Pandemie in Deutschland

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Hinter der Unfähigkeit der Herrschenden – eine verrottende Gesellschaft

Jeden Tag machen sich bürgerliche Kommentatoren von Kabarettisten bis Journalisten aller Richtungen lustig über das täglich wachsende, ja mittlerweile grenzenlos gewordene Chaos. Mit großer Häme und beißendem Zynismus wird über das ständige Hin- und Her, die Unentschlossenheit der verantwortlichen Stellen auf allen Ebenen und deren Zankereien untereinander hergezogen.

Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, uns in diesen Chor der Zyniker einzureihen oder die Verantwortlichen mit Spott zu überschütten. Sicher gehört all das an den Pranger gestellt. Aber wir sehen unsere Aufgabe vielmehr darin Erklärungen zu bieten, warum die herrschende Klasse in Deutschland so jämmerlich mit der Pandemie umgeht. Mit anderen Worten: Mit Spott und Sarkasmus allein kommt man nirgendwo hin, sondern es kommt darauf an, das Bewusstsein über die Ursachen, die Tragweiten und Perspektiven zu schärfen.

Rückblick: Vom jahrelangen Stabilitätsanker …

Nach der Verabschiedung der Agenda 2010 und den damit verbundenen Angriffen gegen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigen galt Deutschland jahrelang als der "Gewinner" der Wirtschaftskrise nach 2008, als ein scheinbar sicherer Hafen in einem instabilen Umfeld. Sowohl innerhalb der EU als auch international insgesamt u.a. dank der Schwächung der globalen Führungsrolle der USA und durch ein geschicktes Taktieren mit China und Russland (die von den USA heftig attackiert werden) konnte Deutschland lange Zeit seine Führungsposition als exportstarke Nation ausbauen. Merkel verkörperte – trotz alledem – eine gewisse Stabilität und Kontinuität. Auch nach der großen Flüchtlingswelle von 2016 und der Eurokrise, die zwar der AfD zum Aufschwung verholfen hatten, war es der deutschen Bourgeoisie noch gelungen, den Populismus größtenteils in Schach und von den Schalthebeln der Macht fern zu halten. Damit gab es in Deutschland eine andere Ausgangssituation als z. B. in Großbritannien, wo der Populismus bereits in der Downing Street ein und aus ging oder Frankreich, wo die Kunstfigur Macron gegen die Bedrohung von Marie Le Pen bereits Ausdrücke einer geschwächten Bourgeoisie darstellten.

So war es möglich, dass die herrschende Klasse in Deutschland, als die Pandemie im Februar 2020 losbrach, sich noch relativ gut aus der Affäre ziehen konnte. Nach anfänglichem Zögern und Taktieren setzte man schnell in einem Bündnis von Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik einen Lockdown durch, der zwar die erste Welle der Überlastung des Gesundheitsweisen nicht verhindern, aber doch größere Infektionszahlen im Vergleich zu anderen Ländern verhindern konnte.

Im Sommer und nach den Ferien strebte man dann – trotz eindringlicher Warnungen vor einer zweiten Welle – eine schrittweise Öffnung der Wirtschaft an; vor allem der Tourismus sollte nicht völlig zum Erliegen kommen.

Zusätzliche Produktionskapazitäten für medizinisches Material wurden geschaffen, erste Verträge mit möglichen Impfstofflieferanten, die noch alle an der Entwicklung eines Impfstoffs arbeiteten, wurden auf EU-Ebene geschlossen, und nebenbei wurden zusätzliche (nicht unbedingt publik gemachte) Lieferungen für nationale Kontingente vereinbart. Gleichzeitig wurde alles unternommen, um die Wirtschaft in Absprache mit der EU, insbesondere Frankreich, vor dem Kollaps zu bewahren, indem das größte Rettungspaket aller Zeiten für die EU beschlossen wurde. Homeoffice wurde dann bei Beginn der zweiten und dritten Welle im Vergleich zur ersten Welle nur in relativ geringen Umfang von den Unternehmen angeboten.

Wild entschlossen, einen zweiten größeren Lockdown zu verhindern („den kann die Wirtschaft nicht verkraften“, hieß es), wollte man schließlich das Weihnachtsgeschäft nicht vermasseln. Zu diesem Zweck sollten Schulen, Kitas usw. mit allen Tricks offengehalten werden, damit die Eltern möglichst unbeschränkt arbeiten könnten und die Wirtschaft nicht allzu arg zu leiden habe. Mitte Dezember musste man dann die Reißleine ziehen und dann doch verschärfte Maßnahmen einführen. Doch still und heimlich lief im Gegensatz zu dem ersten Lockdown im Frühling das Herzstück der deutschen Industrie wieder an. Während alle Welt von Kaufhäusern und Konzertsälen redete, gingen Millionen von Proletarier weiterhin in Schichtarbeit in die Fabriken und Lagerhallen.

… zum Schauplatz eines bislang nie dagewesen Chaos

Im Unterschied zur ersten Phase hatte sich seit Herbst eine Dynamik durchgesetzt, wo mit wenigen Ausnahmen fast nie einheitlich auf Bundesebene gehandelt wurde – stattdessen entstand ein gewaltiger Flickenteppich. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer verfolgten jeweils unterschiedliche Ansätze, mit dem Bund wurde keine gemeinsame Linie gefunden – mit der Folge, dass Deutschland an Chaos innerhalb der EU kaum zu überbieten war und im Vergleich zum Beginn der Pandemie mit am stärksten ins Chaos abgerutscht war. Dies lag nicht an dem strukturell verankerten Föderalismus, wo die Länder und auf einer anderen Ebene die Kommunalverwaltungen relativ große Spielräume für eigene Entscheidungsbefugnisse haben. Dieser Föderalismus bot diesem Chaos zwischen den Ländern und dem Bund zwar besondere „Kanäle“ und gar eine Art institutionelle „Absicherung“ - die Triebkraft dahinter war jedoch die nicht mehr aufzuhaltende Dynamik des Jeder-für-sich. [1]

Gleichzeitig kam die Produktion und Lieferung sowie die Organisierung von Corona-Tests und Testzentren zwar mehr in Gang, sie erreichte aber aufgrund von Lieferengpässen und Organisationschaos nie eine ausreichende Wirkkraft. Je mehr die Infektionen anstiegen, desto weniger konnten die Gesundheitsämter trotz der anfänglich hochgelobten Wunderwaffe „Corona-App“ und der Mobilisierung von Tausenden Soldaten in den Gesundheitsämtern, die Infizierten nachverfolgen. Kurzum: ein Kontrollverlust seitens des Staates schlich sich ein. 

Brutstätte der kapitalistischen Anarchie erzeugt Impfchaos

Hinzu kam das unglaubliche Impfchaos. Wie wir bereits in anderen Artikeln in unserer Presse geschrieben haben [2] verdeutlichte das Impfchaos: Es kann keinen größeren Graben geben zwischen den Bedürfnissen der Menschheit und der Wirklichkeit der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Denn während die Menschheit auf dem ganzen Erdball mit dem Virus konfrontiert ist, wo einerseits alle Forscher und Labors der Welt mit vereinten Anstrengungen, sich über alle Mechanismen der Konkurrenz und der nationalen Rivalitäten hinwegsetzend, zusammenarbeiten müssten, um der Menschheit so schnell wie möglich den besten Impfstoff zur Verfügung zu stellen, erleben wir das Gegenteil. In vielleicht 100 Labors wurde auf der ganzen Welt an solch einem Impfstoff geforscht, aber jeder unabhängig von einander, in rücksichtsloser Konkurrenz zueinander, um nur ja den größten Marktanteil und die besten Absatzmöglichkeiten zu erheischen. Die Folge: nahezu ein Dutzend Impfstoffe mit unterschiedlichen Wirkungsgraden und noch nicht ausreichend dokumentierten Nebenwirkungen werden eingesetzt, jeweils geleitet durch nationale und Firmen-Geschäftsinteressen. In Amerika produzierte Impfstoffe wurden nicht exportiert, weil man zuerst US-Bürger versorgen will, das Gleiche in Großbritannien, chinesische Impfstoffe wurden als Lock- und Druckmittel für die imperialistischen Interessen Chinas eingesetzt. In der EU kam es zu Drohungen und Erpressungen zwischen GB und der EU wegen nicht abgesprochener, bzw. nicht eingehaltener Liefermengen vor allem von AstraZeneca. Obwohl ein Impfstoff auch in Deutschland bei BioNTech zusammen mit Pfizer mit entwickelt worden war und man schnell eine zweite Produktionsstätte in Marburg hochzog, reicht der Impfstoff auch Monate nach seiner Freigabe nicht aus. Die Unfähigkeit zuverlässiger Produktionsprognosen bei AstraZeneca, Meldungen über löchrige und unzuverlässige Lieferkanäle, gar Tausende verschwundene oder vernichtete Impfdosen, prägten die Nachrichten der Medien.  [3]

Als Folge der Unfähigkeit, eine planbare, überschaubare, zentralisierte Organisierung der Produktion und der Lieferungen zu garantieren, werden wir immer wieder vor die spaltende und irreführende Frage der Priorisierungen gestellt. Alle möglichen Kriterien der Berücksichtigung von Alter, Vorerkrankungen oder ob man „systemrelevant“ arbeite, wurden angeführt.

In der Zwischenzeit forderten die Notfallmediziner verzweifelt jeden Tag einen Lockdown, weil die Versorgung in den Krankenhäusern dabei war zu kollabieren und die gefürchtete Triage vor der Tür stand.

Zwar hatte man vor Weihnachten zögerlich einige Verschärfungen beschlossen, ein härterer, konsequenterer Lockdown war aber wieder aufgeschoben worden; dieser ließ sich dann im April nach monatelanger Verzögerungstaktik und Zerstrittenheit nicht mehr vermeiden: schließlich, nach mehr als einem Jahr, wurde die erste Notverordnung beschlossen, die u.a. bundesweite nächtliche Ausgangssperren usw. teilweise bis Juni bedeutet.

Was der Marxismus schon von Anfang an als zentrales Wesensmerkmal des Kapitalismus hervorgehoben hat, zeigte sich erneut in dieser Pandemie - die Anarchie der kapitalistischen Produktion und Verteilung wie im Bilderbuch.

Dies betonte Rosa Luxemburg in ihrer Schrift „Einführung in die Nationalökonomie“: „[Marx und Engels] suchten Stützpunkte für den Sozialismus nicht in der moralischen Verwerflichkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung noch im Ausklügeln möglichst einnehmender und verlockender Projekte, wie die soziale Gleichheit im heutigen Staate eingeschmuggelt werden könnte. Sie wandten sich an die Untersuchung der wirtschaftlichen Verhältnisse der heutigen Gesellschaft. Hier, in den Gesetzen der kapitalistischen Anarchie selbst, deckte Marx den wirklichen Ansatzpunkt für die sozialistischen Bestrebungen auf. Hatten die französischen und englischen Klassiker der Nationalökonomie die Gesetze aufgefunden, nach denen die kapitalistische Wirtschaft lebt und sich entwickelt, so nahm Marx ihr Werk ein halbes Jahrhundert später genau dort auf, wo jene es abgebrochen hatten. Er deckte seinerseits auf, wie dieselben Gesetze der heutigen Wirtschaftsordnung auf ihren eigenen Untergang hinarbeiten, indem sie durch das Umsichgreifen der Anarchie immer mehr die Existenz der Gesellschaft bedrohen und zu einer Kette vernichtender wirtschaftlicher und politischer Katastrophen [sich] gestalten. Es sind also, wie Marx nachgewiesen hat, die eigenen Entwicklungstendenzen der Kapitalherrschaft, die auf einer gewissen Stufe ihrer Reife den Übergang zu einer planmäßigen, von der gesamten arbeitenden Gesellschaft bewusst organisierten Wirtschaftsweise notwendig machen, wenn die gesamte Gesellschaft und die menschliche Kultur nicht in den Konvulsionen der ungezügelten Anarchie ihren Untergang finden soll".[4]

Schutz der Wirtschaft vor Gesundheit der Menschen

Wie eingangs erwähnt konnte das deutsche Kapital zunächst in einem Dreierpakt (Staat, Unternehmer, Gewerkschaften) die Hauptproduktionsstätten gezielt und kontrolliert für einen gewissen Zeitraum „herunterfahren“, aber diesen Einschnitt hatte man nach dem Sommer unbedingt vermeiden wollen. Insbesondere die Industriebranchen, die so gewaltig vom Export abhängig sind und den Kernbereich der deutschen Wirtschaft darstellen (Automobilbranche, Maschinenbau usw.), sollten unter allen Umständen weitestgehend verschont bleiben.[5] So ist es auch trotz aller Engpässe und Lieferschwierigkeiten bei Mikrochips, Halbleitern, die bei einigen Betrieben zu Kurzarbeit führen, (Anarchie lässt grüßen) gelungen, die Exporte nach China weiter aufrechtzuerhalten. Hätte China den Produktionseinbruch nach den Corona-Maßnahmen nicht wieder schnell ausgeglichen – so zumindest die offiziellen Angaben -, wäre die deutsche Wirtschaft viel stärker in Mitleidenschaft gezogen worden. Dennoch, der deutsche Staat wusste um die Gefahren eines Zusammenbruchs der Wirtschaft, denn alle „Prinzipien“, die man in der Krise nach 2008 brutal gegenüber der EU vertreten hatte, wurden dieses Mal über Bord geworfen. Auf EU-Ebene wurde das größte Rettungspaket aller Zeiten in Zusammenarbeit mit Frankreich, auf Bundesebene ein gigantischer Nachtragshaushalt beschlossen, das Tabu der „Neuverschuldung“ gebrochen, ein Rettungspaket nach dem anderen geschnürt.

Das heisst, wilde Entschlossenheit zu verhindern, dass die Wirtschaft an die Wand gefahren wird, unter Inkaufnahme der Zunahme der Infektionen – dies ist mit eine der Erklärungen für den verheerenden Verlauf der Pandemie in Deutschland.

Kapitalismus ohne Profit gibt es nicht, aber neue Dimensionen zeichnen sich ab…

Wenn sich nun ein paar Maden am Speck bereichert haben, gehört dies genauso zum innersten Wesen des Systems. Und dennoch, das Ausmaß der prächtigen „Provisionen“, die vor allem CDU-CSU Abgeordnete eingestrichen haben, brachte zwar nur die Spitze des Eisbergs der Vetternwirtschaft, der unglaublichen Pfründe des „Berater-“ und „Vermittlerwesens“ um Parlament und Regierung ans Licht. Dennoch, wenn diese Raffgier nun solche Ausmaße angenommen hat, zeigt dies einen neuen Grad der Verrottung. Zwar reagierte die CDU-CSU-Führung aus Angst um den Ruf ihrer Partei und dahinter dem Ansehen der gesamten Politikerkaste mit der Forderung nach einer Ehrenerklärung. Aber der Schaden war längst eingetreten. Und gleichzeitig hatte vorher schon der „Skandal“ um Wirecard und die „mal so“ verschwundenen zwei Milliarden Euro die ganze Verstrickung des Regierungsapparates in solche Vorgänge und welche Mittel man anwendet, um deutsche Firmen im internationalen Konkurrenzkampf zu pushen, deutlich werden lassen. [6]

Aber der Vertrauensverlust größerer Teile der Bevölkerung war längst eingetreten, der Mythos, Deutschland sei ein ‚sicherer Hafen‘, ein Ort der Stabilität, die Verwaltung sei fähig, mit ‚deutscher‘ Gründlichkeit zu reagieren, ist dabei zu zerbrechen. Auch wenn dieses Phänomen nicht auf Deutschland beschränkt ist, wurde es doch besonders krass deutlich.

Aus unserer Sicht handelt es sich um eine Erscheinungsweise dessen, was wir als Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft bezeichnen. [7]

Querdenker, Verschwörungstheorien… und das Vordringen der Rechten

Als weitere Zeichen dieses Zerfallsprozesses ist die besonders starke Verbreitung der Verschwörungstheorien und der Querdenker-Bewegung zu nennen. Auch wenn es in vielen anderen Ländern Proteste gegen Corona-Zwangsmaßnahmen gegeben hat, ragt deren Häufigkeit, Anzahl und Zusammensetzung für Deutschland besonders hervor.

Als Sammelbecken zahlreicher Rechtsradikaler, Reichsbürger, Impfgegner, Maskenverweigerer, Esoteriker und einem Alternativ-Milieu welches zu der Gründungsgeneration der Gründe gehörte usw., bringen sie die Unfähigkeit der Beteiligten zum Ausdruck, die tieferen Ursachen der Pandemie zu begreifen. Es kommen Leute mit irrationalen, wissenschaftsfeindlichen, verschwörungstheoretischen Ansichten zusammen, durchwoben mit Anhängern von fremdenfeindlichen und zu Pogromen neigenden Kräften. Ergänzt wird das ganze Sammelsurium durch Leute, die meinen ihre individuelle „Freiheit“, ihr Recht auf „Selbstbestimmung“ werde eingeschränkt, den ‚Schutz der Demokratie‘ verlangen, während dort versammelte Reichsbürger gerade diese nicht anerkennen. Hier sind die Kadaver und Zombies der bürgerlichen Werte auf der Straße.

Wenn nun der Verfassungsschutz diese Szene der Querdenker „überwachen“ soll, wird dies von einem Apparat in die Hand genommen, der sich in der Vergangenheit durch seine Blindheit und Wegsehen gegenüber rechtsradikalen Umtrieben hervorgetan hat, (siehe z.B. die NSU-Mordserie) und dessen ehemaliger Chef Maaßen wegen Rechtslastigkeit gefeuert wurde.

Dies ist nur ein Zeichen dafür, dass der deutschen Bourgeoisie, die nach der nie abgeschlossenen Säuberung des Staatsapparates von Altnazis, dennoch jahrzehntelang das Ansehen Deutschlands als Demokratie und „offenes Land“ durch das Fernhalten der Rechten aus Parlament und Staatsapparat gewährleisten konnte, nun etwas entglitten ist. Es wurde immer mehr bekannt, dass Polizei und Militär (und andere Teile des Staates) mit Rechtsradikalen und zum Teil gewaltbereiten „Staatsdienern“ durchsetzt sind. Ob „chat-Gruppen“ unter Polizisten mit rechtsradikalem oder „demokratiefeindlichem“ Gedankengut, Waffenlager anlegende Teile von Spezialeinheiten wie KSK, MEK, durchgestochene Infos von Polizei an Fascho-Gruppen – alles Mögliche scheint im Staatsapparat zu wuchern.

Während solche rechtsradikalen Kräfte in den letzten Jahrzehnten nie ganz verschwunden waren, und - immer an der langen Leine geführt - hier und da aktiv waren, scheint sich mittlerweile ansatzweise so etwas wie eine Säuberung des Kraken im Staatsapparat breit machen. Während der Flüchtlingskrise formierte sich ein Teil des Sicherheitsapparates offensiv gegen Merkels Politik. Gleichzeitig nimmt die Entschlossenheit unter rechtsradikalen Kräften, gegen politische Gegner mit Gewalt vorzugehen, weiter zu, so dass immer mehr bürgerliche Politiker Angst vor gewaltsamen Angriffen haben müssen.  Das weist darauf hin, dass dieser Zersetzungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft auch in Deutschland besondere Ausmaße annimmt.

Der unaufhaltsame Verlust der Glaubwürdigkeit der herrschenden Klasse...

Am deutlichsten sticht der Prozess der Fäulnis aber heraus anhand des Verlustes der Glaubwürdigkeit der bürgerlichen Parteien.

Dieser Prozess ist seit Jahren im Gang und stach besonders krass durch den jahrelangen Rückgang der Beteiligung an den Parlamentswahlen hervor. Immer weniger glaubten an die Wahlversprechungen der bürgerlichen Parteien; gleichzeitig versuchten immer mehr Protestparteien aller Couleur in diese „Lücke“ zu stoßen. So konnte die AfD am stärksten von diesem Verlust der Glaubwürdigkeit profitieren und Leute wieder zur Wahlurne locken (erwarteter Stimmenanteil der AfD bundesweit über 10%). Dass die AfD selbst ein Haifischbecken ist, indem Hetze, Grabenkriege, inhaltliche Leere und hirnrissige Auffassungen, Mangel an ‚Staatsräson“ in einem Klumpen zu finden sind, spiegelt nur die „Alternativlosigkeit“ des verfaulenden bürgerlichen Lagers wider.

Der Verschleiß der bürgerlichen Parteien wird am augenscheinlichsten in der CDU-CSU. Nachdem Merkel vor der Pandemie schon als Belastung für die Partei angesehen wurde, sie aber noch mal in der Anfangsphase der Pandemie ein kurzes „Comeback“ als Krisenmanagerin hinlegen konnte, gilt sie nunmehr als “Lahme Ente“. Die ganze Leere der CDU/CSU gegenüber der Sackgasse der bürgerlichen Gesellschaft kann keineswegs durch die Wahl einer neuen Führungsmannschaft gelöst werden. Dabei hat der monatelange Konkurrenzkampf zwischen Laschet und Söder ohnehin offenbart, wie wenig die „Führer“ der beiden Parteien anzubieten haben. Nachdem nun offensichtlich geworden ist, dass für die CDU-CSU sogar die Gefahr besteht, überhaupt nicht mehr an der nächsten Bundesregierung beteiligt zu sein, kann man nicht ausschließen, dass Söder als im Machtkampf innerhalb der Union Unterlegener in einen Rachefeldzug gegen Laschet eintritt und die Union in eine noch tiefere Krise rutscht. [8] Doch die Zersetzung ist schon tiefer in die CDU eingesickert und drückt sich in Disziplinlosigkeit gegenüber der neuen Führung aus. So wurde der geschasste Präsident des Verfassungsschutzes Maaßen von thüringischen Ortsverbänden mit großer Mehrheit zum Direktkandidaten gewählt, ein offensichtlicher Affront gegen den eigenen Kanzlerkandidaten.

Die Sozialdemokratie bleibt natürlich nicht von dem Verlust der Glaubwürdigkeit der bürgerlichen Parteien verschont. Mittlerweile wird sie auch auf Bundesebene bei nur gut einem Dutzend Prozent gehandelt.

Einzige Gewinner sind bislang die Grünen. Zwar sind die Grünen seit ihrer Entstehung vor nunmehr vier Jahrzehnten längst zur staatstragenden Partei geworden, die einen beträchtlichen Teil der alten 68er in sich aufgesogen haben und den Bedürfnissen des deutschen Kapitals mit bestem Wissen und Gewissen dienen. Unter Fischer-Schröder haben sie im Jugoslawienkrieg 1999 schon die erste Erfahrung bei Kriegspropaganda gesammelt. Und seitdem haben sie die Möglichkeiten der Regierungskoalitionen des deutschen Kapitals um beträchtliche Varianten erweitert (Rot-Rot-Grün, Ampel (Rot-Gelb-Grün), Schwarz-Grün, Schwarz-Grün-Gelb). Auch haben sie sich als eine wichtige Trumpfkarte erwiesen, um die in vielen anderen Ländern vorhandenen starken Polarisierungen (und oft Blockierungen) zwischen zwei Parteien zu vermeiden. Insofern verfügt das deutsche Kapital damit über weitere Optionen, um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit mit „Green Economist“ aufrecht zu erhalten. Bedeutende Teile der deutschen Industrie unterstützen mittlerweile die Grünen in der Einsicht, dass die Grünen langfristig für das deutsche Kapital „Modernisierungen“ mit beschleunigen können. Gleichzeitig werden mit dem Anspruch der Grünen, gegenüber Russland, China und der Türkei mehr auf die Menschenrechte zu achten, neue Herausforderungen, Verrenkungen und Winkelzüge auf die deutsche Außenpolitik zukommen, die durch die Ansprüche der USA an deutsche militärische Anstrengungen (Deutschland hat die Rüstungsausgaben um mehr als 5% erhöht – und ist somit Spitzenreiter bei den Erhöhungen) noch schwieriger zu bewältigen sein werden.

Jetzt jedoch ist schon absehbar, dass die Grünen selbst, obwohl sie auf Bundesebene noch nicht an den Hebeln der Macht sind, auch von einem Verschleiß Prozess betroffen sein werden. Denn es hat sich in Baden-Württemberg bei den letzten Landtagswahlen schon eine neue „Klimaliste“ in Abgrenzung von den Grünen gebildet.

Somit belegen die Entwicklung der Pandemie, das Wuchern der Corona-Proteste, das Wuchern der Rechten im Staat, die Zerstrittenheit und der Grabenkrieg der bürgerlichen Parteien, einen tiefergreifenden Fäulnisprozes..., der sich auch in Deutschland nur noch beschleunigen kann. Dies bedeutet für die deutsche Wirtschaft auf mittlere Sicht enorme Schwierigkeiten und Unsicherheiten. Es erhöht die Notwendigkeit, durch weitere starke staatskapitalistische Maßnahmen stützend und schützend einzugreifen, doch schwindet ebenso die Fähigkeit der Bourgeoise den Staat unter voller Kontrolle zu halten. Der ehemalige „sichere Hafen“ muss sich auf weitere Zerfallserscheinungen einstellen.

Aus Platzgründen sind wir hier nicht auf die Auswirkungen und Herausforderungen der Pandemie auf die Arbeiterklasse eingegangen.

Andreas Anfang Mai 2021


[3]https://www.focus.de/politik/deutschland/medienbericht-in-hamburger-impfzentrum-sollen-mehr-als-40-000-impfdosen-weggeworfen-worden-sein_id_13238294.html Nach einem Bericht des Norddeutschen Rundfunks (NDR) sind im Hamburger Impfzentrum offenbar mehr als 40.000 Impfdosen weggeworfen worden. Schuld an dem Debakel soll die unklare rechtliche Lage sein: Denn zu jeder Impfstoff-Dose wird eine Überschussmenge mitgeliefert, die die Ärzte jedoch nicht verwenden dürften. Bei AstraZeneca betreffe dies etwa jede elfte Impfdosis pro Ampulle, beim Impfstoff von BioNTech sei es jede siebte Dosis. Würden diese verwendet werden, so gehe das über die von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassene Zahl der Impfeinheiten pro Impfstoff-Ampulle hinaus.

[4]www.mlwerke.de/lu/lu05/lu05_580.htm Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einführung in die Nationalökonomie", S. 580-593.

[5]Dass es u.a. Corona-bedingt bei der Produktion von Chips und Halbleitern nun weltweit solche Engpässe gibt, dass mittlerweile ganze Produktionsstätten unterbrochen sind (bei Ford, Audi, Daimler kommt es zu Produktionsstillständen, Kurzarbeit usw.)  ist sowohl ein Ausdruck der oben benannten Anarchie aber auch der neuen Dimension der Anfälligkeit der weltweiten globalen Vernetzung und Transportketten.

[6] Merkels Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages als Fürsprecherin von Wirecard in China oder das Wegschauen und die Nachsicht des Finanzministers Scholz sprechen Bände. Dass Wirecard eine hilfreiche Quelle für die deutschen Nachrichtendienste ist, wundert deshalb nicht.

[8] Nachdem Laschet den Machtkampf gegen Söder vorerst gewonnen hat, hat eine Welle von Austritten in der CDU eingesetzt. 

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