ”als Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands jeder, der ihr Programm anerkennt, die Partei in materieller Hinsicht unterstützt und ihr unter der Leitung einer ihrer Organisationen regelmäßig persönlichen Beistand leistet”.

Die Divergenz dreht sich um die Anerkennung des Parteimitglieds, um die Frage, ob die Mitgliedschaft - dies Lenins Auffassung - nur den militanten Parteimitgliedern, die von der Partei auch anerkannt werden, zugestanden werden soll, oder ob die auch formell nicht der Partei angehörigen Militanten, die in diesem oder jenem Augenblick oder bei irgendeiner Aktivität der Partei Unterstützung zukommen lassen oder sich selbst einfach als Sozialdemokraten bezeichnen, den Status eines Mitglieds erhalten sollen. Die Position Martows und der Menschewiki ist also viel lockerer, weniger restriktiv und auch weniger präzis als diejenige von Lenin.

Hinter dieser Differenz versteckt sich eine viel tiefschürfendere Frage, die am Kongress dann auch schnell aufgetaucht ist und mit der auch die heutigen Revolutionäre konfrontiert werden: Wer ist Parteimitglied oder, manchmal viel schwieriger, wer ist es nicht? Für Martow war klar: ”Wir sollten uns nur freuen, wenn jeder Streikende, jeder Demonstrant, der für seine Handlungen zur Verantwortung gezogen wird, sich für ein Parteimitglied erklären kann.”[xxviii] [64]

Die Auffassung von Martow tendiert zur Verwässerung, zur Auflösung der revolutionären Organisation oder der Partei in der Klasse. Er schloss sich hier den Ökonomisten an, die er zuvor an der Seite Lenins bekämpft hatte. Er führte zur Unterstützung seines Vorschlags eine Argumentation ins Feld, die die Idee einer einheitlichen, zentralisierten und disziplinierten Avantgardepartei mit einem klar definierten politischen Programm und mit einem noch präziser und strenger definierten Willen zur militanten und kollektiven Tat vollständig liquidierte. Diese Argumentation ebnete einer opportunistischen Politik und einer prinzipienlosen Rekrutierung von Militanten den Weg, die für die langfristige Entwicklung der Partei eine schwere Hypothek darstellten. Lenin hatte recht, als er sagte: ”Im Gegenteil, je stärker unsere Parteiorganisationen sein werden, denen wirkliche Sozialdemokraten angehören, je weniger Wankelmütigkeit und Unbeständigkeit es innerhalb der Partei geben wird, um so breiter, vielseitiger, reicher und fruchtbarer wird der Einfluss der Partei auf die sie umgebenden, von ihr geleiteten Elemente der Arbeitermassen sein. Man darf doch wirklich die Partei als Vortrupp der Arbeiterklasse nicht mit der ganzen Klasse verwechseln.”[xxix] [65]

Martows opportunistischer Vorschlag bezüglich der Organisationsfrage, der Rekrutierung, Aufnahme und Zugehörigkeit zur Partei stellte eine außerordentliche Gefahr dar, die am Kongress sehr schnell erkannt wurde. Axelrod intervenierte diesbezüglich: ”Man kann ein ehrliches und ergebenes Mitglied der sozialdemokratischen Partei sein und gleichzeitig völlig ungeeignet für die streng zentralisierte Kampforganisation.”[xxx] [66]

Wie kann man Parteimitglied, kommunistischer Militanter sein und gleichzeitig "ungeeignet für die zentralisierte Kampforganisation"? Eine solche Idee ist genauso absurd wie diejenige eines kämpfenden und revolutionären Arbeiters, der ungeeignet wäre für jegliche kollektive Handlung der Klasse. Jede kommunistische Organisation darf nur Militante akzeptieren, die in der Lage sind, sich der Disziplin und der Zentralisation des Kampfes zu unterwerfen. Wie könnte es auch anders sein? Dies hieße sonst zu akzeptieren, dass die Militanten die Organisationsbeziehungen und -entscheide sowie die Notwendigkeit des Kampfes nicht unbedingt respektieren. Es hieße den Begriff selber der kommunistischen Organisation ins Lächerliche zu ziehen, die ”der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder”[xxxi] [67] sein muss.

Der historische Kampf der Arbeiterklasse muss einheitlich, kollektiv und zentralisiert sein auf historischer Ebene und international. Die Kommunisten führen einen Kampf, der ein Abbild der Klasse darstellt und jegliche individualistische Anschauung ausschließt: historisch, international, permanent, geeint, kollektiv und zentralisiert.

”Während das kritische Bewusstsein und die freiwillige Initiative für die Individuen nur einen sehr beschränkten Wert haben, werden sie in der Kollektivität der Organisation vollständig verwirklicht.”[xxxii] [68] Wer unfähig ist, einen solchen zentralisierten Kampf zu führen, der ist auch nicht geeignet zur Militanz und kann ergo auch nicht als Parteimitglied anerkannt werden. ”.... dass die Partei nur solche Elemente aufnehme, die wenigstens ein Mindestmaß an Organisiertheit ermöglichen”[xxxiii] [69].

Diese ”Eignung” ist die Frucht der politischen und militanten Überzeugung der Kommunisten. Sie entwickelt sich in der Teilnahme am historischen Kampf der Arbeiterklasse und insbesondere innerhalb der organisierten politischen Minderheiten. Für jede konsequente und streng zentralisierte kommunistische Organisation stellen die Überzeugung und die praktische - nicht platonische - Fähigkeit jedes einzelnen neuen Militanten eine unabdingbare Bedingung für seine Aufnahme sowie einen konkreten Ausdruck seiner politischen Übereinstimmung mit dem kommunistischen Programm dar.

Auch heute noch ist die Definition eines Militanten und seine Qualität als Mitglied einer kommunistischen Organisation eine wesentliche Frage. Was tun? und Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück liefern Grundlagen und Antworten auf viele Organisationsfragen. Deshalb hat sich die IKS auch immer auf den Kampf der Bolschewiki am 2. Kongress bezogen, um mit Klarheit, Strenge und Entschlossenheit den Militanten als einen Genossen zu definieren, "der persönlich in einer der Organisationen der Partei teilnimmt", wie es Lenin verteidigte, und den Sympathisanten, den Weggefährten als denjenigen, der ”das Programm annimmt, die Partei materiell unterstützt und ihr die regelmäßige (oder unregelmäßige, fügen wir hinzu)  Hilfe zukommen lässt unter der Leitung einer ihrer Organisationen”, so wie Martow den Militanten definierte und welche Formulierung schließlich durch den 2. Kongress angenommen wurde. Ebenso haben wir immer den Grundsatz verteidigt: ”Willst du Parteimitglied sein, so darfst du auch die organisatorischen Beziehungen nicht nur platonisch anerkennen.”[xxxiv] [70]

All dies ist nichts Neues für die IKS. Bereits am ersten internationalen Kongress im Januar 1976 spielten diese Überlegungen bei der Annahme der Statuten eine Rolle.

Es wäre eine irrige Annahme, wenn man davon ausginge, dass diese Frage heute kein Problem mehr darstellte. Zuallererst ist die rätistische Strömung - auch wenn sie sich heute politisch eher ruhig verhält, ja sogar im Verschwinden begriffen ist[xxxv] [71], eine Erbin  des Ökonomismus und der Menschewiki bezüglich der Organisationsfragen. In einer Periode größerer Aktivität der Arbeiterklasse wird der Druck aus der rätistischen Ecke, ”sich selbst zu betrügen, die Augen zu verschließen vor der Fülle der Aufgaben, diese Aufgaben zu reduzieren (indem man vergisst, dass) es einen Unterschied gibt zwischen dem revolutionären Vortrupp und den Massen, die sich um ihn drehen”[xxxvi] [72], wieder Aufwind haben. Jedoch ist selbst das Proletarische Politische Milieu, das sich ausschließlich auf die Italienische Linke und auf Lenin bezieht, d.h. die bordigistische Strömung und das IBRP, weit von der praktischen Umsetzung der Methode Lenins und seinen politischen Gedanken zu Organisationsfragen entfernt. Man muss nur die Politik der prinzipienlosen Rekrutierung der bordigistischen PCI in den 70er Jahren betrachten. Diese aktivistische und immediatistische Politik hat schließlich die Explosion dieser Organisation 1982 beschleunigt. Die mangelnde Strenge des IBRP (das Battaglia Comunista in Italien und die CWO in Großbritannien umfasst) führt dazu, dass es manchmal Mühe hat zu entscheiden, wer Militanter der Organisation und wer lediglich ein Sympathisant mit engem Kontakt ist. Dies stellt natürlich ein großes Risiko dar.[xxxvii] [73] Der Opportunismus bezüglich der Organisationsfrage ist heute eines der gefährlichsten Gifte für das proletarische politische Milieu. Und leider ist die alte Leier von Teilen des Milieus über Lenin und die Notwendigkeit der ”starken und kompakten Partei” kein wirksames Gegengift.

Lenin und die IKS: die gleiche Auffassung über die Militanz

Was sagt Rosa Luxemburg in ihrer Polemik mit Lenin zur Frage des Militanten und seiner Zugehörigkeit zur Partei?

”Die Auffassung, die hier (d.h. in Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück) in eindringlicher und erschöpfender Weise ihren Ausdruck gefunden hat, ist die eines rücksichtslosen Zentralismus, dessen Lebensprinzip einerseits die scharfe Heraushebung und Absonderung der organisierten Trupps der ausgesprochenen und tätigen Revolutionäre von dem sie umgebenden, wenn auch unorganisierten, aber revolutionär-aktiven Milieu, andererseits die straffe Disziplin und die direkte, entscheidende und bestimmende Einmischung der Zentralbehörde in alle Lebensäußerungen der Lokalorganisationen der Partei.”[xxxviii] [74]

Auch wenn sie sich nicht ausdrücklich gegen die präzise Definition des Militanten von Lenin ausspricht, so zeigt doch der ironische Ton, wenn sie von der ”Absonderung der organisierten Trupps der Revolutionäre von dem sie umgebenden Milieu” spricht sowie ihr Stillschweigen über die politische Auseinandersetzung um den ersten Artikel des Statuts, dass Rosa Luxemburgs Anschauung zu diesem Zeitpunkt falsch ist und sie sich auf der Seite der Menschewiki positioniert. Sie bleibt eine Gefangene der Massenpartei und ihrem besten Beispiel: der deutschen Sozialdemokratie. Sie sieht das Problem nicht oder weicht ihm aus, indem sie ein Scheingefecht führt. Die Tatsache, dass sie sich nicht  zur Debatte um den ersten Artikel äußert, gibt Lenin recht, wenn er bekräftigt, dass sie ”bloße Worte wiederholt, ohne sich zu bemühen, ihren konkreten Sinn zu begreifen. Sie malt Schreckgespenster an die Wand, ohne erforscht zu haben, was dem Streit wirklich zugrunde liegt. Sie schreibt mir Gemeinplätze, allgemeine Prinzipien und Erwägungen, absolute Wahrheiten zu, sucht aber die relativen Wahrheiten totzuschweigen, die streng stimmte Tatsachen betreffen (...)”[xxxix] [75].

Die generellen Überlegungen von Rosa Luxemburg - auch wenn sie isoliert betrachtet richtig sind - antworten wie auch im Fall Plechanows und vieler anderer nicht auf die wirklichen politischen Fragen, die Lenin stellt. ”Eine berechtigte Sorge ist auch: auf dem kollektiven Charakter der Arbeiterbewegung zu beharren, auf der Tatsache, dass ‘die Befreiung der Arbeiter das Werk der Arbeiter selbst sein wird’, führt zu falschen praktischen Schlussfolgerungen” sagten wir zu diesem Thema bereits 1979[xl] [76]. Rosa Luxemburg geht nicht auf die politischen Errungenschaften des Kampfes der Bolschewiki ein.

Ohne die Debatte um den ersten Artikel wäre keine scharfe Unterscheidung zwischen der Gesamtheit der Arbeiterklasse und der Partei möglich. Ohne den von Lenin geführten Kampf um den ersten Artikel wäre diese Frage keine politische Errungenschaft allererster Wichtigkeit geworden, auf die sich auch die heutigen Kommunisten  stützen müssen, um ihre Organisation zu bilden. Sie sind nicht nur für die Aufnahme neuer Militanter, sondern vor allem auch für die Errichtung klarer, präziser und strenger Beziehungen zwischen den Militanten und der revolutionären Organisation wichtig.

Ist die Verteidigung der Position Lenins zum ersten Artikel des Statuts neu für die IKS? Haben wir unsere Position verändert?

”Um Mitglied der IKS zu sein, muss man (....) sich in die Organisation integrieren, sich aktiv an ihrer Arbeit beteiligen und die einem übertragenen Aufgaben erfüllen”, bekräftigt der Artikel unserer Statuten, der die Frage der Zugehörigkeit des Militanten zur IKS behandelt. Es ist klar, dass wir hier ohne jede Zweideutigkeit die Konzeption, den Geist, ja den Wortlaut, den Lenin am 2. Kongress der SDAPR vorgeschlagen hat, aufnehmen. Wir beziehen uns hier gewiss nicht auf Martow und Trotzki. Es ist schade, dass ehemalige Mitglieder der IKS, die uns heute des ”Leninismus” beschuldigen, ganz vergessen, wofür sie selbst seinerzeit gestimmt haben. Sie haben dies zweifelsohne mit Leichtigkeit und großer Unbekümmertheit und dem studentischen Nach-68er Enthusiasmus getan. Auf jeden Fall sind sie heute äußerst unehrlich, wenn sie die IKS des Positionswechsels bezichtigen und gleichzeitig von sich hören lassen, dass sie selbst der wahren, ursprünglichen IKS treu geblieben seien.

Die IKS an der Seite Lenins bezüglich der Statuten

Wir haben kurz unsere Auffassung über den militanten Revolutionär dargelegt und gezeigt, wessen Erbe sie ist. Zu einem großen Teil stammt sie aus den Beiträgen Lenins in Was tun? und Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. Wir haben die Wichtigkeit unterstrichen, diese Errungenschaften so getreu und streng wie möglich in der täglichen militanten Praxis, mit Hilfe der Organisationsstatuten, umzusetzen. Wir sind diesbezüglich seit jeher Anhänger der Methode und der Lehren Lenins in Organisationsfragen. Der politische Kampf um die Fixierung von präzisen Regeln für die Beziehungen in der Organisation, d.h. für die Statuten, ist fundamental. Der Kampf für deren Respektierung ist selbstverständlich ebenso wichtig. Ohne die Befolgung würden die großen Deklarationen über die Partei nichts als Prahlerei bleiben.

Im Rahmen dieses Artikels können wir mangels Platz nicht näher auf unsere Auffassung über die Einheit der politischen Organisation eingehen und auch nicht aufzeigen, inwiefern der Kampf Lenins auf dem 2. Kongress gegen den Fortbestand der Zirkel ein bedeutender theoretischer und politischer Beitrag war. Aber wir möchten unterstreichen, wie wichtig es in der Praxis ist, die notwendige Einheit in die Organisationsstatuten zu übertragen.

”Der Edelanarchismus begreift nicht, dass ein formales Statut gerade notwendig ist, um die engen Zirkelbindungen durch eine breite Parteibindung zu ersetzen. Es war nicht nötig und nicht möglich, die Bindung innerhalb des Zirkels oder zwischen den Zirkeln in eine feste Form zu bringen, denn diese Bindung fußte auf Freundschaft oder auf einem nicht rechenschaftspflichtigen und nicht motivierten ‘Vertrauen’. Die Parteibindung kann und darf weder auf dem einen noch auf dem anderen fußen, sie muss sich stützen auf ein formelles, (vom Standpunkt des undisziplinierten Intellektuellen) ‘bürokratisch’[xli] [77] redigiertes Statut, dessen strenge Einhaltung uns allein vor dem Zirkeldünkel, den Zirkellaunen, den Zirkelmethoden jener Katzbalgerei bewahrt, die man den freien ‘Prozess’ des [xlii] [78]ideologischen Kampfes nennt.”[xliii] [79]

Ebenso verhält es sich mit der Zentralisierung der Organisation gegen jede föderalistische oder lokale Anschauung. Die Organisation ist auch keine Summe von Teilen, sprich von revolutionären autonomen Individuen. "Der internationale Kongress ist das souveräne Organ der IKS" (Statuten der IKS). Auch hier beziehen wir uns auf den Kampf Lenins und auf die praktische Umsetzung in den Organisationsstatuten.

”In der Zeit der Wiederherstellung der faktischen Einheit der Partei und des Aufgehens der veralteten Zirkel in dieser Einheit ist diese oberste Instanz unbedingt der Parteitag als das höchste Organ der Partei.”[xliv] [80]

Dasselbe gilt für das interne politische Leben: Der Beitrag Lenins betrifft auch und hauptsächlich die internen Debatten, die Pflicht - und nicht einfach nur das Recht -, alle Meinungsverschiedenheiten im Rahmen der gesamten Organisation auszudrücken. Wenn die Debatten geführt worden sind und der Kongress (der das souveräne Organ, die Generalversammlung der Organisation ist) Entscheide gefällt hat, so müssen sich alle Teile und alle Militanten der Gesamtheit fügen. Im Gegensatz zur häufig verbreiteten Idee eines diktatorischen Lenin, der danach trachtet, alle Debatten und das gesamte politische Leben der Organisation zu ersticken, hat er sich in Tat und Wahrheit gegen die menschewistische Vision des Kongresses als ”eines aufzeichnenden, kontrollierenden, aber nicht schöpferischen”[xlv] [81] gestellt.

Für Lenin und die IKS ist der Kongress ein ”Schöpfer”. Insbesondere verwerfen wir radikal die Idee von imperativen Mandaten für die Delegierten am Kongress, da dies den breitesten, dynamischsten und fruchtbarsten Debatten entgegenstehen würde und den Kongress genau zu einem ”Aufzeichner” reduzieren würde, wie es Trotzki 1903 wollte. Ein ”aufzeichnender” Kongress würde den Vorrang der Teile über das Ganze festschreiben, die Herrschaft der Mentalität ”jeder ist Herr im eigenen Haus”, von Lokalismus und Föderalismus. Ein ”aufzeichnender und kontrollierender” Kongress ist die Negation des souveränen Wesens des Kongresses. Wie Lenin sind wir dafür, dass der Kongress ein ”souveränes Organ” der Partei ist, der die Kompetenz zur Entscheidung und zur ”Schöpfung” hat. Der ”schöpferische” Kongress setzt Delegierte voraus, die nicht Gefangene von gebundenen Mandaten sind.[xlvi] [82]

Der Kongress als oberstes Organ impliziert auch seinen programmatischen, politischen  und organisatorischen Vorrang über alle Teile der kommunistischen Organisation.

”‘Der Parteitag ist die höchste Instanz der Partei’, und folglich verletzt die Parteidisziplin und das Parteistatut derjenige, der einen beliebigen Delegierten auf irgendeine Weise daran hindert, sich unmittelbar an den Parteitag zu wenden, und zwar in allen Fragen des Parteilebens, ohne jede Ausnahme. Die Streitfrage läuft also auf das Dilemma hinaus: Zirkelwesen oder Parteiprinzip? Einschränkung der Rechte der Parteitagsdelegierten im Namen eingebildeter Rechte oder Statuten verschiedener Kollektive und Zirkel oder vollständige, nicht nur in Worten, sondern in der Tat vollständige Auflösung aller unteren Instanzen und alten Grüppchen vor dem Parteitag.”[xlvii] [83]

Auch hier beziehen wir uns nicht nur auf den Kampf Lenins, sondern wir lassen diese Auffassung in die Organisationsregeln, d.h. in die Statuten unserer Organisation, einfließen und verstehen uns so als die Erben und als diejenigen, die diese Auffassung fortsetzen.

Die Statuten sind keine Ausnahmemaßnahmen

Wir haben gesehen, dass Rosa Luxemburg und Trotzki Lenin bezüglich des ersten Artikels der Statuten nicht antworteten. Sie vernachlässigten diese Frage vollständig, gleichsam verfuhren sie mit den Statuten im allgemeinen. Sie zogen es vor, auf einer abstrakten Ebene zu verharren. Und wenn sie dennoch geruhten, die Frage der Statuten zu berühren, so unterschätzten sie sie vollständig. Bestenfalls betrachteten sie die Statuten der politischen Organisation einfach als eine Sicherheitsabschrankung, die die Straße begrenzt und die nicht überschritten werden soll. Schlechtestenfalls handelt es sich aber für sie um Werkzeuge der Repression, um Ausnahmemaßnahmen, die nur mit ausserordentlichster Vorsicht angewendet werden dürfen. Diese Sichtweise der Statuten ist dieselbe wie diejenige des Stalinismus: Auch er sieht in den Statuten nur Repressionsmittel, allerdings ohne die "Vorsicht".

Für Trotzki hätte Lenins Formulierung von Artikel 1 ”die platonische Befriedigung (verschafft), das statutarisch sicherste Mittel gegen den Opportunismus entdeckt (zu haben). Kein Zweifel: Es handelt sich um eine einfältige, typisch verwaltungstechnische Methode, eine ernsthafte praktische Frage zu lösen.”[xlviii] [84]

Rosa Luxemburg antwortete Trotzki unwissentlich, als sie bekräftigte, dass im Falle einer bereits bestehenden Partei (also im Falle der deutschen sozialdemokratischen Massenpartei), ”auch eine strengere Durchführung des zentralistischen Gedankens im Organisationsstatut und die straffere Paragraphierung der Parteidisziplin als ein Damm gegen die opportunistische Strömung sehr zweckmäßig” sei[xlix] [85].

Sie ist im Falle Deutschlands also, d.h. allgemein, mit Lenin einverstanden. Im Falle Russlands aber beginnt sie "abstrakte Wahrheiten" zu verkünden (”so können opportunistische Verirrungen nicht von vornherein verhütet werden, sie müssen erst, nachdem sie in der Praxis greifbare Gestalt angenommen haben, durch die Bewegung selbst überwunden werden”), die überhaupt nichts aussagen und in der Realität ”von vornherein” den Verzicht auf einen Kampf gegen den Opportunismus in Organisationsfragen bedeuten. Sie verfehlte es jedoch im Falle Russlands nicht, sich über die Statuten als "Papiertiger" oder "Papierkrieger" lustig zu machen und sie als Ausnahmemaßnahmen zu betrachten:

”Das Parteistatut soll nicht etwa an sich eine Waffe zur Abwehr des Opportunismus sein, sondern bloß ein äußeres Machtmittel zur Ausübung des maßgebenden Einflusses der tatsächlich vorhandenen revolutionären proletarischen Majorität der Partei.”[l] [86]

Wir hatten bezüglich dieses Punktes immer Meinungsverschiedenheiten mit Rosa Luxemburg: ”Rosa fährt fort zu wiederholen, dass es an der Massenbewegung selber liege, den Opportunismus zu überwinden; die Revolutionäre hätten diese Bewegung nicht künstlich zu beschleunigen. (...) Rosa Luxemburg verstand nicht, dass die kollektive Natur der revolutionären Aktion etwas ist, dass ebenfalls geschmiedet wird.”[li] [87] In der Frage der Statuten sind und waren wir immer mit Lenin einverstanden.

Die Statuten als Lebensregel und Kampfwaffe

Für Lenin sind die Statuten weit mehr als einfache formelle Funktionsregeln, die man lediglich in Ausnahmesituationen konsultiert. Lenin definiert die Statuten gegen Rosa Luxemburg oder die Menschewiki als Grundlage des Verhaltens, als Geist, der die Organisation und ihre Militanten täglich beleben soll. Lenin begreift die Statuten als Waffen, die den einzelnen Teilen der Organisation und ihren Militanten Verantwortung gegenüber der Gesamtheit der politischen Organisation auferlegen, ganz im Gegensatz zur Auffassung der Statuten als Repressions- oder Zwangsmittel. Die Statuten verpflichten zur öffentlichen Darstellung von Meinungsverschiedenheiten und politischen Schwierigkeiten vor der Gesamtheit der Organisation.

Lenin fasst die Vertretung von Standpunkten, Schattierungen, Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten nicht als Recht der Militanten, gleichsam als Recht des Individuums gegenüber der Organisation auf, sondern als Pflicht und Verantwortung gegenüber der Partei und ihren Mitgliedern. Der militante Kommunist ist gegenüber seinen Kampfgenossen, der politischen Einheit und der Parteiorganisation verantwortlich. Die Statuten sind Werkzeuge der Einheit und der Zentralisierung der Partei, mit anderen Worten: Waffen gegen den Föderalismus, den Zirkelgeist, Vetternwirtschaft, gegen jegliche Form von Parallelleben und -diskussionen. Die Statuten sind für Lenin Ausdruck des politischen, organisatorischen und militanten Lebens und nicht lediglich äußere Grenzen und Regeln.

”Die strittigen Fragen innerhalb der Zirkel wurden nicht gemäß Statut entschieden, sondern durch Kampf und durch die Drohung, fortzugehen. (...) Als ich Mitglied eines bloßen Zirkels war (...), da durfte ich mich, wenn ich z.B. mit X nicht zusammenarbeiten wollte, zur Rechtfertigung einzig und allein auf mein Misstrauen berufen, über das ich keine Rechenschaft abzulegen und das ich nicht zu motivieren brauchte. Seitdem ich Mitglied der Partei bin, darf ich mich nicht nur auf mein unbestimmtes Misstrauen berufen, denn das würde jeder Art Launen und jeder Art Dünkel des alten Zirkelwesens Tür und Tor öffnen; ich muss mein ‘Vertrauen’ oder ‘Misstrauen’ mit formellen Argumenten begründen, d.h. mit dem Hinweis auf diese oder jene formell festgelegte Satzung unseres Programms, unserer Taktik, unseres Statuts; ich darf mich nicht auf ein willkürliches ‘Vertrauen’ oder ‘Misstrauen’ beschränken, sondern ich muss einsehen, dass über alle meine Entschlüsse und überhaupt über alle Entschlüsse jedes Teils der Partei vor der Gesamtpartei Rechenschaft abzulegen ist; ich muss den formell vorgeschriebenen Weg gehen, um meinem ‘Misstrauen’ Ausdruck zu geben, um die Ansichten und die Wünsche durchzusetzen, die sich aus diesem Misstrauen ergeben. Wir haben uns bereits vom Zirkelstandpunkt des willkürlichen ‘Vertrauens’ zum Parteistandpunkt erhoben, der die Einhaltung rechenschaftspflichtiger und formell vorgeschriebener Methoden verlangt, mittels deren das Vertrauen ausgedrückt und überprüft wird (...)”[lii] [88].

Die Statuten der revolutionären Organisation sind nicht einfache Ausnahmemaßnahmen. Sie sind eine Konkretisierung von Organisationsprinzipien der politischen Avantgarde der Arbeiterklasse. Als Produkt dieser Prinzipien sind sie gleichzeitig eine Waffe gegen den Opportunismus in Organisationsfragen sowie die Grundlage, auf der die revolutionäre Organisation aufbauen muss. Sie sind Ausdruck ihrer Einheit, ihrer Zentralisierung, ihres politischen und organisatorischen Lebens und schließlich ihres Klassencharakters. Sie sind die Regel und der Geist, die die Militanten täglich in ihren Beziehungen zur Organisation, in ihren Beziehungen zu anderen Militanten, in den ihnen anvertrauten Aufgaben, in ihren Rechten und Pflichten, in ihrem täglichen persönlichen Leben, das weder im Widerspruch zur militanten Tätigkeit noch zu den kommunistischen Prinzipien stehen darf, leiten.

Für uns ist die Organisationsfrage in der Tradition Lenins eine eigenständige politische Frage. Darüber hinaus ist sie eine fundamentale politische Frage. Die Annahme der Statuten und der permanente Kampf für ihre Respektierung und Anwendung steht im Zentrum des Verständnisses und des Kampfes für den Aufbau der politischen Organisation. Die Statuten sind auch eine eigenständige theoretische und politische Frage. Ist dies eine Entdeckung unserer Organisation? Eine Änderung unserer Position?

”Der einheitliche Charakter der IKS wird auch ausgedrückt durch die vorliegenden Statuten, die für die ganze Organisation gelten (...). Diese Statuten stellen eine konkrete Anwendung der Auffassung der IKS in Organisationsfragen dar. Als solche sind sie integrierender Bestandteil der Plattform der IKS.” (aus den Statuten der IKS)

Die kommunistische Partei wird auf den politisch-organisatorischen Errungenschaften Lenins errichtet

Im Kampf der Arbeiterklasse spielt Lenins Auseinandersetzung eine wichtige Rolle für die Errichtung ihres politischen Organs, das sich im März 1919 in der Gründung der Kommunistischen Internationale konkretisierte. Vor Lenin hatte bereits die I. Internationale eine ebenso wichtige Rolle gespielt. Nach Lenin stellte der Kampf der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken für das eigene organisatorische Überleben einen weiteren wichtigen Augenblick dar.

Durch all diese unterschiedlichen Erfahrungen zieht sich ein roter Faden, eine prinzipielle, theoretische und politische Kontinuität in Organisationsfragen. Die heutigen Revolutionäre müssen ihre Tätigkeiten in diese Kontinuität und historische Einheit stellen.

Wir haben jetzt bereits eine Reihe unserer eigenen Texte zitiert, die klar und ohne Zweideutigkeit unsere Herkunft und unser Erbe in Organsationsfragen darlegen. Die Methode der Wiederaneignung der politischen und theoretischen Errungenschaften der Arbeiterklasse ist keine Erfindung der IKS. Wir haben sie von der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken und ihrem Organ Bilan aus den 30er Jahren und von der Kommunistischen Linken Frankreichs und ihrem Organ Internationalisme in den 40er Jahren geerbt. Wir haben uns immer auf diese Methode bezogen und ohne sie würde die IKS in ihrer heutigen Form nicht bestehen.

”Der vollkommenste Ausdruck der Lösung des Problems, welche Rolle das bewusste Element, die Partei, für den Sieg des Sozialismus zu spielen berufen ist, wurde durch die Gruppe der russischen Marxisten in der alt[1] [89]en Iskra, insbesondere durch Lenin, geprägt, der in seinem bemerkenswerten Werk Was tun? 1902 eine grundsätzlich Definition der Parteifrage lieferte. Der Leninsche Begriff der Partei sollte der bolschewistischen Partei als Wirbelsäule dienen und einen der größten Beiträge dieser Partei im internationalen Kampf des Proletariats darstellen.”[liii] [90]

Tatsächlich kann sich die kommunistische Weltpartei von morgen nicht unter Vernachlässigung der prinzipiellen, theoretischen, politischen und organisatorischen Errungenschaften Lenins bilden. Die wirkliche und nicht nur deklamatorische Wiederaneignung seiner Errungenschaften sowie ihre strenge und systematische Anwendung unter den heutigen Bedingungen gehören zu den wichtigsten Aufgaben, die die heutigen kleinen kommunistischen Gruppen wahrnehmen müssen, wenn sie zum Prozess der Parteibildung beitragen wollen.

 

RL



[1] [91]



[i] [92] IKS-Broschüre Communist Organisations and Class Consciousness (Kommunistische Organisationen und Klassenbewusstsein), engl./frz./span., 1979

[ii] [93] Kautsky, zitiert nach Lenin in Was tun?, Lenin Werke Bd. 5 S. 394f.

[iii] [94] Trotzki in Unsere politischen Aufgaben, zit. nach Leo Trotzki, Schriften zur revolutionären Organisation, Rowohlt Taschenbuch Verlag, S. 34

[iv] [95] Aus den Protokollen des Kongresses von 1903 (aus dem Französischen übersetzt)

[v] [96] P. Axelrod, Über die Ursprünge und die Bedeutung unserer organisatorischen Meinungsverschiedenheiten, Brief an Kautsky, 1904

[vi] [97] G. Plechanow, Die Arbeiterklasse und die sozialdemokratischen Intellektuellen, 1904

[vii] [98] vgl. Massenstreik, Partei und Gewerkschaften (R. Luxemburg 1906) und 1905 (Trotzki 1908/09)

[viii] [99] vgl. den ersten Teil dieses Artikels in Internationale Revue Nr. 23

[ix] [100] Lenin, Ein Vortrag über die Revolution von 1905, Jan. 1917, Werke Bd. 23 S. 249

[x] [101] Lenin, Was tun?, Werke Bd. 5, S. 385

[xi] [102] Marx ist in seinen Werken viel klarer. Jedoch waren viele von ihnen sie zu jener Zeit unter den Revolutionären unbekannt, da sie nicht verfügbar oder nicht publiziert waren. Das Hauptwerk zur Frage des Bewusstseins, Die deutsche Ideologie, wurde beispielsweise erst 1932 veröffentlicht.

[xii] [103] Lenin, Was tun?, Werke Bd. 5 S. 436

[xiii] [104] a.a.O.

[xiv] [105] IKS-Broschüre Communist Organisations and Class Consciousness (Kommunistische Organisationen und Klassenbewusstsein), engl./frz./span., 1979

[xv] [106] Diesen Artikel (Internationale Revue Nr. 11) schrieb nicht die IKS, sondern die Genossen des Grupo Proletario Internacionalista, die später die IKS-Sektion in Mexiko bildete.

[xvi] [107] ”Klassenbewusstsein und Partei”, Internationale Revue Nr. 11, S. 32

[xvii] [108] Unter all den bürgerlichen Lügen zu dieser Frage, befindet sich auch diejenige von RV, einem ehemaligen Mitglied der IKS, der erklärt, "dass es eine wahrhafte Kontinuität und Kohärenz zwischen den Konzeptionen von 1903 und Taten wie dem Fraktionsverbot in der bolschewistischen Partei oder der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands gebe" (RV, "Stellungnahme zur letzten Entwicklung der IKS", veröffentlicht in unserer Broschüre La prétendu paranoia du CCI (Die angebliche Paranoia der IKS, frz.).

[xviii] [109] Lenin, Aprilthesen, Werke Bd. 24 S. 4f.

[xix] [110] Lenin, Was tun?, a.a.O. S. 483 und 468

[xx] [111] a.a.O., Hervorhebung im Original

[xxi] [112] Hier soll nur kurz an das in der russischen Arbeiterklasse herrschende schwache schulische Niveau und den Analphabetismus erinnert werden. Dieser Umstand hinderte Lenin nicht daran, sie bei den Aktivitäten der Partei auf gleicher Ebene wie die Intellektuellen zu integrieren.

[xxii] [113] Siehe den ersten Teil dieses Artikels in der vorhergehenden Nummer.

[xxiii] [114] ”Er wandte sich auch ab von der sozialdemokratischen Auffassung der Massenpartei. Für Lenin setzten die neuen Kampfbedingungen voraus, dass es eine Avantgardepartei in der Form einer Minderheit gab, die auf die Umwandlung der wirtschaftlichen in politischen Kämpfe hinarbeiteten.” IKS-Broschüre Communist Organisations and Class Consciousness (Kommunistische Organisationen und Klassenbewusstsein), engl./frz./span., 1979

[xxiv] [115] Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, a.a.O. S. 258

[xxv] [116] ”Diese Militante, die durch die Schule der Sozialdemokratie gegangen war, entwickelte eine so bedingungslose Hingabe an den Massencharakter der revolutionären Bewegung, dass sich in ihren Augen die Partei allem anzupassen hatte, was diesen Charakter trug.” IKS-Broschüre Communist Organisations and Class Consciousness (Kommunistische Organisationen und Klassenbewusstsein), engl./frz./span., 1979

[xxvi] [117] Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, Gesammelte Werke Bd. 1/2, S. 429

[xxvii] [118] Der Leser wird bemerkt haben, dass diese Betrachtungsweise dem Substitionismus Tür und Tor öffnet. Die Partei stellt sich an die Stelle der Handlungen der Arbeiterklasse ... bis zur Ausübung der Staatsmacht in ihrem Namen oder aber zur Durchführung einer putschistischen Politik, wie dies die Stalinisten in den 20ern taten.

[xxviii] [119] Martow, zitiert von Lenin in Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, a.a.O. S. 258f.

[xxix] [120] Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, Werke Bd. 7, S. 257

[xxx] [121] Protokoll des 2. Kongresses der SDAPR

[xxxi] [122] K. Marx/F. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW Bd. 4 S. 474

[xxxii] [123] Thesen über die Taktik der Kommunistischen Partei Italiens, Römer Thesen, 1922

[xxxiii] [124] Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, a.a.O. S. 255

[xxxiv] [125] Der Bolschewik Pawlowitsch, zitiert von Lenin in Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, Werke Bd. 7 S. 272

[xxxv] [126] Siehe unsere Territorialpresse zur Einstellung von Daad en Gedachte, einer Publikation einer rätistischen holländischen Gruppe mit demselben Namen

[xxxvi] [127] Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück

[xxxvii] [128] Wir haben die diesbezügliche Ungenauigkeit und den Opportunismus von BC in Italien gegenüber den Militanten der GLP bereits kritisiert (vgl. Weltrevolution Nr. 89). Es geht dabei nicht um ein isoliertes Beispiel. Kürzlich erschien auf der Website des IBRP ein Artikel mit dem Titel ”Sollen Revolutionäre in reaktionären Gewerkschaften arbeiten?”. In diesem nicht gezeichneten Artikel, dessen Autor ein Mitglied von CWO sein könnte, wird auf die Frage im Titel die Antwort gegeben: ”Materialisten, nicht Idealisten, müssen eine bejahende Antwort geben.” Zwei Argumente werden dafür vorgetragen: ”Es gibt viele kampfbereite Arbeiter in den Gewerkschaften”, und ”Kommunisten sollten nicht Organisationen geringschätzen, die Massen von Arbeitern vereinigen” (sic). Diese Position steht in diametralem Widerspruch zu derjenigen von BC an ihrem letzten Kongress (und somit vermutlich derjenigen des IBRP), wo sie die Idee vertrat, dass ”es keine wirkliche Vertretung der Arbeiterinteressen, sogar der unmittelbarsten, geben kann als außerhalb und gegen die Gewerkschaften”. Vor allem aber besteht das Problem darin, dass wir keine Ahnung haben, wer den Artikel schrieb: War es ein Militanter des IBRP oder ein Sympathisant? Und warum, unabhängig davon, gab es keine Stellungnahme zum Artikel, keine Kritik an ihm? Vergassen es die Genossen einfach? Oder war es Opportunismus im Zusammenhang mit der Rekrutierung eines neuen Militanten, der offenbar noch nicht vollständig mit der bürgerlichen Linken gebrochen hatte? Oder ist es schlicht und einfach eine Unterschätzung der Organisationsfrage? Noch einmal: Bei den Gruppen des IBRP riecht es da nach Martow. In der Zwischenzeit ist der Artikel aus der Website entfernt worden, ohne irgendeinen Kommentar.   

[xxxviii] [129] Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, a.a.O. S. 425

[xxxix] [130] Lenin, Antwort an Rosa Luxemburg, Werke Bd. 7, S. 484

[xl] [131] IKS-Broschüre Communist Organisations and Class Consciousness (Kommunistische Organisationen und Klassenbewusstsein), engl./frz./span.

[xli] [132] Ein weiteres Beispiel zur polemischen Methode Lenins, der die Beschuldigungen seiner Gegner aufgriff, um sie gegen sie selbst zu wenden (vgl. den ersten Teil dieses Artikels).

[xlii] [133]

[xliii] [134] Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, Werke Bd. 7 S. 397

[xliv] [135] a.a.O. S. 401

[xlv] [136] Trotzki, Bericht der sibirische Delegation

[xlvi] [137] Der Delegierte der Kommunistischen Partei Deutschlands, Eberlein, hatte an der internationalen Konferenz im März 1919 anfänglich das Mandat, sich gegen die Bildung einer III. Internationale zu stellen. Für alle Teilnehmer, insbesondere für die bolschewistischen Anführer wie Lenin, Trotzki, Sinowjew war klar, dass die Gründung der kommunistischen Internationale nicht ohne Beitritt der KPD stattfinden könne. Wenn nun Eberlein Gefangener des imperativen Mandats geblieben wäre, hätte die Internationale als Weltpartei der Arbeiterklasse nicht gegründet werden können.

[xlvii] [138] Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, Werke Bd. 7 S. 213

[xlviii] [139] Trotzki, Bericht der sibirischen Delegation

[xlix] [140] Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, a.a.O. S. 442

[l] [141] a.a.O. S. 442

[li] [142] IKS-Broschüre Communist Organisations and Class Consciousness (Kommunistische Organisationen und Klassenbewusstsein), engl./frz./span., 1979

[lii] [143] Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, a.a.O. S. 396ff.

[liii] [144] Internationalisme Nr. 4, 1945

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Organisation [15]

Wirtschaftskrise: I. Die 70er Jahre

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30 Jahre offene Krise des Kapitalismus

Die Reden der herrschenden Klasse über den ”guten Gesundheitszustand” und die ewige Existenz ihres Systems wurden durch die zahlreichen ökonomischen Erschütterungen in den letzten 30 Jahren in zunehmendem Maße als leeres Geschwätz entlarvt: die Rezessionen von 1974-75, 1980-82 und die besonders heftige von 1990-93; Börsenkräche wie jener vom Oktober 1987 oder der ”Tequila-Effekt” von 1994 etc. Indes stellt der anschwellende Strom schlechter Wirtschaftsnachrichten seit August 1997 - der Zusammenbruch der thailändischen Währung, das Debakel der asiatischen ”Tiger” und ”Drachen”, die brutale Entschlackung der weltweiten Aktienmärkte, der Bankrott Russlands, die angespannte Situation in Brasilien und anderen ”aufstrebenden” Volkswirtschaften Lateinamerikas und vor allem der ernste Zustand der zweitwichtigsten Volkswirtschaft der Welt, Japans - die ernsteste Episode in der historischen Krise des Kapitalismus dar. Dies bestätigt nachdrücklich die Analyse des Marxismus und demonstriert die Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus durch die proletarische Weltrevolution.

Die Gestalt, die die Krise in den letzten 30 Jahren vor allem in den wichtigen Industrieländern angenommen hat, ist nicht mit jener brutalen Depression zu vergleichen, die sich in den 30er Jahren ereignet hatte. Was wir bisher gesehen haben, war ein langsamer und fortschreitender Abstieg in die Hölle der Arbeitslosigkeit und Armut durch aufeinanderfolgende Rezessionen. Die schlimmsten Verwüstungen haben sich dabei meist auf die Länder der Peripherie, in Afrika, Südamerika, Asien, konzentriert, die unwiderruflich in den Morast der Barbarei und Zerstörung gesunken sind.

Für die Bourgeoisie in den Hauptindustrieländern, wo die wichtigsten proletarischen Massen konzentriert sind, hat diese bis dahin unbekannte Form der historischen Krise des Kapitalismus den Vorteil, den Todeskampf des Kapitalismus zu verbergen und die Illusion zu schaffen, dass seine Erschütterungen nur vorübergehend sind und dass sie den zyklischen Krisen entsprechen, die typisch für das vorherige Jahrhundert waren und denen Perioden intensiver Entwicklung folgten.

Als eine Waffe im Kampf gegen solche Mystifikationen veröffentlichen wir eine Studie über die letzten 30 Jahre. Einerseits wird sie aufzeigen, dass der nur langsam eskalierende Rhythmus der Krise das Resultat der staatlichen Bemühungen gewesen ist, die Krise zu ”managen”, indem man sich den Gesetzen des kapitalistischen Systems entzog (besonders durch die Flucht in astronomisch hohe Schulden, die ohne Beispiel in der Menschheitsgeschichte sind), und andererseits wird sie zeigen, dass diese Politik nicht einmal im entferntesten eine Lösung für die unheilbare Krankheit des Kapitalismus ist. Der Preis für die Hinauszögerung der schlimmsten Auswüchse in den wichtigsten Ländern ist: immer explosivere Widersprüche und die Verschlimmerung des tödlichen Krebses des Weltkapitalismus.

Crash oder allmählicher Zusammenbruch?

Der Marxismus hat klar gemacht, dass der Kapitalismus keine Lösung für seine historische Krise vorweisen kann, eine Krise, die im Ersten Weltkrieg ihren Ausgangspunkt hat. Nichtsdestotrotz waren Form und Ursachen dieser Krise Objekt von Diskussionen unter den Revolutionären der Linkskommunisten gewesen (1). Besteht die Form aus jener deflationären Depression, die typisch war für die zyklischen Krisen der aufsteigenden Periode (zwischen 1820 und 1913)? Oder besteht sie nicht vielmehr aus einem Prozess fortschreitender Degeneration, in dem die gesamte Weltwirtschaft in einen immer kritischeren Zustand der Stagnation und Auflösung kollabiert?

In den 20er Jahren brachten einige Tendenzen in der KAPD die ”Theorie des Zusammenbruchs” auf, derzufolge die historische Krise des Kapitalismus die Form eines irreversiblen, brutalen Zusammenbruchs annehmen wird, was dem Proletariat die Notwendigkeit aufzwingen würde, die Revolution zu machen. Einige bordigistische Strömungen, die meinen, dass eine plötzliche Krise das Proletariat zwingen würde, in der revolutionären Tat Zuflucht zu suchen, drücken ebenfalls diese Sichtweise aus.

Wir können hier nicht in eine detaillierte Diskussion über diese Theorie eintreten. Jedoch sollte klar sein, dass die Entwicklung des Kapitalismus seit 1914 sie sowohl auf der politischen als auch auf der ökonomischen Ebene als falsch überführt hat. Die historische Erfahrung hat bestätigt, dass die Bourgeoisie imstande ist, Berge zu versetzen, um einen spontanen und plötzlichen Zusammenbruch ihres Produktionssystems zu verhindern. Die Frage, worin die historische Krise des Kapitalismus mündet, ist nicht strikt ökonomisch, sondern vor allem und im wesentlichen politisch, abhängig von der Entwicklung des Klassenkampfes:

 *Wird das Proletariat seinen Kampf zur Durchsetzung seiner revolutionären Diktatur entfalten, welche die Menschheit aus der gegenwärtigen Patsche helfen und zum Kommunismus als neuer Produktionsweise führen wird, die die unlösbaren Widersprüche des Kapitalismus überwindet und löst?

 *Wird das Überleben des Systems die Menschheit in die Barbarei und endgültige Zerstörung stoßen, sei es durch einen allgemeinen Weltkrieg, sei es durch die langsame Agonie einer fortschreitenden und systematischen Zersetzung (2).

Die Bourgeoisie hat auf die permanente Krise ihres Systems mit der allgemeinen Tendenz zum Staatskapitalismus geantwortet. Der Staatskapitalismus ist nicht nur eine ökonomische Antwort, sondern auch eine politische, gleichermaßen notwendig zur Ausführung eines imperialistischen Krieges wie zur Konfrontation des Proletariats. Vom ökonomischen Standpunkt aus richten sich die Bemühungen des Staatskapitalismus nicht so sehr darauf, diese Krise zu überwinden und zu lösen, sondern vielmehr darauf, sie zu managen und hinauszuzögern (3).

So wie die internationale revolutionäre Welle des Proletariats zwischen 1917 und 1923 die Bedrohung ihres Systems auf der entscheidenden politischen Ebene deutlich gemacht hat, so demonstrierte die brutale Depression von 1929 der Bourgeoisie die großen Gefahren, die ihre historische Krise auf ökonomischer Ebene barg. Die Bourgeoisie gab an keiner der beiden Fronten auf. Sie entwickelte eine totalitäre Form ihres Staates, damit er als Verteidigungsbollwerk gegen die proletarische Bedrohung und gegen die wirtschaftlichen Widersprüche seines Ausbeutungssystems dienen kann. Dieser totalitäre Staat drückte sich auf ökonomischer Ebene als allgemeine Tendenz zum Staatskapitalismus aus, der verschiedene Formen annahm: nazistische, stalinistische und ”demokratische”.

In den letzten 30 Jahren, die ebenso vom offenen Wiederauftreten der historischen Krise des Kapitalismus sowie von der Wiedergeburt des proletarischen Kampfes gekennzeichnet waren, sahen wir, wie die Bourgeoisie ihre staatlichen  Mechanismen des Krisenmanagements perfektionierte und ausweitete, um eine abrupte und unkontrollierte Explosion zumindest in den Hauptindustrieländern (Europa, Nordamerika, Japan), dort wo der historische Ausgang der unheilbaren Krise des Kapitalismus bestimmt wird,  zu vermeiden (4).

Die Bourgeoisie hat jeden denkbaren Trick an ihren eigenen ökonomischen Gesetzen ausprobiert, um eine Wiederholung der Erfahrung von 1929, mit einem katastrophalen Fall der Weltproduktion um 30% in weniger als drei Jahren und einer Explosion der Arbeitslosigkeit von 4 auf 28% in derselben Persiode, zu vermeiden. Sie hat nicht nur zahllose ideologische Kampagnen vom Stapel gelassen, die den Zweck verfolgten, das Ausmaß der Krise und ihre wahren Ursachen zu verbergen, sie hat sich auch die Künste ihrer ”Nationalökonomie” zunutze gemacht, um den Anschein eines Wirtschaftsgefüges aufrechtzuerhalten, das funktioniert, Fortschritte macht und auch ein bisschen Zukunft hat.

Bei ihrer Gründung stellte unsere Strömung fest, dass ”in bestimmten Augenblicken das Zusammenfließen einiger dieser Indikatoren einen massiven Konjunktureinbruch in bestimmten nationalen Kapitalien wie Großbritannien, Italien, Portugal oder Spanien auslösen könnte. Dies ist eine Möglichkeit, über die wir nicht hinwegsehen. Dennoch könnte sich, obwohl solch ein Kollaps der Weltwirtschaft einen irreparablen Schaden versetzen würde (britische Auslandsguthaben und -investitionen betragen allein bis zu 20 Milliarden Pfund Sterling), das kapitalistische Weltsystem weiterschleppen, solange es in einigen fortgeschrittenen Ländern wie den USA, Deutschland, Japan und den osteuropäischen Ländern als Produktionsweise aufrechterhalten wird. All diese Ereignisse tendieren natürlich dahin, das gesamte System zu verschlingen, und Krisen sind heute unvermeidlich Weltkrisen. Aber aus den Gründen, die wir oben hervorgehoben haben, haben wir Anlass zu glauben, dass die Krise sich in die Länge ziehen wird - voller Erschütterungen und in steilen Berg- und Talfahrten, aber eher einem Schneeballeffekt ähnelnd als einem jähen, steilen Fall. Selbst der Ruin einer nationalen Wirtschaft würde nicht notwendigerweise all die Kapitalisten dazu treiben, sich selbst aufzuhängen, wie Rosa Luxemburg in einem etwas anderen Zusammenhang bemerkte. Damit dies passiert, muss die Personifizierung des nationalen Kapitals, der Staat, von niemand anderem als dem revolutionären Proletariat erdrosselt werden.” (5)

In ähnlicher Weise haben wir nach den gewaltsamen ökonomischen Ereignissen in den 80er Jahren darauf hingewiesen, dass ”die kapitalistische Maschinerie noch nicht vollständig kollabiert ist. Trotz der Rekordzahl von Bankrotten, trotz der immer häufigeren und ernsthafteren Risse im System funktioniert die Profitmaschine weiterhin, indem sie neue, gigantische Reichtümer konzentriert - das Produkt des Gemetzels unter verschiedenen Kapitalien -, und rühmt mit zynischer Arroganz die Wohltaten des 'Liberalismus'.” (6)

Eine herrschende Klasse begeht keinen Selbstmord oder schließt den Laden und übergibt den Schlüssel an die Klasse, die sie ersetzen soll. Wir können dies bei der feudalen Klasse sehen, die erst nach heftigem Widerstand einen Pakt mit der Bourgeoisie schloss, der ihr einen Platz in der neuen Ordnung einräumte. Dies wird bei der Bourgeoisie noch weniger der Fall sein, die sehr gut weiss, dass sie von der neuen, vom Proletariat repräsentierten Ordnung nichts anderes als ihr eigenes Verschwinden erwarten kann.

Sowohl für die Mystifizierung und Niederringung des Proletariats als auch dafür, ihr ökonomisches System am Laufen zu halten, ist es notwendig, dass die Angehörigen der Bourgeoisie nicht demoralisiert werden und das Handtuch werfen. Dies bedeutet, dass der Staat um jeden Preis das Wirtschaftsgefüge aufrechtzuerhalten hat, dass er ihm den bestmöglichen Anschein von Normalität und Effektivität verleiht, um ein Minimum an Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Wirtschaft sicherzustellen.

Auf alle Fälle ist die Krise der beste Verbündete des Proletariats bei der Erfüllung seiner revolutionären Mission. Jedoch handelt es sich nicht um etwas Spontanes oder Mechanisches, sondern findet durch die Entwicklung seines Kampfes und seines Bewusstseins statt. Wenn das Proletariat seine Reflexionen über die Ursachen der Krise entwickeln soll, dann müssen die Gruppen der Linkskommunisten einen zähen und hartnäckigen Kampf führen, um die Realität des Todeskampfes des Kapitalismus aufzuzeigen und alle Bemühungen des Staatskapitalismus zu entlarven, die die Krise verlangsamen, verstecken, von den Nervenzentralen des Weltkapitalismus weg- und zu den eher peripheren Regionen hinlenken sollen, wo das Proletariat ein geringeres gesellschaftliches Gewicht besitzt.

Das Krisenmanagement

Der Begriff des ”Krisenmanagements”, um die Ausdrucksweise des Berichts unseres vorletzten Internationalen Kongresses (7) zu gebrauchen, ist von entscheidender Natur. Seit 1967 hat der Weltkapitalismus auf das offene Wiederauftreten seiner historischen Krise mit einer Politik des Krisenmanagements geantwortet, was für das Verständnis sowohl des Verlaufs der wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb dieser Periode als auch des Erfolges wichtig ist, den die Bourgeoisie bis jetzt dabei hatte, Ausmaß und Umfang der Krise vor dem Proletariat zu verschleiern.

Diese Politik des Krisenmanagements bildet den vollendetsten Ausdruck für die allgemeine historische Tendenz zum Staatskapitalismus. In der Realität der letzten 30 Jahre haben die westlichen Staaten eine Praxis der Manipulation des Wertgesetzes, der massiven und allgegenwärtigen Verschuldung, des autoritären staatlichen Eingriffs gegenüber den wirtschaftlich Handelnden und in den Produktionsprozess, der Tricks im Umgang mit Geld, dem Aussenhandel und den öffentlichen  Schulden entwickelt, die die staatlichen Planungsmethoden der stalinistischen Bürokratien wie ein Kinderspiel aussehen lässt. All das Geschnatter der westlichen Bourgeoisie über ”Marktwirtschaft”, das ”Spiel der freien Marktkräfte”, die ”Überlegenheit des Liberalismus” und ähnliches ist in Wahrheit eine enorme Mystifikation. In den letzten 70 Jahren gab es, wie die Linkskommunisten hervorgehoben haben, keine zwei ”Wirtschaftssysteme”, von denen das eine eine ”Planwirtschaft” und das andere eine ”freie Wirtschaft” wäre, sondern nur eines: den Kapitalismus, welcher in seinem in die Länge gezogenen Todeskampf durch einen immer entwickelteren und totalitäreren Staatsinterventionismus gestützt wird.

Diese Staatsintervention beim Krisenmanagement, die danach strebt, sich der Krise anzupassen und sie zu verzögern, hat den Hauptindustrieländern ermöglicht, einen brutalen Zusammenbruch, eine allgemeine Desintegration des Systems zu verhindern. Jedoch hat dies weder die Krise gelöst noch irgendeinen ihrer schlimmsten Ausdrücke wie die Arbeitslosigkeit oder die Inflation beseitigt. Die einzige Errungenschaft der 30 Jahre des ”Krisenmanagements” ist eine Art organisierter Marsch in den Abgrund, die Möglichkeit eines kontrollierten Absturzes durch aufeinanderfolgende Rezessionen, dessen einziges reales Resultat darin besteht, das Leiden, die Unsicherheit und Verzweiflung der Arbeiterklasse und der übergroßen Mehrheit der Weltbevölkerung auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Einerseits ist die Arbeiterklasse der großen Industriezentren einer systematischen Politik der allmählichen aber fortschreitenden Kürzung ihrer Löhne, der Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und Problemen des eigentlichen Überlebens ausgesetzt. Andererseits ist das elende Leben der großen Mehrheit der Weltbevölkerung in den riesigen Peripherien, die die Nervenzentralen des Kapitalismus umgeben, in eine Situation der Barbarei, des Hungers und des Todes eingemündet, die getrost als größter, jemals von der Menschheit erlittener Genozid eingeordnet werden kann.

Diese Politik des Krisenmanagements jedoch ist die einzige Möglichkeit für die Gesamtheit des Weltkapitalismus, die einzige, die ihn am Laufen halten kann, selbst wenn der Preis dafür ist, immer größere Teile ihres eigenen Wirtschaftsorganismus in den Abgrund fallen zu lassen. Die wichtigsten und entscheidenden Länder konzentrieren aus imperialistischen und ökonomischen Gründen, aber vor allem wegen der Klassenkonfrontation all ihre Bemühungen darauf, die Krise auf die schwächeren Länder abzuwälzen, die mit weniger Ressourcen gegen ihre verheerenden Auswirkungen und einer geringeren Bedeutung im Kampf gegen das Proletariat versehen sind. So brachen in den 80er Jahren ein großer Teil Afrikas, ein gutes Stück Süd- und Lateinamerikas und eine Reihe asiatischer Länder zusammen. Seit 1989 waren die Länder Osteuropas, Zentralsiens etc. drangewesen, die bis dahin unter der Vorherrschaft jenes Riesen auf tönernen Füßen, Russland genannt, gestanden haben. Nun sind die ehemaligen asiatischen ”Drachen” und ”Tiger” dran, die wie im Fall Indonesiens mit dem brutalsten und rasantesten Sturz einer nationalen Wirtschaft seit 80 Jahren konfrontiert sind.

Wir haben eine Menge Sprüche von Politikern, Gewerkschaftsführern und ”Experten” von ”Wirtschaftsmodellen” über die ”geeignete Wirtschaftspolitik” und ”Krisenlösungen” gehört. Die triste Realität der Krise in den letzten 30 Jahren hat diese Sprüche als das entlarvt, was sie sind: unaussprechliche Dummheit oder gewöhnliche Tricks von Quacksalbern. Vom ”schwedischen Modell einer sozialen Marktwirtschaft” hört man schon lange nichts mehr, das ”japanische Modell” wurde schleunigst aus den Werbekatalogen zurückgezogen, das ”deutsche Modell” diskret dem Museum überschrieben, und die immer wieder aufgelegte, zerkratzte Platte vom ”Erfolg” der asiatischen ”Drachen” und ”Tiger” ist innerhalb einiger Monate aus dem ideologischen Musikautomaten genommen worden. Praktisch besteht die einzig mögliche Politik aller Regierungen, mögen sie links, rechts, diktatorisch oder ”demokratisch”, ”liberal” oder ”interventionistisch” sein, im Krisenmanagement, im kontrollierten und so langsam wie möglich gestalteten Abstieg ins Inferno.

Die Politik des Krisenmanagements und der Krisenbegleitung hat keinesfalls den Effekt, den Weltkapitalismus in einer statischen Position zu halten, wo die brutalen Gegensätze des Regimes der Ausbeutung ständig gezügelt und eingeschränkt bleiben. Solche ”Stabilität” ist wegen der Natur des Kapitalismus selbst, der Dynamik seiner inneren Widersprüche, die ihn unablässig dazu drängt, nach der Verwertung von Kapital zu trachten und um die Neuaufteilung des Weltmarktes zu streiten,  unmöglich. Aus diesen Gründen hat die Politik der Linderung und Verlangsamung der Krise den perversen Effekt, die Widersprüche des Kapitalismus zu verschärfen, zu vertiefen und gewaltsamer zu machen. Der ”Erfolg” der Wirtschaftspolitik des Kapitalismus in den letzten 30 Jahren kann darauf reduziert werden, das Schlimmste der Krise vermieden zu haben, währenddessen jedoch der Umfang der Zeitbombe zugenommen hat, sie also noch explosiver, gefährlicher und zerstörerischer geworden ist:

*30 Jahre der Verschuldung haben die allgegenwärtige Zerbrechlichkeit der Finanzmechanismen erhöht, was ihren Gebrauch beim Krisenmanagement schwieriger und gefährlicher gemacht hat.

*30 Jahre der allgemeinen Überproduktion bedeuteten sukzessive Amputationen am industriellen und landwirtschaftlichen Organismus der Weltwirtschaft, was den Marktumfang eingeschränkt und diese Überproduktion sehr viel ernster und drückender gemacht hat.

*30 Jahre des Hinauszögerns und der Dosierung der Arbeitslosigkeit bedeuten, dass sie heute sehr viel ernster ist und eine endlose Kette von Entlassungen, Gelegenheitsarbeiten, Unterbeschäftigung etc. verursachte.

All die Tricksereien des Kapitalismus mit seinen eigenen ökonomischen Gesetzen bedeuten, dass die Krise nicht die Form eines plötzlichen Zusammenbruchs der Produktion angenommen hat, wie es in den zyklischen Krisen des aufstrebenden Kapitalismus im letzten Jahrhundert passiert war oder wie wir in der Depression von 1929 sahen. Trotzdem hat die Krise eine ausgedehntere Form angenommen, ist zerstörerischer für die Lebensbedingungen des Proletariats und die gesamte Menschheit geworden: ein Abstieg über aufeinanderfolgende, immer brutalere Etappen bis hinab zur Situation einer immer allgemeineren Stagnation und Zersetzung.

Die Erschütterungen, die seit August 1997 stattgefunden haben, markieren eine neue Etappe auf dem Weg in den Abgrund. Wir dürfen keinen Zweifel daran haben, dass dies die schlimmste Periode in den letzten 30 Jahren ist, der größte Schritt, den der Kapitalismus auf seinen Abstieg gemacht hat. Um ihre Auswirkungen auf die Lebensbedingungen des Proletariats und hinsichtlich der Verschlimmerung der kapitalistischen Krise besser zu begreifen, erscheint es uns notwendig, auf die gesamte Periode einzugehen.

In International Review, Nr. 8 (im Artikel ”The international political situation”) zeigten wir, dass die Politik des Kapitalismus, ”die Krise zu managen und zu begleiten”, drei Achsen hat: Diese bestehen in der ”Abwälzung der Krise auf andere Länder, auf die Mittelschichten und auf das Proletariat”. Diese drei Achsen haben die Politik des Krisenmanagements gekennzeichnet und sind auf den verschiedenen Stufen des Zusammenbruchs des Systems bestimmt worden.

Die Politik der 70er Jahre

Die Entwertung des Pfund Sterling 1967 war eines der ersten deutlichen Anzeichen einer neuen offenen Krise des Kapitalismus nach den Jahren relativer Prosperität, die aufgrund des Wiederaufbaus der Weltwirtschaft nach der beträchtlichen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg geherrscht hatte. Es gab den ersten Schock der Arbeitslosigkeit, die in manchen europäischen Ländern auf bis zu 2% anstieg. Die Regierungen antworteten mit einer Politik der öffentlichen Ausgaben, die schnell die Situation bereinigte und eine Erholung der Produktion zwischen 1969 und 1971 erlaubte.

1971 nahm die Krise die Form gewaltiger Währungsturbulenzen an, die sich um die Hauptwährung der Welt konzentrierten: den Dollar. Die Nixon-Regierung war in der Lage, das Problem zeitweise hinauszuzögern, aber dies hatte ernste Konsequenzen für die künftige Entwicklung des Kapitalismus: Es demontierte das Bretton-Woods-Abkommen, das 1944 angenommen worden war, um seitdem die Weltwirtschaft zu regulieren.

Bretton Woods selbst hatte endgültig den Goldstandard abgeschafft und ihn durch den Dollarstandard ersetzt. Schon zu jener Zeit markierte dies einen Schritt zur Schwächung des Weltwährungssystems und zur Stimulierung öffentlicher Schulden. In seiner aufstrebenden Periode hatte der Kapitalismus die Währungen an die Gold- und Silberreserven gebunden, was eine mehr oder weniger kohärente Verbindung zwischen der Ausweitung der Produktion und den Geldmengen in der Zirkulation hergestellt und eine Flucht in den Kredit verhindert oder zumindest abgemildert hatte. Die mit dem Dollar verbundenen Währungen eliminierten diesen Kontrollmechanismus und führten, abgesehen vom beträchtlichen Vorteil, der dadurch dem amerikanischen Kapitalismus gegenüber seinen Konkurrenten geschenkt wurde, ein beträchtliches Währungsrisiko und eine Kreditunsicherheit ein.

Diese Bedrohung blieb verborgen, solange der Wiederaufbau den Platz für den Absatz einer kontinuierlich expandierenden Produktion schuf. Als 1967 der Spielraum für Manöver jedoch dramatisch eingeschränkt wurde, explodierte das Ganze. Die Abschaffung des Dollarstandards und seine Ersetzung durch Sonderziehungsrechte des IWF erlaubten es jedem Staat, seine Währung ohne jegliche Garantie ausser ihrer selbst auszugeben.  Die Bedrohung durch Instabilität und unkontrolliertes Schuldenwachstum wurde immer fühlbarer und gefährlicher.

Der ”Boom” von 1972/73 verbarg diese Probleme nicht nur, er brachte auch eine dieser Illusionen mit sich, welche der Kapitalismus dazu benutzte, seine Todeskrise zu verkleiden: In diesen beiden Jahren erreichte die Produktion Rekordausmaße. Dies beruhte im wesentlichen auf der Entfesselung des Konsums.

Betrunken von seinem flüchtigen ”Erfolg”, prahlte der Kapitalismus mit der Überwindung der Krise und der Widerlegung der Behauptung des Marxismus über die Todeskrise des Systems. Diese Proklamationen wurden schon bald durch die sogenannte ”Ölkrise” von 1974/75 demaskiert, der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg: Der Produktionsstand in den Industrieländern fiel um 2 bis 4%.

Die Antwort auf diese neue Erschütterung beruhte auf zwei Achsen:

*auf dem bemerkenswerten Wachstum öffentlicher Defizite in den Industrieländern, besonders in den Vereinigten Staaten;

*aber vor allem auf dem enormen Wachstum der Verschuldung in der Dritten Welt und den Ländern des Ostens. Die Jahre zwischen 1974 und 1977 erblickten das, was später als die größte Welle des Geldverleihens in die Geschichte einging: 78 Milliarden Dollar wurden Ländern der Dritten Welt verliehen, nicht eingeschlossen jene, die zum russischen Block gehörten. Um sich ein Bild von dem unerhörten Ausmaß der Kreditvergabe zu machen, muss man sie nur mit jenen Krediten vergleichen, die zwischen 1948 und 1953 im Rahmen des Marshall-Plans an die europäischen Länder vergeben wurden: Insgesamt betrugen sie 15 Milliarden Dollar, was für damalige Zeiten bereits ein Rekord war.

Diese Maßnahmen bewirkten eine Erholung der Produktion, obgleich diese niemals den Umfang von 1972/73 erreichte. Jedoch war der Preis dafür die Explosion der Inflation, welche in manchen zentralen Ländern 20% überschritt (in Italien erreichte sie 30%). Die Inflation ist ein charakteristischer Zug des dekadenten Kapitalismus (8), zurückzuführen auf die immense Masse an unproduktiven Ausgaben, die das System erfordert, um zu überleben: Kriegsproduktion, Aufblähung des Staatsapparates, gigantische finanzielle Kosten, Werbung, etc. Diese Kosten sind unvergleichlich größer als die Kosten der Zirkulation und des Wachstums, die typisch für die aufsteigende Periode waren. In der Mitte der 70er Jahre wurde diese permanente und strukturelle Inflation jedoch aufgrund der Anhäufung öffentlicher Defizite, die durch die unkontrollierte Ausgabe von Geld ohne Gegenwert bewirkt wurden, zu einer galoppierenden Inflation.

Die Entwicklung der Weltwirtschaft in der zweiten Hälfte der 70er Jahre schwankte zwischen Erholung und Depression. Jede Bemühung, die Wirtschaft wiederzubeleben, führte zu einem Ausbruch der Inflation (welche die Kapitalisten ”Überhitzung” nannten), was bedeutete, dass die Regierungen das ”Einfrieren” des Wachstums durch steigende Zinssätze, plötzliche Reduzierungen der Geldmengen in der Zirkulation etc. durchsetzen mussten, was in die Rezession führte. Dies demonstrierte deutlich die allgemeine Sackgasse der kapitalistischen Ökonomie, zurückzuführen auf die Überproduktion.

Die Bilanz der 70er Jahre

Nach dieser kurzen Beschreibung der ökonomischen Entwicklung während der 70er Jahre können wir einige Schlüsse auf zwei Ebenen ziehen:

- die wirtschaftliche Situation;

- die Senkung des Lebensstandards der Arbeiterklasse.

Die allgemeine wirtschaftliche Lage

1. Das Produktionsniveau war hoch. Die durchschnittliche Höhe der Produktionssteigerung während dieser Dekade in den 24 Ländern der OECD betrug 4,1%. Während des Booms von 1972/73 erreichte sie 8% und gar 10% in Japan. Trotzdem ist es nicht schwer, im Vergleich zu den vorherigen Jahrzehnten die klare Tendenz nach unten zu erkennen:

Durchschnittliche Zuwachsraten der Produktion in den Ländern der OECD:

1960-70    -    5,6%                   

1970-73    -    5,5%                   

1976-79    -    4,0%

2. Die massive Kreditvergabe an die ”Dritte Welt” erlaubte die Ausbeutung und Einverleibung der letzten, wenn auch sehr kleinen vor-kapitalistischen Überbleibsel in den Weltmarkt. Wir können also sagen, dass der Weltmarkt eine sehr begrenzte Expansion erlebte, so wie während der Wiederaufbauperiode nach 1945.

3. Der ganze produktive Sektor, inklusive der traditionellen Bereiche wie Schiffbau, Kohleförderung, Eisen und Stahl, die zwischen 1972 und 1978 eine große Expansion erfuhren, wuchs. Jedoch war diese Ausweitung ihr Schwanengesang: Von 1978 an führten die Zeichen einer wachsenden Marktsättigung zur berüchtigten ”Restrukturierung” (ein Euphemismus, der die massiven Entlassungen verhüllte), die 1979 begann und dem folgenden Jahrzehnt ihren Stempel aufdrückte.

4. Die Erholungsphasen wirkten sich auf die Weltwirtschaft mehr oder weniger ausgeglichen aus. Von ein paar Ausnahmen abgesehen (ein wichtiges Beispiel war der Produktionsrückgang in Argentinien, Chile, Uruguay), profitierten alle Länder vom Produktionswachstum. Es gab keine Länder, die von der Erholung ”abgenabelt” wurden, so wie es später in den 80er Jahre geschah.

5. Die Rohstoffpreise hielten die Steigerungstendenzen aufrecht, die ihren Höhepunkt mit dem spekulativen Ölboom (zwischen 1972 und 1977) erreichten, um sich danach in ihr Gegenteil zu verkehren.

6. Die Rüstungsproduktion hob im Verhältnis zu den 60er Jahren ab und wuchs von 1976 an spektakulär.

7. Ab 1975 beschleunigten sich die Schuldenraten stark, obwohl sie im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte, winzig waren. Sie waren charakterisiert durch:

- ein ziemlich moderates Wachstum in den zentralen Ländern (obgleich es ab 1977 einen spektakulären Anstieg in den Vereinigten Staaten während der Carter-Administration gab);

- einen massiven Anstieg andererseits in den Ländern der ”Dritten Welt”.

Schulden der ”unterentwickelten” Länder

(Quelle: Weltbank)

1970     -     $ 70 Mia                   

1975     -     $ 170 Mia                   

1980     -     $ 580 Mia

8. Das Bankensystem war solide: Die Kreditvergabe (für Konsum und Investitionen, an Familien, Geschäfte und Institutionen) wurde einer Reihe sehr rigoroser Kontrollen und Garantien unterworfen.

9. Die Spekulation war noch ein begrenztes Phänomen, obwohl die fiebrige Ölspekulation (die berühmten Petrodollars) Vorbote einer Tendenz zu ihrer Verallgemeinerung im darauffolgenden Jahrzehnt war.

Die Lage der Arbeiterklasse

1. Die Arbeitslosigkeit blieb relativ beschränkt, auch wenn sie ab 1975 stetig wuchs. In den 24 OECD-Ländern gab es 1968 7 Millionen Arbeitslose; 1979 war ihre Zahl auf 18 Millionen gestiegen.

2. Es gab erhebliche nominale Lohnsteigerungen (diese erreichten 20-25%), und in Ländern wie Italien wurden gleitende, inflationsgebundene Löhne eingeführt. Diese Lohnsteigerungen täuschten darüber hinweg, dass insgesamt gesehen die Löhne gegenüber der galoppierenden Inflation an Boden verloren.

3. Dauerarbeitsplätze überwogen deutlich, und in den meisten Ländern gab es ein starkes Wachstum der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst.

4. Die Sozialausgaben, Beihilfen, das soziale Sicherheitssystem, Haushalts-, Kranken- und Erziehungsgeld - alles erlebte eine erhebliche Steigerung.

5. In diesem Jahrzehnt war der Verfall der Lebensbedingungen zwar real, aber ziemlich mild. Die Bourgeoisie, wachsam geworden durch die historische Wiedergeburt des Klassenkampfes und beträchtlichen Spielraum für Manöver auf dem wirtschaftlichen Terrain auskostend, zog es vor, ihre Angriffe mehr auf die schwächsten Bereiche des nationalen Kapitals als auf die Arbeiterklasse zu konzentrieren. Die 70er Jahre waren ”Jahre der Illusionen”, gekennzeichnet von der politischen Dynamik der ”Linken an der Macht”.

Im nächsten Teil dieses Artikels werden wir eine Bilanz der 80er und 90er Jahre ziehen, was uns erlauben wird, einerseits die gewaltige Verschlimmerung der Wirtschaftslage und der Lage der Arbeiterklasse zu bewerten, andererseits die düsteren Perspektiven des weiteren Abstiegs zum Inferno besser zu begreifen, die die im August 1997 eröffnete Periode umfassen.

Adalen

Anmerkungen:

1 Es gibt im wesentlichen zwei Theorien über die Krisenursache: die Sättigung des Weltmarktes und der tendenzielle Fall der Profitrate. Siehe dazu die Artikel in International Review Nr. 13, 16, 23, 29, 30, 76 und 83.

2  s. International Review Nr. 62 ”The decomposition of capitalism”

3  s. International Review Nr. 21 ”On state capitalism” und International Review Nr. 23 ”The proletariat in decadent capitalism”

4  s. International Review Nr. 31 ”The proletariat in Western Europe at the centre of the class struggle”

5  s. den Artikel über die internationale Lage in International Review Nr.1

6  s. International Review Nr. 56

7  s. den Bericht, den wir in der Internationalen Revue Nr. 21 veröffentlichten

8  s. unsere Broschüre Die Dekadenz des Kapitalismus

Über den Aufruf der IKS zu einer Stellungnahme gegen den Krieg in Serbien: Die kriegerische Offensive der Bourgeoisie erfordert

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Der Krieg in Serbien hat die vermeintlichen Revolutionäre entlarvt und die grundlegende Einheit der wirklich internationalistischen Gruppen aufgezeigt.

Kriege und Revolutionen sind bedeutende historische Ereignisse, die das Lager der herrschenden Klasse von dem der Revolutionäre abgrenzen und gleichzeitig ein Prüfstein für die Klassennatur politischer Kräfte sind. Dies galt auch für den Ersten Weltkrieg, der den Verrat der Sozialdemokratie auf internationaler Ebene ans Licht brachte, den Tod der Zweiten Internationale bedeutete und eine Minderheit auftauchen ließ, welche die neuen kommunistischen Parteien der Dritten Internationale gründeten. Es galt ebenso für den Zweiten Weltkrieg, der die Integration der verschiedenen stalinistischen Parteien in die Verteidigung des bürgerlichen Staates durch ihre Unterstützung der imperialistischen ”demokratischen” Front gegen den ”Faschismus” bestätigte und die verschiedenen trotzkistischen Gruppierungen dazu brachte, die Arbeiterklasse zur Verteidigung des russischen ”Arbeiterstaates” gegen die Aggression der nazi-faschistischen Diktatur aufzurufen. Andererseits aber tauchte damals der mutige Widerstand einer winzigen Minderheit von Revolutionären auf, die ihr Lager in dieser schrecklichen historischen Prüfung aufrecht erhalten konnten. Heute sind wir noch nicht mit der Gefahr eines dritten Weltkrieges konfrontiert, da die Bedingungen dazu nicht vorhanden sind, und wir gehen auch nicht davon aus, dass sich dies in nächster Zukunft ändern wird. Dennoch ist die militärische Intervention in Serbien das bedeutendste Ereignis seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, und sie hat eine Polarisierung der politischen Kräfte um die zwei Hauptklassen der Gesellschaft hervorgerufen: das Proletariat und die Bourgeoisie.

Die verschiedenen linken Gruppierungen haben ihren bürgerlichen Charakter entweder durch die Unterstützung der NATO-Angriffe oder die Verteidigung Serbiens1 [145] einmal mehr  bestätigt. Doch auf der anderen Seite können wir mit tiefer Zufriedenheit feststellen, dass die wichtigsten revolutionären politischen Gruppen alle eine gradlinige internationalistische Position eingenommen haben, welche die folgenden Grundsätze unterstützt:

1. Der gegenwärtige Krieg ist ein imperialistischer Krieg (wie alle Kriege heutzutage) und die Arbeiterklasse hat in der Unterstützung der einen oder anderen Seite nichts zu gewinnen:

”Welches Lager man auch betrachtet - ob amerikanisch oder serbisch, italienisch oder französisch, russisch oder englisch - es sind immer die inner-imperialistischen Konflikte, hervorgerufen durch die Widersprüche der bürgerlichen Ökonomie (...). Kein Mensch, kein Soldat für den imperialistischen Krieg: offener Kampf gegen die eigene nationale Bourgeoisie, serbisch oder kosovarisch, italienisch oder amerikanisch, deutsch oder französisch.” (Il Programma comunista, Nr. 4, 30. April 1999)

”Für die wirklichen Kommunisten ist die Unterstützung dieses oder jenes Imperialisten, auch die Unterscheidung zwischen Schwächeren und Stärkeren, opportunistisch und unehrenhaft, da bei zwei Schlechten den weniger Schlimmen zu suchen, falsch ist. Jegliche Unterstützung für diese oder jene imperialistische Front ist eine Unterstützung des Kapitalismus. Es ist ein Verrat an allen Erfahrungen der Befreiung der Arbeiterklasse und an der Sache des Sozialismus.

Der einzige Weg, der Logik des Krieges zu entfliehen, geht über die Wiederaufnahme des Klassenkampfes im Kosovo sowie im Rest Europas, den Vereinigten Staaten oder in Russland.” (Flugblatt des IBRP, ”Kapitalismus heißt Imperialismus, Imperialismus heißt Krieg”, 25. März 1999)    

   

2. Der Krieg in Serbien, weit davon entfernt humanitäre Ziele für irgendeinen Bevölkerungsteil zu verfolgen, ist das direkte Resultat der imperialistischen Zusammenstöße auf Weltebene:

”Die Drohungen und der Druck auf die Türkei, sowie auch der Krieg gegen den Irak, haben die Repression und Massaker an den Kurden nicht gestoppt; wie auch die Drohungen und der Druck gegen Israel die Repression und die Massaker an den Palästinensern nicht gestoppt haben. Die UNO-Missionen, die sogenannten Eingreiftruppen, die Embargos, hatten gestern den Krieg in Ex-Jugoslawien zwischen Serbien und Kroatien, innerhalb Kroatiens, zwischen Serbien und Bosnien, alle gegen alle, nicht verhindern oder stoppen können. Und die militärische Intervention der westlichen Bourgeoisien, von der NATO gegen Serbien organisiert, wird die ”ethnischen Säuberungen” gegen die Kosovari nicht verhindern, so wie sie die Bombardierung Belgrads und Pristinas nicht verhindert haben.

Die humanitären Missionen der UNO (...) haben vielmehr das Terrain zu Repression und schrecklicheren Massakern ”vorbereitet”. Es ist der Beweis, dass die humanitäre und pazifistische Vision und Aktion in Wirklichkeit nur eine ohnmächtige Illusion ist.” (”Der wirkliche Widerstand gegen die militärischen Interventionen und den Krieg ist der Klassenkampf des Proletariats, seine Reorganisierung auf dem internationalistischen Klassenterrain gegen alle Formen der bürgerlichen Unterdrückung und den Nationalismus”, Beilage zu Il comunista Nr. 64-65, April 1999).                

3. Dieser Krieg ist trotz einer angeblichen Fassade der Einheit ein Konflikt zwischen den imperialistischen Mächten innerhalb der NATO und im speziellen zwischen den USA auf der einen und Deutschland und Frankreich auf der anderen Seite:

”Der feste Wille der USA, durch die direkte Intervention gegen Serbien einen Kriegsgrund zu finden, ist schon während der Verhandlungen von Rambouillet hervorgetreten: diese Verhandlungen, weit davon entfernt eine friedliche Lösung für die unentwirrbare Kosovo-Frage zu suchen, diente im Gegenteil dazu, die Verantwortung für den Krieg der jugoslawischen Regierung zuzuschieben. (...) Das wahre Problem für die USA waren ihre eigenen Verbündeten und Rambouillet diente dazu, Druck auf sie auszuüben und ihnen die NATO-Intervention aufzuzwingen (...).” (Il Partito comunista, Nr. 266, April 1999)

”Um die Konsolidierung eines neuen imperialistischen Blockes zu verhindern, der fähig wäre, sich dem Stärksten zu widersetzen, drängten die USA auf eine Ausdehnung der NATO in Richtung Balkan sowie Osteuropa (...) Sie beabsichtigten (...), und dies ist vielleicht der wichtigste Aspekt, den europäischen Ansprüchen, eine selbständige imperialistische Rolle zu spielen, einen harten Schlag zuzufügen.

Die Europäer ihrerseits machten gute Mine zum bösen Spiel, indem sie die militärische Aktion der NATO unterstützten, dies jedoch nur, um nicht das Risiko einzugehen, aus einer derart wichtigen Region komplett ausgeschlossen zu sein.” (Flugblatt des IBRP, ”Kapitalismus heißt Imperialismus, Imperialismus heißt Krieg”, 25. März 1999)   

4. Wie schon immer zeigt der Pazifismus einmal mehr, dass er nicht ein Instrument des Kampfes der Arbeiterklasse und der Zivilbevölkerung gegen den Krieg ist, sondern ein von den linken Parteien gebrauchtes Mittel, um die Arbeiterklasse einzuschläfern. Dies wird durch die Rolle der Linken als Kriegstreiber für die zukünftigen Schlächtereien bestätigt:

”Das verlangt die Überwindung aller pazifistischen und reformistischen Illusionen, die entwaffnen und sich gegen die Ziele und Methoden des Kampfes der Klasse wenden, die immer zur proletarischen Tradition gehörten (...)” (Il Programma comunista, Nr. 4, 30. April 1999)    

”Die bunte Front (...) richtet den gleichen pazifistischen Appell an alle, deren sich das Kapital bedient, um Krieg zu führen: die Verfassung, die Vereinten Nationen, die Regierungen (...). Und schlussendlich, um das Ganze noch lächerlicher zu machen, bittet man dieselben Regierungen, die Krieg führen, nett zu sein und für den Frieden zu arbeiten.” (Battaglia Comunista, Nr. 5, Mai 1999)      

Unser Aufruf an das politische proletarische Milieu

Wie man feststellen kann, existiert unter den verschiedenen Organisationen des politischen revolutionären Milieus eine volle Übereinstimmung über die grundsätzlichen Fragen zum Konflikt auf dem Balkan. Natürlich gibt es auch Divergenzen, die in einer unterschiedlichen Herangehensweise in der Analyse des Imperialismus in der gegenwärtigen Phase und des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen liegen. Aber ohne diese Divergenzen zu unterschätzen betrachten wir die gemeinsamen Aspekte als viel wichtiger und bedeutsamer als diejenigen, welche bezüglich der momentanen Begebenheiten unterschiedlich sind. Auf dieser Grundlage haben wir am 29. März 1999 an alle diese Gruppen[i] [145] einen Appell für eine gemeinsame Initiative gegen den Krieg gerichtet:

”Genossen,

(...) Heute sind die Gruppen der Kommunistischen Linken die einzigen, welche die klassischen Positionen der Arbeiterbewegung verteidigen. Nur diejenigen Gruppen, die sich auf diese Strömung berufen, die als einzige während des Zweiten Weltkrieges keinen Verrat begangen hat, sind fähig auf all die Fragen, die sich heute für die Arbeiterklasse stellen, eine Antwort zu geben. Ihre Pflicht ist es, so breit als möglich in der Arbeiterklasse zu intervenieren, um die Flut von Lügen, die von den verschiedenen Teilen der Bourgeoisie verstreut werden, zu denunzieren und die internationalistischen Prinzipien zu verteidigen, die uns die Kommunistische Internationale und ihre linken Fraktionen als Erbe überlassen haben. Die IKS ihrerseits hat bereits ein Flugblatt herausgegeben, von dem wir Euch hier eine Kopie zukommen lassen. Wir denken jedoch, dass die Wichtigkeit der Ereignisse es erfordert, dass alle Gruppen, welche eine internationalistische Position verteidigen, eine gemeinsame Stellungnahme zur Bekräftigung der proletarischen Klassenprinzipien und gegen die kriegerische kapitalistische Barbarei veröffentlichen und verteilen. Zum ersten Mal seit mehr als einem halben Jahrhundert führen die imperialistischen Hauptgangster den Krieg in Europa selber, d.h. auf dem Schlachtfeld der beiden Weltkriege und gleichzeitig in dem weltweit größten Ballungsgebiet der Arbeiter. Dies zeigt den ganzen Ernst der Lage auf. Damit fällt den Kommunisten die Verantwortung zu, ihre Kräfte zu vereinen, um die Stimme der internationalistischen Prinzipien so laut wie möglich zu erheben und um mit unseren geringen Kräften diesen Prinzipien soviel Widerhall wie möglich zu verschaffen.

Es ist der IKS klar, dass eine solche Stellungnahme in einigen Punkten anders sein wird als das Flugblatt, das wir selbst veröffentlicht haben, weil wir wissen, dass innerhalb der Kommunistischen Linken Meinungsverschiedenheiten bezüglich gewisser Aspekte der Analyse über die Weltlage bestehen. Dennoch sind wir fest davon überzeugt, dass die Gesamtheit der Gruppen der Kommunistischen Linken ein Dokument zur Bestätigung der grundlegenden Prinzipien des Internationalismus  erstellen können ohne ihre eigenen Prinzipien abzuschwächen. Deshalb schlagen wir Euch vor, dass sich unsere Organisationen so schnell wie möglich treffen um einen Appell gegen den imperialistischen Krieg, gegen die Lügen der Bourgeoisie, gegen alle Kampagnen des Pazifismus und für eine proletarische Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus zu verfassen.

Mit diesem Vorschlag knüpfen wir an die Politik der Internationalisten und im besonderen derjenigen Lenins auf den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal 1915 und 1916 an. Eine Politik, die fähig war, bestehende Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Teilen der europäischen Arbeiterbewegung zu überwinden oder beiseite zu lassen um die proletarische Perspektive gegen den imperialistischen Krieg hervorzuheben. Wir sind offen für jede andere Initiative Eurer Organisation, gegenüber jeglichem Vorschlag, der es erlaubt, dem proletarischen Standpunkt gegen die kriegerische Barbarei und gegen die Lügen der herrschenden Klasse Gehör zu verschaffen (...)

Mit kommunistischen Grüßen

IKS”                                

                   

Die Antworten auf unseren Aufruf

Leider entsprachen die Antworten auf unseren Aufruf nicht der Dringlichkeit der Situation und unseren Erwartungen. Zwei der bordigistischen Gruppen, Il Comunista-Le Prolétaire und Il Partito Comunista haben trotz eines zweiten Briefes vom April 1999 mit der Anfrage um eine Antwort bisher auf unseren Aufruf nicht geantwortet. Die dritte bordigistische Gruppe, Programma Comunista, hatte eine schriftliche (negative) Antwort versprochen, doch wir haben nichts erhalten. Das IBRP letztlich erwies uns die Ehre einer freundschaftlichen ablehnenden Antwort auf unsere Einladung. Es liegt auf der Hand, dass wir das Scheitern dieses Aufrufes nur bedauern können. Abgesehen davon bestätigt es offenbar einmal mehr die Schwierigkeiten, in denen sich das von der starken sektiererischen Erstarrung aus dem konterrevolutionären Klima seiner Wiederformierung geprägte proletarische politische Milieu befindet. Im jetzigen Zeitpunkt angesichts der Probleme des Krieges ist es jedoch nicht unser Anliegen, die Reibungen im proletarischen politischen Milieu mit einer Polemik über die Unverantwortlichkeit, die eine negative Antwort bzw. das Stillschweigen auf unseren Aufruf darstellen, weiter zu nähren, sondern wir wollen vor allem die Argumente für die Notwendigkeit und das Interesse der Arbeiterklasse für eine gemeinsame Stellungnahme aller internationalistischen Gruppen unterstreichen. Wir wollen in diesem Rahmen die ablehnenden Argumente des IBRP (das uns als einzige Organisation geantwortet hat!) überprüfen, welche sie schriftlich und in direkten Treffen mit uns vorgebracht haben. Dies in Anbetracht dessen, dass viele der Argumente des IBRP mit größter Wahrscheinlichkeit denjenigen gleichkommen, mit denen uns die bordigistischen Gruppen geantwortet hätten. Damit hoffen wir mit dem Blick auf alle Genossen und politischen Gruppierungen der Arbeiterklasse unseren Vorschlag zu einer gemeinsamen Stellungnahme voranzubringen und so in Zukunft ein besseres Resultat zu erzielen.

Ist es wahr, dass eine gemeinsame Stellungnahme des proletarischen-politischen Milieus zwangsläufig ein "tiefes politisches Niveau" hat?

Das erste Argument des IBRP besteht in der Behauptung, die Positionen der verschiedenen Gruppen seien allzu unterschiedlich, so dass jegliche gemeinsame Stellungnahme ein "sehr tiefes politisches Niveau" aufweisen würde und deshalb kaum förderlich wäre "der Barbarei und den Lügen der Bourgeoisie den proletarischen Standpunkt entgegenzuhalten" (Antwortbrief des IBRP auf unseren Aufruf).

Sich auf diese Behauptung stützend fügen sie an:

"Es ist wahr, dass die Gruppen der Kommunistischen Linken heute die Einzigen sind, welche die klassischen Positionen der Arbeiterbewegung verteidigen. Doch es ist ebenfalls wahr, dass jede dieser Strömungen dies in einer radikal unterschiedlichen Art und Weise tut. Wir wollen auf die spezifischen Unterschiede, die jeder aufmerksame Betrachter leicht erkennen kann, hier nicht eingehen, doch wir wollen an dieser Stelle unterstreichen, dass diese Differenzen große Gräben zwischen den Kräften aufzeigen, die sich auf die Kommunistische Linke berufen (...)" (a.a.O.).

Wir haben zuvor gerade das Gegenteil aufgezeigt. Die Zitate zu Beginn dieses Artikels könnten unter den verschiedenen politischen Gruppen leicht ausgetauscht werden, ohne dass dadurch eine politische Verunstaltung entstehen würde, und als Ganzes bilden sie die grundlegenden politische Elemente für eine mögliche gemeinsame Stellungnahme, die für die Arbeiterklasse heute von großer Bedeutung wäre.    

Weshalb spricht das IBRP von "radikalen Differenzen", die jeglichen Versuch einer gemeinsamen Initiative fruchtlos machen würden? Weil das IBRP die Grundsatzpositionen (die defätistische Haltung gegenüber dem Krieg) und die politischen Analysen über die gegenwärtige Periode (die Gründe des Krieges in Serbien, das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat ...) auf dieselbe Ebene stellt. Wir unterschätzen die Wichtigkeit dieser aktuellen Divergenzen im proletarischen-politischen Milieu bezüglich der Analyse gewiss nicht. Wir werden in einem künftigen Artikel auf diese Fragen eingehen sowie auf unsere Kritik an der ökonomistischen Position, wie sie vor allem von Battaglia Comunista und Il Partito  verfochten wird. Heute müssen wir aber feststellen, dass das größte Problem in der Unterschätzung des IBRP und der anderen angeführten Gruppen über das Echo besteht, auf welches eine solche gemeinsame Stellungnahme stoßen könnte.

Nicht umsonst ist das IBRP durch die Verwerfung dieser Möglichkeit auf den Abweg geraten, die Bedeutung der Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal gewaltig zu unterschätzen.

Die Bedeutung der Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal                    

"Aus folgendem Grund hat die in Eurem Brief/Aufruf enthaltene Bezugnahme auf die Konferenzen von Zimmerwald keine Bedeutung in der heutigen historischen Situation. Zimmerwald und Kienthal waren keine Initiativen der Bolschewiki oder Lenins sondern der italienischen und schweizerischen Sozialisten, welche darin eine Mehrheit der "radikalen" Tendenzen innerhalb der Parteien der Zweiten Internationale zusammenführten. Lenin und die Bolschewiki nahmen daran Teil um den Bruch mit der Zweiten Internationale voranzutreiben, doch:

a) der Bruch fand damals nicht statt, denn Lenin befand sich in Wirklichkeit auf beiden Konferenzen in einer absoluten Minderheit;

b) war es nicht das Zimmerwalder Manifest, welches "klar die proletarische Perspektive gegenüber dem imperialistischen Krieg aufzeigte", sondern vielmehr die Motion Lenins, welche von der Konferenz verworfen wurde. Die Teilnahme der Bolschewiki an den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal als Modell für die gegenwärtige Situation darzustellen ist sinnlos." (Antwortbrief des IBRP auf unseren Aufruf)

In diesem Abschnitt beginnt das IBRP mit der Wiederholung von Tatsachen wie der, dass die Konferenzen eine Initiative der italienischen und schweizerischen Sozialisten und nicht der Bolschewiki war, dass Lenin daran mit der Absicht teilnahm, den Bruch mit der Zweiten Internationale voranzutreiben und Lenin, als Konsequenz davon, auf beiden Konferenzen schlussendlich in der Minderheit blieb. Und der Abschnitt endet damit, diejenigen zu verfluchen, welche diese "Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal als Modell für die gegenwärtige Situation darstellen".

Das IBRP hat nicht verstanden, offenbar durch Unachtsamkeit bei der Lektüre unseres Aufrufes, was wir ebenfalls hervorgehoben haben: ”Mit diesem Vorschlag knüpfen wir an die Politik der Internationalisten, und im besonderen derjenigen Lenins, auf den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal 1915 und 1916 an. Eine Politik, die fähig war (...) die proletarische Perspektive gegen den imperialistischen Krieg hervorzuheben.” Das wirkliche Problem besteht darin, dass das IBRP selbst die Geschichte unserer Klasse zu ignorieren scheint. Während es wahr ist, dass die Bolschewiki, zur damaligen Zeit auf dem "linken Flügel der Arbeiterbewegung", immer versucht haben die Ergebnisse dieser Konferenzen so weit als möglich vorwärtszutreiben, so hatten sie nie die Absicht abseits zu stehen, da sie die Notwendigkeit erkannten, in einem Moment der besonders intensiven und entscheidenden politischen Klärung wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kräfte zu sammeln. Lenin selbst leistete dazu eine wichtige Arbeit, indem er die sogenannte "Zimmerwalder Linke" animierte, den Schmelztiegel der politischen Kräfte, aus denen die Dritte Internationale geschmiedet wurde. Und noch einmal zur Tatsache, dass "Zimmerwald und Kienthal keine Initiative der Bolschewiki war", hier die Gedanken der revolutionären Zimmerwalder Linken:

”Das von der Konferenz angenommene Manifest stellt uns nicht ganz zufrieden. Es enthält keine Charakteristik weder des offenen noch des unter radikalen Phrasen versteckten Opportunismus - des Opportunismus, der an dem Zusammenbruch der Internationale nicht nur die Hauptschuld trägt, sondern diesen Zusammenbruch auch noch verewigen will. Das Manifest enthält keine klare Charakteristik der Mittel für den Kampf gegen den Krieg. (...)

Wir stimmen für das Manifest, weil wir es als einen Kampfaufruf betrachten, und in diesem Kampf wollen wir mit der übrigen Internationale Hand in Hand gehen. (...)”

(Erklärung der Zimmerwalder Linken auf der Konferenz von Zimmerwald. Unterschrieben von Lenin, Sinowjew, Radek, Nerman, Höglund und Winter. Aus: Jules Humbert-Droz, ”Der Krieg und die Internationale”, Europa Verlag 1964, S. 148-149)

Und hier die Worte Sinowjews nach der Kienthaler Konferenz:

”Wir, die Zimmerwalder haben jetzt den Vorzug, dass wir uns schon international zusammengefunden haben, während die Sozialpatrioten es noch nicht können. Diesen Vorzug sollen wir ausnützen, um den Kampf gegen den Sozialpatriotismus zu organisieren (...).   

Im ganzen ist die Resolution ein Schritt vorwärts. Wer diese Resolution mit dem Projekt der Zimmerwalder Linken im September 1915 und mit den Schriften der deutschen, holländischen, polnischen und russischen Linksradikalen vergleichen wird, der wird zugestehen müssen, dass unsere Ideen in den Grundzügen jetzt von der Konferenz angenommen sind. (...)

Alles in allem war die zweite Zimmerwalder Konferenz zweifellos ein Schritt vorwärts. Das Leben wirkt in unserem Sinne. (...)

Die zweite Zimmerwalder Konferenz wird politisch und historisch noch ein Schritt vorwärts auf dem Weg zur Dritten Internationale sein. (Sinowjew, ebenda, S. 215-217)  

                              

Zusammengefasst waren Zimmerwald und Kienthal zwei entscheidende Etappen im Kampf der Revolutionäre zur Zusammenführung der revolutionären Kräfte und ihrer Trennung von den sozialpatriotischen Verrätern im Hinblick auf die Gründung der Dritten Internationale. Die Bolschewiki und Lenin verstanden die Bedeutung des Manifestes von Zimmerwald für die isolierten und in den Schützengräben verstreuten Arbeiter: Es zeigte den Weg aus der Hölle auf. Dies versteht das IBRP leider nicht. Es gibt Momente in der Geschichte, in denen ein Voranschreiten der Revolutionäre wichtiger ist als tausend noch so klare politische Programme, muss man in Anlehnung an Marxens Worte sagen.

Was bleibt?

Bezüglich des IBRP gibt es noch etwas wichtiges anzufügen: Diese Organisation hat noch vor einigen Monaten und im Verlauf der letzten Jahre mit uns eine Reihe von gemeinsamen Initiativen unternommen. Hier die wichtigsten:

- Die koordinierte Teilnahme, und zum Teil gemeinsame Interventionen im Namen beider Organisationen, auf der zweiten Konferenz über das politische Erbe Trotzkis, welche in Moskau vom dortigen trotzkistischen oder halb-trotzkistischen Milieu organisiert wurde.

- Eine gemeinsame öffentliche Veranstaltung in London über die Russische Revolution mit einer gemeinsamen Einführung im Namen beider Gruppen, einem gemeinsamen Präsidium und einem Artikel, der über diese Veranstaltung Bilanz zog und von beiden Gruppen geschrieben und in der jeweiligen englischsprachigen Presse (Workers Voice und World Revolution) veröffentlicht wurde.

- Eine koordinierte Intervention zwischen den zwei Gruppen in einer Konfrontation mit parasitären Gruppen in Großbritannien.

Doch nun weist das IBRP jede Initiative dieser Art zurück. Als wir die Genossen von Battaglia Comunista darum anfragten, antworteten sie uns, dass es möglich war zur Russischen Revolution zusammenzuarbeiten, da ”die Lehren darüber schon vor langer Zeit gezogen wurden”. Es scheint sich hier um eine gefestigte Analyse über Ereignisse der Vergangenheit zu handeln, während der Krieg ein anderes Problem, ein Problem der heutigen Zeit sei, das Auswirkungen auf die Perspektive habe. Auch wenn wir die Tatsache beiseite lassen, dass die öffentliche Diskussionsveranstaltung zur Russischen Revolution sowie auch die Intervention auf den Konferenzen in Russland sich nicht auf die Vergangenheit beschränkten, sondern Bezug zur Aktualität und Zukunft der Arbeiterbewegung hatten, so ist es kurios, wenn die Diskussion über den Oktober 1917 als ein Element der politischen Archäologie statt als ein Instrument zur Schärfung der Intervention in der Arbeiterklasse von heute dargestellt wird. Noch einmal zusammengefasst: Die Argumente des IBRP sind nicht nur ungültig, sondern falsch.

Dieser Schwenker des IBRP ist aus der Nähe betrachtet kein großes Rätsel. Es stimmt mit dem überein, was die Genossen in den Schlussfolgerungen ihrer ”Resolution über die internationale Arbeit” des 6. Kongresses von Battaglia Comunista, der vom gesamten Büro angenommen wurde, schrieben und in der Antwort auf unseren Aufruf erwähnt ist:

”Es ist jetzt ein anerkanntes Prinzip unserer politischen Führungslinie, dass, außer unter sehr außergewöhnlichen Umständen, alle neuen internationalen Konferenzen  und Treffen, die vom Büro und seinen Organisationen abgehalten werden, sich vollständig in eine Richtung zur Festigung, Stärkung und Ausweitung der revolutionären Tendenzen des Weltproletariates einfügen müssen. Das Internationale Büro für die Revolutionäre Partei und die dazugehörigen Organisationen folgen diesem Prinzip. (...) Und es ist in diesem Rahmen und aufgrund aller anderen Dokumente des Büros klar, das wir mit ”revolutionären Tendenzen des Weltproletariates” all diejenigen Kräfte meinen, welche die internationale Partei des Proletariates aufbauen wollen. Und - wegen der gegenwärtigen politischen Methoden Eurer und der anderen Organisationen - denken wir nicht, dass Ihr ein Teil davon sein könnt.”

Hinter diesen Zeilen, lässt man den ersten Teil, mit dem wir einverstanden sind, beiseite (”alle neuen internationalen Konferenzen  und Treffen (...) sich vollständig in eine Richtung zur Festigung, Stärkung und Ausweitung der revolutionären Tendenzen des Weltproletariates einfügen müssen”), versteckt sich die Idee, dass das Büro heute die einzige glaubwürdige Organisation innerhalb der Kommunistischen Linken sei (wir wundern uns woher eine solche in der Arbeiterbewegung neuartige Behauptung wohl herkommt. Vielleicht hat das IBRP, dem Papste gleich, ein Abkommen mit dem Himmel abgeschlossen). Dies alles weil die IKS ”idealistisch” und die Bordigisten ”sklerotisch” seien: ”(...) wegen der gegenwärtigen politischen Methoden Eurer und der anderen Organisationen - denken wir nicht, dass Ihr ein Teil davon sein könnt”,- der ”internationalen Partei des Proletariates”. Somit scheint es also besser, mit Rücksicht auf seine Schwesterorganisationen dem eigenen Weg zu folgen und keine Zeit für Konferenzen oder gemeinsame Initiativen zu verschwenden, die so oder so nur sterile Resultate erzielten.

Dies ist die einzige klare Position des IBRP zu der ganzen Frage, doch sie ist absolut nicht gradlinig oder zumindest auf trügerischen  Argumenten aufgebaut.

Wir werden auf diese Frage zurückkommen. Was uns betrifft, sind wir sicher, dass die Partei durch die Konfrontation und die politische Klärung entstehen wird, die sich unter den bestehenden revolutionären Organisationen abspielen muss.

Ezechiele, 31. Mai 1999        

                                            



1 [145] In unseren jeweiligen territorialen Presseorganen vom April, Mai und Juni 1999 ist die Denunzierung dieser angeblich revolutionären Gruppierungen, die in verschiedenen Ländern auftreten, nachzulesen.

 

[i] [145] Internationales Büro für die revolutionäre Partei (Partito Comunista Internazionalista, welche Battaglia Comunista in Italien publiziert und die Communist Workers Organisation, welche Revolutionary Perspectives in Großbritannien publiziert); Partito Comunista Internazionale (welche Il Comunista in Italien und Le Prolétaire in Frankreich publiziert); Partito Comunista Internazionale (welche Il Partito Comunista herausgibt); Partito Comunista Internazionale (welche Il Programma Comunista in Italien, Cahiers Internationalistes in Frankreich und Internationalist Papers in Großbritannien veröffentlicht)

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [3]

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