Nachdem nun für zahlreiche Immobilienbesitzer damit Obdachlosigkeit zu einer realen Bedrohung wird, schliddern die Banken selbst in große Liquiditätsnöte. Denn die angeblichen Garantien der Banken werden pulversiert. Während jeder kleine Kreditnehmer in Deutschland durch die Schufa durchleuchtet wird, bevor ihm auch nur ein geringfügiger Kredit eingeräumt wird, sieht es bei den Banken offensichtlich anders aus. Eine Unmenge von Banken hat sich ganz waghalsig an diesen Geschäften mit faulen Krediten beteiligt, versucht diese aber zu verbergen. Eine Bank nach der anderen muss eingestehen doch mehr verwickelt zu sein als bisher zugegeben. Ob Citibank, Merrill Lynch, Hypo-Estate, IKB, Sächsische Landesbank usw. – die Bankenwelt sitzt auf „faulen Krediten“. Konsequenz: keine Bank traut der anderen mehr. Sie weigern sich, anderen Banken neue Kredite zu gewähren; ein riesiger Liquiditätsnotstand hat sich breit gemacht. Die EZB sah sich gezwungen, um Kettenreaktionen auszuschließen, zur Jahreswende 2007/08 den Kapitalmarkt mit einem Betrag von 350 Mrd. Euro zu versorgen. Das ist die größte Geldspritze in der Geschichte der EZB. Theoretisch soll dieses Geld wieder an den Kreditgeber EZB zurückfließen, aber in der Praxis werden solche Kredite immer wieder refinanziert, so dass das Geld in Umlauf bleibt. Wenn ein Banker dem anderen nicht mehr traut, weil jeder dem anderen etwas vorlügt und das wahre Ausmaß der jeweiligen „Abschreibungen“ verschweigt, ruft diese eine tiefe Krise, ja die Gefahr der Lähmung hervor.
Von schwarzen und weissen Schafen Oder: Wer schwingt die Schweizer Fahne am besten?
“Anfang vom Ende der SVP - Der Geheimplan des Schwarzen Schafes ist aufgegangen – Blocher weg, der Niedergang der SVP eingeläutet” – so frohlockte das Komitee “Das Schwarze Schaf” am 13. Dezember 2007 nach der Abwahl des rechtspopulistischen Christoph Blocher aus der Landesregierung. Dieses Komitee war im August 2007 gegründet worden, um die parlamentarische Linke “von links unten unter Druck zu setzen”[1].
Die Vertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP) umgekehrt jammern, dass mit dieser Wegwahl Blochers aus dem Bundesrat der Wille des Volkes missachtet worden sei, da dieses die SVP zur stärksten Partei im Parlament gemacht habe. Es sei undemokratisch, wenn die wählerstärkste Partei nicht die von ihr selbst nominierten Kandidaten in der Exekutive habe.
Für den Ausgang der Parlaments- und Regierungswahlen verweisen wir auf den Kasten “Zahlen und Fakten den Wahlen”.Am 13. Dezember schnaubte also die SVP, und die Linke frohlockte. Diese feierte ihren Sieg, jene kündigte an, in die Opposition zu gehen und schloss ihre beiden Bundesräte, die sich nicht auf der Mehrheitslinie befinden, aus der Fraktion, nicht aber aus der Partei aus[2].
Soweit wäre also alles in Butter für die Regierenden in der Schweiz: Die Demokratie hat gesiegt, und dies hat sie den Linken (auch denen von links unten) zu verdanken.
Doch die Gesellschaft, in der wir immer noch zu leben gezwungen sind, wäre nicht der Kapitalismus, wenn sich die Probleme so leicht lösen liessen. Es darf daran gezweifelt werden, dass die irrationale Mythen mobilisierende, fremdenfeindliche SVP durch das geglückte Manöver der Linken ernsthaft geschwächt wird. Rechtspopulistische Parteien haben in der Opposition in der Regel mehr Erfolge als in der Regierung[3].
Aber ein zweites Problem ist durch den vollzogenen Schritt noch weniger gelöst: Die Bourgeoisie wird über kurz oder lang mit Kämpfen der Arbeiterklasse konfrontiert sein. Die linken Parteien der Bourgeoisie haben die Aufgabe, diese Kämpfe ins Korsett der bestehenden Ordnung (z.B. Parlamentarismus und gewerkschaftliche Kämpfe) zu zwängen. Dies gelingt denjenigen Kräften am besten, die nicht durch Regierungsverantwortung kompromittiert sind. Die Sozialdemokraten befinden sich seit über 60 Jahren in der Regierung. Kein Zufall, dass sie selbst in Zeiten zunehmender Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse je länger je mehr Stimmen verlieren. Seit der Abwahl von Blocher gilt der Bundesrat als wesentlich von der SP geprägt (Mitte-Links-Regierung). Und links der SP gibt es keine bedeutende Partei, die als “Arbeiterpartei” auftreten könnte. Weder Stalinisten noch Trotzkisten haben in der Schweiz ein nennenswertes Gewicht. Insofern hat die Bourgeoisie in der Schweiz längerfristig ein Problem.
Doch die Arbeiterklasse kann in ihrem Kampf für die eigene Befreiung nicht auf die Schwächen des Gegners setzen. Sie muss ihre eigenen Stärken in die Waagschale werfen: erstens ihre Einheit und Solidarität in den Kämpfen gegen die Verschlechterungen der Lebensbedingungen und zweitens ihr Bewusstsein. Das Bewusstsein darüber, dass diese kapitalistischen Ordnung nicht durch neue Bundesräte belebt, sondern durch eine Revolution der Arbeiter und Arbeiterinnen überwunden werden muss. MD, 17.1.08Eine der ersten Aufgaben des neu gewählten Parlaments ist jeweils die Wahl der Regierung, die aus sieben Ministern (Bundesräten) besteht. Da dem Nationalstaat Schweiz mit seiner Viersprachigkeit und dem grossen Gewicht der verschiedenen Regionen je nach Situation starke Zentrifugalkräfte innewohnen, ist die Bourgeoisie im Laufe des Zweiten Weltkriegs dazu übergegangen, alle gewichtigen politischen Parteien in die Regierung zu integrieren. Damals wählte sie zum ersten Mal einen Sozialdemokraten in den Bundesrat. Ende der 1950er Jahre wurde diese Regel noch verfeinert mit der so genannten Zauberformel: Von nun an sollten die grössten vier Parteien ungefähr entsprechend ihrem Wähleranteil im Bundesrat vertreten sein. Vor vier Jahren erhielt deshalb die SVP einen zweiten Sitz im Bundesrat, und zwar auf Kosten der CVP, deren Bundesrätin Ruth Metzler damals abgewählt wurde; seither stellt die CVP nur noch einen Bundesrat. Das Aushängeschild der SVP, Christoph Blocher, wurde neu in den Bundesrat gewählt (vgl. Artikel in Weltrevolution Nr. 122, /content/914/bundesratswahlen-der-schweiz [4]).
Im Gegensatz zu jenen Bundesratswahlen vor vier Jahren, die nach einem im Voraus von allen vier grossen Parteien bestimmten Plan abliefen, kam es diesmal, am 12./13. Dezember 2007, zu einer Überraschung: Christoph Blocher wurde als Bundesrat nicht bestätigt; an seiner Statt wurde die gemässigte SVP-Frau Eveline Widmer-Schlumpf gewählt, die nicht die Mehrheitslinie der Partei verfolgt, sondern dem traditionellen Bauern- und Kleingewerbler-Flügel angehört wie der schon länger in der Regierung sitzende SVP-Mann Samuel Schmid. Diesen “Putsch” fädelten sozialdemokratische und grüne Parlamentarier ein. Er konnte dank Unterstützung v.a. aus CVP-, aber auch FDP-Kreisen realisiert werden.[2] Die Fraktionen sind Zusammenschlüsse von Parlamentariern der gleichen Partei, wobei sich auch mehrere Parteien zu einer Fraktion zusammenschliessen können.
In den letzten fünf Jahren haben wir eine internationale Entwicklung des Klassenkampfes erlebt. Diese Kämpfe haben in Reaktion auf die Brutalität der kapitalistischen Krise und auf die dramatische Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen überall auf der Welt stattgefunden. Heute, beim Eintritt in eine neue Stufe der Krise, die sich durch die Immobilienkrise in den USA angekündigt hat, können wir von einer Intensivierung dieser Kämpfe ausgehen. In einigen Ländern, wo die Bedingungen für die ArbeiterInnen am schlimmsten sind – Ägypten, Dubai, Bangladesh -, haben wir bereits Keime künftiger Massenstreiks gesehen. In Europa gab es 2006, mit den Studentenprotesten in Frankreich, die Wiederauferstehung einer proletarischen Protestbewegung mit Massencharakter und Tendenzen zur Selbstorganisierung.
In diesem Moment erleben wir in Deutschland den Beginn einer neuen Stufe in dieser Entwicklung. In einem führenden Industrieland der alten kapitalistischen Kernländer droht die Gleichzeitigkeit von Arbeitskonflikten sich lawinenartig zu einer veritablen Welle von Arbeiterkämpfen auszuwachsen.
Das Jahr 2008 begann damit, dass die Deutsche Bahn (DB) gezwungen wurde, 11%-ige Lohnerhöhungen und die Reduzierung der Wochenarbeitszeit der Lokführer um eine Stunde zuzugestehen. Dies war das Resultat eines monatelang glimmenden Konfliktherdes, der weder durch die Illegalisierung landesweiter Streiks bei der Eisenbahn noch durch die Spaltung der DB-Belegschaft durch die Gewerkschaften ausgetreten werden konnte. Ihm folgte im Ruhrgebiet die Mobilisierung rund um die Schließung der Nokia-Handyproduktion. An einem Aktionstag aus Solidarität mit den Nokia-Beschäftigten gingen ArbeiterInnen aus den verschiedensten Bereichen auf die Straße; Delegationen aus verschiedenen Teilen Deutschlands wurden entsendet. Insbesondere die ArbeiterInnen in Opels Autofabrik in Bochum traten in den Streik, um die „Nokianer“ dieser Tage zu unterstützen.
Und schon hatte das jährliche Ritual der Tarifverhandlungen begonnen. Den Warntreiks der Stahlarbeiter folgten die Warnstreiks Zehntausender Beschäftigter aus dem öffentlichen Dienst überall im Land. Doch es ist vor allem der unbefristete Totalstreik der lokalen Transportarbeiter in Berlin, der seit Ende der ersten Märzwoche demonstriert hat, dass in diesem Jahr die Tarifverhandlungsrunden direkt mit der kapitalistischen Offensive gegen die Arbeiterklasse kollidieren. Dieser Streik von 10.000 Arbeitern – schon jetzt der größte und längste seiner Art in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands – hat eine Kampfbereitschaft und Entschlossenheit demonstriert, die die Bourgeoisie anfangs überraschte. Dieser Konflikt eskalierte in einem Moment, wo die Deutsche Bahn einen letzten Versuch unternahm, die Konzessionen zurückzunehmen, die sie zu machen gezwungen war, und wo die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst kurz vor dem Scheitern standen. In diesem Bereich „bietet“ der Staat seinen Beschäftigten eine 5%-ige Lohn“erhöhung“ über zwei Jahre verteilt an, um im Gegenzug die Verlängerung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden zu fordern! In Berlin, wo sich der gesamte öffentliche Nahverkehr (außer die S-Bahn, die sich im Besitz der DB befindet) im Streik befindet, tat sich plötzlich die Perspektive auf, dass die Beschäftigten des gesamten öffentlichen Dienstes in den Streik treten, und das nicht nur in Berlin, sondern im gesamten Land! Die herrschende Klasse musste die Notbremse ziehen. (1) Die Deutsche Bahn gab Stunden, bevor der nationale Generalstreik der Lokführer ausgerufen werden sollte, nach. Gleichzeitig beriefen die öffentlichen Arbeitgeber und Ver.di eine Schlichtungskommission zur Lösung des Konfliktes im öffentlichen Dienst, was bedeutet, dass Streiks in den kommenden Wochen illegal sind. Auf diese Weise isolierten die Regierung, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften den Streik in den Berliner Verkehrs-Betrieben (BVG). Doch das Potenzial einer Simultanität der Arbeiterkämpfen, ihrer objektiven Vereinigung rührt nicht allein aus dem allgemeinen, massiven Unmut über den Fall der Löhne her. Es häufen sich auch Massenentlassungen. Einige Tage nach Nokia wurde der Bankrott der halbstaatlichen Bank von Nordrhein-Westfalen, die WestLB, durch eine 2-Milliarden-Rettungsaktion des Staates abgewendet. Die Kosten für die Beschäftigten: 2.000 Entlassungen - ein Drittel der Belegschaft - und massive Lohnkürzungen für die Verbliebenen. Derselbe Staat, der Milliarden ausgegeben hat, um weitere Kreditinstitute wie die IKB in Düsseldorf oder die Landesbank von Sachsen aufzupäppeln, erzählt nun den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, dass die Kassen leer sind, um den Lohnforderungen nachzukommen!
Doch zu den Opfern des gegenwärtigen Erdbebens auf dem Immobilienmarkt kommt noch hinzu, dass in den vergangenen Wochen eine Reihe von Industriekonzernen – Siemens, BMW, Henkel (Persil) – im gleichen Atemzug Rekordprofite und Massenentlassungen ankündigte. Die alte Lüge, die den ArbeiterInnen von in Schwierigkeiten geratenen Betrieben erzählt wird – dass der Erhalt der Profitabilität durch „Opfer“ ihre Jobs retten werde -, ist von der Wirklichkeit erschüttert worden.
Diese unerhörten Angriffe haben in diesem Jahr nicht nur zu ersten Ausdrücken des Widerstands geführt: Nokia, aber auch die Bergarbeiterdemonstrationen gegen Grubenschließungen. (2) Sie trugen ebenfalls dazu bei, die Propaganda der herrschenden Klasse zu unterminieren. Nach den Kampagnen der „nationalen Einheit“ der Gewerkschaften und der politischen Klasse gegen den finnischen Nokia-Konzern handelte einer der beliebtesten Witze von populären Kommödianten und Kabarettisten vom schrecklichen finnischen Kapitalisten, der auch Siemens und die WestLB leitet...
Eines der bedeutendsten Anzeichen für die gegenwärtige Reifung der Situation ist der Beginn einer immer offenkundigeren Politisierung des Arbeiterkampfes. Die jüngste Entwicklung liefert uns drei wichtige Beispiele:
1. die Rolle der Bochumer „Opelaner“ im jüngsten Konflikt bei Nokia. Es ist wahr, dass sich die Beschäftigten von Nokia von der provokanten Brutalität demoralisiert und eingeschüchtert fühlten, mit der die Schließung des Betriebs angekündigt wurde. Es war zu einem großen Teil die massive Intervention der Opel-ArbeiterInnen bei Nokia, ihre Aufforderung zu kämpfen und ihr Versprechen, sich jedem eventuellen Streik anzuschließen, die die Mobilisierung ermöglichte, welche stattfand. Bereits 2004 verhinderte ein einwöchiger wilder Streik bei Opel Bochum die Schließung des eigenen Werkes. Heute sind die „Opelaner“ entschlossen, diese Lehre den ArbeiterInnen in ihrer Gesamtheit zugänglich zu machen: Arbeiterwiderstand und Solidarität zahlen sich aus! Was wir hier sehen, ist das Auftauchen einer kämpferischen Vorhut in großen Arbeiteranballungen, die sich ihres Gewichtes im Klassenkampf bewusst und entschlossen ist, es zugunsten aller ArbeiterInnen in die Waagschale zu werfen. Eine andere solche Arbeiterzusammenballung ist die von Mercedes-Daimler, die bereits in den 90er Jahren durch breite Kämpfe die Kürzung des Krankengeldes verhinderten. 2004 erklärten die Daimler-Arbeiter, die sich auf den Straßen Stuttgarts und Bremen gegen die Kürzung der Löhne und Zuschläge sammelten, dass sie nicht nur für sich selbst kämpften, sondern für alle ArbeiterInnen. Darüber hinaus wollen wir in Erinnerung rufen, dass Deutschland noch immer ein Land der Großbetriebe und Industriekonzentrationen mit Millionen hochqualifizierter ArbeiterInnen ist.
2. Der Beginn einer offenen Konfrontation zwischen den ArbeiterInnen und den linken Kontrollorganen des Kapitals wird konkretisiert im BVG-Streik in Berlin. Dieser Streik ist nicht nur eine Reaktion auf die gegenwärtigen Einbußen bei den Reallöhnen angesichts einer wachsenden Inflation. Die ArbeiterInnen rebellieren auch gegen die Konsequenzen der Tarifvereinbarung von 2005, die in allgemeinen Lohnkürzungen von bis zu 12 Prozent, in einer unglaublichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und im „Outsourcen“ von Personal unter noch schlimmeren Bedingungen resultierten. Ein Deal, den Ver.di, die wichtigste Gewerkschaft in diesem Sektor, noch immer vehement verteidigt. Im Wissen, dass das neue „Lohnangebot“, das die Bosse im Begriff waren zu unterbreiten, eine Provokation für die Arbeitskräfte war, setzte Ver.di einen Protesttag im Voraus an, der an einem Samstag nachmittag gegen Ende Februar beginnen (und bis Sonntag nachmittag dauern) sollte, damit er keine allzu großen Störungen verursachte. Doch als die Arbeiter hörten, dass ihre Gehälter auf das Niveau von 2007 eingefroren werden sollten und nur jenen Beschäftigten Gehaltserhöhungen angeboten werden sollten, die erst seit 2005 angestellt sind, traten sie außerplanmäßig in einen 24-Stunden-Streik, ohne auf die gewerkschaftliche Genehmigung zu warten. So groß war die Empörung nicht nur über die faktischen Lohnkürzungen, sondern auch über den offenkundigen Versuch, die Arbeiter zu spalten, dass Ver.di gezwungen war, ihr Trachten nach einem „fairen Verhandlungsergebnis“ aufzugeben und zu einem unbefristeten Streik aufzurufen. Dieser Streik führte auch zu einer offenen Konfrontation mit der rot-roten Koalition der SPD und der Linkspartei, die in Berlin regiert. Letztere Partei, die aus der einst in der DDR herrschenden stalinistischen SED entstand und nun mit der Hilfe des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine ins frühere Westdeutschland expandiert, denunzierte den Streik als Ausdruck der „privilegierten Mentalität“ im „gehätschelten“ Westberlin! Dies alles geschieht in einem Augenblick, wo mächtige Fraktionen der deutschen Bourgeoisie versuchen, die Partei von Lafontaine und Gysi als fünfte Parlamentskraft zu etablieren, die fähig ist, den Unmut der ArbeiterInnen wieder zurück auf die Wahlebene zu führen. Kein Wunder, dass es den Fernsehnachrichten Abend für Abend gelingt, den Streik nicht einmal zu erwähnen, der in der Hauptstadt des Landes für Chaos sorgt!3. Es sind die ersten Internet-Blogs erschienen, in denen zum Beispiel Bahnarbeiter ihre Bewunderung und Solidarität für und mit dem BVG-Streik ausdrücken. Dies ist umso wichtiger, als in Bereichen wie die der BahnarbeiterInnen, Piloten und des medizinischen Krankenhauspersonal, bei denen das Gewicht des Korporatismus besonders groß ist, die Bourgeoisie auf die wachsende Unzufriedenheit mit den etablierten DGB-Gewerkschaften mit der Profilierung pseudoradikaler, aber strikt korporatistischer Gewerkschaften antwortet. Dies wird getan, nicht nur um den Kampfgeist durch den gewerkschaftlichen Rahmen einzudämmen und die Selbstorganisierung zu verhindern, sondern auch um der politischen Radikalisierung entgegenzuwirken. Die Lokführergewerkschaft, die GDL, der gegenwärtige Favorit des politischen Linksextremismus, ist tatsächlich die Karikatur einer engstirnigen Beschränktheit und eines nicht-politischen Konformismus.
Die deutsche Bourgeoisie war jahrzehntelang stolz auf ihr System der so genannten Tarifautonomie, die einen streng definierten legalen Rahmen schuf, innerhalb dessen Bosse und Gewerkschaften auf der Grundlage der sektorellen und regionalen Spaltung der ArbeiterInnen den Willen des Kapitals erzwingen. Dennoch geschieht es 2008 nicht zum ersten Mal im Nachkriegsdeutschland, dass die Arbeiterklasse diesen bürgerlichen Rahmen in Frage stellt. Von den Septemberstreiks 1969 bis zu den massiven Kämpfen bei Ford in Köln 1973 fochten ArbeiterInnen in wilden Streiks immer wieder die von Gewerkschaften und Bossen durchgesetzten „Vereinbarungen“ an. Diese autonomen Interventionen der Klasse waren vor allem durch die Folgen der Inflation provoziert worden. Auch geschieht es nicht zum ersten Mal, dass es Arbeitermobilisationen und Klassensolidarität als Antwort auf Betriebsschließungen gibt. Besonders der Kampf bei Krupp Rheinhausen ist im kollektiven Gedächtnis verblieben.Doch heute haben wir beide Phänomene zusammen. Die Inflation und die eskalierenden Auswirkungen aus den jahrelangen Reallohnkürzungen haben zu einer allgemeinen Wut geführt. Nachdem sie anfangs häufig einen einschüchternden Effekt auf den Kampfgeist hatten, provozieren Entlassungen und Massenarbeitslosigkeit nunmehr ein immer tieferes Nachdenken über den Charakter des kapitalistischen Systems.Die gegenwärtigen Kämpfe sind somit die Fortsetzung der Kämpfe der 60er, 70er und 80er Jahre, deren Lehren sie sich bewusst aneignen müssen. Doch sie sind nicht nur eine Fortsetzung. Sie sind auch eine Vertiefung dieser Kampftradition. Nach 1968 nahm Deutschland an der internationalen Wiederbelebung des Klassenkampfes teil. Doch es hinkte aufgrund der besonderen Brutalität der Konterrevolution und der anfänglichen Fähigkeit Deutschlands, den schlimmsten Auswirkungen der kapitalistischen Krise zu widerstehen, stets anderen Ländern hinterher.Jetzt hingegen beginnt das deutsche Proletariat Anschluss an seinen Klassenschwestern und –brüdern in Frankreich und anderen Ländern an der Spitze des internationalen Klassenkampfes zu finden.Weltrevolution, 14. März 2008
(1) In den jüngsten Jahren brach die „öffentliche Hand“ Berlins mit der Tarifgemeinschaft der deutschen Bundesländer, um selbst Tarifverhandlungen zu führen und so die Staatsangestellten von ihren Kollegen anderswo zu isolieren. Hintergrund ist die zeitgenössische deutsche Besonderheit, dass die Hauptstadt zwar die größte, aber auch die ärmste Großstadt im Lande ist.
(2) Seit nunmehr Jahren hat der Bergbau im Saarland regelmäßig Erdbeben ausgelöst, die häufig zu beträchtlichem Sachschaden führten. Bis jetzt hat dies die herrschende Klasse nie gestört. Nun schafft solch ein Vorfall plötzlich einen Vorwand, um alle verbliebenen Gruben in der Region zu schließen.
Während offizielle Regierungsstatistiken diesen Winter die niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit Jahren verkündeten, ereilte die Beschäftigten zahlreicher Großbetriebe die Hiobsbotschaft von bevorstehenden Stellenstreichungen oder Werksschließungen. Bei Henkel, BMW, Siemens, Opel, Post und Telekom sollen jeweils Tausende ihren Job verlieren; zahlreiche Banken planen massiven Stellenabbau mit der Begründung, die durch die Finanzkrise entstandenen Kosten einzusparen. Im Saarland sollen unter dem Vorwand des Bergbebens Zechen geschlossen und der Bergbau 2012 ganz eingestellt werden. Bei der Deutschen Bahn sollen, um die Lohnerhöhungen an die Lokführer zu kompensieren, in anderen Bereichen des Konzerns Stellen gestrichen werden. Diese Liste ließe sich noch endlos fortsetzen...Bei Nokia konnten die Medien, Politiker, Gewerkschaften usw. noch heuchlerisch wehklagen, dass eine ausländische Firma „unnötig“ Arbeitsplätze verlagert, wo doch der Konzern Rekordgewinne vermeldet. Jetzt aber entlassen deutsche Großkonzerne, von denen jeder große Gewinne einfahren konnte, massenweise Beschäftigte. Gleich, ob die Betriebe Gewinne einfahren oder nicht, ob staatliche oder privatkapitalistische Betriebe, Banken oder Versicherungen – überall und stets lautet die Devise des Kapitals Arbeitsplatzabbau. Für die Firmen ist dies zudem eine gute Gelegenheit, die Beschäftigten zu erpressen, sie zu terrorisieren und von ihnen beispielsweise unbezahlte Überstunden zu verlangen. Wer muss heute nicht um seinen Arbeitsplatz fürchten? Jedem ist klar: wer länger in der Arbeitslosigkeit landet oder gar zum Dauerarbeitslosen wird, wird zum Hartz IV-Empfänger und muss mit zehn Euro am Tag überleben. Für viele Beschäftigte heißt dies, dass man nach vielen Jahren Beitragsleistungen in die Arbeitslosenkasse auf ein Bettlerdasein herabgedrückt wird. Vielen droht Armenspeisung. In Anbetracht dieser Entwicklung gerät die Kapitalistenklasse in Rechtfertigungsnöte. Bürgerliche Politiker selbst warnen, dass sich diese Verhältnisse und dieses Verhalten nicht mehr „vermitteln“ lassen. Wenn gar die Firmen, die Rekordgewinne vermelden, unter dem Konkurrenzdruck rücksichtslos Arbeitsplatzabbau betreiben, wenn nicht ausländische Konzerne als Alleinschuldige an den Pranger gestellt werden können, sondern auch deutsche Großkonzerne, die wesentlich zum deutschen Exportüberschuss beigetragen haben, sich als Arbeitsplatzvernichter erweisen, dann gerät auch die gewerkschaftliche Argumentation ins Schleudern (siehe dazu unseren Leitartikel) Jetzt stöhnt jede Firma über den mörderischen Konkurrenzdruck; ob Milliardengewinn oder Milliardenverlust, der Konkurrenzkampf treibt sie alle zu brutalen Angriffen gegen die Beschäftigten. Arbeitsplatzabbau, größere Arbeitshetze und Einkommensverluste, Lohnsenkungen stehen überall auf dem Programm.
Die Rettung einer Reihe von notleidenden Landesbanken in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Sachsen mithilfe milliardenschwerer Rettungspakete hat nicht nur die Notenpressen angekurbelt und damit die Inflation angeheizt. Darüber hinaus müssen die dafür erforderlichen Gelder auch durch Einsparungen in den Landeshaushalten aufgetrieben werden. Auch wenn Ver.di diese Sachlage nicht zur Sprache bringt, ja sich, was die Folgen dieser katastrophalen Entwicklung bei den Landesbanken anbetrifft, tunlichst in Schweigen hüllt und diesen Zusammenhang in den stattgefundenen Warnstreiks im öffentlichen Dienst bewusst ausklammerte, liegt es auf der Hand, dass insbesondere die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, aber auch der Rest der Arbeiterklasse dafür zur Kasse gebeten werden. Dabei ist die Bankenkrise keineswegs ausgestanden. Nahezu täglich müssen neue Rettungspakete geschnürt werden. Leidtragende sind früher oder später Tausende Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Eine Ende der Finanzkrise ist noch nicht absehbar. Die Auswirkungen in der Wirtschaft sind längst zu spüren. Überall sind die Produktionszahlen rückläufig, werden die Wachstumsprognosen nach unten revidiert. Bei Ford-Köln ist schon Kurzarbeit in der Motorenproduktion angekündigt worden.
Gleichzeitig ist es in den letzten Monaten hauptsächlich bei Lebensmitteln und Energieerzeugnissen zu großen Preissteigerungen gekommen. Nach Jahren des Lohnverzichts und der Gehaltskürzungen reicht bei vielen Beschäftigten das Geld einfach nicht mehr. Dabei hatten die letzten Tarifabschlüsse, die beispielsweise von Ver.di ausgehandelt worden waren, für die meisten Beschäftigten zu massiven Lohneinbußen geführt. Denn die von den Gewerkschaften, allen voran Ver.di, geforderten Lohnerhöhungen reichen in der Regel nicht einmal die Inflation aus. Tatsache ist, dass die Inflation, die jetzt wieder deutlich anzieht, auf mehreren Ebenen schwerwiegende Konsequenzen nach sich zieht. So wirkt sie u.a. als Bremse für die Wirtschaft, da sie die Massenkaufkraft reduziert und die Nachfrage schmälert. Die rasante Preisentwicklung bringt nicht nur immer mehr Menschen in den sog. Entwicklungsländern in Existenznöte. Auch in den Industrieländern selbst reicht für immer weniger Menschen das Geld zum Überleben. Nicht nur die Arbeitslosen, die von Hartz IV leben müssen, sondern auch viele prekär Beschäftigte geraten durch die Inflation unter starkem Druck. Des Weiteren verzehrt die Inflation langfristig Ersparnisse, Rücklagen usw. Damit sind auf längere Sicht Rentenfonds, Lebensversicherungen, Gesundheitsfonds usw. bedroht. Deshalb ist es eine Illusion zu glauben, es werde später genügend Geld für die Rente da sein. Zudem zwingen die Firmen des öfteren vor allem ältere Beschäftigte dazu, in Frühpension zu gehen. Bei General Motors in den USA wurde nahezu der Hälfte der Beschäftigten – ca. 74.000 meist ältere und angeblich besser bezahlte Kollegen – Abfindungen angeboten und dazu gedrängt, sich woanders einen Job zu suchen. Die Lohnkosten sollen dadurch um nahezu ein Drittel gekürzt werden. All die oben erwähnten Erschütterungen der Wirtschaft haben schon zu einem deutlichen Rückgang des Wachstums geführt. Die Prognosen zeigen alle nach unten.
Aber nicht nur Arbeitslose und prekär Beschäftigte stehen vor einer wachsenden Verarmung. Besonders hart betroffen sind im Land des Exportweltmeisters Kinder. Laut einer Unicef-Studie von 2005 hat die Kinderarmut in Deutschland seit 1990 stärker zugenommen als in den meisten anderen Industrieländern. Schätzungen zufolge leben in der Bundesrepublik inzwischen mehr als 2,5 Millionen Kinder auf oder unter dem Sozialhilfeniveau von 207 Euro pro Monat. Laut des Mitte November vorgestellten Kinderreports 2007 des Deutschen Kinderhilfswerks gelten 14 Prozent aller Kinder in Deutschland als arm. Seit der Einführung des Arbeitslosengeldes II am 1. Januar 2005 hat sich die Zahl der auf Sozialhilfe oder Sozialgeld angewiesenen Kinder verdoppelt. 20.03.08 D.
Wir begrüßen und bedanken uns für die uns vom Genossen G. zugesandte Buchbesprechung des o.g. Buches von Naomi Klein. Wir möchten hiermit unsere Leser/Innen zu solchen Zuschriften ermuntern.
Es ist noch keine 40 Jahre her seit Paul Samuelson den Nobelpreis für sein ökonomisches Lebenswerk erhielt, aber die Welt scheint eine völlig andere geworden zu sein. Der Verfasser der „Volkswirtschaftslehre“, des immer noch in den meisten Auflagen erschienenen universitären wirtschaftlichen Lehrbuchs, war der Apologet des Nachkriegskapitalismus schlechthin. Ausgehend von der Prosperität seit den beginnenden 50er Jahren galt sein Streben dem Nachweis der Stabilität gegenüber Krisenerscheinungen durch die mit dem Namen von John Maynard Keynes verbundene Wirtschaftspolitik, in der der Staat zunehmend als Wirtschaftssubjekt agierte. Doch die tiefen Krisenerscheinungen seit den 70er Jahren haben diese Hoffnungen jäh zerstört und die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus zurück ins öffentliche Bewusstsein geholt, was Samuelsons Theorien in der Versenkung der ausgedienten bürgerlichen Ideologien verschwinden ließ.
Waren es bis in die siebziger und teilweise achtziger Jahre hinein lediglich einige wenige marxistische Theoretiker wie etwa Paul Mattick oder vor allem linkskommunistische Gruppierungen (wie z.B. auch die IKS), die vom Kapitalismus als permanentem Krisenzusammenhang ausgingen, überschlägt sich spätestens seit dem Platzen der New-Economy-Blase nun auch die bürgerliche Presse beim Ausmalen von Krisenszenarien. Schlechte Zeiten eigentlich für ein theoretisches Revival des Keynesianismus. So wie aber auch der politische Reformismus in den Industrieländern fröhliche Urständ feiert, so bringt er natürlich auch auf theoretischer Ebene den alten Ballast wieder auf die Tagesordnung. Samuelsons Fahne hebt nun so die einst von der „New York Times“ zur „Ikone der Globalisierungskritiker“ hochstilisierte Naomi Klein auf. In ihrem im letzten Herbst erschienen zweiten Buch mit dem Titel „Die Schock-Strategie“ legt sie eine politisch-ökonomische Analyse vor, die alles hat, um zu einer Bibel des neuen Reformismus zu werden. Aus diesem Grunde lohnt auch ein genauerer Blick auf die entscheidenden theoretischen Aussagen gerade seitens kommunistischer Kräfte.
Im Zentrum von Kleins Studie steht die Analyse einer Entwicklung, über deren Erscheinungsformen es kaum Zweifel geben kann: Der Ablösung der in der Nachkriegsperiode dominierenden keynesianischen Wirtschaftspolitik durch den Dreischritt aus Privatisierung, Senkung der Sozialtransfers und Deregulierung der Märkte samt dazugehöriger Apologie und der daraus resultierenden weiteren Enteignung derer, die sich auch Klein scheut Proletariat zu nennen. Auf fast 660 Seiten plus den 70 weiteren des Anmerkungsapparates und dem Ritt durch verschiedene mit Gewinn zu lesende Fallbeispiele von Chile bis in den Irak versucht sie den Nachweis für ihre These zu erbringen, dass dies ein bewusst gesteuertes Projekt darstellte, an dessen Anfang stets ein die Gesellschaft paralysierendes Schockereignis stand, und das immer mit einer autoritären Formierung des umsetzenden Staates einherging, um potentiellen Widerstand gegen ein nur einer winzigen Oberschicht nützlichem Projekt schon im Keim ersticken zu können.
Wenn wir uns hier nur mit den krisentheoretischen Teilen des Buches beschäftigen, so geschieht dies nicht ausschließlich aus Platzgründen. „Die Schock-Strategie“ bietet gerade in Hinsicht auf die Fallbeispiele und einer Skizze der zunehmend autoritären Wende der kapitalistischen Staaten viel Wissenswertes. In politischer Hinsicht steht und fällt das von Klein zum Abschluss beworbene Projekt eines neuen Reformismus, der ganz in der Manier der globalisierungskritischen Linken nicht nur traditionelle sozialdemokratische Politikformen umfassen soll, sondern auch Basisinitiativen, NGO’s, Kooperativen, aber natürlich auch das Venezuela von Hugo Chavez als löbliche Beispiele benennt, allerdings mit ihrer Analyse des „Aufstiegs des Katastrophenkapitalismus“.
Dieses Modell bezeichnet Klein nicht mit dem so modischen, gleichzeitig aber unglaublich unpräzisen Begriff des Neoliberalismus, sondern mit dem des Korporatismus. Darunter versteht sie einerseits die „massive Umverteilung von öffentlichem Besitz in Privathände“ und andererseits die Indienstnahme des Staates durch die Kapitalisten selbst und dessen autoritäre Wende. Und hier schon verbirgt sich die Schwäche ihres Ansatzes, der personalisierend ein Bündnis gieriger Kapitalisten und zynischer marktgläubiger Ökonomen für die „neoliberale Wende“ verantwortlich macht. Und diese Verschwörung hat sogar einen Namen: Milton Friedman. Dabei kommt ihr zugute, dass sie an einer Aussage Friedmans selbst ansetzen kann, der Krisen die Funktion zuschrieb, dass aus ihnen echter Wandel hervorgehe, was in seiner Diktion das Zurückdrängen der wirtschaftlichen Staatsfunktionen bezeichnete. Nur: Ihre Schlussfolgerung daraus ist eine rein verschwörerische Vorstellung, auch wenn sie dies an mehreren Stellen bestreitet, die nicht nur zu einer Jubelarie des „goldenen Zeitalters“ verkommt, sondern auch die ökonomischen Hintergründe eher verdunkelt als beleuchtet. Denn warum, so muss gefragt werden, konnte eine gegenüber Krisen absolut unanfällige Wirtschaftsordnung, und so bezeichnet sie den Nachkriegskapitalismus mehrfach, durch die „Chicago Boys“ und einige politisch und wirtschaftlich einflussreiche Sympathisanten torpediert werden und warum konnte sich dieser Trend unter so verschiedenen Regimes wie dem vom ANC regierten Südafrika, den westlichen Demokratien, dem nationalrevolutionären China oder eben lateinamerikanischen Juntas durchsetzen?
Kleins Vorstellung ist dabei, dass fundamentale Krisen vor allem (und eigentlich ausschließlich) durch fehlende Kreditvergaben, wie etwa in Russland während der Jelzin-Ära hervorgerufen würden. Sie sind damit für sie nicht etwa Produkt der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, sondern würden politisch kreiert werden. Der Keynesianismus hätte dies erkannt und die Krisen somit aus dem kapitalistischen Zyklus verbannt. Erst aufgrund der korporatistischen Verschwörer seien die tiefen ökonomischen Krisenerscheinungen in die Welt des Kapitalismus zurückgekehrt. „Je mehr die Welt seinen (denen Friedmans) Rezepten folgte,“ schreibt sie, „desto krisenanfälliger wurde das System und produzierte mehr und mehr GAUs, die Friedman als die einzigen Umstände identifiziert hatte, unter denen Regierungen noch mehr auf seine radikalen Ratschläge hören würden.“
Was dabei peinlich verschwiegen wird ist, dass der Siegeszug des „Katastrophenkapitalismus“ nur auf dem Boden des Bankrotts des „Gemischten Wirtschaftssystems“ in den 1970er Jahren gedeihen konnte. Die wegen tiefer Krisenerscheinungen erfolgte Kündigung des Bretton-Woods-Systems 1971, die galoppierende Inflation, die dramatische Verschuldung der öffentlichen Haushalte und nicht zuletzt die auch durch das „deficit spending“ nicht aufzuhaltende Zunahme der Arbeitslosigkeit – kein Wort darüber. Hier rächt sich, dass Klein das analytische Instrumentarium des Marxismus links liegen lässt. Der Zwang des Kapitals, immer mehr unproduktive Arbeit in die Mehrwertproduktion zu integrieren und so der Überakkumulation entgegenzuwirken, findet nur negativ in der Aburteilung sog. „sektiererischer Linker“ Erwähnung, aber keine Auseinandersetzung. Dass diese Ignoranz zumindest teilweiser Opportunität geschuldet sein könnte, ist sicherlich mehr als nur Spekulation.
So ist dieses Buch weniger in wissenschaftlicher, sondern in politischer Hinsicht interessant. Es bietet den Anhängern Kleins die Möglichkeit, den Sachzwanglitaneien entgegenzutreten ohne den Kapitalismus generell in Frage zu stellen. Heraus kommt ein letztlich zahnloses Werk, weil jeder neue Reformismus in einer sterbenden Ordnung keinen Spielraum mehr finden wird und weil die reformistischen Strömungen selbst nicht die politische Rechte des Proletariats repräsentieren, sondern eine bürgerliche Linke, die dem Zwang zu Angriffen auf das Proletariat genauso unterliegt wie die anderen politischen Fraktionen der Bourgeosie. So beweist der derzeitige wirtschaftspolitische Mainstream trotz seiner Apologie und seiner Menschenverachtung ein höheres Maß an Realismus als die neuen Reformisten, weil seine Protagonisten um die Grenzen kapitalistischer Akkumulation wissen. Auch die gefeierten Helden der Naomi Klein werden sich letztlich zu entscheiden haben zwischen der Seite des Kommunismus und der der Barbarei.
Naomi Klein: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus; S. Fischer, Frankfurt/M. (2007); 763 S.; 22,90€.
G.
In der letzten Ausgabe der Weltrevolution (Nr. 146) veröffentlichten wir einen Bericht über verschiedene Diskussionen auf der Nürnberger Buchmesse im Dezember 2007. In diesem Bericht haben wir versucht, dem Leser einen Eindruck nicht nur von unseren eigenen Wortmeldungen auf den verschiedenen Veranstaltungen, sondern insgesamt von den Debatten und der Meinungsvielfalt dort zu vermitteln.
Inzwischen wurden wir von einem Leser angesprochen, der beanstandete, dass wir in diesem Artikel diverse, zum Teil recht kontroverse Meinungen wiedergegeben haben, ohne deutlich erkennen zu geben, ob wir diese Meinungen selbst teilen oder sie verwerfen. Die von dem Genossen kritisierten Stellen befinden sich im Abschnitt unter dem Zwischentitel: “RAF und Antisemitismus“. Es handelt sich dabei um unseren Bericht über die Vorstellung des Buches „Rote Armee Fiktion“ von Joachim Bruhn und Jan Gerber (Verlag ça ira, Freiburg im Breisgau). Dort haben wir tatsächlich verschiedene Äußerungen der Autoren dieses Buches wiedergegeben, ohne sie zu kommentieren - beispielsweise in Hinblick auf Jutta Ditfurths „Ulrike Meinhof-Biographie“ die Behauptung, dass diese Biographie das Niveau eines deutschen Klatschmagazins erreichen würde. Vor allem aber kritisierte der Genosse, dass wir der Wiedergabe dieser Buchvorstellung den besagten Zwischentitel „RAF und Antisemitismus“ vorangestellt haben, wodurch der Eindruck entstehen konnte, als ob wir die Einschätzung teilten, die RAF wäre antisemitisch gewesen.
Wir halten diese Einwände für berechtigt. Wir haben diesen Zwischentitel gewählt, weil dies das Thema der von ça ira abgehaltenen Veranstaltung war. Dass Bruhn und Gerber der Auffassung sind, dass die RAF antisemitisch war, steht zweifelsfrei fest. Was uns betrifft, so lag es gar nicht in unserer Absicht, uns dazu zu äußern, nicht zuletzt deswegen, weil wir uns noch gar nicht damit befasst haben. Insofern war der Zwischentitel irreführend und ist zu kritisieren. Was wir zu diesem Thema sagen wollten, haben wir auf der Veranstaltung bereits geäußert. Wir haben das in unserem Artikel wiedergegeben, und wir zitieren es an dieser Stelle erneut. „Was die Rolle des Antisemitismus betrifft, so hat bereits Trotzki darauf hingewiesen, wie dieser wesentlich zum System des Stalinismus gehörte und zur Stabilisierung des eigenen Regimes zielstrebig eingesetzt wurde.“ Inwieweit die RAF von der Ideologie des Stalinismus im Allgemeinen und von seinem Antisemitismus im Besonderen beeinflusst wurde, ist eine spannende Frage. Es würde sich sicher lohnen, sich näher damit zu befassen. Vielleicht können wir demnächst die Bücher von Ditfurth sowie von Bruhn und Gerber besprechen und in einem solchen Rahmen auch diese Frage untersuchen. In diesem Zusammenhang könnte man auch auf die Frage zurückkommen, inwiefern, wie Bruhn und Gerber behaupten, die RAF eine so genannte „leninistische“ Auffassung über die Rolle der Revolutionäre hatte. Soll heißen, dass sie glaubte, man müsse das revolutionäre Bewusstsein „von außen“ in die Arbeiterklasse hineintragen (eine Vorstellung übrigens, welche zuerst Kautsky entwickelt hatte, während Lenin diese Vorstellung nach kurzer Zeit überwand).
Ein anderer Kritikpunkt des Genossen war, dass wir in Bezug auf die Einführungen der Autoren, ohne das weiter konkret auszuführen, geschrieben haben: „In unseren Wortmeldungen unterstützten wir viele Aussagen der beiden Referenten.“ Auch diese Kritik ist berechtigt. Daher ergänzen wir unseren Bericht an dieser Stelle. Was wir unterstützt haben, waren im Wesentlichen deren Aussagen über den Terrorismus als kleinbürgerliche und ohnmächtige Revolte. Wir stimmten damit überein, dass der Terrorismus die Unfähigkeit zum Ausdruck bringt zu begreifen, dass die Zielscheiben der Terroristen lediglich „Charaktermasken“ darstellen, deren Eliminierung dem System absolut nicht weh tut. Wir haben die Wiedergabe unserer eigenen Wortmeldung nur deshalb um diese Punkte gekürzt, weil die Diskussion (zumindest solange wir anwesend waren) sich überhaupt nicht um diese Fragen drehte. Außerdem ging die Hauptachse unserer eigenen Intervention in eine andere Richtung: in die der Verteidigung der historischen Arbeiterbewegung gegen den Vorwurf des Antisemitismus bzw. der Verteidigung der Arbeiterklasse gegen den Vorwurf, in der kapitalistischen „Volksgemeinschaft“ aufzugehen.
Der ganze Geist der Kritik des Genossen an unserem Nürnberg-Artikel war eine solidarische, und wir sind ihm sehr dankbar dafür. Seine Hauptsorge war den Eindruck zu vermeiden, dass die IKS die Auffassungen der sog. Antideutschen teilt. Dazu sagte uns der Genosse, dass die „Antideutschen“ alle Prinzipien der Linken aufgegeben haben, indem sie zur Unterstützung des israelischen und amerikanischen Imperialismus aufrufen und die Linke pauschal als antisemitisch beschimpfen.
Wir teilen diese Ablehnung der „antideutschen“ Unterstützung einer imperialistischen Seite gegen eine andere in den räuberischen Konflikten der bürgerlichen Staaten untereinander. Eine solche Einstellung ist das genaue Gegenteil des proletarischen Internationalismus. Mit einer solchen Parteiergreifung stellt man sich selbst politisch auf die Seite des Imperialismus.
Wir teilen allerdings nicht die Auffassung, dass die „Antideutschen“ die Prinzipien der „Linken“ aufgegeben hätten. Wir sehen in der Einstellung der „Antideutschen“ vielmehr eine direkte Kontinuität mit dem „antiimperialistischen“ Spektrum, dem viele ihre Vordenker entstammen. Einst unterstützten sie – schon damals im Namen des Antifaschismus – den Ostblock, China oder Albanien gegen ihre imperialistischen Feinde, vornehmlich die USA. Heute umgekehrt, da die Vereinigten Staaten Gegner Deutschlands geworden sind. Damals unterstützten sie die palästinensische Seite gegen Israel. Heute umgekehrt. Das Wesentliche ihres Verhaltens bleibt. Denn das Wesentliche ist nicht, welche Seite man im imperialistischen Konflikt unterstützt. Wesentlich ist die Parteiergreifung für den Imperialismus an sich.
Als Ende der 1980er Jahre der „anti-imperialistischen“ Linken ihre „antifaschistischen Bollwerke“ verloren gingen, suchten viele von ihnen nach alternativen Bollwerken – anstatt ihren bisherigen bürgerlichen Politikansatz in Frage zu stellen. Manche klammerten sich an die letzten Überreste des Stalinismus, v.a. an Kuba. Andere wurden Unterstützer des islamischen Terrorismus. Und schließlich gab es jene, die in Israel eine neue antifaschistische Heimat gesucht und gefunden haben. Schließlich war der Antisemitismus ein Wesensmerkmal insbesondere des Nationalsozialismus. Diese neue Spielart des linken Antifaschismus in Deutschland stellt somit nichts prinzipiell Neues dar. Aber sie brachte zwei interessante Neuigkeiten mit sich. Zum einen musste das traditionelle anti-imperialistische und antifaschistische Milieu erfahren, wie sein ureigenes „Totschlagargument“, das da lautete: Wer kein Antifaschist ist, könnte ein Befürworter oder zumindest ein Leugner von Auschwitz sein (ein Argument, das es immer wieder gegen die Internationalisten, insbesondere die Linkskommunisten verwendete), nun gegen sie selbst verwendet wurde.
Zum anderen konnte der Übergang eingefleischter „Anti-Imperialisten“ ins Lager Israels nicht ohne seelische Krisen geschehen. Denn die werdenden „antideutschen“ Militanten mussten – jeder für sich – die Frage beantworten, weshalb sie erst jetzt Israel als Hort des Antifaschismus entdeckten, während sie es bis dahin oft genug als neben den USA wichtigsten Hort des Weltimperialismus, als eigentlichen Hauptfeind oder Nebenhauptfeind angesehen hatten. Mancher mag bei dieser Selbstprüfung eigene antisemitische Motive, eigene antisemitische Impulse entdeckt haben. Dieses psychologische Moment mag dazu beitragen, dass man in diesem Milieu geneigt ist, überall nur noch Antisemitismus zu erblicken. Und dennoch: Das Problem des Antisemitismus ist eine sehr wichtige Frage, mit der die historische Arbeiterbewegung sich auf Parteitagen und sogar auf internationalen Kongressen (z.B. in der 2. Internationale) befasst hatte. Und auch die Frage, welchen Einfluss antijüdische bzw. antisemitische Einflüsse auf die kapitalistische Linke ausgeübt haben und noch ausüben, ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern muss mit Ernst untersucht und diskutiert werden. NN.
Mit Unterstützung des US-Imperialismus erklärte sich die Provinz Kosovo, die einen Großteil des südlichen Serbiens ausmacht, jüngst von Serbien unabhängig. Damit rückt ein „Großalbanien“ näher, das auch Mazedonien im Osten umfassen würde, wodurch Serbien weiter zurückgedrängt werden würde. Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind sehr weitreichend und schwerwiegend. Sie führen zu einer weiteren gefährlichen Destabilisierung der inter-imperialistischen Beziehungen. Im Kosovo selbst, in der 90 Prozent der Bevölkerung (1.9 Millionen Menschen) Albaner sind, sind drei serbische Kommunen, darunter die Stadt Mitrovica, geteilt. Ca. 120.000 Serben leben in dieser Region, die Serbien als sein historisches und ideelles Kernland betrachtet. Es spiegelt den Zerfall des Kapitalismus wider, dass diese Enklave Kosovo mit seiner darniederliegenden Wirtschaft, mit Massenarbeitslosigkeit, chronischer Korruption und Verbrecherunwesen „Nationalstaat“ genannt wird. Aber so sieht die Wirklichkeit der Nationen und des Nationalismus seit dem 1. Weltkrieg bis heute aus. Im Kosovo selbst, das nur so vor Waffen strotzt, sind seit zehn Jahren allein 17.000 Soldaten der Nato-Truppen stationiert; ihre Zahl soll um weitere 2.000 aufgestockt werden. Die Mitgliedsstaaten der „internationalen Gemeinschaft“ liegen sich mit ihren unterschiedlichen Stellungnahmen hinsichtlich des Kosovo heillos in den Haaren. Die EU, alles andere als eine „Union“, ist bei dieser Frage völlig gespalten. Bislang haben Frankreich, Großbritannien, Italien, die USA und Deutschland die Unabhängigkeitserklärung des Kovoso anerkannt. Russland, Griechenland, Slowakei, Bulgarien, Spanien, Rumänien und andere Staaten (Aserbaidschan, Sri Lanka und China), welche sich selbst mit Unabhängigkeitsbewegungen herumschlagen, stellen sich entschlossen dagegen. Die Opposition gegenüber dem neuen Zwergstaat Kosovo wird von dem wiedererstarkten russischen Imperialismus angeführt, welcher schon Vergeltung angedroht hat. Russland hatte schon Präzedenzfälle bei der Intervention in Georgien und Moldawien geschaffen. „Wir dürfen vor allem nicht vergessen, dass hinter dem serbischen Nationalismus der russische Imperialismus steckt“, schrieb Rosa Luxemburg in ihrer Juniusbroschüre. Auch wenn es wenig wahrscheinlich erscheint, dass Russland unter den jetzigen Bedingungen militärisch eingreift, darf man nicht vergessen, dass der Krieg 1999 in eine militärische Beinahe-Konfrontation zwischen russischen und Nato-Truppen auf dem Flughafen von Kosovo, Pristina, endete. Und obgleich er ein direktes militärisches Eingreifen Russlands ausschloss, sprach der Befehlshaber der EU-Kräfte in Bosnien dennoch letzten November von der Notwendigkeit für Europa, direkt militärisch intervenieren zu können, falls es „zu einem neuen Krieg“ kommt (The Observer, 18.11.07).
Die komplexe Struktur des Balkans, seiner Staaten, seiner Politik und Kultur ist sehr verwirrend. Immer wieder suchen Kriege den Balkan heim, seitdem der Kapitalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Menschheit in eine Reihe von immer größeren und ausgedehnteren Kriegen gestürzt hat. Seitdem spiegelt der Balkan die Entwicklung des Imperialismus wider; eine Entwicklung, die nur in einem globalen und historischen Zusammenhang begriffen werden kann. In dieser Region kam diese neue Epoche des Imperialismus 1914 am stärksten zum Tragen. Die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand war der Auftakt für die Auseinandersetzungen, welche in den 1. Weltkrieg mündeten. Der Balkan war ein Hauptschauplatz der sich zuspitzenden Barbarei im 2. Weltkrieg; dort wurden auch die Rivalitäten zwischen den beiden imperialistischen Blöcken zwischen 1945 und 1989 ausgetragen. Er spielte eine Schlüsselrolle in den 1990er Jahren während der chaotischen Kriege nach dem Zusammenbruch der alten Blockstrukturen. Rosa Luxemburg erfasste die Lage in ihrer Junius-Broschüre vollkommen, die sie 1915, ein Jahr nach Kriegsbeginn, verfasste: „Isoliert für sich und formal betrachtet, waren die jungen Balkanstaaten in ihrem guten historischen Recht, führten das alte demokratische Programm des Nationalstaates durch. In dem realen historischen Zusammenhang jedoch, der den Balkan zum Brennpunkt und Wetterwinkel der imperialistischen Weltpolitik gemacht hat, waren auch die Balkankriege objektiv nur ein Fragment der allgemeinen Auseinandersetzung, ein Glied in der verhängnisvollen Kette jener Geschehnisse, die zu dem heutigen Weltkrieg mit fataler Notwendigkeit geführt haben“ (Ges. Werke, Bd 4, S. 141). Die Schüsse von Sarajevo leiteten 1914 den 1. Weltkrieg ein, weil sie die imperialistischen Bündnisse auf den Plan riefen, die schon seit langem ihre Messer wetzten, um in der Region die Vorherrschaft auszuüben: Serbien, Russland, Großbritannien und Frankreich auf der einen Seite, Deutschland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich auf anderen Seite. Am Ende des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die imperialistischen Spannungen verschärft. Nach dem Auseinanderbrechen von Jugoslawien 1991 ließ Deutschland die Jagdhunde des Nationalismus in der Region los, als es offen Slowenien und Kroatien unterstützte. Großbritannien, Russland und Frankreich schauten aufgrund ihrer eigenen, entgegengesetzten imperialistischen Interessen weg, als Milosovic und seine Kohorten, die großserbischen Nationalisten, ethnische Säuberungen praktizierten. Stattdessen gaben sie ihm bei diesen Verbrechen Rückendeckung. Und die USA errichteten und bewaffneten ihre eigenen nationalistischen Banden (in Bosnien), um den Winkelzügen ihrer imperialistischen Rivalen (d.h. all der anderen) Paroli zu bieten. Dank ihrer „humanitären“ Luftwaffe gelang es ihnen, im Krieg von 1999 die Oberhand zu gewinnen. Mindestens 10.000 Albanier wurden getötet und ca. 800.000 wurden bei dem brutalen Vorgehen des serbischen Präsidenten Milosevic 1989/1999 vertrieben. Mit Hilfe der Nato (die in diesem Falle die Interessen der USA verfolgte) vertrieb man die Serben 1999 durch Luftangriffe aus dem Kosovo. Dabei übte die albanische Bourgeoisie mittels der Befreiungsarmee Kosovos (KLA) blutige Rache und bereitete die Grundlagen für die jüngste „Unabhängigkeitserklärung“ vor. Die Bildung des neuen Staates Kosovo wird die nationalistischen Spannungen auf dem Balkan nicht aus der Welt schaffen. Im Gegenteil – der Prozess der Balkanisierung (die Entstehung von kleinen, nicht überlebensfähigen Staaten) ging in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer einher mit dem Abgleiten in den Krieg. Und dieser Prozess ist auch Teil der grauenvollen Dynamik in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts. Für die Arbeiterklasse der Region sind die euphorischen Unabhängigkeitserklärungen der albanischen Nationalisten oder die Gegenreaktion der pro-serbischen Kräfte (die schon zu gewalttätigen Zusammenstößen an der serbisch-kosovarischen Grenze und zu Angriffen auf die US-Botschaft in Belgrad geführt haben) gefährlich und reaktionär. Sie dienen nur dazu, die Ausgebeuteten und Unterdrückten in die schmutzigen Auseinandersetzungen zwischen ihren Ausbeutern und Unterdrückern zu verstricken. Baboon 1.3.08
Wir haben dieses Flugblatt gegen die laufende Militäroperation der türkischen Armee in Kurdistan erhalten. Es wurde von den Genossen der EKS verteilt.
Die türkische Armee hat eine Offensive gestartet, um die PKK auszulöschen, oder genauer gesagt: sie hat den Krieg wieder aufgenommen. Dieses blutige Spiel wiederholt sich zum erneuten Male, seit die Türkei 1983 erstmals in den Irak einmarschiert war.
Die Behauptung, dieser Krieg habe das Ziel, den „Terror“ zu stoppen, ist eine Lüge. Entspräche dies der Wahrheit, dann hätte dieses Ziel bereits durch die „Operationen“ erreicht werden müssen, welche seit 1983 unternommen worden waren. Der türkische Staat hat aber auch in den letzten Jahren, als die PKK[1] schwach war und Tayyip Erdogan[2] sogar im Fernsehen behaupten konnte, der Terror sei praktisch beendet, solche Militäroperationen unternommen. Talibani und Barsani, die heute als Feinde betrachtet werden, waren lange Zeit Verbündete der türkischen Armee. Die türkische Armee hatte gemeinsam Militäroperationen mit ihnen unternommen. Der wirkliche Grund für diesen Krieg ist die Installation einer neuen Kontrolle im Mittleren Osten durch die neu gebildete Allianz zwischen dem türkischen Imperialismus und den USA. Diese Allianz, von der MHP[3] zwischen der „weltlichen“ hochrangigen Bürokratie und der „demokratischen“ AKP[4] eingefädelt, bedeutet verschleiert die Wahl eines Lagers in der imperialistischen Arena. Es wurde die Seite der USA gewählt, die darauf bedacht sind, ihre undisziplinierten Verbündeten wieder zu zügeln und die Kontrolle über das Öl gegen alle Begehrlicheiten der imperialistischen Rivalen China, Russland und Iran aufrechtzuerhalten. Die lange Zeit schwankende AKP hat schlussendlich diese Seite gewählt und das Einverständnis für den Krieg im Parlament absegnen lassen. Doch all dies ist nur ein erster Schritt des türkischen Imperialismus zur Vorbereitung weiterer Kriege und zur Aufheizung der Lage.Dieser Krieg ist Ausdruck der kriegerischen Spirale im Kapitalismus. Kapitalistische Staaten stürzen sich nicht freiwillig in den Krieg; es ist vielmehr die ausweglose Sackgasse, in der sich der Kapitalismus befindet, die sie dazu treibt. Seit dem Ersten Weltkrieg hat der Kapitalismus der ganzen Welt nur Kriege gebracht. Alle „nationalen Befreiungskriege“, alle Kriege zwischen Ländern, aus welchem Grund auch immer, sind angetrieben von der Zerstörung des akkumulierten Kapitals und der Arbeiterklasse der feindlichen Staaten.
Die heuchlerischen Aufrufe der DTP[5] und der Linksliberalen aus ihren komfortablen Sesseln helfen keinesfalls, den Krieg zu beenden. Denn dieser Krieg hat seine Gründe nicht in einer mangelnden „demokratischen Lösung“ oder in den schlechten Absichten der Bürokratie, sondern in der Ausweglosigkeit des Kapitalismus. Noch schlimmer ist, dass diese Aufrufe einen möglichen Widerstand in den Reihen der Arbeiterklasse gegen den Krieg schwächen. Denn sie stoßen die ArbeiterInnen, welche den Krieg für die Interessen des imperialistischen Staates ablehnen, in die Arme der angeblich „demokratischeren“, „gutgesinnten“ und „friedliebenden“ Parteien, gegen den „bösen und aggressiven“ Teufel „Bürokratie“. All diese demokratisch-kapitalistischen Träume werden den Krieg nicht beenden, sondern nur die Arbeiter auf die sich als „besser“ darstellende Seite ziehen.
Dieser Krieg ist nicht der Krieg der Lohnabhängigen. Dieser Krieg ist nicht der Krieg derjenigen, deren Lebensbedingungen durch die kapitalistische Krise nach unten gedrückt werden, die mit der Arbeitslosigkeit konfrontiert sind, die bis zum Umfallen auf Schiffswerften arbeiten und Knochenjobs ausüben oder die den ganzen Arbeitstag von 6 bis 16 Uhr ihrer Pensionierung entgegenfiebern. Es ist auch nicht der Krieg der Arbeiter und Hausfrauen oder der Studenten, den künftigen ArbeiterInnen oder Arbeitslosen. Genauso wenig ist es der Krieg der Soldaten, die an der Front sterben. Ganz im Gegenteil verstärken Kriege nur das Elend, die Arbeitslosigkeit, die Armut und den sozialen Zerfall, welche durch die Krise des Kapitalismus erzeugt werden. Das Resultat dieser „Operation“ sind bombardierte Dörfer, gefallene Soldaten oder Bombenexplosionen in den großen Städten. Dieser Krieg wird im Namen des Nationalismus ein verstärktes Elend sowie einen gesellschaftlichen Zerfall mit sich bringen. Diesen Krieg stoppen kann lediglich die Solidarität zwischen den türkischen und kurdischen Arbeitern, die 25 Jahre lang im Interesse der Bosse und des Kapitals betrogen wurden. Der Erste Weltkrieg wurde durch eine weltrevolutionäre Welle beendet. Die Soldaten an der Front und die ArbeiterInnen richteten sich gemeinsam gegen die herrschende Klasse im eigenen Land und nicht mehr gegen die Klassenbrüder und -schwestern in den anderen Ländern. In den 1960er Jahren wurde ein drohender 3. Weltkrieg durch die Entschlossenheit und den Kampfgeist der weltweiten Arbeiterklasse verhindert. Heute kann die Arbeiterklasse, die noch mehr oder weniger defensiv ist, nicht mehr still bleiben angesichts der kapitalistischen Barbarei, die sich gegen sie ausbreitet!
Gegen alle Ausbeuter, die Krieg oder „Frieden“ unterstützen!Es lebe die Klassensolidarität!Es lebe die internationale Solidarität in der Arbeiterklasse!
Vor genau 40 Jahren, am 22. März 1968, begann in Nanterre in einem westlichen Vorort von Paris, eine der Hauptepisoden der internationalen Geschichte seit dem 2. Weltkrieg, die von den Medien und den französischen Politikern als die „Ereignisse von 1968" bezeichnet werden. Als solche waren die Ereignisse jenes Tages nichts Besonderes. Um gegen die Verhaftung eines linksextremen Studenten der Universität Nanterre zu protestieren, der unter dem Verdacht stand, an einem Attentat gegen ein Büro von American Express in Paris zu einem Zeitpunkt beteiligt gewesen zu sein, als in Paris viele gewalttätige Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg stattfanden, hielten 300 seiner Kommilitonen ein Treffen in einem Hörsaal ab. 142 von ihnen beschlossen die nächtliche Besetzung des Gebäudes des Akademischen Rates der Universität. Die Studenten der Uni Nanterre hatten nicht zum ersten Mal ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht. So war es kurz zuvor schon zu einem Konflikt zwischen Studenten und Polizisten wegen des Zugangs zum Studentenheim der Studentinnen gekommen, dessen Zugang den männlichen Studenten verboten war. Am 16. März 1967 hatte eine Versammlung von 500 Studenten, ARCUN, die Abschaffung der Hausordnung beschlossen, die unter anderem besagte, dass die Studentinnen (auch die Volljährigen, was damals erst mit 21 Jahren der Fall war) weiterhin als Minderjährige anzusehen seien. Daraufhin hatte die Polizei am 21. März 1967 auf das Verlangen der Uni-Verwaltung hin das Studentinnenwohnheim umzingelt, um dort 150 Studenten festzunehmen, die sich in deren Gebäude befanden und sich in der obersten Etage verbarrikadiert hatten. Aber am nächsten Tag waren die Polizisten selbst von mehreren Tausend Studenten umzingelt worden. Diese hatten daraufhin den Befehl erhalten, die verbarrikadierten Studenten ohne irgendeine Belästigung abziehen zu lassen. Aber sowohl dieser Vorfall als auch andere Demonstrationen der Studenten, in denen sie ihre Wut abließen, insbesondere gegen den im Herbst 1967 verkündeten ‚Fouchet-Plan’ der Universitätsreform blieben ohne Folgen. Nach dem 22. März 1968 verlief aber alles anders. Innerhalb weniger Wochen sollte eine Reihe von Ereignissen nicht nur zur größten Studentenmobilisierung seit dem Krieg führen, sondern auch zum größten Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung: Mehr als 9 Millionen Beschäftigte legten nahezu einen Monat lang die Arbeit nieder.
Im Gegensatz zu dem jetzt schon verbreiteten Gerede waren aus kommunistischer Sicht die Studentenproteste, auch wenn diese noch so massiv und ‚radikal’ waren, nicht das Bedeutendste an den ‚Ereignissen von 1968’ in Frankreich, sondern die Arbeiterstreiks standen an herausragendster Stelle; ihnen kommt eine große historische Bedeutung zu. Wir werden diese Frage in unserer Zeitung in weiteren Artikeln aufgreifen. In diesem Artikel werden wir uns darauf beschränken, die Studentenproteste der damaligen Zeit zu untersuchen, insbesondere um deren Bedeutung zu beleuchten.
Bevor sie das Gebäude verließen, beschlossen die 142 Besetzer des Akademischen Rates der Uni die Bildung einer Bewegung des 22. März (M22), um so die Agitation aufrechtzuerhalten und sie voranzutreiben. Es handelte sich um eine informelle Bewegung, der zu Beginn die Trotzkisten der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und die Anarchisten (zu ihnen gehörte unter anderem Daniel Cohn-Bendit) angehörten; Ende April traten ihnen die Maoisten der Union der marxistisch-leninistischen kommunistischen Jugend (UCJML) bei. Insgesamt beteiligten sich in den darauf folgenden Wochen ca. 1200 Studenten daran. An den Wänden der Universität tauchten mehr und mehr Plakate und Graffitis auf: „Professoren, Ihr seid alt und Eure Kultur ebenso."; „Lasst uns leben!", „Nehmt Eure Wünsche für Wirklichkeit!" Die M22 kündigte für den 29. März einen Tag der „kritischen Universität" an und trat damit in die Fußstapfen der deutschen Studenten. Der Universitätsrektor beschloss die Schließung der Universität bis zum 1. April, aber die Agitation flammte sofort wieder nach der Öffnung der Universität auf. Vor 1000 Studenten erklärte Cohn-Bendit: „Wir wollen nicht die zukünftigen Manager der kapitalistischen Ausbeutung sein." Die meisten Lehrenden reagierten ziemlich konservativ: Am 22. April verlangten 18 von ihnen, darunter „linke Dozenten", „Maßnahmen und Mittel, damit die Agitatoren entlarvt und bestraft" werden. Der Rektor beschloss eine Reihe von Repressionsmaßnahmen, insbesondere gestattete er der Polizei freien Zugang und Bewegungsfreiheit auf dem Unigelände. Gleichzeitig hetzte die Presse gegen die „Wütenden", die „Sekten" und „Anarchisten". Die „Kommunistische" Partei Frankreichs hieb in die gleiche Kerbe: Am 26. April kam Pierre Juquin, Mitglied des Zentralkomitees, zu einem Treffen in Nanterre: „Die Störenfriede, die wohlbetuchte Muttersöhnchen sind, hindern die Arbeiterkinder daran, ihre Prüfungen abzulegen." Er konnte seine Rede nicht zu Ende bringen, sondern musste stattdessen die Flucht antreten. In der Humanité vom 3. Mai, hetzte dann Georges Marchais, die Nummer 2 der PCF, wiederum: „Diese falschen Revolutionäre müssen energisch entlarvt werden, denn objektiv dienen sie den Interessen der Macht der Gaullisten und der großen kapitalistischen Monopole."
Auf dem Unigelände in Nanterre kam es immer häufiger zu Schlägereien zwischen linksextremen Studenten und faschistischen Gruppen, die aus Paris angereist waren, um „Bolschewiki zu verprügeln". In Anbetracht dieser Lage beschloss der Rektor am 2. Mai die Universität erneut zu schließen, die danach von der Polizei abgeriegelt wurde. Die Studenten von Nanterre beschlossen am darauf folgenden Tag eine Versammlung im Hof der Universität Sorbonne abzuhalten, um gegen die Schließung der Universität und gegen die disziplinarischen Maßnahmen gegen 8 Mitglieder der M22, darunter Cohn-Bendit, durch den Akademischen Rat zu protestieren.
An dem Treffen nahmen nur 300 Leute teil. Die meisten Studenten bereiteten aktiv ihre Jahresabschlussprüfungen vor. Aber die Regierung, die die Agitation endgültig auslöschen wollte, wollte zu einem großen Schlag ausholen, als sie die Besetzung des Quartier Latin (Univiertel in Paris) und die Umzingelung der Sorbonne durch die Polizei anordnete. Die Polizei drang zum ersten Mal seit Jahrhunderten in die Universität Sorbonne ein. Den Studenten, die sich in die Sorbonne zurückgezogen hatten, wurde freies Geleit zugesagt. Und während die Studentinnen unbehelligt abziehen konnten, wurden die Studenten systematisch in Polizeiwagen verfrachtet, sobald sie das Unigelände verlassen hatten. In Windeseile versammelten sich Hunderte von Studenten auf dem Platz der Sorbonne und beschimpften die Polizisten. Die Polizei schoss mit Tränengas auf die Studenten. Die Studenten wurden gewaltsam von dem Platz vertrieben, aber im Gegenzug fingen immer mehr Studenten an, die Polizisten und ihre Fahrzeuge einzukreisen. Die Zusammenstöße dauerten an jenem Abend vier Stunden: 72 Polizisten wurden verletzt, 400 Demonstranten verhaftet. In den darauf folgenden Tagen riegelte die Polizei das Gelände der Sorbonne vollständig ab. Gleichzeitig wurden vier Studenten zu Gefängnisstrafen verurteilt. Diese Politik der „entschlossenen Hand" bewirkte jedoch das Gegenteil dessen, was die Regierung von ihr erhoffte: anstatt die Agitation zu beenden, wurde diese noch massiver. Ab Montag, dem 6. Mai kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit den um die Sorbonne zusammengezogenen Polizeikräften und den zahlenmäßig immer größer werdenden Demonstrationen, zu denen von der M22, UNFEF (Studentische Gewerkschaft) und Snesup (Gewerkschaft des Uni-Lehrkörpers) aufgerufen wurde. Bis zu 45.000 Studenten beteiligten sich an ihnen mit dem Schlachtruf „Die Sorbonne gehört in die Hände der Studenten", „Bullen raus aus dem Quartier Latin", und vor allem „Befreit unsere Genossen". Den Studenten schlossen sich immer mehr Schüler, Lehrer, Arbeiter und Arbeitslose an. Am 7. Mai überschritten die Demonstrationszüge überraschenderweise die Seine und zogen die Champs-Elysées entlang und drangen bis in die Nähe des Präsidentenpalastes vor. Die Internationale wurde unter dem Triumphbogen angestimmt, dort wo man meistens die Marseillaise hört oder Totengeläut. Die Demonstrationen griffen auch auf einige Provinzstädte über. Die Regierung wollte einen Beweis für ihren guten Willen zeigen und öffnete die Universität von Nanterre am 10. Mai. Am Abend des gleichen Tages strömten Zehntausende von Demonstranten im Quartier Latin zusammen und fanden sich den Polizeikräften gegenüber, die die Sorbonne abgeriegelt hatten. Um 21 Uhr fingen einigen Demonstranten an, Barrikaden zu errichten (insgesamt wurden ca. 60 errichtet). Um Mitternacht wurde eine Delegation von drei Studenten (unter ihnen Cohn-Bendit) von dem Rektor der Akademie von Paris empfangen. Der Rektor stimmte der Wiedereröffnung der Sorbonne zu, konnte aber keine Versprechungen hinsichtlich der Freilassung der am 3. Mai verhafteten Studenten machen. Um zwei Uhr morgens starteten die CRS (Bürgerkriegspolizei) den Sturm auf die Barrikaden, nachdem sie zuvor viele Tränengasgeschosse auf sie gefeuert hatten. Die Zusammenstöße verliefen sehr gewalttätig; Hunderte von Menschen wurden auf beiden Seiten verletzt. Mehr als 500 Demonstranten wurden verhaftet. Im Quartier Latin bekundeten viele Anwohner ihre Sympathie mit den Demonstranten; sie ließen sie in ihre Wohnungen rein oder schütteten Wasser auf die Straße, um sie vor dem Tränengas und den anderen Geschossen der Polizei zu schützen. All diese Ereignisse, insbesondere die Berichte über die Brutalität der Repressionskräfte, wurden im Radio permanent von Hunderttausenden Menschen verfolgt. Um sechs Uhr morgens ‚herrschte Ordnung’ im Quartier Latin, das wie von einem Tornado durchpflügt schien.
Am 11. Mai war die Empörung in Paris und in ganz Frankreich riesengroß. Die Menschen strömten überall zu spontanen Demonstrationszügen zusammen. Diesen schlossen sich nicht nur Studenten sondern Hunderttausende anderer Demonstranten mit unterschiedlichster Herkunft an, insbesondere junge Arbeiter oder Eltern von Studenten. In der Provinz wurden viele Universitäten besetzt; überall auf den Straßen, auf den Plätzen fing man an zu diskutieren und verurteilte die Haltung der Repressionskräfte.
In Anbetracht dieser Entwicklung kündigte der Premierminister Georges Pompidou abends an, dass vom 13. Mai an, die Polizeikräfte aus dem Quartier Latin abzuziehen, die Sorbonne wieder zu öffnen und die verhafteten Studenten freizulassen sind.
Am gleichen Tag riefen die Gewerkschaftszentralen, die CGT eingeschlossen (die bis dahin die ‚linksextremen’ Studenten angeprangert hatten), sowie einige Polizeigewerkschaften zum Streik und Demonstrationen für den 13. Mai auf, um gegen die Repression und die Regierungspolitik zu protestieren.
Am 13. Mai fanden in allen Städten des Landes die größten Demonstrationen seit dem 2. Weltkrieg statt. Die Arbeiterklasse beteiligte sich massiv an der Seite der Studenten. Einer der am meisten verbreiteten Schlachtrufe lautete „10 Jahre, das reicht" (man bezog sich auf den 13. Mai 1958, als De Gaulle wieder die Macht übernommen hatte). Am Ende der Demonstrationen wurden fast alle Universitäten nicht nur von den Studenten besetzt, sondern auch von vielen jungen Arbeitern. Überall ergriff man das Wort. Die Diskussionen begrenzten sich nicht nur auf die universitären Fragen oder die Repression. Man fing an, alle möglichen gesellschaftlichen Fragen aufzugreifen: die Arbeitsbedingungen, die Ausbeutung, die Zukunft der Gesellschaft.
Am 14. Mai gingen die Diskussionen in vielen Betrieben weiter. Nach den gewaltigen Demonstrationen am Vorabend, die den ganzen Enthusiasmus und ein Gefühl der Stärke zum Vorschein gebracht hatten, war es schwierig die Arbeit wieder aufzunehmen, so als ob nichts passiert wäre. In Nantes traten die Beschäftigen von Sud-Aviation in einen spontanen Streik und beschlossen die Besetzung des Werkes. Vor allem die jüngeren Beschäftigten trieben die Bewegung voran. Die Arbeiterklasse war auf den Plan getreten.
In Anbetracht der weiteren Ereignisse, die zur gewaltigen Mobilisierung am 13. Mai 1968 führte, wurde schnell klar, dass nicht so sehr die Aktionen der Studenten für das Ausmaß der ganzen Mobilisierung verantwortlich waren, sondern die Behörden selbst, die ständig nur Öl aufs Feuer gossen, bevor sie jammernd den Rückzug antraten. Die Studentenkämpfe in Frankreich waren vor der Eskalation der Kämpfe im Mai 1968 weit weniger massiv und tiefgreifend als die Studentenproteste in vielen anderen Ländern, insbesondere den USA und Deutschland.
Im größten Land der Erde, den USA, entfalteten sich damals ab 1964 die massivsten und radikalsten Bewegungen jener Zeit. Insbesondere in der Universität in Berkeley, im Norden Kaliforniens, breiteten sich die Studentenproteste zum ersten Mal in größeren Umfang aus. Die von den Studenten erhobene Hauptforderung war die der „free speech movement" (Bewegung für Redefreiheit) zugunsten der freien politischen Äußerung (insbesondere gegen den Vietnamkrieg und gegen die Rassentrennung) in den Universitäten. Anfänglich reagierten die Behörden sehr repressiv, insbesondere durch den Einsatz von Polizeikräften gegen die „sit-ins", die friedliche Besetzung der Uniräume, wobei 800 Studenten verhaftet wurden. Anfang 1965 gestatteten die Universitäten politische Aktivitäten an den Unis, die damit zu einem Hauptzentrum des Studentenprotestes in den USA wurden. Gleichzeitig wurde damals Ronald Reagan 1965 unerwartet zum Gouverneur von Kalifornien mit der Parole gewählt „Räumen wir mit der Unordnung in Berkely auf". Die Bewegung erlebte einen mächtigen Auftrieb und radikalisierte sich in den darauf folgenden Jahren durch die Proteste gegen die Rassentrennung, für die Verteidigung der Frauenrechte und vor allem gegen den Vietnamkrieg. Während gleichzeitig viele junge Amerikaner, vor allem Studenten, scharenweise ins Ausland flüchteten, um einer Einberufung nach Vietnam zu entgehen, wurden die meisten Universitäten des Landes meist zum Schauplatz von Antikriegsbewegungen, während gleichzeitig die gewaltsamen Aufstände in den schwarzen Ghettos der Großstädte aufflammten (der Anteil junger Schwarzer, die in den Vietnamkrieg geschickt wurden, lag viel höher als der nationale Durchschnitt der nach Vietnam-Einberufenen). Vom 23. bis 30. April 1968 wurde die Columbia-Universität von New York aus Protest gegen die Zusammenarbeit mit dem Pentagon und aus Solidarität mit den Bewohnern des schwarzen Ghettos von Harlem besetzt. Dies war ein Höhepunkt des Studentenprotestes in den USA, die Ende August in Chicago einen ihrer gewalttätigsten Momente erlebten, als es zu großen gewaltsamen Auseinandersetzungen anlässlich der Konferenz der Demokratischen Partei kam.
In vielen anderen Ländern entwickelten sich damals ebenso Studentenproteste:
Japan: Von 1965 an protestierten Studenten gegen den Vietnamkrieg, insbesondere unter Mitwirkung der Zengakuren, die äußerst gewalttätige Zusammenstöße mit der Polizei organisierten. 1968 verbreiteten sie die Parole: „Wandeln wir den Kanda [Universitätsviertel von Tokio] in ein Quartier Latin um."
Großbritannien: Es fing schon Ende 1967 in der sehr respektablen „London School of Economics" an zu brodeln, die eine Hochburg der bürgerlichen Wirtschaftsschulen ist, wo die Studenten gegen die Nominierung einer Persönlichkeit zum Präsidenten ihrer Schule protestierten, die für ihre Beziehungen zum rassistischen Regime des damaligen Rhodesiens und Südafrikas bekannt war. Die Proteste gingen 1968 weiter, insbesondere mit massiven Protesten gegen die Botschaft der USA, während sich gleichzeitig andere Universitäten, insbesondere Cambridge, ihnen anschlossen. Hunderte Studenten wurden verletzt oder verhaftet.
Italien: Im März kam es zu zahlreichen Studentenprotesten, insbesondere in Rom, die sich insbesondere gegen den Vietnamkrieg und auch gegen die Politik der Universitätsleitungen richteten.
Spanien: Ebenso im März wurde die Universität in Madrid endgültig geschlossen, um die Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg und das Franco-Regime abzuwürgen.
Deutschland: Ab 1967 entfalteten sich Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg. Der Einfluss der linken Studentenorganisation SDS, der aus einer Abspaltung von der SPD hervorging, wuchs ständig. Die Bewegung radikalisierte sich und nahm nach dem Attentat gegen Rudi Dutschke in Berlin massive Formen an. Das Attentat wurde von einem Mann ausgeübt, der durch die Hetzkampagne der Springerpresse aufgestachelt worden war. Mehrere Wochen lang wirkte die Studentenbewegung in Deutschland als Bezugspunkt für all die Studentenproteste in den meisten europäischen Ländern, bevor sich dann der Blick auf Frankreich richtete.
Diese Liste ist sicherlich nicht erschöpfend. Viele Länder der Peripherie wurden 1968 ebenfalls von den Protesten erfasst (unter anderem Brasilien und die Türkei). Aber besonders erwähnt werden muss Mexiko, wo sich im Sommer eine starke Protestbewegung entfaltete, die blutig niedergeschlagen wurde (mehrere Dutzend Tote, wahrscheinlich Hunderte, die auf dem Platz der drei Kulturen Tlatelolco in Mexico-City am 2. Oktober massakriert wurden), damit die Olympischen Spiel ohne Störungen am 12. Oktober beginnen könnten.
Ein Merkmal dieser ganzen Bewegung war natürlich vor allem die Ablehnung des Vietnamkrieges. Aber während man eigentlich hätte erwarten können, dass die stalinistischen Parteien, die mit dem Regime in Hanoi und Moskau verbunden waren, wie zuvor bei den Antikriegsbewegungen während des Koreakrieges zu Beginn der 1950er Jahre, die Führung dieser Bewegung übernehmen würden, geschah dieses nicht. Im Gegenteil; diese Parteien verfügten praktisch über keinen Einfluss, und sehr oft standen sie im völligen Gegensatz zu den Bewegungen. Dies war eines der Merkmale der Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre; es zeigte die tiefgreifende Bedeutung auf, die ihnen zukommen sollte, was wir im nächsten Artikel behandeln wollen.
Fabienne, März 2008, aus unserer Zeitung Révolution Internationale, Organ der IKS in Frankreich
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Die drohenden Entlassungen sind keine Einzelsituation der Arbeiter im Tessin oder beim SBB Cargo Betrieb. Auf internationaler Ebene ist die Arbeiterklasse in den letzten Jahren immer heftiger unter Druck. Sie hat aber auch international darauf reagiert. Erinnern wir uns an den Streik der deutschen Eisenbahner im November 2007 der heute noch schwelt. Erinnern wir uns: Als Airbus vor genau einem Jahr den Abbau von 10`000 Arbeitsplätzen vor allem in Frankreich, Spanien, Grossbritannien und Deutschland ankündigte, kam es als Antwort der Beschäftigten zu grossen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen. Zur selben Zeit traten beim deutschen Telekom Konzern 12`000 Beschäftigte in den Streik. Die Liste liesse sich buchstäblich um Beispiele aus allen Kontinenten erweitern, bei denen sich dasselbe abgespielt hat: Der Kapitalismus wälzt seine Krise auf die Arbeiterklasse ab, doch diese nimmt es nicht mehr geduckt hin.
Die Schweizer Regierung hat auf ihre Art postwendend auf den spontan ausgebrochenen Arbeitskampf reagiert. Was von der Regierung als „straffes Reinemachen" in der SBB Cargo Führung angekündigt wird ist ein Ablenkungsmanöver: Es werden „schuldige Köpfe" im Management gesucht, welche die Verantwortung tragen. Eine andere Management-Strategie hätte angeblich Gewinne bringen können. Die Manager gilt es gewiss nicht zu verteidigen, doch das Problem liegt bei weitem tiefer als bei der Unfähigkeit einiger Manager. Die gleiche Sündenbock-Strategie finden wir bei den als „Stützpfeiler" der Schweizer Wirtschaft geltenden Banken. UBS-Chef Ospel habe eine allzu riskante Investitionspolitik betrieben. Die Schuld auf sich zu nehmen fällt einem Top-Manger leicht, der auch in Zeiten von Milliardenabschreibungen Millionen in den eigenen Sack streichen kann. Was die Regierung mit dieser Politik der Jagd nach „Schuldigen" will, ist mit allen Mittel verbergen, dass es ihr System ist, der Kapitalismus, der eine Sackgasse darstellt. Der Kapitalismus treibt heute die Menschheit nicht nur in ökonomische Verarmung, sondern er kann auch seine eigene Dynamik von Krise, Krieg und ökologischer Zerstörung nicht aufhalten.
Klar ist, auch wenn der Streik der Belegschaft von SBB Cargo in Bellinzona zahlenmässig noch gering ist, so haben die Vertreter des Kapitalismus in der heutigen Krisensituation Angst: sie fürchten ein Übergreifen des Selbstvertrauens der Arbeiter in Bellinzona auf andere Sektoren der Arbeiterklasse. Der Warnstreik der Cargo Belegschaft im Werk Fribourg vom 12. März und die breite Solidarität aus den Reihen der Arbeiterklasse im Tessin zeigen dieses Potential deutlich. Deshalb hat die Regierung mit dem Sozialdemokraten Leuenberger an der Spitze nicht zugewartet und sofort zu einem gross angelegten Erpressungsmanöver angesetzt. Fünf Tage nach Streikbeginn, am 12. März, inszeniert Verkehrsminister Leuenberger ein Treffen in Bern mit SBB Führungsspitze und Vertretern der Tessiner Regierung. Letztere präsentieren sich heuchlerisch als die Vertreter der Streikenden, weil sie die an der Urne gewählten „Repräsentanten des Tessiner Volkes" seien!
Das Resultat ist eine reine Erpressung: Der Belegschaft in Bellinzona wird versprochen vorerst die angedrohten Kündigungen aufs Eis zu legen um an einem „Runden Tisch" die Sache später gütlich zu bereinigen. Alles aber unter einer Bedingung: Die Belegschaft soll den Streik sofort beenden! Im Klartext: Die Streikenden sollen also ihre einzige Stärke die sie besitzen, die gemeinsame Solidarität und die Entschlossenheit sich gegen die Angriffe zu wehren, beiseite legen. Erst wenn sie in die Knie gegangen sind, sich selbst ihrer Kraft beraubt haben, dann wird über ihre Forderungen gesprochen. Wie das Prozedere weitergehen soll formulierte SBB Chef Meyer deutlich: Verhandlungen im kleinen Kreis - Bundesrat, Tessiner Regierung, SBB Führung und Eisenbahnergewerkschaft SEV.
Der SEV hat nach dem Treffen am 12. März der Regierung auch sofort versprochen die streikenden Arbeiter zur Wiederaufnahme der Arbeit zu ermuntern und diese Bedingungen anzunehmen. Nicht verwunderlich, die Gewerkschaften sind heute fester Teil des bürgerlichen Staatsapparates und keine Organe der Arbeiterklasse. Mit diesem Erpressungsmanöver wollen uns Regierung, SBB-Führung und Gewerkschaften vormachen, der wirkliche Ort zur Verteidigung unserer Interessen seien Verhandlungen hinter geschlossenen Türen - zwischen Vertretern des bürgerlichen Staates! Die Arbeiter sollen danach die neue Version der ausgehandelten Sanierungspläne - sprich Personalabbau - als Sieg verstehen.
Mit einem gesunden Misstrauen hat die Streikversammlung bei SBB Cargo in Bellinzona am 13. März diesen scheinheiligen Vorschlägen eine klare Absage erteilt. Die Stärke der Arbeiterklasse liegt nicht im Glauben an leere Versprechungen sondern in unserem eigenen Kampf, den wir selbst in unsere Hände nehmen - so wie es die Belegschaft bisher gezeigt hat.
Der Streik im SBB Werk Bellinzona hat eine starke Welle der Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse in der Region ausgelöst. Nicht nur die direkt betroffene Belegschaft von SBB Cargo, sondern auch alle anderen Lohnabhängigen wissen genau, dass dieser Angriff auch sie betrifft. Mit der grossen Demonstration vom 8. März, einen Tag nach Streikbeginn, haben die Arbeiter sofort einen richtigen Schritt gemacht: Raus aus der Isolation des eigenen Betriebes, damit sich auch andere Lohnabhängige anschliessen können. Einige Tausend haben ihre Solidarität mit der Cargo Belegschaft gezeigt. In den Medien wurde dies verfälscht: Es seien vor allem „Gewerkschafter und lokale Politiker" gewesen die sich dem Kampf angeschlossen hätten, es sei eine Tessiner „Volksbewegung" und kein Kampf der Arbeiterklasse.
Tatsächlich ist die gesamte Garde der bürgerlichen Parteien im Tessin, von Links bis zur rechten Lega dei Ticinesi, sofort auf den Zug aufgesprungen und hat sich als grosse Freunde der Streikenden präsentiert. Sie versuchen das Steuer an sich zu reissen. Die Tessiner Regierungsräte eilen entrüstet nach Bern um dort „den Kanton Tessin" gegen die Politik aus Bern zu verteidigen. Die bürgerliche Stadtregierung von Lugano und Bellinzona spenden mehrere Zehntausend Franken in die Streikkasse. Urplötzlich mausern sich Parteien, die mit uns wahrlich nichts am Hut haben, zu beflissenen Advokaten der Arbeiterklasse. Dies ist keine wirkliche Solidarität, sondern ein abgekartetes Spiel! Denn es geht in diesem Kampf nicht um eine Auseinandersetzung zwischen dem Kanton Tessin und der Berner Landesregierung auf der anderen Seite der Alpen, wie dies Tessiner Lokalpolitiker behaupten. Es ist ein Angriff auf die Arbeiterklasse. Wenn heute die SBB Arbeiter in der Südschweiz betroffen sind, ist dies nur eine Vorankündigung der Angriffe die auch ihre Kollegen in allen anderen Regionen erwartet.
Die lokalen Vertreter des Kapitals versuchen mit diesem Manöver folgendes zu erreichen:
- Sie wollen den Streik so schnell als möglich unter ihre eigene Kontrolle bringen und möglichst nach ihren Bedingungen beenden die sie in Bern aushandeln.
- Sie versuchen den Arbeitskampf der Cargo-Belegschaft in die Bahnen der bürgerlichen Politik zu drängen, um ihre eigene Position in Bern zu verstärken.
- Drittens wollen sie das Gesicht ihrer Parteien gegenüber den Arbeitern aufpolieren.
- Und das Wichtigste: sie wollen den Streik den Arbeitern aus den Händen reissen indem sie ihn von der Ebene „Arbeiterklasse gegen Kapitalismus" auf die Bühne „Region gegen Zentralregierung" lenken.
Schon vor 12 Jahren konnte man bei der Schliessung der Cardinal Brauerei in Fribourg dasselbe Spiel beobachten. Die lokale Regierung und Parteien von Links bis Rechts, versuchten es als einen „Angriff auf die Region" darzustellen. Auch 2006, im jurassischen Reconvilier bei Swissmetall, waren die Streikenden mit dieser lokalpatriotischen „Solidarität" konfrontiert, welche das Ziel verfolgt, den Arbeitskampf vom Klassenterrain wegzuführen und im lokalistischen Sumpf zu ersticken. Die Arbeiterklasse hat vom Lokalpatriotismus nie einen Nutzen. Die herrschende Klasse im Tessin versucht den Kampf der Cargo Arbeiter mit dieser Farbe zu übertünchen. Wir müssen uns gegen solche Manöver stemmen indem wir unsere Stärke in der Einheit mit allen anderen Beschäftigten suchen, egal in welcher Region oder in welchem Land.
Die Diskussion ob der Betrieb rentabel sei oder nicht, ist ein Verschleierungsmanöver der Gewerkschaften gegenüber der tiefsitzenden kapitalistischen Krise. Sie behaupten „Wir sind deshalb gegen Entlassungen weil der Betrieb nicht wie behauptet rote Zahlen schreibt, sondern sich die Produktion lohnt". Genau das haben Exponenten der Sozialdemokratie wie Nationalrätin Carobbio und Gewerkschafter in Bezug auf den Standort Bellinzona behauptet. Mit anderen Worten: Wenn es wirkliche Verluste gibt sind Entlassungen notwendig und unvermeidlich. Aber für die Arbeiterklasse ist die Frage ob sie sich gegen Entlassungen wehrt nicht an die Rentabilität ihres Betriebes gebunden, es ist schlicht eine Frage des Überlebens!
Die Eisenbahnergewerkschaft SEV hat als traditionell staatstreue Gewerkschaft mit ihrem sofortigen Einschwenken in die Bedingungen des Verkehrsministers Leuenberger nicht überrascht. Es wird ihr auch kaum gelingen die Kontrolle über den Streik in die Hände zu bekommen. Der SEV hat das Feld daher sofort der UNIA überlassen, die als radikal auftretende Gewerkschaft das wirksamere trojanische Pferd in den Reihen der Streikenden ist. Die Arbeiter dürfen sich nicht von den kämpferischen Parolen der UNIA blenden lassen! Ihre Sabotage gegen die Tendenz zur Solidarität unter allen Beschäftigten besteht meist darin Kämpfe entweder lokal zu isolieren bis den Streikenden die Kraft ausgeht (z. B. Swissmetall Reconvillier) oder Mobilisierungen aufzugleisen, die sich strikte nur in den Grenzen des Berufes oder der Sparte bewegen (Bauarbeiterstreik im Winter 2007). Am Ende handeln sie mit Unternehmern und Regierung hinter geschlossenen Türen neue Vorschläge zur Abwälzung der Krise auf die Arbeiterklasse aus.
Eine beliebte Vorgehensweise, wie man die Initiative aus der Hand der Arbeiter nimmt, hat die UNIA in Reconvillier gezeigt. Man spaltete die Arbeiter in Radikale und Verhandlungswillige. Diese Spaltung schwächte den Kampf enorm und die UNIA neutralisierte den ursprünglich eigenständigen Kampf der Arbeiter in Reconvillier zu Gunsten einer klaren Unterwerfung der Arbeiterinteressen unter die Kapitallogik. Gegen eine solche Spaltung kann man nur vorgehen, wenn die Arbeiterklasse geeint kämpft und sich nicht in sogenannte Radikale und Gemässigte spalten lässt. Wie die nächsten Schritte des Kampfes (oder des geordneten Rückzugs) aussehen, soll breitest möglich abgestützt von den Vollversammlungen der Arbeiter bestimmt werden.
Wenn möglich sollten die Arbeiter von SBB Cargo den Kampf weiter Ausweiten, und versuchen sich mit anderen Teilen der Arbeiterklasse zusammenschliessen, welche die gleiche Wut über ihre missliche Lage im Bauch haben. Nur die Einheit mit allen anderen Arbeitern ist ein Mittel gegen die Sabotage durch den Lokalpatriotismus und gegen die Erpressungsmanöver der Kapitalisten.
Der Kampf der Cargo Arbeiter ist Ausdruck des wachsenden Bewusstseins in der Arbeiterklasse, dass sie sich gegen die zunehmenden Angriffe des Kapitals wehren muss. Das Zurückdrängen der Angriffe gelingt hier den Cargo Arbeitern aber auch nur, wenn sie weiterhin versucht den Kampf selber in den Händen zu behalten und kein Vertrauen in ihre angeblichen Freunde wie die Gewerkschaften und Politiker hat.
15. 3. 2008
Internationale Kommunistische Strömung / IKS
Postfach 2216, 8026 Zürich
schweiz@internationalism.org [15]
In den Jahren nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion gab es einen gemeinsamen Tenor in den Medien, der Wissenschaft und sogar in Teilen der arbeitenden Bevölkerung: „Der Kommunismus ist tot!“ und „Marx hatte unrecht – der Kapitalismus ist das beste Gesellschaftssystem!“ Wer damals auch nur die Begriffe „Marx“ oder „klassenlose Gesellschaft“ in den Mund nahm, erntete bestensfalls ein müdes Lächeln.
Nun, 19 Jahre nach dem Fall der Mauer, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Am 14. März 2008 jährte sich der Todestag von Karl Marx, dem – neben Friedrich Engels – Begründer des wissenschaftlichen Sozialismu, zum 125. Mal. Ob im Radio oder im Fernsehen, überall erscheinen aus diesem Anlass Interviews und Berichte über Marx und seine Bedeutung für heute. Eine interessante Entwicklung... Interessant ist auch, wie man über ihn spricht - jetzt, wo sich die Abgründe der Finanzkrise immer mehr auftun, wo die Beschäftigten länger und für weniger Geld arbeiten müssen, wo so getan wird, als sei es unverschämt, wenn ArbeiterInnen für Gehaltserhöhungen streiken, obwohl selbst die paar Prozent mehr Lohn nicht einmal die allgemeinen Preissteigerungen und die Inflation ausgleichen. Wie sprechen die Medien heute also über Marx? Marx habe wie kein anderer die kapitalistische Funktionsweise untersucht und offengelegt. Er habe Stärken wie Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise verstanden und erklärt. Vermutlich sei er der größte Ökonom des 19. Jahrhunderts, wenn nicht gar der Geschichte insgesamt gewesen. So weit, so gut. Dann jedoch folgt das große ABER. Karl Marx habe zwei Seelen in seiner Brust gehabt. Neben der Kapitalismuskritik, die begrüßenswert sei, sei er auch noch für eine Art „radikale Demokratie“ gewesen. Er habe allen Ernstes die Selbstbestimmung jedes Einzelnen im Einklang mit sich, allen Mitmenschen und der Natur gefordert. Dies aber sei eine Utopie. Was wollen uns die bürgerlichen „Marxologen“ damit also sagen? Marx habe zwar Recht damit, den Kapitalismus zu kritisieren, aber der Kampf für die Überwindung eben dieses Systems, sprich: der revolutionäre Klassenkampf, sei eine Utopie, die man lieber bleiben lassen solle. Marx‘ Leben war ein permanentes Ringen – theoretisch wie praktisch – gegen die bestehenden Verhältnisse und für die klassenlose Gesellschaft, ob in der I. Internationale, in seinen Schriften oder auf den Barrikaden 1848. Nicht von ungefähr schrieb Marx: „Die Philosophen haben die Welt verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“
Interessant ist auch, dass immer öfter zu vernehmen ist, dass das Regime im Ostblock kein Kommunismus gewesen sei, da es ja weiterhin Klassen (Staat vs. ArbeiterInnen), Lohnarbeit und (verstaatlichtes) Kapital gegeben habe. Daher habe das Modell des so genannten Realsozialismus mit den Zielen von Marx und des Marxismus nichts zu tun gehabt. Die Tatsache, dass nach Jahren der totalen Diffamierung von Marx derselbe in Ansätzen wieder positiver dargestellt wird, ist kein Zufall. Es hat sehr viel damit zu tun, dass die Krise des Kapitalismus immer mehr eskaliert und mit den Händen zu greifen ist. Einerseits macht sich diese Erkenntnis in Perspektivlosigkeit und Depression bemerkbar. Andererseits sieht man eine Entwicklung in der Arbeiterklasse, die sich in einem Verlust an Illusionen und in einer Suche nach ehrlichen Antworten, echter Veränderung ausdrückt. Diese Antwort gaben Marx und Engels bereits 1847 im Kommunistischen Manifest, Antworten, die gerade heute nicht richtiger sein könnten: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ In diesem Sinn ist Karl Marx heute für die weltweite Arbeiterklasse überaus wichtig. Und in diesem Sinne gedenken wir, entgegen dem Tenor in den bürgerlichen Medien, Marx eben nicht nur wegen seiner Verdienste in der Kapitalismus-Kritik, sondern auch und gerade als einen großartigen Mitstreiter für die Befreiung der ganzen Menschheit, für die Sache des Kommunismus.
Leserbrief:
Sehr geehrte Autoren,Ich verfolge schon seit längerer Zeit immer wieder die Artikel Ihrer Seite, doch ein Artikel hat mich veranlasst, Ihnen zu schreiben. Ich las gerade den Artikel "Klimakatastrophe: Der Kapitalismus ist verantwortlich für die Klimaerwärmung". Schön und gut. Davon abgesehen, dass ich mit der Aussage des Titels übereinstimme, wirft der Text einige Fragen auf.Es wird unablässig auf das kapitalistische Weltsystem geschimpft und mächtig Stimmung gegen die herrschende Klasse gemacht. Das soll auch so sein, doch warum werden dort keine Lösungsvorschläge dargelegt? Der Kommunismus wird lediglich als Universallösung für unsere Probleme angeboten, ohne das dem Leser klar wird, wie genau eine solche kommunistische Alternative im Bereich der Klimapolitik aussehen soll. Dass das nach bloßer marxistischer Hetze gegen die bestehenden Verhältnisse aussieht, dürfte doch eigentlich jedem ersichtlich sein.Diese Stimmungsmache zieht sich wie ein roter Faden nicht nur durch vieleIhrer Texte, sondern allgemein durch linke Stellungnahmen. Dadurch werden den Liberalen und generell unserer Ideologie feindlich gesinnten Menschen derart viele Angriffspunkte geliefert, dass es um die Glaubwürdigkeit der Linken und die Überzeugungskraft ihrer nicht vorhandenen Argumente bei den Zuhörern und Lesern wirklich schlecht bestellt ist.
Wo sind die Argumente geblieben? Die wasserdichten Argumentationsstrukturen, die jeglichen Einwänden und niveaulosen Kritiken der Kapitalisten standhalten?
So kann es mit Ihrer noch so hoch angepriesenen Weltrevolution wahrlich kein gutes Ende nehmen, wenn denn gar auf dieser Grundlage ein Anfang gemacht werden kann, der zu eben diesem Ende zu führen vermag. Mit freundlichen GrüßenDer BrandenburgerAntwort der IKS
Lieber BrandenburgerVielen Dank für Ihre Zuschrift. Wenn wir richtig gelesen haben, stimmen Sie mit uns damit überein, dass der Kapitalismus für die Klimakatastrophe verantwortlich ist und dass der Kommunismus dafür eine Lösung bieten kann. Sie bemängeln aber, dass die Umrisse einer alternativen kommunistischen Klimapolitik, welche imstande wäre, die jetzt zunehmende Bedrohung auf diesem Gebiet abzuwenden, von uns niemals konkretisiert werden. Sie äußern zudem die Befürchtung, dass unsere Behandlung der Frage, die es bei allgemeinen Losungen und Stimmungsmache belassen würde, die Argumente der Kommunisten im Verruf bringen werden.Wenn nicht alles täuscht, verbindet uns somit eine gemeinsame Kritik am Kapitalismus – auch und gerade in der „Klimapolitik“ - sowie einen gemeinsamen Lösungsansatz. Daher begrüßen wir ausdrücklich Ihre Sorge um die Glaubwürdigkeit der kommunistischen Alternative.Es bleibt immerhin die Frage, was man unter einer kommunistischen Alternative überhaupt zu verstehen hat. Es gibt viele linke Kritiker des Kapitalismus, welche sich beispielsweise zur Wahl stellen oder außerparlamentarisch eine Reform des Kapitalismus einfordern, dabei Forderungslisten aufstellen und mit wasserdichten Argumente zu untermauern versuchen. Diese Forderungen sind an und für sich oft sinnvoll: die Förderung von „erneuerbaren Energien“ etwa, des öffentlichen Verkehrs auf Kosten des Individualverkehrs, die Beseitigung des unsinnigen Hin-und-Her-Transportierens von Güten oder der Schutz und Ausbau der Regenwälder wie des Waldes überhaupt. Das Besondere am Lösungsansatz des Kommunismus liegt nicht etwa darin, dass wir bessere Einzellösungen hätten als Andere. Das Besondere liegt vielmehr in der Überzeugung begründet, dass der Kapitalismus nicht reformierbar ist. Das Besondere liegt in der Einsicht, dass die vielen von der Wissenschaft, von der Ökologie bereits ausgearbeiteten Lösungsansätze nur greifen können, nachdem die größte Umwälzung in der Menschheitsgeschichte stattgefunden hat. Eine Umwälzung, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen zueinander ebenso radikal verändert wie das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Wir sind damit einverstanden, dass man die kommunistische Lösung konkretisieren muss, auch und gerade in der Klimapolitik. Die schwache Stellung der kommunistische Alternative im Bewusstsein der Menschen von heute liegt vor allem darin begründet, dass die meisten Menschen Kommunismus mit Stalinismus oder mit einem linksradikalen Reformismus verwechseln. Soll heißen, sie glauben, der Lösungsansatz der Kommunisten liege darin, anstelle der Anarchie des Konkurrenzkampfes der Kapitalisten untereinander die lenkende Hand des Staates zu setzen. An diese Alternative zweifeln gerade viele arbeitende Menschen, die ihre eigenen leidvollen Erfahrungen mit dem Staat gemacht haben. Sie zweifeln zu Recht daran, dass die Staaten dieser Welt diesem Konkurrenzkampf weniger unterworfen sind wie der Einzelkapitalist. Der Sieg der sozialdemokratischen und stalinistischen Konterrevolution über die revolutionäre Arbeiterklasse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die marxistische Kritik an der kapitalistischen Zerstörung der natürlichen Grundlagen unserer Gesellschaft bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Aber aus dieser Kritik erst ergibt sich die Überzeugungskraft des Kommunismus.Dabei hat bereits Marx erkannt, dass die Umweltzerstörung durch den Menschen keineswegs erst mit dem Kapitalismus eingesetzt hat. Der Marxismus hat bereits im 19. Jahrhundert nachgewiesen, wie Hochkulturen immer wieder nicht zuletzt an dem zugrunde gegangen sind, was man heutzutage Umweltzerstörung nennt.Für uns liegen die tieferen Wurzeln der Umweltkatastrophe in der Beherrschung des Menschen durch die Ökonomie. Mit anderen Worten, dieses Problem ist in der Notwendigkeit des Kampfes unserer Gesellschaft um das nackte Überleben begründet. Daher entstand das Problem sogar lange vor der Entstehung der ersten Klassengesellschaften. Zwar steht es außer Frage, dass die klassenlosen Urgesellschaften in der Regel viel „umweltfreundlicher“ und ökologisch „nachhaltiger“ waren als die darauffolgenden, auf Ausbeutung beruhenden Strukturen. Aber bereits in der Zeit der Urgesellschaft scheint die Artenvielfalt aufgrund menschliches Einwirken gelitten zu haben. Vor allem dort, wo der gesellschaftliche Mensch sich nicht über Jahrtausende an seine natürliche Umgebung allmählich anpassen konnte, sondern im Prozess der Besiedlung neuer Weltteile und Lebensräume sich behaupten musste, scheint dies der Fall gewesen zu sein. Denn der Aufstieg der Menschheit geschah nicht planmäßig und bewusst, sondern urwüchsig, von der Hand in den Mund im Kampf ums tägliche Überleben. So entstanden denn auch, unabhängig vom Willen der geschichtlichen Akteure, gesellschaftliche Arbeitsteilung, Ausbeutung, Warenwirtschaft und schließlich Kapitalismus. Ein Prozess, welcher die Menschheit immer mehr von der Natur entfremdete, um dann im Kapitalismus alle natürlichen Ressourcen, einschließlich des Menschen selbst, zu Waren zu degradieren. Dieser Prozess hat die kulturellen, wissenschaftlichen, technischen Voraussetzungen dafür geschaffen, um den Kampf ums nackte Überleben überflüssig zu machen. Was so viel bedeutet, dass die Menschheit, von der Diktatur der Ökonomie befreit, zum ersten Mal imstande ist, ihre gesellschaftlichen Verhältnisse zur Natur bewusst und planmäßig zu gestalten. Was dann alles möglich sein wird, klingt nur im Rahmen der heutigen Gesellschaft „utopisch“. Und da können wir gern „konkret“ werden – wohl wissend, dass unsere diesbezüglichen Argumente stets die Einwände der Anhänger des Kapitalismus hervorrufen werden. Dazu gehört beispielsweise nicht nur das Verschwinden der heutigen Megastädte, sondern überhaupt das Verschwinden des Gegensatzes zwischen Stadt und Land bzw. die Ausbeutung des Landes durch die Stadt. Wie auf anderen Gebieten, so wird es auch auf der Ebene der Umweltpolitik eine Phase des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus geben müssen. Während dieser Phase wird es vornehmlich darum gehen, die aus der Vorgeschichte der Menschheit übernommenen, v.a. die vom Kapitalismus verursachten Schäden nach Möglichkeit zu reparieren bzw. wieder gutzumachen. Gerade auf diesem Gebiet wird der Übergang lang und schwierig sein. Gerade in dieser Phase wird es für das revolutionäre Proletariat lebenswichtig sein, alle heute bestehenden Einsichten und Vorschläge sowie alle, die noch kommen werden, kritisch zu prüfen und gegebenenfalls auszuprobieren. Die revolutionäre Klasse sollte jetzt schon beginnen, sich mit dieser Materie zu befassen, um sich auf die Aufgabe der Führung und Umgestaltung der Welt vorzubereiten. Es wäre in der Tat notwendig und auch faszinierend (ohne sich zu „verspekulieren“), solche Möglichkeiten zu konkretisieren, die man z.B. nach einer solchen Machtergreifung auf Weltebene als erstes in Auge fassen sollte. Vielleicht haben Sie selbst konkrete Vorschläge auf diesem Gebiet zu machen, die uns allen weiterhelfen können. Wichtig dabei ist aber, eine Leitlinie zu besitzen, ein Richtschnur. Diese kann aus unserer Sicht nur in dem Ziel bestehen, welches einem solchen Übergang dient. Dieses Ziel besteht in der Schaffung einer Gesellschaft ohne Ausbeutung, ohne Not, ohne Konkurrenz. Eine bewusste und einheitlich gelenkte Gesellschaft muss es sein, denn nur eine solche Gesellschaft kann erreichen, was unsere Meinung nach zum „Minimalprogramm“, zur unverzichtbaren Grundlage einer realistischen Klima- und Umweltpolitik der Moderne gehört: nämlich die bewusste Wiedereingliederung der Menschheit als Teil der Natur in die Gesamtheit der Umwelt, das Wiedererlangen eines „ökologischen Gleichgewichts“ auf höherer Ebene.
Der folgende Artikel entspringt einem Bericht, den die deutsche Sektion der IKS anlässlich ihrer territorialen Konferenz im April 2008 verfasst hatte. Auf dieser Konferenz waren erstmals auch Genoss/Innen zugegen, die nicht der IKS angehören. Damit haben wir eine alte Tradition wieder aufleben lassen, die schon von der alten Arbeiterbewegung praktiziert worden war. Abgesehen von unserer Absicht, dem politischen Milieu in der Arbeiterklasse einen Einblick in unser internes Leben zu ermöglichen, versprachen wir uns von der Anwesenheit von Nicht-IKS-Mitgliedern auch eine Bereicherung der Diskussion auf der Konferenz. Eine Erwartung, die sich auch und gerade in der Diskussion über den Bericht zur nationalen Lage erfüllt hat. Insbesondere an der Frage der Solidarität, in der wir eine signifikante Veränderung in der Entwicklung des Klassenkampfes zu beobachten vermeinen, entzündeten sich einige Kontroversen. So gab es Genossen, die unseren Optimismus hinsichtlich der Rolle der Solidarität in den jüngsten weltweiten Kämpfen unserer Klasse nicht teilten. Ohne die Tendenzen zu einer verstärkten Solidarität zu verneinen, verwiesen sie dabei auf entgegengesetzte Tendenzen wie die Vereinzelung der Menschen, der grassierende Korporatismus in der Arbeiterklasse, der Individualismus, etc. Es war diesen Interventionen zu verdanken, dass sich die Diskussion in ihrem weiteren Verlauf zu einem echten Beispiel für Debattenkultur entwickelte. Am Anfang stand unsere These - die Tendenz zur Solidarisierung in den Arbeiterkämpfen. Dem schien die Antithese gegenüber zu stehen - die Gegentendenzen der wachsenden Konkurrenz innerhalb unserer Klasse. Und am Ende mündeten diese anfangs entgegengesetzt scheinenden Positionen in einer Synthese. Wir kamen darin überein, dass die Tendenz der Solidarisierung eben nur eine... Tendenz ist, wenn auch eine nicht unwichtige, dass es aber neben ihr durchaus auch andere, konträre Tendenzen gibt. Wir gelangten ferner zu der Erkenntnis, dass die Arbeiterklasse heute oft nur sporadisch Solidarität praktiziert, sie oft mehr spontan denn als mit Vorbedacht ausübt. Damit diese Solidarität aber kein Muster ohne Wert bleibt, muss sie auf kurz oder lang mit der Perspektive einer besseren Welt, mit dem Kommunismus verknüpft werden. Und hier liegt das wahre Verdienst der Interventionen jener GenossInnen: Die Solidarität ist keine Sache, die sich automatisch aus der Krise und aus der Verschlechterung der Lebenslage ergibt. Sie muss theoretisch untermauert, mit einem Ziel versehen, zu einem bewussten Akt gegen das herrschende System werden. Andernfalls verkümmert das zarte Pflänzchen der Solidarität, das heute da und dort bereits sprießt.
Wir veröffentlichen hier hauptsächlich den Teil des Berichtes zum Klassenkampf in Deutschland, was ohnehin der Hauptteil war, und uns für die Debatte momentan auch am wichtigsten erscheint.
Die letzten Jahre waren gekennzeichnet von einem Phänomen, das die unselige Kampagne über den angeblichen Tod des Kommunismus noch in den neunziger Jahren für tot erklärt hatte - den Klassenkampf des Proletariats. In der Tat erlebt Deutschland zurzeit den Abschied von der viel gerühmten "Sozialpartnerschaft" zwischen Kapital und Arbeit, die dem Land jahrzehntelang zu einer der niedrigsten Streikquoten auf der Welt verholfen hatte. Das Jahr 2007 zeitigte so viele Streiks wie seit anderthalb Jahrzehnten nicht mehr.
Es ist sicherlich richtig, dass die aktuellen Kämpfe der Arbeiterklasse in Deutschland relativ unspektakulär daherkommen. Es trifft ebenfalls zu, dass fast alle dieser Kämpfe noch fest im gewerkschaftlichen Würgegriff stecken. Das Bestreben, den Kampf in die eigene Hände zu nehmen und ihn auszudehnen, ist allenfalls rudimentär vorhanden. Und dennoch messen wir den aktuellen Kämpfen ein größeres Potenzial bei, als sie auf dem ersten Blick vermuten lassen. Was veranlasst uns zu diesem Optimismus?
Ein Grund hierfür ist im fortgeschrittenen Stand der Wirtschaftskrise zu suchen. Lange Zeit war es der deutschen Bourgeoisie gelungen, die Folgen der seit Ende der sechziger Jahre grassierenden Überproduktionskrise relativ glimpflich zu überstehen. Der "rheinische Kapitalismus", der sich neben der o.g. "Sozialpartnerschaft" vor allem durch die enge Vernetzung des heimischen Finanz- und Industriekapitals auszeichnete, besaß in den siebziger und achtziger Jahren Vorbildcharakter für andere Industrieländer ("Modell Deutschland"). Doch in den neunziger Jahren änderte sich das Bild. Plötzlich galt Deutschland als der "kranke Mann Europas"; sein Bruttosozialprodukt wies das geringste Wachstum in der Europäischen Union auf, die Arbeitslosenquote dagegen gehörte zu den höchsten in den westlichen Industrieländern. Die "Deutschland AG", in den Zeiten des Kalten Krieges eine Erfolgsstory, erwies sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem darauffolgenden Liberalisierungsschub des Weltmarktes als zunehmend untauglich. Ihr "Konsensprinzip" entpuppte sich als größtes Hemmnis bei dem Vorhaben der deutschen Bourgeoisie, ihre Wirtschaft konkurrenzfähig zu halten.
Der größte Trumpf des deutschen Kapitalismus ist seine industrielle Potenz. Die deutsche Wirtschaft gehört schon seit Jahrzehnten zu den Hauptexporteuren von Industriegütern. Und auch die Tatsache, dass Deutschland in den letzten Jahren seine Stellung als Exportweltmeister zurückerobern konnte, ist zu einem großen Teil auf den reißenden Absatz deutscher Maschinen, Autos etc. in aller Welt zurückzuführen. In einem gewissen Sinn ist Deutschland die "Werkstatt der Welt". Wie kein anderes Industrieland dominiert der deutsche Kapitalismus die Königsdisziplin der kapitalistischen Produktionsweise - die Produktion der Produktionsgüter, den Maschinenbau, der neben der wirtschaftlichen Basis gleichzeitig auch die Grundlage für die imperialistischen Ansprüche der deutschen Bourgeoisie bildete und bildet. (Ein Beispiel: Als Hitler an die Macht kam, konnte er die Wiederaufrüstung der Reichswehr - nach ihrer massiven Abrüstung durch den Versailler Vertrag - dank dieser industriellen Kraft in kürzester Frist durchführen und Deutschland wieder zu einem waffenstarrenden Land machen.) Da der deutsche Kapitalismus andererseits, anders als beispielsweise die angelsächsischen Länder, deren wirtschaftliche Stärken im globalen kapitalistischen Finanzsektor liegen, nie einen sonderlich großen Einfluss auf die Finanzmärkte ausübte, kann er nicht auf seine industrielle Basis verzichten und etwa durch den Ausbau seiner Finanzinstitutionen kompensieren, wie es in Großbritannien, aber auch in den USA der Fall ist. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Brutalität der Angriffe, die das Kapital gegen die Arbeiterklasse in Deutschland in den letzten Jahren lanciert hatte.
Mit der Agenda 2010, Hartz IV, der Renten- und Gesundheitsreform kündigte Rot-Grün, ganz im Sinne der Herrschenden, den Wohlfahrtsstaat einseitig auf. Fortan galt das Versprechen auf einen sicheren Lebensabend und auf ein besseres Leben für die Kinder nicht mehr. Auch der zurzeit der sozialen Marktwirtschaft gepredigte Glaubenssatz: Wenn es der Firma gutgeht, geht es auch den Beschäftigten gut, ist nur noch Makulatur. Seither ist die Arbeiterklasse in Deutschland der vollen Wucht der Krisenmaßnahmen der Herrschenden ausgesetzt. Das Ergebnis ist eine unerhörte Prekarisierung immer größerer Teile der Arbeiterklasse: jener, deren Lebenshaltungskosten durch Hartz IV auf ein Minimum zusammengestrichen wurde und denen eine bittere Altersarmut droht, und jener, die als Zeitarbeiter, Tagelöhner, Praktikanten usw. für einen Hungerlohn schuften und denen die jederzeitige Arbeitslosigkeit droht. Nicht zu vergessen die andere “Hälfte” der Arbeiterklasse, die noch unter "regulären" Bedingungen ihre Arbeitskraft verkauft: Nachdem diese ArbeiterInnen in den letzten fünfzehn Jahren durch die Tarifabkommen bereits erhebliche Reallohneinbußen erlitten hatten, sehen sie sich spätestens seit letztem Jahr mit einer sprunghaft angestiegenen Inflation (mittlerweile bei drei Prozent) konfrontiert, die eine weitere Verminderung ihrer Konsumfähigkeit zur Folge hat.
Die Verschärfung der seit Ende der 60er Jahre schwelenden Überproduktionskrise und die damit einhergehenden Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der LohnarbeiterInnen vertreiben sukzessive die Illusionen, die unsere Klasse in diesem Gesellschaftssystem noch hat; sie erschüttern ihr Vertrauen gegenüber dem Kapitalismus als beste unter allen Gesellschaften, als das Nonplusultra in der Menschheitsgeschichte. Vor allem aber haben sie die Arbeiterklasse in Deutschland aus den Winterschlaf der Nach-Wende-Jahre gerissen und ihren Kampfgeist angestachelt. Letztere hat mit ihren Protesten, Streiks und Betriebsbesetzungen, die sich seit 2004 (Mercedes und Opel) häufen, unübersehbar bewiesen, dass die internationale Wende im Klassenkampf schon längst in Deutschland angekommen ist.
Dafür spricht nicht nur die reine Statistik, d.h. die deutlich gestiegene Quantität der Streiks, auf die wir bereits eingangs hingewiesen hatten, sondern auch und vor allem die neue Qualität der Kämpfe in den letzten drei Jahren. Sicherlich, verglichen beispielsweise mit den so genannten Septemberstreiks 1969 und den Streiks bei Ford 1973 in Westdeutschland, nimmt sich der aktuelle Klassenkampf, oberflächlich betrachtet, geradezu "langweilig" aus: keine wilden Streiks, keine Massenversammlungen, keine Aufruhrstimmung, alles fest in gewerkschaftlicher Hand. Doch der Vergleich zwischen '68 und den heutigen Arbeiterkämpfen hinkt in gewisser Weise. Damals traf die Arbeiterklasse auf völlig überrumpelte Gewerkschaften; ihre wilden Streiks ergaben sich quasi automatisch aus der Abwesenheit Letztgenannter. Heute dagegen hat es die Arbeiterklasse auch und gerade in Deutschland mit einem Gegner zu tun, der mit Argusaugen auf jede Regung von Widerstand in der Klasse achtet und ihn mit Finten, Täuschungsmanövern und Mimikry zu brechen versucht. Damals ging eine Arbeiterklasse zum Angriff über, die unbefangen und voller Illusionen über ihre Perspektiven im kapitalistischen Nachkriegsdeutschland war. Heute treffen wir auf eine Klasse, die wachsende Zweifel über eben diese Perspektiven hegt, aber noch vor der Ungeheuerlichkeit der Konsequenzen zurückscheut.
Darüber hinaus bergen die aktuellen Kämpfe unserer Klasse einen wichtigen Keim der Politisierung in sich, ist doch ein zentrales Anliegen vieler dieser Kämpfe die Frage der Solidarität. Schon der Kampf bei Daimler 2004, mit dem die jüngste Welle von Klassenkämpfen in Deutschland eingeläutet wurde, machte dies deutlich. Hier traten die Mercedesarbeiter in Bremen aus Protest gegen den Versuch des Vorstandes, sie gegen ihre KollegInnen in Sindelfingen auszuspielen, in den Streik. Aber auch die jüngsten Auseinandersetzungen an der Klassenfront standen im Zeichen der Solidarisierung: Im Falle der Nokia-Betriebsschließung in Bochum waren es die Arbeiter aus der nahegelegenen Opel-Fabrik, die in einen mehrstündigen Solidaritätsstreik traten und zudem der Nokia-Belegschaft anboten, sich im Falle eines Streiks bei Nokia anzuschließen. Im Falle des BVG-Streiks in Berlin, einer der längsten unbefristeten Streiks in der Geschichte der Bundesrepublik, waren es die jüngeren und neu eingestellten Kollegen, die sich aus Solidarität dem Streik der "Altbeschäftigten" anschlossen, was um so erstaunlicher ist, weil es sich hierbei um einen Akt der Solidarität der finanziell schlechter gestellten Kollegen mit ihren besser bezahlten Kollegen handelte.
Wir denken, es ist kein Zufall, dass die aktuellen Kämpfe - stärker als in der Periode von 1968 bis 1989 - ihr Augenmerk auf den Aspekt der Solidarität legen. Neben der Brutalität der Angriffe ist es vor allem die Tatsache, dass der deutsche Staat seine eigene "Solidarität" mit den LohnarbeiterInnen aufgekündigt hat. Unter dem Druck der Krise ist die herrschende Klasse gezwungen, den so genannten Wohlfahrtsstaat zu demontieren, der in den 50er und 60er Jahren auch aus politischen Gründen eingeführt worden war. "Vater Staat" sollte - dies war der Hintergedanke - mit seinen milden Gaben (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Ausbau der Renten- und Krankenversicherung sowie der Arbeitslosenversicherung) die proletarische Solidarität überflüssig machen. Die Tatsache, dass der Standort Deutschland Zahlungen in diesem Umfang sich nicht mehr leisten kann und sich auch nicht zu leisten gedenkt, zwingt die ArbeiterInnen dazu, den Solidaritätsgedanken wiederzubeleben. Dies wird nicht nur auf der Ebene des offenen Kampfes sichtbar, sondern auch im Privatleben unzähliger Arbeiterfamilien: Man denke nur an die vielen Fälle, in denen die Alten ihren Kindern und Enkeln finanziell unter die Arme greifen, wie auch umgekehrt.
Seit dem Ende der Konterrevolution im Allgemeinen und seit 1968 im Besonderen hat die Arbeiterklasse in Deutschland stets am internationalen Klassenkampf partizipiert, doch hinkte sie ständig ihren Klassenbrüdern und -schwestern im Ausland mehr oder weniger hinterher. Doch nun bahnt sich eine substanzielle Veränderung an: Seit 2004 übt die hiesige Klasse nicht nur eine aktive, sondern auch eine zunehmend führende Rolle im internationalen Arbeiterkampf aus. Wir gehen sogar so weit zu sagen, dass die französische Arbeiterklasse als eine Speerspitze des internationalen Klassenkampfes von der Arbeiterklasse Deutschlands begleitet wird. Man mag einwenden, dass die französische Studentenbewegung von 2006 die deutlichste Manifestation des Massenkampfes und der Selbstorganisierung war. Doch bei allem Enthusiasmus über den Kampf der StudentInnen in Frankreich gegen das CPE sollte man nicht übersehen, dass die Studentenschaft eher zur Peripherie der Arbeiterklasse gehört, da StudentInnen strenggenommen nur ansatzweise (als Jobber zur Finanzierung ihres Studiums) Lohnarbeiterstatus besitzen. In Deutschland dagegen gehen die Solidaritätsimpulse unter anderem vom industriellen Kernbereich der hiesigen Klasse aus. In Deutschland entwickelt sich in Teilen der Arbeiterkonzentrationen an Rhein, Ruhr und Neckar schon seit Jahren allem Anschein nach ein neues Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefühl für den Rest der Klasse. So haben bereits in den neunziger Jahren die Mercedes-ArbeiterInnen mit ihren Streiks den Versuch der Kohl-Regierung vereitelt, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken, und sie haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie dabei nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern auch und vor allem die Interessen aller Lohnabhängigen verteidigen.
Die Anzeichen mehren sich, dass die Arbeiterklasse in Deutschland wieder an ihre alte Rolle der Vorhut des internationalen Proletariats anknüpft, die sie insbesondere vor der Konterrevolution gespielt hatte. Denn wie das deutsche Kapital aufgrund seiner industriellen Potenz (s.o.), seiner geographischen Lage und der Bevölkerungsmasse Deutschlands (im Verhältnis zu den meisten anderen westlichen Industrieländern) eine Schlüsselstellung in der Weltwirtschaft innehat, so übte das deutsche Proletariat seit jeher eine Ausschlag gebende Funktion im internationalen Klassenkampf aus. Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert.
Vor dem Hintergrund des ungebrochenen Kampfgeistes der Arbeiterklasse ist auch eine Entwicklung zu verstehen, die sich auf allen Ebenen dieser Gesellschaft Platz verschafft - ein allgemeiner Linksrutsch. Die Sprache der Medien, der bürgerlichen Intellektuellen und Ideologen bedient sich wieder der sozialen Rhetorik; sie räumen freimütig die Existenz von Klassen und der Klassengesellschaft ein. Begriffe, die noch in den 90er Jahren, als die New Economy und das Enrichissez-vous das Maß aller Dinge waren, Unworte waren, die unwiderruflich der Vergangenheit angehörten.
Besonders die politische Klasse verbreitet neuerdings eifrig ihre Soziallyrik über die "Gerechtigkeitslücke", über die unangemessenen Managergehälter, über eine "soziale Politik". Den Anfang machte die SPD, mit Kurt Beck als neuen Parteivorsitzenden, als sie - gegen den Widerstand des Arbeitsministers und Parteifreundes Müntefering, aber mit Zustimmung ihrer Koalitionspartner CDU und CSU (!) - die Verlängerung der Auszahlungsfrist des Arbeitslosengeldes 1 (ALG 1) für ältere Arbeitnehmer durchsetzte. Dem schloss sich die Debatte über staatlich verordnete Mindestlöhne an, die besonders von der SPD und Teilen der CDU forciert wurde. Es ging weiter mit der von den Medien und Politikern aller Couleur entfesselten Kampagne gegen zu hohe Managergehälter, die in keinem Verhältnis zu den erbrachten Leistungen stünden. Vorläufiger Höhepunkt war aber die effektvoll inszenierte Vorführung des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post, Zumwinkel, als Steuersünder. Der eigentliche Adressat dieser Manöver ist die Arbeiterklasse. Ihr wachsendes Bewusstsein über den wahren Charakter des Kapitalismus, über seine Perspektivlosigkeit gilt es zu trüben. Der Linksrutsch von Parteien, Verbänden, Kirchen, Medien verfolgt vor allem den Zweck, neues Vertrauen der Arbeiterklasse zum Staat und den ihm angeschlossenen Institutionen zu wecken. Der Zorn der ArbeiterInnen soll - das alte Lied vom schwarzen Schaf - gegen Spitzenmanager, einzelne Branchen (Zeitarbeit, Callcenter) und Praktiken (Outsourcing) gelenkt werden. Der Staat dagegen erscheint in diesen Kampagnen als Gegenkraft zum Privatkapital, als Garant der "Gerechtigkeit". Er soll - so wird uns weisgemacht - die "Auswüchse" des entfesselten und globalisierten Privatkapitals eindämmen. Die Absicht liegt auf der Hand: Die Arbeiterklasse soll mit allen Mitteln davon abgebracht werden, grundsätzliche Fragen über das herrschende Gesellschaftssystem zu stellen.
Mit der Partei Die Linke hält die herrschende Klasse einen weiteren Trumpf gegen die Arbeiterklasse hierzulande in der Hand. Allen offiziellen Verteufelungen zum Trotz passt der Erfolg, den diese Linkspartei derzeit feiert, der deutschen Bourgeoisie vortrefflich ins Konzept. All die Kritik am Populismus der Linken kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Melange aus alten SED-Kadern und westdeutschen Gewerkschaftern aktiv gefördert wurde. Kein deutscher Politiker wird so häufig zu Polit-Talks im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eingeladen wie Oskar Lafontaine, dem auf diese Weise ein Forum geboten wird, auf dem er sich an ein Millionenpublikum wenden kann. Was versprechen sich die herrschenden Fraktionen der deutschen Bourgeoisie von der Linkspartei?
Es ist nicht im Interesse dieser Kreise, dass die derzeitige Regierungskonstellation, die Große Koalition, längerfristig Bestand hat. Denn eine solche Elefantenhochzeit birgt zwei entscheidende Nachteile in sich. Zum einen besteht die akute Gefahr einer Erosion beider "Volksparteien", insbesondere der SPD, die bereits einen historischen Tiefstand in den Meinungsumfragen erreicht hat. Zum anderen würde eine längerfristige Festlegung auf eine große Koalition zu einem nachlassenden Interesse in der Arbeiterklasse an den Wahlen führen, was nicht im Sinne der Herrschenden sein kann. In dieser Situation - ein Vier-Parteien-System, bei dem sich Rot-Grün und Schwarz-Gelb gegenseitig lahmlegen - kommt Die Linke wie gerufen. Mit ihr ist es möglich, diese Pattsituation aufzulösen. Und seitdem der SPD-Parteivorsitzende Beck der hessischen SPD-Vorsitzenden Ypsilanti freie Hand bei ihrem Vorhaben gewährt hatte, sich mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, kommt Bewegung in die politische Landschaft Deutschlands. Plötzlich kommt es in Hamburg zur ersten schwarz-grünen Liaison auf Länderebene, und FDP-Chef Westerwelle löst sich von seiner einseitigen Ausrichtung auf die CDU/CSU, was die Installierung der so genannten Jamaica-Koalition in den Bereich des Möglichen rückt. Mit anderen Worten: die herrschende Klasse in Deutschland besitzt wieder mehr Optionen, um auf Veränderungen in der sozialen Lage flexibel reagieren zu können. Darüber hinaus hat sich die deutsche Bourgeoisie mit der Linkspartei ein Mittel geschaffen, um jenen Teil der Arbeiterklasse, der im Begriff ist, sich von dieser Gesellschaft abzuwenden, wieder auf das parlamentarische Terrain zurückzulocken.
Auch in die Gewerkschaften ist Bewegung gekommen. Vor allem hat sich eine Entwicklung verfestigt, die sich bereits vor einigen Jahren mit der Gründung bzw. Verselbständigung der Vereinigung Cockpit und des Marburger Bundes abgezeichnet hatte und die jetzt mit der Erfolgsgeschichte der GDL fortgesetzt wird: die Wiederauferstehung eines extremen Korporatismus. Dies ist ärgerlich für die bisher tonangebenden Gewerkschaften Ver.di sowie Transnet und andere sozialdemokratisch geführte DGB-Gewerkschaften, die einen Teil ihres Einflusses und ihrer Pfründe fortan mit anderen teilen müssen, aber durchaus im Sinne der herrschenden Fraktionen. Denn der Korporatismus ist nur eine weitere Methode, die Kämpfe der ArbeiterInnen voneinander zu isolieren. Wie peinlich genau die Herrschenden auf die zeitliche und räumliche Abgrenzung der einzelnen Kämpfe achten, demonstriert der BVG-Streik. Nicht nur dass ein gleichzeitig drohender Streik der Lokführer in letzter Minute abgewendet wurde, indem Druck auf Bahnchef Mehdorn ausgeübt wurde, damit dieser endlich gegenüber der GDL einknickt. Darüber hinaus ist es Ver.di gelungen, ein Zusammengehen des BVG-Streiks mit dem Tarifkampf der anderen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes zu vermeiden, indem für die Tarifverhandlungen Letzterer eine Schlichtungskommission ins Leben gerufen wurde, was die Aussetzung eines möglichen Streiks der Müllmänner, Kita-Angestellter, LehrerInnen bedeutete. Doch der BVG-Streik zeigt noch etwas anderes. Die linken Fraktionen des Kapitals, mit den Gewerkschaften und Linksextremisten an vorderster Front, haben zunehmend Mühe, den Topf auf dem Deckel zu halten.
Der BVG-Streik ist eines von vielen Anzeichen dafür, dass die Bedingungen künftiger Massenstreiks langsam heranreifen. Denn viele Zeichen stehen auf Sturm: Einerseits kündigt sich mit der sehr wahrscheinlichen Rezession in den USA eine weitere Verschärfung der Krise und damit eine weitere Forcierung der Angriffe gegen die Arbeiterklasse an. Andererseits hat Letztere zu Genüge bewiesen, dass sie nicht gewillt ist, stillzuhalten und der Logik des Kapitals zu gehorchen. Mai 08
Zunahme der Arbeiterkämpfe weltweit Verarmung, Prekarisierung, Preissteigerungen von Lebensmitteln - vor all diesen Fragen stehen auf der ganzen Welt immer mehr Menschen. Die herrschende Klasse selbst ist besorgt über die weltweite Zuspitzung all dieser Phänomene. Heute schon verhungern jeden Tag 100.000 Menschen auf der ganzen Erde. Während der letzten drei Jahre sind die Lebensmittelpreise um 83% gestiegen. Der Weizenpreis ist sogar um 181% nach oben geschnellt. In den USA wurde Reis schon teilweise rationiert. Schon bei den großen Hungerkatastrophen der letzten Jahrzehnte - in der Sahelzone, Äthiopien, Darfur usw., welche von den Medien als eine "Naturkatastrophe" dargestellt wurden, war in Wirklichkeit das kapitalistische System verantwortlich. Jetzt werden immer mehr Menschen aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise mit dem Problem des Hungers konfrontiert. Jean Ziegler, UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Ernährung, erklärte: "Wir stehen vor einem langen Zeitraum von Aufständen, Konflikten, einer Welle von unkontrollierbaren Destabilisierungen ganzer Regionen". Selbst die Weltbank gesteht ein, dass "der Anstieg der Lebensmittelpreise kein vorübergehendes Phänomen" und diese weiter bis mindestens 2015 steigen würden. Immer mehr Menschen werden verhungern, weil das kapitalistische System in der Krise versinkt. Weil nunmehr die Immobilienspekulation nicht mehr lukrativ ist, stürzen sich die Spekulanten jetzt auf Rohstoffe, vor allem aber auf Grundnahrungsmittel.
In den letzten Monaten hat es schon Hungerrevolten in einer Reihe von Ländern gegeben (siehe dazu den Artikel in dieser Zeitung). In den meisten Ländern hat die herrschende Klasse mit Repression reagiert: Über 200 Protestierende wurden im Februar in Burkina Faso erschossen, mehr als 100 Tote im Kamerun. Auch in Haiti und Ägypten schossen Polizisten auf Demonstranten. Aber dieses Mal entwickelt sich neben dem Protest der Hungernden in den Ländern der 3. Welt eine wachsende Kampfbereitschaft der Arbeiter in den Industriestaaten. Auch in den modernen Arbeitslagern der "Schwellenländer" flammen immer mehr Kämpfe auf. Oft versucht die Propaganda der herrschenden Klasse die Ausgebeuteten zwischen Nord und Süd zu spalten, als ob die Menschen im Norden "privilegiert" und die Ausgebeuteten im Süden zu einem wirksamen Widerstand unfähig wären. Durch diese Beschuldigung "privilegiert" zu sein, sollen hinterlistig Schuldgefühle geweckt werden, obwohl in Wirklichkeit das System verantwortlich ist für die Misere. Aber diese Taktik geht so nicht mehr auf. Denn bei den jüngsten Abwehrkämpfen der Arbeiterklasse kam trotz des weit verbreiteten Individualismus immer mehr ein Streben nach Solidarität zum Ausdruck.
In den letzten Jahren haben sich immer mehr Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse entwickelt - sowohl in den ärmsten Ländern als auch in im Zentrum des Kapitalismus, insbesondere in Europa.
Seit mehr als zwei Jahren brechen immer wieder zahlreiche Kämpfe in Ägypten aus. Insbesondere die Textilfabrik Ghazl al-Mahalla im Norden Kairos stand im Mittelpunkt. Und immer wieder attackierte die Polizei die Beschäftigten. Weil die gewerkschaftliche Kontrolle über die Arbeiterkämpfe schwach ist, können die Kämpfe massiver werden und die Arbeiter radikalere Forderungen stellen. Auch haben die Arbeiter, weil sie ohne die Gewerkschaften kämpften, ihre Kämpfe leichter ausdehnen können. Die Bewegung hat auf andere Bereiche übergegriffen - Eisenbahnen, Finanzbeamte, Postbeschäftigte, Universitäten in Kairo, Alexandria, Mansur.
Im Iran erschütterte eine massive Streikwelle das Land. Im Januar streikten die Teheraner-Busfahrer. Im Februar demonstrierten die Arbeiter einer Zuckerfabrik für höhere Löhne. Im Norden und im Süden des Landes traten zahlreiche Beschäftigte in den Ausstand wegen nicht gezahlter Löhne. Immer wieder hießen die Slogans "Wir wollen essen". Jedes Mal reagierte die Regierung mit brutaler Repression. Normale Polizeikräfte und die Geheimpolizei VEVAK gingen gegen die Arbeiter vor. An mehreren Orten wurden Hunderte Streikende verhaftet.
Seit Anfang des Jahres wurden mehr als 150 Streiks in Vietnam registriert. Jüngst streikten 17.000 Arbeiterinnen einer Nike-Schuhfabrik im Süden Vietnams um Lohnerhöhungen durchzusetzen. Die Arbeiterinnen konnten nur die Hälfte der geforderten Lohnerhöhung erzwingen, aber nach gewalttätigen Auseinandersetzungen musste die Fabrik drei Tage lang geschlossen werden. 10.000 Beschäftigte einer Spielzeugfabrik in Danang traten ebenfalls in den Streik, um längere Urlaubszeiten und Zulagen zu erhalten.
In Rumänien haben die Renaultbeschäftigten des Dacia-Werkes eine Lohnerhöhung von 40% (=100 Euro) nach einem wochenlangen Streik durchsetzen können. Im Osten des Landes traten 4.000 Beschäftigte von Arcelo Mittal in Galati in den unbefristeten Ausstand. Sie wollten eine Verdoppelung ihrer Löhne, Wochenendzulagen und Beihilfen für die Familien von Stahlarbeitern durchsetzen, die einen Arbeitsunfall erlitten hatten oder gar durch einen Unfall ums Leben gekommen waren. Die Werksleitung hat sofort eine 12%ige Lohnerhöhung zugestanden. Aber der Streik wurde gerichtlich aufgrund von "Sicherheitsgründen beim Betrieb der Hochöfen" für verboten erklärten. Während die Kapitalisten immer mehr Arbeitsplätze verlagern und die Arbeiter in den westlichen Industriestaaten damit erpressen, zeigen diese Kämpfe in den "Billiglohnländern", dass auch dort die Arbeiter ausgebeutet werden und den gleichen Kampf wie ihre Klassenbrüder- und -schwestern im Westen zu führen haben. Überall auf der Welt muss die Arbeiterklasse für Solidarität und Zusammenschluss ihrer Kämpfe eintreten.
In Polen streikten im Januar und Februar die Bergarbeiter von Budryk in Omontowice in Schlesien 46 Tage lang, um Lohnanpassungen an die Löhne anderer Beschäftigter zu verlangen. Dies war der größte Streik seit 1989. Auch Bergwerke wurden dabei besetzt. Zwei Drittel der Bevölkerung unterstützte den Streik. Viele andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes legten ebenfalls die Arbeit nieder. Die große Streikwelle im Sommer 1980 war von der damals gegründeten Gewerkschaft Solidarnosc gebremst und schließlich sabotiert worden. Dieses Mal beschimpfte die Gewerkschaft Solidarnosc und die Gewerkschaftszentrale ZZG die Streikenden als "Lumpen". Bergarbeiterfrauen demonstrierten in Warschau zur Unterstützung ihrer Männer.
Aber der Widerstand der Arbeiter nimmt auch in den Industriezentren des Kapitalismus selbst zu.
In Großbritannien streikten am 24. April ca. 400.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gegen die sinkende Kaufkraft und die Angriffe der Labourregierung. Zum ersten Mal seit 21 Jahren wurde im Erziehungswesen gestreikt; dort allein streikten 200.000 Lehrer. Auch Beschäftigte der Stadtverwaltungen legten massiv die Arbeit nieder - wie in Birmingham 20.000. Beschäftigte der Ölraffinerien in Grangemouth in Schottland wehrten sich gegen Pensionskürzungen. In London drohten die Beschäftigten der U-Bahn mit einem dreitägigen Streik vom 6.-8. April, um gegen eine Absenkung des Sicherheitsstandards aus Kostengründen zu protestieren - die Geschäftsleitung gab nach.
In Deutschland gab es nach dem letztendlich erfolglosen Abwehrkampf der Nokianer gegen die Werksschließung in Bochum, bei denen sie von den Beschäftigten der benachbarten Opelwerke aktiv unterstützt wurden, eine Reihe von Arbeitsniederlegungen in der Stahlindustrie, die zu Lohnerhöhungen von 5.4% für die 93.000 Beschäftigten führten. Danach erlebte das Land eine Reihe von Tarifauseinandersetzungen, insbesondere im öffentlichen Dienst in der ersten Märzwoche. Die Gewerkschaften waren gezwungen, einen mehrere Wochen dauernden Streik bei der BVG in Berlin sowie Warnstreiks in den Krankenhäusern, Kita’s, an vielen Flughäfen und in den Verwaltungen zuzulassen. Unter dem Druck der Arbeiter drohte Verdi mit einem massiven, unbefristeten Streik Ende März/Anfang April für eine Lohnerhöhung von 8%, während die Arbeitgeberseite lediglich die Hälfte zugestehen und gleichzeitig eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit durchsetzen wollte. Zugleich drohte ein unbefristeter Streik bei der Deutschen Post ab Anfang Mai, da die Beschäftigten sowohl eine Lohnerhöhung von 7% als auch die Abwehr von Entlassungen anstrebten.
Während Verdi gezwungen war, den BVG-Streik in Berlin hinzunehmen, sorgte sie für ein Abwürgen des Streiks im öffentlichen Dienst in den anderen Bereichen, um die Beschäftigten des Transportbereiches in der Hauptstadt zu isolieren, sowie anschließend für einen Abschluss im öffentlichen Dienst, der die Lage an der Streikfront insgesamt beruhigen sollte. Der darauf folgende Abschluss bei der Post wird inzwischen von vielen Beschäftigten als Mogelpackung empfunden, da sowohl die ausgehandelten Lohnerhöhungen als auch die Arbeitsplatzgarantie genauso wie bei der Deutsche Bahn durch Ausgliederungen unterlaufen werden sollen. Zwar hat in Deutschland die Kapitalseite keine wesentlichen Angriffe zurückgenommen, und dennoch kann man als Bilanz der Kämpfe im ersten Halbjahr auch die Schlussfolgerung ziehen, dass die Herrschenden hier und da momentan höheren Abschlüssen, als sie sich gewünscht hätten, zustimmen mussten, um der Gefahr der Gleichzeitigkeit größerer Kämpfe vorzubeugen.
Auch bei den Streiks der Renault-Arbeiter in Rumänien ist auffallend, dass die Arbeiter zumindest einen Teil ihrer Forderungen durchgesetzt haben, obwohl die Regierung in Bukarest das Schreckgespenst der Abwanderung des Auslandskapitals an die Wand malte. Auch wenn die Weltarbeiterklasse die Verschlechterung ihrer Lage nicht verhindern kann, so zeigt sich doch, dass es sich lohnt, sich zur Wehr zu setzen, und der Konkurrenz unter den Lohnarbeitern die Solidarität der Arbeiterklasse entgegenzusetzen. Internationale Solidarität ist unsere Antwort auf die weltweite Erpressung durch das Kapital.
All diese Beispiele zeigen auf, dass die Arbeiter überall auf der Welt immer mehr aus den gleichen Gründen zum Kampf gezwungen werden. Zunächst und vor allem lassen Preissteigerungen und Lohnsenkungen das Überleben immer schwieriger werden. Hinzu kommen immer schlechtere, unerträglichere Arbeitsbedingungen, ein immer späteres Renteneintrittsalter mit immer geringeren Renten und der Perspektive der Altersarmut, immer prekärere Arbeitsbedingungen. Man muss die Entwicklung der letzten Jahre mit Abstand betrachten. Die Arbeiter fangen nicht nur an, langsam den Kampf wieder aufzunehmen, sondern die Kämpfe nehmen eine neue Dimension aufgrund ihrer internationalen Gleichzeitigkeit und ihrer Ausdehnung an. Die gemeinsame Wurzel der Arbeiterkämpfe in der Peripherie und dem Herz des Kapitalismus in der weltweiten kapitalistischen Krise wird immer deutlicher. Daraus werden in der Zukunft neue Perspektiven für die Zusammenführung der Kämpfe erwachsen. Diese Perspektive ist umso wichtiger, da ansonsten die Gefahr droht, dass die Herrschenden bei ihren Versuchen erfolgreicher werden, die Besitzlosen gegeneinander aufzuhetzen wie es derzeit in Johannesburg und anderen Großstädten Südafrikas geschieht.
Während die Kämpfe in der Peripherie massiver werden, kann man die gleiche Tendenz in den Industriezentren vernehmen, wo die Arbeiter über mehr Erfahrung verfügen, aber die Bourgeoisie auch beim Aufstellen von Fallen geschickter ist. Auch wenn sie immer unerträglicheren Bedingungen ausgesetzt ist, mit einer immer größeren Armut und einer immer heftigeren Repression konfrontiert wird, ist die Arbeiterklasse dazu fähig, sich zu wehren. Anstatt sich kampflos geschlagen zu geben, erhebt die Arbeiterklasse immer mehr die Stirn. Die Verteidigung unserer Würde ist eine zutiefst moralische Angelegenheit der Arbeiterklasse und die Verteidigung unserer Würde gibt uns Selbstvertrauen und stärkt unsere Kräfte.
Map, Mitte Mai 08
Wie in anderen Artikeln unserer Presse aufgezeigt, entwickelte sich Ende der 1960er Jahre eine internationale Protestbewegung, gegen den Vietnam-Krieg, gegen die ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Verschlechterung, die in vielen Ländern Keime einer Infragestellung der bestehenden Ordnung in sich trug. Die Bewegung in Deutschland setzte schon relativ früh ein, sie sollte auch eine größere internationale Ausstrahlung haben.
Nachdem es seit Mitte der 1960er Jahre immer häufiger vor allem zu Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg gekommen war, erhielten die Proteste eine neue Dimension, als am 1. Dezember 1966 die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD in Bonn gebildet wurde und Rudi Dutschke nur wenige Tage später, am 10. Dez 1966, zur Errichtung einer „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) aufrief. Wenn die wichtigste „linke“ Partei sich an der Regierung beteiligte, musste dies zu Enttäuschung und Abwendung von der SPD führen. Während die SPD emsig die Wahltrommel rührte und immer wieder für die Wahlbeteiligung warb, wurden die Proteste mehr auf die Straße getragen. Am Anfang dieser Bewegung stand eine gehörige Portion Illusionen über die bürgerliche Demokratie im Allgemeinen, und über die Sozialdemokratie insbesondere. Die Idee: Da es mit dem Eintritt der SPD in die Regierung keine größere Oppositionskraft mehr im Bundestag gäbe, müsse man diese Opposition von der Straße aus anfachen. Mit der immer offensichtlicher werdenden systemstützenden Rolle der Sozialdemokratie innerhalb der Großen Koalition aber richtete sich die „außerparlamentarische Opposition“ mehr gegen eine Vereinnahmung durch die bürgerliche Demokratie, gegen Wahlbeteiligung und sprach sich für direkte Aktionen aus. Diese Stoßrichtung war ein wichtiges Element bei dem langsamen Prozess der späteren Aufkündung des „Klassenfriedens“…
Die herrschende Klasse hatte sich veranlasst gesehen, die SPD als Reaktion auf das Wiederauftauchen der Wirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg wieder an die Regierung zu bringen. Nach dem lang andauernden Wirtschaftswunder fiel das Wachstum plötzlich ab 1965 stark ab. Auch wenn der Rückgang des Wachstums immer noch auf einem hohen Wachstumsniveau erfolgte und die damaligen Wachstumszahlen im Vergleich zu den gegenwärtigen niedrigen Wachstumszahlen noch „Traumzahlen“ waren, vollzog sich etwas Historisches. Das Nachkriegswirtschaftswunder war zu Ende. In der ersten Rezession 1967 verdreifachte sich nahezu die Zahl der Arbeitslosen von 0,16 auf 0,46 Millionen. Die Kapitalisten reagierten sofort mit Sparmaßnahmen. Erste Stellenstreichungen erfolgten; Sonderleistungen wie übertarifliche Zulagen wurden gestrichen. Auch wenn dies alles im Vergleich zu heute als geradezu ‚harmlos’ erscheint, war es für die gesamte Arbeiterklasse ein großer Schock. Das Gespenst der Krise war wieder da. Jedoch auch wenn die Krise plötzlich wieder hereingebrochen war, reagierte die Arbeiterklasse damals noch nicht mit einer größeren Streikbewegung. Dennoch beteiligten sich zwischen 1965-67 ca. 300.000 Arbeiter an diversen Arbeitskämpfen. Den Beginn einer bundesweiten Protestwelle markierte ein wilder Streik bei dem Druckmaschinenhersteller Faber und Schleicher in Offenbach im Dezember 1966, in dem es um die Entfernung eines Vorgesetzten ging, dem „Antreibermethoden“ vorgeworfen wurden. Hinzu kamen Konflikte über die Kontrolle der Arbeitszeit wie bei den ILO-Werken in Pinneberg bei Hamburg im September 1967. Nahezu alle entwickelten sich als wilde Streiks. Sie trugen nicht unwesentlich zur Stimmungsänderung vor allem bei jugendlichen Beschäftigten, insbesondere Lehrlingen bei (damals gab es keine nennenswerte Jugendarbeitslosigkeit, die meisten Jugendlichen verfügten über Erfahrung aus der Arbeitswelt). Nachdem zuvor jahrelang die Ideologie der Sozialpartnerschaft und die Botschaft vom „Vater“ Staat gepredigt worden war, entstanden nun erste Risse beim ‚sozialen Frieden’. Rückblickend betrachtet waren diese ersten kleineren Streiks nur „Vorläuferreaktionen“, welche letztendlich nur ein größeres Beben ankündigten, das in Deutschland erst 1969 eintreten sollte. Mit diesen zaghaften, wenig spektakulären Aktionen hatte die Arbeiterklasse in Deutschland dennoch ein wichtiges Signal ausgesendet, das auch der Protestbewegung der Studenten weiter Auftrieb verlieh. Auch wenn sich die Arbeiter in Deutschland damals nicht an die Spitze der internationalen Bewegung stellten, waren sie schon früh mit Abwehrreaktionen gegen die Krise dabei. Es war aber nicht so sehr die unmittelbare Heftigkeit der ersten Sparmaßnahmen, die etwas in Bewegung gesetzt hatte. Viel mehr waren auch die Regungen einer neuen Generation zu spüren. Nach den Entbehrungen der Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren und der Hungerjahre während des Krieges hatte der brutale Verschleiß von Arbeitskräften während des Nachkriegswiederaufbaus mit langen Arbeitsstunden und Niedrigstlöhnen einen höheren Konsum mit sich gebracht, aber gleichzeitig stellte dieses neue „Arbeitshaus“ etwas Abschreckendes insbesondere für die Jugend dar. Ein sehr diffuses Gefühl „das kann es doch nicht gewesen sein, wir brauchen etwas Anderes als nur Konsumgüter“. „Wir wollen nicht so erschöpft, abgestumpft, verschlissen, ausgemergelt sein wie unsere Eltern“, kam auf. Langsam trat eine neue, ungeschlagene Generation in Erscheinung, die den Krieg nicht mitgemacht hatte und jetzt nicht bereit war, die Schufterei der kapitalistischen Tretmühle widerstandslos hinzunehmen. Die Suche nach etwas Anderem, noch Undefinierten, begann
Die Bildung der „Außerparlamentarischen Opposition“ Ende 1966 selbst war wiederum nur ein Schritt einer größeren Regung unter den Jugendlichen, insbesondere den Studenten. Denn von 1965 an, noch bevor die Wirtschaftskrise wieder auftauchte, wurde in den Universitäten immer häufiger zu Vollversammlungen aufgerufen, in denen man in hitzigen Debatten über Mittel und Wege des Protestes stritt. An vielen Universitäten bildeten sich – dem US-Vorbild folgend – Diskussionsgruppen, als Gegenpol zur „etablierten“, bürgerlichen wurde die „kritische Universität“ gegründet. Aber auch in diesen Foren waren nicht nur Mitglieder des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) aktiv, die irgendwelche spektakulären, antiautoritären Protestformen beschlossen, sondern es wurde in dieser ersten Phase der Bewegung eine alte Tradition der Debatte, der Diskussionen in öffentlichen Vollversammlungen zum Teil wiederbelebt. Auch wenn sich viele durch den Drang zum spektakulären Handeln angezogen fühlten, blühte wieder das Interesse an Theorie, an der Geschichte revolutionärer Bewegungen auf und der Mut an den Gedanken der Überwindung des Kapitalismus auf. Bei vielen keimte Hoffnung auf andere Gesellschaft auf. Rudi Dutschke fasste diese im Juni 1967 folgendermaßen zusammen: „Die Entwicklungen der Produktivkräfte haben einen Prozesspunkt erreicht, wo die Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft materiell möglich geworden ist. Alles hängt vom bewussten Willen der Menschen ab,,ihre schon immer von ihnen gemachte Geschichte endlich bewusst zu machen, sie zu kontrollieren, sie sich zu unterwerfen…“ Eine Vielzahl von politischen Schriften der Arbeiterbewegung, insbesondere des Rätekommunismus, wurde wieder neu aufgelegt. Das Interesse an Arbeiterräten wuchs enorm. Die Protestbewegung in Deutschland galt international als die mit am „theoretischsten, diskussionsfreudigsten, politischsten“. Dabei kritisierte zunächst ein Großteil der Protestierenden wie z.B. Rudi Dutschke theoretisch oder zumindest gefühlsmäßig den Stalinismus. Dutschke sah diesen als doktrinäre Entartung des genuinen Marxismus zu einer neuen „bürokratischen“ Herrschaftsideologie. Er forderte auch im Ostblock eine durchgreifende Revolution zu einem selbstbestimmten Sozialismus.
Aus Protest gegen den Besuch des Schahs von Persien versammelten sich in West-Berlin am 2. Juni 1967 Tausende von Demonstranten. Die bürgerlich demokratische deutsche Regierung, die das blutige, diktatorische Regime des Schahs kritiklos unterstützte, war fest entschlossen, mit Polizeigewalt (Greiftrupps und Gummiknüppel) die Protestierenden in Schach zu halten. Bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen wurde dabei von einem Zivilpolizisten der Student Benno Ohnesorg hinterrücks erschossen (und nachher freigesprochen). Dieser Mord an dem Studenten rief eine enorme Empörung unter den sich politisierenden Jugendlichen hervor und sorgte für weiteren Auftrieb der Protestbewegung. In einem wenige Tage später am 9. Juni 1967 einberufenen Kongress "Hochschule und Demokratie" ließen nach der staatlichen Repression viele Diskussionen den Graben zwischen Staat und Gesellschaft deutlich werden. Gleichzeitig rückte eine weitere Komponente des Protestes immer mehr in den Vordergrund.
Wie in den USA war es 1965 und 1966 zu mehreren Kundgebungen und Kongressen gegen den Vietnamkrieg gekommen. Am 17./18. Februar 1968 wurde in West-Berlin ein Internationaler Vietnam-Kongress mit anschließender Demonstration von 12000 Teilnehmern abgehalten. Die kriegerische Eskalation im Nahen Osten mit dem Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und Ägypten im Juni 1967 sowie vor allem der Vietnamkrieg hatten die Bilder des Krieges in die Wohnungen gebracht. Gerade 20 Jahre seit dem Ende des 2. Weltkriegs waren vergangen, da wurde die neue Generation, die den 2. Weltkrieg selbst oft nicht, oder damals erst als kleine Kinder erlebt hatte, mit einem Krieg konfrontiert, der die ganze Barbarei dieses Systems vor Augen führte (permanente Bombardierung vor allem der Zivilbevölkerung, Einsatz von chemischen Waffen wie Agent Orange, Massaker von My Lai, auf Vietnam wurden mehr Bomben geworfen als im gesamten zweiten Weltkrieg.) Die jüngere Generation war nicht mehr bereit, sich in einem neuen Weltkrieg abschlachten zu lassen. Deshalb protestierten weltweit, vor allem in den USA und in Deutschland immer mehr gegen den Vietnamkrieg. Wie widersprüchlich und konfus die Bewegung jedoch damals war, zeigte sich anhand einer damals weit verbreiteten Grundidee, welche von R. Dutschke mit am klarsten vertreten wurde. Diese glaubte wie viele andere im SDS, der Vietnamkrieg der USA, die Notstandsgesetze in der Bundesrepublik und die stalinistischen Bürokratien im Ostblock hätten bei aller Verschiedenheit einen gemeinsamen Aspekt – sie seien Glieder der weltweiten Kette der autoritären Herrschaft über die entmündigten Völker. Die Bedingungen für die Überwindung des weltweiten Kapitalismus in den reichen Industriestaaten und der „Dritten Welt“ seien jedoch unterschiedlich. Die Revolution werde nicht von der Arbeiterklasse in Europa und den USA, sondern von den verarmten und unterdrückten Völkern der „Peripherie“ des Weltmarkts ausgehen. Deshalb fühlten sich viele Politisierte damals von den „anti-imperialistichen“ Theorien angezogen, welche die „nationalen Befreiungskämpfe als neue revolutionäre Kraft priesen“, obwohl es sich dabei in Wirklichkeit um imperialistische Konflikte – oft in Form von Stellvertreterkriegen handelte, bei denen die Bauern auf dem Altar des Imperialismus verheizt wurden. Auch wenn viele Jugendliche sich für die sogenannten nationalen Befreiungskämpfe in der 3. Welt begeisterten und auf den Antikriegsdemonstrationen für den Vietcong, Russland oder China eintraten, somit keine grundsätzlich internationalistische Position vertraten, wurde zunehmend spürbar, dass das grundsätzliche Unbehagen gegenüber dem Krieg zunahm, und dass sich vor allem viele Jugendliche nicht mehr für einen Krieg zwischen den beiden Blöcken einspannen lassen würden. Dass die herrschende Klasse in dem Frontstaat Deutschland immer mehr Probleme hatte, die Jugendlichen für ein globales imperialistisches Abschlachten einzuspannen, sollte von großer Bedeutung sein.
Schon von 1965 an hatte sich in zahlreichen Städten Widerstand gegen die „Notstandsgesetze“ formiert, welche den Staat mit umfassenden Rechten der Militarisierung im Inneren und verschärfter Repression ausstatten sollten. Die in die Große Koalition eingetretene SPD bestand auf diesem Vorhaben in alter Tradition (1) Nach dem Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 wurde im Frühjahr 1968 die Stimmung gegen die Protestierenden weiter aufgeheizt. Die Bild-Zeitung forderte: „Stoppt den Terror der Jungroten jetzt!“ Bei einer vom Berliner Senat organisierten „Pro-Amerika-Demonstration“ am 21. Februar 1968 trugen Teilnehmer Plakate mit der Aufschrift „Volksfeind Nr. 1: Rudi Dutschke“. Bei dieser Kundgebung wurde ein Passant mit Dutschke verwechselt, Demonstrationsteilnehmer drohten diesen totzuschlagen. Eine Woche nach der Ermordung Martin L. King in USA erreichte schließlich in Deutschland am „Gründonnerstag“ 11. April die Hetzkampagne ihren Höhepunkt durch das Attentat auf Rudi Dutschke in Berlin. In den darauf folgenden Osterrunruhen vom 11.-18. April, die sich hauptsächlich gegen die Springer-Presse richteten („Bild-Zeitung hat mitgeschossen“) starben zwei Menschen, Hunderte wurden schwer verletzt. Eine Spirale der Gewalt setzte ein. In Berlin flogen die ersten Molotowcoktails, die von einem Agenten des Verfassungsschutzes an Gewaltbereite verteilt wurden. In Frankfurt wurde das erste Kaufhaus in Brand gesteckt. Trotz eines Sternmarsches am 11.Mai 1968 auf Bonn mit 60.000 Teilnehmern boxte die Große Koalition in aller Eile die Notstandsgesetze durch. Während in Frankreich im Mai 68 (siehe dazu unsere Artikel) die studentischen Proteste durch die Arbeiterstreiks verdrängt wurden und die Arbeiterklasse wieder auf die Bühne der Geschichte zurückkehrte, waren in Deutschland die Proteste bereits im Mai 68 an einem Scheideweg angelangt. Eine Welle von Arbeiterstreiks sollte erst mehr als ein Jahr später im September 1969 ausbrechen. Nicht zuletzt deshalb fehlte es vor allem den meisten proletarisierten Protestierenden rasch an einem Bezugspunkt. Während sich ein Teil der Protestierenden gewaltsamen Aktionen zuwandte, und während sich viele, vor allem studentische Politisierte in den Aufbau von linken Organisationen (K-Gruppen) stürzten, um so besser an die „Arbeiter in den Fabriken heranzukommen“, sollten sich viele proletarisierte Protestierende von diesen Reaktionen abwenden und sich gewissermaßen zurückziehen. Auf die weitere Entwicklung nach Mai 68 in Deutschland werden wir im nächsten Teil eingehen. 2.5.08 TW (1) Die deutsche Bourgeoisie, setzte bereits 1918-19 Hetzkampagnen der Medien und Provokationen ein, um die Radikalen als gewaltsame Terroristen hinzustellen und zu isolieren. Siehe das Buch von Uwe Soukup, „Wie starb Benno Ohnesorg?“.
Seit einiger Zeit ist ein Bevölkerungsteil wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, von dem bis dahin (und besonders in den neunziger Jahren) nur als Objekt von Marketingstrategien Notiz genommen wurde - die junge Generation im Allgemeinen und die Arbeiterjugend im Besonderen. Begonnen hatte dies mit der Studentenbewegung in Frankreich 2006, wo sich die StudentInnen (und kommenden LohnarbeiterInnen) erfolgreich gegen die Angriffe der Regierung zur Wehr gesetzt hatten. Sie knüpften nicht nur an die besten Tugenden der Arbeiterbewegung an (Massenversammlungen, Öffnung gegenüber den Rest der Arbeiterklasse wie auch gegenüber den älteren Generationen, etc.), sondern demonstrierten wieder einmal die Vorreiterrolle, die die Jugend im Kampf für eine bessere Gesellschaft oftmals spielt. In der Tat mischte in der Geschichte der Arbeiterbewegung die Jugend wiederholt an vorderster Front mit. Noch nicht der Macht der Gewohnheit, der Routine des Alltags erlegen, ist die Bereitschaft, Überliefertes in Frage zu stellen und neue Wege zu beschreiten, in ihr oft stärker als in anderen Teilen der Arbeiterklasse ausgeprägt.
Wie kein anderer Teil der Menschheit ist die junge Generation im Allgemeinen und die Arbeiterjugend im Besonderen ein empfindlicher Seismograph, der jede gesellschaftliche Erschütterung zuverlässig anzeigt. Dies im positiven, aber auch im negativen Sinne. So finden schon seit einigen Jahren Entwicklungen statt, die Anlass zu tiefer Besorgnis geben. Ein wachsender Teil der Arbeiterjugend wird einer immer schlimmeren Verelendung überlassen. Dabei bezieht sich diese Verelendung nicht allein auf das materielle Wohl der heranwachsenden Generation von jungen ArbeiterInnen. Sie erfasst auch zunehmend den geistig-seelischen Zustand eines nicht unerheblichen Teils dieser Generation, der zwischen Körperkult und Todessehnsucht, Kriminalität und Trunksucht, Resignation, Ausländerhass und Fanatismus schwankt.
Greifen wir zwei Beispiele heraus: Seit Jahren verkünden die staatlichen Repressionsorgane, Polizei und Justiz, dass die Kriminalitätsrate in Deutschland allgemeinhin rückläufig sei. Allein die Jugendkriminalität habe auch im vergangenen Jahr zugenommen. Es fällt auf, dass dabei die Gewalt- und Rohheitsdelikte gegenüber Eigentumsdelikten überwiegen. Ob Amokläufe wie jener von Erfurt, sadistische Gruppenexzesse gegen Einzelne, Messerstechereien vor Diskotheken oder brutale, durch Nichtigkeiten ausgelöste Gewaltakte gegen wildfremde Menschen - all diese Untaten, fast immer von jungen Männern zwischen 16 und 25 begangen, zeichnen sich gleichermaßen durch ihre völlige Hemmungslosigkeit wie durch ihre totale Sinnlosigkeit aus.
Das zweite Beispiel für die geistige Verelendung eines wachsenden Teils der Arbeiterjugend ist ihr Alkoholkonsum, der alarmierende Ausmaße angenommen hat. Laut jüngsten Umfragen betrinkt sich nahezu die Hälfte der Jugendlichen in Deutschland mindestens zweimal im Monat bis zum Vollrausch. Immer öfter muss die Feuerwehr ausrücken, um schwer alkoholisierte Teenager auf den Straßen und Plätzen aufzusammeln. Rausch- und Wetttrinken sind gängige Praxis unter vielen Jugendlichen. Und die Spirituosenhersteller sowie die Gastronomie tragen ihr Teil dazu bei, um den Alkoholkonsum der Jugend zu forcieren. Ob mit der Herstellung so genannter Alcopops, mit denen ein neuer Käufer- und Konsumentenkreis erschlossen wurde, junge Frauen und Mädchen, oder mit Kampagnen wie das "Flatrate-Trinken".
Sowohl der steigenden Gewaltbereitschaft als auch dem grassierenden Alkoholismus ist eines gemeinsam: die Desperadomentalität eines wachsenden Teils der Jugend, ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer oder der eigenen Gesundheit. Sie sind der Aufschrei verängstigter Seelen, die ein Leben ohne Perspektive und Hoffnung vor sich wähnen. Eine lebende Manifestation des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft.
Es ist keine Küchenpsychologie, wenn man einen Zusammenhang zwischen der nun schon seit 40 Jahren sich langsam, aber stetig verschärfenden Krise des Weltkapitalismus einerseits und der Verelendung und Verrohung junger Menschen andererseits vermutet. Ein ständig wachsender Teil der Arbeiterjugend, besonders aus den sog. Unterschichten, den "bildungsfernen" Familien, fühlt sich um sein Leben betrogen. Ihre Schulzeit auf dem Abstellgleis "Hauptschule" verbringend, ohne jede Aussicht auf einen Arbeitsplatz, mit dem sie sich selbst oder gar eine Familie ernähren können, sehen sich diese Jugendlichen aus der Gesellschaft ausgeschlossen und um ihre Menschenwürde gebracht. Angesichts dieses Gemütszustandes reicht oftmals ein kleiner Funken, um eine Explosion der Aggressionen und Gewalt auszulösen. Und auch jene Teile der Arbeiterjugend, die noch in intakten Familien und Verhältnissen leben, sind Opfer einer immer mörderischeren Konkurrenz. Sie sehen sich einem immensen Druck ausgesetzt, der sich im Schulstress, in Versagensängsten, in der Gewissheit äußert, dass ein schlechter Schulabschluss oder die falsche Schule ein Leben als prekär Beschäftigter und Hartz IV-Empfänger bedeuten kann. Was Wunder, dass immer mehr Jugendliche immer häufiger und immer früher die Flucht in den Alkohol und anderen Drogen suchen, um sich diesem Leistungsdruck entziehen.
Neben den materiellen, von der Krise des Kapitalismus bedingten Ursachen spielt auch der massive Werteverfall in der Gesellschaft eine gewichtige Rolle bei der Verelendung der jungen Generation. Einerseits bietet die traditionelle Ideologie der herrschenden Klasse immer größeren Teilen der Arbeiterjugend keine Heimat mehr. Ihre Versatzstücke (Familie, Karriere, Nation, etc.) lösen sich im Strudel der Krise des Kapitalismus auf. Ihnen ist schon längst die Fähigkeit abhanden gekommen, die Arbeiterklasse und insbesondere ihre Jugend für ihre ultimo ratio zu mobilisieren. Andererseits ist es der Arbeiterklasse, die gerade dabei ist, ihre Identität wiederzuentdecken, insgesamt noch nicht gelungen, in diese Lücke zu stoßen, d.h. über den bloßen, ökonomischen Widerstand hinauszugehen und ihre historische Alternative wieder in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Noch werden ihre Werte vom Chor des Nihilismus, Hedonismus und des Gewaltkultes übertönt. Das Ergebnis dieses Patts: Die Gesellschaft zerfällt in ihre einzelnen Bestandteile, ihre sozialen und moralischen Bande lösen sich zusehends auf. Einer der Hauptleidtragenden des gesellschaftlichen Zerfalls ist die Jugend, die noch auf der Suche nach einer persönlichen Identität, nach einem Platz in der Gesellschaft ist.
Doch es gibt Anlass zur Hoffnung. Die Arbeiterklasse hat mit der seit 2003 nicht abreißenden Kette von Streiks überall auf der Welt, von Ägypten bis Bangladesh, von Europa bis zu den USA, ein neues Kapitel in ihrem Kampf aufgeschlagen. Es gibt Indizien dafür, dass - anders als die Kämpfe zwischen 1968 und 1989, die letztlich an ihrer fehlenden Politisierung scheiterten - die neue Welle von Kämpfen tiefer gehen wird. Objektive Indizien wie die Tiefe der Krise heute, die keinen Platz für Illusionen mehr lässt, und subjektive Anzeichen wie die Arbeitersolidarität, die bereits in dem einen oder anderen Kampf aufkeimt, oder wie die Massenstreiks, die da und dort, namentlich in Ägypten und Bangladesh, aufflammen. In der Tat ist die Politisierung und Ausweitung des Klassenkampfes der einzige Weg, um den gordischen Knoten, die gegenseitige Neutralisierung der beiden gesellschaftlichen Hauptklassen, zu zerschlagen und eine neue revolutionäre Epoche einzuleiten.
Letztendlich wird erst der revolutionäre Klassenkampf der Arbeiterjugend eine Heimat schaffen und ihren Enthusiasmus wecken. Doch schon jetzt können wir ein wachsendes Interesse junger Menschen an Alternativen feststellen. Sicherlich nimmt sich die Zahl dieser jungen Leute im Vergleich mit dem Rest ihrer Generation noch lächerlich gering aus, doch gegenüber der Lage in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts handelt es sich hier um eine nicht unbedeutende Entwicklung. Sie könnte der Vorbote einer viel breiteren Bewegung in der Zukunft sein, in der die Arbeiterjugend mit ihrem Elan und ihrer Begeisterungsfähigkeit, mit ihrer Unbekümmertheit und Unerschrockenheit wieder an die Spitze der Klassenbewegung rücken wird. 5/08, Conny
Dieser Artikel wurde zum ersten Mal in unserer Zeitung Weltrevolution Nr. 90 - 1998 - veröffentlicht.
Es überrascht nicht, dass die demokratischen Siegermächte des 2. Weltkriegs - die französische, britische und amerikanische Bourgeoisie - dieses Jahr die Gelegenheit ausgenutzt haben, um den 50. Jahrestag der Berliner Luftbrücke, die am 26. Juni 1948 anfing, zu feiern. Die Luftbrücke wird als angeblicher Beweis für die Menschenfreundlichkeit der westlichen demokratischen Imperialismen und ihrer Gnade mit einer besiegten Nation dargestellt, und andererseits gilt sie als Aushängeschild des Widerstands gegen die Bedrohungen durch den russischen Totalitarismus. Damals habe die Luftbrücke einen Zeitraum von Frieden und Wohlstand ermöglicht. Mehr als ein Jahr lang wurden in 277.728 Flügen durch amerikanische und britische Maschinen nach Westberlin über 2.3 Mio. Tonnen Hilfsgüter eingeflogen, da der sowjetische Imperialismus die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten hatte. Die scheinbare Friedensliebe, die Freiheit und Menschenwürde, die diese historische Episode angeblich belege, seien heute noch den Medien und Politikern der westlichen imperialistischen Staaten zufolge lebendig.
Nichts aber liegt der Wirklichkeit ferner, denn, wenn man sowohl die blutige Geschichte der letzten 50 Jahre im allgemeinen wie auch die wirkliche Bedeutung der Berliner Luftbrücke selber vor Augen hat, kann man das Gegenteil sehen. In Wirklichkeit nämlich verdeutlichte die Luftbrücke eine Wende in der imperialistischen US-Politik. Deutschland sollte nicht mehr deindustrialisiert und in ein Bauernland verwandelt werden, wie es die Potsdamer Konferenz von 1945 vorgesehen hatte, sondern es sollte nunmehr als ein Bollwerk des neu geschaffenen westlichen imperialistischen Blocks gegen den Ostblock eingesetzt werden. Dieser Kurswechsel des westlichen Imperialismus kann nicht durch irgendein Mitleid erklärt werden. Der Grund für die Umorientierung lag in der Bedrohung durch den russischen Imperialismus, der dabei war, sich weiter nach Westeuropa auszudehnen, nachdem es dort nach den gewaltigen Massenabschlachtungern und Zerstörungen während des 2. Weltkriegs zu großen ökonomischen und politischen Zerrüttungen gekommen war. So war die Berliner Luftbrücke, während sie auf der einen Seite ein Mittel war, eine hungernde Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen, auf der anderen Seite ein clever ausgedachtes Propagandakunststück, um das Elend der vorangegangenen Jahre zu übertünchen und die neue Orientierung der westdeutschen und westeuropäischen Bevölkerung zu vermitteln, die von da an zur Geisel in dem gerade begonnen Kalten Krieg werden sollten. Neben den Rettungsflugzeugen wurden drei US-Bomberverbände nach Europa verlegt, die die sowjetischen Stellungen in die Reichweite der US-B-29 rücken ließen...
Dennoch gab es trotz des Besuchs von US-Präsident Clinton in Berlin anlässlich dieses Ereignisses nicht soviel Aufheben um dieses Thema. Eine wahrscheinliche Erklärung, weshalb dieses Thema nicht so groß in den Vordergrund gerückt wurde, besteht darin, dass zu ausschweifige Feiern unliebsame Fragen aufkommen ließen hinsichtlich der wirklichen Politik der Alliierten gegenüber der Arbeiterklasse in Deutschland während und in der unmittelbaren Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Zu viel Heuchelei der Demokratien und ihre eigenen Verbrechen gegen die Menschheit würden zutage treten. Dadurch würde auch die Position der Kommunistischen Linken bestätigt, die sowohl die demokratischen und stalinistischen als auch die faschistischen Ausdrücke des dekadenten Kapitalismus während der letzten 70 Jahre unaufhörlich entblößt hat.
Die IKS hat oft mit anderen politischen Tendenzen der Kommunistischen Linken gezeigt, wie die Verbrechen der Alliierten Imperialisten während des 2. Weltkriegs nicht weniger ruchlos waren als die der faschistischen imperialistischen Staaten (1). Sie waren das Ergebnis des Kapitalismus auf einer besonderen Stufe seines historischen Niedergangs. Die Feuerbomben auf deutsche und japanische Großstädte am Ende des Krieges zeigten die unechte Menschenfreundlichkeit der Alliierten. Die Bombardierung all der dicht bevölkerten Zentren in Deutschland verfolgte nicht das Ziel, militärische oder gar ökonomische Ziele zu zerstören. Die Zerrüttung der deutschen Wirtschaft am Kriegsende war nicht auf die ‘Flächenbombardierungen’ zurückzuführen sondern auf die Zerstörung des Transportsystems (2). Im Gegensatz: die Bombardierungen dienten gerade dazu, die Arbeiterklasse zu dezimieren und zu terrorisieren und den Ausbruch einer revolutionären Bewegung aus dem Chaos der Niederlage zu verhindern, wie das 1918 der Fall gewesen war.
Aber das Jahr 1945, der Neuanfang, brachte kein Ende des Schreckgespenstes.
‘Die Potsdamer Konferenz und die Übereinstimmung zwischen den Alliierten vom März 1946 führten zu konkreten Entscheidungen der Reduzierung der deutschen Industriekapazitäten auf ein niedriges Niveau; gleichzeitig sollte der Landwirtschaft eine größere Priorität eingeräumt werden. Um die Gefahr auszuschalten, dass die deutsche Wirtschaft wieder Krieg führen könnte, wurde Deutschland vollständig untersagt, strategische Produkte herzustellen wie Aluminium, synthetischen Gummi und synthetische Benzine. Darüber hinaus sollte Deutschland gezwungen werden, seine Stahlkapazitäten auf 50% des Niveaus von 1929 zu reduzieren, und die überschüssigen Anlagen sollten demontiert und in die Siegerlände sowohl im Osten wie im Westen verfrachtet werden.’ (3)
Es ist nicht schwer sich vorzustellen, welche ‘konkreten Beschlüsse’ hinsichtlich der materiellen Lage der Bevölkerung gefaßt worden waren: ‘Nach der Kapitulation im Mai 1945 wurden Schulen und Universitäten sowie Radiosender, Zeitungen, das Rote Kreuz und die Post geschlossen. Deutschland verlor Kohle, die Ostgebiete (die 25% des bebaubaren Ackerlandes ausmachten), Industriepatente, Bauholz, Goldreserven und einen Großteil seiner Arbeitskraft. Truppen der Alliierten plünderten und zerstörten ebenso Fabriken, Büros, Labors und Werkstätten... Am 8. Mai, dem Tag der Kapitulation im Westen, setzte man deutsche und italienische Gefangene in Kanada, Italien, den USA und in Großbritannien, die zuvor gemäß dem Genfer Abkommen ernährt worden waren, auf stark reduzierte Rationen (...).
Ausländische Hilfsorganisationen wurden daran gehindert, Lebensmittel aus dem Ausland zu schicken. Züge des Roten Kreuz mit Lebensmitteln wurden in die Schweiz zurückgeschickt. Allen ausländischen Regierungen wurde verboten, an deutsche Zivilisten Lebensmittel zu schicken. Lebensmittel wurden im ersten Jahr beschlagnahmt, insbesondere in der französischen Besatzungszone. Die Fischereiflotte mußte im Hafen verbleiben, während Menschen Hunger litten.’ (4)
Deutschland wurde in der Tat durch die russischen, britischen, französischen und US-amerikanischen Besatzungsmächte zu einem Todeslager. Die westlichen Demokratien verhafteten 73% aller deutschen Kriegsgefangenen in ihren Besatzungszonen. Ein größerer Teil der deutschen Bevölkerung starb nach dem Krieg als während der militärischen Auseinandersetzungen, Luftangriffe und in den KZ während des Krieges. Zwischen 9 und 13 Millionen Menschen starben wegen der Politik der Alliierten zwischen 1945-50. Es gab drei Schwerpunkte dieses Völkermordes. Erstens unter den insgesamt 13.3 Millionen Volksdeutschen, die aus den östlichen Teilen Deutschlands, Polens und der Tschechoslowakei, Ungarn usw. vertrieben worden waren, wie es das Potsdamer Abkommen zugelassen hatte. Diese ethnische Säuberung war so human, dass nur 7.3 Mio. Menschen an ihrem Zielort innerhalb der Nachkriegsgrenzen Deutschlands eintrafen, der Rest ‘verschwand’ unter den schrecklichsten Bedingungen. Zweitens unter den deutschen Kriegsgefangenen, die infolge der Hungersnot und der Lebensbedingungen in den Gefangenenlagern der Alliierten starben - eine Gesamtzahl von 1.5-2 Mio. Menschen. Schließlich unter der Bevölkerung allgemein, die mit einer Lebensmittelration von 1000 Kalorien pro Tag auskommen mußte, womit der sichere Hungertod und Krankheiten vorprogrammiert waren. 5.7 Mio. starben unter diesen Umständen.
Das volle Ausmaß dieser unvorstellbaren Barbarei bleibt das best gehütete Geheimnis des demokratischen Imperialismus. Selbst die deutsche Bourgeoisie vertuscht bis heute diese Tatsachen, so dass man sie nur mühselig durch Nachforschungen zusammentragen kann, indem man Ungereimtheiten in den offiziellen Statistiken und Berichten aufdeckt. Zum Beispiel schätzt man die Zahl der Zivilisten, die während dieses Zeitraums starben, unter anderem anhand des gigantischen Rückgangs der Bevölkerungszahl, die durch die Volkszählung in Deutschland 1950 ermittelt wurde. Die Rolle des demokratischen Imperialismus bei dieser Auslöschungskampagne wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Öffnung der sowjetischen Archive ein wenig mehr erhellt. Für einen Großteil des Bevölkerungsrückgangs, der zuvor vom Westen der UdSSR angekreidet worden waren, erweist sich nun der Westen verantwortlich: viel mehr Kriegsgefangene starben beispielsweise in den Kriegsgefangenenlagern der Westmächte als in denen der sowjetisch besetzten Zone. Ihr Tod wurde einfach nicht registriert oder unter anderen ‘Ursachen’ verbucht. Das Ausmaß dieses Abschlachtens ist nicht überraschend, wenn man sich die Bedingungen vergegenwärtigt: vielen Gefangenen wurde kein Essen und kein Dach über dem Kopf angeboten, aus den Krankenhäusern Entlassene verstarben schnell, nachts wurden viele mit Maschinenpistolen willkürlich erschossen, weil man ‘Spaß am Schießen hatte’, oder sie kamen um in den Höhlen, die sie aus Schutz vor der Kälte gegraben hatten, welche von Planierraupen niedergewalzt wurden. Strafgefangene durch Zivilisten zu ernähren, wurde als Schwerverbrechen bestraft (4).
Das Ausmaß der Aushungerung der Zivilbevölkerung, nach dem Krieg zählte man allein 7.5 Millionen Menschen als obdachlos, kann auch aus den Rationen erlesen werden, die ihnen von den westlichen Besatzungsmächten zugestanden wurden. In der französischen Besatzungszone, wo die Lage am schlimmsten war, betrug 1947 die Ration 450 Kalorien pro Tag, die Hälfte der Ration des berühmt-berüchtigten KZ’s in Bergen-Belsen. Nichtsdestotrotz verzeichneten die Militärbehörden normale Sterbezahlen in den von ihnen kontrollierten Gebieten, weshalb man davon ausgehen muß, dass die Sterblichkeitsrate vermutlich doppelt so hoch lag.
Die westliche Bourgeoisie stellt diese Zeit als eine ‘Anpassungsphase’ für die deutsche Bevölkerung nach den unvermeidlichen Kriegsschrecken des 2. Weltkriegs dar. Die Entbehrungen waren eine ‘natürliche’ Folge der Zerrüttungen nach dem Krieg. Auf jeden Fall, so argumentiert die Bourgeoisie, verdiente die deutsche Bevölkerung solch eine Behandlung als Vergeltung für die Auslösung des Krieges und um so für die Kriegsverbrechen des Nazi-Regimes zu sühnen. Dieses ‘Vergeltungs- argument’ ist besonders heuchlerisch aufgrund mehrerer Faktoren. Erstens, weil die vollständige Zerstörung des deutschen Imperialismus ohnehin schon ein Kriegsziel der Alliierten war, bevor sie beschlossen, das ‘große Alibi’ der Konzentrationslager - Auschwitz- als Rechtfertigung zu benutzen. Zweitens: diejenigen, die direkt für den Nationalsozialismus und seine imperialistischen Ziele verantwortlich waren - die deutsche Bourgeoisie - gingen relativ unversehrt aus dem Krieg und seinen Folgen hervor. Während viele führenden Gestalten bei den Nürnberger Prozessen verurteilt wurden, wurde die Mehrzahl der Naziführer und Funktionäre ‘umgesattelt’, und sie konnten im neuen demokratischen Staat, den die Alliierten geschaffen hatten, neue Stellen übernehmen (5). Das deutsche Proletariat hingegen, das am meisten unter der Politik der Alliierten in der Nachkriegszeit litt, trug keine Verantwortung für das Naziregime: die Arbeiter in Deutschland waren die ersten Opfer gewesen. Die alliierte Bourgeoisie, die Hitlers Niederschlagung der Arbeiterklasse nach 1933 unterstützt hatte, zielte auf eine ganze Generation von Arbeitern in Deutschland während und nach dem Krieg, nicht weil sie wegen der Hitlerära Vergeltung üben wollten, sondern weil sie das Gespenst der deutschen Revolution bannen wollten, das sie aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg verfolgte.
Erst als die mörderischen Ziele erreicht waren, und als der US-Imperialismus begriff, dass die Erschöpfung Europas nach dem Krieg die Vorherrschaft Russlands über den ganzen Kontinent herbeiführen könnte, wurde die Politik von Potsdam geändert. Der Wiederaufbau Westeuropas erforderte den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft. Dann konnte der Reichtum der USA, der zum Teil durch die Reparationsleistungen und Plünderungen in Deutschland weiter angeschwollen war, für den Marshall-Plan verwendet werden, um zu helfen, die Bastion Europa zu errichten, die später zum westlichen Block werden sollte. Die Berliner Luftbrücke von 1948 sollte das Symbol dieses Strategiewechsels sein.
Es handelte sich nicht um ein Symbol wirklichen Wohlwollens, sondern es war ein zynischer Trick des Imperialismus, um die Spuren seiner Verbrechen zu verwischen und gleichzeitig die Bevölkerung für neue Katastrophen vorzubereiten und dieselben zu rechtfertigen.
Die Verbrechen des Imperialismus in ihrer stalinistischen und faschistischen Form sind gut bekannt. Wenn die Verbrechen des demokratischen Imperialismus der Weltarbeiterklasse besser bekannt sind, dann wird das Ausmaß der welthistorischen Aufgabe des Proletariats besser zu erkennen sein. Es wundert nicht, wenn die Bourgeoisie die Erkenntnisse und Positionen der Kommunistischen Linke zu dieser Frage mit den Lügen der Extremen Rechten und dem ‘Negationismus’ in einen Topf zu schmeissen sucht. Die Bourgeoisie möchte die Tatsache verheimlichen, dass Völkermord keine abscheuliche Ausnahme ist, die von verrückten und teuflischen Menschen begangen wird, sondern die generelle Herrschaft der Geschichte des dekadenten Kapitalismus ist. Como
(nach einem Artikel aus International Review Nr. 95 (engl./franz./span. Ausgabe)
(1) Internationale Revue, Nr. 19: Hiroshima, Die Lügen der Bourgeoisie, engl. Ausgabe Internationale Revue Nr. 88: Der Antifaschismus rechtfertigt die Barbarei, Nr. 89: Die Alliierten und Nazis sind beide verantwortlich für das Holocaust
(2) Siehe ‘The Strategic Air War Against Germany 1939-45, Der offizielle Bericht der britischen Bombereinheiten, der jetzt erst veröffentlicht wurde.
(3) Herman Van der Wee, Prosperity and Upheaval, Pelican 1987,
(4) James Bacque, Crimes and Mercies, The Fate of German Civilians Under Allied Occupation 1945-50. Warner Books
(5) Tom Bower, Blind Eye to Murder
In den meisten Büchern und Fernsehsendungen, die sich in der letzten Zeit mit dem Thema Mai 1968 befassten, wird der internationale Charakter der Studentenbewegung, welche in Frankreich zu jener Zeit im Gange war, unterstrichen. Es herrscht, wie wir auch in früheren Artikeln festgestellt haben, Einverständnis darüber, dass die Studenten in Frankreich nicht die ersten waren, die massiv auf den Plan traten. Sie waren sozusagen auf den fahrenden Zug aufgesprungen, welcher in den US-amerikanischen Universitäten im Herbst 1964 in Gang gesetzt wurde. Von den USA ausgehend, hatte diese Bewegung die meisten westlichen Ländern erfasst und dabei in Deutschland 1967 seinen spektakulärsten Höhepunkt erlebt, was die Studenten in Deutschland zu einem "Bezugspunkt" für die Studenten Europas machte. Aber die gleichen Journalisten oder „Historiker“, die vorbehaltlos das internationale Ausmaß der Studentenproteste Ende der 1960er Jahre unterstreichen, hüllen sich in allgemeines Schweigen über die Arbeiterkämpfe, die damals weltweit stattfanden. Natürlich können sie den gewaltigen Streik, der den wichtigsten Moment der Ereignisse des Jahres 1968 in Frankreich darstellt, nicht einfach ausblenden und schweigend darüber hinweggehen. Aber wenn sie sich dazu äußern, dann nur, um zu sagen, die Bewegung der Arbeiter sei eine auf Frankreich beschränkte Ausnahmeerscheinung, gewesen.
In Wirklichkeit war die Bewegung der Arbeiterklasse in Frankreich ebenso wie die der Studenten, Teil einer internationalen Bewegung, und sie kann auch nur im internationalen Kontext verstanden werden. Dies wollen wir unter anderem im folgenden Artikel aufzeigen.
Es stimmt, dass die Lage in Frankreich im Mai 1968 eine besondere war, die in keinem anderen Land in dem Ausmaß vorzufinden war, allenfalls marginal: eine massive Bewegung der Arbeiterklasse, die sich von der Studentenbewegung ausgehend entwickelt hatte. Es ist offensichtlich, dass die Mobilisierung der Studenten, die danach einsetzende Repression – welche Ersteree wiederum anfachte – sowie das Zurückweichen der Regierung nach der "Nacht der Barrikaden" (2) vom 10. auf den 11. Mai eine Rolle nicht nur bei der Auslösung der Arbeiterstreiks, sondern auch beim Ausmaß derselben gespielt haben. Aber wenn die Arbeiterklasse in Frankreich solch eine Bewegung ausgelöst hat, dann geschah dies nicht, weil sie "dem Beispiel der Studenten folgen" wollte, sondern weil in ihren eigenen Reihen eine tiefe und weit verbreitete Unzufriedenheit, aber auch die politische Kraft herrschte, um solch einen Kampf aufzunehmen.
Dieser Tatbestand wird in der Regel durch die Bücher und Fernsehprogramme, welche sich mit Mai 68 befassten, nicht verheimlicht. Es wird oft in Erinnerung gerufen, dass die Arbeiter von 1967 an wichtige Kämpfe geführt haben, die sich in vielem von der Zeit davor unterschieden. Während die kleinen, harmlosen Streiks und die gewerkschaftlichen Aktionstage keine große Begeisterung hervorriefen, flammten nunmehr sehr heftige Konflikte auf, mit einer großen Entschlossenheit der Beschäftigten, die mit einer gewaltsamen Repression durch die Arbeitgeber und die Polizei konfrontiert wurden und unter denen die Gewerkschaften mehrfach die Kontrolle verloren hatten. So kam es schon Anfang 1967 zu größeren Zusammenstößen in Bordeaux (im Flugzeugwerk Dassault), in Besançon und in der Gegend von Lyon (Streik und Besetzung in Rhodia, Streik bei Berliet mit anschließender Aussperrung der Arbeiter durch die Arbeitgeber und Besetzung des Werkes durch die Bürgerkriegspolizei CRS), in den Bergwerken Lothringens, in den Schiffswerften von Saint-Nazaire (die am 11. April durch einen Generalstreik lahmgelegt wurden).
In Caen in der Normandie fanden die wichtigsten Kämpfe der Arbeiterklasse vor dem Mai 1968 statt. Am 20. Januar 1968 hatten die Gewerkschaften von Saviem (LKW-Hersteller) zu einem anderthalbstündigen Streik aufgerufen, aber die Gewerkschaftsbasis, die diese Maßnahme als unzureichend betrachtete, trat am 23. Januar spontan in den Streik. Am übernächsten Tag, um 4.00h morgens, griff die CRS die Streikposten an und vertrieb sie, um den Managern und den Streikbrechern den Zugang zur Fabrik zu ermöglichen. Die Streikenden beschlossen, in das Stadtzentrum zu ziehen, wo sich ihnen Arbeiter anderer Betriebe anschlossen, die ebenfalls in den Streik getreten waren. Um acht Uhr morgens bewegten sich ca. 5.000 Menschen friedlich auf das Stadtzentrum zu, bis sie von der Bürgerkriegspolizei brutal angegriffen wurden. So schlugen diese mit ihren Gewehrkolben auf die Demonstranten ein. Am 26. Januar bekundeten Beschäftigte aus allen Bereichen (unter ihnen Lehrer) wie auch viele Studenten ihre Solidarität. An einer Solidaritätsveranstaltung um 18 Uhr auf dem Marktplatz beteiligten sich ca. 7.000 Menschen. Am Ende der Veranstaltung griff die CRS erneut an, um den Platz zu räumen – aber sie wurde vom heftigen Widerstand der Arbeiter überrascht. Die Zusammenstöße dauerten die ganze Nacht. Über 200 Menschen wurden verletzt, Dutzende verhaftet. Sechs junge Demonstranten, alles junge Arbeiter, wurden zu Haftstrafen von 15 Tagen bis zu drei Monaten verurteilt. Aber anstatt die Kampfbereitschaft der Arbeiter zu schwächen und diese zurückzudrängen, bewirkte diese Repression nur die weitere Ausdehnung der Bewegung. Am 30. Januar zählte man ca. 15.000 Streikende in Caen. Am 2. Februar wurden die staatlichen Behörden und die Arbeitgeber zum Rückzug gezwungen. Die Strafverfolgungen gegen die Demonstranten wurden fallengelassen; die Löhne wurden um drei bis vier Prozent angehoben. Am nächsten Tag nahmen die Beschäftigten die Arbeit wieder auf, aber unter dem Druck der jungen Beschäftigten kam es mindestens noch einen Monat lang zu weiteren Arbeitsniederlegungen bei Saviem.
Doch Saint-Nazaire im April 67 und Caen im Januar 68 waren nicht die einzigen von Generalstreiks betroffenen Städte. Auch in anderen, weniger großen Städten wie Redon im März, Honfleur im April kam es zu größeren Streiks. Diese massiven Streiks aller Beschäftigten einer Stadt sollten einen Vorgeschmack von dem liefern, was im Mai im ganzen Land passieren sollte.
Deshalb kann man nicht behaupten, dass das Gewitter des Mai 68 wie ein Blitz aus heiterem Himmel erfolgt war. Die Studentenbewegung hatte etwas angezündet, das längst bereit war zu brennen.
Natürlich haben die "Spezialisten", insbesondere die Soziologen, versucht, die Ursachen dieser "Ausnahme" Frankreich aufzuzeigen. Sie haben vor allem auf die hohen Wachstumszahlen der Industrie in Frankreich während der 1960er Jahre verwiesen, wodurch das alte, landwirtschaftlich geprägte Land zu einem modernen und mächtigen Industriestaat wurde. Diese Tatsache erkläre das Auftreten und die Rolle einer großen Zahl von jungen Arbeitern, die in Fabriken angestellt waren, die oft erst kurz zuvor errichtet worden waren. Diese jungen Arbeiter, die häufig vom Land kamen, seien meistens nicht gewerkschaftlich organisiert gewesen; auch seien sie schlecht mit der Kasernendisziplin in den Betrieben zurechtgekommen, zudem sie trotz ihrer Berufsausbildung meist lächerlich geringe Löhne erhielten.
So lässt sich erklären, warum die jüngsten Mitglieder der Arbeiterklasse als erste den Kampf aufgenommen haben, und auch, warum die meisten wichtigen Bewegungen, die dem Mai 1968 vorhergingen, in Westfrankreich ausgelöst wurden: Diese Region wurde erst relativ spät industrialisiert. Aber die Erklärungen der Soziologen vermögen nicht zu erklären, warum nicht nur die jungen Arbeiter 1968 in Streik getreten sind, sondern die große Mehrheit der ganzen Arbeiterklasse, d.h. quer durch alle Generationen, gestreikt hat.
Hinter einer solch tiefgreifenden und weitreichenden Bewegung wie die des Mai 68 steckten notwendigerweise tiefergehende Ursachen, die weit über Frankreich hinausreichten. Die gesamte Arbeiterklasse Frankreichs ist damals faktisch in einen Generalstreik getreten, da alle Teile der Arbeiterklasse mittlerweile von der Wirtschaftskrise erfasst worden waren, die 1968 erst in ihrer Anfangsphase steckte. Diese Krise war aber keineswegs auf Frankreich beschränkt, sondern erfasste den Weltkapitalismus insgesamt. Die Auswirkungen dieser weltweiten Wirtschaftkrise in Frankreich (Anstieg der Arbeitslosigkeit, Lohnstopps, Produktivitätserhöhungen, Angriffe auf die Sozialleistungen) liefern die Haupterklärung für den Anstieg der Kampfbereitschaft in Frankreich 1967: „In allen Industriestaaten Europas und in den USA stieg die Arbeitslosigkeit an und die wirtschaftlichen Aussichten verschlechterten sich. England, das trotz einer Vielzahl von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts Ende 1967 dazu gezwungen war, das Pfund abzuwerten, löste eine Reihe von Abwertungen vieler anderer Währungen aus. Die Regierung Wilson kündigte ein außergewöhnliches Sparprogramm an: massive Kürzung der Staatsausgaben (...), Lohnstopps, Einschränkung der Binnennachfrage und der Importe, besondere Anstrengungen zur Ankurbelung der Exporte. Am 1. Januar 1968 schrie Johnson [der damalige US-Präsident] Alarm und kündigte unumgängliche harte Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Gleichgewichts an. Im März brach die Dollarkrise aus. Die Tag für Tag pessimistischere Wirtschaftspresse erwähnte immer öfter das Gespenst der Wirtschaftskrise von 1929 […] Die ganze Bedeutung des Mai 1968 lag darin, eine der ersten und größten Reaktionen der Arbeiter gegen eine sich weltweit verschlechternde wirtschaftliche Lage gewesen zu sein“ (Révolution Internationale - alte Reihe, Nr. 2, Frühjahr 1969).
Tatsächlich haben besondere Umstände dazu geführt, dass der erste große Kampf der Arbeiterklasse gegen die Angriffe der Kapitalisten, die später an Schärfe noch zunehmen sollten, in Frankreich ausgefochten wurde. Doch sehr schnell traten auch Arbeiter anderer Länder in den Kampf. Den gleichen Ursachen folgten die gleichen Wirkungen.
Am anderen Ende der Welt, in Cordoba (Argentinien), kam es im Mai 1969 zu dem, was später als „Cordobazo“ in die Geschichte eingehen sollte. Nach einer ganzen Reihe von Arbeitermobilisierungen in vielen Städten gegen die brutalen wirtschaftlichen Sparmaßnahmen und die Repression durch das Militärregime hatten Polizei und Armee am 29. Mai die Kontrolle verloren, obwohl Letztere sogar Panzer aufgeboten hatte. Die Arbeiter hatten die zweitgrößte Stadt des Landes übernommen. Die Regierung konnte die „Ordnung“ am folgenden Tag nur dank des massiven Einsatzes des Militärs wiederherstellen.
In Italien begannen zum gleichen Zeitpunkt die größten Arbeiterkämpfe seit dem II. Weltkrieg. Bei Fiat in Turin legten mehr und mehr Arbeiter die Arbeit nieder, zunächst im größten Werk der Stadt, bei Fiat-Mirafiori, ehe die Bewegung dann die anderen Werke in Turin und Umgebung erreichte. Während eines gewerkschaftlichen Aktionstages am 3. Juli 1969 gegen die Mietpreiserhöhungen zogen demonstrierende Arbeiter, denen sich Studenten anschlossen, zum Mirafiori-Werk. Die Polizei griff daraufhin die Demonstrierenden gewalttätig an. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen hielten die ganze Nacht an und dehnten sich auf andere Stadtviertel aus.
Ab Ende August, als die Arbeiter aus ihrem Sommerurlaub zurückkehrten, kam es erneut zu Arbeitsniederlegungen – dieses Mal jedoch auch bei Pirelli (Reifenhersteller) in Mailand und in vielen anderen Betrieben.
Doch die italienische Bourgeoisie, die aus der Erfahrung des Mai 68 gelernt hatte, ließ sich im Gegensatz zu der französischen Bourgeoisie nicht überraschen. Sie versuchte mit aller Macht zu verhindern, dass die spürbare, starke gesellschaftliche Unzufriedenheit zu einem gesellschaftlichen Flächenbrand ausuferte. Deshalb versuchte der zu ihren Diensten stehende Gewerkschaftsapparat, die anstehenden Tarifverhandlungen, insbesondere in der Metallindustrie, in der Chemiebranche und im Baugewerbe, auszunutzen, um Spaltungsmanöver durchzuführen, mit denen die Arbeiter dazu veranlasst werden sollten, für „gute Abschlüsse“ in ihrer jeweiligen Branche zu kämpfen. Die Gewerkschaften verfeinerten die Taktik der „Schwerpunktstreiks“: An einem Tag streikten die Metaller, an einem anderen die Beschäftigten der chemischen Industrie, an einem dritten die des Baugewerbes. Man rief auch zu „Generalstreiks“ auf, aber diese sollten jeweils auf eine Provinz oder eine Stadt beschränkt bleiben. Sie richteten sich gegen die Preiserhöhungen oder Mietpreissteigerungen. In den Betrieben selbst plädierten die Gewerkschaften für rotierende Streiks; eine Abteilung nach der anderen sollte die Arbeit niederlegen. Dies geschah unter dem Vorwand, so dem Arbeitgeber den größtmöglichen Schaden zuzufügen und für die Streikenden den Schaden so gering wie möglich zu halten. Gleichzeitig unternahmen die Gewerkschaften alles, um die Kontrolle über eine Basis wiederherzustellen, die ihnen immer mehr entglitt. Nachdem die Arbeiter in vielen Betrieben aus Unzufriedenheit mit den traditionellen Gewerkschaftsstrukturen Vertrauensleute wählten, wurden diese postwendend als „Fabrikräte“ institutionalisiert, die die „Basisorgane“ der Einheitsgewerkschaft sein sollten, welche die drei Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL gemeinsam gründen wollten.
Nach mehreren Monaten, während derer die Kampfbereitschaft durch eine Reihe von „Aktionstagen“ erschöpft wurde, die jeweils voneinander abgeschottet in verschiedenen Branchen und Städten stattfanden, wurden zwischen Anfang November und Ende Dezember die Tarifverträge Zug um Zug unterzeichnet. Und schließlich explodierte am 12. Dezember - wenige Tage vor dem Abschluss des Tarifvertrages in der bedeutendsten Branche, der privaten Metallindustrie, wo die Arbeiter am radikalsten gekämpft hatten - eine Bombe in einer Mailänder Bank. Dabei kamen 16 Menschen ums Leben. Das Attentat wurde Anarchisten in die Schuhe geschoben (einer von ihnen, Giuseppe Pinelli, starb in den Händen der Mailänder Polizei), aber viel später stellte sich heraus, dass das Attentat von gewissen Kreisen des Staatsapparates angezettelt worden war. Die geheimen Strukturen des bürgerlichen Staates leisteten so den Gewerkschaften Hilfestellung, um für Verwirrung in den Reihen der Arbeiter zu sorgen, während gleichzeitig ein Vorwand für die Verstärkung des Repressionsapparates gefunden worden war.
Das Proletariat Italiens war jedoch nicht das einzige, das sich im Herbst 1969 regte. In geringerem Maße traten auch die Arbeiter in Deutschland auf den Plan; im September 1969 kam es zu wilden Streiks gegen die von den Gewerkschaften unterzeichneten Tarifabschlüsse der Lohndämpfung. Diese Tarifabschlüsse wurden von den Gewerkschaften in Anbetracht der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland als „realistisch“ gelobt. Die Wirtschaft in Deutschland war trotz des Wirtschaftswunders von den zunehmenden Schwierigkeiten der Weltwirtschaft seit 1967 nicht verschont geblieben – 1967 rutschte Deutschland zum ersten Mal seit dem II. Weltkrieg in die Rezession ab.
Auch wenn dieses Wiedererwachen der Arbeiterklasse in Deutschland noch sehr verhalten war, kam diesem eine besondere Bedeutung zu. Auf der einen Seite handelt es sich um den zahlenmäßig größten und konzentriertesten Teil der Arbeiterklasse in Europa. Aber vor allem hat die Arbeiterklasse in Deutschland in der Geschichte eine herausragende Stellung innerhalb der Weltarbeiterklasse eingenommen – und diesen Platz wird sie auch in Zukunft einnehmen. In Deutschland war der Ausgang der internationalen revolutionären Welle von Kämpfen, die von Oktober 1917 in Russland an die kapitalistische Herrschaft auf der ganzen Welt bedroht hatte, infragestellt worden. Die von den Arbeitern in Deutschland erlittene Niederlage nach ihrem revolutionären Ansturm zwischen 1918-1923 hatte der schrecklichsten Konterrevolution, die die Weltarbeiterklasse jemals erlebt hatte, den Weg bereitet. Dort, wo die Revolution am weitesten gediehen war, in Deutschland und Russland, hatte die Konterrevolution die schlimmsten und barbarischsten Formen angenommen: Stalinismus und Naziherrschaft. Diese Konterrevolution hatte fast ein halbes Jahrhundert gedauert und erlebte ihren Gipfelpunkt im II. Weltkrieg, der es im Gegensatz zum I. Weltkrieg dem Proletariat nicht ermöglicht hatte, sein Haupt zu erheben, sondern seine Niederlage nur verschärft hatte, insbesondere durch die durch den Sieg der „Demokratie“ und des „Sozialismus“ entstandenen Illusionen.
Die gewaltigen Streiks des Mai 1968 in Frankreich, schließlich der „Heiße Herbst“ in Italien hatten den Beweis erbracht, dass die Weltarbeiterklasse die Zeit der Konterrevolution überwunden hatte. Die Kämpfe der Arbeiter in Deutschland im September 1969 bestätigten dies später, und in einem noch größeren Maße taten dies auch die Kämpfe der polnischen Arbeiter aus den Ostseestädten im Winter 1970-71. Die polnischen Behörden waren, nachdem sie es zunächst mit brutaler Repression (mehr als 300 Tote) versucht hatten, zu Konzessionen gezwungen – insbesondere zur Rücknahme der Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel, welche die Arbeiter auf den Plan gerufen hatten. Die stalinistischen Regimes waren die schlimmste Verkörperung der Konterrevolution gewesen. Im Namen des „Sozialismus“ und im „Interesses der Arbeiterklasse“ wurde die schrecklichste Terrorherrschaft ausgeübt. Der „heiße“ Winter der polnischen Arbeiter 1970-71 bewies, dass selbst dort, wo die Konterrevolution in Gestalt der „sozialistischen“ Regimes immer noch das Zepter in der Hand hielt, ein Durchbruch erzielt worden war.
Wir können an dieser Stelle nicht alle Arbeiterkämpfe aufzählen, die nach 1968 stattgefunden haben und diese grundlegende Umwälzung des Kräfteverhältnisses zwischen den beiden Klassen Bourgeoisie und Proletariat auf Weltebene bewirkt haben. Wir wollen stellvertretend nur zwei Beispiele erwähnen: Spanien und England.
Trotz einer wütenden Repression, die vom Franco-Regime ausgeübt wurde, hielt die Kampfbereitschaft der Arbeiter noch bis 1974 massiv an. In Pamplona, Navarra, überstieg die Zahl der Streiktage pro Arbeiter noch die der französischen Arbeiter 1968. Alle Industriegebiete (Madrid, Asturien, Baskenland) wurden erfasst. In den großen Arbeiterzusammenballungen der Vororte von Barcelona dehnten sich die Streiks am weitesten aus. Fast alle Betriebe der Region wurden bestreikt. Es kam zu exemplarischen Solidaritätsstreiks (oft begannen Streiks in einem Werk ausschließlich aus Solidarität mit den Beschäftigten anderer Betriebe).
Das Beispiel des englischen Proletariats ist ebenfalls sehr aufschlussreich, denn hier handelte es sich um das älteste Proletariat der Welt. Während der 1970er Jahre fanden dort massive Kämpfe gegen die Ausbeutung statt (1979 wurden mehr als 29 Millionen Streiktage registriert, die englischen Arbeiter standen in der Streikstatistik an zweiter Stelle hinter den französischen Arbeitern mit ihren Streiks 1968). Diese Kampfbereitschaft zwang die englische Bourgeoisie zweimal dazu, sogar ihren Premierminister auszutauschen: Im April 1976 wurde Callaghan durch Wilson ersetzt, und Anfang 1979 wurde Callaghan durch das Parlament abgesetzt.
So liegt die grundlegende historische Bedeutung des Mai 68 weder in den „französischen Besonderheiten“ noch in der Studentenrevolte, ebensowenig in der heute so viel gepriesenen ‚Revolution der Sitten?’, sondern darin, dass die Weltarbeiterklasse die Konterrevolution überwunden hatte und in einen neuen historischen Zeitraum von Zusammenstößen mit der kapitalistischen Ordnung eingetreten war. Diese neue Periode zeichnet sich ebenso dadurch aus, dass sich politisch-proletarische Strömungen, welche von der Konterrevolution praktisch eliminiert oder zum Schweigen gebracht worden waren, neu entwickelt haben, darunter die IKS. Darauf werden wir in einem weiteren Artikel eingehen. Fabienne (1.06.2008)
<!--[if !supportLists]-->(1) <!--[endif]-->Mai 68: Die Studentenbewegung in Frankreich und auf der Welt (1+2), ‚Mai 68: Das Wiedererwachen der Arbeiterklasse“, in Weltrevolution Nr. 146,147,148
<!--[if !supportLists]-->(2) <!--[endif]-->Siehe dazu unseren Artikel „Mai 68: Die Studentenbewegung in Frankreich und auf der Welt“ in Weltrevolution Nr. 147
Die Weltwirtschaftskrise kam aus dem Westen, aus Amerika, damals im Jahr 1929. Sie brachte unbeschreibliche Armut, Verzweifelung und den Zweiten Weltkrieg. Damals. Knapp vierzig Jahre später, in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, warf eine erneute Weltwirtschaftskrise ihren Schatten voraus: Krise des Dollars und des Pfundes, Rezession in Deutschland 1967. Wie damals in 1929 begann die Erschütterung der Welt im Herzen des kapitalistischen Systems. Diesmal kam aber Hilfe aus dem Westen. Unter der Führung der Vereinigten Staaten wurden die Spielregeln der Weltwirtschaft justiert. Anders als 1929 griffen die bürgerlichen Staaten sofort und entschlossen ein, begleiteten die Krise mit Lenkungs- und Stützungsmaßnahmen. Sie begleiten sie bis heute. Anders als 1929 handelten die Hauptakteure der „Staatengemeinschaft“ auch gemeinsam. Überwinden konnten sie die Krise damit nicht. Aber sie konnten ihr Fortschreiten verlangsamen. Auch konnten sie erreichen, dass die schlimmsten Folgen auf die „Peripherie“, auf die schwächeren Konkurrenten abgewälzt wurden. Dort wütete immer unerbittlicher Hungertod, Bürgerkrieg, Chaos. Und wenn periodische Fieberzuckungen den angeschlagenen Körper des Kapitalismus zerrütteten und dabei bedeutende Industriestaaten zumindest zeitweise zur Strecke brachten, dann waren es nicht die alten Zentren, sondern die aufstrebenden Hoffnungsträger in Lateinamerika oder Asien. Ein Hauptopfer: 1989 die stalinistischen Regime des Ostblocks.
Die Ursache all dieser Krisen ist der Kapitalismus. Diese Art von Krise geht vom Zentrum des Systems aus. Gelingt es nicht, die Krise zu überwinden, so kehrt sie zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Die Verlangsamung der Wachstumsraten in Amerika, Europa und Japan seit 1967, die stetige Zunahme der Massenarbeitslosigkeit und die Verschuldung in diesen Ländern, der erzwungene Abbau des Wohlfahrtstaates, die fortschreitende Erosion des Lebensstandards der Arbeiterklasse in diesen Ländern: All das bewies, dass die Krise auch in den alten Metropolen verwaltet, aber niemals kuriert oder auch nur gelindert wurde.
Nun kommt die Krise wieder aus Amerika. Es wird sichtbar, riechbar, dass nicht nur einzelne Gliedmaßen verfaulen, sondern Herz und Niere. Das Hirn des Systems liegt im Fiebertraum.
Es begann vor einem Jahr: Immobilienkrise in den USA. Vier Mal trat seitdem die oberste Aufsichtbehörde der US Wirtschaft an die Öffentlichkeit, um erleichtert zu verkünden: Das Schlimmste liegt nun hinter uns. Während dessen wurden reihenweise amerikanische Familien auf die Straße gesetzt. Obdachlos. Reihenweise mussten Banken mit Milliardenkrediten gestützt werden. Nicht nur in Amerika. Und all die weil wurde immer unübersehbarer, dass das stolze, gierige System der Profitmacherei ein Kartenhaus geworden war. Ein Kartenhaus, auf Schuldscheinen aufgebaut. Auf Versprechungen für die Zukunft aufgebaut, die nun nicht mehr einzulösen sind. Keine Immobilienkrise allein, keine amerikanische Krise allein. Andere Begleiterscheinungen begannen die Menschheit verstärkt heimzusuchen: Inflation, Hunger in den Städten, nicht nur auf dem Lande. Hungerrevolten. Weltweit.
„Das Schlimmste liegt hinter uns“. Und dann kam der Juli 2008. Mitte des Monats brach IndyMac zusammen, die siebtgrößte Hypothekenbank der USA. Gerüchte über die Zahlungsunfähigkeit dieses Instituts hatten die Runde gemacht. Panik machte sich breit. Sparer hoben insgesamt 1,3 Milliarden Dollar quasi über Nacht ab, trieben IndyMac damit in die Insolvenz. Finanzexperten nannten das irrational. Denn der amerikanische Staat garantiert Sparguthaben bis zu 100.000 Dollar bzw. Pensionsrücklagen bis zu 250.000 Dollar pro Person. Man sieht also, welches Vertrauen der Sparer in die Versprechungen der Regierung der Vereinigten Staaten heute noch hat.
Es ist der größte Bankencrash in den USA seit 24 Jahren, der zweitgrößte überhaupt. „Dies ist ein riesiges Desaster“. So der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama.
Dann wurde bekannt, dass der Washington Mutual, die größte Sparkasse der USA, ein Verlust von 26 Milliarden Dollar droht.
In derselben Woche spitzte sich die Angst vor einer „Schieflage“ der staatlich geförderten Institute Fannie Mae und Freddie Mac zu. Geschaffen, um auch den „Unterschichten“ sprich der Arbeiterklasse den „Traum“ von den „eigenen vier Wänden“ zu ermöglichen, garantieren oder besitzen diese beiden Banken rund die Hälfte der amerikanischen Hypotheken.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erläutert:
„Wegen der fallenden Häuserpreise in den Vereinigten Staaten können Hypothekenschuldner zunehmend ihre Raten nicht mehr zahlen. Die Folge: Der Wert sowohl der Darlehen als auch der mit Hypotheken bescherten Anleihen in den Portfolios von Fannie Mae und Freddie Mac sinkt. Könnten sich Hypothekenbanken nicht mehr wie bisher bei Fannie und Freddie refinanzieren, bräche der angeschlagene Häusermarkt zusammen. Das hätte katastrophale Auswirkungen auf die amerikanische und die globale Konjunktur. Eine Schieflage der Unternehmen könnte das weltweite Finanzsystem auch deshalb erschüttern, weil zahlreiche Notenbanken und Investoren weltweit in Anleihen von Fannie und Freddie investiert sind.“ (FAZ, 16.7.2008).
Also musste Washington wieder mit neuen Staatsgarantien einspringen. Müsste aber der Staat tatsächlich die Haftung für jene 5 Billionen übernehmen, die in den Büchern von Fannie und Freddie stehen, so würde dies das US-Budgetdefizit verdoppeln.
„Ein Gefühl wirtschaftlichen Untergangs hat Washington ergriffen.“, so die New York Times.
Indessen gab am 16. Juli der Herold Tribune bekannt, dass die angeblich amerikanische Krise nun Europa voll erfasst hat. Spanien, Irland, Dänemark taumeln schon in die Rezession. Großbritannien angeschlagen. Italien stolpert. Frankreich stagniert. Sogar Deutschland verkündet den Anfang vom Ende des Wachstums. Auch das europäische Kapitel dieses Dramas hat einen Namen: Martinsa-Fadesa. Die größte Immobiliengesellschaft Spaniens musste Insolvenz anmelden.
Fannie, Freddie, Martinsa: Diese Namen werden in die Geschichte eingehen.
Die Aussichten für Deutschland kommentierte die oben zitierte FAZ so:
„Alle Indikatoren der jüngsten Zeit belegen, dass auch die bisher robuste deutsche Wirtschaft leiden wird. Man würde gerne eine optimistische Prognose wagen. Aber es sieht nicht gut aus.“
Die Entwicklung in Deutschland ist kaum weniger bedeutsam als die in den USA. Denn Deutschland ist spezialisiert auf die Produktion von Produktionsmitteln, von hochwertigen Maschinen für die Industrie in aller Welt. Spezialmaschinen sind keine Massenware, sondern müssen länger im Voraus bestellt werden. Deutschland soll derzeit für rund die Hälfte des Wachstums in der Europäische Union verantwortlich zeichnen. Die Auftragsbücher der Maschinenbaubranche sind voll. Aber die Auskünfte der Branche ab 2009 sprechen eine deutliche Sprache. Es geht bergab. Wie 1929, wie 1967, liefern Amerika und Deutschland wesentliche Krisenindikatoren.
Was bedeutet das für den Klassenkampf? Der Kampf der Arbeiterklasse befindet sich weltweit im Aufschwung. In einem Land wie Deutschland, wo die Wirtschaft von der Gunst der Stunde profitierte, waren die Herrschenden durch geringfügige Zugeständnisse bei den Tarifrunden im Frühjahr noch imstande, eine sich zusammenbrauende Streikwelle zu zersplittern und aufzulösen. Jedoch wurden diese Zugeständnissen buchstäblich binnen Wochen zunichte gemacht durch die grassierende Verteuerung. Die sich abzeichnende Rezession der Weltwirtschaft wird außerdem neue Wellen von Entlassungen mit sich bringen. Die Ankündigungen von brutalen Einschnitten bei General Motors in den USA und bei Siemens in Deutschland, welche Beschäftigten weltweit treffen werden, sind nur der Anfang.
Die Kampfeswelle wird sich intensivieren. Und sie wird weltweit sein wie noch niemals zuvor.
Schlimme, noch schlimmere Zeiten stehen den Proletariern aller Länder bevor. Aus diesem Leid, und aus den Kämpfen, die es in Reaktion darauf geben wird, können Fortschritte abgerungen werden, hin zur Wiedererstehung der „Internationale der Solidarität“, die einzige Alternative zum Wahnsinn des niedergehenden Kapitalismus.
Proletarier aller Länder, vereinigt euch! (22.07.08)
Das Wort „Progrom“ wurde oftmals benutzt, um die antijüdischen Ausschreitungen des Mobs zurzeit des Mittelalters zu schildern, die häufig von den staatlichen Autoritäten als ein Mittel gefördert wurden, um den Zorn des Volkes von sich selbst gegen einen leicht identifizierbaren Sündenbock zu lenken. Die andauernden antisemitischen Progrome im zaristischen Russland Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts wurden als Beispiel für den äußerst rückständigen Charakter dieses Regimes dargestellt.
Doch die Progrommentalität ist heute wahrscheinlich weiter verbreitet, als sie es jemals war. Erst vor einigen Monaten verübten in Kenia nach einer umstrittenen Auszählung der landesweiten Wahlen Anhänger der Regierung und der Opposition grauenhafte Massaker an „rivalisierenden“ ethnischen Gruppen, in denen Hunderte von Menschen ihr Leben verloren und noch mehr Menschen heimatlos wurden.
Im Mai wurde das meist entwickelte Land in Afrika, Südafrika, von einer ganzen Reihe von Ausschreitungen gegen Immigranten aus den Shanty Towns von Johannesburg, Durban, Kapstadt und anderen Städten erschüttert. Zimbabwer, Mosambikaner, Kongolesen und andere Immigranten wurden an Halsringen gekettet und zu Tode gehackt, ihre Häuser in Brand gesetzt. Mehr als 40 Menschen starben bei diesen Gewaltexzessen; mindestens 15.000 verloren ihr Heim und waren oftmals gezwungen, in Kirchen und Polizeirevieren Schutz zu suchen.
„Gestern hörten wir, dass diese Sache von Warwick und vom Stadtzentrum (von Durban) ausgegangen war. Wir hörten, dass Händlern ihre Waren gestohlen wurden und dass Leute auf ihre Gesichtsfarbe hin überprüft wurden; ein Mann aus Ntusuma wurde angehalten, weil er ‚zu schwarz‘ war. Im Stadtzentrum war die Lage sehr angespannt. Letzte Nacht waren Leute in den Straßen von Umbilo auf der Suche nach ‚amakwerkwere‘ unterwegs. Menschen riefen aus ihren Wohnungen zu ihnen herunter: ‚Kommt rauf, es gibt Kongolesen hier!‘“ Stellungnahme von Abahlali baseMojondolo, einer Organisation, die ihre Basis in den Shanty Towns von Durban hat, über die fremdenfeindlichen Übergriffe (zabalaza.net [38]).
Die Rechtfertigungen für diese Angriffe waren die üblichen: Es gibt zu viele Immigranten, sie kommen hierher und nehmen uns unsere Jobs. Sie sind alle Kriminelle, Drogenhändler, Straßenräuber und Diebe.
Es liegt auf der Hand, dass diese schrecklichen Ereignisse in einer extremen Armut wurzeln, der sich die Mehrheit der Bevölkerung in Südafrika gegenübersieht und für die die „Befreiung“ von der Apartheid keine große Verbesserung in den Jobaussichten, Lohnniveaus, Wohnbedingungen und in der sozialen Sicherung gebracht hat. Wenn immer mehr Menschen, sowohl „Einheimische“ als auch jene, die vor Krieg und Terror im Kongo oder in Simbabwe geflohen waren, in unerträglich enge und gesundheitsschädigende Shanty Towns gesteckt werden, wenn die Preise von Grunderfordernissen in die Höhe schießen, ist es nicht schwer, Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen anzufachen.
Doch die Progrome beschränken sich nicht auf Afrika, wo sich die Armut vermutlich von ihrer extremsten Seite zeigt. In Neapel griffen im April nach Berichten, dass ein junges Roma-Mädchen des Versuchs beschuldigt worden sei, ein Baby zu kidnappen, Ortsansässige der Vorstadt von Ponticelli zwei Wohncamps von Romas mit Molotowcocktails an und und zwangen die Bewohner dazu, Schutz bei der örtlichen Polizei zu suchen. Dies ist nur die Spitze des Eisberges: Rassistische Parteien haben an Boden gewonnen in Italien, wo die Beschuldigung, Immigranten aus Rumänien, Albanien und anderswo seien für den Anstieg in den Verbrechensstatistiken verantwortlich, zu einem probaten Mittel für Wahlerfolge geworden ist. Die gegen jegliche Immigration eingestellte Lega Nord und die „postfaschistische“ Alleanza Nazionale erzielten bei den jüngsten nationalen Wahlen beträchtliche Gewinne, nachdem sie versprochen hatten, die illegale Einwanderung anzugehen, während in Rom Gianni Alemanno, ebenfalls von der Alleanza Nazionale, zum Bürgermeister gewählt wurde, nachdem er versprochen hatte, 20.000 Menschen auszuweisen.
In Großbritannien sind gewaltsame rassistische Übergriffe noch hauptsächlich das Werk von kleinen Gruppen oder isolierten Indviduen. Doch seit nunmehr einigen Jahren hat sich allmählich eine Progromatmosphäre aufgebaut; die rechte Presse geht dabei mit ihren Artikeln voran, die Immigranten beschuldigen, „unsere Jobs wegzunehmen“ und „den Wohlfahrtsstaat auszuquetschen“, während die offiziellen Parteien untereinander wetteifern, wer am resolutesten die Einwanderung reduziert und wer am verwegensten gegen den islamischen Terrorismus ist, wobei Letzterer eng mit der Immigrationsfrage verknüpft wird. Ein besonders weit verbreitetes Element in dieser Kampagne ist das Wehklagen über die Lage der so genannten „weißen Arbeiterklasse“, die, wie uns erzählt wird, sich nicht des Gefühls erwehren könne, „Fremde im eigenen Land“ zu sein. Dies ist Musik in den Ohren solcher Gruppen wie die BNP (British Nationalist Party), die behauptet, dass die Labour Party den Kontakt zu ihren Wurzeln in der „weißen Arbeiterklasse“ verloren habe.
Für die Arbeiterklasse gibt es nichts Schändlicheres als ein Progrom. Er ist die absolute Negation von allem, wofür die Arbeiterbewegung seit Beginn an gestanden hat: die Einheit aller ArbeiterInnen gegen die Ausbeutung, ungeachtet der Hautfarbe, des Landes oder der Religion. Dass einstige Opfer der Apartheid in Südafrika Menschen aussortieren sollten, die „zu schwarz“ sind, dass Proletarier in Italien, deren Vorfahren unter dem Faschismus gelitten hatten, in Angriffe gegen ein Hassobjekt hineingezogen werden sollen, das mindestens so alt ist wie die Juden – die „Zigeuner“: all dies sind schlimme Zeugnisse für die Macht der Ausbeuterideologie in den Köpfen der Ausgebeuteten. Sie weisen auf eine ganz reale Gefahr hin, der sich die Arbeiterklasse und all die unterdrückten Massen überall auf der Welt gegenübersehen: dass angesichts des unübersehbaren Kollapses des kapitalistischen Gesellschaftssystems das Proletariat, statt seine Kräfte gegen die herrschende Ordnung zu vereinen, sich in eine unendliche Anzahl von ethnischen und nationalen Gruppen, in Stämme oder lokale Banden spalten lässt und in eine brudermörderische Gewalt getrieben wird, die die wahren Quellen der Armut und des Elends unberührt lässt. Falls dies geschieht, gibt es nichts, was den Kapitalismus noch daran hindern könnte, in die ultimative Barbarei und Selbstzerstörung zu stürzen.
In Südafrika haben die Sprecher der Kirche und des Staates, Erzbischof Tutu, Präsident Mbeki und Winnie Madikizela-Mandela, die Progrome verurteilt und geäußert, dass dies ein fürchterlicher Schandfleck für Südafrikas Ruf in der Welt sei. Ja sie sagten, dass jene, die solche Verbrechen begehen, keine „wahren Südafrikaner“ seien. Doch die Antwort auf die offen rassistische Version des Nationalismus ist nicht etwa eine freundlichere, menschlichere Version des Nationalismus, da beide Abarten dazu dienen, die einzige Perspektive zu verschleiern, die wirklich eine Antwort auf die Spaltungen unter den Armen und Unterdrückten bietet: die Entwicklung einer Klassensolidarität im Kampf um die Durchsetzung von Klassenforderungen. Und wenn in einem Augenblick höchster Not Immigranten, die vor der Verfolgung fliehen, keine andere Wahl haben, als sich der Gnade der örtlichen Polizei auszuliefern, dann dürfen sie dabei nicht der Illusion aufsitzen, dass die Polizeikräfte ihnen einen wirklichen Schutz bieten können, denn schon am nächsten Tag ist es dieselbe Polizei, die die Immigranten und die Bewohner der Shanty Towns schikaniert und Gesetz und Ordnung der Bosse stärkt. Die einzig wahre Verteidigung liegt für die ArbeiterInnen in der Vereinigung mit anderen ArbeiterInnen, ob am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft, ob schwarz oder weiß, ob im Kampf gegen die Angriffe auf ihre Jobs und Löhne oder im Kampf gegen die Repression durch Polizei und rassistische Banden.
Der alte Schlachtruf der Arbeiterbewegung – „Arbeiter aller Länder, vereint Euch“ – wird heute oftmals der Lächerlichkeit preisgegeben; es wird jede Gelegenheit ergriffen, um zu behaupten, dass die Arbeitersolidarität eine aussischtslose und überholte Hoffnung sei. In den 1960er Jahren wurde die Arbeiterklasse abgeschrieben, da sie angeblich von der „Konsumgesellschaft“ gekauft worden sei. Die Ereignisse in Frankreich 1968 – der größte Massenstreik in der Geschichte – lieferte die beredtste Antwort auf jenes Argument. Und heute, wo Arbeiterkämpfe von Frankreich bis Ägypten und von Vietnam bis zu den USA erneut langsam, aber sicher einen Massencharakter annehmen, wo so viele dieser Kämpfe immer wieder die Notwendigkeit der Solidarität geltend machen und in die Praxis umsetzten (1), ist die Hoffnung einer proletarischen Alternative mit ihren Perspektiven, für eine Gesellschaft ohne Nationen oder Grenzen zu kämpfen, keineswegs aussichtslos. In der Tat ist sie die einzige Hoffnung in eine Zukunft der Menschheit, während die Versprechungen der bürgerlichen Politiker, ob offen rassistisch oder pseudo-humanistisch, nur dazu dienen, den äußersten Bankrott des Systems, das sie vertreten, zu kaschieren.
Fußnote:
(1) Bezüglich einer genaueren Schilderung einiger dieser Kämpfe siehe unsere Website: „Workers Struggles multiply all over the world“ (World Revolution, Nr. 314), „Eine Klasse, ein Kampf“ (IKSonline), „Against the world wide attacks of crisis-ridden capitalism: one working class, one class struggle“ (International Review, Nr. 132)
Wir haben im ersten Teil unseres Artikels zu 1968 in Deutschland aufzeigt, dass hinter der Bewegung eine breite Suche einer neuen Generation nach einer Alternative zum Kapitalismus ersichtlich wurde. Die Ablehnung des Vietnam-Krieges, die Weigerung, sich den Bedürfnissen des Kapitals widerstandslos zu unterwerfen, die aufkeimende Hoffnung auf eine andere Gesellschaft – all das waren wichtige Faktoren gewesen, die vor allem viele Jugendliche, Studenten und Arbeiter, angetrieben hatten, ihren Protest zu artikulieren.
Aber so stark man Hoffnung auf eine andere Gesellschaft geschöpft hatte, so heftig waren auch die Enttäuschung und Ratlosigkeit, als diese erste Welle von Protesten im Sommer 1968 verpuffte.
Während in Frankreich der Massenstreik der Arbeiter ein Gefühl der Solidarität, des Zusammenhaltes der Arbeiter und der Studenten in ihrem Kampf gegen die Regierung hatte aufkommen lassen, waren die Arbeiter in Deutschland im Frühjahr 1968 noch nicht massiv in Erscheinung getreten. Nach der Welle von Protesten gegen das Attentat auf Dutschke im April und den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze im Sommer 68 ebbte die studentisch beherrschte Bewegung ab. Anders als in Frankreich wurden die Studenten in Deutschland nicht sofort durch die Arbeiterklasse als Speerspitze der Kämpfe abgelöst. Erst mit den Septemberstreiks von 1969 betrat das Proletariat im größeren Stil die Bühne des Geschehens.
Hunderttausende Jugendliche suchten nach einer Kraft, die ihnen einen Anhaltspunkt, eine Orientierung und einen Hebel für die Überwindung dieser Gesellschaft bieten könnte. Es sollte eine Tragödie der Geschichte werden, dass diese neue Generation, von denen viele angefangen hatten, sich irgendwie als Gegner dieses Systems zu sehen, sozusagen wieder „eingefangen“ wurde und ihre ursprüngliche Protestbewegung unschädlich gemacht wurde. Wir wollen nachfolgend näher darauf eingehen, wie es dazu kommen konnte.
Auch wenn die Arbeiterklasse in Frankreich im Mai 1968 durch den größten Massenstreik der Geschichte damals auf den Plan getreten war, vermochte diese erste massive Reaktion der Arbeiter damit noch nicht all die Zweifel an der Arbeiterklasse, die sich zuvor jahrelang eingenistet hatten, aus der Welt zu schaffen.
Vielleicht noch mehr als Paris in Frankreich, war Berlin damals das Zentrum der Studentenproteste in Deutschland. Wenn wir Berlin sagen, meinen wir damit selbstverständlich nicht die heutige Hauptstadt des Landes, sondern die Enklave Westberlin mitten im Territorium der DDR. Viele Protagonisten von damals waren von vagen Vorstellungen erfüllt, in Westberlin eine Art Räterepublik zu etablieren, welche durch ihre Ausstrahlung umwälzend sowohl auf die Bundesrepublik als auch auf die DDR, ja auf Ost und West insgesamt wirken würde.
Wie unrealistisch diese Vorstellung war, zeigt die besondere Lage in der damaligen Kalten-Krieg-Enklave, gewissermaßen ein Mikrokosmos der Schwierigkeiten der Wiederaufnahme des Klassenkampfes. Einerseits war Westberlin eine Hochburg der Linken, denn wer dort lebte, konnte den Wehrdienst umgehen. Andererseits waren die „Westsektoren“ eine Hochburg des Antikommunismus, welcher sich immer noch von der Romantik der „Luftbrücke“ ernährte. Vor allem kannte man nirgendwo in der „westlichen Welt“ die Unmenschlichkeit des Stalinismus aus eigener Anschauung so gut wie hier. In dieser Atmosphäre reichten schon die Wörter „Sozialismus“ und „Kommunismus“ aus dem Mund der Studenten, um ein tiefes Misstrauen v.a. von Seiten der älteren Arbeiter zu erwecken. Hier trafen die Studenten nicht so sehr auf Sympathie, wie in Frankreich, auch nicht so auf Gleichgültigkeit so sehr wie auf Feindseligkeit. Die Protagonisten der ersten Stunde waren tief verunsichert.
So kann man verstehen, dass viele unter ihnen nach alternativen revolutionären Kräften Umschau hielten, außerhalb von Deutschland, ja außerhalb der Industriestaaten. Diese Reaktion war keineswegs deutschlandspezifisch, fand aber dort eine besonders klare Ausprägung.
Denn 1968/69 war auch Höhepunkt der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg, an der sich auf der ganzen Welt Hunderttausende Jugendliche beteiligten. „Anti-imperialistischer Nationalismus“, ja sogar „revolutionärer Rassenkampf“ („Black Power“ in den USA) wurden als Teil einer internationalen Solidarität fehlgedeutet. So erklärt sich z.T. das Paradox, dass eine anfangs anti-stalinistisch ausgerichtete Bewegung sich teilweise dem Stalinismus wieder zuwendete. Weil das erste Auftreten der Arbeiterklasse noch nicht so viele Menschen in ihren Bann hatte ziehen können, wurden viele junge Leute anfällig für Orientierungen, die zu einer Pervertierung ihrer ursprünglichen Absichten führen sollten. Besonders verheerend und zerstörerisch sollten ab 1968/1969 nunmehr linksextreme Organisationen wirken, zu deren Opfer viele Jugendliche werden sollten.
Für die Anführer der Bewegung von 1967-68 erschien eine Art von Revolution unmittelbar bevorstehend. Als diese rasche Umwandlung ausblieb, musste man sich zugestehen, dass die Kräfte dafür zu schwach waren. So kam die Idee auf, „die“ revolutionäre Partei zu gründen – sozusagen als Wundermittel. An sich war die Idee nicht verkehrt! Die Revolutionäre müssen sich zusammenschließen und sich organisieren, um ihre Wirkung zu maximieren. Das Problem war, dass man aufgrund der sozialdemokratischen, stalinistischen und faschistischen Konterrevolution der vorangegangenen Jahrzehnte von den historischen Erfahrungen der Arbeiterklasse völlig abgeschnitten war. Weder wusste man, was eine proletarische Partei ist, noch wusste man, wie oder wann sie gegründet werden kann. Man sah darin eine Art Kirche, eine Missionsbewegung, welche die verbürgerlichten ArbeiterInnen zum Sozialismus „bekehren“ würde. Auch fand hier das damals starke Gewicht des Kleinbürgertums innerhalb der Studentenschaft seinen Niederschlag. Wie Mao in China während der Kulturrevolution – so stellte man sich das vor – wollte man den Proleten ihre „Verbürgerlichung“ austreiben. Rudi Dutschke und andere Anführer von damals haben beschrieben, wie am Anfang der Bewegung revolutionäre Studenten und junge ArbeiterInnen in den Jugendzentren Westberlins zusammen kamen und auch Schulter an Schulter kämpften, dass aber gerade die jungen Proletarier sich danach weigerten, diese weltfremde, sektenhafte Wendung mitzumachen.
Diese Desorientierung der damaligen Generation schlachteten auch die damals aufkommenden linksextremen Gruppen (K-Gruppen) aus. Die große Bandbreite der in Deutschland entstehenden linksextremen Gruppen – es handelte sich um mehrere Dutzend von Organisationen, von Trotzkisten über Maoisten bis hin zu Spontis - stellten ein riesiges Auffanglager zur ‚politischen Sterilisierung’ der Jugendlichen dar.
Auch wenn in Deutschland nach 1968 mehr als ein halbes Dutzend trotzkistische Organisationen aus dem Boden sprangen, erhielten diese im Vergleich zu Frankreich deutlich weniger Zulauf, weil die Arbeiterklasse hier erst kaum in Erscheinung getreten war. Der Trotzkismus ist nicht weniger bürgerlich als der Maoismus. Da er aber einer ursprünglich proletarischen Opposition gegen den Stalinismus entspringt, steht die Arbeiterklasse mehr in seinem Blickpunkt als dies beim Maoismus mit seiner „Bauernromantik“ der Fall ist.
In Deutschland sollten vor allem maoistische Gruppen aufblühen. Zur Jahreswende 1968/1969 wurde die KPD/Marxistisch-Leninistische Partei aus der Taufe gehoben. 1971 wurde in West-Berlin eine weitere, mit ihr konkurrierende KPD gegründet, im selben Jahr in Norddeutschland entstand der "Kommunistischer Bund" (KB) und 1973 in Bremen der KBW (Kommunistische Bund Westdeutschland). Diese schafften es, mehrere Zehntausend Leute zu rekrutieren.
Die maoistischen Gruppen spiegelten ein Phänomen wider, das in Deutschland eine besondere Ausprägung gefunden hatte. Weil in Deutschland viele Jugendliche der älteren Generation eine Schuld an den Verbrechen der Nazis und generell am 2. Weltkrieg vorwarfen, konnte der Maoismus diesen Schuldkomplex zu seinen Gunsten instrumentalisieren. Zudem trat der Maoismus als Organisator und glühender Propagandist für „Volkskriege“ auf. Mit dem Anspruch, die unterdrückten Bauern der Dritten Welt in einem Volkskrieg oder „nationalen Befreiungskrieg“ gegen die USA zu sammeln, da nunmehr die Bauern die große revolutionäre Kraft auf der Welt seien, sorgte der Maoismus dafür, dass den Kriegsherren in den „Befreiungskriegen“ immer genügend Kanonenfutter zugeführt wurde. Dass dabei die Verachtung für die eigenen Väter sie in eine Verherrlichung neuer Führer (Mao, „Onkel Ho“, Che, Enver Hodscha) zog, störte die Anhänger maoistischer Gruppen kaum, denn es entsprach dem Bedürfnis eines Teils dieser Generation nach jemandem „aufzuschauen“, ein „Vorbild“, ja eine „Vaterfigur“ als Ersatz für die abgelehnte ältere Generation zu suchen. Der Maoismus, der solche Monstrositäten wie die Kulturrevolution hervorgebracht hatte, bei der in China Mitte der 1960er Jahre Millionen Arbeiter und als „gebildet“ geltende Personen, die irgendeine höhere Qualifikation besaßen, aufs Land geschickt wurden, um „von den Bauern zu lernen“, und einer unglaublichen Entwürdigung und Erniedrigung unterworfen wurden, hob sich dabei durch seine besonders abartige Ablehnung jeglicher theoretischer Herangehensweise hervor. Sein Markenzeichen war die Errichtung neuer Führer, das Nachbeten von Floskeln mit der Mao-Bibel in der Hand.
Darüber hinaus zeichneten vor allem die Maoisten sich durch eine Neuauflage des in den 1920er Jahren schon vom Stalinismus propagierten Proletkult aus, bei dem die Fabrikarbeiter nahezu angehimmelt (Arbeitertümelei) wurden. Man ging in die Fabriken, um von den Arbeitern zu lernen und dort Kaderschmieden aufzubauen. Dies war die skurrile Kehrseite des Vorwurfs der „Verbürgerlichung der Arbeiterklasse“.
Hatten vorher viele Jugendliche angefangen, sich mit Geschichte und mit theoretischen Fragen zu beschäftigen, setzten nunmehr die K-Gruppen alles daran, mit ihren ‚Marxismus-Schulungen‘, ihrer Verdrehung des Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis den Jugendlichen die Lust an einer wahren Vertiefung zu nehmen. Der Dogmatismus der Linken sollte verheerende Auswirkungen haben.
Die K-Gruppen trieben ihre Mitglieder einerseits in einen frenetischen Aktivismus und indoktrinierten sie andererseits mit angeblich marxistischen Theorieschulungen. So wurden nach 1968 mehrere Zehntausende Jugendliche von ihrer ursprünglichen Gegnerschaft gegen das System abgebracht und in Aktivitäten eingespannt, welche den Kapitalismus aufrechterhielten. Diesem sektenartigen Druck konnte man nicht lange standhalten. Schließlich wurden viele von der Politik ganz weggejagt und von dieser angewidert. Schätzungen zufolge waren zwischen 60.000 – 100.000 Jugendliche in Westdeutschland in irgendeiner Form an linken Gruppen beteiligt. Man muss hier eher von Opfern sprechen, die von der extremen Linke für eine bürgerliche Politik angeworben und durch die Gruppen verheizt wurden.
Zu den geschichtlichen Paradoxen dieser Zeit gehört auch, dass die „offiziellen“ Stalinisten, welche unverhohlen die revolutionären Regungen von 1968 bekämpften, dennoch ihre Chance ausnutzen konnten, um in Deutschland wieder ein wenig Fuß zu fassen.
Im Frühjahr 1969 wurde die DKP gegründet, welche sich zum Teil aus der Anfang der 1950er Jahre verbotenen KPD rekrutierte. Anfang der 1970er Jahre zählte sie mit ihren verschiedenen Unterorganisationen über 30.000 Mitglieder. Ein Grund für den Zulauf zur DKP bestand darin, dass viele ihrer Anhänger meinten, die von der DDR mit allen Kräften unterstützte und finanzierte Partei würde dem westdeutschen Staat Einhalt gebieten und durch die Unterstützung Moskaus würde dem Imperialismus der USA ein mächtiger Gegenpol gegenübertreten. Nachdem anfangs viele Jugendliche bei ihrer Suche nach einer neuen Gesellschaft die totalitären und stalinistischen Formationen Osteuropas abgelehnt hatten, geschah nun das Paradoxe, dass ein Teil der Jugendlichen von der erz-stalinistischen DKP für sich vereinnahmt wurden.
Die damals vorhandenen, ganz wenigen linkskommunistischen Stimmen, wurden zudem von den K-Gruppen aufs heftigste bekämpft. Wer zum Beispiel seinerzeit die „nationalen Befreiungsbewegungen“ als Stellvertreterkriege zwischen den Blöcken ablehnte und für den Klassenkampf auf beiden Seiten, d.h. einen konsequent internationalistischen Standpunkt eintrat, oder wer sich gegen den Antifaschismus wandte und den 2. Weltkrieg als Räuberkrieg auf beiden Seiten bezeichnete, der verletzte nicht nur ein Tabu, sondern den traf die ganze Feindseligkeit der K-Gruppen.
Auch wenn sie nicht in diesem Maße dem Zugriff der K-Gruppen ausgesetzt waren, breitete sich gleichzeitig eine bunte 'Sponti'-Szene aus, die leerstehende Häuser besetzte und mit vielerlei Aktionen für mehr Kindergärten oder gegen Kernkraftwerke protestierte. Dadurch wurde ein Großteil Jugendlicher für Teilbereichskämpfe eingespannt, deren Wirkung und Perspektiven nur zu einer Beschränkung des Blicks auf Teilaspekte führte anstatt die Gesamtzusammenhänge zu erkennen. Diese Teilbereichsbewegungen stellten wenige Jahre später den Nährboden für das Betätigungsfeld der „Grünen“ dar, die durch eine Reihe von „grünen Reformprojekten“ eine stark magnetisierende Wirkung ausübten und für eine breit gefächerte Anbindung an staatliche „Reformvorhaben“ sorgten.
Eine andere Sackgasse, in die ein Teil der damals Suchenden lief, war die des Terrorismus. Angetrieben von einer Mischung aus Hass und Empörung über das System, Gefangener der eigenen Ungeduld und des Glaubens, exemplarische Handlungen könnten die „Masse aufrütteln“, ließ sich diese Gruppe von Leuten, die zu gewaltsamen Anschlägen gegen Repräsentanten des Systems bereit war, von staatlichen Provokateuren für die schmutzigen Interessen der Staaten einspannen. Ab März 1969 tauchten die ersten kleinen Bomben auf, welche von agents provocateurs zur Verfügung gestellt wurden. Am 9. November 1969 kam es in Westberlin zum ersten Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum, welcher aus der Sicht eines Teils dieser Bewegung mit dem Kampf gegen den Zionismus als neuer Faschismus begründet wurde. Anfällig für staatliche Manipulationen ließen sich Teile von ihnen vor den Karren irgendeiner nationalen Befreiungsbewegung spannen (häufig mit palästinensischen Terroristen), die bereit waren, diese Leute in ihren Militärlagern auszubilden und dafür von ihnen vollkommene Unterwerfung forderten.
Im Mai 1970 wurde die terroristische "Rote Armee Fraktion" (RAF) gegründet, ab 1973 machten 'Revolutionäre Zellen' von sich reden. Der Unterstützer- und Sympathisantenkreis war relativ groß - das Underground-Blatt Agit 883 wurde angeblich mit einer wöchentlichen Auflage von 10-12000 Exemplaren gedruckt. Für den Kapitalismus und seinen Staat waren diese Leute jedenfalls nie der tödliche Gegner, den sie gerne sein wollten. Stattdessen schlachtete der Staat deren Aktivitäten für die Verstärkung seines Repressionsapparates aus.
Mitte der 1960er Jahre war der lange Nachkriegsboom, der als Wirtschaftswunder gepriesen wurde, zu Ende gegangen. Die Krise hielt langsam wieder ihren Einzug. Weil der Boom unerwartet zu Ende gekommen war, die ersten Symptome der Krise noch nicht so explosiv und brutal zu spüren waren, herrschten damals auch noch viele Illusionen und die Hoffnung vor, dass ein energisches Eingreifen des Staates eine Wiederankurbelung der Wirtschaft ermöglichen würde. Diese Illusionen ausnützend, stellte die SPD das Versprechen, mit Hilfe keynesianistischer Maßnahmen (massive Staatsausgaben durch Verschuldung) die Krise wieder in den Griff zu kriegen, in den Mittelpunkt ihres damaligen Regierungsprogramms. Die Hoffnung vieler ruhten auf der „rettenden“, von der Sozialdemokratie geführten Hand des Staates. Zudem waren die ersten Sparbeschlüsse der Kapitalisten im Vergleich zu den heutigen Sparmaßnahmen der Betriebe noch ‚harmlos‘. Diese Umstände helfen auch zu verstehen, warum von einem Teil der damaligen Bewegung die Proteste als Ablehnung der Wohlstandsgesellschaft gesehen wurden (die Auffassung der Situationisten) (1) All dies erklärt eine gewisse Verzögerung für das Entfalten größerer Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse in Deutschland und sorgte dafür, dass die Arbeiterklasse in Deutschland 1968 weiterhin zunächst noch gewissermaßen „schlummerte“. Zudem weil der Staat – insbesondere nach Übernahme der Führungsrolle der SPD in der sozial-liberalen Regierungskoalition im Herbst 1969 – tatsächlich noch durch viele „Reformen“ Geld in die Wirtschaft pumpen konnte, wurden durch den damals sich stark aufblähenden „Sozialstaat“ viele Studenten (von denen viele nunmehr Bafög erhielten) und Arbeiter stärker an den Staat gefesselt und einem stärkeren Widerstand die Spitze genommen.
Auf politischer Ebene rührte die SPD während des ganzen Jahres 1969 unaufhörlich die Trommel für die Beteiligung an den Wahlen. Während zuvor die APO die Betonung ihrer Aktivitäten auf eine „außerparlamentarische Opposition“ gelegt hatte, gelang es der Sozialdemokratie einen beachtlichen Teil der Jugendlichen an die Wahlurnen zu locken. Wie 1918/1919 schon leistete die Sozialdemokratie 50 Jahre später beim Abfedern der sozialen Gegensätze eine entscheidende Rolle. Wie stark die Anziehungskraft der Sozialdemokratie war, belegte die Steigerung ihrer Mitgliederzahl (darunter viele Jugendliche) um 300.000 zwischen 1969-1972. Viele betrachteten die SPD als das Vehikel für den „Marsch durch die Institutionen“. Die Mitarbeit bei den Jusos sollte dabei für viele die Anfangsstufe einer späteren Karriere im Staat werden.
40 Jahre nach den Ereignissen des Jahres 1968 wurde im internationalen Vergleich in Deutschland neben Frankreich sehr intensiv über die Bewegung damals berichtet. Wenn die Medien sich so ausführlich mit diesem Thema befassen, dann weil tiefer in der Gesellschaft ein Interesse dafür vorhanden ist. Auch wenn diejenigen der damals Beteiligten, die in der Zwischenzeit Karriere gemacht haben, sich eher schämen oder dieses Kapitel ihrer Geschichte ganz auswischen wollen, können diejenigen, die seinerzeit danach strebten, die kapitalistische Gesellschaft infragezustellen und nach einer neuen, ausbeutungsfreien Gesellschaft zu suchen, sich darin bekräftigt fühlen, dass ihr ursprüngliches Anliegen weiterhin gültig bleibt und noch umgesetzt werden muss. Die ganze Tragödie der Ereignisse lag darin, dass aufgrund der historischen Schwäche der Arbeiterklasse damals in Deutschland sich der Aufbau eines revolutionären Gegenpols als besonders schwierig erwies.. Die damals in Bewegung geratene neue Generation wurde sozusagen „unschädlich“ gemacht, ihre Bestrebungen abgewürgt.
Heute schickt sich eine neue Generation an, die Grundfeste dieser Gesellschaft, die seitdem in eine viel verheerendere Krise und eine noch größere Barbarei abgerutscht ist, infragezustellen und an dem System selbst zu rütteln. Die Ehemaligen von damals, die von diesem System nicht verschlungen wurden, von denen viele heute fast das Rentenalter erreicht haben, haben allen Grund und die Möglichkeit dazu, der jüngeren Generation heute Beistand zu leisten, und sich in diesen Generationen-übergreifenden Kampf für die Überwindung des Kampfes einzureihen. Nachdem damals der Generationengraben gravierende Folgen hatte, wäre es für diese ältere Generation jetzt eine doppelte Tragödie, wenn es ihr nicht gelänge, die heutige jüngere Generation unterstützen zu können.
Wir werden in einem dritten Teil auf die weitere Entwicklung, d.h. auf die Septemberstreiks 1969 und den ersten massiven Widerstand der Arbeiterklasse in Deutschland eingehen.
(1) Auch war die studentische Proletarisierung damals noch nicht so weit vorangeschritten. Im Vergleich zu damals ist der Anteil von Arbeiterkindern unter Studenten heute höher. Während seinerzeit noch der kleinbürgerliche und bürgerliche Einfluss größer war, prägen die proletarischen Existenzbedingungen heute viel mehr die Studenten. Seinerzeit noch nahezu unbekannt, werden heute nahezu alle Studenten mit Jugendarbeitslosigkeit, Arbeitslosigkeit ihrer Eltern, Verarmung, der Notwendigkeit unter prekären Bedingungen zu jobben usw. konfrontiert. Den damaligen Hoffnungen auf eine berufliche Karriere steht heute meist die Angst vor Arbeitslosigkeit gegenüber.
Im März dieses Jahres erlebte die Arbeiterklasse in der Schweiz mit einem vierwöchigen Streik in den Eisenbahn-Reparaturwerkstätten von Bellinzona einen kämpferischen Frühling. Neben der Entschlossenheit der Belegschaft, sich gegen die Entlassung von Kollegen und die geplante Schliessung des Betriebes zu wehren, fiel die grosse Welle von Solidarität und Sympathie, die den Streikenden entgegengebracht wurden, auf.
“Endlich getraut sich wieder jemand, den Mund aufzutun und sich zu wehren!“ Dies war das spontane Gefühl bei vielen Beschäftigten nicht nur im Tessin, sondern auch in anderen Regionen. Der Arbeitskampf einer kleinen Belegschaft von nur 430 Beschäftigten hatte eine enorm positive Ausstrahlung und Signalwirkung innerhalb der gesamten Arbeiterklasse. Und ohne Zweifel auch umgekehrt – es war eben gerade die grosse Solidarität und das Verständnis für die Streikenden aus vielen Teilen der Arbeiterklasse, welche jene auch ermutigte, nicht aufzugeben und nicht schnell in die Knie zu gehen gegenüber dem Erpressungsmanöver des SBB-Managements, das lautete: “Wir verhandeln erst, wenn der Streik beendet wird“. Dass heute andere Beschäftigte ein enorm solidarisches Verständnis für die Anliegen von Streikenden zeigen - und dies trotz allfälligen Einschränkungen im Reiseverkehr - hatten wir im November 2007 schon in Deutschland beim Arbeitskampf der Lokführer gesehen.
Auch wir haben als Organisation am 15. März und in den folgenden Tagen mit einem Flugblatt versucht, unsere Solidarität mit den Streikenden auszudrücken. Unser Anliegen ist gewesen, die Belegschaft vor allem dabei zu unterstützen, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen.
Seit dem Ende des Streiks am 8. April ist es ruhig geworden um die SBB-Cargo-Werkstätten in Bellinzona. Die unmittelbare Abmachung zwischen Streikkomitee, den Gewerkschaften UNIA und SEV, SBB-Management und der Regierung war bei Wiederaufnahme der Arbeit eine temporäre Zurücknahme der angekündigten Entlassungen und die Ankündigung von Verhandlungen in den folgenden Wochen. Ein erster Verhandlungstisch, der sogenannte “Runde Tisch“, hinter verschlossenen Türen, wurde Ende Mai installiert. Ergebnis: der vorläufige Verzicht auf die Schliessung des Betriebes. Alle beteiligten “Vertreter“ einigten sich aber als Hauptstrategie auf die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Rentabilität des Betriebs! “Geeinigt haben sich die Parteien darauf, dass nun eine Arbeitsgruppe nach Lösungen sucht, um das SBB-Werk in Bellinzona rasch wettbewerbsfähiger zu machen.“ (Tagesanzeiger, 30. Mai)
Eine bittere Pille gab es gleichzeitig für die Beschäftigten von SBB-Cargo in Fribourg mit der angekündigten Schliessung des Kundenzentrums, Entlassungen und zwangsmässigen Verlegungen von Arbeitsplätzen!
Die herrschende Klasse war sich aufgrund der Eigeninitiative der Belegschaft, der Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse mit diesem Streik und angesichts des internationalen Rahmens einer Zunahme von Klassenkämpfen schnell bewusst, dass sie diesen Konflikt nicht der anfänglich unnachgiebigen Hand des Cargo-Managements alleine überlassen durfte. Der Streik war aufgrund einer Empörung und durch die Kampfbereitschaft der Belegschaft selbst ausgebrochen. Um den ausgebrochenen Konflikt in die Hände zu nehmen, wurde anstelle der bei der Belegschaft sehr gering geschätzten traditionellen Eisenbahnergewerkschaft SEV die radikalere UNIA notfallmässig auf den Plan gerufen. Andererseits intervenierte die Landesregierung direkt durch den sozialdemokratischen Bundesrat Leuenberger. Hinter dieser Vorgehensweise und den temporär gemachten Zugeständnissen steckt natürlich die Angst der herrschenden Klasse vor der Signalwirkung, die heute ein Arbeitskampf, der durch Eigeninitiative der Arbeiter ausgebrochen ist, ausübt. Genau hier liegt auch die positive Bedeutung und Ausstrahlung des Streiks der Cargo-Beschäftigten im März für die gesamte Arbeiterklasse.
Dass die drohende Betriebsschliessung und die Entlassungen vorerst abgeblasen wurden, ist ohne Zweifel eine, wenn auch nur momentane, Erleichterung für die Belegschaft in Bellinzona (anders für die Belegschaft in Fribourg!). Betitelt wurden diese Zugeständnisse in einigen Medien und noch euphorischer an Veranstaltungen linksextremer Gruppen zusammen mit Gewerkschaftsvertretern als “Sieg“ und Bestätigung einer radikalen Gewerkschaftsidee. Doch ist es ein “Sieg“, dass
- nun zusammen mit dem SBB-Management die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes untersucht werden soll?
- hinter verschlossenen Türen und ohne wirkliche Beteiligung der Cargo-Beschäftigten verhandelt wird?
- die Gewerkschaft UNIA sich eine Mütze als “Vertreter der Arbeiter“ aufsetzen konnte?
Für die Arbeiterklasse gilt es aus einem Streik nüchtern die Lehren für die Zukunft zu ziehen und ihn auch aus der Perspektive der Klasse insgesamt zu betrachten. Arbeitskämpfe wie der Streik in Bellinzona sollten nicht schematisch in “Siege“ oder “Niederlagen“ unterschieden werden. Diese Kategorisierung bleibt meist an der Oberfläche und lässt keine wirkliche Unterscheidung zwischen positiven und negativen Erfahrungen zu, die oft gleichzeitig gemacht werden. Wir sollten uns überdies bewusst sein, dass die meisten Arbeitskämpfe zunächst Verteidigungskämpfe der Arbeiterklasse innerhalb des Kapitalismus sind. Erst die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise durch eine proletarische Revolution stellt ein tatsächlicher “Sieg“ der Arbeiterklasse insgesamt dar. Aber nicht jeder Kampf, der dieses Ziel nicht erreicht, ist deshalb gleich eine “Niederlage“. Der beste Gradmesser für die Bilanz nach einem Kampf ist die gewonnene Klarheit über die gemachten Erfahrungen - also weniger die materiellen Erfolge als die “ideellen“ Schlüsse daraus (auf der Ebene des Bewusstseins in der Klasse).
Wir erleben Arbeitskämpfe, die unabdingbar sind zur Entwicklung der Solidarität, des Bewusstseins und des Selbstvertrauens der Arbeiterklasse, ganz unterschiedliche Dynamiken. Der Streik bei SBB-Cargo hat durch die grosse Solidarität, auf die er gestossen ist, nicht das Schicksal einer langen Isolation und Demoralisierung erlitten, für welche die Erfahrung aus dem über einjährigen Bergarbeiterstreik 1984 in England als wichtiges Beispiel steht. Der Streik wurde damals aufgrund der verzweifelten Lage der Bergarbeiter von den Linken enorm heroisiert. Er endete aber in einer Zerstückelung in “radikale Arbeiter“ und “Streikbrecher“ und in einer grossen Verwirrung. Nicht der Kampf bis zum bitteren Ende, sondern die absolut notwendige Ausweitung des Streiks auf andere Sektoren, um mehr Kraft zu erhalten, war damals die klare Lehre, die es zu ziehen und nicht zu vergessen galt.
Diese notwendige Ausweitung eines Arbeitskampfes auf andere Sektoren ist leider auch bei SBB-Cargo nicht erfolgt. Dies begrenzte den Streik in seiner Kraft entscheidend und erlaubte es der herrschenden Klasse, den Standort Fribourg schrittweise zu schliessen.
Zurück zu den Abmachungen des ersten “Runden Tisches“ zwischen SBB-Cargo, Gewerkschaftern aus dem ehemaligen Streikkomitee, UNIA, SEV und der Regierung: Ihr vorgeschlagenes Hauptziel ist die gemeinsame Überprüfung der Wettbewerbsfähigkeit der Werkstätte. Dazu einige grundsätzliche Gedanken. “Rote Zahlen“ die im Werk Bellinzona eingefahren wurden, waren von Beginn weg das Hauptargument des SBB-Managements dafür, den Betrieb zu schliessen. Ob dieses Argument betriebswirtschaftlich stichhaltig ist, können wir nicht wirklich beurteilen. Nebenbei: Nur die Naivsten würde ein Loch in einer Betriebskasse wirklich wundern - gerade in der heutigen Zeit einer schon jahrelang anhaltenden Krise, in der auch die Schweizer Grossbanken Milliarden abschreiben und Leute auf die Strasse stellen.
Von Seiten der Gewerkschaft UNIA und linken Gruppen (z.B. “Bresche“) wurde in lächerlicher Rechthaberei mit dem SBB-Management über die Frage Gewinn oder Pleite gestritten. Die Reparaturwerkstätte würde sich “lohnen“, Bellinzona habe im Jahr 2007 3,4 Millionen Gewinn erwirtschaftet, sagten jene linken Kräfte. Vor allem aufgrund der Rentabilität sei die Aufrechterhaltung des Standortes Bellinzona gerechtfertigt. Doch ist dies nicht schlicht und einfach die Denkweise des Kapitals? Der Streik der Belegschaft findet in dieser Argumentationsweise nur dadurch seine Berechtigung, weil er angeblich die Verteidigung eines “wettbewerbsfähigen“ Betriebes ist. Spinnen wir diese linkskapitalistische Logik etwas weiter: Ein Streik um einen rentablen Betrieb ist berechtigt – und umgekehrt ein Streik in einem Betreib, der pleite ist, offenbar nicht? Die Gewerkschaft UNIA hatte dieses Argument 2006 verwendet, um die Streikenden von Swissmetal in Reconvillier (ein Betrieb der unbestreitbar mit der Rentabilität zu kämpfen hatte) zu Konzessionen zu drängen.
Soll sich die Arbeiterklasse in ihrem Kampf dazu hingeben, dem Kapital die Rentabilität ihrer Lohnarbeit zu beweisen? Wohl kaum! Die Berechtigung eines Streiks, der von den Beschäftigten ausgeht, liegt im Willen, ihre langfristigen Interessen zu verteidigen, ganz unabhängig vom gegenwärtigen Stand des Kassabuchs des Betriebes. Wenn die Arbeiterklasse sich auf der Suche nach einer Berechtigung ihres Kampfes auf die Logik der Rentabilität begeben würde, dann müsste sie folgerichtig in den Zeiten einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise die Hände zunehmend in den Schoss legen, da es immer mehr bankrotte Betriebe gibt.
“Rentabilität“ der SBB-Cargo-Werkstätte in Bellinzona hin oder her: Der Arbeitskampf im März dieses Jahres hat allein durch die Tatsache, dass ein Streik als eine “Schule des Klassenkampfes“ unsere Erfahrung vergrössert, unser Selbstvertrauen stärkt und einen gesunden Reflex der Beschäftigten ihre Interessen zu verteidigen darstellt, mehr als nur Berechtigung – auch wenn der Betrieb rote Zahlen schreibt!
Was bedeuten die als Verhandlungserfolg am “Runden Tisch“ und als Perspektive gepriesene Lösung, den Betrieb wettbewerbsfähiger zu machen, für die Arbeiter? Selbst wenn der SBB-Cargo-Standort Bellinzona in den nächsten Jahren nicht aufgegeben wird und das Management auf direkte Entlassungen verzichtet, bedeutet es für die Beschäftigten, den Gürtel anderweitig enger zu schnallen. Dies geschieht meist durch Angriffe auf den Lohn mittels Lohnstopp, Zulagenkürzungen bei Schichtarbeit, Streichung der Teuerungszulagen, nicht Ersetzen von Rente-Abgängern, Frühpensionierungen mit massiven Renteverlusten, Einstellungen zu tieferen Löhnen und natürlich durch eine allgemeine Verschärfung der Arbeitsbedingungen: “Die Angestellten der SBB-Werkstätte in Bellinzona und die SBB wollen das Betriebsergebnis bis 2010 um mindestens zehn Millionen Franken verbessern. Das teilte Franz Steinegger, der Leiter des runden Tisches zur Zukunft des Industriewerks, nach dem gestrigen dritten Treffen mit. Rund zwei Drittel der Verbesserungen gelängen mit Kostenreduktionen, der Rest mit Effizienzsteigerungen (…) Von beiden Seiten anerkannt sei zudem, dass es flexiblere Arbeitszeiten brauche. (…) Bereits nach den früheren Treffen hatten beide Verhandlungspartner betont, dass die Officine eine höhere Auslastung und damit mehr externe Kunden brauchen.“ (Tagesanzeiger Online am 24.6. zum 3. “Runden Tisch“ im Juni)
Hinter dem Vorschlag, die Werkstätte Bellinzona dann weiter zu führen, wenn sie schwarze Zahlen schreibt, steckt eine heimtückisch Falle für die Arbeiter. Es wird von ihnen durch den Vorschlag der angestrebten Wettbewerbsfähigkeit eine vermehrte Identifikation mit “ihrem Betrieb“ verlangt. Wettbewerbsfähigkeit heisst, mehr Anstrengungen gegenüber den Konkurrenten, also Werkstätten, welche dieselben Arbeiten verrichten. Da die Arbeiterklasse in ihrem Wesen eine internationale Klasse ist, erlauben wir uns hier einen Hinweis auf eine aktuelle Erfahrung der Arbeiter in Venezuela, die natürlich nicht identisch ist, hinter der im Kern aber dieselbe Falle für die Arbeiterklasse steckt: Unrentable oder schon geschlossene Betriebe werden von der kapitalistischen Regierung Chavéz den Arbeitern “in Selbstverwaltung übergeben“. Resultat: Hochgelobte Produktionssteigerungen um 30% durch intensivste Arbeit unter Kontrolle der Gewerkschaften, Selbstausbeutung der Beschäftigten und ein in die Reihen der Beschäftigten eingeimpfter kapitalistischer Geist “unsere Fabrik gegen die anderen“.
Die Belegschaft bei SBB-Cargo hat im März ihren Kampf alles andere als mit dem Ziel einer am Verhandlungstisch besiegelten Selbstausbeutung begonnen. Der “Runde Tisch“ versucht sie aber seit Ende des Streiks in diese Falle zu drängen.
An einer Diskussionsveranstaltung (Bresche, Aufbau) vom 19. Mai in Zürich wurde, in bedenklich selbstdarstellerischer Art und Weise von den “Streikführern“ und zugleich UNIA-Mitgliedern Pronzini und Frizzo der Streik bei Cargo als ein von langer Hand von Basisgewerkschaftern vorbereiteter Konflikt präsentiert. Wer den Kampf aber etwas näher betrachtete, erkannte schnell, dass der Streik nur deshalb möglich war, weil die Belegschaft als Ganzes die Initiative ergriffen hatte. Dieselben Basisgewerkschafter hatten schon in den Jahren zuvor erfolglos versucht, Mobilisierungen zu organisieren. Es ist ihnen gelungen, während des Kampfes innerhalb des Streikkomitees eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen. Dies nicht zuletzt mit dem überall in der Presse aufgegriffenen Personenkult um den angeblichen Streikführer und Kritiker der “lahmen“ Gewerkschaftsspitzen Gianni Frizzo. Die Gewerkschaft UNIA, schon in der ersten Streikwoche im März in einen Sektor auf den Plan gerufen, den sie bisher dem Eisenbahnerverband überlassen hatte, war sich bewusst, dass sie nur mit radikalen und an der Basis präsenten Gewerkschaftsvertretern Fuss fassen konnte.
Heute, knapp 4 Monate nach Ende des Streiks hat das “Streikkomitee am Verhandlungstisch“ nicht mehr denselben Charakter wie zu Beginn des Konfliktes, als es Ausdruck der lebendigen Dynamik des Streiks war. Der Geist seiner Vertreter kann nicht treffender als mit den Worten Richard Müllers (Revolutionärer Obmann in der Deutschen Revolution 1918/19) bezeichnet werden: “Wurde nach einem hartnäckigen Kampf das Unternehmertum an den Verhandlungstisch gezwungen, dann quoll das Herz des tapferen Gewerkschaftsführers über, wenn er seine Füsse mit denen des Gegners unter einen Tisch setzten durfte.“ Zusammen mit den Gewerkschaften UNIA und SEV und durch UNIA-Basisgewerkschafter wie Frizzo repräsentiert, nimmt die Hülle des Streikkomitees offiziell Anteil an den Plänen des “Runden Tisches“ zur Effizienzsteigerung des Betriebes.
Auch wenn bei genauer Betrachtung die Rolle der Gewerkschaft UNIA im Cargo-Streik die des Verhinderns einer Ausdehnung (so wurde es zurecht von Arbeitern an einer Diskussionsveranstaltung in Winterthur kritisiert) und des Abdrängens des Kampfes in Verhandlungen um die Wettbewerbsfähigkeit war, hat sie sich bei den Arbeitern noch nicht als Instrument des Kapitals diskreditiert. Es ist der UNIA im Gegenteil geschickt gelungen, durch seine Basisgewerkschafter im Streikkomitee Einfluss auf den Streik zu nehmen und zu verhindern, dass die Arbeiter die Initiative und die Leitung des Kampfes wirklich in den eigenen Händen behalten.
Als unterstützender “guter Onkel im Hintergrund“ hat es die UNIA geschafft, sich radikaler zu präsentieren: “Ein Streik ist nur mit unserer Begleitung möglich.“ Es ist nie zu einem offenen Konflikt zwischen dem Streikkomitee und UNIA gekommen. Zum Instrument von selbständigen, neuen Basisgewerkschaften anstelle der alten Gewerkschaften wird die herrschende Klasse erst greifen müssen, wenn die Arbeiterklasse stärker auf den Plan tritt. VS, 18.07.08
Seit dem Ausbruch der Immobilienkrise 2007 haben Ökonomen und Regierungsvertreter mit einer Rezession in den USA gerechnet. Mittlerweile ist die Hälfte des Jahres 2008 um, und die "Experten" haben sich noch nicht eindeutig geäußert, ob nun die Rezession ihren Einzug halten wird. Dabei sind die Krisenzeichen überall zu sehen. Das Hypothekendebakel setzt sich weiter fort. Die Wohnungspreise fallen weiter, immer mehr Hausbesitzer werden zahlungsunfähig, Firmen melden Konkurs an, das gesamte Finanzsystem ist bis ins Tiefste erschüttert. Profite haben sich, genauso schnell wie sie sich in der Boomphase gebildet hatten, in Rauch aufgelöst. Die wirtschaftlichen Erschütterungen sind aber nicht beschränkt auf den Immobiliensektor. Die gleichen verheerenden Entwicklungen findet man z.B. bei den Fluglinien und auch in der Automobilbranche, die schon vor dem Zerplatzen der Immobilienblase eingeknickt waren.
Die Reaktion der US-Regierung auf die sich zuspitzende Krise war genau die gleiche wie früher: die gleichen Währungstricks wurden eingesetzt, wie bei allen anderen früheren Krisen. Der Kern dieser Politik besteht darin, riesige Mengen Geld zu Niedrigzinsen in die Wirtschaft zu pumpen, mit der Hoffnung, dass dadurch die Nachfrage steigt und die Konsumentennachfrage angekurbelt wird. So hat zum Beispiel die US-Federal Reserves seit Herbst letzten Jahres die Zinsen siebenmal gesenkt und einen Anschein von Ordnung durch ein ständiges Hineinpumpen von Geldern mit niedrigen Zinsen bewahrt. Auch wenn die Maßnahmen der Regierung dadurch einen unmittelbaren Zusammenbruch verhindert haben, musste dafür ein hoher Preis bezahlt werden. Eine der Hauptfolgen der Politik der US-Regierung ist die weitere Abwertung des US- Dollars, der gegenüber dem Euro jeweils neue Tiefststände erreicht hat. Dadurch werden die Preise der in Dollar bezahlten Waren auf der ganzen Welt in die Höhe getrieben. Mit anderen Worten die Politik der Fed hat den Inflationsdruck weltweit verschärft.
Die US-Regierung hat in den letzten Wochen die sich beschleunigende Inflation eingestehen müssen. In Anbetracht der mittlerweile unleugbaren Zahlen hat der Fed-Chairman Bernanke zu verstehen gegeben, dass die Fed die Zinsen in unmittelbarer Zukunft nicht mehr senken möchte. Die Fed scheint den Kampf gegen die Inflation nunmehr zu ihrer Priorität erheben zu wollen und legt weniger Wert auf die Notwendigkeit, der lahmenden Konjunktur wieder einen Anschub zu verleihen.
Dabei liegt auf der Hand, dass die Inflation in der letzten Zeit stark angestiegen ist. Vor allem die Arbeiter brauchen dazu nicht die Befunde der "Wirtschaftsexperten", denn die Konsequenzen der Inflation – höhere Preise für Wohnung, Heizung, Benzin, Lebensmittel usw., sind längst zu spüren. Wenn die Regierungszahlen so ungemein niedrig liegen, dann muss man den Verdacht schöpfen, denn die Zahlen werden bewusst beschönigt, genau so wie die herrschende Klasse ein Interesse daran hat, die Arbeitslosenzahlen niedrig zu halten. Mit Hilfe statistischer Tricks ist der Verbraucherpreisindex sehr niedrig angesetzt worden. Dies ermöglichte der herrschenden Klasse, relativ niedrige Preissteigerungsraten im Vergleich zu der zweistelligen Inflation in den 1970er Jahren vorzuzeigen. Einige der statistischen Tricks sind besonders aufschlussreich. Bis 1983 berechnete das Bureau of Labor Statistics die Inflation im Immobilienbereich durch die Berücksichtigung der Erwerbskosten einer Wohnung. Dabei wurden die Preise für den Wohnungserwerb, die Hypothekenzinsen und Steuern mit berücksichtigt. Mit der Zeit wurde aber aus unbekannten Gründen diese Rechenformel fallengelassen und durch ein sogenanntes "vergleichbares Eigentümereinkommen" ersetzt, das den wahren Erwerbskosten einer Wohnung nicht mehr Rechnung trug. Schätzungen gehen davon aus, dass allein diese Berechnungsart die Preissteigerungsrate um 3-4% niedriger ansetzt. In den 1990er Jahren wurde der Preisindex erneut dreimal geändert, d.h. natürlich gedrückt. Zunächst mit Hilfe der Produktsubstitution. Falls ein Erzeugnis (z.B. hochwertiges Fleisch) zu teuer wird, nimmt man es einfach aus dem Warenkorb heraus, mit der Begründung, die Käufer würden automatisch auf ein billigeres Produkt zurückgreifen, z. B. Hamburger. Zweitens die "geometrische Gewichtung": Güter und Dienstleistungen, deren Preise am meisten steigen, erhalten eine niedrigere Gewichtung, weil dadurch angeblich der Konsum zurückgeht. Drittens die sogenannte "hedonistische" Anpassung, die vorgibt, Verbraucherzufriedenheit aufgrund von verbesserten Produkten und Dienstleistungen zu berücksichtigen.
Als im August 1971 die Inflation in den USA 4% erreichte, wurde dies als eine nationale Krise erachtet und die Nixon-Administration ordnete damals Lohn- und Preiskontrollen an. Heute lässt eine 4.2%ige Inflation lediglich die Alarmglocken läuten. Schlimmer noch, nicht-Regierungsberechnungen zufolge kann man davon ausgehen, dass die tatsächliche Inflation nicht wie offiziell verkündet ca. 4% beträgt, sondern eher 7-10%. Das war übrigens der Jahresdurchschnitt seit 1980, wenn man die manipulierten, frisierten Werte herausnimmt.
Natürlich ist der Inflationsschub kein reines US-Phänomen. Die Rohstoffpreise sind schon seit einem Jahrzehnt angestiegen; seit 2007 hat es jedoch eine große Beschleunigung beim Preisanstieg der Nahrungs- und Energiepreise gegeben. Der Weltmarktpreis für Weizen hat sich zwischen Februar 2007 und Februar 2008 verdoppelt. Der Reispreis hat ein Zehnjahreshoch erreicht, während gleichzeitig in anderen Teilen der Welt Milch- und Fleischpreise sich ebenfalls mehr als verdoppelt haben. Die Preise für Soja und Mais sind ebenso dramatisch angestiegen. Die Verdoppelung des Ölpreises innerhalb eines Jahres hat ebenso große inflationäre Wirkungen.
Ob in Europa oder China, überall sind die Preise stark angezogen. Aber die Kapitalistenklasse ist um so besorgter, da der Anstieg der Inflation zeitgleich mit einer Verlangsamung des Wachstum der Weltwirtschaft insgesamt stattfindet. An herausragender Stelle stehen dabei die Erschütterungen der US-Wirtschaft. Die "Wirtschaftsexperten" sprechen immer mehr von "Stagflation" . Aber sie verschweigen, dass in den letzten 40 Jahren sich verschärfender Wirtschaftskrise mit ihren immer wiederkehrenden Blasen und dem Zerplatzen derselben, die Inflation zu einem permanenten Phänomen des Weltkapitalismus geworden ist. Eines der Hauptziele der jeweiligen Zentralbanken bestand darin, die Inflation unter Kontrolle zu halten. Aber ungeachtet dieser ökonomischen Ziele ist die Inflation immer wieder außer Kontrolle geraten. Während der 1970er Jahre entfaltete sich die Inflation nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Abkommens 1971 international. In den Zentren des Kapitalismus wurden damals zweistelligen Inflationsraten registriert. In den 1980er Jahren wurde die sog. Dritte Welt mit einer Hyperinflation konfrontiert, die manche latein-amerikanische Wirtschaft schwer angeschlagen hat.
Während bürgerliche Ökonomen endlos lange über die Ursachen der Inflationsschübe streiten, sagen sie nie, dass die eigentlichen Inflationsursachen im kapitalistischen System selbst und den von der herrschenden Klasse ergriffenen Maßnahmen verwurzelt sind.
Die kapitalistische Produktion ist nur insofern eine gesellschaftliche Produktion, als das, was produziert wird, nicht für den individuellen Konsum bestimmt ist, sondern für den Gebrauch durch andere. Die Produktion muss notwendigerweise zu einem Überschuss (Überangebot) in einem Produktionsbereich und zu Mangel in anderen Bereichen führen. In einem auf dem Wertgesetz basierten System spiegeln Preisänderungen einen Mangel an bewusster, gesellschaftlicher Planung wider.
Die jüngste Entwicklung des Einsatzes von Grundnahrungsmitteln wie Mais und Sojabohnen, die vorher für die menschliche Ernährung und nunmehr für die in Mode gekommene Bio-Ethanol-Industrie eingesetzt wird, verdeutlicht dies. Ohne Zweifel hat die gegenwärtige Obsession der herrschenden Klasse für Biokraftstoffe den Preis dieser Produkte in die Höhe getrieben. Gleichzeitig wurden dadurch die Taschen der großen Farmer gefüllt, während die Zahl der Hungernden auf der Welt zunahm, die bislang von der Unterstützung mit billigen Lebensmitteln von den großen Lebensmittelproduzenten abhingen.
Die Folgen der Funktionsweise eines Wirtschaftssystems, das im Wesentlichen auf die Erfüllung unmittelbarer Ziele ausgerichtet ist, wird anhand der historischen Abhängigkeit des Kapitalismus von der Verwendung fossiler Brennstoffe für seine Energiebedürfnisse ersichtlich. Auf der einen Seite hat diese Abhängigkeit ein alptraumhaftes Szenario der sich zuspitzenden Klimakatastrophe hervorgerufen, welche die Nahrungsmittelproduktion auf der Welt in Mitleidenschaft zieht. Auf der anderen Seite ist Öl zu einem wahren Schmiermittel in der Wirtschaft und im Verkehr aber auch beim Militär geworden, dass nahezu ständig ein Mangel an Öl entstanden ist. Abgesehen von einigen kurzen Zeiträumen hat es nie ein Ölüberangebot gegeben. So galoppieren jetzt die Ölpreise davon.
Aber die Wirtschaftspolitik der herrschenden Klasse, die der chronischen Krise des Systems entgegentreten muss, ist selbst ein Faktor, der die Inflation antreibt. Der missbräuchliche Einsätz des Druckens von Geldscheinen, die ständigen Währungsmanipulationen, der Missbrauch der Kreditmechanismen, die ständig wachsenden Haushaltsdefizite, all diese Faktoren tragen zur inflationären Entwicklung bei.
Schließlich treibt auch die imperialistische Politik die Energie- und Nahrungsmittelpreise weiter an. Die Instabilität im Mittleren Osten und in Nigeria haben auch zur Ölpreisexplosion beigetragen. Schließlich hat der Irak-Krieg ebenso den Ölpreis mächtig mit in die Höhe getrieben. Auf der einen Seite hat der Krieg die Ölförderung in diesem Land stark beeinträchtigt, womit das Ölangebot auf dem Weltmarkt sank. Auf der anderen Seite haben auch die außer Kontrolle geratenen Kosten dieses Krieges mit zu einer Abwertung des Dollars und einem Preisanstieg beigetragen.
Oft versucht die herrschende Klasse die Schuld für die Inflation den Arbeitern in die Schuhe zu schieben. Die sogenannte Lohn-Preisspirale wird häufig für die Hyperinflation in den Zentren des Kapitalismus verantwortlich gemacht. In Wirklichkeit sind die Lohnsteigerungen aber immer den Preissteigerungen hinterhergehinkt. Jetzt senken steigende Lebensmittel- und Energiepreise das Lebensniveau der Arbeiter auf der ganzen Welt. Die Arbeiter werden gleichzeitig mit Lohnsenkungen und steigenden Preisen konfrontiert. Kein Wunder, dass Hungerrevolten und Proteste gegen andere Preiserhöhungen überall auf der Welt zunehmen. Nur die Arbeiterklasse kann diesen Wahnsinn stoppen. Der Kapitalismus hat nichts Anderes anzubieten außer Kriege und wachsende Verarmung. (leicht gekürzter Artikel aus unserer Presse in den USA) - Eduardo Smith, 23.6.08,
Von den Medien weitestgehend verschwiegen haben sich in den letzten Wochen Arbeiter in fast allen Kontinenten gegen die brutale Beschleunigung der Wirtschaftskrise zur Wehr gesetzt. Aus Platzgründen können wir nicht näher und tiefergehend auf diese Kämpfe hier eingehen. An dieser Stelle wollen wir nur auf die Reaktion der Arbeiter in dem ältesten kapitalistischen Zentrum, Großbritannien, aufmerksam machen. Wenn sich nun die Arbeiter in Großbritannien wieder verstärkt zu Wort melden, wenn 700.000 Arbeiter im ältesten Industriestaat der Welt gemeinsam streiken, ist dies ein aufschlussreiches Beispiel einer internationalen Verstärkung der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse, denn die Kampfkraft des britischen Proletariats war jahrelang nicht zuletzt durch die Politik der New Labour zurückgedrängt worden. Als Beispiel unserer Intervention im Klassenkampf bringen wir Auszüge aus einer Flugschrift unserer Sektion in Großbritannien, World Revolution anlässlich der für den 16. und 17. Juli anberaumten Aktionstags der Beschäftigten der Kommunen, die für eine 6% Lohnerhöhung eintraten. „Nach den Protesten der Lehrer und Beamten am 24. April, des Shell-Personals im Juni, einer wachsenden Unzufriedenheit unter den Beschäftigten des Gesundheitswesens, der Beschäftigten im Einzelhandel haben alle Beschäftigten das gleiche Interesse, sich den Angriffen gegen ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu erwehren. Aber in Anbetracht eines zentralisierten Angriffs durch den Staat ist es unmöglich, sich zu verteidigen, wenn wir gespalten sind und jeder für sich in seiner Ecke kämpft. (…) Die Beschäftigten der Kommunen in Birmingham stimmten im April in einer Vollversammlung für die Unterstützung der Demonstrationen und Streiks der Lehrer und Beamten am 24. April. Beim jüngsten Streik der Postbeschäftigten weigerten sich die Fahrer der Post, die Streikposten zu durchbrechen. Und als gegen sie Disziplinarmaßnahmen ergriffen wurden, kam es an mehreren Orten zu wilden Streiks. Und als die Shell-Fahrer die Arbeit niederlegten, weigerten sich andere Fahrer, deren Streikposten zu umgehen. Diese ersten Zeichen von Solidarität beunruhigten die Bosse so sehr, dass die beiden Firmen schnell ein Abkommen unterzeichneten. (…) Als die Lehrer und Beamten am 24. April die Arbeit niederlegten, wurde dies als ein „Donnerstags-Aktionstag“ des gesamten öffentlichen Dienstes bezeichnet. Aber selbst in den Schulen blieben die Beschäftigten zersplittert – das Lehrpersonal wurde je nach Schultyp gespalten; im April streikten die Lehrer des einen Schultyps, im Juli die eines anderen. Gegen diese Spaltungspolitik können wir uns nur wehren, indem wir die gewerkschaftliche Spaltungstaktik überwinden. Wir müssen den anderen Beschäftigten unsere Solidarität zeigen, mit ihnen direkt Kontakt aufnehmen. Im Herbst letzten Jahres zeigten Arbeiter in Frankreich den gleichen Ansatz eines gemeinsamen Kampfes, als Eisenbahner sich zu den Vollversammlungen der Studenten und umgekehrt begaben und gemeinsam demonstrierten. Das geschah gegen den Willen der Gewerkschaften. Und auch als im Frühjahr 2006 Studenten die Unterstützung von Arbeitern erhielten und diese sich anschickten, selbständig den Kampf aufzunehmen, zwang diese aufkeimende Solidarität die französische Regierung, das Gesetz CPE zurückzunehmen. (...) Die Arbeiter können nur ausreichend Druck zur Abwehr der Angriffe entfalten, wenn sie sich mit anderen Arbeitern zusammenschließen. Dies erfordert zu diskutieren, wie und mit wem wir uns zusammenschließen. Schritte in diese Richtung dürfen wir aber nicht von den Gewerkschaften erwarten, sondern diese müssen wir selbst ergreifen, indem wir zum Beispiel Delegationen zu anderen Betrieben, zu Demonstrationen anderer Beschäftigter usw. schicken.“ (Flugblatt der IKS in Großbritannien)
Am 4. Nov. 1918 meuterten in Kiel an der deutschen Ostseeküste die Matrosen gegen den Befehl des Militärs, zu einer weiteren Seeschlacht auszulaufen.
Ein Siedepunkt der Unzufriedenheit, der Ablehnung des Krieges war erreicht worden. Nach 4 Jahren mörderischen Abschlachtens mit mehr als 20 Mio. Toten, unzähligen Verletzten, den verlustreichen, zermürbenden Stellungskriegen mit ihren Giftgaseinsätzen in Frankreich, der Ausmergelung und Aushungerung der arbeitenden Bevölkerung, war diese restlos kriegsmüde geworden und nicht mehr bereit, den Preis für dieses Abschlachten mit ihrem eigenen Leben zu zahlen. Die militärische Führung dagegen wollte die Fortführung des Krieges mit brutaler Repression durchsetzen und verhing drakonische Strafen gegen die meuternden Matrosen.
Dagegen erhob sich sofort eine breite Solidarisierungswelle, deren Zündungsfunke von Kiel ausging und der sofort auf andere Städte in ganz Deutschland übersprang. Arbeiter traten in den Ausstand, Soldaten verweigerten die Befehle; sie bildeten - wie zuvor schon Anfang des Jahres in Berlin geschehen, Arbeiter- und Soldatenräte, die sich in Windeseile auch auf andere Städte ausbreiteten. Am 5./6. Nov. setzten sich Hamburg, Bremen und Lübeck in Bewegung; Dresden, Leipzig, Magdeburg, Frankfurt, Köln, Hannover, Stuttgart, Nürnberg, München befanden sich am 7. und 8. Nov. in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte. Innerhalb einer Woche gab es keine deutsche Großstadt, in der nicht auch Arbeiter- und Soldatenräte gegründet waren.
In dieser Anfangsphase wurde Berlin schnell zum Zentrum der Erhebung: dort strömten am 9.November unzählige Arbeiter und Soldaten zu Demonstrationen auf die Straße. Die Regierung hatte zuvor noch die als "zuverlässig" bezeichneten Bataillone nach Berlin zum Schutz der Regierung kommen lassen. Aber am Morgen jenes 9. Nov. "leerten sich die Fabriken in unglaublich schnellen Tempo. Die Straßen füllten sich mit gewaltigen Menschenmassen. An der Peripherie, wo die größten Fabrikbetriebe liegen, formierten sich große Demonstrationszüge, die in den Mittelpunkt der Stadt zuströmten... Wo sich Soldaten zeigten, bedurfte es zumeist keiner Aufforderung, sie schlossen sich freiwillig den Arbeiterzügen an. Männer, Frauen, Soldaten ein Volk in Waffen, flutete durch die Straßen den zunächst gelegenen Kasernen zu" (R. Müller, Die Novemberrevolution, Bd. II, S. 11). Unter dem Übergewicht dieser auf den Straßen versammelten Massen wechselten die letzten regierungstreuen Truppen das Lager, schlossen sich den Aufständischen an und verteilten ihre Waffen an die Arbeiter. Das Polizeipräsidium, die großen Zeitungsbetriebe, Telegraphenbüros, das Reichstags- und andere Regierungsgebäude - sie alle wurden an dem Tag von bewaffneten Arbeitern und Soldaten besetzt, Gefangene aus den Gefängnissen befreit. Viele Regierungsbeamte hatten die Flucht ergriffen. Wenige Stunden hatten genügt, um diese Schaltstellen der bürgerlichen Macht zu besetzen. In Berlin wurde ein die Stadt übergreifender Rat der Arbeiter- und Soldatenräte gegründet: der Vollzugsrat.
Die Arbeiter in Deutschland traten damit in die Fußstapfen ihrer Klassenbrüder in Russland, die ebenfalls als eine Reaktion gegen den Krieg sich im Februar 1917 schon in Arbeiter- und Soldatenräten zusammengeschlossen und im Okt. 1917 siegreich die Macht übernommen hatten. Damit schickten sich die Arbeiter in Deutschland an, den gleichen Weg zu beschreiten, den Sturz des kapitalistischen Systems in Angriff zu nehmen: Übernahme der Macht durch die Arbeiter- und Soldatenräte, Lahmlegung des bürgerlichen Staatsapparates, Bildung einer Arbeiterregierung... Die Perspektive war: das Tor zur weltweiten Erhebung der Arbeiterklasse weiter aufzustoßen, nachdem in Russland zuvor schon die Arbeiter den ersten Schritt dazu getan hatten.
Mit dieser Aufstandsbewegung hatten die Arbeiter in Deutschland die größten Massenkämpfe in ihrer Geschichte in Gang gesetzt. All die von den Gewerkschaften während des Krieges geschlossenen Stillhalteabkommen, die Politik des Burgfriedens, waren damit unter den Paukenschlägen des Klassenkampfes zerplatzt. Durch diese Erhebung hatten die Arbeiter die Niederwerfung vom August 1914 abgeschüttelt und sich wieder aufgerichtet; der Mythos einer durch den Reformismus gelähmten Arbeiterklasse in Deutschland war verflogen. Dabei setzten die Arbeiter in Deutschland ebenso die neuen typischen Waffen des Proletariats in dem Zeitraum der kapitalistischen Dekadenz ein, deren Gebrauch zuvor schon von den Arbeitern in Russland (1905 und 1917) erfolgreich erprobt worden war: Massenstreiks, Vollversammlungen, Bildung von Arbeiterräten, Massendemonstrationen, kurzum die Eigeninitiative der Arbeiter selbst. Neben dem Proletariat in Russland, das die Kapitalistenklasse ein Jahr zuvor erfolgreich gestürzt hatte, standen die Arbeiter in Deutschland an der Spitze der ersten großen internationalen, revolutionären Welle von Kämpfen, die aus dem Krieg hervorgegangen waren. In Ungarn und Österreich hatten die Arbeiter 1918 sich auch schon erhoben und angefangen, Arbeiterräte zu errichten.
Aber während so auf örtlicher Ebene überall Herde proletarischer Aktivität entstanden, das Proletariat in Wallung gekommen war, blieb die herrschende Klasse nicht untätig. Die Ausbeuter und die Militärs in ihrer Mitte brauchten eine Kraft, die der Ausbreitung dieser revolutionären Erhebung entgegentreten könnte. Aus der Erfahrung in Russland lernend, zog die deutsche Bourgeoisie mit den Chefs der Obersten Heeresleitung die Fäden. General Groener, oberster Boss des Militärs, berichtete:
"Es gibt zur Zeit in Deutschland nach meinem persönlichen Dafürhalten keine Partei, die Einfluss genug im Volk, insbesondere bei den Massen hat, um eine Regierungsgewalt mit der Obersten Heeresleitung wiederherstellen zu können. Die Rechtsparteien waren vollkommen verschwunden, und mit den äußersten Radikalen zu gehen war natürlich ausgeschlossen. Es blieb nichts übrig, als daß die Oberste Heeresleitung dieses Bündnis mit der Mehrheitssozialdemokratie schloss.... Wir haben uns verbündet zum Kampf gegen die Revolution, zum Kampf gegen den Bolschewismus.... An eine Wiedereinführung der Monarchie zu denken, war meines Erachtens vollkommen ausgeschlossen. Der Zweck unseres Bündnisses, das wir am 10. November abends geschlossen hatten, war die restlose Bekämpfung der Revolution, Wiedereinsetzung einer geordneten Regierungsgewalt, Stützung dieser Regierungsgewalt durch die Macht einer Truppe und baldigste Einberufung einer Nationalversammlung... (W. Groener über die Vereinbarungen zwischen der Obersten Heeresleitung und F. Ebert vom 10. Nov. 1918).
Damit war die SPD wieder einmal zum Dreh- und Angelpunkt der Politik des Kapitals geworden, wie zuvor schon im August 1914 und im weiteren Verlauf des Krieges - als sie sich als sicherer Pfeiler des kapitalistischen Gerüsts erwiesen hatte.
Am 4. August 1914 hatte die parlamentarische Fraktion der Sozialdemokratie mit ihrer rechten Führung die Interessen des Proletariats verraten und den Krediten für den imperialistischen Krieg zugestimmt. Trotz des heftigsten Widerstands einer unbeugsamen Minderheit (deren prominenteste Vertreter K. Liebknecht, R. Luxemburg, Cl. Zetkin, O. Rühle waren, und die sich später im Spartakusbund und als Linksradikale vor allem in Norddeutschland und Mitteldeutschland organisiert hatten) hatte diese kapitalistische Führung den ganzen Krieg über für diesen mobilisiert.
Aber die Opposition gegen diese Kriegspolitik erhielt vor allem an der Basis immer mehr Aufschwung, insbesondere durch die Streiks, die von 1916-17 an Deutschland in zunehmendem Maße erschütterten und infolge des Drucks der Ereignisse in Russland 1917. Die Opposition in der Partei weigerte sich, dem kapitalistischen Vorstand Beiträge zu zahlen, immer mehr SPD-Zeitungen und immer mehr Ortsverbände bezogen gegen den Krieg und damit gegen den Vorstand Stellung. Als sich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Partei gegen die kapitalstreue SPD-Führung zu wenden begannen, schloss diese die Opposition im April 1917 aus der Partei aus. Die so Ausgeschlossenen gründeten darauf eine neue Partei - Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschland (1).
Engster Verbündeter des Kapitals während des Krieges waren auch die Gewerkschaften gewesen, die sofort nach Kriegsanfang ein generelles Streikverbot (Burgfrieden) erlassen hatten. Und wenn es dennoch Proteste, Streiks und Demonstrationen gab, und deren Häufigkeit nahm seit dem Sommer 1916 beständig zu, dann wurden die kämpferischsten Arbeiter, die sog. Rädelsführer, von den Gewerkschaften bei den Behörden denunziert, welche diese oft zwangsrekrutierten und als Kanonenfutter an die Front zum Abschlachten schickten. Hier hatten die Gewerkschaften zum ersten Mal unter Beweis stellen können, daß diese mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenz zu staatstragenden Organen, zur eigentlichen Polizei im Betrieb geworden waren. Damit trat nun mit diesem Bündnis aus SPD, Gewerkschaften und den höchsten Stellen des Militärs im Hintergrund den Arbeitern ein mächtiges Bollwerk entgegen, das sich schon im Krieg für die Verteidigung der Interessen des Kapitals bewährt hatte.
Um nicht den gleichen Fehler wie die Herrschenden in Russland zu begehen, - dort hatte die bürgerliche provisorische Regierung nach dem Sturz des Zaren im Februar 1917 den imperialistischen Krieg weitergeführt und damit den erbitterten Widerstand der Arbeiter, Soldaten und Bauern auf sich gezogen, die Widersprüche auf die Spitze getrieben und unbeabsichtigt den Boden für die Oktoberrevolution bereitet - reagierte die Kapitalistenklasse in Deutschland schnell und weitsichtiger: am 9. Nov. wurde der Kaiser aus dem Verkehr gezogen und ins Ausland geschickt, am 11. 11. der Waffenstillstand vereinbart, wodurch der schmerzhafteste Dorn aus dem Fleisch der Arbeiterklasse gezogen und der erste Anlass des Widerstandes der revoltierenden Soldaten beiseite geschafft war. Damit gelang es den Kapitalisten in Deutschland, der Bewegung frühzeitig Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber neben der Absetzung des Kaisers und dem Abschluss des Waffenstillstandes war die Übergabe der Regierungsgeschäfte an die SPD ein entscheidender Schritt zur Eindämmung der Kämpfe.
Am 9. Nov. bildeten 3 SPD Führer (Ebert, Scheidemann, Landsberg) zusammen mit 3 USPD-Führern den Rat der Volksbeauftragten, die bürgerliche Regierung in treuen Diensten des Kapitals (2). Diese selbsternannte (bürgerliche) Regierung kam nur gegen den Widerstand der Spartakisten und anderer bewusster USPD-Mitglieder zustande, denn vielen war klar, dass die SPD als Speerspitze gegen die Revolution wirkte. "Der Regierungssozialismus stellt sich mit seinem jetzigen Eintritt in die Regierung als Retter des Kapitalismus der kommenden proletarischen Revolution in den Weg. Die proletarische Revolution wird über seine Leiche hinwegschreiten ", hatte R. Luxemburg in den Spartakusbriefen schon im Oktober 1918 gewarnt. Und auch jetzt, am 10.11., schrieb die Rote Fahne, Zeitung der Spartakisten: ".. Vier Jahre haben die Scheidemänner, die Regierungssozialisten, euch durch die Schrecken eines Krieges gejagt, haben euch gesagt, man müsse das "Vaterland" verteidigen, wo es sich nur um die nackten Raubinteressen des Imperialismus handelte.~ Jetzt, da der deutsche Imperialismus zusammenbricht, suchen sie für die Bourgeoisie zu retten, was noch zu retten ist und suchen die revolutionäre Energie der Massen zu ersticken. Es darf kein "Scheidemann" mehr in der Regierung sitzen; es darf kein Sozialist in die Regierung eintreten, solange ein Regierungssozialist noch in ihr sitzt. Es gibt keine Gemeinschaft mit denen, die euch vier Jahre lang verraten haben. Nieder mit dem Kapitalismus und seinen Agenten!" Während im Laufe des Krieges immer mehr Arbeiter angefangen hatten, die wahre Rolle der Mehrheitssozialdemokratie zu durchschauen, und es in jeder revolutionären Situation von entscheidender Bedeutung ist, dass sich die Klassengegensätze zunehmend polarisieren und die Gegner eindeutig erkennbar sind, versuchte die SPD diese Gegensätze, die wahren Fronten zu verdecken. So zog jetzt die SPD mit der Parole in den Kampf:
"Es darf keinen Bruderkampf geben... Wenn Gruppe gegen Gruppe, Sekte gegen Sekte arbeitet, dann entsteht das russische Chaos, der allgemeine Niedergang, das Elend statt des Glückes... Soll nun der Welt nach solchem herrlichen Triumph (der Absetzung des Kaisers und der Zustimmung der rechten USPD-Führung zur Bildung einer gemeinsamen, paritätisch besetzten bürgerlichen Regierung mit der SPD - IKS) das Schauspiel einer Selbstzerfleischung der Arbeiterschaft in sinnlosem Bruderkampf geboten werden? Der gestrige Tag hat in der Arbeiterschaft das Gefühl für die Notwendigkeit innerer Einheit hoch emporlodern lassen! Aus fast allen Städten... hören wir, dass alte Partei und Unabhängige sich am Tage der Revolution wieder zusammengefunden und zu der alten geschlossenen Partei geeint haben. .. Und wenn auch noch soviel Verbitterung sich eingefressen hat, wenn auch der eine Teil dem anderen manches aus der Vergangenheit vorwirft, und umgekehrt, ein Tag wie der gestrige ist groß und überwältigend genug, um all das vergessen zu machen. Das Versöhnungswerk darf nicht an einigen Verbitterten scheitern, deren Charakter nicht stark genug ist, um alten Groll überwinden und vergessen zu machen.... Die Bruderhand liegt offen - schlagt ein!" (Vorwärts, 10.11.1918).
Der Vorwärts war an diesem Tag die Zeitung, die sich jeder Arbeiter zu verschaffen suchte. War bis dahin alles, was aus den Reihen der SPD stammte, mit Mißtrauen aufgenommen wurden, schaffte die SPD es nun mit dieser Demagogie, den Klassengraben zwischen ihr und der Arbeiterklasse zu übertünchen; die ganze Kriegspolitik, der Burgfrieden mit der Bourgeoisie, mit ihren Wirkungen auf die Lage der Arbeiter, alles was die Arbeiter bis aufs Blut gereizt hatte, wollte sie vergessen machen; und viele Arbeiter gingen ihr dabei auf den Leim. So hatte sie mit dieser Vorgehensweise Erfolg bei der ersten Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte am l0.Nov.
"Wir kennen keine verschiedenen sozialistischen Parteien mehr, wir kennen nur noch Sozialisten". Die Flagge eines neuen Burgfriedens ist gehisst; fanatischer Hass wird gesät gegen jeden, der sich dem neuen Einigkeitstaumel entgegenwirft. Die lautesten Rufer nach Einigkeit... finden ein hallendes Echo vor allem unter den Soldaten. Kein Wunder. Bei weitem nicht alle Soldaten sind Proletarier; und Belagerungszustand, Zensur, amtliche Propaganda und Stampferei waren nicht wirkungslos. Die Masse der Soldaten ist revolutionär gegen den Militarismus, gegen den Krieg und die offenkundigen Repräsentanten des Imperialismus; im Verhältnis zum Sozialismus ist sie noch zwiespältig, schwankend, unausgegoren. Ein großer Teil der proletarischen Soldaten wie der Arbeiter... wähnt, die Revolution sei vollbracht, nun gelte es nur noch den Frieden und die Demobilisation. Sie wollen Ruhe nach langer Qual... Aber nicht jede "Einigkeit" macht stark. Einigkeit zwischen Wolf und Lamm liefert das Lamm dem Wolfe zum Fraß; Einigkeit zwischen Proletariat und herrschenden Klassen opfert das Proletariat, Einigkeit mit Verrätern bedeutet Niederlage. Nur gleichgerichtete Kräfte stärken sich durch Vereinigung; einander widerstrebende Kräfte zusammenzuketten heißt sie lähmen... Zerstreuung des Einigkeitsphrasennebels, Bloßstellung aller Halbheit und Lauheit, Entlarvung aller falschen Freunde der Arbeiterklasse ist dann das erste Gebot - heute mehr als je." So beschrieb Liebknecht im Namen der Spartakisten die Lage und die Aufgaben in der Roten Fahne vom 19.1 l.1918. Mit dieser Taktik des Einigkeitsrummels trat der Rat der Volksbeauftragten gegenüber der Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte auf. Weil die bürgerliche Regierung unter dem Deckmantel des Rates der Volksbeauftragten zwischen SPD und USPD paritätisch besetzt war, bestand sie auf einer paritätischen Zusammensetzung der Leitung des Berliner A- und S.-Rates (Vollzugsrat). Auch schaffte sie es, sich von dieser Vollversammlung ein "Mandat" als provisorische Regierung geben zu lassen, um so ihr konterrevolutionäres Treiben "demokratisch legitimiert" fortzusetzen.
Aber nach "der Beendigung des Weltkriegs und der Beseitigung der augenfälligsten politischen Vertreter des Systems, das zum Krieg geführt hat, darf das Proletariat sich nicht mit diesem Ergebnis begnügen. Es geht um die Aufhebung der kapitalistischen Klassenherrschaft, die Befreiung der Arbeiterklasse überhaupt.“ (Liebknecht, 28.11.1918). Hier zeichneten sich all die Schwierigkeiten der Arbeiterklasse ab, das Ziel der Bewegung klar zu erkennen und damit auch die Täuschungs- und Betrugsmanöver der SPD zu durchschauen. "Man kann nicht erwarten, wenn man auf dem Boden historischer Entwicklung steht, dass man in dem Deutschland, das das furchtbare Bild des 4. August und der vier Jahre darauf geboten hat, plötzlich am 9. Nov. 1918 eine großartige, klassen- und zielbewusste Revolution erlebt,~ und was wir am 9. Nov. 1918 erlebt haben, war zu drei Vierteln mehr Zusammenbruch des bestehenden Imperialismus als Sieg eines neuen Prinzips. Es war einfach der Moment gekommen, wo der Imperialismus wie ein Koloss auf tönernen Füßen, innerlich morsch, zusammenbrechen musste, und was darauf folgte, war eine mehr oder weniger chaotische, planlose, sehr wenig bewusste Bewegung, in der das einigende Band und das bleibende, das rettende Prinzip nur in der Losung zusammengefaßt war: die Bildung der Arbeiter- und Soldatenräte" (Gründungsparteitag der KPD 1918/19).
Mit ihren Erhebungen Anfang November 1918 hatte die Arbeiterklasse in Deutschland nach dem revolutionären Aufstand in Russland den Weltkrieg schließlich zu Ende gebracht. Der Aufstand eines zentralen Teils der Arbeiterklasse war nötig gewesen, um die Bourgeoisie zur Beendigung des Krieges zu zwingen. Der unbeugsame Widerstand der revolutionären Minderheit - allen voran die Spartakisten an ihrer Spitze - hatte seine Früchte getragen, denn nur dieser heldenhafte Kampf hatte der Arbeiterklasse den Weg zur Beendigung des Kriegs gezeigt. Die Einkerkerung R. Luxemburgs kurz nach Kriegsbeginn, um sie mundtot zu machen, selbst die Festungshaft im Zuchthaus für K. Liebknecht hatten diese bekanntesten Stimmen der Arbeiterklasse nicht zum Schweigen gebracht, sondern nur noch mehr die Widerstandskraft der Arbeiter gegen den Krieg angespornt. So streikten und demonstrierten beispielsweise im Juni 1916 55.000 Arbeiter allein in Berlin gegen den imperialistischen Krieg und die Verurteilung K. Liebknechts. Wie schon in Russland war es in Deutschland ebensowenig der Pazifismus gewesen, der den Krieg zu Ende brachte, sondern nur der Klassenkampf des Proletariats. Und dies ist das große Verdienst der Arbeiterklasse, den Beweis angetreten zu haben, dass sie die große Barriere gegen den Krieg ist und die einzige Kraft, um ihn zu beenden. Und bei dieser Umwandlung des imperialistischen Kriegs in einen Klassenkrieg war die Arbeiterklasse gezwungen, einen Sturmlauf gegen den Staat und seine ihn verteidigenden Kräfte anzutreten. Während es der Arbeiterklasse in Russland gelungen war, die Regierung zu stürzen und die Macht zu ergreifen, stieß das Proletariat in Deutschland auf ungleich größere Hindernisse. Nicht nur hatte es hier mit einer viel intelligenteren und mächtigeren Bourgeoisie zu tun, sondern es befand sich auch in einer neuen historischen Situation, wo es die Konsequenzen des Eintritts des Kapitalismus in seinen Zeitraum der Dekadenz zu begreifen hatte.
Dino (Fortsetzung folgt)
(1) Dies war eine zentristische Partei, in deren Reihen zwei Flügel gegeneinander rangen: ein rechter Flügel, der versuchte, sich in die alte, zur Bourgeoisie übergewechselte Partei wieder einzuordnen, und eine andere Tendenz, die das Lager der Revolution suchte. Die Spartakisten schlossen sich der USPD an, um die Arbeiter besser zu erreichen und sie voranzutreiben. Im Dez. 1918 lösten sie sich von der USPD, um die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) mit den Linksradikalen zu gründen.
(2) Weil sich die USPD an dieser Regierung beteiligte, konnte die SPD so tun, als ob die Widersprüche zwischen der SPD und der USPD überwunden, beigelegt worden wären. R. Luxemburg brandmarkte dieses Verhalten am 29.11.1918 in der Roten Fahne:
"Nachdem sie vier Jahre lang während des Krieges von der Brandmarkung der Scheidemann-Ebert als der Verräter des Sozialismus und der Internationale, als des Schandflecks und des Verderbs der Arbeiterbewegung lebte, war ihre erste Tat nach Ausbruch der Revolution, sich mit Scheidemann-Ebert zu einer gemeinsamen Regierung zu verbinden und diese Prostitution eigener Grundstütze als "rein sozialistische" Politik zu proklamieren. In der Stunde, die endlich die sozialistischen Endziele zur praktischen Aufgabe des Tages, die schärfste, unerbittlichste Scheidung zwischen dem Lager des revolutionären Proletariats und offenen wie verkappten Feinden der Revolution und des Sozialismus zur höchsten Pflicht macht, beeilte sich die USPD, in ein politisches Kompaniegeschäft mit den gefährlichsten Vorposten der Gegenrevolution zu treten, die Massen zu verwirren und die Verrätereien zu erleichtern. Ihre eigentliche Mission als Teilhaberin der Firma Scheidemann-Ebert ist: deren klaren und unzweideutigen Charakter als Schutztruppe der bürgerlichen Klassenherrschaft in ein System von Zweideutigkeiten und Feigheiten zu mystifizieren. "
"Menschen sind stark, solange sie eine starke Idee vertreten;
sie werden ohnmächtig, wenn sie sich ihr widersetzen.”
Dieses Zitat Sigmund Freuds steht dem Roman Lenins Schwestern von Bärbel Reetz[1] voran. Was ist von diesem Ausspruch zu halten? Der nachfolgende Artikel beschäftigt sich mit eben jener These, dass Menschen eine starke Idee brauchen – im Roman, aber auch für uns Menschen heute.
Lenin hatte drei leibliche Schwestern: Olga, Anna und Maria. Auch sie kämpften für große Ideen und doch kennt sie heute kaum noch einer. Und Lenin konnte sich glücklich schätzen, denn im Geiste hatte er noch ungleich mehr Schwestern, die, wie er, ihr Leben einer großen Idee (und damit der ganzen Gesellschaft) widmeten: der Wissenschaft, der Kunst und/ oder der Politik. Auf Grundlage sorgfältig studierter Quellen in Form von Büchern, Artikeln, Briefwechseln und Tagebüchern ebnet Reetz neben bekannteren historischen Frauen wie Rosa Luxemburg, Alexandra Kollontai oder Sabine Spielrein auch heute (zu Unrecht) weniger bekannten Frauen und ihrem Wirken die Rückkehr in das gegenwärtige kollektive Erinnern. Fast beiläufig erzählt sie anhand dieser Frauenbiographien aber auch die Geschichte Russlands wie Europas von 1873 bis 1944, die markiert waren von drei großen Phasen: 1. die Hoffnung auf revolutionären Wandel, 2. Der Wandel – Russische Revolutionen 1905 und 1917, 3. Beginn der Konterrevolution und des 2. Weltkriegs.
Geschafft. Gemeinsam ist den Schwestern Sofia und Anjuta Kowalewskaja die Flucht gelungen: vor den strengen Eltern, den alten Denkstrukturen und Lebensweisen in Russland. Wir schreiben das Jahr 1873. Sie haben einen hohen Preis dafür gezahlt. Sofia musste eine Scheinehe eingehen, damit ihr der Weg in die Wissenschaften und ihrer Schwester der Weg in die Politik eröffnet wurde. Nun aber sind sie in der Schweiz. Das Heimweh ist groß, doch hier dürfen sie als Frauen studieren. Wenigstens hier. "Hier (...) werden neue Ideen bewegt, Zukünftiges gedacht und ins Werk gesetzt." (S. 12) In der Tat herrscht Aufbruchstimmung. Ständig trifft man sich und diskutiert über die großen Fragen wie bei dem politischen Frauenzirkel der Fritschen. Begeistert erzählt Anjuta ihrer Schwester: "Dort, beim Fritschi, kommen regelmäßig ein Dutzend Studentinnen zusammen, um sozialistische Literatur, politische Ökonomie und die Geschichte der Arbeiterbewegung zu studieren." (S. 18) Es herrscht ein weitverbreiteter Wille, sich mit sich selbst und der Welt auseinanderzusetzen und beides zu verändern. Statt aber allein zu Hause über die Welt zu sinnieren, trifft man sich regelmäßig in Cafés und Salons und diskutiert gemeinsam über neueste Entwicklungen in Forschung und Medizin, wie der Psychologie, aber auch über die Divergenzen zwischen Marxismus und Anarchismus oder über neueste Entwicklungen in der Kunst. Und stets wird ein Bezug zu allen Bereichen hergestellt, denn eins haben sie gemeinsam: Die Auseinandersetzung mit Politik, Wissenschaft und Kunst ändert Sein und Bewusstsein. Diese Kultur des vertieften und solidarischen Debattierens entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten und von Generation zu Generation. Mira Gincburg erinnert sich Jahre später an die Zeit um die Jahrhundertwende in Zürich: "Im Cabaret Voltaire waren wir jedoch so oft es ging, in der Galerie Dada, im Terrase und Odeon. Emil und ich sahen den spitzbärtigen Uljanow-Lenin grämlich durchs Niederdorf streichen, hörten von Trotzkis Ausweisung wegen seiner fortgesetzten Agitation, redeten uns mit den Künstlern über deren Manifeste nächtelang die Köpfe heiß. Aktionen, Ausstellungen, Soireen. Nie zuvor Gehörtes, nie zuvor Gesehenes." (S. 221) Der Roman macht deutlich, dass historisch bekannte Revolutionäre wie Rosa Luxemburg, Trotzki oder Lenin keinesfalls Einzelerscheinungen waren, sondern Teil dieser politischen Zirkel und Debatten, und somit Teil eines kollektiven Prozesses. Selbst vor der Familie machte diese Entwicklung nicht Halt. Sweta erzählt von ihrer Olga Uljanowa, deren Brüder und Schwestern in revolutionären Zirkeln aktiv sind. Sie alle haben, trotz aller Widerstände, einen großen Lebenswillen, weil sie sich für etwas Großes einsetzen. Was wird nun aus den großen Ideen innerhalb der sich zuspitzenden gesellschaftlich-wirtschaftlichen Lage des Kapitalismus?
Der mittlere Teil des Romans behandelt die Russischen Revolutionen von 1905 und 1917. Mira Gincburg ist eine junge Frau voller Hoffnungen. Sie verfolgt mit gespannter Aufmerksamkeit die Massenstreiks der Arbeiter, die Meuterei der Matrosen und den ersten Sowjet in Petersburg. Sie hofft auf die junge Generation, hofft, dass sich jetzt mit der Revolution die Gesellschaft wirklich zum Besseren ändern wird. Zugleich beschäftigt sie sich mit neuen Forschungsansätzen in der Medizin. Sie selbst möchte sich auf die Nervenkrankheiten spezialisieren, und diskutiert oft mit anderen über Freuds Psychoanalyse. In einem Gespräch mit der Ärztin Dr. Erismann erfährt Mira, dass auch Tatjana Rosenthal in der Schweiz Medizin studierte, als in Russland die Revolution ausbrach. Da war sie nicht mehr zu halten, fuhr nach Moskau, "...wurde politische Sprecherin der Studentinnenvereinigung der Moskauer Frauenuniversität und hat sich aktiv an der Februar-Revolution in Piter beteiligt, gemeinsam mit Anna Jelisarowa und Maria Uljanowa, Lenins Schwestern." (S.129) Nach der Niederlage der Revolution war sie "zermürbt, enttäuscht, zutiefst deprimiert". Sie hoffen, dass Tatjana Rosenthal dennoch ihr Studium der Medizin und der Psychoanalyse wieder aufnimmt. Aber Frau Erismann ist zuversichtlich: "Vermutlich, sagt sie zögernd, spüren wir, dass nicht nur in der Idee des Sozialismus das revolutionäre Potential unseres Jahrhunderts steckt, sondern auch in der neuen Seelenlehre Freuds." (S.130) Und in der Tat, Rosenthal lebt für diese beiden starken Ideen und arbeitet für ihre Umsetzung. Mit der erfolgreichen Revolution in 1917 als Auftakt zur Weltrevolution ist sie wieder sofort zur Stelle, kämpft für die Revolution, aber sie behandelt in Petersburg auch verstörte und kranke Kinder nach Freuds Methode.
Dennoch, viele Fragen sind noch offen. Und solch eine starke Idee wie der Kommunismus lässt sich nicht weltweit von jetzt auf gleich umsetzen. Das Proletariat, die Revolutionäre, sie kämpfen mit ganzer Kraft für eine bessere, menschlichere, also klassenlose Gesellschaft. Aber nach dem Scheitern der Revolution in Deutschland und Ungarn, bleibt die Revolution in Russland isoliert. Mann/Frau kämpft weiter, aber allein der Wille, sich für eine starke Idee einzusetzen, reicht nicht, um die Weltrevolution noch durchzusetzen. Wie wird es nun weitergehen?
Der letzte Teil des Romans markiert bereits die Phase der Konterrevolution. Was ist geworden aus den großen Zielen und Ideen? Man hört nur noch vereinzelt Stimmen für die Weltrevolution, etwa von starken Frauen wie Raissa Adler. (Vgl. S. 224) Besonders frappierend im Vergleich zu den Jahren zuvor ist eines: die allgemeine Sprachlosigkeit. In den faschistischen und stalinistischen Ländern herrscht Schweigen aus Angst vor der offenen Gewalt und Repression und unzählige Regimekritiker sind schon (mund)tot.
Selbst Alexandra Kollontai weiß, dass sie trotz, oder vielmehr wegen ihrer einstigen Verdienste um die Revolution bespitzelt wird und gefährdet ist. Es ist das Jahr 1944, die Moskauer Schauprozesse, die Ermordung Trotzkis haben längst stattgefunden. Einst hatte sie sich der Arbeiterbwegung angeschlossen, als sie all das Elend und die unmenschlichen Bedingungen der Arbeiterschaft erlebt hatte. Sie las Marx. Nun ist sie alt, sowjetische Diplomatin in Stockholm. Es ist der 20. September. Endlich haben die Finnen das Friedensabkommen unterzeichnet. Dafür hatte sie ihre ganze Energie eingesetzt, trotz Schlaganfall weitergearbeitet. Eigentlich ein Erfolg. Aber Freude mag sich nicht so recht bei ihr einstellen. Wieso lässt sie sich bloß zum Karolinischen Friedhof fahren, an ihrem Tag des Erfolgs, fragt sich ihr Fahrer. Sie setzt sich vor das Grab der Mathematikern Sofia Kowalewskaja, denkt nach. Werden künftige Generationen verstehen, was passiert ist, was sie erreichen wollten. Werden sie es verstehen, obwohl sie selbst so lange ertragen hat, "...anders zu sprechen als zu denken." (S. 258) Kollontai kritisiert, dass der Stalinismus offene Debatten, innovative Kultur und Kunst, Moral oder auch wissenschaftliche Methoden wie die Psychoanalyse verunmöglicht hat. Wo die nackte Angst herrscht, können Menschen nicht debattieren, nachdenken, lernen, kreativ sein, sprich, die Welt aktiv gestalten. "Und während sie durch den trüben Nachmittag zurückfahren, fragt sie sich, was sie erreicht, ob sich der Kampf gelohnt hat, was ich getan oder gedacht habe, müssen andere entscheiden." (S.259)
Aber selbst jene, die über den großen Teich in die Vereinigten Staaten fliehen konnten, leiden. Sie leben jetzt zwar in einem demokratischen Staat, aber gerade in dieser Atmosphäre der kollektiven Angst, in Zeiten der nackten Konterrevolution und des Krieges, wollen und können viele nicht sprechen, offen debattieren. Dies muss auch Dr. Mira Gincburg erfahren, die sich als Jüdin gezwungen sah, mit ihrer Familie in die Staaten zu emigrieren. Im Oktober 1939 ist sie auf eine Feier eines Kollegen eingeladen. Ihr Schwager stimmt sie auf die „angemessene Gesprächsführung“ bei diesem geselligen Anlass ein: "Man redet nicht über Probleme (...) Sprich meinetwegen über das Wetter, aber nicht über Politik oder Krankheiten. Kein Schürfen in der Tiefe. Bleib an der Oberfläche und mach nicht so ein Gesicht." (S. 211) Sie soll schweigen darüber, dass die Nazis gerade in Polen wüten, dass die Juden aus ihren Wohnungen getrieben werden und zusammen mit den Kommunisten in die Konzentrationslager gesteckt werden. Auf der Feier betonen alle immer wieder, es gehe ihnen gut. Vielleicht zu sehr. Dann ein unerwartetes Wiedersehen. Mira trifft dort Raissa Adler, Kommunistin und Frau von Alfred Adler. Beide sind einsam, und so tauchen sie gemeinsam ein in die Vergangenheit, sprechen über Ziele und tatsächlich eingeschlagene Wege - des eigenen Lebens, aber auch der Revolution, in die beide große Hoffnungen gesetzt hatten. Raissa gesteht, dass sie weinen musste "...um die verlorene Heimat Wien, die zurückgelassenen Freunde und Genossen, die verfolgt werden, um das Scheitern unserer politischen Ziele." (S. 236) Dies klingt sehr resigniert. Allerdings wird in dem Roman nicht ganz deutlich, ob die Protagonistinnen ihre große Idee aufgeben und somit ohnmächtig werden. Zudem kann eine solch starke Idee, wie die klassenlose Gesellschaft, nicht von einer Generation allein gelöst werden.
Wie steht überhaupt der Marxismus dieser These gegenüber, derzufolge Menschen für ein sinnvolles und sinnerfülltes Leben eine starke Idee brauchen, und so auch zur Veränderung der Gesellschaft beitragen können? Welche Bedeutung haben Ideen und Ideale in der Geschichte der Menschheit allgemein und im Klassenkampf insbesondere? Zunächst einmal haben Marx und Engels stets betont, dass die kommunistische Bewegung ohne eine allgemeine Vorstellung von der Gesellschaft, die sie errichten will, blind wäre. Noch dezidierter geht Anton Pannekoek auf die Frage ein: „Der Marxismus leugnet die Macht der sittlichen, geistigen, idealen Kräfte nicht, sondern fragt: woher stammen sie? Nicht vom Himmel, sondern aus der wirklichen Welt selbst.“[2] Real sind für den Marxismus nämlich nicht nur die kapitalistischen Produktions- und Ausbeutungsverhältnisse oder die Verelendung, sondern Worte der Empörung darüber, wie auch die Ideen über eine neue klassenlose Gesellschaft. Natürlich begründet der Marxismus den Kommunismus nicht mit Moral oder großen Idealen, wie Pannekoek betont, doch er sieht in menschlichen Emotionen wie der sittlichen Empörung über die Welt und die Sehnsucht nach einer besseren Welt eine nicht zu unterschätzende Waffe im revolutionären Kampf. Kein Wunder also, wenn Pannekoek feststellt: „In revolutionären Zeiten sieht man die treibende Kraft großer Ideen.“[3]
Tatsächlich ist das letzte Kapital dieser Geschichte noch nicht geschrieben. Der Roman enthält eine direkte Aufforderung an die LeserInnen, sich als nachfolgende Generationen mit der gemeinsamen Geschichte kritisch auseinanderzusetzen, um dann selbst die Zukunft aktiv mitgestalten zu können. Eines können wir ganz gewiss von diesem Roman lernen: Alle hier dargestellten Frauen widmen ihr Leben einer großen Idee, einem Ziel, das weit über das eigene Leben hinausreicht. Dies ist vielleicht die wichtigste Botschaft des ganzen Romans, denn angesichts der sich verschärfenden Wirtschaftskrise, der Klimakatastrophe und der unzähligen Kriege zweifeln immer mehr Menschen daran, dass der Kapitalismus die beste Gesellschaftsordnung sei, wie nach 1989 immer wieder behauptet wurde. Es ist heute eine wachsende Minderheit, bei der man wieder eines feststellen kann: Es gibt eine Suche nach neuen starken Ideen, nach einem besseren Weg, um die Gesellschaft zu gestalten. Dies gibt eine Perspektive und ist sinnstiftend. Solch eine Suche ist gepaart mit einem wachsenden Verlangen, sich auszutauschen, solidarisch zu diskutieren und gemeinsam die Welt zu verändern. Nach den langen Jahren der Konterrevolution bis Ende der 1960er Jahre und nach einer Zeit der Desorientierung ab 1989 rückt das Sprechen, das Diskutieren wieder vermehrt in den Mittelpunkt. Die Revolution entsteht nicht im luftleeren Raum, wie der Roman eindrucksvoll zeigt. In der heutigen Zeit krankt die Gesellschaft daran, dass man zwar allgemein gegen den Jetzt-Zustand ist, aber die Alternative, das, wofür man ist, zu fehlen scheint. Ob die klassenlose Gesellschaft weltweit umsetzbar ist, hängt nicht zuletzt davon ab, ob wir gemeinsam in der Lage sind, uns wieder für eine starke Idee zu begeistern: den Kommunismus.
In diesem Sinne ist Bärbel Reetz' Roman Lenins Schwestern ein Plädoyer für das Leben für große Ideen sowie ein literarischer Gedenkstein an jene oft (fast) vergessene Frauen, die für die Revolution lebten und starben: "Über Jahrzehnte waren es fast ausschließlich Russinnen, die studierten, sich politisch engagierten, für die Revolution lebten - und starben. Man sollte ihre Namen auf einen Gedenkstein setzen. Nicht nur den der Kowalewskaja, sondern auch den ihrer Schwester Anna Jaclard, der Kämpferin der Pariser Kommune. Nicht nur die Asche der Krupskaja hätte an der Kremelmauer beigesetzt werden dürfen, sondern die von Lenins mutigen Schwestern (...) und der zahllosen jüdischen Mädchen und Frauen, die sich (...) für eine Veränderung der Verhältnisse engagierten und, wie Rosa Luxemburg, mit ihrem Leben bezahlt haben."(S.252f.) 20.9.08, Anna
[1] Bärbel Reetz: Lenins Schwestern. 2008. Frankfurt am Main und Leipzig. Insel Verlag. Der Anhang “Von der Realität zur Fiktion – Personen und Quellen zum Roman” ist sehr hilfreich, um weitere Information über interessante und wichtige Personen zu erhalten.
[2] Anton Pannekoek: Marxismus und Idealismus. 1921. In: Neubestimmung des Marxismus. Diskussion über Arbeiterräte. Bd.1. 1974.
[3] Ebenda.
Vor mehr als einem Jahr gab die Immobilienkrise in den USA (nunmehr „Subprime-Krise“ genannt) den Auftakt zu einer brutalen Beschleunigung der weltweiten Wirtschaftskrise. Seitdem werden große Teile der Menschheit von einer wahren Welle der Verarmung erfasst. Der vollen Wucht der Inflation ausgesetzt (innerhalb einiger Monate haben sich die Preise der wichtigsten Grundnahrungsmittel in vielen Teilen der Erde mehr als verdoppelt), stehen die Ärmsten der Armen vor der Gefahr des Verhungerns. Die Hungerrevolten, welche von Mexiko über Haiti und Ägypten bis Bangladesh ausgebrochen sind, sind der verzweifelte Versuch, gegen diese unerträgliche Situation zu reagieren. Auch in den Herzen der Industrieländer haben sich die Lebensbedingungen der Arbeiter wesentlich verschlechtert. Nur ein Beispiel: mehr als zwei Millionen Amerikaner haben ihre Wohnungen verloren, da sie ihre Hypothekenzinsen nicht mehr bezahlen konnten. Und bis Ende des Jahres sind eine weitere Million Amerikaner von diesem Schicksal bedroht.
Diese brutale Wirklichkeit, vor der die ArbeiterInnen und die nicht-ausbeutenden Schichten stehen, kann von den Herrschenden mittlerweile nicht mehr geleugnet werden. In ihren Erklärungen können führende Persönlichkeiten aus den Wirtschaftsinstitutionen sowie der Finanzanalysten nicht mal mehr ihre eigenen Ängste verbergen:
"Wir stehen vor einem Berg von ökonomischen und währungspolitischen Schwierigkeiten, wie wir sie noch nie gesehen haben" (so der Chef der amerikanischen FED am 22. August).
"Die gegenwärtige Konjunktur ist die schwierigste seit Jahrzehnten" (HSBC, die als größte Bank der Welt eingestuft wird, am 5. August).
"Wir stehen vor einem endlos langen Krach" (Le Point, 24.7.08).
"Auf die Wirtschaft kommt ein wahrer ökonomischer Tsunami zu" (J. Attali, französischer Ökonom und Politiker, Le Monde, 8.8.08).
In Wirklichkeit begann die Krise nicht erst 2007, sondern schon Ende der 1960er Jahre. Von 1967 an kam es zu schwerwiegenden Währungsturbulenzen. In den bedeutendsten Ländern fielen die Wachstumsraten. Das Ende der Blütezeit der 1950er und 1960er Jahre, damals als Wiederaufbauwunder gepriesen, war gekommen.(1) Doch 1967 brach die Krise nicht mit solch großer Wucht aus wie der spektakuläre Krach von 1929. Der Grund: die USA hatten ihre Lektion aus der dunklen Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gelernt. Um zu verhindern, dass die Wirtschaft erneut durch eine Überproduktion gelähmt und blockiert wird, nutzte man einen Kunstgriff: die systematische und allgemeine Verschuldung. Mittels einer Verschuldungspolitik der Staaten, Unternehmen und Privathaushalte wurde die Nachfrage ungefähr auf dem Angebotsniveau gehalten. Mit anderen Worten: die Waren wurden mit Hilfe von Krediten abgesetzt.
Aber die Verschuldung ist nur eine Krücke. Sie ist kein Heilmittel gegen die Krankheit, die Überproduktion des Kapitalismus. Unfähig, wirklich zu "heilen", muss dieses Ausbeutungssystem immerzu und in wachsendem Maße auf diesen Kunstgriff zurückgreifen. 1980 entsprach der Umfang der Schulden in den USA ungefähr dem Umfang der US-Produktion. Im Jahre 2006 war der Schuldenberg 3,6 mal höher (d.h. 48.300 Milliarden Dollar). Es handelte sich um eine wahre Flucht nach vorne! Der Kapitalismus sitzt auf einem Schuldenberg – dies ist unleugbar. Aber die bürgerlichen Politiker wollen uns weismachen, all das mache nichts, da die Wirtschaft weiter funktioniere. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Die Verschuldung ist kein Zaubermittel; das Kapital kann nicht endlos lange einfach so Geld aus dem Hut zaubern. Das ABC des Handels besagt, dass jede Verschuldung eines Tages beglichen werden muss, sonst entstehen dem Kreditgeber große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt: Das Kapital kann auf diese Weise allenfalls einen Zeitaufschub erwirken. Schlimmer noch: Indem die Auswirkungen der Krise in die Zukunft verschoben werden, werden nur noch heftigere Erschütterungen vorbereitet. Der Taifun der asiatischen Krise 1997, ihre rasend schnelle und zerstörerische Geschwindigkeit belegte dies. Vor der Krise verzeichneten die asiatischen Tiger und Drachen Rekordwachstumszahlen dank…. massiver Verschuldung. Doch als die Schulden beglichen werden mussten, fiel alles wie ein Kartenhaus zusammen. Innerhalb weniger Wochen blutete die Region aus – beispielsweise registrierte man in Südkorea binnen weniger Wochen mehr als eine Million Arbeitslose zusätzlich. Damals hatte die Bourgeoisie bei dem Versuch zu verhindern, dass dieser Sturm sich auf die ganze Weltwirtschaft ausdehnte, keine andere Wahl, als auf neue Kredite zu setzen, die wiederum Milliardenhöhe erreichten. Es handelte sich also um einen Teufelskreislauf, der sich immer schneller drehte! Je unwirksamer das Mittel wird, desto mehr muss der Kranke die Dosis für sein Überleben erhöhen. Und so wirkte die Spritze von 1997 nur vier Jahre. 2001 platzte die Internet-Blase. Man errate die "Lösung" der Bourgeoisie! Eine spektakuläre Erhöhung der Verschuldung! Die amerikanischen Wirtschaftsbehörden, die sich über den wirklichen Zustand der Wirtschaft und ihrer Abhängigkeit von der Kreditspritze im Klaren waren, haben derart an der Schuldenspirale gedreht, dass der damalige Chef der FED in den Ruf des größten Schuldenmachers geriet.
1967-2007 war ein langer Krisenzeitraum, in denen Phasen der Beruhigung mit Phasen tieferer Rezession abwechselten. Doch seit einem Jahrzehnt können wir eine Beschleunigung beobachten, und die gegenwärtige Epoche erscheint als ein veritabler Orkan. Der über vier Jahrzehnte angehäufte Schuldenberg ist so hoch wie der Mount Everest, und nach den Krisen von 1997 und 2001 rast das Kapital nun den Abhang hinunter.
Ein Jahrzehnt lang hat die amerikanische Bourgeoisie den ärmsten Teilen der Arbeiterklasse günstige Hypothekenzinsen eingeräumt. Gleichzeitig jedoch verarmte die Arbeiterklasse aufgrund der Zuspitzung der Krise. Ihre Löhne sind gesunken, die Arbeitsbedingungen immer prekärer geworden, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Ausgaben für Gesundheit usw. steigen enorm. Das Ergebnis war unvermeidbar: Ein Großteil der Menschen, die von den Banken dazu verleitet wurden, sich für den Kauf eines Hauses zu verschulden (oder Hypotheken für ihre Wohnungen aufzunehmen, um schlicht und einfach Lebensmittel oder Kleidung zu kaufen….), besitzt kein Geld mehr zur Rückzahlung der Kredite. Da die Banken aus ihren Kunden kein Geld mehr herauspressen konnten, haben sie ihrerseits riesige Schuldenberge angehäuft. Diese Schuldenberge sind dermaßen angewachsen, dass immer mehr Banken pleite gegangen sind oder kurz vor dem Konkurs stehen. Doch dank der Umwidmung von Titeln, d.h. der Umwandlung von Gläubigerpapieren in verkäufliche Immobilienwerte (wie andere Aktien und Obligationen) auf dem Weltmarkt, gelang es den Kredit gebenden Institutionen, ihre Geldforderungen an Banken anderer Länder zu veräußern. Deshalb hat die „Subprime“-Krise das Bankenwesen in der ganzen Welt infiziert. In den USA ist der Bankrott der Indymac-Bank die größte Bankenpleite seit 1982. Ohne die Hilfe der Zentralbanken wäre die Schweizer USB-Bank, die ebenfalls zu den größten Banken der Welt gehört, längst in Konkurs gegangen. Und wie stets hat die Arbeiterklasse die Rechnung zu begleichen: Seit Anfang 2007 haben die Banken mehr als 83.000 Stellen weltweit gestrichen – und diese Zahl könnte sich wohl in den nächsten Monaten verdoppeln (Les Echos, 24.6.2008)
Banken sind das Herz der Wirtschaft. In ihren Händen bündelt sich das gesamte, zur Verfügung stehende Kapital. Wenn sie nicht mehr funktionieren, kommen die Betriebe zum Stillstand, Löhne können nicht mehr bezahlt, Rohstoffe und Maschinen nicht mehr gekauft werden. Vor allem werden keine neuen Kredite mehr vergeben. Und selbst die Banken, die noch nicht in Konkurs gegangen sind, werden in puncto Kreditvergabe immer ängstlicher, weil sie in Anbetracht des gegenwärtigen Wirtschaftsklimas die Zahlungsunfähigkeit weiterer Betriebe fürchten.
Die Konsequenzen sind weitreichend – die wirtschaftliche Aktivität verlangsamt sich brutal. In der Euro-Zone ist das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2008 um 0,2 Prozent gesunken. In der Industrie werden Tausende Stellen gestrichen. General Motors steht vor der Zahlungsunfähigkeit und kündigt die mögliche Streichung von 73.000 Stellen an. Unzählige weitere Entlassungen und Stellenstreichungen stehen an.
Es stellt sich die Frage: Warum kann die Verschuldungspolitik nicht einfach fortgeführt werden, wie nach dem Platzen der Internetblase? Kann das Geldscheindrucken nicht unbegrenzt fortgesetzt werden?
Die unheilvolle Rückkehr der Inflation macht deutlich, dass die Verschuldung an ihre Grenzen gestoßen ist. Jeder weitere Einsatz der Kreditspritze macht alles noch schlimmer. Die Verschuldung bedeutet die Zufuhr von immer neuen beträchtlichen Geldmengen. Dem Wirtschaftsexperten P. Artus zufolge "ist die Liquidität seit 2002 um durchschnittlich 20 Prozent pro Jahr gestiegen". Die Einspeisung solcher Geldmengen kann nur zu starken Inflationsschüben führen (2). Zudem haben die Spekulanten weltweit diese inflationäre Tendenz durch ihre Spekulationen mit dem Ölpreis und den Nahrungsmitteln weiter angefacht. Da sie nicht mehr auf die klassische Art an der Börse spekulieren konnten und infolge der 2001 geplatzten Spekulationsblase der New Economy und der nun geplatzten Immobilienblase diese Bereiche nicht mehr zur Verfügung stehen, haben sich die Spekulanten auf das gestürzt, was alle Menschen kaufen müssen: Energie und Nahrungsmittel – womit in Kauf genommen wurde, dass ein Teil der Menschheit damit in den Hungertod getrieben wird. (3)
Die Gefahr ist groß für die kapitalistische Wirtschaft. Die Inflation wirkt wie ein tödliches Gift; sie kann zum Zusammenbruch von Währungen und zu großen Verwerfungen des Weltwährungssystems führen. Die Abschwächung des Dollars weist in diese Richtung. Die Gefahr einer Blockierung des Welthandels ist somit nicht von der Hand zu weisen, da der US-Dollar als internationale Leitwährung fungiert. Es ist ganz aufschlussreich, dass die Direktoren der großen Zentralbanken (FED, EZB usw.) in ihren Stellungnahmen ständig widersprüchliche Aussagen machen. Einerseits sagen sie, dass zur Vermeidung der Rezession weniger auf die Inflationsbremse getreten werden dürfe und dass zur Ankurbelung der Nachfrage die Zinsen gesenkt werden müssten. Andererseits behaupten die gleichen Zentralbankchefs die Inflation bekämpfen zu wollen, was bedeutet, die Zinsen zu erhöhen, um die Verschuldung zu bremsen! Die großen Kapitalsvertreter sind nicht schizophren. Sie bringen schlicht und einfach den realen Widerspruch zum Vorschein, in welchem der Kapitalismus versinkt. Dieses System ist eingeklemmt zwischen Baum und Borke: Rezession und Inflation erweisen sich als unlösbare Probleme und bedrängen das System immer stärker. Mit anderen Worten: die herrschende Klasse muss zwischen beiden hin und her lavieren. Sie muss versuchen, die Verschuldung zu begrenzen, um die Inflation einzudämmen; dabei darf sie gleichzeitig den Kredithahn nicht ganz schließen, damit die Wirtschaft nicht erdrosselt wird, wie das 1929 der Fall war. Das heißt, die herrschende Klasse steckt schlicht in der Sackgasse.
Die gegenwärtige Rezession ist eine neue, besonders dramatische und brutale Episode des historischen Bankrotts des Kapitalismus. Die nunmehr seit 40 Jahren wütende Krise hat jetzt einen anderen Rhythmus angenommen; sie erfährt eine wirklich dramatische Beschleunigung. Dennoch gibt es keinen Grund zur Annahme, dass die "Todeskrise" zu einer endgültigen Blockierung des Kapitalismus führe und dieser von selbst verschwände. Wichtig ist zu erkennen, dass diese, seit 1929, neue Lage schwerwiegende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse sowie auf die Entwicklung ihrer Kämpfe haben wird. Die herrschende Klasse wird versuchen, der Arbeiterklasse die Last der Krise aufzubürden. Es steht fest, dass, gleichgültig welche Wirtschaftspolitik die verschiedenen Parteien (von den Rechtsextremen bis zu den Linksextremen) in welchem Land auch immer vorschlagen, die Situation sich nicht verbessern wird. Nur der Klassenkampf kann die herrschende Klasse daran hindern, noch drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Da die Inflation alle ArbeiterInnen trifft, schafft sie günstige Voraussetzungen für einen vereinten und solidarischen Kampf. Die Entwicklung des Klassenkampfes ist nicht nur das einzige Mittel, die herrschende Klasse daran zu hindern, die Arbeiterklasse zu attackieren, sondern er ist auch das einzig realistische Mittel, die Überwindung des Kapitalismus anzustreben und eine neue Gesellschaft aufzubauen – den Kommunismus, in dem es keine Krisen geben wird, weil nicht mehr für den Profit, sondern für die Bedürfnisse der Menschen produziert wird. Vitaz, 30.08.09
(1) Dieser Ausdruck wurde von J. Fourastié "Les Trente Glorieuses, ou la révolution invisible de 1946 à 1975" Paris, Fayard, 1979, geprägt. Im Deutschen verwendet man den Begriff "Wirtschaftswunder". In der IKS findet gegenwärtig eine Debatte zum besseren Verständnis des Hintergrunds dieser Periode der kapitalistischen Wirtschaft statt. Wir haben angefangen, diese Debatte in unserer Internationalen Revue zu veröffentlichen. Siehe Internationale Revue (engl.-franz.-spanische Ausgabe) Nr. 133. "Interne Debatte der IKS: Die Ursachen der Blütezeit nach dem II. Weltkrieg". Wir möchten alle unserer LeserInnen auffordern, sich auf unseren Veranstaltungen oder auch per Post und per E-mail an dieser Debatte zu beteiligen.
(2) Innerhalb des Rahmens dieses Artikels können wir die Verbindung zwischen der Menge des verfügbaren Geldes und seinem Wert nicht tiefer beleuchten. Es sei nur gesagt, dass jedesmal, wenn massiv Geld gedruckt und in Umlauf gebracht wird, es Stück für Stück an Wert verliert, was die Inflation antreibt.
(3) Wir erwähnen hier beiläufig, dass die Linken und die Antiglobalisierer stets die Staaten auffordern, auf die Spekulationsgelder zurückzugreifen, um sie der Wirtschaft wiederzuzuführen, indem beispielsweise Großbauprojekte durchgeführt werden. Dies ist eine völlige Irreführung. Einzig die Inflation würde dadurch angetrieben. Linke und Antiglobalisierer gießen in Wirklichkeit damit nur Öl ins Feuer.
Am 20. September 2008 demonstrierten Zehntausende in der Kölner Innenstadt gegen einen von dem rechtspopulistischen „Pro Köln“ organisierten Aufmarsch und Tagung „gegen Islamismus“. Obwohl Pro Köln Rechtsradikale aus ganz Europa einlud – u.a. Jean-Marie Le Pen aus Frankreich –, fiel die Mobilisierung von Rechts ziemlich dürftig aus. Auch Le Pen kam nicht. Schließlich wurde der Auftritt des rechten Mobs am Alten Markt von der Polizei verboten. Aber schon vorher sahen die von Rechtsaußen ziemlich alt aus. Schon am Vortag von so gut wie allen Hotels und Lokalen der Stadt hinausgewiesen, wurden die übernächtigten Hetzer von Samstagmorgen an durch Demonstranten verfolgt und eingekesselt. Ihrer anschließenden Durchhalteparolen zum Trotz werden die Rechtspopulisten Europas nicht noch mal so schnell versuchen, die Straßen der Rheinmetropole in Besitz zu nehmen.
Was die Mehrzahl der Demonstranten gegen Rechts auf die Straße trieb, war etwas, was wir als „internationalistische Gesinnung“ bezeichnen möchten. Wir meinen damit die Empörung darüber, wie Mitmenschen aus anderen Weltteilen und Kulturkreisen durch diese Gesellschaft zu Fremden, Ausgestoßenen gemacht werden, die erniedrigt, diskriminiert, ausgesperrt und „abgeschoben“ werden. Die Rechten, da sie unverhohlen solch menschenverachtendes Verhalten propagieren, versinnbildlichen das, wogegen die Demonstranten von Köln und Anderswo sich auflehnen.
Aber nicht nur diese Frage trieb die Protestierende auf die Straße. Auffallend war der relativ hohe Anteil oft sehr junger Demonstrantinnen und Demonstranten. Für viele dieser Teilnehmer war dies vielleicht ihre erste Demonstration bzw. ihr erster Akt des politischen Engagements überhaupt. Viele diese Menschen (natürlich nicht nur die Jugend) beginnen, Fragen wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Verbindungen werden hergestellt zu der Drangsalierung der Erwerbslosen, den weltweiten Hungerrevolten oder dem wirtschaftlichen Niedergang des Kapitalismus, wie es momentan an den internationalen Finanzplätzen augenfällig wird. Entsprechend groß war die Bereitschaft vieler Demonstranten, die Presse einer kleinen revolutionären Organisation wie die IKS zu lesen und sich mit unseren GenossInnen vor Ort auszutauschen. Die Mehrzahl der Demonstranten entstammte ohne Zweifel der Arbeiterklasse. Es sind Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind oder sich unmittelbar davon bedroht fühlen; Menschen, die mitten in der kapitalistischen Krise alle Widrigkeiten und Unsicherheiten der Lohnsklaverei an der eigenen Haut spüren. Das gilt gerade auch für die vielen SchülerInnen oder Auszubildenden, denen eine immer düsterer anmutende Zukunft winkt.
Zwar sind die Rechtsradikalen die offenkundigsten Vertreter der Fremdenfeindlichkeit in der heutigen Gesellschaft. Aber Rassismus und Ausgrenzung gehen vom System insgesamt aus, welches die Menschen und „Standorte“ zu Konkurrenten, ja zu Feinden macht. Und der Hauptträger dieser Feindseligkeit ist der Staat, der politische Organisator dieses Konkurrenzkampfes. Das gilt für den Staat jeglicher Couleur, ob demokratisch oder faschistisch. Denn die Menschen, welche die fremdenfeindlichen Maßnahmen auszuführen haben – Polizei, Militär – brauchen selbst nicht mal RassistInnen zu sein, um instrumentalisiert zu werden, um die Flüchtlinge, um unsere verhungernden und verfolgten Brüder und Schwestern an den Grenzen abzuweisen oder sie zu verhaften und wieder hinauszuwerfen.
Genau hier liegt das Fatale an der Kölner Mobilisierung. Sie fand statt als ein klassenübergreifender Zusammenschluss aller „Kräfte“ der Stadt, von dem CDU Oberbürgermeister, allen demokratischen Parteien im Stadtrat, über die Boulevardpresse und die christlichen und muslimischen Kirchen bis hin zu den Geschäftsführern der Hotel- und Gastronomiewirtschaft. Ein Zusammenschluss all derjenigen, welche selbst abschieben und hetzen oder sonst von den Fremden buchstäblich profitieren – durch ihre gnadenlose Ausbeutung.
Natürlich verlieh gerade die Teilnahme der Obrigkeit ein Gefühl von Stärke. Aber dieses Gefühl ist nichts als eine Illusion, wenn es um die Belange der Arbeiterklasse geht. Bezeichnend war die Begründung der Einsatzleitung der Polizei, weshalb die Tagung der Rechten schließlich verboten wurde. Unter den Demonstranten, sagte sie, seien auch „Bürgerliche“, welche zu Schaden kommen könnten, falls die Polizei versuchen sollte, den Rechten gewaltsam Bahn zu brechen. Das bedeutet: Sind nur Arbeitsleut anwesend, kann man sie ohne weiteres verdreschen.
Da hieß das Motto: Nicht Pro Köln, wir sind das echte, nämlich das „weltoffene“ Köln. So frohlockten die Stadtgranden im Nachhinein darüber, dass ihre Stadt in den Medien ganz Europas gefeiert wurde wegen der Aktionen des 20. Septembers. In der Tat: Für eine „Medienstadt“ wie Köln ist dieses „weltoffene“ Image ein Standortvorteil im internationalen Konkurrenzkampf! Viel wichtiger noch: Die „Viva Colonia“ Rufe dienen dazu, die Teile der arbeitenden Bevölkerung, die sich politisch zu rühren beginnen, an den Ausbeuterstaat zu binden. Etwa indem dazu ausgerufen wurde, sich „gegen Pro Köln“ bei den Kommunalwahlen im kommenden Jahr zu engagieren.
Es liegt auf der Hand, dass eine zweitausendjährige Stadt wie Köln, welche an einer der wichtigsten Achsen des Verkehrs und des Kulturaustauschs in Europa liegt – der Rhein – „weltoffener“ sein wird als irgend ein Kaff hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen. Dies hat aber nicht verhindert, dass im hohen Mittelalter die Juden aus Köln ausgewiesen, dass im Nazireich auch von dort aus die Ausgegrenzten in die Vernichtungslager „abgeschoben“ wurden. Um Fremdenfeindlichkeit zu besiegen ist mehr als Weltoffenheit erforderlich: Nämlich proletarischer Internationalismus, der konsequente, weltweite Kampf gegen den Kapitalismus. 24.09.08
Am 24. September 2008 hielt der US-Präsident, George W. Bush, Kommentatoren und Journalisten aller Welt zufolge, eine "ungewöhnliche" Rede. In seiner Fernsehansprache erklärte er ohne Umschweife, welche Stürme auf das "amerikanische Volk" zukommen würden.
In Wirklichkeit läuft nicht nur die US-Wirtschaft Gefahr, in einer "langen und schmerzhaften Rezession" zu versinken, sondern die gesamte Weltwirtschaft. Die USA, die seit 60 Jahren die Rolle der Lokomotive der Weltwirtschaft gespielt haben, reißen nunmehr die Weltwirtschaft mit in den Abwärtsstrudel. Die Liste der Finanzorganismen, die in große Schwierigkeiten geraten sind, wird jeden Tag länger:
Im Februar wurde die achtgrößte englische Bank, Northern Rock, verstaatlicht. Im März wurde Bear Stearns, die fünftgrößte Bank an der Wall Street "gerettet", indem sie in die drittgrößte Bank, JP Morgan, mit Hilfe von Geldern der amerikanischen FED eingegliedert wurde. Im Juli wurde Indymac, eine der größten US-Hypothekenbanken, unter die Aufsicht der US-Finanzbehörden gestellt. Es handelte sich um den größten Bankrott einer Bank in den USA seit 24 Jahren. Aber dieser Rekord hielt nicht lange an. Anfang September ging das "Bankenmassaker" weiter. Freddi Mac und Fannie Mae, zwei Immobilienfinanzierer mit mehr als 850 Milliarden Dollar Anlagen, konnten so eben noch den Konkurs vermeiden, nachdem die FED erneut eingegriffen hatte. Nur wenige Tage später meldete Lehman Brothers, die viertgrößte US-Bank, Zahlungsunfähigkeit an und dieses Mal griff die FED nicht zu ihrer Rettung ein. Die Gesamtschulden von Lehman Brothers beliefen sich am 31. Mai auf 613 Milliarden. Auch hier wieder ein neuer Rekord. Denn die größte US-Bankenpleite bis zum damaligen Zeitpunkt, die der Continental Illinois im Jahre 1984, fand auf dem Hintergrund eines 16 mal kleineren Schuldenberges statt (d.h. 40 Milliarden $). Dies zeigt das Ausmaß der jetzigen Schwierigkeiten auf.
Merrill Lynch, eine weitere Perle in der US-Bankenlandschaft, musste ihr Einverständnis geben, von der Bank of America in aller Eile aufgekauft zu werden. Das gleiche Schicksal ereilte HBOS, die von dem Rivalen Lloyds TBS (jeweils zweite und erste Bank Schottlands) übernommen wurde. AIG (American International Group - einer der größten Versicherer auf der Welt) wurde ebenso von der amerikanischen FED am Leben erhalten. Aber mittlerweile sieht es auch schlecht aus bei den US-Finanzen. Deshalb hatte die FED beschlossen, Lehman Brothers nicht zu Hilfe zu eilen. Wenn sie jedoch AIG half, dann weil der Bankrott dieses Versicherers dazu geführt hätte, dass die Lage völlig außer Kontrolle geraten wäre.
Ein neuer Rekord. Nur zwei Wochen nach dem Absturz von Lehman Brothers meldete Washington Mutual (WaMu), die größte Sparkasse in den USA, ihren Konkurs an. Und schon wieder geriet die US-Börse in Turbulenzen. Immer wieder gehen die Kurse um 3,4 oder 5% in den Keller - je nach Bekanntwerden neuer Firmenpleiten. Die Moskauer Börse stellte Mitte September gar ihr Geschäft einige Tage lang ein, nachdem es mehrfach hintereinander zu Kursstürzen von mehr als 10% gekommen war.
In Anbetracht dieser Reihe von schlechten Nachrichten geraten selbst die größten Spezialisten außer sich. Alan Greenspan, der ehemalige Chef der FED (der von seinen Standesgenossen als der große "mythische" Präsident der FED angesehen wurde) erklärte in dem US-Fernsehsender ABC am 15. September 2008: "Man muss zugeben, es handelt sich um eine Ereignis, das nur alle 50 Jahre auftritt, wahrscheinlich nur einmal pro 100 Jahre (…) Es gibt keinen Zweifel, ich habe so etwas noch nie gesehen, dabei ist das Ganze noch nicht vorbei und es wird noch eine Zeit dauern". Seitdem wechseln sich die Wirtschaftsexperten im Fernsehen sprichwörtlich ab, um uns einzutrichtern, dass die gegenwärtige Krise sehr schwerwiegend sei, sie aber nicht mit dem Krach von 1929 vergleichbar sei und die Krise irgendwann wieder überwunden und es wieder aufwärts gehen werde. Aber all diese Leute haben nur zur Hälfte Recht. Während der großen Depression in den USA mussten Tausende Banken Konkurs anmelden, Millionen Menschen haben damals ihre Ersparnisse verloren, die Arbeitslosigkeit kletterte auf über 25%, und die Industrieproduktion war damals ca. 60% gesunken. Damals hatten die Staatschefs nur sehr spät und zögerlich reagiert. Viele Monate lang haben sie die Märkte sich selbst überlassen. Schlimmer, ihre einzige Maßnahme bestand darin, die Grenzen für ausländische Waren zu schließen (d.h. Protektionismus), wodurch das System blockiert wurde. Heute liegen die Dinge anders. Die Bourgeoisie hat aus diesem ökonomischen Desaster gelernt; sie hat internationale Finanzorganismen geschaffen, und überwacht die Krise wie die Milch auf der Kochplatte. Seit dem Sommer 2007 haben die verschiedenen Zentralbanken (hauptsächlich die FED und die EZB) nahezu 2000 Milliarden Dollar zur Rettung der in Schwierigkeiten geratenen Finanzinstitute eingesetzt. Es ist ihnen gelungen, den einfachen und brutalen Zusammenbruch zu verhindern. Das Wirtschaftswachstum hat sich sehr, sehr stark verlangsamt - aber sie ist noch nicht blockiert. In Deutschland zum Beispiel rechnet man mit einem Wachstum von 0.5%. Aber im Gegensatz zu den Beteuerungen all der Experten und promovierten Wirtschaftswissenschaftler sieht es um die Wirtschaft heute viel schlechter aus als 1929. Der Weltmarkt ist völlig gesättigt.
Das Wachstum der letzten Jahrzehnte war nur möglich dank einer massiven Verschuldung. Der Kapitalismus erstickt heute unter diesem Schuldenberg. Bestimmte Politiker und hohe Verantwortliche der Weltwirtschaft fordern heute, man müsse die Finanzwelt wieder "moralisch" gestalten, um solche Exzesse zu verhindern, die die gegenwärtige Krise hervorgerufen haben und um wieder die Rückkehr zu einem "gesunden Kapitalismus" zu ermöglichen. Aber sie hüten sich davor zu sagen (oder sie wollen es nicht wahrnehmen), dass das ‚Wachstum' der letzten Jahre gerade wegen dieser "Exzesse" erst möglich geworden ist, d.h. durch die Flucht des Kapitalismus nach vorne in die allgemeine Verschuldung. Nicht die Exzesse der Finanzbosse sind für die gegenwärtige Krise verantwortlich. Diese Exzesse und die Finanzkrise spiegeln nur die gegenwärtige Ausweglosigkeit der Krise wider. Weil es keinen wirklichen Ausweg aus der Krise gibt! Der Kapitalismus wird weiterhin unwiderruflich in der Krise versinken. Der 700 Milliarden Plan Bushs wird notwendigerweise scheitern. Wenn der Plan akzeptiert würde, wird die US-Regierung auf faulen Krediten sitzen, um die Bankkonten zu "reinigen" und die Kredite wieder anzukurbeln. Nach Ankündigung des Plans kletterte die Börse an einem Tag sprunghaft an. Aber seitdem geht es wieder auf und ab, denn gar nichts ist gelöst.
Die tiefer liegenden Ursachen der Krise sind alle noch ungelöst. Die Märkte sind immer noch gesättigt mit unverkäuflichen Waren und die Finanzinstitute, die Betriebe, die Staaten, die Privathaushalte… , sie alle werden durch die Schuldenlast erdrückt. Unzählige Milliarden Dollar werden von den Zentralbanken in die Finanzmärkte gepumpt; aber all das kann keine Rettung bringen. Schlimmer noch, diese massiven Kreditspritzen treiben alle den Schuldenberg noch mehr in die Höhe. Die Bourgeoisie steckt in einer Sackgasse - sie hat keine wirksamen Lösungen anzubieten. Deshalb zögert die US-amerikanische Bourgeoisie so sehr, dem "Bush-Plan" zuzustimmen. Sie weiß, während dies unmittelbar eine weitere Panik verhindert, werden dadurch aber die Grundlagen für neue, noch gewaltigere Erschütterungen in der Zukunft gelegt. Aus der Sicht George Soros (einer der berühmtesten und geachtesten Finanzexperten der Welt) besteht die "Gefahr des Auseinanderbrechens des Finanzsystems".
Die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Weltbevölkerung werden sich brutal verschlechtern. Eine Welle von Entlassungen überschwemmt gleichzeitig mehrere Kontinente auf der Welt. Tausende Firmen werden dicht machen. Allein bis Ende 2008 werden in den USA und in Großbritannien 260.000 im Finanzwesen ihren Job verlieren. Es wird behauptet, dass ein Arbeitsplatz im Finanzwesen im Durchschnitt vier Arbeitsplätze schaffe. Der Zusammenbruch von Finanzinstitutionen zieht somit den Verlust von Hunderttausenden Arbeitsplätzen nach sich. Noch mehr Wohnungen werden zwangsversteigert, noch mehr Leute werden obdachlos. 2.2 Millionen Amerikaner haben seit dem Sommer 2007 schon ihre Wohnung verloren; bis Ende 2008 werden noch mal eine Millionen Amerikaner ihre Wohnung verlieren. Und dieses Phänomen dehnt sich nunmehr auf Europa, insbesondere auf Spanien und Großbritannien aus. In GB hat die Zahl der Zwangsversteigerungen von Wohnungen um 48% im ersten Halbjahr 2008 zugenommen. Seit ungefähr einem Jahr verzeichnen wir wieder eine inflationäre Entwicklung. Die Rohstoffpreise und Lebensmittelpreise sind explodiert - die Folge waren Hungerrevolten in zahlreichen Ländern. Die Hunderten von Milliarden Dollar, die von der FED und der EZB und anderen Banken als Rettungspakete in die Wirtschaft gepumpt wurden, werden dieses Phänomen noch verschlimmern. Die Arbeiterklasse steht vor einer schrecklichen Verarmung. Die herrschende Klasse wird versuchen, der Arbeiterklasse die Rechnung aufzuhalsen. Überall stehen die Arbeiter vor den gleichen Angriffen: Lohnkürzungen, Kürzungen von Sozialleistungen, Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Wochenarbeitszeit, Jahresarbeitszeit, Steuererhöhungen usw. All die vom Staat finanzierten Rettungspakete werden vom "Steuerzahler" finanziert. Die Arbeiterfamilien werden blechen müssen, um die Banken am Leben zu halten, während gleichzeitig viele Arbeiter ihr Dach über dem Kopf verlieren.
Wenn die gegenwärtige Krise nicht durch einen plötzlichen Zusammenbruch wie 1929 geprägt ist, wird sie dennoch die gleichen Leiden der ausgebeuteten Bevölkerung der Welt auferlegen. Der wahre Unterschied zu 1929 liegt nicht im Bereich der kapitalistischen Wirtschaft, sondern im Bereich der Kampfbereitschaft und des Bewusstseins der Arbeiterklasse. Damals hatte die Arbeiterklasse die Niederlage der Revolution in Russland 1917 sowie die Niederschlagung der Revolution in Deutschland zwischen 1919-1923 und die verschiedenen Auswirkungen der stalinistischen Konterrevolution einstecken müssen. Die Weltarbeiterklasse war 1929 völlig geschlagen und resigniert. Die Auswirkungen der Krise hatten sehr wohl zu Abwehrkämpfen zum Beispiel der Arbeitslosen in den USA in den 1930er Jahren geführt, aber diese gingen nicht sehr weit, und der Kapitalismus trieb die Menschheit damals in den 2. Weltkrieg. Heute ist die Lage unterschiedlich. Seit 1968 hat die Arbeitklasse das Gewicht der Konterrevolution abgeschüttelt. Auch wenn die Kampagnen von 1989 über den angeblichen "Tod des Kommunismus" der Arbeiterklass einen Rückschlag versetzt haben, hat der Klassenkampf seit 2003 wieder einen Aufschwung erfahren. Die Kampfbereitschaft und das Bewusstsein der Arbeiterklasse verstärken sich. Die Wirtschaftskrise kann der fruchtbare Boden sein, auf dem die Solidarität und die Kampfbereitschaft der Arbeiter keimen werden.
Françoise (27.09.08)
Die Arbeiter beginnen sich weltweit zu wehren
Die brutale Beschleunigung der Wirtschaftskrise zwingt die Kapitalistenklasse dazu, die Last der Krise auf die Schultern der Arbeiterklasse abzuwälzen. Für die Arbeiterklasse bedeutet dies Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes, Werksschließungen, Lohnkürzungen, erhöhte Sozialabgaben usw. Mit dieser Situation werden zur Zeit jetzt schon Hunderte Millionen Arbeiter in allen Teilen der Erde konfrontiert. Im Gegensatz zu 1929, als das Kapital die Arbeiterklasse für die verheerende Wirtschaftskrise blechen lassen konnte, weil das Proletariat im Wesentlichen aufgrund einer Reihe von Niederlagen geschlagen war, ist die Arbeiterklasse heute keineswegs bereit, die Angriffe des Kapitals widerstandslos hinzunehmen. Als Reaktion auf die jüngste Zuspitzung der Krise und der von den Kapitalisten beschlossenen Sparmaßnahmen setzen sich in vielen Ländern die Betroffenen zur Wehr. Aus Platzgründen können wir in dieser Ausgabe unserer Zeitung nicht näher auf diese Abwehrkämpfe eingehen. Wir wollen an dieser Stelle nur drei Beispiele nennen, die aber die ganze Brisanz dieser Abwehrbewegung aufzeigen.
In China, wo seit einigen Jahren gigantische Arbeiterkonzentrationen in den neu entstandenen Industriezonen vor allem an der Ostküste entstanden sind, kreist seit kurzer Zeit das Gespenst der Massenarbeitslosigkeit. Zig Tausende Firmen haben auf das Schrumpfen des Weltmarktes und der Exportmöglichkeiten mit Entlassungen, Werksschließungen und Lohnkürzungen usw. reagiert, wenn die Firmen nicht direkt schließen mussten (allein schon im Perl-Fluss-Delta werden ca. 10 Mio. Entlassungen in den nächsten Monaten vorausgesagt!). Die Arbeiterklasse in China wird somit zum ersten Mal in der Geschichte des Kapitalismus gleichzeitig mit dem Rest des Weltproletariats von den Auswirkungen der Krise erfasst. Jeden Tag gibt es weitere Meldungen über Proteste, Demonstrationen usw., durch die meist sehr unerfahrenen und oft jungen Teile der Arbeiterklasse (zur Lage der Arbeiterklasse in China siehe unseren Artikel auf S. 5). Die Krise erzwingt somit den Eintritt des chinesischen Proletariats in den weltweiten Abwehrkampf der Arbeiterklasse.
Aber auch in den alten Industriezentren Europas erwachen ebenfalls die Abwehrkräfte der Arbeiterklasse. Stellvertretend sei hier Italien erwähnt, dessen Arbeiterklasse über eine lange Tradition von Kämpfen verfügt. Charakteristisch für die massive Herausbildung einer breiten Abwehrfront ist die Mobilisierung von großen Teilen der Jugend aus Protest gegen die Sparbeschlüsse im Bildungswesen. Unter dem Slogan "Wir zahlen nicht für die Krise" haben sich seit dem Herbst mehrfach Zig Tausende Schüler, Studenten und Beschäftigte aus dem Erziehungswesen in verschiedenen Städten zu Protesten zusammengefunden (eine nationale 17. Oktober, regionale Demos am 7. ,14., 18. und 28. November und ein angekündigter zweiter Generalstreik am 12. Dezember). Selbst "Mittelschüler" der Altersgruppe der 11-14 Jährigen beteiligen sich zum ersten Mal in ihrem Leben an diesem Widerstand. Diese generationsübergreifende Gärung lässt hoffen, dass die Arbeiterklasse in Italien den Abwehrkämpfen der Arbeiterklasse in Europa weiter Aufschwung verleihen wird.
Erste Anzeichen dieser Gärung in der Jugend sind nun auch in Deutschland zu vermelden - siehe unseren Artikel dazu auf S. 5.
Was Europa betrifft, könnte man viele andere Beispiele nennen, etwa den Generalstreik in Griechenland im Oktober oder den jüngsten Pilotenstreik in Frankreich, die Kapitalseite zum Nachgeben bei der geplanten Verlängerung der Lebensarbeitszeit zwang.
Der kurze Überblick von bedeutsamen ersten Reaktionen aus einer Vielzahl von Ländern ließe sich endlos fortsetzen. Wir versuchen jeweils auf unserer Webseite in den verschiedenen Sprachen unsere Leser/Innen auf dem laufenden zu halten (siehe z.B. die zahlreichen Streiks in Südamerika, über die wir auf unserer spanischen Webseite berichten). 29.11.08
Einige bürgerliche Schreiberlinge unterscheiden Finanz-, Wirtschafts- und Systemkrise, wenn sie beispielsweise sagen: "Die Finanzkrise trifft die Schweiz in einer Rezession." Diese Sichtweise ist eine Beschönigung der aktuellen Lage. Wer den jüngsten Konjunktureinbruch als "Finanzkrise" darstellt, vertuscht, dass der Kapitalismus seit 40 Jahren in einer ständig sich vertiefenden Krise steckt.
Deshalb geht es uns in diesem Artikel nicht darum, die Gründe der Krise bei den Banken allein oder "dem Finanzkapital" allgemein zu suchen - auch wenn viel davon die Rede ist.
Der "modernste" - oder besser gesagt: der aktuellste - Ausdruck der Rolle des Finanzkapitals im Kapitalismus, sind die Banken, insbesondere auch die Grossbanken der Schweiz. Eine davon ist die UBS.
Insofern die "Finanzkrise" die Zuspitzung der allgemeinen ökonomischen Krise im Kapitalismus ist, befindet sich auch die Schweiz in keiner besonderen Situation. Von der globalen Rückbildung des Finanzbereiches wird die Schweiz hart betroffen sein.
Als die Fluggesellschaft Swissair bankrott ging und vom Staat sang- und klanglos aufgegeben wurde, war dies zwar eine Einschränkung in der Unabhängigkeit für die Bourgeoisie der Schweiz. Allerdings hat der Bereich einer Fluggesellschaft für einen Kleinstaat nicht dieselbe strategische Bedeutung wie für eine Grossmacht. Vor allem mitten in Europa.
Der Finanzbereich wurde in der Schweiz über die letzten 150 Jahre derart wichtig, dass er von strategischer Bedeutung ist. Die UBS hat mehr mit dem Charakter des Schweizer Imperialismus zu tun als die Swissair. Die Swissair war ein Werbeträger, aber beim Geld geht es ans Eingemachte. Der Finanzbereich ist für die Schweiz eine Frage von Leben oder Tod geworden. An dieser Stelle interessiert uns diese Entwicklung bezüglich einem traditionell starken Banken- und Finanzsektor in der Schweiz, welcher sich in den 1980er Jahren stark veränderte. Insbesondere die Deregulierung des Finanzsektors weltweit und die damit verbundenen Entwicklungen des Aktienmarktes brachten der Schweizer Bourgeoisie grosse Möglichkeiten der Profitabschöpfung.
Mit der Schrumpfung des industriellen Sektors musste die Erweiterung des sogenannten Dienstleistungssektors noch mehr vorangetrieben werden. Der Banken- und Finanzplatz Schweiz konnte durch seinen bereits traditionellen vorhandenen "guten Ruf", mit erfahrenen Banken und Versicherungen und einer engen Anbindung an die USA seit Beginn der 1980er Jahre zu einem Quantensprung in seiner Entwicklung anheben. Dabei spielte eine grosse Rolle, dass immer mehr Kapital angehäuft wurde, das nach Rendite suchte, weil es nicht mehr in genügendem Umfang in der produzierenden Industrie investiert werden konnte.
Diese Entwicklung brachte Möglichkeiten mit sich, um gerade
auch insbesondere Angriffe auf die Löhne der ArbeiterInnen durchzuführen. Der
Staat konnte mit neu eingeführten Gesetzen einen vorzüglichen Rahmen dafür
schaffen. So wurde eine obligatorische private Altersvorsorge, das System der
Pensionskassen, das einem Zwangssparen entspricht, eingeführt. Auch die
staatliche Altersvorsorgekasse (AHV) durfte in Aktien investieren. Das
Arbeits-, Aktien- und Versicherungsrecht usw. wurden mehrmals geändert.
Eigentlich so ziemlich alles. Kurz gesagt: Das Parlament ist dauernd damit
beschäftigt, die Ausbeutung der Arbeiterklasse straffer zu organisieren.
Die "privatwirtschaftlich Seite" der Entwicklung waren die Banken, der Aktienmarkt in Zürich und die ihn betreibende Firma. Die Gesetze diesbezüglich wurden ebenfalls ständig angepasst und verändert. Die Schweiz war zum Teil sogar Vorreiterin solchen Entwicklungen, die in anderen Ländern übernommen wurden.
Resultat: Die Schweiz war um die Jahrtausendwende nach London weltweit der derivativste Markt - mit einem anderen Wort: der spekulativste! Die UBS verwaltete bis zum Ausbruch der jüngsten "Finanzkrise", nahezu einen Drittel aller gesparten Vermögenswerte weltweit. Die UBS wies für 2007 eine Bilanzsumme von 2'273 Mrd. Franken aus. Dieser Riesensumme lagen ein Handelsbestand von 774 Mrd. Franken und Kundenausleihungen von 336 Mrd. Franken zugrunde. Allein diese Zahlen zeigen die schlichtweg irrationalen Dimensionen dieser Bank. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz beträgt rund 500 Mrd. Franken.
Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass die UBS eine der von der "Finanzkrise" am stärksten betroffene Bank in Europa ist. Bis zum Sommer 2008 musste die UBS mindestens 40 Mrd. Franken abschreiben. Mittlerweile dürften weitere Milliarden dazu gekommen sein.
Die Amerikaner schnürten ihr 700 Mrd. Dollar schweres Paket zuerst - nach einigem Zögern. Dieses war noch nicht mal vom US-Parlament genehmigt, als die Medien sofort das Wunschdenken verbreiteten, die Banken in der Schweiz würden indirekt davon profitieren.
Als dann England und Deutschland ihre Rettungspakete bekannt gaben, wollten die schweizerische Regierung und die hiesige Bankiervereinigung der ganzen Welt weis machen, dass Ruhe bewahren das beste Rezept sei. Handlungsbedarf sei nicht gegeben.
Nur einige Tage nach diesen Statements musste die Regierung verkünden, dass 68 Mrd. Franken zur Stützung der UBS - also einer einzigen Bank - versprochen werden. Ein Aufschrei war zu vernehmen, der mehr Ausdruck der Verwunderung war. Man stelle sich dieses Megapaket für eine einzige Bank im Verhältnis zur 700-Mrd.-Dollar-Spritze der USA für ihre Finanzmärkte vor. Das Bruttoinlandsprodukt der USA beträgt rund das 40-fache desjenigen der Schweiz; ihre Spritze aber bloss etwa das 12-fache.
Der UBS-Rettungsplan sieht vor, dass der Staat der UBS eine Kapitalspritze versetzt und eine so genannte "Zweckgesellschaft" unter Leitung der Schweizer Nationalbank gründet. Diese "Zweckgesellschaft" soll der UBS für maximal 62 Mrd. Franken unverkäufliche Wertpapiere abkaufen. Ursprünglich verfolgten die USA eine ähnliche Idee. Inzwischen haben sie diesen Plan geändert. Die USA unterstützen ihre Not leidenden Banken jetzt direkt, statt die Ramsch-Papiere aufzukaufen. Damit sinkt weltweit die Attraktivität dieser Papiere weiter. Das wiederum drückt auf die Kurse und macht den Schweizer UBS-Rettungsplan zusätzlich zu einem Risikogeschäft. D.h. die anfänglich in Aussicht gestellten Gewinne für den Staat werden immer unwahrscheinlicher.
Der Staat ist derart gefordert, weil die Auswirkungen der Krise alle Vorstellungs- und jedes Handlungsvermögen einzelner Banken übersteigen.
Die Politiker und Medien der Schweiz legen grossen Wert darauf, dass dieses Geld für die UBS in keinem Falle eine auch nur irgendwie geartete Teil-Verstaatlichung sei. Im Gegensatz zu angeblich anders gearteten Finanz-Rettungspaketen anderer Länder. So die offizielle Interpretation.
Es ist unwesentlich, wie die Konzeptionen in der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Scheinbare Begründungen und Argumente hin oder her. Es sind massive Interventionen des Staates, gerade in einem Bereich, in dem sich die so genannte "Globalisierung" angeblich exemplarisch verwirklichte. Die insgesamt 68 Mrd. Franken für das UBS-Rettungpaket sind nicht nur eine sehr hohe Summe; man muss auch die politische Bedeutung der Intervention betonen. Es ist das offene Auftreten staatskapitalistischer Massnahmen, wie sie seit den 1970er Jahren nicht mehr da gewesen sind. Es sind massive, rigorose Interventionen des Staates - ob in der Schweiz, den USA, Grossbritannien oder Deutschland.
Von den 68 Mrd. Franken des UBS-Rettungspakets werden angeblich bis zu zwölf Milliarden als Bonus für die Manager ausbezahlt. Der Bundesrat (die Regierung) liess bekannt geben, dass er einen konkreten Plan hat, die Bonuszahlungen von den Managern zurückzufordern. Dies mit dem nichts sagenden Zusatz: falls die Manager ihre Leistungen nicht erfüllten.
Die sozialdemokratische Partei (SP) hat kurz nach dem ersten Rummel um die 68 Mrd. Franken einen "Gegenvorschlag" vorgebracht. Der zentrale Punkt der Kritik ist, dass der Staat auf die vorgesehene Zweckgesellschaft, die mit diesen 68 Mrd. gegründet wurde, zu wenig Einfluss habe. Die anderen Parteien nannten die Vorschläge der SP sofort "kalte Verstaatlichung".
Es ist moralisierende Heuchelei, wenn die Politiker so tun, als ob die Kontrolle der Manager-Löhne der wesentliche Punkt sei, der kontrolliert werden müsse. Dass die Managerlöhne zwar nicht die alleinige Schuld tragen, aber der "Finanzsektor" besser kontrolliert werden müsse, ist eine Differenzierung der bürgerlichen Linken, die auf eine grössere Rolle des Staates abzielt. Heute in dieser Situation wieder den Staat und Staatsinterventionen bzw. Regulierung zu fordern, ist abgeschmackte reformistische Illusionen zu verbreiten, welche nach mehr Keynesianismus rufen und somit vortäuschen, dass die Probleme damit zu lösen seien. Zufall ist es nicht, dass die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften der "Finanzkrise" die Schuld dafür zuschreiben, dass die "ganze" Wirtschaft von der Rezession erfasst wird. Es ist vielmehr die eigene Logik dieses Teils der Bourgeoisie, der seit bald 100 Jahren so fest in den Staat integriert ist wie ihre rechten Konkurrenten. Jener linke Flügel der herrschenden Klasse muss nun aktiver werden, um mit seiner Ideologie die Arbeiterklasse weiterhin hinters Licht zu führen. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften bedauern dies, weil mit der Verschärfung der Krise je länger je grössere Teile der Arbeiterklasse diesen Betrug als solchen erfahren und erkennen können.
Gerade in der Schweiz fordern die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften nicht weiter gehende Dinge, als Regierungsmitglieder und Politiker anderer Parteien auch fordern.
Wenn der Schweizerische Gewerkschaftsbund auf seinem Flugblatt für die Kundgebung vom 15. November 2008 die Forderung nach "Rückzahlung der Boni" stellt, spielt er nur mit der berechtigten Wut der ArbeiterInnen, um sie für die eigene Stärkung im politischen Ränkespiel zu missbrauchen. Um zu sagen: Seht her: Die Leute kommen an unsere Kundgebung! Wir sind eine wichtige und verantwortungsvolle Kraft im Staat, auf die ihr nicht verzichten könnt.
Die Behauptung der Gewerkschaften, dass die Finanzkrise die Ursache der jetzigen Rezession in der "Real-Wirtschaft" sei, ist eine grosse Lüge, um bei den Arbeitern einen falsche Erklärung in Umlauf zu bringen - insbesondere, wenn die Arbeitslosigkeit steigen wird. Vielmehr krankt dieses System insgesamt an einer Ueberproduktionskrise: Es soll möglichst viel produziert werden, damit der Profit möglichst hoch ist; die Ausgebeuteten, d.h. die grosse Masse der Bevölkerung, sollen aber möglichst wenig für ihre Arbeit kriegen, da ja sonst der Profit abnimmt; also fehlt ihnen das Geld, um die produzierten Waren zu kaufen - ein Widerspruch, den der Kapitalismus mit seiner Profitlogik nicht überwinden kann.
Die Bourgeoisie ist angesichts des knappen Geldes auch in der Staatskasse sofort zu Kürzungen in der Altersvorsorge übergegangen. Einerseits wird von der Regierung der Mindestzinssatz für das Pensionskassenvermögen von 2,75% auf 2% gesenkt. Andererseits wurde auch der Umwandlungssatz für die Berechnung der Höhe der monatlichen Pension aus dem angehäuften Pensionskassenvermögen von 7,2% auf 6,4% reduziert. Diese Rentenkürzungen sind so offensichtlich, dass Kommentatoren in den Medien dies aufgriffen. Für die Pensionskassen, welche Ende 2007 noch 600 Mrd. Franken verwalteten, wird 2008 das schlechteste Jahr seit ihrer gesetzlichen Einführung 1985.
Und auch mit den Lohnerhöhungen für nächstes Jahr ist es nicht weit her. Von Lohnerhöhung kann keine Rede sein. Im Gegenteil! 1,5% bis 3% sind lächerlich geringe Summen. Dies ist nur knapp der Ausgleich der offiziell ausgewiesenen Teuerung.
Dazu kommt eine weitere Erhöhung der Krankenkassenprämien, die bei niederen Einkommen die Lohnerhöhung schon alleine wegfressen. Dazu kommt, dass auch in der Schweiz Strom, Gas und Benzin massiv teurer wurden.
Auch in der Schweiz wird die Arbeiterklasse von einer noch selten dagewesenen Krise betroffen sein. Die Schweiz wird diese Krise nicht mehr so einfach in den Griff kriegen, wie in den 70er-Jahren, als viele Immigranten und "Fremdarbeiter" abgeschoben wurden. Dies ist wichtig festzustellen, weil der herrschenden Klasse in der Schweiz eine Arbeiterschaft gegenüber steht, die prozentual einen sehr hohen Teil der Bevölkerung ausmacht. Traditionell versucht die Schweizer Bourgeoisie, die einheimischen ArbeiterInnen möglichst von der immigrierten Arbeiterschaft zu trennen. Dies ist heute viel weniger möglich als früher. Deshalb wird es für uns wichtig sein, die Einheit der Arbeiterklasse zu betonen und diese Manöver anzuprangern.
Es gibt nur eine Arbeiterklasse, die zur Klasse an und für sich werden muss - das Proletariat!
20.11.08, G
Im November 1918 zwang die Arbeiterklasse durch ihre Erhebung die deutsche Bourgeoisie dazu, den Krieg zu beenden. Um eine weitere Radikalisierung der Arbeiterklasse und eine Wiederholung der Ereignisse von Russland zu verhindern, schickte das Kapital die SPD als Speerspitze gegen die Arbeiterklasse in die Schlacht. Mit Hilfe der Gewerkschaften und mittels einer ausgetüftelten politischen Sabotage versuchte die SPD, die Schlagkraft der Arbeiterräte zu untergraben.
Aber die Herrschenden gingen von Beginn an auch von der Notwendigkeit einer militärischen Niederschlagung der Bewegung aus. Anfangs war es für die Bourgeoisie angesichts der explosiven Entwicklung, in der es überall zu Meuterungen von Soldaten und zu ihrem massenhaften Desertieren auf die Seite der aufständischen Arbeiter kam, nicht möglich, an Repression auch nur zu denken. Zunächst musste sie politisch gegen die Arbeiterklasse vorgehen, ehe sie sie auch militärisch besiegen konnte.
Doch die Vorkehrungen für ein militärisches Vorgehen liefen vom ersten Tag an. Und nicht die "rechten" Parteien leiteten diese militärische Repression ein, sondern - in engster Absprache mit den Militärs - die SPD, die sich noch immer als "große Arbeiterpartei" pries. Es waren die viel gerühmten Demokraten, die das letzte Bollwerk zur Verteidigung des Kapitalismus boten, die sich als der wirksamste Schutzwall gegen die proletarische Revolution herausstellten.
Die SPD begann sofort, systematisch sog. Freikorps aufzubauen, da die regulären Truppenteile unter dem "Bazillus des Bolschewismus" litten und der bürgerlichen Regierung die Gefolgschaft verweigerten. Freiwillige, die mit Sonderprämien angeheuert wurden, sollten als militärische Handlanger dienen.
Nur einen Monat nach Ausbruch der Kämpfe, am 6. Dezember, ließ die SPD in Absprache mit den Militärs Soldaten in die Räume der Redaktion der Roten Fahne eindringen. Zweck dieser Aktion war es, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht sowie andere Spartakisten, aber auch Mitglieder des Vollzugsrates zu verhaften. Gleichzeitig attackierten regierungstreue Truppen eine Demonstration entlassener und desertierter Soldaten, wobei 14 Demonstranten getötet wurden. Als Reaktion darauf traten am 7. Dezember die Belegschaften mehrerer Betriebe in den Streik, überall in den Betrieben wurden Vollversammlungen abgehalten. Am 8. Dezember fand erstmals eine bewaffnete Demonstration von mehr als 150.000 Arbeitern und Soldaten statt. In den Städten des Ruhrgebiets (Mülheim) verhafteten Arbeiter und Soldaten etliche Industrielle.
Doch trotz dieser militärischen Provokation riefen die Revolutionäre nicht zum Aufstand auf, sondern drängten lediglich auf eine massive Mobilisierung der Arbeiter. Die Spartakisten waren der Auffassung, dass die Bedingungen für den Sturz des bürgerlichen Regimes noch nicht reif seien, dass die Kräfte der Arbeiterklasse noch nicht ausreichten.
Der Reichsrätekongress zwischen dem 16. und 21. Dezember 1918 verdeutlichte dies. Die Bourgeoisie begriff sofort, dass sie einen Punktsieg errungen hatte. Denn unter dem Einfluss der SPD beschlossen die Delegierten des Reichsrätekongresses, ihre eigenen Entscheidungen einer noch zu wählenden Nationalversammlung unterzuordnen. Gleichzeitig wurde ein sog. "Zentralrat" gewählt, der ausschließlich aus Sozialdemokraten bestand und vorgab, im Namen der Arbeiter- und Soldatenräte zu sprechen. Nach diesem Kongress witterte die Bourgeoisie die Gelegenheit, die politische Schwächung der Arbeiterklasse auch direkt militärisch auszunutzen. Am 24. Dezember zettelte sie die nächste militärische Provokation an. Freikorps und regierungstreue Truppen griffen revolutionäre Matrosen an; elf Matrosen und mehrere Soldaten starben. Wieder herrschte große Empörung unter den Arbeitern. Arbeiter der Daimler-Motoren-Gesellschaft und vieler anderer Berliner Betriebe forderten die Bildung einer "Roten Garde". Am 25. Dezember fanden erneut mächtige Demonstrationen gegen diese Provokation statt. Die Regierung musste einen Rückzieher machen. Nach so viel Diskreditierung musste auch die USPD , die bis dahin gemeinsam mit der SPD den Rat der Volksbeauftragten gebildet hatte, am 29. Dezember aus der Regierung austreten.
Die Bourgeoisie gab jedoch in ihrem Bestreben, das bewaffnete Proletariat in Berlin zu entwaffnen und entscheidend zu schlagen, nicht nach.
In ihrem Bemühen, die restliche Bevölkerung gegen die revolutionären Arbeiter aufzuhetzen, machte sich die SPD zum Sprachrohr einer ungeheuerlichen Meuchelmordkampagne gegen die revolutionären Arbeiter und vor allem gegen die Spartakisten.
Ende Dezember 1918 traten die Spartakisten aus der USPD aus und schlossen sich mit den Genossen der IKD zur KPD zusammen. Damit erhielt die Arbeiterklasse Unterstützung durch eine kommunistische Partei, die, kaum aus den Kämpfen hervorgegangen, schon zur Zielscheibe der Angriffe der SPD wurde.
Die KPD erkannte, dass die Aktivität der breitesten Arbeitermassen erforderlich war, um der Taktik des Kapitals die Stirn zu bieten. "Nach der ersten Phase der Revolution, der des vorwiegend politischen Kampfes, kommt eine Phase des verstärkten, gesteigerten, in der Hauptsache ökonomischen Kampfes." (Rosa Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD). Die SPD werde mit den "emporlodernden Flammen des ökonomischen Klassenkampfes nicht fertig werden" (ebenda). Daher versuchte das Kapital mit der SPD an seiner Spitze, eine weitere Verschärfung der ökonomischen Kämpfe durch eine Anzettelung von militärischen Aufständen der Arbeiter zu vereiteln. Durch die Provokation und anschließende Zerschlagung eines verfrühten Aufstandes sollte ein wichtiges Zentrum der deutschen Arbeiterklasse, die Berliner Arbeiter, geschwächt werden, um dann schrittweise gegen den Rest der Klasse vorzugehen.
Ende Dezember hatte die Bourgeoisie die in Berlin stationierten Truppen neu formiert. Mehr als 10.000 Mann starke Stoßtruppen standen ihr jetzt rund um Berlin zur Verfügung. Insgesamt hatte sie über 80.000 Soldaten um Berlin zusammengezogen. Anfang Januar 1919 holte die Bourgeoisie zu einem neuen militärischen Schlag gegen die Berliner Arbeiter aus. Am 4. Januar wurde der Polizeipräsident von Berlin, Eichhorn, der im November von den Arbeitern ernannt worden war, von der bürgerlichen Regierung entlassen. Dies wurde sofort als Herausforderung der revolutionären Arbeiterschaft verstanden. Am Abend des 4. Januar versammelten sich die revolutionären Obleute zu einer Sitzung, an der auch Liebknecht und Pieck im Namen der frisch gegründeten KPD teilnahmen.
Für Sonntag, den 5. Januar, rief man zu einer Protestkundgebung auf. Ca. 150.000 Menschen versammelten sich nach der Demonstration vor dem Polizeipräsidium. Am gleichen Abend besetzten einige Demonstranten - vermutlich von Provokateuren aufgewiegelt, jedenfalls ohne Wissen und Zustimmung des Aktionsausschusses - die Gebäude der SPD-Zeitung Vorwärts und anderer Verlage.
Doch die Bedingungen für den Sturz der Regierung waren noch nicht reif. So schrieb die KPD Anfang Januar in einem Flugblatt: "Würden die Berliner Arbeiter heute die Nationalversammlung auseinanderjagen, würden sie die Scheidemann-Ebert ins Gefängnis werfen, während die Arbeiter des Ruhrgebietes, Oberschlesiens, die Landarbeiter Ostelbiens ruhig bleiben, so würden die Kapitalisten morgen Berlin durch Aushungerung unterwerfen können. Der Angriff der Arbeiterklasse auf das Bürgertum, der Kampf um die Macht der Arbeiter- und Soldatenräte müssen das Werk des gesamten arbeitenden Volkes im ganzen Reiche werden. Nur wenn der Kampf der Arbeiter in Stadt und Land überall jeden Tag sich verschärft, zunimmt, wenn er zum reißenden Strome wird, der ganz Deutschland durchbraust, die Welle der Ausbeutung und Unterdrückung hinwegschwemmt, nur dann wird die Regierung des Kapitalismus, wird die Nationalversammlung gesprengt und auf ihren Ruinen die Regierung der Arbeiterklasse errichtet werden, die im weiteren Kampf gegen die Bourgeoisie das Proletariat zum vollen Siege führen wird. Deswegen darf unser Kampf gegen die Nationalversammlung weder in passiver Abstinenz, in einfacher Stimmenthaltung, noch in bloßer Störung der Wahlen, noch in dem bloßen Versuch der Auseinanderjagung der Nationalversammlung bestehen, es gilt, in diesem Kampfe Machtpositionen zu erobern.
(...) Arbeiter und Arbeiterinnen, Soldaten und Matrosen! Ruft überall Versammlungen ein und klärt die Volksmassen über den Schwindel der Nationalversammlung auf (...) In jeder Werkstatt, in jedem Truppenteil, seht Euch in jeder Stadt Euren Arbeiter- und Soldatenrat an, prüft, ob er wirklich gewählt worden ist, ob in ihm Vertreter des kapitalistischen Systems, Verräter der Arbeiterklasse, wie die Scheidemänner, oder haltlos hin und her schwankende Gestalten, wie die Unabhängigen, sitzen". (aus einem Flugblatt der KPD, Anfang Januar 1919 verteilt) Aus dieser Einschätzung geht deutlich hervor, dass sich die KPD darüber im Klaren war, dass der Sturz der Kapitalisten noch nicht unmittelbar bevorstand. Der Aufstand stand noch nicht auf der Tagesordnung.
Nach der riesigen Massendemonstration vom 5. Januar fand noch am gleichen Abend erneut eine Sitzung der Obleute unter Beteiligung von Delegierten der KPD, USPD und Vertretern der Garnisonstruppen statt. Unter dem Eindruck der mächtigen Demonstration versuchte man zunächst, die Stimmung auszuloten. Es wurde von einer kampfbereiten Stimmung in den Truppen berichtet. Die Anwesenden wählten einen Aktionsausschuss aus 53 Mitgliedern, an dessen Spitze Ledebour (USPD), Scholz für die revolutionären Obleute und Liebknecht für die KPD traten. Man beschloss für den folgenden 6. Januar den Generalstreik und eine neue Demonstration.
Der Aktionsausschuss verteilte ein Flugblatt mit der Parole: "Auf zum Kampf um die Macht des revolutionären Proletariats! Nieder mit der Regierung Ebert-Scheidemann!"
Soldaten kamen und erklärten dem Aktionsausschuss ihre Solidarität. Eine Soldatendelegation versicherte, sie werde sich auf die Seite der revolutionären Arbeiter stellen, wenn man die Ebert-Scheidemann-Regierung für abgesetzt erkläre. Daraufhin unterschrieben Liebknecht für die KPD und Scholz für die revolutionären Obleute ein Dekret, wonach die Regierung abgesetzt sei und der Revolutionsausschuss die Regierungsgeschäfte übernehme. Am 6. Januar demonstrierten ca. 500.000 Arbeiter auf den Straßen und in allen Stadtteilen; die Arbeiter der Großbetriebe verlangten nach Waffen. Die KPD forderte die Bewaffnung der Arbeiter und die Entwaffnung der Konterrevolutionäre.
Doch nachdem er erst: "Nieder mit der Regierung!" gerufen hatte, machte der Revolutionssausschuss anschließend keine ernsthaften Anstalten, diese Parole auch in die Tat umzusetzen. Weder wurden in den Betrieben Kampfgruppen aufgestellt noch der Versuch unternommen, die Regierungsgeschäfte in die Hand zu bekommen und die alte Regierung lahmzulegen. Nicht nur, dass der Aktionsausschuss keinen Aktionsplan besaß, er wurde gar am 6. Januar von Marinesoldaten aufgefordert, das Tagungsgebäude zu verlassen - was er dann auch tat.
Die demonstrierenden Arbeitermassen warteten auf den Straßen auf Anweisungen, während ihre Führer ratlos waren und - tagten. Während die Führung des Proletariats zögerte und zauderte, abwartete und ohne eigenen Plan war, erholte sich die SPD-geführte Regierung schnell vom ersten Schock über den Widerstand der Arbeitermassen. Sobald sich die Schwäche der Revolutionäre, ihr Mangel an Führungskraft, offenbarte, raffte man sich auf der Gegenseite zum entschlossenen Handeln auf. Von allen möglichen Seiten wurde Hilfe angeboten. Die SPD rief zu Streiks und Demonstrationen für die Regierung auf und startete eine massive Hetzkampagne gegen die Kommunisten.
Nun traten die SPD und ihre Komplizen also unter dem Deckmantel der Revolution und der Arbeiterinteressen auf, um die Revolutionäre zu massakrieren. Mit spitzfindiger Doppelzüngigkeit forderte sie die Arbeiterräte auf, sich hinter die Regierung gegen die "bewaffneten Banden" zu stellen. Gustav Noske, führendes SPD-Mitglied, wurde zum Oberbefehlshaber der Repressionstruppen ernannt. "Einer muss der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht." (Zitat von Noske)
Schon am 6. Januar kam es zu vereinzelten Gefechten, derweil die Regierung rund um Berlin immer mehr Truppen zusammenzog. Am Abend des 6. Januar tagte der von SPD und USPD dominierte Berliner Vollzugsrat. Anschließend schlug er dem revolutionären Aktionsausschuss Verhandlungen zwischen den revolutionären Obleuten und der SPD-Regierung vor, zu deren Sturz der Aktionsausschuss gerade erst aufgerufen hatte. Statt sich an die Spitze der Bewegung gegen die Regierung zu stellen, setzte sich der Vollzugsrat also zwischen alle Stühle. Der Vollzugsrat wollte als "vermittelnde" Kraft handeln, indem er Unversöhnliches miteinander zu versöhnen versuchte. Dieses Verhalten des Vollzugsrates vergrößerte das Zaudern der ohnehin schon abwartenden und zögernden Soldaten. Die Matrosen erklärten, dass sie sich nunmehr "neutral" verhalten werden. Hier wird deutlich, dass jedes unentschlossene Verhalten schnell zu einem Verlust an Selbstbewusstsein innerhalb der Klasse, aber auch zu einem Vertrauensverlust der Arbeiter gegenüber den politischen Organisationen des Proletariats führt.
Der SPD gelang es so, die Arbeiterklasse zutiefst zu schwächen. Wie sich später herausstellen sollte, setzte sie dabei auch Provokateure ein, die die Arbeiter zu Zusammenstößen aufwiegeln sollten. So geschah die Besetzung von Zeitungsredaktionen und Verlagsgebäuden (wie den Vorwärts) am 7. Januar offensichtlich auf Betreiben von Agents provocateurs der Regierung.
Die KPD-Führung hatte zu den Ereignissen in Berlin und dem von den revolutionären Obleuten gefassten Aufstandsbeschluss eine klare Position. Ausgehend von der Einschätzung der Lage, die auf ihrem Gründungsparteitag artikuliert wurde, hielt die KPD den Zeitpunkt für einen Aufstand für verfrüht.
Die Spartakisten drängten die Arbeiterklasse zu einer Intensivierung des Drucks in den Arbeiterräten, womit die Kämpfe wieder auf das Terrain der Arbeiterklasse, also in die Betriebe zurückgeführt und Ebert, Scheidemann & Co. davongejagt werden sollten. Die Bewegung musste erst durch den Druck der Räte neuen Anschub erhalten, bevor sie die Schlacht um die Machtergreifung antreten konnte.
Am 8. Januar übten Rosa Luxemburg und Leo Jogiches scharfe Kritik am Aufruf des Revolutionsausschusses zum unmittelbaren Sturz der Regierung, aber auch an der zögernden und kapitulantenhaften Haltung des Ausschusses, die es ihm unmöglich machte, die von ihm ausgelöste Bewegung anzuführen. Vor allem warfen sie Liebknecht vor, auf eigene Faust zu handeln, sich von seinem Enthusiasmus und seiner Ungeduld blenden zu lassen, statt sich an die Beschlüsse der Partei zu halten und auf das Programm sowie die Einschätzung seiner Partei zu stützen.
Dieses Ereignis zeigt, dass es weder an einem Programm noch an politischen Lageanalysen mangelte, sondern an der Fähigkeit der KPD, ihre Pflicht als politische Führung der Arbeiterklasse zu erfüllen. Die erst wenige Tage alte KPD besaß nicht den Einfluss und noch weniger die Solidität sowie den organisatorischen Zusammenhalt, die die bolschewistische Partei 1917 in Russland ausgezeichnet hatten. Diese Unreife der KPD war der Grund für die Verwirrung in ihren eigenen Reihen, die sich später zu einer folgenschweren Bürde auswachsen sollte.
In der Nacht vom 8. auf den 9. Januar kam es erstmals zu Übergriffen von Regierungstruppen gegenüber Arbeitern. Der Aktionsausschuss, der das Kräfteverhältnis noch immer falsch einschätzte, drängte darauf, gegen die Regierung loszuschlagen, obwohl sich diese gerade im Aufwind befand: "Auf zum Generalstreik, auf zu den Waffen (...) Es gibt keine Wahl! Es muss gekämpft werden bis aufs Letzte." Diesem Aufruf folgten viele Arbeiter, doch erneut warteten sie vergeblich auf präzise Anweisungen des Ausschusses. Nichts geschah, um die Massen zu organisieren, um die Verbrüderung der revolutionären Arbeiter mit den Truppen herbeizuführen.
Unterdessen marschierten die Regierungstruppen in Berlin ein und lieferten sich tagelange Straßenkämpfe mit bewaffneten Arbeitern. Bei immer wieder aufflammenden Zusammenstößen in verschiedenen Stadtteilen Berlins wurden zahllose Arbeiter erschossen oder verletzt. Die Kämpfe dauerten nahezu eine Woche an. Am 13. Januar wurde der Generalstreik von der USPD-Führung für beendet erklärt. Am 15. Januar wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von den Schergen des sozialdemokratisch geführten Regimes ermordet. Die Kampagne "Tötet Liebknecht!" war erfolgreich abgeschlossen worden. Die KPD war ihrer besten Führer beraubt!
Die KPD besaß damals nicht die Kraft, die Bewegung zurückzuhalten - so wie es im Juli 1917 den Bolschewiki gelungen war. "Ein Erfolg der Spartakusleute war von vornherein ausgeschlossen, da wir sie durch unsere Vorbereitungen zum früheren Zuschlagen genötigt haben. Ihre Karten wurden früher aufgedeckt, als sie es wünschten, und wir waren daher in der Lage, ihnen entgegenzutreten." (Zitat von Polizeipräsident Ernst, SPD-Nachfolger von Eichhorn)
Die Bourgeoisie erkannte jedoch sofort, dass sie ihren militärischen Erfolg weiter ausbauen musste. In einer Welle blutiger Repression wurden Tausende von Berliner Arbeitern und Kommunisten ermordet, misshandelt und gefangengenommen. Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war keine Ausnahme, sondern nur der erste Ausdruck einer wilden Entschlossenheit der Bourgeoisie, ihre Todfeinde, die Revolutionäre, samt und sonders auszulöschen. Am 19. Januar war dann der Triumph der Demokratie perfekt - die Wahlen zur Nationalversammlung in Weimar, wohin die Regierung sie unter dem Druck der Arbeiterkämpfe verlegt hatte, fanden statt. Die Weimarer Republik wurde also erst durch die Massaker an der Arbeiterklasse ermöglicht.
Es ist die Partei, die den Siedepunkt erkennen muss, die "den Moment für das Angriffsziel richtig erfassen" (Trotzki) muss, um die Klasse zum richtigen Zeitpunkt zum Aufstand zu drängen. Die Arbeiterklasse muss "über sich eine weitblickende, feste und sichere Leitung (in der Form der Partei) fühlen" (Trotzki).
Der Analyse zufolge, die die KPD auf ihrem Gründungsparteitag erstellt hatte, war die Klasse noch nicht reif für den Aufstand. Nach der anfangs von Soldaten dominierten Bewegung erhoffte man sich jetzt einen neuen Schub durch die Belegschaften der Betriebe, durch einen verstärkten Druck der Arbeitervollversammlungen und Demonstrationen. Nur dies hätte der Bewegung Auftrieb und Selbstvertrauen geben können. Wenn der Aufstand im Januar kein Putschversuch durch einige verzweifelte und ungeduldige Elemente bleiben, sondern auf den "revolutionären Aufschwung" der Arbeiterklasse fußen sollte, musste auch der Kampf der restlichen Arbeiterklasse intensiviert werden.
Zudem hatten die Arbeiterräte im Januar noch lange nicht die Zügel in die eigene Hand genommen, war die neben der Regierungsgewalt existierende Macht der Räte aufs heftigste von der SPD sabotiert worden. Wie schon erwähnt, hatte die Bourgeoisie auf dem Reichsrätekongress Mitte Dezember 1918 einen Sieg errungen. Seither war es noch zu keiner Neubelebung der Arbeiterräte gekommen. Die Einschätzung des Kräfteverhältnisses und der Dynamik der Entwicklung durch die KPD entsprach der Realität.
Es wird der Einwand vorgebracht, dass die Partei die Macht hätte übernehmen müssen. Doch wie soll dies eine Partei, und sei sie noch so "stark", bewerkstelligen, wenn das Bewusstsein großer Teile der Arbeiterklasse noch nicht ausreichend entwickelt ist, wenn die Arbeiterklasse noch zögert und schwankt, wenn sie nicht einmal Arbeiterräte gebildet hat, die stark genug waren, um dem bürgerlichen Regime entgegenzutreten. Aus unserer Sicht steckt hinter diesem Einwand ein grundsätzliches Verkennen der fundamentalsten Charakteristiken einer proletarischen Revolution bzw. eines Aufstandes, der, wie Lenin zuvorderst betont, "keine Verschwörung der Partei sein kann, sondern sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen muss". Kurz, hinter dieser Kritik verbirgt sich eine blanquistische, putschistische Sichtweise. Selbst im Oktober 1917 haben die Bolschewiki nachdrücklich darauf bestanden, dass nicht sie, sondern der Petrograder Sowjet die Macht übernehmen muss.
Der Aufstand kann nicht willkürlich "von oben" deklariert werden, sondern kann erst dann organisiert werden, wenn die Eigeninitiative und die Bereitschaft der Klasse, die Organisierung ihrer Kämpfe selbst in die Hand zu nehmen, ihr Bewusstsein für die Orientierungen und Anweisungen der Räte und der Partei geöffnet haben.
Damit das Proletariat das Joch des Kapitalismus abschüttelt, reichen nicht allein der Wille und die Entschlossenheit seiner Revolutionäre, d.h. des bewusstesten und entschlossensten Teils der Klasse, aus. Denn ein proletarischer Aufstand ist kein handstreichartiger Putsch, wie nur die bürgerlichen Ideologen es sich vorstellen können, sondern das Werk der Arbeiterklasse selbst. Doch im Januar 1919 hatte die deutsche Arbeiterklasse diesen Reifegrad noch nicht erreicht.
Im Gegensatz zu den Bolschewiki im Juli 1917 hatte die KPD im Januar 1919 noch längst nicht so viel Gewicht, um den Lauf der Ereignisse entscheidend mit zu beeinflussen. Denn es reicht nicht, dass die Partei richtige Positionen bezieht, notwendig ist auch ein entsprechendes Gewicht in der Klasse. Sowohl der verfrühte Januaraufstand in Berlin als auch die darauffolgende blutige Niederlage machten es der KPD jedoch unmöglich, solch ein Gewicht zu erlangen. Der Bourgeoisie gelang es, die revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse zu schwächen, indem sie ihre besten Militanten umgebracht und ihr wichtigstes Interventionsorgan, die Rote Fahne, vorläufig zum Schweigen gebracht hat. In einer Zeit, als die breiteste Intervention der KPD erforderlich war, stand die KPD wochenlang ohne Presse da.
(Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe)
Japans Arme rebellieren
Am 29.11.08 schrieb der Korrespondent der Frankfurter Rundschau folgenden Bericht, welcher die Entwicklung in Japan gut widerspiegelt. Wir zitieren nachfolgend einen längeren Teil.
VON MARTIN FRITZ
Tokio. "Nein zur Armut!", schallte es aus dem Megafon. "Steht auf und verändert die Gesellschaft!" Mit solchen Forderungen zogen kürzlich Tausende Japaner durch Tokio. Sie waren in diesem Jahr nicht allein: In mehr als 40 Städten gingen Menschen auf die Straße. Ihre Proteste richteten sich gegen die unsicheren Lebensverhältnisse im Land - und signalisierten ein neues Bewusstsein: Die sozialen Verlierer in Japan begehren auf und lassen sich nicht mehr länger als Versager abstempeln. "Ich bekomme kaum Arbeit und finde nur schwer eine Wohnung", beschwerte sich eine junge Frau. "Man sagt mir oft, ich sei dafür selbst verantwortlich. Aber das stimmt einfach nicht."
Hintergrund ist ein massiver Wandel der Arbeitswelt: Mehr als jeder zweite Japaner arbeitet inzwischen befristet, als Leiharbeiter oder in Teilzeit. Zehn Millionen Menschen verdienen weniger als zwei Millionen Yen im Jahr, weniger als 1300 Euro monatlich. "Viele Eltern können ihre Kinder nur versorgen, wenn sie zwei Jobs haben und viele Überstunden machen", klagte eine ältere Demonstrantin. Für viele reicht das Geld nur für zwei Mahlzeiten am Tag, eine Krankenversicherung ist oft unbezahlbar. Tausende Obdachlose übernachten in den engen Boxen der Internet-Cafés.
Japan hat nach den USA unter den G7-Ländern die meisten Armen. Die Schere zwischen Unten und Oben hat sich in 20 Jahren um 30 Prozent geöffnet. Einen Wohlfahrtsstaat kennt Japan nicht. Sozialhilfe gibt es nur für Arbeitsunfähige und Senioren ohne Rente. Der Staat tut auch wenig für berufliche Weiterbildung. Von allen Industrieländern investiert Japan am wenigsten in den Arbeitsmarkt. Kritiker sprechen deshalb von einer "Rutsch-Gesellschaft": Wer einmal unten ist, kommt nicht wieder hoch. Eine ganze Generation junger Leute fand in der Rezession der neunziger Jahre keine feste Anstellung und konnte auf dem Arbeitsmarkt bis heute nicht mehr Fuß fassen.
Der 1929 verfasste Proletarier-Roman "Kanikosen" über die Ausbeutung von Arbeitern auf einem Krabbenfänger-Schiff entwickelt sich zu einem Bestseller. Mehr als eine halbe Million Exemplare wurden in diesem Jahr verkauft, weil sich viele Leser nach Ansicht des Verlages in den sklavenartigen Arbeitsbedingungen jener Zeit wiedererkennen. In den Buchläden stapeln sich anti-kapitalistische Werke. Das erfolgreichste Buch des Jahres - "Gieriger Kapitalismus und die Selbstzerstörung der Wall Street" von Hideki Mitani - wirft Japan vor, seine Unternehmenskultur auf dem Altar des angelsächsischen Kapitalismus geopfert zu haben. Im Dezember erscheint "Das Kapital" von Karl Marx erstmals als Manga. (...)
Congo: The killing fields of capitalism
Der Anblick Tausender verzweifelter, in Panik geratener Menschen, die aus den Städten in der nördlichen Kivu-Region im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo = DRK) fliehen, erinnert daran, dass dieser Krieg nie aufgehört hatte. Tatsächlich ist dieser Krieg seit dem 2. Weltkrieg der Krieg mit den meisten Todesopfern.
Zwischen 1998 und 2003 wehrte die DR Kongo mit Unterstützung durch Angola, Namibia und Simbabwe die Angriffe Ruandas und Ugandas ab. Seitdem sind immer wieder Feindseligkeiten insbesondere in Kivu ausgebrochen. Diese hatten sich derart zugespitzt, dass ein Friedensabkommen im Januar 2008 von einer großen Zahl bewaffneter Banden unterzeichnet werden musste.
Aber dies hielt nicht lange an: Im August brachen wieder Kämpfe aus, als Laurent Nkunda’s National Congress for the Defence of the People (Nationalkongress für die Verteidigung des Volkes), eine Tutsi Miliz von 5.500 Mitgliedern, eine Reihe von Städten und Lagern (sowohl von Militärs als auch von Flüchtlingen) angreifen ließ. Immer mehr Menschen traten die Flucht an. In den beiden vorhergehenden Jahren des Konfliktes waren schon mehr als 850.000 Menschen geflüchtet. Seit August sind noch einmal 250.000 dazu gekommen, manche davon sind schon das zweite oder dritte Mal geflüchtet. In der DR Kongo insgesamt gibt es mehr als 1.5 Millionen Vertriebene. Mehr als 300.000 Menschen sind aus dem Land geflüchtet.
Nachdem Goma, die nördliche Provinzhauptstadt Kivu von Nkunda’s Truppen belagert wird, aber auch nach der teilweisen Terrorisierung durch auf dem Rückzug befindlichem kongolesischem Militär befürchtet man die erneute Auslösung eines umfassenden Krieges. Seit 1998 sind schon mehr als 5.4 Millionen Menschen durch den Krieg und kriegerische Gewalt, Hunger und Krankheiten gestorben. Der Direktor des Internationalen Flüchtlingskomitees sagte, „Kongo ist der tödlichste Konflikt auf der Welt seit den letzten 60 Jahren“ (Reuters). Ein Sprecher der Irischen Hilfsorganisation (GOAL) meinte, „es handelt sich um die schlimmste humanitäre Tragödie seit dem Holocaust. Es ist das deutlichste Beispiel auf der Welt für die Unmenschlichkeit der Menschen gegen andere Menschen“.
Laurent Nkunda behauptet, seine Kräfte halten sich in Nord und Südkivu auf, weil die DRK verschiedene Hutu-Kräfte vor Gericht hätte stellen sollen. Insbesondere betonen sie die Rolle der Demokratischen Befreiungskräfte Ruandas (FDLR) im Massaker von 1994 an 800.000 Tutsis in Ruanda. Nkunda hat, mit Unterstützung von Ruanda, mit einem Durchmarsch durch das Land bis zur Hauptstadt Kinshasa in 1500 km Entfernung gedroht.
Die Rolle von Gruppen wie der FDLR und auch das Vordringen der Truppen von Nkunda, die auf ihrem Vormarsch nach Kinshasa systematisch plündern, vergewaltigen und töten, ist gut dokumentiert worden. Es ist nicht das erste Mal, dass ihr Anspruch der „Verteidigung des Volkes“ als Vorwand für die Terrorisierung der Bevölkerung dient. In Ruanda und der DRK fachen die Aufstachelung zu ethnischem Hass und der Wunsch nach Rache die Lage weiter an.
Wenn man den fortdauernden Konflikt in der DRK beleuchtet, spielen natürlich viele wertvolle Rohstoffe eine große Rolle. So schrieb der „Guardian“ (30.10.08): „Eine UNO-Untersuchung über die illegale Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe im Kongo zeigte, dass der Konflikt im Land sich hauptsächlich um „Zugang, Kontrolle und Handel“ mit fünf Hauptmineralien dreht: Diamanten, Kupfer, Kobalt, Gold und Koltan – ein metallenes Eisenerz, das bei der Produktion von Handys und Laptops verwendet wird. Die Ausbeutung der Rohstoffe des Kongos durch ausländische Armeen wurde immer „systematisch und systemisch“ betrieben, und insbesondere die ugandischen und ruandischen Führer hatten ihre Soldaten in „Armeen von Geschäftsleuten“ verwandelt. Die UN-Untersuchung belegte, dass die ruandische Armee innerhalb von 18 Monaten mindestens 250 Millionen Dollar durch den Verkauf von Kobalt eingenommen hatte“.
Im Independent (30.10.08) äußerte sich der Afrika-Direktor der Internationalen Krisengruppe: „Nkunda wird von ruandischen Geschäftsleuten finanziert, damit sie die Kontrolle über die Minen in Nord Kivu übernehmen können. Das ist der Dreh- und Angelpunkt des Konfliktes. Jetzt sehen wir die Nutznießer der illegalen Kriegswirtschaft, die sich um ihre Rechte auf Ausbeutung der Rohstoffe schlagen“. Der Artikel fährt fort: „Gegenwärtig verdienen ruandische Geschäftsleute ein Vermögen durch die Ausbeutung der Minen, die sie sich während des Krieges illegal unter die Nägel rissen. Der globale Preis für Koltan ist zusammengebrochen, deshalb haben sie sich nun profithungrig auf Kassiterit gestürzt, das bei der Produktion von Zinndosen und anderen Wegwerf-Konsumgütern verwendet wird“.
Die DRK ist flächenmäßig 90 Mal größer als Ruanda, die Bevölkerung ist sechsmal größer; und dennoch erscheint die DRK unfähig, eine relativ kleine Zahl von Milizen abzuwehren. Selbst die Anwesenheit von 17.000 UN-Truppen scheint nichts auszumachen. Der schnelle Rückzug der Armee der DRK aufgrund der neuen Offensive erscheint als normal. Der Guardian vom 28.10.08 berichtet, dass die Regierungstruppen der DRK „notorisch dafür bekannt sind, ihre Waffen gegen Zivilisten zu richten und zu flüchten, wenn sie es mit einem richtigen Gegner zu tun haben. Die kongolesische Armee, die eine buntgemischte Sammlung von besiegten Armeeverbänden und mehreren Rebellen- und Milizgruppen aufeinander folgender Kriege zwischen 1997-2003 ist zusammenhangslos, undiszipliniert, demoralisiert und schlecht bezahlt“. Der Zustand der Armee spiegelt den Zustand der herrschenden Klasse wider, die ihre Grenzen und ihr eigenes Territorium nicht kontrollieren kann. Das Vorhandensein von Dutzenden von schwer bewaffneten Banden, von denen viele von Ländern wie Ruanda und Uganda unterstützt werden, und von denen einige entschlossener sind, Gewalt gegen andere ethnische Gruppen auszuüben, andere wiederum eher von der Ausbeutung der wertvollen Rohstoffe profitieren wollen, sind ein klassischer Ausdruck der Ausbreitung des Gangsterunwesens in der kapitalistischen Gesellschaft. In einer Welt, in der „jeder gegen jeden“ kämpft, kann die DRK-Regierung die Lage nicht im Griff haben, und die bewaffneten Banden können nicht darauf abzielen, zu noch größeren Banden zu werden, falls sie überhaupt überleben.
Die UN, die EU, Hilfsorganisationen und „betroffene“ westliche Regierungen prangern die Gewalt an und bekunden ihre Sympathie für die arg gebeutelte Bevölkerung. Aber genau so wie die lokalen imperialistischen Staaten wie Ruanda und Uganda sind die Großmächte ebenso ein Teil des Problems. Wir dürfen nicht vergessen, dass der französische Imperialismus 1994 hinter den Todeskommandos der Hutus stand, während der amerikanische Imperialismus die Tutsi-Kräfte unterstützte, um dem französischen Einfluss in der Region einen Schlag zu versetzen. Frankreich unterstützte auch das Mobutu-Regime in Zaire, wie die DRK früher hieß, und die Amerikaner deckten die Kräfte sehr stark, die auf den Umsturz Mobutus hinarbeiteten. So ist das ganze Chaos im Kongo sehr wohl von den ‚demokratischen’ Weltmächten, die die Stützen der UNO und der „internationalen Gemeinschaft“ sind, mit angefacht worden.
Ethnische Spaltungen und Rohstoffvorkommen spielen eine wichtige Rolle bei diesem Konflikt, aber all das wird überspannt durch den Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft, welcher sich nicht nur darin äußert, dass kleinere Staaten auseinander brechen, sondern auch in der Zuspitzung der Rivalitäten unter den größeren und kleineren imperialistischen Staaten. Die Tatsache, dass die kapitalistische Gesellschaft bislang überlebt hat, auch wenn sie noch so heruntergekommen ist, bedeutet, dass immerfort brutale Kriege ausbrechen werden. Der Kapitalismus steckt nicht nur in einer Wirtschaftskrise, sondern er ist auch ein killing field, das überall seine Narben auf der Welt hinterlässt. Car, 31.10.08
Dieser Text ist eine Übersetzung eines Artikels der spanischen Sektion der IKS in Spanien.
Heute verkündet der französische Präsident Sarkozy, dass der „Kapitalismus auf ethischen Grundlagen neu aufgebaut werden muss“. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel greift die Spekulanten an. Der spanische Ministerpräsident weist anklagend auf die „Marktliberalen“, die vorgeben, dass die Märkte sich ohne Staatsinterventionen regulieren können. Sie alle erzählen uns, dass diese Krise das Ende des „neoliberalen“ Kapitalismus eingeläutet habe und dass die Hoffnungen sich nun auf eine „andere Art des Kapitalismus“ richten. Dieser neue Kapitalismus würde auf der Produktion basieren und nicht auf den Finanzen, sich von den parasitären Schichten der Finanzhaie und Spekulanten befreien, die als Verfechter der „Deregulierung“, der „Einschränkung des Staates“ und des Vorrangs der privaten Interessen über die „öffentlichen Interessen“ dargestellt werden. Ihren Worten zufolge ist es nicht der Kapitalismus selbst, der kollabiert, sondern eine besondere Form des Kapitalismus. Die linksbürgerlichen Gruppen (Stalinisten, Trotzkisten, Antikapitalisten) behaupten stolz: „Die Tatsachen beweisen, dass wir richtig lagen. Neoliberale Maßnahmen führen in die Katastrophe.“ Sie erinnern an ihre Opposition gegen die „Globalisierung“ und gegen die „ungebremste Liberalisierung“. Sie fordern, dass der Staat Maßnahmen ergreift, damit die Multis, die Spekulanten und andere, die angeblich durch ihren exzessiven Hunger nach Profiten für die Katastrophe verantwortlich seien, zur Vernunft kommen. Sie behaupten, ihre Lösung sei eine sozialistische, die den Kapitalismus zugunsten des Volkes zügelt.
Gibt es auch nur ein Körnchen Wahrheit in diesen Behauptungen? Ist „eine andere Art von Kapitalismus“ möglich? Bieten wohltätige Staatsinterventionen eine Lösung gegenüber der kapitalistischen Krise? Wir werden versuchen, einige Elemente zur Beantwortung dieser eminent wichtigen Fragen zu liefern. Doch bevor wir damit beginnen, müssen wir zunächst eine fundamentale Frage klären: Wird der Sozialismus durch den Staat verwirklicht?
Chávez, der illustre Verfechter des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ hat just eine verblüffende Erklärung gemacht: „Genosse Bush ist dabei, Maßnahmen einzuführen, die mit Genosse Lenin verbunden werden. Die Vereinigten Staaten werden eines Tages sozialistisch sein, weil ihre Menschen keine Selbstmörder sind." Dieses eine Mal stimmen wir (ohne damit einen Präzedenzfall zu schaffen) mit Chávez überein. Zunächst in der Tatsache, dass Bush sein Genosse ist. Auch wenn sie sich in einem harten imperialistischen Konkurrenzkampf befinden, so sind sie tatsächlich gut Freund bei der Verteidigung des Kapitalismus und bei der Nutzung staatskapitalistischer Maßnahmen, um das System zu retten. Und wir können auch darin zustimmen, dass die „Vereinigten Staaten (...) eines Tages sozialistisch“ sein werden, auch wenn dieser Sozialismus nichts zu tun haben wird mit dem, was Chávez befürwortet.
Der wirkliche Sozialismus, wie er vom Marxismus und von den Revolutionären in der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung vertreten wurde, hat nichts mit dem Staat zu tun. Tatsächlich ist der Sozialismus die Negation des Staates. Der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft erfordert, dass der Staat in jedem Land dieser Welt zerstört ist. Da aber der Kommunismus nicht über Nacht geschaffen werden kann, ist eine Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus erforderlich. Diese Übergangsperiode wird noch das Subjekt des dem Kapitalismus eigentümlichen Wertgesetzes sein. Die Bourgeoisie ist noch nicht vollständig zerstört, und neben dem Proletariat existieren noch immer nicht-ausbeutende Klassen: die Bauern, die Marginalisierten, das Kleinbürgertum. Als Ergebnis dieser Übergangssituation bedarf es noch immer einer Form des Staates, doch hat dieser keinerlei Ähnlichkeiten mehr mit jenen Staaten, die bis dahin existiert hatten; er wird zu einem „Halbstaat“, um Engels‘ Formulierung zu benutzen, zu einem Staat auf dem Weg zur eigenen Auslöschung. Um auf dem Weg zum Kommunismus im historischen Kontext einer Übergangsperiode voranzuschreiten, die sowohl komplex als auch instabil ist, voller Gefahren und Widersprüche, wird das Proletariat die Fundamente auch dieses neuen Staates untergraben müssen. Der revolutionäre Prozess wird ihn überwinden oder Gefahr laufen, die Perspektive des Kommunismus aus den Augen zu verlieren.
Einer der Autoren in der Arbeiterbewegung, der sich dieser Frage mehr als jeder anderen gewidmet hat, ist Friedrich Engels. Er ist sehr deutlich in diesem Punkt: „Man sollte das ganze Gerede vom Staat fallenlassen, besonders seit der Kommune, die schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr war. Der Volksstaat ist uns von den Anarchisten bis zum Überdruss in die Zähne geworfen worden, obwohl schon die Schrift Marx‘ gegen Proudhon und nachher das ‚Kommunistische Manifest’ direkt sagen, daß mit Einführung der sozialistischen Gesellschaftsordnung der Staat sich von selbst auflöst und verschwindet. Da nun der Staat doch nur eine vorübergehende Einrichtung ist, deren man sich im Kampf, in der Revolution bedient, um seine Gegner gewaltsam niederzuhalten, so ist es purer Unsinn, vom freien Volksstaat zu sprechen: solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner, und sobald von Freiheit die Rede ist, hört der Staat als solcher auf zu bestehen.“ (Brief an Bebel, 1875)
Eine Staatsintervention zur Regulierung der Wirtschaft im Interesse des „ganzen Volkes“ hat nichts mit Sozialismus zu tun. Der Staat wird niemals in der Lage sein, im Interesse des „ganzen Volkes“ zu handeln. Der Staat ist ein Organ der herrschenden Klasse und dazu geschaffen, organisiert und konstruiert, um die herrschende Klasse zu vertreten und ihr Produktionssystem zu unterstützen. Der „demokratischste“ Staat der Welt ist nicht weniger der Diener der Bourgeoisie und wird das kapitalistische Produktionssystem mit Zähnen und Klauen verteidigen. Die spezifische Intervention des Staates in die Wirtschaft hat keinen anderen Zweck, als die allgemeinen Interessen der Reproduktion des Kapitalismus und der kapitalistischen Klasse zu bewahren. Engels macht dies im Anti-Dühring deutlich: „Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe, sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben.“
Im gesamten 20. Jahrhundert, nach dem Eintritt des Kapitalismus in seine dekadente Epoche, war der Staat sein Hauptverteidiger angesichts der sich verschlechternden sozialen, militärischen und ökonomischen Widersprüche gewesen. Das 20. und 21. Jahrhundert zeichnet sich durch eine universelle Tendenz zum Staatskapitalismus aus. Diese Tendenz existiert in jedem Land dieser Welt, gleich welches Regime herrscht. Der Staatskapitalismus ist prinzipiell auf zweierlei Art und Weise implementiert:
- nahezu völlige Verstaatlichung der gesamten Wirtschaft (dies existierte in Russland und existiert noch immer in China, Kuba, Nordkorea...)
- Kombination der Staatsbürokratie mit den privaten Großkapitalisten (wie in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien, Spanien usw.).
In beiden Fällen kontrolliert der Staat die Wirtschaft. Ersterer macht keinen Hehl aus seiner Eigentümerschaft von großen Teilen der Produktionsmittel und Dienstleistungen. Der zweite interveniert in die Ökonomie durch eine Reihe von indirekten Mechanismen: Steuern und Steuerpolitik, Einkauf in Konzerne (1), die Fixierung der Zinsraten im Interbanken-Verkehr, Preiskontrollen, Buchungsgrundsätze, staatliche Beratungs-, Prüfungs- und Investmentagenturen (2), etc.
Wir werden von einem ideologischen Täuschungsmanöver überwältigt, das auf zwei miteinander verknüpften Lügen fußt: Die erste identifiziert den Sozialismus mit dem Staat, die zweite identifiziert den Neoliberalismus mit der Deregulierung und mit dem freien Markt. In der gesamten Dekadenzperiode (das 20. und 21. Jahrhundert) konnte der Kapitalismus nie überleben, ohne ständig vom Staat gestützt zu werden. Der „freie“ Markt wird geleitet, kontrolliert und unterstützt von der eisernen Hand des Staates. Der große klassische Ökonom Adam Smith sagte einmal, dass der Markt die Wirtschaft wie eine „unsichtbare Hand“ lenke. Heute wird der Markt von der unsichtbaren Hand des Staates geregelt! (3) Als Bush gezwungenermaßen die Banken und Versicherungsgesellschaften schützte, tat er nichts Außergewöhnliches, schon gar nicht tat er etwas, „was Genosse Lenin getan hatte“. Er setzte lediglich die Arbeit der Kontrollierung und Regulierung der Wirtschaft fort, die zur täglichen Routine des Staates gehört.
Nach einer Periode der relativen Prosperität von 1945 bis 1967 kehrten die Weltkrisen des Kapitalismus mit periodischen Ausbrüchen zurück, gefolgt von Beben, die die Weltwirtschaft an den Rand einer Katastrophe brachten. Nehmen wir nur die Krise von 1971, als der Dollar vom Goldstandard losgetrennt wurde; oder jene von 1974-75, die mit einer galoppierenden Inflation von über zehn Prozent endete; die Schuldenkrise von 1982, als Mexiko und Argentinien die Schuldentilgung aussetzen mussten; der Wall Street-Crash von 1987; die Krise von 1992-93, die zum Kollaps zahlloser europäischer Währungen führte; jene von 1997-98, die den Mythos der asiatischen Tiger und Drachen entblößte; das Platzen der Internet-Blase 2001...
„Was das 20. und 21. Jahrhundert charakterisiert, ist, dass die Tendenz zur Überproduktion – die im 19. Jahrhundert temporär war und leicht überwunden wurde – chronisch geworden ist und die Weltwirtschaft einem nahezu permanenten Risiko der Instabilität und Zerstörung unterworfen hat. Inzwischen ist die Konkurrenz – ein angeborener Zug im Kapitalismus – extrem geworden und verliert, indem sie an die Grenzen eines Weltmarktes stößt, der ständig zur Sättigung neigt, ihre Rolle als Stimulans für die Expansion des Systems, so dass ihre negative Seite als Faktor des Chaos und Konfliktes zum Vorschein kommt.“ („Capitalist economy: is there a way out of the crisis?“, World Revolution Nr. 315)
Die verschiedenen Stufen der Krise, die in den letzten 40 Jahren aufeinander folgten, sind das Produkt dieser chronischen Überproduktion und der Verschärfung der Konkurrenz. Der kapitalistische Staat hat versucht, die Auswirkungen zu bekämpfen, indem er etliche Palliative benutzte, wobei das Hauptpalliativ die steigende Verschuldung war. Auch haben die stärksten Staaten die gefährlichsten Folgen abgewendet, indem sie die schlimmsten Auswirkungen in die schwächsten Länder „exportierten“. (4)
Die klassische Politik, die in den 1970er Jahren praktiziert wurde, war die Staatsverschuldung, gestützt auf einer Politik der direkten Staatsintervention in die Wirtschaft: Nationalisierungen, Übernahme von Konzernen, eine strenge Überwachung des Außenhandels etc. Dies war die „keynesianische“ Politik. (5) Wir sollten die Vergesslichen, die eine falsche Alternative zwischen Neoliberalismus und Staatsinterventionismus durchsetzen wollen, daran erinnern, dass damals jede Partei, von rechts bis links, „keynesianisch“ war und die Wohltaten des „liberalen Sozialismus“ pries (wie das sozialdemokratische Modell Schwedens). Doch die katastrophalen Folgen einer enteilenden Inflation, die von dieser Politik ausgelöst wurde und die Wirtschaft destabilisierte, neigte zur Lähmung des internationalen Handels. Die „Lösung“, die in den 1980er Jahren gefunden wurde, wurde die „neoliberale Revolution“ genannt, in der die Schlüsselfiguren die „Eiserne Lady“, Margaret Thatcher, in Großbritannien und der „Cowboy“ Ronald Reagan in den Vereinigten Staaten waren. Diese Politik hatte zwei Ziele:
- die Reduzierung von Kosten durch die Eliminierung substanzieller unprofitabler Teile des Produktionsapparates, was in einer beispiellosen Welle von Entlassungen resultierte, die vom Staat geplant und organisiert wurde. So begann ein Prozess der unumkehrbaren Degradierung der Lebensbedingungen der ArbeiterInnen, mit dem Ende der Arbeitsplatzsicherheit und dem Beginn der Kürzungen in der staatlichen Wohlfahrt etc. (6)
- die Erleichterung der Schuldenlast, die den Staat strangulierte, durch die Privatisierung von Bereichen und die Untervermietung von Dienstleistungen und Betrieben an private Unternehmen sowie durch den systematischen Transfer öffentlicher Schulden via der Ausgabe von Aktien an Individuen, Banken, Spekulanten etc. Diese zweite Stufe der neoliberalen Politik war dazu vorgesehen, die Staatsschulden an den Finanzsektor weiterzureichen. Der Markt wurde von allen Arten von Wertpapieren, Schuldverschreibungen etc. überflutet; die Spekulation explodierte in monströsen Proportionen. Von da ab begann die Weltwirtschaft einem riesigen Spielcasino zu gleichen, in dem sich Regierungen, Banken und erfahrene Broker in komplizierten Operationen engagierten, um im Handumdrehen Profite aus der Spekulation zu realisieren... auf Kosten fürchterlicher Konsequenzen in Form von Bankrotten und Destabilisierung.
Man höre nicht auf die Geschichten über den „Neoliberalismus“, der angeblich durch „Privatinitiative“ in die Welt gesetzt worden sei. Diese Mechanismen entspringen dem Markt nicht spontan, sondern sind die Frucht und die Konsequenz einer staatlichen Wirtschaftspolitik zur Zügelung der Inflation. Diese Politik hat die Inflation jedoch nur verschoben, und sie zahlte einen hohen Preis dafür: die Benutzung obskurer Finanzmechanismen. Schulden wurden in spekulative Kredite mit hohen Zinsen umgewandelt, die anfangs so manch saftigen Gewinn abwarfen, jedoch bei der erstbesten Gelegenheit abgestoßen werden mussten, weil früher oder später niemand mehr in der Lage war, noch weiter zu zahlen. Zunächst waren diese Kredite die am hellsten scheinenden Sterne auf dem Markt, um die sich die Banken, Spekulanten, Regierungen balgten, doch schon bald verwandelten sie sich in zweifelhafte und wertlose Kredite, die Investoren wie die Pest mieden.
Das Scheitern dieser Politik wurde mit dem brutalen Crash an der Wall Street 1987 und dem Zusammenbruch der amerikanischen Sparkassen 1989 enthüllt. Dennoch wurde diese „neoliberale“ Politik während der gesamten 90er Jahre fortgesetzt. Angesichts der Schuldenberge, die auf der Wirtschaft lasteten, mussten die Produktionskosten durch die Verbesserung der Produktivität und durch Outsourcing gesenkt werden, wobei Letzteres darin bestand, ganze Produktionsanlagen in Länder wie China zu exportieren, wo die Elendslöhne und rauen Arbeitsbedingungen somit auf dramatische Weise die Lebensbedingungen des Weltproletariats insgesamt in Mitleidenschaft zogen. Damals kam das Konzept der „Globalisierung“ auf: Die größeren, reicheren Länder forderten, dass protektionistische Handelsbarrieren entfernt werden, um daraufhin die kleineren, ärmeren Ländern mit ihren Produkten zu überschwemmen, zum Zwecke der Entlastung ihrer eigenen Überproduktion.
Einmal mehr verschlimmerte diese „Medizin“ das Problem, und die Krise der asiatischen Drachen und Tiger 1997-98 zeigte die Unwirksamkeit dieser Politik sowie die Gefahren, die sie barg. Doch dann zauberte der Kapitalismus ein neues Kaninchen aus dem Hut. Das neue Jahrhundert führte uns in die „Internetökonomie“, wie sie genannt wurde, ein, in der eine exzessive Spekulation in Firmen stattfand, die mit Computern und Internet zu tun hatten. Schon 2001 erwies sich dies als überwältigendes Fiasko. 2003 griff der Kapitalismus zu einem neuen Trick – die ungehemmte Spekulation auf dem Immobilienmarkt, mit einem Wachstum im Geschäfts- und Wohneigentum überall in der Welt (dabei auch zur Umweltproblematik beitragend). Dies löste eine fürchterliche Eskalation in den Immobilienpreisen aus, die uns... zu dem horrenden aktuellen Fiasko führten!
Die gegenwärtige Krise kann mit einem gigantischen Minenfeld verglichen werden. Die erste Mine, die explodierte, war die Hypothekenkrise im Sommer 2007 in den USA. Zunächst mochte man denken, dass die Dinge sich wieder einrenken werden, nachdem etliche Milliarden Dollar ausgezahlt worden waren. Hatte man all das nicht schon einmal erlebt? Doch der Zusammenbruch der Bankinstitutionen von Ende Dezember an war eine neue Mine, die alle Illusionen erschütterte. Der Sommer 2008 mit der schlagartigen Folge von Bankzusammenbrüchen in den Vereinigten Staaten und Großbritannien raubte einem schier den Atem. Im Oktober 2008 löste sich eine andere Illusion, mit der die Bourgeoisie unsere Sorgen bisher entkräften konnte, in Luft auf: Sie sagte, dass die Probleme in den Vereinigten Staaten immens seien, die europäischen Volkswirtschaften jedoch nichts zu befürchten hätten. Von wegen. Nun beginnen auch in Europa die Minen zu explodieren, angefangen mit dem mächtigsten Staat von allen, Deutschland, wo Landesbanken und Hypo-Real Estate durch staatliche Finanzhilfen gerettet werden mussten.
Wenn alles scheinbar im Sinne der Bourgeoisie läuft, was hat dann die gewaltigen Explosionen dieser Minen ausgelöst? Es ist das Produkt von 40 Jahren der Krisenbekämpfung mit Palliativen, die die Probleme nur maskierten, aber einem System, das mit unlösbaren Problemen belastet ist, mehr oder weniger erlaubte, trotzdem zu funktionieren. Doch letztendlich löste es nichts, sondern verschlimmerte die kapitalistischen Widersprüche bis zum Zerreißen, und nun, in der aktuellen Krise, sehen wir, wie sich die Konsequenzen eine nach der anderen einstellen.
Dieser Gedanke ist ein falscher Trost:
- Die vorherigen Krisenepisoden wurden von den Zentralbanken „gelöst“, indem sie etliche Milliarden Dollar zur Verfügung stellten (100 Milliarden zurzeit der asiatischen Tigerkrise 1998). In den letzten anderthalb Jahren haben die Staaten 3.000 Milliarden Dollar verauslagt, und ein Ende ist nicht absehbar. (7)
- Während sich die schlimmsten Auswirkungen der Krise bisher auf einige wenige Länder (Südostasien, Mexiko, Argentinien, Russland) beschränkt hatten, liegt heute das Epizentrum, in dem sich die schlimmsten Auswirkungen bündeln, gerade in den zentralen Ländern: die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland... und dies hat große Auswirkungen auf den Rest der Welt.
- Die bisherigen Episoden waren im Allgemeinen, mit der Ausnahme der Krisenepisode Ende der 1970er Jahre, von kurzer Dauer; sie dauerten zwischen sechs Monate und einem Jahr, ehe wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen war. Es ist nun anderthalb Jahre her, seitdem die aktuelle Krise begonnen hatte, und es gibt nicht den geringsten Hoffnungsschimmer. Im Gegenteil, mit jedem Tag wird die Krise ernster und die Katastrophe verheerender!
- Ferner hinterlässt diese Krise ein sehr geschwächtes Bankensystem. Die Kreditmechanismen sind paralysiert: Infolge des allgemeinen Misstrauens weiß niemand wirklich, ob die „Vermögenswerte“, die die Banken (und Geschäfte) in ihren Bilanzen angeben, falsch sind oder nicht. Grundstücke, Geschäfte, Betriebe verlieren alle an Wert. Was die finanziellen Vermögenswerte anbetrifft, so sind sie lediglich, laut des Ausdrucks, den Bush benutzte, „vergiftete Vermögenswerte“, Papierstücke, die unglaubliche, nicht wettzumachende Schulden darstellen. Doch der „liberale“ Staatskapitalismus kann nicht ohne starke und solide Banken funktionieren. Die kapitalistische Ökonomie ist derart süchtig nach der Droge Schulden zur jetzigen Zeit, dass, wenn das Kreditsystem nicht mehr in der Lage ist, den Markt mit einem Überfluss an Geld zu versorgen, die Produktion gelähmt werden würde. Der Kredithahn bleibt trotz der enormen Summen, die den Zentralbanken von den Regierungen zur Verfügung gestellt wurden, zugedreht. Niemand hat eine Ahnung, ob sich ein System, das durch und durch beschädigt ist und seiner wichtigsten Organe – der Banken – eines nach dem anderen verlustig geht, jemals wieder erholen kann. Die verrückte Aktion der europäischen Staaten, die nach den größten Garantien für ihre Bankeinlagen Ausschau halten, ist ein wahres Zeichen der Verzweiflung. Dieses Überhandnehmen von „Garantien“ zeigt klar, dass nichts garantiert ist!
Es ist einiges klar geworden: Der Kapitalismus erlebt heute seine schlimmste Wirtschaftskrise. Es hat eine brutale Beschleunigung der Geschichte gegeben. Nach 40 Jahren einer langsamen und ungleichmäßigen Entwicklung der Krise ist dieses System dabei, in eine fürchterliche und äußerst tiefe Rezession zu versinken, aus der es nicht unversehrt herauskommen wird. Doch vor allem werden von nun an die Lebensbedingungen von Milliarden von Menschen ernsthaft und längerfristig in Mitleidenschaft gezogen. Die Arbeitslosigkeit wird viele Haushalte treffen, 600.00 in weniger als einem Jahr in Spanien, 180.000 im August 2008 in den Vereinigten Staaten. Die Inflation trifft die Preise für Grundnahrungsmittel, und der Hunger hat in einem atemberaubenden Tempo im vergangenen Jahr in der Welt gewütet. Lohnkürzungen, Kurzarbeit, die Bedrohung der Renten... Es gibt nicht den geringsten Zweifel, dass diese Krise Konsequenzen von unerhörter Brutalität haben wird. Wir wissen nicht, ob sich der Kapitalismus davon erholen kann, aber wir sind überzeugt davon, dass Millionen von Menschen sich nicht davon erholen werden. Der „neue“ Kapitalismus, der aus dieser Krise herauskommen wird, wird eine weitaus ärmere Gesellschaft sein, mit einer großen Anzahl von Proletariern, die sich allgemeiner Unsicherheit in einer Welt der Unordnung und des Chaos gegenübersehen. Jede der vorherigen Ausbrüche in den letzten 40 Jahren war in eine Aushöhlung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und in mehr oder weniger große Stilllegungen im Produktionsapparat gemündet. Die neue Periode, die eröffnet wurde, wird diese Tendenz auf ein viel höheres Niveau heben.
Der Kapitalismus wird nicht einfach seinen Geist aufgeben. Nie hat eine ausbeutende Klasse die Realität ihres Scheiterns akzeptiert und die Macht kampflos aufgegeben. Doch wissen wir, dass nach mehr als hundert Jahren der Katastrophen und Erschütterungen jegliche Wirtschaftspolitik, die der Staatskapitalismus praktiziert hat, um seine Probleme zu lösen, nicht nur gescheitert ist, sondern die Probleme noch verschlimmert hat. Wir erwarten nichts von den so genannten „neuen Ansätzen“, die der Kapitalismus sucht, um „aus der Krise herauszukommen“. Wir können vor allem davon ausgehen, dass sie weiteres Leiden, mehr Armut verursachen werden; und wir müssen uns darauf gefasst machen, mit weiteren, noch gewaltsameren Erschütterungen konfrontiert zu werden.
Aus diesem Grunde ist es utopisch, irgendwelchen so genannten „Lösungen“ der Krise des Kapitalismus Vertrauen zu schenken. Es gibt keine. Das gesamte System ist unfähig, seinen Bankrott zu verbergen. Realistisch zu sein bedeutet, sich an den Bemühungen des Proletariats zu beteiligen, sein Vertrauen in sich selbst wiederzuerlangen, an den Kämpfen, Diskussionen und Versuchen einer Selbstorganisation teilzunehmen, die die Klasse in die Lage versetzen, eine revolutionäre Alternative zu diesem verrottenden System zu entwickeln.
IKS (8.10.2008)
Fußnoten:
(1) Ein Beispiel dafür sind die Vereinigten Staaten, die als das Mekka des Neoliberalismus dargestellt werden. Der US-Staat ist der Hauptkunde von Konzernen, und die Computerfirmen sind verpflichtet, eine Kopie der der von ihnen geschaffenen Programme und die Komponenten der von ihnen hergestellten Hardware an das Pentagon zu schicken.
(2) Es ist ein Märchen, dass die amerikanische Wirtschaft dereguliert ist, dass ihr Staat nicht interveniert etc. Die Börse wird von einer besonderen Bundesagentur kontrolliert, Banken werden von einer Staatskommission reguliert, die Federal Reserve bestimmt die Wirtschaftspolitik durch Mechanismen wie den Leitzins.
(3) Die Geißel der Korruption ist ein klarer Beleg für die Omnipräsenz des Staates. In den Vereinigten Staaten wie in Spanien oder China besteht das ABC der Unternehmenskultur darin, dass die Geschäfte nur durch das Knüpfen von Kontakten in den staatlichen Ministerien und durch das Anbiedern an die politischen „Männer des Augenblicks“ gedeihen.
(4) In den Artikeln „30 Jahre der kapitalistischen Krise“ in der Internationalen Revue analysierten wir die Techniken und Methoden, mit denen der Staatskapitalismus diesen Sturz in den Abgrund verlangsamt hat. Er hat dies erfolgreich in aufeinanderfolgenden Stufen getan.
(5) Keynes ist besonders berühmt für seine Unterstützung einer interventionistischen Politik des Staates, bei der derselbe fiskalische und monetäre Maßnahmen ergreift, um in Perioden einer zyklischen Rezession die ungünstigen Effekte auf die Wirtschaftsaktivitäten auszugleichen. Die Ökonomen erkennen ihn als einen der Hauptbegründer der Makroökonomie an.
(6) Wir sollten daran erinnern, dass im Gegensatz zu dem, was von all den Ideologen festgestellt wird, diese Politik nicht kennzeichnend ist für „neoliberale“ Regierungen, sondern auch von „Sozialisten“ oder „fortschrittlichen“ Regierungen 100%ig gebilligt wurde. In Frankreich hatte die Mitterand-Regierung, bis 1984 unterstützt von der Kommunistischen Partei, Maßnahmen verabschiedet, die so hart waren wie die von Reagan oder Thatcher. In Spanien organisierte die „sozialistische“ Regierung von Gonzalez eine „Umstrukturierung“, die zum Verlust von einer Million Jobs führte.
(7) Es ist besonders dumm, zu denken, dass diese Flut von Milliarden nicht irgendwelche Konsequenzen haben wird. Sie ebnet faktisch einer noch unsicheren Zukunft den Weg. Früher oder später wird für diese Verrücktheit die Zeche gezahlt werden. Die allgemeine Skepsis, auf die Paulsons finanzielle Rettungsplan stieß, den gigantischsten in der Geschichte (700 Milliarden Dollar!), beweist, dass das Gegenmittel dabei ist, neue Minenfelder, mächtiger und verheerender als jemals zuvor, im Untergrund der kapitalistischen Ökonomie zu legen.
(Wir veröffentlichen nachfolgend eine erste kurze Stellungnahme unserer Sektion in den USA).
Der ohrenbetäubende Propagandafeldzug während des Wahlkampfes ist nunmehr nach fast zwei Jahren zu Ende gegangen. Die Sprachrohre der Medien der herrschenden Klasse sprechen von der bedeutendsten Wahl in der US-Geschichte, die erneut die Macht der ‚Demokratie’ unter Beweis gestellt habe. Dieser Propaganda zufolge haben wir jetzt nicht nur den ersten afrikanisch-amerikanischen Präsidenten in der US-Geschichte, sondern vor allem verkörpert der Sieg Obamas den Wunsch nach Wandel.
Wir sollen glauben, „das Volk hat gesprochen“, „Washington hat die Stimme des Volkes vernommen“, all das dank der wunderbaren Möglichkeit, sich mit Stimmzetteln zu äußern. Nun ist jetzt Obama Präsident. Aber was können wir jetzt erwarten? Obama hat Wandel versprochen, aber dieses Versprechen war nichts als eine ideologische Spitzfindigkeit. Die ganze Werbekampagne war eine heuchlerische Lüge, die darauf aus war, die Hoffnung der Menschen zu täuschen, vor allem eine Arbeiterklasse hinters Licht zu führen, die immer unzufriedener ist aufgrund der zunehmenden Armut, dem fortdauernden Krieg, die aber noch keine Klarheit besitzt über ihre eigene Rolle in der Gesellschaft und die bislang noch unfähig ist, die Verschleierungen der herrschenden Klasse zu durchschauen.
Der wahre Gewinner dieser Wahlen war nicht der frei erfundene „Joe Blow“ der Mittelklassen Amerikas, noch die Afroamerikaner, die der Arbeiterklasse angehören, sondern die herrschende Klasse hat diese Wahlen für sich entschieden. Es liegt auf der Hand, dass die Lage der Arbeiterklasse sich noch viel mehr verschlimmern, die Armut nur noch zunehmen wird. Obama war kein „Friedenskandidat“. Seine Kritik an Bush lautete, dass dieser im Irak sich festgefahren, die Truppen nicht massiv und effizient eingesetzt hätte und die USA nicht dazu in der Lage gewesen wären, adäquat auf die zukünftigen Herausforderungen ihrer Vorherrschaft reagieren zu können. Obama plant noch mehr Truppen nach Afghanistan zu entsenden und er hat seine Entschlossenheit bekundet, gegen Bedrohungen der imperialistischen Interessen der USA gewaltsam vorzugehen. Er übte heftige Kritik an der Unfähigkeit der Bush Administration, gegenüber der russischen Invasion Georgiens entsprechend zu reagieren. Soweit zu seinen „Friedensabsichten“!
Während der Rededuelle im Wahlkampf beteuerte Obama, dass er die Verbesserung des Bildungswesen in den USA anstrebe, da gut ausgebildete Arbeitskräfte in einer starken Wirtschaft lebenswichtig seien und kein Land im militärischen Bereich eine Vorherrschaft ausüben könne, wenn es nicht über eine starke Wirtschaft verfüge. Mit anderen Worten: aus seiner Sicht sind Bildungsausgaben eine Vorbedingung für die Verteidigung einer imperialistischen Vormachtstellung. Welch ein ‚Idealismus’! Für die herrschende Klasse war diese Wahl ein Erfolg, der ihre Erwartungen weit übertraf.
Sie hat dem Glauben an den Parlamentarismus und dem demokratischen Mythos neues Leben einflößen können, die seit dem Jahr 2000 so stark angeschlagen waren. Insbesondere die jüngere Generation war dabei den Glauben daran zu verlieren; so viele Leute wurden immer mehr ernüchtert über das „System“.
Die Euphorie nach dem Wahlsieg, als viele Leute nach der Verkündung des Wahlsiegs Obamas auf der Straße Freudentänze aufführten, belegt diesen politischen Sieg. Das Ausmaß der Wahlen ist vergleichbar mit dem ideologischen Sieg unmittelbar nach den Anschlägen des 9. 11. 2001. Damals profitierte die herrschende Klasse von einer starken Welle nationalistischer Hysterie, welche die Arbeiterklasse an den bürgerlichen Staat knebelte. Heute fesseln die Hoffnung auf die Demokratie und der Glaube an einen charismatischen Führer große Teile der Bevölkerung an den Staat.
Diese Euphorie ist in der afro-amerikanischen Bevölkerung besonders stark verbreitet. Jetzt herrscht die Illusion vor, die unterdrückte Minderheit verfüge nun über mehr Macht. Die bürgerlichen Medien feiern gar die Überwindung des Rassismus in Amerika; eine lächerliche Schlussfolgerung. Fast über Nacht ist die schwarze Bevölkerung von dem gegenüber dem Staat am meisten entfremdeten und ernüchterten Teil der Bevölkerung zu einem Teil geworden, der durch die Person des neu gewählten Präsidenten am stärksten hinter dem Staat steht.
Auf internationaler Ebene hat die US-Bourgeoisie fast unmittelbar mit einer sofortigen Distanzierung der neuen Administration von dem Versagen des Bush-Regimes auf der imperialistischen Ebene reagiert. Sie strebt danach, die politische Autorität der USA, ihre Glaubwürdigkeit und ihre Führungsrolle auf der Welt wieder herzustellen.
Auf wirtschaftlicher Ebene ist die Fähigkeit der neuen Obama Administration, notwendige staatskapitalistische Maßnahmen zur Stützung des Systems der Unterdrückung und Ausbeutung unübertroffen. Die Rhetorik wird lauten, wir „leisten Hilfe“, in Wirklichkeit aber wird die höchste Verschuldung in der US-Geschichte erreicht, und ein billionenstarkes Defizit des Staatshaushalts, was für die späteren Generationen der Arbeiterklasse eine enorme Belastung sein wird. Die kommunalen Behörden und die Bundesstaaten haben schon umfangreiche Kürzungen der Sozialausgaben und Sozialprogramme aufgrund der Wirtschaftskrise angekündigt, während Obama sich für mehr Rettungspakte für große Firmen und Banken und Versicherungen einsetzt, deren Finanzierung wiederum der Arbeiterklasse aufgebürdet werden soll.
Nahezu selbst überrascht von ihrem eigenen Erfolg, aber sich dessen bewusst, dass sie den im Wahlkampf versprochenen Wandel nicht bringen kann und nicht bringen wird, hat die herrschende Klasse schon die Tonlage geändert, um den „Enthusiasmus zu dämpfen“. Schon hört man, „Obama kann nur versuchen, Bushs verkorkste und betrügerische Politik gerade zu biegen“, „Die Erblast der früheren Fehler wiegt schwer“, „Wandel kann nicht sofort eintreten“ „Opfer werden nötig sein“.
Gegenüber diesen Perspektiven möchten wir erneut unterstreichen:
· Demokratie ist die Diktatur der herrschenden Klasse
· Die Arbeiterklasse muss für ihre eigenen Interessen kämpfen; sie muss sich zu diesem Zweck selbst organisieren
· Nur die weltweite kommunistische Revolution kann die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung überwinden.
Die Euphorie wird nicht ewig dauern. Die vorbereiteten Sparbeschlüsse, die auf kommunaler und Bundesebene von den Behörden dezentralisiert geplant sind, werden als ein Stachel im Klassenkampf wirken. Da die Obama Administration nicht dazu in der Lage ist, den „Wandel“ zum Besseren hin zu kriegen, wird dies unvermeidbar zu Ernüchterung und großer Unzufriedenheit führen.
Internationalism, 11. 11.2008
Schülerproteste – Die Jugend meldet sich zurück
Am Mittwoch, den 12. November, gingen 120.000 SchülerInnen in Berlin, Köln, Hannover, München, Trier und in zahlreichen anderen Städten Deutschlands auf die Straße. Sie protestierten gegen das sog. Turboabitur (1), gegen den massiven Unterrichtsausfall, den Lehrermangel etc. - kurzum: gegen die unhaltbaren Zustände an den Schulen. Ihre Proteste straften den Sonntagsreden der Politiker Lügen, die in jüngster Zeit vermehrt - Stichpunkt: Pisa - wieder das Lied von der Bildung als "höchstes Gut" singen, "Bildungsoffensiven" am laufenden Meter ankündigen und sich telegen mit SchülerInnen ins Bild setzen. Diese SchülerInnen bewiesen dabei die besten Tugenden, die gerade die junge Generation auszeichnet: radikal in der Kritik, respektlos gegenüber den "heiligen" Institutionen der Herrschenden, unerschrocken in ihrem Vorgehen.
Man mag gegen diese Proteste einwenden, was man will. Man mag darüber höhnen, dass bei vielen Demonstranten die Partystimmung überwog, oder bedauern, dass der Funke nur vereinzelt auf LehrerInnen und Studenten übersprang. Man mag sich auch darüber mokieren, dass dieser Bewegung eine eigene Organisation fehlt, dass die Proteste von offiziösen und halboffiziösen Schülervertretungen sowie von "privaten" Initiativen ("Bildungsblockaden brechen") organisiert wurden. Doch all die Krittelei wird der Bedeutung dieser Proteste nicht gerecht, die mehr als nur eine Randnotiz im Klassenkampf sind.
Diese Proteste reihen sich nahtlos ein in den Kampf der Arbeiterklasse im allgemeinen, aber besonders in der internationalen Bewegung der Schüler und Studenten, die in der Protestbewegung der französischen Schüler und Studenten gegen die CPE im Frühjahr 2006 ihren Ausgang genommen hatte. Frankreich und Chile 2006, Italien, Spanien im Herbst 2008 und nun Deutschland - überall meldet sich die junge Generation der Arbeiterklasse zurück im Kampf gegen die Verschlechterung der Lebens-, Arbeits- und Lernbedingungen, ja stellt sie sich an die vorderste Front des Kampfes der Arbeiterklasse.
Was auffällt, ist, dass in all diesen Bewegungen die Schüler und Schülerinnen eine besonders aktive Rolle gespielt haben. In Deutschland waren die SchülerInnen sogar in die Vorreiterrolle geschlüpft. Sie waren die treibende Kraft hinter den Protesten, und nicht die Studenten, unter denen sich mehrheitlich Passivität breitgemacht hat, nachdem sie sich im Zuge der Proteste gegen die Einführung von Studiengebühren in den vergangenen Jahren, unter der Regie linksbürgerlicher Gruppierungen, in Aktionismus und Boykottaufrufen verzettelt hatten.
Auffallend ist ferner, mit welch grimmiger Entschlossenheit die protestierenden SchülerInnen zum Teil ihre Wut kundtaten. Zwei Episoden während der Proteste belegen dies in beeindruckender Weise. In Berlin drangen Tausend SchülerInnen in die altehrwürdige Humboldt-Universität ein und besetzten das Hauptgebäude für einige Minuten. Dabei hatten einige von ihnen noch soviel Zeit, um Transparente aus den Fenstern des Gebäudes zu hängen, auf denen Slogans wie "Der Kapitalismus ist die Krise" zu lesen waren.
Noch viel Spektakuläreres ereignete sich in Hannover. Dort drangen protestierende SchülerInnen in die sog. Bannmeile des niedersächsischen Landtages ein. Doch nicht nur das. Die SchülerInnen erdreisteten sich sogar, das "heilige Haus der Demokratie" zu belagern, ja zu versuchen, den Landtag zu besetzen. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der uniformierten Staatsmacht, in deren Verlauf einige der SchülerInnen unliebsame Bekanntschaft mit den repressiven Mitteln dieses Staates machten.
Um die ganze Tragweite dieses Vorfalls zu ermessen, denke man sich anstelle der SchülerInnen streikende VW-ArbeiterInnen in der Rolle der Landtagsbesetzer, und schon wird die ganze Brisanz dieses Vorgangs deutlich. In der Tat hat es in der Geschichte der Bundesrepublik unserer Kenntnis nach bislang noch keinen derartigen Versuch durch die Arbeiterklasse gegeben. Und so war es den Hannoveraner SchülerInnen - als künftige ArbeiterInnen Teil der Arbeiterklasse in Deutschland - vorbehalten, als erste überhaupt das Parlament als das Herrschaftssymbol des westlichen Kapitalismus direkt zu attackieren, ohne einen überflüssigen Gedanken daran zu verschwenden, welch einen unerhörten Tabubruch sie in den Augen der Herrschenden damit begingen. Hut ab!
Tatsächlich unterscheiden sich die aktuellen Schüler- und Studentenbewegungen weltweit von ihren Vorgängern in den 1960er und 1970er Jahren in ihrer um sich greifenden Illusionslosigkeit gegenüber den bürgerlichen Mystifikationen, in ihrer Nüchternheit gegenüber dem System und seinen Perspektiven. Heute geht es nicht mehr um eigene Schülervertretungen, sondern ums Eingemachte, um handfeste, materielle Forderungen, die der Kapitalismus immer weniger zu erfüllen imstande ist. Das fortgeschrittene Stadium der Krise prägt der heutigen Schüler- und Studentenbewegung einen viel radikaleren Stempel auf, als dies in den 1960er und 1970er Jahren der Fall gewesen war.
Die aktuellen Jugendbewegungen unterscheiden sich allerdings auch von der "No-Future"-Generation der 80er Jahre. Allein die Tatsache, dass sich die heutige junge Generation immer häufiger kollektiv zur Wehr setzt, dass sie konkrete Forderungen formuliert, deutet auf alles andere als auf Resignation hin. Denn wer kämpft, hat die Hoffnung auf eine Zukunft noch nicht verloren...
26.11.08
(1) Gemeint ist die Verkürzung der gymnasialen Oberstufe von dreizehn auf zwölf Jahre ohne entsprechende Ausdünnung des alten Unterrichtsstoffes.
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