Veröffentlicht auf Internationale Kommunistische Strömung (https://de.internationalism.org)

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Weltrevolution Nr. 134

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CIA-Flüge, BND-Aktivitäten

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Fortdauernde deutsch-amerikanische Rivalitäten

Als Angela Merkel zu Jahresanfang 2006 nach Washington aufbrach, um ihren Antrittsbesuch als deutsche Kanzlerin im Weißen Haus zu absolvieren, nahm sie nicht nur die Glückwünsche der deutschen Bourgeoisie mit auf den Weg, sondern auch einen festen Auftrag. Sie sollte die Kritik "der Heimat" am amerikanischen Vorgehen im "Krieg gegen den Terrorismus" öffentlich vortragen. Wohl wissend, dass Frau Merkel zur Zeit des Irakkriegs eine nachgiebigere Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten an den Tag gelegt hatte als der "Mainstream" der deutschen Bourgeoisie mit dem damaligen Bundeskanzler Schröder, erhoben die führenden Kreise in Berlin die bekannte amerikanische Praxis der Entführung und Folter von Gegnern des US Imperialismus zum öffentlichen Skandal, sobald Merkel als neue Chefin des deutschen Staates über die Schwelle des Kanzleramtes trat. So sollte sicher gestellt werden, dass sich in der "harten" Haltung des deutschen Imperialismus gegenüber seinem amerikanischen Rivalen nichts Wesentliches ändert. Über den Regierungswechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Rot hinweg soll eine Kontinuität in der deutschen Außenpolitik sichergestellt werden: Die Herausforderung der einzigen verbleibenden Supermacht durch die Bundesrepublik.
Merkel tat, was von ihr verlangt wurde. In den heiligen Hallen des Weißen Hauses äußerte sie höflich, aber entschieden, dass die Einsperrung  Terrorverdächtiger ohne Anklage und ohne Prozess "auf Dauer" nicht "haltbar" sei. Die Antwort aus Washington kam postwendend. Während die Bush-Administration sich ahnungslos gab, plauderte die CIA vor der Weltöffentlichkeit aus, dass die "deutschen Freunde" vom Bundesnachrichtendienst der US- Army während des Irakkriegs geholfen haben sollen, Bombenziele ausfindig zu machen.
Mit diesem Vorgehen hofft die amerikanische Bourgeoisie, sich eine Tatsache zu nutze zu machen, welche zur Zeit des letzten deutschen Wahlkampfs zu Tage getreten ist: außenpolitische Differenzen zwischen den beiden um das Kanzleramt kämpfenden Spitzenkandidaten Schröder und Merkel. Angesichts einer immer chaotischer werdenden Weltpolitik sind selbst innerhalb der seit dem Fall der Mauer in diesen Dingen so einheitlichen deutschen Bourgeoisie außenpolitische Nuancen aufgetreten.
Washington beabsichtigt, Berlin vor der Weltöffentlichkeit bloßzustellen, nachdem der ehemalige Juniorpartner in Europa aus der Zeit des Kalten Krieges seit Wochen wieder damit begonnen hat, das zu tun, was er bereits zur Zeit des Irakkrieges unablässig tat: Amerika an den Pranger zu stellen. Darüber hinaus hofft die Bush-Administration, die Meinungsverschiedenheiten und Interessenabweichungen innerhalb der deutschen Bourgeoisie zu vertiefen. Eins soll klar gestellt werden: Dass weder Deutschland noch andere imperialistische Herausforderer unbestraft Amerika kritisieren können. So ist es kein Zufall, dass gerade der Vertreter der außenpolitischen Linie  Schröders innerhalb der neuen Regierungskoalition - der ehemalige Geheimdienstkoordinator und jetzige Außenminister Steinmeier - die Hauptzielscheibe der Vorwürfe aus Amerika abgibt.
Jedoch: Angesichts des Gegenschlags aus Washington zeigt sich die deutsche Bourgeoisie demonstrativ um Schadensbegrenzung und um Einheitlichkeit bemüht. Zwar können die Oppositionsparteien es natürlich nicht lassen, sich durch das Einsetzen einer Untersuchungskommission in Sachen BND zu profilieren. Dennoch haben die FDP, die Grünen und die PDS sich zusammengetan, um die Interessen des kapitalistischen Vaterlands zu verteidigen. Sie kündigten gemeinsam das Vorhaben an, aus dieser Untersuchungskommission ein Instrument der Anklage gegen die USA zu machen, indem die Frage der CIA-Gefangenenflüge in Europa sowie die Verschleppung  deutscher Staatsbürger mit thematisiert werden.
Tatsächlich ist die deutsche Bourgeoisie derzeit bemüht, außenpolitisch von der Bildung der großen Koalition aus Union und SPD zu profitieren, um wieder eine einheitlichere Sicht der Interessen des deutschen Imperialismus zu erreichen. Bereits nach den Antrittsbesuchen Merkels in Washington und in Moskau lässt sich feststellen, dass es gegenüber diesen beiden Ländern höchstens zu Stilkorrekturen kommen wird. So wird die "strategische Partnerschaft" mit Russland vielleicht etwas weniger demonstrativ gefeiert werden, die Herausforderung der amerikanischen Supermacht noch etwas hinterhältiger zu gestalten sein. Der Hauptvorteil der Amtsablösung Schröders durch Merkel im außenpolitischen Bereich liegt wohl eher in der Möglichkeit der Akzentverschiebung gegenüber der EU. Angesichts des gerade für Deutschland besorgniserregenden aktuellen Ausmaßes der Krise der Europäischen Union wird es als Vorteil angesehen, den von Schröder überbetonten Schulterschluss mit Frankreich zugunsten einer mehr "vermittelnden" Haltung abzuschwächen.
Eins jedenfalls steht fest: das diplomatische und propagandistische Ringen zwischen Deutschland und den USA wird sich in den kommenden Monaten - nicht zuletzt angesichts des schwelenden Konflikts um das Atomprogramm Irans, sowie angesichts der Verärgerung der USA und deren derzeitigen osteuropäischen Verbündeten wegen des deutsch-russischen Erdgasgeschäfts - weiter verschärfen.     M. 19.01.06

Theoretische Fragen: 

  • Imperialismus [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Dekadenz des Kapitalismus [2]

Die Aufstände in den Vororten haben nichts mit dem Arbeiterkampf gemeinsam

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Die IKS hält da, wo sie kann, Diskussionsveranstaltungen ab, die für all jene offen sind, die aufrichtig die Welt verändern wollen. Wir wollen, dass unsere Diskussionsveranstaltungen ein Ort brüderlicher Debatte sind, wo jeder Teilnehmer seine Fragen, Argumente und Analysen einbringen kann.
So hat die IKS in Frankreich letzten Oktober und November in Tours, Marseille, Nantes, Toulouse, Paris und Lyon Veranstaltungen zum Thema "Nur die proletarische Revolution kann der Menschheit eine Perspektive anbieten" durchgeführt. Selbstverständlich sind wir auf die aktuelle Lage der Aufstände, die ein zentrales und immer wiederkehrendes Anliegen aller Beteiligten war, auf  jeder dieser Diskussionsveranstaltungen zu sprechen gekommen: Wie soll man die verzweifelte  Gewalt der jungen Vorstadtbewohner beurteilen?
Die Diskussion in Toulouse spiegelte sehr gut die Fragen innerhalb der Arbeiterklasse zu diesen Aufständen wider. So kam zur Gefühlslage als Ausdruck der Solidarität gegenüber  ihrer eigenen Kindern  die Wut hinzu, mit ansehen zu müssen, wie der Nachbar angegriffen, sein Auto angezündet oder die Schule im Stadtviertel zerstört wurde.
Auf der Diskussionsveranstaltung am 19. November in Toulouse haben wir wie immer die Debatte mit einer kurzen Einleitung durch die Organisation eröffnet. In dieser Einleitung zeigten wir auf, weshalb die Arbeiterklasse die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die die Welt umwälzen und den  Kapitalismus weltweit überwinden kann.  Wir waren dabei auf die Frage der Aufstände eingegangen und hatten dabei mit Nachdruck unterstrichen, welche Verzweiflung hinter diesen Gewaltausbrüchen steckte.
Autos, Schulen, Busse, Sporthallen anzuzünden, all das ist reine Selbstzerstörung. Aus solchen Taten entstehen keine Perspektiven, keine Hoffnungen. In Unkenntnis darüber, wie sie kämpfen können, haben diese verzweifelten Jugendlichen ihre Eltern, ihre Nachbarn angegriffen. Diese Arbeiterkinder haben ungewollt ihre Wut gegen ihre eigene Klasse gerichtet. 

Die Aufständischen sind Arbeiterkinder

<<>>Die Teilnehmer reagierten sofort und heftig. Zahlreiche Teilnehmer kritisierten unsere Stellungnahme, die wir im Internet veröffentlicht hatten (diese wurde auch auf unserer deutschen Webseite und in der letzten Ausgabe von Weltrevolution veröffentlicht), und auf die sich unsere Einleitung stützte.>
Schon im ersten Redebeitrag äußerte ein Teilnehmer, dass er mit uns nicht einverstanden sei: "Der Text der IKS wirft für mich Probleme auf. Die Aufstände werden als eine Revolte für sich dargestellt. Der Text zeigt nicht genügend die Zusammenstöße zwischen den Klassen auf. Die Stellungnahme der IKS ist nicht ausreichend kämpferisch. Es fehlt an Solidarität  gegenüber den Jugendlichen. Man hätte die Absurdität des Kapitalismus aufzeigen müssen und nicht von den Jugendlichen der benachteiligten Viertel sprechen müssen [...] Die Stellungnahme sagt nichts zur Frage der Klassenidentität. Wie die IKP/Le Prolétaire in ihrem Flugblatt schreibt, gehören diese Jugendlichen - ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht - der Arbeiterklasse an. Wo steht die Arbeiterklasse gegenüber dieser Revolte der Jugendlichen? Gegenüber dieser  sozialen Ausgrenzung muss man den Kampf der Jugendlichen mit dem Proletariat verbinden." Anknüpfend an diesen Redebeitrag, meinte ein Jugendlicher, der in Kontakt mit unserer Organisation steht und in einem Diskussionszirkel in der "ville rose" (rosa Stadt), als die Toulouse bekannt ist, mitwirkt, "Ich wohne in einem Vorort; aus meiner Sicht haben diese Jugendlichen sicherlich kein Klassenbewusstsein, sie haben nicht mal eine Ahnung davon, was eine Klasse ist. Dennoch sind diese Gewalthandlungen sind gegen den Kapitalismus gerichtet. Sie sind eine Revolte gegen das System (...)." Und ein dritter Teilnehmer brachte die gleiche Idee in dieser ersten Runde von Wortmeldungen zum Ausdruck: "Im Stadtviertel Mirail sind mindestens 50% der Jugendlichen arbeitslos. Sie finden keine Arbeit oder zumindest nur kleine Jobs. (...) Man hätte nicht so sehr die Schwächen dieser Auseinandersetzungen hervorheben, sondern die Perspektive des Proletariats hervorheben müssen(...)."
Diese Reaktionen überraschen uns nicht. Im Gegenteil. Das von den Kindern unserer Klasse erlittene Unrecht und die zynische Ausschlachtung durch die Bourgeoisie liefern zum Teil eine Erklärung für diese deutliche Tendenz unter den Teilnehmern, zunächst einmal  Solidarität gegenüber den "Ausgegrenzten" zu üben. Die spektakulären Gewaltausbrüche in den Städten haben die unerträglichen Lebensbedingungen eines Großteils der Arbeiterjugend ans Licht  gebracht. Im Gegensatz zur Kritik an unserer Stellungnahme, derzufolge es an "Solidarität gegenüber den Lebensbedingungen dieser Jugendliche" fehlte, hatten wir in dieser Stellungnahme klar unterstrichen: "
"Wenn die Jugendlichen aus den Vorstädten mit völlig absurden Methoden rebellieren, so liegt dies daran, dass sie sich in einer tiefen Verzweiflung befinden. Sie fühlen es jeden Tag in ihren Bäuchen, wegen der Arbeitslosigkeit, wegen der Diskriminierung und Geringschätzung, mit der sie behandelt werden." 

Diese Aufstände sind dem Kampf der Arbeiterklasse fremd

Kann man aber so weit gehen, wie es diese Teilnehmer taten, und behaupten, dass diese "Gewalthandlungen sich gegen den Kapitalismus richten" und "es sich um eine Revolte gegen das System" handelt? Was musste man den Arbeitern sagen? Hätte  man die totale Absurdität des Zerstörens um des Zerstörens willen verschweigen sollen? Die Augen davor verschließen sollen, wer die ersten Opfer dieser Gewalttaten sind?
Natürlich nicht. Die Arbeiter haben am eigenen Leib die Folgen  dieser Aufstände zu spüren bekommen. Wie es ein Teilnehmer deutlich formulierte: "(...) Einige Teilnehmer haben hier das Zerstören von Autos in ihren Redebeiträgen heruntergespielt. Ich aber möchte betonen, dass ich hoffe, mein Auto wird nicht angesteckt, weil ich wie all die anderen Arbeiter mein Auto brauche, um zur Arbeit zu fahren." Die Unterstützung für die Aufständischen, aber auch die Unterschätzung des nihilistischen Aspektes dieser Ereignisse blieben also durchaus nicht ohne Widerspruch. Die Diskussionsteilnehmer antworteten sich gegenseitig, und die Debatte nahm einen sehr dynamischen Verlauf. "Ich bin nicht damit einverstanden, was einige Teilnehmer zu den Aufständen gesagt haben. Es handelt sich sicher um eine Revolte gegen den bürgerlichen Staat, aber sie bietet keine Zukunft. Man kann sich nicht gegenüber denjenigen, die die Autos der Nachbarn, der Arbeiter verbrennen, solidarisch zeigen. Man kann sie verstehen, da sie ausgegrenzt sind; die kapitalistische Gesellschaft hat ihnen nichts mehr zu bieten. Es gibt eine allgemeine Unzufriedenheit. Aber deshalb darf man noch lange nicht mit dieser Gewalt einverstanden sein. Sie kämpfen schon seit Jahren mit Arbeitslosigkeit und der Armut. Dieser Teil der Klasse ist sehr heftig angegriffen worden. Das stimmt. Aber diese Gewalthandlungen sind kein Grund, sich auf ihre Seite zu stellen. All das hat nichts mit dem Arbeiterkampf gemeinsam."
Diese Gewaltausbrüche richten sich in der Tat gegen die Interessen der Arbeiterklasse. Sie verbreiten Angst, führen zum Rückzug und zu Spaltungen in ihren Reihen. Die Bourgeoisie hatte das sehr wohl verstanden. Sie hat gekonnt eine Angstpropaganda verbreitet, um die Verstärkung ihres Unterdrückungsapparates zu rechtfertigen. Diese Aufstände haben das Bewusstsein der Arbeiter nicht vorangetrieben. Sie haben im Gegenteil einen fruchtbaren Boden für die bürgerliche Ideologie geschaffen. Die herrschende Klasse hat diesen verzweifelten Teil der Jugendlichen instrumentalisiert, um ihre Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken und die polizeiliche Überwachung dieser Viertel zu intensivieren. Vor allem konnte sie so vorübergehend den Bankrott ihres Systems vertuschen, indem sie den "Abschaum" und die Einwanderer als die Ursache allen Übels bezeichnete. Wenn die Arbeiterklasse sich mit den Opfern des Kapitalismus solidarisch zeigt und somit auf der Seite der verzweifelten Jugendlichen steht, heißt dies keineswegs, dass wir diese Art von Revolte begrüßen, denn sie stehen in völligem Gegensatz zu den Bedürfnissen des Proletariats. Diese Krawalle sind nicht im mindesten Bestandteil des Arbeiterkampfes. 

Nur die Arbeiterklasse kann der Menschheit eine Perspektive bieten

Entgegen der Auffassung der IKP/Prolétaire  dürfen wir nicht zu solchen Gewaltausbrüchen ermuntern. Die  Äußerungen dieser "Partei" waren zweideutig und falsch. So veröffentlichte die IKP/Prolétaire ein Flugblatt mit dem reißerischen Titel: "Die Revolte der Vorstädte kündigt die Wiederaufnahme des revolutionären proletarischen Kampfes an": Und die Unterstützung solcher Revolten wird am Ende des Textes noch deutlicher: "Es lebe die Revolte der jungen Arbeiter der Vorstädte gegen ihr Elend, gegen den Rassismus und die Unterdrückung". Wie kann man behaupten, dass solche, auch gegen Arbeiter gerichtete Gewaltausbrüche "die Wiederaufnahme des Klassenkampfes" ankündigen? Hier lässt sich die IKP ganz einfach durch den spektakulären Charakter der Revolte irreführen und verliert aus den Augen, was der Klassenkampf wirklich ist und was den Inhalt und die Form des Arbeiterkampfes ausmacht.  In ihren Kämpfen strebt die Arbeiterklasse stets zur Vereinigung und zum Zusammenschluss. Die Arbeiterklasse kämpft um ihre Einheit und ihre Solidarität. Die Revolten stellen jedoch das Gegenteil dar. Sie bieten keine andere Perspektive als Zerstörung und Selbstzerstörung.
Der IKP zufolge setzen diese Jugendlichen eine neue Dynamik in der Arbeiterklasse, die zur Zeit eine amorphe Masse sei, in Gang. Genau das Gegenteil ist der Fall. Das Proletariat hat längst begonnen, den Weg des Klassenkampfes wieder einzuschlagen. Seit den Streiks im Frühjahr 2003 in Frankreich hat die Arbeiterklasse in etlichen Kämpfen ihre Kampfbereitschaft und ihre Tendenz zur Solidarität unter Beweis gestellt. Diese Krawalle jedoch sind  keine Kraft, die diese Tendenz beschleunigen, sondern  stellen eine Fessel für die Weiterentwicklung des Klassenkampfes dar. 
Ja, diese jugendlichen Aufständischen sind Opfer des kapitalistischen Systems. Ja, sie sind ein Teil der Arbeiterklasse, der besonders unter dem System leidet. Aber wie können wir unsere Solidarität gegenüber den Arbeiterkindern zum Ausdruck bringen? Bestimmt nicht, indem wir Illusionen verbreiten und vorbehaltlos  ihrem Aufschrei der Verzweiflung beipflichten. Die Arbeiterklasse darf den Jugendlichen auf ihrem selbstzerstörerischen Weg nicht folgen; sie muss sie im Gegenteil auf ihre Seite ziehen, sie hinter sich scharen. Sie hat die Verantwortung und die Mittel dazu, um den Jugendlichen eine Perspektive zu bieten. Wie wir in unserer Stellungnahme schrieben :
"Weil die Arbeiterklasse bis heute nicht die Stärke hatte, diese Perspektive durch die Entwicklung und Ausweitung ihrer Kämpfe zu bekräftigen, sind viele ihrer Kinder der Verzweiflung anheimgefallen, drücken ihr Aufbegehren auf absurde Weise aus oder suchen Zuflucht in den Wundern der Religion, die ihnen das Paradies nach dem Tod verspricht. Die einzig wahre Lösung der "Krise der enterbten Wohngegenden" ist die Weiterentwicklung des proletarischen Kampfes bis zur Revolution. Allein dieser Kampf kann der ganzen Revolte der jungen Generation eine Bedeutung und eine Perspektive verleihen." 

Eine brüderliche Debatte

Einer Tradition folgend schließen wir unsere Diskussionsveranstaltungen mit einer Schlussrunde ab, in der jeder Teilnehmer sich zum Verlauf und Inhalt der Diskussion äußern kann. Hier kann man kundtun, ob man weiterhin mit bestimmten Punkten nicht einverstanden ist, oder Fragen aufwerfen, die in der Diskussion  nicht beantwortet waren oder  in einer späteren Diskussion aufgegriffen werden sollten.
Allgemein äußerten sich die Teilnehmer zufrieden über diese Diskussion; es war ein wirkliches Interesse an diesem Thema zu spüren.
Auch die Teilnehmer, die ihre Differenzen geäußert hatten, begrüßten  die Debatte. Zwei dieser Teilnehmer bedauerten jedoch, dass die IKS in den Stadtteilen und im Rest der Arbeiterklasse nicht mit einem Flugblatt interveniert sei. Diese letzte Bemerkung zeigte, dass gewisse Differenzen auch über das Ende der Diskussion hinaus weiter bestehen blieben.
Wir verfolgen mit  unseren Diskussionsveranstaltungen nicht unbedingt das Ziel, unsere Positionen erschöpfend zu behandeln, könnte dies doch zu einem Ende der Debatten führen. Im Gegenteil, die reiche und dynamische Debatte in Toulouse hat mehr Fragen aufgeworfen als Antworten geliefert. So haben wir den grundlegenden Unterschied zwischen der zerstörerischen Gewalt dieser Aufstände und der schöpferischen Gewalt der Arbeiterklasse, die für die Überwindung des kapitalistischen Systems unabdingbar ist, nur am Rande gestreift. Das Thema ist also bei weitem nicht erschöpfend behandelt worden.
Wir wollen hier mit einem Auszug aus einem Brief abschließen, den uns ein junger Kontakt geschickt hat, der zum ersten Mal zu einer Diskussionsveranstaltung der IKS gekommen war und den brüderlichen Geist der Debatte begrüßte. "Ich schätze ganz besonders die Art und Weise der Durchführung der Debatte (ich hatte vorher kaum Gelegenheit dazu gehabt, so etwas in meinem Berufs- oder Privatleben zu erleben), denn so wurde ermöglicht, dass man zuhörte und herauszufinden versuchte, was jeder meinte. Man war bestrebt, auf die Anliegen der Teilnehmer einzugehen, wobei man gleichzeitig nicht die im Raum stehenden Fragen und die Notwendigkeit vergaß, diese zu klären und darauf zu antworten. Diese Ereignisse (die Gewaltausbrüche in den Städten) erscheinen wegen ihrer fehlenden Ziele und ihrer Mittel absurd; sie sind kein Teil einer Logik des Klassenkampfes, aber die Ereignisse haben viele Fragen unter den Teilnehmern aufgeworfen, mit denen man sich befassen musste. Die IKS hat da richtig gehandelt. Diese Ereignisse sind kein Teil einer revolutionären Logik (und selbst auf der Ebene einer Revolte sind diese Ereignisse in Anbetracht der Zielobjekte der Gewaltausbrüche kaum nachzuvollziehen), aber es war nötig sie zu analysieren, um sie einzuordnen und die Beteiligten an den Ereignissen einzuschätzen, um dann die Frage der proletarischen Organisation mit einer revolutionären Perspektive zu stellen, die gegenwärtigen ‚Indizien' des Klassenkampfes zu sehen,  die notwendige Vorbedingungen für die Revolution sind."

Pawel, 15.12.05

Geographisch: 

  • Frankreich [3]

Theoretische Fragen: 

  • Zerfall [4]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Dekadenz des Kapitalismus [2]

Kampf der Arbeitslosigkeit - Kampf dem Kapitalismus!

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Das Jahr 2005 ist als das Jahr mit dem höchsten Stand der Arbeitslosigkeit seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. Ob im Handwerk, im Dienstleistungsbereich oder in der Industrie - in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft kam es, vornehm ausgedrückt, zu einem stellenweise massiven Einbruch in der Beschäftigungsquote. Kaum eine Woche verging, ohne dass die Öffentlichkeit im Allgemeinen und die Arbeiterklasse im Besonderen mit neuen Hiobsbotschaften konfrontiert wurden. Die Deutsche Bank kündigt den Abbau von 2.000 Arbeitsplätzen an, die Telekom sogar mehr als 30.000.  Bei Opel und VW ist die Streichung von 8.500 bzw. 10.000 Arbeitsplätzen längst beschlossene Sache, und Mercedes, einst Inbegriff des krisensicheren Arbeitsplatzes, plant bis 2008 sogar die Streichung von 16.000 Arbeitsplätzen. Diese Welle verschonte dabei keinen Bereich der Arbeiterklasse: Selbst so hochqualifizierte Arbeiter wie die Beschäftigten von Infineon mussten in das bittere Brot der Arbeitslosigkeit beißen. Niemand kann sich heute noch einbilden, ungeschoren davon zu kommen.

Die Arbeiterklasse: Totgesagte leben länger

Doch wie reagiert die Arbeiterklasse auf diese unerhörten, existenziellen Angriffe des Kapitals? Sie denkt nicht daran, sich widerstandslos der wahnsinnigen Logik ihres Klassenfeindes zu fügen. Langsam, fast unmerklich gerät unsere Klasse in Bewegung. Nachdem die Mercedes-Arbeiter von Untertürkheim und Bremen sowie die Opelaner in Bochum den Anfang gemacht hatten, folgten im Herbst und Winter etliche andere Bereiche der Arbeiterklasse ihrem Beispiel. In Nürnberg protestierten die AEG-Arbeiter gegen die beabsichtigte Schließung ihres Werks mit wilden Streiks und Demonstrationen. Gegen die Pläne des Telekom-Vorstandes gingen 25.000 Beschäftigte auf die Straße. In Hamburg nahmen Tausende von Hafenarbeiter an einer 24stündigen Marathondemonstration Teil, um gegen Pläne der EU zu demonstrieren, die ihre Arbeitsplätze gefährden.

   Sicherlich wehrt sich die Arbeiterklasse noch völlig unspektakulär, voller Zaudern und Zaghaftigkeit gegen ihr Schicksal. Kein Zweifel, dass sich die Klasse noch nicht einmal im Ansatz aus der gewerkschaftlichen Umklammerung befreit hat. Und auch der Anlass dieser Kämpfe, die Frage der Massenentlassungen, ist nichts Neues. Man erinnere sich nur an den Kampf der von der Arbeitslosigkeit bedrohten Stahlarbeiter im französischen Denain und Longwy Ende der 70er Jahre, der eine ganze Region lahmlegte. Oder an den Kampf der Stahlarbeiter von Krupp/Rheinhausen gegen die Schließung ihres Stahlwerks im Herbst 1987, der damals die Schlagzeilen der bürgerlichen Medien in Deutschland beherrschte. Verglichen mit der Militanz und Entschlossenheit, die diese Arbeiterkämpfe auszeichneten, nehmen sich die aktuellen Widerstandsaktionen der Klasse in der Tat geradezu schüchtern aus.

   Dennoch verbergen sich hinter den noch ziemlich verhaltenen Reaktionen mehr als nur bedeutungslose Geplänkel. Die Streiks, Demonstrationen und Betriebsbesetzungen, die in den letzten Monaten den Alltag in Deutschland bereicherten, sind ein Indiz dafür, dass die Arbeiterklasse am Beginn einer neuen Kampfperiode steht. Sie deuten den Beginn einer Entwicklung an, die weit über das Niveau von Denain, Longwy und Rheinhausen hinausgehen könnte. Wenn dieser Beginn dennoch auf solch leisen Sohlen daherkommt, dann liegt dies auch daran, dass, anders als beim ersten Anlauf, der im Mai 1968 mit dem Paukenschlag des Generalstreiks der Arbeiter in Frankreich begann und eine völlig ahnungslose Bourgeoisie überrumpelte, die Arbeiterklasse es mittlerweile mit einer herrschenden Klasse zu tun hat, die alles andere als unvorbereitet ist.

   Es gibt noch einen weiteren Grund für die Schwierigkeiten des Proletariats bei der Wiederbelebung seines Kampfes: die Frage der Arbeitslosigkeit selbst. Im Gegensatz zur Periode zwischen 1968 und 1989 stehen heute ausnahmslos alle Angehörigen unserer Klasse unter dem Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit. Dies wirkt sich, wie wir bereits an anderer Stelle in unserer Presse festgestellt haben, zunächst lähmend auf den Arbeiterkampf aus. Denn - so stellt sich zumindest die Frage - was macht es für einen Sinn, einen Betrieb zu bestreiken, der sowieso geschlossen werden soll?

   Doch gleichzeitig birgt die Massenarbeitslosigkeit auch gesellschaftlichen Sprengstoff in sich. Wie keine andere Erscheinung stellt sie die ideologische Legitimation des System in Frage und regt die Arbeiter zu einem vertieften Nachdenken über die Perspektiven innerhalb des Kapitalismus und über die Alternativen außerhalb desselben an. Die Massivität der Entlassungswelle, die die Arbeiter auch und besonders in Deutschland überflutete, sorgt zudem dafür, dass sich allmählich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Arbeitslosigkeit weder selbstverschuldet oder der Unfähigkeit einzelner Kapitalisten geschuldet ist noch wie ein Naturereignis hingenommen werden muss. Es geht nun nicht mehr nur um die Verteidigung des erreichten Lebensstandards, sondern zunehmend um die nackte Existenz. Immer mehr Arbeiter begreifen, dass sie reagieren müssen. Und die jüngsten Kämpfe in Deutschland, so bescheiden sie sich ausnehmen, demonstrieren leise, aber nachdrücklich die ungebrochene Kampfbereitschaft der Klasse. Daran ändern auch die Niederlagen nichts, mit denen alle bisherigen Abwehrversuche der betroffenen Arbeiter, ob bei Mercedes-Untertürkheim oder anderswo, endeten. In der Tat ist die Arbeiterklasse, die in den 90er Jahren im Rahmen der "Der Kommunismus ist tot"-Kampagne bereits begraben worden war, wieder auferstanden und kehrt langsam auf ihr ureigenes Terrain zurück.

Die Strategie der Herrschenden: Gute Kapitalisten - böse Kapitalisten

Die deutsche Bourgeoisie hat mittlerweile begriffen, dass sich der Wind gedreht hat. Nachdem es ihr noch in den 90er Jahren gelungen war, die Massenarbeitslosigkeit gleichsam als ein Naturereignis darzustellen, als eine naturnotwendige Logik, aus der es kein Entkommen gibt, hat sie nun, angesichts des wachsenden Widerstands, notgedrungen ihre Strategie geändert. Denn wenn sich schon kämpferische Reaktionen seitens der Arbeiter nicht vermeiden lassen, so muss unter allen Umständen verhindert werden, dass all die Angriffe einen Denkprozess in der Klasse auslösen, an dessen Ende die offene Infragestellung des kapitalistischen Gesellschaftssystems durch das Proletariat stehen kann.

   Es war der damalige SPD-Vorsitzende und jetzige Vizekanzler und Arbeitsminister Müntefering, der mit seiner berüchtigten "Heuschrecken"-Tirade im vergangenen Frühjahr den Anfang machte. Weit entfernt davon, nur eine Eintagsfliege zu sein, läutete er den Beginn einer Kampagne der Herrschenden ein, mit der sie, anders als in den 90er Jahren, den Klassenkampf nicht länger leugnen, dafür aber versuchen, ihn mit einer Art "guten" Kapitalismus zu versöhnen. Seither werden die bürgerlichen Moralapostel aus Politik, Gewerkschaften, Kirchen und andere nicht müde, zwischen den patriotischen Unternehmern sowie den internationalen Spitzenmanagern und Großbankern, zwischen dem bodenständigen Mittelstand und den globalen Investmentgesellschaften, kurz: zwischen den "guten" und den "bösen" Kapitalisten zu unterscheiden.

   Es fällt jedoch auf, dass diese "kritische" Öffentlichkeit dabei auch sehr fein zwischen dem massiven Arbeitsplatzabbau in den einheimischen Automobilwerken (Daimler, VW) einerseits und den Schließungsplänen von oftmals  ausländisch geführten Gesellschaften (wie im Falle der AEG in Nürnberg, Samsung in Berlin, der Hamburger Aluminiumwerke oder der Firma Grohe) andererseits zu differenzieren wissen. Das eine begrüßen sie als längst überfällige Maßnahme, um deutsche Unternehmen für die internationale Konkurrenz fit zu machen. Das andere prangern sie hingegen als Ausverkauf deutscher Traditionsfirmen durch ausländische Finanzhaie und Konzerne an. Dabei verweisen sie gern auf den Umstand, dass es sich bei den betroffenen Werken um wirtschaftlich gesunde, ja hochprofitable Unternehmen handle, um neben der Profitgier vor allem die "ökonomische Unvernunft" der Verantwortlichen zu geißeln.

   Neben dem chauvinistischen Beigeschmack, den diese Kampagne besitzt, zeichnet sie sich also auch dadurch aus, dass sie die kapitalistischen Produktionsverhältnisse auf den Kopf stellt. Ihre Urheber wollen uns mit ihrem Gewäsch von der "sozialen Verantwortung" des Unternehmers allen Ernstes weismachen, dass die Kapitalisten die Verpflichtung hätten, ihre Profite in den Dienst der Arbeitsplatzerhaltung zu stellen. Und nicht nur das: so forderten Wirtschaftsminister Glos und Bundespräsident Köhler angesichts der Ertragslage der Unternehmen höhere Tariflöhne in diesem Jahr bzw. eine bessere Beteiligung der Arbeiter an den Unternehmensvermögen. All diese Demagogen übersehen dabei geflissentlich, dass die Jagd des Kapitalisten nach Profiten und Extraprofiten in Zeiten schrumpfender Märkte eben nicht zur Sicherung von Arbeitsplätzen, sondern im Gegenteil zum Abbau derselben führt. Sie verschweigen wissentlich, dass die Unternehmen, selbst wenn sie es wollten, ihre Beschäftigten nicht an den wachsenden Renditen teilhaben lassen können, würde dies doch bei ihren Großaktionären auf wenig Gegenliebe stoßen.

   Kurzum: sie gaukeln uns einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz vor (den es selbst im Wohlfahrtsstaat der 60er und 70er Jahre nicht gegeben hat), um uns Sand in die Augen zu streuen und den Bewusstwerdungsprozess, der in unserer Klasse eingesetzt hat,  bereits im Keim zu ersticken.

Die Gewerkschaften:Keine Bündnispartner der Arbeiterklasse, sondern Agenten des Staatskapitalismus

Noch ein Wort zu den Gewerkschaften und ihren "betrieblichen Bündnissen für Arbeit". Es verhält sich mit ihnen so wie mit der Braut, die sich zunächst noch ein bisschen vor dem Werben ihres Angebeteten ziert, weil sie um ihren guten Ruf fürchtet. Auch wenn die Gewerkschaftsspitzen anfangs noch so taten, als sträubten sie sich gegen betriebliche Bündnisse, so begleiteten sie stets augenzwinkernd die Bemühungen ihres verlängerten Arms in den Betrieben, den Betriebsräten, um die Schaffung eben solcher Bündnisse. Im Kern bestehen diese Bündnisse in einem Quid pro quo: Gibst du mir dieses, gebe ich dir jenes. Sorgen Gewerkschaften und Betriebsräte dafür, dass die Beschäftigten massive Einbußen wie z.B. die unentgeltliche Verlängerung der Arbeitszeiten hinnehmen, sichern die Unternehmen ihrerseits für einen vertraglich vereinbarten Zeitraum den Erhalt der Arbeitsplätze verbindlich zu.

   Diese "Bündnisse für Arbeit" verbinden gleich zwei Vorteile für die Gewerkschaften. Zum einen sind sie ein vorzügliches Erpressungsmittel gegen die Beschäftigten, die vor die scheinheilige Wahl gestellt werden, die Kröte der Arbeitszeitverlängerung, des Lohnraubs u.ä. zu schlucken oder aber den Verlust des Arbeitsplatzes zu riskieren. Zum anderen haben sie sich bisher auch als wirksames Besänftigungsmittel gegenüber den besonders kämpferischen Teilen der Arbeiterklasse erwiesen. Dies wird besonders an den Kämpfen bei Mercedes und Opel deutlich, die erst dann eingedämmt werden konnten, als den Arbeitern entsprechende "Arbeitsplatzgarantien" zugesichert wurden.

   Hinter dem heuchlerischen Vorwand, im Interesse der Arbeiterklasse zu handeln, verbirgt sich jedoch durchaus auch ein ernstes Anliegen der Gewerkschaftsfunktionäre. Mit den "Bündnissen für Arbeit" ist ihnen bisher recht erfolgreich der Spagat zwischen der Wahrung der Interessen des staatskapitalistischen Regimes (dessen treueste Vertreter die Gewerkschaften sind), dem schon aus Gründen der Selbsterhaltung und seiner imperialistischen Bedürfnisse nicht an einer Auszehrung der industriellen Substanz der deutschen Wirtschaft durch die Verlagerung von Industriewerken ins Ausland gelegen sein kann, und der Berücksichtigung der Bedürfnisse und Zwänge für die nationalen Konzerne und Unternehmen gelungen, die einem erheblichen Kostendruck durch die Billigwaren aus Fernost ausgesetzt sind.

   Die Leidtragenden dieser Bündnisse sind, wen wundert's, die Arbeiter - und das gleich im doppelten Sinn. Nicht genug damit, dass sie es sind, die für diesen Kuhhandel ihren Rücken herhalten müssen. Es stellt sich darüber hinaus immer deutlicher heraus, dass die viel gerühmten Beschäftigungsgarantien nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen, wie der Fall Conti in Hannover beweist, wo die Konzernspitze den bis Ende 2007 datierten "Beschäftigungspakt" kurzerhand kündigte. Dass der Aufschrei der Gewerkschaften angesichts eines solchen Affronts groß ist, liegt auf der Hand. Neben dem Rückschlag, den ihr Bestreben erleidet, den deutschen Staat vor einer weiteren Aushöhlung seiner industriellen Basis zu bewahren, nimmt auch ihre Glaubwürdigkeit in der Arbeiterklasse Schaden.

   Für Letztere kann es nur eine Konsequenz geben. Sie dürfen weder den "guten" Kapitalisten noch ihren Versprechungen trauen. Und schon gar nicht den Gewerkschaften, die noch immer die effektivsten Fallensteller des bürgerlichen Staates sind. Es gibt kein Bündnis zwischen Arbeit und Kapital, sondern vielmehr ein epochales und tagtägliches Ringen zweier historischer Klassen, Arbeiterklasse und Bourgeoisie, in dem allein das jeweilige Kräfteverhältnis über das Schicksal der Arbeiterklasse entscheidet - und nicht irgendwelche "Beschäftigungsgarantien". Mit anderen Worten: die Arbeiter müssen den Kampf aufnehmen, um den Kurs der Bourgeoisie in die Verelendung großer Teile der Menschheit aufzuhalten. Sie muss lernen, ihren Kampf selbständig  und gegen die Gewerkschaften zu organisieren. Und sie muss vor allem ihre Fähigkeit entwickeln, aus den Niederlagen, die ihren Kampf begleiten, Lehren für den künftigen Sieg der sozialen Revolution zu ziehen.            15.1.2006

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in Deutschland [5]

Geographisch: 

  • Deutschland [6]

Theoretische Fragen: 

  • Zerfall [4]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [7]

Leserbrief - Die Bedeutung theoretischer Arbeit/II

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Wir veröffentlichen nachfolgend den zweiten Teil einer Antwort auf einen Leserbrief aus Süddeutschland, der sich in großen Teilen sehr kritisch, wenn nicht ablehnend mit einem Teil unserer Positionen auseinandersetzte. Aus Platzgründen veröffentlichten wir in Weltrevolution Nr. 133 nur den ersten Teil unserer Antwort. In diesem ersten Teil befassten wir uns mit der “Arbeit des alten Maulwurfs”, der durch die Suche von zahlreichen Leuten zum Ausdruck kommt, die sich mit linkskommunistischen Positionen befassen. Hinsichtlich der Frage des Antifaschismus und dem Wirken der Kommunistischen Linken hatte unser Leser gemeint, die “Fraktionen der kommunistischen Linken [sind] so sang- und klanglos in den 1930er Jahren ausgestorben. Das Proletariat brauchte damals keine Schwätzer und Schreiber.”  

2. Teil der Antwort der IKS 

Das Wirken der Fraktionen der Kommunistischen Linken 

Lieber Genosse,

Das erste, was wir dazu anmerken wollen, ist, dass weder die Fraktionen der Kommunistischen Linken in den 30er Jahren, noch die IKS als die international wichtigste linkskommunistische Organisation der Gegenwart, Leuten "die eine fortschrittliche Linie" verfolgt haben, die Solidarität entzogen haben. Die italienische Fraktion, auf dessen Verhaltenskodex und Organisationsverständnis die IKS sich beruft, nahm immer eine solidarische Haltung allen proletarischen Strömungen gegenüber ein, nicht nur gegenüber der deutsch-holländischen Linken (allen politischen Divergenzen zum Trotz), sondern auch beispielsweise gegenüber den Trotzkisten, welche sogar eine Zusammenarbeit mit der Konterrevolution, mit Stalinismus und Sozialdemokratie befürwortet haben. Nicht zuletzt auf Grund dieser solidarischen Haltung gelang es den Linkskommunisten, die besten Genossen im Lager der Trotzkisten für ihre internationalistische Haltung gegenüber dem 2. Weltkrieg zu gewinnen, während der Trotzkismus die Arbeiterklasse verraten hat. Was allerdings wahr ist: Die Linkskommunisten zählten bürgerliche Demokraten, Stalinisten, Sozialdemokraten (und auch nicht die CNT Anarchisten, welche 1937 in der Regierung saßen, welche auf kämpfende Arbeiter in Barcelona scharf schießen ließ) nicht zu denjenigen, welche eine "fortschrittliche Linie" verfolgten. Wir auch nicht. Was meinst du dazu?
Zweitens stimmt es nicht, dass die Kommunistische Linke in den 30er Jahren "sang- und klanglos" ausgestorben ist. Die Vertreter dieser Strömung in Italien und Frankreich, in Belgien oder in den Niederlanden, haben ihr Leben riskiert, und oft auch hingegeben, um den politischen Kampf gegen den imperialistischen Krieg während des zweiten Weltgemetzels weiterzuführen. Dabei taten sie im Prinzip nichts anderes, als Lenin oder Rosa Luxemburg gegenüber dem Ersten Weltkrieg: in Wort und Tat den proletarischen Internationalismus gegen alle kriegsführenden Seiten hochzuhalten. Sie setzten sich dafür ein, dass der Klassenkampf gegen den Krieg fortgeführt wird, dass die Proletarier in Uniform ihre Waffen, nicht gegen ihre Klassenbrüder und Schwester, sondern gegen ihre eigenen Offiziere richten, dass der imperialistische Krieg in einen Bürgerkrieg verwandelt wird. Du wirfst unserer Strömung vor, "kurz vor Kriegsende ein zweites 1918 halluziniert" zu haben. Muss man im Nachhinein diese internationalistische Politik als falsch oder unnütz betrachten, da es nicht zum gewünschten Erfolg führte, da der Zweite, im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg nicht durch die Revolution beendet werden konnte? Die Internationalisten im Ersten Weltkrieg haben mehrere Jahre lang in großer Isolation gegen den Strom des Chauvinismus ankämpfen müssen, bevor die Masse der Arbeiter von der Richtigkeit dieser Politik überzeugt werden konnte. Die Internationalisten des Zweiten Weltkriegs mussten Jahrzehnte  bis 1968 darauf warten, bis zumindest ein Teil der Politisierten einer neuen, ungeschlagenen Generation der Arbeiterklasse von der Richtigkeit und der Unerlässlichkeit dieser internationalistischen Haltung überzeugt wurde. Heute, ca. weitere 30 Jahre später, beginnt sich der politisierteste Teil der jetzigen neuen Generation von diesem Internationalismus zu überzeugen - wobei dieser Prozess, wenn auch weniger spektakulär, so doch viel breiter und tiefer in der Klasse insgesamt verwurzelt zu sein verspricht als nach 1968. Ist das etwa kein Beweis für die Wirksamkeit proletarischer Politik? Wir meinen ja, es sei denn, man misst den Erfolg ausschließlich an den unmittelbaren Auswirkungen.
Aber du behauptest, dass die Internationalisten von damals "Schwätzer und Schreiber" waren, die das Proletariat nicht brauchte. Diese Behauptung wird durch die geschichtlichen Tatsachen selbst am besten widerlegt. Zwei Beispiele. Erstens: Während im gesamten Verlauf des Zweiten Weltkriegs der westlich-"sowjetische" Block es systematisch unterließ, auch nur das Geringste zu unternehmen, um die Juden vor der Vernichtung zu bewahren, trat das niederländische Proletariat gegen die Deportationen in den Massenstreik, wobei die Internationalisten eine aktive, vorantreibende Rolle gespielt haben. Zweitens: Eines der berühmtesten politischen Manifeste des Zweiten Weltkrieges - Das Manifest von Buchenwald - wurde im KZ Buchenwald kurz vor der dortigen Erhebung  am Kriegsende von einem Genossen der österreichische RKD verfasst, welche sich auf Grund des politischen Einflusses der Französischen Kommunistischen Linken (die direkte Vorläuferin der IKS) von dem die internationalistischen Klassenprinzipien verratenden Trotzkismus gelöst hatten. 

Der spezifische Beitrag der Revolutionäre - die theoretische Arbeit

Wir finden, dass man die Hochhaltung des proletarischen Internationalismus nicht als "Geschwätz" gering schätzen sollte. Bereits Friedrich Engels stellte fest, dass der proletarische Klassenkampf drei Hauptbestandteile hat. Neben dem ökonomischen und dem politischen Kampf nannte Engels den theoretischen Kampf als dritte Säule der Befreiung der Arbeit. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Revolutionäre sich entschlossen an den ökonomischen und politischen Kämpfen ihrer Klasse zu beteiligen haben. Ja, sie haben sich nach Möglichkeit an die Spitze dieser Kämpfe zu stellen. Jedoch ist der theoretische Kampf nicht nur ebenso wichtig wie die beiden anderen Dimensionen - es ist die  Ebene des theoretischen Kampfes, worin der spezifische Beitrag der Revolutionäre besteht und ausschlaggebend ist.
Die Arbeit der Revolutionäre besteht nicht nur darin, die vorwärtsstürmenden Massen voranzutreiben. Da - um mit Marx zu sprechen - die herrschende Ideologie in der Regel die Ideologie der herrschenden Klasse ist, besteht sogar die Hauptaufgabe der Revolutionäre über weite Strecken darin, gegen den Strom zu schwimmen. So nannten Lenin und Sinoview ihre während des 1. Weltkriegs in der Schweiz herausgegebene Zeitschrift "Gegen den Strom". Wir sprachen vorhin davon, wie die Internationalisten im Zweiten Weltkrieg ihr Leben riskierten, um den Prinzipien ihrer Klasse treu zu bleiben. Nun, nicht nur die Revolutionäre, sondern Millionen von Soldaten haben damals, während des ersten wie des zweiten imperialistischen Gemetzels ihr Leben aufs Spiel gesetzt bzw. setzen müssen. Worin bestand der besondere Mut der Internationalisten? Er bestand darin, Risiken auf sich zu nehmen für eine Sache, welche von der offiziellen Gesellschaft - und manchmal sogar, zumindest vorübergehend, von einer Mehrheit der Bevölkerung - gehasst, verfolgt und verleumdet wird. Marx spricht von Augenblicken in der Geschichte, wo große umstürzlerische revolutionäre Ideen von der Masse Besitz ergreifen. Besteht die vornehmste Aufgabe der Kommunisten nicht darin, sich und die Klasse auf diesen Umsturz vorzubereiten, indem sie diese Ideen hochhalten und in der Klasse verbreiten? Eine große Revolution kann nicht gemacht werden auf Grund von reaktionären oder halbherzigen Prinzipien. Nur Ideen, welche zutiefst dem Wesen und den Klasseninteressen des Proletariats entsprechen, können die lohnabhängige Bevölkerung mit Macht ergreifen. Hierin liegt aus unserer Sicht die große Gefahr des Aktivismus. Damit meinen wir eine Herangehensweise, welche v.a. auf den unmittelbaren Erfolg bzw. die unmittelbare Einflussnahme abzielt auf Kosten der langfristigen Ziele. Bereits Bernstein, der bekannteste Sprecher des Opportunismus und "Revisionismus" innerhalb der deutschen Sozialdemokratie am Ende des 19. Jahrhunderts erklärte: "Die Bewegung ist alles. Das Ziel ist nichts." Für den revolutionären Marxismus hingegen müssen Ziel und Mittel übereinstimmen. Deswegen erscheint es uns so gefährlich, Genossen, welche inmitten der tiefsten Konterrevolution in der Geschichte des Proletariats Klassenprinzipien verteidigt haben, als "Schwätzer" zu bezeichnen. 
Wir wissen, dass wir nicht alle Punkte deines Briefes hiermit angesprochen und beantwortet haben (beispielsweise unseren Umgang mit der so genannten "internen Fraktion der IKS). Andere wichtige Aspekte, etwa die Dekadenztheorie, haben wir hier nur kurz angeschnitten. Wir halten aber nichts davon, alles in einen Brief zu stopfen. Wir hoffen vielmehr auf die Entwicklung einer lebhaften Korrespondenz mit dir. 

Mit kommunistischen Grüßen die IKS.            August 2005

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [8]

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [9]

Leserbrief zu Verhalten und Klassenkampf

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Ohne einen aktiven Austausch von Standpunkten, ohne Debatte ist eine Klärung kommunistischer Positionen unmöglich.  Deshalb versuchen wir möglichst regelmäßig in unserer Zeitung Zuschriften von Leser/Innen zu veröffentlichen und darauf so ernsthaft wie möglich zu antworten. Wir unsererseits sind nicht nur erfreut, sondern auch dankbar für jede Zuschrift, die wir erhalten, weil sie uns zu einer selbstkritischen  Auseinandersetzung mit unserer Arbeit und unseren Positionen zwingt. Deshalb, wenn Euch an unserer Zeitung etwas besonders angesprochen oder auch missfallen hat, schreibt uns, auch wenn es nur ein paar Zeilen sind.
Wir haben einen Leserbrief aus dem Rhein-Neckar Raum erhalten, der sich mit Fragen des menschlichen Verhaltens befasst. Es handelt sich um sehr grundlegende Fragen des Menschseins und des gesellschaftlichen Lebens. Aus dem Brief wird aber rasch ersichtlich, dass der Fragesteller nicht allein durch die Probleme des Allgemeinmenschlichen motiviert wird, die Frage des Verhaltens zu thematisieren. Es geht insbesondere um die Perspektiven des Klassenkampfes. Es geht nicht zuletzt um die Frage, ob die Arbeiterklasse heute und in der Zukunft in der Lage sein wird, dem Druck der Konkurrenz, den Denk- und Verhaltensweisen des Kapitalismus eine eigene gesellschaftliche Perspektive entgegenzusetzen. Was sind die Voraussetzungen dafür, dass die Arbeiterklasse eigene, klassenspezifische Verhaltensweisen entwickelt, welche der Natur und dem geschichtlichen Endziel ihres Kampfes, dem Kommunismus,  entsprechen?
Aus welchem Zusammenhang und aus welchem allgemeinem und spezifischem Kräfteverhältnis resultiert welche Art von Verhalten? Welche Emotionen sind Ausdruck davon?
Der Brief macht deutlich, dass unser Leser nicht nur wichtige Fragen aufgeworfen hat, sondern dazu übergegangen ist, selbst erste Antworten auf diese Fragen zu geben. Wir halten die von dem Genossen aufgeworfenen Fragen und Überlegungen für sehr wichtig und die gesamte Arbeiterklasse betreffend. Im Anschluss an die Briefauszüge fügen wir einige wenige Überlegungen und Anstöße unsererseits hinzu. 

Auszüge aus dem Leserbrief zu Verhaltensfragen

"Welchen Einfluss, welche Funktion und welche Ursachen hat der Wille, das Vertrauen, die Solidarität, die Organisation, das Verantwortungsbewusstsein und die Lebensgeschichte dabei? Was löst in Wirklichkeit Verhalten aus (nicht Vorstellungen, sondern Verhältnisse sind die Ursache) und wie kann man bewusst darauf Einfluss nehmen; wie beliebig ist Verhalten?
Wie bezieht sich Verhalten auf allgemeine gesellschaftliche Zusammenhänge, welchem allgemeinen Interesse dient es (dem der Arbeiterklasse oder dem der Kapitalistenklasse)?
Wie kann das individualistische Bewusstsein mit dem Ziel des kollektiven Bewusstseins bewusst und aufbauend angegangen werden, ohne zwischen ständiger Aufgabe und imaginär überhöhten Vorstellungen also Beliebigkeit zu pendeln?
Die Zusammenhänge der beschriebenen Fragen müssen in der gesellschaftlichen Realität bewusst gemacht werden und finden sich allgemein in bestimmten Formen. So gibt es, aufgrund des gesellschaftlichen Zerfalls, die Gefahr, dass immer größere Teile der Arbeiterklasse ins so genannte Lumpenproletariat übergehen, wenn es nicht gelingt eine emanzipatorische kollektive lebendige Perspektive für die Arbeiterklasse zu entwickeln.
So genannte prekäre Arbeitsbedingungen (z.B. Hartz IV und zukünftige Verstärkung unter anderem Namen, aufgrund der internationalen Konkurrenz ...), ermöglicht durch die drohende Arbeitslosigkeit, die heute Menschen in die Verarmung und Aufgabe treibt, hängen mit dieser Gefahr zusammen (eine allgemeine Form der Erpressbarkeit).
Die zunehmende Kriminalisierung als "Überlebensnische", verbunden mit der systemimmanenten Haltung "jeder für sich - jeder gegen jeden mit zweckgebundenen Bündnissen" ist ebenso verbunden mit den gesellschaftlichen Zerfallserscheinungen der kapitalistischen Produktionsweise. Die damit verbundene Preisgabe des bewussten Zusammenhalts innerhalb der Arbeiterklasse, des kollektiven Bewusstseins (notwendigerweise verbunden mit Solidarität und Vertrauen durch das gemeinsame Interesse der internationalen Arbeiterklasse), welches aus seiner momentanen Schwäche im Kräfteverhältnis zur herrschenden Ideologie notwendigerweise weiterentwickelt werden muss, zeigt eben die Gefahr der Verschiebung des Kräfteverhältnisses in Richtung Zerfall und Aufgabe der kommunistischen Perspektive auf. (...)
In einer Gesellschaftsform, in der das "jeder für sich, jeder gegen jeden mit opportunistischen Bündnissen" gilt, weil die Produktionsmittel besitzende Klasse in Konkurrenz zueinander steht und dieses Konkurrenzverhältnis in Form der herrschenden Ideologie und mit  besonderem Interesse und in besonderer Form gegenüber der Arbeiterklasse verbreitet, kann diese Ideologie nicht das eigene Interesse der Arbeiterklasse sein. Die Kapitalistenklasse hat als ganzes das gemeinsame Interesse an der Ausdehnung und Ausbeutung der Arbeitskraft Mensch, deshalb der Arbeiterklasse, denn dies ist die Existenznotwendigkeit dieser Klasse. Für die Arbeiterklasse gilt die Konkurrenz als Klasse nicht, doch sind Angehörige der Arbeiterklasse gezwungen in Konkurrenz zueinander zu treten, um  nicht ans Existenzminimum getrieben zu werden. Aufgrund des Mangels an Absatzmärkten werden die Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse (bis hin zu sklavenartigen Verhältnissen) aber immer mehr zunehmen, deshalb muss die Arbeiterklasse sich als Ganzes dagegen wehren, indem Sie die Perspektive des Kommunismus entwickelt (durch kollektive Bewusstwerdung zur Ermöglichung von internationalen Massenstreiks mit Bildung von Arbeiterräten, die im ständigen Austausch zueinander und zur notwendigerweise sich bildenden kommunistischen Weltpartei stehen und die Perspektive des Kommunismus konsequent weiterentwickeln).
Der Standpunkt von dem die, oberflächlich gleich erscheinende Frage nach der Bedeutung des Verhaltens auf das gesellschaftliche Sein beantwortet wird, ist also notwendigerweise klassenspezifisch. In dem, wie die "demokratische" Politik mit Hilfe der gültigen Soziologie, Psychologie, Neurobiologie, Philosophie, die Frage des Verhaltens beantwortet, ist kein genereller Unterschied zwischen den Klassen zu finden, sondern nur weiblich und männlich, alt und jung, arm und reich, sozial und unsozial, dumm und intelligent, anpassungsfähig und nicht anpassungsfähig (flexibel und faul), "nostalgisch" und "der Zukunft zugewandt", Verlierer und Gewinner, gute Gene und schlechte Gene, gut und böse, krank und gesund (körperlich und geistig) ..., so dass alles Verhalten an der Funktionsfähigkeit (Ausbeutungsfähigkeit der Arbeiter, die ihre Arbeitskraft in Konkurrenz zu Markte tragen müssen) gemessen wird und diese "Funktionsfähigkeit" gefördert und selektiert wird.
Indem alles nach den systemeigenen Kriterien der Nutzbarkeit gewertet wird, das ja das Gesamtinteresse der Kapitalistenklasse ausdrückt, bleibt kein Platz für das gemeinsame Interesse aller Lohnabhängigen, darauf baut die Ideologie auf. (...)
Da die Bedingungen über die Besitzverhältnisse und damit die herrschende Ideologie zu Gunsten der herrschenden Klasse allgemeingültig sind, ist es notwendig, dem kollektiv bewusst die Perspektive der Arbeiterklasse und letztendlich aller ausgebeuteten Schichten entgegenzuhalten; und die Bedingungen dafür sind nicht die Konkurrenz, wie sie für den Kapitalismus notwendig (immanent) ist, sondern die Kollektivität innerhalb der Arbeiterklasse und die politische Organisation, um die Lehren aus der Vergangenheit konkret im Interesse der gesamten Arbeiterklasse anwenden zu können.
Die Emotionen wie Neid, Eifersucht, Geiz, Ehrgeiz, sind Ausdruck der Besitzverhältnisse und sind damit Bestandteil (Motivationsausdruck in Form der Machtkämpfe, Intrigen ... mit Verlierern und Gewinnern) der bürgerlichen Gesellschaft und als herrschende Ideologie auch innerhalb der Arbeiterklasse zu finden, da wo die Konkurrenzsituation dies hervorbringt. Doch die Konkurrenz zwischen Angehörigen der Arbeiterklasse ist nicht abstrakt allgemein (herrschende Ideologie), sondern konkret allgemein und deshalb im gemeinsamen Interesse der internationalen Arbeiterklasse an der Aufhebung ihrer Ausbeutung als Ideologie aufgehoben. Deshalb nimmt mit wachsender kollektiver Bewusstwerdung der Arbeiterklasse die Ideologie der abstrakt allgemeinen Konkurrenz, die die Entwicklung der kollektiven Bewusstwerdung hemmt, ab.
Diese weitreichende Perspektive ist notwendig, um sich heute die gegen die zunehmende Ausbeutung zur Wehr zu setzen." (...) 

Bemerkungen der IKS

Der Genosse wirft Fragen auf, welche sehr komplex und schwierig, jedenfalls sehr wichtig sind. Verhaltensfragen sind schon länger Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung und Anlass zu gelehrten Kontroversen geworden. Wir fühlen uns als kommunistische Kampforganisation weder befähigt noch berufen, im Detail auf die Ursprünge und den geschichtlichen Werdegang der Vielzahl an Verhaltensweisen einzugehen, welche die Menschheit aufzuweisen hat. Wir werden uns darauf beschränken, einige Grundsätze zu benennen, welche die marxistische Arbeiterbewegung zu diesen Fragen von Anfang an erarbeitet hat. Diese wenigen Grundideen mögen dazu beitragen, einen Rahmen für die von unserem Leser angeregte Diskussion zu liefern. 

Die Frage des Verhaltens

Der Genosse schreibt, dass Emotionen wie Neid, Eifersucht oder Ehrgeiz Ausdruck der Besitzverhältnisse sind, und damit Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft. Dass diese Emotionen Bestandteile des Kapitalismus, und in ihrer heutigen Form auch Ausdruck der Besitzverhältnisse sind, damit stimmen wir überein. Allerdings haben marxistische Autoren wie August Bebel oder Leo Trotzki wiederholt die Erwartung geäußert, dass es in einer künftigen kommunistischen Gesellschaft beispielsweise weiterhin Ehrgeiz geben wird. Sie waren davon überzeugt, dass diese Emotion nicht mehr, wie im Kapitalismus, ein Motor der Konkurrenz jeder gegen jeden sein wird, sondern eine Form des Ehrgeizes, die der Gemeinschaft bestmöglichst dienen und daher eine außerordentlich positive Rolle spielen wird.
Man sieht also, dass nach Auffassung des Marxismus die Geschichte der Menschheit nicht notwendigerweise so abläuft, dass jede Gesellschaftsform eigene, völlig neue Gefühlsformen hervorbringt. Denn wäre dies der Fall, gäbe es innerhalb der Geschichte keinerlei Kontinuität mehr, sondern nur eine Serie von Brüchen und Neuanfängen. Jedoch lehrt uns die dialektische Methode, dass jeder qualitative Sprung nicht nur einen Neuanfang darstellt, sondern zugleich eine Aufbewahrung der bisher errungenen  Ebene in einer  höheren darstellt. Ein und dasselbe Grundgefühl kann sich in unterschiedlichen Gesellschaftsformationen unterschiedlich äußern und auswirken. Eine Emotion, welche in einem gegebenen Kontext eher Ausdruck der Feindseligkeit unter den Menschen sein kann, vermag unter veränderten Umständen den sozialen Zusammenhalt zu verstärken.
Wir sollten uns freilich davor hüten, uns die Sache mit der Veränderbarkeit der Wirkung der Emotionen zu einfach zu machen, nach dem Motto: in einer Konkurrenzgesellschaft wirken sich die Emotionen konkurrenzfördernd aus, in einer Gesellschaft des Zusammenhalts haben sie die umgekehrte Wirkung. Das kann allein schon deshalb nicht stimmen, weil die Grundemotionen des Menschen nicht immer im Einklang miteinander stehen. Sie können schon deshalb in Konflikt mit einander geraten, weil sie unterschiedlichen Funktionen dienen. So kann der sog. Mutterinstinkt etwa in Widerspruch geraten zum "Selbsterhaltungstrieb" - etwa, wenn eine Mutter ihr Leben riskiert, um ihre Nachkommen zu schützen. Außerdem liegt es auf der Hand, dass nicht alle Emotionen in gleicher Weise dem Zusammenhalt der Gemeinschaft dienen können. So z.B. die von Dir erwähnte Eifersucht. Wie alt die Eifersucht ist, wissen wir nicht genau. Engels hielt sie nicht für einen angeborenen Trieb der Menschheit, sondern für ein Kulturprodukt. Wie auch immer, es hat den Anschein, als ob dieses Gefühl recht alt ist. Da die Eifersucht sich nur schwer mit dem Zusammenhalt der Gemeinschaft vereinbaren lässt, mussten die unterschiedlichen Gesellschaften Mittel entwickeln, um sie in Schach zu halten. Falls eine kommunistische Gesellschaft sich weiterhin mit diesem Problem konfrontiert sehen sollte, ist davon auszugehen, dass sie wirkungsvollere und kulturell höherstehende Mittel dazu finden wird.
Du fragst in deinem Brief nach den Ursachen und der sozialen Bedingtheit von Verhaltensweisen. "Welchen Einfluss, welche Funktion und welche Ursachen hat der Wille, das Vertrauen, die Solidarität, die Organisation, das Verantwortungsbewusstsein und die Lebensgeschichte dabei?" Es geht Dir um ein besseres Verständnis gerade der Emotionen, welche im Kampf des Proletariats am dringendsten benötigt werden. Dein Brief ist erfüllt von der Sorge, dass der Kapitalismus diese positiven Eigenschaften entgültig zerstören könnte. Deine Sorge erscheint uns vollauf gerechtfertigt. Dass die wahrscheinlich schlimmsten Grausamkeiten in der Geschichte gerade in den letzten hundert Jahren begangen worden sind, hängt direkt damit zusammen, dass der Kapitalismus wie keine andere Produktionsweise den Zusammenhalt und das Mitgefühl unter den Menschen zerstört, indem diese Produktionsweise die Menschen über den unpersönlichen Marktmechanismus zu Konkurrenten macht. Der Zerfall dieser Gesellschaft beschleunigt in der Tat diesen Prozess, wie Du in deinem Brief aufgezeigt hast.
Gibt es noch die Emotionen, welche zwei Jahrhunderte lang ein unverwechselbares Kennzeichen des proletarischen Kampfes waren? Wo liegen deren Wurzeln?
Nehmen wir als Beispiel das von Dir genannte Verantwortungsbewusstsein. In ihrem im Gefängnis während des Ersten Weltkrieges geschriebenen Artikel über den Schriftsteller Korolenko beschreibt Rosa Luxemburg, wie das Verantwortungsbewusstsein ab den 1860er Jahren in Russland entstand, welche mehrere Generationen heldenhafte Revolutionäre hervorbrachten.
"Jene Stimmung der Gesellschaft, die, frei von nagender Selbstanalyse und innerem Zwiespalt, die ‚gottgewollten Abhängigkeiten' wie etwas Elementares empfindet und die Fügungen der Geschichte als eine Art Himmelsschickung hinnimmt, für die man so wenig verantwortlich sei wie dafür, dass der Blitz manchmal ein unschuldiges Kindlein erschlägt, kann sich mit verschiedensten politischen und sozialen Systemen vertragen. (...)
In Russland fing dieses ‚unerschütterliche Gleichgewicht der Gewissen' in breiten Kreisen der Intelligenz schon in den 60er Jahren zu bröckeln an. Korolenko schildert in anschaulicher Weise jenen geistigen Umschwung der russischen Gesellschaft, wobei er zeigt, wie gerade seine Generation die "leibeigene" Psychologie überwunden hatte und von einer neuen Zeitströmung ergriffen wurde, deren vorherrschende Note der ‚zernagende, qualvolle, aber schöpferische Geist der sozialen Verantwortlichkeit' war."
Hier wird deutlich, dass es die Stimme des Gewissens war, welche die Menschen aufgerüttelte, und dass dieses Gewissen, wie die Solidarität auch, Ausdruck des sozialen Wesens der Menschheit ist. Dass gerade die Menschen mit dem Erlangen eines höheren Bewusstseins aus dem Tierreich emporsteigen konnten, hängt unzertrennbar mit den besonders ausgeprägten sozialen Anlagen unserer Gattung zusammen. Die Menschwerdung selbst - die gemeinsame Arbeit, die Sprache usw. - hat diese gegenseitige soziale Abhängigkeit nicht abgeschwächt, sondern unermesslich gesteigert.
Zwar stimmt es, dass der Kapitalismus die sozialen Impulse untergräbt und ihre Auslebung ungemein erschwert. Zugleich aber hat er eine Klasse hervorgebracht, welche durch ihre Stellung in der Produktion wie keine andere in der Geschichte der Klassengesellschaften imstande ist, durch und in ihrem Kampf die gemeinschaftlichen Gefühle nicht nur wiederzuerwecken, sondern auf eine höhere Ebene zu stellen. Diese Klasse ist das moderne Proletariat. Die Arbeiterklasse ist noch immer dazu befähigt, nicht etwa, weil die Arbeiter als Personen die besseren Menschen seien, sondern weil sie die erste Klasse ist, welche ohne Eigentum gemeinschaftlich produziert. 

Die Frage der Arbeitslosigkeit

Zurecht hast Du in deinem Brief auf die Gefahr hingewiesen, dass die Arbeitslosigkeit, indem sie die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verschärft, dem  Jeder-für-sich auch in den Reihen des Proletariats Tür und Tor öffnen könnte.
Bereits in seinen "Elberfelder Reden" aus den 1840er Jahren erklärte Friedrich Engels, dass die Arbeiter sich erst dann als aktive Klasse äußern, indem sie der kapitalistischen Konkurrenz ihre eigene Solidarität entgegenstellen. Mehr noch: erst dadurch würden sie sich laut Engels ihre eigene Menschlichkeit wieder aneignen. Gegenüber einer nicht geschlagenen Generation der Arbeiterklasse ist die Arbeitslosigkeit besonders dazu geeignet, das revolutionäre Wesen des Proletariats zum Vorschein zu bringen. Zum einem, weil die Arbeitslosigkeit die Klassensolidarität immer mehr zu einer Frage des Überlebens macht. Zum anderen, weil es den Bankrott des Kapitalismus, die Unvereinbarkeit des Lohnsystems mit der menschlichen Würde offenbart.
Wie Rosa Luxemburg in ihrer "Einführung in die Nationalökonomie" schrieb, ist der Kampf des Proletariats gegen die Ersetzung der Arbeiter durch die Maschinerie bzw. gegen die Folgen dieser dem Kapitalismus innewohnenden Tendenz - Senkung des relativen Lohnanteils, Steigerung der Macht des Kapitals, Ausuferung der Armee der Erwerbslosen ins Unermessliche - ein Kampf gegen das System selbst. "Gegen die technischen Fortschritte der Produktion, gegen Erfindungen, Maschineneinführung, gegen Dampf und Elektrizität, gegen Verbesserungen der Verkehrsmittel können die Arbeiter nicht ankämpfen. Die Wirkung aller dieser Fortschritte auf den relativen Lohn der Arbeiter ergibt sich aber ganz mechanisch aus der Warenproduktion und aus dem Warencharakter der Arbeitskraft. Deshalb sind die mächtigsten Gewerkschaften ganz ohnmächtig gegen diese Tendenz des relativen Lohns zum rapiden Sinken. Der Kampf gegen das Sinken des relativen Lohns bedeutet deshalb auch den Kampf gegen den Warencharakter der Arbeitskraft, das heißt gegen die kapitalistische Produktion im Ganzen. Der Kampf gegen den Fall des relativen Lohns ist also nicht mehr ein Kampf auf dem Boden der Warenwirtschaft, sondern ein revolutionärer, umstürzlerischer Anlauf gegen den Bestand dieser Wirtschaft, er ist die sozialistische Bewegung des Proletariats." (Luxemburg Werke, Band 5, S. 761-762)
Sehr zu recht hast Du darauf hingewiesen, dass das Proletariat, im Gegensatz zur Bourgeoisie, aufgrund seines Klasseninteresses imstande ist, die Ideologie der bürgerlichen Klasse abzuschütteln, welche die Realität so grausam entstellt.
Die gemeinschaftlichen Gefühle sowie die Macht des menschlichen Bewusstseins sind mächtige Kräfte. Das Vertrauen der Marxisten in die Arbeiterklasse ist auch ein Vertrauen in das menschliche Wesen. 

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [10]

Theoretische Fragen: 

  • Kommunismus [11]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [12]

Referat des Diskussionszirkels Köln zu: Die Bedeutung des Urkommunismus

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Wir veröffentlichen hiermit ein Einleitungsreferat, das Ende 2005 im Diskussionszirkel in Köln gehalten wurde. Nicht nur dieses Referat, sondern auch das darauf folgende, das die Frage der Geschlechterverhältnisse im Kommunismus thematisierte, sind von hoher Qualität und unbedingt lesenswert. Sämtliche im Zirkel gehaltenen Referate werden auf der Homepage des Zirkels  (https://de.geocities.com/zirkelrunde [13]) veröffentlicht. Dies gilt ebenso für die Diskussionssynthesen, welche jeweils erstellt werden. Zwar nehmen auch Mitglieder der IKS an den Sitzungen des Zirkels teil, doch in der Regel werden die Diskussionsynthesen und die Einleitungen immer von anderen Teilnehmern des Zirkels angefertigt. Obwohl diese Genoss/Innen meist politisch unerfahren sind, zeugen das hohe Niveau der Referate und die Diskussionen von der Unerläßlichkeit solcher Diskussionszirkel, um die politische Klärung und die theoretische Bildung innerhalb der Arbeiterklasse voranzutreiben.  IKS 

Einleitungsreferat Vom Mutterrecht zum Vaterrecht 

<<>>1. Frage: Was ist Mutterrecht?>

Die Mutter ist das Haupt der Familie. Die Erblinie wird mütterlicherseits bestimmt. Die Anrechte der Familie oder des Clans (z.B. Sammel- oder Jagdrechte auf ein bestimmtes Gebiet) werden mütterlicherseits vererbt. Bei der Ehe werden die Männer im Haushalt bzw. in der Familie der Frau aufgenommen, nicht umgekehrt. Hohes Ansehen der Frau, Muttermord gilt als das schlimmste Verbrechen. 

<<>>2. Frage: Was ist Vaterrecht?>

<<>>>

<<>>Der Vater ist Haupt der Familie.>

Die Erblinie wird väterlicherseits bestimmt. Die Anrechte, hier v.a. Eigentum, werden väterlicherseits vererbt. Bei der Ehe werden die Frauen in die Familie des Mannes aufgenommen. Hohes Ansehen des Mannes, Erniedrigung der Frau. 

3. Frage: Da es heute wahrscheinlich nirgendwo auf der Welt Mutterrecht gibt, woher weiß man, dass es das jemals gab?

-          Durch die Erforschung von Völkern auf niedrigeren Entwicklungsstufen.

-          Durch das Ziehen von Rückschlüssen aus Verwandtschaftsregeln, welche bereits überlebt waren, aber in verkrusteter Form, Traditionen, Sitten weiter lebten.

-          Durch das Studium alter Religionen, Mythologien.

-          Durch die moderne Tiefenpsychologie.

-          Durch Ausgrabungen.

-          Durch die Linguistik, also den Ursprüngen von Wörtern und Begriffen.

-          Durch das Studium von Volkskultur, Liedgut usw.

 

4. und wichtigste Frage: Wie kam es zu diesem Übergang vom Mutterrecht zum Vaterrecht?

Es gibt zwei gängige Erklärungen dafür:

-          Weil die Männer sowieso die Tollsten sind.

-          Weil die Männer sowieso Schweine sind.

Beide Behauptungen können diesen Übergang nicht erklären, denn.... wenn die Männer die Tollsten sind, waren sie es schon immer, warum also diese Änderung? Wenn sie Schweine sind, dann waren sie es auch schon vorher... Beide Ansätze gehen davon aus, dass das, was heute sein soll, schon immer war, d.h. die Geschichte wird nicht in ihrer Entwicklung gesehen. Aber auch die Familie entwickelt sich mit der Geschichte weiter. 

5. Frage: Wie sahen die Familien früher aus?

Die erste Familienform muss die Horde gewesen sein, da der Mensch als Individuum oder als kleine Gruppe zum Überleben körperlich zu schlecht ausgestattet ist, z.B. Klauen, starkes Gebiss usw. Entweder kannte der Urmensch noch keine Eifersucht (die These von Engels) oder er hatte bereits gelernt, diese Eifersucht in Schach zu halten (die These von Freud), jedenfalls lebte der Urmensch in der Gruppen-Ehe (Polygamie/ Polyandrie). Diese ersten Ehen mussten Inzucht-Ehen gewesen sein aufgrund der damals sehr geringen Anzahl von Menschen und ihrer räumlichen Isolation voneinander. Die erste bekannte Fortentwicklung aus der Horde heraus war die Blutverwandtschaftsfamilie. Dabei ist der Verkehr zwischen Eltern und Kindern nicht mehr zugelassen, jedoch immer noch zwischen Geschwistern. Es galt als Schande mit jemandem außerhalb der eigenen Familie zu verkehren. Die dritte Stufe wird Punaluafamilie genannt. Es beginnt mit der Ausschließung der leiblichen Geschwister mütterlicherseits, und in der Folge auch der Enkel und Urenkel (laut Morgan). Die Ehen behalten zunächst Gruppencharakter. Die Schwestern waren die gemeinsamen Frauen ihrer gemeinsamen Männer, die aber nicht ihre Brüder sein durften.
Diese Gruppen-Ehe braucht man sich nicht als eine Art Orgie vorzustellen, wo jeder mit jedem verkehrt, sondern es ist mehr als wahrscheinlich, dass es so etwas wie Lieblingspartner gab, oder dass was man heutzutage Lebensabschnittspartner nennt. Dies bereitete auch die darauf folgende Stufe der Paarungsfamilie vor, zwischen einem Mann und einer Frau (wobei Vielweiberei des Mannes gelegentlich sein Recht bleibt, während bei der Frau die strengste Treue verlangt wurde), wobei diese Ehen noch jeder Zeit von beiden Seiten löslich bleiben. Die Kinder gehören nach wie vor der Mutter.
Die letzte Stufe unserer Untersuchung, womit der Übergang zum Vaterrecht besiegelt wird, ist die Monogamie. Vor allem wird die Löslichkeit der Ehe gegenüber der Paarungs-Ehe sehr stark eingeschränkt, vor allem auf Seiten der Frau, und zwar damit der Mann sein Eigentum seinen Kindern vererben kann. Zur monogamen Familie gehören die Prostitution sowie die gehörnten Ehemänner.
Die geschichtliche Entwicklung geht also dahin, die Anzahl der an einer Ehe Beteiligten einzuschränken, bis nur noch zwei übrigbleiben, das bis in unsere Tage hinein bekannte häusliche Glück zu Zweit. Es stellt sich die Frage, ob die Verkleinerung der Familien damit seinen Endpunkt erreicht hat oder, ob dieser Prozess noch weiter geht? 

6. Frage: Warum diese Entwicklung der Familie?

Die Geschichte der Familie ist natürlich nicht nur ein passives Produkt beispielsweise der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern ist auch selbst ein aktiver Faktor dieser Entwicklung. Beispielsweise sagt Engels, dass es den Menschen wahrscheinlich aufgefallen sein muss, dass Stämme, welche Inzuchtverbote eingeführt hatten, besser gediehen, als solche, die es nicht taten. Auch den Übergang von der Punaluafamilie zur Paarungsfamilie erklärt er unter anderem damit, dass die Einschränkungen der Ehe-Möglichkeiten zu kompliziert geworden waren.
Der wichtigste Aspekt der Familienentwicklung ist aber die Änderung im Verhältnis zwischen Mann und Frau innerhalb der Ehe aufgrund der Änderung der Wirtschaftsweise und insbesondere der Arbeitsteilung.
Solange die Menschen bzw. die werdenden Menschen noch hauptsächlich in den Bäumen lebten, existierte lediglich die biologische Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau in Bezug auf das Kinderkriegen. Beide müssen gleichermaßen an dem Sammeln von Nahrung beteiligt gewesen sein. Nun gibt es zwei Theorien darüber, weshalb die Menschen von den Bäumen runter kamen und den Urwald verließen.
Die Erste besagt, dass ihr Lebensraum zu klein wurde, da sie sich vermehrten. Und die Zweite, dass der Urwald sich durch Klimaveränderungen verkleinerte.
Dieser Schritt, egal welche Theorie stimmt, wäre ohne neue Entwicklungen von Technik und Kultur nicht möglich gewesen, da die Bedingungen auf dem Boden ganz andere waren. Nahrungsquellen und die Bedürfnisse sich vor Hitze und Kälte zu schützen sahen ganz anders aus. Die wichtigsten Errungenschaften waren neue Waffen, die Beherrschung des Feuers, das Bauen von Hütten und die Herstellung von Kleidung. Die Menschen wurden auch zu Jägern, womit die erste Veränderung in der Arbeitsteilung von Mann und Frau eintrat. Sprich: die Männer spezialisierten sich auf die Jagd, während die Frauen für das Sammeln und das Hüten des Feuers verantwortlich waren. Dies bedeutet nicht eine Erniedrigung der Stellung der Frau, wobei sie in späteren Phasen viel höher steigen sollte. Der Grund für diese Arbeitsteilung war nicht, dass die Männer körperlich oder in Schnelligkeit überlegen gewesen wären, sondern, dass sich damals das Rumtreiben des Jagens nicht mit dem Kinderkriegen vertrug. Es gab jedoch auch Gesellschaften, wo ein Teil der Frauen an der Jagd beteiligt war. Nämlich die Gruppe der Jungfrauen. Aus dieser Phase des Jagens und Sammelns entwickelten sich zwei höhere Entwicklungsstufen. Auf der einen Seite der niedrige Ackerbau und auf der anderen Seite die Viehzucht. Anstatt die Pflanzen einzusammeln und die Tiere zu jagen, ist man dazu übergegangen die Nahrungsquellen selbst anzubauen bzw. zu züchten. Damit teilt sich die Gesellschaft der Menschen in zwei Gruppen: Die der Sesshaften und die der Nomaden. Wobei in Beiden weiterhin keine Unterdrückung der Frau stattfindet.
Aus diesen beiden Entwicklungsstufen geht die Ackerbaugesellschaft als höchste Stufe der Urgesellschaft hervor. Diese Stufe geht nicht einfach aus dem niedrigen Ackerbau hervor, sondern ist ein Produkt beider Gesellschaften. Wobei der entscheidende Unterschied zum niedrigen Ackerbau darin besteht, dass der Pflug nicht mehr von Menschen, sondern von Tieren gezogen wird. Dadurch kann wesentlich tiefer gepflügt und das Feld gedüngt werden. In dieser Phase befindet sich das Mutterrecht in seiner höchsten Blüte. Durch die Durchsetzung der Sesshaftigkeit auf höherer Stufe und das Wachstum der Bedeutung der häuslichen Arbeit, Beteiligung des Haushalts an Viehzucht und Ackerbau und dem zunehmenden Gewicht der häuslichen Arbeit, z.B. Kleidung etc., wird die Rolle der Frau viel zentraler als beispielsweise in der Jäger- oder Nomadenkultur.  Gleichzeitig beginnt auf dem Höhepunkt dieser Blüte die Auflösung des Mutterrechts und die Abstufung der Stellung der Frau.

Zurück zur eigentlichen Frage: Wieso ist das Mutterrecht untergegangen?

In der Urgesellschaft gab es keine Ausbeutung, weil es keinen Überschuss an Nahrung gab, da man nicht in der Lage war mehr als was man selber brauchte zu produzieren. Man konnte also nicht Jemanden miternähren, ohne dass dieser selbst arbeitete. Grade die wirtschaftlichen Erfolge der höheren Ackerbaugesellschaft machten mit der Zeit zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte Ausbeutung und damit Ungleichheit zwischen den Menschen und so auch zwischen den Geschlechtern möglich.
Die erste Stufe der Ausbeutung bestand darin, dass eine Urgesellschaft durch eine andere Urgesellschaft ausgebeutet wurde. Die Inkaherrschaft in Südamerika vor dem Auftauchen der Spanier liefert uns ein Beispiel hiervon. Die ausgebeuteten Völker mussten Abgaben an die Inkas abliefern, sie behielten aber ihre urkommunistische Produktionsweise bei und die Abgaben wurden gemeinsam von der Genossenschaft abgegeben. Nicht nur das, sondern auch die Ausbeuter (Inkas) lebten weiterhin untereinander im Urkommunismus. Die Abgaben wurden mehr oder weniger gleichmäßig innerhalb des Klans aufgeteilt. Dies kam daher, dass der hergestellte Überschuss noch nicht reichte, um die Ausbeuter selbst von der Arbeit zu befreien.
Wie aber kam es zu dieser Form der Ausbeutung? Eine Ursache ist die Änderung der Rolle der Gewalt und des Krieges in der Geschichte. Die Urmenschen, die in den Urwäldern wohnten, lebten höchstwahrscheinlich genauso friedlich, wie beispielsweise die Affen, die höchstens das Raufen, aber kaum das Töten untereinander kennen. Wir haben aber gesehen, dass die Waffenentwicklung entscheidend dafür war, dass der Mensch den Urwald verlassen konnte. Erst durch diese Kulturentwicklung entstand die Möglichkeit für den Menschen, andere Menschen zu töten und die Menschen gewöhnten sich durch die Jagd an das Blutvergießen. Ursprünglich waren sie Vegetarier gewesen. In der Jägergesellschaft spielt der Krieg hauptsächlich die Rolle, andere Stämme von bestimmten Jagdgründen zu vertreiben. Es sind also Verdrängungs- und Vernichtungskriege. In dieser Phase entsteht auch der Kannibalismus, die Verspeisung des Feindes. Die obere Ackerbaugesellschaft ist im Vergleich dazu eine viel friedlichere Gesellschaft gewesen. Warum? Weil die Arbeit des Sähens und Erntens sich nicht verträgt mit dem Herumtreiben und der Zerstörung des Krieges. Aber neben der oberen Ackerbaugesellschaft bestehen, z.B. aus geografischen Gründen, Jägergesellschaften weiterhin. Diese Jägergesellschaften greifen die oberen Ackerbaugesellschaften an. Das Ziel dieses Krieges ist nicht mehr Vertreibung und Vernichtung, sondern Raub, d.h. die Aneignung des Überschusses einer höheren Gesellschaftsform. Für diesen Konflikt gibt es zwei mögliche Ausgänge:
Entweder die Jäger- und Kriegerstämme zwingen sich den Ackerbauern auf, wie es bei den Inkas der Fall war, oder aber die Ackerbauer wehren sich erfolgreich dagegen, indem ein Teil der Mitglieder dieser Gesellschaft abgestellt werden, um sich auf das Kriegswesen zu spezialisieren, ohne den geregelten Gang des Sähens und Erntens zu gefährden. Aber in beiden Fällen läuft es auf das Gleiche hinaus: Eine privilegierte Kriegerkaste sondert sich ab. Und diese Kaste besteht aus Männern.
Aber es gab einen weiteren Grund, weshalb die Inkas sich durchgesetzt haben. Die Einheit der Urgesellschaft war die der im Kommunismus lebenden Gens: d.h. Gesellschaften ohne Privateigentum und ohne Ausbeutung. Aber diese Gesellschaften waren winzige Einheiten, welche völlig losgelöst voneinander lebten. Es kam ihnen nicht mal in dem Sinn, sich gemeinsam gegen die Inkas zu wehren (genauso wenig wie später gegen die Spanier). Mehr noch: Eine weitere Steigerung des landwirtschaftlichen Ertrags war damals in dieser Weltgegend nur noch möglich durch die Einführung von komplizierten Bewässerungssystemen. Solche Systeme waren unter der Herrschaft des Gens nicht mal denkbar aufgrund ihrer Abgeschiedenheit von einander. Ob in Lateinamerika, in Ägypten oder in Indien, überall entstand eine ausbeutende Priesterkaste aufgrund von dieser Notwendigkeit. Der Urkommunismus scheiterte an seiner eigenen lokalen Beschränktheit.
Diese Entwicklungen schwächten das Mutterrecht, wie sie auch den Urkommunismus schwächten. Aber sie schafften es nicht ab. Beispielsweise hatten anfangs in vielen Weltgegenden die Frauen Anteil an der Priesterkaste. Und während ganze Schmarotzerschichten an der Spitze der Gesellschaft entstanden, blieb oft die urkommunistische Dorfgemeinschaft unten Jahrtausende lang weiter bestehen, in vielen Teilen Asiens bis zur Kolonialzeit. Damit blieben auch bedeutende Reste des Mutterrechts in Kraft. Beispielsweise bei den Pharaonen in Ägypten, wo oft in Wahrheit nicht der Pharao herrschte, sondern seine Mutter.
Was sowohl dem Mutterrecht als auch dem Urkommunismus den Todesstoss gab, war eine andere, zusätzliche Entwicklung. Dies war das Auftauchen von Handel, von Geldwirtschaft, d.h. von der Warenproduktion.
Indem die Menschen nicht mehr für den eigenen Bedarf, sondern für den Markt produzieren, werden sie zu Konkurrenten. Damit werden auch die Geschlechter zu Konkurrenten. Es ist auch kein Zufall, dass das Mutterrecht nirgendwo so radikal und brutal abgeschafft wurde wie im Mittelmeerraum, von Griechenland ausgehend, weil dort die geographischen Bedingungen für den Handel günstig waren. Mit dem Handel kam auch die höhere Form der Sklaverei auf, wo die geraubten Menschen auf dem Markt verkauft wurden. Aber auch die Monogamie und ihre Kehrseite verdankt der Warenwirtschaft ihren Siegeszug.
Wichtig ist noch festzuhalten, dass sowohl das Gemeineigentum am Grund und Boden als auch das Mutterrecht, wenn auch in verkümmerter Form, in vielen Weltgegenden bis in die Neuzeit überlebten. Es gab nur eins, was sie auf keinen Fall überleben konnten, nämlich die Begegnung mit dem Kapitalismus.

Theoretische Fragen: 

  • Vorkapitalistische Gesellschaften [14]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Marxismus: die Theorie der Revolution [15]

Schweiz "Nationaler Angriff" gegen IKS-Veranstaltung angedroht

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Die herrschende Ideologie ist nicht der Faschismus, sondern der Antifaschismus 

Am 10. Dezember 2005 fand in Zürich eine Diskussionsveranstaltung der IKS statt. Solche Treffen, die wir in der Schweiz alle zwei Monate durchführen, sind öffentlich. Entsprechend rufen wir jeweils auch in der Zeitung, im Internet, über verschiedene Veranstaltungskalender usw. zur Teilnahme an der Diskussion auf. Das Ziel solcher Veranstaltungen ist, dass politisch interessierte Leute ihre Positionen darlegen und Fragen in der Diskussion klären können. Einerseits rufen wir zu Veranstaltungen mit einem bestimmten Thema auf, bei denen die IKS ein Einleitungsreferat hält, andererseits gibt es aber auch Diskussionen ohne festes Thema, wo die TeilnehmerInnen vorschlagen, was sie diskutieren wollen. Am 10. Dezember handelte es sich um eine Veranstaltung der zweiten Art.
Drei Wochen vor der Veranstaltung erschien auf einer rechtsextremen Webseite der folgende Aufruf von jemandem, der sich "Berserker" nannte: "Gemaess Indymedia wir am 10.12.05 in Zuerich eine Veranstaltung der Internationaler Kommunistischen Stroemung (IKS) stattfinden. Unter dem Vorwand ein ,,Disskussionstreffen ohne festes Thema'' zu organisieren, werden die Rotfaschisten ihre Propaganda verbreiten. Das dürfen und können wir nicht tolerieren. Es wird eine oeffentliche Veranstaltung sein.
Die Rotfaschisten wuerden sich sicherlich freuen ueber einen kleinen Besuch an dieser Veranstaltung. Die soll keineswegs ein Aufruf zur Gewalt sein, im Gegenteil, es sollten einige Nationalisten die Veranstaltung besuchen und ihre Argumente und Fragen dort einbringen. Die Devise lautet aber, dass man nicht unvorbereitet auftauchen soll, um eine Blamage zu vermeiden.
Wahrscheinlich wird man als national denkender Widerstandskaempfer nicht eingelassen, man kann aber dann die Zeit immer noch fuer eine Flugblattaktion beim Eingang nuetzen. Fuer entsprechende Flugblaetter koennt ihr gerne anfragen. (...) hoffen wir, dass einige nationalisten Zeit finden, um an diesem Anlass teilzunehmen."
Am 29. November 2005 doppelte derselbe "Berserker" mit einem zweiten Aufruf nach:

"Ich musste leider feststellen, dass mich noch niemand fuer ein Flugblatt angefragt hat....

Es waere eine Schande, wenn dieser Anlass ohne uns von statten gehen wuerde. Darum nochmals der Aufruf:

Wir muessen solche Anlaesse unterbinden!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Vom Nationalen Widerstand zum Nationalen Angriff!!!!!!!!!!

gruss euer Berserker

Ps: Ich wuerde kommen, bin aber nicht im Stande aufgrund meiner Abweseinheit wegen einer Studienreise" 

Dieser Aufruf eines Rechtsextremen war offenbar als Drohung zu verstehen, unsere Veranstaltung verbal oder mit Gewalt zu stören. Wir antworteten auf ihn und allfällige weitere "Nationalisten" auf unserer Webseite mit folgender Mitteilung:

"1. Unsere öffentlichen Diskussionstreffen sind in der Tat offen für alle, die politisch interessiert sind und mit uns über Fragen, die für die Arbeiterklasse von Belang sind, diskutieren wollen. In diesem besonderen Fall sind wir aber sicher, dass es keinen Sinn hat, mit euch zu diskutieren. Es ist offensichtlich, dass wir uns gegenseitig nichts zu sagen haben. Wir werden uns nicht von eurem Stanpunkt überzeugen lassen, und ihr euch nicht von unserem.

2. Wir sind entschlossen, unser Treffen nicht sabotieren zu lassen. Es ist nicht das erste Mal, dass öffentliche Veranstaltungen der IKS Zielscheibe von Sabotageversuchen sind, und zwar nicht bloss von rechtsextremer, sondern in der Vergangenheit auch schon von anarchistischer oder stalinistischer Seite.

3. Wir haben deshalb auch keine "antifaschistischen" Beweggründe, wenn wir euch an jedem Sabotageversuch hindern werden. Vielmehr geht es uns schlicht darum, diesen Ort der Debatte für Fragen, die die Arbeiterbewegung beschäftigen, zu verteidigen."

Dies war denn auch eines der Anliegen bei der Vorbereitung der Veranstaltung: Eine revolutionäre Organisation muss sich die Mittel geben, um ihre Aktivitäten - sei es eine solche Veranstaltung, sei es eine andere Intervention in der Klasse - gegen Angriffe zu schützen und unter Berücksichtigung des bestehenden Kräfteverhältnisses auch durchzusetzen. Mit der Unterstützung auch von SympathisantInnen kehrten wir das Notwendige vor.

Nicht ganz überraschend erschienen keine Rechtsextreme - dafür zivile Polizisten, denen aber dann schliesslich der Vorwand doch fehlte, um den Saal zu betreten oder die TeilnehmerInnen zu behelligen.

Zu Beginn der Veranstaltung schlug die IKS vor, aus aktuellem Anlass das Thema Antifaschismus aufzugreifen. Im Laufe des Nachmittags wurden dann aber auch noch weitere Themen eingebracht, so namentlich die Krawalle vom November 2005 in Frankreich und deren Perspektivlosigkeit sowie die aktuelle Entwicklung der Klassenkämpfe[1]. 

Diskussion über Faschismus und Antifaschismus

 

Die IKS legte in einer kurzen Stellungnahme die Position der Linkskommunisten zum Antifaschismus dar. Die wichtigsten Aussagen daraus seien hier wiedergegeben:
Der Faschismus ist ein politischer Ausdruck des dekadenten Kapitalismus. Wir sind gegen jede Barbarei, die dieses System hervorbringt, sei es im Namen des Faschismus, der Demokratie oder des Stalinismus. Der Holocaust, Hiroshima und Nagasaki, der Gulag stehen für diese verschiedenen Formen der Barbarei. Jede dieser drei Formen der staatskapitalistischen Herrschaft ist totalitär, aber je mit anderen Mitteln. Der Faschismus zeichnet sich durch eine besonders brutale Disziplinierung der Arbeiterklasse im Hinblick auf den Krieg, namentlich den Weltkrieg aus. Die Italienische Kommunistische Linke hat bereits in den 1920er Jahren nachgewiesen, dass der Faschismus als Regierungsform nur möglich ist, wenn die Arbeiterklasse zuvor durch die Demokratie (z.B. die Sozialdemokratie in Italien und Deutschland) geschlagen worden ist. Der Faschismus kam nie gegen eine ungeschlagene Arbeiterklasse an die Macht.
Was ist Antifaschismus? - Er ist die Negierung des Faschismus - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der Antifaschismus ist weder vom Begriff her antikapitalistisch, noch war er es je in der geschichtlichen Realität[2]. Antifaschismus heisst Verteidigung der Demokratie, also Verteidigung einer anderen totalitären, bürgerlichen Herrschaftsform. Oder Verteidigung des vermeintlich geringeren Übels. Die Demokratie ist für die Bourgeoisie die perfekteste Herrschaftsform. Sie ist flexibel und taugt am besten, wenn es darum geht, dem Volk (also nicht bloss der Arbeiterklasse) vorzugaukeln, es würde selber über seine Geschicke entscheiden, es habe ja an der Urne die freie Wahl. In den 1970er Jahren beispielsweise, als die Arbeiterklasse in vielen Ländern auf der ganzen Welt erwachte und in zahlreiche Kämpfe trat, waren die faschistischen Regime von Franco und Salazar in Spanien und Portugal keine geeigneten Herrschaftsformen mehr, um die Situation im Sinne der Bourgeoisie zu kontrollieren. Der Faschismus musste der Demokratie weichen, die mit ihren Wahlen und Gewerkschaften der kämpfenden Arbeiterklasse viel wirksamer gegenüber treten konnte.
Ob die Bourgeoisie auf die Herrschaftsform des Faschismus zurückgreift, hängt wesentlich vom Kräfteverhältnis zwischen den beiden Klassen Bourgeoisie und Proletariat ab. Wenn das Proletariat geschlagen ist, hat die Bourgeoisie freie Hand und kann je nach den sonstigen Bedürfnissen ein sehr autoritäres Regime einrichten. Wenn umgekehrt das Proletariat auf seinem eigenen Terrain kämpft, d.h. für seine Ziele und mit seinen Mitteln, so wird sich die bürgerliche Klasse hüten, mit einem faschistischen Regime zu regieren versuchen.
Die Arbeiterklasse hat im Kapitalismus zwei Stärken: ihr Klassenbewusstsein und ihre Einheit. Nur mit diesen beiden Waffen kann sie das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten verschieben. Das Proletariat ist eine besondere Klasse mit besonderen Zielen. Es kann sich nicht mit anderen Klassen zusammenschliessen, um seine Ziele zu erreichen. Es kann sich nur auf seine eigenen Kräfte verlassen und muss ganz auf sie setzen - eben auf die Einheit und das Klassenbewusstsein.
Dies ist gerade beim Antifaschismus das zentrale Problem. Der Kampf gegen den Faschismus, d.h. eben für die Demokratie als das vermeintlich geringere Übel, ist typischerweise das Ziel von anderen als proletarischen Klassen: von Kleinbürgern und Teilen der Bourgeoisie selber. Wenn das Proletariat als Ganzes oder Teile von ihm beginnen, sich in einen solchen Kampf zu begeben, schliessen sie sich notwendigerweise mit fremden Klassen zusammen. Der antifaschistische Kampf ist klassenübergreifend. Die Arbeiter geben dabei ihre Klassenautonomie auf.
Es gibt verschiedene bekannte Beispiele aus der Geschichte der Arbeiterbewegung, die aufzeigen, dass eine solche Bündnispolitik und insbesondere der Antifaschismus nicht nur den Faschismus nicht aufhielten, sondern im Gegenteil durch die Entwaffnung des Proletariats im dargelegten Sinn den Boden vorbereiteten, damit der Faschismus effektiv siegen konnte. Die Einheitsfrontpolitik der KPD in den 20er Jahren ist ein Beispiel. Ein anderes ist der Antifaschismus, den in Spanien die Stalinisten und offiziellen Anarchisten nach dem proletarischen Aufstand vom Juli 1936 praktizierten.
Aus diesen Gründen ist es wichtig, immer nach dem Klassencharakter einer Bewegung zu fragen. Nur wenn die Arbeiterklasse auf ihrem Terrain, autonom, nicht in einem klassenübergreifenden Bündnis kämpft, kann sie sich verstärken und kommt sie ihrem Ziel näher. 

Eine lebendige Diskussion

 

Von denjenigen, die sich an der Diskussion beteiligten, vertrat niemand die Auffassung, dass die bestehende gesellschaftliche Ordnung gut sei und verteidigt werden sollte. Alle hatten offenbar das Anliegen, dass der Kapitalismus überwunden werden muss, wenn die Menschheit überhaupt noch eine Zukunft haben soll. Eine Mehrheit schien auch die Meinung zu vertreten, dass die Demokratie eine totalitäre Herrschaftsform der Bourgeoisie ist, um das Proletariat besser in Schach zu halten.
Einige Teilnehmer hatten aber dann doch die mehr oder weniger ausgesprochene Neigung zu sagen, dass die Faschisten noch schlimmer seien als die Demokraten. Einer sagte sinngemäss, im Notfall müsse man Bündnisse gegen die "Schlimmsten" eingehen; im Zweiten Weltkrieg sei dies nötig gewesen gegen Nazideutschland, heute sei es notwendig gegen die USA, die ebenso die ganze Welt unterwerfen wollten, wie seinerzeit die Nazis.
Gegen solche Argumente wandten sich diejenigen, welche die Perspektive der proletarischen Revolution verteidigten. Das Proletariat kann sich für seine Revolution auf niemanden verlassen ausser auf sich selber, auf seine eigenen Stärken. Wenn es um die Umwälzung der herrschenden Ordnung geht, wird kein Staat - auch wenn er noch so antiamerikanisch ist - dem Proletariat helfen, im Gegenteil. Die verschiedenen Nationalstaaten stehen zwar in ständiger Rivalität zueinander, aber sobald das Proletariat sich erhebt, sind sich plötzlich die Bourgeoisien aller Länder in dieser einen Frage einig: Die kapitalistische Ordnung muss gegen die proletarische Revolution verteidigt werden. Genau dies geschah im Herbst/Winter 1918, als sich in verschiedenen Ländern Arbeiterräte nach dem Vorbild der Sowjets zu bilden begannen, um die in Russland begonnene Revolution in Mittel- und Westeuropa fortzusetzen; sofort brachen die Herrschenden den Weltkrieg ab, damit die bedrohten Regierungen in Deutschland, Österreich und Ungarn die Waffen gegen das Proletariat richten konnten. Von Bündnissen mit anderen Klassen oder gar einem kapitalistischen Staat hat die Arbeiterklasse also nichts als die eigene Niederlage zu erwarten.
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, ob die Bourgeoisie heute überhaupt auf den Faschismus als Ideologie und Alternative zur Demokratie zurückgreift. Dies ist bei den massgebenden Teilen der herrschenden Klasse offensichtlich nicht der Fall. Trotzdem ist die Frage interessant, da sie es erlaubt, die Spielarten der demokratischen Ideologie genauer zu betrachten. Niemand bestreitet zwar die Tatsache, dass es Neonazis gibt und dass rechtsextreme Schlägerbanden Ausländer, Punks oder andere, die sie für Sündenböcke halten, terrorisieren. Ebenso klar ist, dass die Bourgeoisie, insbesondere ihre Polizei, die Naziszene unterwandert und für Zwecke zu manipulieren versucht, die schlecht zur vorherrschenden demokratischen Ideologie passen: Pogrome, Aufbau von Killerkommandos und Todesschwadronen. Aber eben - all dies muss unter dem demokratischen Deckmantel geschehen. Keine einzige Regierung auf der Welt schreibt in der heutigen Zeit den Faschismus auf ihre Fahnen, im Gegenteil: Jeder Staat will die anderen in der Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte übertrumpfen. Die USA führen ihre Kriege im Namen der Demokratie; ihre Gegner tun dasselbe und werfen den USA Demokratiedefizite und Verletzungen der Menschenrechte z.B. in Guantánamo vor. Die Linken (Sozialdemokraten, Menschenrechtsgruppen, Antirassismus-Kommissionen usw.) sind die Vorreiter dieser Ideologie, die Linksextremen (Antifa, Antiimps, Antideutsche) ihre Speerspitze: Sie sind das mehr oder weniger radikale Feigenblatt jeder Demokratie für ihre undemokratischen "Auswüchse". Sie geben alle vor, der kapitalistische Staat könne, wenn er nur wolle, seine Bürger vor menschenunwürdiger Behandlung schützen. Der Staat und seine Institutionen seien für das Wohl aller zuständig und auch fähig, es zu gewährleisten. Der Antifaschismus ist unersetzbarer Teil dieser Ideologie - egal, ob seine Protagonisten sich dessen bewusst sind oder nicht.
Zur Veranstaltung kamen verschiedene Leute, die sich offen für linkskommunistische Positionen interessierten. Auch in der Schweiz ist festzustellen, dass es vermehrt solche Interessierte gibt[3]. Wir schickten deshalb an verschiedene Leute und Gruppen, die wir kennen, eine Einladung zur Diskussion mit der Aufforderung, uns bei der Verteidigung der Veranstaltung zu unterstützen. Dabei verwiesen wir aber ausdrücklich auf unsere Ablehnung jeder antifaschistischen Bündnispolitik und präzisierten: "Wir können und werden uns nur auf unsere eigenen Kräfte, also auf diejenigen der InternationalistInnen, abstützen und werden uns davor hüten, unseren Schutz auf einer antifaschistischen Grundlage zu organisieren versuchen."

FK, 16.01.06 

Fussnoten:


[1] Aus Platzgründen beschränken wir uns in diesem Artikel auf das Thema Faschismus und Antifaschismus. Was die anderen Themen betrifft, verweisen wir einerseits auf den Artikel "Ausschreitungen in den französischen Vorstädten" (book/print/590) und andererseits auf die aktuellen Artikel über den Klassenkampf in jeder Ausgabe der Weltrevolution.

[2] Vgl. dazu den Beitrag eines Lesers in Weltrevolution Nr. 131 und unsere Stellungnahme zu diesem Beitrag in Nr. 132 

[3] Ein Indiz dafür ist, dass die Gruppe "Eiszeit" einen mehrmonatigen Diskussionszyklus über "kommunistische Dissidenz" organisiert, bei welchem bei reger Teilnahme bis jetzt mehrheitlich linkskommunistische Themen und Positionen diskutiert werden (Rosa Luxemburg, Deutsch-Holländische Kommunistische Linke, Italienische Kommunistische Linke), vgl. www.eiszeit.tk [16].

Geographisch: 

  • Schweiz [17]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Antifaschismus/-rassismus [18]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [10]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die "Einheitsfront" [19]

Streik bei der New Yorker U-Bahn

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In der bedeutendsten Metropole der USA, New York, streikten in den Tagen vor Weihnachten die U-Bahn-Beschäftigten. Drei Tage lang ruhte der U-Bahn-Betrieb. Der New Yorker U-Bahnstreik war nicht nur ein Ausdruck der Kampfbereitschaft, sich trotz der angedrohten finanziellen und anderen Sanktionen zur Wehr zu setzen, sondern er zeigte auch, dass ungeachtet all der Spaltungsversuche der Arbeiter durch das Kapital, die Beschäftigten Solidarität über alle Generationen hinweg entwickeln können. Immer wieder versucht die  US-Bourgeoisie bei der Verfolgung ihrer imperialistischen Ziele die Arbeiter für ein Bündnis mit dem Staat zu gewinnen. Während die Stadt New York im September 2001 noch als Zielscheibe terroristischer Angriffe auserkoren wurde und die US-Bourgeoisie diesen Angriff als Vorwand für den Aufbau einer patriotischen Front zu nutzen suchte, belegt nicht nur der Streik der New Yorker U-Bahnbeschäftigten, sondern auch eine Vielzahl anderer Streiks in den USA (u.a. Boeing/Seattle letzten Herbst), dass die Arbeiterklasse in den USA sich keinesfalls für eine patriotische Front einspannen lässt, sondern für ihre Klasseninteressen eintritt.
Dies ist ein wichtiges Indiz dafür, dass die Arbeiterklasse nicht von der Bühne der Geschichte verschwunden ist, sondern weltweit langsam wieder in Erscheinung tritt.
Zum gleichen Zeitpunkt, als in New York die U-Bahn-Beschäftigten streikten, legten bei Seat in Barcelona die Beschäftigten nach der Ankündigung von Entlassungen die Arbeit nieder. Aus vielen Ländern lassen sich gleichlautende Nachrichten verkünden. Auch wenn es bislang den Herrschenden mit den Gewerkschaften an ihrer Seite gelungen ist, diese Kämpfe einigermaßen einzudämmen und sie im Griff zu haben, belegen sie, dass die Arbeiterklasse weltweit die Stirn erhebt gegen die Angriffe des Kapitals.
Die IKS intervenierte in diesen Kämpfen mit verschiedenen Mitteln. Aus Platzgründen verweisen wir hier nur auf unsere Webseite in verschiedenen Sprachen, wo wir ausführlicher darüber berichten. 

New Yorker U-Bahnstreik

(Auszug aus einem Artikel der Presse der IKS in den USA).

Der Versuch die Arbeiter zu spalten, stand im Mittelpunkt der Kämpfe bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben in New York (MTA). Das  MTA-Management [...] versuchte das Renteneintrittsalter von gegenwärtig 55 auf 62 Jahre für neu Einzustellende festzulegen. Gleichzeitig hätten die demnächst Neueingestellten 6% ihres Lohnes für den Rentenfond bezahlen sollen. Ein Rentenalter von 55 Jahren bestand schon lange in  Anerkennung der extrem harten Arbeitsbedingungen, unter denen die Transportarbeiter in den 100 Jahre alten U-Bahntunneln arbeiten: schlechte, stickige Luft, Rattenplage und keine sanitären Anlagen. Der Vorstoß des Gouverneurs hätte keine Bedeutung für das Rentenalter der jetzt Beschäftigten gehabt.
Aber die Transportarbeiter waren nicht bereit, auf dieses Spaltungsmanöver einzugehen. Als Teil der Arbeiterklasse, die sich konfrontiert sieht mit einem umfassenden Angriff auf ihre Renten, verweigerten die Transportarbeiter kategorisch, irgendeine Änderung bei den Renten zu akzeptieren. Sie streikten, um die Renten von Arbeitern zu verteidigen, die noch gar nicht eingestellt worden sind. Sie nannten diese ihre "zukünftigen, noch unbekannten Kollegen". Dieser Kampf drückt glasklar aus, dass die Arbeiterklasse dabei ist, ihre Identität und ihr solidarisches Verhalten wieder zu gewinnen. Das hat nicht nur eine Wirkung auf die am Kampf beteiligten Arbeiter, sondern auch auf Arbeiter in anderen Branchen. Die Transportarbeiter streikten aus Klassensolidarität mit der zukünftigen Generation, die ja noch nicht einmal eingestellt ist. Das fand Widerhall bei vielen Arbeitern. Sie konnten sehen, dass endlich jemand aufgestanden ist und gesagt hat: An den Renten wird nicht gerüttelt! 

Die Bedeutung des Kampfes im Transportwesen

Der Streik der 33.700 Transportarbeiter, der New York für drei Tage  lahm legte - und das in der Vorweihnachtszeit -, war der bedeutendste Arbeiterkampf während der letzten 15 Jahre in den USA. Seine Bedeutung liegt in einer Reihe von zusammenhängenden Gründen: 1. Der internationale Kontext, in dem die Kämpfe stattfanden. 2. Die Entwicklung des Klassenbewusstseins unter den Streikenden selbst. 3. Die potenzielle Auswirkung des Streiks auf andere Arbeiter. Trotzdem sollte seine Bedeutung nicht überschätzt werden. Er kann nicht verglichen werden mit den Kämpfen in den 80er Jahren, bei denen die Autorität des kapitalistischen Gewerkschaftsapparates - der der Kontrolle und Kanalisierung der Arbeiterkämpfe dient - herausgefordert wurde, und bei denen die Frage der Kampfausdehnung auf andere Branchen gestellt wurde. Jedoch trotz der schwierigen Bedingungen, unter denen die Arbeiterklasse heute kämpfen muss, müssen wir uns über die Bedeutung dieses Kampfes klar werden. Auf dem Hintergrund der schwierigen Bedingungen des Arbeiterkampfes heute ist er von besonderer Bedeutung.
Obgleich der Kampf noch ganz unter der Kontrolle der örtlichen Gewerkschaftsführung blieb - beherrscht von den Linken und den Basisgewerkschaftlern -, zeigte der Kampf nicht nur wachsende Kampfbereitschaft, sondern auch, und das ist viel wichtiger, Schritte hin zur Entwicklung eines wiederentdeckten Gefühls der Klassenidentität und des Selbstvertrauens, eines Verständnisses der Klassensolidarität, die alle Arbeiter über die Generationen und Branchen hinweg vereinigt.
Die Transportarbeiter streikten im Bewusstsein, dass sie gegen das "New York States' Taylor" Gesetz  verstießen, welches Streiks im öffentlichen Dienst verbietet und als Strafe für jeden streikenden Arbeiter automatisch einen Lohnabzug von zwei Tagen pro Streiktag vorsieht. Somit würde jeder streikende Arbeiter drei Tage Löhne für jeden Streiktag verlieren. Die Stadt New York drohte damit, zusätzlich noch jeden streikenden Arbeiter pro Streiktag mit einer Geldbuße von 25.000$ zu belegen, wobei sich die Geldbuße mit jedem weiteren Streiktag verdoppeln sollte, also 50.000$ für den zweiten und 100.000$ für den dritten Streiktag. Angesichts der angedrohten Strafen seitens der Bourgeoisie fiel den Arbeitern die Entscheidung zu streiken nicht leicht. Dass sie es dennoch taten, war ein großartiger Ausdruck kämpferischer Unbeugsamkeit. 

[...]

Diese Entwicklung aufkeimender Kampfbereitschaft ist überall in den USA im Gange, wie die Beispiele der Kämpfe in der Lebensmittelbranche in Kalifornien, bei Boeing, der Northwest-Fluggesellschaft, der Streik der Transportarbeiter in Philadelphia und der Streik der Lehrkräfte an der New York Universität zeigen. Dabei ist der Streik der New Yorker Transportarbeiter nicht nur deshalb so bedeutsam, weil er der größte  und  wirkungsvollste war, sondern auch wegen des Fortschritts, den er auf der Ebene der Bewusstseinsentwicklung zum Ausdruck brachte. 
Wie wir gesagt haben, wurde der Streik hauptsächlich zur Verteidigung der Renten geführt, die unglaublichen Angriffen seitens der Bourgeoisie überall auf der Welt, aber besonders in den USA ausgesetzt sind. In den USA zahlt der Staat nur kümmerliche Renten, daher sind die Arbeiter auf Firmen- oder jobbezogene Renten   angewiesen, um im Rentenalter über ein Auskommen zu verfügen. Der Bestand dieser beiden Rentenarten ist zur Zeit in Gefahr. Auf der einen Seite sollen die staatlichen Renten durch die angestrebte Reform der Rentenversicherung gekürzt werden, auf der anderen Seite besteht die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit von Firmen, und schließlich die Bedrohung allgemeiner Rentenkürzungen. Seit dem Bankrott des Enron Konzerns, bei dem Tausende Beschäftigte ihre ganzen Renten verloren, haben zahllose amerikanische Unternehmen ihre Rentenverpflichtungen nicht eingehalten. Erst kürzlich sind  große Firmen der Flugzeugindustrie wegen zahlreicher Geschäftspleiten ihren Rentenauszahlungen nicht nachgekommen.
Die Bundesregierung, die im Falle der Zahlungsunfähigkeit der Firmen einspringt, verbürgt sich nur für 50% der üblich zustehenden Beträge. So sind viele Rentenfonds eingegangen. Die staatliche Rentenkasse rechnet mit einem Fehlbetrag von 24 Mrd. $. Die Rentenfonds in der Autoindustrie, bei denen General Motors und Ford mit großen Verlusten zu kämpfen haben, sind ebenfalls bedroht. 

Die Entwicklung des Bewusstseins unter den Arbeitern

Der Transportarbeiterkampf brachte auf mehreren Ebenen zum Vorschein, dass die Arbeiter dabei sind, sich wieder als Klasse zu entdecken. In der Hauptsache ging es eindeutig um die Verteidigung der Renten der nachkommenden Arbeitergenerationen. Und das nicht nur auf abstrakte Weise, vielmehr war dies konkret greifbar. So etwa bei einer Streikpostenkette am Busdepot im Stadtteil Brooklyn, wo Dutzende Arbeiter zusammenkamen und in kleinen Gruppen über den Streik diskutierten. Ein Arbeiter sagte, dass er es nicht richtig findet für die Renten zukünftiger Generationen zu kämpfen, für Leute also, die wir nicht einmal kennen. Seine Kollegen entgegneten ihm, dass die davon betroffenen, zukünftigen Beschäftigten unsere Kinder sein könnten. Ein anderer sagte, es sei wichtig die Einheit zwischen den verschiedenen Generationen der Arbeiterschaft zu verteidigen. Er wies darauf hin, dass die Regierung wahrscheinlich bald versuchen wird, die medizinische Versorgung zu beschneiden oder die Renten zu kürzen, wenn wir alt und in Rente sind. Und dann wird es nicht unwichtig sein, wenn die jüngere Generation, die dann im Arbeitsleben steht, sich erinnern wird, dass wir für sie aufgestanden sind. Dann werden sie für uns eintreten und das Kapital daran hindern, unsere Renten zu beschneiden. Ähnliche Gespräche wurden überall in der ganzen Stadt geführt. Offenkundig war die Tendenz der Arbeiter  sich als Klasse zu erkennen, über ihre eigene Generation hinauszublicken und zu sehen, dass die Bourgeoisie versucht, die verschiedenen Generationen gegeneinander auszuspielen.
Andere Arbeiter, die an der Streikpostenkette vorbeifuhren, haben aus Solidarität auf ihre Hupen gedrückt und uns lautstark Beifall gespendet. In Brooklyn brachte eine Gruppe von Lehrern der nahe am Busdepot gelegenen Schule ihre Solidarität dadurch zum Ausdruck, dass sie mit ihren Schülern im Alter von 9 bis 12 Jahren über den Streik diskutierten und mit ihren Klassen die Streikpostenkette besuchten. Die Schüler überreichten den Streikenden Weihnachtskarten mit Grüßen wie: Wir unterstützen Euch! Ihr kämpft für Respekt! 

Auswirkung des Kampfes auf andere Arbeiter

Der Streik im öffentlichen Verkehrswesen wurde ein Bezugspunkt für Arbeiter in anderen Bereichen. Neben den oben genannten Unterstützungs- und Solidaritätsbeweisen gab es noch zahlreiche andere Beispiele. Arbeiter aus anderen Branchen waren willkommen bei den Streikpostenketten. In einem Fall besuchte eine Gruppe von Lehrkräften eine Streikpostenkette in Brooklyn und diskutierte mit den Streikposten über Streikfragen, z.B. über die einzuschlagende  Strategie. Auf zahllosen Arbeitsstellen in der ganzen Stadt unterhielten sich Arbeiter anderer Branchen über die Bedeutung der Solidarität, wie sie sich beispielhaft zeigte in der Verteidigung der Renten. Viele der städtischen Arbeiter sind seit drei oder mehr Jahren ohne neuen Arbeitsvertrag. Die Transportarbeiter hielten sich an die Losung ‚ohne Arbeitsvertrag keine Arbeit'.  
Die Fernsehnachrichten konzentrierten sich auf die Schwierigkeiten, die die Leute hatten, die Fahrgemeinschaften zu bilden suchten oder die zu Fuß über die East River Brücken zur Arbeit gingen. Aber auch nach dieser Medienkampagne wusste die Stadtverwaltung: Die Arbeitersolidarität mit dem Streik blieb groß. Ein örtlicher Richter drohte damit, Gewerkschaftsführer ins Gefängnis zu stecken und einzelne streikende Arbeiter zu bestrafen, weil sie sich einer gerichtlichen Verfügung widersetzt hatten, welche den Streik beenden und zur Wiederaufnahme der Arbeit zwingen sollte. Aber Oberbürgermeister Bloomberg drängte darauf, die Gewerkschaftsführer nicht einzusperren, sondern die Geldstrafen zu erhöhen, weil man sonst Toussaint (einen Gewerkschaftsführer) zum Märtyrer machen würde, und man dann Solidaritätsstreiks von anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes riskieren würde. Die Illegalität des Streiks löste beträchtliche Diskussionen unter den Arbeitern der ganzen Stadt aus, und auch im ganzen Land. “Wie kann das illegal sein, wenn Arbeiter protestieren, indem sie von der Arbeit fernbleiben?”, fragten viele Arbeiter. Wie ein Arbeiter es bei einer Diskussion an einer Schule in Manhattan ausdrückte: “Es scheint so, als ob streiken nur erlaubt wäre, wenn es wirkungslos ist.” 

Die Rolle der Gewerkschaften bei der Sabotage des Kampfes 

Viele Arbeiter waren sich schmerzlich bewusst, dass die neue, militante Gewerkschaftsführung vor drei Jahren kapitulierte und einen Vertrag unterschrieben hatte, der 0% Lohnerhöhung für das 1. Jahr und 3% für das 2. und 3. Jahr vorsah. Die Gewerkschaften standen deshalb unter dem Druck der wachsenden Kampfbereitschaft und der Wut der Arbeiter, jetzt entschlossener zu handeln. Während die Basisgewerkschafter und die Linken der Transportarbeitergewerkschaft ‚Local 100' klar den Streik kontrollierten, und dabei kämpferische Reden führten und viel von Solidarität sprachen, um den  Streik weiter fest in der Hand zu haben, war es nichts desto trotz die Funktion der Gewerkschaft den Kampf zu unterminieren und die Wirkung dieses bedeutenden Streiks zu beschränken. Gleich zu Beginn des Streiks zogen die Gewerkschaften die Forderung nach einer jährlichen Lohnerhöhung von 8 % in den nächsten drei Jahren zurück und lenkten den Blick ausschließlich auf die Renten. Auf der Gewerkschaftsversammlung, auf der der Streik bewilligt wurde, war keine Diskussion oder Debatte erlaubt. Die Versammlung wurde als Gewerkschaftsveranstaltung durchgeführt,  wobei noch eine demagogische Botschaft des Pfarrers Jesse Jackson verlesen wurde.
Die Zusammenarbeit und die Absprachen zwischen der Gewerkschaft und der Geschäftsleitung kamen in einem Artikel der New York Times nach dem Streik zum Vorschein. Die ganzen gegenseitigen Beschimpfungen zwischen der Gewerkschaft und den Regierungsvertretern waren nur Schau. Während der Oberbürgermeister und der Gouverneur lautstark verkündeten, eine Wiederaufnahme der Verhandlungen gäbe es nur, wenn die Arbeit wieder aufgenommen ist, waren  geheime Verhandlungen im Helmsley Hotel im Gang, wo der Oberbürgermeister dem Vorschlag des Gewerkschaftsbosses Toussaint zustimmte, man solle die Angriffe auf die Renten zurückziehen und an Stelle dessen die Beiträge für die Krankenversicherung erhöhen, um die Regierung für die Kosten zu entschädigen, die daraus entstehen, dass die Renten auch für künftige Arbeiter gleich bleiben.
Das von der Gewerkschaft und der Regierung orchestrierte Ende des Kampfes ist natürlich nicht überraschend, sondern einfach eine Bestätigung des arbeiterfeindlichen Wesens des Gewerkschaftsapparats, und mindert keineswegs die Bedeutung der  wichtigen Fortschritte, die in der Entwicklung des Klassenbewusstseins gemacht wurden. Das ruft uns ins Gedächtnis, welche bedeutenden Aufgaben noch vor uns liegen, um die Zwangsjacke der Gewerkschaften abzustreifen und damit den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen.
aus Internationalism, Zeitung der Sektion der IKS in den USA, Dezember 2005

Geographisch: 

  • Vereinigte Staaten [20]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [7]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/695/weltrevolution-nr-134

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