(Wir veröffentlichen hier den dritten der Berichte über die Weltlage, die für den 24. Kongress unserer Sektion in Frankreich 2019 geschrieben wurden. Dieser konzentriert sich auf die Situation der internationalen Arbeiterklasse vor und während der weltweiten Pandemie)
Die Covid-19-Pandemie ist eines der wichtigsten Ereignisse der Zerfallsphase, das wichtigste für die Weltarbeiterklasse seit 1989. Sie ist sowohl ein Produkt des Zerfalls des Kapitalismus als auch ein wesentlicher Faktor für dessen Verschärfung, insbesondere wegen ihrer Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse. Die Auswirkungen dieser Pandemie haben bereits eine historische Bedeutung und eröffnen der ausgebeuteten Klasse eine völlig beispiellose Periode.
Die Pandemie hat in vielen Teilen der Welt noch nicht ihren Höhepunkt erreicht; niemand, nicht einmal Mediziner*innen, können vorhersagen, ob auf die aktuelle Situation eine zweite Welle auf dem ganzen Planeten folgen wird, oder was das Virus als nächstes tun wird. Auch für die kapitalistische Wirtschaft und die herrschende Klasse ist es ein Sprung ins Ungewisse: Die wirtschaftlichen Folgen werden verheerend sein, aber auch hier kann niemand zum jetzigen Zeitpunkt das Ausmaß und die Tiefe dieser Folgen bestimmen. Die gesamte kapitalistische Gesellschaft kippt in eine völlig neue Situation, eine bewegte Lage von erheblicher Instabilität, in der "nichts mehr so sein wird wie zuvor".
Unter diesen Umständen, die je nach der Entwicklung der Situation auf verschiedenen Ebenen noch einige Zeit andauern werden, muss die Organisation der Revolutionäre voreilige Einschätzungen vermeiden und die Unmöglichkeit berücksichtigen, endgültige Vorhersagen zu machen, besonders im Bereich des Klassenkampfes.
Die IKS verfügt jedoch über die Mittel zur Analyse dieser Situation. Ihr politischer Rahmen sowie ihr Vertrauen auf die marxistische Methode sind die Stützpunkte, die es ihr ermöglichen, zu verstehen:
A. Der Rahmen des 23. Kongresses der IKS:
"Aufgrund der gegenwärtigen großen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse bei der Entwicklung ihrer Kämpfe, aufgrund ihrer Unfähigkeit, im Moment ihre Klassenidentität wiederzuerlangen und eine Perspektive für die gesamte Gesellschaft zu eröffnen, neigt das soziale Terrain dazu, von klassenübergreifenden Kämpfen besetzt zu sein, denen insbesondere das Kleinbürgertum den Stempel aufdrückt. Diese soziale Schicht, ohne historische Zukunft, kann nur ein Vehikel für Illusionen in die Möglichkeit der Reform des Kapitalismus sein, indem sie behauptet, dass der Kapitalismus ein „menschlicheres Gesicht“ haben sowie demokratischer, gerechter, sauberer, besorgter um die Armen und die Erhaltung des Planeten sein könne. (...)
Angesichts der Beschleunigung der wirtschaftlichen Angriffe auf die ausgebeutete Klasse und der Gefahr des Wiederauflebens von Arbeiterkämpfen versucht die Bourgeoisie nun, Klassenfeinde zu beseitigen. Indem sie versucht, das Proletariat in der „Gesellschaft der Bürger“ zu ertränken und seine Positionen zu verwässern, will die herrschende Klasse verhindern, dass es seine Klassenidentität wiedererlangt. Die internationale Medienberichterstattung über die Gelbwesten-Bewegung zeigt, dass die Vermittlung dieser Botschaften ein Anliegen der Bourgeoisie aller Länder ist. (...)
„Nur das Proletariat trägt eine Perspektive für die Menschheit in sich, und deshalb gibt es in seinen Reihen den größten Widerstand gegen diesen Zerfall. Doch das Proletariat ist nicht immun gegen den Zerfall, insbesondere weil die Kleinbourgeoisie, mit der es sich auseinanderzusetzen hat, der Hauptträger dieses Zerfalls ist. (...) In dieser Periode muß es sein Ziel sein, den schädlichen Auswirkungen des Zerfalls in seinen eigenen Reihen zu trotzen, indem es nur auf seine eigenen Kräfte zählt, auf seine Fähigkeit baut, sich kollektiv und solidarisch für die Verteidigung seiner Interessen als ausgebeutete Klasse einzusetzen (...)“ (Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus in Internationale Revue Nr. 13)
Der Kampf um die Klassenautonomie des Proletariats ist in dieser Situation, die durch die Verschärfung des Zerfalls des Kapitalismus diktiert wird, von entscheidender Bedeutung:
(...) Trotz ihrer Schwierigkeiten in den eigenen Reihen und der zunehmenden Tendenz, die Kontrolle über ihren politischen Apparat zu verlieren, ist es der Bourgeoisie gelungen, die Ausdrücke der Auflösung ihres Systems abzulenken – und zwar gegen das Bewusstsein und die Klassenidentität des Proletariats. Die Arbeiterklasse hat daher den tiefen Rückschlag, den sie seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime erlitten hat, noch nicht überwunden. Dies umso weniger, als demokratischen und antikommunistischen Kampagnen, die langfristig aufrechterhalten werden, regelmäßig aktualisiert worden sind (z.B. anlässlich des hundertsten Jahrestages der Oktoberrevolution 1917).
Dennoch hat die Bourgeoisie es trotz dreißig Jahren Rückzug des Klassenkampfes bisher versäumt, der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage zuzufügen, so wie sie es in den 1920er und 1930er Jahren tat. Trotz der Ernsthaftigkeit der anstehenden Fragen in der aktuellen historischen Epoche ist die Situation nicht identisch mit der der konterrevolutionären Periode. Das Proletariat der zentralen Länder hat keine physische Niederlage erlitten (wie dies bei der blutigen Niederschlagung der Revolution in Deutschland während der ersten revolutionären Welle von 1917-23 der Fall war). Es wurde nicht massiv unter nationalen Fahnen rekrutiert. Die überwiegende Mehrheit der Proletarier ist nicht bereit, ihr Leben auf dem Altar der Verteidigung des nationalen Kapitals zu opfern. In den großen Industrieländern, in den Vereinigten Staaten wie auch in Europa, schlossen sich die proletarischen Massen nicht den imperialistischen (und so genannten „humanitären“) Kreuzzügen ihrer „nationalen“ Bourgeoisie an. (...)
Die unaufhaltsame Verschärfung von Armut, Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, die Angriffe auf die Würde der Ausgebeuteten in den kommenden Jahren bilden die materielle Grundlage, die die neuen Generationen von Proletariern dazu bringen kann, den Weg zurück auf den Weg der Kämpfe zu finden, die von früheren Generationen zur Verteidigung all ihrer Lebensbedingungen geführt wurden. Trotz aller Gefahren, die das Proletariat bedrohen, hat die Zeit der Auflösung des Kapitalismus die objektiven „Verhältnisse“, die seit Beginn der Arbeiterbewegung den Anstoß für die revolutionären Kämpfe des Proletariats bildeten, nicht beseitigt.
Die sich verschärfende Wirtschaftskrise hat bereits eine neue Generation auf der gesellschaftlichen Bühne auftreten lassen, auch wenn dieser Auftritt noch sehr begrenzt und embryonal ist: 2006 die Studentenbewegung in Frankreich gegen den CPE, fünf Jahre später folgte die Bewegung der „Indignados“ in Spanien." (Resolution über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, 23. Kongress der IKS, in Internationale Revue 56)
B. Die Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich: besondere Situation oder Hinweis auf Veränderungen im internationalen Klassenkampf?
Dieser Rahmen musste mit dem Aufkommen von Arbeiterkämpfen, sowohl in Frankreich als auch auf internationaler Ebene, aktualisiert werden, die folgendes zeigen:
Unsere Methode, die Kriterien, die die IKS 2003 verwendet hat, um den Wendepunkt im Klassenkampf festzustellen, erlauben uns eine Bewertung:
In einem Bericht über die Entwicklung des Klassenkampfes, den das internationale
Zentralorgan der IKS im Oktober 2003 verabschiedete, sah die Organisation in der "Gleichzeitigkeit der Bewegungen in Frankreich und Österreich", wie bescheiden und auf die Lage in zwei Ländern beschränkt sie auch waren, ein wichtiges Kriterium für die Analyse der Situation. Die Situation Ende 2019/Anfang 2020 war geprägt von Ausdrucksformen der Kampfbereitschaft der Arbeiter auf internationaler Ebene, insbesondere in Europa und Nordamerika:
Im Bericht von 2003 vertrat die IKS die Perspektive, "dass es für die Klasse – trotz ihres anhaltenden Mangels an Selbstvertrauen – je länger je weniger möglich ist, angesichts der dramatischen Verschärfung der Krise und der zunehmend massiven und weit verbreiteten Art der Angriffe der Notwendigkeit eines Kampfes auszuweichen".
C. Der laufende Prozess der unterirdischen Reifung des Bewusstseins in der Arbeiterklasse
Im Jahr 2003 lag der Schwerpunkt nicht auf dem Tempo der Entwicklung der Kampfbereitschaft, sondern auf der Frage des Bewusstseins:
Die Bewegung in Frankreich 2019-20 drückte sehr deutlich die Suche nach Solidarität und der Ausweitung der Kämpfe aus; aber auch in Finnland: in Solidarität mit den Beschäftigten einer Tochtergesellschaft der Post, denen eine 30%ige Lohnkürzung auferlegt wurde: "Die Arbeiter traten am 11. November in den Streik. Fast 2 Wochen lang schlossen sich 10.000 Postangestellte der Bewegung an, um sich mit den bedrohten Arbeiter*innen zu solidarisieren und um Lohnerhöhungen zu fordern. Aber der Konflikt ging über die Post hinaus: Am 25.11. wurde zu Solidaritätsstreiks im Land- und Luftverkehr, auf Fähren usw. aufgerufen. Als die Drohung einer Blockade der Häfen oder gar eines Generalstreiks auftauchte, zog die Postleitung ihren Plan zurück".[3]
Angesichts der gewaltsamen Angriffe, die von der Krise und der herrschenden Klasse vorangetrieben werden, und trotz der schweren Niederlagen (Frankreich, USA), die es erlitten hat, zeigt das Proletariat eine Weigerung, sich den Bedingungen, mit denen es konfrontiert ist, zu ergeben und zeigt eine Anstrengung des Bewusstseins darüber, wie man den Kampf führen und verstärken kann.
D. Anzeichen für eine Änderung der Geisteshaltung in der Arbeiterklasse
Vieles zeigt sich in der Reaktion der Bourgeoisie, die nicht damit rechnet, dass diese Situation vorübergehend ist. Dies führt zwar nicht dazu, dass eine umfassende Anpassung ihres politischen Apparats notwendig wäre, wie wir es in den 1980er Jahren gesehen haben, aber dennoch nehmen die Gewerkschaften eine "klassenkämpferischere" Haltung ein, und sogar bestimmte parlamentarische Kräfte positionieren sich, um darauf einzugehen.
Die Veränderung der Geisteshaltung in der Arbeiterklasse ist also eine Realität, die seit 2003[4] verschiedene Stadien durchlaufen hat, und die Bourgeoisie hat sie gut verstanden, indem sie die Suche nach Solidarität und den vorhandenen Willen zur Entwicklung des Kampfes bemerkte.
Die gegenwärtige Veränderung wirft die Probleme in einer breiteren Weise als 2003 auf. Der Prozess der unterirdischen Reifung ist keineswegs homogen und ist in einigen Teilen der Welt deutlicher als in anderen. Zum Beispiel in den USA, wo wir eine kleine, aber signifikante Entwicklung eines Milieus von jungen Menschen sehen können, die sich mit den Positionen der kommunistischen Linken auseinandersetzen wollen.
Die Pandemie greift in diesen Kontext ein, in dem der Klassenkampf in Frankreich und international eine Veränderung der Geisteshaltung in der Arbeiterklasse gezeigt hatte, die durch Wut, Unzufriedenheit, aber auch durch die Bereitschaft, auf Angriffe zu reagieren, gekennzeichnet war, was zu einer Entwicklung der Kampfbereitschaft (und sogar zum Beginn des Ergreifens von Initiativen) und auch zu einem Beginn der Reflexion in der Klasse über die Perspektivlosigkeit im Kapitalismus führte. Aber das ist ein Prozess, der noch ganz am Anfang steht.
A. Eine noch nie dagewesene Situation für das Proletariat
Obwohl das Ausgesetzt-Sein gegenüber Epidemien ein Teil der Klassenbedingungen des Proletariats ist (vor allem die schreckliche Spanische Grippe 1918), steht es vor einer noch nie dagewesenen Situation: einer globalen Pandemie, die die generelle Abriegelung eines großen Teils der Menschheit und den fast vollständigen Stillstand der kapitalistischen Wirtschaft erfordert.
Diese Pandemie ist von internationaler Bedeutung für die gesamte Arbeiterklasse. Das Besondere an dieser Pandemie ist, dass sie eine direkte Herausforderung für die Gesundheit und das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter darstellt. Auf einer unmittelbaren Ebene für das Gesundheitspersonal, das gezwungen ist, ihr ohne die notwendige Ausrüstung zu begegnen, und auch für den Rest des Proletariats. In einer Situation, die Analogien zu einer Kriegssituation aufweist, wird die Bevölkerung mit lebensbedrohlicher Angst konfrontiert.
Die Auswirkungen der Pandemie sind nicht in allen Teilen der Welt gleich. Sie begann in China und schwappte auf andere südostasiatische Länder über; dann breitete sich die Welle nach Europa und dann in die Vereinigten Staaten aus und richtete in Lateinamerika, insbesondere in Brasilien, verheerende Schäden an und begann, den Rest der Welt (Indien) zu treffen. Das Proletariat ist also nicht überall in der unmittelbaren Zukunft mit den gleichen Auswirkungen konfrontiert. Es ist noch nicht bekannt, ob es nur eine zweite Welle geben wird oder ob Covid-19 endemisch, saisonal werden wird.
Die Auswirkungen der Ausgangssperren auf die Klasse sind auch nicht in allen Teilen der Welt gleich gewesen. In manchen Regionen der Welt, wo die Menschen gezwungen sind, von einem Tag auf den anderen zu leben, sind sie schlicht nicht umsetzbar; und sie haben nicht überall die gleichen Folgen, nämlich ganze Bevölkerungsgruppen in die Verarmung zu treiben – je nach den Sozial- und Gesundheitsschutzsystemen der verschiedenen Staaten.
In einem Kontext, in dem das Voranschreiten der Zerfalls in vielen Teilen der Welt bereits zu vielen sozialen Umwälzungen und Bewegungen verschiedener Art geführt hat, die den Zusammenhalt der kapitalistischen Gesellschaft beeinträchtigen und gefährden (Covid kann diese Tendenzen nur beschleunigen), wurde der Mehrheit der Weltbourgeoisie die eminent politische Entscheidung zur Verhängung allgemeiner Abriegelungen als einziges Mittel (vergleichbar mit denen der Vergangenheit) aufgezwungen, das den Staaten zur Verfügung steht, um die Situation zu bewältigen. Unter diesen Bedingungen angesichts der Pandemie untätig zu bleiben, barg für die Bourgeoisie das Risiko eines katastrophalen Verlusts ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Fähigkeit, die ideologische Ausrichtung der Gesellschaft zu sichern, was eine Bedrohung ihrer Klassenherrschaft bedeuten würde. Darüber hinaus musste sie das eiserne Korsett der staatlichen Kontrolle über die Gesellschaft verstärken, um ihren Zusammenhalt angesichts der aufkommenden Tendenzen zum Chaos zu bewahren und die unterdrückten Schichten, insbesondere die ausgebeutete Klasse, zu kontrollieren.
B. Was sind die Gemeinsamkeiten und was die Unterschiede zu den Krisensituationen von 1989 und 2008?
Was sind die Auswirkungen auf das Bewusstsein, die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse? Was ist die Auswirkung auf die Glaubwürdigkeit der Bourgeoisie und die Wirksamkeit ihrer ideologischen Kampagnen, die Art und Weise, wie die Bourgeoisie die verschiedenen Krisen präsentiert und nutzt? Wird es 2020 eine Wiederholung eines identischen Szenarios des Rückflusses des Bewusstseins und der Kampfbereitschaft im historischen Maßstab geben?
Der Kontext für die Arbeiterklasse ist sehr unterschiedlich, sowohl in Bezug auf die objektive Lage des Zustands der kapitalistischen Gesellschaft als auch auf die politische Situation der Klasse: 1989 und 2020 stellen zwei historische Ereignisse von globaler Bedeutung dar: das eine, 1989, als Eröffnung einer neuen Phase in der Geschichte der Dekadenz des Kapitalismus; das andere, 2020, als wichtigstes historisches Ereignis innerhalb der Phase des Zerfalls, das eine Etappe in ihrer Entwicklung markiert
"Als sich die dritte Welle von Kämpfen in den späten 1980er Jahren zu erschöpfen begann, erfuhr die Dynamik des Klassenkampfes durch den spektakulären Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime im Jahr 1989 einen brutalen Schlag und veränderte damit das Kräfteverhältnis zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie zugunsten der letzteren erheblich. Dieses Ereignis kündigte lautstark den Eintritt des Kapitalismus in die letzte Phase seiner Dekadenz an: die des Zerfalls. Als der Stalinismus zusammenbrach, tat er der Bourgeoisie einen letzten Gefallen. Er erlaubte es der herrschenden Klasse, der Dynamik des Klassenkampfes ein Ende zu setzen, die sich mit Fortschritten und Rückschlägen in zwei Jahrzehnten entwickelt hatte." (Resolution über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, 23. IKS-Kongress 2019, in Internationale Revue Nr. 56)
Dies war nur möglich, weil dieser Zusammenbruch eines Teils der kapitalistischen Welt, der weder unter den Schlägen des Klassenkampfes noch des imperialistischen Krieges stattfand, als eine Art Ereignis "außerhalb" der kapitalistischen Verhältnisse erscheinen konnte. An sich konnte dieses Ereignis nur eine negative Auswirkung auf die Klasse haben.
2020: Der kapitalistische Ursprung der Pandemie ist viel schwieriger zu verbergen. Sicherlich ist der Ursprung der Pandemie ein Kristallisationspunkt der imperialistischen Spannungen zwischen China und den USA und ein Tummelfeld für Verschwörungstheorien, die sich vom ideologischen Rand in den Mainstream bewegt haben und zunehmend von Staatschefs wie Trump gefördert werden. Dennoch lässt das Ausmaß der Katastrophe die Verantwortung der Sparpolitik und die Fahrlässigkeit aller kapitalistischen Staaten offener erscheinen.
Dem angeblichen "Bankrott des Kommunismus" konnte die Bourgeoisie den Sieg des Kapitalismus entgegensetzen, der gestärkt schien und die Eröffnung einer Ära des Friedens, der Demokratie und des Wohlstands verkündete. Dieses Ereignis wurde nicht nur nicht als Scheitern des Kapitalismus betrachtet, weil es in den Jahren nach der Implosion wirtschaftlich nicht zu einer Wirtschaftskrise führte, sondern es wurde als ideologischer Angriff gegen die Arbeiterklasse benutzt. Dieses Ereignis konnte somit als Beweis für die Überlegenheit des Kapitalismus dargestellt werden.
Heute - 2020 - nichts dergleichen: die drei Jahrzehnte der Krise und der Sparpolitik, der Verschlechterung der Lebensbedingungen des Proletariats haben zu einem gewissen Verlust der Illusionen geführt, dass der Kapitalismus dem Proletariat einen Platz bietet, zu einem embryonalen Bewusstsein über die Sackgasse und die Perspektivlosigkeit, die der Kapitalismus bietet. Gleichzeitig wird der Kapitalismus in seiner ideologischen Fähigkeit, seinen Bankrott zu verschleiern, immer schwächer:
Heute hat die Bourgeoisie nicht mehr denselben Spielraum, ihren Bankrott zu verbergen und bestimmte Auswirkungen oder Aspekte davon ideologisch gegen das Proletariat zu wenden:
Die Analysen der IKS wurden durch die "begleitenden" wirtschaftlichen Maßnahmen bestätigt, die von den wichtigsten Zentralstaaten ergriffen wurden, um die unmittelbaren Auswirkungen des plötzlichen Verlusts von Arbeitsplätzen oder Einkommen großer Teile der Arbeiterklasse zu mildern (Garantie eines Mindesteinkommens für Arbeitslose, staatliche Leistungen, um Kurzarbeit oder partielle Arbeitslosigkeit zu ermöglichen, Schaffung von Hilfen usw.), auch wenn die Maßnahmen weitgehend symbolisch sind, wie in den USA, wo es nicht den gleichen sozialen Schutz wie in Europa gibt. Dieses äußerst vorsichtige Vorgehen der herrschenden Klasse ist zum Teil durch die Notwendigkeit motiviert, einen Zusammenbruch in wirtschaftlichen Schlüsselsektoren zu vermeiden, aber es zeigt auch:
Die gewaltsamen Angriffe auf die Arbeiterklasse und die Maßnahmen, die die Bourgeoisie in allen Ländern ergriffen hat, ihr Versuch, eine gewisse nationale Einheit zu schaffen, die Verstärkung der Kontrolle des Polizeistaats, die Einschüchterung und Stigmatisierung, die die kapitalistischen Staaten umzusetzen versucht haben, haben es nicht geschafft:
C. Der Verlust des Vertrauens in den kapitalistischen Staat
Während im Jahr 2015 die Migrationskrise und die Terroranschläge zu einem Reflex innerhalb der Arbeiterklasse führten, den Schutz des kapitalistischen Staates zu suchen, hat die offensichtlichere Rolle des Staates als Verteidiger der Interessen der herrschenden Klasse den Mythos des wohlwollenden Staates weitgehend geknackt.
Es ist also ganz klar, dass das Proletariat nicht bereit ist, die Opfer zu akzeptieren, die die Bourgeoisie von ihm abverlangen wird. Trotz der Tatsache, dass die Bourgeoisie das Virus für die schrecklichen Auswirkungen der Krise verantwortlich macht, wird sie nicht in der Lage sein, ihre Verantwortung an dieser Katastrophe zu verbergen.
Die Arbeiterklasse befindet sich in einer komplexen Situation und ist mit kombinierten und gleichzeitigen Auswirkungen konfrontiert:
Die Explosion der sozialen Bewegungen, die durch die deutliche Verschärfung des Zerfalls und die immer deutlicher werdende Tendenz der Bourgeoisie hervorgerufen werden, die Kontrolle über ihr System zu verlieren und dabei zu scheitern, den sozialen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten, wird in den zentralen Ländern selbst deutlich zum Ausdruck gebracht.
A. Eine Veränderung der objektiven Bedingungen für den Kampf des Proletariats
Im Jahr 1989 waren die Folgen für die Arbeiterklasse im Weltmaßstab im Westen und im Osten sehr unterschiedlich; der Aufstieg Chinas wurde durch das Einsetzen der Zerfallsphase ermöglicht, er förderte die Illusion eines jugendlichen Kapitalismus, der sich wirklich entwickeln könne. Im Jahr 2020 dagegen wird das Proletariat überall mit einer weltweiten und allgemeinen Tendenz zu drastischen Angriffen auf die Lebensbedingungen konfrontiert sein, die denen der 30er Jahre nicht unähnlich sind und die es auf jeden Fall seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat.
In unserer Analyse der Lage des Proletariats haben wir ständig dargelegt:
Heute werden wir analysieren und verstehen müssen, was sich ändert oder nicht, in welchem Ausmaß usw. Welche Bedeutung hat die Tatsache, dass im Gegensatz zu früher alle Teile der Welt – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – von dem brutalen Versinken in der Krise betroffen sind (China, USA, Westeuropa, Schwellenländer) und dass die Bourgeoisie das Proletariat früher oder später massiv und gleichzeitig in verschärfter Form angreifen muss?
B. Die unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie und die Entwicklung der Rezession
C. Auswirkung der Pandemie auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse
Auch wenn die Arbeiterklasse keine unmittelbare Reaktion auf die Angriffe entwickeln wird, muss Folgendes berücksichtigt werden:
D. Die Pandemie als ein Faktor des Bewusstseins?
Die Beschäftigten im medizinischen Sektor sind sich bewusst, auf dem "Schlachtfeld" ihrer eigenen Gesundheit, aber auch der der Patientinnen und Patienten zu handeln. Die ethische Frage, die sich aus dem Widerspruch ergibt, zwischen dem, was die Wissenschaft bieten kann oder könnte, und den miserablen "Todesbedingungen" und dem Mangel, den der Kapitalismus bietet (z.B. die Notwendigkeit, Patienten, die in die Pflege aufgenommen werden, zu triagieren, was einige effektiv zum Tod verurteilt), bedeutet, dass der Kampf diese ethisch-moralische Dimension annehmen kann. Die ethische Frage (die im medizinischen Sektor eine Frage von Leben und Tod ist) kann ein Faktor für die Bewusstseinsbildung nicht nur unter den Beschäftigten im Gesundheitswesen, sondern auch allgemein in der Arbeiterklasse sein.
E. Eine notwendige Unterscheidung, die zwischen den verschiedenen Teilen des Kapitalismus gemacht werden muss
Konfrontiert mit dem universellen Problem der Gesundheitskrise sind die verschiedenen Fraktionen der Arbeiterklasse mit unterschiedlichen Bedingungen konfrontiert, so dass die Auswirkungen der Pandemie je nach Region oder Land unterschiedlich sind:
Dies sind alles Elemente, die die Möglichkeit einer gleichzeitigen Reaktion eher schwächen werden.
F. Die wirtschaftlichen Folgen werden auf lange Zeit katastrophal sein
Die Heterogenität der Situationen sowohl auf der Ebene der Klasse (hinsichtlich des Bewusstseins und der Kampffähigkeit je nach Land) als auch auf der Ebene der Situation in jedem Land wird sich auf die Reaktion der Arbeiterklasse auf die Folgen der Krise auswirken, die nicht überall gleich sein wird.
In Europa ist die Arbeitslosigkeit schon sehr alt, aber der Wohlfahrtsstaat hat als Puffer gedient und den Zerfall hinausgezögert, indem er eine abrupte Verschlechterung der Bedingungen verhindert hat.
In China wird die Arbeiterklasse zum ersten Mal mit Massenarbeitslosigkeit konfrontiert sein. Vor fünfundzwanzig Jahren war der Rostgürtel in China, der unter staatlicher Kontrolle stand, in Schwierigkeiten und die Arbeitslosigkeit war hoch. Dann gab es einen massiven Anstieg des Wirtschaftswachstums und einen daraus resultierenden Mangel an Arbeitskräften. Das Proletariat in China hat viel weniger Erfahrung mit Arbeitslosigkeit, obwohl wir Demonstrationen gegen die hohen Lebenshaltungskosten gesehen haben. Obwohl das chinesische Kapital die Pandemie anscheinend besser bewältigt hat als seine Hauptkonkurrenten, wird es dennoch gezwungen sein, der Arbeiterklasse angesichts einer zunehmenden Weltrezession immer mehr Opfer abzuverlangen.
In den USA gibt es keinen Wohlfahrtsstaat, die Explosion der Arbeitslosigkeit, Zwangsräumungen, Obdachlosigkeit usw. sind eine große Herausforderung; der Beginn einer Klassenreaktion war sofort mit der Explosion der sozialen Widersprüche aufgrund des Zerfalls konfrontiert.
Die Situation in Lateinamerika und anderswo ist wieder anders. Dort gibt es noch keine direkte Konfrontation mit den Auswirkungen der Krise.
A. Die Gefahr des Zerfalls
Der Ausbruch der Pandemie und das Stadium, das sie beim Abstieg in den Zerfall darstellt, beschleunigt den Wettlauf zwischen der historischen Notwendigkeit der Entwicklung der revolutionären Perspektive in der Arbeiterklasse einerseits und diesem weiteren Voranschreiten des Zerfalls andererseits, das die historischen Bedingungen für den Sozialismus zunehmend untergräbt. Sie unterstreicht die historische Verantwortung des Proletariats und die Dringlichkeit der Entwicklung der revolutionären Perspektive. "Wir sind uns durchaus bewusst, dass der Kapitalismus umso mehr die Grundlage für eine menschlichere Gesellschaft untergräbt, je länger er im Zerfall versinkt. Auch dies wird am deutlichsten durch die Zerstörung der Umwelt veranschaulicht, die den Punkt erreicht, an dem sie die Tendenz zu einem vollständigen Zusammenbruch der Gesellschaft beschleunigen kann, ein Sachverhalt, der nicht die Selbstorganisation und das Vertrauen in die Zukunft begünstigt, die für die Durchführung der Revolution erforderlich sind; und selbst wenn das Proletariat auf dem ganzen Planeten an die Macht kommt, wird es mit einer gigantischen Arbeit konfrontiert sein, die nicht nur das von der kapitalistischen Akkumulation hinterlassene Chaos aufräumt, sondern auch eine Spirale der Zerstörung umkehrt, die bereits in Gang gesetzt wurde." (Bericht des 23. Internationalen Kongresses der IKS über den Klassenkampf: Bildung, Verlust und Rückeroberung der proletarischen Klassenidentität in Internationale Revue Nr. 56)
B. Die Verarmung anderer Klassen oder sozialer Schichten
Die sehr heftige Krise trifft nicht nur das Proletariat, sondern auch andere Bevölkerungsschichten, von denen ein großer Teil drastisch verarmen wird. Diese Perspektive einer allgemeinen Verarmung – des Proletariats und anderer Schichten – macht die klassenübergreifenden Ideologien zu einer gefährlichen Falle für den Kampf. Angesichts der Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen wird die Klasse notwendigerweise ihre Antwort, ihre Kampfbereitschaft entwickeln müssen. Diese Entwicklung des Klassenkampfes wird in den kommenden Monaten auf die Gefahr klassenübergreifender Ideologien und Bewegungen stoßen. Die Gefahren, die die gegenwärtige historische Periode darstellt, haben sich also durch die Verschärfung des Zerfalls vervielfacht und unterstreichen damit, was im Klassenkampf auf dem Spiel steht:
"Der Kampf um die Klassenautonomie des Proletariats ist in dieser Situation, die durch die Verschärfung des Zerfalls des Kapitalismus diktiert wird, von entscheidender Bedeutung:
(Resolution über das Kräfteverhältnis der Klassen, 23. IKS-Kongress 2019, Internationale Revue Nr. 56)
C. Die Situation der Arbeiterklasse in den USA: welche Rolle bei der Wiederaufnahme des Klassenkampfes?
Die Bewegungen in den USA rund um die Frage der Rassen- und Polizeigewalt, die sich entweder auf dem Terrain der perspektivlosen Unruhen oder direkt auf einem bürgerlichen politischen Terrain abspielen, illustrieren die ernsten unmittelbaren Gefahren, denen die Klasse heute gegenübersteht. Sie sind die Art von Bewegungen, mit denen die revolutionäre Organisation rechnen muss und die sich in der kommenden Periode in den zentralen Ländern (oder in Ländern wie dem Libanon, die am Rande des Abgrunds stehen) zunehmend konkretisieren werden.
Die Black Live Matter Bewegung hat schnell internationale Resonanz gewonnen und sich auf andere zentral Länder ausgedehnt. Letztere sind grundsätzlich von den gleichen sozialen Widersprüchen betroffen, Widersprüche, die sich über Jahrzehnte aufgestaut haben und die der bürgerliche Staat zunehmend durch die Verstärkung seiner Kontrolle und Repression einzudämmen versuchen muss. Diese Bewegungen als Antwort auf den Rassismus wurden schnell von den Organen der bürgerlichen Linken absorbiert, was es der herrschenden Klasse ermöglicht, alle Aufmerksamkeit auf die Rassenfrage und die Forderung nach einem wirklich demokratischen System zu konzentrieren. So ist sie in der Lage, diese Bewegung voll auszunutzen und gegen den Klassenkampf einzusetzen, und das zu einem Zeitpunkt, an dem das kapitalistische System insgesamt seinen totalen Bankrott offenbart.
In den USA nahmen die ersten Reaktionen auf die Polizeimorde die Form von Riots an. Normalerweise dauern solche Reaktionen nur kurz, obwohl sie, da die zugrunde liegenden Ursachen bestehen bleiben, leicht wieder aufflammen können. Im Allgemeinen wurden sie jedoch von friedlicheren Demonstrationen abgelöst, die das Ende der Polizeigewalt forderten, und diese Mobilisierungen werden durch den Wahlkampf um die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen verlängert, was sich ebenfalls negativ auswirken wird.
D. Eine Situation, die die Schwierigkeiten veranschaulicht, die sich für die Klasse abzeichnen
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Dieser Bericht wurde im Vorfeld des Kongresses unserer Sektion in Frankreich im Oktober 2020 geschrieben. Seitdem ist die Möglichkeit einer zweiten Welle der Pandemie Realität geworden, insbesondere in den zentralen Ländern des Kapitalismus. Dies unterstreicht nur einen Punkt, der am Anfang des Berichts gemacht wurde – dass wir mit der Pandemie in unbekannte Gewässer eindringen, und in dieser Situation wäre es töricht, auch nur über die kurzfristigen Perspektiven für den Klassenkampf zu spekulieren. Es ist wahrscheinlich, dass die Fortsetzung der Lockdowns der Wiederbelebung offener Kämpfe weitere Hindernisse in den Weg stellen wird. Und auch wenn wir uns sicher sein können, dass es für die Bourgeoise notwendig sein wird, die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse massiv anzugreifen, könnte das Ausmaß dieser Angriffe, vor allem angesichts der Tatsache, dass sie mit Massenentlassungen und Betriebsschließungen einhergehen werden, in der ersten Zeit ein weiterer Faktor der Hemmung und Einschüchterung des Proletariats sein. Aber dieser Bericht hat auch gezeigt, dass die Fähigkeit der Arbeiterklasse, auf die Krise des Systems zu reagieren, keineswegs verschwunden ist; und das impliziert, dass wir früher oder später bedeutende Reaktionen auf den Ansturm des Kapitals sehen werden. In der Zwischenzeit haben Revolutionäre viel zu tun, um die zarten grünen Triebe des Bewusstseins zu befruchten, die bereits in kleinen Minderheiten auf der ganzen Welt sichtbar sind – Produkte einer tieferen unsichtbaren Bewegung zur Bewusstwerdung darüber, dass das gegenwärtige Produktionssystem zutiefst und unwiderruflich bankrott ist.
Dezember 2020
[1] Huelga en General Motors: los sindicatos dividen y enfrentan entre sí a los trabajadores (Streik bei General Motors: die Gewerkschaften spalten die Angestellten und spielen die einen gegen die anderen aus), von Revolución MundiaI, IKS-Sektion in Mexiko, 21. November 2019
[2] Seule la lutte massive et unie peut faire reculer le gouvernement ! (Nur der vereinte und massive Kampf kann die Regierung zum Rückzug zwingen), 13. Januar 2020, Révolution Internationale Nr. 480
[3] Finlande: Vague de grèves au "pays le plus heureux du monde" (Finnland: Streikwelle im „glücklichsten Land der Welt“), Le prolétaire Nr. 535, 28. Dezember 2019, https://www.pcint.org/40_pdf/03_LP-pdf/501-600/lp-535-w.pdf [1]
[4] Wir verweisen dazu insbesondere auf die Anti-CPE-Kämpfe in Frankreich im Jahr 2006 und die Indignados-Bewegung in Spanien im Jahr 2011.
Die Diskussionstexte, die wir hier veröffentlichen, sind das Ergebnis einer internen Debatte innerhalb der IKS über die Bedeutung und die Richtung der historischen Phase im Leben des dekadenten Kapitalismus, die durch den Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks 1989 endgültig eröffnet wurde: die Phase des Zerfalls, die Endphase der kapitalistischen Dekadenz.
***
Auf dem 23. IKS-Kongress habe ich eine Reihe von Änderungsanträgen zur Resolution über die internationale Lage vorgelegt. Dieser Beitrag konzentriert sich auf diejenigen meiner Änderungsanträge, die vom Kongress abgelehnt wurden. Mein Beitrag behandelt die beiden zentralen Divergenzen, die ich mit der Position des Kongresses habe: die Frage der imperialistischen Spannungen und diejenige des globalen Kräfteverhältnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie.
Es gibt einen roten Faden, der diese Meinungsverschiedenheiten verbindet: Er betrifft die Frage des Zerfalls. Obwohl die gesamte Organisation sich auf die gleiche Analyse des Zerfalls beruft, den wir als die letzte Phase des dekadenten Kapitalismus betrachten, treten bei der Anwendung dieses Rahmens auf die gegenwärtige Lage unterschiedliche Auslegungen zutage.
Worüber wir uns alle einig sind, ist, dass diese Endphase durch die Unfähigkeit jeder der beiden Hauptklassen der kapitalistischen Gesellschaft, ihre diametral entgegengesetzten Lösungen für die Krise des dekadenten Kapitalismus durchzusetzen, nicht nur eingeleitet wurde, sondern eben darin ihre tiefsten Wurzeln hat: Für die Bourgeoisie wäre die Lösung der allgemeine Krieg/Weltkrieg, für das Proletariat die Weltrevolution.
Aber aus der Sicht der gegenwärtigen Position der Organisation scheint es eine zweite wesentliche Ursache und Charakteristik dieser Endphase zu geben: die Tendenz des Jeder-gegen-jeden: zwischen Staaten, innerhalb der herrschenden Klasse, sowie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt. Auf dieser Grundlage neigt die IKS in Bezug auf den Imperialismus gegenwärtig dazu, die Tendenz zur Bipolarität (und damit zur möglichen Wiederherstellung der imperialistischen Blöcke) und damit die wachsende Gefahr militärischer Konfrontationen zwischen den Großmächten zu unterschätzen. Auf derselben Grundlage neigt die IKS heute dazu, was das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen betrifft, den Ernst des gegenwärtigen Verlustes der revolutionären Perspektive des Proletariats zu unterschätzen, wobei dies dazu führt zu meinen, dass das Proletariat seine Klassenidentität im Wesentlichen durch defensive Arbeiterkämpfe wiedererlangen und damit beginnen könne, eine revolutionäre Perspektive zurückzuerobern.
Ich für meinen Teil stimme zwar zu, dass das Jeder-gegen-jeden der Bourgeoisie ein sehr wichtiges Merkmal des Zerfalls ist (es spielte eine enorme Rolle bei der Einleitung dieser Endphase mit dem Zerfall der imperialistischen Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut worden war), aber ich stimme nicht überein mit der Behauptung, dass sie eine ihrer Hauptursachen sei.
Im Gegenteil: Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Sackgasse zwischen den beiden Hauptklassen aufgrund ihrer Unfähigkeit, ihre eigene Klassenperspektive durchzusetzen, die wesentliche Ursache ist – und nicht das Jeder-gegen-jeden.
Für mich entfernt sich die IKS von unserer ursprünglichen Position zum Zerfall, indem sie dem Jeder-gegen-jeden eine ähnliche kausale Bedeutung beimisst wie dem Fehlen einer Perspektive. So wie ich es verstehe, bewegt sich die Organisation auf die Position zu, dass es mit dem Eintritt in den gesellschaftlichen Zerfall einen neuen Faktor gebe, der in früheren Phasen des dekadenten Kapitalismus noch nicht existiert habe. Dieser Faktor sei die Vorherrschaft des Jeder-gegen-jeden, der zentrifugalen Kräfte, während vor dem Zerfall die Tendenz zur Blockdisziplin, die zentripetalen Kräfte, die Oberhand zu gewinnen gepflegt hätten. Für mich gibt es im Gegensatz dazu in der Phase des Zerfalls keine gewichtige Tendenz, die es nicht schon vorher in der Zeit der Dekadenz gegeben hätte. Die neue Qualität der Zerfallssphase besteht darin, dass alle bereits bestehenden Widersprüche bis zum Äußersten verschärft werden. Das gilt für die Tendenz eines Jeder-gegen-jeden, die sich unter dem Zerfall ebenfalls bis zum Äußersten verschärft. Aber auch die Tendenz zu Kriegen zwischen führenden Mächten wird verschärft, ebenso wie alle Spannungen im Zusammenhang mit der Tendenz zu neuen Blöcken, den Versuchen der Vereinigten Staaten, neue Herausforderer niederzuschlagen, usw.
1. Die Divergenzen über den Imperialismus
Aus diesem Grund habe ich den folgenden Änderungsantrag zu Punkt 15 der Resolution eingereicht, in dem ich an das Fortbestehen der imperialistischen Bipolarität (die Entwicklung einer Hauptrivalität zwischen zwei führenden Mächten) und die Gefahren, die dies für die Zukunft der Menschheit darstellt, erinnerte:
"Während der Zeit der Militärblöcke nach 1945 standen hauptsächlich zwei Arten von Krieg auf der Tagesordnung:
Obwohl der Dritte Weltkrieg derzeit nicht auf der Tagesordnung steht, bedeutet dies nicht, dass die Tendenz zur Bipolarität der imperialistischen Antagonismen verschwunden ist. Der Aufstieg und die Expansion Chinas, ein Land, das derzeit in der Lage sein könnte, die Vereinigten Staaten herauszufordern, ist gegenwärtig der Hauptausdruck dieser (im Moment noch eindeutig sekundären) Tendenz zur Bildung neuer Blöcke.
Was das Phänomen der lokalen Kriege anbelangt, so sind sie natürlich auch ohne Existenz von Blöcken unvermindert weitergeführt worden, haben aber angesichts der Zahl der beteiligten regionalen und Großmächte und des Ausmaßes der Zerstörung und des Chaos, das sie verursachen, eine viel stärkere Tendenz, außer Kontrolle zu geraten. In diesem Zusammenhang ist die Gefahr des Einsatzes von Atombomben und anderen Massenvernichtungswaffen sowie von direkten militärischen Zusammenstößen auch zwischen den Großmächten selbst größer als zuvor."
Die Ablehnung dieses Änderungsantrags durch den Kongress spricht für sich selbst. Wir wenden uns ab von dem, was in den kommenden Jahren als einzelne wohl die wichtigste Gefahr eines Krieges zwischen Großmächten sein wird: dass nämlich die Vereinigten Staaten ihre immer noch bestehende militärische Überlegenheit gegenüber China nutzen werden, um den Aufstieg Chinas zu stoppen. Mit anderen Worten, die Gefahr besteht gegenwärtig in der Tat nicht in einem Weltkrieg zwischen zwei imperialistischen Blöcken, sondern in militärischen Abenteuern, die darauf abzielen, den bestehenden imperialistischen Status quo entweder in Frage zu stellen oder zu verteidigen. Diese militärischen Abenteuer könnten sich durchaus zu einem unkontrollierbaren globalen Flächenbrand entwickeln, der sich von denen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhundert deutlich unterscheiden würde. Die heutige chinesisch-amerikanische Rivalität ähnelt der zur Zeit des Ersten Weltkriegs zwischen dem aufstrebenden Herausforderer Deutschland und der bestehenden Weltmacht Großbritannien. Der letztgenannte Konflikt führte zum Niedergang beider. Aber dies geschah im europäischen Maßstab, während er sich heute im Weltmaßstab abspielt, so dass es keine dritte Partei (wie Amerika in den beiden Weltkriegen) mehr gibt, die darauf wartet, von außen einzugreifen, um die Vorteile zu nutzen. Heute wird das "No future" höchstwahrscheinlich für alle zutreffen. Weit davon entfernt, in Widerspruch zu unserer Theorie des Zerfalls zu stehen, bestätigen gerade die gegenwärtigen Konflikte zwischen den aufstrebenden Großmächten sie in schlagender Weise.
In einer Antwort auf unserer Website auf eine Kritik eines IKS-Sympathisanten (Mark Hayes) an diesem Teil der Resolution des 23. Kongresses, worin wir bekräftigten, dass "Militarismus und imperialistischer Krieg nach wie vor grundlegende Merkmale dieser letzten Phase der Dekadenz sind", fügten wir hinzu: "…selbst dann, wenn die imperialistischen Blöcke verschwunden sind und sich wahrscheinlich nicht wieder formieren werden". In der gleichen Antwort argumentieren wir: "Der Brennpunkt richtet sich auf lokale und regionale Kriege, auf ihre Ausbreitung bis in die Zentren des Kapitalismus durch die Verbreitung des Terrorismus, zusammen mit der wachsenden ökologischen Katastrophe und der allgemeinen Verwesung“. Regionale Kriege, die Ausbreitung des Terrorismus, ökologische Katastrophen: ja! Aber warum schließen wir aus dieser Perspektive die Gefahr militärischer Zusammenstöße zwischen den Großmächten so grundsätzlich aus? Und warum betonen wir, dass sich wahrscheinlich keine imperialistischen Blöcke mehr bilden werden? Tatsächlich neigen wir dazu zu vergessen, dass das Jeder-gegen-jeden nur der eine Pol eines Widerspruchs ist, dessen anderer Pol die Tendenz zur Bipolarität und zu imperialistischen Blöcken ist.
Die Tendenz des Jeden gegen jeden und die Tendenz zur Bipolarität existieren beide permanent und gleichzeitig im dekadenten Kapitalismus.
Die allgemeine Tendenz geht dahin, dass das eine die Oberhand über das andere gewinnt, so dass das eine hauptursächlich und das andere sekundär ist. Aber keines von beiden verschwindet jemals. Sogar auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges (als die Welt in zwei Blöcke geteilt war, die über Jahrzehnte stabil blieben) verschwand die Tendenz des Jeder-gegen-jeden nie ganz (so gab es militärische Konfrontationen zwischen Mitgliedern desselben Blocks auf beiden sich befehdenden Seiten). Selbst auf dem Höhepunkt des Jeder-gegen-jeden und der überwältigenden Überlegenheit der Vereinigten Staaten (nach 1989) verschwand die Tendenz zu Blöcken nie ganz (siehe z.B. die Balkan- und Osteuropapolitik Deutschlands nach seiner Vereinigung). Außerdem kann die Vorherrschaft der einen Tendenz schnell in diejenige der anderen übergehen, da sie sich nicht gegenseitig ausschließen. So verwandelte sich beispielsweise das imperialistische Jeder-gegen-jeden in den 1920er Jahren (das nur durch die Angst vor der proletarischen Revolution abgeschwächt wurde) in die Blockkonstellation des Zweiten Weltkriegs. Die Bipolarität der Nachkriegszeit verwandelte sich 1989 schnell in eine beispiellose Jeder-gegen-jeden-Konstellation. All dies ist nicht neu. Es ist die Position, die die IKS immer verteidigt hat.
Das Haupthindernis für die Tendenz zur imperialistischen Bipolarität im dekadenten Kapitalismus ist nicht ein Jeder-gegen-jeden, sondern das Fehlen eines Kandidaten, der stark genug ist, um eine globale Herausforderung an die Führungsmacht zu stellen. Dies war nach 1989 der Fall. Die Verstärkung der bipolaren Tendenz in den letzten Jahren ist daher vor allem das Ergebnis des Aufstiegs Chinas.
Auf dieser Ebene haben wir ein Problem der Aneignung unserer eigenen Position. Wenn wir der Meinung sind, dass „jeder gegen jeden“ eine Hauptursache für den Zerfall ist, dann scheint schon der Gedanke daran, dass der entgegengesetzte Pol, der der Bipolarität, gegenwärtig wieder an Stärke gewinnt und eines Tages sogar die Oberhand gewinnen könnte, zwangsläufig eine Infragestellung unserer Position zum Zerfall zu sein. Es stimmt zwar, dass um 1989 herum der Zerfall des Ostblocks (der sein westliches Gegenstück überflüssig machte) die Phase des Zerfalls einleitete und den größten Ausbruch der Haltung „jeder gegen jeden“ in der modernen Geschichte auslöste. Aber dieses Jeder-gegen-jeden war das Ergebnis, nicht die Ursache tiefer liegender Entwicklungen: der Pattsituation zwischen den Klassen. Im Mittelpunkt dieser Entwicklungen stand der Verlust der Perspektive, das alles beherrschende "No future", das diese Endphase kennzeichnet. In jüngerer Zeit ist die gegenwärtige Welle des politischen Populismus eine weitere Manifestation dieser grundlegenden Perspektivlosigkeit der gesamten herrschenden Klasse. Aus diesem Grund habe ich folgende Änderung zu Punkt 4 der Resolution vorgeschlagen:
"Der zeitgenössische Populismus ist ein weiteres deutliches Zeichen für eine Gesellschaft, die auf einen Krieg zusteuert:
Mit anderen Worten, die populistischen Bewegungen sind gleichzeitig ein Symptom und ein aktiver Faktor für den Drang zum Krieg".
Auch dieser Änderungsantrag wurde vom Kongress abgelehnt. Hier die Worte der Änderungskommission:
"Wir sind nicht gegen die Tatsache, dass Populismus Teil eines wachsenden Klimas der Gewalt in der Gesellschaft ist, aber wir denken, dass es eine unterschiedliche Auffassung über den Marsch in den Krieg gibt, die nicht dem allgemeinen Ansatz der Resolution entspricht.“ Das trifft genau zu. Die Absicht des Änderungsantrags bestand gerade darin, die Resolution in diesem Punkt zu ändern, ja zu korrigieren. (Die Änderungskommission gab übrigens dasselbe Argument für ihre Ablehnung des Änderungsantrags zu Punkt 15 an, siehe oben). Der Änderungsantrag wollte nicht nur die Alarmglocken angesichts der wachsenden Kriegsgefahr läuten lassen, sondern auch zeigen, dass die besondere Irrationalität des Populismus nur ein Teil der Irrationalität der bürgerlichen Klasse insgesamt ist. Diese Irrationalität ist bereits ein Hauptmerkmal des dekadenten Kapitalismus, und zwar lange vor seinem Zerfall: Es gab schon lange die Tendenz wachsender Teile der herrschenden Klasse, in einer Weise zu handeln, die ihren eigenen Interessen schadet. So gingen alle europäischen Großmächte geschwächt aus dem Ersten Weltkrieg hervor, und die Herausforderung, die Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg an den Rest der Welt stellten, hatte bereits etwas von einem selbstmörderischen Amoklauf. Aber diese Tendenz war noch nicht überall vorherrschend. Vor allem die Vereinigten Staaten profitierten sowohl wirtschaftlich als auch militärisch von ihrer Teilnahme an beiden Weltkriegen. Und man könnte sogar argumentieren, dass sich für den Westblock der Kalte Krieg als in einer gewissen Hinsicht rational erwies, da seine Politik der militärischen Eindämmung und wirtschaftlichen Strangulierung zum Zusammenbruch seines östlichen Gegenstücks ohne einen Weltkrieg beitrug. Im Gegensatz dazu steht in der Phase des Zerfalls die Weltmacht selbst, die Vereinigten Staaten, an der Spitze des Chaos, des Amoklaufes, und es ist schwer vorstellbar, wie jemand von den Kriegen zwischen den USA und China profitieren könnte. Irrationalität und "No future" sind die beiden Seiten ein und derselben Medaille, einer Haupttendenz des dekadenten Kapitalismus. Wenn in diesem Zusammenhang einige der populistischen Strömungen im kontinentalen Westeuropa jetzt dafür plädieren, in Zukunft bevorzugt Geschäfte mit Russland oder China zu machen und bereit sind, mit ihren bevorzugten "angelsächsischen" Feinden (den Vereinigten Staaten und Großbritannien) zu brechen, ist dies eindeutig ein Ausdruck von "No future". Aber im Widerstand dagegen zeigt sich die Rationalität von Leuten wie Angela Merkel in der Erkenntnis, dass Deutschland, wenn sich die Polarisierung zwischen Amerika und China weiter wie bisher zuspitzt, keine andere Wahl hätte, als sich auf die Seite der USA zu stellen, in dem Wissen, dass es unter keinen Umständen zulassen würde, dass Europa unter die "asiatische" Vorherrschaft gerät.
2. Die Divergenzen über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen
Wenn man zu dem Teil der Resolution über den Klassenkampf übergeht, wird im Grunde die gleiche Divergenz über die Anwendung des Begriffs des Zerfalls deutlich. Ein wesentlicher Teil der Resolution ist Punkt 5, da er sich mit den Problemen des Klassenkampfes in den 1980er Jahren befasst – dem Jahrzehnt, an dessen Ende die Phase des Zerfalls beginnt. Der Punkt fasst die Lehren dieses Jahrzehnts zusammen und kommt zu folgendem Schluss: "Aber noch schlimmer ist, dass die Bourgeoisie und ihre dressierten Gewerkschaften mit dieser Strategie, die Arbeiter*innen zu spalten und das Jeder-gegen-jeden zu fördern, in der Lage waren, die Niederlagen des Proletariats als Siege darzustellen.
Die Revolutionäre dürfen den Machiavellismus der Bourgeoisie bei der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen nicht unterschätzen. Dieser Machiavellismus kann nur mit der Verschärfung der Angriffe auf die ausgebeutete Klasse fortgesetzt werden. Die Stagnation des Klassenkampfes, dann sein Rückzug Ende der 80er Jahre, resultierte aus der Fähigkeit der herrschenden Klasse, bestimmte Erscheinungsformen des Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere die Tendenz des Jeder-gegen-jeden, gegen die Arbeiterklasse zu wenden."
Punkt 5 unterstreicht zu Recht die Bedeutung der negativen Auswirkungen des Jeder-für-sich auf die damaligen Kämpfe der Arbeiter. Es ist auch richtig, den Machiavellismus der herrschenden Klasse bei der Förderung dieser Mentalität hervorzuheben. Auffallend ist jedoch, dass das Problem der Perspektivlosigkeit in dieser Analyse der Schwierigkeiten des Klassenkampfes nicht auftaucht. Was umso bemerkenswerter ist, wo doch die 1980er Jahre als das „No-future“-Jahrzehnt in die Geschichte eingegangen sind. Es ist die gleiche Herangehensweise, die wir bereits beim Imperialismus vorgefunden haben. Die Ereignisse werden vor allem aus dem Blickwinkel eines Jeder-gegen-jeden analysiert, auf Kosten des Problems der Perspektivlosigkeit. Um dies zu korrigieren, schlug ich folgende Änderung (Ergänzung) vor, die am Ende des Punktes hinzugefügt werden sollte:
"Diese Konfrontationen mit den Gewerkschaften haben jedoch in keiner Weise den Rückschritt auf der Ebene der revolutionären Perspektive umgekehrt oder gar zum Stillstand gebracht. Dies war in den 1980er Jahren noch mehr der Fall als in den 1970er Jahren. Die beiden wichtigsten und massivsten Arbeiterkämpfe des Jahrzehnts (Polen 1980, und der Kampf der britischen Bergarbeiter 1984/85) führten zu einem gesteigerten Ansehen der beteiligten Gewerkschaften".
Der Kongress lehnte diesen Änderungsantrag ab. Das von der Änderungskommission (AC) dafür angeführte Argument war:
"Der Rückschritt in der revolutionären Perspektive begann mit dem Sturz der stalinistischen Regime im Jahr 1989. Polen 1980 hatte nicht die gleichen Merkmale wie der isolierte Kampf der Bergarbeiter in Großbritannien 1984-85. In Polen, einem stalinistischen Land, gab es eine Dynamik des Massenstreiks mit der geographischen Ausdehnung der Bewegung und der Selbstorganisation in souveränen Generalversammlungen (MKS) vor der Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc. Polen 1980 war die letzte Bewegung der zweiten Welle von Kämpfen. Wegen des Verlustes der Errungenschaften müssen wir unsere Analysen der dritten Welle der Kämpfe neu lesen".
Dies hat zumindest das Verdienst, dass es klar ist: Vor 1989 gab es keinen Rückschritt in der revolutionären Perspektive. Aber wie korreliert dies mit unserer Analyse des Zerfalls? Nach dieser Analyse war es die Unfähigkeit der beiden Hauptklassen, ihre eigenen Lösungen voranzubringen, die die Phase des Zerfalls verursachte und sie einleitete. Wenn diese im Jahr 1989 beginnt, muss das, was sie verursacht hat, schon vorher bestanden haben: das Fehlen einer Perspektive – sei es von der Bourgeoisie oder vom Proletariat. Die Änderungskommission, aber auch Punkt 5 der Resolution selbst führen Polen als Beweis dafür an, dass es vor 1989 keinen Rückschritt in der Perspektive gegeben habe. Aber, wenn überhaupt, beweist Polen das Gegenteil. Die erste Welle der Kämpfe einer neuen und unbesiegten Generation des Proletariats, beginnend 1968 in Frankreich und 1969 in Italien, brachte eine neue Generation revolutionärer Minderheiten hervor. Die IKS selbst ist ein Produkt dieses Prozesses. Im Gegensatz dazu hat die Welle der Kämpfe der späten 1970er Jahre, die im Massenstreik 1980 in Polen gipfelte, nichts dergleichen hervorgebracht. Und was in den 1980er Jahren folgte, war eine Krise, die das gesamte damals existierende politische proletarische Milieu in Mitleidenschaft zog. Keiner der großen Arbeiterkämpfe der 1980er Jahre brachte weder einen politischen Elan in der Klasse als Ganzes noch einen revolutionären Elan bei ihren revolutionären Minderheiten hervor, der mit dem des vorangegangenen Jahrzehnts vergleichbar gewesen wäre. Dies ignorierend, stellt die Resolution die Dinge so dar, als sei das Jeder-für-sich die Hauptschwäche, fein säuberlich getrennt von der Frage der Perspektive. Diese Herangehensweise des Kongresses wird auch durch die Ablehnung einer weiteren Änderungsformulierung unterstrichen, die ich gemacht habe und in der es heißt: "Schon vor den welthistorischen Ereignissen von 1989 trat der Klassenkampf auf der Ebene der Kampfbereitschaft auf der Stelle, und in Bezug auf die revolutionäre Perspektive war er sogar rückläufig".
Das Argument der Änderungskommission war: "Dieser Änderungsantrag führt die Idee ein, dass es eine Kontinuität zwischen den Schwierigkeiten des Klassenkampfes in den 1980er Jahren (dem 'Treten auf der Stelle') und dem durch den Zusammenbruch des Ostblocks hervorgerufenen Bruch gab.“ Also gibt es keine "Kontinuität"? Man kann natürlich so argumentieren. Aber hat dies etwas damit zu tun, dass wir das Patt zwischen den Klassen als Ursache für den Zerfall analysiert haben? 1989 war in der Tat ein Bruch, aber einer mit einer Vorgeschichte sowohl des Klassenkampfes als auch des imperialistischen Kampfes. Obwohl diese Vorstellung des Jeder-für-sich als zentral für den Zerfall, etwa auf der gleichen Stufe wie das Fehlen einer Perspektive, nicht (oder noch nicht?) die offizielle Position der Organisation ist, würde ich argumentieren, dass sie zumindest implizit in der Argumentation dieser Resolution enthalten ist.
In Punkt 6 der Resolution werden die Ereignisse um 1989 und ihr Zusammenhang mit dem Klassenkampf so behandelt:
"Als sich die dritte Welle von Kämpfen in den späten 1980er Jahren zu erschöpfen begann, erfuhr die Dynamik des Klassenkampfes durch den spektakulären Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime im Jahr 1989 einen brutalen Schlag und veränderte damit das Kräfteverhältnis zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie zugunsten der letzteren erheblich. Dieses Ereignis kündigte lautstark den Eintritt des Kapitalismus in die letzte Phase seiner Dekadenz an: die des Zerfalls. Als der Stalinismus zusammenbrach, tat er der Bourgeoisie einen letzten Gefallen. Er erlaubte es der herrschenden Klasse, der Dynamik des Klassenkampfes ein Ende zu setzen, die sich mit Fortschritten und Rückschlägen in zwei Jahrzehnten entwickelt hatte.
Da nicht der Kampf des Proletariats, sondern die Verrottung der kapitalistischen Gesellschaft auf innen heraus dem Stalinismus ein Ende setzte, konnte die Bourgeoisie dieses Ereignis ausnutzen, um eine gigantische ideologische Kampagne zu entfesseln, die darauf abzielte, die größte Lüge der Geschichte fortzusetzen: die Identifikation des Kommunismus mit dem Stalinismus. Damit hat die herrschende Klasse dem Bewusstsein des Proletariats einen äußerst heftigen Schlag versetzt. Die ohrenbetäubenden Kampagnen der Bourgeoisie über den so genannten „Bankrott des Kommunismus“ haben zu einem Rückschritt des Proletariats auf seinem Weg zu seiner historischen Perspektive des Sturzes des Kapitalismus geführt. Sie waren ein großer Schlag gegen seine Klassenidentität".
Hier scheinen die dramatischen Ereignisse von 1989 nichts mit dem globalen Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu tun zu haben. Diese Annahme steht jedoch im Widerspruch nicht nur zu unserer Theorie des Zerfalls, sondern auch zu unserer Theorie des Historischen Kurses. Der IKS zufolge hätte nach 1968 der Ostblock, der auf den meisten anderen Ebenen immer mehr ins Hintertreffen geraten war, eine militärische Lösung des Kalten Krieges anstreben müssen. Wenn der Warschauer Pakt in Europa mit "konventionellen“ Mitteln der Kriegsführung hätte angreifen wollen (eine Ebene, auf der das Kräfteverhältnis nicht so ungünstig für ihn war), hätte er seine Hoffnungen auf seinen westlichen Feind setzen müssen, dass dieser (aus Furcht vor MAD – "Mutually Assured Destruction" der gegenseitigen Zerstörung) es nicht wagen würde, auf nuklearer Ebene zurückzuschlagen. Doch in den 1970er und 80er Jahren war der Ostblock nicht in der Lage, diese Karte auszuspielen, und einer der Hauptgründe dafür war, dass er sich nicht auf die Zustimmung seiner "eigenen" Arbeiterklasse verlassen konnte. Dies wäre jedoch für die Kriegsführung in einem solchen Ausmaß unerlässlich. Auf dieser Ebene war der Massenstreik 1980 in Polen eine massive Rechtfertigung für unsere Analyse. Sowjetische Truppen, die damals nahe der Grenze in Vorbereitung einer Invasion Polens mobilisiert wurden, meuterten. Die Soldaten weigerten sich, gegen ihre Klassenschwestern und -brüder in Polen zu marschieren. Aber Polen 1980 zeigte nicht nur, dass das Proletariat ein Hindernis für den Weltkrieg war, sondern auch, dass es nicht in der Lage war, über diese Blockade des Gegners hinauszugehen, um seine eigene revolutionäre Alternative voranzubringen. Die Arbeiterklasse im Westen hätte in die Bresche springen müssen. Aber in den 1980er Jahren war sie dazu nicht in der Lage. Damit waren die Weichen für die Pattsituation gestellt, die am Ende des Jahrzehnts die Phase des Zerfalls einleitete. Die Resolution hat völlig recht, dass der Zusammenbruch des Stalinismus 1989 und die maximale Ausnutzung dieses Zusammenbruchs durch die bürgerliche Propaganda der Hauptschlag gegen die Kampfbereitschaft, die Klassenidentität, das Klassenbewusstsein des Proletariats war. Was ich bestreite, ist die Behauptung, dass dies nicht vorher durch die Pattsituation zwischen den Klassen und insbesondere durch die Schwächung der Präsenz der Perspektive auf der Seite des Proletariats vorbereitet wurde. Die Resolution selbst räumt, anscheinend ohne sich dessen bewusst zu sein, die Existenz dieser Verbindung zwischen 1989 und vorher ein, wenn sie schreibt (Punkt 6), dass die Bourgeoisie dieses Ereignis ausnutzen konnte, "da nicht der Kampf des Proletariats, sondern die Verrottung der kapitalistischen Gesellschaft aus innen heraus dem Stalinismus ein Ende setzte".
Die Arbeiterkämpfe der späten 1960er Jahre beendeten die Konterrevolution, nicht nur, weil sie massiv, spontan und oft selbstorganisiert waren, sondern auch, weil sie aus dem ideologischen Würgegriff des Kalten Krieges ausbrachen, als mensch entweder auf der Seite des "Kommunismus" (Ostblock) oder der "Demokratie" (Westblock) stehen musste. Mit dem Arbeiterkampf der 60er Jahre entstand die Idee eines Kampfes gegen die herrschende Klasse in Ost und West, des Marxismus gegen den Stalinismus, einer Revolution mittels Arbeiterräten mit dem Ziel des wirklichen Kommunismus. Dieser ersten Politisierung (wie in der Resolution hervorgehoben wird) wurde von der herrschenden Klasse in den 1970er Jahren erfolgreich entgegengewirkt. Angesichts der darauf folgenden Entpolitisierung bestand in den 1980er Jahren die Hoffnung, dass die wirtschaftlichen Kämpfe, insbesondere die Konfrontation mit den Gewerkschaften, zum Schmelztiegel einer Repolitisierung, vielleicht sogar auf höherer Ebene, werden könnten. Doch obwohl es in den 1980er Jahren tatsächlich massive Kämpfe gab, obwohl es tatsächlich Konfrontationen mit den Gewerkschaften und sogar mit der radikalen Basisgewerkschaft vor allem im Westen, aber z.B. auch in Polen gegen die neue "freie" Gewerkschaft gab, brachten sie nicht die erhoffte Politisierung. Dieses Scheitern wird bereits in unserer Theorie des Zerfalls anerkannt, da sie die neue Phase als eine „ohne Perspektive“ definiert, und genau diese Perspektivlosigkeit ist die Ursache für die Pattsituation. Proletarische Politisierung ist immer politisch in Bezug auf ein Ziel jenseits des Kapitalismus. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Idee einer Art Pattsituation zwischen den beiden Hauptklassen für unsere Theorie des Zerfalls sind die Unterschiede in der Bewertung der Kämpfe der 1980er Jahre für die Einschätzung des Klassenkampfes bis heute von besonderer Bedeutung. Der Resolution zufolge entwickelte sich der proletarische Kampf trotz aller Probleme, mit denen er konfrontiert war, grundsätzlich positiv, bis er 1989 durch ein grundlegend äußeres welthistorisches Ereignis in seinen Bahnen gestoppt worden sei. Da die Auswirkungen selbst der überwältigendsten solcher Ereignisse mit der Zeit zwangsläufig nachließen, sollten wir recht zuversichtlich sein, dass die proletarische Klasse in der Lage sei, ihre unterbrochene Reise auf demselben Weg wieder aufzunehmen. Dieser Weg sei der ihrer politischen Radikalisierung durch ihre wirtschaftlichen Kämpfe. Darüber hinaus werde dieser Prozess durch die Vertiefung der Wirtschaftskrise beschleunigt werden, die die Arbeiter zum Kampf zwinge und sie ihre Illusionen verlieren lasse, indem sie ihnen die Augen für die Realität des Kapitalismus öffne. Daher befürwortet die Resolution das Modell der 1980er Jahre als Weg in die Zukunft. Sie bezieht sich auf den Massenstreik von 1980:
"Dieser gigantische Kampf der Arbeiterklasse in Polen hat gezeigt, dass das Proletariat sich gerade im Kampf der Massen gegen wirtschaftliche Angriffe seiner eigenen Stärke bewusst werden, seine Klassenidentität gegen das Kapital bekräftigen und sein Selbstvertrauen entwickeln kann."
Die Resolution denkt vielleicht an diese wirtschaftlichen Kämpfe, wenn sie Punkt 13 mit einem Zitat aus unseren Thesen zum Zerfall abschließt:
"Heute bleiben die historischen Möglichkeiten völlig offen. Trotz des Schlags, der der Bewußtwerdung des Proletariats durch den Zusammenbruch des Ostblocks verabreicht wurde, hat das Proletariat auf seinem Klassenterrain keine große Niederlage erlitten. (...) Aber darüber hinaus, und das ist das Element, das in letzter Instanz die Entwicklung der Weltlage bestimmt, bildet derselbe Faktor, der sich am Anfang der Entwicklung des Zerfalls befindet, den wesentlichen Ansporn für den Kampf und die Bewußtwerdung der Klasse, die eigentliche Bedingung für ihre Fähigkeit, dem ideologischen Gift der gesellschaftlichen Fäulnis zu widerstehen. Denn auch wenn das Proletariat kein Terrain findet, um die Teilkämpfe gegen die Auswirkungen des Zerfalls zu vereinen, bildet sein Kampf gegen die direkten Auswirkungen der Krise die Grundlage für die Weiterentwicklung seiner Klassenstärke und Einheit."
Völlig richtig. Aber der proletarische Kampf gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise hat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische und eine theoretische Dimension. Die wirtschaftliche Dimension ist unabdingbar: Eine Klasse, die nicht in der Lage ist, ihre unmittelbaren Interessen zu verteidigen, wäre niemals in der Lage, eine Revolution durchzuführen. Aber die beiden anderen Dimensionen sind nicht weniger unverzichtbar. Dies gilt heute umso mehr, wo das zentrale Problem die Perspektivlosigkeit ist. Bereits in den 1980er Jahren lag die Hauptschwäche der Klasse nicht auf der Ebene ihrer wirtschaftlichen Kämpfe, sondern auf der politischen und theoretischen Ebene. Ohne eine qualitative Entwicklung auf diesen beiden Ebenen werden die wirtschaftlichen Verteidigungskämpfe zunehmend Schwierigkeiten haben, auf einem proletarischen Terrain der Klassensolidarität zu bleiben. Dies gilt umso mehr, als wir heute ein Stadium erreicht haben, in dem die Entpolitisierung, die bereits in den 1980er Jahren ein so wesentliches Merkmal war, durch verschiedene Versionen einer verfaulten Politisierung wie Populismus und Antipopulismus, Antiglobalisierung, identitäre Ursachen und klassenübergreifende Aufstände ersetzt wird. Auf der Grundlage des Fortschreitens all dieser faulen Politisierungen in den letzten Jahren habe ich auf dem Kongress die folgende Analyse des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen vorgelegt:
"Allerdings gelang es diesen ersten proletarischen Reaktionen nicht, den weltweiten Rückfluss von Kampfbereitschaft, Klassenidentität und Klassenbewusstsein seit 1989 umzukehren. Im Gegenteil. Was wir gegenwärtig erleben, ist nicht nur die Verlängerung, sondern sogar die Vertiefung dieses Rückflusses. Auf der Ebene der Klassenidentität ist die Veränderung des Diskurses der herrschenden Klasse der deutlichste Hinweis auf diesen Rückschritt.
Nach Jahren der Propaganda über ihr angebliches Verschwinden in den alten kapitalistischen Kernlanden ist es heute die populistische Rechte, die die Arbeiterklasse als das "wahre Herz der Nation" (Trump) "wiederentdeckt" und "rehabilitiert" hat."
Und
"Auf der Ebene der revolutionären Perspektive zeigt die Art und Weise, in der selbst die klassischen institutionellen Vertreter der herrschenden Ordnung (wie der Internationale Währungsfonds) den Kapitalismus für den Klimawandel, die Umweltzerstörung oder die wachsende Einkommenskluft zwischen Arm und Reich verantwortlich machen, in welchem Maße die Bourgeoisie als herrschende Klasse im Moment sicher und zuversichtlich in ihrem Sattel sitzt.
Solange der Kapitalismus als Teil (sozusagen zeitgenössischen Form) der 'menschlichen Natur' betrachtet wird, ist dieser antikapitalistische Diskurs, weit davon entfernt, ein Anzeichen für eine Reifung zu sein, vielmehr ist er ein Zeichen für einen weiteren Rückzug des Bewusstseins innerhalb der Klasse."
Der Kongress lehnte diese Analyse der Vertiefung des Rückzugs seit 1989 ab. Er teilte auch nicht meine Sorge, daran zu erinnern, dass die Abwehrkämpfe an sich alles andere als eine Garantie dafür sind, dass die proletarische Sache auf dem richtigen Weg ist:
"Allerdings hängt das Ausmaß, in dem die Wirtschaftskrise der Verbündete der proletarischen Revolution und der Stimulus der Klassenidentität sein kann, von einer Reihe von Faktoren ab, von denen der wichtigste der politische Kontext ist. Während der 1930er Jahre waren selbst die militantesten, radikalsten und massivsten Verteidigungskämpfe (Fabrikbesetzungen in Polen, Arbeitslosenproteste in den Niederlanden, Generalstreiks in Belgien und Frankreich, wilde Streiks in Großbritannien (sogar während des Krieges) und den Vereinigten Staaten und sogar eine Bewegung, die eine aufständische Form annahm (Spanien), nicht in der Lage, den Rückschritt des Bewusstseins innerhalb der Klasse umzukehren. In der gegenwärtigen Phase sind partielle Niederlagen der Klasse, auch auf der Ebene ihres Klassenbewusstseins, alles andere als ausgeschlossen. Sie würden ihrerseits die Rolle der Krise als Verbündeter des Klassenkampfes erschweren.
Aber anders als in den 1920/30er Jahren würden solche Niederlagen nicht zu einer Konterrevolution führen, da ihnen keine Revolution vorausgegangen ist. Das Proletariat wäre immer noch in der Lage, sich von solchen Niederlagen zu erholen, die viel weniger einen endgültigen Charakter haben würden." (Abgelehnter Änderungsantrag, Ende von Punkt 13)
Diese Frage, ob es eine weitere Schwächung des Proletariats auf der Ebene des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen gibt oder nicht, war eine der beiden großen Divergenzen auf dem Kongress in Bezug auf den Klassenkampf. Die andere betraf die unterirdische Reifung, von der die Resolution behauptet, dass sie sich gegenwärtig innerhalb der proletarischen Klasse vollziehe. Damit ist eine noch nicht sichtbare, unterirdische Reifung des Bewusstseins gemeint, der berühmte "alte Maulwurf", auf den sich Marx bezieht. Bei der Divergenz auf dem Kongress ging es nicht um die allgemeine Gültigkeit dieses Begriffs von Marx, den wir alle teilen. Es ging auch nicht darum, ob ein solcher Prozess auch dann stattfinden kann, wenn sich die Kämpfe der Arbeiter auf dem Rückzug befinden – wir alle behaupten, dass er stattfinden kann. Die Frage, die zur Debatte stand, war, ob ein solcher Prozess gerade jetzt stattfindet oder nicht. Das Problem hier ist, dass die Resolution keine empirischen Beweise zur Untermauerung dieser Behauptung liefern kann. Entweder ist ihr Postulat ein Produkt des Wunschdenkens oder aber einer rein deduktiven Logik, nach der das, was nach unserer Analyse stattfinden sollte, auch angenommen werden kann. Die angeführten Beweise sind fadenscheinig: das Fortbestehen revolutionärer Organisationen, das Vorhandensein von Kontakten dieser Organisationen. Obwohl sich der alte Maulwurf im Untergrund vergraben hat, hinterlässt er an der Oberfläche Spuren seines Fleißes. Ich kritisierte die Unzulänglichkeit der in der Resolution gegebenen Hinweise:
"In diesem Sinne gibt uns die qualitative Entwicklung des Klassenbewusstseins durch revolutionäre Minderheiten an sich keinen Hinweis darauf, was gegenwärtig auf der Ebene der unterirdischen Reifung innerhalb der Klasse als Ganzes geschieht – da dies sowohl in einer revolutionären als auch in einer konterrevolutionären Phase geschehen kann, sowohl in Phasen der Entwicklung als auch des Rückflusses der Klasse als Ganzes. Umgekehrt ist das Auftauchen kleiner Minderheiten und junger Elemente auf der Suche nach einer Klassenperspektive und linkskommunistischen Positionen auch in den dunkelsten Stunden der Konterrevolution möglich, denn sie sind in erster Linie Ausdruck des revolutionären Charakters des Proletariats (der nie verschwindet, solange es die Arbeiterklasse noch gibt) – anders wäre es, wenn eine ganz neue Generation von revolutionären Kämpferinnen und Kämpfern auftauchen würde. Aber es ist noch zu früh, um jetzt schon ein Urteil über diese Möglichkeit abzugeben." (Abgelehnter Änderungsantrag)
Und ich habe die folgenden Kriterien vorgeschlagen:
"Es ist per definitionem nicht leicht, eine unterirdische Reifung außerhalb der Zeiten des offenen Kampfes festzustellen: eben schwierig, aber nicht unmöglich. Es gibt zwei Indikatoren für die unterirdischen Aktivitäten des alten Maulwurfs, auf die wir besonders achten sollten:
Auf der Grundlage dieser beiden Kriterien besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir uns gegenwärtig in einer Phase der "unterirdischen Regression", des unterirdischen Rückschrittes, befinden (in der der alte Maulwurf eine vorübergehende Pause eingelegt hat), die durch eine erneute Verstärkung des Misstrauens gegenüber politischen Organisationen, durch die erhöhte Anziehungskraft kleinbürgerlicher Politik und durch eine Schwächung der theoretischen Bemühungen und der Debattenkultur gekennzeichnet ist."
Ohne ihr Ziel jenseits des Kapitalismus kann die Arbeiterbewegung ihre Klasseninteressen nicht wirksam verteidigen. Ebenso wenig können die ökonomischen Kämpfe an sich – so unverzichtbar sie auch sind – ausreichen, um das revolutionäre Klassenbewusstsein (einschließlich seiner Dimension der Klassenidentität) wiederzuerlangen. Tatsächlich war in dem Vierteljahrhundert nach 1989 der wichtigste Einzelfaktor des proletarischen Klassenkampfes nicht der der wirtschaftlichen Verteidigungskämpfe, sondern die theoretische und analytische Arbeit der revolutionären Minderheiten. Dies vor allem bei der Entwicklung eines tiefen Verständnisses der bestehenden historischen Situation und einer tiefgreifenden und überzeugenden Rehabilitierung des Rufs des Kommunismus. Dies mag eine seltsame Bewertung sein, wenn man bedenkt, dass die revolutionären Minderheiten nur eine Handvoll Kämpferinnen und Kämpfer sind, verglichen mit den mehreren Milliarden, die das Weltproletariat insgesamt ausmachen. Doch im Laufe der Geschichte haben winzige Minderheiten ohne jegliche Beteiligung der Massen regelmäßig Ideen entwickelt, die in der Lage sind, die Welt zu revolutionieren und schließlich "die Massen zu erobern". Eine der Hauptschwächen des Proletariats in den zwei Jahrzehnten nach 1989 war in der Tat das Versagen seiner Minderheiten, dieses Werk zu vollenden. Die historischen Gruppen der Kommunistischen Linken tragen eine besondere Verantwortung für dieses Scheitern. Als eine neue Generation von politisierten Proletarierinnen und Proletariern auftauchte (wie die Indignados in Spanien oder die verschiedenen Occupy Bewegungen im Gefolge der "Finanz-" und der "Euro"-Krise nach 2008), war das bestehende proletarische politische Milieu nicht in der Lage, sie ausreichend mit den politischen, theoretischen Waffen zu rüsten, die sie gebraucht hätten, um sich zu orientieren und sich inspiriert zu fühlen, sich der Aufgabe zu stellen, den Anfang vom Ende des proletarischen Rückflusses einzuleiten.
Steinklopfer, 24.05.20
Die Diskussionstexte, die wir hier veröffentlichen, sind das Ergebnis einer internen Debatte innerhalb der IKS über die Bedeutung und die Richtung der historischen Phase im Leben des dekadenten Kapitalismus, die durch den Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks 1989 definitiv eröffnet wurde: die Phase des Zerfalls, die Endphase der kapitalistischen Dekadenz. Einer der Schlüsselgedanken in dem 1991 von uns veröffentlichten Orientierungstext, den Thesen über den Zerfall[1], ist, dass die Geschichte niemals stillsteht: So, wie die Periode der kapitalistischen Dekadenz ihre eigene Geschichte hat, so hat auch die Phase des Zerfalls ihre eigene Geschichte, und es ist für Revolutionäre unerlässlich, die wichtigsten Veränderungen oder Entwicklungen zu analysieren, die sich in ihr vollziehen. Dies ist die Motivation des Textes des Genossen Steinklopfer, dessen Ausgangspunkt die Erkenntnis ist – die zur Zeit einzig die IKS vertritt –, dass wir tatsächlich die Zerfallsphase durchleben und dass ihre Wurzeln in einer sozialen Pattsituation zwischen den beiden großen Klassen der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat, liegen, die beide angesichts einer nunmehr permanenten ökonomischen Krise nicht in der Lage gewesen sind, der Gesellschaft ihre Sichtweise aufzuzwingen: die Bourgeoisie den imperialistischer Weltkrieg, das Proletariat die kommunistische Weltrevolution. Aber im Laufe der Debatte über den Zerfall, die die Entwicklung der imperialistischen Rivalitäten und das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen umfasst, sind Divergenzen aufgetreten, die unserer Meinung nach so weit gereift sind, dass sie nach außen hin publiziert werden können. Unserer Meinung nach neigt die gegenwärtige Position des Genossen Steinklopfer dazu, unser Verständnis von der Bedeutung des Zerfalls zu schwächen, aber das ist etwas, was wir durch eine offene Konfrontation der Ideen nachweisen müssen.
Der Beitrag des Genossen beginnt mit dem Argument, dass die IKS – zumindest implizit, wie er es später formuliert – ihre Position zu den Ursachen des Zerfalls revidiere; dass neben der sozialen Pattsituation eine der Hauptursachen des Zerfalls auch die wachsende Neigung eines Jeder-gegen-jeden sei: "aus der Sicht der gegenwärtigen Position der Organisation scheint es eine zweite wesentliche Ursache und Charakteristik dieser Endphase zu geben: die Tendenz des Jeder-gegen-jeden: zwischen Staaten, innerhalb der herrschenden Klasse, sowie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt".
Die Konsequenz der Hinzufügung dieser zweiten Ursache wird dann zusammengefasst: "Auf dieser Grundlage neigt die IKS in Bezug auf den Imperialismus gegenwärtig dazu, die Tendenz zur Bipolarität (und damit zur möglichen Wiederherstellung der imperialistischen Blöcke) und damit die wachsende Gefahr militärischer Konfrontationen zwischen den Großmächten zu unterschätzen. Auf derselben Grundlage neigt die IKS heute dazu, was das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen betrifft, den Ernst des gegenwärtigen Verlustes der revolutionären Perspektive des Proletariats zu unterschätzen, wobei dies dazu führt zu meinen, dass das Proletariat seine Klassenidentität im Wesentlichen durch defensive Arbeiterkämpfe wiedererlangen und damit beginnen könne, eine revolutionäre Perspektive zurückzuerobern."
Genosse Steinklopfer scheint auch der Meinung zu sein, dass er allein mit seiner Meinung steht, dass es "in der Phase des Zerfalls keine gewichtige Tendenz [gibt], die es nicht schon vorher in der Zeit der Dekadenz gegeben hätte. Die neue Qualität der Zerfallssphase besteht darin, dass alle bereits bestehenden Widersprüche bis zum Äußersten verschärft werden."
Bevor wir auf die Kritik des Genossen an unserer Position zu den imperialistischen Konflikten und zum Stand des Klassenkampfes antworten, halten wir es für notwendig zu sagen, dass seine Beschreibungen des allgemeinen Verständnisses der Organisation bezüglich des Zerfalls nicht zutreffen.
Die Thesen über den Zerfall stellen diese Phase bereits „als das Ergebnis, als die Synthese aller Widersprüche und Manifestationen der kapitalistischen Dekadenz" dar: Wir können hinzufügen, dass sie auch das "Ergebnis" einiger Schlüsselmerkmale der Existenz des Kapitalismus von Anfang an ist, wie z.B. der Tendenz zur sozialen Atomisierung, auf die z.B. Engels in seinen Bedingungen der englischen Arbeiterklasse von 1844 hingewiesen hat.
Bereits 1919 stellte die Kommunistische Internationale auf ihrem Ersten Kongress dies fest:
"Der Menschheit, deren ganze Kultur jetzt in Trümmern liegt, droht die Gefahr vollständiger Vernichtung. Es gibt nur eine Kraft, die sie retten kann, und diese Kraft ist das Proletariat. Die alte kapitalistische ‚Ordnung‘ existiert nicht mehr, sie kann nicht mehr bestehen. Das Endresultat der kapitalistischen Produktionsweise ist das Chaos. Und dieses Chaos kann nur die größte, produktive Klasse überwinden: die Arbeiterklasse.“[2]
Und in der Tat war dieses Urteil völlig gerechtfertigt, wenn wir den Zustand der zentralen Länder des Kapitalismus nach dem Ersten Weltkrieg betrachten: Millionen von Leichen, Millionen von Flüchtlingen, wirtschaftlicher Zusammenbruch und Hunger – und eine tödliche Pandemie. Ein ähnlicher Alptraum suchte Europa und weite Teile der Welt unmittelbar nach dem zweiten imperialistischen Krieg heim. Aber wenn wir die Situation des Kapitalismus für den größten Teil des Zeitraums zwischen 1914 und 1989 betrachten, können wir feststellen, dass die Tendenz zum völligen Chaos weitgehend durch die Fähigkeit der herrschenden Klasse, der Gesellschaft ihre Lösungen und Perspektiven aufzuzwingen, im Zaum gehalten wurde (auch wenn sie, wie Genosse Steinklopfer ebenfalls einräumt, nie ganz verschwindet): der Drang zum Krieg in den 1930er Jahren, die Zerstückelung des Planeten nach 1945 und die Bildung von Blöcken, eine lange Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs. Mit der lang anhaltenden Wirtschaftskrise seit Ende der 1960er Jahre und der wachsenden Pattsituation zwischen den Klassen wird die Tendenz zur Fragmentierung und zum Chaos auf allen Ebenen so weit entfesselt, dass sie eine neue Qualität annimmt.
Entgegen der Behauptung des Genossen Steinklopfer schließen wir daraus nicht, dass sie rückwirkend zu einer "Ursache" des Zerfalls geworden ist, aber sie wird mit Sicherheit zu einem aktiven Faktor ihrer Beschleunigung. Es ist dieses Verständnis der in der Phase des Zerfalls wirkenden qualitativen Veränderung, das unserer Meinung nach im Text des Genossen Steinklopfer fehlt.
Wir wollen auch festhalten, dass die Anzeichen der Dekadenz schon vor dem Ersten Weltkrieg immer deutlicher wurden (Staatskapitalismus, Korruption der Gewerkschaften, Wettrüsten zwischen den Großmächten...); und so hat auch die IKS die Anzeichen des Zerfalls bereits vor 1989 festgestellt: der Sieg der Mullahs im Iran, die Pariser Terroranschläge von 1986, der Krieg im Libanon und die Schwierigkeiten des Klassenkampfes, von denen weiter unten mehr zu lesen ist. Der Zusammenbruch des Ostblocks war also keineswegs ein Blitz aus heiterem Himmel, sondern das Produkt einer langen vorherigen Entwicklung.
Die Divergenz über die imperialistischen Gegensätze
Was die konkreten Unterschiede auf der Ebene der imperialistischen Antagonismen betrifft, so haben wir die Bedeutung des Aufstiegs Chinas sicherlich erst spät verstanden, aber in den letzten Jahren haben wir diesen Faktor eindeutig in unsere Analyse sowohl der globalen imperialistischen Rivalitäten als auch der Entwicklung der Weltwirtschaftskrise integriert.
Wir lehnen die Idee nicht ab, dass selbst in einer Welt, die auf imperialistischer Ebene von einem Jeder-für-sich dominiert wird, eine eindeutige Tendenz zur "Bipolarisierung" zu erkennen ist, d.h. dass die Rivalitäten zwischen den beiden mächtigsten Staaten zu einem Hauptfaktor der Weltsituation werden. Dies war in der Tat immer unsere Position, wie wir aus dem Orientierungstext über Militarismus und Zerfall ersehen können, der zu Beginn der neuen Phase verfasst wurde und in dem wir bekräftigten, dass "die gegenwärtige Lage unter dem Druck der Krise und der Zuspitzung der imperialistischen Spannungen die Tendenz zur Bildung von zwei neuen imperialistischen Blöcken in sich" birgt[3]. Wir haben sodann die Möglichkeit geprüft, inwieweit andere Mächte (Deutschland, Russland, Japan ...) die USA herausfordern und sich für die Rolle eines neuen Blockführers bewerben könnten. Unserer Ansicht nach verfügte zu diesem Zeitpunkt keiner der genannten Kandidaten über die notwendigen "Qualifikationen", um diese Rolle zu spielen, und wir kamen zu dem Schluss, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass neue imperialistische Blöcke nie wieder gebildet werden, wobei wir darauf bestanden, dass dies keineswegs eine Abschwächung der imperialistischen Konflikte bedeutete. Im Gegenteil, diese Konflikte würden sich in Form einer immer chaotischeren Freiheit für alle manifestieren und in vielerlei Hinsicht eine gefährlichere Bedrohung für die Menschheit darstellen als in der vorangegangenen Periode, in der nationale oder regionale Konflikte bis zu einem gewissen Grad durch die Disziplin der Blöcke eingedämmt wurden. Wir denken, dass sich diese Prognose weitgehend bestätigt hat, wie wir am deutlichsten an den gegenwärtigen vielschichtigen Konflikten in Syrien und Libyen sehen können.
Natürlich unterschätzten wir in diesem Stadium, wie wir bereits gesagt haben, die Möglichkeit, dass sich China zu einer großen Weltmacht und zu einem ernsthaften Konkurrenten der USA entwickeln könnte. Aber der Aufstieg Chinas ist selbst ein Produkt der Phase des Zerfalls[4], und obwohl er einen eindeutigen Beweis für die Tendenz zur Bipolarisierung liefert, besteht ein großer Unterschied zwischen der Entwicklung dieser Tendenz und einem konkreten Prozess, der zur Bildung neuer Blöcke führt. Betrachtet man die beiden großen Pole, so wird dieser Prozess durch die zunehmend aggressive Haltung der beiden eher untergraben als verstärkt. China schlägt von allen seinen Nachbarn tiefstes Misstrauen entgegen, nicht zuletzt von Russland, das sich in Fragen unmittelbarer Interessen (wie dem Krieg in Syrien) oft mit China verbündet, aber Angst davor hat, sich China aufgrund dessen wirtschaftlicher Stärke unterzuordnen, und einer der schärfsten Gegner der "Seidenstraßen"-Initiative Pekings ist. Amerika ist inzwischen eifrig dabei, fast alle alten Blockstrukturen abzubauen, mit denen es zuvor seine "Neue Weltordnung" bewahrt hatte und widersteht so dem Abgleiten in Richtung "jeder für sich" in den internationalen Beziehungen. Es behandelt seine Verbündeten in der NATO mehr und mehr als Feinde, und im Allgemeinen ist es – wie Genosse Steinklopfer selbst ganz entschieden feststellt – zu einem der Hauptfaktoren geworden, die den chaotischen Charakter der heutigen imperialistischen Beziehungen noch verschlimmern.
In dieser Situation spiegelt die Gefahr eines Krieges diesen Prozess der Zersplitterung wider. Sicherlich können wir die Möglichkeit militärischer Zusammenstöße zwischen den USA und China nicht ausschließen, aber wir können auch nicht ausschließen, dass es immer irrationalere Ausbrüche gibt, die Indien gegen Pakistan, Israel gegen den Iran, Iran gegen Saudi-Arabien usw. in den Strudel ziehen. Aber genau das ist der Inhalt und die schreckliche Bedrohung eines Jeder-für-sich als Faktor, der den Zerfall verschlimmert und die Zukunft der Menschheit selbst gefährdet. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass diese Tendenz gegenüber der Tendenz zur Neubildung von Blöcken nicht nur weit vorrangig ist, sondern in direktem Widerspruch zu ihr steht.
Die Divergenz über den Klassenkampf
Wie wir gesehen haben, behauptet Genosse Steinklopfer, dass sich die Resolution über das Kräfteverhältnis vom 23. Kongress nicht mehr mit dem Problem der revolutionären Perspektive befasst und dass dieser Faktor aus unserem Verständnis der Ursachen (und Folgen) des Zerfalls verschwunden sei. Tatsächlich steht aber die Frage der Politisierung des Klassenkampfes und der Bemühungen der Bourgeoisie, seine Entwicklung zu verhindern, im Mittelpunkt der Resolution. Die Tonlage ist bereits in Punkt 1 der Resolution angestimmt, in dem von der Wiederbelebung des Klassenkampfes Ende der 60er Jahre und dem Wiederauftauchen einer neuen Generation von Revolutionären die Rede ist: "Angesichts einer Dynamik, die zu einer Politisierung der Arbeiterkämpfe führte, entwickelte die Bourgeoisie (die von der Bewegung vom Mai 1968 überrascht worden war) sofort eine groß angelegte und langfristige Gegenoffensive, um zu verhindern, dass die Arbeiterklasse ihre eigene Antwort auf die historische Krise der kapitalistischen Wirtschaft gibt: die proletarische Revolution." Mit anderen Worten: Für die Arbeiterklasse bedeutet Politisierung im Wesentlichen, die Frage der Revolution zu stellen: Dies ist genau die gleiche Frage wie die der "revolutionären Perspektive". Und die Resolution zeigt weiter auf, wie die herrschende Klasse angesichts der Wellen des Klassenkampfes in der Zeit zwischen 1968 und 1989 all ihre Ressourcen und Mystifikationen eingesetzt hat, um die Arbeiterklasse an der Entwicklung dieser Perspektive zu hindern.
Was die Frage der Kämpfe in Polen betrifft, die eine zentrale Rolle in Genosse Steinklopfers Argumentation spielen: Es gibt keinen Dissens zwischen uns darüber, dass Polen 1980 ein Schlüsselmoment in der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen in der Periode war, die durch die Ereignisse vom Mai 1968 in Frankreich eröffnet wurde. Der Genosse hat Recht, wenn er sagt, dass im Gegensatz zum Mai 68 und der darauffolgenden internationalen Welle von Klassenbewegungen, deren Epizentrum in Westeuropa lag, die Kämpfe in Polen keine ganz neue Generation von politisierten Elementen hervorbrachten, von denen einige (ab 68) den Weg zu den Positionen der kommunistischen Linken fanden. Aber sie stellten die Weltarbeiterklasse dennoch vor eine tiefgreifende Herausforderung: die Frage des Massenstreiks, der autonomen Organisation und der Vereinigung der Arbeiter als Macht in der Gesellschaft. Die polnischen Arbeiter haben sich auf dieses Niveau erhoben, auch wenn sie den Sirenengesängen des Gewerkschaftswesens und der Demokratie auf politischer Ebene nicht widerstehen konnten. Die Frage wurde, wie wir damals sagten, in Anlehnung an Luxemburg über die russische Revolution, in Polen gestellt, konnte aber nur international und vor allem von den politisch fortgeschrittenen Bataillonen der Klasse in Westeuropa gelöst werden. Würden die Arbeiter des Westens den Fehdehandschuh aufgreifen und sowohl die Selbstorganisation als auch die Vereinigung im Kampf im Zusammenhang mit der Perspektive einer neuen Gesellschaft entwickeln? Die IKS hat Anfang der 80er Jahre durch eine Reihe von Texten zur Bewertung dieses Potenzials beigetragen[5].
Genauer gefragt: Würde die neue Welle von Kämpfen, die 1983 in Belgien begann, den Fehdehandschuh aufnehmen können? Während die IKS viele wichtige Fortschritte in dieser Welle von Kämpfen feststellte (z.B. die Tendenzen zur Selbstorganisation und die Konfrontation mit den Basisgewerkschaften in Frankreich und Italien), wurde dieser entscheidende Schritt der Politisierung nicht gegangen, und die dritte Welle geriet in Schwierigkeiten. Auf dem 8. Kongress der IKS 1988 gab es eine lebhafte Debatte zwischen den Genoss*innen, die der Meinung waren, dass die dritte Welle unaufhaltsam voranschreite und einer damaligen Minderheit, die betonte, dass die Arbeiterklasse bereits unter den Auswirkungen des Zerfalls in Form von Atomisierung, Verlust der Klassenidentität, der Ideologie des Jeder-für-sich in Form des Korporatismus usw. leide, unter Auswirkungen, die alle das Ergebnis der Unfähigkeit der Klasse waren, eine Perspektive für die Zukunft der Gesellschaft zu entwickeln. Somit – und hier müssen wir uns mit einer Formulierung der Änderungskommission für die Klassenkampfresolution des 23. Kongresses auseinandersetzen, auf die sich Genosse Steinklopfer in seinem Text bezieht – gibt es in der Tat eine Kontinuität zwischen den Schwierigkeiten der Klasse in den 80er Jahren (dem Einfluss des Zerfalls) und dem Rückzug der Zeit nach 1989 (wo wir einen enormen Rückschritt sowohl auf der Ebene des Bewusstseins als auch auf der Ebene der Kampfbereitschaft gesehen haben). Aber unserer Ansicht nach unterschätzt Genosse Steinklopfer auch hier wieder die qualitative Veränderung, die die Ereignisse von 1989 mit sich brachten. Sie hatten den Anschein, bildlich vom Himmel auf die Arbeiterklasse zu fallen, auch wenn sie in Wirklichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft schon lange gegärt hatten. Sie brachten einen Rückzug des Klassenbewusstseins und der Kampfbereitschaft mit sich, der sich als viel tiefer und dauerhafter herausstellte, als wir vermutet hatten, auch wenn wir unmittelbar nach dem Zusammenbruch fähig waren, ihn vorauszusehen.
Populismus und Kriegsmobilisierung
Es gibt also keine Meinungsverschiedenheit darüber, dass die Arbeiterklasse in den letzten Jahrzehnten einen langen Prozess der Zerrissenheit durchgemacht hat, der durch einen Verlust der Klassenidentität und ihrer Zukunftsperspektive gekennzeichnet ist. Wir stimmen auch darin überein, dass bestimmte Bewegungen, die in dieser Zeit des allgemeinen Rückzugs stattfanden, auf die Möglichkeit einer Wiederbelebung des Kampfes hinwiesen, sowohl auf der Ebene der Kampfbereitschaft als auch des Bewusstseins über die Sackgasse der kapitalistischen Gesellschaft: Wie Genosse Steinklopfer es ausdrückt, sahen wir in diesen Bewegungen "die Entwicklung einer Kultur der Theorie und einer Kultur der Debatte (wie sie sich vom Anti-CPE bis zu den Indignados zu äußern begann) als grundlegende Manifestationen des Proletariats als Klasse des Bewusstseins und der Assoziation".
Mit zwei der Schlussfolgerungen des Genossen über die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Klasse sind wir jedoch ganz und gar nicht einverstanden:
Erstens sind wir nicht der Meinung, dass der Populismus das Produkt oder der Ausdruck eines klaren Kriegskurses der herrschenden Klasse der großen kapitalistischen Länder ist. Sicherlich ist er ein Produkt eines verschärften Nationalismus und Militarismus, jener nihilistischen Gewalt und jenes Rassismus, die aus dem Zerfall dieses Systems hervorgehen. In diesem Sinne hat es natürlich viele Ähnlichkeiten mit dem Faschismus der 1930er Jahre. Aber der Faschismus war das Produkt einer wirklichen Konterrevolution, einer historischen Niederlage, die die Arbeiterklasse erlitten hatte, und drückte direkt die Fähigkeit der herrschenden Klasse aus, das Proletariat für einen neuen weltweiten imperialistischen Krieg zu mobilisieren. Der Populismus hingegen ist das Ergebnis der Pattsituation zwischen den Klassen, was einen Mangel an Perspektive nicht nur auf Seiten der Arbeiterklasse, sondern auch auf Seiten der Bourgeoisie selbst impliziert. Er ist Ausdruck eines wachsenden Kontrollverlustes der Bourgeoisie über ihren politischen Apparat, einer zunehmenden Fragmentierung sowohl innerhalb der einzelnen Nationalstaaten als auch auf der Ebene der internationalen Beziehungen. Wenn das Aufkommen des Populismus wirklich bedeuten würde, dass die Bourgeoisie die Möglichkeit wiedererlangt hat, die Arbeiterklasse in den Krieg zu führen, müssten wir zu dem Schluss kommen, dass der Begriff des Zerfalls, wie wir ihn bisher definiert haben, nicht mehr gültig ist. Es würde bedeuten, dass die Bourgeoisie jetzt eine "Perspektive" hat, die sie der Gesellschaft anbieten kann, auch wenn es eine völlig irrationale und selbstmörderische ist.
Genosse Steinklopfer argumentiert in seinem Änderungsantrag: "Der zeitgenössische Populismus ist ein weiteres deutliches Zeichen für eine Gesellschaft, die auf einen Krieg zusteuert:
Mit anderen Worten, die populistischen Bewegungen sind gleichzeitig ein Symptom und ein aktiver Faktor für den Drang zum Krieg".
Mit anderen Worten: Phänomene wie der Brexit in Großbritannien oder der Trumpismus in den USA seien nicht in erster Linie eine Folge des Kontrollverlustes der Bourgeoisie über ihren politischen (und zunehmend auch wirtschaftlichen) Apparat, ein konzentrierter Ausdruck der Kurzsichtigkeit und der Zersplitterung der herrschenden Klasse. Im Gegenteil: Die populistischen Fraktionen seien die besten Vertreter einer Bourgeoisie, die sich hinter der Kriegsmobilisierung wirklich vereinige.
Angesichts dieser Sicht über die Richtung, in der sich die Dinge entwickeln, ist es nicht verwunderlich, dass Genosse Steinklopfer wenig wahrnimmt, was sich dem Drang der Bourgeoisie zum Krieg entgegenstemmt: Trotz der sich abzeichnenden Äußerungen des revolutionären Charakters der Klasse in den Jahren 2006 und 2011 könnten wir heute nicht einmal Anzeichen einer unterirdischen Reifung des Bewusstseins erkennen, die darauf hindeuten würden, dass die Bourgeoisie nicht alle Karten zu ihren Gunsten gezinkt hätte.
Sicherlich haben wir, wie der Genosse uns zurecht daran erinnert, immer argumentiert, dass sich das proletarische Bewusstsein auch in einer Zeit der Konterrevolution, in der es in seinem Ausmaß stark eingeschränkt ist, weiter entwickeln kann. – Eben weiter, aber nicht vollständig, und zwar als Ergebnis der Arbeit revolutionärer Organisationen, wie wir dies bei der Arbeit der italienischen und französischen Fraktionen der Kommunistischen Linken in den 30er und 40er Jahren gesehen haben. Aber wenn die Bewusstseinsentwicklung selbst in solchen Perioden fortschreitet, was bedeutet dann der Begriff "unterirdische Regression", also des Rückschritts des Reifungsprozesses? Würde er nicht bedeuten, dass die Situation heute noch schlimmer sei als in den 1930er Jahren? Aus dem Text des Genossen geht nicht klar hervor, wie lange dieser Prozess der unterirdischen Regression schon andauert: Wenn wir in den Jahren 2006 und 2011 eine allgemeine Bewusstseinsentwicklung bei der jungen Generation sehen, wäre es logisch zu argumentieren, dass diesen Bewegungen ein "unterirdischer" Reifungsprozess vorausgegangen ist. Auf jeden Fall sind wir uns einig darüber, dass auf der Ebene der offenen Kämpfe und des Ausmaßes des Klassenbewusstseins diesen Fortschritten, wie bei praktisch jeder Aufwärtsbewegung der Klasse, eine Phase des Rückzugs und der Regression folgte: So gerieten einige Jahre nach der Indignados-Bewegung, die in Barcelona besonders stark gewesen war, einige derselben Jugendlichen, die 2011 an Versammlungen und Demonstrationen teilgenommen hatten, die eindeutig internationalistische Parolen vertreten hatten, nun in die absolute Sackgasse des katalanischen Nationalismus.
Aber das beweist nicht, dass der alte Maulwurf selbst beschlossen hätte, sich auszuruhen, weder 2012 noch früher. Der Zeitraum 2006-2011 ging mit dem Aufkommen einer politisierten Minderheit einher, die viel versprechend war, aber weitgehend in den Sümpfen des Anarchismus und der Moderne unterging, so dass ihr tatsächlicher Beitrag zur realen Entwicklung des revolutionären Milieus äußerst begrenzt war. Die suchenden Minderheiten, die sich in den letzten Jahren trotz ihrer Jugend und Unerfahrenheit entwickelt haben, scheinen auf einem höheren Niveau zu beginnen als diejenigen, denen wir ein Jahrzehnt zuvor begegnet sind: Sie sind sich insbesondere der Endlichkeit des kapitalistischen Systems und der Notwendigkeit, sich mit der Tradition der Kommunistischen Linken erneut auseinander zu setzen, stärker bewusst. Unserer Ansicht nach sind solche Fortschritte gerade das Produkt einer unterirdischen Reifung.
Die Tatsache, dass die jüngsten Bewegungen, die sich von Anfang an auf dem Terrain der "Reform" der bürgerlichen Gesellschaft befinden, wie die Demonstrationen rund um die Klimafrage, oft den Anspruch erheben, das Problem auf der Ebene des existierenden Systems, der kapitalistischen Gesellschaft selbst, zu verorten, drückt, so Genosse Steinklopfer, nur das Vertrauen der herrschenden Klasse aus, die es sich leisten kann, heiße Luft zu produzieren über die Notwendigkeit, über den Kapitalismus hinauszugehen, eben weil sie keinerlei Angst davor hat, dass die Arbeiterklasse einen solchen Diskurs ernst nimmt. Aber es ist nicht weniger plausibel, dass diese antikapitalistischen Diskurse ein typischer Antikörper der bürgerlichen Gesellschaft sind, die ein tiefes Bedürfnis danach hat, jede beginnende Infragestellung ihrer fundamentalen Grundlagen zum Entgleisen zu bringen. Mit anderen Worten: In dem Maße, wie der apokalyptische Charakter dieses Systems immer offensichtlicher wird, wird es für die bürgerliche Ideologie immer notwendiger, ein authentisches Verständnis ihrer Wurzeln und der wirklichen Alternative zu verhindern.
Am Ende des Textes von Genosse Steinklopfer ist es schwer zu erkennen, woher die Wiederbelebung der Klassenidentität und der revolutionären Perspektive kommen soll. Wir haben den Eindruck, dass er in einen tiefen Pessimismus verfallen ist. Der Genosse hat nicht Unrecht, wenn er darauf hinweist, dass die wirtschaftlichen Kämpfe, der unmittelbare Widerstand gegen die Angriffe auf den Lebensstandard, an sich nicht ausreichen, um ein klares revolutionäres Bewusstsein zu erzeugen. Aber sie bleiben dennoch absolut unerlässlich, wenn die Arbeiterklasse wieder ein Gefühl für sich selbst als eine ausgeprägte soziale Kraft erlangen soll, vor allem in einer Zeit, in der die wachsende Unruhe über den Zustand der kapitalistischen Gesellschaft in Richtung einer Vielzahl von klassenübergreifenden und offen bürgerlichen Mobilisierungen getrieben wird. In den 1930er Jahren, inmitten all des Rummels um die revolutionären Eroberungen der spanischen Arbeiter*innen, standen die Genossen von Bilan fast allein da mit der Behauptung, dass unter solchen Bedingungen der kleinste Streik um wirtschaftliche Forderungen (vor allem in den von der CNT kontrollierten Kriegsindustrien!) ein erster Schritt wäre, damit die Arbeiterklasse den Weg zurück auf ihr eigenes Terrain findet. Die jüngsten Streiks rund um die Rentenfrage in Frankreich und in einer Reihe von Ländern rund um Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zu Beginn der Covid-Pandemie waren viel weniger "berichtenswert" als die Märsche von "Friday for Future" oder die Märsche der "Black Lives Matter"-Bewegung, aber sie leisten einen wirklichen Beitrag zu einer künftigen Wiedererlangung der Klassenidentität, während letztere ihr nur im Wege stehen können.
Wir stimmen natürlich mit Genosse Steinklopfer darin überein, dass die Wiedererlangung der Klassenidentität und die Entwicklung eines revolutionären Bewusstseins untrennbar miteinander verbunden sind: Damit die Arbeiterklasse wirklich versteht, was sie ist, muss sie auch verstehen, was sie historisch sein muss, wie Marx es ausdrückte: die Trägerin einer neuen Gesellschaft. Und wir stimmen auch darin überein, dass die Organisationen der Kommunistischen Linken in diesem dynamischen Prozess eine unverzichtbare Rolle spielen. Der Genosse lässt uns mit einem sehr strengen Urteil über die tatsächliche Rolle zurück, die diese Organisationen im letzten Jahrzehnt und darüber hinaus gespielt hätten:
"Doch im Laufe der Geschichte haben winzige Minderheiten ohne jegliche Beteiligung der Massen regelmäßig Ideen entwickelt, die in der Lage sind, die Welt zu revolutionieren und schließlich "die Massen zu erobern". Eine der Hauptschwächen des Proletariats in den zwei Jahrzehnten nach 1989 war in der Tat das Versagen seiner Minderheiten, dieses Werk zu vollenden. Die historischen Gruppen der Kommunistischen Linken tragen eine besondere Verantwortung für dieses Scheitern. Als eine neue Generation von politisierten Proletarierinnen und Proletariern auftauchte (wie die Indignados in Spanien oder die verschiedenen Occupy Bewegungen im Gefolge der "Finanz-" und der "Euro"-Krise nach 2008), war das bestehende proletarische politische Milieu nicht in der Lage, sie ausreichend mit den politischen, theoretischen Waffen zu rüsten, die sie gebraucht hätten, um sich zu orientieren und sich inspiriert zu fühlen, sich der Aufgabe zu stellen, den Anfang vom Ende des proletarischen Rückflusses einzuleiten."
Daraus geht überhaupt nicht hervor, wie und mit welchen theoretischen Beiträgen die Organisationen der Kommunistischen Linken die neue Generation so weit hätten bewaffnen können, dass sie den Rückzug, der auf die Bewegungen von 2011 folgte, hätten vermeiden können. Aber hinter diesem Urteil scheint ein methodisches Problem zu stecken. Die Organisationen der Kommunistischen Linken müssen die Fehler, die sie gegenüber der "neuen Generation von politisierten Proletarier*innen" begangen haben, sicherlich heftig kritisieren, Fehler vor allem opportunistischer Natur. Diese Kritik ist vor allem deshalb notwendig, weil sie sich in einem Bereich von Umständen abspielt, die kleine revolutionäre Gruppen direkt beeinflussen können: die Umgruppierung der Revolutionäre, die Schritte, die notwendig sind, um ein lebendiges und verantwortungsvolles revolutionäres Milieu aufzubauen und damit die Grundlagen für die Partei der Zukunft zu legen. Aber es scheint an Substitutionismus (unsere Aktivitäten könnten die der Arbeiterklasse ersetzen …) zu grenzen, wenn man annimmt, dass allein unsere theoretisch-politischen Bemühungen den Rückfluss nach 2011 hätten aufhalten können, der im Wesentlichen die Fortsetzung eines Prozesses war, der seit 1989 in vollem Gange war. Zukünftige Diskussionen werden darüber entscheiden, ob es hier wirklich eine Divergenz in der Frage der Organisation gibt.
IKS, 24. August 2020
[3] Orientierungstext: Militarismus und Zerfall, /content/758/orientierungstext-militarismus-und-zerfall [4]
[4] Siehe insbesondere die Punkte 10-13 der Resolution zur internationalen Lage (2019): imperialistische Spannungen, Leben der Bourgeoisie, Wirtschaftskrise; https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der [5]
[5] Siehe zum Beispiel: International Review 26 (engl./frz./span. Ausgabe), 1981: In Polen wird ein Bresche eröffnet, https://en.internationalism.org/content/3106/perspectives-international-class-struggle-breach-opened-poland [6]
"So werden in den Bananenrepubliken Ergebnisse angefochten." Die Erklärung folgte auf das Eindringen von mehreren hundert Donald Trump-Anhängern ins Kapitol, die gekommen waren, um die Beurkundung von Joe Bidens Sieg am 5. Januar zu unterbrechen. Man sollte meinen, dass ein solch harsches Urteil über die politische Situation in den Vereinigten Staaten von jemandem kommen würde, der diesem Land grundsätzlich feindselig gegenübersteht, oder von einem amerikanischen "Linken". Nichts von alledem: Es wurde vom ehemaligen Präsidenten George W. Bush verfasst, der zudem derselben Partei angehört wie Trump. Dies zeigt die Ernsthaftigkeit dessen, was an diesem Tag in Washington geschah.
Wenige Stunden zuvor, am Fuße des Weißen Hauses, wiegelte der besiegte Präsident die Menge seiner Unterstützer wie ein Demagoge in der Dritten Welt auf: "Wir werden niemals aufgeben! Wir werden diese Niederlage niemals eingestehen! Wir werden unser Land niemals zurückerobern, wenn wir schwach sind! Ich weiß, dass alle hier bald zum Capitol Hill marschieren werden, friedlich, patriotisch, um Ihren Stimmen Gehör zu verschaffen.“ Nach diesem kaum verschleierten Aufruf zum Aufruhr musste die rachsüchtige Menge, angeführt von faschisierenden Trump-Horden (wie den Proud Boys), nur die National Mall zum Kapitol hinauflaufen und das Gebäude stürmen, vor den Augen der völlig überforderten Ordnungskräfte. Wie kommt es, dass die Reihen von Polizisten, die den Zugang zum Kapitol schützen sollten, die Angreifer passieren ließen, während die umfassenden Sicherheitsvorkehrungen während der Black-Lives-Matter-Proteste vor demselben Gebäude verhindert hatten, dass diese aus dem Ruder liefen?
Diese erschreckenden Bilder konnten nur die Theorie aufkommen lassen, dass der Angriff auf dieses Wahrzeichen der amerikanischen Demokratie ein "politisches 9/11" war.
Angesichts des Chaos ließen die Behörden jedoch nicht lange auf sich warten: Bereitschaftstruppen und die Nationalgarde wurden eingesetzt, Schüsse fielen, die vier Todesopfer forderten, eine Ausgangssperre wurde verhängt, während die Armee in den Straßen Washingtons patrouillierte... Diese völlig halluzinierenden Bilder erinnern in der Tat an die Zeit nach den Wahlen in den "Bananenrepubliken" der Länder der Dritten Welt, die von den blutigen Rivalitäten der Mafia-Cliquen zerrissen werden. Aber diese Ereignisse, die internationale Schlagzeilen gemacht haben, sind nicht das Werk eines exotischen größenwahnsinnigen Generals. Sie fanden im Herzen der führenden Weltmacht, in der "größten Demokratie der Welt" statt.
Die "Entweihung des Tempels der amerikanischen Demokratie" durch einen zusammengewürfelten Mob weißer Rassisten, die mit Handy-Selfiesticks bewaffnet waren, oder durch fanatische bewaffnete Milizen, oder durch solche Leute wie der ‚Verschwörer‘, der einen Helm mit Hörnern trug, ist ein unverhohlener Ausdruck der wachsenden Gewalt und Irrationalität, die die Gesellschaft in den Vereinigten Staaten plagen. Die Risse innerhalb ihres politischen Apparats, das Aufblühen des Populismus seit Trumps Wahl, sind Illustrationen für die Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaft.
Wie wir seit Ende der 1980er Jahre betonen[1] ist das kapitalistische System, das mit dem Ersten Weltkrieg in die Dekadenz eingetreten ist, seit mehreren Jahrzehnten in die letzte Phase dieser Dekadenz, die des Zerfalls, versunken. Die spektakulärste Erscheinung dieser Situation war der Zusammenbruch des Ostblocks vor drei Jahrzehnten. Dieses Schlüsselereignis war nicht nur ein Zeichen für die Fragilität der Regime, die in den Ländern dieses Blocks herrschten. Sie war Ausdruck eines historischen Phänomens, das die gesamte kapitalistische Gesellschaft auf globaler Ebene betraf und sich seither immer weiter verschlimmert hat.
Bisher konnte man die offensichtlichsten Zeichen dieses Zerfalls in den ohnehin schon sehr schwachen Ländern der „Peripherie“ sehen. Wütende Menschenmassen, die als Kanonenfutter für die Interessen dieser oder jener bürgerlichen Clique dienten, zunehmende Gewalt im Alltag, an vielen Orten finsteres Elend, die Destabilisierung von Staaten, ja ganzer Regionen... All das schien das besondere Schicksal der "Bananenrepubliken" zu sein.
Dieser allgemeine Trend hat in den letzten Jahren zunehmend auch die "zentralen" Länder erfasst. Natürlich sind nicht alle Staaten in gleicher Weise betroffen, aber es ist klar, dass der Zerfall die mächtigsten Länder jetzt voll erfasst: Die Zunahme der Terroranschläge in Europa, die Überraschungssiege solch verantwortungsloser Gestalten wie Trump oder Boris Johnson, die Ausbreitung irrationaler Ideologien und vor allem die katastrophale Bewältigung der Coronavirus-Pandemie, die für sich allein schon die beispiellose Beschleunigung des Zerfalls zum Ausdruck bringt...
Der gesamte Weltkapitalismus, auch seine "zivilisiertesten" Teile, bewegt sich unaufhaltsam und mit immer heftigeren Erschütterungen in Richtung Barbarei.
Während die Vereinigten Staaten heute unter den entwickelten Ländern am meisten von dieser Fäulnis betroffen sind, stellen sie auch eine der Hauptquellen der Instabilität dar. Die Unfähigkeit der Bourgeoisie zu verhindern, dass ein Milliardär und eine populistische Figur, ein Produkt des Reality-TV, Präsident wird, war bereits Ausdruck eines wachsenden Chaos im amerikanischen politischen Apparat. Während seiner Amtszeit fuhr Trump fort, die rassischen und anderen "Risse" in der US-Gesellschaft zu vertiefen und das Chaos auf der ganzen Welt mit seinen Hetz- und Brandreden, die er stolz als erfolgreiche subtile Techniken von Geschäftsleuten darstellte, zu schüren. Man wird sich an seinen Verdruss mit dem amerikanischen Generalstab erinnern, der ihn in letzter Minute daran gehindert hatte, den Iran zu bombardieren, oder an sein "historisches Treffen" mit Kim Jong-un, den er ein paar Wochen zuvor so fein als "Raketenmann" tituliert hatte.
Als die COVID-19 Pandemie ausbrach, wurde deutlich, wie stark alle Staaten nach Jahrzehnten des kontinuierlichen Abbaus und Kürzungen im Gesundheitswesen brutal nachlässig vorgegangen waren. Aber auch hier stand der von Donald Trump geführte US-Staat an der Spitze der Katastrophe, sowohl im Inland mit einer Rekordzahl von Todesfällen[2], als auch international, indem er eine globale Institution der Zusammenarbeit wie die WHO destabilisierte.
Der Angriff auf den Capitol Hill durch die Trumpschen Horden war ganz im Sinne dieser Dynamik des explodierenden Chaos auf allen Ebenen der Gesellschaft. Dieses Ereignis ist ein Ausdruck der wachsenden, völlig irrationalen und zunehmend gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Teilen der Bevölkerung (die "Weißen" gegen die "Schwarzen", die "Eliten" gegen das "Volk", Männer gegen Frauen, Heterosexuelle gegen Homosexuelle usw.), deren karikierter Ausdruck das Auftreten von bis an die Zähne bewaffneten rassistischen Milizen und völlig wahnhaften Verschwörern ist.
Aber diese "Risse" sind vor allem ein Spiegelbild der offenen Konfrontation zwischen den Fraktionen der amerikanischen Bourgeoisie, mit den Populisten um Trump auf der einen Seite und den Fraktionen, die sich mehr um die langfristigen Interessen des nationalen Kapitals kümmern, auf der anderen Seite: Innerhalb der Demokratischen Partei und bei den Republikanern, in der Maschinerie des Staatsapparats und des Militärs, bei den großen Nachrichtensendern oder auf der Bühne der Hollywood-Zeremonien gab es ständig – manchmal sehr heftige - Kampagnen, Widerstand und symbolische Gesten gegen den populistischen Präsidenten.
Diese Zusammenstöße zwischen verschiedenen Teilen der Bourgeoisie sind nichts Neues. Aber in einer "Demokratie" wie den Vereinigten Staaten und im Gegensatz zu dem, was in Ländern der Dritten Welt geschieht, wurden sie im Rahmen von Institutionen, im Rahmen der "Achtung der Ordnung" ausgetragen. Die Tatsache, dass diese Zusammenstöße in dieser "Musterdemokratie" nun diese chaotische und gewalttätige Form annehmen, zeugt von einer dramatischen Verschärfung des Chaos innerhalb des politischen Apparates der herrschenden Klasse, ein bedeutender Schritt beim Versinken des Kapitalismus in seinem Zerfall.
Indem er seine Anhänger auf diese Weise anstachelt, hat Trump nach seiner Niederlage bei den letzten Präsidentschaftswahlen, deren Ergebnis er immer noch nicht anerkennen will, einen neuen Schritt bei seiner Politik der "verbrannten Erde" gemacht. Der Gewaltstreich gegen das Kapitol, eine Instanz der gesetzgebenden Gewalt und Symbol der amerikanischen Demokratie, hat eine Spaltung innerhalb der republikanischen Partei bewirkt, deren "moderateste" Fraktion tatsächlich nur diesen "Putsch" gegen die Demokratie anprangern und sich von Trump distanzieren konnte, um zu versuchen, Abraham Lincolns Partei zu retten. Die Demokraten wiederum konnten jetzt auf den Plan treten, um lautstark die Verantwortungslosigkeit und das kriminelle Verhalten von Trump an den Pranger zu stellen, der seine am meisten erregten Anhänger noch weiter aufgehetzt hatte[3].
Bei dem Versuch, das Image Amerikas angesichts der Bestürzung der gesamten Weltbourgeoisie wiederherzustellen und die Explosion des Chaos im "Land der Freiheit und Demokratie" einzudämmen, haben sich Joe Biden und seine Clique sofort noch mehr in den Kampf gegen Trump gestürzt. Sie beeilten sich, das unverantwortliche Handeln dieses gestörten Staatsoberhauptes anzuprangern, das es ihm nicht mehr erlaube, dreizehn Tage vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten an der Macht zu bleiben.
Die Reihe von Rücktritten republikanischer Kabinettsminister, Forderungen nach Trumps Rücktritt oder Amtsenthebung und Empfehlungen an das Pentagon, seine Handlungen genau zu überwachen, damit er nicht den nuklearen Knopf drückt, verdeutlichen den Willen, den jetzt noch amtierenden Präsidenten aus dem politischen Treiben auszuschalten. Nach dem Angriff auf das Capitol Hill hat diese politische Krise dazu geführt, dass die Hälfte der Wählerschaft von Trump abgerückt ist, während die andere Hälfte den Angriff auf den heiligen Tempel der Demokratie weiterhin unterstützt und rechtfertigt. Die politische Karriere von Trump scheint sehr stark bedroht zu sein. Es wird alles unternommen, damit er nicht mehr wählbar ist und nicht mehr bei den Wahlen 2024 antreten kann. Der abgewählte Präsident hat jetzt nur noch ein Ziel: seine eigene Haut zu retten angesichts der drohenden rechtlichen Schritte wegen seiner Aufrufe zum Aufstand.
Nachdem er seine Anhänger in der Nacht ihres Angriffs auf das Kapitol aufgefordert hatte, "friedlich nach Hause zurückzukehren", ohne ihr Handeln zu verurteilen, ruderte Trump zwei Tage später weiter zurück: Er nannte den Angriff "abscheulich" und sagte, er sei "empört über die Gewalt". Und da er sich weiterhin bedeckt hielt, erkannte er schließlich seine Wahlniederlage mit einem Lippenbekenntnis an und sagte, dass er den "Thron" Biden überlassen würde, aber dass er bei der Übergabezeremonie am 20. Januar nicht anwesend sein würde.
Vielleicht ist Trump endgültig aus dem politischen Rennen rausgeflogen, aber der Populismus nicht! Diese reaktionäre und obskurantistische Ideologie ist eine Bewegung, die nur mit dem globalen Phänomen des sich verschlimmernden sozialen Zerfalls, dessen Epizentrum jetzt die Vereinigten Staaten sind, zunehmen kann. Die amerikanische Gesellschaft ist mehr denn je gespalten, zersplittert. Der Anstieg der Gewalt wird sich fortsetzen mit der ständigen Gefahr von Zusammenstößen (auch bewaffneten) in der Bevölkerung. Bidens Rhetorik der "Versöhnung des amerikanischen Volkes" zeigt, dass er den Ernst der Lage spürt. Auch wenn er hier und da vorübergehende Teilerfolge erzielen mag, wird er nicht in der Lage sein, den tieferliegenden Trend der Konfrontation und der sozialen Verwerfung in der führenden Macht der Welt zu stoppen.
Die größte Gefahr für das Proletariat in den Vereinigten Staaten besteht darin, sich in die Konfrontation zwischen den verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie hineinziehen zu lassen. Ein guter Teil von Trumps Wählerschaft besteht aus Arbeitern, die die Eliten ablehnen und nach einem "vom Schicksal Gesandten" suchen. Trumps Politik der ‚Wiederbelebung‘ der Industrie hatte viele Arbeiter aus dem "Rostgürtel", die ihre Jobs verloren hatten, hinters Licht geführt und sie dazu bewogen, für ihn zu stimmen. Es besteht die Gefahr von Zusammenstößen zwischen Arbeitern, die für Trump oder für Biden waren. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass der Zusammenbruch der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten die Rassenspaltung und die seit langem bestehende Kluft zwischen Weißen und Schwarzen weiter verschärft, indem er Identitätsideologien vorantreibt.
Die Tendenz, dass die Bourgeoisie die Kontrolle über ihr politisches Treiben verliert, wie wir mit Trumps Amtszeit als Präsident gesehen haben, bedeutet nicht, dass die Arbeiterklasse von der Zersetzung des Kapitalismus profitieren kann. Im Gegenteil, die herrschende Klasse wendet die Auswirkungen des Zerfalls ständig gegen die Arbeiterklasse. Schon 1989, als der Zusammenbruch des Ostblocks ein spektakuläres Zeichen des Zerfalls des Kapitalismus war, nutzte die Bourgeoisie der großen Länder dieses Ereignis, um durch eine massive Propagandakampagne eine gigantische globale Kampagne zur Lobpreisung der Demokratie zu entfesseln, die die Barbarei der stalinistischen Regime und die wahre kommunistische Gesellschaft in einen Topf schmeißen sollte. Die irreführenden Reden über "den Tod der revolutionären Perspektive" und "das Verschwinden der Arbeiterklasse" hatten das Proletariat desorientiert und einen tiefen Rückgang seines Bewusstseins und seiner Kampfbereitschaft verursacht. Heute instrumentalisiert die Bourgeoisie die Ereignisse auf dem Capitol Hill mit einer neuen internationalen Kampagne zum Aufpäppeln des Rufes der bürgerlichen Demokratie.
Während die "Aufständischen" noch den Capitol Hill besetzten, erklärte Biden sofort: "Ich bin schockiert und traurig, dass unsere Nation, die sehr lange ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Demokratie war, vor einem so dunklen Moment steht. ... Die Arbeit von heute und den nächsten vier Jahren wird sein, die Demokratie wiederherzustellen", gefolgt von einer Kaskade ähnlicher Aussagen, auch innerhalb der Republikanischen Partei. Die gleichen Töne kamen aus dem Ausland, insbesondere seitens der Führer der größten Länder Westeuropas. „Die verstörenden Bilder von der Erstürmung des Kongresses hätten sie "wütend und auch traurig gemacht"…Bidens Reaktion und die aus den Reihen der beiden großen Parteien der USA "machen mich aber ganz sicher: Diese Demokratie wird sich als viel stärker erweisen als die Angreifer und Randalierer“, sagte Merkel. "Wir werden der Gewalt einiger weniger, die die [Demokratie] herausfordern wollen, nicht nachgeben", sagte Macron. „Mein ganzes Leben lang hat Amerika sehr wichtige Dinge repräsentiert: eine Idee von Freiheit und eine Idee von Demokratie", sagte Johnson. Nach der Mobilisierung für die Präsidentschaftswahlen, die eine Rekordbeteiligung verzeichnete, und der Black-Lives-Matter-Bewegung, die eine "sauberere" und "gerechtere" Polizei fordert, versucht die gesamte Weltbourgeoisie, das Proletariat um die Verteidigung des demokratischen Staates gegen den "Populismus" zu scharen. Das Proletariat wird aufgerufen, sich der "demokratischen" Clique gegen den "Diktator" Trump anzuschließen. Diese falsche "Wahl" ist reine Mystifikation und eine echte Falle für die Arbeiterklasse!
Wird der "Demokrat" Biden vor dem Hintergrund des internationalen Chaos, das Trump ständig anheizt, eine "gerechtere Weltordnung" durchsetzen? Nein, sicher nicht! Der Friedensnobelpreisträger Barack Obama und sein ehemaliger Vizepräsident Joe Biden waren acht Jahre lang ununterbrochen an Kriegen beteiligt! Die Spannungen mit China, Russland, Iran und all den anderen imperialistischen Haien werden nicht auf wundersame Weise verschwinden.
Wird Biden Migranten ein humaneres Schicksal bescheren? Um eine realistische Vorstellung zu bekommen, muss man nur sehen, wie grausam alle seine Vorgänger und alle "großen Demokratien" diese "Unerwünschten" behandeln! Es sei daran erinnert, dass es in den acht Jahren der Präsidentschaft Obamas (von denen Biden Vizepräsident war) mehr Abschiebungen von Einwanderern gab als in den acht Jahren der Präsidentschaft des Republikaners George W. Bush. Obamas Einwanderer-feindliche Maßnahmen haben nur den Weg für Trumps Einwanderer-feindliche Eskalation geebnet.
Werden die wirtschaftlichen Angriffe auf die Arbeiterklasse mit der sogenannten "Rückkehr der Demokratie" aufhören? Sicherlich nicht! Das Versinken der Weltwirtschaft in eine hoffnungslose Krise, die durch die Covid-19-Pandemie noch verschärft wird, wird zu einer Explosion der Arbeitslosigkeit, zu mehr Elend, zu mehr Angriffen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Ausgebeuteten in allen zentralen Ländern führen, die von "demokratischen" Regierungen geführt werden. Und wenn es Joe Biden gelingt, mit der Polizei "aufzuräumen", werden die Repressionskräfte des "demokratischen" Staates, in den USA wie in allen Ländern, weiterhin gegen jede Bewegung der Arbeiterklasse entfesselt werden und jeden Versuch unterdrücken, ihre grundlegendsten Bedürfnisse zu verteidigen.
Von einer "Rückkehr der amerikanischen Demokratie" ist daher nichts zu erwarten. Die Arbeiterklasse darf sich nicht von den Lockrufen der "demokratischen" Fraktionen des bürgerlichen Staates einlullen und in die Falle locken lassen. Sie darf nicht vergessen, dass es der herrschenden Klasse im Namen der Verteidigung der "Demokratie" gegen den Faschismus gelang, unter der Ägide ihrer linken Fraktionen und Volksfronten Dutzende Millionen Proletarier für den Zweiten Weltkrieg zu rekrutieren. Die bürgerliche Demokratie ist nur das hinterhältigste und heuchlerischste Gesicht der Diktatur des Kapitals!
Der Angriff auf das Kapitol ist ein weiteres Symptom für ein in der Agonie befindliches System, das die Menschheit in seinem langsamen Abstieg in die Hölle zieht. Angesichts der verrottenden bürgerlichen Gesellschaft kann nur die Weltarbeiterklasse, indem sie ihre Kämpfe auf ihrem eigenen Klassenterrain gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise entwickelt, den Kapitalismus überwinden und der Gefahr der Zerstörung des Planeten und der menschlichen Gattung in einem zunehmend gewaltsamen Chaos ein Ende setzen.
IKS, 10. Januar 2021
[1]Siehe dazu unsere „Thesen zum Zerfall“ und den „Bericht über den Zerfall heute“
[2]Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels gab es offiziell in den USA 363 581 Todesfälle und nahezu 22 Millionen Infizierter. Quelle : https://www.bbc.com/mundo/noticias-51705060 [7]
[3]Wir werden in weiteren Artikeln in Zukunft darauf zurückkommen.
2017 zeigte die Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney in ihrem Buch 1918 – Die Welt im Fieber (Originaltitel Pale Rider), wie der internationale Kontext und die Funktionsweise der Gesellschaft im Jahr 1918 entscheidend zum Ausgang der sogenannten „Spanischen“ Grippe-Pandemie beitrugen: „Im Grunde hat uns die Spanische Grippe gelehrt, dass eine weitere Grippe-Pandemie unvermeidlich ist, dass aber ihr Gesamtzoll – ob 10 oder 100 Millionen Opfer – allein von der Welt abhängt, in der sie auftritt“. Da die Welt seit einigen Monaten mit Covid-19 konfrontiert ist, bringt uns diese Lektion dazu, uns zu fragen, was diese Pandemie uns über die Welt, in der wir leben, lehrt.
Die Verbindung zwischen der Entwicklung einer Infektion einerseits und der Organisation und dem Zustand der Gesellschaft andererseits ist nicht nur bei der Spanischen Grippe von 1918-1920 gegeben. In der Tat entdeckte der Marxismus, dass im Allgemeinen die Produktionsweise einer Epoche die gesellschaftliche Organisation bedingt und damit auch alles, was die Individuen betrifft, die diese Gesellschaft ausmachen.
In der dekadenten Zeit des Weströmischen Reiches ermöglichten es die Existenzbedingungen und die Expansionspolitik des Reiches, dass sich der Pestbazillus spektakulär ausbreiten und ein wahres Massensterben unter der Bevölkerung verursachen konnte: „Die öffentlichen Bäder waren Brutstätten; die Abwasserkanäle stagnierten unter den Städten; die Kornkammern waren ein Segen für die Ratten; die Handelswege, die das ganze Reich verbanden, ermöglichten die Ausbreitung von Epidemien vom Kaspischen Meer bis zum Hadrianswall mit einer bis dahin unbekannten Effizienz“.[1]
Der Schwarze Tod, der im 14. Jahrhundert in Europa wütete, fand die Bedingungen für seine Ausbreitung sowohl in der Entwicklung des Handels mit Asien, Russland und dem Nahen Osten als auch in der Entwicklung des Krieges, insbesondere in Verbindung mit der Islamisierung der asiatischen Regionen.
Diese beiden Pandemien trugen wesentlich zum Niedergang der Sklaverei und der mittelalterlichen Gesellschaften bei, indem sie wichtige Teile der Gesellschaft zerstörten und sie desorganisierten. Es waren nicht Krankheiten, die den Zusammenbruch dieser Produktionssysteme herbeiführten, sondern vielmehr der Verfall dieser Systeme, der die Verbreitung von Infektionserregern begünstigte. Sowohl die Justinianische Pest als auch die Schwarze Pest haben zu einer Zerstörung beigetragen, die bereits in vollem Gange war, und diese zweifellos stark beschleunigt.
Seit dem Aufkommen des Kapitalismus sind Krankheiten ein ständiges Hindernis für das reibungslose Funktionieren der Produktion, indem sie die für die Wertschöpfung unverzichtbaren Arbeitskräfte außer Gefecht setzen. Sie sind immer auch ein Hindernis für imperialistische Aktivitäten gewesen, indem sie die auf den Schlachtfeldern mobilisierten Männer geschwächt haben.
Als der Virus der Spanischen Grippe begann, die Menschheit zu infizieren, brauchte die kapitalistische Welt mehr denn je menschliche Kraft auf höchstem Effizienzniveau. Diese Notwendigkeit war jedoch an Bedingungen geknüpft, die selbst der Nährboden für eine Pandemie waren, die zwischen 50 und 100 Millionen Menschen oder zwischen 2,5 und 5 % der Weltbevölkerung dahinraffte. Die Welt der Spanischen Grippe war eine Welt im Krieg. Der Erste Weltkrieg, der vier Jahre zuvor begonnen hatte und kurz vor seinem Ende stand, hatte bereits die neue Welt geprägt, eine Welt der kapitalistischen Dekadenz, der festgefahrenen Wirtschaftskrisen und der immer stärker werdenden imperialistischen Spannungen.
Aber der Krieg war noch nicht vorbei. Die Truppen waren immer noch an der Front und im Hinterland zusammengepfercht, was eine ansteckungsfördernde Umgebung schuf. Insbesondere der Transport der Soldaten von Amerika nach Europa erfolgte per Schiff unter erbärmlichen Bedingungen: Das Virus war weit verbreitet und die Männer landeten natürlich mit dem Virus in sich, ansteckend für die lokale Bevölkerung. Nach Kriegsende waren die Demobilisierung und Rückkehr der Soldaten in ihre Heimat ein starker Faktor der Ausbreitung der Epidemie, zumal die Soldaten durch vier Jahre Krieg geschwächt, unterernährt und ohne die geringste Versorgung waren.
Wenn wir über die Spanische Grippe sprechen, denken wir zwangsläufig an Krieg, aber der Krieg ist bei weitem nicht der einzige Faktor, der die Ausbreitung der Krankheit erklärt. Die Welt von 1918 war eine Welt, in der der Kapitalismus seine Produktionsweise bereits überall dort durchgesetzt hatte, wo ihn seine Interessen dazu zwangen, und schuf entsetzliche Ausbeutungsbedingungen. Es war eine Welt, in der die Arbeiter und Arbeiterinnen massenhaft untergebracht waren, zusammengepfercht in der Nähe von Fabriken, in Vierteln, in denen es Umwelt- und Luftverschmutzung, Unterernährung und einen allgemeinen Mangel an Gesundheitsdiensten gab. Es war eine Welt, in der der kranke Arbeiter ohne Versorgung nach Hause in sein Dorf geschickt wurde, wo er am Ende die meisten Leute ansteckte. Es war eine Welt von Bergleuten, die den ganzen Tag in unterirdischen Schächten eingesperrt waren, Gestein abbauten, um Kohle oder Gold zu gewinnen, mithilfe von Chemikalien, die ihren Körper ruinierten und ihr Immunsystem schwächten, und die nachts in engen Baracken untergebracht waren. Es war auch die Welt der Kriegsanstrengungen, in der das Fieber den Arbeiter nicht daran hindern sollte, in die Fabrik zu gehen, selbst wenn es bedeutete, alle Arbeiter vor Ort anzustecken.
Ganz allgemein war die Welt der Spanischen Grippe auch eine Welt, in der das Wissen über den Ursprung der Krankheiten und die Vektoren der Ansteckung im Allgemeinen unbekannt waren. Die Keimtheorie, die die Rolle von körperexternen Infektionserregern bei der Krankheit in den Vordergrund schob, steckte noch in den Kinderschuhen. Obwohl man begann, Mikroben zu beobachten, wurde die Existenz von Viren nur von wenigen Wissenschaftlern vermutet: Zwanzigmal kleiner als ein Bakterium, war ein Virus zu dieser Zeit mit optischen Mikroskopen nicht beobachtbar. Die Medizin war noch wenig entwickelt und für die große Mehrheit der Bevölkerung unzugänglich. Traditionelle Heilmittel und Glaubensvorstellungen aller Art dominierten den Kampf gegen diese unbekannte, erschreckende und oft verheerende Krankheit.
Das Ausmaß der menschlichen Katastrophe, die durch die Spanische Grippe-Pandemie verursacht wurde, hätte sie zur letzten großen Gesundheitskatastrophe für die Menschheit machen sollen. Die Lehren, die daraus hätten gezogen werden können, die Anstrengungen, die auf die Erforschung von Infektionen hätten gerichtet werden können, die beispiellose Entwicklung der Technologie seit dem Aufkommen des Kapitalismus hätten dazu führen können, dass die Menschheit den Kampf gegen die Krankheit gewinnt.
Die Bourgeoisie ist sich der Gefahr bewusst geworden, welche die Gesundheitsfragen für ihr System darstellen. Dieses Bewusstsein ist nicht in irgendeiner menschlichen oder fortschrittlichen Dimension zu sehen, sondern nur als Wille, die Arbeitskraft so wenig wie möglich zu schwächen, sie so produktiv und profitabel wie möglich zu halten. Dieser Wille war bereits in der Zeit des Aufstiegs des Kapitalismus nach der Cholera-Pandemie in Europa in den Jahren 1803 und 1840 aufgekeimt. Die Entwicklung des Kapitalismus ging einher mit einer Intensivierung des internationalen Handels und gleichzeitig mit der Erkenntnis, dass Grenzen keine Krankheitserreger aufhalten.[2] So begann die Bourgeoisie bereits 1850, mit den ersten internationalen Konventionen und vor allem mit der Gründung des Internationalen Amtes für öffentliche Hygiene (OIHP) im Jahr 1907 eine multilaterale Gesundheitspolitik zu betreiben. Zu dieser Zeit war das Vorhaben der Bourgeoisie offensichtlich, da diese Maßnahmen im Wesentlichen auf den Schutz der Industrieländer und den Schutz ihres Handels ausgerichtet waren, der für das Wirtschaftswachstum unerlässlich war. Das OIHP umfasste nur dreizehn Mitgliedsländer. Nach dem Krieg schuf der Völkerbund ein Hygienekomitee, dessen Berufung bereits internationaler war (seine Tätigkeit betraf etwa 70 % des Planeten), dessen erklärtes Programm aber immer noch darauf abzielte, durch die Förderung der Hygienepolitik sicherzustellen, dass alle Rädchen der kapitalistischen Maschine optimal funktionierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam mit der Gründung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und vor allem mit einem Programm zur Verbesserung der Gesundheit, dass sich nicht nur an die Mitgliedsstaaten, sondern an die gesamte Weltbevölkerung richtete, eine systematischere Herangehensweise an das Thema Gesundheit auf. Ausgestattet mit beträchtlichen Ressourcen, organisiert und finanziert die WHO Operationen zu vielen Krankheiten mit einem starken Schwerpunkt auf Prävention und Forschung.
Auch dahinter sollte man natürlich nicht eine plötzliche humanitäre Berufung der herrschenden Klasse sehen. Aber in einer Welt, die sich mitten im Kalten Krieg befand, wurde die Gesundheitspolitik als ein Mittel gesehen, um sicherzustellen, dass man, sobald der Krieg zu Ende war, auf die größtmögliche und produktivste Arbeitskraft zurückgreifen konnte, insbesondere während der Zeit des Wiederaufbaus – und auch später, um die Präsenz und die Herrschaft über die Entwicklungsländer und ihre Bevölkerungen aufrechtzuerhalten; die Gesundheitsvorsorge wurde als eine weniger kostspielige Lösung angesehen als die Behandlung der Kranken in Krankenhäusern.
Gleichzeitig haben sich Forschung und Medizin weiterentwickelt, was zu einer besseren Kenntnis der Infektionserreger, ihrer Funktionsweise und ihrer Bekämpfung geführt hat, insbesondere mit Antibiotika, die es ermöglichen, eine wachsende Zahl von Krankheiten bakteriellen Ursprungs zu heilen, und mit der Entwicklung von Impfstoffen. So sehr, dass die Bourgeoisie bereits in den 1950er Jahren zu glauben begann, dass die Schlacht gewonnen sei und viele Infektionskrankheiten nun der Vergangenheit angehörten: Die Entwicklung von Impfungen, insbesondere für Kinder, und der Zugang zu besserer Hygiene führten dazu, dass Kinderkrankheiten wie Masern oder Mumps selten wurden, dass die Pocken sogar ausgerottet wurden, ebenso wie die Kinderlähmung fast auf der ganzen Welt eliminiert wurde.[3] Das Kapital sollte nun auf eine unverwundbare, immer verfügbare und ausbeutbare Arbeitskraft zählen können.
Die anarchische Entwicklung des Kapitalismus in seiner Dekadenzphase, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts begann, hat einen starken demographischen Wandel, zunehmende Umweltzerstörung (insbesondere Abholzung), verstärkte Vertreibung von Menschen, unkontrollierte Verstädterung, politische Instabilität und Klimawandel hervorgebracht, alles Faktoren, die das Auftreten und die Verbreitung von Infektionskrankheiten begünstigen.[4] So tauchte Ende der 1970er Jahre ein neues Virus in der Menschheit auf und verursachte die bis heute andauernde AIDS-Pandemie. Die Hoffnungen der Bourgeoisie schwanden so schnell, wie sie entstanden waren. Denn zur gleichen Zeit trat das kapitalistische System in die letzte Phase seiner Existenz ein, nämlich in die seines Zerfalls. Die Entwicklung der Ursprünge und Folgen des Zerfalls des Kapitalismus ist nicht der Gegenstand dieses Artikels. Wir können jedoch feststellen, dass die eklatantesten Erscheinungen dieser Zersetzung sehr schnell die Gesundheitsfragen betrafen: das Jeder-für-sich, die kurzfristige Sichtweise und der fortschreitende Verlust der Kontrolle der Bourgeoisie über ihr System, all dies in einem Kontext einer immer tieferen und immer schwerer zu bekämpfenden Wirtschaftskrise.
Heute sticht die COVID-19-Pandemie als beispielhafter Ausdruck des kapitalistischen Zerfalls hervor. Sie ist das Ergebnis einer wachsenden Unfähigkeit der Bourgeoisie, eine Frage in die Hand zu nehmen, die sie selbst bei der Gründung der WHO im Jahr 1947 als Grundsatz festgelegt hatte: alle Bevölkerungen auf das höchstmögliche Gesundheitsniveau zu bringen. Ein Jahrhundert nach der Spanischen Grippe haben sich die wissenschaftlichen Kenntnisse über Krankheiten, deren Entstehung, Infektionserreger und Viren auf ein absolut unvergleichliches Niveau entwickelt. Die Gentechnik ermöglicht es heute, Viren zu identifizieren, ihre Mutationen zu verfolgen und wirksamere Impfstoffe herzustellen. Die Medizin hat immense Fortschritte gemacht und sich zunehmend gegen Traditionen und Religionen durchgesetzt. Sie hat auch eine sehr wichtige präventive Dimension angenommen.
Allerdings dominieren angesichts von COVID-19 die Ohnmacht der Staaten und die Panik vor dem Unbekannten. Während es der Menschheit hundert Jahre lang allmählich gelungen ist, die Natur zu beherrschen, befinden wir uns nun in einer Situation, in der dies immer weniger der Fall ist.
Covid-19 war in der Tat alles andere als ein Strohfeuer: Natürlich gab es HIV, das als Erinnerung daran diente, dass neue Pandemien noch kommen würden. Seitdem hat es aber auch SARS, MERS, Schweinegrippe, Zyka, Ebola, Chikungunya, Prionen, etc. gegeben. Fast verschwundene Krankheiten wie Tuberkulose, Masern, Röteln, Skorbut, Syphilis, Krätze und sogar Kinderlähmung sind wiederaufgetaucht.
All diese Warnungen hätten zu mehr Forschung und vorbeugenden Maßnahmen führen müssen; dies ist nicht geschehen. Nicht wegen Nachlässigkeit oder schlechter Risikoeinschätzung, sondern weil der Kapitalismus mit dem Zerfall notwendigerweise immer mehr in einer kurzfristigen Sichtweise gefangen ist, die auch dazu führt, dass er allmählich die Kontrolle über die Regulierungsinstrumente verliert, die es bis dahin ermöglicht haben, den Schaden zu begrenzen, der durch den ungezügelten Wettbewerb aller Akteure in der kapitalistischen Welt untereinander entstanden ist.
In den 1980er Jahren gab es erste Kritiken von Seiten der WHO-Mitgliedsstaaten, die der Meinung waren, dass die Präventionspolitik zu kostspielig geworden sei, vor allem wenn sie nicht direkt dem eigenen nationalen Kapital zugutekam. Die Impfungen begannen abzunehmen. Der Zugang zu Medikamenten wurde durch Kürzungen im öffentlichen Gesundheitssystem erschwert. Auf dem Rückzug ist sie aber auch alternativen „Medikamenten“ gewichen, die sich aus dem irrationalen Klima nähren, das durch den Verfall gefördert wird. So sind hundert Jahre später die empfohlenen „Heilmittel“ gegen das Virus (SARS-CoV-2) die gleichen wie die, die für die Spanische Grippe empfohlen wurden (Ruhe, Diät, Flüssigkeitszufuhr), zu einer Zeit, als noch nicht bekannt war, dass die Ursache der Krankheit ein Virus war.
Die Wissenschaft als Ganzes verliert ihre Glaubwürdigkeit und damit auch ihre Kredite und Subventionen. Die Erforschung von Viren, Infektionen und der Mittel ihrer Bekämpfung wurde fast überall aus Mangel an Ressourcen eingestellt. Nicht, dass sie so teuer wäre, aber ohne sofortige Rentabilität wird sie zwangsläufig als zu teuer angesehen. Die WHO gibt ihre Tuberkulose-Aktivitäten auf und wird von den Vereinigten Staaten aufgefordert, sich auf die Krankheiten zu konzentrieren, die sie als vorrangig ansieht, oder sie riskiert, ihren finanziellen Beitrag zu verlieren (den größten, 25% der Einnahmen).
Die Bedürfnisse der Wissenschaft, die immer noch versucht, langfristig zu arbeiten, sind nicht mit den Zwängen eines Systems in der Krise vereinbar, das den dringenden Anspruch auf eine direkte Rendite für jede Investition stellt. Zum Beispiel gibt es zu einer Zeit, in der das Zika-Virus weltweit als Krankheitserreger anerkannt ist, der Geburtsfehler verursachen kann, fast keine Forschung und keinen Impfstoff in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. Zweieinhalb Jahre später werden die klinischen Studien aufgeschoben. Das Fehlen eines profitablen Marktes zwischen den Epidemien ermutigt weder Regierungen noch Pharmaunternehmen, in diese Art von Forschung zu investieren.[5]
Heute ist die WHO praktisch zum Schweigen gebracht, und die Erforschung von Krankheiten liegt in den Händen der Weltbank, die ihr einen Kosten-Nutzen-Ansatz aufzwingt (mit der Einführung ihres DALY-Indikators, der auf dem Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Anzahl verlorener Lebensjahre basiert).
Wenn also ein Coronavirus-Spezialist, Bruno Canard, von „einem Langzeitprojekt“ spricht, „das schon 2003 und mit dem Auftreten des ersten SARS hätte begonnen werden müssen“, und ein Virologen-Kollege, Johan Neyts, mit Bedauern feststellt, dass „wir für 150 Millionen Euro in zehn Jahren ein Breitspektrum-Antivirus gegen Coronaviren gehabt hätten, das wir den Chinesen schon im Januar hätten geben können. Wir wären nicht da, wo wir heute sind“[6], so stellen sie sich gegen den Strom der aktuellen Dynamik des Kapitalismus.
So schrieb Marx bereits 1859 in seinem Beitrag Zur Kritik der Politischen Ökonomie: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen [...]. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um.“ Während die Menschheit über die wissenschaftlichen und technologischen Mittel zur Bekämpfung von Krankheiten wie nie zuvor verfügt, stellt die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Organisation ein Hindernis für die Verwirklichung dieser Mittel dar.
So sieht sich die Menschheit im Jahr 2020, die in der Lage ist, lebende Organismen in all ihren Formen zu kennen und zu beschreiben, wie sie funktionieren, gezwungen, die Mittel einer Vergangenheit aufzugreifen, in der noch Obskurantismus herrschte. Die Bourgeoisie schließt ihre Grenzen, um sich vor dem Virus zu schützen, so wie im 18. Jahrhundert eine Mauer gebaut wurde, um die Provence zu isolieren, die von der Pest befallen war. Kranke oder krankheitsverdächtige Menschen werden unter Quarantäne gestellt, so wie während des Schwarzen Todes die Häfen für fremde Schiffe gesperrt wurden. Die Bevölkerung wird eingeschlossen, öffentliche Plätze werden geschlossen, Freizeitaktivitäten und Versammlungen verboten und Ausgangssperren verordnet – gleich wie es namentlich in den großen Städten der Vereinigten Staaten während der Spanischen Grippe der Fall war.
Seitdem ist also nichts mehr erfunden worden, und die Rückkehr dieser gewalttätigen, archaischen und überholten Methoden signalisiert die Ohnmacht der herrschenden Klasse angesichts der Pandemie.
Die Konkurrenz, dieses Fundament des Kapitalismus, verschwindet nicht angesichts des Ernstes der Lage: Jedes Kapital muss die anderen besiegen oder sterben. So versuchten die Staaten in einer Zeit, in der sich die Toten stapelten und die Krankenhäuser keinen einzigen Patienten mehr aufnehmen konnten, immer noch, die Ausgangssperren möglichst nach den Konkurrenten anzuordnen. Wenige Wochen später ging es darum, durch eine möglichst frühe Aufhebung des Lockdowns die Wirtschaftsmaschine so schnell wie möglich zu starten, um die Märkte des Konkurrenten zu erobern. All dies geschah mit Geringschätzung gegenüber der menschlichen Gesundheit und trotz der Warnungen der wissenschaftlichen Gemeinschaft über die fortbestehende Virulenz des SARS-CoV-2. Die Bourgeoisien sind unfähig, über das auf allen Ebenen der Gesellschaft herrschende Jeder-für-sich hinauszugehen, und scheitern, wie z.B. im Kampf gegen die globale Erwärmung, bei der Entwicklung gemeinsamer Strategien zur Bekämpfung von Krankheiten.
Justinians Pest beschleunigte den Untergang des Römischen Reiches und seines Sklavensystems; der Schwarze Tod löste den Untergang des Feudalsystems aus. Jene Pandemien waren das Produkt dieser dekadenten Systeme, in denen „die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen“ geraten, und gleichzeitig waren sie ein Beschleuniger ihres Untergangs. Die COVID-19-Pandemie ist ebenfalls das Produkt einer dekadenten (und sogar zerfallenden) Welt; auch sie wird ein Beschleuniger der Widersprüche eines veralteten und moribunden Systems sein.
Sollten wir uns darüber freuen, dass der Untergang des Kapitalismus durch die Pandemie beschleunigt wird? Wird der Kommunismus so entstehen können, wie der Kapitalismus auf den Trümmern des Feudalismus geboren werden konnte? Der Vergleich mit den Pandemien der Vergangenheit endet hier. In der Sklavenwelt und der feudalen Welt waren die Grundlagen einer Organisation, die dem von den Produktivkräften erreichten Entwicklungsstand entsprach, bereits in ihnen vorhanden. Die bestehenden Produktionsweisen stießen an ihre Grenzen und ließen Raum für die Durchsetzung einer neuen herrschenden Klasse, die bereits über angemessenere Produktionsverhältnisse verfügte. Am Ende des Mittelalters hatte der Kapitalismus bereits eine wichtige Rolle in der gesellschaftlichen Produktion eingenommen.
Der Kapitalismus ist die letzte Klassengesellschaft der Geschichte. Nachdem er fast die gesamte menschliche Produktion unter seine Kontrolle gebracht hat, lässt er vor seinem Untergang keinen Raum für eine andere Organisation, und keine andere Klassengesellschaft könnte ihn ersetzen. Die revolutionäre Klasse, das Proletariat, muss zuerst das gegenwärtige System zerstören, bevor sie das Fundament für ein neues Zeitalter legt. Wenn eine Reihe von Pandemien oder anderer Katastrophen den Sturz des Kapitalismus herbeiführt, ohne dass das Proletariat reagieren und seine eigene Kraft durchsetzen kann, so wird die ganze Menschheit mitgerissen.
Was in dieser Periode auf dem Spiel steht, ist die Fähigkeit der Arbeiterklasse, der kapitalistischen Verantwortungslosigkeit zu widerstehen, allmählich die Gründe dafür zu verstehen und die historische Verantwortung zu übernehmen. So endet das oben erwähnte Zitat von Marx:
„Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen [...]. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche der sozialen Revolution ein.“
GD (Oktober 2020)
[1] Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches, Kyle Harper (2020).
[2] Vgl. A new Twenty-first century science for effective epidemics response, Nature, Anniversary Collection n° 150 vol. 575, November 2019, S. 131.
[3] Ebd. S. 130
[4] Ebd.
[5] Ebd. S. 134
[6] „Covid-19 : sur la piste des futurs traitements“, Le Monde (6. Oktober 2020).
Eine der Schwierigkeiten, mit denen revolutionäre Organisationen der Kommunistischen Linken konfrontiert sind, ist die Tatsache, dass viele ihrer Militanten früher Mitglieder bei Parteien oder Gruppen der Linken und der extremen Linken des Kapitals waren (Sozialistische und Kommunistische Parteien, beeinflusst vom Trotzkismus, Maoismus, oder gar vom offiziellen Anarchismus und der so genannten "Neue Linke" von Syriza oder Podemos). Das ist unvermeidlich, aus dem einfachen Grund, weil kein Militanter mit einer vollständigen und unmittelbaren Klarheit geboren wird. Diese Etappe hinterlässt jedoch ein schwer zu überwindendes Handicap: Es ist möglich, mit den politischen Positionen dieser Organisationen (Gewerkschaftsbewegung, Vaterlandsverteidigung und Nationalismus, Teilnahme an Wahlen usw.) zu brechen, aber es ist viel schwieriger, sich von Haltungen, Denkweisen, Diskussionsweisen, Verhaltensweisen, Vorstellungen zu befreien, die diese Organisationen nachhaltig ausstrahlen und die zum Kern ihrer Funktionsweise gehören.
Dieses Erbe, das wir als das verborgene Erbe der Linken des Kapitals bezeichnen, trägt dazu bei, in den revolutionären Organisationen Spannungen zwischen den Genossen zu schüren, Misstrauen, Rivalitäten, destruktive Verhaltensweisen, Blockade der Debatte, abweichende theoretische Positionen usw. zu provozieren, die in Verbindung mit dem Druck der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie den revolutionären Organisationen schweren Schaden zufügen können. Das Ziel dieser Artikelreihe, die wir hiermit beginnen, besteht darin, dieses erdrückende Gewicht zu identifizieren und zu bekämpfen.
Seit ihrem ersten Kongress (1975) hat sich die IKS mit dem Problem von Organisationen befasst, die falsche Behauptungen über den "Sozialismus" aufstellen, während sie tatsächlich kapitalistische Politik betreiben. Die Plattform der IKS, die von diesem Kongress angenommen wurde, sagt dazu in Punkt 13: "All jene Parteien oder Organisationen, die heute bestimmte Staaten oder Fraktionen der Bourgeoisie gegen andere verteidigen, auch wenn nur “bedingt” oder “kritisch" - sei es im Namen des “Sozialismus”, der “Demokratie”, des “Antifaschismus”, der “nationalen Unabhängigkeit”, der ‚Einheitsfront‘ oder des “geringeren Übels” -, die ihre Politik auf dem bürgerlichen Wahlzirkus aufbauen, die an den arbeiterfeindlichen Aktivitäten der Gewerkschaften mitwirken oder an den Mystifizierungen der Selbstverwaltung, sind Organe des politischen Apparates des Kapitals. Dies trifft insbesondere auf die “sozialistischen” und “kommunistischen” Parteien zu.“
Unsere Plattform konzentriert sich auch auf das Problem der Gruppen, die sich "links" von diesen größeren Parteien stellen, indem sie oft „heftige Kritik" an ihnen üben und "radikalere" Posen einnehmen: "All die sog. “revolutionären” Strömungen - der Maoismus, der nur eine Variante jener Parteien ist, die sich endgültig der Bourgeoisie angeschlossen haben; der Trotzkismus, der, nachdem er anfangs eine proletarische Reaktion gegen den Verrat der Kommunistischen Parteien gewesen war, einem ähnlichen Degenerationsprozess anheimfiel, oder der traditionelle Anarchismus, der heute die gleiche politische Vorgehensweise vertritt und bestimmte Positionen mit den KPs und den sozialistischen Parteien teilt (wie z.B. antifaschistische Bündnisse) - gehören dem gleichen Lager an: dem des Kapitals. Ihr geringerer Einfluss oder ihre radikalere Sprache ändern nichts an den bürgerlichen Grundlagen ihres Programms und ihrem Wesen, sondern macht sie zu nützlichen Zutreibern, Anhängseln und Stellvertretern der etablierten Parteien..“
Um die Rolle der Linken und der extremen Linken des Kapitals zu verstehen, muss man daran erinnern: „Im politischen und sozialen Bereich drückt sich die Tendenz zum Staatskapitalismus durch die Tatsache aus, dass sowohl in den extremsten totalitären Formen wie dem Faschismus oder dem Stalinismus als auch in der Form, die sich unter der demokratischen Maske versteckt, der Staatsapparat und vor allem die Exekutivgewalt eine immer mächtigere Kontrolle ausüben, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringen. Auf einer ungleich höheren Ebene als in der Dekadenz des Römischen Reiches oder des Feudalismus ist der Staat des dekadenten Kapitalismus zu einer Furcht erregenden, kalten und anonymen Maschinerie geworden, die die eigentliche Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft ruiniert hat." [Punkt 4 Plattform der IKS].[1]
Dieses Wesen trifft auf offen diktatorische Einparteienregime (Stalinismus, Nationalsozialismus, Militärdiktaturen) ebenso zu wie auf die demokratischen Regime.
In diesem Rahmen sind die politischen Parteien nicht die Vertreter der verschiedenen Klassen oder Schichten der Gesellschaft, sondern totalitäre Instrumente des Staates, deren Aufgabe es ist, die gesamte Bevölkerung (hauptsächlich die Arbeiterklasse) den Imperativen des nationalen Kapitals zu unterwerfen. Sie werden gleichermaßen zum Kopf von Vetternwirtschaftlichen Netzwerken, Interessengruppen und Einflusssphären, die politisches und wirtschaftliches Handeln verbinden und zum Nährboden einer unausweichlichen Korruption werden.
In den demokratischen Systemen ist der politische Apparat des kapitalistischen Staates in zwei Flügel geteilt: der rechte Flügel, der mit den klassischen Fraktionen der Bourgeoisie verbunden und für die Kontrolle der rückständigsten Schichten der Bevölkerung verantwortlich is [2], und der linke Flügel (die Linke mit den Gewerkschaften und einer Reihe linksextremer Organisationen), der im Wesentlichen der Kontrolle und Spaltung der Arbeiterklasse und der Zerstörung ihres Bewusstseins übernimmt.
Auch die Organisationen des Proletariats waren nicht gefeit vor der Degeneration. Der Druck der bürgerlichen Ideologie zerfrisst vom Inneren her und kann zum Opportunismus führen, der, wenn er nicht rechtzeitig bekämpft wird, zum Verrat und zur Integration in den kapitalistischen Staat führt[3]. Der Opportunismus unternimmt diesen finalen Schritt zum Zeitpunkt entscheidender historischer Ereignisse im Leben der kapitalistischen Gesellschaft: die beiden Schlüsselmomente waren bisher der imperialistische Weltkrieg und die proletarische Revolution. In der Plattform versuchen wir, den Prozess zu erklären, der zu diesem fatalen qualitativen Umschlag führt:
Diese Parteien, die einst die Avantgarde des Weltproletariats verkörperten, haben seither einen Prozess der Degeneration durchlaufen, der sie in das bürgerliche Lager geführt hat. Nachdem die Internationalen, denen diese Parteien angehört hatten (die sozialistischen Parteien der II. Internationale, die Kommunistischen Parteien der III. Internationale), als solche gestorben waren (ungeachtet des formalen Fortbestehens ihrer Strukturen), haben diese Parteien nur noch weiter bestanden, um schrittweise, jede für sich, zu (oft bedeutenden) Teilen des Räderwerks des bürgerlichen Staatsapparats in ihren Ländern zu werden.
Dies war der Fall bei der II. Internationale, als die großen ihrer Parteien, befallen vom Geschwür des Opportunismus und Zentrismus, mit dem Ausbruch des I. Weltkriegs (der den Tod der II. Internationale manifestierte) mehrheitlich dazu verleitet wurden, die Politik der “nationalen Verteidigung” zu praktizieren. Dies geschah unter der Führung der sozialchauvinistischen Rechten, die sich zu diesem Zeitpunkt ins Lager der Bourgeoisie gesellte. Schließlich sind diese Parteien offen der revolutionären Welle von Kämpfen entgegengetreten und haben, wie in Deutschland 1919, die Rolle des Henkers der Arbeiterklasse übernommen. Die endgültige Eingliederung aller dieser Parteien in den bürgerlichen Staat vollzog sich nach Ausbruch des I. Weltkriegs. Dieser Integrationsprozess war Anfang der 20er Jahre endgültig abgeschlossen, nachdem die letzten proletarischen Strömungen aus ihren Reihen ausgeschlossen worden waren - oder sie selbst verlassen hatten, um der Komintern beizutreten.
Nach einem ähnlichen Prozess der opportunistischen Degeneration sind auch die kommunistischen Parteien in das kapitalistische Lager übergewechselt. Dieser Prozess, der bereits Anfang der 1920er Jahre begonnen hatte, setzte sich nach dem Tod der Kommunistischen Internationale (der 1928 durch die Übernahme der “Theorie des Sozialismus in einem Land” gekennzeichnet war) weiter fort. Trotz erbitterter Kämpfe der linken Fraktionen erfolgte schließlich Anfang der 1930er (einige Zeit nach dem Ausschluss der linken Fraktionen) die vollständige Integration dieser Parteien in den kapitalistischen Staat, als diese sich den Rüstungswettläufen ihrer jeweiligen Bourgeoisie anschlossen und in die Volksfronten eintraten. Auch ihre aktive Beteiligung am “antifaschistischen Widerstand” während des II. Weltkriegs und am “nationalen Wiederaufbau” nach dem Krieg hat sie als treue Diener des nationalen Kapitals und als eine reine Verkörperung der Konterrevolution entblößt.
All die sog. “revolutionären” Strömungen - der Maoismus, der nur eine Variante jener Parteien ist, die sich endgültig der Bourgeoisie angeschlossen haben; der Trotzkismus, der, nachdem er anfangs eine proletarische Reaktion gegen den Verrat der Kommunistischen Parteien gewesen war, einem ähnlichen Degenerationsprozess anheimfiel, oder der traditionelle Anarchismus, der heute die gleiche politische Vorgehensweise vertritt und bestimmte Positionen mit den KPs und den sozialistischen Parteien teilt (wie z.B. antifaschistische Bündnisse) - gehören dem gleichen Lager an: dem des Kapitals. Ihr geringerer Einfluss oder ihre radikalere Sprache ändern nichts an den bürgerlichen Grundlagen ihres Programms und ihrem Wesen, sondern macht sie zu nützlichen Zutreibern, Anhängseln und Stellvertretern der etablierten Parteien.
In gleicher Weise gingen die Kommunistischen Parteien ihrerseits nach einem ähnlichen Prozess der opportunistischen Degeneration in das kapitalistische Lager über. Dieser Prozess, der bereits Anfang der zwanziger Jahre begonnen hatte, setzte sich nach dem Tod der Kommunistischen Internationale (gekennzeichnet durch die Annahme der Theorie des "Sozialismus in einem Land" im Jahre 1928) fort, um trotz erbitterter Kämpfe der linken Fraktionen und nach deren Ausschluss mit der vollständigen Integration dieser Parteien in den kapitalistischen Staat zu Beginn der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts mit ihrer Beteiligung an den Aufrüstungsbemühungen ihrer jeweiligen Bourgeoisie und ihrem Eintritt in die "Volksfronten" abzuschließen. Ihre aktive Teilnahme am 'Widerstand' im Zweiten Weltkrieg und am 'nationalen Wiederaufbau', der darauf folgte, hat sie als treue Agenten des nationalen Kapitals und als die reinste Inkarnation der Konterrevolution bestätigt".[4]
Innerhalb von 25 Jahren (zwischen 1914 und 1939) verlor die Arbeiterklasse zunächst die Sozialistischen Parteien, dann in den 1920er Jahren die Kommunistischen Parteien und schließlich ab 1939 die Gruppen der Linken Opposition um Trotzki, die die noch brutalere Barbarei des Zweiten Weltkriegs unterstützten: "1938 gründete die Linksopposition die IV. Internationale. Es handelte sich hierbei um ein opportunistisches Manöver, da eine Weltpartei zu einer Zeit, in der alle Zeichen auf einen neuerlichen imperialistischen Krieg standen, nicht gegründet werden kann, weil Letzterer bedeutete, dass die Arbeiterklasse eine tiefe Niederlage erlitten hat. Die Ergebnisse waren eine einzige Katastrophe: 1939-1940 bezogen die Gruppen der IV. Internationale unter den unterschiedlichsten Vorwänden Stellung für den Weltkrieg: Die Mehrheit unterstützte das russische „sozialistische Vaterland“, eine Minderheit hingegen das Frankreich Pétains, das wiederum ein Satellit der Nazis war. Auf diese Degeneration der trotzkistischen Organisationen reagierten die letzten verbliebenen internationalistischen Kräfte, die in ihren Reihen verblieben waren: insbesondere die Frau Leo Trotzkis und der spanische Revolutionär G. Munis.
Seitdem sind die trotzkistischen Organisationen zu radikalen Verfechtern des Kapitals geworden, die die Arbeiterklasse mit allerlei „revolutionären Themen“ täuschen wollten – Themen, die im Allgemeinen zur Unterstützung antiimperialistischer Fraktionen der Bourgeoisie führen (wie heute z.B. den berüchtigten Offizier Chávez). Ebenso treiben sie die vom parlamentarischen Spektakel abgestoßenen Arbeiter wieder an die Wahlurnen zurück, indem sie diese dazu aufrufen, die Sozialisten „kritisch“ zu unterstützen. Nur so könne man den vordringenden Rechten den Weg versperren. Schließlich verbreiten sie die Illusion, dass man die Gewerkschaften zurückerobern könne. So mobilisieren sie für „kämpferische“ Kandidaten, womit sie die Basisorgane dieses kapitalistischen Apparates unterstützen."[5].
Die Arbeiterklasse ist in der Lage, linke Fraktionen innerhalb proletarischer Parteien zu bilden, wenn diese von der Krankheit des Opportunismus befallen werden. Diese Rolle übernahmen die Bolschewiki, die Strömung um Rosa Luxemburg, der niederländische Tribunismus (um die Zeitschrift „de Tribune“), die Militanten der italienischen Abstentionistischen Kommunistischen Fraktion usw. innerhalb der Parteien der 2. Internationale. Die Geschichte der Kämpfe dieser Fraktionen ist hinreichend bekannt, da ihre Texte und Beiträge mit der Bildung der 3. Internationale konkretisiert wurden.
Und ab 1919 wurde die proletarische Reaktion, die mit Schwierigkeiten, Irrtümern und der nachfolgenden Degeneration der Dritten Internationale konfrontiert war, von der Kommunistischen Linken (Italienische-, Holländische-, Deutsche-, Russische Linke usw.) zum Ausdruck gebracht, die (mit großen Schwierigkeiten und leider sehr zerstreut) einen heldenhaften und entschlossenen Kampf führte. Trotzkis Linke Opposition erschien später und in einer viel inkohärenteren Weise. In den 1930er Jahren wurde die Kluft zwischen der Kommunistischen Linken (vor allem ihre kohärentesten Vertreter um die Gruppe BILAN, die die Kommunistische Linke Italiens repräsentierte) und Trotzkis Opposition deutlicher. Während BILAN lokale imperialistische Kriege als Ausdruck eines Kurses hin zu einem globalisierten imperialistischen Krieg betrachtete, verstrickte sich die Opposition in der Lobpreisung nationaler Befreiung und des fortschrittlichen Charakters des Antifaschismus. Während Bilan die ideologische Unterwerfung unter einen imperialistischen Krieg und die Interessen des Kapitals hinter der Mobilisierung der spanischen Arbeiter für den Krieg zwischen Franco und der Republik erkannte, sah Trotzki die Streiks von 1936 in Frankreich und den antifaschistischen Kampf in Spanien als den Beginn der Revolution. Auch wenn BILAN sich noch nicht über das genaue Wesen der UdSSR im Klaren war, erkannte die Gruppe, dass sie die UdSSR nicht unterstützen konnte, vor allem, weil die UdSSR ein aktiver Faktor bei der Vorbereitung des Krieges war. Trotzki hingegen stieß mit seinen Spekulationen über die UdSSR als "degenerierten Arbeiterstaat" die Türen für die Unterstützung der UdSSR weit auf, diese Spekulationen bildeten ein Motiv für die Unterstützung der Barbarei des Zweiten Weltkrieg von 1939-1945 durch die Linke Opposition.
Seit 1968 nahm der proletarische Kampf in der ganzen Welt wieder Fahrt auf. Der Mai 68 in Frankreich, der "Heiße Herbst" in Italien, der "Cordobazo" in Argentinien, der polnische Oktober usw. gehörten zu seinen wichtigsten Ausdrucksformen. Dieser Kampf brachte eine neue Generation von Revolutionären hervor. Überall traten zahlreiche Minderheiten der Arbeiterklasse auf, und all das machte eine grundlegende Stärke des Proletariats aus.
Es ist jedoch unerlässlich, auf die Rolle der extremen Linken bei der Schwächung und Zerstörung dieser Minderheiten hinzuweisen: die Trotzkisten, die wir bereits erwähnt haben, ebenso wie die Gruppen des offiziellen Anarchismus[6] und des Maoismus spielten alle ihre spezifische Rolle. In Bezug auf den Maoismus ist es wichtig zu betonen, dass er nie eine proletarische Strömung gewesen ist. Die maoistischen Gruppen entstanden aus imperialistischen Konflikten und Einflusskriegen wie denen zwischen Peking und Moskau, die 1972 zum Bruch zwischen den beiden Staaten und zur Verteidigung gemeinsamer Interessen zwischen Peking und des amerikanischen Imperialismus führten.
Man schätzt, dass es gegen 1970 weltweit mehr als hunderttausend Militante gab, die sich, wenn auch mit enormer Verwirrung, für die Revolution, gegen die traditionellen Parteien der Linken (sozialistische und kommunistische Parteien), gegen den imperialistischen Krieg aussprachen und versuchten, den ausbrechenden proletarischen Kampf voranzutreiben. Eine auffallende Mehrheit dieses wichtigen Kontingents wurde von dieser Konstellation von Gruppen der extremen Linken zurückgewonnen. In der vorliegenden Artikelserie soll versucht werden, alle Mechanismen, mit denen sie diese Rückgewinnung in Angriff nahmen, im Detail aufzuzeigen. Wir werden nicht nur über das kapitalistische Programm sprechen, das in ihren radikalen Schriften abgedruckt ist, sondern hauptsächlich über ihre Organisations- und Diskussionsmethoden, ihre Arbeitsweise und ihren Umgang mit der Moral.
Sicher ist, dass ihre Aktionen sehr wichtig für die Zerstörung des Potenzials der Arbeiterklasse waren, eine breit angelegte Avantgarde für ihren Kampf aufzubauen. Potentielle Militante wurden in Richtung Aktivismus und Immediatismus gelenkt, in sterile Kämpfe innerhalb der Gewerkschaften, Stadtteile, Wahlkampagnen usw. kanalisiert.
Die Ergebnisse waren eindeutig:
Die kommunistischen Militanten sind ein lebenswichtiger Aktivposten des Proletariats und es ist eine zentrale Aufgabe der Gruppen der gegenwärtigen Kommunistischen Linken, die die Erben von BILAN, INTERNATIONALISME usw. sind, alle Lehren aus dem enormen Aderlass an militanten Kräften zu ziehen, den das Proletariat seit seinem historischen Erwachen 1968 erlitten hat.
Um ihre schmutzige Arbeit der Einkerkerung, Spaltung und Verwirrung zu verrichten, propagieren die Gewerkschaften, die linken und extrem linken Parteien eine falsche Vision der Arbeiterklasse. Sie haben unter den kommunistischen Militanten ihre Spuren hinterlassen und deformieren ihre Gedanken, ihr Verhalten und ihre Vorgehensweise. Es ist daher unerlässlich, dies zu erkennen und zu bekämpfen.
Für die Linke und die extreme Linke stellen die Arbeiter keine antagonistische soziale Klasse innerhalb des Kapitalismus dar, sondern sind vielmehr eine Summe von Individuen. Sie sind die "Unterschicht der Bürger". Als solche können die einzelnen Arbeiter nur auf eine "stabile Situation", eine "gerechte Entlohnung" für ihre Arbeit, "Achtung ihrer Rechte" usw. hoffen.
Dies erlaubt der Linken, etwas Grundlegendes zu verbergen: Die Arbeiterklasse ist eine Klasse, die für die kapitalistische Gesellschaft unentbehrlich ist, weil der Kapitalismus ohne die mit ihr verbundene Arbeit nicht funktionieren könnte. Gleichzeitig ist sie aber auch eine von der Gesellschaft ausgeschlossene Klasse, die allen ihren Regeln und lebenswichtigen Normen fremd ist; sie ist also eine Klasse, die sich als solche nur verwirklichen kann, wenn sie die kapitalistische Gesellschaft vollständig abschafft. Stattdessen befürwortet die Linke die Idee einer "integrierten Klasse", die durch Reformen und Beteiligung an kapitalistischen Organisationen ihre Interessen befriedigen kann.
Mit dieser Sichtweise löst sich die Arbeiterklasse in eine amorphe und interklassistische Masse von "Bürgern" alias "das Volk" auf. Dabei wird der Arbeiter der Kleinbourgeoisie, die ihn hinters Licht führt, der Polizei, die ihn unterdrückt, dem Richter, der ihn verurteilt, den Politikern, die ihn belügen, und sogar der "fortschrittlichen Bourgeoisie" gleichgestellt. Die Idee der sozialen Klassen und Klassengegensätze verschwindet und weicht Vorstellungen, wonach wir alle Bürger der Nation sind und einer "nationalen Gemeinschaft" angehören.
Sobald die Idee der Klasse aus dem Gedächtnis der Arbeiterklasse ausgelöscht ist, verschwindet auch die grundlegende Vorstellung von einer historischen Klasse. Das Proletariat ist eine historische Klasse, die über die Situation der verschiedenen Generationen oder den geographischen Ort hinaus eine revolutionäre Zukunft in ihren Händen hält, die Errichtung einer neuen Gesellschaft, die über die Widersprüche, die den Kapitalismus zur Zerstörung der Menschheit führen, hinausgeht und sie löst.
Indem die Linke und die extreme Linke des Kapitals die vitalen und wissenschaftlichen Ideen der sozialen Klassen, der Klassengegensätze und der historischen Klasse hinwegfegen, reduzieren sie die Revolution auf einen frommen Wunsch, der in den Händen von politischen "Experten" und Parteien verbleiben sollte. Sie führen die Idee der Machtdelegation ein, ein Konzept, das für die Bourgeoisie vollkommen gültig, für das Proletariat jedoch absolut zerstörerisch ist. In der Tat kann die Bourgeoisie, eine Ausbeuterklasse, die die wirtschaftliche Macht innehat, die Verwaltung ihrer Geschäfte einem spezialisierten politischen Personal anvertrauen, das eine bürokratische Schicht bildet, die ihre eigenen Interessen innerhalb der komplexen Bedürfnisse des nationalen Kapitals hat.
Aber es ist nicht dasselbe für das Proletariat, das sowohl eine ausgebeutete als auch eine revolutionäre Klasse ist, die keine wirtschaftliche Macht hat, sondern deren einzige Stärke Bewusstsein, Einheit, Solidarität und ihr Vertrauen in sich selbst ist. All dies sind Faktoren, die schnell zerstört werden, wenn sich das Proletariat stattdessen auf eine spezialisierte Schicht von Intellektuellen und Politikern stützt.
Die Parteien der Linken und der extremen Linken verteidigen, indem sie sich auf die Idee der Delegation stützen, die Teilnahme an Wahlen als ein Mittel, "den Weg nach rechts zu blockieren", d.h. in den Reihen der Arbeiter untergraben sie das autonome Handeln einer Klasse, um sie in eine Masse von wahlberechtigten Bürgern zu verwandeln: eine individualistische Masse, jeder Gefangener seiner "eigenen Interessen". In dieser Sicht existiert die Einheit und Selbstorganisation des Proletariats nicht mehr.
Schließlich fordern auch die Parteien der Linken und der extremen Linken, das Proletariat solle sich in die Hände des Staates begeben, um "eine andere Gesellschaft zu erreichen". Sie benutzen also den Trick, den kapitalistischen Henker, den Staat, als "Freund der Arbeiter" oder "ihren Verbündeten" darzustellen.
Die Linken und die Gewerkschaften propagieren eine vulgäre materialistische Konzeption der Arbeiterklasse. Ihrer Meinung nach sind ArbeiterInnen Individuen, die nur an ihre Familie, ihre Bequemlichkeit, ein besseres Auto oder ein besseres Zuhause denken. Dem Konsumrausch verfallen, haben sie kein "Ideal" des Kampfes, sie ziehen es vor, zu Hause zu bleiben und Fußball zu schauen oder mit ihren Kumpels in der Bar zu sitzen. Um den Kreis zu schließen, bekräftigen sie, dass die Arbeiter unfähig sind, auch nur den geringsten Kampf zu führen, weil sie bis zum Hals in Schulden stecken, um ihren Konsum zu bezahlen[8].
Mit diesen Lektionen in moralischer Heuchelei verwandeln sie den Kampf der Arbeiter, der eine materielle Notwendigkeit ist, in eine Frage des ideelen Willens, während der Kommunismus - das Endziel der Arbeiterklasse - eine materielle Notwendigkeit als Antwort auf die unlösbaren Widersprüche des Kapitalismus ist.[9] Sie trennen den unmittelbaren Kampf vom revolutionären Kampf und sie kreieren einen Widerspruch, während in Wirklichkeit eine Einheit zwischen den beiden besteht, da wie Engels sagte, der Kampf der Arbeiterklasse, sowohl wirtschaftlich als auch politisch und ein Kampf der Ideen ist.
Unsere Klasse dieser Einheit zu berauben, führt zu der idealistischen Vision eines "egoistischen" und "materialistischen" Kampfes für wirtschaftliche Bedürfnisse und eines "glorreichen" und "moralischen" Kampfes für die "Revolution". Solche Ideen demoralisieren die Arbeiter zutiefst, die sich schämen und schuldig fühlen, weil sie sich um ihre eigenen Bedürfnisse und die ihrer Nächsten und Liebsten sorgen, und die sich als unterwürfige Individuen fühlen, die nur an sich selbst denken. Mit diesen falschen Ansätzen, die der zynischen und heuchlerischen Linie der katholischen Kirche folgen, entziehen die Linke und die extreme Linke des Kapitals den Arbeitern das Vertrauen in sich selbst als Klasse und versuchen, sie als den "untersten" Teil der Gesellschaft darzustellen.
Diese Haltung fügt sich in die herrschende Ideologie, die die Arbeiterklasse als Verlierer darstellt. Der berühmte "gesunde Menschenverstand" besagt, dass Arbeiter Individuen sind, die Arbeiter bleiben, weil sie für nichts anderes gut genug sind oder weil sie nicht hart genug gearbeitet haben, um auf der sozialen Skala nach oben zu kommen. Die Arbeiter sind faul, haben keine Ambitionen, wollen keinen Erfolg…
Es ist wirklich eine auf den Kopf gestellte Welt! Die soziale Klasse, die durch die mit ihr verbundene Arbeit die Mehrheit des sozialen Reichtums der Gesellschaft produziert, soll aus ihren schlimmsten Elementen bestehen. Da das Proletariat die Mehrheit der Gesellschaft ausmacht, scheint es im Grunde genommen aus Feiglingen, Verlierern, unkultivierten Individuen ohne jede Motivation zu bestehen. Die Bourgeoisie beutet das Proletariat nicht nur aus, sie verspottet es auch. Die Minderheit, die von der Plackerei von Millionen von Menschen lebt, besitzt die Frechheit, die Arbeiter als faul, nutzlos, erfolglos und ohne Hoffnung zu betrachten.
Die soziale Wirklichkeit ist radikal anders: In der weltweiten assoziierten Arbeit des Proletariats entwickelt es kulturelle, wissenschaftliche und zugleich zutiefst menschliche Bindungen: Solidarität, Vertrauen und einen kritischen Geist. Sie sind die Kraft, die die Gesellschaft im Stillen bewegt, die Quelle der Entwicklung der Produktivkräfte.
Das Erscheinungsbild der Arbeiterklasse ist das einer unbedeutenden, passiven und anonymen Masse. Diese Erscheinung ist das Ergebnis des Widerspruchs, unter dem die Arbeiterklasse als ausgebeutete und revolutionäre Klasse leidet. Auf der einen Seite ist sie die Klasse der globalen assoziierten Arbeit und als solche ist sie es, die die Räder der kapitalistischen Produktion zum Laufen bringt und die Kräfte und Fähigkeiten in ihren Händen hält, die Gesellschaft radikal zu verändern. Aber auf der anderen Seite bewirken der Wettbewerb, der Markt, das normale Funktionieren einer Gesellschaft, in der die Spaltung und ‚jeder gegen jeden‘ herrscht, dass die Menschen in eine Summe von Individuen gespalten werden, jeder mit Versagens- und Schuldgefühlen; einem Gefühl der Ohnmacht, der Trennung und Atomisierung und dass man – allein auf sich gestellt – für sich selbst kämpfen muss.
Die Linke und die extreme Linke des Kapitals, in völliger Kontinuität mit dem Rest der Bourgeoisie, wollen nur, dass wir eine amorphe Masse von atomisierten Individuen sehen. Auf diese Weise dienen sie dem Kapital und dem Staat bei deren Aufgabe, die Klasse zu demoralisieren und jede soziale Perspektive zu blockieren.
Wir kehren hier zu dem zurück, was wir eingangs gesagt haben: die Vorstellung von der Arbeiterklasse als Summe von Individuen. Das Proletariat ist jedoch eine Klasse und handelt als solche jedes Mal, wenn es ihm gelingt, sich mit einem konsequenten und autonomen Kampf von den Ketten zu befreien, die es unterdrücken und atomisieren. So sehen wir nicht nur eine Klasse in Aktion, sondern wir sehen auch, wie jeder ihrer Bestandteile zu einer aktiven Kraft wird, die kämpft, die die Initiative ergreift und Kreativität frei setzt. Wir sehen es in den großen Momenten des Klassenkampfes, wie der Revolution in Russland von 1905 und 1917. Wie Rosa Luxemburg in „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“ eindrücklich unterstrichen hat: "Aber im Sturm der revolutionären Periode verwandelt sich eben der Proletarier aus einem Unterstützung heischenden vorsorglichen Familienvater in einen „Revolutionsromantiker“, für den sogar das höchste Gut, nämlich das Leben, geschweige das materielle Wohlsein im Vergleich mit den Kampfidealen geringen Wert besitzt."[10]
Als Klasse wird die individuelle Stärke eines jeden Arbeiters freigesetzt, die Klasse entledigt sich ihrer Fesseln und entwickelt das menschliche Potenzial. Als Summe von Individuen werden die Fähigkeiten jedes Einzelnen für die Menschheit ausgelöscht, verwässert, vergeudet. Die Funktion der Linken und der extremen Linken des Kapitals besteht darin, die Arbeiter auf eine bloße Summe von Individuen zu reduzieren und damit an ihre Ketten zu binden.
Während der aufsteigenden Periode des Kapitalismus und insbesondere während seines Zenits (1870-1914) konnte die Arbeiterklasse im Rahmen des Kapitalismus für Verbesserungen und Reformen kämpfen, ohne sofort dessen revolutionäre Zerstörung ins Auge zu fassen. Einerseits bedeutete dies die Bildung großer Massenorganisationen (sozialistische und Arbeiterparteien, Gewerkschaften, Genossenschaften, Arbeiteruniversitäten, Frauen- und Jugendverbände usw.) und andererseits Taktiken, die die Teilnahme an Wahlen, Petitionen, von den Gewerkschaften geplante Streiks usw. einschlossen.
Diese Methoden wurden zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts immer unzureichender. In den Reihen der Revolutionäre gab es eine breite Debatte, bei der einerseits die Positionen Kautskys und andererseits die von Rosa Luxemburg[11] aufeinanderprallten. Diese hatte die Lehren aus der Revolution von 1905 gezogen, die deutlich zeigte, dass die Arbeiterklasse zu neuen Kampfmethoden übergehen musste, welche dem Beginn der neuen Periode von Weltkrieg und imperialistischer Wirtschaftskrise entsprachen - kurz gesagt, dem Abstieg des Kapitalismus in seine Dekadenz. Die neuen Kampfmethoden basierten auf der direkten Aktion der Massen, auf der Selbstorganisation der Arbeiter in Versammlungen und Räten, auf der Abschaffung der alten Trennung zwischen dem Minimal- und dem Maximalprogramm. Diese Methoden stehen der Gewerkschaftsbewegung, den Reformen, der Wahlbeteiligung und dem parlamentarischen Weg gegenüber.
Die Linke und die extreme Linke des Kapitals konzentrieren ihre Politik darauf, die Arbeiterklasse in den alten Methoden gefangen zu halten, die heute mit der Verteidigung ihrer unmittelbaren und historischen Interessen radikal unvereinbar sind. Interessanterweise haben sie die Uhr in den "goldenen Jahren" des Kapitalismus von 1890 bis 1910 angehalten, mit all ihren Mitteln, die darauf abzielen, die Arbeiterklasse mit Hilfe von Wahlen, Gewerkschaftsaktionen, manipulierten Demonstrationen usw zu entwaffnen und zu zerstreuen. Diese Mechanismen reduzieren die Arbeiter auf "gute, arbeitende Bürger", passiv und atomisiert, die sich diszipliniert allen Bedürfnissen des Kapitals unterwerfen: hart arbeiten, alle vier Jahre wählen, hinter den Gewerkschaften her marschieren, die selbsternannten Führer nicht in Frage stellen.
Diese Politik wird von den „sozialistischen“ und „kommunistischen“ Parteien schamlos verteidigt, während ihre Anhängsel auf Seiten der "extremen Linke" mit ihren "kritischen" Berührungen und "radikalen" Exzessen am gleichen Strang ziehen, indem sie die Sicht einer Arbeiterklasse als eine Klasse für das Kapital verteidigen; eine Klasse, die sich all ihren Imperativen unterwerfen muss, während sie auf einige hypothetische Krümel wartet, die von Zeit zu Zeit vom goldenen Tisch ihrer Bankette fallen.
C. Mir. 18.12.17
[2] Die klassischen Parteien der Rechten (Konservative, Liberale, usw.) ergänzen ihren Teil der Kontrolle der Gesellschaft durch die Parteien der extremen Rechten (Faschisten, Neonazis, Rechtspopulisten, usw.). Letztere sind in ihrer Art komplexer; siehe dazu Internationale Revue Nr. 54, 2017, https://de.internationalism.org/internationalerevue/ueber-das-problem-de... [9]
[3] Für eine genauere Untersuchung, wie Opportunismus das proletarische Leben einer Organisation durchdringt und zerstört, siehe Internationale Revue Nr. 52 https://de.internationalism.org/internationalerevue/1914-wie-der-deutsch... [10]
[4] Punkt 13 unserer Plattform
[5] Siehe unseren Artikel: https://de.internationalism.org/worin-unterscheidet-sich-die-kommunistis... [11]
[6]Dies trifft nicht auf die meisten minoritären Gruppen des internationalistischen Anarchismus zu, der trotz seiner Verwirrungen viele Positionen der Arbeiterklasse beansprucht und sich klar gegen den imperialistischen Krieg und für die proletarische Revolution ausspricht.
[7]Es gibt viele Beispiele. Durão Barroso, ehemaliger Präsident der Europäischen Union, war in seiner Jugend ein Maoist. Cohn-Bendit ist Mitglied des Europäischen Parlaments und ein Abgeordneter Macrons; Lionel Jospin, ehemaliger Premierminister von Frankreich, war in seiner Jugend ein Trotzkist.
[8]Wir sollten berücksichtigen, dass der Konsumismus (der in den 1920er Jahren in den Vereinigten Staaten und nach dem Zweiten Weltkrieg gefördert wurde) dazu beigetragen hat, den Protestgeist innerhalb der Arbeiterklasse zu untergraben, da die lebenswichtigen Bedürfnisse jedes Arbeiters durch die Rolle, die der Konsumismus spielt, deformiert werden, indem seine Bedürfnisse in individuelle Angelegenheiten verwandelt werden, in denen "alles über den Kredit zu haben ist".
[9]Siehe dazu unsere Artikelserie "Der Kommunismus ist keine schöne Idee, sondern eine materielle Notwendigkeit [12]".
[11]Siehe dazu „Die Massenstreikdebatte - Beiträge von Parvus, Rosa Luxemburg, Karl Kautsky und Anton Pannekoek. Herausgegeben und eingeleitet von Antonia Grunenberg. 1970, EVA
Im ersten Teil dieser Serie[1] haben wir gesehen, dass das Programm der Parteien der Linken und der extremen Linken des Kapitals zur Umwandlung des Kapitalismus in eine "neue Gesellschaft" zu nichts anderem führt als zu einer idealisierten Reproduktion des Kapitalismus selbst[2] Schlimmer noch, die Sicht der Arbeiterklasse, die sie präsentieren, stellt eine eine totale Verleugnung ihres revolutionären Charakters dar.
In diesem zweiten Artikel werden wir das Denken und die Methode der Analyse dieser Parteien untersuchen, insbesondere derjenigen Teile, die sich selbst für die "radikalsten" halten.
Im ersten Artikel prangerten wir das Programm zur Verteidigung des Kapitals an, das von diesen Mystifizierern vorgelegt wurde; jetzt müssen wir uns mit einer anderen Frage befassen: ihre Denkweise, die Beziehungen zwischen den Mitgliedern, ihre Organisationsmethoden, ihre Sicht der Moral, ihre Konzeption der Debatte, ihre Sicht der Militanz und schließlich die gesamte Erfahrung der Arbeit innerhalb dieser Parteien. Sich von dieser Sichtweise zu befreien, ist viel schwieriger, als die politischen Mystifikationen aufzudecken, mit denen sie hausieren gehen, denn in diesen Organisationen ist das Denken konditioniert und das Verhalten vergiftet worden, und dies beeinflusst ihre organisatorische Arbeitsweise.
Die revolutionären Organisationen der Kommunistischen Linken, die recht zerbrechlich sind und nur eine kleine Zahl von Militanten haben, mussten sich diesem entscheidenden Problem stellen. Die Organisationen waren in der Lage, die Programme der linken und linksextremen kapitalistischen Organisationen abzulehnen, aber das, was wir ihr verborgenes Gesicht nennen, nämlich ihre Denkweise, ihre Arbeitsweise und ihr Verhalten, ihre moralische Vision usw., all das, was ebenso reaktionär ist wie ihr Programm, wurde unterschätzt und war nicht Gegenstand unerbittlicher und radikaler Kritik.
Es reicht daher nicht aus, das Programm der linken und linksextremen Gruppen des Kapitals anzuprangern; es ist auch notwendig, das verborgene organisatorische und moralische Gesicht anzuprangern und zu bekämpfen, das sie mit den Parteien der Rechten und der extremen Rechten teilen.
Eine revolutionäre Organisation ist viel mehr als ein Programm; sie ist die einheitliche Synthese aus Programm, Theorie und Denkweise, Moral und organisatorischem Funktionieren. Zwischen diesen Elementen besteht Kohärenz. "Die Aktivitäten der revolutionären Organisation können nur als ein einheitliches Ganzes aufgefaßt werden, deren Komponenten nicht voneinander getrennt, sondern ineinandergreifend sind:
die theoretischen Aktivitäten, deren Ausgestaltung eine konstante Anstrengung sein muß und die niemals endgültig festgelegt oder vollständig ist. Sie sind sowohl notwendig als auch unersetzlich;
die Aktivität der Intervention in den ökonomischen und politischen Kämpfen der Klasse. Dies ist eine Praxis par excellence für die Organisation, mit der die Theorie durch Propaganda und Agitation in eine Waffe des Kampfes umgewandelt wird;
die organisatorische Aktivität, die zur Weiterentwicklung und Stärkung ihrer Organe, zur Bewahrung von organisatorischen Errungenschaften führt, ohne die die quantitative Weiterentwicklung (neue Mitglieder) nicht zu einer qualitativen Weiterentwicklung führt.".[3]
Es ist klar, dass wir den Kommunismus nicht mit Lügen, Verleumdungen und Manövern erkämpfen können. Es besteht eine Kohärenz zwischen den oben genannten Aspekten. Sie prägen die gesamte Lebensweise und gesellschaftliche Organisation des Kommunismus und können niemals im Widerspruch zu ihm stehen.
Wie wir in dem Text "Die Frage der Funktionsweise in der IKS" gesagt haben: "In der Organisationsfrage findet man auf konzentrierte Weise eine ganze Reihe von wichtigen Aspekten der revolutionären Perspektive des Proletariats:
die Grundeigenschaften der kommunistischen Gesellschaft und der Beziehungen, die sich unter ihren Mitgliedern herausbilden;
das Wesen des Proletariats als Erschaffer des Kommunismus;
die Natur des Klassenbewusstseins, die Eigenschaften seiner Entwicklung sowie seine Vertiefung und Ausdehnung in der Klasse;
die Rolle der kommunistischen Organisation im Prozess der Bewusstseinsbildung im Proletariat."[4]
Die Linke und die extreme Linke des Kapitals, Erben der Verfälschung des Marxismus durch den Stalinismus
Man kann sagen, dass die linken und linksextremen Gruppen des Kapitals politische Taschenspielertricks ausüben. Sie bedienen die politischen Positionen des Kapitals mit einer "proletarischen" und "marxistischen" Sprache. Sie verdrehen Marx, Engels, Lenin und bringen andere proletarische Militante dazu, das Gegenteil von dem zu sagen, was diese sagen wollten. Sie verdrehen, beschneiden und manipulieren die Positionen, die sie vielleicht zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Arbeiterbewegung verteidigt haben, um sie in ihr absolutes Gegenteil zu verwandeln. Sie nehmen Zitate von Marx, Engels oder Lenin und legen ihnen Worte in den Mund wie, dass die kapitalistische Ausbeutung gut ist, dass die Nation das Wertvollste ist, dass es uns möglich sein sollte, Unterstützer des imperialistischen Krieges zu sein und den Staat als unseren Wohltäter und Beschützer zu akzeptieren, usw.
Marx, Engels und Lenin, die für die Zerstörung des Staates gekämpft haben, sind auf magische Weise für diese Gruppen zu deren enthusiastischsten Verteidigern geworden. Marx, Engels, Lenin, die bedingungslos für den Internationalismus kämpften, sind zu Verfechtern der "nationalen Befreiung" und Verteidigern des Vaterlandes geworden. Marx, Engels, Lenin, die den Abwehrkampf des Proletariats beflügelten, sind in ihrer Darstellung die Verfechter des Produktivismus und zu Befürwortern der Arbeiter geworden, die sich im Dienste des Kapitals opfern.
An der Spitze der Förderung dieses Werkes der Verfälschung stand der Stalinismus[5]. Stalin führte diese widerwärtige Pervertierung systematisch an. Wir können uns auf Ante Ciligas Buch „Das russische Rätsel“ stützen, um dies zu veranschaulichen[6]. Es beschreibt ausführlich diesen Prozess, der Mitte der 1920er Jahre begann:
Das so besondere sozialistische Regime, das sich in Rußland zu entwickeln begann, trachtete danach, sich auf allen Gebieten der Wissenschaft seine eigene Ideologie zu schaffen. Genauer gesagt, es trachtete danach, seine eigene Weltanschauung mit der alten Wissenschaft, ebenso wie mit der traditionellen Ideologie des Marxismus und den neuen wissenschaftlichen Gegebenheiten zu verschmelzen. (S. 45 deutsche Ausgabe)
Um dies zu erklären, erinnerte er daran, dass "Hegel (...) gezeigt hatte, dass ein Phänomen seine Form beibehalten kann, während sein Inhalt völlig verändert wird; (...) hatte Lenin nicht gesagt, dass es oft das Schicksal großer Männer ist, nach ihrem Tod als Ikonen zu dienen, während ihre befreienden Ideen verfälscht werden, um eine neue Unterdrückung und eine neue Sklaverei zu rechtfertigen?“ (dies fehlt in der deutschen Ausgabe, daher zitieren wir die spanische Ausgabe Seite 109).
Während seiner Zeit an der "Kommunistischen Akademie" in Moskau stellte er fest, dass
Jedes Jahr wurden die Vorlesungsprogramme abgeändert. Man fälschte immer schamloser die historischen Tatsachen und Werte. Nicht nur mit der jüngsten Geschichte der revolutionären Bewegung in Rußland machte man es so, sondern auch mit weit zurückliegenden Ereignissen wie der Pariser Kommune, der Revolution von 1848, der großen Französischen Revolution. [...] Was sollte man von der Geschichte der Komintern sagen? Jede Neuauflage der „Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Komintern” brachte eine neue Version, die in vieler Hinsicht den vorhergehenden völlig entgegengesetzt war. Mit der Wirtschaftspolitik und Philosophie erging es nicht anders.“ (S. 43 der deutschen Ausgabe).
Da diese Fälschungen in allen Unterrichtszweigen zugleich vorgenommen wurden, schloß ich daraus, daß es sich nicht um Zufälle, sondern um ein System handelte, das Geschichte, Wirtschaftspolitik und die anderen Wissenschaften gemäß den Interessen und der Weltanschauung der Bürokratie abänderte [...]. In der Tat, eine neue Schule, eine bürokratische Schule des Marxismus entstand in Rußland. (S. 44 der deutschen Ausgabe)
Dementsprechend würden die linken und linksextremen Parteien drei Methoden anwenden:
Marx, Engels, Lenin, Rosa Luxemburg, waren nicht unfehlbar. Auch sie haben Fehler gemacht.
Im Widerspruch zur mechanistischen Sichtweise des bürgerlichen Denkens sind Fehler oft unvermeidlich und können ein notwendiger Schritt zur Wahrheit sein. Wahrheit an sich ist nicht absolut, sondern hat einen historischen Charakter. Für Hegel sind Fehler ein notwendiges und sich entwickelndes Moment der Wahrheit.
Dies wird deutlicher, wenn wir berücksichtigen, dass das Proletariat eine ausgebeutete Klasse und eine revolutionäre Klasse ist und dass es als ausgebeutete Klasse unter dem vollen Gewicht der herrschenden Ideologie leidet. Wenn das Proletariat - oder zumindest ein Teil davon - es also wagt, zu denken, Hypothesen zu formulieren, Forderungen zu stellen und sich Ziele zu setzen, erhebt es sich gegen die Passivität und den Stumpfsinn, die ihm der kapitalistische ‚gesunde Menschenverstand‘ auferlegt; aber gleichzeitig kann es schwerwiegende Fehleinschätzungen vornehmen und in die Annahme von Ideen zurückfallen, die die gesellschaftliche Entwicklung selbst oder die Dynamik des Klassenkampfes selbst bereits überwunden oder verworfen hat.
Marx und Engels glaubten, dass der Kapitalismus 1848 reif genug war, um durch den Kommunismus ersetzt zu werden, und befürworteten ein "kapitalistisches Übergangprogramm", das als Plattform für den Sozialismus dienen würde (die Theorie der "permanenten Revolution").
Ihr kritisches Denken veranlasste sie jedoch dazu, diese Spekulation zurückzuweisen, die sie 1852 aufgaben. In ähnlicher Weise glaubten sie, dass der kapitalistische Staat erobert und als Hebel für die Revolution benutzt werden sollte, aber die lebendige Erfahrung der Pariser Kommune half ihnen, sich von diesem Irrtum zu überzeugen und zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass der kapitalistische Staat zerstört werden müsse.
Wir könnten viele andere Beispiele anführen, aber was wir hier zeigen wollen, ist, wie die linken Gruppen diese Fehler als Rechtfertigung für ihr konterrevolutionäres Programm nutzen. Lenin war ein engagierter Internationalist, aber er war in der Frage der nationalen Befreiung nicht klar genug, und er machte dabei schwerwiegende Fehler. Diese Fehler, aus ihrem historischen Kontext herausgenommen, werden von dem internationalistischen Kampf, den er führte, losgelöst und dann in "Gesetze" verwandelt, die für alle Zeiten gültig sind[7]. Diese Fehler werden heuchlerisch in eine Verteidigung des Kapitals verwandelt.
Wie ist diese Verfälschung möglich? Einer der wichtigsten Wege ist die Zerstörung des kritischen Denkens der Militanten. Kohärente Marxisten teilen mit der Wissenschaft das, was sie am besten kann: kritisches Denken, d.h. die Fähigkeit, Positionen in Frage zu stellen, die aus verschiedenen Gründen mit der Realität und den Bedürfnissen des proletarischen Kampfes in Konflikt geraten. Der Marxismus ist keine Reihe von Dogmen, die von den Gehirnen von Genies produziert werden und die nicht verändert werden können; er ist eine kämpferische, lebendige, analytische und sich ständig weiterentwickelnde Methode, und aus diesem Grund ist das kritische Denken für ihn grundlegend. Die Unterdrückung dieses kritischen Geistes ist die Hauptaufgabe der linken Gruppen, wie ihrer stalinistischen Meister, die, wie Ciliga während seiner Zeit an der "Kommunistischen Universität" in Leningrad über Studenten und zukünftige Parteiführer sagte, "was nicht im Lehrbuch stand, existierte für sie nicht. Niemals stellten sie eine Frage, die über den eigentlichen Vorlesungsgegenstand hinausging. Ihr geistiges Leben war völlig mechanisiert. Als ich mich bemühte, ihren engen Horizont zu erweitern, ihre Neugier und ihren kritischen Sinn zu wecken, zeigten sie sich taub. Es war, als wäre ihr soziales Gefühl abgestumpft. ". (Seite 42 deutsche Ausgabe).
Daher müssen proletarische Militante und revolutionäre Gruppen angesichts des blinden Festhaltens, das von linken Gruppen (von den Stalinisten bis zu den Trotzkisten und vielen Anarchisten) befürwortet wird, darum kämpfen, ihr kritisches Denken, ihre Fähigkeit zur Selbstkritik am Leben zu erhalten; sie sollten ständig bereit sein, die Fakten zu hinterfragen, und auf der Grundlage einer historischen Analyse wissen, wie sie Positionen, die nicht mehr gültig sind, neu bewerten können.
Ein weiteres Merkmal der linken Methode ist die Verteidigung zuvor korrekter revolutionärer Positionen, die durch historische Ereignisse entkräftet oder kontraproduktiv geworden sind. Nehmen wir zum Beispiel die Unterstützung der Gewerkschaften durch Marx und Engels. Die linken Gruppen kommen zu dem Schluss, dass die Gewerkschaften, wenn sie in den Tagen von Marx und Engels Organe des Proletariats waren, dies zu jeder Zeit sein müssen. Sie benutzen eine abstrakte und zeitlose Methode. Sie verbergen die Tatsache, dass mit der Dekadenz des Kapitalismus die Gewerkschaften zu Organen des bürgerlichen Staates gegen das Proletariat geworden sind[8].
Es gibt revolutionäre Kämpfer, die mit linken Positionen brechen, aber nicht mit ihrer scholastischen Methode. So beschränken sie sich z.B. einfach darauf, die linke Position gegenüber den Gewerkschaften umzukehren: Wenn die Position der linken Gruppen war, dass die Gewerkschaften immer im Dienste der Arbeiterklasse gestanden haben, so kommen diese revolutionären Militanten zu dem Schluss, dass die Gewerkschaften immer gegen sie gewesen sind. Sie machen die Position gegenüber den Gewerkschaften zu einer unveränderlichen, zeitlosen Position, so dass sie, wenn sie mit der Extremen Linken gebrochen zu haben scheinen, immer noch ihre Gefangene bleiben.
Dasselbe gilt für die Sozialdemokratie. Es ist schwer vorstellbar, dass die heute existierenden "sozialistischen Parteien" in der Zeit von 1870 bis 1914 Parteien der Arbeiterklasse waren, dass sie zu ihrer Einheit, ihrem Bewusstsein und der Kraft ihrer Kämpfe beigetragen haben. Angesichts dieser Tatsache kommen die Linken, insbesondere der Trotzkismus, zu folgendem Schluss: Sozialdemokratische Parteien waren immer Arbeiterparteien und werden nie aufhören, Arbeiterparteien zu sein, trotz all ihrer konterrevolutionären Handlungen.
Es gibt jedoch auch einige Revolutionäre, die mit gleicher Absolutheit, das Gegenteil sagen: Während die Trotzkisten von der Sozialdemokratie als einer Partei sprechen, die eine Arbeiterpartei ist und immer sein wird, schließen sie selbst daraus, dass die Sozialdemokratie kapitalistisch ist und immer war. Sie ignorieren die Tatsache, dass der Opportunismus eine Krankheit ist, die die Arbeiterbewegung befallen und ihre Parteien zum Verrat und zur Integration in den kapitalistischen Staat führen kann.
Gefangen durch ihr linkes Erbe, ersetzen sie die historische und dialektische Methode durch die scholastische Methode und verstehen nicht, dass eines der Prinzipien der Dialektik die Umwandlung von Gegensätzen ist: ein Ding, das existiert, kann umgewandelt werden, um auf entgegengesetzte Weise zu handeln. Die proletarischen Parteien können sich aufgrund der Degeneration durch das Gewicht der bürgerlichen Ideologie und des Kleinbürgertums in ihr diametrales Gegenteil verwandeln: Sie können zu bedingungslosen Dienern des Kapitalismus werden[9].
Wir sehen dies als eine weitere Folge der linksextremen Methode: Sie lehnen die historische Dimension von Klassenpositionen und den Prozess, durch den sie formuliert werden, ab. Damit wird eine weitere wesentliche Komponente der proletarischen Methode eliminiert. Jede Generation von Arbeitern steht auf den Schultern der vorhergehenden Generation: die Lehren, die durch den Klassenkampf und die theoretischen Bemühungen, die er hervorgebracht hat, gezogen wurden, führen zu Schlussfolgerungen, die als Ausgangspunkt dienen, aber nicht der Endpunkt sind. Die Entwicklung des Kapitalismus und gerade die Erfahrungen des Klassenkampfes machen neue Entwicklungen oder kritische Korrekturen früherer Positionen notwendig. Die Linke verweigert eine kritische historische Kontinuität, indem sie eine dogmatische und ahistorische Vision propagiert.
Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert entwickelten die Denker, die die bürgerliche Revolution einläuteten, einen Materialismus, der zu seiner Zeit revolutionär war, weil er den feudalen Idealismus einer unerbittlichen Kritik unterwarf. Als jedoch die Macht in den wichtigsten Ländern ergriffen wurde, wurde das bürgerliche Denken konservativ, dogmatisch und ahistorisch. Das Proletariat hingegen hat in seinen eigenen „Genen“ ein kritisches und historisches Denken, die Fähigkeit, sich nicht von den Ereignissen einer bestimmten Epoche, so wichtig sie auch sein mögen, einfangen zu lassen und sich nicht von der Vergangenheit oder der Gegenwart leiten zu lassen, sondern von der Perspektive der revolutionären Zukunft, deren Träger es ist. "Die Geschichte der Philosophie und die Geschichte der Sozialwissenschaft zeigen mit aller Deutlichkeit, daß der Marxismus nichts enthält, was einem „Sektierertum“ im Sinne irgendeiner abgekapselten, verknöcherten Lehre ähnlich wäre, die abseits von der Heerstraße der Weltzivilisation entstanden ist. Im Gegenteil: Die ganze Genialität Marx’ besteht gerade darin, daß er auf die Fragen Antworten gegeben hat, die das fortgeschrittene Denken der Menschheit bereits gestellt hatte. Seine Lehre entstand als direkte und unmittelbare Fortsetzung der Lehren der größten Vertreter der Philosophie, der politischen Ökonomie und des Sozialismus."[10]
Wie das bürgerliche Denken ist die linke Ideologie einerseits dogmatisch und idealistisch, andererseits relativistisch und pragmatisch. Die Linke erhebt die linke Hand und verkündet einige "Prinzipien", die in den Rang universeller Dogmen erhoben werden, die für alle möglichen Welten und für alle Zeiten gelten. Aber mit der rechten Hand, die sich auf "taktische Überlegungen" beruft, behält sie diese heiligen Prinzipien in der Tasche, weil "die Bedingungen nicht richtig sind", "die Arbeiter nicht verstehen werden", "der Zeitpunkt falsch ist" usw.
Dogmatismus und Taktieren sind nicht gegensätzlich, sondern komplementär. Das Dogma, das die Menschen zur Teilnahme an Wahlen ermutigt, wird ergänzt durch die "Taktik", sie "zu benutzen", um "uns bekannt zu machen" oder "den Vormarsch des rechten Flügels zu blockieren" usw. Der Dogmatismus scheint also etwas Theoretisches zu sein, ist in Wirklichkeit aber eine abstrakte Vision, die außerhalb der historischen Entwicklung angesiedelt ist. Die "Taktiken" erscheinen nichtsdestoweniger "praktisch" und "konkret", sind aber in Wirklichkeit eine grobe und kretinisierende Vision, typisch für das bürgerliche Denken, das nicht aus kohärenten Positionen, sondern aus einer anpassungsfähigen und opportunistischen täglichen Aktivität hervorgeht.
Dies führt uns zum Verständnis des dritten Merkmals der linken Denkweise: Sie muss die korrekten Positionen der Revolutionäre in Abstraktionen verwandeln, aus dem Zusammenhang gerissen, um ihre revolutionäre Klinge abzustumpfen; wie Lenin gesagt hatte, um sie für das Kapital unschädlich zu machen, indem man sie als abstrakte und unwirksame "Prinzipien" darstellt. So werden der Kommunismus, die Diktatur des Proletariats, die Arbeiterräte, der Internationalismus... zu einem rhetorischen Geschwafel und zynischen Geschwätz, an das die Führer nicht glauben, das sie aber schamlos benutzen, um die treuen Anhänger zu manipulieren. Ciliga unterstrich in dem erwähnten Buch „das Talent der kommunistischen Bürokratie unterschätzt hatte, genau das Gegenteil von dem zu tun, was sie verkündete, und die schlimmsten Verbrechen mit einem Schwall fortschrittlicher Phrasen zu bemänteln.“ (Seite 26 deutsche Ausgabe).
In linken und linksextremen Organisationen gibt es keine Prinzipien. Ihre Sichtweise ist rein pragmatisch und ändert sich je nach den Umständen, d.h. je nach den politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Bedürfnissen des nationalen Kapitals, dem sie dienen. Die Prinzipien lassen sich den Umständen und besonderen Momenten anpassen, z.B. bei Parteitagen und großen Jubiläen, und werden als Vorwand benutzt, um Militante der "Verletzung der Prinzipien" zu beschuldigen; sie werden auch als Waffen in Streitigkeiten zwischen Fraktionen eingesetzt.
Diese Sicht der "Prinzipien" steht in radikalem Gegensatz zu der einer revolutionären Organisation, die auf der „ Existenz eines für die ganze Organisation gültigen Programms“ beruht. „Als Synthese der Erfahrungen des Proletariats (von dem die Organisation ein Teil ist), als Ausdruck einer Klasse, die nicht nur in der Gegenwart existiert, sondern auch eine historische Zukunft hat, drückt dieses Programm:
diese Zukunft durch die Festlegung der Ziele der Klasse und des Weges zur Erreichung desselben aus,
faßt es die grundlegenden Positionen zusammen, welche eine Organisation in der Klasse verteidigen muß,
dient es als Grundlage zum Beitritt zu einer Organisation.[11]
Das revolutionäre Programm ist die Quelle der Tätigkeit der Organisation, ihre theoretischen Werke eine Quelle der Inspiration und ein Ansporn zum Handeln. Es muss daher sehr ernst genommen werden. Der Militante, der aus der Linken kommt und noch keinen Weg gefunden hat, wie er sich von ihr lösen kann, glaubt oft unbewusst, dass das Programm nur zur Show dient, eine Sammlung einfacher Phrasen, die bei feierlichen Anlässen beschworen werden, und deshalb möchte er, dass der "rhetorische" Kram wegfällt. Zu anderen Zeiten, wenn er sich über einen Genossen ärgert oder glaubt, von den Zentralorganen an den Rand gedrängt zu werden, versucht er, ihnen "die Schuld zu geben", indem er das Programm benutzt, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.
Gegen diese beiden falschen Sichtweisen behaupten wir, dass die wesentliche Funktion des Programms einer proletarischen Organisation die einer Waffe der Analyse ist, die von allen Militanten geteilt wird und der alle verpflichtet sind, um ihre Entwicklung voranzutreiben; es ist ein Mittel zur Intervention in den proletarischen Kampf, eine Orientierung und ein aktiver Beitrag zu seiner revolutionären Zukunft.
Die pragmatischen und "genialen" Sophismen der Linken richten großen Schaden an, weil sie es erschweren, vom Allgemeinen zum Konkreten, vom Abstrakten zum Unmittelbaren, vom Theoretischen zum Praktischen überzugehen und somit einen globalen Ansatz verhindern. Die linke Methode bricht das Band, das diese beiden Facetten des proletarischen Denkens verbindet, indem sie die tatsächliche Verwirklichung der Einheit zwischen dem Konkreten und dem Allgemeinen, dem Unmittelbaren und dem Historischen, dem Lokalen und dem Globalen verhindert. Die Tendenz und der Druck gehen in Richtung eines einseitigen Denkens. Die Linke ist im Alltag ein Lokalist, zeigt aber an Feiertagen eine "internationalistische" Haltung. Die Linke sieht nur das Unmittelbare und Pragmatische, verschönert es aber mit einigen "historischen" Bezügen und grüßt "die Prinzipien". Die Linke ist erbärmlich "konkret", wenn es darum geht, eine abstrakte Analyse zu entwickeln, und sie begibt sich in einen abstrakten Dunst, wenn eine konkrete Analyse erforderlich ist.
Wir haben auf sehr anschauliche Weise einige Merkmale des linken Denkens und seine Auswirkungen auf die Position der kommunistischen Militanten gesehen.
Wir können uns einige davon ansehen. Die Dritte Internationale benutzte eine Formel, die nur unter bestimmten historischen Bedingungen Sinn macht: "Hinter jedem Streik steht das Gespenst der Revolution".
Diese Formel ist nicht gültig, wenn das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen für die Bourgeoisie günstig ist. Doch Trotzki benutzte sie zum Beispiel schematisch, angesichts der Streiks von 1936 in Frankreich und der mutigen Reaktion des Proletariats von Barcelona im Juli 1936 gegen den faschistischen Staatsstreich sprach er davon, diese würden "die Türen zur Revolution öffnen". Dies berücksichtigte nicht den unaufhaltsamen Kurs in Richtung eines imperialistischen Krieges, die Zerschlagung des russischen und deutschen Proletariats, die Rekrutierung von Arbeitern unter dem Banner des Antifaschismus. Er ließ diese historische und globale Analyse aus und wandte nur das inhaltslose Rezept an: "Hinter jedem Streik steckt das Gespenst der Revolution"[12].
Eine weitere Folge ist ein vulgärer Materialismus, der im Kern vom Ökonomismus durchdrungen ist. Alles würde von der Wirtschaft bestimmt, was jedoch tatsächlich die größte geistige Kurzsichtigkeit widerspiegelt. Phänomene wie der Krieg werden von ihren imperialistischen, strategischen und militärischen Wurzeln getrennt, in dem Versuch, die fantasievollsten ökonomischen Erklärungen zu finden. So wird der islamische Staat, eine Mafiabande, ein barbarisches Nebenprodukt des Imperialismus, gleich gesetzt mit einer Ölgesellschaft.
Schließlich ist eine weitere Folge die von der Linken vorgenommenen Manipulation der marxistischen Theorie, die als eine Angelegenheit von Spezialisten, Experten, brillanten Führern betrachtet wird. Alles, was diese aufgeklärten Führer ausspucken, sollte von den Mitglieder der Basis buchstabengetreu befolgt werden, die bei der theoretischen Entwicklung keine Rolle spielen, denn ihre Aufgabe besteht darin, Flugblätter zu verteilen, die Presse zu verkaufen, Stühle für Sitzungen zu tragen, Plakate zu kleben... d.h. als Arbeitskraft oder Kanonenfutter für die "geliebten Führer" zu dienen.
Diese Auffassung ist für die Linke von wesentlicher Bedeutung, da ihre Aufgabe darin besteht, das Denken von Marx, Engels, Lenin usw. zu verzerren, und dafür brauchen sie Militante, die ihre Geschichten bedingungslos glauben. Es ist jedoch schädlich und destruktiv, wenn eine solche Konzeption revolutionäre Organisationen infiltriert. Die heutige revolutionäre Organisation "ist unpersönlicher als im 19. Jahrhundert und tritt nicht mehr als eine Organisation von Führern auf, die die Masse der Militanten dirigieren. Die Zeit der illustren Führer und großen Theoretiker ist vorbei. Die theoretische Weiterentwicklung ist zu einer wahrhaft kollektiven Aufgabe geworden. Nach dem Bilde von Millionen "anonymer" proletarischer Kämpfer entwickelt sich das Bewusstsein der Organisation durch die Integration und Überflügelung des individuellen Bewußtseins in einem einzigen, kollektiven Bewusstsein."[13].
C Mir, 27.12.17
Anmerkung zur deutschen Übersetzung: diese Artikelreihe hat zum Gegenstand die zerstörerische Wirkung der „Linken des Kapitals“ zu analysieren. Im französichen ist der Begriff „gauchiste“, im englischen der Begriff „leftism“ eindeutig, und dient zur klaren Abgrenzung von der wirklichen „Linken“ („gauche“ bzw „left“). In der deutschen Sprache gibt es keine Entsprechung. In dieser Übersetzung sprechen wir von linken oder linksextremen Gruppen, Organisationen, Parteien (wie den Trotzkisten, Maoisten) oder auch Ideen und Positionen und meinen damit konsequent die „Linke des Kapitals“ und wenn dies nicht immer voll ausgeschrieben ist, sondern manchmal von „linker Ideologie“, „die Linke“ oder „linksextreme“ die Rede ist.
[1]/content/2952/das-verborgene-erbe-der-linken-des-kapitals-teil-1-eine-falsche-auffassung-von-der [14]
[2]Der folgende Abschnitt aus dem Manifest der Kommunistischen Partei, der dem bürgerlichen Sozialismus gewidmet ist, beschreibt sehr gut das Anliegen der Linken und extremen Linken des Kapitals: „Sie wollen die Bourgeoisie ohne das Proletariat. Die Bourgeoisie stellt sich die Welt, worin sie herrscht, natürlich als die beste Welt vor. Der Bourgeoissozialismus arbeitet diese tröstliche Vorstellung zu einem halben oder ganzen System aus. Wenn er das Proletariat auffordert, seine Systeme zu verwirklichen und in das neue Jerusalem einzugehen, so verlangt er im Grunde nur, daß es in der jetzigen Gesellschaft stehenbleibe, aber seine gehässigen Vorstellungen von derselben abstreife. […] Der Sozialismus der Bourgeoisie besteht eben in der Behauptung, daß die Bourgeois Bourgeois sind – im Interesse der arbeitenden Klasse.“
[3]"Die Funktion der revolutionären Organisation [15]", (Internationale Revue 9).
[4]"Die Frage der Funktionsweise in der IKS“ (International Review 30) /content/685/dokumente-aus-dem-organisationsleben-die-frage-der-funktionsweise-der-iks [16]
[5]Der Stalinismus wiederum wurde von der Drecksarbeit der Sozialdemokratie inspiriert, die 1914 das Proletariat verriet. Rosa Luxemburg prangerte ihn in 'Unser Programm und die politische Lage; Ansprache an den Gründungskongress der Deutschen Kommunistischen Partei (Spartakusbund)' vom 31. Dezember 1918, 1. Januar 1919 an: „Ihr seht ja an den Vertretern dieses Marxismus, wohin er heutzutage geraten, als Neben- und Beigeordneter der Ebert, David und Konsorten. Dort sehen wir die offiziellen Vertreter der Lehre, die man uns jahrzehntelang als den wahren, unverfälschten Marxismus ausgegeben hat. Nein, Marxismus führte nicht dorthin, zusammen mit den Scheidemännern konterrevolutionäre Politik zu machen. Wahrer Marxismus kämpft auch gegen jene, die ihn zu verfälschen suchten [...]“ https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1918/12/programm.html [17]
[6]Ante (oder Anton) Ciliga (1898-1992) war kroatischer Herkunft. Er trat der Kommunistischen Partei Jugoslawiens bei und lebte ab 1925 in Russland, wo er sich der konterrevolutionären Degeneration der UdSSR bewusst wurde. Er schloss sich Trotzkis linker Opposition an. Er wurde 1930 zum ersten Mal verhaftet und nach Sibirien geschickt, wo er 1935 schließlich freigelassen wurde. Danach ließ er sich in Frankreich nieder, wo er in dem oben zitierten Buch einen sehr klaren Bericht über alles, was in der UdSSR, in der Dritten Internationale und in der KPdSU geschehen war, schrieb. Die deutsche nicht komplette Ausgabe findet sich hier: www.kommunismus.narod.ru/knigi/pdf/Ante_Ciliga_-_Im_Land_der_verwirrenden_Luege.pdf [18] unsere Seitenangaben stammen aus der gedruckten Ausgabe von Die Buchmacherei, 2010. Ein Zitat mussten wir aus der spanischen Ausgabe übersetzen: marxismo.school/files/2017/09/Ciliga.pdf. In der Folge entfernte sich Ciliga immer weiter von proletarischen Positionen und rutschte zur Verteidigung der Demokratie ab, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg.
[7]Zu diesem Thema siehe: "Teil II Die Kommunisten und die nationale Frage (1900-1920)" /content/1293/teil-ii-die-kommunisten-und-die-nationale-frage-1900-1920-aus-international-review-engl [19]
[8]Siehe unsere Broschüre, Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse
[9]siehe dazu den Artikel „Wie die II. Internationale scheiterte [20]“ in der Internationalen Revue (englische Ausgabe).
[10]Lenin, „Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus“ (1913) LW 19 https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1913/03/quellen.htm [21]
[11]"Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre", International Revue 22 (1983), Punkt 1 /content/1075/bericht-zur-struktur-und-funktionsweise-der-organisation-der-revolutionaere [22]
[12]Dieser Fehler von Trotzki wurde vom Trotzkismus ausgenutzt, um jeden Aufstand und gar von sogenannten Guerillas durchgeführte Staatsstreiche wie in Kuba 1959 als „Revolution“ zu bezeichnen.
[13]"Die Funktion der revolutionären Organisation [15]", (Internationale Revue 9).
Diese Serie hat den am wenigsten sichtbaren Teil (das verborgene Gesicht) der Organisationen der Linken und der extremen Linken des Kapitals (Sozialisten, Stalinisten, Trotzkisten, Maoisten, offizieller Anarchismus, die 'neue' Linke von Syriza, France Insoumise und Podemos) angeprangert. Im ersten Artikel der Serie sahen wir, wie diese Organisationen die Arbeiterklasse, die sie vorgeben zu verteidigen, tatsächlich infrage stellen, im zweiten haben wir ihre Methode und Denkweise entlarvt. In diesem dritten Artikel wollen wir ihre Funktionsweise analysieren, die internen Verhältnisse dieser Parteien und wie diese Funktionsweise die Infragestellung aller kommunistischen Prinzipien selbst und ein Hindernis für jede Bewegung in Richtung dieser Prinzipien darstellt.
Die Kräfte des Stalinismus, Trotzkismus usw. haben eine völlige Verfälschung der proletarischen Positionen in Bezug auf ihre Organisation und ihr Verhalten betrieben. Zentralisierung bedeutet für sie Unterwerfung unter eine allmächtige Bürokratie, und Disziplin heißt blinde Unterwerfung unter eine Kontrollkommission. Die Mehrheitsposition ist das Ergebnis eines Machtkampfes. Und eine Debatte ist in ihrer manipulativen Weise eine Waffe, um die Position rivalisierender Gruppen zu überwinden. Und so könnten wir bis zum Erbrechen weitermachen.
Es kann vorkommen, dass ein proletarischer Militanter innerhalb einer wirklich kommunistischen Organisation dazu neigt, ihre organisatorischen Positionen und ihr Verhalten aus dem Blickwinkel der düsteren Zeiten zu betrachten, die sie in der einen oder anderen linken Organisation verbracht haben.
Wenn wir mit einem solchen ehemaligen Mitglied einer linken Gruppe über die Notwendigkeit von Disziplin sprechen, erinnern sie sich an den Albtraum, den sie durchlebt haben, als sie Mitglied einer Organisation der bürgerlichen Linken waren.
In diesen Organisationen bedeutet "Disziplin", absurde Dinge zu verteidigen, weil "die Partei es verlangt". Heute müssen sie sagen, dass ein rivalisierender Teil "bürgerlich" war, und morgen, je nach den politischen Veränderungen in den Bündnissen der Führung, wird dieser Teil jetzt als der proletarischste der Welt angesehen.
Wenn die Politik des Zentralkomitees falsch ist, dann ist das allein die Schuld der Militanten, die "einen Fehler gemacht haben" und "das, was das Zentralkomitee beschlossen hatte, nicht richtig umgesetzt haben". Wie Trotzki sagte: "Jede Resolution des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, die neue Niederlagen verzeichnet, erklärte einerseits, dass alles geplant war und dass es andererseits die Schuld derjenigen ist, die sie interpretiert haben, weil sie die ihnen von oben vorgegebene Linie nicht verstanden hatten".[1]
Nach diesen traumatischen Erlebnissen empfindet der Militante, der diese Parteien durchlebt hat, eine tiefgreifende Ablehnung der Disziplin und versteht nicht, dass die proletarische Disziplin etwas radikal anderes ist und im Gegensatz zur Disziplin der Bourgeoisie steht.
In einer proletarischen Organisation bedeutet "Disziplin", dass alle Entscheidungen respektiert werden und dass jeder sich dafür einsetzt, sie zu erreichen. Einerseits ist sie verantwortlich für und andererseits der praktische Ausdruck des Vorrangs des Kollektivs vor dem Individuum - was aber nicht bedeutet, dass Individuum und Kollektiv einander gegenüberstehen, sondern vielmehr verschiedene Aspekte derselben Einheit zum Ausdruck bringen. Folglich ist die Disziplin in einer revolutionären Organisation freiwillig und bewusst. Diese Disziplin ist nicht blind, sondern basiert auf einer Überzeugung und einer Perspektive.
In einer bürgerlichen Organisation bedeutet Disziplin im Gegenteil die Unterwerfung unter eine allmächtige Führung und den Verzicht auf jegliche Verantwortung, indem man sie in den Händen dessen belässt, was diese Führung tut oder sagt. In einer bürgerlichen Organisation beruht die Disziplin auf dem Gegensatz zwischen dem "Kollektiv" und dem Individuum. Das "Kollektiv" sind hier die Interessen des nationalen Kapitals und seines Staates, die diese Organisationen in ihrem jeweiligen Bereich verteidigen, ein Interesse, das keineswegs mit dem seiner Mitglieder übereinstimmt. Deshalb wird ihre Disziplin entweder aus Furcht vor öffentlicher Zurechtweisung auferlegt, die zu einem Ausschluss führen könnte; oder, wenn sie freiwillig angenommen wird, ist sie das Ergebnis eines Schuldgefühls oder eines kategorischen Imperativs, der mehr oder weniger periodische Konflikte mit den authentischen Interessen jedes Einzelnen hervorruft.
Das mangelnde Begreifen des radikalen Unterschieds, der zwischen proletarischer und bürgerlicher Disziplin besteht, führt oft dazu, dass einige Militante, die die bürgerliche Linke oder den Linksextremismus durchlaufen haben und sich in einer proletarischen Organisation wiederfinden, in einen Teufelskreis geraten. Einst folgten sie den Befehlen ihrer Vorgesetzten wie Schafe; jetzt, in einer proletarischen Organisation, lehnen sie jede Disziplin ab und stimmen nur mit einer einzigen Ordnung überein: die, die von ihrer eigenen Individualität diktiert wird.
Nach ihrer Erfahrung mit der Kasernendisziplin vertreten sie nunmehr die „Disziplinlosigkeit“, d.h. jeder kann tun was er will, oder anders ausgedrückt: sie predigen die anarchische Disziplin des Individualismus. Nun dreht man sich im Kreis, gefangen zwischen der wilden und gewalttätigen Disziplin der Parteien der Bourgeoisie und der individualistischen Disziplinlosigkeit ("zu tun, was ich will"), die für die Kleinbourgeoisie und den Anarchismus charakteristisch ist.
Auch das Konzept der Zentralisierung wird von Militanten, die dem vergiftenden Einfluss der Linken (des Kapitals) ausgeliefert sind.
Sie assoziieren Zentralisierung mit:
Tatsächlich basiert die bürgerliche Zentralisierung auf diesen Konzepten. Das ist darauf zurückzuführen, dass innerhalb der Bourgeoisie Einheit nur dann besteht, wenn sie mit einem imperialistischen Krieg oder dem Proletariat konfrontiert ist; im Übrigen gibt es einen ständigen Interessenkonflikt zwischen ihren verschiedenen Fraktionen.
Um Ordnung in ein solches Chaos zu bringen, muss die Autorität eines "Zentralorgans" durch Willen oder Gewalt durchgesetzt werden. Die bürgerliche Zentralisierung ist also notwendigerweise bürokratisch und von oben nach unten gerichtet.
Diese allgemeine Bürokratisierung aller bürgerlichen Parteien und ihrer Institutionen ist umso unentbehrlicher bei den (sogenannten) "Arbeiter"-Parteien oder der Linken, die sich als Verteidiger der Arbeiter präsentieren.
Die Bourgeoisie kann sich dieser eisernen Disziplin des politischen Apparates unterwerfen, weil sie in ihren eigenen Institutionen eine totale und diktatorische Macht ausüben kann. In einer Organisation der Linken oder der extremen Linken gibt es jedoch einen sorgfältig verborgenen Antagonismus zwischen dem, was offiziell behauptet wird, und dem, was wirklich geschieht. Um diesen Widerspruch aufzulösen, braucht sie eine Bürokratie und eine vertikale Zentralisierung.
Um die Mechanismen der bürgerlichen Zentralisierung zu verstehen, die in den Parteien der Linken des Kapitals praktiziert wird, können wir uns den Stalinismus ansehen, der ein echter ‚Wegbereiter‘ war. In seinem Buch Die Dritte Internationale nach Lenin analysiert Trotzki die Methoden der bürgerlichen Zentralisierung, die in den kommunistischen Parteien praktiziert wurden.
Er erinnert daran, wie der Stalinismus, um die bürgerliche Politik durchzusetzen, "eine Geheimgesellschaft mit ihrem illegalen Zentralkomitee (dem Septemvirat) mit seinen Rundschreiben, Geheimagenten und Codes usw. angenommen hat. (...)Der Parteiapparat schuf in sich selbst eine geschlossene und außer Kontrolle geratene Ordnung, die über außergewöhnliche Mittel verfügte, nicht nur für diesen Apparat, sondern auch für den Staat, der eine Partei der Massen in ein Instrument verwandelte, das die Aufgabe hatte, alle Manöver und Intrigen zu tarnen". (idem).[2]
Um die revolutionären Versuche des Proletariats in China auszulöschen und den imperialistischen Interessen des russischen Staates in den Jahren 1924-28 zu dienen, wurde die Kommunistische Partei Chinas von oben nach unten, d.h. sehr streng hierarchisch organisiert, wie eine Zeugenaussage aus dem Lokalkomitee von Kiangsu verdeutlicht. " (Das Zentralkomitee) erhob Anschuldigungen und sagte, das Provinzkomitee sei nicht gut; dieses wiederum beschuldigte die Basisorganisationen und sagte, das Regionalkomitee sei schlecht. Letzteres begann, Anschuldigungen zu erheben und sagte, dass die Genossen, die vor Ort arbeiteten, schuld seien. Und die Genossen verteidigten sich und sagten, dass die Massen nicht revolutionär genug seien" (idem).
Die bürokratische Zentralisierung zwingt den Parteimitgliedern eine Karrierementalität auf, wobei sie sich gegenüber ‚Oben‘ unterordnen und denen ‚Unten‘ misstrauen und sie manipulieren. Das ist ein deutliches Merkmal aller Parteien des Kapitalismus, der Linken wie der Rechten, die dem Modell folgen, das Trotzki in den stalinistischen kommunistischen Parteien sah und in den 1920er Jahren anprangerte: "Sie wird aus ganzen Teams junger Akademiker durch Manöver gebildet, die zwar bolschewistisch flexibel sind, aber die Elastizität ihres eigenen Rückgrats verstanden haben" (idem).
Die Folgen dieser Methoden sind, dass "die aufsteigenden Schichten gleichzeitig von einem gewissen bürgerlichen Geist, einem engstirnigen Egoismus und engstirnigen Kalkülen durchdrungen sind" (idem). Man kann sehen, dass sie den festen Willen haben, sich einen Platz zu erkämpfen, ohne sich um andere zu kümmern, ein blinder und spontaner Karrierismus. Um an diesen Punkt zu gelangen, müssen sie alle eine skrupellose Anpassungsfähigkeit, eine schändliche und kriecherische Haltung gegenüber den Mächtigen beweisen. Das ist es, was wir in dieser Hinsicht in jeder Geste, auf jedem Gesicht sehen. Darauf wurde in allen Akten und Reden hingewiesen, die im Allgemeinen voller grober revolutionärer Phraseologie waren"[3]
Wir müssen anhand einer kritischen Analyse wieder alle Organisationskonzepte für uns beanspruchen, die die Arbeiterbewegung vor der enormen Katastrophe verwendet hat, die die ersten Schritte der sozialistischen Parteien auf dem Weg zur Integration in den kapitalistischen Staat und später die Umwandlung der kommunistischen Parteien in stalinistische Kräfte für das Kapital kennzeichneten.
Die proletarische Position zu Fragen der Organisation, auch wenn sie den gleichen Namen trägt, hat nichts mit ihrer verfälschten Darstellung zu tun. Die proletarische Bewegung hat es nicht nötig, neue Konzepte zu erfinden, weil diese Konzepte zu ihr gehören. In der Tat sind diejenigen, die ihre Terminologie geändert haben, die Linken und die extreme Linke des Kapitals; das sind die "Erneuerer", die die moralischen und organisatorischen Positionen der Bourgeoisie übernehmen. Wir werden uns einige dieser proletarischen Konzepte noch einmal ansehen und untersuchen, inwiefern sie in völligem Gegensatz zum Stalinismus, zur Linken und ganz allgemein zu jeder bürgerlichen Organisation stehen.
Zentralisierung ist der Ausdruck der natürlichen Einheit, die innerhalb des Proletariats und folglich unter den Revolutionären besteht. Daher ist die Zentralisierung in einer proletarischen Organisation die kohärenteste Form des Funktionierens und das Ergebnis freiwilliger und bewusster Aktionen. Während die Zentralisierung in einer linken Organisation durch eine Bürokratie und durch Manövrieren erzwungen wird, kommt in einer proletarisch-politischen Organisation, in der es keine unterschiedlichen Interessen gibt, die Einheit durch die Zentralisierung zum Ausdruck; sie ist also bewusst und kohärent.
In einer linken Organisation hingegen, wie in jeder bürgerlichen Organisation, gibt es unterschiedliche Interessen, die mit Einzelpersonen und Fraktionen verbunden sind, die, um diese unterschiedlichen Interessen zu versöhnen, die bürokratische Auferlegung einer Fraktion oder eines Führers oder eine Art "demokratischer Koordinator" zwischen den verschiedenen Führern oder Fraktionen erfordern. In allen Fällen sind Machtkämpfe, Manöver, Verrat, Manipulation und Gehorsam notwendig, um das Funktionieren der Organisation zu "schmieren", weil sie sonst auseinander fällt und zerbricht. Auf der anderen Seite ist in einer proletarischen Organisation „Der Zentralismus ist kein abstraktes oder frei wählbares Prinzip einer Organisationsstruktur. Er stellt die Konkretisierung ihres Einheitscharakters dar; deshalb spiegelt er die Tatsache wider, daß die Organisation als ein einheitlicher Körper Position bezieht und in der Klasse handelt.
In der Beziehung zwischen den verschiedenen Teilen der Organisation und dem Ganzen überwiegt das Ganze."[4].
Innerhalb der Linken ist diese "ein und dieselbe Organisation, die innerhalb der Klasse Positionen einnimmt und handelt", entweder eine Farce oder eine monolithische und bürokratische Auferlegung eines "Zentralkomitees". In einer proletarischen Organisation ist sie die eigentliche Bedingung ihrer Existenz. Es geht darum, dem Proletariat nach einer kollektiven Diskussion und entsprechend seiner historischen Erfahrung alles vor Augen zu führen, was seinen Kampf voranbringt, und ihm nicht vorzumachen, für Interessen zu kämpfen, die nicht seine eigenen sind. Aus diesem Grund ist es notwendig, eine gemeinsame Anstrengung der gesamten Organisation zu unternehmen, um ihre Positionen auszuarbeiten.
Innerhalb der Linken, die mit den manchmal als absurd empfundenen Entscheidungen der "Führung" konfrontiert ist, kümmern sich die Militanten an der Basis um sich selbst und handeln selbst, indem sie in lokalen Strukturen oder in Gruppen, die auf persönlichen Beziehungen basieren, die Positionen festlegen, die sie für richtig halten. In einigen Fällen ist dies eine gesunde proletarische Reaktion angesichts der offiziellen Politik. Diese lokalistische Maßnahme eines jeden für sich selbst ist jedoch kontraproduktiv und negativ in einer proletarischen Organisation. „Wir müssen resolut die Auffassung verwerfen, derzufolge einzelne Teile der Organisation gegenüber der Klasse oder der Organisation Positionen oder Einstellungen vertreten können, die ihnen im Gegensatz zu den Positionen der Organisation, die sie als falsch betrachten, als richtig erscheinen:
Der Ansatz, das irgendein Teil der Organisation (sei es eine lokale Sektion oder eine internationale Kommission) einen Beitrag leistet, um mit der Anstrengung Aller eine korrekte Position zu erreichen, entspricht der Einheit der Interessen, die in einer revolutionären Organisation zwischen allen ihren Mitgliedern besteht. Auf der anderen Seite gibt es in einer Organisation der Linken keine Einheit zwischen der "Basis" und der "Führung". Letztere verfolgt das Ziel, die allgemeinen Interessen der Organisation, d.h. die des nationalen Kapitals, zu verteidigen, während die "Basis" zwischen drei Kräften zerrissen ist, die alle in unterschiedliche Richtungen gehen: die Interessen des Proletariats, die Verantwortung für die kapitalistischen Interessen der Organisation oder, prosaischer ausgedrückt, die Verantwortung für die Karriere auf den verschiedenen bürokratischen Ebenen der Partei. Es ist das Ergebnis eines Gegensatzes und einer Trennung zwischen den Militanten und den Zentralorganen.
Die Mitglieder der revolutionären Organisation haben heute über all dies noch viel zu lernen. Sie werden von dem Verdacht gequält, dass die Zentralorgane am Ende "verraten" werden. Sie vertreten oft die voreingenommene Position, dass die Zentralorgane mit bürokratischen Mitteln alle Dissidenten beseitigen werden. Es breitet sich ein mentaler Mechanismus aus, der besagt, dass "die Zentralorgane Fehler machen können". Das ist vollkommen richtig. Jedes Zentralorgan einer proletarischen Organisation kann Fehler machen. Aber es sollte nicht fatal sein, Fehler zu machen, und wenn tatsächlich Fehler gemacht werden, hat die Organisation die Mittel, sie zu korrigieren.
Wir können dies an einem historischen Beispiel veranschaulichen: Im Mai 1917 beging das Zentralkomitee der bolschewistischen Partei einen Fehler, als es die kritische Unterstützung der Provisorischen Regierung, die aus der Februarrevolution hervorging, befürwortete. Lenin, der im April nach Russland zurückkehrte, legte die berühmten April-Thesen vor, um eine Debatte in Gang zu setzen, in der sich die gesamte Organisation dafür einsetzte, den Fehler zu korrigieren und die Ausrichtung der Partei wieder in die richtige Bahn zu lenken[5].
Diese Episode zeigt die Kluft, die zwischen der vorgefassten Idee, dass 'die Zentralorgane sich irren können', und der proletarischen Auffassung besteht, den Opportunismus zu bekämpfen, wo immer er sich manifestiert (unter den Militanten oder innerhalb des Zentralorgans). Alle proletarischen Organisationen sind dem Druck der bürgerlichen Ideologie ausgesetzt, und das betrifft die Militanten ebenso wie die Zentralorgane. Der Kampf gegen diesen Druck ist die Aufgabe der gesamten Organisation.
Die proletarisch-politischen Organisationen stellen die Mittel der Debatte zur Verfügung, um ihre Fehler zu korrigieren. Wir werden in einem weiteren Artikel dieser Reihe die Rolle der Tendenzen und Fraktionen sehen. Was wir hier unterstreichen wollen, ist, dass, wenn die Mehrheit der Organisation und vor allem ihre Zentralorgane dazu neigen, sich zu irren, die Genossen der Minderheit die Mittel haben, gegen dieses Abdriften zu kämpfen, wie Lenin 1917, was ihn dazu veranlasste, einen außerordentlichen Parteitag zu fordern. Insbesondere " kann eine Minderheit der Organisation einen Außerordentlichen Kongreß von dem Augenblick an einberufen lassen, wenn sie zu einer bedeutenden Minderheit wird (z.B. 2/5): Im allgemeinen muß der Kongreß die Hauptfragen entscheiden, und das Vorhandensein einer größeren Minderheit, die sich für die Einberufung eines Kongresses ausspricht, ist ein Beweis für die Existenz von großen Problemen innerhalb der Organisation.[6]
Es gibt die widerwärtigen Schauspiele von Kongressen von Organisationen der Bourgeoisie. Diese sind ein Spektakel mit Hostessen und Klatschbörsen. Die Führung kommt, um zu protzen und um Applaus für ihre Reden einzuheimsen, der von den Cheerleader-Gruppen-Beifallteams organisiert wird, oder um ihre Fernsehauftritte zu machen. Die Reden stoßen auf großes Desinteresse, das einzige Ziel des Kongresses ist es, zu erfahren, wer welche Schlüsselpositionen in der Organisation übernimmt und wer abgesetzt wird. Die große Mehrheit dieser Sitzungen dient nicht der Diskussion, Klärung und Verteidigung von Positionen, sondern der Zuweisung von Machtquoten an die verschiedenen "Familien" der Partei.
Eine proletarische Organisation muss in diametral entgegengesetzter Weise funktionieren. Der Ausgangspunkt für die Zentralisierung einer proletarischen Organisation ist ihr internationaler Kongress. Der Kongress vereinigt und ist Ausdruck der Organisation als Ganzes, die in souveräner Weise über die Orientierungen und Analysen entscheidet, die sie leiten müssen. Die vom Kongress verabschiedeten Resolutionen legen das Mandat für die Arbeit der Zentralorgane fest. Es kann nicht willkürlich nach den Entwürfen oder Launen der Mitglieder handeln, sondern muss von den Beschlüssen des Kongresses als Ausgangspunkt seiner Tätigkeit ausgehen.
Der Zweite Kongress der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands im Jahre 1903 führte zur bekannten Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki. Einer der Gründe für die Spaltung und die starke Kontroverse zwischen den beiden Parteien der Organisation war, dass letztere die Beschlüsse des Kongresses nicht respektiert hatten. Lenin bekämpfte in seinem Buch „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ diese illoyale Haltung, die eigentlich eine bürgerliche Haltung war. Wenn man nicht einverstanden ist mit den Entscheidungen eines Kongresses, ist die richtige Haltung, die Divergenzen klar darzustellen und auf eine geduldige Debatte zu drängen, um zu einer Klärung zu gelangen.“Der Internationale Kongreß ist der Ort, wo die Einheit der Organisation in ihrem ganzen Ausmaß zum Ausdruck kommt. Auf dem Internationalen Kongreß wird das Programm der IKS definiert, bereichert und korrigiert; dort werden auch die Organisationsformen und Funktionsweisen festgelegt, verändert oder präzisiert; die Analysen und Gesamtausrichtungen angenommen; eine Bilanz der vergangenen Aktivitäten gezogen und Arbeitsperspektiven für die Zukunft verabschiedet. Deshalb muß die Vorbereitung des Kongresses mit der größten Sorgfalt und Energie von der gesamten Organisation durchgeführt werden. Deshalb müssen die Orientierungen und Entscheidungen des Kongresses im Leben der Organisation als ständige Bezugspunkte dienen.“ In einem proletarischen Kongress gibt es keine Zirkel, in denen Verschwörungen gegen Rivalen ausgebrütet werden, sondern eine Diskussion, um möglichst bewusst Positionen zu verstehen und einzunehmen.
In bürgerlichen Organisationen sind die Gänge vor den Sitzungsräumen das Herz des Kongresses, in denen Klatsch und Tratsch, Verschwörungen gegen Rivalen, Manöver und Intrigen geschürt werden. Die Korridore sind der Ort, an dem der Kongress wirklich entschieden wird. Wie Ciliga sagte: "Die Sitzungen waren langweilig, die öffentlichen Sitzungen waren reine Geschwätzigkeit. Alles wurde in den Gängen entschieden".
In einer proletarischen Organisation müssen "die Gänge" als Entscheidungszentren verboten werden, sie sollen lediglich als ein Raum für Entspannung dienen und um engere Beziehungen zwischen den Militanten herstellen zu können. Das Herz des Kongresses muss einzig und allein in seinen offiziellen Sitzungen liegen. Dort müssen die Delegierten die dem Kongress vorgelegten Dokumente sehr sorgfältig bewerten, indem sie Klarstellungen fordern und Änderungsanträge, Kritiken und Vorschläge formulieren. Es geht um die Zukunft der Organisation, denn die Beschlüsse des Kongresses sind kein toter Buchstabe oder bloße Rhetorik, sondern bewusst getroffene Vereinbarungen, die der Organisation als Richtschnur und Orientierung dienen und den Grundlagen ihrer Tätigkeit dienen müssen.
Die Orientierungen und Beschlüsse des Kongresses müssen die gesamte Organisation einbeziehen. Das bedeutet nicht, dass alles unfehlbar wird. Regelmäßige internationale Diskussionen können zu der Schlussfolgerung führen, Fehler festzustellen, die es zu korrigieren gilt oder wenn die Entwicklung der internationalen Situation Veränderungen hervorbringt, diese zu erkennen und die Analyse entsprechend anzupassen. Das kann sogar zur Einberufung eines außerordentlichen Kongresses führen. In der Zwischenzeit muss diese Arbeit rigoros und ernsthaft mit einer Debatte auf der breitesten und tiefsten internationalen Basis durchgeführt werden. Das hat nichts mit dem zu tun, was ständig in linken Organisationen vor sich geht, wo sich die Verlierer eines Kongresses rächen, indem sie neue Positionen vorschlagen, mit denen sie mit den Siegern abrechnen.
In einer proletarischen Organisation gibt der Kongress die Orientierungen vor, die das Mandat eines Zentralorgans definieren, das die Einheit und Kontinuität der Organisation zwischen den Kongressen und nach den Kongressen repräsentiert. In einer bürgerlichen Partei ist das Zentralorgan ein Arm der Macht, weil es die Organisation den Bedürfnissen des Staates und des nationalen Kapitals unterwerfen muss. Das Zentralorgan ist eine Elite, die vom Rest der Organisation getrennt ist und sie kontrollieren, beaufsichtigen und ihr ihre Entscheidungen aufzwingen muss. In einer proletarischen Organisation ist das Zentralorgan nicht von der Organisation als Ganzes getrennt, sondern es ist ihr aktiver und einheitlicher Ausdruck. Das Zentralorgan ist keine allmächtige privilegierte Organisationsspitze, sondern ein Mittel, um die Interessen des auszudrücken und zu entwickeln
„Im Gegensatz zu bestimmten Auffassungen, insbesondere der sogenannten "leninistischen" Auffassung, ist das Zentralorgan ein Instrument der Organisation und nicht umgekehrt. Es ist nicht die Spitze einer Pyramide, wie das eine hierarchische und militärische Auffassung von der Organisation der Revolutionäre meinen könnte. Die Organisation besteht nicht aus dem Zentralorgan, und dann folgen die Militanten; sondern sie stellt ein eng geflochtenes und vereinigtes Netz dar, innerhalb dessen alle Teile miteinander verbunden sind und zusammenwirken. Man muß deshalb das Zentralorgan eher als den Kern einer Zelle auffassen, der den Stoffwechsel eines lebendigen Ganzen koordiniert. ("Bericht über die Struktur und Funktionsweise der revolutionären Organisation", Punkt 5).
Die Struktur der linken Organisation ist hierarchisch. Sie reicht von der nationalen Führung bis zu den regionalen Organisationen, die ihrerseits in "Abschnitte" (Arbeiter, Fachleute, Intellektuelle usw.) und, am Ende all dessen, in die Zellen (z. B. die „Betriebszellen“ der KPD) unterteilt sind. Diese Organisationsform ist ein Erbe des Stalinismus, der 1924 die berühmte "Bolschewisierung" unter dem Vorwand, "zur Arbeiterklasse zu gehen", durchsetzte.
Hinter dieser Demagogie verbirgt sich die Abschaffung der Strukturen von Arbeiterorganisationen, die auf lokalen Sektionen basieren, in denen alle Militanten einer Stadt zusammenkommen, um sich mit globalen Aufgaben und einer globalen Vision zu befassen. Im Gegensatz dazu spaltet eine "Bolschewisierungs"-Struktur die Militanten, die sie in einem Umfeld einsperren, das durch eine Fabrik oder einen Betrieb begrenzt ist, je nach Beruf oder sozialem Sektor... Ihre Aufgaben sind rein unmittelbarer Natur, auf die Berufsgruppe beschränkt, und sie bleiben in einem ‚Loch‘ stecken, in dem nur die unmittelbaren, besonderen und lokalen Probleme behandelt werden. Der Erfahrungshorizont der Militanten wird beschränkt und statt einer historischen, internationalen und theoretischen Sichtweise wird alles auf das Unmittelbare, Berufsbezogene, Lokalistische und rein Pragmatische reduziert. Das ist eine große Verarmung und erlaubt es der Führung, die Dinge nach Belieben zu manipulieren und sich daher den Interessen des nationalen Kapitals zu unterwerfen, während sie dies mit einer populären und arbeiterorientierten Demagogie maskiert.
Die Ergebnisse dieser berühmten "Bolschewisierung", in Wirklichkeit die Atomisierung der Militanten in den Ghettos der Arbeitswelt, wurden von Ciliga sehr gut beschrieben: "Die Leute, die ich dort traf — ständige Mitarbeiter der Komintern —, wirkten ebenso eng wie die ganze Institution, und das nüchterne Grau des Gebäudes, in dem sie untergebracht war, schien mir genau das Denken und Fühlen dieser Männer zu symbolisieren. Es fehlte ihnen jede Weite des Blicks, jede geistige Selbständigkeit. Ich hatte Riesen erwartet und fand Zwerge. Ich hoffte, Informationen von verehrungswürdigen Meistern zu empfangen, und traf Lakaien. Im Herbst und Winter 1926 war ein heftiger Kampf innerhalb der kommunistischen Partei im Gange. Bei meiner Ankunft wurde ich in die russische kommunistische Partei aufgenommen und konnte so die Entwicklung der Dinge von innen her beobachten.
Man brauchte nur an ein paar Parteiversammlungen teilgenommen zu haben, um zu erkennen, daß das geistige Ringen in diesem Kampf nur eine ganz untergeordnete Rolle spielte. Die entscheidende Rolle war den Drohungen, den Einschüchterungsmanövern und dem Terror zugefallen. ". Um diese Isolierung und theoretische Ignoranz der Militanten noch weiter zu verstärken, bestimmt das "Zentralkomitee" ein ganzes Netz von "politischen Kommissaren", die sich strikt seiner Disziplin unterwerfen und dafür verantwortlich sind, als Transmissionsriemen für die Befehle der Führung zu fungieren.
Die Struktur, über die eine revolutionäre Organisation verfügen muss, unterscheidet sich radikal davon. Die Hauptaufgabe der lokalen Sektionen besteht darin, die Fragen der Organisation als Ganzes zu studieren und sich zu äußern, sowie die historische Situation zu analysieren und die für notwendig erachteten allgemeinen theoretischen Themen zu untersuchen. Diese Struktur schließt die Sektionen bzw Militanten nicht aus, sondern gibt den lokalen Aktivitäten und Interventionen, der Presse und den Diskussionen mit Genossen oder interessierten Gruppen Sinn und Körper. Dies erfordert jedoch "regelmäßige Treffen der örtlichen Sektionen und eine Tagesordnung, wo die Hauptfragen diskutiert werden müssen, die in der gesamten Organisation besprochen werden. Auf keinen Fall darf die Debatte erstickt werden“. (idem). Gleichzeitig ist eine „größtmögliche Zirkulation der verschiedenen Beiträge innerhalb der Organisation durch die zu diesem Zweck vorgesehenen Mittel (interne Bulletins)“ notwendig. Die (internen) internationalen Diskussionsbulletins sind das Mittel, um diese Debatte zu kanalisieren und die Diskussion in allen Sektionen zu stattfinden und vorantreiben zu lassen.
C. Mir, 16. Januar 2018
[1]Die III. Internationale nach Lenin (nach der französischen Ausgabe S. 159 zitiert)
[2]„Dieses Septemvirat bildete eine illegale und gegen die Partei gerichtete Institution, die über die Geschicke der Partei hinter deren Rücken verfügte. […] an der Arbeit dieses spalterischen Septemvirats teil, das in den Parteistatuten nicht vorgesehen ist und das gegen die Statuten und den Willen der Partei tätig war —sonst hätte es keinen Grund gehabt, sich zu verbergen.“ Aus Trotzki, ZWEI REDEN AUF DER SITZUNG DER ZENTRALEN KONTROLLKOMMISSION IM JULI 1927 S. 158 in Die Linke Opposition in der Sowjetunion 1923-1928 Hrsg. Ulf Wolter
[3]Ante Ciliga, Im Land der verwirrenden Lüge, Kapitel 1
[4]"Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre", International Revue 22 (1983), Punkt 3 /content/1075/bericht-zur-struktur-und-funktionsweise-der-organisation-der-revolutionaere [22]
[5]Zu einer Analyse wie die Bolschewistische Partei diesem opportunistischen Fehler verfiel und wie sie mit Hilfe der Debatten diesen wieder korrigieren konnten, siehe: „1917: Die Russische Revolution - Die „Aprilthesen” – Leitlinien der proletarischen Revolution, Internationale Revue Nr. 19, https://de.internationalism.org/rusrev19/1997_rusrevaprilthesen; [23] siehe auch die Kapitel hinsichtlich dieser Phase in „Trotzkis Geschichte der Russischen Revolution“
[6]"Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre", International Revue 22 (1983), Punkt 6
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe, die wir bereits zu veröffentlichen begonnen haben und die den Versuch eines Blogs namens Nuevo Curso[1] anprangern, die wahren Ursprünge der Kommunistischen Linken zu verfälschen. Dieser Versuch wird von einem Abenteurer, Gaizka[2] , orchestriert, dessen Ziel es keinesfalls ist, zur Klärung und Verteidigung der Positionen dieser Strömung beizutragen, sondern sich im proletarisch-politischen Milieu "einen Namen zu machen". Dieser Angriff gegen die historische Strömung der Kommunistischen Linken zielt darauf ab, sie in eine Bewegung mit vagen Konturen zu verwandeln, die nichts mehr zu tun hat mit den strengen proletarischen Prinzipien, die ihrer Entstehung zugrunde lagen. Das ist ein Hindernis für die Weitergabe der Errungenschaften des Kampfes der linken Fraktionen gegen den Opportunismus und die Degeneration der Parteien der Kommunistischen Internationale an zukünftige Generationen von Revolutionären. Was den Abenteurer Gaizka betrifft, so haben wir eine große Menge an Informationen über seine Beziehungen zur bürgerlichen Politik und ihren Vertretern (hauptsächlich von links, aber auch von rechts) geliefert, ein Verhalten und ein Charakterzug, den er mit berühmteren Abenteurern in der Geschichte wie Ferdinand Lassalle und Jean Baptiste von Schweitzer teilt, die sich in der Arbeiterbewegung in Deutschland im 19. Jahrhundert tummelten, auch wenn er natürlich bei weitem nicht deren Gewicht ausübt.[3]
Konfrontiert mit unserer Entlarvung, hüllt sich Gaizka völlig in Schweigen: Die Realität seiner Schandtaten, die wir offengelegt haben, zu widerlegen, ist für ihn "mission impossible". Ebenso hat er nur sehr wenig Unterstützung erhalten. Die expliziteste und fast einzige kommt von einer Gruppe, der GIGC (Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken), die, bevor sie 2014 ihren Namen änderte, IFIKS (Interne Fraktion der Internationalen Kommunistischen Strömung) hieß. Eine Gruppe, deren hauptsächlicher Daseinsgrund seit etwa zwanzig Jahren darin besteht, die IKS zu verleumden, und die ihre Stellungnahme zugunsten von Nuevo Curso mit einem neuen hasserfüllten Angriff gegen unsere Organisation kombiniert.[4]
Nachdem wir den Betrug, den diese sogenannte "kommunistische Linke" namens Nuevo Curso darstellt, und den wahren Charakter der dahinterstehenden Triebkraft Gaizka angeprangert haben, obliegt uns die Aufgabe, das Profil seiner "Freunde" zu untersuchen. Die Frage ist natürlich nicht ganz unwichtig. Die Heilige Allianz zwischen Nuevo Curso und der GIGC sagt viel aus über das wirkliche Wesen der beiden Gruppen und ihren "Beitrag" zu den Bemühungen junger Elemente, die nach Klassenpositionen streben. Doch bevor wir den Stammbaum der GIGC untersuchen, lohnt es sich, einen kurzen Blick darauf zu werfen, wie sich diese Gruppe in Bezug auf Nuevo Curso positionierte, als dieser zum ersten Mal erschien.
Mit großer Begeisterung und Schmeichelei begrüßte die GIGC das Auftreten des Blogs Nuevo Curso auf der politischen Bühne: „Nuevo Curso ist ein Blog von Genossen, die seit letztem September regelmäßig Positionen zur Situation und zu breiteren, auch theoretischen Fragen veröffentlichen. Leider sind sie nur auf Spanisch verfügbar. Alle von ihnen vertretenen Positionen sind eindeutig Klassenpositionen und spiegeln den programmatischen Rahmen der Kommunistischen Linken wider (…) Wir sind sehr positiv beeindruckt nicht nur von der Art und Weise, wie sie kompromisslos an die Klassenpositionen erinnern, sondern vor allem von der „marxistischen Qualität“ der Texte der Genossen“ (Revolution ou guerre Nr. 9, "De nouvelles voix communistes : Nuevo Curso (Espagne) et Worker’s Offensive (États-Unis)", Hervorhebungen von uns).
Zudem unterstreicht die GIGC: „Die Gründung der Gruppe Emancipación als eigenständige politische Gruppe [die hinter dem Blog Nuevo Curso steht] ist ein wichtiger politischer Schritt, dessen politische und geschichtliche Bedeutung weit über das einfache Erscheinen einer neuen kommunistischen Gruppe hinausgeht. (...) So bringt die Gründung von Emancipacion als eigenständige politische Gruppe die Tatsache zum Ausdruck, dass das internationale Proletariat, auch wenn es unterworfen und weit davon entfernt ist, all die Angriffe des Kapitals wenigstens zurückzudrängen, es tendenziell schafft, kämpfend Widerstand zu leisten. Damit gelingt es ihm, sich aus der ideologischen Umklammerung des Kapitals zu lösen; seine revolutionäre Zukunft bleibt weiterhin bestehen. Die Gründung der Gruppe spiegelt die gegenwärtige (relative) „Vitalität“ des Proletariats wider.“ (Revolution ou guerre nº 12, “Letter du GIGC à Emancipacion sur son 1er Congrès”, Hervorhebungen von uns)
Die GIGC konnte jedoch nicht umhin, das Problem der Interpretation von Nuevo Curso über den historischen Stammbaum der Kommunistischen Linken anzusprechen, nach welcher Auslegung die "trotzkistische" Strömung vor ihrem Verrat während des Zweiten Weltkriegs dazu gehört. In der Tat hätte das Fehlen jeglicher Kritik seitens der GIGC in dieser Frage deutlich gemacht, dass sich diese Gruppe in keiner Weise um die wirkliche Verteidigung der Kommunistischen Linken besorgt fühlt, dass ihre Proklamation, Teil davon zu sein, und ihre Behauptung, sie zu verteidigen, nur ein Köder in den Diensten ihrer schmutzigen Manöver sind, die darauf abzielen, die IKS zu diskreditieren. Die "Schüchternheit" und "Freundlichkeit" der Kritik, die die GIGC an Nuevo Curso übt, kann jedoch kaum über ein offensichtliches Wohlwollen gegenüber dem Angriff dieser Gruppe auf die Kommunistische Linke hinwegtäuschen: "Wir wollen die Aufmerksamkeit der Genossen vor allem auf die programmatische, theoretische und politische Sackgasse lenken, in die Emancipacion mit dem Anspruch auf Kontinuität mit der Vierten Internationale gerät. (...) Der Übergang zu einer vollwertigen politischen Gruppe ist an sich äußerst positiv und wirft gleichzeitig neue Fragen und Verantwortlichkeiten auf. Diese haben sich seit dem Kongress gezeigt. Und eine davon, der Bezug auf die 4. Internationale, muss debattiert – und unserer Meinung nach bekämpft – werden, damit Emancipacion und ihre Mitglieder die historische Aufgabe erfüllen können, die das Proletariat ihnen anvertraut hat." (Brief der GIGC an Emancipacion zu ihrem 1. Kongress im Juli 2019 – R ou G Nr. 12; Hervorhebung von uns). Anstatt einen Angriff gegen die Kommunistische Linke klar anzuprangern, weicht die GIGC diesem grundlegenden Problem aus und versucht, uns mit der "programmatischen, theoretischen und politischen Sackgasse, in der sich Nuevo Curso (Emancipacion) befindet" und nicht zuletzt mit dem Hinweis auf "die historische Aufgabe, die das Proletariat ihm gestellt hat" zu täuschen. Die Moral von der Geschichte: Die GIGC macht sich zwar über die Verteidigung der Kommunistischen Linken lustig, sorgt sich aber andererseits um die Zukunft von Emancipacion.
Darüber hinaus gab es eigentlich keinen Zweifel mehr an der Bedeutung des Versuchs von Nuevo Curso, die Kommunistische Linke zu entstellen, nachdem unsere Organisation den Lesern und Leserinnen genügend Informationen gegeben hatte, um Gaizka (die wichtigste Treibkraft hinter Nuevo Curso) als einen Abenteurer zu charakterisieren, dessen Besonderheit darin bestand, dass er 1992-94 Beziehungen zur damals wichtigsten Partei der Bourgeoisie in Spanien, der PSOE, unterhielt. Und noch weniger Zweifel gab es hinsichtlich der Mitglieder der GIGC, die in den Jahren 1992-94 noch Mitglieder der IKS waren und daher volle Kenntnis über den Werdegang und die Handlungen dieser Person hatten.
Diese Informationen, die allen zugänglich sind (und, wie gesagt, von niemandem geleugnet werden), konnten die GIGC nicht daran hindern, dem Abenteurer Gaizka zu Hilfe zu eilen angesichts der von uns gemachten Entlarvung: "Wir müssen betonen, dass wir bis heute keine Provokation, kein Manöver, keine Verunglimpfung, keine Verleumdung oder Gerüchte gesehen haben, die von den Mitgliedern von Nuevo Curso, auch nicht einzeln, lanciert wurden, und auch keine zerstörerische Politik gegen andere Gruppen oder revolutionäre Aktivisten"[5].
In der Tat geht Gaizka nicht so vor wie die GIGC, denn die Liste der verwerflichen Verhaltensweisen, auf die sich die GIGC hier bezieht, ist eine gute Zusammenfassung ihrer eigenen Handlungsweise. Es braucht wirklich die Unverfrorenheit von Halunken und armen Betrügern wie der GIGC, welche den Leuten weismachen will, dass das Problem mit Gaizka gelöst werden könne, indem man sich davon vergewissere, dass er keine Verhaltensweisen wie Provokation, Manöver etc. an den Tag lege. Bei Gaizka geht es um die politische Persönlichkeit, die sich, wie bei anderen bekannten Abenteurern vor ihm, dadurch auszeichnet, dass sie "im Gegensatz zu aufrichtigen Kämpfern, die sich einer revolutionären Organisation anschließen, um die historische Rolle der Arbeiterklasse selbstlos zu erfüllen, (...) revolutionären Organisationen beitreten, um ihre ‘eigene historische Mission’ zu erfüllen. Sie wollen sich die Bewegung dienstbar machen. (...) [Sie] streben nach Anerkennung sowohl der Arbeiterbewegung aber auch seitens der Herrschenden“[6]. Für Gaizka geht es darum, die Geschichte der kommunistischen Linken neu zu schreiben, indem er sie verzerrt; darauf will er sich berufen und stolz sein, wenn die Operation denn gelingt[7].
Die IFIKS wurde 2001 im Zeichen des Hasses auf die IKS und mit dem Willen, diese zu zerstören, gegründet. Da ihr dies nicht gelang, versuchte sie, der IKS so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Unter dem Vorwand, die IKS, die ihrer Meinung nach von einer "opportunistischen Degeneration" bedroht war, "wiedererrichten" zu wollen, zeichneten sich die wenigen IKS-Mitglieder bei der Gründung der IFIKS von Anfang an durch Intrigen (Abhalten von Geheimtreffen[8]), durch Taten von Kleinkriminellen wie Diebstahl und Erpressung und durch Provokationen aus, insbesondere durch eine Verleumdungskampagne gegen einer Genossin, die von ihnen öffentlich beschuldigt wurde, eine Staatsagentin zu sein, die unsere Organisation indirekt manipuliere.
Da wir die Schandtaten der IFIKS-GIGC nicht detailliert darstellen können, verweisen wir den Leser, die Leserin auf die wichtigsten Artikel, die wir zu diesem Thema verfasst haben[9], und beschränken uns hier auf einige konkrete Beispiele davon.
Die Mitglieder der IFIKS haben sich aufgrund der folgenden Verhaltensweisen bewusst außerhalb unserer Organisation gestellt:
Am Ende wurden sie ausgeschlossen[10], nicht wegen dieser unerträglichen Verhaltensweisen, sondern wegen ihrer Aktivitäten als Spitzel, wobei sie mehrere Taten als Verräter zu verzeichnen hatten. Zum Beispiel veröffentlichten sie auf ihrer Website das Datum einer IKS-Konferenz in Mexiko mit der Teilnahme von Mitgliedern aus anderen Ländern. Dieser widerwärtige Akt der IFIKS, der die Arbeit des Repressionsapparats des bürgerlichen Staates gegen revolutionären Aktivisten*innen erleichtert, ist umso verabscheuungswürdiger, als die Mitglieder der IFIKS sehr wohl wussten, dass einige unserer Genoss*innen in Mexiko bereits in der Vergangenheit direkt Opfer von Repressionen geworden waren und dass einige gezwungen waren, aus dem Land ihrer Geburt zu fliehen.
Aber das verräterische Verhalten der IFIKS-Mitglieder beschränkt sich nicht auf diese Episode. Vor und nach ihrem Ausschluss aus der IKS systematisierten sie ihre Arbeit der Bespitzelung unserer Organisation und berichteten regelmäßig über die Ergebnisse in ihren Bulletins. Einige der so veröffentlichten "Informationen", die durchaus der Boulevardpresse würdig sind (z.B. "Enthüllungen" über ein Mitglieder-Paar), sind nur für die wenigen Dummköpfe (wenn überhaupt außerhalb der eigenen Mitglieder der IFIKS) von Interesse, die sich daran erfreuen, über eine Familienoligarchie innerhalb der IKS zu fantasieren. Weitere sind aber alles andere als harmlos, sondern offenbaren direkt den Willen, die Arbeit von Polizeispitzeln zu übernehmen. Hier ist eine kleine Auswahl:
Die Auswahl an Beispielen der schmutzigen Informationsbeschaffung durch die IFIKS-Leute ist ziemlich bezeichnend für die Art und Weise, wie diese Leute ihre "Fraktionsarbeit" (Klatsch, Polizeiberichte) konzipiert haben. In der Tat zielt die Publikation solcher Informationen auch auf die gesamte IKS ab, um Druck auf ihre Mitglieder auszuüben, indem sie ihnen zu verstehen geben, dass sie "unter Beobachtung" stehen, dass nichts von ihren Aktionen der Wachsamkeit der "Internen Fraktion" entgehen werde. Dies wird durch die unschuldige Information im Bulletin Nr. 13 belegt, mit der berichtet wird, dass die IKS einen "Luxussaal" für eine öffentliche Veranstaltung gemietet habe, eine Information, deren einzige Funktion darin besteht, zu dieser Atmosphäre der permanenten Überwachung beizutragen. Mit dem gleichen Ziel erhielten die Mitglieder der IKS sowie unsere Kontakte regelmäßig das berühmte "Kommunistische Bulletin" zugeschickt, trotz der Proteste und des wiederholten Verlangens, solche Sendungen einzustellen. Es war eine Art, den Empfängern zu sagen: "Wir beobachten euch und ihr werdet uns nicht los."
Nur weil diese Arbeit nach Bullenmanier den kranken Köpfen von besessenen Verfolgern entspringt, bedeutet das nicht, dass wir sie für unsere Organisation und besonders für einige ihrer Mitglieder nicht ernst nehmen sollten.
Zum Abschluss über das polizeiliche Verhalten der IFIKS ist die Veröffentlichung eines 118-seitigen Textes im A4-Format und im Kleingedruckten (ca. 150.000 Wörter!) mit dem Titel "Die Geschichte des Internationalen Sekretariats der IFIKS" durch die IFIKS erwähnenswert. Dieser Text behauptet laut seinem Untertitel zu belegen, "wie sich der Opportunismus in den Zentralorganen durchsetzte, bevor er die ganze Organisation verseuchte und ihre Zerstörung begann...". Es ist eine Geschichte, die in vielerlei Hinsicht als "Detektivroman" bezeichnet werden kann.
Erstens handelt es sich um einen Roman, also um eine Fiktion und nicht um einen historischen Text, auch wenn er sich auf reale Fakten und Personen bezieht. Es ist ein bisschen so, als würde man Alexandre Dumas' "Les Trois Mousquetaires" als die wahre Geschichte von d'Artagnan (den es wirklich gab) und seinen Freunden betrachten. Offensichtlich, auch wenn es keinen möglichen Vergleich zwischen Dumas' schriftstellerischen Phantasie und der kranken und paranoiden Phantasie der Autoren dieser "Geschichte" gibt, erwartet uns ein "Thriller" mit sehr typischen Charakteren, insbesondere Louise und Peter. Louise ist der Haupt-"Bösewicht" in der Geschichte, eine echte Lady Macbeth. Sie hatte ihren Mann dazu gedrängt, König Duncan zu ermorden, um den Thron zu besteigen. Louise ihrerseits manipuliert in Verbindung mit den spezialisierten Diensten des Staates auf teuflische Weise ihren Gefährten Peter, um ihn zu Untaten gegen die IKS und ihre Mitglieder anzustiften.[13] Peter wurde so zum "Anführer", derjenige, "der die IKS leitet" (sic), nachdem er "den größten Teil der Gründungsmitglieder der IKS" eliminiert hat und der "behauptet, der einzige Erbe der MC zu sein". Wir haben es nicht mehr mit Peter-Macbeth zu tun, sondern mit Peter-Stalin. Und hier zeigt sich einmal mehr der polizeiliche Charakter dieses Textes. In der Tat erklärt sie die angebliche "opportunistische Entwicklung" der IKS durch die Intrigen einer Reihe von üblen Charakteren, als ob die Degeneration und der Verrat der bolschewistischen Partei das Ergebnis des Handelns des größenwahnsinnigen Stalin gewesen wäre und nicht die Folge des Scheiterns der Weltrevolution und der Isolierung der Revolution in Russland. Dieser Text entstammt der reinsten polizeilichen Geschichtsauffassung, die der Marxismus schon immer bekämpft hat, und seine Autoren waren gegenüber all den "Verschwörern" einen Schritt voraus, die sich heute in den sozialen Netzwerken und in Donald Trumps Entourage tummeln.
Der widerwärtigste Aspekt dieses Textes ist jedoch die Tatsache, dass er viele Details über die internen Abläufe unserer Organisation preisgibt, die ein Segen für die Polizei sind. Die Niedertracht der Mitglieder der GIGC hat definitiv keine Grenzen.
Nachdem es dieser parasitären Gruppe nicht gelungen ist, die Mitglieder der IKS von der Notwendigkeit zu überzeugen, den "Führer" und die "Partnerin des Führers" auszuschließen, hat sie sich zum Ziel gesetzt, die anderen Gruppen der Kommunistischen Linken für ihre Verleumdungen zu gewinnen, um einen Abschottungsring um die IKS zu errichten und sie zu diskreditieren (siehe unten die Episoden des "Cyclo" und der "öffentlichen Veranstaltung des IBRP[14] in Paris"). So bat die IFIKS die IKP (Le Prolétaire) in einem Brief vom 27. Januar 2002, den sie auch anderen Gruppen der Kommunistischen Linken schickte, zu ihren Gunsten gegen die IKS Stellung zu beziehen: "Heute sehen wir nur eine Lösung: uns an euch zu wenden, damit ihr unsere Organisation auffordert, die Augen zu öffnen und ihr Verantwortungsbewusstsein wiederzuerlangen. (...) Weil wir anderer Meinung sind, tut die IKS heute alles, was sie kann, um uns an den Rand zu drängen und uns moralisch und politisch zu demolieren.“[15] Trotz dieses Briefes hat die IFIKS die Frechheit, in ihrem Bulletin Nr. 13 zu schreiben: "Wir möchten bekräftigen, dass wir unsererseits nie jemanden aufgefordert haben, Partei zwischen der IKS und der Fraktion zu ergreifen".
Der Wunsch, die IKS zu isolieren, betraf einen Kreis, der über die Kommunistische Linke hinausging, denn es ging der IFIKS darum, wo immer möglich und mit verschiedenen Mitteln eine Abschirmung zwischen der IKS und all jenen zu schaffen, die zu irgendeinem Zeitpunkt am Inhalt unserer Intervention interessiert sein könnten. Das ist der Sinn ihrer Verleumdungskampagnen auf ihrer Website, manchmal sogar durch Flugblätter, die diesem Zweck gewidmet sind, an allen Orten, die ihr zugänglich waren.
Wir konnten den IFIKS-Mitgliedern zwar nicht verbieten, Demonstrationen zu durchkämmen, um ein Auge auf uns zu werfen, aber wir konnten sie daran hindern, ihre schmutzige Arbeit der Bespitzelung bei unseren öffentlichen Veranstaltungen zu verrichten. Deshalb beschloss die IKS schließlich, die Teilnahme von Mitgliedern der sogenannten "Internen Fraktion" der IKS an unseren öffentlichen Veranstaltungen und Permanenten zu verbieten[16]. Bei mehreren Gelegenheiten mussten wir Drohungen (einschließlich der lautstarken Drohung, einem unserer Mitglieder die Kehle durchzuschneiden[17]) und Übergriffe von diesen Schlägern erleben.
Die IFIKS präsentiert sich als "die wahre Fortsetzerin der IKS", weil diese "opportunistisch" und "stalinistisch" entarte. Sie erklärt, dass sie die von der IKS aufgegebene Arbeit fortsetze, um die "wahren Positionen dieser Organisation" in der Arbeiterklasse zu verteidigen, die durch die Entwicklung des Opportunismus in jener bedroht seien und vor allem die Frage ihrer Funktionsweise betreffen würden. Wir haben ja in der Praxis gesehen, wie die Auffassung der IFIKS über die Einhaltung der Statuten und sogar die elementarsten Verhaltensregeln der Arbeiterbewegung von dieser mit Füßen getreten werden.
Darüber hinaus gibt es nirgends eine Spur eines "politischen" Arguments der IFIKS, das ihre "fundamentalen Unterschiede" zur IKS klar herausstellen würde und darüber hinaus die Konstituierung einer "internen Fraktion" in der Kontinuität aller linken Fraktionen der Arbeiterbewegung, vom Spartakusbund bis zur Italienischen Linksfraktion, gerechtfertigt hätte[18]. Da sie noch nie in der Lage war, sich selbst zu einer solchen nötigen politischen Strenge zu zwingen, die sich von den Erfahrungen der Arbeiterbewegung hätte inspirieren lassen, zieht sie es vor, das Schreckgespenst der Anprangerung durch das Volk an die Wand zu malen, indem sie bis zum Abwinken wiederholt, dass die IKS eine Sekte sei, "bei der keine Hoffnung auf einen Richtungswechsel bestehe, und die sich wegen ihrer opportunistischen Positionen weitgehend aus dem proletarischen Lager ausgegrenzt oder sogar selbst außer Gefecht gesetzt hat“ (Aktivitätenbericht der 2. Generalversammlung der GIGC. Revolution ou Guerre Nr. 12).
Warum und wie soll sich die IKS "aus dem proletarischen Lager" ausgegrenzt haben, ein Konzept, das wir nirgendwo bei unseren Vorgängern von Bilan und Internationalisme[19] finden (wobei die IFIKS-GIGC die Unverschämtheit hat zu behaupten, sie beziehe sich auf diese Gruppen wie auch und insbesondere auf unseren Genossen MC[20]).
Die IFIKS-GIGC suggeriert, dass wir den proletarischen Internationalismus verraten hätten oder dabei seien, ihn zu verraten, was in der Tat ein triftiger Grund wäre, den Opportunismus anzuprangern, der dahin geführt hätte. Aber bis heute hat die IFIKS-GIGC in keiner Weise dargelegt, inwiefern unsere Charakterisierung der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Dekadenz, die ihres Zerfalls[21] – die nach Ansicht dieser Leute ein Meisterstück des Opportunismus der IKS sei – eine Illustration dieses Verrats wäre!
Die IFIKS-GIGC suggeriert, dass unser Sektierertum in unserer Vorstellung zum Ausdruck komme, dass es parasitäre Gruppen gibt, die im Milieu der Kommunistischen Linken agieren[22]. Letzteres sowie die Vorstellung, dass der Parasitismus eine Gefahr für das proletarisch-politische Milieu darstelle, würde uns in Bezug auf dieses Milieu marginalisieren und sogar eine Bedrohung für es darstellen. In Wirklichkeit stellt diese Auffassung nur für die Parasiten eine Gefahr dar, und wir betrachten sie als ebenso gültig wie wir uns auf den Kampf von Marx und Engels gegen die Allianz von Bakunin innerhalb der IAA berufen: "Es ist außerdem an der Zeit, ein für alle Mal den inneren Kämpfen ein Ende zu bereiten, die durch das Vorhandensein dieser parasitären Körperschaft täglich von neuem in unserer Assoziation provoziert werden." (Engels, Der Generalrat an alle Mitglieder der IAA, ME 18 S. 121)
Die Methode des "Suggerierens" unter Ausblendung des zugrundeliegenden politischen Problems appelliert an den gesunden Menschenverstand[23], an die Methoden der Hexenverfolgung, die im Mittelalter praktiziert wurden und die in der heutigen Gesellschaft des Zerfalls wieder aufleben, insbesondere mit der pausenlosen Suche nach Sündenböcken für alle Übel der Gesellschaft.
Tatsächlich hat die IFIKS-GIGC nie erklärt, dass sie, als ihre Mitglieder in der IKS waren, immer die Thesen über den Parasitismus und diejenigen über den Zerfall unterstützt haben. Der Angriff, den sie im Jahr 2000 gegen unsere Organisation starteten, nahm keinen Bezug auf Meinungsverschiedenheiten in diesen Fragen. Erst später "entdeckten" sie, sehr bequem, dass sie mit diesen Analysen nicht einverstanden waren. Die Herausforderung für sie bestand dann darin, Hindernisse für die Rechtfertigung ihres neuen politischen Projekts zu beseitigen:
Da sie ihrerseits zur Karikatur der Parasiten wurden, ertrugen sie offensichtlich nicht das Bild, das der Spiegel unserer Analyse des Parasitismus von ihnen selbst und ihrem Verhalten zurückspiegelte. Sie mussten diesen Spiegel zerschlagen, um die IKS für ihre eigenen Missstände verantwortlich zu machen und um zu versuchen, der IKS eine geeignete Methode zur Bekämpfung des Parasitismus zu entwinden;
Durch die Ablehnung der von der IKS ausgearbeiteten Theorie des Zerfalls des Kapitalismus, welche unsere Organisation als einzige innerhalb der Kommunistischen Linken verteidigt, konnte die IFIKS den anderen Gruppen der Kommunistischen Linken, die dieser Analyse sehr kritisch gegenüberstehen, schmeicheln.
Darüber hinaus war die IKS Zielscheibe vieler anderer Anschuldigungen der IFIKS, die wir bisher nicht erwähnt haben. In der Regel werden diese durch "Schockformeln" ausgedrückt, die auf Lügen und Entstellungen beruhen, würdig des Mottos von Goebbels, dem Chef der Nazi-Propaganda, welches lautete: "Eine große Lüge trägt eine Kraft in sich, die Zweifel beseitigt". Glücklicherweise hindert mittelalterlicher Obskurantismus die Dummheit nicht daran, sich zu äußern, und erlaubt es, die Zweifel der GIGC-Anhänger*innen zu wecken. Zur Information dieser geben wir eine sehr kleine Auswahl der Anschuldigungen wieder, die die IFIKS gegen uns vorgebracht hat: Der IKS würde heute das Stigma anhaften, einer "fortschreitenden Distanzierung vom Marxismus und einer immer deutlicheren Tendenz, bürgerliche und kleinbürgerliche Werte, die gerade in Mode sind ("Jugendbewegung", Feminismus und vor allem ‚Gewaltlosigkeit‘)[24], vorzubringen (und zu verteidigen)“; die IKS würde "das Spiel der Repression spielen" [25].
Kaum war das alte "IFIKS"-Namensschild weggeräumt und die Neuigkeit von der Existenz der "GIGC" gepostet, versuchte es diese parasitäre Gruppe mit einem Böller, wiederum mit polizeilichem Charakter, gegen die IKS.
Obwohl die Anti-IKS-Kampagnen der IFIKS zunächst einen gewissen Einfluss auf das proletarische politische Milieu hatten, gelang es ihnen nicht, unsere Organisation zu marginalisieren, zumal wir sie energisch bekämpften. Die IFIKS musste sich mit dieser Situation abfinden, bis die Geschichte ihr wieder wohlgesonnen schien, als ihr – wie das Schicksal manchmal würfelt – interne Bulletins der IKS in die Hände gerieten.[26]
In dem Glauben, dass ihre Stunde des Ruhms endlich gekommen sei, entfesselten diese Parasiten, gestärkt durch den neuen "Aktivposten" in ihren Händen, eine hysterische Propaganda gegen das IKS, wie die (jubelnde) Werbeanzeige auf ihrer Website beweist: "Eine neue (ultimative?) interne Krise in der IKS!", natürlich begleitet von einem "Aufruf an das proletarische Lager und die IKS-Militanten". Mehrere Tage lang stürzten sie sich in eine frenetische Aktivität, indem sie einen Brief nach dem anderen an das gesamte "proletarische Milieu" sowie an unsere Mitglieder und einige unserer Sympathisant*innen richteten (deren Adressen sie weiterhin benutzten, nachdem sie sie von der IKS gestohlen hatten). Diese sogenannte "Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken" (der neue Name, den sich die IFIKS gegeben hatte) läutete die Glocke und rief lauthals, dass sie im Besitz der internen Diskussionsbulletins der IKS sei. Während sie ihre Kriegstrophäe zur Schau stellten und einen solchen Lärm machten, war die Botschaft, die diese patentierten Spitzel zu vermitteln versuchten, sehr klar: Es gebe einen "Maulwurf" in der IKS, der Hand in Hand mit der Ex-IFIKS arbeite! Das war eindeutig Polizeiarbeit mit keinem anderen Ziel, als ein allgemeines Misstrauen, Missgunst und Zwietracht innerhalb unserer Organisation zu säen. Das waren die gleichen Methoden, welche die GPU, Stalins politische Polizei, anwandte, um die trotzkistische Bewegung der 1930er Jahre von innen heraus zu zerstören. Das sind dieselben Methoden, welche die Mitglieder der ehemaligen IFIKS (darunter zwei von ihnen, Juan und Jonas, Gründungsmitglieder der "GIGC") bereits angewandt hatten, als sie im Jahr 2001 "spezielle" Reisen zu verschiedenen Sektionen der IKS unternahmen, um geheime Treffen abzuhalten und Gerüchte zu verbreiten, dass eine unserer Genoss*innen (die "Frau des IKS-Chefs", wie sie sie nannten) eine "Polizistin" sei.
Wie konnte die GIGC von einem solchen Geschenk des Himmels profitieren? Ein verdeckter Komplize innerhalb unserer Organisation? Hatte die Polizei selbst sie erhalten, indem sie sich in unsere Computer gehackt und die Bulletins dann auf irgendeine Weise an die GIGC weitergab? Wäre die GIGC keine Schurkenbande, sondern eine verantwortungsbewusste Organisation, wäre sie sehr daran interessiert gewesen, dieses Rätsel zu lösen und das politische Milieu über das Ergebnis ihrer Ermittlungen zu informieren.
Unser Artikel, der diesen neuen Angriff anprangerte, genügte, um den Eifer der GIGC plötzlich zu besänftigen, aber es ist interessant, die Antwort zu beachten, die sie gab: "Unsere Gruppe nimmt das Schweigen und die Abwesenheit des Leugnens durch die IKS über die Realität einer ernsten organisatorischen Krise innerhalb der IKS und über die neue Infragestellung innerhalb der IKS selbst über das Verhalten ihres Mitglieds Avril-Louise-Morgane zur Kenntnis. Die GIGC wird nicht auf die schweren Beleidigungen reagieren, die die IKS derzeit über unsere Gruppe ausschüttet (wie sie es gestern über die IFIKS getan hat). Wir haben andere Dinge zu tun. (…)". Diese Antwort war in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich:
- Die GIGC weigerte sich, auf die "schweren Beleidigungen" zu antworten, so dass sie es vermied, die einzige für das Proletariat interessante und für sie verständlicherweise peinliche Frage beantworten zu müssen: Wie ist sie an unsere internen Bulletins gekommen?
Sie beschuldigte die IKS, ihre organisatorischen Probleme zu verbergen, während eine Lektüre unserer gesamten Presse zeigt, dass dies eine Lüge und eine Verleumdung ist, da wir, wie die Bolschewiki (siehe insbesondere Lenins Buch Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück), die einzige Organisation sind, die systematisch über sie berichtet und aus ihnen Lehren zieht.
Da die GIGC im Besitz unserer internen Bulletins war, wusste sie ganz genau, dass unsere Probleme auch diesmal nicht verborgen bleiben würden. Die Vermittlung organisatorischer Probleme, welche die IKS betreffen, konnte daher nicht vor der Abhaltung einer allgemeinen Versammlung der Organisation (eines Kongresses, einer Konferenz), die statutengemäß mit deren Behandlung betraut ist, erwartet werden; sie konnte daher nur im Rahmen einer Überprüfung der Arbeit einer solchen Versammlung erfolgen. Das Ergebnis unserer außerordentlichen Konferenz im Mai 2014 wurde in einem Artikel im September 2014, in der Internationalen Revue Nr. 52, unter dem Titel "Außerordentliche Internationale Konferenz der IKS: Die Nachrichten über unser Ableben sind stark übertrieben" [24] veröffentlicht.
Wir haben gezeigt, wie die IFIKS versucht hat, die IKP (über die Korrespondenz) zu benützen, damit diese sie gegen die IKS unterstütze, und wir werden veranschaulichen, wie sie den gleichen, aber noch „umfassenderen“ Ansatz gegenüber dem IBRP verwendet hat. Dieser Versuch, diese beiden Organisationen zu korrumpieren, indem sie auf ein Terrain gezogen werden, das den Regeln, welche die Beziehungen innerhalb der Kommunistischen Linken leiten sollten, fremd ist, stellt ebenfalls einen parasitären Angriff gegen sie dar.
So war das IBRP insbesondere das Ziel eines gewagten Manövers der IFIKS, das darin bestand, am 2. Oktober 2004 in Paris eine öffentliche Veranstaltung zugunsten dieser Gruppe zu organisieren. Tatsächlich handelte es sich, wie wir zeigen werden, um eine öffentliche Veranstaltung, die dem Ansehen der IFIKS zum Nachteil des IBRP dienen sollte, und zwar mit dem Ziel, einen Angriff gegen die IKS durchzuführen.
Die Ankündigung dieses Treffens durch das IBRP wies darauf hin, dass sein Thema der Krieg im Irak war. Andererseits unterstrich die Ankündigung der IFIKS die Bedeutung ihres eigenen Ansatzes: "Auf unsere Anregung hin und mit unserer politischen und materiellen Unterstützung wird das IBRP eine öffentliche Veranstaltung in Paris organisieren (eine öffentliche Veranstaltung, die hoffentlich nicht die letzte sein wird), an deren Teilnahme wir alle unsere Leser aufrufen" (Hervorhebung hinzugefügt). Was aus diesem Aufruf hervorgeht, ist, dass diese international existierende und seit Jahrzehnten bekannte Organisation der Kommunistischen Linken ohne die IFIKS nicht die Initiative hätte ergreifen und die öffentliche Veranstaltung organisieren können!
Tatsächlich benutzte diese parasitäre Gruppe das IBRP als "Strohmann" für ihre eigene Werbung, um ein Zeugnis der Ernsthaftigkeit, der Anerkennung ihrer Zugehörigkeit zur Kommunistischen Linken zu erhalten. Und die schamlosen Kleinkriminellen zögerten nicht, die Adressliste der IKS-Kontakte (die sie gestohlen hatten, bevor sie die Organisation verließen) zu nutzen, um ihren Aufruf zu dieser öffentlichen Veranstaltung zu verbreiten.
Wie wir damals anmerkten, hielt es die IFIKS nicht für sinnvoll, einen einzigen Satz einer Analyse zu ihrer Ankündigung, den Krieg im Irak zu verurteilen, zu schreiben (im Gegensatz zur Ankündigung der IBRP). Ebenso war ihre Ankündigung ausschließlich einer Frage gewidmet: "wie man nach dem Zusammenbruch der IKS, deren öffentlichen Veranstaltungen nun verwaist sind und keinen Ort der Debatte mehr darstellen, einen Pol der revolutionären Umgruppierung in der französischen Hauptstadt wiederaufbauen kann".
In der Tat war das Gegenteil der Fall bei der öffentlichen Veranstaltung des IBRP. Laut IFIKS hätte diese den Beweis dafür liefern sollen, dass das IBRP nun der "einzige ernstzunehmende Diskussions- und Bezugspol" für die Kommunistische Linke sei. Die Veranstaltung wäre jedoch ein totales Fiasko geworden, wenn die IKS nicht teilgenommen und ihre Kontakte eingeladen hätte, dasselbe zu tun. In der Tat war eine große Delegation von IKS-Mitgliedern und etwa zehn Sympathisant*innen unserer Organisation anwesend.
Tatsächlich war die Lobhudelei der GIGC-IFIKS gegenüber dem IBRP nichts als Heuchelei. Von Anfang an hatte die IFIKS in ihrem parasitären Kreuzzug gegen die IKS Unterstützung innerhalb des proletarischen politischen Milieus gesucht, in erster Linie beim IBRP, insbesondere durch die "Kür" der IBRP als einzigem lebensfähigen Pol für die Umgruppierung der revolutionären Kräfte. Wie die Fliege auf der Kutsche in der Fabel von Jean de La Fontaine gab sie Ratschläge, verteilte gute Punkte an das politische Milieu, kopierte und verteilte einige ihrer Artikel. – Zu dieser Zeit standen die Beziehungen zwischen der IBRP und der IFIKS in „eitlem Sonnenschein“. Der Bericht der IFIKS über ein Treffen mit dem IBRP im Juni 2004 präsentierte die folgende Analyse der bestehenden Dynamik innerhalb des proletarischen Lagers: "Diese verschiedenen Ebenen, die die Diskussion umfasste, lassen uns zu dem Schluss kommen, dass es tatsächlich zwei Dynamiken innerhalb des gegenwärtigen proletarischen Lagers gibt, wobei diese beiden Dynamiken in zwei entgegengesetzte Richtungen gehen: Die eine, einen Rahmen zu schaffen, um revolutionäre Energien zu sammeln, Debatten und kollektives Nachdenken zu fördern und zu orientieren, um eine möglichst breite Intervention innerhalb der Arbeiterklasse zu ermöglichen, diese Dynamik, an der unsere Fraktion beteiligt ist, wird heute im Wesentlichen vom IBRP getragen; die andere, die in die entgegengesetzte Richtung geht, die der Aufrechterhaltung, sogar der Verstärkung der Zersplitterung, der politischen Verwirrung, wird von der IKS getragen und von der Fraktion offen bekämpft." (Compte rendu d'une réunion entre le IBRP et la fraction [25] [„Bericht über eine Sitzung zwischen dem IBRP und der Fraktion“]; September 2004 - Bulletin communiste der IFIKS Nr. 27)
Fünfzehn Jahre später zeichnet der Aktivitätenbericht der 2. Generalversammlung der GIGC (April 2019) ein weitaus weniger idyllisches Bild der Beziehung zur IKT. In der Tat informiert sie ihre Leser, dass "... neue kommunistische Kräfte entstanden sind, deren Ausdruck und Faktor der Nuevo Curso ist, wodurch die historischen Gruppen der Parteianhänger innerhalb der Kommunistischen Linken angesichts dieser neuen Dynamik direkt vor ihre historische Verantwortung gestellt werden, gegenüber welcher Dynamik die Internationalistische Kommunistische Tendenz, die Hauptorganisation dieses Lagers, begann, sich in ihrer Haltung oder mit Reflexen uns gegenüber relativ sektiererisch und gegenüber diesen neuen Kräften immediatistisch abzuschotten". (von uns unterstrichen – Aktivitätenbericht der 2. Generalversammlung der GIGC, Revolution ou Guerre Nr. 12)
Darüber hinaus "leidet die IKT, obwohl sie organisch mit der Italienischen KP und der Kommunistischen Linken Italiens verbunden ist, unter der Last des relativen Informalismus, Personalismus [Fixierung auf Personen] und Individualismus und damit des Zirkelgeistes" (von uns unterstrichen – ebda.), was nach Ansicht der GIGC die Anwendung einer Parteimethode durch die IKT vor allem in den Beziehungen zu ihren Kontakten behindert.
Was ist also passiert, dass die IFIKS-GIGC, diese patentierten Stiefellecker gegenüber der IKT, so rebelliert haben? Nun entdecken sie, dass die IKT, ehemals IBRP, sich auf eine anscheinend opportunistische Art der Intervention gegenüber den Kontakten einlässt: "Der Artikel, geschrieben von einem Mitglied der CWO, der britischen IKT-Gruppe, lehnt 'Fraktionen oder Diskussionszirkel' klar ab. Abgesehen von der Ablehnung der Organisationsform an sich und noch gravierender, unterschätzt, ignoriert und lehnt sie faktisch jeden Prozess der politischen Auseinandersetzung und Klärung als zentrales Mittel und unverzichtbares Moment des Kampfes für die Partei ab". (von uns unterstrichen – ebda.)
In der Tat ist es sicherlich nicht ein Ansatz, den die GIGC als opportunistisch charakterisiert (ohne den Begriff zu verwenden), der sie stören würde, sondern vielmehr, dass die treue "Kutschenfliege" viel weniger Erfolg hat als die IKT mit den neuen Leuten, die sich der Kommunistischen Linken nähern. Die GIGC muss vor allem den Umstand verdauen, dass ihre Mitglieder in Kanada sie verlassen haben, um der IKT beizutreten.
Diese Kritik der GIGC an der IKT ist bezeichnend, nicht für die Rekrutierungsmethoden der IKT, sondern für die unglaubliche Heuchelei der GIGC. In der Tat hatten die Mitglieder der IFIKS neben den politisch-theoretischen Kompromissen, die sie eingegangen waren, um mehr mit dem proletarisch-politischen Milieu übereinzustimmen (Aufgabe der Zerfallstheorie und der Thesen zum Parasitismus), eine weitere sehr wichtige Divergenz, die die IKS immer mit der IBRP hatte (und die sie, als sie in unserer Organisation waren, teilten), über die Prinzipien, die die Bildung der Partei bestimmen sollten, im Keim erstickt. Plötzlich hatten die IFIKS-Mitglieder die Kritik "vergessen", die sie zuvor zusammen mit der IKS am Partito Comunista Internazionalista (PCInt) und dem IBRP in dieser Frage geübt hatten, einschließlich derjenigen am opportunistischen Ansatz, der zur Bildung des Partito 1945 geführt hatte. Heute "entdeckt" die GIGC, dass die Rekrutierungsmethoden der IKT etwas opportunistisch sind, aber es ist nicht, wie die GIGC glauben machen will, die IKT, die ihre Methoden geändert hat, sondern die GIGC, die ihre Haltung, ein Stiefellecker zu sein, angesichts ihrer Verbitterung darüber aufgibt, von der IKT hintergangen worden zu sein, die ihr einige ihrer Mitglieder weggeschnappt hat.
Es gibt zwar Meinungsverschiedenheiten zwischen der IKT und der IKS über die Methode der Umgruppierung, die zur Bildung der Weltpartei führt, aber diese Meinungsverschiedenheit ist eine innerhalb des proletarischen Lagers und wird Anlass zu politischen Debatten und Konfrontationen unter den Genoss*innen geben, die für dieselbe Sache kämpfen. Und es ist nicht hinnehmbar, dass sie durch das Gejammer der GIGC in den Dreck gezogen wird.
Um den Rückblick auf die Errungenschaften der GIGC-IFIKS und ihren äußerst schädlichen Charakter zu einem Abschluss zu bringen, ist es notwendig, auf eine Episode zurückzukommen, die Ähnlichkeiten mit der jüngsten Situation aufweist, in der das Parasitentum der GIGC dazu kam, das zu unterstützen, was ein Abenteurer ausgeheckt hatte. Eine Episode, in der die Allianz zwischen diesen beiden Elementen destruktive Auswirkungen hatte, insbesondere in Bezug auf Leute, die sich Klassenpositionen annähern.
Im Jahr 2004 hatte die IKS politischen Kontakt mit einer kleinen Gruppe von suchenden Leuten in Argentinien, dem NCI (Nucleo Comunista Internacional)[27]. Nachdem sie die Positionen der Strömungen der Kommunistischen Linken gelesen hatten, orientierten sich ihre Mitglieder an den Positionen der IKS. Diskussionen über die Frage des inakzeptablen Organisationsverhaltens innerhalb des Proletariats überzeugten diese Genoss*innen auf der Grundlage der Befassung mit den IFIKS-Positionen und unserer eigenen Artikel zu diesem Thema davon, dass die IFIKS "ein Verhalten angenommen hat, das der Arbeiterklasse und der Kommunistischen Linken fremd“ ist. Dies führte zu einem Positionspapier, das diese Genoss*innen am 22. Mai 2004 verfassten[28].
Es stellte sich heraus, dass innerhalb des NCI ein Problem zu entstehen begann, weil eines ihrer Mitglieder – das wir im weiteren Verlauf dieser Darstellung Bürger B. nennen werden – eine Praxis verfolgte, die in völligem Gegensatz zu einem kollektiven und einheitlichen Funktionieren stand, einer grundlegenden Existenzbedingung für eine kommunistische Organisation. Nachdem er anfangs Kontakte mit der IKS initiiert hatte (er war der Einzige, der das Internet nutzen konnte), führte er Einzelgespräche mit jedem der Mitglieder der Gruppe, aber er manövrierte, um die Entwicklung einer ernsthaften und systematischen Diskussion der Gruppe als Ganzes zu vermeiden, was ihm erlaubte, die "Kontrolle" über sie zu behalten. Diese Organisationspraxis, die dem Proletariat radikal fremd ist, ist typisch für bürgerliche Gruppen, besonders für die linken oder linksextremen Kräfte des Kapitals. Herr B. wollte eigentlich, seine Genoss*innen als Sprungbrett benutzen, um zu einer "Persönlichkeit" innerhalb des proletarischen politischen Milieus zu werden. Das Bestehen auf systematischen Diskussionen politischer Positionen der IKS sowie unser Beharren auf gemeinsamen Treffen aller Genossen durchkreuzten jedoch zunehmend seine unmittelbaren Pläne als Abenteurer.
Ende Juli 2004 machte Herr B. einen waghalsigen Schritt: Er forderte die sofortige Integration der Gruppe in die IKS. Er setzte diese Forderung gegen den Widerstand der anderen NCI-Genoss*innen durch, die sich zwar ebenfalls den Beitritt zur IKS zum Ziel setzten, aber die Notwendigkeit sahen, zunächst eine gründliche Klärung und „Verdauung“ der Positionen zu betreiben, da kommunistische Militanz nur auf festen Überzeugungen beruhen kann. Die IKS lehnte diese Forderung im Einklang mit unserer Politik gegen übereilte und unreife Integrationen ab, die das Risiko der Zerstörung der Militanz von Mitgliedern beinhalten und der Organisation schaden können.
Zur gleichen Zeit war eine Allianz zwischen der IFIKS und dem Abenteurer B. gebildet worden, sicherlich auf Initiative von B. in den Diensten eines Manövers gegen die IKS, bei dem er, ohne Wissen des NCI, diesen benutzte.
Das Manöver bestand darin, im proletarischen politischen Milieu eine Anprangerung der IKS und ihrer "widerlichen Methoden" in Umlauf zu bringen, die indirekt von der NCI auszugehen schien, da diese Anprangerung von einem geheimnisvollen und fiktiven "Cyclo de Comunistas Internacionalistas" (oder kurz "CCI" [IKS auf Spanisch]!) unterzeichnet war, der von Bürger B. angeführt wurde und der nach seinen Angaben die "politische Aufhebung" des NCI darstellen sollte. Diese Verleumdungen wurden über ein Flugblatt des "Circulo" verbreitet, das von der IFIKS anlässlich der öffentlichen Versammlung der IBRP in Paris am 2. Oktober 2004 verteilt wurde.
Sie wurden auch in verschiedenen Sprachen auf der IBRP-Website veröffentlicht. Das fragliche Flugblatt richtete sich nicht nur direkt gegen die IKS, sondern verteidigte auch die IFIKS und stellte das Positionspapier des NCI vom 22. Mai 2004, das die IFIKS angeprangert hatte, völlig in Frage.
Als sie später die Manöver des Bürgers B. hinter ihrem Rücken entdeckten, insbesondere die Gründung der Phantomgruppe "Círculo de Comunistas Internacionalistas", sowie seine Positionierung zur Unterstützung der IFIKS und zur Denunziation der IKS, analysierten die Mitglieder des NCI die Situation wie folgt: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass er (B.) hinter unserem Rücken Kontakt mit der IFIKS aufgenommen hatte, während er uns weiterhin dahingehend täuschte, dass er die Integration des NCI in die IKS überstürzt vorantreiben wollte" (Internationalisten in Argentinien – Präsentation der NCI-Erklärung)[29].
Die Art und Weise, wie Bürger B. Bei seinem Manöver vorging, ist typisch für einen Abenteurer, für seinen Ehrgeiz und seinen völligen Mangel an Skrupeln und Sorge um die Sache des Proletariats.
Wenn sich die IFIKS dergestalt eines Abenteurers bedient, um ihren Hass auf die IKS zu befriedigen und zu versuchen, durch öffentliche Verunglimpfung die politische Isolierung unserer Organisation herzustellen, zeigt dies den erbärmlichen und verachtenswerten Charakter solcher Leute, die die schäbige Welt des Klein- und Großbürgertums darstellen.
Damals wehrte sich die IKS gegen die falsche und usurpierende Kampagne des Bürger B. teilweise mit täglichen Interventionen, bis er, unfähig, die öffentliche Aufdeckung seiner Manöver zu widerlegen, beschloss, politisch zu verschwinden. Leider waren die anderen Mitglieder des NCI, tief demoralisiert durch die Art und Weise, wie sie von Bürger B. benutzt und manipuliert worden waren, nicht in der Lage, sich zu erheben und ihre Bemühungen um Reflexion fortzusetzen, und gaben schließlich alle politischen Aktivitäten auf.
Was die IFIKS betrifft, die bis zum Hals in dieser Affäre steckte und sich stark auf den Bürger B. verlassen hatte, um die IKS zu diskreditieren, so scheint sie die Lehre aus diesem Schlamassel, bei dem sie sich lächerlich gemacht hat, nicht gezogen zu haben, da sie sich kürzlich wieder auf die Aktionen eines anderen Abenteurers verlassen hat.
Anders als in der Episode des Bürgers B. ist heute nicht die IKS das eigentliche Ziel der Politik des Abenteurers Gaizka, sondern die gesamte Kommunistische Linke[30], deren Ansehen politischen Schaden erleidet, wenn sie Gaizka nicht enttarnt und damit politisch unschädlich macht. Wie die Tradition der Arbeiterbewegung lehrt und wie die jüngsten Erfahrungen der IKS mit den Manövern und Verleumdungen des Bürgers B. zeigen, gibt es keine andere Wahl, als die Ehre von Organisationen zu verteidigen, die das Ziel parasitärer Angriffe und der Aktionen von Abenteurern sind[31], auch wenn dies viel Energie erfordert, die sinnvollerweise für andere organisatorische Aufgaben eingesetzt werden könnte[32].
Gegenwärtig erleben wir in mehreren Teilen der Welt das Aufkommen eines wachsenden Interesses an den Positionen der Kommunistischen Linken seitens junger Leute. Und hier haben die GIGC und der Bürger Gaizka eine Rolle zu spielen. Nicht, um zur Reflexion und zur Entwicklung dieser Leute hin zur Kommunistischen Linken beizutragen, sondern im Gegenteil, um ihre Unerfahrenheit zu nutzen, um sie in Sackgassen zu führen, um ihre kämpferische Überzeugung zu sterilisieren und zu zerstören.[33] Wenn die GIGC und Gaizka behaupten, zur Kommunistischen Linken zu gehören, dann vor allem, um diese jungen Leute zum alleinigen Nutzen ihrer schmutzigen Interessen in die Falle zu locken. Im Falle der GIGC geht es darum, einen Abschottungsring um die IKS zu errichten, um ihren Hass auf unsere Organisation zu stillen. Im Fall von Gaizka geht es darum, seinen größenwahnsinnigen Ehrgeiz als Abenteurer zu befriedigen. Die Motivationen sind nicht identisch, aber wenn es wie 2004 bei der Episode des Bürgers B. eine Konvergenz zwischen Parasiten und Abenteurern gibt, dann liegt das offensichtlich daran, dass sie, jeder auf seine Weise, Todfeinde der Kommunistischen Linken, ihrer Traditionen und Prinzipien sind. Auf dem schwierigen Weg zum vollen Verständnis dieser Traditionen und Prinzipien wird es notwendig sein, sich auf der Grundlage aller Erfahrungen der Arbeiterbewegung mit den Winkelzügen und Fallen dieser offensichtlichen Feinde der Arbeiterbewegung auseinanderzusetzen.
IKS, 22.02.2021
[1] Nuevo Curso [26] und eine "Kommunistische Li [26]n [26]ke [26] Spaniens": Was sind die Ursprünge der Kommunistischen Linken? [26]
[2] Wer ist wer bei “Nuevo Curso”? [27] ; Gaizka schweigt – [28]e [28]in tosendes Schweigen [28]
[3] Vgl. unseren Artikel Lassalle und Schweitzer: Der Kampf gegen politische Abenteurer in der Arbeiterbewegung [29]
[4] "Nouvelle abtaue du CCI contre le camp prolétarien internationa [30]l [30] (1er février 2020) [30]" [30] – Artikel der GIGC auf ihrer Website (“Neuer Angriff der IKS gegen das internationale proletarische Lager”)
Die Tatsache, dass unter den Gruppen oder Blogs, die behaupten, von der kommunistischen Linken zu sein, nur die Spezialisten der Diffamierung der IKS unsere Stellungnahme zu Herrn Gaizka angegriffen haben oder versucht haben, ihn zu verteidigen, beweist den unwiderlegbaren Charakter der Informationen, die wir über ihn veröffentlicht haben.
[7] Wer ist wer bei “Nuevo Curso”? https://de.internationalism.org/content/2917/wer-ist-wer-bei-nuevo-curso [27] ; Gaizka schweigt – ein tosendes Schweigen https://de.internationalism.org/content/2937/gaizka-schweigt-ein-tosendes-schweigen [28] ; Der Kampf des Marxismus gegen das politische Abenteurertum /content/1080/der-kampf-des-marxismus-gegen-das-politische-abenteurertum [31]
[8] In welchen die Methode des politischen Kampfes dieser Gruppe von Unzufriedenen unter dem Motto zusammengefasst werden kann: "Sie müssen destabilisiert werden", wobei das "Ziel" dieser Destabilisierung natürlich all jene sind, die ihre feindselige Haltung gegenüber der IKS und die verächtliche Verunglimpfung einiger ihrer Mitglieder nicht teilen.
[9] Hier ist eine nicht erschöpfende Liste dieser Artikel:
Außerordentliche Konferenz der IKS: Der K [32]a [32]mpf für die Verteidigung [32] der organisatorischen Prinzipien [32]; Internationale Revue Nr. 30.
"Communiqué à nos lecteurs : le CCI vient d'exclure un de ses membres [33]", Révolution Internationale n° 321, März 2002.
"Défense de l'organisation : les méthodes policières de [34] la 'FICCI'" [34], Révolution Internationale n° 330, Januar 2003.
"Les réunion [35]s [35] publiques du CCI interdites aux mouchards [35], Révolution Internationale n° 338, September 2003.
"Intervention de la FICCI à la Fête de 'Lutte Ouvrière' : Le parasitisme au service de la bourgeoisie", Révolution Internationale n° 348, Juli 2004.
"Défense de l'organisation : Des menaces de mort contre des militants du CCI [36]", Révolution Internationale n° 354, Februar 2005.
[10] Vgl. X [37]V [37]e Congrès du CCI : Renforcer l'organisation fac [37]e [37] aux enjeux de la période [37] ; Revue internationale (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 114 - April 2003.
[11]Dies sind die echten Initialen dieses Genossen, die der Polizei freundlicherweise von der IFIKS zur Verfügung gestellt wurden!
[12] MC (Marc Chirik - Mai 1907, Dezember 1990) war der Hauptgründer der IKS, in die er eine ganze Erfahrung als revolutionärer Kämpfer innerhalb der Kommunistischen Internationale, der Linken Opposition und der Kommunistischen Linken (Italienische Linke und Kommunistische Linke Frankreichs) einbrachte. "Mit Marc verliert nicht nur unsere Organisation ihren erfahrensten und schöpferischsten Kämpfer, sondern dem ganzen Weltproletariat geht einer seiner besten Kämpfer verloren." Mit diesen Worten leiten wir den ersten von zwei Artikeln ein, die als Hommage an das kämpferische Leben unseres Genossen geschrieben wurden. https://de.internationalism.org/marc12 [38]
[13]Eine von der IKS eingesetzte Sonderkommission, die sich aus erfahrenen Mitgliedern zusammensetzte, hatte alle von Louises Anklägern vorgelegten "Beweise" geprüft und war zu dem Schluss gekommen, dass sie völlig absurd waren. Louise selbst hatte um eine Gegenüberstellung mit ihren Hauptanklägern gebeten. Diejenige mit Olivier hatte es ermöglicht, den Schmarren hervorzuheben, der in das Gehirn von Olivier eingedrungen war und der ihn dazu gebracht hatte, seine Position innerhalb weniger Wochen mindestens dreimal komplett zu ändern, bevor er einer der Hauptgründer der IFIKS wurde, die er später verließ, um seinen eigenen Weg zu gehen. Was Jonas betrifft, zweifellos der intelligenteste der Bande, aber auch der feigste, lehnte er eine solche Konfrontation rundweg ab.
[14] Internationales Büro der Revolutionären Partei, das später den aktuellen Namen Internationalistische Kommunistische Tendenz annahm
[15] Vgl. "Défense de l'organisation - [39] Le PCI (Le Prolétaire) à la remorque de la 'fraction' interne du CCI [39]" (Verteidigung der Organisation – Die IKP im Schlepptau der “internen” Fraktion der IKS)
[16] Vgl. "Les réunions publiques du CCI interdites aux mouchards [35]" ; Révolution Internationale n° 338, September 2003.
[17] Vgl. "Défense de l'organisation : Des menaces de mort contre des militants du CCI [36]", Révolution Internationale n° 354, février 2005.
[18] Vgl. dazu unseren Artikel "Fraction interne" du CCI : Tentative d'escr [40]o [40]querie vis-à-vis de la Gauche Communiste [40] ; Revue Internationale (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 112.
[19] Damit die IKS sich außerhalb des proletarischen Lagers stellen würde, müsste sie die grundlegenden Prinzipien des letzteren verraten, wie den Internationalismus, die Perspektive der kommunistischen Revolution, die Weigerung, irgendeine Institution des politischen Apparats der herrschenden Klasse zu unterstützen (Gewerkschaften, politische Parteien, bürgerliche Demokratie usw.). Die IFIKS-GIGC hat natürlich Probleme, in unseren Positionen einen solchen Verrat zu finden, und deshalb kommt sie nicht umhin, unsere Organisation in die Liste der "Gruppen und Organisationen des proletarischen Lagers" auf ihrer Website aufzunehmen. Jedoch beschränkt sich die Zugehörigkeit zum proletarischen Lager nicht auf die Ablehnung bürgerlicher politischer Positionen. Sie basiert auch auf einem entschlossenen Kampf gegen die Verhaltensweisen, die der herrschenden Klasse eigen sind, von denen der Stalinismus eine der reinsten Inkarnationen war; systematische Lügen, Gangstertum, Polizeimethoden, also Verhaltensweisen, die im Zentrum der Tätigkeit der Schläger und Spitzel der IFIKS-GIGC stehen.
[20] Sie hat die Frechheit, sich auf den organisatorischen Kampf zu berufen, den der Genosse MC sein ganzes Leben lang führte, besonders als er in den 1930er Jahren in der Italienischen Fraktion aktiv war. In der Ausgabe Nr. 29 ihres "Kommunistischen Bulletins" erklärt sie: "Unsere Organisationsauffassung ist diejenige, die MC immer verteidigt hat".
[21] Zur Veranschaulichung des Ausmaßes der Kritik seitens der IFIKS und anderer an unserer Analyse der Zerfallsphase, der letzten Phase des Kapitalismus, kann sich der Leser, die Leserin auf den folgenden Artikel beziehen: "Les racines marxistes de la notion de décomposition [41]" ("Die marxistischen Wurzeln des Begriffs des Zerfalls") in der International Review (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 117. Bezüglich des IFIKS wird auf den Artikel "Sur la théorie de la décomposition du IKS [42]", IFIKS-Bulletin Nr. 4, Februar 2011 verwiesen. In diesem Text stellten die Mitglieder der IFIKS einmal mehr ihre Unehrlichkeit unter Beweis: Anstatt zuzugeben, dass sie die Position in Frage stellen, die sie mehr als zehn Jahre lang in der IKS verteidigten, behaupten sie, dass ihre neue "Analyse" mit dieser Position übereinstimmt. So kann man lesen: "... wie wir die Frage des Zerfalls [innerhalb der IKS] erklärt hatten: als eine Blockade zwischen den Klassen, wobei keine der beiden Klassen ihre Perspektive durchsetzen konnte. Der 11. September manifestiert die Tatsache, dass die Bourgeoisie gezwungen ist, dieses ‘Patt’ zu durchbrechen und den Übergang zu erzwingen: den Marsch in den Krieg. (...) Im Jahr 2002 zu sagen, dass die Bourgeoisie versucht, die 'Patt'-Situation der 1990er Jahre zu lösen, bedeutet, dass die 'Blockade des Zerfalls' verschwindet." Mit anderen Worten, die Zerfallsphase wäre nur ein vorübergehendes und umkehrbares Moment gewesen, das mit einer neuen Konfiguration der imperialistischen Politik der Bourgeoisie hätte überwunden werden können. Tatsächlich besagt die IKS-Analyse, die von den IFIKS-Mitgliedern geteilt wurde, als sie noch in unserer Organisation waren, genau das Gegenteil: "Der Verlauf der Geschichte ist unumkehrbar: der Zerfall führt, wie der Name schon sagt, zur Auflösung und Fäulnis der Gesellschaft, ins Nichts." (Thesen [2]: Der Zerfall, die letzte Phase der kapitalistischen Dekadenz (Internationale Revue Nr. 13)
[22] Wir können unseren Leser*innen, die dies noch nicht getan haben, nur empfehlen, unsere Thesen über den Parasitismus [43], Internationale Revue Nr. 22, zu lesen (oder wieder zu lesen).
[23] Das heißt vor allem an die Vorurteile der heutigen Zeit.
[24] "Les nouvelles calomnies de la IFIKS [44]" („Die neuen Verleumdungen der IKS“), hochgeladen auf Französisch am 18. November 2006.
[25] Vgl. zum Thema unseren Artikel auf der französischsprachigen Website: "La prétendue 'solidarité du IKS avec les CRS’: comment la IFIKS essaie de masquer ses propres comportements policiers" [45] („Die angebliche ‚Solidarität der IKS mit den CRS‘: wie die IFIKS ihr eigenes Bullen-Verhalten zu kaschieren versucht“
[26] Vgl. "Communiqué à nos lecteurs : le IKS attaqué par une nouvelle officine de l’État bourgeois [46]" ; Révolution Internationale n° 446 – Mai-Juni 2014.
[27] Der Nucleo Comunista Internacional in Argentinien: Eine Episode im Streben des Proletariats nach Bewusstsein [47], Internationale Revue Nr. 35.
[28] Veröffentlich in Revolution internationale Nr. 350 und Action proletaria Nr. 179.
[29] Vgl. dazu unsere Artikel: Der Nucleo Comunista Internacional in Argentinien: Eine Episode im Streben des Proletariats nach Bewusstsein [47], Internationale Revue Nr. 35; À propos de la IFIKS - Prise de position de militants en Argentine [48] (Zur IFIKS – Stellungnahme von Militanten in Argentinien); Nouvelles d’Argentine : Le NCI n'a pas rompu avec le IKS ! [49] (Nachrichten aus Argentinien: Der NCI hat mit der IKS nicht gebrochen!)
[30] Gaizka "interessiert" sich für die Kommunistische Linke, er zeigt Wohlwollen ihr gegenüber – um sie besser zu torpedieren – und gegenüber bestimmten Gruppen innerhalb dieser Kommunistischen Linken. So berichtete Gaizka in einem Brief, den er uns vor einigen Jahren schrieb, von der Bedeutung der politischen Existenz, die er der IKS und der IKT zuschrieb, und sogar von dem positiven Einfluss, den die IKS auf seine eigene Entwicklung gehabt habe. Dies ist zu berücksichtigen, nicht um die Gefährlichkeit seines Handelns zu relativieren, sondern im Gegenteil, um es besser zu verstehen und den Ansatz des Abenteurers, der er ist, besser zu begreifen. So stellte er sein Projekt Nuevo Curso vor: "Wir betrachten uns nicht als politische Gruppe, als Proto-Partei oder so etwas (...) Im Gegenteil, wir sehen unsere Arbeit als eine Art "Ausbildung", um die Diskussion in den Betrieben, unter den Jugendlichen usw. zu fördern und, sobald wir einige grundlegende Elemente geklärt haben, als Brücke zwischen diesen neuen Leuten, die den Marxismus entdecken, und den internationalistischen Organisationen (im Wesentlichen die IKT und ihr, die IKS) zu dienen, die, wie wir es sehen, der natürliche Klebstoff der zukünftigen Partei sein sollten, auch wenn ihr jetzt sehr schwach seid (wie natürlich die ganze Klasse)" (7. November 2017 – Mail von [email protected] [50] an [email protected] [51]).
[31] Die drei zitierten Artikel, die wir über Nuevo Curso und Gaizka geschrieben haben, sind alle zur Verteidigung der Kommunistischen Linken.
[32] In einem Rundschreiben an alle Mitglieder der Internationale erklärte der Generalrat der IAA, dass es höchste Zeit sei, den internen Kämpfen, die durch das "Vorhandensein dieser parasitären Körperschaft" verursacht wurden, ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Und er fügte hinzu: "Indem die Allianz die Tätigkeit der Internationale gegen die Feinde der Arbeiterklasse lähmt, dient sie ausgezeichnet der Bourgeoisie und den Regierungen" (Der Haager Kongress von 1872: Der Kampf gegen den politischen Parasitismus [52]; Internationale Revue Nr. 19).
[33] Die großen Kämpfe des Proletariats im Mai 1968 in Frankreich und danach in vielen anderen Ländern hatten das Entstehen einer ganzen Generation von Leuten hervorgerufen, die sich der Perspektive der kommunistischen Revolution zuwandten und gleichzeitig den Stalinismus ablehnten. Die linken Gruppen, vor allem die Maoisten und Trotzkisten, hatten die historische Funktion, die Hoffnung dieser Leute in Sackgassen zu lenken, ihren kämpferischen Willen zu sterilisieren, sie zu demoralisieren und sie sogar zu erklärten Gegnern der revolutionären Perspektive zu machen (wie es bei Daniel Cohn-Bendit der Fall war). Das ist die Art von Funktion, die parasitäre Gruppen und Abenteurer heute auf ihrer eigenen Ebene in Bezug auf die jungen Leute, die sich der Kommunistischen Linken nähern, erfüllen.
Verschiedene Fernsehsender und andere Medien haben einige Interviews zur Inhaftierung des Rappers Pablo Hasél veröffentlicht, in denen er behauptet, den Kampf der Arbeiterklasse zu vertreten. Aber die Wahrheit ist, dass sich die politischen Bezüge des Sängers nicht auf die historische Erfahrung und Tradition der Arbeiterklasse beziehen, sondern auf Ideologien und Kampfformen, die dem Terrain des Proletariats völlig fremd sind, den kapitalistischen Zielen gedient haben und in Bezug auf die Arbeiterklasse dazu dienten, ihre Kämpfe in Sackgassen zu leiten, sie zu verwirren und letztlich zu verhindern[1].
Pablo Hasél stellt sich hinter die GRAPO und ETA, die absolut nichts mit dem Kampf der Arbeiter zu tun haben, sondern sie spiegeln die Kämpfe zwischen bürgerlichen Banden wider. Die GRAPO wird verdächtigt, von den Geheimdiensten angetrieben und weitgehend manipuliert worden zu sein, und die ETA ist der bewaffnete Flügel des baskischen Nationalismus, Erbe der reaktionären karlistischen Ideologie, die in den 70er Jahren auf der Welle des Protests gegen den Vietnamkrieg zur "nationalen Befreiung" surfte. Und natürlich haben die amerikanischen und französischen Geheimdienste neben den spanischen mit den Fäden gezogen. Die ETA hat die Radikalisierung der Jugend angesichts der Arbeitslosigkeit und der Unfähigkeit des Kapitalismus, ihnen eine Perspektive zu bieten, in den nationalen Kampf einer Fraktion der baskischen Bourgeoisie kanalisiert[2].
Die Form des Kampfes der Arbeiterklasse in unserer Epoche ist der Massenstreik, organisiert in Versammlungen, die Verteidigung des Internationalismus und der Perspektive einer neuen Gesellschaft, die den Kapitalismus überwindet und ausrottet: der Weltkommunismus.
Hasél erklärte, er befürworte den "Schuss in den Hinterkopf" und den Eispickel; aber ersteres ist typisch für die Hinrichtungen der Nazis und generell der Armeen (auch der demokratischen Seite) in den imperialistischen Kriegen. Was den Eispickel betrifft, hat auch dieser seine Tradition; mit dieser Waffe wurde Trotzki, einer der größten Führer der Arbeiterbewegung, durch einen Schlag auf den Schädel durch Mercader (ein stalinistischer Agent) getötet. Sein Tod erlaubte es der von ihm vertretenen Strömung, dem Trotzkismus, zu kapitulieren und den Internationalismus zu verraten, indem er sich im Krieg auf die Seite der Verteidigung der UdSSR stellte.
Der Arbeiterkampf kann nicht ohne Gewalt auskommen in seinem Kampf für die Zerstörung des bürgerlichen Staates, der, wie Minister Ábalos angesichts der Unruhen in Barcelona, Valencia und anderen Städten in Erinnerung rief, der einzige ist, der das Gewaltmonopol hat (zur Verteidigung der Interessen der Bourgeoisie - fügen wir hinzu); aber die Gewalt des Proletariats ist organisiert und bewusst, mit der Perspektive der Machtergreifung, der Ausdehnung der Revolution und des Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft; sie ist eine Gewalt der Massen. Das Auftreten des so genannten "roten Terrors" im Zuge der Revolution in Russland war Ausdruck der Degeneration des "Arbeiterstaates" hin zu dem, was später das stalinistische Regime werden sollte[3]. Dieses Regime hatte nichts mit der Befreiung des Proletariats zu tun, sondern mit der Unterdrückung und Dezimierung der eigenen Bevölkerung, mit der grausamsten Unterdrückung der Revolutionäre selbst (z.B. die Moskauer Prozesse usw.).
Zu allem Überfluss behauptet Hasél, ein Antifaschist zu sein und für "echte Demokratie" zu kämpfen.
Der Antifaschismus war die Art und Weise, wie es der Bourgeoisie gelang, die Überreste der revolutionären Welle angesichts des Ersten Weltkriegs zu besiegen, die unter anderem die russische Revolution und den revolutionären Versuch in Deutschland hervorbrachte. Im Namen des Kampfes gegen den Faschismus wurde der Kampf der Arbeiterklasse auf das Terrain des imperialistischen Krieges der Alliierten gegen Hitlers Achse gezerrt. Angefangen mit Spanien, wo der imperialistische Krieg an der republikanischen Front gegen Franco mit dem Aufstand des Proletariats zunächst gegen Franco und gegen die Republik endete, die auf seine Forderungen mit "Schüssen in den Bauch" (in den Worten des illustren Präsidenten Azaña) antwortete. Und es muss daran erinnert werden, dass damals die kommunistische Partei, zusammen mit der POUM und sogar der CNT[4], deren Nachfolger sich heute in den Reihen von Unidas Podemos befinden, Partei für den imperialistischen Krieg gegen die Arbeiter ergriffen haben.
Die einzige Strömung, die dem Druck der Ereignisse widerstand und deren Motto lautete "Kein Verrat!", war die Kommunistische Linke, die den Mut hatte, wie die Internationalisten im Ersten Weltkriegs für keine der imperialistischen Fraktionen Partei zu ergreifen und sie alle anzuprangern und für die einzig mögliche Alternative zu kämpfen: den Klassenkampf des Proletariats mit der Perspektive der Weltrevolution.
Was den Kampf für eine wirkliche Demokratie in Spanien betrifft, sollte man sich daran erinnern, dass der so genannte demokratische Übergang (der zu dem führte, was heute als Regime von '78 bekannt ist) eine staatliche Operation der gesamten spanischen Bourgeoisie war, mit der Unterstützung und unter Anregung des damaligen Blocks um die USA, und das Hauptziel hatte, auf die Entwicklung der Arbeiterkämpfe zu reagieren, die sich seit den 60er Jahren immer massiver und autonomer entfalteten, massive Streiks und gemeinsame Versammlungen, die in Vitoria 1976 zu Stadtversammlungen wurden[5]. Der Franquismus konnte nur mit Repression antworten, während die Demokratie versuchte, die Kämpfe mit gewerkschaftlichen Interventionen und den Versprechungen der Linken zu "zähmen". Wir müssen uns daran erinnern, dass die Vorfahren derer, die jetzt in der Unidad Podemos sind und die das Regime von '78 verfluchen, in großem Umfang an dieser Operation mitgewirkt haben. Die kommunistische Partei des Ministers Alberto Garzón, angeführt von Santiago Carrillo, rief zur "nationalen Versöhnung" auf und befürwortete die Rückverwandlung der ehemaligen Franco-Anhänger in moderne Demokraten, angefangen bei Adolfo Suárez selbst. Die außerparlamentarischen Parteien der extremen Linken, Trotzkisten, Maoisten usw., deren Überreste sich in der Kontinuität der "Antikapitalisten" von Unidas Podemos befinden, unterstützten die Orientierungen der KP auf der Straße und in den Betrieben.
Und wie Lenin sagte, ist die Erinnerung revolutionär, und deshalb ist es günstig, sich an all das zu erinnern, um zu sehen, dass Pablo Hasél nicht den Kampf der Arbeiterklasse verkörpert, sondern den ihrer Feinde.
Hic Rhodos 27.02.21
[1] In einem nächsten Artikel werden wir die Kampagne des Antifaschismus und des Lobes der Demokratie anprangern, die von den Leuten um Hasél getragen wird, und die "antirepressiven" Demonstrationen, die von staatlichen Instanzen angeregt wurden, und wir werden auch sehen, dass diese Mobilisierungen keine Antwort auf die staatliche Repression sind, sondern eine Falle.
[2] Zu dem, was Terrorismus ist, siehe, neben vielen anderen Artikeln, Terrorismus, eine Kriegswaffe des Kapitalismus (spanisch) https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200512/302/el-terrorismo-un-arma-de-guerra-del-capitalismo [53]. Zur ETA und zum baskisch-nationalistischen Konflikt siehe u.a. „Der Waffenstillstand der ETA: Um den Terror zu beseitigen, muss die Arbeiterklasse den Kapitalismus beseitigen (spanisch)
https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200605/932/tregua-de-eta-para-eliminar-el-terror-la-clase-obrera-debe-erradicar-el [54] Zum Baskenkonflikt: Gegen die Barbarei der nationalen Kämpfe ist die Alternative der Klassenkampf (spanisch) https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200601/396/conflicto-vasco-contra-la-barbarie-de-las-luchas-nacionales-la-alternat [55]
[3] Siehe Terror, Terrorismus und Klassengewalt /content/1366/terror-terrorismus-und-klassengewalt [56] und Resolution zu Terror, Terrorismus und Klassengewalt
[4] Mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen wie der Gruppe "Freunde von Durruti", dem Anarchisten Berneri, der Munis-Gruppe oder einer Minderheit der POUM. Siehe Die Freunde von Durruti : Lektionen eines unvollständigen Bruchs mit dem Anarchismus /content/865/die-freunde-durrutis-lehren-aus-einem-unvollstaendigen-bruch-mit-dem-anarchismus [57] und "Spanien 1936: Die Linke gegen die Arbeiterklasse [58]" und April 1939: Ende des spanischen Krieges und Prolog zum Zweiten Weltkrieg https://de.internationalism.org/content/2872/april-1939-ende-des-spanischen-krieges-und-prolog-zum-zweiten-weltkrieg [59]
[5] Vor 40 Jahren debütierte die aufkeimende spanische Demokratie mit der Ermordung von Arbeitern in Vitoria (spanisch) https://es.internationalism.org/content/4144/hace-40-anos-la-naciente-democracia-espanola-se-estreno-con-los-asesinatos-de-obreros [60]
Vor 150 Jahren, am 18. März 1871, startete das Proletariat seine erste revolutionäre Offensive – diejenige, aus der die Pariser Kommune hervorging. Obwohl die Bourgeoisie ihr den totalen Krieg erklärte, leistete die Kommune 72 Tage lang Widerstand, bis zum 28. Mai 1871: Die rücksichtslose Unterdrückung kostete 20.000 Proletariern und Proletarierinnen das Leben. Seitdem bleibt die Pariser Kommune, deren Erinnerung die Arbeiterklasse von Generation zu Generation weitergibt, ein Beispiel, ein Bezugspunkt und ein Vermächtnis für die Ausgebeuteten der ganzen Welt, jedoch nicht für ihren Henker, die Bourgeoisie, die derzeit schamlose Gedenkfeiern abhält, um ihre eigene Geschichte zu verfälschen und die wertvollen Lehren zu begraben, die die Arbeiterbewegung aus ihr hat ziehen können.
Mehrere Wochen lang werden Historiker, Journalisten, Politiker und Schriftsteller in den Zeitungen und auf den Fernseh- und Radiokanälen im Namen ihrer Klasse üble Propaganda auftischen. Von rechts bis links, einschließlich der extremen Linken, wird die gesamte bürgerliche Klasse Lügen verbreiten, von den krassesten bis zu den subtilsten.
Wenn sich die Rechte über die Zaghaftigkeit empörte, mit der der Staat plante, den zweihundertsten Todestag von Napoleon I. zu "begehen", hat sie natürlich eine totale Verachtung für die Kommunarden[1] gezeigt, diese "Mörder", diese "Unruhestifter", diese "Agenten der Unordnung", die einfach bleiben sollten, wo sie sind, nämlich sechs Fuß unter der Erde. Man muss bis ins Jahr 2016 zurückgehen, um zu sehen, wie Le Figaro, eine bekannte französische rechte Zeitung, unverblümt und unmissverständlich ausspricht, was die "Partei der Ordnung" schon immer im Kern gedacht hat: "Die Kommunarden haben Paris zerstört, ehrliche Menschen massakriert und sogar Paris verhungern lassen, indem sie die großen Lagerhäuser zerstörten, in denen die Getreidereserven lagerten, die die Bäcker von Paris versorgten." Diese schamlose Verleumdung kennt keine Grenzen. So wurden die Aufständischen, die damals schon als Ungeziefer galten, für ihre eigene Hungersnot und gleichzeitig für das Aushungern der "ehrlichen Leute" verantwortlich gemacht. Mit anderen Worten: Wenn die Arbeiterklasse in Paris dazu gebracht wurde, Ratten zu essen, war es ihre eigene Schuld! Wie üblich, und besonders seit den Nachwirkungen des Ereignisses, wiederholt die Rechte, die sich schon immer von den "gefährlichen Klassen" terrorisiert fühlte, immer wieder eine Art Hassrede, in der sie die Kommunarden mit blutrünstigen Wilden gleichsetzt.
Aber diese Kampagne der plumpen Anschuldigungen, die auf der Wahrheit herumtrampelt und grausam jeder Finesse entbehrt, wird von der Arbeiterklasse sehr leicht als das durchschaut, was sie ist. Deshalb übernimmt die Linke des Kapitals die Aufgabe, die wirkliche und notwendige Arbeit der Verfälschung der Bedeutung der Pariser Kommune zu leisten.
Ab dem 18. März organisiert das Pariser Rathaus 72 Tage lang nicht weniger als fünfzig Veranstaltungen, um angeblich den 150. Jahrestag der Kommune zu feiern. Die Kulisse sollte am 18. März der Louise-Michel-Platz (im 18. Arrondissement von Paris) liefern mit dem Auftritt der "sozialistischen" Bürgermeisterin der Hauptstadt, Anne Hidalgo.
Dieser Ort wurde nicht zufällig gewählt. Louise Michel war eine der berühmtesten und heldenhaftesten Kämpferinnen der Kommune, die, als sie vor Gericht gestellt wurde, nicht einmal Mitleid von den Henkern der Kommune annehmen wollte und ihnen ins Gesicht sagte: "Da es scheint, dass jedes Herz, das für die Freiheit schlägt, nur Anspruch auf ein Stückchen Blei hat, fordere ich meinen Anteil! Wenn ihr keine Feiglinge seid, tötet mich". Wer sind also diese Leute, die heute das Gedenken an die Kommune in völlig verkürzter und verfälschter Form inszenieren wollen? Wer sind Madame Hidalgo und ihr gesamter "sozialistischer" Stadtrat? Nichts weniger als die Nachkommen der sozialdemokratischen Verräter, die zur Zeit des Ersten Weltkriegs unwiederbringlich ins Lager der Bourgeoisie übergegangen sind.
Seitdem haben die "Sozialisten", ob in der Opposition oder in der Regierung, immer gegen die Interessen der Arbeiterklasse gehandelt. Deshalb nützt die stellvertretende Bürgermeisterin Anne Hidalgo aus rein politischen Gründen zynisch die Erinnerung an Louise Michel in den Gedenkfeiern 2021 aus, indem sie sie zitiert: "Alle suchen einen Weg nach vorne, auch wir, und wir denken, dass der Tag, an dem Freiheit und Gleichheit herrschen, der Tag ist, an dem das Menschengeschlecht glücklich sein wird". Für die Kommunarden bedeuteten diese Worte das Ende der Lohnsklaverei, das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die Zerstörung des bürgerlichen Staates. Das war es, was die Worte "Freiheit" und "Gleichheit" für sie bedeuteten. Deshalb errichteten die Kommunarden anstelle der Trikolore Frankreichs, die heute auf dem Dach des Hôtel de Ville (des Rathauses) in Paris weht, die rote Fahne, ein Symbol des Kampfes der Arbeiter und Arbeiterinnen der ganzen Welt! Aber für diese Klasse von Ausbeutern und Massenmördern ist die "Herrschaft der Freiheit" nichts anderes als die Herrschaft des Kommerzes und die Beherrschung und Ausbeutung der Proletarier*innen in den Werkstätten und am Fließband.
Die Sozialistische Partei hat die Kundgebungen zum Ruhm der bürgerlichen Demokratie in ganze Paris verstärkt und die linken Intellektuellen, Schriftsteller und Filmemacher haben viele Filme und Bücher veröffentlicht, um den revolutionären Charakter der Kommune zu verwässern. Auch die bürgerliche Presse, wie der Guardian[2], gibt sie als "Kampf des Volkes" aus und vergleicht sie mit der klassenübergreifenden Bewegung der "Gelbwesten", um den unzweifelhaft proletarischen Charakter der Kommune zu entstellen. Aber die Pariser Kommune war weder ein Kampf für die Durchsetzung der bürgerlichen Werte und der Demokratie, dieser raffiniertesten Form der Klassenherrschaft und des Kapitals, noch ein Kampf des "Volkes von Paris" oder gar des "Kleinbürgertums". Im Gegenteil, sie verkörperte einen Kampf auf Leben und Tod, um die Macht der Bourgeoisie zu stürzen, deren ehrenwerten Vertreter heute die Sozialistische Partei und alle Wortführer der "Linken" sind.
Die Linken sind nicht zu übertreffen, wenn es darum geht, ihren eigenen kleinen Beitrag zur Verfälschung der Erfahrungen der Arbeiterbewegung zu leisten. Meistens liefern sie die heimtückischsten Verzerrungen. So gehen die Trotzkisten der NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) mit der Sache der "direkten Demokratie" hausieren, um die Bedeutung der Kommune zu entstellen. Diese Linken anerkennen zwar, dass die Kommunarden einen Angriff auf den Staat unternahmen, aber nur, um daraus falsche Lehren zu ziehen und für das Kapital, das sie eifrig unterstützen, harmlose Schlussfolgerungen zu ziehen. Die NPA im Departement Loiret zum Beispiel gibt in einem Bulletin, das sie am 13. März veröffentlichte, dem Historiker Roger Martelli[3] Raum, dessen Prosa ein wahres Plädoyer für die bürgerliche Demokratie ist: "Ohne feste Doktrinen, nicht einmal ein fertiges Programm, hat die Kommune in wenigen Wochen das getan, wofür die Republik später lange Zeit brauchte. Sie öffnete den Weg zu einer Konzeption des 'Zusammenlebens', die auf Gleichheit und Solidarität beruht. Schließlich zeigte sie die Möglichkeit einer weniger eng gefassten repräsentativen, direkteren bürgerorientierten Form der Kontrolle auf. Kurzum, sie versuchte, die 'Regierung des Volkes durch das Volk', die US-Präsident Lincoln Jahre zuvor angekündigt hatte, in die Praxis umzusetzen.".
Was für eine absolute Schande ist das! Martelli spuckt schamlos auf das Grab der Kommunarden! Völlig offen und "hemmungslos" reduziert die NPA die Kommune auf eine einfache demokratische Reform, die sich als Volksbeteiligung verkleidet. Am Ende wird die Zukunft, die die Kommune vorzeichnete, auf das bürgerlich-demokratische Ideal reduziert!
Jean Jaurès hatte trotz seiner reformistischen Vorurteile wenigstens die intellektuelle Ehrlichkeit, im Gegensatz zu den Verfälschern der NPA, zu sagen: "Die Kommune war im Wesen und in der Substanz die erste große offene Schlacht der Arbeiter gegen das Kapital. Und genau deshalb wurde sie besiegt, abgeschlachtet".
Lutte Ouvrière (LO), die andere große französische trotzkistische Partei, trägt ihrerseits mit ihrer falschen radikalen Sprache zu dieser Kampagne der Verfälschung bei, indem sie vorgibt, der parlamentarischen Demokratie (an der LO seit Jahrzehnten teilnimmt) die Diktatur des Proletariats entgegenzusetzen, d.h. in ihren Augen eine radikalere Form der bürgerlichen Demokratie. So erklärte diese für die Wahlen mobilisierende Partei 2001: "In einem Programm, für dessen Ausarbeitung sie keine Zeit hatten, schlugen die Kommunarden vor, dass sich alle Gemeinden von den großen Städten bis zu den kleinsten Dörfern auf dem Lande nach dem Vorbild der Pariser Kommune organisieren sollten und dass sie die Grundstruktur einer neuen Form eines wirklich demokratischen Staates bilden sollten."[4] Das heißt, LO weist dann schnell darauf hin: "Das bedeutet nicht, dass revolutionäre Kommunisten den sogenannten demokratischen Freiheiten gleichgültig gegenüberstünden, ganz im Gegenteil, und sei es nur schon deshalb, da sie den Militanten erlauben, ihre Ideen offener zu verteidigen."[5]
Die Organisationen der Linken des Kapitals spielen ohne Frage die verräterischste Rolle, die darin besteht, die Kommune als ein Experiment in "radikaler" Demokratie darzustellen, das kein anderes Ziel gehabt habe als die Verbesserung der Funktionsweise des Staates. Mehr nicht! 150 Jahre später steht die Pariser Kommune erneut vor der Heiligen Allianz aller bürgerlichen reaktionären Kräfte, wie seinerzeit vor der Heiligen Allianz des preußischen Staates und der französischen Republik. Die politischen Schätze, die die Kommune hinterlässt, sind das, was die Bourgeoisie zu verbergen und zu begraben sucht.
In der Tat, wie Marx und Engels in der Folgezeit laut und deutlich feststellten, führte die Pariser Kommune den ersten revolutionären Angriff des Proletariats, indem sie für die Zerstörung des bürgerlichen Staates kämpfte. Die Kommune zielte darauf ab, ihre Macht sofort zu konsolidieren, indem sie das stehende Heer und die staatlichen Institutionen abschaffte und die ständige Abwählbarkeit der Mitglieder der Kommune beschloss, die all jenen gegenüber verantwortlich waren, die sie gewählt hatten.
Die historischen Bedingungen waren zu dieser Zeit noch nicht reif – es war lange vor den Revolutionen von 1905 und 1917 in Russland –, aber die Kommunarden führten Pläne zur Bildung von Arbeiterräten ein, "die endlich entdeckte Form der Diktatur des Proletariats", wie Lenin es ausdrückte. Es war also nicht der Aufbau eines "wahrhaft demokratischen" Staates, den die Kommunarden zu ihrem Ziel machten, sondern die Ablehnung der Herrschaft der Bourgeoisie. Die Pariser Kommune zeigte, dass "die Arbeiterklasse nicht einfach die Kontrolle über die bestehende Staatsmaschinerie übernehmen und sie für ihre eigenen Zwecke benutzen kann".[6] Dies ist eine der wesentlichen Lehren, die Marx und die Arbeiterbewegung aus dieser tragischen Erfahrung zogen. Während die Pariser Kommune ein verfrühter Aufstand war, der mit dem Massaker an der schönsten Blüte des Weltproletariats endete, so war sie dennoch ein heroischer Kampf des Pariser Proletariats, ein unschätzbarer Beitrag zum historischen Kampf der ausgebeuteten Klasse. Aus diesem Grund bleibt es von grundlegender Bedeutung, dass die Arbeiterklasse des 21. Jahrhunderts in der Lage ist, sich die Erfahrung der Kommune und die unschätzbaren Lehren, welche die Revolutionäre daraus gezogen haben, anzueignen und zu assimilieren.
Paul, 18. März 2021
Zur Vertiefung der Lehren aus der Pariser Kommune empfehlen wir die Lektüre der folgenden Artikel auf unserer englischsprachigen Website:
[1] Im Pariser Stadtrat stellten sich rechte Politiker gegen die Feier zum 150. Jahrestag der Kommune und führten eine ohrenbetäubende Kampagne über die Legitimität und sogar die nationale Pflicht, den Tod von Napoleon Bonaparte zu feiern.
[2] “Vive la Commune? The working-class insurrection that shook the world”, The Guardian, 7. März 2021
[3] Verbunden mit der wiederauflebenden Strömung der stalinistischen Partei in Frankreich, der PCF, die jetzt der Linkspartei La France Insoumise nahe steht, mit einem sehr kraftprotzenden nationalistischen Diskurs.
[4] "Demokratie, parlamentarische Demokratie, kommunale Demokratie", Cercle Léon Trotski intitulé, Ausgabe Nr. 89, 26. Januar 2001. In diesem Artikel, der viel über die demokratische Ideologie von LO aussagt, fügt die trotzkistische Partei hinzu, ohne mit der Wimper zu zucken: "Von allen bürgerlichen Institutionen sind die Gemeinden [d.h. die Rädchen der bürgerlichen Demokratie, in denen LO die besten Chancen hat, gewählte Vertreter zu bekommen] immer noch potenziell die demokratischsten, weil sie der Bevölkerung am nächsten stehen und ihrer Kontrolle am meisten unterliegen". Kein Kommentar...
[5] "La Commune de Paris et ses enseignements pour aujourd'hui", Lutte de classe, Ausgabe Nr. 214, März 2021
[6] Marx und Engels, Vorwort zum Manifest der Kommunistischen Partei, 24. Juni 1872
Wir veröffentlichen nachfolgend einen Artikel aus unserer Presse in Frankreich. Der Artikel zeigt das Beispiel Frankreichs auf, ist aber stellvertretend für eine Entwicklung, die in vielen anderen Ländern ebenso anzutreffen ist. Die konkreten Angaben für Frankreich können leicht mit Angaben aus anderen Ländern „ersetzt“ werden.
Seit Februar hat die Zahl der Vorfälle von Gewalt unter Jugendlichen zugenommen. Wut, Aggression, Mordanschläge – der Horror trifft die junge Generation hart.
Am 15. Februar wurde in Paris der 15-jährige Yuriy von elf Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren geschlagen und sein Schädel mit einem Hammer zertrümmert. Selbst leblos am Boden liegend, schlugen sie weiter auf ihn ein. Am 22. Februar starb in Essonne ein 14-jähriges Mädchen an einer Messerwunde im Bauch während einer Schlägerei zwischen zwei Banden. Sechs Minderjährige im Alter von 13 bis 16 Jahren wurden verhaftet. Am nächsten Tag, dem 23. Februar, immer noch in Essonne, gerieten zwei Banden aneinander: die "älteren" Banden (16-17 Jahre) "beaufsichtigten" den Kampf zwischen den "jüngeren" Banden (12-15 Jahre) – bis einer von ihnen, umzingelt, ein Messer zückte. Ein 14-jähriger Schüler starb, ein anderer 13-Jähriger wurde mit einer Wunde am Hals in einem ernsten Zustand ins Krankenhaus gebracht. Am 26. Februar wurde in Bondy Aymen, ein junger 15-jähriger Boxer, erschossen. Die Übeltäter: zwei Brüder im Alter von 17 und 27 Jahren. Am 8. März geriet die 14-jährige Alisha in Argenteuil in einen Hinterhalt, den ein 15-jähriges Paar gelegt hatte: Sie wurde geschlagen und dann in die Seine geworfen, während sie kaum bei Bewusstsein war. Der Kontrast zwischen dem jugendlichen Alter der Beteiligten und der Barbarei der begangenen Taten ist frappierend.
Die Presse und die Politiker haben sich über diese Tragödien gefreut. Sie beschuldigen willkürlich die "sich aufgebenden Familien", die "primitiven Einwanderer", die "Muslime", die "Laxheit der Justiz", die "mangelnden Mittel der Polizei" – und sie alle schlagen als Lösung vor, die Eltern zu bestrafen, die Ausländer auszuweisen, die Zahl der Polizisten zu erhöhen und das Gesetz gegen Minderjährige zu verschärfen. Diese repressive Karte will die Regierung zudem mit einer Reform des Jugendstrafrechts ausspielen, die zu schnelleren Urteilen und höheren Strafen führen soll. Mit anderen Worten: Sie alle bereiten uns auf eine noch gewalttätigere und unmenschlichere Gesellschaft vor.
In Wirklichkeit zahlt die Jugend den Preis für die Verwesung der ganzen Gesellschaft: Das No-Future ist ein Wundbrand, der allmählich den ganzen Organismus erfasst. Solange die Bourgeoisie nicht mehr in der Lage ist, die Gesellschaft für irgendeine Perspektive zu mobilisieren, und solange das Proletariat nicht in der Lage ist, seine eigene revolutionäre Perspektive zu verteidigen, verfault die Gesellschaft auf der Stelle[1] und die sozialen Beziehungen zerfallen: verschärfter Individualismus, Nihilismus, Zerstörung der Familienbande, jeder für sich, Angst vor dem Anderen verbreiten sich; blinde Gewalt, Hass, Rachegeist und Selbstzerstörung werden zur Norm (im Fernsehen, in Filmen, durch Musik, Spiele). Dieser Ausbruch von Barbarei zwischen Kindern aus völlig sinnlosen und irrationalen Gründen ist der Ausdruck einer Gesellschaft ohne Zukunft, die zusammenbricht, uns erdrückt und erstickt. In immer größeren Teilen der Welt ist diese Gewalt zwischen jungen Menschen alltäglich geworden, sei es in Form von Bandenrivalitäten oder durch Schießereien in Schulen.
Heute hat die Bourgeoisie der Menschheit keine Zukunft zu bieten. Nur der Klassenkampf kann dieser Dynamik ein Ende setzen. Nur Klassensolidarität, über alle Generationen hinweg, kann den Weg zur revolutionären Perspektive erhellen und diesem unmenschlichen und tödlichen Kapitalismus ein Ende setzen.
Ginette, 24. März 2021
[1]Um näher auf das einzugehen, was die IKS die "Zerfallsphase" der kapitalistischen Gesellschaft nennt, laden wir unsere Leser ein, die Thesen: Zerfall, die letzte Phase der kapitalistischen Dekadenz, h [2]ttps://de.internationalism.org/Zerfall/13 [2] und den Bericht über den Zerfall heute (Mai 2017), https://de.internationalism.org/content/2926/bericht-ueber-den-zerfall-heute-mai-2017 [65] sowie die zahlreichen Artikel und Polemiken zu lesen, die wir zu diesem Thema veröffentlicht haben.
Paris, 7. Dezember 2004
Genossinnen und Genossen!
Seit dem 2. Dezember haben wir festgestellt, dass einige diskrete Änderungen auf der Website der IBRP vorgenommen wurden. Nacheinander sind die englische und dann die spanische Version der "Erklärung des Kreises der Internationalistischen Kommunisten (Argentinien): gegen die ekelerregende Methode der IKS" vom 12. Oktober, die mehr als anderthalb Monate lang auf der Seite zu finden waren, verschwunden (seltsamerweise ist die französische Version dieser Erklärung zum Zeitpunkt des Versendens dieses Briefes immer noch vorhanden):[1] hat die IBRP eine andere Politik je nach Land und Sprache?[2] Außerdem wurde die Einleitung der "Positionserklärung des Kreises der Internationalistischen Kommunisten zu den Ereignissen in Caleta Olivia", die auf den italienischen Seiten eurer Website zu finden ist, um ein Viertel gekürzt, weil die folgende Passage gestrichen wurde: "Der Internationalistische Kommunistische Kern Argentiniens hat vor kurzem mit der Internationalen Kommunistischen Strömung gebrochen, die wir schon seit langem als ein nutzloses politisches Überbleibsel betrachten, das zweifellos ungeeignet ist, zur Bildung der internationalen Partei beizutragen. Die argentinische Organisation hat auch ihren Namen in "Kreis der internationalistischen Kommunisten" geändert.“ ("Recentemente il Nucleo Comunista Internazionalista di Argentina ha rotto con la Corrente Comunista Internazionale, che da tempo indichiamo come ormai inutile sopravvvivenza di una vecchia politica sicuramente non adeguata a contribuire alla formazione del Partito internazionale. L'organizzazione argentina ha anche cambiato nome assumendo quello di Circolo di Comunisti Internazionalisti.").
Diese Änderungen zeigen, dass das IBRP (vielleicht) begonnen hat zu erkennen, dass sie in ein Wespennest gestochen hat, indem sie das, was der so genannte "Zirkel" in seinen verschiedenen "Erklärungen", insbesondere in Bezug auf das Verhalten der IKS, von sich gegeben hat, für bare Münze genommen und in einer äußerst unvorsichtigen Weise veröffentlicht hat. Mit anderen Worten, das IBRP ist nicht mehr in der Lage, vor sich selbst und vor allem vor den Lesern seiner Website zu verbergen, was die IKS seit fast zwei Monaten fest gestellt hat: dass die gegen unsere Organisation erhobenen Anschuldigungen reine Lügen sind, erfunden von einem zwielichtigen Element, einem skrupellosen Hochstapler, der zudem ein zwanghafter Lügner ist. Die diskrete und schrittweise Entfernung dieser "Erklärungen" löscht oder korrigiert jedoch in keiner Weise den schweren politischen Fehler, geschweige denn das unentschuldbare Verhalten eurer Organisation. Ganz im Gegenteil.
Deshalb ist dieser Brief ein sehr ernsthafter Appell an die Militanten des IBRP über das Verhalten ihrer Organisation, das absolut skandalös und unvereinbar mit den Grundlagen proletarischen Verhaltens war, nachzudenken.
Lasst uns kurz die Fakten in Erinnerung rufen:
Gegen Mitte Oktober veröffentlichte das IBRP in mehreren Sprachen auf seiner Website die berühmte "Erklärung gegen die widerlichen Methoden der IKS" des sogenannten "Circulo de Comunistas Internacionalistas". Letzterer präsentierte sich als Nachfolger des "Nucleo Comunista Internacional", mit dem die ICC seit mehreren Monaten diskutiert (einschließlich zweier Treffen in Argentinien zwischen den Delegationen des NCI und der IKS).
Was war der Inhalt dieser "Erklärung"? Sie enthielt eine Reihe von sehr ernsten Anschuldigungen gegen unsere Organisation:
Jeder Leser, der auch nur irgendeine Erfahrung in Bezug auf die Kommunistische Linke (oder diejenigen, die eine Kontinuität mit ihr beanspruchen) hat, kann hier die gleiche Art von Verleumdung erkennen, die die IFIKS seit mehreren Jahren gegen unsere Organisation verwendet. Aber die Analogie hört hier nicht auf. Sie findet sich auch in der Unverschämtheit, mit der die gröbsten Lügen verbreitet werden:
"Die Genossen, die die IKS per Telefon angerufen hat, um Keime des Misstrauens und der Zerstörung unserer kleinen Gruppe zu säen, schlagen sämtlichen Mitgliedern des Kreises der internationalistischen Kommunisten die totale Ablehnung der politischen Methode der IKS vor, die sie als typisch stalinistisch betrachten und deren zentrales Ziel, das Ziel der gegenwärtigen IKS-Führung, darin besteht, die revolutionäre Umgruppierung zu verhindern, für die verschiedene Strömungen und Gruppen kämpfen; sie schlagen vor, diese Intrigen bei allen Strömungen anzuprangern, die erklären, in der Kontinuität der Kommunistischen Linken zu stehen."
Die Realität sieht ganz anders aus, wie wir schon in anderen Texten gesagt haben und wie es in der NCI-Erklärung vom 27. Oktober steht: Wir haben tatsächlich mit einem Genossen der NCI telefoniert, aber keineswegs mit der Absicht, "[die NCI] oder ihre Militanten auf individuelle Weise zu zerstören".
Das Ziel unseres ersten Telefonats war es, zu versuchen zu verstehen, wie der "Kreis der internationalistischen Kommunisten" gebildet wurde. Auch um herauszufinden, warum Genossen, die ein paar Wochen zuvor eine sehr brüderliche Haltung gegenüber unserer Delegation gezeigt hatten und die keine Meinungsverschiedenheiten mit der IKS geäußert hatten (vor allem in Bezug auf das Verhalten der IFIKS), am 2. Oktober eine "Erklärung" verfassen sollten, die besonders feindselig gegenüber unserer Organisation war und sich von allem abwandten, was sie bis zu diesem Zeitpunkt verteidigt hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir Zweifel, ob alle Genossen der NCI an dieser "Erklärung" beteiligt waren (trotz dessen, was darin über die "Einstimmigkeit" der Mitglieder der NCI zugunsten dieses Kurses steht). Die Telefongespräche mit den Genossen der NCI ermöglichten es uns, sie darüber zu informieren, was vor sich ging: dass ein "Circulo" aufgetaucht war, der sich als die Fortsetzung der NCI darstellte und der die IKS angriff. Wir konnten auch feststellen, dass diese Genossen keine Ahnung von der neuen Politik hatten, die von Bürger B (der einzige mit Internetzugang) in ihrem Namen betrieben wurde. Als wir die Genossen, die wir zuerst kontaktiert hatten, fragten, ob sie wollten, dass wir wieder anrufen, bejahten sie dies. Sie bestanden darauf, dass die Anrufe so häufig wie möglich erfolgen sollten, und sie schlugen vor, dass wir anrufen sollten, wenn sie bei den anderen Genossen waren, damit wir auch mit ihnen sprechen konnten. Es gibt also tatsächlich "eine einmütige Bitte seitens der Genossen, dass die IKS sie anruft": Sie schlagen keineswegs "den gesamten Mitgliedern des Kreises der internationalistischen Kommunisten die totale Ablehnung der politischen Methode der IKS vor", sondern sie befürworten sie wärmstens. Und die Methode, die "sie als typisch stalinistisch betrachten", ist die von Señor B.
Zu Beginn seiner Erklärung vom 12. Oktober warnt uns diese intrigante Figur, dass das, was er über die "Methoden der IKS" sagt, "wie eine Lüge erscheinen" könnte. In der Tat können die "Erklärungen" von Señor B. "wie eine Lüge erscheinen". Dafür gibt es einen guten Grund: Sie sind tatsächlich Lügen, glatte Lügen. Unnötig zu sagen, dass die IFIKS diese Lüge, die wie eine Lüge aussieht, sofort geglaubt hat. Alles, was sie in die Lage versetzt, unsere Organisation mit Dreck zu bewerfen, ist für sie ein gefundenes Fressen, und es ist ihnen völlig egal, ob die Anschuldigung "wie eine Lüge aussieht". Schließlich ist Lügen ihre zweite Natur, es ist ihr Markenzeichen (zusätzlich zu Erpressung, Diebstahl und Verleumdung). Unglaublich ist dagegen, dass eine Organisation der kommunistischen Linken, das IBRP, in die Fußstapfen der IFIKS getreten ist und die infamen Fantastereien von Señor B. ohne jeden kritischen Kommentar auf ihrer Website veröffentlicht hat, was bedeutet, dass sie diese voll unterstützt.
Das IBRP ist sehr versessen darauf, anderen Lektionen zu erteilen, zum Beispiel indem es seine eigene Interpretation der Krise der IKS gibt, indem es den Lügen der IFIKS Glauben schenkt, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, die Analysen der IKS selbst ernsthaft zu prüfen (siehe zum Beispiel "Elemente der Reflexion über die Krisen der IKS" auf der IBRP-Website).[3] Andererseits mag das Büro keine Anregungen zu seinem eigenen Verhalten erhalten: "Wir weisen die lächerlichen Warnungen (der IKS) zurück", "Wir müssen weder der IKS noch sonst jemandem Rechenschaft über unsere politischen Aktionen ablegen, und die Anmaßungen der IKS, die so genannten Traditionen der kommunistischen Linken zu vertreten, sind einfach erbärmlich" (siehe Antwort auf die dummen Anschuldigungen einer Organisation, die sich im Prozess des Zerfalls befindet, auf der Website des IBRP).[4] Erlaubt uns dennoch zu sagen, wie wir uns verhalten hätten, wenn wir eine Erklärung wie die des "Circulo" erhalten hätten, die ernsthafte Zweifel am IBRP aufkommen lässt.
Das erste, was wir getan hätten, wäre gewesen, das IBRP zu kontaktieren und es zu fragen, was seine Antwort auf solche Anschuldigungen ist. Wir hätten auch die Glaubwürdigkeit und die Ehrlichkeit des Autors solcher Anschuldigungen überprüft. Wenn nachgewiesen worden wäre, dass die Anschuldigungen unwahr sind, hätten wir dieses Verhalten sofort angeprangert und dem IBRP unsere Solidarität angeboten. Wenn die Anschuldigung wahr wäre und wir es für notwendig hielten, dies in unserer Presse bekannt zu machen, hätten wir das IBRP um eine Stellungnahme gebeten, um sie zusammen mit dem sie anklagenden Dokument zu veröffentlichen.
Vielleicht denkt ihr, dass dies leere Worte sind und dass wir in Wirklichkeit nichts dergleichen getan hätten. Aber unsere Leser wissen auf jeden Fall, dass die IKS so reagiert und dass wir dies bereits taten, als LA Workers' Voice eine Kampagne zur Verunglimpfung des IBRP startete (siehe Internationalism Nr. 122).
Wie hat das IBRP reagiert, als sie die "Erklärung des 'Circulo'" erhielt? Es begnügte sich nicht nur damit, sie zu unterstützen, indem es sie in mehreren Sprachen auf seiner Website veröffentlichte, ohne den geringsten Versuch zu unternehmen, ihre Authentizität zu überprüfen, sondern es weigerte sich auch mehr als ein Dutzend Tage lang, das Dementi zu veröffentlichen, um das wir es mehrmals gebeten hatten, diese zusammen mit der Erklärung des "Circulo" zu veröffentlichen (siehe unsere Briefe vom 22., 26. und 30. Oktober).
Die Veröffentlichung unseres Dementis war das Mindeste, was das IBRP hätte tun können (und etwas, was jede bürgerliche Zeitung im Allgemeinen bereit ist zu tun), aber es brauchte drei Briefe, bevor es veröffentlicht wurde; drei Briefe und eine Reihe von Vorfällen, die begannen, deutlich zu machen, dass die "Erklärung" gelogen war. Die Aufnahme unseres Dementis war das Minimum, aber das heißt nicht, dass es ausgereicht hätte, denn indem das IBRP nicht selbst Stellung zur Erklärung des "Circulo" nahm, unterstützte es weiterhin dessen Lügen. Deshalb haben wir euch in unseren Briefen vom 17. und 21. November gebeten, "sofort (d.h. nach Erhalt dieses Briefes) auf eurer Website die Erklärung des NCI vom 27. Oktober zu veröffentlichen, die auf unserer eigenen Website in allen relevanten Sprachen veröffentlicht ist". Diese Erklärung ist keine Erfindung der IKS, der ihr vielleicht alles zutraut, sondern stammt von den Kronzeugen für die Fälschungen und verleumderischen Lügen von Señor B.. Bis heute habt ihr diese Erklärung des NCI (die euch per Briefpost aus Buenos Aires zugesandt wurde) nicht veröffentlicht, was ihr sehr wohl wisst, da ihr die Erklärung des "Circulo" nach und nach und diskret von eurer Seite entfernt habt.
Mehrere Wochen lang habt ihr euch "tot gestellt", als die IKS darum bat, die Wahrheit zu ermitteln. Jetzt, wo sie allmählich ans Licht kommt (nicht dank euch), wählt ihr die heuchlerischste Art und Weise, die möglich ist, um nicht besudelt zu werden: ihr zieht ein Dokument zurück, das seit fast zwei Monaten eine Ladung Schlamm gegen unsere Organisation schleudert, mit demselben Schweigen, mit dem ihr es überhaupt in Umlauf gebracht habt.
Genossinnen und Genossen, seid ihr euch der Ernsthaftigkeit eures Verhaltens bewusst? Ist euch bewusst, dass diese Haltung einer Gruppe unwürdig ist, die sich auf die Tradition der kommunistischen Linken beruft, aber eher zu den Methoden des degenerierten Trotzkismus, wenn nicht gar des Stalinismus gehört? Seid ihr euch bewusst, dass ihr dasselbe tut wie Señor B. (dessen jüngste Verhandlungen mit der Website "Argentina Roja" zeigen, dass er zu seinen alten stalinistischen Liebschaften zurückgekehrt ist), der seine Zeit damit verbringt, Dokumente auf seiner Website erscheinen und verschwinden zu lassen, um zu versuchen, seine hinterhältigen Manöver zu verbergen?
Auf jeden Fall, da ihr eure Kommunikationsmittel in den Dienst der Verleumdung gegen die IKS gestellt habt, reicht es nicht aus, diese Verleumdung diskret zurückzunehmen, als ob nichts geschehen wäre. Ihr habt einen sehr schwerwiegenden politischen Fehler begangen und müsst ihn nun berichtigen. Der einzige Weg, der einer proletarischen Organisation würdig ist, besteht darin, auf eurer Website zu verkünden, dass das Dokument, das dort fast zwei Monate lang zu finden war, ein Haufen Lügen ist, und die Intrigen von Señor B. Anzuprangern.
Wir verstehen, dass die Entdeckung der Wahrheit für euch eine bittere Enttäuschung gewesen sein muss: Die NCI hat nicht mit der IKS gebrochen und der "Circulo", in den ihr die größten Hoffnungen gesetzt hattet (siehe euren Artikel in der Oktoberausgabe Battaglia Comunista "Auch in Argentinien ist etwas in Bewegung"), ist nicht mehr als eine Erfindung der Phantasie von Señor B. Trotzdem ist das kein Grund, nicht zu den Methoden dieses Hochstaplers Stellung zu nehmen. Es ist auch eine Frage der grundsätzlichen Solidarität mit den Militanten der NCI, die die Hauptopfer der infamen Manipulationen dieses Elements waren, das ihren Namen usurpiert hat.
Ebenso verstehen wir, dass es für euch schmerzhaft wäre, öffentlich anzuerkennen, dass ihr wieder einmal (nach eurem Kommuniqué vom 9. September 2003 über die "Radikalen Kommunisten der Ukraine") Opfer einer betrügerischen Erfindung geworden seid. Als euch dieses Missgeschick widerfuhr, gab die IKS keinen Kommentar ab. Anstatt das Messer in die Wunde zu legen, dachten wir, dass es an euch als "verantwortungsvolle führende Kraft" (eure eigenen Worte) läge, die Lehren aus dieser Erfahrung zu ziehen. Angesichts der Rückschläge, die ihr in der Vergangenheit erlebt habt (insbesondere mit der SUCM und der LAWV), hat uns das jedoch nicht überrascht, und das trotz unserer Warnungen, die ihr "als lächerlich" zurückweist. Aber heute ist das Problem viel schwerwiegender, als die Lächerlichkeit zu erleiden, auf die Schippe genommen zu werden. Hinter der rührenden Naivität, mit der ihr den Worten eines Betrügers und zwanghaften Lügners geglaubt habt, steckt auch die Doppelzüngigkeit, dass ihr der Niedertracht dieses Individuums auf eurer Seite Raum gegeben habt. Dieses Verhalten ist einer Organisation, die Anspruch auf das Erbe der Kommunistischen Linken erhebt, absolut unwürdig.
Das IBRP behauptet, die IKS habe "jede Fähigkeit/Möglichkeit verwirkt, positiv zum unverzichtbaren Prozess zur Bildung der internationalen kommunistischen Partei beizutragen" ("avendo cioè perso ogni capacità/possibilità di contribuire positivamente al processo di formazione dell'indispensabile partito comunista internazionale", Battaglia Comunista vom Oktober 2004, (Auch in Argentinien ist etwas im Gange). Im Gegensatz zum IBRP (und den verschiedenen Bezeichnungen der bordigistischen Strömung) hat die IKS niemals geglaubt, die einzige Organisation zu sein, die in der Lage ist, einen positiven Beitrag zur Bildung der zukünftigen revolutionären Weltpartei zu leisten, auch wenn wir natürlich der Meinung sind, dass unser eigener Beitrag der entscheidendste sein wird. Deshalb hat unsere Strömung seit ihrem Erscheinen 1964 (noch vor der eigentlichen Gründung der IKS) die gleiche Orientierung wie die der Kommunistischen Linken Frankreichs GCF aufgegriffen und immer die Notwendigkeit einer brüderlichen Debatte und Zusammenarbeit (natürlich auf der Grundlage der Klarheit) zwischen den Kräften der Kommunistischen Linken verteidigt. Schon vor 1977, als Battaglia Comunista den Vorschlag machte, internationale Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linken zu organisieren, hatten wir das schon mehrmals vorgeschlagen, aber vergeblich. Deshalb waren wir von der Initiative Battaglia Comunistas begeistert und setzten uns ernsthaft und entschlossen für sie ein. Das ist auch der Grund, warum wir die Entscheidung von Battaglia und der CWO, diesem Versuch am Ende der 3. Konferenz 1980 ein Ende zu setzen, bedauerten und verurteilten.
In der Tat sind wir der Meinung, dass bestimmte Positionen des IBRP verworren, fehlerhaft oder inkohärent sind und dass sie Verwirrungen innerhalb der Klasse schaffen oder aufrechterhalten können. Aus diesem Grund veröffentlichen wir in unserer Presse regelmäßig Polemiken, die diese Positionen kritisieren. Wir denken jedoch, dass das IBRP aufgrund seiner grundlegenden Prinzipien eine proletarische Organisation ist und dass es innerhalb der Arbeiterklasse einen positiven Beitrag gegen bürgerliche Mystifikationen leistet (insbesondere wenn es den Internationalismus gegen den imperialistischen Krieg verteidigt). Deshalb waren wir bis jetzt immer der Meinung, dass es im Interesse der Arbeiterklasse ist, eine Organisation wie das IBRP zu erhalten. Es hat nicht die gleiche Analyse in Bezug auf unsere eigene Organisation, denn nachdem es bei seinem Treffen mit der IFIKS im März 2002 erklärt haben, dass "wenn wir zu dem Schluss kommen, dass die IKS als Organisation 'untauglich' geworden ist, unser Ziel darin bestehen würde, alles zu tun, was möglich ist, um auf ihr Verschwinden zu drängen" (IFIKS-Bulletin Nr. 9), hat es nun tatsächlich alles getan, was möglich ist, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Tatsache, dass die IKS eurer Meinung nach ein Hindernis für die Entwicklung des Bewusstseins in der Arbeiterklasse darstellt und dass es für den Kampf besser wäre, wenn die IKS verschwinden würde, stellt für uns kein Problem dar. Schließlich ist das die Position, die die verschiedenen Gruppierungen der bordigistischen Strömung immer verteidigt haben. Genauso ist es in unseren Augen kein Problem, dass ihr versucht, dieses Ziel zu erreichen. Die Frage ist nur: Mit welchen Mitteln erreicht ihr es? Auch die Bourgeoisie hat ein Interesse daran, die IKS verschwinden zu sehen, so wie sie ein Interesse daran hat, dass die anderen Gruppen der Kommunistischen Linken verschwinden. Deshalb hat sie widerliche Kampagnen gegen die Kommunistische Linke entfesselt, indem sie sie mit der "revisionistischen" Strömung identifiziert, die mit der extremen Rechten verbunden ist.[5] Für die herrschende Klasse sind JEDE Mittel akzeptabel, einschließlich und vor allem die Verwendung von Lügen und Verleumdungen. Aber das gilt nicht für eine Organisation, die behauptet, für die proletarische Revolution zu kämpfen. Genau wie die anderen revolutionären Organisationen der Arbeiterbewegung, die ihr vorausgegangen sind, zeichnet sich die Kommunistische Linke nicht nur durch ihre programmatischen Positionen, wie z.B. den Internationalismus, aus. In ihrem Kampf gegen die Degeneration der KI und gegen die opportunistische Abweichung des Trotzkismus, die diesen ins bürgerliche Lager führte, hat die Linke immer eine Methode verteidigt, die auf Klarheit und damit auf der Wahrheit beruht, insbesondere gegen alle Verfälschungen, die der Stalinismus verbreitete. Marx sagte: "Die Wahrheit ist revolutionär". Mit anderen Worten: Lügen und vor allem Verleumdungen sind keine Waffen des Proletariats, sondern der feindlichen Klasse. Eine Organisation, die sie in ihrem Kampf einsetzt, geht also unabhängig von der Gültigkeit der in ihrem Programm niedergeschriebenen Positionen den Weg des Verrats oder wird zumindest zu einem entscheidenden Hindernis für die Entwicklung des Bewusstseins in der Klasse. In diesem Fall ist es in der Tat vom Standpunkt der Interessen des Proletariats aus vorzuziehen, dass eine solche Organisation verschwindet, und zwar viel mehr, als es aufgrund von Fehlern in ihrem Programm der Fall wäre.
Genossinnen und Genossen!
Wir sagen euch offen: Wenn das IBRP auf ihrer Politik der Lügen, Verleumdungen und, schlimmer noch, der "Erlaubnis", diese zu benutzen, beharrt und ihnen Vorschub leistet, indem sie angesichts der Intrigen von Gruppierungen wie dem "Circulo" und der FIIKS, deren Markenzeichen und Daseinsberechtigung sie sind, schweigt, dann wird es bewiesen haben, dass es auch ein Hindernis für die Entwicklung des Bewusstseins im Proletariat geworden ist. Es wird zu einem Hindernis geworden sein, nicht so sehr wegen des Schadens, den es unserer Organisation zufügen kann (die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass wir in der Lage sind, uns zu verteidigen, auch wenn man denkt, dass "die IKS im Prozess der Auflösung ist"), sondern wegen des Schadens und der Schande, die ein solches Verhalten dem Gedächtnis der Italienischen Kommunistischen Linken und damit ihrem unschätzbaren Beitrag zufügen kann. In der Tat wäre es in diesem Fall besser, wenn das IBRP verschwinden würde, und "unser Ziel wäre es, alles zu tun, was möglich ist, um eurer Verschwinden zu forcieren", wie ihr es so trefflich formuliert habt. Es ist natürlich klar, dass wir, um dieses Ziel zu erreichen, nur die Waffen der Arbeiterklasse einsetzen würden, und es versteht sich von selbst, dass wir niemals den Einsatz von Lügen oder Verleumdungen zulassen würden.
Ein letzter Punkt:
Die Erklärung des "Circulo" vom 12. Oktober sowie der Artikel der IFIKS in ihrem Bulletin Nr. 28 beziehen sich auf unsere so genannten "Sabotageversuche" bei eurer öffentlichen Versammlung in Paris am 2. Oktober. Diese Art von Anschuldigungen sind euch nicht fremd, da ihr in der ersten Version eurer Stellungnahme zu dieser öffentlichen Versammlung, die nur auf Italienisch (und nicht auf Französisch - noch ein weiteres Geheimnis des IBRP! "die revolutionäre Avantgarde, selbst dort, wo sie zahlenmäßig reduziert ist, in ihrem Entstehen behindert durch den Gestank, der von einer im Zerfall begriffenen Organisation wie der IKS in Paris erzeugt wird. Deshalb wird das IBRP seine Arbeit auch in Paris fortsetzen und alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Sabotage zu verhindern und zu vermeiden, egal woher sie kommen mag" ("le avanguardie rivoluzionarie anche laddove scarseggiano, ostacolate nel loro emergere dai miasmi prodotti da una organizzazione in via di disfacimento, come la Cci a Parigi. E' per questo che il BIPR continuerà il suo lavoro anche su Parigi, prendendo tutte le misure necessarie a prevenire ed evitare sabotaggi, da qualunque parte essi vengano"). Am Ende habt ihr den letzten Teil dieser Passage zurückgezogen (was zeigt, dass ihr euch eurer Sache nicht sehr sicher wart) und insbesondere den Hinweis auf unsere "Sabotage". Nichtsdestotrotz wurden eine Reihe von Besuchern eurer Website und die Kontakte, an die ihr eure Mitteilungen per E-Mail senden, über diese Anschuldigungen informiert. Auch die IFIKS und der "Circulo" veröffentlichen sie weiterhin auf ihrer eigenen Seite und Sie machen keinen Versuch, sie zu dementieren.
Genossen, wenn ihr glaubt, dass wir versucht haben, euer öffentliches Treffen in Paris zu sabotieren, dann sagt das offen und erklärt, warum. Das würde es ermöglichen, den Punkt in einer argumentativen Weise zu diskutieren, anstatt mit einem hinterhältigen Gerücht konfrontiert zu werden.
Zum Schluss. Dieser Brief konzentriert sich auf eine einzige Frage, nämlich die Veröffentlichung einer infamen "Erklärung" auf eurer Website, die die IKS verleumdet. Die Verwendung von Lügen und Verleumdungen (in aktiver oder passiver Weise) als Mittel zur Bekämpfung der IKS endet jedoch nicht hier. Wir erinnern euch daran, dass wir euch zwei Briefe geschrieben haben, in denen wir euch unter anderem gebeten haben, zu einer Frage von größter Wichtigkeit (wenn es je eine gab) Stellung zu nehmen: "Glaubt ihr, dass die IKS, wie die IFIKS immer wieder behauptet, unter der Kontrolle von Agenten des kapitalistischen Staates steht (die der Polizei oder einer Sekte der Freimaurerei angehören)?"
Wir erinnern euch auch daran, dass ihr bis jetzt, obwohl ihr den Diebstahl unserer Abonnentenliste durch die IFIKS rechtfertigt, nicht erklärt haben, wie es kommt, dass diese Abonnenten eine Einladung zu eurem öffentlichen Treffen per Post erhalten haben, obwohl sie euch ihre Adressen nicht gegeben hatten. Die einzige "Erklärung", die wir erhalten haben, war die, die auf eurer öffentlichen Versammlung in Paris am 2. Oktober von einem Mitglied des Präsidiums gegeben wurde, das sagte: "Wir wussten nicht, dass diese Einladungen verschickt wurden und wir sind damit nicht einverstanden".
Selbst wenn ihr es der IKS nicht erklären wollt, bitten wir euch zumindest, den Anstand zu haben, unseren Abonnenten, die nicht unbedingt IKS-Sympathisanten sind, eine Erklärung zu geben.
Wir haben hier eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die aus unserer Sicht noch offen sind, und wir werden sie jederzeit auf den Tisch legen, wenn ihr euch entscheidet, eure übliche Politik des Schweigens als Antwort auf unsere Briefe anzuwenden.
Kommunistische Grüße,
Die IKS, 7.12.2004
[1]Anmerkung zur englischen Version : als wir diese Übersetzung auf unserer Website veröffentlichen (31/12/2004), stellten wir fest, dass - obwohl der Link zur französischen Version der "Erklärung" aktiv bleibt - das Dokument selbst verschwunden ist : Inkompetenz oder ein weiteres Beispiel für die "Diskretion" des IBRP?
[2]Diese Frage betrifft nicht nur das Datum des Verschwindens der "Erklärung" vom 12. Oktober, sondern auch ihre Veröffentlichung auf der Website des IBRP. Tatsächlich ist diese Erklärung nie auf Italienisch erschienen, obwohl zwei andere Texte des Circulo in dieser Sprache erschienen sind; "Presa di posizione del Circolo di Comunisti Internazionalisti sui fatti di Caleta Olivia" ("Positionserklärung des Zirkels der Internationalen Kommunisten zu den Ereignissen von Caleta Olivis") und "Prospettive della classe operaia in Argentina e nei paesi periferici" ("Perspektive des Proletariats in Argentinien und den peripheren Ländern"). Paradoxerweise sind diese nicht in anderen Sprachen von dem IBRP veröffentlicht worden. Das ist ein bisschen schwierig zu verstehen. Wir hoffen zumindest, dass die Militanten des IBRP die Gründe für diese überraschenden Entscheidungen kennen.
[3]Anmerkung zur englischen Übersetzung: dieser Text erschien in Internationalist Communist Nr. 21, der nie auf der IBRP-Website veröffentlicht wurde.
[4]Anmerkung zur englischen Übersetzung: dieser Text ist auf Französisch auf der Website erschienen, aber offenbar nicht auf Englisch.
[5]Anmerkung zur englischen Übersetzung: Verschiedene betrügerische Kampagnen in der bürgerlichen Presse, besonders in Frankreich und Italien, haben versucht, die internationalistische Anprangerung des "großen antifaschistischen Krieges" durch die Kommunistische Linke mit den Thesen jener "revisionistischen" Historiker zu identifizieren, die die Existenz der Nazi-Konzentrationslager leugnen oder herunterspielen.
Im Dezember letzten Jahres schrieb die IKS an die Internationale Kommunistische Tendenz mit der Bitte, einen Brief zur Richtigstellung von schwerwiegenden Verfälschungen von Tatsachen betreffend unsere Organisation zu veröffentlichen, die auf der IKT-Website in einem Artikel mit dem Titel Zum fünfundvierzigsten Jahrestag der Gründung der CWO[1] erschienen waren.
Die IKS fordert solche Richtigstellungen nicht vom bürgerlichen Lager. Aus dieser Richtung erwarten wir Lügen und prangern solche Verleumdungen einfach als das Markenzeichen der feindlichen Klasse an.
Wenn wir die IKT um eine Richtigstellung schwerer Diffamierungen gegenüber der IKS gebeten haben, dann deshalb, weil wir die IKT, ungeachtet unserer politischen Differenzen mit dieser Tendenz, als Teil des internationalistischen proletarischen Lagers betrachten, und wir daher von einem gemeinsamen Interesse an Richtigstellungen aller wichtigen Abweichungen von einem wahrheitsgemäßen Bild der Geschichte der Kommunistischen Linken ausgehen[2].
Wir erwarteten, dass die IKT entweder diese wichtigen Fehler anerkennen und sich bereit erklären würde, sie zu berichtigen, oder dass sie Beweise vorlegen würde, um unsere Korrekturen zu widerlegen.
Leider aber antwortete die IKT verärgert auf unsere Anfrage und weigerte sich, irgendeine Korrektur zu veröffentlichen, mit der Begründung, die Anfrage sei eine "Provokation" oder ein "politisches Spiel". Sie erklärten in ihrer Antwort, dass dies ihr letztes Wort zu diesem Thema und die Korrespondenz nun beendet sei.[3]
Trotz dieser Abfuhr schrieb die IKS erneut in der Hoffnung, einen Sinneswandel herbeizuführen, und erklärte, dass unsere Bitte um eine Richtigstellung keine Provokation oder ein Spiel oder ein Streit über die Interpretation der Geschichte der CWO oder ein Versuch sei, unsere eigene Interpretation der Geschichte durchzusetzen, sondern ein Wunsch, wichtige Fakten wiederherzustellen. Und wir stellten in unserem zweiten Brief fest, dass trotz der wütenden Weigerung der IKT, unsere Richtigstellung zu veröffentlichen, ihre Antwort die fraglichen Fakten nicht widerlegt habe und damit die Faktenlage so sei, wie wir sie beschrieben hatten. Aber in einem Punkt war die IKT konsequent: Sie ist bis heute bei ihrer einseitigen Beendigung der Korrespondenz geblieben und hat auch drei Monate später nicht auf unseren zweiten Brief geantwortet.
Wenn wir diese Korrespondenz mit der IKT nun veröffentlichen, dann deshalb, weil es offensichtlich nicht möglich war, mit ihnen zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, und weil wir die Verfälschungen dennoch für gravierend genug halten, um eine Richtigstellung zu veröffentlichen. Angesichts der Weigerung der IKT, eine für beide Seiten akzeptable öffentliche Richtigstellung weiter in direktem Kontakt zu besprechen, was wir bevorzugt hätten, sind wir gezwungen, den Sachverhalt selbst öffentlich zu machen.
Unser erstes Schreiben:
IKS an die IKT
8/12/2020
Liebe Genossinnen und Genossen,
Wir bitten Euch, die folgende Richtigstellung auf Eurer Website zu veröffentlichen:
"Uns ist aufgefallen, dass ein Artikel auf eurer Website 'Zum 45. Jahrestag der Gründung der CWO' einige Unwahrheiten enthält, die unsere Organisation diffamieren. Drei stechen besonders hervor, und sie müssen korrigiert werden:
Erstens behauptet der Artikel, dass die IKS Battaglia Comunista 'verleumdet' hat, was ihre Ursprünge in der 1943 gegründeten Internationalistischen Kommunistischen Partei betrifft:
"Wir entdeckten auch, dass die Verleumdungen der IKS, sie [die IntKP] habe 'innerhalb der Partisanen' gearbeitet, nicht der Wahrheit entsprachen, außer der Tatsache, dass sie überall dort gearbeitet hatte, wo die Arbeiterklasse präsent war".
In einem Brief von Battaglia Comunista an die IKS, der im Artikel „Die Zweideutigkeiten der Internationalistischen Kommunistischen Partei über die 'Partisanen' in Italien 1943“ in der International Review [engl./frz./span. Ausgabe] Nr. 8 von 1977 abgedruckt ist, heißt es:
"Die Genossen, die aus der kommunistischen Linken kamen und die die [Internationalistische Kommunistische] Partei bildeten, waren die ersten sowohl in Italien als auch außerhalb, die die konterrevolutionäre Politik des demokratischen Blocks (einschließlich der stalinistischen und trotzkistischen Parteien) anprangerten, und sie waren die ersten und einzigen, die innerhalb der Arbeiterkämpfe und sogar in den Reihen der Partisanen agierten und die Arbeiter aufriefen, gegen den Kapitalismus zu kämpfen, egal hinter welcher Art von Regime er sich versteckt.
Die Genossen, die RI als 'Widerstandskämpfer' ('Resistance') bezeichnet, waren revolutionäre Militante, die sich der Aufgabe widmeten, in die Reihen der Partisanen einzudringen, um die Prinzipien und Taktiken der revolutionären Bewegung zu propagieren, und die für diese Arbeit mit ihrem Leben bezahlten."
Die Internationalistische Kommunistische Partei, aus der Battaglia Comunista hervorging, agierte innerhalb der Partisanen und drang in deren Reihen ein – nach eigenem Bekunden. Die Anerkennung und Kritik der IKS an dieser Tatsache ist also keine Verleumdung.
Zweitens heißt es in dem Artikel mit der zeitlichen Übersicht:
"1980: Die dritte Konferenz der Internationalen Kommunistischen Linken (Paris) führte zum Verlassen der Konferenzen durch die IKS und andere kleinere Gruppen".
Zu behaupten, die IKS habe die Konferenzen verlassen, ist eine reine Verfälschung der Realität, eine Verfälschung, die außerdem durch das widerlegt wird, was weiter oben in eurem Artikel steht:
"In der Sitzung [der dritten Konferenz] gaben die CWO und die belgische GCI getrennt voneinander bekannt, dass sie nicht an der nächsten Konferenz teilnehmen würden. Die CWO konsultierte die IntKP [d.h. Battaglia Comunista] nicht, bevor sie dies tat, aber die IntKP als Initiatorin der Konferenzen versuchte, etwas aus ihnen herauszuholen, indem sie ein neues Kriterium für die nächste Konferenz vorschlug, das (so dachten sie) einige Elemente wie die CWO und die GCI zufriedenstellen würde und das die IKS zwingen würde, einen klareren Standpunkt einzunehmen. Es hat nicht geklappt, da die IKS argumentierte, dass die Resolution nur dazu gedacht war, sie auszuschließen. Sie versuchte, die IntKP dazu zu bringen, den Wortlaut des Kriteriums so zu ändern, dass die Verwirrung über die Parteifrage weitergehen konnte. Die IntKP blieb bei der ursprünglichen Formulierung und die CWO-Delegation beschloss, sie zu unterstützen."
Es war also nicht die IKS, sondern die CWO, die die Konferenzen verlassen wollte. Um "etwas herauszuholen", führte die IntKP ein neues Kriterium für die Teilnahme an der Konferenz ein (das sie zwar eigentlich nicht ändern wollte, das die CWO aber unterstützte), das die IKS nicht akzeptieren konnte. Die Debatte über das Wesen der Partei zwischen den Gruppen der Konferenzen war künstlich beendet worden. Die IKS wurde von den beiden Gruppen faktisch ausgeschlossen und hat die Konferenzen nicht freiwillig verlassen.
Drittens heißt es in dem Artikel:
"Als die IKS begann, in die Häuser von Leuten einzubrechen (angeblich, um IKS-Eigentum zurückzuholen), einschließlich in das von JM, der zusammen mit den Abspaltern gegangen waren, drohte Aberdeen, die Polizei zu rufen".
Die Behauptung, dass die IKS "anfing, in die Häuser der Leute einzubrechen", ist eine böswillige Lüge, die von Parasiten wie der längst aufgelösten Aberdeen-Communist-Bulletin-Group verbreitet wurde, um den Diebstahl der materiellen Ressourcen der IKS zu rechtfertigen und ihre Drohungen, die Polizei gegen die IKS zu rufen, zu entschuldigen. Die Andeutung in dem Artikel – durch die Verwendung des Adverbs "angeblich" –, dass die Wiederbeschaffung von Material durch die IKS ein Vorwand für Einschüchterung gewesen sei, war eine weitere Lüge, die von den Parasiten verbreitet wurde, um ihre eigene Schurkerei zu entschuldigen.
Eines der Prinzipien, durch das sich die Tradition der Kommunistischen Linken vom Stalinismus und Trotzkismus unterschieden hat, war es, die Wahrheit zu sagen und die Lügen der Konterrevolution zu entlarven, insbesondere deren Verfälschung historischer Tatsachen. Dieses Prinzip der faktischen Genauigkeit ist besonders wichtig, wenn es um die Geschichte der Kommunistischen Linken geht. Die Verfälschungen in dem Artikel müssen korrigiert werden, um ein wahrheitsgetreues Bild dieser Geschichte für neue Generationen von kommunistischen Militanten zu vermitteln.
Der Artikel ist nun schon seit einiger Zeit auf eurer Website und könnte von vielen Menschen gelesen worden sein, daher bitten wir darum, dass die obige Richtigstellung innerhalb der nächsten zwei Wochen an gut sichtbarer Stelle auf eurer Website erscheint.
Kommunistische Grüße
Die IKS"
Zweiter Brief der IKS
Obwohl die IKT sich weigerte, diesen Brief zu veröffentlichen, bestätigte sie tatsächlich die Richtigkeit unsere Korrekturen, wie wir in unserem zweiten Brief betonten:
"...wir stellen fest, dass ihr in eurem Brief tatsächlich die Richtigkeit der Korrekturen bestätigt, um die wir gebeten hatten:
"Mitglieder der IntKP traten in die Partisanen ein, um Arbeiter vom Antifaschismus und Stalinismus (und dem CLN) wegzuzerren";
"[Die IntKP] wollte sicher nicht, dass die positiven Einladungen zur Teilnahme an den Konferenzen nur auf die IKS reduziert würden"; (mit anderen Worten, es bestand keine Wahrscheinlichkeit, dass die IKS die Teilnahme an den Konferenzen verweigern würde);
Die Integrität der IKS infrage gestellt
Die angesprochen Tatsachen, die wir in unserem ersten Brief richtigstellen und in unserem zweiten Brief bestätigen und die die IKT nicht bestreitet, sich aber weigert, sie öffentlich zu korrigieren, sind eindeutig keine Kleinigkeiten, sondern betreffen direkt wichtige Aspekte der Integrität der Positionen der IKS. Der CWO-Artikel suggeriert, dass die Differenzen der IKS mit dem Verhalten der IntKP gegenüber den Partisanen in Italien im 2. Weltkrieg – ein Fakt, der hilft, den unterschiedlichen Werdegang der Vorläuferin der IKS, der Gauche Communiste de France, im Vergleich zu dem der IntKP während der 1940er Jahre zu erklären – eine "Verleumdung" darstellten.
Weiter heißt es in dem Artikel, wir hätten die Internationalen Konferenzen der Kommunistischen Linken der 1970er Jahre aufgegeben, die wir in Wirklichkeit mit Zähnen und Klauen verteidigten. Die negativen Auswirkungen des Scheiterns dieser Konferenzen sind noch heute zu spüren. Und schließlich wird in dem Artikel so getan, als ob die IKS, die immer die revolutionäre Organisation und ihr ehrliches Verhalten verteidigt hat, die gleiche Art von Methoden angewandt habe wie diejenigen, die versuchten, sie durch Diebstahl, Verleumdungen und Drohungen mit der Polizei zu zerstören. Mit einem Wort, völlig entgegen den Tatsachen, kommen wir in dem Artikel als Verleumder, Schurken und Deserteure daher.
Es handelt es sich dabei nicht um eine polemische Übertreibung, sondern um Erfindungen, die uns diffamieren.
Natürlich ist die IKS verpflichtet, sich öffentlich gegen solche Verunglimpfungen zu wehren.
Die CWO verfasste ihre Geschichtsdarstellung für neue Mitglieder und Kontakte, damit sie das "Fundament unseres politischen Bewusstseins und unserer heutigen Perspektiven" kennen. Und als solche hatte ihre Geschichte zwangsläufig eine polemische Seite, da sich ihre Vergangenheit an vielen Punkten mit der der IKS überschneidet. Aber das ist ein Grund mehr, sich an die Fakten zu halten, damit die neuen Militanten die tatsächliche Geschichte der Divergenzen der IKT mit anderen Tendenzen kennen. Die tiefe Überzeugung neuer Militanter von der Politik der IKT oder irgendeiner anderen Tendenz der Kommunistischen Linken kann nicht auf der Grundlage von Verunglimpfungen und Unwahrheiten über gegnerische Tendenzen gebildet werden. Im Gegenteil, die Schulung neuer Militanter der Kommunistischen Linken erfordert die Kenntnis der Tatsachen.
Wie das Schicksal der Anfrage der IKS an die IKT zeigt, ist die kollektive Entschlossenheit, die Wahrheit innerhalb der Kommunistischen Linken – trotz ihrer gegenseitigen politischen Meinungsverschiedenheiten – als Ganzes und Teil ihrer historischen Tradition zu verteidigen, leider mehr und mehr in Vergessenheit geraten, und der Versuch, Unwahrheiten zu korrigieren, wird stattdessen von der IKT als "ein Spiel" betrachtet – d.h. die Forderung der IKS nach faktischer Ehrlichkeit wird selbst als unehrlich betrachtet. Und dann abgelehnt.
Diese erbärmliche Missachtung der Tatsachenfeststellung ist jedoch eine eher neue Abweichung von der Tradition der marxistischen Linken und der Kommunistischen Linken im Besonderen.
'Die Wahrheit ist revolutionär' – Marx
Der revolutionäre Charakter der Wahrheit hat für den Marxismus eine allgemeine Bedeutung in dem Sinne, dass die Abfolge der historischen Veränderungen von einer Produktionsweise zur nächsten im Laufe der Menschheitsgeschichte nur als Ergebnis des Klassenkampfes wissenschaftlich und damit wahrhaftig verstanden werden kann. Und sie hat eine spezifische Bedeutung für den Kampf der Arbeiterklasse, die die Lügen entlarven muss, mit denen die Kapitalistenklasse ihre Herrschaft der erbarmungslosen Ausbeutung, der ökonomischen Krise und Verelendung, des endlosen Krieges und der Katastrophe rechtfertigt. Da das kommunistische Ziel des revolutionären Proletariats nicht darin besteht, eine neue Ausbeutungsform zu rechtfertigen, sondern die Klassen abzuschaffen und eine Gesellschaft der freien Assoziation der Produzenten zu schaffen, ist das Streben nach der Wahrheit die größte politische und theoretische Waffe der Arbeiterklasse und ihrer kommunistischen Minderheiten, sowohl gegen die Bourgeoisie als auch zur Stärkung der eigenen Reihen.
Die theoretische, politische und organisatorische Entwicklung der marxistischen Tradition hat hauptsächlich durch sachlich korrekte Polemiken stattgefunden. Es gibt die berühmten Polemiken von Marx und Engels gegen die linken Hegelianer (Heilige Familie, Deutsche Ideologie), gegen Proudhon (das Elend der Philosophie), den Anti-Dühring, die Kritik des Gothaer Programms, die Polemik von Rosa Luxemburg gegen Eduard Bernstein (Sozialreform oder Revolution), Lenins Polemik mit den russischen Populisten in Was sind die ‚Volksfreunde‘ und wie befehden sie die Sozialdemokraten usw. Sie alle beruhen auf ausführlichen Zitaten aus den Schriften und den genauen, beweiskräftigen Schilderungen der Handlungen derer, die sie kritisieren, und waren deshalb umso kraftvoller und vehementer. Umgekehrt war die marxistische Tradition entschlossen, alle Fälschungen ihrer Politik öffentlich zu beantworten und ganz besonders die Verleumdungen und Manöver im Dienste des gegnerischen Lagers zu entlarven, wie Marx' Entlarvung des Polizeispions Herrn Vogt, die ein ganzes Buch umfasste, oder der Bericht der Ersten Internationale über die Bakunin-Verschwörung.
Diese Prinzipien der Genauigkeit und Ehrlichkeit wurden im marxistischen Lager durch die opportunistische Degeneration der 2. Internationale geschwächt. Nach dem Zusammenbruch der letzteren im Jahr 1914 und der Unterstützung der wichtigsten sozialdemokratischen Parteien für den imperialistischen Krieg und dem aktiven Hass auf die revolutionäre Welle, die 1917 aufkam, verstärkten sich die Verleumdungen gegen die marxistische internationale Linke und waren der Auftakt zum Versuch, ihre Militanten auszurotten. Die Sündenbockjagd auf Rosa Luxemburg durch die sozialdemokratische Presse zum Beispiel schuf das Klima für ihre Ermordung 1919. Lenin und Trotzki entgingen im Sommer 1917 nur knapp dem gleichen Schicksal, nachdem sie von den Menschewiki und anderen als deutsche Agenten verleumdet worden waren.
Die lange stalinistische Konterrevolution, die dem Ende der revolutionären Welle von 1917-23 folgte, verstärkte diesen Angriff gegen die Prinzipien und die Ehre der revolutionären Vorhut im Namen des Marxismus und der Arbeiterklasse – die größte Lüge der Geschichte. Die stalinistischen Angriffe, verkleidet als "marxistische Polemik", zielten auf die Vernichtung derjenigen, die angesichts der Degeneration der Oktoberrevolution und der Kommunistischen Internationale den internationalistischen Kern des marxistischen Programms aufrechterhielten – also die Opposition Trotzkis, vor allem aber die kommunistische Linke aus Deutschland und Italien. Geschichtsfälschungen, Lügen und Verleumdungen bereiteten den Boden für Ausschlüsse, Verhaftungen, Folter, Schauprozesse und Mord.
Trotzki versuchte, die wahre marxistische Tradition mit der Dewey-Kommission 1936 aufrechtzuerhalten, die die Komplotte der Moskauer Prozesse mit systematischen Beweisen und durch Zeugenaussagen entlarvte.
Aber der Trotzkismus schloss sich während des Zweiten Weltkriegs dem bürgerlichen Lager an, indem er den Internationalismus aufgab, und in diesem Prozess wurden seine Methoden denen der stalinistischen und sozialdemokratischen Konterrevolution immer ähnlicher. Lügen und Verleumdungen wurden zum normalen Verhalten innerhalb der linken und extremen Linken der bürgerlichen Konterrevolution. Nur die Kommunistische Linke blieb auf der Seite des Proletariats und der Verteidigung der Wahrheit während des imperialistischen Gemetzels 1939-45. Und heute muss sich die Kommunistische Linke immer noch mit den schändlichen Methoden der konterrevolutionären Linken auseinandersetzen und sich scharf von ihnen abgrenzen.
Beim Wiederaufleben der Tradition der Kommunistischen Linken nach 1968 wurde trotz des Gewichts des Sektierertums unter den verschiedenen Gruppen und der Schwierigkeit für neue Militante, mit den Gewohnheiten der Linken zu brechen, die Notwendigkeit einer gemeinsamen Anstrengung zur Durchsetzung der Wahrheit von den verschiedenen Gruppen gegenseitig anerkannt. Wie der obige Brief der IKS an die CWO zeigt, veröffentlichte die IKS 1977 in ihrer International Review die Bitte von Battaglia Comunista (d.h. intKP/IKT) um eine Korrektur ihres Artikels über die Partisanen und die Ursprünge der intKP. Und zu dieser Zeit bezog sich die Bitte der intKP auf dieses revolutionäre Prinzip der historischen Genauigkeit, eine Episode, an die wir in unserem zweiten Brief an die IKT erinnern:
„1976 richtete Genosse Onorato Damen im Namen der Exekutive des Partito Comunista Internazionalista einen Brief an unsere Sektion in Frankreich mit der Bitte, bestimmte Aussagen in einer Polemik mit der bordigistischen IKP, die in Nr. 29 unserer Zeitung Révolution Internationale veröffentlicht wurde, zu korrigieren. Er protestierte vor allem gegen das, was wir über die Politik des Partito in der Partisanenfrage geschrieben hatten. Und er schloss seinen Brief mit folgendem: ‚Wir wollen, dass alle Revolutionäre wissen, wie man eine ernsthafte kritische Prüfung der Positionen zu den wichtigsten politischen Problemen der Arbeiterklasse heute durchführt, dokumentiert mit dem Ernst, der Revolutionären eigen ist, wenn es darum geht, zu den Irrtümern der Vergangenheit zurückzukehren (und das ist etwas, das immer notwendig ist)‘“. Wir haben seinen gesamten Brief in der International Review Nr. 8 (engl./frz./span. Ausgabe) veröffentlicht, natürlich mit unserer eigenen Antwort.
Unsere Frage an euch lautet: Seid ihr der Meinung, dass Genosse Damen und die Exekutive der intKP sich auf "Provokation", auf "politische Spiele" eingelassen haben, indem sie uns aufforderten, eine Korrektur zu veröffentlichen?
Natürlich kann es einen Streit über die Realität der Fakten geben. In der International Review Nr. 87 (engl./frz./span. Ausgabe) veröffentlichten wir zum Beispiel einen Brief der CWO (geschrieben als "Provokation" und für "politische Spiele"?), in dem behauptet wurde, es gäbe Unwahrheiten in einer früheren Polemik der IKS. Wir argumentierten, dass sie in der Tat wahr waren.
In den letzten Jahrzehnten ist diese revolutionäre Tradition, an die Onorato Damen erinnert, jedoch in Vergessenheit geraten, zum Teil als Folge des Scheiterns der bereits erwähnten Konferenzen der Kommunistischen Linken und des daraus resultierenden Aufkommens einer zerstörerischen "Jeder gegen Jeden"-Mentalität, bei der das Prinzip der Ehrlichkeit innerhalb der Kommunistischen Linken, trotz aller Bemühungen der IKS, mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Das Prinzip der wechselseitigen Diskussion und des gemeinsamen Handelns, das von Marx während der I. Internationale als Ethos aller verschiedenen Tendenzen innerhalb der proletarischen Bewegung aufgestellt wurde, wurde zunehmend ignoriert. Mit diesem Versagen verbunden und es verschärfend traten zunehmend Gruppen in Erscheinung – oft nicht mehr als unzufriedene Blogger –, die sich verbal auf die Kommunistische Linke beriefen, deren Funktion in Wirklichkeit aber darin bestand, diese organisierte Tradition des Linkskommunismus zu verunglimpfen und zu verleumden. Dieser hat es jedoch bisher als ein Ganzes versäumt, gegen dieses bösartige Phänomen, das das Prinzip der Ehrlichkeit innerhalb der Kommunistischen Linken weiter schwächt, die Reihen zu schließen.[4]
Die 'Circulo'-Affäre
Die ‚Infektion‘ durch die unehrliche Praxis der extremen Linken, deren Symptome in den Fälschungen im neuesten Artikel der CWO über ihre Geschichte auftauchen, erinnert an eine frühere Episode ähnlicher Art, den berüchtigten Skandal der "Circulo-Affäre", als die IKT (damals IBRP, Internationales Büro der Revolutionären Partei, genannt) auf ihrer Website kritiklos eine Litanei von Verleumdungen gegen die IKS veröffentlichte, die von einer imaginären Gruppe in Lateinamerika namens "Circulo de Comunistas Internacionalistas" stammten.
In den frühen 2000er Jahren begann die IKS mit einer Gruppe in Argentinien Diskussionen über die Positionen und Organisationsprinzipien der Kommunistischen Linken und über die Analyse der Piqueteros-Bewegung in diesem Land im Dezember 2001. In der Folge startete diese Gruppe, der Nucleo Comunista Internazionalista, einen internationalen Aufruf an die Gruppen der Kommunistischen Linken zur organisierten Diskussion, auf den leider nur die IKS positiv reagierte. Der NCI gab auch eine Erklärung ab, in der er die Aktionen einer parasitären Gruppe gegen die IKS verurteilte.[5]
Die Schwierigkeiten, mit denen neue Gruppen, die zur Kommunistischen Linken kommen, konfrontiert sind, wurden jedoch durch eine bizarre und destruktive Episode offenbart.
Ein ehrgeiziges Individuum innerhalb des NCI (das als Bürger B bekannt wurde) legte ein ausgesprochen abenteuerliches Verhalten, mit der Ausstrahlung eines Gurus, innerhalb der Gruppe an den Tag und forderte entschieden die sofortige Mitgliedschaft in der IKS. Als die Bedingungen dieser Forderung abgelehnt wurden, rächte er sich, indem er vorgab, der NCI habe sich in eine imaginäre politische Gruppe „Circulo de Comunistas Internacionalistas“ verwandelt! Diese ungeheuerliche Usurpation fand völlig ohne das Wissen der anderen Mitglieder des NCI statt!
Im Namen dieser Phantomgruppe begann der 'Circulo' Bürger B dann, Erklärungen im Internet eigenmächtig persönlich zu produzieren, die die frühere Position des NCI gegen das Parasitentum auf den Kopf stellten und stattdessen genau die Angriffe der letzteren gegen die IKS aufnahmen.
In einer ersten dieser Erklärungen, die bei einer öffentlichen IBRP-Versammlung in Paris physisch verteilt wurde, schrieb die parasitäre Gruppe IGCL[6]:
"Es ist die verquere Stimme der IKS, die, indem sie die schädlichen Lehren des Stalinismus von 1938, der die alte bolschewistische Garde liquidierte, übernommen hat und heute versucht, das Gleiche zu tun: revolutionäre Genossen politisch zu liquidieren aufgrund der einfachen Tatsache, dass sie mit ihrer politischen Linie nicht einverstanden sind."
Nicht nur auf Stalin bezogen sie sich, sondern auch auf Goebbels:
Es ist notwendig, der Verleumdung und der Politik von Goebbels, immer wieder zu lügen und zu lügen, damit immer etwas davon übrig bleibt, ein Ende zu setzen.
All dieser verleumderische Müll gegen die IKS aus der Aussage des Phantoms "Circulo", der durch keinen einzigen Fetzen eines Beweises gestützt wird, wurde kommentarlos und ohne jeden Versuch, ihn zu überprüfen, in mehreren Sprachen auf der IBRP/IKT-Webseite veröffentlicht. Der nicht existierende "Circulo" wurde sogar als echte Bereicherung in den Reihen der Revolutionäre begrüßt.
Die IKS, besorgt darüber, dass solche Verleumdungen auf einer Website der Kommunistischen Linken gegen eine andere Tendenz der Kommunistischen Linken veröffentlicht wurden, schrieb sofort an die IKT und lieferte umfassende Beweise dafür, dass der "Circulo" die groteske Erfindung eines Abenteurers war, und forderte, dass unsere Erklärung zur Richtigstellung ihrer verleumderischen Aussage von der IKT veröffentlicht wird. Wir mussten drei Briefe an das IKT schreiben und drei Wochen vergingen, bis dies endlich geschah. Aber damit war die Sache noch nicht zu Ende.
Die IKS setzte sich mit den anderen Mitgliedern der NCI in Verbindung, um den Sachverhalt zu bestätigen, und stellte fest, dass die Genossen sprachlos waren, als sie von der Usurpation und den Verleumdungen des Bürgers B und seinem "Circulo" erfuhren, und beschlossen, selbst eine Erklärung zu schreiben, in der sie den Betrug anprangerten und die Fakten, wie sie von der IKS dargestellt wurden, unterstützten.[7]
Als Bürger B. von diesem Kontakt erfuhr, verdoppelte er seine Verleumdungen aus seiner ersten Erklärung und produzierte eine zweite Tirade.
„(...) diese Telefonanrufe waren nicht unschuldig. Sie hatten die hinterhältige Absicht, unseren kleinen Kern oder seine einzelnen Militanten zu zerstören, indem sie gegenseitiges Misstrauen schürten und die Saat der Spaltung in den Reihen unserer kleinen Gruppe säten.
(...) die gegenwärtige Politik der IKS schürt Zweifel und eine interne Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens. Sie wendet die stalinistische Taktik der "verbrannten Erde" an, d.h. nicht nur die Zerstörung unserer kleinen und bescheidenen Gruppe, sondern auch die aktive Opposition gegen jeden Versuch einer revolutionären Umgruppierung, die die IKS nicht anführt, durch ihre sektiererische und opportunistische Politik. Und dafür zögert sie nicht, eine ganze Reihe von widerlichen Tricks anzuwenden, deren zentrales Ziel es ist, ihre Gegner zu demoralisieren und auf diese Weise einen "potentiellen Feind" auszuschalten.“
Bürger B verstrickte sich so sehr in seine Manöver und Verleumdungen, dass er dabei ertappt wurde, die IKS zu beschuldigen, eine Gruppe zu zerstören, die er selbst versucht hatte, und durch eine völlig fiktive Gruppe seiner eigenen Phantasie zu ersetzen! Aber als diese zweite verleumderische Erklärung des "Circulo" auf der IKT-Website erschien, weigerte sich die IKT, die Erklärung des NCI zu veröffentlichen, die den Betrug des "Circulo" aus erster Hand vollständig entlarvte und die ganze Episode unabhängig klärte und verifizierte. Auch veröffentlichte die IKT, nachdem die Tatsachen offensichtlich geworden und der 'Circulo' und Bürger B. spurlos verschwunden waren, keinen Widerruf oder eine Erklärung, warum die Verleumdungen gegen die IKS auf ihrer Webseite erschienen waren, oder irgendeine Anerkennung des Schadens, den dies nicht nur dem Ruf der IKS, sondern der gesamten Kommunistischen Linken zugefügt hatte. Die lügnerische Aussage des Circulo blieb noch einige Wochen auf der IKT-Website, bevor sie still und leise entfernt wurde, als ob nichts geschehen wäre.
Die IKS schrieb daraufhin einen offenen Brief an die Militanten der IKT, wie schwerwiegend ihr Verhalten war und wie sehr es das Eindringen der verrotteten Methoden der extremen Linken in das Verhalten der Kommunistischen Linken begünstigte. Wir kündigten in diesem offenen Brief an, dass jede weitere Aktion der gleichen Art wie der Circulo-Skandal aufgedeckt werden würde, insbesondere wenn die IKT erneut versuchen würde, sich aus dem Skandal herauszuwinden, indem sie unsere Briefe mit "Schweigen" beantwortet.[8]
Der vorliegende Artikel ist die Erfüllung dieser Ankündigung.
Anstatt die Lehren aus der Erfahrung zu ziehen und die Angriffe des 'Circulo' als das zu erkennen, was sie waren, sowie ihr eigener schwerer Fehler, sie weiter zu veröffentlichen, reagierte die IKT damals, indem sie der Verleumdung gegen die IKS noch Beleidigungen hinzufügte. Anstatt den Betrug des 'Circulo' anzuprangern, prangerten sie die IKS als eine paranoide Organisation an, die sich im Auflösungsprozess befinde, und stellten sich stattdessen als Opfer der 'vulgären und gewalttätigen' Angriffe der IKS dar.[9]
Das Verbrechen des "Circulo"-Fiaskos bestand also nach diesem Szenario nicht darin, dass die IKT einen böswilligen Angriff auf eine andere Gruppe der Kommunistischen Linken ermöglicht hatte, sondern darin, dass die IKS auf diesen Frevel reagiert und ihn als den Betrug entlarvt hatte, der er war.
Die Unverschämtheit endete dort nicht. Nachdem sie eine bedeutende Rolle bei der Schaffung des "Circulo"-Schlamassels gespielt hatte, gab die IKT vor, dass sie jetzt viel zu beschäftigt sei, um bei der Klärung zu helfen und auf die Kritik der IKS zu antworten. Sie deutete an, dass ihre wichtige Arbeit für den Klassenkampf bedeute, dass sie keine Zeit für die Streitigkeiten kleiner Gruppen habe, als ob der Versuch, eine Gruppe der Kommunistischen Linken durch den Dreck zu ziehen, von geringer Bedeutung wäre.
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Wenn wir in diesem Artikel die Geschichte des "Circulo" aufrollen, dann um zu zeigen, dass die Lehren nicht gezogen wurden und die gleichen schädlichen Fehler immer noch gemacht werden. In ähnlicher Weise wie die Episode des "Circulo" haben sie die jüngsten verleumderischen Erfindungen über die IKS, die in dem Artikel über die Geschichte der CWO enthalten sind, auf deren Website belassen. Die IKT hat nicht nur die Bitte abgelehnt, die Gegendarstellung der IKS zu veröffentlichen, sondern sie hat sich auch geweigert, die Frage mit der IKS weiter zu diskutieren, obwohl sie in der Korrespondenz mit uns die fraglichen Fakten nicht bestreitet.
In ihrem Brief antwortet die IKT auf unsere Bitte um die Feststellung der Fakten tatsächlich mit ähnlichen Beleidigungen wie in ihrer Antwort im Jahr 2004. Ihrer Meinung nach sind nicht die Verfälschungen in dem Artikel das Problem, sondern die IKS, die mit ihrer Forderung nach einer öffentlichen Richtigstellung für Unruhe sorgt. Die CWO gibt vor, dass die IKS ein politisches Spiel treibt, um sie zu diskreditieren. Und sie tut so, als sei sie ohnehin viel zu beschäftigt, um diese Frage weiter zu verfolgen; das war's, auf Wiedersehen.
In Wirklichkeit besteht das 'politische Spiel' in dem Versuch, die Verfälschungen in dem Artikel zu vertuschen, indem man sie weiter verschärft. Die Hauptdiskreditierung liegt hier. Die öffentliche Richtigstellung der ursprünglichen Fälschungen wäre in der Tat ein Verdienst der CWO gewesen.
Die Kommunistische Linke: revolutionäre Positionen und revolutionäres Verhalten
Aus den Antworten der IKT auf unsere Kritik können wir folgern, dass sich die IKS nicht mit dem Klassenkampf beschäftigt, sondern nur mit den Auseinandersetzungen zwischen revolutionären Gruppen. Ein Blick auf die Arbeit der IKS auf unserer Webseite in den letzten 45 Jahren wird sofort zeigen, dass das nicht stimmt.
Es hat keinen Sinn, um diesbezügliche Versäumnisse zu verbergen, so zu tun, als ob die Frage des ehrlichen Verhaltens der revolutionären Organisationen untereinander zweitrangig oder irrelevant für die allgemeinen politischen Ziele, Analysen und Interventionen der Kommunistischen Linken sei. Die organisatorische Ehrlichkeit der letzteren in der Arbeiterklasse ist für ihren letztendlichen Erfolg unerlässlich. Umgekehrt kann die Annahme oder Entschuldigung eines Verhaltens, das eher der extremen Linken ähnelt, nur dazu beitragen, diejenigen zu demoralisieren, die mit der konterrevolutionären Linken brechen, um zu internationalistischen Positionen zu kommen.
Während es dem Bürger B und seinem „Circulo“ nicht gelang, den NCI im Jahr 2004 sofort verschwinden zu lassen, wie er es wollte, überlebte der NCI dennoch diese ganze betrügerische Episode nicht, die, wie wir erklärt haben, eher typisch für das linke Milieu war, dem sie gerade entkommen waren, als für das Milieu der Kommunistischen Linken, dem sie sich angeschlossen zu haben glaubten. Die Erfahrung hatte eine langfristige demoralisierende Wirkung auf sie.
Ohne ein revolutionäres Verhalten von Gruppen der kommunistischen Linken besteht heute die reale Gefahr, das Potenzial für neue Militante, die zu ihren Klassenpositionen kommen, zu zerstören.
Ohne ein revolutionäres Verhalten wird es für neue revolutionäre Militante schwierig sein, nicht nur die Kommunistische Linke von allen Strängen der Linken zu unterscheiden, sondern die echte von der falschen Kommunistischen Linken. Die zahlreichen Mikrogruppen, Abenteurer, Einzelpersonen mit ihrem Groll, die heute vorgeben, Teil der linkskommunistischen Tradition zu sein, während sie sich der Diskreditierung dieser Tradition widmen, wie der berüchtigte "Circulo", sind ein Beweis dafür, dass die internationalistische Plattform mehr ist als ein Dokument, sondern eine Lebensweise, eine organisatorische Integrität.
Die Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Verhaltensstandards unter ihren verschiedenen Gruppen würde jedoch die politische Präsenz des linkskommunistischen Milieus innerhalb der Arbeiterklasse als Ganzes stärken.
Das politische Programm der Kommunistischen Linken, das heißt die Ausarbeitung der revolutionären Wahrheit des proletarischen Kampfes in der Arbeiterklasse, hängt von einem organisatorischen Verhalten ab, das mit diesen politischen Idealen übereinstimmt. Der Kampf für die internationalistische Einheit des Proletariats und gegen die Lügen des Imperialismus und all seiner Apologeten, kann nicht mit der gleichen Moral geführt werden wie die der letzteren und ihrer Verachtung für die Wahrheit.
Das ist kein Appell an ein ewiges moralisches Ideal, sondern die Erkenntnis, dass Zweck und Mittel der revolutionären Organisation, das Ziel und die Bewegung, untrennbar sind und sich ständig gegenseitig bedingen.
Wenn die IKS die Fälschungen des Artikels über die Geschichte der CWO ans Licht bringt, spielt sie kein "Spiel". Wir meinen es ernst und wir werden weiterhin die Frage der revolutionären Ehrlichkeit und Genauigkeit zu einem zentralen Aspekt unserer kommunistischen Intervention machen.
"Sich am Kampf der Kommunistischen Linken zu beteiligen, heißt nicht nur, ihre politischen Positionen zu verteidigen. Es bedeutet auch die Anprangerung von politischem Verhalten, das – wie Gerüchte, Lügen, Beleidigungen und Erpressung – in diametralem Widerspruch steht zum Kampf des Proletariats für seine Emanzipation."[10]
IKS, 14.04.2021
[1] Communist Workers Organisation, britischer Ableger der IKT. www.leftcom.org/en/articles/2020-09-24/on-the-forty-fifth-anniversary-of-the-founding-of-the-cwo [66]
[2] Neben der CWO ist die wichtigste Organisation der IKT die Internationalistische Kommunistische Partei (Battaglia Comunista) in Italien. Wie die IKS sind sie Erben der Tradition der Kommunistischen Linken, die vor allem durch ihre internationalistischen Positionen während des 2. Weltkriegs bekannt ist. Zwischen 1984, als die formale Umgruppierung der CWO und der PCInt begann, und 2009 war die IKT als IBRP bekannt: Internationales Büro für die Revolutionäre Partei.
[3] Die IKT-Antwort wurde vom "Executive Committee of the CWO" gesendet
[4] Das soll nicht heißen, dass die intKP/IKT nicht in der Lage gewesen wäre, auf solche Verleumdungen gegen sich selbst zu reagieren. Im Jahr 2015 erschien auf der IKT-Website eine Erklärung Antwort auf eine üble Verleumdung, in der Lügen angeprangert wurden, die von ehemaligen Mitgliedern gegen Mitglieder der IKT in Umlauf gebracht worden waren:
„Sie haben uns in ihren sinnlosen Anschuldigungen nichts erspart: Angst, Feigheit, Verrat, Opportunismus Einzelner, bis hin zu Anschuldigungen von Verbindungen zu Kräften des bürgerlichen Staates.
Sie haben nie auch nur einen Ansatz eines Beweises vorgelegt. Da aber diejenigen, die Anschuldigungen erheben, die Beweislast tragen, ist gerade das Fehlen konkreter Beweise ein Beweis für die Schandtaten dieser Personen und ihrer Manöver. (...)
In der Geschichte unserer Partei hatte eine ähnlich schlimme Sache ihr Gegenstück – in viel schwerwiegenderer Form – nur während des Zweiten Weltkriegs, als internationalistische Militante ins Visier von Togliattis Schergen gerieten, die ihre Verfolgungskampagnen bis hin zur Ermordung damit rechtfertigten, dass sie uns beschuldigten, 'im Dienste der Gestapo' zu stehen.“
Die IKT weigerte sich jedoch, aus dieser Erfahrung allgemeine Lehren zu ziehen und die offensichtlichen Parallelen zu ähnlichen Angriffen auf die IKS zu sehen. Sie war daher nicht in der Lage und nicht willens, das Milieu der Kommunistischen Linken als Ganzes gegen das feindliche Milieu der Verleumder und Verunglimpfer zu verteidigen. Schlimmer noch, die IKT hat den schweren Fehler begangen, zu versuchen, neue Mitglieder und Sektionen aus solchen Kloaken zu rekrutieren, und wurde unweigerlich von letzteren infiziert, zum Schaden der Kommunistischen Linken als Ganzes.
Die IKS ihrerseits hat immer versucht, die anderen Gruppen der Kommunistischen Linken gegen Verleumdungen zu verteidigen, auch wenn die Solidarität der IKS nicht erwidert wurde. In der Tat unterstützten wir die IKT in ihrer Antwort auf eine üble Verleumdung: https://en.internationalism.org/icconline/201504/12486/statement-solidarity-ict [67]. Die IKS tat dasselbe, als die Gruppe Los Angeles Workers' Voice eine Kampagne zur Verunglimpfung der IKT startete (siehe Internationalism Nr. 122: en.internationalism.org/inter/122_lawv.html).
[5] Siehe /content/59/der-nucleo-comunista-internacional-argentinien-eine-episode-im-streben-des-proletariats [47] für eine Geschichte dieser Gruppe
[6] International Group of the Communist Left (Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken), früher bekannt als IFIKS. Für eine Geschichte dieser Gruppe siehe https://de.internationalism.org/content/2978/der-abenteurer-gaizka-hat-die-beschuetzer-die-er-verdient-die-halunken-der-gigc [68]
[7] Die NCI-Genossen versuchten auch, ein persönliches Treffen mit Bürger B. in Buenos Aires zu organisieren, um ihn mit den Fakten zu konfrontieren. Aber er weigerte sich.
Jeden Tag machen sich bürgerliche Kommentatoren von Kabarettisten bis Journalisten aller Richtungen lustig über das täglich wachsende, ja mittlerweile grenzenlos gewordene Chaos. Mit großer Häme und beißendem Zynismus wird über das ständige Hin- und Her, die Unentschlossenheit der verantwortlichen Stellen auf allen Ebenen und deren Zankereien untereinander hergezogen.
Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, uns in diesen Chor der Zyniker einzureihen oder die Verantwortlichen mit Spott zu überschütten. Sicher gehört all das an den Pranger gestellt. Aber wir sehen unsere Aufgabe vielmehr darin Erklärungen zu bieten, warum die herrschende Klasse in Deutschland so jämmerlich mit der Pandemie umgeht. Mit anderen Worten: Mit Spott und Sarkasmus allein kommt man nirgendwo hin, sondern es kommt darauf an, das Bewusstsein über die Ursachen, die Tragweiten und Perspektiven zu schärfen.
Nach der Verabschiedung der Agenda 2010 und den damit verbundenen Angriffen gegen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigen galt Deutschland jahrelang als der "Gewinner" der Wirtschaftskrise nach 2008, als ein scheinbar sicherer Hafen in einem instabilen Umfeld. Sowohl innerhalb der EU als auch international insgesamt u.a. dank der Schwächung der globalen Führungsrolle der USA und durch ein geschicktes Taktieren mit China und Russland (die von den USA heftig attackiert werden) konnte Deutschland lange Zeit seine Führungsposition als exportstarke Nation ausbauen. Merkel verkörperte – trotz alledem – eine gewisse Stabilität und Kontinuität. Auch nach der großen Flüchtlingswelle von 2016 und der Eurokrise, die zwar der AfD zum Aufschwung verholfen hatten, war es der deutschen Bourgeoisie noch gelungen, den Populismus größtenteils in Schach und von den Schalthebeln der Macht fern zu halten. Damit gab es in Deutschland eine andere Ausgangssituation als z. B. in Großbritannien, wo der Populismus bereits in der Downing Street ein und aus ging oder Frankreich, wo die Kunstfigur Macron gegen die Bedrohung von Marie Le Pen bereits Ausdrücke einer geschwächten Bourgeoisie darstellten.
So war es möglich, dass die herrschende Klasse in Deutschland, als die Pandemie im Februar 2020 losbrach, sich noch relativ gut aus der Affäre ziehen konnte. Nach anfänglichem Zögern und Taktieren setzte man schnell in einem Bündnis von Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik einen Lockdown durch, der zwar die erste Welle der Überlastung des Gesundheitsweisen nicht verhindern, aber doch größere Infektionszahlen im Vergleich zu anderen Ländern verhindern konnte.
Im Sommer und nach den Ferien strebte man dann – trotz eindringlicher Warnungen vor einer zweiten Welle – eine schrittweise Öffnung der Wirtschaft an; vor allem der Tourismus sollte nicht völlig zum Erliegen kommen.
Zusätzliche Produktionskapazitäten für medizinisches Material wurden geschaffen, erste Verträge mit möglichen Impfstofflieferanten, die noch alle an der Entwicklung eines Impfstoffs arbeiteten, wurden auf EU-Ebene geschlossen, und nebenbei wurden zusätzliche (nicht unbedingt publik gemachte) Lieferungen für nationale Kontingente vereinbart. Gleichzeitig wurde alles unternommen, um die Wirtschaft in Absprache mit der EU, insbesondere Frankreich, vor dem Kollaps zu bewahren, indem das größte Rettungspaket aller Zeiten für die EU beschlossen wurde. Homeoffice wurde dann bei Beginn der zweiten und dritten Welle im Vergleich zur ersten Welle nur in relativ geringen Umfang von den Unternehmen angeboten.
Wild entschlossen, einen zweiten größeren Lockdown zu verhindern („den kann die Wirtschaft nicht verkraften“, hieß es), wollte man schließlich das Weihnachtsgeschäft nicht vermasseln. Zu diesem Zweck sollten Schulen, Kitas usw. mit allen Tricks offengehalten werden, damit die Eltern möglichst unbeschränkt arbeiten könnten und die Wirtschaft nicht allzu arg zu leiden habe. Mitte Dezember musste man dann die Reißleine ziehen und dann doch verschärfte Maßnahmen einführen. Doch still und heimlich lief im Gegensatz zu dem ersten Lockdown im Frühling das Herzstück der deutschen Industrie wieder an. Während alle Welt von Kaufhäusern und Konzertsälen redete, gingen Millionen von Proletarier weiterhin in Schichtarbeit in die Fabriken und Lagerhallen.
Im Unterschied zur ersten Phase hatte sich seit Herbst eine Dynamik durchgesetzt, wo mit wenigen Ausnahmen fast nie einheitlich auf Bundesebene gehandelt wurde – stattdessen entstand ein gewaltiger Flickenteppich. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer verfolgten jeweils unterschiedliche Ansätze, mit dem Bund wurde keine gemeinsame Linie gefunden – mit der Folge, dass Deutschland an Chaos innerhalb der EU kaum zu überbieten war und im Vergleich zum Beginn der Pandemie mit am stärksten ins Chaos abgerutscht war. Dies lag nicht an dem strukturell verankerten Föderalismus, wo die Länder und auf einer anderen Ebene die Kommunalverwaltungen relativ große Spielräume für eigene Entscheidungsbefugnisse haben. Dieser Föderalismus bot diesem Chaos zwischen den Ländern und dem Bund zwar besondere „Kanäle“ und gar eine Art institutionelle „Absicherung“ - die Triebkraft dahinter war jedoch die nicht mehr aufzuhaltende Dynamik des Jeder-für-sich. [1]
Gleichzeitig kam die Produktion und Lieferung sowie die Organisierung von Corona-Tests und Testzentren zwar mehr in Gang, sie erreichte aber aufgrund von Lieferengpässen und Organisationschaos nie eine ausreichende Wirkkraft. Je mehr die Infektionen anstiegen, desto weniger konnten die Gesundheitsämter trotz der anfänglich hochgelobten Wunderwaffe „Corona-App“ und der Mobilisierung von Tausenden Soldaten in den Gesundheitsämtern, die Infizierten nachverfolgen. Kurzum: ein Kontrollverlust seitens des Staates schlich sich ein.
Hinzu kam das unglaubliche Impfchaos. Wie wir bereits in anderen Artikeln in unserer Presse geschrieben haben [2] verdeutlichte das Impfchaos: Es kann keinen größeren Graben geben zwischen den Bedürfnissen der Menschheit und der Wirklichkeit der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Denn während die Menschheit auf dem ganzen Erdball mit dem Virus konfrontiert ist, wo einerseits alle Forscher und Labors der Welt mit vereinten Anstrengungen, sich über alle Mechanismen der Konkurrenz und der nationalen Rivalitäten hinwegsetzend, zusammenarbeiten müssten, um der Menschheit so schnell wie möglich den besten Impfstoff zur Verfügung zu stellen, erleben wir das Gegenteil. In vielleicht 100 Labors wurde auf der ganzen Welt an solch einem Impfstoff geforscht, aber jeder unabhängig von einander, in rücksichtsloser Konkurrenz zueinander, um nur ja den größten Marktanteil und die besten Absatzmöglichkeiten zu erheischen. Die Folge: nahezu ein Dutzend Impfstoffe mit unterschiedlichen Wirkungsgraden und noch nicht ausreichend dokumentierten Nebenwirkungen werden eingesetzt, jeweils geleitet durch nationale und Firmen-Geschäftsinteressen. In Amerika produzierte Impfstoffe wurden nicht exportiert, weil man zuerst US-Bürger versorgen will, das Gleiche in Großbritannien, chinesische Impfstoffe wurden als Lock- und Druckmittel für die imperialistischen Interessen Chinas eingesetzt. In der EU kam es zu Drohungen und Erpressungen zwischen GB und der EU wegen nicht abgesprochener, bzw. nicht eingehaltener Liefermengen vor allem von AstraZeneca. Obwohl ein Impfstoff auch in Deutschland bei BioNTech zusammen mit Pfizer mit entwickelt worden war und man schnell eine zweite Produktionsstätte in Marburg hochzog, reicht der Impfstoff auch Monate nach seiner Freigabe nicht aus. Die Unfähigkeit zuverlässiger Produktionsprognosen bei AstraZeneca, Meldungen über löchrige und unzuverlässige Lieferkanäle, gar Tausende verschwundene oder vernichtete Impfdosen, prägten die Nachrichten der Medien. [3]
Als Folge der Unfähigkeit, eine planbare, überschaubare, zentralisierte Organisierung der Produktion und der Lieferungen zu garantieren, werden wir immer wieder vor die spaltende und irreführende Frage der Priorisierungen gestellt. Alle möglichen Kriterien der Berücksichtigung von Alter, Vorerkrankungen oder ob man „systemrelevant“ arbeite, wurden angeführt.
In der Zwischenzeit forderten die Notfallmediziner verzweifelt jeden Tag einen Lockdown, weil die Versorgung in den Krankenhäusern dabei war zu kollabieren und die gefürchtete Triage vor der Tür stand.
Zwar hatte man vor Weihnachten zögerlich einige Verschärfungen beschlossen, ein härterer, konsequenterer Lockdown war aber wieder aufgeschoben worden; dieser ließ sich dann im April nach monatelanger Verzögerungstaktik und Zerstrittenheit nicht mehr vermeiden: schließlich, nach mehr als einem Jahr, wurde die erste Notverordnung beschlossen, die u.a. bundesweite nächtliche Ausgangssperren usw. teilweise bis Juni bedeutet.
Was der Marxismus schon von Anfang an als zentrales Wesensmerkmal des Kapitalismus hervorgehoben hat, zeigte sich erneut in dieser Pandemie - die Anarchie der kapitalistischen Produktion und Verteilung wie im Bilderbuch.
Dies betonte Rosa Luxemburg in ihrer Schrift „Einführung in die Nationalökonomie“: „[Marx und Engels] suchten Stützpunkte für den Sozialismus nicht in der moralischen Verwerflichkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung noch im Ausklügeln möglichst einnehmender und verlockender Projekte, wie die soziale Gleichheit im heutigen Staate eingeschmuggelt werden könnte. Sie wandten sich an die Untersuchung der wirtschaftlichen Verhältnisse der heutigen Gesellschaft. Hier, in den Gesetzen der kapitalistischen Anarchie selbst, deckte Marx den wirklichen Ansatzpunkt für die sozialistischen Bestrebungen auf. Hatten die französischen und englischen Klassiker der Nationalökonomie die Gesetze aufgefunden, nach denen die kapitalistische Wirtschaft lebt und sich entwickelt, so nahm Marx ihr Werk ein halbes Jahrhundert später genau dort auf, wo jene es abgebrochen hatten. Er deckte seinerseits auf, wie dieselben Gesetze der heutigen Wirtschaftsordnung auf ihren eigenen Untergang hinarbeiten, indem sie durch das Umsichgreifen der Anarchie immer mehr die Existenz der Gesellschaft bedrohen und zu einer Kette vernichtender wirtschaftlicher und politischer Katastrophen [sich] gestalten. Es sind also, wie Marx nachgewiesen hat, die eigenen Entwicklungstendenzen der Kapitalherrschaft, die auf einer gewissen Stufe ihrer Reife den Übergang zu einer planmäßigen, von der gesamten arbeitenden Gesellschaft bewusst organisierten Wirtschaftsweise notwendig machen, wenn die gesamte Gesellschaft und die menschliche Kultur nicht in den Konvulsionen der ungezügelten Anarchie ihren Untergang finden soll".[4]
Wie eingangs erwähnt konnte das deutsche Kapital zunächst in einem Dreierpakt (Staat, Unternehmer, Gewerkschaften) die Hauptproduktionsstätten gezielt und kontrolliert für einen gewissen Zeitraum „herunterfahren“, aber diesen Einschnitt hatte man nach dem Sommer unbedingt vermeiden wollen. Insbesondere die Industriebranchen, die so gewaltig vom Export abhängig sind und den Kernbereich der deutschen Wirtschaft darstellen (Automobilbranche, Maschinenbau usw.), sollten unter allen Umständen weitestgehend verschont bleiben.[5] So ist es auch trotz aller Engpässe und Lieferschwierigkeiten bei Mikrochips, Halbleitern, die bei einigen Betrieben zu Kurzarbeit führen, (Anarchie lässt grüßen) gelungen, die Exporte nach China weiter aufrechtzuerhalten. Hätte China den Produktionseinbruch nach den Corona-Maßnahmen nicht wieder schnell ausgeglichen – so zumindest die offiziellen Angaben -, wäre die deutsche Wirtschaft viel stärker in Mitleidenschaft gezogen worden. Dennoch, der deutsche Staat wusste um die Gefahren eines Zusammenbruchs der Wirtschaft, denn alle „Prinzipien“, die man in der Krise nach 2008 brutal gegenüber der EU vertreten hatte, wurden dieses Mal über Bord geworfen. Auf EU-Ebene wurde das größte Rettungspaket aller Zeiten in Zusammenarbeit mit Frankreich, auf Bundesebene ein gigantischer Nachtragshaushalt beschlossen, das Tabu der „Neuverschuldung“ gebrochen, ein Rettungspaket nach dem anderen geschnürt.
Das heisst, wilde Entschlossenheit zu verhindern, dass die Wirtschaft an die Wand gefahren wird, unter Inkaufnahme der Zunahme der Infektionen – dies ist mit eine der Erklärungen für den verheerenden Verlauf der Pandemie in Deutschland.
Wenn sich nun ein paar Maden am Speck bereichert haben, gehört dies genauso zum innersten Wesen des Systems. Und dennoch, das Ausmaß der prächtigen „Provisionen“, die vor allem CDU-CSU Abgeordnete eingestrichen haben, brachte zwar nur die Spitze des Eisbergs der Vetternwirtschaft, der unglaublichen Pfründe des „Berater-“ und „Vermittlerwesens“ um Parlament und Regierung ans Licht. Dennoch, wenn diese Raffgier nun solche Ausmaße angenommen hat, zeigt dies einen neuen Grad der Verrottung. Zwar reagierte die CDU-CSU-Führung aus Angst um den Ruf ihrer Partei und dahinter dem Ansehen der gesamten Politikerkaste mit der Forderung nach einer Ehrenerklärung. Aber der Schaden war längst eingetreten. Und gleichzeitig hatte vorher schon der „Skandal“ um Wirecard und die „mal so“ verschwundenen zwei Milliarden Euro die ganze Verstrickung des Regierungsapparates in solche Vorgänge und welche Mittel man anwendet, um deutsche Firmen im internationalen Konkurrenzkampf zu pushen, deutlich werden lassen. [6]
Aber der Vertrauensverlust größerer Teile der Bevölkerung war längst eingetreten, der Mythos, Deutschland sei ein ‚sicherer Hafen‘, ein Ort der Stabilität, die Verwaltung sei fähig, mit ‚deutscher‘ Gründlichkeit zu reagieren, ist dabei zu zerbrechen. Auch wenn dieses Phänomen nicht auf Deutschland beschränkt ist, wurde es doch besonders krass deutlich.
Aus unserer Sicht handelt es sich um eine Erscheinungsweise dessen, was wir als Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft bezeichnen. [7]
Als weitere Zeichen dieses Zerfallsprozesses ist die besonders starke Verbreitung der Verschwörungstheorien und der Querdenker-Bewegung zu nennen. Auch wenn es in vielen anderen Ländern Proteste gegen Corona-Zwangsmaßnahmen gegeben hat, ragt deren Häufigkeit, Anzahl und Zusammensetzung für Deutschland besonders hervor.
Als Sammelbecken zahlreicher Rechtsradikaler, Reichsbürger, Impfgegner, Maskenverweigerer, Esoteriker und einem Alternativ-Milieu welches zu der Gründungsgeneration der Gründe gehörte usw., bringen sie die Unfähigkeit der Beteiligten zum Ausdruck, die tieferen Ursachen der Pandemie zu begreifen. Es kommen Leute mit irrationalen, wissenschaftsfeindlichen, verschwörungstheoretischen Ansichten zusammen, durchwoben mit Anhängern von fremdenfeindlichen und zu Pogromen neigenden Kräften. Ergänzt wird das ganze Sammelsurium durch Leute, die meinen ihre individuelle „Freiheit“, ihr Recht auf „Selbstbestimmung“ werde eingeschränkt, den ‚Schutz der Demokratie‘ verlangen, während dort versammelte Reichsbürger gerade diese nicht anerkennen. Hier sind die Kadaver und Zombies der bürgerlichen Werte auf der Straße.
Wenn nun der Verfassungsschutz diese Szene der Querdenker „überwachen“ soll, wird dies von einem Apparat in die Hand genommen, der sich in der Vergangenheit durch seine Blindheit und Wegsehen gegenüber rechtsradikalen Umtrieben hervorgetan hat, (siehe z.B. die NSU-Mordserie) und dessen ehemaliger Chef Maaßen wegen Rechtslastigkeit gefeuert wurde.
Dies ist nur ein Zeichen dafür, dass der deutschen Bourgeoisie, die nach der nie abgeschlossenen Säuberung des Staatsapparates von Altnazis, dennoch jahrzehntelang das Ansehen Deutschlands als Demokratie und „offenes Land“ durch das Fernhalten der Rechten aus Parlament und Staatsapparat gewährleisten konnte, nun etwas entglitten ist. Es wurde immer mehr bekannt, dass Polizei und Militär (und andere Teile des Staates) mit Rechtsradikalen und zum Teil gewaltbereiten „Staatsdienern“ durchsetzt sind. Ob „chat-Gruppen“ unter Polizisten mit rechtsradikalem oder „demokratiefeindlichem“ Gedankengut, Waffenlager anlegende Teile von Spezialeinheiten wie KSK, MEK, durchgestochene Infos von Polizei an Fascho-Gruppen – alles Mögliche scheint im Staatsapparat zu wuchern.
Während solche rechtsradikalen Kräfte in den letzten Jahrzehnten nie ganz verschwunden waren, und - immer an der langen Leine geführt - hier und da aktiv waren, scheint sich mittlerweile ansatzweise so etwas wie eine Säuberung des Kraken im Staatsapparat breit machen. Während der Flüchtlingskrise formierte sich ein Teil des Sicherheitsapparates offensiv gegen Merkels Politik. Gleichzeitig nimmt die Entschlossenheit unter rechtsradikalen Kräften, gegen politische Gegner mit Gewalt vorzugehen, weiter zu, so dass immer mehr bürgerliche Politiker Angst vor gewaltsamen Angriffen haben müssen. Das weist darauf hin, dass dieser Zersetzungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft auch in Deutschland besondere Ausmaße annimmt.
Am deutlichsten sticht der Prozess der Fäulnis aber heraus anhand des Verlustes der Glaubwürdigkeit der bürgerlichen Parteien.
Dieser Prozess ist seit Jahren im Gang und stach besonders krass durch den jahrelangen Rückgang der Beteiligung an den Parlamentswahlen hervor. Immer weniger glaubten an die Wahlversprechungen der bürgerlichen Parteien; gleichzeitig versuchten immer mehr Protestparteien aller Couleur in diese „Lücke“ zu stoßen. So konnte die AfD am stärksten von diesem Verlust der Glaubwürdigkeit profitieren und Leute wieder zur Wahlurne locken (erwarteter Stimmenanteil der AfD bundesweit über 10%). Dass die AfD selbst ein Haifischbecken ist, indem Hetze, Grabenkriege, inhaltliche Leere und hirnrissige Auffassungen, Mangel an ‚Staatsräson“ in einem Klumpen zu finden sind, spiegelt nur die „Alternativlosigkeit“ des verfaulenden bürgerlichen Lagers wider.
Der Verschleiß der bürgerlichen Parteien wird am augenscheinlichsten in der CDU-CSU. Nachdem Merkel vor der Pandemie schon als Belastung für die Partei angesehen wurde, sie aber noch mal in der Anfangsphase der Pandemie ein kurzes „Comeback“ als Krisenmanagerin hinlegen konnte, gilt sie nunmehr als “Lahme Ente“. Die ganze Leere der CDU/CSU gegenüber der Sackgasse der bürgerlichen Gesellschaft kann keineswegs durch die Wahl einer neuen Führungsmannschaft gelöst werden. Dabei hat der monatelange Konkurrenzkampf zwischen Laschet und Söder ohnehin offenbart, wie wenig die „Führer“ der beiden Parteien anzubieten haben. Nachdem nun offensichtlich geworden ist, dass für die CDU-CSU sogar die Gefahr besteht, überhaupt nicht mehr an der nächsten Bundesregierung beteiligt zu sein, kann man nicht ausschließen, dass Söder als im Machtkampf innerhalb der Union Unterlegener in einen Rachefeldzug gegen Laschet eintritt und die Union in eine noch tiefere Krise rutscht. [8] Doch die Zersetzung ist schon tiefer in die CDU eingesickert und drückt sich in Disziplinlosigkeit gegenüber der neuen Führung aus. So wurde der geschasste Präsident des Verfassungsschutzes Maaßen von thüringischen Ortsverbänden mit großer Mehrheit zum Direktkandidaten gewählt, ein offensichtlicher Affront gegen den eigenen Kanzlerkandidaten.
Die Sozialdemokratie bleibt natürlich nicht von dem Verlust der Glaubwürdigkeit der bürgerlichen Parteien verschont. Mittlerweile wird sie auch auf Bundesebene bei nur gut einem Dutzend Prozent gehandelt.
Einzige Gewinner sind bislang die Grünen. Zwar sind die Grünen seit ihrer Entstehung vor nunmehr vier Jahrzehnten längst zur staatstragenden Partei geworden, die einen beträchtlichen Teil der alten 68er in sich aufgesogen haben und den Bedürfnissen des deutschen Kapitals mit bestem Wissen und Gewissen dienen. Unter Fischer-Schröder haben sie im Jugoslawienkrieg 1999 schon die erste Erfahrung bei Kriegspropaganda gesammelt. Und seitdem haben sie die Möglichkeiten der Regierungskoalitionen des deutschen Kapitals um beträchtliche Varianten erweitert (Rot-Rot-Grün, Ampel (Rot-Gelb-Grün), Schwarz-Grün, Schwarz-Grün-Gelb). Auch haben sie sich als eine wichtige Trumpfkarte erwiesen, um die in vielen anderen Ländern vorhandenen starken Polarisierungen (und oft Blockierungen) zwischen zwei Parteien zu vermeiden. Insofern verfügt das deutsche Kapital damit über weitere Optionen, um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit mit „Green Economist“ aufrecht zu erhalten. Bedeutende Teile der deutschen Industrie unterstützen mittlerweile die Grünen in der Einsicht, dass die Grünen langfristig für das deutsche Kapital „Modernisierungen“ mit beschleunigen können. Gleichzeitig werden mit dem Anspruch der Grünen, gegenüber Russland, China und der Türkei mehr auf die Menschenrechte zu achten, neue Herausforderungen, Verrenkungen und Winkelzüge auf die deutsche Außenpolitik zukommen, die durch die Ansprüche der USA an deutsche militärische Anstrengungen (Deutschland hat die Rüstungsausgaben um mehr als 5% erhöht – und ist somit Spitzenreiter bei den Erhöhungen) noch schwieriger zu bewältigen sein werden.
Jetzt jedoch ist schon absehbar, dass die Grünen selbst, obwohl sie auf Bundesebene noch nicht an den Hebeln der Macht sind, auch von einem Verschleiß Prozess betroffen sein werden. Denn es hat sich in Baden-Württemberg bei den letzten Landtagswahlen schon eine neue „Klimaliste“ in Abgrenzung von den Grünen gebildet.
Somit belegen die Entwicklung der Pandemie, das Wuchern der Corona-Proteste, das Wuchern der Rechten im Staat, die Zerstrittenheit und der Grabenkrieg der bürgerlichen Parteien, einen tiefergreifenden Fäulnisprozes..., der sich auch in Deutschland nur noch beschleunigen kann. Dies bedeutet für die deutsche Wirtschaft auf mittlere Sicht enorme Schwierigkeiten und Unsicherheiten. Es erhöht die Notwendigkeit, durch weitere starke staatskapitalistische Maßnahmen stützend und schützend einzugreifen, doch schwindet ebenso die Fähigkeit der Bourgeoise den Staat unter voller Kontrolle zu halten. Der ehemalige „sichere Hafen“ muss sich auf weitere Zerfallserscheinungen einstellen.
Aus Platzgründen sind wir hier nicht auf die Auswirkungen und Herausforderungen der Pandemie auf die Arbeiterklasse eingegangen.
Andreas Anfang Mai 2021
[1]https://de.internationalism.org/content/2985/die-covid-19-pandemie-offenbart-den-weltweiten-zerfall-des-kapitalismus [72]
[2]https://de.internationalism.org/content/2938/im-angesicht-des-corona-virus-mobilisiert-die-deutsche-bourgeoisie-ihren-machtinstinkt [73]
[3]https://www.focus.de/politik/deutschland/medienbericht-in-hamburger-impfzentrum-sollen-mehr-als-40-000-impfdosen-weggeworfen-worden-sein_id_13238294.html [75] Nach einem Bericht des Norddeutschen Rundfunks (NDR) sind im Hamburger Impfzentrum offenbar mehr als 40.000 Impfdosen weggeworfen worden. Schuld an dem Debakel soll die unklare rechtliche Lage sein: Denn zu jeder Impfstoff-Dose wird eine Überschussmenge mitgeliefert, die die Ärzte jedoch nicht verwenden dürften. Bei AstraZeneca betreffe dies etwa jede elfte Impfdosis pro Ampulle, beim Impfstoff von BioNTech sei es jede siebte Dosis. Würden diese verwendet werden, so gehe das über die von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassene Zahl der Impfeinheiten pro Impfstoff-Ampulle hinaus.
[4]www.mlwerke.de/lu/lu05/lu05_580.htm [76] Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einführung in die Nationalökonomie", S. 580-593.
[5]Dass es u.a. Corona-bedingt bei der Produktion von Chips und Halbleitern nun weltweit solche Engpässe gibt, dass mittlerweile ganze Produktionsstätten unterbrochen sind (bei Ford, Audi, Daimler kommt es zu Produktionsstillständen, Kurzarbeit usw.) ist sowohl ein Ausdruck der oben benannten Anarchie aber auch der neuen Dimension der Anfälligkeit der weltweiten globalen Vernetzung und Transportketten.
[6] Merkels Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages als Fürsprecherin von Wirecard in China oder das Wegschauen und die Nachsicht des Finanzministers Scholz sprechen Bände. Dass Wirecard eine hilfreiche Quelle für die deutschen Nachrichtendienste ist, wundert deshalb nicht.
[7] Siehe dazu Fußnote 1 und: https://de.internationalism.org/content/2926/bericht-ueber-den-zerfall-heute-mai-2017 [65]
/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [2]
Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus
[8] Nachdem Laschet den Machtkampf gegen Söder vorerst gewonnen hat, hat eine Welle von Austritten in der CDU eingesetzt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Hamas oder andere islamische Dschihadisten Raketen auf zivile Ziele in israelischen Städten abfeuern und dabei unterschiedslos töten: Zu den ersten Opfern gehörten ein israelisch-arabischer Vater und seine Tochter in Lod, die in ihrem Auto in die Luft gesprengt wurden. Es ist auch nicht das erste Mal, dass die israelischen Streitkräfte mit verheerenden Luftangriffen und Artilleriebeschuss geantwortet haben, die auf Hamas-Führer und Waffen abzielen, aber auch zivile Todesopfer in den überfüllten Gebäuden und Straßen des Gazastreifens forderten, die dutzendfach höher waren als alles, was die Hamas-Raketen "erreichten". Es ist auch nicht das erste Mal, dass Israel am Rande einer militärischen Invasion des Gazastreifens steht, die unweigerlich zu weiterem Tod, Obdachlosigkeit und Trauma für palästinensische Familien führen wird. Wir haben all das schon zuvor 2009 und 2014 erlebt.
Aber es ist das erste Mal, dass eine solch große militärische Operation in einer Reihe von israelischen Städten von einer Welle gewalttätiger Zusammenstöße zwischen israelischen Juden und Arabern begleitet wird. Es handelt sich im Wesentlichen um Pogrome: rechte Banden, die den Davidstern schwenken und "Tod den Arabern" schreien, nach Arabern jagen, um sie zu verprügeln und zu ermorden; und gleichzeitig Angriffe auf Juden und Synagogen, die von Menschenmengen angezündet werden, die vom Islamismus und palästinensischen Nationalismus "inspiriert" sind. Düstere und ironische Erinnerungen an die Schwarzen Hundertschaften im zaristischen Russland oder die Kristallnacht im Deutschland von 1938!
Die israelische Regierung unter Netanjahu hat zu einem großen Teil die Saat dieser schädlichen Entwicklung gesät: durch neue Gesetze, die die Definition Israels als jüdischen Staat verstärken, und durch die Politik der Annexion ganz Jerusalems als seine Hauptstadt. Letzteres ist im Wesentlichen eine Erklärung, dass die "Zwei-Staaten-Lösung" für den israelisch-palästinensischen Konflikt tot und begraben ist, und dass die militärische Besetzung der Westbank nun eine permanente Tatsache ist. Der unmittelbare Auslöser für die Unruhen der palästinensischen Araber in Jerusalem - die Drohung, die arabischen Bewohner aus Ost-Jerusalem zu vertreiben und durch jüdische Siedler zu ersetzen - ergab sich aus dieser ganzen Strategie der militärischen Besatzung und ethnischen Säuberung.
Die "Demokratien" Europas und der USA weinen ihre üblichen Krokodilstränen über die Eskalation des militärischen Konflikts und der zivilen Unruhen (und sogar Netanjahu hat ein Ende der Straßengewalt durch Juden und Araber gleichermaßen gefordert). Aber die USA unter Trump hatten bereits Israels offene Besatzungspolitik gestützt, die Teil eines größeren imperialistischen Projekts ist, Israel, Saudi-Arabien und andere arabische Staaten in einer Allianz gegen den Iran (aber auch gegen Großmächte wie Russland und China) zusammenzubringen. Und wenn Biden sich zum Beispiel von Trumps unkritischer Umarmung des saudischen Regimes distanziert hat, so bestand sein erstes Anliegen in der aktuellen Krise darin, darauf zu bestehen, dass "Israel das Recht hat, sich zu verteidigen", denn der zionistische Staat bleibt, bei allen Bestrebungen, im Nahen Osten sein eigenes Spiel zu spielen, ein wichtiger Bestandteil der US-Strategie in der Region.
Aber der israelische Staat ist nicht der Einzige, der als Provokateur auftritt. Die Hamas reagierte auf die Unterdrückung der Unruhen in Jerusalem mit kontinuierlichen Raketensalven gegen zivile Ziele in Israel, wohl wissend, dass damit die ungeschützte Bevölkerung im Gazastreifen unter Beschuss genommen würde. Sie hat auch ihr Möglichstes getan, um die ethnische Gewalt innerhalb Israels zu fördern.
Es ist ein Merkmal des Krieges in der Epoche des kapitalistischen Niedergangs, dass die ersten Opfer die Zivilbevölkerung sind, vor allem die Arbeiterklasse und die Unterdrückten. Sowohl Israel als auch die Hamas handeln in der barbarischen Logik des imperialistischen Krieges.
Angesichts des imperialistischen Krieges haben Revolutionäre immer zur internationalen Solidarität der Ausgebeuteten gegen alle kapitalistischen Staaten und Proto-Staaten aufgerufen. Dies bleibt die einzig mögliche Barriere gegen ein Versinken in Krieg und Barbarei.
Aber die herrschenden Klassen im Nahen Osten haben zusammen mit ihren mächtigeren imperialistischen Hintermännern lange die Flammen der Spaltung und des Hasses geschürt. Es gab 1936 Pogrome gegen jüdische Siedler in Palästina, die von einer palästinensischen politischen Führung geschürt wurden, die sich mit Nazideutschland gegen die dominierende Macht in der Region, Großbritannien, verbünden wollte. Aber diese wurden in den Schatten gestellt von der massiven ethnischen Säuberung der arabischen Bevölkerung, die den "Unabhängigkeitskrieg" von 1948 begleitete und das unlösbare palästinensische Flüchtlingsproblem schuf, das von den arabischen Regimen systematisch instrumentalisiert wurde. Eine Reihe von Kriegen zwischen Israel und den umliegenden arabischen Staaten, israelische Überfälle auf die Hamas und die Hisbollah, die Verwandlung des Gazastreifens in ein riesiges Gefängnis - all das hat den Hass zwischen Arabern und Juden bis zu dem Punkt vertieft, an dem er auf beiden Seiten der Kluft als nichts weiter als "gesunder Menschenverstand" erscheint. Im Gegensatz dazu sind Beispiele der Solidarität zwischen arabischen und jüdischen Arbeitern im Kampf extrem selten, während organisierte politische Ausdrucksformen des Internationalismus auf beiden Seiten mehr oder weniger nicht existent sind.
Es gibt weitere kontingente Elemente in den provokativen Aktionen des israelischen Staates. Netanjahu, der amtierende Premierminister, ist nach einer Reihe von ergebnislosen Parlamentswahlen nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden, und sieht sich immer noch einer Reihe von Korruptionsvorwürfen gegenüber. Er könnte sicherlich davon profitieren, den starken Mann in dieser neuen nationalen Krise zu spielen. Aber es sind tiefere Tendenzen am Werk, die sich der Kontrolle derjenigen entziehen könnten, die versuchen, aus dem gegenwärtigen Schlamassel zu profitieren.
Die großen arabisch-israelischen Kriege der 60er und 70er Jahre wurden im Zusammenhang mit den beiden imperialistischen Blöcken ausgetragen, die den Planeten beherrschten: Israel, unterstützt von den USA, die arabischen Staaten, unterstützt von der UdSSR. Aber seit dem Zusammenbruch des Blocksystems Ende der 80er Jahre hat der angeborene Trieb zum imperialistischen Krieg im dekadenten Kapitalismus eine viel chaotischere und potenziell unkontrollierter Form angenommen. Insbesondere der Nahe Osten ist zum Tummelplatz einer Reihe von Regionalmächten geworden, deren Interessen nicht unbedingt mit den Schemata der Weltmächte übereinstimmen: Israel, die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien... Diese Mächte sind bereits stark in die blutigen Konflikte verwickelt, die die Region heimsuchen: Der Iran setzt seine Schachfigur Hisbollah im vielseitigen Konflikt in Syrien ein, und Saudi-Arabien ist tief in den Krieg im Jemen gegen die Houthi-Verbündeten des Iran verstrickt. Die Türkei hat ihren Krieg gegen die kurdischen Peschmergas nach Syrien und in den Irak getragen (und gleichzeitig eine militärische Intervention im kriegsgebeutelten Libyen aufrechterhalten). Diese Kriege können nicht nur ganze Länder in den Ruin treiben und verhungern lassen, sondern bergen auch die reale Gefahr, dass sie außer Kontrolle geraten und die Zerstörung über den gesamten Nahen Osten ausbreiten.
Dieses zunehmende Chaos auf militärischer Ebene ist ein Ausdruck der globalen Zersetzung des kapitalistischen Systems. Ein anderes und eng damit verbundenes Element spielt sich auf der sozialen und politischen Ebene ab, durch die Verschärfung der Konfrontationen zwischen bürgerlichen politischen Fraktionen, der Spannungen zwischen ethnischen und religiösen Gruppen, der Pogrome gegen Minderheiten. Dies ist ein globaler Trend, der z. B. durch den Völkermord in Ruanda 1994, die Verfolgung von Muslimen in Myanmar und China, die Verschärfung der Rassenspaltung in den USA verkörpert wird. Wie wir gesehen haben, haben die ethnischen Spaltungen in Israel/Palästina eine lange Geschichte, aber sie werden durch die ganze Atmosphäre der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die durch das scheinbar unlösbare "palästinensische Problem" erzeugt wird, noch verschärft. Und während Pogrome oft als Instrumente staatlicher Politik entfesselt werden, können sie unter den heutigen Bedingungen über die Ziele staatlicher Stellen hinaus eskalieren und ein allgemeines Abgleiten in den gesellschaftlichen Zusammenbruch beschleunigen. Die Tatsache, dass dies in einem hoch militarisierten Staat wie Israel zu geschehen beginnt, ist ein Zeichen dafür, dass die Versuche des totalitären Staatskapitalismus, den Prozess der sozialen Desintegration aufzuhalten, ihn am Ende sogar noch verschärfen können.
Kriege und Pogrome sind die Zukunft, die der Kapitalismus uns überall anbietet, wenn die internationale Arbeiterklasse nicht ihre eigenen Interessen und ihre eigene Zukunft wiederentdeckt, die die kommunistische Revolution ist. Wenn die Proletarier des Nahen Ostens vorerst durch die Massaker und ethnischen Spaltungen überfordert sind, liegt es an den zentralen Fraktionen des Weltproletariats, zum Weg des Kampfes zurückzukehren, dem einzigen Weg, der aus dem Alptraum dieser verfaulenden Gesellschaftsordnung herausführt.
Amos, Mai 14, 2021
Die überwältigende Verantwortung Chinas für den Ausbruch der Covid-19-Pandemie und vor allem für ihre rasante weltweite Ausbreitung wurden in allen Medien weit und breit hervorgehoben. Die geringe Zahl der Todesfälle und das Ausbleiben großer Ansteckungswellen im Land - zumindest nach offiziellen Angaben - sowie die Tatsache, dass China die einzige Großmacht ist, die für 2020 keine wirtschaftliche Rezession angekündigt hat (+2 % des BIP), haben jedoch viele Beobachter dazu veranlasst, China als den großen Gewinner der Covid-19-Krise hinsichtlich des Kräfteverhältnisses zwischen den imperialistischen Hauptmächten darzustellen.
Es stimmt, dass China seit Anfang der 1980er Jahre durch die Öffnung seiner Wirtschaft für den US-Block stark von der Globalisierung der Wirtschaft und der Implosion des Sowjetblocks profitiert hat und innerhalb von dreißig Jahren einen kometenhaften Aufstieg in wirtschaftlicher und imperialistischer Hinsicht vollzogen hat, der es zum wichtigsten Herausforderer der USA gemacht hat. Heute jedoch stellen die Bewältigung der Pandemie, die Verwaltung der Wirtschaft und die Ausweitung des Einflussgebiets die chinesische Bourgeoisie vor große Herausforderungen. Die Covid-19-Krise verschärft die Konfrontationen zwischen den Fraktionen innerhalb des politischen Apparats stark und verschärft die Spannungen zwischen den imperialistischen Haien im Fernen Osten.
Da China von Anfang an auf kollektive Immunität vor der Öffnung des Landes setzte, betreibt es in der Zwischenzeit eine drastische Lockdown-Politik in ganzen Städten und Regionen, wann immer Infektionen festgestellt werden, was die Wirtschafts- und Handelsaktivitäten stark behindert: So führte die Schließung des Hafens von Yantian, des drittgrößten Containerhafens der Welt, im Mai 2021 zur monatelangen Blockade von Hunderttausenden von Containern und Hunderten von Schiffen, was den weltweiten Seeverkehr völlig aus dem Gleichgewicht brachte. In der Tat wird jeder noch so kleine Ausbruch von Infektionen als große Gefahr wahrgenommen: Erst kürzlich wurden in 27 Städten und 18 Provinzen (August '21) und in der 5-Millionen-Stadt Xiamen (September '21) drastische Einschränkungen verhängt, und seit September werden Infektionen aus der Hälfte der Provinzen und aus der Stadt Shanghai gemeldet.
Darüber hinaus hat die Massenimpfkampagne zur Erreichung einer kollektiven Immunität einige chinesische Provinzen und Städte dazu veranlasst, finanzielle Sanktionen gegen diejenigen zu verhängen, die misstrauisch sind und die Impfung meiden. Angesichts der zahlreichen Proteste in den chinesischen sozialen Netzwerken blockierte die Zentralregierung jedoch derartige Maßnahmen, da sie dazu tendierten, "den nationalen Zusammenhalt zu gefährden". Der schwerwiegendste Rückschlag sind jedoch zweifellos die übereinstimmenden Daten über die begrenzte Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe, die in verschiedenen Ländern, die sie verwenden, beobachtet wurden, wie zum Beispiel in Chile: "Insgesamt scheint die chilenische Impfkampagne - zahlenmäßig umfangreich mit 62 % der Bevölkerung, die derzeit geimpft werden - keine nennenswerten Auswirkungen auf den Anteil der Todesfälle zu haben" (H. Testard, Covid-19: Impfen hebt in Asien ab, aber die Zweifel an den chinesischen Impfstoffen wachsen, Asialyst, 21.07.21).
Die chinesischen Gesundheitsbehörden befürworteten sogar den Import von Impfdosen von Pfizer oder Moderna, um die Ineffizienz ihrer eigenen Impfstoffe zu beheben.
Wie schwerfällig und ineffizient der chinesische Staatskapitalismus mit der Pandemie umgeht, zeigte sich im November letzten Jahres, als das Handelsministerium die chinesische Bevölkerung aufforderte, Notrationen zu Hause zu lagern. Und die Situation dürfte sich mit der Ausbreitung der Omicron-Variante noch weiter verschlechtern.
Das starke Wachstum, das China in den letzten vierzig Jahren verzeichnet hat - auch wenn sich der Anstieg im letzten Jahrzehnt bereits verlangsamte - scheint sich dem Ende zuzuneigen. Experten erwarten, dass das chinesische BIP im Jahr 2021 um weniger als 5 % wachsen wird, während es im letzten Jahrzehnt durchschnittlich 7 % und im Jahrzehnt davor über 10 % betrug. Verschiedene Faktoren verdeutlichen die derzeitigen Schwierigkeiten der chinesischen Wirtschaft.
Da ist zunächst die Gefahr des Platzens der chinesischen Immobilienblase: Evergrande, die Nummer zwei der chinesischen Immobilienbranche, wird heute von rund 300 Milliarden Euro Schulden erdrückt, was allein 2% des BIP des Landes entspricht. Andere Bauträger wie Fantasia Holdings oder Sinic Holdings sind praktisch zahlungsunfähig, und der Immobiliensektor, der 25 % der chinesischen Wirtschaft ausmacht, hat gigantische öffentliche und private Schulden in Höhe von mehreren Billionen US-Dollar verursacht. Der Absturz von Evergrande ist nur der erste Teil eines bevorstehenden globalen Zusammenbruchs dieses Sektors. Heute stehen so viele Wohnungen leer, dass man 90 Millionen Menschen unterbringen könnte. Zwar wird der unmittelbare Zusammenbruch des Sektors insofern vermieden, als die chinesischen Behörden keine andere Wahl haben, als die Schäden des Schiffbruchs zu begrenzen und ansonsten sehr schwere Auswirkungen auf den Finanzsektor zu riskieren: "(...) Es wird keinen Schneeballeffekt wie 2008 [in den USA] geben, weil die chinesische Regierung die Maschine stoppen kann, schätzt Andy Xie, ein unabhängiger Wirtschaftswissenschaftler, früher bei Morgan Stanley in China, zitiert von Le Monde.
„Ich denke, dass wir mit Anbang [Versicherungsgruppe, Anm. d. Ü.] und HNA [Hainan Airlines] gute Beispiele dafür haben, was passieren kann: Es wird einen Ausschuss geben, der das Unternehmen, die Gläubiger und die Behörden an einen Tisch bringt und der entscheidet, welche Vermögenswerte verkauft, welche umstrukturiert werden sollen und am Ende, wie viel Geld übrig bleibt und wer Gelder verlieren kann" (P.-A. Donnet, Fall von Evergrande in China: Das Ende des billigen Geldes, Asialyst, 25.09.21). Auch viele andere Sektoren schreiben rote Zahlen: Ende 2020 betrug die Gesamtverschuldung chinesischer Unternehmen 160 % des BIP des Landes, während die Verschuldung von US-Unternehmen bei etwa 80 % lag. Die "toxischen" Investitionen der Lokalregierungen sollen sich nach Angaben von Analysten von Goldman Sachs heute allein auf 53 Billionen Yuan belaufen, was einer Summe entspricht, die 52 % des chinesischen BIP ausmacht. Das Platzen der Immobilienblase könnte nicht nur andere Wirtschaftssektoren anstecken, sondern auch zu sozialer Instabilität führen (fast 3 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze hängen mit Evergrande zusammen), der größten Befürchtung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).
Zweitens haben sich die Energieausfälle seit Sommer 2021 vervielfacht: Sie sind die Folge einer mangelhaften Kohleversorgung, die unter anderem durch die Rekordüberschwemmungen in der Provinz Shaanxi (die allein 30 % des Brennstoffs im ganzen Land produziert) und auch durch die von Xi beschlossenen strengeren Abgasvorschriften verursacht wurden. Die Stahl-, Aluminium- und Zementindustrie leiden bereits in mehreren Regionen unter dem eingeschränkten Stromangebot. Dieser Mangel hat die Produktionskapazitäten für Aluminium um etwa 7 % und für Zement um 29 % reduziert (Zahlen von Morgan Stanley), und Papier und Glas könnten die nächsten betroffenen Sektoren sein. Diese Einschnitte bremsen nun das Wirtschaftswachstum im ganzen Land. Die Situation ist jedoch noch ernster, als es auf den ersten Blick scheint. "Tatsächlich wirkt sich diese Stromknappheit nun auch auf den Wohnungsmarkt in einigen Regionen des Nordostens aus. So hat die Provinz Liaoning die Stromabschaltungen des Industriesektors auf Wohnbezirke ausgeweitet" (P.-A. Donnet, China: How the serious electricity shortage threats the economy, Asialyst, 30.09.21).
Schließlich beeinträchtigen nicht nur die Energieknappheit, sondern auch die Aussperrungen infolge der Covid-Infektionen die Produktion in der Industrie in verschiedenen Regionen Chinas, was wiederum das Ausmaß der Unterbrechungen in den ohnehin schon arg gestressten Lieferketten auf nationaler und globaler Ebene erhöht, zumal die Produktionsketten in vielen Branchen mit einem akuten Mangel an Halbleitern konfrontiert sind.
Die jüngsten Daten bestätigen die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, die mit einem Rückgang des Binnenkonsums, sinkenden Haushaltseinkommen und niedrigeren Löhnen einhergeht.
Die Entfaltung der "neuen Seidenstraße" stößt aufgrund der finanziellen Belastung durch die Covid-Krise in China, aber auch aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der "Partner", die unter dem Schuldendruck ersticken, oder aufgrund ihrer immer deutlicher werdenden Vorbehalte gegen die chinesische "Einmischung" auf immer größere Schwierigkeiten.
Vor allem aufgrund der Covid-Krise hat die Verschuldung verschiedener "Partnerländer" enorme Ausmaße angenommen, so dass diese nicht mehr in der Lage sind, die Zinsen für die chinesischen Kredite zu zahlen. Länder wie Sri Lanka, Bangladesch (Anstieg der Auslandsverschuldung um +125 % im letzten Jahrzehnt), Kirgisistan, Pakistan (bilaterale Kredite Chinas im Wert von 20 Mrd. USD), Montenegro und verschiedene afrikanische Länder haben China aufgefordert, die in diesem Jahr fälligen Rückzahlungen umzustrukturieren, zu verzögern oder ganz zu streichen.
Andererseits wächst in verschiedenen Ländern das Misstrauen gegenüber Chinas Vorgehen (Nichtratifizierung des Handelsvertrags zwischen China und der EU, Distanzierung von Kambodscha, den Philippinen oder Indonesien), hinzu kommt Druck auf China seitens der USA (in Lateinamerika gegenüber Ländern wie Panama, Ecuador und Chile). Schließlich führt das durch den Zerfall erzeugte Chaos dazu, dass einige Schlüsselländer der "neuen Seidenstraße" destabilisiert werden; dies gilt beispielsweise für Äthiopien, das in einem schrecklichen Bürgerkrieg zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der Tigray-Region versinkt, obwohl das Land, das als Stabilitätspol und "neue Werkstatt der Welt" angepriesen wurde, mit einem chinesischen Militärstützpunkt in Dschibuti einen Stützpunkt für das "Belt and Road Project" in Nordostafrika darstellte.
Kurzum, es ist nicht verwunderlich, dass es 2020 zu einem Einbruch des finanziellen Werts der in das Projekt "Neue Seidenstraße" geflossenen Investitionen kam (-64 %), obwohl China seit 2013 mehr als 461 Milliarden US-Dollar verliehen hat.
All diese Schwierigkeiten schüren die Spannungen innerhalb der chinesischen Bourgeoisie, auch wenn sie sich aufgrund der staatskapitalistischen politischen Struktur stalinistischer Prägung nicht in der gleichen Weise manifestieren wie beispielsweise in den USA oder Frankreich.
Unter Deng Xiao Ping richtete der chinesische Staatskapitalismus stalinistischer Prägung unter dem Deckmantel einer Politik der "Schaffung von Reichen, um ihren Reichtum zu teilen" "freie" Zonen (um Hongkong, Macau usw.) ein, um einen Kapitalismus vom Typ "freier Markt" zu entwickeln, der den Zufluss internationalen Kapitals ermöglicht und auch einen privatkapitalistischen Sektor fördert. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der "Globalisierung" der Wirtschaft in den 1990er Jahren hat sich letzterer dort exponentiell entwickelt, auch wenn der öffentliche Sektor unter direkter staatlicher Kontrolle immer noch 30 % der Wirtschaft ausmacht. Wie ging die rigide und repressive Struktur des stalinistischen Staates und der Einheitspartei mit dieser "Öffnung" für den Privatkapitalismus um? Ab den 1990er Jahren nahm die Partei massiv Unternehmer und Leiter von Privatunternehmen auf. "Anfang der 2000er Jahre hob der damalige Präsident Jiang Zemin das Verbot auf, Unternehmer aus dem Privatsektor, die bis dahin als Klassenfeinde betrachtet worden waren, anzuwerben (...). Die so ausgewählten Geschäftsleute werden Mitglied der politischen Elite, was ihnen garantiert, dass ihre Unternehmen zumindest teilweise vor räuberischen Kadern geschützt sind" (Que reste-t-il-t-il du communisme en Chine ?, Le monde diplomatique 68, Juli 2021). Heute machen Fachkräfte und Manager mit Hochschulabschluss 50 Prozent der KPCh-Mitglieder aus.
Die Gegensätze zwischen den verschiedenen Fraktionen werden sich daher nicht nur innerhalb der staatlichen Strukturen, sondern auch innerhalb der KPCh selbst äußern. Seit mehreren Jahren (vgl. bereits den Bericht über imperialistische Spannungen des 20. Kongresses der IKS, Internationale Revue 51, 2013) wachsen die Spannungen zwischen verschiedenen Fraktionen innerhalb der chinesischen Bourgeoisie[1], insbesondere zwischen jenen, die eher mit privatkapitalistischen Sektoren verbunden sind, die vom internationalen Handel und Investitionen abhängen, und jenen, die mit staatlichen Strukturen und Finanzkontrolle auf regionaler oder nationaler Ebene verbunden sind, jenen, die eine Öffnung für den Welthandel befürworten, und jenen, die eine eher dogmatische oder nationalistische Politik vorantreiben.
Die von Präsident Xi eingeleitete "Kampagne gegen Korruption" beinhaltete spektakuläre Beschlagnahmungen von gigantischen Vermögen, die Mitglieder verschiedener Clans angehäuft hatten, während die "Linkswende" weniger wirtschaftlichen Pragmatismus und mehr Dogmatismus und Nationalismus beinhaltete; das Ergebnis war vor allem, dass die politischen Spannungen und die Instabilität in den letzten Jahren zugenommen haben: Davon zeugen "die anhaltenden Spannungen zwischen Premierminister Li Keqiang und Präsident Xi Jinping über den wirtschaftlichen Aufschwung, ebenso wie die "neue Position" Chinas auf der internationalen Bühne". (A. Payette, "China: In Beidaihe, der "Sommeruniversität" der Partei, die internen Spannungen auf den Punkt gebracht", Asialyst, 06.09. 20), die regelmäßig auftretende explizite Kritik an Xi (zuletzt der Aufsatz "viraler Alarm", der von einem angesehenen Professor für Verfassungsrecht an der Qinghua-Universität in Peking veröffentlicht wurde und Xis Ende vorhersagt), die Spannungen zwischen Xi und den Generälen, die die Volksarmee führen und die insbesondere von der Anti-Korruptionskampagne betroffen sind, oder auch die Interventionen des Staatsapparats gegen Unternehmer, die zu "flamboyant" und kritisch gegenüber der staatlichen Kontrolle sind (Jack Ma und Ant Financial, Alibaba). Einige Konkurse (HNA, Evergrande) könnten übrigens mit den Cliquenkämpfen innerhalb der Partei zusammenhängen, beispielsweise im Rahmen der zynischen Kampagne zum "Schutz der Bürger vor den Exzessen der 'Kapitalistenklasse'" (sic).
Kurzum, die chinesische Bourgeoisie ist wie andere Bourgeoisien mit wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert, die mit der historischen Krise der kapitalistischen Produktionsweise, dem Chaos, das aus dem Zerfall des Systems resultiert, und der Verschärfung der internen Spannungen zwischen den Fraktionen innerhalb der KPCh zusammenhängen, die sie mit allen Mitteln innerhalb ihrer veralteten staatskapitalistischen Strukturen einzudämmen versucht.
Darüber hinaus ist die Lage für die chinesische Bourgeoisie auf internationaler Ebene ebenso heikel, zunächst wegen der aggressiven Politik der USA, aber auch wegen der wachsenden Spannungen mit anderen asiatischen Großmächten wie Indien und Japan, die durch das Chaos und das Jeder-gegen-Jeden in dieser Periode des Zerfalls noch intensiviert werden.
Die von Trump ab 2017 umgesetzte "America First"-Politik hat auf imperialistischer Ebene im Wesentlichen zu einer wachsenden Polarisierung und einer verschärften Aggressivität gegenüber China geführt, das von der US-Bourgeoisie zunehmend als Hauptgefahr identifiziert wird. Die USA haben die strategische Entscheidung getroffen, ihre Kräfte auf die militärische und technologische Konfrontation mit China zu konzentrieren, um ihre Vormachtstellung zu erhalten und sogar noch auszubauen und ihre Position als dominierende Bande gegenüber den Rivalen (China und in zweiter Linie Russland) zu verteidigen, die ihre Hegemonie am direktesten bedrohen. Die Politik der Biden-Regierung entspricht voll und ganz dieser Ausrichtung; sie hat nicht nur die von Trump eingeführten aggressiven wirtschaftlichen Maßnahmen gegen China beibehalten, sondern vor allem den Druck durch eine aggressive Politik erhöht:
- auf politischer Ebene: Verteidigung der "Menschenrechte" gegenüber der Unterdrückung der Uiguren oder der "pro-demokratischen" Demonstrationen in Hongkong, Ausschluss Chinas von der von Biden organisierten Demokratiekonferenz zugunsten Taiwans, dem sich die USA auf diplomatischer und handelspolitischer Ebene deutlich annähern, Hacking-Vorwürfe gegen China usw.
- auf militärischer Ebene im Chinesischen Meer durch explizite und spektakuläre Machtdemonstrationen in den letzten Monaten: Vermehrte Militärübungen unter Beteiligung der US-Flotte und der Flotten von Verbündeten im Südchinesischen Meer, alarmierende Berichte über die unmittelbar drohende chinesische Intervention in Taiwan, Präsenz von US-Spezialkräften in Taiwan zur Betreuung taiwanischer Eliteeinheiten, Abschluss eines neuen Verteidigungsabkommens, des AUKUS, zwischen den USA, Australien und Großbritannien, das eine militärische Koordination einführt, die explizit gegen China gerichtet ist, Bidens Zusage, Taiwan im Falle einer chinesischen Aggression zu unterstützen.
China hat auf diesen politischen und militärischen Druck wütend reagiert, insbesondere auf den Druck im Chinesischen Meer um Taiwan herum: Organisation massiver und bedrohlicher Marine- und Luftmanöver um die Insel herum, Veröffentlichung alarmierender Studien, die von einer "nie dagewesenen" Kriegsgefahr mit Taiwan berichten, oder Pläne für einen Überraschungsangriff auf Taiwan, der zu einer totalen Niederlage der Streitkräfte der Insel führen würde.
Ähnlich stark sind die Spannungen mit anderen asiatischen Mächten: Sie sind am größten mit Indien, seinem größten Rivalen in Asien, mit dem es im Sommer 2020 in Ladakh zu ernsten militärischen Zwischenfällen kam; sie verschärfen sich auch mit Japan, dessen neuer Premierminister Fumio Kishida zum ersten Mal seit 1945 "alle Optionen in Betracht ziehen will, einschließlich der [Japans] Fähigkeit, feindliche Stützpunkte anzugreifen, die Stärkung der japanischen Militärmacht fortzusetzen, soweit dies notwendig ist" (P. - A. Donnet, Die Beziehungen zwischen China und Japan verschlechtern sich mit hoher Geschwindigkeit, Asialyst, 01.12.21). Diese Länder halten jedoch eine gewisse Distanz zu den USA (und sind dem AUKUS-Militärpakt nicht beigetreten), wobei man die Zurückhaltung Indiens durch seine eigenen imperialistischen Ambitionen erklären kann; die Japans durch die Tatsache, dass es einerseits zwischen der Angst vor der militärischen Stärkung Chinas und andererseits seiner beträchtlichen Industrie- und Handelsbeziehungen mit diesem Land hin- und hergerissen ist (China ist Japans größter Handelspartner, 2020 wurden für über 141 Milliarden US-Dollar in dieses Land exportiert, im Vergleich zu 118 Milliarden US-Dollar, die in die USA exportiert wurden).
Das durch den Zerfall erzeugte Chaos und das Jeder-für-sich-Sein verstärken auch für China die Unberechenbarkeit der Situation, wie das Beispiel Afghanistan zeigt. Die fehlende Zentralisierung der Taliban-Macht, die unzähligen Strömungen und Gruppen mit den unterschiedlichsten Bestrebungen, die die Bewegung ausmachen, und die Vereinbarungen mit lokalen Kriegsherren, das ganze Land schnell zu erobern, führen zu Chaos und Unberechenbarkeit, wie die jüngsten Anschläge auf die Hazara-Minderheit zeigen. Dies kann die Intervention der verschiedenen Imperialismen (Russland, Indien, Iran, ...) nur verstärken, aber auch dass die Situation immer schwer vorhersehbar wird, also auch das herrschende Chaos. Für China macht dieses Chaos jede kohärente und langfristige Politik in dem Land unberechenbar. Darüber hinaus stellt der Präsenz der Taliban an Chinas Grenzen eine ernsthafte potenzielle Gefahr für islamistische Infiltrationen in China dar (vgl. die Situation in Sin-Kiang), zumal die pakistanischen "Brüder" der Taliban (die TTP, Cousins des ISK) eine Anschlagskampagne gegen die Baustellen der "neuen Seidenstraße" durchführen, bei der bereits ein Dutzend chinesischer "Entwicklungshelfer" ums Leben gekommen sind. Um der Gefahr in Afghanistan zu begegnen, tendiert China dazu, sich in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens (Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan) niederzulassen. Diese Republiken gehören jedoch traditionell zum russischen Einflussbereich, was die Gefahr einer Konfrontation mit diesem "strategischen Verbündeten" erhöht, dem seine langfristigen Interessen (die "neue Seidenstraße") ohnehin fundamental entgegenstehen.
China ist also nicht nur direkt von dem fortschreitenden Zerfall des Kapitalismus betroffen, es ist auch ein mächtiger aktiver Faktor in diesem Prozess, wie seine Verwicklung in die Covid-Krise, die Schwächung seiner Wirtschaft oder die internen Auseinandersetzungen innerhalb seiner Bourgeoisie hinreichend belegen.
Seine spektakulären Bemühungen, den militärischen Rückstand gegenüber den USA auszugleichen, sind insbesondere ein wichtiger Faktor für die Beschleunigung des Wettrüstens, vor allem auf dem asiatischen Kontinent, der einen deutlichen Anstieg der Militärausgaben verzeichnet: Die Umkehrung des jeweiligen Gewichts von Asien und Europa zwischen 2000 und 2018 in dieser Hinsicht ist spektakulär: Im Jahr 2000 entfielen auf Europa und Asien 27 % bzw. 18 % der weltweiten Verteidigungsausgaben. Im Jahr 2018 sind diese Verhältnisse umgekehrt: Asien macht 28 % und Europa 20 % aus (Sipri-Daten). So wird beispielsweise der japanische Militärhaushalt mit über 53,2 Milliarden US-Dollar für 2021 ein seit 1945 nicht mehr erreichtes Niveau erreichen, ein Anstieg um 15% im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2020 (vgl. P.-A. Donnet, The relationships between China and Japan determined at a high speed, Asialyst 01.12.21).
Die massive Aufrüstung der Staaten erhöht die Gefahr einer Konfrontation zwischen asiatischen Großmächten oder die Spannungen mit den USA, die vorherrschend sind, erheblich, auch wenn sie keine Tendenz zur Bildung imperialistischer Blöcke induzieren, da es weder den USA heute und schon gar nicht China gelingt, die anderen Mächte für ihre imperialistischen Ambitionen zu mobilisieren und ihre Führung dauerhaft gegenüber anderen Ländern durchzusetzen. Das ist jedoch alles andere als beruhigend: "Gleichzeitig vermehren sich auch die "Massaker in zahllosen kleinen Kriegen", während der Kapitalismus in seiner Endphase in ein immer irrationaleres imperialistisches Jeder-gegen-Jeden versinkt" (Resolution zur internationalen Lage des 24. Kongresses der IKS, Punkt 11, Internationale Revue 57).
China erscheint durch die Covid-19-Krise keineswegs als „Bollwerk der globalen Stabilität" oder als Leuchtturm auf, der dem globalen Kapitalismus den Weg aus der Krise weisen würde. „Das außergewöhnliche Wachstum Chinas ist selbst ein Produkt des Zerfallsperiode. (...) diese wirtschaftliche Öffnung [wurde] von einem unflexiblen politischen Apparat durchgesetzt (...), der nur durch eine Kombination aus Staatsterror, einer rücksichtslosen Ausbeutung der Arbeitskraft, die Hunderte Millionen Arbeiter einem Dauerzustand als Wanderarbeiter unterwirft, und einem rasenden Wirtschaftswachstum, dessen Fundamente nun zunehmend wackelig erscheinen, dem Schicksal des Stalinismus im russischen Block entgehen konnte. Die totalitäre Kontrolle über den gesamten Gesellschaftskörper, die repressive Verhärtung der stalinistischen Fraktion von Xi Jinping, ist kein Ausdruck von Stärke, sondern eine Manifestation der Schwäche des Staates, dessen Zusammenhalt durch die Existenz von Fliehkräften innerhalb der Gesellschaft und wichtigen Cliquenkämpfen innerhalb der herrschenden Klasse gefährdet ist.“ (Punkt 9 der Resolution der IKS zur internationalen Lage [77], 24. Kongress)
Stattdessen erscheint sie als eine gigantische "Zeitbombe", die eine entsetzliche Spirale der Barbarei für den Planeten ankündigt, wenn die Arbeiterklasse nicht den Prozess des Zerfalls, des Verfaulens auf der Stelle, dieses dekadenten Systems beendet.
R. Havannais / 20.12.21
[1] In der Literatur über die KPCh werden beispielsweise die Qinghua-Fraktion (ehemalige Studenten der Qinghua Polytechnic University in Peking, wie der ehemalige Präsident Hu Jintao und Premierminister Li Keqiang) aufgeführt, die eine bescheidenere Herkunft hat und eher reformorientiert ist, die Fraktion der "roten Prinzen", die aus Familien der KPCh-Nomenklatura (Xi Jinping) stammen und die Mehrheit der großen staatlichen und halbstaatlichen Konzerne leiten, oder die "Clique" von Shanghai (Jiang Zemin), die auf Öffnung und Wirtschaftsreformen ausgerichtet ist.
Ein Leser schreibt uns:
"Wie kann die IKS behaupten, dass der Kapitalismus seit 1914 ein dekadentes System ist, wenn es seither ein so enormes Wachstum im kapitalistischen System gegeben hat?"
Diese Frage wurde uns auf unterschiedliche Weise schon oft gestellt: Was ist mit dem enormen Wachstum nach dem Zweiten Weltkrieg? Was ist mit dem enormen Wachstum in China in den letzten Jahrzehnten? Spricht das nicht alles gegen die Vorstellung, dass der Kapitalismus ein System im Niedergang, im Verfall, in der Dekadenz sei?
Wir sind der Meinung, dass diese Fragen wichtig sind, dass man aber bei ihrer Beantwortung richtig an sie herangehen muss.
Schauen wir uns dazu eine recht bedeutsame Passage in Marx' Grundrissen an: "(...) Während das Kapital also einerseits dahin streben muss, jede örtliche Schranke des Verkehrs, i.e. des Austauschs niederzureißen, die ganze Erde als seinen Markt zu erobern, strebt es andererseits danach, den Raum zu vernichten durch die Zeit, d.h. die Zeit, die die Bewegung von einem Ort zum andren kostet, auf ein Minimum zu reduzieren. Je entwickelter das Kapital, je ausgedehnter daher der Markt, auf dem es zirkuliert, der die räumliche Bahn seiner Zirkulation bildet, desto mehr strebt es zugleich nach größrer räumlicher Ausdehnung des Markts und nach größrer Vernichtung des Raums durch die Zeit (...). Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von allen früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung neuer Produktionsweise, die gegründet ist nicht auf die Entwicklung der Produktivkräfte, um einen bestimmten Zustand zu reproduzieren und höchstens auszuweiten, sondern wo die – freie, ungehemmte, progressive, und universelle Entwicklung der Produktivkräfte selbst die Voraussetzung der Gesellschaft und daher ihrer Reproduktion bildet; wo die einzige Voraussetzung das Hinausgehen über den Ausgangspunkt. Diese Tendenz – die das Kapital hat, aber die zugleich ihm selbst als einer bornierten Produktionsform widerspricht und es daher zu seiner Auflösung treibt – unterscheidet das Kapital von allen früheren Produktionsweisen und enthält zugleich das in sich, daß es als bloßer Übergangspunkt gesetzt ist. Alle bisherigen Gesellschaftsformen gingen unter an der Entwicklung des Reichtums – oder was dasselbe ist der gesellschaftlichen Produktivkräfte.“[1]
Diese Passage kann natürlich unterschiedlich interpretiert werden, und die Grundrisse waren alles andere als ein fertiges Werk. Unserer Meinung nach war dies jedoch ein großartiger Vorausblick auf den Punkt, an dem der Kapitalismus zu einem dekadenten System würde. Erstens betont Marx den Drang des Kapitals, den gesamten Planeten zu erobern, und zwar durch eine gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte, in diesem Fall die zunehmende Fähigkeit, Waren so schnell wie möglich von einem Ende der Erde zum anderen zu transportieren. Diese Dynamik, dieses Potenzial für eine sehr schnelle Ausdehnung und technologische Entwicklung, unterscheidet das Kapital von früheren Produktionsweisen, die eher statisch und auf bestimmte Regionen der Erde beschränkt waren. Diese universalisierende Tendenz des Kapitals schafft auch notwendigerweise ein Weltproletariat, eine internationale revolutionäre Klasse, und ist somit eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die menschliche Gesellschaft eine qualitativ neue Etappe in ihrer Geschichte erreichen kann. Wie Marx es in einem anderen Abschnitt desselben Kapitels der Grundrisse ausdrückt:
"Dass die äußerste Form der Entfremdung, worin, im Verhältnis des Kapitals zur Lohnarbeit, die Arbeit, die produktive Tätigkeit zu ihren eigenen Bedingungen und ihrem eignen Produkt erscheint, ein notwendiger Durchgangspunkt ist – und damit an sich, nur noch in verkehrter, auf den Kopf gestellter Form schon enthält die Auflösung aller bornierter Voraussetzungen der Produktion, und vielmehr die unbedingten Voraussetzungen der Produktion schafft und herstellt, daher die vollen materiellen Bedingungen für die totale, universelle Entwicklung der Produktivkräfte des Individuums, wird später betrachtet werden.“[2]
In dem Maße, in dem das Kapital die Produktivkräfte bis zu dem Punkt entwickelt, an dem eine globale kommunistische Produktion und Verteilung möglich wird, kann die Verdrängung früherer Produktionsweisen durch das Kapital, so brutal und rücksichtslos sie auch sein mag, als Zeichen eines aufsteigenden oder fortschrittlichen Gesellschaftssystems angesehen werden. Aber sobald dieser Punkt erreicht ist, muss die weitere "Entwicklung der Produktivkräfte" eine ganz andere Bedeutung annehmen, in der der Reichtum nicht mehr in gestohlener Zeit, sondern in freier Zeit gemessen wird; nicht mehr in Geldbegriffen oder der Anhäufung von konstantem Kapital oder den Abstraktionen des "Wertes", sondern als Entwicklung der schöpferischen Fähigkeiten jedes und jeder Einzelnen in Verbindung mit anderen.
Aber es geht nicht nur darum, die Geschichte des Kapitals ab einem bestimmten Punkt zu betrachten und zu beklagen, dass die Dinge so viel besser hätten sein können. Marx argumentiert auch, dass dieser kulminierende Moment genau der Punkt ist, an dem die widersprüchliche Art und Weise, in der sich das Kapital universalisiert, es "zur Auflösung treibt". Die geschichtliche Entwicklung seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat deutlich gemacht, welche Form dieser "Auflösungsprozess" annimmt: Von diesem Zeitpunkt an konnte das Kapital die Produktionskräfte nicht mehr weiterentwickeln, ohne eine Spirale der Zerstörung, eine Reihe von Weltwirtschaftskrisen, globale Kriege und, wie in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher wurde, die Verwüstung der natürlichen Umwelt in Gang zu setzen. Man kann sogar sagen, dass, solange das Kapital in einer Epoche, in der es obsolet geworden ist, weiter wächst und sich anhäuft, dieses Wachstum die Gefahr erhöht, dass es die Menschheit zerstört und jede Möglichkeit einer kommunistischen Zukunft zunichte macht. Dies wird deutlich, wenn wir uns die Perfektionierung der Militärproduktion ansehen, die im letzten Jahrhundert und darüber hinaus zu einem so zentralen Bestandteil der kapitalistischen Wirtschaft geworden ist. Es ist ebenso offensichtlich, wenn wir die ökologischen Folgen der kapitalistischen Expansion bis in die letzten Winkel des Planeten sehen. Wir müssen auch erkennen, dass gerade die Mittel, die eingesetzt werden, um das Wachstum in einer Zeit fortzusetzen, in der die Wirtschaftskrise tendenziell zum Dauerzustand geworden ist, von der Obsoleszenz des Systems zeugen. Dies gilt insbesondere für den Rückgriff auf gigantische Verschuldung, um eine Art künstlichen Markt zu schaffen. Das Kapital wächst, indem es sich über seine eigenen Gesetze hinwegsetzt.
Das ist es, worauf Marx unserer Meinung nach hinaus will, wenn er die erste zitierte Passage fortsetzt, indem er sagt: "Die höchste Entwicklung dieser Basis selbst (die Blüte, worin sich verwandelt, es ist aber doch immer diese Basis, diese Pflanze als Blüte; daher Verwelken nach der Blüte und als Folge der Blüte) ist der Punkt, worin sie selbst zu der Form ausgearbeitet ist, worin sie mit der höchsten Entwicklung der Produktionskräfte vereinbar, daher auch der reichsten Entwicklung der Individuen. Sobald dieser Punkt erreicht ist, erscheint die weitere Entwicklung als Verfall, und die neue Entwicklung beginnt von einer neuen Basis."[3]
Das Wachstum Chinas in den letzten Jahrzehnten ist ein klassisches Beispiel für diese "Entwicklung als Verfall": Verwaltet von einem rücksichtslosen totalitären Staatsapparat, finanziert durch eine astronomische Verschuldung, geschützt durch eine riesige Armee und ein Arsenal an Atomwaffen, Aufbau neuer Industriezentren und Megastädte auf schreckliche Kosten für die Umwelt, sowohl lokal als auch global: Wir können getrost sagen, dass dies alles die Kennzeichen eines dekadenten Systems sind.
Warum das Jahr 1914 als endgültiger Wendepunkt? Erinnern wir uns daran, dass dies nicht die rückblickende Schlussfolgerung der IKS ist, sondern die Position der Revolutionäre war, die die Kommunistische Internationale gründeten und die erkannten, dass der Kapitalismus tatsächlich in seine Epoche des "inneren Zersetzung" eingetreten war, die Epoche der Kriege und Revolutionen. Der Krieg von 1914-18 zeigte, dass der Kapitalismus unaufhaltsam in immer grausamere imperialistische Kriege getrieben wurde, die die Menschheit vor die Alternative zwischen Sozialismus und Barbarei stellten. Und die Antwort der internationalen Arbeiterklasse ab 1917 zeigte, dass die neue Epoche tatsächlich die Epoche der "kommunistischen Revolution des Proletariats" war (Richtlinien der Kommunistischen Internationale, März 1919).
Nochmals sei betont, dass der Krieg nicht bedeutete, dass der Kapitalismus keine weiteren Expansionsmöglichkeiten mehr hatte. Rosa Luxemburg wies 1913 in ihrem Buch Die Akkumulation des Kapitals darauf hin, dass das Kapital noch immer nur einen kleinen Teil des Planeten direkt beherrsche und dass es objektiv gesehen noch viele Überreste des vorkapitalistischen Milieus zu absorbieren und neue Märkte zu erobern gäbe. Sie betonte aber auch, dass es keinen rein wirtschaftlichen Zusammenbruch des Systems gibt.
„Je gewalttätiger das Kapital vermittelst des Militarismus draußen in der Welt wie bei sich daheim mit der Existenz nichtkapitalistischer Schichten aufräumt und die Existenzbedingungen aller arbeitenden Schichten herabdrückt, um so mehr verwandelt sich die Tagesgeschichte der Kapitalakkumulation auf der Weltbühne in eine fortlaufende Kette politischer und sozialer Katastrophen und Konvulsionen, die zusammen mit den periodischen wirtschaftlichen Katastrophen in Gestalt der Krisen die Fortsetzung der Akkumulation zur Unmöglichkeit, die Rebellion der internationalen Arbeiterklasse gegen die Kapitalsherrschaft zur Notwendigkeit machen werden, selbst ehe sie noch ökonomisch auf ihre natürliche selbstgeschaffene Schranke gestoßen ist.“[4]
Zusammenfassend: Wir haben immer die Idee abgelehnt, dass der Kapitalismus erst dann im Niedergang oder in der Dekadenz sein könne, wenn die Entwicklung der Produktivkräfte vollständig zum Stillstand gekommen sei.[5] Selbst in den niedergehenden Epochen der Sklaverei und des Feudalismus konnte es bedeutende Momente und Zentren des Wachstums geben, nicht zuletzt das krebsartige Wachstum der Staatsmacht, die zu monströsen Proportionen aufgebläht wurde, um zu versuchen, die Widersprüche, die die Gesellschaft zerrissen, einzudämmen. Aber es blieben Gesellschaften, in denen die Krise der Wirtschaft die Form der Unterproduktion annahm, im Gegensatz zum Kapitalismus, wo die Krise als Krise der Überproduktion (oder, was letztlich auf dasselbe hinausläuft, als Krise der Überakkumulation) erscheint. Weniger als jede frühere Produktionsweise kann der Kapitalismus aufhören, die Produktivkräfte zu "revolutionieren". Aber Revolutionäre, die sich auf eine wissenschaftliche Methode berufen, müssen in der Lage sein, den Punkt zu erkennen, an dem die Perspektive des Kommunismus die Bereiche des Möglichen und des Notwendigen vereint, d.h. wann die bestehenden Produktionskräfte mehr und mehr zu Kräften der Zerstörung werden[6] und wenn die Menschheit sich nur erhalten kann, wenn sie eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse vornimmt, so dass die Entwicklung der Produktivkräfte nun mit "der totalen, universellen Entwicklung der Produktivkräfte des Individuums" zusammenfällt.
Amos, 08.07.2021
China ist ein sehr gutes Beispiel für die relative Zunahme des Reichtums und für die enormen zerstörerischen Kräfte, die in Gang gesetzt wurden, um diesen relativen Reichtum zu erreichen.
- China gilt als "der fleißigste Henker der Welt" (Amnesty International) und lässt jedes Jahr Tausende von Menschen hinrichten. Jedes Jahr werden in China mehr Menschen hingerichtet als im Rest der Welt zusammen.
- Schätzungen zufolge gibt es in Xinjiang mehr als tausend Internierungslager, in denen bis zu 1,5 Millionen Menschen festgehalten und zur Zwangsarbeit gezwungen werden.
- Die Volksrepublik China ist der weltweit größte jährliche Emittent von Treibhausgasen und Quecksilber. Seit dem Jahr 2000 sind laut New Scientist mehr als 30 Millionen Menschen in China an den Folgen der Luftverschmutzung gestorben.
- Armut: 600 Millionen Chinesen leben immer noch von umgerechnet 5,50 US-Dollar pro Tag.
- Rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskräfte: Extrem lange Arbeitszeiten, körperliche Bestrafung, Geldstrafen und Nichtzahlung der Löhne gehören zu den Missständen, unter denen Millionen chinesischer Lohnabhängiger leiden.
- China hat eine lange Geschichte von Industrieunfällen, die von Fabrikexplosionen über Schlammlawinen bis hin zu Mineneinstürzen reichen.
Es könnte ein ganzer Artikel über das enorme Gewicht des Militärsektors in China und das Ausmaß, in dem sein Wachstum von Schulden angetrieben wurde, hinzugefügt werden.
[1] Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Heft V, Das Kapitel vom Kapital, Zirkulationsprozess, Auflösung durch Zirkulation, S. 438
[2] a.a.O., Heft V, Das Kapitel vom Kapital, Zirkulationsprozess v. Geld u. v. Kapital, S. 414
[3] a.a.O., Zirkulationsprozess, Auflösung durch Zirkulation, S. 439
[4] Die Akkumulation des Kapitals, Kapitel 32, Ges. Werke Rosa Luxemburg, Band 5, S. 410
[5] Siehe insbesondere das folgende Kapitel aus unserer ursprünglichen Serie über die Dekadenz, die in den frühen 70er Jahren in Révolution Internationale veröffentlicht wurde und auf Englisch (und in anderen Sprachen) als Broschüre erschien: 4. Decadence: A total halt to the productive forces? [78] (4. Dekadenz: Ein totaler Stillstand der Produktivkräfte?)
[6]Hier wird nur bestätigt, was Marx bereits in einem seiner frühesten Werke, der Deutschen Ideologie von 1845/6, in einer Passage vorweggenommen hat, in der er die grundlegenden Schlussfolgerungen aus der materialistischen Geschichtsauffassung zusammenfasst. Die erste dieser Schlussfolgerungen lautet: "Schließlich erhalten wir noch folgende Resultate aus der entwickelten Geschichtsauffassung: 1. In der Entwicklung der Produktivkräfte tritt eine Stufe ein, auf welcher Produktionskräfte und Verkehrsmittel hervorgerufen werden, welche unter den bestehenden Verhältnissen nur Unheil anrichten, welche keine Produktionskräfte mehr sind, sondern Destruktionskräfte (Maschinerie und Geld) - und was damit zusammenhängt, daß eine Klasse hervorgerufen wird, welche alle Lasten der Gesellschaft zu tragen hat, ohne ihre Vorteile zu genießen, welche aus der Gesellschaft herausgedrängt, in den entschiedensten Gegensatz zu allen andern Klassen forciert wird; eine Klasse, die die Majorität aller Gesellschaftsmitglieder bildet und von der das Bewußtsein über die Notwendigkeit einer gründlichen Revolution, das kommunistische Bewußtsein, ausgeht, das sich natürlich auch unter den andern Klassen vermöge der Anschauung der Stellung dieser Klasse bilden kann“ (MEW 3 S. 69).
Man kann Marx und Engels nicht vorwerfen, dass sie in diesem Werk wie auch im Kommunistischen Manifest einige Jahre später den Irrtum begingen, dass dieser epochale Wandel bereits stattgefunden habe, dass die proletarische Revolution bereits auf der Tagesordnung stehe. In der Zeit des Rückzugs nach den heroischen Ereignissen von 1848 konnte Marx diesen Irrtum zu einem beträchtlichen Teil selbst erkennen.
Innerhalb weniger Wochen haben sich die Klimakatastrophen überall auf dem Planeten in einem erschreckenden Tempo überschlagen. In den Vereinigten Staaten, Pakistan, Spanien und Kanada haben sich die Temperaturen 50°C genähert. In Nordindien verursachte die Hitze mehrere tausend Todesfälle. 800.000 Hektar der sibirischen Wälder, eine der kältesten Regionen der Welt, haben sich bereits in Rauch aufgelöst. In Nordamerika hat die mittlerweile traditionelle Saison der riesigen Waldbrände bereits begonnen: Allein in British Columbia brannten bereits mehr als 150.000 Hektar! Im Süden Madagaskars hat eine noch nie dagewesene Dürre 1,5 Millionen Menschen in die Hungersnot gestürzt. Hunderttausende von Kindern sterben, weil sie nichts zu essen und zu trinken haben, in einer fast allgemeinen Gleichgültigkeit! Kenia und mehrere andere afrikanische Länder erleben die gleiche dramatische Situation.
Doch während ein Teil der Welt erstickt, haben sintflutartige Regenfälle in Japan, China und Europa zu beispiellosen Überschwemmungen und tödlichen Erdrutschen geführt. In Mitteleuropa, insbesondere in Deutschland und Belgien, haben die Überschwemmungen zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels über 200 Menschen getötet und Tausende verletzt. Tausende von Häusern, ganze Dörfer, Städte und Straßen wurden weggespült. In Westdeutschland wurden das Straßennetz, Stromleitungen, Gasrohre, Telekommunikationsnetze und Eisenbahnen vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verwüstet. Viele Eisenbahn- und Straßenbrücken stürzten ein. Noch nie zuvor wurde diese Region von Überschwemmungen solchen Ausmaßes heimgesucht.
In China, in der Stadt Zhengzhou, der Hauptstadt der zentralen Provinz Henan mit 10 Millionen Einwohnern, fiel in drei Tagen der Niederschlag eines ganzen Jahres! Die Straßen verwandelten sich in reißende Ströme, mit halluzinierenden Szenen der Verwüstung und des Chaos: eingestürzte Straßen, zertrümmerter Asphalt, vom Wasser weggeschwemmte Fahrzeuge ... Tausende von U-Bahn-Nutzern saßen in Stationen, Zügen oder Tunneln fest, oft mit Wasser bis zum Hals. Mindestens 33 Menschen werden als tot und viele als verletzt gemeldet. 200.000 Menschen wurden evakuiert. Die Versorgung mit Wasser, Strom und Lebensmitteln war plötzlich unterbrochen. Es war niemand gewarnt worden. Der landwirtschaftliche Schaden geht in die Millionen. Im südlichen Henan ist der Staudamm des Guojiaju-Wasserreservoirs beschädigt, und zwei weitere Dämme drohen ebenfalls jederzeit zu brechen.
Die erschreckenden Schlussfolgerungen des Vorberichts des IPCC, die an die Presse durchgesickert sind, sind erschreckend: "Das Leben auf der Erde kann sich von größeren Klimaveränderungen erholen, indem es sich zu neuen Arten entwickelt und neue Ökosysteme schafft. Die Menschheit nicht." Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler vor den Gefahren des Klimawandels. Wir stecken mitten drin! Es geht nicht mehr nur um das Aussterben von Arten oder um lokal begrenzte Katastrophen; die Desaster sind jetzt permanent – und das Schlimmste steht noch bevor!
Seit vielen Jahren häufen sich Hitzewellen, Brände, Wirbelstürme und Bilder der Zerstörung. Aber wenn die Unzulänglichkeiten und die Inkompetenz der ärmsten Staaten bei der Bewältigung von Katastrophen leider niemanden mehr überraschen, so ist die wachsende Unfähigkeit der Großmächte besonders bezeichnend für das Ausmaß der Krise, in der der Kapitalismus versinkt. Nicht nur, dass die klimatischen Phänomene immer verheerender, zahlreicher und unkontrollierbarer werden, sondern auch, dass Staaten und Rettungsdienste unter der Last jahrzehntelanger Haushaltskürzungen zunehmend desorganisiert sind und versagen.
Die Situation in Deutschland ist ein deutlicher Ausdruck dieses Trends. Obwohl das Europäische Flutwarnsystem (EFAS), das nach den Überschwemmungen von 2002 eingerichtet wurde, die Überschwemmungen vom 14. und 15. Juli vorhersah, wurden, wie die Hydrologin Hannah Cloke feststellte, "die Warnungen nicht ernst genommen und die Vorbereitungen waren unzureichend"[1]. Die Bundesregierung hat sich großer Teile der Warnsysteme entledigt, indem sie diese ohne standardisierte Verfahren und ohne nennenswerte Ressourcen an die Bundesländer oder sogar an die Kommunen abgegeben hat. Das Ergebnis: Während das Strom- und Telefonnetz zusammengebrochen war und eine ausreichende Alarmierung und Evakuierung der Bevölkerung unmöglich machte, konnte der Katastrophenschutz die Sirenen nur dort auslösen, wo sie noch funktionierten! Vor der Wiedervereinigung gab es rund 80.000 Sirenen in West- und Ostdeutschland, jetzt sind nur noch 15.000 funktionsfähig.[2] Aufgrund der mangelnden Kommunikation und Koordination waren auch die Einsätze der Rettungskräfte sehr unorganisiert. Mit anderen Worten: Sparsamkeit und bürokratische Inkompetenz haben maßgeblich zu diesem Fiasko beigetragen!
Aber die Verantwortung der Bourgeoisie hört nicht bei den Versäumnissen der Sicherheitssysteme auf. In diesen verstädterten und dicht besiedelten Regionen ist die Durchlässigkeit des Bodens stark reduziert, was das Risiko von Überschwemmungen erhöht. Um die Arbeitskräfte aus Rentabilitätsgründen besser konzentrieren zu können, haben die Behörden jahrzehntelang nie gezögert, den Bau vieler Häuser in überschwemmungsgefährdeten Gebieten zu genehmigen!
Ein großer Teil der Bourgeoisie konnte nicht umhin, den Zusammenhang zwischen der globalen Erwärmung und der Zunahme von Katastrophen zuzugeben. Inmitten der Trümmer erklärte die deutsche Bundeskanzlerin feierlich: „Wir müssen uns sputen im Kampf gegen den Klimawandel“.[3] Reine Augenwischerei! Seit den 1970er Jahren finden fast jedes Jahr internationale Gipfeltreffen und andere Konferenzen statt, die mit vielen Versprechungen, Zielen und Verpflichtungen verbunden sind. Jedes Mal entpuppen sich die "historischen Vereinbarungen" als nichts weiter als fromme Wünsche, während die Treibhausgasemissionen Jahr für Jahr weiter steigen.
In der Vergangenheit war die Bourgeoisie in der Lage, zu bestimmten Themen aus Sicht der Wirtschaft zu mobilisieren, wie z.B. die drastische Reduzierung von Fluorgasen, die für das "Loch" in der Ozonschicht verantwortlich sind. Diese Gase wurden in Klimaanlagen, Kühlschränken und Aerosoldosen verwendet. Das ist sicherlich eine wichtige Anstrengung angesichts der Risiken, die der Abbau der Ozonschicht immer noch birgt, aber sie hat nie eine drastische Umwälzung des kapitalistischen Produktionsapparates erfordert. Der CO2-Ausstoß ist in dieser Hinsicht ein viel wichtigeres Thema!
Treibhausgase sind die Fahrzeuge, die Arbeiter und Waren transportieren; die Energie, die Fabriken zum Laufen bringt, die Produktion von Methan und die Zerstörung von Wäldern durch intensive Landwirtschaft. Kurz gesagt, die CO2-Emissionen gehen ins Herz der kapitalistischen Produktion: die Konzentration der Arbeit in riesigen Metropolen, die Anarchie der Produktion, der Warenaustausch im globalen Maßstab, die Schwerindustrie etc. Deshalb ist die Bourgeoisie unfähig, echte Lösungen für die Klimakrise zu finden. Das Streben nach Profit, die massenhafte Überproduktion von Waren sowie die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen, ist für den Kapitalismus keine "Option": Es ist die conditio sine qua non seiner Existenz. Die Bourgeoisie kann die Steigerung der Produktion nur im Hinblick auf die erweiterte Akkumulation ihres Kapitals vorantreiben, ohne die sie angesichts der verschärften globalisierten Konkurrenz ihre eigenen Interessen und Profite gefährdet. Die unausgesprochene Essenz dieser Logik lautet: „Après moi le déluge!“ ("Nach mir die Sintflut"). Extreme Klimaphänomene betreffen nicht mehr nur die Bevölkerung der ärmsten Länder, sondern stören direkt das Funktionieren des industriellen und landwirtschaftlichen Produktionsapparates in den zentralen Ländern. Die Bourgeoisie ist also im Würgegriff von unlösbaren Widersprüchen gefangen!
Kein Staat ist in der Lage, seinen Produktionsapparat radikal umzugestalten, ohne einen brutalen Rückschlag angesichts der Konkurrenz aus anderen Ländern zu erleiden. Bundeskanzlerin Merkel mag zwar behaupten, dass es notwendig sei, "sich zu sputen", aber von strengeren Umweltschutzauflagen im Bereich strategischer Sektoren wie Stahl, Chemie oder Autos wollte die deutsche Regierung noch nie etwas hören. Merkel hat es auch geschafft, den (sehr schrittweisen) Kohleausstieg über Jahre hinauszuschieben: Der Braunkohletagebau im Rheinland und in Ostdeutschland ist nach wie vor einer der größten Umweltverschmutzer in Europa. Mit anderen Worten: Der Preis für die starke Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist die schamlose Zerstörung der Umwelt! Die gleiche unerbittliche Logik gilt für die vier Ecken des Planeten: Auf den Ausstoß von CO2 in die Atmosphäre oder die Zerstörung von Wäldern zu verzichten, hieße für die "Werkstatt der Welt", die China ist, wie für alle Industrieländer, sich in den Fuß zu schießen.
Angesichts dieses eklatanten Ausdrucks der Sackgasse des Kapitalismus nutzt die Bourgeoisie Katastrophen, um ihr System besser zu verteidigen. In Deutschland, wo der Wahlkampf für die Bundestagswahl im September in vollem Gange ist, wetteifern die Kandidaten im Kampf gegen den Klimawandel miteinander. Aber das ist alles nur Augenwischerei! Die "grüne Wirtschaft", die Millionen von Arbeitsplätzen schaffen und sogenanntes "grünes Wachstum" fördern soll, stellt für das Kapital keinen Ausweg dar, weder ökonomisch noch ökologisch. In den Augen der Bourgeoisie hat die grüne Wirtschaft vor allem einen ideologischen Wert, der die Möglichkeit einer Reform des Kapitalismus vortäuschen soll. Wenn neue Sektoren mit ökologischer Färbung entstehen, wie z.B. die Produktion von Photovoltaik-Paneelen, Biokraftstoffen oder Elektrofahrzeugen, werden sie angesichts der Grenzen zahlungsfähiger Märkte nicht nur nie als echte Lokomotive für die Gesamtwirtschaft dienen können, sondern ihre katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt sind nicht mehr zu bezweifeln: massive Zerstörung von Wäldern zur Gewinnung seltener Erden, ein mehr als erbärmliches Recycling von Batterien, intensiver Rapsanbau, usw.
Die "grüne Wirtschaft" ist auch eine bevorzugte Waffe gegen die Arbeiterklasse, um Fabrikschließungen und Entlassungen zu rechtfertigen, wie die Worte von Baerbock, der grünen Kanzlerkandidatin bei den Bundestagswahlen, zeigen: "Den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen [und die Entlassung der dazugehörigen Arbeitskräfte] werden wir nur schaffen, wenn wir hundert Prozent erneuerbare Energien haben"[4].
Wenn es um Entlassungen und Ausbeutung von Arbeitskräften geht, kennen die Grünen sich gut damit aus, denn sie haben sieben Jahre lang aktiv an den menschenverachtenden Reformen der Regierung Schröder mitgewirkt!
Die Ohnmacht der Bourgeoisie angesichts der immer verheerenderen menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels ist jedoch nicht unvermeidlich. Gewiss, weil sie in den Widersprüchen ihres eigenen Systems gefangen ist, kann die Bourgeoisie die Menschheit nur in die Katastrophe führen. Aber die Arbeiterklasse ist durch ihren Kampf gegen die Ausbeutung im Hinblick auf den Sturz des Kapitalismus die Antwort auf diesen offensichtlichen Widerspruch zwischen den obsoleten kapitalistischen Produktionsmethoden, ihrer völligen Anarchie, der allgemeinen Überproduktion, der sinnlosen Ausplünderung der natürlichen Ressourcen einerseits und anderseits der zwingenden Notwendigkeit der Rationalisierung der Produktion und der Logistik, um den dringenden menschlichen Bedürfnissen und nicht denen des Marktes zu entsprechen. Indem es die Menschheit vom kapitalistischen Profit und der Ausbeutung befreit, wird das Proletariat tatsächlich die materielle Möglichkeit haben, ein radikales Programm des Umweltschutzes zu verwirklichen. Auch wenn der Weg noch lang ist, ist der Kommunismus notwendiger denn je für das Überleben der Menschheit!
EG, 23. Juli 2021
[1] « Allemagne : après les inondations, premières tentatives d’explications [79] », Libération.fr (17. Juli 2021)
[2] « Warum warnten nicht überall Sirenen vor der Flut? [80] », N-TV.de (19. Juli 2021)
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/hochwasser-katastrophe-angela-merkel-in-der-eifel-eingetroffen-a-490cf803-c71a-473e-bd8d-2adda4674b65 [81]
[4] « Klimaschutz fällt nicht vom Himmel, er muss auch gemacht werden [82]», 22. Juli 2021
Der überstürzte Rückzug der US-amerikanischen und anderer westlicher Streitkräfte aus Afghanistan ist ein deutlicher Beweis für die Unfähigkeit des Kapitalismus, etwas anderes als zunehmende Barbarei zu bieten. Aber als Marxisten können wir die Ereignisse nicht nur kommentieren, sondern müssen ihre historischen Wurzeln analysieren, was wir in dem folgenden Artikel tun wollen.
Der überstürzte Rückzug der US-amerikanischen und anderer westlicher Streitkräfte aus Afghanistan ist ein deutlicher Beweis für die Unfähigkeit des Kapitalismus, etwas anderes als zunehmende Barbarei zu bieten. Der Sommer 2021 hat bereits eine Beschleunigung von miteinander verknüpften Ereignissen erlebt, die zeigen, dass der Planet bereits in Flammen steht: der Ausbruch von Hitzewellen und unkontrollierbaren Bränden von der Westküste der USA bis nach Sibirien, Überschwemmungen, die anhaltenden Verwüstungen durch die Covid-19-Pandemie und die von ihr verursachten wirtschaftlichen Verwerfungen. All dies ist “eine Offenbarung des Grades der Fäulnis, der in den letzten 30 Jahren erreicht wurde“[1]. Als Marxisten besteht unsere Aufgabe nicht nur darin, dieses wachsende Chaos zu kommentieren, sondern seine Wurzeln zu analysieren, die in der historischen Krise des Kapitalismus liegen, und die Perspektiven für die Arbeiterklasse und die gesamte Menschheit aufzuzeigen.
Die Taliban werden als Feinde der Zivilisation dargestellt, als eine Gefahr für die Menschenrechte und insbesondere für die Rechte der Frauen. Sie sind zweifellos brutal und werden von einer Vision angetrieben, die an die schlimmsten Aspekte des Mittelalters erinnert. Sie sind jedoch keine seltene Ausnahme in der heutigen Zeit. Sie sind das Produkt eines reaktionären Gesellschaftssystems: des dekadenten Kapitalismus. Ihr Aufkommen ist insbesondere Ausdruck der Zerfallsphase, dem letzten Stadium der Dekadenz des Kapitalismus.
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eskalierte der Kalte Krieg zwischen den imperialistischen Blöcken der USA und Russlands, wobei die USA Marschflugkörper in Westeuropa stationierten und die UdSSR zu einem Wettrüsten zwangen, das sie sich immer weniger leisten konnte. Im Jahr 1979 stürzte jedoch einer der Pfeiler des westlichen Blocks im Nahen Osten, der Iran, ins Chaos. Alle Versuche ausgeheckter Fraktionen der Bourgeoisie, Ordnung zu schaffen, scheiterten, und die rückständigsten Elemente des Klerus nutzten dieses Chaos, um an die Macht zu kommen. Das neue Regime brach mit dem westlichen Block, weigerte sich aber auch, dem russischen Block beizutreten. Der Iran hat eine ausgedehnte Grenze zu Russland und war somit ein wichtiger Akteur in der westlichen Strategie der Einkreisung der UdSSR. Nun war der Iran zu einer unberechenbaren Waffe in der Region geworden. Diese neue Unordnung ermutigte die UdSSR, in Afghanistan einzumarschieren, als der Westen versuchte, das pro-russische Regime zu stürzen, das er 1978 in Kabul hatte installieren können. Mit dem Einmarsch in Afghanistan hoffte Russland, zu einem späteren Zeitpunkt auch Zugang zum Indischen Ozean zu erhalten.
In Afghanistan wurden wir nun Zeuge einer schrecklichen Explosion militärischer Barbarei. Die UdSSR ließ die gesamte Macht ihres Arsenals auf die Mudschaheddin ("Freiheitskämpfer") und die Bevölkerung im Allgemeinen los. Auf der anderen Seite bewaffnete, finanzierte und trainierte der US-Block die Mudschaheddin und die afghanischen Kriegsherren, die sich den Russen widersetzten. Darunter befanden sich viele islamische Fundamentalisten und auch ein wachsender Zustrom von Dschihadisten aus aller Welt. Diese sog. "Freiheitskämpfer" wurden von den USA und ihren Verbündeten in allen Künsten des Terrors und der Kriegsführung unterrichtet. Dieser Krieg für die "Freiheit" kostete zwischen 500.000 und 2 Millionen Menschen das Leben und hinterließ ein verwüstetes Land. Er war auch die Geburtsstätte einer globaleren Form des islamischen Terrorismus, der durch den Aufstieg von Bin Laden und Al-Qaida verkörpert wird.
Gleichzeitig drängten die USA den Irak in einen acht Jahre dauernden Krieg gegen den Iran, in dem rund 1,4 Millionen Menschen getötet wurden. Während Russland sich in Afghanistan erschöpfte, was wesentlich zum Zusammenbruch des russischen Blocks 1989 beitrug, und der Iran und der Irak in die Kriegsspirale hineingezogen wurden, zeigte die Dynamik in der Region, dass der Ausgangspunkt, die Verwandlung des Irans in einen "Schurkenstaat", eines der ersten Anzeichen dafür war, dass die sich vertiefenden Widersprüche des Kapitalismus die Fähigkeit der Großmächte zu untergraben begannen, ihre Autorität in verschiedenen Regionen des Planeten durchzusetzen. Hinter dieser Tendenz steckte etwas Tieferes: die Unfähigkeit der herrschenden Klasse, ihre Lösung für die Krise des Systems - einen weiteren Weltkrieg - einer Weltarbeiterklasse aufzuzwingen, die in einer Reihe von Kämpfen zwischen 1968 und den späten 80er Jahren ihre mangelnde Bereitschaft gezeigt hatte, sich für den Kapitalismus zu opfern, ohne jedoch in der Lage zu sein, eine revolutionäre Alternative zum System zu präsentieren. Kurz gesagt, eine Sackgasse zwischen den beiden großen Klassen bestimmte den Eintritt des Kapitalismus in seine letzte Phase, die Phase des Zerfalls, die auf imperialistischer Ebene durch das Ende des Zwei-Blöcke-Systems und die Beschleunigung des "Jeder für sich" gekennzeichnet ist.
In den 1990er Jahren, nach dem Abzug der Russen aus Afghanistan, stürzten sich die siegreichen Kriegsherren aufeinander und nutzten alle Waffen und das Wissen über den Krieg, das ihnen vom Westen zur Verfügung gestellt wurde, um die Ruinen zu kontrollieren. Massenhaftes Abschlachten, Zerstörung und massenhafte Vergewaltigungen zerstörten das bisschen an sozialem Zusammenhalt, das der Krieg übrig noch gelassen hatte.
Die sozialen Auswirkungen dieses Krieges beschränkten sich nicht auf Afghanistan. Die Heroinsucht, die seit den 1980er Jahren explosionsartig zunahm und Elend und Tod in die ganze Welt brachte, war eine der direkten Folgen des Krieges. Der Westen ermutigte die Taliban-Gegner, Opium anzubauen, um die Kämpfe zu finanzieren.
Der rücksichtslose religiöse Fanatismus der Taliban war also das Ergebnis jahrzehntelanger Barbarei. Sie wurden auch von Pakistan manipuliert, um zu versuchen, eine Art Ordnung vor seiner Haustür zu schaffen.
Die US-Invasion im Jahr 2001, die unter dem Vorwand gestartet wurde, Al-Qaida und die Taliban loszuwerden, sowie die Invasion des Irak im Jahr 2003 waren Versuche des US-Imperialismus, angesichts der Folgen seines Niedergangs seine Autorität durchzusetzen. Er versuchte, andere Mächte, insbesondere die Europäer, dazu zu bringen, als Reaktion auf den Angriff auf eines seiner Mitglieder zu handeln. Mit Ausnahme Großbritanniens war die Reaktion aller anderen Mächte lauwarm. In der Tat hatte Deutschland bereits Anfang der 1990er Jahre einen neuen "unabhängigen" Weg eingeschlagen, indem es die Abspaltung Kroatiens unterstützte, die wiederum das schreckliche Gemetzel auf dem Balkan auslöste. In den folgenden zwei Jahrzehnten wurden Amerikas Rivalen noch mehr ermutigt, als sie zusahen, wie sich die USA in nicht zu gewinnende Kriege in Afghanistan, Irak und Syrien verstrickten. Der Versuch der USA, ihre Vorherrschaft als einzige verbleibende Supermacht zu behaupten, offenbarte mehr und mehr den wahren Niedergang der imperialistischen "Führungsrolle" Amerikas; und weit davon entfernt, dem Rest des Planeten eine monolithische Ordnung aufzwingen zu können, waren die USA nun zum Hauptverursacher des Chaos und der Instabilität geworden, die die Phase des kapitalistischen Zerfalls kennzeichnen.
Die Politik des Rückzugs aus Afghanistan ist ein klares Beispiel für Realpolitik. Die USA müssen sich von diesen teuren und sie schwächenden Kriegen befreien, um ihre Ressourcen auf die Verstärkung ihrer Bemühungen zur Eindämmung und Unterminierung Chinas und Russlands zu konzentrieren. Die Regierung Biden hat sich bei der Verfolgung der US-Ambitionen als nicht weniger zynisch erwiesen als Trump.
Gleichzeitig haben die Bedingungen des US-Rückzugs dazu geführt, dass die Botschaft der Biden-Regierung "America is Back", dass Amerika ein zuverlässiger Verbündeter ist, einen schweren Schlag erlitten hat. Langfristig setzt die Regierung wahrscheinlich auf die Angst vor China, um Länder wie Japan, Südkorea und Australien dazu zu zwingen, mit der "Ostverschiebung" der USA zu kooperieren, die darauf abzielt, China im Südchinesischen Meer und anderswo in der Region einzudämmen.
Es wäre ein Fehler, daraus zu schließen, dass sich die USA einfach aus dem Nahen Osten und Zentralasien zurückgezogen haben. Biden hat deutlich gemacht, dass die USA in Bezug auf terroristische Bedrohungen eine "Over the Horizon"-Politik verfolgen werden. Das bedeutet, dass sie ihre Militärbasen auf der ganzen Welt, ihre Marine und ihre Luftwaffe einsetzen werden, um Staaten oder einzelne Ziele in diesen Regionen zu vernichten, wenn sie die USA gefährden. Diese Bedrohung hängt auch mit der zunehmend chaotischen Situation in Afrika zusammen, wo sich zu den gescheiterten Staaten wie Somalia auch Äthiopien gesellen könnte, das von einem Bürgerkrieg heimgesucht wird und dessen Nachbarn die eine oder andere Seite unterstützen. Diese Liste wird noch länger werden, da islamistische Terrorgruppen in Nigeria, im Tschad und anderswo durch den Sieg der Taliban ermutigt werden, ihre Kampagnen zu verstärken.
Wenn der Rückzug aus Afghanistan mit der Notwendigkeit begründet wird, sich auf die Gefahr zu konzentrieren, die vom Aufstieg Chinas und dem Wiedererstarken Russlands als Weltmächte ausgeht, so sind seine Grenzen offensichtlich, denn er bietet dem chinesischen und russischen Imperialismus sogar einen Weg nach Afghanistan selbst. China hat bereits massiv in sein Projekt der Neuen Seidenstraße in Afghanistan investiert, und beide Staaten haben diplomatische Beziehungen zu den Taliban aufgenommen. Aber keiner dieser Staaten kann sich über eine zunehmend widersprüchliche Weltordnung erheben. Die Welle der Instabilität, die sich in Afrika, im Nahen Osten (zuletzt der Zusammenbruch der libanesischen Wirtschaft), in Zentralasien und im Fernen Osten (insbesondere in Myanmar) ausbreitet, ist für China und Russland eine ebenso große Gefahr wie für die USA. Sie sind sich darüber im Klaren, dass Afghanistan keinen wirklich funktionierenden Staat hat und dass die Taliban nicht in der Lage sein werden, einen solchen aufzubauen. Die Bedrohung der neuen Regierung durch die Warlords ist hinlänglich bekannt. Teile der Nordallianz haben bereits erklärt, dass sie die Regierung nicht akzeptieren werden, und der ISIS, der sich ebenfalls in Afghanistan engagiert hat, betrachtet die Taliban als Abtrünnige, weil sie bereit sind, mit dem ungläubigen Westen Geschäfte zu machen. Teile der alten herrschenden Klasse Afghanistans könnten versuchen, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, und viele ausländische Regierungen öffnen ihre Kanäle, aber nur, weil sie Angst davor haben, dass das Land wieder in Warlordismus und Chaos versinkt, was sich auf die gesamte Region ausweiten würde.
Der Sieg der Taliban kann die uigurischen islamischen Terroristen, die in China aktiv sind, nur ermutigen, auch wenn die Taliban sie nicht unterstützt haben. Der russische Imperialismus kennt den bitteren Preis der Verstrickung in Afghanistan und weiß, dass der Sieg der Taliban den fundamentalistischen Gruppen in Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan - Staaten, die einen Puffer zwischen den beiden Ländern bilden - neuen Auftrieb geben wird. Die USA werden diese Bedrohung nutzen, um ihren militärischen Einfluss in diesen und anderen Staaten zu verstärken, aber sie können erkennen, dass selbst die Macht der US-Kriegsmaschinerie eine solche Dynamik nicht niederschlagen kann, wenn dieser genügend Unterstützung aus anderen Staaten erhält.
Die USA waren nicht in der Lage, die Taliban zu besiegen und einen zusammenhängenden Staat zu errichten. Sie haben sich in dem Bewusstsein zurückgezogen, dass sie zwar eine echte Demütigung hinnehmen mussten, aber eine Zeitbombe der Instabilität hinterlassen haben. Russland und China müssen nun versuchen, dieses Chaos einzudämmen. Die Vorstellung, dass der Kapitalismus dieser Region Stabilität und irgendeine Form von Zukunft bringen kann, ist eine reine Illusion.
Die USA, Großbritannien und alle anderen Mächte haben das Schreckgespenst Taliban benutzt, um den Terror und die Zerstörung zu verbergen, die sie der afghanischen Bevölkerung in den letzten 40 Jahren angetan haben. Die von den USA unterstützten Mudschahedin metzelten, vergewaltigten, folterten und plünderten genauso viel wie die Russen. Wie die Taliban führten sie Terrorkampagnen in den von den Russen kontrollierten städtischen Zentren durch. Dies wurde jedoch vom Westen sorgfältig verheimlicht. So ist es auch in den letzten 20 Jahren gewesen. Die schreckliche Brutalität der Taliban wurde in den westlichen Medien hervorgehoben, während die Nachrichten über die Todesopfer, Morde, Vergewaltigungen und Folterungen durch die "demokratischen" Regierungen und ihre Unterstützer zynisch unter den Teppich gekehrt wurden. Offenbar ist es nicht erwähnenswert, dass die Granaten, Bomben und Kugeln der von den "demokratischen", "menschenrechtsfreundlichen" USA und Großbritannien unterstützten Regierung Junge und Alte, Frauen und Männer in Stücke gerissen haben. Tatsächlich wird nicht einmal das ganze Ausmaß des Terrors, den die Taliban angerichtet haben, berichtet. Es wird als nicht "berichtenswert" angesehen, es sei denn, es könnte dazu beitragen, den Krieg zu rechtfertigen.
Die europäischen Parlamente haben sich den US-amerikanischen und britischen Politikern angeschlossen und das schreckliche Schicksal der Frauen und anderer Menschen in Afghanistan unter den Taliban beklagt. Dieselben Politiker haben Einwanderungsgesetze erlassen, die Tausende von verzweifelten Flüchtlingen, darunter viele Afghanen, dazu gebracht haben, ihr Leben bei dem Versuch zu riskieren, das Mittelmeer oder den Ärmelkanal zu überqueren. Wo bleibt ihr Wehklagen über Tausende, die in den letzten Jahren im Mittelmeer ertrunken sind? Welche Sorge zeigen sie für die Flüchtlinge, die gezwungen sind, in der Türkei oder in Jordanien in Konzentrationslagern zu leben (die von der EU und Großbritannien finanziert werden) oder auf den Sklavenmärkten in Libyen verkauft werden? Diese bürgerlichen Sprachrohre, die die Taliban für ihre Unmenschlichkeit verurteilen, befürworten den Bau einer Mauer aus Stahl und Beton um Osteuropa, um die Flüchtlingsströme zu stoppen. Der Gestank der Heuchelei ist fast überwältigend.
Der Anblick von Krieg, Pandemien, Wirtschaftskrise und Klimawandel ist in der Tat furchterregend. Deshalb füllt die herrschende Klasse ihre Medien mit diesen Themen. Sie will, dass das Proletariat unterdrückt wird, dass es vor der düsteren Realität dieses verrottenden Gesellschaftssystems in Angst und Schrecken erstarrt. Sie wollen, dass wir wie Kinder sind, die sich an den Rockzipfel der herrschenden Klasse und ihres Staates klammern. Die großen Schwierigkeiten, die das Proletariat in den letzten 30 Jahren im Kampf um die Verteidigung seiner Interessen hatte, lassen diese Angst noch stärker hervortreten. Die Vorstellung, dass das Proletariat die einzige Kraft ist, die eine Zukunft, eine völlig neue Gesellschaft, bieten kann, kann heute absurd erscheinen. Aber das Proletariat ist die revolutionäre Klasse, und drei Jahrzehnte des Rückzugs haben dies nicht ausgelöscht, auch wenn die Dauer und Tiefe dieses Rückzugs es der internationalen Arbeiterklasse erschwert, das Vertrauen in ihre Fähigkeit wiederzuerlangen, den wachsenden Angriffen auf ihre wirtschaftlichen Bedingungen zu widerstehen. Aber nur durch diese Kämpfe kann die Arbeiterklasse ihre Kraft wieder entfalten. Wie Rosa Luxemburg sagte, ist das Proletariat die einzige Klasse, die ihr Bewusstsein durch die Erfahrung von Niederlagen entwickelt. Es gibt keine Garantie dafür, dass das Proletariat in der Lage sein wird, seiner historischen Verantwortung gerecht zu werden, der übrigen Menschheit eine Zukunft zu bieten. Dies wird sicherlich nicht geschehen, wenn das Proletariat und seine revolutionären Minderheiten der erdrückenden Atmosphäre der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erliegen, die von unserem Klassenfeind gefördert wird. Das Proletariat kann seine revolutionäre Rolle nur erfüllen, wenn es der düsteren Realität des zerfallenden Kapitalismus ins Auge blickt und sich weigert, die Angriffe auf seine wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen hinzunehmen, wenn es Isolation und Hilflosigkeit durch Solidarität, Organisation und wachsendes Klassenbewusstsein ersetzt.
IKS 22.08.2021
Anlässlich des 20. "Jahrestages" der Anschläge vom 11. September in New York machen wir unsere Leser auf unseren Leitartikel in der International Review 107 aufmerksam: "New York und die ganze Welt: Der Kapitalismus sät den Tod". Der Artikel prangert das Massaker an Tausenden von Zivilisten, die meisten von ihnen Proletarier, als einen Akt imperialistischen Krieges an, entlarvt aber gleichzeitig die heuchlerischen Tränen, die von der herrschenden Klasse vergossen werden. In dem Artikel heißt es: "Der Angriff auf New York war kein 'Angriff auf die Zivilisation', er war selbst der Ausdruck der bürgerlichen 'Zivilisation'". Die Terroristenbande, die die Zwillingstürme zerstörte, war eine Bande von "kleinen" Attentätern, wenn man ihre Taten im Lichte der gigantischen Zahl von Toten betrachtet, die alle rechtlich anerkannten Staaten in den letzten etwa hundert Jahren, in zwei Weltkriegen und in zahllosen lokalen und regionalen Konflikten seit 1945 auf dem Planeten angerichtet haben
In diesem Sinne stand der 11. September in der Kontinuität der Bombardierung von Guernica, Coventry, Dresden, Hiroshima und Nagasaki in den 30er und 40er Jahren, von Vietnam und Kambodscha in den 60er und 70er Jahren. Aber es war auch ein klares Zeichen dafür, dass der dekadente Kapitalismus in eine neue und endgültige Phase eingetreten war, den wahren "inneren Zerfall", den die Kommunistische Internationale 1919 vorausgesagt hatte. Der Beginn dieser neuen Phase wurde durch den Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks im Jahr 1989 und die daraus resultierende Zersplitterung des US-Blocks markiert und würde dazu führen, dass der unvermeidliche Drang des Kapitalismus zu imperialistischen Konflikten neue und chaotische Formen annimmt. Dies wurde insbesondere durch die Tatsache symbolisiert, dass (auch wenn dies zum Zeitpunkt des Schreibens des Artikels noch nicht sicher war) der Anschlag von Al-Qaida angeführt wurde, einer islamistischen Gruppierung, die von den USA in ihren Bemühungen, die russische Besetzung Afghanistans zu beenden, großzügig unterstützt worden war, nun aber die Hand gebissen hatte, die sie zuvor gefüttert hatte. Die von George Bush Senior nach dem Fall der UdSSR ausgerufene "Neue Weltordnung" erwies sich schnell als eine Welt wachsender Unordnung, in der ehemalige Verbündete und Untergebene der USA, von den entwickelten Staaten Europas über zweit- und drittklassige Mächte wie Iran und die Türkei bis hin zu kleineren Kriegsherren wie Bin Laden, mehr und mehr darauf aus waren, ihre eigenen imperialistischen Ziele zu verfolgen.
Der Artikel zeigt also, wie die USA die Anschläge instrumentalisieren konnten, nicht nur, um den Nationalismus im eigenen Land zu schüren - was, wie sich bald herausstellte, mit einer brutalen Verstärkung der staatlichen Überwachung und Repression einherging und im am 26.10.01 verabschiedeten "Patriot Act" zum Ausdruck kam -, sondern auch, um ihren Angriff auf Afghanistan zu starten, dessen erste Schritte zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels (3.10.01) bereits bekannt waren. Afghanistan nimmt natürlich seit langem einen strategischen Platz auf dem globalen imperialistischen Schachbrett ein, und die USA hatten besondere Gründe, das Taliban-Regime mit seinen engen Verbindungen zu Al Qaida stürzen zu wollen. Das übergeordnete Ziel der US-Invasion - auf die zwei Jahre später der Einmarsch in den Irak und der Sturz Saddam Husseins folgten - bestand jedoch darin, das anzustreben, was die "Neo-Cons" in der Regierung von Bush Junior als "Full Spectrum Dominance" bezeichneten. Mit anderen Worten, es sollte sichergestellt werden, dass die USA die einzige "Supermacht" bleiben, indem dem wachsenden Chaos in den imperialistischen Beziehungen Einhalt geboten und der Aufstieg jedes ernsthaften Konkurrenten auf globaler Ebene verhindert wird. Der "Krieg gegen den Terror" sollte der ideologische Vorwand für diese Offensive sein.
20 Jahre später können wir feststellen, dass der Plan nicht allzu gut aufgegangen ist. Die letzten US-Truppen mussten Afghanistan verlassen und sind auf dem Weg aus dem Irak. Die Taliban sind wieder an der Macht. Weit davon entfernt, die Flut des imperialistischen Chaos aufzuhalten, wurden die US-Invasionen zu einem Faktor, der sie noch beschleunigte. In Afghanistan schlug der frühe Sieg über die Taliban ins Gegenteil um, als sich die Islamisten neu formierten und mit Hilfe anderer imperialistischer Staaten dafür sorgten, dass Afghanistan in einem permanenten Bürgerkrieg verharrte, der von blutigen Gräueltaten auf beiden Seiten geprägt war. Im Irak führte die Zerschlagung des Saddam-Regimes sowohl zum Aufstieg des IS als auch zur Stärkung der iranischen Ambitionen in der Region, wodurch die scheinbar endlosen Kriege in Syrien und Jemen angeheizt wurden. Und auf planetarischer Ebene bildete der fortschreitende Zerfall den Hintergrund für die Rückkehr des russischen Imperialismus und vor allem für den Aufstieg Chinas zum wichtigsten imperialistischen Rivalen der USA. Die verschiedenen Strategien, um "Amerika wieder groß zu machen", von den Neo-Cons bis zu Trump, konnten den unaufhaltsamen Niedergang der US-Macht nicht umkehren, und Biden musste trotz seiner Behauptung, "Amerika ist zurück", nun die bisher größte Demütigung Amerikas seit 9/11 verantworten.
Bei der Analyse der Art und Weise, wie die USA versuchten, "von dem Verbrechen" des 11. Septembers zu profitieren, zeigt der Artikel die Ähnlichkeiten zwischen dem 11. September und der japanischen Bombardierung von Pearl Harbour auf, die ebenfalls vom US-Staat genutzt wurde, um die Bevölkerung, einschließlich widerstrebender Teile der herrschenden Klasse, für den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg zu mobilisieren. Er führt gut dokumentierte Beweise dafür an, dass der US-Staat dem japanischen Militär den Angriff "erlaubte", und stellt die Hypothese auf, dass der US-Staat im Vorfeld der Al-Qaida-Aktion in gewisser Weise die gleiche "Laisser-faire"-Politik verfolgte, auch wenn er sich des Ausmaßes der damit verbundenen Zerstörung möglicherweise nicht voll bewusst war. Dieser Vergleich wird in dem in der International Review 108 veröffentlichten Artikel "Pearl Harbour 1941, Twin Towers 2001: Machiavellismus der US-Bourgeoisie" weiter ausgeführt. Wir werden auf diese Frage in einem anderen Artikel zurückkommen, in dem wir den Unterschied zwischen der marxistischen Anerkennung der Bourgeoisie als der machiavellistischsten Klasse in der Geschichte - die natürlich von der Bourgeoisie selbst als eine Form von "Verschwörungstheorie" abgetan wird - und der gegenwärtigen Fülle populistischer "Verschwörungstheorien" erörtern werden, die die Idee, dass der 11. September 2001 ein "Insider-Job" war, oft als Glaubensartikel betrachten.
Links zu den Artikeln:
https://en.internationalism.org/ir/107_new_york.html [84]
https://de.internationalism.org/pearlharbor [85]
Pearl Harbor 1941, Twin Towers 2001
Die weltweite Covid-19-Pandemie richtet angesichts der Unfähigkeit aller Staaten, ihre Bemühungen zu koordinieren, weiterhin auf allen Kontinenten verheerende Schäden an. Und die wichtigsten Ereignisse der letzten zwei Monate bestätigen die tödliche Dynamik, in die der Kapitalismus die Zivilisation stürzt.
Der Sommer 2021, der heißeste, der je aufgezeichnet wurde, war geprägt von einer Vervielfachung und Anhäufung von Katastrophen in allen Teilen der Erde: Mega-Brände in mehreren Regionen der Erde, sintflutartige Regenfälle in China und Indien, Überschwemmungen in Nordwesteuropa, Schlammlawinen in Japan, Wirbelstürme und Überschwemmungen mit tödlichem Ausgang, extreme Hitzewellen und Dürren in den Vereinigten Staaten, eine Hitzeglocke in Kanada...
Das Ausmaß, die Häufigkeit und die Gleichzeitigkeit der extremen Auswirkungen der globalen Erwärmung haben in den letzten Monaten ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht. Sie haben ganze Landstriche buchstäblich verwüstet, in den meisten Fällen Hunderte von Todesopfern gefordert (auch in so entwickelten Ländern wie den Vereinigten Staaten, Deutschland und Belgien) und Millionen von Menschen in Chaos und Verwüstung gestürzt. Inmitten dieser katastrophalen Szenerie kam der neue Bericht des IPCC, der Anfang August 2021 veröffentlicht wurde und erneut vor der Beschleunigung der Klimakatastrophe und der beispiellosen Zunahme extremer Wetterereignisse warnt, nicht überraschend.
Die Medien berichteten zwar ausführlich über die erschreckenden Schlussfolgerungen des IPCC, spielten sie aber schnell herunter und wiesen darauf hin, dass die Situation nicht verzweifelt sei, da die vermeintliche Rettung des Planeten dem Bericht zufolge in der Umsetzung einer "grünen Wirtschaft" und der Verallgemeinerung eines "ökologisch verantwortungsvollen" Verhaltens des Einzelnen liege. So viele Lügen, die auf ein und dasselbe abzielen: die Verantwortung der kapitalistischen Produktionsweise für die Umweltzerstörung und die Unfähigkeit der herrschenden Klasse, die Situation zu bewältigen, zu verschleiern, so dass "die Staaten und die Rettungsdienste unter der Last jahrzehntelanger Haushaltskürzungen zunehmend desorganisiert sind und versagen". [1]
Aber die Kette von Katastrophen der letzten Wochen ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was die Menschheit in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erwartet, wenn die Abwärtsspirale, in die der zerfallende Kapitalismus die Menschheit stürzt, nicht gestoppt wird. Dies gilt umso mehr, als auch andere Ereignisse, die dieses endlose Chaos noch verschlimmern, hinzugekommen sind.
Der chaotische Abzug der US-Armee aus Afghanistan nach 20 Jahren und die Rückkehr der Taliban an die Macht sind ein weiteres Zeichen dafür, dass die Großmächte nicht in der Lage sind, globale Stabilität zu gewährleisten, insbesondere in Gebieten, in denen Spannungen und Rivalitäten zwischen Staaten herrschen. Wie wir bereits sehen können, trägt die Rückkehr einer reaktionären und wahnhaften Gruppierung wie den Taliban an die Macht in Afghanistan nur zum weltweiten Chaos und Instabilität auf allen Ebenen bei. Wieder einmal haben die systemtreuen Medien die Aufmerksamkeit auf die so genannte Rückkehr der blutrünstigen Taliban an die Macht gelenkt. Doch die Grausamkeit und der Terror, die diese Clique mit ihren mittelalterlichen und obskurantistischen Vorstellungen gegenüber der Bevölkerung ausüben wird, stehen den Verbrechen, derer sich die "demokratischen" Länder und ihre Verbündeten seit Jahrzehnten schuldig gemacht haben, in Afghanistan und anderswo, in nichts nach.
Zu diesen beiden großen Erscheinungsformen der Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaft kommt natürlich die erhebliche Verschärfung der Wirtschaftskrise hinzu, insbesondere seit die Covid-19-Pandemie in diesem Bereich eine große Auswirkung hat: "Eine wesentliche Konsequenz der Covid-19-Krise ist die Tatsache, dass die Auswirkungen des Zerfalls, der Verschärfung des „Jeder für sich“ und des Kontrollverlusts, die bisher im Wesentlichen den Überbau des kapitalistischen Systems betrafen, nun dazu tendieren, sich direkt auf die ökonomische Basis des Systems auszuwirken, auf seine Fähigkeit, die ökonomischen Erschütterungen beim Versinken in seine historische Krise zu bewältigen.“[2] Hinter den falschen Ankündigungen eines "florierenden Wirtschaftsaufschwungs" werden Millionen von Menschen entlassen, aus ihren Wohnungen vertrieben oder sind nicht in der Lage, bis zum Monatsende über die Runden zu kommen. Die jüngeren Generationen der Arbeiterklasse sind zunehmend Opfer einer katastrophalen Unsicherheit, so dass viele gezwungen sind, für Nahrungsmittelhilfe Schlange zu stehen. Die Hungersnöte sind vor allem in Afrika explodiert, aber auch in den Vereinigten Staaten müssen eine Rekordzahl von Amerikanern hungern...
Die Grausamkeit von Kriegen, Umweltkatastrophen, Epidemien und zahlreichen wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen sind keine Phänomene, die für sich alleinstehen. Sie bilden durch ihre Anhäufung, ihre Gleichzeitigkeit, ihre Verflechtung und ihr Ausmaß ein signifikantes Ganzes des "Versinkens in einer völligen Sackgasse eines Systems, das der Mehrheit der Weltbevölkerung keine Zukunft zu bieten hat, außer der einer wachsenden Barbarei jenseits aller Vorstellungskraft".[3]
Auch wenn die Bourgeoisie alle Gräueltaten und Abscheulichkeiten dieser Periode ständig ausnutzt, um die Arbeiterklasse zu terrorisieren und zu lähmen, indem sie ihr Vertrauen in eine andere Zukunft untergräbt, sollte man nicht zu dem Schluss kommen, dass alles verloren ist. Sicherlich hat die Arbeiterklasse den tiefgreifenden Bewusstseinsverlust, den sie seit fast drei Jahrzehnten erlebt hat, noch nicht überwunden. Trotzdem bleibt sie objektiv die einzige revolutionäre Klasse innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Mit anderen Worten, die einzige gesellschaftliche Kraft, die in der Lage ist, die Menschheit auf einen anderen Weg als den der kapitalistischen Hölle zu führen. In diesen drei Jahrzehnten hat das Proletariat wiederholt seine Fähigkeit bewiesen, dem bürgerlichen Staat entgegenzutreten, indem es die Verschlechterung seiner Arbeits- und Lebensbedingungen ablehnte. Auch wenn sich diese Kämpfe nur begrenzt entwickelt haben, so sind sie doch eine wertvolle Erfahrung für die Zukunft. Die proletarische Revolution ist keine schöne Idee, die durch das Wirken des Heiligen Geistes vom Himmel zu uns kommen wird. Im Gegenteil, es ist ein konkreter, langwieriger Kampf, in dem sich die Arbeiterklasse durch die Erfahrungen und Lehren aus ihren Niederlagen ihres revolutionären Potenzials bewusst wird.
In der Tat bilden die Kämpfe gegen die Angriffe auf die Arbeitsbedingungen die wichtigste Grundlage, auf dem sich die Arbeiterklasse mit ihren eigenen Methoden organisieren und so ihre internationale Solidarität entwickeln kann. Im sterbenden Kapitalismus gehört die Zukunft mehr denn je die Arbeiterklasse!
Vincent, 2. September 2021
In den letzten Monaten (insbesondere im Juli und August) haben sich in verschiedenen Teilen der Welt Proteste gehäuft, bei denen sich die Stimmen gegen die als "freiheitsfeindlich" eingestuften Zwangsimpfungen und Gesundheitspässe auf anarchische und widersprüchliche Weise äußerten. Es gab Demonstrationen von Australien bis Spanien, von Kanada bis Kasachstan, wobei Europa im Mittelpunkt stand. Vor allem in Frankreich nahmen die Demonstrationen massenhafte Ausmaße an, als an sieben Wochenenden hintereinander Zehntausende von Menschen auf die Straße gingen. In vielen Fällen handelte es sich bei diesen Demonstrationen um einen Zusammenschluss von Einzelpersonen oder Familien, die über diese oder jene Regierungserklärung oder -entscheidung empört waren, von vereinzelten Proletariern und, wie in Frankreich, sogar von politischen Parteien, die von der extremen Linken des Kapitals bis zur extremen Rechten reichten, sowie von Demonstranten, die sich als Teil der Gelbwesten-Bewegung bezeichneten. Es ist schwer, sich nicht in einem solch formlosen Magma zu verlieren.
Diese Demonstrationen waren in keiner Weise Ausdruck des proletarischen Kampfes. Im Gegenteil, sie drückten einen primären Impuls des Nationalismus aus, ersichtlich z.B. anhand der zahlreichen Nationalflaggen (Frankreich, Lettland, Italien, Slowakei) und Kräften des christlichen Fundamentalismus, die Holzkreuze (Griechenland) in den Reihen der Demonstranten trugen. All das zeigt extreme Verwirrung; es ist ein Eingeständnis der Ohnmacht, der Verwirrung und der vorherrschenden Irrationalität angesichts einer Gesundheits- und Sozialkrise, die die gesamte kapitalistische Welt betrifft. Diese Kristallisierung um vielschichtige Behauptungen, die Misstrauen gegenüber der Wissenschaft mit dem Ruf nach der Verteidigung der "individuellen Freiheiten" verbinden, ist in der Tat das Thema der Medien, wo widersprüchliche, divergierende und manchmal weit hergeholte Interessen gegen staatliche Maßnahmen abgewogen werden, die fälschlicherweise als Ausdruck der Verteidigung des Gemeinwohls angesichts der Covid-19-Pandemie und des Ausbruchs einer vierten Infektionswelle dargestellt werden. Wie üblich wird jeder aufgefordert, sich als "Bürger" zu positionieren, seine Seite zu wählen, angesichts dieses oder jenes gesundheitlichen, politischen und sozialen Problems, das isoliert betrachtet wird, wodurch die Verantwortung des kapitalistischen Systems als Ganzes verschleiert wird.
Auch wenn eine Minderheit von Proletariern, die von der Haltung und den Lügen der Machthaber angewidert ist, an diesen Demonstrationen teilnahm, drückten sie vor allem ein Gefühl der Frustration, der ohnmächtigen Wut, die den kleinbürgerlichen Schichten eigen ist, und das Fehlen einer Perspektive aus. In den USA, Griechenland und Italien unterstützten die Gewerkschaften, diese bürgerlichen Organe zur Kontrolle der Arbeiterkämpfe, die Proteste. In Italien reagierten die sechs größten Gewerkschaften auf die Tatsache, dass Lehrkräfte einen "Grünen Pass" benötigen, um an Schulen zu unterrichten, und nannten dies eine "einseitige Entscheidung" und ein "Diktat". In Turin streikten 650 Beschäftigte und bezeichneten die Forderung nach einem Grünen Pass für Restaurants als diskriminierend. In Frankreich nutzten die Gewerkschaften sogar die Gelegenheit, um Streiks durchzuführen.
Insbesondere SUD-Santé und einige CGT-Verbände, Gewerkschaften, die sich selbst als die "radikalsten" darstellen, nutzten die Gelegenheit, um eine Reihe von Streikaufrufen in verschiedenen Städten wie Marseille, Lyon, Toulouse, Bastia oder Regionen (Hauts-de-France) zu starten, um die Beschäftigten im Gesundheitswesen aufzurufen, gegen die Zwangsimpfung zu mobilisieren und die Aufhebung des Gesundheitspasses zu fordern. Auch bei den Feuerwehrleuten, wo die gleichen restriktiven Maßnahmen beschlossen wurden, hat sich die autonome Gewerkschaft "Inhouse" angeschlossen. All dies im Namen der Verteidigung der "Wahlfreiheit", d.h. auf dem Terrain des bürgerlichen Rechts, das ein wahres Gift für die Arbeiterklasse und ihre revolutionäre Perspektive darstellt.
Die Organisationen der extremen Linken nutzten dies auch aus, um die Arbeiterklasse weiter zu desorientieren, indem sie die Verwirrung zwischen den Forderungen der Arbeiter und der Verteidigung der "Bürgerrechte" schürten, indem sie diese Bewegung fälschlicherweise als "Sprungbrett für zukünftige Arbeiterkämpfe" darstellten. Die Bourgeoisie und ihre verschiedenen politischen Instanzen, insbesondere die der Linken und der extremen Linken, verstehen es, alle verfügbaren Mittel zu nutzen, um den Arbeitern das Nachdenken über die Krise, das herrschende Chaos und die Fahrlässigkeit der letzten Monate zu verleiden, indem sie die Zerfallsprozesse des gesamten kapitalistischen Systems ausnutzen und mit dem Anschein falscher Seriosität erklären, wie der bürgerliche Staat die Bewältigung der Krise organisieren sollte.
In Wirklichkeit ist die Verschärfung der Situation ein neuer Ausdruck nicht nur der Nachlässigkeit der Herrschenden, sondern vor allem der allgemeinen Ohnmacht aller Staaten seit fast zwei Jahren, die nicht in der Lage sind, den medizinischen Fortschritt, das Know-how und die Mittel zur Bekämpfung der Pandemie zu bündeln. Wir haben die ungezügelte Konkurrenz zwischen den Labors der verschiedenen Unternehmen und den Einsatz von Impfstoffen als imperialistische Waffe durch alle Staaten erlebt, alles im Zeichen des universellen Gesetzes des kapitalistischen Profits.
Wie kann ein Teil der Bevölkerung keine Angst davor haben, dass wir nach fast zwei Jahren täglicher Lügen der Behörden auf einen Gesundheitsskandal, eine Neuauflage der Contergan-Affäre, zusteuern könnten? Die Regierungen haben sich schamlos mit der Behauptung geschmückt, sie würden sich auf eine rationale und wissenschaftliche Sichtweise stützen, während sie in den ersten Wellen der Pandemie die Ratschläge der Wissenschaftler oft eklatant ignoriert haben, und sie gleichzeitig die opportunistischsten von ihnen in den Medien manipulierten, um das Unvertretbare zu rechtfertigen, was den Mangel an Masken und Hygieneschutz am Arbeitsplatz oder im Verkehr betrifft. All diese Lügen, Halbwahrheiten der Regierung und lahmen Rechtfertigungen haben offensichtlich ein Klima des Misstrauens in der Bevölkerung geschaffen. Gleichzeitig war die Pandemie aber auch Anlass für eine Fülle wilder Theorien und wahnhafter Behauptungen, nicht nur in den sozialen Netzwerken, wo Verschwörungstheoretiker am aktivsten sind, sondern auch in den Medien und bei den Politikern selbst.
Während Milliarden von Menschen seit den ersten Tests geimpft wurden, werden die seltenen "Fälle" vermuteter (und selten bestätigter) dramatischer Nebenwirkungen von Pseudo-Experten unter Missachtung jeglicher wissenschaftlichen Herangehensweise aufgebauscht, wenn sie nicht einfach von Grund auf erfunden wurden. Dennoch hat Covid-19 weltweit mehr als 4 Millionen Menschen getötet, wahrscheinlich mehr... aber die Impfstoffe noch nicht! Covid-19 mutiert weiter, infiziert und tötet, insbesondere in Teilen der Welt, die zu arm sind, um sich eine große Impfkampagne leisten zu können. Außerdem infiziert und schwächt es weiterhin eine zunehmend junge, ungeimpfte Bevölkerung in den Kernländern. Einige Menschen zweifeln jedoch immer noch an der Wirksamkeit von Impfstoffen und beklagen einen angeblichen "Mangel an uneigennütziger Forschung" angesichts der "neuen Techniken" (die in Wirklichkeit nicht neu sind). Zweifel und Skepsis sind wissenschaftliche Tugenden, kein irrationales Misstrauen!
Die irrationalen Bedenken, die sich mehr oder weniger in den Behauptungen aller Impfgegner widerspiegeln, sind auch nicht neu. Die abergläubische Zurückhaltung gegenüber der wissenschaftlichen Forschung kam bereits Ende des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck, als die ersten Pockenimpfstoffe entwickelt wurden. Pasteur selbst musste sich, als er 1885 den Tollwutimpfstoff entdeckte, mit diesen "Anti-Vax"-Diskursen auseinandersetzen. Er wurde beschuldigt, Tiere zu misshandeln und Impfstoffe zu erfinden, nur um sich selbst zu bereichern! Fast anderthalb Jahrhunderte später ist das Misstrauen in den rückständigsten Teilen der herrschenden Klasse und der Bevölkerung trotz der beispiellosen Fortschritte in Wissenschaft und Medizin ungebrochen. Heute geht die verschwörerische Irrationalität sogar so weit, sich eine mögliche genetische Veränderung durch die RNA-Technologie oder eine politische und medizinische Manipulation zur staatlichen Kontrolle der Bevölkerung durch das Einimpfen von Mikrochips während der Impfung vorzustellen.
Wenn sich diese verschiedenen obskurantistischen Diskurse einer wissenschaftlichen Beweisführung entziehen, dann deshalb, weil sie sich an jede Epoche und jeden Kontext anpassen. Heute jedoch wirken sich die Dynamik des ideologischen Zerfalls in der kapitalistischen Gesellschaft, das Gefühl der Ohnmacht angesichts der Krise und des zunehmenden Chaos auf die gebildete Bevölkerung aus und bewirken nichts anderes, als dass die gesamte Fähigkeit zu logischem, wissenschaftlichem und politischem Denken in einem Nebel aus mitunter delirierenden reaktionären Vorstellungen und Visionen versinkt.
Der Bourgeoisie ist dieser Prozess nicht fremd: Wir haben nicht nur erlebt, dass Politiker der extremen Rechten und sogar aus den Reihen der traditionellen Rechten völlig wahnhafte Ideen propagiert haben, sondern diese Verirrungen haben sich bis in die höchsten Ebenen des Staates manifestiert. Die Fälle Trump in den USA und Bolsonaro in Brasilien sind bekannt, aber auch der "fortschrittliche" Macron und seine Clique in Frankreich haben Wissenschaftler offen verunglimpft oder ihre Worte verfälscht, um ihre kurzsichtige Politik zu rechtfertigen, wie zum Beispiel, als der Staatschef behauptete, er habe allein gegen die Epidemiologen Recht gehabt.
Die weniger irrationalen Teilnehmer an den Demonstrationen stellen die Impfung nicht in Frage, sondern sind gegen den Gesundheitspass, der zunächst den Pflegekräften unter Androhung der Entlassung auferlegt wurde, und lehnen die versteckte Pflicht zur Vorlage des Passes ab, um die klassischsten sozialen Aktivitäten wie den Besuch eines Supermarktes, einer Bar oder eines Kinos auszuüben.
Diese beiden Realitäten, Anti-Impfung und Anti-Gesundheitspass, koexistieren jedoch mit sehr durchlässigen Grenzen bei gemeinsamen Demonstrationen, bei denen dieselbe individualistische Logik des Trotzes vorherrscht, ohne dass eine kollektive Besorgnis über das Fortbestehen der Pandemie, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Verwüstungen besteht. Dies geschieht im Namen des Angriffs auf die "individuellen Freiheiten", ein völlig bürgerliches Terrain. Diese Parole zur Verteidigung der demokratischen Freiheiten ist der gröbste Deckmantel für die Verteidigung des bürgerlichen Staates, des arbeiterfeindlichsten Bodens, den es gibt. Die Arbeiterbewegung hat diese Falle wiederholt angeprangert und bekräftigt: "Solange der Staat existiert, kann es keine Freiheit geben. Wenn es Freiheit gibt, wird es keinen Staat geben" (Lenin in Staat und Revolution, 1917).
Die Regierungen nutzen die Situation aus, um die Menschen gegeneinander aufzuhetzen und Spannungen und Ressentiments zu schüren. Durch eine Vielzahl von Propagandakampagnen, durch die mehr oder weniger offene Darstellung aller Personen, die Zweifel und Ängste hegen, als völlig wahnhafte "Impfgegner-Verschwörer", hat die Bourgeoisie einen Teil der Geimpften dazu gebracht, die Impfgegner als einfache Sündenböcke zu betrachten, die für die neuen Kontaminationswellen verantwortlich gemacht werden können, und den Kapitalismus und den Staat von der völligen Verantwortungslosigkeit freizusprechen, die zu der dramatischen Situation von heute geführt hat. Für die Anti-Vaxxer ist ihre Mobilisierung gegen die "Diktatur" der Regierungen ein Bekenntnis zur Verantwortung, die Demokratie am Leben zu erhalten und zu verteidigen, indem sie die unterwürfigen "Schafe" anprangern, die die "freiheitsfeindlichen" Gesetze der (Zwangs)Impfung hinnehmen. Diese Spaltungen sind Teil einer verhängnisvollen Logik der Konfrontation, in der die eigentliche Frage, nämlich die Notwendigkeit, das kapitalistische Chaos zu beenden, unter einem Durcheinander von Verwirrung und Ohnmacht verschwindet.
Die Verzweiflung, die in den Demonstrationen gegen die Zwangsimpfungen zum Ausdruck kommt, äußert sich in dem Gefühl, dem Diktat einer arroganten Regierung unterworfen zu sein, die angesichts der Pandemie immer mehr Ungereimtheiten aufkommen lässt, indem sie immer wieder Beschränkungen auferlegt, nachdem sie diese immer wieder zu früh gelockert hat, und sich eines wissenschaftlichen Ansatzes rühmt, während die bürgerliche Fahrlässigkeit an erster Stelle steht. Derartige Proteste können jedoch in keiner Weise dazu führen, dass sich im Proletariat ein Bewusstsein für die sich verschärfende Sackgasse des kapitalistischen Systems entwickelt.
Es handelt sich im Wesentlichen um eine ohnmächtige Wut gegen die Regierungen, die als Quelle aller Übel angesehen und als schlechte, unfähige und ineffiziente Verwalter dieses Systems wahrgenommen werden.
Angesichts eines solchen sozialen und ideologischen Sumpfes, den die Bourgeoisie tagtäglich nährt und schürt, wird es für das Proletariat nicht leicht sein, auf seinem Klassenterrain der Solidarität zu reagieren, um den kommenden wirklichen Frontalangriffen, den Angriffen auf seine Arbeits- und Lebensbedingungen, zu begegnen. Sein Klassenterrain ist nicht das der Verteidigung des Staates, der Verteidigung der nationalen Wirtschaft und des Nationalismus. Seine Klassenautonomie im Kampf muss gegen alle Kräfte des Staates, ob an der Macht oder nicht, verteidigt werden, unabhängig von den interklassischen Bewegungen oder den falschen Freunden, im Allgemeinen von der Linken, die versuchen werden, seinen Zorn abzulenken. Das Proletariat braucht Klarheit und Vertrauen in seine eigenen Kräfte, um all diese Fallen zu vereiteln.
Stopio, 13. August 2021
Seit einigen Monaten häufen sich weltweit die Klimakatastrophen: Dürren, Großbrände, sintflutartige Regenfälle, Schlammlawinen, Überschwemmungen ... Während die Opfer der Umweltkrise jedes Jahr in die Millionen gehen und sich selbst die mächtigsten Staaten zunehmend als unfähig erweisen, die Katastrophen zu bewältigen, bestätigt der jüngste IPCC-Bericht, dass der Klimawandel im nächsten Jahrzehnt unkontrollierbare Ausmaße annehmen wird.
In unserer Presse haben wir regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Wurzeln der globalen Erwärmung in der Funktionsweise des Kapitalismus selbst zu finden sind. Nicht nur, dass die Klimakatastrophen immer verheerender, zahlreicher und unkontrollierbarer werden, auch die Staaten sind unter der Last jahrzehntelanger Haushaltskürzungen zunehmend desorganisiert und versagen beim Schutz ihrer Bevölkerung, wie wir in jüngster Zeit zum Beispiel in Deutschland, den USA und China gesehen haben. Die Bourgeoisie kann das Ausmaß der Katastrophe nicht mehr leugnen, aber sie erklärt immer wieder, vor allem durch ihre Umweltparteien, dass die Regierungen endlich starke Maßnahmen zugunsten der Umwelt ergreifen sollten. Alle Fraktionen der Bourgeoisie haben ihre eigene kleine Lösung: grüne Wirtschaft, Degrowth, lokale Produktion usw. Alle diese so genannten Lösungen haben eines gemeinsam: Der Kapitalismus könnte "reformiert" werden. Aber der Wettlauf um den Profit, die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen, die wahnsinnige Überproduktion von Waren sind keine "Optionen" für den Kapitalismus, sie sind die unabdingbaren Bedingungen seiner Existenz!
Angesichts der prognostizierten Katastrophe sind Empörung und Besorgnis groß, wie die "Klimamärsche" von 2019 gezeigt haben, an denen Millionen vor allem junger Menschen aus vielen Ländern teilnahmen. Damals wiesen wir jedoch darauf hin, dass diese Märsche auf einem völlig bürgerlichen Terrain stattfanden: Die "Bürger" waren in der Tat dazu aufgerufen, "Druck" auf den bürgerlichen Staat auszuüben, diese monströse Maschine, deren Daseinsberechtigung darin besteht, die kapitalistischen Interessen zu verteidigen, die die Ursache für die beispiellose Verschlechterung der Umwelt sind. In Wirklichkeit kann das Klimaproblem nur auf globaler Ebene gelöst werden, und der Kapitalismus, in dem sich die Nationen rücksichtslos gegenüberstehen, ist nicht in der Lage, eine Antwort zu geben, die dem Einsatz gerecht wird: Die großen Umweltkonferenzen, auf denen jeder Staat zynisch versucht, seine eigenen schmutzigen Interessen unter dem Deckmantel des Umweltschutzes zu schützen, sind ein krasses Beispiel dafür. Die einzige Klasse, die einen echten Internationalismus durchsetzen und der Anarchie der Produktion ein Ende setzen kann, ist die Arbeiterklasse und die Gesellschaft, die in ihrem Inneren enthalten ist: der Kommunismus!
Nach einem Sommer 2021, in dem künftige Katastrophen sich abzeichnen, werden die Umweltschützer und die linken Parteien des Kapitals (Trotzkisten, Stalinisten, Anarchisten, Sozialdemokraten usw.) versuchen, die Klimamärsche wieder in den Vordergrund zu rücken. Dies ist ein weiterer Versuch der Bourgeoisie, die Wut in dieselben politischen Sackgassen zu lenken: die Verwässerung der Arbeiterklasse und ihre "Auflösung" im "Volk", Illusionen über die Fähigkeit des "demokratischen" Staates, "Dinge zu ändern". Deshalb laden wir unsere Leserinnen und Leser ein, das internationale Flugblatt, das wir während der ersten Märsche des Jahres 2019 verteilt haben und das auch heute noch seine Gültigkeit hat, zu lesen bzw. erneut zu lesen.
Internationales Flugblatt des IKS:
Nur der internationale Klassenkampf kann den kapitalistischen Drang zur Zerstörung beenden [97]
Heute erschüttert eine Reihe von Streiks in den Vereinigten Staaten, getragen von erschöpften Arbeitnehmern, große Teile des Landes. Diese Bewegung mit dem Namen "striketober" (zusammengesetzt aus "strike" (Streik) und "october" (Oktober)) mobilisiert Tausende von Arbeitnehmern, die die unerträglichen Arbeitsbedingungen, die physische und psychische Erschöpfung, die unverschämten Gewinnsteigerungen - auch während der Pandemie - der Arbeitgeber in Industriekonzernen wie Kellog's, John Deere, PepsiCo oder im Gesundheitssektor und in Privatkliniken, wie z. B. in New York, anprangern. Es ist schwierig, die genaue Zahl der Streiks zu ermitteln, da die US-Bundesregierung nur diejenigen zählt, an denen mehr als tausend Beschäftigte beteiligt sind. Die Tatsache, dass die Arbeiterklasse in einem Land, das jetzt im Zentrum des globalen Zerfallsprozesses steht, reagieren und Kampfgeist zeigen kann, ist ein Zeichen dafür, dass das Proletariat nicht besiegt ist.
Fast zwei Jahre lang hatte sich mit dem Auftreten der Covid-19-Pandemie und den wiederholten Einweisungen in Krankenhäuser und Hunderttausenden von Todesfällen ein bleierner Mantel über die Arbeiterklasse in aller Welt gelegt. Überall auf der Welt wurde die Arbeiterklasse Opfer der allgemeinen Nachlässigkeit der Bourgeoisie, des Rückbaus von ohnehin schon überlasteten Gesundheitsdiensten, die stets den Anforderungen der Rentabilität unterworfen sind. Der Alltag und die Angst vor der Zukunft verstärkten ein ohnehin schon starkes Abwarte Haltung in den Reihen der Arbeiter, was den Rückzug noch verstärkte. Nach dem Wiederaufleben der Kampfbereitschaft, die im Laufe des Jahres 2019 und zu Beginn des Jahres 2020 in mehreren Ländern zum Ausdruck gekommen war, kam die gesellschaftliche Konfrontation plötzlich zum Stillstand. Hatte die Bewegung der Kämpfe gegen die Rentenreform in Frankreich eine neue Dynamik in der sozialen Konfrontation gezeigt, so erwies sich die Covid-19-Pandemie als mächtiger Bremsklotz.
Inmitten der Pandemie konnten sich jedoch hier und da, in Spanien, Italien und Frankreich, Kämpfe der Arbeiterklasse auf dem Boden der Klasseninteressen herausbilden, und zwar durch sporadische Bewegungen, die bereits eine relative Reaktionsfähigkeit angesichts der unerträglichen Arbeitsbedingungen zum Ausdruck brachten, insbesondere angesichts der zunehmenden Ausbeutung und des Zynismus der Bourgeoisie in Sektoren wie dem Gesundheitswesen, dem Verkehrswesen und dem Handel. Die durch das tödliche Covid-Virus auferlegte Isolation und das von der Bourgeoisie verbreitete Klima des Terrors machten diese Kämpfe ohnmächtig, um eine echte Alternative zur spürbaren gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verschlechterung durchzusetzen.
Schlimmer noch, diese Äußerungen der Unzufriedenheit mit den höllischen und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen, die Weigerung von Minderheiten, ohne Masken und Schutz zur Arbeit zu gehen, wurden von der Bourgeoisie als egoistische, unverantwortliche Forderungen dargestellt und vor allem beschuldigt, die soziale und wirtschaftliche Einheit aller Nationen in ihrem Kampf gegen die Gesundheitskrise zu untergraben.
Während die amerikanische Bevölkerung seit Jahren gezwungen ist, sich auf den allmächtigen Staat zu verlassen, der ihr seine gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Logik aufzwingt, genährt wie überall durch die populistischen Lügen von Donald Trump, der sich als Verfechter der Vollbeschäftigung aufspielte, und das Geschwätz des "neuen Roosevelt", Joe Biden, Tausende von Arbeitnehmern schaffen allmählich die Voraussetzungen, um eine kollektive Kraft zu bilden, die sie einst vergessen hatten, und entdecken allmählich wieder das Vertrauen in ihre eigene Kraft, um das schändliche "Zweiklassensystem" [1] abzulehnen.
Diese Solidarität zwischen den Generationen hatte sich bereits 2014 in Frankreich bei den Kämpfen bei der SNCF und Air France gegen eine vergleichbare Reform gezeigt. Sie wurde auch in Spanien während der Indignados-Bewegung im Jahr 2011 und in Frankreich im Jahr 2006 während des Kampfes gegen den CPE zum Ausdruck gebracht. Diese generationenübergreifende Solidarität stellt ein großes Potenzial für die Entwicklung künftiger Kämpfe dar, sie ist das Zeichen für das Streben nach Einheit in den Reihen der Arbeiterklasse, während die Bourgeoisie nicht aufhört, einen Keil zu treiben zwischen den "alten Profiteuren" und der "faulen, bequemen Jugend", wie wir zum Beispiel an der Bewegung "Jugend für das Klima" sehen können, die anlässlich der COP 26 reaktiviert wurde.
Auch wenn diese Streiks von den Gewerkschaften sehr gut in Schach gehalten werden (was es der Bourgeoisie im Übrigen ermöglicht hat, diese Mobilisierungen als die "große Rückkehr" der Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten darzustellen), haben wir einige Anzeichen dafür gesehen, dass die von verschiedenen Gewerkschaften unterzeichneten Vereinbarungen in Frage gestellt werden. Dieser Protest ist noch im Entstehen begriffen, und die Arbeiterklasse ist noch weit von einer direkten und bewussten Konfrontation mit diesen Wächtern des bürgerlichen Staates entfernt. Aber es ist ein sehr reales Zeichen von Kampfbereitschaft.
Manch einer mag denken, dass diese Kämpfe in den USA die Ausnahme sind, die die Regel bestätigt: Das ist nicht der Fall! In den letzten Wochen und Monaten haben sich weitere Kämpfe entwickelt:
- Im Iran beteiligten sich in diesem Sommer Arbeiter aus mehr als 70 Betrieben an Streiks im Ölsektor gegen niedrige Löhne und hohe Lebenshaltungskosten. Dies war das erste Mal, dass dies in den 42 Jahren seit der Gründung der Islamischen Republik in diesem Ausmaß geschah. Auch andere Branchen unterstützten die Streikenden;
- In Süd-Korea mussten die Gewerkschaften im Oktober einen Generalstreik für sozialen Schutz, gegen Prekarität und Ungleichheit organisieren;
- In Italien gab es im September und Oktober zahlreiche Aktionstage, Streiks und Aufrufe zum Generalstreik gegen Entlassungen, auch gegen die Gespräche zwischen dem Allgemeinen Italienischen Gewerkschaftsbund, der Regierung und den Arbeitgebern über einen "Sozialpakt" gegenüber Covid. Kurz gesagt: für leichtere Entlassungen und die Abschaffung des Mindestlohns;
- In Deutschland sieht sich die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (ver.di) gezwungen, mit Streiks zu drohen, um Lohnerhöhungen durchzusetzen.
Wenn man allen bürgerlichen Ökonomen Glauben schenkt, ist die derzeitige Inflation, die in den USA, Frankreich, dem Vereinigten Königreich oder Deutschland die Preise für Energie und andere wichtige Güter in die Höhe treibt und damit die Kaufkraft schmälert, nur ein zyklisches Produkt der "wirtschaftlichen Erholung".
In Verbindung mit "spezifischen Aspekten", wie Engpässen im See- oder Straßenverkehr, mit der "Überhitzung" bei der Erholung der Industrieproduktion, insbesondere mit dem spektakulären Anstieg der Kraftstoff- und Gaspreise, wäre es – so die bürgerlichen Stimmen - nur ein schlechter Zeitpunkt, um vor einer Regulierung wieder ein Gleichgewicht im gesamten Prozess der Wirtschaftsproduktion herzustellen. Alles wird getan, um einen "notwendigen" Inflationsprozess zu beruhigen und zu rechtfertigen... der jedoch wahrscheinlich andauern wird.
Das "Gießkannen"-Geld, die Hunderte von Milliarden Dollar, Euro, Yen oder Yuan, die die Staaten monatelang ohne Berechnung der Kosten gedruckt und ausgegeben haben, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zu bewältigen und ein allgemeines Chaos zu vermeiden, hat den Wert der Währungen nur geschwächt und treibt einen chronischen Inflationsprozess voran. Das wird einen Preis haben, und die Arbeiterklasse wird bei diesen Angriffen an erster Stelle getroffen werden.
Auch wenn es noch keine direkte und massive Reaktion auf diesen Angriff gegeben hat, kann die Inflation als mächtiger Faktor für die Entwicklung und Vereinheitlichung der Kämpfe dienen: Der Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel, Brot, Gas, Strom usw. kann nur die Lebensbedingungen aller Arbeitnehmer direkt verschlechtern, unabhängig davon, ob sie im öffentlichen oder privaten Sektor arbeiten, ob sie aktiv, arbeitslos oder im Ruhestand sind. Hunger und Kälte werden wichtige Elemente für die Auslösung künftiger sozialer Bewegungen sein, auch in den Kernländern des Kapitalismus.
Die Regierungen irren sich nicht. Obwohl sie noch keine formellen Sparprogramme auferlegt haben, sondern im Gegenteil Millionen und Abermillionen von Dollar, Yen und Euro zur Verfügung gestellt haben, wissen sie, dass es absolut notwendig ist, die Wirtschaftstätigkeit wieder anzukurbeln und dass eine soziale Bombe tickt.
Während die Regierungen dachten, sie würden alle Covid-bezogenen Unterstützungsmaßnahmen schnell beenden und die Haushalte so schnell wie möglich "normalisieren" können, hat Biden (um eine soziale Katastrophe zu vermeiden) einen "historischen Plan" für Interventionen aufgestellt, der "Millionen von Arbeitsplätzen schaffen, die Wirtschaft wachsen lassen und in unsere Nation und unsere Menschen investieren wird". [2] Man könnte meinen, man träumt! Das Gleiche gilt für Spanien, wo der Sozialist Pedro Sanchez einen massiven 248-Milliarden-Euro-Plan für umfassende Sozialausgaben umsetzt, zum großen Missfallen eines Teils der Bourgeoisie, die nicht weiß, wie die Rechnung bezahlt werden soll. Auch in Frankreich versucht die Regierung hinter all dem Trubel und der Wahlkampfrhetorik für die Präsidentschaftswahlen 2022, mit "Energiegutscheinen" und einer "Inflationszulage" für Millionen von Steuerzahlern dem sozialen Unmut und der Unzufriedenheit zuvorzukommen, ohne das Problem zu lösen.
Die Anerkennung und Hervorhebung der Reaktionsfähigkeit des Proletariats darf jedoch nicht zu Euphorie und der Illusion führen, dass sich ein Königsweg für den Arbeiterkampf auftut. Aufgrund der Schwierigkeit der Arbeiterklasse, sich selbst als ausgebeutete Klasse zu erkennen und sich ihrer revolutionären Rolle bewusst zu werden, ist der Weg zu bedeutenden Kämpfen, die den Weg zu einer revolutionären Periode öffnen könnten, noch weit.
Unter diesen Bedingungen bleiben die Kämpfe zerbrechlich, schlecht organisiert und sie werden weitgehend von den Gewerkschaften bestimmt, jenen staatlichen Organen, die auf die Sabotage von Kämpfen spezialisiert sind und immer mehr auf Branchenegoismus und Spaltung setzen.
In Italien zum Beispiel wurden die ursprünglichen Forderungen und der Kampfgeist der letzten Kämpfe von den Gewerkschaften und der italienischen Linken in eine gefährliche Sackgasse gelenkt: die verkommene Parole vom "ersten massiven Industriestreik in Europa gegen den Gesundheitspass", die die italienische Regierung allen Arbeitnehmern auferlegt hat.
Während einige Sektoren stark von der Krise, von Schließungen, Umstrukturierungen und erhöhten Arbeitsquoten betroffen sind, sind andere Sektoren mit einem Mangel an Arbeitskräften und/oder einem einmaligen Produktionsboom konfrontiert (wie im Güterverkehr, wo in Europa Hunderttausende von Fahrern fehlen). Diese Situation birgt die Gefahr einer Spaltung innerhalb der Klasse durch branchenspezifische Forderungen, die die Gewerkschaften ohne zu zögern ausnutzen oder erwecken werden.
Hinzu kommen die Aufrufe der "radikalen" Linken des Kapitals, auch auf bürgerlichem Terrain zu mobilisieren: gegen die extreme Rechte und die "Faschisten", die für die Gewalt bei Demonstrationen verantwortlich sind, oder für die "Bürgermärsche" für das Klima... Dies ist ein weiterer Ausdruck der Anfälligkeit der Proletarier für die Diskurse der extremen Linken, die in der Lage sind, jedes Mittel zu nutzen, um den Kampf auf ein nicht-proletarisches Terrain, insbesondere das des Gases, Strom, zu lenken.
Wenn die Inflation als Faktor für die Vereinheitlichung der Kämpfe wirken kann, so betrifft sie auch das Kleinbürgertum mit der Erhöhung der Benzinpreise und der Steuern, Schichten, die im Übrigen zur Entstehung der inter-klassistischen Bewegung der "Gelbwesten" in Frankreich geführt haben. Die gegenwärtige Situation begünstigt nach wie vor "Volksaufstände", bei denen die Forderungen des Proletariats unter den "sterilen" und reaktionären Sorgen der von der Krise selbst hart getroffenen Kleinunternehmer begraben bleiben. Dies ist zum Beispiel in China der Fall, wo der Zusammenbruch des Immobilienriesen Evergrande auf sehr spektakuläre Weise die Realität eines überschuldeten, anfälligen Chinas symbolisiert, was zu Protesten der bestohlenen Wohnungseigentümer führt, die entsprechend reagieren.
Die Kämpfe, in denen die Klassen vermischt werden, sind eine echte Falle und erlauben es der Arbeiterklasse überhaupt nicht, ihre eigenen Forderungen, ihre eigene Kampffähigkeit, ihre eigene Autonomie für eine revolutionäre historische Klassenperspektive durchzusetzen. Die Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaft, die durch die Pandemie noch verstärkt wird, belastet die Arbeiterklasse, die sich immer noch in großen Schwierigkeiten befindet, und wird dies auch weiterhin tun.
Fehlzeiten am Arbeitsplatz, massenhafte Kündigungen in Unternehmen, die Weigerung, an den Arbeitsplatz zurückzukehren, oft harte Arbeit für sehr niedrige Löhne, haben in den letzten Monaten weiter zugenommen. Dies sind jedoch individuelle Reaktionen, die eher den (illusorischen) Versuch widerspiegeln, der kapitalistischen Ausbeutung zu entkommen, als ihr durch einen kollektiven Kampf als Klasse zu begegnen. Die Bourgeoisie zögert nicht, diese Schwäche auszunutzen, um diejenigen, die kündigen, diese "fordernden" Arbeiter zu verunglimpfen und ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden, indem sie sie direkt für den Personalmangel in Krankenhäusern oder Restaurants "verantwortlich" macht! Mit anderen Worten, um die Spaltung in den Reihen der Arbeitnehmer zu vertiefen.
Trotz all dieser Schwierigkeiten, dieser Fallstricke, hat diese letzte Periode eine Bresche geschlagen und eindeutig bestätigt, dass die Arbeiterklasse in der Lage ist, sich auf ihrem eigenen Boden zu behaupten.
Die Entwicklung ihres Bewusstseins geht durch diese Erneuerung des Kampfgeistes, und es ist noch ein langer Weg voller Fallstricke. Die Revolutionäre müssen diese Kämpfe begrüßen und begleiten, aber ihre Hauptverantwortung besteht darin, so gut wie möglich für ihre Ausweitung, für ihre Politisierung zu kämpfen, die notwendig ist, um die revolutionäre Perspektive lebendig zu halten: indem sie in der Lage sind, ihre Grenzen und Schwächen zu erkennen, indem sie die Fallen, die ihnen von der Bourgeoisie gestellt werden, und die Illusionen, die sie bedrohen, wo auch immer sie herkommen, entschieden anprangern.
Stopio, 3. November 2021
[1]Ein System niedrigerer Löhne für Neueinstellungen, bekannt als "Besitzstandsklausel", dem viele Gewerkschaften zugestimmt hatten.
[2]Dieses für den Staatskapitalismus typische Programm zielt auch darauf ab, die amerikanische Wirtschaft zu modernisieren, um gegenüber den Konkurrenten, insbesondere China, besser bestehen zu können.
Links
[1] https://www.pcint.org/40_pdf/03_LP-pdf/501-600/lp-535-w.pdf
[2] https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus
[3] http://ciml.250x.com/archive/comintern/german/ki_kongress1_richtlinien.html
[4] https://de.internationalism.org/content/758/orientierungstext-militarismus-und-zerfall
[5] https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der
[6] https://en.internationalism.org/content/3106/perspectives-international-class-struggle-breach-opened-poland
[7] https://www.bbc.com/mundo/noticias-51705060
[8] https://de.internationalism.org/plattform
[9] https://de.internationalism.org/internationalerevue/ueber-das-problem-des-populismus
[10] https://de.internationalism.org/internationalerevue/1914-wie-der-deutsche-sozialismus-dazu-kam-die-arbeiterinnen-zu-verr
[11] https://de.internationalism.org/worin-unterscheidet-sich-die-kommunistische-linke-von-der-4-internationale
[12] https://de.internationalism.org/content/1653/der-kommunismus-ist-keine-schoene-idee-sondern-eine-materielle-notwendigkeit
[13] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1906/mapage/kap4.htm
[14] https://de.internationalism.org/content/2952/das-verborgene-erbe-der-linken-des-kapitals-teil-1-eine-falsche-auffassung-von-der
[15] https://de.internationalism.org/content/745/die-funktion-der-revolutionaeren-organisation
[16] https://de.internationalism.org/content/685/dokumente-aus-dem-organisationsleben-die-frage-der-funktionsweise-der-iks
[17] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1918/12/programm.html
[18] https://www.kommunismus.narod.ru/knigi/pdf/Ante_Ciliga_-_Im_Land_der_verwirrenden_Luege.pdf
[19] https://de.internationalism.org/content/1293/teil-ii-die-kommunisten-und-die-nationale-frage-1900-1920-aus-international-review-engl
[20] https://en.internationalism.org/internationalreview/201502/12081/1914-how-2nd-international-failed
[21] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1913/03/quellen.htm
[22] https://de.internationalism.org/content/1075/bericht-zur-struktur-und-funktionsweise-der-organisation-der-revolutionaere
[23] https://de.internationalism.org/rusrev19/1997_rusrevaprilthesen;
[24] https://de.internationalism.org/content/2455/ausserordentliche-internationale-konferenz-der-iks-die-nachrichten-ueber-unser-ableben
[25] https://fractioncommuniste.org/ficci_fra/b27/b27-4.php
[26] https://de.internationalism.org/content/2897/nuevo-curso-und-eine-kommunistische-linke-spaniens-was-sind-die-urspruenge-der
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[28] https://de.internationalism.org/content/2937/gaizka-schweigt-ein-tosendes-schweigen
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[31] https://de.internationalism.org/content/1080/der-kampf-des-marxismus-gegen-das-politische-abenteurertum
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[50] mailto:[email protected]
[51] mailto:[email protected]
[52] https://de.internationalism.org/content/1078/der-haager-kongress-von-1872-der-kampf-gegen-den-politischen-parasitismus
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[82] https://www.welt.de/politik/deutschland/article232656933/Annalena-Baerbock-Klimaschutz-faellt-nicht-vom-Himmel.html
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[93] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/covid-afghanistan-klima
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[97] https://de.internationalism.org/content/2871/nur-der-internationale-klassenkampf-kann-den-kapitalistischen-drang-zur-zerstoerung
[98] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/f4f
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[100] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/demo
[101] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/greta
[102] https://de.internationalism.org/en/tag/6/1273/streiks
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