Anhang | Größe |
---|---|
![]() | 241.66 KB |
Die kapitalistische Zivilisation – dieses Weltsystem, das auf Lohnarbeit und Produktion für den Profit basiert – stirbt. Wie zuvor die Sklavengesellschaft Roms oder die feudale Leibeigenschaft ist die kapitalistische Zivilisation dazu verdammt, zu verschwinden. Aber im Gegensatz zu früheren Systemen droht sie, die gesamte Menschheit mit in den Abgrund zu reißen.
Seit über hundert Jahren werden die Symptome ihres Niedergangs immer deutlicher. Zwei Weltkriege mit einem beispiellosen Grad an Zerstörungen, gefolgt von jahrzehntelangen Stellvertreterkonflikten zwischen zwei imperialistischen Blöcken (USA und UdSSR), die immer die Bedrohung durch einen dritten und letzten Weltkrieg enthielten. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 haben wir keinen Frieden mehr erlebt, sondern immer chaotischere lokale und regionale Kriege, wie sie derzeit im Nahen Osten wüten. Wir haben globale wirtschaftliche Erschütterungen erlebt, wie in den 1930er, 1970er Jahren oder 2008, die Millionen in Arbeitslosigkeit und Armut gestürzt haben und die Tendenz zu einem offenen Krieg beschleunigen. Und wenn immer es dem Kapitalismus gelang, die Akkumulation wiederherzustellen – sei es nach massiver Zerstörung, wie nach 1945, oder durch Doping mit Schulden –, wird heute immer offensichtlicher, dass gerade das Wachstum und die Expansion des Kapitals den Planeten durch die Zerstörung der Natur selbst vor eine neue Bedrohung stellt.
Im Jahr 1916 wies Rosa Luxemburg, als Antwort auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs, auf die Wahl hin, vor der Menschheit stand: "entweder Triumph des Imperialismus und Untergang jeglicher Kultur, wie im alten Rom, Entvölkerung, Verödung, Degeneration, ein großer Friedhof. Oder Sieg des Sozialismus, das heißt der bewussten Kampfaktion des internationalen Proletariats gegen den Imperialismus und seine Methode: den Krieg. Dies ist ein Dilemma der Weltgeschichte, ein Entweder-Oder, dessen Waagschalen zitternd schwanken vor dem Entschluss des klassenbewussten Proletariats.“ (Junius-Broschüre: Krise der Sozialdemokratie, Teil [3] I)
Im Gegensatz zur Sklavengesellschaft, die schließlich dem Feudalismus Platz machte, oder zum Feudalismus, der es wiederum dem Kapitalismus ermöglichte, innerhalb des Feudalismus zu wachsen, wird der Kapitalismus in seinem Todeskampf nicht automatisch zu neuen gesellschaftlichen Beziehungen führen. Eine neue Gesellschaft kann nur durch die "bewusste Kampfaktion des internationalen Proletariats" aufgebaut werden – durch das Zusammenkommen aller Ausgebeuteten der Welt, die sich als eine einzige Klasse mit den gleichen Interessen in allen Teilen der Welt erkennen müssen.
Dies ist eine gewaltige Aufgabe, die durch den Verlust des Gefühls der Klassenidentität in den letzten Jahrzehnten noch erschwert wird, so dass es selbst für viele, die das Gefühl haben, dass mit dem gegenwärtigen System etwas völlig falsch läuft, schwierig zu akzeptieren ist, dass die Arbeiterklasse überhaupt existiert, geschweige denn, dass sie die einzigartige Fähigkeit hat, die Welt zu verändern.
Und doch bleibt die proletarische Revolution die einzige Hoffnung für den Planeten, denn sie bedeutet das Ende aller Systeme, in denen die Menschheit von blinden wirtschaftlichen Kräften beherrscht wird; der notwendige Ausgang zur ersten Gesellschaft, in der die gesamte Produktion bewusst geplant wird, um den Bedürfnissen der Menschheit in ihrer Interaktion mit der Natur gerecht zu werden. Sie basiert auf der Möglichkeit und der Notwendigkeit, dass der Mensch das gesellschaftliche Leben in die eigenen Hände nimmt.
Aus diesem Grund müssen wir uns den Parolen und Methoden der Organisatoren der gegenwärtigen Klimaproteste widersetzen, die uns dazu auffordern, unser demokratisches Demonstrations- oder Wahlrecht auszuüben, um Druck auf Regierungen und politische Parteien auszuüben, damit diese auf die ökologische Krise reagieren. Dies ist eine Täuschung, denn die Rolle all dieser Regierungen und Parteien – ob rechts oder links – besteht darin, genau das System zu verwalten und zu verteidigen, das die Ursache für die vielfältigen Gefahren ist, denen der Planet ausgesetzt ist.
Die Entscheidungen, die uns von den Politikern aller Couleur angeboten werden, stellen uns vor eine falsche Wahl. Weder ein Brexit Großbritanniens noch ein Großbritannien, das in der EU bleibt, werden die Arbeiterklasse vor den Stürmen schützen, die sich in der Weltwirtschaft zusammenbrauen. Die USA, ob sie auf der Grundlage von Trumps "America First"-Vandalismus oder der traditionelleren "multilateralen" Ideologien anderer Fraktionen regiert sind, werden immer eine imperialistische Macht sein, die gezwungen ist, ihren Status gegen alle anderen imperialistischen Mächte zu verteidigen. Regierungen, die den Klimawandel leugnen, oder Regierungen, die über Investitionen in einen "Green New Deal" labern, werden weiterhin verpflichtet sein, eine profitable Volkswirtschaft aufrechtzuerhalten und so unaufhörliche Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu führen. Sie werden immer noch dem gleichen Zwang zur Akkumulation unterworfen sein, der die Erde in eine Wüste verwandelt.
Aber es wird behauptet, wir könnten zumindest für eine andere Regierungsmannschaft stimmen, und in Ländern, in denen selbst dieses "Recht" verweigert werde, könnten wir verlangen, dass es uns gewährt werde.
Tatsächlich ist die Illusion, dass wir durch die Abgabe unserer Stimmen alle paar Jahre eine gewisse Kontrolle über den Moloch des Kapitalismus haben können, integraler Bestandteil des gesamten Betrugs der kapitalistischen Demokratie. Die Abstimmung per Wahlen treibt uns nicht nur in die Falle falscher Alternativen, sondern ist selbst Ausdruck unserer Machtlosigkeit, indem sie uns auf atomisierte einzelne "Bürger*innen" dieses oder jenes Staates reduziert.
Der Klassenkampf des Proletariats hat eine echte Alternative zu dieser institutionalisierten Ohnmacht gezeigt. 1917–1919 erhob sich die Arbeiterklasse gegen das Abschlachten im Krieg und bildete Arbeiterräte in Russland, Deutschland, Ungarn und anderen Ländern; Räte von gewählten und abwählbaren Delegierten aus den Betrieben und anderen Versammlungen, die zum ersten Mal das Potenzial für eine bewusste Kontrolle des politischen und sozialen Lebens enthielten. Dieser massive internationale Aufstand beendete den Krieg, da die Herrscher der beiden sich bekriegenden Lager ihre Kräfte vereinen mussten, um die Bedrohung durch die Revolution zu zerschlagen.
Die Menschheit hat für diese Niederlage der Arbeiterklasse einen hohen Preis gezahlt: Die ganze Barbarei der letzten hundert Jahre hat ihre Wurzeln im Scheitern des ersten Versuchs, das Weltkapital zu stürzen. Der Preis dafür wird um so höher werden, wenn die Arbeiterklasse ihre Kräfte nicht wiedererlangt, um einen zweiten Griff nach dem Himmel zu starten.
Das mag als etwas in weiter Ferne Liegendes erscheinen, aber solange es den Kapitalismus gibt, wird es einen Klassenkampf geben. Und weil der Kapitalismus in seiner Agonie keine andere Wahl hat, als die Ausbeutung und Unterdrückung seiner Lohnsklaven zu erhöhen, bleibt das Potenzial für den Widerstand der Lohnsklav*innen erhalten, von der Verteidigung zur Offensive überzugehen, von der wirtschaftlichen zur direkt politischen, von der instinktiven Revolte zum organisierten Sturz des Kapitalismus.
IKS, 16.11.2019
Anhang | Größe |
---|---|
![]() | 241.66 KB |
Im Oktober 2019 veranstaltete Extinction Rebellion eine zweiwöchige Herbstrebellion - die "International Rebellion" - die in 60 Städten weltweit geplant war. In Großbritannien ging es um Demonstrationen, die Besetzung von Straßenkreuzungen, das Besteigen von Zügen, die Errichtung eines Gerüsts am Oxford Circus, Provokation, um verhaftet zu werden, die allgemeine Inszenierung von Stunts, alles um dem entsetzlichen Zustand der Umwelt Aufmerksamkeit zu verschaffen. Auf der "theoretischen Seite" bildet das Pamphlet Common Sense for the 21st Century / Only Nonviolent Rebellion Can Now Stop Climate Breakdown and Social Collapse von Roger Hallam, einem der Führer von Extinction Rebellion, die Grundlage für die Tätigkeit von Extinction Rebellion, und ihre Tätigkeit steht im Einklang mit dem Pamphlet. (Die Zitate haben wir daraus entnommen, sofern nicht anders angegeben.)
Die Reaktionen auf die Aktivität von Extinction Rebellion waren unterschiedlich. In der Presse ist man sich einig, dass sie die Aufmerksamkeit auf wichtige Themen lenken, aber man missbilligt, welche Mittel sie zur Erregung des öffentlichen Interesses einsetzen. Es gibt auch Prominente und Linke, die Extinction Rebellion unkritisch unterstützen. Typischerweise lobt die Socialist Workers Party SWP "Menschen, die Verhaftungen und Medienangriffen mit brillanten, kreativen Reaktionen und Widerstand trotzen". "Extinction Rebellion ist in dieser Woche mit einer Vielzahl von Angriffen konfrontiert worden – von den Medien, der Polizei und den rechten Politikern. Dennoch baut Extinction Rebellion eine Bewegung auf, die es geschafft hat, dem wiederholten Druck des Staates standzuhalten – und dabei Spaß zu haben. Sie erheben die Forderungen nach einer radikalen Transformation der Gesellschaft und schaffen einen Raum, um dafür zu kämpfen." Die radikaleren Trotzkisten von wsws.org spenden ihnen auch weitgehend Lob: "Extinction Rebellion versucht, das öffentliche Bewusstsein für die globale Erwärmung zu schärfen, während sie von den Regierungen der Welt politische Veränderungen fordern (....) Die Arbeiter müssen sich energisch gegen die Massenverhaftungen von Demonstranten wenden, deren einziges Verbrechen darin besteht, einen Ausweg aus der schrecklichen Umweltkatastrophe zu suchen, die die Menschheit bedroht."
Inzwischen gibt es die traditionellen konservativen Reaktionen auf die Proteste, welche Extinction Rebellion-Aktionen als Belästigung, als Aktionen von Hippies und Crusties charakterisieren. Daneben gibt es die "Konträren" von Spiked, die „gegen den Krieg von Extinction Rebellion gegen die Arbeiterklasse" sind. „Diese Öko-Schickeria zeigt jede Menge Abscheu gegenüber den Forderungen der Armen." Als ein Extinction Rebellion-Protestler vom Dach eines U-Bahn-Zuges gezogen und von Pendlern angegriffen wurde, erklärte Spiked, dass „die heutigen Auseinandersetzungen in der U-Bahn zwischen den Pendlern aus der Arbeiterklasse und den über viel Zeit verfügenden bürgerlichen Angstmachern des Extinction Rebellion-Kults ein wunderbares Beispiel für die elitäre Natur der Ökopolitik und die wachsende öffentliche Wut auf die Öko-Agenda sind“.
Für eine ernsthafte Kritik an Extinction Rebellion ist es notwendig, die Werkzeuge des Marxismus zu nutzen, soziale Phänomene im Kontext der kapitalistischen Gesellschaft zu verstehen, im Interessenkonflikt zwischen der herrschenden Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse – einer Klasse die ausgebeutet wird, aber die Fähigkeit hat, den Kapitalismus zu stürzen. Hallams Werk ist nicht nur eine theoretische Grundlage für ihre verschiedenen Protestmittel: Es zeigt auch, auf welcher Seite Extinction Rebellion im Kampf der Klassen steht.
Common Sense widersetzt sich auf den ersten Blick den "Reformisten": „Sie bieten graduelle Lösungen an, die ihrer Meinung nach funktionieren werden. Es ist an der Zeit zuzugeben, dass dies falsch ist, und es ist eine Lüge. Sie lenken damit die öffentliche Meinung und die Aufmerksamkeit und Energie der Öffentlichkeit von der anstehenden Aufgabe ab: radikale kollektive Aktionen gegen das politische Regime, das unseren kollektiven Selbstmord plant“. Und doch ist exakt die gesamte Politik von Extinction Rebellion reformistisch. Alle anderen sozialen Fragen sollen offenbar auf Eis gelegt werden, bis sich der Kapitalismus verpflichtet, die "Klimakrise" anzugehen! Dies wird auch in der Behauptung der Zeitung Guardian bestätigt, dass „die Klimakrise das bestimmende Thema unserer Zeit ist“.
Das zentrale Anliegen von Extinction Rebellion ist die Umwelt und die Möglichkeit, dass der kapitalistische Staat durch Maßnahmen wie Steuern und Zölle und die Stilllegung schädlicher Technologien einen ökologischen Massenmord verhindern kann. In Theorie und Praxis wollen sie die Aufmerksamkeit auf die Ökologie als eigenständiges Thema lenken und vom Kapitalismus als globalem System ablenken, das zu imperialistischen Kriegen und ökologischen Verwüstungen führt. Besonders aufschlussreich ist die Haltung von Extinction Rebellion gegenüber dem Repressionsapparat des Staates. Common Sense sagt: „Ein proaktiver Ansatz gegenüber der Polizei ist ein wirksames Mittel, um im gegenwärtigen Kontext einen massiven zivilen Ungehorsam zu ermöglichen. Das bedeutet, mit der Polizei Kontakt aufzunehmen, sobald sie vor Ort ankommt, und zwei Dinge klar zu sagen: ‚Dies ist eine gewaltfreie friedliche Aktion‘ und ‚wir respektieren es, dass Sie hier Ihre Arbeit tun müssen‘. Wir haben wiederholt Beweise dafür erbracht, dass sich die Polizisten dadurch beruhigen und den Weg für spätere zivile Interaktionen ebnen. Die Aktionen von Extinction Rebellion haben die Polizei bei der Verhaftung und auf den Polizeiwachen stets höflich behandelt". Extinction Rebellion ist stolz darauf, vernünftig und kooperativ zu sein. „Oft ist ein persönliches Treffen mit der Polizei effektiv, da sie verstehen können, dass die Menschen, mit denen sie es zu tun haben, vernünftig und kommunikativ sind“. Extinction Rebellion sieht kein Problem darin, dass die Polizei ihre Veranstaltungen managt: „Es ist besser für die Polizei, einen geordneten und kostengünstigen Auftritt zu bewältigen, der mit unserem Interesse vereinbar ist, so dass eine große Anzahl von Menschen an einem symbolischen und dramatischen Akt teilnimmt." Aus der Sicht der herrschenden Klasse wird Extinction Rebellion nicht als Bedrohung für die Machthaber angesehen, sondern lediglich als gelegentliches Ärgernis für den Verkehr.
Die Führung von Extinction Rebellion sieht die Polizei nicht als Bedrohung, im Gegenteil, sie wird als Instrument gesehen, mit welchem die Popularität von Extinction Rebellion durch zahlreiche Verhaftungen unterstützt wird. Wie andere Kritiker bereits sagten: "Extinction Rebellion-Führer sind mehr als respektvoll gegenüber der Polizei. Sie unterstützen sie aktiv bei der Verhaftung und auch die Gerichte bei der Verurteilung." (https://libcom.org/blog/extinction-rebellion-not-struggle-we-need-pt-1-1... [8]). Dieser Artikel des Kollektivs Out of the Woods berichtet auch, dass "Hallam behauptet, dass die Londoner Metropolitan Police ‚wahrscheinlich eine der zivilisiertesten Kräfte der Welt ist‘“.[1] Entgegen der Ansicht von Extinction Rebellion ist die historische Erfahrung der Ausgebeuteten und Unterdrückten, dass die Polizei zusammen mit den Gerichten, Gefängnissen, Sicherheitsdiensten und der Armee integraler Bestandteil des Repressionsapparates des kapitalistischen Staates sind. Sie existieren, um die Institutionen der herrschenden Klasse im Interesse der ausbeuterischen Bourgeoisie zu verteidigen. Allem, was die kapitalistische Ordnung bedroht, wird durch die Staatsgewalt und insbesondere durch die Polizei entgegengetreten.
Extinction Rebellion behauptet, Fürsprecherin einer Art "Revolution" zu sein, aber sie meinen, dass „ein dogmatisches Streben nach diskreditierten revolutionären Modellen sozial ruinös sein kann". Hallam ist so zuversichtlich, dass die Extinction Rebellion-Vision der Schlüssel sei, und dass wir ohne sie „mit orientierungslosen, ziellosen und spontanen Aufständen zurückgelassen werden (…) von denen Untersuchungen zeigen, dass sie normalerweise zu autoritären Ergebnissen und Bürgerkrieg führen". Common Sense fragt, warum „revolutionäre Episoden in den letzten 30 Jahren kläglich gescheitert sind" und sagt, dass die Antwort in „der grundlegendsten Frage der Politik - Wer entscheidet?- liegt". Es ist nicht ersichtlich was mit diesen letzten "revolutionären Episoden" gemeint ist. Wir könnten uns fragen, welche "revolutionären Episoden" in den letzten 30 Jahren stattgefunden haben. Hallam bezieht sich auf Ägypten und die Ukraine, sowie auf die "Gilets jaunes" in Frankreich. In Wirklichkeit war keine dieser Bewegungen revolutionär: Die Ereignisse auf dem ukrainischen Maidan-Platz im Jahr 2014 waren vollständig von Nationalismus durchdrungen, die "Gilets jaunes" sind eine vom Populismus dominierte interklassistische Bewegung. Die Ereignisse in Ägypten im Jahr 2011 waren anders, weil es einen deutlichen Einfluss des Klassenkampfes gab, aber sie waren noch weit davon entfernt, die Frage nach dem Sturz des kapitalistischen Systems überhaupt zu stellen. Hallam verwendet hier einen bekannten Trick: Das Konzept der Revolution entwerten – womit sie jede Art sozialer Unruhe oder politischem Coup meinen – und verdecken, was Revolution bedeutet und wie sie zustande kommen kann. Für Marxisten ist die einzige revolutionäre Kraft in der kapitalistischen Gesellschaft die Arbeiterklasse, und eine proletarische Revolution ist der einzige Prozess, der den kapitalistischen Staat stürzen kann. Common Sense hat eine komplett andere Sicht auf die Welt.
Zum einen gibt es eine Reihe von verschiedenen Elementen, die das Extinction Rebellion-Konzept der "Rebellion" ausmachen. Hallam stellt den Fall dar, als wäre er Ergebnis einer seriösen wissenschaftlichen Studie: "Historische Untersuchungen zeigen, dass erfolgreiche zivile Widerstandsepisoden drei bis sechs Monate dauern". Oder: "Der effektivste Akt des zivilen Massenungehorsams besteht darin, dass eine beträchtliche Anzahl von Menschen (zunächst mindestens 5000-10`000) den öffentlichen Raum in einer Hauptstadt von mehreren Tagen bis mehreren Wochen besetzen". All dies geht einher mit der Ansicht, dass „1% der Bevölkerung die Störung verursachen wird". Eines der 10 Grundprinzipien von Extinction Rebellion ist die "Mobilisierung von 3,5% der Bevölkerung für einen Systemwandel". Dies ist ein klassisches Beispiel von Elitismus. Auf die Frage "Wer entscheidet“, lautet die Antwort: eine kleine Minderheit, mobilisiert von Extinction Rebellion, die den Staat irgendwie zu Verhandlungen zwingen wird: "Wenn die Behörden die Fähigkeit verlieren, die Massenmobilisierung zu stoppen, ist das Regime gezwungen zu verhandeln".
Die kapitalistische Gesellschaft hat die Menschheit in eine tödliche Sackgasse geführt, und es gibt keinen Ausweg daraus, außer durch eine massive und radikale Mobilisierung der Arbeiterklasse und den gigantischsten Bewusstseinswandel der Menschheitsgeschichte. Mit nur einer kleinen Minderheit bei der Umsetzung zu rechnen, heißt sich lustig zu machen über die enorme Herausforderung für die Arbeiterklasse und die Menschheit.
Extinction Rebellion fühlt sich wohl mit den Institutionen der bürgerlichen Herrschaft. Hallam und einige andere Extinction Rebellion-Aktivisten kandidierten bei den Europa-Wahlen 2019. Natürlich behaupteten sie, keine politische Partei zu sein, aber sie standen gerne an der Seite aller anderen bürgerlichen Politiker, die ihre ideologischen Botschaften feilboten, Propaganda zur Klimafrage betrieben und ihre Waren in die bekannten Regale stellten neben Nationalismus, Populismus, Rassismus, Stalinismus und all die anderen Kampagnen für Veränderungen im Kapitalismus. Zu verschiedenen Zeitpunkten schlägt Common Sense verschiedene Gremien vor, die am "sozialen Wandel" beteiligt sein sollen. So propagieren sie beispielsweise die Idee einer "Nationalen Bürgerversammlung, die nach Zufallsauswahl ausgewählt wird, um das Maßnahmenprogramm zur Bewältigung der Krise auszuarbeiten. Bei der Zufallsauswahl werden die Mitglieder der Versammlung nach dem Zufallsprinzip aus der gesamten Bevölkerung ausgewählt, und durch Stichprobenentnahmen wird sichergestellt, dass sie für die demografische Zusammensetzung des Landes repräsentativ ist". Ähnliches befürwortet auch die konservative Regierung. Briefe wurden an 30`000 Haushalte in ganz Großbritannien verschickt, in denen die Menschen zur Teilnahme an einer Bürgerversammlung zum Thema Klimawandel eingeladen wurden. "Die Eingeladenen zur Climate Assembly UK wurden nach dem Zufallsprinzip aus ganz Großbritannien ausgewählt. Von den Befragten werden 110 Personen als repräsentative Stichprobe der Bevölkerung ausgewählt" (Guardian 02.11.2019). Dies ist keine Grundlage für den "sozialen Wandel", da all dies mit den anderen Institutionen der bürgerlichen Demokratie in komplettem Einklang steht. Solche harmlosen Versammlungen stehen im krassen Gegensatz zu den Versammlungen oder Räten, die von der Arbeiterklasse bei ihren Versuchen, ihre Interessen zu verteidigen, geschaffen wurden und die letztendlich die Fähigkeit haben, den Kapitalismus zu stürzen.
Um verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen zu können, braucht die Arbeiterklasse keine Delegierten, die nach dem Zufallsprinzip aus der breiten Bevölkerung ausgewählt werden, sondern Delegierte, die klare Positionen, eine politische Überzeugung und eine Orientierung haben, wie man die Wurzeln der Mechanismen der kapitalistischen Zerstörung angeht. Wir können unser Schicksal nicht in die Hände einer „Lotterieauswahl“ von Delegierten legen: Wir müssen darauf vertrauen können, dass Delegierte für die Arbeiterräte unsere Interessen wirklich vertreten und verteidigen. Da solche Delegierte nur als Ausdruck einer Klasse in politischer Bewegung handeln können, sind Arbeiterräte ein Instrument der Arbeiterklasse, um ein "Kräfteverhältnis" zu schaffen, bei dem die herrschende Klasse zurückgedrängt und der Boden für ihren Sturz bereitet werden kann.
Zu den weiteren Vorschlägen von Hallam gehören Volksversammlungen, die ökologische Fragen diskutieren. Im Gegensatz zur Selbstorganisation der Arbeiterklasse und zur Diskussion innerhalb einer assoziierten Klasse, werden in Hallams Versammlungen "Experten aus der ganzen Welt helfen können, Moderatoren auszubilden und Tagesordnungen zu erstellen". Hier haben wir Gremien, die von "Experten" geleitet werden, um "Moderatoren" auszubilden und Tagesordnungen festzulegen ohne jede Absicht, die bestehende Ordnung zu gefährden.
Obwohl sich Extinction Rebellion als eine Bewegung des "Volkes" im Allgemeinen versteht, anerkennen sie die Notwendigkeit, mehr Teile der Arbeiterklasse für ihre Kampagnen zu gewinnen. Sie möchten "eine Massenbewegung aufbauen und so die Umweltbewegung aus der bürgerlichen Blase herauszuführen, die sie seit Jahrzehnten bestimmt“. In diesem Zusammenhang stellt Extinction Rebellion fest, dass „die Arbeiterklasse in den Umweltbewegungen des Vereinigten Königreichs fast völlig abwesend ist". Aber das Problem mit Extinction Rebellion ist nicht der Mangel an Vielfalt. Das Problem besteht darin, dass berechtigte Ängste über dem Klimawandel mit einigen spektakulären Aktionen in eine Spielart des Reformismus gelenkt werden.
Während Extinction Rebellion behauptet, die Gesellschaft verändern zu wollen, bleibt in Wirklichkeit ihr gesamtes Projekt innerhalb der Grenzen des Kapitalismus. Sie will den Apparat der kapitalistischen Demokratie nicht umstoßen. "Das Parlament würde bestehen bleiben, aber in beratender Funktion für diese Versammlung von gewöhnlichen Menschen, die zufällig aus dem ganzen Land ausgewählt wurden und über die zentrale Frage unseres heutigen nationalen Lebens beraten werden – wie vermeiden wir das Aussterben?" Sie setzen auch auf Kommunalverwaltungen und NGOs wie Greenpeace und Friends of the Earth. Grundsätzlich wird das Ziel von Extinction Rebellion bezüglich der ökologischen Probleme innerhalb eines Landes und innerhalb des heutigen kapitalistischen Systems als möglich angesehen. Trotz der "Korruption" des politischen Systems könne die "politische Klasse" dazu gebracht werden, zu verhandeln und alles, was der Umwelt schade, rückgängig zu machen.
In Common Sense gibt es viele Ratschläge, wie man sich den Medien nähert, wie man spricht, was man sagt, wie man einen Jargon vermeidet. Implizit erkennt man im ganzen Pamphlet eine Basis von Werten. So wird gesagt, dass "Worte wie Ehre, Pflicht, Tradition, Nation und Vermächtnis bei jeder Gelegenheit verwendet werden sollten." So liest man über die Verwendung von "Martin Luther Kings Reden als Paradebeispiel dafür, wie man den Rahmen des Nationalstolzes zurückgewinnt." Seit ihrer Gründung im April 2018 hat sich Extinction Rebellion von Grossbritannien auf andere Länder wie die USA, Australien, Deutschland und auch andere Teile Europas ausgedehnt. Obwohl international präsent, ist ihre Perspektive an den Nationalstaat, den Rahmen des Kapitalismus, gebunden und hat keine Probleme mit dem "Nationalstolz". Im Gegenteil scheint Extinction Rebellion die Wiederbelebung von Werten wie denjenigen des Nationalstolzes, der integraler Bestandteil aller Formen der bürgerlichen Ideologie ist, uneingeschränkt zu befürworten.
Obwohl sie sich in einen "radikalen" Protestansatz kleiden, ist Extinction Rebellion bei wirtschaftlichen Maßnahmen vorsichtig: "Direkte Aktionen, als Mittel zur Schaffung eines politischen Wandels, wurden einer vereinfachten Analyse unterzogen, bei der Gewinn und Verlust in engen materiellen Dimensionen betrachtet werden. Es gibt ein starkes Argument für diesen Ansatz, denn Konfrontation, Streiks, Blockaden, Streikposten, Stillstände, wirtschaftliche Bedrohungen und Störungen können durchaus Gegner an den Tisch bringen – wie der langfristige Erfolg vieler Arbeiterstreiks auf der ganzen Welt zeigt." Ohne auf den "langfristigen Erfolg vieler Arbeiterstreiks" einzugehen (es werden keine Beweise vorgelegt), ist Hallam besorgt, dass "die Erhöhung der wirtschaftlichen Kosten für einen Gegner stark polarisierend ist". Er glaubt, dass der Kampf um "Herzen und Verstand" wichtiger ist als ein wirtschaftlicher Kampf. Für die Arbeiterklasse ist der "wirtschaftliche Kampf" jedoch Teil der Verteidigung ihrer Klasseninteressen. Im Kampf der politischen Positionen gibt es einen ablouten Gegensatz zwischen den Protesten von Extinction Rebellion gegen die Klimakrise, die den bürgerlichen Staat zur Vernunft bringen wollen, und der zentralen Auffassung des Marxismus: mit der revolutionären Fähigkeit der Arbeiterklasse den Kapitalismus zu stürzen, was nur aus dem Kampf zur Verteidigung ihrer materiellen Interessen heranwachsen kann.
Anscheinend ist Arbeit von Hallam und Extinction Rebellion von Why Civil Resistance Works: Die strategische Logik gewaltfreier Konflikte von Erica Chenoweth und Maria Stephan inspiriert worden. Stephan ist eine Strategin des US-Außenministeriums und hat im European/NATO Policy Office des US-Verteidigungsministeriums und im NATO-Hauptquartier in Brüssel gearbeitet. Ideen aus diesen Kreisen werden wohl kaum dazu beitragen, den kapitalistischen Staat oder andere Institutionen der bürgerlichen Herrschaft herauszufordern!
Es gibt eine sehr weit verbreitete Besorgnis über den Zustand des Planeten und den Wunsch, auf das zu reagieren, was im Kapitalismus alles auf uns zukommt. Aber Extinction Rebellion verbreite eine Ideologie und eine Karrikatur von Protesten, um solche Sorgen und militante Energien zu vereinnahmen und sie in die Unterstützung des kapitalistischen Systems einzuspannen, welches die wirkliche Wurzel der Umweltzerstörung ist. Wie bei der Propaganda aller grünen Parteien in den letzten 40 Jahren oder der jüngsten Kampagne um Greta Thunberg ist es eine gefährliche Illusion zu glauben, dass der Kapitalismus der Umweltzerstörung Einhalt gebieten kann.
Der Kapitalismus gibt bei weitem nicht nach, er zieht die gesamte Menschheit immer dramatischer mit in den Strudel der Zerstörung hinein. Die Interessen der Arbeiterklasse stehen im absoluten Gegensatz zum Kapital und können in dieser Gesellschaft nicht befriedigt werden. Der Zustand des Planeten Erde kann nur durch den Sturz des Kapitalismus durch die Arbeiterklasse verbessert werden. Dies kann nicht von einer Minderheit erreicht werden, egal wie entschlossen diese ist. Es erfordert ein Bewusstsein, welches über die bloße Erkenntnis über den Zustand der Umwelt hinausgeht. Die Zeit ist nicht auf der Seite der Arbeiterklasse, und Aktionen und Kampagnen wie die von Extinction Rebellion verlängern lediglich aktiv das Leben des kapitalistischen Systems.
Eine gemeinsame Antwort dieser radikalen Ökolog*innen auf diejenigen, die darauf bestehen, dass einzig die Weltrevolution die Probleme des Kapitalismus überwinden kann, lautet: „Wir haben keine Zeit dafür.“ Aber da die Ideologie von Extinction Rebellion und ähnlicher "Radikaler" dazu dient, Umweltbelange in bürgerliche Sackgassen zu lenken, ist sie nichts anderes als eine Bremse für die Entwicklung des Klassenbewusstseins und das Potential einer Revolution.
Barrow, November 2019
[1] Ein libertäres Kollektiv, das einen Blog auf libcom über Umweltfragen hat. Sie haben kürzlich den zweiten Teil ihrer Kritik an Extinction Rebellion verfasst und sich dabei der Wirklichkeit einer Hierarchie hinter dem Anspruch, eine "Holokratie" ohne Führer zu sein, gewidmet. https://libcom.org/article/extinction-rebellion-not-struggle-we-need-pt-2 [9]
Medienkampagnen zum Klimawandel stellen oft die dringende Notwendigkeit, die Freisetzung von Treibhausgasen zu stoppen, den besonderen Bedürfnissen der Arbeiter*innen oder sogar denen der „Ungebildeten“ gegenüber. So wird zum Beispiel von den Gelbwesten in Frankreich berichtet, die ursprünglich gegen eine CO2-Abgabe protestierten, weil die Benzinpreise sich ungeheuer verteuerten, während es keine ausreichenden öffentlichen Verkehrsmittel gibt; oder man verbreitete die Parole „Trump gräbt Kohle ab“, als er ankündigte, die Kohleindustrie und die dort beschäftigen Bergarbeiter zu verteidigen. Die Kampagne für einen Green New Deal (oder manchmal auch eine Grüne Industrielle Revolution) behauptet, die Probleme Klimawandel, Arbeitslosigkeit und Ungleichheit gleichzeitig lösen zu können. Zum Beispiel: „Der Green New Deal des Sunrise Movement würde die Treibhausgasemissionen aus den Bereichen Strom, Transport, Produktion, Landwirtschaft und anderen Sektoren innerhalb von 10 Jahren eliminieren. Er würde auch auf 100% erneuerbare Energien abzielen und beinhaltet ein Programm zur Arbeitsplatzgarantie, um jedem, der es wünscht, einen lebenslangen Lohn zu sichern“. Dieser Green Deal würde versuchen, „tief verwurzelte rassische, regionale und geschlechtsspezifische Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen abzuschwächen“.[1]
Die Notwendigkeit, den zerstörerischen Auswirkungen des Kapitalismus auf die Natur und insbesondere der Gefahr von Treibhausgasen, die den Klimawandel antreiben, zu begegnen, ist unbestreitbar. Dasselbe betrifft die Zunahme der dem Kapitalismus innewohnenden Ungleichheit oder die Tatsache, dass Ökonomen bereits auf die Zunahme der Verschuldung und den Handelskrieg zwischen den USA und China als Zeichen einer neuen Rezession hinweisen. Es lässt den Green New Deal einleuchtend und fast als ein Kinderspiel erscheinen.
Diejenigen, die vor Betrügern warnen, sagen, wenn ein Geschäft zu gut klinge, um wahr zu sein, dann treffe der Verdacht wohl auch zu. Werfen wir einen genaueren Blick auf den Green New Deal – unter Berücksichtigung der staatskapitalistischen Maßnahmen von Roosevelts New Deal in den 1930er Jahren; der Unfähigkeit des kapitalistischen Nationalstaates, ein globales Problem anzugehen; unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Politik für die Umwelt; und vor allem der Art und Weise, wie die Politik das wahre Wesen des Kapitalismus verschleiert und darauf abzielt, die Entwicklung des Bewusstseins und des Kampfes der Arbeiterklasse zu untergraben.
Der Green New Deal orientiert sich an einer staatskapitalistischen Politik in den 1930er Jahren, um das Wirtschaftswachstum als Reaktion auf die Depression wieder anzukurbeln[2]. Der New Deal selbst stützte sich auf die Erfahrung mit der staatlichen Lenkung der Wirtschaft 1917-18 während des Ersten Weltkriegs, und neben der Finanzierung der dringend benötigten Infrastruktur baute die Public Works Administration PWA (Anstalt für öffentliche Arbeit) „zahlreiche Kriegsschiffe, darunter zwei Flugzeugträger; das Geld kam von der PWA. Die PWA baute auch Kriegsflugzeuge, während die Works Progress Administration WPA Militärbasen und Flugplätze baute“[3]. Dabei ähnelte das Programm in vielem der Politik Deutschland damals, als viele der Autobahnen im Zuge der Vorbereitung auf den nächsten Krieg gebaut wurden.
Der Klimawandel ist ein globales Problem, das nicht von einer Nation getrennt von den anderen angegangen werden kann, aber der Green New Deal will genau das tun: „Ein Grüner Neuer Deal für Großbritannien ...“, „Schottland ist aufgrund seines Reichtums an erneuerbaren Ressourcen einzigartig positioniert ...“[4], „... mit dem Ziel, die Verschmutzung der US-Treibhausgase praktisch zu beseitigen ...“[5]. Das ist Unsinn: Selbst die Verbuchung der Treibhausgasproduktion auf nationaler Ebene ist ein Betrug, wenn zum Beispiel 40% des britischen Verbrauchs von Gütern, deren Produktion Treibhausgase verursacht, importiert werden und somit nicht in den nationalen Statistiken erscheinen. Der Kapitalismus verschmutzt weltweit, und das erstreckt sich bis in die entferntesten Regionen der Ozeane und in die abgelegensten Teile der Arktis.
Scheinbar einfache Ideen für ein neues Wachstum auf der Grundlage grüner Energie mögen versprechen, das Wirtschaftswachstum auf der Grundlage staatlicher Ausgaben aufrechtzuerhalten, aber sie basieren nicht auf einer echten globalen Berücksichtigung der Auswirkungen der Umweltzerstörung und der Treibhausgase, die sie verursachen würden. Der Umstieg auf erneuerbare Energien erfordert große Mengen an Seltenerdmetallen, von denen allein 70% in China abgebaut werden, was eine enorme Verschmutzung verursacht. Die Lithiumproduktion in der chilenischen Atacama-Wüste hat bereits Salzwasserseen zerstört, an denen Flamingos leben; hat den Grundwasserpegel der Süßwasserbestände gesenkt, wodurch die Landwirtschaft in der Region zerstört wurde. Inzwischen geben sich zwei Firmen, Albemarle und SQM, gegenseitig die Schuld, weil sie die Vorschriften missachtet haben. Kobalt soll nun vom Meeresboden abgebaut werden ohne ein Verständnis dafür, was dies für die Ökologie eines Teils der Welt bedeutet, von dem wir nur wenig wissen – und da es für erneuerbare Energien notwendig ist, soll dies angeblich „den Planeten retten“. Wenn wir neue Elektroautos kaufen müssen, wird dies zweifellos die Automobilindustrie unterstützen, aber wer berechnet die Treibhausgasemissionen aus dieser zusätzlichen Produktion?
Um zu verstehen, wie die kapitalistische Zivilisation so verschwenderisch mit der Welt sein kann, von der wir alle abhängen, ist es notwendig, das Wesen des Kapitalismus selbst zu verstehen.
Der Green New Deal verspricht, die Zerstörung der Umwelt, insbesondere den Klimawandel, mit Hilfe des bürgerlichen Staats innerhalb des Kapitalismus zu verhindern, aber das ist nicht möglich. Der Kapitalismus ist keine Politik, deren Gesetze von einem Parlament nach Belieben gewählt oder geändert werden könnten, sondern das Ergebnis der langen historischen Entwicklung der Mechanismen der kapitalistischen Produktionsweise. Ein wichtiger Schritt dazu war die Trennung der Produzierenden von ihren Produktionsmitteln, z.B. als die Bauern und Bäuerinnen vom Land vertrieben wurden, zugunsten von Schafen für die lukrativere Wollindustrie.
Dadurch entstand ein System der allgemeinen Warenproduktion, der Produktion für den Markt. Anstelle von Bauern und Bäuerinnen, die fast alles selbst produzieren konnten, was sie brauchten, traten die Lohnarbeiter*innen, die alles kaufen mussten. Die Kapitalisten, für die sie arbeiten – ob Einzelunternehmer, Unternehmen, multinationale oder staatliche Industrie – stehen in Konkurrenz zueinander, um mit Gewinn zu verkaufen. Der Green New Deal kann nichts daran ändern, wie der Kapitalismus funktioniert.
Das Kapital muss alles in Gold verwandeln: Alles, was es produziert, muss mit Gewinn verkauft werden, wenn das Unternehmen überleben will. Aber für das Kapital sind die Ressourcen der Natur ein kostenloses Geschenk, wie Marx gezeigt hat: „Naturelemente, die in die Produktion als Agentien eingehen ohne zu kosten, welche Rolle sie immer in der Produktion spielen mögen, gehen nicht als Bestandteil des Kapitals in sie ein, sondern als Gratisnaturproduktivkräfte des Kapitals, d.h. als eine Gratisnaturproduktivkraft der Arbeit, die sich aber auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise, wie alle Produktivkräfte, als Produktivkraft des Kapitals darstellt“[6]. Im Kapitalismus hat das, was nichts kostet, keinen (Tausch-)Wert; es kann nach Belieben genutzt und verwertet werden. In diesem Rahmen ist ein nicht in Geld verwertbarer Regenwald wertlos. Ein Landwirt, der Bäume des Regenwaldes fällt, weil er Palmöl, Soja oder eine andere Kulturpflanze pflanzen will, ist dazu gezwungen, weil er damit das meiste Geld verdienen kann, oder weil es der einzige Weg ist, um genug zu verdienen und zu überleben. Im Kapitalismus kann die Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit den Bedürfnissen der Natur und der Menschheit dient, nicht gestellt werden. Für den Kapitalismus lautet die Frage einzig, ob die Tätigkeit profitabel ist.
Als sich der Kapitalismus im 19. Jahrhundert auf der Welt ausdehnte, verschmutzte und zerstörte er bereits die Natur. Die Verschmutzung durch Bergbau und Industrie ist ebenso bekannt wie die Geschichte der Abwässer, die in den Großstädten entstanden. Die Wirkung auf den Boden ist weniger bekannt. „Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“[7]
Was Marx für das 19. Jahrhundert zeigte, hat sich nur verschlimmert. Am Ende des 19. Jahrhunderts schrieb Kautsky: „Hilfsdünger (...) ermöglichen es, der Verringerung der Bodenfruchtbarkeit vorzubeugen, aber die Nothwendigkeit, sie in steigendem Maße anzuwenden, bedeutet nur eine weitere unter den vielen Belastungen der Landwirthschaft, die keine Naturnothwendigkeit sind, sondern aus den bestehenden sozialen Verhältnissen entspringen. Bei Aufhebung des Gegensatzes von Stadt und Land, oder wenigstens von dicht bevölkerter Großstadt und verödetem flachen Lande würden die dem Boden entzogenen Stoffe ihm immer wieder völlig zurückfließen können (...).“[8] Seitdem ist die Landwirtschaft wie die Industrie enorm gewachsen, ihre Erträge und Produktivität sind massiv gestiegen, und die zu ihrer Erhaltung notwendigen Düngemittel sind zu einer echten Bedrohung für Boden und Wasser geworden.
So umweltschädlich, mörderisch und ausbeuterisch der Kapitalismus auch war, als er sich auf der ganzen Welt ausbreitete, die Zeit seit dem Ersten Weltkrieg hat eine wahre Spirale der Zerstörung der Natur und des menschlichen Lebens erlebt. Dem Ersten Weltkrieg folgte der Zweite, und die lokalen Kriege, die von größeren imperialistischen Mächten unterstützt wurden, haben sich seitdem vervielfacht. Und Kapitalisten und Staaten wurden zu einer schärferen wirtschaftlichen und militärischen Konkurrenz gezwungen. Die Zerstörung der Umwelt hat nur neue Dimensionen erreicht. Kapitalistische Unternehmen, ob privat oder staatlich geführt, haben ihre Umweltverschmutzung und den Raub der Ressourcen der Erde auf ein beispielloses Maß erhöht. Hinzu kommen die Verschmutzung und Zerstörung durch das Militär und in Kriegen (siehe „Ökologische Katastrophe: das Gift des Militarismus“ auf unserer Website[9]).
Die Gefahr für die Umwelt, das Klima, kurz gesagt für die Natur kann nicht überwunden werden, ohne den Kapitalismus zu stürzen. Der Green New Deal wird nicht erfolgreicher sein als das Emissionshandelssystem, das versucht hat, die Treibhausgasemissionen durch Marktmechanismen zu begrenzen. Schlimmer noch, indem man falsche „Lösungen“ anbietet, verbreitet dies nur Illusionen in der Arbeiterklasse, was die Existenz dieses Systems verlängert und die Gefahr erhöht, dass es unwiderruflich in der Barbarei versinkt.
Alex, 17.11.2019
[1]https://www.theguardian.com/environment/2018/dec/29/green-new-deal-plans-proposal-ocasio-cortez-sunrise-movement [10]
[2]Siehe unseren Artikel auf der englischsprachigen Webseite: 90 years after the 1929 crash: decadent capitalism can never escape the crisis of overproduction, https://en.internationalism.org/content/16760/90-years-after-1929-crash-decadent-capitalism-can-never-escape-crisis-overproduction#_ftnref2 [11]
[5]https://www.theguardian.com/environment/2018/dec/29/green-new-deal-plans-proposal-ocasio-cortez-sunrise-movement [10]
[6]Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Bd. 25, Das Kapital, Bd. III, Sechster Abschnitt, S. 747–755, Dietz Verlag, Berlin/DDR, 1983, www.mlwerke.de/me/me25/me25_747.htm [14]
[7]Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 23, Das Kapital, Bd. I, Vierter Abschnitt, S. 483 – 530, Dietz Verlag, Berlin/DDR, 1968, www.mlwerke.de/me/me23/me23_483.htm [15]
[8]Karl Kautsky, Die Agrarfrage, Kapitel IX: Die wachsenden Schwierigkeiten der warenproduzirenden Landwirthschaft, d) Die Ausbeutung des Landes durch die Stadt
Die Frage des Klimawandels steht heute im Mittelpunkt des politischen und medialen Interesses. Die Herausforderung besteht nicht darin, uns heute von der Realität dieser gegenwärtigen und zukünftigen Katastrophe zu überzeugen. Es besteht kein Zweifel daran, dass das derzeitige System die Menschheit in eine Öko-Katastrophe führt. Jeden Tag werden uns neue Beweise vor Augen geführt: beispiellose Hitzewellen, Waldbrände im Amazonasgebiet, schmelzende Gletscher, Überschwemmungen, Aussterben ganzer Arten - mit der möglichen Folge, dass die menschliche Spezies selbst ausstirbt. Und selbst wenn es keine globale Erwärmung gäbe, wären Boden, Luft, Flüsse und Meere immer noch vergiftet und am Rand des Kollapses. Die Herausforderung besteht darin, zu wissen, was wir mit dieser Feststellung anfangen – welche Möglichkeit gibt es, dieser destruktiven Spirale ein Ende zu setzen?
Das ist im Grunde genommen der Kern der Sache. Wie können wir gegen diese destruktive Logik kämpfen? Wer kann das tun? Diese Fragestellung ist legitim und zeigt sich bei der neuen Generation, die in Riesendemos mit Hunderttausenden von Menschen mobilisiert wird. Es ist kein Wunder, dass so viele Menschen, vor allem aber so viele junge Menschen, die vor einer bedrohlichen Zukunft stehen, sich große Sorgen um diese Lage machen und etwas dagegen unternehmen wollen.
Aber die meisten Antworten, die auf diese Frage gegeben werden, sind bestenfalls fruchtlos, schlimmstenfalls Fallen, die das Bewusstsein darüber vernebeln, wie dieser Kampf zu führen wäre ...
Dies ist eine der beliebtesten Parolen bei Demonstrationen gegen den Klimawandel. Hinter der scheinbaren Radikalität der Schlagworte, der angeblichen Internationalisierung von Demonstrationen, steckt die Idee, ein Kräfteverhältnis zu schaffen, um die Welt "zu verändern".
Und die Welle der Proteste, die von "Youth for Climate", "Extinction Rebellion", den Grünen und den linken Parteien organisiert werden, wird als Ausweg präsentiert, der am ehesten ein echtes Kräfteverhältnis für diese Transformation schaffe und auf dem man in die Lage versetzt werde, auf den Notfall zu reagieren und die Staaten zu zwingen, die Verantwortung für den ökologischen Kampf zu übernehmen. Aber diejenigen, die derzeit ihrem Beispiel folgen, sollten sich fragen: Warum werden diese Proteste von denen, die das derzeitige System verwalten und verteidigen, so unterstützt? Warum haben einige Regierungen in letzter Zeit sogar die Streikenden in Schutz genommen und die Schüler*innen ermuntert, ihre Schulen zu verlassen, damit sie zu Tausenden an Demonstrationen teilnehmen? Warum wird Greta Thunberg, die als exemplarische und lobenswerte Aktivistin für den Impuls des Kampfes dargestellt wird, eingeladen, vor Parlamenten, Regierungen, den Vereinten Nationen zu sprechen, oft mit harten Worten? Sind all diese bürgerlichen Institutionen selbstmörderisch geworden? Schlagen sie einen neuen Kurs ein und werden zu den neuen weißen Rittern für den Umweltschutz?
Natürlich verunglimpfen bestimmte Politiker wie Trump, Bolsonaro oder Farage Greta und die „Kämpfer*innen für die Umwelt“ ständig und beschuldigen sogar Umweltschützer*innen, sie hätten den Amazonas in Brand gesetzt! Sie argumentieren, dass der Klimawandel ein Schwindel sei und dass Maßnahmen zur Verringerung der Umweltverschmutzung das Wirtschaftswachstum gefährdeten, insbesondere in Bereichen wie der Automobilindustrie und der fossilen Brennstoffe. Sie sind die schamlosen Verteidiger des kapitalistischen Profits und bieten sich als Sündenböcke an für diejenigen, die gewisse "böse Kapitalisten" ins Visier nehmen wollen.
Aber was ist mit Merkel, Macron, Corbyn, Alexandria Ocasio-Cortez und anderen, die die Klimaproteste loben? Sind sie weniger Teil des derzeitigen Systems? Was ist mit der Finanzierung des Kampfes von Greta Thunberg, die heute, wie es scheint, nur noch mit dem Schiff unterwegs ist, um den Planeten zu retten?
Viele der Teilnehmenden an den aktuellen Protesten, darunter sogar Kapitalist*innen, die sich ebenfalls Sorgen wegen der für ihre eigenen Familien, für die Menschheit selbst drohende Katastrophe machen, werden zustimmen, dass die Wurzeln der ökologischen Zerstörung im System liegen und dass dieses System kapitalistisch ist. (Der "Climate Emergency Fund“ (CEF) zum Beispiel, ein Fonds zur Finanzierung des zivilen Ungehorsams für das Klima, wurde im vergangenen Juli von drei Multimillionären gegründet, die von den gigantischen Bränden in Kalifornien betroffen waren ...) Letztendlich spielt es keine Rolle: Die Organisationen hinter den Protesten, alle Politiker*innen, die scheinheilig behaupten, sie zu unterstützen, verteidigen in Wirklichkeit eine Politik, die die wahre Natur des Kapitalismus verschleiert. Die Verbesserung der Leistungszahlen (bei der Energieeffizienz) von Kälteanlagen oder Wärmepumpen seit 1992 zum Beispiel und die Verpflichtung der Regierungen, etwas gegen die globale Erwärmung zu tun, haben an dieser ganzen Logik nichts geändert ...
Eines der scheinbar radikalsten großen Programme dieser Politiker ist heute der so genannte "New Green Deal", der uns ein Bündel von Maßnahmen anbietet, die von den bestehenden Staaten zu ergreifen seien und die massive Kapitalinvestitionen zur Entwicklung von "umweltfreundlichen" Industrien erfordern, aber dennoch in der Lage sein sollen, einen angemessenen unmittelbaren Profit zu erzielen – oder andernfalls das Risiko einzugehen, den Platz der Konkurrenz zu überlassen, die halt womöglich "umweltschädlicher" produziert. Ökologisch sinnvoll und nachhaltig zu produzieren, kann für ein kapitalistisches Unternehmen oder einen Staat im internationalen Wettbewerb nur eine Fessel sein. Und die einzigen konkreten Maßnahmen, die ergriffen oder umgesetzt werden, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, ein Bluff, um die Illusion zu vermitteln, dass der Kampf stattfinde. Selbst Versuche der ökologischen Produktion, die Bemühungen um eine gesunde Herstellung von Gütern, werden zu einem neuen Feld fürs Marketing – um teurer zu verkaufen. Mit anderen Worten: Solche Programme sind voll und ganz bestimmt von den Gesetzen des kapitalistischen Systems. Wie der New Deal der 1930er Jahre ist es ihr Ziel, den Kapitalismus in diesen schwierigen Zeiten zu retten, nicht ihn zu ersetzen. Es ist daher ein Betrug, von Regierungen auf der ganzen Welt zu verlangen, dass sie sich "zusammenreißen" und etwas tun sollen, um den Planeten zu retten - eine Forderung aller Gruppen, die die aktuellen Märsche und Demonstrationen organisieren.
Oft wird der Kapitalismus als "Konsumgesellschaft" dargestellt, als eine Marktwirtschaft, in der globalisierte kapitalistische Unternehmen Bedürfnisse schaffen, um dann um jeden Preis ihre Produkte zu verkaufen, die wir gar nicht wirklich bräuchten, - Unternehmen, die natürliche Ressourcen verschwenden und plündern, alles verschmutzen auf ihrem Weg der Gewinnmaximierung. Und für viele Umweltschützer*innen und Verbände würde es ausreichen, diesen Unternehmen, der kapitalistischen Finanzwelt ein Pflichtenheft in die Hand zu drücken, damit sie ihre Produktion nach neuen, gerechten Prinzipien ausrichten, ihre Produktion in ein wirklich kontrolliertes Wachstumswasser führen; man könnte so, meinen sie, die Messlatte neu ein- und alle Gleichgewichte wieder herstellen, Mensch und Natur versöhnen ...
Um dies zu erreichen, müsste man die Staatenführer an einen Tisch bringen, angeblich im Dienste der allgemeinen Interessen der Bevölkerung auf der Welt, insbesondere der Industrieländer, um diese Neuorientierung zum Wohle der Menschheit durchzusetzen ...
Wir sprechen hier eine zentrale Frage an: Kann der Kapitalismus verwandelt, reformiert werden? Das ist der Diskurs, den wir jeden Tag hören, auch und gerade in der Klimafrage. Es gebe keinen anderen Weg, als das System von innen heraus zu verändern.
Leider verschwindet der Kapitalismus nicht so einfach, und er lässt sich auch nicht grundlegend verändern, selbst wenn er von Technokraten statt von privaten Chefs verwaltet wäre oder wenn er grün gestrichen würde. Das Kapital ist ein globales Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Klassen, das auf der Ausbeutung von Lohnarbeit und auf der Produktion zum Verkauf basiert, um Profite zu erzielen. Die ständige Suche nach Absatzmöglichkeiten für die Waren führt zu einem gnadenlosen Wettbewerb zwischen den Nationalstaaten um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt. Und dieser Wettbewerb führt dazu, dass jedes nationale Kapital entweder wächst – oder stirbt. Ein Kapitalismus, der nicht mehr danach strebt, bis in die letzte Ecke des Planeten vorzudringen und ohne Grenzen zu wachsen, kann nicht existieren. "Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.
Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet." (Kommunistisches Manifest, Marx/Engels).
Ebenso ist es im Kapitalismus völlig ausgeschlossen, auf globaler Ebene zusammenzuarbeiten, um auf die ökologische Krise zu reagieren, wie bereits das vielfache traurige Scheitern der verschiedenen Klimagipfel und -protokolle gezeigt hat. Die Verteidigung des Nationalstaates gegen andere Länder bleibt der ersatzlose Kompass für den Kampf in der Konkurrenz bürgerlicher Interessen.
Die Jagd nach Profit, die nichts mit den menschlichen Bedürfnissen zu tun hat, ist seit Beginn des Kapitalismus die Ursache für die Plünderung der Natur. Die Fragen der Umweltzerstörung, der Regellosigkeit und der Veränderungen im Zusammenhang mit der konkurrenzgetriebenen und anarchischen kapitalistischen Ausbeutung sind nämlich nicht erst ein paar Jahre oder Jahrzehnte alt. So schrieben Marx und Engels 1848 schon ins Kommunistische Manifest: "Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen. Sie hat enorme Städte geschaffen, sie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohem Grade vermehrt." – Doch: "Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor." (Kommunistisches Manifest)
Tatsächlich hat der Kapitalismus eine Geschichte, und seit einem Jahrhundert ist er kein Faktor des Fortschritts mehr, sondern in eine tiefe historische Krise gestürzt. Er ist ein dekadentes Produktionssystem, denn seine wirtschaftliche Grundlage, die dem Zwang unterworfen ist, ohne Grenzen zu wachsen, erzeugt Krisen der Überproduktion, die tendenziell dauerhaft werden. Und wie die Weltkriege und der "Kalte Krieg" des 20. Jahrhunderts gezeigt haben, kann dieser Prozess des Verfalls und sogar der Zersetzung den Kurs des Kapitals zur Zerstörung nur beschleunigen. Noch bevor das globale Massaker an der Natur sichtbar wurde, drohte der Kapitalismus bereits damit, die Menschheit mit ihren unaufhörlichen imperialistischen Auseinandersetzungen und Kriegen zu vernichten, die heute in weiten Teilen der Welt andauern, von Nordafrika und dem Nahen Osten bis hin zu Pakistan und Indien. Solche Konflikte können durch die ökologische Krise nur noch verschärft werden, denn die Nationalstaaten konkurrieren um Ressourcen, Einflusszonen, während der Wettlauf um die Produktion - und vor allem um den Einsatz - zunehmend alptraumhafter Waffen den Planeten nur weiter verwüsten kann. Der Einsatz von Atomwaffen oder chemischer Waffen wie in Hiroshima oder der Einsatz von "Agent Orange" während des Vietnamkriegs, unter dessen Spätfolgen die lokale Bevölkerung immer noch leidet, sind nur spektakuläre Beispiele dafür, die nicht hinter uns liegen, sondern von brennender Aktualität sind. Diese unerhörte Kombination kapitalistischer Verwüstung macht bereits Teile des Planeten unbewohnbar und zwingt Millionen von Menschen dazu, Flüchtlinge zu werden.
Dieses kranke kapitalistische System kann die Wirtschaftskrise, den ökologischen Notstand und die Tendenz zum Krieg nicht überwinden.
Engels sagte bereits 1876: "Die entfesselte Konkurrenz, der Kampf ums Leben, der von Ökonomen als die höchste Errungenschaft der Geschichte gefeiert wird, ist der Normalzustand im Tierreich. Nur eine bewusste Organisation der gesellschaftlichen Produktion, in der Produktion und Verteilung geplant sind, kann die Menschen über den Rest der Tierwelt erheben ... Die geschichtliche Entwicklung macht eine solche Organisation von Tag zu Tag wichtiger, aber auch von Tag zu Tag realistischer. Sie wird ein neues Zeitalter einläuten, in der die Menschen selbst und mit ihnen alle Zweige ihrer Tätigkeit, insbesondere die Naturwissenschaften, Fortschritte erleben werden, die alles, was ihr vorausging, in den tiefsten Schatten stellen werden."
Die einzige Hoffnung der Menschheit liegt in der Zerstörung des gegenwärtigen Systems, seiner Logik des Profits, des Wettbewerbs – und umgekehrt in der Schaffung einer neuen Gesellschaftsform. Es ist der Kommunismus – eine globale menschliche Gemeinschaft ohne Nationalstaaten, ohne Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter, ohne Markt und ohne Geld, in der die gesamte Produktion auf globaler Ebene geplant wird, mit dem einzigen Ziel, die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Es versteht sich von selbst, dass diese Gesellschaft nichts mit der Form des Staatskapitalismus zu tun hat, die wir in Ländern wie China, Nordkorea oder Kuba oder früher der Sowjetunion sehen bzw. sahen.
Der eigentliche Kommunismus ist die einzige Grundlage für die Herstellung einer neuen Beziehung zwischen den Menschen und der übrigen Natur. Und das ist keine Utopie. Das hat nichts mit der Idee der "Wachstumskritik" zu tun, die viele Umweltschützer*innen propagieren, um angeblich die Grundlagen des Kapitalismus zu untergraben, und die vorschlagen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Im Gegenteil, der Kommunismus ist möglich, weil der Kapitalismus die materiellen Grundlagen dazu geschaffen hat: die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie, die von ihren Verzerrungen in diesem System befreit werden können, auch deshalb, weil die globale wechselseitige Abhängigkeit aller produktiven Tätigkeiten, die vom kapitalistischen Wettbewerb und nationalen Gegensätzen befreit werden können, zu einer echten Rationalisierung von Produktion und Umgang mit Ressourcen führen wird.
Aber der Kommunismus ist insbesondere deshalb möglich, weil der Kapitalismus auf der Existenz einer Klasse beruht, die nichts weiter zu verlieren hat als ihre Ketten, einer Klasse, die ein Interesse daran hat, der Ausbeutung zu widerstehen und sie zu beseitigen: der internationalen Arbeiterklasse, dem Proletariat aller Länder. Es ist eine Klasse, die nicht nur alle diejenigen umfasst, die bei der Arbeit ausgebeutet werden, sondern auch diejenigen, die studieren, um einen Platz auf dem Arbeitsmarkt zu finden, und diejenigen, die arbeitslos und vom Kapital ausgestoßen werden. Der massenhafte Kampf des Proletariats und seine Bewusstseinsentwicklung über die Verantwortung, die gesamte Menschheit von den Ketten des Kapitalismus zu befreien, sind schwierige Herausforderungen voller Hindernisse, aber dieser Weg ist der einzige, der uns dazu führt, auf die historischen Herausforderungen der Gesellschaft zu reagieren, einschließlich der ökologischen und klimatischen.
Und gerade hier dient die Ideologie der Klimamärsche, die das ökologische Thema im Namen des "Klimanotstands" oder der Gefahr des Artensterbens in den Vordergrund stellt, dazu, zu verhindern, dass wir die verfügbaren Mittel ergreifen, um wirklich gegen das kapitalistische System zu kämpfen.
Sie sagt uns zum Beispiel, dass die Welt in Schwierigkeiten steckt, weil sich die "alte Generation" daran gewöhnt habe, zu viel zu konsumieren.
Erstens verdeckt die Rede von „den Generationen“ im Allgemeinen die Tatsache, dass das Problem gestern und heute in der Spaltung der Gesellschaft in zwei Hauptklassen besteht – einer Klasse einerseits, der Kapitalistenklasse, der Bourgeoisie, die über die gesamte Macht verfügt, und einer viel größeren Klasse andererseits, die ausgebeutet und jeder Entscheidungsmacht beraubt wird, selbst in den "demokratischsten" Ländern. Es sind die unpersönlichen Mechanismen des Kapitals, die diesem System innewohnenden Gesetze, auch über das Bewusstsein hinaus, das die Kapitalisten selbst von ihm haben können, die uns in das gegenwärtige Chaos gebracht haben, und nicht das persönliche Verhalten von Individuen oder die Gier einer früheren Generation.
Zweitens, was bedeutet es, zu viel zu konsumieren? Hunderte von Millionen Menschen auf der Welt leben immer noch in extremer Armut. Und auch wenn der Lebensstandard in den zentralen Ländern noch relativ hoch ist, wird die Arbeiterklasse zunehmend mit der Frage konfrontiert, ob es reicht bis zum Ende des Monats, konfrontiert mit der Wahl zwischen Wohnen oder Gesundheit usw. Hinter dem Gedanken des Überkonsums steht vor allem die Frage des Abfalls. Und die Frage der Verschwendung natürlicher Ressourcen, um immer mehr zu produzieren; die programmierte Veraltung der meisten Gebrauchsgegenstände unseres täglichen Lebens, um noch mehr verkaufen zu können; das Wegwerfen von Tausenden von Tonnen produzierter, aber nicht verkaufter Lebensmittel – all dies ist aber die Logik des Kapitalismus, des Profits, des Wettbewerbs, nicht die Verantwortung jedes/r Einzelnen für seinen/ihren eigenen Konsum oder seine/ihre persönliche Einstellung.
So werden wir schon vor der Einladung zur nächsten Demo dazu aufgerufen, individuell "politisch korrekt und ökologisch" zu konsumieren, den richtigen Behälter für unsere Abfälle zu wählen, unsere alten umweltschädlichen Dieselautos loszuwerden usw. .... Es ist eine breite ideologische Produktion von Schuldgefühlen über unser eigenes tägliches Funktionieren, zu essen, sich zu kleiden und zu bewegen. Es wird unterstellt, dass unsere individuelle Verantwortung auf die gleiche Ebene gestellt werden müsse wie die Verantwortung des kapitalistischen Systems.
Das Gleiche gilt für das Gerede über die "Menschen" oder "Bürger*innen", die die Kraft wären, die die Welt retten könne. Es handelt sich dabei um vernebelnde Begriffe, die antagonistische Klasseninteressen verstecken. Der Ausstieg aus einem System, das ohne die Ausbeutung einer Klasse durch eine andere nicht existieren kann, kann nur durch eine Neubelebung des Klassenkampfes erreicht werden, angefangen bei der Verteidigung der grundlegendsten Interessen der Proletarier*innen gegen die Angriffe auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen, die von allen Regierungen und Unternehmen als Reaktion auf die Wirtschaftskrise durchgeführt werden - Angriffe, die auch zunehmend im Namen des Umweltschutzes durchgeführt werden. Nur mit ihrem autonomen Kampf kann die Arbeiterklasse den Sinn ihrer eigenen Existenz gegen all die Lügen entwickeln, die uns sagen, dass sie selber bereits eine "ausgestorbene Spezies" sei. Und nur so kann der Klassenkampf die wirtschaftliche und politische Dimension zusammenführen – indem er die Wirtschaftskrise, die Kriegsfrage und die ökologische Katastrophe miteinander verbindet und anerkennt, dass nur eine globale Revolution sie überwinden kann.
In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg nahmen Hunderttausende von Menschen an friedlichen Demonstrationen teil. Sie wurden von der "demokratischen" herrschenden Klasse in verschiedenen Ländern dazu ermutigt, weil diese Märsche die Illusion verbreiteten, dass es einen friedlichen Kapitalismus geben könne. Heute verbreitet sich die Illusion des grünen Kapitalismus immer mehr. Und außerdem verbarg der Pazifismus mit seinem Appell an alle Menschen guten Willens die Tatsache, dass nur der Klassenkampf wirklich gegen den Krieg ankämpfen kann, wie sich 1917-18 zeigte, als der Ausbruch der russischen und deutschen Revolution die führenden Politiker der Welt zwang, diesen Krieg schnell zu beenden. Der Pazifismus hat Kriege nie gestoppt. Und die aktuellen ökologischen Kampagnen, indem sie falsche Lösungen für die Klimakatastrophe verkaufen, müssen als Hindernis auf dem Weg zu einer wirklichen Lösung verstanden werden.
IKS, Oktober 2019
Das in den antiken und mittelalterlichen Apokalypsen vorhergesehene "Ende der Welt bedeutete in Wirklichkeit das Ende einer bestimmten Produktionsweise, die durch eine neue Produktionsweise, eine neue Form der Klassenherrschaft ersetzt werden sollte. Doch der Kapitalismus ist die letzte Klassengesellschaft, und sein rasanter Weg in den Abgrund stellt die Menschheit vor die einzige Alternative: die kommunistische Revolution oder die Vernichtung der Menschheit.
Eine weltweite Pandemie, die Millionen von Menschen das Leben gekostet hat und noch lange nicht vorbei ist; eine Spirale von Klimakatastrophen – Waldbrände, Dürren, Überschwemmungen –, wobei der jüngste Bericht des Weltklimarats (IPCC) der Welt die reale Gefahr einer unkontrollierten Beschleunigung der globalen Erwärmung vorhersagt; Kriege zwischen drei, vier oder fünf Gegnern von Afghanistan bis Afrika und sich verschärfende Spannungen zwischen den beiden mächtigsten imperialistischen Staaten, den USA und China; eine Weltwirtschaft, die bereits seit Ende der 1960er Jahre in einer nahezu permanenten Krise steckt und nun durch die Pandemie und die Beschränkungen weiter erschüttert wird, was zu einer steigenden Inflation und einer scheinbar paradoxen Kombination aus Arbeitslosigkeit und Arbeitskräftemangel führt. Kein Wunder, dass apokalyptische Stimmungen immer weiter verbreitet sind, sei es in offen religiöser Form durch das Aufkommen des islamischen, christlichen und anderer Fundamentalismen oder durch eine Vielzahl dystopischer Science-Fiction-Visionen darüber, was uns auf der Erde erwartet.
Auf einer Ebene sind solche Visionen Teil des wachsenden Nihilismus und der Verzweiflung, oder sie drücken die vergebliche Hoffnung aus, die Verzweiflung zu überwinden, indem man in eine Vergangenheit zurückkehrt, die es nie gegeben hat, oder in einen "neuen Himmel und eine neue Erde" (Offenbarung 21,1) flieht, die den Gläubigen von Mächten außerhalb unserer selbst und außerhalb der Natur gegeben werden. Aber diese Ideologien sind auch ein verzerrter Spiegel dessen, was in der gegenwärtigen Zivilisation wirklich geschieht.
In der Vergangenheit waren Prophezeiungen über die "Endzeit" vor allem in Zeiten des Niedergangs einer ganzen Produktionsweise verbreitet, wie etwa während der Dekadenz Roms oder dem Niedergang des Mittelalters. Das Buch der Offenbarung, das letzte Buch des Neuen Testaments, weist mit seiner Symbolik der vier Reiter der Apokalypse auf die wesentlichen Merkmale einer Gesellschaft in ihrer Endphase hin: Angeführt vom Tod, sind die anderen Reiter der Krieg, die Pest und die Hungersnot – diese mit einer Waage, die zeigt, dass der Brotpreis für die Armen unerschwinglich geworden ist. Und auf dem langen Weg nach unten wurden sowohl die antike Sklavengesellschaft als auch der Feudalismus in der Tat durch unaufhörliche Kriege zwischen den Fraktionen der herrschenden Klasse, durch Seuchen wie den Schwarzen Tod, durch Hungersnöte und – auch wenn diese Systeme noch nicht vollständig vom Warencharakter durchdrungen waren wie den Kapitalismus – durch Inflation und die Entwertung des Geldes[1] verwüstet.
0Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die vier apokalyptischen Reiter wieder unterwegs sind. In gewisser Weise kreuzen sie sich. Krieg führt zu Hungersnöten, wie im Jemen und in Äthiopien. Die Zerstörung der Natur bringt neue Seuchen wie Covid hervor, und es drohen auch schreckliche Hungersnöte und Kriege um schwindende Ressourcen. Und all diese Gespenster reagieren auf die grundlegenden Widersprüche der kapitalistischen Akkumulation zurück und verschärfen die globale Wirtschaftskrise in einem Ausmaß wie seit den 1930er Jahren nicht mehr.
Das in den antiken und mittelalterlichen Apokalypsen vorhergesehene "Ende der Welt" bedeutete in Wirklichkeit das Ende einer bestimmten Produktionsweise, die durch eine neue Produktionsweise, eine neue Form der Klassenherrschaft ersetzt werden sollte. Doch der Kapitalismus ist die letzte Klassengesellschaft, und sein rasanter Weg in den Abgrund stellt die Menschheit vor die einzige Alternative: kommunistische Revolution oder Vernichtung der Menschheit. Der Kapitalismus ist das dynamischste, produktivste, aber auch das destruktivste System der Geschichte, und mit seinen erschreckenden Atomwaffenarsenalen und seiner Unfähigkeit, die Zerstörung der natürlichen Umwelt einzudämmen, kann der Kapitalismus wirklich das Ende der Welt, der menschlichen Spezies und vielleicht allen Lebens auf dem Planeten herbeiführen.
Einige Teile der herrschenden Klasse ziehen sich in die Verleugnung zurück: Covid ist nur eine kleine Grippe (Bolsanaro), der Klimawandel ist ein chinesischer Schwindel (Trump). Ihre intelligenteren Fraktionen sehen die Gefahr: daher die enormen Summen, die für die Schließungen geopfert und in den Wettlauf um Impfstoffe gepumpt werden; daher die zahlreichen internationalen Konferenzen zum Klimawandel, wie die COP26, die im November in Glasgow stattfinden wird, wo nur wenige offen die düsteren Szenarien bestreiten werden, die ihnen der Bericht des IPCC präsentieren wird.
Und in der Bevölkerung insgesamt wächst die Besorgnis über diese Probleme, auch wenn die Gefahr, die von Krieg und Militarismus ausgeht, im Moment von der Bedrohung durch Covid und den Klimawandel in den Hintergrund gedrängt wird. Aber die Proteste, die von Organisationen wie Extinction Rebellion, Insulate Britain und Youth for Climate organisiert werden, sind eine Sackgasse, weil sie nie über die Forderung hinausgehen können, dass die Regierungen der Welt anfangen, vernünftig zu handeln, ihre Differenzen beiseite zu legen und einen ernsthaften globalen Plan auszuarbeiten.
Aber die Regierungen, die Staaten der Welt, die herrschende Klasse, sind selbst nur Ausdruck des kapitalistischen Systems, und sie können die Gesetze nicht abschaffen, die zu Krieg und Umweltzerstörung führen. Wie zu Zeiten der römischen Kaiser und der absoluten Monarchien ist auch die Dekadenz des Kapitalismus durch eine groteske Hypertrophie der Staatsmaschinerie gekennzeichnet, die darauf abzielt, die Gesetze der kapitalistischen Konkurrenz einer gewissen Kontrolle zu unterwerfen (sowie all jene zu unterdrücken, die ihre Herrschaft in Frage stellen). Aber letztendlich kann das Kapital nicht kontrolliert werden. Es ist per definitionem eine Macht, die, obwohl von Menschenhand geschaffen, über und gegen die menschlichen Bedürfnisse steht. Per definitionem ist es ein im Wesentlichen anarchisches soziales Verhältnis, das nur durch den Wettbewerb um den höchsten Profit gedeihen kann. Und die Staatsapparate, in denen manche die Antwort auf die Probleme der Welt sehen, sind vor allem durch die Notwendigkeit, mit anderen Staaten auf dem Weltmarkt zu konkurrieren, sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf militärischer Ebene, zu ihrer heutigen Größe angeschwollen. Der Kapitalismus kann niemals eine "internationale Gemeinschaft" werden, und in der Endphase seines Niedergangs kann sich die Tendenz zur Desintegration, zum Alleingang und zum Chaos nur noch verstärken.
1919 betonte das Manifest der Kommunistischen Internationale, dass der imperialistische Weltkrieg von 1914-18 den Eintritt des Kapitalismus in die "Epoche des Zusammenbruchs des Kapitals, seine innere Auflösung, die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats" ankündigte. Aber sie betonte auch, dass "die alte kapitalistische 'Ordnung' aufgehört hat zu funktionieren; ihre weitere Existenz ist ausgeschlossen. Das Endergebnis der kapitalistischen Produktionsweise ist Chaos. Dieses Chaos kann nur von der produktiven und zahlreichsten Klasse – der Arbeiterklasse – überwunden werden. Das Proletariat muss eine wirkliche Ordnung schaffen – eine kommunistische Ordnung".
Die kapitalistische Apokalypse ist nicht unvermeidlich. Die bürgerliche Gesellschaft hat die Produktivkräfte freigesetzt, die umgewandelt und genutzt werden könnten, um den uralten Traum von einer wahren menschlichen Gemeinschaft und einer neuen Versöhnung mit der Natur zu verwirklichen. Während frühere Klassengesellschaften an Krisen der Unterproduktion scheiterten, leidet der Kapitalismus an einer Krise der Überproduktion, eine Absurdität, die auf die Möglichkeit hinweist, den Mangel zu überwinden und damit die Ausbeutung einer Klasse durch eine andere ein für alle Mal zu beseitigen. Und sie hat mit dem Proletariat, der internationalen Arbeiterklasse, die "Produktivkraft" geschaffen, die ein materielles Interesse an der Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft hat.
Es klafft eine gewaltige Lücke zwischen dem heutigen Zustand der Arbeiterklasse, die ihre eigene Existenz als eine dem Kapital entgegengesetzte Kraft weitgehend vergessen hat, und der revolutionären Klassenbewegung, aus der die Oktoberrevolution von 1917 und die Kommunistische Internationale, der fortschrittlichste politische Ausdruck der revolutionären Welle von 1917-23, hervorgegangen sind. Die einzige Möglichkeit, diese Kluft zu überbrücken, liegt in der Fähigkeit der Arbeiterklasse, für die Verteidigung ihrer eigenen materiellen Interessen zu kämpfen. In diesem Sinne sind es von allen Reitern des kapitalistischen Untergangs die Wirtschaftskrise und die daraus resultierenden Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter, die die Möglichkeit beinhalten, das Proletariat zu zwingen, sich zur Verteidigung seiner eigenen Klassenforderungen zusammenzuschließen, seine gemeinsamen Interessen zu erkennen und die Perspektive zu entwickeln, seinen Feind zu stürzen.
Amos. 9.10.21
[1] Vgl. Die IKS-Broschüre Die Dekadenz des Kapitalismus, insbesondere 2. Kapitel: „Krise und Dekadenz“
Der Ausgang der Bundestagswahlen am 26.09.2021 hat der herrschenden Klasse die tiefgreifende Glaubwürdigkeitskrise in den Parteienapparat vor Augen geführt. Am offensichtlichsten ist der Vertrauensverlust gegenüber den Unionsparteien; ihr Absturz wie vorhergesagt am eklatantesten. Die FDP konnte nur knapp zulegen, die AfD verlor vor allem im Westen, etablierte sich weiter auf Kosten von Union und Die Linke im Osten, der Stimmenanteil von Die Linke halbierte sich nahezu. Aber hinter dem Stimmenzuwachs der SPD steckt keine Euphorie und keine große Hoffnung auf umfassende Veränderungen, sondern sie gilt als das kleinere Übel. So war die SPD gewissermaßen zum Sieg verurteilt.
Zum Zeitpunkt des Schreibens deutet alles auf die Bildung einer Ampelkoalition (Rot-Gelb-Grün) hin, auch wenn ein Jamaika-Bündnis (Schwarz-Gelb-Grün) immer noch als mögliche Option gehandelt werden könnte. Die FDP mag sich zwar brüsten als Königsmacher agieren zu können, aber sie wird bei dem Zustandekommen einer Ampelkoalition mit am deutlichsten Federn lassen müssen. Auch die Grünen werden stark unter Druck geraten, wenn sich zeigen wird, dass die angekündigte „Klimaregierung“ die zunehmende zerstörerische Tendenz des Kapitalismus im Zerfall nicht stoppen wird. Schon jetzt wird die „Grüne Ideologie“ nicht mehr exklusiv von den Grünen bedient. Andere Bewegungsformen wie „Ende Gelände“ und gar Parteien wie die Klimaliste wollen auch mitmischen.
Wie wir weiter unten zeigen verlangt die historische Krisenentwicklung des Kapitalismus und der sich verschärfende Konkurrenzkampf ein energisches Eingreifen des Staates - mit entsprechenden Steuermitteln, weiterer Verschuldung –; alles wogegen die FDP in ihrem Wahlkampf wetterte. Während die Verhandlungen über eine Koalition zwischen den drei Ampelparteien anlaufen, wird das Hauen und Stechen vor allem bei den Unionsparteien an Schärfe zunehmen. Aber nicht nur die Grabenkämpfe in den Oppositionsparteien, auch die Richtungskämpfe in den zukünftigen Regierungsparteien werden sich nicht in Luft auflösen. Das „Zusammenraufen“ vor allem bei SPD und Grünen stützt sich nicht auf eine solidere Geschlossenheit, sondern war nur das Zusammenrücken vor den Wahlen. Die zentrifugalen Kräfte in der Gesellschaft werden alle bürgerlichen Parteien weiter erfassen.
Während im Laufe des Wahlkampfes die Medien und CDU/CSU-Kreise selbst fortwährend die Schuld an der vorhergesagten CDU/CSU-Wahlschlappe Laschet in die Schuhe schoben und manche davon sprachen, man habe aufs falsche Pferd gesetzt, steckt in Wirklichkeit hinter dem Abstieg der CDU/CSU eine tiefgreifende Glaubwürdigkeitskrise aller Parteien, die in den letzten Jahrzehnten in der BRD die politische Landschaft bestimmen.
In Anbetracht der seit langem andauernden Wirtschaftskrise, der schleichenden Verarmung, der Rat- und Tatenlosigkeit der Regierungen gegenüber der Klimakatastrophe, d.h. in Anbetracht der Lage insgesamt und der allgemeinen Verlogenheit und Heuchelei der Herrschenden haben sich immer mehr Zweifel an der Fähigkeit der Herrschenden gebildet, die Probleme anzupacken, geschweige denn sie in den Griff zu kriegen.
Das zeigte sich in einer seit Jahren rückläufigen Wahlbeteiligung und gleichzeitig einer großen „Leere“ aller an den Wahlen beteiligten Parteien bei ihren Wahlprogrammen; sie erscheinen gewissermaßen als „ausgelaugt, abgenutzt“. Selbst bürgerliche Kommentatoren geben zu, alle Parteien seien inhaltlichen Fragen ausgewichen und hätten sich hauptsächlich auf die Personen konzentriert. Der Mangel an Perspektiven, den die Herrschenden bieten, ihre inhaltliche Leere lassen sich kaum kaschieren.
CDU: Gemeinsam für ein modernes Deutschland. Damit Deutschland stark bleibt
SPD: Jetzt viel Geld in die Hand nehmen. Investieren gegen die Krise. Betroffenen beim Neustart helfen. Respekt für dich. Jetzt sichere Arbeit, Klimaschutz wählen, Scholz packt das an! Kompetenz Deutschland
Grünen: Unser Land kann viel, wenn man es lässt. Bereit – weil ihr es seid. Kommt, wir ändern die Politik. Wirtschaft und Klima ohne Krise. Klimaschutz und Gerechtigkeit
FDP: Nie gab es mehr zu tun. Wie es ist, darf es nicht bleiben. Aus Liebe zur Freiheit
MLPD: Das Land braucht neue Politiker. Diesmal keine halben Sachen!
Die Linke: Für Millionen, nicht Millionäre
Volt: Für einen guten Job ist niemand zu alt
Hinzu kommt, dass die deutsche Bourgeoisie sich keinen Gefallen damit getan hat, 16 Jahre lang ein- und dieselbe Person als Bundeskanzlerin im Amt zu behalten. Zuvor schon hatte nach dem „Intermezzo“ durch G. Schröder (mit Rot-Grün von 1998-2005) Helmut Kohl 1982-1998 (d.h. 16 Jahre) vor allem die Botschaft der Kontinuität und Stabilität vermittelt, aber damit hatten sie selbst den Glauben an Demokratie angekratzt, da diese auch von dem häufigen Wechsel, dem Einzug von „neuen Gesichtern“ lebt. Nun hat gerade Merkel den Eindruck hinterlassen, sie habe so viele Probleme ausgesessen und so wenige angepackt; Laschet wollte sich als einen Teil Fortsetzung Merkels präsentieren und selbst Scholz wird zugeschrieben, er könne auch Merkel(n). Aber diese Beobachtung bleibt an der Oberfläche stecken, tatsächlich sind diese Politiker nur Repräsentanten einer viel tiefer sitzenden Unfähigkeit, die brennenden Probleme anzupacken.
Diese tief sitzende Unfähigkeit drückt sich in einem generellen Glaubwürdigkeitsverlust aus, der nicht allein auf die CDU beschränkt ist. Auch die CSU, in Bayern jahrelang unangefochten, konnte große Einbußen – mit Söder an der Spitze – nicht vermeiden.
Der Anlauf zur Regelung der Nachfolge der „verschlissenen“ Merkel mit AKK war ein „Flopp“, es folgte der Hahnenkampf zwischen Laschet und Söder; die Zerrissenheit und Grabenkämpfe innerhalb der CDU/CSU nahmen weiter zu. Ob der Rechtsaußen Maaßen in Sachsen, andere Querschießer in Ostdeutschland, diverse Seilschaften im Westen, F. Merz’ Knappen der Jungen Union oder Kräfte aus Bayern – die Flügelkämpfe und die dahintersteckende Schwächung der CDU kam nicht nur durch den „Fehlgriff“ Laschet zum Ausdruck. Eine Verjüngung und eine "Modernisierung" mit unverbrauchten Leuten und neuer Botschaft war misslungen.
Wie bei fast allen „linken“ Parteien in anderen europäischen Ländern war auch die Sozialdemokratie in den Sog des Abwärtstrends geraten. Die früher gepriesenen sozialdemokratischen „Reformen“ haben sich längst in Luft aufgelöst; gleichzeitig bewies die SPD mit Hartz IV ihre Fähigkeit, der Arbeiterklasse viel schmerzhafter und gewiefter in die Tasche greifen zu können als die anderen Parteien.
Für das Kapital war es schon eine Notlösung, im Winter 2017/2018 erneut eine GroKo in den Sattel zu hieven, da schon zum damaligen Zeitpunkt eine Erneuerung der SPD in der Opposition notwendig gewesen wäre. Dies musste 2018 aber aufgeschoben werden…. So galt die SPD denn auch von 2018 bis zum Frühsommer 2021 mit Umfragewerten knapp über 15% als „Verlierer“. Die Versuche, mit einem neuen Führungsduo frischen Wind in die Partei zu bringen, änderten nichts daran, dass ihr Aushängeschild O. Scholz selbst jahrelang als „lahme Ente“, als Meister im Wegducken galt, der keine klare Kante zeigte.[1] Dann aber konnte die SPD gewissermaßen aufatmen. Denn die Pandemie mit ihren katastrophalen Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen erforderte das entschlossene und massive Eingreifen des Staates vor allem auf finanzieller Ebene. Hier besaß die SPD ihren entscheidenden Mann im Finanzministerium. Wie zuvor 2008, als der damalige SPD-Finanzminister Steinbrück mit Merkel an seiner Seite vor die Kameras trat „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind “, präsentierte sich dieses Mal ein weiterer SPD-Mann in seiner Rolle als Finanzminister als Stabilitätsanker. Damit hat die SPD paradoxerweise von Covid profitiert, indem sie Schutz und Unterstützung garantierte. Dies war selbstverständlich nur möglich dank der gigantischen Erhöhung des Schuldenberges. D.h. ohne das Covid-Desaster wäre Scholz nie zum „Shooting-Star“ der SPD geworden. Der schlechte Ruf des CDU-Kandidaten Laschet alleine hätte für Scholz’ Aufstieg nicht ausgereicht. Wenn nun die SPD wieder anführender Stelle in der Regierung mitwirkt, muss die „Erneuerung“ der SPD erneut verschoben werden. Längerfristig wird sich dies für die herrschende Klasse deshalb als Bürde erweisen. Beide sogenannten „Volksparteien“, die früher in der Lage waren, 40 % der Wählenden für sich alleine zu mobilisieren, haben heute Mühe 25 % der Stimmen zu bekommen. Es spricht für die „Anpassungsfähigkeit“ der Bourgeoisie, dass sie mit den Grünen über Jahrzehnte eine Partei herangezogen hat, die ähnlich verlässlich wie die FDP-Koalitionen möglich macht. Doch nach der doppelten GroKo und dem weiteren Verschleiß der CDU/SPD scheint nun die einzige Alternative in Regierungen mit drei Parteien zu bestehen.
Die rückläufige Wahlbeteiligung konnte zum Teil eingefangen werden, indem Protestparteien verschiedener Couleur als Sammelbecken dienten. Neben den winzig kleinen, zahlenmäßig unbedeutenden Parteien, (z.B. Die Partei, Piratenpartei) sprang vor allem die AfD der Bourgeoisie hilfreich zur Seite, denn sie brachte mit ihren Dutzend Prozentpunkten bei fast allen Wahlen eine gehörige Portion frustrierter, desorientierter Menschen aus „Unter- und Mittelschichten“ zurück zur Wahlurne. Selbstverständlich haben sie selbst nichts anzubieten außer Hetze, „Abschottung“, Pogromstimmung und den Interessen des deutschen Kapitals zuwiderlaufende Vorstellungen wie die z.B. Forderungen nach Austritt aus der Europäischen Union und Rückzug aus dem Euro. Die Partei selbst ist ein Beispiel der Zerrissenheit, Fragmentierung, zersplittert in untereinander rivalisierende Cliquen, ohne jegliche Kohärenz.
Nach ihrer Anfangszeit als Protestpartei in den 1980er Jahren sind sie längst vom System integriert und zu einem wichtigen Bestandteil des deutschen Kapitals geworden. Bei der ersten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene zeichneten sie sich durch ihre perfide Propagierung deutscher Kriegsbeteiligung an der Bombardierung Belgrads aus. In Baden-Württemberg stehen sie nicht nur dem Mittelstand treu zu Diensten, sondern auch der Automobilindustrie und fördern dort den Umbruch zur Elektromobilität. In Anbetracht der zunehmenden Besorgnis vor allem Jugendlicher wegen der Umweltzerstörung, Klimakatastrophe usw. und der mangelnden Wahlbeteiligung agieren die Grünen immer wieder als zutreiber zu den Wahlen. Vor allem gegenüber der Jugend erwecken sie die Illusion, „Wirtschaft und Klima“ seien vereinbar und es sei möglich, den Kapitalismus mit einer Reihe von ökologischen Maßnahmen zu reformieren und aufrechtzuerhalten.
„Unser Land kann viel, wenn man es lässt. Bereit – weil ihr es seid.“ Damit sind die Grünen zu einem wichtigen Trumpf des deutschen Kapitals geworden.
Bemerkenswert ist die Rückkehr der FDP, nachdem diese schon fast aus den Parlamenten verschwunden war. Die FDP als eifriger Vorkämpfer des „schlanken Staates“ und des „Neoliberalismus“ wirkt zwar in der heutigen Zeit der explodierenden Staatshaushalte als Anachronismus, jedoch ist sie gleichzeitig eine moderne Partei der individualisierten Einzelinteressen und trifft somit den Zeitgeist des Jeder-für-sich. Die FDP ist zu einem höheren Maße vom Populismus und von der anti-sozialen individualistischen Tendenz betroffen, als sie selbst und die bürgerliche Presse wahrhaben will. Der vermeintliche Königsmacher wird einen unberechenbaren Faktor in die Regierung einbringen.
Wir können schon jetzt festhalten, dass, egal welche Regierungskoalition sich durchsetzen wird, die Unsicherheit über die Verlässlichkeit der deutschen Bourgeoisie wachsen wird. Der Stabilitätsanker Deutschland korrodiert.
Neben dem Verschleiß der bürgerlichen Parteien sind in letzter Zeit weitere Zerfallserscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft insgesamt deutlich zutage getreten.
Wie wir in früheren Artikeln aufgezeigt haben, hat die deutsche Bourgeoisie bei der Reaktion gegenüber der Pandemie alle Seiten ihres Gesichtes offenbart.
In der Anfangsphase des Ausbruchs der Pandemie war auf der einen Seite ihre unglaubliche Fahrlässigkeit und Sorglosigkeit und gleichzeitig ihre wilde Entschlossenheit zur Verteidigung ihrer ökonomischen Interessen zum Vorschein gekommen.
Schnell wurde z.B. deutlich, dass die mangelnde Lagerhaltung von Schutzausrüstung wegen Einsparungen im Bereich der Vorratshaltung die Gesundheit nicht nur des medizinischen Personals und der Patienten in Gefahr brachte, und dass man bereit war als Exportweltmeister die Exporte von medizinisch wichtigen Gütern zu verbieten, um die einheimische Bevölkerung zuerst zu bedienen, nachdem man jahrelang eine gefährliche Abhängigkeit von Billigproduzenten wie China in kauf genommen hatte.
Gleichzeitig wurde ersichtlich, dass die zuständigen Stellen im Gesundheitswesen völlig unzureichend gerüstet waren für ein schnelles Eingreifen zum Aufspüren und Warnen von Kontaktpersonen (technisch längst überholte Mittel wie Fax in den Gesundheitsämtern waren Hauptkommunikationsmittel). Zudem war viel zu wenig Personal vorhanden, was dazu zwang, schließlich auf „Freiwillige“ und die Bundeswehr zur Personalaufstockung zurück zu greifen. In den Schulen gab es zum Teil afrikanische Verhältnisse bei Ausrüstung und Qualifizierung der Lehrerschaft mit Unterrichtsmitteln für Fernunterricht. Ob bei Behörden, den Schulen oder in der Wirtschaft – das Hinterherhinken bei der Digitalisierung stach ins Auge.
Gleichzeitig vermittelte man ein Bild der Zerstrittenheit zwischen den Regierungskreisen – innerhalb der Bundesregierung und zwischen Bund und Ländern, dann regelmäßig Streit oder Anfechtung der Empfehlungen der Virologen. Dagegen zeigte sich am Anfang die Stärke des deutschen Kapitals, als man in der Wirtschaft schnell in gemeinsamer Abstimmung zwischen Arbeitgebern, Staat und Gewerkschaften einen Lockdown beschloss, um die Produktion geordnet runterzufahren, … nachdem die Zusage für gigantische Staatshilfen gemacht worden war. So erhielten zum Beispiel die großen Automobilkonzerne mächtige Finanzspritzen…. Und auch gegenüber kleineren und mittleren Unternehmen drehte man den Geldhahn auf, um sie finanziell über Wasser zu halten.
Weitere Lockdowns sollten dann unter allen Umständen verhindert werden – bis man im Dezember 2020 wieder einen Lockdown beschließen musste. Zudem streitet man unaufhörlich um die Durchsetzung (und das Umgehen) bundesweit einheitlicher Maßnahmen. Nie war der Flickenteppich größer.
Bei der Entwicklung eines Impfstoffes konnten die beiden in Deutschland und den USA angesiedelten Firmen BioNTech und Pfizer zwar bahnbrechende Erfolge verbuchen und damit eine führende Stellung auf dem Weltimpfstoffmarkt einnehmen, aber die Hürde der Überzeugung der Bevölkerung von der Notwendigkeit sich impfen zu lassen, konnte nicht genommen werden. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung bleibt äußerst misstrauisch bzw. ablehnend gegenüber Impfungen.
Bei der Bekämpfung der Pandemie durch die wissenschaftliche Begleitung von Untersuchungsergebnissen der Erkrankten hinkt das Land, in dem so viel Medizingeräte produziert werden, ebenfalls hinterher.[2]
Der Streit zwischen verschiedenen Landesfürsten über unterschiedliche länderspezifische Regelungen wurde noch undurchsichtiger dadurch, dass die Politiker sich im Wahlkampf profilieren wollten.
Aber gleichzeitig wurde auch deutlich, dass die in der Vergangenheit meist vorteilhafte Struktur des Föderalismus, die eine gewisse Flexibilität ermöglichte und dem Provinzgeist genügend Freiraum und damit auch den Machtbereichen verschiedener Gruppierungen Raum für Partikularinteressen ließ, sich in dieser Situation als Verschärfer der Konflikte zwischen den Ländern und somit als Klotz am Bein herausstellte. Es ist nicht der Föderalismus an sich, der das Problem ist, dieser hat seine historisch tiefen Wurzeln in der verspäteten Herausbildung des deutschen Nationalstaates. In anderen Ländern wie z. B. Frankreich ist es der spezifisch „französische“ Zentralismus, der durch die beschleunigte Dynamik des Zerfalls selbst zum Beschleuniger der Zerrissenheit und Spaltung in der Gesellschaft wird.
Die Flutkatastrophe Mitte Juli mit ihren nahezu 200 Toten, knapp tausend Verletzten und vielen Traumatisierten brachte weitere Aspekte dieses Zerfalls zum Vorschein.
Zwar hatte man ein Flutwarnsystem nach den Überschwemmungen von 2002 installiert, aber die Alarmsirenen waren entweder nach 1989 abgebaut worden oder die auf dem Funknetz basierenden Warnsysteme funktionierten nach dem Ausfall der Sendemasten nicht mehr. Zudem deuten erste Untersuchungen darauf hin, dass wiederholte Warnungen seitens der Wetterdienste und anderer spezialisierter Dienste von den Behörden nicht in entsprechende Aufforderungen umgesetzt wurden, so dass ein Großteil der verlorenen Menschenleben auf das Konto der Fahrlässigkeit der Behörden geht. Auch wenn die Flutwelle als solche nicht hätte verhindert werden können, die meisten Menschenleben hätten durch entsprechende rechtzeitige Warnung (und Übungen für solche Fälle) geschützt werden können. Bei der anschließenden Mobilisierung der staatlichen Hilfskräfte war das gewaltige Chaos bei der Organisierung der Hilfsmaßnahmen nicht zu übersehen und die mangelnde Ausrüstung der Katastrophendienste (organisatorisch und materiell) wies ebenso auf große Nachlässigkeiten hin.
Weil die Zerstörungen so gewaltig waren, mussten Bund und Länder, ein Hilfspaket von 30 Mrd. Euro zusagen. Dies bringt die ganze Irrationalität zum Vorschein. Bislang hat man die Umwelt weitestgehend ungebremst zerstört, damit solche Extremwetterereignisse herbeigeführt, alles zum Wohl der Wirtschaft, nun sind die Opfer in der Bevölkerung und gigantische wirtschaftliche Kosten dafür zu beklagen. Demgegenüber war der einzige Lichtblick die Mobilisierung der Zivilbevölkerung, die sich meist außerhalb von staatlichen Stellen selbst organisierte. Dabei eilten Menschen aller Altersgruppen und Herkunft aus allen Landesteilen selbstlos herbei, um den Betroffenen mit ungeheurer Kreativität Hilfe zukommen zu lassen.
Die Liste der Zerfallserscheinungen ließe sich noch lange fortsetzen. Wir erwähnen hier nur den VW-Abgasskandal – mittlerweile schon ein paar Jahre alt; er stellt zwar ein Zeichen der Verschärfung des Konkurrenzkampfes dar, bei dem alle Mittel eingesetzt werden, aber er zeigt auch die Irrationalität, denn mittlerweile musste VW dafür mehr als 30 Mrd. Euro Strafe zahlen. D.h. die Kosten des weltweit tobenden Konkurrenzkampfes werden immer horrender und irrationaler! Und er war angetrieben von einer moralischen Skrupellosigkeit und Verkommenheit des technischen und führenden Managements, was einen tiefen Blick in die Konstitution der Charaktere der herrschenden Klasse werfen lässt.
Aber nicht nur in höheren Ebenen nehmen Ruchlosigkeit und Brutalität im Konkurrenzkampf zu, auch in anderen Teilen der Gesellschaft greifen Irrationalität und „Abschottungsmentalität“ sowie Gewaltbereitschaft immer mehr um sich. Verschiedene Phänomene, die in der jüngsten Zeit die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, werden meist isoliert, losgelöst voneinander dargestellt. Die verschwörungstheoretischen, wissenschaftsfeindlichen Denkweisen, die Haltung vieler „Querdenker“ und deren Forderung nach „Freiheit“, die Durchmischung mit rechtsradikalen Kräften auf solchen Demos, „ausrastende“, größtenteils psychisch Gestörte, die vor Mord und Totschlag gegen Einzelne oder Gruppen von angeblich irgendwie „Schuldigen“ nicht zurückschrecken, sich vertiefende „Gräben“ zwischen verschiedenen Identitätsabgrenzungen weisen auf einen tiefgreifenden Zersetzungsprozess im Innern der Gesellschaft hin, der sich natürlich gravierend in den Staat hineingefressen hat.
Dass man bei den Wahlen in Berlin, wo neben der Bundestagswahl die Wahl zum Abgeordnetenhaus und der Volksentscheid zur Enteignung von großen Wohnungskonzernen an einem Tag durchgeführt wurde, überforderte offensichtlich viele Teile des Staatsapparates, denn mehrere Wahllokale mussten mehrere Stunden geschlossen werden, weil keine Wahlzettel mehr zur Verfügung standen. Wahlbezirke wurden verwechselt, Pannen über Pannen! Vielleicht gibt es demnächst Wahlbeobachter aus irgendeiner Bananenrepublik!
Die neue Bundesregierung wird zügig an die auf sie zukommenden Aufgaben herangehen müssen:
- die Kosten für die Rettungspakete langsam – ohne Überstürzung, taktierend – auf die Bevölkerung, natürlich insbesondere die Arbeiterklasse abzuwälzen.[3]
- eine Aufholjagd für die Modernisierung der Wirtschaft in verschiedenen Bereichen einzuläuten; vieles von diesem mit dem Aushängeschild “grüne Wirtschaft“. Insgesamt wird man dem Klimaschutz massiv Gelder zur Verfügung stellen müssen,
- eine Lehre aus der Pandemie zeigte: Die in den letzten Jahren entstandene Abhängigkeit bei vielen Produkten vom Ausland (von Billigprodukten wie medizinischer Schutzausrüstung bis hin zu modernen Elektronikbauteilen (Halbleitern, Chips), muss reduziert bzw. aufgelöst werden, um Zwangslagen gegenüber asiatischen oder US-amerikanischen Produzenten zu vermeiden.
- die Rüstungsausgaben erhöhen, um den verstärkten Notwendigkeiten auf imperialistischer Ebene Rechnung zu tragen,
- Wohnungen bauen, um die wachsende Nachfrage besser zu decken – wobei alle möglichen Maßnahmen in Betracht kommen können wie z.B. jüngst in Berlin, wo ein Deal über den Kauf von 14.500 Wohnungen durch den Berliner Senat stattfand, um die Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt durch Steuergelder abzuschwächen.
- Schulung und Rekrutierung neuer Generationen von Arbeitskräften.
All diese Maßnahmen sind ohne massivste zusätzliche Staatsausgaben undenkbar. Beim Bau von Halbleiterproduktionsanlagen investieren z.B. China in den nächsten 6 Jahren 1.4 Billionen $ in strategische Technologien und Südkorea in den nächsten 10 Jahren 450 Milliarden Mrd. $ in Halbleiterentwicklung - alle mit nahezu unbeschränkten staatlichen Finanzspritzen - ein Alptraum für die EU…. und Deutschland, denn dem gegenüber kann ein einzelner Staat und auch die geballte Kraft der EU nicht mithalten.[4]
Die Aufgabe lautet also: wie die großen Gelder für den Konkurrenzkampf aufbringen? Nur der Staat kann solche Summen zusammenkratzen. Und wie soll das finanziert werden, nachdem man ja schon solch einen gigantischen Schuldenberg aufgebaut hat, der jetzt durch Corona noch mal vergrößert wurde? Auf wen diese Schuldenlast abwälzen?
Dabei herrschen zurzeit noch günstige Konditionen am Finanzmarkt. Die Null bzw. Negativzinsen feuern den Bauboom an, treiben selbst gleichzeitig die Baupreise in astronomische Höhen, und lassen Mieten unbezahlbar werden. Gleichzeitig werden Wohnungen / Mieten dadurch immer weniger bezahlbar.[5]
Und gleichzeitig kommt mit der Nullzinspolitik das, was bürgerliche Kommentatoren die „kalte Enteignung der Sparer“ nennen.
Mittlerweile ist die Inflation auf 3-4% angezogen. Zwar behaupten die Ökonomen, dies sei zum Großteil auf die Spätfolgen des Chaos der Pandemie zurückzuführen, wodurch Lieferketten gerissen sind und zu Mangel an vielen Produkten geführt haben. Die Inflation kann sehr wohl aber eine Eigendynamik entfalten, was große Folgen für die Finanzmärkte und für die Einkommen haben würde.
Auch wenn die neue Regierung vielleicht nicht unbedingt sofort eine große Welle von Sparmaßnahmen einleitet, um Geld einzutreiben, zeigen die Beispiele USA und GB wohin der Weg gehen wird, dort haben die Regierungen nach kurzer Zeit schon Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen beschlossen. Dabei muss die Regierung nicht unbedingt offen die Steuern erhöhen oder die Löhne senken und Sozialleistungen rabiat streichen.[6]
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verdeutlicht dies. Dort herrscht z.B. eine widersprüchliche Situation. Einerseits ruft u.a. die demographische Entwicklung einen Arbeitskräftemangel hervor – nicht nur im Bereich der hochqualifizierten Arbeitskräfte, sondern auch in vielen Bereichen des Niedriglohnsektors. So steht das Kapital zum ersten Mal vor der Lage, dass es einerseits in vielen Branchen immer mehr Arbeitsplätze abbauen und somit Personal freisetzen muss (z.B. im Gesundheitswesen, in der Automobilproduktion sollen durch die Einführung von E-Fahrzeugen allein in den nächsten Jahren 180.000 Jobs wegfallen), in anderen Branchen sucht man händeringend nach Arbeitskräften – z.B. Logistik/Transport-Verkehr, Kitas, Pflegekräfte, Ingenieure. Gleichzeitig hat man durch die Prekarisierung einen immer höheren Anteil an Niedriglöhnen geschaffen,[7] während in allen Branchen die Verdichtung der Arbeit zugenommen hat. So sind viele Angriffe über Neueinstellungen mit Niedriglöhnen, allgemeine Prekarisierung und durch Arbeitsverdichtungen über die Bühne gebracht worden. Und unterdessen sind viele junge Leute nicht mehr bereit, sich in die Arbeit mit vielen Überstunden usw. voll einspannen zu lassen, um „Karriere zu machen“.
Der Arbeitskräftemangel, der 2015 die Unternehmer dazu bewogen hatte, in Anbetracht der Flüchtlingswelle von 2015 zu verkünden, man könne jedes Jahr eine Million neue Immigranten aufnehmen (damals sprach Merkel von der „Willkommenspolitik“ („Das schaffen wir“)), zwingt das Kapital zu einer Änderung seiner Migrationspolitik. Genauso wie Anfang der 60er Jahre, als nach dem Mauerbau der Zustrom billiger Arbeitskräfte aus dem Osten versiegte und man massenhaft Billig Lohner (Gastarbeiter) ins Land holte, müssten nun viel mehr Migranten reingelassen werden - aber der Populismus und der Zerfall haben hier zusätzliche Hürden aufgebaut. Der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen hatte nach 2015 der AfD den Aufstieg mit ermöglicht. Aus Angst vor dem weiteren Zulauf zur AfD infolge eines zu starken Zustroms von Flüchtlingen wird das deutsche Kapital jedoch daran gehindert, für ausreichenden Nachschub (besonders an qualifizierten) Arbeitskräften aus dem Ausland zu sorgen. So kommt dem Kapital der Populismus in die Quere und schwächt die Konkurrenzfähigkeit.
Wegen all dieser Modernisierungsbedürfnisse und des energischen Eingreifens des Staates sowie der Notwendigkeit, die Kosten der Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, stehen die weitsichtigsten Teile des deutschen Kapitals auf Seite von SPD und Grüne, weil diese Parteien am wenigsten beim Einsatz staatskapitalistischer Investitionen zögern und zumindest die Sozialdemokratie mehr Erfahrung in der Konfrontation mit der Arbeiterklasse hat.
Man könnte fragen: wäre die CDU mit ihrer lange vom damaligen Finanzminister Schäuble praktizierten "schwarzen Null“ (d.h. keine Neuaufnahme von Schulden) nicht die bessere Karte gewesen? Die Erfahrung zeigt, dass dem Staat wie nach 1990, als bei der Wiedervereinigung der damalige Kanzler Kohl auch massiv Schulden aufnahm, um die ehemalige DDR einzuverleiben, keine andere Option offenstand, um den Bedürfnissen des Kapitals zu genügen. Verstärkung des Staatskapitalismus, um eine auseinanderdriftende, von immer mehr Widersprüchen zerrissene Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren – ist die historische Entwicklungslinie des niedergehenden Kapitalismus. Die Zunahme staatskapitalistischer Maßnahmen ist kein Zeichen der Auflösung der Demokratie hin zu einer Diktatur (wie es viele kleinbürgerliche Linke und Querdenker behaupten) sondern Ausdruck der Schwäche, der Krisen, der Obsoleszenz des Kapitalismus.
Unterdessen wird deutlich, dass gerade die deutsche Exportabhängigkeit zu einer größeren Verwundbarkeit durch die Erschütterungen in der Weltwirtschaft führt. Der Zusammenbruch des chinesischen Immobilienriesen Evergrande liefert einen Vorgeschmack von dem, was auf die Weltwirtschaft zukommen und besonders stark Deutschland treffen wird.
Auf imperialistischer Ebene wird die neue Regierung auf einer zunehmend komplexeren, chaotischen Bühne die Interessen des deutschen Kapitals verteidigen müssen.
Wegen der großen Exportabhängigkeit kann man weder gegenüber China noch Russland und auch nicht gegenüber den US einen offen aggressiven Kurs fahren. Zwar werden Rot-Grün ihre moralische Verlogenheit gegenüber China und Russland unter Beweis stellen, aber die nackten Realitäten des Konkurrenzkampfes werden sie zum Manövrieren zwingen. Das Afghanistan-Debakel hat auch die Entschlossenheit aller Parteien verdeutlicht, sich mehr aus amerikanischer Abhängigkeit zu befreien und zu eigenständigem Handeln im Verbund mit europäischen „Partnern“, (allein voran Frankreich) fähig zu werden. Insbesondere die Grünen können im Aufbau einer eigenständigeren europäischen imperialistischen Position eine wichtige Rolle spielen. All das ist notwendigerweise mit einer Anpassung der Militärausgaben verbunden. Nebenbei sei bemerkt, dass dem deutschen Imperialismus auch hier der Populismus ungelegen kommt.[8]
Die Schwächen der Arbeiterklasse international wie auch insbesondere in Deutschland, die seit nunmehr mehreren Jahrzehnten unverkennbar sind, dürfen von den Revolutionären nicht geleugnet, sondern müssen in aller Gründlichkeit und ohne Scheu analysiert werden.
Die jüngste Entwicklung hat diese Schwierigkeiten der Arbeiterklasse, überhaupt als Klasse in Erscheinung zu treten und als Bezugspol für politisierte Leute zu wirken, noch einmal deutlicher vor Augen treten lassen. Zudem haben die Bedingungen der Pandemie noch einmal die Lage verschärft und ein Gefühl des Corona-Blues bei einigen aufkommen lassen.
Auch wenn der unmittelbare Eindruck bei manchen ein demoralisierendes Gefühl hervorrufen mag, dürfen wir nicht Gefangene der unmittelbaren Situation werden. Es ist unsere Aufgabe zu erkennen, dass die Widersprüche im Kapitalismus sich weiter aufgehäuft haben und diese uns nur noch mehr bedrohen werden. Bislang ist es dem deutschen Kapital gelungen, die schlimmsten Auswirkungen der Wirtschaftskrise von der Arbeiterklasse fernzuhalten bzw. die Bedürfnisse des Kapitals geschickt aufzuzwingen – ohne nennenswerten Widerstand der Klasse.
Auch wenn die Arbeiterklasse jetzt noch nicht direkt in einen sofortigen Zugzwang gerät, wird der zukünftige Abwehrkampf gegen die kapitalistischen Angriffe ein entscheidendes Moment sein. So schwer es auch für die Arbeiterklasse ist, diese Abwehrbewegung in Gang zu setzen, sie ist und bleibt die einzige Dynamik zur Herbeiführung einer Klassenkonfrontation, in der die wahren Klassengegensätze in der Gesellschaft deutlich werden. Sicher hat die herrschende Klasse mit dem ganzen Wahlspektakel und dank anderer, für Ablenkung sorgender Faktoren, zurzeit die Oberhand und kann die „Themen bestimmen“. Aber dies wird nicht ewig dauern. Entweder versinkt die Gesellschaft immer tiefer in ihrem Morast der Verfaulung oder der Klassenkampf entfaltet seine eigene Dynamik, langfristig mit einer Perspektive zur Überwindung dieser Gesellschaft. Es ist Aufgabe der Revolutionäre weiterhin für diese Perspektive zu kämpfen. Deshalb darf man in Anbetracht der Schwierigkeiten nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern muss eine langfristige Perspektive entwickeln.
Wolfgang 27.09.2021
[1]Ob als Spitzenkraft in Hamburg oder als Finanzminister – im Umgang mit Finanzen und Deals mit allen möglichen (durchsichtigen oder undurchsichtigen) Firmen, immer beteuerte er trickreich und aalglatt seine Unschuld oder verwies auf seine Gedächtnislücken.
[2] Im gesamten ersten Jahr der Pandemie wurden hierzulande mehrere kontrollierte Studien mit Patienten auf den Weg gebracht, jedoch nur eine Minderheit von ihnen erfolgreich weitergeführt oder abgeschlossen. Zu diesem wenig schmeichelhaften Resultat kommen Forscher aus der Schweiz und Deutschland nach eingehender Analyse der einschlägigen Studien-Datenbanken. (FAZ, 14.09.2021, Miserables Zeugnis für die deutsche Corona-Forschung)
[3]Neben dem Rettungspaket von 750 Mrd. Euro der EU hat der Staat in Deutschland nochmal mehrere hundert Milliarden Euro in die Wirtschaft gepumpt. „1,32 Billionen Euro Corona-Schulden und kein Ende in Sicht: So teuer wird die Krise für Deutschland. Der Schuldenstand des Bundes ist seit Pandemiebeginn um 35 Prozent angestiegen und liegt so hoch wie nie zuvor. www.handelsblatt.com/politik/deutschland/rekord-neuverschuldung-1-32-billionen-euro-corona-schulden-und-kein-ende-in-sicht-so-teuer-wird-die-krise-fuer-deutschland/27034064.html [19].
Seitdem ist der Schuldenstand unaufhörlich weitergewachsen.
[4] In der Solar-/PV-Technologie hatte z.B. Deutschland die Nase mit vorn, doch nach umfangreichen staatlichen Finanzspritzen an chinesische Firmen haben diese in der Zwischenzeit deutsche Konkurrenten platt gemacht. Ähnliches droht in anderen Branchen.
[5] Jetzt schon richten sich die meisten Proteste gegen Wohnungsnot, aber weil sie eine „klassenübergreifende“ Mobilisierung darstellen, können sie keine klassenspezifische Polarisierung bewirken und keine wirkliche politische Sprengkraft darstellen.
[6] Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels gibt es noch keine neue Regierung Sollte die FDP mit im Boot sein, könnten sich die anderen Parteien gut hinter ihr verstecken, so tun, als ließe man sich von ihr unter Druck setzen, um die Schuldenpolitik einzudämmen.
[7] Der sogenannte Niedriglohnsektor ist bis 2008 permanent angewachsen und hat sich seitdem bei ca. 22 Prozent festgesetzt.
[8] So konnte man beim Afghanistan-Desaster gewissermaßen die verdeckte störende Wirkung des Populismus auf imperialistischer Ebene sehen. Wie alle anderen westlichen Mächte konnte die Bundeswehr ihren fast 20-jährigen Einsatz nur dank der Rekrutierung von Ortskräften aufrechterhalten. Während man angesichts der Machtübernahme der Taliban die einheimische Bevölkerung, die nicht im Solde der westlichen Mächte stand, ihrem Schicksal überlassen wollte, vor allem die CDU/CSU bis wenige Tage vor dem Zusammenbruch des Regimes fleißig weiter Abschiebungen propagierte, geriet man in Verlegenheit gegenüber den „Schutzbedürftigen“ vor Ort. Es gehört zur Glaubwürdigkeit einer imperialistischen Macht, dass man die ehemaligen „Verbündeten“ vor Ort unterstützt. Überall war aber plötzlich wieder zu hören, „Nur bloß keine Wiederholung von 2015“. Die Angst der führenden Kreise der herrschenden Klasse, dass man wieder eine große Zahl Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen müsse, war getrieben von der Sorge, dass eine neue Flüchtlingswelle erneut der AfD nützen würde, denn diese hatte nach dem Ansturm der Flüchtlinge 2015 einen fulminanten Aufschwung für die AfD gebracht. So wurde anhand der Zurückhaltung und des Widerwillens bei der Aufnahme von „Ortskräften“ deutlich, wie stark man dem Populismus und der AfD Tribut zollen musste.
Während die Covid-19-Krise mit ihren schweren gesundheitlichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf die meisten Staaten der Welt seit fast zwei Jahren andauert, haben diese ihren imperialistischen Appetit in keiner Weise gedämpft. Die Zunahme der Spannungen war in den letzten Monaten insbesondere durch eine deutliche Verschärfung der Gegensätze zwischen den USA und China gekennzeichnet.
Die Biden-Administration hält nicht nur die von Trump eingeführten aggressiven wirtschaftlichen Maßnahmen gegen China aufrecht, sondern hat vor allem den Druck auf politischer Ebene (Verteidigung der Rechte der Uiguren und Hongkongs, Annäherung an Taiwan, mit dem derzeit ein Handelsabkommen ausgehandelt wird, Vorwürfe des Computer-Hackings) und auch auf militärischer Ebene im Chinesischen Meer erhöht, und das seit Anfang April auf ziemlich spektakuläre Weise:
- Am 7. April entsandten die USA eine Flugzeugträgergruppe (die USS Theodore Roosevelt mit ihrer Flottille) in das Südchinesische Meer, und der Raketenzerstörer USS John S. McCain durchquerte die Taiwanstraße (zwischen China und Taiwan);
- Am 11. Mai begannen amerikanische, französische (mit dem amphibischen Hubschrauberträger (PHA) Tonnerre und der Fregatte Surcouf), japanische und australische Schiffe mit gemeinsamen Militärübungen (ARC21) im Ostchinesischen Meer, den ersten ihrer Art in diesem strategischen Gebiet, unweit der unbewohnten, von Japan verwalteter Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer, die Peking für sich beansprucht und die es Diaoyu nennt. Vor diesen Übungen hatten die französischen Schiffe an den La-Pérouse-Übungen im Golf von Bengalen mit amerikanischen, australischen und japanischen Schiffen teilgenommen. Dann fuhr die Tonnerre südlich von Taiwan vorbei, um Japan zu erreichen, während die Surcouf ebenfalls die Taiwanstraße benutzte;
- Auf die französische Präsenz in Japan soll 2021 die deutsche Fregatte Hessen folgen, nachdem Berlin 2020 den Wunsch geäußert hat, im Indopazifik stärker präsent zu sein, und 2022 wird die britische Marinefliegergruppe Queen Elizabeth auf der Inselgruppe stationiert.
- Im September kündigten die USA, Großbritannien und Australien ein neues Verteidigungsabkommen an, das unter dem Namen "Aukus" bekannt ist und sich auf den Ausbau der militärischen Präsenz dieser Länder in den Meeren um China konzentriert. Die drei Länder werden militärische Erkenntnisse und technologisches Wissen austauschen, was Australien den Bau von Atom-U-Booten ermöglichen wird. Der Aukus-Pakt ist ein Schlag ins Gesicht Frankreichs, da Australien einen Milliardenvertrag mit Frankreich über den Bau einer U-Boot-Flotte gekündigt hat. Frankreich reagierte wütend und zog seine Botschafter aus den USA und Australien ab. China hat den Pakt als Beginn eines neuen kalten Krieges angeprangert, obwohl es sich über die neuen Spaltungen zwischen seinen westlichen Rivalen zweifellos freuen wird.
China seinerseits hat auf diesen politischen und militärischen Druck, insbesondere in Bezug auf Taiwan, verärgert reagiert:
- Als Reaktion auf die Anwesenheit der US-Flotte operierte Anfang April der Flugzeugträger Liaoning in Begleitung von fünf Kriegsschiffen in den Gewässern östlich der "Rebelleninsel". Taiwanesische Kampfjets mussten in aller Eile starten, um den Eintritt von fünfzehn chinesischen Flugzeugen in Taiwans Luftverteidigungsidentifikationszone abzuwehren;
- Am 19. Mai veröffentlichte eine der Kommunistischen Partei Chinas nahestehende Denkfabrik mit Sitz in Hongkong eine Studie, die betont, dass die Spannungen in der Straße von Taiwan so groß geworden sind, dass sie auf ein so hohes Risiko eines Krieges zwischen dem Festland und Taiwan hindeuten wie nie zuvor.
- Als Reaktion auf das NATO-Treffen, das eine gewisse Einigung zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union in der China-Frage markierte, drangen am 15. Juni 28 chinesische Kampfjets in die Luftverteidigungs-Identifizierungszone der ehemaligen Insel Formosa ein – das bisher größte Vordringen von Kampfflugzeugen und Bombern der Volksbefreiungsarmee;
- Anfang Juli veröffentlichte die chinesische Zeitschrift Naval and Merchant Ships einen Plan für einen dreistufigen Überraschungsangriff auf Taiwan, der zu einer totalen Niederlage der Streitkräfte der "Rebellenprovinz" führen sollte.
Ende August schließlich warnte der Jahresbericht des taiwanesischen Verteidigungsministeriums davor, dass China "jetzt digitale Operationen seiner Armee kombinieren kann, die zunächst unsere Luftverteidigung, die Kommandozentralen auf See und die Fähigkeiten zum Gegenangriff lahmlegen würden, was eine enorme Bedrohung für uns darstellt" (P.-A. Donnet, „China in a position to paralyse Taiwan's defence, according to Taipei“, Asialyst, 02.09.21).
So folgten in den letzten Monaten im Chinesischen Meer Warnungen, Drohungen und Einschüchterungen aufeinander. Sie unterstreichen den wachsenden Druck, den die USA auf China ausüben. In diesem Zusammenhang setzen die Vereinigten Staaten alles daran, andere asiatische Länder hinter sich zu scharen, die über die Expansionsbestrebungen Pekings besorgt sind ("Die ARC21-Übung ist ein Mittel zur Abschreckung angesichts des zunehmend aggressiven Verhaltens Chinas in der Region", so Takashi Kawakami, Direktor des Instituts für internationale Studien an der Takushoku-Universität (Japan), zitiert von der Tageszeitung Les Echos am 14. Mai). Die USA versuchen daher, eine Art asiatische NATO, die QUAD, zu schaffen, in der die Vereinigten Staaten, Japan, Australien und Indien vertreten sind. Andererseits will Biden die NATO wiederbeleben, um die europäischen Länder in seine Politik des Drucks auf China einzubeziehen.
Um das Bild zu vervollständigen, sollten auch die Spannungen zwischen der NATO und Russland nicht außer Acht gelassen werden: Nach dem Vorfall des 'entführten' Ryanair-Fluges, der von Weißrussland abgefangen wurde, um einen Dissidenten festzunehmen, der in Litauen Zuflucht gesucht hatte, gab es im Juni die NATO-Manöver im Schwarzen Meer vor der Ukraine, bei denen es zu einem Zwischenfall zwischen einer britischen Fregatte und russischen Schiffen kam, und im September gemeinsame Manöver der russischen und weißrussischen Armeen an den Grenzen Polens und der baltischen Staaten.
Diese Ereignisse bestätigen, dass die zunehmenden imperialistischen Spannungen zu einer Polarisierung erstens zwischen den USA und China und zweitens zwischen der NATO und Russland führen, was wiederum China und Russland dazu veranlasst, ihre Beziehungen zueinander zu verstärken, um sich den USA und der NATO entgegenzustellen.
Das "Kabul-Debakel" (siehe unseren Artikel Hinter dem Niedergang des US-Imperialismus steht der Niedergang des Weltkapitalismus [29] auf unserer Website) unterstreicht jedoch, wie der Zerfall und die anhaltende Destabilisierung, die durch die Covid-19-Krise beschleunigt werden, die zentrifugalen Kräfte stimulieren, das "Jeder für sich" der verschiedenen Imperialismen verschärfen und die Ausbreitung des Chaos in der Welt akzentuieren, wodurch jegliche Stabilisierung von Bündnissen ständig vereitelt wird:
- Der überstürzte Rückzug der USA aus Afghanistan, der darauf abzielt, die militärischen Kräfte gegenüber China zu konzentrieren, erfolgte ohne jegliche Konsultation der Verbündeten, obwohl Biden einige Monate zuvor auf dem G7-Gipfel und dem NATO-Treffen versprochen hatte, dass die Konsultation und die Koordinierung wieder aufgenommen würden; dieser Rückzug bedeutet auch, dass die USA ihre Verbündeten vor Ort im Stich gelassen haben (vgl. dazu den Fall mit den Kurden und die Abkühlung der Beziehungen zu Saudi-Arabien) und kann das Misstrauen von Ländern wie Indien und Südkorea gegenüber einem Verbündeten, der sich als unzuverlässig erweist, sowie die Entschlossenheit der Europäer, von den USA unabhängigere Verteidigungsstrukturen zu schaffen, nur verstärken.
Andererseits stellt die Rückkehr der Taliban an die Macht eine ernsthafte potenzielle Gefahr für die islamistische Infiltration Chinas (über das "Uiguren-Problem") dar, zumal ihre Verbündeten, die pakistanischen Taliban (TTP), eine Kampagne von Anschlägen gegen die Baustellen der "Neuen Seidenstraße" durchführen, bei der bereits rund ein Dutzend chinesischer "Mitarbeiter" ums Leben gekommen sind. Dies veranlasst China, seine Versuche zu verstärken, sich in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens (Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan) zu etablieren, um der Gefahr zu begegnen. Diese Republiken gehören jedoch traditionell zur russischen Einflusszone, was die Gefahr einer Konfrontation mit diesem "strategischen Verbündeten" erhöht, mit dem die langfristigen Interessen des Landes ohnehin grundlegend entgegengesetzt sind: Die Neue Seidenstraße führt an Russland vorbei, und das Land fürchtet sich vor dem wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Chinas auf seine sibirischen Territorien;
- Das Chaos und die imperialistische Jeder-für-sich-selbst-Haltung in der Welt verstärken ständig die Unberechenbarkeit der Positionierung der verschiedenen Staaten: Die USA sind gezwungen, mit regelmäßigen Luftangriffen auf schiitische Milizen, die ihre Streitkräfte im Irak bedrängen, den Druck aufrechtzuerhalten; die Russen müssen in der bewaffneten Konfrontation zwischen Armenien und Aserbaidschan, die von den imperialistischen Eigeninteressen der Türkei angezettelt wurde, "Feuerwehrmann" spielen; die Ausbreitung des Chaos am Horn von Afrika durch den Bürgerkrieg in Äthiopien, bei dem der Sudan und Ägypten die Region Tigray und Eritrea die äthiopische Zentralregierung unterstützen, stört vor allem die Pläne der Chinesen, Äthiopien als Stützpunkt für ihr Projekt "Belt and Road" in Nordostafrika zu nutzen und zu diesem Zweck eine Militärbasis in Dschibuti einzurichten.
- Die unkontrollierte Ausbreitung der Pandemie in Verbindung mit der Verbreitung der Delta-Variante erfordert von den Staaten eine größere Aufmerksamkeit für die innenpolitische Situation, die unvorhersehbare Auswirkungen auf ihre imperialistische Politik haben kann. So führt beispielsweise die Stagnation der Impfungen in den USA nach einem anfänglich starken Start zu einer neuen Infektionswelle in den mittleren und südlichen Bundesstaaten. Dies führt zu neuen Zwangsmaßnahmen der Biden-Administration, was wiederum die Vorwürfe von Trumps Anhängern neu belebt. Auch in Russland sieht sich die Regierung mit einem Wiederaufflammen der Epidemie konfrontiert, während die Impfung ins Stocken geraten ist und die Bevölkerung den russischen Impfstoffen äußerst misstrauisch gegenübersteht, was den Bürgermeister von Moskau (wo 15 % der Bevölkerung geimpft sind) dazu veranlasst hat, Maßnahmen zu ergreifen, die die Impfung fast zur Pflicht machen.
In China, wo die Regierung vor der Öffnung des Landes auf die Herdenimmunität setzt, erfordert die besorgniserregende Gesundheitslage ständige Aufmerksamkeit. Solange dies nicht der Fall ist, verhängt China strenge Abriegelungen, wenn Infektionen festgestellt werden, was die Wirtschaftstätigkeit stark behindert. So wurde beispielsweise im vergangenen Mai, nachdem sich einige Hafenarbeiter im Hafen von Yantian infiziert hatten, der drittgrößte Containerhafen der Welt eine Woche lang vollständig isoliert, und die Arbeiter waren gezwungen, sich vor Ort unter Quarantäne zu stellen. Nun sind wieder ganze Landstriche durch die sich ausdehnende Delta-Variante eingeschlossen, die stärkste Ausbruchstelle seit Wuhan im Dezember 2019. Zweitens hat das Streben nach Herdenimmunität eine Reihe chinesischer Provinzen und Städte dazu veranlasst, gegen Widerspenstige schwere Strafen zu verhängen. Diese Initiativen wurden in den chinesischen sozialen Netzwerken stark kritisiert und von der Regierung gestoppt, weil sie den "nationalen Zusammenhalt" gefährden könnten. Das vielleicht gravierendste Problem schließlich ist die sich immer mehr verdichtende Erkenntnis, dass die chinesischen Impfstoffe nur begrenzt wirksam sind.
In einem solchen Kontext ist die Zunahme kriegerischer Spannungen unausweichlich. Einerseits deutet sie auf eine gewisse Polarisierung hin, insbesondere zwischen den USA und China, die durch eine wachsende Aggressivität der USA unterstrichen wird, die wissen, dass China trotz seiner enormen Investitionen in die Modernisierung seiner Streitkräfte noch nicht mit der militärischen Macht der USA mithalten kann, insbesondere in der Luft, zur See und in Bezug auf sein Atomwaffenarsenal.
Das Chaos und die verschärfte Jeder-für-sich-Haltung machen jedoch jedes Bündnis ständig instabil, stimulieren imperialistische Gelüste in alle Richtungen und drängen die Großmächte eher dazu, eine direkte Konfrontation zwischen ihren Armeen zu vermeiden, mit einem massiven Einsatz von Militärpersonal vor Ort ("boots on the ground"), wie der Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan zeigt. Stattdessen greifen sie auf private Militärfirmen (Organisation Wagner auf russischer Seite, Blackwater/Academi auf amerikanischer Seite usw.) oder auf lokale Milizen zurück, um Aktionen vor Ort durchzuführen: Einsatz syrischer sunnitischer Milizen durch die Türkei in Libyen und Aserbaidschan, kurdischer Milizen durch die USA in Syrien und Irak, der Hisbollah oder irakischer schiitischer Milizen durch den Iran in Syrien, sudanesischer Milizen durch Saudi-Arabien im Jemen.
Die Form, die die Ausweitung dieser Spannungen annimmt, kündigt daher eine Vervielfachung der immer blutigeren und barbarischeren kriegerischen Auseinandersetzungen in einem von Instabilität und Chaos geprägten Umfeld an.
15.09.21, R. Havanais
Vor 20 Jahren, im Jahr 2001, wies der Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) auf ein Dokument der vom Stockholmer Umweltinstitut einberufenen Global Scenario Group hin, in dem drei mögliche Szenarien für die Zukunft der Menschheit als Folge der Klimakrise skizziert wurden:
"Der GSG-Rahmen umfasst drei große Klassen von Szenarien für die Untersuchung der Zukunft: 'konventionelle Welten', 'Barbarei' und 'großer Übergang' – mit Varianten innerhalb jeder Klasse. Alle sind mit den derzeitigen Mustern und Trends vereinbar, haben aber sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt im 21. Jahrhundert ... In den Szenarien der 'konventionellen Welten' entwickelt sich die globale Gesellschaft allmählich von den derzeitigen Mustern und vorherrschenden Tendenzen ausgehend, wobei die Entwicklung in erster Linie durch schnell wachsende Märkte vorangetrieben wird, während sich die Entwicklungsländer dem Entwicklungsmodell der fortgeschrittenen Industrieländer ('entwickelten' Länder) annähern. In Szenarien der 'Barbarisierung‘ werden die durch die konventionelle Entwicklung hervorgerufenen ökologischen und sozialen Spannungen nicht gelöst, humanitäre Normen werden aufgeweicht, und die Welt wird autoritärer oder anarchischer. Die Szenarien 'großer Übergang' erforschen visionäre Lösungen für die Nachhaltigkeitsherausforderung, die den Aufstieg neuer Werte, Lebensstile und Institutionen darstellen" (S. 140 des IPCC-Berichts 2001, Arbeitsgruppe 3 zur Abschwächung).
Im Jahr 2021, nach oder begleitet von beispiellosen Hitzewellen von Kanada bis Sibirien, Überschwemmungen in Nordeuropa und China, Dürren und Waldbränden in Kalifornien, neuen Anzeichen für das Abschmelzen des arktischen Eises, hat der erste Teil des IPCC-Berichts, der sich auf die wissenschaftliche Analyse der Klimatrends konzentriert, deutlich gemacht, dass die "konventionelle" Fortsetzung der kapitalistischen Akkumulation uns in die "Barbarei" treibt. Mit Blick auf die COP-Klimakonferenz im Oktober/November in Glasgow argumentiert der Bericht eindringlich, dass es ohne drastische und konzertierte globale Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen in den nächsten Jahrzehnten nicht möglich sein wird, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, eine Schwelle, die als notwendig angesehen wird, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Und nicht nur das: Der Bericht verweist auf eine Reihe von "planetarischen Grenzen" oder Kipp-Punkten, die zu einer unkontrollierbaren Beschleunigung der Erwärmung des Planeten führen könnten, so dass große Teile der Erde nicht mehr für menschliches Leben geeignet wären. Nach Ansicht vieler der in dem Bericht zitierten Experten sind vier dieser Grenzen bereits überschritten, insbesondere beim Klimawandel, beim Verlust der biologischen Vielfalt und bei nicht nachhaltigen landwirtschaftlichen Methoden, und mehrere weitere, wie die Versauerung der Ozeane, die Verschmutzung durch Plastikmüll und der Abbau der Ozonschicht, drohen zu einer sich gegenseitig verstärkenden Spirale mit den anderen Faktoren zu führen.[1]
Der Bericht stellt auch klar, dass diese Gefahren vor allem auf "menschliche Eingriffe" (d.h. die Produktion und Ausweitung des Kapitals) zurückzuführen sind und nicht auf natürliche Prozesse wie die Sonnenaktivität oder Vulkanausbrüche, Erklärungen, die oft die letzte Zuflucht der zunehmend diskreditierten Leugner des Klimawandels sind.
Der Teil des Berichts, der sich mit möglichen Auswegen aus der Krise befasst, wurde noch nicht veröffentlicht, aber aus allen früheren Berichten wissen wir, dass das Intergovernmental Panel, so sehr es auch von "Übergängen" zu einem neuen Wirtschaftsmodell sprechen mag, das aufhört, Treibhausgase in völlig unhaltbaren Mengen auszustoßen, keine andere Antwort hat, als an die Regierungen, d.h. die kapitalistischen Staaten, zu appellieren, zur Vernunft zu kommen, zusammenzuarbeiten und sich auf radikale Veränderungen in der Funktionsweise ihrer Volkswirtschaften zu einigen. Mit anderen Worten: Die kapitalistische Produktionsweise, deren unerbittliches Profitstreben der Kern der Krise ist, muss zu etwas werden, was sie nie sein kann: eine einheitliche Gemeinschaft, in der die Produktionstätigkeit nicht durch die Anforderungen des Marktes, sondern durch die Lebensbedürfnisse der Menschen geregelt wird.
Das soll nicht heißen, dass die kapitalistischen Institutionen die Gefahren des Klimawandels völlig ignorierten. Die zunehmende Zahl internationaler Klimakonferenzen und die Existenz des IPCC sind ein Beweis dafür. Da die aus dem Klimawandel resultierenden Katastrophen immer häufiger werden, ist es offensichtlich, dass dies enorme Kosten mit sich bringen wird: ökonomische natürlich, durch die Zerstörung von Häusern, Landwirtschaft und Infrastruktur, aber auch soziale: sich ausbreitende Verarmung, zunehmende Zahl von Migrant*innen auf der Flucht aus verwüsteten Regionen und so weiter. Und alle außer den verblendetsten Politikern und Bürokraten wissen, dass dies die Staatskassen enorm belasten wird, wie die Covid-Pandemie (die auch mit der Umweltkrise zusammenhängt) deutlich gezeigt hat. Und auch die einzelnen kapitalistischen Unternehmen reagieren: Nahezu jedes Unternehmen wirbt heute mit seiner Umweltfreundlichkeit und seinem Engagement für neue, nachhaltige Modelle. Die Autoindustrie ist ein gutes Beispiel dafür: Im Bewusstsein, dass der Verbrennungsmotor (und die Ölindustrie) eine Hauptquelle für Treibhausgasemissionen ist, stellen fast alle großen Autohersteller im nächsten Jahrzehnt auf Elektroautos um. Aber sie können nicht aufhören, miteinander zu konkurrieren, um möglichst viele ihrer "grünen Autos" zu verkaufen, auch wenn die Produktion von Elektroautos selbst erhebliche ökologische Folgen hat – vor allem wegen der Förderung von Rohstoffen wie Lithium, die für die Herstellung von Autobatterien benötigt werden, die auf massiven Abbauvorhaben und dem weiteren Ausbau der globalen Verkehrsnetze beruht. Das Gleiche gilt für die Volkswirtschaften. Schon jetzt rechnet die COP-Konferenz mit erheblichen Schwierigkeiten, "Entwicklungsländer" wie Russland, China und Indien davon zu überzeugen, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, um die Emissionen zu reduzieren. Und sie widersetzen sich einem solchen Druck aus ganz logischen kapitalistischen Gründen: weil dies ihren Wettbewerbsvorteil in einer Welt, die bereits mit Waren überschwemmt ist, stark verringern würde.
Seit den Tagen des Kommunistischen Manifests haben Marxisten darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus durch seine Überproduktionskrisen und die Suche nach neuen Märkten dazu getrieben wird, "die Erde zu erobern", ein weltweites System zu werden, und dass diese "universalisierende Tendenz" die Möglichkeit einer neuen Gesellschaft schafft, in der die menschlichen Bedürfnisse, die volle Entfaltung des Individuums, zum Ziel aller gesellschaftlichen Aktivitäten werden. Aber gleichzeitig enthält diese Tendenz auch den Keim der Auflösung, der Selbstzerstörung des Kapitals und damit die zwingende Notwendigkeit des Übergangs zu einer neuen menschlichen Gemeinschaft, zum Kommunismus.[2] Und zur Zeit des Ersten Weltkriegs zeigten Marxisten wie Bucharin und Luxemburg ganz konkret, wie sich diese Gefahr der Selbstzerstörung auswirken würde: Je mehr sich der Kapitalismus globalisiert, desto mehr wird er im tödlichen militärischen Wettbewerb zwischen den imperialistischen Nationen verschlungen, die sich neue Rohstoffquellen, billigere Arbeitskräfte und neue Absatzmärkte für ihre Produktion erschließen wollen.
Doch obwohl Marx, Engels und andere schon früh erkannten, dass das kapitalistische System die Luft vergiftet und die Böden auslaugt, konnten sie nicht alle ökologischen Folgen einer Welt erkennen, in der das Kapital in fast alle Regionen in allen vier Himmelsrichtungen vordringt und die gesamte Erde seiner zügellosen Urbanisierung und seinen giftigen Produktions- und Vertriebsmethoden unterwirft. Die kapitalistische Expansion, angetrieben durch die wirtschaftlichen Widersprüche, die in der Beziehung zwischen Kapital und Lohnarbeit enthalten sind, hat die Entfremdung der Menschheit von der Natur auf die Spitze getrieben. So wie es eine Grenze für die Fähigkeit des Kapitalismus gibt, den Mehrwert zu realisieren, den er aus den Arbeitern und Arbeiterinnen herauspresst, so schafft die profitorientierte Plünderung der natürlichen Ressourcen der Erde ein neues Hindernis für die Fähigkeit des Kapitalismus, seine Sklaven zu ernähren und seine Herrschaft aufrecht zu erhalten. Die Welt ist nicht mehr groß genug für den Kapitalismus. Und weit davon entfernt, die kapitalistischen Staaten zur Vernunft zu bringen und zum Wohle des Planeten zusammenzuarbeiten, werden die Erschöpfung der Ressourcen und die Folgen des Klimawandels die militärischen Rivalitäten in einer Welt, in der jeder Staat versucht, sich angesichts der Katastrophe zu retten, eher noch verschärfen.
Der kapitalistische Staat, ob offen despotisch oder mit dem Deckmantel der Demokratie, kann nur die Gesetze des Kapitals anwenden, die die Quelle der tiefgreifenden Bedrohungen für die Zukunft der Menschheit sind.
Der Kapitalismus kann, wenn man ihn fortbestehen lässt, die Welt nur in eine sich beschleunigende "Barbarei" stürzen. Der einzige "Übergang", der dies verhindern kann, ist der Übergang zum Kommunismus, der wiederum nicht durch Appelle an die Regierungen, durch die Wahl "grüner" Parteien oder durch Proteste als "besorgte Bürger" erreicht werden kann. Dieser Übergang kann nur durch den gemeinsamen, internationalen Kampf der ausgebeuteten Klasse, des Proletariats, in Angriff genommen werden, das in den meisten Fällen das erste Opfer der Klimakrise sein wird, wie es bereits im Fall der Wirtschaftskrise der Fall ist. Allein der Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen angesichts der Angriffe auf ihre Lebensbedingungen enthält den Keim für eine allgemeine revolutionäre Bewegung, die den Kapitalismus für all das Elend zur Rechenschaft ziehen wird, das er der menschlichen Spezies und dem Planeten, der sie ernährt, zufügt.
Amos, 28.09.2021
[2] „Während das Capital also einerseits dahin streben muß, jede örtliche Schranke des Verkehrs, i.e. des Austauschs niederzureissen, die ganze Erde als seinen Markt zu erobern, strebt es andrerseits danach den Raum zu vernichten durch die Zeit; d.h. die Zeit, die die Bewegung von einem Ort zum andren kostet, auf ein Minimum zu reduciren. Je entwickelter das Capital, je ausgedehnter daher der Markt, auf dem es circulirt, der die räumliche Bahn seiner Circulation bildet, desto mehr strebt es zugleich nach größrer räumlicher Ausdehnung des Markts und nach größrer Vernichtung des Raums durch die Zeit. (…) Die universelle Tendenz des Capitals erscheint hier, die es von allen früheren Productionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Productivkräfte und wird so die Voraussetzung neuer Productionsweise, die gegründet ist nicht auf die Entwicklung der Productivkräfte, um einen bestimmten Zustand zu reproduciren und höchstens auszuweiten, sondern wo die – freie, ungehemmte, progressive, und universelle Entwicklung der Productivkräfte selbst die Voraussetzung der Gesellschaft und daher ihrer Reproduction bildet; wo die einzige Voraussetzung das Hinausgehn über den Ausgangspunkt. Diese Tendenz – die das Capital hat, aber die zugleich ihm selbst als einer bornierten Productionsform widerspricht und es daher zu seiner Auflösung treibt – unterscheidet das Capital von allen frühren Productionsweisen und enthält zugleich das in sich, daß es als bloser Uebergangspunkt gesetzt ist. Alle bisherigen Gesellschaftsformen ||28| gingen unter an der Entwicklung des Reichthums – oder was dasselbe ist der gesellschaftlichen Productivkräfte.“ (Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Heft V, Das Kapitel vom Kapital, Zirkulationsprozess, Auflösung durch Zirkulation, S. 438).
Nach der Russischen Revolution 1917, der Revolution in Deutschland 1918, der Gründung der Kommunistischen Internationale 1919 begehen wir den hundertsten Jahrestag der tragischen Niederschlagung des Aufstands der Arbeiter, Soldaten und Matrosen von Kronstadt im März 1921 mit dem Dokument "Die Lehren von Kronstadt" aus der International Review 3 (engl./frz./span. Ausgabe)[1], um die wichtigsten Lehren aus diesem Ereignis für die Kämpfe der Zukunft zu ziehen.
Im März 1921 setzte der Sowjetstaat, angeführt von der bolschewistischen Partei, seine militärischen Kräfte ein, um den Arbeiter- und Matrosenaufstand in der Kronstädter Garnison auf der Insel Kotlin im Finnischen Meerbusen, 30 Kilometer von Petrograd (heute St. Petersburg) entfernt, niederzuschlagen. Die 15.000 Aufständischen wurden am Abend des 7. März von 50.000 Truppen der Roten Armee angegriffen. Nach zehn Tagen erbitterter Kämpfe war der Kronstädter Aufstand besiegt. Es ist nicht möglich, verlässliche Zahlen über die Anzahl der Opfer zu bekommen, aber nach Schätzungen gab es auf der Seite der Aufständischen 3.000 Tote in den Kämpfen oder durch Hinrichtungen und 10.000 Tote auf Seiten der Roten Armee. Laut einem Kommuniqué der Tscheka vom 1. Mai 1921 wurden 6.528 Aufständische verhaftet, 2.168 hingerichtet, 1.955 zu Zwangsarbeit verurteilt (1.486 zu fünf Jahren) und 1.272 freigelassen. Die Familien der Aufständischen wurden nach Sibirien deportiert, und 8.000 Matrosen, Soldaten und Zivilisten gelang die Flucht nach Finnland.
Weniger als vier Jahre nach der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse im Oktober 1917 waren diese Ereignisse ein tragischer Ausdruck der Degeneration einer isolierten Revolution, die am Ende ihrer Kräfte war. Es handelte sich um einen Arbeiteraufstand von Anhängern des Sowjetregimes, von jenen, die 1905 und 1917 in der Avantgarde der Bewegung gestanden hatten und die während der Oktoberrevolution als "der Stolz und der Ruhm der Revolution" angesehen worden waren. 1921 verlangten die Kronstädter Aufständischen die Erfüllung der gleichen Forderungen wie die Petrograder Arbeiter, die seit Februar gestreikt hatten: Befreiung aller inhaftierten Sozialisten, Ende der Militärherrschaft, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit für alle, die arbeiten, gleiche Rationen für alle Arbeiter... Was aber die Bedeutung dieser Bewegung unterstrich und ihren zutiefst proletarischen Charakter zum Ausdruck brachte, war nicht nur die Reaktion gegen die restriktiven Maßnahmen, sondern vor allem die Reaktion auf den Verlust der politischen Macht der Arbeiterräte zugunsten von Partei und Staat, die sich an die Stelle der Räte gesetzt hatten und behaupteten, die Ziele und Interessen des Proletariats zu vertreten. Dies wurde im ersten Punkt der von den Aufständischen verabschiedeten Resolution zum Ausdruck gebracht: "In Anbetracht der Tatsache, dass die gegenwärtigen Sowjets nicht den Willen der Arbeiter und Bauern zum Ausdruck bringen, sofortige Durchführung von Neuwahlen in geheimer Abstimmung, mit der Freiheit, dass vorher alle Arbeiter und Bauern dafür Agitation betreiben dürfen".
Wenn die Bourgeoisie von der Niederschlagung des Aufstandes durch die Rote Armee spricht, versucht sie immer, der Arbeiterklasse zu beweisen, dass es eine ununterbrochene Kette gebe, die Marx und Lenin mit Stalin und dem Gulag verbinde. Das Ziel der Bourgeoisie ist es, dafür zu sorgen, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen sich von der Geschichte ihrer Klasse abwenden und sich ihre eigenen Erfahrungen nicht wieder aneignen. Die Theorien der Anarchisten kommen zu denselben Schlussfolgerungen, indem sie vom angeblich autoritären und konterrevolutionären Charakter des Marxismus und der in seinem Namen agierenden Parteien ausgehen. Die Anarchisten haben eine abstrakt "moralische" Sicht auf diese Ereignisse. Ausgehend von der Idee des Autoritarismus, der der bolschewistischen Partei innewohne, sind sie unfähig, die Degeneration der Revolution im Allgemeinen und die Kronstädter Episode im Besonderen zu erklären. Dies war eine Revolution, die nach sieben Jahren Weltkrieg und Bürgerkrieg erschöpft war, mit einer industriellen Infrastruktur in Trümmern, einer Arbeiterklasse, die dezimiert worden war, ausgehungert, konfrontiert mit Bauernaufständen in den Provinzen. Eine Revolution, die dramatisch isoliert war und bei der eine internationale Ausweitung nach dem Scheitern der Revolution in Deutschland immer unwahrscheinlicher geworden war. Angesichts all der Probleme, die sich der Arbeiterklasse und der bolschewistischen Partei stellten, verschlossen die Anarchisten einfach die Augen.
Aus der Perspektive der proletarischen Weltrevolution betrachtet, betrifft die grundlegende historische Lehre aus der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands die Frage der Klassengewalt. Während revolutionäre Gewalt eine Waffe des Proletariats ist, um den Kapitalismus und seine Klassenfeinde zu stürzen, darf sie unter keinem Vorwand innerhalb der Arbeiterklasse, gegen andere Proletarier und Proletarierinnen, eingesetzt werden. Der Kommunismus kann dem Proletariat nicht durch Zwang und Gewalt aufgezwungen werden, weil diese Mittel dem bewussten Wesen seiner Revolution kategorisch entgegenstehen, die nur durch ihre eigene Erfahrung und die ständige kritische Auswertung dieser Erfahrung vorankommen kann. Die Entscheidung der bolschewistischen Partei, den Kronstädter Aufstand niederzuschlagen, kann nur im Zusammenhang mit der internationalen Isolierung der Revolution und dem furchtbaren Bürgerkrieg verstanden werden, der das Land erfasst hatte. Dennoch bleibt eine solche Entscheidung ein tragischer Fehler, da sie gegen Arbeiter und Arbeiterinnen ausgeübt wurde, die sich erhoben hatten, um die Hauptwaffe der bewussten politischen Umgestaltung der Gesellschaft zu verteidigen, das entscheidende Organ der proletarischen Diktatur: die Macht der Sowjets.
Der Artikel ist hier zu finden: The lessons of Kronstadt [35](Die Lehren von Kronstadt)
IKS, März 2021
[1] Vgl. auch: 1921: The proletariat and the transitional state in International Review 100 (engl./frz./span. Aufgabe); Kronstadt verstehen in Internationale Revue 28; 90 years after Kronstadt: a tragedy that's still being debated in the revolutionary movement [36]; Historical lessons of the Kronstadt revolt [37], Part I; Historical lessons of the Kronstadt revolt, Part II [38](diese letzten 3 Artikel auf unserer englischsprachigen Webseite)
Nach dem Zusammenbruch der DDR im Zuge des Kollapses der Sowjetunion hat sich für die deutsche Bourgeoisie eine historische Chance ergeben, die die Bourgeoisie tief zusammengeschweißt und vereint hat. Sechs Pfeiler (die Wiedervereinigung, die Osterweiterung der EU und die besonderen Beziehungen zu Frankreich, Russland, USA und China) wollen wir in Erinnerung rufen:
Die sogenannte Wiedervereinigung ermöglichte die Vergrößerung des Staatsgebietes und der Bevölkerung (ganz ohne Krieg!), welches dem Streben nach höheren politischen Weihen z.B. (ständiger Sitz im UN – Sicherheitsrat) und insgesamt dem Anspruch auf eine größere Bedeutung im imperialistischen Gerangel im Zeitalter des Zerfalls und damit der allgemeinen Tendenz des Jeder-für-sich-selbst Vorschub gab. Deutschland war plötzlich (wieder) größer als sein historischer Rivale Frankreich, der ja zum größten Freund mutiert war. Doch die deutsch-französische Achse war schon zuvor als alternativlose Stütze des europäischen Marktes (und weiterer Ambitionen, auf die wir später eingehen werden) herausgearbeitet worden. Die Achse Kohl-Mitterrand stellte schnell die Weichen für die Stärkung Europas als ökonomische und imperialistische Macht.
Die Osterweiterung der EU, die sich immer weiter Richtung des imperialistisch gewissermaßen verzwergten Russlands ausdehnte, war ein Eldorado insbesondere für das deutsche Kapital. Mit riesigen Direktinvestitionen wurde eine Zulieferindustrie aufgebaut, ohne die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie kaum vorzustellen wäre. Gleichzeitig öffnete sich ein riesiges Arbeitskräftereservoir für den europäischen (insbesondere britischen und deutschen) Arbeitsmarkt, ohne welches die Gesundheits-, Pflege- und Transportsektoren, aber auch viele industrielle Kernbereiche kaum den Output geliefert hätten, der in den letzten 30 Jahren gebracht wurde.
Schon vor dem Eintritt in den Zerfall hatte die BRD (die DDR eher aus Blockzwängen) eine strategische ökonomische Beziehung zur Sowjetunion aufgebaut (Brandts neue Ostpolitik!), der Ausbau dieser besonderen Beziehung war insbesondere im Rohstoff- und Energiesektor eine bewusste Entscheidung, die sich mit der imperialistischen Schwächung der Führungsrolle der USA und der imperialistischen Verzwergung Russlands erklärt.
Der Ausbau der EU war ein strategisches Projekt der Achse Frankreich-Deutschland, die die historische Chance erkannt hatten. Beide allein waren zu schwach; Deutschland militärisch ein Zwerg, Frankreich ökonomisch zu schwach, doch mit der französischen Atombewaffnung (unabhängig von der NATO!) und der deutschen Industrie konnte man sich der Illusion höherer imperialistischer Gelüste hingeben.
Doch die zerstörerische Kraft des Jeder-für-sich-selbst machte auch vor Europas Türen nicht halt und mit dem Gemetzel im ehemaligen Jugoslawien und der Bombardierung durch NATO-Truppen machte die USA deutlich, dass trotz ihrer Schwächung die militärische Dominanz über die NATO auch in Europa nicht aus den Augen gelassen würde. Insbesondere die neuen ost-europäischen Länder („neu“ insofern als durch den Kollaps des Ost-Blocks von der Dominanz der Sowjetunion „befreit“) waren offen für die militärische Zusammenarbeit mit den USA.
Gemeinsam mit der Euphorie in den USA hat auch Deutschland massiv in China investiert[1], Produktion ausgelagert, Zulieferung und Vorproduktion aufgebaut und seine eigene Wirtschaft eng mit der chinesischen Werkbank, die zum Fließband und Markt wurde, ausgebaut.
Zusammengefasst kann man feststellen, dass mit dem Eintritt in den Zerfall das imperialistische Gewicht Deutschland zugenommen hat, und dafür zentral waren die ökonomische Stärkung und Ausweitung der EU, der Ausbau einer besonderen Beziehung zu Russland und der Aufbau einer speziellen Beziehung zu China.
Auf allen oben skizzierten Ebenen erzielte die deutsche Bourgeoisie eine tiefe Einigkeit. Auch wenn man sich ideologisch und politisch weiterhin als Teil der „westlichen Wertegemeinschaft“ sah, war die langfristige Entwicklung eher darauf ausgerichtet, die transatlantische Beziehung zu den USA auf den langen Arm zu halten, eine vorsichtige Absetzbewegung, die Raum für den Ausbau des europäischen Projektes schaffen sollte. Deutschland lehnte beispielsweise den Irak-Krieg ab und verweigerte sich der militärischen Unterstützung; der militärischen Ausdehnung der NATO im Osten wurden politische Fesseln angelegt und immer wieder neue europäische Militärprojekte aufgesetzt (dies eher damit die US-dominierte NATO sich nicht weiter ausbreitete). Auch bei den „alten“ Transatlantikern in der CDU (und teilweise SPD) wurde diese Ausrichtung geteilt.
Die engen Beziehungen zu Frankreich wurden vertieft, gemeinsame Regierungsgipfel, der traditionelle gegenseitige Antrittsbesuch, die sogenannte Achse (oder der Motor) der EU verstärkt.
Der Ausbau der strategischen Beziehung zum russischen Rohstoff- und Energiesektor war ein staatlich orchestriertes Projekt, welches aus historischen Gründen (Brandt) von der SPD dominiert wurde[2], welches jedoch von Kohl (CDU) und seiner „Saunadiplomatie“ mit Jelzin[3] ausgebaut und von seinem Ziehkind Merkel vertieft wurde.
Die ökonomischen Investitionen in China wurden von der deutschen Bourgeoisie unter dem Slogan „Wandel durch Handel“ vorangetrieben und legitimiert. Die Möglichkeiten, neue Produktionskapazitäten in China aufzubauen, waren auch ein beliebtes Mittel, um den deutschen Arbeitsmarkt unter Druck zu setzen und die eigene Produktivität auszubauen. Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre war die deutsche Arbeiterklasse mit vielen Werksschließungen und hilflosen Verteidigungskämpfen konfrontiert, da die Produktion verlagert wurde. Dies schuf dann mit der SPD-Grünen-Regierung unter Schröder ab 1998 auch endlich den politischen Raum, um ein lange ersehntes Projekt der deutschen Bourgeoisie umzusetzen, den Umbau des deutschen Sozialstaats, die Etablierung von Hartz IV und die Politik des „Förderns und Forderns“, wie es scheinheilig hieß. Die deutsche Bourgeoisie war mit Eintritt in das neue Jahrhundert in Hochstimmung: Mit den Folgen des Zerfalls war die deutsche Arbeiterklasse politisch geschwächt. Hunderttausende Ost-Deutsche überschwemmten den Arbeitsmarkt, dem folgten Millionen Arbeiter aus Osteuropa, Fabriken wurden geschlossen, ganze ehemalige Staatsbranchen (Post, Bahn …) privatisiert und die soziale Absicherung wurde immer weiter ausgehöhlt. Gleichzeitig taten sich neue Märkte (China, Russland, Osteuropa …) und Produktionsgebiete auf, und der Arbeitsmarkt war in Bewegung gekommen – was in harter Realität bedeutete, dass Millionen von Proletariern und ihre Familien gezwungen waren, für schlechte Löhne irgendwo hinzuziehen, wo sie dann noch mit Ausländerhass konfrontiert wurden. Diese Hochstimmung in der deutschen Bourgeoisie verstärkte trotz der allgemeinen Tendenzen des Zerfalls die Homogenität in der deutschen Bourgeoisie. Die deutsche Bourgeoisie sammelt sich noch konsequenter als eher politisch geprägte nationale Bourgeoisien um die ökonomische Potenz, und der Duft der Akkumulation lässt sie geradezu emotional werden. Dies ist der Hintergrund für die Fähigkeit der langen Perioden der Großen Koalitionen (GROKO) zwischen CDU und SPD, die ab 2005 möglich (aber auch notwendig) wurden.
Dennoch blieben große Herausforderungen bestehen, die nicht konsequent angegangen wurden:
Auch wenn die oben beschriebene massenhafte Zuwanderung von Arbeitskräften ein Segen für die deutsche Bourgeoisie war, konnte diese den demographischen Knick nicht nachhaltig abfedern und der Arbeitskräftemangel bleibt ein strukturelles Kernproblem der deutschen Wirtschaft[4]. Hinzu kommt der notwendige strukturelle Umbau der deutschen Industrie, der durch die speziellen Beziehungen zu Russland und China nur herausgezögert wurde. Die Infrastruktur hinkt den Erfordernissen einer modernen Industrie und der Mobilität und Ausbeutung der Arbeiter hinterher (Gleise, Brücken, Autobahnen, Glasfaser). Die EU wird zwar als politischer Resonanzraum für die imperialistischen Gelüste Deutschlands und Frankreich benötigt, aber es war nicht möglich eine starke europäisch koordinierte Wirtschaftspolitik zu etablieren, trotz großer Geldumverteilungstöpfe scheiterte bisher der Aufbau einer eigenen Halbleiter-, Batterietechnologie- bzw. Wasserstoffindustrie. Die EU ist trotz der historischen Tendenz zur Verstärkung der staatskapitalistischen Maßnahmen von den historischen Widersprüchen des kapitalistischen Zentrums geprägt, eine Dynamik, die durch die wachsenden Widersprüche und Tendenzen des Jeder-für-sich-selbst verstärkt wird.
Bevor wir uns anschauen, wie die deutsche Bourgeoisie mit den aktuellen Herausforderungen der Zeitenwende umgeht, werfen wir noch einen Blick auf die Instrumente, die der deutschen Bourgeoisie zur Verfügung stehen. Die Parteienlandschaft hat sich über Jahrzehnte nach dem II. Weltkrieg stabilisiert und ausgeformt: die CDU, SPD und FDP. Doch die Etablierung der Grünen Partei zeigt, wie vital und intelligent die deutsche Bourgeoisie ist. Von einer Protestpartei, die in der Lage war, große Kräfte der politischen Alternativbewegungen der 70er und 80er aufzunehmen (durch viele ehemaligen Kader der maoistischen K-Gruppen, Trittin, Kretschmann bzw. Spontis wie Fischer) entwickelten sich die Grünen relativ schnell zu einer modernisierenden Kraft innerhalb der deutschen Bourgeoisie. Die Grünen waren in der Lage, die Kriegsbeteiligung in Jugoslawien zu legitimieren, die Hartz-Gesetze mit umzusetzen, und gelten derzeit als die treibende Kraft im strukturellen Umbau der deutschen Industrie. Die Partei Die Linke hat die Reste der ostdeutschen Staatspartei SED ruhig gestellt, die Bewegungen gegen den Umbau des Sozialstaats und die Werksschließungen neutralisiert und an den neuen Staat herangeführt; sie musste bisher jedoch zu keinem Zeitpunkt als „linke Alternative“ aufgebaut werden, während die AfD (nach der sogenannten Finanzkrise 2007/08) hauptsächlich die verrotteten Elemente, geprägt von Hass und Neid vertritt und keine reale Perspektive, sondern eher das Gewicht des Zerfalls und der Zerstörung ausdrückt. Die Bourgeoisie hat also nach wie vor ein ausreichendes Instrumentarium zur Verfügung, dennoch liegt der Vertrauensverlust weiter Teile der Bevölkerung wie ein Alp auf ihr. Die große Homogenität innerhalb der deutschen Bourgeoisie und die langen Phasen der Großen Koalitionen haben diesen Vertrauensverlust intensiviert. Es gibt bereits erste Zeichen dafür, dass die relativ neue Partei der Grünen nun auch in diesen Sog gezogen wird, nicht nur Teile der alten Umweltbewegung, sondern insbesondere viele junge Umweltbewegte werfen den Grünen vor, ihre Ziele zu verleugnen. Wir werden darauf in einem späteren Artikel näher eingehen.
In unseren Artikeln zu dem Chaos angesichts der Corona-Pandemie haben wir ausführlich aufgezeigt, dass auch die deutsche Bourgeoisie von dem allgemeinen Trend zum wachsenden Kontrollverlust über den eigenen Apparat erschüttert wurde.
„Somit belegen die Entwicklung der Pandemie, das Wuchern der Corona-Proteste, das Wuchern der Rechten im Staat, die Zerstrittenheit und der Grabenkrieg der bürgerlichen Parteien, einen tiefergreifenden Fäulnisprozess..., der sich auch in Deutschland nur noch beschleunigen kann. Dies bedeutet für die deutsche Wirtschaft auf mittlere Sicht enorme Schwierigkeiten und Unsicherheiten. Es erhöht die Notwendigkeit, durch weitere starke staatskapitalistische Maßnahmen stützend und schützend einzugreifen, doch schwindet ebenso die Fähigkeit der Bourgeoisie den Staat unter voller Kontrolle zu halten. Der ehemalige „sichere Hafen“ muss sich auf weitere Zerfallserscheinungen einstellen.“[5]
Die ausgeprägte Fähigkeit, die Wirtschaft von den zerstörerischen Einflüssen des Zerfalls abzuschirmen, war erschüttert worden.[6] Die deutsche Bourgeoisie, die alles tut und jede Chance nutzt, um die Potenz der deutschen Industrie auszuweiten, und hierüber eine möglichst große Homogenität herstellt, hat einen tiefgreifenden Schock erfahren und sich zerrissen und zersplittert erlebt. Doch die wirkliche Herausforderung stand noch bevor.
Der Krieg in der Ukraine hat die materiellen Pfeiler der ökonomischen Potenz Deutschlands zutiefst erschüttert, und dennoch (oder gerade deswegen!) war die deutsche Bourgeoisie geeint in der Lage, eine politische Kehrtwende hinzulegen: Die „Zeitenwende“ einte die SPD-FDP-Grünen-Regierung, die zuvor noch von Partikularinteressen zerrüttet war mit der CDU/CSU bis weit in die Institutionen hinein. Bevor wir uns mit der derzeitigen Lage der deutschen Bourgeoisie näher beschäftigen, müssen wir unterstreichen, dass die anfangs angesprochenen Grundpfeiler, die den Höhenflug der deutschen Bourgeoisie ermöglichten, teilweise weggeschlagen, teilweise am wackeln sind.
Die jahrzehntealte spezielle Beziehung zu Russland, die immer ein Pfeiler und ein Ausdruck der Tendenz der Unabhängigkeit von den USA waren, ist nachhaltig zerstört.
Jede Illusion über eine militärische Option neben der NATO ist zerstört.[7]
Die besondere Beziehung zu China wird nun als Abhängigkeit von China begriffen und ist unter Bombardement der USA, für die China der Hauptfeind bleibt.[8]
Die USA nutzen die nationalen Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland aus, um die Widersprüche innerhalb der europäischen Achse zu eskalieren.
Die militärische Dominanz der USA verschärft die Widersprüche innerhalb der EU und stärkt die Bedeutung der USA.
Ökonomisch versucht China immer größeren Einfluss in Osteuropa zu erhalten und hier Deutschland in „seinem Hinterhof“ herauszufordern.
Hinzu kommen die im dritten Punkt angesprochenen strukturellen Herausforderungen, die nun massiv zum Tragen kommen.
Bisher müssen wir feststellen, dass die deutsche Bourgeoisie weiterhin in der Lage ist, ihre Kräfte weitestgehend zu organisieren. Die Beziehung zu Russland ist – spätestens nach der Geheimdienstsabotage von Nord Stream 2 – abgeschrieben. Doch dies ändert nichts daran, dass in weiten Teilen der Bourgeoisie Einigkeit darüber besteht, dass ein eigenes „stärker europäisches Profil“ notwendig ist, was nichts anderes bedeutet, als dass nach einer größtmöglichen Unabhängigkeit von den USA gerungen wird. Dies ist angesichts der Energie- und Rüstungslieferungen, die die USA erpresst haben, ein mittelfristiges Projekt. Die jüngste gemeinsame Erklärung von Macron und Scholz angesichts des 60-jährigen Abschlusses des Elysee-Abkommen formuliert diese imperialistischen Ambitionen trotz des enormen Druckes der USA erneut.[9] Es gibt eine Minderheit in der deutschen Bourgeoisie, ausgedrückt durch die offen-aggressive Pro-Waffen-Fraktion („Falkenfraktion“) von Strack-Zimmermann (FDP), Teilen der CDU und einigen führenden Grünen (Hofreiter), die eine stärkere Anlehnung an die USA befürworten. Doch es muss darauf hingewiesen werden, dass diese Fraktion nicht in Kontinuität mit den „alten Transatlantikern“ in der CDU steht.[10]
Die spezielle Beziehung zu China ist eine Frage des Überlebens für die deutsche Wirtschaft. Auch wenn alle von notwendigen Rückverlagerungen und alternativen Märkten reden, ändert dies nichts an der Zentralität dieser Beziehung[11], die von der deutschen Bourgeoisie auch entsprechend verteidigt wird. Die Investition Chinas in einen Teil des Hamburger Hafens war ein deutliches Zeichen von Scholz, dem Druck stand zu halten. Die Parole „Wandel durch Handel“ nimmt angesichts des staatskapitalistischen Monsters China niemand mehr in den Mund und die Grünen machen mit ihrer Menschenrechte-Ideologie klar Opposition gegen die Kontinuität der deutschen China-Politik. Sie mögen damit ein moderner Ausdruck der deutschen Bourgeoisie sein, aber realistisch betrachtet, dürfte dies eher ein Ausgangspunkt zukünftiger Spannungen sein.
So müssen wir auch die gegenwärtigen Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis verstehen. Die Achse Frankreich-Deutschland ist alternativlos, aber es fällt sowohl der deutschen als auch der französischen Bourgeoisie derzeit immer schwerer, den widersprüchlichen Tendenzen, der Verfolgung eigener Partikularinteressen, allgemein der Jeder-für-sich-selbst-Dynamik zu widerstehen. Noch ausgeprägter ist diese Tendenz für die EU als ganzer.
Die Grünen zeigen sich bezogen auf die Umstrukturierung der deutschen Industrie als die modernisierende Kraft der deutschen Bourgeoisie und haben mittlerweile den Großteil des deutschen Kapitals auf ihrer Seite (auch wenn sich angesichts der China-Politik erste Risse aufmachen). Der strukturelle Umbau der deutschen Industrie ist im vollen Gange. Doch das sogenannte Anti-Inflations-Gesetz der USA ist eine offene Kriegserklärung an Europa. Zu diesem komplexen und widersprüchlichen Szenario gehört auch, dass Investitionen nicht nur Kapital benötigen, sondern auch eine gewisse Infrastruktur, qualifizierte Arbeiter, wissenschaftliche Strukturen usw. Es gibt Beobachter[12], die hier hauptsächlich den Pluspunkt für Europa sehen und davon ausgehen, dass ein neuer Innovationsschub nur von Europa ausgehen kann, da sich hier eine einzigartige kulturelle Konzentration und Flexibilität herausgebildet hat. Doch diese Beobachter ignorieren die enorme Destruktivität, die ein zerfallendes Produktionsverhältnis entwickelt.
Zusammengefasst können wir feststellen, dass die deutsche Bourgeoisie im Unterschied zu der Bourgeoisie in vielen anderen Ländern im Augenblick noch die Fähigkeit hat, sich um die nationalen Interessen zu vereinen. Doch es tun sich erste Risse auf; während die SPD weiterhin in der Lage ist, die langfristigen Interessen strategisch auszurichten, damit aber immer mehr in offene Konflikte mit anderen imperialistischen Mächten gerät, droht die neue Kraft der Grünen angesichts ihrer historischen Unerfahrenheit nicht nur neue imperialistische Konflikte anzuheizen, sondern auch die Bourgeoisie selbst zu spalten. Die FDP hat schon während der Pandemie-Krise gezeigt, dass sie stark von den Fliehkräften des Zerfalls unterminiert ist. Die CDU scheint weiterhin ein verlässlicher Faktor zu sein, auch wenn sie kein eigenes Profil gewonnen hat und hauptsächlich von Kritik an der Regierung lebt, ist sie nicht in dem Maße in eine Zerfallsdynamik wie die US-Konservativen eingetreten. Die staatseigene KfW-Bank hat in einer aktuellen Studie vor „andauernden Wohlstandsverlusten“ und „Verteilungskonflikten“ gewarnt und weist neben den oben entfalteten Herausforderungen auf eine drohende soziale Krise hin. Die Rückkehr des Klassenkampfes in Deutschland wird zeigen, wie weit die deutsche Bourgeoisie in der Lage ist, mit den enormen Herausforderungen und ihrer Wechselwirkung umzugehen!
Gerald, 27. Januar 2023
[1] In den 1980ern wird noch hauptsächlich exil-chinesisches (Taiwan, Hong Kong) und süd-koreanisches Kapital im Textilsektor investiert, Anfang der 90er steigen jedoch die USA, Japan und Deutschland massiv ein. Der XIV. Parteikongress im Oktober 1992 hat das Motto: „Reform, Öffnung und Modernisierung beschleunigen und noch größere Siege für den Sozialismus chinesischer Prägung erringen!“
[2] Der erste Politiker, der Verhandlungen über russische Erdgaslieferungen mit Moskau führte, war in den 1960ern der bayerische Wirtschaftsminister Otto Schedl (CSU), der das agrarische Bayern industrialisieren wollte.
[3] Der deutsche Kanzler Helmut Kohl (CDU) entwickelte mit Boris Jelzin eine enge politisch-persönliche Beziehung, 1992 verkündete Jelzin vor der UNO, dass „der Westen“ ein „Verbündeter“, nicht mehr der „Feind“ sei. 1994 schlossen die EU und Russland das Russland-Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) ab.
[4] Die „Nettozuwanderung müsste von 330.000 im Jahr 2021 auf 1,8 Millionen Zuwanderer im erwerbsfähigen Alter je Jahr steigen“, KfW-Studie, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kfw-warnt-vor-schrumpfendem-wohlstand-fachkraefte-dringend-benoetigt-18620926.html [39], 22.02.2023
[5] Pandemie in Deutschland [40], Mai 2021, IKSonline
[6] Die Weltwirtschaft wird von der Beschleunigung des Zerfalls erfasst [41], Oktober 2022, Weltrevolution Nr. 185
[7] Siehe die gemeinsame Erklärung der NATO und der EU vom 10. Januar 2023
[8] Achtet auf unsere kommenden Artikel, die unsere Berichte vom letzten Kongress aktualisieren: Bericht über die imperialistischen Spannungen (Mai 2022): Bedeutung und Auswirkungen des Krieges in der Ukraine [42], Juni 2022, Internationale Revue Nr. 58
[9] „Die erste große Herausforderung ist für uns, zu gewährleisten, dass Europa noch souveräner wird und über die geopolitischen Kapazitäten verfügt, die internationale Ordnung zu gestalten. Für ein starkes Europa von morgen müssen wir jetzt stärker in unsere Streitkräfte und in die Grundlagen unserer Rüstungsindustrie in Europa investieren ...“, FAZ 20.01.2023.
[10] Hier sieht man das Walten der Zerfallskräfte deutlich, spätestens seit den Wirren, Irrationalitäten und wachsenden Unzuverlässigkeit der US-Bourgeoisie unter Trump ist die historische Fraktion der Transatlantiker in der deutschen Bourgeoisie nachhaltig irritiert und geschwächt. Die neuen Kräfte verfügen über keine starken Kontakte in den USA selbst, sondern sind eher wankelmütige Kandidaten offen für Manipulationen.
[11] So weisen beispielsweise Ökonomen aus dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) und seinem Umfeld darauf hin, dass die Bundesrepublik annähernd die Hälfte aller strategisch wichtigen Güter, die sie importieren muss, aus China bezieht – 45,1 Prozent. Der Chipproduzent Infineon etwa erwirtschaftete zuletzt 37,9 Prozent seines Umsatzes in der Volksrepublik. Deutschlands drei große Kfz-Konzerne erzielten in China zwischen 31,7 (BMW) und 37,2 Prozent (VW) ihres Gesamtumsatzes. Während letztere darauf angewiesen sind, zunehmend Forschung und Entwicklung in der Elektromobilität in den Branchenleitmarkt China zu verlegen, weist die Chemieindustrie darauf hin, dass sich in dem Land bald die Hälfte des globalen Chemikalienmarktes bündeln wird.
[12] „Aber Europa verfügt über ein hohes Maß an Innovationskraft. Industrietechnik wir unglaublich wichtig sein, und darin ist Deutschland Weltmeister. […] Ich bin optimistisch, weil ich glaube, dass in diesem Geschäft Innovation, Größe, Technologie und Talent die Zukunft bestimmen werden. Und Europa hat das in Hülle und Fülle.“
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/varo-chef-dev-sanyal-europa-wird-die-vorreiterrolle-uebernehmen-18576463.html [43], 03.01.2023
In letzter Zeit machen Klimaaktivisten mit den verschiedensten Aktionen in mehreren Ländern auf die längst eingesetzte Klimakatastrophe aufmerksam. Sei es indem man Farbbeutel auf wertvolle Gemälde oder andere Kunstgegenstände in Museen wirft, sich an zentralen Straßen- oder Kreuzungen festklebt und lange Staus verursacht, Flughafenteile besetzt oder wie in Frankreich eine Zementfabrik beschädigt. In Deutschland stand Mitte Januar tagelang die Räumung des besetzten Dorfes Lützerath im rheinischen Braunkohlegebiet im Vordergrund.
Wir wollen direkt unterstreichen: Ja – der Kapitalismus hat eine Spirale der Zerstörung in Gang gesetzt. Es stimmt, dass die kombinierten und kumulierten Auswirkungen der Umweltzerstörung die Luft, die Böden, die Meere vergiften und nicht nur Millionen von Menschen jedes Jahr als Umweltflüchtlinge vertreiben. Jedes Jahr sterben laut WHO ca. 13.7 Millionen Menschen durch Umweltverschmutzung frühzeitig und die Zahl der Erkrankten durch alle Generationen hinweg ist gar nicht ermittelbar.
Wir dürfen keine Illusion haben, der Kapitalismus wird den ganzen Planeten zerstören, die Menschheit ausrotten, so wie er jetzt schon unzählige Tier- und Pflanzenarten ausgerottet hat, wenn er weiter so wütet wie bislang.
Aber bleibt die Spirale der Zerstörung auf die Umweltzerstörung begrenzt? In Wirklichkeit tobt doch gleichzeitig neben vielen anderen Kriegen vor allem in Europa der Ukraine-Krieg und sät seit einem Jahr Tod, hat Millionen von Menschen in die Flucht getrieben, diente den Herrschenden aller Länder als Vorwand, um weiter Atomkraft, Gas- und Kohlekraftwerke zu benutzen, weil alles dem Diktat des Militarismus, der angeblichen Energiesicherheit eines Landes untergeordnet wird. Nicht nur wurden infolgedessen die Rüstungsausgaben enorm gesteigert – in Deutschland und Japan gar verdoppelt, sondern man nimmt billigend die weitere dramatische Zerstörung der Natur in Kauf.
Die Herrschenden gehen nicht nur in der Ukraine über Leichen. Sie scheren sich auch einen Dreck um die ungeheure Zahl an Hungernden, deren Leben jetzt durch Klimakatastrophe und den Ukraine-Krieg noch mehr bedroht ist. Werden nicht Milliarden Menschen durch die Wirtschaftskrise und die damit verbundene Inflation in die Verarmung und Verzweiflung getrieben? Gewalt und Armut z.B. in Latein- und Mittelamerika bewirken, dass in der US-amerikanischen-mexikanischen Grenzstadt El Paso allein jeden Tag 2.500 Flüchtlinge ankommen, die vor den Mauern der Festung USA stranden. Wie viel Flüchtlinge ertrinken jedes Jahr im Mittelmeer bei dem verzweifelten Versuch Europa zu erreichen? Wie viel Tausende hängen auf der Balkanflüchtlingsroute fest und werden von den Schergen des Systems misshandelt?
Können wir also nur auf die Umweltzerstörung schauen und uns darauf beschränken, hier nach Lösungen zu suchen? In Wirklichkeit müssen wir laut und deutlich aussprechen, dass der Kapitalismus dabei ist, die Natur - unsere Natur - die Zivilisation auf dem ganzen Erdball durch eine ganze Spirale der Zerstörung zu vernichten, wenn diesem kein Einhalt geboten wird.
Heute die Illusionen zu haben, man könnte nur an einem Punkt ansetzen und dann das Schlimmste verhindern, ist reine Augenwischerei.
Zu glauben, dass die Menschheit unter diesem kapitalistischen System überleben könnte, ist aber nicht nur irreführend, demoralisierend sondern auch entwaffnend. Deshalb ist der Ausgangs- und Ansatzpunkt der Klimaaktivisten ein völlig falscher.
Sie werfen den Machthabern vor, die Politik ignoriere die drohende Klimakatastrophe. Sie appellieren an deren Gewissen, deren Handlungswillen, als ob sich die Herrschenden einen freien Entscheidungsspielraum schaffen könnten. Tatsache ist, dass die Gesetze der Marktwirtschaft, das Profitstreben, die Konkurrenz, es unmöglich machen, sich dem Zwang zur gnadenlosen und zerstörerischen Ausbeutung der Natur zu entziehen. Weil sich alle Vertreter des Kapitals trotz ihrer nationalen und ideologischen Gegensätzen den kapitalistischen Verwertungsgesetzen unterwerfen und diese auf irgendeine Form rechtfertigen müssen, drehen sie alle an der Spirale der Zerstörung mit.
Können wir Hoffnung haben auf Einsicht der Herrschenden bei der Klimafrage? Welche Prioritäten haben sie? Mit welchen Lügen wollen sie uns hinters Licht führen?
Vor wenigen Jahren hieß es im Wahlkampf: „wir müssen Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie im Rheinland und in Ostdeutschland retten, deshalb muss die Kohleförderung noch jahrelang weitergehen“. Heuchelei und Zynismus: Wählerstimmen wollten sie erhaschen und die Kohleindustrie unterstützen – auf Kosten der Gesundheit der Weltbevölkerung. Welch eine Herrscherklasse, die vorgibt ein paar Tausend Arbeitsplätze sichern zu wollen und gleichzeitig mit dafür sorgt, dass die Zahl der Umwelttoten weltweit über 13 Millionen gesprungen ist. Wo sind die Arbeitsplätze der Millionen Umweltflüchtlinge, die jedes Jahr die Zahl der weltweiten Flüchtlinge ansteigen lässt (mittlerweile über 110 Mio.). Schutz der Arbeitsplätze durch die Herrschenden? Im Gesundheitswesen sind seit Jahren Tausende Stellen gestrichen, viele Krankenhausbetten abgeschafft worden, die Arbeitsbedingungen für die meisten Beschäftigten zu einer wahren Hölle geworden, nur weil alles einer „Ökonomisierung“ des Gesundheitswesens (sprich Profitprinzip) weichen soll.
Wenn in Deutschland die Grünen nicht nur mit am lautstärksten Waffenlieferungen aller Art an die Ukraine fordern, wenn sie im Bündnis mit FDP und SPD eine Verdoppelung des Militärhaushaltes rechtfertigen, wenn sie viel vehementer als irgendeine andere Partei die Umstellung auf mehr Gaslieferungen infolge der Sanktionen gegen Russland begründen, ist dies kein Verrat an irgendwelchen ursprünglich hehren Absichten. Nein, sie drehen mit am kapitalistischen Räderwerk und liefern ideologische Rechtfertigungen, damit alles dem obersten Prinzip Profit, Konkurrenz und deren Folgen - Krieg und Zerstörung - geopfert wird. Und wenn nun die Parteibasis bei den Grünen oder auch bei der SPD unter dem Namen „SPD.Klima.Gerecht“ spürt, dass das Ansehen der Grünen und der SPD durch deren Politik beschädigt wird, versuchen diese lediglich, die Glaubwürdigkeit dieser zutiefst kapitalistischen Parteien zu retten.
Alle diese symbolischen Protestaktionen, die die Aufmerksamkeit auf die Klimakatastrophe lenken sollen, sind nichts als ein Akt der Verzweiflung, der Hilflosigkeit und letzten Endes Schwindelei.
Die Forderungen von Gruppen wie extinction rebellion sind nicht weniger irreführend. „Unsere Forderungen: Wir verlangen einen ehrlichen Umgang mit der ökologischen Krise, sofortiges Umlenken und die Einbeziehung von Bürger:innen.“
Wie kann man von einer herrschenden Klasse deren System auf Ausbeutung, auf Profit, auf Mystifizierung, auf Lügen fußt, „einen ehrlichen Umgang mit der ökologischen Krise“ verlangen? Die Herrschenden streiten bei allen Konferenzen mit Hauen und Stechen (wie Sharm el Sheikh), wie sie am besten ihre materiellen Interessen verteidigen können. Seit Jahrzehnten findet ein Umweltgipfel nach dem anderen statt, von sofortigem Umlenken keine Spur! Im Gegenteil: Die Herrschenden verteidigen ihre Profitinteressen mit größter Brutalität und Grausamkeit mit der Folge, dass die Walze der Umweltzerstörung seit dem Beginn der Konferenzen nur noch verheerender wirkt.
Von diesen Heuchlern der herrschenden Klasse einen respektvollen, schonenden Umgang mit der Natur zu erwarten, ist mehr als nur Naivität. Es bedeutet die eigentlichen Mechanismen des Kapitalismus und das Verhalten der Verteidiger des Systems zu verschleiern. In Anbetracht des ekelerregenden Zynismus und des Machtinstinkts der Herrschenden, deren wesentliche Sorge darin besteht, alle Ressourcen der Gesellschaft für den Krieg und Konkurrenzkampf bereitzustellen, ist der Medienhype um die Aktionen der Klimaaktivisten selbst schon Teil einer ganzen Kampagne zur Verhüllung der tieferen Ursachen und zur Irreführung derjenigen geworden, die gegen die auf uns zurollende Katastrophe protestieren wollen. Wer sich aber mit solchen Aktionen an irgendwelche Gegenstände festklebt, reißt keinesfalls den Schleier des Zynismus der Herrschenden herunter, sondern verklebt sich und anderen noch mehr den Augen vor den wirklich notwendigen Schritten. Diese Aktionen lenken davon ab, dass es darum geht, den wirklichen Hebelpunkt zu finden, der das System aus den Angeln heben und überwinden kann.
Diese Lösung – Überwindung des Systems – Zerschlagung aller Mechanismen der Konkurrenz, des Profitprinzips, der Unterordnung unter die blinden Gesetze der Akkumulation von Wert, der Abschaffung aller Staaten, Kriege an der Wurzel zu packen usw.- all das kann nur von der Arbeiterklasse angegangen werden, die kein Interesse an Ausbeutung und der Aufrechterhaltung dieser Gesellschaft hat. Weil aber die Arbeiterklasse große Schwierigkeiten hat, ihre eigenen Stellung und Stärke zu erkennen, können viele deren Rolle nicht erkennen, und werden vereinnahmt durch solche demoralisierenden Aktionen des „Klimaaktivismus“. Aber es gibt keinen anderen Weg: Anstatt sich durch diesen Klimaaktivismus benebeln und demoralisieren zu lassen, sagen wir: es führt kein Weg daran vorbei, sich mit der zentralen Rolle der Arbeiterklasse auseinanderzusetzen. Wir verweisen an dieser Stelle dazu auf andere Artikel in unserer Presse. Wilfr., 19.01.2023
Es dauerte nur eine Nacht, bis der Donner der Kanonen und der Bombenlärm wieder in der Ukraine ertönte, vor den Toren der historischen Wiege eines mittlerweile verrottenden Kapitalismus. Innerhalb weniger Wochen hat dieser Krieg von unerhörtem Ausmaß und Brutalität ganze Städte verwüstet, Millionen von Frauen, Kindern und alten Menschen auf die eisigen Straßen des Winters geworfen und unzählige Menschenleben auf dem Altar des Vaterlandes geopfert. Charkiw, Sumy oder Irpin sind heute nur noch Ruinenfelder. Im völlig dem Erdboden gleichgemachten Industriehafen von Mariupol hat der Konflikt nicht weniger als 5000 Menschen das Leben gekostet, wahrscheinlich sogar noch mehr. Die Verwüstungen und Schrecken dieses Krieges erinnern an die schrecklichen Bilder aus Grosny, Falludscha oder dem zerstörten Aleppo. Doch wo es Monate, manchmal sogar Jahre gedauert hat, bis es zu solchen Verwüstungen kam, gab es in der Ukraine keine "mörderische Eskalation": In nur einem Monat haben die Kriegsparteien all ihre Kräfte in das Gemetzel geworfen und eines der größten Länder Europas verwüstet!
Der Krieg ist ein erschreckender Moment der Wahrheit für den dekadenten Kapitalismus: Indem die Bourgeoisie ihre Todesmaschinen zur Schau stellt, legt sie plötzlich die heuchlerische Maske der Zivilisation, des Friedens und des Mitgefühls ab, die sie mit der unerträglichen Arroganz, die den anachronistisch gewordenen herrschenden Klassen eigen ist, zur Schau zu tragen vorgibt. Sie kämpft sich durch einen wütenden Strom von Propaganda, um ihr hässliches Gesicht als Mörderin besser zu verbergen. Wie kann man nicht erschrecken, wenn man diese armen russischen Jungen, 19- oder 20-jährige Wehrpflichtige, mit ihren pubertären Gesichtern sieht, die wie in Butscha und anderen kürzlich verlassenen Orten zu Mördern gemacht werden? Wie kann man sich nicht empören, wenn Selenskyj, der "Diener des Volkes", schamlos eine ganze Bevölkerung als Geisel nimmt, indem er die "Generalmobilmachung" aller gesunden Männer zwischen 18 und 60 Jahren anordnet, denen es von nun an verboten ist, das Land zu verlassen? Wie kann man nicht entsetzt sein über die bombardierten Krankenhäuser, die verängstigten und hungernden Zivilpersonen, die Massenhinrichtungen, die in Kindergärten vergrabenen Leichen und das herzzerreißende Weinen der Waisenkinder?
Der Krieg in der Ukraine ist eine abscheuliche Manifestation des schwindelerregenden Abstiegs des Kapitalismus in Chaos und Barbarei. Seit zwei Jahren hat die Covid-Pandemie diesen Prozess erheblich beschleunigt, dessen monströses Produkt sie selbst ist.[1] Der IPCC kündigt unumkehrbare Kataklysmen und Klimaveränderungen an, die die Menschheit und die Artenvielfalt auf globaler Ebene direkt bedrohen. Doch aufgrund von Militärausgaben und Umstrukturierungen im Energiesektor hat die europäische Bourgeoisie beschlossen, die Schließung von Kohlekraftwerken zu verschieben. Inzwischen häufen sich die großen politischen Krisen, wie man nach Trumps Niederlage in den USA sehen konnte; das Gespenst des Terrorismus schwebt über der Gesellschaft, ebenso wie das nukleare Risiko, das der Krieg wieder in den Vordergrund gerückt hat. Unaufhörliche Massaker und kriegerisches Chaos, unaufhaltsame wirtschaftliche Angriffe, explodierendes soziales Elend, Klimakatastrophen großen Ausmaßes... Die Gleichzeitigkeit und Häufung all dieser Phänomene ist kein unglücklicher Zufall, sondern zeugt im Gegenteil davon, dass der mörderische Kapitalismus durch die Geschichte verurteilt ist.
Wenn die russische Armee die Grenze überschritten hat, dann sicherlich nicht, um das "russische Volk" zu verteidigen, das "vom Westen belagert" wird, oder um den russischsprachigen Ukrainer:innen, die Opfer der "Nazifizierung" der Kiewer Regierung seien, "Hilfe zu leisten". Die Angriffe aller Art gegen die Ukraine sind auch nicht das Produkt der "Wahnvorstellungen" eines "verrückten Autokraten", wie die Presse in allen Tonlagen wiederholt, wann immer es gilt, ein Massaker zu rechtfertigen[2] und zu verschleiern, dass dieser Konflikt, wie alle anderen, in erster Linie die Erscheinungsform einer dekadenten und militarisierten bürgerlichen Gesellschaft ist, die der Menschheit nichts mehr zu bieten hat außer ihrer eigenen Vernichtung!
Die Toten und die Zerstörungen, das Chaos und die Instabilität an ihrer Grenze waren ihnen egal: Für Putin und seine Clique galt es, die Interessen des russischen Kapitals und seinen Platz in der Welt zu verteidigen, die beide durch die zunehmende Verankerung seiner traditionellen Einflusssphäre im Westen geschwächt wurden. Die russische Bourgeoisie kann sich noch so sehr als "Opfer" der NATO darstellen, Putin hat angesichts des Scheiterns seiner Offensive nie gezögert, eine entsetzliche Kampagne der verbrannten Erde und der Massaker zu führen und alles auf seinem Weg auszurotten, einschließlich der russischsprachigen Bevölkerung, die er angeblich zu schützen gekommen war!
Auch von Selenskyj und seinem Gefolge aus korrupten Politikern und Oligarchen ist nichts zu erwarten. Der ehemalige Komiker spielt nun perfekt seine Rolle als skrupelloser Hetzer für die Interessen der ukrainischen Bourgeoisie. Durch eine intensive nationalistische Kampagne gelang es ihm, die Bevölkerung zu bewaffnen und eine ganze Meute von Söldnern und Schießwütigen zu rekrutieren, die als "Helden der Nation" gefeiert wurden. Selenskyj tourt nun mit seinen Videoauftritten durch die westlichen Hauptstädte und wendet sich an alle Parlamente, um wie ein Aasgeier um die Lieferung von immer mehr Waffen und Munition zu betteln. Der "heldenhafte ukrainische Widerstand" tut das, was alle Armeen der Welt tun: Er schießt, massakriert, plündert und scheut sich nicht, Gefangene zu verprügeln oder gar hinzurichten.
Alle demokratischen Mächte geben vor, sich über die von der russischen Armee begangenen "Kriegsverbrechen" zu empören. Was für eine Heuchelei! Im Laufe der Geschichte haben sie immer wieder Leichen und Ruinen in allen Teilen der Welt angehäuft. Während die westlichen Mächte das Schicksal der Bevölkerung beklagen, die dem "russischen Unhold" zum Opfer gefallen ist, liefern sie gleichzeitig Unmengen an Kriegswaffen, sorgen für die Ausbildung und liefern alle Informationen, die für die Angriffe und Bombardierungen der ukrainischen Armee, einschließlich des Neonazi-Regiments Asow, notwendig sind!
Vor allem aber hat die US-Bourgeoisie durch eine Vielzahl von Provokationen alles getan, um Moskau in einen von vornherein verlorenen Krieg zu treiben. Für die USA ist es am wichtigsten, Russland auszubluten und freie Hand zu haben, um die hegemonialen Ansprüche Chinas, das Hauptziel der amerikanischen Macht, zu brechen. Dieser Krieg ermöglicht es den USA auch, das große imperialistische chinesische Projekt der "Seidenstraßen" einzudämmen und zu durchkreuzen. Um ihre Ziele zu erreichen, hat die "große Demokratie" der USA nicht gezögert, ein völlig irrationales und barbarisches militärisches Abenteuer zu fördern, das die globale Destabilisierung und das Chaos in der Nähe Westeuropas verstärkt.
Das Proletariat hat also nicht die Aufgabe, eine Seite gegen eine andere zu wählen! Es hat kein Vaterland zu verteidigen und muss überall den Nationalismus und die chauvinistische Hysterie der Bourgeoisie bekämpfen! Er muss mit seinen eigenen Waffen und Mitteln gegen den Krieg kämpfen!
Heute hat das Proletariat in der Ukraine, das von mehr als 60 Jahren Stalinismus überrollt wurde, eine schwere Niederlage erlitten und sich vom Nationalismus betören lassen. In Russland hat sich das Proletariat zwar etwas widerspenstiger gezeigt, aber seine Unfähigkeit, die Kriegsgelüste seiner Bourgeoisie zu bremsen, erklärt, warum die herrschende Clique 200.000 Soldaten an die Front schicken konnte, ohne eine Reaktion der Arbeiterschaft befürchten zu müssen.
In den kapitalistischen Hauptmächten, in Westeuropa und den USA, hat das Proletariat heute weder die Kraft noch die politische Fähigkeit, sich diesem Konflikt durch internationale Solidarität und den Kampf gegen die Bourgeoisie in allen Ländern direkt entgegenzustellen. Es ist derzeit nicht in der Lage, sich zu verbrüdern und massenhaft in den Kampf einzutreten, um das Massaker zu stoppen.
Doch obwohl die Gefahren der Propaganda und Demonstrationen aller Art es in die Sackgasse der Verteidigung des pro-ukrainischen Nationalismus oder in die falsche Alternative des Pazifismus zu treiben drohen, bleibt das Proletariat der westlichen Länder aufgrund seiner Erfahrung mit Klassenkämpfen und den Machenschaften der Bourgeoisie immer noch das wichtigste Gegenmittel gegen die zerstörerische Spirale und Todesspirale des kapitalistischen Systems. Die westliche Bourgeoisie hat sich übrigens davor gehütet, direkt in der Ukraine zu intervenieren, weil sie weiß, dass die Arbeiterklasse das tägliche Opfer von Tausenden von Soldaten, die in kriegerische Auseinandersetzungen eingezogen werden, nicht akzeptieren wird.
Obwohl die Arbeiterklasse in den westlichen Ländern durch diesen Krieg desorientiert und noch immer geschwächt ist, behält sie ihr Potenzial intakt, ihre Fähigkeit, ihre Kämpfe auf dem Gebiet des Widerstands gegen neue Opfer zu entwickeln, die durch die Sanktionen gegen die russische Wirtschaft und die kolossale Erhöhung der Militärhaushalte verursacht werden: die galoppierende Inflation, die dadurch bedingte Verteuerung der meisten Produkte des täglichen Lebens und die Beschleunigung der Angriffe auf ihre Lebens- und Ausbeutungsbedingungen.
Schon jetzt können und müssen sich die Proletarier:innen allen Opfern, die die Bourgeoisie fordert, widersetzen. Durch ihre Kämpfe kann das Proletariat ein Kräfteverhältnis mit der herrschenden Klasse herstellen, um ihren mörderischen Arm zurückzuhalten! Denn die Arbeiterklasse, die den gesamten Reichtum produziert, ist auf lange Sicht die einzige Kraft in der Gesellschaft, die den Krieg beenden kann, indem sie den Weg zum Umsturz des Kapitalismus beschreitet.
Das hat uns die Geschichte gezeigt, als sich das Proletariat 1917 in Russland und ein Jahr später in Deutschland erhob und den Krieg durch einen gewaltigen revolutionären Aufschwung beendete. Während der Weltkrieg tobte, hatten die Revolutionäre den Kurs gehalten, indem sie das elementare Prinzip des proletarischen Internationalismus kompromisslos verteidigten. Heute ist es die Aufgabe der Revolutionäre, die Erfahrungen der Arbeiterbewegung weiter zu vermitteln. Angesichts des Krieges besteht ihre erste Verantwortung darin, mit einer Stimme zu sprechen und die Fahne des Internationalismus fest zu schwenken – die einzige Fahne, die die Bourgeoisie wieder zum Zittern bringen kann!
IKS, 4. April 2022
[1] In China ist die Pandemie wieder auf dem Vormarsch (erneuter Lockdown in Shanghai). In der übrigen Welt ist die Pandemie noch lange nicht unter Kontrolle.
[2] Von Hitler bis Assad, über Hussein, Milosevic, Gaddafi oder Kim Jong-un ... der Feind leidet überraschenderweise immer an schweren psychologischen Störungen.
Die bis auf die Knochen verrottete, an sich selbst kranke bürgerliche Gesellschaft spuckt wieder Feuer und Stahl. Das ukrainische Gemetzel zeigt jeden Tag massive Bombardements, Hinterhalte, Belagerungen und Flüchtlingskolonnen, die zu Millionen vor dem Dauerfeuer der Kriegsparteien fliehen.
Inmitten der Propagandaflut, die von den Regierungen aller Länder ausgeschüttet wird, stechen zwei Lügen hervor: Die eine stellt Putin als einen "verrückten Autokraten" dar, der alles tun würde, um der neue Zar eines wiedererrichteten Reiches zu werden und sich die "Reichtümer" der Ukraine unter den Nagel zu reißen; die andere gibt den "Völkermördern" an der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass, welche die "heldenhaften" russischen Soldaten unter Einsatz ihres Lebens schützen müssten, die Hauptschuld an dem Konflikt. Die Bourgeoisie hat stets besondere Sorgfalt darauf verwendet, die tatsächlichen Kriegsursachen zu verschleiern, indem sie sie mit dem ideologischen Schleier der "Zivilisation", der "Demokratie", der "Menschenrechte" und des "Völkerrechts" verhüllte. Doch der wahre Kriegsgrund ist der Kapitalismus!
Seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 hat Russland große Anstrengungen unternommen, um eine modernere Armee aufzubauen und im Nahen Osten, insbesondere in Syrien, aber auch in Afrika durch die Entsendung von Söldnern nach Libyen, Zentralafrika und Mali wieder Einfluss zu gewinnen und immer mehr Chaos zu stiften. In den letzten Jahren hat es auch nicht gezögert, direkte Offensiven zu starten – 2008 in Georgien und 2014 durch die Besetzung der Krim und des Donbass –, um den Rückgang seiner Einflusssphäre aufzuhalten, wobei es Gefahr lief, an seinen eigenen Grenzen große Instabilität zu schaffen. Nach dem Rückzug der USA aus Afghanistan glaubte Russland, die Schwächung der USA nutzen zu können, um zu versuchen, die Ukraine wieder in seine Einflusssphäre zu holen, ein Gebiet, das für seine Position in Europa und der Welt von entscheidender Bedeutung ist, zumal Kiew drohte, an die NATO anzudocken.
Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks ist dies sicherlich nicht das erste Mal, dass auf dem europäischen Kontinent ein Krieg tobt. Die Balkankriege in den 1990er Jahren und der Konflikt im Donbass im Jahr 2014 hatten bereits Unglück und Verwüstung über den Kontinent gebracht. Doch der Krieg in der Ukraine hat schon jetzt viel schwerwiegendere Auswirkungen als frühere Konflikte und veranschaulicht, wie das Chaos immer näher an die Hauptzentren des Kapitalismus heranrückt.
Russland, eine der führenden Militärmächte, ist in der Tat direkt und massiv an der Invasion eines Landes beteiligt, das eine strategische Position in Europa, an den Grenzen der Europäischen Union, einnimmt. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen soll Russland bereits 10.000 Soldaten verloren haben und noch viel mehr Verwundete und Deserteure. Ganze Städte wurden durch einen Bombenhagel dem Erdboden gleichgemacht. Die Zahl der zivilen Opfer dürfte beträchtlich sein. Und das alles in nur einem Monat des Krieges![1]
In der Region gibt es nun eine enorme Konzentration von Truppen und modernster militärischer Ausrüstung, nicht nur in der Ukraine, wo Waffen, Soldaten und Söldner von allen Seiten herangekarrt werden, sondern auch in ganz Osteuropa, wo Tausende von NATO-Soldaten stationiert und Putins einziger Verbündeter Weißrussland mobilisiert wurde. Mehrere europäische Staaten haben ebenfalls beschlossen, ihre Rüstungsanstrengungen erheblich zu erhöhen, allen voran die baltischen Staaten, aber auch Deutschland, das kürzlich eine Verdoppelung der Ausgaben für seine "Verteidigung" angekündigt hat.
Russland droht regelmäßig mit militärischen Vergeltungsschlägen und stellt schamlos sein Atomwaffenarsenal zur Schau. Auch der französische Verteidigungsminister erinnerte Putin daran, dass er es mit "Atommächten" zu tun habe, bevor er die Wogen glättete und nun einen "diplomatischeren" Ton anschlug. Ohne auch nur von einem Atomkonflikt zu sprechen, besteht die Gefahr eines schweren Störfalls in der Industrie. An den Atomanlagen von Tschernobyl und Saporischschja, wo nach Bombenangriffen (zum Glück nur Verwaltungsgebäude) in Brand gerieten, kam es bereits zu erbitterten Kämpfen.
Hinzu kommt eine große Flüchtlingskrise in Europa selbst. Millionen von Ukrainer:innen fliehen vor dem Krieg und der Zwangsrekrutierung in Selenskyjs Armee in die Nachbarländer. Doch angesichts des Gewichts des Populismus in Europa und des manchmal expliziten Willens mehrerer Staaten, Migrant:innen zynisch für imperialistische Zwecke zu instrumentalisieren (wie man kürzlich an der weißrussischen Grenze oder durch die regelmäßigen Drohungen der Türkei gegenüber der Europäischen Union sehen konnte), könnte diese Massenflucht auf lange Sicht zu ernsten Spannungen und Instabilität führen.
Alles in allem birgt der Krieg in der Ukraine ein großes Risiko für Chaos, Destabilisierung und Zerstörung auf internationaler Ebene. Wenn dieser Konflikt nicht selbst in einen noch tödlicheren Flächenbrand mündet, erhöht er diese Gefahren beträchtlich, mit Spannungen und der Gefahr einer unkontrollierten "Eskalation", die zu unvorstellbaren Folgen führen kann.
Obwohl die russische Bourgeoisie die Feindseligkeiten eröffnet hat, um ihre schmutzigen imperialistischen Interessen zu verteidigen, ist die Propaganda, die die Ukraine und die westlichen Länder als Opfer eines „verrückten Diktators“ darstellt, nur eine scheinheilige Maskerade. Seit Monaten warnte die US-Regierung immer wieder provokativ vor einem bevorstehenden russischen Angriff, verkündete aber gleichzeitig, dass sie keinen Fuß auf ukrainischen Boden setzen würde.
Seit dem Zerfall der UdSSR wurde Russland an seinen Grenzen kontinuierlich bedroht, sowohl in Osteuropa als auch im Kaukasus und in Zentralasien. Die USA und die europäischen Mächte haben die russische Einflusssphäre systematisch zurückgedrängt, indem sie viele osteuropäische Länder in die Europäische Union und die NATO aufgenommen haben. In diesem Sinne ist auch die Vertreibung des ehemaligen georgischen Präsidenten Schewardnadse im Jahr 2003 während der "Rosenrevolution" zu verstehen, die eine pro-amerikanische Clique an die Macht brachte, ebenso wie die "orangefarbene Revolution" in der Ukraine 2004 und alle nachfolgenden Konflikte zwischen den verschiedenen Fraktionen der dortigen Bourgeoisie. Die aktive Unterstützung der proeuropäischen Opposition in Weißrussland durch die Westmächte, der Krieg in Bergkarabach unter dem Druck des NATO-Mitglieds Türkei und die Abrechnungen auf der höchsten Ebene des kasachischen Staates haben das Gefühl der Not in der russischen Bourgeoisie nur noch verstärkt.
Sowohl für das zaristische als auch für das "sowjetische" Russland war die Ukraine schon immer ein zentrales Thema seiner Außenpolitik. In der Tat ist die Ukraine für Moskau der einzige und letzte direkte Zugang zum Mittelmeer. Die Annexion der Krim im Jahr 2014 folgte bereits diesem Imperativ des russischen Imperialismus, der direkt von der Einkreisung durch zumeist pro-amerikanische Regime bedroht war. Der erklärte Wille der USA, Kiew an den Westen anzugliedern, wird von Putin und seiner Clique daher als echte Provokation empfunden. In diesem Sinne ist die Offensive der russischen Armee, auch wenn sie völlig irrational und von Anfang an zum Scheitern verurteilt zu sein scheint, für Moskau ein verzweifelter "Kraftakt", mit dem es seinen Rang als Weltmacht aufrechterhalten will.
Die amerikanische Bourgeoisie, die sich der Lage in Russland sehr wohl bewusst ist, war in dieser Frage zwar gespalten, ließ es sich aber nicht nehmen, Putin durch eine Vielzahl von Provokationen in die Enge zu treiben. Als Biden ausdrücklich versicherte, er werde nicht direkt in der Ukraine intervenieren, hinterließ er absichtlich ein Vakuum, das Russland sofort nutzte, in der Hoffnung, seinen Niedergang auf der internationalen Bühne zu bremsen. Es ist nicht das erste Mal, dass die USA einen eiskalten Machiavellismus anwenden, um ihre Ziele zu erreichen: Bereits 1990 hatte Bush Senior Saddam Hussein in eine Falle gelockt, indem er vorgab, nicht zur Verteidigung Kuwaits eingreifen zu wollen. Der Rest ist bekannt...
Es ist noch zu früh, um die Dauer und das Ausmaß der bereits enormen Zerstörungen in der Ukraine vorherzusagen, aber seit den 1990er Jahren haben wir die Massaker von Srebrenica, Grozny, Sarajevo, Falludscha oder Aleppo erlebt. Jeder, der einen Krieg beginnt, ist sehr oft dazu verurteilt, sich festzubeißen und in einem Stellungskrieg zu versinken. In den 1980er Jahren zahlte Russland einen hohen Preis für die Invasion in Afghanistan, die zur Implosion der UdSSR führte. Die USA erlebten ihre eigenen Fiaskos, die sie sowohl militärisch als auch wirtschaftlich schwächten. All diese Abenteuer endeten trotz anfänglicher scheinbarer Siege letztlich in bitteren Rückschlägen und schwächten die Kriegsparteien erheblich. Putins Russland wird, wenn es sich nach einer demütigenden Niederlage nicht gleich ganz zurückziehen sollte, einen Stellungskrieg nicht vermeiden können, selbst wenn es ihm gelingt, die großen ukrainischen Städte einzunehmen.
"Ein neuer Imperialismus bedroht den Weltfrieden", [2] "Die Ukrainer bekämpfen den russischen Imperialismus seit Hunderten von Jahren" ... [3]
"Der russische Imperialismus" – die Bourgeoisie hat nur diese Worte auf den Lippen, als wäre Russland der Inbegriff des Imperialismus angesichts des "wehrlosen Kükens" der Ukraine. In Wirklichkeit sind Krieg und Militarismus seit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenzphase zu grundlegenden Merkmalen dieses Systems geworden. Alle Staaten, ob groß oder klein, sind imperialistisch; alle Kriege, ob sie sich nun als "humanitär", "befreiend" oder "demokratisch" bezeichnen, sind imperialistische Kriege. Das hatten die Revolutionäre bereits während des Ersten Weltkriegs erkannt: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Weltmarkt vollständig in die Jagdreviere der führenden kapitalistischen Nationen aufgeteilt. Angesichts des verschärften Wettbewerbs und der Unmöglichkeit, die Widersprüche des Kapitalismus durch neue koloniale oder kommerzielle Eroberungen zu lockern, bauten die Staaten gigantische Waffenarsenale auf und unterwarfen das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben den Imperativen des Krieges. Vor diesem Hintergrund brach im August 1914 der Weltkrieg aus, ein in der Geschichte der Menschheit bis dahin unerreichtes Gemetzel, das ein neues "Zeitalter der Kriege und Revolutionen" einläutete.
Angesichts des harten Wettbewerbs und der Allgegenwart des Krieges entwickelten sich in jeder Nation, ob groß oder klein, zwei Phänomene, die die Hauptmerkmale der Dekadenzperiode darstellten: der Staatskapitalismus und die imperialistischen Blöcke. "Der Staatskapitalismus [...] antwortet auf das Bedürfnis eines jeden Landes, angesichts der Konfrontation mit den anderen Nationen ein Höchstmaß an Disziplin seitens der verschiedenen Teile der Gesellschaft anzustreben, die Zusammenstöße zwischen den Klassen, aber auch zwischen rivalisierenden Fraktionen der herrschenden Klasse so stark wie möglich zu reduzieren, um insbesondere das gesamte ökonomische Potential zu mobilisieren und zu kontrollieren. Gleichermaßen entspricht die Formierung von imperialistischen Blöcken der Notwendigkeit, eine solche Disziplin auch den verschiedenen nationalen Bourgeoisien aufzuzwingen, um ihre wechselseitigen Antagonismen einzuhegen und sie für die Hauptkonfrontation, nämlich die zwischen den beiden militärischen Lagern, zusammenzuschließen.“[4] So teilte sich die kapitalistische Welt während des gesamten 20. Jahrhunderts in rivalisierende Blö name="_ftnref5" title="">[5], die durch das Verschwinden der imperialistischen Blöcke seit über 30 Jahren gekennzeichnet ist. Der Abstieg des russischen "Gendarmen" und de facto der Zerfall des amerikanischen Blocks machten den Weg frei für eine ganze Reihe von lokalen Rivalitäten und Konflikten, die zuvor durch die eiserne Disziplin der Blöcke unterdrückt worden waren. Diese Tendenz, dass jeder auf sich selbst gestellt ist und das Chaos immer größer wird, hat sich seitdem voll und ganz bestätigt.
Die einzige "Supermacht" USA versuchte ab 1990, ein Mindestmaß an Ordnung in der Welt zu schaffen und den unaufhaltsamen Niedergang ihrer eigenen Führungsrolle zu bremsen – indem sie auf Krieg zurückgriff. Da die Welt nicht mehr in zwei disziplinierte imperialistische Lager aufgeteilt war, hielt es ein Land wie der Irak für möglich, sich einen ehemaligen Verbündeten desselben Blocks, Kuwait, unter den Nagel zu reißen. Die USA starteten an der Spitze einer Koalition aus 35 Ländern eine mörderische Offensive, die jede künftige Versuchung, Saddam Husseins Vorgehen nachzuahmen, entmutigen sollte.
Die Operation konnte jedoch das imperialistische Prinzip des "Jeder-gegen-Jeden", das typisch für den Zerfallsprozess der Gesellschaft ist, nicht beenden. In den Balkankriegen traten bereits die schlimmsten Rivalitäten zwischen den Mächten des ehemaligen Westblocks offen zutage, insbesondere zwischen Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die neben den mörderischen Interventionen der USA und Russlands über die verschiedenen Kriegsparteien im ehemaligen Jugoslawien praktisch Krieg gegeneinander führten. Der Terroranschlag vom 11. September 2001 wiederum markierte einen weiteren bedeutenden Schritt in Richtung Chaos und traf das Herz des globalen Kapitalismus. Im Gegensatz zu den linken Theorien über den angeblichen Ölhunger der USA, die durch die astronomischen Kosten des Krieges als Unsinn entlarvt wurden, mussten die USA vor diesem Hintergrund 2001 in Afghanistan und 2003 im Namen des "Krieges gegen den Terrorismus" erneut im Irak einmarschieren.
Amerika befand sich auf einer regelrechten Flucht nach vorn: Im zweiten Golfkrieg schlichen Deutschland, Frankreich und Russland nicht nur hinter Onkel Sam her, sondern weigerten sich regelrecht, ihre Soldaten einzusetzen. Vor allem aber führte jede dieser Operationen nur zu Chaos und Instabilität, so dass die USA sich schließlich so weit verrannten, dass sie 20 Jahre später Afghanistan gedemütigt verlassen mussten und ein Trümmerfeld in den Händen der Taliban zurückließen, die sie eigentlich bekämpfen wollten, so wie sie bereits den Irak verlassen mussten, in dem eine gewaltige Anarchie herrschte, die die gesamte Region und insbesondere das benachbarte Syrien destabilisierte. Um ihren Rang als führende Weltmacht zu verteidigen, wurden die USA daher zum Hauptverbreiter des Chaos in der Zeit des Zerfalls.
Heute haben die USA unbestreitbar imperialistisch gepunktet, ohne auch nur direkt eingreifen zu müssen. Russland, ein langjähriger Gegner, ist in einen nicht zu gewinnenden Krieg verwickelt, der unabhängig vom Ausgang zu einer erheblichen militärischen und wirtschaftlichen Schwächung führen wird. Die Europäische Union und die USA haben bereits Farbe bekannt: Es geht darum, so die EU-Chefdiplomatin, "die russische Wirtschaft zu verwüsten" – und Pech für das Proletariat in Russland, das für all diese Vergeltungsmaßnahmen bezahlen wird, wie auch für das ukrainische Proletariat, das das erste Opfer und die Geisel der entfesselten Kriegsbarbarei ist!
Die Amerikaner haben auch die NATO wieder unter ihre Kontrolle gebracht, die der französische Präsident als "hirntot" bezeichnet hatte. Sie haben ihre Präsenz in Osteuropa erheblich verstärkt und die europäischen Hauptmächte (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) gezwungen, die wirtschaftliche Last des Militarismus zur Verteidigung der Ostgrenzen Europas stärker zu übernehmen – eine Politik, die die USA seit mehreren Jahren, insbesondere unter Präsident Trump und fortgeführt von Biden, umzusetzen versuchen, um ihre Kraft gegen ihren Hauptfeind China zu bündeln.
Für die Europäer bedeutet die Situation eine große diplomatische Niederlage und einen erheblichen Verlust an Einfluss. Der von den USA angeheizte Konflikt war von Frankreich und Deutschland nicht gewollt, da sie aufgrund ihrer Abhängigkeit von russischem Gas und dem Markt, den das Land für ihre eigenen Waren darstellt, absolut nichts von diesem Konflikt zu gewinnen haben. Im Gegenteil, Europa wird unter den Auswirkungen des Krieges und der verhängten Sanktionen eine weitere Beschleunigung der Wirtschaftskrise erleben. Die Europäer mussten sich also hinter den amerikanischen Schutzschild stellen, obwohl die diplomatische Schwächung, die durch Trumps ‚Gleichgültigkeit’ ausgelöst wurde, sie auf eine starke Rückkehr des alten Kontinents auf die internationale Bühne hatte hoffen lassen.
Ist die Tatsache, dass die wichtigsten europäischen Mächte gezwungen sind, sich hinter die USA zu stellen, der Beginn der Bildung eines neuen imperialistischen Blocks? Die Periode des Zerfalls schließt nicht per se die Bildung neuer Blöcke aus, obwohl das Gewicht des Jeder-für-sich-selbst diese Möglichkeit erheblich behindert. Nichtsdestotrotz wird in der Situation der irrationale Wille jedes Staates, seine eigenen imperialistischen Interessen zu verteidigen, weitgehend gestärkt. Deutschland hat die Umsetzung der Sanktionen etwas verschleppt und bewegt sich weiterhin auf dünnem Eis, wenn es darum geht, die russischen Gasexporte, von denen es stark abhängig ist, nicht zu sanktionieren. Außerdem hat es zusammen mit Frankreich immer wieder interveniert, um Russland einen diplomatischen Ausweg anzubieten, was Washington natürlich zu verzögern versucht. Selbst die Türkei und Israel versuchen, ihre "guten Dienste" als Vermittler anzubieten. Langfristig könnten die europäischen Großmächte mit steigenden Militärausgaben sogar versuchen, sich von der amerikanischen Vormundschaft zu emanzipieren, ein Bestreben, das Macron regelmäßig durch sein Projekt einer "europäischen Verteidigung" vorantreibt. Auch wenn die USA unbestreitbar unmittelbar gepunktet haben, versucht jedes Land also auch, seine eigene Karte zu spielen, wodurch die Bildung eines Blocks umso leichter gefährdet wird, als China seinerseits keine Großmacht hinter sich vereinen kann und bei der Verteidigung seiner eigenen Ziele sogar gebremst und geschwächt wird.
Mit diesem Manöver zielte die US-Bourgeoisie jedoch nicht nur und nicht vorrangig auf Russland. Die Konfrontation zwischen den USA und China bestimmt heute die globalen imperialistischen Beziehungen. Durch die Schaffung chaotischer Zustände in der Ukraine versuchte Washington vor allem, Chinas Vorstoß nach Europa zu behindern, indem es die "Seidenstraßen", die durch die osteuropäischen Länder führen sollten, für einen noch unbestimmten Zeitraum blockierte. Nachdem Biden Chinas Seewege im indopazifischen Raum bedroht hatte, unter anderem mit der Gründung der AUKUS-Allianz[6] im Jahr 2021, hat Biden nun einen riesigen Graben in Europa geschaffen, die China daran hindert, seine Waren auf dem Landweg zu transportieren.
Den USA ist es auch gelungen, die Ohnmacht Chinas aufzuzeigen, auf der internationalen Bühne die Rolle eines verlässlichen Partners zu spielen, da China keine andere Wahl hat, als Russland auf sehr weiche Weise zu unterstützen. In diesem Sinne ist die Offensive der USA, die wir gerade erleben, Teil des umfassenderen Rahmens ihrer Strategie, China einzuengen.
Seit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan und im Nahen Osten sind die USA, wie wir gesehen haben, zum Hauptfaktor für das Chaos in der Welt geworden. Bisher war dieser Trend zunächst in den kapitalistischen Randstaaten zu beobachten, obwohl auch die Kernstaaten die Folgen zu spüren bekamen (Terrorismus, Migrationskrisen usw.). Doch nun entfacht die größte Weltmacht das Chaos vor den Toren eines der wichtigsten Zentren des Kapitalismus. Diese kriminelle Strategie wird von dem "Demokraten" und "gemäßigten" Joe Biden angeführt. Sein Vorgänger Donald Trump hatte einen nachvollziehbaren Ruf als Hitzkopf, aber jetzt wird klar, dass sich bei der Neutralisierung Chinas nur die Strategie unterscheidet: Trump wollte Abkommen mit Russland aushandeln, Biden und die Mehrheit der amerikanischen Bourgeoisie wollen das Land ausbluten lassen. Putin und seine Mörderclique sind nicht besser, ebenso wenig wie Selenskyj, der nicht davor zurückschreckt, eine ganze Bevölkerung als Geiseln zu nehmen und sie im Namen der Verteidigung des Vaterlandes als Kanonenfutter zu opfern. Und was ist mit den scheinheiligen europäischen Demokratien, die zwar Krokodilstränen über die Opfer des Krieges vergießen, aber gleichzeitig phänomenale Mengen an militärischer Ausrüstung liefern?
Ob links oder rechts, demokratisch oder diktatorisch, alle Länder, alle Bourgeoisien führen uns mit Gewalt ins Chaos und in die Barbarei! Mehr denn je lautet die einzige Alternative, die sich der Menschheit bietet: Sozialismus oder Barbarei!
EG, 21. März 2022
[1] Zum Vergleich: Die UdSSR verlor in den neun Jahren des schrecklichen Krieges, der Afghanistan verwüstet hatte, 25.000 Soldaten.
[2] Contre l'impérialisme russe, pour un sursaut internationaliste (Gegen den russischen Imperialismus, für einen internationalistischen Aufbruch), Mediapart (2. März 2022). Dieser Artikel mit dem vielsagenden Titel grenzt an eine Farce, vor allem seitens seines Autors Edwy Plenel, eines ausgewiesenen Kriegstreibers und großen Verteidigers des französischen Imperialismus.
[3] To understand the Ukraine-Russia conflict, look to colonialism, The Washington Post (24. Februar 2022).
[4] Militarismus und Zerfall, International Review Nr. 13 (1. Quartal 1991), https://de.internationalism.org/content/758/orientierungstext-militarismus-und-zerfall [45]
[5] Zerfall – die letzte Phase der kapitalistischen Dekadenz, Internationale Revue Nr. 13 (4. Quartal 2001), https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [46]
[6] Alliance militaire AUKUS : L’exacerbation chaotique des rivalités impérialistes [47] (AUKUS-Militärbündnis: Die chaotische Zuspitzung imperialistischer Rivalitäten), Révolution internationale Nr. 491 (November/Dezember 2021)
Wir erleben derzeit die intensivste Kriegspropaganda-Kampagne seit dem Zweiten Weltkrieg – nicht nur in Russland und der Ukraine, sondern auf der ganzen Welt. Deshalb ist es für alle, die auf die Kriegstrommeln mit der Botschaft des proletarischen Internationalismus antworten wollen, unerlässlich, jede Gelegenheit zu nutzen, um zur Diskussion und Klärung, zur gegenseitigen Solidarität und Unterstützung und zur bestmöglichen Festlegung der Methode der Revolutionäre gegen die militaristische Kampagne der Bourgeoisie zusammenzukommen. Aus diesem Grund hat die IKS eine Reihe von öffentlichen Online- und physischen Treffen in einer Reihe von Sprachen abgehalten – Englisch, Französisch, Spanisch, Niederländisch, Italienisch, Portugiesisch, Türkisch – und beabsichtigt, in naher Zukunft weitere Treffen zu organisieren.
Im Rahmen dieses kurzen Artikels können wir nicht den Anspruch haben, alle Diskussionen zusammenzufassen, die auf diesen Treffen stattfanden, die von einer ernsthaften und brüderlichen Atmosphäre und einem echten Wunsch, die Geschehnisse zu verstehen, geprägt waren. Stattdessen wollen wir uns auf einige der wichtigsten Fragen und Themen konzentrieren, die sich herauskristallisiert haben. Wir werden gleichzeitig einige Beiträge von Sympathisant:innen auf unserer Website veröffentlichen, die ihre eigene Sicht der Diskussionen und ihrer Dynamik wiedergeben.
Das erste und wahrscheinlich wichtigste Thema der Treffen war die breite Übereinstimmung, dass die Grundprinzipien des Internationalismus – keine Unterstützung für eines der beiden imperialistischen Lager, Ablehnung aller pazifistischen Illusionen, Bejahung des internationalen Klassenkampfes als einzige Kraft, die sich dem Krieg wirklich entgegenstellen kann – trotz des enormen ideologischen Drucks, vor allem in den westlichen Ländern, sich zur Verteidigung der "tapferen kleinen Ukraine" gegen den russischen Bären zu versammeln, nach wie vor gültig sind. Manch eine:r mag entgegnen, dass dies nur banale Allgemeinheiten seien, aber sie sollten keineswegs als selbstverständlich hingenommen werden, und sie sind sicherlich nicht leicht vorzubringen in dem gegenwärtigen Klima, in dem es nur sehr wenige Anzeichen für eine Klassenopposition gegen den Krieg gibt. Die Internationalist:innen müssen erkennen, dass sie im Moment gegen den Strom schwimmen. In diesem Sinne befinden sie sich in einer ähnlichen Situation wie die Revolutionäre, die 1914 die Aufgabe hatten, angesichts der Kriegshysterie, die die ersten Tage und Monate des Krieges begleitete, an ihren Prinzipien festzuhalten. Aber wir können uns auch von der Tatsache inspirieren lassen, dass die schließliche Reaktion der Arbeiterklasse gegen den Krieg die allgemeinen Losungen der Internationalist:innen in einen Leitfaden für die Aktionen verwandelten, die den Sturz der kapitalistischen Weltordnung zum Ziel hatten.
Ein zweites Schlüsselelement der Diskussion – das weniger breit geteilt wurde – war die Notwendigkeit, die Bedeutung des gegenwärtigen Krieges zu verstehen, der nach der Covid-Pandemie einen weiteren Beweis dafür liefert, dass der Kapitalismus in seiner Zerfallsepoche eine wachsende Bedrohung für das Überleben der Menschheit darstellt. Auch wenn der Krieg in der Ukraine nicht den Boden für die Bildung neuer imperialistischer Blöcke bereitet, die die Menschheit in einen dritten – und zweifellos endgültigen – Weltkrieg führen werden, so ist er doch Ausdruck der Verschärfung und Ausweitung der militärischen Barbarei, die in Verbindung mit der Zerstörung der Natur und anderen Erscheinungsformen eines in Agonie befindlichen Systems am Ende das gleiche Ergebnis wie ein Weltkrieg hätte. Unserer Ansicht nach stellt der gegenwärtige Krieg einen bedeutenden Schritt in der Beschleunigung des Zerfalls des Kapitalismus dar, in einem Prozess, der die Gefahr in sich birgt, das Proletariat zu überwältigen, bevor es seine Kräfte für einen bewussten Kampf gegen das Kapital aufbringen kann.
Wir wollen an dieser Stelle nicht näher begründen, warum wir die These von der Wiederherstellung stabiler militärischer Blöcke ablehnen. Wir möchten lediglich darauf hinweisen, dass wir trotz der realen Tendenzen zu einer "Bipolarisierung" der imperialistischen Gegensätze der Ansicht sind, dass diese durch die entgegengesetzte Tendenz jeder imperialistischen Macht, ihre eigenen Interessen zu verteidigen und sich nicht einer bestimmten Weltmacht unterzuordnen, überwogen werden. Diese letztgenannte Tendenz ist jedoch gleichbedeutend mit einem zunehmenden Kontrollverlust durch die herrschende Klasse, einem Abgleiten ins Chaos, das in vielerlei Hinsicht zu einer gefährlicheren Situation führt als diejenige, in der der Planet von rivalisierenden imperialistischen Blöcken während des Kalten Krieges "verwaltet" wurde.
Mehrere Genossinnen und Genossen, die bei den Treffen anwesend waren, stellten Fragen zu dieser Analyse; und einige, zum Beispiel Mitglieder der Communist Workers Organisation bei den englischsprachigen Treffen, waren eindeutig gegen unser Konzept des Zerfalls des Systems. Aber es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass ein zentraler Bestandteil einer konsequent internationalistischen Position die Fähigkeit ist, eine kohärente Analyse der Situation zu entwickeln, andernfalls besteht die Gefahr, durch das Tempo und die Unvorhersehbarkeit der unmittelbaren Ereignisse desorientiert zu werden. Und im Gegensatz zur Interpretation des Krieges durch die Genossinnen und Genossen der Cahiers du Marxisme Vivant auf einer der Versammlungen in Frankreich glauben wir nicht, dass einfache ökonomische Erklärungen, die Jagd nach kurzfristigem Profit, den wirklichen Ursprung und die Dynamik des imperialistischen Konflikts in einer historischen Epoche erklären können, in der ökonomische Motive zunehmend von militärischen und strategischen Notwendigkeiten dominiert werden. Die ruinösen Kosten dieses Krieges werden zusätzliche Beweise für diese Behauptung liefern.
Ebenso wichtig wie das Verständnis über Ursprung und Richtung des imperialistischen Konflikts ist eine nüchterne Analyse der Lage der Weltarbeiterklasse. Während allgemeines Einvernehmen darüber herrschte, dass die Kriegskampagne dem Bewusstsein einer Arbeiterklasse, die bereits unter einem tiefen Vertrauens- und Selbstbewusstseinsverlust gelitten hatte, schwere Schläge versetzt, neigten einige Teilnehmer:innen des Treffens zu der Ansicht, dass die Arbeiterklasse kein Hindernis mehr für den Krieg sei. Unsere Antwort war, dass die Arbeiterklasse nicht als homogene Masse behandelt werden kann. Es ist offensichtlich, dass die Arbeiterklasse in der Ukraine, die von der Mobilisierung für die "Verteidigung der Nation" faktisch ertränkt wurde, eine echte Niederlage erlitten hat. Anders sieht es in Russland aus, wo es trotz der brutalen Unterdrückung jeglicher Meinungsverschiedenheiten eindeutig eine verallgemeinerte Opposition gegen den Krieg gibt, und in der russischen Armee, wo es Anzeichen von Demoralisierung und sogar Rebellion gibt. Das Wichtigste ist jedoch, dass man beim Proletariat in den westlichen Ländern weder auf wirtschaftlicher noch auf militärischer Ebene auf Opferbereitschaft zählen kann, und dass die herrschende Klasse seit langem nicht in der Lage ist, für ihre militärischen Abenteuer etwas anderes als Berufssoldaten einzusetzen. Im Gefolge der Massenstreiks in Polen 1980 entwickelte die IKS ihre Kritik an Lenins Theorie, dass die Kette des Weltkapitalismus an ihrem "schwächsten Glied" brechen würde – in weniger entwickelten Ländern nach dem Vorbild Russlands 1917. Stattdessen bestanden wir darauf, dass die politisch weiter entwickelte Arbeiterklasse Westeuropas der Schlüssel für die Generalisierung des Klassenkampfes sein würde. In einem späteren Artikel werden wir erläutern, warum wir glauben, dass diese Ansicht auch heute noch gültig ist, trotz der Veränderungen in der Zusammensetzung des Weltproletariats, die in der Folge stattgefunden haben.[1]
Die Teilnehmer des Treffens teilten die berechtigte Sorge über die besondere Verantwortung der Revolutionäre angesichts dieses Krieges. Auf dem französischen und dem spanischen Treffen stand diese Frage im Mittelpunkt der Diskussion, aber unserer Meinung nach tendierten einige Genossen zu einem aktivistischen Ansatz und überschätzten die Möglichkeit, dass unsere internationalistischen Losungen einen unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse haben. Um das Beispiel des Aufrufs zur Verbrüderung zwischen Proletarier:innen in Uniform zu nehmen: Während er als allgemeine Perspektive vollkommen gültig bleibt, gibt es ohne die Entwicklung einer allgemeineren Klassenbewegung, wie wir sie in den Fabriken und auf den Straßen in Russland und Deutschland 1917-18 gesehen haben, kaum eine Chance, dass die Kämpfer:innen auf beiden Seiten dieses gegenwärtigen Krieges sich gegenseitig als Klassenbrüder und -schwestern sehen. Und natürlich sind die echten Internationalist:innen heute eine so kleine Minderheit, dass sie keinen unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf des Klassenkampfes im Allgemeinen zu haben erwarten können.
Dennoch glauben wir nicht, dass dies bedeutet, dass Revolutionäre dazu verdammt sind, eine Stimme in der Wildnis zu sein. Auch hier müssen wir uns von Persönlichkeiten wie Lenin und Luxemburg im Jahr 1914 inspirieren lassen, die die Notwendigkeit verstanden, die Fahne des Internationalismus zu hissen, auch wenn sie von der Masse ihrer Klasse isoliert waren, und angesichts des Verrats früherer Arbeiterorganisationen weiter für Prinzipien zu kämpfen und angesichts der Alibis der herrschenden Klasse eine tiefgreifende Analyse der wahren Kriegsursachen zu entwickeln. Ebenso müssen wir dem Beispiel der Zimmerwalder und anderer Konferenzen folgen, die die Entschlossenheit der Internationalist:innen zum Ausdruck brachten, zusammenzukommen und ein gemeinsames Manifest gegen den Krieg herauszugeben, obwohl sie je an unterschiedlichen Analysen und Perspektiven festhielten. In diesem Sinne begrüßen wir die Teilnahme anderer revolutionärer Organisationen an diesen Treffen, ihren Beitrag zur Debatte und ihre Bereitschaft, unseren Vorschlag für eine gemeinsame Erklärung der Kommunistischen Linken gegen den Krieg zu prüfen.[2] Wir können die spätere Entscheidung der CWO/IKT, unseren Vorschlag abzulehnen, nur bedauern, ein Problem, auf das wir in einem späteren Artikel zurückkommen müssen.
Es war auch wichtig, dass die IKS auf die Fragen von Genoss:innen, was in ihrem jeweiligen Ort oder Land getan werden kann, betonte, dass der Aufbau und die Entwicklung von internationalen Kontakten und Aktivitäten, die Integration lokaler und nationaler Besonderheiten in einen globaleren Analyserahmen von größter Bedeutung sind. Die Arbeit auf internationaler Ebene gibt Revolutionären ein Mittel an die Hand, um gegen Isolation und die daraus resultierende Demoralisierung zu kämpfen.
Ein großer imperialistischer Krieg kann nur die Realität unterstreichen, dass revolutionäre Aktivität einzig in Verbindung mit revolutionären politischen Organisationen Sinn macht. Wie wir in unserem Bericht über die Struktur und die Funktionsweise der revolutionären Organisation geschrieben haben: "Die Arbeiterklasse bringt keine revolutionären Militanten hervor, sondern nur revolutionäre Organisationen: Es gibt keine direkte Beziehung zwischen Militanten und der Klasse".[3] Dies unterstreicht die Verantwortung der Organisationen der Kommunistischen Linken für die Bereitstellung eines Rahmens, eines militanten Bezugspunkts, an dem sich die einzelnen Genoss:innen orientieren können. Die Organisationen wiederum können nur durch die Beiträge und die aktive Unterstützung, die sie von diesen Genoss:innen erhalten, gestärkt werden.
Amos, 8. April 2022
[1] Das Proletariat von Westeuropa im Zentrum der Generalisierung des Klassenkampfes [48], International Review Nr. 31 (engl./frz./span. Ausgabe)
[2] Gemeinsame Erklärung von Gruppen der internationalen Kommunistischen Linken zum Krieg in der Ukraine [49]
[3] Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre [50], Internationale Revue Nr. 22
Angesichts der Barbarei des Krieges hat die Bourgeoisie immer versucht, ihre mörderische Verantwortung und die ihres Systems hinter zynischen Lügen zu verbergen. Den Krieg in der Ukraine begleitet eine Flut von Propaganda und eine schmutzige Instrumentalisierung des Leids, die er erzeugt. Es vergeht kein Tag, an dem nicht auf allen Fernsehkanälen und auf den Titelseiten der Zeitungen, die sonst so diskret über das Unglück berichten, das der Kapitalismus über die Menschheit bringt, die Massenflucht und die Not der ukrainischen Familien gezeigt wird, die vor den Bombenangriffen fliehen. Die Medien zeigen Bilder von den traumatisierten ukrainischen Kindern die Opfer des Krieges geworden sind.
Mit der propagandistischen Ausnutzung des Schocks, der durch die Verbreitung grausamer Bilder von Übergriffen, Flucht, Schrecken und Bombardierungen ausgelöst wurde, hat der Krieg in der Ukraine es der Bourgeoisie in den demokratischen Ländern ermöglicht, die spontane Welle der Sympathie und des Mitgefühls zu benutzen, um eine gigantische „humanitäre“ Kampagne rund um „Bürgerinitiativen“ für ukrainische Flüchtlinge (und sogar rund um die grausame Unterdrückung russischer Demonstranten und Kriegsgegner duch die russische Polizei) zu inszenieren und die Not und Verzweiflung der Opfer des größten Massenexodus seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zynisch zu instrumentalisieren.1 Überall werden „humanitäre Korridore“ und „Bürgernetzwerke“ zur Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge organisiert, um die Bereitstellung eines riesigen tödlichen Arsenals an Waffen zur „Verteidigung eines Märtyrervolkes“ vor dem „russischen Unhold“ zu rechtfertigen. Selbst in kleinen Dörfern werden von den Behörden Sammlungen, Spenden und alle Arten von „Initiativen“ oder Ausdrücke von Solidarität mit den ukrainischen Flüchtlingen organisiert und gefördert.
Hinter den Huldigungen des Märtyrertums des „ukrainischen Volkes“ verbirgt sich die schmutzige Realität einer schamlosen Ausbeutung von Großzügigkeit durch die Staaten, die allesamt Kriegstreiber sind und sich nicht um das tragische Schicksal einer Bevölkerung scheren, die zwischen russischen Bombenangriffen und der erzwungenen „Generalmobilmachung“ der Regierung Selenskyi als Geiseln gehalten wird. Für die Bourgeoisie dient das „ukrainische Volk“ vor allem als Kanonenfutter in einem „patriotischen Kampf“ gegen „die Invasoren“. Der gleiche Zynismus erklärt, warum die westliche Bourgeoisie die Massaker, die die ukrainische Regierung seit 2014 in den russischsprachigen Regionen Luhansk und Donezk verübte, wo in acht Jahren fast 14.000 Menschen getötet wurden, verschleiert hat.
Der angebliche Humanismus der europäischen Staaten ist eine große Lüge und reine Mystifikation. Die Bemühungen, Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen zu helfen, sind größtenteils auf die Initiative der Bevölkerung zurückzuführen und keineswegs das Verdienst der Staaten. Es ist unbestreitbar, dass es seit Ausbruch des Krieges und seit Beginn des Exodus der Familien eine enorme spontane Welle der Solidarität gegeben hat. Diese unmittelbare und zutiefst menschliche Reaktion, allen Hilfe, Beistand und Unterstützung zukommen zu lassen, indem man denjenigen, die brutal in Not und Verzweiflung geraten sind, ein Dach über dem Kopf anbietet und ihnen Mahlzeiten bringt, ist bemerkenswert.
Aber diese grundlegende Solidarität reicht nicht aus. Sie ist nicht das Produkt einer kollektiven Mobilisierung der ArbeiterInnen auf ihrem Klassenboden. Sie entspringt einer Summe von Einzelinitiativen, die die Bourgeoisie immer wieder vereinnahmt, ausnutzt und für ihre Zwecke instrumentalisiert, so auch heute. Im Übrigen wurden diese Reaktionen sofort auf das Feld der bürgerlichen Propaganda gelenkt, um den Krieg zu rechtfertigen, das tödliche Gift des Nationalismus zu verherrlichen und zu versuchen, wieder ein Klima der heiligen Einigkeit gegen den „berüchtigten russischen Eindringling“ zu schaffen.
Die demokratischen Mächte Westeuropas konnten gar nicht anders, als ihre Grenzen für ukrainische Flüchtlinge zu öffnen, es sei denn, sie würden Hunderttausende von ihnen innerhalb der ukrainischen Grenze unter Zwang blockieren. Damit wäre ihre gesamte antirussische Kriegspropaganda in sich zusammengebrochen. Denn wenn sie sich bereit erklären, Ukrainer aufzunehmen, dann dient dies lediglich der ideologischen Rechtfertigung einer Mobilisierung und vor allem von Waffenlieferungen an die Ukraine gegen „Putins Ungeheuerlichkeiten“ und zur Verteidigung ihrer eigenen nationalen imperialistischen Interessen.
Gleichzeitig dienen diese Kampagnen dazu, zu verschleiern, dass die Verantwortung für diese dramatische Situation bei allen Staaten liegt, bei der Logik der imperialistischen Konkurrenz und Rivalität des Systems selbst, die die Vervielfachung der Kriegsherde, die Ausbreitung des Elends, die Massenflucht der Bevölkerung, Chaos und Barbarei erzeugt.
Alle Staaten vergießen heute Krokodilstränen über die ukrainischen Flüchtlinge, die sie angeblich im Namen des sogenannten „Rechts auf Asyl“ mit offenen Armen empfangen. Diese schönen Versprechungen zur Aufnahme von Flüchtlingen sind nichts als Augenwischerei. Überall haben die westeuropäischen Staaten Quoten für die Aufnahme von Migranten eingeführt, die vor Elend, Chaos und Krieg flüchten. Diese umherirrenden Flüchtlinge sind nicht wie die Mehrheit der Ukrainer blonde, blauäugige Europäer; sie sind nicht christlichen Glaubens, sondern häufig Muslime. Sie werden wie Vieh zwischen den völlig unerwünschten „Wirtschaftsflüchtlingen“ und den „Kriegsflüchtlingen“ oder „politischen Flüchtlingen“ sortiert. Man müsse also zwischen „guten“ und „schlechten“ Flüchtlingen sortieren... All das mit dem Blankoscheck der Europäischen Union und ihrer großen Demokratien. Eine solche Selektion, eine solche Ungleichbehandlung ist völlig abstoßend. In Frankreich beispielsweise schickte die Macron-Regierung vor weniger als zwei Jahren ihre Polizisten los, um Migrantenfamilien, die ihre Zelte auf dem Place de la République in Paris aufgestellt hatten, mit harter Hand zu vertreiben; die Polizisten verprügelten die unerwünschten Personen und zerschnitten ihre Zelte mit Messerstichen. Erst kürzlich, als irakische Flüchtlinge an die Tür Europas klopften und vom weißrussischen Staat als Druckmittel missbraucht wurden, stießen sie an der polnischen Grenze auf Stacheldraht und wurden von den bis an die Zähne bewaffneten Robocops der Europäischen Union geschlagen. Die „großen Demokratien“ waren damals weit weniger gastfreundlich, trotz des dennoch deutlich sichtbaren Leidens der Menschen, die froren und hungerten.
Welche Realität verbirgt sich hinter der variablen Geometrie des heuchlerischen Mitgefühls, dieser sogenannten Solidarität der Staaten? Die Bourgeoisie hat in den meisten „Gastländern“ darauf geachtet, einen „Sonderstatus“ für Ukrainer zu schaffen, der sich völlig von dem anderer Flüchtlinge unterscheidet, um Gegensätze und Spaltungen in der Bevölkerung und der Arbeiterklasse zu schaffen. In Belgien zum Beispiel hat die Regierung beschlossen, Ukrainern einen ganz anderen Status als anderen Kriegsflüchtlingen zu gewähren. Während Letztere in der Regel erst eine strenge Kontrolle durchlaufen müssen, um eine mögliche Arbeitserlaubnis im „Gastland“ zu erhalten, wird diese Erlaubnis ukrainischen Staatsangehörigen von vornherein gewährt, die außerdem eine weitaus höhere Beihilfe als andere erhalten. Selbst die Höhe ihres Unterhalts ist höher als der Mindestlohn der „einheimischen“ Arbeitnehmer … Dieses schmutzige Manöver im Dienste der imperialistischen Propaganda ermöglicht es der Regierung, nicht nur einen Antagonismus zwischen Ukrainern und anderen Flüchtlingen zu schaffen, sondern auch einen zusätzlichen Faktor der Spaltung und ein Klima der Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse heraufzubeschwören.
Eine Minderheit der hochqualifizierten ukrainischen Flüchtlinge wird zur Freude der Bourgeoisie in einigen Ländern wie Deutschland, in denen ein großer Mangel an solchen Arbeitskräften herrscht, integriert. Bei den anderen, der überwiegenden Mehrheit, wird der Massenzustrom zu großen Problemen für die europäische Bourgeoisie führen, die nicht in der Lage ist, sie zu absorbieren. Früher oder später werden sie ohnehin in ihrer großen Mehrheit der populistischen Ideologie ausgeliefert sein und als Sündenböcke für die sozialen und wirtschaftlichen Probleme herhalten müssen, die die gesamte Bourgeoisie dann gerne hervorheben wird.
Vor allem dürfen die ArbeiterInnen um keinen Preis den Heucheleien dieser humanitären Kampagnen auf den Leim kriechen, die ideologischen Fallstricke erkennen, und den heiligen Schulterschluss mit ihren Ausbeutern im Angesicht des Krieges kategorisch ablehnen. Wir müssen gleichzeitig kämpfen, unsere eigenen Klasseninteressen gegen die Verschärfung der Angriffe im Zusammenhang mit der Krise und dem Krieg zu verteidigen. Nur durch die internationale Entwicklung dieses Kampfes, über die von der herrschenden Klasse errichteten Grenzen und Konflikte hinweg, können wir unsere Klassensolidarität mit den Flüchtlingen und allen Opfern der zunehmenden Barbarei des Kapitalismus voll zum Ausdruck bringen und ihnen eine Perspektive bieten: die Perspektive einer Gesellschaft, die vom Gesetz des Profits und der tödlichen Dynamik des Systems befreit ist.
Wim, 3. April 2022
1 Allein in den ersten 10 Tagen wurden 1,5 Millionen Flüchtlingen registriert, heute über 4 Millionen, wobei das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) davon ausgeht, dass diese Zahl auf 5 bis 10 Millionen Menschen ansteigen wird.
Der Kampf gegen den Krieg kann von der Arbeiterklasse nur durch den Kampf auf ihrem eigenen Klassenterrain und durch ihre internationale Vereinigung in die Hand genommen werden. Revolutionäre Organisationen können nicht passiv auf eine massive Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Krieg warten: Sie müssen als entschlossene Speerspitze bei der Verteidigung des Internationalismus auftreten und auf die Notwendigkeit des Sturzes des kapitalistischen Systems hinweisen. Dies erfordert, dass sich die Arbeiterklasse und ihre revolutionären Organisationen die Lehren und die Haltung früherer Kämpfe gegen den Krieg wieder zu eigen machen. Die Erfahrung der Konferenz von Zimmerwald ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich.
Zimmerwald ist ein kleines Dorf in der Schweiz, und im September 1915 fand dort eine kleine Konferenz statt: 38 Delegierte aus 12 Ländern – alle Internationalistinnen und Internationalisten, die in ein paar Taxis anreisten, wie Trotzki scherzte. Und selbst von diesen wenigen vertrat nur eine kleine Minderheit eine wirklich revolutionäre Position gegen den Krieg. Nur die Bolschewiki um Lenin und einige der deutschen Gruppen standen für revolutionäre Methoden und revolutionäre Ziele: die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg, die Zerstörung des Kapitalismus als Quelle aller Kriege. Die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer vertraten eine zentristische Position oder neigten sich sogar stark nach rechts.
Das Ergebnis der heftigen Debatten in Zimmerwald war ein Manifest an die Arbeiterinnen und Arbeiter der Welt, das in vielerlei Hinsicht ein Kompromiss zwischen der revolutionären Linken und der Mitte war, da es die revolutionären Losungen der Bolschewiki nicht aufgriff. Dennoch konnte es mit seiner deutlichen Anprangerung des Krieges und seinem Aufruf zum Klassenkampf gegen den Krieg die Antikriegsstimmung, die in der Masse der Arbeiterklasse wuchs, artikulieren und politisieren.
Das Beispiel von Zimmerwald zeigt, dass der Kampf der Revolutionäre gegen den Krieg auf drei verschiedenen, aber miteinander verbundenen Ebenen stattfindet:
- Propaganda und Agitation: Die Revolutionäre warteten nicht, bis sich die Klasse in Bewegung setzte: Sie begannen mit der Agitation gegen den Krieg am ersten Tag der Feindseligkeiten, lange bevor die Klasse in der Lage war zu reagieren. Der Zusammenschluss der Revolutionäre in politischen Organisationen ermöglichte es ihnen, ihre Propaganda und Agitation über eine regelmäßige Presse und massenhaft produzierte Flugblätter zu entfalten und in den Arbeiterversammlungen und -räten, die später entstanden, nicht als Einzelpersonen zu sprechen, die nur sich selbst vertraten, sondern im Namen einer bestimmten politischen Tendenz innerhalb der Klassenbewegung.
- Organisatorisch: Der Verrat der Mehrheit der alten Parteien verlangte, dass die Minderheit der Internationalistinnen und Internationalisten als organisierte Fraktion arbeiten musste, um entweder für den Ausschluss der Verräter zu arbeiten oder, wenn sich dies als unmöglich erwies, was meistens der Fall war, um die Gewinnung einer maximalen Anzahl politisch klarer Elemente zu kämpfen und den Boden für eine neue Partei, eine neue Internationale vorzubereiten. Dies erforderte einen unerbittlichen Kampf gegen Zentrismus und Opportunismus, gegen den ideologischen Einfluss der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums. So war vor allem die Zimmerwalder Linke die treibende Kraft bei der Gründung der Dritten Internationale im Jahr 1919. In einer Situation des Krieges oder der bevorstehenden Revolution, war der Heroismus einzelner Kämpferinnen und Kämpfer wie Luxemburg, Liebknecht, John Mclean oder Sylvia Pankhurst sicherlich von entscheidender Bedeutung, konnte aber für sich allein niemals ausreichen. Er konnte nur im Rahmen einer kollektiven Organisation mit einem klaren politischen Programm eine wirkliche Bedeutung entfalten.
- Theoretisch: Die Notwendigkeit, die Merkmale der neuen Epoche zu verstehen, erfordert eine geduldige Arbeit der theoretischen Ausarbeitung und die Fähigkeit, einen Schritt zurückzutreten, um die gesamte Situation im Lichte der Vergangenheit und der Zukunftsaussichten neu zu bewerten. Die Arbeit von Lenin, Bucharin, Luxemburg, Pannekoek und anderen ermöglichte es der wiedererstehenden politischen Bewegung der Arbeiterklasse zu verstehen, dass eine neue Epoche angebrochen war, eine Epoche, in der der Klassenkampf neue Formen und neue Methoden annahm, um direkt revolutionäre Ziele zu erreichen. In einer Reihe von Fragen gab es beträchtliche Divergenzen, zum Beispiel zwischen Lenin und Luxemburg in der Frage der nationalen Selbstbestimmung, was sie jedoch nicht daran hinderte, eine gemeinsame Position gegen den Krieg einzunehmen, während sie weiterhin so leidenschaftlich und intensiv wie zuvor diskutierten.
Wir können hier nicht näher darauf eingehen, empfehlen unseren Leserinnen und Lesern aber die Lektüre der folgenden Artikel:
https://en.internationalism.org/content/3154/zimmerwald-1915-1917-war-revolution [51] (International Review Nr. 44 [engl/frz./span. Ausgabe], 1986)
https://de.internationalism.org/content/2665/konferenz-von-zimmerwald-die-zentristischen-stroemungen-innerhalb-der-organisationen [52] (IKSonline Februar 2016)
https://de.internationalism.org/content/1177/die-konferenz-von-zimmerwald [53] (Weltrevolution Nr. 72, 1995)
Die Entfesselung der Barbarei des Krieges in der Ukraine bedroht uns mit immer mehr "Kollateralschäden", darunter vor allem mehr Elend in der Welt, einer erhebliche Verschärfung der wirtschaftlichen Angriffe auf die Arbeiterklasse: Intensivierung der Ausbeutung, steigende Arbeitslosigkeit, Inflation.
Zusammen mit den Drohungen Russlands mit möglichen Atomschlägen und der Gefahr radioaktiver Wolken, die aus den durch die Kämpfe beschädigten ukrainischen Atomkraftwerken entweichen könnten, bergen die von einer Reihe von Ländern ergriffenen oder geplanten Maßnahmen, um die russische Wirtschaft in die Knie zu zwingen, das Risiko einer Destabilisierung der Weltwirtschaft. Ein weiteres tragisches Beispiel für die derzeitige kriegerische Eskalation ist die starke Tendenz zur Erhöhung der Militärbudgets (insbesondere durch die plötzliche Entscheidung Deutschlands, das Militärbudget zu verdoppeln), die die wirtschaftliche Lage der betroffenen Länder weiter schwächen wird.
Die wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland werden in einem Großteil der europäischen Länder zu Rohstoffengpässen führen und für eine Reihe von ihnen den Verlust von Märkten in Russland bedeuten. Die Rohstoffpreise werden dauerhaft in die Höhe schnellen und damit auch die Preise für viele Waren. Die Rezession wird sich auf die ganze Welt ausdehnen, und in diesem Maßstab wird das Elend zunehmen und die Ausbeutung der Arbeiterklasse sich verstärken.
Wir sind weit davon entfernt, zu übertreiben, wie die folgenden Erklärungen deutscher Experten für ein "sachkundiges Publikum" zeigen, das die Zukunft vorhersagen will, um die Interessen der Bourgeoisie bestmöglich zu verteidigen: "Wir sprechen dann von einer schweren Wirtschaftskrise in Deutschland und damit in Europa". „Firmenzusammenbrüche und Arbeitslosigkeit" stünden dann am Horizont - für lange Zeit: "Wir reden hier nicht von drei Tagen oder drei Wochen", sondern eher von "drei Jahren"[1]. In diesem Zusammenhang hätten dauerhaft historisch hohe Energiepreise Folgen, die weit über Deutschland und Europa hinausreichen und vor allem die ärmeren Länder treffen würden. Letztendlich könnte ein solcher Anstieg der Energiepreise, so hieß es vor wenigen Tagen, "zum Zusammenbruch ganzer Staaten in Asien, Afrika und Südamerika führen".[2]
Das Ausmaß und die Tiefe der gegen Russland ergriffenen Maßnahmen erklären jedoch trotz ihrer unbestreitbaren Härte nicht allein den wirtschaftlichen Tsunami, der die Welt treffen wird. Hier muss der aktuelle Grad der Verschlechterung der Weltwirtschaft ins Spiel gebracht werden, der das Produkt eines langen Prozesses der Verschärfung der weltweiten Krise des Kapitalismus ist. Aber zu dieser Frage mussten die "Experten" schweigen, um nicht zugeben zu müssen, dass die Ursache für den Verfall des Weltkapitalismus in seiner historischen und unüberwindbaren Krise liegt, genauso wie sie sich hüten, diesen Krieg, wie alle anderen seit dem Ersten Weltkrieg, als ein Produkt des dekadenten Kapitalismus zu identifizieren. Ebenso wenig gehen sie auf bestimmte Folgen eines weiteren Abgleitens der Wirtschaft in die Krise und der damit untrennbar verbundenen Verschärfung des Handelskriegs ein: eine weitere Verschärfung der imperialistischen Spannungen und eine weitere Flucht in den Krieg der Waffen[3]. In einer ähnlichen Art der Verteidigung des Kapitalismus sorgen sich einige um die sehr wahrscheinlichen Folgen einer schweren Verknappung von Grundnahrungsmitteln, die bislang in der Ukraine produziert werden, nämlich soziale Unruhen in einer Reihe von Ländern, ohne sich offensichtlich um das Leid der hungernden Bevölkerung zu kümmern.
Die Covid-Pandemie hatte bereits eine zunehmende Verwundbarkeit der Wirtschaft angesichts des Zusammentreffens einer Reihe von Faktoren gezeigt, die für die Zeit seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der anschließenden Auflösung der Blöcke typisch sind.
Eine zunehmend kurzfristige Sichtweise hat den Kapitalismus dazu veranlasst, für die Erfordernisse der Krise und des globalen wirtschaftlichen Wettbewerbs eine Reihe von zwingenden Notwendigkeiten eines jeden Ausbeutungssystems zu opfern, wie etwa die Notwendigkeit, seinen Ausgebeuteten ausreichende medizinische Versorgung zur Verfügung zu stellen. So hat der Kapitalismus nichts unternommen, um den Ausbruch der Covid-19-Pandemie zu verhindern, die selbst ein reines gesellschaftliches Produkt ist, was ihre Übertragung vom Tier auf den Menschen und ihre Ausbreitung über den Globus betrifft, obwohl Wissenschaftler vor ihrer Gefahr gewarnt hatten. Darüber hinaus hat die Verschlechterung des Gesundheitssystems in den letzten dreißig Jahren dazu beigetragen, dass die Pandemie viel tödlicher geworden ist. Das Ausmaß der Katastrophe und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft wurden auch dadurch begünstigt, dass auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens jeder für sich selbst kämpft (ein Merkmal der gegenwärtigen Zerfallsphase des Kapitalismus), was die klassischen Erscheinungsformen des Wettbewerbs verschärft und zu unglaublichen Entwicklungen wie dem Krieg um Masken, Beatmungsgeräte, Impfstoffe usw. zwischen Ländern, aber auch zwischen staatlichen oder privaten Stellen innerhalb eines Landes führt. Millionen von Menschen starben weltweit, und die teilweise Lähmung der Wirtschaftstätigkeit und ihre Desorganisation führten 2020 zur schlimmsten Depression seit dem Zweiten Weltkrieg.
Indem die Pandemie die Wirtschaft weltweit beeinträchtigte, deckte sie auch neue Hindernisse für die kapitalistische Produktion auf, wie die erhöhte Anfälligkeit der Lieferketten für verschiedene Faktoren. Wenn nur ein Glied der Kette aufgrund von Krankheit, politischer Instabilität oder Klimakatastrophen defekt oder funktionsunfähig ist, kann es zu erheblichen Verzögerungen beim Endprodukt kommen, die mit den Anforderungen für die Belieferung der Märkte nicht vereinbar sind. So kam es, dass in einigen Ländern eine beträchtliche Anzahl von Autos wegen Lieferschwierigkeiten von bestimmten Bauteilen nicht fertiggestellt werden konnte, die namentlich aus Russland geliefert wurden. Der Kapitalismus ist somit mit dem Bumerang-Effekt der ins Extrem gesteigerten ‚Globalisierung‘ der Wirtschaft konfrontiert, die die Bourgeoisie seit den 1980er Jahren schrittweise entwickelt hatte, um die Kapitalrentabilität durch die Auslagerung eines Teils der Produktion, die von viel billigeren Arbeitskräften durchgeführt wird, zu verbessern.
Darüber hinaus sieht sich der Kapitalismus zunehmend mit Katastrophen konfrontiert, die aus den Auswirkungen der globalen Erwärmung resultieren (extrem verheerende Brände, gewaltsam über die Ufer tretende Flüsse, ausgedehnte Überschwemmungen ...) und die nicht mehr nur die landwirtschaftliche Produktion, sondern die gesamte Produktion in immer stärkerem Maße beeinträchtigen. Der Kapitalismus zahlt somit seinen Tribut an die seit 1945 forcierte (und seit den 1970er Jahren in ihren Auswirkungen immer deutlicher spürbare) Ausbeutung und Zerstörung der Natur durch die verschiedenen Kapitale, die auf der Suche nach neuen und immer kleineren Profitquellen miteinander konkurrieren.
Das Bild, das wir gerade gezeichnet haben, kommt nicht von ungefähr, sondern ist das Ergebnis von mehr als 100 Jahren kapitalistischer Dekadenz, die mit dem Ersten Weltkrieg begann und in denen das System ständig mit den Auswirkungen der Überproduktionskrise konfrontiert war, die den Kern aller Widersprüche des Kapitalismus bildet. Die Überproduktionskrise war die Ursache für alle Rezessionen dieser Periode: die große Depression der 1930er Jahre und nach einer scheinbaren wirtschaftlichen Erholung in den 1950/60er Jahren, die manche als "Goldene Dreißiger" (Wirtschaftswunder) bezeichneten, trat die offene Krise des Kapitalismus in den späten 1960er Jahren erneut auf. Jede ihrer Ausprägungen führte zu einer Rezession, die schwerer war als die vorherige: 1967, 1970, 1975, 1982, 1991, 2001, 2009. Jedes Mal musste die Wirtschaft mit Schulden angekurbelt werden, die in immer größerem Umfang nur mit neuen Schulden zurückgezahlt werden können, und so weiter... So ist jede neue offene Ausprägung der Krise verheerender, während das Mittel, mit dem sie bewältigt wird, nämlich die Verschuldung, eine zunehmende Bedrohung für die wirtschaftliche Stabilität darstellt.
Eine Verlangsamung des Wachstums zehn Jahre nach dem Finanzcrash von 2008 erforderte eine erneute Ankurbelung der Verschuldung, während der Produktionsrückgang im Jahr 2020, der, wie wir gesehen haben, die Wirtschaft angesichts einer Reihe "neuer" Faktoren (Pandemie, globale Erwärmung, Störungsanfälligkeit der Lieferketten usw.) stützen sollte, einen neuen Rekord der weltweiten Verschuldung bedeutete, der dazu führte, dass sie sich noch weiter von der Realwirtschaft abkoppelte (sie stieg auf 256% des Wertes des weltweiten BIP). Dies hat schwerwiegende Auswirkungen: Sie führt zur Abwertung der Währungen und heizt damit die Inflation an. Ein dauerhafter Preisanstieg birgt die Gefahr sozialer Unruhen verschiedener Art (klassenübergreifende Bewegungen, Klassenkampf) und behindert den Welthandel. Deshalb wird die Bourgeoisie zunehmend gezwungen sein, einen Balanceakt zu vollführen - der ihr zwar vertraut ist, aber immer gefährlicher wird -, um zwei antagonistische Notwendigkeiten zu bewältigen:
- Die Zinssätze erhöhen, um den Inflationsanstieg zu bremsen, was jedoch zur Folge hat, dass der Kredithahn nicht mehr so stark sprudelt;
- die Wirtschaft zu stützen, da sie ohne ständige Kreditspritzen nicht in der Lage ist, sich selbst zu erhalten.
Und das in einem Umfeld, in dem die Wirtschaft tendenziell stagniert und die Inflation hoch ist.
Außerdem ist eine solche Situation günstig für das Platzen von Spekulationsblasen, die zur Destabilisierung der Weltwirtschaft und des Welthandels beitragen können (wie im Immobiliensektor in den USA 2008 und in China 2021).
Angesichts all dieser Erscheinungen (Krieg oder Wirtschaftskrise) bringt die Bourgeoisie immer eine ganze Reihe von falschen Erklärungen in Umlauf, denen allen gemeinsam ist, dass sie den Kapitalismus von den Übeln, die die Menschheit bedrängen, freisprechen.
Im Jahr 1973 (das nur ein Moment in der Vertiefung der offenen Krise war, die seitdem zu einer mehr oder weniger permanenten Krise geworden ist) wurde die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und der Inflation mit dem Anstieg des Ölpreises erklärt. Der Anstieg des Ölpreises ist jedoch eine Begleiterscheinung des kapitalistischen Handels und nicht einer Kraft, die außerhalb dieses Systems liegt.[4]
Die aktuelle Situation ist eine weitere Illustration dieser Regel. Der Krieg in der Ukraine wird auf das Konto des totalitären Russlands und nicht des krisengeschüttelten Kapitalismus geschrieben, als ob dieses Land nicht ein vollwertiger Teil des globalen Kapitalismus wäre.
Angesichts der Aussichten auf eine erhebliche Verschärfung der Wirtschaftskrise bereitet die Bourgeoisie den Boden vor, um die Proletarier dazu zu bringen, die schrecklichen Opfer zu akzeptieren, die ihnen auferlegt und als Folge der Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland dargestellt werden sollen. Ihre Rhetorik lautet bereits: "Die Bevölkerung kann durchaus akzeptieren, dass sie aus Solidarität mit dem ukrainischen Volk etwas weniger heizen oder essen muss, denn das sind die Kosten der Anstrengungen, die notwendig sind, um Russland zu schwächen".
Seit 1914 ist die Arbeiterklasse durch die Hölle gegangen: mal Kanonenfutter in zwei Weltkriegen und unaufhörlichen, tödlichen regionalen Konflikten; mal Opfer der Massenarbeitslosigkeit während der großen Depression in den 1930er Jahren; mal gezwungen, die Ärmel hochzukrempeln, um die von zwei Weltkriegen zerstörten Länder und Volkswirtschaften wieder aufzubauen; mal seit der Rückkehr der Weltwirtschaftskrise Ende der 1960er Jahre, bei jeder neuen Rezession in Unsicherheit oder Armut gestürzt.
Angesichts eines erneuten Abrutschens in die Wirtschaftskrise und immer stärkerer Kriegsdrohungen würde sie in ihr Verderben laufen, wenn sie auf die Bourgeoisie hören würde, die von ihr verlangt, immer mehr Opfer zu bringen. Stattdessen muss sie die Widersprüche des Kapitalismus, die sich in Krieg und wirtschaftlichen Angriffen ausdrücken, nutzen, um ihren Klassenkampf für den Sturz des Kapitalismus soweit und so bewusst wie möglich voranzutreiben.
Silvio (26. März 2022)
[1] "Habeck: Mittel zur Dämpfung der Energiepreise prüfen", Süddeutsche Zeitung (8. März 2022)
[2] "USA setzen Ölembargo auf die Tagesordnung", Frankfurter Allgemeine Zeitung (8. März 2022)
[3] "Resolution zur internationalen Lage", International Review (engl. Ausgabe) Nr. 63 (Juni 1990)
[4] Lest unseren Artikel, Der Anstieg des Ölpreises: Eine Folge und nicht die Ursache der Krise, International Review Nr. 19 (engl./frz./span. Ausgabe).
Seit seinem Wechsel ins bürgerliche Lager hat der Trotzkismus keine Gelegenheit ausgelassen, das Bewusstsein der Arbeiterklasse anzugreifen, indem er die Proletarier in den seit dem Zweiten Weltkrieg aufeinanderfolgenden Konflikten auf die Seite eines imperialistischen Lagers gegen ein anderes drängte. Seine Positionierung angesichts des kriegerischen Chaos in der Ukraine bestätigt dies einmal mehr. Diese Wachhunde des Kapitalismus schwanken also zwischen offen kriegstreibenden Stellungnahmen, in denen sie dazu aufrufen, sich auf die Seite einer der kriegführenden Seiten zu stellen, und anderen, scheinbar "subtileren" und "radikaleren" Stellungnahmen, die aber genauso die Fortsetzung der kriegerischen Barbarei rechtfertigen. Die Lügen und Mystifikationen des Trotzkismus sind ein wahres Gift gegen die Arbeiterklasse und sollen sie mit den Posen eines Marxismus, der nur dem Namen nach einer ist, verwirren.
Die Position der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Frankreich gehört in die Kategorie der Kriegstreiber: "Nein zum Krieg! Solidarität mit dem Widerstand des ukrainischen Volkes! [...] In Situationen wie der gegenwärtigen in der Ukraine, solange die Bombardierungen weitergehen und russische Truppen vor Ort sind, bringt jede abstrakte "pazifistische" Position wie der Aufruf zu "Ruhe", "Einstellung der Gewalt" oder "Feuerpause" die Parteien de facto in Gegensatz zueinander und kommt einer Verneinung des Rechts der Ukrainer gleich, sich selbst zu verteidigen, auch militärisch". Deutlicher kann man sich nicht ausdrücken! Diese bürgerliche Kraft ruft die Proletarier:innen offen dazu auf, als Märtyrer:innen der Verteidigung des Vaterlandes zu dienen. Mit anderen Worten: der Verteidigung des nationalen Kapitals, das sich selbst von seiner Ausbeutung ernährt. Mit der gleichen Verachtung, aber mit größerer Subtilität und der Perfidie ihrer Doppelzüngigkeit, tut Lutte Ouvrière (LO) im Namen der Verteidigung des "Internationalismus" so, als würde sie einen Krieg verurteilen, der "auf dem Rücken der Völker ausgetragen würde", um letztlich die Proletarier:innen dazu aufzurufen, sich im Namen des "Widerstands gegen den Imperialismus" und des "Rechts der Völker auf Selbstbestimmung" die Haut durchlöchern zu lassen und als Kanonenfutter zu dienen – hinter ihrer nationalen Bourgeoisie. Ihre französische Präsidentschaftskandidatin Nathalie Arthaud zögerte übrigens nicht, "die Arbeiter" zur Verteidigung des armen kleinen ukrainischen Staates gegen das "bürokratische" Russland und das "imperialistische" Amerika zu drängen: "Putin, Biden und die anderen Führer der NATO-Länder führen einen Krieg gegen die Völker, für die sie alle die gleiche Verachtung teilen".
Als ob Selenskij und seine korrupte Oligarchenclique nicht selbst für die Zerschlagung der ukrainischen Bevölkerung und insbesondere der Arbeiterklasse verantwortlich wären, deren Männer gezwungen sind, für Interessen, die nicht die ihren sind, in den Kampf zu ziehen. Das Movimiento Socialista de los Trabajadores (MST), ein südamerikanisches Mitglied der sogenannten Vierten Internationale, prangert sowohl die russische Invasion der Ukraine als auch die Einmischung der NATO an. Doch hinter dieser angeblich internationalistischen Stellungnahme verbirgt sich diesmal die Wiederanerkennung des "Rechts auf Selbstbestimmung des Donbass-Volkes", das genau das Alibi ist, das Putin für seine Invasion der Ukraine vorgebracht hat! In Großbritannien und den USA entwickelt die Internationalist Bolshevic Tendency (IBT) eine noch geschicktere Position: In einem Artikel mit dem Titel "Revolutionärer Defätismus und proletarischer Internationalismus" erinnert die IBT an Lenins bereits zweideutige Position, dass "in allen imperialistischen Ländern das Proletariat jetzt die Niederlage seiner eigenen Regierung wünschen muss" (was er als "doppelten Defätismus" bezeichnete), und fügt hinzu: "der doppelte Defätismus gilt nicht, wenn ein imperialistisches Land ein nicht-imperialistisches Land in etwas angreift, was tatsächlich ein Eroberungskrieg ist. In solchen Fällen beschränken sich Marxisten nicht darauf, die Niederlage ihrer eigenen imperialistischen Regierung herbeizuwünschen, sondern sie favorisieren aktiv den militärischen Sieg des nicht-imperialistischen Staates" (aus dem Englischen von uns übersetzt – und unterstrichen). Es reicht also, die Ukraine als nicht-imperialistischen Staat zu definieren, und die Wahl ist schnell getroffen, um die Proletarier:innen ins Schlachthaus zu treiben! Es stimmt zwar, dass die IBT eine Schwäche in Lenins Position zum Imperialismus bis ins Absurde ausnutzt.[1] Der Irrtum der Bolschewiki und der Kommunistischen Internationale, die den Übergang von der aufsteigenden Phase des Kapitalismus in seine Dekadenz zwar direkt erlebten, ohne aber alle Schlussfolgerungen daraus gezogen zu haben, ist verständlich. Aber nach einem Jahrhundert der Angriffskriege jedes Landes gegen jedes andere (Irak gegen Kuwait, Iran gegen Irak usw.) mit derselben Position hausieren zu gehen, ist reine Mystifikation!
Diese ganze Mystifizierung basiert auf der bürgerlichen Parole vom "Selbstbestimmungsrecht der Völker", die den Imperialismus zu einem Kampf zwischen den "Großmächten" allein macht. Doch wie Rosa Luxemburg bereits 1916 in Die Krise der Sozial-Demokratie feststellte: "Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag." Die Kämpfe der sogenannten nationalen Verteidigung können nicht mehr Teil der Forderungen der Arbeiterklasse sein, sondern stellen im Gegenteil ein wahres Gift für ihren revolutionären Kampf dar, eine Mystifizierung, die darauf abzielt, unter revolutionärem Geschwätz die Proletarier:innen unter den Fahnen des Imperialismus zu vereinigen, egal, welche Seite sie wählen!
H., 27. März 2022
[1] Da Lenin den Imperialismus als die Politik der kapitalistischen Großmächte begriff, war er in dessen Charakterisierung nicht immer klar, im Gegensatz zu Rosa Luxemburg.
Seit drei Jahren erleben wir eine Gleichzeitigkeit und Verschärfung von Krisen und Katastrophen die den Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft beschleunigen: Krieg, Wirtschaftskrise, ökologische Krise, Pandemie... Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Gefahr der Auslöschung der Menschheit ernster und konkreter denn je geworden ist
Die Covid-19-Pandemie, deren achte Welle derzeit im Gange ist, stellte ab Anfang 2020 eine neue Etappe des Versinkens der Gesellschaft in die letzte Phase ihrer Dekadenz, d.h. ihres Zerfalls dar. Sie kristallisiert in der Tat eine ganze Reihe von Chaosfaktoren heraus, die bis dahin nicht miteinander verbunden zu sein schienen[1]. Die Rücksichtslosigkeit der herrschenden Klasse trat überall deutlicher zutage, wobei der Zusammenbruch der Gesundheitssysteme (Mangel an Masken, Betten und Pflegepersonal) maßgeblich für die weltweite Zahl der Todesopfer verantwortlich war, die zwischen 15 und 20 Millionen lag. Die Pandemie wirkte sich auch nachhaltig auf die globalen Produktionsketten aus und führte zu Engpässen und Inflation. Sie hat auch die zunehmenden Schwierigkeiten der Bourgeoisie offenbart, eine koordinierte Reaktion sowohl auf die Pandemie als auch auf die Krise zu organisieren.
Der Krieg in der Ukraine tobt vor den Toren Europas und ist ein weiterer Schritt im beschleunigten Zerfall der Gesellschaft, vor allem durch die Verschärfung des Militarismus im globalen Maßstab. Die zunehmende Instabilität in den Ländern der ehemaligen UdSSR, die Luftangriffe welche das Atomkraftwerk Saporischschja zu beschädigen drohen, die wiederholten Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen[2], das verheerende Leck der Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee als Folge wahrscheinlicher Kriegshandlungen, Putins abenteuerliche "Teil"-Mobilisierung, die sich zu einem Fiasko entwickelt, die erschreckenden Eskalationsrisiken eines verzweifelten russischen Regimes - all das weist auf eine apokalyptische kapitalistische Zukunft in der ganzen Welt hin. Die Spirale der Militärausgaben, die schon vor dem Krieg in der Ukraine und den Spannungen im Pazifik einsetzte und weiter anhält, sowie die tiefe Verschuldung von Staaten, die unter der Last der Kriegswirtschaft zusammenbrechen, beschleunigen den Sturz in die globale Wirtschaftskrise.
Die Krise in Verbindung mit der globalen Erwärmung führt bereits dazu, dass Millionen von Menschen unterernährt sind, nicht nur in der Ukraine, sondern in vielen Teilen der Welt. Die Knappheit nimmt zu und die Inflation verdammt einen großen Teil der Arbeiterklasse zur Armut. Die von der Bourgeoisie geforderten "Opfer" lassen bereits Schlimmeres ahnen. Der vor unseren Augen wuchernde Militarismus verkörpert die Irrationalität eines Kapitalismus, der nur in den Ruin und ins blutige Chaos führen kann. Dies wird vor allem bei den USA deutlich, deren Wunsch, ihren Rang als führende Weltmacht zu erhalten, die ständige Verstärkung ihrer militärischen Überlegenheit erfordert. Dieses Projekt kann jedoch nur um den Preis von immer mehr Chaos und Destabilisierung verwirklicht werden. Unzählige Katastrophen aller Art, die sich immer häufiger ereignen, wirken zusammen und verstärken sich gegenseitig, so dass eine regelrechte Zerstörungsspirale entsteht. Die letzten Monate haben diese Entwicklung noch erheblich verstärkt, sowohl durch die Intensivierung der Kriege und ihrer Verwüstungen, als auch durch die spektakuläre Entwicklung der Erscheinungsformen des Klimawandels[3]. Neben der Zerstörung, der Politik der „verbrannten Erde“, den Massakern und der Vertreibung von Millionen von Menschen, wird die landwirtschaftliche Produktion weltweit eingeschränkt und der Zugang zu Wasser wird knapp. Engpässe und Hungersnöte nehmen zu, und weite Teile der Welt werden aufgrund von Verschmutzungen aller Art unbewohnbar. Der Wert abnehmender Ressourcen, wie Gas oder Weizen, wird fast ausschließlich und skrupellos in strategische Waffen umgewandelt und einem regelrechten Raubbau und hemmungslosen Schacher überlassen, dessen Ergebnis nach wie vor militärische Auseinandersetzungen und menschliches Leid sind. Diese Tragödie ist nicht zufällig entstanden. Sie ist das Ergebnis des irreversiblen Bankrotts der kapitalistischen Produktionsweise und des blinden Handelns einer Bourgeoisie, die keine Zukunft zu bieten hat. Eine Produktionsweise, die seit mehr als hundert Jahren an ihren Widersprüchen und historischen Grenzen scheitert und seit dreißig Jahren in ihrer eigenen Zersetzung versinkt. Die Welt rutscht jetzt noch schneller in einen Prozess der Zerstörung und Zersplitterung, in ein riesiges Chaos. Die Bourgeoisie ist nicht in der Lage, eine tragfähige Perspektive zu bieten, sie ist zunehmend gespalten und nicht in der Lage, auf einem minimalen Niveau zu kooperieren, wie sie es noch vor einem Jahrzehnt auf ihren globalen Anti-Krisen-Gipfeln getan hat. Sie bleibt einfallslos, gefangen in ihren eigenen Scheuklappen und ihrer Gier, unterminiert von den Fliehkräften eines wachsenden Jeder-für-sich. Der Sieg der "post-faschistischen" rechtsextremen Partei von Georgia Meloni in Italien ist ein weiteres Beispiel für die sich verschärfende Tendenz der Bourgeoisie, die Kontrolle über ihren politischen Apparat zu verlieren. Die herrschende Klasse sieht sich zunehmend von Cliquen skrupelloser Schläger regiert, die gefährlicher und unverantwortlicher denn je sind.
Die Bourgeoisie ist weiterhin entschlossen, die Ausbeutung zu verschärfen und das Proletariat für ihre unlösbare Krise und ihre Kriege zahlen zu lassen. Allerdings wird sie nun den Klassenkampf stärker berücksichtigen müssen. Die Beschleunigung des Zerfalls durch die Pandemie war zwar eine Bremse für die Entwicklung der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse, die kurz zuvor u.a. in Frankreich im Winter 2019-2020 zum Ausdruck kam. Obwohl die Streiks und Demonstrationen nach Beginn der Invasion in der Ukraine im Februar 2022 stark zurückgingen, verschwanden sie nie ganz. Im vergangenen Winter kam es zu Streiks in Spanien und den USA. In diesem Sommer gab es auch in Deutschland Arbeitsniederlegungen. Vor allem aber stellt das Ausmaß der Arbeitermobilisierung in Großbritannien angesichts der Krise, der Arbeitslosigkeit und der Rückkehr der Inflation einen echten Bruch mit der früheren sozialen Situation in Großbritannien dar - eine Rückkehr der Kampfbereitschaft auf internationaler Ebene. Sie hat einen Mentalitätswandel eingeleitet. Diese Streiks stellen ein neues Ereignis von historischem Ausmaß dar. Nach fast vierzig Jahren faktischer Stagnation in Großbritannien vervielfachten sich dort ab Juni 2022 die Streiks mit hohem Symbolwert und setzten neue Generationen von Arbeitern und Arbeiterinnen in Bewegung, die bereit waren, ihren Kopf zu erheben und für ihre Würde zu kämpfen. Eine Ermutigung für andere zukünftige Bewegungen. Trotz der internationalen ideologischen Kampagne, die das Begräbnis der englischen Königin in den Vordergrund stellte, kündigten die Hafenarbeiter von Liverpool, die in den 1990er Jahren eine Niederlage erlitten hatten, neue Mobilisierungen an. Die Gewerkschaften aber übernehmen bereits die Führung und radikalisieren sich, indem sie ihre Rolle als Saboteure und Spalter spielen. Auch wenn diese Bewegung in Großbritannien zwangsläufig einen Niedergang erleben wird, ist sie aufgrund ihres Vorbildcharakters bereits ein Schritt vorwärts. Natürlich hat der internationale Kampf der Arbeiterklasse noch einen langen Weg vor sich, bevor das Proletariat seine Klassenidentität wiedererlangen und seine eigene revolutionäre Perspektive entschlossen verteidigen kann. Doch der Weg dorthin ist mit Fallen gepflastert. Die Risiken, vom eigenen Klassenterrain abzuweichen, indem sich die Arbeiterklasse in klassenübergreifenden Mobilisierungen mit dem angeschlagenen Kleinbürgertum, in kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Bewegungen wie denen des Feminismus oder des Antirassismus verliert, sind nicht ohne ernste Gefahren - insbesondere in den Ländern der Peripherie. So wurde nach der Ermordung von Mahsa Amini im Iran ein immenser Aufschwung der Wut gegen das Regime der Mullahs auf das bürgerliche Terrain der demokratischen Forderungen getrieben, wo die Arbeiterklasse zum "iranischen Volk" herabgestuft und mit ihm auf eine Stufe gestellt wird, anstatt für ihre eigenen Klassenforderungen zu kämpfen. In Russland bleibt die Situation trotz der zunehmenden Demonstrationen mit dem Ruf "Nein zum Krieg" und der Wut der Wehrpflichtigen, die ohne Waffen und Verpflegung an die Front geschickt werden, verworren, wobei der Widerstand gegen die militärische Mobilisierung mehr individuelle als kollektive Formen annimmt. Ein negativer Beweis dafür, dass nur die Arbeiterklasse allen Unterdrückten eine Perspektive bieten kann und dass die Bourgeoisie in Ermangelung einer Klassenreaktion in der Lage sein wird, das soziale Terrain zu besetzen.
Auf globalerer Ebene eröffnen die Bedingungen für eine Entwicklung der internationalen Klassenkämpfe angesichts der kommenden Angriffe, insbesondere aufgrund der Entwicklung der Inflation, der Arbeitslosigkeit und der extremen Prekarität, die Möglichkeit, die notwendigen Bedingungen für die Bestätigung der kommunistischen Perspektive zu schaffen. Dies insbesondere in den zentralen Ländern des Kapitalismus, wo das Proletariat am erfahrensten ist und seit langem mit den raffiniertesten Fallen der Bourgeoisie konfrontiert war.
Das neue Jahrzehnt lässt die Möglichkeit einer solchen historischen Bekräftigung der Rolle des Proletariats offen, auch wenn die Zeit angesichts der vom Kapitalismus verursachten Verwüstungen nicht mehr auf seiner Seite ist. Dieses Jahrzehnt, das sowohl mit den Kämpfen der Arbeiter und Arbeiterinnen als auch mit der Beschleunigung der Barbarei und des Chaos begann, soll die Arbeiterklasse noch tiefer davon überzeugen, dass die einzige historische Alternative „Kommunistische Revolution oder Zerstörung der Menschheit“ bleibt!
WH, 28. September 2022
[1] „Bericht über die Pandemie und die Entwicklung des Zerfalls“, Internationale Revue Nr. 57
[2] Der Einsatz von Atomwaffen ist nicht, wie die Bourgeoisie behauptet, lediglich eine Frage des Willens eines "verrückten Diktators", um die Bevölkerung zu erschrecken und zu "notwendigen Opfern" zu zwingen. Er erfordert einen gewissen Konsens innerhalb der nationalen Bourgeoisie. Doch auch wenn ein solcher Einsatz einem freiwilligen Selbstmord der russischen Bourgeoisie gleichkäme, macht der Grad an Irrationalität und Unberechenbarkeit, in den der Kapitalismus versinkt, den Einsatz von Atomwaffen nicht völlig unmöglich. Darüber hinaus sind die alternden ukrainischen Atomkraftwerke, die ein wahres Finanzloch darstellen, auch mehrere Jahrzehnte nach der Katastrophe von Tschernobyl noch immer beängstigende Zeitbomben.
[3] Brände von noch nie dagewesenem Ausmaß haben den Planeten im Sommer heimgesucht, Dürren und Hitzerekorde mit Temperaturen von bis zu 50°C (wie in Indien), gepaart mit schrecklichen Überschwemmungen wie der, die Pakistans Anbauflächen fast zerstört hat.
"Enough is enough", "Zu viel ist zu viel". Das ist der Ruf, der sich in den letzten Wochen in Grossbritannien wie ein Echo von Streik zu Streik verbreitet hat. Diese massive Bewegung, die in Anlehnung an den "Winter des Zorns" von 1979 "Sommer des Zorns" genannt wird, betrifft jeden Tag Arbeiter in immer mehr Bereichen: Eisenbahnen, dann die Londoner U-Bahn, British Telecom, die Post, die Hafenarbeiter in Felixstowe (ein lebenswichtiger Hafen in Großbritannien), Müllabfuhr und Bus-Fahrpersonal in verschiedenen Teilen des Landes, Amazon, usw. Heute sind es die Beschäftigten im Transportwesen, morgen die Beschäftigten im Gesundheitswesen und die Lehrer und Lehrerinnen.
Alle Journalisten und Kommentatoren stellen fest, dass es sich um die größte Bewegung der Arbeiterklasse in diesem Land seit Jahrzehnten handelt; man muss bis zu den riesigen Streiks von 1979 zurückgehen, um eine größere und massivere Bewegung zu finden. Eine Bewegung dieser Größenordnung in einem Land wie Grossbritannien ist kein "lokales" Ereignis. Es ist ein Ereignis von internationaler Bedeutung, eine Botschaft an die Ausgebeuteten aller Länder.
Jahrzehnt für Jahrzehnt, wie und noch mehr als in anderen entwickelten Ländern, haben die aufeinanderfolgenden britischen Regierungen die Lebens- und Arbeitsbedingungen unerbittlich angegriffen, mit einem einzigen Leitmotiv: Prekarisierung und Flexibilisierung im Namen der nationalen Wettbewerbsfähigkeit und des Profits. Die Angriffe haben in den letzten Jahren ein solches Ausmaß erreicht, dass die Kindersterblichkeit in diesem Land seit 2014 "einen beispiellosen Anstieg" erlebt (laut der medizinischen Fachzeitschrift BJM Open).
Aus diesem Grund stellt die derzeitige Explosion der Inflation einen solchen Tsunami dar. Mit einem Preisanstieg von 10,1% im Juli im Jahresvergleich, 13% erwartet im Oktober, 18% im Januar, ist das Ausmaß verheerend. "Viele Menschen könnten gezwungen sein, sich zu entscheiden, ob sie Mahlzeiten auslassen, um ihre Wohnungen zu heizen, oder ob sie in Kälte und Feuchtigkeit leben wollen", warnte der Nationale Gesundheitsdienst (NHS). Da die Gas- und Strompreise am 1. April um 54% und am 1. Oktober um 78% gestiegen sind, ist die Situation in der Tat unhaltbar.
Das Mobilisierungsniveau der britischen Arbeiter entspricht also endlich den Angriffen, die sie erleiden, während sie in den letzten Jahrzehnten nicht die Kraft gefunden hatten, darauf zu reagieren, da sie seit den Thatcher-Jahren sozusagen noch stehend k.o. waren.
In der Vergangenheit gehörten die englischen Arbeiter zu den kämpferischsten der Welt. Wenn man die Anzahl der Streiktage betrachtet, war der "Winter des Zorns" von 1979 nach dem Mai 1968 in Frankreich die massivste Bewegung aller Länder, sogar noch vor dem "Heißen Herbst" 1969 in Italien. Es war diese enorme Kampfbereitschaft, die die Regierung von Margaret Thatcher dauerhaft unterdrücken konnte, indem sie den Arbeitern eine ganze Reihe von bitteren Niederlagen zufügte, insbesondere beim Bergarbeiterstreik 1985. Diese Niederlage markierte einen Wendepunkt, nämlich den lang anhaltenden Rückgang des Kampfgeistes der Arbeiter in Großbritannien; sie kündigte sogar den allgemeinen Rückgang des Kampfgeistes der Arbeiter in der Welt an. Fünf Jahre später, 1990, beendete der Zusammenbruch der UdSSR, die in betrügerischer Absicht als "sozialistisches" Regime dargestellt wurde, und die ebenso verlogene Ankündigung des "Todes des Kommunismus" und des "endgültigen Triumpfes des Kapitalismus" den Kampf der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt. Seitdem hat die Arbeiterklasse, ihrer Perspektive beraubt, in ihrem Selbstvertrauen und ihrer Klassenidentität angegriffen, immer mehr - in Großbritannien noch mehr als anderswo - die Angriffe aller Regierungen über sich ergehen lassen müssen, ohne wirklich in der Lage zu sein, zurückzuschlagen.
Aber die Wut hat sich aufgestaut, und heute, angesichts der Angriffe der Bourgeoisie, zeigt die Arbeiterklasse in Großbritannien, dass sie wieder bereit ist, für ihre Würde zu kämpfen und die Opfer abzulehnen, die ihr das Kapital immer wieder auferlegt. Und wieder einmal spiegelt sie am deutlichsten die internationale Dynamik wider: Letzten Winter brachen in Spanien und den USA Streiks aus; diesen Sommer kam es auch in Deutschland und Belgien zu Arbeitsniederlegungen; für die kommenden Monate sagen alle Kommentatoren eine "explosive soziale Situation" in Frankreich und Italien voraus. Es ist unmöglich vorherzusagen, wo und wann sich die Kampfbereitschaft in naher Zukunft wieder massiv manifestieren wird, aber eines ist sicher: Das Ausmaß der derzeitigen Mobilisierungen der Arbeiterklasse in Grossbritannien stellt eine wichtige historische Tatsache dar. Es ist vorbei mit der Passivität, mit der Unterwerfung. Die neue Generation von Arbeitern und Arbeiterinnen erwacht.
Die Bedeutung dieser Bewegung beschränkt sich nicht nur auf die Tatsache, dass sie eine lange Periode der Passivität beendet. Diese Kämpfe entwickeln sich zu einer Zeit, in der die Welt mit einem imperialistischen Krieg großen Ausmaßes konfrontiert ist, einem Krieg, der vor Ort zwischen Russland und der Ukraine geführt wird, der aber eine globale Reichweite hat, wobei insbesondere die NATO-Mitgliedsländer mobilisiert werden. Eine Mobilisierung in Form von Waffen, aber auch in wirtschaftlicher, diplomatischer und ideologischer Hinsicht. In den westlichen Ländern wird in den Reden der Regierungen zu Opfern aufgerufen, um "Freiheit und Demokratie zu verteidigen". Konkret heißt das, dass das Proletariat in diesen Ländern den Gürtel noch enger schnallen sollen, um "ihre Solidarität mit der Ukraine zu bezeugen", in Wirklichkeit mit der ukrainischen Bourgeoisie und der Bourgeoisie der westlichen Länder.
Die Regierungen rechtfertigen ihre Angriffe ohne jede Scham, indem sie sowohl die Katastrophe der globalen Erwärmung als auch die Gefahr von Energie- und Nahrungsmittelknappheit (laut UN-Generalsekretär "die schlimmste Nahrungsmittelkrise, die es je gab") instrumentalisieren. Sie rufen zu "Nüchternheit" auf und kündigen das Ende des "Überflusses" an (um die infamen Worte des französischen Präsidenten Macron zu zitieren). Aber gleichzeitig forcieren sie ihre Kriegswirtschaft: Die weltweiten Militärausgaben sind bis 2021 auf 2.113 Billionen US-Dollar gestiegen! Zwar gehört Großbritannien zu den fünf Staaten mit den höchsten Militärausgaben, doch seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben alle Länder der Welt ihr Wettrüsten beschleunigt, auch Deutschland - zum ersten Mal seit 1945!
Die Regierungen rufen nach "Opfern, um die Inflation zu bekämpfen". Das ist eine finstere Farce, während sie diese durch die Explosion der Kriegsausgaben nur noch verschlimmern. Das ist die Zukunft, die der Kapitalismus und seine konkurrierenden nationalen Bourgeoisien versprechen: mehr Kriege, mehr Ausbeutung, mehr Zerstörung, mehr Elend.
Das ist auch das, was die Streiks des Proletariats in Großbritannien im Keim tragen, auch wenn die Arbeiter sich dessen nicht immer voll bewusst sind: die Weigerung, sich immer und immer mehr für die Interessen der herrschenden Klasse zu opfern, die Weigerung, Opfer für die nationale Wirtschaft und für die Kriegsanstrengungen zu bringen, die Weigerung, die Logik dieses Systems zu akzeptieren, das die Menschheit in die Katastrophe und schließlich in ihre Vernichtung treibt. Das ist die einzige Alternative: Sozialismus oder Vernichtung der Menschheit.
Diese Fähigkeit, den Kopf wieder aufzurichten, ist umso bemerkenswerter, als die Arbeiterklasse in Großbritannien in den letzten Jahren die Knüppel der populistischen Ideologie zu spüren bekommen hat, die die Ausgebeuteten gegeneinander ausspielt, sie in "Einheimische" und "Ausländer", in Weiße und Schwarze, in Männer und Frauen spaltet, bis hin zu dem Glauben, dass der Brexit für die Insel die Lösung sein könnte.
Aber es gibt noch andere, viel tückischere und gefährlichere Fallen, die die Bourgeoisie auf dem Weg der Kämpfe des Proletariats aufgestellt hat.
Die große Mehrheit der aktuellen Streiks wurde von den Gewerkschaften ausgerufen, die sich damit als unverzichtbare Organisation zur Organisation des Kampfes und zur Verteidigung der Ausgebeuteten darstellen. Die Gewerkschaften sind unverzichtbar, ja, aber um die Bourgeoisie zu verteidigen und die Niederlage der Arbeiterklasse zu organisieren.
Man muss sich nur daran erinnern, wie sehr Thatchers Sieg durch die Untergrabungsarbeit der Gewerkschaften ermöglicht wurde. Als im März 1984 im Kohlebergbau brutal 20.000 Stellenstreichungen angekündigt wurden, reagierten die Bergarbeiter blitzschnell. Schon am ersten Streiktag wurden 100 von 184 Schächten geschlossen. Daraufhin umgab die Streikenden sofort ein eisernes Korsett der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften der Eisenbahner und der Seeleute unterstützten die Bewegung platonisch. Die mächtige Gewerkschaft der Hafenarbeiter begnügte sich mit zwei späten Streikaufrufen. Der TUC (der nationale Gewerkschaftsbund) weigerte sich, den Streik zu unterstützen. Die Gewerkschaften der Elektriker und der Stahlarbeiter lehnten den Streik ab. Kurzum, die Gewerkschaften sabotierten aktiv jede Möglichkeit eines gemeinsamen Kampfes. Vor allem aber vollendete die Bergarbeitergewerkschaft NUM (National Union of Mineworkers) diese schmutzige Arbeit, indem sie die Bergarbeiter in sterile und endlose (über ein Jahr!) Besetzungen der Kohleschächte einspannte. Dank dieser gewerkschaftlichen Sabotage, dieser unfruchtbaren und endlosen Besetzungen konnte die Polizeirepression umso heftiger zuschlagen. Diese Niederlage würde die Niederlage der gesamten Arbeiterklasse sein.
Wenn dieselben Gewerkschaften heute eine radikale Sprache sprechen und so tun, als würden sie Solidarität zwischen den Sektoren propagieren und sogar mit einem Generalstreik drohen, dann deshalb, weil sie sich an die Sorgen der Arbeiterklasse dranhängen, weil sie versuchen, das einzufangen, was die Arbeiter bewegt, ihre Wut, ihre Kampfbereitschaft und ihr Gefühl, dass man gemeinsam kämpfen muss, um diese Dynamik besser sterilisieren und in die Irre führen zu können. In Wirklichkeit orchestrieren sie vor Ort separate Streiks; hinter der einheitlichen Losung, die Löhne für alle zu erhöhen, grenzen sie die Beschäftigten voneinander ab und spalten in branchenspezifische Verhandlungen; vor allem achten sie sehr darauf, alle wirklichen Diskussionen zwischen den Arbeitern der verschiedenen Sparten zu vermeiden. Nirgendwo gibt es echte branchenübergreifende Vollversammlungen. Deshalb sollte man sich nicht täuschen lassen, wenn Lizz Truss, die Favoritin für die Nachfolge von Boris Jonson, erklärt, sie werde "nicht zulassen", dass Grossbritannien "von militanten Gewerkschaftern erpresst wird", wenn sie Premierministerin wird. Damit tritt sie nur in die Fußstapfen ihres Vorbilds Margaret Thatcher; sie will das Ansehen der Gewerkschaften als die kämpferischsten Vertreter der Arbeiter erhöhen, um gemeinsam die Arbeiterklasse besser in die Niederlage führen zu können.
In Frankreich hatten die Gewerkschaften 2018 angesichts des steigenden Kampfgeistes und der Solidaritätswelle zwischen den Generationen bereits denselben Trick angewandt, indem sie die "Konvergenz der Kämpfe" propagierten, einen Ersatz für eine einheitliche Bewegung, bei der die Demonstranten, die auf der Straße zusammenkamen, nach Branchen und Unternehmen getrennt aufgeteilt wurden.
Um in Großbritannien wie überall sonst ein Kräfteverhältnis aufzubauen, das es uns ermöglicht, den unaufhörlichen Angriffen auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu widerstehen, die sich morgen noch gewaltsam verschärfen werden, müssen wir, wo immer wir können, zusammenkommen, um die Kampfmethoden zu diskutieren und hervorzuheben, die die Stärke der Arbeiterklasse ausgemacht haben und ihr in bestimmten Momenten ihrer Geschichte ermöglicht haben, die Bourgeoisie und ihr System ins Wanken zu bringen:
- die Suche nach Unterstützung und Solidarität über "seine" Zunft, "sein" Unternehmen, "seine" Branche, "seine" Stadt, "seine" Region, "sein" Land hinaus;
- die autonome Organisation des Arbeiterkampfes, insbesondere durch Generalversammlungen, ohne die Kontrolle darüber den Gewerkschaften zu überlassen, diesen sogenannten "Spezialisten" für Kämpfe und ihre Organisation;
- eine möglichst breite Diskussion über die allgemeinen Bedürfnisse des Kampfes, über die Lehren, die aus den Kämpfen und auch aus den Niederlagen zu ziehen sind, denn es wird Niederlagen geben, aber die größte Niederlage ist es, die Angriffe ohne Reaktion zu erdulden, der Eintritt in den Kampf ist der erste Sieg der Ausgebeuteten.
Während die Rückkehr der Massenstreiks in Großbritannien die Rückkehr der Kampfbereitschaft des Weltproletariats markiert, ist es auch von entscheidender Bedeutung, dass die Schwächen überwunden werden, die 1985 seine Niederlage besiegelten: Korporatismus und Gewerkschaftsillusion. Die Autonomie des Kampfes, Einheit und Solidarität sind die unerlässlichen Meilensteine für die Vorbereitung der Kämpfe von morgen!
Und dafür muss man sich als Teil derselben Klasse begreifen, einer Klasse, die durch Solidarität im Kampf vereint ist: das Proletariat. Die Kämpfe von heute sind nicht nur unerlässlich, um sich Stück für Stück gegen Angriffe zu verteidigen, sondern auch, um diese Klassenidentität auf globaler Ebene zurückzuerobern und den Sturz dieses Systems vorzubereiten, das Elend und Katastrophen aller Art mit sich bringt.
Im Kapitalismus gibt es keine Lösung: weder für die Zerstörung des Planeten, noch für Kriege, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit oder Elend. Nur der Kampf des Weltproletariats mit allen Unterdrückten und Ausgebeuteten der Welt kann den Weg zu einer Alternative ebnen.
Die Massenstreiks in Großbritannien sind eine Aufforderung zum Kampf an die Proletarier aller Länder.
Internationale Kommunistische Strömung 27.08.2022
Manche Ereignisse haben eine Bedeutung, die sich nicht auf die lokale oder unmittelbare Ebene beschränkt, sondern von internationaler Tragweite ist. Die Streikwelle, die sich in diesem Sommer in ganz Großbritannien ausgebreitet hat, ist aufgrund der Anzahl der betroffenen Sektoren, der Kampfbereitschaft der am Kampf beteiligten Arbeiter:innen und der breiten Unterstützung für die Aktion in der arbeitenden Bevölkerung ein Ereignis von unbestreitbarer Bedeutung auf nationaler Ebene. Aber wir müssen auch verstehen, dass die historische Bedeutung dieser Kämpfe weit über ihre lokale Dimension oder ihr noch einmaliges Auftreten hinausgeht.
Seit Jahrzehnten ist die Arbeiterklasse in den europäischen Staaten dem enormen Druck des Zerfalls des Kapitalismus ausgesetzt. Konkret hat sie seit 2020 eine Reihe von Covid-Wellen und dann den Schrecken des barbarischen Krieges in Europa mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine erlebt. Diese Ereignisse haben die Kampfbereitschaft der Arbeiter:innen zwar beeinträchtigt, aber nicht zum Verschwinden gebracht, wie die Kämpfe in den Vereinigten Staaten, Spanien, Italien, Frankreich, Korea und im Iran Ende 2021 und Anfang 2022 noch unterstrichen haben.
Die Streikwelle in Großbritannien als Reaktion auf die Angriffe auf ihren Lebensstandard durch die sich verschärfende Wirtschaftskrise, die durch die Folgen der Gesundheitskrise und vor allem durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft wurde, hat jedoch ein anderes Ausmaß. Unter schwierigen Umständen senden die britischen Arbeiter:innen ein klares Signal an diejenigen in der ganzen Welt: Wir müssen kämpfen, auch wenn wir Angriffe erlitten und Opfer in Kauf genommen haben, ohne reagieren zu können; aber „genug ist genug": Wir nehmen das nicht länger hin, wir müssen kämpfen. Dies ist die Botschaft an die Arbeiter:innen in anderen Ländern.
In diesem Zusammenhang ist der Eintritt des britischen Proletariats in den Kampf ein Ereignis von historischer Bedeutung auf mehreren Ebenen
Diese Welle des Kampfes wird von einem Teil des europäischen Proletariats angeführt, der mehr als die meisten anderen unter dem allgemeinen Rückzug des Klassenkampfes seit 1990 gelitten hat. Wenn die britischen Arbeiter in den 1970er Jahren, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung im Vergleich zu anderen Ländern wie Frankreich, Italien oder Polen, sehr wichtige Kämpfe entwickelten, die in der Streikwelle von 1979 ("Winter der Unzufriedenheit") gipfelten, war das Vereinigte Königreich das europäische Land, in dem der Rückgang der Kampfkraft in den letzten 40 Jahren am deutlichsten war.
In den 1980er Jahren sah sich die britische Arbeiterklasse einer wirksamen Gegenoffensive der Bourgeoisie ausgesetzt, die in der Niederschlagung des Bergarbeiterstreiks 1985 durch Thatcher, der "Eisernen Lady" der britischen Bourgeoisie, gipfelte. Darüber hinaus war Großbritannien besonders von der Deindustrialisierung und der Verlagerung von Industrien nach China, Indien oder Osteuropa betroffen. Als die Arbeiterklasse 1989 einen allgemeinen, weltweiten Niedergang erlebte, war dieser in Großbritannien besonders ausgeprägt.
Darüber hinaus haben die britischen Arbeiter:innen in den letzten Jahren unter dem Ansturm der populistischen Bewegungen und vor allem unter der ohrenbetäubenden Brexit-Kampagne gelitten, die die Spaltung in ihren Reihen zwischen "Remainers" und "Leavers" gefördert hat, und dann unter der Covid-Krise, die die Arbeiterklasse, insbesondere in Großbritannien, schwer belastet hat. In jüngster Zeit schließlich wurde sie mit einem intensiven pro-ukrainischen Demokratisierungshype und einer besonders abscheulichen Kriegstreiberei im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine konfrontiert.
Die "Thatcher-Generation" hat eine schwere Niederlage erlitten, aber heute tritt eine neue Generation von Proletarier:innen auf den Plan, die nicht mehr so sehr wie die Älteren unter der Last dieser Niederlagen leidet und sich erhebt, um zu zeigen, dass die Arbeiterklasse in der Lage ist, auf diese schweren Angriffe mit Kampf zu reagieren. Wenn wir die unterschiedlichen Dimensionen im Auge behalten, erleben wir ein Phänomen, das mit dem der französischen Arbeiterklasse von 1968 durchaus vergleichbar (aber nicht identisch) ist: das Auftauchen einer jungen Generation, die von der Last der Konterrevolution weniger betroffen ist als die Älteren.
Der "Sommer des Zorns" kann nur eine Ermutigung für alle Arbeiter:innen weltweit sein, und das aus mehreren Gründen: Es ist die Arbeiterklasse der fünften Weltwirtschaftsmacht und ein englischsprachiges Proletariat, dessen Kämpfe einen wichtigen Einfluss in Ländern wie den Vereinigten Staaten, Kanada oder in anderen Regionen der Welt wie Indien oder Südafrika haben können. Da Englisch die Sprache der Weltkommunikation ist, übersteigt der Einfluss dieser Bewegungen notwendigerweise den der Kämpfe in Frankreich oder Deutschland. In diesem Sinne weist das englische Proletariat nicht nur den europäischen Arbeiter:innen den Weg, die an der Spitze des ansteigenden Klassenkampfes stehen müssen, sondern auch dem Weltproletariat, und insbesondere dem amerikanischen Proletariat. Im Hinblick auf künftige Kämpfe kann die britische Arbeiterklasse somit als Bindeglied zwischen dem westeuropäischen und dem amerikanischen Proletariat dienen.
Diese Bedeutung lässt sich auch an der besorgten Reaktion der Bourgeoisie, insbesondere in Westeuropa, auf die Gefahr einer Ausweitung der "Verschlechterung der sozialen Lage" ablesen. Dies ist vor allem in Frankreich, Belgien oder Deutschland der Fall, wo die Bourgeoisie im Gegensatz zur britischen Bourgeoisie energischere Maßnahmen ergriffen hat, um die Erhöhungen der Öl-, Gas- und Strompreise zu begrenzen oder die Auswirkungen der Inflation und der Preissteigerungen durch Subventionen oder Steuersenkungen auszugleichen, wobei sie lautstark verkündet, dass sie die Kaufkraft der Arbeitnehmer schützen wolle. Andererseits sollte die umfangreiche Medienberichterstattung über den Tod von Königin Elizabeth und die Beerdigungszeremonien die Bilder des Klassenkampfes konterkarieren und stattdessen das Bild einer geeinten britischen Bevölkerung zeigen, die von nationalistischem Eifer erfüllt ist und die bürgerliche Verfassungsordnung respektiert. Seitdem haben die bürgerlichen Medien die Fortsetzung der Streikbewegungen weitgehend verdunkelt.
Die Bourgeoisie weiß sehr wohl, dass die Verschärfung der Krise und die Folgen des Krieges immer weitergehen werden. Die Tatsache jedoch, dass sich bereits angesichts der ersten Angriffe, die für alle Teile des Proletariats nicht nur in England, sondern in Europa und sogar in der Welt ähnlich sind, eine massive Bewegung entwickelt, Angriffe, die die Bourgeoisie in der gegenwärtigen Situation auferlegen muss, kann die Bourgeoisie nur tief beunruhigen.
Auch wenn das westeuropäische Proletariat in den letzten vierzig Jahren, anders als vor den beiden Weltkriegen, nicht besiegt wurde, so war der Rückgang seines Klassenbewusstseins nach 1989 (unterstrichen durch die Kampagne über den "Tod des Kommunismus") dennoch äußerst wichtig. Zweitens hatte die Vertiefung des Zerfalls ab den 1990er Jahren ihre Klassenidentität zunehmend beeinträchtigt, und diese Tendenz konnte durch bestimmte Kampfbewegungen oder Ausdrucksformen des Nachdenkens bei Minderheiten der Klasse in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts nicht umgekehrt werden, wie der Kampf gegen das Gesetz über den Erstanstellungsvertrag (CPE) in Frankreich 2006, die Bewegung der "Indignados" in Spanien 2011, die Kämpfe bei SNCF und Air France 2014 und die Bewegung gegen die Rentenreform 2019 in Frankreich oder der "Striketober" in den USA 2021.
Darüber hinaus war die globale Arbeiterklasse in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts in ihren Kämpfen mit der Gefahr klassenübergreifender Bewegungen konfrontiert, wie in Frankreich mit den Aktionen der "Gilet Jaunes", dem Gewicht populistischer Mobilisierungen wie der MAGA-Bewegung ("Make America Great Again") in den USA oder bürgerlichen Kampagnen wie den "Märschen für das Klima" oder der "Black Lives Matter"-Bewegung und Mobilisierungen für Abtreibungsrechte in den USA und anderswo. In jüngster Zeit sind angesichts der ersten Folgen der Krise in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern zahlreiche Volksaufstände gegen den Anstieg der Preise für Treibstoff und andere Grunderzeugnisse ausgebrochen. All diese Bewegungen stellen eine Gefahr für die Arbeiter:innen dar, da sie sie auf ein klassenübergreifendes Terrain ziehen, wo sie von der Masse der "Bürger" übertönt werden oder auf ein völlig bürgerliches Terrain gezogen werden.
Aber nur das Proletariat bietet eine Alternative zu den Katastrophen, die unsere Gesellschaft kennzeichnen. Und im Gegensatz zu diesen Bewegungen, die die Arbeiter:innen auf falsche Fährten führen, besteht der grundlegende Beitrag der Streikwelle der britischen Arbeiter:innen darin, zu bekräftigen, dass der Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung auf einer klaren Klassenbasis geführt werden muss und klare Forderungen der Arbeiter:innen gegen die Angriffe auf ihren Lebensstandard aufstellen muss: "Darüber hinaus, und das ist das Element, das letztendlich den Ausgang der Weltlage bestimmen wird, stellt die unaufhaltsame Verschärfung der kapitalistischen Krise den wesentlichen Stimulus für den Klassenkampf und die Entwicklung des Bewusstseins dar, die Voraussetzung für ihre Fähigkeit, dem Gift der sozialen Fäulnis zu widerstehen. Denn wenn es auch in den partiellen Kämpfen gegen die Auswirkungen des Zerfalls keine Grundlage für die Vereinigung der Klasse gibt, so bildet doch ihr Kampf gegen die direkten Auswirkungen der Krise die Grundlage für die Entwicklung ihrer Klassenstärke und Einheit." (Thesen zum Zerfall, 1991)[1]. Die Entwicklung dieser massiven Kampfbereitschaft in den Kämpfen um die Verteidigung der Kaufkraft ist für das Weltproletariat eine unausweichliche Voraussetzung, um den tiefen Rückschlag zu überwinden, den es seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime erlitten hat, und um seine Klassenidentität und seine revolutionäre Perspektive wiederzuerlangen.
Kurzum, sowohl aus historischer Sicht als auch im aktuellen Kontext, in dem sich die Arbeiterklasse befindet, stellt diese Streikwelle in Großbritannien eine Zäsur in der Dynamik des Klassenkampfes dar, die in der Lage ist, einen "Wandel der gesellschaftlichen Stimmung" in Gang zu setzen.
Die Bedeutung dieser Bewegung besteht nicht nur darin, dass sie eine lange Periode relativer Passivität beendet. Diese Kämpfe entwickeln sich in einer Zeit, in der die Welt mit einem imperialistischen Krieg großen Ausmaßes konfrontiert ist, einem Krieg, in dem sich Russland und die Ukraine auf europäischem Boden gegenüberstehen, der aber eine globale Reichweite hat, insbesondere mit einer Mobilisierung der NATO-Mitgliedsländer, die nicht nur eine Mobilisierung mit Waffen ist, sondern auch auf wirtschaftlicher, diplomatischer und ideologischer Ebene: In den westlichen Ländern rufen die Regierungen zu Opfern auf, um "Freiheit und Demokratie zu verteidigen". Konkret bedeutet dies, dass die Proletarier dieser Länder den Gürtel noch enger schnallen müssen, um "ihre Solidarität mit der Ukraine" zu zeigen, d.h. mit der ukrainischen herrschenden Klasse und den Herrschern der westlichen Länder.
Angesichts des Konflikts in der Ukraine ist der Aufruf zu einer direkten Mobilisierung der Arbeiter:innen gegen den Krieg in Westeuropa oder in den Vereinigten Staaten illusorisch; seit Februar 2022 hat die IKS jedoch hervorgehoben, dass die Reaktion der Arbeiter:innen auf der Grundlage der Angriffe auf ihren Lohn erfolgen werden, welche Folgen der Kapitalakkumulation und der Verknüpfung der Krisen und Katastrophen der vergangenen Zeit sind. Solche Kämpfe richten sich auch gegen die Kampagne, die zur Hinnahme von Opfern zur Unterstützung des "heldenhaften Widerstands des ukrainischen Volkes" aufruft.
Außerdem beinhaltet die Mobilisierung gegen die kapitalistische Sparpolitik letztlich auch eine Opposition gegen den Krieg. Das ist es auch, was die Streiks der Arbeiterklasse im Vereinigten Königreich in sich tragen, auch wenn sich die Arbeiter:innen dessen nicht immer voll bewusst sind: die Weigerung, immer mehr Opfer für die Interessen der herrschenden Klasse zu bringen, die Weigerung, Opfer für die nationale Wirtschaft und für die Kriegsanstrengungen zu bringen, und die Weigerung, die Logik dieses Systems zu akzeptieren, das die Menschheit in die Katastrophe und schließlich in ihre Zerstörung führt.
Kurz gesagt, auch wenn sich die Kämpfe im Moment auf ein Land beschränken, auch wenn ihnen die Luft ausgeht und auch wenn wir in naher Zukunft wahrscheinlich nicht mit einer Reihe von ähnlichen großen Entwicklungen in verschiedenen Ländern rechnen können, ist ein Meilenstein erreicht. Die wesentliche Errungenschaft des Kampfes der Arbeiter:innen in Großbritannien ist es, aufzustehen und zu kämpfen, denn die schlimmste Niederlage ist es, kampflos zu verarmen. Auf dieser Grundlage können Lehren gezogen werden, und der Kampf kann weitergehen. Unter diesem Gesichtspunkt stellen die Streiks einen qualitativen Wandel dar und kündigen eine Veränderung der Situation der Arbeiterklasse gegenüber der Bourgeoisie an: Sie markieren eine Entwicklung der Kampfbereitschaft auf einem Klassenterrain, das der Beginn einer neuen Episode des Kampfes sein kann, weil die Arbeiterklasse durch ihre massiven wirtschaftlichen Kämpfe in der Lage sein wird, ihre Klassenidentität schrittweise wiederzuerlangen, die durch den Druck von 40 Jahren Zerfall, durch die Ebbe der Kämpfe und des Bewusstseins, durch die Sirenen der klassenübergreifenden Bewegungen, des Populismus und der Umweltkampagnen ausgehöhlt wurde. Auf dieser Grundlage wird die Arbeiterklasse in der Lage sein, eine Perspektive für die gesamte Gesellschaft zu eröffnen. Unter diesem Gesichtspunkt gibt es ein "Vorher" und ein "Nachher" des Sommers 2022.
R. Havanais / 22.09.2022
[1]Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus [46], in Internationale Revue Nr. 13
In der ersten Jahreshälfte 2022 wurde der Planet wie in so vielen Jahren zuvor von zahlreichen Waldbränden in Frankreich, Marokko, Südkorea, der Türkei und Argentinien heimgesucht; von katastrophalen Überschwemmungen in Pakistan, Indien, Südafrika, Madagaskar und Brasilien; von tropischen Stürmen auf den Philippinen und in Mosambik, auf Kuba und in Florida sowie von nie dagewesenen Hitzewellen in Indien und Pakistan. Durch den Temperaturanstieg hat sich das Risiko extremer Wetterkatastrophen erheblich verschärft. Das damit verbundene Ausmaß der Zerstörung ist erschreckend: Es offenbart die Beschleunigung des Zerfalls des Kapitalismus. Eine der verheerendsten Naturkatastrophen des Jahres 2022 ereignete sich in Pakistan. In der ersten Jahreshälfte 2022 wurde das Land von einer beispiellosen Hitzewelle mit Temperaturen von mehr als 50°C heimgesucht, während in der zweiten Jahreshälfte 2022, nur einige Monate später, ein Drittel des Landes überschwemmt wurde und die Situation in einer totalen Katastrophe endete. In Jacobabad, einer Stadt mit 200 000 Einwohnern, erreichten die Temperaturen zunächst mehr als 49 °C, und dann wurden alle Straßen überflutet. Pakistan ist bekannt für seine Anfälligkeit für die Folgen des Klimawandels und extremer Wetterereignisse. In diesem Jahr sind in Pakistan bereits Tausende von Menschen ums Leben gekommen, 1.400 allein durch die Überschwemmungen. Viele der von den Überschwemmungen betroffenen Gebiete erhalten von den Behörden nur das absolute Minimum an Unterstützung. Doch der Kapitalismus ist nicht daran interessiert, Menschenleben zu retten.
Der Planet war noch nie so heiß wie heute. Seit 1880 ist die Temperatur der Erde um 0,08 °C pro Jahrzehnt gestiegen, aber seit 1981 ist die Erwärmung mehr als doppelt so schnell: 0,18 °C pro Jahrzehnt. Über Land und Ozean gemittelt war die Oberflächentemperatur 2021 um 1,04 °C wärmer als in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Nach Angaben der Nationalen Zentren für Umweltinformationen (NCEI) sind neun der zehn wärmsten Jahre seit 2005 gemessen worden, und die fünf wärmsten Jahre wurden alle seit 2015 registriert. Die NASA bestätigte diese Beobachtung und stellte fest, dass die Jahre 2010-2019 das wärmste jemals aufgezeichnete Jahrzehnt waren. Die US-amerikanische National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) fand heraus, dass die Verschmutzung durch Treibhausgase im Jahr 2021 49 % mehr Wärme in der Atmosphäre gebunden hat als im Jahr 1990. Doch welcher Zusammenhang besteht zwischen den steigenden Temperaturen und den immer häufiger auftretenden Störungen und Extremen des Wetters? Es gibt keinen unwiderlegbaren Beweis dafür, dass ein Tornado oder eine Überschwemmung in einem bestimmten Teil der Welt durch steigende Temperaturen verursacht wird. Aber in den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der klimabedingten Katastrophen verdreifacht, und diese quantitative Zunahme ist ein Indiz für die Hypothese, dass der größte Teil der Wetterkatastrophen durch die globale Erwärmung – und in letzter Instanz durch unverantwortliche und zerstörerische "menschliche Eingriffe" – verursacht wird. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit können die WissenschaftlerInnen also feststellen, dass die Erwärmung der Atmosphäre, der Ozeane und des Landes die Ursache für die Mehrzahl der immer verheerenderen "Naturkatastrophen" ist. Der Anstieg der Luft- und Wassertemperaturen führt zum Anstieg des Meeresspiegels und zum massiven Abschmelzen der Eiskappen, zu gewaltigen Stürmen und höheren Windgeschwindigkeiten, zu lang anhaltenden Hitzewellen und intensiveren Dürren, zu heftigen Regenfällen und massiven Überschwemmungen, die immer mehr Teile des Planeten unbewohnbar machen. Und als unmittelbare Folgen dieser krisenhaften Zustände haben wir gesehen:
∗ Zwischen 2011 und 2020 beliefen sich die damit verbundenen Zerstörungen auf der ganzen Welt auf rund 2,5 Billionen US-Dollar, was einem Anstieg von fast 50 Prozent gegenüber den Jahren 2001 bis 2010 entspricht;
∗ seit 2008 wurden jedes Jahr mehr als 20 Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben, eine Zahl, die von Jahr zu Jahr anstieg und allein im Jahr 2020 30,7 Millionen erreichen wird;
∗ von 1970 bis 2019 gab es weltweit mehr als 11.000 gemeldete Katastrophen, die auf Naturgefahren zurückzuführen sind, mit mehr als zwei Millionen registrierten Todesfällen.
Die Zerstörung der Natur durch den Menschen hat eine sehr lange Geschichte, aber in früheren Gesellschaften war diese Zerstörung so begrenzt, dass sich die Natur davon erholen konnte. Doch im Kapitalismus änderte sich das dramatisch: Er entwickelte Produktivkräfte, die in der Lage waren, das Gesicht der Natur in ganzen Regionen in relativ kurzer Zeit zu verändern. Während der industriellen Revolution führte beispielsweise die Ausbeutung von Kupfer- und Kohleminen zur Zerstörung großer Wälder in Südwales (Großbritannien) innerhalb weniger Jahrzehnte und veränderte die Landschaft für immer. Aber der Mensch kann nicht ungestraft so tiefgreifende Veränderungen an der Natur vornehmen. „Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht (...) Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns"[1]. Heute, oder besser gesagt in den letzten Jahrzehnten, können wir beobachten, wie die Natur nach 140 Jahren rücksichtsloser Ausplünderung durch das Kapital beginnt, sich im globalen Maßstab zu "rächen".
Die durch die Zerstörung der Natur in Gang gesetzten Prozesse treffen die Gesellschaft wie ein Bumerang in Form einer raschen Zunahme von Naturkatastrophen mit lang anhaltenden und immer verheerenderen Auswirkungen.
Unter kapitalistischen Bedingungen muss jede Kapitaleinheit unter dem Druck der Konkurrenz mit anderen Kapitalien akkumulieren und expandieren. Es muss so effizient wie möglich produzieren, mit der höchsten Produktivität und den geringstmöglichen Kosten. Jede Tätigkeit des Kapitals ist ständig auf die Steigerung des Profits und die Erhöhung der Ausbeutung der Natur ausgerichtet: Arbeitskraft, Boden, Rohstoffe usw. Die Rentabilität ist der Anfang und das Ende jeder kapitalistischen Unternehmung. Im Kapitalismus geht es nicht um die Schaffung von mehr nützlichen Produkten ("Gebrauchswerte"), sondern um die Ausweitung der Warenproduktion um des Profits willen. Das Kapital hat die Steigerung des Produktionsvolumens, die Ausdehnung des Marktes und die Reproduktion des Wertes auf erweiterter Stufenleiter zum Selbstzweck gemacht. Und je mehr das Kapital akkumuliert hat, desto mehr kann es akkumulieren. Akkumulation um der Akkumulation willen, Produktion um der Produktion willen, das ist es, was den Kapitalismus kennzeichnet. Die ewige Fortsetzung eines jeden Produktionszyklus in immer größerem Maßstab wird schließlich in der Dekadenz des Kapitalismus zu einer völlig irrationalen und sogar zerstörerischen Logik.
Für das Kapital ist die Natur ein "kostenloses Geschenk", sie hat keinen Preis, sie dient nur der Entdeckung und Förderung von Rohstoffen, sie hat keine Kosten. Aus kapitalistischer Sicht ist die Natur ein Rohstofflager, das nach Herzenslust geplündert werden kann. Deshalb werden in den Bilanzen der kapitalistischen Unternehmen alle Kosten genau aufgeführt (Transport, Maschinen, Arbeit usw.), nicht aber die Schäden, die der Natur durch den kapitalistischen Produktionsprozess zugefügt werden. Manchmal werden Schäden an der Natur repariert, aber meistens nicht von der Firma, die sie verursacht hat.
In der Zeit der Dekadenz des Kapitalismus und insbesondere aufgrund der Erfordernisse der Kriegswirtschaft ist jeder Nationalstaat gezwungen, seinen Griff auf die Gesellschaft zu verstärken und immer mehr Bereiche des Wirtschaftslebens seiner direkten Kontrolle zu unterwerfen. Der Staatskapitalismus wurde zum vorherrschenden Charakteristikum und hat das Privatkapital mehr und mehr in seine Zwangsjacke gesperrt. Heute ist das gesamte Kapital einer Nation um den Staatsapparat konzentriert. Auf diese Weise wird der gnadenlose Wettbewerb zwischen privaten Unternehmen zum großen Teil vom Verdrängungswettbewerb zwischen den Nationalstaaten absorbiert und in einen solchen umgewandelt.
Was hat das mit dem Problem der globalen Erwärmung zu tun? Es bedeutet, dass die wichtigsten Entscheidungen im Kampf gegen die globale Erwärmung nicht von den Entscheidungen des privaten Kapitals abhängen, sondern von der Politik der Nationalstaaten. Und die Bilanz der Politik der Nationalstaaten zum Schutz des Klimas ist nicht positiv. Im Gegenteil: Schon in der Zeit der imperialistischen Blöcke bis 1989, als die Nationen unter dem Joch des Blockführers standen und zur Zusammenarbeit gezwungen waren, erwies sich die Bourgeoisie als unfähig, etwas Substanzielles zu tun, um die weitere Zerstörung der Natur zu verhindern. Aber in der gegenwärtigen Phase des Zerfalls des Kapitalismus, in der der Zusammenhalt der Blöcke nicht mehr existiert und die Beziehungen zwischen den Nationen von "Jedem für sich", zunehmenden Fliehkräften und wachsendem militärischen Chaos beherrscht werden, ist es nur noch schlimmer geworden: Alle Bemühungen, eine gemeinsame Politik zum Schutz des Klimas vor der Erwärmung und zur Verhinderung immer dramatischerer Wetterkatastrophen zu beschließen, sind illusorisch geworden. Heute deuten alle Tendenzen auf ein zunehmendes politisches Chaos hin, in dem jeder Versuch, einen globalen Konsens zwischen den Nationalstaaten herzustellen, auch wenn sie sich als "sozialistisch" präsentieren, der Traum der linken Fraktionen der Bourgeoisie, zum Scheitern verurteilt ist. Und alle internationalen Konferenzen zum "Schutz" der Natur in den letzten dreißig Jahren zeugen von diesem Scheitern.
Die Zerstörung der Natur bis zu dem Punkt, an dem sie sich nicht mehr wirklich erholen kann, ist direkt mit dem Kapitalismus verbunden. Der Kapitalismus ist absolut unfähig, die ökonomischen Gesetze (Expansions-, Konzentrations- und Profitstreben) zu ändern, die für die immer größere Naturzerstörung verantwortlich sind. Die bürgerliche Gesellschaft "gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor"[2]. Der Temperaturanstieg und die globale Erwärmung sind der kapitalistischen Produktionsweise inhärent. Das bedeutet, dass die kapitalistische Produktionsweise abgeschafft werden muss, um diese katastrophale Dynamik zu stoppen. Es ist nicht nötig, sich hier mit den zahlreichen düsteren, aber realistischen Prognosen oder den verschiedenen Untergangsszenarien zu befassen, die uns erwarten, wenn der Temperaturanstieg nicht gestoppt wird.
Es gibt viel Material im Internet, in Zeitschriften und Büchern und natürlich auf unserer Website, z. B. den Artikel "Die Welt am Rande einer Umweltkatastrophe [55]" (IKSonline November 2008). Eines sollte jedoch erwähnt werden, nämlich die Tatsache, dass wir uns schnell dem Punkt nähern, an dem es kein Zurück mehr gibt. Wir stehen gefährlich kurz vor dem Auftreten von "Rückkopplungseffekten", bei denen die Kohlenstoff- und Methanemissionen aus auftauenden Torfgebieten und dem arktischen Permafrost, die die Atmosphäre 20-mal stärker erwärmen können als Kohlenstoff, so schnell ansteigen, dass sie nicht mehr aufzuhalten sind und die globale Erwärmung selbst dann weitergehen würde, wenn alle menschlichen Emissionen gestoppt würden.
Die Kriegsindustrie verursacht hohe Umweltbelastungen. Man schätzt, dass die Emissionen der Armeen und der sie beliefernden Industrien für etwa 5 % der weltweiten Emissionen verantwortlich sind, mehr als der Luft- und Schiffsverkehr zusammen. Allein das US-Militär stößt pro Jahr mehr Treibhausgase aus als Länder wie Spanien, Portugal oder Schweden und so viel wie die jährlichen Emissionen von 257 Millionen Autos. Das Cost of War Research Project in Boston hat errechnet, dass sich die Emissionen aller US-Militäroperationen von 2001 bis 2017 auf etwa 766 Millionen Tonnen CO2 belaufen. Im Februar 2022 veröffentlichte die US-Armee ihre erste Klimastrategie (ACS), die darauf abzielt, ihre Emissionen bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren, beispielsweise durch die Elektrifizierung ihrer Kampffahrzeuge und nicht-taktischen Fahrzeuge, durch die Versorgung ihrer Stützpunkte mit kohlenstofffreiem Strom und durch die Entwicklung sauberer globaler Lieferketten. Für eine Institution, die regelmäßig Zehntausende von Kilotonnen Kohlendioxid pro Jahr freisetzt und die durch Stoffe wie Agent Orange, Raketentreibstoff und giftigen Feuerlöschschaum für die giftigste Umweltverschmutzung verantwortlich ist, ist dieser Plan absolut heuchlerisch. Er ist ein perfektes Beispiel für die Greenwashing-Kampagne der US-Armee: völlig unzureichend und ein Ablenkungsmanöver.
Der Militarismus vergiftet weiterhin den Planeten und trägt zur globalen Erwärmung bei. Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Umwelt sind bereits katastrophal. Es gibt Hinweise auf eine starke Luftverschmutzung und Treibhausgasemissionen, die auf die intensiven und andauernden Kämpfe zurückzuführen sind. Russische Raketen griffen eine Reihe von Öl- und Gasanlagen in der Ukraine an. Die daraus resultierenden Brände führten zu starken Emissionen. Allein in den ersten fünf Wochen des Krieges wurden 36 russische Angriffe auf die Infrastruktur für fossile Brennstoffe registriert, die zu lang anhaltenden Bränden führten, bei denen Rußpartikel, Methan und Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangten. Die ukrainische Armee schlug zurück und setzte die Ölinfrastruktur auf russischer Seite in Brand.
Und das ist noch nicht alles. Beide Seiten schrecken nicht davor zurück, das Kernkraftwerk von Saporischschja, das größte in Europa, als Ziel ihrer militärischen Auseinandersetzungen zu nutzen. Die vier Hochspannungsleitungen, die das Kraftwerk mit Strom aus dem Ausland versorgen müssen, um das Sicherheits- und Kühlsystem usw. zu betreiben, werden systematisch mit Granaten beschossen. So sagte der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde am 9. September, dass das Risiko eines nuklearen Unfalls im Kraftwerk "erheblich gestiegen" sei. Jede weitere Zerstörung der Infrastruktur rund um das Kraftwerk könnte bereits immense Folgen haben, bis hin zu einer nuklearen Katastrophe vom Ausmaß von Fukushima.
Die westeuropäischen Länder haben sich darauf geeinigt, keine fossilen Brennstoffe mehr aus Russland zu beziehen. Wouter De Vriendt von der Grünen Partei sprach im belgischen Parlament von einer großen Chance, "sich von fossilen Brennstoffen zu befreien". Doch die Realität sieht ganz anders aus. Der Krieg in der Ukraine wird keinen Durchbruch bei der Umstellung auf sauberere Energie bedeuten. Russisches Gas und Öl werden durch fossile Brennstoffe ersetzt, von denen einige sogar noch umweltschädlicher sind, wie die Förderung von Schiefergas und Braunkohle.
Deutschland, Österreich und die Niederlande haben scheinheilig die Aufhebung von Beschränkungen für fossile Kraftwerke angekündigt und die Laufzeit von einem Dutzend Kohlekraftwerken verlängert, die bis 2030 geschlossen werden sollten. In Wirklichkeit nutzen die westlichen Länder den Krieg in der Ukraine als Alibi, um ihre eigene fossile Energiewirtschaft zu stärken.
Der Begriff Degrowth wurde erstmals 1972 formuliert, als André Gorz die Frage nach dem Verhältnis von Wachstum und Kapitalismus stellte. Die Degrowth-Bewegung selbst entstand etwa 30 Jahre später. Im Jahr 2002 veröffentlichte die französische Zeitschrift "Silence" eine Sonderausgabe zum Thema Degrowth, die in der Öffentlichkeit große Beachtung fand. Im Jahr 2008 fand in Paris die erste internationale Degrowth-Konferenz für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit statt. Dies gab der Bewegung einen echten Impuls, und in der Folge wurden mehrere wichtige Publikationen veröffentlicht. Es gibt keine klar definierte Degrowth-Ideologie. Ein Punkt, der von der gesamten Bewegung unterstützt wird, ist die Tatsache, dass dem Wachstum Grenzen gesetzt sind, und daher das Ziel, quantitatives Wachstum durch qualitatives Wachstum oder Entwicklung zu ersetzen. Degrowth, so heißt es, könne auf vielerlei Weisen erreicht werden, aber gängige Vorschläge sind die Einstellung der Produktion von nutzlosen Konsumgütern, von Gütern mit eingebauter Obsoleszenz oder von Gütern, die nicht repariert werden können, der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, die Ersetzung des Individualverkehrs durch öffentliche Verkehrsmittel, die Demontage der Rüstungsindustrie und des militärisch-industriellen Komplexes, usw. Diese Vorschläge sind an sich sehr sinnvoll. Die Frage ist, ob sie jemals im Rahmen des Kapitalismus umgesetzt werden können. Sie "beruhen auf einer sehr zutreffenden Beobachtung: Im kapitalistischen System wird nicht für die Bedürfnisse der Menschheit produziert, sondern für den Profit, und dabei wird nicht nur kein Wohlstand geschaffen (ganz im Gegenteil), sondern auch der Planet zerstört. Die Lösung besteht für die Befürworter des Degrowth daher darin, besser und weniger zu konsumieren. (...) Aber die Degrowth-Theorie berührt nur einen Teil des Problems und das auch nur oberflächlich; sie trifft nicht den Kern der Sache"[3].
Auch innerhalb der ökologischen Bewegung gibt es Strömungen, die dies verstanden haben und argumentieren, dass der Kapitalismus die Klimakrise verursacht und dass "jede echte Alternative zu dieser perversen und zerstörerischen Dynamik radikal sein muss – das heißt, sie muss sich mit den Wurzeln des Problems befassen: dem kapitalistischen System. (...) Ökosozialistisches Degrowth ist eine solche Alternative“[4]. Natürlich stimmen wir zu, dass der Kapitalismus das Problem der globalen Erwärmung nicht lösen kann, weil es in der Logik seines Systems liegt. Daher muss der Kapitalismus selbst abgeschafft werden.
Aber die tatsächlichen Vorschläge dieser "Ökosozialisten" zur Schaffung der notwendigen Bedingungen für die Abschaffung des Kapitalismus sind alles andere als radikal. Während sie für die "soziale Aneignung der wichtigsten (Re-)Produktionsmittel"[5] plädieren, bleibt völlig im Dunkeln, wer sich diese (Re-)Produktionsmittel aneignen soll. Das Volk, wie es vorgeschlagen wird? Aber in der Klassengesellschaft gibt es das "Volk" als Kategorie nicht oder nur als Abstraktion. Und es ist unmöglich, die Produktionsmittel einem Abstraktum zuzuschreiben. Die einzige Schlussfolgerung, die bleibt, ist, dass sie vom Staat übernommen werden sollen, dessen Zerstörung die "Ökosozialisten" nicht vorsehen.
So ist die Formulierung, dass "die Hauptentscheidungen über die Prioritäten von Produktion und Konsum von den Menschen selbst getroffen werden", vor allem ein Deckmantel für die grundsätzliche demokratische Gesinnung der Autoren, die nicht über die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise hinausgeht. Trotz ihrer "radikalen" Sprache ist die Ideologie des Ökosozialismus ein hervorragendes Instrument, um echte Besorgnis über die Klimakrise von der Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse weg in die Sackgasse der unmöglichen Reform der bestehenden Ordnung zu führen.
Aber schlimmer noch, die Idee des "Degrowth" unter einem staatskapitalistischen Regime kann auch als ideologische Rechtfertigung für weitere Angriffe auf die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen dienen. Sie könnte benutzt werden, um an die Lohnabhängigen zu appellieren, ihren Konsum im Namen einer staatlichen "Pro-Umwelt"-Politik zu reduzieren. Letztlich würde dies nur zu noch mehr Sparpolitik führen. Der Kapitalismus kann nicht reformiert werden. Er ist ein moribundes Ausbeutungssystem, das die Menschheit mit in den Abgrund reißt. Daher wird jeder echte Kampf gegen die weitere Zerstörung der Natur unmöglich sein, solange der Kapitalismus den Planeten beherrscht. Die wirkliche Veränderung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur kann nur unter der Diktatur des Proletariats in Angriff genommen werden. Das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur "kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln"[6].
Dennis, Oktober 2022
[1] Friedrich Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, MEW Bd. 20 S. 452 f.
[2] Karl Marx, Friedrich Engels, Kommunistisches Manifest
[3] Journée de discussion à Marseille: un débat ouvert et fraternel sur “un autre monde est-il possible ?” [56], ICConline 2008 (fr.internationalism.org)
[4] For an Ecosocialist Degrowth [57], Michael Löwy, Bengi Akbulut, Sabrina Fernandes and Giorgos Kallis (Monthly Review, 01.04.2022)
[5] Ibid.
[6] Karl Marx, Das Kapital, Band 3, Kapitel „Die trinitarische Formel“ (MEW Bd. 25 S. 828)
Als russische Truppen in die Ukraine einmarschierten, erklärte Präsident Biden in seiner Rede am 24. Februar: "Putin hat einen Angriff auf die Grundsätze begangen, die den Weltfrieden schützen". Die Welt sei also mit der Tragödie eines neuen Krieges konfrontiert, der auf den Wahnsinn eines einzelnen Mannes zurückzuführen sei. Diese Propaganda, die die Ukraine und den "Westen" als Opfer darstellt, die nur für den "Frieden" arbeiteten, ist eine Lüge.
In Tat und Wahrheit ist dieser mörderische Konflikt ein reines Produkt der Widersprüche einer krisengeschüttelten kapitalistischen Welt, einer Gesellschaft, die am Boden liegt und unter der Herrschaft des Militarismus steht. Der gegenwärtige Krieg ist, wie alle Kriege in der Dekadenz des Kapitalismus, das Ergebnis eines dauernden imperialistischen Kräftemessens, das alle Protagonisten betrifft, ob klein oder groß, ob sie nun direkt oder indirekt in diesen Konflikt verwickelt sind[1]. In dem zynischen Kampf innerhalb dieses weltweit bestehenden Krabbenkäfigs stehen die Vereinigten Staaten als einzige Supermacht an der Spitze der Barbarei und zögern nicht, Chaos und Elend zu verbreiten, um ihre schäbigen Interessen zu verteidigen und den unvermeidlichen Niedergang ihrer Führung zu verlangsamen.
Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die Vereinigten Staaten parallel zu ihrem Bestreben, ihre ehemaligen Verbündeten im westlichen Block zu halten, nie ihre Strategie aufgegeben, die Länder zu absorbieren, die Teil des von der UdSSR geführten Blocks gewesen waren. So wurde bereits am 15. Februar 1991 die Visegrad-Gruppe gegründet, die sich aus ehemaligen osteuropäischen Ländern (Polen, Ungarn, Tschechoslowakei) zusammensetzt, um deren Integration in die NATO und Europa zu fördern. Dieser Druck veranlasste die europäischen Mächte, ihre große Sorge zum Ausdruck zu bringen, Russland nicht zu "demütigen". Dieser Ton verriet bereits eine latente Herausforderung gegenüber den Vereinigten Staaten.
Während der Fall der Berliner Mauer symbolisch das Ende des Kalten Krieges ankündigte, sollte ein neuer Krieg, der erste Golfkrieg, der von den Vereinigten Staaten initiiert wurde[2], einen Vorgeschmack auf das Chaos des kommenden Jahrhunderts geben. Es handelte sich keineswegs um einen "Krieg um Öl", sondern darum, dass die amerikanische Macht nach dem Bankrott des gemeinsamen Feindes (der UdSSR) direkten Druck auf ihre mächtigsten ehemaligen Verbündeten ausübte, um sie unter ihrem Joch zu halten, indem sie sie in dieses barbarische militärische Abenteuer verwickelte.
Da die Welt nicht mehr in zwei disziplinierte imperialistische Lager geteilt war, hielt ein Land wie der Irak es für möglich, einen ehemaligen Verbündeten desselben Blocks, Kuwait, zu übernehmen. Die Vereinigten Staaten starteten an der Spitze einer Koalition von 35 Ländern eine tödliche Offensive, die darauf abzielte, jede künftige Versuchung zur Nachahmung der Handlungen von Saddam Hussein zu unterbinden.
So war die Operation "Wüstensturm", die von einer "internationalen Koalition" gegen den Irak durchgeführt wurde, in Wirklichkeit eine Operation des amerikanischen Imperialismus, die darauf abzielte, seine ehemaligen Verbündeten, die seine Führung in Frage stellen könnten, "zur Strecke zu bringen", indem er sich als einziger "Weltpolizist" behauptete. All dies um den Preis von mehreren hunderttausend Toten.
Der Sieg von Präsident Bush senior, der "Frieden, Wohlstand und Demokratie" versprach, konnte diese Illusion natürlich nicht lange aufrechterhalten. Die scheinbare Stabilität, die um den Preis von Eisen und Blut errungen wurde, war nur vorübergehend und bestätigte die Vereinigten Staaten als "Weltpolizisten", doch sie enthielt den Keim für wachsende Widersprüche und Spannungen.
Hatte der Golfkrieg die ersten Versuche einer offenen Opposition gegen die amerikanische Politik vorübergehend im Keim erstickt, so kamen sie bald darauf zum Ausdruck, insbesondere im Konflikt im ehemaligen Jugoslawien (von 1991 bis 2001). Anfang der 1990er Jahre stand die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl, die die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens vorantrieb und unterstützte, um Deutschland Zugang zum Mittelmeer zu verschaffen, in direkter Opposition zur amerikanischen Macht, aber auch zu den Interessen Frankreichs und des Vereinigten Königreichs. Durch seine mutigen Initiativen leitete Deutschland den Prozess ein, der zur Explosion Jugoslawiens führen sollte.
Angesichts der offenen Herausforderung ihrer Autorität waren die Vereinigten Staaten nicht untätig. Bereits im Sommer 1995 starteten sie eine umfassende Gegenoffensive, wobei sie sich auf ihr wichtigstes Kapital stützten: ihre militärische Macht. Die Vereinigten Staaten stellten ihre eigene bewaffnete Truppe, die Implementation Force (IFOR), auf, wobei sie die UNO und die europäischen Truppen verdrängten und damit ihre überwältigende Überlegenheit und ihre beeindruckende Logistik unter Beweis stellten. Diese Demonstration der Stärke, diplomatisch gesteuert unter der Autorität von Bill Clinton, zwang die Europäer im November 1995, das Dayton-Abkommen zu unterzeichnen. Auch hier hinterließ der Konflikt Tausende von Opfern.
Natürlich wurden diese Abkommen, die unter den von den Vereinigten Staaten auferlegten Bedingungen unterzeichnet wurden, durch den Druck von Waffen und einer aggressiven Diplomatie, die vor allem die Spaltungen zwischen den europäischen Staaten ausnutzte, von denselben Staaten weiter sabotiert. So hat Deutschland auf dem Balkan, vor allem in Bosnien, immer wieder auf die Bremse getreten und diplomatische Annäherungen begünstigt, die Washington verärgerten, insbesondere durch seine Verbindungen zur türkischen und zur iranischen Regierung.
Selbst im Nahen Osten, einer traditionellen Domäne von Uncle Sam, konnten die europäischen Rivalen die amerikanische Politik allmählich behindern. Eine solche Herausforderung hat auch die treuesten Gefolgsleute der Vereinigten Staaten erreicht, angefangen bei Israel, vor allem nach der Machtübernahme von Netanjahu im Jahr 1996, als das Weiße Haus auf den Labour-Politiker Schimon Peres setzte. Auch Saudi-Arabien zeigte immer offener seinen Widerstand gegen das amerikanische Diktat in der Region.
Nur wenige Monate nach der erfolgreichen Gegenoffensive im ehemaligen Jugoslawien musste Uncle Sam eine Reihe von Rückschlägen hinnehmen. In allen strategischen Zonen des Planeten wurden die amerikanischen Interessen mehr und mehr durchkreuzt. Angesichts der zunehmenden Entwicklung des Jeder-gegen-jeden schrieb die IKS:
"Auch wenn die Vereinigten Staaten dank ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Macht eine Stärke haben, die der Führer des Ostblocks nie hatte, kann in gewisser Hinsicht eine Parallele zwischen der gegenwärtigen Situation der Vereinigten Staaten und der Situation der untergegangenen UdSSR in den Tagen des Ostblocks gezogen werden. Wie die UdSSR können sie ihre Vorherrschaft nur durch die wiederholte Anwendung roher Gewalt aufrechterhalten, was immer Ausdruck einer historischen Schwäche ist. Diese Verschärfung des "Jeder für sich" und die Sackgasse, in der sich der "Weltpolizist" befindet, ist lediglich ein Spiegelbild der historischen Sackgasse der kapitalistischen Produktionsweise. In diesem Zusammenhang können die imperialistischen Spannungen zwischen den Großmächten nur eskalieren, Zerstörung und Tod über immer größere Gebiete des Planeten bringen und das entsetzliche Chaos, das bereits das Los ganzer Kontinente ist, noch weiter verschlimmern"[3].
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte sich das, was wir Mitte der 1990er Jahre erklärt hatten, weitgehend bestätigt. Mit den tödlichen Anschlägen vom 11. September 2001 in New York wurden die Vereinigten Staaten sogar zum ersten Mal in ihrer Geschichte auf eigenem Boden getroffen. Der schreckliche und symbolträchtige Einsturz der Zwillingstürme markierte eine neue Dimension in der Entwicklung des kapitalistischen Schreckens und Chaos. Aber diese Anschläge waren für die Vereinigten Staaten auch eine hervorragende Gelegenheit, ihre imperialistischen Interessen durch einen überstürzten Kriegseintritt zu verteidigen. Auch hier sollte sich die amerikanische Politik immer mehr auf massive Vergeltungsmaßnahmen und mörderische Militäroperationen einlassen, um im Namen des "Kampfes gegen den Terrorismus" zu versuchen, ihre Autorität aufrechtzuerhalten. Die Regierung von George W. Bush Junior begann mit ihren Streitkräften rasch mit Luftangriffen gegen Al-Qaida und die Taliban in Afghanistan, ein Unterfangen, das damals von den ehemaligen Verbündeten unterstützt wurde.
Doch schon bald wurde der von Washington geplante neue Kreuzzug gegen die "Achse des Bösen" im Irak zum Gegenstand heftiger und wachsender Kritik. Indem sie 2003 die Verbreitung falscher Informationen über Saddam Husseins "Massenvernichtungswaffen" förderten, um die Unterstützung der Bevölkerung und der ehemaligen Partner zu gewinnen, sahen sich die Vereinigten Staaten bei ihrer neuen Kriegsoperation zunehmend isoliert[4]. Frankreich stellte sich diesmal offen gegen die Vereinigten Staaten und machte sogar von seinem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat Gebrauch.
Mit dieser neuen Machtdemonstration der USA, die den Terrorismus beseitigen und den Niedergang ihrer Führungsrolle aufhalten sollte, wurde die Büchse der Pandora geöffnet, und die darauf folgenden Anschläge in der ganzen Welt konnten nur die Irrationalität dieser militärischen Unternehmungen unterstreichen, die in Wirklichkeit dieselbe infernalische Spirale anheizten und den Widerstand, das Chaos und die Barbarei verstärkten.
Die Vereinigten Staaten setzten auch ihre entschlossene Politik gegenüber dem Osten mit den Reisen von Außenministerin Condoleezza Rice zur Förderung von "Wandel" und "Demokratie" fort. Ihre Arbeit sollte Früchte tragen. Im Jahr 2003 setzte der amerikanische Imperialismus seine Marionetten im Kaukasus ein, indem er die "Rosenrevolution" in Georgien unterstützte, die zum Sturz des pro-russischen Schewardnadse führte und ihn durch eine pro-amerikanische Clique ersetzte. Auch die "Tulpenrevolution" in Kirgisistan im Jahr 2005 war Teil dieser Strategie. Russlands Herzstück, die Ukraine, befand sich bereits im Griff der politischen Spannungen. Bei der "Orangenen Revolution" von 2004 wie auch bei der von 2014 ging es nicht um einen sogenannten "Kampf für Demokratie", sondern um ein strategisches Ziel im Spiel der NATO und der Großmächte, um Einfluss zu gewinnen[5].
Doch selbst mit massivem militärischem Druck und dem zunehmenden Einsatz von Waffen war der amerikanische Imperialismus nicht in der Lage, die Herausforderung seiner Führungsrolle zu beseitigen. Die Vereinigten Staaten sind weit davon entfernt, "Frieden und Wohlstand" zu sichern, und haben sich in allen wichtigen strategischen Punkten, die sie zu ihrem eigenen Vorteil stabilisieren und verteidigen wollten, festgefahren.
Der Rückzug der Amerikaner aus dem Irak im Jahr 2011 hat die Entwicklung des "Jeder für sich" noch verstärkt, während der Bürgerkrieg in Syrien zur Explosion des Chaos in einer völlig unkontrollierbar gewordenen Region der Welt beigetragen hat. Auch der Abzug aus Afghanistan im Jahr 2021 wurde von einer unüberwindbaren Unordnung begleitet, die die Taliban an die Macht brachte. Jede dieser Operationen, die darauf abzielen, die "Ordnung" der Pax Americana durchzusetzen, hat das Chaos und die Barbarei nur noch verstärkt und die Vereinigten Staaten dazu gezwungen, ihre Militäraktionen fortzusetzen.
Diese Misserfolge allein sind nicht der Grund für den Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak und Afghanistan[6]. Vielmehr kündigte Außenministerin Hillary Clinton 2011 einen "strategischen Schwenk nach Asien" an, welchen Worten Taten folgen sollten. Weit entfernt von einem vermeintlichen "Rückzug" aus dem Weltgeschehen wurde diese politische Ausrichtung des Mandats von Barack Obama von Donald Trump mit dem Slogan "America First" weitergeführt. Während China in der Vergangenheit eine zweitrangige Position in der Weltarena einnahm, hat es allmählich den Charakter eines echten Herausforderers angenommen, der eine amerikanische Bourgeoisie, die entschlossen ist, ihren Status als Weltmarktführer aufrechtzuerhalten, immer offener beunruhigt und bedroht. Angesichts des Machtzuwachses Chinas wurde das Ziel klar formuliert: "Asien in den Mittelpunkt der amerikanischen Politik zu stellen", was die Fraktion um Joe Biden weiterverfolgen und verstärken musste. Doch diese Neupositionierung hat die anderen großen Krisenherde keineswegs "im Stich gelassen", sondern dem amerikanischen Imperialismus neuen Schwung verliehen. Der Eindruck des "Rückzugs" veranlasste einige der Rivalen der USA dazu, eigene imperialistische Unternehmungen zu starten, bei denen Uncle Sam nicht mehr präsent war. Viele, wie Russland, zahlen einen hohen Preis für diese Unterschätzung! Mit der Entsendung seiner Truppen zu einer lächerlichen militärischen Invasion in der Ukraine wollte Russland den Würgegriff schwächen, in dem es nun mehr und mehr erstickt. Damit tappte es in eine von der amerikanischen Bourgeoisie aufgestellte Falle[7]. In Wirklichkeit entspricht der amerikanische Rückzug aus Afghanistan einer globalen Vision, einer längerfristigen Sichtweise, die von dem Wunsch diktiert wird, China einzudämmen, das sich zu einer imperialistischen Großmacht entwickelt hat, die seine vitalen Interessen bedroht. Die gegenwärtige Offensive der Vereinigten Staaten, der Druck, den sie auf die europäischen Länder ausüben, die spektakuläre Gegenoffensive der Ukraine, die auf die ausgeklügelte logistische und materielle Unterstützung zurückzuführen ist, oder die Aufrechterhaltung des diplomatischen Drucks auf den Iran (in Bezug auf das Atomprogramm) und auf den afrikanischen Kontinent mit den Reisen ihres Chefdiplomaten Antony Blinken angesichts der Begehrlichkeiten Russlands und Chinas sind daher alle Teil des Kampfes der USA gegen den historischen Niedergang ihrer Führung.
Indem sie Chinas "Seidenstraßen" nach Europa durch den Krieg in der Ukraine und durch die weitere Kontrolle der Seewege im Südpazifik vereitelt haben, ist es den Vereinigten Staaten vorläufig gelungen, China zu zwingen, seine Ambitionen nur auf dem Landweg und in einem begrenzten Gebiet auszuweiten. In dem Bewusstsein, dass China bei weitem nicht in der Lage ist, mit seiner militärischen Macht mitzuhalten, versuchen die Vereinigten Staaten, aus dieser Schwäche Kapital zu schlagen, den Druck aufrechtzuerhalten und sich sogar Provokationen wie die sehr politische und symbolische Reise der Demokratin Nancy Pelosi nach Taiwan zu erlauben. Dieser beispiellose Affront, der die relative Ohnmacht Chinas offenbart, könnte sich in Zukunft wiederholen und Peking vielleicht zu gefährlichen militärischen Abenteuern treiben.
Aus diesen Entwicklungen, die mit den Bemühungen des amerikanischen Imperialismus zusammenhängen, können wir einige Lehren ziehen:
- Das Motiv für das Handeln des amerikanischen Imperialismus, wie auch das aller anderen Großmächte, beruht keineswegs auf rationalen Erwägungen oder gar auf der bloßen Suche nach unmittelbarem wirtschaftlichem Gewinn, sondern auf der Verteidigung seiner Position in einer Welt, die immer chaotischer wird und damit den Griff nach Chaos und Zerstörung verstärkt.
- Um dieses zunehmend irrationale Ziel zu erreichen, zögern die Vereinigten Staaten nicht, Chaos in Europa zu säen, wie man an der Falle sehen kann, die sie Russland gestellt haben, an den hochentwickelten Waffen und der militärischen Hilfe, die sie der Ukraine geben, um den Krieg aufrechtzuerhalten, um ihren russischen Rivalen zu erschöpfen.
- Um seine Position zu verteidigen, ist die einzige verlässliche Kraft offensichtlich: diejenige der Waffen. Das zeigt der gesamte Weg von Uncle Sam in den letzten Jahrzehnten, in denen er zur Speerspitze des Militarismus, des Alleingangs und des Kriegschaos geworden ist. Schon jetzt erleben wir das größte Chaos in der Geschichte der menschlichen Gesellschaften.
In seiner letzten Phase des Zerfalls stürzt der Kapitalismus die Welt in die Barbarei und führt unaufhaltsam in die Massenverwüstung. Diese schreckliche Situation und der Schrecken des Alltags zeigen uns, wie viel auf dem Spiel steht und wie viel Verantwortung die Arbeiterklasse der Welt trägt. Heute steht das Überleben der menschlichen Gattung auf dem Spiel.
WH, 15. September 2022
[1] Für weitere Erklärungen siehe Militarismus und Zerfall (Mai 2022) [58], in Internationale Revue Nr. 58
[2] Siehe Krieg am Golf: Kapitalistische Massaker und Chaos, in International Review Nr. 65 (1992, engl./frz./span. Ausgabe)
[3] Imperialistische Konflikte: "Jeder für sich" und die Krise der amerikanischen Führung, in International Review Nr. 87 (1996, engl./frz./span. Ausgabe)
[4] Abgesehen von der Unterstützung Großbritanniens war keine größere Militärmacht an der Seite der amerikanischen Truppen an diesem Konflikt beteiligt.
[5] Die Massen, die Viktor Juschtschenko unterstützten oder sich hinter Viktor Janukowitsch stellten, waren nur Spielfiguren, die manipuliert wurden und sich im Namen dieser oder jener imperialistischen Ausrichtung hinter die eine oder andere rivalisierende bürgerliche Fraktion stellten.
[6] Wie die Ermordung des Al-Qaida-Führers Ayman Al-Zawahiri am 31. Juli 2022 zeigt, haben die Vereinigten Staaten zudem keineswegs aufgegeben, die Lage in diesem Land zu beeinflussen. Die Behauptungen der USA, sie seien der Bannerträger des Friedens und einer regelbasierten Weltordnung, sind nichts als Lügen, um ihre wahren imperialistischen Pläne zu verbergen.
[7] Siehe Die Bedeutung und die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine [42], in Internationale Revue Nr. 58
Der Kapitalismus wird mehr und mehr durch eine ganze Reihe von Widersprüchen, die seiner Existenzweise inhärent sind, erdrosselt, die nun ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken und die Gesellschaft in nie gekanntem Ausmaß und mit nie gekannter Häufigkeit bedrohen.
Angesichts dieser Katastrophen war die Bourgeoisie stets darauf bedacht, alle Erklärungen, die die Frage nach der Verantwortung des Systems selbst aufwerfen, zu verwerfen und zu diskreditieren. Das Ziel der herrschenden Klasse ist es, der Arbeiterklasse die wahre Ursache von Kriegen, Weltunruhen, Klimawandel, Pandemien und der Weltwirtschaftskrise zu verheimlichen.
Die Überproduktion wurde von Marx als Ursache der zyklischen Krisen des Kapitalismus im 19. Jahrhundert identifiziert[1]. Das Kommunistische Manifest verkündete bereits 1848, "In der Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre – die Epidemie der Ueberproduktion.“ In der Periode des aufsteigenden Kapitalismus wirkte dieser Widerspruch jedoch als Faktor für die weltweite Ausbreitung des Kapitalismus durch die Suche nach Märkten, die als Absatzmärkte für die Produktion der industrialisierten Mächte dienen sollten.
In der Periode der Dekadenz hingegen ist die Überproduktion die Ursache für die wirtschaftliche Sackgasse, die durch die große Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, die immer tieferen Rezessionen, die seit Ende der 1960er Jahre aufeinander folgten, aber auch durch die schwindelerregende Entwicklung des Militarismus gekennzeichnet ist, denn "angesichts der totalen wirtschaftlichen Sackgasse und des Scheiterns der brutalsten wirtschaftlichen 'Heilmittel' bleibt der Bourgeoisie nur die Flucht nach vorn mit anderen Mitteln, die immer illusorischer werden und die nur militärische Mittel sein können."[2]
Tragische Beispiele für diese Sackgasse: zwei Weltkriege und seit dem Ersten eine fast ununterbrochene Reihe von lokalen Kriegen zwischen Staaten.
Die Ursache der Überproduktion wurde von Marx im Kommunistischen Manifest aufgezeigt. Angetrieben von der Konkurrenz, die sich unter Androhung des Untergangs immer weiter ausdehnt, neigt die Produktion ständig dazu, sich auszudehnen, überschüssig zu werden, und zwar nicht im Verhältnis zu den wirklichen Bedürfnissen der Menschen, sondern im Verhältnis zur Kaufkraft der lohnabhängigen oder arbeitslosen Proletarisierten. Die ProletarierInnen bilden nur so lange einen Absatzmarkt für die kapitalistische Produktion, wie die Reproduktion ihrer Arbeitskraft dies notwendig macht[3]. Die Bezahlung der Arbeiter über diese Notwendigkeit hinaus würde zwar die Überproduktion verringern, aber auch der Akkumulation des aus der Lohnarbeit gewonnenen Mehrwerts im Wege stehen.
Es gibt keine Lösung für die Überproduktion im Kapitalismus. Sie kann nur durch die Abschaffung der Lohnarbeit beseitigt werden, was die Errichtung einer Gesellschaft ohne Ausbeutung bedeutet. In unseren öffentlichen Veranstaltungen und in Diskussionen mit Kontakten wurden Fragen und Missverständnisse zu diesem Thema geäußert. Ein Genosse meinte, dass die Überproduktion unter dem Einfluss anderer "umgekehrter" Widersprüche, die zu einer Verknappung bestimmter Waren führen, verringert oder sogar beseitigt werden könnte. In Wirklichkeit sind zwar bestimmte Sektoren der Weltproduktion von Knappheit betroffen, z. B. aufgrund von Lücken in den Lieferketten, andere Sektoren sind jedoch im Wesentlichen weiterhin von Überproduktion betroffen.
Wenn das Räderwerk der Weltwirtschaft nicht ständig von der permanenten und wachsenden Tendenz zur Überproduktion beherrscht wird, dann deshalb, weil die Bourgeoisie massiv auf nicht zurückgezahlte Schulden zurückgegriffen hat, um Nachfrage zu schaffen, was zur Anhäufung einer kolossalen globalen Verschuldung geführt hat, die wie ein Damoklesschwert über der Weltwirtschaft hängt. Die ebenfalls von Marx festgestellte Tendenz zu sinkenden Profitraten stellt ein zusätzliches Hindernis für die Akkumulation dar. Angesichts der Verschärfung der Konkurrenz und um ihre Unternehmen am Leben zu erhalten, sind die Kapitalisten gezwungen, immer billiger zu produzieren. Zu diesem Zweck müssen sie die Produktivität steigern, indem sie immer mehr Maschinen im Produktionsprozess einsetzen (Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals). Das Ergebnis ist, dass jede auf diese Weise produzierte Ware verhältnismäßig weniger lebendige Arbeit (der Teil der Arbeit der ArbeiterInnen, der nicht vom Kapitalisten bezahlt wird) und damit weniger Mehrwert enthält. Dennoch können die Auswirkungen der sinkenden Profitrate durch verschiedene Faktoren kompensiert werden, insbesondere durch die Erhöhung des Produktionsvolumens[4]. Dies stößt aber wiederum, wie bei der Überproduktion, auf die Unzulänglichkeit der Märkte. Wenn die sinkende Profitrate im Leben des Kapitalismus nicht sofort als absolutes Hindernis für die Akkumulation auftrat, so deshalb, weil es in der Gesellschaft immer noch Absatzmärkte gab, zunächst reale und später zunehmend auf dem Wachstum der Weltverschuldung beruhende, die es ermöglichten, sie auszugleichen. Im gegenwärtigen Kontext ist sie in gefährlicher Weise mit der Überproduktion verbunden.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs trat der Kapitalismus in eine neue Phase ein, in seine Dekadenz, in der die gesellschaftlichen Widersprüche die Einrichtung eines Staatskapitalismus erzwangen, dessen Aufgabe es war, den Zusammenhalt der Gesellschaft angesichts dieser Widersprüche zu erhalten:
- Krieg oder Kriegsdrohung, was die Entwicklung des Militarismus und damit der Militärausgaben impliziert;
- die Entwicklung des Klassenkampfes, aber auch die Zunahme der Kriminalität und des Gangstertums, was die Einrichtung verschiedener Repressionsorgane (Polizei, Gerichte usw.) erforderlich macht.
Diese Arten von staatskapitalistischen Ausgaben sind völlig unproduktiv und tragen keineswegs zur Akkumulation bei, sondern stellen eine Sterilisierung des Kapitals dar. Auch hier wurde Unverständnis über die Produktion und den Verkauf von Waffen geäußert, die als Teil des Akkumulationsprozesses angesehen werden und somit dem Krieg eine gewisse Rationalität verleihen. Tatsächlich wird die Vorstellung, dass der Verkauf solcher Waren die Realisierung von Mehrwert impliziert, vom Marxismus abgelehnt. Um sich davon zu überzeugen, muss man sich nur auf Marx berufen: "Ein großer Teil des jährlichen Produkts, das als Revenue verzehrt wird und nicht mehr als Produktionsmittel von neuem in die Produktion eingeht, besteht aus den fatalsten, die jämmerlichsten Gelüste, fancies usw. befriedigenden Produkten (Gebrauchswert) [...] Diese Sorte produktiver Arbeit produziert Gebrauchswerte, vergegenständlicht sich in Produkten, die nur für den unproduktiven Konsum bestimmt, in ihrer Realität, als Artikel, keinen Gebrauchswert für den Reproduktionsprozess haben"[5]. In diese Kategorie fallen alle Luxusartikel, die für die Bourgeoisie bestimmt sind, sowie die Waffen, da die Waffen offensichtlich nicht als Produktionsmittel in den Produktionsprozess zurückkehren. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind die unproduktiven Ausgaben, insbesondere die Militärausgaben, weiter angestiegen, und der gegenwärtige Krieg in der Ukraine hat ihnen einen weiteren Auftrieb gegeben.
Die Inflation ist nicht zu verwechseln mit einem anderen Phänomen im Leben des Kapitalismus, nämlich dem Anstieg der Preise für bestimmte Waren aufgrund eines Mangels an Angebot. Das letztgenannte Phänomen hat aufgrund des Krieges in der Ukraine, der die Versorgung mit einer großen Menge landwirtschaftlicher Erzeugnisse beeinträchtigt hat, eine besondere Bedeutung erlangt. Dies führt bereits zu einer Verschärfung der Armut und des Hungers in der Welt.
Die Inflation gehört nicht zu den der kapitalistischen Produktionsweise innewohnenden Widersprüchen, wie dies beispielsweise bei der Überproduktion der Fall ist. Dennoch ist sie ein ständiges Element in der Periode der kapitalistischen Dekadenz und hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft. Wie der Angebotsmangel äußert sie sich in steigenden Preisen, aber sie ist die Folge des Gewichts der unproduktiven Ausgaben in der Gesellschaft, deren Kosten sich auf die produzierten Waren auswirken: "In den Preis jeder Ware fließen heute neben den Gewinnen und den Kosten für die Arbeitskraft und das konstante Kapital, das in der Produktion eingesetzt wird, immer mehr Ausgaben ein, die für den Verkauf auf einem immer mehr gesättigten Markt unerlässlich sind (von den Gehältern der in der Vermarktung Tätigen bis hin zu dem Betrag, der für die Bezahlung der Polizei, der Funktionäre und der Soldaten des Erzeugerlandes zurückgelegt wird). Im Wert eines jeden Gegenstandes wird der Teil, der die für seine Herstellung notwendige Arbeitszeit verkörpert, immer kleiner im Verhältnis zu dem Teil, der die menschliche Arbeit verkörpert, die für das Überleben des Systems notwendig ist. Die Tendenz, dass das Gewicht dieser unproduktiven Ausgaben die Gewinne der Arbeitsproduktivität zunichte macht, manifestiert sich im ständigen Anstieg der Warenpreise"[6].
Ein weiterer Faktor für die Inflation ist schließlich die Geldentwertung, die mit der unkontrollierten Ausweitung der weltweiten Verschuldung einhergeht, die sich heute 260 % der Weltproduktion nähert.
Wenn sich die Bourgeoisie so eifrig auf die natürlichen Ressourcen stürzt, indem sie sie in die Produktivkräfte einbezieht, dann deshalb, weil sie die Besonderheit aufweisen, für den Kapitalismus "kostenlos" zu sein.
So umweltverschmutzend, mörderisch und ausbeuterisch der Kapitalismus in seiner Blütezeit bei der Eroberung der Welt auch war, so war dies doch nichts im Vergleich zu der teuflischen Spirale der Naturzerstörung seit dem Ersten Weltkrieg, die eine Folge des grausamen wirtschaftlichen und militärischen Wettbewerbs ist. Die Umweltzerstörung hat ein neues Niveau erreicht, da die kapitalistischen Unternehmen, ob privat oder öffentlich, die Umweltverschmutzung und die Plünderung der Ressourcen des Planeten auf ein noch nie dagewesenes Maß gesteigert haben. Darüber hinaus haben Kriege und Militarismus ihren eigenen Beitrag zur Verschmutzung und Zerstörung der natürlichen Umwelt geleistet[7]. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Katastrophe, die der Kapitalismus für die Menschheit bereithält, eine neue Dimension erreicht: die Entwicklung des Klimawandels, der die Existenz unserer Gattung bedroht. Seine Ursachen sind wirtschaftlicher Natur, und das gilt auch für seine Folgen.
Der Klimawandel wirkt sich immer stärker auf das Leben der Menschen und die Wirtschaft aus: Ungeheure Brände, heftige und großflächige Überschwemmungen, Hitzewellen, Dürren, heftige Stürme usw. beeinträchtigen zunehmend nicht nur die landwirtschaftliche, sondern auch die industrielle Produktion und den Lebensraum der Menschen, wodurch die kapitalistische Wirtschaft immer mehr in Mitleidenschaft gezogen wird.
Eine solche Bedrohung kann nur durch die Überwindung des Kapitalismus beseitigt werden. Aber in diesem Punkt gibt es die Idee, dass man nicht ausschließen könne, dass die Bourgeoisie in der Lage sei, die Klimakatastrophe durch den Einsatz neuer "sauberer" Technologien zu vermeiden. Zweifellos ist die Bourgeoisie noch in der Lage, in diesem Bereich erhebliche, ja sogar entscheidende Fortschritte zu machen. Dagegen ist sie völlig unfähig, sich im Weltmaßstab zu vereinigen, um solche technologischen Fortschritte in die Praxis umzusetzen.
Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass solche Illusionen in der Bourgeoisie geäußert werden. In gewisser Weise nahmen sie die Form der Theorie des "Superimperialismus" an, die insbesondere von Kautsky am Vorabend des Ersten Weltkriegs entwickelt wurde und die zeigen sollte, dass sich die Großmächte untereinander einigen könnten, um eine gemeinsame, friedliche Herrschaft über die Welt zu errichten. Eine solche Vorstellung war offensichtlich eine der Speerspitzen der pazifistischen Lüge, die darauf abzielte, die Arbeiter glauben zu machen, dass man Kriege beenden könne, ohne den Kapitalismus zerstören zu müssen. Kautskys Sichtweise ignorierte die tödliche Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Mächten. Sie ignorierte auch die Tatsache, dass die höchstmögliche Vereinheitlichung zwischen den verschiedenen nationalen Fraktionen der Weltbourgeoisie gerade die der Nation ist, was sie unfähig macht, eine wirklich supranationale politische Autorität und Organisation der Gesellschaft zu schaffen.
Die Realität ist das genaue Gegenteil der Illusion einer Bourgeoisie, die in der Lage ist, die Klimakatastrophe zu vermeiden. Was wir erleben, ist das Fortbestehen und sogar die Verschärfung der totalen Irrationalität und Verantwortungslosigkeit angesichts des Klimawandels, die sich nicht nur in der Entfesselung neuer imperialistischer Konflikte wie dem Krieg in der Ukraine (katastrophal für die Menschen, aber auch für den Planeten) ausdrückt, sondern auch in kleineren, aber dennoch bedeutsamen „Entgleisungen“ wie dem Betrieb von Bitcoin, der einen Energieverbrauch erfordert, der dem aller Energie verbrauchenden Aktivitäten der Schweiz entspricht[8].
Der Zerfall entspricht der letzten Phase im Leben des Kapitalismus, die durch die Blockade zwischen den beiden antagonistischen Hauptklassen eingeleitet wird, die beide nicht in der Lage sind, eine eigene Lösung für die historische Krise des Kapitalismus zu finden. Die Verschärfung der Wirtschaftskrise bestimmt somit das Phänomen der Verrottung der Gesellschaft. Dies wirkt sich auf das gesamte soziale Leben aus, insbesondere durch die Entwicklung der Tendenz zum "Jeder für sich" in allen sozialen Beziehungen und vor allem innerhalb der Bourgeoisie. Dies hat sich während der Covid-Epidemie sehr deutlich gezeigt, insbesondere an zwei Beispielen:
- Die Unfähigkeit, die Forschung für einen Impfstoff zu koordinieren und zu zentralisieren und die geplante Produktion und Verteilung von Impfstoffen für den gesamten Planeten zu etablieren;
- das Gangsterverhalten bestimmter Industrieländer, die auf dem Rollfeld eines Flughafens für ein Nachbarland bestimmtes medizinisches Material stehlen.
Während also die Wurzeln des Zerfalls in der Wirtschaftskrise liegen, haben wir seit 2020 gesehen, dass diese selbst immer stärker von den schwersten Zerfallserscheinungen betroffen ist. So wurde der Verlauf der Wirtschaftskrise durch die Entwicklung eines "Jeder für sich" in allen Bereichen, insbesondere aber in den Beziehungen zwischen den Großmächten, noch verschärft. Eine solche Situation kann nur ein großes Hindernis für die Entwicklung einer konzertierten Wirtschaftspolitik als Antwort auf die nächste Rezession darstellen.
Die Realität solcher Bedrohungen spiegelt sich in den Erklärungen des Chefökonomen des IWF vom Juli 2022 wider, der wohl kaum im Verdacht steht, Öl ins Feuer gießen zu wollen: "Es kann gut sein, dass wir uns nur zwei Jahre nach der letzten Rezession am Vorabend einer weltweiten Rezession befinden"[9] (unsere Hervorhebung).
In der Tat ist es "sicher", dass die Situation viel alarmierender ist als noch vor zwei Jahren. Das Zusammentreffen einer ganzen Reihe von Phänomenen spricht für die Vorhersage größerer Störungen auf wirtschaftlicher Ebene und infolgedessen auch weit darüber hinaus:
- Alle in diesem Artikel untersuchten Widersprüche des Kapitalismus – Rückgang der zahlungsfähigen Märkte, rasender Wettlauf um Produktivitätssteigerungen, Verschärfung des globalen Handelskriegs – werden verschärft.
- Der Kapitalismus steht vor der fast sicheren Tatsache, neue große Ausgaben tätigen zu müssen: Überall auf der Welt, insbesondere in Westeuropa, führt die Beschleunigung des Militarismus zu einem starken Anstieg der unproduktiven Ausgaben. Auch die Überalterung der Infrastrukturen wurde jahrzehntelang in den Staatshaushalten vernachlässigt, was die Gesellschaft noch anfälliger macht und enorme Ausgaben erfordert, um mit vollkommen vorhersehbaren Phänomenen fertig zu werden, wie wir bei der Covid-Pandemie gesehen haben.
- Es gibt verschiedene mögliche Auslöser für eine wirtschaftliche Katastrophe, wie die Krise des Immobiliensektors in China (die die Ursache für das Nullwachstum dieser Wirtschaft im zweiten Trimester 2022 ist[10]), wo Konkurse wie der von Evergrande nicht auf dieses Land beschränkt bleiben, sondern schwere internationale Auswirkungen haben könnten, so zerbrechlich ist die Weltwirtschaft; der Anstieg der Inflation wirkt sich nicht nur stark auf das Leben der Ausgebeuteten und damit insbesondere der Arbeiterklasse aus, sondern stellt die Bourgeoisie vor weitere politische Probleme. Eine unkontrollierte Inflation ist ein Hemmschuh für den Welthandel, der bereits von imperialistischen Spannungen betroffen ist. Das geht so weit, dass angesichts der scheinbar unausweichlichen Aussicht auf einen Anstieg der Zinssätze in einer Reihe von Industrieländern eine Rezession unvermeidlich scheint. Eine Bedrohung, deren Ausmaß die Bourgeoisie nicht wahrhaben will, da sie im Rahmen einer sich bereits verschlechternden Wirtschaftslage auftritt und damit die Tendenz zu einem "Jeder für sich" und in einigen Fällen zu einer offenen Feindseligkeit zwischen den wichtigsten Mächten noch verschärft.
Heute, nach mehr als einem Jahrhundert kapitalistischer Dekadenz, können wir sehen, wie visionär die Worte der Kommunistischen Internationale über den "inneren Zerfall" des Weltkapitalismus waren, der nicht von selbst verschwinden wird, sondern die Menschheit in die Barbarei ziehen wird, wenn das Proletariat ihm nicht ein Ende setzt. Die Stunde des Proletariats ist gekommen, um wieder als Klasse auf die Apokalypse zu reagieren, die das Kapital für uns vorbereitet. Noch ist Zeit dafür da.
Silvio 5.10.22
[1] Siehe Marxismus und Krisentheorie, in International Review Nr. 13 (engl./frz./span. Ausgabe)
[2] Siehe Krieg, Militarismus und imperialistische Blöcke in der Dekadenz des Kapitalismus, Teil 2, International Review Nr. 53 (engl./frz./span. Ausgabe)
[3] "Wie aber die Dinge liegen, hängt der Ersatz der in der Produktion angelegten Kapitale großenteils ab von der Konsumtionsfähigkeit der nicht produktiven Klassen; während die Konsumtionsfähigkeit der Arbeiter teils durch die Gesetze des Arbeitslohns, teils dadurch beschränkt ist, daß sie nur solange angewandt werden, als sie mit Profit für die Kapitalistenklasse angewandt werden können. Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde." Marx, Das Kapital, Band 3, Teil V, Kapitel 30, S. 500
[4] Es gibt auch andere Gegentendenzen zur sinkenden Profitrate, insbesondere die Intensivierung der Ausbeutung
[5] Karl Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Frankfurt 1969 (Verlag Neue Kritik), S. 71 (Kapitel: „Produktive und Unproduktive Arbeit“)
[6] World Revolution Nr. 2, "Überproduktion und Inflation"
[7] Der Kapitalismus vergiftet die Erde, International Review Nr. 63 (engl./frz./span. Ausgabe); Die Welt am Vorabend einer Umweltkatastrophe, International Review Nr. 135 (engl./frz./span. Ausgabe); Die Welt am Vorabend einer Umweltkatastrophe: Wer ist verantwortlich?, Internationale Revue Nr. 139 (engl./frz./span. Ausgabe)
[8] Le Monde, 24. September 2022 über die Produktion von Bitcoin
[9] Les Echos, 27. Juli 2022
[10] “L'immobilier, maillon faible de l'économie chinoise”, Le Monde, 17. August 2022
Mit dem Ukrainekrieg haben in Deutschland mehr als 3 Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der DDR 1989 tiefgreifende Umwälzungen eingesetzt. So muss das deutsche Kapital seine imperialistischen Karten neu legen.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks im Herbst 1989 setzte für die gesamte Welt eine tiefgreifende Umwälzung auf verschiedenen Ebenen ein. Deutschland war in Europa der große Nutznießer nach mehr als vier Jahrzehnten der Spaltung in zwei Staaten und Besatzung durch die damaligen Blockführer USA und Sowjetunion. Mit der Wiedervereinigung konnte Deutschland ein neues Gewicht erlangen, während die USA wiederum mit Ausnahme von Osteuropa weltweit überall an Einfluss verloren und sich immer mehr in ihrer jahrzehntelangen Vormachtstellung bedroht sehen. Zudem konnten sie den Aufstieg Chinas nicht verhindern.
Insbesondere in Osteuropa und gegenüber Russland hatte Deutschland nach 1989 seine Position ausbauen können. Gegenüber Russland hatten die deutschen Regierungen in bemerkenswerter Kontinuität von Kohl über Schröder, Merkel bis Scholz in engster Partnerschaft mit der Wirtschaft eine besondere Beziehung zu Russland aufgebaut. Günstige Gas- und Öllieferungen waren im Interesse der deutschen Konkurrenzfähigkeit, zudem konnte das deutsche Kapital umfangreich in Russland investieren. Auch hatte man gehofft, durch die umfangreichen ökonomischen Beziehungen mit Russland dessen imperialistischen Gelüste zu besänftigen. Am liebsten hätte man diese privilegierte Beziehung ungestört weiter aufrechterhalten…. Wenn da nicht die imperialistischen Triebkräfte dazwischen gekommen wären.
Die USA sind wild entschlossen, ihre Weltmachtstellung gegenüber China nicht aufzugeben. Wie sie im jüngst veröffentlichen Strategiepapier gegenüber China kundtun, wollen sie China in den nächsten 10 Jahren niederringen und es seiner Möglichkeit berauben, die USA zu übertrumpfen. Solch ein Kampf um die Vormachtstellung muss notwendigerweise alle Bereich der Gesellschaft erfassen und auch die Wirtschaft „infizieren“ und die imperialistische Konstellation in Europa mit prägen.
Russlands Widerstand gegen eine von den USA vorangetriebene NATO-Osterweiterung, seine Beanspruchung der Ukraine als Teil des russischen Kerngebiets sowie die Politik der USA, Russland auf die Knie zu zwingen, um damit auch zu einem Schlag gegen China auszuholen, hat die Bedingungen für das deutsche Kapital gründlich umgewälzt.
Mit Händen und Füßen wehrte man sich anfangs gegen das von den USA geforderte Ende von Nordstream, dann wollte man lange Zeit nur zögernd die Ukraine nach Beginn der russischen Invasion militärisch unterstützen. In der Zwischenzeit haben die USA Deutschland zur Finanzierung des Ukraine-Krieges gezwungen. Zwar hat die deutsche Regierung das geschickterweise als eine Art Befreiungsschlag ausgenutzt, um die Rüstungsausgaben über Nacht zu verdoppeln, denn solch eine Gelegenheit, als Reaktion auf die russische Ukrainebesatzung und ebenso mit amerikanischer Rückendeckung die Militärausgaben derart zu steigern, kommt nicht alle Tage. Ein solcher Schritt spiegelt natürlich den unumgänglichen Zwang, sich Hals über Kopf in die Militarisierung zu stürzen. Auch wenn die Rüstungsausgaben riesige Geldsummen in die Kassen der Rüstungskonzerne spülen, wirken sie gesamtwirtschaftlich als ein mächtiger Klotz am Bein, schmälern die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und treiben die Inflation mit an.1 Nichtsdestotrotz hat der deutsche Imperialismus die Gelegenheit beim Schopf gefasst, um möglichst schnell neue Vorreiterrollen zu beanspruchen, was wiederum neue Konfliktfelder mit allen möglichen Rivalen verstärkt.
Indem die USA Russland ins blutige und irrationale Abenteuer einer Besatzung der Ukraine lockten, haben die USA nicht nur Russland in Zugzwang gebracht. Das erklärte Ziel der USA ist Russland auf die Knie zu zwingen. Gleichzeitig wollen sie nicht nur die europäischen Alliierten im Rahmen der NATO mehr an die Kandare nehmen, sondern sie nehmen auch die Europäer ökonomisch viel stärker in den „Schwitzkasten“. Viel gewiefter als das grobschlächtige Vorgehen von Trump treten die USA unter dem Demokraten Biden mit dem Anspruch auf, Dienste für das NATO Bündnis zu leisten und dafür von Europäern „Gegenleistungen“ zu verlangen. Tatsächlich pressen die USA ihre Alliierten ebenso wie Zitronen aus. Deutschland ist durch die Sanktionen Russlands (Unterbrechung der Gas- und Ölimporte) nicht nur mit einer explosiven Energiepreisentwicklung konfrontiert, sondern auch in neue Abhängigkeiten bei Energieimporten geraten. War Deutschland jahrelang gegenüber Russland blauäugig gewesen und hatte eine fatale Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten gegenüber Russland entstehen lassen, sind in der Zwischenzeit andere Staaten als Hauptlieferanten an russische Stelle gerückt und die Abhängigkeiten haben sich umgeschichtet. Mittlerweile konnten die USA ihre Energielieferungen nach Europa massiv ausbauen und Europa spült somit mächtig Geld in US-Kassen. Die USA sind momentaner Nutznießer der Sanktionen gegen Russland.
Auf militärischer Ebene ist Deutschland nach den USA und Großbritannien zum drittgrößten Waffenlieferanten in die Ukraine avanciert. Auch wenn man bei besonders schwerem Gerät wie Panzern immer noch Zurückhaltung übt, wurden alle bisherigen Tabus gebrochen. Mittlerweile ist Deutschland, neben z.B. Großbritannien, zum Großausbilder für tausende ukrainische Soldaten in der Handhabung der vom Westen gelieferten Waffensysteme geworden.
Weil die Bundeswehr ihre Ausgaben verdoppeln soll, muss man natürlich auch im Ausland einkaufen gehen und neueste Militärtechnik erwerben. Hier sind schon neue Reibereien entstanden. So ist Streit entbrannt zwischen Deutschland und Frankreich über die Anschaffung neuer Flugzeuge. Deutschland hat in den USA Phantom-Flugzeuge gegen den Willen Frankreichs bestellt, das Deutschland zum Kauf von französischen Flugzeugen bewegen will.2 Allzugern treiben die USA einen Keil zwischen die europäischen Staaten, allen voran Deutschland, Frankreich und Italien.
Die Dissonanzen zwischen Deutschland und Frankreich gibt es nicht nur bei der Energiefrage (Frankreich will weiter an seinen AKWs festhalten),3 während Deutschland ab Frühjahr 2023 den Atomausstieg plant. Da Frankreich eine Nuklearmacht ist, hat sich Macron in Anbetracht der Drohungen Putins mit dem Einsatz von Atomwaffen dahingehend geäußert, dass Frankreich kein Frontstaat sei und man somit im Falle eines russischen Atomwaffeneinsatzes auch nicht automatisch französische Atomwaffen einsetzen werde. Frankreich will nicht nur Deutschland militärtechnisch stärker an sich binden, es will auch gegenüber dem sich militärisch hochrüstenden Deutschland nicht an Gewicht verlieren.
Nach 1989 war es zu einem neuen Schub der Globalisierung gekommen, wo viele Produktionsstätten in Billiglohnländer verlegt wurden und neue Lieferketten und somit neue Abhängigkeiten entstanden sind. Durch diese neu entstandenen ökonomischen Abhängigkeiten werden aber strategische Interesse getroffen, was wiederum aus globaler strategischer und militärischer Sicht nicht länger hingenommen werden kann, wie man bei der Produktion von Impfstoffen, medizinischem Material während der Pandemie, der Lieferung von seltenen Erden und dem ganzen Nachschub an Halbleitern und anderen elektronischen Komponenten feststellen musste. Deshalb ist es schon zu einer Art Umkehrbewegung der jahrelangen Globalisierungstendenzen gekommen, die einzig den imperialistischen Verhältnissen geschuldet sind.
Deutschland, das als größte Exportnation in Europa besonders anfällig für solche Abhängigkeiten geworden ist, muss sich diesen neuen Gegebenheiten ebenso beugen. Nachdem die Gefahren durch eine zu große Abhängigkeit (z.B. Energielieferungen oder Rohstoffe, oder von Absatzmärkten wie z.B. VW, das allein 40% in China umsetzt) offensichtlich geworden sind, und man im Falle Russlands eine Kehrtwende vollzogen hat, drängen bedeutende Teile des deutschen Kapitals auf ähnliche Konsequenzen gegenüber China. Die eklatanten Menschenrechtsverletzungen in China dienten deshalb vor allem den Grünen als willkommener Vorwand, sich aus chinesischen Abhängigkeiten zu lösen zu versuchen bzw. chinesische Versuche, mehr Einfluss in Europa zu gewinnen, abzuwehren. So ist innerhalb der deutschen Bourgeoisie ein Streit um die Teilübernahme des Hamburger Hafens durch die chinesische Reederei Cosco entflammt. Dieser Riss zieht sich bis in die Regierung hinein. Wer hier das letzte Wort haben wird, lässt sich heute noch nicht sagen. 4
Während Scholz schon bei Nordstream den „kühlen“ Staatsmann mimte und so tat, als ob es nur kommerzielle Interessen von russischen Firmen und keine nennenswerten russischen Staatsinteressen gäbe, bis dann einige Monate später das ganze Projekt (ob nach russischer Sabotage oder von den USA und deren Verbündeten) durch Anschläge zerstört wurde, ist die Auseinandersetzung um die Hamburger chinesische Beteiligung auch mehr als eine rein kommerzielle Frage. Denn während die Rivalitäten zwischen den USA und China an Schärfe zunehmen und die USA China niederringen wollen, ist das deutsche Kapital nicht bereit, sich den den US-amerikanischen Interessen willenlos zu unterwerfen. Man möchte eine eigenständige Politik gegenüber China betreiben. Offenbar darüber gibt es Divergenzen innerhalb des Regierungslagers. Inwiefern diese Divergenzen Verwerfungen innerhalb der deutschen Bourgeoisie und gar Neuaufstellungen der Parteienbündnisse bewirken können, ist zur Zeit noch nicht zu bewerten. Die USA werden jedenfalls mit allen Tricks und Schachzügen weiterhin Druck auf das deutsche Kapital ausüben.
Nach der Verschärfung der US-Sanktionen gegen alle Firmen und Personen die mit China in High-Tech-Branchen arbeiten wollen, wie es im US-Beschluss der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ heißt, bedeutet dies auch eine Gefahr für Chip-Lieferketten sowie ggf. für deutsche Investitionen in China. Dieser US-amerikanischen „Enthauptungsschlag“ gegen die chinesische Spitzentechnologie wird vermutlich gravierende Folgen auch für deutsche und europäische Firmen haben, die dringend auf staatliche Gelder angewiesen sind. VW hat im Oktober informiert, man werde ca. 2,4 Milliarden Euro investieren, um bei der Entwicklung von Software für seine E-Autos in China (wo VW ca. 40 Prozent seines Gesamtumsatzes erzielt) mit dem chinesischen Unternehmen Horizon Robotics zusammenzuarbeiten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch deutsche Firmen in China unter den US-Bannstrahl fallen. Deshalb ringt das deutsche Kapital zur Zeit um den besten Ausweg aus dem Dilemma des Drucks der USA gegenüber China und Russland. Diese Anpassungsprozesse sind keineswegs vorübergehender Natur, sie werden von Dauer sein, da der Druck, der durch die weltweite Verschärfung der imperialistischen Rivaliten und vor allem durch die Zwangsmaßnahmen der USA entstanden ist, nicht nachlassen wird.
Unterdessen hat das Krebsgeschwür des Militarismus im Landesinnern weiter um sich gegriffen. Denn die jüngste Entwicklung des Ukrainekrieges lässt gerade Deutschland zu einem wichtigen möglichen Angriffsziel von Terrorakten werden. Die Angriffe auf Nordstream und Bahnkabel lassen erahnen, welche Eskalationen möglich sind. So stellen sich die Sicherheitskräfte auf „hybride Bedrohungen“ und mögliche Angriffe auf Kraftwerke oder Umspannstationen, also auf die Stromversorgung oder andere neuralgische Punkte der Infrastruktur, ein. Zu den militärischen Erschütterungen kommen die schwerwiegenden ökonomischen Verwerfungen hinzu.
Nachdem das deutsche Kapital als erste Reaktion auf die Pandemie auch anfangs schwerwiegende Einschnitte im Handel mit medizinischem Gerät und Stoffen veranlasst hatte, hatte man sich nach einer Zeit auf EU-Ebene auf gemeinsame Rettungspakete verständigt (der deutsche Anteil betrug ca. 100 Mrd Euro). Die Devise war: der Staat kommt für die größten Rettungspakete auf, damit die Wirtschaft nicht absäuft. Gegenüber den Kriegsfolgekosten hat man im Oktober 2022 nach einem Hickhack einen nationalen Alleingang beschlossen, um eine Gaspreisbremse für Deutschland allein zu beschließen. Somit kommen nochmal zu den Pandemiekosten die Verdoppelung des Rüstungshaushaltes und der Gaspreisdeckel im Umfang von ca 200 Mrd. Euro hinzu. Somit steigt der Prozentsatz der Kosten der „Rettungsprogramme“ von nahezu 3% des BIP auf über 8% des BIP. Damit übertrifft Deutschland um das 2-3 fache die bisherigen Höchstwerte von den am meist verschuldeten EU-Staaten. D.h. Deutschland setzt sich an die Spitze der verschuldeten Staaten – alles im Namen der Abfederung der Kriegsfolgekosten.
In der Zwischenzeit sind die Wachstumsprognosen von zuvor noch ca. 2% für 2023 auf -0,3% (d.h. schrumpfend und bevorstehende Rezession) revidiert worden. Auch hier liege Deutschland mit den Negativwerten an der Spitze. Deutschland, das alleine genommen mehr Geld locker machen kann für seine Programme, kann sich somit gegenüber den anderen EU-Staaten große Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Welche besondere Rolle die Sozialdemokratie und die Grünen, vormals als „pazifistische Strömung“ ein Sammelbecken gewesen, mittlerweile spielen und wie sich die ganze Entwicklung auf das Leben der deutschen Bourgeoisie auswirkt, und welche Konsequenzen für die Arbeiterklasse entstehen, werden wir in einem späteren Artikel beleuchten.
Wt. 25.10.2022
1 Jahrelang hatte man beobachtet, wie die USA in Afghanistan und im Irak in ein Fiasko nach dem anderen schlitterten. Man rieb sich schadenfroh die Hände, dass man sich selbst große Rüstungskosten vom Hals halten konnte. Dies ist nun passé.
2 Während Scholz auf den Bau eines europäischen Luftkampfsystems FCAS (Kostenpunkt mindestens 100 Mrd Euro) drängt, an der sich 15 Staaten beteiligen sollen,(ESSI) habe man das als eine Abkehr Deutschlands von Frankreich und Italien verstanden, die zusammen ein eigenes System entwickeln. Auch die Entwicklung des neuen Kampfpanzers MGCS ist ungewiss.
3 Frankreich blockierte bis vor kurzem den Bau einer Midcat-Pipeline von Spanien über Frankreich nach Deutschland.
4 Nach Warnung durch den Verfassungsschutz wird die Übernahme des Chiphersteller Elmos in Dortmund vom Bundeswirtschaftsministerium geprüft.
«Direkte Aktion», die Zeitschrift der Freien Arbeiter Union FAU im deutschsprachigen Raum, veröffentlichte im März 2022 die Erklärung des Internationalen Komitees der FAU zur russischen Invasion in der Ukraine, welche mit den Satz «Keinen Handschlag für den Krieg und alle seine Profiteure – alles für die globale Solidarität» endet.[1]
Lehnt die FAU damit strikt jegliche Parteinahme in diesem Krieg ab und bekämpft sie ihn auch konsequent? Nein, denn die Erklärung des Internationalen Komitees der FAU enthält eine ganze Serie politischer Positionen, die mit einer internationalistischen Haltung gegen den Krieg ganz und gar nichts zu tun haben. Sie gehen bei genauerem Hinschauen weit über harmlose Konfusionen hinaus und führen geradeaus aufs Terrain der Bourgeoise und in die Hände der Kriegspolitik der herrschenden Klasse. In Wirklichkeit steckt hinter dieser Erklärung die findige Verteidigung der kapitalistischen Demokratie und ihrer typischen Argumente für den Krieg. Anstatt sich vehement und ohne Unterschied gegen alle Lager im Krieg in der Ukraine zu wenden und sie offen zu entblößen, stellt sich die FAU tatsächlich auf die eine Seite, die der Ukraine und ihrer Verbündeten.
Die Erklärung des Internationalen Komitees der FAU ist sehr kurz und einiges ist lediglich angedeutet, so ihre Haltung zur Politik des deutschen Imperialismus gegenüber dem Krieg in der Ukraine, der abstrakte Slogan der FAU nach „globaler Solidarität“. Die FAU scheint auch davon auszugehen, dass „humanitäre Krisen“ im Kapitalismus (welcher als Ganzes nicht anderes als eine permanente humanitäre Katastrophe darstellt!) überwunden werden können. Zentral ist jedoch ihre unter dem Strich demokratische und linksbürgerliche Rechtfertigung des Krieges. Inwieweit alle Teile, Mitglieder oder Sympahisanten der enorm heterogenen anarchosyndikalistischen Bewegung mit dieser Erklärung einverstanden sind, ist unklar, doch wir müssen sie beim Wort nehmen, vor allem weil es kein Artikel eines einzigen Mitglieds ist, sondern die Erklärung eines Komitees, das sich als offizieller Vertreter des Anarchosyndikalismus präsentiert.
Die Arbeiterbewegung hat eine lange Erfahrung mit dem Krieg und hat ihre schmerzhaften Lehren daraus ziehen müssen. Die entscheidende ist dabei die Position des revolutionären Internationalismus, welcher die einzig gültige Antwort der Arbeiterklasse auf den Krieg sein kann und es in der Geschichte auch konkret war. All dies scheint die FAU nicht zu kennen, geschweige denn verstanden zu haben.
Die zwei zentralen Lehren aus der Konfrontation der Arbeiterbewegung mit dem Krieg seien hier unterstrichen: Im Gegenteil zu den Auffassungen des Pazifismus, der von einem möglichen Frieden im Kapitalismus ausgeht und gerade angesichts des Ersten Weltkrieges erbärmlich zusammenbrach, ist die Auslöschung des Krebsgeschwürs des Krieges einzig und allein durch die Überwindung des Kapitalismus als historisch überfälliges, dekadentes und sich heute in einem irrationalen Zerfallsprozess befindliches System möglich. Nicht Friedensverhandlungen und der Waffenstillstand zwischen Kriegsparteien, der nur eine Pause im permanenten Krieg darstellt, nicht Friedensversprechungen linker Regierungen, nicht die militärische Besetzung von Kriegsgebieten durch „Friedenstruppen“ können ein Problem lösen, das dem Kapitalismus immanent ist und sich permanent verstärkt. Auch wenn der Krieg in der Ukraine, wie viele schon zuvor, einmal beendet ist, wird die kriegerische Spirale nicht abbrechen. Nur durch eine weltweite proletarische Revolution ist dies möglich, auch wenn dies weit weg zu scheint. Die Arbeiterklasse musste, nachdem die Russische Revolution von 1917 und die revolutionären Erhebungen in anderen kriegführenden Ländern zeitweilig den Krieg stoppen konnten, die schmerzvolle Lehre „Krieg oder Revolution“ ziehen. Wie Lenin es 1918 formulierte: „Internationalismus bedeutet Bruch mit den eigenen Sozialchauvinisten (d.h. den Vaterlandsverteidigern) und mit der eigenen imperialistischen Regierung, bedeutet revolutionären Kampf gegen diese Regierung, bedeutet ihren Sturz, (...)“[2]. “Es gibt nur einen wirklichen Internationalismus: die hingebungsvolle Arbeit an der Entwicklung der revolutionären Bewegung und des revolutionären Kampfes im eigenen Lande, die Unterstützung (durch Propaganda, durch moralische und materielle Hilfe) eben eines solchen Kampfes, eben einer solchen Linie und nur einer solchen allein in ausnahmslos allen Ländern.”[3]
Der Internationalismus besteht nicht lediglich aus einer Ablehnung des Krieges, sondern geht davon aus, dass nur eine Kraft in der Gesellschaft, nur der Klassenkampf des Proletariats, das Potential hat dem Krieg zu stoppen und zu beseitigen. Ein Kampf der Arbeiterklasse, der in allen Ländern denselben Charakter hat und der sich auch international zusammenschliessen muss. Der Pazifismus, die Friedensbewegungen, Aufrufe zur Verweigerung sind nicht Ausdruck eines revolutionären Kampfes und auch nicht ein „erster Schritt in die richtige Richtung“. Im Gegenteil verdecken sie die Tatsache, dass der Kampf gegen den Krieg zwischen den zweit zentralen Klassen in der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat, ausgefochten wird. Sie sind ein Schmelztiegel aller Art von demokratischen Illusionen. Deshalb stützt sich eine internationalistische Haltung auf den Kassenkampf des Proletariats und auf nichts anderes.
Diese Pfeiler des Internationalismus waren die wichtigsten Streitpunkte auf den Konferenzen von Zimmerwald 1915 und Kienthal 1916 gegen den Krieg. Nicht die offenen Kriegsbefürworter waren die grösste Gefahr für die Arbeiterklasse, sondern die verdeckten, jene die sich in eine Arbeiter-Terminologie hüllten, den Krieg vordergründig ablehnten aber schwer zu durchschauen waren. Das gilt auch heute noch. Die FAU hätte mit ihrer schnell sichtbaren Unterstützung für die eine Seite im Krieg in der Ukraine nicht einmal in diesen Reihen der Schein-Internationalisten einen Platz gefunden!
„Die militärische Aggression der russischen Regierung fordert aktuell Tote und Verletzte, zerstörte Städte, Gemeinschaften und Existenzen, sie verfolgt die Macht und Wirtschaftsinteressen weniger, bezahlt mit dem Blut und dem Leben von Tausenden. Langfristig droht sie die – auch heute schon begrenzten – Freiheitsrechte der ukrainischen Bevölkerung völlig zugunsten der politischen Diktatur auszulöschen“. Von welchen „Freiheitsrechten“ spricht die FAU, welche der ukrainische Staat der Arbeiterklasse offenbar noch teilweise garantiert? Die Arbeiterklasse in der Ukraine wird auf genauso rücksichtslose Weise wie in Russland vom "ihrem" kapitalistischen Staat, an dessen Spitze heute die Selensky-Regierung steht, als Kanonenfutter an die Front gezwungen und als Schutzschild verwendet. Alles unter Androhungen, Repression und dem strikten Verbot das Land zu verlassen. Beide Seiten in diesem Krieg zeichnen sich unterschiedslos durch militärische Brutalität in unvorstellbarer Dimension aus. Anstatt den rücksichtslosen Charakter der beiden Regime – in Russland unter Putins Clique als auch in der Ukraine unter dem vom «Komiker» zum Militärchef mutierten Selenksy – an den Pranger zu stellen und zu betonen, dass die Arbeiterklasse keine der beiden Seiten zu verteidigen sondern zu bekämpfen hat, verharmlost die FAU die wirkliche Lage, indem sie von der Gefahr eines Verlusts von bestehenden "Freiheitsrechten" der ukrainischen Bevölkerung spricht. Für die FAU ein erstes Argument die ukrainische Demokratie zu verteidigen. Ist das nicht blanker Hohn?
Wenn der Krieg immer den Charakter des kapitalistischen Staates und seine Politik gegenüber der Arbeiterklasse offen zutage bringt, entlarvt er auch die speziell auf das Proletariat gezielten Lügen und Vernebelungsmanöver der Politik des Staatskapitalismus, wie „demokratische Wahlen auch in Kriegszeiten“ oder „Gewerkschaftsfreiheit auch in Kriegszeiten“. Letzteres wird speziell von anarchosyndikalisten Organisationen für ihre sogenannte „transnationale und basisdemokratische Gewerkschaftsbewegung“ als wunderbares Geschenk für die Arbeiterklasse betrachtet. Gewerkschaften, gleichfalls wie der Parlamentarismus, mit dem sie Hand in Hand gehen, sind zentrale und unverzichtbare Aspekte der bürgerlichen Demokratie, der intelligentesten Form der Diktatur des Kapitalismus. Im Staat mitbestimmen und damit angeblich die Freiheit und Gerechtigkeit der Demokratie für die Arbeiterklasse zu erreichen. All dies reiht sich gegenwärtig direkt in die Kriegspropaganda des ukrainischen Staates und ihrer Verbündeten wie der USA ein, denn diese basiert im gegenwärtigen Krieg gezielt auf dieser hochgelobten „Verteidigung der Demokratie“. Die Gewerkschaften in der Ukraine, von links nach rechts, sind Teil der Kriegsanstrengungen, um eine noch möglichst kriegsfähige Industrie aufrechtzuerhalten und ihre routinierte Kontrollfunktion innerhalb der Arbeiterklasse auszuüben.
Das unterschiedslos brutale, kaltblütige aber einfacher durchschaubare kapitalistische Regime in Russland unter der Fuchtel der Putin-Regierung versucht den Krieg als „Entnazifizierung“ zu verkaufen. Der russische Staat stellt seine Kriegspropaganda aus historischen Gründen (Krieg zwischen Russland und Deutschland zwischen 1942-45) ähnlich auf den Boden der angeblichen Verteidigung der „Freiheitsrechte" gegen den Faschismus. Der Antifaschismus war gerade im Zweiten Weltkrieg im Vergleich zum unverblümt blutdürstigen Faschismus die siegreiche Ideologie, um die Arbeiterklasse auf die Schlachtbank zu zwingen, geschickt eingesetzt vom Stalinismus sowie den Alliierten. Der Mythos der “Freiheitsrechte” kennt viele couleurs.
Die Erklärung der FAU unterscheidet mit ihrer Messlatte der „Freiheitsrechte“ zwischen (aus der Sicht der Arbeiterklasse wie sie wohl meinen) unterschiedlichen Staaten: die Ukraine als das mit deutlichem Abstand „kleinere Übel“ als Russland. Demokratische Freiheitsrechte sollen diesen Unterschied ausmachen, die es laut FAU durch die Einreihung in die Verteidigung der Ukraine aufrecht zu erhalten gilt. Im dekadenten Kapitalismus jedoch gibt es gegenüber der Arbeiterklasse keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse, sei es auf nationaler Ebene sowie auch international. Was sie unterscheidet ist vor allem die Ideologie, hinter der sie ihre Ziele verstecken, sei es demokratisch, mit offenem Nationalismus oder populistischer Propaganda.
Lassen wir darauf gerade die KRAS (Konföderation Revolutionärer Anarcho-Syndikalisten), eine anarcho-syndikalistische internationalistische Gruppe aus Russland eine Antwort geben, welche, ganz im Gegenteil zur FAU, in einer eigenen Stellungnahme gegen den Krieg in der Ukraine bewusst beide Seiten gleichsam denunziert und bekämpft: „Die herrschenden Eliten Russlands und der Ukraine, angestiftet und provoziert vom Weltkapital, gierig nach Macht und aufgebläht mit den Milliarden, die dem arbeitenden Volk gestohlen wurden, haben sich zu einem tödlichen Kampf zusammengefunden. Ihr Durst nach Profit und Herrschaft wird nun von gewöhnlichen Menschen - genau wie uns - mit Blut bezahlt. (...) Welche "humanistische", nationalistische, militaristische, historische oder sonstige Rhetorik den aktuellen Konflikt auch immer rechtfertigen mag, dahinter stehen nur die Interessen derjenigen, die politische, wirtschaftliche und militärische Macht haben. Für uns, die Werktätigen, Rentner und Studenten, bringt er nur Leid, Blut und Tod. Die Bombardierung friedlicher Städte, die Beschießung, das Töten von Menschen sind durch nichts zu rechtfertigen. (...)Wir rufen die Menschen im Hinterland auf beiden Seiten der Front, die Werktätigen Russlands und der Ukraine, dazu auf, diesen Krieg nicht zu unterstützen, ihm nicht zu helfen - im Gegenteil, ihm mit aller Kraft zu widerstehen![4]
Dass sich die FAU auf dem Terrain der Bourgeoise befindet, ist keinesfalls übertrieben. Was finden wir als nächstes in der Erklärung? „Auch wenn wir den aktuellen Druck gegen die russische Regierung und Banken begrüßen, halten wir die moralische Entrüstung der NATO-Staaten und der EU vor dem Hintergrund ihrer eigenen imperialistischen Politik für wenig glaubwürdig. Wir denken dabei beispielsweise an die Angriffskriege der türkischen Regierung auf Armenien, den Nord-Irak, Nord-Ost-Syrien, wir sprechen von der mangelnden Unterstützung für die Aufstände in Belarus oder Hongkong, wir sprechen von der mangelnden Unterstützung für die WiderständlerInnen in Sudan und Myanmar. Entschieden wenden wir uns gegen jeglichen Imperialismus.“ Die FAU „begrüsst“ die Politik der einen Seite im Krieg gegen die andere - klare Worte! Der Druck von Seiten der USA und Staaten der EU (alle selbstverständlich mit unterschiedlichen Zielen, Engagement und gegenseitigen Spannungen) besteht aus wirtschaftlichen Sanktionen, unter denen die Zivilbevölkerung leidet, Waffenlieferungen, Ausbildung der ukrainischen Armee und vielem mehr..... also nackte Kriegsführung. Diesen „Druck“ zu begrüssen, wie es die FAU macht, steht komplett im Widerspruch zu einer internationalistischen Haltung gegen den Krieg.
Was steckt hinter der fatalen Logik der FAU? Einerseits, wie schon oben beschrieben, ist sie direkt Resultat der Auffassung, dass die Arbeiterklasse dem demokratischen Kapitalismus Vorzug geben soll. Vor allem aber begründet die FAU ihr Schulterklopfen für die Politik der USA und von EU-Staaten damit, dass Russland militärisch die Grenze überschritten hat und der Angreifer in die Schranken gewiesen werden muss. Auch ausserhalb des Krieges in der Ukraine beschwert sich die FAU über die "mangelnde Unterstützung" für demokratische Bewegungen gegen einen militärischen Angreifer. Offenbar ersehnt sich die FAU eine solche Unterstützung und einen härteren Gang, der im Krieg immer zentral auf militärischer Ebene stattfindet, von den USA und Staaten der EU gegen den türkischen Angreifer. Welche Kriegspartei als erste die Grenze überschreitet, ist für die Arbeiterklasse und ihre revolutionären Oragnisationen bezüglich ihrer Haltung gegenüber dem Krieg nicht bestimmend. Der Krieg ist im Kapitalismus Permanenz, Alltag und allgemeine Lebensform geworden und trägt als Ganzes einen imperialistischen Charakter. Jeder Staat, ob klein oder riesig, hat als fester Bestandteil dieser mörderischen Dynamik einen imperialistischen Charakter und betreibt eine Politik nach diesen Gesetzmässigkeiten. Hinter dem Vorgehen, Kriegsparteien in Angreifer und Verteidiger zu unterscheiden, so wie wir es in der Erklärung vorfinden, lauert unverblümt die Rechtfertigung des “Verteidigungskrieges”.
Wenn die FAU dazu aufruft, „den mutigen Anti-KriegsdemonstrantInnen in Russland und Belarus alle erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen“, so bleibt die andere Seite im Krieg ungeschoren. Lediglich auf der Ebene der Desertionen („unterstützt DeserteurInnen beider Seiten“) scheint die FAU mit dem ukrainischen Staat nicht vollkommen einverstanden zu sein. Eine internationalistische Positionen verteidigt den Standpunkt, dass sich die Arbeiterklasse dem imperialistischen Krieg in allen Ländern unter denselben grundsätzlichen Prinzipien entgegenstellen muss, Prinzipien, die unabhängig sind von den Kräften, über die sie für einen solchen Kampf verfügt. Dies bedeutet nicht, die Lage in den am Krieg beteiligten Ländern ausser Acht zu lassen, mit der Illusion, durch einen radikalen Aufruf die Klasse zu einem mächtigen Widerstand gegen den Krieg mobilisieren zu können.
Es gibt tatsächlich einen Unterschied zwischen der Situation der Arbeiterklasse in der Ukraine und in Russland. In der Ukraine kann die Arbeiterklasse bislang durch die Bourgeoisie erfolgreich mittels der nationalistischen Propaganda der Vaterlandsverteidigung (begleitend aber auch durch das Verbot für Wehrpflichtige das Land zu verlassen) in den Krieg mobilisiert werden und hat ideologisch eine fatale Niederlage erlitten. Die russische Bourgeoise hingegen muss mit grösster Vorsicht perspektivlose Männer aus armen Regionen als Kanonenfutter mobilisieren, dies obwohl bisher keine proletarische Reaktionen gegen den Krieg in Russland sichtbar wurden. Wir gehen davon aus, dass in der gegenwärtigen Situation in der Ukraine aber auch in Russland, obwohl die Situation nicht identisch ist, isoliert keine Reaktion der Arbeiterklasse gegen den Krieg zu erwarten ist. Diese muss sich wenn schon in den westeuropäischen Ländern, in denen das Proletariat eine grosse, zwar noch beschränkte Abneigung gegen diesen Krieg als Ganzes hat, zeigen. Das Proletariat in Westeuropa befindet sich nicht in derselben Lage, da es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr auf breiter Ebene in einen Krieg mobilisiert werden konnte und somit, verbunden mit den weitreichendsten historischen Erfahrungen, eine zentrale Verantwortung im Kampf gegen den Krieg hat. Es ist die Entwicklung des Klassenkampfes in Westeuropa gegen die fatalen Auswirkungen des Krieges auf das Proletariat, welche für einen Widerstand der Arbeiterklasse in der Ukraine und Russland eine Perspektive bieten kann.
Das Schweigen der FAU über einen notwendigen Widerstand der Arbeiterklasse in der Ukraine gegen den Krieg stützt sich jedoch nicht auf eine wirkliche Analyse was für das Proletariat momentan “möglich” ist, sondern auf ihrer Entscheidung, welcher Bourgeoisie der Rücken freigehalten werden soll. Obwohl komplett unbedeutend im Vergleich zur deutschen Sozialdemokratie zur Zeit des Ersten Weltkriegs, verkörpert die FAU grundsätzlich dieselbe Methode: Die deutsche Sozialdemokratie vertrat die absurde und nationalistische Position, dass ein militärischer Sieg Deutschlands die Situation in Deutschland stabil halten werde und damit die Basis für Vorteile und Sicherheit für die deutsche Arbeiterklasse garantiert würden. Schlussfolgerung: Arbeiter zieht in den Krieg! Es scheint, dass sich die FAU von einem Schweigen der Arbeiterklasse in der Ukraine gegenüber “ihrer” genauso kriegsbesessenen Regierung den Vorteil und die Sicherheit der “Freiheitsrechte” verspricht. Stillhalte-Politik ist Unterstützung des Krieges.
Desertionen, mit denen sich die FAU (eben ausnahmsweise einmal für beide Kriegslager gültig!) solidarisch erklärt, sind eine Reaktion der Verzweiflung an der blutigen Kriegsfront. Wenn Desertionen eine verständliche Reaktion auf die Brutalität des Krieges und den unter Drohung der Exekution stattfindenden Zwang sich als Kanonenfutter hinzugeben sind, so bleiben sie immer zum individuellen Akt verdammt, zur Flucht, zum sich verstecken, zum gejagt sein, zur permanenten Angst verraten zu werden oder auch nach Beedigung des Krieges den Stempel des “Vaterlandsverräters” zu behalten. Die Arbeiterklasse kann sich dem Krieg nur kollektiv entgegenstellen, vor allem durch den Klassenkampf hinter den Fronten, in den Betrieben. Die Erfahrungen gerade aus dem Ersten Weltkrieg haben gezeigt, dass nur dies einer Reaktion der Soldaten an der Front gegen den Krieg eine Perspektive geben kann. Doch gerade auch dort ist es das kollektive Niederlegen der Waffen, welches der gewichtige Schritt ist, um der Bourgeoisie entgegenzutreten und damit das traurige Schicksal der individuellen Deserteure zu vermeiden.
Es ist kein Zufall, dass die FAU nur die Frage der Desertionen aufgreift. Das Insistieren auf eine kollektive Reaktion der zwangsmobilisierten Arbeiter in Uniform (auch wenn sie heute in Russland und der Ukraine nicht möglich ist) ist ihrer Methode allzu fern. Die Position der FAU ist auch typisch für viele Organisationen und Strömungen, die vom Anarchismus geprägt sind, der, mit wenigen Ausnahmen, die individuelle Rebellion immer im Zentrum hatte.
Die gravierendste Forderung in der Erklärung der FAU ist diejenige nach Selbstverteidigungseinheiten: „Im jetzigen Angriffskrieg gegen die ukrainische Bevölkerung rufen wir euch auf: Organisiert Wohnungen, Arbeitsstellen, Behörden-Unterstützung und Fahrdienste für die Geflüchteten aus der Ukraine, spendet Geld, Medikamente, Schutzausrüstungen wie Helme und Schutzwesten an linke Selbstverteidigungs- und Sanitätseinheiten, unterstützt DeserteurInnen beider Seiten, (...)”. Die Erklärung appelliert an die Arbeitersolidarität, um unter anderem “Selbstverteidigungseinheiten” zu unterstützen. Das Leid der Zivilbevölkerung in der Ukraine durch den tobenden Krieg ist grenzenlos, und nur die Flucht von Millionen konnte viele vor dem Tod durch die Bomben beider Kriegsparteien bewahren. Solidarität aus den Reihen der Arbeiterklasse für Flüchtlinge war immer – so zum Beispiel im Zeiten Weltkrieg - ein Ausdruck der Abneigung innerhalb der Arbeiterklasse gegen den Krieg, auch wenn sie nicht einmal in Ansätzen fähig war, sich als Klasse gegen den Krieg zu stemmen. Das Solidaritätsgefühl innnerhalb der Arbeiterklasse für Kriegsopfer kann aber von der herrschenden Klasse leicht missbraucht werden. Heute ist es die Aufopferung vieler Arbeiterfamilien in Westeuropa, welche als Stütze für die Politik und Strategie der westeuropäischen Bourgeoise ausgenutzt wird: “Deutschland hilft den Kriegsopfern”, doch in Tat und Wahrheit hilft ihnen die Arbeiterklasse... und der Staat liefert Waffen!
In der Erklärung der FAU geforderte „Selbstverteidigungseinheiten“, demnach mit Waffen ausgerüstete Gruppen, sind und waren nie etwas anderes als Teil des Krieges. Es gibt schon seit kurz nach Kriegsausbruch im Februar 2022 anarchistische bewaffnete Gruppen, welche offen mit der ukrainischen Armee zusammenarbeiten oder mittlerweile direkt Teil davon geworden sind. Makaber, dass dies auch auf der russischen Kriegsseite existiert. Die KRAS hat solche Absurditäten aufs Schärfste denunziert. Ob die Erklärung der FAU hier eine Naivität, eine Phantasie, oder was auch immer ausdrückt, „Selbstverteidigungseinheiten“, auch wenn sie als im Interesse der Leidenden dargestellt werden, fügen sich direkt in die militärische Barbarei der Bourgeoisie ein. Dies wäre nicht anders in Russland, wenn der Krieg auch auf das Terrain Russlands übergreifen würde. Jede Kriegspartei baut darauf, solche zivile Mobilisierungen des “Selbstschutzes”, also Bürgerwehren im Krieg, in ihre Strategie einbauen zu können. Zur nationalen Kriegsmobilisierung sind sie unabdingbarer Teil, Verbindungsglied zwischen der Zivilbevölkerung und der Armee.
Wir übertreiben nicht, wenn wir die Erklärung der FAU als Unterstützung des Krieges bezeichnen. In einem von der FAU gemachten, publizierten und nicht mit einer Silbe kritisierten Interview mit einem ukrainischen Gewerkschafter fordert dieser: „Ich möchte alle auffordern, die Ukraine zu unterstützen, ukrainische Flüchtlinge und ukrainische MigrantInnen zu unterstützen und allen in der Ukraine zu helfen.“ Man kann die tragische Logik, welche nichts mit einer internationalistischen Haltung zu tun hat, kaum klarer ausdrücken. Offenbar stört der Aufruf das eine Kriegslager zu unterstützen die FAU nicht.
Mario, 13.11.2022
Anhang | Größe |
---|---|
![]() | 170.72 KB |
CDU/CSU, FDP, BSW und AFD überbieten sich zur Zeit gegenseitig mit Forderungen zur Begrenzung der Migrationspolitik, verlangen resolut Rückführungen, Deportationen, Remigration von Illegalen oder von „kriminell gewordenen“ Ausländern – im gleichen Stil wie es Trump in den USA, Meloni in Italien oder die vormalige englische Regierung mit den Illegalen in Großbritannien praktizieren, die massenhaft nach Ruanda abgeschoben werden sollten.
Dabei nutzen sie das offensichtliche Scheitern eines Systems, welches sie selbst repräsentieren. Die abscheulichen, bestialischen und von Wahnsinn getriebenen Attentate wie in Magdeburg und Aschaffenburg sind für sie ein gefundenes Fressen, umso mehr noch, wenn sie von Menschen ohne deutschen Pass, ob illegal oder mit Aufenthaltserlaubnis, begangen werden. Doch ein bleiernes Schweigen zu den trostlosen Flüchtlingsunterkünften, der bürokratischen Geiselhaft von Millionen von Geflüchteten, dem perspektivlosen Dahinsiechen von tausenden von Traumatisierten. Es ist nachvollziehbar, dass man nur Abscheu und Empörung gegenüber solchen Scharfmachern und Hetzern empfinden kann. Doch mit gleichem Abscheu und Empörung müssen wir die sich moralisch aufführenden Verwalter dieser menschenverachtenden Migrationspolitik bedenken.
Wir dürfen uns nicht hinters Licht führen lassen und uns für Aufrufe zur Verteidigung der Demokratie, der Brandmauer gegen AfD usw. einspannen lassen. Die angeblich aufrichtigen, integren demokratischen Parteien wie SPD und Grüne, die sich alle als die „feinen“, „sauberen“, Demokraten herausputzen wollen, sind Teil des gleichen Regimes. Die Eskalation durch Merz gibt ihnen nun die Chance sich umso heuchlerischer als die moralisch Aufrechten zu präsentieren. Was dieses bedeutet, durften wir schon oft genug in der Begeisterung für den Krieg in der Ukraine dieser rot-grünen Antifaschisten erleben. In Wirklichkeit wollen sie uns mit ihrer „Brandmauer“ für die Verteidigung eines Herrschaftssystems einspannen, das nur der Aufrechterhaltung und Verschleierung der Herrschaft des Kapitalismus dient.
Zum Schutz des kapitalistischen Systems organisierte die Sozialdemokratie 1919 unter dem Vorwand des Kampfes für die Demokratie die Ermordung von Tausenden von Arbeitern und Arbeiterinnen. Mit einer demokratischen Legitimation sorgen die Regierungen dafür, dass Millionen von verzweifelten Flüchtlingen, die angesichts von Kriegen, Umweltzerstörung und Unterdrückung eine Überlebenschance in der EU suchen, an den Grenzen mit militärischen Mitteln durch die Festung Europa zurückgehalten werden, zur Not mit push-backs. Die gleiche Konstellation in den USA, wo die demokratisch gewählte Regierung Trump massenhaft Deportationen Illegaler massiv verstärkt.
Die „feinen“ Demokraten wollen uns mit ihrem Brandmauergerede hinter den Staat locken. Sich von ihnen für die Verteidigung der Demokratie einspannen zu lassen, bedeutet zur Verteidigung der Kapitalherrschaft beizutragen.
Lenin erinnerte in Staat und Revolution an Marx’ Analyse nach der Pariser Kommune 1871; „Marx hat dieses Wesen der kapitalistischen Demokratie glänzend erfaßt, als er in seiner Analyse der Erfahrungen der Kommune sagte: den Unterdrückten wird in mehreren Jahren einmal gestattet, darüber zu entscheiden, welcher Vertreter der unterdrückenden Klasse sie im Parlament ver- und zertreten soll!“
Wir dagegen müssen eintreten für die Überwindung aller Staaten, aller Nationen, d.h. für die Überwindung des Kapitalismus, der nur noch Kriege und Zerstörung für uns bereithält. Der Hetze der Populisten, den heuchlerischen und heimtückischen Lockrufen der „feinen“ Demokraten zur Verteidigung ihres ausbeuterischen Systems entgegenzutreten, heißt nicht an die Wahlurnen zu eilen oder zu Protesten als „Bürger“ zusammenzukommen. Stattdessen müssen wir uns all dem als Beschäftigte und Arbeitslose, kurz als ProletarierInnen, die kein Vaterland kennen, die nichts als ihre Ketten zu verlieren haben, geschlossen entgegenstellen.
Nur der internationale Klassenkampf kann eine Perspektive zu einer besseren Gesellschaft bieten!
2. Februar 2025
INTERNATIONALE KOMMUNISTISCHE STRÖMUNG IKS
Die zentrale Frage, die sich gegenwärtig der Arbeiterbewegung stellt, ist, welche Haltung sie gegenüber der Demokratie einnehmen soll, genauer gesagt, soll sie die vom Faschismus bedrohten demokratischen Institutionen verteidigen oder nicht, wo dieser doch gleichzeitig zur Zerstörung der proletarischen Organisationen schreitet. Auf diese Frage ist – wie bei anderen auch – die einfachste Lösung nicht die klarste, sie entspricht in keinster Weise der Wirklichkeit des Klassenkampfes. So widersprüchlich es auch auf den ersten Blick erscheinen mag, der Arbeiterbewegung gelingt es nur unter der Bedingung ihre Organe vor dem Angriff der Reaktion zu schützen, indem sie ihre Kampfpositionen beibehält, sie nicht mit dem Los der Demokratie verbindet und den Kampf gegen die faschistischen Angriffe führt ohne die Fortsetzung ihres Kampfs gegen den demokratischen Staat aufzugeben. Ist in der Tat einmal die Verbindung von Arbeiterbewegung und den demokratischen Institutionen eingeführt, dann sind die politischen Voraussetzungen für das sichere Unglück der Arbeiterklasse geschaffen, denn der demokratische Staat erhält durch die Unterstützung der Arbeitermassen nicht die Möglichkeit zu leben und zu überleben, sondern die notwendige Voraussetzung, um sich in ein autoritäres Regime umzuwandeln, oder das Signal zu seinem Verschwinden, um seinen Platz der neuen faschistischen Organisation zu überlassen.
Wenn man die gegenwärtige Lage für sich allein betrachtet, ohne sie in Zusammenhang zu bringen mit dem, was ihr voraus ging und was ihr folgen wird, wenn man nur die gegenwärtigen Positionen der politischen Parteien berücksichtigt, ohne diese mit der Rolle in Verbindung zu bringen, die sie »in der Vergangenheit« einnahmen und zukünftig beibehalten werden, reisst man die unmittelbaren Umstände und die gegenwärtigen politischen Kräfte aus dem allgemeinen historischen Zusammenhang, was es dann leicht macht, die Wirklichkeit auf folgende Weise darzustellen: der Faschismus geht zum Angriff über, das Proletariat hat allen Grund, seine Freiheiten zu verteidigen, und daraus ergibt sich für dieses die Notwendigkeit, eine Verteidigungsfront für die bedrohten demokratischen Institutionen aufzubauen. Vertuscht mit einem revolutionären Anstrich wird diese Position unter dem Schein einer angeblich revolutionären Strategie präsentiert und als grundlegend »marxistisch« ausgegeben. Von da ab wird das Problem auf folgende Weise eingeführt: zwischen der Bourgeoisie und der Demokratie offenbart sich eine Unverträglichkeit; infolgedessen pfropft sich das Interesse der Arbeiter, die ihnen von der Demokratie zugestandenen Freiheiten zu verteidigen, natürlicherweise auf ihre besonderen revolutionären Interessen auf und so wird der Kampf zur Verteidigung der demokratischen Institutionen zu einem antikapitalistischen Kampf!
Diesen Vorschlägen liegt eine offensichtliche Begriffsverwirrung zugrunde, zwischen Demokratie, demokratischen Institutionen, demokratischen Freiheiten und Arbeiterpositionen, die man fälschlicherweise als »Freiheiten der Arbeiter« bezeichnet. Aus theoretischer wie aus historischer Sicht stellen wir fest, dass zwischen Demokratie und Arbeiterpositionen ein unauflösbarer und unversöhnlicher Gegensatz besteht. Der Aufstieg und Sieg des Kapitalismus wurde von einer ideologischen Bewegung begleitet, die in wirtschaftlicher wie politischer Hinsicht grundsätzlich folgenden Standpunkt einnimmt und zum Ausdruck bringt: Auflösung der Einzelinteressen und Einzelforderungen der Individuen, Gruppierungen und insbesondere der Klassen innerhalb der Gesellschaft. Die Gleichheit der einzelnen Bestandteile scheint deshalb möglich, weil die Individuen ihr Wohl und Wehe den Staatsorganismen anvertrauen, die die Gemeinschaftsinteressen repräsentieren. Es ist nützlich festzustellen, dass die liberale und demokratische Theorie die Auflösung von gegebenen Klassen und Schichten von »Bürgern« voraussetzt, die kein anderes Interesse hätten, als freiwillig einen Teil ihrer Freiheit abzutreten, um als Gegenleistung den Schutz ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung zu erhalten.
(…) Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, eine Kritik des der Demokratie zugrundeliegenden Prinzips zu machen, um zu beweisen, dass die »freien und gleichen Wahlen« nur eine Fiktion sind, die die Abgründe verschleiern, die die Klassen der bürgerlichen Gesellschaft trennen. Um was es uns hier geht, ist, klar aufzeigen zu können, dass zwischen dem demokratischen System und Arbeiterpositionen ein unauflösbarer Gegensatz besteht. Jedesmal, wenn es den Arbeitern gelang, zum Preis von heldenhaften Kämpfen und unter Opfer ihres Lebens, eine Klassenforderung gegenüber dem Kapitalismus durchzusetzen, haben sie als Nachwirkung der Demokratie, die nur der Kapitalismus für sich beanspruchen kann, einen schweren Schlag versetzt. Die Verkündung der Lügenhaftigkeit des demokratischen Prinzips ist eine Bedingung für die geschichtliche Mission des Proletariats, das liegt in ihrer Natur selbst begründet, wie auch in der Notwendigkeit, die Klassenunterschiede und die Klassen selbst aus der Welt zu schaffen. Am Ende des Weges, den das Proletariat im Verlauf des Klassenkampfs zurücklegt, wird sich keine rein demokratische Herrschaft vorfinden, da das Prinzip, auf welchem die kommunistische Gesellschaft gründet, die Abwesenheit einer die Gesellschaft leitenden staatlichen Macht ist, wohingegen sich die Demokratie genau das zum Anliegen macht und auch in ihrer liberalsten Form stets bestrebt ist, über alle Ausgebeuteten das Scherbengericht zu verhängen, die es wagen, ihre Interessen mit Hilfe ihrer Organisationen zu verteidigen, anstatt den demokratischen Institutionen untergeordnet zu bleiben, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, die Ausbeutung der Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten.
(…) Der Kampf für die Demokratie stellt also eine gewaltige Abweichung dar, um die Arbeiter von ihrem Klassenboden wegzureissen und sie zu den widersprüchlichen Seiltänzen zu verführen, dort wo der Staat seine Metamorphose von der Demokratie zum faschistischen Staat vollzieht. Die Zwangslage Faschismus-Antifaschismus wirkt also nur im ausschliesslichen Interesse des Feindes; der Antifaschismus und die Demokratie schläfert die Arbeiter ein, um sie danach den Faschisten ans Messer zu liefern, betäubt die Arbeiter, damit sie den Platz und den Weg ihrer Klasse aus den Augen verlieren. (…)
(…) Da die Gesellschaft in Klassen geteilt ist, die sich infolge von ökonomischen Privilegien krass voneinander unterscheiden, können Mehrheitsentscheidungen keine Bedeutung haben. Der demokratische und parlamentarische Staat liberaler Verfassung erhebt den Anspruch, eine Organisation aller Bürger im Interesse aller Bürger zu sein. Das ist ein Betrug. Solange Interessengegensätze und Klassenkämpfe bestehen, ist keine Organisationseinheit möglich. Obwohl ein Schein von Volkssouveränität zur Schau getragen wird, bleibt der Staat das Organ der ökonomisch herrschenden Klasse und das Instrument zum Schutz ihrer Interessen. Obwohl in der bürgerlichen Gesellschaft die politische Vertretung (die parlamentarischen Organe) demokratisch gewählt werden, betrachten wir diese Gesellschaft als einen Komplex aus verschiedenen anderen Organisationen und Vereinigungen. Viele davon werden von den privilegierten Schichten gebildet und verfolgen die Aufrechterhaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Sie schliessen sich daher um die mächtige und zentralisierte Organisation des Staatsapparates zusammen. Andere verhalten sich neutral oder ändern von Fall zu Fall ihre Haltung gegenüber dem Staat. Andere schliesslich entstehen innerhalb der besitzlosen und ökonomisch ausgebeuteten Klassen; sie richten sich gegen den bestehenden Klassenstaat. Der Staat hat also keineswegs den Charakter einer Vereinigung aller Bürger oder der ganzen Nation. Und daran können die politische und rechtliche Gleichheit aller Bürger, die formale Anwendung des demokratischen Prinzips bzw. des Mehrheitsrechts überhaupt nichts ändern, weil eine ökonomisch bedingte Klassenteilung besteht. Die politische Demokratie gibt offiziell vor, einen Staat aller Bürger errichtet zu haben. In Wirklichkeit ist sie jedoch die Staatsform, die sich für die Herrschaft der kapitalistischen Klasse und die Aufrechterhaltung ihrer Privilegien besonders gut eignet. Sie ist die spezifische Form der bürgerlichen Diktatur im echtesten Sinne des Wortes. (...)
Mit der Verdoppelung des Rüstungshaushaltes in Deutschland von heute auf morgen wurde die schnellste und umfangreichste Erhöhung eines Rüstungshaushalts in der Geschichte des 20. Jahrhunderts vollzogen. Selbst den Nazis, die mit der gesamten Rüstungsindustrie an ihrer Seite auf eine massive Aufrüstung drängten, gelang solch ein Coup nicht.
Gleichzeitig wurde mit dem Beschluss der Waffenlieferungen an die Ukraine – ob aus Bundeswehrbeständen oder direkt aus den Produktionsstätten der deutschen Waffenschmieden – in bislang nie gekanntem Ausmaß eine jahrzehntelange Zurückhaltung bzw. Weigerung von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete aufgekündigt.
Mittlerweile rühren die Grünen, die FDP, CDU und Teile der SPD ununterbrochen die Trommel für die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Zum Beispiel: "Wir können die Ukraine in dem Krieg nicht alleine lassen. Sie kämpft auch für uns. Die Ukraine darf nicht verlieren, Putin darf nicht gewinnen." Deutschland stehe in der Pflicht, die Menschen in der Ukraine, die sich mit Mut und Opferbereitschaft wehrten, mit Waffen zu unterstützen. „Natürlich bedeutet eine Brutalisierung des Krieges auch, dass man in Quantität und Qualität der Waffenlieferungen zulegen muss", so der Grüne Hofreiter. Die grüne Außenministerin Baerbock stieß ins gleiche Horn: Keine Zeit für Ausreden, jetzt muss gehandelt werden. Oder: „Jetzt ist keine Zeit für Ausreden, sondern jetzt ist Zeit für Kreativität und Pragmatismus." „Es darf keine Tabus bei Waffenlieferungen geben.“
Wenn die früher sich als pazifistisch gebärdende Partei mittlerweile neben der FDP innerhalb der Ampelkoalition als größter Fürsprecher für derartige Kriegsschritte wirbt, ist dies eine Kehrtwende, die nur dem jetzigen Vorgehens Russland geschuldet ist? Ist es ein „Abrücken“ der Grünen von bisher tapfer verteidigten Prinzipien? Wir sagen: Es handelt sich um keine Überraschung, sondern um die konsequente Umsetzung einer von Anfang an so vorgezeichneten „Laufbahn“.
Blicken wir zurück: Die Grünen rekrutierten sich Anfang der 1980er Jahre aus den Protestbewegungen gegen die Atomkraft, die Nachrüstung und dem Eintreten für Umweltschutz. Sich gegen Nachrüstung zu stellen, heißt noch lange nicht, den Militarismus und seine tieferliegenden Wurzeln infrage zu stellen. Dass der Krieg zur Überlebensform des dahinsiechenden Kapitalismus geworden ist, und nicht durch pazifistische Forderungen bekämpft werden kann, hatten die Revolutionäre schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs hervorgehoben.
„Die Sozialisten haben die Kriege unter den Völkern stets als eine barbarische und bestialische Sache verurteilt. Aber unsere Stellung zum Krieg ist eine grundsätzlich andere als die der bürgerlichen Pazifisten (der Friedensfreunde und Friedensprediger) und der Anarchisten. Von den ersteren unterscheiden wir uns durch unsere Einsicht in den unabänderlichen Zusammenhang der Kriege mit dem Kampf der Klassen im Innern eines Landes, durch die Erkenntnis der Unmöglichkeit, die Kriege abzuschaffen, ohne die Klassen abzuschaffen und den Sozialismus aufzubauen“ (Lenin – Sozialismus und Krieg, 1915).
Diese Tatsache zu verschleiern und glauben machen, dass es friedliche Lösungen innerhalb des Systems geben könnte, sollte zu einer Aufgabe der Grünen werden.
Gleichzeitig dienten die Grünen als Auffangbecken für einen Teil derjenigen, die gegen die ständig deutlicher werdende Zerstörung der Umwelt protestierten. Die spezifische Rolle der Grünen bestand auch hier darin, davon abzulenken, dass die Zerstörung der Umwelt ein zentraler Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise ist, wo die Umwelt entweder schlechthin der unmittelbaren Vernichtung preisgegeben wird oder alles zu einer Ware wird oder alles mit Geld reguliert werden könnte (z.B. Emissionshandel). Gleichzeitig entdeckten die Grünen eine neue Marktnische, wo uns mit dem Öko-Label vorgemacht werden soll, so könne jede:r Einzelne zum Erhalt der Natur beitragen. Begleitet wurde dies durch das Predigen von „individuellen Lösungen“ auf Konsumentenebene (Jede:r muss bei sich anfangen) usw. Und seit Jahren zeichnen sie sich durch die Befürwortung einer Green Economy aus, wo ebenfalls durch „saubere Techniken“ Kapitalismus und Umweltschutz besser vereinbar werden sollten. So wurden die Grünen nicht nur in das staatliche Räderwerk integriert, sondern zu einem besonders wirkungsvollen Stützpfeiler der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ideologie.
Im Jahre 1999 haben sie sich einen neuen historischen Verdienstorden erworben, als sie zusammen mit der SPD unter Schröder die Beteiligung am Nato-Einsatz in Jugoslawien und die Bombardierung Belgrads durchsetzten. Damals gelang es Rot-Grün, dem deutschen Militarismus nach 1989 wieder das Tor zur direkten militärischen Intervention aufzustoßen, auch wenn sie mit der Etikette hausierten, gegen zu große Rüstungsanstrengungen zu sein. Als ideologischen Baustein für die moralische Notwendigkeit der Kriegsbeteiligung verwendeten sie eine modernisierte Form des bürgerlichen Humanismus, voll von Heuchelei. Die historische Verantwortung des Holocausts verlange geradezu die deutsche Kriegsbeteiligung gegen Serbiens „Völkermord“. Immer wieder ging es darum, mit noch gewiefteren Rechtfertigungen für ein militärisches Vorgehen einzutreten. Vor den Wahlen im September 2021 kündigten sie schon gegenüber den bekannten ‚diktatorischen Regimen‘ an, stärker auf die Menschenrechte zu pochen. Der eigentliche Hintergrund war, dass das deutsche Kapital in eine viel zu starke Abhängigkeit von Märkten und Lieferungen von/nach China oder Russland geraten war und dass eine strategische Neuorientierung aus globaler Sicht des deutschen Kapitals dringend geboten war, um diese erdrückende Abhängigkeit zu lockern. Die Grünen lieferten die ideologische Rechtfertigung mit dem Gerede vom Schutz der Menschenrechte, der Rhetorik des Völkermords und der moralischen Verantwortung für eine solche Umorientierung Deutschlands.
D.h. lange vor dem Ukraine-Krieg hatten sich die Grünen als ein Trumpf des deutschen Kapitals erwiesen. Dass sie nun mit am lautesten nach schweren Waffen für die Ukraine rufen, ist keine Abkehr, kein Verrat, sondern eine vorhersehbare Entwicklung, sozusagen in ihren Genen festgeschrieben. Der Schritt von den pazifistischen Forderungen über den Humanismus hin zu glühendem Aufrufen für Waffenlieferungen beweist erneut, wie der Staatskapitalismus solche anfänglichen kleinbürgerlichen Protestbewegungen in sich aufsaugen, sie für sich instrumentalisieren und ihnen einen besonders nützlichen Platz in der Kriegsmaschinerie zuordnen kann.
Hätten andere bürgerliche Parteien dafür plädiert, wie es die Grünen nun im Namen der Sicherheit der Energieversorgung wegen eines geplanten Stopps der Gaslieferungen aus Russland tun, auch in Kauf zu nehmen, dass die Laufzeiten von Kohlekraftwerken oder gar AKWs verlängert werden, hätte dies sicherlich für Proteste gesorgt. Die Grünen erweisen sich auch hier bereit, alles für die militärischen Bedürfnisse des Landes zu opfern.
Nachdem die Grünen bei den letzten Wahlen viele – vor allem jüngere Leute – an die Wahlurnen haben locken können und viele der Teilnehmer:innen an den Fridays-for-Future-Protesten den Grünen auf den Leim gegangen sind, mögen jene sich enttäuscht und verbittert fühlen. Wir meinen, dass man die tiefere Entwicklung und die Mechanismen hinter diesem Vorgehen der Grünen sehen und damit jegliche Illusionen in solche Parteien über Bord werfen muss, weil diese Parteien tatsächlich als ein besonders perfider Teil der Kriegsmaschinerie agieren.
Die SPD hat die Interessen des deutschen Militarismus schon seit langem bestens bedient. Im 1. Weltkrieg rief die Führung der SPD zusammen mit den Gewerkschaften zum Burgfrieden zwischen Arbeitern und Kapital & Militär auf und sorgte 4 Jahre lang bis 1918 konsequent für die Fortsetzung des Krieges. Als die Arbeiter in Deutschland sich schließlich – angespornt durch die Arbeiter in Russland – im November 1918 gegen den Krieg erhoben, stellte sich ihnen die Sozialdemokratie mit den Freikorps, den Militärs und dem Rest der deutschen Bourgeoisie entgegen und organisierte die Repression gegen die Arbeiter.
Wenn immer die SPD nach dem 2. Weltkrieg an der Regierung beteiligt war, zeichneten sich die von ihr gestellten Verteidigungsminister durch ihre vorbehaltlose Unterstützung der Bundeswehr sowie besondere strategische Herangehensweisen heraus. Zur Zeit des Kalten Kriegs fädelte die Regierung unter Willy Brandt (Scheel) die „Ostpolitik“ ein, die auf einen Ausgleich mit der Sowjetunion abzielte und später in „Wandel durch Handel“ umgemünzt wurde. Auf der einen Seite war die SPD eine transatlantische, d.h. den USA treu ergebene Partei, auf der anderen Seite baute man gleichzeitig insbesondere nach 1989 besondere Beziehungen zu Russland auf. Die Verflechtung zahlreicher SPD-Politiker (nicht nur Schröder mit den russischen Gasgiganten, sondern auch mehrere SPD-Ministerpräsidenten) mit Russland sowie die Politik der CDU mit Merkel an der Spitze, um eine privilegierte Stellung gegenüber Russland aufzubauen, wurde von allen Teilen der deutschen Bourgeoisie mitgetragen, weil man so am besten den Interessen des deutschen Kapitals dienen konnte.
So ist es für das deutsche Kapital um so schmerzhafter gegenüber Russland nun entschlossen die Stirn bieten zu müssen, dennoch will man sich nicht voll in die Politik der USA der nahezu grenzenlosen Konfrontation mit Russland einspannen lassen. Hinter dem in der Öffentlichkeit angeprangerten Zaudern des angeblich allzu zaghaften, ausweichenden Bundeskanzlers Scholz liegt keineswegs eine Hasenfüßigkeit gegenüber Russland, sondern vielmehr die Sorge um die langfristigen gesamtstaatlichen Belange. Die SPD will keineswegs alle Verbindungen mit Russland kappen, und vor allem nicht komplett in die Arme der USA laufen und in deren Vorgehen gegenüber Russland ohne eigenen Spielraum eingespannt werden. Jemandem, der wie Scholz die Verdopplung des Rüstungshaushalts von heute auf morgen durchgesetzt hat, kann man kein Zaudern vorwerfen. Er verfolgt vielmehr eine andere Taktik: anstatt alle möglichen Waffensysteme gegen Russland ins Gefecht zu bringen und allzu deutlich zu einem Handlanger der USA degradiert zu werden, widersetzt sich Scholz und seine SPD dieser Vorgehensweise der USA. Es handelt sich also keineswegs um irgendeine größere Prinzipienfestigkeit oder gar um ein Ausweichen des Taktierers Scholz, sondern eine kalkulierende Form der Herangehensweise zur Verteidigung der Interessen des deutschen Kapitals. Übrigens genießt Scholz in dieser Frage die Unterstützung bedeutender Kreise des deutschen Kapitals. Wir meinen hiermit nicht die Chefs der deutschen Waffenindustrie, die keinen Auftrag verschmähen, sondern die Industriekapitäne, die mit weiterem Druck der USA rechnen – ob jetzt unter Biden oder wie zuvor unter Trump oder nach den nächsten Präsidentschaftswahlen eventuell unter einem Präsidenten aus den Reihen der Republikaner.
Während die Grünen (und die FDP) sich von den USA leichter vor sich hertreiben lassen, ist sich die SPD vielleicht auch mehr der Gefahr von unberechenbaren Eskalationen, gar der Flucht nach vorn in Nuklearschläge Russlands bewusst.
Zudem hat die SPD bei allen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der „inneren Sicherheit“ an vorderster Stelle mitgewirkt und nie zögerlich gehandelt. Dass die SPD dabei von den Gewerkschaften Unterstützung erhält, ist auch nicht überraschend. Der DGB erklärte, die Bundesregierung habe „zu Recht verteidigungspolitisch schnell auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert“, ohne genauer zu benennen, was der DGB damit meinte.
Auch wenn die Reaktionen der verschiedenen bürgerlichen Parteien gegenüber dem Krieg in Ton und Art der Vorgehensweise sich voneinander zu unterscheiden scheinen, in Wirklichkeit müssen sich alle bürgerlichen Parteien den Bedürfnissen des Kriegs unterordnen.
Wt. 26.04.2022
Anhang | Größe |
---|---|
![]() | 451.65 KB |
"Horror", "Massaker", "Terrorismus", "Terror", "Kriegsverbrechen", "humanitäre Katastrophe", "Völkermord"... Die Worte, die auf den Titelseiten der internationalen Presse zu lesen sind, sprechen Bände über das Ausmaß der Barbarei in Gaza.
Am 7. Oktober tötete die Hamas 1400 Israelis und verfolgte alte Männer, Frauen und Kinder bis in ihre Häuser. Seitdem rächt sich der Staat Israel und mordet massenhaft. Der Bombenhagel, der Tag und Nacht auf Gaza niedergeht, hat bereits mehr als 10.000 PalästinenserInnen das Leben gekostet, darunter 4.800 Kinder. Inmitten der zerstörten Gebäude fehlt es den Überlebenden an allem: Wasser, Strom, Lebensmitteln und Medikamenten. Zweieinhalb Millionen BewohnerInnen von Gaza sind in diesem Moment von Hunger und Epidemien bedroht, 400.000 von ihnen sind in Gaza-Stadt gefangen und jeden Tag sterben Hunderte von ihnen, zerfetzt von Raketen, zerquetscht von Panzern, hingerichtet von Kugeln.
Der Tod ist überall in Gaza, genauso wie er in der Ukraine ist. Erinnern wir uns an die Zerstörung von Mariupol durch die russische Armee, den Exodus der Bevölkerung und den Grabenkrieg, der die Menschen unter sich begräbt. Bis heute soll es fast 500.000 Tote gegeben haben. Auf jeder Seite die Hälfte. Eine ganze Generation von Russen und Ukrainern wird heute auf dem Altar des nationalen Interesses geopfert, im Namen der Verteidigung des Vaterlandes. Und es ist noch nicht vorbei: Ende September mussten in Berg-Karabach 100.000 Menschen vor der Armee Aserbaidschans und der Gefahr eines Völkermords fliehen. Im Jemen hat der Konflikt, über den niemand spricht, über 200.000 Opfer gefordert und 2,3 Millionen Kinder zur Unterernährung gezwungen. Derselbe Schrecken des Krieges in Äthiopien, Myanmar, Haiti, Syrien, Afghanistan, Mali, Niger, Burkina Faso, Somalia, Kongo, Mosambik... Und zwischen Serbien und dem Kosovo schwelt die Konfrontation.
Wer ist für all diese Barbarei verantwortlich? Wie weit kann sich der Krieg ausdehnen? Und vor allem: Welche Macht kann sich ihm entgegenstellen?
Während wir diese Zeilen schreiben, fordern alle Nationen Israel auf, seine Offensive zu "mäßigen" oder "auszusetzen". Russland fordert einen Waffenstillstand, es, das vor anderthalb Jahren die Ukraine mit derselben Grausamkeit angegriffen hat, es, das 1999 im Namen desselben "Kampfes gegen den Terrorismus" 300.000 Zivilisten in Tschetschenien massakriert hat. China will Frieden, es, das die uigurische Bevölkerung ausrottet, es, das den Bewohnern Taiwans mit einer noch größeren Feuerflut droht. Saudi-Arabien und seine arabischen Verbündeten wollen die Einstellung der israelischen Offensive, und dezimieren selber die Bevölkerung im Jemen. Die Türkei wendet sich gegen den Angriff auf Gaza, während sie davon träumt, die Kurden auszulöschen. Was die großen Demokratien betrifft, so fordern sie, nachdem sie "Israels Recht auf Selbstverteidigung" unterstützt haben, heute "einen humanitären Waffenstillstand" und "die Einhaltung des Völkerrechts", sie, die seit 1914 mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit ihre Expertise im Massenmord unter Beweis gestellt haben.
Das ist übrigens das Hauptargument des Staates Israel: "Die Vernichtung von Gaza ist legitim", so wie es die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, der Teppich aus Brandbomben auf Dresden und Hamburg waren. Die Kriege in Afghanistan und im Irak führten die USA mit denselben Argumenten und Methoden wie Israel heute! Alle Staaten sind Kriegsverbrecher! Ob groß oder klein, beherrscht oder mächtig, scheinbar kriegslüstern oder gemäßigt – in Wirklichkeit beteiligen sich alle am imperialistischen Krieg in der globalen Arena, und alle betrachten die Arbeiterklasse als Kanonenfutter.
Es sind diese heuchlerischen und verlogenen Stimmen, die uns jetzt ihren Elan für den Frieden und ihre Lösung weismachen wollen: die Anerkennung Israels und Palästinas als zwei unabhängige und autonome Staaten. Die Palästinensische Autonomiebehörde, die Hamas und die Fatah lassen uns erahnen, wie dieser Staat aussehen würde: Wie alle anderen würde er die ArbeiterInnen ausbeuten; wie alle anderen würde er die Massen unterdrücken; wie alle anderen wäre er ein Kriegstreiber. Es gibt bereits 195 "unabhängige und autonome" Staaten auf der Welt, die zusammen jedes Jahr mehr als 2 Billionen Dollar für "Verteidigung" ausgeben. Und für 2024 werden diese Budgets explodieren.
Warum haben die Vereinten Nationen dann gerade erklärt: "Wir brauchen einen sofortigen humanitären Waffenstillstand. Es sind dreißig Tage vergangen. Zu viel ist zu viel. Das muss jetzt aufhören"? Natürlich wollen die Verbündeten Palästinas, dass die israelische Offensive gestoppt wird. Die Verbündeten Israels, die "großen Demokratien", die behaupten, das "Völkerrecht" zu respektieren, können die israelische Armee nicht einfach gewähren lassen, ohne etwas zu sagen. Die IDF massakrieren zu sichtbar. Vor allem, da sie die Ukraine militärisch gegen die "russische Aggression" und ihre "Kriegsverbrechen" unterstützen. Die Barbarei der beiden "Aggressionen" sollte nicht als zu ähnlich erscheinen.
Aber es gibt noch einen viel tieferen Grund: Alle versuchen, die Ausbreitung des Chaos zu begrenzen, denn alle können betroffen sein, alle haben etwas zu verlieren, wenn sich dieser Konflikt zu sehr ausbreitet. Sowohl der Angriff der Hamas als auch Israels Gegenreaktion haben eines gemeinsam: die Politik der verbrannten Erde. Das terroristische Massaker von gestern und der Bombenteppich von heute können zu keinem wirklichen und dauerhaften Sieg führen. Dieser Krieg stürzt den Nahen Osten in eine Ära der Destabilisierung und der Konfrontation.
Wenn Israel weiterhin Gaza dem Erdboden gleichmacht und seine Bewohner unter Trümmern begräbt, besteht die Gefahr, dass das Westjordanland ebenfalls in Flammen aufgeht, dass die Hisbollah den Libanon in den Krieg hineinzieht und dass der Iran sich schließlich zu sehr einmischt. Die Ausbreitung des Chaos auf die gesamte Region wäre zum Beispiel nicht nur ein schwerer Schlag für den amerikanischen Einfluss, sondern auch für die globalen Ansprüche Chinas, dessen wertvolle Seidenstraße durch die Region verläuft.
Die Gefahr eines dritten Weltkriegs schwebt in den Köpfen aller Menschen. In den Fernsehstudios diskutieren die Journalisten offen darüber. In Wirklichkeit ist die aktuelle Situation viel perfider. Es gibt keine zwei Blöcke, die sich wohlgeordnet und diszipliniert gegenüberstehen, wie in den Jahren 1914-18 und 1939-45 oder während des gesamten Kalten Krieges. Während der wirtschaftliche und kriegerische Wettbewerb zwischen China und den USA immer brutaler und bedrückender wird, beugen sich die anderen Nationen nicht den Befehlen eines dieser beiden Kolosse, sondern spielen ihre eigene Partitur, in Unordnung, Unberechenbarkeit und Kakophonie. Russland griff die Ukraine gegen den Rat Chinas an. Israel zerschlägt Gaza gegen den Rat der USA. Diese beiden Konflikte verkörpern die Gefahr, die die gesamte Menschheit mit dem Tod bedroht: die Zunahme von Kriegen, deren einziges Ziel es ist, den Gegner zu destabilisieren oder zu zerstören; eine endlose Kette von irrationalen und nihilistischen Ausschreitungen; ein jeder für sich selbst, das Synonym für unkontrollierbares Chaos ist.
Für einen dritten Weltkrieg müssten die ProletarierInnen in Westeuropa, Nordamerika und Ostasien bereit sein, ihr Leben im Namen des Vaterlandes zu opfern, zu den Waffen zu greifen und sich gegenseitig für die Flagge und die nationalen Interessen umzubringen, was heute absolut nicht der Fall ist. Aber das, was sich gerade entwickelt, braucht diese Zustimmung, diese Einwickelung der Massen nicht. Seit Anfang der 2000er Jahre versinken immer größere Teile der Welt in Gewalt und Chaos: Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen, Libanon, Ukraine, Israel und Palästina... Dieses Geschwür breitet sich nach und nach aus, Land für Land, Region für Region. Das ist die einzig mögliche Zukunft im Kapitalismus, diesem dekadenten und verrottenden Ausbeutungssystem.
Was ist also zu tun? Die ArbeiterInnen aller Länder dürfen sich keine Illusionen über einen angeblich möglichen Frieden machen, über irgendeine Lösung durch die "internationale Gemeinschaft", die UNO oder eine andere Räuberbande. Kapitalismus bedeutet Krieg. Seit 1914 hat er praktisch nie aufgehört und immer nur den einen Teil der Welt betroffen, dann den anderen. In der vor uns liegenden historischen Periode wird sich diese todbringende Dynamik weiter ausbreiten und verstärken, mit einer immer unfassbareren Barbarei.
Die ProletarierInnen aller Länder müssen sich daher weigern, sich mitreißen zu lassen, sie müssen sich weigern, für das eine oder das andere bürgerliche Lager Partei zu ergreifen, in Osteuropa, im Nahen Osten und überall sonst. Sie müssen sich weigern, sich von den Reden täuschen zu lassen, die sie auffordern, ihre "Solidarität" mit dem "angegriffenen ukrainischen Volk", mit dem "bedrohten Russland", mit den "gemarterten palästinensischen Massen", mit den "terrorisierten Israelis" usw. zu bekunden. In allen Kriegen, auf beiden Seiten der Grenzen, werben die Staaten stets mit dem Glauben an einen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Barbarei und Zivilisation. In Wirklichkeit sind all diese Kriege immer eine Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden Nationen, zwischen rivalisierenden Bourgeoisien. Sie sind immer Konflikte, in denen die Ausgebeuteten zugunsten ihrer Ausbeuter sterben.
Die Solidarität der ArbeiterInnen gilt daher nicht den "Palästinensern", wie sie auch nicht den "Israelis", den "Ukrainern" oder den "Russen" gilt, denn unter all diesen Nationalitäten gibt es Ausbeuter und Ausgebeutete. Sie richtet sich an die ArbeiterInnen und Arbeitslosen in Israel und Palästina, Russland und der Ukraine, genauso wie sie an die ArbeiterInnen in allen anderen Ländern der Welt geht. Echte Solidarität mit den Opfern des Krieges, der Zivilbevölkerung und den Soldaten beider Seiten, den Proletariern in Uniform, die zu Kanonenfutter gemacht werden, und den indoktrinierten und fanatisierten Kindern, kann man nicht dadurch erreichen, dass man "für den Frieden" demonstriert oder sich dafür entscheidet, eine Seite gegen eine andere zu unterstützen. Die einzige Solidarität besteht darin, ALLE kapitalistischen Staaten, ALLE Parteien, die dazu aufrufen, sich hinter diese oder jene Nationalflagge, diese oder jene kriegerische Sache zu stellen, ALLE, die uns mit der Illusion von Frieden und "guten Beziehungen" zwischen den Völkern täuschen, anzuprangern.
Diese Solidarität erfordert vor allem die Entwicklung unserer Kämpfe gegen das kapitalistische System, das für alle Kriege verantwortlich ist, einen Kampf gegen die nationalen Bourgeoisien und ihren Staat.
Die Geschichte hat gezeigt, dass die einzige Kraft, die den kapitalistischen Krieg beenden kann, die ausgebeutete Klasse ist, das Proletariat, der direkte Feind der Bourgeoisie. Das war der Fall, als die ArbeiterInnen in Russland im Oktober 1917 den bürgerlichen Staat stürzten und die ArbeiterInnen und Soldaten in Deutschland im November 1918 revoltierten: Diese großen Kampfbewegungen des Proletariats zwangen die Regierungen, den Waffenstillstand zu unterzeichnen. Das war es, was den Ersten Weltkrieg beendete: die Kraft des revolutionären Proletariats! Den wirklichen und endgültigen Frieden überall muss die Arbeiterklasse erobern, indem sie den Kapitalismus weltweit stürzt.
Dieser lange Weg liegt vor uns. Er führt heute über die Entwicklung von Kämpfen auf Klassenebene, gegen die immer härteren wirtschaftlichen Angriffe, die uns ein in eine unüberwindbare Krise gestürztes System auferlegt. Denn indem wir die Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen ablehnen, indem wir die ständigen Opfer im Namen eines ausgeglichenen Haushalts, der Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaft oder der notwendigen Kriegsanstrengungen ablehnen, beginnen wir, uns gegen das Herz des Kapitalismus zu stellen: die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.
In diesen Kämpfen ziehen wir an einem Strang, entwickeln Solidarität, debattieren und werden uns unserer Stärke bewusst, wenn wir vereint und organisiert sind. Das Proletariat trägt in seinen Klassenkämpfen eine Welt in sich, die das genaue Gegenteil des Kapitalismus ist: auf der einen Seite die Spaltung in Nationen, die sich in wirtschaftlicher und kriegerischer Konkurrenz bis zur gegenseitigen Zerstörung befinden; auf der anderen Seite eine potenzielle Einheit aller Ausgebeuteten der Welt. Das Proletariat hat begonnen, diesen langen Weg zu beschreiten und einige Schritte darauf zu machen: im "Sommer des Zorns" in Großbritannien 2022, in der sozialen Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich Anfang 2023, in den historischen Streiks im Gesundheitswesen und in der Automobilindustrie in den USA in den letzten Wochen. Diese internationale Dynamik markiert die historische Rückkehr der Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen, die wachsende Weigerung, die permanente Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, die Tendenz, sich als kämpfende ArbeiterInnen sektor- und generationsübergreifend zu solidarisieren. In Zukunft müssen die Bewegungen eine Verbindung herstellen zwischen der Wirtschaftskrise und dem Krieg, zwischen den geforderten Opfern und der Entwicklung der Rüstungshaushalte und -politik, zwischen all den Geißeln, die dieser veraltete globale Kapitalismus in sich trägt, zwischen der Wirtschafts-, Kriegs- und Klimakrise, die sich gegenseitig nähren.
Gegen den Nationalismus, gegen die Kriege, in die uns unsere Ausbeuter hineinziehen wollen, sind die alten Losungen der Arbeiterbewegung, die im Kommunistischen Manifest von 1848 zu finden sind, heute aktueller denn je:
Das Proletariat hat kein Vaterland!
„Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"
Für die Entwicklung des Kampfes des internationalen Proletariats!
Internationale Kommunistische Strömung, 7. November 2023
Die jüngsten Entwicklungen in der Weltlage haben dem deutschen Kapitalismus schwer zugesetzt und werden seine Lage noch weiter verschlechtern. An vorderster Stelle steht der Ukrainekrieg, der eine Zeitenwende (Originalton Kanzler Scholz) eingeleitet hat. Die ökonomische Sonderstellung, die Deutschland seit dem Eintritt in den Zerfall Anfang der 1990er Jahre an der Seite der als unangefochtene Weltmacht untergegangenen USA, aber mit wachsenden ökonomischen Beziehungen zu Russland und China einnehmen konnte und die zu üppigen Gewinnen und zu Träumen von einer wachsenden politischen Bedeutung im Zentrum des EU Projektes geführt hat, sind krachend explodiert.
Angefangen von der Verdoppelung des Rüstungshaushaltes über den explosiven und dauerhaften Anstieg der Preise (ob Energiekosten, Spritpreise oder Lebensmittel), die verschärfte Konkurrenz auf dem Weltmarkt, neu entstandene Abhängigkeiten und weitere schwer kalkulierbare Risiken: der Druck auf das deutsche Kapital ist enorm angestiegen und zwingt es zu einer ganzen Welle von Angriffen auf die Arbeiterklasse.
Die zahlreichen Folgen des Krieges werden von der herrschenden Propaganda herunterspielt. Dabei stehen wir erst am Anfang einer ganzen Reihe von Konsequenzen, sie sich u. a. aus folgenden eskalierenden Problemen ergeben:
- Die Verdoppelung des Rüstungshaushaltes wird natürlich aus Staatsmitteln finanziert, was letztendlich der Arbeiterklasse in Form von Steuern aufgehalst wird.
- Die Erzwingung von Sanktionen gegen Russland, um sich von russischen Gaslieferungen unabhängig zu machen[1], hat nur bewirkt, dass man die Abhängigkeit von Russland durch die von anderen Ländern – vor allem von den USA – eingetauscht hat. Den USA wird es somit möglich sein, gegenüber Deutschland auf einer neuen Ebene Druck auszuüben.
- Zudem ist der Gaspreis in Deutschland zum Beispiel fünfmal höher als in den USA und auch deutlich höher als in anderswo in Europa – was die Konkurrenzfähigkeit deutscher Firmen beträchtlich untergräbt. Die Folge: insbesondere energieintensive Betriebe haben schon rigorose Sparmaßnahmen und Stellenabbau sowie Standortverlagerungen eingeleitet[2]. Gleichzeitig hat der Krieg die Tendenz beschleunigt, dass immer mehr Großkonzerne der energieintensiven Industrie zu Subventionsempfängern geworden sind: ThyssenKrupp, der größte Stahlhersteller in Deutschland, erhält 2 Mrd. Euro zur Fortsetzung seiner Stahlproduktion mit weniger Umweltbelastung.
- Neben einer Verdoppelung der Heizkosten für die Privatverbraucher kommen riesige Investitionen in neue Energieversorgungsgeräte wie Wärmepumpen hinzu (Es müssten ca. 20 Millionen Häuser und etwa 40 Millionen Wohneinheiten mit neuen Energieversorgungsgeräten ausgestattet werden).
- Da die Ukraine im Krieg mit Russland durch die USA mit der strategischen Absicht unterstützt wird, durch das Ausbluten Russlands langfristig eine entscheidende Schwächung Chinas herbeizuführen, haben die USA bei ihrem weltweiten Vorgehen gegen ihren Hauptrivalen nahezu zeitgleich mit dem Ukrainekrieg auch die Sanktionsspirale gegenüber China verschärft. Die Firmen, welche in China in für die aus Sicht der USA strategisch wichtigen Bereichen Investitionen tätigen, setzen sich dem Risiko von Sanktionen durch die USA aus. Deutsche und französische Firmen stehen dabei mit an oberster Stelle. Deshalb werden die Konflikte zwischen der EU und den wirtschaftlich in China am stärksten engagierten europäischen Mächten noch weiter zunehmen.
- Weiter erhöht sich der Druck für das deutsche Kapital durch die Politik der USA, die unter Biden eine Reihe von ökonomischen Maßnahmen ergriffen haben, die von den Spitzen der europäischen Bourgeoisie sehr wohl als Kriegserklärung an Europa verstanden worden ist. Die Vorgehensweise der Biden-Regierung Investitionen in die USA gerade dort anzulocken, wo zuvor jahre-/jahrzehntelanger Niedergang zu einer Deindustrialisierung und Standortschließungen geführt hatte, zwingt die europäischen Staaten zu einem Subventionswettlauf mit den USA. Sicher kann Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten hier immer noch mehr Gelder locker machen, aber der Staat muss dadurch immer stärker zur Schuldenspritze greifen[3]. Pläne für eine neue Industriestrategie des deutschen Staates sind von Wirtschaftsminister Habeck schon vorgestellt worden.[4]
Seit dem erneuten Ausbruch der Kriegshandlungen im Nahen Osten kommen für die Wirtschaft weitere Unsicherheitsfaktoren hinzu, deren Ausmaß wir jetzt noch nicht einschätzen können.
- Die weltweit größten Wetterextreme, welche im Jahr 2023 registriert wurden, haben natürlich auch Deutschland erfasst[5]. Für all die Kosten der Klimakatastrophe und die angestrebte ökologische Umstellung auf erneuerbare Energien wird erneut staatliche Hilfe als unabdingbar erachtet. Aus Platzgründen gehen wir nicht näher auf diese Frage hier ein.
Seit einiger Zeit ist für das deutsche Kapital durch den Aufstieg Chinas eine zusätzliche Bedrohung herangewachsen.
China hat sich dank massiver staatlicher Subventionen zu einem führenden Elektroautohersteller gemausert[6] und ist neben Tesla zu einer massiven Bedrohung für die deutschen Automobilhersteller geworden. Reaktion des deutschen Kapitals: mit Unterstützung der EU ist man in einen Subventionskrieg mit China eingetreten und plant protektionistische Maßnahmen gegen chinesische Elektrofahrzeuge.
Dies wird das Dilemma von Volkswagen noch vergrößern, das in eine verheerende Abhängigkeit gegenüber China mit einem Absatzanteil seiner Autos in China von ca. 40% geraten ist. Es ist gezwungen weiter massiv in China zu investieren, weil man sonst ganz vom Markt verdrängt würde.[7] Die Herausforderung für das deutsche Kapital lautet: wie den US-Sanktionen ausweichen und was tun, um nicht durch die chinesische Konkurrenz aufgerieben zu werden. In Anbetracht des Drucks Chinas und des US-Konkurrenten Tesla besteht die Gefahr, dass die deutschen Autobauer mit ihren jahrelang führenden Modellen wie BMW, Mercedes, Porsche, Volkswagen durch die immer größere Nachfrage nach ausländischen Elektroautos beiseite gedrängt werden. D.h. ein Kernbereich der deutschen Wirtschaftskraft gerät ins Wanken.[8]
Wie oben erwähnt ist der deutsche Staat gezwungen, im internationalen Konkurrenzkampf und insbesondere im Wettbewerb mit den Subventionen durch den chinesischen und amerikanischen Staat selbst die Subventionskanone massiv einzusetzen.[9]
Während der Covid-Pandemie hatte der Staat mit der Vergabe von Rettungspaketen und mit allen möglichen „Abfederungs- und Ankurbelungsprogrammen“ die schlimmsten Auswirkungen abzuschwächen versucht. Die Verdoppelung des Rüstungshaushaltes (auf mehr als 80 Mrd. (auch wenn mit vielen Buchungstricks), die Einsetzung eines Stabilisierungsfonds (WSF) Energie nach Beginn des Ukrainekriegs (das Maßnahmenpaket Energie beläuft sich vielleicht auf 300 Mrd. Euro) – all das verschlingt Unsummen an Staatsgeldern. Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie Sozialversicherung einschließlich aller Extrahaushalte standen Anfang 2023 zusammen mit 2406,6 Milliarden Euro in der Kreide, Tendenz steigend.
Solange die Zinsen null Prozent betrugen oder um null Prozent schwankten, konnte sich über längere Zeit ein Bauboom entfalten. Seitdem die Zinsen jedoch kräftig angezogen haben, ist die Bauindustrie in die Knie gegangen. Auch wenn es in Deutschland keine Bombardierungen mit entsprechenden Ruinen gab, sind viele gegenwärtigen Baustopps (von denen einige zu Bauruinen werden können) eine der ökonomischen Folgen des Krieges. Die Wohnungsnot wird weiter dramatisch zunehmen, mit der Folge, dass 3,1 Millionen der insgesamt 21 Millionen Mieterhaushalte für die Warmmiete im Monat mehr als 40 Prozent ihres Einkommens ausgeben. Je länger die Zinsen auf diesem hohen Niveau liegen (und je länger der Krieg dauert, desto wahrscheinlicher ist dies), desto mehr wird die Bauwirtschaft stranguliert und die Schuldenspirale selbst wird sich noch verschärfen.
Die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft sich als größte Wirtschaft in Europa mit ihrem Negativwachstum in der Rezession befindet, wird natürlich ebenso Folgen insbesondere für die europäischen Nachbarstaaten haben (auf die wir in einem anderen Artikel eingehen wollen).
Wenn wir diese Liste der sich verschärfenden Probleme für das deutsche Kapital aufführen, wird unverkennbar wie sehr das deutsche Kapital unter Zugzwang gerät, um das alles auf die Arbeiterklasse abzuwälzen.
Ein anschauliches Beispiel, auf wessen Rücken die ganze Zuspitzung der Lage ausgetragen werden soll, ist die Entwicklung im Gesundheitswesen.
Aufgrund von Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen, (u.a. Privatisierungen, Fallpauschalen, Personalabbau usw.) die zu einer brutalen Verdichtung der Arbeitshetze mit entsprechendem Verschleiß der Arbeitskräfte geführt hat, was wiederum viele zur Aufgabe ihrer Arbeit gezwungen und damit beträchtlich zur Personalnot in den Krankenhäusern beigetragen hat, stehen heute viele Kliniken vor dem Bankrott. Dem Krankenhausverband zufolge machen die Allgemeinkrankenhäuser derzeit jeden Monat 500 Millionen Euro Verlust, (50 Krankenhäuser sind bereits in dem Insolvenzverfahren) - was wiederum die Hälfte von ihnen zur Reduzierung von Bettenkapazitäten zwingt. Ein Drittel dieser Krankenhäuser will offene Stellen nicht mehr besetzen. In den Pflegeheimen für die Alten sieht es ähnlich aus. Immer mehr Pflegeheime müssen aus Rentabilitätsgründen schließen, bis Jahresende 2023 prognostiziert man Defizite bei mehr als einem Drittel der Pflegeheime und das bei einem starken Anstieg der Pflegekosten auf durchschnittlich 2548 Euro pro Monat, das sind 348 Euro mehr als Mitte 2022. Sind weniger als 98 Prozent der Plätze belegt, rutscht eine Einrichtung in die roten Zahlen. Ein neuralgischer Punkt auch hier: Pflegenotstand. 100.000 Pflegekräfte fehlen - das bei steigendem Pflegebedarf.
Konsequenz: es wird immer unzureichender oder sogar gefährlicher in einem Krankenhaus behandelt oder in einem Heim gepflegt werden zu müssen, weil die Arbeitsbedingungen für das Personal immer unerträglicher werden und somit die Qualität der Behandlung und der Unterbringung untergraben wird. Für die Krankenhauspatienten und die Bewohner der Pflegeheime heißt dies immer unmenschlichere und gesundheitsgefährdende! Bedingungen und für das Personal immer unerträglichere Arbeitsbedingungen. Und da die Krankenhäuser über eine Mindestzahl von Pflegekräften verfügen müssen, müssen Kliniken Betten schließen, weil kein Personal vorhanden ist. Ähnliche Entwicklungen haben auch im Rettungswesen stattgefunden, wo wegen nicht vorhandenem Personal die Einsatzfähigkeit eingeschränkt wird und die Anfahrzeiten für die Einsatzfahrzeuge steigen. Größer und deutlicher könnte der Kontrast zwischen dem, was grundsätzlich medizinisch-technisch möglich ist und dem, was die Gesetze des Profits aufzwingen, nicht sein.
Vergleichbare Trends gibt es auch im Bildungswesen, wo immer weniger Lehrer für mehr Schüler vorhanden sind und die Unterrichtsbedingungen sich immer mehr verschlechtern.
In mehreren Bereichen gibt es deshalb infolge von massiven Personaleinsparungen eine Art Fluchtmechanismus, der bislang eher zu „Kündigungen“ geführt hat und nicht in offenen Abwehrkampf umgeschlagen ist.
Der Personalmangel nimmt mittlerweile immer dramatischere Ausmaße an[10]. Beim Personalmangel kommt auch die demographische Entwicklung hinzu, da allein schon aufgrund der niedrigen Geburtenraten ein Rückgang der Arbeitskräfte eingetreten und aus der Sicht der Wirtschaft die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften immer unverzichtbarer wird. Das deutsche Kapital möchte – wie woanders auch, die bestqualifizierten Arbeitskräfte „selektieren“ (vor allem wenn deren Ausbildungskosten im Ausland finanziert wurden) – aber eine Mischung aus politischer Rückständigkeit, Populismus, Fremdenfeindlichkeit behindert selbst eine gezielte Zuwanderung. Somit häufen sich die durch Personalmangel entstandenen Schwierigkeiten und das Kapital wird selbst getroffen durch den zunehmenden Rassismus und Populismus.
Während der Staat einerseits dem Kapital durch viele Finanzspritzen im internationalen Wettbewerb unter die Arme greifen muss, nimmt er anderswo immer heftigere Kürzungen vor.
So sind für das nächste Jahr z.B. Einschnitte im Sozial- & Bildungsbereich vorgesehen. Aber auch die Firmen drehen die Daumenschrauben an.
Die großen Konzerne haben längst massive Kürzungen verordnet, die vom Personalkostensenkung, Abbau der Stammbelegschaften, Produktivitätserhöhungen, bis zum Schließen von Abteilungen und Werken gehen können. VW, Ford, DB-Cargo wollen alle mehrere Tausend Stellen streichen, in der Chemie ist Personalabbau in der Höhe von Tausenden von Arbeitsplätzen angerollt. Die Deutsche Bank/Postbank will jede zweite Filiale schließen. Im Einzelhandel gehen viele Jobs verloren (die Real-Supermarktkette mit 4.000 Jobs macht dicht, Karstadt und Kaufhof schließen weitere Filialen). Die Regierung will die Vorruhestandsregelung mit 63 Jahren einschränken.
Bislang stehen wir erst am Anfang der ganzen Welle von Konsequenzen, die sich aus der sich verschärfenden Lage ergeben haben. All die oben aufgeführten Faktoren zwingen das Kapital zu neuen Konfrontationen mit der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse wird damit gezwungen sein, die Herausforderung anzunehmen und sich viel stärker in den Abwehrkampf einzureihen, den die Arbeiter und Arbeiterinnen in anderen Ländern schon viel früher und entschlossener aufnehmen mussten. T. 01.11.2023
[1] War man bis zu Kriegsbeginn zu 60% auf russische Gas-und Öllieferungen angewiesen und plante man mit Northstream II noch größere Lieferungen (zu einem relativ günstigen Preis), sind diese Verträge alle Makulatur geworden.
[2] BASF investiert nun verstärkt in den wichtigen Markt China: Bis zu zehn Milliarden Euro sollen in den neuen Standort Zhanjiang in der Provinz Guangdong fließen. Er soll die weltweit drittgrößte Produktionsstätte von BASF nach Ludwigshafen und Antwerpen werden.
[3] „Schleichende Deindustrialisierung? Ausländische Firmen investierten lediglich 10,5 Milliarden Euro, während deutsche Unternehmen rund 135,5 Milliarden Euro im Ausland direkt investiert haben.“ Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
[4] Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) plant gewissermaßen einen kleinen Konkurrenzplan (von vsl. 50 Mrd. Euro) zum amerikanischen Inflation Reduction Act, (kurz IRA, ein Investitionsprogramm, dessen Umfang 738 Milliarden Dollar beträgt) mit einer Industriestrategie.
[5] Auch wenn 2023 nicht solche verheerenden Überschwemmungen wie die vom Ahrtal 2021 eingetreten sind (dies hatte mehr als 30 Mrd. geschätzte Folgekosten verursacht), steigen deren Kosten unaufhörlich an.
[6] In China wurden bis zum Jahreswechsel 2022/23 rund 14,6 Millionen Elektro- und Hybridfahrzeuge neu zugelassen – 53 Prozent der 27,7 Millionen Elektro- und Hybridfahrzeuge weltweit.
[7] Volkswagen etwa kündigte im April 2023 an, man werde für rund eine Milliarde Euro ein Entwicklungs-, Innovations- und Beschaffungszentrum im südchinesischen Hefei errichten. Die Abhängigkeit bei anderen deutschen Autoherstellern von ihren Verkäufen in China ist ebenso gewachsen.
[8] Die Zahl der in Deutschland hergestellten Autos war während der Corona-Pandemie deutlich rückläufig; wurden 2016 noch rund 5,75 Millionen Fahrzeuge produziert, waren es 2022 nur noch knapp 3,5 Millionen.
[9] Der US-Chiphersteller Intel bekommt für seine Chipfabrik in Magdeburg 9,9 Milliarden Euro staatliche Subvention für ein Gesamtinvestitionspaket von ca. 30 Milliarden Euro. Das Geld ist zunächst für 3000 Arbeitsplätze in zwei Fabriken angedacht. Macht rein rechnerisch 3,3 Millionen Euro pro Arbeitsplatz. TSCM – ein anderer High-Tech Riese - plant genauso wie Infineon bis Ende des Jahrzehnts milliardenschwere Investitionen in Dresden (TSCM von knapp 7,6 Milliarden Euro, Infineon ca. 5 Mrd.), unter der Voraussetzung, dass für sie die staatliche Kreditpumpe im Umfang von mehreren Milliarden geöffnet wird.
[10] In den nächsten 5-10 Jahren rechnet man mit mehreren Millionen offenen Stellen. https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/fachkraeftemangel-in-deutschlan... [65]
"Der Krieg ist ein methodisches, organisiertes, riesenhaftes Morden. Zum systematischen Morden muss aber bei normal veranlagten Menschen erst der entsprechende Rausch erzeugt werden. Dies ist seit jeher die wohlbegründete Methode der Kriegführenden. Der Bestialität der Praxis muss die Bestialität der Gedanken und der Gesinnung entsprechen, diese muss jene vorbereiten und begleiten." (Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie/Junius-Broschüre, 1915) Die schrecklichen Zusammenstöße, die wieder einmal den Nahen Osten mit Blut beflecken, bestätigen erneut, was die große Revolutionärin Rosa Luxemburg 1915 im Gefängnis schrieb.
Die Milizen der Hamas, die am 7. Oktober 2023 grausame Verbrechen gegen die israelische Zivilbevölkerung – Frauen, Kinder und alte Menschen – begingen, konnten sich nur aufgrund einer Konditionierung, einer systematischen Gehirnwäsche durch die islamistische Organisation welche den Gazastreifen dirigiert, so barbarisch verhalten.
Wenn heute die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung die kriminellen Bombardierungen und die Bodenoffensive gegen die Bewohner des Gazastreifens billigt, die bereits Tausende von zivilen Todesopfern gefordert haben, so liegt das daran, dass sie durch das Massaker vom 7. Oktober ein schreckliches Trauma erlitten hat, aber auch daran, dass auch sie jahrzehntelang Opfer einer Konditionierung durch die israelischen Behörden und die verschiedenen Parteien der herrschenden Klasse war.
Heute, mit dem Krieg zwischen dem Staat Israel und der Hamas, sind wir wieder einmal Zeuge, wie die verschiedenen politischen Kräfte, die für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung eintreten, eine Methode anwenden, die die herrschende Klasse seit Beginn des 20. Jahrhunderts in großem Stil zur Rechtfertigung der kriegerischen Barbarei eingesetzt hat: das Hervorheben der vom "Feind" begangenen Gräueltaten, um die eigenen Gräueltaten zu rechtfertigen. Und an Beispielen mangelt es nicht im gesamten 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert, in dem das kapitalistische System in seine dekadente Phase eintrat.
Zwar gab es schon lange vor dieser Zeit Kriege, und ihre Rechtfertigung durch die Herrschenden begleitete sie immer, aber die Kriege der Vergangenheit hatten nie die Form eines totalen Krieges angenommen, der alle Ressourcen der Gesellschaft mobilisierte und die gesamte Bevölkerung mit einbezog, wie es ab 1914 der Fall wurde. Und es war der Erste Weltkrieg, in dem die Propaganda zur Mobilisierung der größten Teile der Bevölkerung eines Landes von den Regierungen der kriegführenden Länder in organisierter und systematischer Weise übernommen wurde.
Wir haben in unserer Presse bereits einen sehr gründlichen Artikel über die Propaganda geschrieben, die "zum systematischen Morden" dazu dient, " bei normal veranlagten Menschen erst der entsprechende Rausch" zu erzeugen, wie Rosa Luxemburg schrieb. Wir empfehlen unseren Lesern, den gesamten Artikel "Die Geburt der totalitären Demokratie"[1] aus dem Jahr 2015 zu lesen, aus dem wir hier nur einige kurze Auszüge zitieren.
Insbesondere wird in diesem Artikel ausführlich ein 1927 veröffentlichtes Werk von Harold Lasswell mit dem Titel Propaganda technique in the World War[2] zitiert. Hier einige Passagen daraus:
"Die psychologischen Widerstände gegen den Krieg sind in den modernen Nationen so groß, dass jeder Krieg als Verteidigungskrieg gegen einen bedrohlichen, mörderischen Angreifer erscheinen muss. Es darf keine Zweideutigkeit darüber geben, wen die Öffentlichkeit hassen soll. Der Krieg darf nicht auf ein Weltsystem zur Regelung internationaler Angelegenheiten zurückzuführen sein, auch nicht auf die Dummheit oder Bösartigkeit aller regierenden Klassen, sondern auf die Raffgier des Feindes. Schuld und Arglosigkeit müssen geographisch bewertet werden, und die ganze Schuld muss auf der anderen Seite der Grenze liegen. Wenn der Propagandist den Hass des Volkes mobilisieren will, muss er dafür sorgen, dass alles in Umlauf gebracht wird, was die alleinige Verantwortung des Feindes begründet. Unter bestimmten Umständen, die wir noch näher erläutern werden, kann von diesem Thema abgewichen werden, aber es muss weiterhin das Leitmotiv sein. Die westeuropäischen Regierungen können nie ganz sicher sein, dass ein klassenbewusstes Proletariat innerhalb der Grenzen ihrer Autorität den Klängen des Krieges folgt."
Propaganda "ist ein Zugeständnis an die Rationalität der modernen Welt. Eine gebildete Welt zieht es vor, sich von Argumenten und Nachrichten zu ernähren (...) Der ganze Apparat der verbreiteten Gelehrsamkeit popularisiert die Symbole und Formen des pseudo-rationalen Appells: der Wolf der Propaganda zögert nicht, sich im Schafspelz zu verkleiden. Alle wortgewandten Männer der Zeit – Schriftsteller, Reporter, Redakteure, Prediger, Dozenten, Lehrer, Politiker – werden in den Dienst der Propaganda gestellt, um die Stimme eines Meisters zu verstärken. Alles geschieht mit dem Anstand und der Sorgfalt der Intelligenz, denn dies ist eine rationale Epoche, und sie verlangt, dass ihr rohes Fleisch von geschickten Köchen gekocht und garniert wird. (...) Eine neue Flamme muss das Krebsgeschwür des Dissenses ausbrennen und den Stahl des kriegerischen Enthusiasmus härten" (Lasswell, Seite 221)
"Um den Hass des Volkes gegen den Feind zu mobilisieren, muss die gegnerische Nation als bedrohlicher, mörderischer Aggressor dargestellt werden (...) Durch die Ausarbeitung von Kriegszielen wird die hinderliche Rolle des Feindes besonders deutlich. Stellen Sie die gegnerische Nation als satanisch dar; sie verstößt gegen alle moralischen Normen (Sitten) der Gruppe und beleidigt ihr Selbstwertgefühl. Die Aufrechterhaltung des Hasses hängt davon ab, dass die direkten Darstellungen des bedrohlichen, hinderlichen, satanischen Feindes durch Zusicherungen des endgültigen Sieges ergänzt werden." (Lasswell, Seite 195)
Die Lektüre dieser Passagen, die Rosa Luxemburgs Zeilen auf bemerkenswerte Weise illustrieren und ergänzen, könnte den Eindruck erwecken, Lasswell sei ein militanter Kämpfer gegen den Kapitalismus gewesen. Das ist mitnichten der Fall, er war ein herausragender amerikanischer Akademiker, der zahlreiche Bücher über Politikwissenschaft veröffentlichte und dieses Fach von 1946 bis 1958 an der renommierten Yale-Universität lehrte. In seinem 1927 erschienenen Werk befürwortete er zum Abschluss seiner Arbeit eine staatliche Kontrolle der Kommunikationstechniken (Telegraf, Telefon, Kino und Radio) und stellte seine Fähigkeiten zeitlebens in den Dienst der amerikanischen Bourgeoisie, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, als er Forschungsdirektor für Kommunikation und Krieg in der Library of Congress (der wichtigsten und renommiertesten Bibliothek der USA) war und gleichzeitig in der Propagandaabteilung der Armee arbeitete.
Wie Lasswells Schriften auf anschauliche Weise zum Ausdruck bringen, geht es für jeden kriegführenden Staat darum, den bekämpften Feind als Verkörperung des BÖSEN darzustellen, um sich selbst als herausragenden Vertreter des GUTEN zu präsentieren. In der Geschichte ab 1914 gibt es zahlreiche Beispiele, von denen wir hier nur einige nennen können.
In unserem Artikel aus dem Jahr 2015 heißt es: "Großbritannien nutzte die Besetzung Belgiens durch Deutschland voll aus, nicht ohne eine gehörige Portion Zynismus, da die deutsche Invasion in Wirklichkeit schlicht und einfach die britischen Kriegspläne durchkreuzte. Sie verbreitete Geschichten über die makabersten Gräueltaten: Deutsche Truppen töteten Babys mit Bajonetten, kochten Suppe aus Leichen, banden Priester kopfüber an den Glockenklöppel ihrer eigenen Kirche usw.".
Das französische Bürgertum stand dem in nichts nach: Auf einer Propaganda-Postkarte findet sich ein Gedicht, in dem ein Soldat seiner jüngeren Schwester erklärt, was ein "Boche" (ein Begriff, der in Frankreich für den Deutschen verwendet wurde und "Schlächter" bedeutet) ist.
"Willst du wissen, Kind, was dieses Ungeheuer ist, ein Boche?
Ein Boche, mein Liebling, ist das Wesen ohne Ehre
Er ist ein hinterhältiger, schwerfälliger, hasserfüllter und hässlicher Bandit
Er ist ein düsterer Mann, ein vergiftender Unhold
Er ist ein Teufel in Soldatengestalt, der die Dörfer niederbrennt
Erschießt Alte und Frauen, ohne Reue
Erschießt die Verwundeten, begeht alle Arten von Plünderungen
Beerdigt die Lebenden und beraubt die Toten
Er ist ein Feigling, der Kindern und Mädchen die Kehle durchschneidet
Er spießt Babys mit Bajonetten auf
Massakriert aus Lust, ohne Grund … ohne Heimat
Er ist der Mann, mein Kind, der deinen Vater töten will
Dein Vaterland zerstören und deine Mutter foltern
Er ist der vom ganzen Universum verfluchte Teutone."
Diese Art von Propaganda entwickelte sich besonders nach den Verbrüderungen, die zur Weihnachtszeit 1914 an der Front zwischen deutschen, französischen und schottischen Einheiten stattgefunden hatten. Das Gedicht bringt es auf den Punkt: Man kann sich unter keinen Umständen mit "Ungeheuern" verbrüdern.
In der Folgezeit diente die Anhäufung von Leichen auf beiden Seiten jedem kriegführenden Staat als Rechtfertigung für die Dämonisierung des Feindes. Auf beiden Seiten lobte man den Heldenmut und die Opferbereitschaft der eigenen Soldaten bei der "notwendigen" Aufgabe, die "Verbrechen" der Soldaten der anderen Seite zu verhindern. Das Töten von Menschen war kein Verbrechen mehr, wenn sie eine andere Uniform trugen, sondern im Gegenteil eine "heilige Pflicht zur Verteidigung der Menschlichkeit und der Moral".
Diese Dämonisierung "feindlicher" Völker zur Rechtfertigung kriegerischer Barbarei setzte sich im gesamten 20. und frühen 21. Jahrhundert fort, da der Krieg zu einem dauerhaften Bestandteil der kapitalistischen Dekadenz wurde. Der Zweite Weltkrieg liefert uns dafür ein ebenso eindrückliches wie grausames Beispiel. Für die heutige bürgerliche Propaganda gab es nur ein "Lager des BÖSEN": Nazi-Deutschland und seine Verbündeten.
Das Naziregime war die Verkörperung der Konterrevolution, die über das Proletariat in Deutschland nach seinen revolutionären Versuchen von 1918-23 hereingebrochen war. Eine Konterrevolution, zu der die "Demokratien" des "Lagers des GUTEN" ihren ganzen Beitrag geleistet hatten und die durch den Nationalsozialismus vollendet wurde. Im Übrigen waren diese "Demokratien" lange Zeit davon ausgegangen, dass sie sich mit dem Hitler-Regime arrangieren könnten, wie das Münchner Abkommen von 1938 belegt. Die Gräueltaten des Naziregimes dienten den Alliierten in ihrer Propaganda dazu, ihre eigenen Gräueltaten zu rechtfertigen. Insbesondere die Vernichtung der europäischen Juden durch dieses Regime – der konzentrierteste Ausdruck der Barbarei, in die die Dekadenz des kapitalistischen Systems die menschliche Gesellschaft gestürzt hatte – war ein massives und als "unwiderlegbar" dargestelltes Argument dafür, dass die Alliierten Deutschland zerstören mussten, was vor allem durch die Ermordung Zehntausender Zivilisten durch die Bomben des "Lagers des GUTEN" geschah. Nach dem Krieg, als die Bevölkerung der "Siegerländer" von den Verbrechen ihrer Führer erfuhr, wurde ihnen erklärt, dass die entsetzlichen Massaker an der Zivilbevölkerung (insbesondere die Bombenangriffe auf Hamburg zwischen dem 25. Juli und dem 3. August 1943 und auf Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945, bei denen unter massivem Einsatz von Brandbomben vor allem Zivilisten getroffen wurden und insgesamt über 100.000 Menschen getötet wurden) durch die Barbarei des Naziregimes gerechtfertigt waren. Die gleichen Politiker organisierten eine massive Propaganda über die – tatsächlichen – Gräueltaten des Regimes, insbesondere die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung.[3] Die meisten Länder des Lagers des GUTEN verweigerten ihnen Einreisevisa und lehnten sogar die Angebote der Naziführer ab, ihnen Hunderttausende von Juden zu übergeben.
Die Heuchelei der "demokratischen" Bourgeoisie wird im Artikel Auschwitz oder das große Alibi, der 1960/61 in der Nr. 11 der Zeitschrift Programme Communiste (Organ der "bordigistischen" Internationalen Kommunistischen Partei)[4] erschien, abgestützt auf belegbare historische Tatsachen, sehr gut bloßgestellt. Die Schlussfolgerung dieses Artikels, den wir voll und ganz unterstützen, lautet wie folgt:
"Wir haben gesehen, wie der Kapitalismus Millionen von Menschen zu Tode verurteilte, indem er sie aus dem Produktionsprozess ausstieß. Wir haben gesehen, wie er sie umgebracht und ihnen dabei allen nur möglichen Mehrwert abgepresst hat. Wir müssen jetzt noch sehen, wie er sie sogar nach ihrem Tode weiter ausnutzt, wie er sogar ihren Tod selbst ausnutzt. Zuerst haben die Imperialisten des alliierten Lagers sie benutzt, um ihren Krieg zu rechtfertigen und nach ihrem Sieg die gemeine Behandlung des Besiegten. Man hat sich auf die Lager und die Leichen gestürzt! Überall hat man die Gräuelbilder herumgezeigt und gerufen: „Seht ihr, was für Schufte die Nazis waren! Wie Recht wir hatten, sie zu bekämpfen! Und wie Recht haben wir jetzt, ihnen das Leben sauer zu machen!“ Man denke an die unzähligen Verbrechen des Imperialismus; man denke z. B. daran, dass gerade am 8. Mai 1945, als in Frankreich Thorez, der ehemalige KPF-Führer, den Sieg über den Faschismus auskrähte, 145.000 Algerier, die die Avantgarde der antikolonialen Bewegung gegen den Imperialismus darstellten, unter dem Vorwand, faschistische Provokateure zu sein, niedergemetzelt wurden[5]; man denke an die Verantwortung des Weltkapitalismus für alle diese Massaker – da packt einen der Ekel vor dem gemeinen Zynismus und der heuchlerischen Selbstzufriedenheit des siegreichen imperialistischen Blocks! Gleichzeitig haben sich alle braven antifaschistischen Demokraten auf die Leichen der Juden gestürzt. Und sie schwenken diese Bilder vor den Augen des Proletariats. Selbstverständlich tun sie es nicht, um die Abscheulichkeit des Kapitalismus zu zeigen! Im Gegenteil, sie versuchen zu zeigen, wie schön die wahre Demokratie und der wahre Fortschritt des anderen Lagers ist, wie wohl es sich lebt in der renovierten kapitalistischen Gesellschaft! Vor dem Gräuel des kapitalistischen Todes soll das Proletariat die Gräuel des kapitalistischen Lebens vergessen und dass beide unzertrennlich miteinander verbunden sind. Vor den Experimenten der SS-Ärzte soll vergessen werden, dass der Kapitalismus im großen Maßstab mit Alkohol, mit krebserregenden Produkten, mit den Strahlungen der „demokratischen“ Atombomben usw. experimentiert. Man zeigt die Lampenschirme aus Menschenhaut, damit vergessen wird, dass der Kapitalismus aus dem lebendigen Menschen, seiner Arbeitskraft, einen Lampenschirm macht. Vor den Bergen von Haaren, Goldzähnen, vor dem zur Ware gewordenen Körper des toten Menschen soll man vergessen, dass der Kapitalismus das Leben der Menschen selbst, die Arbeit, zur Ware gemacht hat. Hier ist die Quelle allen Unglücks. Dies hinter den Leichen der Opfer des Kapitals verstecken zu wollen, diese Leichen zum Schutz des Kapitals zu verwenden, das ist wirklich die abscheulichste Art, sie bis zu Ende auszunutzen."
Dieser Artikel bringt auf den Punkt, was eine Grundposition der Kommunistischen Linken darstellt: die Denunziation der antifaschistischen Ideologie, deren Pfeiler die Erwähnung des Holocausts ist, als Mittel, um die Verteidigung der kapitalistischen "Demokratie" zu rechtfertigen. So erschien bereits im Juni 1945 in der Nummer 6 von L'Étincelle, der Zeitung der Gauche Communiste de France, der politischen Vorläuferin der IKS, ein Artikel mit dem Titel Buchenwald, Maidaneck, makabre Demagogie[6], der das gleiche Thema entwickelte und den wir nachstehend wiedergeben:
"Die Rolle, die die SS, die Nazis und ihre Lager der Industrialisierung des Todes spielten, war die der allgemeinen Ausrottung all jener, die sich dem faschistischen Regime widersetzten, und vor allem der revolutionären Aktivisten, die immer an der Spitze des Kampfes gegen die kapitalistische Bourgeoisie standen, in welcher Form auch immer sie sich präsentierte: Autarkie, Monarchie oder "Demokratie", unabhängig davon, wer ihr Führer war: Hitler, Mussolini, Stalin, Leopold III., Georg V., Viktor Emanuel, Churchill, Roosevelt, Daladier oder De Gaulle.
Die internationale Bourgeoisie, die beim Ausbruch der Oktoberrevolution 1917 nach jedem erdenklichen Mittel suchte, um sie niederzuschlagen, die die deutsche Revolution 1919 mit brutaler Repression zerschlug, die den proletarischen chinesischen Aufstand im Blut ertränkte; dieselbe Bourgeoisie, die in Italien die faschistische und in Deutschland die Hitler-Propaganda finanzierte; dieselbe Bourgeoisie brachte in Deutschland denjenigen an die Macht, den sie dazu bestimmt hatte, in ihrem Namen der Gendarm Europas zu sein; dieselbe Bourgeoisie gibt heute schließlich Millionen aus, um den Aufbau einer Ausstellung "SS-Verbrechen Hitlers", die Aufnahmen und die öffentliche Vorführung von Filmen über "deutsche Gräueltaten" zu finanzieren (während die Opfer dieser Gräueltaten weiterhin oft ohne Pflege sterben und die zurückkehrenden Überlebenden nicht die Mittel haben, um zu leben).
Die gleiche Bourgeoisie, die auf der einen Seite die Wiederbewaffnung Deutschlands bezahlt und auf der anderen Seite das Proletariat verhöhnt hat, indem sie es mit der antifaschistischen Ideologie in den Krieg hineingezogen hat, ist es, die auf diese Weise Hitlers Aufstieg an die Macht begünstigt und ihn bis zum Ende benutzt hat, um das deutsche Proletariat zu zerschlagen und es in den blutigsten aller Kriege, in das abscheulichste Gemetzel, das man sich vorstellen kann, hineinzuziehen.
Es ist immer dieselbe Bourgeoisie, die Vertreter mit Blumenkränzen schickt, um sich scheinheilig an den Gräbern der Toten zu verneigen, die sie selbst zu verantworten hat, weil sie unfähig ist, die Gesellschaft zu führen, und weil der Krieg ihre einzige Lebensform ist.
SIE IST ES, DIE WIR ANKLAGEN!
Denn die Millionen Toten, die sie in diesem Krieg verschuldet hat, sind nur ein Zusatz zu einer leider schon viel zu langen Liste von Märtyrern der "Zivilisation", der zerfallenden kapitalistischen Gesellschaft.
Die Verantwortlichen für Hitlers Verbrechen sind nicht die Deutschen, die 1934 als erste mit 450.000 Menschenleben für Hitlers bürgerliche Unterdrückung bezahlten und die weiterhin unter dieser gnadenlosen Unterdrückung litten, als diese gleichzeitig ins Ausland getragen wurde. Ebenso wenig wie die Franzosen, Engländer, Amerikaner, Russen und Chinesen sind sie für die Schrecken des Krieges verantwortlich, den sie nicht gewollt haben, sondern den ihnen ihre herrschende Klasse aufgezwungen hat.
Die Millionen von Männern und Frauen, die in den Konzentrationslagern der Nazis langsam starben, die brutal gefoltert wurden und deren Körper irgendwo verrotten, die während dieses Krieges im Kampf geschlagen oder in einem "befreienden" Bombardement überrascht wurden, die Millionen von verstümmelten, amputierten, zerfetzten, entstellten Leichen, die unter der Erde vergraben sind oder in der Sonne verrotten, die Millionen von Leichen, Soldaten, Frauen, Greise, Kinder.
... und sie fordern Rache nicht an der deutschen Bevölkerung, die weiterhin zahlt, sondern an der skrupellosen herrschenden Klasse, die nicht gezahlt, sondern profitiert hat und die weiterhin hungernde Sklaven mit ihren Mastschweineminen verhöhnt.
Die einzige Position des Proletariats besteht nicht darin, demagogischen Aufrufen zu folgen, die darauf abzielen, den Chauvinismus durch antifaschistische Komitees fortzusetzen und zu verstärken, sondern im direkten Klassenkampf zur Verteidigung ihrer Interessen, ihres Rechts auf Leben, einem Kampf jeden Tag, jeden Augenblick, bis zur Zerstörung des monströsen Regimes des Kapitalismus."[7]
Auch heute noch beruft sich der Staat Israel (und berufen sich diejenigen, die ihn unterstützen) auf die Erinnerung an die Shoah, um seine Verbrechen zu rechtfertigen. Die Gräueltaten, die die jüdische Bevölkerung in der Vergangenheit erlitten hat, sind ein Mittel, um den Eindruck zu erwecken, dass dieser Staat zum Lager des GUTEN gehört, selbst wenn er sich im Zweiten Weltkrieg die "Demokratien" zum Vorbild nimmt, um die Zivilbevölkerung vorsätzlich mit Bomben zu massakrieren. Die von der Hamas am 7. Oktober begangenen Gräueltaten ermöglichten es ihm, diese Flamme auf spektakuläre Weise wieder zu entfachen, so dass in Israel selbst die Stimmen derjenigen, die zuvor die verbrecherische Politik dieses Staates angeprangert hatten, zum Schweigen gebracht wurden und sogar ins Lager der exzessiven Kriegsführung wechselten.
Gleichzeitig haben die Feinde Israels und ihre Unterstützer, die jahrzehntelang die Unterdrückung und Erniedrigung der palästinensischen Bevölkerung zu ihrem Geschäft gemacht haben, egal ob sie sich hinter islamistischen oder "anti-imperialistischen" Fahnen verbergen, heute mit den Massakern, die der hebräische Staat in Gaza verübt, die Trumpf-Argumente, um ihre Unterstützung für einen palästinensischen Staat zu rechtfertigen, der wie alle Staaten das Instrument der Ausbeuterklasse zur Unterdrückung und Repression der Ausgebeuteten sein wird.
Um die kriegerische Barbarei zu rechtfertigen, hat die bürgerliche Propaganda insbesondere seit 1914 massiv von der Lüge Gebrauch gemacht, wie wir oben gesehen haben und immer noch sehen. Denken wir nur, neben vielen anderen Beispielen, an den Mythos der "Massenvernichtungswaffen", den der amerikanische Staat 2003 in die Welt setzte, um die Invasion des Iraks zu rechtfertigen. Diese Propaganda ist jedoch noch viel wirksamer, wenn sie sich auf die tatsächlichen Gräueltaten stützen kann, die von denjenigen begangen werden, die als Feinde bezeichnet werden. Und diese Gräueltaten werden nicht verschwinden, ganz im Gegenteil. Je tiefer das kapitalistische System in seine Dekadenz und seinen Zerfall eindringt, desto häufiger und abscheulicher werden sie werden. Wie in der Vergangenheit werden sie von jedem Teil der Bourgeoisie benutzt werden, um ihre eigenen Gräueltaten und zukünftige Gräueltaten zu rechtfertigen.
Empörung und Wut über diese Gräueltaten sind legitim und normal bei jedem Menschen. Aber es ist wichtig, dass die Ausgebeuteten, die Proletarier, in der Lage sind, den Sirenen derer zu widerstehen, die sie dazu aufrufen, Proletarier in anderen Ländern zu bekämpfen und zu töten oder sich selbst in diesen Kämpfen töten zu lassen. Kein Krieg im Kapitalismus wird jemals der Krieg sein, der die Kriege beendet, die "Der des Ders"[8], wie es die Propaganda der Entente-Länder 1914 behauptete oder wie es Präsident Bush junior 2003 vorgab, als er nach der Beseitigung Saddam Husseins (in Wirklichkeit nach dem Massaker an Hunderttausenden Irakern) "eine Ära des Friedens und des Wohlstands" vorhersagte. Die einzige Möglichkeit, Kriege und die damit verbundenen Gräueltaten zu beenden, besteht darin, das System zu beenden, das sie hervorbringt, den Kapitalismus. Jede andere Perspektive sichert nur das Überleben dieses barbarischen Systems.
Fabienne, 24.11.2023
[1] „Naissance de la démocratie totalitaire [66]“ Revue Internationale Nr. 155
[2] "PROPAGANDA TECHNIQUE IN THE WORLD WAR" (https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=mdp.39015000379902&view=1up&seq=23) [67]
[3] Der Einsatz der Atombombe durch das amerikanische Lager des GUTEN, die die Städte Hiroshima (6. August 1945 – je nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 103.000 und 220.000 Tote) und Nagasaki (9. August – zwischen 90.000 und 140.000 Tote) dem Erdboden gleichmachte, konnte natürlich nicht mit der Ausrottung der Juden durch die japanischen Behörden gerechtfertigt werden, musste aber dennoch eine "humanitäre" Bestimmung erhalten. Den US-Behörden zufolge rettete sie nämlich eine Million Menschenleben auf beiden Seiten, indem sie das Ende des Krieges beschleunigte. Dies ist eine der abscheulichsten Lügen über den Zweiten Weltkrieg. In Wirklichkeit war die japanische Regierung bereits vor diesen Bombenangriffen bereit, unter der Bedingung zu kapitulieren, dass Kaiser Hirohito seinen Thron behalten würde. Die US-amerikanischen Behörden lehnten diese Bedingung jedoch ab. Sie mussten unbedingt die Atombombe einsetzen können, um mehr über die "Effektivität" dieser neuen Waffe zu erfahren und vor allem, um eine einschüchternde Botschaft an die Sowjetunion zu senden, von der die US-Regierung vorhersagte, dass sie der nächste Feind sein würde. Hirohito seinerseits blieb bis zu seinem Tod am 7. Januar 1989 auf seinem Thron, ohne jemals von den US-Behörden behelligt zu werden, obwohl seine persönliche Beteiligung an den Verbrechen der japanischen Armeen eindeutig nachgewiesen wurde. Ein letzter Hinweis: Japans Hauptstadt Tokio erhielt keine Atombombe, weil sie bereits durch zahlreiche "klassische" Bombenangriffe (mit intensivem Einsatz von Brandbomben) praktisch dem Erdboden gleichgemacht worden war, insbesondere durch die Bombenangriffe vom März 1945, die ebenso viele Todesopfer forderten wie der Angriff auf Hiroshima.
[4] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/bordiga/1961/xx/auschwitz.htm [68] Dieser Artikel stützt sich insbesondere auf das Buch Die Geschichte von Joel Brand, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin, 1956), in dem die Erlebnisse dieses ungarischen Juden beschrieben werden, der die Flucht von Juden organisierte, die von den Nazis verfolgt wurden. Im Mai 1944 wurde Brand von Adolf Eichmann beauftragt, den Alliierten einen Vorschlag zur "Auslieferung" von Hunderttausenden von Juden zu übermitteln, ein Vorschlag, der von den britischen Behörden abgelehnt wurde.
[5] Der Aufstand der Bevölkerung von Setif am 8. Mai 1945, am Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstands, der von der französischen Regierung, an der die von Maurice Thorez geführte "Kommunistische" Partei beteiligt war, mit äußerster Gewalt niedergeschlagen wurde.
[7] Die Internationalist Communist Tendency ICT hat auf ihrer Website (https://www.leftcom.org/en [70]) einen Artikel veröffentlicht, der sich mit denselben Fragen befasst, die in unserem vorliegenden Artikel angesprochen werden: Imperialist Hypocrisy in the East and West. Es handelt sich um einen ausgezeichneten Artikel, den wir begrüßen und unsere LeserInnen ermutigen zu lesen.
[8] "Der des Ders" ist ein Ausdruck, der sich nach dem Ersten Weltkrieg geprägt hat und "der letzte der letzten (Kriege)" bedeutet.
Am 7. Oktober verbreitete eine Horde Islamisten unter einem Raketenhagel Angst und Schrecken über die israelischen Ortschaften rund um den Gazastreifen. Im Namen einer "gerechten Rache" für die "Verbrechen der Besatzung", im Namen der "Muslime der ganzen Welt" gegen das "zionistische Regime" schickten die Hamas und ihre Verbündeten Tausende fanatisierte "Kämpfer" los, um die schlimmsten Gräueltaten an wehrlosen Zivilisten, Frauen, alten Menschen und sogar Kindern zu begehen. Die Brutalität der Hamas kannte keine Grenzen: Morde, Vergewaltigungen, Folter, Entführungen, gezielte Angriffe auf Schulen, unschuldige Menschen, die bis in ihre Häuser gejagt wurden, Tausende von Verletzten...
Kaum waren die schändlichen Ausschreitungen der Hamas zurückgeschlagen, entfesselten die israelischen Streitkräfte IDF im Namen des Kampfes "des Lichts" gegen "die Finsternis" ihre ganze mörderische Macht im Gazastreifen. Während wir diese Zeilen schreiben, bombardiert die israelische Luftwaffe die überbevölkerte Enklave, in der die Hamas herrscht, ohne Unterlass und reißt dabei wahllos Zivilistinnen und Terroristen mit in den Tod, während die IDF den Gazastreifen in zwei Teile zerschnitten und die Hauptstadt umzingelt haben. Indem die Regierung Netanjahu "das Höllenfeuer auf die Hamas regnen" lässt, macht sie blindlings Häuser dem Erdboden gleich und nimmt ebenfalls Tausende unschuldiger Opfer mit ins Grab, darunter mehrere tausend Kinder.
Der Angriff der Hamas hat die ganze Welt in Erstaunen versetzt. Israel, ein Staat, dessen herrschende Klasse Tag für Tag, Jahr für Jahr in der Bevölkerung das Gefühl einer belagerten Zitadelle kultiviert, ein Staat mit Geheimdiensten, dem Mossad und dem Shin Bet, die zu den renommiertesten der Welt gehören, ein Staat, der seit langem mit den USA und ihrem Überwachungsarsenal verbündet ist – Israel hat anscheinend nichts kommen sehen: weder die verdächtigen Übungen der Hamas noch die Konzentration von Tausenden von Raketen und Menschen. Der jüdische Staat hat auch die zahlreichen Warnungen, insbesondere die des benachbarten Ägyptens, nicht beachtet.
Es gibt mehrere Hypothesen, die diese Überraschung erklären könnten:
- Netanjahu und seine Clique sind so gespalten und stupid, vom Gewicht des Populismus und den schlimmsten religiösen Verirrungen geprägt, auf die Verteidigung ihrer unmittelbaren Kleininteressen ausgerichtet und von der Kontrolle des Westjordanlandes und der "Rückeroberung des gelobten Landes" besessen, dass sie den unmittelbar bevorstehenden Angriff vielleicht unterschätzt haben, als sie die Streitkräfte in dieser Region konzentrierten.
- Von Teilen der israelischen Bourgeoisie, der Armee und des Geheimdienstes so sehr in Frage gestellt, ist es auch möglich, dass Netanjahu die Warnungen absichtlich ignoriert hat, um zu versuchen, die Kontrolle über die politische Situation in Israel wiederzuerlangen, indem er die "nationale Einheit" herbeiführt. Wie es auch durchaus möglich ist, dass ein Teil des Staatsapparats die Regierung nicht über den bevorstehenden Angriff informiert hat, um sie weiter zu schwächen.
Sicher ist jedenfalls, dass Netanjahu vor dem 7. Oktober alles getan hat, um die Macht und die Mittel der Hamas insofern zu stärken, als diese Organisation wie er und die gesamte israelische Rechte völlig gegen die Osloer Verträge von 1993[1] war, die eine Autonomie Palästinas vorsahen. Es war Netanjahu selbst, der sich zu dieser Politik bekannte: "Wer die Gründung eines palästinensischen Staates vereiteln will, muss die Stärkung der Hamas unterstützen und Geld an die Hamas überweisen. Das ist Teil unserer Strategie." Diese Äußerungen machte Netanjahu am 11. März 2019 gegenüber Likud-Abgeordneten (berichtet von der großen israelischen Tageszeitung Haaretz am 9. Oktober 2023).
Im Moment ist es schwierig, die Ursachen für dieses Fiasko der israelischen Sicherheitskräfte zu bestimmen. Aber jede der beiden Hypothesen sowie die Dynamik, in die der Nahe Osten versinkt, offenbaren das zunehmende Chaos, das im politischen Apparat der israelischen Bourgeoisie herrscht: Instabilität der Regierungskoalitionen, massive Korruption, Betrugsprozesse, Gesetzesmanipulationen, eine sehr umstrittene Justizreform, hinter der sich die Abrechnung innerhalb des Staatsapparats nur schwer verbergen lässt, ein Überlegenheitswahn bei gewissen Ultraorthodoxen... All dies vor dem Hintergrund einer steigenden Inflation und einer enormen Explosion der Armut.
Was die angeblichen "Widerstandskämpfer" der Hamas betrifft, so ist die Tatsache, dass diese Organisation, die mit einer bis ins Mark verrotteten PLO konkurriert, den Gazastreifen anführt, ein karikaturistischer Ausdruck des Chaos und der Irrationalität, in die die palästinensische Bourgeoisie gestürzt ist. Wenn die Hamas nicht gerade damit beschäftigt ist, wie im März 2019 Demonstrationen gegen das Elend blutig niederzuschlagen (was hinreichend erkennen lässt, wie es dem "palästinensischen Volk" ergehen wird, sobald es vom "zionistischen Kolonialismus" "befreit" ist ...!), wenn sich ihre mafiösen Führer nicht gerade mit internationaler Hilfe vollstopfen (die Hamas ist eine der reichsten Terrororganisationen der Welt) oder Terroranschläge planen, dann predigt diese blutrünstige Gruppe eine Ideologie, die zu den abergläubischsten, rassistischsten und wahnhaftesten gehört.
Der Staat Israel und die Hamas haben zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Mitteln die Politik des Schlimmsten praktiziert, die zu den heutigen Massakern geführt hat. Eine Politik, die letztlich keiner der beiden Kriegsparteien nützen kann, sondern die Zerstörung und Barbarei noch weiter ausdehnen wird.
Der israelisch-palästinensische Konflikt ist natürlich alles andere als ein rein lokaler Konflikt. Weniger als zwei Jahre nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, während eine ganze Reihe von Konflikten auf dem Balkan, im Kaukasus oder in der Sahelzone wieder aufflammt, ist dieser blutige Flächenbrand nicht nur die x-te Episode eines seit Jahrzehnten andauernden Konflikts. Vielmehr handelt es sich um einen weiteren bedeutenden Schritt in der Beschleunigung des globalen Chaos.
In naher Zukunft ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass Israel gezwungen sein wird, einen Dreifrontenkrieg gegen die Hamas, die Hisbollah und den Iran zu führen. Eine Ausweitung des Konflikts hätte große globale Auswirkungen, vor allem einen enormen Flüchtlingsstrom aus dem Gazastreifen oder dem Westjordanland und eine Destabilisierung der Nachbarländer Israels. Angesichts der zusätzlichen Bedeutung des Nahen und Mittleren Ostens für die Öl- und Gasproduktion hätte er auch unmittelbare Folgen, die für die gesamte Weltwirtschaft besonders verheerend wären.
Auch die Übertragung des Konflikts nach Europa mit einer Reihe von tödlichen Anschlägen ist nicht zu unterschätzen. Bereits wurde in Belgien ein Anschlag verübt, zu dem sich der Islamische Staat bekannte. Auch in Frankreich wurde am 13. Oktober ein Lehrer von einem jungen Islamisten brutal ermordet, weniger als eine Woche nach der Offensive der Hamas.
Es reicht jedoch nicht aus, auf die Ausweitung des Konflikts zu warten, um seine unmittelbar internationale Dimension zu ermessen.[2] Das Ausmaß des Hamas-Angriffs und der Grad der Vorbereitung, die er erforderte, lassen wenig Zweifel an der Beteiligung des Iran, der offensichtlich bereit ist, die gesamte Region in Brand zu setzen, um seine unmittelbaren strategischen Interessen zu verteidigen und zu versuchen, aus der Isolation herauszukommen. Es ist eine regelrechte Falle, die die Islamische Republik Netanjahu gestellt hat. Dies war auch der Grund, warum Teheran und seine Verbündeten die Provokationen mit dem Raketenbeschuss israelischer Stellungen durch die Hisbollah und die Huthis (Jemen) steigerten. Auch Russland dürfte bei der Hamas-Offensive eine Rolle gespielt haben: Es ist ein Mittel, so hofft es zumindest, um die Unterstützung der USA und Europas für die Ukraine zu schwächen.
Selbst wenn sich die Gewalt in nächster Zeit nicht auf den gesamten Nahen Osten ausbreiten sollte, ist die Dynamik der Destabilisierung unausweichlich. In dieser Hinsicht kann die Situation China nur beunruhigen: Dies würde nicht nur seine Versorgung mit Öl und Gas schwächen, sondern auch ein erhebliches Hindernis für den Bau seiner "Seidenstraßen" mit diesen gigantischen Hafen-, Eisenbahn- und Kohlenwasserstoffinfrastrukturen darstellen. China, das sich hier in einer ambivalenten Position befindet, könnte jedoch auch zum Chaos beitragen, indem es schließlich den Iran offen unterstützt und so hofft, den Druck der USA im Pazifikraum zu lockern.
Dieser Konflikt zeigt, wie jeder Staat zur Verteidigung seiner Interessen zunehmend eine Politik der "verbrannten Erde" betreibt, indem er nicht mehr nur versucht, Einfluss zu gewinnen oder Interessen zu erobern, sondern gezielt Chaos und Zerstörung unter seinen Rivalen zu stiften.
Diese Tendenz zu strategischer Irrationalität, kurzfristigen Visionen, instabilen Bündnissen und zum Jeder-für-sich ist weder eine willkürliche Politik dieses oder jenes Staates noch das Produkt der bloßen Dummheit dieser oder jener bürgerlichen Fraktion an der Macht. Sie ist die Folge der historischen Bedingungen des Zerfalls des Kapitalismus, unter denen sich alle Staaten gegenüberstehen.[3] Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben sich diese historische Tendenz und die Last des Militarismus auf die Gesellschaft tiefgreifend verschärft. Der israelisch-palästinensische Konflikt bestätigt, wie sehr der imperialistische Krieg mittlerweile der Hauptfaktor für die Destabilisierung der kapitalistischen Gesellschaft ist. Als Produkt der Widersprüche des Kapitalismus nährt der Atem des Krieges im Gegenzug das Feuer eben dieser Widersprüche und verstärkt durch das Gewicht des Militarismus die Wirtschaftskrise, die Umweltkatastrophe, die Zerstückelung der Gesellschaft ... Diese Dynamik tendiert dazu, dass alle Teile der Gesellschaft verrotten und alle Nationen geschwächt werden, angefangen bei der ersten unter ihnen: den Vereinigten Staaten.
Die westlichen Staatschefs eilten an das Krankenbett Israels, zunächst mit einer gewissen Hektik und Zweifeln, wie man am besten mit der Situation umgehen sollte. So sah man, wie sich der französische Präsident ausnahmsweise einmal in einem diplomatischen Spagat lächerlich machte, indem er dazu aufrief, die 2014 geschaffene Koalition gegen den Islamischen Staat nun gegen die Hamas zu mobilisieren, bevor er am Abend erbärmlich zurückruderte.
Mit ihrem Ansturm auf Tel Aviv und die Nachbarländer Israels versuchen die europäischen Regierungen, die Situation zu nutzen, um in der Region wieder Fuß zu fassen. Es war jedoch wieder Biden, der den Ton angab, indem er versuchte, Druck auf Israel auszuüben, um ein zu großes Blutbad in Gaza zu verhindern. Außerdem schickte er zwei Flugzeugträger in das Gebiet, um eine Botschaft der Entschlossenheit an die Hisbollah und den Iran zu richten.
Als die USA unter Obama ihren "strategischen Schwenk" nach Asien vollzogen (eine Politik, die von Trump und Biden fortgesetzt wird), gaben sie ihren Einfluss im Nahen und Mittleren Osten nicht auf. Mit dem Abraham-Abkommen und anderen Maßnahmen versuchte Washington, ein Bündnissystem zwischen Israel und mehreren arabischen Ländern, insbesondere Saudi-Arabien, aufzubauen, um die imperialistischen Bestrebungen des Iran einzudämmen, indem die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung an den jüdischen Staat delegiert wurde.
Doch dabei wurde die Dynamik der zunehmenden Instabilität von Allianzen und der tiefen Tendenz, dass jeder gegen jeden kämpft, nicht berücksichtigt. Denn die israelische Bourgeoisie hat ihre eigenen imperialistischen Interessen immer wieder vor die der USA gestellt. Während Washington eine Zwei-Staaten-"Lösung" bevorzugt, hat Netanjahu die Annexionen im Westjordanland vervielfacht und damit riskiert, die Region in Brand zu setzen, während er gleichzeitig auf die militärische und diplomatische Unterstützung der USA für den Fall einer Eskalation des Konflikts baute. Die USA sehen sich nun von Israel in die Ecke gedrängt und gezwungen, Netanjahus unverantwortliche Politik zu unterstützen.
Bidens zumindest harsche Reaktion zeigt, wie wenig Vertrauen die US-Regierung in die Netanjahu-Clique hat und wie besorgt sie angesichts der Aussicht auf einen katastrophalen Flächenbrand im Nahen Osten ist. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist ein neuer Druckpunkt für die imperialistische Politik der USA, der sich im Falle einer Ausweitung als katastrophal erweisen könnte. Washington müsste dann eine beträchtliche Militärpräsenz und Unterstützung für Israel übernehmen, was nicht nur die US-Wirtschaft, sondern auch seine Unterstützung für die Ukraine und vor allem seine Strategie zur Eindämmung der Expansion Chinas belasten würde.
Die pro-palästinensische Rhetorik des "unverbesserlichen" NATO-Mitglieds Türkei wird ebenfalls zu einer Schwächung der USA in der Region beitragen, ebenso wie die Spannungen zwischen Israel und mehreren lateinamerikanischen Ländern die Spannungen mit seinem nordamerikanischen Sponsor zweifellos verschärfen werden. Washington versucht also zu verhindern, dass die Situation außer Kontrolle gerät – ein angesichts der verhängnisvollen Dynamik, in der der Nahe Osten versinkt, auf lange Sicht völlig illusorisches Ziel.
Die Bilder vom Wüten der Hamas und der IDF gingen um die Welt, und überall rief uns die Bourgeoisie auf, uns für eine Seite zu entscheiden. Auf allen Fernsehkanälen und in allen Zeitungen, von links bis rechts, tobt eine hässliche Kriegspropaganda, oft grob, manchmal subtiler, die jeden und jede auffordert, zwischen dem "palästinensischen Widerstand" und der "israelischen Demokratie" zu wählen, als ob es keine andere Wahl gäbe, als die eine oder die andere dieser blutrünstigen bürgerlichen Cliquen zu unterstützen.
Ein Teil der Bourgeoisie, insbesondere in Europa und Nordamerika, entfesselt eine heftige Kampagne, um den Krieg und die Übergriffe der israelischen Armee zu legitimieren: "Wir verteidigen das Recht Israels, zu existieren, sich zu verteidigen und die Sicherheit seines Volkes zu garantieren. Und wir verstehen vollkommen, dass der Terrorismus bekämpft werden muss" (Meloni). Natürlich schmückt sich die Bourgeoisie mit allen humanitären Tugenden und beklagt scheinheilig die zivilen Opfer im Gaza-Streifen. Aber, seien Sie beruhigt, gute Leute, Scholz ist sich sicher: "Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leiten. Und deshalb kann man sicher sein, dass die israelische Armee bei dem, was sie macht, die Regeln beachten wird, die sich aus dem Völkerrecht ergeben."
Die Bourgeoisie kann sich auch auf ihre linken Parteien stützen, um ihre schmutzige nationalistische Propaganda zu füttern. Praktisch alle treten für die Verteidigung Palästinas ein. Ihre Reden reichen von der angeblichen Verteidigung der bombardierten palästinensischen Bevölkerung bis zur schamlosen Unterstützung der Barbaren der Hamas. In London und Berlin wurden riesige pro-palästinensische Demonstrationen organisiert, die den legitimen Abscheu vor den Bombenangriffen auf Gaza instrumentalisierten.
Es stimmt, dass die Arbeiterklasse heute nicht in der Lage ist, sich direkt gegen den Krieg und seine Schrecken zu stellen. Aber sich für eine imperialistische Seite gegen eine andere zu entscheiden, ist eine tödliche Falle. Denn es bedeutet, die Logik des Krieges zu akzeptieren, die lautet: "Hass, Spannungen und Spaltungen zwischen den Menschen, Tod um des Todes willen, Folter, Unterwerfung, Machtverhältnisse als einzige Logik der gesellschaftlichen Entwicklung".[4] Es bedeutet, die unverschämten Lügen, die die Bourgeoisie bei jedem Konflikt wiederholt, für bare Münze zu nehmen: "Nach diesem Krieg wird wieder Frieden herrschen." Es bedeutet vor allem, sich hinter die Interessen der Bourgeoisie zu stellen (das nationale Kapital um jeden Preis zu verteidigen, auch wenn es die Menschheit ins Grab bringt) und den Kampf für die einzig
e Perspektive aufzugeben, die wirklich in der Lage ist, der mörderischen Dynamik des Kapitalismus ein Ende zu setzen: den Kampf für die Verteidigung der historischen Interessen des Proletariats, den Kampf für den Kommunismus.
Die ArbeiterInnen in Israel und Palästina werden sich höchstwahrscheinlich in ihrer großen Mehrheit für das Terrain des Nationalismus und des Krieges mobilisieren lassen. Doch durch die beispiellose Serie von Kämpfen in vielen Ländern, insbesondere in Großbritannien, Frankreich und den USA, hat die Arbeiterklasse gezeigt, dass sie in der Lage ist, zu kämpfen – wenn auch nicht gegen den Krieg und den Militarismus selbst, so doch gegen die wirtschaftlichen Folgen des Krieges, gegen die Opfer, die die Bourgeoisie fordert, um ihre Kriegswirtschaft zu nähren. Dies ist ein grundlegender Schritt in der Entwicklung von Kampfbereitschaft und letztlich von Klassenbewusstsein.[5] Der Krieg im Nahen Osten wird mit der Vertiefung der Krise und dem zusätzlichen Rüstungsbedarf, den er an allen Ecken und Enden des Planeten hervorrufen wird, die objektiven Bedingungen für diesen Bruch nur noch weiter verschärfen.
Doch dieser Krieg birgt für die Arbeiterklasse noch unvorhersehbare Gefahren in sich. Sollten die Massaker noch schlimmer werden oder sich weiter ausbreiten, könnten das Gefühl der Ohnmacht und die Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse ein bedeutendes Hindernis für die Entwicklung ihrer kämpferischen und reflektierenden Bemühungen darstellen. Wie die pro-palästinensischen Demonstrationen zeigen, könnte sich der Nahostkonflikt sehr negativ auf die Arbeiterklasse auswirken, insbesondere in Frankreich, Großbritannien oder Deutschland, wo die Anwesenheit vieler Juden und Muslime in Verbindung mit den Hetzreden der Regierungen die Situation mehr als explosiv macht.
Der israelisch-palästinensische Krieg löst in der Arbeiterklasse zweifellos Gefühle der Ohnmacht und der dramatischen Zerrissenheit aus. Aber die gewaltigen Gefahren und die vor uns liegenden Aufgaben dürfen uns nicht zum Fatalismus verleiten. Auch wenn die herrschende Klasse den ArbeiterInnen heute mit nationalistischer und kriegerischer Propaganda den Kopf vollstopft, schafft die Krise, in der der Kapitalismus steckt, auch die Bedingungen für den Ausbruch von Massenkämpfen und das Entstehen eines Denkprozesses, zunächst in den revolutionären Minderheiten und dann in der gesamten Klasse.
EG, 6. November 2023
[1] Unterzeichnet von Arafat, dem ehemaligen PLO-Vorsitzenden, und Yitzhak Rabin, dem damaligen israelischen Premierminister
[2] Die schamlosen Lügen von Linken und Stalinisten aller Art, die die (schon damals falsche) Position der Bolschewisten zu nationalen Befreiungskämpfen entstellen, um ihre zynische Unterstützung der "palästinensischen Sache" im Namen des Kampfes eines "unterdrückten Volkes" gegen den "zionistischen Kolonialismus" zu rechtfertigen, ist pure Heuchelei. Es ist mehr als offensichtlich, dass die Hamas eine Schachfigur im großen internationalen imperialistischen Schachbrett ist, die maßgeblich vom Iran und in geringerem Maße auch von Russland unterstützt und bewaffnet wird.
[3] In diesem Zusammenhang laden wir unsere Leser ein, sich zwei unserer Texte zu diesem Thema anzusehen:
- die Aktualisierung von "Militarismus und Zerfall" [58], Internationale Revue Nr. 58 (2022);
- das Dritte Manifest der IKS: Der Kapitalismus führt zur Zerstörung der Menschheit, nur die Weltrevolution des Proletariats kann dem ein Ende setzen [71], Januar 2023.
[4] Drittes Manifest der IKS: Der Kapitalismus führt zur Zerstörung der Menschheit, nur die Weltrevolution des Proletariats kann dem ein Ende setzen [71], Januar 2023
[5] Zur Weiterentwicklung der Überlegungen über die Realität des Bruchs, der sich derzeit in der Arbeiterklasse vollzieht: "Streiks und Demonstrationen in den USA, Spanien, Griechenland, Frankreich... Wie können wir unsere Kämpfe ausweiten und vereinen? [72]", IKSonline Oktober 2023
Dieser Artikel wurde vor den schrecklichen Ereignissen in Derna, Libyen, verfasst, nachdem die durch den Sturm Daniel ausgelösten Überschwemmungen schlecht gewartete Dämme im Wadi Derna überflutet und ein unvorstellbares Ausmaß an Zerstörung verursacht hatten. Man weiß, dass über 11.000 Menschen ums Leben gekommen sind, Tausende werden vermisst und die in den Ruinen zurückgebliebenen Menschen sind von Hunger und Krankheiten bedroht. Nichts könnte die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels und die völlige Unfähigkeit des Kapitalismus, einen "Damm" dagegen zu errichten, deutlicher veranschaulichen, wie der nachstehende Artikel deutlich zeigt.2023 zeigt einmal mehr das Ausmaß der Umweltkatastrophe, in die die Bourgeoisie die gesamte Menschheit hineinreißt. Die verheerenden Waldbrände in Kanada und Hawaii, die Überschwemmungen in Asien, die Trinkwasserknappheit in Uruguay und Afrika, die verheerenden Stürme in den Vereinigten Staaten, das unwiederbringliche Schmelzen der Gletscher ... all diese "Naturkatastrophen" stehen in direktem Zusammenhang mit der globalen Erwärmung.
Die globale Erwärmung ist nicht nur real, sie beschleunigt sich auch in einem schwindelerregenden und katastrophalen Tempo. Der Juli 2023 war der heißeste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen für den Planeten. Im August wurde der heißeste Tag aller Zeiten für diesen Zeitraum verzeichnet. Prognostiker sagen voraus, dass das Jahr 2024 diese traurigen Rekorde noch übertreffen könnte. Der Zusammenbruch des Systems von Meeresströmungen wie dem Golfstrom, einem wesentlichen Regulator des Weltklimas, könnte, wenn er sich bestätigt, das Klima der Erde drastisch verändern und die menschliche Spezies innerhalb weniger Jahrzehnte erheblich schwächen; es handelt sich um eine neue Bedrohung, die sich noch nicht bestätigt hat, die aber zu all denen hinzukommen könnte, die die Menschheit bereits bedrohen!
Die Bourgeoisie kann diese Realität nicht mehr leugnen, auch wenn sie jahrelang bewusst versucht hat, die Risiken zu verringern oder gar zu verbergen, um ihre Profite zu schützen![1] Aber die Beschleunigung und Verschärfung der Folgen des Klimawandels bedeutet, dass sie die Wahrheit nicht mehr verbergen kann: Das globale Klima steuert auf eine katastrophale Situation zu, die immer mehr Gebiete des Planeten unbewohnbar machen wird. Abgesehen von völlig irrationalen "Klimaskeptikern" wie Trump und der europäischen extremen Rechten versprechen die "verantwortungsvollsten" Staatsoberhäupter aus vollem Herzen, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, um eine umweltfreundlichere Wirtschaft zu entwickeln. Natürlich werden diese Versprechen nie eingehalten, bleiben weit hinter dem zurück, was auf dem Spiel steht, oder sind völlig lächerlich (Verbot von Plastikstrohhalmen, Kassenbons usw.).
Folglich muss die Bourgeoisie ihren Ton ändern und uns alle auf das Undenkbare vorbereiten, indem sie Maßnahmen zur "Anpassung" einführt. Der jüngste, aber sicher nicht der letzte Kommentar stammt von Frankreichs neuem Gesundheitsminister Aurélien Rousseaux, der angesichts einer neuen Hitzewelle, die im August das halbe Land heimsuchte, nichts Besseres zu sagen hatte als:"Wir müssen uns daran gewöhnen, mit diesen extrem hohen Temperaturen zu leben". Natürlich zeigt die Bourgeoisie, wie bei den vergangenen und zukünftigen Pandemien, eine unsägliche Inkompetenz und bereitet sich nicht ernsthaft auf die Katastrophe vor. Hinter diesen so genannten "Anpassungen" bereitet die herrschende Klasse die Menschen vor allem auf Entbehrungen und Versorgungsengpässe im Namen der Anpassung an die "Umweltanforderungen" vor.
Unter dem Vorwand der "Anpassung" an immer unhaltbarere klimatische Bedingungen beginnt die Bourgeoisie, ihre Wirtschaft umzugestalten... aber sicher nicht, um den Planeten zu erhalten! Mehrere Länder planen die Reaktivierung von Kohlekraftwerken oder manipulieren (wie Frankreich) skrupellos die Quoten, um deren Abschaltung zu vermeiden! Die französische Regierung steht kurz davor, neue Erdölbohrungen in der Gironde zu genehmigen, die sich symbolisch an dem Ort befindet, an dem die Wälder im letzten Jahr verwüstet wurden! Die Staaten kämpfen darum, ihre Wirtschaft nicht übermäßig zu belasten, und benutzen die Umwelt als imperialistische Waffe, um die Untätigkeit der anderen zu verunglimpfen, ihre eigenen Märkte zu schützen und zu versuchen, ihre Konkurrenten zu schwächen, z.B. mit öffentlichkeitswirksamen Klagen gegen konkurrierende Autohersteller wegen Verletzung der Umweltvorschriften... So enthält das am 12. Juli verabschiedete europäische Naturschutzgesetz eine Bestimmung, die eine wirtschaftliche Schutzklausel einführt: Wenn die Wirtschaft unter falsch konzipierten Maßnahmen des Gesetzes leidet, sollen diese rückgängig gemacht werden! Für das Kapital darf es keine Beschränkungen für die Ausweitung und Intensivierung seiner Wirtschaft geben. Die Umweltzerstörung muss an zweiter Stelle stehen.
Gleichzeitig werden keine Präventivmaßnahmen ergriffen, mit dem offensichtlichen Risiko, dass sich das Ausmaß der Katastrophen vergrößert. Die Brände auf Hawaii beispielsweise waren nicht zu kontrollieren, weil die Stromleitungen noch nicht unterirdisch verlegt waren und die Gefahr der Ausbreitung der Brände durch Freileitungen die Behörden dazu veranlasste, den Strom abzuschalten, wodurch die Pumpen, die die Feuerwehrschläuche mit Wasser versorgten, sofort abgeschaltet wurden. In Asien trug der Mangel an Medikamenten zur Bekämpfung von Malaria und Ruhr wesentlich zur Verschlimmerung der Folgen der Überschwemmungen bei. In Uruguay wurde das Trinkwasser, das nicht mehr in ausreichender Menge aus den Wasserhähnen fließen konnte, durch Salzwasser ersetzt! In Mayotte, einem französischen Überseegebiet, wurden keine Vorkehrungen für den Fall getroffen, dass die Bevölkerung aufgrund einer Dürre kein Trinkwasser mehr erhält.
Dies ist keine Frage der "Wahl" oder des "fehlenden politischen Willens", sondern die Logik der kapitalistischen Akkumulation, die es verbietet, die extrem umweltverschmutzende Dynamik der bürgerlichen Gesellschaft in Frage zu stellen. Denn es ist der Kapitalismus, der für diese Probleme verantwortlich ist; es ist der Kapitalismus, der jeden Kapitalisten dazu zwingt, immer mehr und billiger zu produzieren, auch wenn diese Produktion zu mehr Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefährdung führt. Der Kapitalismus muss sich verkaufen. Und das ist alles, was er kann! Ein anarchischer und kurzfristiger Ansatz. In der Tat ist es selbstmörderisch. Beim Verkaufen geht es nicht um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern darum, von der Marktnachfrage zu profitieren.
Es ist daher sinnlos und selbstbetrügerisch, sich einzubilden, dass dieses System in der Lage ist, plötzlich eine langfristige Vision und eine vernünftige Organisation zu erfinden; dazu ist es nicht fähig und wird es nie sein. Der scharfe Wettbewerb, der es auszeichnet, mag von Anfang an ein mächtiger Motor des Fortschritts für die Produktivkräfte gewesen sein, aber als er an die Grenzen der zahlungsfähigen Nachfrage, d.h. der Märkte, stieß, verwandelte sich dieser scharfe Wettbewerb in eine Kriegsmaschine: ein Wirtschaftskrieg, ein militärischer Krieg um die Weltherrschaft um jeden Preis, auch um den Preis der Umweltzerstörung.
Heute dienen Forschung und Entwicklung des Produktionsapparats viel mehr dem Militärsektor als dem Schutz der Umwelt und der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Die weltweiten Militärausgaben belaufen sich heute auf über 2.000 Milliarden Dollar und waren seit dem Ende des Kalten Krieges noch nie so hoch. Diese Ausgaben sind eine völlige Verschwendung, ihr einziges Ziel ist es, zu zerstören und zu töten oder bestenfalls Maschinen in irgendeinem Hangar verrosten zu lassen. Sie setzen Tausende von Gehirnen ein, um zu zerstören und Chaos und Tod zu verbreiten. Die Verschärfung der imperialistischen Spannungen seit dem Ende des Kalten Krieges zeigt sehr deutlich, dass diese Entwicklung noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht hat.
Die Rettung des Planeten wird nicht durch "Genügsamkeit" oder "Degrowth" erreicht, was nichts anderes ist als ein Eingeständnis der Ohnmacht oder gar eine Fantasie von einer Rückkehr zu einer vorkapitalistischen Gesellschaft. Nein, die Rettung des Planeten erfordert die bewusste Abschaffung der kapitalistischen Wirtschaft und ihrer überholten Produktionsverhältnisse und den Aufbau einer Gesellschaft, die in der Lage ist, für die menschlichen Bedürfnisse auf eine Weise zu produzieren, die sowohl rational ist als auch die gesamte Umwelt respektiert. Nur das Proletariat kann dem Kapitalismus ein Ende setzen, denn es ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die den Großteil des weltweiten Produktionsapparates in ihren Händen hält; eine Kraft, die gleichzeitig unter den Auswirkungen der Krise und der Ausbeutung leidet und daher kein Interesse an der Aufrechterhaltung dieses Systems hat.
Die Zeit ist eindeutig nicht mehr auf unserer Seite, und der Kapitalismus könnte zu gegebener Zeit die Existenz der Zivilisation, wenn nicht sogar der Menschheit als Ganzes, erheblich bedrohen. Aber es gibt menschliche und materielle Ressourcen, um die Produktion auf globaler Ebene in einer Weise zu reorganisieren, die die Umwelt und das menschliche Leben respektiert, und dies, während die ungenutzten Möglichkeiten von Wissenschaft und Technologie noch immens sind.
Nur das Proletariat wird, sobald es die Macht im Weltmaßstab ergriffen hat, in der Lage sein, die Produktivkräfte von den kapitalistischen Zwängen zu befreien, die sie fesseln. Nur das Proletariat ist in der Lage, auf internationaler Ebene eine Politik zu konzipieren, zu beschließen und umzusetzen, die diese Welt von den Gesetzen des Profits befreit und auf den Ruinen, die der Kapitalismus der Menschheit hinterlässt, eine Gesellschaft wieder aufbaut. Indem sie dem kapitalistischen Wettbewerb, der die Welt verseucht, ein Ende setzt, wird sie die Produktivkräfte von der Vorherrschaft der militärischen Sphäre befreien, die den gesamten menschlichen Einfallsreichtum auf das Werk der Zerstörung ausrichtet. Sie würde sie auch von der ständigen Verschwendung der kapitalistischen Produktion befreien: nutzlose und umweltschädliche Überproduktion, programmierte Veralterung, unproduktive Ausgaben in Verbindung mit Massenarbeitslosigkeit, Industriespionage usw. Schließlich wird sie in der Lage sein, das menschliche Bewusstsein und den menschlichen Geist zu heben, indem sie eine Bildung entwickelt, die nicht mehr auf den unmittelbaren Profit ausgerichtet ist, sondern auf die Emanzipation des Menschen und eine harmonische Beziehung zur Natur. Wie Engels in "Die Rolle der Arbeit beim Übergang vom Affen zum Menschen" schrieb: Wir "herrschen keineswegs über die Natur wie ein Eroberer über ein fremdes Volk, wie jemand, der außerhalb der Natur steht - sondern dass wir mit Fleisch, Blut und Hirn zur Natur gehören und in ihrer Mitte existieren, und dass unsere ganze Beherrschung der Natur darin besteht, dass wir vor allen anderen Geschöpfen den Vorteil haben, ihre Gesetze zu lernen und sie richtig anzuwenden".
Guy, 28. August 2023
[1]In den 1970er Jahren war sich die Bourgeoisie der globalen Erwärmung voll bewusst. Im Jahr 1972 warnte der "Bericht des Club of Rome" vor dem Ernst der Lage. Jahrzehntelang versuchte die Bourgeoisie im Allgemeinen, diese Realität zu verbergen oder sie in einer Flut ideologischer Mystifikationen zu ertränken, wovon der Bericht selbst, der für ein "begrenztes Wachstum" plädiert (was der Realität der kapitalistischen Wirtschaft vollkommen widerspricht), ein deutliches Beispiel ist.
Die Internationalist Communist Tendency (ICT) hat kürzlich eine Erklärung über ihre Erfahrungen mit den Komitees No War But The Class War (Kein Krieg ausser dem Klassenkampf) veröffentlicht, die sie zu Beginn des Krieges in der Ukraine mit ins Leben gerufen haben[1]. Sie sagen: "Es geht nichts über einen imperialistischen Krieg, um die wirkliche Klassenbasis eines politischen Rahmens zu enthüllen, und die Invasion in die Ukraine hat das sicherlich getan", und erklären, dass die Stalinisten und Trotzkisten wieder einmal gezeigt haben, dass sie zum Lager des Kapitals gehören - sei es durch die Unterstützung der Unabhängigkeit der Ukraine, ob sie die Unabhängigkeit der Ukraine unterstützen oder sich der russischen Propaganda über die "Entnazifizierung" der Ukraine anschließen. Die Linken rufen die Arbeiterklasse offen dazu auf, die eine oder andere Seite in einem imperialistischen Krieg zu unterstützen, der Ausdruck der sich verschärfenden Rivalitäten zwischen den größten imperialistischen Haien auf dem Planeten ist und somit der gesamten Menschheit katastrophale Folgen drohen. Die ICT stellt auch fest, dass die anarchistische Bewegung tief gespalten ist, zwischen denjenigen die zur Verteidigung der Ukraine aufrufen und denjenigen, die eine internationalistische Position der Ablehnung beider Lager beibehalten haben. Im Gegensatz dazu stellt die ICT fest, dass "die Kommunistische Linke in der ganzen Welt fest hinter den internationalen Interessen der Arbeiterklasse steht und diesen Krieg als das anprangert, was er ist".
So weit so gut. Aber wir unterscheiden uns grundlegend von der ICT, wenn sie argumentieren: "Für unseren Teil hat die ICT die internationalistische Position eine Stufe weiter gebracht, indem sie versucht hat, mit anderen Internationalisten zusammenzuarbeiten, die die Gefahren für die Weltarbeiterklasse sehen, wenn sie sich nicht organisiert. Deshalb haben wir uns der Initiative angeschlossen, Komitees auf lokaler Ebene in der ganzen Welt aufzubauen, um eine Antwort auf das zu organisieren, was der Kapitalismus den Arbeitern überall bereitet".
Unserer Meinung nach ist der Aufruf der ICT zur Bildung der NWBTCW-Komitees alles andere als "eine Stufe weiter" im Internationalismus oder ein Schritt hin zu einer soliden Umgruppierung der internationalistischen kommunistischen Kräfte. Wir haben bereits eine Reihe von Artikeln geschrieben, in denen wir unseren Standpunkt zu diesem Thema dargelegt haben, aber die ICT hat auf keinen reagiert, eine Haltung, die in der Erklärung der ICT gerechtfertigt wird, in der darauf bestanden wird, dass sie sich nicht auf "die gleiche alte Polemik" mit denjenigen einlassen wollen, von denen sie glauben, dass sie ihre Positionen missverstanden haben. Aber die Tradition der Kommunistischen Linken, die von Marx und Lenin geerbt und auf den Seiten der Zeitschrift Bilan fortgeführt wurde, ist die Erkenntnis, dass die Polemik zwischen proletarischen Gruppen für jeden politischen Klärungsprozess unerlässlich ist. Und in der Tat ist die ICT-Erklärung in Wirklichkeit eine versteckte Polemik, vor allem mit uns, der IKS. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass solche versteckte Polemiken, die es vermeiden sich auf bestimmte Organisationen und ihre schriftlichen Erklärungen zu beziehen, niemals zu einer echten und ehrlichen Konfrontation der Positionen führen können.
In ihrer Erklärung zu NWBTCW behauptet die ICT, dass ihre Initiative in Kontinuität mit dem Ansatz der linken Strömung im durch die Zimmerwalder Konferenz von 1915 eingeleiteten Prozess steht, nachdem sie bereits im Artikel NWBCW and the "Real International Bureau" of 1915 (Internationale Sozialistische Kommission) eine ähnliche Behauptung aufgestellt hatte: "Wir glauben, dass die NWBTCW-Initiative mit den Prinzipien der Zimmerwalder Linken übereinstimmt".[2]
Doch die Aktivitäten der Zimmerwalder Linken von 1915 und vor allem Lenins waren von einer unerbittlichen Polemik geprägt, die auf eine Abgrenzung und Auslese der revolutionären Kräfte abzielte. Die Zimmerwalder Linke vereinte verschiedene Tendenzen in der Arbeiterbewegung gegen den Krieg, und in einer Reihe von Fragen gab es erhebliche Divergenzen; die Linke war sich durchaus bewusst, dass eine gemeinsame Position gegen den Krieg, wie sie im Zimmerwalder Manifest zum Ausdruck kam, nicht ausreichte. Aus diesem Grund verbarg die Zimmerwalder Linke auf den Konferenzen von Zimmerwald 1915 und Kienthal 1916 nicht ihre Divergenzen mit den anderen Strömungen, sondern kritisierte diese offen dafür, dass sie in ihrem Kampf gegen den imperialistischen Krieg nicht konsequent waren. In und durch diese Debatte formten Lenin und seine politische Umgebung einen Kern, der zur Keimzelle der Kommunistischen Internationale werden sollte.
Wie die Leser aus der Veröffentlichung unserer Korrespondenz mit der ICT bezüglich unseres Aufrufs zu einer gemeinsamen Erklärung der Kommunistischen Linken als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine sehen können, hat die Weigerung der ICT zu unterzeichnen und ihre Förderung der NWBTCW als eine Art "rivalisierendes" Projekt die Fähigkeit der Kommunistischen Linken, in diesem entscheidenden Moment gemeinsam zu handeln, stark geschwächt. Damit wurde zum ersten Mal seit dem Auseinanderbrechen der internationalen Konferenzen der Kommunistischen Linken zu Beginn der 1980er Jahre die Möglichkeit eines Zusammenschlusses ihrer Kräfte zunichte gemacht. Die ICT beschloss, diesen Briefwechsel abzubrechen.[3]
Wir haben auch einen Artikel veröffentlicht, der die tatsächliche Geschichte der NWBTCW im anarchistischen Milieu in den 1990er Jahren beschreibt[4]. Dies bedeutete, dass diese Gruppen alle möglichen Verwirrungen enthielten, aber unserer Meinung nach drückten sie damals etwas Reales aus - die Reaktion einer kleinen Minderheit, die die massiven Mobilisierungen gegen die Kriege im Nahen Osten und auf dem Balkan kritisierte, Mobilisierungen, die sich auf einem eindeutig bürgerlichen linken und pazifistischen Terrain bewegten. Aus diesem Grund hielten wir es für wichtig, dass die Kommunistische Linke gegenüber diesen Formationen interveniert, um in ihnen klare internationalistische Positionen zu verteidigen. Im Gegensatz dazu gibt es nur sehr wenige solcher pazifistischen Mobilisierungen als Reaktion auf den Ukraine Krieg, und das anarchistische Milieu ist, wie wir bereits festgestellt haben, in dieser Frage zutiefst gespalten. Daher sehen wir in den verschiedenen NWBTCW-Gruppen nur sehr wenig, was uns veranlassen sollte, unsere Schlussfolgerung in unserem Artikel infrage zu stellen: "Der Eindruck, den wir von den Gruppen haben, über die wir etwas wissen, ist, dass sie hauptsächlich 'Duplikate' der ICT oder ihrer Mitgliedsorganisationen sind". Unserer Meinung nach offenbart diese Duplizierung ernsthafte Meinungsverschiedenheiten, sowohl über die Funktion und die Arbeitsweise der revolutionären politischen Organisation als auch über ihr Verhältnis zu Minderheiten, die sich auf proletarischem Terrain befinden, und sogar zur Klasse als Ganzes. Diese Meinungsverschiedenheit geht auf die ganze Debatte über Betriebsgruppen und Kampfgruppen zurück, aber wir haben nicht die Absicht, sie in diesem Artikel zu entwickeln.[5]
Wichtiger - aber auch mit der Frage des Unterschieds zwischen einem Produkt der realen Bewegung und den künstlichen Erfindungen politischer Minderheiten verbunden - ist die Feststellung in unserem Artikel, dass die NWBTCW-Initiative auf einer falschen Einschätzung der Dynamik des heutigen Klassenkampfes beruht. Unter den gegenwärtigen Bedingungen können wir nicht erwarten, dass sich eine Klassenbewegung direkt gegen den Krieg entwickelt, sondern gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise - eine Analyse, die unserer Meinung nach durch die internationale Wiederbelebung der Kämpfe, die durch die Streikbewegung in Großbritannien im Sommer 2022 ausgelöst wurde und die sich, mit unvermeidlichen Höhen und Tiefen, immer noch nicht erschöpft hat, hinreichend bestätigt wurde. Diese Bewegung war eine direkte Reaktion auf die "Lebenshaltungskostenkrise", und obwohl sie den Keim für eine tiefergehende und umfassendere Infragestellung der Ausweglosigkeit des Systems und seines Strebens nach Krieg in sich birgt, sind wir von diesem Punkt noch weit entfernt. Die Vorstellung, dass die NWBTCW-Komitees in gewisser Weise der Ausgangspunkt für eine direkte Klassenantwort auf den Krieg sein könnten, kann nur zu einer Fehlinterpretation der Dynamik der gegenwärtigen Kämpfe führen. Sie öffnet Tür und Tor für eine aktivistische Politik, die sich ihrerseits nicht von den "Tu jetzt was"-Positionen der Linken des Kapitals abgrenzen kann. Die Erklärung der ICT besteht darauf, dass ihre Initiative vor allem politisch ist und dass sie Aktivismus und Unmittelbarkeit ablehnt, und sie behaupten, dass die offen aktivistische Richtung, die von den NWBTCW-Gruppen in Portland und Rom eingeschlagen wurde, auf einem Missverständnis der wahren Natur der Initiative beruht. In der Erklärung heißt es: "...diejenigen, die sich der NWBTCW angeschlossen haben, ohne zu verstehen, worum es wirklich geht, oder besser gesagt, die sie als Erweiterung ihrer früheren radikal-reformistischen Aktivitäten sahen. Dies geschah sowohl in Portland als auch in Rom, wo bestimmte Leute die NWBTCW als etwas ansahen, das eine Klasse, die sich immer noch von vier Jahrzehnten des Rückzugs erholte und die gerade erst begann, im Kampf gegen die Inflation Fuß zu fassen, sofort mobilisieren könne. Ihre unmittelbare und ultra-aktivistische Perspektive führte nur zum Niedergang dieser Komitees". Für uns hingegen haben diese lokalen Gruppen fast besser als die ICT begriffen, dass eine Initiative, die in Ermangelung einer wirklichen Bewegung gegen den Krieg - selbst bei kleinen Minderheiten - gestartet wurde, nur in den Versuch verfallen kann, eine Bewegung aus dem Nichts zu schaffen.
Wir haben erwähnt, dass die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken, die Bilan herausgab, auf der Notwendigkeit einer rigorosen öffentlichen Debatte zwischen proletarischen politischen Organisationen bestand. Dies war ein zentraler Aspekt ihrer prinzipiellen Herangehensweise an Umgruppierungen. Sie widersetzten sich insbesondere den opportunistischen Bestrebungen der Trotzkisten und Ex-Trotzkisten jener Zeit, auf Fusionen und Umgruppierungen zurückzugreifen, die nicht auf einer ernsthaften Debatte über grundlegende Prinzipien beruhten. Unserer Ansicht nach basiert die Initiative der NWBTCW auf einer Art "frontistischen" Logik, die nur zu prinzipienlosen und sogar destruktiven Bündnissen führen kann.
Die Erklärung räumt ein, dass einige offen linke Gruppen den Slogan "Kein Krieg außer dem Klassenkampf" missbraucht haben, um ihre wesentliche Unterstützung für die eine oder andere Seite in dem KonflICT zu verbergen. Die ICT bestehen darauf, dass sie solche Operationen unter "falscher Flagge" nicht verhindern können. Unser Artikel über die Eröffnungssitzung des NWBTCW-Komitees in Paris[6] zeigt aber klar auf, dass nicht nur ein beträchtlicher Teil der Teilnehmer offen linke "Aktionen" unter dem Banner der NWBTCW befürwortete, sondern auch, dass eine trotzkistische Gruppe, die das Recht der Ukraine auf Selbstbestimmung verteidigt (Matière et Révolution), tatsächlich zu dem Treffen eingeladen worden war. In ähnlicher Weise scheint die NWBTCW Gruppe in Rom auf einer Allianz zwischen der ICT-Filiale in Italien (die Battaglia Comunista herausgibt) und einer rein linkskapitalistischen Gruppe zu beruhen.[7]
Wir sollten hinzufügen, dass das Präsidium des Pariser Treffens aus zwei Mitgliedern bestand, die Anfang der 2000er Jahre aus der IKS ausgeschlossen wurden, weil sie Material veröffentlicht hatten, das unsere Genossen staatlicher Repression aussetzte - eine Tätigkeit, die wir als Spitzelarbeit angeprangert haben. Einer dieser beiden ist Mitglied der «Groupe international de la Gauche Communiste GIGC», einer Gruppe, die nicht nur ein typischer Ausdruck des politischen Parasitismus ist, sondern die auf der Grundlage dieses polizeiähnlichen Verhaltens gegründet wurde und daher keinen Platz im internationalistischen kommunistischen Lager haben darf. Der Andere ist mittlerweile tatsächlich der Vertreter der ICT in Frankreich. Als die ICT sich weigerte, die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, argumentierte sie, dass deren Definition der Kommunistischen Linken zu eng sei, vor allem, weil sie Gruppen ausschließe, die von der IKS als parasitär definiert werden. In der Tat hat sich sehr deutlich gezeigt, dass die ICT es vorzieht, öffentlich mit parasitären Gruppen wie der GIGC in Verbindung gebracht zu werden als mit uns, und ihre derzeitige Politik via die NWBTCW-Komitees kann keinen andere Wirkung haben, als solchen Gruppen ein Zertifikat der Respektabilität zu geben und ihre langjährigen Bemühungen zu verstärken, die IKS zu einem Paria zu machen - gerade weil wir die klaren Verhaltensgrundsätze verteidigen, die sie wiederholt verletzt haben.
In einigen Fällen, wie z.B. in Glasgow, scheinen die NWBTCW-Komitees auf zeitweiligen Bündnissen mit anarchistischen Gruppen wie der Anarchist Communist Group zu beruhen, die internationalistische Positionen zum Ukraine-Krieg vertreten, aber mit Gruppen verbunden sind, die sich auf bürgerlichem Terrain bewegen (z.B. Plan C in Großbritannien). Und in letzter Zeit hat die Anarchist Communist Group gezeigt, dass sie sich lieber mit solchen Linken zusammentut, als mit einer internationalistischen Organisation wie uns zu diskutieren, und uns kürzlich von einem Treffen in London ausgeschlossen hat, ohne dass die Communist Workers Organisation CWO (die Teil der ICT ist) dagegen protestiert hätte[8]. Das bedeutet nicht, dass wir es ablehnen mit wirklich internationalistischen Anarchisten diskutieren wollen, und gegenüber der Gruppe KRAS in Russland, die klar gegen imperialistische Kriege ist, haben wir diese gebeten, die gemeinsame Erklärung in jeder erdenklichen Weise zu unterstützen. Die Anarchist Communist Group-Affäre ist jedoch ein weiteres Beispiel dafür, wie die NWBTCW-Initiative an die opportunistische Politik der Einheitsfront erinnert, bei der die Kommunistische Internationale ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Verrätern der Sozialdemokratie zum Ausdruck brachte. Dies war eine Taktik, um den kommunistischen Einfluss in der Arbeiterklasse zu stärken, aber das wahre Ergebnis war die Beschleunigung der Degeneration der Kommunistischen Internationale und ihrer Parteien.
Die Italienische Kommunistische Linke formulierte in den frühen 1920er Jahren eine scharfe Kritik an dieser opportunistischen Politik der Kommunistischen Internationale. Sie hielt weiterhin an der ursprünglichen Position der Kommunistischen Internationale fest, die besagte, dass die sozialdemokratischen Parteien durch die Unterstützung des imperialistischen Krieges und die aktive Ablehnung der proletarischen Revolution zu Parteien des Kapitals geworden waren. Es stimmt, dass ihre Kritik an der Einheitsfronttaktik eine Zweideutigkeit beibehielt - die Idee der "Einheitsfront von unten", die auf der Annahme beruhte, dass die Gewerkschaften immer noch proletarische Organisationen seien und dass es auf dieser Ebene möglich sei, dass kommunistische und sozialdemokratische Arbeiter gemeinsam kämpfen.
In ihrer Schlussfolgerung ihres Artikels über NWBTCW behauptet die ICT, dass es einen historischen Präzedenzfall für die NWBTCW-Komitees in der revolutionären Bewegung gibt: den Aufruf zu einer vereinigten proletarischen Front, der von der Internationalistischen Kommunistischen Partei (PCInt) in Italien 1944 gestartet wurde. Dieser Aufruf hatte einen grundlegend internationalistischen Inhalt, aber warum sprach er von einer "vereinigten proletarischen Front"? Und war mit der folgenden Forderung gemeint? "Die gegenwärtige Zeit erfordert die Bildung einer proletarischen Einheitsfront, d.h. die Einheit all derer, die gegen den Krieg sind, ob faschistisch oder demokratisch. Arbeiterinnen und Arbeiter aller proletarischen und überparteilichen politischen Formationen! Schließt euch unseren Arbeitern an, diskutiert die Klassenprobleme im Lichte der Kriegsereignisse und bildet in jedem Betrieb, in jedem Zentrum, Komitees der Einheitsfront, die in der Lage sind, den Kampf des Proletariats auf sein wahres Klassenterrain zurückzubringen".
Wer waren diese "proletarischen und überparteilichen politischen Formationen"? War dies tatsächlich ein Aufruf an die Basis der ehemaligen Arbeiterparteien, sich gemeinsam mit den Aktivisten der PCInt politisch zu betätigen?
Der Aufruf von 1944 war nicht lediglich ein Ausrutscher, denn nur ein Jahr später hatte damals die PCInt einen "Aufruf" ihres Agitationskomitees veröffentlicht, der sich ausdrücklich an die Agitationskomitees der Sozialistischen Partei, der stalinistischen Kommunistischen Partei und anderer Organisationen der bürgerlichen Linken richtete und zu gemeinsamen Aktionen in den Fabriken aufrief. Wir schrieben dazu in der Internationalen Revue Nr. 32 (engl., franz., span.) In der Internationalen Revue Nr. 34 (engl., franz., span.) veröffentlichten wir einen Brief der PCInt, in dem sie auf unsere Kritik an diesem Aufruf antwortete. In diesem Brief schrieben sie:
"War es tatsächlich ein Fehler? Ja, das war es; wir geben es zu. Es war der letzte Versuch der Italienischen Linken, die Taktik der "Einheitsfront an der Basis" anzuwenden, die von der KP Italiens 1921-23 gegen die Dritte Internationale verteidigt wurde. Wir stufen dies als eine "lässliche Sünde" (verzeihliche Sünde) ein, weil unsere Genossen sie später sowohl politisch als auch theoretisch mit solcher Klarheit beseitigt haben, dass wir heute gegen jeden in diesem Punkt gewappnet sind".
Darauf haben wir geantwortet: "Wenn ein Vorschlag für eine Einheitsfront mit den stalinistischen und sozialdemokratischen Schlächtern nur eine "kleine" Sünde ist, was hätte die PCInt 1945 sonst tun müssen, um in einen wirklich schweren Fehler zu verfallen ... in die Regierung einzutreten? Aber Battaglia Comunista beruhigt uns: sie habe diese Fehler schon vor einer ganzen Weile korrigiert, ohne auf die IKS zu warten, und sie habe nie versucht, sie zu verbergen. Möglicherweise, aber 1977, als wir die Fehler der PCInt in der unmittelbaren Nachkriegszeit in unserer Presse zur Sprache brachten, antwortete Battaglia Comunista mit einem empörten Brief, in dem sie zugaben, dass es Fehler gegeben habe, aber sie behaupteten, dass es die Schuld der Genossen gewesen sei, die 1952 gegangen waren, um die PCInternazionale zu gründen".
Die Tatsache, dass die ICT weiterhin den Aufruf von 1944 zu einer "proletarischen Einheitsfront" verteidigt, zeigt, dass dieser tiefe Fehler weder "politisch noch theoretisch eliminiert" wurde. Die Taktik der "Einheitsfront von unten" von 1921-23 bleibt die Inspiration der opportunistischen NWBCW-"Bewegung" der ICT.
Die ICT hat also in einem Punkt recht: Sie steht in Kontinuität mit dem opportunistischen Aufruf der PCInt zu einer "Proletarischen Einheitsfront" im Jahr 1944. Aber es ist keine Kontinuität, auf die man stolz sein kann, denn diese Taktik verschleiert aktiv die Klassenlinie, die zwischen dem Internationalismus der Kommunistischen Linken und dem vorgetäuschten Internationalismus der bürgerlichen Linken, des Parasitentums und des anarchistischen Sumpfes besteht. Darüber hinaus sollte die NWBTCW sogar eine exklusive Alternative zum unnachgiebigen Internationalismus der Gemeinsamen Erklärung der Kommunistischen Linken sein, was die revolutionären Kräfte nicht nur durch Opportunismus gegenüber der bürgerlichen Linken schwächt, sondern auch durch ein Sektierertum gegenüber anderen authentischen Gruppen der Kommunistischen Linken.
Amos, September 2023
[1] The No War but the Class War Initiative [73], Revolutionary Perspectives Nr.22
[3] Correspondence on the Joint Statement of groups of the Communist Left on the war in Ukraine [75]
[5] Siehe : Reply to the Internationalist Communist Party (Battaglia Comunista) [77] in International Review Nr.13; The organisation of the proletariat outside periods of open struggle (workers' groups, nuclei, circles, committees) | International Communist Current (internationalism.org) [78] in International Review Nr.21 und World Revolution Nr.26: “Factory Groups and ICC intervention”
[6] No War But The Class War: Ein Komitee das seine Teilnehmer in eine Sackgasse führt. https://de.internationalism.org/content/3105/no-war-class-war-ein-komite... [79]
[7] Das Statement enthält einen link zu einem Artikel in Battaglia Comunista über die Niederlage des Komitees in Rom: Sul Comitato di Roma NWBCW: un'intervista [80]. Es beschreibt das negative Ergebnis einer Allianz mit der Gruppe Società Incivile. Es ist in einer dermassen eigenartigen Weise geschrieben, dass es schwierig ist etwas davon zu verstehen. Wenn man aber die Website dieser Gruppe besucht, erkennt man, dass sie eine durch und durch linksbürgerliche Gruppe sind, welche die antifaschistischen Partisanen und die stalinistische Kommunistische Partei Italiens hochloben. Siehe: https://www.sitocomunista.it/canti/cantidilotta.html [81]; www.sitocomunista.it/resistence/resistenceindex.html; [82] https://www.sitocomunista.it/pci/pci.html [83].
[8] ACG bans the ICC from its public meetings, CWO betrays solidarity between revolutionary organisations [84], World Revolution Nr.397
Anhang | Größe |
---|---|
![]() | 565.43 KB |
"Wir müssen sagen, dass zu viel zu viel ist! Nicht nur wir, sondern die gesamte Arbeiterklasse in diesem Land muss irgendwann sagen, dass zu viel zu viel ist" (Littlejohn, Wartungsleiter in den Spezialberufen im Ford-Presswerk in Buffalo, USA).
Dieser amerikanische Arbeiter fasst in einem Satz zusammen, was im Bewusstsein der gesamten Arbeiterklasse in allen Ländern heranreift. Vor einem Jahr brach in Großbritannien der "Sommer des Zorns" aus. Die britischen Arbeiter skandierten "Enough is enough" (zu viel ist zu viel) und nahmen den Kampf nach über 30 Jahren Stillstand und Resignation wieder auf.
Dieser Aufruf wurde über die Grenzen hinweg gehört. Von Griechenland bis Mexiko, gegen die gleiche unerträgliche Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen, entwickelten sich Streiks und Demonstrationen über das gesamte Ende des Jahres 2022 und den Beginn des Jahres 2023.
Mitten im Winter wurde in Frankreich ein weiterer Schritt gemacht: Die Arbeiter und Arbeiterinnen griffen die Idee "trop, c`est trop!" auf. Aber anstatt die lokalen und korporatistischen Kämpfe, die voneinander isoliert waren, weiter zu zersplittern, verstanden sie es, sich zu Millionen auf der Straße zu versammeln. Zum notwendigen Kampfgeist kam also die Kraft der Massivität hinzu. Und nun versuchen die Arbeiter und Arbeiterinnen in den USA, die Fackel des Kampfes weiter zu tragen.
Ein regelrechter Medien-Blackout umgibt die sozialen Bewegungen, die derzeit die größte Wirtschaftsmacht der Welt in Atem halten. Und das aus gutem Grund: In diesem Land, das seit Jahrzehnten von Armut, Gewalt, Drogen, Rassismus, Angst und Individualismus heimgesucht wird, zeigen diese Kämpfe, dass ein ganz anderer Weg möglich ist.
Im Herzen all dieser Streiks kommt eine Welle der Arbeitersolidarität auf: "Wir haben es alle satt, die Leiharbeiter haben es satt, die langjährigen Angestellten wie ich, wir haben es satt ... denn diese Leiharbeiter sind unsere Kinder, unsere Nachbarn, unsere Freunde" (derselbe Arbeiter aus Buffalo, N.Y). So halten die Arbeiter und Arbeiterinnen generationenübergreifend zusammen: Die "Alten" streiken nicht nur für sich selbst, sondern in erster Linie für die "Jungen", die unter noch schlechteren Arbeitsbedingungen und noch niedrigeren Löhnen zu leiden haben.
In der Arbeiterklasse wächst allmählich ein Gefühl der Solidarität, je mehr wir verstehen, dass wir "alle im selben Boot sitzen": "All diese Gruppen sind nicht einfach nur separate Bewegungen, sondern ein kollektiver Aufschrei: Wir sind eine Stadt der Arbeiter - Blue Collar und White Collar, gewerkschaftlich organisiert und nicht gewerkschaftlich organisiert, eingewandert und hier geboren" (Los Angeles Times).
Die aktuellen Streiks in den USA vereinen weit mehr als nur die mobilisierten Sektoren. "Der Stellantis-Komplex in Toledo, Ohio, wurde zu Beginn des Streiks von Jubelrufen und Hupen überschwemmt" (The Wall Street Journal). "Hupen unterstützt die Streikenden vor dem Werk des Automobilherstellers in Wayne, Michigan" (The Guardian).
Die aktuelle Streikwelle ist von historischer Bedeutung:
- Drehbuchautoren und Schauspieler in Hollywood haben zum ersten Mal seit 63 Jahren gemeinsam gekämpft;
- die privaten Krankenschwestern in Minnesota und Wisconsin führen den größten Streik in ihrer Geschichte durch;
- die Beschäftigten der Stadtverwaltung von Los Angeles traten zum ersten Mal seit 40 Jahren in den Streik;
- die Arbeiter und Arbeiterinnen der "Big Three" (General Motors, Ford, Chrysler) führen einen beispiellosen gemeinsamen Kampf;
- die Beschäftigten von Kaiser Permanente (eine Health Maintenance Organization), die in mehreren Bundesstaaten streikten, halten die größte Demonstration ab, die jemals im Gesundheitssektor der USA stattgefunden hat.
Wir könnten noch die zahlreichen Streiks der letzten Wochen bei Starbucks, Amazon und McDonald's, in den Fabriken der Luft- und Eisenbahnindustrie oder den Streik, der sich nach und nach auf alle Hotels in Kalifornien ausgeweitet hat, hinzufügen... alles Arbeiter und Arbeiterinnen, die angesichts einer galoppierenden Inflation, die sie ins Elend treibt, für einen würdigen Lohn kämpfen.
Mit all diesen Streiks zeigt das amerikanische Proletariat, dass es auch für die Beschäftigten im Privatsektor möglich ist, zu kämpfen. In Europa waren es bislang vor allem die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die sich mobilisiert haben, da die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes für die Beschäftigten der Privatwirtschaft eine entscheidende Bremse darstellt. Aber angesichts der immer unhaltbareren Ausbeutungsbedingungen werden wir alle in den Kampf getrieben werden. Die Zukunft gehört dem Klassenkampf in allen Sektoren, gemeinsam und vereint!
In Europa, Asien und sogar in Ozeanien wächst die Wut wieder. Auch in China, Südkorea und Australien kam es seit dem Sommer zu einer Reihe von Streiks. In Griechenland kam es Ende September zu einer sozialen Bewegung im Verkehrs-, Bildungs- und Gesundheitssektor, die sich gegen eine geplante Arbeitsreform zur Flexibilisierung der Beschäftigung richtete. Am 13. Oktober kam es in Frankreich wieder zu Demonstrationen, bei denen es um die Löhne ging. Auch in Spanien beginnt ein Wind der Wut zu wehen: geplant sind am 17. und 19. Oktober Streiks im Privatschulwesen; am 24. Oktober Streik im öffentlichen Schulwesen; am 25. Oktober Streik im gesamten öffentlichen Sektor des Baskenlandes; am 28. Oktober Demonstration der Rentner etc. Angesichts dieser prognostizierten Kämpfe beginnt die spanische Presse, "einen neuen heißen Herbst" vorauszusagen.
Diese Liste zeigt nicht nur das wachsende Niveau der Unzufriedenheit und der Kampfbereitschaft unserer Klasse. Sie offenbart auch die derzeit größte Schwäche unserer Bewegung: Trotz der wachsenden Solidarität bleiben unsere Kämpfe voneinander getrennt. Unsere Streiks müssten zur gleichen Zeit stattfinden, wir könnten sogar Seite an Seite stehen, manchmal auf der Straße, aber wir kämpfen noch nicht wirklich gemeinsam. Wir sind noch nicht vereint, als eine einzige soziale Kraft die in einem einzigen Kampf organisiert ist.
Die derzeitige Streikwelle in den USA ist ein deutlicher Beweis dafür. Als die Bewegung in den "Big Three" begann, wurde der Streik auf drei "designierte" Fabriken beschränkt: Wentzville (Missouri) für GM, Toledo (Ohio) für Chrysler und Wayne (Michigan) für Ford. Diese drei Fabriken sind Tausende von Kilometern voneinander entfernt, was es den Arbeitern und Arbeiterinnen unmöglich macht, sich zu versammeln und wirklich gemeinsam zu kämpfen.
Warum diese Zersplitterung? Wer organisiert diese Zersplitterung? Wer "betreut" diese Angestellten offiziell? Wer organisiert die sozialen Bewegungen? Wer sind die "Kampfspezialisten", die gesetzlichen Vertreter der Angestellten? Die Gewerkschaften! An allen Ecken und Enden der Welt sieht man wie sie die Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse zersplittern.
Es ist die UAW (United Auto Workers), eine der größten Gewerkschaften der USA, die diese drei Fabriken "gesteuert" hat! Es ist die UAW, die zwar von einer "starken, vereinten und massiven" Bewegung spricht, den Streik aber absichtlich auf nur 10 % der gewerkschaftlich organisierten Belegschaft beschränkt, während alle Arbeiter und Arbeiterinnen lautstark ihren Willen zu einem vollständigen Streik bekunden. Als die Beschäftigten von Mack Truck (Volvo Trucks) versuchten, sich in ihrem Kampf den "Big Three" anzuschließen, was taten die Gewerkschaften? Sie beeilten sich, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, um den Streik zu beenden! In Hollywood, wo der Streik der Schauspieler und Drehbuchautoren seit Monaten andauerte, wurde ein Abkommen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft genau in dem Moment unterzeichnet, als sich die Beschäftigten der Automobilindustrie dem Streik anschlossen.
Selbst bei Demonstrationen in Frankreich, die Millionen von Menschen auf die Straße bringen, spalten die Gewerkschaften die Demonstrationszüge, indem sie "ihre" Gewerkschaftsmitglieder, die nach Bereich zusammengefasst sind, nicht gemeinsam, sondern hintereinander marschieren lassen und so jede Zusammenkunft und jede Diskussion verhindern.
In den USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Griechenland, Australien und allen anderen Ländern müssen wir, um diese organisierte Spaltung zu stoppen, um wirklich vereint zu sein, um aufeinander zuzugehen, um uns gegenseitig zu mobilisieren und unsere Bewegung auszuweiten, die Kontrolle über die Kämpfe den Gewerkschaften aus den Händen reißen. Es sind unsere Kämpfe, die Kämpfe der gesamten Arbeiterklasse!
Wo immer wir können, müssen wir in offenen und massiven, autonomen Vollversammlungen zusammenfinden, die wirklich über die Führung der Bewegung entscheiden. Vollversammlungen, in denen wir so breit wie möglich über die allgemeinen Bedürfnisse des Kampfes und die vereinigenden Forderungen diskutieren. Vollversammlungen, von denen aus wir in Massendelegationen aufbrechen können, um andere Beschäftigte zu treffen, die Lohnabhängigen in der nächsten Fabrik, im nächsten Krankenhaus, in der nächsten Schule, in der nächsten Verwaltung.
Angesichts der Verarmung, der globalen Erwärmung, der Polizeigewalt, des Rassismus, der Gewalt gegen Frauen ... gibt es seit einigen Jahren auch andere Arten von Reaktionen: die Demonstrationen der "Gelbwesten" in Frankreich, Umweltversammlungen wie "Youth for climate", Proteste für Gleichberechtigung wie "Black Lives Matter" oder "MeToo", oder verzweifelte Aufschreie wie bei den Unruhen in den USA, Frankreich oder Großbritannien.
Aber all diese Aktionen zielen darauf ab, einen gerechteren, humaneren und grüneren Kapitalismus durchzusetzen. Deshalb sind diese Reaktionen auch so leicht von den Staaten und der herrschenden Klasse zu vereinnahmen, die nicht zögern, alle "Bürgerbewegungen" zu unterstützen. Im Übrigen tun die Gewerkschaften und alle Politiker alles, um die Forderungen der Arbeiter und Arbeiterinnen in den Rahmen des Kapitalismus zu integrieren, indem sie die Notwendigkeit einer "besseren Verteilung des Reichtums" zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern hervorheben. Biden, der erste US-Präsident, der auf einem Streikposten stand, sagte sogar heuchlerisch: "Jetzt, wo die Industrie wieder an Fahrt gewinnt, sollten [die Arbeiter] an den Gewinnen beteiligt werden".
Aber im Kampf gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, gegen die von den Staaten inszenierten Angriffe und gegen die durch die Ausdehnung der Kriegswirtschaft auferlegten Opfer, erhebt sich die Arbeiterklasse nicht als "Bürger, die Rechte und Gerechtigkeit fordern", sondern als Ausgebeutete gegen ihre Ausbeuter und letztlich als Klasse gegen das System selbst. Deshalb trägt die internationale Dynamik des Kampfes der Arbeiterklasse den Keim für eine grundlegende Infragestellung des gesamten Kapitalismus in sich.
In Griechenland stellten Demonstranten während des Aktionstages am 21. September gegen die Arbeitsreform eine Verbindung zwischen diesem Angriff und den "Natur"-Katastrophen her, die das Land im Sommer verwüstet haben. Auf der einen Seite zerstört der Kapitalismus den Planeten, verschmutzt die Umwelt, verschärft die globale Erwärmung immer weiter, entwaldet, betoniert, trocknet das Land aus, verursacht Überschwemmungen und Brände. Auf der anderen Seite baut er Arbeitsplätze ab, die früher die Natur pflegten und die Menschen schützten, und baut lieber Kriegsflugzeuge als Löschflugzeuge.
Über den Kampf gegen die Verschlechterung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen hinaus ist die Arbeiterklasse dabei, ein weitaus umfassenderes Nachdenken über dieses System und seine Zukunft zu beginnen. Vor einigen Monaten konnte man bei Demonstrationen in Frankreich auf einigen Schildern die Ablehnung des Krieges in der Ukraine zu lesen, die Weigerung, im Namen dieser Kriegswirtschaft den Gürtel enger zu schnallen: "Kein Geld für den Krieg, kein Geld für die Waffen, Geld für die Löhne, Geld für die Renten".
Wirtschaftskrise, ökologische Krise, kriegerische Barbarei... alles Symptome der tödlichen Dynamik des globalen Kapitalismus. Die Flut von Bomben und Kugeln, die auf die Bevölkerung Israels und des Gazastreifens niedergeht, während wir diese Zeilen schreiben, und während dessen die Massaker in der Ukraine weitergehen, sind ein weiteres Beispiel für diese Abwärtsspirale, in die der Kapitalismus die Gesellschaft treibt und die das Leben der gesamten Menschheit bedroht!
Die immer zahlreicher werdenden Streiks zeigen, dass zwei Welten aufeinanderprallen: die Welt der herrschenden Klasse, die von Konkurrenz und Barbarei geprägt ist, und die Welt der Arbeiterklasse, die von Solidarität und Hoffnung geprägt ist. Das ist die tiefere Bedeutung unserer gegenwärtigen und zukünftigen Kämpfe: das Versprechen einer anderen Zukunft, ohne Ausbeutung und soziale Klassen, ohne Krieg und Grenzen, ohne Zerstörung des Planeten und Profitstreben.
Internationale Kommunistische Strömung
8. Oktober 2023
In der apokalyptischen Gegenwart scheint das Gebiet der Schweiz eine Insel des Wohlstands zu sein. Stimmt es, dass das Alpenland so reich ist? Je nach Statistik gibt es hier die höchsten Löhne der Welt und die höchste Dichte an Großunternehmen, gemessen am Bruttoinlandprodukt. Die Bevölkerung ist in den letzten 20 Jahren um 20 % gewachsen. Und jedes Jahr findet in Davos das World Economic Forum statt, wo sich die gegenwärtigen Führer der Welt sehen und gesehen werden. – Woher die Prosperität und die Anziehungskraft inmitten des sonstigen Zerfalls?
Gleichzeitig ist festzuhalten, dass 1,34 Millionen, also 15,6% der Menschen in der Schweiz in Armut oder armutsgefährdet leben.[1] Dazu kommen ständig steigende Lebenskosten wie die Mieten, die immer stärker die Lebensbedingungen der ausgebeuteten Klasse verschlechtern.
Wir müssen bei Gelegenheit auf die Bedingungen für das Proletariat oder auch auf die wirtschaftlichen Veränderungen in der Schweiz zurückkommen. Hier geht es uns um das international brisanteste Thema: die Zuspitzung der imperialistischen Spannungen, des Krieges – im Rahmen des Zerfalls.
Das Kapital und sein (Klein-)Staat müssen sich auf einem heißer werdenden Kontinent behaupten. Das Land ist weder EU-Mitglied, noch gehört es offiziell zur NATO. Wie verteidigt die Regierung in Zusammenarbeit mit dem Rest der herrschenden Klasse ihre Interessen? – Wie erfolgreich tun sie dies?
Die ideologische Fahne, unter der die Barke treibt, heißt Neutralität. Früher nannte man sie immerwährende oder bewaffnete Neutralität, heute bezeichnen sie die verschiedenen Parteien als integrale (Christoph Blocher, SVP) oder aktive (Micheline Calmy-Rey, SP) oder kooperative (Ignazio Cassis, FDP) Neutralität.
Schon lange vor der Machtergreifung der Bourgeoisie und der Bildung eines modernen Nationalstaats 1848 galt sie für diesen kleinen Staat als klügste außenpolitische Richtlinie und wurde von den Großmächten teils aktiv unterstützt (Frankreich/Russland) oder mindestens faktisch anerkannt (Habsburg-Österreich). Im imperialistischen Zeitalter ist das Prinzip immer wieder unter argen Druck geraten. Während des Ersten Weltkriegs gab es große Spannungen in der Schweiz zwischen den deutsch- und französischsprachigen Fraktionen der herrschenden Klasse, bei denen es Affinitäten zur einen bzw. anderen Kriegspartei gab (zum Dreibund hinter Deutschland bzw. zur Entente um Frankreich). Im Zweiten Weltkrieg offenbarte sich die Neutralität als ziemlich hilflos, da in den ersten Kriegsjahren, umzingelt von den Achsenmächten, die „neutrale“ Schweiz in den deutschen Wirtschaftsraum integriert wurde und z.B. der Finanzplatz Devisen für die Kriegsführung Hitler-Deutschlands einbrachte.[2]
Im Kalten Krieg (1949-1989) war die offizielle Schweiz faktisch Teil des westlichen Blocks gegen den Ostblock, wenn auch formal immer noch „neutral“.
Im Laufe des Kalten Kriegs wurde auch die Rüstungsbeschaffung der Schweizer Armee, nach anfänglichen Schwierigkeiten mit den USA, nur noch bei den Westmächten getätigt.[3] Wie im Zweiten Weltkrieg Nazideutschland, kümmerte sich auch die USA wenig um die Schweizer Neutralität. Ein Beispiel war, dass die militärische Planung der NATO den Schweizer Luftraum zwischen zwei NATO Luftwaffenflotten aufgeteilt hatte, als gäbe es keinen neutralen schweizerischen Luftraum noch eine Schweizer Luftwaffe (siehe auch M. Jorio, Die Schweiz und ihre Neutralität, S.383). Der zeitweilige Transit von Militärmaterial durch die Schweiz schien wie eine Fortsetzung der neutralitätspolitischen Probleme des Zweiten Weltkriegs. Auch gab es immer wieder diplomatische Demarchen, wegen Überflügen von NATO-Flugzeugen (ebenda, S. 379).
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der in gewissen Kreisen einhergehenden Friedenseuphorie wurden diese Illusionen mit den nicht abbrechenden neuen Kriegen namentlich in Jugoslawien, im Nahen Osten und in der Ukraine brutal zerschmettert. Nichtsdestotrotz versucht die Schweiz aufgrund ihrer Reputation als neutrales Land, ihre „Guten Dienste“ anzubieten. Eigentlich hätte die «Ukraine-Friedenskonferenz» im Juni 2024 auf dem Bürgenstock in der Innerschweiz eine diplomatische Show unter der Fahne der Neutralität werden sollen. Die Resultate sind erbärmlich. Die bürgerlichen Medien applaudierten verhalten zum angeblichen Erfolg, der darin bestand, dass es keine größeren Pannen gab und die Sicherheit der wichtigen Leute aus 92 Ländern an dieser Konferenz immer gewährleistet gewesen sei. Bescheidene Ziele. Von den BRICS-Staaten war nur Indien vertreten. Die doch nicht so neutralen Gastgeber luden die eine Kriegspartei, Russland, gar nicht ein. Hätte Putin überhaupt jemanden geschickt? China kam auf jeden Fall auch nicht. Die sogenannte Friedenskonferenz war eine Veranstaltung zur Unterstützung Selenskyjs im Krieg durch seine Verbündeten. «Die Bezeichnung als Ukraine-Solidaritätskonferenz wäre zutreffender», schreibt die Neue Zürcher Zeitung kurz nach der Konferenz in ihrem Format PRO Global, das vertiefte Analysen und umfassende Einordnungen verspricht (19.06.2024).
Unter dem etwas löchrigen Deckmantel der Neutralität versucht die herrschende Klasse für den hiesigen Staatskapitalismus die Interessen bestmöglich zu verteidigen. Die Devise lautet: möglichst lange mit allen profitabel Handel treiben und überhaupt Beziehungen pflegen, sich aus bewaffneten Konflikten möglichst raushalten – und umgekehrt die sogenannten Guten Dienste für Verhandlungen zwischen Kriegsparteien anbieten oder wenigstens Kommunikationskanäle offen halten. Darauf setzten die USA beispielsweise in der Kubakrise 1961-62, als sie die diplomatischen Beziehungen mit dem Regime von Fidel Castro abbrach und die schweizerische Regierung mit der amerikanischen Interessenvertretung in Havanna beauftragte. Heute besteht ein ähnliches Mandat im Iran. Die Kommunikation zwischen den USA und Iran läuft über die Schweizer Botschaft, so anscheinend auch vor dem iranischen Angriff mit Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern gegen Israel im April 2024 als Antwort auf die Tötung iranischer Diplomaten in Damaskus. Allerdings spielten bei der Kommunikation zwischen den verfeindeten Lagern Kanäle über andere Staaten, konkret China und Oman, wohl eine wichtigere Rolle. Die Schweizer Diplomatie ist für den formellen Schein einer Restkommunikation zuständig, während in besonders angespannten Situationen auch informelle Kanäle erforderlich sind.
Auch die Selenskyj-Regierung wollte im Sommer 2022 von der Schweiz, dass sie die Interessen der Ukraine in Moskau vertrete. Doch es klappte nicht. Russland akzeptierte die Ausübung des Mandats durch die Schweiz nicht, da sie ihren Status als neutralen Staat durch ihren Anschluss an die westlichen Sanktionen verspielt habe.
Obwohl die Neutralität der Schweiz eher Schein als Wirklichkeit ist, schaffte diese Politik über lange Perioden günstige Bedingungen für das Kapital. Oft war zwar auch ziemlich viel Glück im Spiel; und doch erlaubte es diese politische Linie der Bourgeoisie mit ein paar Bücklingen und viel Heuchelei, den Zerstörungen der beiden Weltkriege auf eigenem Territorium auszuweichen.
Die UNO hat einen ihrer Nebensitze in Genf, wo die internationale Diplomatie und die Geheimdienste ihre Netze weben. „Heute sind in der Stadt am Lac Léman knapp 240 ausländische Vertretungen angesiedelt, Dutzende von internationalen Organisationen, hunderte von NGOs. Es liegt also in der Natur des Sache, dass sich hier auch zahlreiche Agent:innen tummeln. Genf gilt heute zusammen mit Brüssel und Wien zu den drei Spionage-Hotspots in Europa.“[4]
Die schweizerische Bourgeoisie schafft es so, auf dem internationalen Parkett präsenter zu sein, als es eigentlich der Größe, der geostrategischen Wichtigkeit des Landes und auch seiner Wirtschaft entspricht.
Beim Ukraine-Krieg sind verschiedene Widersprüche in der herrschenden Klasse der Schweiz, die schon länger schwelten, verschärft zum Vorschein gekommen. Die sog. aktive Neutralität wurde vor allem von der früheren sozialdemokratischen Außenministerin Micheline Calmy-Rey während ihrer Amtszeit (2003-2011, aber auch in ihrem Buch von 2020) vorangetrieben. Umgekehrt kämpfte schon damals die SVP heftig dagegen. Der heutige EDA-Chef Ignazio Cassis nimmt in einer softeren Version als Calmy-Rey die Haltung der sog. kooperativen Neutralität ein, nachdem die Regierung wegen ihrer zögerlichen Unterwerfung unter die vorherrschende US- und EU-Sanktionspolitik in der Presse angeprangert worden ist. Nach anfänglichen Schwierigkeiten ist es aber der Bourgeoisie gelungen, eine mehr oder weniger kohärente Außenpolitik zu betreiben, die sich auf die sog. demokratischen Werte beruft. Die SVP und andere rechte Gruppierungen, die weiterhin an einer „integralen Neutralität“ festhalten, die aber in Wirklichkeit nur in der Phantasie der Rechten und deren alten helvetischen Mythen besteht, haben im April 2024 mit über 130‘000 beglaubigten Unterschriften eine gleichnamige Volkinitiative eingereicht.[5]
Mittlerweile geht die Diskussion um die Integration auch in formellen „Verteidigungsinstitutionen“ wie die NATO[6] und den europäischen „Luftraumverteidigung“[7] oder an PESCO-Projekten[8] (Permanent Structured Cooperation) weiter. Es bestätigt sich, dass in zugespitzten Situationen die Neutralität, wie immer sie definiert wird, immer mehr durchlöchert wird.
Für die Arbeiterklasse hat das schon jetzt negative Auswirkungen, mit Sparbeschlüssen zugunsten der Aufrüstung.
Für die Schweizer Wirtschaft sind insbesondere zwei große Bereiche wichtig: erstens die Exportindustrie mit Chemie (Novartis, Roche), Nahrungsmitteln (Nestlé), Maschinen, Uhren (Rolex, Patek Philippe); zweitens der Finanzsektor mit den Banken, Versicherungen – und Kryptowährungen. Weil die Steuern für Großunternehmen in gewissen Kantonen sehr niedrig sind, gibt es zahlreiche weltweit operierende Firmen, die hier ihren Sitz wählen, aber sonst eigentlich keine traditionelle Beziehung zur Schweiz haben (Glencore, Gunvor[9]).
Mit dem Ukrainekrieg geriet die Neutralität der Schweiz sofort auch in wirtschaftlicher Hinsicht in Bedrängnis. Aufgrund des Druckes aus den USA, aber auch der EU hielt es die Regierung mit Außenminister Cassis nicht lange aus, sich bei den westlichen Sanktionen gegen Russland versteckt zu halten. Schon Ende Februar 2022 schloss sie sich den Sanktionspaketen der EU an und hat diese Politik seither fortgesetzt, wenn auch in letzter Zeit mit Zähneknirschen und unter Vorbehalten.[10]
Dazu gehörte auch die Blockierung russischen Vermögens im Ausland. In der Schweiz ging es einmal um Gelder im Wert von anfänglich rund 7,5 Milliarden Franken und 17 Liegenschaften sanktionierter Privatpersonen aus Russland, die der Bund eingefroren hat. – Weiter sollen sich bis zu zwei Prozent der russischen Zentralbankengelder in der Schweiz befinden. Sie sind offiziell nicht eingefroren, dürfen de facto aber nicht transferiert werden. In der Schweiz waren Ende 2023 russische Zentralbankgelder für umgerechnet rund 7,2 Milliarden Franken blockiert (NZZ 23.04.2024).
Die US-Regierung will entsprechende von ihr blockierte Gelder konfiszieren und für den Krieg gegen Russland verwenden. Sie macht Druck auf ihre Alliierten, d.h. wirtschaftlichen Konkurrenten in Europa, dasselbe zu tun. Die EU will nur die Erträge, d.h. Zinsen aus den eingefrorenen Geldern einziehen.
Die Schweiz wehrt sich gegen beides. Der Grund ist einfach: Wenn die Mächtigen und Reichen aus aller Welt zusehen müssen, wie Geld von ihresgleichen auf Schweizer Banken je nach Weltlage beschlagnahmt wird, erleidet das Vertrauen in diese Banken Schaden. Die Verteidiger des Finanzplatzes Schweiz wehren sich gegen so weit gehende Sanktionen und argumentieren mit rechtlichen Bedenken. Die Linken, die am meisten ins Kriegsfeuer blasen, haben ihre rechtlichen Gegenargumente: «Es wäre durchaus legal, die Zinserträge der russischen Vermögen abzuschöpfen. Dazu müssten die Staaten, wo die Gelder eingefroren sind, die Zinserträge zu annährend 100 Prozent besteuern.»[11]
Es gibt außer diesen blockierten russischen Geldern noch geschätzte weitere 150 Milliarden von bisher nicht oder nur von einzelnen Staaten sanktionierten Russ:innen in der Schweiz. «Niemand scheint genau sagen zu können, wie viel Geld reiche Russinnen und Russen in der Schweiz gebunkert haben. Die Schweizerische Bankiervereinigung schätzt die Summe auf rund 150 Milliarden Franken. Im Vergleich zu den 2,2 Billionen Franken Offshore-Vermögen, die von Schweizer Banken verwaltet werden, sind das weniger als 10%.»[12]
Die USA drängen darauf, die Schweiz in die Taskforce zur Aufspürung von russischen Oligarchengeldern (einer G7-Arbeitsgruppe) aufzunehmen, was von einigen Teilen der Bourgeoisie in der Schweiz abgelehnt wird. «Obwohl die Schweiz zum westlichen Lager gehört, betonen die Schweizer Parteien SVP, FDP sowie einzelne Mitglieder der Mitte und GLP die Bedeutung der offiziellen Neutralität des Landes.»[13] Darüber beklagt sich die trotzkistische Bewegung für den Sozialismus BFS[14], die den Bundesrat auffordert, die Sanktionen gegen Russland konsequenter umzusetzen und umgekehrt die Ukraine stärker zu unterstützen.
Unabhängig von der Rolle, die diese linksbürgerlichen Kräfte in der Gesellschaft und der staatskapitalistischen Politik spielen, ist unverkennbar, dass der Spielraum der Schweiz auf dem imperialistischen Schachbrett kleiner wird. Nach 1989 und dem Zusammenbruch der beiden Blöcke boten sich neue Möglichkeiten, doch heute ist die sogenannte Neutralität für die Schweiz kein Schutzschild mehr gegen die Kriegswirtschaft, die sich allgemein ausbreitet. Dabei steht die Schweiz nicht nur im Clinch zwischen den USA und China, sondern auch in demjenigen zwischen der EU und dem neuen Trump-Amerika. Dass die Schweiz in der Diplomatie und der Finanzwelt übergewichtig ist, macht sie für die Großmächte zur umso beliebteren Zielscheibe, wie es sich schon in den relativ vorteilhaften zwei Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch des Ostblocks angedeutet hat – erinnert sei an die Nazigold-Affäre und die Demontage des Bankgeheimnisses in den 1990er bzw. 2000er Jahren unter US-amerikanischer Führung, aber auch mit Unterstützung aus Deutschland.[15] Doch heute mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten weht der Schweizer Bourgeoisie ein noch härterer Wind ins Gesicht.
Als Rüstungsproduzent spielt die Schweiz global keine bedeutende Rolle. Umgekehrt ist es aber für den eigenen Staatskapitalismus im Interesse einer minimalen Glaubwürdigkeit erforderlich, dass ein allfälliger Invasor mit einer Gegenwehr zu rechnen hat („bewaffnete Neutralität“). Dies setzt eine minimale Selbstversorgung bei der Waffenproduktion voraus.
Auf dem Terrain der internationalen imperialistische Spannungen ist die Haltung der Schweiz zu den Waffenlieferungen an die Ukraine weniger wichtig als der Nachvollzug der westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Trotzdem gibt es auch hier Druck von den sogenannten Partnern – den USA und der EU.
Stein des Anstoßes ist das Prinzip der Neutralität bei Waffengeschäften. Schon seit 1972 beschränkt in der Schweiz das Kriegsmaterialgesetz den Waffenexport. Es gilt ein Waffenausfuhrverbot in Kriegsgebiete. Auslandgeschäfte werden nicht bewilligt, wenn „das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist“ (Art. 22a Abs. 2 lit. a KMG). – Vorgesehen ist dabei auch, dass grundsätzlich nur ausländische Regierungen Waffen erhalten (und nicht Private), wobei diese Regierungen zudem eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung unterschreiben müssen (Art. 18 KMG).
Die Schweiz kam deshalb unter Druck, als z.B. EU-Länder (Deutschland, Spanien, Dänemark) in der Schweiz produzierte Munition für den deutschen Flugabwehrpanzer Gepard in die Ukraine bringen wollten. Bisher weigerte sich die Schweizer Regierung, die Bewilligung zur Wiederausfuhr zu erteilen. Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats (einer der beiden Parlamentskammern) reichte schon im Januar 2023 einen Vorstoß zur Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes ein – eine Lex Ukraine: Die Wiederausfuhr sollte ohne Bewilligung möglich werden, wenn „die Wiederausfuhr des Kriegsmaterials an die Ukraine im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg erfolgt“ (aus dem Text der parlamentarischen Initiative). Der Vorstoß blieb im Parlamentsgetriebe stecken. Trotzdem versucht die Regierung weiterhin, dass Kriegsmaterialgesetz zu lockern. Diskutiert wird nun über eine Änderung, die es der Exekutive beim Entscheid über Waffenexporte erlauben würde, von den gesetzlichen Kriterien abzuweichen, wenn «außerordentliche Umstände vorliegen» und die «Wahrung der außen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes dies erfordert».
Wirtschaftlich/militärischer Hintergrund ist: „Die Lockerung ist aus Sicht des Bundesrats doppelt wichtig. Zum einen für die Sicherheitsindustrie, deren ausländische Kunden durch die heutige Regelung abgeschreckt werden könnten. Zum anderen aber auch für die Schweiz selbst, weil für ihre Armee die Präsenz von Firmen der Sicherheits- und Wehrtechnik existenziell ist, diese aber allein vom Heimmarkt nicht leben können.“ (NZZ 16.05.2024) – Sowohl rüstungstechnisch im Kleinen wie auch militärstrategisch im Großen kann es sich die Schweizer Armee nicht leisten, einen von der NATO unabhängigen Kurs zu fahren.
Im politischen Gerangel innerhalb der Bourgeoisie fällt auf, dass wie in anderen Ländern die Linke unter dem Deckmantel der Verteidigung der Demokratie, große Anstrengungen betreibt, die Schweiz aufzurüsten oder wieder kriegstauglich zu machen, wie das in Deutschland vom SPD-Kriegsminister proklamiert wurde. Der sog. Kuhhandel Anfang 2024 von 15 Milliarden Franken, die für Rüstung und für weitere Hilfen an die Ukraine gedacht waren, welchen das Parlament schließlich ablehnte, sollte unter der Federführung der Linken und der Mitte von der Sicherheitspolitischen Kommission zu Stande kommen.
Im Prinzip sind die Rüstungsausgaben erst bei knapp 0,8 % des BIP – also weit entfernt vom Nato-Ziel 2 %. Da aber das BIP pro Kopf in der Schweiz hoch ist, sind auch die Pro-Kopf-Rüstungsausgaben mit rund 700 Dollar vergleichbar mit denjenigen in Frankreich oder Deutschland.
Anfang 2024 inszenierte die Armeeführung ein Drama um eine, wenn nicht gar zwei fehlende Milliarden Franken im Armee-Haushalt. „Die Armee unter Chef Thomas Süssli sieht sich in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten. (...)Für die nächsten zwei Jahre fehlt eine Milliarde Franken, um bereits getätigte Rüstungskäufe zu bezahlen. (...) Die finanziellen Probleme der Armee sind weit drastischer als bislang angenommen. Eine Milliarde Franken fehlt in den nächsten zwei Jahren, um offene Zahlungen zu begleichen. Nun erwägt die Armee, einzelne Beschaffungen ganz abzubrechen.
Die Schweizer Armee steckt in weit tieferen finanziellen Schwierigkeiten als bislang angenommen. Schon die Ankündigung, zwei geplante öffentliche Grossanlässe [86] abzusagen, stiess in der Politik von links bis rechts auf Entrüstung und Kritik. Abgesagte Anlässe sind nur die Spitze des Eisbergs“ (20 Minuten 31.01.2024).
Der Erfolg: Von links bis rechts ist sich die Schweizer Bourgeoise einig das aufgerüstet werden muss. Die weltweite Kriegsspirale lässt ihr immer weniger Spielraum für eine möglichst eigenständige Politik wie seit Jahrzenten.
27.12.2024, F&H
[1] Armut in der Schweiz [87], Caritas (PDF - Stand 2022)
[2] Die Integration der Schweiz in den Wirtschaftsraum der Achsenmächte ab Sommer 1940 war innenpolitisch – unter Beibehaltung der staatlichen Unabhängigkeit und Neutralität weitgehend akzeptiert. Selbst Gewerkschaften und die ab 1943 im Bundesrat vertretene SP unterstützten diese Außenhandelspolitik, welche der Landesversorgung, der Vollbeschäftigung und dem sozialen Frieden dienen sollte. M. Jorio, Die Schweiz und ihre Neutralität, S. 279
[3] Angesichts der schwierigen Rüstungsbeschaffung im Westen fasst man 1950 im schweizerischen Militärdepartement sogar die Beschaffung von Panzern in der Sowjetunion ins Auge. Diese Idee wie auch der Kauf von Mig-15-Kampfjets wurden aber wegen des herrschenden Antikommunismus rasch aufgegeben. M. Jorio, Die Schweiz und ihre Neutralität, S. 377
[4] Die Schweiz und die Spionage: Passiv aus Tradition [88], swissinfo.ch 26.07.2023
[5] Mit Unterstützung vom linken Rand des bürgerlichen Lagers, der PdA (der Nachfolgepartei der degenerierten Kommunistischen Partei der Schweiz), https://kommunisten.ch/index.php?article_id=2230 [89].
[6] Schweizer Armee soll weiterhin an Nato-Übungen teilnehmen, swinssinfo.ch 18.09.2024
[7] Die nicht ganz so neutrale Schweiz [90], Frankfurter Allgemeine 07.07.2023
[8] Der Bundesrat genehmignt die Teilnahme der Schweiz an zwei PESCO-Projekten, [91] Medienmitteilungen des Bundesrats, 21.08.2024
[9] Aufgrund seiner Position im Ölhandel ist Gunvor von den Sanktionen gegen Russland direkt betroffen (https://www.publiceye.ch/de/themen/rohstoffhandel/russisches-erdoel-dubai-zieht-alle-register-um-die-schweiz-zu-verdraengen [92]).
[10] Beim 14. Sanktionspaket der EU im Juni 2024 machte die Schweizer Regierung im Oktober 2024 nicht mehr vollständig mit und lässt Schlupflöcher für die Umgehung von Sanktionen durch schweizerische Tochtergesellschaften im Ausland zu, was von der Linken der Bourgeoisie kritisiert wird (Schweiz übernimmt nicht alle Russland-Sanktionen der EU [93], srf.ch/news 17.10.2024).
[11] Watson 19.04.2024
[12] Swissinfo.ch, 09.01.2023: Umsetzung der Russland-Sanktionen: Die Schweiz im Fadenkreuz, Folge 9 [94]
[13] Dies meldet erfreut Russia Today am 18.04.2024.
[15] Schweizer Bourgeoisie auf internationalem Parkett in Bedrängnis [96], Weltrevolution 156, September 2009
Der blutige Anschlag auf die Moskauer Crocus Hall am 22. März 2024, Putins eiskalter Zynismus in der Ukraine, die mörderische Härte der Netanjahu-Regierung, das massenhafte Abschlachten und Aushungern der Zivilbevölkerung... – all das bestätigt, dass das kapitalistische System bankrott ist, dass die bürgerliche Gesellschaft in einen Strudel der Zerstörung und des allgemeinen Chaos hineingezogen wird. Und dieser Prozess kann sich nur noch beschleunigen, wie in der beängstigenden Zersetzung des Nahen Ostens, wo das Risiko einer katastrophalen direkten Konfrontation zwischen zwei regionalen Mächten, Israel und Iran, immens ist.
Wir haben wiederholt auf die historische Dynamik des Chaos hingewiesen, das in der kapitalistischen Gesellschaft seit dem Verschwinden der Blöcke und der unvermeidlichen Schwächung der amerikanischen Führung auf dem Planeten herrscht. Die Disziplin zwischen den "Verbündeten" verschwindet immer mehr, und die schmutzigen imperialistischen Interessen der großen und kleinen Mächte haben freie Bahn. Sogar ein Verbündeter der USA wie Israel, der vollständig vom Schutz der USA abhängig ist, hat den Spielraum, nach Gutdünken zu handeln, seine Provokationen zu verstärken, wie z.B. mit dem Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus, und in der Region ein Chaos auszulösen, das Washington, so gut es geht, unter Kontrolle zu bringen versucht. Der Iran hat seit Beginn des Gaza-Krieges (über die Hamas, die Hisbollah und die Huthi-Rebellen) Öl ins Feuer gegossen und die Konfrontation mit einem massiven Luftangriff direkt gegen Israel noch weiter verschärft. Trotz der verzweifelten Versuche der USA, die Zuspitzung durch Kontrolle einzudämmen, bestätigt die Entwicklung im Nahen Osten den anhaltenden Niedergang ihrer Macht und birgt die Gefahr in sich, dass die Region in einen allgemeinen Flächenbrand hineingezogen wird.
Die Bourgeoisie kann schlussendlich nichts gegen die tödliche Dynamik ihres Systems unternehmen. Die chronische Wirtschaftskrise, die Umweltkatastrophen und die Kriege sind die hässliche Fratze des Zerfalls des Kapitalismus, des Verfaulens einer Gesellschaft, die auf einer veralteten Produktionsweise beruht, die durch die Ausbeutung der Arbeitskraft, die Konkurrenz aller gegen alle und den Krieg geprägt ist und die nichts mehr zu bieten hat außer Terror, Leid und Tod. Immer mehr Teile der Welt werden für ihre Bevölkerung unbewohnbar, wie Haiti, das im Chaos versinkt und kriminellen Banden ausgeliefert ist, oder wie viele Staaten in Afrika und Lateinamerika, wo sich Korruption, Warlords, Mafias und Drogenhändler breit machen.
Das Epizentrum dieser Abwärtsspirale liegt im Herzen des Kapitalismus, vor allem in der langen führenden Weltmacht, den USA. Nachdem sie das Chaos der letzten Jahrzehnte noch verschlimmert haben, indem sie versuchten, ihre Rolle als Weltpolizist durchzusetzen (insbesondere im Irak und in Afghanistan), setzen die USA alle Mittel ein, um ihrem unumkehrbaren Niedergang entgegenzuwirken, und zögern nicht, ihre ehemaligen "Verbündeten", die jetzt Rivalen sind, mit Füßen zu treten.
Die Umsetzung dieser Politik verschärft auch die Spannungen innerhalb der amerikanischen Bourgeoisie selbst, wie die Auseinandersetzungen zeigen, die bereits den Wahlkampf im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im November 2024 prägen. Diese Spannungen schüren die Instabilität des amerikanischen politischen Apparats, der immer stärker zersplittert und polarisiert wird, nicht nur durch die Spaltung zwischen Republikanern und Demokraten, sondern auch und vor allem durch die wachsenden Gräben innerhalb der beiden rivalisierenden Lager. Im Moment, April 2024, ist der Populist Trump der Favorit, trotz aller Versuche, ihn zu entmündigen. In der Tat ist der Populismus in der amerikanischen Politik nach wie vor tief verwurzelt, was sich auch in mehreren europäischen Ländern deutlich zeigt.
Diese Situation verunsichert nicht nur die amerikanische Bourgeoisie, sondern auch die Herrschenden in der ganzen Welt, da sie nicht im Voraus wissen, welche Position Washington zu den brennenden Fragen der weltweiten Geopolitik einnehmen wird. Diese Auseinandersetzungen zwischen Fraktionen innerhalb der amerikanischen Bourgeoisie (von Trumps hetzerischen Parolen bis hin zur politischen Blockade im Kongress über die militärische Unterstützung der Ukraine) sind ein wichtiger Beschleuniger der imperialistischen Instabilität.
Die innenpolitische Unruhe untergräbt die Glaubwürdigkeit und Autorität der USA selbst, die auch durch eine chaotische internationale Lage zunehmend untergraben wird. Diese Instabilität ermutigt ihre Hauptkonkurrenten und zweitrangigen Mächte noch mehr: Sie bestärkt Putins irrationalen Ansprüche und schürt Selenskyjs tödliche Logik des Krieges bis zum Ende und stimuliert das Kriegsfieber Netanjahus, des Irans und seiner terroristischen Verbündeten. Und während China jede unmittelbare Reaktion auf die Provokationen und den Druck Washingtons vermeidet, erhöht es seinen eigenen Druck auf Taiwan und die Philippinen und prüft offener die Möglichkeit, seinen Status als Herausforderer der USA längerfristig zu stärken.
Die wachsende Aggressivität der großen und kleinen imperialistischen Haie, die versuchen, die Auseinandersetzungen zwischen den bürgerlichen Cliquen in den Vereinigten Staaten auszunutzen, bedeutet keineswegs, dass sie selbst von internen Spannungen verschont blieben. Putin ist gefangen zwischen dem Gemetzel im Donbass und den terroristischen Kampagnen des Islamischen Staates, dessen Kräfte aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens eindringen, eine Bedrohung, die der herrschende Clan in Russland und seine Geheimdienste trotz der Warnungen verschiedener ausländischer Geheimdienste nicht neutralisieren konnten. In China sieht sich Xi mit einer stagnierenden Wirtschaft, der Destabilisierung des "Seidenstraßen"-Projekts durch das herrschende Chaos und internen Spannungen innerhalb des Apparats der sogenannten Kommunistischen Partei Chinas konfrontiert. Israels rasantes Zuschlagen ist das Ergebnis heftiger Auseinandersetzungen zwischen den nationalistischen Hardliner-Cliquen an der Macht und anderen Fraktionen der Bourgeoisie, sowie des Kampfes um das politische Überleben von Netanjahu, der seit 2020 vor Gericht steht.
Die derzeitige Instabilität der US-Politik beunruhigt auch die europäischen Bourgeoisien und verschärft tendenziell die Spaltungen innerhalb der EU selbst in der Frage, welche Politik angesichts des Drucks der NATO und gegenüber den USA verfolgt werden soll. Infolgedessen verschärfen sich die Streitigkeiten innerhalb des "deutsch-französischen Paares", das bereits in einer "Zwangsehe" gefangen ist.
Angesichts des Versinkens der Gesellschaft in die Barbarei kann das Proletariat von den jetzt noch bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Amerika und auch von allen anderen kommenden Wahlen nichts erwarten. Wie auch immer die Präsidentschaftswahlen in den USA ausgehen, sie werden den Trend zu Chaos, Krieg und Zersplitterung der Welt in keiner Weise umkehren, und die Arbeiterklasse wird mehr denn je unter den Folgen der kapitalistischen Ausbeutung leiden. Wahlen sind nur wichtig, um in der Arbeiterklasse die Illusion zu verbreiten, dass sie den Lauf der Dinge durch die "richtige Wahl" beeinflussen könne, während der Wahlzirkus nichts anderes ist als ein Konflikt zwischen bürgerlichen Cliquen, die immer schärfer um die Macht ringen. Im Gegensatz zu den von den Demokraten und insbesondere von linken Gruppen verbreiteten Lügen, die ein "fortschrittliches" oder "kleineres Übel" von Biden mit dem "absoluten Übel" von Trump vergleichen, muss das Proletariat dem "demokratischen Diskurs" entgegentreten, die Wahlfalle ablehnen und seinen autonomen Klassenkampf führen.
Was die bürgerlichen Fraktionen in den USA betrifft, so streiten sie sich nur über die wirksamste und kostengünstigste Strategie zur Aufrechterhaltung der amerikanischen Vorherrschaft, die sie alle mit allen Mitteln aufrechterhalten wollen, ungeachtet der Folgen für die Menschheit und den Planeten. Den Iran militärisch angreifen oder ihn durch eine Wirtschaftsblockade schwächen? Den Druck auf Russland so weit erhöhen, dass es implodiert, oder den Zermürbungskrieg fortsetzen? Oder die Sicherheit seiner europäischen "Verbündeten" bedrohen? Wie auch immer die Antworten lauten, sie werden immer Teil der Logik des Krieges sein, und seine Finanzierung wird den ArbeiterInnen immer neue Opfer abverlangen. Kurzum, welche Partei auch immer die Wahlen gewinnt, das Ergebnis wird weitere Instabilität, neue Massaker und eine Politik der verbrannten Erde sein.
Angesichts dieser unsäglichen Barbarei, angesichts der Verheißung eines weit verbreiteten Chaos, stellt das Proletariat die einzig mögliche Alternative dar, um die Menschheit vor einer Zerstörung zu bewahren, die von der mörderischen Dynamik eines dekadenten kapitalistischen Systems bestimmt wird. Die Arbeiterklasse ist – auch wenn noch allzu scheu - zu ihrem Kampf zurückgekehrt, und ihr revolutionäres Potenzial ist nach wie vor intakt. Sie ist nach wie vor in der Lage, langfristig ihre Perspektive und ihr kommunistisches Projekt umzusetzen.
Für diesen Kampf müssen wir als Klasse kämpfen und von nun an die Logik des Krieges und des Opfers ablehnen. Die bürgerliche Rhetorik, die den Krieg als "Notwendigkeit" im Namen der Erhaltung des Friedens darstellt, ist eine ekelhafte Lüge! Der wahre Übeltäter ist das kapitalistische System!
EKA, 18. April 2024
Wenige Tage nach dem Attentat auf Donald Trump, bei dem einer seiner Anhänger ums Leben kam, ist es noch zu früh, um das genaue Motiv des Schützen und die Gründe für das Versagen des für den Schutz des ehemaligen Präsidenten zuständigen Sicherheitsdienstes zu wissen. Der Anschlag stellte jedoch den Wahlkampf auf den Kopf und ermöglichte es dem republikanischen Lager, einen weiteren Schritt in Richtung Sieg zu machen. Am Ohr getroffen, mit blutverschmiertem Gesicht und erhobener Faust, wie durch ein Wunder, steht die bravouröse Reaktion Trumps, der in den Umfragen bereits als Favorit gilt, in deutlichem Kontrast zu den immer deutlicher werdenden Anzeichen von Joe Bidens Senilität. Wie dem auch sei, dieses Ereignis ist ein weiterer Beweis für die wachsende Instabilität der amerikanischen herrschenden Klasse.
Die USA haben eine lange Tradition politischer Attentate, von denen vier die höchsten Regierungsebenen erreicht haben. Doch nach der Ermordung der britischen Abgeordneten Jo Cox inmitten der Brexit-Kampagne im Jahr 2016, nach dem Attentat auf Bolsonaro in Brasilien im Jahr 2018, nach der Ermordung des ehemaligen japanischen Premierministers Shinzō Abe im Jahr 2022, nach dem Attentat auf den slowakischen Premierminister Robert Fico im Mai 2024 oder nach dem Anschlag auf die dänische Premierministerin Mette Frederiksen mitten auf der Straße im vergangenen Juni findet dieses neue Attentat vor dem Hintergrund erhöhter Gewalt und politischer Spannungen in der ganzen Welt statt. Drohungen, Beleidigungen, offener Fremdenhass, die Gewalt rechtsextremer Gruppen, die Einmischung von Banden in Wahlprozesse, Abrechnungen zwischen bürgerlichen Cliquen... dieses schleichende Chaos, das bisher auf die schwächsten Länder Lateinamerikas und Afrikas beschränkt war, beginnt, mit dem nötigen Augenmaß, zur Norm in den großen Mächten des Kapitalismus zu werden.
In den USA, wo eine der Aufgaben der „demokratischen“ Institutionen darin besteht, die Einheit des Staates zu gewährleisten, zeugt die zunehmende Schwierigkeit, die Gewalt in den Beziehungen zwischen den rivalisierenden bürgerlichen Fraktionen einzudämmen und zu begrenzen, von einer echten Verschärfung der Spannungen. Die Atmosphäre der Gewalt ist auf ihrem Höhepunkt. Seit er das Weiße Haus verlassen und den gescheiterten Versuch, das Kapitol zu stürmen, unterstützt hat, hat Trump selbst nicht aufgehört, Öl ins Feuer zu gießen, indem er die Wahlergebnisse in Frage stellte, sich weigerte, seine Niederlage anzuerkennen, und versprach, seinen rachsüchtigen Arm auf die „Verräter“, die „Lügner“ und die „Korrupten“ zu richten. Er hat nie aufgehört, die „öffentliche Debatte“ immer hysterischer werden zu lassen, eine Lügengeschichte nach der anderen zu erzählen und seine Anhänger in Aufruhr zu versetzen... Der ehemalige Präsident erwies sich als wesentliches Glied in einer wahren Kette der Gewalt, die aus allen Poren der Gesellschaft quillt und sich schließlich gegen ihn wendet.
Die Tatsache, dass eine so unverantwortliche und groteske Figur in der Lage war, jede Kraft innerhalb der Republikanischen Partei, die auch nur im Entferntesten in der Lage war, den bürgerlichen Staat wirksam zu führen, beiseite zu fegen, dass er sogar für das Amt des Präsidenten kandidieren konnte, ohne auf ernsthafte Schwierigkeiten zu stoßen, sei es politisch oder sogar juristisch (trotz zahlreicher Versuche seiner Gegner), ist an sich schon ein auffälliges Zeichen für die Ohnmacht und tiefe Instabilität, in die der amerikanische politische Apparat versinkt.
Doch wenn Trump tatsächlich das Sprachrohr einer ganzen Atmosphäre sozialer und politischer Gewalt ist, ein aktiver Faktor der Destabilisierung, dann ist er lediglich die Karikatur der Dynamik, die in der gesamten herrschenden Klasse am Werk ist. Das Lager der Demokraten ist zwar etwas mehr darum bemüht, diesen Prozess zu bremsen, trägt aber genauso zur globalen Instabilität bei.
Zugegeben, nach der inkohärenten und unberechenbaren Politik der Trump-Administration hat sich Biden bei der Verteidigung der Interessen der amerikanischen herrschenden Klasse als effektiver erwiesen, aber zu welchem Preis? Obwohl die Kriege in Afghanistan und im Irak, die den Niedergang der amerikanischen Führungsrolle aufhalten sollten, indem sie sich als „Weltpolizist“ durchsetzen, in einem Fiasko endeten und das Chaos im Nahen Osten und auf der ganzen Welt verschlimmerten, provozierte Biden Russland zu einer Intervention in der Ukraine[1].
Dieses groß angelegte Massaker zieht sich Woche für Woche hin und ein Ende scheint nicht in Sicht. Angesichts der steigenden Inflation und der Verschärfung der weltweiten Krise, der zunehmenden imperialistischen Spannungen und der beträchtlichen Ausweitung der Kriegswirtschaft auf allen Kontinenten hat der Konflikt in der Ukraine nur zu einer weiteren Destabilisierung in noch größerem Umfang geführt, auch in den USA.
Gleichzeitig hat Biden die Spannungen mit China über den Pazifik hinweg verschärft und das Risiko einer direkten Konfrontation erhöht. Der Krieg im Gaza-Streifen, den der amerikanische Präsident nicht in den Griff bekommen hat, hat auch den Niedergang der amerikanischen Kontrolle erheblich verstärkt, was früher oder später zu einer noch barbarischeren Reaktion der USA führen wird.
Der US-Präsident hat kläglich versucht, sich an die Macht zu klammern, während ein großer Teil seines Lagers ihn zum Rücktritt drängte. Nach anfänglichem Zögern, wer Biden ersetzen soll, hat sich die Demokratische Partei trotz ihrer Spaltungen und Widersprüchen aufgrund der Diskreditierung der demokratischen Nachfolgekandidaten relativ geschlossen hinter Kamala Harris gestellt, obwohl sie eigentlich in ihrer Partei unbeliebt ist. Zwischen Trump, Biden, Harris... bleiben der amerikanischen herrschenden Klasse nur schlechte Optionen, ein Zeichen für ihre große Schwäche.
Ein weiteres Zeichen für die extremen Spannungen zwischen dem republikanischen und dem demokratischen Lager: Trump hatte noch nicht einmal das Krankenhaus verlassen, da beschuldigten sie sich bereits vehement gegenseitig, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Trump und Biden, die sich der explosiven Situation bewusst waren, versuchten kurzzeitig, die aufgeheizte Atmosphäre im Namen der nationalen Einheit zu beruhigen... bevor eine Flut von Fake News und unbegründeten Anschuldigungen wieder losgelassen wurde.
Aber die Spaltung zwischen den bürgerlichen Parteien, die erbitterten Kämpfe innerhalb dieser Parteien, die ständigen Pokerspiele, die Rivalitäten der Egos, die Verleumdungen, die Strategien der verbrannten Erde – all das ist keineswegs nur das Vorrecht der herrschenden Klasse in den USA. Der Wahlkampf in Amerika spiegelt natürlich die Situation in vielen Staaten Europas und anderswo wider, wofür Frankreich das jüngste leuchtende Beispiel ist. Der Kapitalismus verrottet in seinen Grundfesten, und das hat Folgen auf allen Ebenen (imperialistisch, sozial, wirtschaftlich, ökologisch...) und zieht die politischen Apparate der herrschenden Klasse in eine Logik des „Rette, was du kannst“ hinein. Dies ist eine unausweichliche Spirale der Instabilität, in der jede bürgerliche Clique versucht, sich so gut wie möglich über Wasser zu halten... sogar zum Nachteil der allgemeinen Interessen der herrschenden Klasse insgesamt.
Trotz der wachsenden Schwierigkeiten der herrschenden Klasse, ihren eigenen politischen Apparat zu kontrollieren, weiß sie immer noch sehr gut, wie sie die demokratische Mystifizierung nutzen kann, um die Arbeiterklasse in die Ohnmacht zu treiben. In einer Zeit, in der das Proletariat seinen Kampf gegen den bürgerlichen Staat entwickeln muss, verwickelt uns die herrschende Klasse durch die Wahlen in ein falsches Dilemma: Welche Partei wäre am besten geeignet, den bürgerlichen Staat zu führen? Während das Proletariat versuchen sollte, sich als autonome Klasse zu organisieren, reduzieren die Wahlen die Arbeiter auf den Status von Bürgern, die unter dem Druck der Propagandawalze lediglich wählen können, welche bürgerliche Clique für die Organisation ihrer Ausbeutung zuständig sein wird.
Von den bevorstehenden Wahlen ist also nichts zu erwarten. Sollten die Demokraten letztlich gewinnen, werden die kriegstreiberische Politik der demokratischen Administration und das von ihr ausgelöste globale Chaos weiter verstärkt, um die Stellung der USA in der Welt um jeden Preis zu erhalten. Sollte sich die Vorhersage eines Sieges von Trump im November bestätigen, würde die destabilisierende und unberechenbare Politik seiner ersten Amtszeit mit größerer Wucht und Irrationalität zurückkehren. Sein Kandidat J.D. Vance spricht die Arbeiterklasse direkter an, und seine demagogische Ausnutzung seiner eigenen persönlichen Geschichte als vergessenes Opfer des ländlichen und deindustrialisierten Amerikas ermöglicht es ihm, seinen Einfluss zu stärken, indem er die „Unentschlossenen“ davon überzeugt, dass er an der Seite seines wundersamen Mentors einen vermeintlich „neuen Weg“ vertritt.
Unabhängig davon, ob Trump oder die Demokraten gewinnen, wird die historische Krise des Kapitalismus nicht verschwinden, es wird weiterhin Angriffe geben und wahllose Gewalt wird weiterhin entfesselt werden.
Angesichts des Verrottens der kapitalistischen Welt stellen die Arbeiterklasse und ihr revolutionäres Projekt die einzige echte Alternative dar. Während Kriege, Katastrophen und Propaganda ständig mit ihren Kämpfen und ihrer Fähigkeit, klar zu denken, kollidieren, hat das Proletariat in den letzten zwei Jahren überall seinen Kampfgeist wiederentdeckt und beginnt allmählich, sich wieder als ein und dieselbe Klasse zu fühlen. Überall entstehen kleine Minderheiten, die über das Wesen des Kapitalismus, über die Ursachen des Krieges und über die revolutionäre Perspektive nachdenken. Mit all ihren Wahlspektakeln versucht die herrschende Klasse, diesen Kampfgeist und diese Reifung zu brechen, sie versucht, jede Politisierung der Kämpfe zu verhindern. Trotz der (natürlich nie eingehaltenen) Versprechungen eines „gerechteren“, „grüneren“, „friedlicheren“ Kapitalismus, trotz den unhaltbaren Schuldzuweisungen an „diejenigen, die sich dem Faschismus nicht in den Weg stellen“ an der Wahlurne, lassen wir uns nicht täuschen: Die Wahlen sind eine Falle für die Arbeiterklasse!
EG, 19. Juli 2024
[1] Das Ziel Washingtons war es, den russischen Imperialismus zu schwächen, damit er im Falle eines Konflikts mit China kein wichtiger Verbündeter Chinas sein konnte. Das Ziel bestand also darin, China ein wenig mehr zu isolieren und gleichzeitig seiner Wirtschaft und seiner imperialistischen Strategie einen Schlag zu versetzen, indem man seine „Neue Seidenstraße“ durch Osteuropa abschnitt.
In der Woche vom 20. bis zum 26. Mai 2024 fand in Prag eine "Aktionswoche" zum Thema "Gemeinsam gegen kapitalistische Kriege und kapitalistischen Frieden" statt, an der Gruppen und Einzelpersonen aus verschiedenen Ländern teilnahmen, darunter Russland, die Ukraine, Bulgarien, Serbien, die Tschechische Republik, Ungarn, Griechenland, Belgien, Deutschland, die Schweiz, Spanien, Italien, Großbritannien, Argentinien ... Die meisten der eingeladenen Gruppen waren AnarchistInnen, ‚OperaistInnen‘ oder RätistInnen, die eine internationalistische Position gegen den Russland-Ukraine-Krieg und – trotz vieler Hemmungen und Verwirrungen – gegen die anderen Kriege, die den Planeten verwüsten, eingenommen haben.[1] Das Organisationskomitee der Veranstaltung, an der offenbar zwei hauptsächlich in Tschechien ansässige Gruppen, Tridni Valka ("Klassenkrieg") und die Antimilitaristische Initiative, beteiligt waren, erklärte in einem Interview[2], dass sie die wichtigsten Gruppen der Kommunistischen Linken bewusst nicht eingeladen hätten, da diese angeblich nicht an einer Debatte, sondern nur an der Schaffung einer "Massenpartei" nach bolschewistischem Vorbild interessiert seien. Nichtsdestotrotz schickte die IKS eine Delegation, ebenso wie die Internationalistische Kommunistische Tendenz; ebenfalls anwesend waren Genossen, die der bordigistischen Gruppe nahe stehen, die das Kommunistische Programm herausgibt. Nicht alle Veranstaltungen der Woche sollten sich auf die offiziell Eingeladenen beschränken, und wir für unseren Teil sind der Meinung, dass das Aufkommen dieser Opposition gegen den imperialistischen Krieg ein Ausdruck von etwas Tieferem ist, das sich in der Arbeiterklasse abspielt, und Kommunisten haben eine klare Verantwortung, sich an diesem Prozess zu beteiligen, um seine Ziele zu klären und Illusionen darin zu bekämpfen.
Aber während die breite Teilnahme von Leuten, die nach internationalistischen Positionen suchen, sicherlich positiv war und ihre physische Konzentration in Prag es ermöglichte, viele Kontakte und Diskussionen am Rande der "offiziellen" Veranstaltung zu entwickeln, muss gleich gesagt werden, dass die Veranstaltung sehr schlecht organisiert und in der Tat chaotisch war, auch wenn es ermutigende Bemühungen einer Mehrheit der Teilnehmer gab, die Kontrolle über den Ablauf zu übernehmen.
Einer der Faktoren für diese Unordnung ist die tiefe Spaltung innerhalb der anarchistischen Bewegung in der Tschechischen Republik. Am Wochenende der "Aktionswoche" fand auch eine anarchistische Buchmesse statt, die von der tschechischen anarchistischen Föderation organisiert wurde, die den ukrainischen Kriegseinsatz offen verteidigt und die Bildung anarchistischer Einheiten in der ukrainischen Armee unterstützt. Die Buchmesse gab eine Erklärung ab, in der sie sich von der Aktionswoche distanzierte, und die tschechische AF gab ein Flugblatt heraus, in dem sie die Teilnehmenden als "Anarcho-Putinisten" anprangerte. Das Organisationskomitee behauptet auch, dass diese Pro-Kriegs-Anarchisten eine Reihe von Provokationen gegen Internationalisten unternommen hätten; am wichtigsten ist der Verdacht, dass sie die Behörden des Veranstaltungsortes, an dem der Antikriegskongress am Wochenende stattfinden sollte, kontaktiert und ihnen den wahren Zweck des Treffens mitgeteilt hätten, was dazu geführt habe, dass die Buchung storniert wurde und die Organisatoren gezwungen waren, sich nach einem neuen Veranstaltungsort umzusehen.
Der chaotische Charakter der "Aktionswoche" kann jedoch nicht allein auf die Machenschaften der Kriegsbefürworter zurückgeführt werden. Schon das Konzept der Aktionswoche und die Methoden ihrer Organisatoren waren zutiefst mangelhaft.
Unserer Meinung nach brauchen diejenigen, die heute nach einer echten internationalistischen Praxis suchen, in erster Linie eine Diskussion und politische Klärung einiger sehr grundlegender Fragen: die historischen Grundlagen des kapitalistischen Strebens nach Krieg und Zerstörung; die Gegentendenz des Kampfes der Arbeiterklasse für ihre eigenen Interessen gegen die Wirtschaftskrise trotz der Propaganda für die nationale Einheit; die Fortsetzung der internationalistischen Tradition der Zimmerwalder Linken. Während einige der als Teil der Aktionswoche angekündigten Veranstaltungen Themen zum Nachdenken enthielten (wie z.B. das Verhältnis zwischen kapitalistischem Frieden und kapitalistischem Krieg, die Bedeutung des revolutionären Defätismus usw.), konnte die gesamte Idee einer "Aktionswoche" nur die unmittelbaren und aktivistischen Ansätze fördern, die bei einem Großteil der Teilnehmenden vorherrschen. Dies zeigte sich in mehreren der angekündigten Diskussionsthemen wie "Wie können wir Deserteuren helfen", "Wie können wir die Kriegsanstrengungen sabotieren" und so weiter. Die schädlichen Folgen dieser aktivistischen Ausrichtung lassen sich jedoch am besten veranschaulichen, wenn man sich einige der wichtigsten Veranstaltungen der Woche in Erinnerung ruft.
- Das erste Ereignis der Woche, am Montag, dem 20. Mai, war ein Protest vor der Zentrale des Unternehmens STV, das Material an die israelische Armee liefert. Obwohl die Organisatoren betonten, dass der Protest nicht zur Unterstützung des palästinensischen Nationalismus aufrief, zog er eine Reihe von Menschen an, die palästinensische Fahnen schwenkten, und konnte somit nur als kleine Ergänzung zu den Pro-Palästina-Demos erscheinen, die weltweit stattfinden, insbesondere an den Universitäten der USA und Europas. Ebenso wichtig ist, dass das Organisationskomitee nicht zu erkennen war und die wenigen Teilnehmenden der "Aktionswoche" schnell merkten, dass es sich um eine illegale Demonstration handelte und sie ihre Ausweise der Polizei zeigen mussten. Da die meisten von ihnen ausländische Staatsangehörige waren, hätte dies zu ihrer Abschiebung führen können.
- Am Mittwoch, dem 22. Mai, dem Tag der Ankunft der IKS-Delegation, fand eine Sitzung statt, auf der das Hauptthema "Kapitalistischer Krieg und kapitalistischer Frieden" diskutiert wurde. Die Sitzung begann mit über eineinhalb Stunden Verspätung. Es gab eine Präsentation eines Genossen der Antimilitaristischen Initiative und die Möglichkeit, sich in der anschließenden Diskussion zu Wort zu melden. Aber das Treffen fand ohne Diskussionsleitung statt, es wurde kein Protokoll geführt und es gab keinen formellen Abschluss, obwohl ein Genosse der IKS versuchte, die wichtigsten Punkte der Diskussion zusammenzufassen, insbesondere die Spaltung zwischen Aktivismus und einem längerfristigen Ansatz, der auf der realen Bewegung der Arbeiterklasse beruht.
- Am Donnerstag war eine Veranstaltung mit dem Titel "Desserts für Deserteure" in einem Park in der Nähe des Stadtzentrums geplant: Es sollten Kuchen und Snacks verkauft werden und der Erlös sollte Deserteuren aus dem Ukraine-Krieg zugute kommen. Einige der Leute, die am Abend zuvor anwesend waren, kamen, aber es gab keinen Kuchen. Zu diesem Zeitpunkt machte sich die Besorgnis über den Grad der Desorganisation breit, und es fand ein improvisiertes Treffen statt. Für den Freitag war eine Straßendemonstration geplant, aber nach dem Fiasko am Montag waren die Menschen, deren Sicherheit bereits gefährdet war, keineswegs bereit, an einem Marsch teilzunehmen, der keine größere Bewegung zum Ausdruck brachte und sie noch mehr der Überwachung durch die Polizei ausgesetzt hätte[3]. Dies wurde von der Versammlung einstimmig unterstützt, die beschloss, dass die Priorität für den nächsten Tag darin bestand, zusammenzukommen, um eine echte Diskussion zu entwickeln. Es wurde ein neues Organisationskomitee gegründet und mit der Aufgabe betraut, einen Raum für ein solches Treffen zu finden. Auch hier war vom offiziellen Organisationskomitee nichts zu sehen, mit Ausnahme des AMI-Genossen, der als eine Art Vermittler zu fungieren schien.
Am Freitag entstand weitere Verwirrung durch die Ankündigung, dass der ursprüngliche Veranstaltungsort für den "Kongress" am Samstag und Sonntag, dem Höhepunkt der Aktionswoche, nicht mehr zur Verfügung stand. Dem "inoffiziellen" Organisationskomitee gelang es jedoch, im Außenbereich eines Cafés einen adäquaten Veranstaltungsort zu finden, und wir konnten am Nachmittag und frühen Abend eine einigermaßen gut organisierte Diskussion durchführen. Die Durchführung dieser "selbstorganisierten Versammlung" war angesichts der extremen Unordnung der bisherigen Veranstaltung ein wichtiger Schritt nach vorn – ein kleiner Ausdruck eines umfassenderen Bedürfnisses innerhalb der Arbeiterklasse, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und die Möglichkeit zu schaffen, zu diskutieren und eigene Entscheidungen zu treffen. Es wurde eine Tagesordnung aufgestellt und man kam überein, dass es notwendig sei, mit einer Diskussion über die globale Situation der Arbeiterklasse zu beginnen. In diesem Zusammenhang wies die IKS auf die Spirale von Krieg und Umweltzerstörung auf dem gesamten Planeten hin, auf die Notwendigkeit, alle laufenden Kriege als Teil dieses Prozesses zu sehen, und auf die Notwendigkeit, sich über den Charakter des Krieges im Nahen Osten ebenso klar zu werden wie über den Krieg in der Ukraine. Nachdem wir am Abend zuvor erwähnt hatten, dass eine der eingeladenen Gruppen, die Anarchist Communist Group, in die Falle getappt war, Anti-Israel-Boykotte zu unterstützen, wiesen wir auf das Fiasko der Montagsdemonstration hin, um die Gefahr dieser Art von unreflektiertem Aktivismus zu verdeutlichen. Wir wiederholten auch das Argument, dass die wirkliche Bewegung gegen den Krieg weniger von den ProletarierInnen Israels, des Gazastreifens oder der Ukraine kommen würde, die eine schwere Niederlage erlitten haben, als von den ArbeiterInnen in den zentralen kapitalistischen Ländern, die bereits ihre Weigerung gezeigt haben, für die indirekten Auswirkungen des Krieges (Inflation usw.) zu zahlen. Aber die Fähigkeit der Arbeiterklasse als Ganzes, den Zusammenhang zwischen den Angriffen auf ihren Lebensstandard und dem Drang zum Krieg zu verstehen, würde Zeit brauchen, um sich zu entwickeln, und könnte nicht durch die Stellvertreteraktionen kleiner Gruppen beschleunigt werden.
In dieser und der am nächsten Tag folgenden Debatte war eine Annäherung zwischen den Beiträgen der IKS und des IKT festzustellen, die sich mehr als einmal trafen, um sich über die Entwicklung der Diskussion auszutauschen[4]. Und da die Delegationen beider Gruppen eindeutig eine konstruktive Rolle in den Diskussionen und bei der Organisation der Treffen spielten (einschließlich der Tatsache, dass sich ein Mitglied der IKT bereit erklärt hatte, im inoffiziellen Organisationskomitee mitzuwirken), gab es unter den Teilnehmenden dieser Treffen keine Anzeichen für die Feindseligkeit gegenüber den Gruppen der kommunistischen Linken, die vom offiziellen Organisationskomitee offen zur Schau gestellt worden war.
Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die gesamte Versammlung die Positionen der Kommunistischen Linken übernommen hätte. Trotz der anfänglichen Einigkeit darüber, dass wir die Gesamtsituation verstehen müssen, bevor wir eine Diskussion darüber beginnen können, "was zu tun ist", wurde das Bemühen darum immer wieder in Spekulationen darüber verwickelt, welche Maßnahmen wir morgen ergreifen können, um die Kriegstreiberei zu blockieren – Netzwerke von Gegeninformationen, Hilfe für Deserteure usw. Die Frage des Klassenkampfes als einzige Alternative zu Krieg und Zerstörung wurde durch diese Spekulationen in der Schwebe gehalten. Es war auch nicht möglich, irgendeine Diskussion über einen wichtigen Punkt auf der Tagesordnung zu entwickeln: Was ist die Bedeutung des revolutionären Defätismus in dieser Periode – die IKS hat einige ernsthafte Kritiken an dieser Losung[5], aber wir werden sie bei anderen Gelegenheiten ansprechen müssen.
Und dann kam es zu einer weiteren Störung. Am Freitagabend kam eine Gruppe von Leuten, die behaupteten, nicht das offizielle Organisationskomitee zu sein, sondern in dessen Namen zu sprechen, auf die Versammlung und kündigte einen neuen Veranstaltungsort für den "Kongress" am Samstag und Sonntag an. Leider würde er nur 25 oder 30 Personen Platz bieten, obwohl bereits am Freitag doppelt so viele TeilnehmerInnen gekommen waren. Dies würde zweifellos bedeuten, dass die nicht Eingeladenen (insbesondere die Gruppen der kommunistischen Linken oder "Bolschewiki", die, so ein Argument, das vermutlich vom offiziellen Organisationskomitee stammte, die selbstorganisierte Versammlung übernommen hätten)[6] ausgeschlossen werden müssten. Niemand der Teilnehmenden an der Freitagssitzung sprach sich für einen solchen Ausschluss aus, während dem offiziellen Organisationskomitee, das sich nach wie vor weigerte, sich offen zu zeigen, ein erhebliches Maß an Misstrauen entgegengebracht wurde. In einer Erklärung auf der offiziellen Website hieß es, dies sei ein normales Sicherheitsverfahren, aber das überzeugte die GenossInnen nicht, deren Sicherheit bereits durch die unbedachten Pläne des Komitees während der Woche gefährdet worden war.
Das Ergebnis von all dem war eine weitere Spaltung. Am Samstag beschlossen einige, die am Freitagstreffen teilgenommen hatten, zum neuen "offiziellen" Veranstaltungsort zu gehen, aber die Mehrheit der "Selbstorganisierten" entschied sich, zusammen zu bleiben und sich am nächsten Tag erneut zu treffen. Dies bedeutete, dass man sich noch einmal nach einem Veranstaltungsort umsehen musste, und der gefundene war nicht so gut geeignet wie der am Freitag genutzte. Bis jetzt haben wir nur wenige Informationen darüber, was am neuen offiziellen Veranstaltungsort geschah, obwohl das Anarchist Communist Network einen Artikel über die gesamte Woche geschrieben hat, der einige Informationen über die stattgefundenen Diskussionen enthält.[7]
Was die Position des offiziellen Komitees zur Sicherheit betrifft, sollten wir auch darauf hinweisen, dass Tridni Valka eine gewisse Kontinuität mit dem Groupe Communiste Internationaliste behauptet, obwohl es in der Vergangenheit einige unausgesprochene Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gab und die GCI als solche nicht mehr existiert. Aber die GCI war eine Gruppe, die einen sehr gefährlichen und destruktiven Kurs verfolgte – vor allem ein Flirt mit dem Terrorismus, der eine ernste Gefahr für die gesamte revolutionäre Bewegung darstellte.[8] Dazu gehörte eine Art Tarnkappenstrategie, die Tridni Valka anscheinend übernommen hat und die sicherlich zur Desorganisation der Woche und dem Misstrauen beigetragen hat, das viele der Teilnehmenden ihnen gegenüber entwickelten.
Angesichts dieser Litanei der Spaltung und Unordnung hatten die Teilnehmenden der "selbstorganisierten Versammlung" das Gefühl, dass es irgendeine Art von Ergebnis aus den Ereignissen der Woche geben müsse, und sei es nur die Möglichkeit, die Diskussion fortzusetzen und die vielen Fragen aufzugreifen, die nicht beantwortet worden waren. So fand am Sonntag ein letztes Treffen in einem Park statt, um zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Zu diesem Zeitpunkt hatten Müdigkeit und Uneinigkeit die Zahl der Teilnehmenden an diesem Treffen verringert, obwohl einige derjenigen, die sich bisher am konstruktivsten an den Diskussionen beteiligt hatten, anwesend waren. Es war bereits eine mobile Kontaktgruppe eingerichtet worden, die weitergeführt werden sollte, die aber nicht in der Lage war, eine wirkliche Diskussion zu führen, weshalb beschlossen wurde, eine Website einzurichten, auf der die Beiträge aller Beteiligten (einschließlich derjenigen, die am Wochenende am "offiziellen" Kongress teilgenommen hatten) veröffentlicht werden konnten. Die Programma nahestehenden GenossInnen schlugen auch ein kurzes "Bekenntnis zum Klassenkampf" vor, das eine sehr allgemeine Erklärung gegen imperialistische Kriege war. Die Mehrheit der Anwesenden stimmte dafür.[9] Die IKS-Delegation erklärte, dass sie diese Erklärung nicht unterschreiben könne – zum Teil, weil sie Formulierungen und Slogans enthält, mit denen wir nicht einverstanden sind, aber vor allem, weil wir der Meinung waren, dass die Diskussionen auf den Treffen keinen ausreichenden Grad an Homogenität erreicht hatten, um eine solche gemeinsame Erklärung zu veröffentlichen. Stattdessen sprachen wir uns für die Veröffentlichung eines Berichts über die Ereignisse der Woche sowie von Eindrücken und Überlegungen verschiedener Gruppen und Einzelpersonen aus. Außerdem könnte die Website Informationen über die aktuellen Kriege sammeln und veröffentlichen, die anderswo nur schwer zu finden sind. Wir werden sehen, ob dieses Projekt verwirklicht wird.
Trotz aller Schwächen und Unzulänglichkeiten war es wichtig, an dieser Veranstaltung teilgenommen zu haben. Die "wirkliche Bewegung" gegen den Krieg wird auch von Minderheiten ausgedrückt, die nach Klarheit suchen, und obwohl wir dagegen sind, voreilige Bündnisse oder Fronten mit Gruppen zu bilden, die immer noch Verwirrungen aktivistischer oder sogar linker Natur haben, ist es für die Gruppen der kommunistischen Linken absolut unerlässlich, bei solchen Zusammenkünften anwesend zu sein, ihre politische Unabhängigkeit zu bewahren und auf der Grundlage des historischen Kampfes der Arbeiterbewegung und der unverzichtbaren Klarheit der marxistischen Methode auf Klarheit zu drängen.
Amos, Juni 2024
[1] https://actionweek.noblogs.org [98]. Eine vollständige Liste der eingeladenen Gruppen ist auf dieser Website zu finden.
[2] In der Zeitschrift Transmitter, "Interview mit dem Organisationskomitee der Aktionswoche" (Englisch)
[3] Nach Angaben des offiziellen Organisationskomitees wurde der Protestmarsch abgesagt, weil das Komitee Zeit brauchte, um einen neuen Veranstaltungsort für das Wochenende zu finden. Diese Erklärung lässt jedoch die wahren Gründe für die Absage des Marsches, die auf politischen und sicherheitspolitischen Argumenten beruhen, völlig außer Acht.
[4] Angesichts der gemeinsamen internationalistischen Positionen und Traditionen der Gruppen der Kommunistischen Linken hat die IKS seit Jahrzehnten gemeinsame schriftliche Appelle mit ihnen gegen den imperialistischen Krieg vorgeschlagen, einschließlich derjenigen zum Krieg in der Ukraine und in Gaza. Leider hat die IKT bisher nie zugestimmt, solche gemeinsamen Erklärungen abzugeben, die die Verteidigung des grundlegenden Klassenprinzips gegen den imperialistischen Krieg verstärken würden. Im Vorfeld der Aktionswoche haben wir der IKT geschrieben und vorgeschlagen, dass unsere beiden Gruppen während der Veranstaltung so weit wie möglich zusammenarbeiten sollten.
[5] Siehe zum Beispiel Nation oder Klasse? – Einleitung, https://de.internationalism.org/files/de/nok-2007-web.pdf [99]
[6] Die ursprüngliche Idee für den Kongress sah vor, dass der Samstag eine öffentliche Veranstaltung, der Sonntag jedoch nur für eingeladene Gruppen zugänglich sein sollte.
[8] Wie der Groupe Communiste Internationaliste auf den proletarischen Internationalismus spuckt, IKS Online
[9] Die IKT-Delegation war bei diesem Treffen nicht anwesend, aber sie hatte uns am Vorabend mitgeteilt, dass sie ebenfalls nicht unterschreiben würde.
Innerhalb weniger Monate hat die entsetzliche israelische Offensive auf den Gazastreifen Zehntausende von Menschenleben in einer wütenden Raserei der Barbarei hinweggefegt. Unschuldige Zivilisten, Kinder und alte Menschen sterben zu Tausenden unter den Bomben oder werden von israelischen Soldaten kaltblütig erschossen. Zu dem Schrecken der Kugeln kommen noch die Opfer von Hunger, Durst, Krankheiten und Traumata hinzu... Der Gaza-Streifen ist ein Massengrab unter freiem Himmel, eine riesige Ruine, die alles symbolisiert, was der Kapitalismus der Menschheit heute zu bieten hat. Was in Gaza geschieht, ist eine Ungeheuerlichkeit!
Wie kann man sich nicht über den Zynismus von Netanjahu und seiner Clique religiöser Fanatiker, über den kalten Nihilismus der israelischen Armee IDF empören? Wie kann man sich nicht mitreißen lassen, wenn die geringste Äußerung von Empörung von billigen Artikeln und Tel Aviv-Propagandisten sofort als „Antisemitismus“ gebrandmarkt wird? Natürlich sind die Bilder des Grauens und die Aussagen der Überlebenden erschütternd. Selbst in der israelischen Bevölkerung, die durch die verabscheuungswürdigen Verbrechen der Hamas am 7. Oktober traumatisiert ist und unter der Dampfwalze der Kriegspropaganda steht, ist die Empörung spürbar.
In der ganzen Welt häufen sich die Kundgebungen zur Unterstützung der Palästinenser: in Paris, London und vor allem in den Vereinigten Staaten, wo auf den Universitätsgeländen besonders große Mobilisierungen stattfinden.
Die Empörung an sich könnte nicht aufrichtiger sein, aber Revolutionäre haben die Verantwortung, es laut und deutlich zu sagen: Diese Demonstrationen befinden sich nicht im Entferntesten auf dem Terrain der Arbeiterklasse. Im Gegenteil, sie stellen eine Falle für das Proletariat dar!
Kapitalismus bedeutet Krieg!
„Sofortiger Waffenstillstand“, „Frieden in Palästina“, „Internationales Abkommen“, „Zwei Nationen in Frieden“... Die Aufrufe zum „Frieden“ haben sich in den letzten Wochen bei Demonstrationen und auf Plattformen vervielfacht. Einige der Organisationen auf der linken Seite des Kapitals (Trotzkisten, Stalinisten und alle Varianten der „radikalen“ Linken wie La France Insoumise in Frankreich), reden alle von „Frieden“.
Das ist reine Illusion! Die Arbeiterklasse darf sich keine Illusionen über den so genannten Frieden machen, weder im Nahen Osten noch anderswo, und auch nicht über eine Lösung durch die „internationale Gemeinschaft“, die UNO, den Internationalen Strafgerichtshof oder andere kapitalistische Räuberbanden. Trotz aller Abkommen und Friedenskonferenzen, aller Versprechungen und UN-Resolutionen dauert der israelisch-palästinensische Konflikt nun schon seit über 70 Jahren an und wird auch in Zukunft nicht enden. Wie alle imperialistischen Kriege ist auch dieser Konflikt in den letzten Jahren nur noch gewalttätiger und grausamer geworden. Mit den jüngsten Gräueltaten der Hamas und der israelischen Armee hat die Barbarei ein noch monströseres und wahnwitzigeres Gesicht angenommen, in einer Logik der verbrannten Erde, die bis zum Äußersten geht und zeigt, dass der Kapitalismus nichts als Tod und Zerstörung bieten kann.
Auf die Frage „Kann es in einer kapitalistischen Gesellschaft Frieden geben?“ lautet unsere kategorische Antwort: Nein! Die Revolutionäre des frühen 20. Jahrhunderts hatten bereits deutlich gemacht, dass der imperialistische Krieg seit 1914 zur Lebensweise des dekadenten Kapitalismus geworden ist und das unausweichliche Ergebnis seiner historischen Krise darstellt. Gerade weil die herrschende Klasse keine Lösung für die Abwärtsspirale der Krise hat, müssen wir es ganz klar sagen: Chaos und Zerstörung können sich in Gaza wie in der Ukraine und überall sonst auf der Welt nur ausbreiten und vergrößern! Der Krieg in Gaza droht die ganze Region in Brand zu setzen.
Pazifismus, eine Sackgasse und eine Vorbereitung auf den Krieg!
Doch abgesehen von der Sackgasse, in die sich die Aufrufe zum Frieden unter dem Joch des Kapitalismus begeben, bleibt auch der Pazifismus für die Arbeiterklasse eine gefährliche Mystifikation. Diese Ideologie hat den Krieg nicht nur nie verhindert, sondern im Gegenteil, sie hat ihn immer vorbereitet. Schon 1914 rechtfertigte die Sozialdemokratie, indem sie das Problem des Krieges aus dem Blickwinkel des Pazifismus darstellte, ihre Teilnahme am Konflikt im Namen des Kampfes gegen die „Kriegstreiber“ auf der anderen Seite und der Wahl des „kleineren Übels“. Weil die Gesellschaft von der Vorstellung durchdrungen war, dass der Kapitalismus ohne Krieg existieren könne, konnte die Bourgeoisie den „deutschen Militarismus“ für die einen und den „russischen Imperialismus“ für die anderen in das Lager derjenigen einordnen, die den „Frieden“ untergraben wollten und die „bekämpft werden mussten“. Seitdem ist der Pazifismus, vom Zweiten Weltkrieg bis zum Irak-Krieg, über die zahllosen Konflikte des Kalten Krieges, nichts anderes als ein Mittel, um mit diesem oder jenem Imperialismus gegen die „Kriegstreiber“ zu kollaborieren, um die Realität des kapitalistischen Systems zu verschleiern.
Der Krieg in Gaza ist keine Ausnahme von dieser Logik. Die „pazifistische“ Linke nutzt die legitime Abscheu, die durch die Massaker in Gaza geweckt wird, und ruft geradewegs dazu auf, eine Seite gegen eine andere zu unterstützen, nämlich die der „palästinensischen Nation“, die Opfer des „israelischen Kolonialismus“ ist, und sagt: „Wir verteidigen die Rechte des ‚palästinensischen Volkes‘, nicht die der Hamas“. Dabei wird schnell vergessen, dass „die Rechte des palästinensischen Volkes“ nichts anderes als eine heuchlerische Formel ist, die das verschleiern soll, was man den Staat Gaza nennen muss, eine hinterhältige Art, eine Nation gegen eine andere zu verteidigen. Ein „befreiter“ Gazastreifen würde nichts anderes bedeuten, als das abscheuliche Regime der Hamas oder einer anderen Fraktion der palästinensischen herrschenden Klasse zu konsolidieren, all jener, die nie gezögert haben, die geringste Äußerung von Wut blutig niederzuschlagen, wie 2019, als die Hamas, die wie ein echtes Raubtier auf Kosten der Bevölkerung des Gazastreifens lebt, Demonstranten, die über die Armut verzweifelt waren, brutal unterdrückte. Die Interessen des Proletariats in Palästina, Israel oder irgendeinem anderen Land der Welt sind in keiner Weise dieselben wie die ihrer herrschenden Klasse und des Terrors ihres Staates!
Der Trotzkismus in seiner traditionellen Rolle als Rekrutierungsfeldwebel
Trotzkistische Organisationen, insbesondere an den Universitäten, geben sich nicht einmal mehr mit dem heuchlerischen Gerede vom Pazifismus ab, um die schmutzige Kriegspropaganda der herrschenden Klasse zu nähren. Sie rufen schamlos zur Unterstützung des „Hamas-Widerstands“ auf. Im Namen des „nationalen Befreiungskampfes gegen den Imperialismus“ (der in betrügerischer Weise als bolschewistische Position zur nationalen Frage dargestellt wird) versuchen sie, junge Menschen auf dem verrotteten Boden der Unterstützung für die palästinensische herrschende Klasse zu mobilisieren, und zwar mit kaum verhüllten Andeutungen von Antisemitismus, wie wir an den Universitäten gehört haben: „An der Columbia University in New York wurden Demonstranten gefilmt, die skandierten: ‚Brennt Tel Aviv nieder [...] Ja, Hamas, brennt Tel Aviv nieder [...]‘. 'Ja, Hamas, wir lieben euch. Wir unterstützen auch eure Raketen“. Ein anderer rief: „Wir wollen keine zwei Staaten, wir wollen das ganze Gebiet“. Einige Studenten begnügen sich auch nicht mehr damit, „Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein“ zu skandieren, sondern halten Schilder in arabischer Sprache in die Höhe. Das Problem ist, dass darauf steht: 'Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina arabisch sein', was bedeutet, dass es vom Jordan bis zum Mittelmeer keine Juden geben wird".[1]
Trotzkistische Organisationen haben eine lange Tradition der Unterstützung des bürgerlichen Lagers im Krieg (Vietnam, Kongo, Irak...), zunächst im Dienste des Ostblocks während des Kalten Krieges[2], dann zugunsten jeglicher Form von Antiamerikanismus.
Der israelisch-palästinensische Konflikt bleibt jedoch ein Leitmotiv für die selektive Empörung des Trotzkismus. In der Vergangenheit war die „palästinensische Sache“ ein Vorwand, um die Interessen der UdSSR in der Region gegen die USA zu unterstützen. Heute nutzen diese Organisationen den Krieg in Gaza, um den Iran, die Hisbollah und die Houthi-Rebellen gegen denselben „amerikanischen Imperialismus“ und seinen israelischen Verbündeten zu unterstützen. Der angebliche Internationalismus des Trotzkismus ist die Internationale der Verlogenheit!
Um den Krieg zu beenden, muss der Kapitalismus gestürzt werden
Im Gegensatz zu allen Lügen der linken Parteien des Kapitals sind Kriege immer Konfrontationen zwischen konkurrierenden Nationen, zwischen rivalisierenden Bourgeoisien. Immer! Kriege werden nie zum Wohle der Ausgebeuteten geführt! Im Gegenteil, sie sind die ersten Opfer.
Die Arbeiterklasse muss sich überall weigern, für ein bürgerliches Lager gegen eine andere Partei zu ergreifen. Die Solidarität der Arbeiterklasse gilt weder Palästina noch Israel, weder der Ukraine noch Russland, noch irgendeiner anderen Nation! Ihre Solidarität gilt dem Proletariat in Israel und Palästina, in der Ukraine und Russland, den Ausgebeuteten in der ganzen Welt! Die Geschichte hat gezeigt, dass die einzige wirkliche Antwort auf die Kriege, die der Kapitalismus entfesselt, die internationale proletarische Revolution ist. Im Jahr 1918 wurde die herrschende Klasse dank eines gewaltigen revolutionären Aufstandes in ganz Europa, der ein Jahr zuvor in Russland begonnen hatte, gezwungen, den Ersten Weltkrieg–eines der größten Gemetzel der Geschichte–zu beenden.
Natürlich sind wir heute noch weit von dieser Aussicht entfernt. Für die Arbeiterklasse ist es schwierig, sich konkrete Solidarität, geschweige denn direkten Widerstand gegen den Krieg und seine Schrecken vorzustellen. Doch durch die Reihe von Kämpfen der Arbeiterklasse, die in den letzten zwei Jahren in verschiedensten Ländern stattgefunden haben, in Großbritannien, Frankreich, den Vereinigten Staaten und seit kurzem auch in Deutschland, zeigt das Proletariat, dass es nicht bereit ist, jedes Opfer zu akzeptieren. Es ist durchaus in der Lage, massenhaft zu kämpfen, wenn auch nicht direkt gegen Krieg und Militarismus, so doch gegen die brutalen Angriffe, die die herrschende Klasse fordert, um ihr Todesarsenal zu füttern, gegen die Auswirkungen des Krieges auf unsere Lebensbedingungen, gegen Inflation und Haushaltskürzungen.
Diese Kämpfe sind der Schmelztiegel, in dem die Arbeiterklasse sich voll und ganz auf ihre früheren Erfahrungen und ihre Kampfmethoden besinnen, ihre Identität wiederentdecken und ihre internationale Solidarität entwickeln kann. Sie wird dann in der Lage sein, ihren Kampf zu politisieren und einen anderen Kurs einzuschlagen, indem sie die einzig mögliche Perspektive und den einzig möglichen Ausweg anbietet: den Sturz des Kapitalismus durch eine proletarische Revolution.
EG, 30. April 2024
[1] “Most Jews and Palestinians want peace. Extremists, narcissists and other 'allies' only block the way", The Guardian, 26. April 2024
[2] Mit dem Argument, dass ihre jeweiligen Nationen (Frankreich, Großbritannien, Italien...) ein großes Interesse daran hätten, dem vom so genannten „degenerierten Arbeiterstaat“, der UdSSR, geführten Block beizutreten.
Zum Zeitpunkt des Schreibens tobt seit zweieinhalb Jahren der Ukraine-Krieg – und kein Ende in Sicht. Seit nahezu dreiviertel Jahren Krieg im Gaza-Streifen, mit der Gefahr einer weiteren Eskalation mit dem Libanon. In der Zwischenzeit entbrannte eine neue Eskalation zwischen Israel-Iran. Unterdessen spitzt sich der Konflikt zwischen den USA und China weiter zu. Von den vielen anderen „kleineren“ Kriegen (z.B. Sudan) mit ihren verheerenden Folgen spricht kaum jemand.
Deutschland steckt voll mit in diesem Strudel und soll sich den Appellen und Planungen des Verteidigungsministers zufolge innerhalb der nächsten 5 Jahre bis 2029 kriegstüchtig machen. 40 Jahre nach 1989, als der Kalte Krieg mit dem Fall der Mauer, dem Zusammenbruch der DDR und der Auflösung des Warschauer Paktes zu Ende ging, soll die Bevölkerung wieder maximal für einen Krieg mit aufgefüllten Arsenalen mit den modernsten Waffen und mit größtmöglicher Soldatenzahl usw. hochgerüstet sein!
Vorbei die Versprechungen von Frieden und Wohlstand von damals. In Wirklichkeit gibt es seit 1989 immer mehr Kriege, weltweit mehr Waffenlieferungen und Rüstungswettläufe, jedes Jahr neue Flüchtlingsrekorde, mehr Hungersnöte, noch mehr und noch größere Flüchtlingslager, überall Zerstörung und Verwüstung aller Art.[1]
Mit dem Ukrainekrieg wurde die berühmte „Zeitenwende“ eingeleitet. Von anfänglicher Zurückhaltung bzw. relativer Diskretion bei Waffenlieferungen ist Deutschland mittlerweile zum größten Finanzierer und zentralen Waffenlieferanten für die Ukraine geworden. Fast alle wegen ihrer verheerenden Zerstörungskraft vorher als Tabu betrachteten Waffensysteme gehören mittlerweile zum täglichen Sortiment der Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel. Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall baut eine riesige Waffenfabrik in der Ukraine und erhält immer neue Rüstungsaufträge von der deutschen Regierung (so zuletzt im Juni für 8.5 Mrd. Euro für die Produktion von Munition).
Auch wenn es wie bei allen Kriegen immer unterschiedliche Fähigkeiten der Waffensysteme der beteiligten Gegner gibt, entscheidet für uns nicht die militärische Schlagkraft der Länder um zu bewerten, ob ein Land imperialistisch ist oder nicht. Seit dem Ersten Weltkrieg liegt auf der Hand, dass alle Staaten, ob groß oder klein, ob mit großer oder kleiner militärischer „Fähigkeit“ ausgerüstet, imperialistische Akteure sind.
In diesem Prozess werden mit westlicher Hilfe nun immer neue und tiefere Vorstöße und „Vergeltungsmaßnahmen“ von der Ukraine gegen den russischen Rivalen auf dem Schlachtfeld durchgeführt und damit wurde eine weitere Schwelle überschritten.[2] In Litauen werden 5.000 deutsche Soldaten dauerhaft stationiert, weitere Standorte in anderen Ländern sind längst in Planung.
Das Tötungskommando der Hamas am 7. Oktober 2023 und der seitdem eingesetzte Vergeltungs- und Vernichtungsversuch gegen die Hamas durch Israel hat die Spirale der Gewalt im Nahen Osten auf eine neue Stufe getrieben. Dabei trugen deutsche Waffen in nicht unerheblichem Ausmaß zur Zerstörung der unzähligen Häuser und zur Verletzung oder dem Tod von Zehntausenden von Bewohnern des Gaza-Streifens bei. 2023 genehmigte die deutsche Bundesregierung Rüstungsexporte im Umfang von 326 Millionen Euro nach Israel. Das waren etwa zehn Mal so viele wie 2022 im Jahr davor. Dabei wurde der "Wertepartner Israel" (Scholz) alleine mit über 3200 Panzerfäusten ausgerüstet. Und jetzt sollen in Deutschland schrittweise neue Soldaten rekrutiert und die Mobilisierungsfähigkeit von Reservisten massiv erhöht werden[3]. Neues Kanonenfutter muss her! Noch wagt man nicht so offen mit Zwangsrekrutierung zu drohen, aber angesichts des riesigen Bedarfs an Soldaten ist dies nur eine Frage der Zeit. Bislang waren die meisten Versuche, mehr freiwilliges Kanonenfutter anzulocken, gescheitert.
Und eine bloße Verdoppelung des deutschen Rüstungshaushaltes, die ja unmittelbar nach Auslösung des Ukrainekrieges durchgewunken worden war, reicht nicht mehr; längst wird die Trommel für eine noch größere Erhöhung gerührt. Von staatlicher Seite werden die Planungen auf die Umstellung der Bedürfnisse der Kriegswirtschaft zentralisiert, die nach 1989 tatsächlich in gewissen Bereichen rückläufig war. Nun sollen wieder Kapazitäten in Krankenhäusern für die Versorgung von Kriegsopfern verstärkt, Bunker, Schutzräume usw. gebaut, an den Schulen und Unis für entsprechende „Aufklärung“ gesorgt werden, Transportwege (Schienen, Straßen, Brückenbauwerke usw.) werden an die Besonderheiten von militärischen Schwertransportern angepasst.
Diese Kriegsspirale wird jeden Tag von einer ekelerregenden Propaganda begleitet. Die Medien hämmern uns ununterbrochen die Ohren voll mit Meldungen über neue oder unzureichende „Produktionskapazitäten“, „Lieferschwierigkeiten“, Munitionsengpässe, Vor- und Nachteile dieses oder jenes Waffensystems (z.B. „mit den jetzigen Waffenbeständen und -systemen lässt sich Berlin nicht verteidigen“), neue Waffen müssten her! Man will uns eintrichtern: Es kann nichts anderes mehr geben als Krieg und seine Bedürfnisse.
All dies ist Teil einer weltweiten Zuspitzung der imperialistischen Spannungen über Jahre hinweg. Nach 1989 war mit dem Zusammenbruch des stalinistischen Ostblocks zwar der Nato gewissermaßen die Existenzberechtigung entzogen worden, das Militärbündnis blieb jedoch weiter bestehen – natürlich unter der fortdauernden Führung der USA. Die Zeit des Jeder für sich brach an.[4] Die USA selbst begannen immer mehr damit, sich ohne Abstimmung und gegen die Interessen ihrer ‚Verbündeten’ in Kriege zu stürzen (1. Golfkrieg 1991, 2. Golfkrieg 2003, Afghanistan, Irak). Deutschland hingegen ermunterte offensiv u.a. Kroatien bei dessen Unabhängigkeitsbestrebungen und der Loslösung von Jugoslawien – der kurz darauf einsetzende Krieg wütete nahezu zehn Jahre in vielen Teilen des Balkans.
Innerhalb der Nato trieb man zum einen den Ausbau der Allianz in Osteuropa an, d.h. in dem Gebiet, in dem durch den Rückzug des sowjetischen Imperialismus ein gewisses Machtvakuum entstanden war. Andererseits gab es in unterschiedlichen Schüben immer mehr Bestrebungen, die Vorherrschaft der USA zu lockern und mehr Eigenständigkeit zu erlangen. Innerhalb der EU gab es Anläufe einer Gruppe von Staaten (vor allem Frankreich und Deutschland) für den Aufbau eines militärischen Arms der EU.
Ein qualitativ neuer Schub in dem Prozess des Abrückens von den USA erfolgte während der Amtszeit Trumps, als dieser den Sinn der Nato infrage stellte. Durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 konnten die USA nun die Nato wieder stärker an sich binden und zumindest zeitweise das Gewicht der USA durch Druck wieder verstärken. Gleichzeitig konnten aber damit die tiefergehenden, seit 1989 am Werk befindlichen Tendenzen des Wegdriftens und Abkoppelung von den USA nicht wirklich aufgehalten werden. Denn die imperialistischen Interessen der europäischen Staaten, die jeweils auch klar und deutlich für ihre eigenen Interessen eintreten wollen, prallen mit denen der USA in vielen Punkten aufeinander.
Nach 1989 konnten die USA weder die historische Tendenz des Jeder für sich abbremsen, die immer mehr ihre Vorherrschaft bedroht, noch konnten sie den Aufstieg Chinas verhindern, das mittlerweile zum wichtigsten Rivalen und Herausforderer geworden ist und die USA in den nächsten Jahrzehnten von ihrer Führungsrolle verdrängen will. Die USA wiederum wollen alles unternehmen, um China auf die Knie zu zwingen, bevor es zu stark wird.
Deshalb wird der Machtkampf zwischen den USA und China, der schon ein ausschlaggebender Faktor der Strategie der USA im Ukrainekrieg ist, die USA noch stärker dazu zwingen, ihre Ressourcen wegen der übergeordneten Bedeutung der wachsenden Konfrontation mit China für die Verteidigung ihrer Vorherrschaft mehr für ihre Front im Fernen Osten gegen China zu bündeln und ihre Präsenz und ihr Gewicht in der Nato herunter zu fahren (das erwarten zumindest Militärberater der deutschen Bundesregierung). Deshalb stellt sich die europäische Bourgeoisie auf einen Rückgang der US-Militärpräsenz in Europa ein – egal ob Trump oder Biden die Wahl gewinnt.
Beide Präsidentschaftskandidaten müssten ihre Priorität auf eine Konfrontation mit China legen, anstatt sich in der Ukraine weiter zu binden – zumal die USA sich keinen Dreifrontenkrieg leisten können, d.h. Präsenz gegen Russland durch den Ukraine-Krieg, ein Krieg im Nahen/Mittleren Osten und eine Auseinandersetzung mit China in Fernost. Deshalb wird auf jeden Fall die Erwartung seitens der USA an die europäischen Staaten gestellt werden, die Schraube des Militarismus noch stärker anzuziehen, d.h. noch massiver aufzurüsten. In dieser Pflicht sehen sich jedenfalls jetzt schon bedeutsame Teile der deutschen Bourgeoisie. Was die Prioritätensetzung der USA auf China nach den US-Wahlen bedeuten wird, lässt sich im Augenblick noch nicht einschätzen.
Ob die europäischen Staaten weiterhin ihre Kräfte auf die Auseinandersetzung mit Russland fokussieren werden – mit einer unberechenbaren und nicht verhandlungsbereiten Clique an der ukrainischen Staatsspitze – oder ob sie die Chancen für eine mögliche Wiederannäherung an Russland – nach einem bislang allerdings nicht abzusehenden Kriegsende – ausloten werden, ist zur Zeit ebenfalls ungewiss. Auf jeden Fall ist eine Dynamik losgetreten worden, die die Rüstung immer mehr antreibt, auch wenn Militärs dafür plädieren, dass man sich nicht verzettelt und sich auf „die Hauptaufgabe“ konzentriert, und entsprechend hauptsächlich gegenüber Russland aufrüstet.
Genau so, wie es sich die USA nicht leisten können in einem Vielfrontenkrieg aufgerieben zu werden, weiß die europäische Bourgeoisie und damit auch Deutschland, dass man nicht an allen Fronten präsent sein kann – deshalb lautet die Warnung der Militärexperten, dass man von „kleineren“ Militäreinsätzen in aller Welt jetzt „Abstand nehmen“ müsse, Einsätze im Pazifik und im Indischen Ozean führten nur zur Verzettelung, deshalb setzt ein Flügel der deutschen Bourgeoisie hauptsächlich auf die „Gefahrenabwehr“ gegenüber Russland.[5]
Wie immer strategische Entscheidungen auch ausfallen werden, an der langfristigen historischen Dynamik der intensiven Kriegsvorbereitungen wird dies nichts ändern.
Gegenwärtig lautet die Botschaft vieler linker Gruppierungen, mit dem Aufstieg der Rechten und der Populisten, wie sie die jüngsten Europawahlen zum Vorschein brachten, wiederhole sich jetzt das Szenario der 1930er Jahre, als die Arbeiterklasse zuvor in den 1920er Jahren geschlagen worden war und es dann den Nazis gelang, einen entscheidenden Teil der Bevölkerung – darunter auch Teile der Arbeiterklasse – für den Krieg zu mobilisieren.
Aber diese ‚Botschaft‘ ist höchst irreführend. Denn auch wenn heute ein klarer Anstieg der Rechten und Populisten zu verzeichnen ist, und diese gar einige Teile der Arbeiterklasse und hinsichtlich des Aspekts Altersgruppen nun auch mehr Jugendliche hinters Licht führen können, heißt dies keineswegs, dass sich all diese vernarrten Wähler für einen Krieg einspannen ließen. Für den Krieg sich zu opfern, hieße sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen und den Gürtel so eng zu schnallen, dass man große Entbehrungen und gar Hunger für den Krieg hinnimmt.
Die abscheuliche Hetze der Rechten und Populisten zeigt gewiss Wirkung mit ihrer Forderung, dass der Flüchtlingsstrom nach Europa (von denen ein Großteil in Deutschland landet) unterbunden werden soll – auch wenn dies noch mehr Festung Europa mit noch mehr Stacheldraht, Kontrollen, Abschiebungen, Push-backs, Toten im Mittelmeer und anderswo usw. bedeutet.
Auch die Hetze gegen den Islam sowie das Schüren genereller Fremdenfeindlichkeit und die sich ausbreitenden Existenz- und Zukunftsängste sowie Wut über die Herrschenden hat den Rechten und Populisten Stimmen verschafft. „Sollen lieber die Anderen krepieren“ – lautet die Devise des Populismus. Gewiss gibt es bei den Rechten viele Nationalisten und Patrioten, und sicher verblenden die Populisten viele Menschen – aber damit ist keineswegs automatisch das Tor zum Krieg durch diese rechten und populistischen Kräfte weiter aufgestoßen.
Der Aufstieg der Rechten und Populisten untergräbt eher die Vormachtstellung des deutschen Imperialismus ans sich, was ein entscheidender Punkt ist, nicht nur wegen der zu erwartenden Destabilisierung der EU, sondern weil auch – wie anderswo in Europa – die Rechten und Populisten gegenüber dem Einfluss Russlands und Chinas weniger resistent sind und keineswegs so laut und deutlich die Kriegstrommel gegen diese Länder rühren. Deshalb stellen die Rechten und Populisten ein Problem für die imperialistische Geschlossenheit und den Zusammenhalt des deutschen Kapitals, das für einen Krieg unerlässlich ist, dar.
Nicht zuletzt, weil ein Teil der Wähler der Populisten im Osten Deutschlands wohnt, sind viele auch zurückhaltender gegenüber dem Kriegskurs gegen Russland. Die Rechten und die Populisten spiegeln viel mehr eine Sündenbockjagd-Stimmung, eine Pogrommentalität wider, die der verfaulende Kapitalismus immer stärker hervorbringt, als eine direkte offene Kriegspropaganda wie sie von anderen Teilen der Bourgeoisie betrieben wird (zumindest zum jetzigen Zeitpunkt).[6]
Viel gefährlicher und raffinierter ist da die Kriegsrhetorik der piekfeinen Demokraten – von den Grünen über die CDU/CSU und FDP bis hin zur Sozialdemokratie, die am offensten und aggressivsten auftritt.
Der SPD-Mann und ehemalige Außenminister Gabriel bekundet offen, dass er eine direkte Beteiligung der Bundeswehr am Ukraine-Krieg nicht ausschließe. Der Westen müsse Russland „noch einmal so niederringen“ wie den Ostblock „im Kalten Krieg“. Niemand wünsche sich, „die Bundeswehr in einen Krieg führen zu müssen“. Stehe die Ukraine aber vor der Niederlage, dürfe man „nichts ausschließen“. In ihrem Diskurs treten sie geschickter und heimtückischer für die Kriegsertüchtigung ein. Ob die Ampel – mit Grünen, FDP und SPD – oder die CDU/CSU, sie alle plädieren für immer mehr Waffen und Personal und überbieten sich dabei mit Vorschlägen dazu, wie zügig und geschickt man das meiste menschliche Kanonenfutter für den Dienst in der Armee mobilisieren könne. Denn das deutsche Kapital steht vor dem Problem, dass man trotz aller bisherigen Werbungsversuche nicht genügend Leute für die Bundeswehr gewinnen kann – weil letztendlich der Großteil der Bevölkerung, allen voran die Arbeiterklasse, keinen Krieg befürwortet und vor allem nicht ihr eigenes Leben opfern will.
Jetzt schon wird die Arbeiterklasse massiv zur Kasse gebeten. Seit dem Beginn des Ukrainekrieges ist die Inflation sprunghaft angestiegen, und mit ihr die Zinsen, was u.a. zum starken Rückgang der Bautätigkeit und zu noch höheren Immobilienpreisen und Mieten geführt hat. Gleichzeitig wird überall der Rotstift angesetzt – Einsparungen von staatlicher Seite quer durch die Bank, massenhaft Stellenabbau in vielen Branchen, angetrieben von der – durch die Herrschenden jedoch nicht offen eingestanden – Notwendigkeit, infolge des Kriegshaushaltes das Geld hierfür aufzubringen. Die Arbeiterklasse soll dafür schon Einsparungen hinnehmen. Wir werden darauf näher in anderen Artikeln eingehen. Eine Konfrontation der Bourgeoise mit der Arbeiterklasse wird damit früher oder später unausweichlich werden.
TW 23.06.2024
[1] Auch ein angeblich so neutrales Land wie die Schweiz beteiligt sich voll an dem Rüstungswettlauf und der Militarisierung, unter anderem indem Deutschland einst an die Schweiz verkaufte Waffen zurückkaufen darf und sie dann direkt an die Ukraine weiterliefert.
[2] Auch wenn die offizielle Zustimmung seitens westlicher Staaten im Juni 2024 noch vorsieht, dass nur die Gegend in Russland mit deutschen Waffen attackiert werden soll, von der die Angriffe gegen ukrainische Ziele gestartet wurden. Für westliche Raketen bzw. Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehreren hundert Kilometern deutet sich ein Kurswechsel an.
[3] Neue Meldedaten sollen erstellt, der Gesundheitszustand wieder überprüft, kurzum die altbekannten Tauglichkeitsprüfungen.
[4] Siehe unter anderem unserer Artikel der Internationale Revue 1990 – 1991 z.B.
https://de.internationalism.org/content/758/orientierungstext-militarism... [45]
[5] Man solle sich konzentrieren auf Maßnahmen „gegen ein aggressiv-revisionistisches Russland“, so einige regierungsnahe Stellen. „An diesem Ziel“ hätten sich ab sofort „alle Aspekte der Planungen für die Bundeswehr auszurichten: Finanz-, Personal-, Rüstungs- und Streitkräfteplanung“. Der Bundeswehrhaushalt müsse dabei von 2028 an zumindest 75 bis 80 Milliarden Euro im Jahr erreichen.
[6] Was der Aufstieg der Rechten und des Populismus für die Gesamtlage der deutschen Bourgeoisie zum Ausdruck bringt, haben wir in einem anderen Artikel behandelt: Resolution zur nationalen Situation in Deutschland [102], IKSonline April 2024.
1. Die Situation in Deutschland kann nur vor dem Hintergrund der Existenz der beiden internationalen Dynamiken verstanden werden, die den Weltkapitalismus durchziehen: die phänomenale Verschärfung des Zerfalls des kapitalistischen Systems und der Prozess der Wiederaufnahme des weltweiten Klassenkampfes nach mehreren Jahrzehnten der Flaute.
Die zahlreichen zerstörerischen Kräfte des „Strudel-Effekts“, bei dem alle verschiedenen Ausdrucksformen einer zerfallenden Gesellschaft miteinander interagieren und den Abstieg in die Barbarei beschleunigen und insbesondere die zentrale Rolle, die der imperialistische Krieg als Ergebnis der bewussten Entscheidungen der herrschenden Klasse in dieser Verkettung von Effekten spielt, haben zu tiefgreifenden Umwälzungen für das deutsche Kapital geführt.
„Es ist besonders Deutschland, das alle Widersprüche dieser neuartigen Situation explosionsartig konzentriert. Das Ende der russischen Gaslieferungen bringt das deutsche Kapital in eine beispiellose Situation strategischer und wirtschaftlicher Fragilität: Die Wettbewerbsfähigkeit seiner gesamten Industrie steht auf dem Spiel. Das deutsche Kapital (und Europa) läuft Gefahr, von der Abhängigkeit von russischem Gas in die Abhängigkeit von amerikanischem LNG wechseln zu müssen, welches die USA dem europäischen Kontinent aufzwingen und damit die Rolle übernehmen wollen, die Russland bislang innehatte. Das Ende des Multilateralismus, von dem das deutsche Kapital mehr als jede andere Nation profitiert hat (indem es sich auch einen Teil der Last der Militärausgaben für die „Friedensdividende“ seit 1989 erspart hat), wirkt sich direkter auf seine exportbasierte Wirtschaftskraft aus. Schließlich stellt der Druck der USA, ihre „Verbündeten“ zu zwingen, sich am wirtschaftlichen/strategischen Krieg gegen China zu beteiligen und auf Märkte in China zu verzichten, Deutschland vor ein enormes Dilemma, da die Bedeutung des chinesischen Marktes für Deutschland lebenswichtig ist. Aufgrund seiner führenden Stellung in der EU hat das Schwanken der deutschen Macht Auswirkungen auf ganz Europa, das in unterschiedlichem Maße von denselben Widersprüchen und Dilemmata geprägt ist.“ (Bericht des 25. Kongresses der IKS 2023)
Vor dem weltweiten Hintergrund der Überproduktion und der Verschärfung der Wirtschaftskrise durch die Covid 19-Pandemie und die Aussperrungen, die steigenden Kosten der Umweltkatastrophen und den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten befindet sich das deutsche Kapital, das durch die Erschütterung der Grundfesten seiner Macht wesentlich geschwächt ist, seit mehreren Quartalen in einer Rezession und wird wieder zum kranken Mann Europas.
Das große historische Ereignis der Wiederbelebung der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse in einer Reihe von Ländern hat sich in Deutschland nicht mit der gleichen Kraft wie in den USA, Großbritannien oder Frankreich manifestiert. Dennoch sind einerseits die Ausdrucksformen der Kampfbereitschaft und die Streiks für Lohnerhöhungen, die in einigen Bereichen (öffentlicher Dienst, Transportwesen) stattgefunden haben, sowie andererseits die Anpassung der Gewerkschaften, die eine „kämpferische und fordernde“ Haltung einnehmen, Indizien für die veränderte Situation, die im Klassenkampf auch in Deutschland am Werk ist. „Heute verändert die Kombination aus einer Rückkehr der Kampfbereitschaft der Arbeiter und der Verschärfung der Weltwirtschaftskrise (im Vergleich zu 1968 oder 2008), die keinen Teil des Proletariats verschonen wird und sie alle gleichzeitig trifft, objektiv die Grundlagen des Klassenkampfs. Die Vertiefung der Krise und die Verschärfung der Kriegswirtschaft können sich weltweit nur fortsetzen, und überall kann dies nur wachsende Kampfbereitschaft erzeugen.“ (Resolution des 25. Kongresses der IKS, 2023)
2. Die erste Zäsur war der Krieg in der Ukraine, gefolgt von einer weiteren Phase mit dem Krieg im Nahen Osten, jeweils verbunden mit einer gleichzeitigen Eskalation der Konfrontation zwischen den USA und China und wachsenden Destabilisierungstendenzen in Europa.
Der Druck aus den Konflikten mit Russland, China und den USA hat sich damit in einigen Bereichen geradezu explosionsartig verschärft. Für den deutschen Imperialismus bedeutete der Krieg in der Ukraine:
3. Diese Schwächung des deutschen Imperialismus durch die USA wurde im Gegenzug von Deutschland ausgenutzt, indem die Militärausgaben verdoppelt und die Hindernisse für Waffenlieferungen an die Ukraine aufgehoben wurden. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Notwendigkeit, Deutschland kriegstüchtig zu machen, ausdrücklich ideologisch begründet. Vor dem Hintergrund eines neuen Wettrüstens werden Forderungen wie die nukleare Aufrüstung und die Schaffung eines militärischen Arms der EU deutlicher formuliert.
Die Einführung von Kriegsführungsfähigkeiten und die damit verbundene Umwandlung der Wirtschaft in eine viel stärker ausgeprägte Kriegswirtschaft wird jedoch auf Schwierigkeiten stoßen, da allein die Rekrutierung zusätzlicher Soldaten große Probleme aufwirft. Gleichzeitig fordert der deutsche Imperialismus eine größere Führungsrolle in Europa. Dies wird wiederum neue Reibungspunkte mit Frankreich hervorrufen, da trotz aller Zwänge zur deutsch-französischen Zusammenarbeit in vielen Bereichen ein solcher Führungsanspruch, insbesondere auf dem Hintergrund der Dynamik des Jeder-für-sich, nur auf Kosten von Frankreich durgesetzt werden könnte.
4. Im Rahmen der globalen Präventionsstrategie der USA, um zu verhindern, dass China die USA von ihrer Führungsposition verdrängt, haben die USA neben der strategischen Einbettung des Ukraine-Russland-Krieges in diese Strategie eine Reihe direkter Sanktionen gegen China beschlossen, die sie auch allen anderen Staaten aufzwingen wollen. Deutschland (und z.B. Frankreich) sind davon besonders betroffen. Ziel ist es, die Abhängigkeit des deutschen Kapitals von China zu verringern und Deutschland direkt in die Militärstrategie gegen China einzubinden. Die deutsche Bourgeoisie wehrt sich gegen diesen Ansatz, was wiederum zu Konflikten mit den USA führt.
5. Die bis vor kurzem grenzenlos loyale Unterstützung des deutschen Imperialismus für Israel, die lange Zeit Teil des gemeinsamen Vorgehens mit den USA war, erweist sich angesichts des jüngsten Krieges im Nahen Osten als große Belastung, da dies Deutschland nicht nur viel zu eng an die USA bindet, sondern auch in die Isolation gegenüber den arabischen Staaten treibt. Wie Deutschland aus diesem Dilemma herauskommen kann, bleibt auch deshalb unklar, weil ideologisch der Schatten des Faschismus noch immer über der deutschen Bourgeoisie hängt und die Angst, des Antisemitismus bezichtigt zu werden, den Handlungsspielraum einschränkt.
6. Unter Trump hatte die Dynamik des Jeder-für-sich, und damit z.B. die Infragestellung der Nato und ein möglicher Rückzug der USA aus ihr, an Dynamik gewonnen. Auch verfolgte Trump einen sehr offensiven Kurs, insbesondere gegenüber dem deutschen Kapital. Zwar hatte sich der Ton unter Biden geändert, aber in den praktischen „Daumenschrauben“, die der amerikanische Imperialismus den Nato-Mitgliedsstaaten und insbesondere Deutschland angelegt hatte, wurde auf Deutschland viel mehr Druck ausgeübt als unter Trump. Dennoch wird eine mögliche zweite Amtszeit Trumps als eine Katastrophe für das deutsche Kapital angesehen, da ein Kurswechsel in der Russlandpolitik unter Trump als wahrscheinlich gilt. Dies könnte zwar theoretisch neue Handlungsspielräume für das deutsche Kapital eröffnen, wäre aber aus Sicht der USA unter Trump vor allem mit einem stärkeren Druck auf China verbunden und damit der Notwendigkeit, dass sich andere Länder diesem Druck der USA beugen. Deshalb wird die Bewegung zur Distanzierung Deutschlands von den USA weitergehen, unabhängig davon, ob Biden oder Trump der nächste Präsident ist. Im Einklang mit dieser Dynamik wird Deutschland seine Bemühungen verstärken, stärkere Beziehungen zu Ländern aufzubauen, die sich von den USA distanzieren (Indien, Brasilien usw.). Insgesamt hängt die weitere Entwicklung der USA wie ein Damoklesschwert über dem deutschen Imperialismus.
7. Während die Wirtschaftskraft des deutschen Kapitals hauptsächlich auf ihrer Industrie und ihren Exporten beruht, wirken sich die Verlangsamung der Weltwirtschaft ebenso wie die Auswirkungen des Zerfalls auf die Weltwirtschaft, aber insbesondere die Schockwelle des imperialistischen Krieges in der Ukraine, direkt auf den Zustand der nationalen Wirtschaft aus. Die Covid 19-Pandemie, die Kosten der Umweltzerstörung und die mittlerweile beträchtlichen Kriegskosten im Rahmen der internationalen Verschärfung des Wettbewerbs, vor allem zwischen China und den USA, die das Bestreben der USA einschließt, ihre europäischen Rivalen (imperialistisch wie wirtschaftlich) zu schwächen, haben zu einer massiven Destabilisierung und Umwälzung geführt, die das deutsche Kapital schwächt.
Die Verschlechterung der Lage des deutschen Kapitals zeigt sich durch:
Angesichts der Verschärfung der gesamten historischen Situation des Zerfalls und des Krieges in der Ukraine, sowie auch angesichts des Krieges im Nahen Osten schwinden die Grundlagen und die Bedingungen, die die Macht des deutschen Kapitals begründet haben. Gleichzeitig wachsen die neuen entscheidenden Herausforderungen, denen es gegenübersteht:
8. Die US-Regierung unter Biden hat ihre Offensive gegen China an mehreren Fronten verschärft:
Das deutsche Kapital kann nicht davon ausgehen, dass der Druck aus den USA nach den nächsten Präsidentschaftswahlen nachlassen wird. Im Gegenteil: Ob unter Trump oder Biden – die deutsche Bourgeoisie muss sich auf noch mehr Konflikte mit den USA einstellen. Das alles wird auch mit zusätzlichen Staatsausgaben verbunden sein, etwa um im Investitionskrieg überhaupt mithalten und Subventionen für Investitionen in Deutschland anbieten zu können.
Eine Eskalation zwischen China und den USA um Taiwan würde der Weltwirtschaft insgesamt und der deutschen Wirtschaft im Besonderen einen entscheidenden Schlag versetzen. Fazit: Die USA werden Deutschland unter enormen wirtschaftlichen Druck setzen.
Gleichzeitig gerät Deutschland zunehmend unter Druck durch China:
Deshalb: Verschärfte Auseinandersetzungen auf verschiedenen Schauplätzen um/mit China sind zu erwarten.
9. Die deutsche Bourgeoisie konnte das Projekt der Wiedervereinigung und des Aufbaus im Osten nur dank einer astronomischen Verschuldung realisieren. Einerseits verbesserte dies die Position Deutschlands auf der imperialistischen Leiter, andererseits wurde ein gigantischer Schuldenberg aufgetürmt. Dieser wurde durch die riesigen Rettungspakete während der Corona 19-Pandemie und jetzt durch den Krieg in der Ukraine weiter erhöht.
Im internationalen Wettbewerb ist die staatskapitalistische Unterstützung auf verschiedenen Ebenen unerlässlich. Keine neuen Hightech-Unternehmen, keine ökologische Umstellung, keine Windräder, keine Wärmepumpen, keine neuen Hightech-Investitionen usw. ohne Steuergelder. Gleichzeitig wurde jahrzehntelang eine tiefgreifende Vernachlässigung von Infrastruktur, Gesundheitswesen und Bildung in Kauf genommen. Der Kampf um die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit wurde also durch den Abbau in anderen Bereichen „erkauft“.
Angesichts der Wahlmöglichkeiten und Dilemmata, mit denen sie sich konfrontiert sieht, sind die Entscheidungen zwischen den dominierenden Fraktionen der deutschen Bourgeoisie in Bezug auf die Optionen, die für die Verteidigung der Interessen des nationalen Kapitals am besten geeignet sind (wie z.B. die Haltung gegenüber Russland, den USA, China, der Staatsverschuldung, der Entwicklung der Kriegswirtschaft... ) im Augenblick unklar. Auch lässt sich zurzeit die Tiefe und der Umfang der Divergenzen innerhalb der Bourgeoisie zu diesen Fragen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen noch nicht ermessen. Doch in der Zwischenzeit nutzt die deutsche Bourgeoisie die Debatte über den Sinn der Schuldenbremse, um ihren Angriff auf die Arbeiterklasse zu verstärken. Das Zusammenspiel der oben genannten Faktoren setzt die herrschende Klasse unter Druck, vor allem aber verschlingt die ganze Kriegsdynamik riesige Geldsummen, die in erster Linie der Arbeiterklasse auferlegt werden sollen.
10. Die eingetretene Entwicklung ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass zum ersten Mal eine Verschärfung der Wirtschaftskrise mit einem gleichzeitigen Mangel an Arbeitskräften (qualifizierten und unqualifizierten) in vielen Bereichen einhergeht. Dies hat verschiedene Ursachen:
Wie sich dies auf den Klassenkampf auswirken wird, ist derzeit schwer abzuschätzen.
11. Die IKS analysierte schon 1989 in den Thesen zum Zerfall und der Aktualisierungen der Thesen zum Zerfall von 2023 umfangreich die einzelnen Aspekte des Zerfalls des Kapitalismus. Heute, mit dem zunehmenden Zerfall, insbesondere dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, hat Europa (die EU) seinen größten Trumpf verloren: seine Stabilität.
Nach 1989 machte Deutschland die EU durch die Bildung eines Tandems mit Frankreich zu einer Säule seiner Macht. Der Beginn des Aufbaus eines militärischen Arms, die Einführung des Euro und die Entwicklung größerer Entscheidungskompetenzen auf europäischer Ebene sorgten dafür, dass der Staatskapitalismus in der EU stärker koordiniert und gelenkt wurde (und sich damit selbstverständlich als Bürokratie weiter aufblähte). Die derzeitige Entwicklung multipler Bruchlinien aufgrund des Vordrängens des Jeder-für-sich auf wirtschaftlicher und imperialistischer Ebene, die die EU mit Fragmentierung bedrohen, können die Stabilität und Macht des deutschen Kapitals nur beeinträchtigen, während die Tendenz, die Verteidigung der Interessen des nationalen Kapitals durch Deutschland in den Vordergrund zu stellen, Deutschland auch zu einer treibenden Kraft der Entwicklung des Jeder-für-sich innerhalb der EU macht.
Osteuropa: Hier sind zahlreiche zentrifugale Kräfte auf Kosten Deutschlands am Werk. Nach 1989 ermöglichte das durch das Verschwinden des Ostblocks entstandene Vakuum den osteuropäischen Staaten den Beitritt zur EU und ihre Integration in die NATO. Dies gestattete es Deutschland zunächst, seinen Einfluss zu vergrößern, und bot dem Kontinent gleichzeitig eine gewisse Stabilität. Doch nun bildet das Streben der meisten Staaten, die dem ehemaligen sowjetischen Machtbereich angehörten, nach NATO-Schutz, und die eher pro-amerikanische Ausrichtung einiger dieser Länder, welche sich wiederum dem Einfluss Deutschlands widersetzt, die wichtigste Bruchlinie. Andere Faktoren (die pro-russische Haltung einiger Regierungen, Chinas Bestreben, seinen Einfluss auf den alten Kontinent auszuweiten), die durch die Machtübernahme populistischer Regierungen, die ihre Autonomie gegenüber der EU einfordern, noch verstärkt werden, führen dazu, dass die destabilisierenden Kräfte unweigerlich zunehmen werden.
Auf wirtschaftlicher Ebene droht der „Globalisierung“ auch in Osteuropa eine Umkehrbewegung.
Westeuropa: Die jüngsten Entwicklungen – seit der Krise von 2008, der Covid 19-Pandemie, den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten – haben auch hier die Tendenz verstärkt, dass jeder auf sich selbst gestellt ist. So verschärfen sich die Interessenkonflikte innerhalb des damaligen deutsch-französischen Tandems in Bezug auf die Steuerung und die Ausübung der Führungsrolle in der EU, vor allem in folgenden Bereichen:
12. Lediglich aus Platzgründen gehen wir an dieser Stelle nur kurz auf die verheerenden Auswirkungen der Umweltzerstörung und die Vernachlässigung der sozialen Infrastruktur ein.
Die Auswirkungen der Umweltzerstörung haben in Deutschland auf verschiedenen Ebenen katastrophale Folgen gehabt (z.B. Dürre, Überschwemmungen, Waldbrände etc.). Unter grüner Regierungsbeteiligung wurden alle (ohnehin fragwürdigen) ökologischen Maßnahmen in der einen oder anderen Form den Erfordernissen der Kriegswirtschaft geopfert.
Da die Wiedervereinigung nach dem Zusammenbruch der DDR u.a. durch die gleichzeitige Vernachlässigung der Infrastruktur im Westen sowie des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens finanziert wurde, sind diese Strukturen besonders stark vom Zerfall betroffen. Der Zerfall ist jedoch viel umfassender und tiefgreifender als die Auswirkungen des Zusammenbruchs des Stalinismus und der Wiedervereinigung und deren langfristige Folgen.
Diese Entwicklung betrifft die herrschende Klasse und ihren Macht- und Parteiapparat. Er äußert sich in der Tendenz, dass die herrschende Klasse die Kontrolle über ihr politische Strategie verliert, was sich in Folgendem äußert:
13. In den letzten 30 Jahren waren alle Parteien mit sinkender Glaubwürdigkeit und zunehmender Desillusionierung konfrontiert. Eine Folge: sinkende Wahlbeteiligung (zumindest bis Anfang 2013), bis insbesondere die Protestpartei AfD aufkam und es schaffte, bisherige Nichtwähler an die Urnen zu locken, um aus Protest die AfD zu wählen.
Die Protestpartei AfD ist inzwischen zur zweitstärksten Partei geworden, der Niedergang der SPD ist unaufhaltsam und auch die CDU befindet sich – mit einigen temporären, eher geringen Zuwächsen – langfristig im Niedergang. Obwohl es innerhalb der Parteienlandschaft Gewichtsverschiebungen gibt, ist der Rückgang historisch und zieht sich durch alle Parteien mit Ausnahme von 2 Parteien (AfD und Grüne).
Am deutlichsten ist die historische Schwächung der beiden Flaggschiffe der Marktwirtschaft zu erkennen – die CDU mit ihrer offenen Propaganda über die Tugenden des Kapitalismus und die SPD mit ihren Reformversprechen – beide sind stark abgenutzt und haben in den letzten Jahren keine wirkliche Erneuerung erreicht.
14. Während es international in fast allen europäischen Ländern einen Aufschwung populistischer und rechtsextremer Kräfte gibt, ist diese Entwicklung auch in Deutschland zu beobachten.
Hauptprofiteur ist die AfD. Insofern spiegelt die Popularität dieser populistischen und rechten Parteien die Perspektivlosigkeit und die Tatsache wider, dass viele, die sonst aus Frust etc. nicht wählen gegangen wären, wieder an die Wahlurnen gelockt wurden. Diese Popularität bedeutet nicht, dass die Protestwähler einen größeren Glauben an die Möglichkeit haben, das bürgerliche System zu verbessern und zu reformieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, in denen populistische oder rechtsextreme Gruppierungen direkt an der Spitze der Regierung beteiligt sind, ist dies in Deutschland noch nicht der Fall. Die Wahlaussagen der AfD stehen zu sehr im Widerspruch zu den Interessen des deutschen Kapitals – (sofern sie für bare Münze genommen werden können): EU-Feindlichkeit (wobei die Machtposition Deutschlands untrennbar mit seiner Dominanz in der EU verbunden ist), Offenheit gegenüber Russland, krude Fremdenfeindlichkeit und allzu brachiale Abwehr von Einwanderern, Blockade der Zuwanderung von ausländischen Fachkräften, unsinnige Verleumdung der ökologischen Katastrophe usw.. Diese „Unfähigkeit zu regieren“ und damit zur „ewigen Opposition auf Bundesebene“ verdammt zu sein, wird die AfD noch lange Zeit zu einem Sammelbecken für Protestwähler machen.
Im Zusammenhang mit dem Erstarken populistischer Kräfte haben rechtsradikale Parteien in den letzten Jahren an Zulauf gewonnen, so dass kleine rechtsradikale Parteien neben und/oder innerhalb der AfD zu einem Sammelbecken für rechtsradikale, oft gewaltbereite Anhänger geworden sind. Gleichzeitig haben rechtsradikale Kräfte eine größere Präsenz im Staatsapparat, insbesondere in den Sicherheitsdiensten, entwickelt. Diese Gruppen propagieren und planen auch immer häufiger offen oder verdeckt gewalttätige Aktivitäten.
Weder die AfD noch die rechtsradikalen Gruppen haben bisher Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung. Diese Kräfte spiegeln aber vor allem die wachsende Gewaltbereitschaft bis hin zu Pogromen in Teilen der Bevölkerung wider, die insbesondere durch eine Hetzkampagne gegen Migrantinnen und Migranten angeheizt wird.
15. Die beiden großen Parteien sind nun auf Koalitionspartner angewiesen. Ohne Koalitionspartner kann keine der beiden großen Parteien eine Koalition führen; lange Zeit bildete eine „große“ Koalition die Regierung, was dem Ruf der Demokratie und dem Ansehen der beiden beteiligten Parteien schadete. Noch konfliktträchtiger sind jedoch „Dreierkoalitionen“. In der jetzigen Konstellation sind die drei Parteien der Koalition jedoch auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen und werden wohl bis zum Ende der Legislaturperiode zusammenbleiben müssen.
16. Um die aktuellen Perspektiven der Arbeiterklasse zu verstehen und eine zukünftige Entwicklung des Klassenkampfes zu prognostizieren, müssen wir uns die historischen Schwächen der Arbeiterklasse in Deutschland in Erinnerung rufen.
Neben der russischen Arbeiterklasse erlitt die Arbeiterklasse in Deutschland die schwerste Niederlage in den revolutionären Kämpfen während der revolutionären Welle 1917-1923. Das Gewicht der Konterrevolution, der desorientierende Einfluss des Rätekommunismus, die Unfähigkeit der schnell im Stalinismus versunkenen KPD und das Unvermögen der KAPD, die wirklichen Lehren aus der revolutionären Welle zu ziehen, und der politische Einfluss der Frankfurter Schule nach 1945 hatten tiefe Narben hinterlassen, als die Arbeiterklasse Ende der 1960er Jahre wieder auf die Bühne trat.
Bei ihrem Wiederauftauchen war die Arbeiterklasse in Deutschland stark durch den kleinbürgerlichen Druck der Studentenbewegung belastet – insbesondere Spontaneität und Organisationsfeindlichkeit in alter rätekommunistischer Tradition wirkten wie eine Fessel. Tausende von jungen Menschen wurden von der extremen Linken aufgesogen und politisch vernichtet oder instrumentalisiert.
In den zwei Jahrzehnten von 1969 bis 1989 folgte die Arbeiterklasse weitgehend den internationalen Entwicklungen, aber sie war nie in der Lage, sich durch massive oder besonders radikale Momente an die Spitze einer internationalen Bewegung zu setzen. Nach 1989 wurde die Arbeiterklasse mit der Euphorie der Wiedervereinigung konfrontiert, durch welchen sie sich jedoch nie wirklich einspannen ließ. Zwar war auch ihre (ohnehin schwache) Kampfbereitschaft im Westen im Rückfluss, und auch ihr Bewusstsein litt unter der Kampagne gegen den Kommunismus.
Darüber hinaus sorgten verschiedene Spaltungskräfte (durch die Millionen Arbeitssuchenden Niedriglohnarbeiter aus Osteuropa) und die Einführung extrem prekärer Arbeitsbedingungen für eine immer größere Zahl von Beschäftigten für weitere Spaltungen innerhalb der Belegschaft, während gleichzeitig in florierenden Branchen relativ hohe Löhne gezahlt wurden.... Inzwischen ist in Deutschland der vielleicht größte Fachkräftemangel in Europa entstanden. Insofern kann man von Spaltungsfaktoren sprechen, die jahrelang dominiert haben – die nun aber durch die Inflation und die Angriffe, die aus der Verschlechterung der Situation resultieren, nivelliert werden und die Basis für ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl bilden können.
17. Die Arbeiterklasse in Deutschland ist von den ideologischen Auswirkungen des Zerfalls in einer Weise geprägt, die sie von anderen Teilen des Proletariats in Europa unterscheidet: Während verschiedene Teile der Arbeiterklasse mit der Frage der Abspaltung bestimmter nach Autonomie strebender Regionen (Spanien, GB) oder des Regionalismus konfrontiert sind, war kein anderer Teil der Arbeiterklasse mit solchen politischen Konsequenzen konfrontiert, die mit den Auswirkungen der Wiedervereinigung vergleichbar sind. Rasch löste dies im Osten eine Nostalgie nach der alten (angeblich) „sicheren Existenz“, Reaktionen der Flucht vor der Realität des Kapitalismus und die Suche nach Sündenböcken sowie Ressentiments im Westen aus.
Die für den Zerfall typische politische und ideologische Verwirrung, die aus der Schwierigkeit oder Unfähigkeit resultiert, die Ursachen und Folgen der Ausbeutung als im Kapitalismus verwurzelt zu verstehen, hat zum Aufkommen von Sündenbockdenken, Fremdenfeindlichkeit, verstärktem Nationalismus, Verschwörungsideologien, reinem Protestverhalten gegenüber „denen da oben“ anstelle von Klassenkonfrontation, Polarisierung um Identitätsfragen, Festhalten an religiösem Fundamentalismus, wachsender Gewaltbereitschaft, Populismus und dem Wiederaufleben rechtsradikaler Bewegungen geführt. Durch das Aufkommen von Bewegungen wie Fridays-for-future und Protesten von Klimaaktivisten sollte die Perspektivlosigkeit dieser Bewegungen noch mehr Verwirrung und Demoralisierung stiften.
Die allgemeine historische Rückständigkeit des Bewusstseins der Arbeiterklasse in Deutschland, in Verbindung mit der politischen Rückständigkeit des Teils der Arbeiterklasse in Ostdeutschland, erklärt die besondere Verwundbarkeit des deutschen Proletariats für die Auswirkungen des Zerfalls und die Wirkung bürgerlicher Kampagnen, die diese ausnutzen, um sie gegen das Proletariat zu wenden. All diese Phänomene haben sich mit der Pandemie, der Verschärfung der Krise und dem ungebremsten Zustrom von Flüchtlingen, der Wohnungsnot, der Verarmung und der ständigen Hetze und dem Aufstacheln durch die Herrschenden aller Couleur usw. noch verschärft.
18. Die Haltung der herrschenden Klasse, die Anpassungen, die von ihren Organen zur Kontrolle des Klassenkampfes in Deutschland produziert werden, belegen, dass die veränderte Situation im internationalen Klassenkampf, die Rückkehr der Kampfbereitschaft der Arbeiter nach mehreren Jahren der Passivität, auch in Deutschland sehr wohl existiert. Die Bourgeoisie setzt alles daran, dem entgegenzuwirken:
19. Die Entwicklung der Kampfbereitschaft der Arbeiter zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen muss sich einen schwierigen Weg bahnen und stößt auf zahlreiche Hindernisse.
Die Angst vor der Zukunft, die demokratischen Illusionen und die Perspektivlosigkeit, die das Proletariat bietet, werden vom Staat in hohem Maße ausgenutzt. Sie geben dem Staat jede Menge Spielraum, um die Ergebnisse der Fäulnis seines Systems, den Aufstieg der extremen Rechten, gegen die Klasse zu wenden und eine riesige Kampagne zur Verteidigung der Demokratie und ihres Systems zu entfachen, die seine Verantwortung für den bestehenden Zustand der Dinge verschleiern und die Klasse auf das Terrain der Verteidigung der bürgerlichen Ordnung locken und sie somit lähmen soll.
Die Existenz von Bewegungen nicht-proletarischer kleinbürgerlicher Zwischenschichten, die Opfer der kapitalistischen Krise sind, wie die aktuellen Proteste von Landwirten (denen sich Kleinunternehmer, Händler und sogar Arbeiter anschließen), birgt für das Proletariat die Gefahr, in klassenübergreifende Kämpfe hineingezogen zu werden, in denen die Klasse in das undifferenzierte Ganze der Masse der 'Bürger' der kapitalistischen Gesellschaft aufgelöst wird.
Die Herausforderung für die Arbeiterklasse besteht darin, ihre eigene Stärke auf ihrem Klassenterrain zu entwickeln, ihre Klassenautonomie zu verteidigen, indem sie Forderungen formuliert, die ihren spezifischen Klasseninteressen entsprechen, und die spezifischen Waffen ihres Kampfes schmiedet, die Vollversammlungen und die Solidarität im Kampf über die Branchengrenzen hinweg.
20. Der Druck auf die Arbeiterklasse, auf die sich verschlechternde Situation zu reagieren, wird zwar zunehmen, doch gibt es mehrere unvorhersehbare Faktoren:
Mit der Verschärfung der Wirtschaftskrise beginnen sich die Angriffe in vielen Bereichen zuzuspitzen: Ein Tsunami von mehreren tausend Stellenstreichungen betrifft die Automobilhersteller (ZF, Michelin, Continental, Bosch), die Automobilindustrie (Ford, VW), die Chemieindustrie (BASF, Bayer), die Versicherungsbranche (Allianz), Siemens, den Handel (Zalando, Karstadt/Kaufhof), Postbank. Kein einziger Bereich wird ausgespart bleiben.
Auch wenn es noch keine offene Reaktion gegen die deutsche Kriegsbeteiligung gibt, ist die Arbeiterklasse nicht bereit, ihr Leben für die Interessen des deutschen Kapitals zu opfern und steht nicht hinter ihrer herrschenden Klasse bei deren Kriegsvorbereitungen. Angesichts der massiven Angriffe auf die Beschäftigung, der Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und der Inflation kann die Zukunft nur von der Entwicklung der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse geprägt sein.
IKS, Anfang März 2024
In den letzten Jahrzehnten ist deutlich geworden, dass die bürgerliche Zivilisation eine ernsthafte Bedrohung für die natürlichen Bedingungen darstellt, die die Grundlage für die menschliche Existenz auf dem Planeten bilden. Es ist auch immer deutlicher geworden, dass die wichtigsten Fraktionen der herrschenden Klasse gezwungen sind, die Schwere der ökologischen Krise anzuerkennen, und sogar ihren Zusammenhang mit den anderen Haupterscheinungsformen einer Gesellschaft im Niedergang, vor allem der Flucht in Militarismus und Krieg.[1] Dieses kürzlich erworbene "Verständnis" wird keineswegs durch die Tatsache aufgehoben, dass andere Teile derselben herrschenden Klasse sich in einen offen irrationalen und selbstmörderischen Leugnungswahn bezüglich der Gefahren des Klimawandels und der Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser zurückziehen. Doch weder Anerkennung noch Leugnung können darüber hinwegtäuschen, dass sich die Bourgeoisie als unfähig erweist, den Moloch der Umweltzerstörung zu verlangsamen, geschweige denn zu stoppen. Wir können vor allem auf das offensichtliche und wiederholte Scheitern der spektakulären COP-Konferenzen der letzten Jahre verweisen.
Diese Entlarvung der Ohnmacht der herrschenden Klasse hat das Bedürfnis nach einer Art ideologischer Kompensation geweckt, insbesondere auf Seiten des linken Flügels der Bourgeoisie. So entstand eine Art "grüner Keynesianismus", die Idee eines "Green New Deal", bei dem der Staat durch die Bestrafung der schlimmsten Umweltverschmutzer und durch Investitionen in "nachhaltige" Technologien nicht nur in die Lage käme, zu verhindern, dass der Klimawandel außer Kontrolle geriete, sondern auch grüne Arbeitsplätze und grünes Wachstum zu schaffen – kurz gesagt, einen gesunden grünen Kapitalismus.
Aber es gibt auch radikalere Stimmen, die schnell auf die Mängel dieser Art von grünem Kapitalismus hinweisen. Zu ihnen gehören vor allem die Befürworter des "Degrowth". Autoren wie Jason Hickel[2] können leicht zeigen, dass der Kapitalismus von dem ständigen Bedürfnis nach Expansion und Wertakkumulation angetrieben wird und dass er die Natur als "kostenloses Geschenk" behandeln muss, das maximal ausgebeutet wird, während er versucht, jede letzte Region des Planeten den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen. Hickel spricht daher von der Notwendigkeit eines Übergangs zu einer postkapitalistischen Wirtschaft.[3] Andere, wie John Bellamy Foster, gehen noch weiter und verweisen explizit auf das wachsende Interesse von Karl Marx an ökologischen Fragen in den späteren Phasen seines Lebens, auf das, was sie Marx' "Öko-Sozialismus"[4] nennen. In jüngster Zeit haben jedoch die Bücher des japanischen Schriftstellers Kohei Saito, der sich aufgrund seiner Beschäftigung mit der neuen Ausgabe der Gesamtwerke von Marx und Engels (dem MEGA-Projekt) eingehend mit den späteren Schriften von Marx befasst hat, enormes Interesse geweckt und beträchtliche Verkaufszahlen erzielt, insbesondere sein jüngstes Werk mit dem Titel Slow Down: How Degrowth Communism Can Save the Earth (2024, der deutsche Titel lautet: Systemsturz – Der Sieg der Natur über den Kapitalismus).
Während Saitos frühere Bücher[5] in einem eher akademischen Stil verfasst waren, handelt es sich bei diesem Buch um eine sehr viel populärere Arbeit, die nicht nur sein Hauptargument präsentiert, dass Marx selbst ein "Degrowth-Kommunist" gewesen sei, sondern auch die Schritte skizziert, die heute zur Einführung des Degrowth-Kommunismus führen könnten. Und in der Tat scheint er auf den ersten Blick über den Kommunismus zu sprechen, wie er von der realen, historischen kommunistischen Bewegung verstanden wird – eine Gesellschaft von frei assoziierten Produzenten, in der es keine Lohnarbeit mehr gibt. Dass er über den Begriff "Ökosozialismus" (der impliziert, dass es Formen des Sozialismus geben kann und gegeben hat, die nicht ökologisch waren, die ökologisch nicht weniger zerstörerisch waren als der Kapitalismus) hinausgehen will und nun von Kommunismus spricht, ist eine Antwort auf die wachsende Suche nach Lösungen, die an die Wurzeln der heutigen Zivilisationskrise gehen. Eine genauere und kritischere Untersuchung von Saitos Argumentation zeigt jedoch, dass dies eine Antwort ist, die nur zu weiteren falschen Lösungen führen kann.
Wie bereits erwähnt, ist Saito nicht der erste, der darauf hinweist, dass der "späte Marx" ein starkes Interesse sowohl an ökologischen Fragen als auch an den gemeinschaftlichen Gesellschaftsformen entwickelte, die der Entstehung der Klassengesellschaft vorausgingen und auch nach dem Aufstieg des Kapitals noch Spuren hinterließen. Spezifisch für Saito ist der Gedanke, dass das Studium dieser Fragen Marx zu einem "epistemologischen Bruch"[6] mit der, wie er es nennt, "linearen, progressiven Sichtweise" der Geschichte, die von "Produktivismus" und "Eurozentrismus" geprägt war, und zu einer neuen Vision des Kommunismus führte. Kurz gesagt, Marx habe den historischen Materialismus zugunsten eines "Degrowth-Kommunismus" aufgegeben. Aber Marx vertrat nie eine "lineare, progressive Sichtweise" der Geschichte. Sein Konzept war vielmehr dialektisch: Die verschiedenen Produktionsweisen haben Perioden des Aufstiegs durchlaufen, in denen ihre sozialen Beziehungen eine echte Entwicklung der Produktion und der Kultur ermöglichten, aber auch Perioden der Stagnation, des Niedergangs und sogar des Rückschritts, die entweder schlicht zu ihrem Verschwinden oder zu einer Periode der sozialen Revolution führen konnten, die eine höhere Produktionsweise einleiten konnte. Im weiteren Sinne lässt sich in diesem historischen Prozess zwar eine allgemein fortschreitende Bewegung erkennen, doch hat jeder Fortschritt bisher seinen Preis gefordert: So äußerten beispielsweise Marx und Engels den Gedanken, dass die Ersetzung des Urkommunismus durch die Klassengesellschaft und den Staat sowohl einen Niedergang als auch einen Fortschritt darstellte und dass der Kommunismus der Zukunft eine Art "Rückkehr auf höherem Niveau" zur archaischen Gesellschaftsform darstellen würde.[7]
In Bezug auf den Kapitalismus wies Marx im Kommunistischen Manifest auf die enorme Entwicklung der Produktionskapazitäten hin, die der Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft ermöglichte. Auch diese Fortschritte wurden durch die rücksichtslose Ausbeutung des Proletariats erkauft, aber der Kampf des Proletariats gegen diese Ausbeutung legte den Grundstein für eine kommunistische Revolution, die die neuen Produktivkräfte in den Dienst der Menschheit stellen könnte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt im Leben des Kapitals wartete Marx ungeduldig auf eine solche Revolution, denn er erkannte die Krisen der Überproduktion als Zeichen dafür, dass die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse bereits zu eng geworden waren für die Produktionskräfte, die sie freigesetzt hatten. Die Niederlage der revolutionären Welle von 1848 veranlasste ihn, diese Ansicht zu revidieren und zu anerkennen, dass der Kapitalismus noch eine beträchtliche Entwicklung vor sich hatte, bevor eine proletarische Revolution möglich würde.
Dies bedeutete jedoch nicht, dass jedes Land und jede Region der Welt dazu verurteilt wäre, genau denselben Entwicklungsprozess zu durchlaufen. Als die russische Volkstümlerin Vera Sassulitsch 1881 an ihn schrieb, um ihn zu fragen, ob die russische Mir- oder Agrarkommune eine Rolle beim Übergang zum Kommunismus spielen könnte, formulierte Marx das Problem folgendermaßen: Während der Kapitalismus in weiten Teilen der Welt noch in den Kinderschuhen steckte, sei "das kapitalistische System im Westen im Verblühen (...) und [nähere] sich der Zeit (...), da es nur noch eine ‚archaische‘ Formation sein wird".[8] Dies bedeute, dass die objektiven Bedingungen für eine proletarische Revolution in den Zentren des Systems schnell heranreiften, und dass, wenn es dazu käme, "das jetzige russische Gemeineigentum am Boden zum Ausgangspunkt für eine kommunistische Entwicklung dienen" könne.[9]
Diese Hypothese bedeutete nicht, dass die Methode des historischen Materialismus aufgegeben wurde. Im Gegenteil, sie war ein Versuch, diese Methode in einer widersprüchlichen Periode anzuwenden, in der der Kapitalismus gleichzeitig Anzeichen eines historischen Niedergangs zeigte, aber immer noch über ein sehr großes "Hinterland" verfügte, dessen Entwicklung seine wachsenden inneren Widersprüche vorübergehend aufhalten konnte. Und Marx war weit davon entfernt, diese Entwicklung, die sich bereits in den imperialistischen Bestrebungen der Großmächte ausdrückte, zu befürworten oder zu unterstützen, sondern sah, dass je früher die proletarische Revolution in den industrialisierten Zentren ausbrach, desto weniger Schmerz und Elend in den Peripherien des Systems verursacht würden. Marx erlebte nicht mehr alle Folgen der Eroberung des Planeten durch den Imperialismus, aber andere, die seine Methode aufgriffen, wie Lenin und Luxemburg, waren in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in der Lage zu erkennen, dass der Kapitalismus als Ganzes in seine Niedergangsepoche eintrat und damit die Möglichkeit – und die Notwendigkeit – einer weltweiten proletarischen Revolution bestand.
Die gleiche Sorge prägte das aufkeimende Interesse des "späten" Marx an der ökologischen Frage. Angeregt durch seine Lektüre von Wissenschaftlern wie Liebig und Fraas, die sich der zerstörerischen Seite der kapitalistischen Landwirtschaft (Liebig nannte sie "Raublandwirtschaft") bewusst geworden waren, die in ihrem Hunger nach sofortigem Profit die Fruchtbarkeit des Bodens erschöpfte und die Wälder mutwillig zerstörte (was sich, wie Marx bereits feststellte, schädlich auf das Klima auswirkte). Wenn die Entwicklung des Kapitalismus bereits die natürlichen Grundlagen für die Produktion der Lebensnotwendigkeiten untergrub, dann ging seine "fortschrittliche Mission" vielleicht zu Ende – aber das machte die Methode nicht ungültig, die die positive Rolle der Bourgeoisie bei der Überwindung der Schranken des Feudalismus zu erkennen vermochte. Darüber hinaus – und Saito ist sich dessen sehr wohl bewusst, da er es in seinen früheren Werken gezeigt hat – kam die Beschäftigung von Marx mit den Auswirkungen des Kapitalismus auf die Beziehung zwischen Mensch und Natur nicht aus dem Nichts: Seine Wurzeln finden sich in dem Begriff der Entfremdung des Menschen von seinem "unorganischen Leib" in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844, ein Begriff, der in den Grundrissen und in Das Kapital weiter ausgearbeitet wurde, insbesondere in der Idee des "gestörten Stoffwechsels" in letzterem Werk. Ebenso findet sich die Erkenntnis, dass die kommunistische Gesellschaft die starre Trennung zwischen Stadt und Land überwinden muss, sowohl in den frühen Schriften von Marx und Engels als auch in der Zeit, in der Marx die Agrarwissenschaft als Voraussetzung für die Wiederherstellung der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens erforschte. Ausarbeitung, Entwicklung, Kritik an überholten Ideen – aber kein "epistemologischer Bruch".
Es gibt noch viel mehr, was wir über Saitos eigentliche Vision des Kommunismus sagen könnten. Insbesondere stützt sie sich stark auf den Begriff der "Allmende" und impliziert, dass vorkapitalistische Gemeinschaftsformen im heutigen Kapitalismus noch immer eine wesentliche Existenz haben und sogar als eine Art Keimzelle für die kommunistische Transformation dienen könnten. Tatsächlich war schon zu Lenins Zeiten deutlich geworden, dass das imperialistische Kapital dabei war, das in der Periode der "ursprünglichen Akkumulation" vollbrachte Werk – die Zerstörung der gemeinschaftlichen Bindungen und die Trennung der Produzierenden vom Land – rasch zu vollenden. Gut ein Jahrhundert später ist dies noch deutlicher zu erkennen. Die riesigen Slums, die die Megastädte in der Peripherie des Systems umgeben, zeugen sowohl von der Zerstörung der alten Gemeinschaftsformen als auch von der Unfähigkeit des dekadenten Kapitalismus, eine große Zahl von Besitzlosen in das "moderne" Produktionsnetz zu integrieren.
Diese Vorstellung, dass die neue Gesellschaft in der Hülle der alten aufgebaut werden könnte, offenbart die vielleicht grundlegendste Verzerrung des Marxismus in Saitos Buch. Natürlich kritisiert Saito den "Green New Deal" – sowohl wegen seiner Abhängigkeit von "Top down"-Maßnahmen, die vom Staat auferlegt werden, als auch weil er das Problem des kapitalistischen Bedürfnisses nach endlosem "Wachstum", das mit der Erhaltung einer gesunden natürlichen Umwelt unvereinbar ist, nicht angeht. Demgegenüber besteht Saito darauf, dass die neue Gesellschaft nur aus einer sozialen Bewegung "von unten" hervorgehen kann. Für Marx war der Kommunismus die wirkliche Bewegung der Arbeiterklasse, die von der Verteidigung ihrer Klasseninteressen ausgeht und zum Umsturz der bestehenden Ordnung führt. Für Saito hingegen ist die soziale Bewegung ein Konglomerat verschiedener „Klassenkräfte“ – neben Versuchen, in den Vierteln heutiger Städte wie Detroit kleine Ausdrucksformen der "Commons" zu schaffen, verweist er auf klassenübergreifende Proteste wie die "Gelbwesten" in Frankreich, Protestgruppen, die von Anfang an auf einem bürgerlichen Terrain angesiedelt sind, wie Extinction Rebellion, eine Reihe von Arbeiterstreiks, die "Bürgerversammlungen", die unter der Schirmherrschaft von Macron als Reaktion auf die Proteste der Gelbwesten eingerichtet wurden. Kurz gesagt, nicht der Klassenkampf, nicht der Kampf der Ausgebeuteten dafür, sich von den kapitalistischen Organen zu befreien, die sie unter Kontrolle halten (wie die Gewerkschaften und die linken Parteien), nicht das Entstehen eines kommunistischen Bewusstseins, das sich in der Bildung von revolutionären Minderheiten äußerte.
Einer der deutlichsten Beweise dafür, dass Saito nicht über den Klassenkampf als Hebel des Kommunismus spricht, ist seine Haltung zur Indignados-Bewegung, die 2011 in Spanien entstand. Es handelte sich um eine Bewegung, die auf einer proletarischen Organisationsform – den Massenversammlungen – basierte, auch wenn sich die Mehrheit ihrer Protagonisten eher als "Bürger" denn als Proletarier sah. Innerhalb der Versammlungen gab es einen Kampf zwischen Organisationen wie "Democracia Ya", die mit den Versammlungen das bereits bestehende "demokratische" System wiederbeleben wollten, und einem proletarischen Flügel, der die Autonomie der Versammlungen gegenüber allen Ausdrucksformen des Staates verteidigte, einschließlich seiner lokalen, kommunalen Tentakel. Saito lobt die "Bewegung der Plätze", spricht sich aber gleichzeitig dafür aus, die Versammlungen auf die Gründung einer kommunalen politischen Partei, Barcelona en Comu, und die Wahl einer radikalen Bürgermeisterin, Ada Colau, zu lenken, deren Verwaltung eine Reihe von "demokratisierenden" Maßnahmen und ökologischen Erklärungen vorgelegt hat. Darüber hinaus hat das Experiment von Barcelona die Bewegung "Fearless Cities" (Städte ohne Angst) ins Leben gerufen, die das gleiche Modell in einer Reihe anderer Städte auf der ganzen Welt anwenden will.
Es handelt sich dabei nicht um die internationale Ausweitung des Arbeiterkampfes – eine Voraussetzung für die kommunistische Revolution –, sondern um eine Struktur für die Reintegration des echten Klassenkampfes ins System. Und sie beruht auf der Ablehnung eines anderen grundlegenden Elements des kommunistischen Projekts, der Lehre, die Marx, Engels, Pannekoek und Lenin aus der Erfahrung der Pariser Kommune von 1871 gezogen haben: dass die Aufgabe des Proletariats, der erste Schritt seiner Revolution, darin besteht, den bestehenden Staatsapparat zu zerschlagen, nicht nur seine Armeen, seine Polizei und seinen zentralen Regierungsapparat, sondern auch seine Gemeinderäte und andere Formen der lokalen Kontrolle. Für Saito hingegen "wäre es töricht, den Staat als Mittel abzulehnen, um Dinge zu erreichen, wie die Schaffung von Infrastruktur oder die Umgestaltung der Produktion" (Slow Down, S. 232). Dies läuft auf einen "Green New Deal" von unten hinaus, nicht auf den revolutionären Umsturz der bestehenden Verhältnisse.
Dies ist nicht der Ort, um auf die immensen Herausforderungen einzugehen, die sich der Arbeiterklasse stellen werden, sobald sie die Macht in die Hand genommen und den Übergang zum Kommunismus eingeleitet hat. Natürlich wird die ökologische Frage im Mittelpunkt stehen, und dies wird eine Reihe von Maßnahmen erfordern, die darauf abzielen, den Trieb zur Akkumulation zu unterdrücken und ihn durch die Produktion für die Bedürfnisbefriedigung zu ersetzen – nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auf dem gesamten Planeten. Sie wird auch die Demontage des gigantischen Apparats der Verschwendungs-Produktion verlangen, der die Klimakatastrophe mitverursacht: die Rüstungsindustrie, die Werbung, das Finanzwesen und so weiter. Wie wir an anderer Stelle[10] gezeigt haben, haben auch frühere Marxisten von Bebel bis Bordiga von der Überwindung des durch den Akkumulationsprozess angeheizten Wahnsinns, von der "Verlangsamung" der Hektik des Lebens unter dem Kapital gesprochen. Aber wir bezeichnen das nicht als "Degrowth", und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil der Kommunismus die Grundlage für eine echte "Entwicklung der Produktivkräfte" mit einer völlig neuen Qualität ist, die mit den wirklichen Bedürfnissen der Menschheit und ihrem Stoffwechsel mit der Natur vereinbar ist. Und zweitens, weil das Reden über "Degrowth" im Rahmen des bestehenden Systems – und Saitos "Kommunismus" entgeht dem nicht – leicht als Rechtfertigung für die vom bürgerlichen Staat verordnete Sparpolitik verwendet werden kann, als Grund für die Arbeiterklasse, ihre "egoistischen" Kämpfe gegen Lohn- oder Arbeitsplatzabbau einzustellen und sich daran zu gewöhnen, ihren Konsum noch mehr zu reduzieren.
Amos (April 2024)
[1] Vgl. unsere Aktualisierung der Thesen zum Zerfall (2023) [104], Internationale Revue 59
[2] Less is More: How Degrowth Will Save the World, 2020 (auch auf Deutsch: Weniger ist mehr – Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind)
[3] Hickels Kritik am Grünen New Deal geht jedoch nicht sehr weit: Für ihn förderte der New Deal der 1930er Jahre das Wachstum, "um den Lebensunterhalt der Menschen zu verbessern und fortschrittliche soziale Ergebnisse zu erzielen ... die frühen progressiven Regierungen behandelten Wachstum als einen Gebrauchswert" (S. 94 im Original). In Wirklichkeit war das Ziel des New Deal die Rettung des Kapitalismus und die Vorbereitung auf den Krieg ...
[4] Beispielsweise Marx’s Ecology: Materialism and Nature, 2000 (auf Deutsch: Marx‘ Ökologie – Materialismus und Natur)
[5] Karl Marx’s Ecosocialism: Capital, Nature and the Unfinished Critique of Political Economy 2017; Marx in the Anthropocene: Towards the Idea of Degrowth Communism, 2022
[6] Saito entlehnt diesen Begriff von Althusser, einem sehr raffinierten Apologeten des Stalinismus, der ihn auf das anwandte, was er als den Übergang vom jugendlichen, idealistischen Marx der Manuskripte von 1844 zum knallharten Wissenschaftler von Das Kapital ansah. Wir haben hier dagegen argumentiert: The study of Capital and the foundations of Communism [105] („Das Studium des Kapitals und die Grundlagen des Kommunismus“), International Review (engl./frz./span. Ausgabe) Nr. 75. Wenn es einen solchen Bruch gab, dann fand er statt, als Marx mit der radikalen Demokratie brach und sich mit dem Proletariat als Träger des Kommunismus identifizierte, etwa 1843/44.
[7] Beispielsweise in den Schlussfolgerungen von Engels in Der Ursprung der Familie, der Privateigentums und des Staats
[8] MEW Bd. 19 S. 398. Vgl. auch The Mature Marx - Past and Future Communism [106], International Review 81 (engl./frz/span. Ausgabe).
[9] MEW Bd. 19. S. 296. Vgl. auch The Mature Marx - Past and Future Communism [106], International Review 81 (engl./frz/span. Ausgabe).
[10] Vgl. Bordiga und die Großstadt [107], IKSonline Juli 2020
"Die Kommunisten sind da! Vorwärts zur britischen Revolution! Die Notwendigkeit, zu Lenin zurückzukehren; Kommunismus ist die einzige Lösung; Der Aufbau einer neuen Internationale!" Dies sind einige der Slogans der Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT) in der Kampagne für das, was sie "eine Wiedergeburt, eine Renaissance!" ihrer Organisation nennt, "indem sie die Menschen auf einer direkt kommunistischen Basis anspricht".
Dem Beispiel der Sektion der IMT in Großbritannien folgend, haben mehrere nationale Sektionen den Namen ihrer Organisation und ihrer Zeitung geändert: Verweise auf "Sozialismus" werden durch "Kommunismus" ersetzt! Auf einer internationalen Konferenz, die vom 10. bis 15. Juni stattfand, wurde die Internationale Marxistische Tendenz in Revolutionäre Kommunistische Internationale (RKI) umbenannt.[1]
Der unmittelbare Grund für diese scheinbar radikale Veränderung war der Ausschluss der Gruppe Socialist Appeal aus der britischen Labour Party im November 2022, gefolgt vom Ausschluss der PCB-RR[2] aus der brasilianischen Kommunistischen Partei im Juli-August 2023.
Für die IMT ist dies ein glorreicher Abschied von der historischen "Entrismus"-Strategie des Trotzkismus – das Ende der Politik, die Trotzki in den 1930er Jahren befürwortete, als er vorschlug, dass die sich politisch auf seine Positionen beziehenden Gruppen selbst auflösen und den sozialistischen Parteien als Fraktion beitreten sollten, um in ihnen Einfluss zu gewinnen. Heute rühmt sich die IMT, die wahrscheinlich eine der letzten Organisationen ist, die bis heute eine Entrismus-Politik verfolgt hat, mit der Ankündigung "eines sauberen Bruchs mit der so genannten 'Linken'. Wir wollen viel mehr, in Worten und in der Praxis".[3]
Mit der jetzigen umfangreichen Kampagne will sich die IMT als echte politische Organisation der Arbeiterklasse ins Rampenlicht stellen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die IMT ist keine Organisation der Arbeiterklasse, sie wird es nie sein, und das Gleiche gilt für alle ihre Vorgänger seit dem Zweiten Weltkrieg: die WIL, die RCP, die RSL, die Militant Tendency, die CWI und das CMI.[4]
Ted Grant, der Gründungsvater der IMT, begann seine politische Laufbahn in den 1930er Jahren. Er wurde Mitglied der britischen Workers' International League, der WIL, "dem direkten Vorfahren in gerade Linie der heutigen IMT".[5] Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die Gruppen, die mit der von Trotzki inspirierten Opposition verbunden waren, noch Teil der Arbeiterklasse waren, auch wenn sie bereits zunehmend enorme politische Verwirrungen verkörperten. Ende der 1930er Jahre beschlossen sie Schritt für Schritt, den demokratischen Bourgeoisien im imperialistischen Krieg gegen die faschistischen Regime in Europa ihre "kritische" Unterstützung zu geben und verrieten das Prinzip des proletarischen Internationalismus, das für proletarische Organisationen von zentraler Bedeutung ist.
Dasselbe geschah auch mit der WIL. Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht war die WIL damit einverstanden, Trotzkis "berühmtes 'Proletarisches Militärisches Programm' anzunehmen, das im Grunde eine Anwendung des Übergangsprogramms auf eine Periode des allgemeinen Krieges und Militarismus war. (...) Sie konzentrierte sich auf die Forderung nach einer obligatorischen militärischen Ausbildung der Arbeiterklasse in speziellen vom Staat getragenen Schulen, unter der Obhut von offiziell gewählten Offizieren, jedoch unter der Kontrolle der Arbeiterinstitutionen, womit insbesondere die Gewerkschaften gemeint waren. Es liegt auf der Hand, dass kein kapitalistischer Staat solche Forderungen der Arbeiterklasse bewilligen konnte, wenn dies die Existenz des Staates in Frage gestellt hätte".[6]
Diese Politik war im Wesentlichen eine Art Neuauflage der von Trotzki Anfang der 1920er Jahre im revolutionären Russland vertretenen Position: die Kontrolle der Arbeiterklasse durch die Militarisierung der Arbeit unter der Leitung der Gewerkschaften. Aber die Politik der Rekrutierung für die kapitalistische Kriegsmaschinerie auf "proletarischer" Basis im imperialistischen Krieg gegen den "Hitlerismus" war nur ein Vorwand, um eine maximale Anzahl von Arbeitern zu mobilisieren, die schließlich in die Struktur der regulären bürgerlichen Armee eingezogen wurden. Diese Politik implizierte auch, dass die Arbeiterklasse nicht nur die westlichen Demokratien, einschließlich der USA, die von der IMT als "die reaktionärste Kraft auf dem Planeten" bezeichnet werden, sondern auch die stalinistische Sowjetunion verteidigen sollte. Der Titel eines Artikels von Ted Grant im April 1943: Aid Red Army with Lenin's Weapon (Helft der Roten Armee mit Lenins Waffe), nahm kein Blatt vor den Mund, was die Position der WIL in diesem imperialistischen Krieg betraf.
Wie die WIL positionierte sich der Trotzkismus mit dieser Politik eindeutig als linksradikale Fraktion der herrschenden Klasse. Und seit diesen Jahren haben Ted Grant und seine Mitstreiter konsequent das eine oder andere imperialistische Lager bei den Schlächtereien unterstützt, die stattfanden, sei es in Korea, Vietnam, Afghanistan, Angola, Irak usw.
Auch 2014 im Krieg im Donbass ergriff die IMT Partei für eines der kriegführenden Lager. Sie unterstützte die "Volksrepubliken" gegen die ukrainische Regierung und behauptete: "Die Anti-Maidan-Bewegung – die Quelle der Unterstützung der Rebellen durch die Bevölkerung – hatte einen deutlich stärkeren Charakter der Arbeiterklasse" und "der Aufstand im Donbass stützte sich weitgehend auf die arbeitende Bevölkerung der Region".[7] In Wirklichkeit waren sie jedoch nur Stellvertreter des russischen Imperialismus und völlig abhängig von der militärischen Macht der russischen Armee.
In Bezug auf den Krieg, der im Februar 2022 begann, ist die Position der IMT nicht so deutlich wie beim Krieg im Donbass. Aber trotz all ihrer angeblich internationalistischen Erklärungen wie: "wir können in diesem Krieg keine Seite unterstützen, weil es sich um einen reaktionären Krieg auf beiden Seiten handelt", und sogar: "ein Konflikt zwischen zwei Gruppen von Imperialisten", ist ihre Präferenz immer noch überwiegend auf Russland gerichtet. Dies geht aus einem Artikel über den Krieg in der Ukraine hervor, in dem es heißt, dass die Kommunisten kämpfen müssen gegen:
- "NATO und gegen den amerikanischen Imperialismus – die konterrevolutionärste Kraft auf dem Planeten";
- "die Amerikaner und die NATO (...) die aggressivsten und reaktionärsten imperialistischen Kräfte";
- "das verabscheuungswürdige Verhalten der Kiewer Regierung, ihre Kollaboration mit reaktionären Faschisten".[8]
Im Falle des gegenwärtigen Krieges im Nahen Osten verteidigen sie die palästinensische Bourgeoisie, obwohl sie schreiben, dass "wir die Hamas nie unterstützt haben. Wir teilen weder ihre Ideologie noch billigen wir die Methoden, die sie anwendet. Aber unsere Differenzen mit der Hamas sind zwar grundlegend, aber nicht annähernd so grundlegend wie die Unterschiede, die uns vom US-Imperialismus (...) und seinen Komplizen, der israelischen herrschenden Klasse, trennen".[9]
All diese Beispiele, die älteren und die neueren, zeigen, dass der angebliche Internationalismus der IMT ein reiner Betrug ist, und ihre Slogans, die vorgeben, ihre Unterstützung für den revolutionären Kampf der Arbeiterklasse auszudrücken, sind bare Lüge! Die IMT ist, wie alle anderen trotzkistischen Organisationen, ein Instrument der Konterrevolution, das dazu bestimmt ist, jeden Kampf der Arbeiterklasse für den Sturz des Kapitalismus zu sabotieren.
Unsere Vorgänger der Gauche Communiste de France (GCF) haben bereits in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg darauf hingewiesen, als sie schrieben: "Die ganze Geschichte des Trotzkismus dreht sich um die 'Verteidigung' von etwas im Namen des 'kleineren Übels', wobei dieses alles andere als die Interessen des Proletariats ist." Und: "Ausgehend von der ewigen Wahl des 'kleineren Übels' haben sich die Trotzkisten am imperialistischen Krieg beteiligt"[10]. Die Gauche Communiste de France führte weiter aus, dass trotzkistische Erklärungen zum Krieg in der Regel "mit einer allgemeinen Erklärung gegen den Krieg beginnen. Aber sobald sie die Litanei über den 'revolutionären Defätismus' zitiert haben, kommen sie zu den konkreten Fragen und beginnen, Unterscheidungen zu treffen, beginnen mit dem Wenn und Aber, was in der Praxis dazu führt, dass sie sich bestehenden Kriegsfronten anschließen und die Arbeiter auffordern, sich am imperialistischen Gemetzel zu beteiligen".[11] Dies zeigt, dass für den Trotzkismus die politische Praxis entscheidender ist als seine politischen Positionen und dass seine Praxis unerbittlich auf die Mobilisierung für den imperialistischen Krieg ausgerichtet ist
Der Trotzkismus ist im Grunde genommen der Stalinismus ohne die Staatsbürokratie und den Archipel Gulag. Im Übrigen gibt es keinen grundlegenden politischen Unterschied zu den stalinistischen Parteien. Aber er tarnt seinen bürgerlichen Charakter hinter der Figur Trotzkis, der bis zu seiner Ermordung ein Revolutionär war. Es versteht sich von selbst, dass der Trotzkismus fest in den kapitalistischen Verhältnissen verankert ist und dass seine gesamte Dynamik von den Bedürfnissen des Kapitals bestimmt wird.
Seit dem Verrat des Trotzkismus während des Zweiten Weltkriegs haben wir viele "Wiedergeburten" innerhalb dieser Strömung erlebt, aber abgesehen von den Versuchen einiger Aktivisten wie Munis, Stinas usw., mit dem Trotzkismus zu brechen, haben sie nie zu Organisationen geführt, die sich dem Lager der Arbeiterklasse angeschlossen hätten. Und auch die jüngste Änderung der Politik der IMT wird keine grundsätzliche Wende herbeiführen. Der Grund dafür ist die Unmöglichkeit für bürgerliche Organisationen, Teil der Arbeiterklasse zu werden. Und das gilt auch für alle politischen Organisationen, die einmal Teil der Arbeiterklasse waren und dann in das Lager der Bourgeoisie übergegangen sind.
Die IMT kann tausendmal schreien, dass sie eine "Wiedergeburt" erlebt hat, aber diese "Wiedergeburt" geht nicht viel weiter als die Änderung der Namen der Organisation, ihrer Zeitungen und ihrer Sektionen. Sie hat sich von der "Linken" distanziert, sieht sich aber immer noch als Teil desselben politischen Umfelds und bezeichnet sogar die Labour Party in Grossbritannien weiterhin als "reformistisch", d.h. als eine Art Schwesterorganisation, die lediglich Fehler macht.
Wir stimmen mit der Communist Workers Organisation (CWO) überein, dass der neue Name der Sektion der IMT in Grossbritannien, Revolutionäre Kommunistische Partei, bedeutet: "Raus mit dem Alten, rein mit dem Alten".[12]
Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, zu behaupten, dass sie "eine bankrotte politische Tendenz" geworden sei, wie die CWO in demselben Artikel schreibt. Der Trotzkismus ist und bleibt ein wichtiges Instrument für die Bourgeoisie, um Minderheiten in der Klasse, die sich unter dem Einfluss des Arbeiterkampfes oder des imperialistischen Krieges radikalisieren, zu kontrollieren und auf unergiebige Fährten zu führen. Was wir heute sehen, ist eine Politik der Wiederbelebung der IMT unter dem Deckmantel der "internationalistischen Internationale", damit sie ihre Rolle als Hindernis auf dem Weg zu massiveren und politisierten Klassenauseinandersetzungen besser spielen kann.
Dennis, 12. Juli 2024
[1] Im deutschsprachigen Raum hat sich die IMT-Sektion Der Funke in Revolutionäre Kommunistische Partei umbenannt.
[2] Brazilian Communist Party – Revolutionary Refoundation
[3] How the communists in Britain are preparing for power [108], The Communist vom 2. Mai 2024
[4] Die Revolutionary Communist Party RCP, die Revolutionary Socialist League RSL, die Militant Tendency, das Committee for a Workers International CWI und das Committee for a Marxist International CMI
[5] Siehe: Trotsky’s suppressed letter: an introduction by Alan Woods [109], The Communist vom 8. Februar 2019
[6] Die Ermordung Trotzkis im Jahre 1940 [110], Internationale Revue 27, 2001
[7] Perspectives for the People’s Republics: The external and domestic struggle of the left and progressive forces [111], IMT (marxist.com)
[8] Quelle: The Ukrainian conflict: is this the start of World War III? [112], IMT (marxist.org)
[9] Down with hypocrisy! Defend Gaza! – RCI statement [113] (marxist.org)
[10] Internationalisme 1947: Was die Revolutionäre von den Trotzkisten unterscheidet [114], Internationale Revue 45, 2010
[11] ebenda
[12] Revolutionary Communist Party: Out with the Old, In with the Old [115], ICT (leftcom.org). Der Titel spielt an auf “Out with the old, in with the new” aus der Kuppelstadt im Buch Logan's Run, die nicht genug groß ist. Deshalb werden Bürger, die das Alter von 30 Jahren erreichen, rituell getötet, woraufhin sie angeblich reinkarniert würden.
Stärker denn je wütet zur Zeit eine Zerstörungsspirale, die die ganze Gesellschaft, ja den ganzen Planeten in den Abgrund zu reißen droht: Kriege; Vernichtung der Überlebensgrundlagen der Natur mit immer katastrophaleren Folgen; auf wirtschaftlicher Ebene attackieren Protektionismus, Sanktionen bzw. Subventionen die Notwendigkeit des Kapitalismus zu freier Waren- und Kapitalzirkulation und Investitionen; immer größere Flüchtlingswellen, von denen ein wesentlicher Anteil in die Industriezentren strömt und dort die Fremdenfeindlichkeit anfeuert; irrsinnige Polarisierungen innerhalb der Gesellschaft; eine immer mehr verrottende Politikerkaste, die außer Aufstacheln, Lügen, Mystifikationen, Täuschungsmanövern nichts anzubieten hat.
Die „historische Aufgabe“ des Kapitalismus, über die Warenbeziehungen die ganze Welt miteinander in Abhängigkeit zu bringen, ist nach zwei Weltkriegen mit dem Eintritt in den Zerfall längst hinfällig geworden. Diese niedergehende Gesellschaftsform, die in ihrer Fäulnis keinen Ausweg und nichts anderes als Krieg, Zerstörung, Konkurrenzkampf mehr bieten kann, muss überwunden werden.
Diese verheerende Entwicklung mit der Dynamik des „Jeder für sich“, „Jeder gegen jeden“ hat die herrschende Klasse in Deutschland voll erfasst. Wir wollen in diesem Artikel darauf eingehen, wie sich das für die Bourgeoisie in Deutschland auswirkt und vor welcher Alternative die Arbeiterklasse steht.
In unserer Resolution des 25. Internationalen Kongresses haben wir die internationale Lage analysiert und aufgezeigt, „dass die vielfältigen Widersprüche und Krisen des kapitalistischen Weltsystems – ökonomisch, medizinisch, militärisch, ökologisch, sozial – immer mehr zusammenkommen und sich gegenseitig beeinflussen, um eine Art „Strudeleffekt“ zu erzeugen, der die Zerstörung der Menschheit zu einem immer wahrscheinlicheren Ergebnis macht“.[1] Ob Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiekrise, ob die wachsende Konfrontation zwischen USA und China und die Lage der deutschen Exportindustrie, ob die wachsende Perspektivlosigkeit und die Explosion der Verschwörungstheorien. Zwischen diesen sich verschärfenden Widersprüchen muss auch die herrschende Klasse in Deutschland lavieren und versuchen, ihre bisherige Führungsposition mit aller Kraft zu verteidigen.
Die Exportnation Deutschland ist noch mehr als andere von einem funktionierenden Weltmarkt abhängig. Daher steht Deutschland mit an vorderster Stelle im weltweit tobenden Konkurrenzkampf; ja es ist eine Frage des Überlebens. Deutschland wird insbesondere von China und den USA in die Enge getrieben. So droht der größte deutsche (und europäische) Autokonzern VW gegenüber chinesischer Konkurrenz unter die Räder zu kommen. Gleichzeitig ist es nach Trumps Sieg nur eine Frage der Zeit, wann die erste amerikanische Angriffswelle auf ökonomischer Ebene kommt; Handelszölle von 10-20% werden die bislang großen Handelsüberschüsse mit den USA gefährden. Als bislang führende Wirtschaftsmacht will Deutschland weiterhin eine leitende Rolle in der EU übernehmen. Eine Herausforderung ist dabei, wie die zerstrittene EU unter einen Hut zu bringen ist – wie der jüngste EU Gipfel in Budapest kurz nach Trumps Wahl verdeutlichte. Die EU-Kommission fordert 800 Mrd. Euro, um sich für die globalen Herausforderungen mit China, USA, Russland zu wappnen.
Für jedes nationale Kapital heißt dies modernisieren, massive Staatshilfen für die Industrie in den neuralgischen Bereichen, Kosten runterfahren und sparen. In der Automobilindustrie wird dies zurzeit am deutlichsten, wo bis zu 250.000 Arbeitsplätze wegfallen und ganze Werke geschlossen werden sollen (die meisten bei Zulieferern). Der Umfang der Stellenstreichungen bei VW zeigt, dass wir erst am Anfang einer ganzen Welle von Kürzungen stehen. Auch in anderen Branchen[2] ist massiver Arbeitsplatzabbau geplant, all das verbunden mit Kürzungen in anderen Bereichen. Auf ökonomischer Ebene stellt dies in gewisser Hinsicht eine Zeitenwende dar, denn damit kommt das Schreckgespenst von Massenentlassungen, Werksschließungen, massiven Kürzungen wieder zurück, das in den letzten 30 Jahren fast vergessen schien. Gleichzeitig muss man für ausreichend qualifizierte, aber auch unqualifizierte billige Arbeitskräfte sorgen, denn in vielen Sparten gibt es weiterhin Arbeitskräftemangel – und das auf dem Hintergrund einer voll entfachten migrantenfeindlichen Kampagne.
Wichtig ist aber auch, die weniger bekannten ökonomische Folgen im Blick zu haben, da diese das Sicherheitsgefühl und den Glauben in diese Gesellschaftsform untergraben: Nur einige alltägliche Beispiele: In den Metropolen wird die Taktung im überfüllten Nahverkehr heruntergefahren, Rettungsfahrzeuge kommen immer später, ICEs bleiben liegen, Stromausfälle werden erst nach Tagen behoben, Krankenhäuser werden geschlossen und Brücken oder Tunnels werden gesperrt (oder stürzen gar ein wie in Dresden), eklatanter Wohnungsmangel ... Überall fehlt Personal oder/und wurde die Infrastruktur vernachlässigt. Dies nährt das Gefühl, dass es bergab geht und sich niemand um die „Sorgen der kleinen Leute“ kümmert. Das wirkte beim Erfolg von Trump als eine Triebfeder. Deutschland gilt wegen seiner fortdauernden Rezession mittlerweile als der „kranke Mann“ Europas – anstatt wie früher eine Wachstumslokomotive zu sein.
Gleichzeitig steht Deutschland immer mehr an zentraler Stelle im nun schon fast drei Jahre dauernden Krieg in der Ukraine. Zunächst hatte man die Ukrainebesetzung als Anlass genommen, um die Aufrüstung in Deutschland durch die Verdoppelung des Rüstungshaushaltes massiv voranzutreiben. Mittlerweile ist Deutschland zum größten europäischen Finanzierer der Ukraine geworden – eine Fortsetzung des Krieges ohne die entscheidende Rolle Deutschlands wäre kaum denkbar. Die ganze NATO und Deutschland als kräftigster Unterstützer in Europa geraten nun durch Trumps Wahl noch mehr gegenüber der Ukraine in Zugzwang, um eventuelle Kürzungen der US-Unterstützung der Ukraine zu kompensieren. Weil die USA sich unter Trump noch mehr auf die Kriegsvorbereitungen mit China fokussieren werden, selbst wenn sie weiter im Nahen und Mittleren Osten militärisch aktiv bleiben müssen, werden die USA weniger Gewicht auf Europa legen. Dies schafft einerseits einen Spielraum für deutsche Führungsansprüche und anderseits einen Zwang für mehr vereinigte Rüstungsanstrengungen.
Gleichzeitig verlangt die imperialistische Entwicklung eine Anpassung der Bündnisbestrebungen in einer Situation, in der immer mehr imperialistische Widersprüche und Interessengegensätze aufeinanderprallen. Wie sieht die geostrategisch-politische Orientierung Deutschlands aus, nachdem die besondere Beziehung zu Russland auf Jahre hin zerstört ist, es bei den USA eine Interessensverlagerung gibt und China selbst ökonomisch und politisch aggressiv auftritt? Die EU als politisches und ökonomisches Organ kann nur mit einer starken Beziehung zu Frankreich bewegt werden[3]. Doch steckt sowohl Frankreich in einer politischen Krise als auch wird die EU selbst von starken Partikularinteressen zerrissen. Dies wird ersichtlich in besonderen Beziehungen mit den USA, wie im Falle Polens u. a. oder Ungarn mit Russland – und in den bekannten Gesichtern des Zerfalls wie Populismus oder „Jeder für sich selbst“. In Wirklichkeit gehen die Interessen innerhalb der EU weiter auseinander (wie gegenüber den Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine, aber auch in den Beziehungen zu China).
Kurzum, ob Verdoppelung des Kriegshaushaltes für die Bundeswehr, ob verstärkte Anstrengungen für die Nato, ob gar Erhöhung der Unterstützung für die Ukraine, all diese Gelder müssen aufgetrieben und die Bevölkerung für die Finanzierung aller dieser Maßnahmen breitgeschlagen werden. Eine weitere, ins Auge gefasste Aufhebung der Schuldengrenze zur Finanzierung der Kriegsausgaben würde nicht ausreichen; umfangreiche, schmerzhafte Einschnitte sind aus Kapitalsicht unausweichlich. Vor allem muss die Arbeiterklasse ideologisch auf die Seite des Staates gezogen werden, denn bislang ist die Arbeiterklasse weder bereit, für einen Krieg ihr Leben zu lassen, noch den Gürtel enger zu schnallen für die Kriegskasse.
Neben dem Handelskrieg, dem immer brutalerem Konkurrenzkampf und den Rüstungsanstrengungen werden die Kosten für die Umweltzerstörung immer exorbitanter. All das wird mehr und mehr Gelder erfordern, bei denen der Staat auch führender Geldgeber sein muss. Auch wenn es zwischen CDU und SPD/Grünen unterschiedliche Akzente gibt, werden sie alle nicht umhinkönnen, umfangreiche, schuldenfinanzierte Investitionspakete für einen angeblich umweltfreundlicheren technologischen Umbau zur Verfügung zu stellen. Dies sind einige der zentralen Herausforderungen, denen sich das deutsche Kapital konfrontiert sieht.
Konfrontiert mit diesen Herausforderungen und auf dem Hintergrund weltweit agierenden Kräfte ist auch die deutsche Bourgeoisie immer mehr von dem Zerfallsprozess der kapitalistischen Gesellschaft betroffen[4]. Auffallend sind dabei die zunehmenden politischen Schwierigkeiten der Herrschenden, die politische Parteienlandschaft bestmöglich in ihrem Interesse zu „gestalten“ und entsprechend zu steuern.
Der weltweit sichtbare Trend, dass überall die klassischen Parteien der herrschenden Klasse an Vertrauen eingebüßt haben und sich weltweit Populisten im Auftrieb befinden, hat auch Deutschland voll erfasst. Dieser Verlust der Glaubwürdigkeit wird bei allen klassischen Regierungsparteien ersichtlich. Die Parteien der vormaligen „Großen Koalition“ (SPD-CDU) hatten unter Merkel stark an Ansehen verloren, ebenso hatte die Ampel-Koalition in den drei Jahren ihrer Tätigkeit enorm an Stimmenanteilen verloren (die SPD sackte von 25% auf prognostizierte 16%, die Grünen von fast 15% auf gerade einmal über 10%, die FDP von 11% auf deutlich unter 5% … ab).
Und wenn die CDU, die unter Merkel ebenso beträchtlich an Popularität verloren hatte, im Augenblick in führender Position liegt, verkörpert sie keinesfalls Erwartungen auf eine Verbesserung der Lage. Lediglich die Populisten, die Rattenfänger der AfD und mittlerweile BSW profitieren von dem Verschleiß und der Legitimationskrise der traditionellen Parteien, obwohl sie selbst keine Lösung irgendeiner Art anzubieten haben, sondern ein eskalierender Ausdruck der Verantwortungslosigkeit wachender Teile der Bourgeoisie selbst sind.
Dieses Schrumpfen der traditionellen Parteien und der Umstand, dass mittlerweile die AfD und BSW in Ostdeutschland gar parlamentarische Mehrheiten bilden (könnten), erschwert der herrschenden Klasse zunehmend die Kontrolle über die Steuerung des politischen Prozesses.
Die Dezimierung einiger der traditionellen Parteien heißt auch, dass für die Bildung einer Koalition mittlerweile drei Parteien erforderlich sind, was das Konfliktpotential vergrößert.[5] Die lange Zeit an der Macht befindliche Große Koalition (SPD-CDU-CSU), die zwar über eine ausreichende parlamentarische Mehrheit verfügte, konnte aber deren Glaubwürdigkeitsverlust – insbesondere der CDU/CSU nicht verhindern, sondern trieb diesen nur voran. Egal welche Partei oder Parteienkoalition in der Regierung sitzt, ein weiterer, tiefer Glaubwürdigkeitsverlust ist vorprogrammiert.
Erschwerend für die Bourgeoisie ist dabei, dass das Schrumpfen der jeweiligen Regierungsparteien und das Wachsen der Protestparteien ein neues Element der Unberechenbarkeit hervorgebracht hat. Die Protestparteien, die sich inhaltlich nur durch noch mehr Hetze, Perspektivlosigkeit, mangelnde Kohärenz, innere Zerstrittenheit, Flügelkämpfe hervorheben, haben mittlerweile solch ein Gewicht erlangt, dass die alten etablierten Parteien (CDU-SPD) sich auf Landesebene vom BSW tolerieren lassen müssen oder gar Koalitionen mit ihm eingehen müssen.
Die Dynamik des „Jeder für sich“ und des Zerfledderns und Wegbrechens von Teilen der traditionellen Parteien ist nicht nur bei der FDP zu sehen, deren erwarteter Stimmenanteil nahezu bei 2-3% liegt und deren Ausstieg aus der Regierung zeigt, dass auch die traditionellen Parteien von der Dynamik der wachsenden Verantwortungslosigkeit erfasst sind.[6] Reihenweise Austritte bei den Grünen belegen die gleiche Tendenz. Und die Bildung des BSW, selbst eine Abspaltung von der total geschrumpften Partei Die Linke, entspricht diesem gleichen Trend. Die parteiinterne Fähigkeit, eine gemeinsame Position zu erarbeiten, wird zunehmend durch interne Machtkämpfe ersetzt. Der Grad des Zusammenhalts und die Einigkeit der Parteien unterscheiden sich in gewisser Weise nur dadurch, wie viel davon öffentlich wird.
Während eigentlich für das deutsche Kapital eine größere Geschlossenheit und Zusammenhalt der Parteien in Anbetracht der oben erwähnten Herausforderungen geboten wäre, sehen wir als dominante Tendenz Destabilisierung, Fragmentierung, wachsende Unberechenbarkeit und zunehmende Verantwortungslosigkeit. Die deutsche Bourgeoisie zählt zwar zu den gewieftesten und erfahrensten Teilen der herrschenden Klasse auf internationaler Ebene, doch wachsen auch bei ihr ebenfalls massiv die Schwierigkeiten sich selbst zu „organisieren“.[7]
Auf der einen Seite nimmt das Gewicht der Protestparteien zu, ohne dass man sie selbst auf Bundesebene ans Ruder lassen will/kann, weil sie keine den Interessen des deutschen Kapitals entsprechende Ausrichtung vertreten, auf der anderen Seite lässt sich ihr Einfluss nicht vermeiden. Egal welche Koalition nach Neuwahlen gebildet werden wird, die grundsätzlichen Probleme der deutschen Bourgeoisie werden damit nicht verschwinden, sondern die Auseinandersetzungen innerhalb des bürgerlichen Lagers werden noch mehr zunehmen.
Welche möglichen Optionen sich innerhalb des bürgerlichen Lagers durchsetzen werden, lässt sich zur Zeit schwer abschätzen – jedenfalls wird das deutsche Kapital bei all den erforderlichen Angriffen gegen die Arbeiterklasse nicht auf die treuen Dienste der Sozialdemokratie (und der Gewerkschaften an ihrer Seite) verzichten können, die am meisten Erfahrung hat im Durchboxen von Angriffen gegen die Arbeiterklasse, während die anderen Parteien auf dieser Ebene viel weniger geschickt und erfahren sind.
All diese Schwierigkeiten der bürgerlichen Parteien untereinander hindern sie selbstverständlich nicht daran, die angebliche Bedrohung der Demokratie durch die Protestparteien und das wachsende Spektrum der Rechten zu instrumentalisieren und zur Verteidigung der Demokratie aufzurufen (siehe dazu die Kampagnen am Anfang des Jahres[8]) oder einen Sündenbock für die Sackgassen des Kapitalismus zu präsentieren, indem man zwar mit unterschiedlichen Stimmen dennoch wie im Chor vereint über alle Parteien hinweg die Migranten als Sündenbock präsentiert.
Während die herrschende Klasse also einen globalen Angriffsplan gegen die Arbeiterklasse schmieden muss, soll die Arbeiterklasse von der Notwendigkeit, sich gegen die anstehenden Angriffe zur Wehr zu setzen, abgelenkt, gar abgehalten werden. In der Folge der internationalen Welle von Arbeiterkämpfen, die mit dem Aufschrei „enough is enough“ von Großbritannien um die Welt rollte, wuchs auch in Deutschland die Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse. Während viele kleine Auseinandersetzungen laufen, war die Tarifrunde der Metallindustrie in diesem Herbst eine wichtige Herausforderung für die Gewerkschaft IGM. Der Tarifabschluss zeigt wieder klar, dass die Gewerkschaft willig und fähig ist, ihre Rolle für das Kapital voll auszufüllen. Konfrontiert mit der Aufkündigung des Vertrags bei VW und der Androhung von Werksschließungen schließen sie einen Tarifvertrag mit langen Laufzeiten und viel Flexibilität für die Kapitalisten. Die Aufgabe der Gewerkschaften ist es, mit Scheinmobilisierungen die ArbeiterInnen in die Passivität zu treiben und als isolierte BürgerInnen dem anstehenden Wahlzirkus auszuliefern. Eine weitere Falle, die die extreme Linke gerne aufnimmt.
Seit mehr als einem Jahrhundert steht fest, dass die Wahlen und damit verbunden die Demokratie nur ein Mittel der Verschleierung, und Irreführung der Arbeiterklasse sind. Sie dienen dazu, die ArbeiterInnen in unzählige Individuen zu zersplittern und zu atomisieren. Heute mobilisieren die extremen Linken für „unabhängige, revolutionäre, sozialistische Kandidaturen“ um der „rassistischen, militärischen und autoritären Offensive aller Parteien“ zu begegnen.[9]
Alle Parteien sind sich einig bei der Durchsetzung eines einzigen Programms: wie das Kapital konkurrenzfähiger zu machen ist, wie die Kosten dafür auf die Arbeiterklasse abzuwälzen sind und wie die Arbeiterklasse für die Verteidigung der imperialistischen Interessen Deutschlands breitzuschlagen ist. Doch angesichts der explodierenden Widersprüche wird die Arbeiterklasse gezwungen sein, die Verteidigung ihrer Interessen selbst in die Hand zu nehmen. Das kann nicht durch irgendeine Wahlbeteiligung geschehen, sondern nur, indem die Arbeiterklasse auf ihrem Klassenterrain kämpft, dazu muss sie in ihren Auseinandersetzungen die Rolle der Gewerkschaft verstehen[10]. Und deshalb darf die Arbeiterklasse auch nicht in die Falle der extremen Linken laufen, die mit unterschiedlicher Couleur und eigenen Listen die ArbeiterInnen an die Urnen locken wollen. Es ist die Aufgabe der Revolutionäre, die Gewerkschaften und die extremen Linke klar als das darzustellen, was sie sind: Büttel des Kapitals.
21.11.2024, TW
[1] Resolution des 25. Internationalen Kongresses der IKS zur internationalen Lage [116], Internationale Revue Nr. 59
[2] Personalabbau auch in den Bereichen Stahl, Bahn, Banken, Post, Kaufhäuser; zum anderen mit den Forderungen nach längeren Lebensarbeitszeiten, mit Beitragserhöhungen für Pflegeversicherungen, Angriffen im Gesundheitswesen, mit Kürzungen bei Sozialausgaben und insbesondere dem Bürgergeld.
[3] Verteidigungsminister Pistorius hat am gleichen Tag der Verkündung des Trump-Sieges eine Verstärkung der militärischen Allianz mit Frankreich, eine Verzahnung der Rüstungsindustrien angemahnt und Vorbereitungen für gesonderte Treffen Frankreichs, Großbritanniens, Polens und Italiens angekündigt.
[4] Siehe insbesondere unsere Resolution zur nationalen Situation in Deutschland [102] vom Frühjahr 2024, Weltrevolution Nr. 187
[5] Gleichzeitig proklamieren beispielsweise Stimmen aus CDU und CSU ihre Weigerung einer Koalitionsmöglichkeit CDU-CSU mit den Grünen, was deren Spielräume einschränkt.
[6] Die FDP musste schon früh die Rolle des game changers spielen, doch ihre ausgefeilte Klientelpolitik und ihr Hang zum Partikularinteresse haben sie stark anfällig für die Dynamik des Zerfalls gemacht.
[7] Siehe zu dem globalen Trend unseren Bericht Wie die Bourgeoisie sich selbst organisiert [117] vom Dezember 2023: „Der Zerfall des politischen Apparats findet also seine Hauptantriebskraft in der ständigen Verschärfung der Wirtschaftskrise und der Unfähigkeit der Bourgeoisie, die Gesellschaft für den Weltkrieg zu mobilisieren. Diese historische Entwicklung hat sich in einer zunehmenden Tendenz zur Disziplinlosigkeit, zur Spaltung, zum "Jeder für sich" und schließlich zur Verschärfung der Kämpfe zwischen den Cliquen innerhalb des politischen Apparats niedergeschlagen. Dieses Ferment hat einen fruchtbaren Boden für die Entstehung von bürgerlichen Fraktionen mit einem zunehmend irrationalen Diskurs geschaffen, die in der Lage sind, auf den widerlichsten Ideen und Gefühlen zu surfen, und deren Anführer sich wie wahre Bandenchefs verhalten, die die politischen Beziehungen mutwillig zerstören, mit dem Ziel, ihre eigenen Interessen um jeden Preis durchzusetzen, zum Nachteil der Interessen des nationalen Kapitals.“ Internationale Revue Nr. 60
[8] Für einen Aufruf der Kommunistischen Linken an die Arbeiterklasse – gegen die internationale Kampagne zur Mobilisierung für die bürgerliche Demokratie [118], IKSonline Oktober 2024
[9] Klasse gegen Klasse (trotzkistisch): „In diesem Sinne wollen wir unseren Vorschlag erneuern, unabhängige, revolutionäre, sozialistische Kandidaturen zur Bundestagswahl aufzustellen. Angesichts des Kriegskurses von Ampel und Union, angesichts der massiven Kürzungspolitik, die Friedrich Merz verspricht, angesichts von Milliardengeschenken für Konzerne von SPD und Grünen sowie einer rassistischen, militärischen und autoritären Offensive aller Parteien, braucht es dringender denn je Stimmen aus der Jugend und den Betrieben, die sich dagegen stellen und eine gänzlich andere Perspektive aufzeigen. Wir wollen revolutionäre Kandidaturen nutzen, um Widerstand gegen die aktuelle und künftige Regierungspolitik und den Aufstieg der extremen Rechten zu formieren, gestützt auf Aktionen und Versammlungen von Arbeiter:innen und Jugendlichen. Wir wollen sie nutzen, um sozialistische Ideen von Rätedemokratie und Planwirtschaft zu verbreiten, die allein dazu in der Lage sind, der Perspektivlosigkeit der bürgerlichen Parteien eine positive Zukunft entgegenzusetzen. Dafür gibt es keine Zeit zu verlieren. Wir rufen alle Aktivist:innen und Organisationen, die diese Perspektive teilen, dazu auf, mit uns in Verbindung zu treten und sich über ein Programm für einen Wahlantritt zu verständigen.“
[10] Siehe unsere Broschüre Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse (bestellbar über unsere Website)
Der Strudel an schwerwiegenden Erschütterungen der Weltwirtschaft während der letzten zwei Jahre zunächst infolge der Corona-Pandemie sowie der verheerenden Umweltzerstörungen und nun zunehmend infolge der Kriege hat auch die deutsche Wirtschaft schwer in Bedrängnis gebracht. War es während der Corona-Pandemie gelungen, vor allem dank gigantischer Rettungspakete die Wirtschaft vorübergehend über Wasser zu halten, hat vor allem der Ukrainekrieg und die damit einhergehende weltweite Offensive der USA auf ökonomischer Ebene zu massiven Umbrüchen geführt.
Die durch den Krieg auferlegten Sanktionen gegen Russland haben das deutsche Kapital zu tiefgreifenden Einschnitten bei der Energieversorgung gezwungen und gleichzeitig die massivsten und dauerhaftesten Preissteigerungen insgesamt, vor allem aber im Energiebereich und bei den Lebensmitteln verursacht. Ein gigantisches Programm der Erneuerung bzw. Umstellung der Energieversorgung ist angelaufen… und kurz nach Verabschiedung schon auf Hürden und Widerstand bei der Finanzierung gestoßen.
Die Umstellung auf neue Techniken (Wärmepumpen), Ausbau von Ladestationen für E-Fahrzeuge usw. ist völlig undenkbar ohne massive finanzielle Zuschüsse des Staates. Nach anfänglichen umfangreichen Zusagen von Subventionen wurden diese und andere Subventionen nun schon stark gekürzt, mehr noch. Infolge der Inflation und dem damit einhergehenden Anstieg der Zinsen geraten Banken in eine Schieflage. Vor allem hat aber die Bauindustrie schon Auftragsrückgänge und Stillstände von Baustellen von 30 % gemeldet.
Während die Rüstungsindustrie zwar mächtig angekurbelt wurde und über neue Auftragsrekorde jubelt, bricht in anderen Teilen der Wirtschaft die Produktion ein – mit der Folge, dass Deutschland das geringste Wachstum in Europa verzeichnet, statisch gar in die Rezession gerutscht ist. Gleichzeitig wurde durch die Inflation vor allem im Energiepreisbereich die Konkurrenzfähigkeit bedroht, da der Gas-/Elektrizitätspreis in Deutschland bis zu 5mal höher ist als in den USA.
Hinzu kommt: durch die Covid-Pandemie war schon die Verletzbarkeit aufgrund der großen Abhängigkeiten von Lieferanten medizinischer Produkte aus China und Indien festgestellt worden. Bei dem Versuch, Russland ökonomisch niederzuringen, hat man angefangen, den ganzen Energiesektor umzukrempeln – wodurch aber nur neue Abhängigkeiten mit den damit verbundenen Erpressungsmöglichkeiten und der oben erwähnten Schwächung der Konkurrenzfähigkeit entstanden sind. Durch den Krieg im Nahen Osten und der seitdem eingesetzten Ausdehnung des Konfliktes auf immer mehr Gebiete im Mittleren Osten sind jetzt neue neuralgische Stellen in den Lieferketten am Roten Meer/Meerenge von Dschibuti durch die Huthi-Raketenangriffe entstanden (z.B. längere und teurere Umwege über Afrika).
Neben dem Sanktionspaket gegen Russland und dem Versuch der ökonomischen Ausblutung Russlands haben die USA auch ihre Sanktionspalette gegen China direkt und indirekt gegen all die Firmen verstärkt, die in China tätig sind. Gleichzeitig haben die USA den Inflation Reduction Act eingeführt, der für Investitionsanreize in den USA sorgen soll. Damit besteht die Gefahr einer Deindustrialisierung in Europa. Auch werden US-amerikanische Firmen, die in Europa investieren, von US-Strafmaßnahmen getroffen (Beispiel Ford, das bei Ford-Köln Investitionen zugunsten von Investitionen in den USA fallen lässt, mit der Konsequenz, dass 1700 Arbeitsplätze verloren gehen). Das deutsche Kapital weiß, dass wenn Trump nochmal Präsident werden sollte, wird nicht lediglich der Ton heftiger, sondern auch die Zahl der Konfliktfelder zwischen Deutschland und den USA wird noch grösser werden.
Während die USA China in die Knie zwingen wollen, wird Deutschland gleichzeitig von China bedrängt. Vom globalen Seidenstraßenprojekt bis zum Aufkauf von Betrieben und Anlagen drängt chinesische Konkurrenz immer weiter vor. Nachdem Deutschland zuvor erfolgreich in China auf dem Automarkt beträchtliche Anteile erringen konnte, die bedeuteten, dass mehrere deutsche Automobilproduzenten in Spitzenzeiten ca. 40 % ihres Umsatzes in China machten, erfolgt seit geraumer Zeit eine Offensive Chinas auch auf dem E-Autosektor. Neben Tesla ist für den deutschen Automobilsektor die chinesische Konkurrenz am gefährlichsten.
Auf der einen Seite bedeutet die Drohung der USA, dass deutsche Firmen entweder komplett oder in bestimmten Bereichen den Rückzug aus China antreten, dass einige deutsche Autowerke in (schein)unabhängige Einheiten für China umgewandelt werden, um weiter vor Ort präsent zu sein. Im Fall einer Eskalation des westlichen Wirtschaftskriegs gegen China plant z.B. VW-China sich von der deutschen Konzernzentrale abzuspalten – zu deren Schaden. “Dies führt dazu, dass die deutschen Investitionen in China zuletzt stark zugenommen haben und den deutschen Investitionsbestand dort auf Rekordniveau heben. Ökonomen räumen ein, diese Folge des westlichen Wirtschaftskriegs sei paradox und so eigentlich nicht gewollt“ (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9429 [119]). Für den Fall einer Eskalation soll so die Produktion „in China für China“ durch Abkoppelung unter Ausnutzung von niedrigeren chinesischen Löhnen weitergeführt werden können. Das Ziel einer von Deutschland autonomen Produktion wird natürlich zu dramatischen Arbeitsplatzverlusten in Deutschland führen. Deshalb stehen die schwerstwiegenden Einschnitte in der Automobilindustrie, die lange Zeit eine Hauptstütze der deutschen Wirtschaft war, bevor.
Kurzum, die von den USA intensivierte militärische Aufrüstung gegen China und die ökonomischen Sanktionspakete bringen das deutsche Kapital jetzt schon in höchste Bedrängnis. Und der jahrelange Aufstieg Chinas, von dem auch Deutschland lange Zeit profitiert hatte, weil China zu einem großen Markt und zu einer Werkstatt für die Welt geworden war, schlägt jetzt wie ein Bumerang zurück. Auch wenn Deutschland gewiss gemeinsame Interessen hat, mit den USA gemeinsam bei der Schwächung Chinas mitzuwirken, will es dabei selbst nicht unter die Räder kommen. Es wird deshalb zu mehr Konflikten zwischen den USA und Deutschland und zwischen Deutschland und China und somit auch innerhalb der deutschen Bourgeoisie um diese Frage kommen (hier waren die Streitpunkte am deutlichsten zwischen SPD und Grünen).
Durch die Öffnung des Ostens und der schrittweisen Integration der meisten Staaten in die EU hatte Deutschland die meisten Vorteile erlangt: z.B. Zugriff auf niedrige Löhne. Keine Baustelle, kein Handwerksbetrieb, keine Warenlieferung ohne die LKW-Fahrer aus Osteuropa, kein Altenheim und Krankenhaus, kein Agrarbetrieb ohne vor allem osteuropäische Niedriglöhner. Insofern hat der dadurch entstandene allgemeine Lohndruck eine Erhöhung und Aufrechterhaltung der Konkurrenzfähigkeit neben der bekannten Markterweiterung in Osteuropa durch den gemeinsamen Markt gesorgt. Der weltweite Globalisierungsschub, den es mit der Integration Chinas und anderer Teile der Peripherie gegeben hatte, und der mit der Covid-Pandemie, dem Ukrainekrieg und dem Versuch der Eindämmung Chinas weltweit rückläufig ist, findet auch seinen Niederschlag in Osteuropa, wo es spätestens durch den Ukrainekrieg eine Destabilisierung (siehe z.B. Grenzblockaden Polen-Ungarn) gegeben hat. Die Folgen des Krieges, die wiedererstarkte Dominanz nationaler Interessen, die starke Präsenz populistischer Kräfte in ganz Europa verursacht mehr Konfliktfelder und Unwägbarkeiten in der Ökonomie.
Durch die brutale Verschärfung des Konkurrenzkampfes und den weltweiten Wettbewerb um Investitionsanreize ist jeder Staat gezwungen, weiter an der Schuldenspirale zu drehen und Kapital durch massive Subventionen anzulocken. Ein Konkurrenzkampf ohne gigantische Subventionen, alle aus Steuergeldern finanziert, ist undenkbar. Kein Projekt der Modernisierung und/oder der Erneuerung/Reparatur an Infrastrukturanlagen ohne staatliche Geldspritzen (erwähnt sei nur das Beispiel für Investitionen in Halbleiterindustrie-Produktionsanlagen mit milliardenschwerer Unterstützung). Diese Kette von Subventionen, staatlichen Wiederaufbaumaßnahmen und Rettungspaketen war schon systematisch nach 1989 nach der Wiedervereinigung eingeleitet worden, so dass mittlerweile ein astronomisch hoher Schuldenstaat erreicht ist. Solange die Zinsen niedrig oder gar bei null lagen, blieb der Preis noch „niedrig“. Aber mit dem durch den Ukrainekrieg angefachten Zinsanstieg ist hier ebenso eine Wende eingetreten.
Mit der jüngsten „Haushaltskrise“ ist nur die Spitze des Schuldenwahnsinns sichtbar geworden. Das jüngste parlamentarisch-juristische Spektakel hat die Regierung dazu gezwungen bzw. sie hat dies dazu ausgenutzt, um eine Reihe von brutalen Preiserhöhungen und Kürzungen vorzunehmen, die jede Familie teuer zu stehen kommen wird. Vorbei die Phase des „relativen Aufschubs“ und „Abfederung“ nach Corona und der „Verschonung“ und Vertuschung der Kriegsfolgekosten. Nun steht eine brutale Verschlechterung bevor.
Auch wenn Deutschland aufgrund seiner immer noch vorhandenen Überlegenheit noch über die meisten Mittel im EU-Raum zur Verteilung von staatlichen Subventionen verfügt, wird die Luft auch für das Kapital immer dünner und zwingt zu den Angriffen.
Die ersten Konsequenzen aus den Gaspreissteigerungen hatten ohnehin schon bei den großen Chemiefirmen Arbeitsplatz und Standortverlagerung aber auch Stellenabbau zur Folge gehabt. Wegen der „grünen“ Transformation steht in der Autoindustrie massiver Stellenabbau bevor, im Einzelhandel schließen massenweise Kaufhäuser und Geschäfte. Überall heißt es „Personalkosten runter“! Durch die weitere Verknappung des Wohnraums und dem Absturz der Investitionen im Bausektor werden die Mieter noch höhere Anteile der Einkommen für Mieten ausgeben müssen.[1]
Mehrere Faktoren kommen zusammen:
- das demographische Problem. Wie in vielen Industriestaaten schrumpft die „einheimische“ Bevölkerung (wir können hier nicht auf die Gründe gesondert eingehen);
-infolge jahrelangen gnadenlosen Personalabbaues, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (vor allem in Gesundheitswesen, Altenpflege, Erziehung, Transport) sind viele Beschäftigte verschlissen und leiden unter Burn-out;
- gleichzeitig nimmt wie anderswo (von China bis in die USA) die Motivation, sich in der Arbeit aufzureiben, ab, was viele zum Quiet-quitting treibt;
- der Bildungsstand ist in vielen Bereichen zerfallsbedingt gesunken (sehe Pisa-Studie);
- Mangel an unqualifiziertem und vor allem an qualifiziertem Personal (allein in der Halbleiterindustrie sei der Facharbeitermangel von 62.000 auf über 80.000 gestiegen), m.a.W. Produktionsfessel wegen Arbeitskräftemangel, während in anderen Bereichen viele Beschäftigte ihren Job verlieren.
Die Krise kennt nicht mehr nur ein Gesicht – Massenentlassungen – sie zeigt mehrere Gesichter: Entlassungen und Arbeitskräftemangel.
Gleichzeitig ist das deutsche Kapital gehandicapt durch politische Rückständigkeit, Xenophobie des Populismus, die einen Zuzug selbst von (qualifizierten) Arbeitskräften behindern. Letztlich sei erwähnt die unglaubliche Schwerfälligkeit der deutschen Bürokratie. Dieser gelingt es nicht, den Zuzug wesentlich zu erleichtern. All das schränkt die Konkurrenzfähigkeit ein, während gleichzeitig eine ganze Kampagne gegen illegale Immigration läuft und verschärfte Abschiebemaßnahmen angekündigt wurden.
Infolge der Aufhäufung der Kriegskosten, der Kosten der Umweltzerstörung, Inflation, Energiekrise, der Kosten für den Konkurrenzkampf, der Kosten der Verschuldung und des Preises jahrzehntelanger Vernachlässigung - bzw. bewusst vorangetriebenen Abbaus und Zerfalls der Infrastruktur -, der Kürzungen im Erziehungswesen, der gleichzeitig unaufhaltsam gestiegenen Kosten für die Unterbringungen und den Unterhalt der nicht aufzuhaltenden Zahl von Flüchtlingen, wird das deutsche Kapital immer brutaler vorgehen müssen.
Zudem muss es dem Druck der USA und Chinas ausweichen. Wie wird sich die Situation in den USA insbesondere hinsichtlich des Ukrainekrieges und dessen Finanzierung auswirken? Wie werden sich die Konsequenzen des weltweiten Aufbröckelns der Globalisierung zeigen? Wird Deutschland in Abstimmung mit der EU, vor allem mit Frankreich weiterhin gemeinsame Absprachen treffen? Bislang haben sich die Tendenzen des Jeder-für-sich auch hier verstärkt. Generell lässt sich sagen, schon zur Covid Zeit gab es anfangs eine dominierende Tendenz der Alleingänge und entsprechendes Chaos im Umgang mit Impfstoffen und Masken. Wie immer die deutsche Bourgeoisie reagieren wird – gegenüber der Arbeiterklasse läuft alles darauf hinaus, die Angriffe gegen diese weiter zu forcieren.
Die Situation und Dynamik der Krise in Deutschland ist Ausdruck einer weltweiten Entwicklung, bei der die ganze Misere auf dem Buckel der Arbeiterklasse landet. Wir dürfen dies nicht akzeptieren und müssen unsere Lebensbedingungen geeint und über die Grenzen hinweg verteidigen. Was das bedeutet, werden wir in einem weiteren Artikel behandeln.
TW 19.02.2024
[1] Nach der Bruchlandung im Bausektor stehen 30 % aller Baustellen still, dabei fehlen schon mehr als 700.000 Wohnungen. Viele Mieter geben 30-40 % ihres Einkommens für die Miete aus. Die Baubranche zählt schon 30.000 Beschäftige weniger.
https://www.arte.tv/de/videos/101919-000-A/die-welt-in-der-schuldenfalle/ [120]
Die Regierungen greifen die Arbeiterklasse weltweit an. Die staatlichen Leistungen für Arbeitslose und RentnerInnen werden stark gekürzt, und die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Im öffentlichen Dienst fehlt es an den notwendigen Mitteln, und es herrscht ein allgemeiner Mangel an Geld im staatlichen wie auch im privaten Sektor, wobei es teilweise auch an Medikamenten und Nahrungsmitteln fehlt. Millionen von Familien aus der Arbeiterklasse, selbst diejenigen, die noch das "Glück" haben, Arbeit zu haben, kämpfen darum, über die Runden zu kommen. Viele müssen hungern, weil die Kosten für Lebensmittel, Heizung, Mieten, Hypotheken und Benzin für Autos gestiegen sind. Auch die Gas- und Stromrechnungen steigen. Immer mehr Menschen sind auf die Wohltätigkeit von Lebensmittelabgabestellen angewiesen. Und welches Bild könnte schlimmer sein als das von Hunderten von Obdachlosen, die dazu verdammt sind, in den großen europäischen Hauptstädten und in den Großstädten der am weitesten entwickelten Länder der Welt auf der Straße zu schlafen, manche sogar zu erfrieren.
In den letzten vier Jahren haben wir eine Reihe dramatischer Ereignisse erlebt: die Covid-Pandemie, den Krieg in der Ukraine, die Massaker in Gaza, die Klimakatastrophe... Dieser Strudel von Katastrophen hat die kapitalistische Krise vertieft und das Chaos auf globaler Ebene angeheizt[1]. Die Zukunft, die der Kapitalismus für uns bereithält, könnte nicht klarer sein: Die sich verschärfende Wirtschaftskrise wird die Gefahren, die der Menschheit drohen, nur noch erhöhen. Aber die Wirtschaftskrise kann auch Vorteile bringen, da sie der Arbeiterklasse ein Terrain und einen Anstoß bietet, ihren Kampf zu entwickeln und so voranzutreiben, dass er zum Sturz dieses bankrotten Systems führen kann.
Angesichts der unaufhaltsamen und beängstigenden Zerrüttung der bürgerlichen Gesellschaft gibt die Arbeiterklasse nicht auf und akzeptiert eine Zukunft der Verarmung nicht. Seit fast zwei Jahren gibt es trotz der Kriege und der Kriegstreiberei breite und massive Kämpfe der Arbeiterklasse. In vielen Ländern wurden diese Kämpfe als "historisch" bezeichnet, was die Zahl der Streikenden und Demonstrierenden betrifft, aber auch die Entschlossenheit der Arbeiterklasse, für ihre Würde und ihre Lebensbedingungen zu kämpfen. Dies ist eine echte Wende nach Jahrzehnten der Passivität und Resignation.[2]
Im Sommer 2022 begann das Proletariat in Großbritannien seinen Kampf gegen die Krise. Monat für Monat streikten und demonstrierten die Arbeiter und Arbeiterinnen auf der Straße und forderten bessere Löhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen – so etwas hatte es seit drei Jahrzehnten nicht mehr gegeben! Anfang 2023, als sich die Streiks in verschiedenen Teilen der Welt ausbreiteten, mobilisierte das Proletariat in Frankreich massenhaft gegen die von der Regierung geplante Rentenreform. Millionen von Menschen, quer durch alle Branchen und Generationen, gingen auf die Straße und waren entschlossen, sich gemeinsam zu wehren. Im Herbst begannen die Arbeiter und Arbeiterinnen in den USA mit einer der größten Streikwellen in der Geschichte des Landes, vor allem in der Automobilbranche, gefolgt von einer ebenfalls als historisch bezeichneten Bewegung im öffentlichen Sektor in Quebec.
Kürzlich streikten in einem Land, das als "soziales Modell" dargestellt wird, die Arbeiter der Tesla-Fabriken – in Schweden, gefolgt von Solidaritätsaktionen der Postangestellten, die alle Postsendungen für die Werkstätten des vom Milliardär-Clown Elon Musk geleiteten Unternehmens blockierten. Hafenarbeiter blockierten ihrerseits vier Häfen, und ElektrikerInnen weigerten sich, Wartungsarbeiten an Ladestationen für Elektrofahrzeuge durchzuführen.
In Nordirland versammelten sich im Januar beim größten Streik in der Geschichte der Region ebenfalls Hunderttausende von ArbeiterInnen, vor allem im öffentlichen Sektor, um die Zahlung der ihnen zustehenden Löhne zu fordern.
Auch heute, während in der Ukraine und im Gazastreifen noch immer Krieg herrscht, breiten sich die Streiks und Demonstrationen der Arbeiterklasse in der ganzen Welt und insbesondere in Europa weiter aus.
In Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas, begannen die Eisenbahner Ende Januar 2024 einen massiven, historischen, einwöchigen Streik. Dies ist der letzte in einer langen Reihe von Streiks gegen verlängerte Arbeitszeiten und für höhere Löhne. In den kommenden Monaten könnte das Schienennetz von unbefristeten Streiks betroffen sein. In dem Land, das für seinen "sozialen Dialog" bekannt ist, wird seit Monaten in vielen Sektoren gestreikt: in der Stahlindustrie, im öffentlichen Dienst, im Verkehrswesen, im Gesundheitswesen, bei der Müllabfuhr usw. Am 30. Januar fand in Hannover eine bundesweite Kundgebung von 5.000 Ärzten statt. Am 1. Februar wurden elf Flughäfen des Landes vom Streik des Sicherheitspersonals betroffen, und 90.000 Bus-, Straßenbahn- und U-BahnfahrerInnen legten die Arbeit nieder. Mitte Februar streikten auch 10.000 Beschäftigte des Einzelhandels, und am 20. Februar wurde das Bodenpersonal der Lufthansa zum Streik aufgerufen...
Diese Streikbewegung ist in ihrem Ausmaß und ihrer Dauer ebenfalls beispiellos in einem Land, das für die enormen administrativen Hindernisse bekannt ist, die jeder sozialen Bewegung in den Weg gelegt werden, und für das von den Gewerkschaften auferlegte Korsett, das es der Bourgeoisie lange Zeit ermöglichte, Sparpläne und "Reformen" durchzusetzen, ohne dass die Arbeiterklasse wirklich reagierte. Trotz der Schwierigkeiten, sich aus der korporatistischen Zwangsjacke zu befreien und "alle gemeinsam" zu mobilisieren, sind die Kämpfe in Deutschland von immenser Wichtigkeit und symbolischer Bedeutung. Sie finden im Herzen einer großen geografischen Industrieregion statt, in dem Land, das das Epizentrum der revolutionären Welle der 1920er Jahre und der tragische Schauplatz einer langen Periode der Konterrevolution war. Die aktuelle Bewegung ist eindeutig Teil der internationalen Wiederbelebung des Klassenkampfes.
Diese Kampffähigkeit der Arbeiterklasse ist jedoch nicht auf Deutschland beschränkt. In Finnland, einem Land mit einer geringen Streiktradition in der Industrie, fand Anfang Februar ein "historischer Streik" statt, der 48 Stunden dauerte. Erst kürzlich legten die Hafenarbeiter in diesem Land zwischen dem 18. und 21. Februar 2024 vier Tage lang den Hafenbetrieb lahm. Bis zu 300.000 Menschen streikten, um sich gegen das Gesetz zur "Reform der Arbeitnehmerrechte" zu wehren. In der Türkei haben Zehntausende von Stahlarbeitern monatelang für Lohnerhöhungen in einer Zeit steigender Preise gestreikt. In Belgien war es der nichtgewerbliche Sektor, der am 31. Januar in Brüssel streikte und demonstrierte. In Spanien, Großbritannien, Frankreich und Griechenland wird in vielen Sektoren weiter gestreikt. Die Bourgeoisie hält eine ohrenbetäubende Mediensperre über diese Kämpfe aufrecht, da sie sich der wachsenden Unzufriedenheit unter den ArbeiterInnen und der Gefahr, die von der Ausstrahlung von Berichten über solche Mobilisierungen ausgeht, sehr wohl bewusst ist.
Der Durchbruch, den wir erleben, hängt jedoch nicht nur mit den massiven und gleichzeitigen Mobilisierungen zusammen. Das Proletariat beginnt, sich wieder als gesellschaftliche Kraft zu erkennen und seine Identität wiederzuentdecken. Trotz aller Illusionen und Verwirrungen konnte man auf Plakaten und in Diskussionen Aussagen wie "wir sind Arbeiter" und "wir sitzen alle im selben Boot" sehen oder hören. Dies waren keineswegs leere Worte! Denn hinter diesen Worten verbirgt sich eine sehr reale Solidarität: Solidarität zwischen den Generationen, wie wir in Frankreich sehr deutlich gesehen haben, als die Rentner und Rentnerinnen massenhaft auf die Straße gingen, um "die Jungen" zu unterstützen; dann zwischen den Sektoren, wie in den USA mit dem Hupen der Autos vor den streikenden Fabriken oder in Skandinavien zur Verteidigung der Tesla-Beschäftigten.
Es gab sogar erste Anzeichen internationaler Solidarität. Der Mobilier National in Frankreich (eine staatliche Möbelrestaurations-Einrichtung) streikte in Solidarität mit den streikenden Kulturschaffenden in Großbritannien. Die Raffinerien in Belgien streikten zur Unterstützung der Mobilisierung in Frankreich, während sich kleine Demonstrationen in der ganzen Welt vervielfachten, um die gewaltsame Unterdrückung durch den französischen Staat anzuprangern. In Italien, wo viele Sektoren bereits seit mehreren Monaten mobilisieren, streikten am 24. Januar die Bus-, Straßenbahn- und U-Bahnfahrer. In Anlehnung an die Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich erklärten die Beschäftigten, sie wollten Mobilisierungen "wie in Frankreich" durchführen, was die Verbindungen, die die Arbeiterklasse über die Grenzen hinweg zu erkennen beginnt, und den Wunsch, die Lehren aus früheren Bewegungen zu ziehen, deutlich macht.
Das Proletariat beginnt, sich seine Kampferfahrungen wieder anzueignen. In Großbritannien bezog sich der so genannte "Sommer der Wut" ausdrücklich auf die großen Streiks des "Winters der Unzufriedenheit" von 1978-1979. Bei den französischen Demonstrationen waren auf den Plakaten Hinweise auf den Mai '68 und den Kampf gegen den CPE im Jahr 2006 zu lesen, während gleichzeitig ein Nachdenken über diese Bewegungen begann. Und das alles zu einer Zeit, in der der Staat Restriktionen auferlegt und den Krieg weiterhin legitimiert und rechtfertigt.
Natürlich sind wir noch weit entfernt von einer massiven und tiefgreifenden Rückkehr des Klassenbewusstseins. Natürlich sind all diese Solidaritätsbekundungen und Überlegungen von Verwirrung und Illusionen durchsetzt, die von den Organen der Bourgeoisie, den Gewerkschaften und den linken Parteien, leicht unterlaufen werden können. Aber erkennen diejenigen Revolutionäre, die all dies vom Balkon aus beobachten und sich am Kopf kratzen[3], den Wandel, der sich im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten vollzieht, den Jahrzehnten des Schweigens, der Resignation, der Ablehnung des bloßen Gedankens an eine Arbeiterklasse und der völligen Vergesslichkeit gegenüber ihrer Erfahrung?
Auch wenn diese Kämpfe deutlich zeigen, dass die Arbeiterklasse nicht besiegt ist und die einzige gesellschaftliche Kraft bleibt, die der Bourgeoisie entgegentreten kann, ist ihr Kampf noch lange nicht vorbei. Sie leidet noch immer unter immensen Schwächen und Illusionen, die durch die aktuellen Bewegungen auf deutlichste Weise veranschaulicht werden. Bisher ist es den Gewerkschaften gelungen, die Kämpfe in ihrer Gesamtheit zu kontrollieren und sie in einem sehr korporatistischen, auf Berufsgruppen und Sektoren reduzierten Rahmen zu halten, wie man heute in Frankreich und Deutschland sehen kann, während sie, wenn nötig, einen Anschein von Einheit und Radikalität vorspielen, wie die "Common Front" der kanadischen Gewerkschaften oder die Bewegung in Finnland.
Während der Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich begannen viele Beschäftigte, die die endlosen Tage der Mobilisierung durch die Gewerkschaften fürchteten, sich Fragen zu stellen, wie sie kämpfen, wie sie sich vereinigen, wie sie die Regierung zum Einlenken bewegen könnten... aber nirgendwo war die Klasse in der Lage, den Gewerkschaften die Führung des Kampfes durch souveräne Vollversammlungen streitig zu machen, noch war sie in der Lage, mit der von den Gewerkschaften aufgezwungenen korporatistischen Logik zu brechen.
Die Bourgeoisie setzt auch alle ihre ideologischen Waffen ein, um das Bewusstsein zu untergraben, das in den Köpfen der Arbeiterklasse zu reifen beginnt. Während sie zu den massiven Streiks der Arbeiterklasse schweigt, hat sie sich natürlich sehr offen über die Bauernbewegung geäußert. In Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Polen, Spanien usw. konnte sich die Bourgeoisie wieder einmal auf ihre linken Parteien stützen, um die Vorzüge von Kampfmethoden zu preisen, die im Gegensatz zu denen des Proletariats stehen, und um zu erklären, dass "die Arbeiterbewegung von dieser Gelegenheit profitieren muss"[4]. In einer Zeit, in der das Proletariat zaghaft beginnt, seine Klassenidentität wiederzuentdecken, nutzt die Bourgeoisie den Kampf der Bauern ideologisch mit einer Medienoffensive aus, die darauf abzielt, den Prozess der kontinuierlichen Reflexion zu sabotieren und so die Aufmerksamkeit von den zahlreichen Streiks abzulenken.
Sie scheut auch keine Mühe, um die Arbeiterklasse auf die Bahn der bürgerlichen Demokratie zu stoßen. Sowohl in Europa als auch in den USA führt der Zerfall des Systems zu politischen Irrwegen wie Trump in den USA, Milei in Argentinien, Rassemblement National in Frankreich, Alternative für Deutschland, Fratelli d'Italia und anderen. Als Reaktion darauf versuchen die Bourgeoisie oder zumindest ihre vom kapitalistischen Zerfall am wenigsten korrumpierten Fraktionen zwar, den Einfluss der rechtsextremen Parteien zu begrenzen, sie sind aber bestrebt, den Einfluss, den sie auf und gegen die Arbeiterklasse haben, auszunutzen. Vor allem in Deutschland gingen in verschiedenen Städten mehr als eine Million Menschen auf die Straße, um gegen die Rechtsextremen zu protestieren, und folgten damit den Aufrufen von Parteien der Linken und der Rechten. Ihr Ziel ist es einmal mehr, demokratische Illusionen aufrechtzuerhalten und das Proletariat daran zu hindern, seinen historischen Kampf gegen den bürgerlichen Staat zu führen.
Sicher ist jedoch, dass die Arbeiterklasse in den gegenwärtigen und zukünftigen Kämpfen allmählich das politische Rüstzeug finden wird, um sich gegen die von der Bourgeoisie gestellten Fallen zu verteidigen, was es ihr schließlich ermöglichen wird, den Weg zur kommunistischen Revolution zu öffnen.
EG, 20. Februar 2024
[1] Kommunistische Weltrevolution oder Zerstörung der Menschheit - Die entscheidende Verantwortung revolutionärer Organisationen [121], Internationale Revue 59
[2] “After the rupture in the class struggle, the necessity for politicisation [122]” International Review 171 – 2023 (engl./frz./span. Ausgabe)
[3] Die Widersprüchlichkeiten der IKT über die historische Bedeutung der Streikwelle in Großbritannien [123], IKSonline 2023 (Juni)
[4] Anger of the farmers: a cry of despair instrumentalised against workers’ consciousness [124], (Die Wut der Bauern: ein Aufschrei der Verzweiflung – gegen das proletarische Bewusstsein eingesetzt), ICConline Februar 2024 (auf Englisch)
Die Partei von Le Pen hatte ihren Triumph bei den Europawahlen noch nicht ‚verdaut‘, als Präsident Macron die Auflösung der Nationalversammlung und vorgezogene Parlamentswahlen ankündigte. Gerüchte über eine mögliche Auflösung der Nationalversammlung kursierten bereits seit mehreren Wochen, doch die Nachricht beunruhigte die europäischen Regierungen vor dem Hintergrund des zunehmenden Populismus in Europa und der ganzen Welt. Nach Orbán in Ungarn und Meloni in Italien, den Populisten auf einem Höhenflug in Deutschland und dem Clown Farage, der die Konservative Partei in Großbritannien torpedieren will, hat Macron wie ein Pokerspieler seine Karten auf den Tisch gelegt und dem Rassemblement National (RN) eine Chance eröffnet, in Frankreich an die Macht zu kommen.
Angesichts der Aussicht auf eine populistische Regierung hat das RN seine "soziale" Rhetorik und seine radikalsten Positionen zu Europa schnell zurückgenommen, um den Staatsapparat, die Arbeitgeber und die "europäischen Partner" zu beruhigen. Aber eine mögliche Regierung unter Bardella (als Premierminister des RN gehandelt) wird in ihren Angriffen auf unsere Lebensbedingungen nicht nachlassen!
Doch das wird nicht ausreichen, um den groben Dilettantismus der RN-Kader, die rassistischen und ultrareaktionären Ausschreitungen dieser vom Abschaum der extremen Rechten gegründeten Partei, die Gefahr von Gewaltausbrüchen nach Bekanntwerden des Ergebnisses[1] und die politische Instabilität, die das Land für lange Zeit erfassen wird, abzuwehren. Dies umso mehr, als die populistischen Fraktionen der Bourgeoisie sich nicht nur wiederholt als unfähig erwiesen haben, das nationale Kapital wirksam zu verteidigen (wie Trump in den Vereinigten Staaten oder die Brexit-Befürworter in Großbritannien), sondern auch besonders ungeeignet sind, "Reformen" geschickt gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. Für die Bourgeoisie bedeutet das RN an der Macht eine erhebliche Verschärfung des gesellschaftlichen Chaos und eine Schockwelle, die Frankreich und damit auch Europa international schwächt.
Das Erstarken des Populismus auf der ganzen Welt ist also nicht das Ergebnis gut organisierter Manöver der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse,[2] auch wenn die linken Parteien immer wieder behaupten, der "bürgerliche Block" würde sich lieber in die Arme der extremen Rechten stürzen, als die Linke an die Macht kommen zu lassen. In Wirklichkeit ist der Populismus in den Vereinigten Staaten wie in Europa vor allem ein reines Produkt des tiefgreifenden Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft.
Die Widersprüche des Systems haben einen so unentwirrbaren Punkt erreicht, dass die Bourgeoisie nicht mehr in der Lage ist, die Krise und das wachsende Chaos zu bewältigen: weit verbreitete Unsicherheit und Massenarbeitslosigkeit, Kriege auf allen Kontinenten, wiederholte Umwelt- und Industriekatastrophen, Millionen von MigrantInnen, die auf die Straße geworfen werden, der Zusammenbruch der Gesundheits- und Bildungssysteme, die ständige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Verzweiflung, Angst vor der Zukunft ... In den Augen aller hat die herrschende Klasse der Gesellschaft nicht mehr das Geringste zu bieten, abgesehen von dem Versuch, von Tag zu Tag das Schlimmste zu verhindern. In diesem Kontext der Krise und des "Rette, was zu retten ist" gedeiht der Populismus, der seine ekelerregende und irrationale Ideologie verbreitet, Sündenböcke auswählt und den Rückzug in nationale und rassische "Identitäten" fördert.[3]
Es stellt sich also die Frage: Sollen wir wählen gehen, um dem schamlosen Rassismus des Rassemblement National, seinem unverhohlenen Autoritarismus und den Versprechen, die Arbeiterklasse und insbesondere ProletarierInnen mit Migrationshintergrund anzugreifen, den Weg zu versperren? Ob Macron mit seinem Spiel Erfolg hat, ob das RN oder die "Neue Volksfront" (NFP) die Wahlen gewinnt oder ob sich keine Mehrheit ergibt, die Krise des Kapitalismus wird nicht verschwinden. Welche bürgerliche Clique auch immer an der Macht ist, ob links oder rechts, radikal oder gemäßigt, sie wird die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen nur verschärfen. Das Proletariat hat nichts zu verteidigen und nichts zu gewinnen, wenn es sich an dem Wahlzirkus beteiligt!
Die NFP behauptet, ein Programm für einen "Bruch mit der Vergangenheit" zu haben, aber diese Koalition wird das tun, was die Linke seit einem Jahrhundert und in jedem Land immer getan hat: die Interessen des nationalen Kapitals verteidigen und die Ausgebeuteten für die Krise zahlen lassen. Die Linke, auch wenn sie behauptet, "radikal" zu sein, war schon immer der Flügel der Bourgeoisie mit der besonderen Aufgabe, die Arbeiterklasse zu kontrollieren und zu vernebeln. In Griechenland haben Tsípras und seine "radikal linke" Regierung über drei Jahre lang die schlimmste Sparpolitik betrieben. Die spanische "radikale" Linke hat Hand in Hand mit der PSOE die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen, der Arbeitslosen, der RentnerInnen etc. unerbittlich angegriffen. Mélenchon, der ehemalige Apparatschik der Sozialistischen Partei, und seine Clique von reuigen Stalinisten bilden da keine Ausnahme. Außerdem hat die NFP bereits versprochen, sich an dem Massaker in der Ukraine zu beteiligen, indem sie Waffen und Munition im Wert von Milliarden von Euros liefern werde. Wie Macron oder der Front Populaire von Léon Blum werden sie morgen "Opfer" zur Finanzierung des Krieges und der schmutzigen imperialistischen Interessen Frankreichs fordern!
Man sollte sich auch keine Illusionen über das Schicksal der Flüchtlinge machen, wenn die Linke an der Macht ist: Sie wird gnadenlos Jagd auf Migranten machen und sie in Internierungslagern schmachten lassen oder zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken lassen, wie sie es schon immer getan hat! Wenn die griechische Marine heute an der Spitze der Schande steht, verdankt sie das vor allem dem Wirken des "radikalen" Tsípras (schon wieder er!), der nicht zögerte, verachtenswerte Migrationsabkommen mit der Türkei zu unterzeichnen, und ein eifriger Architekt des wahren "Todeslagers" Mória war. Müssen wir noch die Anti-Flüchtlings-Hysterie der Sozialistischen Partei in Frankreich oder die kaum verhüllte Fremdenfeindlichkeit der Französischen Kommunistischen Partei unter Marchais oder Roussel dokumentieren? Ist es notwendig, an die abscheuliche "Migrationspolitik" der spanischen Linken zu erinnern? Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Stacheldraht gegen MigrantInnen und Internierungslager sind bei weitem nicht nur ein Vorrecht der extremen Rechten!
Wie in Deutschland bei den jüngsten Demonstrationen gegen die AfD haben die französische Linke und die Gewerkschaften versucht, die demokratischen Mobilisierungen von 2002 zu wiederholen, als der Front National in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen kam. Damals wurde uns auch gesagt, dass wir keine andere Wahl hätten, als uns zu mobilisieren, nicht als ArbeiterInnen im Kampf, sondern an der Wahlurne, als "Bürger", um die "Demokratie" zu verteidigen und den Weg zum "Faschismus" zu blockieren.[4]
Die weinerliche Beschwörung der "Volksfront" von 1936 steht ganz im Einklang mit dieser Propagandakampagne. Denn die Volksfront ist, heute wie damals, die Negation des Proletariats schlechthin. Nach der Niederlage der revolutionären Welle, die 1917 in Russland begann, wurde das Proletariat als Ganzes besiegt. In Deutschland wurde die Revolution von 1918-1919 blutig niedergeschlagen. Die stalinistische Konterrevolution mähte die Revolutionäre nieder und verwirrte die Arbeiterklasse völlig. Im Rahmen dieser Niederlage hat die französische Bourgeoisie Léon Blum und seine Koalition an die Macht gebracht, um einen Krieg vorzubereiten. Und im Namen der Verteidigung der Demokratie kettete die Volksfront (die bereits spanische Flüchtlinge in Konzentrationslager unter freiem Himmel sperrte) Millionen von ProletarierInnen an die Fahne des Antifaschismus, militarisierte die Fabriken und bereitete die Köpfe auf Massaker vor. Ihre Politik hat Millionen von ArbeiterInnen während des Zweiten Weltkriegs für eine Sache (die Verteidigung der Nation) in den Tod getrieben, die nicht ihre eigene war.[5]
Die historische Situation hat sich seither sehr verändert: Das Proletariat ist nicht besiegt und nicht bereit, sich für die Verteidigung der Nation verheizen zu lassen. Ganz im Gegenteil! Angesichts der "Opfer", die die Kriegswirtschaft und die internationale Konkurrenz fordern, erhebt das Proletariat seinen Kopf. Seit zwei Jahren häufen sich massive Kämpfe: im Vereinigten Königreich, in Frankreich, in den Vereinigten Staaten, in Deutschland, Kanada, Finnland ... Überall schlägt das Proletariat zurück und beginnt, seinen Kampfgeist, seine Solidarität und seine Klassenidentität wiederzuentdecken.
Die Bedrohung, die dem Proletariat heute durch die antifaschistische Propaganda droht, ist nicht die Massenrekrutierung für den Krieg, sondern der Verlust seiner wiedergeborenen Klassenidentität, die die Voraussetzung für seine Einheit und seine Fähigkeit ist, den Weg zur Revolution, zur Zerstörung des bürgerlichen Staates, ob "demokratisch" oder "autoritär", wiederzuentdecken.
Aus diesem Grund hat sich die Bourgeoisie beeilt, "die Arbeiter" zu diskreditieren, die angeblich reaktionär und fremdenfeindlich sind und massenhaft für das RN gestimmt haben sollen.[6] Diese abscheuliche Lüge hat kein anderes Ziel, als das Proletariat zu spalten und die Vorstellung zu untermauern, dass die Arbeiterklasse keine Zukunft hat.
Aber die Bourgeoisie kann auch auf ihr neues Instrument der Mystifizierung, die Neue Volksfront, zählen, um Illusionen über "Demokratie" und Wahlen, über die "Umverteilung des Reichtums", über einen "ökologischeren", "integrativeren", "gerechteren" Kapitalismus zu säen ... Unter den Fenstern der Büros, in denen sich die Chefs der NFP trafen, um die Wahlkreise aufzuteilen, skandierten Demonstrierende, die diesen schönen Versprechungen noch ein wenig misstrauisch gegenüberstanden: "Verratet uns nicht!“ Das einzige, was diese so genannte Volksfront nicht verraten wird, ist ihre Klasse: die Bourgeoisie!
Die Zukunft der Gesellschaft wird nicht an den Wahlurnen entschieden, sondern durch den Kampf des Proletariats. Die einzige Möglichkeit, Populismus und Rechtsextremismus zu bekämpfen, ist der Kampf gegen den Kapitalismus, gegen den bürgerlichen Staat und seine Demokratie, gegen alle Regierungen. Rechts oder links, "autoritär" oder "demokratisch", "rückschrittlich" oder "humanistisch", die Bourgeoisie hat nur ein Programm: immer mehr Elend und Unsicherheit, Krieg und Barbarei!
EG, 21. Juni 2024
[1] Die Geheimdienste befürchten nicht nur Unruhen in den Vorstädten und Ausschreitungen bei "antifaschistischen" Demonstrationen, sondern auch rassistische Gewalt von rechtsextremen Gruppen, die sich mit der Machtübernahme Bardellas beflügelt fühlen könnten.
[2] Auch wenn sowohl rechte als auch linke Parteien den ehemaligen Front National eine Zeit lang ausnutzen konnten. Es sei daran erinnert, dass die Sozialistische Partei, ein Mitglied der "Neuen Volksfront", in den 1980er Jahren zum Entstehen des Front National beigetragen hat. Damals hatte Präsident Mitterrand die Medienberichterstattung über die Partei von Jean-Marie Le Pen inszeniert, um der Rechten Steine in den Weg zu legen (siehe Au RN, un autre anniversaire : celui du coup de pouce de Mitterrand [125], Libération, 5. Oktober 2022)
[3] Zu den Wurzeln des Aufstiegs des Populismus siehe How the bourgeoisie organises itself [126] (Wie die Bourgeoisie sich organisiert), International Review 172 (engl./franz./span. Ausgabe)
[4] Der Aufstieg des Populismus ist nicht mit dem Aufstieg des Faschismus gleichzusetzen: Hitler und Mussolini kamen an die Macht, weil sie angesichts eines besiegten und zerschlagenen Proletariats für das deutsche und italienische Kapital die beste Möglichkeit darstellten, sich auf den Weltkrieg vorzubereiten, die einzige "Lösung" der Bourgeoisie für die Krise. Auch wenn die Illusionen über den demokratischen Staat heute zerbrochen sind, braucht die Bourgeoisie diese Mystifizierung, um der Arbeiterklasse gegenüberzutreten.
[5] Auch hier ist daran zu erinnern, dass es erstens die Demokratie war, die den Nährboden für den Faschismus bildete; und zweitens: Während Hitlers Regime eine entsetzliche und beispiellose Barbarei an den Tag legte, ließen sich die Alliierten nicht unterkriegen und zeigten während des Krieges eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Juden, die manchmal sogar in offene Komplizenschaft mit den Verbrechern umschlug.
[6] Es überrascht nicht, dass die ‚schlauen‘ Analysen der Bourgeoisie eine grobe Lüge sind. Zunächst einmal lässt sich die Arbeiterklasse nicht auf die sozio-professionelle Kategorie der Industriearbeiter reduzieren: Im Gegensatz zu einem "Angestellten" in einem Geschäft oder einer Hebamme gehört ein "Teamleiter" an einem Fließband nicht zur Arbeiterklasse. Und selbst wenn man nur die Kategorie der "Arbeiter" berücksichtigt, ist die Wahlenthaltung immer groß!
Am 20. Januar trat Donald Trump offiziell sein Amt als Präsident an. Ein Albtraum, den die verantwortungsvollsten Fraktionen der Bourgeoisie während der gesamten Amtszeit von Joe Biden zu verhindern versucht hatten. Ein durchschlagender Misserfolg!
Wenn die Bourgeoisie bei der ersten Wahl 2017 auch überrascht war, so versuchte sie danach, die Launen und Unbeständigkeiten des Bewohners des Oval Office zu kontrollieren.
Doch die rachsüchtigen Reden und die Diskreditierung der Demokraten erwiesen sich als mächtiger als die Überzeugungen und Prozesse, die gegen ihn wegen Körperverletzung, Erpressung oder kriminellen Verhaltens während des Angriffs auf das Kapitol im Januar 2021 angestrengt wurden. Diesmal ist die amerikanische Bourgeoisie eindeutig von der Situation überwältigt, die dieser Unruhestifter geschaffen hat, der nie einen Hehl aus seinem Wunsch gemacht hat, die Institutionen des Bundesstaates zu schwächen und sich über sie zu stellen. Trumps Einfluss auf alle US-Institutionen ist heute solider und umfassender als 2016, was auf einen größeren Kontrollverlust über den politischen Apparat seitens der klareren Fraktionen der US-Bourgeoisie und die Verschärfung der Spannungen innerhalb der herrschenden Klasse darüber, wie die Interessen des nationalen Kapitals am besten verteidigt werden können, zurückzuführen ist. Trumps Programm, das brutaler und empörender ist als zwischen 2017 und 2021, spiegelt deutlich die Verfestigung und Ausbreitung des Populismus wider, der die Welt erfasst hat.[1]
Der Gipfel von Trumps Verantwortungslosigkeit zeigt sich sowohl in seinen empörenden Äußerungen als auch in der personellen Besetzung des neuen Kabinetts, symbolisiert durch den unsagbaren Elon Musk. Pete Hegseth, ein ehemaliger Moderator von Fox News, der wegen sexueller Übergriffe angeklagt ist und keine Erfahrung im Oberkommando hat, wird Verteidigungsminister. Robert Kennedy Jr., ein Verschwörungstheoretiker und Impfgegner, wird Gesundheitsminister. Der Klimaskeptiker Chris Wright wurde zum Energieminister ernannt ... Kurz gesagt, ein Team von Gauklern, das eine historische Phase offenbart, in der die amerikanische Bourgeoisie, die an der Spitze aller Bourgeoisien der großen westlichen Mächte steht, dazu neigt, ihren Kompass zu verlieren, mit der Aussicht auf immer tiefere und chaotischere politische Krisen.
Kurz gesagt, dieses neue Mandat kündigt nichts Geringeres als eine weitere Verschärfung der weltweiten Unordnung an. Die Politik des neuen Teams kann den zerstörerischen Strudel von Krisen, die sich selbst aufrechterhalten und auf globaler Ebene interagieren, nur weiter anheizen: wirtschaftliche Schocks, Kriege, beschleunigte Klimaverschlechterung und Zusammenbruch der Ökosysteme, soziale Krisen, unkontrollierte Migrationswellen ...
Die Bourgeoisie nutzt den Giftdunst des Zerfalls ihres sterbenden Systems und weiß genau, wie sie es gegen das Bewusstsein der Arbeiterklasse wenden kann, um sowohl die Proletarier zur Verzweiflung zu treiben als auch die Illusion einer „gerechteren“ und „demokratischeren“ Zukunft zu säen. Die Trump-Regierung ist zwar ein wichtiger Akteur und Agent in der globalen Unordnung, aber nicht deren Ursache, im Gegensatz zu dem, was ein großer Teil der Bourgeoisie und ihrer Medien zu verkaufen versucht, um die historische Sackgasse des Systems besser hinter dem „Wahnsinn“ eines Mannes zu verbergen.
Diese weltweite ideologische Kampagne ist die Fortsetzung einer umfassenden politischen Offensive, die während des Wahlkampfs eingeleitet wurde und natürlich darauf abzielt, die Arbeiter hinter der Flagge des Antifaschismus zu verwirren und „die Verteidigung der demokratischen Regierungsfassade der kapitalistischen Herrschaft. Eine Fassade, die die Realität des imperialistischen Krieges, die Verarmung der Arbeiterklasse, die Zerstörung der Umwelt und die Verfolgung von Flüchtlingen verbergen soll. Es ist das demokratische Feigenblatt, das die Diktatur des Kapitals verschleiert, egal welche der verschiedenen Parteien – rechts, links oder Mitte – im bürgerlichen Staat an die politische Macht kommen.“[2] Diese demokratische ideologische Kampagne geht weiter, wobei jede Partei ihren kleinen Stein zum mystifizierenden Gebäude hinzufügt, wie Macron in Frankreich, der eine „reaktionäre Internationale“ anprangert, oder die deutsche und britische Bourgeoisie, die Musks „Einmischung“ anprangern.
Aber es sind vor allem die linksgerichteten Fraktionen der Bourgeoisie, die es in Wirklichkeit schaffen, die Arbeiterklasse am effektivsten zu verwirren, und zwar im Namen der Verteidigung der „Demokratie“ gegen den „Faschismus“. Die linken Parteien verleihen der Idee einer „reaktionären Internationale“ somit ihre „radikale“ Unterstützung und Glaubwürdigkeit.
Das Proletariat muss gegenüber dieser intensiven Propaganda, die anhält und sich noch verstärken wird, taub bleiben, da es sonst Gefahr läuft, angesichts der Kräfte des Kapitals weiter geschwächt zu werden. Es muss verstehen, dass der demokratische Staat das Werkzeug des Kapitals ist, seines schlimmsten Feindes. Das einzige Mittel, das der Arbeiterklasse heute noch bleibt, ist der Kampf für ihre Klasseninteressen und die Verteidigung ihrer Lebensbedingungen angesichts der Angriffe all dieser Staaten, selbst der „demokratischsten“, ob sie nun von rechts oder links regiert werden.
Dieser Kampf muss auch gegen die falschen Freunde der Arbeiterklasse, die Gewerkschaften, geführt werden. In Belgien neigt die Klasse dazu trotz der gemeinsamen Front der Gewerkschaften, die den Kampf durch die Organisation eines monatlichen Aktionstags, begleitet von anderen Streiks wie im französischsprachigen Bildungswesen und bei der Eisenbahn, einzudämmen und zu neutralisieren versucht, die gewerkschaftliche Zwangsjacke zu sprengen. Immer mehr Arbeiter schließen sich den Aktionstagen an. Die Proletarier in Belgien sind nicht allein. Seit 2022 erhebt die Arbeiterklasse überall auf der Welt, im Vereinigten Königreich, in Frankreich, Kanada und den Vereinigten Staaten, ihr Haupt und weigert sich, sich angesichts der Krise, der Entlassungen, der Inflation und der „Reformen“ zu ergeben. Überall beginnen sie allmählich, sich als soziale Kraft zu erkennen. Überall treten kleine Minderheiten auf den Plan, die nach den Ursachen der Krise, des Krieges und des Chaos fragen, in das uns der Kapitalismus stürzt. Sie stellt die Perspektive des Sturzes des Kapitalismus und des Aufbaus einer anderen Gesellschaft ohne Ausbeutung und ohne die Barbarei des Krieges in Aussicht.
WH, 22. Januar 2025
Die Bilder von Selenskyj, wie er von Trump im Oval Office gedemütigt, für seine Uniform ohne Krawatte verspottet, dann aufgefordert, sich zu bedanken, und schließlich zu schweigen geheißen wurde, haben weltweit eine Welle der Empörung ausgelöst.
Dass die Beziehungen innerhalb der herrschenden Klasse von Dominanz, Erpressung und Einschüchterung geprägt sind, ist nicht überraschend. Nur, dass sie ihre Gangster-Sitten normalerweise hinter den Kulissen austragen und vor Kameras und neugierigen Ohren versteckt halten, während Trump sie für alle sichtbar zur Schau stellt.
Der Grund für die Welle der Empörung liegt jedoch woanders, viel tiefer als die bloße Vulgarität, die in aller Öffentlichkeit zur Schau gestellt wird. Dieses Ereignis hat der Welt die Bilder eines großen historischen Umbruchs vor Augen geführt, den die Medien „den großen Umbruch der Allianzen“ nannten. Hinter dieser Abkehr der USA von der Ukraine steht nichts weniger als der Bruch mit Europa und der Versuch einer Annäherung an Russland. Die Strukturierung der Welt seit 1945 wird weggefegt.
Die Reaktion in Europa war unmittelbar. Von Paris bis London jagte ein Gipfel den nächsten, ein 800-Milliarden-Euro-Plan zur „Wiederbewaffnung Europas“ wurde verabschiedet, Frankreich, Deutschland und Großbritannien erklärten lautstark, dass angesichts der neuen russischen Bedrohung die Kriegswirtschaft ausgebaut werden müsse, nachdem der militärische Schutz durch die USA nun hinfällig zu sein scheint.
Seitdem folgt in allen Ländern der Welt eine Ansprache auf die andere, in der die Notwendigkeit unterstrichen wird, neue Opfer zu bringen, weil nach Ansicht aller Bourgeoisien mehr aufgerüstet werden muss, um den Frieden zu schützen (sic!). So hat Indien gerade ein großes Projekt zur Entwicklung seiner Rüstungsindustrie angekündigt, um den chinesischen Bestrebungen in ganz Asien entgegenzutreten.
„Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Sturm“, rief Jean Jaurès an einem Abend im Juli 1914, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, auf der Rednertribüne aus. Die gleiche Aussicht auf Krieg ist heute in allen Köpfen. Für die Arbeiterklasse wird die nahe Zukunft immer beängstigender. Welche neue Katastrophe steht bevor? Die Invasion Russlands in Europa? Eine militärische Konfrontation zwischen den USA und China, oder zwischen Indien und China, oder zwischen Israel und dem Iran? Ein dritter Weltkrieg?
Die Rolle revolutionärer Minderheiten besteht gerade darin, dass es ihnen gelingt, inmitten von Lärm und Wut, zwischen den täglichen Lügen, den ständigen Manipulationen und der Propaganda die Realität der laufenden historischen Entwicklung zu erkennen. Die Zukunft wird für die Arbeiterklasse eine der schwierigsten sein! Darauf muss man sich vorbereiten. Aber nein, es droht nicht der Dritte Weltkrieg oder gar eine Invasion Europas. Es ist eine Barbarei, die weniger frontal und allgemein, sondern vielmehr hinterhältig und schleichend ist, aber genauso gefährlich und mörderisch.
Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer und kündigte das Ende des Ostblocks an, das am 25. Dezember 1991 offiziell anerkannt wurde. Um die gegenwärtige Dynamik zu verstehen, müssen wir von diesem historischen Ereignis ausgehen.
Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks verlor der Westblock seine Daseinsberechtigung und die USA ihren seit über fünfzig Jahren bestehenden Todfeind Russland, der beträchtlich geschwächt war. Die Bourgeoisie der führenden Weltmacht erkannte sofort die neue historische Situation: Die in zwei imperialistische Blöcke geteilte Welt war am Ende; die Disziplin, die notwendig war, um jeden Block zusammenzuhalten, war am Ende; die Unterwürfigkeit der Verbündeten Amerikas, um sich vor dem Appetit Russlands zu schützen, war am Ende. Es eröffnete sie eine Zeit der Zerbrechlichkeit der Allianzen, des Seitenwechsels je nach den Umständen jedes Konflikts, für die Explosion des „Jeder für sich“. Vor allem Europa, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Zentrum des Ost-West-Konfliktes stand, wurde aus dieser Umklammerung befreit. Was die stärkeren und ehrgeizigeren Nationen betraf, so war nun der Platz Russlands, des vormaligen großen Gegenspielers Amerikas, zu besetzen.
Die amerikanische Bourgeoisie reagierte daher sofort: „Wir befinden uns heute in einem außergewöhnlichen und außerordentlichen Moment ... eine seltene Gelegenheit, uns auf eine historische Periode der Zusammenarbeit zuzubewegen ... eine neue Weltordnung, kann entstehen: eine neue Ära, weniger bedroht durch Terror, stärker im Streben nach Gerechtigkeit und sicherer im Streben nach Frieden.“ Diese Worte von US-Präsident George H. W. Bush in seiner Rede vor dem Kongress am 11. September 1990 haben sich in das Gedächtnis gebrannt. Zur gleichen Zeit waren als „neue Weltordnung“, „Zusammenarbeit“, „Gerechtigkeit“ und „Frieden“ die von amerikanischen Flugzeugträgern und Abrams-Panzern losgefeuerten Tomahawk-Raketen dabei, den Irak zu überrollen.
Mit diesem ersten Golfkrieg, der fast 500.000 Menschenleben forderte, verfolgten die USA zwei Ziele: eine echte Demonstration militärischer Stärke, um dem wachsenden imperialistischen Hunger aller anderen Nationen, insbesondere ihrer ehemaligen Verbündeten aus dem Westblock, entgegenzuwirken; und sie alle zu zwingen, sich an der Intervention im Irak zu beteiligen und zu gehorchen.
Was war das Ergebnis? 1991 brach der Krieg in Jugoslawien aus: Frankreich, Großbritannien und Russland unterstützten Serbien, die USA wählten Bosnien und Deutschland Slowenien und Kroatien. Deutschland versuchte hier, wieder einen direkten Weg zum Mittelmeer zu finden, und zeigte bereits seine neuen Ambitionen. 1994 brach der Krieg in Ruanda aus, wobei Frankreich auf der Seite der Hutu und ihres Völkermords stand und die USA auf der Seite der Tutsi und ihrer Wiedererlangung der Macht.
Diese fünf Jahre, 1990-1994, fassen für sich genommen die gesamte imperialistische Dynamik zusammen, die darauf folgte und die wir nun seit mehr als drei Jahrzehnten erleben. „Anti-Terror-Operation“ in Afghanistan, zweiter Golfkrieg, Interventionen in Libyen, Jemen und Syrien – das Ergebnis ist jedes Mal das gleiche:
- Erstens eine Machtdemonstration der USA, deren militärische Stärke unübertroffen ist.
- Zweitens ein endloses Chaos, eine Unfähigkeit, die besiegte Region zu regulieren und zu stabilisieren.
- Drittens eine Verschärfung der imperialistischen Spannungen auf internationaler Ebene, wobei jede Nation die Hegemonie, die die USA weiterhin durchsetzen wollen, zunehmend in Frage stellt.
Die USA, die stärkste Macht der Welt, sind auch zum Hauptverursacher der „globalen Unordnung“ geworden.
Was das Ziel betrifft, eine andere Großmacht daran zu hindern, aufzutauchen und sich ihnen entgegenzustellen, so haben die USA dies mit Erfolg getan:
- Gegen Russland, indem sie immer mehr militärische Kräfte auf dem Gebiet der ehemaligen russischen Satellitenstaaten stationiert haben.
- Gegen Japan, indem sie einen gezielten Handelskrieg gegen das Land geführt und es seit mehr als 35 Jahren in die wirtschaftliche Stagnation getrieben haben. 1989 sagte der damalige US-Finanzminister Lawrence Summers: „Japan stellt eine größere Bedrohung für die USA dar als die UdSSR“.
- Gegen Deutschland, das seine Wirtschaft entwickeln durfte, aber in seinen militärischen Ansprüchen eingeschränkt war.
Nur gelang es einer neuen Macht, trotz allem aufzusteigen: China. Als „Fabrik der Welt“, als echte globale Wirtschaftslokomotive, die auch die USA brauchen, wurde der imperialistische Appetit Chinas immer größer, so dass es behauptete, eines Tages den Platz der ersten Weltmacht einnehmen zu können. Aus diesem Grund kündigte Außenministerin Hillary Clinton 2011 die „strategische Ausrichtung nach Asien“ an, eine Vision, die „Asien in den Mittelpunkt der amerikanischen Politik“ stellt und ein militärisches, wirtschaftliches und diplomatisches Engagement der USA vorsieht, um die Präsenz und den Einfluss im indopazifischen Raum zu erhöhen. Im Jahr darauf bestätigte Barack Obama diese Neuausrichtung der US-Streitkräfte auf Asien unter dem Namen „Rebalancing“.
Die chinesische Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Im Jahr 2013 stellt es seine neuen globalen imperialistischen Ambitionen offiziell zur Schau. Präsident Xi Jinping kündigt 2013 das „Jahrhundertprojekt“ an: den Bau einer „Neuen Seidenstraße“, einer Reihe von See- und Eisenbahnverbindungen zwischen China, Europa und Afrika über Kasachstan, Russland, Weißrussland, Polen, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Dschibuti und Somaliland – dieses Projekt umfasst mehr als 68 Länder mit 4,4 Milliarden Menschen und 40% des weltweiten Bruttoinlandprodukts!
Als der russische Imperialismus am 24. Februar 2022 versuchte, in die Ukraine einzufallen, geriet er in eine Falle. Die USA hatten diesen Krieg absichtlich vorangetrieben, indem sie die Ausweitung der Präsenz von NATO-Streitkräften auf ukrainischem Gebiet an der russischen Grenze planten, von der sie genau wussten, dass sie für den Kreml völlig untragbar war. Das Ziel? Russland in einen Morast, eine Sackgasse, hineinzuziehen. Kein Besatzungskrieg seit 1945 war erfolgreich, egal wer der „Invasor“ war. Die USA können ein Lied davon singen, als sie Vietnam besetzten. Es handelte sich dabei um einen von langer Hand geplanten Plan. Alle Präsidenten seit 1990, Bush-senior, Clinton, Bush-junior, Obama, Trump, Biden ... haben einer nach dem anderen das gleiche Werk verfolgt, die NATO in den osteuropäischen Ländern zu etablieren.
Von 2022 bis zur Rückkehr Trumps an die Regierung haben die USA die Ukraine ausreichend unterstützt und bewaffnet, damit der Krieg andauert, damit der russische Imperialismus weder Sieger noch Besiegter ist, damit er dort in der Falle sitzt, die „lebendigen Kräfte der Nation“ an der Front opfern und das gesamte Wirtschaftsgefüge im Hinterland verschleißen muss. Die USA haben hier ein Dreiband-Billard gespielt. Denn im Grunde war China das Ziel des Manövers, da Russland sein wichtigster militärischer Verbündeter war. Dieser Krieg war auch gleichbedeutend mit einem Stopp des Fortschreitens der „Neuen Seidenstraße“. Und die USA nutzten die Gelegenheit, um Europa zu schwächen, allen voran Deutschland, das stark von den Märkten im Osten und von russischem Gas abhängig ist.
Ende 2024 begann die imperialistische Neuausrichtung der USA auf Asien, die 2011 eingeleitet worden war, ernsthafte Auswirkungen auf das Gleichgewicht der Welt zu haben:
- Experten zufolge sollte China 2020 zur führenden Weltmacht werden, dann 2030, dann, 2040, heute 2050 ..., wenn sie nicht schlicht und einfach das Eintreten dieser Prognose ganz aussetzen. Alle Signale stehen für China auf Rot: Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, Immobilienkrise, Stillstand bei der Seidenstraße ... Selbst das Ziel, den militärischen Rückstand gegenüber den USA aufzuholen, rückt in weite Ferne, da das Verteidigungsbudget dreimal kleiner ist als das seines Konkurrenten – und das jedes Jahr!
- Europa, das über 50 Jahre lang ein wichtiger Verbündeter der USA gegenüber der UdSSR war, hat mit dem Aufstieg Chinas an geostrategischer Bedeutung verloren und ist vor allem zu einem harten wirtschaftlichen Konkurrenten und zu einem Lieferanten von Ländern geworden, die in bewaffneten Konflikten im Wege stehen oder sogar Feinde sind. Die Rede des französischen Ministers De Villepin am Rednerpult der Vereinten Nationen am 14. Februar 2003, in der er sich weigerte, sich an der militärischen Intervention im Irak zu beteiligen, bleibt ein Symbol für diese europäischen Länder, die sich zunehmend gegen die USA stellen: "In diesem Tempel der Vereinten Nationen sind wir die Hüter eines Ideals, wir sind die Hüter eines Gewissens. Die schwere Verantwortung und die immense Ehre, die wir haben, müssen uns dazu bringen, der Abrüstung in Frieden Priorität einzuräumen. Und es ist ein altes Land, Frankreich, ein alter Kontinent wie der meine, Europa, der Ihnen dies heute sagt". Die jüngsten Ereignisse Anfang 2025 haben den Bruch endgültig besiegelt, der das weltweite Chaos beschleunigen wird.
„Schauen Sie, seien wir ehrlich, die Europäische Union wurde entworfen, um die Vereinigten Staaten zu ärgern“: Das ist 22 Jahre später, aus dem Mund von Donald Trump, die Antwort der amerikanischen Bourgeoisie auf De Villepin und die französische Bourgeoisie.
Der amerikanische Präsident ist ein größenwahnsinniger Spinner. Die Propaganda nutzt diese für alle sichtbare Tatsache, um ihm all die Fäulnis, die Barbarei und die Irrationalität, die sich heute entwickeln, in die Schuhe zu schieben. Aber es ist kein Zufall, dass es ein größenwahnsinniger Spinner ist, der an die Spitze der führenden Weltmacht gelangt ist. Trump ist das Ergebnis des Wahnsinns und der Irrationalität, die das gesamte kapitalistische System zunehmend gangsterartig durchziehen. In dieser Hinsicht bricht seine Präsidentschaft nicht mit der Politik, die vor ihm betrieben wurde, sondern verlängert sie, beschleunigt sie und treibt sie auf die Spitze. Trumps Politik ist nur eine maskenlose Karikatur der Politik der gesamten Bourgeoisie, von der er ein Teil ist.
Hat Europa seine geostrategische Bedeutung verloren? Dann zieht Trump die Konsequenzen daraus bis zum Äußersten. Der «alte Kontinent“ ist in seinen Augen nur noch ein wirtschaftlicher Konkurrent, also ab in den Müll mit den Abkommen und Bündnissen, ab in den Müll mit dem Atomschutzschild, und es lebe die Errichtung von Zollschranken durch extravagante Erhöhungen der Einfuhrzölle. Das Ende des amerikanischen Militärschutzes soll unter anderem dazu führen, dass alle europäischen Länder einen Teil ihrer Wirtschaftskraft für den Aufbau ihrer militärischen Streitkräfte verschwenden müssen.
Ist China der Hauptfeind, den es auszuschalten gilt? Dann lassen Sie uns Clintons und Obamas „Ausrichtung“ bis zum Ende durchziehen: Russland muss China entrissen werden, selbst wenn man dafür die Ukraine opfert, der Panamakanal muss kontrolliert werden, da China den Anspruch hat, ihn für seine „neue Seidenstraße“ zu gebrauchen, Grönland muss unter den Nagel gerissen werden, da China auf die Arktis schielt. Der Nordpol ist derzeit einer der Hotspots des Planeten: Russland, China, Kanada und die USA streben nach der Vorherrschaft in diesem Gebiet. China hat im Übrigen seinen Willen erklärt, eine „neue polare Seidenstraße“ zu eröffnen!
Hinter Trumps wildesten Äußerungen verbirgt sich also die Verfolgung der zentralen Ziele der gesamten amerikanischen Bourgeoisie: China zu schwächen, es endgültig daran zu hindern, eines Tages den Anspruch erheben zu können, die Position der ersten Weltmacht einzunehmen.
Trumps Vorgehen ist einfach viel aggressiver, chaotischer und irrationaler als das seiner Vorgänger, er ist der Inbegriff der Aggressivität, des Chaos‘ und der Irrationalität der gegenwärtigen historischen Epoche! Dies kann Früchte eintragen. So kündigte der panamaische Präsident José Raul Mulino am 7. Februar 2025 nach einem Treffen mit dem US-Außenminister Marco Rubio an, dass er die Zusammenarbeit mit China nicht verlängern werde. Peking erklärte daraufhin sofort, dass es diesen Rückzug „zutiefst bedauere“. „China lehnt es entschieden ab, dass die USA Druck und Zwang anwenden, um die Zusammenarbeit zu verunglimpfen und zu untergraben", sagte Lin Jian, Sprecher des chinesischen Außenministeriums.
Aber von den Ausnahmen abgesehen, wird Trumps Vorgehensweise, die ein Produkt des Chaos in der Welt ist, ihrerseits zum aktiven Faktor und Beschleuniger eben dieses Chaos. Trump und seine Clique führen die wirtschaftliche und imperialistische Politik der größten Weltmacht so, wie sie ihr eigenes Business führen: Sie suchen nach „guten Deals“, ohne langfristigen Plan, es muss sich lohnen, „jetzt und sofort“. Die Folgen sind natürlich katastrophal.
Als Trump die Ukraine fallen ließ, hat er der Welt ins Gesicht gesagt: Das Wort des amerikanischen Staates ist nichts wert, ihr könnt uns nicht trauen. Im Übrigen streben Trump und seine Clique keine internationalen Bündnisse an, sondern punktuelle bilaterale Abkommen, die „jetzt sofort“ gültig sind. Indien, Südkorea und Australien sind heute besonders besorgt und misstrauisch gegenüber ihrem „amerikanischen Freund“. Kanada nähert sich Europa an, dessen Verpflichtungen verlässlicher erscheinen.
Noch schlimmer ist, dass Trump mit der Aufgabe Europas die Verbindungen, die nach 1990 weiter bestanden, endgültig abgebrochen hat. Die Folgen für Europa sind noch nicht absehbar, aber welcher Weg auch immer eingeschlagen wird, er wird sich als nachteilig für die USA erweisen: entweder ein stärkerer Zusammenhalt der wichtigsten europäischen Mächte gegen die USA, mit einem verstärkten Handelskrieg und einem Ausbau europäischer Streitkräfte, oder eine Zuspitzung des „Jeder gegen Jeden“ innerhalb Europas, mit einer Europäischen Union, die teilweise zerfällt, und Mächten, die ihre nationale Kriegswirtschaft ausbauen, um ihre eigenen Karten spielen zu können, wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Am wahrscheinlichsten ist, dass beide Dynamiken nebeneinander existieren werden, je nachdem, welche Konflikte und welche Ecken des Globus auf dem Spiel stehen. Aber in all diesen Fällen werden die USA einer imperialistischen Welt gegenüberstehen, die ihnen noch feindlicher, weniger stabil und weniger kontrollierbar sein wird.
Und wofür das alles? Trump und seine Clique sind nicht einmal sicher, dass sie Russland für sich gewinnen können. In Wirklichkeit ist es sogar unmöglich. Trump hat also einen Keil zwischen China und Russland getrieben, die einander schon seit langem misstrauen. China besetzt gegen den Willen des Kremls russisches Land, das reich an Mineralien ist. Russland führt ohne Pekings Segen einen Krieg in der Ukraine. So ist es mit allen imperialistischen „Bündnissen“ seit 1990: Sie sind zerbrechlich, wandelbar. Aber niemals wird es gelingen, Russland zu seinem Verbündeten zu machen. Putin wird versuchen, so viel wie möglich von Trumps „gutem Schachzug“ zu profitieren, aber aus dieser „Umwälzung der Allianzen“ wird nichts Stabiles hervorgehen.
Grundsätzlich hat Trump nach den aufeinanderfolgenden und ständigen Misserfolgen der amerikanischen Bourgeoisie, ihre Ordnung durchzusetzen und das „Jeder gegen Jeden“ einzuschränken, die Unmöglichkeit, diese Dynamik zu stoppen, aktenkundig gemacht und den „Krieg Jeder gegen Jeden“ als die eigentliche „Strategie“ der neuen amerikanischen Regierung für eröffnet erklärt.
Indem er die Ukraine und Europa fallen ließ und sich Russland zuwandte, hat Trump gerade die spärlichen Fundamente der internationalen Ordnung zerstört, die den Zusammenbruch der UdSSR 1990 überlebt hatten. Und es wird kein Zurück mehr geben.
Natürlich wird die US-Bourgeoisie angesichts des Dilettantismus und der Inkompetenz der Trump-Clique, der aktuellen und künftigen Misserfolge, des Chaos, das sich weltweit ausbreiten wird, und der absehbaren wirtschaftlichen und imperialistischen Rückschläge für die USA versuchen, zu reagieren und die Zeit nach Trump vorzubereiten. Die US-Bourgeoisie als Ganzes hat ein großes Interesse daran, die Eskapaden und Übertreibungen der Trump-Clique auszumerzen, an die sehr wirksame „Soft Power“ anzuknüpfen und zu versuchen, ihrem Wort und ihren Verpflichtungen wieder Glaubwürdigkeit zu verleihen. In Wirklichkeit wird es jedoch kein Zurück mehr geben. Denn es handelt sich hinter dieser Beschleunigung der Ereignisse um die Bestätigung und Manifestation der historischen Sackgasse, die das Überleben des Kapitalismus für die Gesellschaft darstellt: Die nächste Regierung wird vielleicht die Form ihrer Politik ändern, nicht aber den Inhalt, das Vertrauen in die Verlässlichkeit des amerikanischen Wortes wird nicht zurückkehren, die zerstörten Bündnisse mit Europa werden nicht neu geknüpft, das Chaos in der Ukraine wird nicht aufhören, die Beziehung zu Russland wird nicht befriedet werden.[1]
Im Gegenteil, die Zukunft ist auf lange Sicht der Krieg, der sich im Nahen Osten ausbreitet, wahrscheinlich im Iran, Russland, das auf seine Nachbarländer schielt, Moldawien zum Beispiel, die Zunahme der Spannungen in Asien, um Taiwan, zwischen China und Indien ... Die Zukunft ist ein globaler Kapitalismus, der auf der Stelle verrottet, sich in Barbarei stürzt, jeder für sich selbst, die Zunahme kriegerischer Konflikte ... Die Zukunft ist die Kriegswirtschaft, die sich in allen Ländern ausbreitet und von der Arbeiterklasse verlangt, mehr zu arbeiten, schneller zu arbeiten, weniger zu verdienen, sich weniger zu bilden, weniger zu pflegen ...
Ja, das ist die Zukunft, die der Kapitalismus bereithält! Die Antwort kann einzig der Klassenkampf sein. Die Bedrohung durch die Ausweitung der kriegerischen Barbarei kann Angst machen, lähmen und dazu führen, dass man von „seinem“ Staat „beschützt“ werden will. Aber derselbe Staat wird „seine“ Arbeiterinnen und Arbeiter rücksichtslos angreifen, um den Takt zu erhöhen und seine Kriegswirtschaft auszubauen. Das ist der Weg, den der Klassenkampf in den kommenden Jahren nehmen wird: Die konsequente Weigerung, den Gürtel immer enger zu schnallen, wird zu massiven Arbeiterkämpfen und zur Entwicklung von Solidarität, Bewusstsein und Organisation der Arbeiterklasse führen müssen.
Seit dem „Sommer des Zorns“, der 2022 in Großbritannien ausbrach, dieser monatelangen Serie von Streiks in allen Sektoren, hat die Arbeiterklasse auf globaler Ebene den Willen wiedergefunden, sich zu wehren, auf die Straße zu gehen, sich zusammenzuschließen, zu diskutieren und gemeinsam zu kämpfen. Es ist diese Dynamik, die allein der Menschheit eine andere Zukunft bieten kann: die Zukunft der Überwindung des Kapitalismus, des Endes seiner Kriege, seiner Grenzen und seiner Ausbeutung, die Zukunft der proletarischen Revolution für den Kommunismus.
Und es ist die Aufgabe der revolutionären Minderheiten, aller, die nach wirklicher politischer Klärung suchen, aller, die sich nach einer anderen Perspektive als diesem dekadenten und barbarischen Kapitalismus sehnen, sich zusammenzuschließen, zu diskutieren, den Zusammenhang zwischen Krieg, Wirtschaftskrise und den Angriffen auf die Arbeiterklasse zu verstehen und auf die Notwendigkeit eines geeinten Kampfes als Klasse hinzuweisen.
Gracchus, 24.3.2025
[1] Russland ist sich übrigens sehr wohl bewusst, dass die US-Bourgeoisie bereits die Zeit nach Trump vorbereitet, und es besteht eine immense Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Clique an der Macht aus der antirussischen historischen Tradition der USA stammen wird, was die derzeitigen Pseudo-Absprachen noch brüchiger macht. Russland ist misstrauisch.
Die angesehensten Wirtschaftsinstitutionen der Bourgeoisie rühmen sich einer eher positiven Einschätzung des aktuellen Zustands der Weltwirtschaft, die "angesichts der Pandemie, des Krieges in der Ukraine und eines Inflationsanstiegs eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit gezeigt hat".[1] Der IWF, die Weltbank und andere Institutionen prognostizieren für das Jahr 2025 ein etwas höheres Wachstum als für 2024, obwohl sie große Unsicherheiten und Risiken befürchten, die insbesondere auf die zunehmenden geopolitischen Spannungen zurückzuführen seien. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus: Das kapitalistische System befindet sich weiterhin auf dem Weg in den Abgrund einer chronischen Wirtschaftskrise, die die Welt weiter in Stagnation und Armut stürzt.
Im Jahr 2024 hat sich die Weltwirtschaft immer noch nicht von der Covid-19-Pandemie und ihren strikten Beschränkungen erholt, was dazu führt, dass die Weltwirtschaft schwächer ist als je zuvor. Wie könnte es anders sein? Vor dem Auftreten von Covid-19 hatte der Kapitalismus bereits ein sehr fragiles Geld- und Finanzsystem und eine massive Staatsverschuldung, die eine Periode schwerer Erschütterungen vorhersagt.[2] Die Pandemie, die sich im Jahr 2020 ausgebreitet hat, hat diese Tendenzen nur noch verstärkt, indem sie insbesondere die Produktionsketten und den globalen Handel weiter gestört hat.
In den letzten 25 Jahren wurde die Weltwirtschaft vor allem durch eine massive Kreditvergabe über Wasser gehalten, was zu einer rasant ansteigenden Staatsverschuldung führte. "Die weltweite Staatsverschuldung hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verfünffacht und übertrifft damit deutlich das weltweite BIP, das sich im gleichen Zeitraum verdreifacht hat".[3] Die UNO spricht von einem alarmierenden Anstieg der weltweiten Staatsverschuldung (d.h. hauptsächlich der über mehrere Jahre hinweg von staatlichen Stellen angehäuften Schulden), die im Jahr 2023 einen Rekordwert von 97.000 Milliarden Dollar erreichen soll, während die weltweite Gesamtverschuldung (eine Gesamtverschuldung, die auch die der Unternehmen und Haushalte einschließt) auf dem Weg ist, die wahnwitzige Zahl von 300.000 Milliarden Dollar zu erreichen, bei einem weltweiten BIP von nur 105.000 Milliarden Dollar.
In den letzten Jahren wurde die Weltwirtschaft durch den Ausbruch extrem gewaltsamer Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine in Mitleidenschaft gezogen. Letzterer hat die Inflation in den beiden kriegführenden Ländern in die Höhe schnellen lassen und mehrere Nachbarländer wie die baltischen Staaten angesteckt, wo die Inflation im Jahr 2022 über 20 % lag. Die Sanktionen gegen Russland haben sich sowohl auf die russische Wirtschaft als auch auf die Länder in der Nähe des Kriegsgebiets negativ ausgewirkt. Am stärksten betroffen ist die deutsche Wirtschaft, die ihre Handelsbeziehungen zu Russland abgebrochen hat und keine günstigen Gaslieferungen mehr erhält.
Die Jahre 2020-2024 waren die schwächste halbe Dekade des BIP-Wachstums seit dreißig Jahren. Für 2024-25 wird erwartet, dass das Wachstum in fast 60 % der Volkswirtschaften der Welt unter dem durchschnittlichen Wachstum der 2010er Jahre liegen wird. Angesichts dieser beklagenswerten Situation besteht die reale Möglichkeit, dass große Volkswirtschaften wie die Vereinigten Staaten, Europa und China von einer Stagflation betroffen sein werden.
Die ohnehin schwache europäische Wirtschaft wird durch relativ hohe Energiepreise und eine kolossale Staatsverschuldung auf eine harte Probe gestellt. Die deutsche Wirtschaft befindet sich am Rande einer Rezession. Das einst renommierte verarbeitende Gewerbe (Automobil- und Chemieindustrie) leidet unter den hohen Energiekosten und dem scharfen internationalen Wettbewerb. Es leidet auch unter einem erheblichen Rückgang der Auslandsnachfrage. Im Jahr 2024 lag die Industrieproduktion 15 % unter dem Höchststand von 2016, und Zehntausende von ArbeiterInnen sind von Entlassung bedroht. Frankreich hat die Kontrolle über seine öffentlichen Finanzen verloren, mit einem Schuldenstand von weit über 100 % des BIP, ein Problem, mit dem auch Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und Belgien zu kämpfen haben. Eine der führenden europäischen Volkswirtschaften befindet sich daher auf einem nicht nachhaltigen wirtschaftlichen Kurs. Die französische verarbeitende Industrie befindet sich ebenfalls in einer Krise, und es gibt keine Anzeichen für eine Erholung am Horizont. Eskalierende imperialistische Spannungen und wachsendes Chaos, ein zersplitterter Welthandel, steigende Inflation und Energiekosten deuten auf eine noch nie dagewesene Verschärfung der Krise der europäischen Wirtschaft hin.
In China schwächten bereits die Auswirkungen der während Covid-19 beschlossenen US-Sanktionen und Eindämmungsmaßnahmen die Wirtschaft bereits erheblich. Doch das Platzen der Immobilienblase hat die Krise noch verschärft: Der Gesamtwert der unfertigen und unverkauften Wohnungen beläuft sich auf rund 4,1 Billionen Dollar. Das Platzen der Blase hat auch zum Zusammenbruch von 40 kleinen Banken geführt, und rund 3 800 weitere Banken sind nun in ernsten Schwierigkeiten. Schließlich hat die Blase die Ersparnisse der privaten Haushalte in Höhe von rund 18.000 Milliarden Dollar vernichtet, was das Vertrauen der VerbraucherInnen ernsthaft beeinträchtigt und die Konsumausgaben bremst. In Verbindung mit einem stetigen Rückgang der Exporterlöse führt diese Situation zu einer seit Jahrzehnten nicht mehr gekannten Verlangsamung. Die chinesische Wirtschaft wird heute sicherlich nicht mehr in der Lage sein, als Motor der Weltwirtschaft[4] zu fungieren, wie es nach der Finanzkrise 2008 noch der Fall war.
Trump hat eine aggressive protektionistische Politik angekündigt mit der Absicht, Zollschranken für alle seine Konkurrenten, einschließlich seiner "Partner", zu errichten. Diese Politik wird einen erbitterten Handelskrieg auslösen, in dem andere Länder ihre eigenen Zölle erheben werden. Sie wird wahrscheinlich die Inflation anheizen und das weltweite Wachstum weiter verlangsamen, insbesondere in China und wahrscheinlich auch in Europa. Die angekündigten Zölle stellen eine neue Etappe in einer Politik dar, die die Weltwirtschaft in Aufruhr versetzt, ihre Zersplitterung verschärft und eine weitere Demontage der Globalisierung ankündigt. Ihre Umsetzung wird der globalen Krise, die keine Macht, auch nicht die Vereinigten Staaten, verschonen wird, erheblichen Auftrieb geben.
Der Krieg ist die Überlebensform des Kapitalismus in seiner dekadenten Phase, so dass die Wirtschaft ganz natürlich dem Weg des Militarismus folgt, der die meisten Volkswirtschaften beherrscht. Mit der Zunahme von bewaffneten Konflikten auf der ganzen Welt wird diese Tendenz noch viel ausgeprägter. So stiegen die weltweiten Militärausgaben im Jahr 2023 zum neunten Mal in Folge und erreichten mit insgesamt 2.443 Milliarden Dollar den höchsten jemals verzeichneten Stand. Deutschland hat seinen Militäretat verdoppelt, während das entsprechende US-Budget bei fast 1.000 Milliarden Dollar liegt. Unproduktive Ausgaben sind ein Nettoverlust für die Volkswirtschaft und könnten sie sogar in den Bankrott treiben. Erinnern wir uns daran, dass diese hohen Ausgaben zum Bankrott der "sowjetischen" Wirtschaft führten, was zum Zusammenbruch des Ostblocks beitrug.
Die kapitalistische Gesellschaft befindet sich heute in einem solchen Zustand des Zerfalls, dass nicht nur ihr ideologischer Überbau, sondern auch ihre eigenen wirtschaftlichen Grundlagen von den zerstörerischen Auswirkungen dieses sozialen Niedergangs betroffen sind. Die Akkumulation der kombinierten Wirkung dieser Faktoren (Krise, Krieg, globale Erwärmung, das Jeder-gegen-jeden) erzeugt "eine verheerende Spirale mit unabsehbaren Folgen für den Kapitalismus (...), die die kapitalistische Wirtschaft und ihre Produktionsinfrastruktur immer stärker trifft und destabilisiert. Während jeder einzelne Faktor, der diesen ‘Strudel’ des Zerfalls antreibt, den Zusammenbruch von Staaten bewirken kann, übersteigt seine kombinierte Wirkung bei weitem die Summe der einzelnen Faktoren".[5]
So verursachen die beiden Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten nicht nur katastrophale Zerstörungen in der Infrastruktur der betroffenen Länder, sondern fragmentieren und destabilisieren auch ganze Teile der Weltwirtschaft. Ein Strang der "Neuen Seidenstraße" beispielsweise, der Land- und Seeverbindungen zwischen China und Europa, der durch das Gebiet Russlands und Weißrusslands führt, ist seit Beginn des Krieges völlig lahmgelegt. Flugzeuge aus Nordamerika und Europa können Sibirien nicht mehr überfliegen, und diese Umleitungen haben zu einem drastischen Anstieg der Kosten für die betroffenen Flüge geführt. Verschiedene Seehandelsrouten, wie das Rote und das Schwarze Meer, sind wegen der Bedrohung durch die anhaltenden Kriege für den Verkehr riskant. Diese schwerwiegenden Hindernisse für den Welthandel treiben die Seefrachtkosten in die Höhe, und in einigen Teilen der Welt droht eine Nahrungsmittelkrise.
Wiederkehrende, zufällige und potenziell schwerwiegende Klimaschocks führen zur Zerstörung von Infrastrukturen, zur Bodenverschlechterung, zum Zusammenbruch von Ökosystemen und menschlichen Populationen, während sich die Natur immer weniger von diesen katastrophalen Ereignissen erholen kann, was zu einer dauerhaften Einbuße in den Produktionsfähigkeiten führt. Zwischen 2014 und 2023 dürften rund 4.000 klimabedingte Ereignisse zu wirtschaftlichen Verlusten in Höhe von schätzungsweise 2.000 Milliarden Dollar geführt haben. Und da der Kapitalismus aufgrund des scharfen globalen Wettbewerbs nicht in der Lage ist, die globale Erwärmung einzudämmen, werden diese Verluste immer schneller zunehmen.
Unter dem wachsenden Einfluss des Populismus werden die Maßnahmen der Bourgeoisie immer irrationaler, manchmal zum Nachteil der nationalen Wirtschaftsinteressen. Nehmen wir zum Beispiel die Sabotage der Arbeit der Welthandelsorganisation während Trumps erster Präsidentschaft, einer Institution, die ein Mindestmaß an Stabilität in der Weltwirtschaft aufrechterhalten soll, indem sie der internationalen Entwicklung eines jeden Einzelnen freien Lauf lässt. In ähnlicher Weise hat die Entscheidung der britischen Bourgeoisie, aus der EU auszutreten, große Hindernisse für ihren Handel mit dem Kontinent geschaffen, was erhebliche negative Auswirkungen auf ihre Wirtschaft hat. Und schließlich hat der völlig irrationale Umgang von Bolsonaro und Modi mit der Covid-19-Krise in diesen beiden Ländern zu viel mehr Opfern als im allgemeinen Durchschnitt geführt und die Wirtschaftskrise verschärft.
In den letzten Jahren hat die Krise bereits zu einer erheblichen Verarmung in den wichtigsten Wirtschaftsregionen der kapitalistischen Welt geführt. Laut Eurostat waren im Jahr 2023 16,2 % der europäischen Bürgerinnen und Bürger von Armut bedroht, was bedeutet, dass etwa 71,7 Millionen Menschen unter materieller und sozialer Entbehrung leiden und nicht genug Einkommen haben, um ein angemessenes Leben zu führen. Die Vereinigten Staaten haben eine der höchsten Armutsquoten in der westlichen Welt. Nach Angaben des Brookings Institute sind 43 % aller amerikanischen Familien nicht in der Lage, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.[6]
In China gibt es offiziell keine Armut. Doch im Jahr 2020 lebten 600 Millionen Chinesen immer noch von umgerechnet 137 Dollar im Monat und hatten Mühe, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.[7]
Angesichts der sich verschlechternden Wirtschaftslage wird sich diese Tendenz in den kommenden Jahren fortsetzen, wie die bereits angekündigte Serie von Entlassungen beweist. Laut layoffs.fyi [128] haben beispielsweise 384 US-amerikanische Technologieunternehmen bis 2024 bereits mehr als 150.000 Beschäftigte entlassen, zusätzlich zu den 428.449 ArbeiterInnen, die in den beiden vorangegangenen Jahren im selben Sektor ihren Arbeitsplatz verloren haben. In Europa wurden massive Entlassungen bei Bosch (5.000 Stellen), Volkswagen (35.000 Stellen), Schaeffler AG (4.700 Stellen), Ford (4.000 Stellen), Airbus (2.043 Stellen) und Air France KLM (1.500 Stellen) angekündigt. Chinas größte Privatunternehmen haben 300.000 Stellen abgebaut. Die Jugendarbeitslosigkeit in China hat 20 % erreicht. Diese Zahlen verdeutlichen, wie sich die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft auf die Arbeiterinnen und Arbeiter auswirkt. Die schwindelerregenden Pläne von Trumps zweiter Amtszeit werden den Lebensbedingungen der ProletarierInnen sicherlich einen weiteren Schlag versetzen.
Als Reaktion auf die sich verschlechternde Weltwirtschaft und die sich verschlechternden Lebensbedingungen muss sich die Arbeiterklasse auf den Kampf vorbereiten, so wie es die ArbeiterInnen in verschiedenen Ländern seit 2022[8] getan haben, als sie deutlich gezeigt haben, dass sie wirtschaftliche Angriffe nicht kampflos hinnehmen würden und den Kampf mit mehr Selbstvertrauen aufgenommen haben. Dies sollte alle ProletarierInnen ermutigen, ihr Zögern zu überwinden und dem Beispiel ihrer Klassenbrüder und -schwestern zu folgen und sich ihrem Kampf anzuschließen.
Dennis, 15. Januar 2025
[1] ‘Harnessing the Power of Integration: A Path to Prosperity in Central Asia’ (Die Kraft der Integration nutzen: Der Wachstumspfad in Zentralasien), IWF-Bericht (2024)
[2] Resolution zur internationalen Lage (2019): imperialistische Spannungen, Leben der Bourgeoisie, Wirtschaftskrise [129], Internationale Revue Nr. 56 (2020)
[3] ‘A world of debt - A growing burden on global prosperity [130]’ (Eine Welt voller Schulden – eine wachsende Belastung für den globalen Wohlstand), UNO-Bericht (2024)
[4] China: Die Wirtschaftskrise verschärft soziale und politische Spannungen [131], IKSonline Oktober 2023
[5] Diese Krise wird die schwerste in der gesamten Periode der Dekadenz des Kapitalismus sein [132], Internationale Revue Nr. 60 (Herbst 2024)
[6] ebd.
[7] Chinesische Armut ist ein von der KPCh auferlegter Fluch, Yinbao.net
[8] Weshalb spricht die IKS von einem "Bruch" im Klassenkampf? [133], IKSonline August 2023
Die Verwüstungen des dreijährigen Krieges in der Ukraine sind ebenso wie die unsägliche Barbarei des seit fünfzehn Monaten andauernden israelisch-palästinensischen Konflikts, der den gesamten Nahen Osten in Brand gesetzt hat, ein schreckliches Beispiel für die Kriege, die durch die Periode der Zerfalls des Kapitalismus hervorgerufen werden.
Welche Waffenstillstände oder Waffenruhen auch immer im Rahmen künftiger imperialistischer Manöver geschlossen werden, sie können nur vorübergehend sein und werden nur eine vorübergehende Pause in der Verstärkung des barbarischen Militarismus darstellen, der die kapitalistische Produktionsweise kennzeichnet.
Im Februar 2022 erklärte Putin, dass die russische Armee im Rahmen einer „speziellen Militäroperation“ von kurzer Dauer rasch in der Ukraine vorrücken werde. Seitdem sind drei Jahre vergangen, und obwohl Raketen und Artillerie weiterhin ganze Städte zerstören und Tausende von Menschenleben fordern, hat der Krieg einen Punkt erreicht, an dem keine der beiden Seiten nennenswerte Fortschritte macht, was die Militäroperationen noch verzweifelter und zerstörerischer macht. Es ist schwierig, die Zahl der Toten und Verwundeten genau zu beziffern, aber die Medien sprechen inzwischen von mehr als einer Million Toten und Verwundeten, und die Protagonisten haben zunehmend Schwierigkeiten, Kanonenfutter zu rekrutieren, um „Lücken“ an der Front zu füllen.
Im Nahen Osten führt der Vergeltungsschlag des Staates Israel nach dem barbarischen Angriff der Hamas zu Zerstörungen und Massakern, die ein unvorstellbares Ausmaß an Grausamkeit erreichen. Wie Putin hat auch Netanjahu nach dem blutigen Angriff vom 7. Oktober 2023 versprochen, die Hamas innerhalb von drei Monaten zu vernichten: Dies geschieht bereits seit mehr als einem Jahr, und die damit verbundene Barbarei nimmt weiter zu. Israel hat wahllos 85.000 Tonnen Sprengstoff abgeworfen, was der dreifachen Menge an Sprengstoff entspricht, die in den Bomben enthalten war, die während des Zweiten Weltkriegs auf London, Hamburg und Dresden abgeworfen wurden! Diese grausamen Angriffe forderten fast 45.000 Tote, mehr als 10.000 Vermisste und fast 90.000 Verletzte, viele von ihnen verstümmelt, darunter Tausende von Kindern. Nach Angaben von Save the Children haben seit Beginn des Krieges in Gaza jeden Tag etwa zehn Kinder ihre Beine verloren. Zu den Schrecken der Bombardierungen kommen Hunger und Krankheiten wie Polio und Hepatitis, die sich aufgrund der unmenschlichen hygienischen Bedingungen ausbreiten.
Der ganze kriegerische Wahnsinn, der sich schon so lange in der Ukraine und im Gazastreifen abspielt, breitet sich nun auf andere Länder aus und setzt die Spirale von Chaos und Barbarei fort. Nach den Kämpfen im Südlibanon und der Bombardierung von Beirut sind die erneuten Kämpfe in Syrien, die zum raschen Sturz von Bashar Al Assad führten, ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Instabilität ausbreitet. Dank der massiven militärischen Unterstützung Russlands und Irans konnte sich Al Assad am Ende des syrischen Bürgerkriegs von 2011 bis 2020 durchsetzen, auch wenn die Lage prekär war. Durch die militärische Schwächung von Assads Verbündeten, insbesondere durch die Festsetzung Russlands in der Ukraine und die verstärkte Inanspruchnahme der Hisbollah im Libanon, ist deren militärische Unterstützung stark zurückgegangen, was zu einem Verlust der Kontrolle über die Situation durch das Regime führte. Dies wurde von der Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ausgenutzt, um die Regierung anzugreifen und zu stürzen. Die Flucht von Al Assad bedeutet jedoch keineswegs, dass das neue Regime, das in Damaskus die Macht übernommen hat, ein kohärentes, einheitliches Projekt verfolgt. Im Gegenteil, eine Vielzahl von mehr oder weniger radikalen „demokratischen“ oder „islamistischen“ Gruppen, ob christlich, schiitisch oder sunnitisch, kurdisch, arabisch oder drusisch, sind mehr denn je in die Auseinandersetzungen um die Kontrolle des Territoriums oder von Teilen davon verwickelt, wobei die Mafia der imperialistischen Sponsoren hinter ihnen steht: Die Türkei, Israel, Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigten Staaten, der Iran, die europäischen Länder und vielleicht sogar Russland, jeder mit seiner eigenen Agenda und seinen eigenen imperialistischen Interessen. Mehr denn je sind Syrien und der Nahe Osten im Allgemeinen eine Brutstätte vielfältiger Spannungen, die zu Krieg und Militarismus führen.
In der Ukraine und im Nahen Osten wurden zahlreiche neue und hochentwickelte Waffen eingesetzt: Raketenabwehrschilde, Angriffsdrohnen, Manipulation von Kommunikationssystemen, um sie in Sprengsätze umzuwandeln, usw. Auch die Budgets, die die verschiedenen Staaten für den Kauf konventioneller Waffen und die Modernisierung oder Erweiterung des Atomwaffenarsenals bereitstellen, explodieren. Nach Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI) werden sich die weltweiten Militärausgaben im Jahr 2023 auf 2.443 Milliarden Dollar belaufen, was einem Anstieg von 7% gegenüber 2022 entspricht (die höchste Wachstumsrate seit 2009). Und sowohl die Aufträge als auch die Äußerungen von Staatschefs auf allen Kontinenten lassen nichts anderes erwarten als eine beeindruckende allgemeine Ausweitung der Militarisierung, die gleichzeitig zu einem bemerkenswerten Anstieg der Gewinne der Rüstungsunternehmen führt.
Aber bedeutet das, dass Krieg eine positive Wirkung auf die kapitalistische Wirtschaft hat? Der Kapitalismus wurde im Schlamm und Blut von Krieg und Plünderung geboren, aber ihre Rolle und Funktion haben sich im Laufe der Zeit verändert. In der aufsteigenden Periode des Kapitalismus waren die Militärausgaben und der Krieg selbst ein Mittel zur Ausweitung des Marktes und zur Stimulierung der Entwicklung der Produktivkräfte, denn die neu eroberten Gebiete erforderten neue Produktions- und Unterhaltsmittel. Der Eintritt in die Periode der Dekadenz (die mit dem Ersten Weltkrieg begann) deutete dagegen darauf hin, dass die zahlungsfähigen Märkte global verteilt waren und dass die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu einem Hindernis für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden waren. In diesem Zusammenhang findet das kapitalistische System im Krieg (und seiner Vorbereitung) zwar einen Anstoß für die Produktion von Rüstungsgütern, aber als Mittel der Zerstörung dienen sie nicht der Kapitalakkumulation. Der Krieg stellt in Wirklichkeit eine Sterilisierung des Kapitals dar. Dies bedeutet jedoch nicht, wie die Gauche Communiste de France bereits erklärt hat, „dass der Krieg zum Ziel der kapitalistischen Produktion geworden ist, denn diese bleibt die Produktion des Mehrwerts, sondern dass der Krieg zur ständigen Lebensweise im dekadenten Kapitalismus wird“.[1] In der Periode des Zerfalls des Kapitalismus, die die letzte Phase des unumkehrbaren Niedergangs dieser Produktionsweise darstellt, werden die Merkmale der Dekadenz nicht nur beibehalten, sondern noch verstärkt, so dass der Krieg nicht nur weiterhin keine positive wirtschaftliche Funktion hat, sondern sich nun als Auslöser für ein immer größeres wirtschaftliches und politisches Chaos darstellt und damit seinen strategischen Zweck verliert. Das Ziel des Krieges reduziert sich immer mehr auf die irrationale Massenvernichtung und wird damit zu einem der Hauptfaktoren, die die Menschheit mit der totalen Vernichtung bedrohen. Die Gefahr einer nuklearen Konfrontation ist ein tragisches Zeugnis dafür.
Diese Dynamik wird in aktuellen Kriegen wie in der Ukraine und im Gazastreifen deutlich sichtbar. Russland und Israel haben mit ihren Bomben ganze Städte zerstört oder ausgelöscht und Ackerland dauerhaft verseucht, so dass sich der Nutzen, den sie aus einem hypothetischen Kriegsende ziehen würden, auf Trümmerfelder beschränkt. Die abscheulichen Massaker an Zivilisten und Kindern, wie die Bombardierung von Atomkraftwerken in der Ukraine, unterstreichen den qualitativen Wandel, den der Krieg in der Zerfallsphase erfährt, die immer irrationaler wird, da das einzige Ziel darin besteht, den Gegner zu destabilisieren oder zu vernichten, indem systematisch eine Politik der „verbrannten Erde“ betrieben wird. Wenn in diesem Sinne „die Herstellung hochentwickelter Zerstörungssysteme zum Symbol einer modernen Hochleistungswirtschaft geworden ist... so sind diese technologischen ‚Wunderwerke‘, die gerade im Nahen Osten ihre mörderische Effizienz unter Beweis gestellt haben, vom Standpunkt der Produktion, der Wirtschaft aus gesehen, eine gigantische Verschwendung“.[2]
Die zunehmende Militarisierung hat in jüngster Zeit einige Länder, die die Wehrpflicht abgeschafft hatten, dazu veranlasst, sie wieder einzuführen, wie in Lettland und Schweden, und die CDU hat sie sogar in Deutschland vorgeschlagen. Sie spiegelt sich vor allem in dem weit verbreiteten Druck zur Erhöhung der Militärausgaben wider, wobei verschiedene bürgerliche Wortführer zum Beispiel dafür werben, dass die NATO-Länder weit über die vereinbarten 2% des BSP für die Verteidigung hinausgehen müssen. In einem Szenario, in dem Trumps USA mehr denn je die „America-First“-Karte ausspielen werden, selbst gegenüber „befreundeten“ Ländern, die sich unter dem nuklearen Schutzschirm der USA sicher wähnten, bemühen sich die europäischen Länder dringend um eine Stärkung ihrer militärischen Infrastrukturen und erhöhen ihre Militärausgaben drastisch, um ihre eigenen imperialistischen Ambitionen besser zu verteidigen. Wenn die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sagt: „Wir müssen mehr ausgeben, wir müssen besser ausgeben, wir müssen europäisch ausgeben“, bringt sie die Strategie des Ausbaus der europäischen militärischen Infrastruktur und einer autonomen europäischen Rüstungsindustrie auf den Punkt.
In Wirklichkeit ist die Tendenz zu einer Explosion der Rüstungsausgaben global und wird durch einen allumfassenden Vormarsch des Militarismus stimuliert. Jeder Staat steht unter dem Druck, seine militärische Macht zu stärken. Dies spiegelt im Wesentlichen den Druck der wachsenden Instabilität der imperialistischen Beziehungen in der Welt wider.
Tatlin, 14. Januar 2025
[1] 50 years ago: The real causes of the Second World War [134], International Review 59, “Report on the international Situation”, GCF, July 1945.
[2] Where are we in the crisis?: Economic crisis and militarism [135], International Review 65.
Die Streikwelle in Großbritannien im Jahr 2022 markierte den Beginn eines „Bruchs“ mit mehreren Jahrzehnten der Resignation und Apathie und einem zunehmenden Verlust der Klassenidentität. Es war die erste einer Reihe von Klassenkämpfen in mehreren Ländern auf der ganzen Welt, die in erster Linie eine Reaktion auf die Verschlechterung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen waren.[1] Entscheidend für unsere Analyse einer neuen Phase im internationalen Klassenkampf sind zwei grundlegende Beobachtungen:
- Diese neue Phase ist nicht nur eine Reaktion auf unmittelbare Angriffe auf die Arbeitsbedingungen, die sich an der Anzahl der Streiks und Kämpfe zu einem bestimmten Zeitpunkt messen lässt, sondern hat eine tiefgreifendere Dimension. Sie ist das Ergebnis eines langen Prozesses der „unterirdischen Reifung“ des Klassenbewusstseins, das sich trotz des enormen Drucks, der durch den beschleunigten Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft ausgeübt wird, weiterentwickelt hat.
- Dieser Bruch, der von den ältesten Zentren des Weltkapitalismus ausstrahlt, ist eine Bestätigung dafür, dass die wichtigsten Bastionen des Proletariats seit der ersten Wiederbelebung des Klassenkampfes im Jahr 1968 historisch ungeschlagen bleiben und das Potenzial haben, von wirtschaftlichen Abwehrkämpfen zu einer politischen und praktischen Kritik der gesamten kapitalistischen Ordnung überzugehen.
Diese Argumente sind im Proletarischen Politischen Milieu auf weit verbreitete Skepsis gestoßen. Nehmen wir das Beispiel der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz IKT: Obwohl sie einige der Kämpfe, die nach 2022 auftauchten, zunächst anerkannten und begrüßten, kritisieren wir die Tatsache, dass sie die internationale und historische Bedeutung dieser Bewegung nicht erkannt haben[2] und in jüngerer Zeit entweder vergessen zu haben scheinen (was sich im Fehlen einer veröffentlichten Bilanz der Bewegung zeigt) oder sie als eine weitere Eintagsfliege abgeschrieben haben – wie wir auf einigen ihrer jüngsten öffentlichen Diskussionsveranstaltung festgestellt haben. Inzwischen hat eine politisch parasitäre Website, die sich der „Forschung“ widmet - Controverses - einen ganzen Artikel[3] der Widerlegung unserer Auffassung vom Bruch gewidmet und damit eine „theoretische“ Rechtfertigung für die Skepsis anderer geliefert.
Es ist bemerkenswert, dass der Autor dieses Artikels von Controverses sich nun der Mehrheit derer anschließt, die Teil der Linkskommunistischen Tradition sind (oder behaupten, es zu sein), und nun das Konzept der unterirdischen Reifung ablehnen. Nicht nur das: In einem Artikel über die wichtigsten Entwicklungen im Klassenkampf in den letzten 200 Jahren[4] vertritt er die Auffassung, dass wir immer noch in der Konterrevolution leben, die mit der Niederlage der revolutionären Welle von 1917-23 über die Arbeiterklasse hereinbrach. Aus dieser Sicht war das, worauf wir bestehen, nämlich das historische Wiedererwachen des Weltproletariats nach 1968 und das Ende der Konterrevolution, bestenfalls eine bloße „Fußnote“ in einer globalen Chronik der Niederlage. Diese Ansicht wird von den verschiedenen „bordigistischen“ Gruppen und der IKT weitgehend geteilt, deren Vorläufer in den Ereignissen vom Mai/Juni 1968 in Frankreich oder dem „Heißen Herbst“ in Italien 1969 kaum mehr als eine Welle von Studentenunruhen sahen.
Wir wollen uns nicht im Detail mit den Kämpfen der letzten zwei Jahre befassen, sondern uns auf zwei theoretische Kernpunkte konzentrieren, um unsere Vorstellung vom Bruch im Klassenkampf zu verstehen: erstens die Realität der unterirdischen Reifung des Bewusstseins und zweitens die Ungeschlagenheit des Weltproletariats.
Erinnern wir uns kurz an die Umstände, unter denen wir, die IKS, erstmals die Frage der unterirdischen Reifung in den eigenen Reihen aufgriffen. Als Reaktion auf eine Analyse des Klassenkampfes, die ein ernsthaftes Zugeständnis an die Idee enthüllte, dass sich Klassenbewusstsein nur durch den offenen, massiven Kampf der Arbeiter entwickeln kann, und insbesondere auf einen Text, der die Idee der unterirdischen Reifung ausdrücklich ablehnte, schrieb unser Genosse Marc Chirik 1984 einen Text, dessen Argumente von der Mehrheit der Organisation angenommen wurden, mit Ausnahme der Gruppe, die schließlich auf dem 6. Kongress der IKS austrat und die “Externe Fraktion der IKS“ gründete (ihre Nachkommen sind heute Teil von Internationalist Perspective)[5]. Marc wies darauf hin, dass eine solche Sichtweise zum Rätismus neigt, weil sie das Bewusstsein nicht als aktiven Faktor im Kampf, sondern lediglich als etwas betrachtet, das durch objektive Umstände bestimmt wird – eine Form des Vulgärmaterialismus. Sie unterschätzt damit die Rolle von Minderheiten, die in der Lage sind, das Klassenbewusstsein zu vertiefen, selbst in Phasen, in denen das Ausmaß des Klassenbewusstseins im Proletariat abgenommen haben mag. Dieser rätekommunistische Ansatz hat natürlich wenig Nutzen für eine Organisation von Revolutionären, die fähig sein will, sich auf der Grundlage der historischen Errungenschaften des Klassenkampfes durch Phasen des Rückzugs oder der Niederlage in der breiteren Klassenbewegung zu orientieren. Dieser Ansatz lehnt auch die allgemeinere Tendenz innerhalb der Klasse ab, über ihre Erfahrungen nachzudenken, zu diskutieren, Fragen zu den Hauptthemen der vorherrschenden Ideologie zu stellen. Ein solcher Prozess kann in der Tat als „unterirdisch“ bezeichnet werden, da er in begrenzten Kreisen der Arbeiterklasse oder sogar lediglich in den Köpfen einzelner ArbeiterInnen stattfindet, die zwar allen möglichen widersprüchlichen Ideen Ausdruck verleihen können, aber er ist dennoch eine Realität. Wie Marx im Kapital schrieb: „(…) und alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen“.[6] Es ist in der Tat eine spezifische Aufgabe der marxistischen Minderheiten, hinter die Fassaden zu blicken und zu versuchen, die tieferen Entwicklungen innerhalb der Arbeiterklasse zu erkennen.
Als wir Dokumente zu dieser internen Debatte veröffentlichten, begrüßte die Communist Workers Organisation CWO dies als Versuch der IKS, die rätekommunistischen Positionen zu überwinden, die innerhalb der Organisation immer noch Gewicht hatten.[7] In der Sache selbst schloss sie sich jedoch, etwas ironisch, der rätekommunistischen Sichtweise an, da auch sie die Vorstellung einer unterirdischen Reifung als nicht marxistisch, als eine Form des „politischen Jungianismus“ ablehnten[8]. Wir sagen ironisch, weil die CWO zu diesem Zeitpunkt eine Sicht über das Klassenbewusstsein angenommen hatte, wonach dieses von „außen“ durch die „Partei“ in die Klasse getragen werde, die sich aus Elementen der bürgerlichen Intelligenz zusammensetze – die idealistische These von Kautsky, die Lenin in Was tun? übernahm, später aber zugab, in einer Polemik mit den Proto-Rätekommunisten seiner Zeit, der ökonomistischen Tendenz in Russland, „den Bogen überspannt zu haben“. Die Ironie löst sich jedoch auf, wenn wir bedenken, dass Vulgärmaterialismus und Idealismus oft nebeneinander existieren können.[9] Sowohl die Rätekommunisten als auch die CWO in ihrem Artikel sind der Meinung, dass die Arbeiterkämpfe nach dem Abklingen der offenen Kämpfe nicht mehr als eine Masse atomisierter Individuen sind. Der einzige Unterschied besteht darin, dass dieser sterile Kreislauf für die CWO nur durch das Eingreifen der Partei durchbrochen werden kann.
In unserer Antwort[10] betonten wir, dass die Vorstellung von der unterirdischen Reifung des Bewusstseins keineswegs unsere Erfindung ist, sondern eine direkte Errungenschaft von Marx' Vorstellung von der Revolution als dem „alten Maulwurf“, der über lange Zeiträume unter der Oberfläche gräbt, nur um unter bestimmten Bedingungen an die Oberfläche zu brechen. Und insbesondere haben wir eine sehr anschauliche Passage zu diesem Prozess von Trotzki aus seiner meisterhaften Studie über genau diesen Prozess zitiert. In Die Geschichte der Russischen Revolution schrieb er: „Bei einer Revolution betrachten wir zunächst die direkte Einmischung der Massen in die Geschicke der Gesellschaft. Wir versuchen, hinter den Ereignissen Veränderungen im kollektiven Bewusstsein aufzudecken (...) Dies kann nur für jemanden rätselhaft erscheinen, der den Aufstand der Massen als „spontan“ ansieht – das heißt als eine Meuterei der Herde, die von Anführern künstlich ausgenutzt wird. In Wirklichkeit reicht die bloße Existenz von Entbehrungen nicht aus, um einen Aufstand auszulösen. Wäre dies der Fall, würden die Massen ständig in Aufruhr sein (...) Die unmittelbaren Ursachen für die Ereignisse einer Revolution sind Veränderungen im Gemütszustand der sich gegenüberstehenden Klassen (...) Veränderungen im kollektiven Bewusstsein haben natürlich einen halb verborgenen Charakter. Erst wenn sie einen bestimmten Grad an Intensität erreicht haben, brechen die neuen Stimmungen und Ideen in Form von Massenaktivitäten an die Oberfläche.“
Ebenso kam die internationale Welle der Kämpfe, die im Mai 1968 in Frankreich begann, nicht aus dem Nichts, auch wenn sie die Bourgeoisie anfangs überraschte, die zu glauben begonnen hatte, dass die Arbeiterklasse durch die „Konsumgesellschaft“ „verbürgerlicht“ worden sei. Sie war das Ergebnis eines langen Prozesses der Loslösung von bürgerlichen Institutionen und ideologischen Themen wie Gewerkschaften und den sogenannten Arbeiterparteien, von den Mythen von Demokratie und „Realsozialismus“ im Osten usw., begleitet von sich verschlechternden materiellen Bedingungen – die ersten Anzeichen einer neuen offenen Wirtschaftskrise. Dieser Prozess hatte sich auch hier und da in Streikbewegungen wie den wilden Streiks in den USA und Westeuropa Mitte der 60er Jahre ausgedrückt.
Dasselbe gilt für den Bruch von 2022, der ebenfalls auf eine Reihe von Streiks in den USA, Frankreich usw. folgte, von denen viele durch den Covid-Lockdown unterbrochen worden waren. Aber was nach 2022 geschah, machte deutlicher, was sich seit einigen Jahren in der Arbeiterklasse zusammenbraute:
- Der weit verbreitete Slogan „Genug ist genug“ brachte das lang gehegte Gefühl zum Ausdruck, dass sich alle Versprechen, die in der Zeit nach der „Finanzkrise“ von 2008 gemacht wurden – Versprechen, dass eine Zeit der „Sparmaßnahmen“ notwendig sei, bevor der Wohlstand wiederhergestellt werden könne –, als Lügen erwiesen und dass es höchste Zeit sei, dass die Arbeiterklasse beginnt, ihre eigenen Forderungen zu stellen. Dies war umso bedeutender, als die Bewegung 2022-23 in Großbritannien nach Jahrzehnten der Stagnation und Resignation entstand, die auf die Niederlagen der 1980er Jahre folgten, insbesondere auf die Niederlage der Bergarbeiter im Jahr 1985.
- Die Slogans „Wir sitzen alle im selben Boot“ und „Die Arbeiterklasse ist zurück“ brachten die Tendenz der Arbeiterklasse zum Ausdruck, sich wieder als Klasse mit einer eigenen kollektiven Existenz und eigenen Interessen zu begreifen, die trotz der jahrzehntelangen Atomisierung, die durch den allgemeinen Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft und die bewusste Demontage vieler traditioneller Zentren des Widerstandes der Arbeiterklasse (Bergwerke, Stahlwerke usw.) verursacht wurde. Bei den Kämpfen in Frankreich gegen die Rentenreform und anderswo zeugten häufige Verweise auf die Bewegung in Großbritannien, die den Anstoß für die Wiederbelebung der Klasse gegeben hatte, vom aufkeimenden Bewusstsein, dass diese Klassenidentität trotz des enormen Gewichts von Nationalismus und Populismus nicht an nationalen Grenzen Halt macht.
- Auch in der Bewegung in Frankreich 2023 drückte die Parole „Si tu nous mets 64, on te Mai 68“[11] eine deutliche Erinnerung an die Bedeutung der Massenstreiks von 1968 aus (ein Phänomen, das wir zuvor bei den Studentenversammlungen in der Anti-CPE-Bewegung von 2006 beobachtet hatten, wo der starke Wunsch bestand, aus den Ereignissen von 68 zu lernen).
- So wie der Prozess der unterirdischen Reifung vor 1968 eine neue Generation politisierter Elemente hervorbringen sollte, die versuchten, die wahre Geschichte der revolutionären Bewegung wiederzuentdecken (und damit die Tradition der Kommunistischen Linken wiederherzustellen), so sehen wir in der heutigen Zeit die internationale Entwicklung von kleinen Minderheiten, die zu internationalistischen und kommunistischen Positionen neigen. Die Tatsache, dass die Mehrheit dieser Elemente und ihre Bemühungen, sich zusammenzuschließen, weniger durch den unmittelbaren Klassenkampf als durch die Frage des Krieges entstanden sind, ist ein Beweis dafür, dass die aktuellen Klassenbewegungen mehr zum Ausdruck bringen als nur die Sorge um die Verschlechterung des Lebensstandards. Wir haben festgestellt, dass die Kämpfe dieses Bruchs genau zu einem Zeitpunkt ausbrachen, als die Arbeiterklasse Westeuropas aufgefordert wurde, im Namen der Unterstützung der „Verteidigung der Ukraine gegen den Tyrannen Putin“ die Erhöhung von Lebenshaltungskosten und Lohnstopps zu akzeptieren. Ebenso lehnten einige Minderheiten bei den Demonstrationen gegen die „Rentenreform“ in Frankreich ausdrücklich Opfer im Namen des Aufbaus einer Kriegswirtschaft ab.
- Ein weiteres Zeichen für den Reifungsprozess ist auch in den Bemühungen des politischen Apparats der Bourgeoisie zu erkennen, die an die Arbeiterklasse gerichteten Botschaften zu radikalisieren. Der Erfolg Trumps in den USA ist zum großen Teil auf seine Fähigkeit zurückzuführen, die realen Sorgen der US-amerikanischen Arbeiterklasse über steigende Preise und die Auswirkungen der Militärausgaben auf die Lebensbedingungen auszunutzen. Und auf der anderen Seite des politischen Spektrums haben wir die Ernennung von radikaleren Gewerkschaftsführern erlebt, wie in Großbritannien, und eine deutliche Bewegung nach links seitens der bürgerlichen Trotzkisten, wobei Gruppen wie Révolution permanente in Frankreich oder die Revolutionary Communist Party in Großbritannien ihren Fokus von Identitätspolitik auf Gespräche über Kommunismus, Internationalismus und die Notwendigkeit der proletarischen Revolution verlagern. Dies mit dem Ziel, vor allem junge Menschen „einzusammeln“, die ernsthafte Fragen über die Richtung, die die kapitalistische Gesellschaft einschlägt, stellen.
Wir könnten die Liste solcher Beispiele fortsetzen. Zweifellos wird man ihnen mit Argumenten entgegentreten, die beweisen wollen, dass die Arbeiterklasse nach der Welle der Kämpfe nach 1968 tatsächlich mehr vergessen als gelernt habe, was sich insbesondere darin zeige, dass es kaum Versuche gegeben habe, die gewerkschaftliche Kontrolle über die aktuellen Streiks in Frage zu stellen und Formen der Selbstorganisation zu entwickeln. Aber für uns stehen die breiten Tendenzen, die durch den Bruch von 2022 eingeleitet wurden, erst am Anfang. Ihr historisches Potenzial kann nur verstanden werden, wenn man sie als die ersten Früchte eines langen Keimungsprozesses betrachtet. Wir werden im zweiten Teil des Artikels darauf zurückkommen.
Amos 15. Januar 2025
[1] Siehe insbesondere Die Rückkehr der Kampfbereitschaft des Weltproletariats [136], in Weltrevolution Nr. 185; und Nach dem Bruch im Klassenkampf, die Notwendigkeit der Politisierung [137], in Internationale Revue Nr. 60
[2] The ICT's ambiguities about the historical significance of the strike wave in the UK [138], in World Revolution Nr. 396
[3] ICC: A new “Historic Rupture” in the Class Struggle since 2022? [139], Controverses August 2024
[4] 1825-2025 - Two centuries of class struggle [140], Controverses August 2024
[5] Siehe unseren Artikel The “External Fraction” of the ICC [141] in International Review Nr. 45 (1986)
[6] Das Kapital, Band 3, Siebter Abschnitt: Die Revenuen und ihre Quellen, 48. Kapitel: Die trinitarische Formel
[7] In Workers Voice 20, zweite Serie
[8] Dies war eine Reaktion auf unsere Bezugnahme auf Rosa Luxemburg in ihrem Beharren darauf, dass „das Unbewusste dem Bewussten vorausgeht“ in der Entwicklung der Klassenbewegung, was eigentlich eine Anwendung der marxistischen Formel ist, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Aber diese Formel kann missbraucht werden, wenn sie die dialektische Beziehung zwischen den beiden nicht erfasst: Das Sein ist nicht nur ein Prozess des Werdens, in dem sich das Bewusstsein aus dem Unbewussten heraus entwickelt, sondern das Bewusstsein wird auch zu einem aktiven Faktor im evolutionären und historischen Fortschritt.
[9] Seitdem hat die CWO aufgehört, die Kautsky-These zu verteidigen, aber sie hat nie offen dargelegt, warum sie ihre Position geändert hat.
[10] Polemik mit der CWO: Die unterirdische Reifung des Bewusstseins [142] in Weltrevolution Nr. 21 (1985)
[11] Ein Wortspiel mit der Bedeutung: „Gibst du uns 64, kriegst du Mai 68“ – bezugnehmend auf das vorgeschlagene neue Renteneintrittsalter 64.
Der Zustand unseres Planeten ist katastrophal. Das Klima erwärmt sich schneller als alle wissenschaftlichen Vorhersagen glauben machten und verursacht Brände, Dürren, Stürme, Überschwemmungen... Die Meere versauern, und mit ihnen die Niederschläge; die Vegetation unter Wasser oder an Land leidet unter den katastrophalen Folgen. Die weltweite Abholzung bricht jedes Jahr neue Rekorde, und immer mehr Land wird mit Asphalt bedeckt. Die Verschmutzung verunreinigt alles: Treibhausgase, Pestizide im Boden, Plastikpartikel in den Meeren, pharmazeutische Moleküle in den Flüssen... bis hin zu mit Östrogen gedopten Fischen, die ihr Geschlecht wechseln!
Die unmittelbare Folge dieses Handelns ist verheerend: Jedes Jahr verschwinden 26.000 Arten. Immer mehr Forscher rechnen mit der sechsten Welle des Massenaussterbens (die vorherige, die fünfte, war die der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren). „Wenn die Bienen von der Erde verschwinden würden, hätte der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.“ Auch wenn Einstein diesen Satz nie geäußert hat, so ist der Gedanke doch stark: Insekten ernähren die Welt (Vögel, Reptilien, Säugetiere, Pflanzen) und bestäuben 75% der Kulturpflanzen und 80% der Wildpflanzen. Ihr allmähliches Verschwinden ist eine direkte Bedrohung für die natürlichen Ökosysteme und die Fähigkeit der Menschheit, sich selbst zu ernähren.
Die menschliche Spezies leidet bereits massiv unter dieser Zerstörung des Planeten. Jedes Jahr zwingen „Naturkatastrophen“, die mit der globalen Erwärmung zusammenhängen, Dutzende Millionen Menschen ins Exil; die Luftverschmutzung verursacht Millionen von „vorzeitigen“ Todesfällen, und mehr als zwei Milliarden Menschen werden durch Wassermangel gequält. Auch die Pandemie Covid 19, die nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation zwischen 2019 und 2021 7 Millionen Todesopfer fordert (15,9 Millionen nach Angaben von Demografen) und die Lebenserwartung weltweit um anderthalb Jahre verringert hat, hat ihren Anteil an der ökologischen Krise. Diese Pandemie hat den Zusammenhang zwischen der Zerstörung der Natur und der Bedrohung der menschlichen Gesundheit deutlich gemacht. Nach Angaben der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) gehen 70% der neu auftretenden Krankheiten (Zika, Ebola, Nipah usw.) und fast alle bekannten Pandemien (z. B. Grippe, HIV, Covid-19) auf Zoonosen (Krankheiten, die durch Infektionen tierischen Ursprungs verursacht werden) zurück. Die Ursachen für diese Pandemien sind dieselben, die auch die Natur verwüsten: Abholzung und Zerstörung natürlicher Ökosysteme, Handel mit und Verzehr von Wildtieren usw.
Im Jahr 2009 hat ein internationales Team von achtundzwanzig Forschern unter der Leitung des schwedischen Wissenschaftlers Johan Rockström neun „planetarische Grenzen“ festgelegt, die die Menschheit nicht überschreiten sollte, wenn sie die Bedingungen für ihr Überleben nicht gefährden will:
Sechs dieser neun „planetarischen Grenzwerte“ sind bereits überschritten (und zwei davon können nicht gemessen werden). Das Ausmaß der sich abzeichnenden Katastrophe ist so groß, dass selbst das Davoser Forum selbst zugeben muss, dass „der Verlust der biologischen Vielfalt und der Zusammenbruch der Ökosysteme als eines der sich am schnellsten verschlechternden globalen Risiken des nächsten Jahrzehnts angesehen wird (...) Die Kombination aus extremen Wetterereignissen und begrenzten Vorräten könnte die derzeitige Krise der Lebenshaltungskosten in ein Katastrophenszenario von Hunger und Not für Millionen von Menschen verwandeln (...). Die Wechselwirkung zwischen den Auswirkungen des Klimawandels, dem Verlust der biologischen Vielfalt, der Ernährungssicherheit und dem Verbrauch natürlicher Ressourcen wird den Zusammenbruch der Ökosysteme beschleunigen“.
Es ist nicht das Leben auf der Erde als solches, das auf dem Spiel steht. Es war bereits in der Lage, sich unter weitaus widrigeren Bedingungen zu entwickeln, sich nach Wellen des Massenaussterbens zu erholen, die noch weitreichender waren als heute; Leben findet sich auf dem Grund der Ozeane, unter der Erde, auf jeder Oberfläche. Nein, was bedroht ist, ist die menschliche Spezies. Die Art und Weise, wie die Gesellschaft heute funktioniert, wird die Erde irgendwann für die Menschheit unbewohnbar machen.
Alle von der herrschenden Klasse vorgeschlagenen „Lösungen“ für die ökologische Krise sind sinnlos, weil die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, in das globale System eingebaut sind, das den Planeten beherrscht - das kapitalistische System, das von Ausbeutung und der Jagd nach Profit lebt. Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft durch das Lohnverhältnis; Ausbeutung der Natur, die als kostenloses Geschenk betrachtet wird, das nach Belieben geplündert werden kann. Und obwohl der Kapitalismus die wissenschaftlichen und technologischen Mittel hervorgebracht hat, mit denen die Menschheit von Armut und entfremdeter Arbeit befreit werden könnte, ist der Konflikt zwischen diesem produktiven Potenzial und der eigentlichen Motivation für die Produktion zum Dauerzustand geworden. Der Kapitalismus ist seit über hundert Jahren eine überholte, dekadente Gesellschaftsform. Dieser lange Niedergang hat nun eine Endphase erreicht, eine Sackgasse, in der Krieg, Überproduktionskrisen und Umweltzerstörung den Punkt erreicht haben, an dem all diese Erscheinungsformen der Sackgasse aufeinander einwirken und einen schrecklichen Strudel der Zerstörung erzeugen. Aber es gibt eine Alternative zu dem Alptraum, in den uns der Kapitalismus stürzt: den internationalen Kampf der ausgebeuteten Klasse für den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer kommunistischen Weltgesellschaft.
(Auszug aus einem Manifest zur ökologischen Krise, welches bald auch auf Deutsch erscheint.)
5. Dezember 2024
Für November und Dezember 2024 rief der in seinen eigenen Worten «antiautoritär-kommunistische» Blog communaut.org [143] zu öffentlichen Veranstaltungen in Frankfurt, Zürich und Hamburg auf, an welchen die Blogredaktion zusammen mit dem Arbeitskreis AK Beau Séjour dessen Buch «Sterben und sterben lassen – Der Ukrainekrieg als Klassenkonflikt» vorstellte. Wir besuchten die Veranstaltung in Zürich, die die Gruppe Eiszeit mitorganisierte.
«Beau Séjour» heißt „Schöner Aufenthalt“ und war der Name des Gasthofes in Zimmerwald/Schweiz, in dem sich 1915 die internationalistischen Überreste der bei Kriegsausbruch zusammengebrochenen Zweiten Internationale trafen. Ein solcher Bezug auf ein Schlüsselmoment der proletarischen Bewegung, während des Ersten Weltkriegs, gegen den imperialistischen Krieg und für die Weltrevolution musste unser Interesse umso mehr wecken.
Hier werden wir weder eine Buchrezension noch ein Bericht über die Veranstaltung in Zürich veröffentlichen, sondern eine direkte Kritik, die wir an der Buchvorstellung äußerten, die aber nicht verstanden oder sogar total verworfen wurde. Dabei werden wir auf Argumente eingehen welche für die oben erwähnten Kreise, die sich z.B. als „antiautoritär-kommunistisch“ bezeichnen, charakteristisch sind. Es geht dabei ums Klassenprinzip des Internationalismus. Wir haben immer wieder gegenüber dem permanenten Krieg im Kapitalismus unterstrichen, dass dieses Prinzip für Revolutionäre unantastbar ist – und verteidigten dies auch hier.[1]
Die Diskussionsleitung auf dem Podium rief zu unserem großen Erstaunen dazu auf, „abstrakte Diskussionen“ über Prinzipien von vor 100 Jahren zu vermeiden: «Prinzipien werden deklamiert, die in keinem Bezug mehr zur Realität stehen». Ein paar Worte, aber viel steckt dahinter!
Dabei drängt sich die Frage auf, warum die Veranstalter die Verbindung zur Vergangenheit, zum internationalistischen Kampf unserer Vorfahren, kappen. Offenbar hat aus ihrer Sicht eine Ablehnung des Krieges und ein Kampf dagegen auf der Basis von politischen Prinzipien in der heutigen brutalen Wirklichkeit der immer barbarischeren Zuspitzung des Krieges in immer mehr Regionen der Welt, dem permanenten Krieg im Kapitalismus, keinen Bezug zur “Realität“ und ist anscheinend heute lediglich ein alter Hut. Wenn diese Ansicht ernst gemeint und kein Ausrutscher war, bleibt nur die Frage, in welcher Realität die Veranstalter dieser Diskussion wohl leben?
Die Veranstalter vertraten keineswegs mit offenen Worten eine Unterstützung des Krieges oder einer der Kriegsparteien, sie lehnen ihn ganz offenbar ab, was zu begrüßen ist. Mit welcher Methode aber geschieht dies? Gibt es da Prinzipien? Sind sie „einfach so mal“ gegen den Krieg? Lehnen sie ihn aus pazifistischen oder humanistischen Gründen ab?
Angesichts der gegenwärtigen verschärften imperialistischen Spannungen gibt es in politisierten Kreisen (diejenigen die wir nicht zum linksbürgerlichen Lager zählen) eine fast komplette Stille zur Kriegsfrage und erst recht einen Mangel an klarer Position dazu. Zu begrüßen ist es deshalb, dass sich Eiszeit nach langem Schweigen im Dezember 2024 mit einer Veranstaltung zurückmeldet. Den Krieg in der Ukraine erstmal „als Klassenkonflikt“ anzukündigen und somit offenbar Antworten aus der Sicht der Arbeiterklasse zu suchen (wie es die IKS beständig verficht) ist eine Voraussetzung zur Konkretisierung von Klassenpositionen[2].
Allerdings: Der Krieg in der Ukraine ist – wie allen anderen der Gegenwart – ein imperialistischer Krieg, ein Konflikt nicht zwischen Klassen, sondern zwischen imperialistischen Staaten, in welchem das Proletariat als Klasse keine Seite wählen oder unterstützen darf und auf allen Seiten lediglich Kanonenfutter für die Interessen der jeweiligen Bourgeoisie, also der ihr entgegengesetzten Klasse, ist. Es ist der Kampf des Proletariats gegen die Interessen der herrschenden Klasse im generellen, und somit auch gegen den Krieg, der ein Klassenkonflikt ist. Den Krieg selbst als „Klassenkonflikt“ zu beschreiben ist nicht sehr präzise, ließ aber zumindest vermuten, dass die Veranstalter sowie die Verfasser des Buches eine Anstrengung unternehmen würden, die Frage des Krieges aus der Sicht der Arbeiterklasse zu betrachten.
Gegenüber dem Krieg gibt es wesentlich nur drei Standpunkte: Die offene Unterstützung; pazifistische „Zweifel und Abscheu“, die in den entscheidenden Momenten der Geschichte immer in kläglichen Illusionen kollabierten; und der konsequente Internationalismus. Wenn also die Veranstalter den Internationalismus ablehnen, bleibt ihnen nur die Wahl zwischen den anderen beiden!
Wir wurden aber vor allem auch den Eindruck nicht los, dass die Veranstalter vermutlich gar nicht wissen, was eine internationalistische Haltung als historische Errungenschaft der Arbeiterklasse ist, welche sie so leichtfertig in die Mottenkiste stellen. Eine internationalistische Haltung des Proletariats bedeutet:
In Zimmerwald 1915 diskutierten und stritten sich verschiedenste politisch sehr heterogene Überbleibsel der Zweiten Internationale während vollen 4 Tagen über die Frage, wie und mit welchen Prinzipien der Kampf gegen den Krieg geführt werden muss. An der Diskussionsveranstaltung wurde die Notwendigkeit einer solchen Diskussion und Klärung durch den Aufruf des Präsidiums schlicht ignoriert, da es eine angeblich „abstrakte Diskussion“ sei. Was in Zimmerwald, auf das sich die Verfasser des Buches mit der Namengebung Beau Séjour ihres Arbeitskreises berufen, im Zentrum gestanden hatte und mit zäher Ausdauer diskutiert worden war, wurde an der Veranstaltung zum Buch als unnötig für eine Diskussion, die etwa eine Stunde dauerte, betrachtet. Wenn es bei einer Diskussion um den Krieg in der Ukraine, der als „Klassenkonflikt“ bezeichnet wird, nicht darum geht, wie und mit welchen Prinzipien sich die Arbeiterklasse dagegen wehren muss und welche politischen Positionen Revolutionäre (zu denen sich Eiszeit und die Verfasser des Buches wohl zählen) gegenüber dem Krieg verteidigen müssen, bleibt nur noch Journalismus und Geplauder darüber übrig.
Der Aufruf der Diskussionsleitung gegen die „Deklamation abstrakter Prinzipien“ wurde auf dieser Diskussionsveranstaltung zum ersten Mal geäußert im Zusammenhang mit der Aussage, die Arbeiterklasse sei „demobilisiert“, womit wahrscheinlich gemeint war, dass sie sich nicht aufgrund klassenautonomer Kämpfe gegen den Krieg (oder sogar für die Revolution) mobilisiert.
Eine konsequente internationalistische Position gegen den Krieg hat in einer Phase des erstarkten Klassenkampfs und vor allem in einer revolutionären Situation wie in Russland und Deutschland 1917/18 offensichtlich eine andere Ausbreitung innerhalb der Arbeiterklasse als in Zeiten des Rückflusses oder der totalen Niederlage (wie vor und während dem Zweiten Weltkrieg). Aber die Revolutionäre warten nicht mit der Verteidigung des Internationalismus, bis die Arbeiterklasse dazu in Massen in Gang gekommen ist und sich auf den Straßen gegen den Krieg sammelt. Nach dem Verrat der SPD-Führung am 4. August 1914 trafen sich erstmal eine Handvoll Revolutionäre um Luxemburg, Liebknecht usw., um mit Ausdauer und Entschlossenheit die internationalistische Position der Arbeiterklasse zu verteidigen. Auch warteten die Revolutionäre in Zimmerwald nicht auf das massivere Erwachen der Arbeiterklasse. Im Gegenteil, durch das Signal, das von Zimmerwald ausging, wurde eine ermutigende Botschaft und ein aufrüttelnder Aufruf zum Kampf gegen den Krieg ausgesendet – der in der Tat die Arbeiterklasse zum Kampf und später zur Verbrüderung anspornte.
Der Internationalismus ist keinesfalls eine simple „Taktik“, die nur in bestimmten „günstigen“ Momenten schlau als Karte aus der Tasche gezogen wird – nur dann, wenn sie genügend Anklang innerhalb der Arbeiterklasse findet. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die Arbeiterklasse in einer schwierigen Lage steckt. Die Internationalisten von Zimmerwald und Kienthal 1915/16 hatten diese Position schon vor 1914 und zu Beginn des Ersten Weltkrieges in einer Zeit des totalen Kriegstaumels und gegen den Strom verteidigt.
Dies war auch vor und während dem Zweiten Weltkrieg der Fall – und trotzdem haben damals Revolutionäre gerade Prinzipien wie den Internationalismus in der konkreten Situation hochgehalten und verteidigt. Und gerade dadurch haben sie einen kostbaren, unverzichtbaren Beitrag geleistet – einen roten Faden – zur Überbrückung der politischen Krise der Arbeiterklasse während der Konterrevolution von 1933 bis Ende der 1960er Jahre und zur Entstehung neuer revolutionärer Kräfte, als sich das Proletariat wieder auf seinem eigenen Terrain zurückmeldete.
Es wäre interessant zu wissen, ob Eiszeit und die TeilnehmerInnen, welche deren Ansicht teilten, denken, dass das Prinzip des Internationalismus nach der Niederschlagung der weltrevolutionären Welle von 1917-23 abstrakt ist, nur hie und da mal auf der Tagesordnung steht oder gar einfach nicht mehr so „modern“ wie damals ist – oder alles zusammen? Dies konnte die Diskussion nicht klären, weil eine Diskussion gerade darüber abgelehnt wurde.
Die Veranstalter blieben aber auch eine Antwort auf die entscheidende Frage schuldig, was denn nun die praktische Konsequenz ihres Standpunkts ist! Gegenüber der Arbeiterklasse zu behaupten, dass es keine Orientierung aus den Erfahrungen des Proletariats und seines Kampfes gegen den Krieg gibt? Gegenüber sich gerade wegen der Grauenhaftigkeit auf all den Kriegsschauplätzen politisierenden Menschen zu behaupten, dass sie bei der Empörung stehen bleiben oder sich dem Pazifismus anschließen sollen? Die Apathie und den Rückzug vorzuschlagen, da ja alle Prinzipien gegen den Krieg lediglich abstrakt seien? Weshalb denn also überhaupt eine solche Diskussion über den Krieg in der Ukraine?
Die Kriege in Nahost und der Ukraine zeigen heute den wahren Klassencharakter der linken und linksextremen Organisationen: Alle trotzkistischen und neo-maoistischen Organisationen stellen sich hinter die eine oder andere Kriegspartei, hinter den einen oder anderen Staat (oder eine Organisation, die den Anspruch hat, es zu werden – sei es ein palästinensischer oder kurdischer Staat). Die Klassennatur solcher Organisationen ist nichts anderes als bürgerlich und kriegshetzerisch wie auch diejenige der offiziellen anarchistischen Gruppen, die dasselbe tun.[3]
Wäre es angesichts der an der Veranstaltung in Aussicht gestellten Analyse des Ukrainekriegs als eines „Klassenkonflikts“ nicht die erste Aufgabe, den Klassengraben aufzuzeigen, der einmal mehr beweist, dass die Linken auf der anderen Seite der Demarkationslinie zwischen Bourgeoisie und Proletariat stehen. Deshalb machen wir einen Unterschied zwischen den Linken einerseits und dem proletarischen Lager andererseits. Dabei gilt es auch diejenigen zu entlarven, die sich zwar in ihren Worten ebenfalls auf den „Internationalismus“ berufen, aber effektiv das aus ihrer Sicht geringere Übel, die schwächere Seite im imperialistischen Krieg verteidigen und dies als Antiimperialismus bezeichnen.[4]
Statt diesen bürgerlichen Klassencharakter der Linken offenzulegen, beziehen sich das vorgestellte Buch und die Gruppe Eiszeit positiv auf einen gewissermaßen volkstümlichen Begriff einer Linken, zu der alle gehören, die sich für „links“ halten. Sie beklagen die „Uneinigkeit der Linken im Angesicht des Krieges“[5], obwohl diese Linken auch aus ihrer Sicht zu einem großen Teil hinter der einen oder der anderen Kriegspartei stehen und „zu Advokaten des globalen linken Militarismus wurden“.[6] – Wäre es nicht hier die erste Aufgabe einer solchen Diskussion über den imperialistischen Krieg die Klassentrennlinie aufzuzeigen? – Eine Linie, die unweigerlich die meisten, die sich zur Linken zählen, vom proletarischen Lager ausschließt. Mit den an der Veranstaltung aufgetauchten Halbheiten, Schwammigkeiten oder der Bezeichnung einer internationalistischen Position als „abstrakt“ kann der „globale linke Militarismus“ entgegen dem in der Einladung zur Veranstaltung suggerierten Versprechen aber nicht denunziert und bekämpft werden, sondern lässt ihm alle Hintertüren offen.
Diese Abgrenzung ist konkret und aktuell.[7] – Wenn das Proletariat diese moribunde kapitalistische Gesellschaft überwinden will, muss es sich zunächst als Klasse an und für sich – nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv – konstituieren, seine Identität behaupten. Die Identität besteht aus den zu verfechtenden Zielen, die Konkretisierungen der Klassenprinzipien sind. Der Internationalismus gehört zu den elementarsten dieser Grundsätze – zu einem Fundament, bei welchem es keine taktischen Konzessionen oder momentanen Halbheiten oder ein Ausweichen geben darf.
Ein Teilnehmer an der Diskussion sprach von „Dialektik von Fortschritt und Reaktion“. Schöne Worte! Er stellte fest, dass es für die „linken Kräfte“ – zu denen er sich anscheinend selber zählt und deren Klassencharakter wie gesagt in der Diskussion komplett unbestimmt blieb – keine positive Identifikation mehr gebe und dass im Westen die Rechte, die oft pro-Putin eingestellt sei, erstarke.
Wir können uns etwa vorstellen, was bei der Äußerung solcher Standpunkte mit „Reaktion“ gemeint ist: Trump, Orban, Meloni, AfD, Milei – und eben Putin etc. Weniger klar ist hingegen, was mit „Fortschritt“ gemeint sein soll. Dieser ist in der sogenannten „Dialektik“ offenbar als Gegenpol zur „Reaktion“ auf dem Rückzug. Damit kann nichts anderes gemeint sein als die anderen Gesichter der kapitalistischen Herrschaft: Selenskyj, Harris, Starmer, Scholz, die „Linken“. – Ist das die Dialektik, in welcher wir uns offenbar für ein „geringeres Übel“ entscheiden und dieses verteidigen sollen? Also auch im Krieg in der Ukraine? Die vorgetragene nebulöse Idee einer „Dialektik von Fortschritt und Reaktion“ war mindestens eine Flucht davor, klar Stellung zu beziehen … oder wollte der Teilnehmer in Wirklichkeit zur Unterstützung der Ukraine aufrufen?
Schon oft sind Revolutionäre vor diesem Prüfstein gestanden, und viele haben vor der Logik der Verteidigung des „geringeren Übels“ kapituliert – beispielsweise fast ausschließlich der Trotzkismus vor und während dem Zweiten Weltkrieg.[8] Die Wahl für das sogenannte „geringere Übel“ zwischen verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie bedeutet ein Verwerfen nicht nur des Prinzips des Internationalismus, sondern auch desjenigen der Klassenautonomie, die die Selbständigkeit des Proletariats gegenüber den Interessen und Zielen der herrschenden Klasse verteidigt, zu denen auch der Krieg gehört. Sie bedeutet die politische Demobilisierung des Proletariats und seine aktive Mobilisierung für eine Seite des Kapitals – und in den Krieg. Dies war die Funktion des Antifaschismus vor und während dem Zweiten Weltkrieg, der linken Partisanen, die halfen, die neue kapitalistische Ordnung nach 1945 aufzubauen – hüben und drüben, auch hinter dem Eisernen Vorhang.
Die Aufgabe der Revolutionäre ist auch in einer so schwierigen Lage wie heute die Verteidigung und Konkretisierung der proletarischen Prinzipien: Wir haben kein „geringeres Übel“ zu bekämpfen, sondern die Spaltung des Proletariats in Nationen, die Mobilisierung des Proletariats hinter Nationalstaaten und staatstragende Parteien. Selbst wenn wir heute eine kleine Minderheit (ohne Einfluss auf den gegenwärtigen Gang der Geschichte) sind, müssen wir alle Halbheiten in dieser Hinsicht und jede Unterstützung für eine Kriegspartei oder eine Seite in der kapitalistischen Konkurrenz entlarven und bekämpfen. In den 1930er Jahren, als die Arbeiterklasse geschlagen war und der historische Kurs auf den nächsten Weltkrieg zulief, haben die Revolutionäre der Gruppe Bilan angesichts des Krieges in Spanien von 1936-38 auf scheinbar verlorenem Posten den Internationalismus als eisernes Prinzip verteidigt gegen diejenigen, die sich auf die republikanische Seite stellten und unter der Flagge des Antifaschismus in den Krieg zogen. Bilan als entscheidender Träger der linkskommunistischen Strömung hat sich damit der Kapitulation entgegengestellt, die fast alle proletarischen Gruppen dieser Zeit in den Abgrund riss, und ganz konkret einen wichtigen Beitrag geleistet für eine Brücke zu künftigen Kämpfen und Organisationen, welche auf dem Boden des Internationalismus stehen. Wenn die Veranstalter der Buchvorstellung von „abstrakten Prinzipien, die keinen Bezug zur Realität haben“ sprechen, dann kennen sie diese Geschichte offenbar nicht.
Wir rufen Eiszeit dazu auf, die Klärung über die Frage des Krieges etwas genauer zu nehmen. Andernfalls landet man im selben Boot wie die Rechte von Zimmerwald und ein Teil der Zentristen, diejenigen, die sich nicht richtig entscheiden konnten: In der hilflosen Empörung, aber ohne Orientierung und Prinzipien, oder gar im einen oder anderen Kriegslager. Dann aber wirklich - Beau Séjour!
19.03.2025, IKS
[1] Die IKS war übrigens an der Veranstaltung nicht allein mit diesem Anliegen. Vielmehr bestand auch ein Genosse von Kommunistisches Programm/Il Programma auf diesem Punkt.
[2] Zur Frage der Klassenpositionen und ihrem Stellenwert für die proletarische Revolution verweisen wir z.B. auf die Einleitung zu unserer Plattform [144].
[3] Vgl. dazu unseren Artikel Die FAU unterstützt den Krieg in der Ukraine [145], Weltrevolution 185, Winter 2022/23.
[4] Wie z.B. die Trotzkistische Fraktion für die Vierte Internationale und ihr deutschsprachiges Organ Klasse Gegen Klasse [146]. Oder auch: https://kommunismus.ch/ [147].
[6] Ebda.
[7] Vgl. zu den Linken und Linksextremen auch unseren Artikel Welche Haltung gegenüber dem Krieg in Syrien? [148] in Weltrevolution 174, 2012
[8] Vgl. Der Trotzkismus im Zweiten Weltkrieg - Verfechter des imperialistischen Krieges [149], IKSonline Juni 2024
Mit den jüngsten Beschlüssen zur grenzenlosen Erhöhung des Rüstungsetats und dem zusätzlichen Verschuldungsprogramm wird ersichtlich, wie sehr sich die herrschende Klasse in Deutschland der Tatsache bewusst ist, dass in der Weltlage ein entscheidender Einschnitt eingetreten ist. Tatsache ist, dass sich für das deutsche Kapital (wie für alle EU- und Nato-Staaten) die Lage schlagartig mit dem nun stattgefundenen Bruch des jahrzehntelangen Militärbündnisses zwischen USA und Nato und der seitens der USA gegen die EU gerichteten Maßnahmen, der neuen Russlandpolitik der USA und der Abkehr von der US-Unterstützung der Ukraine für die Welt – insbesondere für Europa und vor allem für Deutschland – tiefgreifend verändert und rasant zugespitzt hat. Dies auch wenn die dahinter liegende tiefer greifende Entwicklung seit langem sichtbar war.
Europäische Regierungen haben eine Konferenz nach der anderen einberufen, um erste kurzfristige und langfristige Gegenmaßnahmen vorzunehmen. Deutschland ist dabei gewissermaßen Vorreiter geworden. Deren gemeinsamer Nenner ist die Ausrichtung auf „ReArm Europe“ („Europa wiederbewaffnen“) und verharmlost das wahre Ausmaß der jüngsten Explosion der Rüstungsausgaben.[1]
Genauso schnell wie die Ampelregierung unter Scholz nur wenige Tage nach der Auslösung des russischen Angriffs gegen die Ukraine 2022 eine Zeitenwende ausrief und innerhalb kürzester Zeit eine Verdoppelung des Rüstungshaushalts beschloss, haben die EU unter der ehemaligen deutschen Verteidigungsministerin Von der Leyen ein 800 Milliarden schweres Rüstungspaket und SPD und CDU/CSU im Handumdrehen ein nationales Aufrüstungsprogramm mit Unterstützung der Grünen beschlossen. Dies wirft im Prinzip alle vorherigen Haushaltsfesseln über Bord und ermöglicht grenzenlose Aufrüstung.
Diese Steigerungszahlen des Rüstungshaushalts scheuen keinen Vergleich mit den Steigerungszahlen des ersten Militärhaushaltes, den die Nazis nach ihrer Machtübernahme 1933 beschlossen. Vorbei sind auch die Illusionen und Versprechen von 1989 oder nach der Wiedervereinigung 1990 von einem friedlichen Deutschland, als eine Zeitlang „Abrüstung“ betrieben wurde. Das weltweit sich verschärfende Kriegstreiben wird seit geraumer Zeit wieder voll von der deutschen Bourgeoisie mitgetragen. Lautstark schreien alle Vertreter des deutschen Kapitals: „Wir müssen unser Land grundlegend aufrüsten, keine Grenzen bei den Staatsausgaben für die Aufrüstung Deutschlands… whatever it takes!“ Neben den unbegrenzten Ausgaben wird der Staatsapparat organisatorisch umgebaut werden, um alles für Kriegsanstrengungen zu mobilisieren. Joschka Fischer, ex-Außenminister der Grünen, der sich schon im Balkankrieg als Rechtfertiger der Bombardierungen von Belgrad hervorgetan hatte, kritisiert rückblickend die Abschaffung der Wehrpflicht und plädiert für deren schnellstmögliche Wiedereinführung. Und die Diskussion über atomare „Schutzschilde“ zur Ersetzung des US-amerikanischen ist auch schon angelaufen. Die EU, lange Zeit hauptsächlich ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, soll durch eine Koalition der „Willigen“ auch zu einem militärischen Bündnis umgebaut werden. Die neue Regierung hat mit dem neuen Aufrüstungspaket den ganzen Ballast um die Schuldengrenze, die u.a. mit zum Zerwürfnis innerhalb der alten Ampelkoalition geführt hatte, abgeworfen und sich kopfüber in den Aufrüstungswettlauf gestürzt. Wir alle sollen uns der ganzen Spirale der Aufrüstung und Kriegsdynamik unterwerfen.
In Anbetracht dieses „Notfalls für die Verteidigung des Vaterlandes“ stellte sich der ganze Wahlzirkus wieder einmal nur als ein lästiges Hindernis heraus, dessen Ergebnisse die verantwortlichen Drahtzieher des deutschen Kapitals im Bewusstsein der Verteidigung der übergeordneten Staatsinteressen schleunigst mit parlamentarischen Tricks umgingen. Dies indem man das neue Rüstungsprogramm noch mit der alten parlamentarischen Mehrheit durchboxte, bevor der neue Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat. Im neuen Bundestag sind die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse zur Änderung des Grundgesetzes, das für diese Finanzpakete erforderlich war, mit einer 2/3-Mehrheit nicht vorhanden … also schnell nochmal die alten parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse ausnutzen. Wir sehen hier keinen „Verrat an den demokratischen Prinzipien“, sondern genau deren Scheinheiligkeit und die wahren Entscheidungsschienen. Zugleich wurde dieses Rüstungsprogramm von CDU/CSU-SPD aus dem Boden gestampft, noch bevor diese überhaupt zu Koalitionsvereinbarungen zusammengekommen waren – soviel Einigkeit und Sinn für die Interessen des Staates und die notwendige nationale Einheit in dieser Frage waren selbstverständlich.
Vorbei die ursprüngliche Zögerlichkeit oder Ablehnung der Lockerung der Schuldenbremse seitens der CDU/CSU – den Bedürfnissen des Krieges darf man offenbar nicht ausweichen. Fehlen durften dabei natürlich nicht die Grünen, die sich während der letzten Jahre immer als geradezu fanatische Verfechter von Waffenlieferungen und Aufrüstung erwiesen haben. Jetzt erwiesen sie sich als Zünglein an der Waage, die ihre Zustimmung nach ein wenig Hin und Her bereitwilligst gaben, nachdem man eine “Erweiterung” der Ausgaben für “Sicherheit” auf zusätzliche Bereiche wie Cyberkriegsführung, Geheimdienste und Ähnliches vorgenommen hatte. Auch wurde in das „Infrastrukturpaket“ die Absicht aufgenommen, zusätzliches Geld für Umweltschutz aufzubringen, was dem Maßnahmenpaket sogar so etwas wie einen Anschein von „Klimaschutz“ verschafft. Merz hatte ja schon 2018 über die Grünen geurteilt: „Sehr bürgerlich, sehr offen, sehr liberal und sicherlich auch partnerfähig" (11.11.2018).
Und die Sozialdemokratie, deren Führung im August 1914 zum ersten Mal die Vaterlandsverteidigung über die Interessen der Arbeiterklasse stellte und unwiederkehrbar ins Lager des Kapitals wechselte und kurze Zeit später 1918-1919 für die Niederschlagung der revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse in Deutschland gesorgt hatte, bewies einmal mehr ihre mehr als 110 Jahre lange Treue gegenüber dem Kapital.
Neben der grenzenlosen Aufrüstung tritt man auch im Bereich der „Infrastruktur“ zu einer bislang nie dagewesenen Flucht nach vorne an. 500 Mrd. Euro sollen bereitgestellt werden, nicht zuletzt, um flankierend das Transportnetz kriegstauglich zu machen – schließlich ist Deutschland ein strategisch wichtiges Aufmarschgebiet und eine zentrale Drehscheibe für die ganze Kriegslogistik gegen Russland. Während alle deutschen Regierungen gegenüber der EU insgesamt und gegenüber einzelnen Mitgliedsstaaten lange Zeit als Zuchtmeister bei Finanzfragen aufgetreten sind, wirft man jetzt jegliche eigene Zurückhaltung über Bord. Denn ohne staatliche Subventionen z.B. in der E-Strom-Versorgung hat man im internationalen Konkurrenzkampf gegen China oder die USA keine Chance, E-Autos zu verkaufen. Dies zeigt die wilde Entschlossenheit, das ganze Gewicht des Staates in den sich nun gnadenlos verschärfenden Konkurrenzkampf zu werfen. Auch wenn man damit in Kauf nehmen muss, dass dieses noch größere Aufdrehen des staatlichen Schuldenhahns zu einem Ansteigen der Inflation führen und einen nicht kalkulierbaren Schuldenberg hinterlassen wird.[2]
Das deutsche Kapital wird natürlich Ambitionen zeigen, in dieser neuen Phase des Konkurrenzkampfes und des Aufbaus neuer Militärstrukturen in Europa eine besondere Führungsrolle zu übernehmen. So betonen regierungsnahe „Think-tanks“, dass man die „deutsche Bevölkerung darauf vorbereiten muss, dass Deutschland zur europäischen Führungsmacht wird, diplomatisch und militärisch“. Dazu gelte es „die Zeitenwende in den Köpfen zu verankern“. Einerseits ist Deutschland enger als je zuvor auf eine möglichst enge Zusammenarbeit insbesondere mit Frankreich, Polen und Großbritannien angewiesen (allein ist man viel zu klein). Andererseits sind die Reibungspunkte insbesondere mit Frankreich nicht aus der Welt geschafft. So steuert das deutsche Kapital mit Volldampf auf weitere Konflikte innerhalb der sich neu definierenden EU zu, während es gleichzeitig Beziehungen zu einigen Ländern anpassen muss. Solche Umstellungen laufen nie friedlich und in Eintracht ab. Kapitalismus ist und bleibt ein Haifischbecken! Und die Epoche des beschleunigten Zerfalls hat die nationale Verteidigung der Partikularinteressen gegen die rationale Notwendigkeit der Zusammenarbeit und Absprache in Stellung gebracht und somit speziell die Achse Deutschland Frankreich schwer beschädigt. Die EU ist ein notwendiges zentrales Instrument in der politischen und militärischen europäischen Formierung und zur selben Zeit durch interne Fliehkräfte unter enormen Druck. Ein Haifischbecken in einem Bassin mit ersten Rissen.
Genauso entschlossen, wie die neue Bundesregierung den Geldhahn für Rüstung und viele kriegsrelevante Infrastrukturmaßnahmen aufgedreht hat, wird sie Sparbeschlüsse gegenüber der Arbeiterklasse durchboxen müssen. Die seit Sommer 2024 im Amt befindliche britische Labour-Regierung, welche die verschlissene und verabscheute Tory-Regierung ablöste, hat schmerzhafte Einschnitte im ohnehin schon maroden Gesundheitssystem und in anderen Sozialbereichen angekündigt. Die gleiche Stoßrichtung hat die neue belgische Regierung eingeschlagen[3], und in Frankreich werden ähnliche Maßnahmen ins Auge gefasst.
In Deutschland hat das Kapital keine andere Wahl, als durch die neue Bundesregierung die Kosten für das astronomische Verschuldungsprogramm auf die Schultern der Arbeiterklasse abzuwälzen. Dabei wird der SPD zusammen mit den Gewerkschaften die besondere Rolle zufallen, die zu erwartenden Konfrontationen mit der Arbeiterklasse abzufedern. Auf die Bedeutung der derzeit stattfindenden (Warn-)Streiks und Proteste im öffentlichen Sektor, aber auch während Betriebsversammlungen in der Industrie müssen wir zu einem anderen Zeitpunkt eingehen. Wichtig ist festzuhalten, dass die Demokratie- und Brandmauerkampagne vor der vorgezogenen Bundestagswahl diese Kämpfe nicht infiltriert oder abgeschwächt hat. Doch muss ebenfalls die Rolle der Gewerkschaften und der Trotzkisten und auch der Partei Die Linke denunziert werden, die diese Kämpfe einhegen wollen.
Dass die deutsche Bourgeoisie, deren Kernbereiche sich um die neue Bundesregierung mit Unterstützung der Grünen im Handumdrehen auf diese neue auf Krieg ausgerichtete Orientierung zielstrebig geeinigt haben, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die herrschende Klasse selbst in einer politischen und historischen Krise steckt. Darauf sind wir in einem weiteren Artikel eingegangen.
18.03.2025 TW
[1] Dabei haben die EU-Staaten und Großbritannien tatsächlich schon zwischen 2014 und 2024 ihre Militärausgaben von insgesamt 147 Milliarden Euro auf 326 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Und ersten Delegationen der EU waren auch schon unterwegs, um z.B. mit Indien eine viel engere Zusammenarbeit aufzubauen.
[2] Wir sind in weiteren Artikeln auf die historische und internationale Bedeutung der ganzen Entwicklung eingegangen und wir werden auch die dramatischen Änderungen, die sich für das deutsche Kapital ergeben haben, in zukünftigen Artikeln eingehen.
[3]Siehe unser Flugblatt auf Französisch: Ça suffit ! Face aux attaques, développons un mouvement massif, uni et solidaire [150], ICConline 2025
Der jüngste Wahlzirkus und die danach ersichtlich gewordenen Entscheidungsmechanismen zwischen den führenden Parteien haben gezeigt, wo die eigentlichen Entscheidungen getroffen werden. Dennoch muss die herrschende Klasse regelmäßig ihre Wahlshows aufführen, um die Illusion zu wecken unser Schicksal werde an den Wahlurnen entschieden.
Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren ein tiefgreifender Graben aufgetan zwischen der herrschenden Klasse und der Arbeiterklasse.
Auch wenn die Wahlbeteiligung kein Gradmesser für Kampfbereitschaft und Bewusstsein der Arbeiterklasse ist, gab die jahrelang sinkende Wahlbeteiligung einen Hinweis auch auf einen wachsenden Frust in der Arbeiterklasse (und darüber hinaus in anderen Teilen der Bevökerung) über den Zustand und die Perspektiven dieser Gesellschaft. Das spiegelte sich u.a. wider im Glaubwürdigkeitsverlust der traditionellen Parteien. Die sinkende Wahlbeteiligung konnte die seit den Anfang der 2010er Jahre aufgekommenen Protestparteien abfedern, indem sie glauben machten, dass die Stimmabgabe für die Protestparteien ein ausschlaggebender Faktor bei der Bestimmung der Politik sein könnte. So konnten die Protestparteien überall für eine steigende Wahlbeteiligung sorgen – ohne dass dadurch bei den so in die Irre Geführten notwendigerweise der Glaube entstanden ist, dass die Protestparteien auch nur irgendwas lösen könnten. Schließlich sind sie meistens nur gegen etwas („anti“) und haben außer Hetze und Sündenbocksuche in Anbetracht der allgemeinen Perspektivlosigkeit nichts zu bieten. Zudem sind sie für das Kapital keine ernstzunehmende Option – selbst die Unternehmerverbände warnen vor ihnen.[1]
Gleichzeitig haben all die „demokratischen Kräfte“ die AfD und alles, was sich sonst noch als Protestpartei anbiedert, als neue Gefahr von Rechts, gar als neu aufkommenden Faschismus angeprangert, wodurch es ihnen wiederum gelungen ist, eine beträchtliche Zahl Menschen an die Wahlurnen zu locken, um „den Rechten Einhalt zu gebieten“.
Das Resultat: infolge der völlig irreführenden Polarisierung gegen die Rechten konnte eine seit Jahren nicht mehr erreichte Wahlbeteiligung von 82,5% erzielt werden (2021 betrug sie noch 76.4). 2025 war sie die höchste seit 1989. Der Glaube, dass man im Parlament den Hebel ansetzen müsse bzw. den Einzug der AfD so verhindern könne, hat der herrschenden Klasse, die stärker als zuvor dazu aufrief „Bürger, ihr musst unbedingt wählen“, einen gewissen Punktegewinn ermöglicht.[2] Mit zu diesem Trupp der Wahlzutreiber gehörten natürlich auch die Gruppierungen der extremen Linken wie Klasse gegen Klasse, PSG, SAV – die alle die Wahltrommel rührten und eigene Kandidaten aufstellten.
Aber dieser Punktegewinn ist auf sehr dünnem Eis entstanden. Denn nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass der gleiche Trend in Deutschland zu beobachten ist, der auch international ersichtlich ist, dass nämlich alle bisher an der Regierung beteiligten Parteien herbe Verluste eingesteckt haben und die Populisten die Nutznießer sind.[3]
Es kam zu einer Art Zerfledderung der SPD, die ihre historisch schlechtestes Ergebnis seit 1876 erzielte: 16%, (-9%), Grüne 11% (-3%), FDP 4.3% (-7%) – diese flog aus dem Parlament.[4]
Mit anderen Worten: Alle jeweils an der Regierung beteiligten Parteien verlieren an Glaubwürdigkeit, „verschleißen“ sich. Zuvor hatten sich CDU und SPD schon in der GROKO verschlissen, und dieser Verlust an Glaubwürdigkeit war nicht nur durch die unbeliebte Person Merkel entstanden – sondern dahinter steckt die wachsende Angst vor der Wirklichkeit und den Perspektiven des Kapitalismus. Allen traditionellen Parteien wird immer wenig abgekauft, dass sie Wohlstand, eine gesicherte Zukunft usw. anbieten könnten.
Vor den Wahlen schon war zu erkennen, dass die altgediente CDU in den Augen vieler nur als das geringere Übel angesehen werden kann. Ihr Vorsitzender Merz wurde als der unpopulärste und unbeliebteste Kandidat eingestuft. Zudem versuchte er in einem gewissen Akt der Verzweiflung doch noch mehr Stimmern zu erhaschen, als er den Anlauf machte, dank der Unterstützung der AfD populistische Maßnahmen durchzuboxen. Somit riss er die sog. Brandmauer unter den Demokraten ein. Auch bei dem früheren „shooting star“ der deutschen Bourgeoisie, den Grünen, zeigten die Wahlergebnisse einen erkennbaren Verschleiß – nachdem diese Partei alle Ursprungsthemen über Bord geworfen und zu einer Triebfeder des deutschen Militarismus geworden war.
Zudem zeigt die Verdopplung des Stimmenanteils der AfD, ihr flächendeckender Triumph in Ostdeutschland, dass selbst dreieinhalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung Perspektivlosigkeit, Suche nach Sündenböcken, Ausländerfeindlichkeit usw. dominieren.[5] Eine Art „Spiegelstück“ dieser Proteststimmung ist auch der sprunghafte Anstieg bei der Linkspartei. Hatte zuvor schon das BSW einen Teil der Proteststimmen eingefangen, gelang es nun vor allem der Partei Die Linke viele Jugendliche in die Falle der Wahlen zu locken.[6] Ihre Themen wie „Gegen offenen Militarismus“, „gemäßigte, gesteuerte Migration“, „bestraft die Unternehmer“ oder Verstaatlichungen, führte insbesondere viele Jugendliche hinters Licht. Und weil sie nun neben der AfD im Bundestag die Hauptoppositionsrolle einnehmen werden, werden sie für das deutsche Kapital um so wertvoller, um das ramponierte Ansehen der bürgerlichen Demokratie aufzupolieren. Und für viele Jugendliche, die „etwas tun wollen“, werden sie ein Köder für deren Handlungsdrang, für einen Aktivismus sein, um letztendlich nur die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen zu verstärken.
Die Wahlergebnisse ließen dem Kapital nur eine einzig mögliche Regierungskoalition: CDU/CSU-SPD – mit entscheidender Steigbügelhilfe durch die Grünen. Sicherlich ist dies in Anbetracht des sich vollziehenden großen historischen Einschnitts gewissermaßen die „solideste“ Option für das deutsche Kapital, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.[7]
Aber langfristig zahlt das deutsche Kapital dafür einen hohen Preis, denn der nötige „Personalwechsel“ bei der SPD und die eigentlich erforderliche Radikalisierung in der Opposition sind vorerst blockiert bzw. stocken oder sind völlig unzureichend.
So wird einstweilen insbesondere die langfristige Schwächung der SPD weitergehen. Aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen werden sie in der Regierung dringend gebraucht. Die Aufgabe, die notwendigen harten Angriffe gegen die Arbeiter durchzuboxen, wird vor allem von der SPD – arbeitsteilig mit den Gewerkschaften – übernommen werden müssen. Auch wenn die CDU/CSU mit Merz einen „brutalen, aggressiv Kürzungen fordernden“ Diskurs einschlagen werden, werden die Sozialdemokraten sich bestens dafür einsetzen, dass die „bitteren Pillen“ der Sparbeschlüsse ohne großen Widerstand geschluckt werden.
Früher oder später werden die zahlreichen Angriffe – von Entlassungen, Stellenabbau, Inflation, Intensivierung der Arbeitshetze, Erhöhung der allgemeinen Arbeitsbelastung – zu einer Reaktion der Arbeiterklasse führen, die wegen der Generalisierung und Zuspitzung dieser Angriffe das Potential und die Notwendigkeit mit sich bringen, dass es zu einer viel umfassenderen Welle des Widerstands kommt, in der die ganze Sackgasse dieser Gesellschaft, ihr Versinken in Krieg, Zerstörung, Konkurrenzkampf, Flucht und Vertreibung usw. zur Sprache kommen muss. Auf diese Auseinandersetzungen müssen wir uns vorbereiten.
17.03.2025 WI
[1] Ihre Europa-feindliche, gegen den Euro gerichtete, und Russland-freundliche Haltung sowie ihre Unterstützung von Trump/Musk „disqualifizieren“ sie selbst aus der Sicht des Kapitals von vornherein.
[2] Scheinbar wussten ca. 30% bis zum letzten Tag nicht, was sie wählen sollten, viele redeten vom "geringerem Übel" …
[3] In Österreich wurde die FPÖ im September 2024 mit 28,9 Prozent stärkste Kraft, in Frankreich errang das Rassemblement National (RN) 2024 mit 32,1 Prozent den ersten Platz, in Italien steht Meloni mit ihren Fratelli d’Italia (FdI) an der Spitze, und in den Niederlanden rangiert die Partij voor de Vrijheid (PVV) ganz oben. In Finnland beteiligen sich Die Finnen an der Regierung und in Schweden haben die Schwedendemokraten einen größeren Einfluss, ganz oben steht in Ungarn mit Fidesz Viktor Orbán. Auch wenn in Deutschland die AfD noch keine zentrale Regierungsverantwortung hat, ist sie zur zweitstärksten Partei auf Bundesebene geworden.
[4] Wahlergebnisse in Prozent: SPD: 16.4 (-9.3), CDU: 28.6 (+4.4), Grüne: 11.6 (-3.1), FDP: 4.3 (-7.7), AfD 20.8 (+10.4), Die Linke, 8.7 (+3.8), BSW: 4.9 (+ 4,9)
[5] In Gelsenkirchen macht die AfD gar der SPD Konkurrenz und in Kaiserslautern überholte sie gar zum ersten Mal die CDU.
[6] In Berlin errangen sie 19% Stimmen und mehrere Direktmandate.
[7] Dabei ist man mit dem gescheiterten Einzug des BSW in den Bundestag und dem Scheitern der FDP an der 5%-Hürde nur knapp an der Notwendigkeit einer Dreierkoalition (die sogenannte Kenia-Koalition = CDU-CSU-SPD-Grünen) vorbeigeschlittert. Das hätte eine größere Instabilität (der Zwang zu Dreiervereinbarungen – mit starker Ablehnung der Grünen durch CSU/CDU - bedeutet). Insofern ist die jetzige Zweierkoalition für die Bourgeoisie gewissermaßen das „geringere“ Übel, denn das Regieren zu zweit ist einfacher als in einer Mehrparteienkoalition (wie in Belgien, Frankreich).
Links
[1] https://de.internationalism.org/files/de/sonderausgabe_oekologie_2_1.pdf
[2] https://de.internationalism.org/files/de/die-zukunft-des-planeten-darf-nicht-in-den-haenden-der-kapitalistenklasse-bleiben_1.pdf
[3] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1916/junius/teil1.htm
[4] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/klima
[5] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/okologie
[6] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/zukunft
[7] https://de.internationalism.org/files/de/die-zukunft-des-planeten-darf-nicht-in-den-haenden-der-kapitalistenklasse-bleiben_2.pdf
[8] https://libcom.org/blog/extinction-rebellion-not-struggle-we-need-pt-1-19072019#footnoteref3_oyk5dbl
[9] https://libcom.org/article/extinction-rebellion-not-struggle-we-need-pt-2
[10] https://www.theguardian.com/environment/2018/dec/29/green-new-deal-plans-proposal-ocasio-cortez-sunrise-movement
[11] https://en.internationalism.org/content/16760/90-years-after-1929-crash-decadent-capitalism-can-never-escape-crisis-overproduction#_ftnref2
[12] https://en.wikipedia.org/wiki/New_Deal
[13] https://neweconomics.org
[14] http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_747.htm
[15] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_483.htm
[16] https://en.internationalism.org/content/16734/ecological-disaster-poison-militarism
[17] https://de.internationalism.org/tag/3/52/umwelt
[18] https://de.internationalism.org/files/de/211123_wr183_einzelseiten.pdf
[19] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/rekord-neuverschuldung-1-32-billionen-euro-corona-schulden-und-kein-ende-in-sicht-so-teuer-wird-die-krise-fuer-deutschland/27034064.html
[20] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/grune
[21] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/fdp
[22] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/spd
[23] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/wahlen-2021
[24] https://de.internationalism.org/tag/leute/scholz
[25] https://de.internationalism.org/tag/leute/laschet
[26] https://de.internationalism.org/tag/leute/merkel
[27] https://de.internationalism.org/tag/leute/lindner
[28] https://de.internationalism.org/tag/leute/habeck
[29] https://de.internationalism.org/content/3004/hinter-dem-niedergang-des-us-imperialismus-steht-der-niedergang-des-weltkapitalismus
[30] https://de.internationalism.org/tag/6/1296/usa
[31] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/china
[32] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/corona
[33] https://de.internationalism.org/tag/3/43/imperialismus
[34] https://de.wikipedia.org/wiki/Planetare_Grenzen
[35] https://en.internationalism.org/specialtexts/IR003_kron.htm
[36] https://en.internationalism.org/wr/345/kronstadtdebate
[37] https://en.internationalism.org/inter/123_kronstadt.html
[38] https://en.internationalism.org/inter/124_kronstadt.html
[39] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kfw-warnt-vor-schrumpfendem-wohlstand-fachkraefte-dringend-benoetigt-18620926.html
[40] https://de.internationalism.org/content/2993/pandemie-deutschland
[41] https://de.internationalism.org/content/3075/die-weltwirtschaft-wird-von-der-beschleunigung-des-zerfalls-erfasst
[42] https://de.internationalism.org/content/3059/bericht-ueber-die-imperialistischen-spannungen-mai-2022-bedeutung-und-auswirkungen-des
[43] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/varo-chef-dev-sanyal-europa-wird-die-vorreiterrolle-uebernehmen-18576463.html
[44] https://de.internationalism.org/files/de/welt184.pdf
[45] https://de.internationalism.org/content/758/orientierungstext-militarismus-und-zerfall
[46] https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus
[47] https://fr.internationalism.org/content/10553/alliance-militaire-aukus-lexacerbation-chaotique-des-rivalites-imperialistes
[48] https://en.internationalism.org/ir/1982/31/critique-of-the-weak-link-theory
[49] https://de.internationalism.org/content/3043/gemeinsame-erklaerung-von-gruppen-der-internationalen-kommunistischen-linken-zum-krieg
[50] https://de.internationalism.org/content/1075/bericht-zur-struktur-und-funktionsweise-der-organisation-der-revolutionaere
[51] https://en.internationalism.org/content/3154/zimmerwald-1915-1917-war-revolution
[52] https://de.internationalism.org/content/2665/konferenz-von-zimmerwald-die-zentristischen-stroemungen-innerhalb-der-organisationen
[53] https://de.internationalism.org/content/1177/die-konferenz-von-zimmerwald
[54] https://de.internationalism.org/files/de/weltrevolution_185.pdf
[55] https://de.internationalism.org/oekokatastrophe1
[56] https://fr.internationalism.org/icconline/2008/journee_de_discussion_a_marseille_un_debat_ouvert_et_fraternel_sur_un_autre_monde_est_il_possible.html
[57] https://monthlyreview.org/2022/04/01/for-an-ecosocialist-degrowth/
[58] https://de.internationalism.org/content/3064/aktualisierung-des-orientierungstextes-von-1990-militarismus-und-zerfall-mai-2022
[59] https://direkteaktion.org/erklaerung-des-internationalen-komitees-der-fau-zur-russischen-invasion-in-der-ukraine/
[60] https://aitrus.info/node/5921
[61] https://de.internationalism.org/files/de/demokratiekampagne_feb._2024_0.pdf
[62] https://de.internationalism.org/files/de/beilage-manifest-druck-2fl.pdf
[63] https://de.internationalism.org/files/de/welt-186.pdf
[64] https://de.internationalism.org/files/de/internationales_flugblatt_krieg_november_2023hd_0.pdf
[65] https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/fachkraeftemangel-in-deutschland-wie-viel-personal-fehlt,TjEWKwG
[66] https://fr.internationalism.org/content/9242/naissance-democratie-totalitaire#sdfootnote5sym
[67] https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=mdp.39015000379902&view=1up&seq=23
[68] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/bordiga/1961/xx/auschwitz.htm
[69] https://archivesautonomies.org/spip.php?article1521
[70] https://www.leftcom.org/en
[71] https://de.internationalism.org/files/de/beilage-manifest-digital_0.pdf
[72] https://de.internationalism.org/content/3140/streiks-und-demonstrationen-den-usa-spanien-griechenland-frankreich-wie-koennen-wir
[73] https://www.leftcom.org/en/articles/2023-07-05/the-no-war-but-the-class-war-initiative
[74] https://www.leftcom.org/en/articles/2022-07-22/nwbcw-and-the-real-international-bureau-of-1915
[75] https://en.internationalism.org/content/17240/correspondence-joint-statement-groups-communist-left-war-ukraine
[76] https://en.internationalism.org/content/17223/history-no-war-class-war-groups
[77] https://en.internationalism.org/content/2641/reply-internationalist-communist-party-battaglia-comunista
[78] https://en.internationalism.org/ir/021_workers_groups.html
[79] https://de.internationalism.org/content/3105/no-war-class-war-ein-komitee-das-seine-teilnehmer-eine-sackgasse-fuehrt
[80] https://www.leftcom.org/it/articles/2023-01-03/sul-comitato-di-roma-nwbcw-un-intervista
[81] https://www.sitocomunista.it/canti/cantidilotta.html
[82] http://www.sitocomunista.it/resistence/resistenceindex.html;
[83] https://www.sitocomunista.it/pci/pci.html
[84] https://en.internationalism.org/content/17378/acg-bans-icc-its-public-meetings-cwo-betrays-solidarity-between-revolutionary
[85] https://de.internationalism.org/files/de/internationales_flugblatt_-_streiks_maerz_2023xa3.pdf
[86] https://www.20min.ch/story/finanzloch-der-armee-fehlt-eine-milliarde-franken-um-getaetigte-kaeufe-zu-zahlen-103033122
[87] https://caritas-regio.ch/media/zhDownloads/Factsheet_ArmutKantonZuerich_2024.pdf
[88] https://www.swissinfo.ch/ger/wirtschaft/die-schweiz-und-die-spionage-passiv-aus-tradition/48683598
[89] https://kommunisten.ch/index.php?article_id=2230
[90] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/european-sky-shield-die-nicht-ganz-so-neutrale-schweiz-19018728.html
[91] https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen/bundesrat.msg-id-102126.html
[92] https://www.publiceye.ch/de/themen/rohstoffhandel/russisches-erdoel-dubai-zieht-alle-register-um-die-schweiz-zu-verdraengen
[93] https://www.srf.ch/news/schweiz/massnahmen-gegen-moskau-schweiz-uebernimmt-nicht-alle-russland-sanktionen-der-eu
[94] https://www.swissinfo.ch/ger/wirtschaft/so-wirken-sich-die-russland-sanktionen-auf-schweizer-banken-aus/48776122
[95] https://sozialismus.ch/schweiz/2024/die-schweiz-und-die-friedenskonferenz/
[96] https://de.internationalism.org/content/1841/schweizer-bourgeoisie-auf-internationalem-parkett-bedraengnis
[97] https://de.internationalism.org/files/de/welt_187-einzelseiten_0.pdf
[98] https://actionweek.noblogs.org
[99] https://de.internationalism.org/files/de/nok-2007-web.pdf
[100] https://anarcomuk.uk/articles/
[101] https://de.internationalism.org/content/1373/nach-dem-zusammenbruch-des-ostblocks-destabilisierung-und-chaos
[102] https://de.internationalism.org/content/3192/resolution-zur-nationalen-situation-deutschland
[103] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/deutschland
[104] https://de.internationalism.org/content/3129/aktualisierung-der-thesen-zum-zerfall-2023
[105] https://en.internationalism.org/internationalreview/199311/1570/study-capital-and-foundations-communism
[106] https://en.internationalism.org/internationalreview/199506/1685/mature-marx-past-and-future-communism
[107] https://de.internationalism.org/content/2946/bordiga-und-die-grossstadt
[108] https://communist.red/how-the-communists-in-britain-are-preparing-for-power/
[109] https://communist.red/trotsky-s-suppressed-letter-an-introduction-by-alan-woods/
[110] https://de.internationalism.org/content/845/die-ermordung-trotzkis-im-jahre-1940
[111] https://marxist.com/perspectives-for-the-peoples-republics-the-external-and-domestic-struggle-of-the-left-and-progressive-forces.htm
[112] https://marxist.com/the-ukrainian-conflict-is-this-the-start-of-world-war-iii.htm
[113] https://marxist.com/down-with-hypocrisy-defend-gaza-imt-statement.htm
[114] https://de.internationalism.org/content/1977/internationalisme-1947-was-die-revolutionaere-von-den-trotzkisten-unterscheidet
[115] https://www.leftcom.org/en/articles/2024-05-03/revolutionary-communist-party-out-with-the-old-in-with-the-old
[116] https://de.internationalism.org/content/3120/resolution-des-25-internationalen-kongresses-der-iks-zur-internationalen-lage
[117] https://de.internationalism.org/content/3225/wie-die-bourgeoisie-sich-selbst-organisiert
[118] https://de.internationalism.org/content/3240/fuer-einen-aufruf-der-kommunistischen-linken-die-arbeiterklasse-gegen-die
[119] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9429
[120] https://www.arte.tv/de/videos/101919-000-A/die-welt-in-der-schuldenfalle/
[121] https://de.internationalism.org/content/3127/kommunistische-weltrevolution-oder-zerstoerung-der-menschheit-die-entscheidende
[122] https://en.internationalism.org/content/17451/after-rupture-class-struggle-necessity-politicisation
[123] https://de.internationalism.org/content/3122/die-widerspruechlichkeiten-der-ikt-ueber-die-historische-bedeutung-der-streikwelle
[124] https://en.internationalism.org/content/17469/anger-farmers-cry-despair-instrumentalised-against-workers-consciousness
[125] https://www.liberation.fr/politique/au-rn-un-autre-anniversaire-celui-du-coup-de-pouce-de-mitterrand-20221005_HXYDJ33BLZHMHI5UYC2AONP4LQ/
[126] https://en.internationalism.org/content/17532/how-bourgeoisie-organises-itself
[127] https://en.internationalism.org/content/17598/neither-populism-nor-bourgeois-democracy-only-real-alternative-worldwide-development
[128] https://layoffs.fyi/
[129] https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der
[130] https://news.un.org/pages/wp-content/uploads/2023/07/2023_07-A-WORLD-OF-DEBT-JULY_FINAL.pdf
[131] https://de.internationalism.org/content/3146/china-die-wirtschaftskrise-verschaerft-soziale-und-politische-spannungen
[132] https://de.internationalism.org/content/3233/diese-krise-wird-die-schwerste-der-gesamten-periode-der-dekadenz-des-kapitalismus-sein
[133] https://de.internationalism.org/content/3131/weshalb-spricht-die-iks-von-einem-bruch-im-klassenkampf
[134] https://en.internationalism.org/content/3171/50-years-ago-real-causes-second-world-war
[135] https://en.internationalism.org/content/4159/where-are-we-crisis-economic-crisis-and-militarism
[136] https://de.internationalism.org/content/3073/die-rueckkehr-der-kampfbereitschaft-des-weltproletariats
[137] https://de.internationalism.org/content/3230/nach-dem-bruch-im-klassenkampf-die-notwendigkeit-der-politisierung
[138] https://en.internationalism.org/content/17337/icts-ambiguities-about-historical-significance-strike-wave-uk
[139] https://www.leftcommunism.org/spip.php?article548
[140] https://www.leftcommunism.org/spip.php?article549
[141] https://en.internationalism.org/ir/45_eficc
[142] https://de.internationalism.org/content/1372/polemik-mit-der-cwo-unterirdische-reifung-des-bewusstseins
[143] https://communaut.org/de/sterben-und-sterben-lassen-der-ukrainekrieg-als-klassenkonflikt
[144] https://de.internationalism.org/content/3203/plattform-der-iks
[145] https://de.internationalism.org/content/3082/die-fau-unterstuetzt-den-krieg-der-ukraine
[146] https://www.klassegegenklasse.org/internationalismus/
[147] https://kommunismus.ch/
[148] https://de.internationalism.org/content/2313/welche-haltung-gegenueber-dem-krieg-syrien
[149] https://de.internationalism.org/content/3215/4-der-trotzkismus-im-zweiten-weltkrieg-verfechter-des-imperialistischen-krieges
[150] https://fr.internationalism.org/content/11527/ca-suffit-face-aux-attaques-developpons-mouvement-massif-uni-et-solidaire