Nachdem im Herbst 2004 bereits bei Karstadt und bei Opel durch "Beschäftigungspakte" zwei "namhafte" Konzerne und damit Tausende von Arbeitsplätze "gerettet" worden sein sollen, folgte Volkswagen wenige Wochen später diesem Beispiel. Nachdem die rund 100.000 Beschäftigten im Inland Maßnahmen hinnahmen, welche dem Konzern bis zum Ende des Jahrzehnts Einsparungen bis zu 30% bescheren sollen, kündigte VW an, vorläufig auf die angedrohten 30.000 betriebsbedingten Kündigungen verzichten zu wollen.
Überhaupt wurde das Jahr 2004 im Rückblick als das Jahr der Beschäftigungspakte gefeiert. Nachdem Siemens (in Bocholt und Kamp-Lintfort) und Daimler-Chrysler mit "gutem Beispiel" vorangegangen waren, folgten der Reihe nach die Großkonzerne der Automobilbranche und der Exportwirtschaft. Das Dienstleistungsgewerbe sowie der öffentliche Dienst zogen nach. Auch wenn die Deutsche Bahn oder die Krankenhäuser nicht ohne weiteres mit "Standortverlagerungen" wie in der Industrie drohen können: Die Drohung, Arbeitsplätze radikal abzubauen, wenn man nicht bereit sei, für weniger Geld länger zu arbeiten, reichte zumeist aus, um die Beschäftigten erfolgreich im Sinne des Kapitals zu erpressen. Dennoch stießen diese Erpressungen auf den Widerstand der Arbeiterklasse. Vor allem bei Daimler-Chrysler und bei Opel setzten sich die Arbeiter zur Wehr. Und auch gegenüber den Hartz-Angriffen gegen die Erwerbslosen, und damit gegen die gesamte Arbeiterklasse, gingen die Lohnabhängigen auf die Straße. Somit war das Jahr 2004, vom Standpunkt der Arbeiterklasse, ein Jahr der Wiederaufnahme des Kampfes.
Wie recht die Arbeiter damit hatten, sich selbst zu verteidigen, statt den verlogenen Versprechungen der "Beschäftigungspakte" Glauben zu schenken, bestätigt inzwischen die Entwicklung bei Opel. Nachdem die Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter dort - wie zuvor bei Karstadt - ebenso stolz wie verlogen die Abwendung betriebsbedingter Kündigungen verkündet hatten, kam Mitte Januar 2005 die Wahrheit heraus. Da bis dahin nur 100 Personen sich "freiwillig" für eine "Auffanggesellschaft" gemeldet hatten, welche nur deshalb gegründet wurde, um die Massenentlassungen bei Opel zu kaschieren, hieß es nun, dass zunächst bis zu 6.500 betriebsbedingte Kündigungen nunmehr doch unvermeidbar geworden seien.
Ein heilsamer Prozess der Desillusionierung
Auch wenn die Arbeiterklasse noch kein Mittel gefunden hat, um sich wirkungsvoller gegen die Erpressungen ihres Klassenfeindes zu wehren, ist es bereits positiv, wenn sie den Täuschungen der Besitzenden misstraut. Der Verlust der Illusionen kann zwar zunächst noch lähmend auf die Kampfkraft der Arbeiter wirken - wenn man noch keine eigene, positive Kampfperspektive besitzt. Die Ernüchterung angesichts der Realität erzeugt weder automatisch noch sofort, eine proletarische Perspektive. Aber der Verlust der Illusionen ist die Vorbedingung dafür, indem es die Klasse erahnen läßt, dass es innerhalb des Kapitalismus keine Lösung gibt. Gerade deshalb hat der Marxismus stets darauf hingewiesen, dass es die Aufgabe der Revolutionäre ist, die Wahrheit auszusprechen, "zu sagen, was ist", wie Rosa Luxemburg es formulierte.
Die Erpressung mittels angedrohter "Standortverlagerung" ist jedenfalls sehr geeignet, um die Illusionen der "Sozialpartnerschaft" zu vernichten, welche in den Nachkriegsjahrzehnten gedeihen konnten. Damals wurde die Lüge verbreitet, dass die friedliche Zusammenarbeit der Klassen "beiden Seiten" zugute käme, indem durch eine immer höhere Produktivität der Arbeit sowohl die Profite des Unternehmens als auch steigende Löhne gesichert werden könne. Im Kapitalismus - und erst recht im niedergehenden, weltweit vorherrschenden, an seiner eigenen Überproduktion erstickenden Kapitalismus - lässt die steigende Produktivität der Arbeit v.a. das Heer der Arbeitslosen anschwellen. Dadurch wird keine Steigerung, sondern ein freier Fall der Löhne bewirkt. Ein Ergebnis, welches die Lohnabhängigen heute überall am eigenen Leib feststellen können. Wenigstens die Einstellung des Unternehmens ist heute klar geworden. Solange es die Arbeiterklasse noch nicht gelingt, sich wirksamer zu wehren, profitieren die Unternehmen von den Folgen der Massenarbeitslosigkeit auf der ganzen Linie, um die Löhne zu drücken. Indem sie ihre Beschäftigten mit Standortverlagerungen drohen, befinden sie sich in einer sog. "win-win" Situation. Denn ob die Beschäftigten radikale Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen hinnehmen (wodurch es u. U. zunächst wieder lohnenswerter wird, weiterhin in den Industriestaaten produzieren zu lassen), oder ob die Produktion tatsächlich nach Osteuropa oder nach Asien ausgelagert wird: so oder so können die Bosse ihr Ziel der Verbilligung der Produktion erreichen.
Jedoch ist es notwendig dass die Arbeiterklasse ihre Illusionen nicht nur gegenüber den Unternehmern, sondern auch gegenüber den Gewerkschaften verliert. Auch dieser entscheidende Aspekt der proletarischen Desillusionierung ist bereits im Gang. Denn der bewusstere und nachdenklichere Teil der Klasse beginnt festzustellen, dass weder die Gewerkschaften insgesamt noch ihre betrieblichen und basisorientierten Strukturen wie z.B. die Betriebsräte oder die Vertrauensleutekörper im Stande sind, die Interessen der Arbeiter wirksam zu verteidigen. Es ist auch tatsächlich so, dass die auf rein ökonomische Kämpfe ausgerichteten, permanenten, legalen und damit im Staat integrierten "Verhandlungspartner", welche stellvertretend die Interessen bestimmter Gruppen von Arbeitern zu verfechten behaupten, völlig außerstande sind, wirkungsvoll den Angriffen des Kapitals entgegenzutreten. Nur der massive, branchen- und letztendlich grenzübergreifende, selbstorganisierte Kampf, in welchem der politische, revolutionäre Inhalt des ökonomischen Kampfes der Arbeiterklasse bewusst wird, ist dazu im Stande.
Die Gewerkschaften als Speerspitze des kapitalistischen Angriffs
Doch die Gewerkschaften versuchen, ihre wirkliche Rolle in der heutigen, kapitalistischen Gesellschaft eben dadurch zu vertuschen, dass sie sich als die unschuldigen Opfer der Offensive des Kapitals hinstellen. So bilanzierte das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut die Tarifrunde 2004: "In allen Tarifbereichen sehen sich die Gewerkschaften mit Verschlechterungen und Einschnitten in die Tarifstandards konfrontiert." Die Arbeiter, Angestellten und Erwerbslosen sollen aber daraus schlussfolgern: Die Mitglieder, besser noch die Arbeiter insgesamt, sollten sich anstrengen, damit die Gewerkschaften etwas von ihrer früheren Wirksamkeit im Dienste des Proletariats zurückerobern können.
Dieser Sichtweise blendet aus: erstens, dass die Unwirksamkeit der Gewerkschaften nichts Neues ist, sondern sich bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts bemerkbar zu machen begann; und zweitens, dass die Gewerkschaften bereits während des 1. Weltkrieges auf das eigene Überholt-Sein im Dienste der Arbeiterklasse dadurch reagierten, indem sie mit dem bürgerlichen Staat verschmolzen. Sie wurden dadurch zu Waffen der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse.
Unter solchen Illusionen leiden heute auch die politisierten Minderheiten, welche den Kapitalismus ablehnen und sich für die Sache des Proletariats interessieren. So findet man in fast jeder Ausgabe der kapitalismuskritischen, aber eher universitär ausgerichteten Zeitschrift Gegenstandpunkt eine Geißelung der Hilflosigkeit und Unterwürfigkeit der Gewerkschaften - ohne aber die aktive und eigenständige Rolle der Gewerkschaften im Dienste des nationalen Kapitals zu erkennen. Auch eine Gruppe wie die GIS, welche den kapitalistischen Charakter der Gewerkschaften z.T. zur Kenntnis nimmt, erkennt diese aktive Rolle nicht. In der im August 2004 veröffentlichten "Politischen Plattform der Gruppe Internationaler SozialistInnen" liest man: "Heute fungieren die Gewerkschaften auf der Grundlage der politischen Akzeptanz des Lohnsystems als bürgerliche Vermittlungsinstanzen zwischen Arbeitern und Kapitalisten".
Dieser Vorstellung der Gewerkschaften als "Vermittlungsinstanzen" zwischen den Klassen kommt daher, dass man nicht versteht, dass sich die Rolle der Gewerkschaften mit dem Eintritt der bürgerlichen Gesellschaft in seine Niedergangsphase grundlegend gewandelt hat. Nur ein solch historisches Verständnis wird die Arbeiterklasse grundlegend begreifen lassen, dass die Gewerkschaften nicht die Opfer, sondern die Speerspitze der kapitalistischen Angriffe sind und gewiss nicht zwischen zwei Stühlen sitzen.
Die Gewerkschaften als Strategen des nationalen Kapitals
Tatsache ist, dass nicht die Unternehmer, sondern die Gewerkschaften die treibende Rolle bei der Ausarbeitung und Durchsetzung der nationalistischen "Beschäftigungspakte" in Deutschland wie auch anderswo übernehmen. Während die international operierenden deutschen Konzerne zunächst zufrieden sein können, wenn sie ihre Kosten reduzieren, egal wie, kann es den Gewerkschaften alles anders als gleichgültig sein, ob diese Kostenreduzierung durch Produktionsverlagerungen ins Ausland oder durch Lohnraub und Verlängerung der Arbeitszeit "in der Heimat" erzielt werden. Die Gewerkschaften, ebenso wie die Sozialdemokratie, das Militär, die Geheimdienste oder die Ministerialbürokratie, gehören zu den am meisten politisch und strategisch denkenden, die Interessen des nationalen Kapitals insgesamt berücksichtigenden Teile der Bourgeoisie. Diese Fraktionen erkennen am ehesten die politischen Grenzen der Politik der Auslagerung von Produktionsanlagen ins Ausland. Unbegrenzt weitergeführt, würde eine solche Politik zur Untergrabung der sozialen Stabilität an der "Heimatfront" führen. Die Gewerkschaften können, da sie vom Kapital direkt mit der Kontrolle der Arbeiterklasse betraut sind, am wenigsten daran interessiert sein. Darüber hinaus würde eine solche Politik die Finanzquellen des Staates untergraben und damit seine politische und militärische, sprich seine imperialistische Handlungsfähigkeit gefährden. Andererseits kann die nationale Bourgeoisie die Produktion längerfristig nur dann im eigenen Lande halten, wenn diese wirtschaftlich tragbar ist, d.h. die Konkurrenzfähigkeit der eigenen nationalen Unternehmen nicht beschädigt wird. Deshalb sind die Gewerkschaften aktive, bewusste, vorantreibende Faktoren bei der Verarmung der Arbeiterklasse - und keineswegs Opfer oder Vermittler in diesem Prozess.
Für die Arbeiterklasse jedoch kann diese nationalistische Standortkonkurrenz nur ein Resultat haben: die Verschärfung der Abwärtsspirale, welche immer mehr Unsicherheit und Verelendung, immer mehr Krieg und Barbarei mit sich bringt. Nur der solidarische, immer internationaler werdende Klassenkampf der Arbeiterklasse, welche die Überwindung des Kapitalismus vorbereitet und ermöglicht, kann darauf eine wirksame Antwort finden. 20.01.05
In Weltrevolution 126 veröffentlichten wir einen Artikel unter dem Titel "Politische Klärung ist ein unerlässlicher Bestandteil der Intervention", welcher die Schwierigkeiten von Genossen mit linkskapitalistischer Vergangenheit thematisierte, sich eine proletarische Herangehensweise anzueignen und so einen wirklichen Bruch mit der Bourgeoisie zu vollziehen. Daraufhin erhielten wir einen Leserbrief aus Baden-Württemberg, welcher sich zu diesem Artikel bzw. zu dieser Problematik äußert. Wir drucken an dieser Stelle Auszüge aus dem Brief ab, welche sich mit dieser Problematik befassen. Dabei übt der Genosse hauptsächlich Kritik an der Haltung solcher, aus dem linksbürgerlichen Milieu stammender Gruppen. Aber auch bestimmte Einstellungen der Gruppen der Kommunistischen Linken kritisiert er. Es folgen aus Platzgründen nur einige kurze Bemerkungen unsererseits dazu. In einer späteren Ausgabe der Weltrevolution werden wir weitere Auszüge aus diesem Brief abdrucken, welche sich mit der Frage befassen, ob und inwiefern die neuen Gruppen Ausdruck einer unterirdischen Reifung innerhalb der Klasse insgesamt darstellen.
Leserbrief
wie versprochen, hier ein paar Gedanken zu Eurem Artikel "politische Klärung" in WR 126. In den letzten Jahren ist in Deutschland eine Reihe von Gruppen hervorgetreten, die sich alle auf den historischen Linkskommunismus beziehen. Ihr schreibt dazu, "die Verwerfung des Antifaschismus und die Ablehnung der nationalen Befreiungsbewegungen spiegeln eine wichtige Bewusstseinsentwicklung wieder" (da stimme ich zu), "wie überhaupt das Entstehen dieser Gruppen ein Zeichen einer unterirdischen Reifung in der Klasse darstellt" (das bezweifele ich). Ihr charakterisiert dann unter der Zwischenüberschrift "Wie die Narben der Vergangenheit ablegen" die Schwierigkeiten, vor denen Gruppen, die den Bruch mit der bürgerlichen Linken vollzogen haben, stehen - dass nämlich der Bruch ein Prozeß gründlicher Klärung sein muss und nicht schon die Übernahme linkskommunistischer Positionen automatisch den "Linkskommunisten" hervorbringt, sondern oftmals alte Herangehensweisen, Mentalitäten etc. mit in die neue Position eingebracht werden. Als Beispiel nennt Ihr die zu beobachtende Neigung einiger dieser Gruppen, baldmöglichst mit der Intervention zu beginnen, um schnell Einfluss zu erringen und dabei "die Notwendigkeit der größtmöglichen politischen Klarheit in der Intervention stark unterschätzen". Vor allem werde das Kommunizieren der eigenen Klärungsprozesse, die Debatte darüber mit anderen Gruppen nicht auch als wichtige Intervention begriffen; auf Kritik seitens der IKS gar nicht reagiert. Es ist genau, wie Ihr es darstellt - ein beklagenswerter Zustand. Um ihn zu überwinden, müssen wir genauer ausleuchten, wie es zu dem Wunsch kommt, mit der Linken zu brechen, und warum die Genossen es dabei regelmäßig so eilig haben, sich als linkskommunistische Gruppe zu konstituieren (und das auf einer sehr schmalen Kenntnisgrundlage. Wenn man sich Veröffentlichungen der Gruppen anschaut, sieht man daran, was zitiert wird, dass der Zugang in erster Linie über die Lektüre der IKS-Publikationen und hier und da mittels einiger im Antiquariat aufgetriebener Texte aus der IKP-Zeitung "Kommunistisches Programm" stattfand - in jüngster Zeit gibt´s freilich auch zig Texte im Netz).
Meine These: es geht bei diesem Bruch zu sehr um die Identität als Kommunist, die gerettet oder nun endlich erreicht werden soll, und zu wenig um die Klärung der Frage, warum man eigentlich mit derselben Entschiedenheit Positionen vertreten oder bekämpft hat, mit der man nun schon wieder dabei ist, "die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen" zu spielen - diesmal unter linkskommunistischem Signet. Wäre es nicht näherliegend, dass man, nachdem man Jahre lang eine nun als "kleinbürgerlich" erkannte Position vertreten hat (und das in der Regel ja nicht im stillen Kämmerlein), diese Praxis und die dahinter stehenden programmatischen, strategischen Vorstellungen Stück für Stück aufarbeitet und mit jedem Schritt des Begreifens, wie es dazu kommen konnte, dass man so leichtfertig dies und jenes als einzig revolutionären Standpunkt verfochten hat, eine Art ironische Distanz gewinnt und diese aufgearbeitete Erfahrung zukünftig wie beim Kopfrechnen als ein? im Sinn behält. Möglicherweise haltet Ihr meine Ausführungen für "Psychologisieren" - worauf ich hinaus will, ist, dass der Bruch mit der Linken immer nur so ausfallen kann, wie die Voraussetzungen, die gesellschaftlichen Verhältnisse gestaltet sind, innerhalb derer er stattfindet. Das mag banal erscheinen, ist aber häufig etwas, was außer Acht gelassen wird. Ich meine, der bislang erfolgte Prozess einer Neuorientierung am Linkskommunismus konnte gar nicht anders ausfallen, als von Euch richtig dargestellt und zu Recht kritisiert.
Zum einen, weil die wenigen Genossen, die den Biss hätten, dran zu bleiben, in einer recht verzweifelten Stimmung sind. Sie haben vieles durchdacht und versucht, aber irgendwie den Schlüssel zum Ganzen nicht mehr gefunden (...) Dies alles unter Voraussetzungen, in denen "Klasse" und "Klassenbewusstsein" mehr unterstellt als praktisch vorfindbar waren.
Es sind also nicht Strömungen im Klassenkampf, anhand derer man in der Lage wäre, die eine oder andere These zu überprüfen und zu gewichten. Sondern es spielt sich alles notwendig in der Form von "Schauen, welche Gruppen es gibt" ab - und da stößt man früher oder später auf die Linkskommunisten. Dieses Aha-Erlebnis führt regelmäßig zu dem Gefühl, endlich den Schlüssel in der Hand zu halten. Man wähnt sich jenseits der bürgerlichen Linken und will den Schlüssel natürlich sofort ausprobieren. Der Schlüssel (also die "authentisch proletarische Position", kein Befreiungsnationalismus, keine interklassistischen Bündnisse, gegen die bürgerliche Demokratie..) gibt den Blick frei auf eine Geschichte der Klassenkämpfe, in der die wirklich proletarische Position nie gänzlich vernichtet werden konnte und in der Form insbesondere der "Italienischen Fraktion" ein Erbe bereithält, das es ermöglicht, wieder die entscheidende Waffe zu schmieden.
Bei diesem Enthusiasmus der Genossen nach dieser Entdeckung überrascht in der Tat, wie gering ihr Mitteilungsbedürfnis bezüglich des Prozesses ihrer Neuorientierung ist. Warum reagierten Gruppen, die Ihr in mehreren Artikeln vorgestellt und solidarisch kritisiert habt, nicht? Warum führen die Gruppen nicht untereinander eine Debatte über das Woher und Wohin (sondern stellen gleich Themenblöcke zur Diskussion, nachdem sie sich gerade erst notdürftig ein paar linkskommunistische Texte dazu angelesen haben)? Warum erfährt man fast nichts über die internen Differenzen? (Man muß dabei ja nicht aus dem Nähkästchen plaudern, aber es kann sehr hilfreich für Genossen sein zu erfahren, dass in anderen verwandten Gruppen ähnliche Probleme oder Praktiken auftreten - und es ist allemal interessant nachzuvollziehen, warum es in Gruppen, die sich gerade erst konstituiert haben, zu Ausschlüssen kommt).
Nun sagt Ihr ganz richtig, es fehlt halt an der richtigen Methode und Herangehensweise. Die muß erlernt werden. Okay. Wo? Bei den bestehenden linkskommunistischen Organisationen - klar. Zumindest in der Auseinandersetzung mit ihnen. Einverstanden. Das Angebot dazu macht Ihr mit jeder Nummer Eurer Zeitung, mit jeder Veranstaltung. Wie kommt es, dass die Genossen dieses Angebot ausschlagen? Nun, ich denke, wer aus einer trotzkistischen, maoistischen oder sonst wie gestrickten Gruppe kommt, hat aufgrund der Sachen, die er da hat wegstecken müssen, erst mal nicht das Bedürfnis, sich einer neuen Gruppe verbindlich einzugliedern. Bleibt aber die Frage, was die Genossen daran hindert, verbindliche Diskussionen mit Euch zu führen? Ich sage es mal salopp: Die Genossen spielen kraft Proklamation linkskommunistischer Position nun in einer Liga, für die sie sich gar nicht fähig genug halten. Und natürlich wird klar (wie Ihr schreibt), der erhobene Anspruch verlangt Konsequenzen von einer Reichweite, die den Genossen erst nach und nach klar wird.
Meine Kritik geht nach zwei Seiten: einmal gegenüber den Genossen, die beim Proklamieren linkskommunistischer Positionen über ihre eigene authentische Position (Befindlichkeit) hinwegsehen, nicht mehr die gemeinsame Anstrengung der Gruppe in den Mittelpunkt stellen, sondern (wie gehabt) Programmatiken (mit dürftiger Unterfütterung) festschreiben, die man zu 100% teilt oder "keinen Platz in der Organisation hat."
Zum anderen kritisiere ich die linkskommunistischen Organisationen, die die Theorie und Praxis der "Linkskommunisten" bzw. der "Italienischen Fraktion" nicht als eine historische Strömung behandeln, von der auch heute Grundlegendes zu lernen ist, sondern als Programm übernehmen. Ein Programm, dass hinsichtlich seiner Tauglichkeit, zum Orientierungspol für mehr als eine Hand voll Genossen zu werden, noch wenig überprüft worden ist.
Aber das ist ein Thema für einen eigenen Brief...
(...) Natürlich kritisiere ich hier nicht, dass Ihr das linkskommunistische Erbe anders bewertet [als ich], sondern dass Ihr mit Eurem Auftreten als eine Art Inkarnation des historischen Linkskommunismus die Latte so hoch hängt, dass die "kleinbürgerlichen Linken" von Gestern, die heute sich am Linkskommunismus orientieren, quasi als Zugangsberechtigung zum "proletarischen Milieu" erst mal fast alle linkskommunistischen Positionen übernehmen, anstatt die Fragen anzugehen, die sie seit Jahren vor sich hertragen oder bislang noch nicht mal richtig aufgeworfen haben. Ich nenne mal ein paar der wichtigsten: Was haben sie all die Jahre gemacht, von welchen Vorstellungen über Kapitalismus, Arbeiterklasse und revolutionärer Strategie war diese Praxis getragen? War das "kleinbürgerliche Politik" und warum? War überhaupt eine andere "Praxis" möglich bzw. was kann unter Verhältnissen, in denen die Arbeiterklasse ein Bild abgibt, wie hier in Deutschland seit langem (und man kann sich sogar fragen ob es sinnvoll ist, von Arbeiterklasse im politischen Sinne zu sprechen) der Kern der Tätigkeit von Kommunisten sein? Welche Schlüsse kann man aus einer gründlichen Analyse der Geschichte der Klassenkämpfe ziehen?.....
Unsere Anmerkungen
Der Genosse aus den Südwesten Deutschlands hat sehr wohl verstanden, dass unsere Kritik an den Gruppen und Personen, welche sich ungenügend vom linksbürgerlichen Lager lösen, solidarisch gemeint und politisch notwendig war. Er teilt in vielen Punkten unsere Darstellung dieses Problems. Darüber hinaus macht er eine Reihe selbstständige, sehr interessante Beobachtungen. Diese Überlegungen können nicht zuletzt für die Betroffenen selbst sehr hilfreich sein, sofern sie ehrlich bemüht sind, den Einfluss ihrer bürgerlichen politischen Vergangenheit abzuschütteln. So ist es beispielsweise völlig zutreffend, darauf hinzuweisen, dass es für solche Leute politisch schädlich ist, sich einseitig mit den programmatischen Positionen der Kommunistischen Linken zu befassen. Die aus stalinistischen oder trotzkistischen Organisationen stammenden Genossen nehmen in der Regel irrtümlicherweise an, dass sie das ABC des Marxismus bereits beherrschen und sich nicht mehr damit befassen müssen, was die Arbeiterklasse ist oder dass eine proletarische Praxis grundlegend anders als die der Bourgeoisie aussehen muss. Doch das Gegenteil ist der Fall. Im Wirklichkeit ist der Stalinismus bzw. der Trotzkismus keine opportunistische Strömung der Arbeiterklasse, (und auch nicht kleinbürgerlich), sondern genau so Bestandteil der Bourgeoisie wie der Faschismus oder die Sozialdemokratie. Dies bedeutet, dass diese Genossen alles wieder vergessen müssen, was sie von der Bourgeoisie "gelernt" haben. Sie müssen erkennen dass sie einer ganz verkehrten Vorstellung von der Arbeiterklasse und von proletarischer Politik aufgesessen waren.
Der Brief weist darauf hin, dass manche Genossen aus diesen Kreisen die Debatte mit den bestehenden revolutionären Organisationen deshalb meiden, weil sie sich dazu nicht "fähig genug" fühlen. Das bedeutet aber, dass diese Genossen noch gar nicht begriffen haben, dass das Kennzeichen einer proletarischen Haltung in der politischen Debatte nicht der Grad des Wissens ist, sondern der Wille, alles, auch die eigene persönliche Stellung, den Bedürfnissen einer furchtlosen politischen Klärung unterzuordnen. M.a.W. sie hängen einer bürgerlichen, von Konkurrenz geprägten Sicht der politischen Arbeit an.
Auf der anderen Seite kritisiert der Brief, dass die "linkskommunistischen Organisationen" das Erbe ihrer Tradition nicht als eine "historische Strömung behandeln, von der auch heute Grundlegendes zu lernen ist, sondern als Programm übernehmen". Außerdem führt er an, dass dieses Programm in der geschichtlichen Praxis "noch wenig geprüft worden ist." All das führe dazu, gegenüber jenen, welche den Bruch mit der Bourgeoisie heute wagen, die "Latte zu hoch zu hängen".
Zwar gab es und gibt es Strömungen der "Italienischen Linken", welche von einer Art "Orthodoxie" innerhalb des Marxismus ausgehen und abgesehen von Marx, Engels und Lenin darüber hinaus gehende Beiträge anderer Marxisten bzw. Massenkämpfe (etwa die Einsichten Rosa Luxemburgs und Anton Pannekoeks oder bestimmte Lehren der Deutschen Revolution) davon ausschließen. Diese Sichtweise ist in der Tat kaum dazu geeignet, Leuten, welche zuvor Stalin, Mao oder Trotzki blind angebetet hatten, zu helfen, mit ihrer Vergangenheit zu brechen.
Für die Italienische Fraktion der 30er Jahre hingegen gehörte die Gesamtheit der grundlegenden Erfahrungen der Arbeiterklasse sowie die auf marxistischer Grundlage gewonnenen theoretischen Einsichten zum programmatischen Erbe des Proletariats. Aus dieser Sicht gibt es kein von der restlichen Geschichte der Arbeiterbewegung abgesondertes "Programm des Linkskommunismus", sondern allein ein lebendiges, sich fortentwickelndes Programm und einen Erfahrungsschatz des Proletariats, wozu die sog. Linkskommunisten einen sehr wichtigen Beitrag geleistet haben. Deshalb ist es aus unserer Sicht auch nicht zutreffend, dass diese Positionen in der Praxis noch wenig überprüft worden seien. Beispielsweise waren die Lehren, welche die Linkskommunisten in den 20er und 30er Jahren gezogen hatten, das Ergebnis der Massenkämpfe und die Erfahrungen der Niederlage der revolutionären Welle am Ende des 1. Weltkriegs.J edenfalls ist es richtig, dass auch die bestehenden revolutionären Organisationen mitverantwortlich dafür sind, die bestmöglichen Bedingungen dafür zu schaffen, damit der Bruch mit der Bourgeoisie auch gelingen kann. – Fortsetzung folgt. – IKS
Am 11. Dezember fand die dritte Veranstaltung des Internationalen Büros für die Revolutionäre Partei (IBRP) des Jahres 2004 in Berlin statt. Diesmal fungierte die Gruppe Internationale Sozialisten (GIS) als einladende Gruppe. Die Einladungsplakate gaben an, dass das IBRP zum Thema Klassenkampf referieren würde. Auf der Veranstaltung wurden zwei Referate gehalten. Das IBRP hielt das Einleitungsreferat zum Thema Klassenkampf, Krise und Neuzusammensetzung der Klasse. Über die Agenda 2010, Hartz IV und die Streiks und Demonstrationen in Deutschland sprach ein Sympathisant des IBRP aus Österreich. Wir werden uns in diesem Artikel auf das Referat des IBRP konzentrieren sowie auf die sich anschließende Diskussion - welche auch den Großteil der Gesamtdebatte ausmachte.
Anwesend waren zeitweise etwas mehr als 20 Genossinnen und Genossen, darunter Leute von der GIS sowie von den Freunden der klassenlosen Gesellschaft, ein ehemaliges Mitglied der Gruppe Aufbrechen (der jetzt bekennender Sympathisant des IBRP ist) sowie einige Mitglieder eines Diskussionszirkels aus Köln (darunter Sympathisanten der IKS). Leider fehlten viele GenossInnen aus Berlin, welche in den letzten paar Jahren sich für linkskommunistische Positionen zu interessieren begonnen haben. Dafür waren einige neue Personen erschienen, von denen allerdings kaum eine bis zum Schluss blieb.
Die Einleitung des IBRP beinhaltete sehr viel,
mit dem die IKS übereinstimmt. Deshalb beschäftigte sich der erste
Diskussionsbeitrag unserer Organisation ausschließlich damit, diese
Aussagen aus der Einleitung zu unterstützen. Diese Übereinstimmungen
betrafen vor allem die Einschätzung des Klassenkampfes. Das Referat
wies darauf hin, dass es derzeit eine Belebung der Kampfbereitschaft
der Arbeiterklasse gibt, dass aber diese Kämpfe ganz überwiegend
isoliert bleiben. Der Genosse des IBRP kam auf das Beispiel des
Bergarbeiterstreiks Mitte der 80er Jahre in Großbritannien zurück, um
zu unterstreichen, dass isolierte, auf einzelne Sektoren der Klasse
beschränkte Kämpfe für die Bourgeoisie in der Regel gut kontrollierbar
sind, und dass eine Ausdehnung und Generalisierung des Widerstands
erforderlich ist, um das Kräfteverhältnis zu Gunsten des Proletariats
zu verändern. Der Bergarbeiterstreik habe außerdem gezeigt, dass der
Klassenfeind auf die Kämpfe der Arbeiterklasse vorbereitet ist, eine
eigene Strategie dagegen besitzt und in der Lage ist, sehr geschickt
vorzugehen.
Die Schwierigkeiten der Arbeiterklasse wurden in einen historischen Rahmen gestellt. Da die Bourgeoisie den Zusammenbruch des Ostblocks als ein "Scheitern des Kommunismus" hinstellen konnte, leidet die Klasse an einem Verlust des Selbstvertrauens und der Klassenidentität, wodurch sie für Klassen übergreifende Ideologien anfälliger wird. Auch die Angst vor der Massenarbeitslosigkeit mache es nicht immer einfach, in den Kampf zu treten. Mit Hinweis auf die Erfahrungen der englischen Arbeiterklasse wies das IBRP darauf hin, dass es für das Proletariat schwieriger ist, gegen Entlassungen und Werkschließungen als um die Höhe des Lohns zu kämpfen.
Die Einleitung stellte diese Entwicklung im Rahmen der Krise des Kapitalismus dar, welche nun 30 Jahre andauere und durch den Fall der Profitrate verursacht sei. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts habe der Kapitalismus drei Akkumulationszyklen durchlaufen, die durch neue Arbeitsorganisationen und Technologien geprägt gewesen seien. Die ersten beiden Zyklen seien durch die beiden Weltkriege abgeschlossen worden. Durch technologische Erneuerungen und Angriffe auf die Arbeiterklasse sei es zwar gelungen, die Profitrate zeitweise wieder anzuheben, nicht aber, einen neuen Akkumulationszyklus einzuleiten.
Diese Sicht der Krise teilt die IKS nicht. Denn das marxistische Konzept der Dekadenz des Kapitalismus wurde dabei vollkommen außer Acht gelassen. Außerdem wird für das System die Möglichkeit eingeräumt, durch eine Kapitalzerstörung großen Ausmaßes eine neue Blütezeit des Kapitalismus einzuleiten. Mit anderen Worten, die historische Sackgasse der kapitalistischen Produktionsweise von heute wird verneint.
Dennoch sind wir während der Veranstaltung nicht auf diese Fragen eingegangen. Denn wir haben bereits bei den letzten Veranstaltungen des IBRP in Berlin und Paris die Sichtweise des Büros hierzu ausführlich kritisiert (siehe Weltrevolution 126 und 127). Außerdem wollten wir uns an die Ankündigungen der Veranstalter selbst halten, welche die Fragen des Klassenkampfes in den Mittelpunkt gestellt hatten.
Es bleibt noch anzumerken, dass die einleitenden Ausführungen sich fast ausschließlich mit den Arbeiterkämpfen in Großbritannien und Italien befassten. Dabei gab es aus unserer Sicht eine deutliche Tendenz, sowohl das Niveau der Kämpfe in diesen beiden Ländern als auch den Einfluss der Revolutionäre darauf zu überschätzen. So erfuhren die zum Teil erstaunten Teilnehmer, dass die Intensität der Berichterstattung über den Klassenkampf in den Publikationen des IBRP in der letzten Zeit ein Ausmaß erreicht habe, das einmalig in den letzten 20 Jahren sei. Dies sei ein deutliches Zeichen für die wachsende Kampfbereitschaft der Klasse und sehr ermutigend.
Wir lassen es dahingestellt, inwiefern die Häufigkeit der Berichterstattung von Seiten des IBRP ein verlässlicher Gradmesser für die Kampfkraft der Klasse sein kann. Noch auffallender war für uns die Behauptung im Einleitungsreferat, dass während des besagten englischen Bergarbeiterstreiks Mitglieder des IBRP direkt beteiligt waren an Versuchen, den Kampf auszudehnen. Wir haben bereits während der Veranstaltung unsere Überraschung über diese Aussage zum Ausdruck gebracht. Am meisten hat uns die Bescheidenheit des IBRP erstaunt, erst jetzt, nach 20 Jahren, die Öffentlichkeit über diese Aktivitäten seiner Militanten zu informieren. Aber vielleicht ist damit eher die allgemeine, politische Teilnahme am Kampf für die Ausdehnung mittels Flugblätter und die revolutionäre Presse gemeint. In diesem Fall ist es aber unverständlich, weshalb von einzelnen Mitgliedern und nicht von dem IBRP als Organisation die Rede ist.
Das Ganze erinnerte uns ein wenig an frühere Zeiten, als kaum eine aus dem "Ausland" stammende politische Organisation gegenüber einem in Sachen Klassenkampf unerfahrenen deutschen Publikum der Versuchung widerstehen konnte, durch eine Übertreibung der Kämpfe im "eigenen Land" sowie der Wirkung der eigenen Intervention Eindruck zu schinden. Allein, die Zeiten haben sich geändert. Im letzten Jahr jedenfalls fanden die international wichtigsten Arbeiterkämpfe eindeutig nicht in Italien oder Großbritannien, sondern in Deutschland statt.
Was für Kontroversen in der anschließenden Diskussion sorgte, war v.a. die am Ende des Referates aufgestellte Perspektive des Klassenkampfes. Das IBRP betonte zunächst die Notwendigkeit der Entwicklung des Klassenbewusstseins sowie der Entdeckung der eigenen Stärke. Anschließend sprach es in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit der Entwicklung neuer Organisationsformen der Arbeiterklasse. In den Zeiten des "Fordismus" sei es Praxis des IBRP gewesen, so genannte Fabrikkomitees zu bilden, die sowohl Mitgliedern als auch Nicht-Mitgliedern offen standen. Mit der Abkehr von den großen Produktionsstätten und ihrer Verlagerung in die Dritte Welt sei der Arbeiterklasse die Möglichkeit genommen, ihren Kampf von den Großbetrieben aus zu starten. Daher sei es heute notwendig, das Hauptaugenmerk auf die Bildung so genannter Territorialkomitees zu legen.
Kontrovers war aber vor allem die Behauptung des IBRP, dass die bereits erwähnten Fabrik- bzw. Territorialkomitees ein Hauptmittel der Generalisierung der Kämpfe werden sollen.
Gleich zu Beginn der Diskussion stellte eine junge Frau die Frage nach der Zweckmäßigkeit der sog. Territorialkomitees, die nach ihrer Auffassung in gewisser Weise in einem Gegensatz zur aktuellen Entwicklung des Klassenkampfes stünden. Schließlich seien die Streiks von FIAT/Melfi und Opel Bochum doch Ausdruck des alten, von den Großbetrieben ausgehenden Kampfes. Wir sollten einfügen, dass auch das anschließend von dem Genossen aus Österreich gehaltene Referat über die jüngsten Kämpfe in Deutschland sehr deutlich auf die große Rolle der Belegschaften von Großbetrieben wie Daimler oder Opel hingewiesen hat.
Der Genosse des IBRP räumte daraufhin ein, dass eine Wiederbelebung der Fabrikkomitees, von denen - nach seinen Angaben - das IBRP erst eines gebildet habe, durchaus möglich sei. Auf die Frage einer Sympathisantin der IKS, wer die Streiks der Arbeiterklasse organisiere, die revolutionäre Organisation oder die kämpfenden Arbeiter selbst, antwortete der Vertreter des IBRP, diese Fragestellung sei abstrakt. Aufgabe der Partei wie der Territorialkomitees sei es, die Streiks über die Grenzen hinweg in andere Länder zu tragen.
Ein anderer Teilnehmer, welcher sich im Übrigen selbst als Antileninist bezeichnete, vertrat die Auffassung, dass die Revolutionäre am ehesten zur Ausdehnung der Kämpfe beitragen könnten, nicht indem sie willkürlich irgend welche Komitees bilden, sondern indem sie innerhalb der bestehenden Kämpfe das Endziel einer anderen Gesellschaft hochhalten.
Auch der Sympathisant des IBPR aus Berlin hinterfragte dieses Konzept, wenn auch von einer anderen Warte aus. Er wollte wissen, weshalb eine solch starke Organisation wie das IBRP überhaupt die Vermittlung ähnlicher Komitees nötig habe, um die Ausdehnung und Generalisierung anzuführen.
Die IKS wertete die Perspektive der Generalisierung der Kämpfe mittels der Komitees des IBRP entweder als Bluff oder als Ausdruck der Panik, d.h. des schwindenden Vertrauens des Büros in die revolutionäre Kraft der Arbeiterklasse. Wir wiesen darauf hin, dass unsere eigene Organisation nur über sehr bescheidene Mittel und über einen sehr geringen Einfluss heute verfügt, dass aber das IBRP leider noch viel kleiner sei und über noch wesentlich bescheidenere Mittel verfüge. Wenn die Ausdehnung und Generalisierung auch nur teilweise vom Organisationstalent des IBRP abhinge, wäre es wahrlich schlecht bestellt um die Perspektiven des Klassenkampfes. Das IBRP hat außerdem selbst darauf hingewiesen, wie wenig Erfolg es in den letzten Jahren mit seinen Komitees hatte! Hier wärmt das IBRP die alten substitutionistischen Vorstellungen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg wieder auf, denen zu Folge die Revolutionäre die Arbeiterkämpfe organisieren sollen. Dabei war es eines der Verdienste der Kommunistischen Linken, darauf hingewiesen zu haben, dass in der Niedergangsphase des Kapitalismus die Revolutionäre erst in einer unmittelbar vorrevolutionären Lage einen Ausschlag gebenden Einfluss auf den Verlauf der Arbeiterkämpfe gewinnen können. Dabei besteht ihre Aufgabe in der Dekadenzphase insgesamt darin, nicht mehr die Arbeiterkämpfe zu organisieren, sondern sich an die Spitze der Bemühungen der Arbeiterklasse zu stellen, ihre Kräfte zu vereinigen. Es fiel uns auf, dass das Referat des IBRP kein Wort über das Phänomen der unterirdischen Bewusstseinsentwicklung verlor, das heute innerhalb der Klasse feststellbar ist.
Darauf antwortete das IBRP, dass das, was die Arbeiterklasse spontan zur Ausdehnung der Kämpfe beitrage, ruhig der Klasse selbst überlassen werde könne. Für uns als Revolutionäre müsse es vor allem um die Frage gehen, welchen Beitrag wir dazu leisten. Die IKS teilt nicht die Auffassung, welche die Aufgabe der Revolutionäre vom Geschehen innerhalb der Klasse insgesamt dergestalt abtrennt. Denn die Bemühungen des Proletariats um seine Vereinigung gehen keineswegs nur spontan vonstatten und benötigen die Unterstützung der Revolutionäre, nicht zuletzt um die Gegenstrategien der Bourgeoisie zu konterkarieren.
Anstatt Zeit damit zu vergeuden, an phantasievollen Strukturen herumzubasteln, welche lediglich den Anschein einer Intervention erwecken, sollten die Revolutionäre von der Realität ausgehen und erkennen, dass die klassischen Mittel der Vereinigung der Arbeiterkämpfe wie Massenversammlungen, fliegende Streikposten, überbetriebliche Streikkomitees und gemeinsame Straßendemonstrationen weiterhin auf der Tagesordnung der Geschichte stehen.
Eine andere Sympathisantin der IKS wies darauf hin, dass die vom IBRP vorgeschlagenen Komitees permanente Organisationen sein sollen, welche die Ausdehnung der Kämpfe organisieren sollen. Als solche weisen sie gewissermaßen einen gewerkschaftlichen Charakter auf. Denn die Organisierung der Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse erst unmittelbar im Kampf ist historisch die Antwort des Proletariats auf die Unmöglichkeit der permanenten, gewerkschaftlichen Organisierung. Somit warf die Genossin auch die Gewerkschaftsfrage auf. Es sei ihr aufgefallen, dass das IBRP in seiner Presse die Gewerkschaften oft als Vermittler und als Verkäufer der Ware Arbeitskraft bezeichne. Die Genossin wollte also wissen, ob das IBRP nicht, oder nicht mehr, die Auffassung vertritt, dass die Gewerkschaften als ehemalige Organisationen der Arbeiterklasse mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenzphase ihren Klassencharakter geändert haben. Die Genossin erinnerte daran, dass die Änderung im Klassencharakter der Gewerkschaften geschichtlich nicht zuletzt daran abzulesen ist, wie diese Frage von den politischen Minderheiten eingeschätzt wurde. Zur Zeit der I. Internationalen lehnten alle kleinbürgerlich beeinflussten oder geschichtlich überholten Strömungen innerhalb der IAA (die von Bakunin, Blanqui, Proudhon, Lassalle) die Notwendigkeit des gewerkschaftlichen Kampfes ab, welche allein die Marxisten konsequent vertraten. In der heutigen Zeit hingegen sind es allein die konsequenten Marxisten, welche den bürgerlichen Charakter der Gewerkschaften erkennen.
Das IBRP erklärte in seiner Antwort, dass die von ihr vertretenen Komitees gar nicht permanent genug sein können. Um die Gefahr neuer Gewerkschaften herunterzuspielen, wies der Genosse des IBRP auf die bis dato fast vollständige Erfolglosigkeit der Bemühungen des IBRP hin, solche Komitees überhaupt zu Stande zu bringen und am Leben zu erhalten. (Man muß sich immerhin wundern über eine Taktik, deren Unschädlichkeit durch ihre Verteidiger dadurch bewiesen werden muss, indem sie auf deren Vergeblichkeit hinweisen!)
Aber auch die programmatische Standhaftigkeit des IBRP soll verhindern, dass gewerkschaftsähnliche Organisationen daraus werden.
Was es mit der besagten programmatischen Standfestigkeit des Büros auf sich hat, erwies sich wenig später, als das IBRP daran ging, auf die Frage der Einschätzung der Gewerkschaften zu antworten. Wie die IKS in einer späteren Intervention aufzeigte, tat der Vertreter des IBRP so, als ob er die Frage der Genossin nicht verstanden habe. Denn er ging mit keinem Wort auf die Frage der Dekadenz ein und behandelte die Sache so, als ob die Position der Kommunistischen Linken zur Gewerkschaftsfrage im Prinzip dieselbe sei wie die von Marx im 19. Jahrhundert. Während die CWO, der britische Ableger des IBRP, einst eine leidenschaftliche Vertreterin der Theorie der Dekadenz sowie der Auffassung war, dass die Gewerkschaften in der Niedergangsphase zu Waffen der Bourgeoisie geworden sind, ist das IBRP insgesamt nun dabei, seine bisherige Position zu diesen beiden Grundfragen stillschweigend zu ändern.
Auch Fragen bezüglich der Organisation der Revolutionäre tauchten mehrfach im Verlauf dieser Veranstaltung auf. Als beispielsweise der "antileninistische" Genosse für die Vielfalt der politischen Überzeugungen eintrat, antwortete das IBRP darauf, dass die Partei keine Organisation von Führern und Geführten sei. Das IBRP lehnte eine zu strenge Kohärenz der revolutionären Organisation ab, da eine solche Kohärenz ihren Mitgliedern keinen Spielraum für Divergenzen lasse. Der Sympathisant des Büros in Österreich hingegen wandte sich ausdrücklich gegen den Parteienpluralismus. Ziel sei eine einheitliche Partei als Ausdruck der Einheit der Arbeiterklasse. Dies sei keine repressive Einheit, sondern erlaube offene Diskussionen. Der Genosse beklagte in diesem Zusammenhang die große Zersplitterung der Revolutionäre von heute.
Am Ende der Veranstaltung wiesen wir auf die Tatsache hin, dass seit Wochen auf der Website des IBRP eine "Erklärung" eines angeblichen Zirkels aus Argentinien prangte (1), welche nichts als Lügen und Verleumdungen zum Inhalt hat - wie wir bereits ausführlich belegt haben. Wir richteten in diesem Zusammenhang drei Fragen an das IBRP: Erstens, ob es inzwischen selbst eingesehen hat, dass diese "Erklärung" nichts als Lügen beinhaltet. Zweitens, ob das Büro bereit sei, dazu eine Richtigstellung zu veröffentlichen, worin steht, dass es ein großer Fehler gewesen ist, diesen Text verbreitet zu haben. Drittens, ob das IBRP mit uns darin übereinstimmt, dass nicht allein programmatische Positionen, sondern auch die Notwendigkeit, der Arbeiterklasse stets die Wahrheit zu sagen, ein programmatisches Klassenprinzip sei.
Da es nicht möglich war, dieses Thema im Rahmen dieser Veranstaltung weiter zu diskutieren, verwiesen wir auf den "Offenen Brief der IKS an die Mitglieder des IBRP" (2), den wir am Ende der Veranstaltung in mehreren Sprachen verteilten, in dem der Betrug des so genannten Circulo offen gelegt wird. Was das IBRP
selbst betrifft, so beschränkte es sich darauf, bekanntzugeben, dass es etwas später, in schriftlicher Form, auf unseren Offenen Brief antworten würde. Diese Erklärung wurde durch die Ankündigung ergänzt, der IKS eine Lektion zu erteilen, wenn sie darauf bestehe - aber nicht jetzt.
Es bleibt noch hinzuzufügen, dass das Büro inzwischen seine Antwort auf unseren Offenen Brief (auf seiner Website) tatsächlich veröffentlicht hat. Darin steht, dass das IBRP.... nicht vor hat, der IKS zu antworten.
Wir finden, dass diese Antwort klar genug ist. Das IBRP antwortet nicht - weil es keine Antwort weiß.
Heute steht eine neue Generation von Arbeitern vor einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise, die eine Reihe von massiven Angriffen auf die Soziallöhne, die Lebens- und Arbeitsbedingungen und Massenentlassungen mit sich bringen wird. Eine neue Generation hat angefangen, sich mit Politik zu befassen, und dies unter neuen und anderen Bedingungen als die Generation, die aus dem historischen Wiedererstarken der Arbeiterklasse 1968 hervorgegangen war. Vor allem muss die neue Generation sich mit den Fragen befassen, vor denen die Arbeiterklasse stand, aber unfähig war, während der Welle von Kämpfen in den 80er Jahren eine Antwort darauf zu finden: Wie setzt man sich gegen Massenentlassungen zur Wehr? Wie kann die Solidarität der Arbeiter alle Spaltungen zwischen Betrieben, Branchen und Staaten überwinden? Und vor allem welche Antwort kann die Arbeiterklasse gegenüber der schrecklichen Zukunft, die uns der Kapitalismus bereithält, anbieten?
Es waren genau diese Fragen, die während der Diskussion aufgeworfen wurden. Wenn diese Veranstaltung eines gezeigt hat, dann dies, dass das IBRP völlig unfähig ist, darauf Antworten zu liefern. Das IBRP bekräftigt die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Organisationsformen der Arbeiterklasse. Schön und gut, aber was hat denn das IBRP anzubieten? Nichts, rein gar nichts, sondern eine Wiederaufwärmung seines alten Rezeptes zur Intervention in der Arbeiterklasse: die sog. Fabrikkomitees. Und auf die Frage, ob es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass die Fabrikkomitees sich nicht zu einer anderen, arbeiterfeindlichen Gewerkschaft entwickeln könnten, war seine einzige Antwort, dass diese Gefahr nicht bestünde, da diese Komitees so gut wie nie bestanden hatten und dass seine gesamte Strategie zumindest in den letzten 15 Jahren gescheitert ist. Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so tragisch wäre.
Weltrevolution, Januar 2005
Fussnoten:
(1) Es handelt sich um die "Erklärung" vom 12 Oktober 2004 mit der Überschrift "Gegen die ekelerregenden Methoden der IKS", welche hinter dem Rücken der Mitglieder der argentinische Gruppe NCI, aber in ihrem Namen, verfasst wurde (2) Dieser "Offene Brief an die Mitglieder des IBRP" sowie eine Reihe von Texte und Erklärungen der IKS zu den feigen Angriffen gegen unsere Organisation sind auf unsere Website auf Deutsch und in vielen anderen Sprachen nachzulesen.
Die Gewerkschaften in der Schweiz haben im Sommer 2004 einen heißen Herbst angekündigt. Dass sie damit ihre eigenen Veranstaltungen meinten und kein Interesse daran haben, dass sich die Arbeiter gemeinsam und wirklich gegen die zugespitzte Ausbeutung wehren, stellten wir bereits in der letzten Ausgabe der Weltrevolution dar (Nr. 127, Wo ist der heiße Herbst geblieben?).
Trotzdem kam es im Spätherbst in der Schweiz zu einer Reihe von zwar nicht spektakulären, aber trotzdem bedeutsamen Arbeiterkämpfen, die eine Antwort auf die Verschärfung der wirtschaftlichen Krise darstellten. Bezeichnenderweise fanden diese Streiks in den offiziellen Medien kaum ein Echo. Auch die Gewerkschaften unternahmen nichts, um ihnen über den lokalen Raum hinaus eine Öffentlichkeit zu geben; dafür hängten alle Tageszeitungen und Fernsehstationen eine Blockadeaktion der Gewerkschaft Kommunikation bei der Paketpost an die große Glocke - eine vierstündige Aktion von gut 200 Gewerkschaftern im gleichen Zeitraum (November 2004). Je selbständiger sich die Arbeiter wehren und je weniger die Gewerkschaften von A-Z das Heft in der Hand haben, desto geringer ist die Bereitschaft der bürgerlichen Medien, darüber zu berichten. Um so wichtiger ist es, diese Kämpfe hier zur Sprache zu bringen und dabei auch zu versuchen, eine Bilanz ziehen - sowie Lehren für die künftigen Kämpfe.
Piatti, Swissmetal, Filtrona und weitere
Einer der ersten Streiks, der diese Serie im Spätherbst 2004 ankündigte, war derjenige beim Küchenbauer Bruno Piatti AG in Dietlikon/ZH. Am 18. Oktober traten die Angestellten der Abteilung Spedition wegen bevorstehender Lohnkürzungen in einen Streik. Arbeiter aus anderen Abteilungen des Unternehmens solidarisierten sich mit ihren Kollegen und schlossen sich dem Kampf an. Am Abend des gleichen Tages nahm die Piatti AG die geplante Lohnkürzung zurück.
Der größte Streik mit rund 400 Arbeitern fand vom 16. bis am 25. November 2004 beim Buntmetall-Hersteller Swissmetal statt. Der Chefmanager der Swissmetal-Gruppe in Olten feuerte den Bereichsleiter Industrie in Reconvillier/BE. Gleichzeitig sollten die Löhne und die Arbeitszeiten weiter flexibilisiert werden, nachdem die Bedingungen schon seit mindestens einem Jahr laufend verschlechtert worden waren: Abschaffung medizinischer Beratung, Kürzung diverser Lohnbestandteile usw. Der Kampf begann mit einer Demonstration im Betrieb, worauf die ganze Belegschaft in den Streik trat, als die sofortige Freistellung des Bereichsleiters bekannt wurde. Die Gewerkschaft Unia schaltete sich ein und führte ab dem 19. November Verhandlungen mit der Geschäftsleitung der Swissmetal. Am 24. November kam es im Dorf, das etwa 2500 Einwohner hat, zu einer Demonstration von 4000 Leuten zur Unterstützung der Streikenden. Nachdem ein erster Vereinbarungsvorschlag der Gewerkschaft und der Unternehmensleitung von der Belegschaft abgelehnt worden war, trat die kantonale Volkswirtschaftsdirektorin Elisabeth Zölch als "Vermittlerin" auf. Am 25. November einigten sich die Gewerkschaft und der Verwaltungsrat der Swissmetal auf eine Vereinbarung, die vorsah, dass der Standort Reconvillier erhalten bleiben soll, dass das dortige Werk von einem eigenen Werksdirektor geleitet wird und dass über den Lohn mit der Gewerkschaft weiter verhandelt wird.
Einen Streik unter schwierigsten Bedingungen haben die 150 Arbeiter der Filtrona in Crissier/VD am 29. November begonnen. Es geht hier um die Schließung des Betriebes, der Zigarettenfilter herstellt. Bereits während des Streiks wurden die Maschinen abtransportiert. Heute, bei der Fertigstellung dieses Artikels, ist der Kampf immer noch im Gang. Andere kleine Streiks erwähnen wir aus Platzgründen nicht.
Auch das Personal des öffentlichen Dienstes protestiert in den verschiedenen Kantonen immer wieder im Rahmen von Kundgebungen, zu denen die gewerkschaftlichen Personalverbände aufrufen, aber natürlich nie gemeinsam, sondern immer schön örtlich und zeitlich verzettelt.
Die Bedeutung der Kämpfe der letzten Monate
Es ist unverkennbar, dass die Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse zunimmt. Bereits vor einem Jahr sahen wir in der Schweiz eine Zunahme von Kämpfen - eine Tendenz, die sich seither bestätigt hat. Dass sich diese gegenwärtig nicht in spektakulären Formen ausdrückt, kann uns nach der langen Zeit des Rückflusses im Arbeiterkampf nicht verwundern.
Die Anzahl und die Größe der Streiks sind immer noch bescheiden, gemessen an den massiven Angriffen, denen wir unaufhörlich ausgesetzt sind. Auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern steht die Schweiz sicher nicht an der Spitze der Kampfbereitschaft. Doch dies ist nicht der entscheidende Punkt. Wesentlich ist die Dynamik, die seit rund einem Jahr erkennbar ist: Es gibt ein langsames Erwachen, das zwar noch auf Hindernisse stößt; es wird auch Rückschläge geben; aber die Arbeiterklasse ist daran, sich wieder als solche zu Wort zu melden und ihre Identität zurück zu gewinnen.
Nicht nur von der Anzahl und der Größe der Streiks her sollten wir realistisch bleiben, sondern auch was ihren Grad der Selbstorganisierung betrifft. Die oben beschriebenen Kämpfe sind zwar in ihrer Mehrheit aufgrund der eigenen Initiative der betroffenen Arbeiter und Arbeiterinnen begonnen worden. Doch im Normalfall waren die Gewerkschaften sofort zur Stelle und übernahmen das Zepter im Namen der Streikenden. Viele der kämpferischen Arbeiterinnen und Arbeiter, haben immer noch Hoffnungen in die Gewerkschaften und rufen sie zu Hilfe. Die Gewerkschaften werden noch nicht verbreitet in Frage gestellt und als unverzichtbarer Teil des Ausbeutungssystems erkannt. In den oben angeführten Streiks spielten die Gewerkschaften meist von Beginn weg eine mehr oder weniger aktive Rolle. Diesbezüglich hat sich also auf den ersten Blick noch nicht viel verändert.
Doch bei genauerem Hinsehen stellt man doch eine Veränderung in der Strategie der Gewerkschaften fest - eine Veränderung, die Rückschlüsse auf die Kampfbereitschaft in der Klasse selbst zulässt. Im Herbst 2002 veranstalteten die Gewerkschaften mit viel Tamtam den Bauarbeiterstreik, über den wir auch in der Weltrevolution berichteten (Nr. 115: Die Salami-Taktik der Gewerkschaften). Damals bestand das Ziel der Gewerkschaft Bau und Industrie (heute: unia) offensichtlich darin, "die Arbeiter daran zu hindern, selbständig den Kampf zu beginnen. Sie sollen nach dem Willen der Bourgeoisie (und die Gewerkschaften gehören dazu) möglichst getrennt voneinander, in kleinen Tranchen und zeitlich gestaffelt etwas Luft ablassen" (aus dem Artikel in Weltrevolution Nr. 115). Die Gewerkschaften besetzten also vor zwei Jahren vorzeitig das Terrain, um zu verhindern, dass die Arbeiter selber die Initiative ergriffen. Bei den Kämpfen der letzten Monate ist aber unverkennbar, dass sich in diesem Punkt etwas verschoben hat: Der Impuls geht jetzt vermehrt von den Arbeitern aus (die Ausnahme ist die Blockadeaktion bei der Post); die Gewerkschaften sind zwar gleich zur Stelle, aber im Gegensatz zum Bauarbeiterstreik vor zwei Jahren zurückhaltend mit der Werbetrommel. Es geht ihnen also nicht mehr um vorbeugende Kampagnen, sondern darum, die reifere Kampfbereitschaft möglichst umgehend zu kontrollieren.
Die Gewerkschaften werden auch vermehrt gezwungen sein, in den Kämpfen als Saboteure aufzutreten, doch geschieht dies im Moment noch verdeckt. In den hier aufgeführten Fällen kam es vor, dass die Belegschaften Verhandlungsergebnisse ablehnten. Die Gewerkschaften mussten teilweise auf Druck der Arbeiter "bessere" Ergebnisse herausholen. Beim Swissmetal-Streik überließ man aber schließlich die Verhandlung über die gestellten Lohnansprüche weiteren Treffen zwischen der Geschäftsleitung und der Personalvertretung, sprich: der Gewerkschaft. Damit verloren die Arbeiter und Arbeiterinnen definitiv die Kontrolle über ihre Forderungen. Mitte Dezember 2004 konnte man in den Zeitungen lesen, dass die Löhne bei Swissmetal 2005 um durchschnittlich 1,8 Prozent erhöht werden, was weniger ist als die Teuerung über zwei Jahre.
Die Arbeiter und Arbeiterinnen verlassen sich zwar noch auf die Gewerkschaften, aber sie haben auch eine Erwartungshaltung, die es für die Gewerkschaften schwieriger macht, ihrem angeblichen Anspruch auf Interessensvertretung gerecht zu werden. Die Erfahrungen aus diesen und den künftigen Kämpfen werden dazu führen, dass die Gewerkschaften vermehrt in Frage gestellt werden.
Wichtig ist auch der Kampf bei Filtrona. Die Arbeiter wurden vor eine vollendete Tatsache gestellt: Der Betrieb wird geschlossen. Hier geht es plötzlich um weit mehr als die Erhaltung des bisherigen Standards. Die Auslagerung der Produktion und die Schließung von Fabriken zeigt den Bankrott des kapitalistischen Systems und die Notwendigkeit seiner Überwindung auf. Solange nach der Logik der Profits gearbeitet und produziert wird, gibt es auf der einen Seite je länger je mehr Arbeitslose, auf der anderen Seite immer größeren Stress für die noch Beschäftigten.
Die Perspektiven
Viele Arbeiter und Arbeiterinnen kämpfen heute zwar mit dem Rücken zur Wand. Zuerst bleibt scheinbar und im besten Fall noch die Verteidigung des bisherigen Zustands.
Entscheidend ist aber, dass in diesen Kämpfen die Klassenidentität zurück gewonnen wird und die Solidarität mit anderen Arbeitern zum Tragen kommt. Dass dabei die gewerkschaftliche Kontrolle abgeschüttelt werden muss, ist eine der Erfahrungen aus den Kämpfen in den 1970er und 80er Jahren.
"Das Mittel, welches wir angesichts des jetzigen Standes der Angriffe des Kapitals benötigen, ist der Massenstreik aller Betroffenen. Eine solche Abwehraktion der gesamten Arbeiterklasse wäre imstande, den Lohnabhängigen das Selbstvertrauen zu geben, um der Arroganz der Herrschenden zu trotzen. Darüber hinaus können massive Mobilisierungen dazu beitragen, das gesellschaftliche Klima zu verändern, indem die Notwendigkeit erkannt wird, die Bedürfnisse zur Leitlinie gesellschaftlichen Handelns zu machen. Diese Infragestellung des Kapitalismus wiederum würde die Entschlossenheit der Beschäftigten und Erwerbslosen steigern, ihre Interessen jetzt schon zu verteidigen.
Natürlich sind solche massiven, gemeinsamen, solidarischen Aktionen heute noch nicht durchführbar. Das bedeutet aber keineswegs, dass man jetzt nichts unternehmen und nichts erreichen kann. Doch ist es notwendig zu erkennen, dass der Streik nicht die einzige Waffe des Klassenkampfes ist. Alles, was heute schon das Erkennen der Gemeinsamkeit der Interessen aller Lohnabhängige fördert, und alles, was die Tradition der Arbeitersolidarität wieder belebt, erschreckt die herrschende Klasse, macht sie in ihren Angriffen weniger forsch und selbstsicher, steigert die Bereitschaft des Gegners, hier und da tatsächliche Zugeständnisse, zumindest vorübergehend, zu gewähren." (abgedruckt in Weltrevolution Nr. 127)
HA/MI, 17.01.05
Fussnote:
1) vgl. die IKS-Broschüre Die Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse
Das Jahr 2004 ging mit einer gewaltigen menschlichen Tragödie in Südasien zu Ende. Das außergewöhnlich starke Seebeben hat im Indischen Ozean eine Flutwelle mit Zerstörungen in mehr als einem Dutzend Anrainerstaaten ausgelöst. Innerhalb von wenigen Stunden riss die Flutwelle mehr als 160.000 Menschen in den Tod, Zehntausende sind noch verschwunden, Hunderttausende verletzt, fünf Millionen Menschen obdachlos. Diese schreckliche Bilanz ist bislang nur eine vorläufige, denn viele Gebiete, insbesondere in Indonesien, Thailand und Sri Lanka sind nicht zugänglich, da das gesamte Straßennetz zerstört wurde.
In den Küstengebieten wurden ganze Dörfer ausgelöscht, unzählige Fischerboote sind beschädigt und das Salzwasser hat die Felder für die Landwirtschaft zerstört, womit mehr als 5 Mio. Menschen ohne Dach, ohne Essen, ohne Trinkwasser dahinvegetieren, was wiederum nur noch neue Opfer fordern kann. So befürchten die Hilfsorganisationen tödliche Epidemien, mit Zehntausenden von Toten. Erneut sind die Ärmsten der Bevölkerung, darunter Lohnabhängige, die insbesondere in der Tourismusbranche arbeiten, die Hauptleidtragenden dieser Tragödie.
Der Kapitalismus ist der einzig Verantwortliche für diese menschliche Katastrophe
Wie bei jeder Katastrophe dieser Art beruft man sich auf die Hilflosigkeit der Menschen gegenüber der „Mutter Natur“, das Unglück, die Fatalität, oder auch die Rückständigkeit der betroffenen Länder, die keine Technik erwerben könnten, um solchen Naturkatastrophen vorzubeugen. Dummes Zeug und Lügen!
Warum und wie konnte ein Naturereignis wie Tsunamis, das dazu noch so gut bekannt ist, innerhalb von wenigen Stunden zu einer gesellschaftlichen Katastrophe mit solch einem Ausmaß werden?
Natürlich kann man dem Kapitalismus nicht vorwerfen, für das Seebeben verantwortlich zu sein, das diese gigantische Flutwelle ausgelöst hat. Dagegen kann man ihm die totale Nachlässigkeit und die Unverantwortlichkeit der Regierungen dieser Region der Welt und ihrer westlichen Gegenstücke vorhalten, die zu dieser gewaltigen menschlichen Katastrophe geführt haben.
Tatsache ist: Alle wussten, dass dieser Teil der Erde besonders erdbebengefährdet ist. „Die örtlichen Experten wussten jedenfalls, dass ein Drama im Anzug war. Im Dezember hatten indonesische Seismologen am Rande einer Physikertagung in Jakarta das Thema mit einem französischen Experten erörtert. Sie waren sich voll der Gefahr von Tsunamis bewusst, denn in diesem Teil der Erde kommt es ständig zu Beben“ (Libération, 31.12.04).
Nicht nur waren die Experten im Bilde, sondern auch der ehemalige Direktor des Internationalen Tsunami-Informationszentrums in Hawai, George Pararas-Carayannis, teilte mit, dass ein größeres Beben zwei Tage vor der Katastrophe vom 26. Dezember stattgefunden habe. „Der Indische Ozean verfügt über eine Basisinfrastruktur, um Maßnahmen gegen Beben zu treffen und Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen. Und niemand hätte überrascht sein sollen, denn am 24. Dezember war ein Beben mit der Größenordnung von 8,1 auf der Richterskala gemessen worden. Allein dadurch hätten schon die Behörden gewarnt sein sollen. Aber es fehlt vor allem der politische Willen der betroffenen Länder und eine internationale Abstimmung entsprechend den Maßnahmen, wie sie im Pazifik getroffen wurden“ (Libération, 28.12.04).
Niemand hätte überrascht sein dürfen und trotzdem ist das Schlimmste eingetreten. Aber die Nachlässigkeit der herrschenden Klasse hört da noch nicht auf!
Als der US-amerikanische Wetterdienst in Hawaii 15 Minuten nach dem Seebeben 26 Länder informierte, dass die Gefahr von Tsunamis nach dem Beben besteht, hat der japanische Wetterdienst diese Information an seine Nachbarn nicht weitergegeben, weil der Wetterbericht für Japan keinen Anlass zur Besorgnis gab.
In Indien ist der Generalstab der indischen Luftwaffe entsprechend informiert worden, aber die Luftwaffe muss einen streng hierarchischen und bürokratischen Meldeweg einhalten. Das Fax mit der Warnung ist bei der Weiterleitung verlorengegangen, denn der Wetterdienst besaß nicht die neue Faxnummer des Wissenschaftsministeriums, da diese seit der neuen Regierung im Mai 2004 geändert worden war! „Das gleiche Szenario in Thailand, wo der Wetterdienst keine nationale Warnung ausrufen wollte aus Angst, eine überflüssige allgemeine Panik zu verursachen. Dabei war ihm bekannt, dass um 8.10 h ein großes Seebeben eingetreten war, d.h. lange bevor die Tsunamis sich über die Küste bei Phuket ergossen“ (Libération, 31.12.04).
Das Prinzip der einfachen Vorsicht (ohne vom Prinzip der vorbeugenden Maßnahmen zu sprechen) hätte verlangt, dass man die Bevölkerung warnt. Auch ohne entsprechende technische Ausrüstung, über die die USA und Japan verfügen, standen ausreichend Informationen über die zu erwartende Katastrophe zur Verfügung, um zu handeln und Menschenleben zu retten.
Dies ist keine Nachlässigkeit, sondern eine kriminelle Politik, die die tiefgreifende Verachtung der herrschenden Klasse für die Bevölkerung und die Arbeiterklasse offenbart, die die Hauptopfer der bürgerlichen Politik der Regierungen vor Ort sind.
Tatsächlich gibt man sogar von offizieller Seite zu, dass keine Warnung ausgesprochen wurde, weil man Angst hatte.... die Tourismusbranche zu treffen! Mit anderen Worten: Um ihre schmutzigen ökonomischen und finanziellen Interessen zu schützen, wurden Zehntausende Menschenleben geopfert.
Dieses unverantwortliche Handeln der Regierungen verdeutlicht erneut die Lebensform dieser Räuberklasse, die das Leben und die Produktion in dieser Gesellschaft verwalten. Wenn es darum geht, die Ausbeutung und den kapitalistischen Profit aufrechtzuerhalten, sind die bürgerlichen Staaten bereit, so viele Menschenleben zu opfern.
Immer bestimmen die kapitalistischen Interessen die Politik der herrschenden Klasse, und im Kapitalismus ist die Vorbeugung keine rentable Angelegenheit, wie heute von den Medien eingestanden wird: „Die Länder in der Region haben sich bislang taub gestellt, wenn es darum ging, ein Warnsystem einzuführen, weil die Kosten zu hoch wären. Experten zufolge kostet ein Warnsystem mehrere Millionen Dollar, aber damit könnten mehrere Zehntausend Menschenleben gerettet werden“ (Les Echos, 30.12.04).
Wenn man in den Fernsehberichten Bilder von den Zehntausenden Toten, dezimierten Familien, Waisenkindern sieht, kann man nur zutiefst empört sein zu hören, dass die Regierungsstellen, die für diesen Massentod der Menschen verantwortlich sind, nun mit einem unglaublichen Zynismus ankündigen, man werde in Asien ein Erdbeben- und Tsunami-Warnsystem einführen, wie es schon in den USA und in Japan existiert.
Das menschliche Drama, das sich in Südasien abspielt, ist ein neuer Ausdruck dieser unglaublichen Barbarei eines Systems, das die Menschheit ins Verderben stürzt. Denn dieses niedergehende System ist der wahre Verantwortliche für die sich immer wiederholenden Katastrophen. Letztes Winter starben Zehntausende Menschen in einem Erdbeben im Iran, kurz davor kamen Unzählige in der Türkei, in Armenien ums Leben. Es wird zugelassen, dass sich Menschen in erdbebengefährdeten Gebieten ansiedeln, zudem noch in baufälligen Häusern, während heute die Technologie existiert, um zu verhindern, dass solche Naturereignisse diese Art gesellschaftliche Katastrophen hervorrufen.
Und wenn der Tsunami im Indischen Ozean auch so viele Opfer unter den Touristen hervorgerufen hat, muss man hervorheben, dass der Kapitalismus Ferienanlagen in der wildesten, planlosesten Manier errichtet hat, wobei Mangroven zerstört wurden, die als natürlicher Schutz dienen, die wellenbrechend wirken und auch die von den Flutwellen angespülten Gegenstände auffangen können.
Diesen gleichen Wahnsinn findet man in den Industriestaaten, wo man Wohnungen in gefährdeten Gebieten gebaut hat, die potenziell von Überschwemmungen heimgesucht werden können.
Mehr als je zuvor kann der Kapitalismus, weil er von der gnadenlosen Jagd nach Profiten und der Rentabilität der Betriebe und nicht für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse lebt, nur noch neue Katastrophen hervorbringen. Während in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus die Entfaltung eines gewaltigen technologischen und industriellen Potenzials möglich gewesen war, und dieser zu einer gewissen Beherrschung der Kräfte der Natur neigte, ist das in seinem Niedergang befindliche System nicht mehr in der Lage, die Menschheit voranzubringen. Anstelle dessen scheint die Natur sich „das zu zurückzunehmen“, was ihr genommen wurde, obgleich die Entwicklung der Technik es ermöglichen könnte, dass die Menschheit mit ihr in Harmonie lebt.
Der Kapitalismus ist heute ein im Zerfall befindliches System. Er ist zu einer Fessel und einer Bedrohung für das Überleben der Gattung Mensch geworden. Den auf Teilaspekte beschränkten, vor allem aber lügnerischen und zynischen Erklärungen der herrschenden Klasse müssen die Revolutionäre die Analyse des Marxismus entgegenstellen.
„In dem Maße, wie sich der Kapitalismus entfaltet und dann auf der Stelle verfault, prostituiert er immer mehr diese Technik, die für seine Bedürfnisse der Ausbeutung, der Herrschaft und der imperialistischen Plünderung eine befreiende Rolle spielen könnte. Das geht soweit, dass der Kapitalismus der Technik seine eigene Fäulnis einpflanzt und diese gegen die Gattung Menschen richtet (...) Während der ‚friedlichen‘ Phasen, die er uns manchmal zwischen zwei imperialistischen Massakern oder zwei Unterdrückungsmaßnahmen zugesteht, ist das von der ständigen Jagd nach einer höheren Profitrate angetriebene Kapital in allen Lebensbereichen des Alltags dazu gezwungen, die Menschen mit Hilfe der prostituierten Technik auf engstem Raum zusammenzupferchen, sie zu vergiften, zu ersticken, zu verstümmeln und zu massakrieren (...) Der Kapitalismus ist nicht unschuldig an den sogenannten „Naturkatastrophen“. Ohne die Kräfte der Natur außer Acht zu lassen, auf die der Mensch keinen Einfluss nehmen kann, zeigt der Marxismus auf, dass viele Katastrophen indirekt durch gesellschaftliche Ursachen hervorgerufen oder verschlimmert wurden (...) Nicht nur kann die bürgerliche Zivilisation diese Katastrophen direkt durch ihre Jagd nach Profiten und durch den vorherrschenden Einfluss der Geschäftswelt auf den Verwaltungsapparat hervorrufen (...) , sondern sie erweist sich als unfähig, einen wirksamen Schutz zu organisieren, da die Vorbeugung keine rentable Aktivität ist“ (Amadeo Bordiga, „Die Gattung Mensch und die Erdrinde“).
Die Heuchelei und der Zynismus der Weltbourgeoisie
Trotz des großen Ausmaßes der Katastrophe brauchte die internationale Bourgeoisie mehrere Tage, um in Gang zu kommen und ihre Hilfskräfte in die Katastrophengebiete zu schicken. Und dabei sind die Hilfsgüter noch lange nicht vor Ort angelangt: So wurde ein Feldlazarett, das von Frankreich nach Indonesien geschickt wurde, zwei Wochen lang aufgehalten, weil man auf die Hubschrauber wartete, die das Material und das medizinische Betreuungspersonal transportieren sollen.
Wenn es darum geht, ihre imperialistischen Interessen in den angeblich „humanitären“ Kriegen zu verteidigen, haben diese Staaten immer ihre schnelle Einsatzbereitschaft gezeigt, um ihre Truppen, Material und Waffen ins Land zu schicken, mit denen die Bevölkerung mit immer komplizierteren Waffensystemen bombardiert und Tod und Verderben in alle Erdteile gebracht wurde. Und diese kapitalistischen Gangster haben nie gezögert, astronomische Summen in die Rüstungsproduktion zu stecken, um ganze Länder zu vernichten.
Was die Finanzhilfe angeht, die in der ersten Phase von den Regierungen der Welt versprochen wurde, insbesondere von den höchst entwickelten Staaten, war diese so lächerlich gering, dass der für UN-Hilfsaktionen zuständige Leiter, Jan Egeland, die „internationale Gemeinschaft“ gar als knauserig und geizig bezeichnet hat.
Gegenüber dem Ausmaß dieses Desasters haben sich die verschiedenen kapitalistischen Staaten wieder als wahre Aasgeier erwiesen, die im Konkurrenzkampf miteinander stehen, wer gegenüber seinem Rivalen am meisten „gespendet“ hat.
So haben die USA 350 Millionen $ anstatt der anfänglich angekündigten 35 Millionen $ angeboten (während sie jede Woche eine Milliarde $ im Irak und eine Milliarde $ im Monat für den Afghanistankrieg ausgeben), Japan 500 Millionen, die EU 436 Millionen. Frankreich glaubte gar eine Zeit lang, mit seinen 50 Millionen $ die Spitze der Geberländer übernommen zu haben (während seine Militärinterventionen mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr kosten), gefolgt von Australien, England und Deutschland usw.
Jedes Mal, wie bei einer Versteigerung, bot ein Staat nach dem anderen mehr Finanzhilfe an als die Rivalen.
Diese verbale Überbietung ist um so ekelhafter, da es sich ohnehin nur um ein Scheinhilfen handelt, weil den Spendenzusagen oft keine Taten folgen. So hatte diese „internationale Gemeinschaft“ im Dezember 2003 den Erdbebenopfern im Iran 115 Millionen $ zugesagt; bislang hat Teheran aber ganze 17 Mio. $ erhalten. Das Gleiche konnte man in Liberia beobachten: eine Milliarde Dollar wurden versprochen, weniger als 70 Mio. $ sind bislang eingetroffen.
An Beispielen fehlt es nicht; ohne all die in Vergessenheit geratenen Konflikte zu erwähnen, und für die es nicht mal Zusagen gibt wie Dafour oder den Kongo, wo sich menschliche Dramen abspielen, die vom gleichen Ausmaß sind wie die Tsunami in Asien.
Und was den Vorschlag angeht, einen Schuldenerlass für die von der Katastrophe betroffenen Länder zu beschließen, so ist dies nichts als Sand in die Augen, denn es handelt sich nur um einen Zahlungsaufschub für die fälligen Zinsen, nicht aber um das Streichen der Schulden insgesamt. Übrigens müssen die fünf am meisten verschuldeten Länder, die von der Flutwelle betroffen wurden, nächstes Jahr 32 Milliarden $ zahlen, d.h. zehnmal mehr als die Summe, die sie angeblich unter dem Titel „menschliche Hilfe“ bekommen werden (eine ohnehin viel zu hoch angesetzte Summe im Verhältnis zu dem, was sie tatsächlich bekommen werden). Natürlich wird diesen Ländern nicht das Privileg eingeräumt, von der US-Armee besetzt zu werden, wie im Falle Iraks; denn dann hätten sie von der gesamten Streichung ihrer Schulden profitieren können.
Nicht nur erzählt uns die Bourgeoisie schändliche Lügen über ihre angebliche „Spendenfreude“, sondern sie verheimlicht die wahren Ziele ihrer „humanitären Spendenüberbietung“.
Die „humanitäre“ Hilfe dieser Regierungen ist in Wirklichkeit nur ein Vorwand zur Verschleierung ihrer imperialistischen Appetite.
Hinter den ideologischen Schleierwolken der humanitären Propaganda fällt auf, dass jeder Staat sich wie in einem Konkurrenzkampf beeilt, seine Repräsentanten in die Katastrophengebiete zu schicken, obwohl es in Wirklichkeit darum gehen würde, eine internationale Abstimmung der Hilfe zu sicherzustellen. Tatsächlich verteidigt nämlich jede nationale Bourgeoisie ihre eigenen Interessen als kapitalistische und imperialistische Macht in der Region, welche von großem strategischen und militärischen Wert ist.
Die tiefgreifenden Interessensgegensätze, die zwischen den verschiedenen imperialistischen Staaten beim Afghanistan- oder Irakkrieg aufgetreten waren, werden hier wieder sichtbar. So machte sich der Außenminister Frankreichs mit einem Flugzeug voll von Medikamenten auf den Weg, und Chirac schlug mit Deutschlands Unterstützung die Schaffung einer „schnellen humanitären Eingreiftruppe“ vor, die unter der Kontrolle der europäischen Staaten und im Dienste der UNO stehen sollte.
Die Reaktion der USA folgte prompt: Nicht nur schickten die USA Kriegsschiffe und Kriegsflugzeuge mit in den Indischen Ozean, sondern sie kündigten die Schaffung einer „internationalen humanitären Koalition“ an (unter Beteiligung Australiens, Japans und Indiens), um die „Hilfe zu koordinieren“.
Wie im Irakkrieg zielt die US-amerikanische Politik darauf ab, den anderen Mächten zu verdeutlichen, dass die USA der Boss sind, und dass sie auch gegenüber dieser Lage willens sind, ihre Führungsrolle zu verteidigen. Der US-Außenminister, Colin Powell, und der Bruder des US-Präsidenten Bush wurden vor Ort geschickt, um die „Werte des handelnden Amerikas“ zu preisen. Colin Powell, der oberste US-Befehlshaber im ersten Golfkrieg, und der den Befehl gab, dass die irakischen Frontsoldaten lebendig begraben werden sollten, scheute sich nicht Krokodilstränen zu vergießen, als er nach einem Flug über das Katastrophengebiet in Banda Aceh erklärte: „Ich kenne den Krieg, ich habe Wirbelstürme und Tornados und andere Krisengebiete gesehen. Aber so etwas habe ich noch nie gesehen“ (Libération, 6.1.05).
All diese Reibereien zwischen den Großmächten, wo jeder Nationalstaat versucht, dem anderen eins auszuwischen, zeigen die wirklichen Motive der „humanitären“ Hilfsaktionen dieser kapitalistischen Geier. Wie ein US-Vertreter sagte: „Das ist eine wahre Tragödie, aber auch eine Gelegenheit, eine Chance zu ergreifen. Eine schnelle und großzügige Hilfe der USA könnte dazu beitragen, die Beziehungen der USA zu den asiatischen Staaten zu verbessern“.
In Anbetracht der strategischen Bedeutung Indonesiens im Indischen Ozean liegt es auf der Hand, dass die USA versuchen, diese Katastrophe auszuschlachten, um militärisch Fuß zu fassen (was das indonesische Militär Washington verwehrt hatte, als diese dem USA vorwarfen, sich in die inner-indonesischen Angelegenheiten einzumischen, nachdem die USA 1999 ihre Militärhilfe an Jakarta aufgrund der Gräueltaten des indonesischen Militärs in Osttimor ausgesetzt hatten). Darüber hinaus hat ihre „humanitäre Hilfe“ in Sri Lanka die Gestalt einer „Landung“ mit Amphibienfahrzeugen angenommen, die natürlich eine „friedliche“ Mission verfolgen (und nicht bewaffnet sind, wie ein Offizier versicherte), und die nicht das Ziel verfolgen, „zu zerstören“, sondern „der Bevölkerung zu Hilfe zu eilen“.
Die europäischen Staaten wiederum wollen auch militärisch und diplomatisch in der Region präsent sein. Was China angeht, will es seine Rolle als Gendarm in Asien wahren; es prallt dabei mit Japan zusammen. Und wenn Indien jegliche ausländische Hilfe verweigert hat, womit es einen Teil der betroffenen Bevölkerung wie Ratten krepieren lässt, stecken dahinter seine Bestrebungen, seine Interessen als Regionalmacht zu verteidigen.
Dies steckt hinter all dem Chaos der „humanitären Hilfe“ der Weltbourgeoisie: Die Verteidigung ihrer schmutzigen imperialistischen Interessen. Die Schmach und die grenzenlose Heuchelei der Herrschenden der Welt sind ekelerregend.
Erneut hat sich der Kapitalismus mit seinen Profitgesetzen und seiner herrschenden Klasse als eine Katastrophe für die Menschheit erwiesen, die einzig in der Lage ist, gerade mal die Toten zu zählen und immer nur noch mehr Zerstörung bringt. Zum gleichen Zeitpunkt, wo sie zulassen, dass die gigantischen Flutwellen große Teile der Bevölkerung auslöschen, verschärfen sie das Chaos in Afghanistan, verüben sie noch mehr terroristische Attentate und üben sie noch mehr Repression mit immer mehr Blutvergießen im Irak und Palästina aus, lassen sie es zu, dass noch mehr Menschen in Dafour an Hunger sterben, werden noch mehr Menschen im Kongo massakriert.
Diese blutige Spirale belegt, dass der Kapitalismus der Menschheit nur noch mehr Zerstörung anzubieten hat, mit immer blutigeren Katastrophen, mit immer barbarischen Kriegen, noch mehr Misere, Hunger und Epidemien. Dieses auf der Stelle verfaulende System zerstört Stück für Stück unseren Planeten immer mehr.
Welche Solidarität mit der von der Katastrophe betroffenen Bevölkerung?
Gegenüber dieser menschlichen und sozialen Tragödie müssen die Revolutionäre und das gesamte Weltproletariat laut und deutlich ihre Klassensolidarität gegenüber den Opfern bezeugen.
Wir können nur den Elan der weltweiten menschlichen Solidarität, die sofort zum Ausdruck kam, begrüßen. Ohne auf Hilfe zu warten, haben die Betroffenen sich gegenseitig geholfen; sowohl die asiatische Bevölkerung den Touristen als auch die Touristen der einheimischen Bevölkerung. Spontan haben Millionen Menschen, insbesondere die Arbeiter in allen Ländern angeboten, Lebensmittel, Kleidung und Geld zu spenden.
Aber diese natürliche Solidarität, die die Grundlage der gesellschaftlichen Existenz und des Überlebens der Gattung Mensch darstellt, wurde sofort von der herrschenden Klasse und den NGO (Nicht-Regierungsorganisationen) instrumentalisiert.
Die Informationsflut und die schockierenden Bilder aus dem Katastrophengebiet dienen dazu, das Nachdenken über die Ursachen dieser sozialen Katastrophe zu verhindern.
Da wir ‚hilflos‘ gegenüber solchen Ereignissen sind, wäre das einzige, was wir den Herrschenden gemäß ihren Medien und Spezialisten der „humanitären Hilfe“ machen können, Geld für die NGO zu spenden; dazu wird uns gleich versichert, dass die Spenden auch bei den Menschen vor Ort ankämen.
Diese „NGO“ (Nicht-Regierungsorganisationen) haben erneut bewiesen, dass sie im Dienst der Regierungen stehen. Das Chaos bei den Hilfeleistungen vor Ort unterstreicht dies erneut: Jedes nationale Fernsehen betreibt Werbung für diese oder jene NGO, die je nach Ursprungsland, damit beauftragt ist, die jeweiligen Interessen der einen oder anderen Regierung auf Kosten und gegen die anderen NGO’s zu vertreten. So wird die Solidarität in den Händen der Herrschenden zum Chauvinismus.
Die Empörung der Arbeiterklasse über dieses Drama, ihre spontane Solidarität mit den Opfern wurde von der herrschenden Klasse manipuliert und von ihr durch eine „humanitäre“ Hilfskampagne instrumentalisiert. So konnte die herrschende Klasse mit Hilfe der NGOs den wirklichen Spendenelan der Bevölkerung auf eine rein karitative Ebene lenken. Mit den Aufforderungen zur finanziellen Unterstützung für die hilfsbedürftige Bevölkerung haben die bürgerlichen Staaten einen wahren Erpressungsversuch gestartet, indem der Weltbevölkerung, insbesondere der Arbeiterklasse, das Gefühl eingeimpft wird, man könne sein „Gewissen befriedigen“, indem man für die „humanitären“ Aktionen der Regierungen Geld spendet.
Diese, von den Medien täglich angefachte Kampagne, ist ein ideologisches Trommelfeuer, das dazu dient, das Bewusstsein der Menschen zu trüben und die Arbeiter daran zu hindern, über die wirklichen Ursachen der Katastrophe nachzudenken.
Indem die Arbeiter daran gehindert werden sollen, zu begreifen, was tatsächlich hinter dem Kapitalismus steckt, der als einziger für diese Katastrophe verantwortlich ist, versucht man die Klassensolidarität der Arbeiterklasse zu entstellen und sie in Sackgassen zu lenken.
Die Solidarität der Arbeiterklasse aber kann im Gegensatz zu dem, was uns die Herrschenden und die NGO’s glauben machen wollen, nicht auf eine einfach karitative Handlung beschränkt werden. Einerseits, weil die Geldspenden nur einen Tropfen auf den heißen Stein sein können in Anbetracht des Ausmaßes des Desasters.
Andererseits können die gesammelten Spendengelder die Misere und die Hoffnungslosigkeit all dieser Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben, und deren Körper nie gefunden werden oder die ohne Bestattung in den Massengräbern beerdigt wurden, nicht erleichtern.
Das Geld kann das Irreparable nicht wiedergutmachen
Geld war noch nie ein Mittel gegen moralisches Leiden! Schließlich können diese Gesten finanzieller Solidarität das Problem nicht an der Wurzel packen. All diese Spenden können nicht verhindern, dass sich solche Katastrophen in anderen Teilen der Welt wiederholen. Deshalb kann die Klassensolidarität der Arbeiterklasse nie die der Kirchen und der NGO’s sein.
Die Arbeitersolidarität verfolgt nicht das Ziel, das „Gewissen zu beruhigen“ oder Seelen zu retten, indem dem Schuldgefühl, das uns die herrschende Klasse einflößen will, nachgegeben wird.
Diese Klassensolidarität kann sich nur entfalten auf der Grundlage der Entblößung des einzig Schuldigen für diese Katastrophe: die herrschende Klasse, die das kapitalistische System führt.
Die Arbeiter auf der ganzen Welt müssen begreifen, indem sie ihren Kampf gegen die Herrschenden führen, indem sie deren mörderisches System überwinden, würdigen sie wirklich die Toten, all diese auf dem Altar des Profit und der Rentabilität geopferten Menschenleben.
Sie müssen ihren Kampf und ihre eigene Klassensolidarität gegen alle Staaten und Regierungen entfalten, die sie nicht nur ausbeuten und ihre Lebensbedingungen angreifen, sondern die auch noch die Unverschämtheit haben, „Geld zu spenden“, um die durch den Kapitalismus verursachten Schäden zu bezahlen.
Nur durch den alltäglichen Kampf gegen dieses System, bis hin zu dessen Überwindung, kann die Arbeiterklasse ihre wahre Solidarität gegenüber den Arbeitern und der Bevölkerung der von der Flutwelle zerstörten Gebieten zeigen.
Auch wenn diese Solidarität natürlich keine unmittelbare Wirkung zeigen kann, ist sie alles andere als das Strohfeuer, das von den Herrschenden und den NGO’s gezündet wurde.
In wenigen Monaten wird für die herrschende Klasse und ihre karitativen Organisationen diese Katastrophe begraben sein. Die Arbeiterklasse dagegen darf diese nicht vergessen, genauso wenig wie sie die Masssaker im Golfkrieg und all die anderen Kriege und sogenannten „Naturkatastrophen“ vergessen darf. Die Arbeiter auf der ganzen Welt dürfen solche Ereignisse nicht einfach vergessen. Sie müssen in ihr Gedächtnis eingeprägt bleiben und ihnen als Kompass dienen, um ihre Entschlossenheit zu stärken, gegen die Barbarei des Kapitalismus ihre Kämpfe und ihre Einheit als Klasse zu entfalten.
Die Arbeiterklasse ist in der gegenwärtigen Gesellschaft die einzige Kraft, die dazu in der Lage ist, all den Opfern der bürgerlichen Gesellschaft eine wirkliche Gabe anzubieten, indem der Kapitalismus überwunden und eine neue Gesellschaft aufgebaut wird, die nicht auf dem Profit aufgebaut ist, sondern auf der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Und sie ist die einzige Klasse, die aufgrund ihrer revolutionären Perspektive in der Lage ist, der Menschheit eine Zukunft anzubieten.
Deshalb muss die Arbeitersolidarität weit über die gefühlsmäßige Solidarität hinausgehen. Sie darf sich nicht auf diese Gefühle der Ohnmacht oder ein Schuldgefühl stützen, sondern vor allem auf ihr Bewusstsein.
Nur die Entfaltung ihrer eigenen Klassensolidarität, die sich auf das Bewusstsein des Bankrotts des Kapitalismus stützt, wird dazu in der Lage sein, die Grundlagen einer Gesellschaft zu schaffen, in der die Verbrechen, die uns die Bourgeoisie als ‚Naturkatastrophen‘ darstellt, niemals vergessen werden, und wo diese schreckliche Barbarei endgültig überwunden und abgeschafft werden kann.
„Der in seinem Todeskampf dahinsiechende Kapitalismus will uns an all diesen Horror gewöhnen, und dass wir die Barbarei, für die er verantwortlich ist, als ‚normal‘ betrachten. Die Arbeiter müssen reagieren, indem sie sich empören über diesen Zynismus und ihre Solidarität mit den Opfern dieser endlosen Konflikte und Massaker, die von allen kapitalistischen Banden verübt werden, zeigen (wobei die Opfer der ‚Naturkatastrophen‘ noch hinzukommen). Die Ablehnung und der Ekel gegenüber dem, was der verfaulende Kapitalismus der Gesellschaft aufzwingt, die Solidarität unter den Mitgliedern einer Klasse, die nur gemeinsame Interessen haben, sind wesentliche Faktoren bei der Bewusstwerdung darüber, dass eine andere Perspektive möglich ist und eine vereinte Arbeiterklasse die Mittel hat, diese durchzusetzen“ (Internationale Revue, engl., französisch, spanische Ausgabe, Nr. 119).
Die Arbeiter auf der ganzen Welt können ihre Solidarität gegenüber den Opfern der Katastrophe nur zeigen, indem sie durch ihren Kampf gegen die Ausbeutung, die Misere und die kapitalistische Barbarei mit ihrem eigenen Beispiel beweisen, „Nieder mit allen Regierungen, Nieder mit dem Kapitalismus, Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch.“ DM, 8.1.05
Nach der öffentlichen Veranstaltung des Internationalen Büros für die Revolutionäre Partei (IBRP) in Paris, die mit der "politischen und materiellen Unterstützung" der 'Internen Fraktion der IKS' (IFIKS) durchgeführt wurde - wir haben darüber in dem Artikel 'Das IBRP wird von Schlägern als Geisel genommen' auf unserer Website berichtet -, wurde die IKS Opfer einer neuen Verleumdungskampagne. Diese Kampagne wird auf einer internationalen Ebene organisiert, nicht nur von einer parasitären Gruppe, der IFIKS, sondern auch vom IBRP und einer argentinischen Gruppe, die sich selbst unter dem Namen 'Circulo de Comunistas Internacionalistas' präsentiert und die behauptet, Nachfolger des 'Nucleo Comunista Internacional (NCI)' zu sein (von dem die IKS mehrere Beiträge in ihrer Presse veröffentlicht hat). So sind:
- auf der Website der IFIKS zwei Erklärungen dieses 'Circulos' zu finden, die ein Lügennetz und Verleumdungen gegen die IKS darstellen
- und auf der Website des 'Circulo' (www.geocities.com/cci [11] 1917) drei Texte zu finden, die Anschuldigungen gegen die IKS erheben, wobei sie die gleichen Propagandathemen aufgreifen wie die IFIKS: Die IKS wird beschuldigt, eine stalinistische Organisation zu sein
- und auf der IBRP-Website ebenfalls die Erklärung des 'Circulo' vom 12. Oktober zu finden, die die "ekelerregenden Methoden der IKS" anprangert.
Auch hat das IBRP soeben auf seiner Website eine Antwort auf unseren Artikel 'Das IBRP wird von Schlägern als Geisel genommen' veröffentlicht. Dieser Artikel 'Eine Antwort auf die stupiden Beschuldigungen einer Organisation, die dabei ist sich aufzulösen' ist eine Kriegserklärung an die IKS. In diesem Artikel bestätigt das IBRP, dass seine Verbindungen mit der IFIKS "bestehen und weiter Bestand haben werden". Dieser Text verficht nicht nur die Sache der IFIKS, sondern er sanktioniert und rechtfertigt auch den Diebstahl unserer Abonnentenadressenliste durch diese so genannte Fraktion. Gleichzeitig behauptet das IBRP, dass es nicht vorhat, der IKS oder irgend jemand sonst Rechenschaft abzulegen über seine Handlungsweisen. Was bedeutet, dass es sich weigert, auf unsere Frage in unserem Brief (verteilt am 2. Oktober auf der öffentlichen Veranstaltung des IBRP in Paris uns auf unserer Website veröffentlicht) zu antworten: "Wie kommt der Handzettel des IBRP, der zu der Veranstaltung aufruft, an die Postadressen von manchen unserer Abonnenten, wenn diese ihre Adressen nur der IKS gegeben haben?" Unsere Antwort 'Lügen und Verleumdungen sind keine Mittel der Arbeiterklasse' auf die Stellungnahme des IBRP ist kürzlich auf unserer Website auf Französisch veröffentlicht worden und wird bald auf Englisch verfügbar sein. Verschiedene andere Punkte, die sich mit dieser Angelegenheit befassen, vor allem die Korrespondenz mit dem IBRP, sind auf unserer Website veröffentlicht worden, einige von ihnen sind auch ins Englische übersetzt.
Unsere Abonnenten haben auch die Ekel erregenden Texte des 'Circulo' über die IFIKS erhalten, die unsere Adressenliste gestohlen hat, um ihre Verleumdungskampagne entfalten zu können. Heute zwingen uns diese Kampagnen, bei denen das IBRP, die IFIKS und der 'Circulo' zusammenfinden, dazu, einen neuen Kampf gegen Praktiken zu eröffnen, die dem Proletariat fremd sind, wie Diebstahl, Denunziantentum und Verleumdungen.
Aus diesem Grund wollen wir hier erneut bekräftigen, wie wir es schon auf unserer Website getan haben:
1. dass die drei Erklärungen des 'Circulo' in Argentinien ein übles Lügengewebe sind;
2. dass dieser 'Circulo' im Gegensatz zu dem, was er behauptet, nicht der Nachfolger des NCI ist. Er ist aus dem Nichts entstanden, da er nirgends das geringste politische Argument geliefert hat, um zu erklären, warum der NCI sich entschlossen hat, seinen Namen und seine Standpunkte zu ändern. Ebenso wenig gibt es ein Argument, das die 180°-Wendung in der Stellungnahme des NCI, die das destruktive Verhalten der IFIKS verurteilt, erklären würde. (Diese Stellungnahme des NCI ist veröffentlicht in Revue International, unserer Zeitung in Frankreich, in Accion Proletaria, unserer Zeitung in Spanien, und auf unserer Website.) Außerdem zeigt die jüngste Erklärung des NCI, dass der 'Circulo' nicht von allen Genossen dieser Gruppe gebildet wurde, sondern nur von einem früheren Mitglied, das hinter dem Rücken der übrigen Genossen handelte; zudem bekräftigt der jüngste Text des NCI seine politische Solidarität mit der IKS. Dieser Text, genauso wie die Einleitung der IKS dazu, wurde in World Revolution, Nr. 280 veröffentlicht. Eine weitere Bestätigung des wirklichen Verhaltens des NCI kann in dem Bericht der jüngsten IKS-Delegation in Argentinien gefunden werden, veröffentlicht als Beilage zu World Revolution Nr.280 auf der Website.
Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass der 'Circulo', der sich mit der IFIKS und dem IBRP solidarisiert, auf seiner Website Links zu allen möglichen stalinistischen und linksextremistischen Gruppen hat. Die Genossen sollten sich diese Website ansehen. Sie können sich so davon überzeugen, dass es richtig ist, was wir sagen. So gibt es für den 'Circulo' eine Kontinuität der "marxistischen Autoren", die von Marx zu.... Mao und Che Guevara reicht. Die IKS versichert hier erneut, dass sie mit dem 'Circulo' nichts zu tun hat. Im Gegenteil, wir haben ihn von Anfang an denunziert.
3. Wenn das IBRP, eine Organisation der kommunistischen Linken, jetzt begonnen hat, Kampagnen gegen die IKS aufzugreifen und mitzutragen, die die IFIKS schon seit über zwei Jahren betreibt, dann geschieht dies aufgrund seines Opportunismus. Und dieser Opportunismus hat das IBRP nun veranlasst, ein Bündnis mit parasitären Gruppen wie der IFIKS einzugehen.
Wir müssen einen Unterschied zwischen dem opportunistischen Charakter des IBRP und dem parisitären Wesen der IFIKS machen.
Obwohl die IKS allseits von solchen Verleumdungen umgeben ist, wird sie sich durch diesen internationalen Tumult nicht beirren lassen. Dieses Phänomen ist nicht neu. Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist voll von solchen Vorfällen, wo Militante, wie Marx, Lenin oder Trotzki, und revolutionäre Organisationen die Opfer von Verleumdungen geworden sind. Das ist Teil des Kampfes nicht nur gegen den Kapitalismus, sondern auch gegen die Infiltration bürgerlicher Methoden in die Organisationen des proletarischen Lagers (wie es heute beim IBRP der Fall ist). Die IKS wird ohne Zugeständnisse und mit Geduld und Ausdauer für die Verteidigung proletarischer Prinzipien kämpfen. Es ist unsere Verantwortung, diesen Kampf zu führen, nicht nur um uns gegen solche Angriffe selbst zu verteidigen, sondern auch um mit den Waffen der Kritik, den Waffen der marxistischen Methode zu versuchen, das IBRP zu retten (ohne zu viele Illusionen zu hegen, weil wir es nicht zwingen können, einen anderen Weg einzuschlagen).
Wir fordern die Genossen, die lange an unserer Seite gestanden haben, auf, weiter Vertrauen in die IKS zu haben und uns ihre Unterstützung in diesem Kampf zu geben, wie sie es immer getan haben.
IKS, November 2004
siehe auch:
Einleitung der IKS zur Erklärung des NCI vom 27. Oktober 2004 [12]
Nach einem langen Machtkampf hat der neue Präsident Juschtschenko sein Amt angetreten. Der bürgerlichen Propaganda zufolge ging es um die Verteidigung der Demokratie, aber hinter dieser Fassade geht es keineswegs um den Kampf für die Demokratie. Auf der Tagesordnung steht die sich verschärfende Konfrontation zwischen den Grossmächten, im speziellen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten. Letztere wollen mit ihrer "Verdrängungsstrategie" die Ukraine der russischen Einflusssphäre entziehen. Der Ärger Putins richtet sich bezeichnenderweise vor allem gegen die USA, da diese hinter dem Kandidaten Juschtschenko und seiner "orangefarbenen" Bewegung stehen.
Im Lauf einer in Neu Delhi gehaltenen Rede vom 5. Dezember beschuldigte der Chef des Kremls die Vereinigten Staaten, sie wollten "die Verschiedenheiten der Zivilisation umgestalten und sie einer unipolaren Ordnung angleichen, ähnlich einer Kaserne", und sie wollten "die internationalen Angelegenheiten einer Diktatur, gespickt mit einer schönen pseudo-demokratischen Phraseologie unterwerfen." Putin konfrontierte zudem die Vereinigten Staaten mit der Realität ihrer Situation im Irak. Er erklärte dem irakischen Premierminister am 7. Dezember 04 in Moskau, er könne sich nicht vorstellen "wie man unter den Umständen einer totalen Besetzung durch ausländische Truppen Wahlen organisieren könne"! In dieselbe Logik gehört der Widerstand Putins gegen die gemeinsam von den 55 Staaten der OSZE unterzeichnete Erklärung zur Unterstützung der Ukraine, um den Ausgang aus der Krise zu ermöglichen und die Rolle der OSZE bei der Sicherung der dritten Präsidentschaftswahlrunde vom 26. Dezember zu bestätigen.
Seit dem Zusammenbruch der UdSSR und der zum Scheitern verurteilten Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) im Jahr 1991, welche die Überreste des ehemaligen Imperiums retten sollte, bröckeln die Grenzen Russlands. Russland ist dem Druck Deutschlands und der Vereinigten Staaten ausgesetzt, aber auch im Landesinnern herrscht eine permanente Tendenz zur Zersplitterung. Die 1992 und 1996 unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus lancierten tschetschenischen Kriege entblössten die Brutalität einer sich im Abstieg befindlichen Macht. Russland wollte seine Herrschaft in der strategisch lebenswichtigen kaukasischen Region bewahren, koste es, was es wolle. Für Moskau geht es in diesem Krieg um den Widerstand gegen die gegnerischen imperialistischen Avancen Washingtons und Berlins. Deutschland entwickelte dabei eine unübersehbare imperialistische Aggressivität, wie sie schon im Frühjahr 1991 in seiner Rolle beim Ausbruch des Jugoslawienkonflikts zum Ausdruck kam.
Die Regelung der Kaukasusfrage ist noch weit entfernt, da die Vereinigten Staaten ihre Avancen entschieden fortführen. Sie standen auch hinter der Ausschaltung von Schewardnadse im Jahr 2003 durch die "Rosenrevolution", die einer pro-amerikanischen Clique den Weg zur Macht eröffnete. Die USA konnten neben den schon in Kirgisien und Usbekistan und im Norden Afghanistans präsenten amerikanischen Einheiten nun weitere Truppen im Landesinneren etablieren und dadurch ihre Militärpräsenz im Süden Russlands sowie seine Umzingelung verschärfen. Die ukrainische Frage war für Russland schon lange von grosser Bedeutung, sowohl zurzeit der Zaren als auch der Sowjetrepublik. Heute stellt sich dieses Problem für den russischen Staat in noch viel grösserem Masse.
Auf ökonomischer Ebene ist die "Zusammenarbeit" zwischen der Ukraine und Russland von grosser Bedeutung für Moskau. Aber vor allem auf strategischer und militärischer Ebene ist die Kontrolle über die Ukraine noch wichtiger als die Kontrolle über den Kaukasus.
Dies vor allem, weil die Ukraine wegen der atomaren Militärstützpunkte, die sie vom Ostblock geerbt hat, die dritt grösste Nuklearmacht der Welt ist. Russland trachtet danach, diese Tatsache für sich zu nutzen und so das imperialistische Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten zu ändern. Darüber hinaus bildet die Ukraine für Moskau, nachdem letztgenanntes jeden direkten Zugang zum Mittelmeer verloren hat, den einzigen und letzten Zugang nach Asien und über das Schwarze Meer zur Türkei. Hier befinden sich auch die russische Nuklearbasis von Sebastopol und die russische Flotte. Ausserdem würde Russland durch den Verlust der Ukraine gegenüber den europäischen Ländern und vor allem Deutschland extrem an Boden verlieren. Russlands Einflussmöglichkeiten auf das Schicksal Europas und der osteuropäischen Länder, in ihrer Mehrzahl schon weitgehend pro-amerikanisch, würde eingedämmt. Eine dem Westen zugekehrte (und also vom Westen und im Besonderen von den Vereinigten Staaten kontrollierte) Ukraine würde mehr denn je die Impotenz der russischen Macht zur Schau stellen. Das Phänomen der Zersplitterung der GUS mit ihren negativen Auswirkungen würde daher verschärft. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden durch eine solche Situation ganze Regionen Russlands (in denen lokale Despoten zur Rebellion aufrufen) dazu ermutigt, ihre Unabhängigkeit zu erklären, und dadurch würden die anderen Grossmächte in ihren Ambitionen noch mehr gestärkt.
Die ukrainische Frage ist daher eine Frage auf Leben und Tod, die sich dem bedrängten russischen Imperialismus in naher Zukunft aufdrängt. Ohne Zweifel wird Putin alles daran geben, um die Ukraine in seinem Schoss zu halten, oder, sollte er daran scheitern, wenigstens seinen Teil zu ergattern, was zur Auflösung der Ukraine führen würde.
In diesem Sinne drängt Moskau ganze Regionen der Ukraine, vor allem im Osten und Süden, zur Abspaltung und nährt dadurch das Chaos und die Destabilisierung der Region.
Moskau bietet somit der Logik seines amerikanischen Rivalen, die Bush-Administration, Paroli, welche durch ihre imperialistische Politik Tag für Tag die grauenhafte Barbarei verschärft.
Mit ihrem Versuch, die Ukraine unter ihre Fittiche zu nehmen, verstärken die Vereinigten Staaten also ihren Druck auf Russland, um ihre Einflusssphäre auf seine Kosten zu erweitern. Gleichzeitig aber führt die USA ihre Politik der Einkreisung Europas weiter. Begonnen hat diese Politik mit dem Ausbruch des Krieges in Afghanistan, und sie zielt vor allem darauf ab, die Ausdehnung Deutschlands Richtung Osten zu blockieren.
Osteuropa ist tatsächlich das "traditionelle" imperialistische Expansionsgebiet Deutschlands. Am stärksten zum Ausdruck kam dies zur Zeit des Dritten Reichs, aber auch während des Ersten Weltkriegs. Und wenn die deutsche Bourgeoisie auf eigene Rechnung den Diskurs gegen ihren amerikanischen Rivalen aufnimmt, um Russland und seine "neokolonialistische" Politik in der Ukraine zu "verurteilen", so tut sie das nur, um daraus künftig Vorteile für sich selbst zu ernten.
In der Ukraine haben daher nicht nur zwei, sondern drei Mächte ihre Hände im Spiel, und dieses Spiel bereitet der ukrainischen Bevölkerung keineswegs eine schöne Zukunft. Ganz im Gegenteil: Wenn bis jetzt nämlich die Ukraine in den Fängen der russischen Bourgeoisie war, sind es jetzt drei Räuber, die sich gegenseitig zerfleischen und nichts anderes können als Chaos zu stiften, mit all den Folgen, die eine solche Situation auf regionalem und internationalem Niveau nach sich ziehen würde.
Es ist unbestreitbar, dass die Auswirkungen dieses amerikanischen Vorstosses nicht nur die Ukraine, Russland und die GUS, sondern auch die Gesamtheit Zentralasiens betreffen werden. Und wenn auch die Grossmächte die Hauptverursacher des Chaos sind, so darf man keineswegs übersehen, dass Regionalmächte wie die Türkei und der Iran gleichermaßen Unheil stiften. Letztere bleiben nicht passiv und speisen ebenfalls die Dynamik des Chaos. Es herrscht hier in dieser weiten Region eine Tendenz zur Zersplitterung und zum permanenten Bürgerkrieg vor und wird durch den Irakkrieg verschärft. Diese Tendenz erhält durch den neuen Brennpunkt indirekt weiteren Auftrieb. Und diese Destabilisierung kann bei einer weiteren Eskalation im Irakkrieg, die von zahlreichen Ländern und an erster Stelle von den USA in ihrem Wettlauf um die Kontrolle der Welt entfacht wird, nur verheerende Konsequenzen haben. Neue Krisenherde würden entstehen.
Die Arbeiterklasse darf sich nicht vom demokratischen Täuschungsmanöver in die Irre führen lassen
Die demokratische "Wahl" in der Ukraine war ein Täuschungsmanöver und eine Falle. Die ukrainische Bevölkerung wird auf die Rolle von Schachfiguren reduziert. Sie wird manipuliert und hinter die eine oder andere rivalisierende bürgerliche Fraktion gelockt. Der "Sieg der Demokratie" wird in keiner Weise die miserable Situation der ukrainischen Arbeiterschaft verbessern. Vielmehr soll dieser Sieg die Arbeiter zur Verteidigung des "demokratischen" Vaterlandes mobilisieren (nachdem die vorhergehenden Generationen das "sozialistische" Vaterland zu verteidigen hatten). Dadurch sollen die "orangefarbenen" Opfer, welche die zukünftigen Führer der Ukraine unvermeidbar von den Arbeiter fordern, akzeptiert werden. Erinnern wir uns daran, dass der "Demokrat" Juschtschenko als Premierminister und Bankier der damaligen pro-russischen Regierung (die er heute so eifrig verurteilt), nicht minder Opfer von der Arbeiterklasse forderte. Die Clique, die sich auf die Machtergreifung vorbereitet, steht der vorhergehenden in nichts nach, und ihre internen Streitigkeiten lassen keine Aussicht auf Stabilität zu. Die verlogenen demokratischen Perspektiven dienen dazu, Illusionen über die Möglichkeit einer Reformierung des kapitalistischen Systems aufrechtzuerhalten. Sie fordern vom Proletariat, dass es klein beigibt und die "höheren" Interessen des demokratischen Staates über seine eigenen "kleinlichen" Forderungen nach besseren Lebensbedingungen stellt.
Die Perspektive, "eine Welt von Bürgern" zu schaffen in einer Demokratie, die den Weg zu einer glücklichen Menschheit eröffne, ist bare Illusion. Sie soll das Bewusstsein zermürben, dass der immer mehr Barbarei und Chaos stiftende Kapitalismus von der Arbeiterklasse gestürzt werden muss.
(leicht gekürzte Fassung eines Artikels aus unserer Zeitung in Frankreich, Anfang Januar)
– eine ausführlichere Analye dieser Frage haben wir in dem Editorial der Internationalen REview Nr. 120 auf englisch-französich-spanisch entwickelt - siehe unsere Webseite
Die “Plattform" und das "Manifest der IKS” sowie unsere Broschüre “Nation oder Klasse” sind jüngst auf russisch erschienen.
Interessierte Leser können sie bei uns anfordern.
Was heute einem Beobachter dieser Welt zunächst ins Auge sticht, ist das unglaubliche Chaos, das überall zu sehen ist: Schreiendes Elend breitet sich immer mehr aus bis in die Zentren der hochindustrialisierten Länder; massenhafte Langzeitarbeitslosigkeit, die jeden Arbeiter bedroht; Kriege zwischen Staaten auf allen Kontinenten. Doch trotz dieser ständigen Zerstörungen hört die herrschende Klasse nicht auf, von Wohlstand und Fortschritt zu sprechen: Wo ist aber Fortschritt angesichts all der Kriege, die fast überall die Bevölkerung massakrieren und Städte, Felder und Wälder zerstören? Wo ist Wohlstand, wenn Tausende von Menschen täglich den Hungertod erleiden? Wo ist der Wohlstand, wenn kein Arbeiter mehr weiß, was ihm die Zukunft bietet.
Angesichts dieses eklatanten Widerspruchs zwischen Propaganda und Realität stellt man sich unweigerlich Fragen: Warum produziert eine Gesellschaft, die angeblich den Fortschritt, Wohlstand und Sicherheit bringen soll, genau das Gegenteil für die Menschheit? Woher rührt dies? Ist es Schicksal? Die Bourgeoisie hat Antworten: Sie versichert uns, dass das Problem im bösen Wesen des Menschen begründet sei, oder im Mangel an Demokratie, oder in vorübergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten wegen einer ungenügenden Kontrolle der Finanzströme, dass es mit dem Anstieg der Rohstoffpreise auf den Märkten zu tun habe, oder mit der unmoralischen Gier der Spekulanten. Doch diese schönen Reden stehen in starkem Kontrast zur tatsächlichen Lage der Welt. Besonders wenn man berücksichtigt, dass diese Art von Argumenten schon seit geraumer Zeit vorgetragen wird, während sich die Situation immer weiter verschlechtert. Warum ein solches Desaster nach allem Fortschritt, den die Menschheit früher erreicht hat? Warum so viel Elend, wenn es doch scheinbar so viele Reichtümer auf der Welt gibt? Tatsächlich gehen jene Erklärungen über das angeblich böse Wesen des Menschen etc. an der Sache vorbei, und zwar absichtlich. Sache ist, dass es eine Krise gibt. Wenn wir als revolutionäre Marxisten über die Krise heute sprechen, geschieht dies auf einer anderen Grundlage als das Gerede der Bourgeoisie von der Krise. Die periodischen Krisen haben zwar schon immer zum Kapitalismus gehört, haben ihn seit den Anfängen seiner Entwicklung begleitet. Aber heute geht es um eine andere Krise: sie ist nicht eine vorübergehende, sie steht vielmehr für den Bankrott des kapitalistischen Systems selber.
Diese Feststellung beruht nicht auf einer "photographischen" Beobachtung sondern auf die marxistische Analyse der Entwicklung des Kapitalismus. Wir behaupten auf dieser Grundlage, dass der Kapitalismus vor fast einem Jahrhundert in seine niedergehende Phase eingetreten ist, und dass in dieser Phase, anders als in der aufsteigenden, die kapitalistische Krise unüberwindbar wird, so dass ihr Ausgang entweder die Auslöschung der Menschheit und aller Errungenschaften ihrer Entwicklung im Laufe der Geschichte sein wird, oder aber die Aufhebung der mörderischen Widersprüche des Kapitalismus durch die Arbeiterklasse in ihrem Kampf für den Aufbau einer neuen Gesellschaft.
In diesem Sinn ist für uns Marxisten die Dekadenz der grundlegende Rahmen für die Analyse der Situation. Ohne diesen Rahmen es nicht nur unmöglich, die Realität der heutigen Welt zu verstehen, sondern es ist auch unmöglich, eine realistische Perspektive zu entwickeln. Das marxistische Verständnis der Dekadenz ist weit entfernt davon, zu einer Haltung der Demoralisierung, der Zukunftsangst oder des Fatalismus zu verleiten; vielmehr begründet es die kommunistische Perspektive, die nicht einfach ein Hirngespinst ist und auch nicht aus dem reinen Willen der Menschen resultiert, sondern auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft beruht, kurz, auf dem, was wir den historischen Materialismus nennen.
Die Entwicklung früherer Gesellschaften
Das Konzept der Dekadenz ist keine Erfindung der IKS. Sie ist vielmehr eine Auffassung, die im Zentrum der marxistischen Analyse der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften steht. Von Anfang an haben Marx und Engels eine Arbeitsmethode angewandt, die darin bestand, für das Verständnis der aktuellen Gesellschaft zuerst die gesellschaftliche Entwicklung der Menschheit zu analysieren. Bei diesen Untersuchungen entdeckten die beiden Begründer des Marxismus, dass die menschliche Gesellschaft um die Produktion, d.h. die erste und zentrale Tätigkeit des Menschen, organisiert wurde. Die Verhältnis der Produzenten zu den Produktionsmitteln bestimmt im wesentlichen die Form der gesellschaftlichen Beziehungen überhaupt.
Sie packten die Frage auf geschichtlicher Ebene an und stellten fest, wie die Entwicklung der Produktionsmittel und ihrer Organisation die gesellschaftliche Organisation beeinflusste. Und dabei hat sich, kurz auf das Wesentliche zusammengefasst, gezeigt, dass die Entwicklung der Produktionsmittel und Technik, die angesichts der zu befriedigenden Bedürfnisse nötig ist, so abläuft, dass die Organisation dieser Mittel (d.h. die Produktionsverhältnisse) mit dem Ziel der Produktion in Widerspruch traten und schliesslich zur Fessel desselben wurde(n). Es wurde nötig, die Organisation der Produktion von Grund auf zu ändern, damit die jeweiligen Produktionsmittel wirklich benützt werden können und ihre Weiterentwicklung fortgesetzt werden kann. (1)
Diese Veränderung läuft nicht behutsam ab: Um die Produktion herum organisiert sich die Gesellschaft, haben wir gesagt, und bis heute musste die Menschscheit mit dem Mangel leben. Daraus entstand notwendigerweise der Besitz, das Eigentum, die Ausbeutung .... Um die Produktion kristallisierten sich folglich die Interessen und die Macht. Wenn man die Organisation der Produktion in Frage stellte, betraf dies unmittelbar auch die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Stellung der herrschenden Klassen. Solche Veränderungen vollziehen sich nur über einen mehr oder weniger heftigen Bruch, der in jedem Fall radikal ist.
Deshalb erfolgte die Entwicklung der Produktionsmittel nicht linear und bruchlos, mit einem kontinuierlichen Anstieg. Und deshalb durchlief jedes Produktionssystem eine Phase des Niedergangs, während der die Entwicklung der Produktionsmittel gegen ihre eigene Organisation rebelliert, und während der sich in der Gesellschaft selbst revolutionäre Kräfte bilden angesichts der herrschenden Klasse, die an ihren Privilegien festhält.
In der römischen Gesellschaft war die Produktion organisiert zwischen Sklaven einerseits, die arbeiteten, und Sklavenhaltern andererseits, die sie arbeiten ließen. Diese Produktionsweise erlaubte die Entwicklung der Produktion, bis sie ein Niveau erreichte, das ein Problem aufwarf: um fortzufahren zu produzieren, benötigte man mehr Sklaven, die eigentlich Gefangene waren, die die Römer in Kriegen gemacht hatten. Und die damals geführten Kriege stießen aufgrund der eingesetzten Mittel auf ihre geographischen Grenzen. Außerdem erforderte die Weiterentwicklung der Produktionstechniken eine reifere Arbeitskraft, als sie die Sklaverei zur Verfügung stellen konnte… Man sieht an diesem Beispiel, dass die Art und Weise, in der die Produktion organisiert wurde, je länger je weniger den Bedürfnissen der Produktion entsprach. Wenn man fortfahren wollte mit der Entwicklung der Produktion, wurde diese Organisation der Arbeit, die bisher eine Entwicklung erlaubt hatte, zu einem Hindernis.
Aus diesem Grund wurden die Sklaven befreit und zu Leibeigenen gemacht. Das Feudalsystem erlaubte wiederum die Entwicklung der Produktion, bis sie ein solches Niveau erreichte, dass man wieder auf Hindernisse stieß. Effektiv verwandelten die kapitalistischen Verhältnisse den Produzenten des Mittelalters in den freien Menschen, der seine Arbeitskraft dem Kapitalisten verkauft. Die Produktion fand erneut eine Organisationsform, die fähig war, ihre Entwicklung zu begünstigen. Eine sehr schnelle Entwicklung, wie es sie nie zuvor gegeben hatte und die es der Menschheit zum ersten Mal erlaubte, die Gesellschaft des Mangels hinter sich zu lassen.
Wenn der Übergang von einer Produktionsweise zur anderen sich nicht in einer linearen Weise und ohne Zusammenstöße vollzog (quasi von einem Aufstieg zum nächsten), so liegt dies darin begründet, dass eine Produktionsweise in bestimmten gesellschaftlichen Beziehungen zum Ausdruck kommt, in denen die herrschende Klasse alles daran setzt, ihre Vorherrschaft zu verteidigen und eine gesellschaftliche Umwälzung zu verhindern. Während einer solchen Zeit wird der Widerspruch zwischen dem Niveau, das die Produktion eigentlich erreicht hat, und der Form, in der sie organisiert wird, immer schreiender, was sich in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Spannungen, Zusammenstößen und Explosionen ausdrückt.
Der Niedergang einer Produktionsweise beginnt folglich dann, wenn die Produktionsverhältnisse zu einem Hindernis für die Entwicklung der Produktion werden. Sie dauert so lange an, als sich keine neuen Produktionsverhältnisse gebildet haben. Die Dekadenz ist die Periode des Bankrotts der alten Gesellschaft, der Zeitraum, bis die neue Gesellschaft aufgebaut werden kann.
Der Kapitalismus ist, wie wir gesehen haben, keine Ausnahme von dieser Regel. Aber der Niedergang des Kapitalismus unterscheidet sich von den Dekadenzphasen früherer Gesellschaftsformationen darin, dass sich in der Vergangenheit jeweils die Keime der neuen Gesellschaft bereits innerhalb der alten gebildet und bis zu einem gewissen Grad auch entwickelt haben. Innerhalb der Feudalgesellschaft eroberte die Bourgeoisie ihre wirtschaftliche Macht Schritt für Schritt und konnte gleichzeitig einen Großteil der Produktion nach ihren Vorstellungen umwandeln, bevor sie auch die politische Macht ergriff. Im Kapitalismus gibt es nichts von all dem. Die revolutionäre Klasse, das Proletariat, kann nicht neue Produktionsverhältnisse errichten, ohne die zu zerstören, die gegenwärtig bestehen. Darin besteht das Problem der kapitalistischen Dekadenz.
Wir sehen somit, dass die Dekadenz für die Marxisten nicht ein moralisches Konzept ist. Wir Marxisten entwickeln die Auffassung über die Dekadenz als wissenschaftliches, materialistisches Konzept, d.h. begründet auf der materiellen Entwicklung der menschlichen Gesellschaften. Dass diese Perioden durch Gier und Sittenzerfall gekennzeichnet waren, bestreiten wir überhaupt nicht: wir wissen sehr wohl, dass die historische Blockade der Entwicklung der Produktivkräfte ihr Abbild in der Gesellschaft auf allen Ebenen findet. Die Dekadenz ist nicht eine Wirtschaftstheorie; Marx hat übrigens nie nur die Kritik der Ökonomie betrieben. Das ändert aber nichts daran, dass die Erklärung des Niedergangs einer Produktionsweise auf materialistischer Grundlage steht.
Die Besonderheiten der Dekadenz des Kapitalismus
Als die Kommunistische Internationale 1919 vom Zeitalter der Kriege und der Revolutionen sprach, hätte sie nicht besser zusammenfassen können, was der dekadente Kapitalismus den Menschheit noch anzubieten hatte. Der Kapitalismus hatte während seines Aufstiegs den idealen Rahmen seiner Entwicklung geschaffen, nämlich den der Nation. Ausgehend vom Nationalstaat hatte der Kapitalismus seine Entwicklung vorangetrieben und abgesichert. Er bildete das Sprungbrett für die Jagd nach Kolonien. Und auf dieser Grundlage der Nationalstaaten wird noch heute der verschärfte Konkurrenzkampf ausgetragen, der durch die Krise auf die Spitze getrieben wird. Für die Bourgeoisie war die einzige Lösung der Überproduktionskrise der Krieg. Dieser führte zu einer Phase des Wiederaufbaus, die dann schließlich in einer neuen Überproduktionskrise mündete.
Der Kapitalismus ist zu Beginn des 20. Jhd. in seine Niedergangsperiode eingetreten: der erste Weltkrieg drückte diese Tatsache klar aus. Der Wiederaufbau nach dem Krieg führte schnell zur nächsten Krise, die in den 1930er Jahren ein Ausmaß erreichte wie keine zuvor. Darauf folgte der zweite Weltkrieg. Es zeichnete sich ein Zyklus von Krise - Krieg - Wiederaufbau - neue Krise ab - aber es war kein sich endlos wiederholender Zyklus. Im Gegenteil: es war eine höllische Spirale, ein Strudel, der alles verschlingt. Während der Kapitalismus die Überproduktionskrisen in seiner aufsteigenden Phase noch durch seine Expansion und die fortschreitende Proletarisierung der Bevölkerung überwinden konnte, sind jetzt die Grenzen erreicht, und die Krise ist zu einem Dauerphänomen geworden. Der einzige "Ausweg" ist der Krieg. Die Dekadenz ist somit ein Zeitalter der Kriege. Aber wie die Kommunistische Internationale gesagt hat, ist die Dekadenz auch ein Zeitalter der Revolution.
Der Kapitalismus schuf während seiner Entwicklung auch seinen Totengräber: Das Proletariat, die einzige gesellschaftliche Kraft, die den Kapitalismus überwinden und eine neue Gesellschaft gründen kann. Indem der Kapitalismus seine Grenzen erreicht, öffnet er auch die Tür zu seiner Überwindung. Somit steht das Proletariat vor dieser gewaltigen Aufgabe, auf den Ruinen des Kapitalismus, den es zerstören muss, eine neue Gesellschaft aufzubauen, die fähig ist, mit dem Überfluss umzugehen und den Produktivkräften einen Rahmen anzubieten, der ihrer Entwicklung entspricht und sie fördert.
Die kommunistische Perspektive ist nicht neu. Die Idee eine Gesellschaft aufzubauen, die von der Unterdrückung und der Ungerechtigkeit befreit ist, wurde auch in der Antike und im Mittelalter schon verfochten. Aber es reicht nicht, eine neue Gesellschaft nur zu wollen, damit sie sich auch verwirkliche. Die materiellen Bedingungen dafür müssen erfüllt sein. Ebensowenig ist der Aufstand von Unterdrückten etwas Neues: die Sklaven schrieben Geschichte mit der Auflehnung gegen ihre Stellung, mit dem Spartakusaufstand. Aber diese Aufstände waren zur Niederlage verurteilt, da es die materielle Situation, das Niveau der Produktion, der Menschheit nicht ermöglichte, aus der Klassengesellschaft und der Ausbeutung auszubrechen: Solange die Menschheit den Mangel verwalten musste, konnte sie keine gerechte Gesellschaft errichten.
Erst der Kapitalismus erlaubt es der Menschheit, eine solche Perspektive nicht nur zu erträumen, sondern zu verwirklichen. Nun erreicht die Produktion ein Niveau, das es ermöglicht, den Mangel zu überwinden: die Vorgeschichte kann aufhören. Die kommunistische Perspektive ist nicht länger ein blosses Ideal oder eine Utopie, sie ist vielmehr eine materielle Möglichkeit und sogar mehr: sie ist eine Notwendigkeit, damit die Entwicklung der Produktion weiter geht. Wir sagen sogar noch mehr: sie ist eine Notwendigkeit, um den Kapitalismus in seiner zerstörerischen Spirale zu stoppen, die droht, die Menschheit in die Steinzeit zurück zu werfen.
Die Dekadenz des Kapitalismus ist deshalb eine besondere Dekadenz, weil sie das Ende der Vorgeschichte darstellt, das Ende des langen Marsches der Menschheit vom Mangel zum Überfluss. Aber dieser Abschluss ist nicht in Stein gemeißelt: Das Ende der Vorgeschichte könnte auch das Ende der Geschichte schlechthin sein, wenn niemand die Barbarei stoppt, die den Planeten verwüstet. Der Kommunismus ist noch keine Gewissheit: Er wird durch das Proletariat in einem harten Kampf errichtet werden müssen, und der Ausgang dieses Kampfes ist noch nicht bekannt. Deshalb müssen sich die Revolutionäre so gut wie möglich rüsten, damit sie wiederum die Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen die Bourgeoisie und für den Aufbau einer neuen Gesellschaft bewaffnen können.
Die Dekadenz gehört zu diesem politischen Rüstzeug. Es ist ein grundlegender Rahmen, der durch den Marxismus seit seinen Anfängen entwickelt worden ist. Marx und Engels sprechen schon in der Deutschen Ideologie von der Dekadenz, also schon vor dem Kommunistischen Manifest. Die Auffassung über den Niedergang der verschiedenen Produktionsweisen prägt die ganze marxistische Analyse der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften. Indem der Marxismus die Abfolge von Perioden des Aufstiegs und des Niedergangs in der Geschichte erklärt, ermöglicht er das Verständnis darüber, wie die Menschheit sich organisieren und entwickeln konnte; er ermöglicht es zu verstehen, wie und warum die Welt so ist, wie sie heute ist, und schließlich, macht er es möglich, zu verstehen, dass es möglich ist, diese Situation zu überwinden und eine andere Welt aufzubauen.
G. 17.12.2004
Fußnote
(1) Das haben Marx und Engels in den folgenden Sätzen zusammengefasst, als sie in den Grundrissen über den Kapitalismus sprachen: "Über einen gewissen Punkt hinaus wird die Entwicklung der Produktivkräfte eine Schranke für das Kapital; also das Kapitalverhältnis eine Schranke für die Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit. Auf diesem Punkt angelangt, tritt das Kapital, d.h. Lohnarbeit, in dasselbe Verhältnis zur Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums und der Produktivkräfte, wie Zunftwesen, Leibeigenschaft, Sklaverei, und wird als Fessel notwendig abgestreift. Die letzte Knechtgestalt, die die menschliche Tätigkeit annimmt, die der Lohnarbeit auf der einen, des Kapitals auf der anderen Seite, wird damit abgehäutet, und diese Abhäutung selbst ist das Resultat der dem Kapital entsprechenden Produktionsweise; die materiellen und geistigen Bedingungen der Negation der Lohnarbeit und des Kapitals, die selbst schon die Negation früherer Formen der unfreien gesellschaftlichen Produktion sind, sind selbst Resultate dieses Produktionsprozesses. In schneidenden Widersprüchen, Krisen, Krämpfen drückt sich die wachsende Unangemessenheit der produktiven Entwicklung der Gesellschaft zu ihren bisherigen Produktionsverhältnissen aus " (S. 635)
Die IKS hat jüngst Diskussionsveranstaltungen zum Thema Dekadenz durchgeführt und steht in Debatte mit verschiedenen Gruppen über diese zentrale Frage des Marxismus, siehe zum Beispiel die jüngten Ausgaben unserer Internationalen Revue. Wir werden in unserer Presse auf diese Debatten zurückkommen.
In Weltrevolution Nr. 128 veröffentlichten wir einen ersten Auszug aus einem Leserbrief aus Baden-Württemberg, welcher sich mit den Schwierigkeiten von Genossen mit linkskapitalistischer Vergangenheit befasste, sich eine proletarische Herangehensweise anzueignen. Nachfolgend drucken wir weitere Auszüge aus demselben Brief ab.
“Warum sehe ich im Auftauchen der hier behandelten Gruppen nicht wie ihr ‚Zeichen einer unterirdischen Reifung in der Klasse.’ Oder gar, wie ihr im Artikel zum IBRP schreibt: ‚Die Generation von Revolutionären, die heute in Deutschland auftaucht, ist nicht in erster Linie das Ergebnis des Wirkens des linkskommunistischen Milieus, sondern sie ist der weitestgehende Ausdruck einer breiten unterirdischen Bewusstseinsreifung, die in der Arbeiterklasse insgesamt stattfindet.’ Von Revolutionären würde ich nicht sprechen – sei es drum – wichtiger ist die Diskussion der Frage, ob das Auftauchen der besagten Gruppen ein Reifen in der Klasse ausdrückt? Ich bin kein Erbsenzähler, was Begriffe angeht und es hilft erfahrungsgemäß wenig, im Interesse der Eindeutigkeit Vorgänge “passend” zu machen, die ambivalent daherkommen und vor allem nichts Statisches sind. Dennoch müssen wir klar trennen zwischen der Klasse im Sinne. von Lohnarbeit (gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, weil sie nichts anderes haben, um ihre Reproduktion zu gewährleisten und so den Wechselfällen der Kapitalbewegung unterworfen, d.h. potentiell immer von Arbeitslosigkeit bedroht) und Klasse im politischen Sinne, wo nämlich die Eigenständigkeit des Arbeiterinteresses artikuliert wird und man sich Instrumente schafft (das, was man bisher Arbeiterbewegung genannt hat), woraus sich Organisationen entwickeln, die um den Antagonismus von Kapital und Lohnarbeit wissen und ihn verkörpern. Wann, wie und mit welchem Verlauf es dazu kommt, hängt von vielem ab, nicht zuletzt aber davon, ob es gelingt, eine Dialektik von Klassenbewegung und revolutionärer Organisation (es werden derer mehrere sein und so spreche ich lieber von Polen der Polarisierung und der Kristallisation eines radikalen Interesses am Bruch mit den kapitalistischen Verhältnissen) herzustellen. Dialektik passiert nicht einfach, so dass nur noch organisiert werden müsste, was eh schon auf den Bruch drängt, sie kann aber auch nicht “hergestellt” werden im Sinne von “die revolutionäre Organisation führt den Bruch herbei” etc. Ich kann das hier nicht vertiefen.” [...]
“Natürlich gibt es nicht (wie man in der Schule lernt) hier Kommunisten, mit einer Idee oder Utopie und da die Arbeiter oder Armen etc. und nun suchen die Kommunisten nach Ausführern ihrer Idee. Aber Kommunistisches Programm und Arbeiterkämpfe (und seien sie noch so militant) berühren sich von Anbeginn nur selten.” [...]
“Wenn ein paar Genossen aus linken Organisationen sich “umgruppieren” – warum sollte das einer (unterirdischen) Reifung in der Klasse entsprechen? Dazu müsste man handfeste Argumente über eine begonnene neue Stufe von Klassenauseinandersetzung auf den Tisch legen. Dass die Akzeptanz und das Interesse gegenüber linkskommunistischen Positionen gewachsen ist, reicht dazu nicht aus. Zumal wir ja nicht zum erstenmal ein solches, wenn auch minimales Interesse erleben. Wir hatten Ende der 80er die Gruppen GIK (Gruppe Internationaler Kommunisten in Austria), IRK (Internationale Revolutionäre Kommunisten), den Revolutionären Funken, die alle bald wieder verschwunden waren, wir hatten davor die IKP-Kommunistisches Programm, wovon in gutsortierten Antiquitäten mit viel Glück noch etwas aufzutreiben ist.
M.E. ist das heute die zweite (und letzte) Bewegung aus den Gruppen der Neuen Linken heraus von wenigen Genossen, die das “Ende der Fahnenstange” erreicht hatten und dann auf der Suche auf den Linkskommunismus gestoßen sind – worauf sie sich sofort gemüßigt sahen, wieder “Fahne zu hissen” – statt eine Bestandsauffassung der vorausgegangenen Praxis, der eigenen wie der anderer linker Gruppen vorzunehmen wie überhaupt die Frage nach dem Stand der Klassenauseinandersetzung gründlich anzugehen.
In euerer oben zitierten Einschätzung wird Reifen in der Klasse und Umgruppierung/Schritte auf das revolutionäre Milieu zu ineins gesetzt. Der Begriff “unterirdisch” macht die Sache nicht klarer, sondern bietet sich geradezu an, Projektionen vorzunehmen. So kann man im Übrigen das Nichtvorhandensein einer selbsttätigen Klasse (Klassenbewusstsein) übergehen. Damit will ich überhaupt nicht sagen, der Begriff “unterirdisches Reifen” sei unzutreffend. Wer sich eingehender mit der Geschichte von Arbeiterkämpfen befasst hat, weiß, wie treffend damit Vorgänge, Entwicklungen, erklärt werden können. Aber es passt nicht, um das Auftauchen linkskommunistischer Orientierung zu erklären. Es mag sich so anhören, als schätze ich dieses Auftauchen nun meinerseits als unbedeutend ein – das ist nicht der Fall. Dass es kommunistische Stimmen gegen Befreiungsnationalismus, Demokratiefetisch, Arbeitertümelei a la K-Gruppen gibt, ist wichtig. Noch wichtiger wäre, wenn diese Artikulation sich um eine Analyse, sowohl der Geschichte der Arbeiterkämpfe und der kommunistischen Organisationen, also auch der gegenwärtigen Kapital- und Klassenbewegung bemühen würde. Wenn sie dies tun so kann, nicht zuletzt durch die Auseinandersetzung mit den bestehenden linkskommunistischen Organisationen, ein Projekt entstehen, das nicht nur zum Anziehungspol für suchende Genossen, sondern auch zu einem nicht zu übergehenden Faktor in kommenden Auseinandersetzungen “vor Ort” werden kann.”
Unsere Anmerkungen
Der Autor dieser Leserzuschrift stimmt mit uns sowohl darin überein, dass das Phänomen der unterirdischen Bewusstseinsreifung einen bedeutenden Faktor der Entwicklung des Klassenkampfes darstellt, als auch darin, dass das wachsende Interesse an “linkskommunistischen” Positionen wichtig ist. Er äußert allerdings Zweifel gegenüber unserer Einschätzung des Zusammenhangs dieser beiden Faktoren. Sein Einwand: “Wenn ein paar Genossen aus linken Organisationen sich “umgruppieren” – warum sollte das einer (unterirdischen) Reifung in der Klasse entsprechen? Dazu müsste man handfeste Argumente über eine begonnene neue Stufe von Klassenauseinandersetzung auf den Tisch legen. Dass die Akzeptanz und das Interesse gegenüber linkskommunistischen Positionen gewachsen ist, reicht dazu nicht aus.”
Dieser Einwand leuchtet uns ein. Die These vom Auftauchen einer neuen Generation von Revolutionären als Ausdruck einer unterirdischen Reifung in der Klasse müsste sich auf mehr stützen als auf die Feststellung einer Zunahme von am Linkskommunismus interessierten Gruppen. Als beispielsweise im Kampf gegen die stalinistische Konterrevolution Ende der 1920er und Anfang der 1930er während kurzer Zeit ein wachsendes Interesse oppositioneller proletarischer Gruppen an linkskommunistischen Positionen zu verzeichnen war, zeigte es sich bald, dass dies ein letztes Aufbäumen entschlossener Minderheiten war, und keineswegs Ausdruck einer breiteren Reifung innerhalb der Klasse. Am Ende standen die Linkskommunisten noch isolierter da als zuvor, während das Gros des Proletariats sich für den zweiten imperialistischen Weltkrieg mobilisieren ließ.
Dieses Beispiel erinnert uns daran, dass es keine einfache Übereinstimmung zwischen der Entwicklung der Klasse insgesamt und der Entwicklung revolutionärer Minderheiten geben kann. Dennoch gibt es zwischen beiden eine Verbindung. Diese “Dialektik” ist komplexer als manche Rätekommunisten es wahr haben wollen, welche die Entwicklung revolutionärer Ideen als unmittelbaren Ausdruck von Arbeiterkämpfen, z.B. von Streikbewegungen begreifen. Und die Verbindung ist weitaus inniger als manche Nachfolger der italienischen Linken meinen, welche in Anlehnung an Bordiga sich einbilden, dass eine Klassenpartei völlig unabhängig vom Stand des Klassenkampfes ewig und unabänderlich fortexistieren kann.
Wir finden, dass unser Leser recht hat darauf hinzuweisen, dass eine neue Stufe der Klassenauseinandersetzungen als Maßstab dafür dienen sollte, um feststellen zu können, ob eine unterirdische Entwicklung im Gange ist, welche der Klasse insgesamt, einschließlich den revolutionären Minderheiten, den Rahmen vorgibt. Aus unserer Sicht hat die italienische Fraktion der kommunistischen Linken in den 1920er bis 30er Jahren am besten das Rätsel aufsteigender und absteigender Entwicklungen proletarischer Parteien gelöst. Die von “Bilan” angefertigten Studien zu dieser Frage zeigten auf, dass Entwicklungsphasen im politischen Leben des Proletariats einher gingen mit einer wachsenden Bereitschaft der Klasse, sich mit neuen historischen Begebenheiten auseinanderzusetzen. Solche Reifungsphasen der Klassen bahnen den revolutionären Minderheiten den Weg, einen wirklichen, gegebenenfalls sogar entscheidenden Einfluss auf den Gang des Klassenkampfes zu gewinnen. Doch schmerzliche Niederlagen der Klasse, welche mit einer Art historischer Zäsur einhergehen, können diesen Prozess unterbrechen, die Revolutionäre von der Klasse wieder isolieren, und die entstehende oder faktisch entstandene Klassenpartei dazu verdammen, entweder sich aufzulösen (wie es sich mit dem Bund der Kommunisten am Ende der Phase der bürgerlichen Revolutionen 1848-49, oder mit der 1. Internationalen nach der Niederlage der Pariser Kommune am Ende der Phase der fortschrittlichem Bildung von Nationalstaaten in Westeuropa ereignete) oder ins Lager der Bourgeoisie überzuwechseln (wie es die Parteien der 2. Internationalen 1914 am Ende der aufsteigenden Phase des Kapitalismus, oder die Parteien der 3. Internationalen nach der Niederlage der ersten revolutionären Welle von 1917-23 taten). Auch die Massenstreiks ab 1968 bedeuteten eine historische Zäsur. Mit dem Ende der langen Phase der bürgerlichen Konterrevolution öffnete sich eine neue geschichtliche Phase der Reifung der Klasse, wo es wieder möglich wurde, die Abwehrkämpfe der Klasse mit der Perspektive der Revolution in Verbindung zu bringen. Die damals neue Generation von Revolutionären war nicht der einzige Ausdruck dieser Entwicklung. Denn 1968 in Frankreich oder 1969 in Italien debattierten Millionen Arbeiter über eine solche Perspektive. Aber dieser erste Anlauf, eine eigene Klassenperspektive am Ende der Konterrevolution wiederzuerlangen, scheiterte. Er scheiterte daran, dass die Arbeiter aus Angst vor der Vereinnahmung durch die bürgerliche Linke Zuflucht suchten in einer bornierten Verwerfung der Politik. So entwickelte sich die Pattsituation zwischen den beiden Hauptklassen der Gesellschaft, welche die Zerfallsphase des Kapitalismus einleitete. Da die Bourgeoisie keine entscheidenden Schritte hin zum generalisierten Krieg tun konnte, und das Proletariat der Perspektive der Revolution auch nicht näher kam, löste sich Ende der 1980er Jahre die Nachkriegsordnung auf. Dies geschah aber, ohne dass die Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage im Kampf erlitten hätte. Daher die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit, einen zweiten proletarischen Anlauf zur Gewinnung einer eigenen Klassenperspektive zu machen. Dies erfordert freilich, dass das Proletariat dort ansetzt, wo es im ersten Anlauf gescheitert ist, indem es immer bewusster seine Verteidigungskämpfe mit der Zukunft der Gesellschaft insgesamt verknüpft – und damit die bisherige “apolitische” Haltung überwindet. Dies der tiefere Grund, weshalb wir das zunehmende Befassen kleiner Minderheiten mit proletarischer Politik als ein wichtiges Anzeichen der unterirdischen Reifung der Klasse begreifen.
Die Tatsache, dass diese Fragestellung heute überhaupt auftaucht, ist ein Zeichen der Reifung, weil es einem objektiven Bedürfnis der gesamten Klasse entspricht, auch wenn dies zur Zeit (noch) von einer verschwindend geringen Minderheit der Klasse geäußert wird.
Während wir also unsere These aufrechterhalten, wollen wir unserem Leser auch in einer anderen wichtigen Frage recht geben. Nämlich, dass das Auftauchen solcher Minderheiten keineswegs ausreicht, damit sie bereits den aktiven Ausdruck einer unterirdischen Bewusstseinsentwicklung bilden. Wichtig ist vielmehr, dass diese neuen Kräfte sich nicht zerstreuen und zersplittern, wie dies z. Z. teilweise der Fall ist, sondern sich mit den bestehenden revolutionären Organisationen auseinandersetzen, um einen “Anziehungspol für suchende Genossen” wie für kämpfende Arbeiter “vor Ort” zu bilden. Wie das bereits oben erwähnte Beispiel der 1930er Jahre zeigt, ist das Kennzeichen der proletarischen Reifung nicht das bloße Hervorbringen, sondern die Vereinigung der revolutionären Kräfte.
Weltrevolution
Wir haben von der "Gruppe k-21" (die Kürzeln stehen für "Kommunismus im 21. Jahrhundert) aus Frankfurt am Main ein Flugblatt erhalten. Unter dem Titel: "Nach den Protesten ist vor der Revolution" wird dort eine Bilanz der "Anti-Hartz" Proteste gezogen. Wir stimmen den meisten Hauptaussagen dieses Flugblatts zu, beispielsweise der Ablehnung der Verteidigung des Sozialstaates. So schreibt K21: "Skandalisiert wurde der Abbau des Sozialstaates. Hierin bestand der Denkfehler. Denn der Sozialstaat wird keineswegs abgebaut. Vielmehr wird mit den gegenwärtigen Maßnahmen ein sozialstaatliches Netz aus Repression und Kontrolle geschaffen [...]." Wir stimmen auch der Ablehnung des Rufes nach Arbeit zu, wenn K21 schreibt: "Aber auch diejenigen, denen nichts originelleres einfiel, als ihren Unmut mit der Forderung nach mehr Arbeit zu verbinden, haben damit ihre Anschlussfähigkeit an den herrschenden Diskurs demonstriert. Denn wer Arbeitswilligkeit artig bekundet, dem soll auch Arbeit besorgt werden. Es fragt sich nur zu welchem Preis." Wir stimmen weiter der Einschätzung des Aktionstages vom 3. Januar ("Sturm auf die Arbeitsagenturen") zu, wenn K 21 ausführt: "Es scheint mal wieder so gewesen zu sein, als ob die Aktion "Agenturschluss" nur eine weitere Kampagne gewesen wäre, die sich auf einen Tag X konzentriert und dann folgenlos verpufft."
Obwohl hier Bilanz gezogen wird, fehlt dennoch eine wirkliche Analyse der Ereignisse. "Der öffentlich gewordene Zorn über die Härten von Hartz IV hat sich verzogen. Der von Teilen der "radikaleren Linken" erhoffte und staatlicherseits befürchtete, Ansturm wutentbrannter ALG-II-Empfänger auf die Ämter blieb aus." Richtig. Aber warum? Die Proteste gegen "Hartz" waren zweifelsohne eine Klassenbewegung gegen die Angriffe des Kapitals. Wie ist die herrschende Klasse aber damit umgegangen? Das Flugblatt geht mit keinem Wort auf die Mär der linkskapitalistischen Kräfte ein, demzufolge diese Bewegung spontan entstanden wäre. Dabei lag es ganz und gar im Interesse der Bourgeoisie, dass diese Bewegung sich längst verausgabte, bevor ab Januar 2005 die Masse der Erwerbslosen die Härte der Angriffe am eigenen Leib zu spüren bekam. Diese vorzeitige Auslösung der Proteste entsprach auch den Vorstellungen der bürgerlichen Linken vom Kampf der Arbeitslosen als demokratischer, außerparlamentarischer "pressure group" gegenüber der parlamentarischen Gesetzgebung nach dem Motto: Ist das neue Gesetz einmal beschlossen, kann man eh nichts mehr dagegen ausrichten.
Das Flugblatt leidet aus unsrer Sicht unter der Denkweise der Ideologen des "Kampfes gegen die Arbeit". Im Flugblatt scheinen die Angriffe gegen die Erwerbslosen lediglich als eine Ausgeburt des Willens, alle Menschen zur Arbeit zu zwingen. Doch gerade im Kapitalismus wird der Zwang zur Arbeit nicht mehr wie in der Sklavenhaltergesellschaft oder im Feudalismus in erster Linie durch Repression und staatliche Einmischung ausgeübt, sondern durch die vollständige Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln. Im Flugblatt erscheint es rätselhaft, weshalb gerade jetzt, und nicht etwa vor 15 oder vor 30 Jahren "der größte Angriff gegen die gesamte Arbeiterklasse seit dem Zweiten Weltkrieg" stattfindet. Mit keinem Wort wird darauf eingegangen, dass die Massenarbeitslosigkeit von heute Ausdruck des Bankrotts des Kapitalismus ist, und dass es die Überschuldung des Staates ist, welche die Bourgeoisie jetzt zwingt, die Bezüge der Erwerbslosen radikal zu kürzen, obwohl diese Zahlungen jahrelang dazu beigetragen haben, den "sozialen Frieden" zu bewahren.
Kurzum: Auch wenn wir dieses Fazit hier aus Platzgründen nicht näher entwickeln können, meinen wir, dass das Flugblatt noch unklar lässt, wie seine Autoren zum Marxismus stehen. Wir werden später ausführlicher darauf zurückkommen.
(Das Flugblatt wird auf unserer Website vollständig veröffentlicht.).
Kontakt: [email protected] [21]
Mit der Ermordung des ehemaligen libanesischen Premierministers Rafic Hariri ist im Nahen Osten ein alter Herd imperialistischer Zusammenstöße reaktiviert worden. Diese neue Episode der kapitalistischen Barbarei, die sich weltweit und insbesondere im Nahen und Mittleren Osten entfaltet und sich durch blutige Abrechnungen und eine endlose Spirale zielloser terroristischer Attentate gegen die Bevölkerung äußert, verdeutlicht erneut, dass all die Verheißungen der Herrschenden, sowohl der kleinen als auch der großen Länder, von Frieden nur unverschämte und zynische Lügen sind. Diese nationalen Fraktionen der Bourgeoisie, wie z.B. die USA im Irak oder Frankreich in Afrika, die sich nicht damit zufrieden geben, massiv Tod zu säen, manipulieren die terroristischen Banden auf der Welt.
Das Attentat gegen Rafic Harir liefert ein klares Dementi gegenüber all dem Getose um die Wahl Ahmud Abbas an die Spitze der Palästinenser Verwaltung, die als ein Friedenspfand für die Region dargestellt wurde.
Dieses Ereignis ermöglicht es Frankreich und den USA, die im September 2004 die UN-Resolution 1559 zur Verabschiedung vorgelegt hatten, in welcher der Rückzug der syrischen Armee aus dem Libanon gefordert wird, sich in der politischen Landschaft des Libanons erneut zu positionieren, nachdem sie mit Nachdruck Syrien als Drahtzieher des Attentats bezichtigt habt. Dabei geht es ihnen gar nicht darum, die "Freiheit" der libanesischen Bevölkerung zu verteidigen. Ganz im Gegenteil. Für Chirac, der seine alte "Freundschaft" mit Hariri unterstrich, war es eine willkommene Gelegenheit, die Gelegenheit auszunützen, um Frankreich wieder in dem Land ins Spiel zu bringen, aus dem es seit den 1980er Jahren schrittweise und seit 1991 endgültig verdrängt worden war, insbesondere nachdem sein libanesischer Schützling, der General Aoun aus dem Amt vertrieben worden war. Für die USA handelt es sich um eine Etappe bei ihrer Strategie für Süd-West-Asien, bei der sie insbesondere den Druck gegenüber Syrien erhöhen wollen, das regelmäßig seit letztem Jahr von der Bush-Regierung als ein Hort für die Aktivititäten der El-Qaida und die Mitglieder des ehemaligen irakischen Staates bezeichnet wird. So hat Washington mehrfach und vor allem in der jüngsten Zeit Syrien gewarnt, dass die USA auch militärisch gegen das Land zuschlagen würden.
So geht es bei der heute gegenüber dem Libanon und Syrien bestehenden Entente wischen den amerikanischen und französischen imperialistischen Räubern darum, jeweils ihre eigenen imperialistischen Interessen in der Region zu verteidigen. In Wirklichkeit werden daraus nur neue Rivalitäten entstehen, bei denen stellvertretend handelnde Terroristen eingreifen werden und somit das Chaos in der Region nur noch vergrößern.
Die jüngsten diplomatischen Reisen der Kamarilla Washingtons geben keinen Anlass, sich irgendwelche Illusionen über die Zukunft zu machen. Während der letzten Wochen hat die US-Diplomatie intensiv um Europa geworben. Nach der Reise der US-Außenministerin C. Rice, kam D. Rumsfeld zur 41. Münchener Wehrkundetagung; schließlich kam der Boss persönlich zum Nato-Gipfel und zum Besuch der EU; weitere Treffen mit anderen europäischen Staatschefs folgten, insbesondere mit denjenigen, die sich der US-Militärintervention im Irak entgegengestellt hatten, nämlich mit Chirac, Schröder und Putin. Warum solch ein reges diplomatisches Treiben? Was wird hinter den Kulissen ausgeheckt? Was steckt hinter den heuchlerischen Umarmungen zwischen den rivalisierenden Staatschefs, zwischen Uncle Sam und den Europäern? Was soll man von dem Gerede von Partnerschaft zur Entwicklung der Freiheit auf der Welt halten?
Wenn die USA die Tonlage geändert haben, bedeutet das nicht, dass die USA darauf verzichtet hätten, ihre militärische Schlagkraft zur Verteidigung ihrer ökonomischen, politischen und militärischen Interessen auf der Welt einzusetzen, sondern dass sie nur versuchen, ihre Strategie und ihre ideologische Vorgehensweise an ihre wachsenden Schwierigkeiten anzupassen, insbesondere nachdem sie immer mehr im irakischen Sumpfloch versinken. Die von ihnen im Irak betriebene Politik verschärft überall auf der Welt die Feindschaft gegenüber der ersten Weltmacht und trägt zu ihrer internationalen Isolierung bei. Da sie sich nicht mehr aus dem Irak zurückziehen können, weil sonst ihre weltweite Autorität sehr stark geschwächt würde, gerät Uncle Sam in immer unlösbarere Widersprüche. Neben dem finanziellen Fass ohne Boden, liefert der Irak ständig Nährboden für die Kritiken ihrer größten imperialistischen Rivalen. Zudem haben die jüngsten Wahlen im Irak zum Sieg der vereinigten Liste der schiitischen Parteien, die eher der iranischen Regierung nahe stehen, zur Niederlage ihres Schützlings, des irakischen Übergangpremiers Allaoui, geführt. "Diese Regierung wird ausgezeichnete Beziehungen zum Iran haben… In regionaler geopolitischer Hinsicht war das nicht das Ergebnis, das sich die USA erhofft hatten" (Courriere International, Nr. 746). Neben dieser Abschwächung ihres Einflusses hinsichtlich der irakischen politischen Parteienlandschaft kommt das Klima des Terrors hinzu, das weiterhin im ganzen Land herrscht, wo ein tödlicheres Attentat und Erschießungen dem anderen folgt. Der angebliche Sieg der irakischen Demokratie, der aufgrund der Abhaltung dieser Wahlen eingetreten sei, hat keineswegs das Risiko der Teilung des Landes gemäß den Interessensgebieten der jeweiligen religiösen und ethnischen Gruppierungen aus der Welt geschafft. Übrigens wird von allen vermutet, dass der bewaffnete Widerstand fortdauern und wahrscheinlich an Intensität zunehmen wird.
Deshalb verfolgt die diplomatische Offensive der USA und ihre Anstrengungen, als auf der ‚gleichen Wellenlänge' wie die Europäer zu erscheinen, vor allem das Ziel, diese davon zu überzeugen, die USA bei der Verteidigung und Propagierung der Demokratie auf der Welt zu unterstützen, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten. Die Bush-Administration verfolgt weiterhin die gleichen militärischen Ziele wie während der ersten Amtszeit nach dem 11. September 2001, aber die ideologische Verpackung ist ein wenig verändert worden, um sich den neuen Bedingungen anzupassen. Dabei geben sie den Europäern zu verstehen, dass die USA nichts unternehmen würden ohne die Europäer vorher zu konsultieren, da alle die gleichen menschlichen, demokratischen und freiheitlichen Werte teilen wie die USA. Man kann nicht ausschließen, dass im Rahmen dieser Verstellung einigen Ländern wie z.B. Frankreich gewisse Versprechungen einer privilegierten Rolle bei der Regelung des Konfliktes im Irak gemacht wurden, natürlich zum Preis einer größeren Beteiligung an amerikanischer Seite.
Ungeachtet der US-Offensive, die deutlich auf ein Bild der Einheit achtet, sind die Divergenzen jedoch keineswegs verschwunden; sie nehmen im Gegenteil sogar zu. Wie ein hohes Tier der Nato zu erkennen gab: "Der alte Rumsfeld hat uns hier bezirzen wollen, genau wie letzte Woche C. Rice" (Le Monde, 15.02.05). Während bislang die Bush-Regierung eine Politik der ‚harten Hand' betrieben hatte, handelt sie jetzt mit"‚harter Hand in Samthandschuhen". Rumsfeld hat behauptet, dass aus der Sicht der USA der "(militärische) Auftrag die Koalition bestimmt". Mit anderen Worten, Amerika wird sich an die Nato nur dann wenden, wenn es seinen strategischen Interessen dient. Die Europäer wiederum, insbesondere Deutschland mit Frankreichs Unterstützung reden offen von der Notwendigkeit der Reform der Nato und das Bündnis durch eine Expertengruppe zu ersetzen, die die US-amerikanischen, vor allem aber die europäischen Interessen vertreten. So behauptete Deutschland unverhohlen, dass "sich das Land im Rahmen Europas für die Stabilität und die internationale Ordnung mit verantwortlich fühlt", und dass es aus diesem Grunde einen Sitz als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates fordert. In Anbetracht der unmittelbaren Weigerung der USA, die Nato zu reformieren, schlägt Deutschland durch seinen Außenminister Fischer einen schärferen Ton an, als dieser erklärte: "Wir müssen wissen, ob die USA sich innerhalb oder außerhalb des Systems der UNO stellen".
Diese Spannungen um die Rolle der Nato kamen durch die Weigerung der Europäer zum Ausdruck, zur Ausbildung von militärischen und Polizeieinheiten beizutragen oder nur in einem sehr geringen Umfang. Gegenüber Afghanistan haben die Europäer zugestimmt, die Zahl der unter Nato-Kommando stehenden Truppen der IFOR zu erhöhen, denn diese sind einem französischen General unterstellt und das größte Kontingent wird aus deutschen und französischen Soldaten gebildet. Aber die Europäer wollen nicht, dass diese militärischen Streitkräfte irgendwann unter das Kommando von "Enduring Freedom" gestellt werden, weil dieses unter US-Kommando steht. Die Frage der Nato ist bei weitem nicht die einzige Frage, die die Divergenzen widerspiegelt. Nachdem sie uns die Symphonie von den Menschenrechten gegenüber der Unterdrückung der Studentenbewegung auf dem Tienanmen Platz in Beijing 1989 vorgespielt haben, sind die Europäer als gute Waffenhändler bereit, das Waffenembargo gegenüber China aufzuheben. Weder die USA noch Japan sind damit einverstanden; dieses ist natürlich nicht auf eine Frage der Menschenrechte zurückzuführen, sondern einfach weil dies den Rüstungswettlauf in Asien anfachen und ihren Einfluss in der Region untergraben würde. Dabei steht diese Region schon unter starken militärischen Spannungen, die in der letzten Zeit nochmals durch Nordkorea verschärft wurden, nachdem das Land offiziell eingestand, Atomwaffen zu besitzen. Der Besuch des US-Präsidenten in Europa läutet damit keine neue Ära der Einheit ein, genauso wenig werden dadurch die transatlantischen Beziehungen verbessert. Im Gegenteil nehmen die Divergenzen weiter zu und die Positionen werden immer unvereinbarer. Unterschiedliche Interessen und Strategien stoßen aufeinander, denn jeder verteidigt seine Nation, seine staatskapitalistischen Interessen. Es wäre falsch, auf der einen Seite die "bösen" Amerikaner und auf der anderen Seite die "guten" Europäer zu stellen. Alle sind imperialistische Räuber und die Politik des "jeder für sich", die hinter der vorgetäuschten ‚entente cordiale' erscheint, kann auf Dauer nur zu neuen Erschütterungen und Zusammenstößen und schließlich zu neuen Kriegen führen, bei denen der Iran und Syrien die nächsten Zielscheiben sein könnten. Die Hauptdivergenz unter den Großmächten - die auch die größten Auswirkungen in dieser Region haben wird - ist die Politik gegenüber dem Iran. Die europäischen Staaten, England eingeschlossen, treten im Allgemeinen für eine Fortsetzung der Verhandlungen mit dem Iran ein, damit so - zumindest behaupten sie es - ein Atomwaffenprogramm des Irans verhindert wird. Auf nuklearer Ebene ist Moskau wiederum der erste Partner Teherans, und es hat keineswegs die Absicht, seine Politik zu ändern. Die USA wiederum können in Anbetracht des Gewichtes des Irans als Regionalmacht, dessen Stellung nach dem Wahlsieg der Schiiten im Irak noch verstärkt wurde, ihren Druck auf die Europäer und Putin nur noch erhöhen, um ihre Interessen zu verteidigen. So droht die Bush-Clique mit der Anrufung des Sicherheitsrates der UNO, womit sich mittelfristig dahinter eine neue militärische Eskalation anbahnt, die zu nur noch mehr Chaos und Barbarei in dieser Region führen wird.
Wie wir immer wieder in unserer Presse aufgezeigt haben, sind das Chaos und die militärischen Konflikte, die sich seit mehreren Jahren weltweit entfaltet haben und keinen Kontinent aussparen, direkt das Ergebnis der neuen Periode, die 1989 mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem darauf folgenden Auseinanderbrechen des westlichen Blocks eröffnet wurde. Weit davon entfernt, ein "neuer Zeitraum des Friedens" zu sein, wie es seinerzeit Bush sen. behauptete, haben wir damals schon unterstrichen, dass die Welt sich auf ein viel größeres, blutiges und mörderisches Chaos zu bewegen werde, gegenüber dem der US-Gendarm versuchen werde, ein Mindestmaß an Ordnung aufrechtzuerhalten, indem er immer massiver und brutaler seine Militärmaschinerie einsetzt (1).
Vom Golfkrieg 1991 bis Jugoslawien, von Ruanda bis Tschetschenien, von Somalia bis Ost-Timor, von den Attentaten gegen das World Trade Center bis zu den Attentaten in Madrid, um nur einige der gewalttätigsten Erschütterungen des zerfallenden Kapitalismus zu erwähnen (2), jedes Mal sind es imperialistischen Zusammenstöße zwischen den Staaten, ob klein oder groß, die für diese Massaker verantwortlich sind. Für die USA, deren nationalen Interessen mit der Aufrechterhaltung einer Weltordnung übereinstimmen, die für sie vorteilhaft wirkt, bedeutet diese Zuspitzung des Chaos der imperialistischen Konflikte, dass es immer schwieriger wird, ihre weltweite Führungsrolle aufrechtzuerhalten. Da die russische Gefahr nicht mehr besteht, verteidigen die ehemaligen Verbündeten der USA, insbesondere die Europäer, mit Frankreich und Deutschland an der Spitze, ihre eigenen Interessen als kapitalistische Nationalstaaten. Die Zuspitzung der Wirtschaftskrise verschärft die imperialistischen Appetite aller Staaten und lässt den USA keine andere Möglichkeit, als sich in Eroberungsfeldzüge, Destabilisierungsversuche ihrer Rivalen zu stürzen und vor allem wiederholt ihre militärischen Mittel einzusetzen, was dazu führt, dass das Chaos und die Barbarei in den Gebieten, wo diese Militärexpeditionen stattfinden, nur noch zunehmen. Auf diesem Hintergrund ist die von der Bush-Administration eingeschlagene Strategie nach den Anschlägen vom 11. September 2001, der "Krieg gegen den Terrorismus", ein Versuch der USA, gegenüber der Schwächung ihrer Führungsrolle zu reagieren. Gegenüber den wachsenden Herausforderungen durch die anderen imperialistischen Mächte benutzen die USA den Vorwand der Attentate und die Notwendigkeit, gegen die nebulöse Al-Qaida und Bin Laden zu kämpfen, um selbst eine bislang dagewesene weltweite militärische Offensive einzuschlagen. Diese langfristig angelegte militärische Vorgehensweise der USA hat sich eine Reihe von "Schurkenstaaten" ausgesucht, die militärisch zu Boden geworfen werden sollen. Dies trifft auf Afghanistan, Irak, Nordkorea und den Iran zu. Jedesmal müssen die USA noch globalere und umfassendere Ziele auswählen, die auch die Notwendigkeit einer entscheidenden Präsenz in Zentralasien einschließen, um so die Kontrolle über diese Region zu gewinnen, aber auch im Mittleren Osten und auf dem indischen Subkontinent. Das langfristige Ziel der USA ist die Einkreisung Europas und Russlands. Dabei sind die USA vor allem danach bestrebt, eine unumstößliche Kontrolle der Hauptenergiequellen und deren Versorgungswege zu erreichen, damit sie bei zukünftigen imperialistischen Krisen ihren imperialistischen Rivalen, hauptsächlich die Staaten Europas, Rusalnd, Japan und China diese vorenthalten können. Seit 2001 haben die USA versucht, solch eine Politik umzusetzen, aber man muss feststellen, dass sie große Schwierigkeiten haben, diesen Kurs beizubehalten, denn ihre Rivalen sind wild entschlossen, auch wenn sie weniger mächtig sind, ihre imperialistischen Interessen um jeden Preis zu verteidigen. Daraus ist bislang schon das größte Chaos in der Geschichte entstanden, und dieses wird weiter zunehmen.
Donald, 24.02.05,
Fußnoten (1) siehe unseren Artikel "Militarismus und Zerfall", Internationale Revue Nr. 13 (2) Siehe unsere Thesen zum "Zerfall, letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus" Internationale Revue Nr.13 deutsch, Internationale Revue Nr. 62, engl., franz., span.
In diesem Winter übersprang die ALK zum ersten Mal seit den 1930er Jahren die 5-Millionenmarke. Dabei weiß jeder, dass die offiziellen Zahlen dank statistischer Tricks frisiert sind, denn tatsächlich liegt die Arbeitslosigkeit bei rund 8 Millionen.
Auch wenn die Regierung, Opposition, Kirche, Gewerkschaften und das Unternehmerlager sich ‚bestürzt' zeigen und so tun, als ob sie mit gemeinsamen Anstrengungen (Jobgipfel usw.) nun versuchen würden, die Konjunktur wieder mehr ans Laufen zu bringen, hat das jahrzehntelange Anschwellen der Massenarbeitslosigkeit deutlich gemacht, dass das Kapital keine Lösung für die Arbeitslosigkeit hat.
Seit dem Wiederausbruch der Wirtschaftskrise Ende der 60er Jahre ist die Arbeitslosigkeit unaufhaltsam gestiegen. Zuvor herrschte knapp zwei Jahrzehnte lang ‚Vollbeschäftigung', weil der 2. Weltkrieg ein solches Ausmaß an Zerstörungen hinterlassen hatte, dass der nachfolgende Wiederaufbau eine Zeit lang Vollbeschäftigung ermöglichte. Aber seit Mitte der 60er Jahre, als der Wiederaufbau abgeschlossen und die Märkte wieder gesättigt waren, geht das Gespenst der Arbeitslosigkeit wieder um.
Trotz aller heuchlerischen Beteuerungen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, kann das Kapital in Wirklichkeit die Arbeitslosigkeit nur noch verschlimmern. Denn die Gesetze des Marktes und der immer heftiger werdende Konkurrenzkampf zwingen jeden Kapitalisten, seine Kosten zu senken, d.h. die Löhne zu drücken, unrentable Abteilungen zu schließen und den Betrieb ganz dicht zu machen, wenn die Waren nicht mehr abgesetzt werden können.
Jahrelang wurden vor allem Stellen im Bergbau, der Stahlindustrie und bei den Werften gestrichen, danach standen die Beschäftigten in der Automobilindustrie und High-Tech-Branchen wie Informationstechnologie und Telekommunikation bis hin zu den Banken vor Massenentlassungen. Und gleichzeitig werden schon seit Jahren Zehntausende von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst abgebaut. Somit bleibt kein Teil der Arbeiterklasse mehr von dieser Geißel ausgespart.
Immer rücksichtsloser nutzen die Kapitalisten die Drohung des Arbeitsplatzabbaus und eventueller Werksschließungen dazu, um die noch Beschäftigten mit allen Tricks zu erpressen. Das Beispiel des jüngsten "Beschäftigungspaktes" bei Opel, wo man keine "betriebsbedingten" Kündigungen bis zu Beginn des neuen Jahrzehnts versprochen hat (ein ‚Versprechen', was ohnehin keine Firma wirklich einhalten, denn wenn die Waren sich nicht absetzen lassen, weil man keine Käufer findet, nützen die schönsten Versprechen nichts) spricht Bände. Da wurde ein Teil der Beschäftigten aus dem Betrieb gejagt und gelockt, indem man ihnen Stellen in "Auffanggesellschaften" und einige Prämien versprochen hat - d.h. Maßnahmen, die auch keinen neuen, ‚dauerhaften' Arbeitsplatz garantieren, sowie eine Prämie, die schnell aufgebraucht sein wird, wenn man später doch arbeitslos wird und seine "Ersparnisse" offen legen muss, weil man nur Anspruch auf staatliche Zahlungen hat, nachdem zuvor die Ersparnisse aufgebraucht wurden. Die im Betrieb Verbliebenen müssen dramatische Lohneinbußen hinnehmen.
Ob Lohnsenkung und längere Arbeitszeiten - die Kapitalisten nützen die Angst vor der Arbeitslosigkeit schamlos aus, um die Betroffenen einzuschüchtern und zu den unglaublichsten Opfern zu zwingen. Sowohl diejenigen, die noch eine Arbeit haben, sind gezwungen immer länger, immer härter, immer billiger zu arbeiten, als auch diejenigen, die ihre Arbeit verloren haben, werden mit 345 Euro abgespeist, wenn sie denn darauf Anspruch haben. Und dabei ist die Massenarbeitslosigkeit nur die Spitze einer ganzen Reihe von Angriffen gegen unsere Lebensbedingungen.
Das Kapital hat keine Lösung für die Arbeitslosigkeit
Aber egal wie hart und unverfroren die Kapitalisten auch versuchen, Geld zu sparen und ihre Profite zu erhöhen, das Problem der Massenarbeitslosigkeit können sie damit nicht lösen. Denn wenn die Unternehmer in ihrem Betrieb die Kosten senken, indem sie die Beschäftigten zu Lohneinbußen zwingen oder Arbeitsplätze abbauen, verschafft ihnen dies zwar momentan einen Konkurrenzvorteil. Im Gegenzug wird aber die Konkurrenz dazu gezwungen, von ihren Beschäftigten ebenso Lohneinbußen zu verlangen und Stellen zu streichen, damit sie wieder mit einem "günstigeren" Angebot aufwarten kann - was zur Folge hat, dass der erstgenannte Unternehmer von seinen Beschäftigten weiteren Lohnverzicht verlangen muss und/oder zusätzliche Stellen streicht. Lohneinbußen und Stellenabbau heute hinzunehmen, zieht deshalb morgen unvermeidlich weitere Lohneinbußen und erneuten Stellenabbau nach sich. Die Hoffnung, in dem einen Betrieb verschont zu bleiben, weil andere Firmen mit höheren Kosten produzieren, erweist sich als trügerisch, denn jede Konzession der Arbeiter, jede Verschlechterung ihrer Bedingungen in einem Betrieb ist nur ein Auftakt zu weiteren Forderungen nach Lohneinbußen gegenüber den anderen Beschäftigten. Die Überproduktion, die Sättigung der Märkte wird mit verlängerten Arbeitszeiten, mit Lohnkürzungen, mit Stellenabbau usw. nicht aus der Welt geschafft, sondern nur noch zugespitzt.
So gehören heute in jeder Klein- und Großstadt in fast allen Straßenzügen unzählige leerstehende Geschäfte zum Alltag. Die Händler bleiben auf ihren Waren sitzen, weil der großen Masse der Bevölkerung die Kaufkraft ausgeht. Wenn ein Millionenheer von Arbeitslosen nur über 345 Euro Kaufkraft verfügt, lässt das die Nachfrage erheblich schrumpfen. Wenn allen Beschäftigten die Weihnachtsgelder, andere Zulagen, das Urlaubsgeld usw. gekürzt bzw. gestrichen wird, die Löhne bei vielen Beschäftigten somit stark fallen, schrumpft automatisch die Kaufkraft dementsprechend. Kaufkraftsenkungen kündigen somit nur weitere Entlassungen an.
Und wenn Unternehmer zum Beispiel in Deutschland Arbeitsplätze dichtmachen und die Produktion nach Osteuropa oder nach China verlagern, dann verlieren hier Zehntausende ihren Arbeitsplatz mit entsprechendem Wegfall ihres Einkommens. Wenn dadurch im Gegenzug einige wenige Arbeitsplätze in Osteuropa oder in China entstehen, weil die Produkte dort entsprechend billiger produziert werden können, müssen sie aber auch abgesetzt werden. Nur, wer soll diese Waren kaufen, denn die niedrigen Löhne in Osteuropa und China stellen nicht die ausreichende Kaufkraft dar, um die produzierten Waren zu absorbieren. Und der Export der Waren von Osteuropa und China in die Länder, wo die Arbeitsplätze dichtgemacht wurden, (sprich in die westlichen Industriestaaten) wird sich auf Dauer als immer schwerer erweisen, weil gerade hier ja die Kaufkraft massiv reduziert wurde.
Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis das Gespenst der Massenentlassungen über den Betrieben auch in Osteuropa und China kreist.
Egal, welche Maßnahme die Kapitalisten zur Kostenreduzierung zu Lasten der Beschäftigten treffen, keine führt zu einer Senkung der Arbeitslosigkeit sondern zu deren Verschärfung.
Seit einem Jahrhundert – Die Massenarbeitslosigkeit unüberwindbar
Natürlich ist die Arbeitslosigkeit nichts Neues im Kapitalismus. Aber während im 19. Jahrhundert die damals noch zyklischen Krisen nach einer Dauer von einigen Jahren wieder überwunden wurden, beim nächsten Aufschwung die Industrie wieder massenweise neue Leute einstellte und viele der zunächst arbeitslos Gewordenen auswandern konnten (z.B. in die USA oder nach Australien), ist die Krise und somit die Massenarbeitslosigkeit seit dem 1. Weltkrieg zu einem permanenten Phänomen geworden. Auch wenn es kurze und begrenzte Aufschwungphasen während der letzten 30 Jahre gab, ist die Krise nie verschwunden. Stattdessen hat sich die Massenarbeitslosigkeit immer mehr ausgedehnt. Heute ist an ein Auswandern der offiziell 5 Millionen Arbeitslosen gar nicht zu denken! Wohin auch? Nach China? Denn während im 19. Jahrhundert viele Arbeiter aus den Industriestaaten in andere Industriestaaten bzw. sich entwickelnde Staaten auswanderten, entwickelt sich heute der Trend in die andere Richtung. In den Industriestaaten selbst werden keine neuen Produktionsstätten mehr errichtet; stattdessen vergrößert sich hier das Heer der Arbeitslosen immer mehr - und es kommen unzählige Massen von Flüchtlingen aus anderen Ländern hinzu, wo noch mehr Arbeitslosigkeit herrscht. Es wartet ein Millionenheer von Arbeitslosen vor den Toren Europas und Amerikas - ob in Osteuropa, am südlichen Mittelmeer, am Bosporus oder in Südamerika. Und in den Ländern der sog. 3. Welt kommen jeden Tag unzählige Arbeitssuchende in den großen Metropolen an. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert gibt es also keine Wachstumshochburgen mehr, wohin das Millionenheer der Arbeitslosen wandern könnte.
Weil der Kapitalismus trotz aller Lügen und Versprechungen die Arbeitslosigkeit nicht aus der Welt schaffen kann, und er im Gegenteil je mehr sich die Krise zuspitzt, die Arbeiter umso mehr angreifen muss, zwingt diese ausweglose Lage die Betroffenen immer mehr, sich mit den Wurzeln dieses Übels zu beschäftigen.
Die Arbeitslosigkeit – Triebfeder für die Infragestellung des Systems
Wenn immer deutlicher wird, dass der Kapitalismus die Pest der Arbeitslosigkeit und die Verarmung nicht loswird, dann wird auch für viele die Frage nach dem Grundübel und der Notwendigkeit der Überwindung eben dieser Verhältnisse nicht mehr als "utopisch" und "weltfremd" erscheinen.
"Je größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. [...] Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol [d.h. auf der Seite der Arbeiterklasse]."
Dies schrieb derjenige, der von den Verteidigern des Kapitalismus besonders nach 1989 als jemand dargestellt wurde, der "auf den Misthaufen der Geschichte" gehöre - Karl Marx! (Das Kapital, Band 1, in MEW Bd 23, S. 673).
Durch die weitere Zuspitzung der Krise werden die Betroffenen genau auf die Analyse und Perspektiven stoßen, die von den Kommunisten vertreten werden. Während nämlich die Vertreter der Kommunistischen Linken gegenüber den Lügenkampagne von nach 1989 hervorhoben, dass in Osteuropa nicht der Kommunismus, sondern der Stalinismus zusammengebrochen sei, wurden sie seinerzeit als die "ewig Gestrigen" verhöhnt. In Wahrheit hat die ganze Entwicklung die Aussagen der Kommunisten bestätigt, dass der Kapitalismus die Krise nicht überwinden kann, sondern dass der Kapitalismus selbst überwunden werden muss.
Der vorgetäuschte und in Wirklichkeit hilflose Aktivismus der Herrschenden gegen die Arbeitslosigkeit um den Eindruck zu erwecken, man "tut etwas gegen die Arbeitslosigkeit" spiegelt nur die Sorge der Herrschenden vor einer Reaktion der Betroffenen wider.
Es stimmt zwar: "Auf unmittelbarer Ebene aber ist die Arbeitslosigkeit hauptsächlich ein Faktor der Demoralisierung der Arbeiterklasse und der Lähmung ihrer Kämpfe. Erst in einer fortgeschritteneren Etappe der Klassenbewegung kann der subversive Charakter dieses Phänomens ein Entwicklungsfaktor des Kampfes und des Bewusstseins werden. Das wird der Fall sein, wenn sich die Perspektive der Überwindung des Kapitalismus wieder in den Reihen der Arbeiterklasse verbreitet (wenn auch noch nicht auf massive, so zumindest auf bedeutsame Weise)."
Auch wenn der Klassenkampf gegenwärtig noch auf große Schwierigkeiten stößt, um wieder an Fahrt zu gewinnen, werden die Abwehrkämpfe der Arbeiter zunehmen. Und wenn es dadurch möglich wird, dass Beschäftigte und Arbeitslose anfangen, sich gemeinsam zur Wehr zu setzen, braut sich ein explosives Gemisch zusammen, vor dem die Herrschenden allen Grund zur Angst haben.
Deshalb stellt gerade die Arbeitslosigkeit ein Pulverfass dar, das den Betroffenen keinen anderen Weg lässt als für die Überwindung dieses Systems zu kämpfen.
19.03.05
Welche Absicht verfolgt der bürgerliche Staat, wenn die staatlich organisierte Front der "Verteidiger der Demokratie" für den 8. Mai zu einer Demonstration gegen den Berliner Aufmarsch der Neonazis aufruft? Warum schon im Februar soviel Medienrummel anlässlich der Kundgebungen der Neonazis gegen die Bombardierung Dresdens?
Gewiss hängt der wachsende Zulauf bei rechten Protestparteien mit einer großen Perspektiv- und Orientierungslosigkeit zusammen, der auch manche Arbeiter zum Opfer fallen. Grundsätzlich stellen die rechten Parteien (ob Le Pen in Frankreich oder die Neonazis in Deutschland) die Partei der Angst, der Hoffnungslosigkeit, des Hasses, des Irrationalen und des Rückzugs auf sich selbst dar, d.h. die typischen Auswirkungen in den Köpfen der Menschen, die der Zerfall des Kapitalismus hervorruft. Dennoch, wenn gegenwärtig der Einfluss und die Aktionen der Neonazis so aufgebauscht werden, dann verfolgt die herrschende Klasse damit ein längerfristiges Ziel. Denn wenn die Proteste der Neonazis in Dresden gegen die Bombardierungen so stark ins Rampenlicht gerückt wurden, soll damit jegliche Ablehnung der Gräueltaten der Alliierten diskreditiert werden. Es geht darum, dass der imperialistische Krieg immer zu rechtfertigen sein muss. So wird jetzt schon darauf hingearbeitet, dass all diejenigen, die die Bombardierungen der Alliierten an den Pranger stellten, ob dem rechten oder linkskommunistischen Lager angehörend, in einen Topf gehören. In Wirklichkeit zielt dies vor allem auf die Linkskommunisten, weil sie als einzige die Barbarei der beiden kriegsführenden Seiten verwerfen - die des "demokratischen-stalinistisch" und faschistischen Lagers damals und die der "humanitären" oder im Namen des "Kampfes gegen den Terror" geführten Kriege heute. Während die Neonazis mit ihren Hetzparolen und ihrer chauvinistischen Orientierung nur eine Ausgeburt und Fortsetzung einer typisch bürgerlichen Politik des ‚jeder gegen jeden' sind, treten die Linkskommunisten für den Zusammenschluss aller Arbeiter gegen die Kapitalisten und die Überwindung des Kapitalismus ein. Weil die Herrschenden vor einem Zusammenschluss aller Arbeiter Angst haben, sollen jetzt schon die Vorkämpfer dieses Zusammenschlusses, die Linkskommunisten, diskreditiert werden. 19.3.05
Nein, wir meinen mit diesen Leuten, die sich ernsthaft Gedanken über eine wirkliche Überwindung des Kapitalismus machen, jene, die an all diesen Demos und Diskussionsveranstaltungen anzutreffen waren und vorurteilsfrei, aber kritisch über den Krieg und die Revolution, über den Anarchismus und die klassenlose Gesellschaft, über das Proletariat und das Bewusstsein diskutieren wollten und offensichtlich an einer Klärung interessiert sind. Die Leute, die im wörtlichen Sinne radikal sind, und sich nicht mit den erstbesten Rezepten, scheinbar einfachen Lösungen zufrieden geben, sondern zu den Wurzeln der Probleme vorstossen und sie dort packen wollen.
Was bringen diese Mobilisierungen gegen das WEF und die Globalisierung?
Die Frage nach dem Sinn und Zweck dieser Kampagne gegen das WEF wird zwar nicht gerade in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert, aber doch hier und dort aufgeworfen. Da stellt jemand in einem Web-Forum der ARK (Alternativ-Revolutionäre Kräfte, Winterthur) klar: "ich bin nicht anti-wefler, weil die welt auch ohne wef scheisse wäre; ich bin anti-kapitalist und kein reformi, das ist ein wichtiger unterschied". Und die Gruppe Eiszeit antwortet in einem Artikel auf ihrer Website (www.eiszeit.tk [24]) auf die Frage "Warum wir Widerstand nicht gegen das WEF leisten": Am WEF würden sich zwar schon Eliten aus Wirtschaft und Politik treffen, doch sei die Annahme irrig, dass dort frei über das weitere Geschick der Menschheit entschieden werde. Vielmehr sei die aktuelle Krise systembedingt. Auch der Staat könne nicht losgelöst von den existierenden Verhältnissen agieren. Er habe die Funktion, die Aufrechterhaltung der Verwertungsbedingungen für das Kapital mit allen Mitteln zu gewährleisten. Der Artikel endet mit einer Kritik an der Verteidigung des Sozialstaates: "Trotzdem kann der Versuch der Befreiung vom bestehenden Elend nicht die Kritik am Abbau des Sozialstaates, am Managertum oder am WEF bedeuten, sondern muss die kapitalistische Totalität ins Blickfeld kriegen. - Für die Assoziation der Freien und Gleichen!"
Die Gruppe Eiszeit übt zwar in ihren Texten radikale Kritik am Kapitalismus, bleibt aber die Antwort auf die Frage schuldig, wie dieses System überwunden werden kann. Der Schluss ihres Artikels erinnert denn auch mehr an die demokratischen Ideale der Französischen Revolution von 1789, als an die klassenlose Gesellschaft, in der die Menschen weit mehr als nur frei und gleich sein sollen.
Welche Kraft kann den Kapitalismus überwinden?
Die Frage, wie und von wem der Kapitalismus beseitigt werden kann, war unter anderem Thema an den Winterthurer Anarchietagen Anfang Februar 2005. In einer mündlichen Intervention kritisierte die Delegation der IKS, dass das Einführungsreferat zum Thema "Geschichte des Anarchismus & Anarcho-Pazifismus" zwar immer wieder von Revolution sprach, aber so, als ob diese eine Aufgabe für eine Generation in ferner Zukunft sei, und ohne Bezug zur einzigen gesellschaftlichen Klasse, die objektiv ein Interesse an der revolutionären Überwindung des Kapitalismus hat: nämlich zur Arbeiterklasse. Die gegenwärtige, nach der Profitlogik funktionierende Produktionsweise bringt der Menschheit nur noch Krieg, Massenelend und Zerstörung aller Lebensgrundlagen. Die Revolution, die eigentlich seit bald 100 Jahren auf der Tagesordnung steht, kann nicht ein weiteres Jahrhundert hinausgeschoben werden. Die Fäulnis dieses dekadenten, zerfallenden Systems untergräbt die Bedingungen immer mehr, die für den Eintritt einer revolutionären Situation und den Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft nötig sind. Nur das Proletariat ist aufgrund seiner Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft fähig, nicht nur den Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung aufzunehmen, sondern jede Herrschaft von Menschen über Menschen abzuschaffen. Diesen Kampf nahm es 1917-23 in verschiedenen Ländern, vorab in Russland, Ungarn und Deutschland, auf. Die Weltrevolution scheiterte zwar, die Konterrevolution (u.a. in der Form des Stalinismus) trug den Sieg davon, aber das Proletariat existiert auch heute noch und hat gerade in den letzten zwei Jahren wieder vermehrt zu kämpfen begonnen.
Es gab an dieser Veranstaltung mehrere TeilnehmerInnen, die mit diesem Anliegen grundsätzlich einverstanden waren, aber die Meinung vertraten, dass die Arbeiterklasse heute von Revolution nichts wissen wolle. Die Frage, wie sich das Klassenbewusstsein bildet, drängte sich somit auf und wurde auch in verschiedenen Voten gestellt.
Wie kommt die Arbeiterklasse zum Bewusstsein über die Notwendigkeit der Revolution?
Der bereits eingangs erwähnte "Aufbau" versuchte, Sympathien mit den Kämpfen der Arbeiterklasse auf die Mühlen seiner Losungen zur Verteidigung staatskapitalistischer Länder und Organisationen zu lenken, indem er eine Veranstaltung zum Opel-Streik vom letzten Herbst durchführte. Ein Opelaner, der sich aktiv am Streik beteiligt hatte, berichtete von diesem Kampf, wie die Arbeiter ihn unabhängig von den Gewerkschaften begonnen hatten, dann aber schon bald einmal von diesen über den Tisch gezogen und schliesslich zum Nachgeben gezwungen wurden (vgl. auch Weltrevolution Nr. 127). Dabei kam insbesondere auch zum Ausdruck, dass dieser Arbeiter und viele seiner Kollegen in der Praxis feststellten, welche gewaltige Kraft die Arbeiter bilden, wenn sie geschlossen einen Kampf aufnehmen. Nicht nur die Opel-Werke in Antwerpen (Belgien) und Zaragoza (Spanien) standen bald einmal still, weil der Nachschub der Teile aus Bochum fehlte, sondern auch die Bochumer Bevölkerung und Arbeiter aus anderen Regionen erklärten sich mit dem Kampf solidarisch. Die Bourgeoisie konnte nicht im Ernst daran denken, mit der offenen Repression gegen den "illegalen Streik" loszuschlagen.
Der Kampf musste zwar abgebrochen werden, ohne dass die Arbeiter mit ihren Forderungen durchgedrungen wären. Vielmehr kommt es bei Opel in Deutschland sowohl zu Entlassungen als auch zu Lohnkürzungen und einer weiteren Flexibilisierung. Die gemachten Erfahrungen sind aber unersetzbar. Die Gewerkschaften haben wieder begonnen, sich als das zu entlarven, was sie sind: als Polizei der herrschenden Klasse in den Reihen der Arbeiter. Auf der Grundlage der Lehren aus diesem und anderen Streiks der Arbeiterklasse können die nächsten Kämpfe geführt werden, in denen letztlich genau dieselben Fragen auftauchen werden, die anlässlich der oben erwähnten Diskussionen debattiert wurden: Welche Perspektive hat dieses System? Können wir uns durch die Drohung mit Produktionsverlagerung und Arbeitslosigkeit ständig weiter erpressen lassen? Wieso haben die einen keine Arbeit und die andern müssen immer noch mehr Arbeitshetze ertragen? Wer kann dieses widersinnige System überwinden? Wie soll dies geschehen?
Im gleichen Ausmass, wie sich die kämpfenden Arbeiter mit diesen Fragen auseinander zu setzen beginnen, werden die Leute, die schon heute von der Notwendigkeit der Revolution überzeugt sind, sich mit der Arbeiterklasse, ihrem Wesen und ihrer Geschichte, ihren heutigen Stärken und Schwächen beschäftigen müssen. Daran führt kein Weg vorbei.
Es gibt viele Sackgassen
Für diejenigen, die sich für eine neue, andere Gesellschaft einsetzen wollen, hält der demokratische Staat manche Sackgasse bereit. Eine davon ist die Antiglobalisierung, die vorgibt, dass man dieses kapitalistische System verbessern könne. Eine andere ist der blinde Aktivismus in all seinen Facetten, wo nicht mehr über das Ziel diskutiert wird, sondern nur noch über die Mittel einerseits und das "unverhältnismässige" Vorgehen der Polizei andererseits. Auch dies ist nichts anderes als Systemerhaltung in anderer Verkleidung: (Spätestens) wenn das Mittel zum Selbstzweck wird, ist man bei der alten reformistischen Losung eines Bernstein angelangt: Der Weg ist das Ziel (2). Die IKS hat festgestellt, dass die zur Tradition gewordenen linksbürgerlichen Mobilisierungen gegen das WEF vielen Leuten, die erkannt haben, dass der Kapitalismus als Ganzes überwunden werden muss, keine politische Klärung bringen konnte. Sie sind enttäuscht davon. Wie schon in der Geschichte der alten Arbeiterbewegung kann auch die moderne Variante des Reformismus keine Klärung und noch weniger praktische Perspektiven des Klassenkampfes aufzeigen.
Wir rufen deshalb alle, die wirklich an einer revolutionären Überwindung dieses Systems interessiert sind, dazu auf, sich mit der Arbeiterklasse und der Perspektive ihrer Kämpfe auseinanderzusetzen - beispielsweise mit der IKS, sei es schriftlich oder an unseren öffentlichen Diskussionsveranstaltungen!
VE, 15.03.05
Fußnoten:
1) Sozialismus ist in einem Land oder einigen wenigen Ländern nicht möglich. Der Kapitalismus kann nur weltweit überwunden werden. Kuba ist ein stalinistischer Staatskapitalismus (und ein Polizeistaat). China war auch zu Maos Zeiten nichts anderes. 2) Eduard Bernstein war um 1900 der bekannteste Vertreter am rechten Flügel der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der die revolutionäre Perspektive über Bord warf und propagierte, der Kapitalismus könne auch ohne Bruch langsam in den Sozialismus hinüber wachsen.
In den letzten Monaten waren Militante und Sektionen der IKS das Ziel von Drohungen oder kaum verhüllten Mordaufrufen.
Im Dezember veröffentlichte die UHP-ARDE [1] auf ihrer Website einen Text mit dem Titel "Die Wissenschaft und Kunst von Dummköpfen" [2], der kontinuierlich zu Mordanschlägen gegen unsere Militanten aufruft, und dies mittels einer makabren Reihe von Schlussfolgerungen, die zunächst uns offen beschuldigen, "rassistisch" zu sein und die bürgerliche Politik verdeckt zu vertreten, und schließlich eine Reihe von Definitionen zum Besten geben, die von "Dummköpfe" über "dumme Arschlöcher" bis hin zu "Schwachsinnige" reicht. Aus diesen Prämissen wird folgende Schlussfolgerung gezogen: "GEGEN DIE BÜRGERLICHEN LÜGENKAMPAGNEN UND REPRESSION UNSERER KÄMPFE: TOD DEN SCHWACHSINNIGEN!" [3]
Einen Monat zuvor landete in der Mailbox unserer Sektion in Spanien ein anonymer Brief, der mit folgender Drohung endete: "Ihr seid eine Bande von Hurensöhnen und werdet ernten, was Ihr gesät habt, kleine beschissene Professoren. Unterzeichnet von einem Lumpen."
Erst kürzlich, im Januar 2005, drohte ein Mitglied der so genannten IFIKS [4] einem Mitglied unserer Sektion in Frankreich "die Kehle durchzuschneiden" [5].
Wie sollen sich die Revolutionäre und proletarischen Elemente angesichts dieser Reihe von Drohungen durch diese Gangster, die einem proletarischen Verhalten vollkommen fremd sind, verhalten? Ihnen keine Bedeutung beimessen, da sie nur heiße Luft oder das Produkt einer Überreaktion sind? Zu dieser Einschätzung zu gelangen wäre ein großer Irrtum.
Erstens bedeutet solch eine Haltung, die historischen Erfahrungen der Arbeiterbewegung zu vergessen. Diese lehren uns, dass dem Töten von Arbeitermilitanten eine Reihe von scheinbar trivialen Akten vorausgegangen ist, die dem Vorschub geleistet haben: falsche Beschuldigungen, Drohungen, Einschüchterungen. Kurz, eine Reihe kleiner Glieder, die zusammen verknüpft eine große Kette bilden. So ging der Ermordung Rosa Luxemburgs im Januar 1919 - begangen von Kräften, die den Befehlen der sozialdemokratischen Henker folgten - eine lange Inkubationszeit voraus: Ab 1905 gab es schlimme Verleumdungen, Drohungen und Herausforderungen gegen diese proletarische Kämpferin. Keine dieser Taten schien für sich Besorgnis erregend zu sein, doch das Verbrechen von 1919 war die Manifestation dieser infernalischen Logik, die sie beinhalteten. Ähnlich war die Ermordung Trotzkis, hingerichtet durch den infamen Mercader, der Kulminationspunkt einer Reihe von konzertierten Schritten des stalinistischen Mobs: Zunächst wurde Trotzki beschuldigt, ein Agent der Gestapo zu sein; dann begann eine Kampagne, die offen seinen Kopf forderte. Danach setzten die Pressionen gegen einen seiner Söhne (Lyova) ein, deren Ende alle Merkmale eines "medizinischen" Mordanschlags trug [6]. Später gab es immer intensivere direkte Morddrohungen durch den mexikanischen Killer des Stalinismus, die zu dem tragischen Ende führten, das wir alle kennen. Die Geschichte zeigt, dass es eine mehr oder weniger direkte Verbindung zwischen den Drohungen von heute und den Morden von morgen gibt. Letztere sind das Produkt eines Gespinstes von Lügen, Drohungen und Hasskampagnen.
Zweitens können wir nicht den Kontext übersehen, in welchem diese drei Drohungen, die wir erhalten haben, ausgesprochen wurden. In den letzten Monaten haben wir einen neuen Ausbruch und eine Vervielfachung der IFIKS-Kampagnen erlebt. Wie ihr Bulletin Nr. 28 zeigt, bezeichnen sie uns als "Bastarde": Verbunden mit den endlosen Verleumdungen, Drohungen und Lügen, trägt dies dazu bei, ein Klima zu schaffen, in dem physische Angriffe gegen die IKS legitimiert werden.
Es ist kein Zufall, dass diese Drohungen in diesem Zusammenhang ausgesprochen werden. Ihre Autoren haben sich klar für ihr Lager entschieden. Zu den Beleidigungen, Hasskampagnen, dem ganzen Gespinst von Lügen und Verleumdungen haben sie nun Mordaufrufe hinzugefügt.
Dies ist nicht das erste Mal, dass wir solch eine "Intervention" erleben. 1995-96 benutzte, im Zusammenhang mit einer genauso widerlichen Kampagne anderer Protagonisten gegen die IKS [7], die so genannte GCI - eine Gruppe, die in den Links der Website der UHP/ARDE auftaucht - dieselbe Methode des Syllogismus, um die IKS anzugreifen und zum Mord an unseren Genossen in Mexiko aufzurufen. Die erste Voraussetzung hierfür war, dass unsere Genossen den stalinistisch-maoistischen Leuchtenden Pfad in Peru angeprangert haben. Diese machte sie offenbar zu Komplizen bei den Massakern an den proletarischen Gefangenen und führte zum folgenden "logischen" Umkehrschluss: "… für die IKS wie für den peruanischen Staat und dessen Polizei heißt es also: Wenn man sich auf die Seite der Unterdrückten stellt, unterstützt man den Leuchtenden Pfad". Dies führte zu einer weiteren Schlussfolgerung, derzufolge "diese Art von Vermischung im Arbeiterlager als typisch für Polizeispitzel betrachtet wird". Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zur nächsten Spitzfindigkeit: "… dies sind dieselben sozialdemokratischen Argumente, die Domingo Arango und Abad de Santillan angesichts der gewaltsamen Aktionen der revolutionären Kämpfer benutzten". Und was ist die Schlussfolgerung aus dieser Logik? "In Folge dieser Art von Verleumdung, die eigentlich vom Staat praktiziert wird, bekam Domingo Arango eine Kugel in den Kopf, und wir bedauern außerordentlich, dass Abad de Santillan nicht das gleiche Schicksal ereilt hat." (aus: Communisme, Nr. 43, Organ der GCI) [8]
Wir sind uns durchaus bewusst, dass diese Drohungen Teil eines Prozesses sind. Doch lassen wir uns dadurch nicht einschüchtern und werden antworten, wie wir dies 1996 getan haben: "Nichts von dem wird uns dazu bringen, den Rückzug anzutreten. Wir werden unseren Kampf vertiefen, und die gesamte IKS ist mobilisiert, um unsere Sektion in Mexiko zu verteidigen, wobei wir eine Waffe benutzen, die nur das Proletariat besitzt: den Internationalismus. Die internationale Einheit der IKS enthält aus der Sicht der Bourgeoisie die nicht tolerierbare Unannehmlichkeit, dass jeder Versuch, eines ihrer Teile zu zerstören, sofort Gefahr läuft, die aktive Mobilisierung und Solidarität des Ganzen zu provozieren." [9]
Die proletarische Solidarität ist die Hauptwaffe gegen diese Art von Attacken
Wir haben die Infiltration solcherlei Verhaltens in die Reihen der Revolutionäre entschieden zurückgewiesen, weil dies der einzige Weg ist, die Kette zu brechen, die die heutigen finsteren Aufrufe zum "Tod der Schwachsinnigen" mit der Ermordung von Kommunisten morgen verbindet. Jede gesellschaftliche Klasse hat ihre eigenen Methoden. Wir kennen bereits jene der Bourgeoisie: einerseits die "politischen" Waffen der Verleumdungen, Drohungen, Einschüchterungen und Erpressung, andererseits direktere Waffen wie Verbrechen, Terror und Folter. [10]
Natürlich sind diese Waffen nicht Bestandteil des Arsenals des Proletariats und seiner wirklich revolutionären Gruppierungen. Wir haben andere, weitaus effektivere Waffen für den Kampf gegen den Kapitalismus. Eine dieser Waffen, die wichtigste, ist die Solidarität.
Die Solidarität ist eine Stärke des Proletariats, der Ausdruck seiner Einheit. Die Solidarität zeigt seinen Feinden, dass jegliche Attacke auf seine einzelnen Teile umgehend die Antwort des Ganzen provoziert.
Daher drückt die IKS ihre einmütige Solidarität mit den bedrohten Genossen und Sektionen aus und wird alle notwendigen Vorkehrungen für ihre Verteidigung treffen. Auch werden wir unsere Sympathisanten dazu aufrufen, ihrer Solidarität aktiv Ausdruck zu verleihen. Wir rufen gleichermaßen alle jene dazu auf, die am revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus teilnehmen; und selbst wenn sie nicht mit den Positionen der IKS einverstanden sind, hoffen wir, dass sie die Notwendigkeit einsehen, gegen solche widerlichen Angriffe zu kämpfen.
Die Solidarität mit den bedrohten Genossen ist die beste Form nicht nur für ihre Verteidigung, sondern auch für die Verteidigung aller Militanten und Genossen, die gegen den Kapitalismus kämpfen. Zugleich ist sie der beste Beitrag, den wir machen können, um auch morgen die Verteidigung der kommunistischen Militanten sicherzustellen.
Die Praxis der Verleumdungen, Lügen, Drohungen und der Einschüchterung ist völlig unvereinbar mit dem Ziel einer menschlichen Weltgemeinschaft, das das Proletariat nach der Zerstörung des kapitalistischen Staates zu installieren bestrebt sein muss. Es ist unabdingbar, die Infiltration eines Verhaltens zu verunmöglichen, das nichts anderes als ein Ausdruck und eine Reproduktion der verrottenden kapitalistischen Gesellschaft ist, die wir abschaffen wollen.
Die Klärung revolutionärer Positionen, der Kampf gegen den Kapitalismus und seine Barbarei darf nicht durch zwielichtige Manöver dieser Bande von Schwindlern obstruiert werden, die verstohlen hinter der Kulisse von "revolutionären Positionen" arbeiten, um ihre Giftpfeile gegen den wahren Kampf für die proletarische Sache zu schleudern.
Solidarität mit unseren Militanten und den bedrohten Sektionen!
Internationale Kommunistische Strömung 15.2.05
Fußnoten:
1. UHP sind die Initialen für: "Unios Hermanos Proletarios" (Vereinte proletarische Brüder). ARDE ist die Publikation, die anscheinend das Sprachrohr von mehreren Gruppen ist, die die UHP bilden.
2. Siehe die Antwort unserer Sektion in Spanien in Accion Proletaria, Nr. 180: "Antwort an UHP/ARDE: Ein ehrlicher Dummkopf ist besser als ein verlogener Gauner".
3. Dies unterstreicht die feige und abwegige Art und Weise, in der diese Individuen zur Tötung unserer Militanten aufrufen. In ihrer ekelhaften Heuchelei sagen sie solche Sache nicht offen: Zunächst sagen sie, dass die IKS aus "Schwachsinnigen" zusammengesetzt sei, um erst später mit dem Spruch: "Tod den Schwachsinnigen" zu enden.
4. Eine Gruppe von Gangstern, die sich selbst "Interne Fraktion der IKS" nennt und deren einzige Aktivität darin besteht, tonnenweise Lügen über die IKS auszuschütten.
5. Siehe den Artikel in Revolution Internationale Nr. 354.
6. Siehe die Zeugenaussagen in Deutschers Trotzki-Biographie und in Vereekens "Die GPU in der trotzkistischen Bewegung" über die merkwürdige Bettlägerigkeit von Trotzkis Sohn in einer russischen Klinik in Paris.
7. Zu dieser Zeit waren Gruppen wie die britische Gruppe "Kommunistisches Bulletin" oder "Hilo Rojo" in Spanien, zusammen mit gewissen "Zirkeln", Urheber dieser Kampagnen. Wir haben seitdem nicht mehr viel von ihnen gehört.
8. Wir können daraus ersehen, dass die Herausgeber von UHP/ARDE mit ihren feigen Aufrufen zu unserer Ermordung nichts Neues in die Welt gesetzt haben. Sie müssen von den Methoden ihrer Vettern von der GCI angeregt worden sein.
9. Auszug aus dem Artikel "Die GCI-Parasiten rufen zur Ermordung unserer Militanten in Mexiko auf", der in Solidarität mit unserer Sektion in Mexiko die GCI brandmarkt. Dieser wurde damals in unserer gesamten territorialen Presse veröffentlicht.
10. Wir sollten darauf hinweisen, dass diese bürgerlichen Methoden eine starke Anziehungskraft auf diese verlumpten Elemente ausüben. Daher werden Letztere in Perioden der Revolution gern dazu benutzt, die Reihen von "Freikorps" und ähnlicher Sondertruppen des Kapitals zu füllen, wie in Deutschland 1919 geschehen.
Als
vor nicht mal einem Jahr auf öffentlichen Diskussionsveranstaltungen
der IKS von Sympathisanten der Organisation die Auffassung vertreten
wurde, dass die Bundestagswahlen 2006 für die rot-grüne
Regierungskoalition sozusagen im voraus bereits verloren gegangen
seien, widersprachen wir. Damals fuhr die deutsche Sozialdemokratie im
Zuge der "Gesundheitsreform" sowie der Vorbereitung auf die mit dem
Namen "Hartz" verbundenen "Arbeitsmarktreformen" die schlechtesten
Umfragewerte der Nachkriegszeit ein. Trotzdem sagten wir damals voraus,
dass die Regierungskoalition in der Wählergunst bis zu den
Bundestagswahlen aufholen werde. Es waren drei Erwägungen, welche uns
damals zu dieser Aussage bewogen. Erstens die traditionelle Taktik
bürgerlicher, "demokratisch legitimierter" Regierungen, ihre
Hauptangriffe gegen die Arbeiterklasse in die erste Hälfte ihrer
jeweiligen Amtszeit zu verlegen, damit diese Gräueltaten dann
rechtzeitig in den Hintergrund treten, wenn man sich zur Wiederwahl
stellen muss. Zweitens die Notwendigkeit für die herrschende Klasse
insgesamt, die Wahlen möglichst spannend zu halten, und damit als
Kopf-an-Kopf-Rennen darstellen zu können.
Die Wirksamkeit des Wahlzirkus im Dienste des Kapitals
Denn
der Wahlzirkus, wie überhaupt die bürgerliche Demokratie, ist ein
Hauptmittel der Vertuschung der Despotie des Kapitals, indem er die
Illusion weckt, dass die Bevölkerung selbst die Regierung und ihre
Politik bestimmen würde. Drittens aber die Erwägung, dass innerhalb der
herrschenden Klasse Deutschlands gewisse Nuancen derzeit erkennbar sind
hinsichtlich der Außenpolitik, welche es ratsam erscheinen lassen, sich
nicht frühzeitig auf eine Regierung Merkel-Westerwelle festlegen zu
lassen.
Nun,
die von uns vorausgesagte, wundersame rot-grüne Erholung bei den
Umfragen ist längst eingetreten. Auch wenn das Ansehen der bürgerlichen
Politik insgesamt, angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs und der
grassierenden Armut, immer mehr sinkt, so werden dennoch die
notwendigen Zutaten zusammengetragen, um in den Monaten bis zu den
kommenden Bundestagswahlen die Aufmerksamkeit der Bevölkerung in
Beschlag zu nehmen. Dazu gehört die sorgsam geschürte Illusion, dass
die Bevölkerung wenigstens durch ein Protestwahlverhalten ihrem Unmut
über die erlittenen Angriffe des Kapitals wirksam Nachdruck verleihen
könnte (indem sie einfach die bestehende Regierung abwählt oder für
irgendwelche Randparteien stimmt). Dazu gehört aber auch das
Schreckgespenst des Wiederauflebens des Nationalsozialismus sowie der
daraus unvermeidlich zu ziehenden Schlussfolgerung des "Zusammenstehens
aller Demokraten" – sprich die Ausgebeuteten sollen sich hinter ihre
Ausbeuter stellen. Jedenfalls ist es der herrschenden Klasse angesichts
von über fünf Millionen amtlich gezählten Erwerbslosen ein dringendes
Anliegen, mittels der Demokratie die Arbeiterklasse davon abzuhalten,
über die Ausweglosigkeit der Krise des Kapitalismus nachzudenken. Wie
wirkungsvoll diese Waffe heute noch eingesetzt werden kann, um die
Bevölkerung um aufgebauschte Scheinalternativen herum zu polarisieren,
zeigt der letzte Wahlgang in den USA. Obwohl dort die Kontrahenten Bush
und Kerry sich ständig darin zu überbieten versuchten, wer mehr Waffen,
Soldaten und Polizisten aufzubieten gedachte, um die Interessen des
amerikanischen Imperialismus durchzusetzen, wurde der Wahlgang von den
Medien als Schicksalsentscheidung zwischen Krieg und Frieden
hingestellt.
Die Visa-Affäre als Ausdruck eines Unbehagens der Bourgeoisie
Inzwischen
hat sich die Lage in Deutschland weiter entwickelt. Diese Entwicklung
kann man anhand von drei Ereignissen ausmachen. Erstens an der
sogenannten Visa-Affäre um die besonders "freizügige" Vergabe von
Touristenvisa v.a. durch die deutsche Botschaft in Kiew. Zweitens am
Scheitern der Wiederwahl der rot-grünen Koalition unter Heidi Simonis
in Schleswig-Holstein aufgrund der wiederholten Stimmenthaltung aus den
eigenen Reihen bei vier Wahlgängen. Drittens anhand des "Jobgipfels",
welcher Mitte März angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen eiligst
einberufen wurde.
Die
Visa-Affäre und die Vorwürfe gegen den Außenminister und Vizekanzler
Joschka Fischer unterstreichen die Unzufriedenheit der deutschen
Bourgeoisie angesichts der als zu mager eingestuften Erfolge der
derzeitigen Außenpolitik. Vordergründig soll es dabei um die Kritik der
Tatsache gehen, dass aufgrund einer angeblich liberalen
Visa-Vergabepraxis ukrainischen Schleuserbanden Tür und Tor geöffnet
und damit die "innere Sicherheit" gefährdet wurde. Doch just zu der
Zeit, als das Auswärtige Amt seine Botschaft in Kiew zur großzügigeren
Vergabe von Touristenvisa anhielt, verlangte die jetzt in die Rolle des
Anklägers geschlüpfte CDU/CSU selbst öffentlich die Beförderung der
Einreise ukrainischer Staatsbürger. Die Gründe dafür liegen auf der
Hand. Zum einen können die deutschen Unternehmer die besonders billigen
ukrainischen Arbeitskräfte dringend gebrauchen, um die Lohnkosten
insgesamt noch mehr zu drücken. Zum anderen bedeutet die Beförderung
von Schleuserbanden nichts anderes als Kontaktpflege zu wichtigen
Teilen der ukrainischen Bourgeoisie. Die Einsetzung einer
Untersuchungskommission in dieser Sache ist vielmehr Ausdruck der
Unzufriedenheit angesichts mangelnder Erfolge dieser Kontaktpflege.
Denn nicht zuletzt gegenüber der Ukraine war es Washington und nicht
Berlin, das von der dortigen "orangefarbenen Revolution" – sprich die
Loslösung der Ukraine von der Umklammerung Moskaus – profitieren
konnte, um Kiew näher an die Vereinigten Staaten zu locken. Auch das
Auftauchen eines Abtrünnigen – vermutlich in den Reihen der SPD – in
Kiel, um die Fortsetzung der dortigen rot-grünen Koalition zu
sabotieren, mag vielleicht ein Hinweis darauf sein, dass die Zahl der
Kritiker der Politik von Schröder-Fischer innerhalb der deutschen
Bourgeoisie momentan eher zunimmt.
Somit
zeichnet sich eine etwas veränderte politische Konstellation ab
gegenüber den letzten beiden Bundestagswahlen. Als 1998 Rot-Grün die
Regierung Kohl ablöste, geschah dies im Zeichen der völligen
außenpolitischen Kontinuität. Vor allem die Ernennung Fischers als
Außenminister verkörperte die Entschlossenheit der deutschen
Bourgeoisie, die von Kohl und Genscher nach der Wiedervereinigung
eingeleitete Politik der vorsichtigen Herausforderung der USA
fortzusetzen, zu verfeinern, und propagandistisch im Zeichen der
"Friedenstaube" auszuschmücken. Diese Politik gipfelte in der offenen
Ablehnung der Invasion in den Irak durch die USA. Auch bei den Wahlen
von 2002, welche im Vorfeld des Irakkriegs stattfanden, wurde die
außenpolitische Übereinstimmung der führenden Fraktionen der deutschen
Bourgeoisie sichtbar. Denn die damaligen Kontrahenten Schröder und
Stoiber lehnten beide eine deutsche Kriegsbeteiligung an der Seite
Amerikas ab. Jetzt aber scheint sich innerhalb der Union, im Vorfeld
der Bundestagswahl von 2006, die Fraktion um Merkel durchzusetzen,
welche einer weniger zur Schau gestellte Herausforderung der
Vereinigten Staaten das Wort redet. Durch eine größere Bereitschaft, an
der Seite Amerikas zu agieren, verspricht sich diese Fraktion größere
Möglichkeiten, um die Politik Washingtons wirksam zu sabotieren und
eigene Vorteile für den deutschen Imperialismus herauszuschlagen. Dass
Merkel gegenüber ihrem Kontrahenten Stoiber innerhalb der Union um die
Frage der Kanzlerkandidatur derzeit die Nase vorn zu haben scheint,
muss nicht eine Vorentscheidung der deutschen Bourgeoisie zugunsten
einer künftigen Regierung Merkel-Westerwelle bedeuten. Denn es würde
allen bisherigen Gepflogenheiten der CDU/CSU widersprechen, wenn ein
bereits einmal gescheiterter Kanzlerkandidat aus Bayern direkt wieder
aufgestellt würde. Wenn es sich bewahrheitet, dass 2006 zwei Kandidaten
gegeneinander auftreten – Schröder und Merkel – welche in der
Außenpolitik zwar das gleiche Ziel verfolgen, aber etwas
unterschiedliche Mittel befürworten, um dieses Ziel zu erreichen, dann
kann man davon ausgehen, dass dieses Wettrennen mit besonders harten
Bandagen ausgefochten wird. Und wenn beide Kandidaten alles aufbieten
müssen, um die deutsche Bourgeoisie von ihren jeweiligen Methoden zu
überzeugen, so kann das nur von Vorteil sein, um die lohnabhängige
Bevölkerung ideologisch in Beschlag zu nehmen.
Der Jobgipfel: Eine Alibiveranstaltung
So
schauen momentan die Medien "gebannt" nach den kommenden Landtagswahlen
in Nordrhein-Westfalen, welche bereits als Vorentscheidung für 2006
bezeichnet werden. Und tatsächlich: Da die Zugänge zu den staatlichen
Quellen von Macht, Einfluss und Reichtum nicht allein auf Bundesebene
zu finden sind, sondern in den Städten und v.a. auf Länderebene
ebenfalls sprudeln, könnte Teilen der SPD die Lust auf das Regieren auf
Bundesebene vergehen, wenn der Preis dafür die Verlust der
Vorherrschaft über das bevölkerungsreichste Bundesland wäre.
Denkbar
wäre also ein Verschnaufpause der Sozialdemokratie in der Opposition,
damit sie sich um die Gunst v.a. der eigenen Stammwählerschaft
erfolgreicher bemühen kann. Ein solcher Wechsel hätte natürlich auch
den Vorteil, dass kaum etwas die demokratischen Illusionen besser
aufzupolieren imstande ist als ein Regierungswechsel. Jedoch kann man
festhalten, dass in der heutigen Zeit, wo die Arbeiterklasse ihre
eigene Klassenidentität – geschweige denn eine eigene
Klassenperspektive – noch nicht wieder erobern konnte, dieser Gang in
die Opposition noch nicht zwingend erforderlich ist, um den eigenen Ruf
zu retten. In Großbritannien beispielsweise befindet sich die
Sozialdemokratie unter Blair noch länger an der Regierung als in
Deutschland, ohne dass sie dadurch schon verschlissen wäre.
Der sogenannte Jobgipfel am 17. März in Berlin offenbarte dafür eine andere Sorge der politischen Klasse: Nämlich dass angesichts der Dauerkrise des Systems beide großen "Volksparteien" – also SPD und Christdemokraten – gleichermaßen an Einfluss und an Mobilisierungspotential bei den Wahlen einbüßen. Denn die besondere Stabilität des deutschen wie auch des britischen Parteiensystems ruht nicht zuletzt auf dem Vorhandensein zweier großer Parteien, welche von "links" und "rechts" sich gegenseitig ablösen können. Der Jobgipfel war eine Alibiveranstaltung mit dem Ziel, den Opfern der kapitalistischen Krise vorzugaukeln, dass diese Säulen der bürgerlichen Demokratie sich um die Probleme der Arbeiterklasse kümmern. Vor allem galt es aber zu verhindern, dass die Arbeiter damit anfangen, sich selbst als Klasse um ihre Probleme zu kümmern. 19.03.05
Auffassung Brendels wird bereits in der Einleitung zu seinem
Pannekoek-Buch überdeutlich. Dort schreibt Brendel: ”Zur
Parteiauffassung gehört die Ansicht, der Sozialismus sei so etwas wie
ein ”herrliches Ideal”; zwar ein Ideal, das in den gesellschaftlichen
Verhältnissen wurzelt und sein Entstehen dem kapitalistischen
Klassengegensatz verdankt, aber dennoch ein Ideal in dem Sinne, dass es
die Aufgabe der Partei sei, den Arbeitern ihre eigenen Bedürfnisse
bewusst zu machen. Die Schriften des jungen Pannekoek vom Anfang dieses
Jahrhunderts zeigen deutlich die Spuren eines solchen Denkens.” (S. 12)
Brendel kritisiert in diesem Zusammenhang Pannekoeks Broschüre von 1906
”Ethik und Sozialismus” und wirft ihm vor, dort eine ”idealistische”
Analyse angefertigt zu haben, die “... auch ihn vom ”sozialistischen
Proletariat” reden lässt und von der Umwandlung der Gesellschaft als
einem Ziel’.” Dagegen behauptet Brendel: “Die Arbeiter setzen es sich
nicht zum Ziel, die Gesellschaft zu verändern; die Gesellschaft
verändert sich – ob sie das wollen oder nicht, und ob sie sich dessen
bewusst sind oder nicht – infolge jener Handlungen, die sie aufgrund
ihrer Klassenlage in ihrem eigenen Interesse zu tun gezwungen sind. Die
Arbeiter sind auch nicht ”sozialistisch”; sie sind einfach nur
Arbeiter. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn sie sich im
Gegensatz zur herrschenden kapitalistischen Ordnung befinden, so nicht,
weil sie sich die Schaffung anderer (”besserer”, sagen die
moralisierenden ”Idealisten”) sozialer Verhältnisse zum Ziel gesetzt
haben. Ihr Kampf gegen das Kapital entspringt nicht ihren Auffassungen,
sondern ihrer Lage. Dieser Kampf wird nicht in ihrem Kopf geboren,
sondern in ihrem Magen. Kein Ideal liegt ihm zugrunde, sondern die sehr
materielle Tatsache, dass ‘die Not sie treibt’. Auch wenn dies nicht
immer unmittelbar der Fall sein mag, so hat der Kampf der Arbeiter doch
nichts mit ‘erhabenen Idealen’ zu tun, sondern mit realen praktischen
Situationen – Situationen, die zum Beispiel das Rechtsgefühl der
Betroffenen verletzen.” (S. 14) So Brendel. Wir halten schon mal fest:
Für Brendel gibt es ein klares Entweder-Oder. Die materielle
Notwendigkeit des Sozialismus und die bewusste, willensstarke
Verfolgung dieses Ziels werden einander gegenübergestellt. Laut Brendel
werden die Arbeiter gezwungen die Revolution zu machen. Sie sind
sozusagen die willenlosen Werkzeuge der Umstände. Nicht die Proletarier
verändern die Welt, sondern ”die Gesellschaft verändert sich – ob sie
das wollen oder nicht, und ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht.”
Die Revolution bedarf weder des Bewusstseins noch des Kampfeswillens
der revolutionären Klasse. Brendel beruft sich hierbei auf Marx. Er
vergisst dabei, dass es Marx selbst war, der den wesentlichen
Unterschied zwischen Mensch und Tier - zwischen dem selbst
schlechtesten Architekt und der fleißigsten Biene darin sah, dass der
Mensch sich sein Haus und seine Zukunft zuerst im Kopf entwirft, bevor
er sie in der Wirklichkeit auszuführen versucht.
Münteferings "Anti-Kapitalismus"-Tiraden, die er Mitte April gegen die "international forcierten Profitmaximierungsstrategien" und gegen die "Heuschreckenschwärme" der Finanzmärkte richtete, haben viel Staub aufgewirbelt. Dabei ist er auf ein geteiltes Echo gestoßen. Während aus dem Unternehmerlager und der Finanzwelt heftige Kritik kam, teilten Regierung, Gewerkschaften und - da und dort - auch die Opposition seine "Kritik". Vor allem aber stießen seine rhetorischen Attacken in der Bevölkerung auf offene Ohren: In Meinungsumfragen bekundeten mehr als 70% der Befragten ihre Zustimmung. Was ist von dem ganzen Theater zu halten? Ist die SPD, deren Vorsitzender er ist und die für die schlimmsten Angriffe gegen die Arbeiterklasse in den letzten Jahrzehnten mitverantwortlich ist, nun etwa im Begriff, vom Saulus zum Paulus zu werden? Oder handelt es sich hier um ganz banale wahlkampf- bzw. parteitaktische Gründe?
Um sich ein Bild von den Hintergründen dieser Kampagne machen zu können, ist es notwendig, einen Blick zurückzuwerfen. Wie wir in dem Editorial dieser Zeitung bereits dargelegt haben, sind die nach 1989 ausgelösten Illusionen über den endgültigen Sieg des Kapitalismus und über das Verschwinden des Klassenkampfes der rauhen Wirklichkeit der sich zuspitzenden kapitalistischen Krise gewichen. Dass dies nicht ohne Spuren in der Arbeiterklasse bleibt, liegt auf der Hand. In der Tat geht mit diesen Angriffen auf den Lebensstandard und die Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse eine allmähliche Desillusionierung derselben über die Perspektiven einher, die ihr der Kapitalismus anbietet. Vorbei sind die Illusionen, dass die Arbeitslosigkeit ein Problem bestimmter Branchen und Regionen oder gar selbst verschuldet ist (s. dazu auch den Artikel über die Massenarbeitslosigkeit in dieser Ausgabe). Und auch die Hoffnung, nach einem Leben voller Plackerei wenigstens in einen auskömmlichen Ruhestand zu treten, zerplatzt wie eine Seifenblase. Dieser Prozess des Verlustes der Illusionen über ein Auskommen in der kapitalistischen Gesellschaft wirkt wie ein Katalysator für das unter der Oberfläche heranreifende Klassenbewusstsein. Denn hat die Arbeiterklasse erst einmal ihr Vertrauen in den Kapitalismus verloren, wird sie sich, angeführt von ihren revolutionären Minderheiten, auf ihre eigenen Stärken und Perspektiven besinnen müssen. Angesichts dieser brisanten Mixtur aus dem Reputationsverlust des Kapitalismus einerseits und einem ganz allmählich wiedererwachenden Klassenbewusstsein andererseits schickt die Bourgeoisie nun ihr bestes Pferd ins Rennen - die SPD. Keine andere bürgerliche Partei kann auf eine derart lange Erfahrung darin, "dem Volk aufs Maul zu schauen", zurückblicken wie die Sozialdemokraten. Ihr Gesellenstück haben sie bei der Niederschlagung der deutschen Revolution 1918-23 abgelegt, als sie es verstanden, die revolutionären Kämpfe in Deutschland abzuwürgen. Und so wie damals die Mehrheitssozialdemokraten mit Erfolg danach strebten, sich an die Spitze der revolutionären Erhebung zu stellen, um sie auszuhöhlen und ins Leere laufen zu lassen, so versucht auch heute die SPD mit ihrer aktuellen anti-kapitalistischen Terminologie, die wachsende, aber immer noch diffuse Kritik in der Klasse gegen den Kapitalismus für sich vereinnahmen und zu entschärfen.
In ihrem Bemühen, die Bewusstwerdung der Arbeiterklasse über die
Ausweglosigkeit des Kapitalismus als solchen zu verhindern, greift die
SPD zusehends auf das Programm der Antiglobalisierungsbewegung zurück.
Dies ist nicht weiter verwunderlich. Es war die europäische
Sozialdemokratie, die - mit ihrem französischen Organ Le Monde
Diplomatique als Geburtshelfer - der Antiglobalisierungsbewegung ans
Tageslicht verhalf und ihr seitdem auch finanziell zur Seite stand (1).
Dass sich zumindest die führenden Kreise der SPD bisher zurückhaltend
gegenüber dieser Bewegung verhalten hatten, lässt sich mit ihrer Sorge
erklären, nicht zur Unzeit ihr Pulver zu verschießen. Dass aber nun die
Klassen übergreifende Ideologie der Antiglobalisierer zunehmend auch
Einzug in die offizielle Politik der SPD hält, lässt erahnen, wie ernst
die Bourgeoisie das derzeitige Rumoren in der Arbeiterklasse
mittlerweile nimmt.
Stünden heute statt in zwei Monaten die Neuwahlen an, wäre der deutsche Parlamentarismus um eine Partei reicher: "Die Linkspartei - PDS" schickt sich laut Meinungsumfragen an, zur drittstärksten parlamentarischen Kraft hinter CDU/CSU und SPD in ganz Deutschland und gar zur stärksten Partei in Ostdeutschland aufzusteigen. Die Gründung dieses aus einem Zweckbündnis von PDS und WASG hervorgegangenen Parteiengebildes bereitet einigen Vertretern der etablierten Parteien zugegebenermaßen einiges Kopfzerbrechen. Nicht nur, dass es Rot-Grün um die letzte Hoffnung auf ein neues Wunder wie bei den vergangenen Bundestagswahlen bringen könnte - auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition in spe sieht zusehends ihren gegenwärtigen Stimmenvorsprung schrumpfen. Die Linkspartei macht Merkel und Westerwelle einen Strich durch die Rechnung, die Stimmen enttäuschter SPD-Stammwähler an sich zu ziehen, um somit eine komfortable absolute Mehrheit zu erringen.
Dementsprechend groß ist auch das Gezeter der etablierten Parteien. Der Populismus eines Lafontaine oder Gysi beschwöre Weimarer Verhältnisse herauf, ja gefährde die Demokratie, heißt es. Er behindere die "notwendigen Reformen", sprich: die Angriffe auf die Arbeiterklasse, indem er dem Volk vorgaukle, es gebe eine andere Wahl. Schlimmer noch: der Populismus Lafontaines schrecke nicht einmal vor fremdenfeindlichen Klischees zurück, um im rechten Wählerspektrum zu wildern. Und außerdem zögen es Populisten vom Schlage eines Lafontaine oder Gysi vor, das Weite zu suchen, sobald sie Regierungsverantwortung übernehmen müssten.
Nun, lassen wir bei all der geheuchelten Aufregung der etablierten Parteien die Kirche im Dorf. Die neue Linkspartei - eine Gefahr für die parlamentarische Demokratie? Das Gegenteil ist der Fall! Mit ihrem Erscheinen auf der Bühne des Parlamentarismus macht sie ebendiesen wieder attraktiv für all jene, die sich bereits dem ganzen Wahlzirkus abgewandt haben.
Sie verleiht dem Bundestag neue Legitimation, indem sie mit ihren populistischen Sprüchen mithilft, den Eindruck zu verwischen, dass es keine Wahlalternative zur Phalanx der "Reformer" im Bundestag gebe.
Die neue Linkspartei - eine Bedrohung der Austeritätspolitik der deutschen Bourgeoisie? Mitnichten. Wenn es drauf ankommt, steht die PDS ihren Mann. Sowohl in Mecklenburg/Vorpommern als auch in Berlin, wo sie sich an Regierungskoalitionen mit der SPD beteiligt, trägt sie zuverlässig die Angriffe gegen die Arbeiterklasse mit. Und was Lafontaine anbetrifft, so sei daran erinnert, dass er seinerzeit als Ministerpräsident im Saarland nicht gerade als Vertreter von Arbeiterinteressen bekannt war. Darüber hinaus sorgte er bundesweit für Aufregung, als er bereits in den 80er Jahren die Ausdehnung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich forderte - eine Forderung, die heute für viele Angehörige der Arbeiterklasse mittlerweile zum Alltag geworden ist. Mit der Linkspartei verhält es sich also genauso wie mit allen anderen bürgerlichen Parteien in der Demokratie: Solange sie sich in der Opposition befindet, spuckt sie große Töne; winkt ihr jedoch die Gelegenheit, an die Macht zu kommen, trägt sie - getreu dem Motto: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern - bedenkenlos jeden Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse mit.
Die Linkspartei - fremdenfeindliche "Rattenfänger"? Nicht mehr als der Rest der bürgerlichen Bagage. Es liegt in der Herrschaftslogik aller ausbeuterischen Klassen, und so auch der Bourgeoisie, begründet, die ausgebeuteten und unterdrückten Klassen und Gesellschaftsschichten zu spalten, voneinander zu isolieren und gegeneinander aufzuhetzen, um sie an einem wirksamen und vereinten Widerstand zu hindern. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind neben vielen anderen altbewährte Mittel in dieser Politik, auf die beileibe nicht nur ‚totalitäre' Regierungen zurückgreifen, sondern auch die nicht weniger totalitären "großen Demokratien" dieser Welt, wenn auch auf subtilere Art und Weise.
Die Tatsache, dass der Innenminister von Brandenburg, Schönbohm, Lafontaine wegen derlei Umtriebe auf die Liste der vom Verfassungsschutz beobachteten Personen setzen will, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass Letztgenannter eine wichtige Rolle in der politischen Strategie der deutschen Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse spielt.
Es war Lafontaine, der vor nicht einmal sieben Jahren, damals als Parteichef der SPD Schröder ins Kanzleramt verhalf. Nachdem er damals, nur wenige Monate nach Beginn der ersten rot-grünen Legislaturperiode, von Schröder entmachtet worden war und fluchtartig die Regierung verlassen hatte, kehrt Oskar Lafontaine nun, da Schröders Stern am Verglühen ist, zurück auf die politische Bühne, um - welch' Ironie des Schicksals! - mit der von ihm initiierten Gründung der Linkspartei und im Interesse der deutschen Bourgeoisie seinerseits den Sturz Schröders mit herbeizuführen und ein zweites "Wunder von der Elbe" unwahrscheinlich zu machen.
In der Tat erweist sich die Linkspartei schon jetzt als ein wirksames Mittel, um den linken Flügel in der SPD zu stärken. So setzten die Schreiners, Nahles' und der Rest der SPD-Linken bereits die "Reichensteuer" als Bestandteil des sog. Wahlmanifestes durch. Mit dem (wahrscheinlichen) Gang in die Opposition werden auch die letzten Treueschwüre zu Hartz IV und Neoliberalismus verstummen und die "globalisierungskritischen", "antikapitalistischen" Stimmen Auftrieb erhalten.
Machen wir uns nichts vor: Der "Bruderzwist" zwischen linken Sozialdemokraten und Stalinisten, welche vor der Gründung der Linkspartei an die Wand gemalt wurde, trat nicht ein. Denn was beide Traditionen eint, ist ihr Betreiben, im Zeichen einer langsam wieder erwachenden Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse die Abwehrkämpfe gegen die immer schlimmere Ausmaße annehmenden Angriffe zu sabotieren und die Entwicklung des Klassenbewusstseins zu ersticken. Die Koexistenz zwischen SPD und Linkspartei steht somit in der unseligen Tradition jener Arbeiterverräter, die - sei es in Gestalt der nach dem 2. Weltkrieg im Osten zur SED zusammengeschlossenen KPD und Ost-SPD, sei es in Form der Volksfronten in Frankreich und Spanien in den 30er Jahren - stets nach dem Motto verfuhren: Aller unserer Differenzen zum Trotz, gemeinsam gegen die Arbeiterklasse. 20.7. 2005
Gegenwärtig findet im politisierten Milieu eine Debatte über die Haltung zum 2. Weltkrieg statt, so auch in Berlin. Von dort ist uns ein Diskussionsbeitrag zur Verfügung gestellt worden, den wir nachfolgend ungekürzt veröffentlichen. Wir teilen die Hauptaussagen, insbesondere die Verteidigung des proletarischen Internationalismus. Auf Teilaspekte des Textes, wie zum Beispiel die Frage, ob der Antifaschismus als "historische Tragödie" zu bezeichnen wäre, oder wie eine proletarische Selbstverteidigung gegenüber Neonazis aussehen könnte, wollen wir aus Platzgründen erst in der nächsten Ausgabe zurückkommen. Die Zwischentitel wurden von der IKS eingefügt
Gründe genug also um eine prinzipielle Auseinandersetzung um den Antifaschismus im Verhältnis zu emanzipatorischer Kritik und Praxis zu eröffnen. Dabei ist zunächst auf einige begriffliche Ungereimtheiten einzugehen. Es kann nicht darum gehen, Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden zu denunzieren. Im Gegenteil: Da im Unterschied zu den demokratischen Formierungen die Faschisten gerade ihre außerinstitutionelle Mobilisierung in den Vordergrund stellen, ist es geraten, dort, wo sie reale Macht auf den Straßen entfalten, den Selbstschutz zu organisieren. Und dennoch nehmen wir Antifaschisten beim Wort. Dass sie (zumeist) einerseits mit dem Staatsantifaschismus nichts zu tun haben wollen, und andererseits ihre primäre politische Ausrichtung mit dem Kampf gegen die Nazis begründen, ist ein Widerspruch, der sich letztlich in Mobilisierungen zusammen mit der Herrschaft gegen den braunen Mob ausdrückt, und der nicht zufällig z.B. die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" unbehelligt lässt, wenn an der nächsten Ecke ein blödsinnig dreinblickender junger Mann mit Kurzhaarfrisur steht. Wer sich Antifaschist nennt, hat also nicht nur begrifflich einen Widerspruch zum Antikapitalismus, der nicht extra betonen muss, antisozialdemokratisch, antikonservativ etc. und also auch antifaschistisch sein. Antifaschismus hat nur einen Sinn, wenn die Kritik sich auf die faschistische Gefahr bezieht und sich damit einerseits analytisch auf das Terrain des Politischen reduziert und andererseits die Demokratie zu verteidigen sucht. Die Volks- und Einheitsfronten waren und sind somit vor diesem Hintergrund notwendiges Resultat antifaschistischen Agierens. Und noch eines: Es kann nicht drum gehen, sich an den moralisch aufgeladenen Geschichtsdebatten zu beteiligen, die immer nach der Art verlaufen, was man denn in dieser oder jener Situation getan hätte. Unser Gegenstand kann nur eine Aufarbeitung der historischen Tragödie des Antifaschismus sein, um die derzeitige Farce, die auch in der Versöhnung mit den stalinistischen und nationalistischen Ideologemen, deren Produkt die Antifa-Ideologie selbst war, besteht und die zur Desorientierung der um Emanzipation Kämpfenden beiträgt. Das Anliegen besteht daher nicht darin, ausgerechnet z.B. der KPD ihren Kurs vorzuwerfen, sondern diesen als Ausdruck der längst erfolgten Integration in die imperialistische Außenpolitik der Sowjetunion zu begreifen.
Zunächst wäre in Frage zu stellen, ob denn der Unterschied zwischen faschistischen und demokratischen Regierungsformen, der angesichts des Nationalsozialismus so evident zu sein scheint, so qualitativer Natur ist, wie uns glauben gemacht werden soll. Repressionen aller Art, Einschränkungen der Bürgerrechte, Notstandsüberlegungen und auch die physische Vernichtung Oppositioneller gehört zur Demokratie genauso wie staatlich geförderter Rassismus. Wenn die Arbeiterklasse historisch in die Offensive gegangen ist, war ihr die gesamte Härte der Staatsapparate gewiss. Und auch der Faschismus als Drohpotential und Regierungsform war schließlich immer das Produkt der Demokratie. Nicht nur die Zehntausenden ermordeter Revolutionäre in den demokratischen Industrieländern und die von deren Söldnerarmeen Abgeschlachteten Millionen in aller Welt sind davon beredtes Zeugnis. Die Kolonialprogramme der französischen und englischen Imperialisten stellten in vielem eine Vorwegnahme organisierter kapitalistischer Vernichtungspolitik unter demokratischer Flagge dar. Vor allem aber stellt sich die Frage, wie der bürgerliche Staat einzurichten sei, seinen Gegnern überhaupt nicht. Sind sie stark genug, ihn in Frage zu stellen, werden sie dies (hoffentlich) tun. Wenn nicht, wie im Falle des historischen Faschismus und Nationalsozialismus, ist die Frage längst von anderen entschieden und die Linke höchstens der legitimierende Idiot, wie im Falle des sozialdemokratischen Konzepts den "Demokraten" Hindenburg gegen Hitler zum Reichspräsidenten zu erheben.
Insofern scheitern die Ideen antifaschistischer Fronten schon strategisch. Die Vorgänger der Stoibers, Merkels, Köhlers, Westerwelles und Fischers aus den konservativen, katholischen und liberalen Parteien versagten dem historischen Nationalsozialismus ihre Dienste nicht. Und dass Sozialdemokratie und Gewerkschaften ein wenig Distanz hielten, natürlich nicht ohne dem neuen Regime ihre Dienste anzubieten, hing auch nur damit zusammen, dass der Übergang zur Diktatur sich primär gegen sie und die etwas renitenteren Kommunisten, längst zum außenpolitischen Spielball der Sowjetunion verkommen, richtete. Der Nationalsozialismus war nämlich weder eine der Demokratie entgegengesetzte Herrschaftsform noch etwa logischer Ausdruck einer spezifisch deutschen Ideologie, obwohl sich beides in ihm findet. Vor allem aber war er keine präventive Konterrevolution gegen eine zu erwartende soziale Revolution. Vielmehr war der deutsche Faschismus das Programm, unter dem sich vor dem Hintergrund einer längst geschlagenen revolutionären Arbeiterbewegung der deutsche Imperialismus gegen seine mächtigeren außenpolitischen Feinde formieren konnte. Notwendig dazu war zunächst die Zusammenfassung der Nation zur Kriegsbefähigung ohne Rücksicht auf eine eventuelle reformistische oder liberale Opposition nehmen zu müssen. Dazu gehörten neben der vollständigen Revision des Versailler Vertrages die Schleifung der in der konterrevolutionären Phase durchgesetzten Reformen gegenüber der Arbeiterbewegung und die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft. Es war kein Zufall, dass die Faschisierung des gesamten bürgerlichen Lagers sich im Zerbrechen der Großen Koalition des Sozialdemokraten Müller an der Frage der Sozialversicherung und am Rande der Diskussionen um den Reichsarbeitsdienst manifestierte. Im Gegensatz zum ersten Versuch der Etablierung eines autoritären Regimes, im sog. Kapp-Putsch 1920, traf dies eine weitgehend wehrlose Arbeiterklasse. Thesen, die von einer Verhinderung einer Machtübertragung an die Nationalsozialisten durch die Einheit aller Demokraten oder die der Arbeiterbewegung, ausgehen, verlieren angesichts des politischen Willens und der Kräfteverhältnisse im damaligen Deutschland jegliche Realitätsnähe. Schlimmer noch: 1920 hatte sich gezeigt, dass die Verhinderung des Faschismus nur auf dem Terrain des Klassenkampfes, und damit in der Dynamik vom Angriff auf das Regime hin zum Angriff auf den Staat, und eben nicht auf der Basis bürgerlicher Realpolitik erreicht werden konnte. Nur auf den Straßen und in den Betrieben konnten sich Machtbastionen bilden, die den Putschisten trotzen und anschließend erst von der Einheitsfront aus Sozialdemokraten und reaktionärer Reichswehr niedergemetzelt werden konnten. Die Propagandisten der Volks- und Einheitsfronten haben nicht nur vergessen (oder bewusst verschwiegen), dass diese Fronten immer nur gegen die Emanzipationsbestrebungen der arbeitenden Klasse zustande kommen, sie haben vor allem dazu beigetragen, die Objektrolle der Masse der Menschen zu verabsolutieren.
Aber damit noch nicht genug: Der Antifaschismus hat den Nationalismus weiter befördert und die Vereinigung der Proletarier aller Länder mit verhindert. Als im I. Weltkrieg die II. Internationale in ihre nationalistischen Bestandteile aufgelöst wurde, einigten sich die wenigen verbliebenen Revolutionäre in der Zimmerwalder Bewegung auf programmatische Eckpunkte, die eine Interventionsfähigkeit in den Schlächtereien des Krieges überhaupt erst wieder ermöglichten. Im Zentrum stand der revolutionäre Defätismus: Im Kriegsfalle sollte keinerlei Partei für eine der kriegführenden Mächte ergriffen werden, sondern die internationale Einheit des Proletariats gegen alle Kriegsparteien verteidigt und, wenn möglich, der Krieg in Bürgerkrieg verwandelt werden. Damit wurde sowohl der Pazifismus, der die Schuld ins Zentrum seiner Parteilichkeit rückte, als auch die Position der deutschen Sozialdemokratie, die ihre Vaterlandsverteidigung mit dem roll-back gegen den Zarismus als autokratischstem Regime Europas begründete, zurückgewiesen. Dies war und ist nicht nur politisch-strategisch bedeutsam. Imperialistische Kriege sind nicht Produkte machtgeiler Herrscher oder einzelner Verrückter. Sie sind Produkte der entfesselten Konkurrenz um Rohstoffe, Märkte, Kapitalströme und Besetzung geostrategisch wichtiger Räume vor dem Hintergrund unterschiedlicher Voraussetzungen, die jeweiligen Interessen durchsetzen zu können. Hinter dem revolutionären Defätismus steckte aber auch methodisch jegliche Zurückweisung idealistischer Auffassungen, die die konkrete Ausgestaltung und Politik von Nationalstaaten unabhängig von der jeweiligen Position in der Totalität der kapitalistischen weltweiten Vergesellschaftung zu analysieren trachteten. Demgegenüber haben Marxisten Traditionen, spezifische Herrschaftsideologien und natürlich auch konkrete Organisationsformen bürgerlicher Herrschaft vor allem in Abhängigkeit von ökonomischen Potentialen und der Stellung auf Weltmarkt und militärischem Gebiet analysiert. Die Barbarei des deutschen Faschismus war dabei ebenso Teil der kapitalistischen Totalität und ihr Produkt wie die alten Demokratien und der russische Staatskapitalismus. Eine Sichtweise, die sich auf die Seiten kriegführender Mächte wegen ihrer vermeintlich höheren Zivilisationspotentiale schlägt, berücksichtigt nicht, dass dies wiederum selbst Ursache entstehender Kriege ist: Wer sich im Frieden durchsetzen kann, benötigt den Krieg nicht, legt ihn aber für andere nah. Antifaschisten legitimieren bis heute die Führung imperialistischer Kriege, und dies nicht nur in der besonders widerlichen Form der "antideutschen" Fahnenschwenkerei, und leisten so ihren Beitrag zu Nationalismus und Massenmord. Kommunisten hätten dagegen auch in Zeiten eines bestialischen Nationalismus internationalistische Positionen aufrecht zu halten und Vereinigung der sich gerade abschlachtenden Proletarier gegen alle Bourgeoisien und ihre jeweiligen Staaten zu symbolisieren. Außer von wenigen Revolutionären, häufig genug für ihre Prinzipientreue massakriert, ist die internationalistische Position im II. Weltkrieg zertrampelt worden. Die stalinisierte kommunistische Bewegung hat als 5. Kolonne Moskaus dem russischen Imperialismus die verbliebenen Bestände zugetrieben und nebenbei die spanische Revolution hinter der Front niederkartätscht. In den angelsächsischen Ländern hat der Burgfrieden zum Abbruch jeglicher emanzipatorischer Bewegung, häufig genug durch blutige Repression, geführt und in Frankreich hat die antifaschistische Linke das Bündnis mit der Bourgeoisie gesucht, die sich dann doch für die Deutschen entschieden hat.
Was für die Verteidigung der Demokratie innenpolitisch gilt, kann auch außenpolitisch Gültigkeit beanspruchen: Aus der Position der Schwäche heraus, bestimmte imperialistische Staaten zu legitimieren, macht deren militärische Position nicht stärker. Die Alliierten haben den Krieg weder begonnen noch gewonnen wegen der Solidarität einiger Linker. Aber die Nichtwahrnehmbarkeit internationalistischer Positionen hat eine Beendigung des Krieges oder soziale Revolutionen durch ein revolutionäres Proletariat, wie es sie nach dem I. Weltkrieg gab, verunmöglicht. Im Gegenteil: In Griechenland haben die Briten mit sowjetischem Segen und ohne nennenswerte Proteste aller Antifaschisten die Aufstände niedergeschlagen und in Spanien die Führungen von Sozialisten, KP und teilweise auch der Anarchisten mit Deckung aller Alliierten die Front von hinten erdolcht.
Bleibt das letzte und auch modernste Argument: Die geforderte Anerkennung der Singularität der in Auschwitz symbolisierten industriellen Vernichtung der europäischen Juden bzw. Sinti und Roma. Wer die Anerkennung von Singularität einfordert, meint damit nicht nur, dass etwas als einzigartig Anerkennung finden soll. Das wäre banal. Es geht um die von allem anderen Grauen zu unterscheidende Qualität des Ausmaßes vor allem aber der nicht einmal mehr auffindbaren instrumentellen Vernunft. Auch angesichts der Genozide an den Armeniern und in Ruanda, der Vertreibung und Ermordung eines Großteils der amerikanischen Ureinwohner, der Kolonialpraxis und vieler anderer "Verbrechen gegen die Menschheit" besitzt die Vernichtung in Nazi-Deutschland auch heute noch eine einmalige Dimension, genauso wie die (Vernichtungs-) Kriegsführung. Was aber für die quantitative Seite konstatiert werden kann, ist für die qualitative Seite nicht möglich. Die Vernichtungspraxis entsprach der inneren Formierung im Krieg und wurde gleichzeitig auch nur durch ihn möglich. Ob der eine oder andere kühl kalkulierende Nachwuchspolitiker das nicht noch einmal so machen würde, sagt über die innere Logik der Vernichtung nichts aus. Das schlimmste: Das Geschwätz von der Singularität dient seit 1945 immer als Alibi für jede Barbarei und als Legitimation der menschenfreundlichen Verfasstheit der verschiedenen Staaten. Auch der akut wahrnehmbare Zynismus vieler Antifaschisten gegenüber allen möglichen Greueln ist immer durch Auschwitz gedeckt. Unnötig zu sagen, dass auch historisch die so hoch gelobten Alliierten die Rettung der europäischen Juden nicht nur nicht durchführten, sondern wie im Falle der Abschlagung des Angebots der Auslieferung der ungarischen Juden an die Briten boykottierten. Und auch der in vielen antifaschistischen Kreisen zu späten Ehren gekommene Benes vertrieb zunächst die deutschen Juden mit den Deutschen zusammen, um später gegen die wenigen verbliebenen osteuropäischen Juden seinen ethnisch homogenisierten Staat aus Tschechen und Slowaken zu begründen. Auch die antisemitischen Kampagnen des Stalinismus lassen hier vom Mythos nichts übrig.
Für die Menschen in den Konzentrationslagern, Gefängnissen, für die illegal Lebenden und Zwangsarbeiter und angesichts des Vernichtungskrieges der Wehrmacht stellte die Zurückdrängung der deutschen Armee und das Ende des Krieges überhaupt erst die Möglichkeit eines Überlebens dar. Und dennoch: Im Gegensatz zu dem Krieg, der nur drei Jahrzehnte zuvor Europa in Schutt und Asche gelegt hatte, brachte dieser Krieg nicht einmal ein Potential der Befreiung zum Vorschein. Die Niederlage Deutschlands im imperialistischen Krieg zementierte die internationale Barbarei des Kapitalismus - mit antifaschistischen Weihen. Nicht nur dass bis heute das millionenfache Leid der v.a. vom russischen, tschechoslowakischen und polnischen Nationalismus Vertriebenen, der Hunderttausenden Ausgebombten, der in den Kolonien gefesselten Massen, der Millionen Opfer der pax americana und der vom Stalinismus geknechteten Proletarier Russlands und Osteuropas durch die weitgehend widerstandslos hingenommene Reorganisation des Kapitalismus in Ost und West zynisch weggewischt wird. Der antifaschistische Nebel umhüllt weiterhin als Ideologie sowohl die analytische Klarheit als auch die Perspektive der Emanzipation und dient ganz nebenbei den Herrschenden schon zur nächsten Kriegsvorbereitung.
Gegen Faschismus und Demokratie! Für den Kommunismus!
Mai, 2005. G.
Wir haben erfahren, dass der Genosse Mauro Stefanini, einer der ältesten und engagiertesten Genossen von Battaglia Comunista und selbst der Sohn eines alten Genossen der Italienischen Linken, nach langer Krankheit verstorben ist. Wir veröffentlichen nachfolgend einige Auszüge eines Solidaritätsbriefes, den die IKS sofort an das IBRP geschickt hat sowie Auszüge eines Dankesschreibens, das uns ein Genosse des IBRP im Namen seiner Organisation ausgerichtet hat.
Brief der IKS: Genossen, wir sind sehr traurig vom Tod des Genossen Mauro zu erfahren (...) Die Mitglieder unserer Organisation, die ihn persönlich kannten, werden seine Lebendigkeit und seinen warmherzigen Umgang vermissen. Aber aus zwei weiteren Gründen sind wir durch seinen Tod besonders betroffen.
Erstens empfinden wir den Tod Mauros als einen Verlust für die Arbeiterklasse. Natürlich spielten seine persönlichen Eigenschaften, insbesondere seine Fähigkeit als Redner und Redakteur eine große Rolle. Aber was uns am wichtigsten erscheint, war sein Engagement und seine Hingabe als Militant. Diese hat er auch in der Zeit aufrechterhalten, als die Krankheit dabei war, ihn zu besiegen. Zweitens vergessen wir nicht, dass Mauro der Sohn Lucianos war, ein Mitglied der Italienischen Fraktion, den unser Genosse MC sehr hoch wegen seines Engagements schätzte, aber auch für seine politische Klarheit, da er unter den Genossen der Fraktion einer der ersten war, der die Konsequenzen der historischen Periode hinsichtlich der Gewerkschaftsfrage begriff, welche durch den Ersten Weltkrieg eröffnet war.
Als Folge der schrecklichen Konterrevolution, die nach dem Scheitern der Weltrevolution auf die Arbeiterklasse niederging, verschwand nahezu vollständig die vormals sehr lebendige Tradition der früheren Arbeiterbewegung: Die Tatsache, dass viele Kinder (wie die Mädchen Marxens, der Sohn Wilhelm Liebknechts und viele andere) die Flamme ihrer Eltern weitertrugen, konkretisiert somit die Kontinuität des Arbeiterkampfes zwischen zwei Generationen. Mauro war einer der wenigen Genossen, die diese Tradition fortsetzten -und dies ist ein zusätzlicher Grund unserer Sympathie für ihn (...) Deshalb versichern wir Euch, Genossen des IBRP, unsere aufrichtige Solidarität. Kommunistische Grüße, die IKS
Genossen,
Im Namen des IBRP möchte ich mich für Eure Solidaritätsgrüße nach dem schwerwiegenden Verlust unseres Genossen Mauro bedanken. Wie ihr geschrieben habt, handelt es sich für uns um einen sehr schmerzhaften Verlust: wegen seiner menschlichen Eigenschaften, seiner Leidenschaft und seinem Engagement für die Sache des Proletariats war Mauro einer der Genossen, der nur selten zu finden ist. Sein Leben als Kommunist war sozusagen in seinen Genen ‚eingeschrieben': Nicht nur, weil er aus einer Familie stammte, die dem Kommunismus so viel gegeben hat, sondern vor allem, weil sich sein Geist instinktiv gegen den geringsten Ausdruck von Unterdrückung und Ungerechtigkeit auflehnte. Es wird nicht leicht sein, die politische Leere, die der Genosse hinterlässt, zu füllen; es wird unmöglich sein, die menschliche Leere zu ersetzen (...) Nochmals vielen Dank für Eure Botschaft, kommunistische Grüße.
Wir haben in der letzten Ausgabe von Weltrevolution den Diskussionsbeitrag “Antifaschisten legitimieren bis heute die Führung imperialistischer Kriege” aus Berlin veröffentlicht. Aufgrund der ungewöhnlichen Qualität und Klarheit dieses Beitrags, sowie der Wichtigkeit und Aktualität des behandelten Themas, beschlossen wir, diesen Artikel seiner Länge zum Trotz ungekürzt abzudrucken. Indem er eine historische Methode anwendet, kann der Artikel aufzeigen, weshalb der Antifaschismus, einst das ideologische Aushängeschild der DDR, seit 1989 zur offiziellen Staatsideologie des wiedervereinigten Deutschland avanciert ist. Es wird sehr konkret aufgezeigt, dass diese Ideologie – weit davon entfernt, einen antikapitalistischen, oder auch nur einen (von den “Anti-Deutschen” angenommenen) konsequent gegen die Interessen des deutschen Imperialismus gerichteten Charakter aufzuweisen – heute die ideale Kriegsideologie der bundesrepublikanischen Bourgeoisie geworden ist. Der Beitrag aus Berlin gibt sich aber mit diesen Feststellungen nicht zufrieden. Er zeigt grundsätzlich auf, dass diese Ideologie jeglicher gegen den Kapitalismus als System gerichteten Natur entbehrt, indem er nachweist, dass die Bezeichnung und die Ausrichtung “Antifaschismus” nur Sinn ergibt als Stigmatisierung des Faschismus gegenüber anderen, als weniger reaktionär erachteten Erscheinungsformen des Kapitalismus. Somit führt der Antifaschismus mit Notwendigkeit zur Verteidigung des Profitsystems unter dem Denkmantel der Demokratie. Indem er sich auch hier auf die Erfahrung der Geschichte stützt, zeigt der Artikel auf, dass der von antifaschistischer Seite geforderte Zusammenschluss aller Demokraten niemals gegen die Faschisten, sondern immer nur gegen die Arbeiterklasse stattfand, wobei dieser antiproletarische Zusammenschluss auch die Faschisten mit einschließen kann. Nicht zuletzt wird die Behauptung widerlegt, derzufolge der Faschismus eine vorbeugende Konterrevolution gegen eine zu erwartende soziale Revolution gewesen sei, sondern erst siegen konnte, nachdem die Demokratie der Arbeiterklasse entscheidende Niederlagen zugefügt hatte.
Soweit stimmen wir der Hauptargumentation dieses Artikels uneingeschränkt und mit großer Überzeugung zu. Wobei vielleicht noch anzumerken wäre, dass der Artikel, auch in den Teilen, wo die aktuelle Weltlage mit behandelt wird, zumeist präzise und nuanciert argumentiert. Sogar die in linken Kreisen übliche Behauptung, die Europäische Union sei bereits ein um die deutsch-französische Achse herum ausgebildeter, gegen Amerika gerichteter imperialistischer Block, wird hier etwas vorsichtiger und differenzierter als sonst behandelt (schließlich waren die beispielsweise zur Zeit des letzten Irakkrieges amerikafreundlich eingestellten Länder – von Spanien und Italien bis Großbritannien und Polen – ebenfalls innerhalb der EU reichlich vertreten!)
Es sind bloß einige wenige Sätze des Berliner Artikels, welche uns unklar erscheinen. Diese Sätze betreffen nicht so sehr die historische Argumentationsweise, als die Frage, wie man sich konkret zu antifaschistischen Aktionen heute verhält. Dennoch glauben wir, dass eine unklare Praxis auch die Klarheit der theoretischen Position trüben wird. Der Artikel sagt dazu: “Es kann nicht darum gehen, Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden zu denunzieren. Im Gegenteil: Da im Unterschied zu den demokratischen Formierungen die Faschisten gerade ihre außerinstitutionelle Mobilisierung in den Vordergrund stellen, ist es geraten, dort wo sie reale Macht auf den Straßen entfalten, den Selbstschutz zu organisieren.” Was an dieser Aussage auffällt, ist die politisch abstrakte Formulierungsweise. Während sonst im Artikel das bürgerliche, antifaschistische Geschwätz dadurch messerscharf auseinandergenommen wird, indem stets von Klassen statt von ewigen Werten die Rede ist, spricht man hier von “Widerstand” an sich, ohne seinen Klassencharakter zu erörtern. Von welchem Widerstand ist hier die Rede? An anderer Stelle des Artikels ist sehr richtig von den marschierenden Nazis die Rede, welche von “großen Teilen der staatstragenden und -bejahenden linken Oppositionellen” von PDS und Wahlalternative bis zu SAV und Linksruck “zum Popanz aufgebläht” werden. Dazu heißt es weiter: “Zwar stellen in zumeist ländlichen Gegenden und hauptsächlich im Osten Deutschlands die Kneipen- und Straßenschläger eine immense Gefahr für Migranten, Obdachlose, Homosexuelle, linke und andere nicht ins volksgemeinschaftliche Bild passende dar, der unbedingt und mit aller Konsequenz begegnet werden muss, aber im öffentlichen Diskurs sind sie völlig isoliert und weit davon entfernt, wie in den späten 20er und 30er Jahren Unterstützung bei den Eliten zu finden.” Diese Einschätzung der vergleichsweise mangelnden Unterstützung der Nazischläger von Seiten der heutigen herrschenden Eliten gegenüber der Zeit der Konterrevolution, sowie der von den militanten Antifaschisten zum Popanz aufgeblähten rechten Gefahr teilen wir voll und ganz. Wir nehmen außerdem an, dass diese Stelle die Antwort auf unsere Frage liefert, welcher Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden gemeint ist. Und trotzdem bleibt unsere Frage unbeantwortet: Vom Widerstand welcher Klasse ist hier die Rede?
Es wäre in der Tat blödsinnig, irgend jemandem – ob Mann oder Frau, Deutschen oder Migranten, Homosexuellen oder Heterosexuellen, das Recht abzusprechen, sich zu verteidigen. Nicht weniger unsinnig wäre es, die Notwendigkeit in Abrede zu stellen, anderen in Not geratenen Menschen beizustehen. Gerade revolutionäre Marxisten sind von der Notwendigkeit überzeugt, angegriffenen Menschen – ob Migranten, Obdachlosen, Homosexuellen oder anderen – zu Hilfe zu eilen. Wer die Geschichte der Arbeiterbewegung kennt, wird wissen, wie oft das Leben von Revolutionären gerettet wurde von Menschen, welche mit den Zielen des Marxismus überhaupt nicht sympathisierten, und dennoch aus einer tiefen Menschlichkeit heraus handelten, oft unter Einsatz des eigenen Lebens. Diese Menschlichkeit ist nicht notwendigerweise mit einer bestimmten politischen Ausrichtung oder einer gewissen Klassenzugehörigkeit verbunden. Im Gegenteil: Sie wird erst dort zu voller Entfaltung gelangen, wo es keine Klassen und keine im heutigen Sinne politischen Ausrichtungen mehr gibt – im Kommunismus. Es ist allerdings unsere Überzeugung, dass diese Menschlichkeit heutzutage am ehesten in den Reihen der ausgebeuteten, kollektiv produzierenden, eigentumslosen Klasse der Lohnabhängigen anzutreffen ist, vor allem aber beim kämpfenden Proletariat, und dass diese Menschlichkeit sich um so mehr vertiefen und verbreiten muss, je gigantischer die Kämpfe dieser Klasse und die Ziele dieser Kämpfe werden.
Solche urwüchsigen Ausdrücke des gemeinschaftlichen Wesens unserer Gattung sind aber wohl kaum gemeint, wenn von “Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden” gesprochen wird. Wo nicht von spontaner Hilfsbereitschaft, sondern von organisierten Aktionen die Rede ist, kommt ein Marxist nicht umhin, nach der politischen Ausrichtung und dem Klasseninhalt solcher Aktionen zu fragen.
Somit zwingt sich eine erste Feststellung auf: Da allein das Proletariat imstande ist, einen autonomen und zukunftsweisenden Klassenkampf gegen das Kapital insgesamt zu führen, ist das Proletariat auch die einzige Klasse, welche den Faschismus, als eine Spielart der Kapitalherrschaft, und die Faschisten als eine politische Strömung der bürgerlichen Klasse erfolgreich bekämpfen kann. Gerade deshalb kann es in diesem Kampf kein Bündnis mit anderen Klassen d.h. mit den Antifaschisten eingehen. Genau diese Lehre hat der Berliner Artikel aus der Geschichte (namentlich aus der Erfahrung des proletarischen Kampfes gegen den Kapp Putsch von 1920 in Deutschland) gezogen: “1920 hatte sich gezeigt, dass die Verhinderung des Faschismus nur auf dem Terrain des Klassenkampfes, und damit in der Dynamik vom Angriff auf das Regime hin zum Angriff auf den Staat, und eben nicht auf der Basis bürgerlicher Realpolitik erreicht werden konnte.”
Das bedeutet aber zweitens, dass allein das Proletariat imstande ist, wirkungsvoll und zukunftsweisend Minderheiten vor dem Zugriff der Rechtsradikalen, wie vor den Angriffen anderer Teile der Bourgeoisie zu schützen. Die Geschichte liefert uns zahlreiche Beispiele dieser Bereitschaft und Fähigkeit der Arbeiterklasse, die wehrlosen Opfer der kapitalistischen Barbarei zu beschützen. So haben die Arbeiterräte von 1905 in Russland bewaffnete Milizen aufgestellt und entsandt, um Pogrome gegen die Juden zu unterbinden. Und selbst mitten im 2. Weltkrieg, während das antifaschistische Kriegsbündnis des amerikanischen, britischen und russischen Imperialismus keinen Finger krumm machte, um den Holocaust zu verhindern, erreichte die kämpfende niederländische Arbeiterklasse mittels eines Massenstreiks zumindest das vorläufige Aussetzen der Deportationen in die Konzentrationslager.
Kommen wir aber jetzt zum heutigen “Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden” beispielsweise in “ländlichen Gegenden Ostdeutschlands”. Es liegt auf der Hand, dass es sich hierbei heutzutage leider noch lange nicht um Klassenaktionen zum Schutze dieser Opfer handelt. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass das Proletariat verpflichtet und auch befähigt ist, einen solchen Schutz zu bieten. Während diese Verpflichtung stets da ist, wird die Arbeiterklasse nicht immer dazu imstande sein. Diese Fähigkeit hängt mit einer Reihe von Faktoren zusammen, deren wichtigste die historische Periode und das vorherrschende Kräfteverhältnis sind.
Heute ist es in bestimmten Kreisen, welche erst neulich mit den Traditionen der Kommunistischen Linken Bekanntschaft gemacht haben, scheinbar geradezu eine Modeerscheinung geworden, verächtlich die Arbeiterbewegung in der Zeit vor 1914 als eine bürgerliche Angelegenheit abzutun. Jedoch war es z.B. in der Zeit der Bismarckschen Antisozialistengesetze üblich, dass in Deutschland sozialistisch gesinnte Arbeiter offen und kämpferisch beispielsweise gegen die Antisemitenbewegung auftraten. Und dies, obwohl sie dabei Gefahr liefen, außer Landes gewiesen und damit brotlos und sogar obdachlos zu werden. Dass es damals so etwas gab, hängt damit zusammen, dass es permanente Massenorganisationen der Arbeiterbewegung noch geben konnte, welche den Typus des klassenbewussten Arbeiters hervorbrachten. Sozialistische Parteien stellten häufig jüdische Genossen als Kandidaten zu den Wahlen auf, wobei diese Wahlkämpfe regelmäßig zu Lehrstunden des proletarischen Internationalismus wurden. Aber nicht nur gegenüber dem Antisemitismus, sondern gegenüber jeder Art von Chauvinismus ging die Arbeiterbewegung vor. Als im Oktober 1895 Teile der britischen Gewerkschaften eine gesetzliche Begrenzung der Einwanderung forderten, organisierte der revolutionäre Flügel der Arbeiterbewegung große Protestbewegungen dagegen. Und als im Jahr darauf in England im Zeichen des aufziehenden Rüstungswettlaufs zwischen London und Berlin eine antideutsche Hetzkampagne in den Medien hochgepeitscht wurde, wurde Wilhelm Liebknecht auf die Insel eingeladen, wo er auf einer Reihe von Massenveranstaltungen als Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung frenetisch gefeiert wurde.
Als die Zeit der dauerhaften Reformen innerhalb des Kapitalismus mittels ständiger Massenorganisationen der Arbeiterklasse mit dem 1. Weltkrieg zu Ende ging, blieb diese politische Kultur der Arbeiterklasse zunächst bestehen. Ja, sie vertiefte sich im Verlauf der großen revolutionären Kämpfe. Aber da dieser revolutionäre Ansturm letztlich scheiterte, und eine Jahrzehnte dauernde Konterrevolution folgte, ging diese politische Kultur, dieses unschätzbare Erbe eines Jahrhunderts proletarischer Kämpfe wieder verloren. Zwar leben wir heute nicht mehr in Zeiten der Konterrevolution. Aber da die Klasse in der Niedergangsphase des Kapitalismus sich nur im Verlauf ihrer Massenkämpfe selbst organisieren kann, und diese Organisationen nach Beendigung des Kampfes nicht weiterbestehen können, wird das Proletariat vermutlich noch viele Jahre brauchen und etliche Kämpfe durchstehen müssen, bis es wieder einen solchen Grad an politischer Kultur erlangt, dass es bewusst, organisiert und selbständig seine historische Rolle der Beschützung der Menschheit vor der viehischen bürgerlichen Verfolgung wiederaufnehmen kann. In der Zwischenzeit liegt die Aufgabe der Revolutionäre in dieser Hinsicht darin, alles zu tun, um die Arbeiterklasse in diese Richtung zu leiten und aufzuklären. Es nutzt der Sache des Proletariats rein gar nichts, wenn man auf die Tatsache, dass die Klasse zumeist noch nicht so weit ist, reagiert, indem man an Stelle der Klasse handelt. Noch weniger hilfreich ist es, wenn man den Boden des selbständigen Klassenkampfes verlässt und sich an den Aktionen des Antifaschismus beteiligt.
Neben der Ausklammerung der Klassenfrage ist uns bei der Formulierung des Problems eines Widerstands gegen Rechts in dem Beitrag aus Berlin noch eine weitere Unklarheit aufgefallen. Es handelt sich um die bereits oben zitierte Behauptung, derzufolge die Faschisten “im Unterschied zu den demokratischen Formierungen gerade ihre außerinstitutionelle Mobilisierung in den Vordergrund stellen.” Diese Unterscheidung wird als Grund dafür angegeben, weshalb es geraten sei, dort, wo die Nazis “reale Macht auf den Straßen entfalten, den Selbstschutz zu organisieren.”
Nun, diese behauptete Unterscheidung zwischen den Faschisten und den demokratischen Formierungen trifft so nicht zu. Es trifft zu für die CDU und auch für die SPD. Für die Linkspartei-PDS trifft es schon nur bedingt zu. Für SAV, Linksruck und die anderen Hauptaktivisten des Antifaschismus trifft es gar nicht zu. Diese Gruppierungen stellen, nicht weniger als die Faschisten, ihre “außerinstitutionelle Mobilisierung in den Vordergrund” auch wenn sie sich, wie die Faschisten auch, an den Parlamentswahlen beteiligen. Es ist sogar allgemein bekannt, dass diese linken außerparlamentarischen Kräfte, welche der Berliner Diskussionsbeitrag völlig zu recht als staatstragend bezeichnet, ebenfalls ihr Hauptbetätigungsfeld “auf den Straßen” sehen, und zwar genau in solchem “Widerstand gegen die faschistischen Schläger”. Meistens ist von “Migranten, Obdachlosen und Homosexuellen” weit und breit nichts zu sehen, wenn Faschisten und Antifaschisten “organisiert” aufeinander losgehen.
Es liegt uns fern, dem Autor des von uns veröffentlichten Beitrags vorzuwerfen, antifaschistische Bündnisse vor Ort einzugehen, da wir ohnehin wenig über seine momentane politische Praxis wissen. Was wir aber wissen, ist, dass in den letzten Jahren verhältnismäßig viele politisch Nachdenkende, welche - nicht ohne Bauchschmerzen- sich theoretisch vom Antifaschismus verabschiedet haben, sich weiterhin an den üblichen antifaschistischen Aktionen beteiligen. Sie tun sozusagen weiterhin im kleinen, was sie im großen und ganzen, auf der Ebene der Geschichte ablehnen.
Jedenfalls scheint auch der Berliner Beitrag zur Kenntnis zu nehmen, dass bei besagtem “Widerstand” die “staatstragenden” Linken kräftig mit von der Partie sind; denn, direkt nachdem die “Organisierung” des “Selbstschutzes” beschworen wird, heißt es: “Und dennoch nehmen wir Antifaschisten beim Wort. Dass sie (zumeist) einerseits mit dem Staatsantifaschismus nichts zu tun haben wollen, und andererseits ihre primäre politische Ausrichtung mit dem Kampf gegen die Nazis begründen, ist ein Widerspruch, der sich letztlich in Mobilisierungen zusammen mit der Herrschaft gegen den braunen Mob ausdrückt.” Wie ist das gemeint: Die Antifaschisten beim Wort nehmen? Wir wissen es nicht. Denn auch diese Aussage wird nicht konkretisiert. Wir wollen auch nicht darüber spekulieren, wie der Autor es gemeint hat. Statt dessen wollen wir darauf hinwiesen, dass in dem Milieu, welches sich theoretisch vom Antifaschismus gelöst hat, aber weiterhin an den antifaschistischen Aktionen beteiligt ist, die Redewendung “die Antifaschisten beim Wort nehmen” häufig gebraucht wird, und zumeist etwas ganz Bestimmtes meint. In der längst zum Ritual gewordenen Auseinandersetzung zwischen rechts und links gibt es nicht zwei Parteien sondern drei: Die Faschisten, die Antifaschisten und die Polizei. Innerhalb des antifaschistischen Blocks gibt es zumeist solche (oft bilden sie die Mehrheit), welche Pfui rufen, wenn die Polizei die Faschisten schützt, und zujubeln, wenn die Polizei die Faschisten verprügelt. Diese Leute wollen, dass sich die Polizei auf die Seite der Antifaschisten gegen die Nazis stellt. Mit “die Antifaschisten beim Wort nehmen” wird in diesem Kontext gemeint, dass man die Antifas dazu aufruft, konsequent nicht nur gegen die Nazis, sondern auch gegen die Polizei vorzugehen. Kann man den Antifaschismus bekämpfen, indem man die Antifaschisten dazu auffordert, ihr Handwerk konsequenter zu verrichten? Wird der Antifaschismus als Ideologie und als Bewegung weniger bürgerlich dadurch, dass man sich mit der Polizei anlegt? In Belfast haben sich zuletzt die Anhänger des Oranienordens Nächte lange Straßenschlachten mit der britischen Polizei geliefert. Dabei sind diese Oranier nicht nur stockreaktionär und staatstragend, sondern sogar unbedingte Verfechter der Zugehörigkeit Nordirlands zum britischen Staat.
Jemanden beim Wort nehmen heißt normalerweise, Konsequenz von ihm einzufordern. Sind die Antifaschisten inkonsequent, wenn sie sich mit dem Staat identifizieren? Der Berliner Genosse hat selbst in seinem Beitrag nachgewiesen, dass das Gegenteil der Fall ist!
Es liegt auf der Hand, dass gerade die Revolutionäre das Bedürfnis verspüren, den Opfern der kapitalistischen Repression beizustehen. Jedoch besteht die spezifische, von niemanden sonst zu erfüllende Rolle der Revolutionäre darin, die politischen Prinzipien des Proletariats hochzuhalten. Natürlich kann man jetzt einwenden, dass die Revolutionäre es sich durch die Anwesenheit der staatstreuen Linken auch nicht nehmen lassen, sich an Arbeiterkämpfen zu beteiligen. Richtig. Jedoch handelt es sich bei den Arbeiterkämpfen um eine Auseinandersetzung zwischen Proletariat und Bourgeoisie, während es sich beim Zusammenstoß zwischen rechts und links um eine Auseinandersetzung innerhalb der Bourgeoisie handelt. Das ist der ganze Unterschied.
Die Unfähigkeit des Kapitalismus, auf die Katastrophe mit auch nur einem Anschein von menschlicher Solidarität reagieren zu können, zeigt, dass die Kapitalistenklasse nicht mehr in der Lage ist, die Gesellschaft zu führen, dass ihre Produktionsweise in einen Prozess der sozialen Auflösung versinkt - buchstäblich an den Füßen verfault -, dass die Kapitalistenklasse der Menschheit nur noch eine Zukunft von Tod und Zerstörung anzubieten hat. Das Chaos, das in den letzten Jahren ein Land nach dem anderen in Asien und Afrika ergriffen hat, ist nur ein Vorgeschmack davon, was der Kapitalismus auch für die industrialisierten Länder in der Zukunft auf Lager hat, und New Orleans gewährt uns einen Einblick in diese trostlose Zukunft.
Wie immer war die Bourgeoisie schnell dabei, uns alle möglichen Alibis anzubieten, um ihre Schandtaten und Fehlschläge zu entschuldigen. Mit einem Schwall an Ausreden heule sie uns vor, sie hätten doch alles getan, was sie könnten; es sei eine natürliche Katastrophe gewesen und keine Menschen gemachte; niemand hätte diese in der Geschichte der Nation schlimmste Katastrophe erwartet; niemand hätte vorhersehen können, die Dämme würden die Wassermassen nicht zurückhalten und brechen. Kritiker der Regierung sowohl in den USA als auch im Ausland beschuldigen die Bush-Regierung der Unfähigkeit, zugelassen zu haben, dass sich eine Naturkatastrophe zu einer sozial Katastrophe wird. Das ganze bürgerliche Geschwafel lenkt vom Kern des Problems ab. Es wird versucht die Aufmerksamkeit von der Wahrheit wegzulenken, nämlich dass das kapitalistische System selbst der Verantwortliche ist.
“Wir tun alles, was wir können”, ist schnell das meist gebrauchte Klischee im Vorratslager der bürgerlichen Propaganda geworden. Sie tun alles, was sie können, um den Irakkrieg zu beenden, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu kriegen, das Schul- und Erziehungswesen zu verbessern, die Kriminalität aufzuheben, Raumfähren sicher zu machen, den Drogenhandel und -konsum zu stoppen, etc., etc. Es gibt sonst nichts oder nichts mehr, was sie tun könnten. Man könnte denken, die Regierung hätte nicht zwischen verschiedenen Möglichkeiten gewählt, nie die Möglichkeit gehabt, eine alternative Politik zu versuchen. Welch ein Unsinn. Die Regierung verfolgt eine Politik, zu der sie sich bewusst entschieden hat - mit katastrophalen Folgen für die Gesellschaft.
Was das Argument ‚Naturphänomen‘ versus ‚künstlich von Menschen gemacht‘ angeht, sicher, der Hurrikan Katrina war eine Naturkraft, aber das Ausmaß der natürlichen und sozialen Katastrophe war nicht unvermeidlich. Sie war in jeder Hinsicht gemacht und ermöglicht vom Kapitalismus und seinem Staat. Die wachsende Zerstörungskraft der Naturkatastrophen in der ganzen Welt heute resultiert eindeutig aus der vom Kapitalismus in seiner frenetischen Jagd nach Profit betriebenen rücksichtslosen Wirtschafts- und Umweltpolitik, ob die vorhandene Technologie von Frühwarnsystemen für Tsunamis nicht angewandt wird, womit die bedrohte Bevölkerung rechtzeitig gewarnt werden könnte, ob die Wälder an den Berghängen in der Dritten Welt abgeholzt werden, was die zerstörerische Wirkung des Monsunregens vergrößert, ob es die verantwortungslose Luftverschmutzung durch Treibhausgase ist, die die globale Erwärmung noch verschlimmern und so wahrscheinlich dazu beitragen, dass das Wetter verrückt spielt. Es ist ziemlich offensichtlich, dass die globale Erwärmung zur Erhöhung der Wassertemperatur und damit zur Entstehung einer größeren Anzahl tropischer Sturmtiefs, von Stürmen und Hurrikans in den letzten Jahren geführt hat. Als Katrina auf Florida im Osten traf, war es erst ein Hurrikan der Stärke eins, aber als er dann eine Woche lang über das 32° C warme Wasser des Golfs von Mexiko kreiste, baute er sich zu einem Sturm der Stärke fünf auf mit Windgeschwindigkeiten von 280 km/h, bevor er auf die Küste traf.
Die Linken haben begonnen auf Bush’ Verbindungen zu den Energiekonzernen und auf seine Ablehnung der Kyoto Protokolle hinzuweisen als verantwortlich für die Katrinakatastrophe, aber diese Kritik akzeptiert den Rahmen, der eine Debatte innerhalb des Weltbourgeoisie ist, - als ob die Ausführung des Kyoto Abkommens wirklich die Wirkungen der globalen Erwärmung umstoßen könnte und die Länder, die den Kyoto Protokollen zustimmten, tatsächlich daran interessiert wären, die kapitalistischen Produktionsmethoden umzumodeln. Noch schlimmer, die Linke will vergessen machen, dass die Clinton Regierung, die, auch wenn sie sich als umweltfreundlich darstellte, die erste war, die das Kyoto Abkommen ablehnte. Die Weigerung, sich mit der globalen Erwärmung zu befassen, ist die Position der US-amerikanischen Bourgeoisie und nicht nur der Bush Regierung.
Zusätzlich, New Orleans mit seiner Bevölkerung von 600.000 und noch mehr Menschen in den Vorstädten ist eine Stadt, die zum größten Teil unterhalb des Meeresspiegels liegt und deshalb ziemlich gefährdet durch die Wassermassen des Mississippi, des Pontchartrain-Sees und des Golf von Mexiko ist. Seit 1927 bauten Pionierverbände der US-Armee ein Deichsystem auf und hielten es instand, um die jährliche Überflutung des Mississippi zu verhindern, was somit ermöglichte, dass sich Industrie und Landwirtschaft bis zu den Ufern des Mississippi ansiedeln und ausbreiten konnten, und es der Stadt New Orleans erlaubte zu wachsen; aber dadurch unterband man auch die jährlichen Sedimentablagerungen, die auf natürliche Weise die Feuchtgebiete und Marschen des Mississippi-Deltas unterhalb der Stadt hin zum Golf von Mexiko immer wieder mit Erdreich auffüllten. Das lief darauf hinaus, dass die Feuchtgebiete und das Watt, die als Puffer zu den Meereswogen einen natürlichen Schutz für New Orleans bildeten, gefährlich ausgewaschen wurden und die Stadt ungeschützter gegenüber den Meeresfluten machte. Dies war nicht auf die Natur zurückzuführen, sondern von Menschen gemacht.
Es war auch keine Naturgewalt, die die Nationalgarde von Louisiana zu einem großen Teil abzog, um im Irakkrieg eingesetzt zu werden, so dass nur 250 Nationalgardisten übrig blieben, um in den ersten drei Tagen nach den Deichbrüchen die örtliche Polizei und die Feuerwehr in ihren Hilfsaktionen zu unterstützen. Ein noch größerer Prozentsatz des Mississippi Garderegiments war ebenfalls in den Irak abkommandiert worden.
Das Argument, dass die Katastrophe nicht vorhersehbar ist, ist genauso dummes Gerede. Seit beinahe 100 Jahren debattieren Wissenschaftler, Ingenieure und Politiker darüber, wie man mit der Verwundbarkeit New Orleans’ gegenüber Hurrikans und Überschwemmungen fertig werden könnte. In der Mitte der 1990er Jahre wurden von verschiedenen Wissenschaftler- und Ingenieursgruppen mehrere miteinander konkurrierende Pläne entwickelt, die schließlich 1998 (also während der Clinton Regierung) zu dem Vorhaben “Coast 2050” führten. Dieser Plan forderte eine Verstärkung und einen Neuaufbau der vorhandenen Deiche, den Bau eines Systems von Fluttoren und das Ausheben von neuen Kanälen, die Sediment mit sich führendes Wasser heranbringen sollten, um die geschrumpften Feuchtgebiet-Pufferzonen im Mississippi-Delta wieder herzustellen. Die Kosten des Plans waren mit 14 Mrd. Dollar veranschlagt für einen Zeitraum von 10 Jahren. Der Plan scheiterte, weil er nicht die Zustimmung Washingtons, das damals unter Clinton’s und nicht Bush’ Aufsicht stand, gewinnen konnte. Letzten Jahr forderten die für die Deicherhaltung zuständigen Armeestellen 105 Millionen Dollar für Hurrikan- und Überschwemmungsprogramme in New Orleans, aber die Regierung bewilligte nur 42 Mio. Dollar. Doch gleichzeitig bewilligte der Kongress 231 Mio. Dollar für den Bau einer Brücke zu einer kleinen unbewohnten Insel in Alaska.
Noch eine Widerlegung des “Man konnte es nicht vorhersehen-Alibis” ist, dass der Direktor der Federal Emergency Management Administration (FEMA, die US-Katastrophenbehörde) am Vorabend, bevor der Hurrikan auf die Küste traf, in einem Ferninterview prahlte, er habe einen Notstandsplan ausarbeiten lassen für ein Szenario, dass es in New Orleans so schlimm werden würde wie beim Tsunami in Südasien, und die FEMA überzeugt sei, mit allen Eventualitäten fertig zu werden. Berichte aus New Orleans deuten an, dass dieser FEMA-Plan eine Entscheidung beinhaltete, LKWs, die gespendetes, in Flaschen abgefülltes Wasser hätten transportieren können, weggeschickt wurden, dass die Lieferung von 1000-Gallonen Dieseltreibstoff, welches von der Küstenwache befördert werden sollte, verweigert wurde und das Notkommunikationsnetz der örtlichen Polizeibehörden der Vorstädte New Orleans’ eingeschränkt werden sollte. Der Direktor der FEMA hatte sogar die Frechheit, es zu entschuldigen, dass man die 25.000 Leute im Kongresszentrum nicht befreite, weil die Behörden erst Ende der Woche davon erfahren hätten, dass sich die Leute dort aufhielten, und das, obwohl die Medien schon drei oder vier Tage lang darüber berichteten.
Und während der Bürgermeister Ray Nagin von der Demokratischen Partei die Tatenlosigkeit der Provinzbehörden verurteilt und dagegen gewettert hatte, machte seine lokale Verwaltung absolut keine Anstalten, für eine sichere Evakuierung der Armen und Kranken zu sorgen, nahm die Verteilung von Nahrung und Getränken nicht in die Hand, stellte keine Mittel für die Evakuierungszentren bereit, sorgte nicht für die Sicherheit in ihnen, und überließ die Staat dem Chaos und der Gewalt.
Die demokratische „Todesschuss“-Praxis von heute
bereitet den Weg für die Todesschwadronen von morgen
Am Freitag, den 22. Juli, um zehn Uhr morgens erschoss die Polizei mit vier Schüssen kaltblütig und aus kürzester Entfernung Jean-Charles de Menezes, einen 27jährigen brasilianischen Elektriker. Das Verbrechen dieses jungen Arbeiters, für das er kurzerhand hingerichtet wurde, bestand darin, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein und möglicherweise (wenn man die offizielle Version nicht anzweifelt) vor einer Gruppe von bedrohlichen Polizisten davongerannt zu sein, die ihn mit irgendjemand anderen verwechselt hatten. Dies ereignete sich nicht in einer Favela in Rio de Janeiro, und die Waffen schwingenden Polizeibeamten waren keine Mitglieder der „Todesschwadronen“, denen die Behörden in Brasilien und anderen Drittweltländern freie Hand dabei gewähren, mit den „asozialen Elementen“ (ob Kleinkriminelle oder politische Opponenten) „aufzuräumen“. Es geschah in London, der Hauptstadt des „demokratischsten Landes auf der Welt“, und die Polizisten waren „Bobbies“, die überall auf der Welt für ihren guten Charakter berühmt sind und unter dem Kommando der prestigeträchtigsten Polizeiagentur der Welt, Scotland Yard, arbeiten.
Überflüssig zu sagen, dass dieses Verbrechen gewisse Emotionen unter den Sprechern der herrschenden Klasse provoziert hat: Die Financial Times sprach von einer „potenziell gefährlichen Wende“ durch die Sicherheitskräfte. Selbstverständlich „entschuldigte“ sich Londons Polizeichef Sir Ian Blair für den „Irrtum“ und bekundete der Familie des Opfers sein Beileid. Überflüssig zu sagen, dass eine Untersuchungskommission eingerichtet wurde, um „die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen“. Es ist durchaus möglich, dass der eine oder andere Polizeibeamte dafür belangt wird, nicht zwischen einem brasilianischen Katholiken und einem pakistanischen Moslem unterschieden zu haben. Doch es sind nicht die schießwütigen Pistolenhelden, die für dieses Verbrechen verantwortlich sind. Wenn sie Jean-Charles töteten, dann deshalb, weil sie den Befehl hatten zu schießen, um zu töten („shoot to kill“).
Es gibt keinen Mangel an Erklärungen, versehen mit der ganzen subtilen Heuchelei, die so kennzeichnend für die herrschende Klasse in Großbritannien ist. Laut Sir Ian Blair gibt es „nichts Grundloses oder Anmaßendes daran. Es gibt keine Todesschuss-Praxis, es gibt den Todesschuss, um die Polizei zu schützen“ (1) Sein Vorgänger, John Stevens, der nicht mehr aufpassen muss, was er sagt, sprach dies einige Monate zuvor noch brutaler aus: „Es gibt nur einen sicheren Weg, einen Selbstmordattentäter, der entschlossen ist, seine Mission zu erfüllen, aufzuhalten – die sofortige und ultimative Zerstörung seines Gehirns. Das bedeutet ihn mit vernichtender Wirkung in den Kopf zu schießen, um ihn auf der Stelle zu töten.“ (2) Auch ist es nicht nur die Polizei, die sich einer solchen Sprache bemächtigt hat; der durch und durch „linke“ Bürgermeister von London, Ken Livingstone, hat die Erschießung mit den folgenden Worten gerechtfertigt: „Wenn man es mit jemanden zu tun hat, der möglicherweise ein Selbstmordattentäter ist, muss man davon ausgehen, dass er, falls er aufpasst, eine Plastikbombe oder was auch immer er am Körper trägt, auslöst. Daher läuft angesichts dieser überwältigenden Umstände alles auf eine Todesschuss-Praxis hinaus.“ (3)
Damit kein Missverständnis entsteht: Das Argument der „Selbstmordattentäter, die entschlossen sind, ihre Mission zu erfüllen“, ist ein irreführender Vorwand. Als britische Truppen unschuldige irische Bürger erschossen, angeblich weil sie dachten, Letztere wären Terroristen, geschah dies nicht, weil die IRA-Terroristen Selbstmordattentäter waren (Selbstmord ist im Übrigen von der katholischen Kirche verboten). In Wahrheit hat der kapitalistische Staat in Großbritannien wie in all den anderen „demokratischen“ Ländern terroristische Anschläge, wie jene am 7. und 21. Juli in London, stets als Vorwand benutzt, um seinen Repressionsapparat zu stärken, um Maßnahmen in Kraft zu setzen, die allgemein als typisch für „totalitäre“ Regimes betrachtet werden, und vor allem um die Bevölkerung an sie zu gewöhnen. Genau dies ereignete sich nach dem 11. September in den USA oder nach den Bombenanschlägen in Frankreich 1995, die einer algerischen „Groupes Islamistes Armés“ zugeschrieben wurden. Laut der Propaganda der herrschenden Klasse haben wir die Wahl: entweder eine noch erstickendere Polizeipräsenz überall und allzeit zu akzeptieren oder „den Terroristen in die Hände zu spielen“. In Großbritannien hat diese allgegenwärtige Polizeipräsenz extreme Ausmaße angenommen: Sie hat nicht nur das Recht, sondern sogar den Befehl, jeden zu töten, der „verdächtig“ sein könnte oder ihren Aufforderungen nicht nachkommt. Und dies in einem Land, das 1679 die Habeas Corpus erfunden hat, welche willkürliche Verhaftungen ächtete. Üblicherweise darf man in Großbritannien wie in allen „demokratischen“ Ländern nicht länger als 24 Stunden ohne Anklage festgehalten werden. Heute gibt es in Großbritannien bereits Menschen, die ohne Anklage verhaftet wurden und im Belmarsh-Gefängnis (nahe London) festgehalten werden. (4) Nun können sie beim ersten Anblick auf der Straße erschossen werden!
Im Augenblick sind „Selbstmordattentäter“ das offizielle Ziel. Doch es wäre ein fürchterlicher Fehler zu denken, dass die herrschende Klasse es dabei belassen wird. Die Geschichte hat immer und immer wieder gezeigt, dass, wann immer sich die herrschende Klasse bedroht fühlt, sie nicht zögert, auf ihren eigenen „demokratischen Prinzipien“ herumzutrampeln. In der Vergangenheit waren diese Prinzipien eine Waffe in ihrem Kampf gegen Willkürrecht und aristokratische Vorherrschaft. Nachdem sie schließlich die ungeteilte Macht über die Gesellschaft übernommen hatte, benutzte sie diese als schmückendes Beiwerk, um die ausgebeuteten Massen in die Irre zu führen und dazu zu bringen, ihre Ausbeutung zu akzeptieren. Während des 19. Jahrhunderts konnte sich die allmächtige britische Bourgeoisie den Luxus leisten, politischen Flüchtlingen aus den niedergeschlagenen Revolutionen auf dem ganzen Kontinent Asyl zu bieten, so wie den französischen Arbeitern, die nach der Zerschlagung der Pariser Kommune 1871 aus Frankreich flohen. Die Bourgeoisie wird nicht vom „islamischen Terrorismus“ bedroht. Die Hauptopfer dieses kriminellen Terrors sind vielmehr die Arbeiter, die die U-Bahn nehmen, um zur Arbeit zu gelangen, oder die Büroangestellten der Twin Towers. Und dank des vollkommen gerechtfertigten Schreckens, den er in der Bevölkerung anrichtet, hat der „Terrorismus“ einen perfekten Vorwand für eine ganze Reihe von Staaten geliefert, um ihre imperialistischen Abenteuer in Afghanistan und im Irak zu rechtfertigen.
Nein, die einzige Kraft, die die Bourgeoisie bedrohen kann, ist die Arbeiterklasse. Im Moment sind die Arbeiterkämpfe weit davon entfernt, eine Bedrohung für die bürgerliche Ordnung darzustellen, doch die herrschende Klasse weiß zu gut, dass die unerbittliche Krise ihres Systems und noch mehr die gewaltsamen Angriffe, die sie gegen die Arbeiter richten muss, die Letzteren nur zu noch ausgedehnteren Kämpfen drängen werden, bis zu dem Punkt, wo sie die Macht ihrer Ausbeuter bedrohen. Wenn das passiert, werden es nicht „Terroristen“ sein, die wie räudige Hunde niedergeschossen werden, sondern die kämpferischsten Arbeiter und revolutionärsten Elemente (die bei dieser Gelegenheit natürlich als „Terroristen“ hingestellt werden) (5) sowie Kommunisten. Und dann wird es keine Habeas Corpus geben.
Dies sind keine eitlen Spekulationen oder Weissagungen aus der Kristallkugel. So hat sich die Bourgeoisie verhalten, wann immer ihre vitalen Interessen auf dem Spiel standen. Diese Behandlung, die normalerweise der Dritten Welt oder kolonialisierten Bevölkerung durch alle „demokratischen“ Länder angediehen wird, wird auch auf die Proletarier angewandt, sobald diese gegen ihre Ausbeutung revoltieren. 1919 wurden in Deutschland, das damals von der Sozialdemokratischen Partei regiert wurde - mit anderen Worten: der Partei von Gerhard Schröder, dem Gegenpart von Tony Blairs Labour Party -, Tausende von Arbeitern massakriert, weil sie nach der Revolution von 1917 gegen die bürgerliche Ordnung aufgestanden waren. Was Revolutionäre wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht angeht, so wurden sie von Soldaten ermordet, die sie unter dem Vorwand der „Fluchtgefahr“ festgenommen hatten. Der widerliche Mord in Stockwell sollte nicht nur als solcher gebrandmarkt werden. Dies können auch all die üblichen weinerlichen Liberalen, die sich über die „Beschädigung demokratischer Freiheiten“ beklagen. Vor allem sollte er als eine Lehre für die Arbeiter in Großbritannien und überall auf der Welt dienen, um den wahren Charakter und die wirklichen Methoden ihres Klassenfeindes, der kapitalistischen Klasse, zu begreifen. Sie sind die „Todesschwadronen“, denen die Bourgeoisie heute überall auf der Welt den Weg ebnet und die morgen von der Arbeiterklasse konfrontiert werden müssen.
IKS, 25. Juli 2005
(1) The Guardian, 24. Juli 2005
(2) News of the World, Sonntagsausgabe, 6. März 2005, S. 13 “Forget Human Rights. Kick out the Fanatics” von Sir John Stevens, ehemaliger Regierungskommissar der Metropolitan Police.
(3) News24.com, 22. Juli.
(4) dank der „Sondergesetze“ wie jene, die jahrelang in Nordirland benutzt wurden.
(5) Während der großen Streiks in Frankreich im Sommer 1995 verglich der damalige Innenminister Charles Pasqua die streikenden Arbeiter mit den Terroristen, die einige Monate zuvor eine Bombe in der Pariser Metro hochgehen ließen, die acht Menschen tötete.
Als sich mehrere tausend streikende Arbeiter von Honda-Motorrädern und Arbeiter von nahe gelegenen Fabriken, die ihre Solidarität mit den Honda-Arbeitern ausdrückten, am 25. Juli 05 nachmittags beim Minisekretariat in Gurgaon versammelten, wurden sie sofort von Polizei und paramilitärischen Einheiten umstellt. Diese paramilitärischen Kräfte waren tagsüber von den Behörden in Gurgaon aus anderen Bezirken herbeigerufen worden. Was folgte, war ein vorausgeplanter Angriff auf unbewaffnete Arbeiter, die dann gefangen genommen wurden. Über das Ganze wurde von den bürgerlichen Medien berichtet. Als der brutale Überfall um 20 Uhr zu Ende war, sind 800 Arbeiter ernsthaft verletzt, die meisten von ihnen erlitten Kopfverletzungen. Um dieser Repression die Krone aufzusetzen, wurden mindestens 400 Arbeiter ins Gefängnis geworfen. Dass es die Absicht der Behörden war, den Arbeitern eine Lektion zu erteilen, ist aus der Tatsache ersichtlich, dass die Repression am 25. Juli nicht aufhörte. Als Arbeiter und ihre Familien am nächsten Tag die verletzten Arbeiter im Krankenhaus besuchen wollten, sahen sie sich wieder der Rage der Polizei ausgesetzt.
Das Parlament, das zur gleichen Zeit in New Delhi tagte, verlieh seinem ‘Schock’ über diese ‘Grausamkeit’ Ausdruck. Premierminister Man Mohan Singh drückte seine ‘tiefe Besorgnis’ aus. Von den Stalinisten über die hinduistischen Fundamentalisten bis zu Sonia Gandhi, der Vorsitzenden der Regierungspartei, eilten die Politiker aller Couleur nach Gurgaon, um Mitgefühl für die verletzten Arbeiter zu heucheln. Die nächsten paar Tage waren die bürgerlichen Medien voll von geheucheltem Schock über diese Polizeibrutalität, als ob etwas Ungewöhnliches für den bürgerlichen indischen Staat geschehen wäre.
In Wirklichkeit steht diese jüngste Repression ganz in der Tradition gewalttätiger Unterdrückung der Arbeiterklasse durch den indischen Staat. Den älteren Arbeitern in der Region Delhi Region drängte sich sofort die Erinnerung an den Oktober 1979 auf. Damals besetzten staatliche Repressionsorgane fast ganz Faridabad, einen Industrievorort im Süden Neu Delhis, um eine steigende Welle von radikalen Arbeiterstreiks einzudämmen. Durch eine Reihe von Erschießungen in verschiedenen Teilen der Stadt und durch die Verhängung der Ausgangssperre Ende Oktober 1979 war die Bourgeoisie in der Lage, die Arbeiterbewegung nieder zu halten und zu ersticken. Ein paar Jahre vorher wurden die Arbeiter der Swadeshi-Baumwollmühlen in Kanpur eingeschlossen und auf sie von den staatlichen Repressionskräften das Feuer eröffnet, wobei mindestens 400 Arbeiter getötet wurden. Eine ununterbrochene Kette der Repression, die zurückreicht bis zur Niederschlagung des Eisenbahner-Streiks 1974 und vieler anderer Arbeiterkämpfe.
Doch die Bourgeoisie ist wirklich geschockt - nicht wegen der Polizeibrutalität, sondern weil sich die Arbeiterklasse noch immer lebendig zeigt und um sich tritt und wehrt, und die Kühnheit hat nach fünfzehn Jahren erbarmungsloser Offensive der Bourgeoisie ihr Haupt zu erheben. Dies kam eindeutig in der Wirtschaftspresse der Bourgeoisie durch. Die Bourgeoisie ist ernsthaft darüber besorgt, dass sich die “ansteckende Seuche” ausbreiten könnte.
Der Business Standard vom 6. August 2005 befürchtete: “Der Aufruhr, der dem Streit zwischen Kapital und Arbeit in Gurgaon bei den Honda- Motorrad & Scooter India (HMSI) folgte, könnte erst der Auftakt von etwas Größerem sein.” Dass die Arbeiter “nach eineinhalb Jahrzehnten marktfreundlicher Politik [Liberalisierung]... ihr Haupt wieder erheben..” Und dass kämpferische Arbeiter “ vom Staat zerdrückt werden, ist nicht ganz neu. Aber Indien hat keine ernsten Probleme damit gehabt, seit es von den Fesseln der ‚Control Raj‘ in den frühen 1990er Jahren befreit wurde..” Laut financial Express am 6. August 2005: “Die Arbeiterunruhen in Gurgaon haben dem dortigen Management eiskalte Schauer den Rücken runterlaufen lassen.” Der Indian Express vom 9. August 2005 fürchtete, dass der Gurgaon Vorfall eine ‘Dominowirkung’ haben könnte.
Diese Sorge der Bourgeoisie war im ganzen Staat sowohl auf provinzieller Ebene als auch auf zentraler Ebene zu spüren. Die Bourgeoisie war überrascht, eine Arbeiterklasse zu sehen, wie sie sie in den letzten Jahren nicht mehr gesehen hatte. Nach anfänglicherer Überraschung beschloss sie, schnell den Streit beizulegen.
Nur zwei Tage nach der Polizeibrutalität vom 25. Juli 2005 berief der Haryana Chief Minister, Herr Hooda, ein Treffen des Honda Managements und der Gewerkschaftsbosse für den 27. Juli ein und schusterte eine ‘Vereinbarung’ zusammen. Um für die Polizeiunterdrückung büßen und sühnen zu lassen, ordnete Herr Hooda eine ‘richterliche Untersuchung’ durch den Richter im Ruhestand G. C. Garg an. Die Wirksamkeit dieser ‘Untersuchung’ wurde verstärkt durch die Tatsache unterstrichen, dass Herr G. C. Garg als Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs von Punjab und Haryana 1999 für seine rauen Manieren und für den Einsatz von Polizeirepression bekannter war als für seinen Gerechtigkeitssinn.
Die Linken und die Gewerkschaften bejubelten all dies als Sieg für die Arbeiter, auch wenn sie einige kritische Bemerkungen dazu machten. Dies trotz der Tatsache, dass fast einhundert Arbeiter immer noch im Gefängnis sind. Die Gewerkschaften versprachen, die Arbeiter werden ein Jahr keine Lohnforderungen stellen. Und die Geschäftsleitung nahm die Aussperrung von 67 Arbeitern zurück, bestand aber darauf, sie von der Fertigungsabteilung fern zu halten.
Ein Teil des Schocks der Bourgeoisie ist möglicherweise aufgebauscht; sie mimen den heulenden Wolf. Ein Teil war politisches Theater wie bei der Koalitionsregierung in New Delhi, die vorgibt, volksfreundlich zu sein, und unterstützt wird dabei von den Linken.
Unter den Honda Arbeitern in Gurgaon, einem Industrievorort westlich von Delhi, herrscht seit Anfang dieses Jahres Wut. Sie streikten seit dem 27. Juni 2005 und haben es abgelehnt, die Forderung der Geschäftsleitung nach einer Art Friedenspflicht zu unterschreiben. Gleichzeitig wurde ihre Bewegung von den Linken kontrolliert, die Partner der Regierungskoalition in New Delhi sind, und in die Zwickmühle des politischen Spiels zwischen verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie im Zentrum und auf Staatsebene getrieben.
Nicht irgend ein besonderer Kampfgeist der Honda Arbeiter beunruhigt die Bourgeoisie. Es ist die Tatsache, dass trotz aller Hindernisse Arbeiter in der Lage waren, ihrem Ärger und ihrem Widerstand Ausdruck zu verleihen. Die Bourgeoisie ist besorgt, um die Worte des BUSINESS STANDARD zu gebrauchen: “... [Die Arbeiter] scheinen ihr Haupt nach eineinhalb Jahrzehnten wieder zu heben”.
Die indische Bourgeoisie hat guten Grund, mit den letzten eineinhalb Jahrzehnten zufrieden zu sein. Erstens hat sie sich beispiellos bereichert und ihre Ambitionen sind gestiegen. Zum anderen ist sie erfolgreich bei der Durchführung einer erbarmungslosen Offensive gegen die Arbeiterklasse gewesen, ohne ernsthaften Widerstand. In der gesamten Wirtschaft hat man einen enormen Stellenabbau gesehen, ihre Umwandlung in prekäre Arbeit mit viel niedrigerem Lohn und ohne soziale Absicherung. In Gurgaon selbst bei Hero Honda, ein anderer Motorradtyp (JV) von Honda, dessen Produktion im letzten Jahrzehnt von ein paar Hunderttausend auf 2,6 Millionen Motorräder hochgeschnellt, ist die Anzahl der Festangestellten die gleiche geblieben. Andererseits ist die Anzahl von Arbeitern mit Zeitverträgen um viele Tausende gestiegen, die gezwungen sind für 50 Euro im Monat zu arbeiten, - das ist der Standardlohn von Millionen Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen. Ähnlich in der Autofabrik von Maruti-Suzuki, wo trotz gestiegener Produktion innerhalb weniger Jahre, und ohne dass die Arbeiter fähig waren, zurückzuschlagen, fast 3000 Dauerarbeiter entlassen wurden. Sie wurden ersetzt durch Arbeiter mit Zeitverträgen. So ist es bei allen anderen Firmen überall in Indien. Deprimierend dabei ist, dass die Arbeiterklasse wegen der Verwirrung, in der sie sich befindet, gezwungen war, all diese Angriffe mit gesenktem Haupt hinzunehmen.
Das Honda Management wollte die 1.000 festangestellten Arbeiter rausschmeißen und durch Zeitarbeiter ersetzen. Es ist ein Zeichen der sich verändernden Stimmung bei den Arbeitern, dass die Honda Arbeiter einen offenen, wenn auch begrenzten Widerstand entwickelten. Die Repression hat der Arbeiterklasse nicht wirklich Furcht eingeflößt. Im Gegenteil, sie hat eine elementare Basis an Selbstsicherheit erzeugt, ein Gefühl, dass nach Jahren ein Teil der Klasse imstande war, sich der Bourgeoisie entgegenzustellen.
Dies ist es, wovor sich die Bourgeoisie fürchtet. Dies ist es, was ein wirkliches Versprechen für die Arbeiterklasse und die Revolutionäre enthält. Wie die Arbeiterklasse im Rest der Welt unternimmt die Arbeiterklasse in Indien erste Schritte in Richtung, den Pfad des Klassenkampfes wieder zu entdecken. Dieser Weg der Wiederentdeckung wird lang und schwierig sein, und das Eingreifen der Revolutionäre in diesen Prozess wird unentbehrlich sein, damit er weiter geht und Frucht trägt.
Communist Internationalist, Sektion der IKS in Indien, 27. August 2005
Die Medien, die öffentliche Stimme des Staats und der herrschenden Klasse, haben ihrer Wut gegen die Streikenden von Heathrow freien Lauf gelassen. Wie konnten die Arbeiter nur wagen, Klassensolidarität über die Profite des Unternehmens zu stellen? Wissen sie denn nicht, dass Dinge wie die Solidarität der Arbeiter und Klassenkampf veraltet, überholt sind? Wissen sie nicht, dass all diese Sachen in den 7oer Jahren aus der Mode gekommen sind? Laut einem leitenden Angestellten eines Konkurrenzunternehmens von British Airways, zitiert in der Sunday Times vom 13. August, ist die Luftfahrt in verschiedener Hinsicht die letzte noch nicht reformierte Industrie. In ihr herrschen noch Zustände wie an den Docks, in den Bergwerken oder in der Autoindustrie in den 70er Jahren. Warum wollen diese Dinosaurier-Arbeiter nicht endlich Vernunft annehmen und akzeptieren, dass das Prinzip der heutigen Gesellschaft das „Jeder- für- sich“ ist und nicht das „Arbeiter der Welt, vereinigt euch!“?
Es ist doch seltsam, wie diese neue Philosophie der individuellen Freiheit die Bosse nicht daran hindert, absoluten Gehorsam von den Lohnsklaven zu fordern. Einige Medienstimmen, das ist wahr, sind ein bisschen kritisch gewesen gegenüber der von Gate Gourmets' offen propagierten Todesschuss-Praxis: Als die Mitarbeiter dieser Catering-Firma eine Versammlung abhielten, um darüber zu diskutieren, wie sie auf den Angriff des Managements auf ihre Arbeitsplätze reagieren sollten, wurde das Treffen von Security-Schlägertypen eingeschlossen und 600 Arbeiter – auch jene, die, die krank oder im Urlaub waren - auf der Stelle entlassen, weil sie an einer nicht erlaubten Versammlung teilgenommen hatten, einige von ihnen auf Zuruf. Dies ist ziemlich heftig, aber es ist nur ein offenerer Ausdruck dafür, was sich die Firmenleitungen überall heute erlauben. Arbeiter bei Tesco müssen damit rechnen, dass die ersten drei Krankheitstage nicht mehr bezahlt werden, und andere Firmen schauen mit Interesse auf diese neue Reform bei Tesco. Lagerarbeiter müssen einen elektronischen Clip tragen, damit sichergestellt werden kann, dass auch nicht eine Sekunde der Geschäftszeit vergeudet wird. Das gegenwärtige politische Klima, in dem wir jede Polizeischikane im Namen des Antiterrorismus annehmen sollen, steigert nur die Arroganz der Chefs.
Diese Angriffe sind nicht darauf zurückzuführen, dass der oder jener Chef besonders habgierig ist oder amerikanische Methoden anwendet. Die wachsende Brutalität der Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen ist der einzige Weg, wie die Kapitalistenklasse auf die Weltwirtschaftskrise antworten kann. Die Löhne müssen gekürzt, die Arbeitshetze erhöht, die Renten radikal herabgesetzt, die Arbeitslosenunterstützung gesenkt werden, weil jede Firma und jedes Land verzweifelt darum bemüht ist, die Konkurrenten auf dem überschwemmten Weltmarkt auszubooten.
Angesichts dieser Angriffe ist die Solidarität unter uns Arbeitern die einzige Verteidigung. Die Gepäckarbeiter und anderes Personal in Heathrow zeigten mit ihrem Streik gegen die Massenentlassungen bei Gate Gourmet, dass sie das voll verstanden hatten. Sie selbst sind denselben Angriffen ausgesetzt und in ähnliche Abwehrkämpfe verwickelt wie die Arbeiter der Catering-Firma. Die unmittelbare Wirksamkeit ihres Streiks zeigte die Macht der Arbeiter, wenn sie vereinigt und entschlossen handeln. Es ist die einzige Basis, um die Bosse zu zwingen, die entlassenen Arbeiter wieder einzustellen, und es wird die Flughafenchefs zögern lassen, ähnliche Angriffe in der nächsten Zeit zu starten. Isoliert und in Branchen getrennt, sind die Arbeiter eine leichte Beute für die herrschende Klasse. Aber sobald der Kampf beginnt, sich auf andere Arbeiter auszubreiten, ändert sich das Bild.
Es gibt jedoch eine noch wichtigere Bedeutung der Arbeitersolidarität. In einer Gesellschaft, die überall um uns herum zerfällt, wo das Prinzip des „Jeder-für-sich“ die Form von Terroristenbomben, rassistischen Anschlägen, Gangstertum und Willkür aller Arten annimmt, liefert die Arbeitersolidarität über alle Berufs-, religiösen, Geschlechts- oder nationalen Trennungen hinweg das einzige Gegenmittel zu diesem System, den einzigen Ausgangspunkt für die Schaffung einer anderen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet und nicht duch die Jagd nach dem Profit bestimmt wird. Angesichts eines Systems, das allerorten in Krieg und Selbstzerstörung versinkt, ist es keine Übertreibung zu sagen, dass Klassensolidarität die einzige wirkliche Hoffnung für das Überleben des Menschheit darstellt.
Dass dies keinesfalls eine illusorische Hoffnung ist, wird deutlich, wenn man über die Grenzen Großbritanniens schaut. Nach Jahren der Konfusion und Zerstreuung hat es in den letzten zwei Jahren eine wachsende Belebung der Arbeiterkämpfen gegeben. In den bedeutendsten von ihnen, den Kämpfen der französischen Arbeiter gegen Angriffe auf die Renten im Jahr 2003 und dem Kampf der deutschen Automobilarbeiter gegen Entlassungen, war das Element der Solidarität wesentlich gewesen. Diese Bewegungen bestätigen, dass die internationale Arbeiterklasse nicht verschwunden oder besiegt ist.
Natürlich haben die Medien die Bedeutung der solidarischen Aktionen in Heathrow zu verstecken und herunterzuspielen versucht. Sie begannen von familiären Beziehungen zwischen den Arbeitern der Catering-Firma und den Gepäckarbeitern und anderen Flughafenangestellten zu reden. Diese existieren, doch während die Mehrheit der Catering-Angestellten indischer Herkunft ist, sind die Gepäckarbeiter mehrheitlich weißer Hautfarbe. Kurz, es handelte sich um echte Klassensolidarität, die über alle ethnischen Spaltungen hinausging.
Die Nachrichtensendungen versuchten auch, die Sympathie, die den Streikenden des Flughafens von anderen Arbeitern entgegengebracht wurde, kleinzureden, indem sie die Scheinwerfer auf die Leiden der Passagiere richteten, deren Flüge durch den Streik unterbrochen wurden. Wenn man den besten Teil des Jahres, den Urlaub, wo man weit weg von der Arbeit ist, schwitzend auf dem Flughafen verbringen muss, ist es sicher keine Freude zu sehen, wie die Urlaubspläne durcheinander gebracht werden. Anderen Arbeitern und der Bevölkerung ihre Taten zu erklären ist im Allgemeinen eine Aufgabe, die alle Arbeiter auf sich nehmen müssen, wenn sie in den Kampf treten. Aber sie müssen auch der heuchlerischen Medienerpressung widerstehen, die stets versucht, sie als die Übeltäter darzustellen.
Wenn die herrschende Klasse nicht will, dass wir Klassensolidarität erkennen, sobald wir sie vor uns haben, dann deswegen, weil es eine andere Wahrheit gibt, die die Herrschenden zu verbergen suchen: dass die Arbeitersolidarität und die Gewerkschaften nicht mehr dasselbe sind.
Die bei diesem Kampf verwendeten Methoden waren eine direkte Herausforderung für das pedantische Regelwerk der Gewerkschaften:
- Die Arbeiter von Gate Gourmet beschlossen, eine Vollversammlung in ihrer Kantine abzuhalten, um über die neuesten Manöver des Managements zu diskutieren. Die Versammlung wurde inoffiziell während der Arbeitszeit abgehalten. Eine solche Praxis, Vollversammlungen abzuhalten, auf deneAn diskutiert wird und Entscheidungen getroffen werden, richtet sich gegen alle offiziellen Gewerkschaftsgepflogenheiten.
- Die anderen Flughafenangestellten ignorierten die offiziellen Gewerkschaftsrichtlinien, indem sie streikten, ohne sich vorher der Abstimmungsprozedur zu unterziehen, und sie widersetzten sich dem Gewerkschaftreglement weiter, indem sie sich an einer Folgeaktion beteiligten.
Solche Aktionen sind für die herrschende Klasse gefährlich, weil sie aus der Kontrolle der Gewerkschaften zu geraten drohen. Die Gewerkschaften sind offizielle, d.h. staatlich anerkannte Organisationen, um den Klassenkampf unter Kontrolle zu halten. Und in letzter Zeit haben „wilde Streiks“ zugenommen: der letzte größere Arbeitskampf in Heathrow, die zahlreichen Streiks bei der Post; und zu derselben Zeit wie der letzte Kampf in Heathrow gab es inoffizielle Streiks bei den Busfahrern Edinburghs und in der Fordgießerei in Leamington Spa.
Im Falle von Heathrow gelang es der TGWU (Gewerkschaft), die Lage zu beruhigen. Offiziell durfte der TGWU den inoffiziellen Streik nicht anerkennen und musste die Arbeiter zurück an ihre Arbeit bringen. Aber mit der Hilfe der „revolutionären“ Gruppen wie der SWP ist es der T und G gelungen, den Kampf als einen Angriff auf die Gewerkschaften hinzustellen, wobei sie die Schikanierung von militanten Arbeitern - die sicherlich Teil der Strategie von Gate Gourmet - mit einem Angriff auf die Gewerkschaft gleichstellte. Dies macht es für die Vertreter der Basisgewerkschafter - von denen die meisten wirklich glauben, dass sie für ihre Kollegen etwas tun - leichter, den Kampf im gewerkschaftlichen Rahmen zu halten.
Aber was sich da zusammenbraut, ist kein Kampf zur Verteidigung der Gewerkschaften, sondern es handelt sich zunehmend um Massenbewegungen, in denen die Arbeiter auf die Gewerkschaftsmaschinerie als ihr erstes Hindernis stoßen. Um eine im und durch den Kampf weitest mögliche Klassensolidarität aufzubauen, werden sich die Arbeiter gezwungen sehen, ihre eigenen, für alle Arbeiter offenen Vollversammlungen abzuhalten und Streikkommittees zu wählen, die den Vollversammlungen verantwortlich sind. Militante Arbeiter, die diese Perspektive verstehen, sollten jetzt nicht isoliert bleiben, sondern beginnen, zusammen zu kommen, um miteinander zu diskutieren und die Kämpfe der Zukunft vorzubereiten.
World Revolution , Zeitung der Sektion der IKS in Großbritannien, August 05
Anfang November 2005 führte die Gewerkschaft Unia eine
Aktionswoche zum Thema Jugendarbeitslosigkeit durch, die am 5. November
mit einer Demonstration in Zürich endete. Der Slogan der Gewerkschaften
lautete: "Future Now! - Arbeit und Ausbildung für alle Jugendlichen".
Obwohl die politische Unterstützung breiter nicht hätte sein können -
von der Christlichen Volkspartei bis zum "Revolutionären Aufbau" -
nahmen nur einige Hundert Leute daran teil, wobei ein Grossteil davon
Gewerkschaftsaktivisten waren.
Die nur mässige Beteiligung an der Aktion der vereinigten Linken kann
nicht daran liegen, dass das Thema Jugendarbeitslosigkeit niemanden
interessieren würde. Auch wenn die Arbeitslosigkeit in der Schweiz noch
nicht die gleichen Ausmasse angenommen hat wie in Deutschland,
Frankreich oder Spanien, ist sie doch deutlich spürbar und nimmt
ständig zu. Immer mehr Arbeitsplätze gehen verloren. Gerade für
diejenigen, die die Schule verlassen, wird es immer schwieriger, eine
Lehrstelle oder überhaupt eine Lohnarbeit zu finden.
Obwohl die staatlichen Statistiken längst nicht alle Arbeitslosen
erfassen, sprechen sie mindestens in der Tendenz eine deutliche
Sprache: Die offizielle Quote aller Arbeitslosen liegt gegenwärtig bei
3.7% (Oktober 2005). Zwischen 2001 und 2004 ist sie von 1.7% auf 3.9%
angestiegen. Niemand rechnet ernsthaft mit einem Rückgang. In dieser
Statistik gilt nur als "arbeitslos", wer in den letzten 14 Monaten
seine Stelle verloren hat und bei der Arbeitslosenversicherung gemeldet
ist. Das sind gegenwärtig etwa 145'000. Diejenigen, die nach 14 Monaten
ausgesteuert worden sind, werden also nicht mehr als "Arbeitslose"
erfasst. Hinzu kommen deshalb noch einmal 70'000 "Stellensuchende", die
nicht als "arbeitslos" gelten, weil sie sich z.B. in einer Umschulung
oder einem Beschäftigungsprogramm befinden oder einen Zwischenverdienst
erzielen. Und schliesslich kommen all diejenigen hinzu, die überhaupt
nicht mehr von diesen Statistiken registriert werden, weil sie die
Hoffnung auf einen Job aufgegeben haben und mit der Sozialhilfe oder
sonst irgendwie überleben. Auch hier zeigen die Zahlen die Tendenz mehr
als deutlich auf: In der Stadt Zürich gab es Ende 2001 rund 6'000
Haushalte, die Sozialhilfe beanspruchten; Ende 2004 waren es schon über
9'000, was mit 15'500 betroffenen Personen 6.3% der Stadtbevölkerung
ausmachte.
Weiter ist klar, dass viele, die vor der Arbeitslosigkeit stehen, eine
andere "Lösung" suchen: Ältere Arbeiter lassen sich früher
pensionieren, als es eigentlich vorgesehen wäre; wer kann oder muss,
meldet sich bei der Invalidenversicherung an; ImmigrantInnen verlassen
die Schweiz wieder, weil sie schon lange nicht mehr hält, was sie als
vermeintliches Schokoladenparadies versprochen hat; die Jugendlichen
drücken weiterhin die Schulbank, weil sie keine Stelle finden. Gerade
bei ProletarierInnen zwischen 15 und 25 Jahren ist die Arbeitslosigkeit
besonders hoch; sie stieg von 1.7% im Jahr 2001 auf 5.5% im Januar
2005, wobei die Quote in den Städten wesentlich höher, nämlich bei bis
zu 10%, liegt. Auch bei der Sozialhilfe trifft es allen voran die junge
Generation; in Zürich sind es 12% und in Basel gar 15% der Kinder, die
Sozialhilfe beziehen müssen.
Welch ein Hohn: Dieses Wirtschaftssystem zu Beginn des 21.
Jahrhunderts, nach Tausenden von Jahren des Fortschritts, dieser
Kapitalismus mit Produktivkräften, wie sie nie zuvor eine menschliche
Gesellschaft gekannt hat, kann nicht einmal mehr der Jugend eine
Zukunft anbieten, geschweige denn den Menschen, die wegen ihres Alters
oder der Gesundheit nicht mehr arbeiten können. Und niemand kann sich
einer Illusion hingeben: Die sich verschlimmernden Verhältnisse in der
Schweiz sind erst ein Vorgeschmack dessen, was der Kapitalismus dem
Proletariat auch hier bereit hält. Die Lebensbedingungen in den
französischen Vorstädten, in den argentinischen und brasilianischen
Elendsvierteln zeigen die Richtung auf, in welche dieses todkranke
System sich bewegt.
Der Staat kann sich in dieser Gesellschaft, die nach der Profitlogik
funktioniert, die Ernährung der Arbeitslosen, die Pflege der Kranken,
einen würdigen Lebensabend der Pensionierten je länger je weniger
leisten. Nach 30 Jahren Krise, nachdem alle Kniffe mit Verschuldung,
Subventionen, Protektionismus, Steuererhöhung für die Armen,
Steuerreduktionen für die Reichen usw. ausgereizt worden sind, kann der
Kapitalismus auch in den höchstentwickelten Ländern die
Sozialversicherungen - diese verstaatlichte "Solidarität" - nicht mehr
bezahlen. Es liegt nicht an den falschen Rezepten der jeweils gerade
Regierenden. Vielmehr gibt es im Kapitalismus gar kein Rezept mehr. Es
bleibt nur die Abschaffung des Kapitalismus, die revolutionäre
Überwindung dieses Systems, das auf der einen Seite immer mehr Waren
produziert, die nicht verkauft werden können, und auf der anderen Seite
immer mehr Elend bei denjenigen, die diesen Reichtum eigentlich
geschaffen haben, aber der Mittel beraubt sind, um ihn zu konsumieren.
Um die Reifung dieses Bewusstseins über
die Notwendigkeit der revolutionären Überwindung dieses Systems zu
verhindern oder wenigstens so lange wie möglich hinauszuzögern,
organisiert die Linke des Kapitals - d.h. die Gewerkschaften und die
linken Parteien und Organisationen - solche Veranstaltungen wie die
eingangs erwähnte Aktionswoche mit der krönenden Demonstration. Dabei
gibt es innerhalb dieser Linken eine Arbeitsteilung:
Auf der einen Seite stehen diejenigen, die vorgeben, dieses
kapitalistische System verbessern zu können. Sich bei den Jugendlichen
anbiedernd, proklamieren sie "Future Now! - Arbeit und Ausbildung für
alle Jugendlichen", als ob der Kapitalismus eine Zukunft hätte, und
bieten eine Party mit R'n'B, Hip Hop und House an (vgl. offizieller
Flyer der Gewerkschaften). Die Unia als Hauptorganisatorin fordert:
"Ein Recht auf eine Ausbildung oder Lehrstelle, für alle. 10 Prozent
mehr Ausbildungsplätze an Handelsmittelschulen und in Lehrwerkstätten.
(...) Jeder Lehrling, jede Lehrtochter soll vom ausbildenden Betrieb
während mindestens einem Jahr weiterbeschäftigt werden." (aus dem
Flugblatt zur Aktionswoche). Dabei verschweigt sie, dass im
Kapitalismus das Geld längst fehlt, um solche Massnahmen zu
finanzieren: Entweder bezahlen es letztlich die Kapitalisten, die
entsprechend ihre Profite schwinden sehen und angesichts der billiger
produzierenden Konkurrenz bankrott gehen oder ihre Produktion in ein
anderes Land ohne solche Vorschriften auslagern. Oder die von der Unia
geforderten Massnahmen werden ganz oder teilweise von der
Arbeiterklasse bezahlt, was noch mehr Angriffe auf ihre
Lebensbedingungen bedeutet.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die zwar vollmundig gegen
"Profite", "Ausbeutung" und "Kapitalismus" wettern und den
"Kommunismus" als Lösung anpreisen, aber verschweigen, was sie damit
meinen. Dazu zählen insbesondere die Stalinisten verschiedener Couleur,
namentlich die Partei der Arbeit (PdA) und der "Revolutionäre
Aufbau". Für diese Organisationen ist Stalins Russland oder der so
genannte Realsozialismus, wenn nicht gerade das Paradies auf Erden, so
doch ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Der "Aufbau"
unterstützt nach wie vor von der Bourgeoisie als "kommunistisch"
bezeichnete Staaten wie Nordkorea oder Kuba und die
"linksnationalistische Chavez-Regierung" in Venezuela . Die Antwort des
Realsozialismus (im ehemaligen Ostblock) auf die Wirtschaftskrise war
das Stachanow-Prinzip: Wer am schnellsten und längsten arbeitete,
erhielt einen Orden als "Held der Arbeit". Die fehlende Entwicklung der
Produktivkräfte, wurde durch die umso längere und intensivere
Auspressung der verfügbaren Arbeitskräfte kompensiert . Dadurch
"lösten" diese Staaten auch das Problem der Arbeitslosigkeit; alle
mussten arbeiten - nicht zuletzt auch im Gulag. Das System beruhte aber
auf der Warenproduktion, der Lohnarbeit und der Kapitalakkumulation, es
war also durch und durch kapitalistisch. Als solches musste es sich auf
dem Weltmarkt, in der Konkurrenz mit dem westlichen Kapitalismus
bewähren, was ihm misslang. 1989 ist dieser als "Sozialismus" verkaufte
Ostblock-Kapitalismus wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit
zusammengebrochen. Das hindert die Stalinisten der verschiedenen
Richtungen aber nicht daran, dieses Modell als Lösung zu verkaufen,
wenn auch in einer Mogelpackung, auf der in knallroten Lettern
"Kommunismus" und "revolutionär" steht. Wer die Arbeitslosigkeit heute
mit solchen Schlagworten anprangert, dies aber auf der Grundlage der
Sympathie mit dem Stalinismus und seinen Methoden zur
"Vollbeschäftigung" tut, steht nicht auf der Seite der Arbeiterklasse.
Es scheint absurd: Einerseits werden ständig Arbeitsplätze abgebaut,
weil Überkapazitäten bestehen, also zuviel produziert wird;
andererseits leiden etwa eine Milliarde Menschen an Unterernährung. Die
Arbeitslosigkeit nimmt immer grössere Ausmasse an, gleichzeitig müssen
diejenigen, die noch eine Stelle haben, sich immer mehr bis zur
körperlichen und psychischen Erschöpfung auspressen lassen. Die
Jugendlichen finden keine Stelle; gleichzeitig erhöhen die Regierungen
das Rentenalter, zwingen also die älteren ArbeiterInnen zu noch mehr
Arbeit.
All diese Widersprüche sind im Kapitalismus nicht lösbar. Die
Profitlogik steht einer Lösung entgegen. Umgekehrt zeigen aber diese
Widersprüche auf, wie überreif diese Gesellschaft und die mittlerweile
entwickelten Produktivkräfte für eine neue Produktionsweise sind - für
eine andere Gesellschaft, in der nicht für den Profit, sondern für die
Bedürfnisse der Menschen produziert wird. Es kann genug produziert
werden, niemand braucht Hunger zu leiden oder auf die Gesundheitspflege
zu verzichten. Darüber hinaus ist es auch nicht nötig, dass wir alle
den ganzen Tag malochen.
Aber diese klassenlose Gesellschaft wird erst das Resultat von Kämpfen
der Arbeiterklasse sein. Diese Kämpfe beginnen heute mit der
Verteidigung gegen die Angriffe, denen wir täglich als Arbeiter - ob
jung oder alt, männlich oder weiblich, arbeitslos, Rentner oder
erwerbstätig, gelernt oder ungelernt - ausgesetzt sind. Lassen wir uns
nicht spalten! Wenn die Gewerkschaften und die Linken die
Jugendarbeitslosigkeit in den Vordergrund stellen, ist dies ein
typischer Spaltungsversuch. Als ob nur die "Jugendlichen Arbeit und
Ausbildung" bräuchten. Diese Organisationen der Bourgeoise wollen gar
nicht, dass die Arbeiterklasse als ganze zusammen kommt. Sie wollen
hier und dort etwas Luft ablassen, die gärende Unzufriedenheit
kanalisieren und in Forderungen nach einer Umverteilung der Arbeit
versickern lassen. Dies steckt in Wirklichkeit hinter Mobilisierungen
wie derjenigen am 5. November, die sich mit jugendfreundlichen Parolen
schmücken.
Selbstverständlich ist es notwendig, dass sich jugendliche Arbeitslose
zur Wehr setzen und das scheinbare Schicksal nicht passiv hinnehmen.
Dazu gehört aber vor allem auch die Diskussion über die Ursachen dieser
im Kapitalismus tatsächlich ausweglosen Situation. Ebenso wichtig ist
die Überprüfung der vermeintlichen Lösungen und "Kampfmittel", die uns
die kapitalistischen Organe von links bis rechts schmackhaft machen
wollen, wie z.B. am 5. November. Dies ist ein erster Schritt, um sich
dem Kampf der Arbeiterklasse als ganze anzuschliessen und so erst eine
wirkliche Perspektive zu eröffnen.
Die Entlassungen gehen weiter. Die Stärke der Arbeiterklasse ist ihre
Einheit. Wir müssen gegen die Angriffe auf die Löhne, die Renten, die
Arbeits- und Lebensbedingungen überhaupt die Solidarität zum Tragen
bringen; die Einheit mit anderen Arbeitern suchen; das allgemeine
Interesse der ganzen Klasse in den Vordergrund stellen; die Kämpfe
ausweiten, und zwar unabhängig von den Gewerkschaften und allen anderen
staatskapitalistischen Organisationen. E/N, 14.11.05
(1) vgl. dazu auch den Artikel "Massenarbeitslosigkeit: Bankrotterklärung des Kapitalismus" in Weltrevolution Nr. 129
(2) Die PdA, die bis zum Zusammenbruch des Ostblocks offizielle
prosowjetische Partei in der Schweiz, figuriert zwar unter den
unterstützenden Organisationen der Demo gegen Jugendarbeitslosigkeit,
scheint aber weder dafür mobilisiert noch ein Flugblatt geschrieben zu
haben.
(3) "Aufbau" Nr. 39 S. 6
(4) vgl. für eine vertiefte Analyse über die kapitalistische
Krise in den Ländern des Ostblocks den Artikel in Internationa
Die Ursachen des imperialistischen Krieges Die Anarchie als Wesensmerkmal des Kapitalismus
In der Weltrevolution 124 berichteten wir über die erste einer Reihe von öffentlichen Veranstaltungen des Internationalen Büros für die revolutionäre Partei (IBRP) in Berlin. Die zweite Veranstaltung fand am 15. Mai 2004 statt. Dort wurde über die Ursachen des imperialistischen Krieges debattiert. Ein Vertreter von Battaglia Comunista (BC) hielt das Einleitungsreferat, welches die Hintergründe des Irakkrieges sowie die gegenwärtige Außenpolitik der USA beleuchtete. Der Genosse trug die Analyse des IBRP vor, der zufolge der amerikanische “Kreuzzug gegen den Terrorismus” hauptsächlich ökonomischen Zielen dient: Die Befestigung der amerikanischen Kontrolle über die Ölreserven der Welt, um die Vorherrschaft des Dollars über die Weltwirtschaft abzustützen, um die weitere Abschöpfung einer zusätzlichen Ölrente sicherzustellen. Auf Grund ihrer nachlassenden Wettbewerbsfähigkeit seien die USA auf eine parasitäre Absaugung des Mehrwerts angewiesen, um ihre eigene Wirtschaft über Wasser zu halten. Zudem würden strategische Überlegungen eine Rolle spielen, welche oft mit der Beherrschung von Ölreserven einhergehen und darauf abzielen, Russland und China von einander bzw. von wichtigen Ölfeldern abzutrennen, und die Europäische Union schwach und uneins zu halten.
Diese Analyse löste unterschiedliche Reaktionen unter den Veranstaltungsteilnehmern aus. Während ein Genosse der “Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft” (FKG) – der vormals die Gruppe “Aufbrechen” mit ins Leben gerufen hatte – die Fähigkeit des IBRP lobte, die konkreten wirtschaftlichen Ursachen des Krieges zu identifizieren, äußerte einer der anwesenden Sprecher der “Gruppe internationaler Sozialisten” (GIS) Zweifel gegenüber dieser Analyse. Er wies darauf hin, dass der Vorgang der Aufnahme von internationalen Finanzmitteln durch die USA in erster Linie Ausdruck und Fortsetzung einer klassischen Verschuldungspolitik der USA sei. Zudem wiederholte er die Auffassung, welche er bereits auf der ersten IBRP-Veranstaltung in Berlin vorgetragen hatte (siehe: Weltrevolution 124), der zufolge das Bestreben nach militärischer Beherrschung der Ölquellen weniger wirtschaftlichen als politischen und militärstrategischen Zielen diene. Ein Mitglied der Gruppe “Internationale KommunistInnen” wiederum wies darauf hin, dass nicht nur die USA, sondern auch andere führende imperialistische Staaten – allen voran die europäischen – gegenwärtig um die Weltvorherrschaft kämpften. Er stellte die These auf, dass während in diesem Kampf der US-Imperialismus hauptsächlich seine militärische Überlegenheit in die Waagschale werfe, Europa auf die Karte seiner wirtschaftlichen Stärke setzen würde.
Die IKS befasste sich in ihrem ersten Diskussionsbeitrag mit der Argumentationslinie des Büros. Dieser Auffassung zufolge hätten die USA weitgehend ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt eingebüßt. Um die Folgen dieser Entwicklung – gigantische Handels- und Zahlungsbilanzdefizite, zunehmend auch wieder Haushaltsdefizite der öffentlichen Hand – auszugleichen, führten die USA in aller Welt Kriege, um mittels der Kontrolle über Erdöl sowie die Vormachtsstellung des Dollars Kapital an sich zu ziehen.
Erstens ist aus der IKS diese Analyse politisch sehr gefährlich, weil sie die Ursachen des imperialistischen Krieges in der besonderen Lage eines bestimmten Staates sucht, anstatt in der Entwicklungsstufe und dem Reifegrad der Widersprüche des kapitalistischen Systems insgesamt. Kein Wunder also, wenn diese Analyse große Ähnlichkeiten aufweist mit der Argumentationslinie, welche von den pro-europäischen “Globalisierungsgegnern” bzw. von linken deutschen Sozialdemokraten wie Oskar Lafontaine vertreten werden, welche die Zuspitzung der imperialistischen Spannungen auf einen angeblich besonders parasitären Charakter der US-Wirtschaft zurückführen.
Zweitens lässt diese Analyse zwei Fragen unbeantwortet:
* Weshalb hat ausgerechnet die Wirtschaft der USA – des immer noch mächtigsten kapitalistischen Staates der Welt mit den größten Konzernen, und mit einer nationalen Kultur, welche sich den Bedürfnissen der kapitalistischen Produktionsweise besonders gut angepasst hat – solche Probleme mit ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit?
* Weshalb reagiert die amerikanische Bourgeoisie nicht auf dieses Problem, indem sie das tut, was am einfachsten, am naheliegendsten wäre, nämlich, massiv in ihren Produktionsapparat zu investieren, um ihre Konkurrenzfähigkeit wiederzuerlangen? Weshalb sollte sie statt dessen auf dieses wirtschaftliche Problem reagieren, indem sie – wie Battaglia behauptet – die ganze Welt mit Krieg übersäht?
Tatsächlich verwechselt das Internationale Büro in diesem Fall Ursache und Wirkung. Die USA rüsten nicht deshalb so hoch, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig sind, sondern – insofern sie tatsächlich Wettbewerbsvorteile verloren haben – rührt dies vielmehr im großen Maße aus ihren riesigen Aufwendungen für die Rüstung.
Diese Entwicklung allerdings ist keine Besonderheit des US-Imperialismus. Bereits die UdSSR, Jahrzehnte Hauptrivale der USA, ist nicht zuletzt an dieser Rüstungsspirale zugrunde gegangen. In Wahrheit ist das Aufblähen des Kriegsbudgets auf Kosten der Entwicklung der Produktivkräfte sowie die zunehmende Indienstnahme der Wirtschaft durch den Militarismus ein Wesensmerkmal des niedergehenden Kapitalismus.
Drittens gibt es zwar einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Krise und Krieg im Kapitalismus. Aber dieser Zusammenhang lässt sich nicht auf die vereinfachende These eines Krieges um Öl oder um die Hegemonie des Dollars reduzieren. Der wirkliche Zusammenhang dieser beiden Faktoren zeigt beispielsweise die Konstellation auf, welche zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte. Damals gab es noch keine Weltwirtschaftsdepression wie die, welche erst später, 1929, ausbrach. Die Wirtschaftskrise von 1913 wies immer noch einen im Wesentlichen zyklischen Charakter auf und fiel vergleichsweise milde aus. Auch gab es damals keine mit heute vergleichbare Handels-, Zahlungs- oder Haushaltskrise Großbritanniens, Deutschlands oder anderer führender Protagonisten, und keine besonderen Währungsturbulenzen (damals wurde der Goldstandard noch weltweit anerkannt). Und dennoch brach der erste imperialistische Weltbrand vom Zaun. Weshalb? Wie lautet das allgemeine Gesetz des Imperialismus, dem die Kriege der Moderne zugrunde liegen?
Je entwickelter ein bürgerlicher Staat ist, je mächtiger die Konzentration seines Kapitals, je größer schließlich seine Abhängigkeit vom Weltmarkt, desto mehr ist der Staat auf gesicherte Zugänge zu den Ressourcen der Welt und deren Beherrschung angewiesen. In der Epoche des Imperialismus ist somit jeder Staat gezwungen zu versuchen, eine Einflusssphäre zu etablieren. Die Großmächte ihrerseits betrachten notwendigerweise die ganze Welt als ihre Einflusssphäre – nichts weniger reicht aus, um ihre Existenzgrundlage abzusichern. Je stärker die Wirtschaftskrise, je härter umkämpft der Weltmarkt wird, desto dringender wird dieses Bedürfnis.
Deutschland erklärte Großbritannien 1914 den Krieg, nicht auf Grund seiner unmittelbaren Wirtschaftslage, sondern, weil es für eine solche Macht - für die die Weltwirtschaft ihr Schicksal geworden war – nicht mehr politisch hinnehmbar war, dass ihr Zugang zum Weltmarkt auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen Großbritanniens (der damaligen Beherrscherin der Weltmeere sowie eines Großteils der Kolonien) abhing. Dies bedeutet, dass die deutsche Bourgeoisie gar nicht erst bis 1929 abzuwarten brauchte, bis es angesichts der weltweiten Depression von Seiten der alten Kolonialmächte vom Weltmarkt ausgeschlossen wurde. Sie zog es vielmehr vor, gewissermaßen vorbeugend, zu versuchen ihre missliche Lage zu verändern, bevor das Schlimmste eintraf. Dies erklärt weshalb am Anfang des 20. Jahrhunderts der Weltkrieg vor der Weltwirtschaftskrise ausbrach.
Die Tatsache, dass die kapitalistischen Mächte immer brutaler auf einander stoßen, bedeutet, dass der imperialistische Krieg immer mehr zum gegenseitigen Ruin der teilnehmenden Staaten führt. Darauf hat bereits Rosa Luxemburg in ihrer ‚Juniusbroschüre‘ hingewiesen. Auch der jüngste Irakkrieg zeigt diese Entwicklung. Der Irak war einst an der Peripherie des Kapitalismus einer der wichtigsten Großauftraggeber der europäischen und amerikanischen Industrie. Heute haben nicht nur die kapitalistische Wirtschaftskrise, sondern noch mehr die Kriege gegen den Iran und gegen die USA dieses Land vollständig ruiniert. Aber auch die amerikanische Wirtschaft blutet zusätzlich auf Grund der Kosten des Irakeinsatzes. Hinter der Idee, dass der Krieg heute um Dollarspekulationen oder eine angebliche Ölrente geführt wird, steckt die Annahme, dass der Krieg noch lukrativ, dass der Kapitalismus noch ein expandierendes System sei. Nicht nur die Politik der USA, sondern auch der Terrorismus vom Schlage Bin Ladens wurde durch den Vertreter Battaglias in diesem Sinne interpretiert: als Ausdruck des Bestrebens “200 saudi-arabische Familien” um einen größeren Anteil der Profite aus der eigenen Ölproduktion.
Nachdem sowohl das IBRP als auch die IKS je die eigene Sichtweise der Kriegsursachen dargelegt hatten, folgte eine interessante und lebhafte Debatte. Dabei fiel auf, dass die Veranstaltungsbesucher großen Wert darauf legten, die jeweilige Position der beiden anwesenden linkskommunistischen Organisationen besser zu verstehen. Sie drängten darauf, dass beide Gruppen aufeinander antworten sollten. Diese Genossen beschränkten sich auch nicht darauf, Fragen zu stellen, sondern trugen ihrerseits Einwände vor und äußerten Kritiken.
So bezeichnete beispielsweise ein Genosse der FKG den von der IKS gemachten Vergleich der Analyse des IBRPs mit der von den Globalisierungsgegnern als “billige Polemik”. Er unterstrich, dass Battaglias Hinweis auf die Aggressorrolle der USA heute nichts mit der Verharmlosung der Rolle der europäischen Imperialismen durch deren bürgerliche Sympathisanten zu tun habe. Und er wies zu Recht darauf hin, dass auch in der Vergangenheit proletarische Internationalisten die Rolle bestimmter Staaten als Auslöser imperialistischer Kriege analysiert haben, ohne sich dadurch irgendwelche Konzessionen gegenüber den Rivalen dieser Staaten zu Schulden kommen zu lassen.
Allein: die Kritik der IKS bezog sich gar nicht auf die Identifizierung der gegenwärtigen Rolle der USA als Hauptauslöser der heutigen Kriege, sondern darauf, dass die Ursachen des Krieges nicht auf die Lage des Imperialismus insgesamt, sondern auf die besondere Stellung der USA zurückgeführt werden.
Der Sprecher Battaglias seinerseits bestritt gar nicht die Ähnlichkeit der von seiner Organisation erstellten Analyse mit denen verschiedener bürgerlicher Strömungen. Er argumentierte jedoch, dass die vom Büro angewandte Analyse innerhalb einer ganz anderen Weltsicht, und zwar einer proletarischen Weltsicht, verankert sei. Dies trifft glücklicherweise noch immer zu. Doch wir bleiben dabei, dass eine solche Analyse nicht nur die Wirksamkeit unseres Kampfes gegen die Ideologie des Klassengegners schwächen, sondern darüber hinaus die Festigkeit des eigenen proletarischen Standpunktes untergraben muss. Unserer Meinung nach ist die Ähnlichkeit der Analyse des IBRP mir der gängigen bürgerlichen Auffassung darauf zurückzuführen, dass sich die Genossen selbst eine bürgerliche Herangehensweise zu Eigen gemacht haben. Diese Betrachtungsweise haben wir Empirismus genannt. Damit meinen wir die Grundtendenz des bürgerlichen Denkens sich durch bestimmte besonders herausragende Tatsachen in die Irre führen zu lassen, anstatt durch eine tiefergehende theoretische Herangehensweise den wirklichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Tatsachen aufzudecken. Diese Herangehensweise des Büros zeigte sich in der Diskussion exemplarisch daran, wie das IBRP die Tatsache, dass die amerikanische Wirtschaft ohne ausländischen Kapitalzufluss zusammenbrechen würde als Beweis dafür anführte, dass der Irakkrieg dazu gedient habe, die anderen Bourgeoisien zu zwingen, weiterhin ihr Geld in Amerika anzulegen. Doch die Gewißheit, dass die US-Ökonomie ohne diese Zuwendungen untergehen würde, ist schon Zwang genug, dass die europäischen und japanischen Kapitalismen weiterhin amerikanische Bonds und Anlagen kaufen – sie selbst würden einen Zusammenbruch der USA nicht überleben. (1)
Die Verbindung zwischen Krise und Krieg
Vor allem in diesem Teil der Diskussion wurden von verschiedenen Seiten kritische Fragen an die IKS gerichtet. Die Genossen hinterfragten die so betonte Bedeutung strategischer Fragen in unserer Analyse der imperialistischen Rivalitäten. Der Genosse von FKG kritisierte, dass die IKS – wie er meinte – die imperialistischen Spannungen allein aus den militärischen Rivalitäten ableiten würde, ohne Bezug zur Wirtschaftskrise und scheinbar unter Ausschluss wirtschaftlicher Motive. Er wies auf das Beispiel der wirtschaftlichen Kriegsziele Deutschlands im Zweiten Weltkrieg hin, um gegenüber den Auffassungen der IKS darauf zu bestehen, dass die imperialistischen Staaten durch den Krieg eine Lösung für die Wirtschaftskrise suchen. Ein Genosse aus Österreich (einst ein Gründungsmitglied der Gruppe “Internationale Kommunisten” – GIK) wollte von uns wissen, ob die IKS überhaupt die Rolle des Erdöls berücksichtige oder ob wir es für puren Zufall halten würden, dass der “Kampf gegen den Terrorismus” ausgerechnet dort schwerpunktmäßig geführt wird, wo sich die größten Erdölvorkommen der Welt befinden. Und auch der Vertreter der GIS verlangte eine Präzisierung unserer Aussage, dass moderner Krieg nicht die Lösung, sondern selbst ein Ausdruck, ja, eine Explosion der Krise darstellt.
Die Delegation der IKS antwortete, dass aus unserer Sicht der Marxismus, weitentfernt davon, den Zusammenhang zwischen Krise und Krieg zu verneinen, diesen Zusammenhang viel tiefer und umfassender zu begreifen im Stande ist. Für die IKS jedoch, ist der imperialistische Krieg nicht Ausdruck der zyklischen Krisen, welche für das 19. Jahrhundert charakteristisch waren, sondern der Krieg das Produkt der permanenten Krise des niedergehenden Kapitalismus ist. Als solches ist er Ausdruck der Rebellion der zu mächtig gewordenen Produktivkräfte gegen die zu eng gewordenen Produktionsverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft. In seinem Werk “Anti-Dühring” behauptet Friedrich Engels, dass der zentrale Widerspruch des Kapitalismus der zwischen der bereits vergesellschafteten Produktion und der noch immer privaten, anarchischen Aneignung des Produktes ist. In der Epoche des Imperialismus ist einer der Hauptausdrücke dieses Widerspruchs der zwischen dem weltweiten Charakter des Produktionsprozesses und dem Nationalstaat als wichtigstem Instrument der kapitalistischen Privataneignung. Die Krise des dekadenten Kapitalismus ist eine Krise der gesamten bürgerlichen Gesellschaft. Sie findet ihren rein ökonomischen Ausdruck in Wirtschaftsdepressionen, Massenarbeitslosigkeit usw. Sie äußert sich aber auch auf der politischen, militärischen Ebene, z.B. durch immer zerstörerischere militärische Auseinandersetzungen. Charakteristisch für diese Krisenhaftigkeit des gesamten Systems ist die stetige Zuspitzung der Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten sowohl auf wirtschaftlicher wie auch auf militärischer Ebene. Somit sprachen wir uns gegen die Hypothese des Vertreters der “Internationalen KommunistInnen” aus, der zufolge die amerikanische Bourgeoisie mit militärischen, die europäische Bourgeoisie aber mit wirtschaftlichen Mitteln um die Weltherrschaft kämpfen würden. In der Realität wird dieser Kampf von allen Seiten mit allen Mitteln ausgetragen. Es tobt der Handelskrieg ebenso wie der militärische Krieg.
Zwar stimmt es, dass die Bourgeoisie nach wie vor im Krieg einen Ausweg aus der Krise sucht. Doch weil die Welt seit Anfang des 20. Jahrhunderts bereits aufgeteilt ist, kann diese ‚Lösung‘ jeweils nur auf Kosten anderer, in der Regel benachbarter kapitalistischer Staaten gehen. Im Falle der Großmächte liegt diese ‚Lösung‘ in der Weltherrschaft und erfordert somit den Ausschluss oder die vollständige Unterwerfung anderer Großmächte. Das bedeutet, dass diese Suche nach einer Lösung der Krise einen stets utopischeren oder unrealistischeren Charakter annimmt. Die IKS spricht von einer zunehmenden ‚Irrationalität‘ des Krieges.
In der Dekadenzphase des Kapitalismus stellt sich regelmäßig heraus, dass diejenige Macht, welche die Rolle des Kriegstreibers übernehmen muss, als Verlierer hervorgeht: z.B. Deutschland in zwei Weltkriegen. Dies zeigt den zunehmend irrationalen und immer schwerer beherrschbaren Charakter des modernen Krieges.
Was wir an der Kriegsanalyse des IBRP kritisieren, ist gar nicht die Behauptung, dass der Krieg wirtschaftliche Ursachen hat, sondern die Gleichsetzung von wirtschaftlichen Ursachen und wirtschaftlicher Gewinnträchtigkeit. Darüber hinaus kritisieren wir eine aus unserer Sicht vulgärmaterialistische Tendenz, jeden Schritt in der imperialistischen Auseinandersetzung von einer unmittelbaren wirtschaftlichen Ursache abzuleiten. Dies zeigt sich gerade in der Ölfrage. Das Vorhandensein der Erdölquellen im Nahen Osten spielt selbstverständlich eine große Rolle. Jedoch müssen die Industriestaaten – allen voran die USA – diese Quellen nicht erst militärisch besetzen, um ihre ökonomisch vorherrschende Rolle gegenüber diesen und anderen Rohstoffen durchzusetzen. Es geht vielmehr um die militärstrategische Hegemonie über diese möglicherweise kriegsentscheidenden Energiequellen.
Das Büro bestritt vehement die Behauptung der IKS, dass der moderne Krieg Ausdruck der Ausweglosigkeit des Kapitalismus sei. Zwar würde das zerstörerische Wesen des Kapitalismus irgendwann zur Zerstörung der Menschheit führen – so der Vertreter von Battaglia Comunista. Doch solange dieser endgültige Kladderatsch noch nicht eingetreten sei, könne der Kapitalismus unbegrenzt weiter expandieren. Nicht die gegenwärtigen, von den USA angezettelten Kriege, sondern die ‚wirklichen imperialistischen Kriege‘ der Zukunft, beispielsweise zwischen Amerika und Europa, seien dem Genossen von Battaglia zufolge die Mittel zu dieser Expansion, indem eine allgemeine Zerstörung eine neue Akkumulationsphase eröffnen würde. Wir stimmen darin überein, dass der Kapitalismus imstande ist, die Menschheit zu vernichten. Jedoch die Vernichtung überschüssiger Produkte reichte, historisch betrachtet, nicht mal aus, um die konjunkturellen, zyklischen Krisen des aufsteigenden Kapitalismus des 19. Jahrhunderts zu überwinden. Dazu war laut Marx und Engels auch noch die Erschließung neuer Märkte erforderlich. Denn während im Rahmen der Naturalwirtschaft Überproduktion immer nur als Überschuss über die maximale physiologische Konsumtionsgrenze hinaus auftreten kann, tritt sie in der Warenwirtschaft – und erst recht im Kapitalismus – stets im Verhältnis zu der Nachfrage der Geld besitzenden Konsumenten auf. Es handelt sich um eine ökonomische und nicht so sehr um eine physiologische Kategorie.
Das bedeutet aber, dass die Kriegszerstörung das Problem der fehlenden, zahlungskräftigen Nachfrage nicht lösen kann. Vor allem aber ist die hier vom Büro vertretene Auffassung hinsichtlich der möglichen Expansion des Kapitalismus bis zum Moment der physischen Vernichtung nicht vereinbar mit der Vorstellung von der Dekadenz des Kapitalismus – eine Auffassung, von der sich das IBRP faktisch immer mehr zu verabschieden scheint.
Denn nach der marxistischen Auffassung geht der Niedergang einer Produktionsweise stets einher mit der wachsenden Fesselung der Produktivkräfte durch die bestehenden Produktions- und Eigentumsverhältnisse. Aus der Sicht Battaglias jedenfalls scheint der Krieg wie im 19. Jahrhundert weiterhin die Rolle eines Motors der wirtschaftlichen Expansion spielen zu können.
Wenn der Vertreter des Büros von den kommenden ‚wirklichen imperialistischen Kriegen‘ redet, so festigt sich bei uns der Eindruck, dass diese Organisation die Kriege der Gegenwart lediglich als Fortsetzung der Wirtschaftspolitik der USA mit anderen Mitteln, nicht aber als imperialistische Konflikte betrachtet. Wir für unseren Teil bestanden darauf, dass auch diese Kriege inter-imperialistische Auseinandersetzungen sind. Auch die imperialistischen Großmächte geraten jetzt schon aneinander, zwar nicht direkt, aber in der Form von Stellvertreterkriegen. Die ursprünglich von Deutschland ausgelöste Kette kriegerischer Konflikte in Jugoslawien verdeutlicht zudem, dass dabei nicht allein die USA als Aggressor auftreten.
In seinem Schlusswort vertrat der Sprecher des Büros die Auffassung, dass die Diskussion gezeigt habe, dass – so wörtlich - ‚die Debatte zwischen dem IBRP und der IKS nutzlos sei.‘
Dem IBRP zufolge zeige sich das darin, dass das Büro der IKS seit Jahrzehnten Idealismus‘, die IKS hingegen dem IBRP ‚Vulgärmaterialismus‘ vorwerfe, ohne dass die beiden Organisationen von ihren jeweiligen Positionen abgerückt wären.
Aus unserer Sicht ist das ein ziemlich herablassendes Urteil über eine Diskussion, an der sich außer den beiden Organisationen so unterschiedliche Positionen und politische Gruppen sehr rege beteiligt haben. Es liegt auf der Hand, dass die neue Generation politisch interessierter Menschen im deutschsprachigen Raum ein großes Interesse daran haben muss, die Positionen der bestehenden internationalistischen Organisationen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von deren Auffassungen möglichst umfassend kennenzulernen. Was könnte diesem Bedürfnis zweckdienlicher sein als die öffentliche Debatte?
Soweit wir wissen, ist kein Revolutionär bisher auf die Idee gekommen, beispielsweise die Debatte zwischen Lenin und Rosa Luxemburg über die nationale Frage nur deshalb als ‚nutzlos‘ zu bezeichnen, weil keiner der beiden Kontrahenten seine jeweilige Position geändert hat. Im Gegenteil: Vielmehr fußt die heutige ‚linkskommunistische‘ Position zur Frage der sog. ‚nationalen Befreiungsbewegungen‘ zum bedeutenden Teil auf dieser Debatte.
Die IKS für ihren Teil jedenfalls hat keine Angst vor der öffentlichen Diskussion, und wird sich weiterhin dafür einsetzen und sich daran beteiligen. Denn diese Debatte ist der unverzichtbare Bestandteil des Prozesses der Bewusstseinsentwicklung. -Weltrevolution
(1) Wir wollen an dieser Stelle hinzufügen, dass unabhängig von der Rivalität mit den USA, ihre Rivalen weiterhin ihr Kapital in der stabilsten Wirtschaft der Welt anlegen werden, da dieses Land militärisch und ökonomisch in absehbarer Zeit weltweit das mächtigste Land bleiben wird.
Charakteristisch für diese verschärfte Kriegserklärung der Ausbeuter
gegen die arbeitende Bevölkerung ist die Anhebung der Mehrwertsteuer.
Während des vorangegangenen Wahlkampfes eiferte die SPD gegen die
Steuerpläne des damals von Angela Merkel designierten Finanzministers
Kirchhoff, der davon träumte, einen einheitlichen Eingangssteuersatz
einzuführen, den Millionäre wie Geringbeschäftigte gleichermaßen zu
entrichten hätten. Aber gerade die Anhebung der Mehrwertsteuer trifft
die Armen doppelt schwer, da selbst Bettler und Obdachlose diese Steuer
zu entrichten haben, sobald sie etwas kaufen.
Ein solcher Generalangriff der Herrschenden gegen die Lebensinteressen
der Arbeiterklasse wird mit Sicherheit Zorn und Empörung auf Seiten der
Betroffenen hervorrufen. Jedoch zeigt die Art und Weise, wie dieses
Angriffs-“Paket” zusammengestellt wurde, dass die Ausbeuter alles tun
wollen, um den Arbeiterwiderstand von vornherein zu erschweren. Neben
der Brutalität der Maßnahmen ist an diesem rot-schwarzen
Koalitionsvertrag v.a. eins kennzeichnend: Das Bemühen, die
Lohnabhängigen gegeneinander auszuspielen. Ein Paradebeispiel hierfür
ist die geplante Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. um zwei
Prozentpunkte. Die Hälfte davon soll durch Kürzungen bei der
Erwerbslosenunterstützung “gegenfinanziert” werden. Die andere Hälfte
soll aus den zusätzlichen Einnahmen durch die Mehrwertsteuererhöhung
bestritten werden. So soll ein Spalt zwischen Beschäftigten und
Arbeitslosen gesät werden. Dabei geht es bei dieser Maßnahme in
Wahrheit um die Senkung der Lohnnebenkosten für die Unternehmer, die
“paritätisch” (zur Hälfte”) an der herkömmlichen
Arbeitslosenversicherung beteiligt sind. Die Kosten für diese Senkung –
falls sie überhaupt zustande kommt – haben allein die Beschäftigen und
Arbeitslosen zu tragen. Was es mit solchen angeblichen Entlastungen der
Arbeiterklasse auf sich hat, zeigt beispielsweise die versprochene
Senkung der Abgaben zur Gesundheitsversicherung seitens der rot-grünen
Regierung. Während seitdem die Gesundheitsversorgung weiter erheblich
eingeschränkt und verschlechtert wurde, ist bis heute keine Absenkung
der Versicherungsbeiträge eingetreten. Im Gegenteil. Allein schon die
Anhebung der Mehrwertsteuer wird für eine weitere Verteuerung auch auf
diesem Gebiet sorgen.
Was der Koalitionsvertrag darüber hinaus noch bestätigt, ist die Verlogenheit nicht nur der Wahlversprechen (beispielsweise hat die Union versprochen, die Gesamtsteuerlast für die Bevölkerung zu senken, die SPD, die Mehrwertsteuererhöhung zu verhindern), sondern des demokratischen Wahlkampfes überhaupt. So hat alle Welt so getan, als ob Christdemokraten und Sozialdemokraten, “Marktliberale” und “Verteidiger des Sozialstaates” unversöhnliche politische Lager bilden würden. Jetzt erlebt man von neuem, wie wunderbar Links und Rechts miteinander in einer Regierungskoalition sich verständigen, wenn es um die Durchsetzung der Interessen des Kapitals gegen die Ausgebeuteten geht. Dies trifft auf alle beteiligten Parteien zu, so z.B. auf die PDS überall dort, wo sie in den Ländern und Kommunen Regierungsverantwortung übernimmt. Wichtiger als die Lehre, dass die Wahlkämpfer lügen, ist jedoch die Erkenntnis, dass die bürgerliche Demokratie eine viel mächtigere, weil raffiniertere und elastischere Form des staatlichen Totalitarismus darstellt als die unverhüllte Gewaltherrschaft eines Hitlers oder Stalins. Durch die “freie Stimmabgabe” und die “freie Auswahl” an der Wahlurne wird den Untertanen der Eindruck vermittelt, die Regierung selbst einzusetzen und auch wieder abwählen zu können. Dabei gehorcht die Regierung nicht dem Willen des Volkes, sondern den Sachzwängen des kapitalistischen Systems. Es ist die kapitalistische Konkurrenz im Rahmen der Niedergangskrise des Systems, welche das Regierungsprogramm diktiert. Diese Krise schert sich einen Dreck um die Wahlergebnisse. Es zwingt den Einzelkapitalisten wie den kapitalistischen Staat bei Strafe des Untergangs dazu, die Arbeiterklasse anzugreifen. Der parlamentarische Zirkus dient lediglich dazu, die Proletarier in die Irre zu führen.
Dabei ist das rot-schwarze Regierungsprogramm lediglich die direkt
staatlich verwaltete Seite des kapitalistischen Angriffs. Was von den
Versprechen der Politiker zu halten ist, dass die Hinnahme von
Verschlechterungen und “Härten” jetzt zu einer baldigen Verbesserung
der Lage der Hauptbetroffenen selbst führen wird, zeigen auch die
Erfahrungen in der “Privatwirtschaft”. Nachdem bei der Telecom bereits
die Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgelder hingenommen wurde,
folgt nun die Ankündigung erneuter Stellenstreichungen – nicht weniger
als 32.000! Und nachdem bei Volkswagen immer mehr Beschäftigte
tariflich “umgeschichtet” wurden und für 20 % weniger arbeiten, hat man
nun im Gesamtkonzern Pausenregelungen und Nachtzuschläge gestrichen.
Das sind die von der kapitalistischen Wirklichkeit erzeugten
Nachrichten, welche die “Aufbruchstimmung” begleiten, welche die
Bildung einer neuen Regierung erzeugen soll.
So zeigen die jüngsten Arbeiterkämpfe in Deutschland eine mit dem
Rücken zur Wand kämpfende Klasse. Bei den Werksbesetzungen bei AEG in
Nürnberg und bei Infineon in München ging es nicht um die Verhinderung
von Werksschließungen, sondern darum, zu verhindern, dass die durch
diese Schließungen auf die Straße Geworfenen von heute auf morgen
mittellos dastehen. Vorbei die Zeiten, da die führenden Konzerne der
High-Tech-Branche – wie eben Infineon – Entlassenen “freiwillig”
Abfindungen zahlten, um sozialen Explosionen vorzubeugen. Gar nicht
lange ist es her, da hat man über einen “endgültigen Siegeszug” des
Kapitalismus geschwafelt und festgestellt, der Ausspruch von Marx und
Engels, demzufolge die Proletarier nichts zu verlieren haben als ihre
Ketten, sei durch die Geschichte widerlegt worden. Die Lage der
Beschäftigten bei AEG und Infineon heute beweist die ganze Aktualität
der berühmten Formulierung des Kommunistischen Manifestes.
Diese Kämpfe zeigen die Wut der Betroffenen – eine Wut, die, wie
gesagt, durch das Vorhaben der neuen Regierung angeheizt wird. Das ist
auch wichtig, denn ohne diese Wut kann es zu keinem Arbeiterkampf
kommen. Aber Wut allein reicht nicht. Wut ohne Klassenbewusstsein lässt
sich leicht in harmlose Richtungen kanalisieren. Auch das ist eine
durch den jüngsten Wahlgang erneut bestätigte Lehre. Die Wut der
Betroffenen wurde in Richtung Wahlurne gelenkt. Das Angebot des
demokratischen Staates lautete: Die Verantwortlichen – v.a. also die
regierende SPD und die CDU/CSU als neue Kanzlerpartei in spe – bei den
Wahlen “abzustrafen”. Tatsächlich hatten beide “Volksparteien” ihr
schlechtestes Wahlergebnis seit langem. Das Ergebnis? Ausgerechnet die
“Abgestraften” bilden die neue Regierung, werden von der herrschenden
Klasse für ihre Mühen belohnt. Deutlicher könnte die Ohnmacht des
demokratischen “Abstrafens” als Protestform nicht zu Tage treten.
Überhaupt ist es ungeheuer wichtig, dass die Arbeiterklasse, die
während der letzten Jahre noch verbleibenden Illusionen über die
Wirklichkeit des kapitalistischen Systems ablegt. Hinter der Wucht der
Angriffe steckt die Ausweglosigkeit der Krise eines mit dem Fortschritt
der Menschheit nicht mehr zu vereinbarendem Gesellschaftssystems. Die
Arbeiterklasse muss um diese Einsicht ringen. Denn gerade der linke,
angeblich arbeiterfreundliche Flügel des demokratischen Staates macht
heute mobil, um diese Einsicht im Keim zu ersticken. So haben im
Oktober und November 2005 die Gewerkschaften in einer Reihe
Europäischer Staaten – u.a. in Frankreich, Belgien und Griechenland –
Aktionstage veranstaltet, um gegen bestimmte Regierungsmaßnahmen zu
protestieren. Sie wollen damit nicht nur Dampf ablassen, der sich sonst
in den Reihen der Arbeiter gefährlich (für das Kapital) aufstauen
könnte. Sie sollen darüber hinaus die Illusion aufrechterhalten, dass
es sich bei diesen Angriffen nicht um Äußerungen des Bankrotts des
Kapitalismus handelt, sondern um einzelne Maßnahmen oder um eine
“verfehlte Politik”, welche durch punktuelle und begrenzte Aktionen
abgewehrt oder infrage gestellt werden können. Das parlamentarische
Gegenstück dazu bilden heute die “Globalisierungsgegner”, welche in
Form der Linkspartei-PDS gerade in Fraktionsstärke und mit viel Tamtam
in den neuen deutschen Bundestag gezogen sind. Diese Kräfte behaupten,
die Ursache des Leids der Arbeiterklasse heute sei nicht die Krise des
Systems, sondern die Tatsache, dass das Kapital in den letzten Jahren
international und damit übermächtig geworden sei. Ihre Antwort darauf:
den Nationalstaat stärken. Tatsächlich wird durch diese Sichtweise der
Bankrott des Systems verhüllt. Dass das Kapital international agiert,
ist überhaupt nicht neu. Bereits zu Marxens Lebzeit
gründeten die Arbeiter die 1. Internationale, nicht zuletzt um zu
verhindern, dass Arbeiter aus anderen Ländern als Streikbrecher
eingesetzt werden konnten. Nicht nur die Bewegungen des Kapitals und
seine Krisen, sondern der Kampf der Arbeiterklasse war von Anfang an
international. Was aber den Kapitalismus kennzeichnet, ist nicht allein
sein globaler Charakter, sondern wesentlich der Widerspruch zwischen
Weltmarkt und Nationalstaat, zwischen internationaler Produktion und
nationalstaatlicher Aneignung. Die gnadenlose “Standortkonkurrenz”
aller Staaten der Erde ebenso wie das Aufflammen militärischer
Konflikte zeigt heute auf, wie wenig dieser Widerspruch verschwunden
ist. Der Nationalstaat ist die höchste Form der kapitalistischen
Konkurrenz. Er ist Teil des Problems und niemals Teil der Lösung.
Somit ist auch das neue deutsche Regierungsprogramm nur eine
Erscheinungsform eines weltweiten Phänomens. Angesichts dieser
Entwicklung muss die Arbeiterklasse sich auf große Kämpfe, ja auf
Jahrzehnte lange Kämpfe einstellen.
Regierung und Opposition, Links und Rechts streiten sich um den
wirkungsvollsten, gerechtesten und sozialverträglichsten Weg zur
Stärkung des Standorts Deutschland. In allen Ländern wiederholt sich,
in unterschiedlichen Formen, dieses Schauspiel. Die Bourgeoisie kennt
auch keine andere Antwort auf die Krise des Systems, als sich immer
wieder der Konkurrenz zu stellen. Die Konkurrenz ist keine Antwort auf
die und kein Ausweg aus der Krise, sondern das Grundprinzip des
Kapitalismus. Sie ist die Ursache der Unmenschlichkeit der Lebenslage
der Arbeiter sowie der Ohnmacht des Proletariats. Vor dem Kapitalismus
wurden die Ausgebeuteten gewaltsam zur Mehrarbeit gezwungen. Im
Kapitalismus hingegen ist es die Konkurrenz der Arbeiter untereinander,
welche das Proletariat zwingt, sich der Ausbeutung zu unterwerfen. Die
Arbeiterklasse kann nur eine eigene Macht entwickeln, indem sie der
kapitalistischen Konkurrenz ihr Prinzip der Klassensolidarität
entgegenstellt. Erst diese Solidarität ermöglicht die Entwicklung des
Arbeiterkampfes als wirkliche Gegenmacht und als alternatives
Gesellschaftsprojekt zur Welt des jeder gegen jeden. Hier keimt die
Saat einer neuen, klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft.
Diese Solidarität ist zu aller erst internationalistisch. Die
Arbeiterklasse ist die einzige internationale und zur weltweiten
Solidarität befähigte Klasse der heutigen Gesellschaft. Es handelt sich
hierbei keineswegs um ein abstraktes Prinzip oder um eine erst in einer
fernen Zukunft sich stellende Frage. Wie die Beschäftigten bei VW in
Wolfsburg, die jüngst gegen ihre Kolleginnen und Kollegen in Portugal
um den preiswerteren Produktionsort des neuen Marrakesch-Models
ausgespielt wurden, steht die gesamte Arbeiterklasse vor dieser Frage.
Die Frage lautet: Entweder sich den Profitinteressen der “eigenen”
Kapitalisten unterordnen, oder überall entschlossen sich gegen die
Angriffe des Kapitals zu Wehr setzen - im politischen Bewusstsein,
einen gemeinsamen solidarischen Kampfes zu führen.
“Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie
haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt
euch!” 15.11.05
Ohne einen aktiven Austausch von Standpunkten, ohne Debatte ist eine Klärung kommunistischer Positionen unmöglich. Deshalb versuchen wir möglichst regelmäßig in unserer Zeitung Zuschriften von Leser/Innen zu veröffentlichen und darauf so ernsthaft wie möglich zu antworten. Wir unsererseits sind nicht nur erfreut, sondern auch dankbar für jede Zuschrift, die wir erhalten, weil sie uns zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit unserer Arbeit und unseren Positionen zwingt. Deshalb, wenn euch an unserer Zeitung etwas besonders angesprochen aber auch missfallen hat, schreibt uns, auch wenn es nur ein paar Zeilen sind.
Zunächst einmal muß ich mich bei euch entschuldigen, dass ich Nichts von mir habe hören lassen. Vor etwa einem Jahr habe ich so ziemlich jede linke Organisation zwecks Informationen angeschrieben und infolgedessen bei einigen auch Materialien bestellt. Ebenso bei der IKS - hier ein "Weltrevolution"-Abo und diverse Publikationen.
Wenn ich versuche im Folgenden auf euch einzugehen, dann bitte ich zu bedenken, dass mir als Quellenmaterial nur die letzten vier Ausgaben der "Weltrevolution" und "Plattform und Manifest der IKS" zu Verfügung standen. Für die restlichen Publikationen habe ich noch keine Zeit zum Lesen gefunden.
Ich stimme mit euch überein, dass die Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt ist. Marx und Engels haben dies im Kommunistischen Manifest nachgewiesen. Gleichzeitig halte ich den Begriff, den ihr vom Proletariat habt, für ziemlich abstrakt. Da wird die Arbeiterklasse "geschwächt und an Händen und Füßen gefesselt in den II. Weltkrieg geführt" und "dazu gezwungen , eine vom Krieg zerstörte, in Trümmern liegende Welt wiederaufzubauen". Sind wir nicht alle ein bißchen Opfer ? möchte man fragen.
Kein Arbeiter steht außerhalb der Welt. Jeder handelt eigenverantwortlich zugunsten oder eben zuungunsten der "eigenen Sache". Das die naheliegende Revolution nur so selten angegangen wird, und wenn, dann meist ziemlich schnell in der Scheiße landet, hat viele Ursachen. Die Bourgeoisie hält eine Aktie daran, das Proletariat die andere. Über die Bedenken des Proletariats bezüglich der revolutionären Frage sollte aber schon Klarheit bestehen (auch wenn es sich nur um die Tatsache handelt, dass Arbeiterkinder während der revolutionären Krise schneller verhungern als Generalsfamilien). Das kann dann schon ein verdammt gutes Argument dafür sein, die Füße still zu halten und die Faust in der Tasche zu ballen. Wenn es da an Lösungswegen mangelt, liegt die Schuld hierbei aber weder bei der Bourgeoisie noch beim Proletariat, sondern vielmehr bei der revolutionären Partei.
Auch der Begriff "Dekadenz des Kapitalismus" wirkt auf mich eher verwirrend als erleuchtend. Während ihr damit zum einen auf die "Überproduktionskrise" eingeht, werden etwas später auch die Toten der "systematischen, fabrikmäßigen Massenmorde" hierunter subsumiert.
Die Überproduktionskrise wirkt auf mich weniger dekadent, als vielmehr notwendig logisch aus der Krise der Akkumulation. Diese wiederum hat ihren Ursprung in einer unvernünftigen Ideologie namens Kapitalismus. Ebenso "vernünftig" erscheint auch die Vernichtung von Lebensmitteln, während nebenan Millionen Hunger leiden. Auch dies ist notwendiger Bestandteil des kapitalistischen Systems. Dekadent bleibt dabei vielleicht die Tatsache, dass man Kinder im Rahmen der Entwicklungshilfe im vierten Lebensjahr für zehn Jahre gegen Viruserkrankungen immunisiert, während man genau weiß, dass diese das achte Lebensjahr mangels Nahrung sowieso nicht erreichen. Dies ist auch innerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik nicht nachzuvollziehen.
Die "Massenmorde", auf die ihr dagegen hinweist - und hier vor allem die Shoah -, sind meines Erachtens auch keiner "Dekadenz des Kapitalismus" geschuldet, sondern vielmehr in der Unendlichkeit der menschlichen Dummheit zu suchen. Es gibt nicht eine einzige These die glaubhaft den Zusammenhang zwischen den Erkenntnissen aus Marxens "Kapital" mit der "Notwendigkeit" von Ausschwitz herstellt.
Während ich euren Thesen zum Staatskapitalismus, den "sozialistischen" Ländern, den Gewerkschaften, den bürgerlichen Quatschbuden und zur "nationalen Befreiung" teile, möchte ich euch in den "partiellen Kämpfen" widersprechen. Zu diesen Auseinandersetzungen zähle ich mal grundsätzlich alle "Ein-Punkt-Bewegungen", also nicht nur Umwelt, Gender, Rassismus, sondern auch Antifaschismus. Diese Bewegungen grundsätzlich als "Mittel der Bourgeoisie, um die Ziele der Arbeiter zu vernebeln" zu brandmarken, halte ich grundsätzlich für falsch. Oftmals sind solche Zusammenhänge erst der Beginn eines politischen Bewußtseins. Sicherlich habt ihr recht, wenn ihr meint, dass man sich nicht in einzelnen Kämpfen aufreiben darf. Aber Leuten, die eine fortschrittliche Linie verfolgen, dann die Solidarität mit der Begründung zu entziehen - insbesondere wenn der bürgerliche Staat denen gegenüber repressiv auftritt -, dass sowieso nur die Sache der Konterrevolution vertreten wird, kann ich nur als zynisch und der Konterrevolution als dienlicher bezeichnen. (Darin ist vielleicht auch ein Grund zu sehen; warum die warum die "Fraktionen der kommunistischen Linken" so sang- und klanglos in den 30ern ausgestorben sind. Das Proletariat brauchte damals keine Schwätzer und Schreiber.
Hier wird von der "Umgruppierung der Revolutionäre im Hinblick auf die Schaffung einer wirklichen kommunistischen Weltpartei" geschrieben. Dass sich dies in theoretischen Veranstaltungen zu erschöpfen scheint, finde ich ziemlich schade. Ein reiner Diskussionsclub ist ein bißchen wenig für eine revolutionäre Perspektive. Statt dessen wird sich in altlinker Manier mit Verrätern und Abweichlern gekloppt. Bitte zukünftig gelassener und besser werden als KPD/ML und Genossen.
Abschließend möchte ich noch zu eurer letzten Ausgabe der "Weltrevolution" Nr. 130 ein paar Zeilen verlieren.
Der Artikel "60. Jahrestag der Befreiung der KZs, der Bombardierung Dresdens, Hiroshimas, der Kapitulation Deutschlands" besticht vor allem durch eins, es geht um Bombardierung und Vertreibung und arbeitende Deutsche - ähem deutsche Arbeiter. Natürlich alle Opfer der barbarischen englischen, amerikanischen und russischen Bourgeoisie. Gleichzeitig wird kurz vor Kriegsende ein zweites 1918 halluziniert. Ursache und Wirkung wird mal wieder schön ausgeblendet. Weder wird der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Tschechoslowakei, Polen, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien, Luxemburg; Frankreich, England, Jugoslawien, Griechenland und der Sowjetunion thematisiert, noch wird auf die Befreiung der Zwangsarbeiter, der koreanischen, chinesischen und der kommunistischen KZler eingegangen. Kriegsverbrechen auf deutscher und japanischer Seite ? - Fehlanzeige !
Ich persönlich bin der Meinung, dass alle humanistischen Leistungen auch zur Geschichte des Proletariats gehören. Und zur größten humanistischen Leistung des 20. Jahrhunderts -gehört nun mal die Befreiung vom NS-Regime,vom japanischen und italienischen Faschismus. Ich wäre heute nicht am Leben, hätten die Nazis damals gesiegt.
Hand aufs Herz Leute: Den gleichen Sermon kann man in Publikationen wie den "Funkenflug" der Heimattreuen Deutschen Jugend, dem "Fahnenträger" oder der "Volk in Bewegung" lesen. Wenn der Schwachsinn auf angloamerikanischen Haufen gewachsen ist, dann bitte auch nur dort publizieren. Danke !Trotzdem werde ich natürlich mein Abo verlängern. Den Betrag füge ich diesem Schreiben in bar bei.
Mit freundlichen Grüßen
auch wenn du deine Korrespondenz vom 06.07.2005 mit der Äußerung beendest, dass dein Brief ”hoffentlich nicht zu streng klingt” – wir haben uns darüber sehr gefreut. Erstens weil für uns die politische Debatte das Lebensblut der Arbeiterklasse darstellt, unverzichtbare Vorbedingung der Klärung ist. Diese Auseinandersetzung soll ruhig kontrovers und polemisch geführt werden, solange die Argumente aufrichtig sind und der Klärung dienen. Schließlich ist unser Thema, der Klassenkampf des Proletariats, eine äußerst wichtige und auch emotional ergreifende Angelegenheit! Zweitens weil es eine Reihe von Punkten gibt, wo du Übereinstimmung mit uns signalisierst. So stellst du von vorne weg klar: ”Ich stimme mit euch überein, dass die Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt ist.” Darüber hinaus schreibst du, dass du unsere ”Thesen zum Staatskapitalismus, den ‘sozialistischen’ Ländern, den Gewerkschaften, den bürgerlichen Quatschbuden und zur ‘nationalen Befreiung’” teilst. Auch wenn du dich sonst eher kritisch über die Kommunistische Linke in deinem Brief äußerst, erscheint es uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass du einigen der wichtigsten Thesen zustimmst, welche diese internationalistische Strömung von den Positionen der Stalinisten, Trotzkisten und auch vielen Anarchisten radikal unterscheidet. Selbst gegenüber dem Bereich, den du als ”Ein-Punkt-Bewegungen” bezeichnest (wozu du ”nicht nur Umwelt, Gender, Rassismus, sondern auch Antifaschismus” zählst), wo du unsere Ansicht nicht teilst, stimmst du uns zumindest in einem wichtigen Punkt zu: ”Sicherlich habt ihr recht, wenn ihr meint, dass man sich nicht in einzelnen Kämpfen aufreiben darf.
Wenn wir diese Übereinstimmungen betonen, dann nicht um die zwischen uns bestehenden, schwerwiegenden Meinungsunterschiede herunterzuspielen. Was uns bedeutsam erscheint ist, dass wir in letzter Zeit immer mehr Briefe erhalten – nicht nur aus Deutschland, sondern aus der ganzen Welt – worin die Leser unserer Presse teilweise, manchmal aber auch umfassend und begeistert unseren Positionen zustimmen. Unsere politische Tradition, die der Kommunistischen Linken, entstand ursprünglich als Reaktion auf die Degeneration der russischen Revolution und der Kommunistischen Internationale. Sie musste ihre programmatischen Positionen ausarbeiten inmitten der vom Stalinismus, Nazismus und von der totalitären Demokratie geprägten Konterrevolution. Und selbst nach der Beendigung dieser langen Phase der Konterrevolution durch die weltweite Wiederbelebung des Klassenkampfes nach 1968 mussten wir Jahrzehnte lang in gewisser Weise gegen den Strom der kapitalistischen Linken anschwimmen, welche die ”politische Hoheit” über die große Mehrheit der politisierten Teile der neuen, ungeschlagenen Generation der Arbeiterklasse gewann. Es ist noch gar nicht so lange her, da wirkten proletarische Positionen - etwa die Ablehnung der sog. nationalen Befreiung und der Gewerkschaften - noch schockierend auf die große Mehrheit der Politisierten. Heute hingegen stimmen immer mehr dieser politisierten, proletarische Positionen Suchenden den Thesen des ”Linkskommunismus” zu. Wir sehen darin einen ganz wichtigen Ausdruck eines Prozesses, welchen wir mit Marx als unterirdische Bewusstseinsentwicklung bezeichnen möchten.
Für uns ist diese Arbeit des ”alten Maulwurfs” – welche das Potenzial birgt, nach der Niederlage des revolutionären Ansturms in Deutschland, Österreich-Ungarn und schließlich Russland am Ende des Ersten Weltkrieges, einen zweiten Anlauf zur proletarischen Weltrevolution vorzubereiten – in erster Linie ein Ergebnis der aktuellen Weltlage: Zuspitzung der kapitalistischen Krise, langsamer Illusionsverlust der Arbeiterklasse. Aber es ist auch ein Ergebnis der programmatischen Arbeit der kommunistischen Linken in den 20er und 30er Jahren. Denn ohne diese theoretische Vorarbeit würden die oft jungen, nach Klarheit suchenden politischen Vorkämpfer der Arbeiterklasse keine Orientierungspunkte vorfinden.
Nun aber zu deinen Divergenzen. Dass du uns in der Frage der ”Ein-Punkt-Bewegungen” nicht zustimmst, haben wir bereits erwähnt. Vielleicht können wir diesen Punkt für einen späteren Briefwechsel aufheben. Grundlegender erscheint uns die Frage der Dekadenz des Kapitalismus.(...) Schließlich ist die Dekadenztheorie keine Erfindung der IKS oder der Kommunistischen Linken. In seiner berühmten Vorrede zur ”Kritik der politischen Ökonomie” erklärte bereits Marx die Vorstellung, dass jede bisherige Produktionsweise eine aufsteigende und eine niedergehende Entwicklungsphase durchlief, zum Eckpfeiler seiner dialektisch-materialistischen Geschichtsauffassung.
Eine andere in deinem Brief aufgeworfene, sehr grundlegende Frage ist die Einschätzung des Antifaschismus und des 2. Weltkriegs. Hier äußerst du keinen Zweifel, sondern erhebst entschieden Widerspruch gegen unsere internationalistische Auffassung. Das, was weithin die ”Befreiung vom NS-Regime” durch den angloamerikanisch-sowjetischen Block genannt wird, betrachtest du als eine ”humanistische Leistung” welche zur ”Geschichte des Proletariats” gehört. Du behauptest sogar, ”den gleichen Sermon” nicht nur bei uns, sondern auch bei den Rechtsradikalen lesen zu können. Stimmt das?
Die Neonazis sind Nationalisten. Auch die Stalinisten sind Nationalisten. Alle bürgerlichen Demokraten sind Nationalisten. Spätestens dann, wenn wichtige imperialistische Kriege ausbrechen, kann man beobachten, wie sie alle sich beeilen, für eine der kriegsführenden Seiten Partei zu ergreifen. Was alle diese – durch und durch bürgerlichen – Kräfte gemeinsam haben, ist ihr Glaube, dass die Nation, dass der Nationalstaat noch eine fortschrittliche Rolle in der Menschheitsgeschichte spielen kann. Diese Auffassung stirbt nicht aus, sobald der Kapitalismus, durch die Schaffung eines einheitlichen Weltmarktes und eines Weltproletariats, die materiellen Voraussetzungen für den Sozialismus geschaffen hat. Im Gegenteil. Je brutaler der Widerspruch der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen wird - und damit der Gegensatz zwischen den Bedürfnissen der weltweiten Produktion und dem Fortbestand einer durch Nationalstaaten organisierten privaten Aneignung - desto wahnwitziger die Art und Weise, wie die herrschende Klasse die Nation hochhält. Zwei der aberwitzigsten Ausdrücke dieser den Bedürfnissen der geschichtlichen Entwicklung total widersprechenden, nationalen Wahnsysteme griffen in den 20er und 30er Jahren um sich: Der Nationalsozialismus und der Stalinismus. Während der Nationalsozialismus im Rassismus eine neue ideologische Grundlage für die bürgerliche Nation suchte, verstieg sich der Stalinismus sogar zu der Behauptung, dass der Nationalstaat den geeigneten Rahmen für die Entwicklung des Sozialismus liefern könnte.
Das Grundprinzip des Proletariats hingegen ist, dass die Arbeiter kein Vaterland haben. Das heißt aber nicht, dass die marxistische Auffassung über die Rolle des Nationalstaates unwandelbar ist. Denn die Rolle der Nation in der Geschichte vollzieht selbst einen Wandel. Die Nation spielte eine fortschrittliche Rolle gegen die feudale Zersplitterung. Sie trug entscheidend dazu bei, große, durch die Produktion und den modernen Verkehr miteinander verbundene Abteilungen des Proletariats zu erschaffen. Deshalb gab die Arbeiterbewegung in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus bestimmten, fortschrittlichen nationalen Bewegungen ihre kritische Unterstützung, ohne aber sich die Ideologie des Nationalismus zu Eigen zu machen. Jedoch hat der Erste Weltkrieg aufgezeigt, dass diese Phase im Leben des Kapitalismus zu Ende war. Aus einem Faktor des gesellschaftlichen Fortschritts ist die Nation zu einem Faktor der Zerstörung der bis dahin entwickelten, materiellen Voraussetzungen des Sozialismus geworden.
In deinem Brief listest du die Verbrechen Deutschlands, Italiens und Japans im Zweiten Weltkrieg auf, sozusagen als Beweis für die Fortschrittlichkeit des Antifaschismus. Du wirfst uns sogar vor, diese Verbrechen zu verschweigen. Jedoch vom Standpunkt des Marxismus können die Verbrechen der einen Seite eines imperialistischen Krieges niemals ausreichen, um die Fortschrittlichkeit der anderen Kriegsseite zu beweisen. Dies wurde bereits beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs deutlich. Führende Sozialdemokraten aller kriegsführenden Länder haben ihre Kriegsteilnahme mit der Barbarei der Gegenseite zu rechtfertigen versucht. Jedes Mal beriefen sie sich auf die Haltung von Marx und Engels gegenüber dem barbarischen Russland. Was sie dabei verschwiegen: Marx und Engels haben niemals behauptet, dass die von den modernen, demokratischen, bürgerlichen Nationen angewendeten Mittel – beispielsweise in den Kolonien – weniger barbarisch waren als die zaristisch-russischen. Die Barbarei, von der sie in Bezug auf Russland sprachen, war die feudale Barbarei, welche alle fortschrittlichen, bürgerlichen Bewegungen auf dem europäischen Festland bekämpfte.
Die Barbarei der Nazis beweist keineswegs die Fortschrittlichkeit des angloamerikanisch-sowjetischen Blocks im Zweiten Weltkrieg – genau so wenig wie sie die im Namen des Antifaschismus verübten Verbrechen aus der Welt schaffen kann. Wir meinen, dass gerade diese Frage die entscheidende Wichtigkeit des Konzepts von der Dekadenz des Kapitalismus unterstreicht. Die Ablehnung des Nationalismus ist ein Prinzip des Proletariats. Dass die Arbeiterbewegung dennoch bestimmte nationale Bewegungen gutheißen konnte, war eine Ausnahme, welche nur die Regel bestätigt – eine Ausnahme auf Grund der Tatsache, dass die materiellen Vorbedingungen der proletarischen Revolution noch nicht vorhanden waren. Dass diese Ausnahmephase, in der die Arbeiterklasse unter Umständen ihren natürlichen Hauptfeind, die Bourgeoisie, gegen den Feudalismus unterstützen konnte, mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende ging, trifft aus unserer Sicht nicht nur für die Rolle des Nationalstaates und der ”nationalen Befreiung” zu, sondern auch was die Demokratie anbetrifft, ist eine Ausnahmephase zu Ende gegangen. Hat die Arbeiterklasse, der Totengräber der bürgerlichen Gesellschaft, in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus oft der revolutionären und ”liberalen” Bourgeoisie gegen das Mittelalter geholfen, so bestimmt nicht, weil diese demokratische Bourgeoisie weniger barbarische Mittel zum Einsatz bringen würde oder weniger rassistisch wäre (das Gegenteil ist viel eher der Fall, wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts bestätigt hat), sondern weil die demokratische und parlamentarische Republik für eine freiere Entwicklung des Kapitalismus und damit für die Voraussetzungen des Sozialismus günstige Bedingungen schuf. Deshalb sind wir auch nicht damit einverstanden, wenn du den Antifaschismus zu den ”Ein-Punkt-Bewegungen” zählst. Wir lehnen die Ein-Punkt-Bewegungen ab, nicht weil ihre Zielsetzungen als solche falsch wären (die Beseitigung des Rassismus, des Sexismus, der Umweltzerstörung gehören selbstverständlich zu den Zielen des kämpfenden Proletariats), sondern weil diese Ziele nicht innerhalb des Kapitalismus, sondern nur durch seine revolutionäre Beseitigung erreicht werden können. Wir lehnen hingegen die Zielsetzung des Antifaschismus rundweg ab, die darin besteht, eine bestimmte Form der Kapitalherrschaft gegen eine andere zu verteidigen, da erstere angeblich menschlicher wäre oder zumindest ”das kleinere Übel” für die Arbeiterklasse darstelle. Die Geschichte zeigt, dass die Demokratie die stärkste Waffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse darstellt, und dass die Herrschenden diese Waffe erst bei Seite legen kann , wenn die Arbeiterklasse bereits geschlagen ist.
Wir sind aber der Ansicht, dass deine, aus unserer Sicht falsche Einschätzung des Zweiten Weltkrieges und des Antifaschismus nicht nur mit der Dekadenzfrage, sondern auch mit deiner Einschätzung der Rolle der Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren zusammenhängt. Du deutest an, dass die Linkskommunisten, da sie ”Leuten die eine fortschrittliche Linie verfolgen dann die Solidarität mit der Begründung [entziehen …], dass sowieso nur die Sache der Konterrevolution vertreten wird” eine Haltung einnehmen, welche du als ”zynisch” und ”der Konterrevolution dienlich” bezeichnest. Denn du fügst direkt hinzu: ”Darin ist vielleicht auch ein Grund zu sehen, warum die ‘Fraktionen der kommunistischen Linken’ so sang- und klanglos in den 30ern ausgestorben sind. Das Proletariat brauchte damals keine Schwätzer und Schreiber.”
Das erste, was wir dazu anmerken wollen, ist, dass weder die Fraktionen der Kommunistischen Linken in den 30er Jahren, noch die IKS als die international wichtigste linkskommunistische Organisation der Gegenwart, Leuten ”die eine fortschrittliche Linie” verfolgt haben, die Solidarität entzogen haben. Die italienische Fraktion, auf dessen Verhaltenskodex und Organisationsverständnis die IKS sich beruft, nahm immer eine solidarische Haltung allen proletarischen Strömungen gegenüber ein, nicht nur gegenüber der deutsch-holländischen Linken (allen politischen Divergenzen zum Trotz), sondern auch beispielsweise gegenüber den Trotzkisten, welche sogar eine Zusammenarbeit mit der Konterrevolution, mit Stalinismus und Sozialdemokratie befürwortet haben. Nicht zuletzt auf Grund dieser solidarischen Haltung gelang es den Linkskommunisten, die besten Genossen im Lager der Trotzkisten für ihre internationalistische Haltung gegenüber dem 2. Weltkrieg zu gewinnen, während der Trotzkismus die Arbeiterklasse verraten hat. Was allerdings wahr ist: Die Linkskommunisten zählten bürgerliche Demokraten, Stalinisten, Sozialdemokraten (und auch nicht die CNT Anarchisten, welche 1937 in der Regierung saßen, welche auf kämpfende Arbeiter in Barcelona scharf schießen ließ) nicht zu denjenigen, welche eine ”fortschrittliche Linie” verfolgten. Wir auch nicht. Was meinst du dazu?
Zweitens stimmt es nicht, dass die Kommunistische Linke in den 30er Jahren ”sang- und klanglos” ausgestorben ist. Die Vertreter dieser Strömung in Italien und Frankreich, in Belgien oder in den Niederlanden, haben ihr Leben riskiert, und oft auch hingegeben, um den politischen Kampf gegen den imperialistischen Krieg während des zweiten Weltgemetzels weiterzuführen. Dabei taten sie im Prinzip nichts anderes, als Lenin oder Rosa Luxemburg gegenüber dem Ersten Weltkrieg: in Wort und Tat den proletarischen Internationalismus gegen alle kriegsführenden Seiten hochzuhalten. Sie setzten sich dafür ein, dass der Klassenkampf gegen den Krieg fortgeführt wird, dass die Proletarier in Uniform ihre Waffen, nicht gegen ihre Klassenbrüder und Schwester, sondern gegen ihre eigenen Offiziere richten, dass der imperialistische Krieg in einen Bürgerkrieg verwandelt wird. Du wirfst unserer Strömung vor, ”kurz vor Kriegsende ein zweites 1918 halluziniert” zu haben. Muss man im Nachhinein diese internationalistische Politik als falsch oder unnütz betrachten, da es nicht zum gewünschten Erfolg führte, da der Zweite, im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg nicht durch die Revolution beendet werden konnte? Die Internationalisten im Ersten Weltkrieg haben mehrere Jahre lang in großer Isolation gegen den Strom des Chauvinismus ankämpfen müssen, bevor die Masse der Arbeiter von der Richtigkeit dieser Politik überzeugt werden konnte. Die Internationalisten des Zweiten Weltkriegs mussten Jahrzehnte bis 1968 darauf warten, bis zumindest ein Teil der Politisierten einer neuen, ungeschlagenen Generation der Arbeiterklasse von der Richtigkeit und der Unerlässlichkeit dieser internationalistischen Haltung überzeugt wurde. Heute, ca. weitere 30 Jahre später, beginnt sich der politisierteste Teil der jetzigen neuen Generation von diesem Internationalismus zu überzeugen – wobei dieser Prozess, wenn auch weniger spektakulär, so doch viel breiter und tiefer in der Klasse insgesamt verwurzelt zu sein verspricht als nach 1968. Ist das etwa kein Beweis für die Wirksamkeit proletarischer Politik? Wir meinen ja, es sei denn, man misst den Erfolg ausschließlich an den unmittelbaren Auswirkungen.
Aber du behauptest, dass die Internationalisten von damals ”Schwätzer und Schreiber” waren, die das Proletariat nicht brauchte. Diese Behauptung wird durch die geschichtlichen Tatsachen selbst am besten widerlegt. Zwei Beispiele. Erstens: Während im gesamten Verlauf des Zweiten Weltkriegs der westlich-”sowjetische” Block es systematisch unterließ, auch nur das Geringste zu unternehmen, um die Juden vor der Vernichtung zu bewahren, trat das niederländische Proletariat gegen die Deportationen in den Massenstreik, wobei die Internationalisten eine aktive, vorantreibende Rolle gespielt haben. Zweitens: Eines der berühmtesten politischen Manifeste des Zweiten Weltkrieges – Das Manifest von Buchenwald – wurde im KZ Buchenwald kurz vor der dortigen Erhebung am Kriegsende von einem Genossen der österreichische RKD verfasst, welche sich auf Grund des politischen Einflusses der Französischen Kommunistischen Linken (die direkte Vorläuferin der IKS) von dem die internationalistischen Klassenprinzipien verratenden Trotzkismus gelöst hatten.
Wir finden, dass man die Hochhaltung des proletarischen Internationalismus nicht als ”Geschwätz” gering schätzen sollte. Bereits Friedrich Engels stellte fest, dass der proletarische Klassenkampf drei Hauptbestandteile hat. Neben dem ökonomischen und dem politischen Kampf nannte Engels den theoretischen Kampf als dritte Säule der Befreiung der Arbeit. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Revolutionäre sich entschlossen an den ökonomischen und politischen Kämpfen ihrer Klasse zu beteiligen haben. Ja, sie haben sich nach Möglichkeit an die Spitze dieser Kämpfe zu stellen. Jedoch ist der theoretische Kampf nicht nur ebenso wichtig wie die beiden anderen Dimensionen – es ist die Ebene des theoretischen Kampfes, worin der spezifische Beitrag der Revolutionäre besteht und ausschlaggebend ist.
Die Arbeit der Revolutionäre besteht nicht nur darin, die vorwärtsstürmenden Massen voranzutreiben. Da – um mit Marx zu sprechen – die herrschende Ideologie in der Regel die Ideologie der herrschenden Klasse ist, besteht sogar die Hauptaufgabe der Revolutionäre über weite Strecken darin, gegen den Strom zu schwimmen. So nannten Lenin und Sinoview ihre während des 1. Weltkriegs in der Schweiz herausgegebene Zeitschrift ”Gegen den Strom”. Wir sprachen vorhin davon, wie die Internationalisten im Zweiten Weltkrieg ihr Leben riskierten, um den Prinzipien ihrer Klasse treu zu bleiben. Nun, nicht nur die Revolutionäre, sondern Millionen von Soldaten haben damals, während des ersten wie des zweiten imperialistischen Gemetzels ihr Leben aufs Spiel gesetzt bzw. setzen müssen. Worin bestand der besondere Mut der Internationalisten? Er bestand darin, Risiken auf sich zu nehmen für eine Sache, welche von der offiziellen Gesellschaft – und manchmal sogar, zumindest vorübergehend, von einer Mehrheit der Bevölkerung – gehasst, verfolgt und verleumdet wird. Marx spricht von Augenblicken in der Geschichte, wo große umstürzlerische revolutionäre Ideen von der Masse Besitz ergreifen. Besteht die vornehmste Aufgabe der Kommunisten nicht darin, sich und die Klasse auf diesen Umsturz vorzubereiten, indem sie diese Ideen hochhalten und in der Klasse verbreiten? Eine große Revolution kann nicht gemacht werden auf Grund von reaktionären oder halbherzigen Prinzipien. Nur Ideen, welche zutiefst dem Wesen und den Klasseninteressen des Proletariats entsprechen, können die lohnabhängige Bevölkerung mit Macht ergreifen. Hierin liegt aus unserer Sicht die große Gefahr des Aktivismus. Damit meinen wir eine Herangehensweise, welche v.a. auf den unmittelbaren Erfolg bzw. die unmittelbare Einflussnahme abzielt auf Kosten der langfristigen Ziele. Bereits Bernstein, der bekannteste Sprecher des Opportunismus und ”Revisionismus” innerhalb der deutschen Sozialdemokratie am Ende des 19. Jahrhunderts erklärte: ”Die Bewegung ist alles. Das Ziel ist nichts.” Für den revolutionären Marxismus hingegen müssen Ziel und Mittel übereinstimmen. Deswegen erscheint es uns so gefährlich, Genossen, welche inmitten der tiefsten Konterrevolution in der Geschichte des Proletariats Klassenprinzipien verteidigt haben, als ”Schwätzer” zu bezeichnen.
Wir wissen, dass wir nicht alle Punkte deines Briefes hiermit angesprochen und beantwortet haben (beispielsweise unseren Umgang mit der so genannten ”internen Fraktion der IKS). Andere wichtige Aspekte, etwa die Dekadenztheorie, haben wir hier nur kurz angeschnitten. Wir halten aber nichts davon, alles in einen Brief zu stopfen. Wir hoffen vielmehr auf die Entwicklung einer lebhaften Korrespondenz mit dir.
Mit kommunistischen Grüßen die IKS. August 2005
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