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Internationale Revue 22

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Aufbau der revolutionären Organisation -Thesen über den Parasitismus

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1. Die Arbeiterbewegung hat sich während ihrer ganzen bisherigen Geschichte gegen das Eindringen fremder Ideologien in ihre Reihen wehren müssen. Ideologien, welche entweder von der herrschenden Klasse oder dem Kleinbürgertum herrühren. Dieses Eindringen hat sich in den Organisationen der Arbeiterklasse in vielfältigen Formen ausgedrückt. Die bekanntesten und auch am meisten verbreiteten darunter sind:

-  das Sektierertum

-  der Individualismus

-  der Opportunismus

-  das Abenteurertum / der Putschismus.

2. Das Sektierertum ist eine typische Form einer kleinbürgerlichen Organisationsvorstellung. Es lehnt sich an den kleinbürgerlichen Geist des Krämers an, des "Herrn im eigenen Haus", und drückt sich darin aus, die eigenen Interessen und Organisationsvorstellungen über die Interessen der Arbeiterbewegung als Ganzes zu stellen. In der sektiererischen Vorstellung ist die Organisation "allein auf der Welt", und sie trägt eine Verachtung gegenüber allen andern Organisationen der Arbeiterbewegung, welche als "Konkurrenten" und "Feinde" angesehen werden, zur Schau. Da sie sich durch diese bedroht fühlen, lehnen sektiererische Organisationen die Debatte und Polemik meist ab. Sie suchen Zuflucht in einer "wundervollen Isolation", tun so, als würden die anderen nicht existieren, oder stellen hartnäckig, ohne Gemeinsamkeiten zu beachten, nur das in den Vordergrund, was sie von den anderen unterscheidet.

3. Der Individualismus rührt ebenfalls von kleinbürgerlichen oder direkt bürgerlichen Einflüssen her. Von der herrschenden Klasse übernimmt der Individualismus die Ideologie, welche das Individuum als Subjekt der Geschichte betrachtet, den "Einzelgänger" glorifiziert und damit den "Kampf des Einzelnen gegen Alle" rechtfertigt. Er dringt vor allem durch die Brücke des Kleinbürgertums in die Organisationen des Proletariates ein. Insbesondere durch frisch proletarisierte Elemente aus den Schichten des Bauerntums und des Handwerks (dies war vor allem im letzten Jahrhundert der Fall) oder durch Elemente aus dem intellektuellen und studentischen Milieu (vor allem nach dem historischen Wiedererwachen der Arbeiterklasse Ende der 60er Jahre). Der Individualismus drückt sich vor allem in der Tendenz aus:

-  die Organisation nicht als etwas Kollektives zu sehen, sondern als eine Summe von Individuen, bei der die Beziehungen zwischen Personen Vorrang haben vor politischen und statutarischen Beziehungen;

-  die eigenen "Wünsche" und "Interessen" über die Bedürfnisse der Organisation zu stellen;

-  sich schlußendlich der Disziplin innerhalb der Organisation entgegenzustellen;

-  in den militanten Aktivitäten eine "persönliche Verwirklichung" zu suchen;

-  gegenüber den Zentralorganen eine permanent rebellische Haltung einzunehmen und diese als Zerstörer der Individualität anzuklagen und gleichzeitig, ergänzend dazu, nach einem "Aufstieg" zu streben durch den eigenen Eintritt in diese Organe;

-  auf allgemeiner Ebene durch eine elitäre Organisationsauffassung, in der man zu den "Militanten 1. Klasse" gehören will und durch eine Verachtung gegenüber denjenigen, die als "Militante 2. Klasse" betrachtet werden.

4. Der Opportunismus, der in der Geschichte die größte Gefahr für die Organisationen des Proletariats darstellte, ist ein weiterer Ausdruck des Eindringens bürgerlicher, und vor allem kleinbürgerlicher Ideologien. Eine seiner Hauptantriebskräfte ist die Ungeduld, welche den Standpunkt einer zur Machtlosigkeit verdammten Schicht ausdrückt, die keinerlei Zukunft in der Geschichte hat. Seine andere Antriebskraft ist die Tendenz, die Interessen und Positionen der zwei Hauptklassen der Gesellschaft, des Proletariates und der Bourgeoisie, zwischen denen das Kleinbürgertum eingepfercht ist, in Übereinstimmung bringen zu wollen. Deshalb zeichnet sich der Opportunismus darin aus, die allgemeinen und historischen Interessen der Arbeiterklasse den Illusionen des unmittelbaren und von den momentanen Umständen abhängigen "Fortschritts" zu opfern. Da es für die Arbeiterklasse aber keinen Widerspruch gibt zwischen dem Kampf innerhalb des Kapitalismus und dem Kampf für dessen Überwindung, führt die Politik des Opportunismus schlußendlich dazu, auch die unmittelbaren Interessen des Proletariats zu opfern, vor allem indem er die Klasse zu Kompromissen mit den Interessen und Positionen der herrschenden Klasse drängt. Letztendlich wählen opportunistische politische Strömungen in den entscheidenden historischen Augenblicken, wie dem imperialistischen Krieg und der proletarischen Revolution, das Lager der herrschenden Klasse. Dies war der Fall bei der Mehrheit der sozialdemokratischen Parteien während des Ersten Weltkrieges und den kommunistischen Parteien am Vorabend des Zweiten Weltkrieges.

5. Der Putschismus - oder auch Abenteurertum genannt[1] - behauptet von sich, das Gegenteil des Opportunismus darzustellen. Unter dem Deckmantel der "Unbeugsamkeit" und des "Radikalismus" erklärt er sich allzeit bereit, Angriffe gegen die Bourgeoisie zu eröffnen und einen "alles entscheidenden" Kampf zu führen, auch wenn dazu die Bedingungen im Proletariat noch nicht erfüllt sind. Der Putschismus versäumt auch keine Gelegenheit, die authentische, proletarische und marxistische Strömung, welche darum bemüht ist, die Arbeiterklasse vor einem von vornherein aussichtslosen Kampf zu bewahren, des Opportunismus, Versöhnlertums oder gar des "Verrats" zu bezichtigen. In Wirklichkeit von derselben Quelle herrührend wie der Opportunismus - der kleinbürgerlichen Ungeduld - vereint er sich oft mit diesem. Die Geschichte ist reich an Beispielen von opportunistischen Strömungen, welche putschistische Strömungen unterstützten oder die sich in den putschistischen Radikalismus verwandelten. So zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Rechte innerhalb der deutschen Sozialdemokratie gegen den Widerstand ihres linken Flügels um Rosa Luxemburg, die russischen Sozialrevolutionäre unterstütze, welche Anhänger des Terrorismus waren. Gleichfalls im Januar 1919, als sich dieselbe Rosa Luxemburg gegen den von der sozialdemokratischen Regierung provozierten Aufstand der Arbeiter in Berlin aussprach, drängten die Unabhängigen, welche dieselbe Regierung eben verlassen hatten, in einen Aufstand, der in einem Massaker an Tausenden von Arbeitern und den wichtigsten kommunistischen Anführern endete.

6. Der Kampf gegen das Eindringen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologien in die Organisationen der Klasse und gegen die Auswirkungen dieses Eindringens ist eine permanente Verantwortung für die Revolutionäre. Eigentlich war dieser Kampf sogar der hauptsächliche, den die wirklich proletarische und revolutionäre Strömung innerhalb der Organisationen der Klasse auszufechten hatte, da er weit schwieriger war als der direkte Kampf gegen die offiziellen, erklärten Kräfte der Bourgeoisie. Der Kampf gegen die Sekten und das Sektierertum, besonders innerhalb der Internationalen Arbeiter Assoziation (IAA), war einer der bedeutendsten, den Marx und Engels führten. Desgleichen der Kampf gegen den Individualismus, vor allem in der Form des Anarchismus, den nicht nur Marx und Engels führten, sondern auch die Marxisten der Zweiten Internationalen (vor allem Rosa Luxemburg und Lenin). Der Kampf gegen den Opportunismus ist sicher der konstanteste und systematischste, den die revolutionäre Strömung seit Beginn geführt hat:

-  gegen den "Staats-Sozialismus" der Lassalleaner zwischen 1860 und 1870;

-  gegen all die Revisionisten und Reformisten wie Bernstein und Jaurès um die Jahrhundertwende;

-  gegen den Menschewismus;

-  gegen den Zentrismus vom Schlage Kautskys am Vorabend, während und nach dem Ersten Weltkrieg;

-  gegen die Degenerierung der Dritten Internationale und der kommunistischen Parteien während der 20er und zu Beginn der 30er Jahre;

-  gegen die Degenerierung der trotzkistischen Strömung während der 30er Jahre.

-  Der Kampf gegen den Abenteurer-Putschismus fand nicht mit derselben Beharrlichkeit statt wie der Kampf gegen den Opportunismus. Trotzdem wurde er seit dem Beginn der Arbeiterbewegung geführt (gegen die immediatistische Tendenz von Willich-Schapper im Bund der Kommunisten, gegen die bakunistischen Abenteuer während der "Kommune" von Lyon 1870 und im Bürgerkrieg in Spanien von 1873). Eine besondere Bedeutung hatte er jedoch vor allem während der weltrevolutionären Welle von 1917-23: Auf der Fähigkeit der Bolschewiki, diesen Kampf im Juli 1917 zu führen, gründete im wesentlichen der Erfolg der Oktoberrevolution.

7. Die vorangegangenen Beispiele zeigen deutlich auf, daß die Auswirkungen dieser verschiedenen Ausdrücke des Eindringens fremder Ideologien eng zusammenhängen mit:

-  der historischen Periode;

-  dem Zeitpunkt in der Entwicklung der Arbeiterklasse;

-  der Verantwortung, welche die Klasse unter den jeweiligen Umständen hat.

Einer der wichtigsten Ausdrücke des Eindringens fremder Ideologien in die Reihen der Arbeiterklasse (sowie auch der entschlossene Kampf dagegen), der Opportunismus, fand seinen Boden, auch wenn er in der Geschichte der Arbeiterklasse andauernd vorhanden war, insbesondere in den Parteien der Zweiten Internationale. Dies während einer Periode:

-  in der die Illusionen einer möglichen Einigung mit der Bourgeoisie aufgrund der tatsächlichen Entwicklung des Kapitalismus und den handfesten Verbesserungen der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse aufblühten;

-  in der das Bestehen von Massenparteien die Idee begünstigten, daß der Druck, den diese Parteien ausübten, die geradlinige Umwandlung des Kapitalismus in den Sozialismus ermöglichen würde.

Ebenso ist das Eindringen des Opportunismus in die Parteien der Dritten Internationale stark bestimmt durch das Abebben der weltrevolutionären Welle. Dieser Rückfluß förderte die Idee, daß es möglich sei, innerhalb der Arbeitermassen einen Einfluß zu gewinnen, indem man Konzessionen mache gegenüber den auf ihr lastenden Illusionen, die sich vor allem in den Fragen des Parlamentarismus, der Gewerkschaften und der Natur der Sozialdemokratie ausdrückten.

Die Wichtigkeit des historischen Zeitpunkts, bezüglich der verschiedenen Ausdrücke des Eindringens fremder Ideologien in die Klasse zeigt sich am Beispiel des Sektierertums noch deutlicher. Das Sektierertum war vor allem zu Beginn der Arbeiterbewegung stark vorhanden, als sich das Proletariat erst gerade aus dem Handwerker- und Gesellentum (mit seinen Ritualen und Berufsgeheimnissen) gelöst hatte. Gleichfalls blühte es während der Konterrevolution in Form der bordigistischen Strömung erneut auf, die im Rückzug in sich selbst ein Mittel (das offenbar aber nicht taugte) im Kampf gegen die Bedrohung durch den Opportunismus sah.

8. Der politische Parasitismus, der mehrheitlich auch ein Ausdruck des Eindringens fremder Ideologien in die Arbeiterklasse ist, fand in der Geschichte der Arbeiterbewegung nicht im demselben Ausmaße Aufmerksamkeit wie andere Ausdrücke (z.B. der Opportunismus). Dies weil der Parasitismus die Organisationen des Proletariates nur in bestimmten historischen Momenten bedeutsam angegriffen hat. Der Opportunismus stellt eine andauernde Gefahr für die Organisationen des Proletariates dar und er drückt sich vor allem in den Momenten aus, in denen diese ihre größte Entwicklung erleben. Demgegenüber findet der Parasitismus seinen Platz grundsätzlich nicht während den wichtigsten Momenten der Arbeiterbewegung. Der Parasitismus findet einen günstigen Boden vielmehr in Perioden der relativen Unreife der Arbeiterbewegung, in denen die Organisationen des Proletariates noch eine schwache Wirkung und wenig Tradition haben. Dies hängt mit der Natur des Parasitismus zusammen, der sich, um erfolgreich zu sein, an Elemente wendet, welche auf der Suche nach Klassenpositionen sind und Schwierigkeiten haben, zwischen tatsächlich revolutionären Organisationen und denjenigen Strömungen zu unterscheiden, deren Existenz alleine darauf beruht, auf Kosten der Revolutionäre zu leben, deren Wirken zu sabotieren und sie wenn möglich zu zerstören. Gleichzeitig - auch dies rührt von seiner Natur her - taucht der Parasitismus nicht schon zu Beginn des Entstehens der Organisationen der Klasse auf, sondern dann, wenn sich diese bereits formiert haben und den Beweis erbringen, die Interessen der Arbeiterklasse tatsächlich zu verteidigen.

Dies sind Elemente, die wir schon zu Beginn der Entstehung des politischen Parasitismus finden: bei der "Allianz der sozialistischen Demokratie", welche versuchte die Arbeit der Internationalen Arbeiterassoziation zu sabotieren und diese zu zerstören.

9. Es waren Marx und Engels, die als erste die Gefahr erkannten, welche der Parasitismus für die Organisationen des Proletariates darstellt:

"Es ist außerdem an der Zeit, ein für allemal den inneren Kämpfen ein Ende zu bereiten, die durch das Vorhandensein dieser parasitären Körperschaft täglich von neuem in unserer Assoziation provoziert werden. Diese Streitigkeiten dienen nur dazu, Kräfte zu vergeuden, die dazu benutzt werden sollen, das jetzige bourgeoise Regime zu bekämpfen. Indem die Allianz die Tätigkeit der Internationale gegen die Feinde der Arbeiterklasse lähmt, dient sie ausgezeichnet der Bourgeoisie und den Regierungen."

Der Begriff des politischen Parasitismus ist also keineswegs "eine Erfindung der IKS". Es war die IAA (Internationale Arbeiterassoziation), welche als erste mit dieser Bedrohung für die Arbeiterbewegung konfrontiert war, sie identifizierte und auch bekämpfte. Sie - und zuvorderst Marx und Engels - war es, die die Parasiten schon damals als politisierte Elemente beschrieb, welche zwar vorgeben, zum Programm und den Organisationen des Proletariates zu gehören, ihre Energie aber nicht auf den Kampf gegen die herrschende Klasse, sondern gegen die Organisationen der revolutionären Klasse konzentrieren. Das Wesen der parasitären Aktivitäten ist es, Verleumdungen und Manöver gegen das revolutionäre Lager zu führen, auch wenn sie behaupten, dazu zu gehören und in seinem Dienst zu stehen.[2]

"Zum ersten Mal in der Geschichte der Kämpfe der Arbeiterklasse stoßen wir auf eine geheime Verschwörung, die angezettelt worden ist inmitten dieser Klasse selbst und dazu bestimmt ist, nicht das bestehende Ausbeuterregime zu unterminieren, sondern gerade die Assoziation, die es aufs energischste bekämpft."

10. In dem Masse, wie die Arbeiterbewegung mit der IAA über eine reiche Erfahrung des Kampfes gegen den Parasitismus verfügt, ist es für die Konfrontation mit den gegenwärtigen parasitären Angriffen und zur Bewaffnung gegen sie äußerst wichtig, die Hauptlehren dieses vergangenen Kampfes in Erinnerung zu rufen. Diese Lehren betreffen eine ganze Reihe von Aspekten:

-  den Zeitpunkt des Auftauchens des Parasitismus;

-  seine Besonderheiten im Verhältnis zu den anderen Gefahren, die den proletarischen Organisationen lauern;

-  sein Rekrutierungsfeld;

-  seine Methoden;

-  die Mittel eines wirksamen Kampfes gegen ihn.

Wie weiter unten festzustellen sein wird, sticht die Ähnlichkeit unter all diesen Gesichtspunkten zwischen der Lage, vor der das proletarische Milieu heute steht, und derjenigen der IAA in die Augen.

11. Auch wenn der Parasitismus eine Arbeiterklasse befiel, die noch unerfahren war, so trat er geschichtlich doch erst als Feind der Arbeiterbewegung auf, als diese bereits einen gewissen Reifegrad erreicht und die sektiererische Kindheitsphase überwunden hatte.

"Die erste Phase in dem Kampfe des Proletariats gegen die Bourgeoisie ist durch die Sektenbewegung bezeichnet. Diese ist berechtigt zu einer Zeit, in der das Proletariat sich noch nicht hinreichend entwickelt hat, um als Klasse zu handeln."

Das Auftreten des Marxismus, die Reifung des proletarischen Klassenbewußtsein und die Fähigkeit der Klasse und ihrer Vorhut, ihren Kampf zu organisieren, stellen die Arbeiterbewegung auf einer gesunden Grundlage.

"Von dem Moment an, da die Bewegung der Arbeiterklasse Wirklichkeit wurde, schwanden die phantastischen Utopien (...), weil an die Stelle phantastischer Utopien die wirkliche Einsicht in die historischen Bedingungen der Bewegung trat und die Kräfte für eine Kampforganisation der Arbeiterklasse sich immer mehr zu sammeln begannen."

Der Parasitismus ist geschichtlich als Antwort auf die Gründung der Ersten Internationale entstanden, die Engels beschrieb als "das Mittel zur allmählichen Auflösung und Aufsaugung all jener kleineren Sekten" (Friedrich Engels, Brief an Florence Kelley-Wischnewetzky vom 27.1.1887).

Mit anderen Worten war die Internationale ein Instrument, das die verschiedenen Teile der Arbeiterbewegung zwang, sich in einem kollektiven und öffentlichen Klärungsprozeß zu engagieren und sich einer einheitlichen, unpersönlichen, proletarischen, organisatorischen Disziplin zu unterwerfen. Der Parasitismus hat der revolutionären Bewegung den Krieg vor allem als Widerstand gegen diese internationale "Auflösung und Aufsaugung" aller nicht proletarischen programmatischen und organisatorischen Besonderheiten und Autonomien erklärt.

"Die Sekten, im Anfange Hebel der Bewegung, werden ein Hindernis, sowie diese sie überholt; sie werden dann reaktionär; Beweis dafür sind die Sekten in Frankreich und England und letzthin die Lassalleaner in Deutschland, welche, nachdem sie jahrelang die Organisation des Proletariats gehemmt, schließlich einfache Polizeiwerkzeuge geworden sind."

12. Dieser dynamische Rahmen der Analyse, den die Erste Internationale entwickelte, erklärt, warum die gegenwärtige Phase, d.h. diejenige der 1980er und v.a. der 1990er Jahre, Zeugin einer seit der Zeit der Allianz der Strömung von Lassalle nie mehr erlebten Entwicklung des Parasitismus ist. Wir stehen heute vor zahlreichen informellen Umgruppierungen, die häufig im Dunkeln agieren und vorgeben, zum Lager der Kommunistischen Linken zu gehören, die aber ihre Energien darauf verwenden, eher die bestehenden marxistischen Organisationen zu bekämpfen als die bürgerliche Herrschaft. Wie zur Zeit von Marx und Engels besteht die Funktion dieser reaktionären parasitären Welle darin, die Entwicklung der offenen Debatte und der proletarischen Klärung zu sabotieren sowie die Aufstellung von Verhaltensregeln, die alle Mitglieder des proletarischen Lagers verbinden, zu verhindern. Insbesondere die folgenden Faktoren rufen gegenwärtig den Haß und die Offensive des politischen Parasitismus hervor:

-  eine internationale marxistische Strömung wie die IKS, die das Sektierertum und den Monolithismus ablehnt;

-  öffentliche Polemiken zwischen revolutionären Organisationen;

-  die gegenwärtige Debatte über marxistische Organisationsgrundsätze und die Verteidigung des revolutionären Milieus;

-  neue revolutionärer Elemente, die auf der Suche der wirklichen marxistischen Traditionen - sowohl organisatorisch als auch programmatisch - sind.

Wie wir anhand der Erfahrung der IAA gesehen haben, wird den Parasitismus nur in jenen Phasen zum Hauptgegner der Arbeiterbewegung, in denen diese aus einem Stadium grundlegender Unreife auf eine qualitativ höhere, spezifisch kommunistische Stufe übertritt. In der gegenwärtigen Phase ist diese Unreife nicht das Produkt der Jugend der Arbeiterbewegung in ihrer Gesamtheit wie zur Zeit der IAA, sondern v.a. das Ergebnis von 50 Jahren Konterrevolution, die auf die Niederlage der revolutionären Welle von 1917-23 folgten. Heute erklärt v.a. dieser Bruch der organischen Kontinuität mit den Traditionen der früheren Generationen von Revolutionären das Gewicht der kleinbürgerlichen Reflexe und Verhaltensweisen gegen die Organisation bei vielen Elementen, die sich auf den Marxismus und die Kommunistische Linke berufen.

13. Neben einer ganzen Reihe von Ähnlichkeiten zwischen den Bedingungen und den Charakteristiken des auftauchenden Parasitismus zur Zeit der IAA einerseits und dem heutigen andererseits, darf man einen erheblichen Unterschied zwischen den beiden Epochen nicht übersehen: Im letzten Jahrhundert nahm der Parasitismus hauptsächlich die Form einer strukturierten und zentralisierten Organisation in der Klassenorganisation an, während er heute im Wesentlichen in der Form von kleinen Gruppen oder sogar noch "unorganisierten" Elementen (die zwar oft in Verbindung miteinander arbeiten) auftaucht. Ein solcher Unterschied stellt die grundsätzlich identische Natur der Erscheinung des Parasitismus in beiden Perioden nicht in Frage. Der Unterschied erklärt sich wesentlich durch die folgenden Tatsachen:

-  Eine der Grundlagen, auf denen sich die Allianz entwickelte, war diejenige der Überbleibsel der Sekten aus der vorangegangenen Phase: Sie selbst übernahm von den Sekten ihre streng zentralisierte Struktur um einen "Propheten" und ihren Geschmack für die Untergrundorganisation; der gegenwärtige Parasitismus stützt sich umgekehrt unter anderem auf die Überbleibsel der studentischen Rebellion, die auf dem historischen, Ende der 60er Jahre und insbesondere 1968 wieder aufgetauchten proletarischen Kampf lastete, mit all ihren individualistischen Fesseln und der Infragestellung der Organisation bzw. der Zentralisation, die als "Einengung der Individualität" betrachtet wurden[3].

-  Zur Zeit der IAA gab es nur eine einzige Organisation, die die gesamte proletarische Bewegung zusammenfaßte, so daß diejenigen Strömungen, die sich zum Ziel setzten, sie zu zerstören, aber gleichzeitig vorgaben, ihren Kampf gegen die Bourgeoisie zu unterstützen, innerhalb derselben agieren mußten; in einem Punkt der Geschichte umgekehrt, wo die Elemente, die den revolutionären Kampf der Arbeiterklasse darstellen, in verschiedenen Organisationen des Proletarischen Politischen Milieus verstreut sind, kann sich jede Gruppe der parasitären Richtung als ein "Bestandteil" des Milieus neben anderen Gruppen ausgeben.

In diesem Sinn muß man unterstreichen, daß die gegenwärtige Aufsplitterung des Proletarischen Politischen Milieus und alle sektiererischen Tendenzen, die die Anstrengungen hin zu einer Umgruppierung oder die brüderliche Debatte zwischen den verschiedenen Bestandteilen ver- oder behindern, dem Parasitismus in die Hände spielen.

14. Der Marxismus hat auf Grund der Erfahrungen der IAA die Unterschiede zwischen dem Parasitismus sowie den anderen Formen, unter denen fremde Ideologien in die Klassenorganisationen eindringen, herausgearbeitet. So hat er beispielsweise aufgezeigt, daß der Opportunismus, selbst wenn er anfänglich als Organisation auftritt (wie dies 1903 bei den Menschewiki der Fall war), in erster Linie das Programm der proletarischen Organisation unter Beschuß nimmt. Der Parasitismus greift, um seiner Rolle gerecht zu werden, nicht a priori das Programm an, sondern er bewegt sich hauptsächlich auf dem organisatorischen Terrain, selbst wenn er, um besser zu rekrutieren, öfters gewisse Aspekte des Programms in Frage stellt. So hat man Bakunin sehen können, wie er sich 1869 auf dem Kongreß von Basel auf das Pferd der "Aufhebung des Erbrechts" schwang, da er genau wußte, daß er viele Delegierte um diese hohle und demagogische Forderung würde sammeln können. Zu dieser Zeit existierten diesbezüglich noch große Illusionen in der Internationale. Tatsächlich aber zielte Bakunin darauf ab, den von Marx beeinflußten Generalrat, der diese Forderung bekämpfte, zu stürzen und einen Generalrat zu bilden, der ihm ergeben war[4]. Da sich der Parasitismus direkt auf die organisatorischen Strukturen des Proletariats stürzt, stellt er, wenn die historischen Bedingungen sein Erscheinen erlauben, eine viel unmittelbarere Gefahr dar als der Opportunismus. Diese zwei Formen des Eindringens fremder Ideologien stellen eine tödliche Gefahr für die proletarischen Organisationen dar. Der Opportunismus bringt diese Werkzeuge der Arbeiterklasse um, indem er sie ins Lager der Bourgeoisie führt. Aber da er hauptsächlich das Programm angreift, kann er zu diesem Ziel lediglich durch einen komplizierten Prozeß gelangen, in dem die revolutionäre Strömung, die Linke, ihrerseits innerhalb der Organisation den Kampf für die Verteidigung des Programms aufnimmt[5]. Da der Parasitismus die Organisationsstruktur direkt ins Visier nimmt, bleibt der proletarischen Strömung viel weniger Zeit zu ihrer Verteidigung. Das Beispiel der IAA ist diesbezüglich bedeutend: Der Kampf gegen die Allianz dauerte alles in allem nicht mehr als vier Jahre, und zwar von 1868, als Bakunin in die Allianz eintrat, bis 1872, als er am Kongreß von Den Haag ausgeschlossen wurde. Dies unterstreicht nur eine Tatsache: Es besteht für die proletarische Organisation die Notwendigkeit, dem Parasitismus schnell paroli zu bieten, nicht zuzuwarten, bis er bereits Schaden angerichtet hat.

15. Wie wir gesehen haben, muß man den Parasitismus von anderen Formen des Eindringens fremder Ideologien unterscheiden. Nun ist es aber eine Charakteristik des Parasitismus, auch die anderen Formen zu benutzen. Dies erklärt sich aus den Ursprüngen des Parasitismus, der ebenfalls von einem solchen Eindringen fremder Einflüsse abstammt, aber auch aus der Tatsache, daß seine Herangehensweise in letzter Instanz auf die Zerstörung der proletarischen Organisationen abzielt und er somit weder Prinzipien noch Skrupel hegen darf. So hat sich die Allianz innerhalb der IAA und der damaligen Arbeiterbewegung dadurch hervorgetan, daß sie von den Überbleibseln des Sektierertums profitierte, eine opportunistische Herangehensweise anwendete (gegenüber der Frage des Erbrechts) oder sich in völlig abenteuerliche Bewegungen stürzte ("Kommune" von Lyon oder Bürgerkrieg in Spanien 1873). Auch hat sie sich stark auf den Individualismus einer kaum dem Handwerk oder dem Bauerntum entronnenen Arbeiterklasse gestützt (dies hauptsächlich in Spanien und im Schweizer Jura). Die gleichen Merkmale finden wir auch beim heutigen Parasitismus. Die Rolle des Individualismus bei der Bildung des gegenwärtigen Parasitismus ist bereits enthüllt worden, aber wir müssen darauf hinweisen, daß auch alle Abspaltungen von der IKS, die in der Folge parasitäre Gruppen bildeten (GCI, CBG, FECCI) eine sektiererische Herangehensweise an den Tag legten: Sie haben in einem verfrühten Stadium mit der Organisation gebrochen und lehnten eine tiefgreifende Debatte zur Klärung ab. Der Opportunismus war ein Markenzeichen der GCI. Als sie noch eine "Tendenz" innerhalb der IKS war, hat sie die Organisation angegriffen, daß sie gegenüber den neuen Kandidaten nicht genügend Forderungen stelle. Danach begab sie sich auf eine Werbetour ohne die geringsten Prinzipien und änderte ihr Programm in Richtung der linken und gerade modischen Mystifikationen (3.-Welt-Bewegung). Derselbe Opportunismus ist von der CBG und der FECCI angewendet worden, die sich zu Beginn der 90er Jahre auf ein unglaubliches Feilschen einließen, um sich umzugruppieren. Was das Abenteurertum und den Putschismus betrifft, so ist es bemerkenswert, auch wenn wir die Liebäugelei der GCI mit dem Terrorismus beiseite lassen, daß all diese Gruppen systematisch in die der Arbeiterklasse gestellten Fallen der Bourgeoisie getappt sind. So beispielsweise in Frankreich im Herbst 1995, als sie zu einem Kampf aufriefen, während das Terrain von der herrschenden Klasse und ihren Gewerkschaften bereits vollständig vermint war.

16. Die Erfahrungen der IAA haben die Unterschiede zwischen dem Parasitismus und dem Sumpf offengelegt (auch wenn der letztgenannte Ausdruck zu dieser Zeit noch nicht existierte). Der Marxismus definiert den Sumpf als eine politische Bewegung, die zwischen den politischen Positionen der Arbeiterklasse und denjenigen der Bourgeoisie oder des Kleinbürgertums liegt. Solche Bewegungen können in einer ersten Phase des Bewußtwerdungsprozesses von Teilen der Arbeiterklasse oder aus einem Bruch mit bürgerlichen Positionen auftauchen. Sie können ebenfalls Hindernisse von Strömungen darstellen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt eine wirkliche Anstrengung im Bewußtwerdungsprozeß an den Tag legten, die sich jedoch als unfähig erwiesen, sich in Richtung und gemäß den Erfahrungen der neuen proletarischen Kampfbedingungen weiterzuentwickeln. Die Bewegungen des Sumpfs entwickeln meistens keine Stabilität. Das Hin und Her zwischen den proletarischen und anderen Klassenpositionen führt sie dazu, sich entweder vollständig den revolutionären oder aber den bürgerlichen Positionen anzuschließen. Tritt weder der eine noch der andere Fall ein, so werden sie zwischen den beiden Terrains zerrissen. Ein solcher Kristallisierungsprozeß wird normalerweise durch die großen Ereignisse, mit denen sich die Arbeiterklasse konfrontiert sieht (im 20. Jahrhundert handelt es sich hauptsächlich um den imperialistischen Krieg sowie um die proletarische Revolution), ausgelöst und beschleunigt. Die Richtung dieses Prozesses hängt von der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat ab. Gegenüber diesen Strömungen hat die Linke in der Arbeiterklasse immer die Haltung vertreten, sie für den Klassenkampf nicht als verloren zu betrachten. Sie müssen allerdings in ihrem Klärungsprozeß vorangetrieben werden, so daß sich die gesündesten Elemente vollumfänglich dem Kampf anschließen und diejenigen mit größter Entschlossenheit verurteilen, die den gegnerischen Weg eingeschlagen haben.

17. Innerhalb der IAA gab es neben der die Vorhut bildenden marxistischen Strömung auch Strömungen, die man als dem Sumpf zugehörig definieren könnte. Dies war beispielsweise bei gewissen proudhonistischen Gruppen der Fall, die noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich die proletarische Avantgarde gebildet hatten. Indessen waren sie trotz all ihrer Konfusionen in der Lage, am Kampf um die Rettung der Internationale, insbesondere am Kongreß in Den Haag, teilzunehmen. Ihnen gegenüber nahmen die Marxisten eine ganz andere Haltung ein als gegenüber der Allianz. Niemals stellte sich die Frage, sie auszuschließen. Es wurden im Gegenteil Anstrengungen unternommen, sie im Kampf der IAA gegen ihre Feinde zu integrieren, nicht nur weil sie innerhalb der IAA ein großes Gewicht darstellten, sondern auch weil die Erfahrung des Kampfes diesen Strömungen eine Klärung ermöglichte. In der Praxis hat dieser Kampf gezeigt, daß ein fundamentaler Unterschied zwischen dem Sumpf und dem Parasitismus besteht: Im ersteren existiert ein proletarisches Leben, das es seinen besten Elementen ermöglicht, sich der proletarischen Strömung anzuschließen. Der Parasitismus hingegen zielt auf die Zerstörung der Klassenorganisation ab und kann sich somit niemals in diese Richtung entwickeln, selbst wenn es einzelnen vom Parasitismus geblendeten Elementen gelingt, diesen Schritt zu tun.

Heute müssen wir ebenfalls zwischen den Strömungen des Sumpfs[6] und des Parasitismus unterscheiden. So wie die Gruppen des proletarischen Milieus die Pflicht haben zu versuchen, die ersteren hin zu marxistischen Positionen zu bewegen und bei ihnen eine politische Klärung herbeizuführen, so müssen sie umgekehrt gegenüber dem Parasitismus die größte Strenge demonstrieren, seine dreckige Rolle denunzieren, die er zum großen Nutzen der Bourgeoisie spielt. Und dies ist umso wichtiger, als die Strömungen des Sumpfs auf Grund ihrer Verwirrungen (insbesondere was ihre Abneigung gegen die Organisation betrifft, was insbesondere bei denjenigen der Fall ist, die sich dem Rätismus zuwenden) durch Attacken des Parasitismus besonders verwundbar sind.

18. Jegliches Eindringen von fremden Ideologien in die Arbeiterklasse ist eine Speerspitze der feindlichen Klasse. Ganz offensichtlich ist dies beim Parasitismus der Fall, dessen Ziel (bewußt oder unbewußt) ja die Zerstörung der revolutionären Organisation ist. Die IAA war sich dieses Umstands vollumfänglich bewußt, als sie behauptete, daß Bakunin, auch wenn er kein Agent des Staates sei, dessen Interessen viel besser wahrnehme, als es ein wirklicher Agent tun könnte. Dies wiederum bedeutet aber keinesfalls, daß der Parasitismus per se einen Sektor des politischen Apparates der herrschenden Klasse darstellt wie beispielsweise die bürgerlichen Strömungen der extremen Linken im Stile des heutigen Trotzkismus. In den Augen von Marx und Engels wurden selbst die damals bekanntesten Parasiten wie Bakunin und Lassalle nicht als politische Repräsentanten der Bourgeoisie angesehen. Diese Analyse leitet sich vom Verständnis ab, daß der Parasitismus keine Fraktion der Bourgeoisie darstellt, da er weder ein Programm oder eine spezifische Orientierung für das nationale Kapital beinhaltet noch Einsitz in den staatlichen Organen zur Kontrolle des Arbeiterkampfes nimmt. Angesichts der Dienste, die der Parasitismus für die Kapitalisten vollbringt, erstaunt es aber nicht, daß er von einer speziellen Zuwendung von letzteren profitiert. Diese Zuwendung manifestiert sich hauptsächlich in drei Formen:

-  Er erhält politische Unterstützung für sein Vorgehen. So hat die europäische Presse klar und deutlich für die Allianz und Bakunin in ihrem Kampf gegen den Generalrat Stellung bezogen.

-  Der Staat infiltriert die parasitären Strömungen mit Staatsagenten. So wurde die Lyoner Sektion der IAA von zwei bonapartistischen Agenten, Richard und Blanc, kontrolliert.

-  Die Bourgeoisie bringt selbst politische Strömungen hervor, deren Ziel die Unterwanderung der proletarischen Organisationen ist, so beispielsweise die "Liga für Frieden und Freiheit" (angeführt von Vogt, einem bonapartistischen Agenten), die nach den Worten von Marx "in Opposition zur Internationale gegründet worden ist" und 1868 versuchte, sich mit ihr "zu verbünden".

Man muß diesbezüglich festhalten, daß sich zwar die meisten parasitären Strömungen ein proletarisches Programm umgehängt haben, dies jedoch keine notwendige Voraussetzung dafür ist, daß eine Organisation eine Funktion des politischen Parasitismus erfüllen kann; dieser zeichnet sich nicht durch die Positionen aus, die er verteidigt, sondern durch seine zerstörerische Haltung gegenüber den wirklichen Organisationen der Arbeiterklasse.

19. In der gegenwärtigen Phase, in der die heutigen proletarischen Organisationen in keiner Weise den Bekanntheitsgrad der früheren IAA erreichen, kümmert sich die offizielle Propaganda der Bourgeoisie nicht darum, den parasitären Gruppen und Elementen Unterstützung zu erteilen (was den Nachteil mit sich bringen würde, daß sie in den Augen derjenigen, die sich kommunistischen Positionen annähern, in Mißkredit gebracht würden). Man muß hingegen festhalten, daß in den bürgerlichen Kampagnen, die speziell gegen die Kommunistische Linke geführt werden, wie diejenige über den Negationismus, genau jenen Gruppen ein wichtiger Platz eingeräumt wird, die als Repräsentanten der Kommunistischen Linken dargestellt werden, wie der ehemalige Mouvement communiste, die Banquise usw., während diese tatsächlich einen stark parasitären Anstrich haben.

Dagegen war es tatsächlich ein Agent aus einem Anhängsel des Staates, Chénier[7], der 1981 die treibende Kraft bei der Formierung einer "geheimen Tendenz" innerhalb der IKS spielte. Nachdem sie den Verlust der Hälfte der britischen Sektion bewirkt hatte, wandelte sie sich in die CBG, ein typisch parasitäres Grüppchen.

Auch versuchen verschiedene bürgerliche Strömungen in das proletarische Milieu einzudringen, um hier parasitär zu wirken. Das linke Grüppchen Hilo Rojo aus Spanien oder die OCI in Italien sind Beispiele dafür: Ersteres versuchte während Jahren die Aufmerksamkeit des proletarischen Milieus auf sich zu ziehen, bis es schließlich eine Attacke dagegen richtete. Bei letzterer handelt es sich um eine linke Gruppierung aus Italien, von der einige Elemente durch den Bordigismus gegangen waren und die für sich in Anspruch nimmt, der wahre Erbe der bordigistischen Strömung zu sein.

20. Das Eindringen von Staatsagenten in parasitäre Bewegungen wird offensichtlich durch die Tatsache erleichtert, daß ihre Berufung die Bekämpfung der wirklichen proletarischen Organisationen ist. Tatsächlich öffnet gerade die parasitäre Rekrutierung von Elementen, die die Disziplin der Klassenorganisation ablehnen, die der statutarischen Organisationweise nichts als Verachtung entgegenbringen, die sich eher im informellen Verhalten und in loyalen Beziehungen wohl fühlen, Tür und Tor für die staatliche Infiltration in das parasitäre Milieu. Tür und Tor stehen ebenfalls sperrangelweit offen für die unfreiwilligen Hilfskräfte des kapitalistischen Staates: nämlich den Abenteurern, diesen deklassierten Elementen, die die Arbeiterbewegung in den Dienst ihrer Ambitionen stellen wollen. Sie trachten hier nach Einfluß und Macht, die ihnen die bürgerliche Gesellschaft verwehrt. Das Beispiel von Bakunin in der IAA ist allgemein bekannt. Marx und seine Genossen behaupteten nie, daß er ein direkter Agent des Staates gewesen sei. Sie waren fähig, nicht nur die Dienste, die er unbewußt der herrschenden Klasse erwies, sondern auch das Vorgehen und die klassenmässige Herkunft der Abenteurer innerhalb der proletarischen Organisation sowie die Rolle, die sie als Führer des Parasitismus spielten, zu identifizieren und zu denunzieren. So schrieben sie bezüglich der Handlungen der geheimen Allianz in der IAA, daß die "deklassierten Elemente" fähig gewesen seien, "einzudringen und in ihrem Zentrum Geheimorganisationen zu errichten". Die gleiche Herangehensweise hat Bebel bezüglich Schweitzer aufgenommen, der ein Führer der Strömung um Lassalle war (die nebst ihrem Opportunismus auch eine stark parasitäre Komponente enthielt): "Für ihn war die Bewegung, der er sich nach mancherlei Irrfahrten anschloß, nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Er trat in die Bewegung ein, sobald er sah, daß ihm innerhalb des Bürgertums keine Zukunft blühte, daß für ihn, den durch seine Lebensweise früh Deklassierten, nur die Hoffnung bestand, in der Arbeiterbewegung die Rolle zu spielen, zu der sein Ehrgeiz wie seine Fähigkeiten ihn sozusagen prädestinierten." (August Bebel, Aus meinem Leben)

21. Auch wenn die parasitären Strömungen oft von deklassierten Abenteurern angeführt werden (wenn nicht gar von direkten Agenten des Staates), so rekrutieren sie sich doch nicht nur aus dieser Kategorie. Man findet hier ebenso Elemente, die anfänglich von einem revolutionären Willen beseelt gewesen sind und es nicht auf die Zerstörung der Organisation abgesehen haben, die jedoch

-  von der kleinbürgerlichen Ideologie imprägniert, d.h. ungeduldig, individualistisch, affinitär, elitär sind;

-  enttäuscht von der Arbeiterklasse sind, die sich ihrer Ansicht nach nicht schnell genug bewegt;

-  die Disziplin einer revolutionären Organisation nur schlecht ertragen und frustriert sind, da sie keine Dankbarkeit für ihre militante Arbeit und auch nicht die angestrebten "Pöstchen" erhalten.

Deswegen entwickeln sie eine tiefgreifende Feindschaft gegen die proletarische Organisation, auch wenn sich diese Feindschaft als militantes Engagement verkleidet.

In der IAA hat man ein solches Phänomen bei einer gewissen Anzahl von Mitgliedern des Generalrates wie Eccarius, Jung und Hales beobachten können.

Schließlich ist der Parasitismus in der Lage, ehrliche und militante proletarische Elemente zu rekrutieren, die kleinbürgerliche Schwächen oder einen Mangel an Erfahrung aufweisen und sich so von klar antiproletarischen Elementen täuschen und manipulieren lassen. In der IAA war dies bei einem Großteil der Mitglieder in Spanien der Fall.

22. Was die IKS anbelangt, so sind die meisten Abspaltungen, die zur Bildung parasitärer Gruppierungen führten, auf eine kleinbürgerliche Herangehensweise, wie sie oben beschrieben wurden, zurückzuführen. Der Anstoß kam jeweils von Intellektuellen, die darob frustriert waren, von der Organisation nicht genügend Anerkennung erhalten zu haben; die ungeduldig waren, weil es ihnen nicht gelungen war, andere Militante von der Richtigkeit ihrer Positionen zu überzeugen oder weil die Entwicklung des Klassenkampfes zu langsam voranschritt. Sie wurden auch am ehesten in ihrer Empfindlichkeit getroffen bei Kritik ihrer Positionen oder ihres Verhaltens. Sie lehnten den Zentralismus als stalinistisch ab. All dies bildete den Motor bei der Konstituierung von Tendenzen, die wiederum in der Bildung parasitärer Gruppen ausmündete. Die "Tendenz" von 1979, die schließlich zur Bildung der "Groupe Communiste Internationaliste" führte; weiter die Tendenz Chénier, von der u.a. die mittlerweile dahingegangene Communist Bulletin Group abstammte; die "Tendenz" McIntosh-ML-JA (die sich zu einem großen Teil aus Mitgliedern des Zentralorgans der IKS zusammensetzte), die die EFIKS ("Externe Fraktion der IKS", mittlerweile mutiert zu Perspective Internationaliste) ins Leben rief - sie alle stellten typische Beispiele dieser Erscheinung dar. Bei diesen Geschichten konnte man auch sehr gut beobachten, wie sich Elemente mit einem zweifelsohne proletarischem Engagement durch persönliche Bindungen gegenüber den Anführern von solchen Tendenzen haben mitreißen lassen. Hier handelte es sich um nichts anderes als um Clans im eigentlichen Sinne, wie sie die IKS bereits definiert hat. Die Tatsache, daß alle parasitären Abspaltungen von der IKS zuerst in der Form von Clans aufgetreten sind, ist kein Zufall. Tatsächlich gibt es eine sehr große Ähnlichkeit zwischen den organisatorischen Verhaltensweisen der Clans einerseits, des Parasitismus anderseits: der Individualismus, der als Zwang empfundene statutarische Rahmen, Frustration aus dem militanten Engagement, Loyalität gegenüber Personen zum Schaden der Loyalität gegenüber de Organisation, der Einfluß von "Gurus" (Personen, die danach trachten, einen persönlichen Machteinfluß über andere Militante auszuüben).

Die Zerstörung des Organisationsgewebes durch die Bildung von Clans findet im Parasitismus den extremsten Ausdruck: Es geht darum, die proletarische Organisation selber zu zerstören[8].

23. Die Heterogenität ist ein Markenzeichen des Parasitismus, da er in seinen Rängen sowohl aufrichtige als auch solche Elemente aufweist, die von nichts anderem als dem Haß gegenüber der proletarischen Organisation beseelt sind (Abenteurer oder Staatsagenten). Die Heterogenität stellt eine ausgezeichnetes Terrain für die der proletarischen Sorge am feindlichsten gesinnten Elemente dar, um mit ihrer Geheimpolitik die anderen mit sich zu reißen. Die Präsenz von "aufrichtigen" Elementen, hauptsächlich von solchen, die tatkräftig beim Aufbau der Organisation mitgewirkt haben, stellt für den Parasitismus eine Bedingung für seinen Erfolg dar, da er so auf betrügerische Weise seine "proletarische" Etikette vorzeigen kann (ebenso wie die Gewerkschaften "aufrichtige und ergebene" Militante benötigen, um ihre Rolle zu spielen). Gleichzeitig können der Parasitismus und seine Vertreter die Kontrolle über ihre Herde nur ausüben, wenn sie ihre wirklichen Ziele verschleiern. So umfaßte die Allianz in der IAA mehrere Zirkel um den ,,Bürger B" und geheime Statuten, die den „Eingeweihten" vorbehalten waren. "Die Allianz teilt sie (ihre Mitglieder) in zwei Kasten, in Eingeweihte und Laien, Aristokraten und Plebejer. wobei die letzteren bestimmt sind. von den ersteren mittels einer Organisation geführt zu werden, von deren Existenz sie nicht einmal etwas wissen ... (Friedrich Engels, Bericht über die Allianz der sozialistischen Demokratie) Heute handelt der Parasitismus in gleicher Weise. Selten legen parasitäre Gruppen, Abenteurer oder frustrierte Intellektuelle ihr Programm offen dar. In diesem Sinne ist der Mouvement Communiste[9] der ganz offen die Zerstörung der kommunistischen Linken propagiert, gleichzeitig eine Karikatur sowie der klarste Ausdruck der Natur des Parasitismus.

24. Im Kampf gegen den Parasitismus hält sich die IKS an die Methoden, die bereits die IAA und die Eisenacher angewendet haben. Die Manöver des Parasitismus wurden in den öffentlichen Kongreßdokumenten, in der Presse, in den Arbeiterversammlungen und sogar im Parlament denunziert. Wiederholt ist aufge- zeigt worden, daß sich die herrschende Klasse hinter den Attacken befindet mit dem Ziel, den Marxismus zu zerstören. Die Arbeiten des Kongresses von Den Haag sowie die berühmten Reden BebeIs gegen die Geheimpolitik von Bismarck und Schweitzer offenbaren die Fähigkeit der Arbeiterbewegung, eine umfassende Analyse zu liefern und diese Manöver in einer äußerst konkreten Art und Weise zu denunzieren. Unter den wichtigsten Gründen für die Publikation der Enthüllungen über Bakunins Gebaren finden wir hauptsächlich die folgenden:

- Die offene Demaskierung bot die einzige Möglichkeit, die Arbeiterklasse vor weiteren solchen Methoden zu bewahren: einzig die Bewußtseinsentwicklung über die Wichtigkeit dieser Fragen bei allen Mitgliedern konnte eine zukünftige Wiederholung verhindern.

- Die öffentliche Denunzierung der Allianz Bakunins war notwendig, um andere von der Anwendung derselben
Methoden abzubringen. . Marx und Engels wußten nur zu gut, daß andere Parasiten eine Geheimpolitik innerhalb und außerhalb führten wie beispielsweise die Anhänger von Pyatt. Einzig eine offene Debatte konnte die Kontrolle von Bakunin über viele Opfer brechen und sie zu Aussagen ermutigen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Manipulationsmethoden Bakunins durch die Publikation des Revolutionären Katechismus enthüllt worden.

- Die öffentliche Denunzierung war unausweichlich, um zu verhindern, daß die Internationale selbst mit solchen
Praktiken in Verbindung gebracht würde. So ist der Entscheid zum Ausschluß von Bakunin aus der Internationale gefällt worden, nachdem die Informationen über die Affäre Netschajew eingetroffen und nachdem das Bewußtsein über die Gefahr dieser Affäre für die Internationale gereift war.

- Die Lehren aus diesem Kampf hatten eine historische Bedeutung nicht nur für die Internationale, sondern auch für die Zukunft der Arbeiterbewegung. In diesem Geist hat Bebel Jahre später um die 80 Seiten seiner Autobiographie dem Kampf gegen Lassalle und Schweitzer gewidmet.

Im Zentrum dieser Politik stand die Notwendigkeit, die politischen Abenteurer wie Bakunin und Schweitzer zu demaskieren. Man kann nicht genügend unterstreichen, daß diese Haltung das ganze politische Leben Marxens durchzogen hat. Sehr gut erkennbar wird diese Tatsache in der Denunzierung der Helfershelfer von Lord Palmerston oder Herrn Vogts. Er verstand sehr gut, daß es lediglich der herrschenden Klasse dienen würde, wenn man diese Geschichten unter den Teppich kehren wollte.

- Die offene Demaskierung bot die einzige Möglichkeit, die Arbeiterklasse vor weiteren solchen Methoden zu bewahren: einzig die Bewußtseinsentwicklung über die Wichtigkeit dieser Fragen bei allen Mitgliedern konnte eine zukünftige Wiederholung verhindern.

-  Die öffentliche Denunzierung der Allianz Bakunins war notwendig, um andere von der Anwendung derselben Methoden abzubringen. Marx und Engels wußten nur zu gut, daß andere Parasiten eine Geheimpolitik innerhalb und außerhalb führten wie beispielsweise die Anhänger von Pyatt.

-  Einzig eine offene Debatte konnte die Kontrolle von Bakunin über viele Opfer brechen und sie zu Aussagen ermutigen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Manipulationsmethoden Bakunins durch die Publikation des Revolutionären Katechismus enthüllt worden.

-  Die öffentliche Denunzierung war unausweichlich, um zu verhindern, daß die Internationale selbst mit solchen Praktiken in Verbindung gebracht würde. So ist der Entscheid zum Ausschluß von Bakunin aus der Internationale gefällt worden, nachdem die Informationen über die Affäre Netschajew eingetroffen und nachdem das Bewußtsein über die Gefahr dieser Affäre für die Internationale gereift war.

-  Die Lehren aus diesem Kampf hatten eine historische Bedeutung nicht nur für die Internationale, sondern auch für die Zukunft der Arbeiterbewegung. In diesem Geist hat Bebel Jahre später um die 80 Seiten seiner Autobiographie dem Kampf gegen Lassalle und Schweitzer gewidmet.

Im Zentrum dieser Politik stand die Notwendigkeit, die politischen Abenteurer wie Bakunin und Schweitzer zu demaskieren.

Man kann nicht genügend unterstreichen, daß diese Haltung das ganze politische Leben Marxens durchzogen hat. Sehr gut erkennbar wird diese Tatsache in der Denunzierung der Helfershelfer von Lord Palmerston oder Herrn Vogts. Er verstand sehr gut, daß es lediglich der herrschenden Klasse dienen würde, wenn man diese Geschichten unter den Teppich kehren wollte.

25. Dieser Tradition der Arbeiterbewegung folgt die IKS mit den Artikeln über den eigenen internen Kampf, mit den Polemiken gegen den Parasitismus, mit der Veröffentlichung des einstimmig beschlossenen Ausschlusses eines Mitgliedes am 11. internationalen Kongreß, mit den Artikeln über das Freimaurertum usw. Insbesondere handelt die IKS mit der Verteidigung des Ehrentribunals für Elemente, die das Vertrauen der revolutionären Organisation verloren haben, ganz im Geist des Kongresses von Den Haag sowie der Untersuchungskommissionen der russischen Arbeiterparteien, welche Kommissionen einberufen wurden, wenn der Verdacht entstand, daß jemand ein agent provocateur sein könnte. Nur so kann das revolutionäre Milieu verteidigt werden.

Der Sturm der Entrüstung sowie die Anklagen der bürgerlichen Presse nach der Veröffentlichung der Hauptergebnisse der Untersuchung über die Allianz zeigen, daß gerade diese strenge Methode der öffentlichen Denunzierung die Bourgeoisie mehr als alles andere verstimmt. Die gleiche Angst zeigte sich bei den Verteidigern von kleinbürgerlichen Organisationsprinzipien, als die opportunistische Führung der II. Internationale in den Jahren vor 1914 das berühmte Kapitel "Marx gegen Bakunin" systematisch überging.

26. Gegenüber der kleinbürgerlichen Infanterie des Parasitismus bestand die Politik der Arbeiterbewegung immer darin, sie von der politischen Bühne verschwinden zu lassen. Hier spielt die Denunzierung der absurden Positionen sowie der politischen Aktivitäten der Parasiten eine hervorragende Rolle. So hat Engels in seiner berühmten Schrift Die Bakuninisten am Werk (im spanischen Bürgerkrieg) die Enthüllungen über das organisatorische Verhalten der Allianz unterstützt und vervollständigt.

Heute führt die IKS dieselbe Politik im Kampf gegen Anhänger verschiedener organisierter und "unorganisierter" Zentren des parasitären Netzes.

Was die mehr oder weniger proletarischen Elemente anbelangt, die sich vom Parasitismus täuschen lassen, so war die Politik des Marxismus ihnen gegenüber immer eine ganz andere. Die Politik bestand darin, einen Keil zwischen diese Elemente und die parasitäre Führung zu treiben, die von der Bourgeoisie angeleitet oder ermutigt wird. Es sollte aufgezeigt werden, daß erstere die Opfer der letzteren sind. Das Ziel dieser Politik besteht immer darin, die parasitäre Führung zu isolieren und die Opfer von ihrer Einflußzone zu entfernen. Gegenüber diesen "Opfern" hat der Marxismus immer ihre Haltung sowie ihre Aktivitäten denunziert bei gleichzeitiger Gewinnung ihres Vertrauens in die Organisation und in das proletarische Milieu. Die Arbeit von Lafargue und Engels gegenüber der spanischen Sektion der IAA ist diesbezüglich ein sehr gutes Beispiel.

Die IKS verfolgt diese Tradition auch in der Konfrontation mit dem Parasitismus, um irregeleitete Elemente zurückzugewinnen. Bebel und Liebknecht haben Schweitzer an einer Massenversammlung der Lassalleanischen Partei in Wuppertal als Agent Bismarcks denunziert, was ein gutes Beispiel dieser Haltung ist.

27. Seit den großen Kämpfen gegen den Parasitismus in der IAA ist diese Politik aus zweierlei Gründen in den Hintergrund getreten:

-  In den späteren proletarischen Organisationen hat der Parasitismus keine größere Gefahr dargestellt.

-  Die Länge und Tiefe der Konterrevolution ließ diese Errungenschaften vergessen.

Dies stellt angesichts der Offensive des Parasitismus ein sehr bedeutendes Element der Schwäche für das proletarische Milieu dar. Diese Gefahr ist umso größer, als der ideologische Druck des Zerfalls des Kapitalismus das Eindringen der kleinbürgerlichen Ideologie mit all ihren extremen Charakteristiken[10] erleichtert und so andauernd ein geeignetes Terrain für die Entwicklung des Parasitismus schafft. Es ist also eine äußerst wichtige Verantwortung des proletarischen Milieus, den entschiedenen Kampf gegen diese Geißel aufzunehmen. Gewissermaßen zeigt gerade die Fähigkeit der revolutionären Strömungen, den Parasitismus zu identifizieren und zu bekämpfen, in welchem Ausmaß sie auch in der Lage sind, andere Gefahren, insbesondere die ständig vorhandene Gefahr des Opportunismus, zu bekämpfen.

Der Opportunismus und der Parasitismus tolerieren sich und stimmen gegenseitig überein, da ja beide denselben Ursprung (das Eindringen der kleinbürgerlichen Ideologie) aufweisen und einen Angriff gegen die proletarische Organisation darstellen (die programmatischen Prinzipien beim Opportunismus, die organisatorischen Prinzipien beim Parasitismus). So ist es keineswegs paradox, daß wir in der IAA die "antistaatlichen" Bakuninisten und die staatstreuen Lassalleaner (die eine Variante des Opportunismus darstellten) Seite an Seite finden. Eine Schlußfolgerung daraus ist, daß es den linken Strömungen innerhalb der proletarischen Organisation obliegt, den Kampf gegen den Parasitismus zu führen. In der IAA haben Marx und Engels und ihre Tendenz den Kampf gegen die Allianz geführt. Es ist keineswegs ein Zufall, wenn die wichtigsten Dokumente aus diesem Kampf ihre Unterschriften tragen (das Rundschreiben vom 5. März 1872 sowie Die angeblichen Spaltungen in der Internationale haben Marx und Engels verfaßt; der Bericht von 1873 über Die Allianz der sozialistischen Demokratie und die internationale Arbeiterassoziation ist die Arbeit von Marx, Engels, Lafargue und Utin).

Die Erfahrungen in der IAA behalten auch heute ihre Gültigkeit. Der Kampf gegen den Parasitismus ist eine Hauptaufgabe der Kommunistischen Linken. Sie hält sich dabei streng an die Tradition ihrer Kämpfe gegen den Opportunismus. Im gegenwärtigen Zeitpunkt ist dieser Kampf ein grundlegender Bestandteil für die Vorbereitung der Partei von morgen. Er beeinflußt dadurch teilweise sowohl den Augenblick, in dem sie entstehen kann, als auch ihre Fähigkeit, ihre Rolle in den entscheidenden Kämpfen des Proletariats zu spielen.

Im Kampf gegen den Parasitismus hält sich die IKS an die Methoden, die bereits die IAA und die Eisenacher angewendet haben. Die Manöver des Parasitismus wurden in den öffentlichen Kongreßdokumenten, in der Presse, in den Arbeiterversammlungen und sogar im Parlament denunziert. Wiederholt ist aufgezeigt worden, daß sich die herrschende Klasse hinter den Attacken befindet mit dem Ziel, den Marxismus zu zerstören. Die Arbeiten des Kongresses von Den Haag sowie die berühmten Reden Bebels gegen die Geheimpolitik von Bismarck und Schweitzer offenbaren die Fähigkeit der Arbeiterbewegung, eine umfassende Analyse zu liefern und diese Manöver in einer äußerst konkreten Art und Weise zu denunzieren. Unter den wichtigsten Gründen für die Publikation der Enthüllungen über Bakunins Gebaren finden wir hauptsächlich die folgenden: Die Heterogenität ist ein Markenzeichen des Parasitismus, da er in seinen Rängen sowohl aufrichtige als auch solche Elemente aufweist, die von nichts anderem als dem Haß gegenüber der proletarischen Organisation beseelt sind (Abenteurer oder Staatsagenten). Die Heterogenität stellt eine ausgezeichnetes Terrain für die der proletarischen Sorge am feindlichsten gesinnten Elemente dar, um mit ihrer Geheimpolitik die anderen mit sich zu reißen. Die Präsenz von "aufrichtigen" Elementen, hauptsächlich von solchen, die tatkräftig beim Aufbau der Organisation mitgewirkt haben, stellt für den Parasitismus eine Bedingung für seinen Erfolg dar, da er so auf betrügerische Weise seine "proletarische" Etikette vorzeigen kann (ebenso wie die Gewerkschaften "aufrichtige und ergebene" Militante benötigen, um ihre Rolle zu spielen). Gleichzeitig können der Parasitismus und seine Vertreter die Kontrolle über ihre Herde nur ausüben, wenn sie ihre wirklichen Ziele verschleiern. So umfaßte die Allianz in der IAA mehrere Zirkel um den "Bürger B" und geheime Statuten, die den "Eingeweihten" vorbehalten waren. "Die Allianz teilt sie (ihre Mitglieder) in zwei Kasten, in Eingeweihte und Laien, Aristokraten und Plebejer, wobei die letzteren bestimmt sind, von den ersteren mittels einer Organisation geführt zu werden, von deren Existenz sie nicht einmal etwas wissen." (Friedrich Engels, Bericht über die Allianz der sozialistischen Demokratie) Heute handelt der Parasitismus in gleicher Weise. Selten legen parasitäre Gruppen, Abenteurer oder frustrierte Intellektuelle ihr Programm offen dar. In diesem Sinne ist der Mouvement Communiste, der ganz offen die Zerstörung der kommunistischen Linken propagiert, gleichzeitig eine Karikatur sowie der klarste Ausdruck der Natur des Parasitismus.(Marx/Engels, Die angeblichen Spaltungen in der Internationale)(Karl Marx, Erster Entwurf zum Bürgerkrieg in Frankreich)(Marx/Engels, Die angeblichen Spaltungen in der Internationale) (Friedrich Engels, Bericht über die Allianz der sozialistischen Demokratie, vorgelegt dem Haager Kongreß im Namen des Generalrates) (Friedrich Engels, "Der Generalrat an alle Mitglieder der IAA", eine Warnung vor der Allianz Bakunins).



[1] Es ist wichtig eine Unterscheidung zu machen zwischen den beiden Bedeutungen, welche man unter dem Begriff .Abenteurertum" verstehen kann. Auf der einen Seite gibt es das Abenteurerturn deklassierter Elemente, die politischen Abenteurer, welche innerhalb der herrschenden Klasse keine Rolle spielen konnten. Da sie erkennen, dass der Arbeiterklasse eine bestimmende Rolle in der Gesellschaft und der Geschichte zukommt, versuchen sie im Proletariat und seinen Organisationen Anerkennung zu gewinnen, welche es ihnen erlaubt, ihre persönliche Rolle zu spielen, die ihr die Bourgeoisie verweigert hat. Wenn sie sich dem Klassenkampf zuwenden, haben diese Elemente nicht die Absicht sich diesem zu unterstellen, sondern den Klassenkampfihren eigenen Ambitionen zu unterwerfen. Sie versuchen offenkundig "ins Proletariat" zu gehen, so wie andere eine Weltreise machen. Auf der anderen Seite beschreibt der Begriff Abenteurerturn eine politische Haltung, sich in leichtfertige Aktionen zu werfen, auch wenn die minimalsten Bedingungen zu einem Erfolg, eine Reife innerhalb der Arbeiterklasse, nicht vorhanden ist. Eine solche Haltung kann von politischen Abenteurern getragen sein, welche auf der Suche nach großen Emotionen sind. Sie kann aber auch von aufrichtigen, engagierten und selbstlosen Arbeitern und Militanten übernommen werden, denen es jedoch an politischem Urteilsvermögen fehlt oder die in Ungeduld gefangen sind.

[2] Marx und Engels waren nicht die einzigen, die den politischen Parasitismus identifizierten und beschrieben. Auch zu Ende des 19. Jahrhunderts nahm ein großer marxistischer Theoretiker wie Antonio Labriola dieselbe Analyse Ober den Parasitismus wieder auf: „Im ersten Stadium unserer heutigen Parteien (er schreibt hier ober den Bund der Kommunisten). in dem wir die ersten Zellen unseres komplexen, elastischen und hochentwickelten Organismus finden, existierte nicht nur ein Bewusstsein, ein Vorläufer für die Vollendung unserer Mission zu sein, sondern die ersten Initiatoren der proletarischen Revolution waren sich auch klar über die einzig anwendbare Form und Methode sich zusammenzuschließen. Es war keine Sekte mehr. Diese waren schon überwunden worden. Die unmittelbare und phantastische Vorherrschaft des Individuums war eliminiert. Was dominierte. war eine Disziplin, die ihre Quellen in der Erfahrung über das Notwendige und in der Lehre halte, die eben genau die bewusste Reflexion dieser Notwendigkeit war. Dasselbe innerhalb der Internationale, welche nur denen als autoritär erschien, welche ihr selbst ihre eigene Autorität aufzwingen wollten. Dasselbe Muss und wird in allen Arbeiterparteien mitspielen: Wo immer diese Charakteristiken nicht vorhanden sind oder keinen Einfluss gewinnen können, wird eine unausgereifte und konfuse proletarische Agitation nur Illusionen streuen und Nährboden für Intrigen sein. Wo diese nicht vorhanden sind, besteht eine Sekte; in der sich der Erleuchtete sich mit dem Verrückten oder dem Spion zusammentut; es wird eine Wiedergeburt der Internationalen Bruderschaft sein, die sich wie ein Parasit an die Internationale klebt, um diese zu diskreditieren: (..) und schlussendlich eine Gruppe von unzufriedenen Deklassierten und Kleinbürgern, weiche sich damit beschäftigen, über den Sozialismus zu spekulieren. gleich wie über irgendwelche politische Phrasen, die in Mode sind. " (Essay über die materialistische Geschichtsauffassung. von uns aus dem Französischen obersetzt)

[3]Dieses Phänomen wird offensichtlich verstärkt durch das Gewicht des Rätismus. der, wie die IKS aufgezeigt hat, den Preis darstellt, den die wiedererwachte Arbeiterbewegung bezahlt und noch bezahlen wird, um sich vom Einfluss des Stalinismus während der ganzen Phase der Konterrevolution loszukaufen

[4] Aus diesem Grund unterstützten die Freunde von Bakunin an diesem Kongress einen Entscheid zur erheblichen Stärkung des Generalrates, während sie später forderten, dass er lediglich die Funktion eines Briefkastens wahrnehmen solle.

[5] Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist reich an solchen langen, von der Linken geführten Kämpfen. Unter den wichtigsten befinden sich die folgenden:

-   Rosa Luxemburg gegen den Revisionismus Bernsteins Ende des 19. Jahrhunderts.

-   Lenin gegen die Menschewiki ab 1903.

-   Rosa Luxemburg und Pannekoek gegen Kautsky in der Frage des Massenstreiks (1908- 1911).

-   Rosa und Lenin für die Verteidigung des Internationalismus (Kongress von Stuttgart 1907 und Basel 1912),

-  Pannekoek, Gorter, Bordiga und alle Militanten der Linken in der Komintern im Kampf gegen die Degenerierung (zu denen in einem gewissen Grad auch Trotzki gehörte).

[6] Heute besteht der Sumpfhauptsächlich aus verschiedenen rätistischen Strömungen (sie tauchten in der historischen Wiederaufnahme des Klassenkampfes Ende der 60er Jahre auf und werden wahrscheinlich auch in Zukunft wieder in Erscheinung treten), aus Überbleibseln der Vergangenheit wie den De Leonisten im angelsächsischen Raum oder aus Elementen, die mit den linken Organisationen brechen.

[7] Es gibt keinerlei hinreichende Beweise dafür, dass Chenier ein Agent der staatlichen Sicherheitsdienste war. Hingegen zeigen seine schnelle Karriere in der staatlichen Verwaltung kurz nach seinem Ausschluss aus der IKS einerseits und vor allem in der sozialistischen Partei (die damals die Regierung stellte) anderseits, dass er bereits damals, als er sich noch als "Revolutionär" präsentierte, für diesen Apparat der Bourgeoisie arbeitete.

[8] Den Analysen und der Sorge der IKS bezüglich des Parasitismus wird oft entgegengehalten, dass dieses Phänomen nur unsere Organisation betreffe, sei es als Zielscheibe, sei es als .Zulieferer" der parasitären Szene mittels der Spaltungen, die die Organisation kannte. Tatsächlich bildet die IKS heute den Hauptangriffspunkt des Parasitismus, was sich damit erklären lässt, dass sie die wichtigste und verbreitetste Organisation des proletarischen Milieus darstellt. Deshalb zieht sie auch den größten Hass von Seiten der Feinde dieses Milieus auf sich, die keine Gelegenheit verpassen, um eine Feindschaft der anderen proletarischen Organisationen gegenüber der IKS zu schüren. Ein anderer Grund für das .. Privileg", das der IKS durch den Parasitismus erteilt wird, liegt darin begründet, dass es von unserer Organisation am meisten Abspaltungen gab, die sich in parasitäre Gruppierungen verwandelten. Für dieses Phänomen gibt es mehrere Erklärungen.

An erster Stelle Muss man anfuhren, dass von all den Organisationen des proletarischen Milieus die IKS die einzige ist, die 1968 neu entstanden ist. Alle anderen existierten zu diesem Zeitpunkt bereits. In der Anfangsphase unserer Organisation war der Zirkelgeist sehr weit verbreitet, der einen idealen Nährboden für Clans und für den Parasitismus bildete. Darüber hinaus hat es in den anderen Organisationen bereits vor dem historischen Wiederaufschwung der Arbeiterklasse eine natürliche Selektion gegeben, durch die die Abenteurer sowie die Intellektuellen, die auf der Suche nach einem Publikum waren, ausgeschieden worden waren. Sie waren nicht ausreichend geduldig, um in kleinen Organisationen zu einem Zeitpunkt von nur geringem Einfluss zu arbeiten. Im Augenblick des Aufschwungs analysierten Elemente dieses Typs, dass es einfacher Wäre, sich einen Platz in der neu entstandenen, im Aufbau begriffenen Organisation zu ergattern.

An zweiter Stelle besteht ganz generell ein grundlegender Unterschied zwischen den (ebenfalls zahlreichen) Abspaltungen, die die Bordegistische Strömung (die auf internationaler Ebene bis Ende der 70er Jahre am weitesten entwickelt war) betroffen haben, und den Abspaltungen von der IKS. In den bordigistischen Organisationen, die für sich den Monolithismus in Anspruch nehmen, sind Abspaltungen hauptsachlich die Folge aus der Unmöglichkeit, innerhalb der Organisation politische Differenzen zu entwickeln, was wiederum bedeutet, dass diese Abspaltungen nicht unbedingt eine parasitäre Dynamik entwickeln. Dagegen sind die Abspaltungen von der IKS nicht das Resultat eines Monolithismus oder Sektierertums, da unsere Organisation immer erlaubt und auch dazu ermutigt hat, Debatten und Konfrontationen zu führen: Kollektive Desertionen waren also stets die Folge von Ungeduld, individuellen Frustrationen und der Vorgehensweise von Clans. Dieser Umstand barg den Keim einer parasitären Dynamik in sich.

Dennoch ist es wichtig zu unterstreichen, dass die IKS nicht das einzige Ziel des Parasitismus ist. Die Aktivitäten von Hilo Rojo und Mouvement Communiste betreffen die ganze Kommunistische Linke. Ebenso ist das bevorzugte Ziel der OCI die Bordegistische Strömung. Auch wenn die parasitären Gruppen ihre Angriffe auf die IKS konzentrieren und gleichzeitig den anderen Gruppen des proletarischen Milieus schmeicheln (wie dies der Fall bei der CBG war oder wie dies systematisch von Echanges er Mouvement betrieben wird), so geschieht dies generell mit dem Ziel, Meinungsdifferenzen und das Auseinanderdriften der verschiedenen Gruppen des proletarischen Milieus zu verstärken, Die IKS hat diese Schwache immer zuvorderst bekämpft.

[9] Diese Gruppe ist von ehemaligen Mitgliedern der IKS, die auch der Gel angehört hatten, gegründet werden, nicht zu verwechseln mit dem Mouvement Communiste aus den 70er .Jahren, der ein Apostel des Modernismus war.

[10] „Anfänglich erfaßt der "ideologische Zerfall hauptsächlich die Kapitalistenklasse selber, und damit auch die kleinbürgerlichen Schichten, die keine eigenständige Existenz haben. Man kann gar sagen. daß diese Schichten besonders stark vom Zerfall befallen sind. weil ihre besondere Situation, - sie besitzen keine Zukunft - bei dem Hauptgrund des ideologischen Zerfalls zu spüren ist: das Fehlen einer unmittelbaren Perspektive für die gesamte Gesellschaft. Nur die Arbeiterklasse kann der Menschheit eine Perspektive anbieten. und deshalb gibt es in ihren Reihen die größten Widerstandskräfte gegen diesen Zerfall. Die Arbeiterklasse selber ist jedoch nicht immun gegen den Zerfall, insbesondere weil die Kleinbourgeoisie mit der sie sich auseinanderzusetzen hat. der Haupt" träger dieses Zerfalls ist. Die verschiedenen Elemente, die die Stärke der Arbeiterklasse ausmachen. stoßen direkt mit den verschiedenen Erscheinungsweisen des ideologischen Zerfalls zusammen

-   das kollektive Handeln. die Solidarität; all das hebt sich ab von der „Atomisierung, dem Verhalten“ „Jeder für sich“. „jeder schlägt sich individuell durch“.

-   das Bedürfnis nach Organisierung steht dem gesellschaftlichen Zerfall entgegen, der Zerbröckelung der Verhältnisse, auf die jede Gesellschaft baut,

-   die Zuversicht in die Zukunft und in die eigenen Kräfte wird ständig untergraben durch die allgemeine Hoffnungslosigkeit, die in der Gesellschaft immer mehr überhand nimmt, durch den Nihilismus, durch die Ideologie des „No future“,

-   das Bewußtsein, die Klarheit, die Kohärenz und den Zusammenhalt des Denkens, den Geschmack für die Theorie. all diese Elemente müssen sich behaupten gegenüber den Fluchtversuchen, der Gefahr der Drogen. den Sekten, dem Mystizismus, der Verwerfung der theoretischen Überlegungen, der Zerstörung des Denkens, d.h. all den destruktiven Elementen, die typisch sind für unsere Epoche." (Internationale Revue Nr. 13, "Der Zerfall: Letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus" Punkt 13).

Die Engstirnigkeit, die falsche Solidarität in den Clans, der Haß gegen die Organisation, das Mißtrauen, die Verunglimpfung, die samt und sonders Haltungen und Verhaltensweisen darstellen, die dem Parasitismus entsprechen, finden im heutigen gesellschaftlichen Zerfall reichhaltige Nahrung. Das Sprichwort besagt: Die schönsten Blumen blühen auf dem Misthaufen. Die Wissenschaft lehrt uns, daß darauf zahlreiche parasitäre Organismen ebenfalls bestens gedeihen. Und in seinem Bereich halt sich der politische Parasitismus an die Spielregeln der Biologie, er, der seinen Honig aus der Fäulnis der Gesellschaft zieht.

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Parasitismus [1]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [2]

Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre

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Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre

Internationale Konferenz der IKS Januar 1982

1) Die Struktur der Organisation der Revolutionäre entspricht der Funktion, die sie in der Klasse zu erfüllen hat. Da diese Funktion Aufgaben beinhaltet, die in jeder Etappe der Arbeiterbewegung zu erfüllen sind, aber auch Aufgaben, die eher einer bestimmten Phase der Bewegung entsprechen, gibt es Eigenschaften, die ständig auf eine revolutionäre Organisation zutreffen, und solche, die eher für einen bestimmten Zeitpunkt typisch sind und somit von den historischen Bedingungen bestimmt werden, innerhalb derer die Organisation hervorgeht und sich entfaltet.

 

Zu den ständig gültigen Eigenschaften zählen:

* Die Existenz eines für die ganze Organisation gültigen Programms. Als Synthese der Erfahrungen des Proletariats (von dem die Organisation ein Teil ist), als Ausdruck einer Klasse, die nicht nur in der Gegenwart existiert, sondern auch eine historische Zukunft hat, drückt dieses Programm

- diese Zukunft durch die Festlegung der Ziele der Klasse und des Weges zur Erreichung desselben aus,

- faßt es die grundlegenden Positionen zusammen, welche eine Organisation in der Klasse verteidigen muß,

- dient es als Grundlage zum Beitritt zu einer Organisation.

* Ihr einheitlicher Charakter. Als Ausdruck der Einheit ihres Programms und der Arbeiterklasse, aus der sie hervorgeht, spiegelt sich dies praktisch in der Zentralisierung ihrer Struktur wider.

Unter den eher durch die Umstände bedingten Eigenschaften kann man Folgendes hervorheben:

- Die relativ große oder kleine Ausdehnung, je nach der Stufe der Arbeiterbewegung; in der Anfangsphase (geheime Gesellschaften, Sekten usw.), in der Blütezeit des Kapitalismus (Massenparteien der II. Internationale), zur Zeit des direkten Zusammenstoßes mit dem Kapitalismus mit dem Ziel seiner Zerstörung (der mit der Russischen Revolution 1917 und der Gründung der Komintern eröffnete Zeitraum), wo die Organisation dazu gezwungen wird, strengere und genauere Kriterien der Mitgliedschaft zu haben.

- Das Maß und die Ebene, auf der diese programmatische und organische Einheit am direktesten zum Ausdruck kommen; die nationale Ebene, als die Arbeiterklasse mit spezifischen Aufgaben konfrontiert war, d.h. als sich der Kapitalismus in voller Entfaltung befand und die Parteien der II. Internationale in den jeweiligen Ländern ihren Kampf führten; die internationale Ebene, seit das Proletariat nur noch eine Aufgabe vor sich hat: die Weltrevolution.

 

2. Die Organisationsform der IKS entspricht diesen verschiedenen Tatsachen voll:

- programmatische und organische Einheit auf Weltebene,

- eine enggeknüpfte Organisation, mit strengen Mitgliedschaftskriterien.

Aber der Einheitscharakter der IKS auf internationaler Ebene trifft hier um so mehr zu, als die IKS im Gegensatz zu den Organisationen, die in der Phase der Dekadenz vorher entstanden sind (Komintern, Fraktionen der Kommunistischen Linke), über keine organische Verbindung zu den Organisationen verfügt, die aus der 2. Internationale hervorgegangen waren, die ja bekanntlich nach Ländern organisiert war. Deshalb ist die IKS von vornherein als eine internationale Organisation entstanden und hat im folgenden verschiedene territoriale Sektionen hervorgebracht. Sie ist also kein Ergebnis eines Annäherungsprozesses von schon auf nationaler Ebene gebildeten Organisationen.

Diesem eher "positiven" Element des organischen Bruchs steht aber eine ganze Reihe Schwächen gegenüber, die mit diesem Bruch verbunden sind und das Verständnis der Organisationsfrage betreffen. Diese Schwächen sind nicht typisch für die IKS, sondern treffen auf das gesamte revolutionäre politische Milieu zu. Diese Schwächen sind erneut in der IKS aufgetreten; sie haben uns zum Entschluß geführt, eine internationale Konferenz abzuhalten und diesen Text zu verabschieden.

 

3) Im Mittelpunkt des mangelnden Begreifens innerhalb der IKS steht die Frage des Zentralismus. Der Zentralismus ist kein abstraktes oder frei wählbares Prinzip einer Organisationsstruktur. Er stellt die Konkretisierung ihres Einheitscharakters dar; deshalb spiegelt er die Tatsache wider, daß die Organisation als ein einheitlicher Körper Position bezieht und in der Klasse handelt.

In der Beziehung zwischen den verschiedenen Teilen der Organisation und dem Ganzen überwiegt das Ganze. Gegenüber der Klasse darf es keine besondere politische Position oder eine besondere Auffassung zur Intervention seitens einer territorialen oder lokalen Sektion geben. Sie müssen sich alle als ein Teil eines Ganzen auffassen. Die Analysen und Positionen, die in der Presse, den Flugblättern, den öffentlichen Veranstaltungen, Diskussionen mit Sympathisanten zum Ausdruck gebracht werden; die in unserer Propaganda wie in unserem internen Leben verwendeten Methoden müssen überall in der Organisation die gleichen sein, selbst wenn es über den einen oder anderen Punkt oder in der einen oder anderen Sektion oder bei einzelnen Militanten unterschiedliche Auffassungen gibt oder selbst wenn die Organisation die in ihren Reihen stattfindenden Debatten nach Außen trägt.

Wir müssen resolut die Auffassung verwerfen, derzufolge einzelne Teile der Organisation gegenüber der Klasse oder der Organisation Positionen oder Einstellungen vertreten können, die ihnen im Gegensatz zu den Positionen der Organisation, die sie als falsch betrachten, als richtig erscheinen:

- Denn wenn die Organisation einen falschen Weg einschlägt, besteht die Verantwortung der Mitglieder, die glauben eine richtige Position zu verteidigen, nicht darin, sich selbst auf eine Insel zu retten, sich in eine Ecke zurückzuziehen, sondern einen Kampf innerhalb der Organisation zu führen, um damit beizutragen, sie wieder auf den "richtigen Weg zu bringen" (1).

- Eine solche Auffassung führt einen Teil der Organisation dazu, ihren eigenen Willen der gesamten Organisation willkürlich hinsichtlich dieses oder jenes Aspektes (lokal oder spezifisch) aufzuzwingen.

In der Organisation setzt sich das Ganze nicht aus der Summe der Teile zusammen. Die einzelnen Teile erhalten ein Mandat für die Durchführung einer besonderen Aufgabe (territoriale Presse, lokale Intervention usw.) und sind deshalb gegenüber der gesamten Organisation für die Durchführung des Mandats verantwortlich.

 

4) Der Internationale Kongreß ist der Ort, wo die Einheit der Organisation in ihrem ganzen Ausmaß zum Ausdruck kommt. Auf dem Internationalen Kongreß wird das Programm der IKS definiert, bereichert und korrigiert; dort werden auch die Organisationsformen und Funktionsweisen festgelegt, verändert oder präzisiert; die Analysen und Gesamtausrichtungen angenommen; eine Bilanz der vergangenen Aktivitäten gezogen und Arbeitsperspektiven für die Zukunft verabschiedet. Deshalb muß die Vorbereitung des Kongresses mit der größten Sorgfalt und Energie von der gesamten Organisation durchgeführt werden. Deshalb müssen die Orientierungen und Entscheidungen des Kongresses im Leben der Organisation als ständige Bezugspunkte dienen.

 

5) Zwischen 2 Kongressen wird die Einheit sowie die Kontinuität der Organisation durch die Existenz von Zentralorganen sichergestellt, die vom Kongreß ernannt werden und ihm gegenüber verantwortlich sind. Die Zentralorgane haben die Verantwortung (je nach Ebene der Zuständigkeit international oder territorial) dafür:

- die Organisation nach Außen zu vertreten,

- jedesmal wenn nötig auf der Grundlage der vom Kongreß definierten Orientierungen Stellung zu beziehen,

- die Gesamtheit der Aktivitäten der Organisation zu koordinieren und zu orientieren,

- auf die Qualität der Intervention nach Außen und insbesondere die der Presse zu achten,

- das interne Leben der Organisation anzuregen und zu fördern, insbesondere durch die Verteilung von internen Bulletins und, wenn dies nötig ist, durch Stellungnahmen zu Debatten,

- die finanziellen und materiellen Ressourcen der Organisation zu verwalten,

- jede nur erforderliche Maßnahme zu ergreifen, um die Sicherheit der Organisation und ihre Fähigkeit zu garantieren, daß sie ihre Aufgaben erfüllt,

- die Kongresse einzuberufen.

Das Zentralorgan ist ein Teil der Organisation und als solches ist es der Organisation gegenüber verantwortlich, wenn diese zu ihrem Kongreß zusammenkommt. Jedoch handelt es sich um einen Teil, der zur Aufgabe hat, das Ganze zum Ausdruck zu bringen und es zu repräsentieren. Deshalb sind die Positionen und Entscheidungen des Zentralorgans immer höherwertig gegenüber denen, die andere Teile der Organisation getroffen haben.

Im Gegensatz zu bestimmten Auffassungen, insbesondere der sogenannten "leninistischen" Auffassung, ist das Zentralorgan ein Instrument der Organisation und nicht umgekehrt. Es ist nicht die Spitze einer Pyramide, wie das eine hierarchische und militärische Auffassung von der Organisation der Revolutionäre meinen könnte. Die Organisation besteht nicht aus dem Zentralorgan, und dann folgen die Militanten; sondern sie stellt ein eng geflochtenes und vereinigtes Netz dar, innerhalb dessen alle Teile miteinander verbunden sind und zusammenwirken. Man muß deshalb das Zentralorgan eher als den Kern einer Zelle auffassen, der den Stoffwechsel eines lebendigen Ganzen koordiniert.

Deshalb muß sich die gesamte Organisation ständig mit den Aktivitäten ihrer Zentralorgane befassen, die regelmäßig über ihre Aktivitäten berichten müssen. Selbst wenn sie nur auf einem Kongreß ihr Mandat zurückgeben, müssen die Zentralorgane immer offen sein und aufmerksam das Leben in der Organisation verfolgen und dies ständig berücksichtigen.

Falls die Umstände es erfordern, können die Zentralorgane in ihren Reihen Unterkommissionen bilden, die zur Aufgabe haben, die während der Vollversammlung der Zentralorgane getroffenen Entscheidungen auszuführen und auf deren Anwendung zu achten. Auch können sie für die Durchführung jeder anderen Aufgabe herangezogen werden (insbesondere Stellungnahmen abgeben), soweit sich dies zwischen zwei Vollversammlungen als notwendig erweist.

Diese Unterkommissionen sind gegenüber den Vollversammlungen rechenschaftspflichtig. Allgemein gelten die Prinzipien für das Verhältnis zwischen der Organisation insgesamt und den Zentralorganen ebenso für das Verhältnis zwischen Zentralorganen und den ständigen Unterkommissionen.

6) Die Sorge um die größte Einheit der Organisation ist ebenfalls das Leitmotiv bei der Festlegung der Mechanismen, die die Abfassung von Stellungnahmen und die Nominierung der Zentralorgane bestimmen. Es gibt keinen idealen Mechanismus, der die beste Wahl bei den zu treffenden Entscheidungen, einzuschlagenden Orientierungen und für die Zentralorgane zu benennenden Genossen aufzeigt. Aber die Abstimmung und die Wahl liefern am besten die Garantie sowohl für die Einheit der Organisation als auch für die größtmögliche Beteiligung der Gesamtheit der Genossen an ihrem Leben.

Im allgemeinen werden die Entscheidungen auf allen Ebenen (Kongresse, Zentralorgane, örtliche Sektionen) mit einfacher Mehrheit gefällt, wenn es keine Einstimmigkeit gibt. Aber bestimmte Entscheidungen, die eine direkte Auswirkung auf die Einheit der Organisation haben können (Änderung der Plattform oder der Statuten, Integration oder Ausschluß von Mitgliedern), werden mit einer stärkeren Mehrheit als der einfachen gefällt (3/5, 3/4 usw.).

Aber auch von der gleichen Sorge um die Einheit ausgehend, kann eine Minderheit der Organisation einen Außerordentlichen Kongreß von dem Augenblick an einberufen lassen, wenn sie zu einer bedeutenden Minderheit wird (z.B. 2/5): Im allgemeinen muß der Kongreß die Hauptfragen entscheiden, und das Vorhandensein einer größeren Minderheit, die sich für die Einberufung eines Kongresses ausspricht, ist ein Beweis für die Existenz von großen Problemen innerhalb der Organisation.

Schließlich liegt es auf der Hand, daß Abstimmungen nur einen Sinn machen, wenn die Mitglieder der Minderheit die Entscheidungen auch anwenden, die getroffen wurden und damit als Beschluß der Organisation gelten.

Bei der Ernennung der Zentralorgane ist es notwendig, die drei folgenden Elemente mit zu berücksichtigen:

- das Wesen der von diesen Organen zu erfüllenden Aufgaben;

- die Fähigkeit der Kandidaten, diese Aufgaben zu erfüllen;

- ihre Fähigkeit, kollektiv zusammenzuarbeiten.

Die Versammlung (ob der Kongreß oder eine andere), die ein Zentralorgan ernennen muß, stellt somit eine Mannschaft, ein Team auf: Deshalb macht im allgemeinen das alte Zentralorgan einen Kandidatenvorschlag. Aber diese Versammlung (und dies ist das Recht eines jeden Militanten) darf andere Kandidaten vorschlagen, wenn sie dies für notwendig erachtet, und sie kann natürlich auch die Mitglieder der Zentralorgane einzeln ernennen. Nur diese Art Wahlen macht es möglich, daß die Organisation Organe wählt, in die sie das größte Vertrauen hat.

Das Zentralorgan hat zur Aufgabe, die vom Kongreß - welcher es gewählt hat - beschlossenen Entscheidungen anzuwenden und zu verteidigen. Deshalb ist es ratsam, daß innerhalb des Zentralorgans ein großer Teil von Mitgliedern vertreten sind, die sich während des Kongresses zugunsten dieser Entscheidungen und Orientierungen ausgesprochen haben. Das heißt jedoch nicht, daß nur diejenigen, die auf dem Kongreß die Mehrheitspositionen vertreten haben, d.h. Positionen, die nachher zu den offiziellen Positionen der Organisation geworden sind, Mitglieder des Zentralorgans werden könnten. Die drei oben erwähnten Kriterien bleiben weiterhin gültig, unabhängig von den Positionen, die der eine oder andere mögliche Kandidat während der Debatten vertreten hat. Aber das soll nicht heißen, daß es ein Repräsentationsprinzip der Minderheitspositionen - z.B. das Proporzsystem - innerhalb des Zentralorgans geben sollte. Dies ist eine gängige Praxis in den bürgerlichen Parteien, insbesondere den sozialdemokratischen Parteien, deren Führung von den Repräsentanten der verschiedenen Strömungen oder Tendenzen gebildet wird, je nach Verhältnis der auf den Kongressen erhaltenen Stimmen. Eine solche Art der Ernennung eines Zentralorgans entspricht der Tatsache, daß in einer bürgerlichen Organisation Divergenzen sich auf die Verteidigung der einen oder anderen Organisierung der Verwaltung des Kapitalismus stützen, oder gar einfach auf die Verteidigung des einen oder anderen Bereiches der herrschenden Klasse oder dieser oder jener Clique, Orientierung oder Interessen, die ständig weiter vorhanden sind und die mit einer "gleichmäßigen Aufteilung" der Pöstchen zwischen verschiedenen Repräsentanten in Übereinstimmung gebracht werden müssen. So etwas gibt es nicht in einer kommunistischen Organisation, wo die Divergenzen keinesfalls die verschiedenen materiellen, persönlichen oder die Interessen von "Pressure groups" widerspiegeln, sondern der Ausdruck eines lebendigen und dynamischen Prozesses der Klärung der Probleme sind, vor denen die Klasse steht, und die als solche mit der Vertiefung der Diskussion und im Lichte der Erfahrungen überwunden werden müssen. Eine stabile, ständige und dem Proporz entsprechende Repräsentierung von verschiedenen Positionen, die bei den verschiedenen Tagesordnungspunkten eines Kongresses aufgetaucht wären, würde somit die Tatsache verwerfen, daß die Mitglieder der Zentralorgane

- als erstes dafür verantwortlich sind, die Entscheidungen und Beschlüsse des Kongresses anzuwenden;

- manchmal ihre Position im Laufe der Debatte ändern können (in der einen oder anderen Richtung).

 

7) Es ist falsch, die Begriffe "demokratisch" oder "organisch" zur Beschreibung des Zentralismus der Organisation der Revolutionäre zu verwenden:

- weil man so nicht zu einem richtigen Verständnis des Zentralismus gelangen kann,

- weil diese Begriffe selbst mit einer gewissen Praxis in der Geschichte verbunden sind.

Der "demokratische Zentralismus" (dieser Begriff wurde von Lenin eingebracht) trägt heute den Stempel des Stalinismus, der sich darauf berief, um den Prozeß des Erstickens und der Auslöschung jedes revolutionären Lebens innerhalb der Parteien der Internationale zu rechtfertigen. Bei diesem Prozeß war übrigens Lenin mitverantwortlich dafür, daß auf dem 10. Kongreß der Kommunistischen Partei (1921) das Verbot der Fraktionen gefordert und beschlossen wurde. Lenin meinte irrigerweise, daß dieses Verbot (auch wenn nur vorübergehend) in Anbetracht der gewaltigen Schwierigkeiten der Revolution notwendig sei. Andererseits hat die Forderung nach einem "wirklichen demokratischen Zentralismus", der in der bolschewistischen Partei praktiziert worden sei, keinen Sinn, weil:

- einige von Lenin vertretene Positionen (insbesondere in "Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück") hinsichtlich des hierarchischen und "militärischen" Charakters der Organisation - Positionen, die später vom Stalinismus zur Rechtfertigung seiner Methoden verwandt wurden - verworfen werden müssen;

- der Begriff "demokratisch" selber sowohl von seinem etymologischen Ursprung ("Macht des Volkes") als auch aufgrund seiner Bedeutung innerhalb des Kapitalismus unangebracht ist. Denn im Kapitalismus ist er zu einem formalistischen Fetisch geworden, der zur Vertuschung und zur Rechtfertigung der Herrschaft der Bourgeoisie über die Gesellschaft dient.

Der Begriff "organisch" (der auf Bordiga zurückzuführen ist) wäre in gewisser Hinsicht besser, um das Wesen des Zentralismus innerhalb der Organisationen der Revolutionäre zu bezeichnen. Aber weil die bordigistische Strömung ihn als Mittel benutzt, um eine Funktionsweise zu rechtfertigen, die jede Kontrolle der Zentralorgane und des Lebens der Organisation selber durch die gesamte Organisation verwirft, muß er auch abgelehnt werden. Der Bordigismus meint - zurecht -, daß das Vorhandensein einer Mehrheit zu einer Position keine Garantie für die Richtigkeit dieser Position bedeutet oder daß die Wahl von Zentralorganen kein perfekter Mechanismus sei, um diese vor der Entartung zu bewahren. Aber daraus ergibt sich für ihn die Schlußfolgerung, daß man in einer Organisation die Organe nicht wählen und gar keine Abstimmungen abhalten soll. Dieser Auffassung zufolge setzen sich die richtigen Positionen und damit auch die "Führer" "von selber" in einem "organischen Prozeß" durch; aber in der Praxis sieht das so aus, daß das "Zentrum" allein entscheiden kann und muß und daß jede Debatte von diesem abgeschlossen werden kann. Das "Zentrum" bewegt sich dann meist auf die Position eines "historischen Führers" hin, der eine Art göttliche, überirdische Unfehlbarkeit besäße. Aber die Revolutionäre, die gegen jede Art religiösen und mystischen Geist kämpfen, dürfen natürlich keinen Papst aus Rom durch einen neuen aus Neapel oder Mailand ersetzen.

Nochmals: Auch wenn Wahlen und Abstimmungen noch so unvollkommen sind, sind sie doch unter den gegenwärtigen Bedingungen das beste Mittel, um ein Höchstmaß an Einheit und Leben der Organisation zu garantieren.

 

8) Im Gegensatz zu der bordigistischen Auffassung darf die Organisation der Revolutionäre nicht "monolithisch" sein. Wenn es Divergenzen in ihren Reihen gibt, spiegelt das die Tatsache wider, daß es sich um eine lebendige Organisation handelt, die nicht immer eine unmittelbare, fest geformte Antwort auf die Probleme hat, vor denen die Klasse steht. Der Marxismus ist weder ein Dogma, noch ein Katechismus. Er ist ein theoretisches Instrument einer Klasse, die mittels ihrer Geschichte und im Hinblick auf ihre historische Zukunft schrittweise - Höhen und Tiefen durchlaufend - zu einer Bewußtwerdung hin voranschreitet, die die unabdingbare Vorbedingung ihrer Befreiung ist. Wie jedes menschliche Nachdenken und Überlegen, das auch bei der Entwicklung des proletarischen Bewußtseins vorhanden ist, handelt es sich nicht um einen linearen und mechanischen Prozeß, sondern um einen widersprüchlichen und mit Kritiken behafteten Prozeß. Er setzt notwendigerweise die Auseinandersetzung mit kontroversen Argumenten voraus. Tatsächlich ist der berühmte "Monolithismus" oder die viel gepriesene "Invarianz" der Bordigisten eine Illusion, ein Schein (was sich oft in den Stellungnahmen dieser Organisation und ihrer verschiedenen Sektionen widerspiegelt). Entweder ist die Organisation vollständig verkalkt und hat den Bezug zum Leben der Klasse verloren, oder sie ist nicht monolithisch und ihre Positionen sind nicht invariant, unveränderlich.

 

9) Während Divergenzen innerhalb der Organisation ein Beweis des Lebens der Organisation sind, ist es dennoch erforderlich, daß bestimmte Diskussionsregeln eingehalten werden, damit diese Divergenzen zu einem wirklichen Beitrag zur Verstärkung der Organisation und zur Verwirklichung der Aufgaben werden, für die die Klasse sie hervorgebracht hat.

Einige dieser Regeln lauten:

- Regelmäßige Treffen der örtlichen Sektionen und eine Tagesordnung, wo die Hauptfragen diskutiert werden müssen, die in der gesamten Organisation besprochen werden. Auf keinen Fall darf die Debatte erstickt werden.

- Größtmögliche Zirkulation der verschiedenen Beiträge innerhalb der Organisation durch die zu diesem Zweck vorgesehenen Mittel (interne Bulletins).

- Verwerfung von geheimer oder bilateraler Korrespondenz, die keinesfalls zur Klärung der Debatten beiträgt, sondern nur Mißverständnisse, das Mißtrauen und die Tendenz zur Errichtung einer Organisation innerhalb der Organisation verstärkt.

- Die Minderheit muß die Unabdingbarkeit der organisatorischen Disziplin (wie in Punkt 3 dargestellt) anerkennen.

- Verwerfung jeglicher disziplinarischer oder "administrativer" Maßnahmen seitens der Organisation gegenüber Mitgliedern, die mit bestimmten Punkten nicht einverstanden sind. Genauso wie die Minderheit lernen muß, wie man sich als Minderheit innerhalb der Organisation verhält, muß die Mehrheit wissen, was sie als Mehrheit zu tun hat, und vor allem darf sie nicht die Tatsache ausnutzen, daß ihre Position zu der Position der Organisation geworden ist, um die Debatten irgendwie zu ersticken, indem z.B. Mitglieder der Minderheit gezwungen werden, als Sprecher für Positionen aufzutreten, die sie nicht unterstützen.

- Die gesamte Organisation muß danach streben, daß die Diskussionen (selbst wenn es sich um Divergenzen zu Prinzipien handelt, die nur zu einer organisatorischen Spaltung führen können) auf die deutlichste Art geführt werden (ohne daß dadurch natürlich die Organisation gelähmt oder sie bei der Verwirklichung ihrer Aufgaben geschwächt würde), um sich dadurch gegenseitig von der Gültigkeit der jeweiligen Analysen zu überzeugen. Oder daß zumindest dadurch die größte Klarheit über das Wesen und die Tragweite der Unstimmigkeiten und Divergenzen geschaffen wird.

Weil die Debatten, die in der Organisation stattfinden, im allgemeinen die ganze Arbeiterklasse betreffen, müssen diese auch nach Außen getragen werden, wobei aber die folgenden Bedingungen eingehalten werden müssen:

- Diese Debatten betreffen allgemeine politische Fragen und sie müssen einen ausreichenden Reifegrad erreicht haben, damit ihre Veröffentlichung einen wirklichen Beitrag zur Bewußtseinsentwicklung der Arbeiterklasse liefert.

- Die Bedeutung und der Raum für diese Debatten darf das allgemeine Gleichgewicht der Publikationen nicht stören.

- Die Organisation als Ganzes entscheidet und übernimmt die Veröffentlichung dieser Publikationen entsprechend den gültigen Kriterien, die auch für das Schreiben irgendeines anderen Artikels in der Presse angewandt werden: der Grad der Klarheit und der Redaktionsform, das Interesse, das er für die Arbeiterklasse darstellt. Deshalb soll man keine Texte auf irgendeine Einzelinitiative von einzelnen Mitgliedern der Organisation hin außerhalb der für diesen Zweck bestimmten Organe veröffentlichen. Auch gibt es kein "formales" Recht innerhalb der Organisation (weder für ein einzelnes Mitglied noch für eine Tendenz), einen bestimmten Text veröffentlichen zu lassen, wenn die Verantwortlichen der Publikationen dessen Nützlichkeit nicht sehen oder den Zeitpunkt nicht für angebracht erachten.

 

10) Die Divergenzen innerhalb der Organisation der Revolutionäre können soweit gehen, daß organisierte Formen von Minderheitspositionen erscheinen. Während keine administrative Maßnahme (wie das Verbot solcher organisierten Formen) die tiefstmögliche Diskussion ersetzen kann, ist es dennoch wichtig zu betonen, daß auch in diesem Prozeß verantwortlich gehandelt werden muß.

Dies setzt voraus,

- daß diese organisierte Form der Divergenzen sich nur auf eine positive und kohärente Grundlage stützen darf und nicht auf eine einfache Zusammenwürfelung, Ansammlung von Punkten der Opposition und der Beschuldigungen,

- daß die Organisation dazu in der Lage ist, das Wesen eines solchen Prozesses zu verstehen; insbesondere den Unterschied zwischen einer Tendenz und einer Fraktion.

Die Tendenz ist vor allem der Ausdruck des Lebens der Organisation, weil das Denken sich nie geradlinig entwickelt, sondern ein widersprüchlicher, durch den Zusammenprall von Ideen charakterisierter Prozeß ist. Als solches verschwindet eine Tendenz im allgemeinen, sobald eine Frage ausreichend geklärt ist, so daß die gesamte Organisation eine einheitliche Analyse vertritt, sei es infolge der Diskussion oder infolge des Auftauchens von neuen Tatsachen, die eine bestimmte Einschätzung bestätigen und zur Verwerfung der anderen führen.

Eine Tendenz entwickelt sich hauptsächlich um Punkte, die die Orientierung und Intervention der Organisation betreffen. Ihre Gründung geht in der Regel nicht von Fragen theoretischer Analyse aus. Solch eine Auffassung von der Rolle von Tendenzen würde zu einer Schwächung der Organisation und einer enormen Zersplitterung der militanten Energien führen.

Die Fraktion ist eine Widerspiegelung der Tatsache, daß die Organisation in einer Krise steckt, weil ein Niedergangsprozeß eingetreten ist, eine Kapitulierung gegenüber dem Gewicht der bürgerlichen Ideologie. Im Gegensatz zu einer Tendenz, die nur bei Divergenzen gegenüber Orientierungen zu vorübergehenden Problemen und Fragestellungen auftaucht, erscheinen Fraktionen bei programmatischen Divergenzen, die nur dazu führen können, daß die bürgerliche Position bekämpft und somit ausgelöscht wird, oder daß die kommunistische Fraktion aus der Organisation ausscheidet. Weil die Fraktion als solches eine Spaltung zwischen zwei innerhalb eines gleichen Körpers miteinander unvereinbaren Positionen bedeutet, nimmt sie eine organisierte Gestalt mit ihren eigenen Propagandaorganen an.

Weil die Organisation der Klasse nie gegen einen Niedergang, einen Entartungsprozeß geschützt ist, besteht die Rolle der Revolutionäre in einem ständigen Kampf für die Auslöschung bürgerlicher Positionen, die sich in ihren Reihen entwickeln könnten. Und wenn sie in diesem Kampf in einer Minderheit sind, besteht ihre Aufgabe darin, sich als Fraktion zu organisieren, entweder um die gesamte Organisation für die kommunistischen Positionen zu gewinnen und damit die bürgerliche Position zu eliminieren, oder wenn dieser Kampf vergeblich geworden ist, weil die Organisation den Boden der Arbeiterklasse verlassen hat - meist während eines Rückflusses der Klasse - muß die Brücke für die Wiedererrichtung einer Klassenpartei errichtet werden, die aber erst in einem Prozeß des Wiedererstarkens des Kampfes entstehen kann.

 

Auf jeden Fall muß die Orientierung und die Ausrichtung der Revolutionäre die gleiche sein, die innerhalb der Klasse insgesamt existiert. D.h. man darf nicht die geringen revolutionären Energien verschwenden, über die die Klasse verfügt. Das erfordert eine ständige Wachsamkeit mit dem Ziel der Aufrechterhaltung und Entfaltung dieses Instrumentes der Organisation der Revolutionäre, das so unabdingbar, aber auch zerbrechlich ist.

 

11) Während die Organisation keine administrativen oder disziplinarischen Mittel einsetzen darf, um mit Divergenzen umzugehen, heißt das nicht, daß sie immer unter allen Umständen auf diese Mittel verzichten soll. Sie muß im Gegenteil auf diese Mittel wie die zeitweise Suspendierung oder den endgültigen Ausschluß zurückgreifen, wenn eine Einstellung, ein Verhalten und ein Wirken festzustellen ist, das eine Gefahr für ihre Existenz, ihre Sicherheit oder ihre Fähigkeit, ihre Aufgaben zu verwirklichen, darstellt. Dies trifft auf ein Verhalten innerhalb oder außerhalb der Organisation zu, das unvereinbar ist mit der Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Organisation.

Darüber hinaus muß die Organisation alle erforderlichen Maßnahmen für ihren Schutz gegenüber Versuchen der Infiltrierung oder der Zerstörung durch Organe des kapitalistischen Staates oder durch Elemente ergreifen, die zwar nicht unbedingt direkt vom Staat manipuliert sein müssen, aber ein Verhalten an den Tag legen, das dessen Absichten und Wirken begünstigt.

Wenn solch ein Verhalten ersichtlich wird, muß die Organisationen Maßnahmen nicht nur zu ihrem eigenen Schutz, sondern auch zum Schutz anderer kommunistischen Organisationen ergreifen.

 

12) Eine grundlegende Bedingung der Fähigkeit einer Organisation, ihre Aufgaben innerhalb der Klasse zu erfüllen, ist das richtige Begreifen des Verhältnisses zwischen ihren Mitgliedern und der Organisation. Dies ist eine in der gegenwärtigen Zeit besonders schwer zu verstehende Frage, weil es einen organischen Bruch zwischen den Fraktionen der Vergangenheit und dem Einfluß der Studenten in den revolutionären Organisationen in der Zeit nach 1968 gegeben hat, der das Wiederauftauchen eines Lasters aus der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts bewirkt hat: des Individualismus.

Im allgemeinen spiegeln die Beziehungen zwischen den Mitgliedern und einer Organisation die gleichen Prinzipien wider, wie die oben zwischen den Teilen und dem Ganzen dargestellten.

Insbesondere muß man dazu folgendes unterstreichen:

* Die Arbeiterklasse bringt keine revolutionären Militanten hervor, sondern nur revolutionäre Organisationen: Es gibt keine direkte Beziehung zwischen Militanten und der Klasse. Die Militanten beteiligen sich am Kampf der Klasse, indem sie zu Mitgliedern der Organisation werden und sich an der Verwirklichung deren Aufgaben beteiligen. Sie haben kein besonderes Heil gegenüber der Arbeiterklasse oder der Geschichte zu suchen. Ihnen geht es um das Wohlergehen der ganzen Klasse und der Organisation, die diese hervorgebracht hat.

* Das gleiche Verhältnis zwischen einem besonderen Organismus (Gruppe oder Partei) und der Klasse besteht zwischen der Organisation und dem Militanten. Und ebenso wie die Klasse nicht zur Aufgabe hat, die Bedürfnisse der kommunistischen Organisation zu erfüllen, haben diese genausowenig zur Aufgabe, die Probleme des einzelnen Mitgliedes einer Organisation zu lösen. Die Organisation ist nicht das Ergebnis der Bedürfnisse ihrer Mitglieder. Man ist Militanter der Klasse in dem Maße, wie man die Aufgaben und die Funktion der Organisation verstanden hat und diese unterstützt.

* Auf diesem Hintergrund zielt die Verteilung der Aufgaben und der Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation nicht auf eine "Verwirklichung" der einzelnen Mitglieder ab. Die Aufgaben müssen so verteilt werden, daß die Organisation als ein Ganzes optimal funktionieren kann. Wenn die Organisation soweit wie möglich die Situation und das "Wohlergehen" eines einzelnen Mitglieds berücksichtigt, dann geschieht dies vor allem im Interesse der Organisation. Das heißt nicht, daß die Individualität und die Probleme eines einzelnen Mitgliedes außer Acht gelassen würden, sondern Ausgangs- und Endpunkt müssen vielmehr sein, daß die Organisation in der Lage ist, ihre Aufgabe im Klassenkampf zu erfüllen.

* In der Organisation gibt es keine "erhabenen" und dann "zweitrangige", "weniger würdevolle" Aufgaben. Die Aufgabe der theoretischen Herausarbeitung wie die Verwirklichung der praktischen Aufgaben, die Arbeit innerhalb der Zentralorgane wie auch die spezifische Arbeit in den örtlichen Sektionen sind ebenso wichtig für die Organisation. Sie dürfen deshalb nicht hierarchisch geordnet werden (nur der Kapitalismus errichtet solche Hierarchien). Deshalb muß man die Idee als bürgerlich verwerfen, derzufolge die Berufung eines Mitglieds in ein Zentralorgan einen "Aufstieg", den Zugang zu einem "Ehrenposten" oder zu einem Privileg bedeuten würde. Das Karrieredenken muß in der Organisation unbedingt verworfen werden als etwas, das im Gegensatz steht zu der selbstlosen Aufopferung, die ein charakteristisches Merkmal der kommunistischen Militanten ist.

* Während es in der Tat ungleiche Fähigkeiten zwischen den einzelnen Menschen und natürlich auch den Mitgliedern einer Organisation gibt, die vor allem durch die Klassengesellschaft aufrechterhalten und verstärkt werden, besteht die Rolle der Organisation nicht darin, wie es in den Gemeinschaften der Utopisten versucht wird, diese abzuschaffen. Die Organisation muß im höchstmöglichen Maß die politische Bildung und die politischen Fähigkeiten ihrer Mitglieder fördern und verstärken, weil dies eine Bedingung für ihre eigene Verstärkung ist. Aber für sie stellt sich das Problem nicht in Begriffen wie individueller Schulbildung ihrer Mitglieder und auch nicht der Nivellierung dieser Bildung.

* Die wirkliche Gleichheit unter den Mitgliedern besteht darin, daß alle der Organisation das größtmögliche geben ("Jeder nach seinen Möglichkeiten", eine Formulierung von Saint-Simon, wie sie von Marx wiederaufgegriffen wurde). Die wirkliche "Verwirklichung" der Mitglieder als Militante besteht darin, daß alles unternommen wird, damit die Organisation ihre Aufgaben verwirklichen kann, zu deren Erfüllung die Klasse sie hervorgebracht hat.

* All das bedeutet, daß die Mitglieder sich nicht persönlich in der Organisation engagieren, etwas "investieren", das "Dividenden" abwirft und das man sich bei einem Austritt wieder auszahlen lassen kann. Deshalb muß man alle Praktiken der "Wiederaneignung" von Material und Organisationsgeldern verwerfen, weil sie dem Wesen der Arbeiterklasse entgegengesetzt sind, sogar wenn man die angeeigneten Mittel nur für den Aufbau einer anderen politischen Gruppe benutzen will.

* Ebenso "wie die Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen der Organisation und die Beziehungen zwischen den Militanten (...) notwendigerweise die Narben der kapitalistischen Gesellschaft mit sich tragen,... dürfen sie doch nicht in offenkundigem Widerspruch stehen zu dem von den Revolutionären verfolgten Ziel, und sie müssen notwendigerweise auf der Solidarität und dem gegenseitigen Vertrauen beruhen, die ein Kennzeichen der Zugehörigkeit der Organisation zu der Klasse sind, die den Kommunismus verwirklichen wird" (aus Plattform der IKS).

23.10.1981

 

1) Dies bezieht sich aber nicht nur auf uns selber. Wir meinen damit nicht nur die Spaltungen, die in der IKS stattgefunden haben (oder noch stattfinden werden). Innerhalb des proletarischen politischen Milieus haben wir immer diese Position vertreten. Dies war insbesondere der Fall, als die Aberdeener Sektion der Communist Workers' Organisation (CWO) aus dieser austrat oder als das Nucleo Comunista Internazionalista aus "Programma Comunista" austrat. Wir haben damals die Überstürzung bei den Spaltungen kritisiert, die sich damals auf keine grundsätzlichen Divergenzen stützten und die in den jeweiligen Organisationen nicht ausreichend in vertieften Debatten geklärt worden waren. Im allgemeinen ist die IKS gegen "Spaltungen", die sich nicht auf Prinzipienfragen stützen, sondern zweitrangige Fragen als Ursprung haben (selbst wenn die ausgetretenen Genossen später ihre Kandidatur für die Mitgliedschaft in die IKS stellen). Jede Spaltung, die von zweitrangigen Fragen ausgeht, fußt in Wirklichkeit auf einer monolithischen Auffassung von der Organisation, die keine Diskussionen und keine Divergenzen zuläßt. Dies ist bei Sekten typisch.

 

 

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Organisation [3]

Deutsche Revolution VI

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6. Der gescheiterte Organisationsaufbau

 


Wir haben im letzten Artikel gesehen, dass die KPD in Deutschland  Ende Dezember 1918 inmitten der Kämpfe gegründet worden war. Obwohl die Spartakisten eine ausgezeichnete Propagandaarbeit gegen den Krieg geleistet sowie entschlossen und mit großer Klarheit in der revolutionären Bewegung selbst interveniert hatten, war die frisch gegründete KPD noch längst nicht eine solide Partei. Der Organisationsaufbau war gerade erst begonnen worden, das Organisationsgewebe noch sehr lose gesponnen. Die Partei war auf ihrem Gründungskongress von großer Heterogenität geprägt. Nicht nur in der Frage der Mitarbeit in den Gewerkschaften oder der Teilnahme an der Nationalversammlung prallten verschiedene Positionen aufeinander. Schwerer noch wogen die Differenzen in der Organisationsfrage. Wobei sich der marxistische Flügel um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches in der Minderheit befand. Der Werdegang dieser noch „unfertigen“ Partei zeigt, dass es nicht ausreicht, eine Partei zu proklamieren. Um den Aufgaben einer Partei gerecht zu werden, muss ein engmaschiges Organisationsnetz vorhanden sein und Einigkeit innerhalb der Organisation hinsichtlich der Funktion und der Funktionsweise herrschen.

Die Unreife der KPD führte dazu, dass sie ihre Aufgaben gegenüber der Arbeiterklasse nicht erfüllen konnte. Die Tragödie der deutschen Arbeiterklasse (und damit auch der Weltarbeiterklasse) bestand darin, dass sie in solch einer entscheidenden Phase wie jene nach dem Krieg ohne die wirksame Unterstützung durch eine kommunistische Partei kämpfen musste.

 

1919:  Die Abwesenheit der KPD nach der Repression

Anfang 1919, eine Woche nach dem Gründungskongress der KPD, zettelte die deutsche Bourgeoisie den so genannten Januaraufstand an. Die KPD hatte vor verfrühten Aufständen gewarnt. Sie hatte betont, dass der Moment des Angriffs gegen den bürgerlichen Staat noch nicht gekommen war.

Doch als dann die Bourgeoisie die Arbeiter provozierte und Wut und Empörung unter ihnen erzeugte, stürzte sich Liebknecht, entgegen dem Parteibeschluss, zusammen mit den revolutionären Obleuten in den Kampf.

Nicht nur der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit wurde so eine tragische Niederlage zugefügt, auch und besonders die Revolutionäre wurden hart von den Schlägen der Repression getroffen. Neben Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Leo Jogiches, der im März 1919 umgebracht wurde, wurden noch viele andere Revolutionäre erschossen. Die KPD wurde mehr oder weniger enthauptet.

Nicht zufällig war gerade der marxistische Flügel um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches zur Zielscheibe der Repression geworden. Dieser Flügel hatte für den Zusammenhalt der Partei gesorgt und war immer wieder resolut für die Verteidigung der Organisation eingetreten.

Schließlich wurde die KPD monatelang, bis auf einige wenige Unterbrechungen, in die Illegalität verbannt. Zwischen Januar und März sowie zwischen Mai und Dezember 1919 musste die Rote Fahne ihr Erscheinen einstellen. Daher spielte sie in den Streikwellen vom Februar bis April keine entscheidende Rolle. Ihre Stimme war früh vom Kapital zum Schweigen gebracht worden.

Wäre die KPD stark und einflussreich genug gewesen, um die Januar-Provokation der Bourgeoisie wirksam zu entlarven und die Arbeiter vor dieser Falle zu warnen, so wäre die Bewegung aller Wahrscheinlichkeit nach anders ausgegangen.

So hat die Arbeiterklasse einen hohen Preis für die organisatorischen Schwächen der Partei bezahlt. Die Partei selbst wurde zur Zielscheibe heftigster Repression: Überall wurde Jagd auf die Kommunisten gemacht. Mehrfach wurde die Verbindung zwischen der Rumpfzentrale und den Bezirken unterbrochen. Auf einer Reichskonferenz am 29. März 1919 wurde festgestellt, dass „die Ortsgruppen von einem Heer von Spitzeln überschwemmt werden“. Bezüglich der programmatischen Divergenzen meinte die Konferenz: „In der Gewerkschaftsfrage ist die Konferenz der Meinung, dass die Parole ‚Heraus aus den Gewerkschaften!‘ jetzt nicht angebracht ist (...). Der verwirrenden syndikalistischen Agitation muss entgegengetreten werden nicht durch Zwangsmaßregeln, sondern durch planmäßige Aufklärung über die Gegensätze in der Auffassung und der Taktik.“ (KPD-Zentrale auf der Reichskonferenz, 29. 3. 1919) Es ging ihr also darum, diese Divergenzen weiter zu diskutieren.

Auf einer Reichskonferenz am 14./15. Juni 1919 in Berlin nahm die KPD eine Satzung an, die die Notwendigkeit einer straff zentralisierten Partei betonte. Und obwohl die Partei klar gegen den Syndikalismus Stellung bezog, wurde empfohlen, nicht gegen Mitglieder vorzugehen, die syndikalistischen Gewerkschaften angehörten.

Noch auf dem Gründungskongress Ende 1918 war kein Modus für die Bestellung der Delegierten existent, und auch die Frage der Zentralisierung war noch nicht weiter präzisiert worden. Dem wurde erst auf einer weiteren Reichskonferenz im August 1919 abgeholfen, wo den 22 Reichsbezirken der Partei, unabhängig von der Größe, jeweils ein Delegierter zugestanden wurde. Daneben erhielten auch die Mitglieder der Zentrale jeweils eine Stimme. Mit anderen Worten: die Zentrale war stimmenmäßig überrepräsentiert, während die Stellung und der Einfluss der örtlichen Parteibezirke unterbewertet wurden. Somit bestand die Gefahr einer Verselbständigung der Zentrale, was das Misstrauen gegenüber der Zentrale noch verstärkte. Dennoch konnte sich der Standpunkt Levis (der mittlerweile zum Parteivorsitzenden gewählt worden war) und der Zentrale zur Frage der Gewerkschaften und der Parlamentsarbeit nicht durchsetzen, da die Mehrheit der Delegierten zu den Positionen der Linken neigte.

Wie wir bereits aufgezeigt haben, verließen in der Welle von Kämpfen, die in der ersten Hälfte des Jahres 1919 ganz Deutschland erschütterten, immer mehr Arbeiter die Gewerkschaften - ganz ohne Zutun der KPD, deren Stimme, wie bereits erwähnt, zum Schweigen gebracht worden war. Viele Arbeiter spürten, dass die Gewerkschaften als klassische reformistische Interessensverbände nicht mehr ihre Aufgabe, die Verteidigung der Arbeiterinteressen, erfüllen konnten, dass sie, nachdem sie während des Krieges schon den Burgfrieden durchgesetzt hatten, in der sich anschließenden revolutionären Situation erneut auf der Seite des Kapitals standen.

Andererseits war die Situation längst nicht mehr so erhitzt wie im November und Dezember 1918, als die Arbeiter sich überall in Arbeiterräten zusammengeschlossen und den Staat herausgefordert hatten. Nun gründeten viele Arbeiter „Betriebsorganisationen“, die als Unionen alle kämpferischen Arbeiter zusammenfassen sollten. Diese Unionen stellten zum Teil politische Plattformen auf, die den Sturz des kapitalistischen Systems postulierten. Viele Arbeiter meinten damals, dass einzig und allein die Unionen das Sammelbecken proletarischer Kräfte seien und auch die Partei sich in ihnen auflösen sollte. Es war die Zeit, als anarcho-syndikalistische Auffassungen wie auch rätekommunistische Ideen auf ein großes Echo stießen. Mehr als 100.000 Arbeiter schlossen sich in den Unionen zusammen. Im August 1919 wurde in Essen die „Allgemeine Arbeiter-Union“ (AAU) gegründet.

Gleichzeitig erlebte die Lage der Arbeiterklasse nach dem Krieg eine dramatische Verschlechterung. Nachdem sie schon im Krieg hatte hungern und bluten müssen und besonders im Winter 1918/19 zermürbt worden war, sollte die deutsche Arbeiterklasse nun auch die Kriegsschulden bezahlen. Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages wurde dem deutschen Kapital und insbesondere den deutschen Arbeitern die Leistung von Reparationszahlungen aufgebürdet. Dem deutschen Kapital war natürlich daran gelegen, das Ausmaß dieser Bestrafung so gering wie möglich zu gestalten. Daher unterstützte es all diejenigen, die gegen diese Reparationszahlungen Stellung bezogen, insbesondere einige Führer der Hamburger KPD. Militärische Kreise nahmen Verbindung zu Laufenberg und Wolffheim auf, die ab Winter 1919/20 für einen „nationalen Volkskrieg“ eintraten, in dem die deutsche Arbeiterklasse gemeinsam mit dem deutschen Kapital gegen die „nationale Unterdrückung“ kämpfen sollte.

 

Der II. Parteitag im Oktober 1919: Von der politischen Verwirrung zur organisatorischen Zerstreuung

Nach dem Höhepunkt der Kämpfe und ihrer anschließenden Niederschlagung in der ersten Hälfte des Jahres 1919 fand vom 20. bis 24. Oktober 1919 der II. Parteitag der KPD in Heidelberg statt. An erster Stelle auf der Tagesordnung standen die politische Lage und der Geschäftsbericht. Bei der Einschätzung der politischen Lage wurde vorwiegend auf die wirtschaftliche und imperialistische Entwicklung, insbesondere auf die Position Deutschlands eingegangen, jedoch mit nahezu keinem Wort das internationale Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat erwähnt. Die Schwächung und die Krise der Partei schien ihr den Blick für den tatsächlichen Stand des Klassenkampfes weltweit getrübt zu haben. Obgleich es notwendig war, alles zu unternehmen, um die revolutionären Kräfte zusammenzufassen, stellte die KPD-Zentrale von Anfang an ihre „Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik“ in den Vordergrund – von denen einige Aspekte schwerwiegende Konsequenzen für die Partei haben und den Weg für zahlreiche Abspaltungen bahnen sollten – und versuchte, sie dem Kongress aufzuzwingen.

In jenen Leitsätzen wurde betont, dass „die Revolution ein politischer Kampf der Proletariermassen um die politische Macht ist. Dieser Kampf wird mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt (...) Dabei aber kann die KPD auf kein politisches Mittel grundsätzlich verzichten, das der Vorbereitung dieser großen Kämpfe dient. Als solches Mittel kommt auch die Beteiligung an Wahlen in Betracht“. Weiter sahen die Leitsätze die Beteiligung der Kommunisten in den Gewerkschaften vor, damit man sich „nicht von den Massen isoliere“.

Man bejahte die Gewerkschaften und das Parlament also nicht aus grundsätzlichen, sondern aus rein taktischen Erwägungen. Ferner wurde zu Recht der Föderalismus abgelehnt und straffste Zentralisierung gefordert.

Jedoch sollte mit letztgenannter Forderung auch die Möglichkeit weiterer Diskussionen verhindert werden: „Mitglieder der KPD, die diese Anschauungen über Wesen, Organisation und Aktion der Partei nicht teilen, haben aus der Partei auszuscheiden.“ (aus den Leitsätzen)

Wir haben eingangs aufgezeigt, dass die Divergenzen innerhalb der KPD hinsichtlich der Grundsatzfragen über die Mitarbeit in den Gewerkschaften und die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung tief greifend waren.

Zwar hatte die erste, auf dem Gründungskongress der KPD gewählte Zentrale in diesen Fragen ebenfalls eine von der Mehrheit abweichende Position, doch sie beabsichtigte nie, ihre Meinung der Mehrheit aufzuzwingen. Insbesondere die Mitglieder der Zentrale  hatten hier ein richtiges Organisationsverständnis bewiesen, denn sie traten wegen dieser Divergenzen nicht etwa aus der Partei aus, sondern fassten diese Meinungsverschiedenheiten als etwas auf, was erst noch durch weitere Diskussionen ausgeräumt werden musste.[1] 

Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die damalige Arbeiterklasse seit dem Beginn des I. Weltkrieges bereits viel Erfahrung gesammelt hatte, um zu einem dezidierten Standpunkt gegen Gewerkschaften und Parlamentarismus zu gelangen. Dennoch stellte diese Position noch keine Klassengrenze dar und war auch kein Spaltungsgrund. Die Auswirkungen der kapitalistischen Dekadenz waren noch von keinem Teil der revolutionären Bewegung umfassend und kohärent aufgearbeitet worden. Es herrschte noch eine große Heterogenität in dieser Frage. Nicht nur in Deutschland, auch in die revolutionäre Bewegung in den meisten anderen Ländern gab es dieselben Divergenzen in dieser Frage. Es war das Verdienst der deutschen Kommunisten gewesen, als erste diese Position überhaupt formuliert zu haben. International befanden sie sich hierbei in der Minderheit. Auch auf dem Gründungskongress der Komintern im März 1919 wurde noch keine theoretisch fundierte Position hierzu entwickelt, auch wenn der Kongress zur Ablehnung der Gewerkschaften wie auch der Nationalversammlung neigte, indem der Schwerpunkt auf die Sowjets gelegt wurde. Dieser Umstand spiegelte die Unreife der gesamten Bewegung zum damaligen Zeitpunkt wider. Sie war mit einer neuen objektiven Situation konfrontiert und hinkte mit ihrem Bewusstsein, der theoretischen Aufarbeitung eben dieser Situation, hinterher. Auf jedem Fall wurde deutlich, dass eine Debatte über diese Fragen unerlässlich war und vorangetrieben werden musste, dass man ihr auf keinen Fall ausweichen durfte. Aus all diesen Gründen konnten und durften die programmatischen Divergenzen in der Gewerkschaftsfrage und zur Wahlbeteiligung damals noch  nicht Anlass sein, die Anhänger der einen oder anderen Position aus der Partei auszuschließen bzw. sich von letzterer zu spalten. Wäre man so verfahren, so hätte dies zum Parteiausschluss von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht führen müssen, die auf dem Gründungskongress der KPD in der Frage der Gewerkschaften und der Wahlbeteiligung der Minderheit angehört hatten.

Doch die KPD war auch in der Organisationsfrage selbst zutiefst gespalten. Auf ihrem Gründungskongress stellte sie sich noch als ein breites Sammelbecken für diejenigen dar, die links von der USPD standen, aber insbesondere bezüglich der Organisationsfrage in verschiedenen Flügeln zersplittert waren. Der marxistische Flügel um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches, der am entschlossensten für die Verteidigung und Einheit der Organisation eintrat, stand einer Reihe von Elementen gegenüber, die die Notwendigkeit der Organisation entweder unterschätzten, ihr misstrauisch oder gar feindlich gegenüberstanden.

Daher musste sich der II. Parteitag vorrangig der Verteidigung und dem Aufbau der Organisation widmen. Doch die objektiven Bedingungen waren bereits nicht mehr sehr günstig. Denn:

·          das Organisationsleben war bereits schwer beeinträchtigt. Aufgrund der Illegalität und der Repression war eine umfassende Diskussion in den örtlichen Sektionen über die o.g. programmatischen Fragen und die organisatorischen Konsequenzen unmöglich. So konnte sich der Kongress nicht auf ein umfassendes Meinungsbild in der Organisation stützen;

·          die auf dem Gründungskongress gewählte Zentrale wurde stark dezimiert: Drei der neun Mitglieder (Luxemburg, Liebknecht, Jogiches) waren ermordet worden, drei weitere konnten aufgrund ihrer Verfolgung und drohenden Verhaftung nicht am Kongress teilnehmen. Übrig blieben Levi, Pieck, Lange und Thalheimer.

Gleichzeitig befanden sich die rätekommunistischen und anarcho-syndikalistischen Ideen im Aufschwung. Anhänger der Unionen plädierten für die Auflösung der Partei in den Unionen, andere drängten auf den Rückzug auf reine Lohnkämpfe. Der Begriff „Führerpartei“ und „Führerdiktatur“ machte die Runde und war Synonym für den Auftrieb organisationsfeindlicher Tendenzen.

Es waren jene fehlerhaften Organisationsauffassungen, die diesen Kongress in einem Desaster enden ließen. Schon bei der Zusammensetzung der Delegierten hatte Levi im Namen der Zentrale die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Zentrale zurechtgerückt. So warf die Zentrale die politischen Prinzipien des Gründungskongresses (der es versäumt hatte, eine genaue Festlegung des Delegiertenschlüssels vorzunehmen) über Bord. Statt auf eine Repräsentierung der örtlichen Delegierten, die ein extrem heterogenes Meinungsbild verkörperten, zu drängen, legte sie den Delegiertenschlüssel dergestalt fest, dass der Zentrale die Mehrheit sicher war.

Von Beginn an vertiefte diese Haltung der Zentrale die Spaltungen und bereitete so den Ausschluss der ehemaligen Mehrheit vor. Statt ihre Leitsätze wie die in nahezu allen kommunistischen Parteien stattfindenden Debatten als einen Diskussionsbeitrag einzubringen, der die Klärung weiter vorantreibt, erblickte die Zentrale in ihnen ein Mittel, um die Diskussion abzuwürgen und die Gegenseite aus der Partei auszuschließen. Der letzte Leitsatz, der den Ausschluss sämtlicher Delegierter vorsah, die nicht mit den Leitsätzen einverstanden waren, spiegelte ein falsches, weil monolithisches Organisationsverständnis wider, das auch zum Organisationsverständnis des marxistischen Flügels um Luxemburg und Jogiches, die stets für die breiteste Diskussion in der gesamten Organisation eingetreten waren, im Widerspruch stand.

Während die auf dem Gründungskongress gewählte Zentrale die richtige politische Auffassung vertreten hatte, dass die damals vorhandenen Differenzen in Grundsatzfragen wie die Gewerkschaften oder der Parlamentarismus kein Grund zur Spaltung der Partei sein durften, trug die während des II. Kongresses amtierende Zentrale selbst zu einer fatalen Spaltung der Partei auf falscher Grundlage bei.

Die Delegierten, die die Mehrheitsposition des Gründungskongresses vertraten, verlangten, in Anbetracht der Schwere der Entscheidungen die jeweiligen Parteizellen zu konsultieren und den Beschluss einer Spaltung nicht übers Knie zu brechen. Doch die Parteizentrale wollte auf Biegen und Brechen eine Entscheidung herbeiführen. 31 stimmberechtigte Kongressteilnehmer stimmten für die Leitsätze, 18 dagegen. Diese 18 Delegierten, die überwiegend die mitgliederstärksten Parteibezirke repräsentierten und unter denen sich fast alle Delegierten der ehemaligen ISD/IKD (Internationale Sozialisten Deutschlands / Internationale Kommunisten Deutschlands) befanden, galten nunmehr als ausgeschlossen.

 

Ein Bruch darf nur auf der klarsten Grundlage erfolgen

Um in einer Situation des Dissens‘ die Diskussion fair zu gestalten, ist es notwendig, dass jedermann seinen Standpunkt umfassend und uneingeschränkt darstellen kann. Doch Levi hatte bei seiner Attacke gegen die Mehrheit nichts Besseres im Sinn, als alle in einen Topf zu werfen und somit eklatant gegen diesen Grundsatz zu verstoßen.

Denn es gab die unterschiedlichsten Argumentationen. Otto Rühle z.B. trat am offensten gegen die Mitarbeit in Gewerkschaften und Parlamente ein. Aber seine Argumentation war rätekommunistisch, er verteufelte die „Führerpolitik“.

Die Genossen aus Bremen, die gleichfalls entschlossene Gegner von Gewerkschaft und Parlament waren, lehnten dagegen die Partei nicht ab. Doch brachten sie ihren Standpunkt nicht energisch genug auf dem Kongress vor. Sie überließen die Bühne dem zerstörerischen Treiben von Abenteurern wie Wolffheim und Laufenberg sowie den Föderalisten und Unionisten.

Es herrschte allgemeine Verwirrung vor, da die Standpunkte noch nicht hinreichend geklärt waren. Insbesondere in der Organisationsfrage, wo ein klarer Trennungsstrich zwischen Parteibefürwortern und –gegnern hätte herbeigeführt werden müssen, wurde alles durcheinander geworfen.

Denn nicht alle, die die Gewerkschaften und Parlamente ablehnten, leugneten auch die grundsätzliche Notwendigkeit einer Partei. Doch leider ignorierte Levi dies, als er alle Gegner der Gewerkschafts- und Parlamentsarbeit als Parteigegner bezeichnete. Damit betrieb er eine komplette Desinformation und verdrehte die verschiedenen Positionen völlig.

Gegenüber dieser Vorgehensweise der Zentrale gab es unterschiedliche Reaktionen. Nur Laufenberg, Wolffheim sowie zwei weitere Delegierte erklärten die Spaltung für unumgänglich und kündigten noch im gleichen Atemzug die Gründung einer neuen Partei an. Vorher säten Laufenberg und Wolffheim Misstrauen unter den KPD-Mitgliedern und planten, der Zentrale das Vertrauen wegen Lücken im Kassenbericht abzusprechen. Mit diesem undurchsichtigen Manöver wollten sie die offene Auseinandersetzung über die Organisationsfrage vermeiden.

Die Bremer Delegierten dagegen stellten sich ihrer Verantwortung. Sie wollten sich nicht ausschließen lassen. So erschienen sie am nächsten Tag wieder, um ihre Delegiertentätigkeit fortzusetzen. Doch die Zentrale hatte das Tagungslokal verlegt und weigerte sich, die Minderheit hineinzulassen.

So entledigte man sich eines großen Teils der Mitglieder: Neben den Tricks mit dem Delegiertenschlüssel griff man auch zu Zwangsmaßnahmen, um die Genossen vom Parteitag auszuschließen.

Der Kongress war geprägt von falschen Organisationsvorstellungen. Die Levi-Zentrale hatte eine monolithische Organisationsauffassung, in der Minderheitspositionen zur Gewerkschaftsfrage und Wahlbeteiligung keinen Platz hatten. Aber mit Ausnahme der Bremer Genossen vertrat auch die Minderheit ein monolithisches Verständnis. Denn sie hätte umgekehrt am liebsten die Mitglieder der Zentrale aus der Partei ausgeschlossen. So provozierten beide Seiten eine Spaltung auf völlig unklarer Grundlage. Der marxistische Flügel hatte sich in der Organisationsfrage nicht durchsetzen können.

Damit sollte unter den Kommunisten in Deutschland eine Tradition Einkehr halten, deren Muster sich seither ständig wiederholen sollten: bei jeder Divergenz eine Spaltung.

 

Falsche programmatische Positionen öffnen die Tür zum Opportunismus

Dabei kam in den Leitsätzen, die die Arbeit im Parlament und in den Gewerkschaften noch unter hauptsächlich taktischen Gesichtspunkten sahen, ein Problem zum Ausdruck, das damals in der gesamten kommunistischen Bewegung vorhanden war: die Fähigkeit, die Lehren aus der kapitalistischen Dekadenz zu ziehen, die Erkenntnis, dass die Dekadenz neue Bedingungen hervorgebracht hat, dass die alten Kampfmittel nicht mehr taugten, da sich die Bedingungen selbst geändert hatten.

Längst hatte der Staat Parlament und Gewerkschaften in sich aufgesogen. Der linke Flügel hatten diesen Prozess geahnt, wenngleich theoretisch nicht verstanden. Doch die taktische Orientierung der KPD-Führung, die auf einer konfusen Sicht der Dinge beruhte, trug dazu bei, dass die Partei – unter dem Vorwand, „sich nicht von den Massen zu isolieren“ – zu immer mehr Konzessionen gegenüber denjenigen getrieben wurde, die das Proletariat verraten hatten. Dieser Opportunismus wurde auch in der Absicht deutlich, eine Brücke zur zentristischen USPD zu schlagen, um auf diese Weise zu einer „Massenpartei“ zu werden. Dadurch, dass gerade jene Genossen, die Divergenzen gegenüber dieser Orientierung durch die Parteiführung hatten, aus der Partei ausgeschlossen worden waren, hatte sich die Partei ausgerechnet jener kritischen, aber parteitreuen Militanten beraubt, die in der Lage gewesen wären, diese opportunistische Fäulnis zu bremsen.

Der Schlüssel zu dieser Tragödie lag im mangelnden Verständnis der Organisationsfrage und ihrer Bedeutung. Heute liegt die Lehre auf der Hand: Parteiausschlüsse oder Spaltungen sind eine viel zu ernste und schwerwiegende Angelegenheit, als dass man sie übers Knie brechen sollte. Nur nach vorheriger tiefgreifender und abschließender Klärung kann eine solche Entscheidung in Erwägung gezogen werden. Aus diesem Grund muss in den Statuten einer jeden kommunistischen Organisation diese politische Einsicht entsprechend klar und deutlich festgeschrieben werden.

Die Kommunistische Internationale selbst teilte einerseits die Position Levis zur Gewerkschafts- und Parlamentsfrage, bestand aber andererseits auf die Notwendigkeit, diese Debatte zu vertiefen, und lehnte jeden Bruch auf der Grundlage dieser Divergenzen ab.

In Reaktion auf ihren Ausschluss aus der KPD richteten die Bremer eine „Informationsstelle“ der Opposition ein, um u.a. die Verbindung unter den Linkskommunisten im ganzen Reich zu gewährleisten. Sie verstanden ihre Fraktionsarbeit richtig. Aus Sorge über die drohende Parteispaltung versuchten sie mittels Kompromissen in den wichtigsten Streitpunkten in der Organisationspolitik, in der Gewerkschafts- und Parlamentarismusfrage, die Einheit der Partei zu bewahren. Am 23. Dezember 1919 forderte die Bremer Informationsstelle:

„1. Einberufung einer neuen Reichskonferenz Ende Januar.

   2. Zulassung aller Bezirke, die vor der 3.Reichskonferenz zur KPD gehörten, ob sie die Leitsätze anerkennen oder nicht.

   3. Die sofortige Zur-Diskussionsstellung von Leitsätzen und Anträgen für die Reichskonferenz.

   4. Die Zentrale ist verpflichtet, bis zur Einberufung der neuen Konferenz jede weitere parteispaltende Tätigkeit einzustellen.“

(KAZ, Nr. 197)

Indem sie dem III. Parteitag der KPD, der am 25. und 26. Februar 1920 in Karlsruhe tagte, Abänderungsvorschläge zu den Leitsätzen unterbreiteten und ihre Wiedereingliederung forderten, wurden die Bremer Genossen ihrer Fraktionsarbeit vollauf gerecht.

Diese Abänderungsanträge liefen auf organisatorischer Ebene auf eine Stärkung der Stellung der örtlichen Parteigruppen gegenüber der Zentrale hinaus, während sie in der Gewerkschafts- und Parlamentarismusfrage Konzessionen gegenüber den von der Zentrale postulierten Grundsätzen einräumten. Doch die Parteizentrale setzte in den Bezirken, aus denen die ausgeschlossenen Mitglieder kamen (Hamburg, Bremen, Hannover, Berlin und Dresden), unbeirrt ihre spalterische Politik fort und begann, neue Ortsgruppen aufzubauen.

Auf dem III. Parteitag der KPD wurde der Aderlass deutlich. Hatte es im Oktober 1919 noch knapp über 100.000 Mitglieder gegeben, zählte man jetzt nur noch ca. 40.000. Darüber hinaus hatte der II. Parteitag im Oktober 1919 soviel Unklarheit hinterlassen, dass auf dem Februarparteitag 1920 Verwirrung darüber herrschte, ob die Bremer noch der KPD angehörten oder nicht. Erst auf letztgenanntem Parteitag wurde schließlich der endgültige Ausschluss beschlossen, obwohl er schon seit Oktober 1919 faktisch wirksam war.

 

Die Bourgeoisie trieb den Zerfall der Partei voran

Auf einer Reichskonferenz der Opposition am 14. März 1920 erklärte die Bremer Informationsstelle unter dem Eindruck des gerade begonnenen Kapp-Putsches, sie könne die Gründung einer neuen kommunistischen Partei nicht verantworten, und löste sich auf. Ende März, nach dem III. Parteitag, kehrten die Bremer wieder in die KPD zurück.

Die Delegierten aus Hamburg, Laufenberg und Wolffheim, kündigten dagegen unmittelbar nach ihrem Ausschluss die Gründung einer neuen Partei an. Diese Vorgehensweise entsprach in keiner Weise der marxistischen Haltung in der Organisationsfrage. Ihre Reaktion nach dem Parteiausschluss legte ihr bewusst zerstörerisches Treiben gegenüber revolutionären Organisationen bloß. Von diesem Zeitpunkt an entwickelten sie offen und hemmungslos ihre „nationalbolschewistischen“ Positionen. Schon während des Krieges hatten sie Propaganda für den „revolutionären Volkskrieg“ betrieben. Im Gegensatz zu den Spartakisten hatten sie keine internationalistische Position bezogen, sondern zur Unterwerfung der Arbeiterklasse unter das Kommando der Reichswehr aufgerufen, um die „britisch-amerikanische Vorherrschaft zu beenden“. Sie hatten die Spartakisten gar beschuldigt, zum Zerfall der Reichswehr beigetragen und ihr so „einen Dolchstoß versetzt“ zu haben. So lauteten bekanntermaßen auch die Anschuldigungen der Rechtsextremen nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages. Während sie sich bei ihren Angriffen gegen die Gewerkschaften 1919 noch radikal gebärdet hatten, enthüllten Laufenberg und Wolffheim nun, nach ihrem Ausschluss aus der KPD, ihre „national-bolschewistische“ Haltung. Gegenüber den Hamburger Arbeitern stieß ihre Politik auf kein großes Echo. Doch diese beiden Individuen gingen geschickt vor und veröffentlichten ihren Standpunkt in Gestalt einer Beilage zur Kommunistischen Arbeiterzeitung –  ohne Zustimmung der Partei. Je isolierter sie in der KPD wurden, desto offener richteten sie antisemitische Angriffe gegen den KPD-Führer Levi, den sie als „Juden“ und „englischen Agenten“ bezeichneten. Wie sich später herausstellte, war Wolffheim der Sekretär des Reichswehr-Offiziers Lettow-Vorbeck und Agent provocateur der Polizei. Er hatte also nicht aus eigener Initiative gehandelt. Sein Treiben, das bewusst die Zerstörung der Partei in Kauf nahm, wurde systematisch von obskuren, im Hintergrund bleibenden Kreisen unterstützt.

Das Drama der Opposition bestand darin, sich nicht rechtzeitig und ausreichend von diesen Elementen abgegrenzt zu haben. Die Folge war, dass immer mehr Genossen, abgestoßen von den Aktivitäten Laufenbergs und Wolffheims, nicht mehr auf den Parteitreffen erschienen und sich zurückzogen (s. Protokoll des KPD-Parteitages, S. 23).

Nach der Serie von Niederlagen im Jahre 1919, die die deutsche Arbeiterklasse geschwächt hatte, begann das Kapital im Frühjahr 1920 eine neue Offensive.

Am 13. März schlugen die Truppen von Kapp und Lüttwitz los. Der Kapp-Putsch war ein eindeutiger Angriff gegen die Arbeiterklasse, auch wenn vordergründig die SPD-geführte Regierung „gestürzt“ werden sollte. Vor die Alternative gestellt, sich entweder gegen die Angriffe des Militärs zur Wehr zu setzen oder einer blutigen Repression ausgesetzt zu werden, regte sich in nahezu allen Städten Widerstand gegen das Militär. Die Arbeiterklasse hatte keine andere Wahl, als sich zu verteidigen. Die Widerstandsbewegung ging im Ruhrgebiet am weitesten, wo eine „Rote Armee“ ausgehoben wurde.

Die KPD-Zentrale in Berlin reagierte desorientiert gegenüber dem Vorgehen des Militärs. Nach anfänglicher Unterschätzung der Verteidigungsbereitschaft der Arbeiter ließ sich die KPD anschließend in die Irre führen, als das Kapital eine SPD/USPD-Regierung propagierte, um die „Demokratie zu schützen“. Die KPD betrachtete die sozialdemokratische Regierung als das „kleinere Übel“ und bot ihr eine „loyale Opposition“ an.

Die aufflammenden Abwehrkämpfe der Arbeiter und die Reaktion der KPD veranlassten den Rest der aus der KPD ausgeschlossenen Militanten dazu, eine neue Partei zu gründen.

 

                                                          Dv.



[1] „Also vor allem, was die Frage der Nichtbeteiligung an den Wahlen betrifft: Du überschätzt enorm die Tragweite dieses Beschlusses (...) Unsere ‚Niederlage‘ (sie meint die Abstimmungsniederlage der späteren Zentrale in dieser Frage, die Red.) war nur der Triumph eines etwas kindischen, unausgegorenen, gradlinigen Radikalismus (...) Vergiss nicht, dass die ‚Spartakisten‘ zu einem großen Teil eine frische Generation sind, frei von den verblödenden Traditionen der ‚alten bewährten‘ Partei – und das muss mit Licht- und Schattenseiten genommen werden. Wir haben allen einstimmig beschlossen, den Casus nicht zur Kabinettsfrage zu machen und nicht tragisch zu nehmen.“ (Rosa Luxemburg in einem Brief an Clara Zetkin, 11. Januar 1919)

Theorie und Praxis: 

  • Deutsche Revolution [4]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Gründung der KAPD [5]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [6]

Mai 1968

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Das Proletariat kehrt auf die Bühne der Geschichte zurück

Vor dreißig Jahren waren nahezu 10 Millionen Arbeiter in Frankreich einen Monat lang an einer großen Streikbewegung beteiligt. Für junge Genossen, die sich heute revolutionären Positionen annähern, ist es sehr schwer zu wissen, was während des weit zurückliegenden Mai 1968 passiert war. Und dies ist nicht ihr Fehler. Die Bourgeoisie hat stets die tiefe Bedeutung dieser Ereignisse entstellt, und die bürgerliche Geschichte (ob rechte oder linke spielt keine Rolle) hat sie immer als eine "Studentenrevolte" dargestellt, während sie in Wahrheit die wichtigste Phase in einer Klassenbewegung waren, die sich auf Italien, die Vereinigten Staaten und die industrialisierten Länder ausbreitete. Es überrascht nicht, daß die herrschende Klasse die vergangenen Kämpfe des Proletariats zu verbergen versucht. Und wenn ihr dies nicht gelingt, dann verzerrt sie sie, stellt sie als alles mögliche dar, aber nicht als Zeichen der historischen und unlösbaren Antagonismen zwischen der hauptsächlich ausgebeuteten Klasse und der für diese Ausbeutung verantwortlichen herrschenden Klasse. Heute setzt die Bourgeoisie ihre Arbeit der Mystifizierung der Geschichte fort, indem sie versucht, die Oktoberrevolution als einen Staatsstreich durch blutrünstige, machthungrige Bolschewiki darzustellen, als das Gegenteil der Realität: der größte Versuch der Arbeiterklasse in der Geschichte, "den Himmel zu stürmen", die politische Macht zu erringen, um mit der Umwandlung der Gesellschaft in eine kommunistische zu beginnen, mit anderen Worten: die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abzuschaffen. Die Bourgeoisie versucht, die Gefahr des historischen Gedächtnisses als eine Waffe der Arbeiterklasse auszutreiben.  Und gerade weil die Kenntnis ihrer eigenen Vergangenheit für die Arbeiterklasse lebenswichtig ist, um die Kämpfe von heute und morgen vorzubereiten, liegt es an den Revolutionären, der politischen Avantgarde der Klasse, die vergangene Erfahrung in die Erinnerung zurückzurufen.

Die Ereignisse des Mai 68

Am 3. Mai vor dreißig Jahren wurde ein Treffen einiger hundert Studenten im Hof der Sorbonne in Paris abgehalten, wozu die UNEF (eine Studentengewerkschaft) und die "Bewegung 22. März" (einige Wochen zuvor an der Fakultät von Nanterre in den Pariser Vorstädten gegründet) aufgerufen hatten. Es gab nichts besonders Erregendes in den theoretisierenden Reden der linken "Führer". Aber es gab ein hartnäckiges Gerücht: "Der 'Occident' wird angreifen". Diese weitestgehend rechte Bewegung gab der Polizei den Vorwand, um einzugreifen und die Demonstranten zu "trennen". Ziel war es vor allem, die studentische Agitation zu zerschmettern, die seit einigen Wochen in Nanterre vernehmbar war. Diese Agitation war der simple Ausdruck studentischer Frustration, angetrieben von solch unterschiedlichen Motiven wie dem Streitpunkt der akademischen Mandarine oder der Forderung nach größerer individueller und sexueller Freiheit im täglichen Leben der Universitäten.

Und dennoch "passierte das Unmögliche": Die Agitation wurde einige Tage lang im Quartier Latin fortgesetzt. Sie erklomm jeden Abend eine neue Stufe: Jede Demonstration, jedes Treffen zog ein paar Leute mehr an als tags zuvor: zehn-, dann dreißig-, dann fünfzigtausend Leute. Die Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden gewalttätiger. Auf der Straße schlossen sich junge Arbeiter dem Kampf an. Trotz der offenen Feindschaft der KPF (Kommunistische Partei Frankreichs), die die "enragés" (wörtlich: die "Wütenden") und den "deutschen Anarchisten" Daniel Cohn-Bendit verleumdeten, wurde die CGT (die stalinistisch kontrollierte Gewerkschaft) gezwungen, die Streiks, die ohne offizielle Ankündigung ausbrachen und sich rapide ausbreiteten, "anzuerkennen", um den Verlust der Kontrolle über die Situation zu vermeiden: Zehn Millionen Streikende schreckten die 5. Republik in ihrer Erstarrung auf und markierten das Wiedererwachen des Weltproletariats.

Der Streik begann am 14. Mai in Sud-Aviation und breitete sich spontan aus. Es war von Beginn an eine radikale Abkehr von den "Aktionen", die bis dahin von den Gewerkschaften organisiert wurden. In den lebenswichtigen Bereichen des Maschinenbaus und Transports war der Streik nahezu allumfassend. Die Gewerkschaften wurden von einer Bewegung überrumpelt, die sich selbst von ihrer traditionellen Politik absetzte. Die Bewegung ging über die Kontrolle der Gewerkschaften hinaus, zeichnete sich von Anbeginn durch einen ausgedehnten und oft ungenauen Charakter aus und wurde häufig von einer großen, wenn auch "unbewußten" Unruhe angeregt.

Die Arbeitslosen, von der Bourgeoisie zu "Deklassierten" abgestempelt, spielten eine wichtige Rolle in den Konfrontationen. In der Tat waren diese "deklassierten", "verführten" Individuen durch und durch Proletarier. Das Proletariat besteht nicht nur aus Arbeitern und jenen, die schon mal einen Job hatten, sondern auch aus jenen, die noch nicht in der Lage waren zu arbeiten und bereits arbeitslos sind. Sie sind reine Produkte der dekadenten Epoche des Kapitalismus. In der Jugendarbeitslosigkeit können wir eine der historischen Grenzen des Kapitalismus beobachten, der wegen der allgemeinen Überproduktion unfähig geworden ist, neue Generationen in den Produktionsprozeß zu integrieren. Die Gewerkschaften unternahmen jedoch alles in ihrer Macht Stehende, um die Kontrolle über diese Bewegung wiederzuerlangen, die ohne sie und bis zu einem gewissen Umfang auch gegen sie begonnen hatte.

Am Freitag, den 17. Mai verteilte die CGT ein Flugblatt, das ganz deutlich die Grenzen aufzeigte, die sie der Aktion aufzuzwingen beabsichtigte: auf der einen Seite traditionelle Forderungen, gekoppelt mit Übereinkünften wie jenen von Matignon im Juni 1936, das die Rechte der Gewerkschaftssektionen in Firmen garantierte; auf der anderen Seite riefen sie zu einem Regierungswechsel auf, mit anderen Worten: zu Neuwahlen. Obwohl sie gegenüber den Gewerkschaften mißtrauisch waren, bevor der Streik über die Spitzen der Gewerkschaften hinweg begann und durch ihre eigene Initiative ausgeweitet wurde, benahmen sich die Arbeiter während des Streiks so, als sei es normal, daß die Gewerkschaften ihn zu Ende bringen.

Nachdem sie gezwungen wurden, der Bewegung zu folgen, um nicht die Kontrolle zu verlieren, zogen die Gewerkschaften letztendlich mit Hilfe der KPF zwei Trümpfe aus dem Ärmel: einerseits indem sie Verhandlungen mit der Regierung führten, während sie andererseits die Arbeiter dazu aufriefen, ruhig zu bleiben, damit das friedliche Abhalten von Neuwahlen, die von der KPF und den Sozialisten gefordert wurden, nicht gestört werde. Gleichzeitig setzten sie diskret Gerüchte über die Möglichkeit eines Staatsstreiches und über Truppenbewegungen rings um die Hauptstadt in Umlauf. In Wahrheit hatte die Bourgeoisie, wenn auch überrascht und alarmiert über die Radikalität der Bewegung, keinesfalls die Absicht, zu militärischer Repression zu greifen. Sie wußte sehr gut, daß dies die Bewegung erneut auslösen und die gewerkschaftlichen "Versöhnler" aus dem Spiel zwingen könnte, und daß ein Blutbad später weitaus teurer werden würde. Es war nicht so sehr die CRS (Compagnie Républicaine de Sécurité, Anti-Aufruhr-Polizei), die die Demonstrationen attackierte und Demonstranten zerstreute, sondern die weit besser ausgebildeten und gefährlicheren Gewerkschaftsbullen, die ihr schmutziges Werk, die Spaltung der Arbeiter, innerhalb der Fabriken verrichteten.

Ihre erste Polizeioperation führten die Gewerkschaften aus, als sie zu Fabrikbesetzungen ermunterten, womit es ihnen gelang, die Arbeiter auf ihren Arbeitsplätzen abzuschotten und sie daran zu hindern, sich zu treffen, miteinander zu diskutieren und sich auf der Straße zu begegnen.

Am Morgen des 27. Mai erschienen die Gewerkschaften vor den Arbeitern mit einem Kompromiß, der gemeinsam mit der Regierung unterschrieben war (die Übereinkünfte von Grenelle). Bei Renault, dem größten Konzern des Landes und „Stimmungsbarometer" in der Arbeiterklasse, wurde der CGT-Generalsekretär von den Arbeitern niedergebrüllt, als sie erkannten, daß ihr Kampf verraten werden sollte. Andernorts nahmen die Arbeiter dieselbe Haltung ein. Die Zahl der Streikenden stieg weiter an. Viele Arbeiter zerrissen ihre Gewerkschaftsausweise. Dies passierte, als die Gewerkschaften und die Regierung arbeitsteilig vorgingen, um die Bewegung zu brechen. Die CGT, die umgehend nichts mehr mit der Übereinkunft von Grenelle zu tun haben wollte – die sie selbst unterzeichnet hatte –, erklärte, daß "von Branche zu Branche Verhandlungen aufgenommen werden sollten, um (das Abkommen) zu verbessern". Die Regierung und die Bosse spielten mit, machten große Zugeständnisse in einigen Industrien, was es ermöglichte, sich wieder zur Arbeit zu begeben. Zur gleichen Zeit, am 30. Mai, gab de Gaulle den Forderungen der linken Parteien statt: Er löste das Parlament auf und rief Neuwahlen aus. Am selben Tag marschierten Hunderttausende seiner Anhänger über die Champs Elysées. Es war ein buntes Mischmasch all jener mit einem blinden Haß gegen die Arbeiterklasse und die "Kommunisten": die Bewohner wohlhabender Bezirke, Kriegsveteranen, Nonnen und Concierges, Ladenbesitzer und Spitzel. Diese feine Gesellschaft marschierte de Gaulles Ministern hinterher, angeführt von André Malraux (dem antifaschistischen Schreiber, wohlbekannt seit seiner Teilnahme am Krieg in Spanien 1936).

Die Gewerkschaften teilten die Arbeit untereinander auf: Die sich in der Minderheit befindende CFDT nahm ein 'radikales' Aussehen an, um die Kontrolle über die kämpferischsten Arbeiter zu behalten. Die CGT enthüllte sich selbst als Streikbrecher. Auf Massenversammlungen schlug sie vor, den Streik zu beenden, mit der Begründung, daß die Arbeiter in den benachbarten Fabriken bereits zur Arbeit zurückgekehrt seien: Dies war eine Lüge. Vor allen Dingen rief sie zusammen mit der KPF zu einem "ruhigen" und "besonnenen Verhalten" auf (indem sie sogar das Schreckgespenst des Bürgerkrieges und der Repression durch die Armee bemühte), um die am 23. und 30. Juni abgehaltenen Wahlen nicht zu stören. Als die Wahlen dann kamen, war das Ergebnis ein Erdrutschsieg der Rechten, was nur den Abscheu der kämpferischsten Arbeiter vergrößerte, die ihren Streik bis dahin noch durchgehalten hatten.

Trotz aller Einschränkungen half der enorme Elan des Generalstreiks bei der weltweiten Wiederentdeckung des Klassenkampfes. Mit ihrem Erscheinen nach einer ununterbrochenen Reihe von Rückschlägen, die den revolutionären Ereignissen von 1917-23 gefolgt waren, waren die Ereignisse vom Mai 68 ein entscheidender Wendepunkt nicht nur in Frankreich, sondern auch im restlichen Europa und auf der ganzen Welt. Die Streiks erschütterten nicht nur die Staatsmacht, sondern auch ihren wirksamsten und am schwersten zu überwindenden Schutzwall: die Linke und die Gewerkschaften.

Eine "Studenten"bewegung ?

Nachdem sie sich erst einmal von ihrer Überraschung  und anfänglichen Panik erholt hatte, bemühte sich die Bourgeoisie, Erklärungen für diese Ereignisse zu finden, die ihren Frieden gestört hatten. Es ist daher wenig überraschend, daß die Linke die studentische Agitation dazu benutzte, um das eigentliche Gespenst, das sich vor den Augen einer sich fürchtenden Bourgeoisie erhob – das Proletariat –, auszutreiben, und daß sie die sozialen Ereignisse auf eine bloße ideologische Auseinandersetzung zwischen den Generationen beschränkte. Der Mai 68 wurde dargestellt als das Resultat jugendlicher Langeweile angesichts von Anpassungsschwierigkeiten in der modernen Welt. Es ist offensichtlich, daß der Mai 68 von einem endgültigen Zerfall der Werte der herrschenden Ideologie gekennzeichnet war, aber diese "kulturelle" Revolte war nicht die eigentliche Ursache des Konflikts. In seinem Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie zeigte Marx auf, daß sich "mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher umwälzt. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten."

All die Ausdrücke der ideologischen Krise haben ihre Wurzel in der ökonomischen Krise, nicht anders herum. Der Zustand dieser Krise bestimmt den Lauf der Dinge. Die Studentenbewegung war also tatsächlich ein Ausdruck des allgemeinen Zerfalls der bürgerlichen Ideologie. Sie war ein Anzeichen, das eine weit fundamentalere soziale Bewegung ankündigte. Aber wegen des eigentlichen Platzes der Universität im Produktionssystem kam es nur in Ausnahmefällen zu Verbindungen mit dem Klassenkampf.

Der Mai 68 war nicht eine Bewegung von Studenten und jungen Leuten, er war vor allem eine Bewegung der Arbeiterklasse, die nach Jahrzehnten der Konterrevolution ihr Haupt erhob. Die Radikalisierung der Studentenbewegung war exakt das Ergebnis der Präsenz der Arbeiterklasse.

Studenten sind keine Klasse und noch weniger eine revolutionäre soziale Schicht. Im Gegenteil, sie sind die spezifischen Vehikel der schlimmsten Art bürgerlicher Ideologie. Wenn 1968 Tausende von jungen Leuten von revolutionären Ideen beeinflußt waren, so genau deshalb, weil die einzige revolutionäre Klasse unserer Epoche, die Arbeiterklasse, auf den Straßen war.

Dieses Wiederaufleben machte all den Theorien über die "Verbürgerlichung" der Arbeiterklasse, ihrer "Integration" in das kapitalistische System den Garaus. Wie sonst wäre zu erklären, daß all die Theorien, die im Universitätsmilieu, wo sie von solchen Leuten wie Marcuse und Adorno erarbeitet worden waren, so vorherrschend waren, wie Schneeflocken in der Sonne dahinschmolzen und sich die Studenten der Arbeiterklasse zuwandten wie Motten dem Licht? Und wie sonst kann man erklären, daß die Studenten in den folgenden Jahren aufhörten, sich selbst Revolutionäre zu nennen, obwohl sie immer noch von derselben Agitation angetrieben waren?

Nein, der Mai 68 war nicht eine Revolte der Jugend gegen die "Unzulänglichkeiten der modernen Welt", er war nicht eine rein geistige Revolte; er war das erste Anzeichen sozialer Erschütterungen, deren Wurzeln viel weiter reichten als bis in den Überbau, nämlich bis in die Krise der kapitalistischen Produktionsweise. Der Mai 68 war in keiner Weise der Triumph der Theorien von Marcuse, sondern ihr Todesurteil, das sie zurück in die Welt der Hirngespinste schickte, wo sie herkamen.

Nein, der Beginn des historischen Wiederauflebens des Klassenkampfes

Der Generalstreik von 10 Millionen Arbeiter in einem Land im Herzen des Kapitalismus bedeutete das Ende der Periode einer Konterrevolution, die in den 20er Jahren mit der Niederlage der revolutionären Welle eröffnet und durch die gleichzeitige Aktion von Stalinismus und Faschismus fortgesetzt sowie vertieft wurde. Erst kurz zuvor, in der Mitte der 60er Jahre, wurde das Ende der dem Zweiten Weltkrieg folgenden Wiederaufbauperiode und der Beginn einer neuen offenen Krise des kapitalistischen Systems eingeläutet.

Die ersten Schläge dieser Krise traf eine Generation von Arbeitern, die nicht die Demoralisierung durch die Niederlagen in den 20er Jahren kannten und während des "Wirtschaftsbooms" aufgewachsen waren. Zu jenem Zeitpunkt berührte die Krise sie nur leicht, aber die Arbeiterklasse begann zu fühlen, daß sich etwas geändert hatte:

"Ein Gefühl der Unsicherheit über die Zukunft entwickelt sich unter den Arbeitern und vor allem unter den jüngeren. Dieses Gefühl ist umso stärker, als es unter den Arbeitern in Frankreich seit dem Krieg unbekannt war.... Immer mehr fühlten die Massen, daß all der schöne Wohlstand eines Tages zu Ende sein wird. Verhaltensweisen der Gleichgültigkeit und des 'Das-ist-mir-völlig-Wurst' unter den Arbeitern, so charakteristisch und so sehr beschrieen in den Jahrzehnten davor, haben einer wachsenden Unruhe Platz gemacht.... Es mußte eingeräumt werden, daß eine Explosion dieser Art auf einer langen Anhäufung von Unzufriedenheit unter den Massen gegenüber ihrer wirtschaftlichen Situation basiert, selbst wenn ein oberflächlicher Beobachter nichts bemerkt haben mag." (Révolution Internationale, Nr.2, alte Serie, 1969)

Und in der Tat wird ein oberflächlicher Beobachter nichts von dem begreifen, was in den Tiefen der kapitalistischen Welt passiert. Es ist kein Zufall, daß eine radikale Gruppe ohne solide marxistische Grundlage wie die Situationistische Internationale über die Ereignisse des Mai 68 schreibt: "Man kann keinerlei Tendenz zu einer Wirtschaftskrise erkennen.... der revolutionäre Ausbruch kam nicht aus einer Wirtschaftskrise heraus.... was im Mai frontal angegriffen wurde, war eine gut funktionierende kapitalistische Wirtschaft." (Enragés et Situationistes dans le mouvement des occupations, Situationistische Internationale, 1969)

Die Realität sah ganz anders aus, und die Arbeiter fühlten es am eigenen Leib.

Nach 1945 ermöglichte es die US-Hilfe, die Produktion in Europa wieder zum Laufen zu bringen, das einen Teil seiner Schulden zurückzahlte, indem es seine Unternehmen an amerikanische Gesellschaften abtrat. Doch nach 1955 beendeten die USA ihre "großzügige" Hilfe. Die Handelsbilanz der USA war positiv, während die der meisten anderen Ländern negativ war. Weiterhin wurde amerikanisches Kapital schneller in Europa als im Rest der Welt investiert, was die Zahlungsbilanz in diesen Ländern ins Gleichgewicht, jene der USA jedoch schnell aus dem Gleichgewicht bringen sollte. Diese Situation führte zu wachsenden Schulden des amerikanischen Schatzamtes, da die in Europa oder im Rest der Welt investierten Dollars für jenes Schulden gegenüber den Inhabern dieses Geldes bildeten. Seit den 60er Jahren überstieg diese Auslandsschuld die Goldreserven des US-Schatzamtes, aber diese Unfähigkeit, den Dollar zu decken, versetzte die USA nicht in Schwierigkeiten, solange die anderen Länder bei den USA verschuldet waren. Die USA konnte somit fortfahren, sich Kapital vom Rest der Welt anzueignen, indem es dafür mit Papier zahlte. Diese Situation kehrte sich erst mit dem Ende des Wiederaufbaus in den europäischen Ländern um. Die europäischen Ökonomien waren jetzt in der Lage, eigene Produkte in Konkurrenz zu den US-Produkten auf dem Weltmarkt abzusetzen: Gegen Mitte der 60er Jahre wurde die Handelsbilanz der meisten von den USA unterstützten Länder positiv, während nach 1964 jene der USA sich immer weiter verschlechterte. Dies kennzeichnete die Vervollständigung des Wiederaufbaus der europäischen Länder. Der Produktionsapparat stand jetzt einem gesättigten Markt gegenüber, was die nationalen Bourgeoisien dazu zwang, die Ausbeutung ihres Proletariats zu intensivieren, um für die Verschärfung der internationalen Konkurrenz gewappnet zu sein.

Auch Frankreich entkam dieser Lage nicht, und 1967 mußte es unvermeidliche Maßnahmen der Umstrukturierung ergreifen: Rationalisierung und erhöhte Produktivität führten zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. So überschritt Anfang 1968 die Zahl der Arbeitslosen die 500.000. In vielen Fabriken trat zeitweilig Beschäftigungslosigkeit auf, was zu Reaktionen der Arbeiter führte. Eine Reihe von Streiks brach aus, die zwar von den Gewerkschaften begrenzt und noch immer kontrolliert wurden, aber ein gewisses Unbehagen ausdrückten. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit wurde von dieser Arbeitergeneration schlecht aufgenommen, die von der Bevölkerungsexplosion, welche dem Zweiten Weltkrieg folgte, stammte und an Vollbeschäftigung gewohnt war.

Allgemein trachteten die Bosse danach, den Lebensstandard der Arbeiter zu verringern. Die Bourgeoisie und ihre Regierung richteten in wachsendem Maße ihre Angriffe gegen die Arbeits- und Lebensbedingungen. In allen Industrieländern gab es eine spürbare Zunahme der Arbeitslosigkeit, die wirtschaftlichen Perspektiven wurden immer düsterer, der internationale Wettbewerb immer schärfer. Ende 1967 unternahm Großbritannien seine erste Abwertung des Pfundes, um seine Produkte wettbewerbsfähiger zu machen. Aber die Wirkung dieser Maßnahme wurde durch die Abwertungen, die daraufhin in allen anderen Staaten stattfanden, annulliert. Die Austeritätspolitik der damaligen Labour-Regierung war besonders streng: massive Kürzungen der öffentlichen Gelder, der Rückzug britischer Truppen aus Asien, die ersten protektionistischen Maßnahmen.

Die USA, Hauptopfer der europäischen Offensive, konnten nur hart reagieren, und von Anfang Januar 1968 an kündigte Präsident Johnson ein Reihe von Wirtschaftsmaßnahmen an, während im März 1968 der Dollar als Antwort auf die Abwertungen der Konkurrenzwährungen ebenfalls fiel.

Dies waren die wesentlichen Punkte der wirtschaftlichen  Lage vor dem Mai 1968.

Eine Bewegung für unmittelbare Forderungen, aber nicht nur dafür

In dieser Situation fanden die Ereignisse vom Mai 68 statt: eine sich verschlechternde ökonomische Situation, die eine Reaktion der Arbeiterklasse hervorrief.

Sicherlich trugen auch andere Faktoren zur Radikalisierung der Situation bei: die polizeiliche Repression gegen die Studenten und die Arbeiterdemonstrationen, der Vietnam-Krieg. Gleichzeitig gerieten alle kapitalistischen Nachkriegsmythen in die Krise: der Mythos der Demokratie, des wirtschaftlichen Wohlstandes, des Friedens. Diese Situation schuf eine soziale Krise, auf die die Arbeiterklasse ihre erste Antwort gab.

Es war eine Antwort auf wirtschaftlicher Ebene, aber nicht nur auf dieser Ebene. Die anderen Elemente der sozialen Krise, die Unglaubwürdigkeit, die die Gewerkschaften und die traditionellen linken Kräfte erlitten, führte Tausende von jungen Leuten dazu, grundsätzlichere Fragen zu stellen, um nach Antworten über die hinter ihrer Unzufriedenheit und Desillusionierung stehenden Ursachen zu suchen.

So kam eine neue Generation von Militanten auf, die sich revolutionären Positionen annäherten. Sie begannen, Marx, Lenin wieder zu lesen, die Arbeiterbewegung der Vergangenheit zu studieren. Die Arbeiterklasse entdeckte nicht nur die Dimension ihres Kampfes als ausgebeutete Klasse wieder, sondern begann auch, ihre revolutionäre Natur zu enthüllen.

Diese neuen Militanten wurden zumeist von den falschen Perspektiven der verschiedenen linksextremen Gruppen aus der Bahn geworfen und waren schnell verloren. Während die Gewerkschaften die Waffe waren, die es der Bourgeoisie erlaubte, die Massenbewegung der Arbeiter zu blockieren, war der Linksextremismus die Waffe, die die Mehrheit der im Kampf geformten Militanten brach.

Viele andere schafften es jedoch, authentische revolutionäre Organisationen zu finden, Organisationen, die die historische Kontinuität mit der vergangenen Arbeiterbewegung repräsentierten – die Gruppen der Linkskommunisten. Während aber keine der letztgenannten in der Lage war, die Bedeutung der Ereignisse vollständig zu begreifen, und sie lediglich Zaungäste blieben, womit sie das Feld den Linksextremisten überließen, waren andere kleine Zirkel imstande, diese neuen revolutionären Energien zusammenzufassen, indem sie neue revolutionäre Organisationen bildeten und neue Bemühungen um die Regruppierung der Revolutionäre, die Basis für eine künftige revolutionäre Partei, anstellten.

Ein langes und qualvolles Wiedererwachen

Die Ereignisse vom Mai 68 stellen den Beginn des historischen Wiedererwachens des Klassenkampfes dar, den Bruch mit der Periode der Konterrevolution und die Eröffnung eines neuen historischen Kurses zur entscheidenden Konfrontation zwischen den antagonistischen Klassen unserer Zeit: dem Proletariat und der Bourgeoisie.

Es war ein überraschender Beginn, der die Bourgeoisie im diesem Augenblick unvorbereitet erwischte; aber die herrschende Klasse erholte sich schnell und war ihrerseits in der Lage, die Unerfahrenheit dieser Arbeitergeneration auszunützen, die auf die Hauptbühne der Geschichte zurückgekehrt war.

Dieser historische Kurs wurde von den internationalen Ereignissen bestätigt, die dem Mai 68 folgten.

1969 brach in Italien die große Streikbewegung aus, die bekannt wurde als "Heißer Herbst", eine Zeit voller Kämpfe, die sich mehrere Jahre lang fortsetzen sollten und in deren Verlauf die Arbeiter dazu neigten, die Gewerkschaften zu demaskieren und ihre eigenen Organe für die Führung des Kampfes aufzubauen. Es war eine Welle von Kämpfen, deren Hauptschwäche darin bestand, sich in der Illusion, ein "harter" Kampf in den Fabriken sei genug, um die Bosse zum Rückzug zu zwingen, in den einzelnen Betrieben zu isolieren. Diese Begrenzungen sollten die Gewerkschaften in die Lage versetzen, ihren Platz in den Betrieben wiederzuerlangen, indem sie sich in ihrem neuen Gewand der "Basisorgane" repräsentierten und alle linksextremistischen Elemente miteinbezogen, die in der aufsteigenden Phase der Bewegung den Revolutionär gemimt und nun einen Job als gewerkschaftliches Zugpferd gefunden hatten.

Die 70er Jahre sahen andere Streikbewegungen überall in den industrialisierten Ländern: in Italien (die Arbeitslosen, die Krankenhausbeschäftigten), in Frankreich (LIP, Renault, die Stahlarbeiter von Longwy und Denain), in Spanien und Portugal und anderswo. Die Arbeiter sträubten sich in wachsendem Maße gegen die Gewerkschaften, die trotz der Verkleidung durch ihren neuen "Basisnähe" immer noch wie die Vertreter der kapitalistischen Interessen und Saboteure der Arbeiterkämpfe aussahen.

In Polen zog die Arbeiterklasse 1980 Nutzen aus der blutigen Erfahrung, die sie in den früheren Konfrontationen von 1970 und 1976 gemacht hatte, indem sie einen Massenstreik organisierte, der das ganze Land lahmlegte. Diese bewundernswerte Bewegung der Arbeiter in Polen, die der gesamten Welt die Stärke des Proletariats zeigte, seine Fähigkeit, die Kontrolle über seine Kämpfe zu übernehmen, sich selbst in Massenversammlungen und Streikkomitees (den MKS) zu organisieren, um den Kampf auf ein ganzes Land auszudehnen, war eine Ermutigung für die Arbeiter überall. Es war an der Gewerkschaft Solidarnosc, die von der Bourgeoisie (mit Unterstützung der westlichen Gewerkschaften) mit dem Ziel geschaffen wurde, die Bewegung zu umfassen, zu kontrollieren und zum Entgleisen zu bringen, womit letztendlich die Arbeiter der Repression der Jaruzelski-Regierung ausgeliefert wurden. Diese Niederlage führte zu einer tiefen Verwirrung im Weltproletariat. Es dauerte mehr als zwei Jahre, um diese Niederlage zu verdauen.

Während der 80er Jahre begannen jedoch die Arbeiter, ihre Lektion aus all den Erfahrungen mit der Gewerkschaftssabotage des vergangenen Jahrzehnts zu ziehen. Neue Kämpfe brachen in den Hauptländern aus, und die Arbeiter begannen, die Leitung ihrer Kämpfe zu übernehmen, indem sie ihre eigenen Kampforgane schufen. Die Eisenbahnarbeiter Frankreichs, die Schulbediensteten in Italien führten ihre Kämpfe auf der Basis von Organen, die von den Arbeitern durch allgemeine Streikversammlungen kontrolliert wurden.

Angesichts dieser Reife der Kämpfe war die Bourgeoisie gezwungen, ihre eigenen gewerkschaftlichen Waffen zu erneuern: In diesen Jahren wurde eine neue Form der "Basisgewerkschaften" entwickelt (die Koordinationen in Frankreich, die COBAS in Italien), verkappte Gewerkschaften, die die Formen der Organe, welche die Arbeiter für den Kampf geschaffen hatten, kopierten, um die Arbeiter zurück in den Käfig der Gewerkschaften zu drängen.

Wir haben das, was in den beiden Jahrzehnten nach dem französischen Mai folgte, nur gestreift. Wir denken aber, daß es ausreicht, um zu zeigen, daß letztgenannter keineswegs nur ein flüchtiger Vorfall war, etwas spezifisch Französisches, sondern tatsächlich der Beginn einer neuen historischen Phase, in der die Arbeiterklasse mit der Konterrevolution gebrochen hat und wieder auf der Bühne der Geschichte erschienen ist, um den langen Weg zur Konfrontation mit dem Kapital anzutreten.

Ein schwieriges historisches Wiedererwachen

Auch wenn es der Nachkriegsgeneration der Arbeiterklasse gelang, mit der Konterrevolution zu brechen, da sie die Demoralisierung der Niederlage in der 20er Jahren nicht kannte, so mangelte es ihr doch an Erfahrung, und so sollte sich dieses historische Wiedererwachen als lang und schwierig erweisen. Wir haben bereits gesehen, wie schwierig es ist, gegen die Gewerkschaften und ihre Rolle als Verteidiger des Kapitals Erfolge zu erzielen. Aber ein wichtiges und unvorhersehbares historisches Ereignis sollte dieses Wiedererwachen noch um einiges langwieriger und schwieriger machen – der Zusammenbruch des Ostblocks.

Als Ausdruck der durch die Wirtschaftskrise verursachten Erosion führte dieser Kollaps zu einem Rückfluß im Bewußtsein des Proletariats, ein Rückfluß, der von einer Bourgeoisie weidlich ausgenutzt wurde, die den Versuch unternahm, den Boden, den sie in den vorherigen Jahren verloren hatte, wieder gutzumachen.

Indem sie Stalinismus mit Kommunismus identifiziert, stellt die Bourgeoisie den Zusammenbruch des Stalinismus als den Tod des Kommunismus dar, womit sie der Arbeiterklasse eine simple aber wirkungsvolle Botschaft verkündet: "Der Arbeiterkampf hat keine Perspektive, weil es keine lebensfähige Alternative zum Kapitalismus gibt. Es ist ein System mit vielen Fehlern, aber es ist das einzig mögliche System."

Der durch diese Kampagne provozierte Rückfluß war viel tiefgreifender als jene, die in den früheren Streikwellen stattgefunden hatten. Diesmal ging es nicht um eine Bewegung, die schlecht ausgegangen war, um Gewerkschaftssabotage, die bei der Blockade einer Streikwelle erfolgreich war. Diesmal stand die Möglichkeit einer langfristigen Perspektive des Kampfes an sich auf dem Spiel.

Dennoch ist die Krise, die der Auslöser der historischen Wiederbelebung des Klassenkampfes gewesen war, immer noch da und bewirkt immer gewalttätigere Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter. Aus diesem Grund wurde die Arbeiterklasse 1992 gezwungen, zum Kampf zurückzukehren, was mit der Streikbewegung gegen die Amato-Regierung in Italien geschah, der sich andere Kämpfe in Belgien, Deutschland, Frankreich etc. anschlossen. Es war eine Wiederbelebung der Kampfbereitschaft einer Klasse, die noch immer nicht den Rückfluß in ihrem Bewußtsein überwunden hat. Deshalb stieg diese Wiederbelebung bis jetzt nicht auf das Niveau an, das Ende der 80er erreicht worden war.

Seitdem stand die Bourgeoisie nicht mit verschränkten Armen herum. Sie gestattete es dem Proletariat nicht, mit seinen Kämpfen fortzufahren und durch sie Selbstvertrauen zu tanken. Mit noch mehr Kräften und Manövrierfähigkeiten ausgestattet, organisierte die Bourgeoisie im Herbst 1995 in Frankreich den Streik im öffentlichen Sektor: Mittels einer massiven internationalen Pressekampagne wurde dieser Streik dafür benutzt, um zu beweisen, daß die Gewerkschaften einen Kampf organisieren können und die Interessen des Proletariats verteidigen würden. Gleiche Manöver fanden in Belgien und Deutschland statt, was in eine Stärkung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften auf internationaler Ebene mündete und sie mit einem erneuerten Arsenal ausstattete, um den Kampfgeist der Arbeiter zu sabotieren.

Aber die Bourgeoisie manövrierte nicht nur auf diesem Terrain. Sie lancierte eine Reihe von Kampagnen, die darauf abzielten, die Arbeiter ins Lager der Verteidiger der Demokratie (und somit des bürgerlichen Staates) zu stecken: die "Mani-Pulite"-Kampagne in Italien, die Dutroux-Affäre in Belgien, der Anti-Rassismus in Frankreich – all diese Ereignisse erhielten große Publizität in den Medien, um die Arbeiter der gesamten Welt davon zu überzeugen, daß ihr Problem nicht die vulgäre Verteidigung ihrer ökonomischen Interessen sei, sondern daß sie ihren Gürtel für ihren jeweiligen nationalen Staat enger schnallen und sich der Verteidigung der Demokratie, der Gerechtigkeit und anderer Albernheiten anschließen sollen.

Doch während der beiden letzten Jahre hat die Bourgeoisie auch versucht, das historische Gedächtnis der Arbeiterklasse zu zerstören, indem sie die Geschichte der Arbeiterklasse und der auf sie bezogenen Organisationen diskreditierte. Selbst die Linkskommunisten waren Angriffen ausgesetzt, indem sie als Hauptinspirationsquelle des "Negationismus" dargestellt wurden.

Die Bourgeoisie hat gleichermaßen versucht, die wahre Bedeutung der Oktoberrevolution zu entstellen, die von ihr als bolschewistischer Staatsstreich präsentiert wurde, wobei sie danach trachtet, die Erinnerung an die große revolutionäre Welle in den 20er Jahren zu tilgen, in welcher die Arbeiterklasse trotz ihrer Niederlage bewiesen hatte, daß sie imstande ist, den Kapitalismus als Produktionsweise zu bekämpfen, und nicht nur, um sich gegen die Ausbeutung zur Wehr zu setzen. In zwei gewaltigen Büchern, deren Originale in Frankreich und Großbritannien verfaßt wurde, aber bereits in andere Sprachen übersetzt sind, fährt sie mit der Mystifizierung fort, daß Kommunismus gleich Stalinismus und tatsächlich für alle Verbrechen des Stalinismus verantwortlich sei.

Aber die Zukunft gehört noch immer dem Proletariat

Wenn die Bourgeoisie so sehr mit der Untergrabung des Kampfes der Arbeiterklasse, mit der Verzerrung ihrer Geschichte, mit der Diskreditierung der Organisationen, die die revolutionäre Perspektive des Proletariats verteidigen, beschäftigt ist, dann in dem Wissen, daß das Proletariat noch nicht besiegt ist, daß trotz all ihrer gegenwärtigen Schwierigkeiten der Weg zu massiven Konfrontationen, in welchen die Arbeiterklasse einmal mehr die Herrschaft der Bourgeoisie in Frage stellen wird, immer noch offen ist. Und die Bourgeoisie weiß auch, daß die Vertiefung der Krise und die Opfer, die den Arbeitern auferlegt werden, sie immer mehr dazu zwingen werden, sich auf einen Kampf einzulassen. In diesem Kampf werden die Arbeiter das Vertrauen in sich selbst wiederfinden, die wahre Natur der Gewerkschaften kennenlernen und ihre eigenständigen Organisationsformen finden.

Ein neuer Abschnitt hat begonnen, in welchem die Arbeiterklasse den Weg wiederentdecken wird, der vor 30 Jahren durch den großen Generalstreik im französischen Mai eröffnet worden war. Helio

Polemik: Die Wurzeln der IKS und des IBRP -Die Italienische Fraktion und die Französische Kommunistische Linke

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Die Polemik des IBRP schneidet dieselben Themen an wie der Artikel in Revolutionary Perspectives Nr. 5: die Ursachen der organisationsinternen Schwierigkeiten, mit denen die IKS in der letzten Zeit konfrontiert war. Die große Schwäche dieser zwei Artikel ist jedoch, daß sie in keiner Weise Bezug auf die Analyse nehmen, welche wir als IKS über diese Schwierigkeiten gemacht haben(1). In den Augen des IBRP können die Ursachen dieser Probleme einzig in unserem Programm oder in unserem Unverständnis gegenüber der aktuellen Weltlage liegen. Selbstverständlich können dies Quellen von Schwierigkeiten für eine revolutionäre Organisation sein. Doch die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt uns, daß Fragen der Struktur und der Funktionsweise einer Organisation von besonderer politischer Bedeutung sind und daß Schwächen in diesen Bereichen noch viel stärker als in anderen programmatischen oder analytischen Punkten schwerwiegendste Konsequenzen - ja oft dramatische Auswirkungen - auf das Leben revolutionärer Gruppen haben. Müssen wir die Genossen des IBRP, welche für sich in Anspruch nehmen, die Positionen Lenins aufrechtzuerhalten, an das Beispiel des

2. Kongresses der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands 1903 erinnern, wo es eben gerade die Frage der Organisation war (und nicht programmatischer Punkte oder der Analyse der damaligen Situation), welche die Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki herbeiführte? Genauer betrachtet nämlich hat die gegenwärtige Unfähigkeit des IBRP, eine Analyse des historischen Kurses herauszuarbeiten, seine Wurzeln zu einem großen Teil in politischen Irrtümern bezüglich der Organisationsfrage und im Speziellen in der Frage des Verhältnisses zwischen Fraktion und Partei. Und tatsächlich, genau dies taucht im letzten Artikel von Internationalist Communist wieder auf! Damit uns die Genossen des IBRP nicht vorwerfen können, ihre Positionen verdreht zu haben, werden wir im Folgenden einen längeren Abschnitt aus ihrem Artikel zitieren:

„Die IKS wurde 1975 gegründet, doch ihre Geschichte geht zurück auf die Französische Kommunistische Linke (GCF/Gauche Communiste de France), eine winzige Gruppe, die während des Zweiten Weltkrieges von derselben Person („Marc") gegründet wurde, die dann in den 70er Jahren die IKS gründen sollte. Die GCF stützte sich grundsätzlich auf das Verwerfen der Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei in Italien durch die Vorfahren des IBRP in der Periode nach 1942.

Die GCF behauptete, daß die Internationalistische Kommunistische Partei keinen Fortschritt darstelle gegenüber der alten Fraktion der Kommunistischen Linken welche während der Diktatur von Mussolini nach Frankreich ins Exil gegangen war. Die GCF rief die Mitglieder der Fraktion auf, der neuen Partei, welche von Revolutionären wie Onorato Damen, der nach dem Zusammenbruch von Mussolinis Regime aus dem Gefängnis entlassen worden war, gegründet wurde, nicht beizutreten. Sie argumentierten, daß die Konterrevolution, welche seit den Niederlagen in den 20er Jahren auf den Arbeitern lastete, andauere und deshalb die Bildung einer revolutionären Partei in den 40er Jahren unmöglich sei. Nachdem der italienische Faschismus 1943 zusammengebrochen war und der italienische Staat ein Schlachtfeld im Kampf der zwei imperialistischen Fronten wurde, schloß sich die breite Mehrheit der exilierten Italienischen Fraktion der Internationalistischen Kommunistischen Partei (PCInt) an. Sie gingen davon aus, daß die Arbeiterunruhen mit dem sich abzeichnenden Ende des Krieges nicht nur auf Norditalien beschränkt bleiben würden. Die Opposition der GCF war damals noch gering, doch sollte es das erste Beispiel von Konsequenzen aufgrund abstrakter Begründungen sein, die eines der methodologischen Markenzeichen der heutigen IKS darstellen. Heute sagt die IKS, die Tatsache, daß aus dem Zweiten Weltkrieg keine Revolution entstanden sei, gebe der GCF Recht. Dies ignoriert jedoch die Tatsache, daß der PCInt das fortgeschrittenste Produkt ist, das die Arbeiterklasse seit der Russischen Revolution hervorgebracht hat und das trotz einem halben Jahrhundert kapitalistischer Herrschaft heute noch existiert und wächst.

Die GCF auf der anderen Seite trieb ihre „logischen" Abstraktionen noch weiter. Sie argumentierte, daß, seit die Konterrevolution vorherrsche, die proletarische Revolution nicht auf der Tagesordnung stünde. Und da dies der Fall sei, müsse auch ein neuer imperialistischer Krieg kommen! Resultat war das Weggehen ihrer Führung nach Südamerika und der Zusammenbruch der GCF während des Koreakrieges. Die IKS war immer ein wenig verlegen gegenüber Enthüllungen über die Fähigkeiten ihrer Ahnen, den „historischen Kurs" zu verstehen. Wie auch immer, ihre Antwort war immer etwas unverschämt. Anstatt zuzugeben, daß der PCInt mit beidem, seiner Perspektive und seinem Organisationskonzept recht lag, versuchte die ehemalige GCF, nachdem sie Mitte der 60er Jahre in ein bemerkenswert unversehrtes Europa zurückgekehrt war, den PCInt als „sklerotisch" und „opportunistisch" zu verunglimpfen und erzählten der Welt, sie seien „Bordigisten" (eine Anschuldigung, die sie nur aufgrund der Ignoranz der jungen Generation von Revolutionären aufrechterhalten, später dann jedoch zurückziehen mußte). Wie auch immer, auch nachdem sie zu diesem Rückzug gezwungen war, beendete die IKS ihre Politik der Verunglimpfung möglicher „Rivalen" (um ihre eigenen Worte zu gebrauchen) nicht und versuchte nun zu behaupten, daß der PCInt „in den Reihen der Partisanen gearbeitet habe" (mit anderen Worten die Unterstützung der bürgerlichen Kräfte bei der Etablierung eines demokratischen Staates in Italien). Dies war eine ekelhafte und feige Verleumdung. In Tat und Wahrheit waren Militante des PCInt, die versucht hatten, die stalinistische Kontrolle über die Arbeiterklasse zu bekämpfen, indem sie sich Gehör bei den Partisanen verschafften, auf direkte Anweisung von Palmiro Togliatti (Generalsekretär der italienischen Kommunistischen Partei) ermordet worden" (Übersetzt durch uns)

Dieser Abschnitt über die Geschichte der IKS und des IBRP verlangt eine tiefgreifende Antwort, besonders auch über historische Fakten. Einer klaren Auseinandersetzung zuliebe wollen wir zuerst einige dieser Anschuldigungen berichtigen, welche entweder auf schlechte Absichten oder eine betrübliche Ignoranz des Autors des Artikels schließen lassen.

In der Nummer 20 unserer Internationalen Revue (engl., franz., span. Nr. 89) haben wir eine Polemik als Antwort auf den Artikel „Sekten, Lügen und die verlorene Perspektive der IKS" in Revolutionary Perspectives Nr. 5 (Publikation der Communist Workers Organisation CWO) veröffentlicht. Aus Platzgründen sind wir in dieser Polemik nicht auf alle Aspekte, die von der CWO angeschnitten wurden, eingegangen und haben uns vor allem auf einen Punkt konzentriert: Die Auffassung, nach der die von der IKS entwickelte Perspektive für die gegenwärtige Periode absolut verfehlt sei. Wir haben in dieser Polemik gezeigt, daß die Anschuldigungen der CWO im Wesentlichen auf ihrem tiefen Unverständnis unserer eigenen Positionen gründen, vor allem aber auch auf dem Fehlen einer eigenen Methode zur Analyse der heutige Periode. Dieses fieberhaft abgestrittene Fehlen eines analytischen Rahmens bei der CWO und dem IBRP (Internationales Büro für die Revolutionäre Partei, zu dem die CWO gehört) wird jedoch weiterhin aufrechterhalten. So wird behauptet, es sei für die revolutionären Organisationen unmöglich, im Kräfteverhältnis zwischen Proletariat und Bourgeoisie die vorherrschende Tendenz, entweder den Kurs hin zu verschärften Klassenauseinandersetzungen oder den Kurs hin zum imperialistischen Krieg, zu erkennen. In Wirklichkeit hat das Zurückweisen des IBRP einer Möglichkeit, ja gar Notwendigkeit für die Revolutionäre, die Natur des historischen Kurses zu bestimmen, seine Ursprünge in den Umständen, unter denen die andere Organisation des IBRP, Partito Comunista Internazionalista (PCInt), zu Ende des Zweiten Weltkrieges gegründet worden ist. Just in der Nummer 15 der theoretischen Revue des IBRP in englischer Sprache, Internationalist Communist (IC), kommt der PCInt auf die Frage der Wurzeln des PCInt und der IKS zu sprechen, und es ist genau diese Frage, welche wir als Antwort auf ihre Polemik hier aufgreifen wollen.

Einige Berichtigungen und Vertiefungen

Zuallererst die Frage der Partisanen, die bei den Genossen des IBRP eine derartige Entrüstung ausgelöst hat, daß sie nicht umhin können, uns als „feige Verleumder" zu bezeichnen. Selbstverständlich haben wir gesagt, daß die PCInt „in den Reihen der Partisanen gearbeitet habe". Dies ist jedoch keineswegs eine Verleumdung, sondern lediglich die Wahrheit. Hat der PCInt tatsächlich einige ihrer Militanten und Kader in die Reihen der Partisanen geschickt, ja oder nein? Dies ist eine Tatsache, die man nicht verbergen kann. Noch mehr, der PCInt nimmt diese Politik für sich in Anspruch, es sei denn, er habe seine Position geändert, seit der Genosse Damen im Namen des Sekretariates des PCInt im Herbst 1976 schrieb, daß sich seine Partei „keinesfalls über etwas schämen muss" und verweisen könne auf „ihre revolutionären Militanten, die in die Reihen der Partisanen eingedrungen sind, um dort die Prinzipien und die Taktik der revolutionären Bewegung zu verbreiten. Eine Arbeit, die sie oft sogar mit dem Leben bezahlt haben".(2) Wir haben umgekehrt nie behauptet, daß diese Arbeit eine „Unterstützung der bürgerlichen Kräfte, welche versuchten, einen demokratischen Staat in Italien zu etablieren", gewesen sei. Verschiedene Male schon haben wir diese Frage in unserer Presse aufgegriffen (3) und werden auch im zweiten Teil dieses Artikels noch darauf zurückkommen. Wenn wir dabei unerbittlich die vom PCInt seit seiner Gründung begangenen Fehler kritisiert haben, so haben wir ihn keinesfalls mit den trotzkistischen Organisationen oder noch weniger mit den stalinistischen gleichgesetzt. Die Genossen täten besser daran, die Stellen, welche sie dermaßen verstimmten, zu zitieren. Bis dann ist es besser, wenn sie ihre Entrüstung und ihre Beleidigungen im Zaum halten.

Ein anderer Punkt, zu dem es unsererseits einige Berichtigungen und Vertiefungen zu machen gilt, betrifft die Analyse der historischen Periode, die durch die GCF zu Beginn der 50er Jahre gemacht wurde und die einige Mitglieder zur Wegreise aus Europa bewogen hat. Das IBRP täuscht sich, wenn es behauptet, daß die IKS bei dieser Frage in Verlegenheit gerate und wir darauf immer eine „unverschämte" Antwort auf Lager hätten. So haben wir im Artikel zur Erinnerung an unserer Genossen Marc (Internationale Revue Nr. 66, engl., franz,. span.) geschrieben: „Diese Analyse findet man vor allem im Artikel „Die Entwicklung des Kapitalismus und die neue Perspektive", welcher in Internationalisme Nr. 46 veröffentlicht wurde (...). Dieser Text wurde im Mai 1952 von Marc geschrieben und stellt in gewisser Hinsicht das politische Testament der GCF dar. Marc verließ Frankreich im Juni 1952 und wanderte nach Venezuela aus. Diese Abreise entsprach einer kollektiven Entscheidung der GCF, die angesichts des Koreakrieges davon ausging, daß ein Dritter Weltkrieg zwischen dem amerikanischen und dem russischen Block unabwendbar sei und kurz bevorstehe (wie es auch im Text in Form einer Frage formuliert wird). Ein solcher, vor allem Europa verwüstender Krieg, würde die wenigen kommunistischen Gruppen, und darunter auch die GCF, die bisher überlebt hatten, zerstören. Die Entscheidung, einige Militante ausserhalb von Europa „in Sicherheit zu bringen", gründete nicht auf einem persönlichen Bedürfnis nach Sicherheit dieser Genossen (...) sondern auf der Sorge nach dem Überleben der Organisation selbst. Dennoch versetzte die Abreise des am besten geschulten und erfahrensten Genossen auf einen anderen Kontinent der GCF einen fatalen Schlag, und trotz der regelmäßigen Korrespondenz mit Marc waren die Genossen, welche in Frankreich geblieben waren, nicht fähig, die Organisation in einer Periode der tiefsten Konterrevolution aufrechtzuerhalten. Aus Gründen, auf die wir hier nicht näher eingehen, fand ein Dritter Weltkrieg nicht statt. Es ist klar, daß dieser Fehler in der Analyse der GCF das Leben kostete (und unter all den Fehlern, welche Marc in seinem Leben machte, hatte dieser wohl die größten Konsequenzen)."

Als wir den Text, um ihn in Erinnerung zu rufen, wieder veröffentlichten (1974 in der Nummer 8 des Bulletin d`étude et de discussion von Révolution Internationale, des Vorläufers der Revue Internationale), schrieben wir dazu: „Internationalisme analysierte die Periode nach den Zweiten Weltkrieg richtigerweise als eine Fortführung der Reaktion und des Rückflusses des proletarischen Klassenkampfes (...). Ebenfalls richtig war die Behauptung, daß der Kapitalismus mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht aus seiner dekadenten Phase austrat und daß alle Widersprüche, die den Kapitalismus in den Krieg geführt hatten, ihn unerbittlich in neue Kriege stoßen würden. Aber Internationalisme merkte nicht, oder stellte nicht genügend klar, was die Phase des Wiederaufbaus im Zyklus Krise-Krieg-Wiederaufbau bedeutete. Aus diesem Grunde und im Kontext des Kalten Krieges USA-UdSSR sah Internationalisme keine Möglichkeit des Wiedererstarkens des Proletariates außer in oder nach einem Dritten Weltkrieg."

Wie man sehen kann, hat die IKS diese Frage niemals „unverschämt" angegangen noch war sie „verlegen", die Fehler der GCF zuzugeben (selbst in einer Zeit, in der das IBRP noch nicht da war, um uns darauf aufmerksam zu machen). Dies bedeutet erneut, daß das IBRP unsere Analyse des historischen Kurses nicht begriffen hat. Der Irrtum der GCF lag nicht in einer falschen Einschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen, sondern in einer Unterschätzung der Atempause, die der Wiederaufbau der kapitalistischen Ökonomie gewähren konnte und es ihr erlaubte, während zwei Jahrzehnten der offenen Krise zu entfliehen und sogar in einem gewissen Masse den Spannungen zwischen den zwei imperialistischen Blocks. Jene setzten sich in der Form lokaler Kriege fort (Korea, Naher Osten, Vietnam, etc.). Wenn zur damaligen Zeit ein Dritter Weltkrieg nicht ausbrach, dann nicht wegen des Proletariates (das paralysiert und lahmgelegt war durch die Linke des Kapitals), sondern weil es der Kapitalismus zu Beginn der 50er Jahre noch nicht erforderte.

Nach diesen Berichtigungen wollen wir nun auf ein „Argument" zurückkommen, welches dem IBRP offenbar besonders am Herzen liegt und das auch schon in der Polemik in Revolutionary Perspektives Nr. 5 aufgetaucht ist: die „Winzigkeit" der GCF. Der Verweis auf den „winzigen" Charakter der GCF ist in Tat und Wahrheit ein Vergleich mit „dem fortgeschrittensten Produkt, das die Arbeiterklasse seit der Russischen Revolution hervorgebracht hat", d.h. mit dem PCInt, der seinerzeit mehrere Tausend Mitglieder hatte. Bedeutet dies, daß der „große Erfolg" des PCInt auch gleichzeitig seine Positionen korrekter werden läßt als die der GCF?

Ein solches Argument wäre wahrlich etwas mager. Doch den mageren Charakter dieses Argumentes beiseite gelassen wirft die Haltung des IBRP einen zentralen Punkt grundlegender Differenzen zwischen unseren Organisationen auf. Um dies zu betrachten, müssen wir aber erst auf die Geschichte der Italienischen Kommunistischen Linken zurückkommen, denn die GCF war nicht nur eine „winzige" Gruppe, sondern auch der wirkliche politische Nachkomme der historischen Strömung, auf die sich der PCInt und das IBRP berufen.

Einige Meilensteine in der Geschichte der Italienischen Linken

Die IKS hat ein Buch mit dem Titel „Die Italienische Kommunistische Linke"(4) veröffentlicht, das die Geschichte dieser Strömung beschreibt. Wir können hier lediglich einige der wichtigsten Aspekte herausgreifen.

Die Italienische Linke, um Amadeo Bordiga und die Federation von Neapel als „abstentionistische" Fraktion innerhalb der Sozialistischen Partei Italiens entstanden, war Hauptbeteiligte bei der Gründung der Italienischen Kommunistischen Partei auf dem Kongreß von Livorno 1921 und hat den Weg dieser Organisation bis 1925 bestimmt. Gleichzeitig mit anderen Strömungen der Linken in der Kommunistischen Internationalen (z.B. der Deutsch-Holländischen Linken) und schon lange vor Trotzkis Linksopposition wandte sie sich gegen den opportunistischen Kurs der Komintern. Anders als der Trotzkismus, der sich ausdrücklich auf die ersten vier Kongresse der Komintern beruft, verwarf die Italienische Linke einige der am 3. und 4. Kongreß angenommenen Positionen, dabei im besonderen die Taktik der „Einheitsfront". Über einige Punkte, so zum Beispiel den kapitalistischen Charakter der UdSSR oder die endgültige bürgerliche Natur der Gewerkschaften waren die Positionen der Deutsch-Holländischen Linken zu Beginn viel klarer als die der Italienischen Linken. Dennoch war die Auseinandersetzung der Italienischen Linken in der Arbeiterklasse verglichen mit den anderen Strömungen der Kommunistischen Linken viel fruchtbarer, da sie die Fähigkeit besaß, zwei entscheidende Fragen besser zu verstehen:

– das Ende und die Niederlage der weltrevolutionären Welle,

– die Aufgaben der revolutionären Organisation in einer solchen Situation.

Im Bewußtsein der Notwendigkeit, politische Positionen, die im Lichte der historischen Erfahrung widersprüchlich geworden waren, zu überprüfen, schritt die Italienische Linke mit großer Vorsicht voran. Dies erlaubte ihr auch, „das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten" wie die Holländische Linke, die schliesslich den Oktober 1917 als bürgerliche Revolution bezeichnete und die Notwendigkeit einer revolutionären Partei verwarf. Dies hinderte die Italienische Linke jedoch nicht daran, sich einige Positionen anzueignen, welche vorher die Deutsch-Holländische Linke ausgearbeitet hatte.

Die zunehmende Repression des Mussolini-Regimes insbesondere mit den „Ausnahmegesetzen" von 1926 zwang die Mehrheit der Italienischen Kommunistischen Linken, ins Exil zu flüchten. Im Ausland, vor allem in Frankreich und Belgien, fuhr diese Strömung dann fort, eine organisierte politische Aktivität aufrechtzuerhalten. Im Februar 1928 wurde in Pantin am Rande von Paris die Linke Fraktion der Kommunistischen Partei Italiens gegründet. Diese beteiligte sich an den Diskussionen und dem Umgruppierungsprozess der verschiedenen linkskommunistischen Strömungen, welche aus der degenerierten Komintern ausgeschlossen worden waren und deren wohl bekannteste Figur Trotzki war. Die Fraktion hoffte vor allem, mit anderen Gruppen ein gemeinsames Diskussionsbulletin herauszugeben. Nachdem sie jedoch auch von Trotzkis Linksopposition ausgeschlossen worden war, begann sie ab 1933 in ihrem eigenen Namen die Zeitschrift BILAN in französischer Sprache und PROMETEO auf Italienisch herauszugeben.

Wir werden an dieser Stelle nicht die gesamten Positionen der Fraktion oder gar deren Entwicklung betrachten. Wir wollen uns hier darauf konzentrieren, an eine ihrer grundlegendsten Positionen zu erinnern, auf welcher ihre Existenz beruht: das Verhältnis zwischen Partei und Fraktion.

Diese Position wurde von der Fraktion Ende der 20er und zu Beginn der 30er Jahre schrittweise herausgearbeitet, als es darum ging zu definieren, welche Politik gegenüber den degenerierenden kommunistischen Parteien einzuschlagen war.

In ihren großen Zügen kann man diese Position folgendermaßen zusammenfassen: Die Linke Fraktion bildet sich in einem Moment, in dem die Partei des Proletariates als Opfer des Opportunismus, durch das Eindringen bürgerlicher Ideologien in ihre eigenen Reihen den Kurs der Degeneration einschlägt. Es ist die absolute Verantwortung der revolutionären Minderheit, welche das revolutionäre Programm aufrechterhält, auch auf organisierte Art und Weise für dessen Sieg innerhalb der Partei zu kämpfen. Entweder ist die Fraktion erfolgreich in der Durchsetzung ihrer Prinzipien und der Rettung der Partei, oder letztere setzt ihren degenerierenden Kurs fort und landet schliesslich mit Sack und Pack im Lager der Bourgeoisie. Es ist alles andere als leicht, den Moment des Übertritts der proletarischen Partei ins Lager der Bourgeoisie genau zu erkennen und zu definieren. Dennoch ist eines der bezeichnendsten Indizien für dieses Übertreten die Feststellung, daß es keinen Platz für ein proletarisches politisches Leben innerhalb der Partei mehr gibt. Die Linke Fraktion hat die Verantwortung, ihren Kampf im Innern der Partei zu führen, solange nur die kleinste Hoffnung auf einen Erfolg besteht. Dies war auch der Grund, weshalb es in den 20er und zu Beginn der 30er Jahre nicht die linken Strömungen waren, die die Parteien der Kommunistischen Internationalen verließen, sondern sie wurden oftmals durch schäbige Manöver ausgeschlossen. Dies bedeutet wiederum, daß, wenn eine Partei des Proletariates einmal ins Lager der Bourgeoisie übergetreten ist, keine Rückkehr mehr möglich ist. Notwendigerweise muss das Proletariat, um seinen Kurs zur Revolution wieder aufzunehmen, nun eine neue Partei hervorbringen. Die Rolle der Fraktion ist jetzt die einer Brücke zwischen der an den Klassenfeind verlorenen alten Partei und der Partei von morgen, für die sie die programmatischen Grundlagen erarbeiten und das Gerüst bauen soll. Die Tatsache, daß nach dem Übertritt der Partei ins Lager der Bourgeoisie kein proletarisches Leben mehr in ihr weiter existieren kann, bedeutet gleichfalls, daß es für die Revolutionäre absolut nutzlos, ja sogar gefährlich ist, einen „Entrismus" zu betreiben, eine der sogenannten „Taktiken" des Trotzkismus, welche die Fraktion immer entschieden verworfen hat. Der Versuch, in einer bürgerlichen und für Klassenpositionen sterilen Partei ein proletarisches Leben aufrechterhalten zu wollen, führte niemals zu etwas anderem als zur Beschleunigung der opportunistischen Entartung und nicht zu einer Wiederbelebung dessen, was diese Partei einmal war. Was die „Rekrutierungen" betrifft, welche mit solchen Methoden vollbracht wurden, diese Elemente waren immer besonders konfus, mit Opportunismus versetzt und nie fähig, für die Arbeiterklasse eine Avantgarde zu bilden.

Einer der wohl bedeutendsten Unterschiede zwischen der Italienischen Fraktion und dem Trotzkismus liegt darin, daß die Fraktion bei der Vereinigung der revolutionären Kräfte immer die absolute Notwendigkeit einer größtmöglichen politischen Klarheit und programmatischer Strenge hervorhob. Dies, obwohl sie offen war für die Diskussion mit allen anderen Strömungen, welche sich gegen die Degeneration der Komintern engagierten. Demgegenüber hatte der Trotzkismus immer wieder überstürzt, ohne eine seriöse Diskussion oder vorherige Abklärung der politischen Positionen versucht, Organisationen zu gründen. Diese basierten vor allem auf Einverständnissen zwischen „Persönlichkeiten" und der von Trotzki errungenen Autorität als einem der wichtigsten Führer der Revolution von 1917 und der Komintern in ihren Anfangsjahren.

Eine andere Frage, welche den Trotzkismus von der Italienischen Fraktion getrennt hatte, war die des Zeitpunktes für die Gründung der neuen Partei. Für Trotzki und seine Genossen stand der Zeitpunkt zur Gründung der neuen Partei unmittelbar auf der Tagesordnung, nachdem die alten Parteien für das Proletariat verloren gegangen waren. Für die Fraktion war diese Frage jedoch absolut klar:

„Die Umwandlung der Fraktion in die Partei hängt von zwei eng aneinander gebundenen Elementen ab(5):

1. Die Ausarbeitung neuer politischer Positionen durch die Fraktion, welche fähig sind, dem Kampf des Proletariates einen soliden Rahmen für die Revolution in der fortgeschrittenen Phase zu geben (...).

2. Die Umkehrung der Klassenverhältnisse des aktuellen Systems (...) mit dem Ausbrechen von revolutionären Bewegungen, welche es der Fraktion erlauben, wieder die Führung der Kämpfe in Richtung Aufstand zu übernehmen." („Hin zur 2 ¾ Internationalen?" BILAN Nr.1 1933)

Um zu einem gegebenen Zeitpunkt ihre Aufgaben zu erkennen, ist es für Revolutionäre unabdingbar, in klarster Art und Weise das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen sowie auch die Richtung, welche dieses Kräfteverhältnis einschlägt, zu analysieren. Einer der größten Verdienste der Fraktion bestand gerade in ihrer Fähigkeit, den historischen Kurs der 30er Jahre erkannt zu haben: die generalisierte Krise des Kapitalismus, die Konterrevolution, welche auf die Arbeiterklasse niederprasselte und die Tatsache, daß es daraus keinen anderen Ausweg als einen neuen Weltkrieg geben konnte.

Diese Analyse bestätigte sich vollauf im Spanischen Bürgerkrieg. Während die Mehrheit der Organisationen, welche sich zur Linken der kommunistischen Parteien zählten, in den Ereignissen in Spanien ein revolutionäres Wiedererwachen des Weltproletariates zu erkennen glaubten, hatte die Fraktion verstanden, daß das spanische Proletariat trotz seiner Kampfbereitschaft und seinem Mut durch die antifaschistische Ideologie in eine Falle gelockt worden war. Eine Ideologie, welche von allen Organisationen, welche im Proletariat einen Einfluß besaßen, vorangetrieben wurde (die anarchistische CNT, die sozialistische UGT, die kommunistischen und sozialistischen Parteien und die POUM, eine linkssozialistische Partei welche sich an der bürgerlichen Regierung, der „Generalitat" beteiligte) und das spanische Proletariat dazu verurteilte, zum Kanonenfutter in Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Teilen der Bourgeoisie, der „demokratischen" und der „faschistischen", zu werden, welche den Weltkrieg einläuteten, der unvermeidbar geworden war. Innerhalb der Fraktion bildete sich zu diesem Zeitpunkt eine Minderheit, welche davon ausging, daß die Situation in Spanien „objektiv revolutionär" geblieben sei, die sich unter Verachtung aller Organisationsdisziplin und Zurückweisung einer Debatte, die ihr die Mehrheit angeboten hatte, in die antifaschistischen Brigaden der POUM einreihte und sich sogar in der Zeitung dieser Partei zu Wort meldete(6). Die Fraktion war nun gezwungen, die Abspaltung der Minderheit zu akzeptieren, welche sich nach ihrer Rückkehr aus Spanien 1936(7) in die Union Communiste einreihte. Eine Gruppe, die zu Beginn der 30er Jahre mit linken Argumenten mit dem Trotzkismus gebrochen hatte, jedoch die Ereignisse in Spanien als „revolutionär" bezeichnete, einen „kritischen Antifaschismus" propagierte und wieder in diese Strömung zurückkehrte.

Zusammen mit einigen Genossen der Deutsch-Holländischen Linken war die Italienische Fraktion die einzige Organisation, welche angesichts des imperialistischen Krieges, der sich in Spanien entwickelt hatte, eine unbeugsame Klassenposition aufrechterhielt(8). Leider begann Vercesi, Haupttheoretiker und Triebfeder der Fraktion, gegen Ende 1937 eine Theorie zu entwickeln, nach der die verschiedenen militärischen Auseinandersetzungen, welche sich in der zweiten Hälfte der 30er Jahre entwickelten, nicht Vorbereitungen hin zu einer neuen imperialistischen Schlächterei seien, sondern „lokale Kriege", bestimmt dazu, mit Massakern an Arbeitern der drohenden proletarischen Gefahr zuvorzukommen. Gemäss dieser „Theorie" befand sich die Welt am Vorabend einer neuen revolutionären Welle, und der Weltkrieg sei vor allem deshalb nicht mehr auf der Tagesordnung, weil die Kriegsökonomie selbst fähig sei, die kapitalistische Krise zu überwinden. Nur eine Minderheit der Fraktion, darunter auch unser Genosse Marc, war fähig, sich nicht in diese Abwege zu verirren, die eine Art verspätete Vergeltung der Minderheit von 1936 darstellten. Die Mehrheit entschied nun, die Herausgabe der Zeitschrift BILAN zu beenden und durch OCTOBRE zu ersetzten, deren Name an die angebliche „neue Perspektive" angelehnt sei. OCTOBRE war bestimmt als Organ des Internationalen Büros der (italienischen und belgischen) Linkskommunistischen Fraktionen und sollte in drei Sprachen publiziert werden. In Tat und Wahrheit, statt „mehr zu tun", wie es die „neue Perspektive" vorsah, war die Fraktion unfähig, ihre bisherige Arbeit aufrechtzuerhalten. OCTOBRE sollte im Gegensatz zu BILAN nur noch unregelmäßig und alleine auf französisch erscheinen. Zahlreiche Genossen, durch diese Missachtungen der Positionen der Fraktion aus den Bahnen geworfen, verfielen der Demoralisierung und schieden aus.

Die Italienische Linke während des 2. Weltkrieges und die Bildung der GCF

Als der 2. Weltkrieg ausbrach, war die Fraktion lahmgelegt. Mehr noch als die polizeilichen Repressalien von Seiten der „demokratischen" Polizei sowie der Gestapo (mehrere Genossen, darunter Mitchell, Triebfeder der Belgischen Fraktion, wurden deportiert und ermordet) war es die politische Verwirrtheit und mangelnde Vorbereitung auf den unerwarteten Weltkrieg, die für dieses Auseinanderfallen verantwortlich waren. Vercesi selbst erklärte mit dem Ausbruch des Krieges, das Proletariat sei „gesellschaftlich inexistent" geworden, jede Arbeit der Fraktion sei nun überflüssig, und rief sogar dazu auf, die Fraktionen aufzulösen, was noch mehr zur Blockierung der Fraktion beitrug (eine Entscheidung, die vom Internationalen Büro der Fraktionen gefällt worden war). Der Kern von Marseilles, welcher aus Genossen bestand, die sich den revisionistischen Konzeptionen Vercesis vor dem Krieg widersetzt hatten, verfolgte weiterhin eine geduldige Arbeit zum Wiederaufbau der Fraktion, eine wegen der Repressalien und den beschränkten materiellen Mitteln höchst beschwerliche Arbeit. In Lyon, Toulon und Paris wurden wieder Sektionen errichtet, und es konnten Kontakte in Belgien geknüpft werden. Ab 1941 hielt die „wiederaufgebaute" Fraktion jährlich eine Konferenz ab, ernannte eine Exekutivkommission und veröffentlichte ein internationales Diskussionsbulletin. Parallel dazu bildete sich 1942 auf den Positionen der Italienischen Linken der französische Kern der Kommunistischen Linken, an dem sich der Genosse Marc, Mitglied der Exekutivkommission der italienischen Fraktion, beteiligte und der sich die Konstituierung der französischen Fraktion zum Ziel gesetzt hatte.

Als 1942–43 in Norditalien große Arbeiterstreiks ausbrachen, welche zum Sturz Mussolinis und seiner Ersetzung durch den pro-Alliierten General Badoglio führten (Streiks, die sich auch in Deutschland unter italienischen Arbeitern ausbreiteten und von deutschen Arbeitern unterstützt wurden), ging die Fraktion gemäss ihrer bisherigen Position davon aus, daß nun „in Italien der Weg für die Umwandlung der Fraktion in die Partei offen sei". Ihre Konferenz vom August 1943 entschied, mit Italien Kontakt aufzunehmen, und wies die Genossen an, sich auf eine baldmögliche Heimkehr vorzubereiten. Diese Rückkehr war jedoch einerseits aus materiellen Gründen nicht sofort möglich, andererseits aber auch aus politischen Gründen. Vercesi und ein Teil der Belgischen Fraktion standen dem mit der Begründung, die Ereignisse in Italien würden „die soziale Inexistenz" des Proletariates keineswegs aufheben, feindlich gegenüber. Auf der Konferenz vom Mai 1944 verwarf die Fraktion die Theorien von Vercesi.(9) Dieser befand sich jedoch noch lange nicht am Ende seines Irrweges. Im September 1944 beteiligte er sich im Namen der Fraktion (und in Begleitung von Pieri, eines anderen Genossen der Fraktion) in Brüssel, Seite an Seite mit christlich-demokratischen, „kommunistischen", republikanischen, sozialistischen und liberalen Parteien an der Gründung der „Coalizione antifascista", welche die Zeitschrift „L`Italia di domani" herausgab, in deren Zeilen man Aufrufe zur finanziellen Unterstützung des alliierten Krieges fand. Als die Exekutivkommission der Fraktion davon erfuhr, wurde Vercesi am 20. Januar 1945 ausgeschlossen, was diesen jedoch keineswegs davon abhielt, seine Aktivitäten in der „Coalizione antifascista" und als Präsident des „Roten Kreuzes" noch mehrere Monate lang aufrechtzuerhalten.(10)

Die Fraktion führte weiterhin eine schwierige Propagandaarbeit gegen die antifaschistische Hysterie und zur Denunzierung des imperialistischen Krieges. Sie hatte dabei den französischen Kern der Kommunistischen Linken zur Seite, der sich zur Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken umgewandelt hatte und im Dezember 1944 ihren ersten Kongreß abhielt. Die zwei Fraktionen verteilten Flugblätter und Plakate, in denen zur Verbrüderung zwischen den Proletariern in Uniform in beiden imperialistischen Lagern aufgerufen wurde. Nachdem die Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei in Italien rund um bekannte Figuren wie Onorato Damen und Amadeo Bordiga bekannt geworden war, beschloß die Mehrheit der Fraktion jedoch auf der Konferenz vom Mai 1945 ihre Auflösung und den individuellen Beitritt ihrer Mitglieder in den PCInt. Dies bedeutete eine radikale Infragestellung der Haltung der Fraktion seit ihrer Gründung 1928. Marc, Mitglied der Exekutivkommission der Fraktion und eine der Haupttriebfedern ihrer Arbeit während des Krieges, widersetzte sich dieser Entscheidung. Dabei handelte es sich um eine politische Haltung und keineswegs um eine formalistische: Er ging davon aus, daß man die Fraktion solange aufrechterhalten müsse, bis Klarheit über die Positionen der neuen Partei herrsche, die ohnehin nur schlecht bekannt waren, und es sei zu überprüfen, ob sie mit denen der Fraktion übereinstimmten.(11) Um nicht am Selbstmord der Fraktion beteiligt zu sein, gab er seine Arbeit in der Exekutivkommission ab und verließ die Konferenz, nachdem er seine Position ausdrücklich dargelegt hatte. Die Fraktion (welche dennoch nicht vernünftig genug war, um weiter zu existieren) schloß ihn wegen „politischer Niederträchtigkeit" aus und weigerte sich, die FFGC (Fraction Française de la Gauche Communiste) deren Hauptkraft er darstellte, zu akzeptieren. Einige Monate später spalteten sich zwei Genossen der FFGC, die mit Vercesi Kontakt aufgenommen hatten, der sich für die Gründung der PCInt aussprach, ab und gründeten eine zweite FFGC (FFGC-bis), welche vom PCInt unterstützt wurde. Um jegliche Verwirrung zu vermeiden, nannte sich die FFGC von nun an Gauche Communiste de France (GCF) und berief sich ganz auf die politische Kontinuität der Fraktion. Die FFGC-bis ihrerseits wurde nun durch den Beitritt von ehemaligen Mitgliedern der 1936 aus der Fraktion ausgeschlossenen Minderheit und Chazé, dem Hauptkopf der Union Communiste, „verstärkt". Dies hinderte den PCInt und die belgische Fraktion leider nicht daran, sie als die „alleinige Vertreterin der Kommunistischen Linken in Frankreich" zu bezeichnen.

 

Die „winzige" GCF stellte 1946 die Veröffentlichung ihrer Zeitschrift L`Etincelle (Der Funke) ein, weil sie davon ausging, daß sich eine historische Wiederaufnahme des Klassenkampfes, die sich 1943 abgezeichnet hat, nun nicht bestätigt. Dennoch veröffentlichte sie zwischen 1945 und 1952 46 Nummern ihrer theoretischen Revue Internationalisme, die alle Fragen aufgriff, welche sich zu Ende des Zweiten Weltkrieges für die Arbeiterklasse stellten. Es war Internationalisme, das auch die programmatische Basis klärte, auf welcher sich 1964 in Venezuela Internationalismo, 1968 in Frankreich Révolution Internationale und 1975 die Internationale Kommunistische Strömung gründeten.

In einem zweiten Teil dieses Artikels werden wir auf die Gründung des Partito Comunista Internazionalista, des Begründers des IBRP und laut seinen eigenen Worten „das fortgeschrittenste Produkt, das die Arbeiterklasse seit der Russischen Revolution hervorgebracht hat", zurückkommen. Fabienne

 

 

(1) Siehe den Artikel über den 12. Kongress der IKS in Weltrevolution, Nr. 82, Juni /Juli 1997.

(2) Von uns, in Revue Internationale Nr. 8 (engl., franz., span.) veröffentlichter, und mit einer Antwort (Les ambiguités sur les „partisans" dans la constitution du Parti Communiste Internationaliste en Italie") versehener Brief.

(3) Siehe den genannten Artikel in Revue Internationale Nr. 8

(4) Auf deutsch ist der zweite Teil in Form einer Broschüre erhältlich. Das komplette Buch ist in französisch und englisch erhältlich.

(5 )In unserer Presse haben wir öfters die von der Italienischen Linken entwickelte Vorstellung aufgegriffen, die die Partei und die Fraktion unterscheidet (siehe v.a. unsere Broschüre auf deutsch: Das Verhältnis Fraktion – Partei in der marxistischen Tradition). Der Klarheit halber wollen wir hier auf folgende Punkte hinweisen: Die kommunistische Minderheit existiert als ein Ausdruck der revolutionären Zukunft des Proletariates permanent. Ihr Einfluss auf die unmittelbaren Kämpfe der Klasse jedoch hängt eng von deren Entwicklungsstufe und vom Bewusstsein in der Klasse ab. Nur in Phasen von offenen und zunehmend bewussteren Kämpfen kann sich diese Minderheit einen Einfluss darauf erhoffen. Alleine unter solchen Umständen kann man von der kommunistischen Minderheit auch als einer Partei sprechen. In Perioden des historischen Rückflusses des Proletariats, des Triumphs der Konterrevolution, ist es falsch zu glauben, dass die revolutionären Positionen einen entscheidenden und herausragenden Einfluss auf die Gesammtheit der Klasse hätten. In solchen Perioden ist die einzige, aber lebenswichtige Arbeit die der Fraktion: die Vorbereitung der politischen Bedingungen für die zukünftige Partei, die es ab dem Tage, an dem es das Kräfteverhältniss zwischen den Klassen erneut zulässt, möglich macht, einen Einfluss im gesamten Proletariat zu haben.

(6) Ein Mitglied der Minderheit, Candiani, übernahm sogar das Kommando der sog. „Lenin-Kolonne" der POUM an der Aragon Front.

(7) Im Gegensatz zur Legende, die die Minderheit und andere Gruppen verbreitet haben, hat die Mehrheit der Fraktion die Ereignisse in Spanien nicht aus sicherer Ferne betrachtet. Ihre Mitglieder blieben bis im Mai 1937 in Spanien. Nicht um sich in die antifaschistische Front einzureihen, sondern um ihre politische Arbeit fortzusetzen in der Hoffnung, einige Militante der Spirale des imperialistischen Krieges entreissen zu können. Eine Arbeit im Geheimen und permanent mit stalinistischen Mördern im Nacken.

(8) Die Ereignisse in Spanien haben auch Abspaltungen in anderen Organisationen bewirkt (Union Communiste in Frankreich, Ligue des Communistes in Belgien, Revolutionary Workers` League in den USA, Liga Comunista in Mexico), welche die Positionen der Italienischen Fraktion annahmen, in ihre Reihen eintraten oder, wie in Belgien, neue Fraktionen der Internationalen Kommunistischen Linken bildeten. Zu dieser Zeit verliess auch unser Genosse Marc die Union Communiste, um der Fraktion beizutreten, mit der er mehrere Jahre in Kontakt stand.

(9)Während dieser Periode veröffentlichte die Fraktion zahlreiche Nummern ihres Diskussionsbulletins, was ihr erlaubte, eine ganze Reihe von Analysen zu machen. Vor allem über den Charakter der UdSSR, die Degenerierung der Russischen Revolution, die Frage des Staates in der Übergangsperiode, die von Vercesi entwickelte Theorie der Kriegsökonomie und die ökonomischen Gründe des imperialistischen Krieges.

(10) In dieser Funktion bedankte er sich sogar bei „seiner Exzellenz, dem apostolischen Nuntius," für seine „Unterstützung dieser Arbeit der Solidarität und Menschlichkeit" und erklärte, dass „sich kein Italiener mit der Schmach bedecken kann, gegenüber unseren dringlichen Aufrufen taub zu bleiben" (in L`Italia di Domani Nr. 11, März 1945).

(11) Der Grund, weshalb sich Marc dem Beschluss der Fraktion im Mai 1945 widersetzte ist nicht der, den Internationalist Communist angibt, „dass die Konterrevolution, welche seit den Niederlagen in den 20er Jahren auf der Arbeiterklasse laste noch fortdauere, und aus diesem Grunde die Möglichkeit der Bildung einer neuen Partei in den 40er Jahren noch nicht gegeben sei:" Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er immer die sich vertiefenden Schwierigkeiten der Arbeiterklasse angesichts der systematischen Politik der Alliierten, die Kampfbereitschaft des Proletariates auf bürgerliches Terrain zu ziehen, betont, hatte aber nicht ausdrücklich die 1943 entstandene Position über die Möglichkeit der Bildung der Partei verworfen.

 

 

Polemik: Die Wurzeln der IKS und des IBRP, Teil II

Die Gründung des Partito Comunista Internazionalista

In der letzten Ausgabe der Internationalen Revue (Nr. 22) veröffentlichten wir den ersten Teil eines Artikels, der auf die Polemik „Die politischen Wurzeln der Organisationskrankheit der IKS" antwortet, welche in der International Communist Review Nr. 15 erschienen war, der englischsprachigen Revue des Internationalen Büros für die Revolutionäre Partei (IBRP), das sich aus der Communist Workers Organisation (CWO) und des Partito Comunista Internazionalista (PCInt.) zusammensetzt. In diesem ersten Teil gingen wir, nachdem wir eine gewisse Zahl von Behauptungen des IBRP berichtigt hatten, die Zeugnis für einen Mangel an Kenntnissen unserer Positionen ablegen, auf die Geschichte der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken zurück, einer politischen Strömung, auf die sich sowohl das IBRP als auch die IKS berufen. Insbesondere zeigten wir, daß die Vorfahren der IKS, die Gauche Communiste de France (GCF), mehr als eine „winzige Gruppe" war, wie es das IBRP formuliert: In Wahrheit war sie der tatsächliche politische Erbe der Italienischen Fraktion, indem sie sich auf die Basis der Errungenschaften der letztgenannten stellte. Genau diese Errungenschaften hat der PCInt, als er sich 1943 bildete und noch stärker auf seinem ersten Kongreß 1945, über Bord geworfen oder einfach abgelehnt. Dies beabsichtigen wir in diesem zweiten Teil des Artikels aufzuzeigen.

Für Kommunisten hat das Studium der Geschichte der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen nichts mit akademischer Neugier gemein. Im Gegenteil, es ist ein unersetzliches Mittel für sie, ihr Programm auf eine solide Basis zu stellen, sich selbst in der aktuellen Situation zu orientieren und klare Perspektiven für die Zukunft zu erkunden. Insbesondere ermöglicht die Untersuchung der vergangenen Erfahrungen der Arbeiterklasse die Verifizierung der Gültigkeit der Positionen, die von den früheren Klassenorganisationen vertreten worden waren, und Lehren daraus zu ziehen. Die Revolutionäre einer Epoche sitzen nicht zu Gericht über ihre Vorfahren. Aber sie müssen imstande sein, das, was in den von ihnen vertretenen Positionen immer noch gültig ist, herauszuziehen und gleichzeitig ihre Irrtümer zu erkennen, so wie sie auch in der Lage sein müssen, den Moment zu erkennen, in dem eine in einem bestimmten historischen Zusammenhang richtige Position unter veränderten historischen Bedingungen hinfällig geworden ist. Andernfalls werden sie große Schwierigkeiten haben, ihrer Verantwortung nachzukommen, dazu verdammt, die Irrtümer zu wiederholen oder an anachronistischen Positionen festzuhalten.

Solch eine Herangehensweise ist das ABC für eine revolutionäre Organisation. Wenn wir seinen Artikel betrachten, dann teilt das IBRP diese Herangehensweise, und wir erkennen es als sehr positiv an, daß diese Organisation unter anderem die Frage nach ihren eigenen Ursprüngen (oder vielmehr nach den Ursprüngen des PCInt) und den Ursprüngen der IKS stellt. Uns scheint, daß das Verständnis der Differenzen zwischen unseren beiden Organisationen mit der Untersuchung ihrer entsprechenden Geschichte beginnen muß. Aus diesem Grund wird sich unsere Antwort auf die Polemik des IBRP auf diese Frage konzentrieren. Wir begannen damit im ersten Teil dieses Artikels mit unserem Blick auf die Italienische Fraktion und die GCF. Jetzt wollen wir auf die Geschichte des PCInt eingehen.

In der Tat ist einer der wichtigsten Punkte, die behandelt werden müssen, folgender: Können wir zustimmen, daß, wie das IBRP sagt, „der PCInt die erfolgreichste Kreation der revolutionären Arbeiterklasse seit der Russischen Revolution ist" (1)? Falls dies der Fall wäre, so müßten wir die Aktionen des PCInt als beispielhaft und als Hauptinspirationsquelle der Kommunisten von heute und morgen ansehen. Die Frage, die sich stellt, ist die: Wie beurteilen wir den Erfolg einer revolutionären Organisation? Die Antwort kann nur sein: indem wir daran Maß anlegen, wie sie die Aufgaben erfüllt, die ihr in der historischen Periode, in der sie wirkt, zufallen. In diesem Sinn sind die ausgewählten Kriterien des „Erfolgs" in sich selbst bedeutsam für die Weise, wie man die Rolle und Verantwortung der Vorhutorganisation des Proletariats begreift.

Die Kriterien für den „Erfolg" einer revolutionären Organisation

Eine revolutionäre Organisation ist Ausdruck und aktiver Faktor des Prozesses, in dem das Proletariat sein Klassenbewußtsein entwickelt und so seine historische Mission des Sturzes des Kapitalismus und der Schaffung des Kommunismus übernimmt. In diesem Sinn ist solch eine Organisation ein unersetzliches Instrument des Proletariats im Augenblick des historischen Sprunges, der die kommunistische Revolution darstellt. Wenn die revolutionäre Organisation mit dieser besonderen Situation konfrontiert ist, wie dies für die kommunistischen Parteien zwischen 1917 und dem Beginn der 20er Jahre der Fall war, dann ist das entscheidende Kriterium zur Beurteilung ihrer Aktivitäten ihre Fähigkeit, die großen Massen der Arbeiter, die das Subjekt der Revolution sind, um sich und um das von ihr vetretene kommunistische Programm zu sammeln. In diesem Sinn können wir sagen, daß die bolschewistische Partei 1917 diese Aufgabe völlig erfüllte (nicht nur angesichts der Revolution in Rußland, sondern auch angesichts der Weltrevolution, da es ebenfalls die bolschewistische Partei war, die die Hauptanregung zur Bildung der Kommunistischen Internationalen 1919 gab). Vom Februar bis zum Oktober 1917 war ihre Fähigkeit, sich mit den Massen inmitten der revolutionären Gärung zu verbinden, in jedem Moment der Heranreifung der Revolution die geeignetesten Parolen aufzustellen, mit der größten Unnachsichtigkeit gegen alle Sirenen des Opportunismus zu handeln – war all dies zweifellos entscheidend für ihren „Erfolg".

So weit, so gut, doch ist die Rolle der kommunistischen Organisationen nicht auf revolutionäre Perioden beschränkt. Wenn dies der Fall wäre, dann hätten solche Organisationen nur in der Periode von 1917 bis 1923 existiert, und wir müßten die Bedeutung der Existenz des IBRP und der IKS in Frage stellen. Es ist klar, daß außerhalb direkt revolutionärer Perioden kommunistische Organisationen die Rolle besitzen, die Revolution vorzubereiten, d.h. auf bestmögliche Weise zur Entwicklung der wesentlichen Voraussetzung für die Revolution beizutragen: die Bewußtwerdung des gesamten Proletariats über seine historischen Ziele und die Mittel, um sie zu erreichen. Dies bedeutet in erster Linie, daß es die ständige Funktion von kommunistischen Organisationen (also auch in revolutionären Perioden) ist, das proletarische Programm auf die klarste und kohärenteste Weise zu definieren. In zweiter Linie, und direkt verknüpft mit der ersten Funktion, bedeutet es, politisch und organisatorisch die Partei vorzubereiten, die im Augenblick der Revolution an der Spitze des Proletariats zu sein hat. Schießlich bedeutet es eine ständige Intervention in der Klasse, entsprechend den Mitteln, die der Organisation zur Verfügung stehen, um jene Elemente für kommunistische Positionen zu gewinnen, die mit der Ideologie und den Organisationen der Bourgeoisie zu brechen versuchen.

Um zur „erfolgreichsten Kreation der Arbeiterklasse seit der Russischen Revolution", d.h. gemäß dem IBRP zum PCInt, zurückzukehren, muß die Frage gestellt werden: Über welche Art von „Erfolg" reden wir hier?

Spielte der PCInt eine entscheidende Rolle in der Aktion des Proletariats während der revolutionären Periode oder wenigstens in einer Periode intensiver proletarischer Aktivitäten?

Leistete sie entscheidende Beiträge zur Erarbeitung des kommunistischen Programms, wie zum Beispiel die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken, auf die sie sich berief?

Legte sie solide organisatorische Fundamente für die Gründung der künftigen kommunistischen Weltpartei, der Vorhut der kommenden proletarischen Revolution?

Wir wollen mit der Beantwortung der letzten Frage beginnen. In einem Brief der IKS an den PCInt vom 9.6.1980, just nach dem Nichtzustandekommen der dritten Konferenz der kommunistischen Linken, schrieben wir: „Wie erklärt Ihr (....), daß Eure Organisation, die bereits vor dem Wiedererwachen der Klasse 1968 existiert hatte, unfähig war, von diesem Wiedererwachen zu profitieren und sich auf internationaler Ebene auszubreiten, während unsere, die 1968 praktisch noch nicht existierte, seitdem ihre Kräfte gesteigert und sich in zehn Ländern eingepflanzt hat?"

Diese Frage, die wir damals stellten, bleibt bis heute gültig. Seitdem hat es der PCInt zwar geschafft, sich international auszuweiten, indem er in Gemeinschaft mit der CWO (die ihre wesentlichen Positionen und Analysen übernommen hat) das IBRP gründete (2). Aber wir kommen nicht umhin zu erkennen, daß die Bilanz des PCInt nach mehr als einem halben Jahrhundert der Existenz sehr bescheiden ist. Die IKS hat stets die extreme numerische Schwäche und den beschränkten Einfluß von kommunistischen Organisationen in der gegenwärtigen Periode, und dies schließt unsere mit ein, hervorgehoben und bedauert. Wir gehören nicht zu jenen, die mit Bluffs ihren Weg machen und behaupten, der „Generalstab" des Proletariats zu sein. Wir überlassen es anderen Gruppen, den „großen Napoleon" hervorzukehren. Trotzdem, wenn wir von dem hier untersuchten Kriterium des „Erfolges" ausgehen, schneidet die „winzige GCF" weitaus besser ab als der PCInt, auch wenn sie 1952 aufgehört hat zu existieren. Mit Sektionen oder Kernen in 13 Ländern, 11 regelmäßigen territorialen Publikationen in sieben verschiedenen Sprachen (einschließlich der am weitesten verbreiteten in den Industrieländern: Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch), einer vierteljährlichen theoretischen Zeitschrift in drei Sprachen, ist die IKS, die um die Positionen und politischen Analysen der GCF herum gegründet worden war, heute zweifellos nicht nur die größte und am weitesten verbreitete politische Organisation der Linkskommunisten, sondern auch und vor allem diejenige, die im letzten Vierteljahrhundert die positivste Dynamik in ihrer Entwicklung erfahren hat. Das IBRP mag wohl erkennen, daß der „Erfolg" der Erben der GCF, gemessen an jenem des PCInt, Beweis für die Schwäche der Arbeiterklasse ist. Wenn die Kämpfe und das Bewußtsein letzterer mehr entwickelt sind, wird sie sicherlich die Positionen und die Parolen des PCInt anerkennen und sich viel massiver um sie umgruppieren als heute. Jedenfalls ist dies ein tröstlicher Gedanke.

Tatsächlich kann das IBRP, wenn es den fabelhaften „Erfolg" des PCInt beschwört, nicht deren Fähigkeit meinen, den Grundstein für die künftige organisatorische Basis der Weltpartei gelegt zu haben (es sei denn, es nimmt Zuflucht zu Spekulationen, was das IBRP in der Zukunft sein könnte). Wir sehen uns daher veranlaßt, ein anderes Kriterium zu untersuchen: Hat der PCInt zwischen 1945 und 1946 (d.h. als er seine erste Plattform annahm) einen wesentlichen Beitrag zur Erarbeitung des kommunistischen Programms geleistet?

Wir wollen hier nicht all die in dieser Plattform enthaltenen Positionen begutachten, die sicherlich einige exzellente Dinge enthalten. Wir werden unseren Blick nur auf ein paar programmatische Punkte richten, die schon damals äußerst wichtig waren und über die wir kein großes Quantum an Klarheit in der Plattform finden können. Wir beziehen uns hier auf den Charakter der UdSSR, auf die sog. „nationalen und kolonialen Befreiungskämpfe" und auf die Gewerkschaftsfrage.

Die gegenwärtige Plattform des IBRP ist sich im klaren über die kapitalistische Natur der Gesellschaft, die bis 1990 in Rußland existierte, über die Rolle der Gewerkschaften als Instrumente zur Bewahrung der bürgerlichen Ordnung, die in keiner Weise vom Proletariat „wiedererobert" werden können, und über den konterrevolutionären Charakter der nationalen Befreiungskämpfe. Diese Klarheit ist jedoch nicht in der Plattform des PCInt von 1945 zu finden, in der die UdSSR noch immer als „proletarischer Staat" definiert ist, in der die Arbeiterklasse zur Unterstützung bestimmter nationaler und kolonialer Kämpfe aufgerufen wird und in der die Gewerkschaften noch immer als Organisationen betrachtet werden, die vom Proletariat „wiedererobert" werden können, bemerkenswerterweise durch die Schaffung von Minderheiten unter der Führung des PCInt (3). In derselben Periode hat die GCF bereits die alten Analysen der Italienischen Linken über die proletarische Natur der Gewerkschaften in Frage gestellt und begriffen, daß die Arbeiterklasse diese Organe nicht mehr wiedererobern kann. Die Analyse der kapitalistischen Natur der UdSSR war bereits während des Krieges von der Italienischen Fraktion, die sich um den Kern in Marseilles rekonstituiert hatte, erarbeitet worden. Und endlich war die konterrevolutionäre Natur der nationalen Kämpfe, die Tatsache, daß sie nichts anderes als Momente des imperialistischen Konflikts zwischen den Großmächten sind, bereits in den 30er Jahren von der Fraktion nachgewiesen worden. Deshalb halten wir heute daran fest, was die GCF 1946 über den PCInt gesagt hat und was das IBRP derart aufregt. Wie letzteres es formuliert: „Die GCF argumentiert, daß die Internationalistische Kommunistische Partei kein Fortschritt gegenüber der alten Fraktion der Linkskommunisten darstellt, die während der Mussolini-Diktatur ins französische Exil ging" (ICR, Nr. 15). Auf der Ebene der programmatischen Klarheit sprechen die Fakten für sich (4).

Wir können also nicht erkennen, daß die programmatischen Positionen des PCInt von 1945 Bestandteil seines „Erfolges" waren, zumal ein guter Teil von ihnen später revidiert wurde, besonders 1952 zur Zeit des Kongresses, als die Spaltung von der Tendenz Bordigas stattfand, und sogar noch später. Wenn uns das IBRP die kleine Ironie erlaubt, möchten wir sagen, daß einige seiner gegenwärtigen Positionen mehr von der GCF als vom PCInt von 1945 inspiriert worden sind. Also worin liegt der „große Erfolg" dieser Organisation? Alles, was übrigbleibt, ist ihre numerische Stärke und der Einfluß, den sie in einem bestimmten Augenblick der Geschichte hatte.

Es ist ganz richtig, daß zwischen 1945 und 1947 der PCInt fast 3000 Mitglieder und eine bedeutende Anzahl von Arbeitern hatte, die sich mit ihm identifizierten. Heißt das, daß diese Organisation imstande war, eine bedeutsame Rolle in den historischen Ereignissen zu spielen und sie zur proletarischen Revolution zu lenken, auch wenn dies nicht das endgültige Resultat war? Natürlich können wir dem PCInt nicht vorwerfen, angesichts einer revolutionären Situation in seiner Verantwortung versagt zu haben, weil solch eine Situation 1945 nicht herrschte. Aber genau da drückt der Schuh. Wie der Artikel des IBRP sagt, hegte der PCInt die „Erwartung, daß die Unruhen der Arbeiter sich nicht nur auf Norditalien beschränken würden, als der Krieg sich dem Ende näherte". In der Tat wurde der PCInt 1943 auf der Basis des Wiederauflebens der Arbeitermilitanz in Norditalien konstituiert, wobei er diese Kämpfe als die ersten einer neuen revolutionären Welle betrachtete, die aus dem Krieg heraus entstehen würde, wie dies am Ende des Ersten Weltkrieges der Fall gewesen war. Die Geschichte hat diese Perspektive widerlegt. Aber 1943 war es vollkommen gerechtfertigt, sie aufzustellen (5). Zwar waren die Kommunistische Internationale und die meisten kommunistischen Parteien, einschließlich der italienischen Partei, gebildet worden, als die revolutionäre Welle, die 1917 begann, mit der Zerschlagung des deutschen Proletariats im Januar 1919 am abebben war. Aber die Revolutionäre dieser Zeit waren sich dessen noch nicht bewußt (und eines der großen Verdienste der Italienischen Linken war es, zu den ersten Strömungen zu gehören, die realisierten, daß das Gleichgewicht zwischen Proletariat und Bourgeoisie umgekippt war). Als jedoch die Konferenz Ende 1945 und Anfang 1946 abgehalten wurde, war der Krieg bereits vorbei, und die proletarischen Reaktionen, die dadurch hervorgerufen worden waren, wurden durch eine systematische Politik der Prävention von seiten der Bourgeoisie schon im Keim erstickt (6). Trotzdem stellte der PCInt seine bisherige Politik nicht in Frage (auch wenn auf der Konferenz einige Stimmen laut wurden, daß nichts außer der Griff der Bourgeoisie um die Arbeiterklasse gestärkt worden ist). Was 1943 ein völlig verständlicher Irrtum gewesen war, war 1945 bereits weitaus weniger zu entschuldigen. Dennoch verfolgte der PCInt denselben Weg und stellte nie die Berechtigung seiner Gründung 1943 in Frage.

Am schlimmsten war jedoch nicht der Irrtum des PCInt bei der Einschätzung der historischen Periode und seine Schwierigkeiten, diesen Irrtum zu erkennen. Viel katastrophaler waren die Art und Weise, in der sich der PCInt entwickelte, und die Positionen, zu denen er verleitet wurde, vor allem weil er versuchte, sich den Illusionen einer im Rückzug befindlichen Arbeiterklasse „anzupassen".

Die Gründung des PCInt

 

Als er 1943 gegründet wurde, erklärte sich der PCInt selbst zum Erben der von der Italienischen Fraktion der Linkskommunisten erarbeiteten Positionen. Überdies zählte er, während sein Hauptanimator, Onorato Damen, einer der Führer der Linken in den 20er Jahren, seit 1924 in Italien blieb (die meiste Zeit in Mussolinis Gefängnissen, aus denen er während der Ereignisse von 1942/43 befreit wurde) (7), in ihren Reihen eine gewisse Zahl von Militanten der Fraktion zu sich, die zu Beginn des Krieges nach Italien zurückgekehrt waren. Und in der Tat können wir in den ersten heimlichen Ausgaben des Prometeo (das den traditionellen Namen der Zeitung der Linken in den 20er Jahren und der Italienischen Fraktion in den 30ern angenommen hatte), veröffentlicht seit November 1943, klare Denunziationen des imperialistischen Krieges, des Antifaschismus und der Partisanenbewegungen finden (8). Doch nach 1944 orientierte sich der PCInt in Richtung Agitation unter den Partisanengruppen; im Juni veröffentlichte er ein Manifest, das aufrief zur „Umwandlung der Partisanengruppen, die sich aus proletarischen Elementen mit einem gesunden Klassenbewußtsein zusammensetzen, in Organe der proletarischen Selbstverteidigung, dazu bereit, in den revolutionären Kampf um die Macht einzugreifen". Im August 1944 ging Prometeo Nr. 15 über solche Kompromisse sogar noch hinaus: „Die kommunistischen Elemente glauben aufrichtig an die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Nazifaschismus und denken, daß, wenn dieses Objekt erst einmal niedergeworfen ist, sie in der Lage sein werden, den Weg der Machteroberung und des Sturzes des Kapitalismus zu beschreiten." Dies war eine Wiederbelebung der Idee, die als Basis für all jene gedient hatte, die, wie die Anarchisten und Trotzkisten, die Arbeiter auf dem Weg zum spanischen Bürgerkrieg dazu aufgerufen hatten, „erst den Sieg über den Faschismus zu erringen und dann die Revolution zu machen". Es war das Argument jener, die die Sache des Proletariats verraten und sich unter den Fahnen des einen oder anderen imperialistischen Lagers eingereiht hatten. Dies war beim PCInt nicht der Fall, weil er von der Tradition der Linken der Kommunistischen Partei stark durchdrungen blieb, welche sich angesichts des Aufstiegs des Faschismus Anfang der 20er Jahre durch ihre unversöhnliche Klassenhaltung abhob. Gleichwohl zeigte das Erscheinen solcher Argumente in der Presse des PCInt, wie weit die Dinge gehen konnten. Darüberhinaus trat eine gewisse Anzahl von Militanten des PCInt den Partisanengruppen bei und folgten somit dem Beispiel einer Minderheit in der Fraktion, die 1936 den antifaschistischen Milizen der POUM in Spanien beitraten. Aber während eine Minderheit der Fraktion mit der Organisationsdisziplin gebrochen hatte, so war dies keineswegs der Fall bei den Militanten des PCInt: Sie erfüllten lediglich die Direktiven der Partei (9).

Es ist offenkundig, daß der Wille, ein Maximum an Arbeitern in der und um die Partei herum zu sammeln, zu einer Zeit, als erstere en masse dem „Partisanentum" erlagen, den PCInt dazu verleitete, Abstand zu nehmen von der Unversöhnlichkeit, die er ursprünglich gegenüber dem Antifaschismus und den Partisanen gezeigt hatte. Dies ist keine „Verleumdung" durch die IKS, die sich an die „Verleumdungen" der GCF anschließt. Dieser Hang zur Rekrutierung neuer Militanter ohne allzuviel Sorge um die Festigkeit ihrer internationalistischen Überzeugungen wurde vom Genossen Danielis bemerkt, der verantwortungsbewußt die Stellung in der Turiner Förderation 1945 hielt und der ein altes Mitglied der Fraktion war: „Eines muß für jeden klar sein: Die Partei hat schwer an der oberflächlichen Ausweitung ihres politischen Einflusses – das Ergebnis eines ebenso oberflächlichen Aktivismus – gelitten. Ich möchte von einer persönlichen Erfahrung erzählen, die als Warnung vor der Gefahr für die Partei dienen soll, einen oberflächlichen Einfluß auf gewisse Schichten der Massen auszuüben, der eine automatische Konsequenz der gleichermaßen oberflächlichen theoretischen Bildung ihrer Kader ist (...) Man könnte annehmen, daß kein Mitglied der Partei die Richtung des ‘Komitees der Nationalen Befreiung’ akzeptiert hätte. Jetzt, am Morgen des 25.April (der Tag der ‘Befreiung’ Turins), befand sich die gesamte Turiner Förderation unter Waffen und bestand darauf, an der Krönung von sechs Jahren Massaker teilzunehmen, und einige Genossen aus der Provinz – noch unter militärischer Disziplin – kamen nach Turin, um an der Menschenjagd teilzunehmen (...) Die Partei existiert nicht mehr; sie hat sich selbst liquidiert" (Sitzungsberichte des Kongresses des PCInt im Mai 1948 in Florenz). Offenbar war auch Danielis ein „Verleumder".

Im Ernst, wenn Wörter irgeneine Bedeutung haben sollen, dann war die Politik des PCInt, die 1945 solch einen großen „Erfolg" ermöglichte, nichts anderes als opportunistisch. Noch weitere Beispiele gefällig? Wir können aus einem vom 10. Februar 1945 datierten Brief zitieren, der vom „Agitationskomitee" des PCInt gerichtet ist „an die Agitationskomitees von Parteien mit einer proletarischen Ausrichtung und an Gewerkschaftsbewegungen in den Unternehmen, um dem revolutionären Kampf des Proletariats eine Einheit in den Direktiven und der Organisation zu verleihen (...) Zu diesem Zweck schlagen wir eine Versammlung der diversen Komitees vor, um einen gemeinsamen Plan zu entwerfen" (Prometeo, April 1945) (10). Die „Parteien mit proletarischer Ausrichtung", die hier erwähnt werden, sind die sozialistischen und stalinistischen Parteien. Wie überraschend dies heute auch erscheinen mag, es ist absolut wahr. Als wir in der International Review Nr. 32 an diese Fakten erinnerten, antwortete der PCInt: „War das Dokument ‘Appell des Agitationskomitees des PCInt’, das in der Ausgabe vom April ‘45 veröffentlicht wurde, ein Irrtum? Zugegeben, es war der letzte Versuch der Italienischen Linken, die Taktik der ‘Einheitsfront von unten’ anzuwenden, unterstützt dabei von der KP Italiens in ihrer Polemik mit der KI 1921–23. Als solches legen wir ihn in die Kategorie der ‘Jugendsünden’, denn die Genossen waren in der Lage, ihn sowohl auf politischer als auch organisatorischer Ebene mit einer Klarheit zu eliminieren, die uns heute in diesem Punkt ganz sicher macht" (Battaglia Comunista, Nr. 3, Februar 1983). Darauf antworteten wir: „Wir können die Feinheit und Vornehmheit bewundern, mit der BC sein eigenes Image umhätschelt. Wenn der Vorschlag einer Einheitsfront mit den stalinistischen und sozialdemokratischen Schlächtern nur eine ‘Jugendsünde’ war, was hätte der PCInt 1945 noch machen müssen, um wirklich einen ernsten Fehler zu begehen? (...) In die Regierung eintreten?" (International Review, Nr. 34 engl./franz./span. Ausgabe) (11) Jedenfalls ist klar, daß 1944 die Politik des PCInt einen wirklichen Rückschritt darstellte, verglichen mit jener der Fraktion. Und was für einen Rückschritt! Die Fraktion hatte lange zuvor eine eingehende Kritik der Taktik der Einheitsfront gemacht, und seit 1935 hatte sie die stalinistische Partei nicht mehr eine „Partei mit proletarischer Ausrichtung" genannt, ganz zu schweigen von der Sozialdemokratie, deren bürgerliche Natur seit den 20er Jahren erkannt war.

Diese opportunistische Politik des PCInt kann auch in der „Öffnung" und in dem Mangel an Strenge beobachtet werden, den er Ende des Krieges in seinen Expansionsbestrebungen gezeigt hatte. Die Zweideutigkeiten des PCInt im Norden des Landes waren nichts, verglichen mit jenen der Gruppen im Süden, die Ende des Krieges in die Partei hineingelassen wurden. Zum Beispiel die „Frazione di sinistra dei comunisti e socialisti", die in Neapel um Bordiga und Pistone gegründet wurde: Gleich von Beginn des Jahres 1945 an praktizierte sie eine Entrismusstrategie in die stalinistische PCI, in der Hoffnung, diese wieder auf die Beine zu stellen. Sie war besonders vage in der Frage der UdSSR. Der PCInt öffnete seine Türen auch für Elemente aus der POC (Kommunistische Arbeiterpartei), die eine Zeitlang die italienische Sektion der trotzkistischen Vierten Internationalen gebildet hatte.

Wir wollen auch daran erinnern, daß Vercesi, der während des Krieges den Schluß gezogen hatte, daß nichts zu tun wäre, und der am Ende des Krieges an der „Coalizione Antifascista" in Brüssel teilgenommen hatte (12), ebenfalls der neuen Partei beitrat, ohne daß letztere verlangt hätte, daß er seine antifaschistischen Abweichungen verurteilt. Über diesen Punkt und zugunsten des PCInt schrieb O. Damen im August 1976 an die IKS: „Das Brüsseler Antifaschistische Komitee in der Person von Vercesi, der dachte, in den PCInt eintreten zu müssen, als dieser gegründet wurde, hielt an seinen pervertierten Positionen fest, bis die Partei unter den Opfern, die die Klarheit erfordert, sich selbst von dem toten Stamm des Bordigismus losmachte." Darauf antworteten wir: „Was für eine elegante Art der Darstellung! Er – Vercesi – dachte, er müsse eintreten!? Und die Partei – was dachte die Partei darüber? Oder ist die Partei ein Bridge-Klub, dem jeder beitreten kann?" (IR, Nr. 8 engl./franz. Ausgabe). Es sollte angemerkt werden, daß Damen in diesem Brief offen genug war anzuerkennen, daß die Partei 1945 noch nicht „die Opfer, die die Klarheit erfordert", geleistet hatte, sondern erst später, im Jahre 1952. Wir können diese Bestätigung nur unterstreichen, die allen Fabeln über die „große Klarheit" widerspricht, die über die Gründung des PCInt die Aufsicht führte, welche gemäß des IBRP einen „Schritt vorwärts" gegenüber der Fraktion darstellte (13).

Der PCInt äußerte keinerlei Bedenken gegenüber den Mitgliedern der Minderheit in der Fraktion, die sich 1936 den antifaschistischen Milizen in Spanien angeschlossen hatten und die daraufhin der Union Communiste (14) beitraten. Diese Elemente wurden für würdig erklärt, in die Partei integriert zu werden, ohne auch nur die leiseste Kritik an ihren vergangenen Irrtümern zu üben. O. Damen schrieb über diese Frage im selben Brief:

„Bezüglich der Genossen, die während des Krieges in Spanien entschieden haben, die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken abzuschaffen und sich selbst in ein Abenteuer zu werfen, das sie außerhalb der Klassenpositionen führt: Wir sollten uns daran erinnern, daß die Ereignisse in Spanien, die die Positionen der Fraktion nur bestätigten, diesen Genossen eine Lehre war und ihnen erlaubte, zur revolutionären Linken zurückzukehren." Worauf wir antworteten: „Es ging diesen Elementen niemals darum, zu den Linkskommunisten zurückkehren, bis die Fraktion sich auflöste und ihre Militanten in den PCInt integriert wurden (Ende 1945). Es ging niemals darum, eine ‘Lehre’ zu ziehen, oder darum, daß diese Militanten ihren alten Positionen abschworen und ihre Teilnahme im antifaschistischen Krieg in Spanien verurteilten" (ebenda). Wenn das IBRP dies als eine neue „Verleumdung" durch die IKS ansieht, dann sollte es uns die Dokumente zeigen, die das beweisen. Und wir fuhren fort: „Es ging einfach darum, daß die Euphorie und Konfusion bei der Gründung der Partei ‘mit Bordiga’ diese Genossen dazu anregte, (...) der Partei beizutreten... Die Partei in Italien forderte diese Genossen nicht zur Rechenschaft über ihre vergangenen Aktivitäten auf. Dies geschah nicht aus Ignoranz (...) Es geschah, weil es an der Zeit gewesen sei, ‘alte Streits’ zu vergessen: Die Rekonstitution der Partei wischte den Tisch rein. Einer Partei, die sich nicht sehr klar über die Wirkung der Partisanenbewegung auf ihre eigenen Militanten ist, ist eine strenge Haltung gegenüber dem, was die Minderheit einige Jahre zuvor getan hatte, kaum zuzutrauen. Also war es nur ‘natürlich’, daß sie ihre Türen diesen Genossen öffnete..." (ebenda).

In der Tat war die GCF die einzige Organisation, die nicht die Gunst des PCInt fand und zu der letzterer keinerlei Beziehung haben wollte, und zwar deshalb, weil sie sich auf den Boden derselben Strenge und Unnachgiebigkeit stellte, die die Fraktion in den 30er Jahren auszeichneten. Und es trifft zu, daß die Fraktion jener Periode den Mischmasch, aus dem der PCInt gebildet wurde, nur verurteilt hätte. In der Tat ähnelte es der Praxis des Trotzkismus, für den die Fraktion nur die harschesten Worte übrig hatte.

In den 20er Jahren hatten sich die Linkskommunisten der opportunistischen Orientierung auf dem Dritten Kongress der Kommunistischen Internationalen widersetzt, besonders dem Bestreben, „zu den Massen zu gehen", zu einer Zeit, als die revolutionäre Welle im Rückfluß begriffen war. Diese Orientierung hatte Fusionen mit den aus den sozialistischen Parteien stammenden zentristischen Strömungen (die Unabhängigen in Deutschland, die „Terzini" in Italien, Cachin-Frossard in Frankreich etc.) und die Politik der „Einheitsfront" mit den SPs zur Folge. Dieser Methode der „breiten Sammlung", die von der KI benutzt wurde, um Kommunistische Parteien zu errichten, widersetzten sich Bordiga und die Linken, die die Methode der „Auswahl" vorzogen, die auf einer strengen und unnachgiebigen Verteidigung der Prinzipien basierte. Die Politik der KI hatte mit der Isolation und dem endgültigen Ausschluß der Linken sowie der Invasion der Partei durch opportunistische Elemente, die die besten Träger der Degeneration waren, tragische Konsequenzen.

Zu Beginn der 30er Jahre hatte die Italienische Linke, voller Vertrauen in ihre Politik der 20er Jahre, innerhalb der internationalen Linksopposition für dieselbe Rigorosität gegenüber der opportunistischen Politik Trotzkis gefochten, für den die Anerkennung der ersten vier Kongresse der KI und vor allem seine eigenen taktischen Manöver weitaus wichtigere Kriterien für die Umgruppierung waren als die Auseinandersetzungen, die innerhalb der KI gegen deren Degeneration ausgetragen wurden. Bei einer solchen Politik waren die gesundesten Elemente, die danach trachteten, eine internationale Strömung der Linkskommunisten aufzubauen, entweder korrupt, entmutigt oder zur Isolation verurteilt. Auf solch zerbrechlichem Fundament basierend, durchlitt die trotzkistische Strömung eine Krise nach der anderen, ehe sie während des Zweiten Weltkrieges mit Sack und Pack ins bürgerliche Lager wechselte. Was die Italienische Linke angeht, so war das Resultat ihrer unnachgiebigen Haltung ihr Ausschluß aus der Linksopposition 1933 mit Trotzki gewesen, der auf das Phantom einer „Neuen Italienischen Opposition" (NIO) setzte, die sich aus Elementen zusammensetzte, die an der Spitze der PCI 1930 für den Ausschluß von Bordiga aus der Partei gestimmt hatten.

1945 nahm der PCInt, sorgsam darauf bedacht, seine Mitgliederschaft so gut wie möglich zu verstärken, und mit dem Anspruch angetreten, Erbe der Linken zu sein, tatsächlich nicht die Politik letzterer gegenüber der KI und dem Trotzkismus auf, sondern genau jene Politik, die von der Linken bekämpft worden war: eine „breite" Sammlung, die auf programmatischen Zweideutigkeiten beruht, eine Umgruppierung – ohne nach irgendeiner „Rechenschaft" zu fragen – auf der Basis von Militanten und „Persönlichkeiten" (15), die sich den Positionen der Fraktion während des Krieges in Spanien widersetzt hatten, eine opportunistische Politik, die den Illusionen der Arbeiter in Partisanenverbänden und Parteien, welche längst zum Feind übergelaufen waren, schmeichelte etc. Und um diese Sammlung so vollständig wie möglich zu machen, mußte die GCF aus der internationalen linkskommunistischen Strömung ausgeschlossen werden, eben weil sie am loyalsten zum Kampf der Fraktion stand. Gleichzeitig war die einzige Gruppe, die als Repräsentant der Linkskommunisten in Frankreich anerkannt wurde, die Französische Fraktion der Kommunistischen Linken (FFGC bis). Dabei sollte man sich in Erinnerung rufen, daß diese Gruppe von drei jungen Elementen gegründet wurde, die sich im Mai 1945 von der GCF abgespalten hatten, Mitglieder der Ex-Minderheit in der Fraktion die während des Spanischen Krieges ausgeschlossen wurden, und der ehemaligen Union Communiste, die zur gleichen Zeit dem Antifaschismus anheimgefallen war (16). Gibt es nicht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dieser Haltung des PCInt und der Politik Trotzkis gegenüber der Fraktion und der NIO?

Marx schrieb, daß „Geschichte sich stets wiederholt, das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce". Ein bißchen davon trifft auf die nicht sehr glorreiche Episode der Gründung des PCInt zu. Unglücklicherweise sollten die folgenden Ereignisse zeigen, daß diese Wiederholung der von der Linken in den 20er und 30er Jahren vertretenen Politik durch den PCInt von 1945 eher dramatische Konsequenzen hatte.

Die Konsequenzen der opportunistischen Herangehensweise des PCInt

Wenn wir die Sitzungsberichte der Konferenz des PCInt von Ende 1945, Anfang 1946 lesen, sind wir lediglich von der Heterogenität beeindruckt, die hier vorherrscht.

Die Hauptführer waren sich uneinig über die Analyse der historischen Periode, die eine ganz wichtige Frage war. Damen fuhr fort, die „offizielle Position" zu vertreten: „Der neue Kurs der Geschichte des proletarischen Kampfes ist offen. Unsere Partei hat die Aufgabe, diesen Kampf in die Richtung zu lenken, die es ermöglichen wird, während der nächsten unvermeidlichen Krise dem Krieg und seinen Betreibern rechtzeitig und endgültig durch die proletarische Revolution das Handwerk zu legen" („Bericht über die internationale Situation und die Perspektiven", S. 12).

Aber gewisse Stimmen bemerkten, ohne es offen zu sagen, daß die Bedingungen für die Bildung der Partei nicht günstig waren:

„.... was heute vorherrscht, ist die ‘Kampf-bis-zum-Ende’-Ideologie der CLN und der Partisanenbewegung, und deshalb sind die Bedingungen für die siegreiche Behauptung des Proletariats nicht vorhanden. Folglich können wir den gegenwärtigen Augenblick nur als reaktionär qualifizieren" (Vercesi, „Die Partei und internationale Probleme", S. 14).

„Als Schlußfolgerung aus dieser politischen Bilanz ist es notwendig, uns selbst zu fragen, ob wir weitermachen sollen mit einer Politik der Erweiterung unseres Einflusses, oder ob uns die Situation in einer vergifteten Atmosphäre die Notwendigkeit aufzwingt, die elementaren Fundamente unserer politischen und ideologischen Abgrenzung zu schützen, die Kader ideologisch zu stärken, sie gegen die Bazillen, die man in der gegenwärtigen Umwelt einatmet, zu immunisieren und sie so auf die neuen politischen Positionen vorzubereiten, die sich ihnen morgen präsentieren. Nach meiner Auffassung sollte die Aktivität der Partei erst in zweiter Linie auf alle Bereiche gerichtet sein" (Maffi, „Politisch-organisatorische Beziehungen in Norditalien").

Mit anderen Worten, Maffi befürwortet die klassische Arbeit einer Fraktion.

In der parlamentarischen Frage sehen wir dieselbe Heterogenität:

„Daher werden wir unter einem demokratischen Regime alle Zugeständnisse, soweit diese Situation die Interessen des revolutionären Kampfes nicht beeinträchtigt, ausnutzen. Wir bleiben unwiderruflich antiparlamentarisch; aber der Sinn fürs Konkrete, der unsere Politik anregt, läßt uns jede, im voraus bestimmte abstentionistische Position ablehnen" (Damen, ebenda, S. 12).

„Maffi, der über die durch die Partei abgesegneten Schlußfolgerung hinaus ging, fragte, ob das Problem des Wahlabstentionismus in seiner alten Form (Teilnahme an den Wahlen nur, wenn die Situation sich in Richtung einer revolutionären Explosion bewegt) gestellt werden sollte, oder ob es im Gegenteil in einem Umfeld, das von Wahlillusionen korrumpiert sei, nicht besser wäre, eine klar gegen die Wahlen gerichtete Position einzunehmen. Sich nicht an die uns von der Bourgeoisie gemachten Zugeständnissen klammern (Zugeständnisse, die nicht ein Ausdruck ihrer Schwäche, sondern ihrer Stärke sind), sondern uns mit dem realen Prozeß des Klassenkampfes und unserer linken Tradition verbinden" (ebenda; S. 12)

Sollen wir noch hervorheben, daß Bordigas linke Strömung in der Italienischen Sozialistsichen Partei während des Ersten Weltkrieges als „Abstentionistische Fraktion" bekannt war?

Auch in der Gewerkschaftsfrage argumentiert der Berichterstatter Luciano Stefanini gegen die schließlich angenommene Position: „Die politische Linie der Partei in der Gewerkschaftsfrage ist noch nicht genügend deutlich. Auf der einen Seite sehen wir die Gewerkschaften als Dependancen des kapitalistischen Staates an; auf der anderen Seite laden wir die Arbeiter dazu ein, innerhalb ihrer zu kämpfen und sie von innen zu erobern, um sie zu Klassenpositionen zu bringen. Diese Möglichkeit wird jedoch durch die oben erwähnte kapitalistische Evolution ausgeschlossen. Die gegenwärtigen Gewerkschaften können ihre Physiognomie als Staatsorgan nicht ändern. Die Forderung nach neuen Massenorganen ist heute nicht gültig, aber die Partei hat die Pflicht, den Verlauf der Ereignisse vorherzusagen und den Arbeitern anzuzeigen, welche Art von Organen, die aus der Entwicklung der Situation heraus entstehen, als einheitliche Führung für das Proletariat unter der Leitung der Partei nötig sind. Die Vorstellung, Kommandostellen im gegenwärtigen Gewerkschaftsorganismus zu halten, um sie umzuwandeln, muß endgültig zu Grabe getragen werden" (S. 18/19).

Nach dieser Konferenz schrieb die GCF:

„Die neue Partei ist keine politische Einheit, sondern ein Konglomerat, eine Addition von Strömungen und Tendenzen, die es nicht fertigbringen, aufzutreten und einander zu konfrontieren. Der gegenwärtige Waffenstillstand kann nur provisorisch sein. Die Eliminierung der einen oder anderen Strömung ist unvermeidbar. Früher oder später wird sich eine politische und organisatorische Definition von allein aufdrängen" (Internationalisme, Nr. 7, Februar 1946).

Nach einer Periode der intensiven Rekrutierung begann die Phase der Definitionssuche. Ende 1946 führte die Unruhe, die im PCInt durch seine Teilnahme an Wahlen provoziert wurde (viele Militante konnten die abstentionistische Tradition der Linken einfach nicht vergessen), die Parteiführung dazu, eine Stellungnahme in der Presse mit dem Titel „Unsere Stärke" zu veröffentlichen, worin zur Disziplin aufgerufen wurde. Nach der Euphorie der Turiner Konferenz verließen viele entmutigte Militante die Partei. Eine gewisse Anzahl von Elementen spaltete sich ab, um an der Gründung der trotzkistischen POI teilzunehmen, Beweis dafür, daß es für sie keinen Platz gab in einer Organisation der Linkskommunisten. Viele Militante wurden ausgeschlossen, ohne daß die Divergenzen klar zutage traten, zumindest in der öffentlichen Presse. Eine der Förderationen spaltete sich ab, um die „Autonome Turiner Förderation" zu bilden. 1948, auf dem Florentiner Kongreß, hatte die Partei bereits die Hälfte ihrer Mitglieder und ihre Presse die Hälfte ihrer Leser verloren. Was den „Waffenstillstand" von 1946 anbetrifft, so wurde er in einen „bewaffneten Frieden" umgewandelt, den die Führer nicht zu stören versuchten, indem sie bei den Hauptdivergenzen Irreführung betrieben. So sagte Maffi, daß er „davon absieht, dieses oder jenes Problem anzusprechen, weil ich weiß, daß diese Diskussion die Partei vergiften würde". Dies hinderte den Kongreß jedoch nicht daran, die Position zu den Gewerkschaften, die anderthalb Jahre zuvor angenommen worden war (die Position von 1945, die angeblich durch so viel Klarheit glänzt), radikal in Frage zu stellen. Dieser bewaffnete Frieden führte schließlich zu einer offenen Konfrontation (besonders nachdem Bordiga 1949 der Partei beigetreten war), was 1952 in die Spaltung zwischen der Damen-Tendenz und der von Bordiga und Maffi angeregten Tendenz mündete, die der Ursprung von Programma Comunista war. Was die „Schwesterorganisationen" angeht, die der PCInt bei der Bildung eines Internationalen Büros der Kommunistischen Linken aufgezählt hat, so sind ihre Ergebnisse noch weniger beneidenswert. Die belgische Fraktion hörte mit der Veröffentlichung von L’Internationaliste 1949 auf und verschwand bald darauf; die französische Fraktion FFGC ging durch einen zweijährigen Niedergang, in dem die meisten ihrer Mitglieder sie verließen, bevor sie als die französische Gruppe der Internationalen Kommunistischen Linken wieder erschien, die sich mit der bordigistischen Strömung verband (17).

Der „größte Erfolg seit der Russischen Revolution" war also kurzlebig. Und wenn uns das IBRP zur Stärkung seiner Argumente für diesen „Erfolg" erzählt, daß der PCInt „trotz eines halben Jahrhunderts der weiteren kapitalistischen Vorherrschaft, seine Existenz fortgesetzt hat und heute wächst", vergißt es darauf hinzuweisen, daß der heutige PCInt in Bezug auf die Mitgliederschaft und auf seine Zuhörerschaft nicht viel damit zu tun hat, was er Ende des letzten Krieges dargestellt hat. Ohne lange bei Vergleichen zu verweilen, können wir sagen, daß die Größe dieser Organisation heute annähernd jener des direkten Erben der „winzigen GCF" entspricht, der französischen Sektion der IKS. Und wir wollen in der Tat glauben, daß der PCInt „heute wächst". Auch die IKS hat in der jüngsten Periode herausgefunden, daß es ein größeres Interesse an den Positionen der Kommunistischen Linken gibt, was sich insbesondere durch eine gewisse Anzahl neuer Mitglieder ausgedrückt hat. Dennoch denken wir nicht, daß das gegenwärtige Wachstum es dem PCInt ermöglichen wird, schnell auf den Mitgliederstand von 1945/46 zurückzukehren.

So reicht dieser große „Erfolg" nur bis zur nicht sehr glorreichen Situation, in der eine Organisation, die damit fortfährt, sich selbst eine „Partei" zu nennen, tatsächlich dazu gezwungen ist, die Rolle einer Fraktion zu spielen. Was viel bedenklicher ist, ist, daß heute das IBRP nicht die Lehren aus dieser Erfahrung zieht und vor allem nicht die opportunistische Methode in Frage stellt, welche einer der Gründe dafür ist, daß der „glorreiche Erfolg" von 1945 den darauf folgenden „Mißerfolg" einleitete (18).

Dieses unkritische Verhalten gegenüber den opportunistischen Abweichungen des PCInt in seinen Ursprüngen läßt uns befürchten, daß das IBRP, wenn die Klassenbewegung entwickelter als heute ist, versuchen wird, zu denselben opportunistischen Zweckmäßigkeiten Zuflucht zu nehmen, wie wir sie hervorgehoben waren. Die Tatsache, daß das Haupt-"Kriterium des Erfolgs" einer proletarischen Organisation für das IBRP die Anzahl der Mitglieder und der Einfluß ist, den sie zu einem gegebenen Augenblick hat, wobei die programmatische Strenge und die Fähigkeit, das Fundament für eine langfristige Arbeit anzulegen, außer acht gelassen werden, enthüllt die immediatistische Herangehensweise, die es gegenüber der Organisationsfrage pflegt. Und wir wissen, daß der Immediatismus der Vorraum des Opportunismus ist. Wir können auch einige andere, akutere Konsequenzen für die Unfähigkeit des PCInt hervorheben, seine Ursprünge zu kritisieren.

An erster Stelle verleitete die Tatsache, daß er (als es evident wurde, daß die Konterrevolution immer noch in Saft und Kraft war) die Gültigkeit der Gründung der Partei aufrechterhielt, den PCInt von 1945/46 dazu, die gesamte Auffassung der Italienischen Fraktion über die Beziehung zwischen Partei und Fraktion radikal zu revidieren. Für den PCInt konnte von nun an die Bildung der Partei in jedem Augenblick stattfinden, unabhängig vom Gleichgewicht der Kräfte zwischen Proletariat und Bourgeoisie (19). Dies ist die Position der Trotzkisten, nicht der Italienischen Linken, welche stets anerkannte, daß die Partei erst im Gefolge des historischen Wiedererwachens der Klasse gebildet werden kann. Aber gleichzeitig bedeutete diese Revision auch die Infragestellung der Idee, daß es bestimmte und antagonistische historische Kurse gibt: den Kurs hin zu entscheidenden Klassenkonfrontationen oder den Kurs in den Weltkrieg. Für das IBRP können diese beiden Kurse parallel verlaufen, ohne sich gegenseitig auszuschließen, was in der Unfähigkeit endet, die gegenwärtige historische Periode zu analysieren, wie wir in unserem Artikel „Die CWO und der historisch Kurs: Ein Berg von Widersprüchen" (Internationale Revue Nr. 20) aufgezeigt haben. Deshalb schrieben wir im ersten Teil des vorliegenden Artikels: „Genauer betrachtet nämlich hat die gegenwärtige Unfähigkeit des IBRP, eine Analyse des historischen Kurses herauszuarbeiten, ihre Wurzeln zu einem grossen Teil in politschen Irtümmern bezüglich der Organisationsfrage und im Speziellen in der Frage des Verhältnisses zwischen Fraktion und Partei". (Internationale Revue Nr. 22)

Hinsichtlich der Frage, ob die Erben der „winzigen GCF" da Erfolg haben, wo jene der ruhmreichen Partei von 1943-45 versagen, d.h. in der Bildung einer wirklich internationalen Organisation, schlagen wir dem IBRP vor, über folgendes nachzudenken: Die GCF, und in ihrem Kielwasser die IKS, waren bzw. sind erfolgreich, weil sie volles Vertrauen in die Herangehensweise hatten, mit der sich die Fraktion in die Lage gesetzt hatte, zur Zeit des Schiffbruchs der KI zur größten und aktivsten Strömung der Kommunistischen Linken zu werden, nämlich:

– als Fundament einer Organisation eine programmatische Strenge, die jeglichen Opportunismus, jegliche Hast, jegliche Politik der „Rekrutierung" auf wackligen Fundamenten ablehnt;

– eine klare Vorstellung von dem Begriff der Fraktion und ihrer Zusammenhänge mit der Partei;

– die Fähigkeit, die Natur des historischen Kurses korrekt zu identifizieren.

Der größte Erfolg seit dem Tod der KI (und nicht seit der Russischen Revolution) war nicht der PCInt, sondern die Fraktion. Nicht in numerischen Begriffen, sondern im Rahmen ihrer Fähigkeit, die Fundamente für die Weltpartei der Zukunft vorzubereiten, trotz ihres eigenen Verschwindens.

Im Prinzip präsentiert sich der PCInt (und nach ihm das IBRP) selbst als die politischen Erben der Italienischen Fraktion. Wir haben in diesem Artikel aufgezeigt, wie weit sich der PCInt seit seiner Gründung von der Tradition und den Positionen der Fraktion distanziert hatte. Seither hatte der PCInt eine Reihe von programmatischen Fragen geklärt, was wir als äußerst positiv ansehen. Nichtsdestotrotz erscheint es uns, daß der PCInt erst dann in der Lage ist, seinen vollen Beitrag zur Gründung der zukünftigen Weltpartei zu leisten, wenn er seine Erklärungen und seine Aktionen auf eine Linie bringt, d.h. wenn er sich die politische Herangehensweise der Italienischen Fraktion wiederaneignet. Und das bedeutet an erster Stelle, daß er sich als fähig erweist, eine ernsthafte Kritik über die Erfahrung aus der Gründung des PCInt 1943-45 zu leisten, statt sie zu rühmen und sie zum Beispiel, dem man folgen sollte, zu machen. Fabienne

Fussnoten:

 

(1) Wir nehmen an, daß der Autor des Artikels, von seinem Enthusiasmus dahingerissen, Opfer eines Schreibfehlers geworden ist und daß er eigentlich schreiben wollte „seit dem Ende der ersten revolutionären Welle und der Kommunistischen Internationalen". Wenn er es aber doch so meint, wie er schrieb, dann hätten wir gern ein paar Fragen an seine Geschichtskenntnisse und seinen Realitätssinn zu stellen: Hat er unter anderem nie von der Kommunistischen Partei Italiens gehört, welche Anfang der 20er Jahre einen viel größeren Einfluß besaß als der PCInt 1945 und gleichzeitig die Avantgarde der Internationalen in einer ganzen Reihe von politischen Fragen darstellte? Wir ziehen es jedenfalls für den Rest des Artikels vor, uns für die erste Hypothese zu entscheiden. Gegen Absurditäten zu polemisieren ist nicht in unserem Interesse.

(2) Wir erlauben uns die Bemerkung, daß während dieser Periode die IKS drei neue Territorialsektionen integrierte: in der Schweiz und in zwei Ländern der kapitalistischen Peripherie, Mexiko und Indien, Gebiete, denen das besondere Interesse des IBRP gegolten hatte (siehe insbesondere die Annahme der „Thesen über die kommunistischen Taktiken in den Ländern der kapitalistischen Peripherie" durch den 6. Kongreß des PCInt 1977).

(3) So wurde die Politik des PCInt gegenüber den Gewerkschaften formuliert: „... der substantielle Inhalt von Punkt 12 der Parteiplattform kann in folgenden Worten konkretisiert werden:

1. Die Partei strebt nach der Wiederherstellung der CGL durch den direkten Kampf des Proletariats gegen die Bosse in einzelnen und allgemeinen Klassenbewegungen.

2. Der Kampf der Partei dient nicht direkt der Spaltung der Massen von den Gewerkschaften.

3. Der Prozeß der Wiederherstellung der Gewerkschaften, der nicht ohne die Eroberung der gewerkschaftlichen Führungsorgane vonstatten gehen kann, leitet sich von einem Programm zur Organisierung des Klassenkampfes unter Führung der Partei ab."

(4) Der PCInt von heute wird durch diese Plattform von 1945 eher in Verlegenheit gebracht. Kümmerte er sich, als er 1974 dieses Dokument zusammen mit dem „Schema eines Programms", das 1944 von der Damen-Gruppe verfaßt wurde, wiederveröffentlichte, also um eine gründliche Kritik der Plattform, indem er sie dem „Schema eines Programms" gegenüberstellte, welches nicht hoch genug gelobt werden konnte? In der Einführung sagt er, daß „1945 das Zentralkomitee den Entwurf einer politischen Plattform von Genosse Bordiga erhielt, der, wir betonen, kein Mitglied der Partei war. Das Dokument, dessen Annahme in Form eines Ultimatums eingefordert wurde, wurde als unvereinbar mit den festen Positionen angesehen, welche von der Partei zu den wichtigsten Problemen eingenommen wurden, und trotz aller unternommener Modifikationen wurde das Dokument stets als Beitrag zur Debatte und nicht als De-facto-Plattform anerkannt (...) Wie wir gesehen haben, konnte das ZK das Dokument nicht akzeptieren, es sei denn als Beitrag einer einzelnen Person zur Debatte auf dem künftigen Kongreß, der, als er 1948 stattfand, die Existenz von ganz anderen Positionen erbrachte." Wir sollten noch deutlicher machen, wer genau es war, der dieses Dokument einen „Beitrag zur Debatte" nannte. Wahrscheinlich Damen und ein paar andere Militante. Sie behielten jedoch ihre Eindrücke für sich, da die Konferenz von 1945/46, d.h. die Repräsentanten der gesamten Partei eine ganz andere Position einnahmen. Das Dokument wurde einmütig als Plattform des PCInt angenommen und diente als Basis für Parteibeitritte und für die Bildung eines Internationalen Büros der Linkskommunisten. Tatsächlich wurde das „Schema eines Programms" für die Diskussion auf dem nächsten Kongreß aufgehoben. Und wenn die Genossen des IBRP wieder einmal denken, daß wir lügen, dann sollten sie in den mündlichen Sitzungsberichten der Turiner Konferenz Ende 1945 nachschlagen. Wenn etwas lügnerisch ist, dann die Art, in der der PCInt seine „Version" der Dinge 1974 darstellt. Tatsächlich ist der PCInt über gewisse Aspekte seiner eigenen Geschichte so wenig stolz, daß er es notwendig findet, sie ein bißchen zu verschönern. Angesichts dieser Feststellung können wir uns fragen, warum der PCInt es zuließ, sich irgendeinem „Ultimatum" zu unterwerfen, wo es doch von jemand stammte, der nicht einmal Parteimitglied war.

(5) Wie wir im ersten Teil dieses Artikels gesehen haben, zog die Italienische Fraktion auf ihrer Konferenz vom August 1943 die Schlußfolgerung, daß „mit dem durch die August-Ereignisse in Italien eröffneten Kurs nun der Weg frei ist für die Umwandlung der Fraktion in eine Partei". Die GCF griff bei ihrer Gründung 1944 dieselbe Analyse auf.

(6) Wir haben in unserer Presse bei einer Reihe von Gelegenheiten gezeigt, woraus diese systematische Politik der Bourgeoisie bestand – wie diese Klasse, die Lehren aus dem ersten Krieg ziehend, systematisch die Arbeit aufteilte, indem sie den besiegten Ländern die „schmutzige Arbeit" überließ (Repression gegen die Arbeiterklasse in Norditalien, die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes etc.), während die Sieger gleichzeitig die Arbeiterkonzentrationen in Deutschland systematisch bombardierten, die besiegten Länder besetzten, um sie zu überwachen, und noch etliche Jahre nach Kriegsende Kriegsgefangene interniert hielten.

(7) Die GCF und die IKS haben oft die von Damen vertretenen Positionen genauso wie seine politischen Methoden kritisiert. Dies ändert nichts an unserer Hochachtung gegenüber der Tiefe seiner kommunistischen Überzeugung, seiner militanten Energie und seinem großen Mut.

(8) „Arbeiter! Setzt dem Schlachtruf des Nationalkrieges, der die italienischen Arbeiter gegen die deutschen und englischen Arbeiter bewaffnet, den Schlachtruf der kommunistischen Revolution entgegen, der die Arbeiter der gesamten Welt gegen ihren gemeinsamen Feind vereint: den Kapitalismus." (Prometeo, Nr. 1, 1. November 1943) „Dem Aufruf des Zentrismus (so nannte die Italienische Linke den Stalinismus), in die Partisanenbanden einzutreten, müssen wir mit unserer Präsenz in den Fabriken entgegentreten, und nur von hier kommt die Klassengewalt her, die die wesentlichen Zentren des kapitalistischen Staates zerstören wird." (Prometeo, 4. März 1944)

(9) Mehr über das Verhalten des PCInt gegenüber den Partisanen in „The ambiguities of the Internationalist Communist Party over the ‘partisans’ in Italy in 1943", International Review, Nr. 8 (engl./franz. Ausgabe).

(10) In der International Review Nr. 32 (engl./franz./span. Ausgabe) veröffentlichten wir den vollständigen Text dieses Appells wie auch unseren Kommentar dazu.

(11) Wir sollten unterstreichen, daß in dem Brief, den der PCInt der SP als Antwort auf deren Reaktion auf den Appell schickte, der PCInt diese sozialdemokratischen Schurken in der Anrede „liebe Genossen" nannte. Nicht gerade die beste Art, die Verbrechen zu demaskieren, die diese Parteien gegen das Proletariat seit dem Ersten Weltkrieg und der ihm folgenden revolutionären Welle begangen hatten. Aber ein exzellenter Weg, den Illusionen der Arbeiter, die ihnen noch folgten, zu schmeicheln.

(12) siehe den ersten Teil dieses Artikels in Internationale Revue Nr. 22;

(13) Es ist wert, über dieses Thema andere Passagen zu zitieren, die vom PCInt verfaßt wurden: „Die vom Genossen Perrone (Vercesi) zum Ausdruck gebrachten Positionen sind freie Ausdrücke einer sehr persönlichen Erfahrung und einer auf Phantasie basierenden politischen Perspektive, welche nicht als massgebend für eine Kritik der Gründung des PCInt verwendet werden können." (Prometeo, Nr. 18, 1972) Das Problem ist, daß diese Positionen im Bericht über „Die Partei und internationalen Probleme" zum Ausdruck kamen, welcher der Konferenz durch das Zentralkomitee, dessen Mitglied Vercesi war, vorgestellt wurde. Das Urteil der Militanten von 1972 über ihre Partei 1945/46 ist wahrlich hart, eine Partei, deren Zentralorgan einen Bericht präsentiert, in dem egal was gesagt werden kann. Wir nehmen an, daß nach diesem Artikel der Autor ernsthaft dafür gemaßregelt wird, daß er den PCInt von 1945 „verleumdet" hat, anstatt die Schlußfolgerung zu wiederholen, die O. Damen aus der Diskussion über den Bericht gezogen hatte: „Es gab keine Divergenzen, sondern eine besondere Sensibilität, die eine organische Klärung dieser Probleme erlaubt." (Sitzungsberichte, S. 16) Es trifft zu, daß derselbe Damen später entdeckte, daß diese „besondere Sensibilität" „pervertierte Positionen" waren und daß „organische Klärung" die „Trennung von dem toten Stamm" bedeutete. Einerlei, lang lebe die Klarheit von 1945!

(14) Über die Minderheit in der Fraktion 1936 siehe den ersten Teil dieses Artikels in Internationale Revue Nr. 22

(15) Es ist klar, daß einer der Gründe, warum der PCInt von 1945 der Integration von Vercesi zustimmte, ohne ihn aufzufordern, Rechenschaft über seine vergangenen Aktivitäten abzulegen, und warum er es zuließ, daß Bordiga sich in der Frage der Plattform „durchsetzte", darin liegt, daß er mit dem Prestige dieser beiden „historischen" Führer rechnete, um ein Maximum an Arbeitern und Militanten anzuziehen. Bordigas Feindschaft hätte den PCInt die Gruppen und Elemente in Süditalien gekostet, Vercesis Feindschaft die belgische Fraktion und die FFGC bis.

(16) Über diese Episode siehe den ersten Teil dieses Artikels.

(17) Wir können daher daran festhalten, daß die „winzige GCF", die mit soviel Geringschätzung behandelt und sorgfältig von den anderen Gruppen ferngehalten wurde, noch länger überlebte als die belgische Fraktion und die FFGC bis. Bis zu ihrem Verschwinden 1952 veröffentlichte sie 46 Ausgaben von Internationalisme, ein unschätzbares Erbe, worauf die IKS errichtet wurde.

(18) Es trifft zu, daß die opportunistische Methode nicht die einzige Erklärung für den Einfluß ist, den der PCInt 1945 erreichen konnte. Es gibt zwei fundamentale Ursachen dafür:

* Italien war das einzige Land, das eine wirkliche und mächtige Bewegung der Arbeiterklasse während des imperialistischen Krieges und gegen ihn erblickte.

* Die Linkskommunisten hatten, da sie sich die Führung der Partei bis 1925 angeeignet hatten und weil Bordiga der Hauptgründer dieser Partei war, ein Prestige unter den Arbeitern Italiens, das in keinem Vergleich stand zu jenem in anderen Ländern.

Andererseits liegt eine der Ursachen für die numerischen Schwächen der GCF gerade in der Tatsache, daß es in der Arbeiterklasse Frankreichs keine Tradition des Linkskommunismus gab und daß erstere nicht in der Lage gewesen war, sich während des Krieges zu erheben. Da ist auch die Tatsache, daß die GCF jedes opportunistische Verhalten bezüglich der Illusionen der Arbeiter in die „Befreiung" und die Partisanen vermied. Hier folgte sie dem Beispiel der Fraktion 1936 angesichts des Spanischen Krieges, der sie der Isolation überließ, wie sie in Bilan Nr. 36 selbst bemerkte.

(19) Zu dieser Frage siehe insbesondere die Broschüre „Das Verhältnis Fraktion – Partei in der marxistischen Tradition"

 

 

 

 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Battaglia Comunista [7]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Französische Kommunistische Linke [8]

Zuspitzung der Krise, imperialistische Massaker in Afrika: Ein neuer Schritt ins Chaos

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In den Industriestaaten gesteht die Bourgeoisie den Ausgebeuteten im allgemeinen im Sommer Ferien zu, damit sie ihre Arbeitskraft wiederherstellen und in der restlichen Jahreszeit produktiver arbeiten. Seit langem haben die Ausgebeuteten aber auch erfahren, dass ihre Zerstreuung, ihre Abwesenheit vom Arbeitsplatz während der Ferien und ihre geringere Wachsamkeit von der herrschenden Klasse ausgenutzt werden, um die Angriffe gegen ihre Lebensbedingungen zu verschärfen. Während die Arbeiter sich also ausruhen, bleiben die Bourgeoisie und ihre Regierungen nicht passiv. Jedoch haben sich auch seit einigen Jahren in der Sommerzeit die imperialistischen Konflikte zugespitzt.

Zum Beispiel fing im August 1987 mit der Besetzung Kuwaits durch den Irak der Konflikt an, der zur Golfkrise und zum Golfkrieg werden sollte. Im Sommer 1991 fing das ehemalige Jugoslawien an auseinanderzubrechen, was wiederum zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert den Krieg in das Zentrum Europas brachte. Und im Sommer 1995 kam es zu den Nato-Bombardierungen und zur (von den USA unterstützten)  kroatischen Offensive gegen Serbien. Und man könnte die Reihe von Beispielen weiter fortsetzen.

Dagegen war der Sommer 1997 auf imperialistischer Ebene besonders ruhig gewesen. Und dennoch hatte sich die internationale Lage weiter entwickelt. Im Sommer 1997 brach unabhängig vom Willen der Kapitalisten und ihrer Regierungen die Finanzkrise in Südostasien aus, welche Erschütterungen der Weltwirtschaft ausgelöst haben, die diese nicht überwinden kann.

Der Sommer 1998 wiederum setzte mit dem Krieg im Kongo und den Attentaten gegen zwei US-Botschaften in Afrika, denen die US-Bombardierungen in Afghanistan und im Sudan folgten, die ‘Tradition’ der Zuspitzung der imperialistischen Spannungen fort. Gleichzeitig war der Sommer geprägt durch eine beträchtliche Zuspitzung der Erschütterungen der Weltwirtschaft, insbesondere mit dem Chaos in Russland und dem erneuten Absinken der ‘Schwellenländer’ sowie mit dem historischen Verfall der Aktienkurse in den Industriestaaten.

Die jüngste Auslösung der Erschütterungen aller Art der kapitalistischen Welt ist kein Zufall. Sie spiegelt ein neues Fortschreiten der unlösbaren Widersprüche der Industriegesellschaft wider. Es gibt keine direkte, mechanische Verbindung zwischen den Erschütterungen im Bereich der Wirtschaft und der Zuspitzung der imperialistischen Konflikte. Aber sie haben alle den gleichen Ursprung: das Versinken der Weltwirtschaft in einer ausweglosen Krise, was die historische Sackgasse zum Ausdruck bringt, in der die kapitalistische Produktionsform steckt, seitdem sie in ihre Dekadenzphase seit dem 1. Weltkrieg eingetreten ist.

Das ausgehende 20. Jahrhundert ist als das Jahrhundert bekannt, das der Menschheitsgeschichte die größten Tragödien gebracht hat. Und nur die Arbeiterklasse kann durch die Verwirklichung der kommunistischen Revolution verhindern, daß das 21. Jahrhundert noch schlimmer wird. Das ist die Hauptlehre, die die Arbeiterklasse aus dem Versinken des Kapitalismus in der Krise und wachsenden Barbarei ziehen muss.

Nach Asien, Russland und Lateinamerika
Die Wirtschaftskatastrophe erreicht das Herz des Kapitalismus

Die Finanzkrise, die vor etwas mehr als einem Jahr in Südostasien ausbrach, ist dabei,  heute ihr wirkliches Ausmaß zu zeigen. Im Sommer gab es eine erneute Zuspitzung mit dem Zusammenbruch der russischen Wirtschaft und den Erschütterungen in einem bislang nicht gekannten Ausmaß in den ‘Schwellenländern’ Lateinamerikas. Aber nunmehr sind die Hauptmetropolen des Kapitalismus, die höchst entwickelten Staaten Europas und Nordamerika am heftigsten betroffen. Dort purzeln die Aktienkurse, die Wachstumsprognosen werden ständig nach unten korrigiert. Die Euphorie, von der die Bourgeoisie vor einigen Monaten noch erfaßt schien, ist längst verfolgen. Diese Euphorie kam durch das schwindelerregende Ansteigen der Aktienkurse im Westen in der ersten Jahreshälfte 1998 zum Ausdruck. Heute sprechen die gleichen ‘Spezialisten’, die die ‘gute Gesundheit’ der angelsächsischen Staaten lobten und die einen Wiederaufschwung in allen europäischen Staaten  vorhersahen, mit als erste von Rezession, gar von ‘Depression’. Und sie haben Grund dazu pessimistisch zu sein. Die Wolken über dem Himmel der stärksten Wirtschaften kündigen keine einfache Schauer an, sondern einen wahren Sturm, die die Sackgasse veranschaulicht, in welche die kapitalistische Wirtschaft reingeraten ist.

Als Moment einer neuen und brutalen Zuspitzung hat der Sommer 1998 auch der Glaubwürdigkeit des kapitalistischen Systems einen Schlag versetzt: Zuspitzung der Krise in Asien, wo die Rezession sich dauerhaft niedergelassen  und jetzt die beiden ‘Großen’ Japan und China erfaßt hat, eine bedrohliche Lage in Lateinamerika, spektakulärer Zusammenbruch der russischen Wirtschaft und Kurseinbrüche, die die historischen Börsenhaussen an den Hauptbörsen der Welt zum Einsturz brachten. Innerhalb von drei Wochen hat der russische Rubel 70% seines Wertes verloren (seit Juni 1991 ist das Bruttoinlandsprodukt um 50%, wenn nicht gar um 80% gesunken). Am 31. August, dem berühmten ‘blauen Montag’, denn die Journalisten mochten nicht vom ‘schwarzen Montag’ sprechen,  rutschte Wall Street um 6.4% ab, und der Nasdaq, der Index der Technologiewerte, um 8.5%. Am Folgetag wurden die europäischen Börsen erfasst. In Frankfurt fielen die Kurse morgens um 2%, in Paris 3.5%. Im Verlaufe des Tages verlor Madrid 4.23%, Amsterdam 3.56% und Zürich 2.15%. In Asien fiel am 31. August die Börse von Hongkong um 7%, und die von Tokio erreichte ein 12 Jahres Höchsttief. Seitdem hat sich der Kursverfall der Aktienwerte noch beschleunigt, so daß am Montag, den 21. September (und bis zum Erscheinen dieser Ausgabe der Internationale Revue wird sich die Lage noch verschärft haben) die meisten Börsen das Niveau des Jahresanfangs von 1998 erreicht hatten: + 0.32% in New York, + 5.09 % in Frankfurt, aber Negativwerte in London, Zürich, Amsterdam, Stockholm...

Die Akkumulierung all dieser Ereignisse ist keineswegs ein Zufall. Im Gegensatz zu allen Beteuerungen ist sie auch kein Zeichen einer ‘vorübergehenden Vertrauenskrise’ gegenüber den ‘Schwellenländern’, oder eine ‘begrüßenswerte mechanische Korrektur eines überbewerteten Marktes’, sondern es handelt sich sehr wohl um eine neue Episode des Versinkens in das Inferno des Kapitalismus als ein ganzes, ein Abstieg in die Hölle, von dem uns der Zusammenbruch der Wirtschaft in Russland einen karikaturalen Vorgeschmack liefert.

Die Krise in Russland

Monatelang trösteten sich die Weltbourgeoisie und ihre ‘Experten’, die durch die Finanzkrise in Südostasien vor einem Jahr erschrocken worden waren, damit, dass die die anderen ‘Schwellenländer’ nicht mit in den Sog gezogen worden waren. Die Medien hoben jeweils den ‘besonderen Charakter’ der Schwierigkeiten in Thailand, Korea, Indonesien usw. hervor. Und dann hörte man erneut Alarmzeichen mit der Zuspitzung des Chaos der russischen Wirtschaft zu Anfang des Sommers (1). Nach einer anfänglich nur sehr schleppenden Reaktion, hat die ‘internationale Gemeinschaft’, die in Südostasien schon kräftig zur Kasse gebeten wurde, 22.6 Milliarden Dollar für einen Zeitraum von 18 Monaten zugestanden, was wiederum mit den üblichen drakonischen Bedingungen verbunden ist: drastische Reduzierung der Staatsausgaben, Steuererhöhungen (insbesondere der Lohnsteuer, womit die chronische Schwäche des russischen Staates, Steuern bei den Unternehmern einzutreiben, ausgeglichen werden soll), Preiserhöhungen, Beitragserhöhungen für die Rentner. All das auf einem Hintergrund, wo die Lebensbedingungen der russischen Arbeiter ohnehin schon miserabel waren und die meisten Staatsbeschäftigten und ein Großteil der privat Beschäftigten seit Monaten keine Löhne mehr ausgezahlt bekommen haben. Diese Misere hat dramatische Ausmaße angenommen: Seit Juni 1991 ist bekannt, daß die Lebenserwartung für Männer von 69 auf 58 Jahre gefallen, die Geburtenrate von 14.7 auf 9.5%o gesunken ist.

Einen Monat später musste man feststellen: die aufgewandten ‘Hilfsgelder’ war ein reines Verlustgeschäft. Nach einer schwarzen Woche an der Moskauer Börse und nachdem Hunderte von Banken mit dem Bankrott kämpfen, waren Jelzin und seine Regierung am 17. August dazu gezwungen, den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit aufzugeben: den Rubel und seinen Wechselkurs gegenüber dem Dollar. Von der ersten Zahlung von 4.8 Mrd. $, die im Juli im Rahmen eines IWF-Programms geleistet wurde, wurden 3.8 Mrd. $ für die wirkungslose Verteidigung des Rubels aufgebracht. Was die verbleibende Milliarde Dollar angeht, diente sie keineswegs den Sanierungsmaßnahmen der Staatsfinanzen und noch weniger dazu, die noch ausstehenden Löhne der Beschäftigten zu zahlen. Sie war ganz einfach bei der  Schuldenzahlung draufgegangen (die mehr als 35% der Staatseinnahmen beansprucht), mit anderen Worten: sie war verwendet worden für die anstehenden Zinsratenzahlungen, die damals anstanden. Ohne von den Beträgen zu sprechen, die entwendet wurden und direkt in die Tasche der einen oder anderen Fraktion einer wie Gangster handelnden Bourgeoisie wanderten. Das Scheitern dieser Politik heisst für Russland, dass zusätzlich zu den reihenweisen Bankenpleiten (mehr als 1.500 Banken sind betroffen), zu dem Absturz in die Rezession und der Explosion seiner in Dollar berechneten Auslandsschulden, die galoppierende Inflation ihren Einzug hält. Man geht jetzt schon davon aus, dass sie zwischen 200 und 300% in diesem Jahr erreichen könnte. Und das Schlimmste ist noch nicht da.

Dieser Absturz hat sofort ein Auseinanderbrechen an der Spitze des russischen Staates bewirkt und eine politische Krise hervorgerufen, die Ende September (zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels) noch nicht abgeschlossen war. Dieses Auseinanderbrechen in den Reihen der russischen Führungsschicht, die immer mehr den Eindruck entstehen lässt, als ob es sich um eine einfache Bananenrepublik handele, hat die westlichen Bourgeoisie in Angst und Aufregung versetzt. Aber die Bourgeoisie mag sich  um das Wohl Jelzins und seiner Konsorten Sorgen machen, vor allem ist die russische Bevölkerung und die Arbeiterklasse dazu gezwungen, für die Folgen dieser Lage aufzukommen. So hat der Kursverfall des Rubels die importierten Lebensmittel schon um über 50% verteuert, wobei Russland ungefähr die Hälfte der benötigten Nahrungsmittel importiert. Die Produktion ist auf ungefähr 40% unter das Produktionsniveau zur Zeit der Berliner Mauer zurückgefallen...

So wird heute das bestätigt, was wir vor 9 Jahren in unseren ‘Thesen zur ökonomischen und politischen Krise in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern’ im September 1989 schrieben:

„Gegenüber dem totalen Scheitern der Wirtschaft dieser Länder besteht der einzige Ausweg darin, nicht eine wirkliche Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln, sondern zu versuchen, den Kopf über Wasser zu halten. Damit müssen Mechanismen eingeführt werden, die eine wirkliche Verantwortung ihrer Führer bedingen. Diese Mechanismen setzen eine „Liberalisierung’ der Wirtschaft sowie die Schaffung eines wirklichen Binnenmarktes voraus, eine größere Selbständigkeit der Unternehmen und die Entwicklung eines starken ‘privaten’ Sektors (...) Obgleich solch ein Programm immer unabdingbarer wird, beinhaltet seine Umsetzung praktisch unüberwindbare Hindernisse“. (Internationale Revue Nr. 12, These 13).

Zwei Monate später fügten wir hinzu:

„bestimmte Bereiche der Bourgeoisie antworten, daß man einen neuen ‘Marshall-Plan’ durchziehen müsste, der die Wirtschaftskraft dieser Länder neu herstellen würde (...) Deshalb stehen heute große Kapitalinvestitionen zur Entwicklung des Wirtschaftspotentials, insbesondere der Industriebereiche, nicht auf der Tagesordnung. Selbst wenn solch ein Industriepotential auf die Beine gestellt werden könnte, würden die von ihm erzeugten Produkte den Weltmarkt nur noch mehr erschüttern, der ohnehin schon total übersättigt ist. Bei den Ländern, die aus dem Stalinismus hervorgehen, verhält es sich so wie mit den Ländern der 3. Welt: all die massiven Finanzspritzen während der 70er und 80er Jahre haben nur zu der heute allseits bekannten katastrophalen Lage geführt (Schulden von 1.400 Mrd. Dollar und noch mehr zerstörte Wirtschaften). Den osteuropäischen Ländern (deren Wirtschaft in vieler Hinsicht übrigens der der peripheren Länder ähnelt) wird es nicht viel anders gehen. (...) Das einzige, was man erwarten kann, sind Kreditvergaben oder dringliche Hilfen für Länder, um einen totalen, offenen finanziellen Bankrott und Hungersnöte zu vermeiden, die die Erschütterungen dieser Länder nur noch verstärken würden“ (Internationale Revue Nr. 12, Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks: Destabilisierung und Chaos’ 10.2.1990).

Und zwei Jahre später schrieben wir 1991: „Um die finanzielle Erwürgung der ehemaligen UdSSR etwas zu lockern, haben die G7-Staaten einen Aufschub von einem Jahr für die Rückzahlung der Zinsen für die sowjetische Verschuldung gewährt, die heute ca. 80 Mrd. Dollar umfaßt. Aber dies wird nur ein Pflaster auf einem Holzbein sein, denn die bewilligten Gelder selber verschwinden wiederum wie in einem Fass ohne Boden. Vor zwei Jahren waren alle möglichen Illusionen über ‘neue Märkte’ verbreitet worden, die der Zusammenbruch der stalinistischen Regime ermöglichen würde. Während heute die Weltwirtschaftskrise unter anderem immer deutlicher durch eine Liquiditätskrise in Erscheinung tritt, zögern die Banken immer mehr, ihr Kapital in diesem Teil der Welt anzulegen.“ (Internationale Revue Nr. 68).

So haben die Tatsachen entgegen allen Illusionen der Bourgeoisie und der Beweihräucherer ihres Systems das bewiesen, was die marxistische Theorie den Revolutionären ermöglichte vorauszusagen. Heute sehen wir ein vollständiges Auseinanderbrechen, die Ausdehnung eines schrecklichen Elends an den Türen dessen, was man als ‘Festung Europa’ bezeichnet.

Die Bemühungen der Medien, die Botschaft zu vermitteln, sobald die gegenwärtige Börsenpanik vorüber sei, würden die Konsequenzen für die wirkliche Wirtschaft auf internationaler Ebene nur gering sein, hat keinen großen Erfolg gebracht. Dies ist normal, denn der Wille der Kapitalisten, sich selbst zu beruhigen, und vor allem der Arbeiterklasse das wirkliche Ausmaß der Krise  zu verheimlichen, prallt mit den harten Tatsachen zusammen. Zunächst werden alle Gläubiger Russlands erneut stark zur Kasse gebeten. Russland hatte von den westlichen Banken mehr als 75 Milliarden Dollar Kredite erhalten, die in ihrem Besitz befindlichen Schatzbriefe haben schon 80% ihres Wertes verloren, und Russland hat jegliche Rückzahlungen in Dollar eingestellt. Darüber hinaus befürchtet die westliche Bourgeoisie, dass den osteuropäischen Staaten das gleiche Schicksal erfährt. Zu dieser Befürchtung gibt es allen Anlass: Polen, Ungarn und die Tschechische Republik zogen ungefähr 18mal soviel westliche Investitionen an wie Russland. Nun konnte man Ende August die ersten Risse in den Börsen von Warschau (–9.5%) und Budapest (–5.5%) vernehmen, die zeigen, dass die Kapitalströme aus diesen neuen Finanzplätzen abziehen. Darüberhinaus zieht Russland in wachsendem Maße die anderen GUS-Staaten in den Sog seines Zusammenbruchs mit hinein, denn deren Wirtschaften sind eng mit der Russlands verbunden. Auch wenn Russland letztendlich nur ein ‘kleiner Schuldner’ im Vergleich zu anderen Regionen ist, verleiht seine geographische Lage – die Tatsache, daß es inmitten Europas ein mit Nuklearwaffen bestücktes Minenfeld darstellt –, und die Gefahren, die von dem Chaos ausgehen, das die Wirtschafts- und politische Krise ausgelöst hat, eine besondere Dimension.

Dabei ist die Tatsache, dass der russische Schuldenberg im Vergleich zu den Schulden Asiens oder anderer Gebiete der Welt relativ begrenzt ist, ein ziemlich schwacher Trost. Tatsächlich sollte diese Erkenntnis im Gegenteil die Aufmerksamkeit auf andere auftauchende Gefahren lenken, wie die Zuspitzung der Finanzkrise in Lateinamerika, wo in den letzten Jahren umfangreiche Direktinvestitionen getätigt wurden (45% der Gesamtinvestitionen in den ‘Entwicklungsländern’ wurden 1997 dort angelegt, 1980 waren es nur 20% und 1990 38%). Die Risiken einer Abwertung in Venezuela, das Absacken der Rohstoffpreise seit der Asienkrise, von der die südamerikanischen Staaten noch heftiger erfasst wurden als Russland, eine gewaltige Auslandsverschuldung, eine astronomische öffentliche Verschuldung (das öffentliche Defizit Brasiliens, das zahlenmäßig der siebtgrößte Staat gemessen am Bruttoinlandsprodukt darstellt, übersteigt bei weitem das Russlands), führen dazu, dass in Lateinamerika eine Zeitbombe tickt, die zusätzlich zu den katastrophalen Folgen Russlands und Asiens ihre zerstörerischen Auswirkungen haben wird. Und diese Zeitbombe tickt vor den Türen der ersten Industriemacht der Erde, den USA.

Aber die Hauptbedrohung kommt nicht aus den unterentwickelten oder schwach entwickelten Staaten sondern aus einem höchstentwickelten Land, das die zweite Wirtschaftsgroßmacht der Erde ist – Japan.

Die Krise in Japan

Noch bevor der Absturz der russischen Wirtschaft den Optimismus der Bourgeoisie aller Länder abgekühlt hatte, war im Juni 1998 ein Beben mit dem Zentrum Tokio ausgelöst worden, das die Gefahr einer Destabilisierung des Weltwirtschaftssystems mit sich bringt. Trotz 7 ‘Ankurbelungsplänen’, in denen ca. 2–3% des BSP pro Jahr in die Wirtschaft gepumpt wurden, trotz einer Abwertung des Yens um die Hälfte seit drei Jahren mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit japanischer Waren auf dem Weltmarkt zu stützen, sinkt die japanische Wirtschaft seit 1992 weiter in die Rezession. Aus Angst, mit den wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen in einem sehr zerbrechlichen Umfeld konfrontiert zu werden, hat der japanische Staat immer wieder die ‘Sanierungsmaßnahmen’ seines Bankensektors aufgeschoben. Die Summe nicht zurückzahlbarer Schulden beläuft sich mittlerweile auf ca. 15% des Bruttoinlandsproduktes.... Das reichte, um die japanische und Weltwirtschaft zum Absturz zu bringen. Mittlerweile hat die Rezession ein Ausmaß angenommen wie seit der großen Wirtschaftskrise 1929 nicht mehr. Gegenüber diesem beschleunigten Absinken Japans in die Rezession und den Ausflüchten des Staates, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, war der Yen Zielscheibe umfangreicher Spekulationen, die den ganzen Fernen Osten mit einer Abwertung in Kettenreaktion bedrohten, womit das Signal für das schlimmste deflationäre Szenario gegeben wurde. Am 17. Juni 1998 gerieten die Finanzmärkte in helle Aufregung: die Amerikanische Federal Reserves mußte den Yen massiv unterstützen, da dieser dabei war, in den Keller zu fallen. Aber es war nur ein Zeitaufschub – mit Hilfe der ‘internationalen Gemeinschaft’ konnte Japan einen Fristaufschub erwirken.. und das zum Preis einer immer schwindelerregenderen Verschuldung. Allein die öffentliche Verschuldung entspricht schon der Summe der Produktion eines einzigen Jahres (100% des BSP).

Es ist hier interessant festzustellen, dass die gleichen ‘liberalen’ Ökonomen, die das Eingreifen des Staates in der Wirtschaft verpönen und in den großen internationalen Finanzinstitutionen und in den westlichen Regierungen eine herausragende Rolle spielen, heute lauthals eine neue massive Finanzspritze öffentlicher Gelder für den Bankenbereich fordern, um ihn vor dem Bankrott zu retten. Das zeigt, dass über die ideologischen Sprüche hinaus, wo ‘weniger Staat’ gefordert wird, die bürgerlichen ‘Experten’ sehr wohl wissen, dass der Staat den letzten Rettungsanker gegenüber einer auseinanderbrechenden Wirtschaft darstellt. Wenn sie von ‘weniger Staat’ sprechen, zielen sie auf den ‘Wohlfahrtsstaat, d.h. die Maßnahmen zum Sozialschutz der Beschäftigten (Arbeitslosen- und Krankengelder, Mindestlöhne usw.), und ihre Reden streben danach, die Lebensbedingungen der Arbeiter noch mehr herabzudrücken.

Schließlich unterzeichneten die Regierung und die Opposition am 18. September einen Kompromiss zur Rettung des japanischen Finanzsystems, das aber anstatt die Börsen weiter anzukurbeln, nur zu einem erneuten Kurssturz geführt hat, womit das tiefgreifende Misstrauen der Finanzexperten gegenüber der Wirtschaft der zweiten Wirtschaftsmacht der Erde zum Ausdruck gebracht wird, die jahrelang als das ‘Modell’ präsentiert wurde. Der Chefökonom der Deutsche Bank in Tokio, Kenneth Courtis, der als ein ernsthafter Ökonom eingestuft wird, gab unumwunden zu: „Wir müssen die Dynamik hin zum Absinken, die schlimmer ist als zur Zeit der Ölkrisen Anfang der 70er Jahre (damals fielen der Verbrauch und die Investitionen im freien Fall) umkehren, denn wir sind jetzt in eine Stufe eingetreten, wo wir dabei sind, neue zweifelhafte Kredite zu schaffen. Wir sprechen viel von denen der Banken, aber kaum von denen der Haushalte. Mit dem Abrutschen der Immobilienpreise und ansteigender Arbeitslosigkeit wir es immer mehr zu Zahlungsunfähigkeiten bei der Rückzahlung abgesicherter Kredite im privaten Wohnungsbau kommen. Diese Hypotheken haben die astronomische Höhe von 7.500 Milliarden Dollar erreicht, deren Wert um 60% gefallen ist. Das politische und soziale Problem bleibt gewissermaßen verborgen. (...) Wir dürfen uns aber nichts vormachen: eine ‘Reinigung’ großen Ausmaßes der Wirtschaft hat eingesetzt... und die Unternehmen, die dabei überleben werden, werden unglaublich stark sein. In Japan sind die Risiken, die für die Weltwirtschaft ausgehen, seit den 30er Jahren am größten“ (Le Monde, 23. September).

Die Aussage ist klar: für die Wirtschaft Japans und für die Arbeiterklasse steht das Schlimmste noch bevor, die japanischen Arbeiter, die während der letzten 10 Jahre von der Stagnation  schon hart getroffen wurden, müssen noch mehr Sparprogramme, noch mehr Massenentlassungen und eine Verschärfung ihrer Ausbeutung  über sich ergehen lassen, während jetzt schon aufgrund der Finanzkrise auch große Firmen schließen müssen. Aber auch das bereitet den Kapitalisten in dieser Phase, wo die Weltarbeiterklasse noch nicht die ideologische Niederlage überwunden hat, die sie nach dem Zusammenbruch des Ostblocks erlitten hat, noch nicht die größte Sorge. Was sie immer mehr bedrückt, ist die Zerstörung der Illusionen und das zunehmende Entblößen der katastrophalen Perspektiven ihrer Wirtschaft.

Hin zu einer neuen weltweiten Rezession

Während jeweils bei einem früheren Alarm die ‘Spezialisten’ mit tröstenden Aussagen aufwarteten, wie ‘der Handel mit Südostasien ist nur von geringem Umfang’, ‘Russland hat in der Weltwirtschaft kein großes Gewicht’, ‘die Wirtschaft Europas ist durch die Perspektive des Euros wie gedopt’, ‘die Wirtschaftslage in den USA ist gesund’ usw., ändert sich heute der Ton. Der Minikrach Ende August an allen Finanzplätzen der Welt hat wieder in Erinnerung gerufen, wenn im Sturm zunächst die schwächsten Äste am Baum brechen, dann vor allem, weil der Stamm nicht mehr genügend ‘Energie’ aus den Wurzeln ziehen kann, um die periphäresten Teile zu versorgen. Der Kern des Problems befindet sich in den Industriezentren selber; die Börsenprofis haben sich keineswegs getäuscht. Während die Beruhigungssprüche immer mehr von der Wirklichkeit widerlegt werden, kann man die Wirklichkeit selber nicht mehr verheimlichen. Für die Bourgeoisie kommt es jetzt grundsätzlich darauf auf, dass man sich auf die schmerzhaften sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer internationalen Rezession einstellt, deren Eintreten immer gewisser wird: „eine weltweite Rezession ist nicht abgewendet. Die amerikanischen Behörden haben es für nützlich befunden mitzuteilen, dass sie die Ereignisse sehr genau verfolgen (...), die Wahrscheinlichkeit einer weltweiten wirtschaftlichen Verlangsamung darf nicht vernachlässigt werden. Ein Großteil Asiens steckt schon in der Rezession. In den USA könnten gesunkene Aktienwerte die Haushalte dazu bewegen, höhere Beträge zu sparen, womit die Ausgaben für Konsum sinken würden, was wiederum zu einer wirtschaftlichen Verlangsamung führt“ (Le Soir, 2. September).

Die Krise in Ostasien hat schon zu einer massiven Kapitalentwertung geführt, indem Hunderte von Produktionsstandorte stillgelegt wurden, indem Guthaben an Wert verloren, Tausende Firmen dicht gemacht haben und Millionen von Menschen noch tiefer in Armut versunken sind. ‘Der dramatischste Zusammenbruch eines Landes während der letzten 50 Jahre’ – so beschreibt die Weltbank die Lage in Indonesien. Übrigens war auslösendes Moment des Rückgangs der Aktienkurse die offizielle Ankündigung des Beginns der Rezession im zweiten Halbjahr 1998 in Südkorea und Malaysien. Nach Japan, Hongkong, Indonesien und Thailand ist nahezu das ganze so hochgelobte Südostasien abgestürzt, denn man erwartet, dass selbst Singapur Ende des Jahres in die Rezession gerät. Nur Kontinental-China und Taiwan bilden bislang noch eine Ausnahme, aber wie lange noch? Im Falle Asiens spricht man übrigens nicht mehr von Rezession, sondern von Depression: „Eine Depression liegt hingegen dann vor, wenn das Schrumpfen von Produktion und Handel sich gegenseitig derart potenzieren, daß die sozialen Grundlagen der wirtschaftlichen Aktivität Schaden leiden. In diesem Stadium wird es unmöglich, auf einen Umschwung der Entwicklungstendenzen zu bauen, und die Einleitung klassischer Wiederankurbelungsmaßnahmen ist entweder schwer zu realisieren oder sinnlos. Exakt in dieser Lage befinden sich derzeit viele Länder Asiens, was für die gesamte Region bedrohlich ist) (Le Monde Diplomatique, Sept. 98).

Wenn man die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Industriezentren mit der Rezession der zweiten Wirtschaftsmacht der Welt – Japan – und des ganzen südostasiatischen Raums zusammenführt, wenn man die Rezessionsauswirkungen, die der Zusammenbruch in Russland in den anderen osteuropäischen Staaten und in Lateinamerika hervorgerufen hat (insbesondere ersichtlich durch den Rückgang der Rohstoffpreise, darunter vor allem Öl), mit berücksichtigt, gelangt man zu einer unvermeidbaren Schrumpfung des Weltmarktes, die den Auftakt dieser neuen internationalen Rezession stellen wird. Der IWF täuschte sich nicht. Er hat schon die Rezessionsauswirkungen bei seinen Prognosen berücksichtigt und meint, dass die Finanzkrise weltweit 2% weniger Wachstum im Jahr 1998 im Vergleich zu 1997 (4.3%) bedeuten wird, während das Jahr 1999 erst das Schlimmste bringen wird. Dabei sprach man vorher noch von geringfügigen Auswirkungen! Das nächste Jahrtausend, das ja den Beweis des endgültigen Sieges des Kapitalismus und der neuen Weltordnung liefern sollte, beginnt wahrscheinlich mit Nullwachstum.

Kontinuität und Grenzen der Hilfsmittel

Seit mehr als 30 Jahren haben die Flucht nach Vorne in immer mehr Verschuldung sowie ein Aufschieben der zerstörerischsten Auswirkungen der Krise auf die Peripherie es der internationalen Bourgeoisie ermöglicht, immer wieder für einen Aufschub zu sorgen. Diese heute noch immer im großen Umfang praktizierte Politik zeigt immer mehr Erschöpfungserscheinungen. Die neue finanzielle Ordnung, die schrittweise das Abkommen von Bretton Woods nach dem Krieg ersetzt hat, erweist sich heute als sehr kostspielig. „Die reichen Staaten (USA, Europäische Union, Japan) haben daraus Nutzen geschlagen, während die kleinen Staaten durch einen auch nur bescheidenen Kapitalfluss leicht zermalmt werden’ (John Llewellyn, Chefökonom bei Lehman Brothers London). Wie bei einem Bumerang sind die zerstörerischsten Auswirkungen der Krise immer weniger auf die Randbereiche der internationalen Weltwirtschaft einzugrenzen. Die Verschlechterung der Lage und die wirtschaftlichen Erschütterungen haben solche Ausmaße angenommen, dass die Auswirkungen unvermeidlich direkt im Herzen selber der mächtigsten Metropolen zu spüren sind. Nach dem Bankrott der 3. Welt, des Ostblocks und Südostasiens, hat jetzt die zweite Wirtschaftsmacht der Erde – Japan – angefangen zu schwanken. Hier dreht es sich nicht mehr um die Peripherie des Systems, sondern einer der drei Pole ist erfaßt, der zum Herzen des Systems gehört. Ein anderer untrüglicher Beleg der Erschöpfung dieser Mittel ist die immer größere Unfähigkeit der internationalen Institutionen wie IWF und Weltbank – die in die Bresche springen mußten, um ein Szenario wie das von 1929 zu verhindern – , die aufgetretenen Brände zu löschen, die an immer mehr Orten der Erde aufflammen. Das spiegelt sich durch eine Unsicherheit des IWF, letzter Rettungsanker sein zu können, wider. Der IWF verfügt nicht mehr über ausreichend Mittel, Feuerwehr spielen zu können. „Die letzten Erschütterungen der Krise in Russland haben darüber hinaus gezeigt, dass der IWF nicht mehr zur Verfügung stand – nicht mehr dazu in der Lage war, sagen einige – um systematisch die Feuerwehrrolle zu spielen. Die Entscheidung des IWF und der G7, Russland keine zusätzliche Finanzhilfe zu leisten, war von grundsätzlicher Bedeutung für die Zukunft der Investitionen in den Schwellenländern (...) Übersetzt heisst dies: nichts besagt, dass der IWF finanziell eingreifen würde, um eine mögliche Krise in Lateinamerika oder anderswo zu bekämpfen. Das dient nicht der Beruhigung der Investoren“ (AFP, Le Soir, 25.8.).  Wie die Entwicklung in Afrika belegt, wird die Bourgeoisie keine andere Wahl haben, als ganze Produktionsbereiche der Weltwirtschaft aufzugeben, um sich von den kränksten Bereichen abzuschotten und ein Mindestmaß an Stabilität auf einer eingeschränkteren Basis zu bewahren. Dies ist einer der Hauptgründe des beschleunigten Aufbaus von regionalen Wirtschaftseinheiten (EU, Nafta usw.). Genauso wie die Bourgeoisie der entwickelten Länder seit 1995 daran arbeitet, die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften mit dem Ziel zu erhöhen, die zukünftigen Arbeiterkämpfe zu kontrollieren, hat sie mit der Einführung des Euro versucht, sich vorzubereiten, um auf die Finanz- und Währungserschütterungen zu reagieren. So soll das in der Weltwirtschaft stabilisiert werden, was noch funktioniert. Deshalb spricht die europäische Bourgeoisie hinsichtlich des Euro von einem Schutzschild. Dabei betreibt sie ein zynisches Kalkül: für den internationalen Kapitalismus geht es darum, einen Vergleich anzustellen zwischen den Kosten für die Mittel, die aufgebracht werden müssen zur Rettung eines Landes oder einer Region, und die Folgen des Bankrottes derselben, falls nichts zur Rettung unternommen wird. Das bedeutet, in der Zukunft kann niemand mehr sicher sein, dass der IWF immer als ‘letzter Rettungsanker’ auftreten wird. Diese Unsicherheit trifft die ‘Schwellenländer’ besonders hart, denn die Gelder, die ihnen ihren ‘Wohlstand’ ermöglicht hatten, versiegen, womit ein möglicher Wiederaufschwung infragegestellt wird.

Der Bankrott des Kapitalismus

Vor nicht allzulanger Zeit rief der Begriff ‘Schwellenländer’ unter den Kapitalisten der ganzen Welt helle Aufregung hervor, die auf einem gesättigten Weltmarkt verzweifelt nach neuen Akkumulationsfeldern für ihr Kapital suchten. Sie waren die Aushängeschilder aller Ideologen des Systems, die diese Länder als Beweis der ewigen Jugend des Kapitalismus darstellten, welcher angeblich eine ‘zweite Jugend’ erlebe. Heute ruft dieser Begriff an der Börse Panik hervor, und die Angst,  eine neue ‘Krise’ in den Industriezentren könnte aus den ‘entfernten Regionen überschwappen’, macht sich breit.

Aber diese Krise kommt nicht wirklich aus diesen entfernten Regionen. Sie ist keine Krise der ‘jungen Länder’,  sondern eine Krise eines altersschwachen, in seinem Niedergang befindlichen System, das seit mehr als 80er Jahren dekadent ist und seitdem immer wieder auf die gleichen unüberwindbaren Widersprüche stößt: die Unmöglichkeit, immer mehr Absatzmärkte für die produzierten Waren zu finden, um die Fortsetzung der Akkumulation des Kapitals sicherzustellen. Zwei Weltkriege, Krisenphasen offener Zerstörung, wie die Krise, die nunmehr schon 30 Jahre dauert, waren der Preis dafür. Um ‘durchzuhalten’, hat das System immer wieder seine eigenen Gesetze ausgehebelt. Und der Hauptbetrug bestand in der Flucht nach vorne in eine immer größer werdende Verschuldung.

Die Absurdität der Lage in Russland, wo die Banken und der Staat sich nur über ‘Wasser gehalten’ haben dank einer immer unerträglicher werdenden Verschuldung, welche sie dazu zwang, sich noch mehr zu verschulden, allein um die Interessen dieser kumulierten Schulden zu zahlen, dieser Wahnsinn ist keineswegs ein rein ‘russischer’. Seit Jahrzehnten wurde die gesamte Weltwirtschaft aufrechterhalten durch die gleiche wahnsinnige Flucht nach vorn, da sie die einzig mögliche Reaktion auf ihre Widersprüche ist, und da sie das einzige Mittel ist, künstlich neue Märkte für das Kapital und die Waren zu schaffen. Das ganze System ist weltweit auf einem immer zerbrechlicheren Kartenhaus gebaut. Die umfangreichen Kredite an und massive Investitionen in den ‘Schwellenländern’, die selbst wiederum alle nur über Kredite finanziert wurden, waren nur ein Mittel, die Krise des Systems und seine explosiven Widersprüche vom Zentrum auf die Peripherie zu verlagern. Die aufeinanderfolgenden Börsenkrachs von 1987, 1989, 1997, 1998 – die daraus hervorgegangen sind, spiegeln den immer größeren Zusammenbruch des Kapitalismus wider. Gegenüber diesem brutalen Absturz lautet die Frage nicht, warum es jetzt solch eine Rezession gibt, sondern warum sie nicht schon früher gekommen ist. Die einzige Antwortet muss sein: weil die Bourgeoisie weltweit alles unternommen hat, um solche fälligen ‘Abrechnungen’ aufzuschieben, Zeit zu gewinnen, indem sie selbst ihre eigenen Gesetze manipuliert. Die Überproduktionskrise, die der Marxismus seit dem letzten Jahrhundert vorausgesehen hatte, kann aber durch solche Manipulationen nicht überwunden werden. Und heute zeigt erneut der Marxismus die Absurdität der Aussagen der ‘Experten des Liberalismus’ und der Anhänger einer ‘strengeren Finanzkontrolle’. Weder die einen noch die anderen können ein Wirtschaftssystem retten, dessen Widersprüche trotz dieser Manipulationen aufbrechen. Dieser Bankrott des Kapitalismus, den nur der Marxismus als unvermeidbar aufzeigen kann, lässt diese Erkenntnis zu einer Waffe für den Kampf der Ausgebeuteten werden.

Und wenn die Rechnung beglichen werden muss, wenn das zerbrechliche Finanzsystem zusammenbricht, schlagen die Grundwidersprüche zu: es folgt der Absturz in die Rezession, die Explosion der Arbeitslosigkeit, reihenweise gehen Firmen und ganze Industriebereiche bankrott. Innerhalb weniger Monate sind in Indonesien und Thailand Dutzende von Millionen Menschen in das schlimmste Elend gestürzt worden. Die Bourgeoisie selber gesteht dies ein, und wenn sie dies tun muss, zeigt das, wie schlimm die Lage ist. Aber all das ist keineswegs auf die ‘Schwellenländer’ beschränkt. Die Rezession ist auch in den Industriestaaten eingekehrt. Die am meist verschuldeten Länder der Erde sind übrigens weder Russland noch Brasilien, sondern die des Zentrums des Kapitalismus selber, angefangen bei den USA, die am höchsten verschuldet sind. Japan ist nun offiziell in die Rezession eingetreten nach zwei Halbjahren negativen Wachstums, und man erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt um mehr als 1.5% 1998 zurückgeht. Großbritannien, das vor kurzem auch noch neben den USA als Modell ‘ökonomischen Dynamismus’ dargestellt wurde, ist aufgrund inflationärer Gefahren dazu gezwungen, eine ‘Abkühlung’ seiner Wirtschaft und ein ‘schnelles Ansteigen der Arbeitslosigkeit’ (Libération 13.8.) hinzunehmen. Überall in der Industrie werden Entlassungen angekündigt (100.000 Stellenstreichungen bei einer Gesamtbeschäftigtenzahl von 1.8 Mio. in der verarbeitenden Industrie sind allein in den nächsten 18 Monaten vorgesehen).

Asien zeigt uns die Perspektive der kapitalistischen Weltwirtschaft. Während die Rettungs- und Sanierungspläne angeblich diesen Ländern  neuen Elan einflößen sollten, hat sich im Gegenteil die Rezession niedergelassen und Elend und Hunger haben erneut ihren Einzug gehalten.

Der Kapitalismus hat keine Lösung für die Krise und diese stößt innerhalb dieses Systems auf keine Grenzen. Deshalb besteht die einzige Lösung für die Barbarei und das Elend, den das System der Menschheit aufzwingt, in der Überwindung durch die Arbeiterklasse. Deshalb liegt gegenüber der gesamten Arbeiterklasse weltweit aufgrund seiner Konzentration und seiner historischen Erfahrung in den Händen des Proletariats der Industriezentren des Kapitalismus, insbesondere Europas, eine entscheidende Verantwortung.                               MFP

(aus Internationale Revue Nr. 95, 4. Quartal 1998)

Interimperialistische Konflikte

Ein neuer Schritt ins Chaos

Letzten Sommer gab es keine Pause bei den Erschütterungen der kapitalistischen Welt. Im Gegenteil, wie so häufig in den letzten Jahren war die Sommerzeit durch eine brutale Zuspitzung der imperialistischen Konflikte und der kriegerischen Barbarei geprägt gewesen. Attentate gegen zwei US-Botschaften in Afrika, US-Bombardierungen in Afghanistan und im Sudan nach diesen Attentaten, Rebellion im Kongo mit einer starken Beteiligung der Nachbarländer gegen das neue Kabila-Regime usw. All diese jüngsten Ereignisse sind zusätzlich aufgetreten zu der Vielzahl von bewaffneten Konflikten, die die Welt zerstören, und die erneut das blutige Chaos aufzeigen, in das die Gesellschaft unter der Herrschaft des Kapitalismus immer mehr versinkt.

Mehrfach haben wir in unserer Presse die Tatsache hervorgehoben, dass der Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 80er Jahre keine ‘neue Weltordnung’ eröffnete, wie es der US-Präsident Bush seinerzeit angekündigt hatte, sondern damit zog ein nur noch größeres Chaos in der Geschichte der Menschheit ein. Seit dem Ende des 2. imperialistischen Weltkriegs hatte die Welt unter der Schreckensherrschaft der beiden Militärblöcke gelebt, die unaufhörlich vier Jahrzehnte lang in einer Reihe von Kriegen aufeinanderprallten, die genauso viele Tote hinterlassen haben wie im 2. Weltkrieg selber. Aber die Aufteilung der Welt zwischen beiden verfeindeten imperialistischen Blöcken, die einerseits immer wieder zahlreiche lokale Konflikte hervorrief, zwang andererseits die beiden Supermächte dazu, eine gewisse Polizeirolle zu spielen, um diese Konflikte in einem ‘akzeptablen’ Rahmen einzugrenzen und zu vermeiden, dass sie zu einem generalisierten Chaos führten.

Der Zusammenbruch des Ostblocks und darauffolgend des gegnerischen Blockes hat nicht die imperialistischen Widersprüche zwischen kapitalistischen Staaten aus der Welt geschafft, im Gegenteil. Die Gefahr eines neuen Weltkrieges ist gegenwärtig in größere Entfernung gerückt, da die möglichen gegnerischen Blöcke im Augenblick nicht mehr existieren, aber aufgrund des Versinkens der kapitalistischen Wirtschaft in einer unüberwindbaren Krise haben die Rivalitäten zwischen den Staaten nur an Schärfe zugenommen und spitzen sich weiter unkontrolliert zu. Von 1990 an, als die USA absichtlich die Krise und den Golfkrieg herbeigeführt haben, und wo sie ihre gewaltige militärische Überlegenheit zur Schau gestellt haben, haben die USA versucht, ihre Autorität auf der ganzen Welt und vor allem gegenüber ihren alten Verbündeten aus der Zeit des kalten Krieges zu behaupten. Aber der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zeigte, dass diese ehemaligen Verbündeten zusammenprallten und die US-Vorherrschaft infrage stellten. Dabei unterstützten einige Kroatien (Deutschland), andere Serbien (Frankreich und Großbritannien insbesondere), während die USA nach einer Phase der Unterstützung Serbiens, schließlich Bosnien unterstützten. Das war der Anfang der Epoche des ‘jeder für sich’, wo die Allianzen immer mehr ihre Grundlage verloren, und wo insbesondere die USA Schwierigkeiten bekamen, ihre Führungsrolle auszuüben.

Die treffendste Verdeutlichung dieser Lage konnte man im letzten Winter beobachten, als die USA auf ihre kriegerischen Drohungen gegen den Irak verzichten mussten, nachdem sie eine vom Generalsekretär der UNO erzielte Verhandlungslösung akzeptieren mussten, die auch durch die Unterstützung von Ländern wie Frankreich zustande gekommen war. Diese Länder haben seit 1990 ununterbrochen die US-Vorherrschaft untergraben (siehe dazu unseren Artikel in der Internationalen Revue Nr. 93: ‘Ein Rückschlag für die USA, der die kriegerischen Spannungen weiter antreibt’). Und die Ereignisse im Sommer haben erneut diese Tendenz, ja eine Verschärfung derselben  zum Vorschein gebracht, wo jeder für sich kämpft.

Der Krieg im Kongo

Das Chaos, dem heute die Beziehungen zwischen den Staaten verfallen, wird sofort ersichtlich, wenn man die Konflikte der jüngsten Zeit genau untersucht. Zum Beispiel unterstützen heute im Kongo-Krieg Länder, die vor weniger als zwei Jahren die Offensive von Laurent-Désiré Kabila gegen das Regime Mobutus mittrugen, die Rebellen gegen denselben Kabila. Noch verwunderlicher ist es, dass diese Länder, die in den USA einen herausragenden Verbündeten gegen die Interessen der französischen Bourgeoisie gefunden hatten, heute auf der Seite Frankreichs stehen, das die Rebellion gegen Kabila diskret unterstützt, denn es betrachtet ihn als einen Feind, nachdem er das mit Frankreich ‘befreundete Regime’ Mobutus gestürzt hatte. Noch überraschender ist die Unterstützung, die sich als entscheidend herausgestellt hat, seitens Angolas für das Regime Kabilas, nachdem er fast schon dabei war, verjagt zu werden. Bislang erlaubte Kabila, der anfangs von Angola unterstützt wurde, (insbesondere durch Ausbildung und Ausstattung der ehemaligen ‘Katanga-Gendarmen’) es den Truppen der UNITA, die einen Krieg gegen die gegenwärtige Regierung in Luanda führten, sich in den Kongo zurückzuziehen und dort Truppen auszubilden. Scheinbar hat Angola diese Treulosigkeit Kongos nicht nachgehalten. Um alles noch komplizierter werden zu lassen, hat sich  heute Angola, das vor einem Jahr den Sieg der Clique um Denis Sassou Ngesso ermöglichte, der von Frankreich gegen die Clique Pascale Lissoubas bei dem Kampf um die Kontrolle Kongo-Brazzavilles unterstützt wurde, dem Feindeslager Frankreichs angeschlossen. Schließlich zeigen die Bemühungen der USA, ihren Einfluss in Afrika insbesondere auf Kosten von Frankreich zu vergrößern, auf, dass nach den Erfolgen bei der Einrichtung eines ‘befreundeten’ Regimes in Ruanda und vor allem nach dem Sturz Mobutus, der bis zum letzten Tag von Frankreich unterstützt wurde, die USA selber auf der Stelle treten. Das Regime, dem die USA im Mai 1997 in Kinshasa an die Macht verhalfen, hat sich nicht nur gegen die USA gewendet, sondern auch ein Großteil der Bevölkerung, die zuvor noch Kabila nach 30 Jahren Mobutu-Herrschaft als den neuen Machthaber mit Blumen bejubelte, aber auch eine Reihe von Nachbarstaaten und insbesondere ‘Paten’ wie Uganda und Ruanda verwirft die USA. In der gegenwärtigen Krise ist die US-Diplomatie besonders schweigsam geblieben (sie hat ‘sofort Ruanda gebeten’, sich nicht einzumischen und die Militärhilfe eingestellt), während der französische Gegner entsprechend diskret aber dennoch eindeutig die Militärrebellion unterstützt.

Es ist unverkennbar, dass bei dem Chaos, in das Zentralafrika versinkt, die afrikanischen Staaten immer mehr der Kontrolle der Großmächte entweichen. Im kalten Krieg war Afrika ein Streitpunkt bei den Rivalitäten zwischen den beiden imperialistischen Blöcken, die die Welt aufgeteilt hatten. Die alten Kolonialmächte und insbesondere Frankreich waren vom westlichen Block damit beauftragt worden, dort zugunsten desselben als Gendarm aufzutreten. Die verschiedenen Staaten, die nach der Unabhängigkeit schrittweise versucht hatten, sich auf den russischen Block zu stützen, (wie beispielsweise Ägypten, Algerien, Angola, Mosambik) wechselten das Lager  und wurden zu treuen Verbündeten des westlichen Blocks, noch bevor der sowjetische Block zusammenbrach. Aber solange dieser – wenn auch noch sehr geschwächt – sich am Leben hielt, gab es eine grundlegende Solidarität zwischen den Westmächten, um zu verhindern, dass die UdSSR in Afrika erneut Fuß fasst. Diese Solidarität ist jetzt nach dem Zusammenbruch des russischen Blocks auseinandergebrochen. Aus der Sicht der USA war der fortdauernde Einfluss Frankreichs in einem Großteil Afrikas – der im krassen Missverhältnis stand zu dem ökonomischen und vor allem militärischen Gewicht Frankreichs auf der Welt – etwas Anormales, zumal Frankreich keine Gelegenheit verpasste, die US-Führung zu untergraben. Deshalb war das heausragende Merkmal all der verschiedenen Konflikte in Afrika während der letzten Jahre die wachsende Rivalität zwischen den beiden ehemaligen Verbündeten Frankreich und den USA. Die USA haben dabei jeweils versucht, den ehemaligen Verbündeten aus dessen Machtbereichen zu vertreiben. Die spektakulärste Verdeutlichung dieser amerikanischen Offensive war im Mai 1997 der Sturz des Mobutu-Regimes, das jahrzehntelang in Afrika bei den Interessen Frankreichs (wie auch während des kalten Krieges im Interesse der USA) eine Schlüsselstellung eingenommen hatte. Als Laurent-Désiré Kabila zum  Regierungschef ernannt wurde, nahm er kein Blatt vor den Mund, um seine Feindschaft gegenüber Frankreich zu erklären und seine ‘Freundschaft’ mit den USA, die ihm in den Sattel geholfen hatten. Damals noch war trotz aller Rivalitäten zwischen den verschiedenen, insbesondere ethnischen Cliquen, die vor Ort zusammenprallten, der rote Faden des Konfliktes zwischen den USA und Frankreich deutlich zu erkennen, genauso wie er kurz zuvor sichtbar war bei dem Regierungssturz der Regime in Ruanda und in Burundi zugunsten der Tutsis, die von den USA unterstützt wurden.

Heute fällt es dagegen schwer, die gleichen Konfrontationslinien in der neuen blutigen Tragödie im Kongo zu erkennen. Es scheint so, dass die verschiedenen Staaten, die an diesem Konflikt beteiligt sind, ihre eigene Karte spielen, unabhängig von dem grundlegenden Zusammenprall zwischen Frankreich und den USA, der die Geschichte Afrikas in der letzten Zeit so geprägt hatte. So träumt gegenwärtig Uganda, einer der großen Drahtzieher des Sieges Kabilas, bei seinem gegenwärtigen Vorgehen gegen den gleichen Kabila davon, die Führung in einem ‘Tutsiland’ zu übernehmen, das Ruanda, Kenia, Tansania, Burundi und die östlichen Provinzen des Kongos zusammenführen würde.

Durch die Beteiligung an der Offensive gegen Kabila zielt Ruanda darauf ab, eine ‘ethnische Säuberung’ der von den Hutu-Milizen benutzten kongolesischen Gebiete vorzunehmen. Die Hutu-Milizen setzen nämlich ihre Angriffe gegen die ruandische Regierung in Kigali fort. Daneben verfolgt Ruanda das Ziel der Besetzung der Provinz Kivu (übrigens behauptete einer der Rebellenführer – Pascal Tshiapta  – am 5. August, die Rebellion sei deshalb ausgelöst worden, weil Kabila sein Versprechen nicht eingehalten hatte, Kiva den Banyamulengue zu überlassen, die ihn gegen Mobutu unterstützt hatten).

Die Unterstützung Kabilas durch das Regime Angolas ist auch nicht uneigennützig. Man denkt fast an das Seil, das um den Hals des zu Hängenden gelegt wird. Indem das Regime Kabilas von dessen militärischer Hilfe abhängt, kann Angola ihm seine Bedingungen diktieren: die UNITA-Rebellen dürfen sich nicht mehr auf kongolesischem Territorium aufhalten, es darf dieses Territoriums zur Aufrechterhaltung der Verbindung mit der Enklave Cabinda benutzen, die geographisch vom angolanischen Territorium abgeschnitten ist.

Die allgemeine Tendenz des ‘jeder für sich’, die die ehemaligen Verbündeten des amerikanischen Blocks immer mehr an den Tag legen, und die im ehemaligen Jugoslawien so unübersehbar wurde, hat mit dem gegenwärtigen Konflikt im Kongo eine neue Stufe erreicht: jetzt treten schon Länder aus dritt- oder viertrangigen Gebieten auf wie Angola oder Uganda, um ihre imperialistischen Ambitionen unabhängig von den Interessen ihrer ‘Schutzmächte’ umzusetzen. Und dieselbe Tendenz kam bei den Attentaten am 7. August gegen die US-Botschaften in Afrika und dem ‘Gegenschlag’ der USA zwei Wochen später zum Vorschein.

Die Attentate gegen die US-Botschaften und ihre Folgen

Die minutiöse Vorbereitung, die Koordinierung und das Ausmaß der mörderischen Gewalt der Attentate vom 7. August lassen den Schluß zu, das diese nicht das Werk einer isolierten Terroristengruppe waren, sondern dass sie von einem Staat unterstützt und organisiert wurden. Sofort nach diesen Attentaten behaupteten die USA übrigens lauthals, dass der Krieg gegen den Terrorismus nunmehr ein vorrangiges Ziel ihrer Politik darstellt (dieses Ziel vertrat Präsident Clinton mit Nachdruck am 21. September vor der UNO). Tatsächlich sind damit die Staaten gemeint, die den Terrorismus praktizieren oder ihn unterstützen – daran ließ die US-Regierung keinen Zweifel. Diese Politik ist nicht neu: seit vielen Jahren schon geisseln die USA die ‘terroristischen Staaten’ (insbesondere Libyen, Syrien und der Iran wurden als solche eingestuft). Natürlich gibt es ‘terroristische Staaten’, auf die sich die Wut der USA nicht richtet: es handelt sich um diejenigen Staaten, die die Bewegungen unterstützen, welche den Interessen der USA dienen (wie im Falle Saudi-Arabiens, das die algerischen Integristen finanziert, die einen Krieg gegen ein mit Frankreich befreundetes Regime führen). Aber wenn die erste Weltmacht, die den Führungsanspruch auf die ‘Gendarmenrolle’ in der Welt erhebt, dieser Frage solch eine Bedeutung zumisst, dann ist das nicht nur durch die augenblicklichen Umstände bedingt. Wenn heute der Terrorismus zu einem immer häufiger benutzten Mittel in den imperialistischen Konflikten geworden ist, dann verdeutlicht dies vor allem das Chaos in den Beziehungen zwischen den Staaten (2). Dieses Chaos ermöglicht es den weniger wichtigen Staaten, die Position der Großmächte zu untergraben, und insbesondere der ersten Großmacht, was natürlich eine weitere Untergrabung der Führungsrolle derselben bewirkt.

Die beiden Gegenschläge der USA gegen die Attentate gegen ihre Botschaften, die Bombardierung einer Fabrik in Karthum und des Stützpunktes von Oussama Ben Laden im Afghanistan mittels Marschflugkörper, spiegeln die Art der internationalen Beziehungen, die heute vorherrschen, wider. In beiden Fälle haben die USA zur Beanspruchung ihrer Führungsrolle erneut ihre Hauptstärke zur Schau gestellt: ihre gewaltige militärische Überlegenheit gegenüber allen anderen Staaten. Nur die US-Army kann auf solche massive Art und mit dieser teuflischen Präzision in Zehntausenden Kilometer Entfernung von den USA den Tod säen - und das ohne selbst das geringste Risiko einzugehen. Das stellt eine Warnung dar an die Länder, die geneigt sein würden, terroristische Gruppen zu unterstützen; aber sie richtet sich auch an die westlichen Staaten, die mit diesen Staaten gute Beziehungen unterhalten. So diente die Zerstörung einer Fabrik im Sudan – auch wenn die vorgebrachte Rechtfertigung  (Herstellung von chemischen Waffen) brüchig ist – den USA dazu, einen Schlag gegen ein islamisches Regime auszuführen, das gute Beziehungen zu Frankreich unterhält.

Aber wie früher schon hat sich diese Zurschaustellung der Militärmacht als wenig wirksam herausgestellt, um die anderen Staaten um die USA zusammenzuscharen. Einerseits haben fast alle arabischen oder islamischen Staaten die Bombardierungen verurteilt. Andererseits haben die westlichen Staaten, auch wenn sie Lippenbekenntnisse zur Unterstützung abgelegt haben, ihre Vorbehalte gegenüber den von den USA angewandten Mitteln zum Ausdruck gebracht. Dies legt erneut Zeugnis von den enormen Schwierigkeiten ab, auf die heute die erste Großmacht der Erde stößt, um ihre Führungsrolle zu verteidigen: solange es keine andere Supermacht gibt (wie das zur Zeit der UdSSR und dem Bestehen des Ostblocks der Fall war), ermöglicht auch das Zurschaustellen und der Einsatz der militärischen Stärke kein Zusammenrücken  um die USA. Genausowenig wird dadurch das Chaos überwunden, das sie angeblich bekämpfen wollen. Oft verschärft diese Politik nur die Verwerfung der USA und spitzt das Chaos und die Tendenz des ‘jeder für sich’ weiter zu.

Das unaufhaltsame Ansteigen des ‘jeder für sich’ und die Schwierigkeiten der amerikanischen Führungsrolle wurden bei den Bombardierungen der Stützpunkte Ben Ladens deutlich. Die Frage dreht sich darum, ob er Drahtzieher dieser Attentate in Dar-es-Salaam und in Nairobi war. Sie bleibt weiter unaufgeklärt. Aber die Tatsache, dass die USA beschlossen, Marschflugkörper auf die Ausbildungslager in Afghanistan zu feuern, belegt, dass die erste Weltmacht ihn als einen Feind betrachtet. Aber gerade dieser gleiche Ben Laden war zur Zeit der russischen Besetzung Afghanistans einer der besten Verbündeten der USA, den diese unterstützten und großzügig finanzierten. Überraschender noch erhielt Ben Laden Hilfe von den Taliban, die wiederum von den USA (mit der Hilfe Pakistans und Saudi-Arabiens) entscheidend Unterstützung bekamen bei deren Eroberung eines Großteils des afghanischen Territoriums. Heute stehen sich die Taliban und die USA gegenüber. Man kann mehrere Gründe zur Erklärung des Schlags der USA gegen die Taliban anführen.

Einerseits stellte die bedingungslose Unterstützung der Taliban durch Washington ein Hindernis beim Prozess der ‘Normalisierung’ der Beziehungen mit dem iranischen Regime dar. Dieser Prozess hatte in den Medien eine große Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als die Fussballmannschaften der USA und Irans während der letzten Fussball-WM Freundschaftsbekundungen austauschten. Bei ihren diplomatischen Bemühungen gegenüber dem Iran hinken die USA jedoch im Verhältnis zu den anderen Ländern wie z.B. Frankreich hinterher. So hatte Frankreich just zum gleichen Zeitpunkt seinen Aussenminister nach Teheran entsandt. Für die USA kommt es darauf an, die gegenwärtige Tendenz der Öffnung nicht zu verpassen, die von der iranischen Diplomatie eingeschlagen wurde, und damit nicht gegenüber anderen Mächten ins Hintertreffen zu geraten.

Aber der Schlag gegen die Taliban ist ebenfalls eine Warnung gegen die Bestrebungen derselben, gegenüber Washington auf Distanz zu gehen, nachdem ihr nahezu vollständiger Sieg über ihre Feinde sie weniger abhängig werden läßt von den USA. Mit anderen Worten: die erste Weltmacht will vermeiden, dass sich im Falle der Taliban nicht das gleiche wiederholt wie mit Ben Laden, dass ihre ‘Freunde’ nicht zu ihren Feinden werden. Aber in diesem Fall wie in anderen steht nicht fest, dass sich dieser Schlag für die USA auszahlen wird. Das ‘jeder für sich’ und das daraus entstehende Chaos wird auch durch das Zurschaustellen des Waffenarsenals des ‘Weltpolizisten’ nicht eingedämmt. Diese Phänomene sind ein vollständiger Bestandteil der gegenwärtigen historischen Periode des Zerfalls des Kapitalismus und sind als solche unüberwindbar.

Die grundlegende Unfähigkeit der USA, diese Lage zu überwinden, spiegelt sich übrigens auch im Leben der Bourgeoisie selber wider. Bei der Krise, von der heute die US-Exekutive um ‘Monica-Gate’ (Monika Lewinsky Affäre) erfasst wird, spielen wahrscheinlich Streitigkeiten innerhalb der politischen Klasse eine Rolle. Dieser von den Medien systematisch aufgebauschte Skandal wird nutzbringend eingesetzt, um die Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse abzulenken von einer wirtschaftlichen Lage, die sich immer mehr verschlechtert. Wachsende Angriffe der Unternehmer wie das Ansteigen der Kampfbereitschaft (Streiks bei General Motors und bei Northwest) belegen das. Der etwas surrealistische Aspekt dieses Prozesses gegen Clinton liefert ebenfalls einen Beweis für das Zerfäulnis der bürgerlichen Gesellschaft, die typisch ist für die Zerfallsperiode. Aber solch eine Offensive gegen den US-Präsidenten, die zu seiner Amtsenthebung führen könnte, zeigt die Malaise der US-Bourgeoisie, die unfähig ist, ihre eigene Führungsrolle in der Welt zu spielen.

Aber der Verdruss Clintons und gar der gesamten US-Bourgeoisie sind nur ein unbedeutender Aspekt in diesem Drama, das sich heute weltweit vollzieht. Für immer mehr Menschen – und das ist heute besonders deutlich sichtlich im Kongo – bedeutet dieses Chaos, das sich überall mehr entfaltet, immer mehr Massaker, Hungersnot, Epidemien, Barbarei. Diese Barbarei erreichte im Sommer eine neue Stufe, sie wird sich noch solange weiter zuspitzen, bis der Kapitalismus überwunden ist.           Fabienne    

(aus Internationale Revue Nr. 95,  4/98)

 

Geographisch: 

  • Afrika [9]

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