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Internationale Revue - 2000

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Internationale Revue 25

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100 Ausgaben der International Review

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Der folgende Artikel erschien in der hundertsten Ausgabe derInternational Review (engl./frz./

span. Ausgabe). Obwohl die Internationale Revue in deutscherSprache bis jetzt noch nicht so häufig erscheint, wie die vierteljährlicheenglische, französische und spanische Ausgabe, sind die Aussagen über dieBedeutung der Revue auch im deutschen Sprachraum gültig. Darüber hinaus gibtder Artikel gerade für diejenigen, die nicht regelmäßig die vierteljährlicheRevue lesen oder dies erst seit kurzem tun, einen guten Überblick über dieArtikel und Serien, die schon vor längerer Zeit publiziert wurden und teilweisebis jetzt auf Deutsch nicht zu lesen waren.

Die eher beiläufige Tatsache, dass die hundertste Ausgabeder International Review (eng./

franz./span. Ausgabe[i] [1])mit dem Beginn des Jahres 2000 zusammenfällt, ist nicht rein zufällig. Die IKSwar früh im Jahr 1975 offiziell gegründet worden, und die erste Ausgabe derReview erschien kurz darauf als ein Ausdruck der internationalen Einheit derStrömung. Von Beginn an war sie als theoretisches Organ gedacht, dasvierteljährlich in den drei Hauptsprachen der IKS – Englisch, Französisch undSpanisch – und weniger häufig in einer Anzahl weiterer Sprachen – Italienisch,Deutsch, Holländisch, Schwedisch – erschien. Vier Ausgaben im Jahr mal 25 Jahreergeben 100 Ausgaben. Dies ist an sich schon von einiger politischer Tragweite.In dem Artikel, den wir anlässlich des 20. Geburtstages der IKS veröffentlichthaben (International Review Nr. 80), bemerkten wir, dass nur wenigeinternationale proletarische Organisationen über so lange Zeit existiert haben.Und diese „Dauer“ muss angesichts einer Periode, in der so viele Gruppen, dieaus der Wiederbelebung des Klassenkampfes Ende der 60er Jahre entstanden waren,sich seitdem im Nichts aufgelöst haben, als eine besondere Leistung gewürdigtwerden. Wir haben keinen Hehl aus unserer Zustimmung zu Lenins Sichtweisegemacht, dass die Verpflichtung zu einer regelmäßigen Presse das sine qua noneiner ernsthaften revolutionären Organisation ist; dass die Presse für jedeGruppe, die vom Parteigeist und nicht vom Zirkelgeist beseelt ist, derHaupt„organisator“ ist. Die International Review ist nicht die einzigeregelmäßige Publikation der IKS; letztere veröffentlicht 12 territorialeZeitungen oder Revuen in sieben verschiedenen Sprachen, desgleichen Bücher,Broschüren und viele Beilagen. Auch die territorialen Zeitungen erscheinenbeständig und regelmäßig. Die Review ist jedoch unsere zentrale Publikation,das Organ, durch das die IKS klar und deutlich und mit einer Stimme spricht unddas die eher lokalen Publikationen mit den grundsätzlichen Orientierungenversorgt.

Letztlich ist jedoch das Wichtigste an der InternationalReview nicht so sehr ihre Regelmäßigkeit noch ihr internationaler,zentralisierter Charakter, sondern ihre Fähigkeit, als ein Instrument dertheoretischen Klärung zu agieren. „Die Review wird vor allem der Ausdruck dertheoretischen Bemühungen unserer Strömung sein, da nur diese theoretischenBemühungen, basierend auf einer Kohärenz der politischen Positionen undOrientierungen, die Grundlage für die Umgruppierung und die reale Interventionder Revolutionäre schaffen kann.“ (Vorwort zur ersten Ausgabe der International

Review, April 1975)

Der Marxismus ist als der theoretische Standpunkt derrevolutionären Klasse im Nachdenken des Menschen über die gesellschaftlicheRealität am weitesten vorangeschritten. Doch Marx bestand in den Thesen überFeuerbach darauf, dass die Richtigkeit einer Denkweise nur in der Praxisgetestet werden kann. Der Marxismus hat seine Überlegenheit über alle anderengesellschaftlichen Theorien demonstriert, weil er fähig ist, ein globalesVerständnis der Wendungen der menschlichen Geschichte anzubieten und die Linienihrer weiteren Entwicklung vorauszusagen. Aber es reicht nicht zu behaupten,Marxist zu sein, um sich diese Methoden wirklich anzueignen, sie zum Leben zuerwecken und richtig anzuwenden. Wenn wir meinen, dass uns dies während derletzten drei Jahrzehnte einer sich beschleunigenden Geschichte gelungen ist,dann nicht deshalb, weil wir denken, dass uns dies vom Himmel gefallen war,sondern weil wir meinen, dass wir unsere Anregungen während dieser Periode ausden besten Traditionen der internationalen Linkskommunisten gewonnen haben.Zumindest war dies eines unserer ständigen Ziele gewesen. Und um dieseBehauptung zu untermauern, können wir keinen besseren Beweis dafür anführen alsunseren Fundus von etwas mehr als 600 Artikeln aus 100 Ausgaben der InternationalReview.

Kontinuität, Bereicherung und Debatte

Der Marxismus ist eine lebendige historische Tradition.Einerseits bedeutet dies, dass er sich vollkommen über die Notwendigkeit imKlaren ist, sich allen Problemen, mit denen er konfrontiert ist, von einemhistorischen Ausgangspunkt anzunähern, sie nicht als völlig „neu“ hinzustellen,sondern als Produkt eines langen historischen Prozesses. Vor allem erkennt erdie wesentliche Kontinuität des revolutionären Denkens an, die Notwendigkeit,auf den soliden Fundamenten der früheren revolutionären Minderheitenaufzubauen. Zum Beispiel sah sich in den 20er und 30er Jahren des 20.Jahrhunderts die italienische Linksfraktion, die während der 30er Jahre dieZeitschrift Bilan herausgab, der absoluten Notwendigkeit gegenüber, denCharakter des konterrevolutionären Regimes zu begreifen, das in Russlandentstanden war. Doch sie lehnte jede voreilige Schlussfolgerung ab undkritisierte besonders jene, die zwar früher als die Italienische Linke einekorrekte Charakterisierung der stalinistischen Macht (eine Form desStaatskapitalismus) entwickelt hatten, dies aber um den Preis der Deklassierungder gesamten Erfahrung des Bolschewismus und der Oktobererhebung als vonvornherein „bürgerlich“ taten. Bilan dachte gar nicht daran, die Kontinuität,in der sie mit der revolutionären Energie stand, die die bolschewistischePartei, die Rätemacht und die Kommunistische Internationale einst verkörperthatte, in Frage zu stellen.

Die Fähigkeit, die Verbindungen mit der vergangenenrevolutionären Bewegung aufrechtzuerhalten bzw. zu erneuern, war besonders indem proletarischen Milieu wichtig, das aus dem Wiedererwachen desKlassenkampfes Ende der 60 Jahre entstanden war, ein Milieu, das sichgrößtenteils aus neuen Gruppen zusammensetzte, die ohne organisatorische odergar politische Bindungen zu früheren Generationen von Revolutionären waren.Viele dieser Gruppen fielen der Illusion zum Opfer, dass sie aus dem Nirgendskommen, und blieben in völliger Unkenntnis der Beiträge der vergangenenGeneration, welche fast vollständig durch die Konterrevolution ausgelöschtworden war. Im Falle derjenigen, die von rätekommunistischen odermodernistischen Ideen beeinflusst waren, war die „alte Arbeiterbewegung“ in derTat etwas, was mit allen Mitteln zurückgelassen werden musste. Tatsächlich wardies eine theoretische Rechtfertigung für einen Bruch, der vom Klassenfeinddurchgesetzt worden war. In Ermangelung eines Ankers in der Vergangenheit hattedie große Mehrheit dieser Gruppen bald auch keine Zukunft mehr und verschwand.Es ist daher nicht überraschend, dass das heutige revolutionäre Milieu sichfast vollständig aus Gruppen zusammensetzt, die auf der einen oder anderenWeise von der linken Strömung abstammen, die am klarsten diese Frage der historischenKontinuität begriffen hat – die italienische Fraktion. Wir sollten hinzufügen,dass dieser historische Anker heute wichtiger denn je ist, angesichts derKultur des kapitalistischen Zerfalls, eine Kultur, die mehr denn je danachtrachtet, das historische Gedächtnis der Arbeiterklasse auszuradieren, und dieohne jegliche eigene Zukunftsperspektive nur versuchen kann, das Bewusstseinauf das Nächstliegende zu verengen, in der das Neue die einzige Tugend ist.

Andererseits ist der Marxismus nicht die bloße Verewigungeiner Tradition; er ist auf die Zukunft gerichtet, auf das endgültige Ziel desKommunismus, und muss daher ständig seine Fähigkeit erneuern, die Richtung derrealen Bewegung, der ewig schwankenden Gegenwart zu erfassen. In den 50erJahren versuchte der bordigistische Sprössling der Italienischen Linken, in derErfindung der Idee einer „Invarianz“ Zuflucht vor der Konterrevolution zufinden, und widersetzte sich jedem Versuch, das kommunistische Programm zubereichern. Aber diese Herangehensweise unterschied sich vollkommen vom GeistBilans, die, auch wenn sie nie die Verbindung zur revolutionären Vergangenheitabgebrochen hatte, auf der Notwendigkeit bestanden hatte, neue Situationen„ohne Tabus und Verfemung“, ohne Furcht davor, programmatisches Neuland zubetreten, zu prüfen. Vor allem hatte sich die Fraktion nicht davor gefürchtet,selbst die Thesen des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale inFrage zu stellen, etwas, wozu der „Bordigismus“ der späteren Jahre nicht fähigwar. In den 30er Jahren hatte Bilan einer neuen Situation gegenüber gestanden,die aus der Niederlage der Weltrevolution hervorgegangen war; auch die IKS wardazu gezwungen, ihre Analysen den neuen Bedingungen anzupassen, die durch dasEnde der Konterrevolution in den späten 60ern und erst jüngst durch die Periodegeschaffen wurden, die dem Zusammenbruch des Ostblocks folgte. Angesichts solchwechselnder Umstände können sich Marxisten nicht auf die Wiederholung erprobterund vertrauter Formeln beschränken, sondern müssen ihre Hypothesen einerständigen praktischen Verifizierung unterziehen. Dies bedeutet, dass sich derMarxismus wie jeder andere wissenschaftliche Zweig tatsächlich ständig neubereichert.

Gleichzeitig ist der Marxismus keine Form des akademischenWissens, des Lernens um des Lernens willen; er kämpft unerbittlich gegen dievorherrschende Ideologie an. Die kommunistische Theorie ist per Definition einepolemische und kämpferische Form des Wissens; ihr Ziel ist es, dasproletarische Klassenbewusstsein durch die Entlarvung und Verbannung derEinflüsse bürgerlicher Mystifikationen voran zu bringen, ob dieseMystifikationen nun in ihrer gröbsten Form innerhalb der Massen der Arbeiteroder in ihrer subtileren Verkleidung in den Reihen der proletarischen Avantgardeselbst auftreten. Es ist daher eine zentrale Aufgabe für jede gewissenhafterevolutionäre Organisation, eine ständige Kritik an den Konfusionen zu üben,die sich in anderen revolutionären Gruppen oder in den eigenen Reihen breitmachen. Es kann keine Klarheit erreicht werden, wenn man der Debatte und derKonfrontation ausweicht, wie dies leider zu oft der Fall ist innerhalb desheutigen politischen Milieus des Proletariats, das den Kontakt zu denTraditionen der Vergangenheit verloren hat – den Traditionen, die von Leninverteidigt worden waren, der nie vor einer Polemik, ob mit der Bourgeoisie, mitkonfusen Gruppen innerhalb der Arbeiterbewegung oder mit seinen eigenenGenossen, zurückgescheut war; Traditionen, die auch Bilan vertreten hatte,welche in ihrem Streben, das kommunistische Programm im Gefolge der vergangenenNiederlagen zu vervollkommnen, sich in Debatten mit all den verschiedenenStrömungen innerhalb der damaligen internationalen Arbeiterbewegung (die ausder internationalen Linksopposition, aus der Holländischen und Deutschen Linkenstammenden Gruppen, etc.) engagiert hatte.

In diesem Artikel können wir nicht einen komplettenÜberblick über all die Texte geben, die in der International Review erschienensind, obwohl wir beabsichtigen, eine vollständige Liste der Inhaltsangaben aufunserer Web Site zu veröffentlichen. Was wir versuchen werden, ist, zu zeigen,wie die International Review im Mittelpunkt unserer Bemühungen stand und steht,diese drei Schlüsselaspekte der theoretischen Auseinandersetzung des Marxismuszu erfüllen.

Die Wiederherstellungder revolutionären Vergangenheit des Proletariats

In Anbetracht der endlosen Diffamierungskampagnen gegen dieErinnerung an die Russische Revolution und der Bemühungen bürgerlicherHistoriker, das internationale Ausmaß der von der Oktobererhebung ausgelöstenrevolutionären Welle zu verschleiern, hat sich ein großer Teil der Reviewnotwendigerweise der Rekonstruktion der wahren Geschichte dieser Ereignissegewidmet, um die proletarische Erfahrung gegen die offenen Lügen undAuslassungen der Bourgeoisie zu bekräftigen und zu verteidigen und sowohl gegendie Verzerrungen durch den linken Flügel des Kapitals als auch gegen dieirrigen Schlussfolgerungen innerhalb der heutigen revolutionären Bewegung ihreauthentischen Lehren zu ziehen.

Um die wichtigsten Beispiele zu zitieren: Die InternationalReview Nr. 3 enthält einen Artikel, der einen Rahmen zum Verständnis derDegeneration der Russischen Revolution ausgearbeitet hat; eine Antwort auf dieKonfusionen innerhalb des damaligen revolutionären Milieus (in diesem Fall dieRevolutionary Workers Group aus den USA); sie enthält außerdem eine langeStudie der Lehren aus dem Kronstädter Aufstand, jenem Schlüsselmoment imZerfall der Revolution. Die International Review Nr. 12 und 13 enthaltenArtikel, die den proletarischen Charakter der bolschewistischen Partei und derOktobererhebung gegen die semi-menschewistischen Auffassungen desRätekommunismus neu bekräftigten; diese Artikel hatten ihren Ursprung in einerDebatte innerhalb jener Gruppe, die der direkteste Vorläufer der IKS war – derGruppe Internacionalismo aus Venezuela in den 60er Jahren - und wurden in derForm einer Broschüre mit dem Titel 1917, start of the world revolution (1917 –der Beginn der Weltrevolution) wiederveröffentlicht. Infolge des Zusammenbruchsder stalinistischen Regimes veröffentlichten wir in der International ReviewNr. 71, 72 und 75 eine Reihe von Artikeln als Antwort auf das propagandistischeSperrfeuer über den Tod des Kommunismus, in denen vor allem die Fabelzurückgewiesen wurde, dass der Oktober 1917 nichts anderes als einStaatsstreich durch die Bolschewiki gewesen war, und detailliert aufgezeigtwurde, dass es vor allen Dingen die Isolation der russischen Bastion gewesen war,die zu ihrem Ableben geführt hatte. Wir setzten 1997 dieses Thema mit einerweiteren Reihe von Artikeln fort, die einen näheren Blick auf denentscheidenden Zeitraum zwischen Februar und Oktober 1917 warf (s.International Review

Nr. 89, 90, 91). Von Anfang an bestand die Position der IKSin einer militanten Verteidigung der Russischen Revolution, doch gibt es keinenZweifel darüber, dass mit der Reifung der IKS schrittweise dierätekommunistischen Einflüsse über Bord geworfen wurden, die zum Zeitpunkt ihrerGründung noch sehr stark waren, und die Schüchternheit in der Frage der Parteioder solch bedeutender historischer Persönlichkeiten wie Lenin oder Trotzkiabgelegt wurde.

Die International Review enthält in einer ihrer erstenAusgaben (Nr. 2) auch eine Untersuchung der Lehren aus der DeutschenRevolution, und zwei weitere Artikel erschienen anlässlich des 70. Jahrestagesdieses äußerst wichtigen Ereignisses, das von der bürgerlichen

Geschichtsschreibung so sorgsam verdeckt worden war(International Review Nr. 55 und 56). Aber wir kehrten noch ausgiebiger zurDeutschen Revolution in einer Reihe von Artikeln zurück, die in derInternational Review Nr. 81-83, 85, 88–90, 93, 95, 97–99 veröffentlicht wurde.Einmal mehr sehen wir hier eine deutliche Reifung in der Herangehensweise derIKS an ihr Thema, auch hier kritisch gegenüber den politischen undorganisatorischen Mängeln der deutschen kommunistischen Bewegung und auf eintieferes Verständnis in der Frage des Aufbaus einer revolutionären Parteifußend. Eine Reihe von Artikeln befasste sich etwas allgemeiner auch mit derrevolutionären Welle von 1917–23, besonders die Artikel über Zimmerwald in derInternational Review Nr. 44, über die Gründung der KommunistischenInternationale in Nummer 57, über das Ausmaß und die Bedeutung derrevolutionären Welle in Nummer 80, über die Beendigung des Krieges durch dasProletariat in Nummer 96.

Auch anderen Schlüsselereignissen in der Geschichte derArbeiterbewegung wurde Platz in eigenen Artikeln in der International Revieweingeräumt: die Revolution in Italien (Nr. 2); Spanien 1936, insbesondere dieRolle des Anarchismus und der „Kollektive“ (Nr. 15, 22, 47, etc.); die Kämpfein Italien 1943 (Nr. 75) und, allgemeiner; Artikel, die die Verbrechen der„Demokratien“ während des Zweiten Weltkrieges an den Tag gelegt hatten (Nr. 66,79, 83); eine Reihe von Artikeln über den Klassenkampf im Ostblock, die sichmit den massiven Klassenbewegungen 1953, 1956 und 1970 befassten (Nr. 27 - 29);eine Reihe über China, die den Mythos des Maoismus entlarvte (Nr. 81, 84, 94,96); Reflexionen über die Bedeutung der Ereignisse in Frankreich im Mai 1968(Nr. 14, 53, 74, 93, etc.).

Eng verknüpft mit diesen Studien, hat es ständige Bemühungendarum gegeben, die fast verloren geglaubte Geschichte des Linkskommunismus indiesen gewaltigen Ereignissen wiederzuentdecken, was unser Verständniswiderspiegelt, dass es uns ohne diese Geschichte nicht geben würde. DiesesBemühen hat sowohl in Form von Veröffentlichungen seltener Texte, oft zumersten Mal in andere Sprachen übersetzt, als auch in Form eigenerNachforschungen der Positionen und der Entwicklung linker Strömungenstattgefunden. Wir wollen folgende Studien erwähnen, obwohl auch hier die Listenicht vollständig ist: über die russischen Linkskommunisten, deren Geschichtenatürlich direkt mit dem Problem der Degeneration der Russischen Revolutionverknüpft ist (International Review Nr. 8 und 9); über die Deutsche Linke(Artikelreihen über die Deutsche Revolution, s.o.; Wiederveröffentlichung vonKAPD-Texten – „Thesen über die Partei“ in der International Review Nr. 41 – undihres Programms in der International Review

Nr. 94); über die Holländische Linke, mit einer langenArtikelserie (Nr. 45–50, 52), die die Grundlage für das Buch bildete, das aufFranzösisch, Spanisch und Italienisch veröffentlicht wurde und demnächst aufEnglisch erscheint; über die italienische Linksfraktion, insbesondere durch dieVeröffentlichung von Texten über den spanischen Bürgerkrieg (InternationalReview Nr. 4, 6, 7), über den Faschismus (Nr. 71) und über die Volksfront (Nr.47); über die französischen Linkskommunisten in den 40er Jahren durch dieWiederveröffentlichung ihrer Artikel und Manifeste gegen den Zweiten Weltkrieg(Nr. 79 und 88), ihrer zahllosen Polemiken mit der Partito ComunistaInternazionalista (Nr. 33, 34, 36), ihrer Texte über den Staatskapitalismus unddie Organisation des Kapitalismus in seiner dekadenten Phase (Nr. 21, 61) undihrer Kritik an Pannekoeks Buch „Lenin als Philosoph“ (Nr. 27, 28, 30); über diemexikanische Linke (Texte aus den 30er Jahren über Spanien, China,Nationalisierungen in der International Review Nr. 19 und 20); über diegriechische Linke um Stinas (Nr. 72).

Ebenfalls untrennbar verbunden mit diesem historischenRekonstruktionswerk war die Energie gewesen, die wir in die Texte gesteckthatten, mit denen wir versuchten, unsere Positionen zu fundamentalenKlassenpositionen zu erarbeiten, die sowohl aus der praktischen Erfahrung desKlassenkampfes selbst als auch aus der theoretischen Interpretation dieserErfahrungen durch kommunistische Organisationen herstammen. In diesemZusammenhang sei auf solche Fragen hingewiesen wie:

–          dieÜbergangsperiode, insbesondere die Lehren, die aus der russischen Erfahrungüber das Verhältnis zwischen dem Proletariat und dem Übergangsstaat gezogenwerden müssen. Dies war eine wichtige Debatte im proletarischen Milieu, als dieIKS gegründet wurde, eine Tatsache, die durch die Veröffentlichung zahlreicherDiskussionstexte verschiedener Gruppen in der allerersten Ausgabe derInternational Review zum Ausdruck kam. Diese Debatte wurde in der IKSfortgesetzt und eine Reihe von Texten für oder gegen die Mehrheitspositioninnerhalb der IKS veröffentlicht (Nr. 6, 11, 15, 18);

–          dienationale Frage: Eine Artikelfolge, welche die Art und Weise untersucht, wiesich diese Frage in der Arbeiterbewegung der ersten beiden Jahrzehnte des 20.Jahrhunderts gestellt hatte, wurde in der International Review Nr. 37 und 42veröffentlicht. Eine zweite Artikelserie erschien in den Nummern 66, 68 und 69,die den weiten Bereich von der revolutionären Welle bis zum Los der „nationalenBefreiungskämpfe“ in der Phase des kapitalistischen Zerfalls abdeckte;

–          dieökonomischen Fundamente des Imperialismus und der kapitalistischen Dekadenz: Ineiner Anzahl von Texten haben wir in unserer Entgegnung auf die Kritik andererproletarischer Gruppen für die Kontinuität gestritten, die im wesentlichenzwischen der Krisentheorie von Marx und der von Rosa Luxemburg in „DieAkkumulation des Kapitals“ und anderen Texten entwickelten Analyse besteht(siehe z.B. Nr. 13, 16, 19, 22, 29, 30). Parallel dazu haben wir eine ganzeArtikelreihe der Verteidigung des fundamentalen Konzeptes der kapitalistischenDekadenz gegen seine „radikalen“ Verunglimpfer aus dem parasitären Lager odersonstwoher gewidmet (Nr. 48, 49, 54, 55, 56, 58, 60)..

–          auch mitanderen allgemeinen Fragen haben wir uns beschäftigt, einschließlich derGewerkschaftsfrage in der Kommunistischen Internationale (Nr. 24 und 25), derBauernfrage (Nr. 24), der Theorie der Arbeiteraristokratie (Nr. 25), derkapitalistischen Umweltbedrohung, d.h. die „Ökologie“ (Nr. 63), des Terrors,Terrorismus und der Klassengewalt, letzteres ebenfalls das Produkt einerwichtigen Debatte in der IKS, insbesondere darüber, ob das Kleinbürgertumirgendwelche politischen Ausdrücke in der Periode der Dekadenz hat. DieUnterscheidung zwischen dem Staatsterror und dem kleinbürgerlichen Terrorismusund zwischen beiden und der proletarischen Klassengewalt durch die IKS beantwortetediese Frage voll und ganz (Nr. 14 und 15).

Dies ist vielleicht der geeignetste Moment, um auf dieArtikelserie über den Kommunismus hinzuweisen, die seit 1992 regelmäßig in derInternational Review erscheint und uns noch eine Weile erhalten bleibt.Ursprünglich war dieses Projekt als eine Reihe von vier oder fünf Artikelnvorgesehen, in denen die wahre Bedeutung des Kommunismus entgegen derbürgerlichen Lügen von der Gleichsetzung des Kommunismus mit dem Stalinismusgeklärt werden sollte. Aber bei dem Versuch, die historische Methode so rigoroswie möglich anzuwenden, wuchs sich diese Serie aus zu einer tieferenUntersuchung der Biografie des sich ständig weiter entwickelndenkommunistischen Programms, das durch die Schlüsselerfahrungen der Klasse im allgemeinenund durch die Beiträge und Debatten der revolutionären Minderheiten imbesonderen immer weiter bereichert wurde. Obgleich die Mehrheit der Artikeldieser Reihe sich notwendigerweise mit den fundamentalen politischen Fragenbefasst, da der erste Schritt zur Schaffung des Kommunismus die Errichtung derDiktatur des Proletariats ist, ist es ebenfalls Prämisse dieser Reihe,darzustellen, dass der Kommunismus die Menschheit aus dem Reich der Politikführen und ihre wahre soziale Natur befreien wird. Diese Reihe stellt somit dasProblem der marxistischen Anthropologie aufs Trapez. Die Verflechtung der„politischen“ und „anthropologischen“ Dimensionen in dieser Reihe wartatsächlich eines ihrer Leitmotive. Der erste Teil dieser Reihe begann (abInternational Review Nr. 68) mit den Vorläufern des Marxismus und mit dergrandiosen Vision des jungen Marx von den endgültigen Zielen des Kommunismus;er endete auf dem Höhepunkt der Massenstreiks von 1905, die signalisierthatten, dass der Kapitalismus sich auf eine neue Epoche zu bewegte, wo sich diekommunistische Revolution von einer globalen Perspektive der Arbeiterbewegungzu einer dringenden Notwendigkeit auf der historischen Tagesordnung entwickelte(International Review Nr. 88). Der zweite Teil hat sich größtenteils auf dieDebatten und programmatischen Dokumente konzentriert, die aus der großenrevolutionären Welle von 1917- 23 entstanden waren; noch muss er sich durch dieJahre der Konterrevolution und der darauffolgenden Wiederbelebung der Debattenüber den Kommunismus in der Periode nach 1968 durcharbeiten und denDiskussionsrahmen über die Bedingungen der Revolution von morgen klären. AmEnde jedoch wird diese Reihe zur Frage zurückkehren, wie es mit unserer Speziesim künftigen Reich der Freiheit aussehen wird.

Eine weitere wichtige Komponente in den Bemühungen derReview, den von den Revolutionären vertretenen Klassenpositionen eine größereshistorisches Gewicht zu verleihen, war ihre konstante Verpflichtung zur Klärungder Organisationsfrage gewesen. Dies war sicherlich die schwierigste allerFragen für jene Generation von Revolutionären, die den späten 60ernentstammten, vor allem aufgrund des Traumas der stalinistischenKonterrevolution und des mächtigen Einflusses des individualistischen,anarchistischen und rätekommunistischen Verhaltens auf diese Generation. Weiterunten werden wir einige der zahlreichen Polemiken erwähnen, die die IKS mitanderen Gruppen des proletarischen Milieus über diese Frage geführt hatte. Doches trifft ebenso zu, dass einige der wichtigsten Texte in der Review überFragen der Organisation das direkte Produkt von Debatten innerhalb der IKSselbst und oft schmerzvoller Auseinandersetzungen waren, die die IKS in ihreneigenen Reihen führen musste, um sich die marxistische Auffassung von einerrevolutionären Organisation wieder anzueignen. Seit dem Beginn der 80er Jahrehat die IKS drei ernste innere Krisen durchlaufen, von denen jede in Spaltungenund Austritten endete, aus denen aber die IKS politisch wie organisatorisch gestärkthervorging. Um diese Schlussfolgerung zu stützen, verweisen wir auf dieQualität der Artikel, die aus diesen Kämpfen entstanden und das verbesserteVerständnis der IKS für die Organisationsfrage zusammenfassten. Soveröffentlichten wir in Antwort auf die Spaltung mit der Chenier-Tendenz in denfrühen 80ern zwei wichtige Texte – einen über die Rolle der revolutionärenOrganisation innerhalb der Klasse (Nr. 29), den anderen über ihre interneFunktionsweise (Nr. 33). Insbesondere der letztere war und bleibt einSchlüsseltext, denn die Chenier-Tendenz drohte, alle fundamentalen Auffassungenin unseren Statuten, unsere Funktions“regeln“, über Bord zu werfen. Der Text inder International Review Nr. 33 war eine klare Darstellung und Ausarbeitungjener Auffassungen (hier sollten wir auch auf einen weit früheren Text in derInternational Review Nr. 5 über die Statuten verweisen). Mitte der 80er Jahremachte die IKS einen weiteren Schritt in der Abrechnung mit den verbliebenenanti-organisatorischen und rätekommunistischen Einflüssen in ihrer Mitte, undzwar durch die Debatte mit der Tendenz, die dazu übergegangen war, eine„Externe Fraktion der IKS“ zu bilden, jetzt „Internationalist Perspective“genannt, ein typisches Element des parasitären Milieus. Die Haupttexte, die inder International Review im Rahmen dieser Debatte veröffentlicht wurden,veranschaulichen diese eminent wichtigen Streitpunkte: die Einschätzung derGefahr, die von den rätekommunistischen Ideen für das revolutionäre Lager vonheute ausgeht (Nr. 40 – 43); die Frage des Opportunismus und Zentrismus in derArbeiterbewegung (Nr. 43 und 44). Durch diese Debatte – und durch dieAusarbeitung ihrer indirekten Folgen für unsere Intervention im Klassenkampf –nahm die IKS endgültig das Verständnis einer revolutionären Kampforganisationan, einer militanten politischen Führung innerhalb der Klasse. Die dritteDebatte Mitte der 90er Jahre kehrte, auf einer höheren Ebene, zur Frage derFunktionsweise zurück und spiegelte die Bestimmtheit wider, mit der die IKSalle Überbleibsel des Zirkelgeistes anging, der während ihrer Anfangsphasegeherrscht hatte, um die offene und zentralisierte Funktionsweise zu stärken,die auf den von allen akzeptierten Statuten basieren, gegen anarchistischePraktiken, die auf freundschaftlichen Netzwerken und sippenhaften Intrigengegründet sind. Auch hier drückt eine Anzahl von Texten von echter Qualitätunsere Bemühungen aus, die marxistische Position zur innerorganisatorischenFunktionsweise wieder zu etablieren und zu vertiefen: insbesondere die Reihevon Texten, die sich mit dem Kampf zwischen dem Marxismus und dem Bakuninismusin der Ersten Internationale befassten (Nr. 84, 85, 87, 88) und die beidenArtikel „Sind wir Leninisten geworden?“ in den Nummern 96 und 97.

Die Analyse derrealen Bewegung

Die zweite Schlüsselaufgabe, die zu Beginn dieses Artikelshervorgehoben wurde – die ständige Einschätzung einer sich konstant änderndenWeltlage–, war immer auch ein zentrales Element in der International Review.

Fast ausnahmslos jede Ausgabe beginnt mit einem Editorialüber die wichtigsten Ereignisse des internationalen Geschehens. Diese Artikelstellen die allgemeine Orientierung der IKS hinsichtlich dieser Ereignisse dar,indem sie die Positionen lenken und zentralisieren, die von unserenterritorialen Publikationen angenommen wurden. Wenn man durch diese Editorialsblättert, kann man sich ein prägnantes Bild von der Antwort der IKS auf allewichtigen Ereignisse der 70er, 80er und 90er Jahre machen: die zweite unddritte Welle des internationalen Klassenkampfes; die Offensive desUS-Imperialismus in den 80er Jahren; die Kriege im Nahen Osten, im Golf vonPersien, in Afrika, auf dem Balkan; der Zusammenbruch des Ostblocks und dieEröffnung der Periode des kapitalistischen Zerfalls; die Schwierigkeiten desKlassenkampfes angesichts dieser neuen Periode und so weiter. Parallel dazumachte auch der regelmäßige Bericht zur Frage: „Welchen Punkt hat die Kriseerreicht?“ es möglich, die wichtigsten Trends und Momente im langen Abstieg desKapitalismus in den Morast seiner eigenen Widersprüche zu erkennen. Zusätzlichzu diesen vierteljährlichen Einschätzungen veröffentlichten wir auch Texte, diedie Entwicklung der Krise aus längerfristigem Blickwinkel betrachten, seitdemsie Ende der 60er Jahre ans Tageslicht trat; hierzu besonders erwähnenswertunsere aktuelle Artikelserie „30 Jahre offene Krise“ (International Review Nr.96 – 98). Längerfristige Analysen aller Aspekte der internationalen Lage sindauch in den Berichten und Resolutionen unserer alle zwei Jahre stattfindendeninternationalen Kongresse enthalten, die immer so vollständig wie möglich inder International Review veröffentlicht werden (s. Nr. 8, 11, 18, 26, 35, 44,51, 59, 67, 74, 82, 90, 92, 97, 98).

Im Grunde ist es nicht möglich, einen striktenTrennungsstrich zwischen Texten, die die gegenwärtige Situation analysieren,und historisch-theoretischen Artikeln zu ziehen. Die analytischen Bemühungenstimulieren unvermeidlich die Reflexion und Debatte, welche ihrerseits denAnlass zu wichtigen Orientierungstexten liefern, die die allgegenwärtigeDynamik der Periode feststellen und bestimmte grundsätzliche Konzepte klären.Diese Texte sind häufig das Produkt der internationalen Kongresse oder derTreffen des Zentralorgans der IKS.

Zum Beispiel nahm der III. Kongress der IKS 1979 solcheOrientierungstexte über den historischen Kurs und den Wechsel der linkenParteien des Kapitals in die Opposition an, womit der grundsätzliche Rahmen zumVerständnis des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen in der Periode, diedurch das Wiedererwachen des Klassenkampfes 1968 eröffnet wurde, und zumVerständnis der überwiegend politischen Antwort der Bourgeoisie auf denKlassenkampf der 70er und 80er Jahre abgesteckt wurde (s. International ReviewNr. 18). Weitere Aufklärung darüber, wie die herrschende Klasse den Wahlprozessmanipuliert, bis er ihren eigenen Bedürfnissen entspricht, verschaffte derArtikel über den „Machiavellismus“ der Bourgeoisie in der International ReviewNr. 31 und die internationalen Korrespondenz über dieselbe Frage in Nr 39.Ebenso ist die erst kürzlich erfolgte Rückkehr der Bourgeoisie zu ihrerStrategie, die linken Parteien in der Regierung zu installieren, in einem Textdes XIII. Kongresses der IKS analysiert und in der International Review Nr. 98veröffentlicht worden.

Der IV. Kongress – 1981, im Gefolge des Massenstreiks inPolen, abgehalten – nahm einen Text über die Bedingungen für dieGeneralisierung des Klassenkampfes an, in dem besonders betont wurde, dass dieAusbreitung der Massenstreiks auf die Zentren des Weltkapitals eine Antwort aufdie Wirtschaftskrise des Kapitalismus sein wird, und nicht auf einenkapitalistischen Weltkrieg; einen weiteren Beitrag, der den Versuch eineshistorischen Überblicks über die Entwicklung des Klassenkampfes seit 1968unternahm (International Review Nr. 26). Debatten über die gesamte zweiteinternationale Welle von Kämpfen, in der die Kämpfe der polnischenArbeiterklasse den Höhepunkt darstellten, haben zu einer Reihe von anderenwichtigen Texten über die Charakteristiken des Massenstreiks (Nr. 27), über dieTheorie des schwächsten Glieds (Nr. 31, 37), über die Bedeutung der Kämpfe derfranzösischen Stahlarbeiter 1979 und die Intervention der IKS (Nr. 17, 20),über Arbeiterkampfgruppen (Nr. 21), die Arbeitslosenkämpfe (Nr. 14) u.s.w.geführt. Besonders wichtig war der Text „Der proletarische Kampf im dekadentenKapitalismus“(International Review Nr. 23), der aufzuzeigen beabsichtigte,warum die Kampfmethoden, die in der aufsteigenden Periode des Kapitalismus(gewerkschaftliche Streiks in einzelnen Bereichen, finanzielle Solidarität,etc.) angewendet worden waren, in der dekadenten Epoche durch die Methoden desMassenstreiks ersetzt werden mussten. Die stetigen Bemühungen um einePerspektive der internationalen Klassenbewegung setzte sich in zahlreichenArtikeln fort, die während der dritten Welle von Kämpfen zwischen 1983 und 1988geschrieben wurden.

1989 fand eine weitere wichtige historische Änderung in derinternationalen Lage statt: der Zusammenbruch des Ostblocks und der endgültigeBeginn der Zerfallsphase des Kapitalismus, eine Verschlimmerung all derAusgeburten eines dekadenten Systems, das vor allem durch den wachsenden Kriegjeder gegen jeden auf imperialistischer Ebene gekennzeichnet war. Obwohl dieIKS diesen „friedlichen“ Zusammenbruch des russischen Blocks im Vorfeld nichterwartet hatte, stellte sie schnell fest, aus welcher Richtung der Wind blies,denn sie war bereits mit dem theoretischen Rahmen ausgerüstet, um zu erklären,warum der Stalinismus sich nicht selbst reformieren konnte (s. die Artikel überdie Wirtschaftskrise im russischen Block in der International Review Nr. 22,23, 43 und insbesondere die Thesen über „Die internationale Dimension desArbeiterkampfes in Polen“ in der International Review Nr. 24). Dieser Rahmenbildete die Grundlage für den Orientierungstext „Über die ökonomische undpolitische Krise in den osteuropäischen Ländern“ in der International ReviewNr. 60, der lange, bevor dies mit dem Fall der Berliner Mauer und demAuseinanderbrechen der UdSSR eintrat, das Ableben des russischen Blocksvorausgesagt hatte. Gleichermaßen wichtig als Hilfe zum Verständnis derCharakteristiken der neuen Periode waren die Thesen mit dem Titel „Der Zerfall– die letzte Phase in der Dekadenz des Kapitalismus“ in der InternationalReview Nr. 62 und der Artikel „Militarismus und Zerfall“ in der InternationalReview Nr. 64. Letzterer ging noch weiter und präzisierte unsere Artikel„Krieg, Militarismus und imperialistische Blöcke“, die wir in der InternationalReview Nr. 52 und 53 veröffentlicht hatten, also vor dem Zusammenbruch desrussischen Blocks, und die den Begriff der Irrationalität des Krieges in derkapitalistischen Dekadenz erläuterten. Durch diese Beiträge wurde es möglich,den Rahmen zum Verständnis der Verschärfung der imperialistischen Spannungen ineiner Welt ohne Blockdisziplin zu erweitern. Die ganz offensichtlicheVerschärfung der interimperialistischen Konflikte, des chaotischen Kampfesjeder gegen jeden während dieses Jahrzehnts hat den in diesen Textenentwickelten Rahmen vollauf bestätigt.

Die Verteidigung desPrinzips der offenen Debatte zwischen den Revolutionären

Auf einem erst kürzlich stattgefundenen öffentlichen Forum,das von der Communist Workers‘ Organisation in London organisiert wurde undsich auf den Appell der IKS für gemeinsame Aktionen revolutionärer Gruppenangesichts des Balkankrieges bezog, stellte ein Genosse der CWO die Frage: „Wasführt die IKS im Schilde?“. Er äußerte die Ansicht, dass „die IKS mehrWendungen vollzogen hat als die stalinistische Komintern“ und dass ihre„freundschaftliche“ Haltung gegenüber dem Milieu nur die letzte dieserWendungen sei. Die bordigistische Gruppe Le Prolétaire beschrieb den Appell derIKS mit ähnlichen Worten und denunzierte ihn als ein „Manöver“ (s. RévolutionInternationale Nr. 294).

Solche Anschuldigungen lassen einen ernsthaft daranzweifeln, ob diese Genossen die IKS-Presse über die letzten 25 Jahre verfolgthaben. Ein kurzes Durchblättern der 100 Ausgaben der International Reviewreicht aus, um den Gedanken zurückzuweisen, dass der Aufruf zur Einheitzwischen den Revolutionären eine „neue Wendung“ der IKS ist. Wie wir bereitsgesagt haben, war für uns der Geist der Linkskommunisten, insbesondere der deritalienischen Fraktion, ein Geist der ernsthaften Debatte und Konfrontationzwischen allen verschiedenen Kräften innerhalb des kommunistischen Lagers undnatürlich auch zwischen den Kommunisten und denjenigen, die sich darum bemühen,das proletarisch-politische Terrain zu betreten. Von ihrer Gründung an – und imGegensatz zum weitverbreiteten Sektierertum, das als ein direktes Resultat deskonterrevolutionären Drucks in dem Milieu vorherrschte – hat die IKS auf:

–          die Existenzeines proletarisch-politischen Lagers, das sich aus verschiedenen Tendenzenzusammensetzt, die auf der einen oder anderen Weise Ausdrücke desKlassenbewusstseins des Proletariats sind;

–          auf diezentrale Bedeutung jener Gruppen innerhalb dieses Lagers, die aus denhistorischen Strömungen des Linkskommunismus stammen;

–          dieNotwendigkeit einer Einheit und Solidarität zwischen den revolutionären Gruppenangesichts des Klassenfeindes – seiner antikommunistischen Kampagnen, seinerRepression, seiner Kriege;

–          dieNotwendigkeit einer ernsthaften und verantwortungsbewussten Debatte über dierealen Divergenzen zwischen diesen revolutionären Gruppierungen;

–          dieultimative Notwendigkeit der Umgruppierung der revolutionären Kräfte als Teildes Prozesses, der zur Bildung der Weltpartei führt,

bestanden.

 

Bei der Verteidigung dieser Prinzipien hat es Zeitengegeben, in denen es notwendiger war, die Differenzen herauszustellen, undandere Zeiten, in denen die Aktionseinheit übergeordnet war, doch dies hat nieauch nur eines der fundamentalen Prinzipien in Frage gestellt. Wir erkennenauch an, dass das Gewicht des Sektierertums das ganze Milieu betrifft und auchwir nicht behaupten, völlig immun dagegen zu sein – selbst wenn wir aufgrundder bloßen Tatsache, dass wir im Gegensatz zu anderen Gruppen seine Existenzerkennen, bessere Ausgangsbedingungen haben. Auf jeden Fall passierte es da unddort, dass unsere Argumente von sektiererischen Übertreibungen geschwächtwurden: zum Beispiel trug ein sowohl in der World Revolution als auch in derRévolution Internationale veröffentlichter Artikel den Titel „Die CWO fällt dempolitischen Parasitismus zum Opfer“, aus dem sich ergeben konnte, dass die CWOtatsächlich ins parasitäre Lager übergewechselt sei und somit sich außerhalbdes proletarischen Milieus befände, wohingegen der Artikel in Wahrheit imWesentlichen durch die Notwendigkeit, eine nahestehende kommunistische Gruppevor den Gefahren des Parasitismus zu warnen, motiviert war. Auf ähnliche Weisekonnte der Titel des Artikels über die Gründung des IBRP 1985 – „Die Gründungdes IBRP – ein opportunistischer Bluff“ -, den wir in der International ReviewNr. 40 und 41 veröffentlicht hatten, den Eindruck erwecken, dass dieseOrganisation vollständig vom Virus des Opportunismus angesteckt sei, wohingegenwir tatsächlich die einzelnen Gruppen des IBRP stets als integralen Bestandteildes kommunistischen Lagers anerkannten, auch wenn wir immer offen und heftigihre opportunistischen Irrtümer kritisierten.

Schon aus den frühesten Ausgaben der International Reviewist leicht ersichtlich, wie unser tatsächliches Verhalten ausgesehen hat.

Die erste Ausgabe enthält Diskussionsartikel über dieÜbergangsperiode, welche die Diskussion zwischen den Gruppen, die die IKSbildeten, und anderen, die draußen blieben, widerspiegelten; dieselbeInternational Review hob gleichfalls hervor, dass einige dieser Gruppeneingeladen worden waren, an der Gründungskonferenz der IKS teilzunehmen. Fernerwurde die Praxis, Beiträge anderer Gruppen und Elemente in der InternationalReview zu veröffentlichen, seither ständig fortgeführt (u.a. Texte von der CWO,von der mexikanischen GPI, der argentinischen Gruppe Emancipacion Obrera, vonindividuellen Elementen aus Hongkong, Russland, etc.)

In der International Review Nr. 11 veröffentlichten wireinen Text, den unser zweiter Kongress 1977 verabschiedet hatte. Er definiertedie wesentlichen Konturen des proletarisch-politischen Milieus einerseits sowiedes „Sumpfes“ andererseits und unterstrich unsere allgemeine Politik gegenüberanderen proletarischen Organisationen und Individuen.

In den späten 70ern unterstützten wir mit ganzem Herzen denVorschlag von Battaglia Comunista, eine internationale Konferenz derlinkskommunistischen Gruppen abzuhalten, nahmen aktiv an allen folgendenKonferenzen teil, veröffentlichten ihre Sitzungsberichte und Artikel über siein der International Review und vertraten im Zusammenhang mit diesenKonferenzen die Notwendigkeit der beteiligten Gruppen, gemeinsameStellungnahmen zu zentralen Tagesthemen abzugeben (wie im Fall der russischenInvasion in Afghanistan). Aus dem gleichen Grund kritisierten wir heftig dieEntscheidung von Battaglia, diese Konferenzen abzubrechen (s. dazu dieInternational Review Nr. 10, 16, 17, 22 und auch die beiden Pamphlete „Texteund Sitzungsberichte der Internationalen Konferenzen der Linkskommunisten“).

In den frühen 80ern veröffentlichten wir eine Artikelserie,welche die Krise analysierte, von der eine Reihe von Gruppen aus demproletarischen Milieu betroffen war (International Review Nr. 29, 31).

Die International Review Nr. 35 enthält einen Appell anproletarische Gruppen, der von unserem V. Internationalen Kongress 1983verabschiedet worden war. In diesem Appell schlugen wir nicht die sofortigeWiedereinberufung der internationalen Konferenzen vor, sondern strebten danach,„bescheidenere“ Praktiken zu etablieren, wie unsere Anwesenheit auf denöffentlichen Veranstaltungen anderer Gruppen, umfassendere Polemiken in unsererPresse, etc.

In der International Review Nr. 46 Ende 1986 drückten wirunsere Zustimmung zum „internationalen Vorschlag“ aus, der von derargentinischen Gruppe Emancipacion Obrera zugunsten einer größeren Kooperationund der Organisation von Diskussionen zwischen den Revolutionären angeregtworden war.

In der International Review Nr. 67 veröffentlichten wireinen weiteren Appell an das proletarische Milieu, diesmal von unserem IX.Kongress 1991 verabschiedet.

Somit stellt die Politik der IKS seit 1996, zu einergemeinsamen Antwort auf solche Ereignisse wie die Kampagnen der Bourgeoisiegegen die Linkskommunisten oder den Balkankrieg aufzurufen, keineswegs eineneue Wendung oder irgendein verstecktes Manöver dar, sondern stimmt völlig mitunserer gesamten Haltung seit jeher gegenüber dem proletarische Milieu überein.

Die zahlreichen Polemiken, die wir in der InternationalReview veröffentlicht haben, sind gleichfalls Teil dieser Orientierung. Wirkönnen sie hier nicht alle auflisten, aber wir können sagen, dass wir durch dieInternational Review praktisch über jeden Aspekt des revolutionären Programmseine ständige Debatte mit all den Strömungen des proletarischen Milieus undeinigen an seinen Rändern geführt haben.

Die Debatten mit dem IBRP (Battaglia und CWO) warensicherlich die zahlreichsten und zeigten, wie ernst wir diese Strömung stetsgenommen haben. Einige Beispiele:

–          über diePartei: das Problem des Substitutionismus (International Review Nr. 17), dieunterirdische Reifung des Klassenbewusstseins (International Review Nr. 43),das Verhältnis zwischen Fraktion und Partei (Nr. 60, 61, 64, 65);

–          über dieGeschichte der Italienischen Linken und die Ursprünge der Partito ComunistaInternazionalista (Nr. 8, 34, 39, 90, 91);

–          über dieAufgaben der Revolutionäre in den Peripherien des Kapitalismus (Nr. 46 und100);

–          über dieGewerkschaftsfrage (Nr. 51);

–          über denhistorischen Kurs (Nr. 36, 50, 89);

            über dieKrisentheorie und den Imperialismus (Nr. 13, 19, 86, etc.);

–          über dieNatur der Kriege in der Dekadenz (Nr. 79, 82);

–          über dieÜbergangsperiode (Nr. 47);

–          über denIdealismus und die marxistische Methode (Nr. 99).

Nicht zu erwähnen die zahllosen Artikel, die sich mit derPosition des IBRP zu den unmittelbareren Ereignissen oder Interventionenbefassten (z.B. über unsere Intervention im Klassenkampf in Frankreich 1979oder 1995, über die Streiks in Polen oder den Zusammenbruch des Ostblocks, dieUrsachen des Golfkrieges, etc., etc.)

Mit den Bordigisten haben wir über alle Fragen der Parteidebattiert (z.B. Nr. 14, 23), aber auch über die nationale Frage (Nr. 32), dieDekadenz (Nr. 77 und 78), den Mystizismus (Nr. 94), etc.

Wir sollten auch die Polemiken mit den Spätabkömmlingen desRätekommunismus (z.B. die holländische Gruppe Spartakusbond und Daad enGedachte in der International Review Nr. 2, die dänische Gruppe Rätekommunismusin der International Review Nr. 25) und mit der von Munis initiierten Strömung(Nr. 25, 29, 52) erwähnen. Parallel zu diesen Debatten innerhalb desproletarischen Milieus haben wir eine Anzahl von Kritiken über die Gruppen desSumpfes verfasst (Autonomia in Nr. 16, Modernismus in Nr. 34, Situationismus inNr. 80), so wie wir die Auseinandersetzung mit dem politischen Parasitismusgeführt haben, der in unseren Augen eine ernste Gefahr für das proletarischeLager darstellt, weil er von Elementen verkörpert wird, die behaupten, ein Teilvon ihm zu sein, die jedoch eine völlig destruktive Rolle spielen (s. z.B. dieThesen über den Parasitismus in der International Review Nr. 94, Artikel überdie EFICC (Nr. 46, 60, 70, 92), über die CGB (Nr. 83, etc.).

Selbst wenn wir sehr scharf gegen andere proletarischeGruppen polemisiert haben, so haben wir stets versucht, fair zu bleiben, indemwir unsere Argumentation nicht auf den Boden von Spekulationen und Verzerrungenstellten, sondern von den wahren Positionen anderer Gruppen ausgehen ließen.Heute versuchen wir angesichts der riesigen Verantwortung, die schwer auf denSchultern einer schmalen revolutionären Minderheit lastet, noch größereAnstrengungen zu unternehmen, um noch akkurater und grundsätzlich brüderlich zuargumentieren. Unsere Leser können durch unsere polemischen Artikel in derInternational Review schweifen und sich ihr eigenes Urteil darüber bilden, wieerfolgreich wir in dieser Hinsicht sind. Unglücklicherweise müssen wir jedochfeststellen, dass es nur wenige ernsthafte Antworten auf die meisten dieserPolemiken oder auf die vielen Orientierungstexte gab, die wir demproletarischen Milieu ausdrücklich als Diskussionsbeiträge angeboten haben.Viel zu häufig wurden unsere Artikel ignoriert oder als das jüngsteSteckenpferd der IKS abgetan, ohne jeden ernsthaften Versuch, sich mit denvorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen. Im Geiste unserer früherenAppelle an das proletarische Milieu können wir die anderen Gruppen nur dazuaufrufen, die sektiererischen Barrieren, die eine wirkliche Debatte zwischenden Revolutionären verhindern – eine Schwäche, von der letztendlich nur dieBourgeoisie profitiert -, zu erkennen und damit zu überwinden.

Genossen!

Helft uns dieInternational Review zu verbreiten!

Wir können eigentlich ganz stolz auf die InternationalReview sein und sind davon überzeugt, dass sie eine Publikation ist, die auchdie Zukunft meistern wird. Obwohl sich die Lage seit dem Beginn derInternational Review gründlich geändert hat, obwohl die Analysen der IKS reifergeworfen sind, denken wir nicht, dass die 100 Ausgaben der InternationalReview, die wir bis jetzt veröffentlicht haben, obsolet geworden sind,genausowenig wie das für die künftigen Ausgaben gilt. Es ist zum Beispiel keinZufall, dass viele unserer neuen Kontakte, sobald sie einmal richtigesInteresse an unseren Positionen gefunden haben, anfangen, eine Sammlung derfrüheren Ausgaben der International Review zusammenzustellen. Doch wir sind unsnur zu bewusst, dass unsere Presse im allgemeinen und die International Reviewim Besonderen immer noch nur eine verschwindende Minderheit erreicht. Wirwissen, dass es objektive historische Gründe für die numerische Schwäche derkommunistischen Kräfte von heute, für ihre Isolation in der Klasse als Ganzesgibt. Die Kenntnisnahme dieser Gründe erfordert zwar einen gewissenRealitätssinn unsererseits, ist aber keine Entschuldigung für eine Passivitätunsererseits. Die Verkaufszahlen der revolutionären Presse und somit derInternational Review können, wenn auch in bescheidenem Maße, durch eineAnstrengung des revolutionären Willens auf Seiten der IKS und ihrer Leser undSympathisanten durchaus erhöht werden. Daher wollen wir diesen Artikel miteinem Appell an unsere Leser schließen, aktiv an den Bemühungen zur Steigerungder Verteilung und des Verkaufs der International Review teilzunehmen – indemsie ältere Exemplare oder komplette Sammlungen (die wir zu einem Preis von £ 50oder entsprechend in anderer Währung, alles inklusive, verkaufen) bestellen,indem sie Exemplare für den Weiterverkauf ordern, indem sie mithelfen,Buchläden und Vertriebssagenturen ausfindig zu machen und zu beliefern und soweiter. Die theoretische Übereinstimmung mit der Auffassung von der Wichtigkeitder revolutionären Presse beinhaltet auch eine praktische Verpflichtung, sie zuverkaufen, da wir keine Anarchisten sind, die die Einbeziehung in dasschmutzige Geschäft von Verkauf und Abrechnung verachten, sondern Kommunisten,die ihre Klasse so weit wie möglich erreichen wollen, aber verstehen, dass diesnur auf organisierte und kollektive Art gelingen kann.

Zu Beginn dieses Artikels unterstrichen wir die Fähigkeitunserer Organisation, seit 25 Jahren vierteljährlich eine Zeitschrift zuveröffentlichen, ohne Unterbrechung, während viele andere Gruppen nurunregelmäßig oder wechselhaft veröffentlicht haben oder einfach verschwanden.Man könnte natürlich einwenden, dass die IKS nach einem Vierteljahrhundertihrer Existenz immer noch nicht die Häufigkeit ihrer theoretischen Organegesteigert hat. Dies ist offensichtlich ein Zeichen einer gewissen Schwäche,unserer Meinung nach jedoch nicht eine Schwäche in unseren politischenPositionen und Analysen. Es ist eine Schwäche, die dem gesamtenLinkskommunismus eigen ist, in dem die IKS trotz ihrer geringen numerischenStärke die bei weitem größte und am weitesten verbreitete Organisation ist. Esist eine Schwäche der gesamten Arbeiterklasse, die, obwohl sie sich Ende der60er Jahre als fähig erwiesen hatte, aus dem Schatten der Konterrevolutionhervorzutreten, auf einige gewaltige Hindernisse auf ihrem Weg gestoßen ist,last not least in Gestalt des Zusammenbruchs der stalinistischen Regimes unddes allgemeinen Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft. Ein besonderesKennzeichen des Zerfalls, das wir in unserer Presse hervorgehoben haben, istdie Entwicklung von allerlei Arten seichter, irrationaler oder mystischerSichtweisen in der ganzen Gesellschaft einschließlich der Arbeiterklasse, zumNachteil einer tiefen, zusammenhängenden und materialistischenHerangehensweise, deren bester Ausdruck allein der Marxismus ist. Heute findenBücher über die Esoterik ein weitaus größeres Interesse als die Werke desMarxismus. Selbst wenn wir die Kapazität besäßen, die International Reviewhäufiger zu veröffentlichen, ihr gegenwärtiger Verbreitungsgrad würde solcheMühen nicht rechtfertigen. Deshalb rufen wir unsere Leser dazu auf, uns in denBemühungen, unsere Presse weiter zu verbreiten, zu helfen. Indem sie sichdiesen Bemühungen anschließen, werden sie am Kampf gegen die Ansteckung durchbürgerliche Ideologie und Zerfall teilnehmen, die das Proletariat überwindenmuss, um den Weg zur kommunistischen Revolution freizumachen.

Amos, Dezember 1999


[i] [1] Immer wennin diesem Artikel von International Review die Rede ist, sprechen wir von derenglischen, französischen (Revue Internationale) und spanischen (RevistaInternacional) Ausgabe. Die Revue ist in diesen drei Sprachen identisch. MitInternationale Revue umgekehrt ist die Ausgabe in deutscher Sprache gemeint,die einen anderen Erscheinungsrhythmus und somit auch eine andere Numerierunghat.

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [2]

13.Kongress der IKS

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Bericht über den Klassenkampf

Ziel dieses Berichts ist es vor allem, die verbreiteten bürgerlichen Kampagnen über das „Ende des Klassenkampfes“ und das Verschwinden der Arbeiterklasse zu bekämpfen und den Standpunkt zu verteidigen, dass das Proletariat trotz aller aktuellen Schwierigkeiten sein revolutionäres Potenzial nicht verloren hat. Wie wir in den einleitenden Abschnitten, die wir hier aus Platzmangel weglassen müssen, betont hatten, gründet sich die bürgerliche Geringschätzung seines Potenzials auf eine rein immediatistische Konzeption, die den Stand des Klassenkampfes zu irgendeinem Zeitpunkt mit der wahren Dynamik des Proletariats in einem längeren Zeitraum verwechselt. Dieser seichten und empirischen Herangehensweise setzen wir die marxistische Methode entgegen, die feststellt, dass „das Proletariat... nur weltgeschichtlich existieren (kann), wie der Kommunismus, seine Aktion, nur als ‚weltgeschichtliche' Existenz überhaupt vorhanden sein kann“ (Marx, Die deutsche Ideologie). Der Bericht über den Klassenkampf war also eingebettet in den Gesamtzusammenhang der historischen Klassenbewegung seit ihren ersten heroischen Versuchen zwischen 1917 und 1923, den Kapitalismus zu überwinden, und den darauffolgenden Jahrzehnten der Konterrevolution. Wir geben hier den Bericht ab der Stelle wieder, wo er sich insbesondere auf die Entwicklung der Klassenbewegung seit dem Wiederaufflammen der Klassenauseinandersetzungen Ende der 60er Jahre konzentriert. Einige Passagen, die sich mit aktuelleren und kurzzeitigen Entwicklungen befassen, haben wir hier ebenfalls weggelassen bzw. komprimiert.

1968–69: das Wiedererwachen des Proletariats

Und hier liegt die ganze Bedeutung der Ereignisse vom Mai bis Juni 1968 in Frankreich verborgen: das Auftreten einer neuen Generation von Arbeitern, die durch das Elend und die Niederlagen der vergangenen Jahrzehnte nicht gebrochen und demoralisiert waren, die sich an einen verhältnismäßig höheren Lebensstandard in den „Boomjahren“ nach dem Krieg gewöhnt hatten und die nicht bereit waren, sich den Forderungen einer erneut in die Krise schlitternden nationalen Wirtschaft zu beugen. Der zehn Millionen Arbeiter umfassende Generalstreik in Frankreich, der von einer riesigen politischen Gärung begleitet wurde, in der Begriffe wie Revolution oder die Veränderung der Welt wieder Gegenstand ernsthafter Diskussionen wurden, markierte den Wiederauftritt der Arbeiterklasse auf der historischen Bühne und das Ende des konterrevolutionären Albtraums, der so lange auf ihrer Brust gelastet hatte. Die Bedeutung des „wilden Mai“ in Italien und des „heißen Herbstes“ im darauffolgenden Jahr besteht darin, dass sie der Beweis für die Richtigkeit dieser Interpretation waren, entgegen jener Stimmen, die versuchten, den Mai 1968 als nicht mehr als eine kleine Studentenrevolte darzustellen. Der Ausbruch von Kämpfen unter den italienischen Arbeitern, damals mit ihrer mächtigen antigewerkschaftlichen Dynamik politisch die fortgeschrittenste Arbeiterklasse auf der Welt, zeigte ganz deutlich, dass der Mai 68 kein Tropfen auf dem heißen Stein, sondern die Ouvertüre einer ganzen Periode weltweit wachsender Klassenkämpfe war. Die folgenden Massenbewegungen (Argentinien 69, Polen 70, Spanien und Großbritannien 72) sind nur weitere Bestätigungen dieser Interpretation.

Nicht alle existierenden revolutionären Organisationen waren imstande, dies zu erkennen: Die älteren, besonders die bordigistische Strömung, wurden mit den Jahren immer kurzsichtiger und waren unfähig, den tiefgehenden Wandel im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu sehen. Doch diejenigen, die fähig waren, sowohl die Dynamik dieser neuen Bewegung zu erfassen als auch sich die „alten“ Methoden der Italienischen Linken wiederanzueignen, welche in den finstersten Zeiten der Konterrevolution ein bewundernswertes Maß an Klarheit besaß, hatten sich in die Lage versetzt, die Eröffnung einer neuen historischen Periode zu erklären, die sich markant unterscheidet von jener, die unter dem Gewicht der Konterrevolution vorgeherrscht und in der der  Kurs zum Krieg dominiert hatte. Der erneute Ausbruch der Weltwirtschaftskrise hätte sicherlich zu einer Verschärfung der imperialistischen Antagonismen geführt, die wiederum, wenn sie ihrer eigenen Dynamik überlassen worden wären, die Menschheit in einen dritten und höchstwahrscheinlich endgültigen Weltkrieg gestoßen hätte. Doch indem das Proletariat begonnen hatte, der Krise auf eigenem Klassenterrain entgegenzutreten, wirkte es als fundamentales Hindernis gegenüber dieser Dynamik. Und nicht nur das; es entwickelte zudem durch die Aufnahme seiner Abwehrkämpfe eine eigene Dynamik hin zu einem zweiten weltrevolutionären Ansturm gegen das kapitalistische System.

Der massive und offene Charakter dieser ersten Welle von Kämpfen und die Tatsache, dass sie es endlich wieder ermöglicht hatten, über die Revolution zu sprechen, führte viele der ungeduldigen Abkömmlinge der Bewegung dazu, „ihre Träume für bare Münze zu nehmen“ und zu denken, dass die Welt sich Anfang der 70er Jahre bereits am Rande einer revolutionären Krise befände. Dieser Art von Immediatismus fehlte das Verständnis dafür, dass:

–          die Wirtschaftskrise, welche die Triebkraft für den Kampf geschaffen hatte, sich noch ziemlich in der Anfangsphase befand, und im Gegensatz zu den 30er Jahren dieser Krise eine Bourgeoisie gegenüberstand, die ausgerüstet war mit den Lehren ihrer eigenen Erfahrungen und mit Instrumenten, die sie in die Lage versetzten, den Abstieg in den Abgrund zu ‚managen‘, wie der Gebrauch blockweiter Organe, die Fähigkeit, die schlimmsten Auswirkungen der Krise durch die Flucht in die Verschuldung und durch ihre Abwälzung in die Peripherien des Systems hinauszuzögern;

–          die politischen Folgen der Konterrevolution immer noch ein beträchtliches Gewicht innerhalb der Arbeiterklasse besaßen: der beinahe völlige Bruch in der organischen Kontinuität mit den politischen Organisationen der Vergangenheit, der niedrige Grad an politischer Kultur im Proletariat als Ganzes, sein abgrundtiefes Misstrauen gegenüber der „Politik“, Resultat seiner traumatischen Erfahrung mit dem Stalinismus und der Sozialdemokratie.

Diese Faktoren sind ausschlaggebend dafür, dass die Periode des proletarischen Kampfes, die im Mai 68 eröffnet wurde, sich sehr lange hinziehen wird. Im Gegensatz zur ersten revolutionären Welle, die als Antwort auf den Krieg auftrat und so sehr schnell auf die politische Ebene katapultiert wurde – in vielerlei Hinsicht zu schnell, wie Rosa Luxemburg bezüglich der Novemberrevolution in Deutschland bemerkte –, können die revolutionären Schlachten der Zukunft nur durch eine Reihe von defensiven ökonomischen Auseinandersetzungen vorbereitet werden, welche – und dies ist in jedem Fall ein wesentlicher Zug in den allgemeinen Klassenkämpfen – dazu gezwungen sind, nach dem schwierigen und unregelmäßigen Muster von Fortschritt und Rückzug zu verlaufen.

Die Antwort der französischen Bourgeoisie auf den Mai 68 gab den Ton an für die Gegenattacke der Weltbourgeoisie: der Wahltrick wurde benutzt, um den Klassenkampf zu zerstreuen (sobald die Gewerkschaften letzteren erst einmal eingepfercht hatten); die Versprechungen einer linken Regierung, die den Arbeitern in Aussicht gestellt wurde, indem die blendende Illusion vermittelt wurde, dass sie all die Probleme erledigen werde, die den Ausbruch bewirkt hatten, und eine neue Herrschaft von Wohlstand und Gerechtigkeit, ja sogar ein bisschen „Arbeiterkontrolle“, installieren werde. Die 70er Jahre können also insofern als „Jahre der Illusion“ bezeichnet werden, als dass sich die Bourgeoisie angesichts eines relativ eingeschränkten Ausmaßes der Wirtschaftskrise noch in der angenehmen Lage befand, diese Illusion der Arbeiterklasse auch verkaufen zu können. Diese Gegenoffensive nahm der ersten internationalen Welle von Kämpfen die Spitze.

Die Unfähigkeit der Bourgeoisie, auch nur eine ihrer falschen Versprechungen zu verwirklichen, bedeutete, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Kämpfe wieder zurückkehrten. Die Jahre 1978 bis 1980 waren eine Zeit sehr konzentrierter Ausbrüche wichtiger Klassenkämpfe: Longwy-Denain in Frankreich mit den Bemühungen, den Kampf über den Stahlsektor hinaus auszudehnen und die Autorität der Gewerkschaft herauszufordern; der Rotterdamer Hafenarbeiterstreik, der das Auftauchen eines unabhängigen Streikkomitees erblickte; die Massenbewegung im Iran, die zum Sturz des Schah-Regimes führte; in England der „Winter des Unfriedens“, in dem es in einer Reihe von Bereichen gleichzeitig zum Ausbruch von Kämpfen kam, und der Stahlarbeiterstreik von 1980; und schließlich Polen 1980, der Höhepunkt dieser Welle und, in vielerlei Hinsicht, der gesamten Periode der wiederauflebenden Klassenkämpfe bis dahin.

Am Ende dieser turbulenten Dekade hatte die IKS bereits angekündigt, dass die 80er Jahre die „Jahre der Wahrheit“ werden, womit wir nicht meinten, wie häufig missgedeutet, dass dies das Jahrzehnt der Revolution sei, sondern ein Jahrzehnt, in dem die Illusionen der 70er Jahre durch die brutale Beschleunigung der Krise und dem daraus resultierenden Anschlag auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse ausgetrieben werden. Ein Jahrzehnt, in dem die Bourgeoisie selbst die Sprache der Wahrheit spricht, „des Blutes, des Schweißes und der Tränen“, des „Es-gibt-keine-Alternative“ à la Thatcher – ein Wechsel in der Sprache, der auch dem Wechsel in der politischen Aufstellung der herrschenden Klasse entsprach, mit einer kaltschnäuzigen Rechten an der Macht, die offen die notwendigen Angriffe ausführte, und einer scheinbar radikalisierten Linken in der Opposition, damit beauftragt, die Antwort der Arbeiter von innen zunichte zu machen. Und schließlich waren die 80er Jahre „Jahre der Wahrheit“, weil die historische Alternative, der die Menschheit gegenübersteht – Weltkrieg oder Weltrevolution –, nicht nur deutlicher zutage trat, sondern in einem gewissen Sinn auch von den Ereignissen der folgenden Dekade entschieden wurde. Und in der Tat verdeutlichten dies die Ereignisse zu Anfang dieser Dekade: Auf der einen Seite warf die sowjetische Invasion in Afghanistan ein deutliches Schlaglicht auf die „Antwort“ der Bourgeoisie auf die Krise und eröffnete eine Periode der weiteren Verschärfung von Spannungen zwischen den Blöcken, was versinnbildlicht wurde durch Reagans Warnungen vor dem Reich des Bösen und den gigantischen Militärbudgets, die für Waffensysteme wie das „Star-Wars“-Projekt aufgewendet wurden. Auf der anderen Seite veranschaulichten die Massenstreiks in Polen die Antwort des Proletariats klar und deutlich.

Die IKS hat stets die enorme Bedeutung dieser Bewegung anerkannt, die die „Antwort“ auf all die in den vorherigen Schlachten gestellten Fragen lieferte: „Der Kampf in Polen hat Antworten auf eine ganze Reihe von Fragen geliefert, die in den früheren Kämpfen gestellt worden waren, ohne je klar beantwortet zu werden:

–          die Notwendigkeit einer Ausweitung des Kampfes (Rotterdam);

–          die Notwendigkeit der Selbstorganisation (Stahlarbeiterstreik in England);

–          das Verhalten gegenüber der Repression (Longwy-Denain).

In all diesen Punkten stellten die Kämpfe in Polen einen großen Schritt vorwärts dar im weltweiten Kampf des Proletariats, weswegen diese Kämpfe die wichtigsten seit über einem halben Jahrhundert sind.“  („Resolution über den Klassenkampf“, 4. Kongress der IKS, 1980, veröffentlicht in International Review, Nr. 26)

Zusammengefasst zeigte die polnische Bewegung, wie das Proletariat selbst als eine einheitliche soziale Kraft auftreten kann, die nicht nur imstande ist, sich dem Angriff des Kapitals zu widersetzen, sondern auch in der Lage ist, die Perspektive der Arbeitermacht aufzustellen (eine Gefahr, die von der Bourgeoisie sehr wohl gewürdigt wurde, als sie zeitweise die imperialistischen Rivalitäten zurückstellte, um die Bewegung, insbesondere durch die Konstruktion der Solidarnosc, zu ersticken).

Indem der polnische Massenstreik die Frage beantwortete, wie der Kampf ausgeweitet und organisiert werden soll – nämlich durch seine Vereinigung –, stellte er eine neue Frage: Wie kann der Massenstreik über die nationalen Grenzen hinaus generalisiert werden – eine Vorbedingung für die Entwicklung einer revolutionären Situation? Doch wie unsere Resolution es damals ausdrückte, stand dies nicht in unmittelbarer Aussicht. Die Frage der Generalisierung konnte in Polen nur gestellt werden, doch es lag am Weltproletariat und insbesondere am Proletariat Westeuropas, darauf zu antworten. Bei dem Versuch, einen klaren Kopf über die Bedeutung der Ereignisse in Polen zu behalten, mussten wir zwei verschiedene Verirrungen bekämpfen: einerseits eine ernsthafte Unterschätzung der Wichtigkeit des Kampfes (z.B. in unserer Sektion in Großbritannien, unter den Kampfgenossen der gewerkschaftlichen Streikkomitees im britischen Stahlarbeiterstreik, welche die Bewegung in Polen als weniger wichtig einschätzten als das, was in Großbritannien geschah), und andererseits ein gefährlicher Immediatismus, der das kurzfristige revolutionäre Potenzial dieser Bewegung überschätzte. Um diese sich diametral gegenüberstehenden Irrtümer zu kritisieren, waren wir dazu gezwungen, die Kritik der Theorie des „schwächsten Gliedes“ weiterzuentwickeln.

Das zentrale Element dieser Kritik besteht in der Erkenntnis, dass der revolutionäre Durchbruch ein konzentriertes und vor allem ein politisch erfahrenes bzw. „kultiviertes“ Proletariat erfordert. Das Proletariat der osteuropäischen Länder besitzt eine ruhmreiche revolutionäre Vergangenheit, doch dies alles ist vom Schrecken des Stalinismus ausradiert worden, was die riesige Lücke zwischen dem Grad der Selbstorganisation und der Ausweitung der Bewegung in Polen einerseits und ihrem politischen Bewusstsein (die Vorherrschaft der Religion, aber vor allem der demokratischen und gewerkschaftlichen Ideologie) andererseits erklärt. Der politische Bewusstseinsgrad des Proletariats in Westeuropa, das jahrzehntelange Erfahrungen mit den demokratischen Ergötzlichkeiten hat, ist beträchtlich höher (eine Tatsache, die unter anderem durch das Phänomen ausgedrückt wird, dass die Mehrheit der revolutionären Organisationen der Welt in Westeuropa konzentriert ist). Es ist also zuallererst Westeuropa, auf das wir Acht geben müssen, wenn wir die Reifung der Bedingungen für die nächste revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse beurteilen wollen.

Einerlei, die tiefe Konterrevolution, die in den 20er Jahren über die Arbeiterklasse hergefallen war, hat ihren Tribut vom gesamten Proletariat erfordert. Man könnte sagen, dass das Proletariat von heute einen Vorteil gegenüber der revolutionären Generation von 1917 hat: Heute gibt es keine große Arbeiterorganisation, die, gerade erst zur herrschenden Klasse übergelaufen, noch fähig wäre, die grenzenlose Loyalität einer Klasse einzufordern, die noch nicht in der Lage war, die historischen Konsequenzen ihres Betruges wahrzunehmen. Dies war der Hauptgrund für die Niederlage der deutschen Revolution durch die Hände der Sozialdemokratie 1918/19. Doch die Sache hat auch eine Kehrseite. Die systematische Zerstörung der revolutionären Traditionen des Proletariats, das vom Proletariat entwickelte Misstrauen gegenüber allen politischen Organisationen, sein wachsender Gedächtnisverlust gegenüber seiner eigenen Geschichte (ein Faktor, der sich seit ungefähr einem Jahrzehnt beschleunigt) bilden eine große Schwäche der Arbeiterklasse auf dem gesamten Globus.

In keinem der nachfolgenden Ereignisse war das westeuropäische Proletariat bereit, die Herausforderung, die vom polnischen Massenstreik aufgestellt worden war, anzunehmen. Die zweite Welle von Kämpfen brach die Bourgeoisie durch die neue Strategie der Platzierung der Linken in der Opposition, und die polnischen Arbeiter fanden sich selbst genau zu jener Zeit in der Isolation wieder, in der sie den Ausbruch des Kampfes an anderer Stelle am dringendsten benötigten. Diese Isolation (bewusst von der Weltbourgeoisie erzwungen) öffnete die Tore für Jaruzelskis Panzer. Die Repression in Polen 1981 markierte das Ende der zweiten Welle von Kämpfen.

Historische Ereignisse von dieser Tragweite haben langfristige Konsequenzen. Der Massenstreik in Polen lieferte den endgültigen Beweis, dass der Klassenkampf die einzige Kraft ist, die die Bourgeoisie dazu nötigen kann, ihre imperialistischen Rivalitäten hintanzustellen. Er zeigte insbesondere, dass der russische Block – historisch durch seine schwache Position dazu verdammt, der „Aggressor“ in jedwedem Krieg zu sein – unfähig war, auf seine wachsende wirtschaftliche Krise mit einer Politik der militärischen Expansion zu antworten. Es war klar, dass die Arbeiter des Ostblocks (und selbst Russlands) als Kanonenfutter in irgendeinem künftigen Krieg für den Ruhm des „Sozialismus“ total ungeeignet waren. So war der Massenstreik in Polen ein wichtiger Faktor bei der kommenden Implosion des imperialistischen russischen Blocks.

Auch wenn sie nicht in der Lage war, die Frage der Generalisierung zu beantworten, blieb die Arbeiterklasse des Westens nicht lange auf dem Rückzug. Mit der ersten Serie von Streiks im öffentlichen Sektor Belgiens 1983 startete sie eine sehr lange „dritte Welle“, die, auch wenn sie nicht von der Ebene des Massenstreiks ausging, eine allgegenwärtige Dynamik in diese Richtung entwickelte.

In unserer oben zitierten Resolution von 1980 verglichen wir die Situation der Klasse von heute mit jener von 1917. Die Bedingungen des Weltkrieges garantierten, dass jeder Klassenwiderstand sofort mit der ganzen Macht des Staates konfrontiert war und somit die Frage der Revolution stellen musste. Gleichzeitig brachten die Kriegsbedingungen zahllose Nachteile mit sich – u.a. die Fähigkeit der Bourgeoisie, einen Keil zwischen die Arbeiter der „Sieger“ und der „besiegten“ Nationen zu treiben und durch die Beendigung des Krieges der Revolution den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine lang hingezogene und weltweite Wirtschaftskrise jedoch tendiert nicht nur dazu, einheitliche Bedingungen für die gesamte Klasse zu schaffen, sondern verschafft dem Proletariat auch mehr Zeit, seine Kräfte, sein Klassenbewusstsein durch eine ganze Reihe von Teilkämpfen gegen die kapitalistischen Angriffe zu entwickeln. Die internationale Welle der 80er Jahre besaß definitiv diese Charakteristik. Auch wenn keiner der Kämpfe eine ähnlich spektakuläre Gestalt annahm wie in Frankreich 1968 oder in Polen 1980, so vereinigten sie in sich wichtige Klärungen über Ziel und Zweck des Kampfes. Zum Beispiel zeigten die weitverbreiteten Solidaritätsappelle über sektorale Grenzen hinaus in Belgien 1983 und 1986 oder in Dänemark 1985 konkret, wie das Problem der Ausdehnung gelöst werden konnte; die Bemühungen, die Kontrolle über den Kampf zu erlangen (Eisenbahnarbeiterversammlungen in Frankreich 1986, Versammlungen von Schulbediensteten in Italien 1987) zeigten, wie man sich außerhalb der Gewerkschaften organisiert. Es gab auch erste, noch zaghafte Versuche, Lehren aus den Niederlagen zu ziehen: In Großbritannien z.B. deuteten Kämpfe gegen Ende des Jahrzehnts darauf  hin, dass die Arbeiter nach der Niederlage der militanten, aber lange hingezogenen und isolierten Kämpfe der Bergarbeiter und Drucker Mitte der 80er Jahre nicht gewillt waren, in dieselben Fußstapfen zu treten (so die britischen Telecom-Arbeiter, die schnell zuschlugen und dann zur Arbeit zurückkehrten, bevor sie ins Leere liefen, oder die gleichzeitigen Streiks in etlichen Branchen im Sommer 1988). Zur gleichen Zeit lieferte das Auftreten von aus dem Arbeiterkampf entstandenen Gruppen in etlichen Ländern die Antwort auf die Frage, wie sich die militantesten Arbeiter gegenüber den Kämpfen in ihrer Gesamtheit verhalten sollen. All diese scheinbar voneinander getrennten Strömungen mündeten in einen gemeinsamen Lauf, welcher eine qualitative Vertiefung des weltweiten Klassenkampfes darstellte.

Nichtsdestotrotz begann ab einem gewissen Punkt der Zeitfaktor immer weniger eine für das Proletariat günstige Rolle zu spielen. Angesichts der Vertiefung der Krise der gesamten Produktionsweise, einer geschichtlichen Gesellschaftsformation, hielt der Arbeiterkampf trotz seines allmählichen Fortschritts nicht mehr Schritt mit den sich allerorten überschlagenden Ereignissen, erreichte er nicht mehr die Qualität, die erforderlich war, um das Proletariat in seiner Rolle als positive revolutionäre Kraft zu bestätigen, auch wenn er immer noch den Weg zum Weltkrieg blockierte. So blieb die Existenz der dritten Welle von Arbeiterkämpfen der weiten Mehrheit der Menschheit und auch des Proletariats mehr oder weniger verborgen – sicherlich auch durch die Unterdrückung dieser Wahrheit durch die Bourgeoisie, aber vor allem durch die langsame, unspektakuläre Natur dieser Kämpfe. Die dritte Welle war selbst proletarischen politischen Organisationen „verborgen“ geblieben, die dazu neigten, nur die oberflächlichen Ausdrücke zu sehen und dies auch nur als getrennte und nicht miteinander verbundene Phänomene.

Diese Situation, in der es trotz der sich immer weiter vertiefenden Krise keiner der Hauptklassen gelang, ihre Lösung durchzusetzen, rief das Phänomen des Zerfalls hervor, das den 80er Jahren auf mannigfaltigen, miteinander verbundenen Ebenen seinen Stempel aufdrückte: auf der sozialen Ebene (wachsende Atomisierung der Individuen, Banditentum, Drogenmissbrauch etc.), auf ideologischer Ebene (Verbreitung irrationaler und fundamentalistischer Heilslehren), auf ökologischer Ebene usw. usf. Entstanden aus der Sackgasse im Klassenkampf, sorgte der Zerfall seinerseits dafür, dass die Fähigkeit des Proletariats geschwächt wurde, eine einheitliche Kraft zu schmieden. Zum Ende dieses Jahrzehnts hin rückte der Zerfall mehr und mehr in den Mittelpunkt und kulminierte in den gigantischen Ereignissen von 1989, die die endgültige Eröffnung einer neuen Phase im langen Abstieg des überflüssig gewordenen Kapitalismus markierte, eine Phase, in der das gesamte gesellschaftliche Gefüge zu krachen, zu wanken und zusammenzufallen beginnt.

1989–99: der Klassenkampf im Angesicht der Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft

Der Zusammenbruch des Ostblocks fand also in einem Augenblick statt, in dem das Proletariat zwar immer noch kämpferisch war und langsam sein Bewusstsein entwickelte, aber noch nicht den Punkt erreicht hatte, an dem es imstande gewesen wäre, eine Antwort auf solch ein enormes historisches Ereignis auf seinem eigenen Klassenterrain parat zu haben. Der Kollaps des „Kommunismus“ stoppte die dritte Welle abrupt und hatte (bis auf eine sehr begrenzte politisierte Minderheit) einen äußerst negativen Einfluss auf das Schlüsselelement des Klassenbewusstseins – die Fähigkeit, eine Perspektive, ein allgemeingültiges Ziel für den Kampf zu entwickeln, was in einer Epoche, in der die defensiven Kämpfe je länger je weniger von den offensiven, revolutionären Kämpfen der Klasse getrennt werden können, notwendiger denn je ist. Der Kollaps des Ostblocks griff die Klasse auf zweierlei Weise an:

–          Er ermöglichte der Bourgeoisie, eine ganze Reihe von Kampagnen rund um das Thema „Das Ende des Kommunismus“, „Das Ende des Klassenkampfes“ zu entwickeln, was tiefe Spuren in der Fähigkeit der Klasse hinterließ, ihrem Kampf die Perspektive des Aufbaus einer neuen Gesellschaft zu verleihen, sich selbst als eine unabhängige, dem Kapital feindlich gesonnene Kraft zu positionieren und ihre eigenen Interessen zu verteidigen.

–   Gleichzeitig löste der Zusammenbruch des Ostblocks all die Kräfte des Zerfalls aus, die bereits im Verborgenen gelauert hatten, was die Klasse der korrupten Atmosphäre des Jeder-für-sich, der schlimmsten Einflüsse des Banditentums, Fundamentalismus etc. aussetzte. Darüber hinaus war die Bourgeoisie imstande, die Manifestationen des Zerfalls gegen die Arbeiterklasse zu nutzen, obwohl dies ihr System noch weiter in Mitleidenschaft zog. Ein klassisches Beispiel war die Dutroux-Affäre in Belgien, wo die schmutzigen Praktiken bürgerlicher Cliquen als Vorwand benutzt wurden, um die Arbeiterklasse in einer breiten demokratischen Kampagne für eine „saubere Regierung“ zu ertränken. Tatsächlich wurde die demokratische Mystifikation immer systematischer genutzt, war sie doch sowohl die logische „Schlussfolgerung“ aus dem „Scheitern des Kommunismus“ als auch das ideale Instrument, um die Klasse noch mehr zu atomisieren und sie mit Händen und Füßen an den kapitalistischen Staat zu fesseln. Auch die vom Zerfall verursachten Kriege – der Golfkrieg 1991, Ex-Jugoslawien etc. – hatten, auch wenn sie einer Minderheit erlaubten, die militaristische Natur des Kapitalismus noch deutlicher zu erkennen, den allgemeinen Effekt, dass das Gefühl der Machtlosigkeit, des Lebens in einer grausamen und irrationalen Welt, in der es keine andere Lösung gibt, als den Kopf in den Sand zu stecken, im Proletariat noch verstärkt wurde.

Die Lage der Arbeitslosen wirft ein deutliches Licht auf die Probleme, denen sich die Klasse hier gegenübersieht. In den späten 70er und den frühen 80er Jahren identifizierte die IKS die arbeitslosen Arbeiter als potenzielle Quelle der Radikalisierung der Klassenbewegung insgesamt, vergleichbar mit der Rolle, die die Soldaten in der ersten weltrevolutionären Welle gespielt hatten. Doch unter dem Gewicht des Zerfalls hat es sich für die Arbeitslosen als immer schwieriger erwiesen, ihre eigenen kollektiven Kampf- und Organisationsformen zu entwickeln, da sie für die zerstörerischsten sozialen Auswirkungen (Atomisierung, Kriminalität, etc.) besonders verwundbar sind. Dies trifft vor allem auf die Generation junger arbeitsloser Proletarier zu, die nie die kollektive Disziplin und Arbeitersolidarität erfahren haben. Gleichzeitig jedoch ist dieses negative Gewicht nicht von der Tendenz des Kapitals erleichtert worden, jene „traditionellen“ Bereiche zu „de-industrialisieren“, in denen die Arbeiter eine alte Erfahrung mit der Klassensolidarität besitzen – Bergbau, Schiffbau, Stahl etc. Statt ihre kollektiven Traditionen unter die Arbeitslosen zu bringen, neigten diese Proletarier dazu, in der anonymen Masse unterzugehen. Die Dezimierung dieser Bereiche hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Kämpfe der Beschäftigten selbst, da sie mit dazu beitrug, wichtige Quellen der Klassenidentität und –erfahrung zuzuschütten.

Die Gefahren der neuen Periode für die Arbeiterklasse und für die Zukunft ihrer Kämpfe darf nicht unterschätzt werden. Während der Klassenkampf in den 70er und 80er Jahren definitiv eine Barriere gegen den Krieg darstellte, wird der Prozess des Zerfalls von den Tageskämpfen weder gestoppt noch verlangsamt. Um einen Weltkrieg auszulösen, müsste die Bourgeoisie eine Reihe wichtiger Siege über die zentralen Bataillone der Arbeiterklasse erringen. Heute sieht sich das Proletariat einer längerfristigen, aber nicht minder gefährlichen Bedrohung des „Todes auf Raten“ gegenüber, wo die Arbeiterklasse in wachsendem Maße durch den ganzen Prozess bis zu dem Punkt niedergerungen werden kann, an dem sie die Fähigkeit verliert, sich selbst als Klasse zu behaupten, während der Kapitalismus von einer Katastrophe in die nächste stürzt (lokale Kriege, Umweltkatastrophen, Hungersnöte, Seuchen, etc.), bis jener Punkt erreicht ist, an dem die Aussicht auf eine kommunistische Gesellschaft auf Generationen hinaus zerstört würde – ganz zu schweigen von der eigentlichen Vernichtung der Menschheit selbst.

Für uns jedoch ist die Fähigkeit des Proletariats, auf die Auflösung des kapitalistischen Systems zu antworten, trotz der vom gesellschaftlichen Zerfall aufgekommenen Probleme, trotz des Rückflusses des Klassenkampfes, den wir in den letzten paar Jahren erlebt hatten, nicht verschwunden, und die Tür zu massiven Klassenkonfrontationen bleibt geöffnet. Um dies zu belegen, ist es notwendig, sich aufs Neue der breiten Dynamik des Klassenkampfes seit dem Beginn der Zerfallsphase zu vergewissern.

Die Entwicklung der Kämpfe seit 1989

Wie die IKS zu jener Zeit vorhergesagt hat, war der Rückgang sowohl auf der Ebene des Bewusstseins als auch auf der des Kampfgeistes sehr markant. Die Arbeiterklasse stand voll und ganz im Bann der Kampagnen über den Tod des „Kommunismus“.

Ab 1992 begannen die Auswirkungen dieser Kampagnen, wenn nicht zu verschleißen, so doch zumindest sich abzuschwächen, und die ersten Anzeichen einer Rückkehr der Klassenmilitanz machten sich bemerkbar, insbesondere mit der Mobilisierung der italienischen Arbeiter gegen das Austeritätsprogramm der Regierung D'Amato im September 1992. Dem folgten die Bergarbeiterdemonstrationen gegen Zechenschließungen in Großbritannien im Oktober desselben Jahres. Das Ende des Jahres 1993 sah weitere Bewegungen in Italien, Belgien, Spanien und besonders in Deutschland, wo in einer Reihe von Branchen, besonders aber im Maschinenbau und in der Automobilindustrie, Streiks und Demonstrationen stattfanden. Die IKS erklärte im Editorial der International Review Nr.76 („The difficult resurgence of the class struggle“), dass „die Ruhe, die fast vier Jahre lang geherrscht hat, endgültig durchbrochen worden ist“.  Zwar begrüßte die IKS die Wiederbelebung des Kampfgeistes in der Klasse, doch betonte sie auch die Schwierigkeiten, die ihr gegenüberstanden: die wiedergenesene Stärke der Gewerkschaften, die Manövrierfähigkeit der Bourgeoisie gegenüber der Arbeiterklasse, die es ihr vor allem erlaubte, Zeitpunkt und Umfang einer jeder größeren Bewegung, die auszubrechen droht, zu bestimmen, und die ähnlich geartete Fähigkeit der herrschenden Klasse, vollen Gebrauch von den Phänomenen des Zerfalls zu machen, um die Atomisierung der Arbeiterklasse weiter voranzutreiben (die Aufdeckung von Skandalen wie z.B. die „Saubere-Hände“-Kampagne in Italien wurde in den letzten Jahren besonders stark ins Rampenlicht gerückt).

Im Dezember 1995 sahen sich die IKS im besonderen und das revolutionäre Milieu im allgemeinen einer harten Prüfung ausgesetzt. Im Zusammenhang mit den Kontroversen über die Eisenbahn und einer höchst provokanten Attacke auf den Mindestlohn aller Arbeiter schien es, als ob Frankreich sich an der Spitze der wichtigsten Klassenbewegungen befand, nachdem Streiks und Massenversammlungen viele Branchen ergriffen und Arbeiter skandiert hatten, dass der einzige Weg, Forderungen durchzusetzen, im gemeinsamen Kampf aller bestünde. Eine Reihe von revolutionären Gruppen, die dem Klassenkampf im allgemeinen skeptisch gegenüberstanden, brach angesichts dieser Bewegung in große Begeisterung aus. Die IKS jedoch warnte die Arbeiter, dass diese „Bewegung“ vor allem das Produkt eines gigantischen Manövers der herrschenden Klasse war, die sich der sich zuspitzenden Unzufriedenheit innerhalb der Klasse bewusst war und danach trachtete, mit einem Präventivschlag zu verhindern, dass die gärende Wut in wirkliche Militanz, in einen tatsächlichen Willen zur Aktion umschlägt. Indem die Bourgeoisie besonders die Gewerkschaften als Helden des Arbeiterkampfes, als Spezialisten der proletarischen Kampfmethoden (Versammlungen, das Entsenden von Massendelegationen in andere Sektoren etc.) darstellte, versuchte die Bourgeoisie in Vorbereitung auf weitaus wichtigere Konfrontationen in der Zukunft, die Glaubwürdigkeit ihres Gewerkschaftsapparates aufzupolieren. Obgleich die IKS wegen ihrer „konspirativen“ Ansicht über den Kampf heftig kritisiert worden war, wurde diese Analyse in der folgenden Periode bestätigt. Die deutsche und belgische Bourgeoisie kopierten die französischen Streiks bis aufs i-Tüpfelchen, und auch in Großbritannien (die Liverpooler Hafenarbeiter-Kampagne) sowie den USA (der Streik bei UPS) wurden weitere Versuche unternommen, um das Image der Gewerkschaften zu stärken.

Die wichtigste Bestätigung unserer Analyse wurde vom riesigen Streik in Dänemark im Sommer 1998 geliefert. Auf den ersten Blick wies diese Bewegung viele Ähnlichkeiten mit den Dezember-Ereignissen 1995 in Frankreich auf, doch wie wir im Editorial der International Review Nr.94 sagten, entsprach dies nicht der Realität: „Trotz des Scheiterns des Streiks und der Manöver der Bourgeoisie hat diese Bewegung eine andere Bedeutung als jene vom Dezember 1995 in Frankreich. Während besonders in Frankreich die Rückkehr zur Arbeit mit einer gewissen Euphorie einherging, die keinen Platz für die Infragestellung der Gewerkschaften ließ, brachte das Ende des dänischen Streiks ein Gefühl der Niederlage und weniger gewerkschaftliche Illusionen mit sich. Diesmal war das Ziel der Bourgeoisie nicht, eine riesige Operation durchzuführen, um die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften international wiederherzustellen wie 1995, sondern ‚Dampf abzulassen', um der Unzufriedenheit und der wachsenden Kampfbereitschaft zuvorzukommen, die sich Stück für Stück in Dänemark wie auch in anderen europäischen Ländern und anderswo angehäuft hatte.“

Das Editorial hebt auch andere wichtige Aspekte des Streiks hervor: sein bedeutender  Umfang (ein Viertel der Arbeitskräfte zwei Wochen lang im Streik), was ein wahres Zeugnis vom wachsenden Ausmaß der Wut und der Kampfbereitschaft ablegt, die sich in der Klasse angesammelt haben, und der intensive Gebrauch der Basisgewerkschaften, um diese Militanz und Unzufriedenheit der Arbeiter mit dem offiziellen Gewerkschaftsapparat wegzuwischen.

Vor allem hatte sich der internationale Kontext geändert: eine wachsende Kampfbereitschaft, die in zahlreichen Ländern zum Ausdruck kam und sich seitdem fortgesetzt hat:

–          im Sommer 1998 in den USA mit dem Streik von nahezu 10.000 Arbeitern bei General Motors, von 70.000 Arbeitern bei Bell Atlantic, der Krankenhausangestellten in New York und mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und 40.000 Maschinenbauern in New York;

–          in Großbritannien mit den inoffiziellen Streiks von Sozialarbeitern in Schottland, von Postangestellten in London und mit den beiden Streiks der Elektriker in London, welche einen entschlossenen Willen offenbarten, gegen die Opposition der Gewerkschaftsführung zu kämpfen;

–          im Sommer in Griechenland, wo Kämpfe rund um den Erziehungssektor in Auseinandersetzungen mit der Polizei mündeten;

–          in Norwegen, wo im Herbst ein Streik stattfand, der in seinem Umfang mit jenem in Dänemark vergleichbar war;

–          in Frankreich, wo es eine ganze Reihe von Kämpfen in verschiedenen Bereichen gab, einschließlich Erziehung, Gesundheit, Post und Transport, wobei am bemerkenswertesten der Streik von Busfahrern im herbstlichen Paris war, als die Arbeiter gegen eine der Konsequenzen des Zerfalls – die steigende Zahl von Angriffen auf Transportarbeiter – auf eigenem Terrain reagierten, indem sie mehr Jobs statt mehr Polizei forderten;

–          in Belgien, wo die langsame, aber unaufhaltsame Steigerung der Kampfbereitschaft, ausgedrückt durch Streiks in der Automobilindustrie, im Transportwesen und in der Kommunikationsindustrie, von einer riesigen Kampagne der Bourgeoisie rund um das Thema „kämpferische Gewerkschaften“ eingehüllt wurde. Diese Kampagne hat mit der Förderung einer „Bewegung für die gewerkschaftliche Erneuerung“, die eine sehr radikale, „einheitliche“ Sprache benutzte und deren Führer, D'Orazio, den Nimbus der Radikalität erhalten hat, weil er wegen „Gewalttätigkeit“ vor Gericht gestellt worden war, eine ausgesprochen deutliche Gestalt angenommen;

–          in der Dritten Welt mit Streiks in Südkorea, mit dem Rumoren massiver gesellschaftlicher Unzufriedenheit in China und erst kürzlich in Simbabwe, wo ein Generalstreik ausgerufen wurde, um die Wut der Arbeiter nicht nur über die Regierung, sondern auch über die Opfer, die der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo erfordert hatte, zu kanalisieren; dieser Streik fiel mit Desertionen und Protesten in den Truppen zusammen.

Es könnten noch weitere Beispiele gegeben werden, obgleich es schwierig ist, Informationen zu erhalten, da – im Gegensatz zu den großen, in der Öffentlichkeit breit getretenen Manövern von 1995/96 – die Bourgeoisie auf die meisten dieser Bewegungen mit der Taktik des Verschweigens geantwortet hat, was ein zusätzlicher Beweis dafür ist, dass diese Bewegungen eine reelle und wachsende Kampfbereitschaft ausdrückten, die die Bourgeoisie natürlich nicht ermutigen wollte.

Die Antwort der Bourgeoisie und die Perspektiven für den Klassenkampf

Angesichts der wachsenden Kampfbereitschaft wird die Bourgeoisie nicht untätig bleiben. Sie hat bereits eine ganze Reihe von Kampagnen lanciert oder intensiviert, sowohl auf dem direkten Kampfterrain als auch im allgemeineren politischen Spektrum, um die Militanz der Klasse zu untergraben und die Entwicklung ihres Bewusstseins zu behindern: eine Wiederbelebung der „kämpferischen“ Gewerkschaften (z.B. in Belgien, in Griechenland, im britischen Elektrikerstreik); das propagandistische Sperrfeuer der „Demokratie“ (Sieg der linken Regierungen, Pinochet-Affäre, etc.); Mystifikationen der Krise („Globalisierungskritik“, der Ruf nach einem „dritten Weg“, welcher den Staat benutzen möchte, um die zügellose „Marktwirtschaft“ zu kontrollieren); Fortsetzung der Verleumdungen gegen den Oktober 1917, gegen den Bolschewismus und die Linkskommunisten und so weiter.

Zusätzlich zu diesen Kampagnen wird das Kapital einen maximalen Nutzen aus all den Manifestationen des gesellschaftlichen Zerfalls ziehen, um all die Probleme, denen die Arbeiterklasse gegenübersteht, weiter zu erschweren. Es ist noch ein weiter Weg zurückzulegen von der Art von Bewegung, wie wir sie in Dänemark gesehen haben, bis zur Entwicklung massiver Klassenkonfrontationen in den Hauptländern des Kapitals, Konfrontationen, die die Perspektive der Revolution aller Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt wieder eröffnen werden.

Nichtsdestotrotz hat die Entwicklung der Kämpfe in der gegenwärtigen Periode gezeigt, dass trotz aller Schwierigkeiten, denen sie sich gegenübersah, die Arbeiterklasse immer noch ungeschlagen ist und ein riesiges Kampfpotenzial gegen das hinfällige System bewahrt hat. In der Tat gibt es etliche wichtige Faktoren, die dazu dienen können, die aktuelle Klassenbewegung zu radikalisieren und sie auf eine höhere Ebene zu heben:

–          die immer offenere Entwicklung der Weltwirtschaftskrise. Trotz aller bürgerlicher Versuche, ihr Ausmaß zu minimalisieren und ihre Ursachen zu verzerren, bleibt die Krise insofern der „Verbündete des Proletariats“, als dass sie dahin tendiert, die wahren Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise bloßzulegen. Während des letzten Jahres haben wir bereits eine große Vertiefung der Wirtschaftskrise gesehen, und wir wissen, dass das Schlimmste noch vor uns liegt. Vor allem die großen kapitalistischen Zentren beginnen jetzt, die Auswirkungen des letzten Sturzes am eigenen Leib zu verspüren.

–          Die Beschleunigung der Krise bedeutet auch die Beschleunigung der bürgerlichen Angriffe auf die Arbeiterklasse. Und sie bedeutet ebenfalls, dass die Bourgeoisie sich immer weniger in der Position befindet, wo sie diese Angriffe staffeln, strecken, auf einzelne Bereiche richten kann. Die gesamte Arbeiterklasse wird immer mehr unter die Knute geraten, und alle Aspekte ihres Lebensstandards werden bedroht werden. So wird die Notwendigkeit massiver Angriffe durch die Bourgeoisie in wachsendem Maße die Notwendigkeit einer massiven Antwort durch die Arbeiterklasse unumgänglich machen.

–            Gleichzeitig werden die wichtigsten kapitalistischen Zentren auch dazu gezwungen sein, sich immer mehr in militärischen Abenteuern zu engagieren. Die Gesellschaft wird in wachsendem Maße von einer Atmosphäre des Krieges durchdrungen werden. Wir haben bemerkt, dass unter gewissen Umständen (wie unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Ostblocks) die Entwicklung des Militarismus das Gefühl der Machtlosigkeit im Proletariat steigern kann. Gleichzeitig bemerkten wir selbst während des Golfkrieges, dass solche Ereignisse durchaus auch einen positiven Effekt auf das Klassenbewusstsein ausüben können, besonders in einer politisierteren und militanteren Minderheit. Und es trifft weiterhin zu, dass die Bourgeoisie nicht in der Lage ist, das Proletariat en masse für seine militärischen Abenteuer zu mobilisieren. Einer der Faktoren, die die breite „Opposition“ in der herrschenden Klasse gegen die jüngsten Überfälle auf den Irak erklären, bestand in dem Problem, der Bevölkerung im allgemeinen und der Arbeiterklasse im besonderen diese Kriegspolitik zu verkaufen. Diese Schwierigkeiten der herrschenden Klasse werden noch weiter wachsen, so wie sie gezwungen sein wird, immer offener ihre (militärischen) Zähne zu zeigen.

Das Kommunistische Manifest beschreibt den Klassenkampf als einen „mehr oder minder versteckten Bürgerkrieg“.  Bei allen Versuchen, die Illusion einer gesellschaftlichen Ordnung zu schaffen, in der Klassenkonflikte der Vergangenheit angehören, ist die Bourgeoisie nichtsdestotrotz dazu gezwungen, die eigentlichen Bedingungen, die die Gesellschaft in zwei Lager polarisieren und durch unversöhnliche Antagonismen spalten, noch weiter zu verschärfen. Je mehr die bürgerliche Gesellschaft in Agonie versinkt, desto mehr werden die Schleier, die diesen „Bürgerkrieg“ verhüllen, weggerissen. Angesichts immer weiter wachsender ökonomischer, sozialer und militärischer Widersprüche ist die Bourgeoisie dazu gezwungen, ihren totalitären politischen Griff auf die Gesellschaft zu verstärken, jede Herausforderung ihrer Ordnung für außergesetzlich zu erklären, immer mehr Opfer für immer weniger Belohnung zu fordern. Mit der Geburt des Kapitalismus, als das Manifest verfasst worden war, neigte der Arbeiterkampf mehr als einmal zu einem Kampf einer „außergesetzlichen Klasse“, einer Klasse, die nichts in dem herrschenden System zu verlieren hatte und deren Rebellionen und Proteste samt und sonders per Gesetz verboten waren. Hier liegt die Bedeutung dreier fundamentaler Aspekte im heutigen Klassenkampf:

–          der Kampf zur Schaffung eines Kräfteverhältnisses zugunsten der Arbeiter: dies ist der Schlüssel, der die Arbeiterklasse in die Lage versetzt, sich gegen alle korporatistischen Spaltungen, die von der bürgerlichen Ideologie im allgemeinen und von den Gewerkschaften im besonderen erzwungen wurden, und gegen die Atomisierung, die sich durch den kapitalistischen Zerfall verschlimmert,  wieder ihrer Klassenidentität zu besinnen. Es ist insbesondere ein praktischer Schlüssel, weil er sich in jedem Kampf als zwingende Notwendigkeit aufdrängt: Die Arbeiter können sich nur selbst verteidigen, wenn sie die Front ihres Kampfes so weit wie möglich verbreitern.

–          der Kampf, um aus dem gewerkschaftlichen Gefängnis auszubrechen: es sind die Gewerkschaften, die überall die kapitalistische „Legalität“ und die korporatistischen Spaltungen im Kampf verstärken, die danach trachten, die Arbeiter an der Schaffung eines Kräfteverhältnisses zu ihren Gunsten zu hindern. Die Fähigkeit der Arbeiter, den Gewerkschaften entgegenzutreten und ihre eigenen Organisationsformen zu entwickeln, werden somit ein Meilenstein bei der wirklichen Reifung des Kampfes in der vor uns liegenden Periode sein, gleichgültig, wie ungleichmäßig und schwierig dieser Prozess sein mag.

–          die Konfrontation mit den Gewerkschaften bedeutet gleichzeitig die Konfrontation mit dem kapitalistischen Staat, und die Konfrontation mit dem kapitalistischen Staat ist

–          unter der Teilnahme der fortgeschritteneren Minderheit – der Katalysator bei der Politisierung des Klassenkampfes. In vielerlei Hinsicht ist es die Bourgeoisie, welche die Initiative ergreift, um aus „jedem Klassenkampf einen politischen Kampf“ (Kommunistisches Manifest) zu machen, weil sie letztendlich den Klassenkampf nicht in ihr System integrieren kann. Die herrschende Klasse hat die „konfrontative“ Herangehensweise gewählt und wird auch in Zukunft nicht davon abweichen. Doch die Arbeiterklasse darf nicht nur auf dem Gebiet der unmittelbaren Selbstverteidigung reagieren, sondern muss vor allem mit der Entwicklung einer allgemeingültigen Perspektive ihres Kampfes antworten, indem sie jeden Teilkampf in den breiteren Zusammenhang des Kampfes gegen das gesamte System stellt. Für lange Zeit wird dieses Bewusstsein notwendigerweise auf eine Minderheit beschränkt bleiben. Aber diese Minderheit wird wachsen, und dieses Wachstum wird durch den steigenden Einfluss der revolutionären politischen Organisationen auf eine breitere Schicht von radikalisierten Arbeitern seinen Ausdruck finden. Fortan wird es für diese Organisationen überlebenswichtig, sehr aufmerksam der wirklichen Klassenbewegung zu folgen und in der Lage zu sein, so effektiv, wie es ihre Mittel erlauben, in ihr zu intervenieren.

Die Bourgeoisie mag uns die Lüge verkaufen, dass der Klassenkampf tot ist. Dabei ist sie schon längst dabei, den „unverhüllten Bürgerkrieg“ vorzubereiten, auf den die Zukunft dieser Ordnung unvermeidlich hinausläuft, sobald sie mit dem Rücken zur Wand steht. Die Arbeiterklasse und ihre revolutionären Minderheiten müssen ebenfalls vorbereitet sein.

28.12.1998

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [2]

Deutsche Revolution, Teil IX

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Die März-Aktion 1921: Die Gefahr kleinbürgerlicher Ungeduld

Im vorigen Artikel zum Kapp-Putsch 1920 haben wir herausgestellt, dass die Arbeiterklasse nach den Niederlagen von 1919 wieder auf dem Vormarsch war. Aber weltweit war die revolutionäre Welle, auch wenn die Kampfkraft der Arbeiterklasse noch nicht erloschen war, doch absteigend.

Die Beendigung des Krieges hatte in vielen Ländern den revolutionären Elan gebrochen und es vor allem der Bourgeoisie ermöglicht, die Spaltung der Arbeiterklasse in Arbeiter der „Siegermächte“ und der besiegten Staaten auszunutzen. Zudem schaffte es das Kapital, die revolutionäre Bewegung in Russland immer weiter zu isolieren. Die Siege der Roten Armee über die Weißen Truppen, die von den westlichen bürgerlichen Demokratien mächtig unterstützt wurden, hinderte die herrschende Klasse nicht daran, ihre Konteroffensive international fortzusetzen.

In Russland selber forderten die Isolierung der Revolution und die wachsende Integration der Bolschewistischen Partei in den russischen Staat ihren Preis. Im März 1921 erhoben sich in Kronstadt revoltierende Arbeiter und Matrosen.

Auf diesem Hintergrund sollte in Deutschland die Arbeiterklasse noch immer eine stärkere Kampfbereitschaft zeigen als in den anderen Staaten. Überall standen die Revolutionäre vor der Frage: nachdem der Höhepunkt der internationalen Welle revolutionärer Kämpfe überschritten war und die Bourgeoisie weiter in der Offensive blieb, wie auf diese Situation reagieren?

Innerhalb der Komintern setzte sich eine politische Kehrtwende durch. Die auf dem 2. Kongress im Sommer 1920 verabschiedeten 21 Aufnahmebedingungen verdeutlichten dies klar. Hierin wurde die Arbeit in den Gewerkschaften wie die Beteiligung an den Parlamentswahlen bindend vorgeschrieben. Damit hatte die Komintern einen Rückschritt zu den alten Methoden aus der Zeit des aufsteigenden Kapitalismus gemacht, in der Hoffnung, dass man damit größere Kreise von Arbeitern erreichen würde.

Diese opportunistische Kehrtwende äußerte sich in Deutschland darin, dass die Kommunistische Partei im Januar 1921 einen „Offenen Brief“ an die Gewerkschaften und SPD wie auch an die Freie Arbeiterunion (Syndikalisten), USPD und KAPD richtete, in dem „sämtlichen sozialistischen Parteien und

Gewerkschaftsorganisationen vorgeschlagen (wurde), gemeinsame Aktionen zur Durchsetzung der dringendsten wirtschaftlichen und politischen Forderungen der Arbeiter zu führen“. Durch diesen Aufruf insbesondere an die Gewerkschaften und SPD sollte die „Einheitsfront der Arbeiter in den Betrieben“ hergestellt werden. Die VKPD betonte, „sie wollte zurückstellen die Erinnerung an die Blutschuld der mehrheitssozialdemokratischen Führer. Sie wollte für den Augenblick zurückstellen die Erinnerungen an die Dienste, die die Gewerkschaftsbürokratie den Kapitalisten im Krieg und in der Revolution geleistet hat.“ (aus „Offener Brief“, Rote Fahne, 8.1.1921). Während man mit opportunistischen Schmeicheleien Teile der Sozialdemokratie auf die Seite der Kommunisten ziehen wollte, wurde gleichzeitig in den Reihen der Partei zum ersten Mal die Notwendigkeit einer proletarischen Offensive theoretisiert. Und „sollten die Parteien und Gewerkschaften, an die wir uns wenden, nicht gewillt sein, den Kampf aufzunehmen, so würde die VKPD sich verpflichtet erachten, diesen Kampf allein zu führen, und sie ist überzeugt, dass ihr die Arbeitermassen folgen werden“. (ebenda).

Gleichzeitig hatte der im Dezember 1920 vollzogene Zusammenschluss zwischen KPD und USPD, der zur Gründung der VKPD führte, in der Partei die Auffassungen einer Massenpartei erstarken lassen. Dies wurde dadurch verstärkt, dass die Partei jetzt über 500000 Mitglieder verfügte. So ließ sich die VKPD selbst blenden durch den Stimmenanteil bei den Wahlen zum Preußischen Landtag, wo sie im Februar nahezu 30% aller Stimmen erzielte.[i] [3]

Die Idee machte sich breit, man könne die Lage in Deutschland „aufheizen“. Vielen schwebte die Idee eines Rechtsputsches vor, der wie ein Jahr zuvor im Kapp-Putsch eine mächtige Reaktion der gesamten Arbeiterklasse mit Aussichten auf die Machtergreifung auslösen würde. Diese irrigen Auffassungen sind im wesentlichen auf den verstärkten Einfluss des Kleinbürgertums in der Partei seit dem Zusammenschluss zwischen KPD und USPD zurückzuführen. Die USPD war wie jede zentristische Richtung in der Arbeiterbewegung stark von den Auffassungen und Verhaltensweisen des Kleinbürgertums beeinflusst. Das zahlenmäßige Wachstum der Partei neigte zugleich dazu, das Gewicht des Opportunismus, Immediatismus und der kleinbürgerlichen Ungeduld zu vergrößern.

Auf diesem Hintergrund – Rückgang der revolutionären Welle international, tiefgreifende Verwirrung innerhalb der revolutionären Bewegung in Deutschland – leitete die Bourgeoisie im März 1921 eine neue Offensive gegen das Proletariat ein. Hauptzielscheibe ihres Angriffs sollten die Arbeiter in Mitteldeutschland sein. Im Krieg war dort im Industriegebiet um Leuna, Bitterfeld und das Mansfelder Becken eine große Konzentration von Proletariern entstanden, die überwiegend relativ jung und kämpferisch waren, aber über keine große Organisationserfahrung verfügten. So zählte die VKPD dort allein über 66000 Mitglieder, die KAPD brachte es auf 3200 Mitglieder. In den Leuna-Werken gehörten von 20000 Beschäftigten ca. 2000 den Arbeiterunionen an.

Da nach den Auseinandersetzungen von 1919 und nach dem Kapp-Putsch viele Arbeiter bewaffnet geblieben waren, wollte die Bourgeoisie den Arbeitern weiter an den Kragen.

Die Bourgeoisie versucht die Arbeiter zu provozieren

Am 19. März 1921 zogen starke Polizeitruppen in Mansfeld ein, um die Arbeiter zu entwaffnen.

Der Befehl ging nicht vom „rechten“ Flügel der Herrschenden (innerhalb der Militärs oder der rechten Parteien) aus, sondern von der demokratisch gewählten Regierung. Es war die bürgerliche Demokratie, die die Henkersrolle der Arbeiterklasse spielte und darauf abzielte, diese mit allen Mitteln zu Boden zu werfen.

Es ging der Bourgeoisie darum, durch die Entwaffnung und Niederlage eines sehr kämpferischen, relativ jungen Teils des deutschen Proletariats die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen und zu demoralisieren. Vor allem aber verfolgte die Bourgeoisie das Ziel, der Vorhut der Arbeiterklasse, den revolutionären Organisationen einen fürchterlichen Schlag zu versetzen. Das Aufzwingen eines vorzeitigen Entscheidungskampfes in Mitteldeutschland sollte dem Staat vor allem die Gelegenheit geben, die Kommunisten gegenüber der gesamten Klasse zu isolieren, um diese Parteien dann in Verruf zu bringen und der Repression auszusetzen. Es ging darum, der frisch gegründeten VKPD die Möglichkeit zu rauben, sich zu konsolidieren, sowie die sich anbahnende Annäherung zwischen KAPD und VKPD zunichte zu machen. Schließlich wollte das deutsche Kapital stellvertretend für die Weltbourgeoisie die Russische Revolution und die Kommunistische Internationale weltweit weiter isolieren.

Die Komintern hatte gleichzeitig jedoch verzweifelt nach Möglichkeiten einer Hilfe von Außen für die Revolution in Russland gesucht. Man hatte gewissermaßen auf die Offensive der Bourgeoisie gewartet, damit die Arbeiter weiter in Zugzwang gerieten und endlich losschlagen würden. Anschläge wie der gegen die Siegessäule in Berlin am 13. März, der von der KAPD initiiert wurde, hatten dazu dienen sollen, die Kampfbereitschaft weiter anzustacheln.

Levi berichtete von einer Sitzung der Zentrale, wo der Moskauer Gesandte Rakosi meinte: „Russland befinde sich in einer außerordentlich schwierigen Situation. Es sei unbedingt erforderlich, dass Russland durch Bewegungen im Westen entlastet würde, und aus diesem Grunde müsse die deutsche Partei sofort in Aktion treten. Die VKPD zähle jetzt 500000 Mitglieder, mit diesen könne man 1500000 Proletarier auf die Beine bringen, was genügt, um die Regierung zu stürzen. Er sei also für sofortigen Beginn des Kampfes mit der Parole: Sturz der Regierung“. (P. Levi, „Brief an Lenin“, 27.03.1921)

„Am 17. März fand die Zentralausschusssitzung der KPD statt, in der die Anregungen oder Weisungen des aus Moskau gesandten Genossen zur Richtlinie gemacht wurden.

Am 18. März stellte sich die Rote Fahne auf diesen neuen Beschluss um und forderte zum bewaffneten Kampf auf, ohne zunächst zu sagen, für welche Ziele, und hielt diesen Ton einige Tage fest.“ (Levi, ebenda)

Die erwartete Offensive der Regierung im März 1921 war mit dem Vorrücken der Polizeitruppen nach Mitteldeutschland eingetreten.

Die Revolution forcieren?

Die vom sozialdemokratischen Polizeiminister Hörsing am 19. März nach Mitteldeutschland beorderten Polizeikräfte sollten Hausdurchsuchungen vornehmen und die Arbeiter um jeden Preis entwaffnen. Die Erfahrung aus dem Kapp-Putsch vor Augen, hatte die Regierung davor zurückgeschreckt, Soldaten der Reichswehr einzusetzen.

In derselben Nacht wurde vor Ort der Entschluss zum Generalstreik ab dem 21. März gefasst. Am 23. März kam es zu ersten Kämpfen zwischen Truppen der Sicherheits-Polizei und Arbeitern. Am gleichen Tag erklärten die Arbeiter der Leuna-Werke bei Merseburg den Generalstreik. Am 24. März riefen die VKPD und KAPD gemeinsam zum Generalstreik in ganz Deutschland auf. Nach diesem Aufruf kam es sporadisch in mehren Städten des Reichs zu Demonstrationen und Schießereien zwischen Streikenden und Polizei. Etwa 300000 Arbeiter beteiligten sich landesweit an den Streiks.

Der Hauptkampfplatz blieb jedoch das mitteldeutsche Industriegebiet, wo sich ca. 40000 Arbeiter und 17000 Mann Polizei- und Reichswehrtruppen gegenüberstanden. In den Leuna-Werken waren insgesamt 17 bewaffnete proletarische Hundertschaften aufgestellt worden. Die Polizeitruppen setzten alles daran, die Leuna-Werke zu stürmen. Erst nach mehreren Tagen gelang es ihnen, die Fabrik zu erobern. Dazu schickte die Regierung kurzerhand Flugzeuge und bombardierte die Leuna-Werke. Gegen die Arbeiterklasse waren ihr alle Mittel recht.

Auf Initiative der KAPD und VKPD wurden Dynamit-Attentate in Dresden, Freiberg, Leipzig, Plauen und anderswo verübt. Die besonders hetzerisch gegen die Arbeiter vorgehende Hallische – und Saale-Zeitung sollten am 26. März mit Sprengstoff zum Schweigen gebracht werden.

Während die Repression in Mitteldeutschland spontan die Arbeiter zu bewaffnetem Widerstand trieb, gelang es diesen jedoch wiederum nicht, den Häschern der Regierung einen koordinierten Widerstand entgegenzusetzen. Die von der VKPD aufgestellten Kampforganisationen, die von Hugo Eberlein geleitet wurden, waren militärisch und organisatorisch völlig unzureichend vorbereitet. Max Hoelz, der eine ca. 2500 starke Arbeiter-Kampftruppe aufgestellt und es geschafft hatte, bis einige Kilometer vor die von Regierungstruppen belagerten Leuna-Werke zu gelangen, versuchte vor Ort eine Zentralisierung aufzubauen. Aber seine Truppen wurden ebenso am 1. April aufgerieben, nachdem die Leuna-Werke zwei Tage zuvor schon erstürmt worden waren.

Obwohl in anderen Städten die Kampfbereitschaft nicht im Ansteigen begriffen war, hatten VKPD und KAPD zu einem sofortigen militärischen Zurückschlagen gegen die eingerückten Polizeikräfte aufgerufen.

„Die Arbeiterschaft wird aufgefordert, den aktiven Kampf aufzunehmen mit folgenden Zielen:

1. Sturz der Regierung...

2. Entwaffnung der Konterrevolution und Bewaffnung der Arbeiter“

(Aufruf vom 17. März).

In einem weiteren Aufruf der Zentrale der VKPD schrieb sie am 24. März:

„Denkt daran, dass ihr im Vorjahr in fünf Tagen mit Generalstreik und bewaffnetem Aufstand die Weißgardisten und Baltikumstrolche besiegt habt. Kämpft mit uns wie im Vorjahr Schulter an Schulter die Gegenrevolution nieder!

Tretet überall in den Generalstreik! Brecht mit Gewalt die Gewalt der Konterrevolution, Entwaffnung der Konterrevolution, Bewaffnung, Bildung von Ortswehren aus den Kreisen der organisierten Arbeiter, Angestellten und Beamten!

Bildet sofort proletarische Ortswehren! Sichert Euch die Macht in den Betrieben! Organisiert die Produktion durch Betriebsräte und Gewerkschaften! Schafft Arbeit für die Arbeitslosen!“

Vor Ort jedoch waren die Kampforganisationen der VKPD und die spontan bewaffneten Arbeiter nicht nur schlecht organisatorisch und militärisch gerüstet; die örtlichen Parteileitungen selber hatten keinen Kontakt zu ihren Parteizentralen. Verschiedene Truppenverbände (die von Max Hoelz und Karl Plättner waren die bekanntesten) kämpften an mehreren Orten im Aufstandsgebiet unabhängig voneinander. Nirgendwo gab es Arbeiterräte, die ihre Aktionen hätten koordinieren können. Dagegen standen die Repressionstruppen der Bürgerlichen natürlich im engsten Kontakt mit ihrem Generalstab und koordinierten ihre Taktik!

Nachdem die Leuna-Werke gefallen waren, zog die VKPD am 31. März 1921 den Aufruf zum Generalstreik zurück. Am 1. April lösten sich die letzten bewaffneten Arbeitertruppen in Mitteldeutschland auf.

Wieder herrschten Ruhe und Ordnung! Wieder schlug die Repression zu. Wieder wurden viele Arbeiter ermordet und misshandelt. Hunderte waren erschossen worden, über 6000 wurden verhaftet.

Die Hoffnung großer Teile der VKPD und KAPD, ein provokatives Vorgehen des staatlichen Repressionsapparates würde eine Spirale des Widerstandes in den Reihen der Arbeiter auslösen, war enttäuscht worden. Die Arbeiter in Mitteldeutschland waren relativ isoliert geblieben.

In dieser Situation hatten die VKPD und die KAPD derart auf ein Losschlagen gebrannt, ohne die Gesamtlage im Auge zu behalten, dass sie sich durch die Devise „Wer nicht für uns ist, der ist wider uns“ (Editorial der Roten Fahne, 20. März), von den unentschlossenen und nicht-kampfbereiten Arbeitern völlig isolierten und einen Graben der Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse aushoben.

Anstatt zu erkennen, dass die Lage nicht günstig war, schrieb die Rote Fahne am 30. März: „Nicht nur auf das Haupt eurer Führer, auf das Haupt jedes einzelnen von euch kommt die Blutschuld, wenn ihr stillschweigend oder auch nur unter lahmen Protesten duldet, dass die Ebert, Severing, Hörsing den weißen Schrecken und die weiße Justiz gegen die Arbeiter loslassen (...)

Schmach und Schande über den Arbeiter, der jetzt noch beiseite steht, Schmach und Schaden über den Arbeiter, der jetzt noch nicht weiß, wo sein Platz ist.“

Um die Kampfbereitschaft weiter anzustacheln, hatte man die Arbeitslosen als Speerspitze einsetzen wollen.

„Die Arbeitslosen wurden als Sturmkolonnen vorangeschickt. Sie besetzten die Tore der Fabriken. Sie drangen in die Betriebe ein, löschten hier und da die Feuer und versuchten, die Arbeiter aus den Betrieben herauszuprügeln... Es war ein entsetzlicher Anblick, wie die Arbeitslosen, laut weinend über die Prügel, die sie empfangen, aus den Betrieben hinausgeworfen wurden, und wie sie denen fluchten, die sie dahin gesandt.“

Dass die VKPD-Zentrale vor dem Beginn der Kämpfe das Kräfteverhältnis falsch eingeschätzt hatte und nach Auslösung der Kämpfe ihre Einschätzung nicht revidierte, war schon tragisch genug. Es kam noch schlimmer, denn statt dessen verbreitete sie die Parole: „Leben oder Tod“. Nach dem falschen Motto: „Kommunisten weichen nie zurück“!

„Unter keinen Umständen darf ein Kommunist, auch wenn er in Minderheit ist, zur Arbeit schreiten. Die Kommunisten gingen hinaus aus den Betrieben. In Trupps von 200, 300 Mann, oft mehr, oft weniger, gingen sie aus den Betrieben: der Betrieb ging weiter. Sie sind heute arbeitslos, die Unternehmer haben die Gelegenheit benutzt, die Betriebe ‘kommunistenrein’ zu machen in einem Falle, in dem sie selbst ein groß Teil der Arbeiter auf ihrer Seite hatten.“ (Die Rote Fahne)

Welche Bilanz aus den März-Kämpfen?

Während dieser Kampf der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie aufgezwungen wurde und sie ihm nicht ausweichen konnte, hatte die VKPD den Fehler begangen, dass sie „den defensiven Charakter des Kampfes nicht klar genug hervorhob, sondern durch den Ruf von der Offensive den gewissenlosen Feinden des Proletariats, der Bourgeoisie, der SPD und der USPD Anlass gab, die VKPD als Anzettlerin von Putschen dem Proletariat zu denunzieren. Dieser Fehler wurde von einer Anzahl von Parteigenossen gesteigert, indem sie die Offensive als die hauptsächlichste Methode des Kampfes der VKPD in der jetzigen Situation darstellten“ („Thesen und Resolutionen des 3. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale“, S. 52/53, Juni 1921).

Dass die Kommunisten weiter für eine Verstärkung der Kampfbereitschaft eintraten, war ihre erste Pflicht. Aber Kommunisten sind nicht einfach Aufpeitscher der Kampfbereitschaft. Die „Kommunisten sind (...) praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegungen voraus.“ (Kommunistisches Manifest) Deshalb müssen sie sich gegenüber der Klasse insgesamt durch ihre Fähigkeit auszeichnen, das Kräfteverhältnis richtig einzuschätzen, die Strategie des Klassengegners zu durchschauen, denn eine für entscheidende Kämpfe noch zu schwache Arbeiterklasse in eine sichere Niederlage zu führen, oder sie in die von der Bourgeoisie gestellten Fallen zu treiben, ist das Unverantwortlichste, was Revolutionäre tun können. Insbesondere erfordert dies vor allem auch die Fähigkeit zu entwickeln, den jeweiligen Bewusstseinsstand und die Kampfbereitschaft innerhalb der Arbeiterklasse einschätzen zu können, und die Vorgehensweise der Herrschenden zu durchschauen. Nur so können revolutionäre Organisationen ihre wirkliche Führungsrolle in der Klasse übernehmen.

Sofort nach dem Ende der März-Aktion kam es zu heftigen Debatten innerhalb der VKPD und der KAPD.

Falsche Organisationsauffassungen — eine Fessel für die Fähigkeit der Partei zur Selbstkritik

In einem Leitartikel vom 4.–6. April verkündete die Rote Fahne, dass die „VKPD eine revolutionäre Offensive eingeleitet“ habe und die März-Aktion „der Beginn, der erste Abschnitt der entscheidenden Kämpfe um die Macht“ sei.

Am 7./8. April tagte der Zentralausschuss der VKPD. Anstatt eine kritische Einschätzung der Intervention zu liefern, versuchte Heinrich Brandler vor allem die Politik der VKPD-Zentrale zu rechtfertigen. Er begründete die Hauptschwäche in einer mangelnden Disziplin der VKPD-Mitglieder vor Ort und im Versagen der sogenannten Militärorganisation. Brandler meinte gar, „Wir haben keine Niederlage erlitten, wir hatten eine Offensive“.

Gegenüber dieser Einschätzung sollte Paul Levi innerhalb der VKPD zum heftigsten Kritiker der Vorgehensweise der Partei in der März-Aktion werden.

Nachdem er neben Clara Zetkin im Februar 1921 schon aus dem Zentralausschuss ausgeschieden war, weil es unter anderem zu Divergenzen um die Gründung der KP in Italien gekommen war, sollte er sich erneut als unfähig erweisen, die Organisation durch Kritik nach vorne zu treiben. Das Tragische war, dass er „mit seiner Kritik an der März-Aktion 1921 in Deutschland in vielem dem Wesen der Sache nach recht“ hatte (Lenin, „Brief an die deutschen Kommunisten“, Werke Bd. 32, S. 541). Aber anstatt seine Kritik innerhalb des Rahmens der Organisation den Regeln und Prinzipien derselben folgend vorzubringen, verfasste er am 3./4. April eine Broschüre, die am 12. April veröffentlicht wurde, ohne dass die Partei ihren Inhalt kannte.[ii] [3]

In dieser Broschüre brach er nicht nur die Organisationsdisziplin, sondern er veröffentliche Details aus dem internen Leben der Partei. Somit brach er ein proletarisches Prinzip, gefährdete gar die Organisation, indem er in aller Öffentlichkeit die Funktionsweise der Organisation preisgab. Dafür wurde er am 15. April aus der Partei wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossen.[iii] [3]

Levi, der wie wir in einem früheren Artikel zum Oktoberparteitag der KPD 1919 festgestellt haben, dazu neigte, jede Kritik als Angriff auf die Organisation, als Infragestellung einer ganzen Linie und somit als Bedrohung der Organisation, aber auch seiner Person aufzufassen, sabotierte jeden Versuch einer kollektiven Funktionsweise. Seine Einstellung offenbart dies: „Ist die März-Aktion richtig, dann gehöre ich hinausgeworfen (aus der Partei). Oder ist die März-Aktion ein Fehler, dann ist meine Broschüre gerechtfertigt“ (Levi, „Brief an die Zentrale der VKPD“). Diese organisationsschädigende Haltung war von Lenin wiederholt kritisiert worden. Nach Bekanntwerden seines Austritts aus der Zentrale der VKPD im Februar schrieb Lenin dazu: „Aber Austritt aus der Zentrale!!?? Das jedenfalls der größte Fehler! Wenn wir solche Gepflogenheiten dulden werden, dass verantwortliche Mitglieder der Zentrale austreten, wenn sie in der Minderheit geblieben sind, dann wird die Entwicklung und Gesundung der kommunistischen Parteien niemals glatt gehen. Statt auszutreten – die strittige Frage mehrere Male besser mit der Exekutive ventilieren (...). Alles mögliche und etwas unmögliches dazu zu tun – aber, es koste was es wolle, Austritt vermeiden und Gegensätze nicht verschärfen.“ (Lenin an Clara Zetkin und Paul Levi, 16.4.1921).

Levis zum Teil maßlose und überspitzte Beschuldigungen (dass er die Verantwortung der Bourgeoisie für die Kämpfe im März in den Hintergrund geraten ließ und der VKPD praktisch die Alleinschuld aufbürdete) verzerrten die Wirklichkeit.

Nachdem er aus der Partei ausgeschlossen war, gab er eine kurze Zeit die Zeitschrift Sowjet heraus, die zum Sprachrohr der Gegner dieses Kurses der VKPD wurden. Levi wollte seine Kritik an der Taktik der VKPD dem Zentralausschuss vortragen, wurde aber zur Tagung nicht mehr zugelassen. Statt dessen trug Clara Zetkin eine Reihe seiner Kritiken vor. „Die Kommunisten haben nicht die Möglichkeit (...) die Aktion an Stelle des Proletariats, ohne das Proletariat, am Ende gar gegen das Proletariat zu machen“ (Levi). Zetkin schlug eine Gegenresolution zur Stellungnahme der Partei vor. Mehrheitlich verwarf die Sitzung des Zentralausschusses jedoch die Kritik und hob hervor, dass ein „Ausweichen vor der Aktion (...) unmöglich für eine revolutionäre Partei, (...) ein glatter Verzicht auf ihren Beruf, die Revolution zu führen“ gewesen wäre. Die VKPD „muss, wenn sie ihre geschichtliche Aufgabe erfüllen will, festhalten an der Linie der revolutionären Offensive, die der März-Aktion zugrunde liegt, und sie muss entschlossen und sicher auf diesem Wege fortschreiten“ („Leitsätze über die März-Aktion“, Die Internationale Nr. 4, April 1921).

Die Zentrale bestand auf der Fortsetzung der eingeschlagenen Offensivtaktik und verwarf alle Kritiken. In einem vom 6. April 1921 gezeichneten Aufruf hatte das EKKI (Erweitertes Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationalen) noch die Haltung der VKPD gebilligt und aufgerufen, „Ihr habt richtig gehandelt (...) Rüstet zu weiteren Kämpfen“ (Rote Fahne, 14.4.1921).

So war auf dem 3. Weltkongress der Komintern weder das EKKI noch der Kongress selber einig über die Einschätzung der deutschen Ereignisse. Vor allem die Gruppe um Clara Zetkin in der KPD wurde in dem ersten Teil der Diskussion erbittert angegriffen. Erst das Eingreifen und die Autorität Lenins und Trotzkis in der Debatte brachte die Wende in der Auseinandersetzung, indem die Hitzköpfe zur Abkühlung gebracht wurden.

Lenin, der sowohl durch die Ereignisse in Kronstadt wie auch durch die Staatsführung so beschäftigt war, dass er die Ereignisse und die Debatten um die Bilanz nicht hatte näher verfolgen können, fing an, sich eingehend mit der Bilanz der März-Aktion zu befassen. Während er den Disziplinbruch Levis auf das schärfste verwarf, trat er dafür ein, dass die März-Aktion wegen ihrer „großen internationalen Bedeutung dem 3. Weltkongress der Komintern unterbreitet werden solle“. Breitestmögliche, ungehinderte Diskussion innerhalb der Partei, hieß seine Devise.

W. Koenen, der Vertreter der VKPD beim EKKI, wurde im April vom EKKI mit dem Auftrag nach Deutschland geschickt, dass der Zentralausschuss keine endgültigen Beschlüsse gegen die Opposition fassen sollte. In der Parteipresse kamen dann auch wieder die Kritiker der März-Aktion zu Wort. Die Diskussion über die Taktik wurde fortgesetzt.

Dennoch vertrat die Mehrheit der Zentrale weiterhin ihre im März eingenommene Haltung. Arkady Maslow verlangte die neuerliche Billigung der März-Aktion. Guralski, ein Gesandter des EKKI forderte gar: „keine Beschäftigung mit der Vergangenheit. Die beste Antwort auf Angriffe der Richtung Levi sind die weiteren politischen Kämpfe der Partei“. Auf der Sitzung des Zentralausschusses vom 3.-5. Mai trat Thalheimer dafür ein, die Aktionseinheit der Arbeiter wieder aufzunehmen. Fritz Heckert plädierte für verstärkte Arbeit in den Gewerkschaften.

Am 13. Mai veröffentlichte die Rote Fahne Leitsätze, die auf eine künstliche Beschleunigung der revolutionären Entwicklung abzielten. Als Beispiel wurde dafür die März-Aktion hingestellt. Die Kommunisten „müssen in zugespitzten Situationen, wo wichtige Interessen des Proletariats bedroht sind, den Massen einen Schritt vorausgehen und versuchen, sie durch ihre Initiative in den Kampf zu führen, auch auf die Gefahr hin, nur Teile der Arbeiterschaft mit sich zu reißen“. Wilhelm Pieck, der sich in der Januar-Woche 1919 schon mit Karl Liebknecht entgegen den Parteibeschluss am Aufstand beteiligt hatte, meinte: Auseinandersetzungen unter den Arbeitern „werden wir noch häufiger erleben. Die Kommunisten müssen sich gegen die Arbeiter wenden, wenn diese nicht unseren Aufrufen folgen“.

Die Reaktion der KAPD

Während VKPD und KAPD einen Schritt vorwärts gemacht hatten und zum ersten Mal gemeinsam losschlagen wollten, lag das Drama darin, dass diese Aktionen selbst unter ungünstigen Bedingungen stattgefunden hatten. Auch war der gemeinsame Nenner der VKPD und KAPD bei der März-Aktion gewesen, der Arbeiterklasse in Russland zu Hilfe zu eilen. Im Gegensatz zu den späteren Rätekommunisten verteidigte die KAPD damals noch die Revolution in Russland.

Gegenüber der Bilanz der März-Aktion waren die Haltung und Intervention der KAPD jedoch widersprüchlich. Einerseits rief sie gemeinsam mit der VKPD zum Generalstreik auf, schickte F. Jung und F. Rasch als Vertreter der Zentrale nach Mitteldeutschland zur Unterstützung der Koordinierung der Kampfhandlungen. Andererseits hielten die örtlichen Führer der KAPD, Utzelman und Prenzlow, aufgrund ihrer Kenntnis der Lage im mitteldeutschen Industriegebiet einen Aufstandsversuch für unsinnig und wollten nicht über den Generalstreik hinausgehen. Deshalb waren sie gegenüber den Leuna-Arbeitern dafür eingetreten, im Werksbereich zu verbleiben und sich auf einen Defensivkampf einzustellen. Die KAPD-Leitung reagierte ohne Abstimmung mit der Partei vor Ort.

Im Anschluss an die Bewegung lieferte die KAPD Ansätze zu einer kritischen Einschätzung ihrer eigenen Intervention. Sie reagierte sehr widersprüchlich. In einer Antwort auf die Broschüre Levis griff sie jedoch die grundsätzliche Problematik auf, die hinter der Vorgehensweise der VKPD-Zentrale stand. So schrieb Herman Gorter: „Die VKPD hatte durch die parlamentarische Aktion – die unter dem bankerotten Kapitalismus keine andere Bedeutung mehr hat, als die Irreführung der Massen – das Proletariat vom revolutionären Handeln abgelenkt. Sie hatte Hunderttausende von nichtkommunistischen Mitgliedern gesammelt, war also zu einer ‘Massenpartei’ geworden. Die VKPD hatte durch die Zellentaktik die Gewerkschaften unterstützt (...) als die deutsche Revolution immer machtloser zurückwich, als ihre besten Elemente dadurch unzufrieden, stets mehr auf die Aktion drängten – da beschloss sie auf einmal eine große Aktion zur Eroberung der politischen Gewalt. D.h. vor der Herausforderung Hörsings und der Sipo hat sie zu einer künstlichen Aktion von oben, ohne spontanen Drang großer Massen, d.h. zur Putschtaktik, den Beschluss gefasst.

Das Exekutiv-Komitee und seine Repräsentanten in Deutschland hatten schon lange darauf gedrängt, die VKPD solle losschlagen. Sie sollte sich als eine richtige revolutionäre Partei erweisen. Als ob in dem Losschlagen allein schon das Wesen einer revolutionären Taktik besteht! Wenn eine Partei, die statt die revolutionäre Kraft des Proletariats aufzubauen, Parlament und Gewerkschaften unterstützt und dadurch das Proletariat schwächt und seine revolutionäre Kraft unterminiert, dann (nach diesen Vorbereitungen!!) auf einmal losschlägt und eine große, angreifende Aktion beschließt, für dies selbe, von ihr selbst geschwächte Proletariat, so ist das im Grunde ein Putsch. Das heißt eine von oben beschlossene, nicht aus den Massen selbst hervorkommende, von vornherein zum Scheitern verdammte Tat. Und diese Putschtaktik ist nicht revolutionär, sondern genau so opportunistisch, wie der Parlamentarismus und die Zellentaktik selbst. Ja, diese Putschtaktik ist die notwendige Gegenseite des Parlamentarismus und der Zellentaktik, der Sammlung nichtkommunistischer Elemente, der Führer – statt Massen- oder besser Klassenpolitik. Diese schwache, innerlich faule Taktik muss notwendig zu Putschen führen.“ („Lehren der März-Aktion“, Nachschrift zum „Offenen Brief an den Genossen Lenin“ von Herman Gorter, in Der Proletarier, 5/1921)

Damit legte dieser KAPD-Text richtigerweise den Finger auf den Widerspruch zwischen der Taktik der Einheitsfront, die die Illusionen der Arbeiter über Gewerkschaften und Sozialdemokratie verstärkt hatte, und dem plötzlichen gleichzeitigen Aufruf zum Sturmangriff gegen den Staat. Gleichzeitig finden sich in diesem Text jedoch Widersprüche, denn während die KAPD einerseits von einer Verteidigungshandlung der Arbeiter sprach, schätzte sie die März-Aktion gleichzeitig als „ersten bewussten Angriff der revolutionären Arbeiter Deutschlands gegen die bürgerliche Staatsmacht“ ein (S. 21). Dabei hatte die KAPD selbst festgestellt, dass „selbst die großen Arbeitermassen neutral, wenn nicht feindlich gegenüber der kämpferischen Avantgarde eingestellt blieb“ (S. 24). Auch auf dem außerordentlichen Parteitag der KAPD im September 1921 wurden die Lehren aus der März-Aktion nicht weiter aufgegriffen.

Auf diesem Hintergrund heftiger Debatten innerhalb der VKPD und widersprüchlicher Reaktionen der KAPD begann Ende Juni der 3. Weltkongress der Komintern.

Die Haltung der Komintern zur März-Aktion

Innerhalb der Komintern war der Prozess der Bildung verschiedener Flügel in Gang gekommen. Das EKKI selber hatte gegenüber den Ereignissen in Deutschland weder eine einheitliche Meinung, noch sprach es mit einer Stimme. Bei der Einschätzung der Lage in Deutschland war das EKKI lange Zeit gespalten.

Radek hatte zahlreiche Kritiken an den Positionen und dem Verhalten des Vorsitzenden der KPD, Levi, entwickelt, die von anderen Mitgliedern der Zentrale aufgegriffen wurden.

Innerhalb der KPD wurden diese Kritiken jedoch nicht offen und auf einem Parteitag oder in anderen Parteiinstanzen in entsprechender Form formuliert.

Anstatt offen über die Einschätzung der Lage zu debattieren, war von Radek eine Funktionsweise gefördert worden, die der Partei zutiefst schädlich sein sollte. Kritiken wurden häufig nicht brüderlich in aller Deutlichkeit vorgetragen, sondern in verdeckter Form. Im Mittelpunkt stand oft nicht die jeweilige Fehleinschätzung durch ein Zentralorgan, sondern die Suche nach Schuldigen. Der Trend setzte sich durch, Positionen jeweils mit Personen zu verbinden. Anstatt die Einheit als Organisation um eine Position und Vorgehensweise herzustellen, anstatt für und als ein kollektiv funktionierender Körper zu kämpfen, untergrub man das Organisationsgewebe auf eine völlig unverantwortliche Weise.

Darüber hinaus waren die Kommunisten in Deutschland selber ebenfalls zutiefst gespalten. Zum einen gehörten zum damaligen Zeitpunkt der Komintern die VKPD und die KAPD an, die allerdings aufs heftigste wegen der Orientierung der Organisation aufeinander prallten.

Gegenüber der Komintern waren vor der März-Aktion von Teilen der VKPD sowohl Informationen über die Einschätzung der Lage verschwiegen wie auch die unterschiedlichen Positionen und Einschätzungen der Komintern nicht umfassend mitgeteilt worden.

In der Komintern selber gab es keine wirklich gemeinsame Reaktion und kein einheitliches Vorgehen gegenüber der Entwicklung. Der Kronstädter Aufstand hatte die ganze Aufmerksamkeit der Führung der Bolschewistischen Partei auf sich gezogen und sie daran gehindert, die Lage in Deutschland näher zu verfolgen. Zudem war es oft nicht klar, wie Entscheidungen innerhalb des Exekutivkomitees zustande gekommen waren und wie Mandate erteilt wurden. Gerade gegenüber Deutschland scheinen die Mandate von Radek und anderen Delegierten des EKKI nicht immer klar genug festgelegt worden zu sein.[iv] [3]

So hatten in dieser Situation der zunehmenden Spaltung innerhalb der VKPD Mitglieder des EKKI, unter Radeks Federführung, inoffiziellen Kontakt mit Flügeln in beiden Parteien – VKPD und KAPD – aufgenommen, um unter Umgehung der Zentralorgane der beiden Organisationen Vorbereitungen für putschistische Maßnahmen zu treffen. Anstatt also auf eine Klärung und Mobilisierung der Organisationen zu drängen, begünstigte man eine Spaltung der Parteien und förderte Schritte, die Entscheidungen außerhalb der verantwortlichen Organe zu treffen. Diese Haltung, die im Namen des EKKI eingenommen wurde, leistete somit dem organisationsschädlichen Verhalten innerhalb VKPD und KAPD Vorschub.

Paul Levi kritisierte: „Der Fall war schon häufiger, dass Abgesandte des EKKI über ihre Vollmacht hinausgingen, d.h. dass sich nachträglich ergab, die Abgesandten hätten zu dem oder jenem keine Vollmachten gehabt.“ („Unser Weg, Wider den Putschismus“, S. 63, 3. April 1921).

Von den Statuten festgelegte Entscheidungsstrukturen in der Komintern wie auch innerhalb der VKPD und KAPD wurden umgangen. Tatsache war, dass in der März-Aktion dann von beiden Organisationen zum Generalstreik aufgerufen wurde, ohne dass die ganze Organisation an der Einschätzung der Lage und den Entscheidungen beteiligt war. In Wirklichkeit hatten Genossen des EKKI mit den Elementen und den Flügeln innerhalb der beiden Organisationen Kontakt aufgenommen, die nach Aktionen drängten. Die Partei als solche wurde „umgangen“!

So konnte es nie zu einer einheitlichen Vorgehensweise der einzelnen Parteien und noch weniger zu einem gemeinsamen Vorgehen der beiden Parteien kommen.

Aktivismus und Putschismus hatten in diesen Organisationen teilweise die Oberhand gewonnen – mit einem sehr zerstörerischen Verhalten für die Partei und die Klasse insgesamt. Jeder Flügel fing an, seine eigene Politik zu betreiben und seine eigenen informellen, parallelen Kanäle aufzubauen. Die Sorge um die Einheit der Partei, eine statutengemäße Funktionsweise war einem Großteil der Partei abhanden gekommen.

Obwohl die Komintern durch die Identifikation der Bolschewistischen Partei mit den Interessen des russischen Staates und durch die opportunistische Kehrtwendung hin zur Einheitsfront geschwächt war, sollte der 3. Weltkongress dennoch ein Moment der kollektiven, proletarischen Kritik an der März-Aktion werden.

Für den Kongress hatte das EKKI aus richtiger politischer Sorge auf Anregung Lenins auch die Entsendung von Vertretern der Opposition innerhalb der VKPD durchgesetzt. Während die Delegation der VKPD-Zentrale weiter jegliche Kritik an der Haltung der VKPD zur März-Aktion unterbinden wollte, beschloss das Politbüro der KPR(B) auf Vorschlag Lenins: „Als Grundlage der Resolution ist der Gedanke zu nehmen, dass man vielmals detaillierter die konkreten Fehler der VKPD in der März-Aktion aufzeigen und vielmals energischer vor der Wiederholung dieser Fehler warnen muss.“

Wie Haltung einnehmen?

In der Eingangsdiskussion über „Die wirtschaftliche Krise und die neuen Aufgaben der Kommunistischen Internationale“ hatte Trotzki hervorgehoben: „Erst jetzt sehen und fühlen wir, dass wir nicht so unmittelbar nahe dem Endziel, der Eroberung der Macht, der Weltrevolution stehen. Wir haben damals im Jahre 1919 uns gesagt: es ist die Frage von Monaten, und jetzt sagen wir, es ist die Frage vielleicht von Jahren (...) Der Kampf wird vielleicht langwierig sein, wird nicht so fieberhaft, wie es wünschenswert wäre, voranschreiten, der Kampf wird höchst schwierig und opferreich sein (...)“ („Protokoll des 3. Kongresses“, S. 90).

Lenin: „Deshalb musste der Kongress gründlich mit den linken Illusionen aufräumen, dass die Weltrevolution ununterbrochen in ihrem stürmischen Anfangstempo weiterrase, dass wir von einer zweiten revolutionären Welle getragen würden, und dass es einzig und allein vom Willen der Partei und ihrer Aktion abhänge, den Sieg an unsere Fahne zu fesseln (...)“ (Zetkin, „Erinnerungen an Lenin“)

Für den Kongress hatte die VKPD-Zentrale unter der Federführung A. Thalheimers und Bela Kuns einen Thesenentwurf zur Taktik geschickt, der forderte, dass die Komintern jetzt zu einer neuen Periode der Aktionen übergehen müsse. In einem Brief vom 10. Juni an Sinowjew hatte Lenin den Thesenentwurf als „politisch grundfalsch, als linksradikale Spielerei“ eingeschätzt und gefordert, ihn gänzlich abzulehnen. „Die Mehrheit der Arbeiterklasse haben die kommunistischen Parteien noch nirgends erobert. Nicht für die organisatorische Führung, aber auch nicht für die Prinzipien des Kommunismus (...) Deshalb muss die Taktik darauf gerichtet werden, unentwegt und systematisch um die Mehrheit der Arbeiterklasse, in erster Linie innerhalb der alten Gewerkschaften zu ringen.“ (10. Juni, 1921, Lenin, Briefe, Bd. 7, S. 269). Gegenüber dem Delegierten Heckert meinte Lenin: „Die Provokation lag doch glatt auf der Hand. Statt von der Verteidigung aus die Arbeitermassen gegen die Angriffe der Bourgeoisie zu mobilisieren und so den Massen zu zeigen, dass das Recht auf eurer Seite ist, habt ihr die sinnlose ‘Offensivtheorie’ erfunden, die allen Polizeikerls und den reaktionären Regierungen die Möglichkeit gibt, euch als die Angreifer darzustellen, vor denen man das Volk schützen muss.“ (Erinnerungen, F. Heckert, „Meine Begegnungen mit Lenin“)

Während Radek selbst vorher die März-Aktion unterstützt hatte, sprach er in seinem Referat im Namen des EKKI vom widersprüchlichen Charakter der März-Aktion, lobte den Heldenmut der kämpfenden Arbeiter und kritisierte andererseits die falsche Politik der Zentrale der VKPD. Trotzki charakterisierte die März-Aktion als ganz unglücklichen Versuch, der, „wenn er wiederholt werden sollte, diese gute Partei wirklich zugrunde richten könnte“. Er unterstrich, „wir sind verpflichtet, der deutschen Arbeiterschaft klipp und klar zu sagen, dass wir diese Offensivphilosophie als die größte Gefahr und in der praktischen Anwendung als das größte Verbrechen auffassen“. („Protokoll des 3. Kongresses“, S. 644-646).

Die Delegation der VKPD und die gesondert eingeladenen Delegierten der VKPD-Opposition prallten auf dem Kongress aufeinander.

Der Kongress war sich der Gefahren für die Einheit der Partei bewusst. Deshalb drängte man auf eine Einigung zwischen VKPD-Führung und Opposition. Eine Übereinkunft mit folgendem Inhalt wurde erzielt: „Der Kongress erachtet jede weitere Zerbröckelung der Kräfte innerhalb der VKPD, jede Sonderbündelei – von Spaltung gar nicht zu sprechen – als die größte Gefahr für die ganze Bewegung“. Gleichzeitig wurde vor einer revanchistischen Haltung gewarnt: „Der Kongress erwartet von der Zentrale und der Mehrheit der VKPD die tolerante Behandlung der früheren Opposition, falls diese die vom 3. Kongress gefassten Beschlüsse loyal durchführt“ („Resolution zur März-Aktion und über die Lage in der VKPD“, 21. Sitzung des 3. Weltkongresses, 9.7.1921).

In den Debatten auf dem 3. Kongress äußerte sich die KAPD-Delegation kaum selbstkritisch zur März-Aktion. Sie schien sich mehr auf die Prinzipienfrage der Arbeit in den Gewerkschaften und den Parlamentarismus zu konzentrieren.

Während der 3. Kongress so selbstkritisch vor den putschistischen Gefahren, die in der März-Aktion sichtbar geworden war, gewarnt hatte und diesem „blinden Aktionismus“ eine Abfuhr erteilt hatte, schlug der Kongress selber tragischerweise den unheilvollen Kurs der „Einheitsfront von Unten“ ein. Zwar hatte er die putschistische Gefahr abgewandt, aber die opportunistische Kehrtwende, die durch die Verabschiedung der 21 Thesen eingeleitet worden war, wurde bestätigt und beschleunigt. Die wirklichen Fehler, die in der Grundsatzkritik der KAPD von Gorter aufgeworfen worden waren, nämlich die Rückkehr zur gewerkschaftlichen und parlamentarischen Ausrichtung, wurden nicht korrigiert.

Ermuntert durch die Ergebnisse des 3. Kongresses schlug die VKPD dann ab Herbst 1921 den Kurs der Einheitsfront ein.

Gleichzeitig hatte der 3. Kongress der KAPD ein Ultimatum gestellt: entweder Beitritt zur VKPD oder Ausschluss aus der Komintern.

Im September 1921 trat die KAPD dann aus der Komintern aus – Teile von ihr stürzten sich anschließend in das Abenteuer der Bildung einer Kommunistischen Arbeiterinternationale. Nur wenige Monate vergingen bis zur Spaltung der KAPD.

Für die KPD (die im August 1921 wieder ihren Namen von VKPD zu KPD geändert hatte) war die Tür zu einer opportunistischen Entwicklung weiter aufgestoßen.

Die Bourgeoisie ihrerseits hatte ihr Ziel erreicht: Erneut hatte sie mit der März-Aktion ihre Offensive fortsetzen können. Sie hatte die Arbeiterklasse weiter geschwächt.

Aber noch verheerender als die Konsequenzen dieser putschistischen Haltung für die Arbeiterklasse insgesamt waren die Folgen für die Kommunisten selber: erneut wurden sie Opfer der Repression. Die Jagd auf Kommunisten wurde wieder verschärft. Bei der KPD kam es zu einer großen Austrittswelle aus der Partei. Viele Mitglieder zeigten sich zutiefst enttäuscht über die gescheiterte Erhebung. Anfang des Jahres zählte die VKPD ca. 35000-400000 Mitglieder. Ende August 1921 gehörten ihr nur noch ca. 160000 an, im November sogar nur noch 135000-150000 zahlende Mitglieder.

Zum wiederholten Male hatte die Arbeiterklasse in Deutschland gekämpft, ohne eine starke, schlagkräftige Partei an ihrer Seite zu haben.                        

Dv.


[i] [3] Bei den Wahlen zum Preußischen Landtag im Februar 1921 entfielen auf die VKPD 1.1 Mio., die USPD 1.1 Mio. und die SPD 4.2 Mio. Stimmen. In Berlin übertrafen VKPD und USPD die SPD-Stimmenanteile.

[ii] [3] Clara Zetkin, die mit der inhaltlichen Kritik Paul Levis übereinstimmte, hatte in mehreren Briefen aufgefordert, sich nicht organisationsschädlich zu verhalten. So schrieb sie am 11. April an Levi: „(...) dem Vorwort sollten Sie die persönliche Note nehmen. Ebenso scheint mir politisch wirksam, dass Sie über die Zentrale und ihre Mitglieder kein ‘persönliches Urteil’ fällen, sie reif für die Kaltwasserheilanstalt erklärten und ihre Entfernung fordern etc. (...) Es ist klüger, dass Sie sich bloß an die Politik der Zentrale halten, die Leute außer Spiel lassen, die ihre Träger sind (...) Nur die persönlichen Wallungen sollten gestrichen werden.“ Levi ließ sich nicht belehren. Stolz und Rechthaberei, sowie sein monolithisches Organisationsverständnis sollten fatale Folgen haben.

[iii] [3] „Paul Levi hat der Parteileitung von seiner Absicht, eine solche Broschüre zu veröffentlichen, weder Kenntnis gegeben noch ihr Mitteilung von den in der Broschüre aufgestellten Behauptungen gemacht (...)

Paul Levi hat seine Broschüre in Druck gegeben am 3. April, zu einer Zeit, wo der Kampf noch in vielen Teilen des Reiches im Gange war und in der Tausende von Kämpfern vor den Sondergerichten stehen, die Paul Levi durch die Veröffentlichung seiner Broschüre zu den Bluturteilen gerade anreizt (...)

Die Zentrale anerkennt in vollem Umfange das Recht der Parteikritik vor und nach Aktionen, die von der Partei geführt werden. Kritik auf dem Boden des Kampfes und dem der vollen Kampfsolidarität ist eine Lebensnotwendigkeit für die Partei und revolutionäre Pflicht. Paul Levis Haltung (...) läuft nicht auf die Stärkung, sondern auf die Zerrüttung und Zerstörung der Partei hinaus“. (Zentrale der VKPD, 16.4.1921)

[iv] [3] Der Delegation des EKKI gehörten Bela Kun, Pogany und Guralski an. Karl Radek wirkte insbesondere seit der Gründung der KPD als „Verbindungsmann“ zwischen der KPD und der Komintern. Ohne immer über ein klares Mandat zu verfügen, praktizierte vor allem er die Politik der „informellen“ und parallelen Kanäle.

Theorie und Praxis: 

  • Deutsche Revolution [4]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [5]

Internationale Revue 25 - Editorial

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Wohin der Kapitalismus die Welt treibt

Kriege in allen Kontinenten, immer mehr Armut, Not, Hunger und Katastrophen aller Art. Eine Übersicht über die Lage auf der Welt zeigt, wie katastrophal alles ist.

„Ein Jahr nach Beginn des Kosovokrieges hinterlassen die tödlichen Racheakte, die Zunahme der Kriminalität, die inneren politischen Konflikte, Einschüchterungen und Korruption in diesem Gebiet einen unangenehmen Eindruck [....]. Der Kosovo ist ein Schlamassel.“ (The Guardian, 17.3.00).[i] [6] Seit dem Kosovokrieg und der Besetzung des Landes durch die NATO haben Hass und Gewalt nur noch weiter zugenommen. Der Tschetschenienkrieg wird fortgesetzt – seine Opfer sind Tausende Verletzte und Tote – von denen die meisten Zivilisten sind – sowie Hunderttausende Flüchtlinge, die in den Lagern hungern. Wie im Kosovo und zuvor in Bosnien sind die Gewalttaten unglaublich schrecklich. Die Hauptstadt Grosny wurde von der Karte ausradiert, zerstört. Die amerikanischen Generäle brüsten sich, mittels der NATO-Bombardierungen Serbien um 50 Jahre zurückgebombt zu haben. Die russischen Generäle haben sich in Tschetschenien als noch „leistungsfähiger“ erwiesen: „Diese kleine kaukasische Republik läuft somit Gefahr, in ihrer Entwicklung um ein Jahrhundert zurückgeworfen zu werden“ (Le Monde Diplomatique, Februar 2000). Die Kämpfe, die bislang das Land zerstört haben, gehen weiter, und ein Ende ist noch lange nicht abzusehen.

Die Zahl der kriegerischen Spannungsgebiete wird immer größer. Insbesondere in Südostasien sind sie sehr zahlreich und ausgesprochen gefährlich. „In keiner anderen Region auf der Erde stehen wir vor solch dramatischen Fragen.“ (Bill Clinton, International Herald Tribune, 20.3.00).

Armut und Not dehnen sich überall auf der Welt aus

„Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Armut“ (International Herald Tribune, 17.3.00). Das ganze Gerede von Wohlstand wird durch die dramatische Lage von Milliarden Menschen widerlegt. „Während die weltweite Grundnahrungsmittelproduktion 110% der Bedürfnisse deckt, sterben weiterhin jedes Jahr 30 Millionen Menschen an Hunger, und mehr als 800 Millionen Menschen sind unterernährt“ (Le Monde Diplomatique, Dezember 2000).

Die Lage in den Ländern der Peripherie, die vor kurzem noch als „Dritte-Welt-Staaten“ und heute als „Schwellen-“ oder „Entwicklungsländer“ bezeichnet werden, entblößt die Lügen der gegenwärtigen Propaganda, denn überall nehmen Verarmung und absolute Armut zu. „Es gibt immer noch eine große Anzahl von Unterernährten, obwohl es einen Nahrungsmittelüberschuss gibt. In den Entwicklungsländern leiden 150 Millionen Kinder an Untergewicht, d.h. ca. ein Drittel aller Kinder“ (International Herald Tribune, 9.3.00).

Selbst wenn man uns heute eintrichtern will, dass die asiatische Krise vom Sommer 1997 überwunden und die „asiatischen Tiger“ wieder genesen seien, die Rezession in Asien und Lateinamerika viel weniger verheerend als befürchtet gewesen sei und es wieder positive Wachstumszahlen gebe, „leben in Asien und Lateinamerika 2,2 Milliarden Menschen mit weniger als 2 Dollar pro Tag“ (International Herald Tribune, 14.7.00, James D. Wolfensohn, Präsident der Weltbank).  Die Inflation sei unter Kontrolle, die Produktion ziehe wieder an, somit sei „Russland ein kleines Wunder, wenn man den makro-ökonomischen Indikatoren glauben soll“ (Le Monde, 24.3.00). Aber wie in den Ländern Asiens und Lateinamerikas vollzieht sich diese Besserung der „wirtschaftlichen Grundlagen“ auf Kosten der Bevölkerung und dank einer wachsenden Verarmung. „Russland ist weiterhin nahezu pleite, angeschlagen durch eine Auslandsschuld von annähernd 170 Mrd. Dollar [....]. Die allgemeine Entwicklung des Lebensstandards ist seit 1990 rückläufig und heute beträgt das Durchschnittseinkommen ca. 60 $ im Monat, ein Durchschnittslohn 63 $ und eine Durchschnittsrente 18 $. 1998 lebten zur Zeit des Börsenkrachs 48% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze (die auf 50 $ festgelegt worden war), Ende 1998 lebten schon 54% unter dieser Grenze und mittlerweile sind es ca. 60%“ (Le Monde, Wirtschaftsbeilage, 14.3.00).

Armut und Not in den Industriestaaten 

Die Idee, dass die Industriestaaten eine Oase des Wohlstands seien, hält auch keiner Überprüfung stand – auch nicht einer oberflächlichen. Allein der Anblick von Hunderten von Millionen von Männern und Frauen, hauptsächlich Arbeitern mit oder ohne Stelle, genügt. Wie wir in der Nummer 100 unserer International Review (engl./frz./span. Ausgabe) schrieben, leben 18% der amerikanischen Bevölkerung, d.h. mindestens 36 Millionen Menschen, unter der Armutsgrenze, in Großbritannien sind es 8 Mio. und in Frankreich 6 Mio. Wenn die Arbeitslosenzahl  gesunken ist, dann steckt dahinter eine täglich größer werdende Flexibilität, immer prekärere Bedingungen und ein drastischer Lohnverfall. Neben den USA und Großbritannien werden die Niederlande oft als Beispiel eines wirtschaftlichen Erfolgs erwähnt. Wie kann man den Rückgang der Arbeitslosenzahlen in den Niederlanden von 10% 1983 auf weniger als 3% 1999 erklären, fragt sich Le Monde. „Mehrere Erklärungen sind schon angeführt worden: [....] Die Ausbreitung der Teilzeitarbeit, die 1997 38,4% der Gesamtbeschäftigten ausmachte, zahlreiche Pensionierungen von Beschäftigten, die als behindert eingestuft wurden (besonders weit verbreitet in Holland, da sie nahezu 11% der aktiven Bevölkerung umfassen), schließlich die Zurückhaltung bei den Löhnen während der 80er Jahre, all das sind Gründe, die eine Erklärung für den starken Rückgang der Arbeitslosigkeit liefern“ (Le Monde, Wirtschaftsbeilage, 14.3.00). Das Rätsel des Erfolgs ist gelöst. Einer von zehn Erwachsenen ist in einem der höchst entwickelten Industriestaaten der Erde behindert. Aber das ist kein Grund zum Lachen. Der Erfolg Hollands? Größtmögliche Ausdehnung prekärer Arbeitsbedingungen und von Teilzeitarbeit, Zahlenspielereien mit den Wirtschaftsstatistiken und den Gesundheitszahlen, schließlich drastische Lohnsenkungen. Da haben wir das „Erfolgsrezept“. Und es wird in allen Ländern angewandt.[ii] [7]

Zu diesen Zahlen, die nur einen Teileinblick in die wirtschaftliche und soziale Wirklichkeit der Industriestaaten darstellen, müsste man die gewaltige öffentliche und private Verschuldung der USA, die Ausdehnung ihres Handelsdefizits hinzufügen[iii] [8] und die gewaltige Börsenspekulationsblase der Wall Street sowie aller anderen Börsen der Welt. Der viel gepriesene ununterbrochene US-amerikanische Wachstumszyklus der 90er Jahre wurde von den anderen Staaten der Welt durch eine gewaltige Ausbreitung der Verschuldung und eine gesteigerte Ausbeutung der Arbeiterklasse finanziert. Der andere große Industriestaat, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht, Japan, hat die offizielle Rezession, d.h. die offiziell als solche anerkannt wird, noch nicht überwunden. Und das obwohl man eine astronomische Staatsverschuldung eingegangen ist, die „sich Ende 1999 auf 3300 Milliarden Dollar belief, womit Japan weltweiter Spitzenreiter war [....]. Japan hat somit die USA überholt, die zuvor die höchst verschuldete Nation der Erde war“ (Le Monde 4.3.00).

Die wirkliche Lage der Weltwirtschaft ist genau das Gegenteil der Idylle, die uns immer wieder geschildert wird.

Mörderische Katastrophen und Zerstörung des Planeten

Umwelt- und Naturkatastrophen häufen sich. Die todbringenden Überschwemmungen in Venezuela und Mosambik, die denen in China und anderswo folgten, haben Tausende von Toten und Verschwundenen, Hunderttausende Obdachlose und Hungernde hinterlassen. Gleichzeitig haben Dürreperioden, die weniger „spektakulär“ sind, in Afrika und in den von Überflutungen heimgesuchten Ländern zu einem anderen Zeitpunkt eine Unzahl von Opfern gefordert und Zerstörungen bewirkt. Aber die Tausenden von Toten, die in den Trümmern ihrer Elendshütten um Caracas verschüttet und begraben wurden, sind keine Opfer von Naturphänomenen geworden, sondern sie sind Opfer der Lebensbedingungen und der Anarchie des Kapitalismus. Die reichen Länder sind von den Katastrophen auch nicht ausgespart geblieben, auch wenn sie dort unmittelbar weniger dramatische Auswirkungen hinterlassen haben. Die Zahl der ‚Zwischenfälle“ in den Atomkraftwerken häuft sich. Genauso wie die Fälle von ‚Ölpest“, die nach dem Schiffbruch von Billigflaggschiffen entstehen, und die Zahl von Eisenbahn- und Flugzeugunfällen. Oder die Vergiftung von Flüssen wie die Einleitung von großen Quecksilbermassen in die Donau. Das Wasser ist mehr und mehr vergiftet und wird zu einer Mangelware. „Eine Milliarde Menschen hat keinen Zugang zu sauberem und trinkbarem Wasser, hauptsächlich deshalb, weil sie arm sind“ (International Herald Tribune, 17.3.00). Die Luft in den Städten und auf dem Lande wird immer verschmutzter. Krankheiten wie Cholera und Tuberkulose, die als überwunden galten, tauchen wieder auf und verbreiten sich. „Dieses Jahr werden 3 Millionen Menschen an Tuberkulose sterben, und 8 Millionen werden dadurch infiziert, fast alle leben in den armen Ländern [....]. Die Tuberkulose ist keineswegs nur ein medizinisches Problem. Sie ist ein politisches und soziales Problem, das unberechenbare Folgen für zukünftige Generationen haben könnte“, so die Aussage von Ärzten ohne Grenzen (zit. nach International Herald Tribune, 24.3.00).

Die Zerstörung des sozialen Gewebes und dessen dramatische Folgen

Diese Verschlechterung der Lebensbedingungen sowohl auf ökonomischer als auch auf allgemeiner Ebene geht einher mit einer Explosion der Korruption, dem Aufblühen von Mafia-Organisationen und schlimmster Kriminalität. Ganze Länder werden von Drogen, Kriminalität und Prostitution überschwemmt. Die Veruntreuung von Geldern des IWF in Russland in Milliardenhöhe durch Mitglieder der Jelzin-Familie sind nur ein karikaturaler Ausdruck der weit verbreiteten Korruption, die auf der ganzen Welt um sich greift.

Die Hölle, in der sich Millionen von Kinder auf der Welt befinden, ist unglaublich. „Die Liste der Tätigkeitsfelder, wo Kinder zu Waren werden, ist lang [....]. Aber die Kinder werden keineswegs nur für den internationalen ‚Markt“ der Adoption verkauft. Man verkauft sie auch wegen ihrer Arbeitskraft [....]. Das Sex-Gewerbe – Kinderprostitution, Erwachsenenprostitution – ist heute so lukrativ geworden, dass es fast 15% des Bruttoinlandprodukts einiger asiatischer Länder ausmacht (Thailand, Philippinen, Malaysia). Die immer jüngeren Opfer leben überall in einer immer größeren Armut, vor allem wenn sie krank auf der Straße landen oder in ihre Dörfer zurückgeschickt werden, wo sie dann von ihren Familien verworfen und somit von allen im Stich gelassen werden“ (Le Monde, 21.3.00, Claire Bisset, Direktorin des Französischen UNICEF-Komitees).[iv] [9]

Genauso schrecklich ist die Ausbreitung der Prostitution junger Mädchen. Infolge der Intervention der NATO im Kosovo landeten Tausende junger Frauen in den Flüchtlingslagern. Während ihre Brüder von der Mafia der UCK zwangsrekrutiert wurden, sich am Drogenhandel beteiligten und der Kriminalität verfielen, sind die Frauen ebenfalls zu Opfern der Mafia geworden. „Oft werden sie in den Flüchtlingslagern gekauft oder entführt, um dann ins Ausland oder in den Kneipen an die Soldaten von Pristina verkauft zu werden [....]. Die meisten von ihnen erleiden Misshandlungen, insbesondere Vergewaltigungen, bevor sie gezwungen werden sich zu prostituieren. ‚Anfangs glaubte ich nicht, dass es wirkliche Konzentrationslager gab, in denen sie vergewaltigt und auf die Prostitution vorbereitet werden“, erklärte eine französischer Polizist“ (Le Monde, 15.3.00).

Auf allen Ebenen: Kriege, Wirtschaftskrise, Armut, in ökologischer und sozialer Hinsicht ein düsteres und katastrophales Bild.

Wohin treibt der Kapitalismus die Welt?

Aber handelt es sich um eine zugegebenermaßen schreckliche und dramatische Übergangsperiode hin zu einer besseren Welt mit Frieden und Wohlstand? Oder handelt es sich um einen unaufhaltsamen Abstieg in die Hölle? Handelt es sich um eine Gesellschaft, die schlimmste Zeiten durchmacht, bis dann wieder eine neue außergewöhnliche Entwicklung dank neuer Technologien möglich wird? Oder befinden wir uns in einem unumkehrbaren Zerfall des Kapitalismus? Welche tiefgreifenden Tendenzen gibt es, die ausschlaggebend sind für alle Aspekte im Kapitalismus?

Hin zu einer Zerstörung der Umwelt

Trotz der Reden der Grünen und ihrer Regierungsbeteiligung werden Katastrophen aller Art und die Zerstörung des Planeten durch den Kapitalismus nur noch zunehmen und sich weiter zuspitzen. Wenn die Wissenschaftler es schaffen, eine „objektive“ und ernsthafte Untersuchung zu erstellen, und wenn sie zu Wort kommen, sind ihre Vorhersagen verheerend. So äußerte sich ein Wasserspezialist: „Es ist, als ob wir auf eine Mauer zurasen [....]. Das schlimmste Zukunftsszenario besteht darin, dass, wenn wir so weitermachen wie heute, dann steht die Krise fest [....]. 2025 wird die Mehrheit der Menschen mit einer schwachen oder katastrophal schwachen Wasserversorgung konfrontiert sein“ (Le Monde, 14.3.00). Die Schlussfolgerung des Wissenschaftlers: „Eine Änderung der globalen Politik ist dringend geboten“.

Wir brauchen gar nicht mehr auf das Loch in der Ozonschicht zurückzukommen, auch nicht auf die Erwärmung der Erde, die zu einem Eisschmelzen an den beiden Polen führt und den Meerwasserspiegel ansteigen lässt. Die Luft in den meisten Megastädten der Erde ist kaum noch zu atmen und die damit verbundenen Krankheiten, Asthma, chronische Bronchitis und andere, wie Krebs, steigen schnell an. Aber nicht nur die Großstädte und die Industriegebiete sind davon betroffen, sondern der ganze Erdball. Die Wolke von Industrieabgasen, für die die Industrie in Indien und China verantwortlich ist, hing wochenlang über dem Indischen Ozean und war so groß wie die Fläche der USA. Welche Antwort bietet der Kapitalismus? Kann er die Verschmutzung einstellen oder zumindest reduzieren? Keinesfalls. Seine Antwort? Sich Luft ‚anzueignen“ und sie als Ware verkaufen: „Zum ersten Mal wird die Luft, universeller Lebensbestandteil, zu einer Ware [....]. Das Prinzip eines Marktes für zugelassene Emissionen (d.h. Rechte zu verschmutzen) ist einfach [....]. Ein Land, das mehr CO2 ausstößt als erlaubt, kann von einem anderen Land, das weniger ausstößt, dessen Emissionsanteile abkaufen“ (Le Monde, Wirtschaftsbeilage, 21.3.00). Mit dem Wasser wird schon so verfahren, genauso wie mit Kindern und mit den Arbeitern. Statt die Zerstörung der Umwelt zu stoppen, oder sie zumindest zu reduzieren, beschleunigt der Kapitalismus den ganzen Zerstörungsprozess, indem er alles zu einer Ware werden lässt.

Hin zu noch mehr Armut und Not

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts haben sich die Lebensbedingungen der Weltbevölkerung – die Arbeiterklasse der Industriestaaten eingeschlossen – trotz des technischen Fortschritts und einer Entwicklung der quantitativ gewaltigen Produktivkräfte wesentlich verschlechtert, ohne all die Opfer und die Armut zu erwähnen, die durch die beiden Weltkriege verursacht wurden. Wie die Kommunistische Internationale 1919 feststellte, war der Zeitraum der Dekadenz des Kapitalismus eröffnet worden.

In den 70er Jahren gingen die Staaten Afrikas bankrott und der Schuldenberg Lateinamerikas erreichte astronomische Ausmaße. In den 80er Jahren gingen diese beiden Kontinente pleite und die Verschuldung Osteuropas explodierte. In den 90er Jahren ging Osteuropa pleite, dann kam die Explosion der Verschuldung und Pleite Asiens. Ob Afrika, Lateinamerika, oder jetzt Asien und Osteuropa – die Lage hat sich Ende des vorigen Jahrhunderts dramatisch verschlechtert. Anfang der 70er Jahre betrug die Zahl der Armen (die der Weltbank zufolge weniger als einen Dollar pro Tag verdienten) ca. 200 Millionen. Anfang der 90er Jahre war diese Zahl auf ca. 2 Milliarden angestiegen.

Nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Staatskapitalismus in Osteuropa wurde allen der große Wohlstand des Westens versprochen. „Doch statt eines Anstiegs der Löhne und des Lebensstandards auf das Niveau Westeuropas vergrößerte sich das Gefälle zwischen Ost- und Westeuropa nach 1989 noch mehr. Das Bruttoinlandprodukt fiel gar in den höchst entwickelten Ländern um 20%. Zehn Jahre nach dem Beginn des Übergangs hat einzig Polen sein Bruttoinlandprodukt von 1989 übertroffen, während Ungarn sich erst Ende der 90er Jahre diesem Niveau nähert“ (Le Monde Diplomatique, Febr. 2000).

Über Asien, wo die Krise vom Sommer 1997 angeblich überwunden sei, hört man: „Viele Banken sitzen noch auf gewaltigen Schulden, bei denen es auch bei einer Besserung des Wirtschaftsklimas keine Aussichten auf eine Rückzahlung gibt“ (The Economist, in „Die Welt im Jahr 2000“). Sicher ist die Bourgeoisie entzückt über die Genesungskraft der asiatischen Wirtschaften. „Die Wiederbelebung der Wirtschaft der Region ist ‚bemerkenswert“, meinte der Vizepräsident der Weltbank, zuständig für Ostasien und den Pazifik. Aus seiner Sicht ‚nimmt die Armut nicht weiter zu, die Währungskurse sind stabil, die Reserven beträchtlich, die Exporte steigen, Auslandsinvestitionen nehmen zu und die Inflation bleibt gering“ (Le Monde, 24.3.00).  Hinter der Aussage, „die Armut nimmt nicht weiter zu“, steckt in Wirklichkeit die Zerstörung ganzer Bereiche der Wirtschaft Asiens und eine gewaltige Verarmung der Bevölkerung, eine gestiegene öffentliche und private Verschuldung, die die Erklärung dafür liefert, dass „die Reserven beträchtlich“ sind; dahinter steckt auch eine abgewertete Landeswährung, was die Exporte und Auslandsinvestitionen begünstigt. Aber selbst im Falle Südkoreas, das vor der Krise vom Sommer 1997 als zehntgrößte Industriemacht eingestuft wurde, sind die Experten geteilter Meinung, und nicht alle lassen sich von den Erfordernissen der Propaganda beeindrucken.

„Hilton Root, ein ehemaliger Wirtschaftsprofessor an der Wharton School, beschrieb ein beunruhigendes Bild des koreanischen Wiederaufschwungs, der sehr zerbrechlich sei und nicht auf fest Füßen stehe. Auf den mächtigen südkoreanischen Chaebols (Konglomerate) lasten immer noch gigantische Schulden, und im Land bündelt sich der Reichtum noch immer in den Händen einiger weniger Familien, die Korruption treibt weiter Blüten und schadet dem politischen und Rechtssystem der Nation. Mr. Root bezweifelt, dass der koreanische Wiederaufschwung andauert, auch wenn Mr. Kim stärker als je zuvor erscheint. Viele Menschen befürchten, dass Südkorea schnell wieder einen Rückschlag erleidet“ (International Herald Tribune, 18.3.00).  Man kann sehen, auch wenn die Erklärung der Schwierigkeiten durch diesen Ökonomen keineswegs ausreichen, dass die Wirklichkeit überhaupt nicht so rosig aussieht, wie sie uns die Spezialisten der internationalen Bourgeoisie darstellen wollen.

Für die meisten Länder der Peripherie, d.h. für die meisten Kontinente, Länder und den Großteil der Weltbevölkerung lauten die Perspektiven: noch mehr Zerstörung, noch mehr Armut und Hunger.

Hin zu noch mehr Arbeitslosigkeit und noch prekäreren Arbeitsbedingungen in den reichen Ländern

Wie können wir behaupten, dass der Kapitalismus bankrott ist, obwohl man doch Wachstum verzeichnet? Sind wir denn blind? Wird die „neue Wirtschaft“ die Wirtschaft nicht noch mehr ans Laufen bringen und einen ununterbrochenen Wohlstand garantieren? Wird es nicht „Vollbeschäftigung“ geben, wie die Regierungen behaupten? Wirklichkeit oder Traum? Ist all dies möglich oder handelt es sich um Lügen?

Die Wirtschaftsvorhersagen, die uns von den Medien vorgetragen werden, sind nichts als Propaganda. Sie dienen nur dazu, den allgemeinen Bankrott zu übertünchen. Die Politiker, Spezialisten und Journalisten legen uns manipulierte Zahlen vor, die deren Lügen decken sollen. Im Mittelpunkt der Kampagne, wonach es bald wieder Vollbeschäftigung geben werde, steht die „neue Wirtschaft“.[v] [10] Wie soll das geschafft werden? Durch immer mehr prekäre Bedingungen, aufgezwungene Teilzeitarbeit und Tricks: „Während sich die Zeiten ändern, ändern sich auch die Orientierungspunkte. In besseren Zeiten sprach man von Vollbeschäftigung, als die Arbeitslosigkeit nur 3% betrug. Seit neustem meinen die Experten, könne man davon sprechen, wenn es nur 6% Arbeitslosigkeit gebe. Einige wollen die Zahl gar auf 8,5% anheben“ (Le Monde, Wirtschaftsbeilage, 21.3.00).  Die Tatsache, dass ihre Kriterien ständig geändert werden, untergräbt jetzt schon die versprochene Rückkehr zur „Vollbeschäftigung“ und zeigt das geringe Vertrauen, das man in ihre Prognosen haben kann. Die Arbeitslosigkeit und die prekären Arbeitsbedingungen werden sich noch weiter verschlimmern und die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse weltweit verschlechtern.

Das Gleiche trifft für die Wachstumszahlen zu. In Zahlentricks geübt, haben es sich die japanischen Politiker angewöhnt, die Rezession in ihrem Land zu leugnen. „Auch wenn das Bruttoinlandprodukt jetzt schon zwei Halbjahre in Folge[vi] [11] rückläufig ist, glauben wir nicht, dass wir in einer Rezession stecken“ (Le Monde, 14.3.00).  Warum sollten sie davor zurückschrecken? Weil die Zahlen so verfälscht sind, damit sie in bestem Licht erscheinen. „Früher hätte man eine Wachstumsrate von 1–1,5% der Weltwirtschaft als Rezession betrachtet. Bei den drei vergangenen weltweiten ‚Rezessionen“ – 1975, 1982, 1991 – ist die Weltproduktion nie wirklich zurückgegangen“ (The Economist, „Die Welt 1999“, veröffentlicht in Courrier International). Unter diesen Bedingungen sind die triumphierenden Erklärungen über das wieder anziehende Wachstum in den Industriestaaten keineswegs glaubwürdig.

Es geht den Herrschenden heute darum, in den Augen der Weltbevölkerung, insbesondere gegenüber der Arbeiterklasse der Industriestaaten, den wirtschaftlichen Bankrott des Kapitalismus zu verschleiern. Eine der himmelschreiendsten Ausdrücke dieses Bankrotts ist der Rückgang der Produktion, die Rezession, mit ihren dramatischen und gewalttätigen Folgen. Die lyrischsten Schwärmereien über das US-Wachstum, dessen künstlicher Charakter und dessen Preis, den die US-Bevölkerung dafür zu zahlen hat, wir erwähnt haben, sollen die weltweite Rezession übertünchen. Wie viele Artikel und Lobpreisungen über das US-Wachstum im Vergleich zu den seltenen, verstreuten Erwähnungen der „tiefgreifenden Rezession in den meisten Ländern der Dritten Welt“ (The Economist) und in Osteuropa?

Hin zu einer Zuspitzung der Widersprüche der US-Wirtschaft

Trotz der Tricks ist die Bourgeoisie dennoch gezwungen, für sich mehr Klarheit zu schaffen, auch wenn es nur darum geht zu sehen, wie sie ihren Bankrott besser kontrollieren kann. Auf diesem Hintergrund also die gegenwärtige Diskussion über die „sanfte Landung“. Die asiatische „Krise“ vom Sommer 1997, die vor allem Asien, Lateinamerika und Osteuropa erfasste, konnte in Nordamerika und in Westeuropa eingedämmt werden, auch wenn Westeuropa und insbesondere die USA eine wachsende öffentliche und private Verschuldung hinnehmen mussten, mit der Folge, dass die Inflation ansteigt, die Wirtschaft überhitzt und eine noch größere und „irrationalere“ Börsenspekulation einsetzt als vorher.

Allen Lobliedern über die angebliche blendende Gesundheit der Wirtschaft, die revolutionäre Energie und den Boom der mit dem Internet verbundenen „neuen Wirtschaft“ zum Trotz, haben die ernsthaftesten Wirtschaftsspezialisten und Verantwortlichen nur eine einzige wahre Sorge: „die sanfte Landung“ der Weltwirtschaft. In Wirklichkeit handelt es sich um ein stillschweigendes Eingeständnis, dass die Wirtschaft schon dabei ist abzusinken. „Eine Sache ist klar: die Expansion der US-Wirtschaft wird sich abschwächen [....]. Könnte die Bremsung so heftig werden, dass sie zu einer weltweiten Rezession führt? Dies ist wenig wahrscheinlich, aber das Risiko kann man nicht ausschließen. (Dennoch) befürchten wir zwei beunruhigende Folgen. Erst wird die notwendige Verlangsamung, um eine Rückkehr der Inflation in den USA im Jahr 2000 zu vermeiden, ziemlich stark sein [....]. Wenn die neue Wirtschaft ein Mythos ist, oder wenn sie jedenfalls weniger reell ist, als man behauptet, sind die gegenwärtigen Börsennotierungen der US-Firmen völlig überzogen. Wenn man sich die Notwendigkeit einer Abschwächung der globalen Nachfrage und die überbewerteten Aktienkurse (die Anleger haben sich auf den Verlust von Illusionen wenig eingestellt) vor Augen führt, lassen sich keine Bedingungen für eine erfolgreiche Landung erkennen“ (The Economist, „Die Welt im Jahre 2000“).

Zweifel machen sich breit. Wird es die Bourgeoisie schaffen, den Absturz zu kontrollieren um solch einen brutalen und unkontrollierten Schock wie 1929 vermeiden können? Es geht nicht darum, ob sich die Pleite vermeiden lässt oder nicht. Die Pleite ist längst schon eingetreten. Wachstum oder Rezession? Die Rezession hat sich längst schon niedergelassen, wie oben aufgezeigt. Wohlstand oder Armut? Die Armut ist längst eingezogen. Arbeitslosigkeit – prekäre Arbeitsbedingungen oder Vollbeschäftigung? Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsbedingungen gehören längst zum Alltag. Nein, es geht darum: Wird die Bourgeoisie weiterhin den Absturz so kontrollieren können, wie sie es heute tut? Kontrollierter oder unkontrollierter Absturz? Zweifel und Fragestellungen sind in einem anderen Artikel der gleichen Zeitung zu erkennen. „Wenn eine sanfte Landung gelingt, werden die USA ein genauso erstaunliches Wunder vollbracht haben wie das fortgesetzte Wachstum während der letzten Jahre“ (ebenda). Zum Teufel! Zwei „Wunder“ hintereinander! Welch blinder Glaube. Und welches Vertrauen in die Tugenden der kapitalistischen Wirtschaft. Wie beim ersten wird dieses neue „Wunder“, falls es jemals eintreten sollte, nicht durch den Markt bewirkt werden, sondern durch das autoritäre Eingreifen der Staaten – an führender Stelle der USA – in die Wirtschaft, durch politische Entscheidungen der Regierungen und der „Techniker“ der Zentralbanken, die erneut versuchen werden, das Wertgesetz außer Kraft zu setzen, nicht um die Wirtschaft zu retten, sondern um so „sanft“ wie möglich zu landen.

Hin zu mehr Kriegen und Chaos

Wir haben in unserer Presse aufgezeigt[vii] [12], dass in Tschetschenien kein Frieden einkehren wird – genau so wenig wie auf dem Balkan. Und es gibt eine Vielzahl von Spannungsherden. Aus dieser Vielfalt von lokalen Antagonismen ragen besonders die Spannungen zwischen China und Taiwan, Indien und Pakistan und damit Indien und China heraus, d.h. den drei Staaten, die über Atomwaffen verfügen. Darüber hinaus spitzen sich die Gegensätze zwischen den industriellen Großmächten zu, auch wenn diese Zuspitzung bislang teilweise noch verdeckt ist. Diese Rivalitäten schüren die lokalen Konflikte und spitzen sie zu, wenn sie nicht gar deren direkte Ursache sind wie in Jugoslawien. Die Divergenzen hinsichtlich des Kosovos und des Einsatzes der NATO-Truppen verdeutlichen dies.

Wiederaufflammen der lokalen Konflikte, Zuspitzung der Gegensätze zwischen den imperialistischen Großmächten, dahin treibt uns der Kapitalismus immer mehr.

Auf der Ebene der lokalen imperialistischen Gegensätze hat der gegenwärtige Zeitraum des Zerfalls in den meisten Kontinenten ein Chaos hervorgerufen. „In den südlichen Staaten ist der Staat dabei zusammenzubrechen. Gebiete, in denen es kein Rechtssystem mehr gibt, wo immer mehr unregierbare chaotische Zustände herrschen, versinken in einen Zustand der Barbarei, wo nur die Banden von Plünderern dazu in der Lage sind, ihr Gesetz durchzusetzen, indem sie die Bevölkerung erpressen“ (Le Monde Diplomatique, Dez. 1999). Afrika, das aufgegeben zu sein scheint, zeigt es am deutlichsten. Die gewaltigen Regionen Zentralasiens haben den gleichen Weg eingeschlagen, und obwohl es noch nicht die gleiche Stufe erreicht hat, ist Lateinamerika auch von dieser Entwicklung erfasst, wie uns das Beispiel Kolumbien zeigt.[viii] [13]

Genauso wie in ökologischer und ökonomischer Hinsicht stürzt diese unumkehrbare Tendenz des zerfallenden Kapitalismus die Menschheit ins Chaos und in die Katastrophe. „Dieses [russische] Reich, das in selbständige Regionen zerfällt, diese Einheit ohne Gesetze, ohne Zusammenhalt, dieses aufleuchtende Universum, wo die größten Reichtümer und die furchtbarsten Gewalttätigkeiten gleichzeitig anzutreffen sind, liefert uns ein klares Bild von diesem neuen Mittelalter, in das der ganze Planet zurückfallen könnte, falls wir die Globalisierung nicht in den Griff kriegen“ (J. Attali, ehemaliger Berater des französischen Präsidenten F. Mitterand, L’Express, 23.3.00).

Hat die Menschheit eine Zukunft?

Ein Überblick über die Welt von heute zeigt, wie schrecklich und katastrophal die Lage ist. Die Perspektiven, die der Kapitalismus der Menschheit anzubieten hat, sind schauderhaft und apokalyptisch, aber auch unausweichlich. Es sei denn, wir schaffen es, die Ursache dieses Übels zu überwinden: den Kapitalismus.

„Der Mythos besteht weiterhin, dass der Hunger die Folge eines Mangels an Nahrungsmitteln sei [....]. Aber die eigentliche Ursache des Hungers in den reichen und armen Staaten ist die Armut“ (International Herald Tribune, 9.3.00). Die kapitalistische Welt hat ausreichend Produktivkräfte entwickelt, um die ganze Menschheit zu ernähren. Dies geschah sogar, obwohl während des 20. Jahrhunderts ungeheure Reichtümer und die Produktivkräfte massiv zerstört wurden. Der Überfluss an Gütern und das Ende der Armut – all das bleibt weiter im Bereich des Möglichen für die Menschheit und damit auch die Beherrschung der Produktivkräfte und der gesellschaftlichen Verteilung der Güter, das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, das Ende der Kriege und der Massaker, das Ende der Umweltzerstörung. In ökonomischer und technischer Hinsicht ist diese Frage seit Anfang des 20. Jahrhunderts längst geklärt. Aber die Aufgabe der Zerstörung des Kapitalismus muss noch erfüllt werden.

Dem gegenüber will die herrschende Klasse uns immer eintrichtern, dass jegliches revolutionäre Projekt unvermeidbar zu einem blutigen Scheitern verurteilt sei; sie verbreitet die Lüge, dass der Kommunismus seiner Negation, dem Stalinismus, gleichzusetzen sei. Mit Hilfe ihrer „Oppositionskräfte“ leiert sie demokratische Kampagnen gegen Pinochet an, gegen die extreme Rechte in Österreich, gegen die Vorherrschaft der Finanzgiganten über die Gesellschaft, gegen die Auswüchse des Liberalismus, gegen die Welthandelsorganisation während der großen Medienshow um die Gipfelgegner in Seattle, für die Tobin-Steuer in Frankreich. In jedem Land werden diese Kampagnen jeweils an die nationalen Verhältnisse angepasst – so wie bei der Dutroux-Affäre in Belgien, dem Kampf gegen den ETA-Terrorismus in Spanien, den Mafia-Skandalen in Italien und der Anti-Rassismus Kampagne in Frankreich. Ein Leitgedanke dieser demokratischen Kampagnen besteht darin, dass die Bevölkerung und an erster Stelle die Arbeiterklasse sich als „Bürger“ um ihren Staat zusammenschließen, um diesem zu helfen, und bei den radikalsten unter ihnen, um ihn zu zwingen, die Demokratie zu verteidigen.

Das Ziel dieser Kampagnen und dieser demokratischen Verschleierungen ist klar. Der Kampf der Arbeiterklasse wird ersetzt durch die Bürgerbewegung aller Klassen und aller Interessensgruppierungen. Dem Kampf gegen den Kapitalismus und seinen Repräsentanten und höchsten Verteidiger, den Staat, stellt man die Unterstützung des Staates entgegen. Die Arbeiterklasse würde alles verlieren, wenn sie sich in dieser Vermischung aller Klassen der Bürger und des Volkes auflösen würde. Sie würde alles verlieren, wenn sie sich hinter den kapitalistischen Staat stellte. Die Bourgeoisie verbreitet auch die Idee, dass der Klassenkampf und die Arbeiterklasse als solche verschwunden seien. Aber die Tatsache, dass diese Kampagnen überhaupt angeleiert werden, ihre oft internationale Orchestrierung und ihr Ausmaß belegen, dass die Arbeiterklasse aus der Sicht der Bourgeoisie weiterhin eine Gefahr darstellt und als Klasse bekämpft werden muss.

Und dies gilt umso mehr, als sich heute wieder mehr Klassenkämpfe entfalten, die sicherlich noch zerstreut und von den Gewerkschaften und den politischen Kräften der Linken kontrolliert und in Niederlagen geführt werden. Aber diese Kämpfe verdeutlichen nichtsdestotrotz eine wachsende Unzufriedenheit mit den Angriffen des Kapitals. In Deutschland, in Großbritannien, in Frankreich gab es zwar schüchterne und von den Gewerkschaften noch voll kontrollierte, aber dennoch bedeutsame Klassenbewegungen.[ix] [14] Die Proteste der New Yorker U-Bahn-Beschäftigten im Nov.-Dez. 99 (siehe Internationalism Nr. 111, Zeitung der IKS in den USA) waren sicherlich ein Ausdruck der Stärken und Schwächen sowie der Grenzen der Arbeiterklasse heute. Denn es gab auf der einen Seite eine Kampfbereitschaft, die Weigerung, die Opfer ohne Widerstand hinzunehmen, eine Bereitschaft, sich zu versammeln und über die Bedürfnisse und Mittel des Kampfes zu diskutieren, sowie auch ein gewisses Misstrauen gegenüber den gewerkschaftlichen Manövern; auf der anderen Seite ein mangelndes Selbstvertrauen, eine mangelnde Entschlossenheit der Arbeiter zur Überwindung der gewerkschaftlichen Hindernisse, damit sie offen in den Kampf eintreten und versuchen können, die Ausdehnung auf andere Bereiche in die Hand zu nehmen.

Die Lügen über die gute Gesundheit der Wirtschaft zielen darauf ab, die Bewusstwerdung der Arbeiterklasse zu verhindern und vor allem so lange wie möglich zu verzögern. Es geht nicht so sehr darum, die Bewusstwerdung über die Angriffe und die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verhindern – denn die Arbeiter erleben das alltäglich und sind sich darüber im klaren –, sondern vor allem die Bewusstwerdung über den Bankrott des Kapitalismus soll verhindert werden. Und auf ideologischer und politischer Ebene steht die ständige und systematische Kampagne über die Notwendigkeit der Verteidigung der Demokratie und ihrer Verstärkung im Mittelpunkt der politischen Offensive der Bourgeoisie gegen das Proletariat in der heutigen Zeit.

Auf geschichtlicher Ebene steht viel auf dem Spiel. Für den Kapitalismus geht es darum, die Entwicklung von massiven und vereinten Kämpfen so lange wie möglich hinauszuschieben und sie in Sackgassen zu lenken,  um damit auch eine Verstärkung des Selbstbewussteins der Arbeiter zu vereiteln. Damit sollen die Abwehrkämpfe der Arbeiter erschöpft, zerstreut und schließlich in Niederlagen geführt werden. Es wäre eine Katastrophe für die ganze Menschheit, wenn das internationale Proletariat in den zukünftigen entscheidenden Klassenzusammenstößen geschlagen und zu Boden geworfen werden würde.               

R.L. 26.3.00

 


[i] [15] Die Übersetzung der Zitate aus der englischen bzw. französischen Presse ist von uns.

[ii] [16] Teilzeitarbeit und Flexibilität sowie Zahlentricks auch in Großbritannien: „Obwohl es ein wichtiges Faktum ist, wird der große Rückgang der aktiven Bevölkerung meist verschwiegen [....] .  Ein anderer Faktor ist zu berücksichtigen: der starke Anstieg der Teilzeitarbeit, denn seit 1992 sind zwei von drei neu geschaffenen Arbeitsplätzen Teilzeitjobs. Das ist ein Rekord in Europa! Schließlich verfährt man nach einem alten Rezept, die Arbeitslosenzahlen werden in Großbritannien frisiert. Jeder Arbeitswillige, der aber nicht aktiv eine Beschäftigung sucht (d.h. eine Million Menschen) wird aus der Statistik gestrichen, genauso wie diejenigen, die nicht sofort zur Arbeitsaufnahme zur Verfügung stehen (ca. 200000)“ (Le Monde Diplomatique, Febr. 1998). Siehe auch Le Monde Diplomatique April 1998 mit Zahlen zu den prekären Arbeitsbedingungen und Zwangsteilzeitarbeit in den Hauptindustriestaaten USA, Großbritannien, Frankreich usw.

[iii] [17] „Das Defizit beträgt 338,9 Milliarden Dollar 1999, ein Anstieg um 53.6% im Vergleich zu den 220,6 Mrd. Dollar 1998. Seit Einführung der Statistiken, d.h. nach dem 2. Weltkrieg, gab es noch nie ein solch großes Defizit“ (Le Monde, 17.3.00).

[iv] [18] Kinder als Waren sind keine auf die armen Länder beschränkte Erscheinung, wo ein totales Chaos

herrscht. „Großbritannien ist ebenfalls europäischer Spitzenreiter der Kinderarbeit, wie ein Bericht einer unabhängigen Kommission, die Low Pay Unit, aufdeckt, der am 11. Februar veröffentlicht wurde: Zwei Millionen Jugendliche zwischen 6 und 15–16 Jahren, darunter 500000 unter 13 Jahren, gehen einer fast regelmäßigen Beschäftigung nach. Dabei handelt es sich nicht nur um geringfügige Beschäftigungen, sondern um Tätigkeiten, die normalerweise von Erwachsenen in der Industrie und im Dienstleistungsgewerbe ausgeübt werden sollte, und die lächerlich gering bezahlt werden. Das Generationsdumping, das ist das neueste britische Modell“ (Le Monde Diplomatique, April 1998).

[v] [19] Wir können im Rahmen dieses Artikels die neue Entdeckung, den neusten Trick, das Internet und die „neue Ökonomie“, welche die Menschheit und den Kapitalismus aus der Sackgasse führen soll, nicht ausführlich analysieren, kritisieren und denunzieren. Wir können jedoch ganz einfach feststellen, dass der Enthusiasmus der letzten Monate am zusammenbrechen und die Raserei und spekulative Hitze auf dem Internet bereits am abkühlen ist. Die mit dem Internet verknüpften astronomischen Ziffern der Kapitalisierung der Gesellschaften an der Börse stehen in keinem Verhältnis zu den Zahlen der Bruttoumsätze und noch weniger zu den Profiten, wenn diese überhaupt existieren, was selten der Fall ist. Dass immense Kapitalmassen die „alte Ökonomie“ verlassen, also diejenige, welche Produktions- und Konsumgüter herstellt, und sich auf Unternehmen stürzen, welche nichts produzieren und nur die Spekulation zum Ziel haben, ist eine deutliche Bestätigung der Sackgasse des Kapitalismus. „Im Januar gab es einen Zustrom von 32 Milliarden Dollar in Technologiefonds, die stark wachsen (die „neue Ökonomie“ im Zusammenhang mit dem Internet). In dieser Zeit zogen die Investoren ihr Geld aus anderen Geschäften zurück, welche einen Rückgang von 13 Milliarden verzeichneten. Die Zahlen im Dezember waren genauso eindrücklich: 26 Milliarden für die Spitzentechnologie, und 13 Milliarden flohen aus anderen Sektoren.“ (International Herald Tribune, 14.3.2000)

[vi] [20] Laut den Spielregeln der Ökonomen braucht es drei aufeinanderfolgende Quartale mit zurückgehendem Wachstums, damit man „offiziell“ von Rezession sprechen kann. Doch wie The Economist hervorhebt, sind die negativen Zahlen nur Anzeichen einer „offenen“ Rezession, welche keinesfalls die Existenz einer Rezession auch im Falle positiver Zahlen in Frage stellt.

[vii] [21] Siehe die letzten Nummern der International Review mit ausführlicheren Analysen und Stellungnahmen zu den imperialistischen Konflikten, vor allem im Kosovo, Timor und Tschetschenien (Nr. 97, 98, 99, 100 engl./ franz./ span. Ausgabe) 

[viii] [22] Es gilt zu erwähnen, dass „Kolumbien nach Israel und Ägypten der drittgrößte Empfänger amerikanischer Militärhilfe ist“ („Die Welt im Jahre 2000“, Courrier International).  

[ix] [23] In Deutschland „haben sich die sozialen Spannungen zugespitzt (...) als die Regierung einschneidende Veränderungen in der Beschäftigungspolitik einleitete“ (International Herald Tribune, 24.3.00). Siehe auch Weltrevolution, unsere deutschsprachige zweimonatliche Presse. Zu England siehe unsere monatlich erscheinende World Revolution Nr. 228 und 229, sowie die Stellungnahme der Communist Workers Organisation in Revolutionary Perspectives Nr. 15 und 16 zu den verschiedenen Einschätzungen über die gegenwärtigen Arbeiterkämpfe. Zu Frankreich siehe unsere Monatspresse Revolution International.

Die bedeutendsten Bewegungen sind nicht die, über welche in den Medien am meisten geschrieben wird. So haben in Frankreich die zahlenmäßig unbedeutenden und korporatistischen Streiks der Steuerbeamten und im Schulwesen die Schlagzeilen mit Siegesmeldungen beherrscht, die auf das Konto der Gewerkschaften geschrieben wurden, während umgekehrt eine Vielzahl von Konflikten im privaten und öffentlichen Sektor, wie z.B. bei der Post, gegen die Einführung der 35-Stunden-Woche und deren Konsequenzen heruntergespielt, wenn überhaupt vermittelt, werden.

 

Polemik mit dem IBRP: Die marxistische Methode und der Aufruf der IKS gegenüber dem Krieg in Ex-Jugoslawien

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Nach den Anzeichen gegenseitiger Anerkennung und Debatten unter den Gruppen der Kommunistischen Linken in den vergangenen Jahren (so zum Beispiel eine gemeinsame Diskussionsveranstaltung des Internationalen Büros für die Revolutionäre Partei (IBRP) mit der IKS in Grossbritannien) war der von der NATO geführte Krieg auf dem Balkan ein Test für die Fähigkeit dieser Organisationen zu einer gemeinsamen Verteidigung des proletarischen Internationalismus auf möglichst breiter Ebene. Leider haben diese Gruppierungen den Aufruf der IKS zu einer gemeinsamen Stellungnahme gegen die imperialistische Schlächterei in Ex-Jugoslawien zurückgewiesen. Wir haben in der Internationalen Revue Nr. 24 bereits eine erste Bilanz über die Reaktionen gegenüber unserem Aufruf veröffentlicht.

Im vorliegenden Artikel wollen wir auf die Idee des IBRP, laut der unser Aufruf auf einer „idealistischen“ Methode beruhe, antworten.

„Wenn ihr in eurem Flugblatt schreibt, dass `die Weltarbeiterklasse seit den massiven Streiks vom Mai 68 in Frankreich ihre Kämpfe entfaltet und sich damit geweigert hat, sich der Logik des krisengeschüttelten Kapitalismus zu unterwerfen, (weshalb) sie die Auslösung eines 3. Weltkrieges hat verhindern können`, dann bleibt ihr Gefangene eures Schemas, welches wir schon zuvor als idealistisch charakterisiert haben und das heute für die Bedürfnisse der theoretisch-politischen Klarheit und Solidarität, um in der Arbeiterklasse zu intervenieren, besonders unbrauchbar ist.“ (Brief des IBRP vom 8.4.1999, von uns aus dem Englischen übersetzt)

Tatsächlich wäre der Idealismus für eine revolutionäre Organisation eine grosse Schwäche. Der Idealismus ist ein gewichtiges Bollwerk der bürgerlichen Philosophie. Er sieht die vorwärtstreibenden Kräfte der Geschichte in den Ideen, der Moral und den Wahrheiten, welche durch das menschliche Bewusstsein hervorgebracht wurden. Damit bildet er ein wichtiges Fundament für die verschiedenen bürgerlichen Ideologien, welche die Ausbeutung der Arbeiterklasse verschleiern und ihr jegliche Fähigkeit zur Selbstbefreiung absprechen. Die Teilung der Gesellschaft in Klassen, sowie die Möglichkeit und Notwendigkeit der kommunistischen Revolution mit dem Ziel, diese Gesellschaft zu überwinden, können nur mit einer materialistischen Sichtweise der Geschichte begriffen werden. Die Geschichte des Denkens erklärt sich aus der Geschichte des Seins, und nicht umgekehrt.

Der Idealismus und der historische Kurs

Weshalb soll denn die Auffassung des „historischen Kurses“, der zum Kräfteverhältnis zwischen den Klassen in einer gegebenen Periode Stellung bezieht und zur Schlussfolgerung kommt, dass heute nicht der Kurs hin zu einem generalisierten imperialistischen Krieg offen ist, sondern nach wie vor in Richtung einer verstärkten Klassenkonfrontation schreitet, wohl „idealistisch“ sein? Der Brief der Communist Workers Organisation (das IBRP in Grossbritannien) an die IKS, in dem der Vorschlag zu einer gemeinsamen öffentlichen Diskussionsveranstaltung zurückgewiesen wird, versucht uns dies zu erklären:

„Für euch scheint dies eine Nebensächlichkeit zu sein, doch für uns unterstreicht es, wie stark ihr von der Realität entfernt seid. Wir sind absolut bestürzt über die geringe proletarische Antwort gegenüber den momentanen Ereignissen. Das Motto „Sozialismus oder Barbarei“ hat in dieser Krise seine wahre Gültigkeit. Doch wie könnt ihr weiterhin behaupten, die Arbeiterklasse verhindere den Krieg, wenn die Ereignisse in Jugoslawien zeigen, wie die Imperialisten (ob klein oder gross) freie Hand haben?(...) Dieser Krieg ist nur 800 Meilen (ein Krähenflug) von London entfernt. Muss er sich nach Brighton ausdehnen, bis ihr eure Perspektiven korrigiert? Der Krieg ist ein direkter Schritt hin zur Barbarei. Wir können nicht zusammenspannen im Kampf für eine kommunistische Alternative, wenn ihr behauptet, dass man in der gegenwärtigen Periode auf die Arbeiterklasse zählen könne.“ (Brief der CWO vom 26.4.1999, von uns aus dem Englischen übersetzt)

Der Idealismus, unser Idealismus, scheint also nichts mit der „Realität“, den „Ereignissen“, zu tun zu haben, welche das IBRP als Tatsachen beschreibt. Der vom IBRP erhobene schwerwiegende Vorwurf des Idealismus ist kaum brauchbar, da er eine historische Frage auf ein Problem des „gesunden Menschenverstandes“ reduziert.

Dieser kurze Abschnitt, in welchem das IBRP seine Version der Realität darstellt, entbehrt jedoch einer seriösen materiellen Grundlage und gründet allzufest auf Überlegungen des „gesunden Menschenverstandes“, die durch kurzzeitige und lokale Fakten bestimmt sind. Sicherlich passt der Ausdruck „Sozialismus oder Barbarei“ zur gegenwärtigen Situation: die historischen Alternativen der zwei hauptsächlichen Klassenfeinde in der Gesellschaft stehen auf dem Balkan auf dem Spiel. Das IBRP widerspricht sich einige Zeilen später, wenn es behauptet, das Proletariat und seine historische Perspektive, der Sozialismus, habe in der gegenwärtigen Situation kein Gewicht.

Das IBRP hält die Fahne der kommunistischen Alternative offenbar alleine auf der ganzen Welt aufrecht. Seine widersprüchlichen Analysen über die Realität, die „unmittelbare“ Realität, die „wirklichen Ereignisse“ sind nicht „dialektisch“ wie es das IBRP gerne möchte, da es nicht fähig ist, zu begreifen, wie sich die grundlegenden historischen Tendenzen in einer gegebenen Situation ausdrücken.

Während die IKS versucht hat, zumindest das historische Gewicht der Arbeiterklasse in bezug auf den Krieg auf dem Balkan zu verstehen, ohne den Ernst der Situation herunterzuspielen, begibt sich das IBRP auf die Ebene des Empirismus à la Bacon und Lockei [24], und misst die Ereignisse an ihrer geografischen Nähe zu Brighton und London. Das Proletariat ist offenbar keine Kraft, „auf die man in der gegenwärtigen Periode zählen kann“, da es keine greifbaren Fakten gibt, welche dies beweisen und die sich empirisch belegen lassen. Das IBRP sieht in der heutigen historischen Periode das Proletariat nicht, riecht, fühlt oder hört es nicht, und deshalb existiert es nicht. Und jeder, der behauptet, die Arbeiterklasse sei eine Kraft, auch wenn eine bescheidene, ist offenbar ein Idealist.

So werden die Gegentendenzen zur anscheinenden Abwesenheit des Proletariats – vor allem die mangelnde Kriegsbegeisterung der Arbeiterklasse in Westeuropa und den USA – übersehen. Doch wer mit der historischen Wirklichkeit in Einklang stehen will, muss auch die unter der Oberfläche verborgenen Tendenzen in den Ereignissen wahrnehmen, die manchmal nur ein negativer Abdruck der Situation sind, wie eine Spur im Sand.

Eine Methode, welche die Ereignisse nur als simple Fakten betrachtet, ohne die historischen Zusammenhänge mit einzubeziehen, ist nur in einem metaphysischen Sinne materialistisch:

„Und indem, wie dies durch Bacon und Locke geschah, diese Anschauungsweise aus der Naturwissenschaft sich in die Philosophie übertrug, schuf sie die spezifische Borniertheit der letzten Jahrhunderte, die metaphysische Denkweise. Für den Metaphysiker sind die Dinge und ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, vereinzelte, eins nach dem andern und ohne das andre zu betrachtende, feste, starre, ein für allemal gegebne Gegenstände der Untersuchung. Er denkt in lauter unvermittelten Gegensätzen; seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was darüber ist, das ist vom Übel. Für ihn existiert ein Ding entweder, oder es existiert nicht: Ein Ding kann ebenso wenig es selbst und ein andres sein. Positiv und negativ schliessen einander absolut aus; Ursache und Wirkung stehn ebenso in starrem Gegensatz zueinander. Diese Denkweise erscheint uns auf den ersten Blick deswegen äusserst einleuchtend, weil sie diejenige des sogenannten gesunden Menschenverstands ist. Allein der gesunde Menschenverstand, ein so respektabler Geselle er auch in dem hausbackenen Gebiet seiner vier Wände ist, erlebt ganz wunderbare Abenteuer, sobald er sich in die weite Welt der Forschung wagt; und die metaphysische Anschauungsweise, auf so weiten, je nach der Natur des Gegenstands ausgedehnten Gebieten sie auch berechtigt und sogar notwendig ist, stösst doch jedes Mal früher oder später auf eine Schranke, jenseits welcher sie einseitig, borniert, abstrakt wird und sich in unlösliche Widersprüche verirrt, weil sie über den einzelnen Dingen deren Zusammenhang, über ihrem Sein ihr Werden und Vergehen, über ihrer Ruhe ihre Bewegung vergisst, weil sie vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. (Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW, Bd. 19, S. 203-204)

Der Empirismus - der gesunde Menschenverstand - setzt den historischen Materialismus und seine dialektische Methode dem Idealismus gleich und versteht nicht, dass der Marxismus sich weigert, die Dinge nur als einzelne Erscheinungen zu betrachten.

Das IBRP widerspricht der Geschichte der revolutionären Bewegung, wenn es das „Schema“ des historischen Kurses als idealistisch bezeichnet. War die linke Fraktion der italienischen Kommunistischen Partei, welche in den 30er Jahren die Zeitschrift BILAN herausgab, vom Idealismus beseelt, als sie dieses Konzept entwickelte, um herauszufinden, ob die Geschichte in Richtung Krieg oder Revolution führe? ii [24] Dies ist eine Frage, auf die das IBRP eine Antwort geben muss, da BILAN ein Bestandteil der Geschichte der Italienischen Kommunistischen Linken ist, auf welche es sich beruft.

Auf der einen Seite meint das IBRP, den historischen Materialismus einseitig anwenden zu können, um eine angebliche und offensichtliche Wahrheit der Tatsachen zu proklamieren; auf der anderen Seite aber greift es auf mechanische Schemata zurück, um nicht existierende Tatsachen zu erfinden. In seinem internationalistischen Flugblatt gegen den Krieg in Ex-Jugoslawien behauptet es, dass der Hauptgrund der NATO-Intervention „die Kontrolle über das Öl im Kaukasus“ sei. Wie ist das IBRP zu dieser Fantasie gelangt? Durch die Anwendung des Schemas, nach dem die Haupttriebkraft des Imperialismus heute die Suche nach ökonomischen Profiten sei, „um sich die Kontrolle und Verwaltung des Erdöls anzueignen, der Ölprofite und der Finanz- und Handelsmärkte“.

Dies ist zwar ein materialistisches Schema, jedoch eines mechanischen Materialismus. Der Hauptfaktor des modernen Imperialismus sind zwar die wirtschaftlichen Widersprüche des Kapitalismus, doch übergeht dieses Schema die politischen und strategischen Faktoren, welche im Konflikt zwischen den Ländern Überhand genommen haben.

Die marxistische Methode und die Intervention der Revolutionäre gegen den Krieg

Auch wenn das IBRP in der Frage der Rolle der Arbeiterklasse in der Geschichte eine empiristische Herangehensweise übernimmt, zeigt es in den generellen und entscheidenden Fragen die Fähigkeit, eine marxistische Sichtweise anzuwenden, zu welcher der gesunde Menschenverstand nicht fähig ist. Sein Flugblatt über den Krieg – genauso wie die Flugblätter der anderen Gruppen der Kommunistischen Linken – deckte auf, dass hinter den angeblich humanitären Zielen der Grossmächte im Kosovo eine breite und unvermeidbare Konfrontation steckte. Es zeigte auf, wie die Pazifisten und Linken trotz ihrer grossen Erklärungen gegen die Gewalt in Wirklichkeit das Feuer des Krieges schürten. Und schliesslich, auch wenn es das Proletariat nicht als eine Kraft in der heutigen Situation sehen kann, hob es dennoch hervor, dass der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse das alleinige Mittel ist, um der um sich greifenden kapitalistischen Barbarei ein Ende zu setzen.

Die gemeinsame internationalistische, proletarische Position gegen den imperialistischen Krieg der verschiedenen Gruppen der Kommunistischen Linken, die auch von der IKS und dem IBRP geteilt wird, ist marxistisch und der Methode des historischen Materialismus treu.

Spätestens hier bricht der Vorwurf des Idealismus gegenüber der IKS zusammen.

Das Problem der Einheit in der Geschichte der revolutionären Bewegung

In seinem Brief an Wilhelm Bracke von 1875, der die Einleitung zur Kritik des Gothaer Programms der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands bildete, schrieb Marx: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme“(MEW Bd. 19, S. 13) Dieser berühmte Satz ist ein Referenzpunkt für die gemeinsame Aktion der Revolutionäre. Er ist eine perfekte Anwendung der ebenfalls berühmten Thesen über Feuerbach von 1845, die zeigten, dass der historische Materialismus keine neue beschauliche Philosophie ist, sondern eine Waffe des proletarischen Handelns:

„Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefasst werden und rationell verstanden werden.“ und „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an sie zu verändern.“ (Thesen über Feuerbach, MEW, Bd. 3, S. 6-7)

In seinem Einleitungsbrief und dem folgenden Text kritisierte Marx scharf das Einheitsprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wegen der gegenüber den Lassalleanern gemachten Kompromisse.iii [24] Er ging davon aus, dass „...eine Übereinkunft für Aktionen gegen den gemeinsamen Feind...“ von grosser Wichtigkeit war und schlug vor, die Abfassung des Programms „...bis zur Zeit aufzuschieben, wo dergleichen durch längere gemeinsame Tätigkeit vorbereitet war...“. (Brief an Bracke, a.a.O.) Die grossen Differenzen waren kein Hindernis zu einer gemeinsamen Aktion, sondern wurden gerade in diesem Zusammenhang ausgetragen.


Wie wir schon in unserem Aufruf hervorgehoben haben, wandten Lenin und die anderen Vertreter der marxistischen Linken dieselbe Methode auf der Konferenz von Zimmerwald im September 1915 an, wo sie das aufsehenerregende Manifest gegen den Ersten Weltkrieg unterschrieben. Dennoch hatten sie Kritiken und Uneinigkeiten an den schwerwiegenden Schwächen des Manifests angebracht und legten ihren eigenen Standpunkt iv [24] zur Abstimmung vor, der von der Mehrheit der Konferenz verworfen wurde.


Das IBRP hat bereits versucht aufzuzeigen, dass dieses Beispiel der Einigkeit unter den Revolutionären unter anderen Umständen stattfand und sich deshalb nicht auf die heutige Zeit übertragen lasse. In anderen Worten: Das IBRP will den Faden, der aus der Vergangenheit von Zimmerwald hin zur Aktualität führt, nicht sehen. Es sieht darin nur eine abgeschlossene Episode aus der Vergangenheit, welche nur noch für die Geschichtsschreiber von Wert ist.

Die unterschiedlichen Umstände, unter denen sich die Einheit der Revolutionäre in der Vergangenheit bewährte, beweisen nicht ihre Ungültigkeit für die heutige revolutionäre Bewegung, sondern vielmehr, dass die Grundsätze immer noch anwendbar sind.

 

Das Bemerkenswerteste an der Verteidigung der Zusammenarbeit der Revolutionäre durch Marx und Lenin in den zwei angeführten Beispielen ist, dass die Differenzen zwischen den Eisenachern und den Lassalleanern im einen, und zwischen der marxistischen Linken (vor allem den Bolschewiki) und den Sozialisten von Zimmerwald im anderen Beispiel, erheblich grösser waren als die Meinungsverschiedenheiten unter den Gruppen der Kommunistischen Linken von heute.

Marx befürwortete die Zusammenarbeit in einer Partei mit einer Tendenz, welche den „freien Staat“, die „Gleichheit“ und „die gerechte Verteilung des Arbeitsertrags“ verteidigte und vom „ehernen Lohngesetz“ und anderen bürgerlichen Vorurteilen sprach. Das Zimmerwalder Manifest war eine gemeinsame Stellungnahme gegen den ersten imperialistischen Weltkrieg, einerseits durch die unbeugsamen Internationalisten, welche zum Klassenkrieg gegen den imperialistischen Krieg und zur Bildung einer neuen Internationalen aufriefen, und andererseits den Pazifisten, Zentristen und anderen Zweiflern, die mit der Versöhnung mit den Sozialpatrioten liebäugelten und die Parolen der revolutionären Linken in Frage stellten. Im Gegensatz dazu existieren im heutigen kommunistischen Milieu keine Konzessionen gegenüber demokratischen und humanistischen Illusionen. Es gibt eine gemeinsame Anprangerung des Krieges als imperialistischen Krieg, eine gemeinsame Denunzierung des Pazifismus und Chauvinismus der Linken und ein gemeinsames Engagement für den „Klassenkrieg“, um dem imperialistischen Krieg die Perspektive und Notwendigkeit einer proletarischen Revolution entgegenzusetzen.

Lenin unterzeichnete das Zimmerwalder Manifest mit all seinen Schwächen und Haltlosigkeiten, um die tatsächliche Bewegung voranzutreiben. In einem direkt nach der ersten Zimmerwalder Konferenz veröffentlichten Artikel schreibt er:

„Dass dieses Manifest einen Schritt vorwärts macht zum wirklichen Kampf gegen den Opportunismus, ist eine Tatsache. Es wäre Sektierertum, wollte man darauf verzichten, gemeinsam mit der Minderheit der Deutschen, Franzosen, Schweden und Schweizer diesen Schritt vorwärts zu machen, solange wir uns die volle Freiheit und die volle Möglichkeit wahren, die Inkonsequenz zu kritisieren und mehr anzustreben. Es wäre schlechte militärische Taktik, wollte man es ablehnen, gemeinsam mit der wachsenden internationalen Protestbewegung gegen den Sozialchauvinismus zu marschieren, weil sich diese Bewegung langsam entwickelt, weil sie „nur“ einen Schritt vorwärts macht, weil sie bereit und gewillt ist, morgen wieder einen Schritt zurück zu machen und mit dem alten Internationalistischen Büro Frieden zu schliessen.“ (Lenin, Ein erster Schritt, 11. Oktober 1915, Ges. Werke, Bd. 21, S. 393-394)


Radek gelangte in einem anderen Artikel über diese Konferenz zur selben Schlussfolgerung:

„... die Linke hat aus folgenden Gründen beschlossen, für die Resolution zu stimmen. Es wäre doktrinär und sektiererisch, uns von den Kräften abzuwenden, welche in einem gewissen Grade begonnen haben, in ihrem eigenen Land gegen den Sozialpatriotismus zu kämpfen, während sie mit heftigsten Attacken der Sozialpatrioten konfrontiert sind.“ (Die Zimmerwalder Linke, von uns aus dem Englischen übersetzt)

Zweifellos müssen die heutigen Revolutionäre der Entfaltung des imperialistischen Krieges mit derselben Methode entgegentreten wie Lenin und die Zimmerwalder Linke gegen den Ersten Weltkrieg. Das Vorankommen der revolutionären Bewegung als Ganzes ist die wichtigste Priorität. Der hauptsächliche Unterschied zwischen den Bedingungen von damals und denen von heute ist der, dass es heute eine viel grössere Übereinstimmung unter den internationalistischen Gruppen gibt als zwischen der Linken und dem Zentrum in Zimmerwaldv [24], und deshalb auch eine viel grössere Notwendigkeit und Berechtigung zu einer gemeinsamen Aktion.

Eine gemeinsame internationalistische Erklärung und andere Ausdrücke von gemeinsamen Aktionen gegen den Krieg der NATO hätte die politische Präsenz der Kommunistischen Linken im Vergleich mit dem Widerhall, den jede Gruppe alleine hat, enorm verstärkt. Dies wäre ein handfester Gegenpol gegen die nationalistischen Spaltungen der herrschenden Klasse gewesen. Das gemeinsame Bestreben, die reale Bewegung voranzubringen, hätte ein verstärkter Anziehungspol für nach kommunistischen Positionen suchende Elemente dargestellt, welche heute von der verwirrenden Verstreutheit der einzelnen Gruppen enttäuscht sind. Und die Vereinigung der Kräfte hätte auf die Arbeiterklasse als ganzes eine grössere Wirkung gehabt. Zudem hätte dies ein historischer Referenzpunkt für die Revolutionäre der Zukunft dargestellt, wie dies beim Zimmerwalder Manifest der Fall war, welches über die Schützengräben hinweg ein Hoffnungsschimmer für die angehenden Revolutionäre war. Wie soll man eine politische Methode beschreiben, welche eine solche gemeinsame Aktion zurückweist? Die Antwort wurde von Lenin und Radek gegeben: sie ist doktrinär und sektiererisch. vi [24]

Wenn wir hier nur zwei historische Beispiele aufführen, dann aus Platzgründen und nicht weil es an gemeinsamen Aktionen unter Revolutionären in der Vergangenheit gemangelt hätte. Die Erste, Zweite und Dritte Internationale wurden alle mit der Teilnahme von Elementen gegründet, die nicht einmal die wichtigsten marxistischen Voraussetzungen erfüllten, wie den Anarchisten in der Ersten Internationale oder den französischen und spanischen Anarchosyndikalisten, welche den Internationalismus und die Russische Revolution verteidigten und in die Kommunistische Internationale aufgenommen wurden.

Wir sollten auch nicht vergessen, dass der Spartakist Karl Liebknecht, der von der gesamten marxistischen Linken als einer der heroischsten Verteidiger der Arbeiterklasse im Ersten Weltkrieg anerkannt wurde, ein Idealist im wahren Sinne des Wortes war, da er den historischen Materialismus zugunsten des Kantismus zurückwies.

Die Methode der Konfrontation der Positionen in der revolutionären Bewegung

Die Mehrheit der heute existierenden revolutionären Gruppierungen gehen davon aus, dass eine Einheit zu einer wenn auch nur kleinen gemeinsamen Aktion die wichtigen Differenzen mit den anderen überdecken oder verwischen würden. Nichts ist falscher als dies! Nach der Gründung der deutschen Sozialdemokratischen Partei und nach Zimmerwald gab es keineswegs eine opportunistische Verwässerung der Meinungsverschiedenheiten, die unter den einzelnen Teilnehmern existierten, sondern im Gegenteil eine Zuspitzung und schlussendlich eine Bestätigung der klarsten Positionen in der Praxis. Die Marxisten errangen in der deutschen Sozialdemokratie und nach 1875 in der Zweiten Internationale über die Lassalleaner klar die Oberhand. Nach Zimmerwald setzten sich die unbeugsamen Positionen der Linken, welche in der Minderheit gewesen waren, gänzlich durch. Vor allem als die revolutionäre Welle 1917 in Russland begann, wurde ihre Politik durch den Gang der Ereignisse und das Zurückfallen der Zentristen in die Arme der Sozialpatrioten bestätigt.

Hätten sie ihre Positionen nicht in einer wenn auch beschränkten gemeinsamen Aktion auf den Prüfstein gelegt, wäre deren Erfolg nicht möglich gewesen. Die Kommunistische Internationale hat ihre Wurzeln in der Zimmerwalder Linken. vii [24]


Diese Beispiele aus der Geschichte der revolutionären Bewegung bestätigen ebenfalls eine bekannte These über Feuerbach:

„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“ (MEW, Bd. 3, S. 5, Hervorhebungen durch Marx selbst)

Diejenigen Gruppen der Kommunistischen Linken, welche einen praktischen Rahmen für ihre gemeinsame Bewegung zurückweisen, in dem ihre Differenzen ausgetragen werden könnten, reduzieren ihre Meinungsverschiedenheiten über die marxistische Theorie auf ein scholastisches Niveau. Auch wenn diese Gruppen den Willen zeigen, die Gültigkeit ihrer Positionen der Praxis des breiten Klassenkampfes zu stellen, so bleibt dies ein frommer Wunsch, solange sie ihr eigenes Haus nicht in Ordnung bringen und ihre Positionen in der praktischen Zusammenarbeit mit den anderen internationalistischen Tendenzen nicht überprüfen.

Die Anerkennung eines Minimums an gemeinsamer Aktivität ist für Elemente, die aus den Reihen der Arbeiterklasse kommen, besonders in den Ländern, in welchen die Kommunistische Linke noch über keine organisierte Präsenz verfügt, die Basis, auf der die Meinungsverschiedenheiten klar dargelegt, konfrontiert, getestet und überprüft werden können. Die heutigen kommunistischen Gruppierungen weigern sich leider, dies zu verstehen. Die Gruppierungen der bordigistischen Strömung verteidigen das Sektierertum als ein Prinzip. Ohne selbst soweit zu gehen versucht das IBRP jegliche seriöse Konfrontation der politischen Positionen zu umgehen: „Wir kritisieren die IKS (...), auf ein, wie sie es nennt ‚politisches proletarisches Milieu‘ zu warten, welches ihre immer seltsameren politischen Anliegen aufnehmen und debattieren soll.“ viii [24] (von uns aus dem Englischen übersetzt) Dies steht in Internationalist Communist Nr. 17, der Zeitschrift des IBRP, eine Nummer, die vor allem der Darstellung der Differenzen mit der IKS gewidmet ist und eine Antwort an suchende Elemente in Russland geben soll, Elemente die sich gerade über die Frage der Verantwortung der Internationalisten und ihrer gemeinsamen Aktion gegen den imperialistischen Krieg in Unklarheit befinden. Es ist wirklich bedauernswert, dass das internationalistische Milieu jede seriöse Debatte aus Angst vor der Konfrontation der unterschiedlichen Positionen zurückweist. Die heutige revolutionäre Bewegung braucht wieder Vertrauen, wie sie die Revolutionäre der Vergangenheit in ihre Ideen und Positionen hatten.

Die Anschuldigung, nach der die IKS idealistisch sei, ist absolut haltlos. Wir erwarten zumindest Kritiken, die solide und gründlich ausgeführt sind.

Angesichts der internationalen Situation und der Herausforderung, vor der die Arbeiterklasse steht, sollte klar sein, dass die materialistische Methode der revolutionären marxistischen Bewegung eine gemeinsame Antwort erfordert. Die Kommunistische Linke war angesichts des Krieges im Kosovo nicht fähig, ihre Verantwortung voll wahrzunehmen. Doch die Herausforderungen der Zukunft werden uns dazu zwingen, dies verstärkt zu tun. 11.9.1999 Como

 


 

 

i [24] Francis Bacon (1561-1626) und John Locke (1632-1704) waren zwei materialistische englische Philosophen.

ii [24] In einem Artikel mit dem Titel „Der Kurs hin zum Krieg“ stellte BILAN in Nr. 29 im März 1936 die Frage des historischen Kurses ausdrücklich: „Die heutigen Regierenden (...) haben ein Recht auf die ewige Anerkennung der kapitalistischen Herrschaft, da sie das Weltproletariat wie nie zuvor plattgewalzt haben. Doch durch die Erwürgung der einzigen Kraft, welche fähig ist, eine neue Gesellschaft zu gründen, haben sie auch die Türe zum unabwendbaren Krieg geöffnet, dem extremsten Ausdruck der Widersprüche der kapitalistischen Herrschaft. (...) Wann wird der Krieg ausbrechen? Niemand kann dies voraussagen. Nur eines ist sicher: alles ist bereit dazu.“ Ein anderer Artikel in derselben Nummer kommt auf die Frage der Vorbedingungen des Krieges zurück: „Wir sind überzeugt, dass mit der Politik des sozial-zentristischen Verrats der das Proletariat als Klasse in den `demokratischen` Ländern zur Ohnmacht geführt hat; dass mit dem Faschismus, der mit dem Terror zum selben Ziel gelangte, die Weichen für eine neue weltweite Schlächterei gestellt worden sind. Die Degenerierung der UdSSR und der Komintern ist eines der alarmierendsten Signale für den Kurs hin zum Abgrund des Krieges.“

Nebenbei ist es interessant, das IBRP und die bordigistischen Gruppen an den Vorschlag zu erinnern, welchen BILAN den übriggebliebenen kommunistischen Kräften machte: „Die alleinige Antwort, die diese Kommunisten den Ereignissen, in denen wir uns befinden, entgegensetzen können, die einzige politische Handlung, die auf dem Weg zum Sieg von morgen ein Wegweiser sein kann, ist eine internationale Konferenz, welche die traurigen Überbleibsel des Gehirns der Weltarbeiterklasse sammelt.“ Unsere Sorge, den historischen Kurs zu erkennen, und unser Appell zu einer gemeinsamen Verteidigung des Internationalismus befinden sich in der Tradition der Italienischen Linken, ob man dies nun wahrhaben will oder nicht.

iii [24] Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands entstand durch die Vereinigung der zwei grossen Strömungen, die kleinbürgerliche, nach ihrem Führer Lassalle benannt, und die marxistische, die Eisenacher, benannt nach der Stadt, in der sich diese Strömung als Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands 1869 gegründet hatte.

iv [24] Wir haben die Gültigkeit einer einheitlichen Politik wie der Zimmerwalder Linken auch für das internationalistische Lager von heute in der Internationalen Revue Nr. 44 (engl./franz./span.) beschrieben.

v [24] Man kann sogar sagen, dass die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Zimmerwalder Linken selbst grösser waren als diejenigen innerhalb des heutigen internationalistischen Lagers. Es gab bedeutende Differenzen, ob die Möglichkeit der nationalen Befreiung noch vorhanden war und ob deshalb die Losung „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ in der marxistischen Politik noch eine Gültigkeit hatte. Die verschiedenen und sich widersprechenden Auffassungen Lenins auf der einen und Trotzkis und Radeks auf der anderen Seite über den Aufstand von Ostern 1916 in Dublin zeigte klar die Differenzen innerhalb der Zimmerwalder Linken auf. Selbst innerhalb der bolschewistischen Partei existierten zu dieser Zeit bedeutende Differenzen zur Forderung der nationalen Selbstbestimmung mit Bucharin und Piatakov, welche diese als überlebt bezeichneten, und über die Gültigkeit der Losung des „revolutionären Defätismus“ und der „Vereinigten Staaten von Europa“.

vi [24] Lenins Politik der internationalen Einheit beschränkte sich nicht auf die Zimmerwalder Bewegung. Er wandte sie auch innerhalb der russischen Sozialdemokratie an, indem er die Zusammenarbeit mit Trotzkis nicht-bolschewistischer Gruppe Nasche Slovo befürwortete. Wenn diese Bemühungen bis hin zur Russischen Revolution nicht von Erfolg gekrönt waren, dann nur wegen der Zweifel und des Sektierertums Trotzkis.

vii [24] „Die Zimmerwalder und Kienthaler Konferenzen hatten zu der Zeit Bedeutung, wo es wichtig war, all diejenigen Elemente des Proletariats zu vereinigen, welche bereit waren, in dieser oder jener Form gegen das imperialistische Morden zu protestieren.(...) Die Zimmerwalder Vereinigung hat sich überlebt. Alles was wirklich revolutionär in der Zimmerwalder Vereinigung war, geht in die Kommunistische Internationale über.“ Dieser Text ist von Rakowski, Lenin, Sinowjew, Trotzki und Platten unterzeichnet. (Erklärung der Teilnehmer von Zimmerwald auf dem Kongress der Kommunistischen Internationale, Die Kommunistische Internationale Bd. 1, S. 97, Intarlit Verlag 1984)

viii [24] „We critisice the ICC (…) for expecting what they call the “proletarian political milieu” to take up and debate their increasingly outlandish political concerns.”

Geographisch: 

  • Balkan [25]

Historische Ereignisse: 

  • Zusammenbruch des Balkans [26]

Theoretische Fragen: 

  • Krieg [27]

Wirtschaftskrise: II. Die 80er Jahre

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30 Jahre offene Krise des Kapitalismus

II. Die 80er Jahre

In der letzten Ausgabe der Internationalen Revue sahen wir, wie der Kapitalismus seit 1967 dem offenen Wiederauftreten seiner historischen Krise durch die Entwicklung der staatlichen Wirtschaftsintervention begegnet war. Damit versuchte die Bourgeoisie, die Krise zu verlangsamen und ihre schlimmsten Auswirkungen auf die Peripherie, auf die schwächsten Sektoren ihres eigenen nationalen Kapitals und natürlich auf die Gesamtheit der Arbeiterklasse zu schieben. Wir analysierten die Entwicklung der Krise und die Antwort des Kapitalismus in den 70er Jahren. Nun wollen wir auf die Entwicklung ihres Verlaufs während der 80er Jahre blicken. Diese Analyse wird es uns gestatten zu begreifen, dass die staatliche Politik der „Krisenbegleitung, um den Absturz zu verzögern und abzufedern“, nichts gelöst hat, noch dass sie irgendetwas anderes gebracht hat als die Vertiefung der fundamentalen Widersprüche des Kapitalismus.

Die Krise von 1980-82

Auf dem 2. Internationalen Kongress der IKS, der 1977 abgehalten worden war1, warfen wir ein Schlaglicht auf die Art und Weise, wie die vom Kapitalismus geförderte expansionistische Politik immer weniger Wirkung zeigte und in die Sackgasse geraten war. Die Schwankungen zwischen „Erholung“, die die Inflation provozierte, und plötzlichen Drosselungen, die in der Rezession endeten, führten zu dem, was „Stagflation“ genannt wird (Rezession und Inflation zur gleichen Zeit) und demonstrierten die ernste Lage des Kapitalismus sowie den unlösbaren Charakter dieser Widersprüche. Die unheilbare Krankheit der Überproduktion verschärfte ihrerseits global die imperialistischen Spannungen dergestalt, dass es in den letzten Jahren dieses Jahrzehnts eine bemerkenswerte Verschärfung militärischer Konfrontationen und die Entwicklung des Rüstungswettlaufes sowohl auf der nuklearen als auch auf der konventionellen Ebene gegeben hat2.

Die 80er Jahre begannen mit einer offenen Rezession, die bis 1982 dauerte und die in vielerlei Hinsicht schlimmer war als die vorherige Rezession 1974/75: Die Produktion stagnierte (die Wachstumsraten waren in Großbritannien und den europäischen Ländern negativ), die Arbeitslosigkeit wuchs spektakulär (1982 registrierte man in den USA allein in einem Monat den Verlust von einer halben Million Arbeitsplätzen); die Industrieproduktion fiel in Großbritannien 1982 auf den Stand von 1967 zurück, und das erste Mal seit 1945 ging der Welthandel in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zurück3. Dies führte zur Schließung von Fabriken und zur Massenarbeitslosigkeit in einem Maße, wie es seit 1929 nicht mehr gesehen worden war. Was industrielle und landwirtschaftliche Verwüstung genannt wurde, begann sich nun zu entwickeln und setzte sich seither ständig fort. Einerseits sahen ganze Regionen alter traditioneller Industrien die systematische Schließung von Fabriken und Zechen, und die Arbeitslosigkeit schoss auf 30%. Dies passierte in solchen Gebieten wie Manchester, Liverpool oder Newcastle in Großbritannien, Charleroi in Belgien, Lorraine in Frankreich oder Detroit in den Vereinigten Staaten. Andererseits war die landwirtschaftliche Überproduktion in vielen Ländern dermaßen groß, dass die Regierungen für die Beseitigung weiter landwirtschaftlicher Flächen zahlten und die Hilfen für Landwirtschaft und Fischerei brutal beschnitten wurden, was den wachsenden Ruin kleiner und mittlerer Bauern sowie Arbeitslosigkeit unter den Landarbeitern verursachte.

Nach 1983 gab es jedoch eine wirtschaftliche Erholung, die anfangs auf die Vereinigten Staaten beschränkt blieb, aber ab 1984/85 auch auf Europa und Japan übergriff. Diese Erholung wurde grundsätzlich durch die kolossalen Schuldenstände der Vereinigten Staaten bewirkt, die die Produktion steigerten und der Wirtschaft Japans und Westeuropas stufenweise erlaubten, auf den Zug des Wachstums aufzuspringen.

Es handelte sich hier um die berühmten „Reaganomics“, welche damals als die große Lösung der Krise des Kapitalismus vorgestellt wurden. Diese „Lösung“ wurde auch als Rückkehr zu den „Ursprüngen des Kapitalismus“ bezeichnet. Angesichts der „Exzesse“ des Staatsinterventionismus, die die staatliche Wirtschaftspolitik in den 70er Jahren kennzeichneten (Keynesianismus) und denen  „Sozialismus“ oder der „Hang“ zum Sozialismus nachgesagt wurde, präsentierten sich die neuen Wirtschaftstheoretiker selbst als „Neoliberale“, und ihre Rezepte für „weniger Staat“, den „freien Markt“, etc. wurden in nah und fern gerühmt.

In Wahrheit waren die Reaganomics weder die große Lösung (ab 1985 war es, wie wir sehen werden, notwendig, den Preis für die Schuldenstände der USA zu zahlen), noch handelte es sich um einen angeblichen „Rückzug des Staates“. Was die Reagan-Regierung tat, war, ein gigantisches Rüstungsprogramm (unter dem Namen „Star Wars“ leistete es einen mächtigen Beitrag dafür, ihren rivalisierenden Block in die Knie zu zwingen) unter massiver Zuhilfenahme staatlicher Schulden aufzulegen. Die berühmte Lokomotive wurde nicht mit dem gesunden Brennstoff einer wirklichen Marktexpansion betrieben, sondern mit dem verdünnten Brennstoff allgemeiner Schulden.

Die „neue“ Schuldenpolitik

Das einzig Neue an Reagans Politik war die Art und Weise, wie diese Schuldenstände erreicht wurden. Während der 70er Jahre war der Staat direkt verantwortlich für die Finanzierung der wachsenden Defizite der öffentlichen Ausgaben, indem er die Geldmenge erhöhte. Dies bedeutete, dass der Staat das Geld bereitstellte, das die Banken benötigten, um Geld an Geschäfte, an private Kreditnehmer oder an andere Staaten auszuleihen. Dies verursachte einen kontinuierlichen Wertverlust des Geldes und führte so zu einer explosionsartigen Inflation.

Wir haben bereits den wachsenden Engpass gesehen, in dem sich die Weltwirtschaft befand, insbesondere die Wirtschaft Amerikas Ende der 70er Jahre. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, änderte der Präsident der Federal Reserve, Volcker, in den letzten beiden Jahren der Carter-Administration radikal die Kreditpolitik. Er schloss die Geldhähne, was die Rezession von 1980-82 provozierte, aber gleichzeitig den Weg öffnete für eine massive Finanzierung durch die Ausgabe von Obligationen und Anleihen, die konstant auf dem Markt erneuert wurden. Diese Orientierung wurde übernommen und verallgemeinert von der Reagan-Administration und über die ganze Welt verbreitet.

Der Mechanismus des „Finanz-Engineering“ war wie folgt. Auf der einen Seite gab der Staat Obligationen und Anleihen aus, um seine beträchtlichen und ständig wachsenden Defizite zu finanzieren, zu denen auch die Finanzmärkte (Banken, Geschäfte, Individuen) beisteuerten. Auf der anderen Seite drängte er die Banken dazu, nach Anleihen auf den Finanzmärkten zu suchen und gleichzeitig Obligationen und Anleihen zu emittieren sowie die sukzessive Expansion von Kapital (Ausgabe von Aktien) durchzuführen. Es handelte sich hierbei um einen höchst spekulativen Mechanismus, der versuchte, die Entwicklung einer wachsenden Menge von fiktivem Kapital (toter Mehrwert, der nicht in neues Kapital investiert werden kann) auszubeuten.

Auf diese Weise wurde das Gewicht privater Fonds größer als das der öffentlichen Fonds bei der Finanzierung der Schulden (öffentlicher und privater).

Die Finanzierung der öffentlichen Schulden in den USA (in Milliarden Dollar):

Fonds              1980             1985            1990            1995            1997

öffentlich            24            45            70            47            40

privat               46           38        49            175            260

(Quelle: Global Development Finance)

Das heißt nicht, dass es eine Verringerung des  staatlichen Gewichts (wie die „Liberalen“ behaupten) gegeben hat, vielmehr war dies eine Antwort auf die wachsenden Bedürfnisse der Finanzierung (und besonders der sofortigen Liquidität), die eine massive Mobilisierung allen verfügbaren Kapitals erforderte.

Diese angeblich „liberale“ und „monetaristische“ Politik bedeutete, dass der Rest der Weltwirtschaft die famose US-Wirtschaft finanzierte. Besonders der japanische Kapitalismus mit seinen enormen Handelsüberschüssen kaufte massive Beträge von Obligationen und Anleihen des amerikanischen Staats genauso wie die verschiedenen Emissionen durch Gesellschaften in diesem Land auf. Das Resultat war, dass die Vereinigten Staaten, die seit 1914 der Hauptkreditgeber auf der Welt gewesen waren, sich ab 1985 in einen Netto-Schuldner verwandelten und ab 1988 zum Hauptschuldner dieser Welt wurden. Eine andere Konsequenz war, dass ab dem Ende der 80er Jahre die japanischen Banken fast 50% der amerikanischen Vermögensanteile hielten. Schließlich bedeutete diese Form von Verschuldung, dass, „während in der Periode von 1980 bis 1982 die Industrieländer 49 000 Millionen Dollar mehr in den sog. Entwicklungsländern verteilten, als sie erhielten, letztere in der Periode von 1983 bis 1989 an erstere 242 000 Millionen Dollar mehr abführten“ (Prometeo, Nr. 16, Organ von Battaglia Comunista, aus dem Artikel „Eine neue Phase in der kapitalistischen Krise“, Dezember 1998).

Die Methode, die benutzt wurde, um den Zins und die Schuld selbst der ausgegebenen Obligationen zurückzuzahlen, bestand in der Ausgabe neuer Anleihen und Obligationen. Dies bedeutete wachsende Schuldenstände und das Risiko, dass die Gläubiger die neuen Ausgaben nicht zeichneten. Um weiterhin Investoren anzuziehen, gab es regelmäßige Wiederaneignungen von Dollars durch mannigfaltige künstliche Neubewertungen des Devisenaustausches. Das Resultat war einerseits eine enorme Dollarflut, die sich über den Weltmarkt ergoss, und andererseits ein gigantisches Handelsdefizit der USA, das von Jahr zu Jahr neue Rekorde brach. Die Mehrheit der Industrieländer folgte mehr oder weniger derselben Politik: Sie benutzten das Geld als ein Instrument zur Kapitalgewinnung.

All dies ermutigte eine Tendenz, die während der 90er Jahre noch vertieft wurde: die völlige Verfälschung und Manipulation des Geldes. Die klassische Funktion des Geldes im Kapitalismus war es, Wertmaßstab und Preisstandard zu sein. Um dieser Funktion nachzukommen, musste das Geld der verschiedenen Staaten durch einen minimalen Anteil wertvoller Metalle gestützt werden4. Diese Edelmetallreserven drückten tendenziell das Wachstum und die Entwicklung des Reichtums eines Landes aus, der auch durch den Wechselkurs seines Geldes dargestellt wurde.

Wir haben im vorhergehenden Artikel (Internationale Revue Nr. 24) bereits gesehen, wie der Kapitalismus das 20. Jahrhundert hindurch diese Reserven abschaffte, was bedeutete, dass das Geld ohne jegliches Äquivalent zirkulierte, mit all den Risiken, die dies zur Folge hatte. Nichtsdestotrotz stellten die 80er Jahre einen wirklich qualitativen Schritt hin zum Abgrund dar: Das schon an sich ernste Phänomen, dass das Geld vollkommen getrennt von einem Äquivalent in Gold oder Silber war, verschärfte sich im Laufe des Jahrzehnts noch. Dazu kamen: erstens das Spiel mit der Auf- und Abwertung, um Kapital anzuziehen, was ungeheure Spekulationen in ihnen hervorrief; zweitens eine immer systematischere Zuflucht zur „wettbewerbsbedingten Abwertung“, d.h. die Senkung des Geldpreises per Dekret, mit dem Ziel, die Exporte anzukurbeln.

Die Säulen dieser „neuen“ Wirtschaftspolitik waren einerseits der konstante Schneeballeffekt der massiven Emissionen von Anleihen und Obligationen und andererseits die zusammenhangslose Geldmanipulation durch die Mittel eines komplizierten und raffinierten „Finanzsystems“, das in Wahrheit das Werk des gesamten Staates und der großen Finanzinstitutionen (Banken, Sparkassen und Investmentgesellschaften, die in enger Verbindung zum Staat stehen) war. Dem äußeren Anschein nach war es ein „liberaler“ und „nicht-interventionistischer“ Mechanismus, in der Praxis war es eine typische Konstruktion des Kapitalismus der westlichen Staaten, nämlich ein Management auf der Basis einer Kombination der vom privaten und vom staatlichen Kapital dominierten Sektoren.

Diese Politik wurde als der magische Zaubertrank präsentiert, der in der Lage sei, Wirtschaftswachstum ohne Inflation zu bewerkstelligen. In den 70er Jahren sah sich der Kapitalismus vor dem unlösbaren Dilemma von Inflation oder Rezession gestellt, jetzt konvertierten die Regierungen, ungeachtet ihrer politischen Couleur („Sozialisten“, „Linke“ oder die „Mitte“), zum Glaubensbekenntnis der „Neoliberalen“ und „Monetaristen“ und behaupteten, dass der Kapitalismus dieses Dilemma überwunden hätte und dass die Inflation auf ein Niveau zwischen 2 und 5% reduziert worden sei, ohne das Wirtschaftswachstum zu beeinträchtigen.

Diese Politik des „Kampfes gegen die Inflation“ und des angeblichen „Wachstums ohne Inflation“ beruhte auf folgenden Instrumenten:

1.         Die Eliminierung der „überflüssigen“ industriellen und landwirtschaftlichen Kapazitäten, die zur Schließung zahlloser industrieller Einrichtungen und zu massiven Entlassungen führte.

2.         Die drastischen Streichungen von Subventionen für Industrie und Landwirtschaft, was ebenfalls Entlassungen und Schließungen mit sich brachte.

3.         Der Druck der Kostenreduzierungen und Produktionssteigerungen bedeutete in Wirklichkeit eine verdeckte und allmähliche Deflation, die auf brutalen Angriffen gegen die Arbeiterklasse der zentralen Länder und einer permanenten Senkung der Rohstoffpreise beruhte.

4.         Das Abwälzen der inflationären Effekte auf die Länder der unmittelbaren Peripherie durch Mechanismen des Währungsdrucks und insbesondere durch die Abwertung des Dollars. So gab es in Brasilien, Argentinien, Bolivien etc. Explosionen von Hyperinflationen, die zu Preissteigerungen von 30% am Tag (!) führten.

5.         Vor allem die Bezahlung alter Schulden durch neue Schulden. Die Schuldenfinanzierung ging von der Ausgabe neuen Papiergeldes über auf die Ausgabe von Schuldverschreibungen (staatliche Schuldpapiere und Obligationen, Geschäftsanteile etc.), was zur Verlangsamung der langfristigen Auswirkungen der Inflation führte. Die Schulden, die durch die Ausgabe von Schuldpapieren gemacht worden waren, wurden durch neue Ausgaben zurückgezahlt. Diese Schuldverschreibungen waren Objekt einer nicht aufzuhaltenden Spekulation. Die Überbewertung ihres Preises (diese Überbewertung wurde durch die Manipulation des Geldpreises ergänzt) bedeutete, dass der zugrundeliegende enorme inflationäre Druck bis irgendwann in der Zukunft hinausgezögert wurde.

Maßnahme 4 löst nicht die Inflation, sondern nimmt einfach einen Ortswechsel vor (indem sie sie auf die schwächsten Länder abwälzt). Maßnahme 5 mag die Inflation bis in die Zukunft hinauszögern, aber dies um dem Preis, ihre Schattenseite gefördert zu haben: die Bombe der währungspolitischen und finanziellen Instabilität und Unordnung.

Was die Maßnahmen 1 und 3 anbetrifft, so mögen diese kurzfristig die Inflation reduziert haben, aber mittel- bis langfristig werden ihre Konsequenzen weitaus ernsthafter sein. Tatsächlich bilden diese Maßnahmen eine versteckte Deflation, das heißt, eine methodische und organisierte Reduzierung der realen Produktionskapazitäten durch den Staat. Wie wir in der International Review (engl./franz./span. Ausgabe) Nr. 59 betonten: „Diese Produktion mag den Gütern entsprechen, die tatsächlich hergestellt werden, aber es ist keine Produktion von Werten (...), der Kapitalismus ist in seinem Wachstum nicht reicher, sondern ärmer geworden.“ 5

Der Prozess der industriellen und landwirtschaftlichen Verwüstung, die enormen Kostenreduzierungen, die Entlassungen und die allgemeine Verarmung der Arbeiterklasse - all dies wurde systematisch und methodisch von allen Regierungen in den 80er Jahren ausgeführt und erlebte in den 90ern eine weitere Eskalation, die in Gestalt einer versteckten und permanenten Deflation antrat. Während 1929 eine brutale und offene Deflation stattfand, wurde in den 80er Jahren eine bis dahin unbekannte Tendenz ausgelöst: kontrollierte und geplante Deflation, eine Form allmählicher und methodischer Zerstörung der Basis der kapitalistischen Akkumulation, ein Zustand langsamer aber unumkehrbarer De-Akkumulation.

Die Streichung von Kosten, die Eliminierung der entbehrlichen und nicht wettbewerbsfähigen Bereiche, das gigantische Wachstum an Produktivität waren keine Symptome für Wachstum und Entwicklung des Kapitalismus an sich. Sicherlich begleiteten diese Phänomene die Phasen des Kapitalismus im 19.Jahrhundert. Jedoch hatten sie damals noch eine reelle Bedeutung, weil sie der Ausweitung und Erweiterung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und der Bildung sowie dem Wachstum des Weltmarktes gedient hatten. Ihre Funktion in den 80er Jahren dieses Jahrhunderts entsprach einem diametral entgegengesetzten Ziel: dem Schutz vor der Überproduktion, und ihre Ergebnisse sind kontraproduktiv, indem sie alles noch schlimmer machen.

Wenn also diese Politik der „konkurrenzbedingten Deflation“, wie die Ökonomen sie schamhaft nennen, kurzfristig die Inflationsbasis reduziert, so wird sie mittel- bis langfristig sie verstärken und stimulieren, da die Reduzierung des globalen Kapitals einerseits nur durch eine ständig steigende Schuldenmenge und andererseits durch unproduktive Ausgaben (Rüstung, Staat, Finanz- und Handelsbürokratie) kompensiert werden kann. Wie wir im Bericht über die Wirtschaftskrise auf unserem 12. Internationalen Kongress sagten: „Die wirkliche Gefahr des in die Inflation führenden Wachstums liegt woanders: in der Tatsache, dass jedes solche Wachstum heute, jede sogenannte Erholung auf einer riesigen Schuldensteigerung, auf der künstlichen Stimulierung der Nachfrage basiert - in anderen Worten, auf  fiktives Kapital. Dies ist die Matrix, die die Inflation in die Welt setzt, da diese eine profunde Tendenz im dekadenten Kapitalismus ausdrückt: die wachsende Spaltung zwischen Geld und Wert, zwischen dem, was in der ‘realen’ Welt der Produktion von Dingen abläuft, und einem Austauschprozess, der zu solch einem ‘äußerst extremen und künstlichen Mechanismus’ geworden ist, dass selbst Rosa Luxemburg, wenn sie heute noch leben würde, verblüfft sein würde.“ (International Review

Nr. 92  engl./franz./span. Ausgabe)

Daher war das Einzige, das dem Fallen der Inflationsrate während der 80er und 90er Jahre standgehalten hatte, die Aufschiebung der Schuldentilgung durch das Karussell des neuen Schuldenmachens, mit dem die alten beglichen werden, und die Explosion der globalen Inflation in immer zahlreicheren schwachen Ländern.

All dies wurde deutlich durch die Schuldenkrise illustriert, die ab 1982 in den „Drittwelt“-Ländern (Brasilien, Argentinien, Mexiko, Nigeria, etc.) ausbrach. Diese Staaten, die ihre Expansion in den 70er Jahren durch enorme Schulden gefüttert haben (s. den ersten Teil dieses Artikels), drohten damit, sich selbst für bankrott zu erklären. Die wichtigsten Länder reagierten sehr schnell und kamen ihnen mit Plänen für eine „Umschuldung“ (der Brady-Plan) und durch direkte Intervention des Internationalen Währungsfonds „zu Hilfe“. In Wirklichkeit war das, wonach sie trachteten, die Verhinderung eines brutalen Zusammenbruchs dieser Staaten, was das gesamte Weltwirtschaftssystem destabilisiert hätte. 

Die Gegenmittel, die angewendet wurden, waren eine Kopie der „neuen Schuldenpolitik“:

 –         Die Anwendung brutaler Deflationspläne unter der direkten Kontrolle des IWF und der Weltbank, was fürchterliche Angriffe auf die Arbeiterklasse und die gesamte Bevölkerung bedeutete. Jene Länder, die in den 70ern noch von einer „Entwicklung“ träumten, wachten in einem Alptraum allgemeiner Armut auf, aus der es für sie kein Entrinnen gab.

–          Die Umwandlung der Anleihen der nationalen Verschuldung in Schuldverschreibungen, die eine hohe Zinsrate (10 bis 20% mehr als der Weltdurchschnitt) und eine wunderbare Spekulationsgelegenheit boten. Die Schulden verschwanden nicht: Sie waren nur umgewandelt in ausgesetzte Schulden. Weit entfernt davon zu fallen, sind die Schulden der „Drittwelt“-Länder in den 80er und 90er Jahren in schwindelerregende Höhe gewachsen.

Der Krach von 1987

Ab 1985 begann der amerikanischen Lokomotive der Dampf auszugehen. Die Wachstumsraten fielen langsam, aber unerbittlich, und dies übertrug sich allmählich auf die europäischen Länder. Politiker und Ökonomen sprachen von einer „sanften Landung“, das heißt, sie versuchten, dem Verschuldungsmechanismus die Zügel anzulegen, der hinter einer wachsend unkontrollierbaren Spekulation stand. Der Dollar wurde nach Jahren der Aufwertung einer brutalen Abwertung unterzogen: er fiel zwischen 1985 und 1987 um mehr als 50%. Dies erleichterte zeitweilig das amerikanische Defizit und bewirkte eine Reduzierung der Zinszahlungen für diese Schulden, aber die Schattenseite davon war der brutale 27%-Fall der New Yorker Börse im Oktober 1987.

Diese Zahl war quantitativ geringer als die 1929 erreichte Quote (mehr als 30%), doch ein Vergleich der Situation von 1929 und 1987 erlaubt es uns zu begreifen, dass die Probleme 1987 weitaus schlimmer waren (siehe unten).

Die Börsenkrise von 1987 bedeutete eine brutale Entleerung der spekulativen Blase, die die Reaktivierung der Wirtschaft durch die Reagonomics gefüttert hatte. Seither ist diese Reaktivierung dahingeschwunden. In der letzten Hälfte der 80er Jahre sahen wir Wachstumsraten zwischen 1 und 3%: im Endeffekt Stagnation. Aber gleichzeitig endete das Jahrzehnt mit dem Kollaps Russlands und seiner Satelliten im Ostblock, ein Phänomen, das, auch wenn es seine Wurzeln in den Besonderheiten dieser Regimes hatte, grundsätzlich eine Konsequenz der brutalen Verschlimmerung der Weltwirtschaftskrise war.

Zusammen mit dem Kollaps des imperialistischen russischen Blocks trat eine sehr gefährliche Tendenz ab 1987 auf: die Instabilität des gesamten Weltfinanzsystems, die zu immer häufigeren Beben führen sollte und seine wachsende Fragilität und Verwundbarkeit demonstrierte.

Allgemeine Bilanz der 80er Jahre

Wir werden jetzt einige Schlussfolgerungen aus der Gesamtheit des Jahrzehnts ziehen; so wie im vorherigen Artikel werden diese die Entwicklung der Ökonomie genauso wie die Lage der Arbeiterklasse betreffen. Ein Vergleich mit den 70er Jahren enthüllt einen ernsten Verfall.

Die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation

1.         Das Produktionswachstum erreichte 1984 seinen Höchststand: 4,9%. Der Durchschnitt für diese Periode lag bei 3,4%, wohingegen er im vorherigen Jahrzehnt noch bei 4,1% lag.

2.         Es gab eine strikte Straffung des industriellen und landwirtschaftlichen Apparates. Dies war ein neues Phänomen nach 1945, das die Hauptindustrieländer betraf. Die folgende Tabelle, die sich auf drei zentrale Länder (Deutschland, Großbritannien und die USA) bezieht, demonstriert die fallenden Produktionszahlen in Industrie und Bergbau und eine wachsende Verlagerung zu unproduktiven und spekulativen Sektoren.

Produktionsentwicklung nach Sektoren zwischen 1974 und 1987 (%)

                                    Deutschland      GB            USA

Bergbau                                   -8,1            -42,1            -24,9

Industrie                                   -8,2            -23,8             -6,5

Bau                                          -17,2   -5,5     12,4

Handel & Dienstleistungen            -3,1     5,0       15,2

Finanzen & Versicherungen            11,5     41,9     34,4

(Quelle: OECD)

3.         Die Mehrheit der produktiven Bereiche erlitt einen Einbruch in ihrer Produktion. Dies konnte bei den Kürzungen bei den industriellen Spitzenreitern (Autos, Elektronik, Haushaltgeräte) wie auch in den „traditionellen“ Bereichen (Schiff-, Maschinenbau, Textil, Bergbau) beobachtet werden. So waren die Produktionsstände in der Autoindustrie 1978 dieselben wie 1987.

4.         Die Lage in der Landwirtschaft war katastrophal:

–          Die Länder des Ostens und der Dritten Welt waren zum ersten Mal seit 1945 gezwungen, Grundnahrungsmittel zu importieren.

–          Die Europäische Union entschied, 20 Millionen Hektar Land brachzulegen.

5.         Die Produktion in der Informationstechnologie, Telekommunikation und Elektronikindustrie wuchs, dennoch konnte sie die Einbußen in der Schwerindustrie und Landwirtschaft nicht ausgleichen.

6.         Die Erholungsphasen erfassten nicht die gesamte Weltwirtschaft; außerdem waren sie kurz und begleitet von Stagnationsphasen (z.B. zwischen 1987 und 1989).

–          Die Erholung in den USA während der Periode von 1983 und 1985 war groß, aber zwischen 1986 und 1989 war sie weit unter dem Durchschnitt von 1970.

–          Die Erholung war in allen westeuropäischen Ländern schwächer (eine globale Situation der Semi-Stagnation) außer in Westdeutschland.

–          Eine gute Zahl von „Drittwelt“-Ländern war vom Wachstumszug abgekoppelt und fiel der Stagnation anheim.

–          Die Länder des Ostens litten an einer fast generellen Stagnation während des gesamten Jahrzehnts (ausgenommen Ungarn und die Tschechoslowakei).

7.         Japan und Deutschland schafften es, ab 1983 akzeptable Wachstumsraten aufrechtzuerhalten. Dieses Wachstum war höher als der Durchschnitt und erlaubte beträchtliche Handelsüberschüsse, was sie zu wichtigen finanziellen Gläubigern werden ließ. Jedoch waren diese Wachstumsraten nicht so hoch wie in den beiden vorhergegangenen Jahrzehnten.

Jährliches Durchschnittswachstum des BIP in Japan:

1960 bis 1970                      8,7%

1970 bis 1980                     5,9%

1980 bis 1990                     3,7%

(Quelle: OECD)

8.         Die Rohstoffpreise fielen während des gesamten Jahrzehnts (ausgenommen die Jahre 1987-88). Dies erlaubte den Industrieländern, das grundlegende Gewicht der Inflation auf Kosten der „Drittwelt“-Länder (den Produzenten der Rohstoffe) abzumildern, die fortschreitend in eine totale Stagnation fielen.

9.         Die Rüstungsproduktion erlebte ihr bedeutendstes historisches Wachstum: Zwischen 1980 und 1988 wuchs sie in den USA gemäß den offiziellen Zahlen um 41%. Dieses Wachstum bedeutet, wie die Linkskommunisten stets gezeigt haben, letztlich die Schwächung der Wirtschaft. Beweis dafür ist das amerikanische Kapital: Zur gleichen Zeit, als es unaufhörlich seinen Anteil an der globalen Rüstungsproduktion steigerte, fiel der Anteil seiner Exporte in wichtigen Bereichen des Welthandels, wie man aus folgender Tabelle ersehen kann:

Exporte im Welthandel in %

1980            1987

Maschinenbau              12,7%            9,0%

Kraftfahrzeuge            11,5%            9,4%

Informatik                    31,0%            22,0%

10.                   Die Verschuldung erlebte eine starke Explosion auf quantitativer wie auf qualitativer Ebene

Auf quantitativer Ebene

–          In der „Dritten Welt“ wuchsen die Schulden auf unkontrollierbare Weise:

Die Gesamtschulden der unterentwickelten Länder in Millionen Dollar

1980:   580000

1985:   950000

1988:            1320000

(Quelle: Weltbank)

–          In den USA schossen sie spektakulär in die Höhe:

Die Gesamtschulden der USA

in Millionen Dollar  

1970:   450000

1980:            1069000

1988:            5000000

(Quelle: OECD)

–          In Deutschland und Japan waren sie jedoch moderat.

Auf qualitativer Ebene

Nachdem sie 71 Jahre lang Gläubiger gewesen waren, wurden die USA 1985 zu einem Schuldnerland;

–          1988 waren die Vereinigten Staaten zum höchstverschuldeten Land auf dem Planeten nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ mutiert. Dies wird klar ersichtlich aus der Tatsache, dass, während Mexikos Auslandsschulden neun Monate seines BSP und Brasiliens Verpflichtungen sechs Monate des BSP ausmachten, sie in den USA zwei Jahre ihres BSP betrugen!

–          In den Industrieländern machte das Gewicht der Zinszahlungen auf Anleihen durchschnittlich 19% des Staatshaushaltes aus.

11.                   Ab 1987 wurde der Finanzapparat, der bis dahin verhältnismäßig stabil und gesund war, zunehmend Opfer von durch den Schuldendienst verursachten immer ernsthafteren Turbulenzen.

–            Bedeutende Banken brachen zusammen, am ernstesten war der Kollaps der Sparkassen in Amerika mit Schulden in Höhe von 500000 Millionen Dollar..

–          1987 begann eine Serie von Börsenkrächen: 1989 gab es einen weiteren Börsenkrach, auch wenn er infolge staatlicher Maßnahmen, die den Börsenhandel sofort aussetzten, als die Kurse um 10% fielen, weniger ernst war.

–          Die Spekulation nahm spektakuläre Züge an. In Japan z.B. verursachte die Immobilienspekulation 1989 einen Crash, dessen Konsequenzen immer noch spürbar sind.

Die Lage der Arbeiterklasse

1.         Wir erleben die schlimmste Welle der Arbeitslosigkeit seit 1945. Die Arbeitslosigkeit stieg in den Industrieländern brutal an:

Die Arbeitslosenzahlen in den 24 Ländern der OECD

1979:            18000000

1989:            30000000

2.            Während in der „Dritten Welt“ die Unterbeschäftigung zur Allgemeinheit wurde, trat sie in den Industrieländern tendenziell auf (Zeitarbeit, Teilzeitarbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse).

3.         Ab 1985 ergriffen die Regierungen der Industriestaaten Maßnahmen, die unter dem Vorwand des „Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit“ zu Zeitarbeitsverträgen ermutigten. So waren 1990  8% der Arbeitskräfte von Zeitverträgen betroffen, während die Zahl der Dauerarbeitsplätze abnahm.

4.         Die Nominallöhne wuchsen sehr bescheiden (im Durchschnitt stiegen sie in den OECD-Ländern zwischen 1980 und 1988 um 3%) und konnten die Inflation trotz ihrer sehr geringen Rate nicht ausgleichen.

5.         Die Sozialausgaben (soziale Sicherheitssysteme, Wohngeld, Gesundheit, Erziehung, etc.) erlitten ihre ersten bedeutenden Kürzungen.

Der Verfall der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse war dramatisch in den „unterentwickelten“ Ländern und ernst in den Industrieländern. In letzteren war er nicht mehr so sanft und langsam wie im vorhergegangenen Jahrzehnt, trotz der Tatsache, dass die Regierungen, um die Vereinigung der Kämpfe zu vermeiden, die Angriffe langsam und wohldurchdacht organisierten und sich vor plötzlichen und generalisierten Attacken hüteten.

Dennoch war der Kapitalismus das erste Mal seit 1945 nicht mehr in der Lage, die Gesamtzahl der Arbeitskräfte zu steigern: Die Zahl der Lohn- und Gehaltsempfänger wuchs langsamer als die Weltbevölkerung. 1990 legte die Internationale Arbeitsorganisation die Zahl von 800 Millionen Arbeitslosen vor. Dies zeigt deutlich die Verschlimmerung der Krise des Kapitalismus und enthüllte gründlich die verlogenen Reden der Bourgeoisie über die Gesundung der Wirtschaft.      

Adalen

Internationale Revue 26

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Debatte mit dem IBRP

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Die marxistische und die opportunistische Sichtweise in der Politik des Parteiaufbaus

In den letzten Monaten veröffentlichte das IBRP[1] [28] in seiner Presse Artikel über die Notwendigkeit der Umgruppierung unter den revolutionären Kräften im Hinblick auf den Aufbau der zukünftigen internationalen kommunistischen Partei. Einer dieser Artikel, ”Revolutionäre, Internationalisten gegenüber der Kriegsperspektive und die Lage des Proletariats”[2] [28], ist ein Dokument, das in der Zeit unmittelbar nach dem letztjährigen Krieg im Kosovo geschrieben wurde:

”Die jüngsten kriegerischen Ereignisse auf dem Balkan stellen, gerade weil sie in Europa stattfanden, (....) einen bedeutsamen Schritt vorwärts zum generalisierten imperialistischen Krieg dar. (...)

Der Krieg selber und die Art, wie ihm entgegengewirkt wurde, bilden die Grundlage für eine Formierung und Auswahl der revolutionären Kräfte, die fähig sind, am Parteiaufbau teilzunehmen.

Sie werden durch die folgenden grundlegenden Punkte eingegrenzt, die unabdingbare Voraussetzung für jede politische Initiative bilden, welche die revolutionäre Front gegen das Kapital und seine Kriege zu stärken versucht.”

Anschließend folgen ”21 grundlegende Punkte”[3] [28], die das IBRP als fundamental bezeichnet.

Es sind gerade die ”kriegerischen Ereignisse auf dem Balkan” gewesen, die unsere Organisation dazu bewegt haben, zu Beginn des Krieges einen Aufruf an die verschiedenen revolutionären Organisationen, die es auf internationaler Ebene gibt, zu richten, damit sich der proletarische Internationalismus mit einer einheitlichen und starken Stimme vernehmen lasse. Und parallel zu diesem Aufruf haben wir präzisiert:

”Natürlich gibt es auch Divergenzen, die in einer unterschiedlichen Herangehensweise in der Analyse des Imperialismus in der gegenwärtigen Phase und des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen liegen. Aber ohne diese Divergenzen zu unterschätzen betrachten wir die gemeinsamen Aspekte als viel wichtiger und bedeutsamer als diejenigen, welche bezüglich der momentanen Begebenheiten unterschiedlich sind. Auf dieser Grundlage haben wir am 29. März 1999 an alle diese Gruppen einen Appell für eine gemeinsame Initiative gegen den Krieg gerichtet.”[4] [28]

Da dieser Aufruf, den wir vor mehr als einem Jahr lanciert haben, auf vollkommen taube Ohren gestoßen ist[5] [28], muss man sich fragen, warum nun das IBRP plötzlich und erst jetzt mit seinen ”21 Bedingungen” kommt - mit denen wir, abgesehen von gewissen Vorbehalten bei gerade zwei Punkten[6] [28], völlig einverstanden sind -, statt seinerzeit auf unseren Appell zu antworten. Die Antwort darauf findet man fast am Schluss des Textes des IBRP, wo es in einem Abschnitt ganz offensichtlich um die IKS geht (doch selbstverständlich ohne diese beim Namen zu nennen): ”23 Jahre nach der 1. Internationalen Konferenz, die durch Battaglia Comunista[7] [28] einberufen wurde, um eine erste Konfrontation unter den politischen Gruppen herbeizuführen, die sich auf die allgemeinen durch die Kommunistische Linke seit Mitte der 20er Jahre vertretenen Klassen- und internationalistischen Prinzipien beriefen, ist es möglich - und deshalb auch notwendig - eine Bilanz über diese Konfrontation zu ziehen.”

Eine Bilanz? Nach 23 Jahren? Und weshalb erst jetzt? Gemäss IBRP fand in den letzten beiden Jahrzehnten ”eine Beschleunigung im Prozess der Klärung innerhalb des ‚proletarischen politischen Lagers‘ (statt), der all jene Organisationen ausschloss, die aus irgendeinem Grund über die Kriegsfrage stolperten, indem sie das unverzichtbare Prinzip des revolutionären Defätismus verrieten.”

Doch der Abschnitt, den sie uns (und den bordigistischen Gruppierungen) widmen, schließt gleich daran an:

”Andere Gruppen in diesem Lager, die zwar nicht in den tragischen Fehler der Unterstützung einer Kriegsfront verfielen (...), stehen der Methode und den Arbeitsperspektiven, die zur Bildung der zukünftigen revolutionären Partei beitragen, ebenfalls fern. Sie sind endgültig verlorene Opfer idealistischer oder mechanistischer Positionen (...)” (Hervorhebung durch uns).

Da wir denken, dass die durch das IBRP gegen uns erhobenen Vorwürfe nicht begründet sind - und wir darüber hinaus befürchten, dass sie lediglich der Bemäntelung einer opportunistischen politischen Praxis dienen -, werden wir versuchen, darauf im Folgenden zu antworten, indem wir aufzeigen, was die Haltung der marxistischen Strömung der Arbeiterbewegung hinsichtlich ”der Methode und der Perspektiven der Arbeit, die zum Beitritt zur künftigen revolutionären Partei führen wird”, gewesen ist. Dabei werden wir konkret untersuchen, ob und inwieweit das IBRP und die Gruppen, die es geschaffen haben, mit dieser Orientierung übereinstimmen. Wir werden zu diesem Zweck zwei Fragen genauer betrachten, die in ihrem gegenseitigen Verhältnis Ausdruck der beiden Ebenen sind, auf denen sich das Problem der revolutionären Organisation heute stellt:

1. Wie soll die zukünftige Internationale aufgefasst werden?

2. Welche Politik soll für den Organisationsaufbau und die Umgruppierung der Revolutionäre verfolgt werden?

1. Wie soll die zukünftige Internationale aufgefasst werden? Als internationale kommunistische Partei oder als Internationale der kommunistischen Parteien?

Was wird die zukünftige Internationale sein? Eine Organisation, die von allem Anfang an einheitlich begriffen wird, d.h. eine internationale kommunistische Partei ist, oder eine Internationale der kommunistischen Parteien in den verschiedenen Ländern? Diesbezüglich sind die Auffassungen und der Kampf von Amadeo Bordiga und der Kommunistischen Linken ein unverzichtbarer Bezugspunkt. Für Bordiga hätte die Kommunistische Internationale schon das sein sollen, was er die Weltpartei nannte. Folgerichtig ging Bordiga so weit, dass er gewisse von ihm vertretene ”taktische” Punkte (Abstentionismus bei den Wahlen; eine Umgruppierung, die die Zentristen ausschloss) aufgab, um dem Vorrang der Internationale gegenüber den einzelnen nationalen Parteien Nachachtung zu verschaffen, um zu gewährleisten, dass die Kommunistische Internationale eine einheitliche Organisation ist, und nicht eine Föderation von Parteien, eine Organisation mit einer einheitlichen Politik überall, und nicht verschieden von Land zu Land.

”So behaupten wir, dass die höchste internationale Versammlung nicht nur das Recht hat, diese Regeln aufzustellen, die ausnahmslos in allen Ländern gültig sind und gültig sein müssen, sondern dass sie auch das Recht hat, sich in die Situation eines einzelnen Landes einzumischen und somit zu sagen, dass die Internationale meint, dass man - zum Beispiel - in England in dieser bestimmten Art vorgehen soll.” (Amadeo Bordiga, Rede auf dem Kongress von Livorno 1921, in ”La Sinistra Comunista nel cammino della rivoluzione” Edizioni Sociali, 1976)

Diese Auffassung vertrat Bordiga im Namen der Italienischen Linken, und er tat dies insbesondere im Kampf gegen die Degenerierung der Internationale selber mit vollem Recht, als die Politik derselben immer mehr mit der Politik und den Interessen des russischen Staates vermischt wurde.

”Die Schwesterparteien müssen der russischen Partei bei der Lösung ihrer Probleme helfen, auch wenn sie nicht die unmittelbare Erfahrung der Probleme der Regierungsführung haben; trotzdem können sie zu ihrer Lösung beitragen, indem sie eine revolutionäre Klassenorientierung einbringen, die direkt aus der Realität des Klassenkampfes in ihren jeweiligen Ländern abgeleitet ist.”[8] [28]

Schließlich kommt noch deutlicher in Bordigas Antwort an Karl Korsch zum Ausdruck, was die Internationale sein sollte und was ihr nicht gelungen ist zu sein:

”Ich glaube, dass einer der Mängel der gegenwärtigen Internationale derjenige gewesen ist, ein ”Block lokaler und nationaler Oppositionen” zu bilden. Wir müssen darüber nachdenken, ohne uns zu Übertreibungen hinreißen zu lassen, mit dem Ziel, alle Lehren zu ziehen. Lenin machte einen großen Teil der Arbeit von der ‚spontanen‘ Ausarbeitung abhängig, als er damit rechnete, die verschiedenen Gruppen materiell zusammenzubringen und sie dann in der Hitze der Russischen Revolution einheitlich zu schmieden. Insgesamt ist ihm dies aber nicht gelungen.” (Auszüge aus dem Brief von Bordiga an Korsch, veröffentlicht in Programme Communiste Nr. 68)

Mit anderen Worten bedauerte also Bordiga, dass die Internationale auf der Grundlage der ”Oppositionen” der alten sozialdemokratischen Parteien gebildet worden war - diese ”Oppositionen” waren untereinander politisch alles andere als kohärent - und dass Lenins Vorhaben, diese unterschiedlichen Bestandteile zu vereinen, im Grunde genommen gescheitert war.

Von dieser Sichtweise ausgehend haben sich die revolutionären Organisationen in den Jahren der Konterrevolution trotz den widrigen politischen Umständen immer nicht nur als internationalistische, sondern auch als internationale Organisationen aufgefasst. Und es ist kein Zufall, dass eine der Machenschaften der Internationalen Linksopposition um Trotzki gegen die Italienische Fraktion gerade darin bestand, ihr die Verfolgung einer ”nationalen” Politik vorzuwerfen.[9] [28]

Stellen wir dem umgekehrt die Auffassung des IBRP zu dieser Frage gegenüber:

”Das IBRP hat sich als einzig mögliche Form der Organisation und der Koordination konstituiert, auf dem Mittelweg zwischen der isolierten Arbeit der Avantgarde in den verschiedenen Ländern und der Präsenz einer wirklichen Internationalen Partei (...). Neue Avantgarden - die sich von den alten, für das Verständnis der Gegenwart und somit für die Voraussage der Zukunft nutzlosen Schemata befreit haben - haben den Parteiaufbau in Angriff genommen (...). Diese Avantgarden haben die Aufgabe - die sie auch erfüllen - sich zu konsolidieren und auf der Grundlage einer Sammlung von Thesen, einer Plattform und eines organisatorischen Rahmens zu wachsen. Diese Grundlagen sind untereinander und mit dem Bureau kohärent, das so die Rolle eines Bezugspunkts für die notwendige Homogenisierung der Kräfte der zukünftigen Partei übernimmt (...).”

Bis hierher scheint der Diskurs des IBRP, abgesehen von einigen überflüssigen Floskeln, in seinen groben Zügen mit der oben zitierten Position in Einklang zu stehen. Doch der folgende Abschnitt stellt ein Problem dar:

”Bezugspunkt heißt nicht aufgezwungene Struktur. Das IBRP hat nicht im Sinn, die Frist, die es für die internationale Umgruppierung der revolutionären Kräfte braucht, unter die ”natürliche” Zeitspanne für das politische Wachstum der kommunistischen Avantgarde in den verschiedenen Ländern zu verkürzen.”[10] [28]

Das heißt, dass das IBRP, oder besser gesagt: die beiden Organisationen, aus denen es besteht, nicht von der Möglichkeit ausgehen, vor der Gründung der internationalen Partei eine einheitliche internationale Organisation aufzubauen. Darüber hinaus nimmt es bezug auf eine seltsame ”natürliche Zeitspanne für das politische Wachstum der kommunistischen Avantgarde in den verschiedenen Ländern”, welche Formulierung klarer wird, wenn man sieht, von welcher Auffassung sich das IBRP abzugrenzen versucht, d.h. von derjenigen der IKS und der Italienischen Kommunistischen Linken:

”Wir weisen grundsätzlich und auf der Grundlage verschiedener Resolutionen unserer Kongresse die Idee zurück, wonach nationale Sektionen durch das Aufpfropfen auf eine vor-existierende Organisation gegründet werden sollen, selbst wenn diese Organisation unsere wäre. Man baut eine nationale Sektion einer internationalen Partei des Proletariats nicht dadurch auf, dass man in einem Land mehr oder weniger künstlich ein Redaktionszentrum für Publikationen schafft, die anderswo und in jedem Fall ohne Bezug zu den wirklichen politischen und sozialen Kämpfen im Land selber redigiert worden sind.” (Hervorhebungen durch uns)[11] [28]

Dieser Abschnitt verdient in jedem Fall eine genaue Antwort, denn in ihm ist der strategische Unterschied zwischen der internationalen Umgruppierungspolitik des IBRP einerseits und der IKS andererseits enthalten. Das IBRP versucht hier natürlich, unsere Strategie lächerlich zu machen, indem es sie darstellt als das ”Aufpfropfen auf eine vor-existierende Organisation”, als eine ”mehr oder weniger künstliche” Gründung ”eines Redaktionszentrums für Publikationen, die anderswo redigiert worden sind” mit der Absicht, beim Leser automatisch eine Abneigung gegen die Strategie der IKS hervorzurufen.

Aber sehen wir konkreter hin und überprüfen den Wahrheitsgehalt solcher Behauptungen. Das IBRP meint, wenn eine neue Gruppe von Genossen entsteht (wie z.B. in Kanada), die sich internationalistischen Positionen nähert, können brüderlich-kritische, ja, polemische Beiträge dieser Gruppe nur nutzen, doch Letztere muss innerhalb des politischen Umfeldes des Landes, wo sie wohnt, wachsen und sich entfalten, “indem sie in Verbindung mit den wirklichen politischen und sozialen Kämpfen im Land selber steht”. Aus der Sicht des IBRP soll dies heißen, dass das gegenwärtige und lokale Umfeld in einem gegebenen Land wichtiger ist als der internationale und historische Rahmen, der durch die Erfahrung der Arbeiterbewegung gestellt wird. Worin besteht dagegen die Strategie der IKS beim Aufbau der Organisation auf internationaler Ebene, welche das IBRP absichtlich in ein schlechtes Licht stellen will, wenn es von der “Schaffung von nationalen Sektionen durch die Fortentwicklung einer vorher bestehenden Organisation” spricht? Egal, ob es einen oder hundert Kandidaten in einem neuen Land gibt, die der IKS beitreten wollen, unsere Strategie besteht nicht darin, eine lokale Gruppe zu schaffen, die sich in “Verbindung mit den wirklichen politischen und sozialen Kämpfen im Land selber” unter den dortigen Verhältnissen entwickelt. Stattdessen zielen wir darauf ab, diese neuen Militanten schnell in die internationale Arbeit unserer Organisation zu integrieren, damit diese auf zentralisierte Art und Weise in dem Land intervenieren kann, wo die Genossen wohnen. Deshalb versuchen wir auch bei zahlenmäßig geringen Kräften, mit einer Publikation in diesem Land präsent zu sein, die unter der Verantwortung der neuen Gruppe von Genossen herausgebracht wird, weil wir meinen, dass dies die direktere und wirksamere Methode ist, um unseren Einfluss zu vergrößern und direkt zum Aufbau der revolutionären Organisation beizutragen. Was ist dabei künstlich, und warum soll man von der Fortentwicklung von schon bestehenden Organisationen sprechen? Das sollte vom IBRP geklärt werden.

In Wirklichkeit sind die Verwirrungen von BC und der CWO hinsichtlich der Organisationsfrage dem mangelnden Verständnis des Unterschiedes zwischen der 2. und 3. Internationale aufgrund des grundlegenden Wechsels der historischen Periode geschuldet:

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts stellte einen günstigen Zeitraum für die Kämpfe um Reformen dar; der Kapitalismus befand sich in voller Expansion, und die Internationale war in dieser Zeit eine Internationale von nationalen Parteien, die in den jeweiligen Ländern mit unterschiedlichen Programmen kämpften (in einigen Fällen um demokratische Errungenschaften, in anderen Fällen um die nationale Frage, hier gegen den Zarismus in Russland, dort für die “Sozialgesetzgebung” usw.).

Der Ausbruch des 1. Weltkriegs zeigte, dass das Potenzial der kapitalistischen Produktionsform, der Menschheit noch eine Zukunft zu bieten, erschöpft war. Eine Epoche von Kriegen und Revolutionen wurde eröffnet, in der die Menschheit objektiv vor der Alternative “Kommunismus oder Barbarei” steht. Auf diesem Hintergrund ist es nicht mehr möglich, nationale Parteien mit spezifisch nationalen Aufgaben zu gründen, sondern es geht darum, eine einzige Weltpartei mit einem einzigen Programm und einheitlichen Aktionen zur gemeinsamen und synchronen Führung des Weltproletariats zur Revolution zu schaffen[12] [28].

Die föderalistischen Reste, die in der Komintern weiterhin bestanden, waren Überreste der vorhergehenden Perioden (wie z.B. im Fall des Parlamentarismus), die auf den Schultern der Komintern lasteten (“die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden”, wie Marx im 18. Brumaire schrieb). 

Man kann hinzufügen, dass die marxistische Linke während ihrer Geschichte immer gegen den Föderalismus gekämpft hat. Erinnern wir uns an die wichtigsten Episoden:

Marx und der Generalrat der I. Internationale (AIT) kämpften gegen den Föderalismus der Anarchisten  und gegen ihren Versuch, eine Geheimorganisation innerhalb der AIT aufzubauen.

In der 2. Internationale kämpfte Rosa Luxemburg darum, dass die Beschlüsse ihrer Kongresse in den Mitgliedsländern auch tatsächlich umgesetzt wurden.

In der 3. Internationale (Komintern) kämpfte nicht nur die Linke für die Zentralisierung, sondern trat in Gestalt Lenins und Trotzkis auch von Anfang an gegen die “Besonderheiten” einiger Parteien an, die so ihre opportunistische Politik vertuschen wollten (z.B. bekämpfte sie die Freimaurer in der Kommunistischen Partei Frankreichs).

Man kann ferner hinzufügen, dass der Entstehungsprozess der Weltpartei nicht wartet, bis sie ihre Präsenz in jedem einzelnen Land konsolidiert bzw. geschaffen hat.[13] [28] Es ist bekannt, dass zwischen Lenin und Luxemburg in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten bestanden. Rosa Luxemburg war gegen die unmittelbare Gründung der Komintern – und deshalb trat sie dafür ein, dass der deutsche Delegierte Eberlein gegen ihre Gründung stimmen sollte –, weil sie meinte, dass die Zeit noch nicht reif sei, da die meisten Parteien noch nicht einmal gebildet worden waren und die russische Partei innerhalb der Komintern folglich ein zu großes Gewicht haben würde. Zwar haben sich leider ihre Befürchtungen  hinsichtlich des Übergewichtes der russischen Partei nach dem Rückfluss der revolutionären Phase und dem Niedergang der Komintern als richtig herausgestellt. Dennoch erfolgte die Gründung der Komintern angesichts der Bedürfnisse der Klasse zu spät, auch wenn die Kommunisten aufgrund des Krieges, der erst einige Monate zuvor zu Ende gegangen war, nicht anders handeln konnten.

Es wäre interessant zu wissen, was das IBRP von dieser historischen Kontroverse denkt. Meint es etwa, dass Rosa Luxemburg gegenüber Lenin Recht hatte, als sie sagte, die Zeit sei noch nicht reif für die Gründung der Komintern?

Diese föderalistische Orientierung auf theoretischer Ebene spiegelt sich natürlich in der Alltagspraxis wider. Die beiden Bestandteile des IBRP hatten 13 Jahre lang, von der Gründung des IBRP bis 1997, zwei unterschiedliche Plattformen. Es gibt keine Vollversammlungen der gesamten Organisation (sondern nur der jeweiligen Einzelorganisationen, an der sich eine Delegation der anderen Organisation beteiligt, was etwas ganz anderes ist). Es gibt keine erkennbaren Debatten untereinander, und sie scheinen auch nicht das Bedürfnis danach zu verspüren, auch wenn es während der letzten 16 Jahre seit der Gründung des IBRP oft himmelschreiende Differenzen in der Aktualitätsanalyse, in der Haltung zur internationalen Arbeit usw. gegeben hat. In Wirklichkeit ist dieses Organisationsmodell, das das IBRP als die jetzt “einzig mögliche Organisations- und Koordinierungsform” darstellt, die klassisch opportunistische Organisationsform. Mit dieser Organisationsform können neue Organisationen in den Kreis des IBRP gezogen werden, indem man ihnen das Etikett “linkskommunistisch” verleiht, ohne ihre Vergangenheit auch nur zu hinterfragen. Wenn das IBRP davon spricht, dass man “die ‚natürliche‘ Zeitspanne für das politische Wachstum der kommunistischen Avantgarde in den verschiedenen Ländern” abwarten müsse, bringt es damit in Wirklichkeit nur seine opportunistische Auffassung zum Ausdruck, weil es die Kritik an den Gruppen, mit denen es in Kontakt steht, nicht zu stark vorantreiben will, um deren Vertrauen nicht zu verlieren.[14] [28]

Wir haben all das nicht erfunden; es handelt sich schlicht und einfach um die Bilanz der letzten 16 Jahre IBRP, das trotz der Jubelarien, die in seiner Presse verbreitet werden, bislang keine bedeutsamen Erfolge erzielen konnte: Als das IBRP 1984 gebildet wurde, gehörten ihm zwei Gruppen an, und das ist auch heute noch so. Es wäre für BC und die CWO angebracht, einen Blick auf die verschiedenen Gruppen zu werfen, die sich einst dem IBRP angenähert  oder  ihm gar – wenn nur vorübergehend – angehört hatten, und zu überprüfen, wo diese gelandet sind, oder warum sie nicht im IBRP geblieben sind. Was ist z.B. aus den Iranern der SUCM-Komala geworden? Und die indischen Genossen von Lal Pataka? Oder die französischen Genossen, die eine Zeitlang sogar den dritten Teil des IBRP gebildet hatten?

Eine opportunistische Umgruppierungspolitik ist nicht nur politisch falsch, sondern sie ist als Politik auch zum Scheitern verurteilt.[15] [28]

2. Die Umgruppierungspolitik und der Aufbau der Organisation

In dieser Frage kann man natürlich nur bei Lenin beginnen, der einen großen Beitrag zum Aufbau der Partei und Pionierarbeit bei der Gründung der Komintern geleistet hat. Sein erfolgreicher Kampf auf dem 2. Kongress der SDAPR 1903 um den Artikel 1 der Statuten, in dem strenge Zugehörigkeitskriterien zur Partei festgelegt wurden, war wahrscheinlich einer der wichtigsten Beiträge Lenins überhaupt. “Es würde bedeuten, nur sich selbst zu betrügen, die Augen vor der gewaltigen Größe unserer Aufgaben zu verschließen, diese Aufgaben einzuengen, wollte man den Unterschied zwischen dem Vortrupp und all den Massen, die sich zu ihm hingezogen fühlen, vergessen, wollte man die ständige Pflicht des Vortrupps vergessen, immer breitere Schichten auf das Niveau dieses Vortrupps zu heben. Ja, es bedeutet, die Augen zu verschließen und all dies zu vergessen, wenn man den Unterschied verwischt zwischen denen, die der Partei angehören, und denen, die sich ihr anschließen, zwischen den bewussten und aktiven Mitgliedern und den Helfern.” (Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, LW Bd. 7, S. 258)

Dieser Kampf Lenins, der zur Spaltung innerhalb der SDAPR zwischen der Bolschewiki (der Mehrheit) und den Menschewiki (der Minderheit) geführt hat, ist von besonderer historischer Bedeutung, da er das vorwegnahm, was einige Jahre später die neue Partei werden sollte; eine Kaderpartei, die zahlenmäßig eng begrenzt war, aber an die Bedürfnisse der neuen historischen Periode der “Kriege und Revolutionen” besser als das alte Modell der Massenpartei angepasst war, da Letztere zahlenmäßig größer war und bei den Zugehörigkeitskriterien weniger streng vorging, was in der historischen Phase des aufsteigenden Kapitalismus noch vertretbar gewesen war.

Dann stellt sich die Frage, wie sich die Partei (bzw. die Fraktion oder irgendeine politische Gruppe)  in den Auseinandersetzungen mit anderen proletarischen Organisationen verhalten soll. Anders ausgedrückt: wie kann man am wirksamsten auf das richtige Bedürfnis der Umgruppierung der revolutionären Kräfte eingehen? Hier können wir uns nur auf die Erfahrung der Arbeiterbewegung stützen, besonders auf die von der Italienischen Linken in der Komintern initiierte Debatte hinsichtlich der Eingliederung von Zentristen bei der Bildung der kommunistischen Parteien. Die Position Bordigas ist sehr eindeutig, und sein Beitrag zur Verabschiedung einer 21. Aufnahmebedingung durch die Komintern war grundlegend. Darin heißt es: “Diejenigen Parteiangehörigen, welche die von der Kommunistischen Internationale aufgestellten Bedingungen und Leitsätze grundsätzlich ablehnen, sind aus der Partei auszuschließen. Dasselbe gilt namentlich von Delegierten zum außerordentlichen Parteitage.”[16] [28] 1920 äußerte sich Bordiga besorgt darüber, dass einige zentristische Elemente, die sich 1914 nicht besonders schmutzig gemacht hatten, in den neuen kommunistischen Parteien statt in den diskreditierten sozialdemokratischen Parteien mitwirken könnten.

“Heute ist es einfach zu behaupten, dass man in einem neuen Krieg nicht mehr die gleiche Fehler – den Burgfrieden und die Verteidigung des Vaterlandes - begehen würde. Die Revolution ist noch weit weg, werden die Zentristen behaupten, das ist kein unmittelbares Problem. Und sie werden die Thesen der Kommunistischen Internationale akzeptieren: die Macht der Arbeiterräte, die Diktatur des Proletariats, roter Terror (...). Der rechte Flügel akzeptiert unsere Thesen, sie tun dies jedoch unzureichend und unter Vorbehalt. Als Kommunisten müssen wir fordern, dass diese Thesen voll und ohne Einschränkung akzeptiert werden – sowohl auf der Ebene der Theorie als auch auf praktischer Ebene (...). Gegenüber den Reformisten müssen wir eine unüberwindbare Schranke aufbauen (...) Beim Programm gibt es keine Alternative: Entweder akzeptiert man es, oder man tut es nicht, und in diesem Fall muss man aus der Partei austreten.”[17] [28]

Bordiga und die Italienische Linke leisteten zu dieser Frage einen Schlüsselbeitrag. Ausgehend von dieser Position, geriet Bordiga später mit einer in der Regression befindlichen Komintern in Konflikt, als er gegen die Politik der Aufnahme von Zentristen in die kommunistischen Parteien kämpfte, genauso wie er sich dagegen wehrte, dass die Verteidigung des russischen Staates gegenüber allen anderen Problemen in den Vordergrund gestellt wurde[18] [28]. Es ist auch bekannt, dass die Komintern die KP Italiens dazu zwang, den maximalistischen (linken) Flügel der PSI, die sogenannten “Terzinternationalisti” oder “Terzini Serratis”, wiederaufzunehmen, von dem sich die KPI 1921, im Jahre ihrer Gründung, getrennt hatte.

Diese Strenge im Umgang mit den gemäßigten und zentristischen Strömungen hat jedoch nie sektiererische Verschlossenheit, Dialogverweigerung, Diskussionsverbot bedeutet – ganz im Gegenteil! So hat die Italienische Linke schon seit ihren Anfängen als abstentionistische Fraktion der PSI immer darauf hingewirkt, die sich in zentristischen Positionen vergeudenden revolutionären Energien zu erobern, um sowohl ihre eigenen Kräfte zu verstärken als auch dem Feindeslager Kräfte zu entreißen.

“Obgleich als eigenständige Fraktion mit ihrer eigenen Zeitung innerhalb der PSI organisiert, versuchte die abstentionistische Fraktion vor allem die Mehrheit der Partei für ihr Programm zu gewinnen. Sie meinte noch, dass dies möglich sei, trotz des überwältigenden Sieges der parlamentarischen Tendenz, die das Bündnis zwischen Lazzari und Serrati darstellte. Die Fraktion konnte nur zu einer Partei werden, wenn sie sich mit allen Kräften für die Eroberung mindestens einer bedeutenden Minderheit einsetzte. Sich nicht zurückzuziehen, ohne den Kampf zu Ende geführt zu haben, war immer das Anliegen der ‚bordigistischen‘ Bewegung, und in dieser Hinsicht war sie nie eine Sekte, wie es ihr ihre Gegner vorwarfen.”[19] [28]

Wir können zusammenfassend sagen, dass es zwei grundlegende Aspekte in der Politik der Italienischen Linken gibt, die der Tradition der Bolschewiki folgten:

Strenge bei den Zugehörigkeitskriterien zur Partei, die sich stützen auf:

+ das militante Engagement (Artikel 1 der Statuten der SDAPR),

+ die Klarheit in den programmatischen Grundlagen und der Auswahl der Militanten;

Offenheit in den Diskussionen mit anderen politischen Strömungen der Arbeiterbewegung (siehe z.B. die Beteiligung der Italienischen Linken an den Konferenzen in Frankreich zwischen 1928 und 1933 oder die fortgesetzten Diskussionen mit der Ligue des Communistes Internationalistes Belgiens [LCIB] mit der Veröffentlichung von Artikeln, die von Mitgliedern der LCIB verfasst wurden, in der Zeitschrift Bilan).

Es ist an dieser Stelle notwendig zu unterstreichen, dass es eine Verbindung zwischen der programmatischen und organisatorischen Strenge der Italienischen Linken und ihrer Bereitschaft zur Diskussion gibt: In Tradition mit den linken Strömungen verfolgte die Italienische Linke eine langfristige Arbeit, die sich auf politische Klarheit und Solidität stützte und dubiose “unmittelbare Erfolge” ablehnte, da diese den Weg zum Opportunismus erleichterten und Vorbedingung für zukünftige Niederlagen waren (“Die Ungeduld ist die Mutter des Opportunismus” so Trotzki). Die Italienische Linke hatte keine Angst, mit anderen politischen Strömungen zu diskutieren, da sie Vertrauen in die Solidität ihrer Positionen hatte.

Auch zwischen der Verwirrung und den Unklarheiten der Opportunisten sowie ihrem ‚Sektierertum‘, das im allgemeinen eher gegen die Linke als gegen die Rechte gerichtet ist, gibt es eine Verbindung.

Wenn man weiß, dass die eigenen Positionen wenig solide sind, hat man natürlich Angst, sich mit den Positionen der Linken auseinanderzusetzen, wie im Falle der Komintern nach dem 2. Weltkongress, die sich dem Zentrum gegenüber öffnete, sich aber in den Debatten mit den Linken ‚sektiererisch‘ verhielt, als sie z.B. die KAPD ausschloss. Dasselbe galt auch für Trotzkis Politik gegenüber der Italienischen Linken, die er unter bürokratischen Vorwänden aus der Internationalen Opposition ausschloss, um innerhalb der Sozialdemokratie Entrismus zu betreiben. Und für die Politik der PCInt nach 1945, als diese die Kommunistische Linke Frankreichs (GCF) ausschloss, um dann ungestört alle möglichen Leute zusammenzuführen, die noch schlimmer als opportunistisch waren und sich weigerten, ihre Fehler in der Vergangenheit zu kritisieren.

Unter den Linksoppositionen bietet uns die Italienische Fraktion eine ausgezeichnete Lektion in revolutionärer Verantwortung und Methode, indem sie sich für die Umgruppierung der Revolutionäre einsetzte, aber auch und vor allem für die Klarheit der politischen Positionen kämpfte. Die Italienische Linke hat immer auf der Notwendigkeit eines programmatischen Dokumentes gegen die Manöver bestanden, die die Linksopposition untergraben haben. Wenn es nämlich zu einem Bruch kommen sollte, sollte dieser auf der Grundlage von Texten geschehen.

Seit ihrer Gründung im 1. Weltkrieg in den Reihen der II. Internationale hat die Italienische Linke diese Methode angewandt. Auch gegenüber der niedergehenden Komintern von 1924 bis 1928 hat sie diese Methode benutzt, bis sie sich 1928 in Pantin (Frankreich) als Fraktion bildete. Trotzki selbst hat diese politische Ehrlichkeit gewürdigt, als er in seinem letzten Brief an die Fraktion im Dezember 1932 schrieb: “Die Spaltung von einer ehrlichen revolutionären Gruppe (von der IKS unterstrichen) wie der eurigen muss nicht notwendigerweise durch Feindseligkeiten, persönliche Angriffe oder boshafte Kritiken geprägt sein”.

Dagegen hatte die Methode Trotzkis innerhalb der Opposition nichts mit denen der Arbeiterbewegung zu tun. Der Ausschluss der Italienischen Linken verlief nach dem gleichen Schema wie in der stalinisierten Komintern, d.h. ohne offene Debatte, die diesen Ausschluss hätte rechtfertigen können. Solch ein Verhalten wurde von Trotzki nicht nur einmal  an den Tag gelegt, denn er hat oft Abenteurer unterstützt, die sein Vertrauen erschlichen hatten. Aber all die revolutionären Gruppen wie die belgische, deutsche und spanische Linke und all die ehrenhaften revolutionären Militanten wie Rosmer, Nin, Landau und Hennaut wurden einer nach dem anderen ausgeschlossen oder beiseite gedrängt, bis die Internationale Opposition eine rein “trotzkistische “ Strömung geworden war.[20] [28]

Auf diesem Dornen reichen Weg der Verteidigung des Erbes des Marxismus und ihrer politischen Identität ist die Italienische Linke international zu jener politischen Strömung geworden, die die Notwendigkeit einer kohärenten Partei am besten ausgedrückt hat, einer Partei, aus der die Unentschiedenen und Zentristen ausgeschlossen bleiben, die aber gleichzeitig die große Fertigkeiten darin entwickelt, eine Umgruppierungspolitik der revolutionären Kräfte voranzutreiben, weil sie sich stets auf die Klarheit der Positionen und der Arbeitsmethoden gestützt hat.

Wird das IBRP (und vor ihm die PCInt seit 1943) – das sich als der einzig wirkliche politische Erbe der Italienischen Linken darstellt – wirklich den Ansprüchen seiner politischen Vorfahren gerecht? Sind seine Eintrittsbedingungen wirklich so streng, wie sie von Lenin seinerzeit verlangt wurden? Ehrlich gesagt, scheint uns das nicht der Fall zu sein. Die ganze Geschichte dieser Gruppe wird von verschiedenen Episoden des “Opportunismus in Organisationsfragen” geprägt, und statt vielmehr die Orientierungen umzusetzen, die man zu unterstützen vorgibt, betreibt das IBRP in Wirklichkeit eine Politik, die der niedergehenden Komintern und der Trotzkisten viel näher steht. Wir wollen hier nur einige symptomatische historische Beispiele zur Verdeutlichung desselben aufgreifen.

1943-1946

1943 wurde in Norditalien die Internationalistische Kommunistische Partei (PCInt) gegründet. Diese Nachricht weckte große Hoffnungen, und die Führung der neuen Partei wurde auf breiter Front vom Opportunismus übermannt. Dies fing damit an, dass Elemente in Massen dem PCInt beitraten, die aus dem Partisanenmilieu[21] [28] oder aus verschiedenen Gruppen aus dem Süden stammten, unter ihnen etliche aus der SP oder der KP, andere gar aus den Reihen der Trotzkisten, ganz zu schweigen von einer Reihe von Militanten, die zuvor offen mit dem programmatischen und organisatorischen Rahmen der Italienischen Linken gebrochen hatten, um sich in konterrevolutionäre Abenteuer zu stürzen, wie im Falle der Minderheit der Auslandsfraktion des PCI, die sich 1936 am Spanienkrieg beteiligte, oder wie Vercesi, der 1943 in der ‚Antifaschistischen Koalition” in Brüssel mitgewirkt hatte.[22] [28]

Natürlich wurde keiner dieser Genossen, die der neuen Partei beigetreten waren, um Rechenschaft über seine frühere politische Aktivität gebeten. Und was soll man davon halten, dass Bordiga selbst, entgegen dem Geist und den Worten Lenins, sich an den Aktivitäten der Partei bis 1952[23] [28] beteiligte, ihre politische Linie mit inspirierte, sogar eine politische Plattform verfasste und die Partei anerkannte - ohne Mitglied der Partei zu sein?

Es war die französische Fraktion der kommunistischen Linken (Fraction française de la  Gauche  Communiste – FFGC, Internationalisme), die in dieser Phase das Erbe der kommunistischen Linken fortsetzte, als sie die politischen Lehren der italienischen Fraktion (Bilan) aufgriff und weiter verfeinerte. Es war die FFGC, die gegenüber dem PCInt das Problem des Beitritts von Vercesi und der Minderheit von Bilan aufwarf, weil von ihnen niemals Rechenschaft über ihre früheren politischen Fehler verlangt worden war; sie brachte  auch das Problem der Parteigründung in Italien zur Sprache, die stattfand, ohne die während der zehn vorausgegangenen Jahre erarbeitete Bilanz der Fraktion zu berücksichtigen.

1945 wurde ein internationales Büro unter Beteiligung des PCInt, der belgischen Fraktion und einer “parallelen” französischen Fraktion der FFCG, die “FFCGbis”, gegründet. In Wirklichkeit hatte sich diese “FFGCbis” aus einer Abspaltung zweier Individuen gebildet, die, der Exekutivkommission der FFGC angehörend, Kontakt zu  Vercesi in Brüssel aufgenommen hatten und sich wahrscheinlich von seinen Argumenten hatten überzeugen lassen, nachdem sie selbst zuvor, Anfang 1945, dessen sofortigen Ausschluss ohne Diskussion unterstützt hatten.[24] [28]

Das eine Mitglied, Suzanne, war sehr jung und unerfahren, während das andere aus der spanischen POUM stammte (später trat er Socialisme ou Barbarie bei). Die “FFGCbis” “verstärkte” sich später durch den Eintritt von Mitgliedern der Minderheit von Bilan und der alten Union Communiste (Chazé, etc), die von der Fraktion wegen ihrer Konzessionen an den Antifaschismus während des Spanienkrieges kritisiert worden waren.

In Wirklichkeit diente die Gründung dieser “parallelen” Fraktion dazu, die Glaubwürdigkeit von Internationalisme zu untergraben. Wir sehen, die Geschichte wiederholt sich, da die PCInt das gleiche Manöver vollzog wie 1930, als sie innerhalb der Opposition gegen die italienische Fraktion die “Neue Italienische Opposition” (NOI) bildete, eine aus ehemaligen Stalinisten bestehende Gruppe, die nur zwei Monate vorher die Finger mit im Spiel hatte, als Bordiga aus der KPI ausgeschlossen wurde, und deren politische Funktion nur in ihrer  provozierenden Konkurrenz zur Fraktion bestand.

Am 28. November 1946 richtete die GCF einen Brief an die PCInt, der mit einem Anhang versehen war, in dem sie eine Liste aller zu diskutierenden Fragen aufführte und eine Reihe von Verfehlungen aufzählt, für die verschiedene Teile der italienischen Linkskommunisten während des Krieges verantwortlich waren (Internationalisme Nr. 16).

Diesem zehn Seiten langen Brief antwortet die PCInt sehr lapidar mit folgenden Worten: “Sitzung des Internationalen Büro in Paris: Euer Brief, der erneut die ständige Verdrehung der Tatsachen und politischen Positionen sowohl des PC Italiens als auch der belgischen und französischen Fraktionen  zum Inhalt hat, zeigt,  dass ihr keine revolutionäre politische Organisation seid und dass eure Aktivitäten sich darauf beschränken, Verwirrung zu stiften und unsere Genossen zu besudeln. Daher haben wir einstimmig eure Bitte um Beteiligung am internationalen Treffen der Organisationen der GCI abgelehnt.”

Es stimmt, die Geschichte wiederholt sich als Farce. Auf dieselbe bürokratische Weise, mit der sie 1926 aus der Komintern ausgeschlossen worden war, wurde die GCI 1933 auch aus der Linksoppposition ausgeschlossen (siehe unsere Broschüre zur Italienischen Linken); schließlich schloss die GCI ihrerseits unter bürokratischen Vorwänden die französische Fraktion aus ihren Reihen aus, um der politischen Konfrontation auszuweichen.

Die 50er Jahre

Der Eklektizismus in den Positionen bedeutet, dass auf internationaler Ebene die Methode des ‚Herr im eigenen Haus‘ herrschte. Mit der Spaltung von 1952 nahmen die Bordigisten eine Position der “Unnachgiebigkeit” ein – allerdings nur in der Form einer Karikatur. Einerseits verweigerte man jede Diskussion ; andererseits öffnete man sich nach allen Seiten, wie im Herbst 1956, als die PCInt (Battaglia Comunista) mit den GAAP[25] [28], den Trotzkisten der Groupes Communistes Révolutionnaires und Action Communiste[26] [28] eine “Bewegung für die Kommunistische Linke” gründeten, deren markanteste Merkmale Heterogenität und Verwirrung waren. Diese vier Gruppen wurden von Bordiga ironisch das “Vierblättrige Kleeblatt” genannt.

Die 70er Jahre

Anfang 1976 haben die Genossen von Battaglia Comunista den “internationalen Gruppen der kommunistischen Linken” einen “Initiativvorschlag” unterbreitet, in dem sie dazu einluden:

- eine internationale Konkurrenz abzuhalten, um zu sehen, wo die Gruppen stehen, die sich auf den  internationalen Linkskommunismus berufen;

- ein internationales Kontakt- und Diskussionszentrum zu schaffen.

Die IKS hat sich voller Überzeugung an der Konferenz beteiligt. Dabei haben wir jedoch die Festlegung von politischen Minimalkriterien für die Beteiligung verlangt. Die Genossen von Battaglia Comunista, die offensichtlich eine andere Art von Konferenzen gewohnt sind (siehe oben), zögerten bei der Festlegung von aus ihrer Sicht zu strengen Abgrenzungen: Sie befürchteten offenbar, einige Gruppen dadurch die Tür zu verschließen.

Die erste Konferenz fand im Mai 1977 in Mailand statt, wobei sich nur zwei Gruppen beteiligten – BC und die IKS. Aber BC verweigerte jede öffentliche Erklärung und wollte auch jene Gruppen nicht kritisieren, die sich trotz Einladung nicht an der Konferenz beteiligen wollten.

Ende 1978 fand die zweite Konferenz, diesmal in Paris, statt, an der sich mehrere Gruppen beteiligten. Am Ende der Konferenz kam die Frage der Teilnahmekriterien zur Sprache, aber diesmal schlug BC strengere Kriterien vor: “Die Kriterien müssen ermöglichen, die Rätekommunisten von diesen Konferenzen auszuschließen, und wir müssen deshalb auf der Anerkennung der historischen Notwendigkeit der Partei als wesentliches Kriterium bestehen.” Darauf antworteten wir, indem wir  an “unsere Betonung der Notwendigkeit von Kriterien auf der ersten Konferenz (erinnerten). Wir meinen heute, dass die Hinzufügung von zusätzlichen Kriterien nicht angebracht ist. Wir sagen das nicht, weil es an Klarheit mangelte, und auch nicht hinsichtlich der Frage der Kriterien bezüglich der nationalen oder der Gewerkschaftsfrage, sondern weil dies verfrüht ist. In der gesamten revolutionären Bewegung gibt es in diesen Fragen noch sehr viel Verwirrung; und die NCI besteht zu Recht auf die dynamische Entwicklung der politischen Gruppen, die wir verfrüht ausschließen würden.”[27] [28]

In der ersten Hälfte des Jahres 1980 tagte die dritte und letzte internationale Konferenz[28] [28], deren Atmosphäre von Anfang an ihren späteren Ausgang vorweg nahm. Abgesehen vom Interesse am Diskussionsthema war auf dieser Konferenz die deutliche Absicht seitens BC zu spüren, die IKS von weiteren Konferenzen auszuschließen.  BC war jedes Mittel recht, einen Vorwand zu finden, um die Konferenz zur Annahme eines noch strengeren und noch selektiveren Kriteriums zu bewegen, mit dem Ziel, die IKS definitiv auszuschließen. Der Hintergrund war, dass BC die IKS immer weniger als eine Gruppe des gleichen Lagers betrachtete, mit der sie zu einer Klärung gelangen könnte, die für alle Genossen und die neuen, in der Entstehung befindlichen Gruppen vorteilhaft wäre, sondern als einen gefährlichen Konkurrenten, der Letztere für sich vereinnahmen könnte.

So gelangte man also von der Gleichgültigkeit gegenüber den politischen Teilnahmekriterien auf der ersten Konferenz zur Erzwingung von Kriterien auf der dritten Konferenz, die absichtlich für den Ausschluss der IKS, d.h. des linken Flügels innerhalb der Konferenz, geschaffen wurden. Die dritte Konferenz war eine Wiederauflage des Ausschlusses der GCF von 1945 und damit die Fortsetzung früherer Episoden des Ausschlusses der Italienischen Linkskommunisten aus der Komintern (1926) und der Opposition (1933).

Die politische Verantwortung, die BC (und die CWO) dabei übernahm, ist gewaltig: Nur einige Monate später, im August 1980, brach der Massenstreik in Polen aus, doch diese einmalige Gelegenheit verstrich, ohne dass die Gesamtheit der linkskommunistischen Gruppen sich zu einer abgestimmten Intervention aufraffen konnte, von der das Weltproletariat hätte profitieren können.  

Aber die Geschichte geht noch weiter. Einige Zeit später  haben BC und die CWO, die zeigen wollten, dass sie die Konferenzserie und vier Jahre internationaler Arbeit nicht grundlos abgebrochen hatten, eine vierte Konferenz organisiert, an der neben ihnen eine sogenannte Revolutionäre Gruppe aus dem Iran teilnahm, vor der wir im übrigen BC gewarnt hatten. Nur einige Jahre später gestand das IBRP ein, dass diese iranische Gruppe alles andere als revolutionär war.

Die 90er Jahre

So kommen wir nun zu den letzten Jahren, wo wir von einer gewissen, sicher noch schwachen, aber ermutigenden Öffnung hin zum Dialog und zur Auseinandersetzung innerhalb des proletarischen politischen Lagers sprechen konnten[29] [28]. Der in gewisser Hinsicht sicherlich interessanteste Aspekt war der Anfang  gemeinsamer Interventionen von IKS und IBRP (insbesondere unter Beteiligung ihres Bestandteils in England – der CWO). Es wurden gemeinsam abgesprochene Interventionen in Debatten durchgeführt (wenn sie nicht gar gemeinsam stattfanden), wie z.B. auf den Konferenzen über Trotzki, die in Russland stattfanden, auf einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zur Russischen Revolution von 1917 in London oder bei der gemeinsamen Verteidigung gegen die Angriffe bestimmter parasitärer Gruppierungen usw. Wir haben diese Interventionen immer ohne Hintergedanken durchgeführt, ohne die Absicht, irgend jemanden zu vereinnahmen oder innerhalb des IBRP, zwischen die CWO und BC, einen Keil zu treiben. Dabei waren wir immer besorgt wegen der Diskrepanz zwischen der größeren Offenheit der CWO und der “schweigenden Abwesenheit” von BC. Schließlich beschloss BC, dass das Maß voll sei, zog  die Zügel an und rief seine Partner zur Einhaltung der Partei- pardon, Bürodisziplin auf. Nun vollzog die CWO eine Kehrtwendung, denn alles, was sie zuvor für vernünftig und normal hielt, wurde nunmehr als inakzeptabel angesehen. Vorbei die Abstimmung bei der Arbeit gegenüber Russland, vorbei die gemeinsamen öffentlichen Veranstaltungen usw. Das IBRP übernimmt damit erneut eine schwere Verantwortung, denn aufgrund seines kleinkrämerischen Opportunismus musste das Weltproletariat in einem der schwierigsten Momente der gegenwärtigen Zeit, dem Kosovokrieg, reagieren, ohne dass seine Avantgarde es geschafft hätte, eine gemeinsame Stellungnahme abzugeben.

Um das ganze Ausmaß des Opportunismus des IBRP bei seiner Verweigerung gegenüber dem Vorschlag der IKS, einen gemeinsamer Aufruf gegen den Krieg zu verfassen, zu erkennen, ist es aufschlussreich, einen Artikel von BC, der im November 1995 unter der Überschrift “Irrtümer gegenüber dem Balkankrieg” geschrieben wurde, zu zitieren. BC berichtete darin, dass es von der OCI (Organizzazione Comunista Internazionale /Che Fare) eine(n) Brief/Einladung zu einer nationalen Versammlung in Mailand gegen den Krieg erhalten habe. BC meinte, dass “der Inhalt des Briefes interessant und wesentlich verbessert worden ist im Vergleich zu den Positionen der OCI gegenüber dem Golfkrieg, ihrer ‚Unterstützung für das vom Imperialismus angegriffene irakische Volk‘ und ihrer sehr polemischen Haltung in der Diskussion unserer angeblichen Indifferenz.” Der Artikel führt dann weiter aus. “Es fehlt der Bezug auf die Krise des Akkumulationszyklus (...) und die wesentliche Analyse ihrer Auswirkungen in der jugoslawischen Föderation. (...) Aber dies scheint kein Hindernis zu sein für eine mögliche gemeinsame Initiative derjenigen, die sich auf dem Klassenterrain gegen den Krieg stellen.” (Hervorhebung von uns) Vor gerade einmal vier Jahren wollte BC in einer Lage, die weniger ernst war als zur Zeit des Kosovokrieges, eine gemeinsame Initiative mit einer mittlerweile völlig konterrevolutionär gewordenen Gruppe[30] [28] ergreifen, um ihre aktivistischen Bestrebungen auszutoben, schreckte aber nicht davor zurück, Nein zur IKS zu sagen - unter dem Vorwand, dass unsere Positionen zu weit von ihren entfernt seien. Das nennt man Opportunismus.

Schlussfolgerungen

In diesem Artikel wollten wir auf die These des IBRP antworten, wonach Organisationen wie unsere “der Methode und den Arbeitsperspektiven, die zur Bildung der zukünftigen revolutionären Partei beitragen”, fern stehen. Zu diesem Zweck haben wir zwei Ebenen aufgegriffen, auf denen sich die Organisationsfrage stellt. Auf diesen beiden Ebenen haben wir gezeigt, dass das IBRP (und nicht die IKS) von der Tradition der italienischen und internationalen Linkskommunisten abweicht. Der Eklektizismus des IBRP bei seiner Umgruppierungspolitik ähnelt eher jener Trotzkis, der sich besessen um den Aufbau seiner IV. Internationale bemüht hatte. Die Methode der IKS stützt sich dagegen auf die der Italienischen Fraktion, die immer für einen Umgruppierungsprozess auf klarer Grundlage eingetreten ist, da diese Klarheit die Bedingung ist, um die zögernden und zaudernden Elemente aus dem Zentrum zu gewinnen.

Auch wenn es den verschiedenen selbsternannten Erben nicht gefällt, die wirkliche Kontinuität der Italienischen Fraktion wird heute von der IKS verkörpert, weil unsere Organisation sich auf all die Schlachten der 20er, 30er und 40er Jahre beruft, die Lehren daraus übernommen und fortgesetzt hat.  

31.8.2000     Ezechiele



[1] [28] IBRP: Internationales Büro für die Revolutionäre Partei, eine internationale Organisation, welche die beiden Organisationen Communist Workers Organisation (CWO) und den Partito internazionalista in Italien vereinigt.

[2] [28] Veröffentlicht in Battaglia Comunista Nr. 1, Januar 2000, und in Internationalist Communist Nr. 18, Winter 2000.

[3] [28] Die Kommunistische Internationale hatte seinerzeit auch 21 Aufnahmebedingungen.

[4] [28] Vgl. unseren Artikel ”Über den Aufruf der IKS zu einer Stellungnahme gegen den Krieg in Serbien. Die kriegerische Offensive der Bourgeoisie erfordert eine gemeinsame Antwort der Revolutionäre”, Internationale Revue Nr. 24

[5] [28] Vgl. auch ”Polemik mit dem IBRP. Die marxistische Methode und der Aufruf der IKS gegenüber dem Krieg in Ex-Jugoslawien”, Internationale Revue Nr. 25

[6] [28] Es geht dabei um die Punkte 13 und 16, wo es Divergenzen gibt, die aber nicht grundlegend sind, sondern nur die Analyse der gegenwärtigen Lage betreffen.

[7] [28] Die Berichte und kritische Einschätzungen über diese Konferenzen können in verschiedenen Artikeln der Internationalen Revue und in Broschüren nachgelesen werden, die auf Bestellung erhältlich sind.

[8] [28] Thesen der Linken für den 3. Kongress der Kommunistischen Partei Italiens, Lyon, Januar 1926

[9] [28] ”Während dieser ganzen Zeit (1930), wurde Trotzki durch die Briefe von Rosmer informiert. Dieser ist gegen die Italienische Linke und ‚blockiert alle Diskussionen‘. Er kritisierte Prometeo, der zunächst vor der Gründung der Internationale nationale Sektionen bilden wollte, und er nannte das Beispiel von Marx und Engels, die” 1847 die kommunistische Bewegung mit einem internationalen Dokument zum Leben erweckt und die erste Internationale gegründet haben. “Diese Argumentation ist zu unterstreichen, da sie in der Folge immer wieder zu Unrecht gegen die Italienische Fraktion ins Feld geführt wird.” (IKS, Rapports entre la fraction de gauche du PC d’Italie et l’Opposition de la Gauche Internationale, 1929-1933, im Buch La Gauche Communiste d’Italie, in frz., engl., span. oder ital. Sprache erhältlich)

[10] [28] IBRP, ”Hin zur neuen Internationalen”, Prometeo Nr. 1, Serie VI, Juni 2000

[11] [28] IBRP, a.a.O.

[12] [28] Vgl. auch unsere allgemeine Stellungnahme zu dieser Frage im Artikel Über die Partei und ihre Beziehung zur Klasse, ein Text des 5. Kongresses der IKS, Internationale Revue Nr. 9

[13] [28] “Viele (Delegierte am Gründungskongress der KI) waren tatsächlich bolschewistische Militante: Die Kommunistische Partei Polens in vielerlei Hinsicht, diejenige Lettlands, der Ukraine, Litauens, Weißrusslands, Armeniens, die vereinigte Gruppe der Völker Ostrusslands, die Sektionen des Zentralbüros der Völker des Ostens waren unter verschiedenen Titeln letztlich Schöpfungen der Bolschewistischen Partei selber. (...) Aus dem Ausland kamen eigentlich nur die beiden Schweizer Delegierten, Fritz Platten und Kascher, der Deutsche Eberlein (...), der Norweger Stange und der Schwede Grimlund, der Franzose Guilbeaux. Doch auch bei ihnen konnte über die Repräsentanz diskutiert werden. (...) Es blieben letztlich nur die beiden Delegierten, die ein unbestreitbares Mandat hatten, der Schwede Grimlund und Eberlein.” (Der Erste Kongress der Kommunistischen Internationale, Pierre Broué: Einführung, die Ursprünge der Kommunistischen Internationale. EDI, Paris, S. 35-36)

[14] [28] Diese Kritik haben wir schon kürzlich gegenüber BC im Zusammenhang mit deren opportunistischen Methode geübt, mit der sie Beziehungen zu Elementen der GLP pflegt. Die GLP sind eine politische Gruppierung, deren Teile daran sind, mit der autonomen Bewegung zu brechen, und auf halbem Weg der Klärung angelangt sind, wobei sie immer noch eine gute Dosis ihrer ursprünglichen Verwirrung beibehalten haben: “Diese Intervention ist aber weit davon entfernt, die Klärung dieser Gruppe und die Aneignung einer revolutionären Kohärenz voranzubringen, im Gegenteil ihre mögliche Entwicklung wurde blockiert.” (aus “Die ‚Gruppen proletarischer Kampf‘: ein unvollständiger Versuch des Erreichens einer revolutionären Kohärenz”, Weltrevolution Nr. 89)

[15] [28] Das IBRP wird uns wahrscheinlich widersprechen, indem es auf das Beispiel von Gruppen verweist, die sich in den letzten Jahren dazu entschlossen haben, mit ihm zu “arbeiten”, bzw. auf eine neue Präsenz in Frankreich mit einer Publikation (Bilan et perspectives). Wir hoffen, dass sich diese neuen Kräfte anders als ihre Vorläufer halten können, doch das IBRP wird besonders wachsam sein müssen, wenn es nicht dieselben Enttäuschungen erleben will wie zuvor.

[16] [28] Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August 1920 in Moskau, Hamburg 1921, S. 395

[17] [28] Rede von Amadeo Bordiga über die Die Aufnahmebedingungen der KI, 1920, veröffentlicht in La Sinistra Comunista nel cammino della rivoluzione, Edizioni sociali, 1976

[18] [28] Diese Politik der degenerierenden Komintern führte zur Isolierung der revolutionären Kräfte in den Parteien und hat sie der Repression und dem Massaker ausgeliefert, wie dies insbesondere in China der Fall war.

[19] [28] IKS: Die Italienische Kommunistische Linke 1927-52 (frz./engl./span./ital.)

[20] [28] aus dem Buch der IKS: Die Beziehungen zwischen der Linksfraktion der KP Italiens und der Internationalen Linksopposition, 1923-1952, das demnächst auf Französisch erscheint

[21] [28] “Die Unklarheiten über die ‚Partisanen” bei der Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei in Italien”,  Antwort der IKS in Revue Internationale (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 8 auf einen Brief von Battaglia Comunista

[22] [28] s. die Artikel “Die Wurzeln der IKS und des IBRP” in Internationale Revue Nr. 22/23 und den Artikel “Die Schatten des Bordigismus und seiner Epigonen” in Revue Internationale (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 95

[23] [28] das Jahr der Spaltung zwischen der heutigen Gruppe Battaglia Comunista und den ‚bordigistischen” Bestandteilen der IKP

[24] [28] IKS: Die Italienische Kommunistische Linke 1927-52

[25] [28] Einige ehemalige Partisanen, unter ihnen Crevetto, Massimi und Parodi, traten der anarchistischen Bewegung bei und versuchten in ihren Reihen als Klassentendenz tätig zu sein, als sie im Februar 1951 mit der Herausgabe der Zeitung L‘impulso die “Gruppi Anarchici di Azione Proletaria” (GAAP) gründeten.

[26] [28] AC entstand 1954 als eine Tendenz der IKP, die von Seniga, Raimondi, einem ehemaligen Partisanen, und Fortichiari, einem der Gründer der KP Italiens 1921, der der IKP nach seinem Ausschluss aus der KP beigetreten war, gebildet wurde. Seniga war ein Mitarbeiter Pietro Secchias, welcher die Gruppen links von der KP Italiens während der Resistance als “Marionetten der Gestapo” bezeichnet und dazu aufgefordert hatte, diese physisch zu eliminieren. Es handelte sich um den Zusammenschluss eines Teils von AC und den GAAP, die 1965 die Gruppe Lotta Comunista gründeten.

[27] [28] Das Protokoll der Konferenz wurde in “Vorbereitungstexte (Fortsetzung), Berichte, Korrespondenz der 2. Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken”, Paris, November 1978, veröffentlicht.

[28] [28] Revue Internationale (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 22, 3. Quartal 1980, “3. Internationale Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken” Paris, Mai 1980, “Das Sektierertum, ein Erbe der Konterrevolution, das überwunden werden muss”; s. auch das Protokoll der 3. Konferenz, das von der IKS auf Französisch als Broschüre und von BC als Sonderausgabe von Prometeo auf Italienisch herausgebracht wurde.

[29] [28] Internationale Revue Nr. 21, “6. Kongress des Partito Comunista Internazionalista - Ein Schritt vorwärts für die Kommunistische Linke”, Revue Internationale (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 93, “Debatten unter bordigistischen Gruppen: eine bedeutsame Entwicklung des proletarischen politischen Milieus”, Internationale Revue Nr. 95: Die Kommunistische Linke Italiens, “Zur Broschüre ‘Die Schatten des Bordigismus und seiner Epigonen‘ (Battaglia Comunista)”.

[30] [28] Es ist typisch für den Opportunismus der Genossen von BC, dass sie im Herbst 1995 erneut Verbindung zu einer Organisation aufgenommen haben, die seit mindestens fünf Jahren, seit dem Golfkrieg, nichts anderes tut, als eine imperialistische Front gegen die andere zu unterstützen, und sich direkt an der Mobilisierung des Proletariats für die imperialistischen Massaker beteiligt. Siehe dazu unsere Artikel in Rivoluzione Internazionale: “L’OCI – la calunnia è un venticello” Nr. 76, Juni 92, “Le farnetticazioni dell’OCI”, Nr. 69, April 91, außerdem: “Les poissons-chats du Golfe” in Revue Internationale (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 67, Dez. 90.

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Internationales Büro für die Revolutionäre Partei [29]

Deutsche Revolution, Teil X

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Der Rückfluss der revolutionären Welle und die Entartung der Kommunistischen Internationalen

Mit der erfolgreichen Machtübernahme im Oktober 1917 hatte die russische Arbeiterklasse ein Zeichen gesetzt, das weltweite Ausstrahlungskraft haben sollte. Sofort griffen die Arbeiter der benachbarten Länder das Beispiel der russischen Arbeiterklasse auf. Schon im November 1917 traten die finnischen Arbeiter in den Kampf. Die tschechischen Provinzen, Polen Österreich, Rumänien und Bulgarien wurden im Laufe des Jahres 1918 von einer Streikwelle nach der anderen erschüttert. Als dann im November die deutschen Arbeiter auf die Bühne traten, hatte die revolutionäre Welle ein Land erfasst, das für den weiteren Verlauf der Kämpfe, für Sieg oder Niederlage der Weltrevolution von ausschlaggebender Bedeutung war.

Durch die unverzügliche Beendigung des Krieges im November 1918, durch die Sabotage von Sozialdemokratie und Gewerkschaften in engster Abstimmung mit dem Militär und schließlich durch die Provokation eines verfrühten Aufstandes gelang es der deutschen Bourgeoisie und ihren “demokratischen” Kräften, eine erfolgreiche Machtübernahme durch die deutsche Arbeiterklasse und somit die weitere Ausdehnung der russischen Revolution zu verhindern.

Die Vereinigung der internationalen Bourgeoisie gegen die revolutionäre Welle

Die Gründung einer Räterepublik in Ungarn im März, die Streikwelle in Frankreich im Frühjahr, die Erhebungen in der slowakischen Republik im Juni und die schweren Kämpfe in den USA und in Argentinien – alle diese Erhebungen in Europa und auf anderen Kontinenten im Jahre 1919 fanden erst statt, nachdem die Revolution in Deutschland bereits einen herben Rückschlag erlitten hatte. Da es dem Dreh- und Angelpunkt bei der weltweiten Ausdehnung der Revolution, der Arbeiterklasse in Deutschland, nicht gelang, die Kapitalistenklasse in einem schnellen Sturmlauf wegzufegen, verlor diese Welle ab 1919 langsam ihre Dynamik. Zwar leisteten die Arbeiter in einer Reihe von Konfrontationen – so in Deutschland selbst (Kapp-Putsch im März 1920), so in Italien im Herbst 1920 – noch heldenhaften Widerstand gegen die Offensive der Bourgeoisie, doch konnten diese Kämpfe die Bewegung nicht mehr vorwärts tragen.

Zuvorderst hatten es diese Kämpfe nicht vermocht, die Offensive des Kapitals gegen die isolierte russische Bastion der Weltrevolution zu durchbrechen. Im Frühjahr 1918 hatte dieselbe russische Bourgeoisie, die noch im Oktober 1917 so schnell und nahezu gewaltlos davongejagt worden war, mit der Unterstützung von 14 Armeen der “demokratischen” Staaten begonnen, einen Bürgerkrieg gegen die russische Revolution zu entfachen. In einem mehr als dreijährigen Krieg, bei gleichzeitiger Wirtschaftsblockade mit dem Ziel des Aushungerns, wurde die russische Arbeiterklasse von den “weißen” Armeen der kapitalistischen Staaten ausgeblutet. Zwar blieb die militärische Offensive der “Roten Armee” im Laufe dieses Krieges siegreich, doch wurden die russischen Arbeiter zu einem Krieg gezwungen, in dessen Verlauf sie isoliert sengenden und mordenden imperialistischen Armeen gegenüberstanden. Am Ende der jahrelangen Blockade und des Bürgerkrieges, Ende 1920, war die russische Arbeiterklasse ausgeblutet (eine Million Tote in ihren Reihen), erschöpft und vor allem politisch enorm geschwächt.

Ende 1920, als die deutschen Arbeiter bereits ihre erste Niederlage eingesteckt hatten, als die italienischen Arbeiter in die Falle der Fabrikbesetzungen gelaufen waren, als die Rote Armee auf ihrem Vormarsch in Polen zurückgeschlagen worden war, wurde den Kommunisten klar, dass die Hoffnung auf eine schnelle Ausdehnung der Revolution sich nicht erfüllen sollte. Auch die Kapitalistenklasse spürte, dass die unmittelbare Todesgefahr, die die Erhebung der deutschen Arbeiterklasse für sie bedeutete, einstweilen gebannt war.

Die Ausdehnung der revolutionären Welle war vor allem vereitelt worden, weil die Kapitalistenklasse rasch die Lehren aus der Machtergreifung durch die russischen Arbeiter gezogen hatte.

Die historische Erklärung sowohl der explosiven Entwicklung der Revolution als auch ihrer schnellen Niederlage liegt in der Tatsache begründet, dass diese revolutionäre Welle, entgegen der Erwartung von Marx, nicht aus einer allgemeinen Wirtschaftskrise, sondern aus einem imperialistischen Krieg hervorgegangen war. Anders als 1939 war die Arbeiterklasse vor dem I. Weltkrieg nicht entscheidend geschlagen worden. So war sie, trotz des gegenseitigen Abschlachtens an der Front, in der Lage, eine revolutionäre Antwort auf die vom Imperialismus verursachte Barbarei zu liefern. Doch dem Krieg und der Fortsetzung der Massaker konnte nur ein Ende gemacht werden, indem die Arbeiterklasse schnell und entschlossen die Macht ergriff. Daher hatte sich die Revolution, sobald sie einmal ausgelöst war, mit großer Schnelligkeit entwickelt und ausgeweitet. Infolgedessen erwartete das revolutionäre Lager zumindest in Europa einen schnellen Erfolg der Revolution.

Nun ist die Bourgeoisie zwar unfähig, die Wirtschaftskrise ihres Systems zu beenden, doch ist sie allemal in der Lage, einen imperialistischen Krieg zu beenden, sofern die Revolution droht. Und genau dies tat sie, als die revolutionäre Welle im November 1918 das Herz des Weltproletariats, die deutsche Arbeiterklasse, erreicht hatte. Auf diese Weise vermochten die Ausbeuter die Dynamik der revolutionären Ausdehnung zu bremsen.

Die Bilanz der revolutionären Welle von 1917 bis 1923 zeigt sehr deutlich, dass der Weltkrieg schon lange vor der Entwicklung der Atomwaffen mit ihrem zerstörerischen Potenzial relativ ungünstige Rahmenbedingungen für den Erfolg der proletarischen Revolution schuf. Wie Rosa Luxemburg in der Junius-Broschüre aufzeigte, bedeutete das Abschlachten von Millionen von Arbeitern, auch und gerade der Erfahrensten und Bewusstesten unter ihnen, in einem modernen Krieg eine unmittelbare Bedrohung der Grundlagen für den Sieg des Sozialismus. Darüber hinaus schafft der Krieg unterschiedliche Kampfbedingungen für die Arbeiter – je nachdem, ob sie in einem Siegerland, einem neutralen oder einem besiegten Land leben. Es war kein Zufall, dass die revolutionäre Welle am stärksten in den besiegten Ländern, in Russland, Deutschland, Österreich-Ungarn, aber auch in Italien (das nur formell dem Lager der Sieger angehörte), zum Ausdruck kam und weit weniger stark war in Ländern wie Frankreich, England und den USA. Den Siegermächten gelang es nicht nur, ihre Wirtschaft durch Beutegut aus den besiegten Ländern zu stabilisieren, sondern sie vermochten auch viele Arbeiter mit dem Bazillus der ‚Siegeseuphorie‘ zu infizieren. In gewisser Weise gelang es ihnen sogar, das Feuer des Chauvinismus neu zu entfachen. So richtete das nationalistische Gift, das während des Krieges von der herrschenden Klasse gegen die weltweite Solidarität mit der Oktoberrevolution und gegen den wachsenden Einfluss der internationalistischen Revolutionäre verbreitet wurde, noch nach Beginn der Revolution große Schäden an. Die revolutionäre Bewegung in Deutschland liefert hierfür klare Beweise: der Einfluss des extremistischen Nationalismus, für den die “Nationalbolschewisten” unter dem Etikett des “Linkskommunismus” während des Krieges in Hamburg eintraten und antisemitische Flugblätter gegen die Spartakisten verteilten, weil diese eine internationalistische Position verteidigten; die patriotischen Gefühlsaufwallungen, die nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages aufgekommen waren; der nach der Ruhrgebietsbesetzung von 1923 gegen Frankreich gerichtete Chauvinismus usw. Wie wir in weiteren Folgen dieser Artikelserie zeigen werden, schickte sich die Kommunistische Internationale in ihrer opportunistischen Niedergangsphase an, diese Welle des Nationalismus noch zu übertreffen, statt ihr entgegenzutreten.

Aber die Intelligenz und Hinterlist der deutschen Bourgeoisie wurde nicht nur darin deutlich, dass sie sofort den Krieg beendete, nachdem die Arbeiter zum Sturm gegen den bürgerlichen Staat antraten. Im Gegensatz zur russischen Arbeiterklasse, die es mit einer unerfahrenen und schwachen Bourgeoisie zu tun hatte, stand die deutsche Arbeiterklasse einer vereinten Front des Kapitals, mit der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften als Speerspitze, gegenüber. 

Unter Ausnutzung der noch vorhandenen demokratischen Illusionen unter den Arbeitern und der durch das Kriegsende eingetretenen Spaltung zwischen “Siegermächten” und “Besiegten” vermochte die Kapitalistenklasse mit einer Reihe von politischen Schachzügen und Provokationen die Arbeiterklasse in die Sackgasse zu führen und zu besiegen.

Die Ausdehnung der Revolution war gestoppt worden. Die Bourgeoisie konnte, nachdem sie die erste Welle von Erschütterungen überlebt hatte, zur Offensive übergehen. Sie setzte alles daran, das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu wenden. Untersuchen wir, wie die Revolutionäre auf den Rückzug des Klassenkampfes reagierten und welche Konsequenzen dies für die Arbeiterklasse in Russland hatte.

Die Entwicklung der Komintern vom II. zum III. Kongress

Nachdem die deutsche Arbeiterklasse im November 1918 in Bewegung geraten war, ergriffen die Bolschewiki bereits einen Monat später die Initiative, um eine internationale Konferenz einzuberufen. Damals gingen die meisten Revolutionäre davon aus, dass die Machtergreifung in Deutschland ähnlich schnell und erfolgreich durchgeführt werden könne wie in Russland. So wurde im Einladungsschreiben der Tagungsort Deutschland (legal) bzw. Holland (illegal) für den 1. Februar 1919 ins Auge gefasst. Niemand dachte zur damaligen Zeit daran, die Konferenz in Moskau abzuhalten. Erst die Niederschlagung der Berliner Arbeiter im Januar, die Ermordung der revolutionären Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und die damit verbundene Repression der sozialdemokratisch angeführten Freikorps gegen die Revolutionäre machten ein Treffen in Berlin unmöglich. Erst daraufhin wurde Moskau als Tagungsort ins Spiel gebracht. Als im März 1919 die Komintern gegründet wurde, schrieb Trotzki in der Iswestija: “Wenn sich heute das Zentrum der Internationalen in Moskau befindet, so wird es morgen – wir sind davon zutiefst überzeugt – sich gegen Westen, in Richtung Berlin, Paris, London verlagern.” (29. April 1919)

Gemäß aller revolutionären Organisationen sollte die Politik der Kommunistischen Internationale von den Interessen der Weltrevolution bestimmt werden. Die ersten Debatten auf dem Kongress waren durch die Situation in Deutschland geprägt. Im Vordergrund stand die Rolle der Sozialdemokratie bei der Niederschlagung der Arbeiterkämpfe im Januar und die Notwendigkeit, diese Partei als eine kapitalistische Partei zu bekämpfen.

Trotzki schrieb im oben zitierten Artikel ferner: “Das revolutionäre ‚Erstgeburtsrecht‘ des russischen Proletariats ist nur vorübergehend (...) Die Diktatur des russischen Proletariats wird erst endgültig abgeschafft und sich in einen tatsächlichen allgemeinen sozialistischen Aufbau verwandeln können, wenn die europäische Arbeiterklasse uns vom wirtschaftlichen und vor allem militärischen Joch der europäischen Bourgeoisie befreien wird (...)” (Trotzki, Iswestija, 29. April / 1. Mai 1919) Und: “Wenn sich die Völker Europas nicht erheben und den Imperialismus zerschmettern, werden wir zerschmettert werden – das steht außer Zweifel. Entweder die russische Revolution entfesselt den Wirbelsturm des Kampfes im Westen – oder die Kapitalisten aller Länder ersticken unseren Kampf.” (II. Weltkongress)

Nachdem binnen kürzester Zeit etliche Parteien der Komintern beigetreten waren, stellte man auf dem II. Weltkongress fest: “(...) unter gewissen Umständen kann für die Komintern die Gefahr entstehen, dass sie durch wankelmütige Gruppen verwässert wird, die eine Politik der Halbheiten treiben und sich von der Ideologie der 2. Internationalen noch nicht frei gemacht haben (...) Deshalb erachtet es der II. Weltkongress der Komintern für notwendig, ganz genaue Bedingungen für die Aufnahme von neuen Parteien festzusetzen.”

Auch wenn die Komintern in der Hitze des Feuers gegründet wurde, machte sie in den zentralen Themen wie der Ausdehnung der Revolution, der Machtübernahme, der schärfsten Abgrenzung von der Sozialdemokratie oder der Entlarvung der bürgerlichen Demokratie klare Aussagen. Dagegen ließ sie Fragen wie die Gewerkschafts- oder Parlamentarismusfrage offen.

Die Mehrheit in der Komintern trat für die Teilnahme an den Parlamentswahlen ein. Gleichwohl gab es keine ausdrückliche Verpflichtung dazu, da eine starke Minderheit (insbesondere die Gruppe um Bordiga, die damals unter dem Namen ‚Abstentionistische Fraktion‘ bekannt wurde) sich vehement gegen diese Orientierung ausgesprochen hatte.

Dagegen verpflichtete die Komintern ihre Mitglieder zur Arbeit innerhalb der Gewerkschaften. Die KAPD-Delegierten, die in völlig verantwortungsloser Manier bereits vor der Eröffnung des Kongresses wieder abgereist waren, versäumten es, es den italienischen Genossen gleich zu tun und ihren Standpunkt zu diesen Fragen auf dem Kongress vorzubringen.

Dreh- und Angelpunkt der Debatte, die schon vor dem Kongress mit der Veröffentlichung von Lenins Werk Der Linksradikalismus – Kinderkrankheit des Kommunismus eingeleitet worden war, war die Frage der Kampfmethoden in der neuen Ära der kapitalistischen Dekadenz. In dieser politischen Auseinandersetzung entstand der Linkskommunismus.

Hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Kämpfe verbreitete der II. Kongress noch Optimismus. Alle erwarteten im Sommer 1920 ein weiteres Anwachsen der revolutionären Kämpfe. Doch nach der Niederlage im Herbst 1920 sollte sich das Blatt wenden.

Der rückläufige Klassenkampf verlieh dem Opportunismus Auftrieb

In den “Thesen zur Weltlage und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale” auf dem III. Weltkongress analysierte die Komintern die Lage folgendermaßen: “Während des Jahres zwischen dem II. und III. Kongress der Komintern endete eine Reihe von Aufständen und Kämpfen der Arbeiterklasse z.T. mit Niederlagen (die Offensive der Roten Armee gegen Warschau im August 1920, die Bewegung des italienischen Proletariats im September 1920, der Aufstand der deutschen Arbeiter im März 1921). Die erste Periode der revolutionären Bewegung nach dem Kriege (...) erscheint als im Wesentlichen abgeschlossen. Die Führer der Bourgeoisie (...) sind in allen Ländern zur Offensive gegen die Arbeitermassen übergegangen. Infolgedessen stellt die Kommunistische Internationale sich und der ganzen Arbeiterklasse folgende Fragen: In welchem Ausmaß entspricht das neue politische Verhältnis der Bourgeoisie zum Proletariat dem tatsächlichen Kräfteverhältnis? Ist die Bourgeoisie wirklich nahe daran, das soziale Gleichgewicht wiederherzustellen, das durch den Krieg zerstört worden ist? Ist es begründet anzunehmen, dass anstelle politischer Erschütterungen und Klassenkämpfe eine neue, lang andauernde Epoche der Wiederherstellung und des Wachstums des Kapitalismus eintreten werde? Folgt daraus nicht die Notwendigkeit der Revision des Programms oder der Taktik der Kommunistischen Internationalen?” (S. 9)

Und in den Thesen über die Taktik wurde folgende Vorgehensweise vorgeschlagen: “Die Weltrevolution (...) wird eine längere Periode von revolutionären Kämpfen in Anspruch nehmen (...) Die Weltrevolution ist kein gradlinig fortschreitender Prozess.”

Die Komintern versuchte auf verschiedene Weise, sich auf diese neue Situation einzustellen.

Der Schlachtruf ‚Zu den Massen!‘ – ein Schritt zur opportunistischen Verwirrung

In einem früheren Artikel sind wir bereits auf die sogenannte Offensivtheorie eingegangen.

Ein Teil der Komintern und große Kreise der Revolutionäre in Deutschland drängte auf eine “Offensive”, auf einen “Befreiungsschlag” zugunsten Russlands. Diese Kräfte ummantelten ihre abenteuerlichen Handlungen mit einer “Offensivtheorie”, derzufolge die Partei, wenn sie nur entschlossen und mutig genug sei, sich ungeachtet des Kräfteverhältnisses und der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit in einen Ansturm auf das Kapital stürzen könne.

Doch die Geschichte hat gezeigt, dass man die proletarische Revolution nicht künstlich entfachen und die mangelnde Initiative und fehlende Kampfbereitschaft der Klasse nicht durch die Partei ersetzen kann. Auch wenn die Komintern auf ihrem III. Weltkongress im Juli 1921 das Abenteurertum der KPD schließlich verwarf, so benutzte sie dennoch selbst opportunistische Mittel, um größeren Einfluss unter den rückständigen Arbeitern zu erlangen. “‘Zu den Massen‘ – das ist die erste Kampflosung, die der III. Kongress den Kommunisten aller Länder zuruft.” Wenn die Massen weiter auf der Stelle träten, müsse man sich eben selbst zu den Massen hin bewegen.

Um einen größeren “Masseneinfluss” zu erlangen, hatte die Komintern im Herbst 1920 auf die Gründung von Massenparteien in etlichen Ländern gedrängt. In Deutschland wurde im Dezember 1920 der linke Flügel der zentristischen USPD mit der KPD zur VKPD zusammengeschlossen (die somit etwa 400.000 Mitglieder umfasste); im Herbst 1920 wurde die tschechische KP mit 350.000 Mitgliedern und die französische KP mit ca. 120.000 Mitgliedern in die Komintern aufgenommen.

“Die Komintern hat vom ersten Tage ihrer Bildung an klar und unzweideutig sich zum Zwecke gesetzt nicht die Bildung kleiner, kommunistischer Sekten, (...) sondern die Teilnahme an dem Kampfe der Arbeitermassen, die Leitung dieses Kampfes in kommunistischem Sinne und die Bildung im Kampfe erprobter, großer revolutionärer, kommunistischer Massenparteien. Die Komintern hat schon im ersten Jahre ihrer Existenz die sektiererischen Tendenzen abgelehnt, indem sie die ihr angeschlossenen Parteien – mochten sie noch so klein sein – aufforderte, sich an den Gewerkschaften zu beteiligen, um deren reaktionäre Bürokratie von innen heraus zu überwinden und die Gewerkschaften zu revolutionären Massenorganisationen des Proletariats, zu Organen seines Kampfes zu machen. (...) Auf ihrem II. Weltkongress hat die Komintern die sektiererischen Tendenzen in ihren Resolutionen über die Gewerkschaftsfrage und über die Ausnützung des Parlamentarismus offen abgelehnt (...) Der deutsche Kommunismus wurde dank der Taktik der Komintern (revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften, Offener Brief usw.) (...)  zu einer großen, revolutionären Massenpartei (...) In der Tschechoslowakei ist es den Kommunisten gelungen, die Mehrheit der politisch organisierten Arbeiter auf ihre Seite zu bringen (...) Die sektiererischen kommunistischen Gruppen (wie die KAPD usw.) konnten dagegen auf ihrem Wege nicht die geringsten Erfolge erreichen.” (“Thesen zur Taktik”, S. 37)

Die Auseinandersetzung über die Mittel des Kampfes und über die Möglichkeit der Existenz einer Massenpartei im neuen Zeitalter der kapitalistischen Dekadenz hatte schon auf dem Gründungsparteitag der KPD im Dezember 1918/Januar 1919 begonnen. Schon damals ging es um die Frage, ob die Kommunisten auch weiterhin in den Gewerkschaften arbeiten und das Parlament als Tribüne verwenden können.

Auch wenn Rosa Luxemburg in der Debatte des Gründungsparteitages über die Gewerkschafts- und Parlamentarismusfrage noch für eine Mitarbeit in diesen Institutionen gestimmt hatte, so bewies sie dennoch einen außerordentlichen Weitblick, als sie erkannte, dass neue Kampfbedingungen entstanden waren, unter denen die Revolutionäre nur mit großer Ausdauer und ohne jegliche naive Hoffnung auf eine “schnelle” Lösung ihrer Arbeit nachgehen können. Den Kongress vor Ungeduld und überstürztem Handeln warnend, betonte sie mit Nachdruck: “Wenn ich es so schildere, nimmt sich der Prozess vielleicht etwas langwieriger aus, als man geneigt wäre, ihn sich im ersten Moment vorzustellen.” Noch in ihrem letzten Artikel für die Rote Fahne vor ihrer Ermordung warnte sie: “Aus alledem ergibt sich, dass auf einen endgültigen, dauernden Sieg in diesem Augenblick noch nicht gerechnet werden konnte.” (Die Ordnung herrscht in Berlin)

Die Analyse der aktuellen Lage und die Einschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Kommunisten. Wenn sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden und einen Sturm erwarten, wo doch alles bereits wieder abflaut, besteht die Gefahr, voller Ungeduld abenteuerlichen Aktionen anheim zu fallen und danach zu trachten, die reale Klassenbewegung durch künstlich stimulierte Versuche zu ersetzen.

Auf dem Heidelberger Parteitag der KPD im Oktober 1919 hatte die Führung um Levi angesichts des ersten Abebbens der Kämpfe in Deutschland gegen das Mehrheitsvotum vorgeschlagen, die KPD solle, um ihren Einfluss auf die Arbeitermassen zu vergrößern, ihre Arbeit darauf ausrichten, in die Gewerkschaften und Parlamente einzudringen. Keine zwei Jahre später sollte auf dem III. Weltkongress der Komintern erneut diese Debatte stattfinden.

Die italienische Linke um Bordiga hatte schon auf dem II. Weltkongress heftig die Teilnahme am Parlamentarismus attackiert (s. Thesen zum Abstentionismus) und vor dieser Ausrichtung gewarnt, da sie ein fruchtbarer Nährboden für den Opportunismus sei. Und die KAPD, die es auf dem II. Weltkongress noch versäumt hatte, ihre Stimme zu erheben, sollte dafür auf dem III. Weltkongress unter schwierigsten Bedingungen intervenieren und Kritik an dieser opportunistischen Entwicklung üben.

Während die KAPD-Delegation hervorhob, “das Proletariat braucht dann eine durchgebildete Kernpartei” (Jan Appel auf dem III. Weltkongress, S. 497), suchte die Komintern Zuflucht im Aufbau von Massenparteien. Die Position der KAPD wurde mehrheitlich abgelehnt.

Die opportunistische Ausrichtung nach dem Motto: “Zu den Massen” erleichterte wiederum die Durchsetzung  der “Einheitsfronttaktik”, die einige Monate später auf dem III. Kongress offiziell angenommen wurde.

Entscheidend hierbei ist, dass die Komintern diesen Kurs erst einschlagen konnte, als sich die Welle der revolutionären Kämpfe in Europa nicht mehr ausdehnte, sondern zurückzog. So wie die russische Revolution 1917 nur der Auftakt einer internationalen Welle von Kämpfen gewesen war, so war der Rückgang in den revolutionären Kämpfen und der politische Rückzug der Komintern Ergebnis und Ausdruck eines veränderten Kräfteverhältnisses. Es waren die historisch ungünstigen Bedingungen einer Revolution, die aus einem Weltkrieg hervorging, sowie die Intelligenz der Bourgeoisie, die den Krieg rechtzeitig beendete und die “demokratische Karte” ausspielte, welche die Bedingungen für den wachsenden Opportunismus innerhalb der Komintern förderten, als die Ausdehnung der revolutionären Welle gestoppt wurde.

Die Debatte über die Entwicklung in Russland

Um die Reaktionen der Revolutionäre gegenüber der Isolierung der russischen Arbeiterklasse und dem veränderten Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat zu verstehen, müssen wir einen Blick auf die Entwicklung in Russland selbst werfen.

Als im Oktober 1917 die Arbeiter unter der Führung der bolschewistischen Partei die Macht ergriffen, gab es keine Illusionen über die Möglichkeit eines Aufbaus des Sozialismus in einem Land. Alle Blicke richteten sich auf die Hilfe aus dem Ausland. Angesichts der spontanen Maßnahmen vieler Arbeiter, die Produktion mittels Enteignungen sofort in die eigenen Hände zu nehmen, warnten die Bolschewiki vor falschen Erwartungen. Sie verstanden am klarsten, wie lebenswichtig die politischen Maßnahmen waren, d.h. die Konzentration auf die Ausweitung der Revolution. Gerade den Bolschewiki war klar, dass mit der Machtergreifung in einem Land der Kapitalismus natürlich noch längst nicht aus der Welt geschafft war. Solange die herrschende Klasse noch nicht weltweit bzw. in den wichtigsten Regionen dieser Erde gestürzt worden war, standen die politischen Maßnahmen an erster und entscheidender Stelle. Dort, wo das Proletariat die Macht ergriffen hatte, musste es sich darauf beschränken, den durch den Kapitalismus geschaffenen Mangel in seinem Interesse zu verwalten.

Schlimmer noch: nachdem die kapitalistischen Mächte ab Frühjahr 1918 ihre Wirtschaftsblockade und, zusammen mit der russischen Bourgeoisie, den Bürgerkrieg begonnen hatten, sahen sich die russischen Arbeiter und Bauern einer katastrophalen wirtschaftlichen Lage gegenüber. Wie sollte man die Versorgung der Bevölkerung trotz der Sabotage durch die Kapitalistenklasse sicherstellen? Auf welche Weise mussten die militärischen Anstrengungen koordiniert werden, um die Armeen der bürgerlichen Konterrevolution abzuwehren? Nur ein Staat konnte diese Aufgaben erfüllen. Es war der damals aus dem Aufstand neu entstandene, aber auf vielen Ebenen aus der alten Beamtenschicht zusammengesetzte Staat, der sich der Aufgabe stellte. Und auch zur Bewältigung von Aufgaben wie dem Bürgerkrieg oder dem Kampf gegen die innere Sabotage reichten die Arbeitermilizen der ersten Stunde nicht mehr aus. Es  war notwendig, eine “Rote Armee” und spezielle Repressionsorgane aufzubauen.

Während die Arbeiterklasse in den Aufstandswochen im Oktober und danach noch die Zügel fest in ihren Händen gehalten hatte und die Hauptentscheidungen in den Sowjets gefällt wurden, setzte bald darauf ein Prozess ein, in dessen Verlauf die Arbeiter zunehmend ihre Macht und ihre Druckmittel an den neu entstandenen Staatsapparat verloren. Statt von den Arbeiterräten kontrolliert und als Instrument zu ihren Gunsten eingesetzt zu werden, schickte sich dieses neue Organ, das von den Bolschewiki irrtümlicherweise als “Arbeiterstaat” bezeichnet wurde, an, die Macht der Arbeiterräte zu untergraben und ihnen seine Direktiven aufzuzwingen. Diese Entwicklung, deren eigentliche, materielle Wurzel in den noch vorhandenen kapitalistischen Verhältnissen lag, war auch möglich, weil der nach der Machtergreifung entstandene Staat keine Anstalten machte, abzusterben und Macht abzugeben, sondern sich im Gegenteil immer mehr aufblähte.

Diese Tendenz konnte sich in dem Maße verstärken, wie die revolutionäre Welle sich nicht mehr ausdehnte, gar zurückwich und die russische Arbeiterklasse isoliert blieb.

Doch je weniger die Arbeiterklasse international imstande war, das Kapital unter Druck zu setzen, desto unentschlossener konnte sie seinen Plänen entgegentreten. Vor allem konnte sie es nicht an seinen militärischen Feldzügen gegen die russische Revolution hindern. So besaß die Bourgeoisie weiteren Spielraum, um die russische Revolution in den Würgegriff zu nehmen, und der infolge dieses Kräfteverhältnisses entstandene Staat in Russland erhielt weiteren Auftrieb. Dadurch, dass es der Bourgeoisie gelang, die Ausdehnung der Revolution zu stoppen, wurde dieser Staat in die Lage versetzt, immer mehr zum alles beherrschenden Faktor in Russland zu werden und sich zu verselbständigen.

Aufgrund der vom internationalen Kapital erzwungenen, wachsenden Unterversorgung, der schlechten Ernteergebnisse, der Sabotage durch die Bauern, der großen Zerstörungen durch den Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Hungersnöten und Epidemien war der von den Bolschewiki angeführte Staat gezwungen, immer mehr Zwangsmaßnahmen aller Art zu ergreifen, wie z.B. die Beschlagnahmung der Ernten oder die Rationierung nahezu aller Güter. Er war auch dazu gezwungen, an die alten Handelsbeziehungen zu den kapitalistischen Staaten wieder anzuknüpfen, wobei es sich hier nicht um eine Frage der Moral, sondern um eine Überlebensfrage handelte. Der Mangel und der Handel – beides konnte nur von einem Staat verwaltet und gesteuert werden. Doch wer sollte diesen Staat kontrollieren?

Partei oder Räte – Wer übt die Kontrolle über den Staat aus?

Zum damaligen Zeitpunkt war es in der revolutionären Bewegung gängige Auffassung, dass die Partei im Namen der Arbeiterklasse die Macht übernimmt und somit an die Schalthebel dieses neuen, postrevolutionären Staates rückt. So hatten ab Oktober 1917 die führenden Mitglieder der bolschewistischen Partei die zentralen Positionen dieses Staates übernommen und angefangen, sich mit selbigem zu identifizieren.

Diese von der gesamten revolutionären Bewegung vertretene Auffassung wäre im Falle erfolgreicher Aufstände in anderen Ländern und vor allem in Deutschland sicherlich in Frage gestellt und über Bord geworfen worden. In einem solchen Fall hätten die Arbeiterklasse und ihre Revolutionäre die Differenzen und Interessenskonflikt zwischen Staat und Revolution ans Tageslicht geholt und somit die Fehler der Bolschewiki korrigieren können. Doch die Isolierung der Revolution führte dazu, dass die bolschewistische Partei immer öfter Stellung zugunsten des Staates bezog, statt die Interessen des internationalen Proletariats zu verteidigen. Zug um Zug entriss der Staat den Arbeitern die Initiative und verselbständigte sich. Und die bolschewistische Partei war gleichermaßen Getriebene wie treibende Kraft beim Wiedererstarken des Staates.

Nach dem Ende des Bürgerkrieges kam es im Winter 1920/21 zu einer weiteren Verschärfung der Hungersnot, was dazu führte, dass infolge des Exodus der vor dem Hunger fliehenden Menschen die Bevölkerung Moskaus um die Hälfte, die Petrograds um zwei Drittel dezimiert wurde. Vielerorts brachen Bauernrevolten und Arbeiterproteste aus.

Vor allem in der Gegend von Petrograd brach eine Streikwelle aus. Die Arbeiter und Matrosen von Kronstadt erwiesen sich dabei schnell als die Speerspitze des Widerstandes gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen und gegen den Staat. Neben ökonomischen stellten sie auch politische Forderungen auf. Abgesehen von der Ablehnung der Parteidiktatur wurde vor allem die Notwendigkeit der Erneuerung der Sowjets in den Vordergrund gestellt.

Der von den Bolschewiki angeführte Staat entschloss sich, den Widerstand der Arbeiter mit Gewalt zu brechen. Er bezeichnete letztere als vom Ausland manipulierte konterrevolutionäre Kräfte.

Damit stellte sich die bolschewistische Partei zum ersten Mal an die Spitze einer gewaltsamen Niederschlagung eines Teils der Arbeiterklasse. Dies geschah ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die bolschewistische Partei selbst den 50. Jahrestag der Pariser Kommune feierte, und zwei Jahre nach dem Gründungskongress der Komintern, als Lenin noch die Parole “Alle Macht den Räten” auf das Banner der Kommunisten geschrieben hatte. Nicht nur, dass die bolschewistische Partei tatkräftig die Zerschlagung des Kronstädter Aufstandes übernahm, die gesamte revolutionäre Bewegung befand sich damals über den Charakter dieses Aufstandes in Irrtum. Sowohl die russische Arbeiteropposition als auch die Mitgliedsparteien der Komintern verurteilten ihn unmissverständlich.

Als Reaktion auf die wachsende Unzufriedenheit und mit dem Ziel, die weiterhin hortenden Bauern zur Produktion und Ablieferung ihrer Ernten zu bewegen, wurde im März 1921 die Einführung der “Neuen Ökonomischen Politik” beschlossen, die keine “Rückkehr” zum Kapitalismus bedeutete (schließlich war dieser nie abgeschafft worden),  sondern nur eine Anpassung an die Mangelerscheinungen und Marktverhältnisse. Noch im gleichen Monat wurde ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und Russland abgeschlossen.

Hinsichtlich der Frage des Staates und der Identifizierung der Partei mit ihm gab es innerhalb der bolschewistischen Partei Divergenzen. Wie wir in der Internationalen Revue Nr. 8 und 9 geschrieben haben, schlugen linkskommunistische Stimmen in Russland schon früh Alarm und warnten vor dem Aufbau eines staatskapitalistischen Regimes. So sprach sich die Zeitung Kommunist im Jahre 1918 gegen die Versuche der Disziplinierung der Arbeiterklasse aus. Obwohl sich nach dem Beginn des Bürgerkrieges die Reihen der Partei unter dem Druck der konterrevolutionären Aggression schlossen und der größte Teil der Kritik zurückgehalten wurde, wuchs die Opposition gegen das wachsende Gewicht bürokratischer Strukturen in der Partei. Die 1919 gegründete Gruppe Demokratische Zentralisten um Ossinski sprach sich gegen den Verlust der Initiative der Arbeiter aus und rief zur Wiederherstellung der innerparteilichen Demokratie auf, insbesondere während der 9. Parteikonferenz im Herbst 1920, als sie die wachsende Bürokratisierung der Partei an den Pranger stellte.

Obgleich Lenin selbst die höchste staatliche Verantwortung mit repräsentierte, erkannte er in gewisser Weise am deutlichsten die Gefahr für die Revolution, die von diesem Staat ausging. Oft war er es, der die Arbeiter am entschiedensten zur Verteidigung gegen diesen Staat aufrief und ermunterte.

In der Debatte über die Gewerkschaftsfrage hob Lenin hervor, dass die Gewerkschaften auch weiterhin als Verteidigungsorgane der Klasse zu handeln hätten, auch gegen einen Arbeiterstaat, der an “bürokratischen Deformationen” leide, womit Lenin prinzipiell die Möglichkeit eines Konfliktes zwischen Staat und Arbeiterklasse anerkannte. Dagegen plädierte Trotzki für die totale Integration der Gewerkschaften in den “Arbeiterstaat”. Er wollte die Militarisierung der Produktion auch nach der Beendigung des Bürgerkrieges fortsetzen. Die auf dem 10. Kongress im März 1921 erstmals in Erscheinung tretende Arbeiteropposition befürwortete hingegen staatsabhängige Industriegewerkschaften, welche die Leitung der Produktion übernehmen sollten.

Die Entscheidungen innerhalb der Partei verlagerten sich immer mehr vom Parteitag auf das Zentralkomitee und das neu geschaffene Politbüro. Die Militarisierung der Gesellschaft, die vom Bürgerkrieg ausgelöst worden war, erfasste über den Staat auch die Partei. Statt die Initiative der örtlichen Parteikomitees zu fördern, wurden sämtliche Aktivitäten der Partei einer strengen Kontrolle mittels sog. politischer Abteilungen unterzogen und auf dem 10. Parteitag ein allgemeines Fraktionsverbot erlassen.

Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir den Widerstand der Linkskommunisten gegen die opportunistische Tendenz untersuchen und aufzeigen, wie die Kommunistische Internationale mehr und mehr zu einem Instrument des russischen Staates wurde.

Dv

Geographisch: 

  • Europa [30]

Theorie und Praxis: 

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Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [5]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

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Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Welle 1917-1923 [33]

Die Freunde Durrutis: Lehren aus einem unvollständigen Bruch mit dem Anarchismus

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Die anarchistische Gruppe Freunde Durrutis ist immer wieder als ein Beispiel für die Lebendigkeit des Anarchismus während der Ereignisse in Spanien nach 1936 ins Feld geführt worden. Ihre Mitglieder spielten während den Kämpfen im Mai 1937 eine herausragende Rolle, indem sie die Kollaboration der CNT mit der republikanischen Regierung Kataloniens und der Generalität  anprangerten und sich dagegen stellten. Die CNT bezieht sich heute auf die Errungenschaften dieser Gruppe, verkauft deren bekannteste Publikationen[1] [34] und nimmt deren Positionen in Beschlag.

Unserer Ansicht nach besteht die wichtigste Lehre aus den Erfahrungen dieser Gruppe nicht im Beweis für die ”Lebendigkeit” des Anarchismus, sondern im Gegenteil in der Unmöglichkeit in seinem Rahmen eine revolutionäre Alternative zu verteidigen[2] [34]. Auch wenn die Freunde Durrutis sich der ”Kollaboration” der CNT entgegenstellten, verstanden sie deren Rolle als aktiver Faktor bei der Niederschlagung der Arbeiterklasse; ihre Teilnahme im bürgerlichen Lager nicht. Aus diesem Grund denunzierten sie die CNT nicht als Instrument des Klassenfeindes, sondern sie betonten immer wieder ihre Mitgliedschaft in der CNT und die Möglichkeit, diese Organisation zur Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse zu gewinnen.

Der wirkliche Grund für diese Schwierigkeiten lag in der Unfähigkeit der Freunde Durrutis mit dem Anarchismus zu brechen. Es erklärt auch, weshalb alle Anstrengungen und der revolutionäre Wille der Mitglieder dieser Gruppe zu keiner Klärung über die Ereignisse in Spanien von 1936 führte.

1936: Proletarische Revolution oder imperialistischer Krieg?

In den Geschichtsbüchern werden die Ereignisse in Spanien von 1936 als ein ”Bürgerkrieg” beschrieben. In den Augen der Trotzkisten und Anarchisten handelte es sich gar um eine ”Spanische Revolution”. Für die IKS ist es weder ein ”Bürgerkrieg” noch eine ”Revolution”, sondern ein imperialistischer Krieg. Ein Krieg zwischen zwei Fraktionen der spanischen Bourgeoisie: auf der einen Seite Franco mit dem deutschen und italienischen Imperialismus im Rücken und auf der anderen Seite, vor allem in Katalonien, die Volksfront-Republik inklusive Stalinisten, POUM und die CNT, mit der Unterstützung der UdSSR und der demokratischen Imperialisten. Die Arbeiterklasse wehrte sich im Juli 1936 gegen den Putschversuch Francos und im Mai 1937 in Barcelona gegen den Versuch der herrschenden Klasse, den Widerstand der Arbeiterklasse zu brechen.[3] [34] In beiden Ereignissen jedoch war die Volksfront das Mittel, die Arbeiterklasse zu schlagen, aufzuspalten und unter dem Banner des ”Antifaschismus” in die militärischen Auseinandersetzungen zu führen.

Dies war auch die Analyse von BILAN, der Zeitschrift der Italienischen Kommunistischen Linken im Exil. Für BILAN war der internationale Rahmen, in dem sich die Ereignisse in Spanien abspielten, entscheidend. Die internationale revolutionäre Welle, die dem Erstem Weltkrieg ein Ende gesetzt und sich über fünf Kontinente ausgebreitet hatte, war niedergeschlagen, auch wenn es in China 1926, mit dem Generalstreik in England und in Spanien im selben Jahr nochmals ein Aufflackern gab. Die 30er Jahre waren geprägt von der Vorbereitung aller grossen imperialistischen Mächte auf einen neuen weltweiten Konflikt. Dies war der internationale Rahmen für die Ereignisse in Spanien: eine geschlagene Arbeiterklasse und freie Bahn zu einem zweiten Weltkrieg. Andere proletarische Gruppen wie die GIK[4] [34] verteidigten ähnliche Positionen, auch wenn gerade in der Zeitschrift der GIK Positionen Platz fanden, die dem Trotzkismus nahe standen und davon ausgingen, dass das Proletariat durch die Beteiligung an einer Bewegung für die ”bürgerliche Revolution” in eine revolutionäre Richtung voranschreiten könne. BILAN führte mit diesen Gruppen beharrlich eine Diskussion, selbst mit der eigenen Minderheit, welche daran glaubte, die Revolution werde aus dem Krieg herauswachsen, und für die Beteiligung in der ”Lenin-Brigade” in Spanien mobilisierte.[5] [34]

Trotz aller Konfusionen liess sich keine dieser Gruppen dazu herab, die republikanische Regierung zu unterstützen. Im Gegensatz zur POUM und CNT beteiligten sie sich nicht an der Unterwerfung der Arbeiter unter die Republik, sie stellten sich nicht auf die Seite der herrschenden Klasse![6] [34]

Heute benutzt die Bourgeoisie diese Irrtümer der Arbeiterklasse, um den politischen Verrat und die konterrevolutionäre Rolle der POUM und der CNT in Spanien im Jahre 1936 zu vertuschen, indem sie diese Ereignisse als eine ”proletarische Revolution” darstellen, die von diesen Organisationen angeführt worden sei.[7] [34] In Wirklichkeit jedoch waren CNT und POUM die letzte Verteidigungslinie der herrschenden Klasse gegen den Kampf der Arbeiterklasse: ”Doch es waren vor allem die POUM und die CNT, welche eine entscheidende Rolle zur Anheuerung der Arbeiter an die Front spielten. Diese zwei Organisationen erwirkten den Abbruch des Generalstreiks, ohne dass sie in dessen Entfaltung eine entscheidende Rolle gespielt hätten. Die Kraft der Bourgeoisie drückte sich nicht so sehr in Franco aus, sondern im Bestehen einer extremen Linken, welche fähig war das Proletariat zu demobilisieren.” (aus unserem Buch: Die Italienische Kommunistische Linke 1926-1945)

Die anarchistische Grundlage für den Verrat der CNT 1936

Für viele Arbeiter ist es schwierig zu verstehen, dass die CNT, welche die kämpferischsten und entschlossensten Arbeiter anzog und die radikalsten Positionen vertrat, Verrat an der Arbeiterklasse begehen konnte, indem sie die Arbeiter in die Arme des republikanischen Staates und in den antifaschistischen Kampf trieb.

Verwirrt vom Durcheinander und der Heterogenität, die das anarchistische Milieu auszeichnet, ziehen viele den Schluss, das Problem habe nicht bei der CNT gelegen, sondern beim ”Verrat” von vier Ministern (die Montseny, Garcia Oliver, etc.) oder dem Einfluss vom Strömungen wie der Trentisten.[8] [34]

Es ist wahr, dass während der internationalen revolutionären Welle, die auf die Russische Revolution folgte, sich die Mehrheit des spanischen Proletariates der CNT anschloss (die Sozialistische Partei war den Sozialpatrioten gefolgt, die das Weltproletariat in einen imperialistischen Weltkrieg geführt hatten, und die Kommunistische Partei stellte nur eine sehr kleine Minderheit dar). Grundsätzlich war dies Ausdruck einer Schwäche der Arbeiterklasse in Spanien aufgrund der dortigen Wesenszüge des Kapitalismus (ein schwacher nationaler Zusammenhalt und ein Übergewicht der Grossgrundbesitzer und der Aristokratie innerhalb der herrschenden Klasse).

Diese Voraussetzungen bildeten einen idealen Nährboden für die anarchistische Ideologie, welche das Denken des radikalen Kleinbürgertums und dessen Einfluss in die Arbeiterklasse verkörpert. Dieses Gewicht wurde zusätzlich verstärkt durch den Einfluss, den die Kreise um Bakunin in der Ersten Internationale in Spanien ausgeübt hatten. Wie Engels in seinem Buch Die Bakunisten an der Arbeit aufgezeigt hatte, führte er durch die Mobilisierung des Proletariats hinter die abenteurerische, radikale Bourgeoisie in der kantonistischen Bewegung von 1873 in Spanien zu fatalen Konsequenzen. Als der Anarchismus damals zwischen der Machtübernahme durch die Arbeiterklasse und der bürgerlichen Regierung zu wählen hatte, entschied er sich für Letztere:”...dieselben Leute, die sich autonome, anarchistische Revolutionäre usw. nennen, haben sich bei dieser Gelegenheit mit Eifer darauf geworfen, in Politik zu  machen, aber in der allerschlimmsten, in der Bourgeoispolitik. Sie haben nicht dafür gearbeitet, der Arbeiterklasse die politische Macht zu verschaffen – diese Idee verabscheuen sie im Gegenteil -, sondern einem Bruchteil der Bourgeoisie ans Ruder zu verhelfen, der aus Abenteurern, Ehrgeizigen und Stellenjägern besteht, und sich intransingente (unversöhnliche) Republikaner nennt.” (”Bericht der neuen Madrider Föderation der Ersten Internationale” in Die Bakunisten an der Arbeit, Denkschrift über den Aufstand in Spanien im Sommer 1873, MEW, Bd.18, S. 477)

Während der revolutionären Welle, die auf den Ersten Weltkrieg folgte, wurde die CNT von der Russischen Revolution und der Dritten Internationale beeinflusst. 1919 bejahte der Kongress der CNT klar den proletarischen Charakter der Russischen Revolution und den revolutionären Charakter der Kommunistischen Internationale, in welcher sie zu arbeiten gedachte. Doch mit der Niederlage der weltrevolutionären Welle und dem offenen Kurs hin zur Konterrevolution fand die CNT in ihren anarchistischen und syndikalistischen Grundlagen nicht die theoretische und politische Kraft, um die Lehren aus der Niederlage in Deutschland, Russland usw. zu ziehen und der enormen Kampfbereitschaft des spanischen Proletariates eine revolutionäre Führung zu geben.

Nach ihrem Kongress von 1931 zog sie ihren ”Hass auf die Diktatur des Proletariates” ihren vorangegangenen Auffassungen über die Russische Revolution vor und sah trotz ihrer formalen Ablehnung des bürgerlichen Parlamentes  in der Konstituierenden Versammlung eine ”Frucht der revolutionäre Aktion” (Kongressbericht: ”Position der CNT über die Konstituierende Versammlung”) Damit begann sie die herrschende Klasse zu unterstützen, am deutlichsten durch Fraktionen wie diejenige der Trentisten; und dies trotz der Tatsache, dass sie Militante in ihren Reihen hatte, die dem revolutionären Kampf des Proletariates treu blieben.

Im Februar 1936 warf sie ihre abstentionistischen Prinzipien durch einen indirekten Aufruf zur Wahl der Volksfront über den Haufen: ”Natürlich hat die spanische Arbeiterklasse, der die CNT während Jahren geraten hat nicht wählen zu gehen,  unsere Propaganda in dem Sinne verstanden, wie wir es uns wünschten, das heisst, dass sie wählen gehen soll, weil damit erreicht wird, dass den rechten Faschisten leichter die Stirn geboten werden kann, wenn diese revoltieren, nachdem sie eine Niederlage erlitten haben und nicht mehr in der Regierung sind.” [9] [34]

Damit zeigte die CNT deutlich ihre Entwicklung hin zur Unterstützung des bürgerlichen Staates, ihre Anteilnahme an der Politik zur Niederschlagung und Isolierung des Proletariates und zur Vorbereitung des imperialistischen Krieges.

Was sich danach im Juli 1936 abspielte, überrascht nicht mehr. Als die Generalität in den Händen der bewaffneten Arbeiter war, gab die CNT die Macht der Regierung Luis Companys zurück, rief die Arbeiter zur Wiederaufnahme der Arbeit auf und schickte sie ins Massaker an der Aragon-Front. Noch weniger überraschend war, was sich im Mai 1937 ereignete, als die Arbeiter auf die Provokation der Bourgeoisie in Barcelona spontan Barrikaden errichteten und in den Strassen die Kontrolle übernahmen: Die CNT rief erneut zum Abbruch des Kampfes auf und hinderte Arbeiter, die ihre Kameraden in Barcelona unterstützen wollten, an der Rückkehr von der Front.[10] [34]

Die Ereignisse in Spanien zeigen, dass in Zeiten des Krieges oder der Revolution Teile der Anarchisten für den revolutionären Kampf des Proletariates gewonnen werden können, der Anarchismus als ideologische Strömung jedoch unfähig ist, der Konterrevolution zu widerstehen und ihr eine revolutionäre Alternative entgegenzustellen; er lässt sich sogar zur Verteidigung des bürgerlichen Staates einspannen. BILAN hatte dies verstanden und formulierte es auf treffende Art und Weise: ”Es muss offen gesagt werden: In Spanien existierten die Bedingungen nicht, um die Aktionen des iberischen Proletariates in ein Signal für das weltweite Wiedererwachen des Proletariates umzuwandeln, auch wenn dort tiefere und schlimmere ökonomische, soziale und politische Gegensätze herrschten als in anderen Ländern. (...) Die Gewalttätigkeit dieser Ereignisse sollte uns nicht zu einem Irrtum über ihre Natur verleiten. Sie verkörpern den Kampf auf Leben und Tod, in den das Proletariat gegen die Bourgeoisie eingetreten ist, doch sie zeigen ebenfalls die Unmöglichkeit auf, einzig durch Gewalt – die nur ein Kampfmittel, und nicht Programm des Kampfes ist – eine historische Vision zu ersetzen, welche durch die Mechanismen des Klassenkampfes nicht mehr befruchtet werden kann. Da die sozialen Bewegungen nicht die Kraft haben, eine klare Vision der Ziele des Proletariats zu befruchten, und da sie sich nicht mit einer kommunistischen Intervention treffen, die in diese Richtung zeigt, kehren sie schlussendlich auf das Geleise der kapitalistischen Entwicklung zurück und reissen in ihrer Niederlage diejenigen sozialen und politischen Kräfte mit sich, welche bis anhin in einer klassischen Form die Trittbrettfahrer der Arbeiterklasse darstellten: die Anarchisten.” [11] [34]

Die Freunde Durrutis, ein Versuch, sich dem Verrat der CNT entgegenzustellen

Die Freunde Durrutis waren anarchistische Elemente, welche sich trotz der bürgerlichen Ausrichtung der CNT, in der sie während der ganzen Zeit mitwirkten, mit der Revolution verbunden fühlten, und in diesem Sinne sind sie Zeugnis des Widerstandes proletarischer Teile, die nicht in dieselbe Richtung gehen wollten, wie die anarchistischen Hauptquartiere.

Aus diesem Grund versucht die CNT und die gesamte herrschende Klasse diese Gruppe als Beispiel der revolutionären Flamme darzustellen, die auch während der schlimmsten Zeiten von 1936-37 in der CNT noch existiert habe.

Eine solche Darstellung ist komplett falsch. Was das revolutionäre Wesen der Freunde Durrutis ausmachte, war eben genau ihr Kampf gegen die Positionen der CNT. Sie schöpften ihre Kraft aus dem Proletariat, von dem sie ein Teil waren und für das sie sich in den vordersten Reihen befanden.

Die Freunde Durrutis bewegten sich auf dem Terrain der Arbeiterklasse, und dies nicht als Militante der CNT sondern als militante Arbeiter, welche die Kraft ihrer Klasse vom 19. Juli spürten und sich seither gegen die Positionen der CNT auflehnten.

Ihr Versuch, den eigenen proletarischen Impuls mit ihrer Verbindung zur CNT und deren anarchistischen Orientierungen unter einen Hut bringen zu wollen, verunmöglichte es ihnen, eine revolutionäre Alternative aufzugreifen oder klare Lehren aus diesen Ereignissen zu ziehen.

Die Freunde Durrutis waren eine dem Anarchismus zugeneigte Gruppe, welche sich im März 1937 formell konstituierte. Sie formierte sich aus einer Strömung, die in der CNT-Presse gegen deren Kollaboration mit der Regierung auftrat, und aus einer anderen Strömung, welche nach Barcelona zurückkehrte, um gegen die Militarisierung der Milizen zu kämpfen.

Die Freunde Durrutis standen in direktem Zusammenhang mit der Entfaltung von Arbeiterkämpfen, in die sie ihre Überlegungen und Aktivitäten stellten. Es war keine Gruppe von Theoretikern, sondern von kampfbereiten Arbeitern. Deshalb bezogen sie sich grundsätzlich auf die Kämpfe vom Juli 1936 und deren ”Errungenschaften”, Kämpfe, die sich vor allem durch die Kontrolle von Arbeitergarden in den Quartieren und die Bewaffnung der Arbeiterklasse ausgezeichnet hatten. In ihren Augen lagen die Fundamente der Bewegung im Geist der Julitage und der spontanen Kraft des Arbeiterkampfes, als dieser den Angriff Francos bewaffnet zurückschlug und in Barcelona die Kontrolle in den Strassen ausübte.

Vor den Maitagen schrieben einige wichtige Mitglieder dieser Gruppe auch in der Zeitschrift der CNT LA NOCHE, und ihre grundlegende Aktivität bestand in Treffen, auf denen der Gang dieser Ereignisse diskutiert wurde.

Während der Maitage 1937 kämpften die Freunde Durrutis auf den Barrikaden und veröffentlichten das Flugblatt, das sie berühmt machte, da sie die Bildung einer ”revolutionären Junta”, die Vergesellschaftung der Wirtschaft und die Hinrichtung der Schuldigen forderten. Ihre Positionen glichen denen der trotzkistischen Gruppe der Bolschewiki-Leninisten (in der Munis mitwirkte), mit denen sie Diskussionen führten, die ihr Nachdenken befruchtete. Doch es war nicht möglich, die Freunde Durrutis zum Bruch mit dem Anarchismus zu bewegen.

Nach den Maitagen brachten sie die Zeitschrift EL AMIGO DEL PUEBLO heraus (insgesamt 15 Nummern), die ihren Willen ausdrückte, im Kampf aufgetauchte Fragen zu klären. Der bekannteste Theoretiker der Gruppe war Jaime Balius, der 1938 eine Broschüre mit dem Titel Hin zu einer neuen Revolution schrieb, die eine ausgereiftere Verteidigung der Positionen von EL AMIGO DEL PUEBLO darstellte.

Doch die Gruppe war direkt vom Leben des Arbeiterkampfes abhängig und als dieser vom republikanischen Staat besiegt war, kehrte sie in den Schoss der CNT zurück.

Auch wenn die Freunde Durrutis eine proletarische Antwort auf den Verrat der CNT darstellten, so war ihre Entwicklung dennoch von der Unfähigkeit gezeichnet, mit dem Anarchismus und Syndikalismus zu brechen. Und auch wenn der Kampf und die Stärke der Klasse sie am Leben erhielt, die Freunde Durrutis waren nicht fähig, weiter zu gehen.

Ein unvollständiger Bruch mit dem Anarchismus

In den zwei zentralen Fragen, die sich im Klassenkampf zwischen Juli und Mai stellten: derjenigen des Verhältnisses zwischen dem Krieg an der antifaschistischen Front und dem Klassenkampf und der Frage der Kollaboration mit der republikanischen Regierung oder deren Überwindung, widersetzten sich die Freunde Durrutis der Politik der CNT und nahmen den Kampf auf.

Die Natur des Krieges in Spanien

Im Gegensatz zur CNT, welche den Aktionen der Arbeiter vom 18. Juli offen gegenübertrat, verteidigten die Freunde Durrutis die revolutionäre Natur dieser Ereignisse: ”Man hat behauptet, die Julitage seien eine Antwort auf die faschistische Provokation gewesen, doch wir, die Freunde Durrutis haben offen die Meinung vertreten, dass die Essenz dieser erinnerungswürdigen Tage im Juli ihre Wurzeln im Durst des Proletariates nach Befreiung hatten.” [12] [34]

Sie kämpften auch gegen die Politik der Unterordnung der Revolution unter die Bedürfnisse des antifaschistischen Krieges, eine Frage, die eine wichtige Rolle bei der Gründung dieser Gruppe gespielt hatte[13] [34]:

”Die konterrevolutionäre Arbeit wird erleichtert durch die fehlende Solidarität unter vielen Revolutionären. Wir sind uns der zahlreichen Individuen bewusst die glauben, um den Krieg gewinnen zu können, müsse man auf die Revolution verzichten. Damit lässt sich auch der seit dem 19. Juli eingetretene Rückschritt erklären (...) Um die Massen an die Front zu führen, müssen ihre revolutionären Wünsche zum Schweigen gebracht werden. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Die Revolution noch mehr sichern, damit die Arbeiter sich mit einer aussergewöhnlichen Energie in den Kampf um die Eroberung der neuen Welt stürzen, die in diesen Momenten der Unentschlossenheit nichts als ein Versprechen ist.”[14] [34]

Im Mai 1937 widersetzten sich die Freunde Durrutis der Weisung der CNT an ihre Mitglieder an der Front, den Marsch auf Barcelona (zur Unterstützung der in den Strassen kämpfenden Arbeiter) zu stoppen, und stattdessen den Krieg an der Front fortzuführen.

Diese im Kampf eingeschlagene Richtung stimmte jedoch nicht mit den theoretischen Errungenschaften der Freunde Durrutis über die Frage von Krieg und Revolution überein. Sie hatten nie wirklich mit der Auffassung gebrochen, dass der Krieg mit der proletarischen Revolution verbunden sei und es sich deshalb um einen ”revolutionären” Krieg handle, der den imperialistischen Kriegen entgegengesetzt sei. Dies machte sie von Beginn weg zu einem Opfer der Politik der Niederschlagung und Isolierung des Proletariats.

”Seit den ersten Zusammenstössen mit dem Militär war es nicht mehr möglich, Krieg und Revolution voneinander zu trennen (...) Je mehr Wochen und Monate vergingen, desto klarer wurde, dass der Krieg gegen die Faschisten, den wir unterstützten, nichts gemein hatte mit Kriegen, die von Staaten geführt werden (...) Wir Anarchisten können nicht das Spiel derer führen, die vorgeben, unser Krieg sei nur ein Unabhängigkeitskrieg mit demokratischen Zielen. Gegenüber diesen Ideen antworten wir, die Freunde Durrutis, dass unser Krieg ein Bürgerkrieg ist.” [15] [34]

Damit begaben sie sich in den Rahmen der CNT, deren ”radikale” Version bürgerlicher Positionen über den Kampf zwischen Diktatur und Demokratie die kämpferischsten Arbeiter ins Schlachthaus des antifaschistischen Krieges führte.

Die Überlegungen der Freunde Durrutis über den Krieg basierten in Wirklichkeit auf den Irrtümern des Anarchismus und seinem ahistorischen und nationalistischen Gedankengut. Dies führte sie zur Auffassung, die Ereignisse in Spanien seien eine Fortführung der lächerlichen bürgerlichen Revolutionsbemühungen gegen die Invasion Napoleons von 1808.[16] [34] Während sich die internationale Arbeiterbewegung mit der Niederlage des Weltproletariates und der Perspektive eines zweiten Weltkrieges auseinander setzte, dachten die Anarchisten in Spanien an Fernando VII. und Napoleon:

”Was sich heute abspielt, ist eine Wiederholung der Zeit Fernandos VII. Erneut fand in Wien eine Konferenz faschistischer Diktatoren statt, um ihren Einfall in Spanien zu organisieren. Und heute nehmen die bewaffneten Arbeiter die Rolle von El Empacinado ein. Deutschland und Italien brauchen Rohstoffe. Diese beiden Länder benötigen Eisen, Kupfer, Blei und Quecksilber. Doch diese spanischen Bodenschätze sind in den Händen von Frankreich und England. Heute, wo sie Spanien zu erobern versuchen, wehrt sich England nicht dagegen. Im Gegenteil versucht es, hinter den Kulissen mit Franco gemeinsame Sache zu machen (...) Die Arbeiterklasse hat die Pflicht, Spaniens Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten. Das nationale Kapital erledigt dies nicht mehr, seit das internationale Kapital alle Grenzen überwunden hat. Dies ist das Drama des heutigen Spaniens. Den Arbeitern fällt die Aufgabe zu, die fremden Kapitalisten zu verjagen. Dies ist keine Frage des Patriotismus. Es ist eine Frage der Klasseninteressen.”[17] [34]

Wie wir sehen sind alle Mittel recht, um einen imperialistischen Krieg zwischen patriotischen Staaten in einen ”Klassenkrieg” zu verwandeln. Dies ist ein Ausdruck der politischen Entwaffnung, die der Anarchismus gegen solch ehrliche militante Arbeiter wie die Freunde Durrutis betrieb. Diese Genossen, die versuchten, gegen den Krieg und für die Revolution zu kämpfen, waren unfähig, für ihren Kampf einen wirklichen Ausgangspunkt zu finden: den Aufruf an die Arbeiter und Bauern (entweder im republikanischen oder franqistischen Lager eingebunden) zu desertieren, die Waffen gegen ihre eigenen Offiziere zu richten, von denen sie unterdrückt wurden, von der Front zurückzukehren und mit Streiks und Demonstrationen auf ihrem eigenen Klassenterrain gegen den Kapitalismus als ganzes zu kämpfen.

Für die internationale Arbeiterbewegung war die Frage des Charakters des Krieges in Spanien entscheidend und polarisierte die Debatten zwischen der Kommunistischen Linken und den Trotzkisten, sowie auch innerhalb der Kommunistischen Linken:

”Der Krieg in Spanien war für alle entscheidend: Für den Kapitalismus stellte er ein Mittel dar, um die Front seiner Kräfte, die auf den Krieg hinarbeiteten, auszudehnen, mit dem Antifaschismus die Trotzkisten und die sogenannten linken Kommunisten einzuverleiben und das Erwachen der Arbeiter von 1936 zu ersticken. Für die linken Fraktionen war es die entscheidende Prüfung, die Selektion der Köpfe und Ideen, die Notwendigkeit, sich der Frage des Krieges zu stellen. Wir haben standgehalten gegen den Strom und werden es weiterhin tun.” (BILAN, Nr. 44, zitiert aus Die Italienische Kommunistische Linke)

Die Kollaboration der CNT mit der Regierung

Viel klarer als bei der Frage des Krieges setzten sich die Freunde Durrutis der Kollaborationspolitik der CNT gegenüber der republikanischen Regierung entgegen.

Sie denunzierten den Verrat der CNT vom Juli: ”Im Juli bot sich eine gute Gelegenheit. Wer widersetzte sich der CNT und der FAI in Katalonien? Statt ein Bündnisdenken zu entwickeln, das sich auf die Sympathien zu den rot-schwarzen Flaggen und die Kraft der Massen stützt, machten unsere Komitees einen Rundgang durch die verschiedenen offiziellen Stellen, doch ohne eine Haltung, die derjenigen entsprach, die wir auf der Strasse hatten. Im Laufe einiger Wochen des Zweifels beteiligten sie sich an der Macht. Wir erinnern uns gut, wie auf regionaler Ebene die Bildung eines revolutionären Organs vertreten wurde, welches auf nationaler Ebene Nationale Verteidigungsjunta und auf regionaler Ebene Regionale Junta  genannt wurde. Wie auch immer, sie führten die gefällten Entschlüsse nicht aus. Sie übergingen oder verstiessen sogar gegen die von den Vollversammlungen gefällten Beschlüsse. Erst beteiligte man sich an der Regierung der Generalität und später an der Madrider Regierung.” [18] [34]

... Und noch offener im Flugblatt, das sie auf den Barrikaden im Mai verteilten: ”Die Generalität repräsentiert nichts. Ihre Aufrechterhaltung der Macht fördert die Konterrevolution. Wir Arbeiter haben den Kampf gewonnen. Es ist unbegreiflich, wie die CNT-Komitees mit solcher Ängstlichkeit vorgingen, eine Waffenruhe anordneten und zur Rückkehr zur Arbeit aufriefen, als wir den Sieg beinahe in der Hand hatten. Man hat nicht gesehen, woher die Provokation und Aggression kam, man hat die tatsächliche Bedeutung dieser Tage nicht erkannt. Diese Politik muss als Verrat an der Revolution bezeichnet werden, eine Politik, die einem nicht zu überzeugen vermag. Und wir wissen auch, wie man die unselige Arbeit der Solidaridad Obrera und der führenden CNT-Mitglieder zu bezeichnen hat.”

Diese Erklärung trug ihnen die Missgunst der CNT und einen drohenden Ausschluss ein, der jedoch nicht zustande kam. Die Freunde Durrutis widerriefen ihre Anschuldigung über einen Verrat, den sie in  der Nr. 3 von EL AMIGO DEL PUEBLO veröffentlicht hatten, in der Nr. 4: ”Im Namen der anarchistischen und revolutionären Einheit nehmen wir, die Freunde Durrutis, die Analyse über einen Verrat zurück.” (EL AMIGO DEL PUEBLO Nr. 4) Dies taten sie nicht aus mangelnder Courage, die sie zur Genüge bewiesen hatten, sondern weil ihr Horizont nicht über die CNT hinausreichte, die sie als einen Ausdruck der Arbeiterklasse und nicht als Agenten der Bourgeoisie betrachteten.

In diesem Sinne waren ihre theoretischen Schranken dieselben wie die der CNT und des Anarchismus. Und deshalb beschränkte sich auch ihre Kritik an der CNT, als sie weitab der Barrikaden in ruhigerem Nachdenken zustande kam, darauf, dass diese über keine revolutionäre Plattform verfüge: ”Die grosse Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung stand zur CNT. Die CNT war die grösste Organisation in Katalonien. Weshalb hat die CNT ihre  Revolution, die Revolution des Volkes, die Revolution der Mehrheit der Bevölkerung nicht gemacht?

Es geschah, was geschehen musste. Die CNT war ein Waisenkind bezüglich revolutionärer Theorie. Wir hatten kein richtiges Programm. Wir wussten nicht, wohin wir gehen sollten. Ein Haufen Lyrik, doch als alles gesagt war, wussten wir nicht, was mit diesen enormen Arbeitermassen zu tun war, oder wie wir den enormen Elan, der aus ihnen in unsere Organisationen strömte, auf den Punkt bringen konnten. Als wir nicht wussten, was zu tun war, begannen wir die Revolution unter die Fahnen der Bourgeoisie und der Marxisten (d.h. der Sozialdemokratie und der Stalinisten) zu stellen, welche die Ordnung von Gestern unterstützten. Noch schlimmer, wir gaben der Bourgeoisie einen immer breiteren Spielraum, um zurückzukehren, sich zu formieren und als Sieger aufzutreten.

Die CNT war nicht fähig, ihre Rolle wirklich zu spielen. Wir waren nicht fähig, die Revolution mit all ihren Konsequenzen voranzutreiben.” (aus Balius‘
Broschüre: Hin zu einer neuen Revolution)

Doch die CNT hatte zur damaligen Zeit eine klar formulierte Theorie: die Verteidigung des bürgerlichen Staates. Die Behauptung von Balius trifft für das Proletariat als ganzes zu (im selben Sinne wie auch BILAN die Abwesenheit einer Orientierung und einer revolutionären Vorhut feststellte), nicht jedoch für die CNT. Spätestens ab Februar 1936 arbeitete die CNT unzweifelhaft mit der bürgerlichen Volksfront-Regierung zusammen: ”Im Februar 1936 stellten sich alle Kräfte aus der Arbeiterklasse hinter dieselbe Front: die Notwendigkeit, einen Sieg der Volksfront herbeizuführen, um sich von der Herrschaft der Rechten zu befreien und Amnestie zu erhalten. Von der Sozialdemokratie über den Zentrismus bis zu den Trotzkisten, der CNT und dem POUM, inklusive die Parteien der republikanischen Linken, waren sich alle einig, die Explosion der Klassenwidersprüche in die parlamentarische Arena zu lenken. Und schon hier ist in flammenden Lettern die Niederlage der Anarchisten und des POUM geschrieben, so wie die wirkliche Funktion all der demokratischen Kräfte des Kapitalismus.” (BILAN ”Die Lehren aus den Ereignissen in Spanien”)

Entgegen der Auffassung der Freunde Durrutis, die CNT wisse nicht, wie die Revolution zu vollbringen sei, wusste diese nach dem Juli genau, was sie wollte:

”Wir, und dies war die Sicht der CNT-FAI, hatten verstanden, dass es richtig war, Companys an die Front der Generalität zu folgen, vor allem, dass wir nicht auf die Strassen gingen, um für die soziale Revolution zu kämpfen, sondern um uns gegen die faschistischen Schergen zu verteidigen.” (Garcia Oliver in einer Antwort auf Bolloten, zitiert aus Agustin Guillamon, Die Freunde Durrutis)

Wenn die Freunde Durrutis während der Maitage 1937 im Gegensatz zur CNT zu einer ”revolutionäre Junta” gegen die Regierung der Generalität und zur ”Hinrichtung der Schuldigen” aufriefen, war dies nicht das Produkt eines Bruchs mit dem Anarchismus oder einer Entwicklung weg vom Anarchismus hin zu einer revolutionären Perspektive (wie Guillamon meint), sondern Resultat des Widerstandes der Arbeiterklasse. Es war mehr eine Feststellung, und kein ein Wegweiser für die Machtübernahme, eine Frage, die sich in dieser Situation gar nicht stellte, in der die Initiative in den Händen der Bourgeoisie lag, die eine Provokation gestartet hatte, um den Widerstand der Arbeiter zu brechen. Doch wie Munis bemerkte, waren sie nicht fähig, einen Schritt weiter zu tun: ”Munis machte in Nr. 2 von LA VOZ LENINISTA (23. August 1937) eine Kritik am Konzept der ”revolutionären Junta”, wie es in Nr. 6 von EL AMIGO DEL PUEBLO  (12. August 1937) formuliert worden war. In den Augen von Munis litten die Freunde Durrutis an einem zunehmenden theoretischen Niedergang und einer Unfähigkeit, in der Praxis die CNT zu beeinflussen, was sie dazu führe, einige aus den Maitagen gelernte  theoretische Positionen wieder zu verlieren. Munis schrieb, dass die Freunde Durrutis  im Mai 1937 die Losung der ”revolutionären Junta” gleichzeitig mit ”Alle Macht dem Proletariat” aufgestellt hatten; während EL AMIGO DEL PUEBLO in seiner Nr. 6 vom 12. August die Losung der ”revolutionären Junta” als eine Alternative zum ”Scheitern jeglicher Form von staatlicher Macht” vertrat. Laut Munis war dies ein theoretischer Rückschritt der Freunde Durrutis gegenüber ihren aus der Erfahrung des Mai gewonnenen Erkenntnissen, ein Rückschritt, der sie weiter von der marxistischen Auffassung der Diktatur des Proletariates entfernte und sie in die Unklarheiten der anarchistischen Theorie über den Staat zurückwarf.” [19] [34]

Als der Nährboden des Arbeiterkampfes verschwunden und dessen Niederlage besiegelt war, kehrten die Überlegungen und Vorschläge der Freunde Durrutis ohne Aufhebens in den Schoss der CNT zurück, und die ”revolutionäre Junta” wurde in ein Komitee der antifaschistischen Milizen ungewandelt, das sie zuvor noch als ein Organ der herrschenden Klasse blossgestellt hatten: ”Die Gruppe hat die Auflösung der Verteidigungskomitees, der Kontrollpatrouillen und des Milizkomitees scharf kritisiert, sowie auch das Dekret der Militarisierung. Sie verstanden, dass diese aus den Julitagen hervorgegangen Organe die Basis – zusammen mit den Gewerkschaften und den Gemeindenverwaltungen – für eine neue Strukturierung sein müssen, also Modell einer neuen Ordnung der Dinge. Dies schloss auch durch den Gang der Ereignisse und die revolutionäre Erfahrung gemachte Änderungen ein.” [20] [34]

Es lohnt sich, folgende Aussage desselben Autors aus seiner Broschüre Hin zu einer neuen Revolution von 1938 mit dem Vorangegangenen zu vergleichen: ”Im Juli wurde ein Komitee der antifaschistischen Milizen gegründet. Dies war kein Klassenorgan. Es befanden sich darin Vertreter der Bourgeoisie und der Konterrevolutionäre.”

Schlussfolgerungen

Die Freunde Durrutis waren kein Ausdruck revolutionärer Lebenskraft der CNT oder des Anarchismus, sondern einer Anstrengung militanter Arbeiter; und dies trotz des Gewichts des Anarchismus, der nie das revolutionäre Programm der Arbeiterklasse war und es auch nie sein wird.

Der Anarchismus kann Teile der Arbeiterklasse anziehen, welche, wie heute zahlreiche junge Arbeiter, einen Mangel an Erfahrung und Orientierung haben, aber aus seinen Positionen kann keine revolutionäre Alternative wachsen. In den meisten Fällen, so wie bei den Freunden Durrutis, sind dies Zeichen von Mut und proletarischem Kampfwillen. Doch wie die Geschichte in Spanien zweimal gezeigt hat, stellen seine ideologischen Irrfahrten den Anarchismus in den Dienst des bürgerlichen Staates.

Einzelne Arbeiter mögen davon ausgehen, dass sie sich an der Revolution auf der Grundlage des Anarchismus beteiligen können, doch um sich ein revolutionäres Programm anzueignen, muss man mit dem Anarchismus brechen.

Ronsesvalles 31.3.2000



[1] [34] Ein Beispiel dazu ist die Broschüre von Balius Hin zu einer neuen Revolution.  

[2] [34] Bezüglich dieser zentralen Frage sind wir nicht derselben Meinung wie Agustin Guillamon, der über diese Gruppe die Broschüre Die Freunde Durrutis, 1937-1939 veröffentlicht hat. Seine Arbeit ist die bisher wichtigste und gewissenhafteste Anstrengung zur Dokumentation der Erfahrungen und Publikationen dieser Gruppe, die uns bisher begegnet ist. Deshalb beziehen wir uns in diesem Artikel mehrmals auf diese Quelle. Doch auch wenn der Autor hervorhebt, dass die Ereignisse in Spanien von 1936 den Tod des Anarchismus bedeuteten, so behauptet er gleichzeitig, dass eine revolutionäre Alternative aus dem Anarchismus herauswachsen kann.        

[3] [34] Zur genaueren Analyse über den Juli 1936 und Mai 1937 siehe die Broschüre Spanien 1936 unserer IKS-Sektion in Spanien.

[4] [34] Gruppe Internationaler Kommunisten, die Hauptvertreter des Rätekommunismus in Holland. Ein Text dieser Gruppe ”Revolution und Konterrevolution in Spanien” ist in unserer Broschüre Spanien 1936 veröffentlicht.

[5] [34] Zu den Positionen dieser Strömung siehe unsere Broschüre Spanien 1936.

[6] [34] Anders also als die Trotzkisten, welche später im Zweiten Weltkrieg die UdSSR unterstützten. 

[7] [34] Die Kino-Version dieser Behauptungen ist in Filmen wie ”Erde und Freiheit” des englischen Regisseurs Ken Loach zu sehen, welche einen großen kommerziellen Erfolg hatten.     

[8] [34] Eine Strömung innerhalb der CNT, angeführt von Angel Pestaña, der eine ”syndikalistische Partei” gründen wollte.

[9] [34] Auszug aus einer Antwort von Garcia Oliver, eines Führers der CNT 1936, an den amerikanischen Forscher Bolloten 1950. Zitiert aus dem Buch von Guillamon. 

[10] [34] Als Ausgeburt des Zynismus rief eine der Führerinnen der CNT, Federica Montseny, die Arbeiter dazu auf, ”die Gendarmen zu küssen”, von denen sie massakriert wurden.

[11] [34] BILAN  Nr.36, ”Die Lehren aus den Ereignissen in Spanien”, Oktober-November 1936

[12] [34] ”Die gegenwärtige Bewegung” in EL AMIGO DEL PUEBLO Nr. 5, Seite 3, zitiert aus dem Buch von Frank Mintz und M. Peciña: Die Freunde Durrutis, die Trotzkisten und die Mai-Ereignisse  

[13] [34] Guillamon beschreibt in seinem Buch die Verwandtschaft dieser Gruppe mit den Ideen von Buenaventura Durruti, die er vor allem in einer seiner letzten Reden am 5. November 1936 vertrat.

[14] [34] Jaime Balius in LA NOCHE, ”Achtung Arbeiter! Kein Schritt zurück!”, 2. März 1937, zitiert nach Mintz/Peciña, S. 14-15.

[15] [34] EL AMIGO DEL PUEBLO, Nr. 1, zitiert nach Mintz/Peciña, S.  68-69.

[16] [34] Aus diesem Grund geht Guillamon über diese Überlegungen (wie überhaupt über die Frage von Krieg und Revolution) hinweg, wenn er versucht aufzuzeigen, dass die Freunde Durrutis eine revolutionäre Alternative zum Anarchismus dargestellt hätten.  

[17] [34] Jaime Balius, Hin zu einer neuen Revolution, Historisches Dokumentationszentrum, S. 32-33

[18] [34] EL AMIGO DEL PUEBLO, Nr. 1, zitiert nach Mintz/Peciña, S. 63

[19] [34] Agustin Guillamon, Die Freunde Durrutis 1937-1939, Seite 70

[20] [34] Brief von Balius an Bolloten, 1946, zitiert aus Guillamon, Seite 89, Hervorhebung im Original.

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Italienische Linke [35]

Die New Economy: Eine erneute Rechtfertigung des Kapitalismus

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In den 1970er Jahren gab es eine Kampagne, gemäss der die Wirtschaftskrise ein Auswuchs der Erdölknappheit gewesen sei. Anschließend wurde uns zu Beginn der 80er Jahre von den Reaganomics versprochen, dass die Krise nun durchgestanden sei. Dennoch muss man klar und deutlich erkennen: Seit 30 Jahren, d.h. seit Beginn des erneuten Ausbruchs der historischen Krise, konnten wir niemals einer derart tiefgreifenden ideologischen Kampagne beiwohnen, die darauf abzielt, uns einzubläuen, dass die Krise nun überwunden sei und wir in ein neues Zeitalter der Prosperität eingetreten seien. Gemäss dieser in den letzten Jahren entfesselten Propaganda wären wir jetzt also in der dritten industriellen Revolution. Ein Hauptvertreter dieser Argumentation hat sich folgendermaßen geäußert: ”Es handelt sich hier um ein historisches Ereignis von mindestens ebenso großer Tragweite wie die industrielle Revolution des 18. Jahrhunderts ... Das Zeitalter der Industrialisierung basierte auf der Einführung und dem Gebrauch von neuen Energiequellen; das Zeitalter der Informatik gründet auf der Technologie zur Herstellung von Wissen, dem Umgang mit Informationen und der Sprachsymbole.”[1] [36] Die Medien trichtern uns ständig ein, dass die Arbeitslosigkeit nun verschwinden wird. Sie beziehen sich dabei auf die Wachstumszahlen des BIP in den USA während der letzten Jahre. Sie schließen daraus, dass der ökonomische Zyklus, der seit Beginn der siebziger Jahre von schwachem Wachstum und periodischen, ständig tieferen Rezessionen gekennzeichnet war, nun überwunden sei. Wir seien jetzt also in eine ununterbrochene Wachstumsperiode geraten, die man nur mit Superlativen beschreiben könne. Und was ist der Grund dafür? Wir leben im Zeitalter der New Economy, die von einer großartigen neuen technologischen Innovation getragen werde: dem Internet.

Was ist nun also der Inhalt dieser Revolution, die die Bourgeoisie dermaßen entzückt? Es geht hier hauptsächlich darum, dass es das Internet oder viel allgemeiner der Aufbau von neuen Telekommunikationsnetzen erlaube, Informationen viel schneller auszutauschen und effizienter zu verwalten und zwar völlig unabhängig von der Distanz. Dies wiederum erlaube zuallererst Käufer und Verkäufer auf globaler Ebene zusammenzuführen. Kauf und Verkauf seien deshalb unabhängig von Verkaufsstellen und Verkaufsdienstleistungen durch die Unternehmen, was wiederum eine Verringerung der Kosten nach sich ziehe. Jeder Produzent habe jetzt durch das Internet sofortigen Zugriff auf den Weltmarkt, was eine enorme Ausdehnung des Marktes bedeute. Der Verkauf von Waren im Internet erfordere wichtige technologische Kenntnisse, was wiederum die Gründung von neuen Unternehmen begünstige. Die bekannten Start-ups versprächen denn auch eine blendende Zukunft für Profit und Wachstum. Dies ziehe wiederum eine höhere Produktivität in den industriellen Unternehmen nach sich, da eine solch hohe Verkehrsdichte an Informationen eine bessere Koordination und somit tiefere Kosten für Kleinbetriebe, Dienstleistungen und Ateliers bedeuten würden. So könne man auch die Lager reduzieren, da Produktion und Verkauf nun ja unmittelbar miteinander verknüpft werden könnten. Auch die Werbekosten sänken, da eine einzige Werbewebseite ja alle Online-Kunden erreiche. Die Medien weisen auch auf einen anderen wichtigen Punkt mit weitreichenden politischen Folgen hin: Die Internetinnovationen beruhten einzig und allein auf Wissen und nicht auf teuren Maschinen. Man stehe also vor einer Demokratisierung von Innovationen, alle könnten Start-ups in die Wege leiten und somit könnten alle vom Reichtum profitieren.

Trotz der triumphierenden medialen Schreie kann man bereits eine ganze Reihe von davon abweichenden Nachrichten lesen, die doch den Zweifel an der Realität eines neuen großartigen Zeitalters wecken: Einerseits sind alle mit der Feststellung einverstanden, dass sich das Elend auf der Welt ständig vergrößert, dass auch die Ungleichheit in den entwickelten Ländern im Zunehmen begriffen sind und dass die berühmten Start-ups, statt sich in Richtung der prunkvollen Zukunft zu bewegen, die ihnen von den Propagandisten der New Economy gezeigt worden ist, immer zahlreicher einfach zusammenbrechen. Man kann sich also fragen, ob nicht eine Anzahl dieser bis zum Hals verschuldeten Unternehmer nicht einfach das Heer der neuen Armen vergrößern werden. Andererseits treiben einer ganzen Reihe von Ökonomen die Kursbewegungen an der Börse im allgemeinen und diejenigen der Aktien im Bereich der neuen Technologien den kalten Schweiß auf die Stirn. Sie sehen, dass hier das Risiko einer Finanzkrise sehr hoch ist. Würde sie ausbrechen, könnte sie durch die Weltwirtschaft nur schwer aufgefangen werden.

 

Der Mythos des Produktivitätswachstums

Um die Bedeutung der New Economy wirklich seriös zu beurteilen, muss man zuallererst einmal von der Behauptung vieler Experten ausgehen, dass das Wachstum der Arbeitsproduktivität in der amerikanischen Wirtschaft nach einer Abnahme seit Ende der sechziger Jahre, in denen es bei 2,9% stand, seit einigen Jahren ständig gestiegen sei. In den neunziger Jahren habe es 3,9% betragen[2] [36]. Dieser Umschwung belege den Eintritt der Wirtschaft in ein neues Zeitalter.

Diese Zahlen sind alles andere als über alle Zweifel erhaben: R. Gordon von der Northwestern Universität in den USA schätzt, dass die stündliche Arbeitsproduktivität von 1,1% im Jahr 1995 auf 2,2% zwischen 1995 und 1999 angestiegen sei (Financial Times 4.8.1999). Weiter sind sie für viele Statistiker ganz einfach nicht beweiskräftig und zwar aus folgenden Gründen:

- Die Rentabilität aller produktiven Investitionen hat nur wenig zugenommen, was bedeutet, dass die Zunahme der Arbeitsproduktivität nur durch eine Erhöhung des Tempos und somit der Ausbeutung der Arbeiterklasse zustande gekommen sein kann.

- Die Produktivität weist ständig die Tendenz zum Anstieg auf, wenn man sich auf dem Höhepunkt eines Aufschwungs befindet, was in den USA 1998-1999 der Fall war. Die Produktionskapazitäten sind in einer solchen Zeit besser ausgelastet.

- Schließlich ist vor allem im Bereich der Computerproduktion die Produktivität angestiegen. Die Financial Times hat dieser Umstand zu folgender Aussage veranlasst: ”Der Computer steht am Ursprung des Wunders der Produktivität in der Computerproduktion.” (Ebd.)

Der Kapitalismus realisiert also angetrieben von der Konkurrenz - wie er das immer getan hat - technische Fortschritte. Die Zahlen zeigen keinesfalls, dass wir uns in einer außergewöhnlichen Phase befinden würden, die einen wirklichen Bruch mit den vergangenen Jahrzehnten darstellen würde.

Die historischen Vergleiche zwischen der industriellen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts und den heutigen Ereignissen sind vollkommen irreführend. Die Einführung der Dampfmaschine und die großen Innovationen des 19. Jahrhunderts haben dazu geführt, dass der Arbeiter eine viel größere Menge von Gebrauchswerten in der gleichen Arbeitszeit herstellen konnte. So konnte die Bourgeoisie  einen größeren Mehrwert herauspressen. Gewiss erzielte man im 20. Jahrhundert und insbesondere in den letzten 30 Jahren mit der Automatisierung der Produktion ein Wachstum der Arbeitsproduktivität. Dieser Umstand lieferte der Bourgeoisie und ihren Experten das Argument, dass der Arbeiter im weißen Kittel kein Arbeiter mehr (die Roboter arbeiten ja ganz alleine!) und die Arbeiterklasse logischerweise im Verschwinden begriffen sei.

Beim Internet geht es überhaupt nicht um diese Fragen. Mit diesem Vorgehen produziert der Arbeiter in einer gegebenen Zeitspanne ständig dieselbe Menge. Vom Standpunkt der Produktion aus ändert das Internet rein gar nichts. Mit der Kampagne über die New Economy will uns die Bourgeoisie glauben machen, dass der Kapitalismus eine Welt aus Waren sei, ohne dass diese erst produziert werden müssten. Somit will sie auch den Umstand verwischen, dass die Arbeiterklasse das wirkliche Herz dieser Gesellschaft ist, d.h. diese Gesellschaft existieren lässt.

Die Verminderung der Handelskosten kann die Krise nicht verhindern

Aber selbst wenn das Internet oder auch eine andere Innovation eine Senkung der Verkaufskosten eines Produktes nach sich zieht, wie das auch die Eisenbahnen im 19. Jahrhundert mit der Verminderung der Transportkosten um den Divisor 20 und somit auch der Verkaufspreise erreicht haben, wird dies kein neues Wirtschaftswachstum auslösen können. Die Eisenbahnen erlaubten ein starkes Wirtschaftswachstum, weil sie Güter für einen expandierenden Markt transportierten. Damals eroberte der Kapitalismus gerade den gesamten Planeten, und er konnte sich so neue Absatzmärkte öffnen. Heute existiert aber kein solcher Markt mehr[3] [36], der Verkauf durch das Internet kann also nur das Verschwinden oder die Verminderung einer ganzen Reihe wirtschaftlicher Aktivitäten nach sich ziehen. In der Folge verschwinden also Stellen, die nicht durch neue im Internetbereich ersetzt werden. Gerade diese Technologie erlaubt es zu sparen, sei es nun im Verkauf an Kunden oder im Verkauf zwischen Unternehmen. Das gleiche Lied kann man von der mit dem Internet angeblich möglichen Restrukturierung von Unternehmen singen. Selbst John Chambers von Cisco, einem der wichtigsten Unternehmen im Bereich der neuen Technologien, sagt: ”Wir haben durch den Gebrauch des Internets für den Informationsaustausch zwischen den Angestellten, den Lieferanten und den Kunden bereits Tausende von Stellen gestrichen ... Dasselbe gilt für die Kostenabrechnungen. Heute sind nur noch zwei Personen für die Spesenabrechnungen unserer 26000 Angestellten zuständig ... So konnten wir bereits 3000 Stellen im Servicebereich streichen” (Le Monde, 28.3.2000). Und damit auch wirklich alles klar ist, fügt er noch hinzu: ”In zehn Jahren wird jedes Unternehmen, das nicht vollständig auf das Internet umgestiegen ist (d.h. nicht all diese Stellen gestrichen hat), schließen.” Die Einkommen, die diese Unternehmen ausschütten, nehmen also ab, was die globale zahlungsfähige Nachfrage offensichtlich nicht erhöhen, der Weltwirtschaft also keinen Anstoß geben kann. Wenn die nötigen außerkapitalistischen Gebiete fehlen - und dies ist in der dekadenten Periode der Fall -, kann keine Innovation die Krise lösen, selbst wenn sie neue Stellen schaffen würde. J. Chambers fügt hinzu, dass er ”die 3000 Personen im Bereich der Forschung und Entwicklung angestellt” habe, aber dies ist nur möglich, weil die Installationswelle im Internetbereich Cisco gegenwärtig hohe Verkaufsabschlüsse bringt. Sobald diese Welle im Abflauen begriffen ist, wird sich diese Firma keine dermaßen große Forschungs- und Entwicklungsabteilung mehr leisten können.

Der Internetblase geht die Luft aus

Es gibt also nichts wirklich Neues über die Wirtschaftsentwicklung zu berichten. Und auch die Bourgeoisie, die verzweifelt die Zeichen eines neuen Aufschwungs in einem hypothetischen Kondratieff-Zyklus sucht, d.h. einem alle 50 Jahre alternierenden Zyklus von Krise und Aufschwung[4] [36], wird nichts Neues finden. Den Beweis dafür hat ein Börsenkrach bei den Technologieaktien in diesem Frühling erbracht. Zwischen dem 10. März und dem 14. April ist der Index für diese Werte in den USA, der NASDAQ, um 34% eingebrochen. Internetunternehmen wie Boo.com - finanziert von so mächtigen Banken wie J.P. Morgan und dem französischen Geschäftsmann B. Arnault - sind bankrott gegangen. Das sind Konkurse, die weitere nach sich ziehen werden, in Finanzkreisen zirkulieren Listen mit Internetunternehmen, die ernsthafte Schwierigkeiten haben.[5] [36] Man muss hier insbesondere auch Amazon nennen, der ein großes Internetportal eröffnete und der in Seattle ebenso bekannt ist wie Boeing. Seine finanziellen Schwierigkeiten ziehen neue Erschütterungen an der Wall Street nach sich. Das Forschungsinstitut Gartner Group behauptete, dass 95% bis 98% aller Unternehmen in diesem Sektor bedroht seien (Le Monde, 13.6.2000) und dass dies die Bestätigung der Tatsache sei, dass deren kürzlicher unglaublicher Aufschwung auf nichts anderes als eine spekulative Blase, die nur Luft enthalte, zurückzuführen sei.

Und wenn keine New Economy existiert, dann ist das Internet auch nicht das Mittel, um die ganze Wirtschaft in Schwung zu bringen. Einer der Gründe für den absehbaren Zusammenbruch von Amazon.com liegt darin, dass die konkurrenzierten Verteilunternehmen nun reagieren. Die Nummer 1 dieses Sektors, Wal Mart, verkauft nun nämlich auch über das Internet. Angesichts der Konkurrenz durch diese neuen Unternehmen, die die ”alten” großen Unternehmen zu verschlingen gedroht hatten, reagierten diese mit den gleichen Mitteln. Ein Kader eines französischen Verteilunternehmens erklärt dies so: ”Bei Promedès sagten wir uns, wenn wir nicht aktiv bleiben, so wird auf jeden Fall ein anderer unsere Aktivitäten übernehmen” (Le Monde, 25.4.2000). Dieser Kadermitarbeiter gibt implizit zu, dass die Unternehmen, die ebenfalls den Verkauf über das Internet einführen, keine neuen Arbeitsplätze schaffen (wir haben dies bereits im Falle Ciscos gesehen), sondern sogar Entlassungen vornehmen. In der gleichen Ausgabe von Le Monde steht auch, dass die Internetaktivitäten zumindest teilweise für die Streichung von 3000 Stellen bei der britischen Bank Lloyd’s TSB, von 1500 bei dem Versicherer Prudential verantwortlich seien und dass die amerikanische Computer-Verkaufskette Egghead Software 77 von 156 Filialen geschlossen habe.

Dies sind die realen Auswirkungen der sogenannten New Economy auf die kapitalistische Wirtschaft. Die Maßnahmen der Unternehmen in bezug auf das Internet sind nichts anderes als ein Moment des tödlichen Konkurrenzkampfes, den sich die Kapitalisten angesichts des bereits seit längerer Zeit gesättigten Marktes liefern. Dieser Wirtschaftskrieg kann auch anhand der Welle von Fusionen und Akquisitionen wahrgenommen werden, die bereits vor einem Dezennium angerollt ist und sich nun noch verstärkt. Diese Unternehmen müssen jetzt danach trachten, sich des Produktivapparats und des Markts der Konkurrenten zu bemächtigen, um sich auf dem Weltmarkt zu etablieren. ”1999 hat sich dieser Markt um 123% ausgedehnt und ein Volumen von 1870 Mrd. frz. Francs erreicht (...) Ein Wettlauf auf Weltebene ist im Gang.” (Le Monde, 11.4.2000) Im Rahmen der Dekadenz des Kapitalismus ist es zumindest ein Mittel jedes Sektors der Bourgeoisie, um der Konkurrenz die Stirn zu bieten: Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse. Man weiß, dass solche Riesenfusionen in den meisten Fällen mit Entlassungen zu Ende gehen.

Die Börsenhausse bei den New-Economy-Unternehmen hat übrigens auch alle anderen Börsenwerte in die Höhe gezogen. Dies darf aber keinesfalls als Zeichen einer neuen Phase hohen Wirtschaftswachstums verstanden werden, sondern ist lediglich das Ergebnis des seit Jahrzehnten unternommenen Versuchs der bürgerlichen Staaten, der Krise, in die die Wirtschaft immer tiefer hineinschlittert, Einhalt zu gebieten. Als Beispiel sei hier die Verschuldung angeführt: Gemäss dem Generaldirektor von Altavista Frankreich würde es ausreichen, ”200000 Francs unter einigen Freunden zusammenzulegen, um von Risikoinvestoren weitere vier Millionen zu erhalten, von denen dann die Hälfte in Werbung fließt, bevor weitere 20 Millionen an der Börse beschafft werden könnten” (L’Expansion, 27.4.-11.5.2000). Von Standpunkt der Kapitalakkumulation ist dies natürlich eine reine Absurdität. Da es keine Möglichkeit gibt, wirklich produktiv zu investieren, fließt das Geld halt in unproduktive Aktivitäten wie beispielsweise in die Werbung und endet schließlich in der Spekulation, sei es nun im Bereich der Börse, des Geldes oder des Erdöls.[6] [36] Nur auf diese Weise kann man erklären, weshalb die Aktienkurse der neuen Technologien, bevor sie schließlich einbrachen, innerhalb eines Jahres um 100% angestiegen waren, während die entsprechenden Unternehmen nur Verluste geschrieben hatten.

Es handelt sich hier um keine neue Erscheinung, denn die Bourgeoisie entwickelt seit der Krise von 1929, die nicht zu einem spontanen Wiederaufschwung geführt hat, wie dies noch nach den Krisen des 19. Jahrhunderts der Fall gewesen war, die unproduktiven Bereiche, um der Krise die Stirn zu bieten. Eine gewisse Anzahl der bürgerlichen Zeitungen können diesen Umstand nicht verhehlen: ”Die Internetwirtschaft kann vielleicht die Produktivität langfristig beeinflussen, aber die Schuldenwirtschaft ist der Ursprung dieser Entwicklung ... Die aufsteigende Phase ist mit dem Kredit  viel eher unterstützt worden als durch die neuen Technologien, die nichts als ein Alibi für die Spekulation sind.” (L’Expansion, 13.27.4.2000) Und tatsächlich kann diese Spekulation zu nichts anderem führen, das haben die letzten 20 Jahre gezeigt, als zu Erschütterungen in der Finanzsphäre, wie wir dies gerade jetzt erleben.

Die New Economy versteckt die Angriffe gegen die Arbeiterklasse

Die Realität der New Economy zeigt, dass die ganze Medienpropaganda  über die Verwandlung der Gesellschaft durch das Internet, die uns alle als im Netz arbeitend und von den Innovationen profitierend und im selben Atemzug auch als Aktionäre darstellen, nichts als ein Bluff ist. Die Gründeraktionäre der Start-ups, die nun zusammenbrechen, können sich durchaus in der größten Not wieder finden. Und alle, die durch die Werbung mit der Möglichkeit von erheblichen Gewinnen mit nur 20% des Aktienwertes als Einsatz zum Kauf von Internetaktien verleitet worden sind, sind nun nach dem Krach gezwungen, während einer längeren Zeit einen Teil ihres Einkommens für die Rückzahlung der Schulden bei der Bank zu benutzen.

Wenn man die Lohnabhängigen mit Aktienoptionen entlohnt, wenn man sie zum Kauf von Fonds verleitet, verwandelt man sie noch lange nicht in Aktionäre, sondern beschneidet sie nur auf zweifache Weise. Einerseits stellt der Teil des Einkommens, den der Arbeiter dem Unternehmen überlässt, nichts anderes als eine Erhöhung des Mehrwertes und eine unmittelbare Verminderung des Einkommens dar. Anderseits bedeutet dies, trotz aller verlockender Angebote, die den Lohnabhängigen zu einem Aktionär der Firma machen sollen, nichts anderes als dass das Kapital den Lohn des Arbeiters von den zukünftigen Ergebnissen des Unternehmens abhängig macht: Wenn die Kurse fallen, fällt auch des Einkommen des Arbeiters. Der Volkskapitalismus, der heute unter der Parole der ”Republik der Aktionäre” so stark in Mode ist, ist doch nur ein Mythos, denn die Bourgeoisie, ob sie sich nun im Staatsapparat oder in der Direktion von Unternehmen befindet, ist Inhaberin der als Kapital wirkenden Produktionsmittel. Sie kann das Kapital nur durch die Ausbeutung der Arbeiterklasse gewinnbringend anwenden. Der Arbeiter kann weder den ganzen noch Teile des Gewinns erhalten, denn gerade um einen Gewinn zu erhalten, muss der Arbeiter nach dem Wert seiner Arbeitskraft bezahlt werden.[7] [36] Die Bourgeoisie hat die Pensionsfonds und den Arbeiteraktionär nur  hervorgebracht, weil die Krise des Kapitalismus derart schwer ist, dass sie mit allen Mitteln danach trachtet, den Wert der Arbeitskraft zu senken, indem sie ihn von den Aktienkursen abhängig macht. Der Zusammenbruch der Technologiewerte zeigt das Risiko, dem die Arbeiter ausgesetzt sind, deren Lohn von der Aktienentwicklung abhängt.

Alles in allem kommt die Anstrengung der Bourgeoisie zur Förderung des Arbeiteraktionärs einer zusätzlichen Attacke auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse gleich, und nicht der Teilhabe der Arbeiter an einem Teil des Profits. Genau so wie die Bourgeoisie durch die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen die Mittel hat, Arbeiter von einem auf den nächsten Tag zu entlassen, wenn es das Interesse des Kapitals erheischt, hat sie mit dem Arbeiteraktionär die Mittel in der Hand, das Einkommen oder die Rente des Arbeiters zu senken, wenn sich die Situation des Unternehmens oder des Kapitals verschlechtert.

Dieser wirtschaftliche Angriff steckt hinter der ohrenbetäubenden Kampagne über die New Economy. Der Anschluss des Unternehmens ans Netz bedeutet, dass die Informationen sofort verfügbar sind. Somit entfällt jegliche Pause zwischen zwei Arbeiten. Sobald die eine Arbeit erledigt ist, muss man zur nächsten übergehen, für die man ja auch bereits über das Netz den Auftrag bekommen hat. Jede Arbeit kann jederzeit angepasst werden usw. Teuflisch wird es, wenn die Aufträge immer schneller hereinkommen. Nur so kann man verstehen, dass ”mindestens ein Drittel der mit dem Netz verbundenen Arbeiter mindestens 6,5 Stunden in der Woche zu Hause arbeiten, um Ruhe zu haben” (Le Monde, 13.4.2000). Das auf den ersten Blick sehr großzügige Geschenk eines Computers, den gewisse Unternehmen (Ford mit 300000 Arbeitern, Vivendi mit 250000, Intel mit 70000) ihren Arbeitern zukommen lassen,  zeigt sehr gut, wie man die Arbeiter zur ständigen Arbeit zwingen möchte. Der wiederholten Leugnung dieses Umstandes mangelt es nicht an Dreistigkeit, wenn Ford mit diesem Geschenk darauf abzielt, dass ihre Arbeiter ”den Kunden schneller antworten können” und sie ”die Gewohnheit eines schnelleren Informationsaustausches” annehmen. Ständig mehr Experten der Arbeitsorganisation sagen, dass man in der Informationsgesellschaft überhaupt nicht mehr wisse, ”wo die Arbeit beginnt, und wo sie endet”, und dass der Begriff Arbeitszeit zunehmend an Konturen verliere, was wiederum durch Arbeiter bestätigt wird, die nach Belieben zu Hause kontaktiert werden können und ”nie zu arbeiten aufhören” (Libération, 26.5.2000). Tatsächlich wäre das Ideal der Bourgeoisie, wenn alle Arbeiter sich wie die Gründer eines Start-ups im Silicon Valley verhalten würden, die ”13 bis 14 Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche arbeiten, in Räumen von 2 mal 2 Metern wohnen ..., ohne Pause, ohne Frühstück, ohne kollegiale Treffen in der Cafeteria” (L’Expansion, 16.-30.3.2000). Diese Arbeitsbedingungen sind die Regel in allen Start-ups weltweit.

Der Angriff gegen das Bewusstsein der Arbeiterklasse

Die große Medienkampagne verfolgt noch ein weiteres Ziel. Hinter der New Economy, in der jeder mit dem Netz arbeitet, sich in einen Innovator und Aktionär verwandelt, steckt ein gewaltiger Bluff, allerdings einer von großer Tragweite.

Er unterstellt, dass die Gesellschaft, zumindest diejenige der Industrieländer, eine reale Verbesserung erfahren werde und dass deshalb die Unternehmen, die Verwaltung, in denen die Existenzbedingungen der Arbeiter angegriffen würden, nur eine Randerscheinung, eine Ausnahme, darstellten. Wenn diese Arbeiter Widerstand leisteten, so wäre dies ein rückwärtsgewandter, anachronistischer Kampf, der in der Isolation enden würde. Die Propaganda über die New Economy ist ein Mittel, die Arbeiter zu demoralisieren, damit sich ihre Unzufriedenheit nicht in Kampfkraft umwandelt.

Weiter unterstellt er nichts Geringeres, als dass die Gesellschaft sich derart tiefgreifend am verändern sei, dass der Kapitalismus überwunden werde und somit auch alle Projekte zum Umsturz des Kapitalismus überholt seien. Man sagt uns, dass derjenige, der in der New Economy arbeite, reich werden würde, was logischerweise bedeuten würde, dass die materiellen Bedingungen des Arbeiterdaseins überwunden würden. Wer sich allerdings nicht dieser Trilogie von Netz-Innovator-Aktionär anpasse, werde Opfer einer größeren Einkommensungleichheit. Die Gesellschaft sei also nicht mehr in Bourgeoisie und Arbeiterklasse aufgeteilt, sondern in Involvierte und Ausgeschlossene der New Economy. Und um den Nagel noch ganz reinzuschlagen, behauptet man, dass die Teilhabe an der New Economy von der Intelligenz und vom Willen abhänge: ”Entweder bist du reich oder ein Trottel”, behauptet die Zeitschrift Business 2.0.

All dies wird durch die Propaganda vervollständigt, wonach sich die Unternehmen, der Ort, an dem Wert geschaffen und die Arbeitskraft ausgebeutet wird und sich die Klassen zeigen, sich umwandeln würden. Alle, die an der New Economy partizipierten und Zugriff zum Reichtum hätten, könnten nicht mehr als Arbeiter bezeichnet werden. Die Arbeit im Betrieb, da wo der Reichtum hergestellt werde, sei nicht mehr geteilt zwischen Kapitalist, d.h. Inhaber des Kapitals, und Arbeiter, d.h. Besitzer der Arbeitskraft: ”Die New Economy bedeutet mehr Mannschaft: Die Angestellten bilden ein wirkliches Team, sie haben durch die Aktien teil am Reichtum der Unternehmen”, sagt der Präsident der BVRP Software (Le Monde Diplomatique, Mai 2000).

Diejenigen allerdings, die sich nicht in die New Economy einfügen, schlecht bezahlte und präkarisierte Arbeiter und Arbeitslose, bilden noch immer die große Mehrheit der Gesellschaft. Die Klasse, die den gesellschaftlichen Reichtum herstellt, wird nicht durch den Studenten aus Silicon Valley oder anderswo repräsentiert, der sich durch das Trugbild vom Reichtum in Griffweite blenden lässt. Die den gesellschaftlichen Reichtum produzierende Arbeiterklasse ist diejenige, die von der Bourgeoisie ständig mehr ausgebeutet wird; und wenn die Ausbeutung nicht mehr funktioniert, wird der Arbeiter aufs Pflaster geworfen und aus dem produktiven Prozess ausgeschieden. Angesichts dieser Angriffe hat die Arbeiterklasse keine andere Wahl als zu kämpfen. Das Bewusstsein, das die Arbeiter über die Notwendigkeit dieses Kampfes und seinen Perspektiven haben, sind für ihn lebenswichtig.

Die ideologischen Kampagnen zur New Economy haben die gleichen Themen zum Inhalt und verfolgen dieselben Ziele wie diejenigen, die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 entfesselt worden sind.

Einerseits zielt man darauf ab, der Arbeiterklasse ihre Identität zu rauben, indem man die Gesellschaft als eine Gemeinschaft von Bürgern präsentiert, in der die sozialen Klassen, die Trennung von Ausbeuter und Ausgebeuteten sowie ihre Konflikte verschwunden seien. Gestern war es der Zusammenbruch der Regime, die sich als ”sozialistisch” und arbeiterfreundlich darstellten, die für diese Behauptungen herhalten mussten; heute ist es der Mythos, dass die Herren und die Arbeiter dieselben Interessen hätten, da sie ja jetzt alle Aktionäre desselben Betriebes seien.

Anderseits will man der Arbeiterklasse jegliche Perspektive außerhalb des Kapitalismus rauben. Gestern musste dafür der ”Zusammenbruch des Sozialismus” herhalten. Heute ist es die Idee, dass der Kapitalismus, selbst wenn er seine Fehler habe, nicht in der Lage sei, das Elend zu beseitigen, noch die Kriege, noch die Katastrophen aller Art, er doch eben das ”am wenigsten schlechte aller Systeme” sei, da er trotz allem in der Lage sei zu funktionieren, den Fortschritt zu garantieren, die Krisen zu überwinden.

Aber selbst die Tatsache, dass die Bourgeoisie solche ideologischen Kampagnen für notwendig erachtet, die Tatsache, dass sie sich auf neue wirtschaftliche Angriffe  vorbereitet, bedeutet, dass sie kaum an die verzauberte Welt der New Economy glaubt. Die Verfälschungen der politischen Ökonomie durch den amerikanischen Notenbankpräsidenten A. Greenspan, um eine weiche Landung der amerikanischen Wirtschaft herbeizuführen nach Jahren der Verschuldung, der wachsenden Handelsdefizite, der jetzt wieder signifikant ansteigenden Inflation in den USA, bedeuten nicht, dass wir jetzt die Perspektive eines unvorstellbaren Wirtschaftswachstums hätten. Weiche Landung oder noch schlimmere Rezession sind nichts anderes als die Bestätigung der marxistischen Analyse: Der Kapitalismus ist nach der Wiederaufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg in die offene Wirtschaftskrise zurückgekippt, die er nicht überwinden kann. Diese Krise wirft einen immer größeren Teil der Menschheit in die absolute Verarmung und ist der Grund für die ständig härteren Lebensbedingungen für die Gesamtheit der Arbeiterklasse. Die Zukunft des Kapitalismus bietet uns nichts anderes als eine ständige und schreckliche Zunahme all dieser Übel. Einzig die Arbeiterklasse hat die Fähigkeit, eine Gesellschaft zu errichten, in der der Überfluss herrschen wird, weil sie allein in der Lage ist, die Grundlage für eine Gesellschaft zu bilden, die zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse und nicht des Profits einer Minderheit produziert. Diese Gesellschaft nennt sich Kommunismus.

 

JS, Juni 2000



[1] [36] Interview mit Manuel Castells (Professor an der Universität von Berkeley), in: Problèmes économiques Nr. 2642, 1.12.1999

[2] [36] Business Review, Juli/August 1999. Diese Zeitschrift publiziert die Zahlen der Handelsabteilung der amerikanischen Regierung.

[3] [36] Siehe den Artikel von Mitchell: ”Krisen und Zyklen in der niedergehenden kapitalistischen Wirtschaft” in International Review Nr. 102 und 103 (engl./frz./span. Ausgabe) und die Broschüre der IKS ”Die Dekadenz des Kapitalismus”.

[4] [36] In den 1920er Jahren hat N. Kondratieff diese Theorie entwickelt, nach der die Weltwirtschaft einen Zyklus von Krise und Aufschwung von ca. 50 Jahren durchläuft. Diese Theorie hat für die Bourgeoisie den großen Vorteil, dass auf eine Krise der Aufschwung ebenso sicher folgt wie die Sonne auf den Regen.

[5] [36] ”Peapod.com, CDNow, salon.com, Yahoo!...” in: Le Monde, 13.6.2000

[6] [36] Wir schrieben bereits in der am 14. Kongress von unserer Sektion in Frankreich verabschiedeten Resolution (siehe Weltrevolution Nr. 102): ”Die Besessenheit, welche Investoren ergriffen hat, in die ‚Neue Ökonomie‘ zu investieren, ist nichts anderes als ein Ausdruck der Sackgasse der kapitalistischen Wirtschaft. Marx hatte schon zu seiner Zeit aufgezeigt, dass die Börsenspekulation nicht ein Zeichen für die Gesundheit der Wirtschaft, sondern für den sich anbahnenden Bankrott ist.” (Punkt 4)

 

[7] [36] Für eine detailliertere marxistische Analyse des kapitalistischen Ausbeutungsprozesses siehe den bereits zitierten Artikel von Mitchell.

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Staatskapitalismus [37]

Die “serbische Revolution"

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Ein Sieg der Bourgeoisie, nicht der Arbeiterklasse

Im Augenblick der Fertigstellung der International Review Nr. 103 (engl./frz./span. Ausgabe), aus welcher dieser Artikel übernommen wird, erfährt die Situation in Ex-Jugoslawien eine neue Wende. Wir sehen uns deshalb zu einer unmittelbaren Stellungnahme veranlasst. Als revolutionäre Organisation der Arbeiterklasse ist dies unsere Aufgabe, auch wenn der Positionsbezug nur kurz sein kann. Unsere Leser können gewiss sein, dass wir unsere Analyse und unsere Intervention zu dieser Frage in unseren verschiedenen territorialen Publikationen sehr schnell vorantreiben werden.

Wenn wir also den Medien der Bourgeoisie und insbesondere den auf allen Fernsehkanälen der vorgeblich großen Demokratien verbreiteten Bildern glauben, so wohnen wir in Belgrad seit zwei Tagen einem großen historischen Augenblick bei: nämlich einer friedlichen demokratischen Revolution, vollendet durch das serbische Volk und den Fall von Milosevic. Dies bedeute das Ende der “letzten national-kommunistischen Diktatur Europas”. Alles entwickelt sich also bestens in der besten aller kapitalistischen Welten! Dieses “historische Ereignis” wird von allen Staatschefs und anderen Anführern der großen “demokratischen” Mächte begrüßt und beweihräuchert, denselben, die erst im letzten Jahr den Krieg entfesselt und mit ihrem Bombardement auf den Kosovo und auf Serbien massive Zerstörungen und Massaker verursacht hatten. All dies geschah, wir erinnern uns wohl, im Namen der notwendigen “humanitären Intervention”, die Milosevic und seine Bluthunde an der Vollendung ihrer schrecklichen Taten im Kosovo hätten hindern sollen.

Damals hatte unsere Organisation sofort auf diese Lügner reagiert und sie als “feuerlegende Feuerwehrmänner” denunziert. Wir hatten ihre Verantwortung für die Entfesselung der Barbarei insbesondere in dieser Weltgegend in Erinnerung gerufen: “Die Politiker und die Medien der NATO-Länder präsentieren uns diesen Krieg als eine Aktion zur  ‘Verteidigung der Menschenrechte’ gegen ein besonders widerliches Regime, verantwortlich für verschiedenste Missetaten wie die seit 1991 Ex-Jugsolawien besudelnden ‘ethnischen Säuberungen’. In Wirklichkeit kümmern sich die ‘demokratischen’ Staaten keineswegs um das Schicksal der Bevölkerung im Kosovo, ebenso wenig wie sie das Schicksal der kurdischen und schiitischen Bevölkerung im Irak, die nach dem Golfkrieg von den Truppen Saddam Husseins massakriert wurden, rührte. Die Leiden der durch diesen oder jenen Diktator verfolgten Zivilbevölkerung dienten immer nur als Vorwand, der es den großen ‘Demokratien’ erlaubte, im Namen einer ‘gerechten Sache’ den Krieg zu entfesseln.” (Internationale Revue, Nr. 23)

Nur kurz darauf doppelten wir nach: “Wer, wenn nicht die großen imperialistischen Mächte, hat während der letzten zehn Jahre den schlimmsten Cliquen und nationalistischen kroatischen, serbischen, bosnischen und jetzt kosovarischen Mafias erlaubt, ihre blutige nationalistische Hysterie und die generalisierte ethnische Säuberung in einem teuflischen Prozess zu entfesseln? Wer, wenn nicht Deutschland, hat Slowenien und Kroatien zur Ausrufung der einseitigen Unabhängigkeit getrieben und hat so die nationalistischen Brandungen auf dem Balkan, die Massaker und die Vertreibung der serbischen und bosnischen Bevölkerung autorisiert und vorangetrieben? Wer, wenn nicht Großbritannien und Frankreich, hat die Repression, die Massaker an der kroatischen und bosnischen Bevölkerung und schließlich die ethnische Säuberung von Milosevic und seinen nationalistischen Großserben gutgeheißen? Wer, wenn nicht die Vereinigten Staaten, hat die verschiedenen bewaffneten Banden unterstützt und ausgerüstet, je nachdem wie sich ihre Rivalen gerade positioniert hatten? Die Heuchelei und Hinterhältigkeit der ‘alliierten’ westlichen Demokratien sind grenzenlos, wenn sie ihre Bombardements als ‘humanitäre Intervention’ rechtfertigen.” (International Review (engl. frz. span. Ausgabe) Nr. 98)

Wenn heute all diese großen imperialistischen Gangster keine Worte finden, um den Traum des serbischen Volkes zu begrüßen, das nach ihrer eigenen Ansicht ‘den Mut und den Stolz’  fand, sich des blutigen Diktators zu entledigen, so wollen sie mittels dieses trügerischen Diskurses hauptsächlich glauben machen, dass die gegenwärtigen Ereignisse nichts anderes als die Rechtfertigung der tödlichen Bombardierungen des letzten Jahres seien. Le Monde, dieses wichtige Sprachrohr der herrschenden Klasse in Frankreich, steht ohne Umschweife dazu: “...Mit dem späten Entscheid für einen militärischen Angriff auf Serbien haben Europa und die Vereinigten Staaten den Herrscher in Belgrad geschwächt und ein bisschen von seinem Volk isoliert.” Haben und werden die scheinbar großen Demokratien auch in Zukunft Grund haben, militärisch im Namen der unerlässlichen “humanitären Intervention” einzuschreiten? Unter dem Vorwand der “Verteidigung der Menschenrechte in der Welt” wollen sie auf diese Weise freie Hand haben, um die Massaker und Zerstörungen ungehindert zu vervielfachen. Von diesem Blickwinkel aus sind die aktuellen Ereignisse in Belgrad (ohne ihren ideologischen Nutzen zu vergessen) schon ein Erfolg für die Bourgeoisie.

Die herrschende Klasse betont aber auch einen anderen Aspekt: den angeblich “glorreichen Marsch der Demokratie” gegen alle Formen der Diktatur. Sind die “historischen Stunden”, denen wir heute beiwohnen dürfen, dafür nicht ein schreiender Beweis? Diese ideologische Schlacht ist desto wirksamer, je stärker die bürgerlichen Medien unterstreichen, dass unter den Hauptverantwortlichen für den Fall von Milosevic und den Sieg der Demokratie die Arbeiterklasse zu finden sei. Sie ist dem Ruf zum “zivilen Ungehorsam” gefolgt, den der Wahlsieger Kostunica ausgestoßen hatte. Dieser große nationalistische Bourgeois, in Bosnien lange ein Komplize des blutigen Karadzic, steht heute als Gegner der Diktatur da. Einige Sektoren der Arbeiterklasse wie beispielsweise die Minenarbeiter von Kolubra haben nun ihren Platz in den Zeilen der bürgerlichen Presse bekommen, da sie für die Verteidigung der Demokratie streikten. Wenn die internationale herrschende Klasse einen Wunsch hat, so dass dieses Beispiel überall in der Welt nachgeahmt werde und zwar insbesondere in den großen Arbeiterzentren im Herzen des Kapitalismus.

In diesem Augenblick trägt alle Welt das Wort “Revolution” zur Beschreibung der Situation in Belgrad im Mund. Jedoch handelt es sich um ein Täuschungsmanöver. Der Sieg der “Demokratie”, d.h. der bürgerlichen Kräfte, ist nichts anderes als der Sieg der kapitalistischen Klasse und niemals derjenige des Proletariats.

Elfe, 7.10.2000

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die nationale Frage [38]

Einführung zu: Anarchismus und Kommunismus

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Der Anarchismus ist heute wieder im Aufwind. Sei es durch das Erscheinen und Wiedererstarken des Anarchosyndikalismus, sei es durch das Auftauchen verschiedenster kleiner Gruppen, die sich auf libertäre Ideen beziehen und in mehreren Ländern aus dem Boden spriessen. Sie geniessen auch die vermehrte Aufmerksamkeit der kapitalistischen Medien. Dies lässt sich durch die Besonderheiten der heutigen Zeit erklären.

Der Zusammenbruch der stalinistischen Regime Ende der 80er Jahre hat es der herrschenden Klasse erlaubt, eine bisher nie gesehene Kampagne über den “Tod des Kommunismus” zu entfesseln. Diese Kampagne hatte auch auf die Arbeiterklasse Auswirkungen, selbst auf Elemente, die das kapitalistische System ablehnen und auf dessen revolutionäre Überwindung hoffen. Laut den bürgerlichen Kampagnen bedeutet das Scheitern dessen, was als “Sozialismus” oder “Kommunismus” dargestellt wird, auch ein Scheitern der kommunistischen Ideen von Marx, welche die stalinistischen Regime zur offiziellen Ideologie erhoben (und dabei natürlich systematisch verfälscht) hatten.

Marx, Lenin und Stalin sind dasselbe Feindbild: ein während Jahren von allen Teilen der herrschenden Klasse abgedroschenes Thema. Und es ist auch exakt die Aussage, welche der Anarchismus während des ganzen 20. Jahrhunderts vertreten hat, seit in der UdSSR eines der barbarischsten Regime, die der dekadente Kapitalismus hervorgebracht hat, installiert wurde. Für die Anarchisten, die immer behauptet haben, der Marxismus sei von Natur aus autoritär, war die stalinistische Diktatur die logische Konsequenz der Ideen von Marx. In diesem Licht gesehen ist das heutige Wiederaufleben der  anarchistischen und libertären Strömung eine Folge der bürgerlichen Kampagnen, ein Zeichen ihres Einflusses auf Elemente, die den Kapitalismus zwar ablehnen, den Lügen, die während der letzten zehn Jahre verbreitet wurden, aber auf den Leim kriechen. Diese Strömung, die sich als radikalster Gegner der bürgerlichen Ordnung gibt, verdankt einen grossen Teil ihres Erfolgs den Konzessionen, die sie gegenüber den klassischen Themen der bürgerlichen Ideologien heute und schon früher immer gemacht hat.

Es gibt aber heute auch viele Anarchisten und Libertäre, welche sich dabei nicht sehr wohl fühlen.

Einerseits haben sie Mühe, das Verhalten der grössten Organisation in der Geschichte des Anarchismus, der spanischen CNT, die den entscheidendsten Einfluss auf die Arbeiterklasse eines ganzen Landes hatte, zu akzeptieren. Es ist tatsächlich nicht einfach, sich auf die Erfahrung einer Organisation zu berufen, die nach jahrzehntelangem Aufruf zur “direkten Aktion”, der Denunzierung jeglicher Beteiligung am bürgerlichen parlamentarischen Spiel und aufrührerischen Reden gegen jede Form des Staates 1936 nichts besseres zu tun wusste, als vier Minister für die bürgerliche Regierung der Republik zu stellen und verschiedene Vertreter in die Regierung der “Generalitat” in Katalonien zu entsenden. Minister, die im Mai 1937, als sich die Arbeiter von Barcelona im Aufstand gegen die Politik dieser Regierung befanden (eine von den Stalinisten kontrollierte Politik), die Arbeiter dazu aufriefen, die Waffen niederzulegen und sich mit ihren Henkern zu “verbrüdern”. Mit andern Worten: Sie fielen den Arbeitern in den Rücken. Aus diesem Grund versuchen sich heute einige Libertäre auf Strömungen zu berufen, die aus dem Anarchismus oder der CNT selbst hervorgegangen sind, sich aber der verbrecherischen Politik der Zentrale widersetzt haben. Eine dieser Strömungen sind die “Freunde Durrutis”, die 1937 die offizielle Linie der spanischen CNT bekämpft haben, bis die CNT sie als Verräter bezeichnete und ihnen mit dem Ausschluss drohte. Um den Charakter dieser Strömung zu untersuchen veröffentlichen wir im Folgenden einen Artikel aus der Broschüre Spanien 1936 unserer IKS Sektion in Spanien.

Andererseits spüren Leute, die sich von libertären Ideen angezogen fühlen, die Inhaltslosigkeit der anarchistischen Ideologie (was nicht schwer fällt) und suchen nach anderen Bezugspunkten, mit denen sie diejenigen der klassischen Köpfe dieser Ideologie (Proudhon, Bakunin, Kropotkin, usw.) ergänzen können. Und auf welch bessere Referenz kann man dabei stossen als auf Marx, als dessen “Schüler” sich Bakunin einst selbst bezeichnet hatte. Angespornt vom Willen, die bürgerlichen Lügen, die den Marxismus für alles Schlechte behaften wollen was in Russland nach 1917 passierte, neigen sie dazu, Marx radikal Lenin gegenüberzustellen und fallen der Kampagne zum Opfer, die Stalin als den aufrechten Erben Lenins darstellt. Aus diesem Grund neigen sie auf der Suche nach einem “libertären Marxismus” zur Bezugnahme auf die Strömung der Deutsch-Hollänischen Linken. Deren bekannteste Theoretiker, Otto Rühle als Erster und danach Anton Pannekoek, hatten die Russischen Revolution von 1917 als eine bürgerliche Revolution bezeichnet, von einer bürgerlichen bolschewistischen Partei angeführt und durch einen bürgerlich-jakobinistischen  Denker, Lenin, geleitet. Die Genossen der Deutsch-Holländischen Linken jedoch beriefen sich immer explizit auf den Marxismus, und keineswegs auf den Anarchismus, und haben alle Versuche abgelehnt, diese zwei Strömungen miteinander zu versöhnen. Dies hindert heute gewisse Anarchisten nicht daran, die Deutsch-Holländische Linke für sich in Anspruch zu nehmen, oder – oft auch ehrlich gemeint – einzelne Teile herauszunehmen und einen “libertären Marxismus” zu konstruieren, die unmögliche Synthese von Anarchismus und Marxismus.

IKS

Theoretische Fragen: 

  • Kommunismus [39]

Geschichte der Arbeiterbewegung: Der Antifaschismus – eine Anleitung zur Konfusion

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Der Antifaschismus ist eine harte Nuss. Kaum war die Kampagne für die Auslieferung Pinochets in vollem Schwung, lösten die “demokratischen” Teile der herrschenden Klasse (also so gut wie alle) eine neue Kampagne aus antifaschistischem Anlass aus, diesmal gegen die Beteiligung der FPÖ Haiders an der österreichischen Regierung. Während des Gipfels der Europäischen Union am 23. März in Lissabon beschlossen die Staatsoberhäupter und Regierungen der 14 Länder, Sanktionen gegenüber Österreich anzuwenden, solange Haiders Partei in der Regierung verbleibt. Alle überboten sich in energischen Warnungen vor der “fremdenfeindlichen, antidemokratischen, faschistischen Gefahr”. Nehmen wir den französischen Staatspräsidenten Chirac, der nachdrücklich die Geschehnisse in Österreich verurteilte, als zur gleichen Zeit die Veröffentlichung einer Meinungsumfrage aufzeigte, dass die Hälfte der französischen Bevölkerung fremdenfeindlich ist. Nicht zu vergessen all die Organisationen der Linken, angefangen beim Trotzkismus, der laut vor der “faschistischen Gefahr” warnt, die angeblich eine ernsthafte Bedrohung der Arbeiterklasse sei, und eine Demonstration nach der anderen gegen den “Haider-Skandal” organisiert.

Was auch immer die spezifischen Gründe waren, die die österreichische Bourgeoisie dazu veranlassten, die “Faschisten” in die Regierung zu bringen[1] [40], dieses Ereignis hat sich als vorzügliche Gelegenheit für all ihre europäischen und amerikanischen Kompagnons angeboten, einer Mystifikation neues Leben einzuhauchen, die sich bereits als sehr wirksam gegen die Arbeiterklasse erwiesen hatte. In den vergangenen Jahren hatte sich die Kampagne gegen die “faschistische Gefahr” von nichts anderem nähren können als vom Wahlerfolg der Nationalen Front in Frankreich und von den Angriffen von Skinheadbanden gegen Immigranten. Selbst die Pinochet-Show konnte die Massen nicht mehr in ihrem Bann ziehen, seitdem der alte Diktator in den Ruhestand gegangen ist. Natürlich bot da der Eintritt einer “faschistischen” Partei in eine europäischen Regierung eine viel reichhaltigere Kost für solcherlei Kampagnen.

Als die Genossen von Bilan (die französischsprachige Publikation der linken Fraktion der Italienischen Kommunistischen Partei) den Text veröffentlichten, den wir nachfolgend neu auflegen, befanden sich in etlichen europäischen Ländern faschistische Regierungen an der Macht; Hitler war seit 1933 in Deutschland an der Macht. Doch sie verloren nicht den Kopf und ließen sich  nicht von der Raserei des “Antifaschismus” anstecken, von der nicht nur die sozialistischen und stalinistischen Parteien ergriffen waren, sondern auch Strömungen, die der Degeneration der Kommunistischen Internationalen in den 20er Jahren Paroli geboten hatten, insbesondere die Trotzkisten. Bilan war in der Lage, klar und deutlich vor den Gefahren des Antifaschismus zu warnen – was sich auf dem Höhepunkt des spanischen Bürgerkrieges als prophetisch erweisen sollte. In Spanien war die faschistische Fraktion der Bourgeoisie nur deshalb in der Lage, das Proletariat, das sich angesichts des Franco-Putsches am 18. Juli 1936 bewaffnet hatte, zu unterdrücken, weil sich letzteres im Namen der Priorität des antifaschistischen Kampfes und der Notwendigkeit, eine Einheitsfront aller antifaschistischer Kräfte zu bilden, von seinem Klassenterrain, dem Terrain des unversöhnlichen Kampfes gegen die bürgerliche Republik, hat wegzerren lassen.

Die heutige Situation gleicht nicht jener in den 30er Jahren, als die Arbeiterklasse gerade die fürchterlichste Niederlage in ihrer Geschichte erlitten hatte, und zwar nicht durch den Faschismus, sondern durch die “demokratische” Bourgeoisie. Genau diese Niederlage ermöglichte es dem Faschismus, in bestimmten Ländern Europas an die Macht zu gelangen. Demzufolge können wir sagen, dass der Faschismus heute keine Notwendigkeit für den Kapitalismus besitzt. Nur indem sie die Unterschiede zwischen der heutigen Situation und jener in den 30er Jahren völlig ignorieren, können Strömungen, die behaupten, zur Arbeiterklasse zu gehören oder gar die Revolution zu favorisieren, wie die Trotzkisten, ihre Beteiligung an den Kampagnen gegen die “faschistische Bedrohung” rechtfertigen. In diesem Sinn bestand Bilan absolut zu Recht darauf, dass die Revolutionäre die Ereignisse innerhalb ihres historischen Zusammenhanges analysieren und dabei besonders das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen berücksichtigen müssen. Während der 30er Jahre entwickelte Bilan insbesondere gegen die Trotzkisten (die im Text als “Bolschewiki-Leninisten” bezeichnet werden, wie sich die Trotzkisten in den 30er Jahren selbst bezeichnet hatten) ihre Argumente. Damals waren die Trotzkisten noch Bestandteil der Arbeiterklasse, aber ihr Opportunismus sollte sie während des II. Weltkrieges in das bürgerliche Lager führen. Im Namen eben jenes Antifaschismus unterstützten die Trotzkisten den alliierten Imperialismus  während des Krieges und traten dabei eines der fundamentalsten Prinzipien der Arbeiterbewegung mit Füßen: den Internationalismus. Dies vor Augen, bleiben die Argumente Bilans gegen die antifaschistischen Kampagnen, ihre Entlarvung der Gefahr, die der Antifaschismus für die Arbeiterklasse darstellt, auch heute vollkommen gültig. Die historische Lage hat sich verändert, aber die Lügen, die in der Arbeiterklasse verbreitet werden, um sie von ihrem Klassenterrain unter das Banner der demokratischen Bourgeoisie zu ziehen, bleiben grundsätzlich dieselben. Der Leser wird es nicht schwer haben, die “Argumente” wiederzuerkennen, die von Bilan angegriffen werden: Es sind exakt dieselben, die wir auch aus dem Munde heutiger Antifaschisten und besonders von denjenigen hören, die sich so revolutionär gebärden. Wir wollen hier zwei Passagen aus dem Text von Bilan als Beispiel zitieren.

“(...) ist die Position unserer Gegner, die das Proletariat dazu bewegen wollen, die am wenigsten schlechte Organisationsform des kapitalistischen Staates zu wählen, nicht mit jener von Bernstein identisch, der das Proletariat dazu aufrief, die beste Form des kapitalistischen Staates anzustreben?”

“(...) wenn das Proletariat wirklich stark genug ist, der Bourgeoisie seine Regierungsform aufzuzwingen, warum sollte es dann bei diesem Ziel haltmachen und nicht seine eigenen zentralen Forderungen nach Zerstörung des kapitalistischen Staates durchsetzen? Wenn aber im Gegenteil das Proletariat noch nicht stark genug ist, um sich zum Aufstand zu erheben, bedeutet dann nicht sein Vorwärtsdrängen zu einer demokratischen Regierung tatsächlich, es auf die falsche Fährte zu locken, was erst den Sieg des Feindes möglich macht?”

Schließlich antwortete Bilan auf all diejenigen, die behaupteten, der Antifaschismus sei ein Mittel, um “die Arbeiter zu sammeln”, dass das einzige Terrain, auf dem sich das Proletariat sammeln kann, jenes der Verteidigung seiner Klasseninteressen ist, das auch heute dasselbe ist, ganz gleich, wie das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen aussieht. “(...) da es nicht die Machtfrage stellen kann, muss sich das Proletariat in seinen Tageskämpfen um begrenztere, aber immer noch klassenmäßige Ziele scharen (...) Statt sich der langfristigen Änderung der Arbeiterforderungen zu widmen, ist es die vordringliche Pflicht der Kommunisten, die Regruppierung der Arbeiterklasse um ihre Klassenforderungen  und innerhalb ihrer Klassenorganisationen, den Gewerkschaften, zu betreiben.”

Im Gegensatz zur deutsch-holländischen Linken hatten die italienischen Linkskommunisten damals noch nicht die Frage der Gewerkschaften geklärt. Denn seit der Zeit des I. Weltkrieges waren die Gewerkschaften unwiderruflich zu Organen des kapitalistischen Staates geworden. Doch dies stellt in keiner Weise die Positionen in Frage, die von Bilan vertreten wurden, als sie die Arbeiter dazu aufrief, sich um ihre eigenen Klassenforderungen zu sammeln. Diese Position bleibt auch heute vollkommen gültig, wo jede Fraktion der Bourgeoisie die Arbeiter dazu auffordert, jenes kostbare Gut, die Demokratie, zu verteidigen – ob gegen den Faschismus oder gegen jeden Versuch, eine neue Revolution zu unternehmen, die nur zu einer Rückkehr desselben Totalitarismus führe, der zehn Jahre zuvor in den sog. “sozialistischen” Ländern zusammengebrochen sei.

In diesem Sinn wendet der nachfolgend abgedruckte Artikel von Bilan dieselbe Vorgehensweise bei der Entlarvung der demokratischen Lügen an, wie dies auch in unserer Veröffentlichung von Lenins Thesen Über die bürgerliche Demokratie und die proletarische Diktatur in der vorherigen Ausgabe der International Review geschah (siehe International Review Nr. 100, engl./franz./span. Ausgabe). 

 

BILAN Nr. 7, Mai 1934

Der Antifaschismus - eine Anleitung zur Konfusion 

Auf dem Tiefstand der Revolution ist die gegenwärtige Lage ganz offensichtlich verwirrender als sonst. Dies ist das Resultat einerseits der konterrevolutionären Entwicklung all der Stützpunkte, die das Proletariat in einem bitteren Kampf nach dem Krieg erobert hatte (der russische Staat, die III. Internationale), und andererseits der Unfähigkeit der Arbeiter, in einer ideologischen und revolutionären Widerstandsfront dieser Entwicklung entgegenzutreten. Die Arbeiter haben mit Kämpfen und manchmal mit großartigen Schlachten (Österreich) auf die Kombination dieses Phänomens mit der brutalen Offensive des Kapitalismus reagiert, die auf die Bildung von Bündnissen angesichts des drohenden Krieges ausgerichtet ist. Aber diese Schlachten sind daran gescheitert, die Macht des Zentrismus, der einzigen politischen Massenorganisation, zu erschüttern, der sodann zu den Kräften der weltweiten Konterrevolution überlief.

In solch einem Moment der Niederlage ist die Konfusion nur ein Resultat, das der Kapitalismus erzielt, indem er sich zu seinem eigenen Schutz den Arbeiterstaat und den Zentrismus einverleibt, die er auf dasselbe Terrain führt, das seit 1914 von den hinterhältigen Kräften der Sozialdemokratie besetzt ist, dem wichtigsten Agenten der Auflösung des Massenbewusstseins und Sprecher der Parolen der proletarischen Niederlage und des kapitalistischen Sieges.

In diesem Artikel werden wir eine typische Formel der Konfusion untersuchen: etwas, was – auch unter Arbeitern, die sich selbst als links betrachten – “Antifaschismus” genannt wird (...) Zugunsten der Klarheit wollen wir hier uns auf ein Problem beschränken: den Antifaschismus und die Einheitsfront, die sich unter dieser Parole angeblich errichten lässt.

Es ist elementar – besser: es ist üblich – festzustellen, dass, bevor man sich in einer Klassenauseinandersetzung engagiert, es nötig ist, die Ziele, die man im Auge hat, die Methoden, die man benutzen will, und die Klassenkräfte zu nennen, die zu unserem Gunsten intervenieren können. Es ist nichts “Theoretisches” an diesen Betrachtungen, und trotzdem meinen wir, dass sie für die oberflächliche Kritik all jener Elemente unzugänglich sind, die in der Regel die theoretische Klärung ignorieren und mit jedem ins Bett steigen, an jeder Bewegung teilhaben, solange es “eine Aktion” gibt. Natürlich gehören wir zu denjenigen, die denken, dass die Aktion nicht einem Wutanfall oder dem guten Willen von Individuen entspringt, sondern aus der Situation selbst entsteht. Darüber hinaus ist für die Aktion die theoretische Arbeit unerlässlich, um die Arbeiterklasse vor neuen Niederlagen zu bewahren. Und wir müssen die Bedeutung der Geringschätzung begreifen, die so viele Militante gegenüber der theoretischen Arbeit an den Tag legen, denn in Wahrheit geht dies in jenen revolutionären Milieus stets – ohne es auszusprechen – mit der Ersetzung proletarischer Positionen durch die Prinzipien des Feindes Sozialdemokratie einher, wobei gleichzeitig zu Aktionen um jeden Preis im “Rennen” gegen den Faschismus aufgerufen wird.

So weit es das Problem des Antifaschismus angeht, so werden seine zahllosen Anhänger nicht nur von einer Geringschätzung der theoretischen Arbeit begleitet, sondern auch von einer dummen Manie der Schaffung und Verbreitung von Verwirrung, die notwendig ist, um eine breite Widerstandsfront zu errichten. Es darf keine Grenze geben, die auch nur einen einzigen Verbündeten abschrecken oder die geringste Möglichkeit zum Kampf auslassen könnte: Dies ist die Parole des Antifaschismus. Hier sehen wir, dass von letzterem die Konfusion idealisiert und als Element des Sieges betrachtet wird. Hier sollten wir uns vergegenwärtigen, dass mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor Marx zu Weitling gesagt hatte, dass die Ignoranz niemals der Arbeiterbewegung in irgendeiner Weise gedient hat.

Statt heute das Ziel des Kampfes, die Methoden, die benutzt werden sollen, und das notwendige Programm abzustecken, wird die Quintessenz der marxistischen Strategie (die Marx als Ignoranz bezeichnet hätte) so dargestellt: Man nehme ein Adjektiv – heute ist “leninistisch” das gebräuchlichste – und rede endlos und völlig zusammenhanglos über die Lage in Russland 1917 und Kornilows Septemberoffensive.  O weh! Es soll eine Zeit gegeben haben, in der die Revolutionäre ihre Köpfe noch auf den Schultern trugen und die historische Erfahrung analysierten. Daraufhin bestimmten sie zunächst, ob es möglich ist, eine politische Parallele zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu ziehen, bevor sie versuchten, eine Analogie zwischen der Lage in ihrer eigenen Epoche und jenen Erfahrungen herzustellen. Doch solche Zeiten sind vergangen, besonders wenn wir die übliche Phraseologie proletarischer Gruppen betrachten.

Uns wird gesagt, dass es keinen Anlass gebe, einen Vergleich zwischen der Situation des Klassenkampfes in Russland 1917 und heute in anderen Ländern zu ziehen. Ähnlich gebe es keinen Anlass zu entscheiden, ob das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen damals Ähnlichkeiten mit dem von heute aufweist. Der Sieg des Oktobers 1917 sei eine historische Tatsache, so dass alles, was wir zu tun hätten, darin bestehe, die Taktiken der russischen Bolschewiki zu kopieren und vor allem eine ganz schlichte Kopie anzufertigen, die entsprechend der verschiedenen Milieus variiert, die die Ereignisse auf der Basis radikal gegensätzlicher Auffassungen interpretieren.

Diejenigen, die sich heute selbst “Leninisten” nennen, lassen sich nicht im Geringsten von der Tatsache stören, dass der Kapitalismus in Russland 1917 seine erste Erfahrung mit der Staatsmacht gemacht hatte, während der Faschismus im Gegensatz dazu aus einem Kapitalismus herauskroch, der seit Jahrzehnten an der Macht ist, und dass die explosive revolutionäre Lage in Russland 1917 überhaupt nicht mit der reaktionären Situation von heute vergleichbar ist. Im Gegenteil: Ihre erstaunliche Gelassenheit kann nicht einmal durch einen Vergleich der Ereignisse von 1917 mit denen von heute erschüttert werden, der auf einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den deutschen und italienischen Erfahrungen basiert. Kornilow ist die Antwort auf alles. Die Siege von Mussolini und Hitler werden allein den Abweichungen der kommunistischen Parteien von den klassischen Taktiken der Bolschewiki 1917 zugeschrieben, dies mittels einer politischen Akrobatik, die zwei entgegengesetzte Situation zusammenwirft: die revolutionäre und die reaktionäre.

* * *

So weit es den Antifaschismus angeht, so gehen politische Überlegungen an ihm vorbei. Seine Absicht ist es, alle diejenigen, die von faschistischen Angriffen bedroht sind, in einer Art “Gewerkschaft der Bedrohten” zu sammeln.

Die Sozialdemokraten raten den Radikal-Sozialisten, sich um ihre eigene Sicherheit zu kümmern und sofort Abwehrmaßnahmen gegen die faschistische Bedrohung zu ergreifen, nachdem Herriot und Daladier ebenfalls Opfer eines faschistischen Sieges wurden. Leon Blum geht sogar noch weiter, indem er Doumergue eindringlich davor warnt, dass ihm dasselbe Schicksal blüht wie Brüning, wenn er nicht achtgibt auf den Faschismus. Der Zentrismus wandte sich an die “sozialistische Basis” bzw. der SFIO an den Zentrismus, um eine Einheitsfront zu bilden, da beide, Sozialisten wie Kommunisten, vom Faschismus bedroht seien. Schließlich gibt es noch die Bolschewiki-Leninisten, die in ihrer Wut großmäulig allen und jedem verkünden, dass sie bereit sind, eine Kampffront zu schaffen, frei von politischen Rücksichten, auf der Grundlage einer dauerhaften Solidarität unter allen Arbeiter(?)gruppierungen gegen die Aktivitäten der Faschisten.

Der Gedanke, der hinter diesen Spekulationen steckt, ist sicherlich ganz simpel – zu einfach, um wahr zu sein: Man bringe alle diejenigen, die bedroht und von demselben Wunsch, nämlich den eigenen Tod zu vermeiden, getrieben sind, in einer allgemeinen antifaschistischen Front zusammen. Doch selbst die oberflächlichste Analyse wird aufzeigen, dass die idyllische Einfachheit dieses Vorschlags in Wahrheit die völlige Abschaffung der fundamentalen Positionen des Marxismus verbirgt, die Leugnung der vergangenen Ereignisse und der Bedeutung der heutigen Ereignisse. (...)

Aber all die Predigten darüber, was die Radikalen, Sozialisten und Zentristen unternehmen wollen, um ihre eigene Haut und ihre Institutionen zu retten, werden nichts am Verlauf der Ereignisse ändern, da das wahre Problem darauf hinausläuft: Wie ist es möglich, Radikale, Sozialisten und Zentristen in Kommunisten umzuwandeln, wenn der Kampf gegen den Faschismus nur auf der Kampffront für die proletarische Revolution beruhen kann? Ganz gleich, wieviel Predigten noch verkündet werden, die belgische Sozialdemokratie wird weiterhin ihre Pläne auf die Bewahrung des Kapitalismus ausrichten, wird weiterhin nicht zögern, jeden Klassenkonflikt zu torpedieren, in einem Wort: Sie wird nicht zögern, die Gewerkschaften dem Kapitalismus auszuliefern. Doumergue wird Brüning nacheifern, Blum wird in die Fußstapfen Bauers treten, Cachin in jene von Thälmann.

Wir wiederholen, unsere Absicht in diesem Artikel ist es nicht festzustellen, ob die Lage in Frankreich oder Belgien mit den Umständen verglichen werden kann, die die Machtergreifung des Faschismus in Italien und Deutschland ermöglichten. Uns geht es hier vor allem um die Tatsache, dass, unter Berücksichtigung ihrer Funktion in zwei ziemlich verschiedenen kapitalistischen Ländern, Doumergue eine Kopie von Brüning ist und dass diese Funktion (wie dies auch für Blum und Cachin gilt) darin besteht, das Proletariat zur Unbeweglichkeit zu verdammen, sein Klassenbewusstsein aufzulösen und so zu ermöglichen, den Staatsapparat den neuen Umständen des interimperialistischen Kampfes anzupassen. Es gibt genug Anlass anzunehmen, dass besonders in Frankreich die Erfahrungen mit Thiers, Clémenceau und Poincaré unter Doumergue wiederholt werden und dass wir eine Konzentration des Kapitalismus um seinen rechten Flügel sehen werden, ohne damit zu sagen, dass die sozialistischen und radikal-sozialistischen Kräfte der Bourgeoisie dabei stranguliert werden. Zudem ist es völlig falsch, proletarische Taktiken auf politischen Positionen aufzubauen, die von einer bloßen Perspektive ausgehen.

Es geht daher nicht darum, eine vereinigte “antifaschistische Front” aufzustellen, sobald der Faschismus droht. Im Gegenteil, es ist notwendig, die Positionen so zu gestalten, dass sie das Proletariat für seinen Kampf gegen den Kapitalismus zusammenfassen. So gesehen, bedeutet dies den Ausschluss der antifaschistischen Kräfte aus der Kampffront gegen den Kapitalismus. Es bedeutet – auch wenn dies paradox erscheinen mag –, dass dann, wenn sich der Kapitalismus endgültig dem Faschismus zuwenden sollte, die Bedingung für den Erfolg in der Unveränderlichkeit des Programms und der Forderungen der Arbeiterklasse besteht, wohingegen die Voraussetzung für die sichere Niederlage die Auflösung des Proletariats im antifaschistischen Sumpf ist.

* * *

Die Tat des Einzelnen und gesellschaftlicher Kräfte wird nicht durch Gesetze zum Schutz des Einzelnen oder gesellschaftlicher Kräfte außerhalb jeder klassenmäßigen Berücksichtigung bestimmt: Brüning und Matteoti konnten nicht handeln, wie es ihren persönlichen Interessen oder den von ihnen vertretenen Ideen entsprach, und einfach den Weg zur proletarischen Revolution einschlagen, der allein in der Lage gewesen wäre, sie vor dem Faschismus zu bewahren. Die Handlung des Einzelnen oder gesellschaftlicher Kräfte geschieht als eine Funktion jener Klasse, der sie angehören. Dies erklärt, warum die gegenwärtigen Akteure der französischen Politik bloß in die Fußstapfen ihrer Vorgänger treten und auch damit fortfahren würden, wenn der französische Kapitalismus sich dem Faschismus zuwenden würde.

Die grundlegende Formel des Antifaschismus  (die “Gewerkschaft der Bedrohten”) entlarvt sich somit als völlig unzureichend. Mehr noch, wenn wir die Ideen des Antifaschismus (wenigstens was sein Programm angeht) näher untersuchen, finden wir schnell heraus, dass sie auf der Trennung von Kapitalismus und Faschismus basieren. Sicher, wenn wir einen Sozialisten, einen Zentristen oder einen Bolschewiki-Leninisten zum Thema befragen, werden sie uns erklären, dass Faschismus in der Tat Kapitalismus sei. Aber die Sozialisten werden sagen: “Wir müssen die Verfassung und die Republik verteidigen, um uns auf den Sozialismus vorzubereiten”; die Zentristen werden erklären, dass es viel einfacher sei, den Klassenkampf der Arbeiter um den Antifaschismus als um den Kampf gegen den Kapitalismus zu organisieren, während gemäß den Bolschewiki-Leninisten es keine bessere Grundlage für die Einheit und den Kampf gibt als die Verteidigung der demokratischen Institutionen, welche der Kapitalismus der Arbeiterklasse nicht mehr zugestehen kann. Es läuft also darauf hinaus, dass die allgemeine Erklärung, wonach “Faschismus gleich Kapitalismus” ist, zu politischen Schlussfolgerungen führen kann, die nur aus der Trennung zwischen Kapitalismus und Faschismus herrühren können.

Die Erfahrung hat gelehrt – und dies macht jede Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen Faschismus und Kapitalismus zunichte –, dass die Hinwendung des Kapitalismus zum Faschismus nicht von dem Willen bestimmter Gruppen innerhalb der bürgerlichen Klasse abhängt, sondern von den Notwendigkeiten einer ganzen historischen Periode und den Besonderheiten gewisser Staaten, die noch weniger als andere in der Lage sind, der Krise und dem Todeskampf des bürgerlichen Regimes zu trotzen. Sofern es überhaupt möglich ist, eine völlige Trennung vorzunehmen, zeigt uns die Erfahrung von Italien und Deutschland, dass, wenn der Kapitalismus gezwungen ist, sich in Richtung einer faschistischen Organisation der Gesellschaft zu bewegen, die faschistischen Bataillone die Terrortruppen bilden, die sich gegen die Klassenorganisationen des Proletariats richten. Die demokratischen Gruppierungen der Bourgeoisie erklären daraufhin ihre Opposition zum Faschismus, mit der Absicht, das Proletariat dazu zu überreden, die Verteidigung dieser Institutionen den demokratischen Gesetzen und der Verfassung anzuvertrauen. Die Sozialdemokratie, die auf derselben Linie wie die liberalen und demokratischen Kräfte agiert, ruft das Proletariat auch dazu auf, es zu seiner zentralen Forderung zu machen, dass der Staat die faschistischen Kräfte dazu zwingen möge, das Gesetz zu respektieren, dass er sie entwaffnet oder gar für illegal erklärt. Die Handlungslinie dieser drei politischen Kräfte befindet sich in völliger Harmonie: Ihr Ursprung liegt in der Notwendigkeit des Kapitalismus, den Triumph des Faschismus durchzusetzen, wo immer der kapitalistische Staat beabsichtigt, den Faschismus zur neuen Form der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft zu erheben.

Da der Faschismus den fundamentalen Bedürfnissen des Kapitalismus entspricht, müssen wir eine Möglichkeit finden, an einer radikal anderen Front dagegen zu kämpfen. Es trifft zu, dass wir heute oft unsere Positionen von unseren Gegnern verfälscht sehen, weil letztere sie nicht politisch bekämpfen wollen. Zum Beispiel hatten wir uns kaum der antifaschistischen Parole (die keine politische Basis besitzt) widersetzt, weil die Erfahrung lehrt, dass die antifaschistischen Kräfte genauso notwendig für den Sieg des Faschismus sind wie die faschistischen Kräfte selbst, da wurde uns erzählt: “Wir kümmern uns nicht darum, die politische und programmatische Substanz des Antifaschismus zu analysieren; worauf es ankommt, ist, dass Daladier gegenüber Doumergue vorzuziehen ist, dass der letztere Maurras vorzuziehen ist und dass es in unserem konsequenten Interesse ist, Daladier gegen Doumergue oder Doumergue gegen Maurras zu verteidigen. Oder entsprechend den Umständen entweder Daladier oder Doumergue zu verteidigen, weil sie ein Hindernis für den Sieg von Maurras sind, und unsere Pflicht ist es, ‚die kleinste Unstimmigkeit  zu nutzen, um eine stärkere Position für das Proletariat zu erlangen‘”. Natürlich sind die Ereignisse in Deutschland – wo die “Unstimmigkeiten” zunächst der preußischen, dann der Hindenburg-von Schleicher-Regierung nicht anderes waren als Meilensteine beim Aufstieg des Faschismus  – bloße Bagatellen, die ignoriert werden können. Unsere Interventionen werden natürlich als anti-leninistisch und anti-marxistisch gebrandmarkt: Uns wird gesagt, dass wir zu undifferenziert in der Frage sind, ob eine Regierung rechts, links oder faschistisch ist. Was dies anbetrifft, möchten wir gern ein für alle Mal folgende Frage stellen: Wenn wir die Veränderungen in der Nachkriegslage berücksichtigen, ist die Position unserer Gegner, die das Proletariat dazu bewegen wollen, die am wenigsten schlechte Organisationsform des kapitalistischen Staates zu wählen, nicht identisch mit jener von Bernstein, der das Proletariat dazu aufrief, die beste Form des kapitalistischen Staates anzustreben? Uns wird womöglich gesagt, dass die Idee nicht laute, das Proletariat aufzufordern, Partei für die Regierung zu ergreifen, die als die beste Herrschaftsform ... vom proletarischen Standpunkt aus anerkannt ist, sondern dass es einfach das Ziel sei, die Position des Proletariats so weit zu stärken, bis es eine demokratische Regierungsform des Kapitalismus durchsetzen kann. In diesem Fall brauchen wir nur die Wörter austauschen, die Bedeutung bleibt immer dieselbe. Doch wenn das Proletariat stark genug ist, um der Bourgeoisie seine Regierungswahl aufzuzwingen, warum soll es dann bei diesem Ziel haltmachen und nicht seine eigenen zentralen Forderungen nach Zerstörung des kapitalistischen Staates durchsetzen? Und wenn das Proletariat im Gegenteil noch nicht stark genug ist, um sich zum Aufstand zu erheben, bedeutet dann nicht das Vorwärtsdrängen zu einer demokratischen Regierung tatsächlich, das Proletariat auf die falsche Fährte zu locken, was erst den Sieg des Feindes möglich macht?

Bei dem Problem handelt es sich sicherlich nicht um dasjenige, das uns die Anhänger der “besten Wahl” schmackhaft machen wollen: Das Proletariat hat seine eigene Lösung für das Problem des Staates und besitzt keinerlei Einfluss auf die Lösungen, zu denen der Kapitalismus bei seiner Machtfrage greift. Es ist logischerweise offensichtlich, dass es zu seinem Vorteil wäre, sehr schwache bürgerliche Regierungen zu haben, die die Entfaltung des revolutionären Kampfes des Proletariats ermöglichen würde. Aber es ist gleichermaßen offensichtlich, dass der Kapitalismus linke oder annähernd linke Regierungen nur bildet, wenn diese in einer gegebenen Situation am besten in seine Verteidigungslinie passen. 1917-21 kam die Sozialdemokratie an die Macht, um das bürgerliche Regime zu verteidigen, und war die einzige Regierungsform, die es möglich machte, die proletarische Revolution zu zerschlagen. Angenommen, eine rechte Regierung hätte die Arbeitermassen zu einem Aufstand getrieben, sollten die Marxisten dann eine reaktionäre Regierung empfehlen? Wir greifen zu dieser Hypothese, um zu zeigen, dass es keine Regierungsform gibt, die im allgemeinen besser oder schlechter für das Proletariat ist. Diese Attribute existieren nur für den Kapitalismus und sind abhängig von der jeweiligen Situation. Im Gegenteil, die Arbeiterklasse hat die absolute Pflicht, den Kapitalismus zu bekämpfen, welche konkrete Form er auch annehmen mag: eine faschistische, demokratische oder sozialdemokratische.

Die erste wesentliche Überlegung in der heutigen Situation besteht darin zu sagen, dass sich die Machtfrage nicht unmittelbar für die Arbeiterklasse stellt und dass einer der schrecklichsten Ausdrücke dieser Situation die Entfesselung der faschistischen Gewalt und die Bewegung der Demokratie hin zu Notstandsregierungen ist. Daraus folgt, dass wir die Grundlage bestimmen müssen, auf der sich die Arbeiterklasse umgruppieren kann. Und hier trennt eine wirklich strenge Auffassung die Marxisten von all den Verwirrten und feindlichen Agenten und ihrem Treiben innerhalb der Arbeiterklasse. Für uns ist die Umgruppierung der Arbeiter ein Problem der Quantität: Da es nicht die Machtfrage stellen kann, muss sich das Proletariat in seinen Tageskämpfen um begrenztere, aber immer noch klassenmäßige Ziele scharen. Die anderen, deren Extremismus reiner Bluff ist, verfälschen die Klassensubstanz des Proletariats, indem sie sagen, dass es in jeder Periode um die Macht kämpfen könne. Unfähig, die Frage einer Klassen– d.h. proletarischen Basis zu stellen, verwässern sie sie, indem sie die Frage nach einer antifaschistischen Regierung stellen. Wir möchten noch hinzufügen, dass die Partisanen der Auflösung des Proletariats im antifaschistischen Sumpf natürlich dieselben sind, die die Bildung einer proletarischen Klassenfront zur Erkämpfung eigener ökonomischer Forderungen behindern.

Frankreich hat in den vergangenen Monaten ein Aufblühen von antifaschistischen Programmen, Plänen und Organismen gesehen. Dies hat Doumergue absolut nicht daran gehindert, mit einer massiven Kürzung der Gehälter und Pensionen ein Signal für die Lohnkürzungen zu geben, welche der französische Kapitalismus durchaus auf breiter Ebene einzuführen gedenkt. Wenn nur ein Hundertstel der Energie, die für den Antifaschismus aufgewendet wird, für die Bildung einer soliden Arbeiterfront für einen Generalstreik bei der Verteidigung der unmittelbaren ökonomischen Forderungen aufgeboten worden wäre, dann stünde absolut sicher, dass einerseits die Repressionsdrohung nicht in die Tat umgesetzt worden wäre und andererseits das Proletariat, wenn es erst einmal neu gruppiert ist, sein Selbstvertrauen wiederentdeckt haben würde. Dies würde umgekehrt eine veränderte Situation schaffen, in der die Machtfrage erneut in der einzigen Form, die sie für die Arbeiterklasse annehmen kann – die Diktatur des Proletariats –, gestellt werden kann.

Aus all diesen elementaren Überlegungen folgt, dass die einzige Rechtfertigung für den Antifaschismus die Existenz einer antifaschistischen Klasse wäre: Nur aus dem solch einer Klasse innewohnenden Programm könnte ein antifaschistisches Programm folgen. Wenn wir uns außerstande sehen, solch eine Schlussfolgerung zu ziehen, so nicht nur dank der einfachsten Sätze des Marxismus, sondern auch wegen der Situation in Frankreich im einzelnen. Sofort werden wir mit dem Frage konfrontiert, wo der Antifaschismus rechts aufhört. Bei Doumergue, der angeblich die Republik verteidigt? Bei Herriot, der am “Waffenstillstand” teilhatte, welcher Frankreich vor dem Faschismus bewahrte, bei Marquet, der das “Auge des Sozialismus” in der Nationalen Einheit zu repräsentieren behauptet, bei den Jungtürken der Radikalen Partei oder schon bei den Sozialisten? Oder beim Teufel selbst, der dafür sorgt, dass die Hölle mit Antifaschisten gepflastert ist? Wenn man die Frage konkret stellt, zeigt sich, dass die Parole des Antifaschismus lediglich den Interessen der Konfusion dient und die sichere Niederlage der Arbeiterklasse bedeutet.

Statt sich der langfristigen Änderung der Arbeiterforderungen zu widmen, ist es die vordringliche Pflicht der Kommunisten, die Umgruppierung der Arbeiterklasse um ihre Klassenforderungen und innerhalb ihrer Klassenorganisationen, den Gewerkschaften, zu betreiben (...) Wir berufen uns selbst dabei nicht auf die formelle Idee der Gewerkschaft, sondern auf die grundsätzliche Überlegung, dass – wie wir bereits gesagt haben – es, da sich heute die Machtfrage nicht stellt, notwendig ist, beschränktere Ziele anzustreben, die dennoch Klassenziele für den Kampf gegen den Kapitalismus sind. Und der Antifaschismus schafft die Bedingungen, unter denen nicht nur die politischen und ökonomischen Mindestforderungen der Arbeiterklasse erstickt, sondern die Chancen eines revolutionären Kampfes aufs Spiel gesetzt werden. Und ehe ihre Fähigkeit, eine revolutionäre Schlacht für den Aufbau der Gesellschaft von Morgen zu führen, sich wieder erholt hat, findet sich die Arbeiterklasse bereits selbst als Opfer des imperialistischen Krieges wieder.



[1] [40] Es ist nicht die Absicht dieses Artikels, die Gründe für den Eintritt der FPÖ in die österreichische Regierung im Detail zu analysieren – wir verweisen unsere Leser auf unsere territoriale Presse. Kurz gesagt, hat die gegenwärtige Aufmachung der Regierung den enormen Vorteil, dass die SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) die Gelegenheit erhält, sich nach etlichen Jahrzehnten an der Regierung einer Frischzellenkur in der Opposition zu unterziehen, während gleichzeitig der Einfluss der FPÖ, deren Erfolg größtenteils auf ihrem Image als eine von jedem Kompromiss unbefleckte Partei beruhte, unterminiert wird. Die italienische Bourgeoisie hat bereits gezeigt, wie durch die Wiederverwertung der alten neofaschistischen MSI durch die Berlusconi-Regierung diese Art von Manöver läuft.  

Geographisch: 

  • Europa [30]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [41]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Italienische Linke [35]

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [42]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die "Einheitsfront" [43]

Wirtschaftskrise: 30 Jahre offene Krise des Kapitalismus

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Die 90er Jahre

Der dritte Teil dieser Geschichte der kapitalistischen Krise ist der Dekade der 90er Jahre gewidmet. Dieses Jahrzehnt hat sich noch nicht dem Ende genähert, und allein die letzten 30 Monate gestalteten sich auf ökonomischer Ebene schon als besonders ernst[1] [44].

Das letzte Jahrzehnt erlebte den Kollaps aller Modelle des ökonomischen Managements, die der Kapitalismus als Allheilmittel und Lösung seiner Krise präsentiert hat: 1989 fand die Auflösung des stalinistischen Modells statt, das die Bourgeoisie als ”Kommunismus” darstellte, um so die Lüge vom ”Triumph des Kapitalismus” besser verkaufen zu können. Seitdem kippten, auch wenn etwas diskreter, nacheinander das deutsche, japanische, schwedische und schweizerische Modell, und schließlich brachen die ”Tiger” und ”Drachen” einer nach dem anderen zusammen. Diese Kette von Fehlschlägen demonstriert, dass der Kapitalismus keine Lösung für seine historische Krise besitzt und dass all die Jahre des Schwindels und der Manipulationen der ökonomischen Gesetze die Lage nur noch schlimmer gemacht haben.  

Der Zusammenbruch des Ostblocks und die Weltrezession von 1991-93

Der Untergang der Länder des alten russischen Blocks[2] [44] war eine echte Katastrophe: Zwischen 1989 und 1993 fiel die Produktion regelmäßig um 10 bis 30 Prozent. Zwischen 1989 und 1993 verlor Russland 70% seiner produzierenden Industrie! Während sich das Tempo dieses Sturzes mittlerweile etwas verlangsamt hat, bleibt die Leistungsbilanz dennoch verheerend: In Ländern wie Bulgarien, Rumänien und Russland sind die Zahlen negativ, nur in Polen, Ungarn und Tschechien sind sie positiv.

Der Kollaps der Wirtschaft dieser Länder, die mehr als ein Sechstel der Erdoberfläche bedecken, ist – zumindest in ”Friedenszeiten” - der schlimmste im 20. Jahrhundert gewesen. Hinzugefügt werden sollte die Liste der Opfer der 80er Jahre: die Mehrheit der afrikanischen Länder und eine reichliche Anzahl von asiatischen, karibischen, mittel- und südamerikanischen Ländern. Die Fundamente der kapitalistischen Reproduktion erlitten eine neue und schwer wiegende Zerrüttung. Jedoch war der Zusammenbruch des ehemaligen Ostblocks kein isoliertes Ereignis; er war nur der Vorbote neuer Verwerfungen der Weltwirtschaft: Nach fünf Jahren der Stagnation und Finanzkrisen (s. unseren vorherigen Artikel) wurden Ende 1990 die Hauptindustrieländer von der Rezession erfasst:

- Den Vereinigten Staaten ereilte zwischen 1989 und 1990 eine Verlangsamung des Wachstums (von 2 auf 0,5%), dessen Rate 1991 negativ wurde (-0,8%).

- Großbritannien wurde von der seit 1945 schlimmsten Rezession heimgesucht, die bis 1993 anhielt.

- In Schweden erwies sich die Rezession als heftigste in der Nachkriegszeit und führte zu einer Situation der Semi-Stagnation (das famose ”Schwedische Modell” verschwand aus den Textbüchern).

- Zwar verzögerte sich die Rezession in Deutschland und in anderen Ländern Westeuropas, doch Mitte 1992 explodierte sie auch dort und dauerte bis 1993/94. 1993 sank die Industrieproduktion Deutschlands um 8,3%; in den Ländern der EU schrumpfte sie um insgesamt ein Prozent.

- Japan stürzte ab 1990 in den Zustand einer sich allmählich entfaltenden Rezession: Das durchschnittliche Wachstum betrug während der Periode von 1990-97 erbärmliche 1,2%, und dies trotz der Tatsache, dass die Regierung elf Förderungsprogramme aufgelegt hatte!

- Die Arbeitslosigkeit erreichte neue Rekorde. Dies wird anhand einiger Zahlen deutlich genug:

- 1991 wurden in den 24 Ländern der OECD sechs Millionen Arbeitsplätze vernichtet.

- Zwischen 1991 und 1993 wurden in den zwölf Ländern der Europäischen Union 8 Millionen Arbeitsplätze abgebaut.

- 1992 erreichte die Arbeitslosigkeit in Deutschland Ausmaße, wie sie seit den 30er Jahre nicht mehr erblickt worden waren, und stieg, weit entfernt davon zu fallen, seitdem weiter an, um 1994 die 4-Millionen- und 1995 die 5-Millionen-Grenze zu überschreiten.

Betrachtet man nur den Fall der Produktionszahlen, so scheint die Rezession von 1991-93 etwas milder ausgefallen zu sein wie jene von 1974-75 oder 1980-82, doch es gibt eine Reihe von Elementen, die das Gegenteil beweisen:

- Anders als die früheren Rezessionen wurde kein Bereich von der Krise ausgespart.

- Die Rezession traf die Rüstungs- und Computersektoren, die bis dahin nicht betroffen waren, besonders hart. 1991 entließ IBM 20.000 Arbeiter (1993 waren es bereits 80.000), NCR entließ 18.000, Digital Equipment 10.000, Wang 8.000 etc. 1993 plante die modernisierte und mächtige deutsche Autoindustrie 100.000 Entlassungen

- Dies verlieh Phänomenen Vorschub, die in früheren Rezessionen nicht beobachtet wurden. Letztere waren entstanden, weil die mit der Gefahr der Inflation konfrontierten Regierungen die Kreditquellen schlossen. Ganz im Gegensatz dazu versuchten sie in der Rezession von 1991-93, die Wirtschaft mit beträchtlichen Kreditspritzen zu stimulieren- und scheiterten. ”Anders als in den Rezessionen von 1967, 1970, 1974-75, 1980-82 bewirkt der Anstieg im Geldvolumen, das direkt vom Staat geschaffen wird (Banknoten und Geldmünzen, die von den Zentralbanken herausgegeben werden) keinen Anstieg mehr im Volumen der Bankkredite. Die amerikanische Regierung hat das Gaspedal durchgedrückt, doch die Banken haben nicht reagiert.” (International Review, Nr. 70, ”Eine Rezession anders als ihre Vorgänger”) So senkte die Federal Reserve der Vereinigten Staaten zwischen 1989 und 1992 die Zinsraten 22 Mal, von 10 auf 3% (ein Niveau, das niedriger ist als die Inflationsrate, was bedeutet, dass das Geld, das den Banken geliehen wurde, praktisch zinslos war), doch die Wirtschaft zu stimulieren bewirkte dies nicht. Es handelt sich hierbei um, wie die Experten es nennen, die ”Schuldenfalle”.

-Dies verursachte einen größeren Ausbruch der Inflation. Die Zahlen für 1989-90 betragen:

USA                           06,0%

Großbritannien          10,4%

EG                                  06,1%

Brasilien                    1800%

Bulgarien                       70%

Polen                                 50%

Ungarn                           40%

UdSSR                          34%

In der Rezession von 1991-93 drohte die Rückkehr jener gefürchteten Kombination, die den bürgerlichen Regierungen in 70er Jahren so viel Sorgen bereitet hatten: Rezession und Inflation bzw. ”Stagflation”. Es zeigt ganz allgemein, dass das ”Krisenmanagement”, das wir im ersten Artikel dieser Reihe analysiert hatten, die kapitalistischen Gebrechen weder überwinden noch lindern kann, sondern nichts anderes tun kann, als sie aufzuschieben, mit der Folge, dass jede neue Rezession um so schlimmer wird. So offenbarte die Rezession von 1991-93 drei qualitativ äußerst wichtige Fakten:

- die steigende Unfähigkeit, die Produktion mit Krediten anzukurbeln;

- die immer größere Gefahr einer Kombination zwischen der Stagnation der Produktion auf der einen und der Explosion der Inflation auf der anderen Seite;

- die Tatsache, dass die shooting stars der Wirtschaft (Computer, Telekommunikation, Rüstung), die bis dahin von der Krise verschont geblieben waren, nun ebenfalls betroffen waren.

Eine Wirtschaftsaufschwung ohne Arbeitsplätze

Nach einigen schüchternen Ansätzen 1993 erlebte im darauffolgenden Jahr die Wirtschaft der Vereinigten Staaten, begleitet von Großbritannien und Kanada, ein steigendes Wachstum, das allerdings nie mehr als 5% betrug. Angesichts dessen vermeinte der Bourgeoisie, bereits Hurra zu schreien und mit Sprüchen über ”Jahre des ununterbrochenen Wachstums” die Wirtschaftsaufschwung in alle vier Himmelsrichtungen hinauszuposaunen.

- Diese ”Aufschwung” gründete sich auf ein massives Wachstum der Verschuldung der USA und der Weltwirtschaft als Ganzes:

...- Zwischen 1987 und 1997 wuchs die Gesamtverschuldung der USA um 628 Millionen Dollar pro Tag. Grundlage dieser Verschuldung war einerseits die Ableitung enormer Dollarmassen in die ganze Welt[3] [44] und andererseits die unkontrollierte Stimulation des Konsums der Privathaushalte, die das private Sparvermögen derart schrumpfen ließ, dass 1996 der Wert der Sparguthaben das erste Mal seit 53 Jahren wieder negativ war.

...- China und die sogenannten asiatischen ”Tiger” und ”Drachen” bezogen beträchtliches Kapital aus der Parität zwischen ihren Währungen und dem Dollar (eine große Gelegenheit für ausländische Investoren), mit dem sie ihr schnelles, aber illusorisches Wachstum ölten.

...- Eine Reihe wichtiger lateinamerikanischer Länder (Brasilien, Chile, Argentinien, Venezuela und Mexiko) bildete das Zentrum enormer spekulativer Anleihen, für die mit hohen, kurzfristigen Zinsraten bezahlt wurden.

- Die spektakuläre Steigerung der Arbeitsproduktivität erlaubte eine Senkung der Arbeitskosten und machte amerikanische Waren konkurrenzfähiger.

- Die aggressive Handelspolitik von Seiten des amerikanischen Kapitals stand auf folgenden Säulen:

...- auf dem Zwang gegenüber seinen Rivalen, ihre Zölle und andere protektionistische Maßnahmen abzubauen;

...- auf der Dollarmanipulation, die es erlaubte, seinen Kurs zu senken, wenn die Stimulation des Exports vorrangig war, und ihn anzuheben, wenn es darum ging, Kapital anzulocken;

...- auf der Ausnutzung sämtlicher Instrumente, die die USA als imperialistische Hauptmacht besitzen (militärisch, diplomatisch, ökonomisch), um ihre Position auf dem Weltmarkt zu verbessern.

Die europäischen Länder folgten dem Weg der USA und kamen ab 1995 ebenfalls in den Genuss eines ”Wachstums”, wenn auch auf viel niedrigerem Niveau (die Zahlen schwankten zwischen 1% und 3%).

Das auffälligste Kennzeichen dieser neuen ”Aufschwung” besteht darin, dass es eine Aufschwung ohne Arbeitsplätze war, was eine neue Entwicklung, verglichen mit den früheren, einleitete. So:

- hörte die Arbeitslosigkeit in den OECD-Ländern zwischen 1993 und 1996 nicht auf zu wachsen;

- vernichteten Großunternehmen Arbeitsplätze, statt neue zu schaffen: Laut Berechnungen kürzten die ”Fortune 500”-Unternehmen zwischen 1993 und 1996 500.000 Stellen;

- sank zum ersten Mal seit 1945 die Zahl der öffentlichen Angestellten. Die amerikanische Bundesadministration strich zwischen 1994 und 1996 118.000 Arbeitsplätze;

- wurde das Wachstum der Unternehmensprofite, anders als in früheren Aufschwungphasen, nicht von einer Steigerung der Beschäftigungsquote begleitet – ganz im Gegenteil.

Die neuen Jobs, die geschaffen wurden, waren schlecht bezahlt und Teilzeitarbeit.

Diese Aufschwung, die die Arbeitslosigkeit noch steigerte, ist ein beredtes Zeugnis für das große Ausmaß, das die historische Krise des Kapitalismus erreicht hat, wie wir in der International Review, Nr. 80 betont hatten: ”Wenn die kapitalistische Wirtschaft gesund ist, ist die Steigerung oder Aufrechterhaltung der Profite das Ergebnis einer Steigerung der Zahl ausgebeuteter Arbeiter und der Fähigkeit, größere Mengen an Mehrwert aus ihnen herauszupressen. Leidet sie aber an einer chronischen Krankheit, verhindert trotz der Intensivierung der Ausbeutung und Produktivität der Mangel an Märkten eine Aufrechterhaltung ihrer Profite, ohne die Zahl der ausgebeuteten Arbeiter zu reduzieren, ohne den Kapitalismus zu zerstören.”

Wie bei der offenen Rezession von 1991-93 ist die Aufschwung von 1994-97, entsprechend ihrer Zerbrechlichkeit und gewaltigen Widersprüche, ein neuer Ausdruck der Vertiefung der kapitalistischen Krise; aber sie unterscheidet sich von den früheren darin, dass:

- viel weniger Länder einbezogen sind;

- die USA nicht mehr die Rolle der Weltwirtschaftslokomotive spielen, indem sie ihren ”Partnern" den nötigen Schub verleihen; vielmehr wurde diese Aufschwung auf Kosten anderer, besonders Deutschlands und Japans, erreicht;

- die Arbeitslosigkeit weiterhin wächst; im günstigsten Fall kann man sagen, dass sie etwas langsamer wächst;

- die Aufschwung begleitet wurde von Erschütterungen an den Finanzmärkten und Börsen, unter anderem:

...- der Zusammenbruch der mexikanischen Wirtschaft (1994);

...- die Verwerfungen des europäischen Währungssystems (1995);

...- der Bankrott der Barings-Bank (1996).

Wir können die Schlussfolgerung ziehen, dass im Werdegang der kapitalistischen Krise in den letzten 30 Jahren jede neue Aufschwungphase schwächer als die vorherige und trotzdem stärker als die folgende ist, während jede neue Rezession schlimmer als die letzte, aber nicht so schlimm wie die kommende ist.

Die sogenannte ”Globalisierung”

In den 90er Jahren waren wir Zeuge der überschäumenden Ideologie der ”Globalisierung”. Demzufolge würde eine Ausdehnung der Marktgesetze, der strikten staatlichen Ausgabendisziplin, der Flexibilität der Arbeit und der unbegrenzten Zirkulation von Kapital auf den gesamten Globus die ”endgültige” Überwindung der Krise möglich machen (natürlich in Kombination mit einer ganzen Ladung niederdrückender Opfer auf dem Rücken des Proletariats). Wie alle ihr vorausgehenden ”Modelle” ist auch diese neue Alchimie ein Versuch der wichtigsten kapitalistischen Staaten, mit der Krise Schritt zu halten, um ihr Tempo zu drosseln. Er wird getragen wird von drei Hauptelementen:

- von einer gewaltigen Steigerung der Produktivität,

- von einer Verminderung der Handelsbarrieren und anderer Restriktionen des Weltmarktes;

- von einer spektakulären Entwicklung der finanziellen Transaktionen.

Der Anstieg in der Produktivität

Während der 90er Jahre erlebten die meisten Hauptindustrieländer einen beträchtlichen Anstieg in der Produktivität. Bei diesem Wachstum müssen wir unterscheiden zwischen der Kostenreduzierung einerseits und dem Wachstum der organischen Zusammensetzung des Kapitals (Verhältnis zwischen konstantem und variablem Kapital) andererseits.

Viele Faktoren trugen zur Kostenreduzierung bei:

- ein immenser Druck auf die Lohnkosten: Verminderung des Nominallohns und wachsende Kürzungen jenes Lohnanteils, der in den Sozialausgaben materialisiert wird;

- ein Schwindel erregender Fall der Rohstoffpreise;

- die organisierte und systematische Eliminierung unproduktiver Bereiche des Produktionsapparates – im privaten wie im öffentlichen Sektor – durch mannigfaltige Mechanismen: auf die ganz simple Tour, durch Betriebsschließungen nämlich, durch Privatisierung von Staatseigentum, Fusionen, Kauf und Übereignung von Aktien.

- die sogenannte ”Ausgliederung”, mit anderen Worten: der Transfer wenig rentabler Wertproduktion in die Dritte Welt mit ihren niedrigen Arbeitskosten und lächerlich geringen Preisen (die häufig auf Dumping zurückzuführen sind), was den zentralen Länder erlaubt, ihre Kosten zu vermindern.

Das allgegenwärtige Resultat war eine universelle Reduzierung der Arbeitskosten (und ein krasses Wachstum sowohl des absoluten als auch des relativen Mehrwerts).

Stand der jährlichen Schwankungen in den Kosten pro Arbeitseinheit (Quelle: OECD)

                                    1985-96       1996            1997            1998

Australien                       3,8                    2,8        1,7        2,8

Deutschland                   0,0                  -0,4     -1,5     -1,0

Frankreich                      1,5                     0,9       0,8         0,4

Großbritannien          4,6                     2,5       3,4         2,8

Italien                          4,1                     3,8       2,5         0,8

Japan                         0,5                  -2,9       1,9         0,5

Kanada                           3,1                     3,8       2,5         0,8

Schweden                      4,4                     4,0       0,5         1,7

Schweiz                          3,5                     1,3     -0,4       -0,7

Spanien                          4,2                     2,6       2,7         2,0

Südkorea                        7,0                     4,3       3,8        -4,3

Vereinigte Staaten  3,1                  2,0       2,3         2,0

Was den Anstieg in der Zusammensetzung des Kapitals angeht, so ist dies nichts Neues in der Periode der kapitalistischen Dekadenz, da dies unerlässlich ist, um den Fall der Profitrate auszugleichen. Die systematische Einführung von Robotern, der Informationstechnologie und der Telekommunikation verlieh diesem Prozess weiteren Auftrieb.

Dieser Anstieg in der organischen Zusammensetzung verleiht diesem oder jenem Einzelkapital, dieser oder jener Nation einen gewissen Vorteil gegenüber den Konkurrenten, doch was bedeutet dies vom Standpunkt des gesamten Weltkapitals aus? In der aufsteigenden Periode, als das System fähig war, immer größere Arbeitermassen in seine Ausbeutungsverhältnisse einzuverleiben, bildete das Wachstum der organischen Zusammensetzung einen beschleunigenden Faktor in der kapitalistischen Expansion. Unter den gegenwärtigen Umständen der Dekadenz und einer 30-jährigen, chronischen Krise ist die Wirkung dieses Anstiegs in der organischen Zusammensetzung eine völlig andere. Auch wenn er lebenswichtig ist für jedes Einzelkapital, um die Tendenz zum Fall der Profitrate auszugleichen, hat er für das Gesamtkapital insofern eine andere Wirkung, als er die Überproduktion verschärft und durch die Verminderung des variablen Kapitals, d.h. durch die Entlassung immer größerer Arbeitermassen auf die Straße, der eigentlichen Ausbeutungsgrundlage den Boden entzieht.

Die Reduzierung der Handelsbarrieren

Die bürgerliche Propaganda hat das Verschwinden von Handelsbarrieren im letzten Jahrzehnt als ”Triumph des Marktes” bezeichnet. Wir wollen dies hier nicht detaillierter analysieren[4] [44], doch ist es notwendig, die Wahrheit zu enthüllen, die sich hinter diesen ideologischen Nebelkerzen verbirgt:

- Die Abschaffung von Handelszöllen und anderer protektionistischer Maßnahmen fand im Wesentlichen nur einseitig statt: Sie wurde von den schwächsten Ländern zum Nutzen der stärksten ausgeführt und betraf vor allem Brasilien, Russland, Indien etc. Weit davon entfernt, ihre eigenen Handelsbarrieren zu reduzieren, haben die Hauptindustrieländer neue geschaffen, indem sie das Alibi des Umweltschutzes, der ”Menschenrechte” u.ä. benutzen. Im Gegensatz zu ihrer Darstellung in der bürgerlichen Ideologie hat diese Politik die imperialistischen Spannungen noch verschärft.

- Angesichts der Verschlimmerung der Krise haben die Hauptindustrieländer die Politik der ”Kooperation” durchgesetzt, deren Inhalt sich darauf konzentriert:

...- die Auswirkungen der Krise und der verschärften Konkurrenz auf die schwächsten Länder abzuwälzen;

...- mit allen Mitteln einen Zusammenbruch des Welthandels zu verhindern, was nichts anderes bewirkt als eine weitere Verschärfung der Krise mit besonders schwerwiegenden Konsequenzen für die zentralen Länder.

Die Globalisierung der Finanztransaktionen

Während der 90er Jahre fand eine neue Schuldeneskalation statt. Quantität verwandelte sich in Qualität, die Verschuldung mutierte zur Überverschuldung:

- In den 70er Jahren konnten die Schulden reduziert werden, indem man das Risiko einging, eine Rezession zu provozieren; seit Mitte der 80er Jahre ist die Verschuldung zur dauernden und wachsenden Notwendigkeit für jeden Staat während des Aufschwungs wie auch in der Rezession geworden: ”Die Verschuldung ist keine Option, keine Wirtschaftspolitik, für die sich die Weltführer entscheiden oder nicht. Sie ist ein Zwang, eine Notwendigkeit, die ihnen durch die Funktionsweise und die Widersprüche des kapitalistischen Systems aufgezwungen wird.” (International Review, Nr. 87, ”The casino economy”)

- Einerseits benötigen Staaten, Banken und das Business einen Zustrom von frischem Kapital, was nur durch die Finanzmärkte ermöglicht werden kann. Dies führt zu einem rasenden Wettbewerb um Geldanleihen. Allein für diesen Zweck wurden in wachsendem Maße sorgfältig ausgeheckte Tricks genutzt: die Etablierung einer erzwungenen Parität zwischen den lokalen Währungen und dem Dollar (dieser Trick wurde von China und den berühmten ”Tigern” und ”Drachen” benutzt), die Neubewertung von Währungen, um Kapital an sich zu binden, wachsende Zinsraten etc.

- Andererseits ”findet der Profit aus der Produktion nicht mehr genügend Anlagemöglichkeiten in rentablen Investitionen, um die Produktionskapazitäten zu steigern. ‚Krisenmanagements bedeutet also, andere Anlagemöglichkeiten für dieses Übermaß an flüssigem Kapital zu finden, um seine abrupte Entwertung zu vermeiden” (ebenda). Es sind die Staaten und die angesehensten Finanzinstitutionen selbst, die die frenetische Spekulation stimulierten, nicht nur, um das Platzen dieser gigantischen Blase von fiktivem Kapital zu vermeiden, sondern auch, um die Kosten der stetig wachsenden Verschuldung zu vermindern.

Die Überverschuldung sowie die überbordende und irrationale Spekulation, die von Ersterer verursacht wurde, führten zur berühmten ”grenzenlosen Bewegungsfreiheit” des Kapitals, zum Gebrauch der Elektronik und des Internet bei Finanztransaktionen, zur Koppelung der Währungen an den Dollar, zur ungehinderten Rückführung der Profite in die Heimat. Das komplizierte Finanzmanagement der 80er Jahre (s. die vorhergehenden Artikel) nimmt sich gegen die raffinierten und verschlungenen Tricks der finanziellen ”Globalisierung” in den 90er Jahren wie ein Kinderspiel aus. Bis in die Mitte der 80er Jahre hinein war die Spekulation, die schon immer im Kapitalismus existiert hatte, ein mehr oder weniger temporäres Phänomen. Seither hat sie sich in ein tödliches, aber unerlässliches Gift verwandelt, das untrennbar mit dem Prozess der Überverschuldung verbunden und notgedrungen Bestandteil der Funktionsweise des Systems geworden ist. Das Gewicht der Spekulation ist beträchtlich: Gemäß den Zahlen der Weltbank ist das sogenannte ”Risikokapital” auf 30 Milliarden Dollar angewachsen, von denen 24 Milliarden aus den Industrieländern kommen.

Eine vorläufige Bilanz der 90er Jahre

Wir möchten hier einige vorläufige Schlussfolgerungen aus der Periode 1990-96 (vor der Explosion, die als ”asiatische Krise” bezeichnet wurde) anbieten, die uns wichtig erscheinen.

Die Entwicklung der Wirtschaftslage

1. Die durchschnittlichen Wachstumsraten sind weiter gefallen: Steigerungsraten in BSP (Durchschnitt der 24 OECD-Länder)

            1960-70       5,6%

            1970-80       4,1%

            1980-90       3,4%

            1990-95       2,4%

 

2. Die Amputation der produzierenden Industrie- und Landwirtschaftssektoren setzt sich fort und betrifft alle Bereiche, die ”veralteten” wie auch die ”Vorreiter”.

Entwicklung des BSP-Anteils des direkt produzierenden Gewerbes (in %) (Industrie und Landwirtschaft)

1975            1985            1996

Vereinigte Staaten            36,2            32,7            27,8

China                         74,8            73,5            68,5

Indien                         64,2            61,1            59,2

Japan                         47,9            44,2            40,3

Deutschland              52,2            47,6            40,8

Brasilien                    52,3            56,8            51,2

Kanada                      40,7            38,1            34,3

Frankreich                 40,2            34,4            28,1

Großbritannien          43,7            43,2            33,6

Italien                          48,6            40,7            33,9

Belgien                      39,9            33,6            32,0

Israel                          40,1            33,1            31,3

Südkorea                   57,5            53,5            49,8

3. Im Kampf gegen den unvermeidlichen Fall der Profitrate sucht das Business Zuflucht bei einer ganzen Reihe von Maßnahmen, welche den Fall kurzfristig verzögern sollen, aber mittelfristig das Problem nur noch weiter verschärfen werden:

- die Reduzierung der Arbeitskosten und die Steigerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals;

- Dekapitalisierung: der massive Transfer von Vermögenswerten (Fabriken, Eigentum, finanzielle Investitionen), um die Profite aufzublähen;

- Konzentration: Betriebsfusionen haben ein spektakuläres Wachstum erlebt.

Der Wert von Fusionen in Milliarden Dollar (Quelle: ”JP Morgan”)

                        Europäische Union             Vereinigte Staaten

1990               260                                         240

1992               214                                         220

1994               234                                         325

1996               330                                         628

1997               558                                         910

1998               670                                         1500

Während der gigantische Prozess der Kapitalkonzentration zwischen 1850 und 1910 die Entwicklung der Produktion widerspiegelte und positiv für die Entfaltung der Wirtschaft war, drückt der gegenwärtige Prozess das Gegenteil aus. Es handelt sich hier um eine defensive Antwort, die darauf ausgerichtet ist, den starken Widerspruch zwischen Angebot und Nachfrage dadurch auszugleichen, indem sie die Verringerung der Produktionskapazitäten organisiert (1998 kürzten die Industrieländer ihre Produktionskapazitäten um 10%) und die Arbeitskräfte reduziert: Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass infolge der getätigten Fusionen 1998 die Zahl der Arbeitsplätze insgesamt um 11% reduziert wurde.

4. Die Fundamente des Weltmarktes wurden ein weiteres Mal reduziert: Große Teile Afrikas, eine gewisse Anzahl asiatischer und lateinamerikanischer Länder beteiligten sich nur noch schwach am Weltmarkt, da sie sich in einer Lage des Zerfalls befinden. Sie sind bekannt geworden als ”schwarze Löcher”: ein Zustand des Chaos‘, die Wiederauferstehung von Formen der Sklaverei, eine Wirtschaft, die auf Tauschhandel und Ausplünderung basiert.

5. Die bisher als ”Modelle” gepriesenen Länder sind in eine ausgedehnte Stagnation gestürzt. Dies ist der Fall in Deutschland, der Schweiz, in Japan und Schweden, wo:

- die durchschnittliche Wachstumsrate der Produktion in der Periode von 1990 bis 1997 zwei Prozent nicht überschritt;

- die Arbeitslosigkeit beträchtlich wuchs: zwischen 1990 und 1997 verdoppelte sie sich praktisch (zum Beispiel betrug in der Schweiz die Arbeitslosigkeitsrate zwischen 1970 und 1990 noch 1%; 1997 war sie auf 5,2% gestiegen);

- alle vier Länder von Gläubigern zu Schuldnern wurden (die Schweizer Haushalte sind die nach den USA und Japan am höchsten verschuldeten in der Welt);

- Besonders prekär ist die Situation der Schweizer Wirtschaft, die bis vor kurzem noch als die gesündeste in der Welt galt:

Wachstum des Schweizer BSP

            1992            0,3%

            1993            0,8%

            1994            0,5%

            1995            0,8%

            1996            0,2%

            1997            0,7%

 

6. Die Verschuldung setzt ihr unaufhaltsames Wachstum fort und verwandelt sich in eine Überverschuldung:

- Die globale Verschuldung stieg auf die astronomische Zahl von 30 Billarden Dollar (anderthalb Jahre der Weltproduktion).

- Japan, Deutschland und die anderen westeuropäischen Länder nahmen die oberen Ränge der Höchstverschuldeten ein (ein Jahrzehnt zuvor waren ihre Schulden noch weitaus moderater):

Der prozentuale Anteil der Schulden am Bruttosozialprodukt (Quelle: Weltbank)

1975 1985 1996

Vereinigte Staaten                                  48,9            64,2

Japan                                     45,6            67,0            87,4

Deutschland                          24,8            42,5            60,7

Kanada                                  43,7            64,1            100,5

Frankreich                             20,5            31,0            56,2

Großbritannien                      62,7            53,8            54,5

Italien                                      57,5            82,3            123,7

Spanien                                 12,7            43,7            130,0

- Die Länder der Dritten Welt litten an einer neuen Überdosis Schulden:

Die Gesamtschulden der ”unterentwickelten Länder” (Quelle:  Weltbank)

            1990            1.480.000 Millionen $

            1994            1.927.000 Millionen $

            1996            2.177.000 Millionen $

7. Die Finanzplätze erlebten die schlimmsten Erschütterungen seit 1929 und hörten auf, ein sicherer Ort  zu sein, wie das bis Mitte der 80er Jahre noch der Fall war. Ihre Aushöhlung wird von einer gigantischen Entwicklung der Spekulation begleitet, die alle Aktivitäten betrifft: Aktien in den Börsen, Eigentum, Kunst, Landwirtschaft, etc.

8. Zwei Phänomene, die stets im Kapitalismus existiert hatten, haben in diesem Jahrzehnt alarmierende Ausmaße angenommen:

- die Korruption von Politikern und Wirtschaftsmanagern, die ein Produkt zweier miteinander verbundener Faktoren ist:

...- des immer überwältigenderen Gewichts des Staates in der Wirtschaft (Geschäfte sind in wachsendem Maße abhängig von staatlichen Investitionsplänen, von Subventionen, öffentlichen Aufträgen);

...- der wachsenden Schwierigkeit, mit ”legalen” Mitteln ausreichenden Profit zu erzielen.

- die Kriminalisierung der Wirtschaft, die immer stärkere wechselseitige Durchdringung von Staaten, Banken, Business und Drogen-, Waffen-, Kinder- und Menschenhändlern. Die dubiosesten Geschäfte sind zumeist die profitabelsten, und die ”seriösesten” Institutionen öffentlicher und privater Natur können nicht anders, um ihren Appetit zu stillen. Nichts veranschaulicht deutlicher die Tendenz zum wirtschaftlichen Zerfall.

9. Im Gefolge der o. g. Erscheinungen hat sich auch ein Phänomen in den Industrieländern breit gemacht, das bis dahin für die Bananenrepubliken und stalinistischen Regimes reserviert war – das Phänomen immer unverfrorener Verfälschungen von Wirtschaftsindikatoren und der ”kreativen Buchführung” in allen Variationen. Dies ist ein weiterer Ausdruck der Verschlimmerung der Krise, da es für die Bourgeoisie stets notwendig war, über zuverlässige Statistiken zu verfügen (besonders in den Ländern des ”westlichen” Staatskapitalismus, wo der Markt benötigt wird, um zu einem unbestechlichen Urteil über die Funktionsweise der Wirtschaft zu gelangen).

Die Weltbank, Quelle vieler Statistiken, führt als einen Teil des BSP den Begriff der ”nicht handelsfähigen Dienstleistungen” auf, der die Zahlungen für das Militär, die Staatsbediensteten und Lehrer umfasst. Eine andere Methode, die Zahlen aufzublähen, besteht darin, nicht nur die landwirtschaftlichen Tätigkeiten, sondern auch eine ganze Reihe von Dienstleistungen als ”Eigenkonsum” zu berücksichtigen. Der viel gerühmte ”Haushaltsüberschuss” des amerikanischen Staates ist eine Fiktion, die aufrechterhalten wird, indem man mit den Überschüssen der Sozialversicherungen spielt[5] [44].  Doch werden, gemessen an ihrer großen sozialen und politischen Bedeutung, die skandalösesten Tricks mit den Arbeitslosenstatistiken angestellt, die beträchtlich nach unten ”korrigiert” werden:

- In den USA hat unsere Publikation Internationalism die von der Clinton-Administration benutzten Tricks deutlich gemacht, um ihre ”hervorragenden” Arbeitslosenzahlen zu erzielen: indem sie diejenigen, die einer Teilzeitarbeit nachgehen, in ihren Beschäftigtenzahlen voll mit einschließt, indem sie jene Arbeitslose aus ihren Statistiken eliminiert, die sich weigern, irgendeinen McBurger-Job anzunehmen, indem sie die verschiedenen Teilzeitjobs, die von einem Arbeiter ausgeübt werden, so zählt, als würden sie von mehreren Individuen ausgeführt u.s.w.

- In Deutschland werden nur diejenigen als arbeitslos anerkannt, die einen Job von mindestens 18 Arbeitsstunden in der Woche suchen, in den Niederlanden beträgt die Zahl der zu leistenden Wochenarbeitsstunden 12 Stunden und in Luxemburg 20 Wochenstunden[6] [44].

- Österreich und Griechenland haben sich der monatlichen Statistiken entledigt, um auf vierteljährliche überzugehen, mit denen sie die wirklichen Zahlen verschleiern wollen.

- In Italien werden diejenigen, die zwischen 20 und 40 Stunden in der Woche oder nur zwischen vier und sechs Monaten im Jahr arbeiten, nicht als arbeitslos anerkannt. In Großbritannien werden jene Arbeitslosen, die keine staatliche Unterstützung erhalten, aus den Statistiken ausradiert.

Die Lage der Arbeiterklasse

1. Die Arbeitslosigkeit hat sich während dieses Jahrzehnts brutal ausgeweitet:

Arbeitslosigkeit in den 24 Ländern der OECD

            1989            30 Millionen

            1993            35 Millionen

            1996            38 Millionen

 

Arbeitslosigkeit in den Industrieländern in % (Quelle:  IAO)

                        1976            1980            1990            1996

USA                           7,4            7,1            6,4            5,4

Japan                         1,8            2,0            2,1            3,4

Deutschland              3,8            2,9            5,0            12,4

Frankreich                 4,4            6,3            9,1            12,4

Italien  6,6                  7,5            10,6            12,1

Großbritannien          5,6            6,4            7,9            8,2

Die IAO hat erklärt, dass 1996 die weltweite Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung die Schwelle von einer Milliarde erreicht hat.

2. Die chronische Unterbeschäftigung in der Dritten Welt hat sich auf die Industrieländer ausgebreitet:

- 1995 machten die Zeitarbeitsverträge 20% der Arbeitskräfte in den 24 OECD-Ländern aus.

- Der IAO-Bericht von 1996 bemerkte, dass ”zwischen 25% und 30%  der Arbeiter der Welt auf einen Arbeitsplatz, dessen Arbeitstag kürzer ist, als sie es wünschten, oder auf einen Lohn angewiesen sind, der niedriger ist als das notwendige Minimum, um anständig zu leben”.

3. In der Dritten Welt hat eine massive Wiederkehr vergangen geglaubter Ausbeutungsformen stattgefunden, wie Kinderarbeit (nahezu 200 Millionen gemäß den Statistiken der Weltbank von 1996), Sklaverei oder Arbeitszwang – selbst in entwickelten Ländern wie Frankreich wurden Diplomaten verurteilt, weil sie ihr von Madagaskar oder Indonesien mitgebrachtes Hauspersonal wie Sklaven behandelt hatten.

4. Zusammen mit allgemeinen Massenentlassungen (besonders in den Großbetrieben) haben sich die Regierungen der Politik der ”Reduzierung überflüssiger Kosten” verschrieben:

- Einschränkungen der Abfindungen im Falle von Entlassungen;

- Kürzungen der Arbeitslosengelder und einer Reihe anderer Wohlfahrtsgelder.

5. Die Löhne haben zum ersten Mal seit den 30er Jahren eine nominale Senkung erlebt:

- Das Lohnniveau in Spanien war 1997 niedriger als in den 80er Jahren.

- In den USA fiel der Durchschnittslohn zwischen 1974 und 1997 um 20%.

- In Japan fielen die Löhne zum ersten Mal seit 1955 (1998 um 0,9%).

6. Es werden permanent wesentliche Bereiche der Sozialausgaben gekürzt. Dagegen steigen die Steuern, Preise und Sozialversicherungsabgaben ohne Unterlass.

7. Seit Mitte des Jahrzehnts hat das Kapital eine neue Angriffsfront eröffnet: die Eliminierung eines legalen Minimums in den Arbeitsbedingungen. Dies hatte eine Reihe von Konsequenzen zur Folge:

- die Verlängerung des Arbeitstages (insbesondere durch die Demagogie der ”35-Stunden-Woche”, welche eine flexible Berechnung der Arbeitsstunden auf jährlicher Grundlage und daher auch einen Abbau der Überstundenzuschläge voraussetzte);

- die Eliminierung der Grenzen für das Rentenalter;

- die Aufhebung der Grenzen für das Alter des Berufseintritts (zwei Millionen Kinder arbeiten bereits in den Ländern der EU);

- der Abbau des Arbeitsschutzes und des Schutzes vor Berufskrankheiten etc.

8. Ein anderer, unübersehbarer Aspekt besteht darin, dass Banken, Versicherungsgesellschaften u.a. die Arbeiter dazu drängen, ihre kleinen Einkommen (oder ihre Erbschaften von Eltern oder Großeltern) auf das russische Roulett der Börsen zu setzen, um sie so zu den ersten Opfern der ständigen Purzelbäume an den Börsen zu machen. Doch ein noch größeres Problem ist, dass mit den Kürzungen der lächerlichen Sozialversicherungsrenten die Arbeiter in die Abhängigkeit von Rentenfonds gezwungen werden, die die Masse ihrer Beiträge in Börsengeschäfte investieren, welche große Unsicherheiten in sich bergen: Beispielsweise verlor 1997 der wichtigste Rentenfonds der Angestellten im Erziehungswesen der USA 11% seines Wertes (s. ”Internationalism”, Nr. 105)

Die bürgerliche Propaganda hat bis zum Überdruss die Verringerung der Ungleichheiten, die ”Demokratisierung” des Wohlstands und des Konsums propagiert. Dreißig Jahre der sich ausweitenden historischen Krise des Kapitalismus haben diese Proklamationen systematisch der Lüge überführt und die marxistische Analyse bestätigt, wonach die Verschlimmerung der Krise eine eindeutige Tendenz zur wachsenden Verarmung der Arbeiterklasse und der gesamten ausgebeuteten Bevölkerung mit sich bringt. Im Kapitalismus ist die Menschheit in einer immer kleineren Minderheit mit unverschämt großem Reichtum auf der einen Seite und einer wachsenden Mehrheit von Menschen auf der anderen Seite geteilt, die unter fürchterlicher und niederschmetternder Armut leiden. Einige im Jahresbericht der UNO von 1998 zusammengefassten Zahlen sind sehr aufschlussreich: Während es noch 1996 weltweit 358 Superreiche waren, die in ihren Händen dasselbe Geldvermögen wie das der 2,5 Milliarden Ärmsten konzentrierten hatten, besaßen 1997 allein die 225 reichsten Menschen das Äquivalent des Milliardenheeres der Verarmten.

Adalen



[1] [44] Es ist nicht der Zweck dieser Artikelreihe, die neue Stufe der historischen Krise des Kapitalismus zu analysieren, die im August 1997 mit der sog. ”asiatischen Krise” erklommen wurde. Siehe dazu International Review Nr. 92 und andere spezifischere Studien darüber.

[2] [44] Es ist nicht das Ziel dieses Artikels, die Konsequenzen daraus für den Klassenkampf, die imperialistischen Spannungen und für das Überleben der dem stalinistischen Regime unterworfenen Länder zu analysieren. Wir wollen hier auf die Artikel verweisen, die wir in der International Review, besonders in den Nr. 60, 61, 62, 63 und 64, veröffentlicht haben.

[3] [44] Während die amerikanische Produktion 26,7% der Weltproduktion ausmacht, betragen die Dollarmengen 47,5% der Bankdepositen, 64,1% der Weltwährungsreserven und 47,6% der Finanztransaktionen (Zahlen von der Weltbank).

[4] [44] s. International Review, Nr. 86, ”Behind the ‚gobalisation‘ of the economy: the aggravation of the capitalist crisis”;

[5] [44] gemäß einer Analyse, die am 9. November 1998 in der New York Times veröffentlicht wurde;

[6] [44] Diese und die folgenden Zahlen wurden dem Offiziellen Jahrbuch der Europäischen Union (1997) entnommen.

Theoretische Fragen: 

  • Politische Ökonomie [45]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/778/internationale-revue-2000

Links
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