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Am 5. und 10. Dezember gingen Hunderttausende von Demonstrierenden aus allen Bereichen und Generationen gemeinsam gegen die "Rentenreform" auf die Straße. In den Demos waren Wut und Kampfgeist eindeutig zu spüren. Seit den Kämpfen von 2003 und 2010 gegen die Rentenreform haben wir in Frankreich nicht mehr eine solche soziale Atmosphäre, einen solchen Enthusiasmus gesehen, so viele zu sein, um uns alle gemeinsam gegen diesen Angriff zu wehren, der die gesamte Klasse der Ausgebeuteten betrifft: öffentliche und private Angestellte, Aktive und Rentner*innen, Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Student*innen. Die Solidarität im Kampf zeigt sich auch heute noch durch den Willen, nicht nur für uns selbst, sondern auch für zukünftige Generationen und für andere Bereiche zu kämpfen. Heute Dienstag, den 17. Dezember, sind wir nach der abstoßenden Rede von Édouard Philippe und seinen Maßnahmen, in denen längere Arbeitszeiten und mehr Elend für alle Rentner*innen angekündigt wurden, wieder massiv mobilisiert. Wir müssen diesen Tag nutzen, um gemeinsam in den Demonstrationen zu diskutieren und zu reflektieren.
Der Premierminister, Édouard Philippe, und seine Regierung können ihre Reden mit allen möglichen trickreichen Lügen verkleiden; ihr Ziel ist klar: ihre "Rentenreform" zielt darauf ab, dem Staat Geld zu sparen, indem sie die Renten weiter kürzen. Niemand wird getäuscht, ihre "soziale Gerechtigkeit" heißt Senkung unserer Einkommen, die Verarmung aller.
Die Regierung verbirgt (schlecht) ihr wahres Ziel: Aufgrund von Zeiten der Arbeitslosigkeit oder wegen des Verschleisses durch die Arbeit werden die Arbeiter*innen am Ende in den Ruhestand gehen, ohne ihre gesamte Rente (oder alle ihre Punkte) zu haben, und müssen sich mit eingeschränkten Renten abfinden. Viele werden nicht einmal in der Lage sein, das bereits versprochene elende Minimum von 1.000 Euro zu erhalten, weil es dies nur für die volle Beitragszahlung gibt.
Um diese allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen zu verbergen, um die Arbeiter und ihren Kampf zu spalten, wendet die Regierung jeden erdenklichen Trick an. Sie stellt die Eisenbahner und RATP-Beschäftigten (Pariser-Nahverkehrsbetriebe) als "privilegierte Egoisten" und sogar "Geiselnehmer" dar. Mit der Begleitung von lautstark verbreiteten Stellungnahmen im Fernsehen und in der Presse macht die Regierung Versprechungen für diesen oder jenen Bereich, verhandelt in jeder Branche oder sogar in jedem Unternehmen getrennt. Die Lehrer*innen erhalten ein paar Krümel an Bonuszahlungen. Die Eisenbahner*innen erhalten einige Zugeständnisse bei den Anrechnungn der Arbeitszeiten/-tage. Die Regierung gibt vor, die vor 1975 geborenen Beschäftigten zu verschonen, um uns zwischen Jung und Alt zu spalten. Die Regierung gibt vor, Frauen bevorzugen zu wollen, während arbeitende Frauen wie alle anderen auch ärmer sein werden, wenn sie das Rentenalter erreichen.
Diese "Reform" ist nur ein gewalttätiger Angriff unter vielen. Überall, in Fabriken und Verwaltungen, in allen Unternehmen, in allen Bereichen, im privaten und im öffentlichen Sektor, setzt die Bourgeoisie dieselben unerträglichen Arbeitsbedingungen durch. Überall drohen prekäre Arbeitsbedingungen. Überall kündigen die neuen "Reformen" eine noch härtere Zukunft an. Ziel der Regierung ist es, die französische Wirtschaft international so wettbewerbsfähig wie möglich zu machen in einer Zeit, in welcher der Wettbewerb zwischen den Nationen durch die Verschärfung der Weltwirtschaftskrise immer härter wird. Sie schlägt immer wieder zu – jeweils im Namen der "notwendigen" Rentabilität, der "obligatorischen" Wettbewerbsfähigkeit, der "unvermeidlichen" Notwendigkeit von ausgeglichenen Haushalten, während die Einkommen und Privilegien der Kapitalisten skrupellos weiter zunehmen.
Bei der Demonstration am 10. Dezember in Paris sagte uns ein Bahnarbeiter der SNCF: "Man sagt, wir kämpfen für unsere Privilegien. Ich bin über 50 Jahre alt. Ich werde von der Reform nicht betroffen sein. Aber ich streike und beteilige mit seit 15 Tagen an den Vollversammlungen. Ich kämpfe nicht für mich. Ich kämpfe für die Jüngeren. Und das nicht nur für die Beschäftigten der SNCF. Für alle anderen, in allen Berufen. Wir müssen alle zusammenhalten. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, auf diese Weise verachtet zu werden."
Und dies ist keine isolierte Aussage. Ganz im Gegenteil. Diese Solidarität zwischen den Generationen und zwischen den Bereichen, dieses Gefühl der Zugehörigkeit zum Lager der Ausgebeuteten, das Gefühl, gemeinsam kämpfen zu müssen, ist in den Köpfen aller präsent. Das ist die Besonderheit der gegenwärtigen Bewegung: Nach Jahren der Trägheit, des Rückzugs in sich selbst, beginnen die ArbeiterInnen ihre Fähigkeit wieder zu entdecken, sich zu vereinen, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam, in Solidarität und Einheit zu kämpfen.
Die Gewerkschaften haben diese aufkommende Dynamik wahrgenommen, und deshalb präsentieren sie sich heute schamlos als Förderer der Solidarität, während sie in Wirklichkeit ständig die Arbeitnehmer spalten.
Édouard Philippe schloss seine Rede vom 11. Dezember mit den heuchlerischen Worten: "Meine Hand ist ausgestreckt, und unsere Tür bleibt offen." Aber offen für wen? Für die "Sozialpartner", d.h. die Gewerkschaften, die in keiner Weise die Interessen der Arbeiter*innen vertreten.
In der Tat wurde seit diesem Datum eine ganze Reihe von Verhandlungen mit diesen "Sozialpartnern" geführt, insbesondere über die Frage des auf 64 Jahre festgelegten "Referenz-Alters", das es der CFDT erlaubt, sich ein kämpferischeres Image zu geben. Hier taucht eine erste Falle auf: In naher Zukunft könnte die Regierung so tun, als würde sie bei diesem speziellen Aspekt ihrer Reform, auf den die Medien die ganze Aufmerksamkeit richten, vorübergehend einen Rückzieher machen, um vom Ganzen abzulenken. Die als "reformistisch" eingestuften Gewerkschaften können dann für sich in Anspruch nehmen, dass sie zufriedengestellt wurden. Die gewerkschaftliche Arbeit der Spaltung der Bewegung kann also beginnen!
Eine weitere Falle ist zu erwarten: Während bereits im September die Kampfbereitschaft in vielen Bereichen stark war, beschlossen die Gewerkschaften, die Bewegung erst am ... 5. Dezember zu starten. Warum mehr als drei Monate warten? Ganz einfach, wegen der Weihnachts- und Neujahrsfeiertage Ende Dezember! In Frankreich sind das Jahresende sowie die Sommerferien die schlechteste Zeit für die Entwicklung einer sozialen Bewegung aller Arbeiter*innen. Es ist ein klassisches Manöver der Gewerkschaften. Die Chancen stehen gut, dass die Eisenbahner*innen der SNCF und der RATP während dieser zwei Wochen, gedrängt von CGT und SUD, den Kampf allein und isoliert fortsetzen werden. Das Ziel der Gewerkschaften ist es, die Bewegung zu zerstückeln, die Kampfbereitschaft zu erschöpfen und die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe zu isolieren, während die Medien eine intensive Kampagne gegen diese so genannten "Geiselnehmer“ führen, „die die Arbeiter daran hindern, zu reisen und ihren wohlverdienten Urlaub zu genießen".
Auch in seiner Rede vom 11. Dezember hat Édouard Philippe stolz erklärt: "Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, an denen wir die Reform verbessern können, insbesondere bei den besonders schwierigen Arbeitsbedingungen." Darin liegt die dritte Falle: Die Regierung verhandelt mit jeder Branche separat, eine nach der anderen, um uns zu spalten. Aber mit wem verhandelt sie? Immer wieder mit – den Gewerkschaften! Während die "Sozialpartner" laut und deutlich erklären, dass diese Reform ein Angriff auf alle Arbeiter*innen ist, finden sie sich gleichzeitig am Verhandlungstisch mit der Regierung wieder (wie immer hinter unserem Rücken), um "gemeinsam zu untersuchen", wie Arbeiter*innen im Bildungswesen, im Transportwesen, in Krankenhäusern (oder in jeder anderen schwierigen Arbeit) teilweise und vorübergehend von diesem oder jenem Aspekt der Reform verschont bleiben könnten. Kurz gesagt, Regierung und Gewerkschaften spielen das Spiel der branchenmäßigen Spaltung gemeinsam, Hand in Hand!
Erinnern wir uns daran, dass die Gewerkschaften seit Jahren mehr und mehr branchenspezifische Aktionstage veranstalten, dass sie, wann immer sie können, die isologiert kämpfenden Arbeiter*innen in ihrer Branche gewissermaßen einsperren, jede*r in seinem/ihren Betrieb und mit seiner/ihrer eigenen Parole und seinen/ihren spezifischen Forderungen. Und je isolierter der Kampf ist, desto länger lassen die Gewerkschaften ihn dauern, bis die Streikenden völlig erschöpft sind.
Eine Karikatur dieser Sabotage war der Aufruf der "Kollektive" Inter-urgence und Inter-hôpitaux (krankenhausübergreifende Notdienste), sich nicht dem Streik vom 5. Dezember anzuschließen, und zwar im Namen der "Besonderheit der Krankenhausforderungen", um nicht "in einer Sammelbewegung verwässert zu werden". So hatten diese (von den Gewerkschaften und trotzkistischen Gruppen beherrschten) "Kollektive" die Krankenhausbeschäftigten aufgefordert, sich für einen besonderen, separaten Aktionstag am 30. November zu mobilisieren.
Aber dank dem Nachdenken der Arbeiter*innen über die Notwendigkeit, vereint und solidarisch zu kämpfen, gelang es, dem branchenmäßigen Spaltungsmanöver entgegenzuwirken, das von diesen "Kollektiven" orchestriert wurde: Am Ende folgten viele Krankenschwestern, Notärzt*innen und Praktikant*innen nicht den Anweisungen der Gewerkschaft und demonstrierten am 5. und 10. Dezember!
Seien wir nicht naiv, heute brüsten sich die Gewerkschaften mit ihrer neu gefundenen Einheit und Radikalität, indem sie verkünden, dass es keinen "Waffenstillstand am Jahresende" geben werde, um den Streik bei der RATP und der SNCF "unpopulär" zu machen. Dieses Manöver hat nur ein Ziel: uns zu spalten und in eine Niederlage und Demoralisierung zu führen!
Alle Ausgebeuteten haben die gleichen Interessen zu verteidigen. Sie kämpfen den gleichen Kampf. Nur durch Einheit und Solidarität, über Branchen und Unternehmen hinweg, können wir stark sein. Diese notwendige Einheit im Kampf bedeutet, dass wir uns nicht mehr als Eisenbahnarbeiter, Krankenschwestern, Kassierer, Lehrerinnen oder Computerspezialisten sehen dürfen, sondern als ausgebeutete Arbeiter und Arbeiterinnen. Das beweisen einmal mehr die massiven Demonstrationen im Dezember! Das ist es, was die französische Bourgeoisie heute beunruhigt!
Aber wenn wir unseren Kampf weiterhin den Gewerkschaften anvertrauen, werden diese sozialen Feuerwehrleute die Entwicklung unserer Kampffähigkeit und Solidarität sabotieren. Im Namen der Einheit werden sie uns spalten. Im Namen des Radikalismus werden sie uns erschöpfen. Wir können uns nur auf uns selbst verlassen. Um unsere Kämpfe voranzutreiben, müssen wir lernen, uns zu organisieren, indem wir massenhafte, für alle offene Vollversammlungen einberufen und Delegationen in die Betriebe schicken, die unserem Arbeitsplatz geographisch am nächsten liegen. Es ist möglich, wir haben es bereits getan. Erinnern wir uns:
1968, als die Weltwirtschaftskrise erneut zuschlug und mit ihr die Arbeitslosigkeit zurückkehrte, schlossen sich die Arbeiter*innen in Frankreich im Kampf zusammen. Nach den gewaltigen Demonstrationen am 13. Mai aus Protest gegen die polizeiliche Repression gegen die Student*innen breiteten sich die Streiks und Vollversammlungen wie ein Lauffeuer in den Betrieben aus. Dies gipfelte mit 9 Millionen Streikenden im größten Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Sehr oft entwickelte sich diese Dynamik der Ausdehnung und der Einheit außerhalb der Gewerkschaften, und viele Arbeiter*innen zerrissen nach den Grenelle-Vereinbarungen vom 27. Mai zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern ihre Gewerkschaftskarte. Es handelte sich um Vereinbarungen, die die Bewegung zu Grabe trugen.
Im Frühjahr 2006 musste die Regierung angesichts der Entwicklung der Solidarität zwischen den arbeitenden Generationen ihren "Contrat Première Embauche" (CPE) zurückziehen. Prekär beschäftigte Student*innen hatten in den Universitäten massenhaft Vollversammlungen organisiert, die für Arbeiter*innen, Arbeitslose und Rentner*innen offen waren. Sie hatten eine verbindende Parole aufgestellt: den Kampf gegen Prekarität und Arbeitslosigkeit. Diese Vollversammlungen waren sozusagen die Lunge der Bewegung, das Zentrum, wo Debatten geführt, Entscheidungen getroffen wurden, insbesondere über die Mittel zur Ausweitung des Kampfes. Ergebnis: Jedes Wochenende brachten die Demonstrationen immer mehr Bereiche zusammen. Unter dem Motto "Junger Speck, alte Croutons, alles derselbe Salat" schlossen sich Angestellte und Rentner*innen den Studenten*innen an. Die französische Bourgeoisie, die Arbeitgeber und die Regierung von Villepin hatten angesichts dieser Ausweitung und der von den Student*innen begonnenen Tendenz zur Vereinheitlichung der Bewegung keine andere Wahl, als den CPE zurückzuziehen.
Heute fehlt den Angestellten, Arbeitslosen, Rentner*innen und Studierenden noch das Vertrauen in sich selbst, in ihre kollektive Stärke, um ihren Kampf in die Hand zu nehmen. Aber es gibt keinen anderen Weg. Alle von den Gewerkschaften vorgeschlagenen "Aktionen" führen zu Spaltung, Niederlage und Demoralisierung. Nur das Zusammenkommen in offenen, massiven und autonomen Vollversammlungen, die wirklich über die Richtung der Bewegung entscheiden, kann die Grundlage für einen vereinigten und solidarischen Kampf aller Bereiche, aller Generationen sein. Vollversammlungen, die es jedem und jeder ermöglichen, an der Bewegung teilzunehmen. Vollversammlungen, die gemeinsame Forderungen stellen. Vollversammlungen, in denen wir uns vereint fühlen und auf unsere gemeinsame Stärke vertrauen. Vollversammlungen, die es uns ermöglichen, die Manöver der Gewerkschaften zu vereiteln und die Führung in unserem eigenen Kampf zu übernehmen.
Wenn diese Bewegung aufhört, weil sie irgendwann mal zu Ende gehen wird, müssen sich die kämpferischsten und entschlossensten Arbeiter neu zusammenfinden. Diese Arbeiter müssen zusammenkommen, um "Kampfkomitees" zu bilden, um gemeinsam zu diskutieren, die Lehren dieser sozialen Bewegung zu ziehen, sich die der vergangenen Bewegungen wieder anzueignen und sich auf zukünftige Kämpfe vorzubereiten.
Nur das Proletariat wird auf lange Sicht in der Lage sein, die Türen der Zukunft für die zukünftigen Generationen zu öffnen, angesichts dieses dekadenten kapitalistischen Systems, das immer mehr Elend, Ausbeutung und Barbarei in sich trägt, das Krieg und Massaker mit sich bringt, wie die Wolke den Sturm trägt. Ein System, das die Umwelt zerstört und das Überleben der Menschheit bedroht.
Nur der massive, vereinigte und selbstorganisierte Kampf der ausgebeuteten Klasse kann die gegenwärtigen Angriffe der Bourgeoisie bremsen und zurückschlagen.
Nur die Entwicklung dieses Kampfes kann den Weg für den grundlegenden und historischen Kampf der Arbeiterklasse für die Abschaffung der Ausbeutung und des Kapitalismus ebnen.
Internationale Kommunistische Strömung, 15. Dezember 2019
Nach der gezielten Ermordung des führenden iranischen Militärstrategen Qaseem Soleimani durch die USA ging es in vielen Hauptstädten der Welt, vor allem in Westeuropa – unabhängig davon, ob sie sich explizit für die US-Aktion aussprachen oder nicht – um die Notwendigkeit, eine "Eskalation" der militärischen Spannungen im Mittleren Osten zu vermeiden. In Bezug auf die begrenzte Art der ersten Reaktion des Iran – ein Raketenangriff auf die US-Luftwaffenstützpunkte im Irak, der offenbar nur geringe Schäden oder Verluste an Menschenleben verursacht hat – atmeten dieselben Stimmen auf und hofften, dass der Iran nun Halt machen würde.
Aber die Eskalation der militärischen Konfrontationen im Nahen Osten – und der besondere Beitrag der USA dazu – hat tiefere und breitere Wurzeln als die derzeitige Konfrontation zwischen dem Iran und der Trump-Regierung in den USA. Bereits in der Zeit des Kalten Krieges war die strategisch wichtige Region Schauplatz einer Reihe von Stellvertreterkriegen zwischen dem US-amerikanischen und dem russischen Block, insbesondere mit den arabisch-israelischen Kriegen von 1967 und 1973 und den "Bürgerkriegen", die den Libanon und Afghanistan heimsuchten, oder dem Krieg zwischen Iran und Irak in den 1980er Jahren. Mit dem Zusammenbruch des russischen Blocks am Ende jenes Jahrzehnts versuchten die USA, sich als einzige Supermacht der Welt durchzusetzen, indem sie von ihren ehemaligen Partnern des westlichen Blocks verlangten, sich 1991 dem ersten Krieg der "Neuen Weltordnung" von Bush Senior gegen Saddams Irak anzuschließen. Aber diese „Neue Weltordnung“ erwies sich bald als eine Illusion. Anstatt eine neue globale Stabilität zu erreichen – eine, die natürlich von den USA dominiert werden sollte – beschleunigte nur jedes neue amerikanische Militärabenteuer das Abgleiten ins Chaos: der gegenwärtige Zustand der beiden Länder, Afghanistan und Irak, die sie zu Beginn des neuen Jahrhunderts besetzten, liefert dafür reichlich Beweise. Unter Obama haben die USA in diesen Ländern einen Rückschlag erlitten und die Notwendigkeit, sich auf den Konflikt im Fernen Osten zu konzentrieren, um sich der wachsenden Herausforderung durch China zu stellen, hat den abnehmenden Einfluss des amerikanischen Imperialismus im Mittleren Osten noch weiter verdeutlicht. In Syrien mussten sie immer mehr Boden an Putins Russland abtreten, das nun ein Bündnis mit der Türkei (einem NATO-Mitglied) eingegangen ist, um die kurdischen Kräfte, die zuvor mit Unterstützung der USA den Norden Syriens gehalten hatten, zu zerstreuen.[1]
Aber obgleich die USA auf dem Rückzug sind, behaupten sie weiterhin, dass sie sich keineswegs aus der Region zurückgezogen haben. Stattdessen haben sie ihre Strategie auf die unerschütterliche Unterstützung ihrer beiden zuverlässigsten Verbündeten in der Region – Israel und Saudi-Arabien – ausgerichtet. Unter Trump haben die USA praktisch jeden Schein aufgegeben, Schiedsrichter zwischen Israel und den Palästinensern zu sein, und Netanjahus offen annektierendes Vorgehen ohne jeden Einwand unterstützt. Ebenso scheut sie keine Skrupel, das saudische Regime zu unterstützen, das im Jemen einen brutalen Krieg führt und dreist Sprecher der Opposition wie den Journalisten Jamal Khashoggi ermordet, der in der saudischen Botschaft in Istanbul getötet und zerstückelt wurde. Und vor allem übt es Druck auf seinen Hauptfeind in der Region, den Iran, aus.
Der Iran ist den USA seit der sogenannten Islamischen Revolution, die 1979 den stark pro-amerikanischen Schah stürzte, ein Dorn im Auge. In den 80er Jahren unterstützten sie Saddams Krieg gegen den Iran, um das neue Regime zu schwächen. Doch der Sturz Saddams im Jahr 2003 hat einen großen Teil des Irak für den iranischen Einfluss geöffnet: Die schiitisch dominierte irakische Regierung in Bagdad ist eng mit dem Teheraner Regime verbunden. Dies hat die eigenen imperialistischen Ambitionen des Iran im gesamten Nahen Osten erheblich verstärkt: Er hat über die Hisbollah im Libanon eine Art „Staat im Staat“ gegründet und ist die Hauptstütze der Huthi-Kräfte, welche gegen Saudi-Arabien und seine Stellvertreter im Jemen kämpfen. Und Soleimani war der Hauptarchitekt des iranischen Imperialismus bei diesen und anderen Abenteuern.
Die Entscheidung von Trump, die Ermordung Soleimanis in Angriff zu nehmen, basierte daher nicht auf einer bloßen Laune dieses zugegebenermaßen unberechenbaren US-Präsidenten, sondern ist Teil einer imperialistischen Strategie, die von einem beträchtlichen Teil der US-Bourgeoisie unterstützt wird – auch wenn die Verfolgung ihrer Logik sicherlich die Spaltungen innerhalb des militärisch-politischen Apparates der US-Herrscherklasse verschärft hat. Insbesondere hat sie diejenigen verärgert, die Obamas versöhnlichere Annäherung an den Iran unterstützten, wie sie in der Vereinbarung über das iranische Atomprogramm verkörpert wird, eine der ersten diplomatischen Vereinbarungen, die Trump bei seiner Amtsübernahme fallen gelassen hat. Dieser Versuch, Brücken zum Iran zu bauen, war auch die Vorgehensweise der wichtigsten europäischen Mächte, einschließlich Großbritanniens, die erneut ihre Bedenken gegen Trumps Politik nach der Ermordung Soleimani zum Ausdruck gebracht haben.
Diese bürgerlichen Kritiker von Trump haben sich beschwert, dass sie die "langfristige Strategie" hinter Soleimanis Ermordung nicht sehen können, dass Trump die Dinge nicht durchdacht hat. Sie bekräftigen weiterhin ihr Engagement für rationale, politische, diplomatische Lösungen für die kriegsähnlichen Konflikte und Rivalitäten, die sich auf der ganzen Welt ausbreiten. Aber das Abgleiten des Kapitalismus in den Militarismus ist nicht das Produkt von Trump oder anderen schlechten Führern, sondern der historischen Sackgasse des kapitalistischen Systems, und diese „verantwortlichen" bürgerlichen Fraktionen sind nicht weniger auf die Militärmaschine angewiesen als Trump und andere Populisten. Der Einsatz von Drohnen im Mittleren Osten und den umliegenden Regionen wurde unter Obama eingeführt.
Trumps Regierung basiert auf der Erkenntnis, dass sowohl die alte Ordnung der disziplinierten Militärbündnisse, die während des Kalten Krieges herrschte, als auch das Projekt der neuen Weltordnung nach 1989 gleichermaßen tot sind und dass die wahre Dynamik in der Welt seit 1989 darin besteht, dass "jeder für sich selbst schaut und der Teufel den Letzten schnappt": das ist die wahre Bedeutung von Trumps Slogan "America first". Und dies wiederum ist auf der Ebene der internationalen Beziehungen der Ausdruck der dahinter steckenden Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaft selbst – der letzten Phase des Niedergangs des Kapitalismus als Produktionsweise, die erstmals durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs deutlich in Erscheinung getreten ist. In diesem Zusammenhang sind die USA nicht mehr der Gendarm der Welt, sondern der Hauptfaktor für den Abstieg ins Chaos. Trump ist lediglich die Personifizierung dieser unerbittlichen Tendenz. Deshalb kann das "langfristige Vorgehen", das hinter der Ermordung Soleimanis steckt, unabhängig von den subjektiven Vorstellungen Trumps oder seinen Gefolgsleuten und Anhängern, nur ein Ergebnis haben: die Eskalation der militärischen Barbarei, ob diese nun kurz- oder langfristig stattfindet. Und wie der Alptraum in Syrien klar vor Augen führt, wird das erste Opfer dieser Eskalation die Masse der Bevölkerung sein, der "Kollateralschaden" des Militarismus. In diesem Sinne zeigt der Abschuss des ukrainischen Flugzeugs über Teheran am selben Tag wie der iranische Raketenangriff auf die US-Luftwaffenstützpunkte, ob beabsichtigt oder nicht, den wahren menschlichen Preis dieser militärischen Konfrontationen.
Der linke Flügel der kapitalistischen politischen Maschinerie – die Demokraten und „demokratischen Sozialisten" in den USA, die Corbynisten in Großbritannien, die Trotzkisten überall – haben ihre eigene Agenda, wenn sie das Anheizen der Spannungen im Nahen Osten auf Trump oder den US-Imperialismus schieben. Das rührt von der Idee her, dass Amerika oder die Westmächte die einzigen Imperialisten seien und dass sie von nicht-imperialistischen oder sogar antiimperialistischen Ländern wie Russland, China – oder dem Iran – bekämpft würden. Das ist eine Lüge: In dieser Epoche sind alle Länder imperialistisch, von den größten und einflussreichsten Staaten bis hin zu den kleineren und weniger globalen Mächten. Der Iran hat (nicht weniger als Israel) seine eigenen imperialistischen Bestrebungen, die sich in seinen Versuchen ausdrücken, Stellvertreterkräfte einzusetzen, um die führende Macht im Nahen und Mittleren Osten zu werden. Und hinter ihnen lauern die größeren imperialistischen Staaten Russland und China. Im Gegensatz dazu haben diejenigen, die vom Kapital ausgebeutet werden, egal welcher Nationalstaat über ihre Ausbeutung herrscht, kein Interesse daran, sich mit den imperialistischen Abenteuern ihrer eigenen herrschenden Klasse zu identifizieren.
Die Linken fordern zwar die Verteidigung der so genannten "unterdrückten" Nationen und Nationalstaaten, behaupten aber gleichzeitig, auf der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten in diesen Ländern zu stehen, wo die lange Herrschaft der Kriegswirtschaft zusammen mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise – zu der wir das Gewicht der US-Sanktionen in einem Land wie dem Iran hinzufügen können – sicherlich zu einer massiven Anhäufung von sozialer Unzufriedenheit und Widerstand gegen die bestehenden Regime im gesamten Nahen und Mittleren Osten geführt hat.[2] Das haben die Volksaufstände in Ländern wie dem Libanon, dem Irak und dem Iran in den vergangenen zwei Jahren gezeigt. Aber während die Linken ihre Unterstützung für diese Bewegungen hinausposaunen, untergraben sie in Wirklichkeit die Möglichkeit der Entstehung einer unabhängigen Klassenbewegung in diesen Ländern, weil sie sich weigern, die Schwächen dieser Aufstände zu kritisieren, bei denen verschiedene Klasseninteressen miteinander verschmolzen werden. In der Tat können die Linken mit ihrer Unterstützung für den "Nationalismus der Unterdrückten" die Tendenz dieser Aufstände, eine nationalistische Richtung einzuschlagen, nur noch verstärken (wie bei den antiiranischen Parolen, die bei den Protesten im Irak erhoben wurden, oder mit dem Schwenken der libanesischen Flagge als falsche Lösung für die zahlreichen Spaltungen im Libanon). Und jetzt, wo die Regime im Iran und im Irak versuchen, die Unzufriedenheit mit den Regierungen in einer hysterischen Kampagne der antiamerikanischen nationalen Einheit zu ertränken, betätigen sich die Linken, indem sie die anti-amerikanischen Parolen aufgreifen, als Cheerleader der Kriegsanstrengungen der Ayatollahs. Und es ist eine Ironie der Situation, dass die Ermordung Soleimanis durch die USA es dem Teheraner Regime ermöglicht, diese Kampagnen zu nutzen, um seine Glaubwürdigkeit als Verteidiger der iranischen "nationalen Interessen" zu stärken.
Und doch bezweifeln wir trotz der weit und breit publizierten Bilder von Hunderttausenden auf den Straßen, die um Soleimani weinen, dass die Ausgebeuteten und Unterdrückten im Iran und im Irak vollständig vom Regime vereinnahmt wurden: Es ist schließlich derselbe Soleimani, dessen Elitekräfte bei der gnadenlosen Unterdrückung der Proteste gegen das Regime, das Hunderte von Leichen auf den Straßen hinterlassen hat, an vorderster Front stehen. Die wütenden regierungsfeindlichen Demonstrationen, die im Iran unmittelbar nach dem Eingeständnis der Behörden, das ukrainische Flugzeug abgeschossen zu haben, ausbrachen, zeigen, dass die vom Regime nach der Ermordung Soleimanis fabrizierte "Heilige Allianz" keine wirkliche Festigkeit besitzt.
Die Arbeiterklasse im Iran hat in den vergangenen zwei Jahren einige mutige Kämpfe geführt und dabei wieder einmal gezeigt, dass sie – wie wir in bestimmten Momenten in den Jahren 1978-79 gesehen haben – das Potenzial hat, der Masse der Bevölkerung eine Führung zu geben, ihre Unzufriedenheit in eine authentisch proletarische Bewegung zu integrieren.
Aber damit dies geschehen kann, müssen die Arbeiter*innen des Iran, des Irak und anderer Länder an der Frontlinie des imperialistischen Konflikts die Fähigkeit entwickeln, alle Fallen, die ihnen in den Weg gelegt werden, sei es in der Form von Nationalismus oder Illusionen in die Überlegenheit der „westlichen Demokratie“, zu vermeiden. Und sie werden nicht in der Lage sein, diesen wichtigen Schritt nach vorne zu machen ohne die aktive Solidarität der internationalen Arbeiterklasse, vor allem in den zentralen Ländern des Systems. Die gegenwärtigen Kämpfe der Arbeiterklasse in Frankreich zeigen, dass dies keine verlorene Hoffnung ist.
Gegen die Eskalation der militärischen Barbarei liegt der einzige Weg nach vorne für die Menschheit in der Eskalation des internationalen Klassenkampfes gegen das Kapital, seine nationalen Rivalitäten, seine Repression und seine Kriege.
Amos, 12.01.20
[1] Der "Orientierungswechsel" von Erdogans Türkei funktioniert jedoch in beide Richtungen, wie die meisten Bündnisse in dieser Zeit: Im Nahen Osten hat sie sich gegen die USA in Richtung Russland geschlängelt, aber in Libyen hat sie Truppen zur Unterstützung der von der UNO anerkannten Regierung der Nationalen Übereinkunft (GNA) gegen die von Russland unterstützten Kräfte unter Khalifa Haftar geschickt ...
[2] Erinnern wir uns auch daran, dass derselbe Trump, der sich heuchlerisch zugunsten der Proteste der iranischen Bevölkerung gegen Armut und Arbeitslosigkeit äußert, jetzt droht, ihre Lebensbedingungen noch verzweifelter zu machen, indem er dem Iran noch lähmendere Wirtschaftssanktionen auferlegt. Nicht weniger heuchlerisch ist Trumps Vorwand, die Proteste nach dem Abschuss des Flugzeugs zu unterstützen; ein Versuch, den Irrtum des Iran zu instrumentalisieren und Illusionen über die moralische Überlegenheit der Westmächte zu verbreiten.
Nach Jahren der Trägheit zeigt die soziale Bewegung gegen die Rentenreform ein Erwachen der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse in Frankreich. Trotz all ihrer Schwierigkeiten hat die Arbeiterklasse begonnen, die Stirn zu bieten. Während vor einem Jahr das gesamte soziale Terrain von der interklassistischen Gelbe-Westen-Bewegung besetzt war, haben heute die Ausgebeuteten aus allen Bereichen und Generationen die von den Gewerkschaften organisierten Aktionstage genutzt, um auf die Straße zu gehen, entschlossen, auf ihrem eigenen Klassenterrain gegen diesen massiven Frontalangriff der Regierung gegen alle Ausgebeuteten zu kämpfen.
Während die ArbeiterInnen fast zehn Jahre lang gelähmt und völlig isoliert in ihrer eigenen Ecke an ihren Arbeitsplatzes geblieben sind, ist es ihnen in den letzten Wochen gelungen, den Weg zurück zum Weg des kollektiven Kampfes zu finden.
Die Bestrebungen nach Einheit und Solidarität im Kampf zeigen, dass die Arbeiter in Frankreich beginnen, sich wieder als Teil ein und derselben Klasse mit den gleichen Interessen zu erkennen, die es zu verteidigen gilt. So konnte man in mehreren Demonstrationszügen, besonders in Marseille, hören: "Die Arbeiterklasse existiert!" In Paris sangen Gruppen von Demonstranten, die nicht hinter Gewerkschaftsfahnen marschierten, "Wir sind hier, wir sind hier für die Ehre der Arbeiter und für eine bessere Welt". Bei der Demonstration am 9. Januar sangen sogar Schaulustige, die am Rande des Gewerkschaftsumzugs auf den Bürgersteigen gingen, das alte Lied der Arbeiterbewegung: "Die Internationale", während Studenten und Gymnasiasten mit ihren eigenen Spruchbändern riefen: "Die Jungen in der Galeere, die Alten im Elend!“
Indem die Arbeiterklasse sich weigert, vor den Bedürfnissen des Kapitals auf die Knie zu gehen, kann sie ihre Würde zurückgewinnen.
Ein weiteres, für eine Veränderung der sozialen Situation sehr bedeutsames Element war die Einstellung und die Haltung der Reisenden während der Streiks im Nah- und Fernverkehr. Dies ist das erste Mal seit der Bewegung vom Dezember 1995, dass ein Transportstreik nicht "unpopulär" ist, trotz aller von den Medien orchestrierten Kampagnen wegen der Unannehmlichkeiten der Reisenden, um zur Arbeit, nach Hause oder während der Weihnachtsferien in den Urlaub zu fahren. Nirgendwo, außer in den dem Kapital ergebenen Medien, war zu hören, dass die Eisenbahner der SNCF oder der RATP die Reisenden "als Geiseln" nähmen. Auf den Bahnsteigen oder in den überfüllten Zügen und RER warteten die Menschen geduldig. In der Hauptstadt schafften es die Leute ohne groß über die streikenden Eisenbahnarbeiter zu klagen, mittels Fahrgemeinschaften, Fahrräder, Roller.an ihr Ziel zu gelangen. Aber mehr als das, die Unterstützung und Wertschätzung für die Eisenbahner zeigte sich auch in Gestalt zahlreicher Spenden für Solidaritätskassen (mehr als drei Millionen Euro wurden in wenigen Wochen gesammelt!) für die Streikenden, die selbst mehr als ein Monatsgehalt opferten, indem sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere kämpften.
Doch nach anderthalb Monaten Streik, nach wöchentlichen Demonstrationen mit Hunderttausenden von Menschen, ist es dieser Bewegung nicht gelungen, die Regierung zum Rückzug zu bewegen.
Von Anfang an hatten die Bourgeoisie, ihre Regierung und ihre "Sozialpartner" eine Strategie entwickelt, um den Angriff auf die Renten durchzusetzen. Die Frage des "Renteneintrittsalters ohne Abzüge“ war eine Karte, die sie in der Hinterhand hatten, um den Widerstand der Arbeiterklasse zu sabotieren und die "Reform" durch die klassische Strategie der Spaltung der "Gewerkschaftsfront" durchzusetzen.
Darüber hinaus rüstete die Bourgeoisie ihren Polizeistaat im Namen der Aufrechterhaltung der "republikanischen Ordnung" auf. Die Regierung setzt besessen ihre Repressionskräfte ein, um uns einzuschüchtern. Mit Rückendeckung durch die Medien reagieren die Bullen mit Tränengas und verprügeln blindlings Arbeiter (einschließlich Frauen und Rentner). Die Medien schmeißen alle in einen Topf: die ausgebeutete Klasse, die schwarzen Blöcke und andere "Randalierer". Um zu verhindern, dass die Arbeiter am Ende der Demonstrationen zu Diskussionen zusammenkommen, treiben die CRS-Trupps sie auf Befehl der Präfektur mit Granaten auseinander (Entkesselung heißt das in der Polizeisprache). Die Polizeigewalt ist keineswegs das Ergebnis von einfachen individuellen "Fehlern" einiger weniger aufgeregter und unkontrollierbarer CRS. Sie gibt einen Vorgeschmack von der rücksichtslosen und grausamen Unterdrückung, die die herrschende Klasse auch in Zukunft nicht zögern wird, gegen die Proletarier zu entfesseln (wie sie es in der Vergangenheit z.B. während der "blutigen Woche" der Pariser Kommune 1871 getan hat).
Um der herrschenden Klasse entgegenzutreten und die Regierung zum Rückzug zu zwingen, müssen die Arbeiter ihren Kampf selbst in die Hand nehmen. Sie dürfen sie nicht den Gewerkschaften, diesen "Sozialpartnern", anvertrauen, die immer hinter ihrem Rücken und hinter verschlossenen Türen in den Ministerien verhandelt haben.
Wenn wir weiterhin die Gewerkschaften bitten, uns zu "vertreten", wenn wir weiterhin darauf warten, dass sie den Kampf für uns organisieren, dann ja, dann sind wir "verkauft“ und werden verlieren.
Um unseren Kampf in die Hand nehmen zu können, ihn zu erweitern und zu vereinheitlichen, müssen wir uns massenhaft in Vollversammlungen organisieren, die selbständig sind und der ganzen Arbeiterklasse offenstehen. In diesen Vollversammlungen können wir gemeinsam diskutieren, gemeinsam über die zu ergreifenden Maßnahmen entscheiden, Streikkomitees mit gewählten Delegierten bilden, die jederzeit abgewählt werden können.
Die jungen ArbeiterInnen, die sich im Frühjahr 2006, als sie noch Studenten oder Gymnasiasten waren, an der Bewegung gegen den "Erstanstellungsvertrag" beteiligt haben, müssen sich an diese Erfahrung erinnern und sie an ihre ArbeitskollegInnen, jung und alt, weitergeben. Wie konnten sie die Regierung Villepin zum Rückzug zwingen, als diese den "CPE" zurückzog? Dank ihrer Fähigkeit, ihren Kampf selbst in ihren massiven Vollversammlungen in allen Universitäten und ohne jede Gewerkschaft zu organisieren. Der Zugang zu den Vollversammlungen war nicht versperrt. Im Gegenteil: Die Studenten hatten alle ArbeiterInnen, aktive und pensionierte, aufgerufen, mit ihnen in ihren Vollversammlungen zu diskutieren und sich an der Bewegung in Solidarität mit den jungen Generationen, die mit Arbeitslosigkeit und Prekarität konfrontiert sind, zu beteiligen. Die Regierung Villepin musste den CPE ohne jegliche "Verhandlung" zurückziehen. Studenten, junge prekäre Arbeitnehmer und zukünftige Arbeitslose waren nicht durch die "Sozialpartner" vertreten, und sie haben gewonnen.
Die Eisenbahner, die an der Spitze dieser Mobilisierung standen, können ihren Streik nicht allein fortsetzen, ohne dass die anderen Teile der Arbeiterklasse sich ihnen im Kampf anschließen. Trotz ihres Mutes und ihrer Entschlossenheit können sie nicht "an Stelle" der gesamten Arbeiterklasse kämpfen. Man kann die Regierung nicht mit einem „Stellvertreterkampf“ zum Rückzug zwingen, egal wie entschlossen die Beteiligten auch sein mögen.
Heute ist die Arbeiterklasse noch nicht bereit, massiv in den Kampf zu treten, auch wenn viele Arbeiter aus allen Branchen, aus allen Berufsgruppen (vor allem aus dem öffentlichen Dienst), aus allen Generationen anwesend waren, um bei den von den Gewerkschaften seit dem 5. Dezember organisierten Demonstrationen auf die Straße zu gehen. Um die Angriffe der Bourgeoisie einzudämmen, müssen wir eine aktive Solidarität im Kampf entwickeln und es reicht nicht nur die Solidaritätskassen aufzufüllen, um den Streikenden "Durchhaltevermögen" zu ermöglichen.
Die Wiederaufnahme der Arbeit, die im Transportwesen schon in einigen Bereichen in Gang gekommen ist (insbesondere bei der SNCF) ist keine Kapitulation! Eine "Pause" im Kampf zu machen, ist auch eine Möglichkeit, sich nicht in einem langen und isolierten Streik zu erschöpfen, was nur zu einem Gefühl der Ohnmacht und Bitterkeit führen kann.
Die überwiegende Mehrheit der mobilisierten ArbeiterInnen ist der Meinung, dass wir "am Arsch" sind, wenn wir diesen Kampf verlieren, wenn wir die Regierung nicht zwingen, ihre Reform zurückzuziehen. Das ist nicht wahr! Die derzeitige Mobilisierung und die massive Ablehnung dieses Angriffs sind nur der Anfang, eine erste Schlacht, die morgen andere ankündigen wird. Denn die Bourgeoisie, ihre Regierung und ihre Arbeitgeber werden uns weiterhin ausbeuten, um unsere Kaufkraft anzugreifen, um uns in wachsende Armut und Elend zu stürzen. Der Zorn kann nur so lange wachsen, bis er zu neuen Explosionen, neuen Kampfbewegungen führt.
Selbst, wenn die Arbeiterklasse diese erste Schlacht verliert, hat sie den Krieg nicht verloren. Sie darf der Demoralisierung nicht nachgeben!
Der "Klassenkampf" besteht aus einem Vorankommen und einem Zurückweichen, Momenten der Mobilisierung und Pausen, um dann umso heftiger wieder zu aufzuflammen. Es ist nie ein "geradliniger Kampf", bei dem man sofort beim ersten Versuch gewinnt. Die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung hat gezeigt, dass der Kampf der ausgebeuteten Klasse gegen die Bourgeoisie erst nach einer Reihe von Niederlagen zum Sieg führen kann.
Die einzige Möglichkeit, den Kampf zu stärken, ist, die Zeit des Rückzugs zu nutzen, um gemeinsam nachzudenken und zu diskutieren, indem wir uns überall, an unseren Arbeitsplätzen, in unseren Vierteln und an allen öffentlichen Orten versammeln.
Die kämpferischsten und entschlossensten Arbeiter, ob aktiv oder arbeitslos, Rentner oder Studenten, müssen versuchen, berufsübergreifende "Kampfkomitees" zu bilden, die allen Generationen offenstehen, um sich auf zukünftige Kämpfe vorzubereiten. Es wird notwendig sein, die Lehren aus dieser Bewegung zu ziehen, zu verstehen, was ihre Schwierigkeiten waren, um sie in den nächsten Kämpfen überwinden zu können.
Diese soziale Bewegung ist trotz all ihrer Beschränkungen, Schwächen und Schwierigkeiten bereits ein erster Sieg. Nach Jahren der Lähmung, Verwirrung und Atomisierung hat sie Hunderttausenden von Arbeitern erlaubt, auf die Straße zu gehen, um ihren Kampfwillen gegen die Angriffe des Kapitals zum Ausdruck zu bringen. Diese Mobilisierung erlaubte es ihnen, ihr Bedürfnis nach Solidarität und Einheit auszudrücken. Es erlaubte ihnen auch, die Manöver der Bourgeoisie zu erleben, um diesen Angriff zu überstehen.
Nur durch den Kampf und im Kampf wird das Proletariat erkennen können, dass es die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die in der Lage ist, die kapitalistische Ausbeutung abzuschaffen, um eine neue Welt zu errichten. Der Weg zur proletarischen Weltrevolution, zum Sturz des Kapitalismus, wird lang und schwierig sein. Er wird mit Fallen und Niederlagen übersät sein, aber es gibt keinen anderen Weg.
Die Zukunft gehört mehr denn je, der Arbeiterklasse!
Internationale Kommunistische Strömung,
13. Januar 2020
"Der längste Streik in der Geschichte der SNCF". Dies ist nun die gängige Bezeichnung dieser Bewegung, die im Dezember und Januar von EisenbahnerInnen durchgeführt wurde. Die ArbeiterInnen der RATP, die ebenfalls wochenlang unermüdlich mitwirkten, zeigten dieselbe Kampfbereitschaft und Entschlossenheit. Und sie waren nicht allein. Im Dezember und Januar versammelten sich während mehrerer Aktionstage Hunderttausende von Demonstranten gegen diese rücksichtslose „Rentenreform", die zum Symbol für die ständige Verschlechterung unserer Lebensbedingungen geworden ist, für uns alle, die Ausgebeuteten, ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst oder im privaten Sektor, prekär oder mit unbefristeten Verträgen, jung oder alt. Nach Jahren der Trägheit leitet diese soziale Bewegung das Erwachen der Kampfbereitschaft des Proletariats in Frankreich ein. Die Arbeiterklasse hat begonnen, die Stirn zu bieten. Durch den Kampf für ihre Würde und durch das Zusammenhalten zwischen verschiedenen Bereichen, zwischen verschiedenen Generationen, konnten die ArbeiterInnen sehen, dass sie gemeinsam, vereint und solidarisch kämpfen können. Die Wiedergeburt dieses Gefühls der Zugehörigkeit zur selben Klasse, dass wir alle ausgebeutet werden, denselben schändlichen Angriffen der jeweiligen Regierungen ausgesetzt zu sein, sich endlich auf den Straßen mit denselben Parolen, denselben Forderungen versammeln zu können, durch Schilder, Parolen, in Diskussionen auf den Straßen, dieses Bedürfnis und diesen Wunsch, im Kampf vereint zu sein, zum Ausdruck zu bringen... all das stellt den wesentlichen Sieg dieser Bewegung dar. Es ist nur ein kleiner, zerbrechlicher Samen, aber es ist ein Versprechen für die Zukunft. Trotz des Ausmaßes dieser Mobilisierung konnte die Regierung dennoch die Reaktion der ArbeiterInnen abwehren. Nach wochenlangen Streiks, nach wöchentlichen Demonstrationen, an denen Hunderttausende von Menschen teilnahmen, konnte die Regierung an ihrem Plan festhalten.
Die Bewegung hat es nicht geschafft, das Kräftegleichgewicht zugunsten der ArbeiterInnen zu drehen. In Anbetracht der sich vertiefenden Weltwirtschaftskrise und dem anhaltenden Wettlauf um Gewinne wird die Regierung immer wieder angreifen. Um diese Angriffe einzudämmen, müssen die nächsten Kämpfe weiter gehen. Sie müssen sich dabei insbesondere auf den letzten Sieg des Proletariats in Frankreich, den von 2006, besinnen. Präsident Chirac und die Regierung von Villepin mussten damals tatsächlich ihren „Vertrag zur Ersteinstellung“/CPE zurückziehen. Warum haben sie das getan? Was haben sie bei dieser Bewegung bemerkt, was sie so beunruhigt hat? Damals begriffen die Studenten schnell, dass dieser "Contrat Poubelle Embauche" (Einstellungsvertrag für den Mülleimer) allen jungen ArbeiterInnen eine neue Verschärfung der Prekarität und Armut auferlegen würde. Empört über diese unerträgliche Zukunft, mobilisierten sie massiv. Sie organisierten dann, in allen Universitäten und ohne die Hilfe irgendeiner Gewerkschaft, massive Vollversammlungen, die allen ArbeiterInnen, ob aktiv oder im Ruhestand, offen standen. Ihre Vollversammlungen, die in Hörsälen stattfanden, standen allen ArbeiterInnen, ob aktiv oder im Ruhestand, offen. Sie verkörperten die Stärke der Bewegung und waren die Triebkraft des Kampfes. In diesen Vollversammlungen wurden fast täglich die durchzuführenden Aktionen, die Mittel zur Koordinierung des Kampfes von einer Universität zur anderen, die Organisation der jeden Samstag stattgefundenen Demonstrationen diskutiert, damit möglichst viele ArbeiterInnen daran teilnehmen konnten. Dank der intensiven Debatten in ihren Reihen beschlossen die Studenten (zumeist junge prekäre ArbeiterInnen), die Solidarität der Beschäftigten zu suchen, indem sie massive Delegationen in die Bahnhöfe, in die Depots der RATP, in bestimmte Fabriken (wie Citroën) schickten. Woche für Woche wuchs die Bewegung mit immer größeren wöchentlichen Demonstrationen weiter an. Die Gewerkschaften (und insbesondere die CGT) standen nicht an der Spitze der Demonstrationen. Sie waren nicht diejenigen, die diese massive Bewegung organisierten. Die CGT-Ballons wurden am Ende der Demonstrationen von den Studenten sogar abgewiesen. Die Regierung gab schließlich nach, weil sie die Gefahr dieser Dynamik erkannte; sie musste diesen in Gang gekommenen Prozess stoppen, als diese jungen prekären ArbeiterInnen, die noch zur Schule gingen, die beschäftigten ArbeiterInnen in ihren Kampf und in ihre Vollversammlungen hineinzogen. Die Entwicklung hin zur Entfaltung dieser Solidarität musste beendet werden, die durch die Parole "Junger Speck, alte Croutons, alles derselbe Salat" (“Jeunes lardons, vieux croûtons, tous la même salade”) symbolisiert wurde. Die Bewegung des Frühjahrs 2006 war somit ein gigantischer Schlag gegen eine andere Parole, welche die Bourgeoisie lanciert und vom ehemaligen Premierminister Raffarin in die Worte gefasst wurde: "Die Straße darf nicht regieren, sie darf nicht das Sagen haben“.
Im Moment ist die Arbeiterklasse nicht in der Lage, solch ein Niveau des Kampfes zu erreichen.
Aber die Studierenden von gestern sind die ArbeiterInnen von heute. Sie müssen sich an diese Erfahrung erinnern und sie an ihre Kollegen, jung und alt, weitergeben. Gerade die Älteren tragen in ihrem Gedächtnis eine immense Erfahrung als ArbeiterInnen: die Erfahrung des Mai 68. Diese Bewegung zeigte die Fähigkeit der ArbeiterInnen, ihren Kampf auszuweiten, von Fabrik zu Fabrik, von Stadt zu Stadt. Es ist notwendig, dass die heutigen pensionierten ArbeiterInnen dieses Kapitel der Geschichte weitergeben. Ab 1967 verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation in Frankreich ernsthaft und drängte das Proletariat in den Kampf. Seit Anfang 1967 kam es zu wichtigen Auseinandersetzungen in Bordeaux (in der Flugzeugfabrik Dassault), in Besançon und in der Region Lyon (Besetzungsstreik in Rhodia, Streik in Berliet), in den lothringischen Bergwerken, in den Werften von Saint-Nazaire, in Caen... Diese Streiks ließen erahnen, was ab Mitte Mai 1968 im ganzen Land geschehen sollte. Man konnte nicht sagen, dass der Sturm völlig unerwartet ausgebrochen war. Zwischen dem 22. März und dem 13. Mai 1968 sorgte die heftige Repression gegen die Studenten dafür, dass zunehmend die Arbeiterklasse auf den Plan trat, die von ihren instinktiven Impulsen der Solidarität getragen wurde. Am 14. Mai begannen junge ArbeiterInnen in Nantes eine Streikbewegung. Am 15. Mai erreichte die Bewegung das Renault-Werk in Cléon in der Normandie sowie zwei weitere Werke in der Region. Am 16. Mai schlossen sich die anderen Renault-Werke der Bewegung an: rote Fahnen in Flins, Sandouville und Le Mans. Der Eintritt der Beschäftigten von Renault-Billancourt in den Kampf stellte ein Signal wichtiges dar: es war das größte Werk in Frankreich (35.000 ArbeiterInnen) und das schon seit langem. Damals gab es ein Sprichwort: "Wenn Renault niest, erkältet sich Frankreich". Am 17. Mai begann der Streik in ganz Frankreich. Es war eine völlig spontane Bewegung. Überall standen junge ArbeiterInnen an der Spitze. Es gab keine präzisen Forderungen: eine allgemeine Unzufriedenheit brach sich Bahn. Am 13. Mai kamen zu einer Großdemonstration 9 Millionen Menschen auf der Straße zusammen. Das war eine echte Flutwelle! Am 18. Mai streikten mittags eine Million ArbeiterInnen. Am 22. Mai waren es 8 Millionen. Es war damit der größte Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Alle Wirtschaftsbereiche waren betroffen: Industrie, Verkehr, Energie, Post und Telekommunikation, Bildung, Verwaltung, Medien, Forschungslabors usw. In dieser Zeit wurden die besetzten Fakultäten, einige öffentliche Gebäude wie das Théâtre de l'Odéon in Paris, die Straßen und die Arbeitsplätze zu Orten permanenter politischer Diskussion. "Wir reden miteinander und hören einander zu" wurde zu einem weitverbreiteten Slogan. Dasselbe Bedürfnis nach Solidarität belebt die Arbeiterklasse heute. Wie oft hören wir in den Demonstrationen Parolen wie: "Wir müssen alle gemeinsam kämpfen", oder "Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern auch für alle anderen Teile und die kommenden Generationen". Der Enthusiasmus, jede Woche gemeinsam auf der Straße zu demonstrieren, vereint und solidarisch zu sein, über Branchengrenzen und Unternehmen hinweg, zeugt davon.
Nach einem Jahrzehnt der sozialen Trägheit konnte die aktuelle Bewegung nur ein erster kleiner Schritt auf dem langen Weg zu Massenkämpfen sein. Um die nächsten Schritte zu unternehmen, um erfolgreich ein Gegengewicht gegen die Regierung aufzubauen und ihre Angriffe einzudämmen, wird es notwendig sein, die Falle der Stellvertreterstreiks zu vermeiden. Wir müssen es schaffen, die Bewegung von Anfang an auf alle Bereiche auszudehnen, unsere Kämpfe in die Hand zu nehmen, uns selbst zu organisieren, allgemein massive, souveräne und autonome Versammlungen zustande zu bringen, um gemeinsam zu debattieren und Entscheidungen zu treffen, um als Klasse zu kämpfen. Die gegenwärtige Bewegung trägt trotz aller Schwächen den Keim dieser zukünftigen Dynamik in sich, denn sie hat die Tatsache, dass alle ArbeiterInnen unter der gleichen Ausbeutung und den gleichen Angriffen leiden und vor allem, dass sie gemeinsam einen Kampf führen können, der von der Notwendigkeit der Einheit und Solidarität angetrieben wird, wieder deutlich auf die Tagesordnung gestellt. Mehr denn je gehört die Zukunft dem Klassenkampf!
Claudine, 13. Januar 2020
Die Bewegung gegen die Rentenreform stand von Anfang an bei jedem Schritt unter der Kontrolle der Gewerkschaften. Sie waren diejenigen, die zum Streik aufriefen, sie waren diejenigen, die die Aktionstage wählten und organisierten, sie waren diejenigen, die die wenigen Vollversammlungen leiteten. Und sie sind diejenigen, die uns absichtlich in die Niederlage geführt haben. Seien wir nicht naiv, die Regierung und die Gewerkschaften haben sich 2 Jahre lang abgestimmt um diese Reform vorzubereiten und erfolgreich durchzusetzen!
Die Regierung musste sicherstellen, dass dieser Großangriff, der von Macron 2017 als ein echter "Big Bang" angekündigt wurde, keine massive Reaktion der gesamten Arbeiterklasse hervorrufen würde. Premierminister Philippe hat sich auf die Zusammenarbeit der "Sozialpartner", also der Gewerkschaften, verlassen, um die unvermeidliche Explosion der Wut aller Arbeiter zu sabotieren. Dieser allgemeine Angriff gegen die gesamte Arbeiterklasse konnte nur eine Reaktion der Empörung und der spontanen Wut in einem besonders kämpferischen Bereich, dem Transportsektor, auslösen.
Für die Eisenbahner hieß es "zu viel ist zu viel": Nachdem sie in den letzten Jahren mehrere Bewegungen, insbesondere die "Nadelstichtaktik" von 2018, gegen die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen, gegen die Infragestellung ihres Status praktiziert aber nichts erreicht hatten, konnte der Angriff auf ihr Rentensystem nur das Gefühl hervorbringen, noch entschlossener zu kämpfen mit dem Motto: "Jetzt reicht es! Wir geben nicht nach!". Diese Kampfbereitschaft im Transportsektor hätte zu einer unkontrollierbaren Explosion mit der Gefahr eines Flächenbrandes führen können, weil der breite, alle Beschäftigten treffende Angriff auf die Renten den allgemeinen Zorn der gesamten Arbeiterklasse geweckt hatte. Die herrschende Klasse verfügt über mehrere Mittel, um den „Puls" der sozialen Unzufriedenheit zu fühlen (in einem Land, in dem Macron, der „Präsident der Reichen", zur meistgehassten Figur in der Mehrheit der Bevölkerung geworden ist): Meinungsumfragen, polizeiliche Untersuchungen, um die Stimmung in den „Risikogebieten“ zu sondieren, und in erster Linie die Reaktionsbereitschaft der Arbeiterklasse. Das wichtigste Instrument dieses "Sozialthermometers" ist jedoch der Gewerkschaftsapparat, der noch effektiver ist als die Soziologen der Meinungsforschungsinstitute oder die Ermittler der Polizei. Die Funktion dieses Apparates besteht nämlich darin, das Instrument par excellence der Überwachung der Ausgebeuteten im Dienste der Verteidigung der Interessen des Kapitals zu sein. Der Gewerkschaftsapparat des kapitalistischen Staates hat fast ein Jahrhundert Erfahrung. Er ist besonders „empfindsam“ für die Stimmung der Arbeiter, für ihren Willen und ihre Fähigkeit, sich an den Kämpfen gegen die Bourgeoisie zu beteiligen. Diese Kontrollinstrumente der Arbeiterklasse sind dafür verantwortlich, die Bosse und die Regierung ständig vor der Gefahr des Klassenkampfes zu warnen. Dazu dienen die regelmäßigen Treffen und Konsultationen zwischen den Gewerkschaftsführern und den Arbeitgebern oder der Regierung: gemeinsam, Hand in Hand, die beste Strategie auszuarbeiten, damit die Regierung und die Arbeitgeber ihre Angriffe gegen die Arbeiterklasse mit maximaler Effizienz durchführen können. Die Gewerkschaften haben sehr wohl verstanden, dass die Arbeiterklasse in Frankreich nicht mehr bereit war, wieder still zu halten und neue Angriffe zu akzeptieren, ohne mit der Wimper zu zucken. Die herrschende Klasse weiß auch, dass das Proletariat heute nicht mehr die geringste Illusion hat, dass wir jetzt am Ende der „Durststrecke“ angekommen wären. Alle Arbeiter sind sich jetzt bewusst, dass es immer schlimmer und schlimmer werden wird, dass sie keine andere Wahl haben werden, als gemeinsam mit allen zusammen zu kämpfen, um ihre Lebensbedingungen und die Zukunft ihrer Kinder zu verteidigen. So war die Popularität der Gelbe-Westen-Bewegung gegen "hohe Lebenshaltungskosten" und Verarmung vor einem Jahr ein guter Indikator für den Zorn, der in der Gesellschaft gärt: 80% der Bevölkerung gaben an, diese gegen Macron gerichtete Welle der Wut und Proteste zu unterstützen, zu verstehen oder Sympathie für sie zu haben, auch wenn die Arbeiterklasse sich nicht in den Protestmethoden dieser inter-klassistischen Bewegung, die von kleinen Firmeninhabern initiiert wurde, die unter den Treibstoffsteuern leideten, wiedererkannte.[1] Die Bourgeoisie hatte also in den letzten zwei Jahren einen echten Anstieg der Kampfbereitschaft der Arbeiter durchaus wahrgenommen. Auch die Hartnäckigkeit der seit Monaten streikenden Notfalldienste oder der Postbeschäftigten war ein Indiz dafür. Die Zunahme der Kämpfe im Einzelhandel, bei Busfahrern oder in der Luftfahrtindustrie war ein weiterer Hinweis in dieser Richtung.
Angesichts der Anhäufung von Unzufriedenheit der Ausgebeuteten musste die französische Bourgeoisie die Durchsetzung der Rentenreform mit einer "Firewall" "begleiten", um die unvermeidliche Reaktion des Proletariats zu kanalisieren, zu kontrollieren zu spalten und zu erschöpfen. ...
Die CFDT und die UNSA, die heute bei den Demonstrationszügen gehasst werden, weil sie "der Bewegung in den Rücken gefallen sind“, haben ihre Rolle als "verantwortliche und reformistische Gewerkschaften" perfekt gespielt. Es war ein echtes Theaterstück [2]:
September
Anfang September wird die Kampagne zur Rentenreform offiziell gestartet. FO, Solidaires und die CGT schießen aus allen Löchern. Wie machen sie das? Durch die Erhöhung der Anzahl der branchenspezifischen Aktionstage. Jedes Unternehmen hat seinen eigenen Streiktag und spezifische Forderungen.
"Jeder für sich, die Gewerkschaften für alle". Das Ziel ist es, die Kampfbereitschaft auszulaugen, bevor eine breitere Bewegung in Gang gesetzt wird. Nur wird diese geplante organisierte Zerstreuung stark kritisiert. Bei den Demonstrationen hört man ArbeiterInnen, die ihre Unzufriedenheit mit dieser Spaltung zum Ausdruck bringen, nicht selten; sie wollen, dass sich die Gewerkschaften vereinigen, denn "wir sitzen alle im selben Boot, wir müssen alle gemeinsam kämpfen". Die Ankündigung am 20. September über eine geplante große Einheitsdemonstration am 5. Dezember war eine Reaktion auf diesen Druck. Wieder einmal wurde nichts dem Zufall überlassen: dieses Datum wurde gewählt, weil es weit genug entfernt war (mehr als zwei Monate), um während dieser Zeit die Zerstreuung und Erschöpfung fortzusetzen. Es ist auch kurz vor den Feiertagen am Jahresende mit den Ruhetagen zwischen Weihnachten und Neujahr, was dazu beiträgt, jede Blockade im Transportwesen unpopulär zu machen und die kämpferischsten zu isolieren.
Oktober
In den Monaten Oktober und November setzen die "radikalen" Gewerkschaften ihr Werk durch ihre isolierten und sektoralen Streiks fort. Während die Wut der ArbeiterInnen in vielen Sektoren spürbar ist, achten sie darauf, keine weitgehend allen offen stehenden Vollversammlungen vorzuschlagen, die Beiträge der ArbeiterInnen zu vereinigen, oder dass die Beschäftigen der unterschiedlichen Betriebe und Branchen zusammenkommen, indem man massive Delegationen bildet, die den Kontakt untereinander herstellen und den Streik ausdehnen. Nichts davon! Nur Streiks und vereinzelte Aktionen werden angekündigt, während man auf die angekündigte große Demonstration am 5. Dezember warten soll. Aber diese Strategie der Erschöpfung und Demoralisierung ist wieder einmal unzureichend. Die Arbeiterklasse drängt weiter, und die Kampfbereitschaft steigt weiter an. Am 16. Oktober stellen die Eisenbahner nach einem Eisenbahnunfall in den Ardennen spontan ihre Arbeit ein. Spontan kommunizieren sie über das Telefonnetz der Eisenbahn, dehnen den Streik auf einen ganzen Abschnitt der SNCF aus. Die Beschäftigten der Region Île-de-France waren besonders kämpferisch. Die RER-Strecken werden blockiert. Die Gewerkschaften sprangen auf den fahrenden Zug auf und stellten sich an die Spitze der Streiks, indem sie auf die Beibehaltung der Rentenregelung pochen. Mit anderen Worten: Sie kleben an der beginnenden Mobilisierung fest, laufen der in Gang gekommenen Bewegung hinterher, um sie in die von ihnen gewünschten Bahnen zu lenken.
Der Bourgeoisie geht diese Autonomie der ArbeiterInnen und diese Dynamik, den Kampf in die Hand zu nehmen und auszuweiten, gegen den Strich, so dass die Regierung und die Arbeitgeber die Illegalität dieses "wilden Streiks" anprangern und den Streikenden mit Sanktionen drohen. Dies wird es den Gewerkschaften ermöglichen, die Kontrolle über die Situation definitiv wiederzuerlangen, indem sie sich als Beschützer der Streikenden und Verteidiger des Streikrechts aufstellen. In diesem Monat Oktober kommt es bei der SNCF zu einer Reihe von wilden Streiks, vor allem im Wartungszentrum von Châtillon, wo sich ohne Zustimmung der Gewerkschaften 200 von 700 Beschäftigte versammeln, um gegen Maßnahmen zu protestieren, die die Arbeitsbedingungen verschlechtern. Diese Maßnahmen werden schnell zurückgezogen, um den Streik sofort zu beenden und so zu verhindern, dass die Bewegung bekannt wird und den Arbeitern als Beispiel dienen könnte.[3]
November
Die Gewerkschaften sind daher gewarnt: Sie müssen kämpferischer auftreten und an der Bewegung kleben, um sie vollständig zu kontrollieren. Am 9. November schließt sich die CGT dem Aufruf von UNSA-Eisenbahn[4] und Sud/Solidaires zu einem erneuten Streik am 5. Dezember an. Sie kündigt an, dass diese Aktion auch bei der SNCF durchgeführt wird. Dann verkündet die CFDT-Eisenbahner, dass sie ebenfalls Teil der Bewegung werde.[5]
Aber hinter der "Gewerkschaftsfront" und den Reden über die Einheit aller Bereiche setzen sie alle hinter den Kulissen ihre gleiche Arbeit der Untergrabung und Spaltung fort. Ihre Sabotage der Einheit der Bewegung im Krankenhaussektor ist besonders charakteristisch: Seit März führen die Gewerkschaften und ihr ‚collectifs interurgences‘ (Kollektiv Notdienste) vollkommen auf diesen Bereich beschränkte (korporatistische) Aktionen durch, welche den Kampf der Notdienste von allen anderen Krankenhausdiensten trennen. Aber unter dem wachsenden Druck des Willens, "alle zusammen zu kämpfen", ändern sie ihren Diskurs und rufen zu zwei "einheitlichen" Demonstrationen auf, am 14. und 30. November, Aber die Einheit soll lediglich die der …. Krankenhausbeschäftigten sein.
Dies, um diesen Kampf besser von der allgemeinen Bewegung gegen die Rentenreform im Namen der "Besonderheit der Krankenhäuser" zu trennen (und damit vor allem besser zu spalten). Dieser Gewerkschaftsbeschluss ruft eine gewaltige Wut in den Vollversammlungen des Krankenhauspersonals hervor, aber viele von ihnen werden sich dennoch am 5. Dezember, entgegen den gewerkschaftlichen Ausrichtungen mobilisieren.
Dezember
Während der großen Demonstrationen im Dezember wird die Notwendigkeit der Solidarität zwischen den verschiedenen Branchen und Generationen, dass alle gemeinsam kämpfen, in den Parolen, die aus den Lautsprechern der Gewerkschaftswagen hallen, aufgegriffen. Aber um was zu tun? Nichts! Nur um diese Slogans an jedem Aktionstag immer wieder zu wiederholen. Aber konkret hieß dies, die Beschäftigten aus jeder Branche wurden aufgerufen, sich hinter ihre gewerkschaftliche Abteilung zu scharen. Manchmal kam es sogar vor, dass die Beschäftigten durch Seile voneinander getrennt wurden, die von den gewerkschaftlichen Ordnern gespannt und getragen wurden. Am Ende der Demonstration gibt es keine großen Versammlungen, um zu diskutieren, obwohl viele Arbeiter den Wunsch geäußert haben, dies zu tun. Die Gewerkschaften und die Bullen zerstreuen die Menschenmassen. „Die Zeit wird knapp: Die Busse müssen los“. Mitte Dezember sind sich die streikenden Eisenbahner der SNCF und der RATP bewusst, dass die Bewegung, wenn sie isoliert bleibt, zur Niederlage verurteilt ist. Was machen die Gewerkschaften? Sie organisieren eine Scheinausdehnung: ein paar CGT-Vertreter treffen ein paar andere CGT-Vertreter eines anderen Unternehmens. Während der Samstagsdemonstrationen, die offiziell von den Gewerkschaften organisiert werden, um den Beschäftigten des privaten Sektors die Teilnahme an der Bewegung zu ermöglichen, unternehmen die CGT, die FO und die Solidaires keinerlei Anstrengungen, um die Mobilisierung auf die Beschäftigten der anderen Betriebe auszudehnen. Im Gegenteil, alle ihre Reden konzentrieren sich auf „den Mut der Eisenbahner, die für uns alle kämpfen", auf die Blockadekraft dieser Beschäftigten (was impliziert, dass andere Arbeiter machtlos sind) und die Notwendigkeit, sie zu unterstützen, indem vor allem für die von der CGT organisierten Solidaritätskassen Geld gespendet werden soll, anstatt die aktive Solidarität der Arbeiter im Kampf und die Ausweitung der Bewegung zu fördern (auch wenn es verständlich war, dass alle das Bedürfnis verspürten, den Eisenbahnbeschäftigten wegen des Verlustes eines Monatslohnes finanziell zu helfen!). Den ganzen Dezember über haben die Gewerkschaften den Stellvertreterstreik propagiert! So werden die Eisenbahner, die allein "unbegrenzt" streiken sollten, dazu ermutigt, "koste es, was es wolle", während der letzten zwei Wochen des Jahres durchzuhalten, mit dem Motto: kein Waffenstillstand während der Feiertage.
Januar
Die Medien prangern "die Geiselnahme von Familien an, die einfach nur zu Weihnachten zusammenkommen". Diese zwei Wochen "Waffenstillstand", in denen die Eisenbahner alleine kämpfen, reichen nicht aus, um die Wut und die allgemeine Kampfbereitschaft zu begraben und den Streik "unpopulär" zu machen. Am 9. Januar, dem neuen Tag der branchenübergreifenden Mobilisierung, strömen erneut Hunderttausende von Demonstranten herbei, die nach wie vor entschlossen sind, die Reform abzulehnen. Am 10. Januar verhandelt Premierminister Phillipe mit den Gewerkschaften und kündigt einen "konstruktiven und fortschrittlichen Dialog" an und versprach, Präsident Macron am nächsten Tag zu fragen, ob es möglich wäre, das „allgemeine Renteneintrittsalter“ zurückzuziehen. Alle Gewerkschaften begrüßen diesen Sieg, diesen großen Sieg für die CFDT und die UNSA, diesen kleinen Schritt nach vorne für die CGT, FO und Solidaire, der zeigt, dass die Regierung unter dem Druck der Straßen und der Streikenden im Transportsektor den Rückzug antreten wird. Am nächsten Tag also eine weitere Demonstration. An diesem Samstag, dem 11. Januar, organisieren die Gewerkschaften in Marseille am Ende der Demonstration ein Unterhaltungsprogramm, um jede Diskussion unmöglich zu machen. In Paris lassen sie der Polizei freie Hand, um mit Hilfe von Tränengas die Demonstranten zu zerstreuen und zu verprügeln. Es sollen unter den Demonstranten keine Diskussionen zugelassen werden. Vor allem aber ist die Teilnehmerzahl an diesem Tag sehr deutlich rückläufig. Viele Züge rollen wieder an diesem Tag. Die Ermüdung ist spürbar, die Stimmung innerhalb der weniger massiven Demonstrationen ist weniger kämpferisch. Der Schachzug gelingt. Premierminister Philippe verkündet den Rückzug des „allgemeinen Renteneintrittalters“ ... vorübergehend. Das Timing ist perfekt. Der Aufruf der Gewerkschaften zur Ausdehnung der ... Niederlage! Jetzt, wo der Bewegung die Luft ausgeht, die streikenden Eisenbahner erschöpft sind, finanziell angeschlagen sind, sie langsam wieder die Arbeit aufnehmen, was machen die "radikalen" Gewerkschaften? Natürlich fordern sie die Ausweitung der Bewegung, die sich in einer Dynamik des Rückzugs befindet, prangern jetzt die „Stellvertreterstreiks“ an und rufen jetzt die Beschäftigten der Privatwirtschaft dazu auf den Stab zu übernehmen! Am 9. Januar war Herr Mélenchon auf allen Kanälen zu hören und meinte: "Der Stellvertreterstreik, das reicht jetzt; davon haben wir genug; es müssen alle mitmachen". Und dann hört man nur noch aus ihrem Mund: „souveräne Vollversammlungen", um die Leute glauben zu machen, dass sie nur die Sprecher der Arbeiter sind und dass, wenn einige sich weiterhin allein durch den Streik erschöpfen, sie nichts dagegen tun können. "Es ist die Vollversammlung und die Basis, die entscheiden, ob die Eisenbahner den Lohn weiterer Streiktage verlieren wollen" (so der CGT-Führer Philippe Martinez im Fernseher). Jetzt vervielfachen sie die Aktionen, um lauter zu betonen, dass es den Arbeitern nicht gelingt, mehr Druck zu machen und diese für die Niederlage verantwortlich seien! In jener Woche gibt es nicht weniger als drei Aktionstage, am 14., 15. und 16. Januar, zu denen die Gewerkschaften aufrufen, auch wenn die Eisenbahner allmählich wieder an die Arbeit gehen. Nun ist der Führer der CGT, Herr Martinez, in Anlehnung an die Partei La France Insoumise von Herrn Mélenchon in allen Radiosendern und mitten unter den Streikenden zu sehen, um die Polizeigewalt anzuprangern... die seit Monaten andauert! Während die Gewerkschaften (an der Spitze die CGT) bisher das Verprügeln von Demonstranten, die Auflösung der Demonstrationen mit Tränengasgranaten ohne mit der Wimper zu zucken und ohne zu protestieren, zugelassen haben. Erst nachdem Mélenchon anfing, den Rücktritt des Pariser Polizeipräfekten zu fordern, fingen auch die Gewerkschaften an, gegen die Repression der Streikenden zu motzen.
Jetzt werden alle Gewerkschaften die Nummer der Verhandlungen mit der Regierung für die "Berücksichtigung der erschwerten Arbeitsbedingungen" auflegen, ein neuer Schritt für ein Zerbröckeln der Bewegung in verschiedene Branchen, denn in Wirklichkeit müssen die Beschäftigten aller Branchen unter einem enormen Druck arbeiten, und die Ausbeutungsbedingungen machen alle krank! Dieser "Teil der Verhandlungen" wird mit einem einzigen Ziel verfolgt: die Arbeitnehmer in Verhandlungen, die im Vorfeld verloren gegangen sind, Branche für Branche zu spalten oder sie sogar in Konkurrenz zueinander zu setzen, um festzustellen, ob einige Arbeiten "anstrengender" sind als andere. Die "Gewerkschaftsfront" wird zweifellos zerstritten erscheinen, wenn die Eisenbahner der CGT und die bei der CFDT organisierten Beschäftigten von Carrefour sich die Augen ausstechen, um herauszufinden, wer den "härtesten" Job hat! Die Gewerkschaften hatten während des Streiks der Eisenbahner im Winter 1986 dasselbe getan, indem sie am Ende der Bewegung, als die Eisenbahner begannen, wieder an die Arbeit zu gehen, eine Verlängerung des Streiks forderten[6]. In Wirklichkeit versuchen diese professionellen sozialen Feuerwehrleute, die Niederlage auszuweiten und zu vertiefen, um der Arbeiterklasse das Rückgrat zu brechen. Soll es der Regierung ermöglicht werden, diese Reform ohne Schwierigkeiten durch das Parlament zu boxen (und damit die Regierung weitere Angriffe durchsetzen kann)! Nein, die Arbeiterklasse muss sich nicht von den Gewerkschaften beschuldigen lassen! Nein, diejenigen, die wieder arbeiten, sind keine Streikbrecher! Nein, die Beschäftigten der Branchen, die den Kampf nicht wieder aufgenommen haben, fehlte es nicht an Mut und Solidarität! Es waren die Gewerkschaften, Hand in Hand mit der Regierung, die diese Niederlage geplant und orchestriert haben! Es waren die Gewerkschaften, Hand in Hand mit der Regierung, die jede mögliche Einheit, jede wirkliche Ausweitung der Bewegung verhinderten! Die Arbeiterklasse muss sich im Gegenteil über den Schritt, den sie gemacht hat, im Klaren sein. Nach zehn Jahren der Trägheit, nach der langen, anstrengenden Phase des Gefühls der Machtlosigkeit, haben die Arbeiter begonnen, wieder das Haupt zu erheben und gezeigt, dass sie gemeinsam kämpfen, sich zusammenschließen wollen, und sich einer Klasse zugehörig fühlen.
Diese letzten Monate waren geprägt von der Entwicklung der Solidarität zwischen den Branchen und zwischen den Generationen! Das ist der Sieg dieser Bewegung, denn der wirkliche Gewinn des Kampfes ist der Kampf selbst, in dem sich alle Berufsgruppen, alle Generationen endlich im selben Kampf auf der Straße gegen eine Reform wiederfinden, die ein Angriff auf alle Ausgebeuteten ist! Und das ist es, was die Regierung und die Gewerkschaften in den kommenden Wochen und Monaten versuchen werden, auszulöschen. Es liegt an uns, zusammenzukommen, um zu debattieren, zu diskutieren, Lehren zu ziehen, nicht zu vergessen und in den zukünftigen Kämpfen noch zahlreicher und stärker zu werden, wenn wir beginnen, die Gewerkschaften, diese Fachleute... der Niederlage zu durchschauen und deren Tricks zu vereiteln. Sie werden immer die letzten Befestigungswälle des Staates in den Reihen der Arbeiter zur Verteidigung der kapitalistischen Ordnung sein!
Léa, 14. Januar 2020
[1] Die Besetzung von Kreisverkehren, die zur Schau getragene Aufregung um angebliche republikanische und nationalistische Symbole wie die Nationalfahne oder die Marseillaise.
[2] vgl. unsere Flugblätter, in denen wir das Manöver Anfang Dezember vorhergesehen haben.
[3]) Die Erklärung der Arbeiter von Châtillon wurde in unserer Zeitung Révolution Internationale Nr. 479 veröffentlicht. Hier ein ganz kurzer Auszug: "Wir, die streikenden Mitarbeiter der Ausrüstungsabteilung des Technikzentrums Châtillon im TGV-Atlantique-Netz, haben seit Montagabend, dem 21. Oktober, massiv die Arbeit eingestellt, ohne uns gegenseitig zu konsultieren oder von den Gewerkschaften überwacht zu werden. (...) Unser Zorn ist real und tief, wir sind entschlossen, bis zum Ende unserer Forderungen, für Respekt und Würde zu kämpfen. (...) Wir haben genug von Umstrukturierungen, niedrigen Löhnen, Stellenabbau und Unterbesetzung! Wir rufen alle Eisenbahner auf, aufzustehen, denn die heutige Situation in Châtillon ist in der Tat das Ergebnis einer nationalen Politik".
[4]. Während die UNSA der anderen Sektoren nicht zum Streik aufruft! Tatsächlich ist die Gewerkschaft UNSA-Bahn auch dort gezwungen, die Kampfbereitschaft der Beschäftigten des Bereichs verbal zu unterstützen, denn sonst würde sie völlig diskreditiert werden.
[5] Während die CFDT auf Landesebene nicht mehr zum Streik aufruft.
[6] Wir veröffentlichen erneut einen Artikel, der die Lehren aus diesem Kampf zieht: "SNCF Dezember 1986: Die Arbeiter können ohne die Gewerkschaften kämpfen". Siehe Révolution Internationale 480
Das Auftauchen dieses neuen Virus und die Reaktion der Bourgeoisie zeigen, wie die Entwicklung der Produktivkräfte mit Tod und Zerstörung, die durch den Kapitalismus verursacht werden, verbunden ist. Während sich China zur zweiten Wirtschaftsmacht der Welt entwickelt hat, ist es von einer Virusepidemie erfasst worden; und während die medizinische Wissenschaft fortschreitet, kann der Kapitalismus seine Bevölkerung ebenso wenig vor Krankheiten schützen wie vor einer Wirtschaftskrise oder vor Krieg oder Umweltzerstörung.
Covid-19 ist eine von vielen neuen Infektionskrankheiten, die vor allem in den letzten 50 Jahren aufgetreten sind, darunter HIV (AIDS), Ebola, SARS, MERS, Lassa-Fieber, Zika. Wie so viele neue Krankheiten ist auch Covid-19 eine Infektion mit einem Virus, das zunächst Tiere befallen hat und nun auch Menschen infiziert und sich verbreitet. Sie ist ein Ergebnis der veränderten Bedingungen, die der Kapitalismus hervorgebracht hat.
Es sind zunehmend globale Versorgungsketten entstanden und die Urbanisierung ist weiter fortgeschritten; zum ersten Mal in der Geschichte lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten, oft mit einer auf engstem Raum zusammengedrängten Bevölkerung und einer unzureichenden, die Hygiene beeinträchtigenden Infrastruktur (Kanalisation, sanitäre Anlagen). Und wie in China gibt es viele Arbeiter und Arbeiterinnen, die nicht nur in Städten, sondern auch in überfüllten Fabrikschlafsälen zusammengepfercht sind; z.B. leben die Arbeiter von Foxcon zu acht in einem Zimmer. Hinzu kommt die Verwendung von Buschfleisch (Wildfleisch, d.h. veterinärmedizinisch unkontrolliertes Fleisch), und in Wuhan wurde ein illegaler Wildfleischmarkt als Quelle der Neuinfektion ausgemacht. Darüber hinaus treiben die Zerstörung der natürlichen Umwelt und die Auswirkungen des Klimawandels immer mehr Tiere auf der Suche nach Nahrung in die Städte. Überfüllte Städte sind ein potentieller Nährboden für Epidemien, wie Wuhan zeigt, und die zunehmenden internationalen Verbindungen der Weg, auf dem sie sich weiltweit ausbreitet. Diese Zustände sind das Ergebnis des dekadenten kapitalistischen Systems, das dazu getrieben wird, jeden Winkel des Planeten zu zerstören und zu verschmutzen, um seiner Krise der Überproduktion zu begegnen. Die zerstörerische Wirkung dieser globalen Expansion zeigte der Ersten Weltkrieg deutlich, der den Beginn dieser Epoche des Niedergangs markierte. Am Ende des Krieges entfaltete sich die tödliche Pandemie der Spanischen Grippe, die schätzungsweise etwa ein Drittel der Weltbevölkerung infiziert und in drei Phasen über 50 Millionen Menschen getötet hat. Die hohe Opferzahl stand in Zusammenhang mit den Bedingungen des imperialistischen Krieges, darunter Hunger und Unterernährung, schlechte Hygiene und die Transporte kranker Soldaten aus den Schützengräben, die ein tödlicheres Virus für die zweite Welle hervorbrachten. In der jüngeren Vergangenheit haben wir gesehen, dass das HIV 32 Millionen Menschen getötet hat, vor allem in Afrika, und jetzt endemisch geworden ist. Trotz der medizinischen Fortschritte, die HIV von einer tödlichen zu einer chronischen Krankheit gemacht haben, starben 2018 770.000 Menschen an AIDS, weil sie keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hatten.[1] Viele andere Krankheiten, die die Medizin verhindern kann, verursachen weiterhin Krankheit und Tod. Wir hören von den Masernfällen in den USA, vielleicht in Samoa, und von der Bedeutung von Impfungen, um die Übertragung zu verhindern. Aber die Medien schweigen zu den fast 300.000 Masernfällen in der Demokratischen Republik Kongo, wo fast 6.000 Kinder[2] starben und die miserabel ausgestatteten Gesundheitseinrichtungen auch versuchen, mit Ebola fertig zu werden. Diese Todesfälle sind für die herrschende Klasse nicht von großem Interesse, da sie im Gegensatz zur Schweinegrippe-Pandemie 2009 oder der aktuellen Covid-19-Epidemie in China nicht in gleichem Maße ihre Produktion und ihre Gewinne bedrohen. Aber der Kapitalismus ist für die Bedingungen verantwortlich, die zu diesen Epidemien führen: in diesem Fall in Kongo, einem instabilen Land, das das Ergebnis der Zerstückelung Afrikas durch die imperialistischen Mächte ist und ständig durch Kämpfe um seine natürlichen Ressourcen (Gold, Diamanten, Öl und Kobalt) verwüstet wird, die Millionen von Menschenleben gefordert haben. 50% der Exporte der DRK gehen nach China. Dies ist ein besonders anschauliches Beispiel dafür, was wir unter dem Zerfallsprozess des Kapitalismus verstehen, der Periode, in der die herrschende Klasse über nicht genügend Kontrolle verfügt, um ihre kaltblütige Antwort auf die Krise, einen neuen Weltkrieg, durchzuführen, denn die Arbeiterklasse ist nicht besiegt, aber ebenso wenig hat die Arbeiterklasse die Kraft, ihren Kampf auf ein Niveau zu heben, das den Kapitalismus bedrohen kann. Dieser Zerfallsprozess wurde durch den Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks angekündigt und ist unter anderem durch chaotische, lokal begrenzte Kriege gekennzeichnet.[3]
Das Fortbestehen der Kinderlähmung steht auch in direktem Zusammenhang mit dem Zerfallsprozess, wenn die kriegerischen Auseinandersetzungen oder der Fundamentalismus eine Impfung verhindern, denn Mitarbeiter des Gesundheitswesens werden zum Beispiel in Pakistan von Dschihadisten ermordet. Jede Medienberichterstattung darüber ist völlig heuchlerisch. Die Großmächte, die dies verurteilen, sind durchaus bereit, irreguläre und terroristische Kämpfer einzusetzen – so wie der Westen die Mudschaheddin in Afghanistan in den 1980er Jahren und seitdem in vielen anderen Konflikten gegen die Russen eingesetzt hat. In der Tat ist der Aufstieg des Terrorismus ein Merkmal der imperialistischen Konflikte in der Periode des Zerfalls. Anstatt mehr Geld für Gesundheit oder Bildung auszugeben sind die globalen Verteidigungsausgaben im Jahr 2019 gegenüber 2018 um 4% gestiegen. In den USA und China stiegen sie um mehr als 6% und in Deutschland um mehr als 9%. Um eine Vorstellung von den ‚kalten‘, brutalen Prioritäten der Bourgeoisie zu vermitteln: Während das Budget des CDC (Centre for Disease Control) in den USA von 10,8 Milliarden Dollar im Jahr 2010 auf 6,6 Milliarden Dollar im Jahr 2020 gekürzt wurde, haben die USA gerade einen Militärhaushalt mit Aufrüstungsplänen von 738 Milliarden Dollar verabschiedet. Chinas jährliches Verteidigungsbudget wird auf 250 Milliarden Dollar geschätzt. Die WHO hatte in den Jahren 2016-2017 ein Budget von nur 5,1 Milliarden Dollar.
Es gibt viele Krankheiten, die derzeit mehr Todesfälle verursachen als Covid-19, doch die Bourgeoisie nimmt dieses als Bedrohung ernst, ebenso wie jede neue Krankheit, die zu einer Pandemie werden kann und daher ihre Produktivität und ihre Profite stärker bedroht, zum Beispiel durch vermehrten Krankenstand – etwas, das wir bei diesem neuen Virus in China sehen und auch eine Bedrohung für die Gesundheit und das Leben der Menschen darstellt. Es gibt viele Aspekte der Krankheit, die zu ihrem Pandemiepotenzial beitragen können – Infektiosität, die Art der Krankheit. Es ist auch wichtig, dass sie in einer großen Stadt mit 11 Millionen Einwohner*innen in einem Land entstanden ist, das durch Handel und Tourismus international gut vernetzt ist, was es schwieriger macht, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Es ist schwieriger einzudämmen, als wenn es wie Ebola in Afrika mit weit weniger Möglichkeiten für Auslandsreisen aufgetreten wäre oder wenn es wie 2003 die SARS-Epidemie aufgetreten wäre, als Chinas Wirtschaft und Verbindungen mit der Welt nicht so umfassend waren. Ein Großteil der ersten Reaktion des chinesischen Staates auf dieses neue Virus war kriminell fahrlässig und skrupellos. Während der Staat bereits am 26. Dezember vorläufige genetische Daten erhalten hatte, die auf ein SARS-ähnliches Virus hindeuteten, bedrängten und bedrohten die chinesischen Behörden am 30. Dezember Dr. Li Wenliang, der vor der Gefahr warnte. Gleichzeitig warnten die chinesischen Behörden die WHO vor dem Virus. Dennoch unterdrückten die Behörden in Wuhan weiterhin Informationen über die Epidemie und veranstalteten am 18. und 19. Januar ein riesiges gemeinsames Essen und eine Neujahrsfeier nach chinesischem Mondkalender, wobei sie so taten, als könnte die Krankheit nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden, bevor sie die Stadt am 23. Januar abriegelten, als 5 Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung, bereits im Rahmen des Neujahrsfestes abgereist waren.
All dies hat in der Bevölkerung einen enormen Zorn ausgelöst, die wütend darüber war, dass die Regierung die Krankheit vor der Öffentlichkeit verheimlichen wollte und einen Arzt dazu gebracht hat, ein falsches Geständnis zu unterschreiben, wonach er „Gerüchte“ verbreitet habe, um vor dieser zu warnen. Dies hat eine Kampagne für die Redefreiheit in China ausgelöst. Medien und Politiker in westlichen Ländern haben diese Kampagne mit Predigten über die Vorteile von Demokratie und Redefreiheit begleitet. Wir sollten jedoch keinen Augenblick daran denken, dass unsere eigene herrschende Klasse größere moralische Skrupel hat zu lügen und Informationen zu vertuschen, wenn es ihr passt, selbst wenn dadurch Menschenleben gefährdet werden. Die Arzneimittelfirmen unterdrücken klinische Studien, die ihre Profite gefährden, selbst wenn dies bedeutet, dass sie nicht davor warnen, dass bestimmte Antidepressiva ein erhöhtes Selbstmordrisiko für Jugendliche und junge Erwachsene haben (siehe Bad Pharma von Ben Goldacre, ein Buch über solche Unterdrückung der Wahrheit). Und die Regierungen der USA und Großbritanniens haben in schamlos über Massenvernichtungswaffen gelogen, um die Invasion des Irak im Jahr 2003 zu rechtfertigen.
Der chinesische Staat war völlig kaltblütig, als er seine Sorge um die Aufrechterhaltung seiner Autorität über die Sorge um die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung stellte, ein Ergebnis seiner starren hierarchischen stalinistischen Bürokratie, die ihn dazu veranlasste, den Beginn einer Epidemie zu vertuschen, als rechtzeitiges Handeln erforderlich war, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und zu verlangsamen. Dies zeigt die Brutalität des Regimes, das wenig Rücksicht auf menschliches Leben nimmt, aber auch seine Irrationalität, denn ein rechtzeitiges Eingreifen als Reaktion auf die Epidemie hätte nicht nur Leben gerettet, sondern auch einen Großteil der zu erwartenden wirtschaftlichen Verluste und einen großen Teil des Schadens, den Chinas Ansehen als wachsende Macht in der Welt mit seiner ehrgeizigen "One-Belt-One-Road"-Initiative erlitten hat. Diese Irrationalität des chinesischen Regimes in seiner Reaktion auf die Epidemie hängt mit seiner Paranoia über jeden Macht- oder Kontrollverlust zusammen, eine Paranoia, die sich in seinen großen Arbeits- und "Umerziehungs"-Lagern für Uiguren und andere zeigt, in seiner Vorliebe für Gesichtserkennungstechnologie und in seinem Sozialkreditsystem, mit dem es die Bevölkerung in Schach hält. Um seine Autorität zu bewahren, wagt das Regime es nicht, irgendwelche Gefahren oder Probleme zuzugeben.
Die Quarantäne einer Stadt mit 11 Millionen Einwohnern durch die Blockade aller Verkehrsverbindungen und die Errichtung von Straßensperren ist eine Premiere. Dies zu tun, nachdem die Hälfte der Bevölkerung die Stadt verlassen durfte, macht die Sache noch schlimmer. Der Bau von zwei neuen Krankenhäusern zur Aufnahme von 2.600 zusätzlichen Patienten in 10 Tagen ist ein beeindruckendes Stück Propaganda und sogar eine beeindruckende Leistung der Fertigbautechnik (auch wenn sie zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme noch nicht fertig waren). Aber es wurden weder die Ausrüstung noch die Ärzte und Ärztinnen sowie Krankenschwestern und -pfleger bereitgestellt, die nötig gewesen wären – auch wenn man Armeeärzte und Freiwillige aus anderen Regionen herangekarrt hatte. Die Krankenhäuser in Wuhan waren überfordert, ebenso wie die Quarantänezentren mit 10.000 Betten. Kranke Menschen mit dem Coronavirus konnten nicht in Quarantänezentren, geschweige denn in Krankenhäusern untergebracht werden. Patientinnen mit anderen Krankheiten, darunter auch Krebs, können keine Krankenhausbehandlung erhalten, da alle Betten voll sind. Kranke und sterbende Patienten in den Quarantänezentren haben keine oder keine ausreichende pflegerische Betreuung. In den Quarantänezentren sind Hunderte von Kranken in Betten oder auf Matratzen auf dem Boden zusammengepfercht, die kleine Papiermasken von zweifelhaftem Wert tragen, mit unzureichenden Toilettenausstattungen und Waschmöglichkeiten, manchmal mit tragbaren Toiletten und Duschen im Freien. Es ist ganz klar, dass jede Person, die eine Quarantänestation betritt, ohne selbst schon vom Virus angesteckt zu sein, es da bald bekommen wird. Diejenigen, die unter Verdacht standen, den Virus in sich zu tragen, wurden gewaltsam in Quarantänestationen gebracht – ein behinderter Junge verhungerte, nachdem den Verwandten, die ihn betreut hatten, nicht gestattet worden war, ihn zu begleiten. Es handelt sich ebensosehr um eine polizeiliche Übung wie um eine Gesundheitsmaßnahme.
Das Zusammenführen von Menschen in Quarantänezentren, die nur zu Zentren für die Weitergabe des Virus werden können, erinnert an die Armenkrankenhäuser in Europa bis zum 19. Jahrhundert, die ebenfalls Infektionsquellen waren, z.B. die steigende Müttersterblichkeit durch Kindbettfieber vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Damals hatte man noch nicht die Notwendigkeit von entsprechenden Hygienemaßnahmen verstanden.
Es fehlt an Ausrüstung, einschließlich Schutzkleidung für das Krankenhauspersonal; Ärzt*innen und Krankenpflegende arbeiten extrem lange, was sie alle anfälliger für Krankheiten macht. 1700 von ihnen haben sich infiziert und 6 sind gestorben.
Unter diesen Umständen ist es klar, dass viele Patienten sterben werden, die mit einer angemessenen medizinischen Versorgung hätten gerettet werden können. Covid-19 scheint deshalb in Wuhan eine mehr als doppelt so hohe Sterblichkeit zu haben wie anderswo. Unabhängig davon, ob die chinesischen Behörden weiterhin über die Zahl der Infizierten lügen oder nicht, sind die Zahlen verdächtig, da nicht alle Fälle bestätigt werden können. Daher stieg die Zahl der am 11. Februar in Wuhan gemeldeten Fälle, die klinisch – ohne Test – diagnostiziert wurden, sprunghaft an, so dass die Gesamtzahl der registrierten Fälle auf über 60.000 stieg.
Nicht nur in China dürften die Krankheitszahlen ungenau sein. Im Gegensatz zu Singapur, einem reichen Land mit zahlreichen Verbindungen, das sich seit SARS im Jahr 2003 auf eine Epidemie vorbereitet, sind viele andere ärmere Länder nicht darauf vorbereitet. "Jedes Land, das in erheblichem Umfang Flugverbindungen mit China hat und keine Fälle gemeldet hat, sollte sich Sorgen machen", sagt ein Harvard-Professor für Epidemiologie.[4] Indonesien beispielsweise hat 238 Bürger aus Wuhan evakuiert und zwei Wochen lang unter Quarantäne gestellt, sie aber nicht auf die Krankheit getestet, weil dies zu teuer ist. Und was ist mit Chinas afrikanischem Handel und den Kunden der Neuen Seidenstraße? Es gibt viele Orte ohne die Gesundheitsinfrastruktur, an denen Patient*innen mit dem Virus diagnostiziert und versorgt werden könnten. Beeindruckend ist, dass das neue Virus bis zum 12. Januar sequenziert wurde. Im Anschluss daran hat die Koalition für Epidemievorsorge-Innovation (CEPI), die 2017 nach dem westafrikanischen Ebola-Ausbruch gegründet wurde, an einem Impfstoff gearbeitet in der Hoffnung, dass dieser bei einer Ausbreitung von Covid-19 und insbesondere dann, wenn es sich zu einer saisonalen Krankheit wie Grippe entwickelt, zur Verfügung stehen kann. Während wir diesen Artikel schreiben, wird an dem Impfstoff gearbeitet, wobei eine neue Methode auf der Grundlage der Gensequenzierung verwendet wird, die sicherer ist als der Umgang mit einem tödlichen Virus und die bereits die Produktion von Impfstoffen für Zika, Ebola, SARS und MERS beschleunigt hat. Natürlich muss er auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet werden, bevor er eingesetzt werden kann, und das wird Zeit brauchen.
Doch dieses erstaunliche Potenzial für die Produktivkräfte ist nicht das Ende der Geschichte. Es mangelt an Fabriken, um ausreichend Impfstoff zu produzieren, und da die Regierungen angesichts der Gefahr einer Pandemie den Impfstoff erst dann exportieren werden, wenn sie "unter Berufung auf die nationale Verteidigung oder Sicherheit"[5] genug für den eigenen Gebrauch gehortet haben, hat die CEPI geplant, ihn an mehreren Standorten herstellen zu lassen.
Chinas Wirtschaft ist nahezu zum Stillstand gekommen, da das Land zur Eindämmung des neuen Virus abgeriegelt wurde. Als Reaktion darauf pumpt die Regierung Geld in die Wirtschaft, die Bankenaufsicht lockert die Regeln für uneinbringliche Forderungen. Allerdings steht China jetzt für 16% des globalen BIP, viermal mehr als 2003 zur Zeit der SARS-Epidemie, die damals für einen Rückgang des BIP um 1% gesorgt hat. Seine Wirtschaft ist viel stärker in globale Lieferketten integriert als noch vor 17 Jahren.
Dies hat Hyundai bereits dazu gezwungen, Autofabriken in Südkorea zu schließen, Nissan hat eine in Japan geschlossen und Fiat-Chrysler warnt davor, dass es möglicherweise einige europäische Produktionstätten schließen werde. Die Smartphone-Produktion könnte in diesem Jahr um bis zu 10% zurückgehen. Textilien (China produziert 40% der weltweiten Exporte), Möbel und Arzneimittel könnten betroffen sein. Wie auch der Tourismus. Und China macht inzwischen fast 20% der weltweiten Bergbauimporte aus und versucht, Lieferungen von Öl, Gas und Kohle, die es nicht braucht, zu streichen. Die Aktien von US-Firmen, die in hohem Maße von chinesischen Verkäufen abhängig sind, sind um 5% gesunken. Da der Handelskrieg mit den USA nicht gelöst, ist dies ein schlechter Zeitpunkt – für China und die Weltwirtschaft.
Längerfristig könnte dies China zu einem weniger zuverlässigen Handelspartner für multinationale Unternehmen, die ihr Geld investieren wollen, werden lassen. Sicher leidet Chinas Ansehen als mächtiger Handelspartner und imperialistischer Geldgeber für seine Kunden an der Neuen Seidenstraße. Viel hängt davon ab, wie schnell es seine Wirtschaft wieder „normalisieren“ kann.
Was auch immer mit diesem neuen Covid-19-Virus geschieht, ob es zu einer neuen Pandemie wird, oder ob es wie SARS aussterben oder sich als neues saisonales Atemwegsvirus etablieren wird, diese neue Krankheit ist eine weitere Warnung, dass der Kapitalismus zu einer Gefahr für die Menschheit und das Leben auf diesem Planeten geworden ist. Die enorme Fähigkeit der Produktivkräfte einschließlich der medizinischen Wissenschaft, uns vor Krankheiten zu schützen, trifft auf die mörderische Suche nach Profit, das Zusammenpferchen eines immer größeren Teils der Bevölkerung in riesigen Städten, mit allen Risiken für neue Epidemien. Die Gefahren des Kapitalismus enden nicht hier, hinzu kommen vielmehr auch die Drohungen der Umweltverschmutzung, der Umweltzerstörung und der immer chaotischeren imperialistischen Kriege.
Alex, 15.2.20
[2] stories.msf.org.uk/contagion-in-congo/index.html?gclid=EAIaIQobChMI5_WRhNvR5wIVA7TtCh0WeQDxEAAYASAAEgL-hvD_BwE.
[3] Siehe unsere Thesen zum Zerfall, /content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [3]
[4] Zitiert in The Economist 15.2.20
[5] The Economist 8.2.20
Seit mehreren Monaten wird die Region Idlib im Norden Syriens von den Streitkräften Baschar Al Assads und der russischen Armee in allen möglichen Formen angegriffen. Fast drei Millionen Zivilisten (darunter eine Millionen Kinder) sind in dieser letzten Bastion der Rebellion gefangen, wie in Aleppo oder im östlichen Ghuta[1]. Das von Assad regierte Regime versucht, dieses Gebiet durch Terror und eine verabscheuungswürdige Politik der verbrannten Erde zurückzuerobern. Die von der russischen Luftwaffe abgeworfenen Bomben treffen unterschiedslos Häuser, öffentliche Gebäude (Schulen, Krankenhäuser...), Märkte und Felder. Seit Ende April 2018 sind laut UNO mehr als tausend Menschen umgekommen, und fast eine Millionen Menschen versuchen, vor den Massakern zu fliehen. Sie hungern, sind obdachlos und den eisigen Temperaturen des Winters ausgesetzt. Angesichts dieser Barbarei und Chaos hat die verzweifelte Bevölkerung tatsächlich nur einen Ausweg: die Flucht vor dem Tod! Sie versuchen in Richtung türkische Grenze zu fliehen oder die griechische Grenze zu erreichen, das nächstgelegene Tor, um nach Europa zu gelangen.
Aber die Grenze zwischen Syrien und der Türkei ist abgeriegelt. Während der türkische Staat seit 2015 den europäischen Demokratien (gegen ein Bezahlung!) einen Dienst erweist, indem er die Millionen Flüchtlinge, die diese nicht aufnehmen wollen, abfängt, sie zurückhält und diese dabei wie an der Pest Erkrankte behandelt, hat die türkische Offensive im Norden Syriens die Situation verändert. Die drei Millionen Menschen in der Region Idlib sind jetzt Geiseln, Gefangene der imperialistischen Mächte in der Region. Wie wir gesehen haben, sind die Türkei, Russland und Syrien zu allem bereit! Dazu gehört, die Menschen aus ganzen Landstrichen zu verjagen, sie zu terrorisieren, abzuschlachten, um ihre Blutrunst zu stillen. Heute ist die Region Idlib die makabre Spielwiese des Imperialismus, die blutige Theaterbühne des sterbenden Kapitalismus, wo nur noch Elend und Tod vorherrschen!
Wenn Erdogan sich weigert, neue Flüchtlinge aufzunehmen, dann auch weil er die dreieinhalb Millionen, die sich bereits auf türkischem Boden befinden, loswerden will. Für den Führer des Regimes sind sie nichts anderes als Geiseln, die er rücksichtslos beim Feilschen zur Erfüllung seiner politischen Ziele einsetzt. Innerhalb der Türkei sind Migranten nun die Zielscheibe einer ekelhaften Hetzkampagne, die darauf abzielt, die Popularität der AKP in der türkischen Bevölkerung zu erhöhen. Aber gerade auf der imperialistischen Bühne sind die Flüchtlinge für die AKP am nützlichsten.
Tatsächlich werden sie als Spielball bei den Erpressungsmanövern gegenüber der Europäischen Union (EU) eingesetzt. Erdogan drohte schon seit Monaten damit, die Westgrenze des Landes nach Europa zu öffnen, um die europäischen Mächte zu zwingen, seinen militärischen Feldzug in Nordsyrien zu unterstützen und ihm finanziell unter die Arme zu greifen. Am 28. Februar setzte er seine Drohungen in die Tat um, und Zehntausende von Flüchtlingen versuchten unter beträchtlichem Risiko über Griechenland nach Europa zu gelangen, obwohl die Behörden des Landes sich kategorisch dagegen stemmen und dabei von der EU und ihren ‚großen Demokratien‘ unterstützt werden. Mindestens 13.000 Migranten sind jetzt an der Grenze zusammengeströmt, eingepfercht von vorne und hinten, und sie fallen den Grausamkeiten aller Seiten zum Opfer. Andere versuchen, die Inseln Chios oder Lesbos auf dem Seeweg zu erreichen, wo die gleichen Bedingungen auf sie warten: festgehalten, eingesperrt und isoliert wie Tiere, ohne Wasser, Heizung, Nahrung und die grundlegendsten sanitären Einrichtungen. Auf der Insel Lesbos im Lager Moria, das für 2.300 Menschen ausgelegt ist, sind beispielsweise 20.000 Menschen zusammengepfercht, umgeben von Stacheldraht. „La Repubblica“ gibt diese abscheuliche Beschreibung: "Die Ersten, die ertrinken, sind die Kinder. Hier gibt es nichts für sie, nicht einmal ein Bett, eine Toilette oder Licht. Hier gibt es für sie nur Schlamm, Kälte und Warten. Ein nasses und absurdes Fegefeuer, in dem man verrückt werden kann. So dass – während Europa und die damit verbundenen Hoffnungen immer mehr in weite Ferne rücken, - den Zerbrechlichsten unter ihnen nichts anderes übrig bleibt, als zu versuchen, Selbstmord zu begehen (...), aber da sie Angst haben, schaffen sie es selten, es durchzuziehen. Von Zeit zu Zeit klopft ein Erwachsener am Fuße des Hügels an die Tür der Klinik und hält ein Kind in den Armen mit entsprechenden Spuren am Körper. Jeder weiß, was gerade geschehen ist. Er wird es in einigen Monaten wieder tun". Mehr als ein dreiviertel Jahrhundert nach Auschwitz ist es die gleiche düstere und entsetzliche Realität, die der Kapitalismus für die überall als "unerwünscht" angesehene Bevölkerung bereithält.
Diejenigen, die versuchen, in dieses "Eldorado" zu gelangen, werden von den griechischen Behörden mit größter Gewalt und Brutalität aufgehalten. Wir haben unerträgliche und abstoßende Bilder gesehen, wo die griechische Küstenwache auf See versucht, ein Schlauchboot voller Migranten zu durchbohren und sie mit Gewehrfeuer zu vertreiben. In der Region Evros patrouillieren Polizei und Armee in dem Gebiet. Die 212 Kilometer der Grenze sind unpassierbar. Migranten, die versuchen, die Grenze zu überqueren, werden mit Tränengas und sogar mit scharfer Munition angegriffen, was Berichten aus der Türkei zufolge zu mehreren Verletzungen und sogar einem Todesfall geführt haben soll. Die Verhafteten werden geschlagen, ausgeraubt, gedemütigt und in die Türkei zurückgetrieben. Sie denken, dass sie nur wenige Meter vom „Paradies“ entfernt sind, aber in Wirklichkeit sind sie mit der kalten Grausamkeit der Festung Europa konfrontiert, für die sie unerwünschte, abscheuliche oder verirrte Gestalten bleiben, um die sich kein Staat kümmern will. Jeder von ihnen tut so als würde er den anderen die Schuld zuschieben, aber sie alle teilen den gleichen Willen: die kategorische Weigerung, diese Flüchtlinge aufzunehmen, die Opfer der Barbarei sind, die die imperialistischen Mächte selbst mit unglaublichem Zynismus und grenzenloser Heuchelei geschaffen haben![2]
Unmittelbar nach der Ankündigung des türkischen Regimes, die Grenzen für die Flüchtlinge nach Europa zu öffnen, war die Reaktion der großen EU-Staaten gnadenlos: Alle Vertreter der europäischen Bourgeoisie schrien laut gegen Erdogans "inakzeptable" (Originalton Angela Merkel) Politik. Der vor allem aufgrund seiner Anti-Immigrationspolitik gewählte österreichische Regierungschef Sebastian Kurz gab vor, sich um "jene Menschen zu sorgen, die benutzt werden, um Druck auf die EU auszuüben".
Europas „große Demokratien" mögen zwar heuchelnd ihr Mitleid bekunden, aber so sehr sie auch versuchen, die Schuld auf ihre russischen und türkischen Konkurrenten abzuwälzen, die Realität der europäischen Flüchtlingspolitik offenbart die Heuchelei und Schmach, die sie an den Tag legen. Es ist im Übrigen das "Vaterland der Menschenrechte", das die wahren Absichten der EU-Staaten am besten zum Ausdruck gebracht hat: "Die Europäische Union wird dieser Erpressung nicht nachgeben. (...) Die Grenzen Griechenlands und des Schengen-Raums sind geschlossen, und wir werden dafür sorgen, dass sie geschlossen bleiben, das muss klar sein!", erklärte Jean-Yves Le Drian, der französische Außenminister, kategorisch. Egal, wie verzweifelt die vielen Millionen Menschen versuchen werden, ihrem Schicksal zu entfliehen, die europäischen Staaten werden nichts für sie tun, außer es ihnen noch schwerer zu machen, indem sie noch mehr Absperrungen und Truppen aufbieten, um die griechische Grenze noch undurchlässiger zu machen. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, garantierte, dass dem griechischen Staat "alle notwendige Unterstützung" gewährt werde. Die Agentur Frontex hat bereits Polizeiverstärkungen entsandt und 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Unnachgiebigkeit der europäischen Führer spiegelt ihren Wunsch wider, den populistischen Regierungen und Bewegungen den Boden zu entziehen, die nicht zögern werden, diesen neuen Exodus zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.
Die europäischen Mächte mögen sich als Opfer des bösen Manipulators Erdogan ausgeben oder Krokodilstränen über das Schicksal der Flüchtlinge vergießen, indem sie die Maske der Ohnmacht überziehen, aber sie sind ebenso verantwortlich und tragen, ohne es zuzugeben, die Verantwortung dafür, dass diese Millionen von Zivilisten unter russischen Granaten, griechischen Kugeln und türkischem Zynismus zugrunde gehen.
Ihre ekelerregenden Tiraden über die Menschenrechte und ihre vorgetäuschte Empörung sind nichts anderes als Versuche der Vernebelung ihrer flüchtlingsfeindlichen Politik. Die Abschiebung bis an die Grenzen, die Jagd nach Flüchtlingen und der Abriss der Elendslager, die Errichtung von Mauern und Stacheldraht, die Militarisierung der Grenzen, die Verstärkung der Personenkontrollen und der Reisebeschränkungen usw., all diese Maßnahmen werden in erster Linie von den demokratischen Staaten[3], in denen die Diktatur des Kapitals auf die perverseste und zynischste Weise zum Ausdruck kommt, mit größter Entschlossenheit und Eifer umgesetzt und angewendet. Die westlichen Demokratien, sowohl das linke als auch das rechte Lager, die so sehr von der Propaganda gepriesen werden, sind nicht nur mitschuldig, sondern praktizieren auch genau die gleiche verachtenswerte, erniedrigende und unwürdige Behandlung der Flüchtlinge wie die "Schurken" der Geschichte (die Erdogan, Putin und andere) - allerdings mit einer gehörigen Dosis an Heuchelei!
Nachdem etwa 30 türkische Soldaten bei einem Angriff der Truppen von Baschar Al Assad getötet wurden, was die Angst vor einer Eskalation der Spannungen schürte, vereinbarten Moskau und Ankara am 5. März einen Waffenstillstand. Eine Farce, der man keinen Glauben schenken kann in Anbetracht der jeweiligen Bestrebungen der beiden Mächte, die ihre Interessen hemmungslos verfolgen, und die früher oder später das Pulverfass in Brand setzen und die Kämpfe erneut wieder aufflammen lässt. Es gibt keine Anzeichen für eine Stabilisierung im Nahen Osten. Der fortgesetzte Rückzug der Vereinigten Staaten und damit auch Frankreichs und Deutschlands wird letztlich eine Reihe von Gefahren mit sich bringen, deren erstes Opfer wie immer die Zivilbevölkerung sein wird. Es ist unbestreitbar, dass Assad entschlossen ist, das gesamte Gebiet, das er vor 2011 kontrollierte, zurückzuerobern. Um dies zu tun, wird er nicht zögern, das Blut von Millionen unschuldiger Menschen fließen zu lassen, um sein Ziel zu erreichen. Zumal Putin, der als einziger in der Lage ist, die Bestrebungen des "Schlächters von Damaskus" zu kanalisieren, diesem Ziel nicht völlig entgegengesetzt zu sein scheint. Der "Herrscher des Kremls" hat ein Interesse daran, gute Beziehungen zu Erdogan zu unterhalten, um Druck auf die NATO auszuüben und seinen wertvollen Marinestützpunkt in Tartus, im Westen Syriens, zu erhalten. Die Türkei ihrerseits hat freie Hand, um die Kurden auszuschalten, deren autonomes Gebiet sie sich weigert zu erhalten, da sie befürchtet, dass es als Basis für die nationalistischen Ansprüche der Kurden der Türkei dienen könnte. Im Oktober letzten Jahres gelang es ihr, nach gewaltsamen Kämpfen eine "Sicherheitszone" einzurichten und damit die territoriale Integrität Rojavas zu brechen. Wenn die amerikanische Präsenz den Kurden bisher eine Schutzgarantie gegeben hat, so ist der Abzug der US-Truppen aus Syrien höchstwahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass sie zum Tode verurteilt sind. Dies trifft um so mehr zu, als europäische Mächte wie Frankreich und Großbritannien viel an Boden verloren haben und nicht mehr wirklich in der Lage sind, ihre Strategie des Kampfes gegen den IS und das Assad-Regime durch Bündnisse mit den Rebellen und den Kurden umzusetzen. Damit sind nun alle Voraussetzungen für neue Massaker gegeben, die für Millionen weiterer Menschen Elend und Vertreibung bedeuten werden.
Was an der griechisch-türkischen Grenze geschieht, ist keine Ausnahme, sondern ein Beispiel unter vielen anderen für den Schrecken, den der dahinsiechende Kapitalismus für Hunderte von Millionen Menschen mit sich bringt. Das Schicksal der afrikanischen Migranten an der marokkanischen Grenze, das Inferno in Libyen oder das der Lateinamerikaner zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten ist ähnlich. Alle sind auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Kriminalität und Umweltkatastrophen. Man spricht davon, dass sich heute fast sieben Millionen Menschen in dieser Situation des Umherirrens ohne jegliche Überlebensmöglichkeiten befinden. Sie fliehen vor der Barbarei des Kapitals und sind die Spielbälle und Opfer der nationalen Bourgeoisien, die sie ständig hin und herjagen und die "Flüchtlingsfrage" im Namen ihrer finsteren imperialistischen Interessen instrumentalisieren.
Vinzenz, 8. März 2020.
[1]Die Rebellen gegen das Assad-Regime sind nur eine rivalisierende Fraktion innerhalb der syrischen Bourgeoisie. Sie werden von den USA, Saudi-Arabien, der Türkei und anderen imperialistischen Mächten als Schachfiguren für die Verteidigung ihrer imperialistischen Interessen benutzt.
[2]siehe zum Beispiel https://en.internationalism.org/icconline/201510/13468/syria-russian-intervention-escalates-chaos [4]
[3]Siehe dazu unsere französische Webseite https://fr.internationalism.org/content/9934/droit-dasile-arme-dresser-des-murs-contre-immigres [5]
Am Ende unseres ersten Artikels über die Covid-19-Pandemie wiesen wir darauf hin: "Ob dieses neue Covid-19-Virus zu einer neuen Pandemie wird, wie es bei SARS geschehen ist, oder ein neues saisonales Atemwegsvirus bleibt, diese neue Krankheit ist eine weitere Warnung, dass der Kapitalismus zu einer Gefahr für die Menschheit und das Leben auf diesem Planeten geworden ist. Die enormen Fähigkeiten der Produktivkräfte, einschließlich der medizinischen Wissenschaft, uns vor Krankheiten zu schützen, kollidieren mit diesem kriminellen Profitstreben, mit der Überbevölkerung eines großen Teils der Weltbevölkerung in unbewohnbaren Städten und den damit verbundenen Risiken neuer Epidemien.“
Heute ist diese Pandemie zu einem großen Problem in der ganzen Welt geworden und hat zu einem regelrechten wirtschaftlichen "Tsunami" mit katastrophalen Folgen geführt. Aus Platzgründen werden wir hier nicht auf diese Dimension der wirtschaftlichen Auswirkungen eingehen. Wir werden dies in einem zukünftigen Artikel tun. Im folgenden Artikel konzentrieren wir uns auf die Analyse, wie diese Epidemie die Krankheit des Kapitalismus offenbart.
Die finstersten Vorhersagen werden heute bestätigt, und die WHO muss anerkennen, dass es sich um eine globale Pandemie handelt, die sich bereits auf 117 Länder auf allen Kontinenten ausgebreitet hat, dass die Zahl der betroffenen Menschen laut offiziellen Statistiken 120.000 übersteigt, dass die Zahl der Todesfälle in diesen ersten Wochen der Pandemie mehr als 4.000 betrug usw. Was in China als "ein Problem" begann, ist heute zu einer sozialen Krise in den wichtigsten kapitalistischen Mächten des Planeten (Japan, USA, Westeuropa usw.) geworden. Allein in Italien übersteigt die Zahl der Todesfälle bereits die Zahl der durch die SARS-Epidemie von 2002-2003 weltweit verursachten. Und die drakonischen Maßnahmen zur Kontrolle der Bevölkerung, die vor einem Monat von den "tyrannischen" chinesischen Behörden ergriffen wurden, wie z.B. die Quarantäne von Millionen von Menschen[1] und die Maßnahmen, die typisch für einen echten "Sozialdarwinismus" sind, der darin besteht, all jene von der Krankenhausversorgung auszuschließen, die im Kampf um die Eindämmung der Krankheit nicht "vorrangig" sind, sind heute in vielen der wichtigsten Städte all der betroffenen Länder auf allen Kontinenten an der Tagesordnung.
Die bürgerlichen "Medien" bombardieren uns ständig massenweise mit Daten, Empfehlungen und "Erklärungen" zu dem, was sie uns als eine Art Plage, als eine neue "Natur"-Katastrophe darstellen wollen. Aber es gibt nichts "Natürliches" an dieser Katastrophe; sie ist das Ergebnis der erstickenden Diktatur der senilen und überholten kapitalistischen Produktionsweise über die Natur und der menschlichen Spezies als ein Teil dieser Natur.
Wir Revolutionäre haben keine Kompetenz, epidemiologische Studien oder Prognosen über den Verlauf von Krankheiten zu erstellen. Unsere Aufgabe ist es, auf einer materialistischen Grundlage die sozialen Bedingungen zu erklären, die das Auftreten dieser katastrophalen Ereignisse möglich und unvermeidlich machen. Damit haben wir deutlich gemacht, dass das Wesen des kapitalistischen Systems darin besteht, Ausbeutung, Profit und Akkumulation über die menschlichen Bedürfnisse zu stellen. Und dass ein anderer Kapitalismus nicht möglich ist. Aber auch, dass dieselben kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte einen enormen Fortschritt der Produktivkräfte (der Wissenschaft, einer gewissen Beherrschung der Natur, um die Leiden, die sie den Menschen auferlegte, einzudämmen ...) ermöglichen konnten, heute zu einem Hindernis für ihre Entwicklung geworden sind. Wir haben auch erklärt, wie die jahrzehntelange Verlängerung dieser Phase der kapitalistischen Dekadenz in Ermangelung einer revolutionären Lösung zum Eintritt in eine neue Phase geführt hat: zum gesellschaftlichen Zerfall[2], wo all diese zerstörerischen Tendenzen noch stärker konzentriert sind und in einer Vervielfachung von Chaos, Barbarei, dem fortschreitenden Zusammenbruch eben jener sozialen Strukturen, die ein Minimum an sozialem Zusammenhalt garantieren, das Überleben des Lebens auf dem Planeten Erde selbst bedrohen.
Sind das Gehirngespinste von ein paar in der Vergangenheit lebenden Marxisten? Sicherlich nicht. Die Wissenschaftler, die mit wissenschaftlicher Sorgfalt über die aktuelle Covid-19-Pandemie sprechen, behaupten, dass die Ausbreitung dieser Art von Epidemie ihre Ursache unter anderem in der beschleunigten Umweltzerstörung hat, die zu einer größeren Ansteckung durch Tiere (Zoonosen) führt, die sich den menschlichen Ballungsräumen nähern, um zu überleben, und dass gleichzeitig die Überbevölkerung von Millionen von Menschen in Megacities die wirklich schwindelerregenden Ansteckungskurven verursachen. Wie wir bereits in unserem vorherigen Artikel über Covid-19 erklärten,[3] hatten einige Ärzte in China tatsächlich schon ab Dezember 2019 versucht, vor einer neuen Epidemiegefahr durch das SARS-Coronavirus zu warnen, aber sie wurden direkt vom Staat zensiert und unterdrückt, weil dies das Bild einer der führenden Weltmächte, die das chinesische Kapital vermitteln möchte, bedrohte.
Die IKS ist auch nicht die erste, die eine der Hauptantriebskräfte für die Ausbreitung dieser Pandemie in der abnehmenden Koordinierung der Maßnahmen zwischen den verschiedenen Länder ausmacht, was eines der Merkmale des Kapitalismus ist, aber in immer stärkerem Maße durch das Vordringen des "Jeder für sich" und den "Rückzug auf sich selbst" verstärkt wird. Diese Triebkräfte stehen hinter der Tendenz der Staaten und Kapitalisten in der Phase des Zerfalls des Systems und neigen dazu, alle sozialen Beziehungen zu durchdringen.
Wir entdecken nichts Neues, wenn wir darauf hinweisen, dass die Gefahr dieser Krankheit nicht so sehr im Virus selbst liegt, sondern in der Tatsache, dass diese Pandemie vor dem Hintergrund einer enormen Verschlechterung der Gesundheitsinfrastrukturen über Jahrzehnte und im globalen Maßstab stattfindet. Dass es in der Tat die "Verwaltung" dieser immer knapper werdenden und nicht mehr funktionierenden Strukturen ist, die die Politik der verschiedenen Staaten diktiert, um das Auftreten neuer Fälle zu verhindern, auch wenn dies bedeutet, dass die Auswirkungen dieser Pandemie zeitlich verlängert werden müssen. Und deutet diese unverantwortliche Verschlechterung des Zustands der Ressourcen - von Wissen, Technologie usw. -, die sich durch Jahrzehnte menschlicher Arbeit angesammelt haben, nicht darauf hin, dass ein neuer Ansatz für das Problem notwendig ist? Dies offenbart eine absolute Perspektivlosigkeit, ein völliges Fehlen der Sorge um die Zukunft der Gattung Mensch. All das ist charakteristisch für eine im Zerfall begriffene Gesellschaft.
Natürlich hat es in der Geschichte der Menschheit auch andere extrem tödliche Epidemien gegeben. Heutzutage ist es leicht, in den bürgerlichen "Medien" Berichte und Beilagen darüber zu finden, wie Pocken und Masern, Cholera oder die Pest Millionen von Todesfällen verursacht haben. Was dabei fehlt, ist eine Erklärung dafür, dass die Ursache für diese Todesfälle im Wesentlichen die schlechten Lebensbedingungen der Menschheit waren, sowohl was die materiellen Lebensbedingungen als auch das Wissen über die Natur betrifft. Der Kapitalismus bietet und erfordert die historische Möglichkeit, diese Phase der materiellen Entbehrung zu überwinden und durch die Entwicklung der Produktivkräfte die Grundlage für einen Überfluss zu legen, der eine echte Vereinigung und Befreiung der Menschheit in einer kommunistischen Gesellschaft ermöglichen kann. Wenn man das 19. Jahrhundert, also die Phase der maximalen kapitalistischen Expansion, betrachtet, kann man sehen, wie Gesundheit und damit Krankheit nicht mehr als Schicksal empfunden wurden, wie nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Kommunikation zwischen verschiedenen Forschern ein Fortschritt erzielt wurde, wie es eine wirkliche Verschiebung hin zu einem wissenschaftlicheren Ansatz in der Medizin gab. Und all dies fand eine Anwendung im täglichen Leben der Menschen: von Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Hygiene bis hin zur Entwicklung und dem Einsatz von Impfstoffen, von der Ausbildung medizinischer Experten bis hin zur Einrichtung von Krankenhäusern. Der Anstieg der Bevölkerung (von einer auf zwei Milliarden Menschen) und vor allem der Lebenserwartung (von 30 bis 40 Jahren zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf 50-65 Jahre im Jahr 1900) ist im Wesentlichen auf diesen Fortschritt in Wissenschaft und Hygiene zurückzuführen. Nichts davon gaben die Herrschenden aus Altruismus zum Wohle der Bedürfnisse der Bevölkerung. Das „Kapital [ist] von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend« zur Welt gekommen, wie Marx sagte.
Aber inmitten dieses Grauens ist es sein Ziel, eine maximale Rentabilität der Arbeitskräfte und des Wissens, das seine Lohnsklaven in den Jahrzehnten des Erlernens neuer Produktionsverfahren erworben haben, zu erreichen, die Stabilität des Transports von Lieferungen und Gütern zu gewährleisten usw. Dadurch ist die Ausbeuterklasse danach bestrebt, das Arbeitsleben ihrer Beschäftigten möglichst kostengünstig zu verlängern, die Reproduktion der Ware Arbeitskraft zu sichern, den relativen Mehrwert durch die Steigerung der Produktivität der ausgebeuteten Klasse zu erhöhen.
Diese Situation hat sich durch den Übergang der historischen Periode von der aufsteigenden Periode des Kapitalismus zu seiner Dekadenz, welche die Revolutionäre seit der Kommunistischen Internationale im Ersten Weltkrieg [4] festgemacht haben, in ihr Gegenteil gedreht. Es ist kein Zufall, dass um 1918 eine der tödlichsten Epidemien in der Geschichte der Menschheit stattfand: die so genannte "Spanische Grippe" von 1918-19. Im Rahmen dieser Pandemie zeigte sich, dass weniger die Virulenz des Erregers, sondern vielmehr die für den imperialistischen Krieg charakteristischen sozialen Bedingungen in der kapitalistischen Dekadenz (weltweite Dimension des Konflikts, Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung der wichtigsten Nationen usw.) das Ausmaß der Katastrophe erklärten: 50 Millionen Tote, fast doppelt so viele wie in den Schützengräben.
Dieser Krieg und dieser Horror erreichten eine zweite, noch schrecklichere Episode im Zweiten Weltkrieg. Die Gräueltaten des ersten imperialistischen Gemetzels wie die Verwendung von Giftgasen nahmen zwischen den beiden Weltkrieg ab, bis im 2. Weltkrieg die Barbarei wieder ihren freien Lauf nahm: von Experimenten an Menschen durch die Deutschen und Japaner bis zum Einsatz biologischer Waffen (die Briten experimentierten mit Anthrax, die US-Amerikaner begannen mit ihren Versuchen mit Napalm gegen Japan bzw. Amphetaminen gegen die eigenen Soldaten), über die systematische Vernichtungsmaschinerie in den KZs bis schließlich zum Einsatz der Atombombe durch die Amerikaner am Ende des Krieges.
Und im anschließenden "Frieden"? Es stimmt, dass die großen kapitalistischen Mächte Gesundheitssysteme nach dem Vorbild des 1948 geschaffenen britischen NHS - das als eines der Gründungsmerkmale des so genannten "Wohlfahrtsstaates" gilt - eingerichtet haben, um eine "allgemeine" Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, die unter anderem darauf abzielte, Epidemien wie die Spanische Grippe zu verhindern. War der humanitäre Kapitalismus zu einem Fortschritt, zu einem Gewinn für die Arbeiter geworden? Sicherlich nicht. Das Ziel dieser Gesundheitssysteme bestand u.a. darin, die Reparatur der Arbeitskraft (ein ‚knappes‘ Gut, nachdem im Krieg Millionen Arbeiter gestorben sind) zu möglichst niedrigen Kosten zu gewährleisten und den gesamten Produktionsprozess beim Wiederaufbau zu sichern. Dies bedeutet nicht, dass die eingesetzten "Heilmittel" nicht zu neuen Leidensquellen werden. Das zeigt sich zum Beispiel in der Antibiotika-Therapie, die zur Eindämmung von Infektionen verschrieben wird, die aber in Anbetracht der Bedürfnisse der kapitalistischen Produktivität dazu missbraucht wird, Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zu verkürzen. Und das hat zu einem großen Problem bakterieller Resistenzen geführt - den so genannten "Superbugs" - die letztendlich das therapeutische Arsenal reduzieren, um die Infektionen anzugreifen. Es zeigt sich auch in der Zunahme von Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes, die durch eine Verschlechterung der Ernährung der Arbeiterklasse - d.h. die Verbilligung der Reproduktion der ausgebeuteten Klasse - und der ärmeren Schichten der Gesellschaft bis zu dem Punkt verursacht werden, dass die Nutzung der Lebensmitteltechnologie durch den Kapitalismus Fettleibigkeit im Elend produziert. Und wir können auch sehen, wie die Medikamente, die ausgegeben wurden, um den wachsenden Schmerz, den dieses Ausbeutungssystem der arbeitenden Bevölkerung zufügt, erträglicher zu machen, zu Phänomenen wie der so genannten "Opioid-Epidemie" geführt haben, die bis zur Ankunft des Coronavirus zum Beispiel Gesundheitsproblem Nr. 1 in den Vereinigten Staaten war und mehr Tote als alle Opfer des Vietnamkrieges verursacht hat.
Die Covid-19-Pandemie kann nicht von den übrigen Problemen, die die Gesundheit der Menschheit plagen, getrennt werden. Im Gegenteil: Die Probleme zeigen, dass es nur noch schlimmer werden kann, wenn wir weiterhin der entmenschlichten und den Marktgesetzen folgenden Gesundheitsfürsorge unterworfen bleiben. Der Ursprung von Krankheiten ist heute nicht so sehr der Mangel an Wissen oder Technologie. Der gegenwärtige Wissensstand der Epidemiologie sollte es ermöglichen, eine neue Epidemie einzudämmen. Ein Beispiel: Kaum zwei Wochen nach der Entdeckung der Krankheit konnten die Forschungslabors bereits das Virus sequenzieren, das Convid-19 verursacht hat.
Das Hindernis, welches die Bevölkerung überwinden muss, besteht darin, dass die Gesellschaft einer Produktionsweise unterworfen ist, die einer ausbeuterischen sozialen Minderheit zugute kommt und zu einer Fessel für die Entwicklung der Menschheit geworden ist. Man kann sehen, dass der Wettlauf um die Einführung eines Impfstoffs, anstatt eine kollektive und koordinierte Anstrengung zu sein, in Wirklichkeit ein Wirtschaftskrieg zwischen den Labors ist. Echte menschliche Bedürfnisse sind den Gesetzen des kapitalistischen Dschungels unterworfen. Das Gesetz des harten Wettbewerbs um den Markt, wo es darum geht, als erster einen Teil des Markts zu erobern und entsprechend Gewinn einzuheimsen, steht im Mittelpunkt der Interessen der Kapitalisten.
Auf unserem letzten 23. Internationalen Kongress haben wir eine Resolution über die internationale Lage verabschiedet, in der wir das, was wir in unseren Thesen über den Zerfall geschrieben haben, wieder aufgegriffen und für bestätigt betrachtet haben: "Die Thesen über den Zerfall vom Mai 1990 heben eine ganze Reihe von Merkmalen in der Entwicklung der Gesellschaft hervor, die sich aus dem Eintritt des Kapitalismus in diese letzte Phase seiner Existenz ergeben. Der vom 22. Kongress angenommene Bericht stellte fest, dass sich all diese Merkmale verschlechtern, wie z.B.:
„die Ausbreitung von Hungersnöten in den Ländern der ‚Dritten Welt‘ (...);
die Verwandlung der ‚Dritten Welt‘ in einen riesigen Slum, in dem Hunderte von Millionen Menschen wie Ratten in der Kanalisation überleben;
die Entwicklung des gleichen Phänomens im Herzen der Großstädte in den ‚fortgeschrittenen‘ Ländern (...);
die jüngste Zunahme von ‚zufälligen‘ Katastrophen (...), die immer verheerenderen Auswirkungen von ‚Naturkatastrophen‘ auf menschlicher, sozialer und wirtschaftlicher Ebene (...);
die Zerstörung der Umwelt, die verheerende Ausmaße erreicht“ (Thesen über den Zerfall, Punkt 7).“.[5]
Was wir heute sehen können, ist, dass diese Erscheinungen zum entscheidenden Faktor in der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft geworden sind und dass nur auf der Grundlage dieses Rahmens die Entstehung und Entwicklung von gesellschaftlichen Ereignissen solch gigantischen Ausmaßes interpretiert werden kann. Wenn wir uns ansehen, was mit der Covid-19-Pandemie geschieht, können wir die Bedeutung des Einflusses zweier Elemente erkennen, die für diese Schlussphase des Kapitalismus charakteristisch sind.
Erstens: China, das nicht nur den geographischen Ursprungsort der jüngsten Epidemien (SARS-Epidemie 2002-2003 oder Covid-19) bildet. Es ist notwendig, die Merkmale der Entwicklung des chinesischen Kapitalismus im Stadium des Zerfalls des Weltkapitalismus und seinen Einfluss auf die gegenwärtige Situation zu verstehen. China ist in wenigen Jahren zur zweiten Weltmacht mit einer enormen Bedeutung im Welthandel und in der Weltwirtschaft geworden, indem es zunächst die Unterstützung der USA nach dem Wechsel des imperialistischen Blocks (1972) und nach dem Verschwinden dieser Blöcke 1989 als Hauptnutznießer der so genannten Globalisierung ausnutzte. Aber gerade deshalb "trägt Chinas Macht alle Stigmata des Kapitalismus im Endstadium: sie basiert auf der Überausbeutung der proletarischen Arbeitskraft, der ungezügelten Entwicklung der Kriegswirtschaft des nationalen Programms der "militärisch-zivilen Fusion" und geht mit der katastrophalen Zerstörung der Umwelt einher, während der "nationale Zusammenhalt" auf der polizeilichen Kontrolle der Massen beruht, die der politischen Erziehung der Ein-Partei unterworfen sind (...) Tatsächlich ist China nur eine gigantische Metastase des weit verbreiteten militaristischen Krebsgeschwürs des gesamten kapitalistischen Systems: Seine Militärproduktion entwickelt sich in rasantem Tempo, sein Verteidigungshaushalt hat sich in 20 Jahren versechsfacht und seit 2010 steht es weltweit an zweiter Stelle.“
Diese Entwicklung Chinas, die so oft als Beispiel für die fortdauernde Stärke des Kapitalismus dient, ist in der Tat ein Hauptmerkmal seines Zerfallsprozesses. Der "Glanz" seiner technologischen Erneuerungen oder der Ausdehnung seines weltweiten Einflusses durch Initiativen wie die neue Seidenstraße darf uns nicht aus den Augen verlieren lassen, unter welch enormen Ausbeutungsbedingungen (lange, erschöpfende Arbeitstage, miserable Löhn usw.) Hunderte von Millionen von Arbeitern überleben. All das sind Bedingungen, die im Bereich Wohnen, Ernährung und Kultur enorm rückständig sind und immer mehr an ihre Grenzen stoßen. Beispielsweise waren die ohnehin schon geringen Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben um 2,3% gesunken. Zum Beispiel bei Lebensmitteln, die mit sehr wenigen Hygienestandards produziert werden oder direkt durch Missachtung dieser Standards, wie beim Verzehr des Fleisches von Wildtieren. In den letzten zwei Jahren hat sich in China die schlimmste Epidemie in der Geschichte der so genannten "Afrikanischen Schweinegrippe" ausgebreitet, infolgedessen 30 % dieser Tiere geschlachtet werden mussten und zu einem Anstieg der Schweinefleischpreise um 70 % führte.
Das zweite Element, das die wachsenden Auswirkungen des kapitalistischen Zerfalls zeigt, ist das Zerbröckeln eines Minimums an Koordination zwischen den verschiedenen nationalen Kapitalien. Es stimmt zwar, dass, wie der Marxismus analysierte, die höchstmögliche Einheit, die der Kapitalismus (wenn auch nur gegen große Widerstände) erlangen kann, der Nationalstaat ist und ein Superimperialismus nicht möglich ist. Das schloss aber nicht aus, dass in der Phase der Aufteilung der Welt in imperialistische Blöcke eine ganze Reihe von Strukturen geschaffen wurden, von der UNESCO bis zur Weltgesundheitsorganisation, die versuchten, ein Minimum an gemeinsamen Interessen der verschiedenen Länder zu verwalten. Aber die Tendenz des Auseinanderbrechens eines Mindestmaßes an Koordination spitzt sich mit dem Fortschreiten des kapitalistischen Zerfalls weiter zu. Wie wir auch in der oben erwähnten Resolution zur internationalen Situation unseres 23. Kongresses analysiert haben: "Die sich vertiefende Krise (sowie die Forderungen der imperialistischen Rivalität) stellen multilaterale Institutionen und Mechanismen auf eine harte Probe.“ (Punkt 20)
Dies hat sich zum Beispiel in der Rolle der Weltgesundheitsorganisation gezeigt. Die internationale Koordination angesichts der SARS-Epidemie in den Jahren 2002-2003 sowie die Schnelligkeit, mit der einige Befunde in Labors auf der ganzen Welt gemacht werden konnten,[6] erklärt die geringen Folgen eines Virus aus einer Familie, die der des aktuellen Covid-19 sehr ähnlich ist. Diese Rolle wurde jedoch durch die unverhältnismäßige Reaktion der WHO auf die Influenza-A-Epidemie von 2009 in Frage gestellt, bei der der Alarmismus der Institution dazu diente, massive Verkäufe des antiviralen Medikaments "Tamiflu" zu begünstigen, das von einem Labor hergestellt wurde, an dem der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld direkter Anteilshaber war. Seitdem ist die WHO fast in die Rolle einer NGO gedrängt worden, die "seligmachende" Empfehlungen ausspricht, aber nicht in der Lage ist, den jeweiligen Ländern ihre Anweisungen aufzuzwingen. Sie sind nicht einmal in der Lage, die statistischen Kriterien für die Erfassung der Infizierten zu vereinheitlichen, was es jedem Land ermöglicht, die Auswirkungen der Epidemie „bei sich zu Hause“ so lange wie möglich zu verbergen. Dies ist nicht nur in China geschehen, das versucht hat, die ersten Anzeichen der Epidemie zu verbergen, sondern auch in den USA, die versuchen, die Zahl der Betroffenen unter den Teppich zu kehren, um die Auswirkungen eines auf Privatversicherungen basierenden Gesundheitssystems, zu dem 30% der amerikanischen Bürger praktisch keinen Zugang haben, nicht aufzudecken. Die Heterogenität der Kriterien für die Anwendung von diagnostischen Tests oder die Unterschiede in den Protokollen für das Vorgehen in den verschiedenen Phasen haben zweifellos negative Auswirkungen auf die Eindämmung der Ausbreitung einer globalen Pandemie. Noch schlimmer ist, dass jedes nationale Kapital protektionistische Maßnahmen ergreift, wenn es um die Bereitstellung von Schutzmaterial für Toiletten oder Atemschutzgeräte geht, wie es z.B. Merkels Deutschland tut.
Die Medienpropaganda bombardiert uns ständig mit Aufrufen zur Eigenverantwortung der Bürger, um den Zusammenbruch der Gesundheitssysteme zu verhindern, die in vielen Ländern Anzeichen von Überforderung zeigen (Erschöpfung der Arbeitskräfte, Mangel an materiellen und technischen Ressourcen usw.). Als erstes muss angeprangert werden, dass wir vor der „Chronik eines angekündigten Zusammenbruchs“ stehen. Und das nicht wegen der "Verantwortungslosigkeit" der Bürger, sondern wegen der jahrzehntelangen Kürzungen der Gesundheitsausgaben, der Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen und der Budgets für Krankenhausunterhalt und medizinische Forschung.[7] In Spanien zum Beispiel, eines der Länder, das diesem "Zusammenbruch", am nächsten steht, haben aufeinander folgende Kürzungspläne das Verschwinden von 8000 Krankenhausbetten[8] zur Folge gehabt, insgesamt gibt es weniger Intensivpflegebetten als im europäischen Durchschnitt und mehr veraltetes Material (67% der Atemschutzgeräte sind älter als 10 Jahre).
Eine sehr ähnliche Lage ist in Italien und Frankreich zu beobachten. Im oben erwähnten Großbritannien, das als Modell für die allgemeine Gesundheitsversorgung dargestellt wurde, hat sich die Qualität der Versorgung in den letzten 50 Jahren kontinuierlich verschlechtert, da mehr als 100.000 Stellen im Gesundheitswesen nicht mehr besetzt wurden. Und das war vor dem Brexit!
Und es sind dieselben Beschäftigten im Gesundheitswesen, die miterlebt haben, wie sich ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen systematisch verschlechtert haben, die mit immer weniger Personal unter zunehmendem Druck bei der Versorgung (einer größeren Bevölkerung und mehr Krankheiten) stehen und die nun durch den Zusammenbruch der Gesundheitsdienste infolge der Pandemie unter zusätzlichen Druck geraten sind. Dieselben Gesundheitsbehörden, die jetzt zynischerweise um Lob für diese öffentlichen Bediensteten bitten, sind diejenigen, die sie in die Erschöpfung treiben, indem sie ihnen die vorgeschriebenen Pausen vorenthalten, sie von einem Arbeitsplatz zum nächsten treiben oder sie - angesichts einer Pandemie unbekannten Ausmaßes - ohne individuelle Schutzausrüstung (Masken, Kleidung, Einwegartikel für die Geräte) oder die entsprechende Ausbildung arbeiten lassen. Indem man die Beschäftigten des Gesundheitswesen zwingt, unter solchen Bedingungen zu arbeiten, werden sie selbst noch mehr der Gefahr der Ansteckung durch das Virus ausgesetzt, wie es z.B. in Italien geschehen ist, wo mindestens 10% der Beschäftigten infiziert wurden.
Und um die Arbeitnehmer zu zwingen, diese Auflagen zu befolgen, greifen sie auf ein repressives Arsenal von "Ausnahmezuständen" zurück, die alle Arten von Sanktionen, Geldstrafen androhen und die Verfolgung derjenigen beinhalten, die sich weigern, diese zu befolgen: Befehle von Behörden, die in vielen Fällen die direkte Ursache für ein solches Chaos waren.
Angesichts dieser Situation, die das Personal des Gesundheitswesens vor vollendete Tatsachen stellt, sind auch die Beschäftigten dieses Bereichs gezwungen, sich bei der Anwendung Eugenik-ähnlicher Methoden dafür zu entscheiden, die knappen Ressourcen auf die Patienten mit den größten Überlebenschancen zu richten, wie man bei den von der Vereinigung italienischer Anästhesisten und Intensivmediziner empfohlenen Leitlinien[9] gesehen hat, die von Kriegszuständen sprechen. In der Tat, ein Krieg gegen die menschlichen Bedürfnisse durch die Logik des Kapitals, in dem die Beschäftigten des Gesundheitswesens selbst immer mehr unter Ängsten leiden, da sie unter diesen unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen. Die von vielen dieser Beschäftigten zum Ausdruck gebrachte Angst ist das Ergebnis der Tatsache, dass sie sich nicht einmal gegen solche Kriterien auflehnen oder sich weigern können, unter unwürdigen Bedingungen zu arbeiten und all dies auf ihrem Rücken auszutragen, weil z.B. Streiks ihren Klassenbrüdern und -schwestern, den übrigen Ausgebeuteten, sehr schaden würden. Sie können sich nicht einmal in Versammlungen treffen, sich mit anderen Kollegen/Innen zusammensetzen und die Solidarität unter den Beschäftigten körperlich wahrnehmen, weil das gegen die Regeln der "sozialen Zerstreuung" verstößt, die die Eindämmung der Epidemie erfordert.
Sie, unsere Kollegen/Innen im Gesundheitswesen, können in der gegenwärtigen Situation nicht offen kämpfen, aber der Rest der Arbeiterklasse darf sie nicht alleine stehen lassen. Alle Arbeitnehmer sind Opfer dieses Systems, und alle Arbeitnehmer werden früher oder später die Kosten dieser Epidemie tragen müssen. Sei es wegen der "nicht vorrangigen" Kürzungen im Gesundheitswesen (Aussetzung von Operationen, Konsultationen usw.) oder wegen der zehntausenden von Kündigungen von Zeitverträgen oder wegen der Kürzung von Löhnen aufgrund von krankheitsbedingten Fehlzeiten usw... Und dies wird das Warnzeichen für neue und brutalere Angriffe auf die Arbeiter sein. Wir müssen also weiterhin mit Entschlossenheit die Waffe der Arbeitersolidarität schärfen, wie wir es kürzlich bei den Kämpfen in Frankreich gegen die Kürzung der Renten gesehen haben.[10]
Diese Zusammenbrüche sind eindeutige Symptome der unheilbaren Senilität des kapitalistischen Systems. So wie Viren mehr abgenutzte Organismen befallen und schwerere Krankheitsschübe verursachen, so ist auch das Gesundheitssystem unwiderruflich erschüttert durch Jahre der Einsparungen und Kürzungen durch das "Management", das nicht auf den Bedürfnissen der Bevölkerung, sondern auf den Forderungen eines völlig verfaulenden Kapitalismus basiert. Und das Gleiche gilt für die kapitalistische Wirtschaft, die durch die Manipulationen des kapitalistischen Wertgesetzes und mit Hilfe von Verschuldung künstlich gestützt wird und die so zerbrechlich ist, dass eine Epidemie dabei ist eine neue und brutalere Weltrezession auszulösen.
Aber das Proletariat ist nicht nur das Opfer dieser Katastrophe für die Menschheit, die der Kapitalismus ist. Es ist auch die Klasse, die die historische Möglichkeit hat, sie mit ihrer Revolution endgültig auszulöschen. Das erfordert, die menschlichen Beziehungen, die auf Spaltung und Wettbewerb beruhen, durch solche zu ersetzen, die auf Solidarität beruhen sowie die Produktion, die Arbeit, die Ressourcen der Menschheit und der Natur nach den menschlichen Bedürfnissen und nicht nach den Gesetzen des Profits einer ausbeutenden Minderheit zu organisieren.
Valerio, 12. März 2020
[1]Es liegt auf der Hand, dass es notwendig ist, Menschen daran zu hindern, zu reisen oder dass sie zu Hause bleiben, um die Ausbreitung der Infektion zu verhindern. Aber die Art und Weise, in der dies auferlegt wird (mit unzureichender Unterstützung für die Betreuung von Kindern oder älteren Menschen durch den Staat; zudem geschieht dies in selektiver Weise - sie betreffen z.B. nicht die Arbeit in den Fabriken - und gleichzeitig hat man eine regelrechte polizeiliche Überwachung der Bevölkerung entwickelt), trägt die Handschrift des modus operandi des kapitalistischen Staatstotalitarismus. In künftigen Artikeln werden wir auch auf die Auswirkungen dieser Aktionen auf das tägliche Leben der Ausgebeuteten auf der ganzen Welt zurückkommen.
[2]Thesen über den Zerfall und „Resolution über die internationale Situation des 23. Kongresses der IKS“
[4]Wir haben dazu einige Artikel veröffentlicht, siehe u.a. https://de.internationalism.org/content/2845/100-jahre-nach-der-gruendun... [7]
[6]Zum Beispiel führte die Rolle der Panzerwanze als Zwischenüberträger der Krankheit auf den Menschen zu einer blitzschnellen Eliminierung dieser Tiere in China, was die Ausbreitung der Krankheit sehr schnell stoppte.
[7]In Frankreich beispielsweise wurden die Untersuchungen von Viren der Corona-Familie nach der Epidemie von 2002-2003 im Jahr 2005 aufgrund von Haushaltskürzungen abrupt gestoppt.
[8]Dieser Trend ist ein Prozess, der in jedem Land und bei Regierungen aller Couleur stattfindet, wie man hier sehen kann Grafik der Euroestat [9]
[9] Empfehlungen der UCI.
Nachdem sich die Epidemie in Europa und insbesondere in Italien bereits weit verbreitet hatte, begann die französische Bourgeoisie erst mit großer Verspätung zaghaft Maßnahmen zum "Schutz" der Bevölkerung zu ergreifen. Erst als die Situation in bestimmten Regionen wie der Picardie oder dem Elsass katastrophal war, wachte die Regierung von Macron auf und traf drastische Entscheidungen: Quarantäne, Grenzschließungen, Polizeikontrollen, Mobilisierung der Armee, um den völlig überforderten Gesundheitsteams zu Hilfe zu kommen.
"Wir befinden uns im Krieg", erklärte Präsident Macron in seiner Rede vom 16. März. Seither hört man die Kriegsrhetorik aus den Mündern von Ministern und Politikern aller Couleur: "Der Feind ist hier"! "Nationale Einheit"! "Stellungskrieg"! "Allgemeine Mobilisierung"! Die Regierung hat sogar die „glorreiche Vergangenheit“ ins Rampenlicht gerückt: die "Helden des Zweiten Weltkriegs", werden bemüht, um zu erklären, dass "in den Ellbogen husten" ein "Akt des Widerstands" sei.
Wenn "der Feind" "unsichtbar" und "schwer fassbar" bleibt, ähnelt der Kampf gegen diese Pandemie in der Tat einem wirklichen Krieg: die Regierung verbreitet massenhaft Lügen und Halbwahrheiten; unverantwortlicher Weise schickt sie Millionen Arbeiterinnen an die Arbeitsfront, und ruft den Bürger zu Kommunalwahlen auf.
"Wir stehen bereit und sind voll gerüstet. Würde der Krieg zwei Jahre dauern, würde unseren Soldaten (in weißen Kitteln) keine Maske fehlen, nicht eine Flasche Desinfektionsmittel", hätte General Macron erklären können! Aber die Wirklichkeit sah breits ganz anders aus: Angesichts der Nachlässigkeit des Staates und des Dilettantismus von Macron segelt die Regierung auf Sicht und verlässt sich nun ganz auf die Ärzte, um die Bevölkerung zu "schützen". Während also Jupiter, der "Kriegsherr" [Macron wird als Jupiter verspottet] und seine Minister ihre kleine Theatralik spielen, opfert sich das Krankenhauspersonal, um Leben zu retten, indem es mit weitgehend unzureichenden Mitteln tut, was es kann.
Heute, angesichts des COVID-19, werden die Arbeitszeiten in allen Stationen wahnsinnig überzogen, und erschöpfte Pfleger schuften mehr als vierzehn Stunden, was das Risiko dramatischer Fehler weiter erhöht. Erschöpfte Pfleger schreien ihre Wut heraus; sie ist gar bis ins Fernsehen zu vernehmen! Im Elsass musste der Staat angesichts der Höhe der Todesfälle und der Patienten mit Atemnot ein "militärisches Feldlazarett" in einem noch nie dagewesenen logistischen Chaos improvisieren, um die zivilen Krankenhäuser zu unterstützen, die durch den Mangel an Betten und Mitteln dem Kollaps nahe stehen.
Was die Vorräte an Masken, Desinfektionsmitteln, Kopfbedeckungen, Kitteln, Atemschutzmasken betrifft: überall mangelt es an Material und Personal! Im Jahr 2005 verfügte der Staat über einen strategischen Bestand von 723 Millionen Masken (1,4 Milliarden im Jahr 2011 nach der H1N1-Krise). Doch infolge der 2013 beschlossenen Haushaltsbeschränkungen sank der Bestand auf 150 Millionen. Angesichts von Rationierungen, der Verwendung veralteter Masken und sogar der Wiederverwendung gebrauchter Masken hat die Regierung nach mehrwöchiger Krise gerade erst 12 Millionen davon aus den ohnehin schon unzureichenden staatlichen Reserven aufgetrieben... für 1,1 Millionen Krankenhausmitarbeiter, die sie alle vier Stunden in den Müll werfen sollen. Genug für ein paar Tage für die Krankenhäuser, die das Glück haben, beliefert zu werden! Was die "nicht lebenswichtigen" Dienste und die Labors betrifft, die täglich Tausende von Tests durchführen, so ist dies ebenfalls Alltag. Keine Masken mehr![1] Das Pflegepersonal, "an der Front" (sic!), ist somit direkt der Krankheit ausgesetzt. Ein Notarzt in Compiègne ist soeben an dem Virus gestorben, und andere werden ihm wahrscheinlich ins Grab folgen! Wie kann Macron sich selbst in den Spiegel schauen, wenn er zu sagen wagt, dass die Gesundheit vor allem anderen kommen muss?
Außerdem lügt der Staat ähnlich einer Bananenrepublik schamlos, um seine Verantwortung und die Wirklichkeit zu verbergen. Die Zahl der Patienten wird daher weitgehend klein gespielt, da die Regierung und die regionalen Gesundheitsbehörden seit einigen Tagen die Tatsache ignorieren, dass das Screening "nicht mehr systematisch" ist, so die bewundernswerte Untertreibung des Gesundheitsministers. In ähnlicher Weise suggerieren die Behörden (mit zunehmender Schwierigkeit), dass die „Überforderung“ der Krankenhäuser sich auf einige wenige Abteilungen beschränkt. Schamlose Lüge! In der Presse und sogar in den sozialen Netzwerken wimmelt es von ergreifenden Zeugenaussagen von Pflegekräften, die manchmal unter Tränen das Ausmaß der Katastrophe beschreiben.
Es muss deutlich gemacht werden: Dieses Chaos ist das Produkt der Dekadenz des kapitalistischen Systems, der Haushaltskürzungen, die der Staat seit Jahrzehnten vornehmen muss, um das nationale Kapital über Wasser zu halten!
Bereits 2004 beschloss der Staat, die Grundlagenforschung zum Coronavirus aus Haushaltsgründen drastisch zu reduzieren![2] Die herrschende Klasse wusste sehr wohl, dass ihre Krankenhäuser, die angesichts der einfachen saisonalen Grippe bereits überfordert waren, dem Schock einer großen Epidemie nicht standhalten würden![3] Der bürgerliche Staat hat sich bewusst dafür entschieden, die Menschen in Massen sterben zu lassen, um seine Finanzen zu "sanieren"!
Mit einem unerträglich paternalistischen Ton lobt General Macron heute den Mut und den Heldenmut der Ärzte, Sanitäter, Krankenpfleger und Krankenwagenfahrer und verschweigt dabei tunlichst zu sagen, dass er seine CRS (das deutsche Pendant ist die Bundespolizei) schickte, um sie ein ganzes Jahr lang mit Tränengas auf den Protestveranstaltungen auseinanderzujagen, während die "Soldaten in weißen Kitteln" mehr Mittel und Personal für die Behandlung der Patienten verlangten! Während eines Jahres voller Streiks und Demonstrationen hörte die Bourgeoisie nicht auf, die Notärzte zu verachten, und als einzige Antworten gab es einen völlig unbedeutenden "Krankenhausplan"[4] und ekelhafte Unterstellungen über ihre angeblichen Privilegien als Beamte. Macron mag ihnen vielleicht Medaillen verleihen, indem er das Pflegepersonal als "Helden" bezeichnet, ihre Gehälter werden nicht steigen und ihre Arbeitsbedingungen werden sich weiter verschlechtern!
Das Gesundheitssystem in Frankreich, wie überall auf der Welt, liegt in Trümmern, zerschlagen mit der Axt auf dem Altar der "strengen Haushaltsdisziplin", die Minister Darmanin, einem der besten Schwertkämpfer von General Macron, so sehr am Herzen liegt. In etwa zwanzig Jahren ist die Zahl der Krankenhausbetten um 100.000 gesunken! Die Zahl der Krankenhäuser und Kliniken ist von 1.416 im Jahr 2014 auf 1.356 im Jahr 2018 gesunken.[5] Als Symbol für die Zerstörung des Gesundheitssystems beschloss die Regierung 2014 den Verkauf des Militärkrankenhauses Val de Grâce, das effizienteste und am besten ausgestattete der französischen Krankenhäuser.
Frankreich verfügte im Jahr 2017 über 309 Intensivpflegeplätze pro 100.000 Einwohner, verglichen mit 601 Betten in Deutschland,[6] das (O Wunder!) bislang eine viel niedrigere Sterblichkeitsrate durch Covid-19 hat als seine Nachbarn. In einigen Regionen wie Ostfrankreich oder Korsika spürt man auf die grausamste Weise wie sehr es an Material mangelt, dort hat die Triage der Patienten bereits begonnen. Echte "Kriegsmedizin", bei der die am schwersten Verwundeten und Krüppel (vor allem ältere Menschen) im Stich gelassen werden, wenn sie nicht für die Rentabilität der Volkswirtschaft wiedergewonnen werden können!
All dies geht offensichtlich mit einem chronischen Personalmangel einher sowie einem mörderischen Arbeitstempo, Tausenden von Überstunden und miserablen Löhnen.[7] Die Demontage des Gesundheitssystems hat auch zu der so genannten Numerus-Clausus-Politik geführt, die auf Studenten an Medizin- und Krankenpflegeschulen angewandt wird. 50 Jahre lang wurden Ärzte und Krankenschwestern auf Wettbewerbsbasis ausgewählt, wobei die Anzahl der erfolgreichen Kandidaten willkürlich per Ministerialverordnung festgelegt wurde, und zwar, wie zu erwarten, gemäß der strengsten Logik der Haushaltsdisziplin. Dies hat die zweitgrößte europäische Wirtschaft gezwungen, buchstäblich Niedriglohn-Ärzte und Krankenschwestern aus Spanien, dem Maghreb und Osteuropa zu "importieren".
Um die Auswirkungen der Gesundheitskrise auf den "französischen Produktionsapparat" abzufedern, beschloss der Krisenstab des Staates eine Reihe von Sofortmaßnahmen, darunter eine sehr späe angeordnete Quarantäne. Während die Epidemie in Europa Anfang Februar begann, kündigte General Macron erst am 16. März endlich Eindämmungsmaßnahmen an. Bis dahin bestand, während die Epidemie weiter voranschritt, seine Priorität darin, Sparmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse zu ergreifen, einschließlich der Verabschiedung seiner Rentenreform.
Doch die Regierung war sich der Gefahr, die von Covic-19 ausgeht, sehr wohl bewusst. Es war die ehemalige Gesundheitsministerin, der "weiße Engel" Agnes Buzyn, die öffentlich die Katze aus dem Sack ließ, indem sie (zweifellos verbittert durch ihre schlechten Wahlergebnisse im Rennen um das Amt des Bürgermeisters von Paris) erklärte, dass sie das Staatsoberhaupt schon sehr früh vor der bevorstehenden Katastrophe gewarnt habe: "Ich wusste, dass die Tsunami-Welle vor uns lag". "Am 30. Januar habe ich [Premierminister] Édouard Philippe gewarnt, dass die Wahlen wahrscheinlich nicht stattfinden können. Wir hätten alles stoppen sollen, es war eine Maskerade".[8]
Die "Maskerade" hat stattgefunden! Die Regierung verschlimmerte wissentlich die Ausbreitung der Epidemie, indem sie Millionen von Bürgern in die Wahllokale schickte, um der großen demokratischen Messe beizuwohnen! Die eklatante Unfähigkeit einer der Großmächte der Welt, die Bevölkerung mit wirksamen Schutzmitteln (Masken, Handschuhe und Desinfektionsmitteln) zu versorgen, zwingt jedoch zu drastischen Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit und weiteren Eindämmungsmaßnahmen.
Die "Maskerade" beschränkt sich nicht auf die waghalsige, verbrecherische Durchführung von Wahlen inmitten der zunehmenden Epidemie – Macron forderte in derselben Rede vom 16. März seine "lieben Landsleute" auf, nicht auf die Straße zu gehen, "außer um zu wählen und Besorgungen zu machen".
Angesichts dieser paradoxen Anordnung (geht raus aus dem Haus, aber kommt nicht heraus!) verschlossen viele die Augen vor der Realität und sahen nicht den Ernst dieser Pandemie. Es war daher nicht verwunderlich, dass viele "Bürger" keinen "Bürgersinn" zeigten und das gute Wetter nutzten, um an den Ufern der Seine und in öffentlichen Gärten spazieren zu gehen.
Macrons Rede, die nichts Halbes und nichts Ganzes war, sowie seine Entscheidung, die erste Runde der Kommunalwahlen aufrechtzuerhalten, waren immer noch eine Steilvorlage für Marine Le Pen, die diese für sich ausschlachtete.
Unter dem Druck der Warnungen der Ärzte trafen Macron und sein Innenminister Christophe Castaner die Entscheidung, allgemeines Ausgehverbot zu fordern. Eine Armee von 100.000 Polizisten und Soldaten wurde im ganzen Land eingesetzt, um die Kontaktsperre und die zunehmende Zahl der Ausgangssperren durchzusetzen. Angesichts der Schwere der Pandemie bleibt der herrschenden Klasse nichts anderes übrig, als mit Zwang ein massenhaftes Sterben zu verhindern.
An der Côte d'Azur überfliegt eine mit einem Lautsprecher ausgestattete Drohne sogar die Gemeinden Nizza und Cannes und befiehlt den Passanten, zu Hause zu bleiben: "Erinnerung an die Anweisungen bezüglich der Covid-19-Epidemie: Jeder Aufenthalt außerhalb des Hauses ist verboten, außer mit Sondergenehmigungen. Bitte halten Sie einen Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter zu anderen Personen ein", so wiederholt es die Stimme aus der Drohne immer wieder.
Die Polizei, mit ihrem üblichen Sinn für Unterscheidungsvermögen, zögerte nicht, die Maßnahmen der Regierung anzuwenden, indem sie die Mittellosesten und Obdachlosen ins Visier nahm: "Mehrere Obdachlose wurden in Frankreich von der Polizei mit einer Geldstrafe belegt, weil sie sich nicht an die Ausgangssperren hielten. ...] Fälle wurden vor allem in Paris, Lyon und Bayonne registriert"![9] Die Polizisten zögerten auch nicht, vier Trauernde am Tor eines Friedhofs zu bestrafen, weil sie "die Regeln des Kontaktverbotes nicht respektierten", und behaupteten, dass "eine Beerdigung nicht zwingend erforderlich ist"! Die Bourgeoisie hat keine andere Wahl, als ihre Ordnungskräfte einzusetzen, aber sie nutzt auch die Situation aus, um die Bevölkerung an die Militarisierung der Gesellschaft zu gewöhnen, wenn der "innere Feind" nicht mehr der Virus, sondern die kämpfende Arbeiterklasse sein wird!
Auf allen Fernsehgeräten werden täglich die an der "Front" mobilisierten Ärzte interviewt, um die Bevölkerung zur strikten Einhaltung des Ausgehverbots und sozialen Distanzierung zu drängen. Denn es ist (leider) heute die einzige Möglichkeit, die Gefahren des Coronavirus zu bekämpfen und die Ansteckung zu begrenzen.
Die "Maskerade" sind auch die Millionen von Menschen, die täglich in den öffentlichen Verkehrsmitteln zusammengepfercht sind. In den Fabrikhallen und Supermärkten, werden die Beschäftigten in großen Zahlen ‚eingesperrt‘. Die kriminelle "Maskerade" der Bourgeoisie und ihrer Regierung sind die tausenden noch offenen Unternehmen, deren Betrieb nur dem Namen nach "wesentlich" ist. Während Bauarbeiter sich weigerten, sich unnötig Gefahren auszusetzen, wagte der Arbeitsminister Pénicaud von "Defätismus" zu sprechen.
Um die unweigerlich sich sträubenden Beschäftigten zu zwingen zur Arbeit zu fahren, hat die Regierung ihre gefährlichsten Waffen eingesetzt: Repression und Propaganda. Der Staat kann natürlich auf seine Wachhunde der Gewerkschaften zählen, die für Disziplin sorgen. Letztere fordern ständig die Umsetzung "der Mittel, die für den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, die arbeiten müssen, unerlässlich sind" und "begrüßen das Engagement der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes".[10] Mit anderen Worten: Gehen Sie zur Arbeit, wir kümmern uns um Ihren Schutz durch den "sozialen Dialog" mit dem Management und dem Chef! Wenn ArbeiterInnen ihre Zurückhaltung zu offen äußern, machen die Gewerkschaften schnell von dem "Recht auf Rückzug" in "ihrem" Unternehmen Gebrauch. (In Frankreich haben Beschäftigte Anspruch auf einen „Rückzug“ (Recht auf Arbeitsverweigerung (bei drohender Gefahr für Gesundheit u. Leben))
Der "Gesundheitsnotstand" hat die Regierung nicht daran gehindert, die Beschäftigten zu drängen, sich nicht an die Ausgangssperre zu halten, wenn Homeoffice nicht möglich ist. Aber von nun an werden Polizisten, falls die Arbeiter sich weigern, zur Arbeit zu gehen, und es vorziehen, ihre Gesundheit und die ihrer ihnen Nahestehenden zu schützen, geschickt, um die widerspenstigen Arbeiter zur Arbeit zu zwingen und Strafen für alles zu verhängen, was der Staat als Hindernis für das reibungslose Funktionieren der nationalen Wirtschaft ansieht! Arbeitgeber können auch automatisch Zwangsurlaub verhängen, falls Beschäftigte von der Arbeit fernblieben. Selbst die Beamten bestimmter Finanzämter sind verpflichtet, ihre Arbeitsplätze nicht zu verlassen! Selektive Ausgangsperre ist Teil der Logik des Kapitals: Diese tödliche Pandemie darf den „reibungslosen Betrieb" der Volkswirtschaft nicht behindern.
"Meine Priorität ist es, die französische Wirtschaft zu retten", sagte der Wirtschaftsminister Bruno Le Maire mit dem Schwert in der Hand. Wie der Journalist der Zeitung Atlantico, Jean-Sébastien Ferjou, es formulierte: "Die eigentliche Frage, [...] ist: ziehen wir es vor, unsere alten und geschwächten Menschen zu opfern, oder ziehen wir es vor, zwei Punkte des BIP zu opfern?“ Die Regierung hat sich entschieden: Wir werden die alten Menschen opfern!
Die französische Bourgeoisie hat, wie ihre Nachbarn, bei der ungeheuerlichen Propaganda nicht gespart! Mit dem Aufruf zur "allgemeinen Mobilisierung" und "nationalen Einheit" hat die Bourgeoisie eine höchst verabscheuungswürdige nationalistische Kampagne entfesselt!
Die Bourgeoisie bereitet sich bereits auf die wirtschaftlich ruinösen Folgen vor, die der "Gesundheitskrieg" hervorbringen wird; und es ist die Arbeiterklasse, die die Rechnung bezahlen wird! Der "Geist des Opferbringens", der in einer Zeit des "Wiederaufbaus" vorherrscht, ist schon an der Tagesordnung. Jetzt schon haben die prekärsten Arbeiterinnen und Arbeiter mit wenigen Stunden ihre Jobs verloren, mit deren Hilfe sie überleben. Schon jetzt werden diejenigen, die Kurzarbeit ausüben, entgegen den Versprechungen der Regierung schlussendlich nicht ihren vollen Lohn erhalten! Die Propaganda ist in vollem Gange, um den Menschen klarzumachen, dass wegen der Epidemie in Zukunft alle den Gürtel enger schnallen müssen. Genau so wie man uns eintrichtern wollte, dass "korrupte Banker" und "verrückte Finanzen" die Ursache der Wirtschaftskrise von 2008 waren, versucht die herrschende Klasse nun, die Leute glauben zu machen, dass Covid-19 die Ursache der Wirtschaftskrise ist. Aber die Realität ist ganz anders: Die Epidemie ist nicht nur ein Katalysator, ein Beschleuniger der Krise des kapitalistischen Systems, sondern sie ist selbst ein reines Produkt dieser Krise!
In der Presse und in sozialen Netzwerken, im Fernsehen und auf YouTube werden diejenigen, die immer noch allein joggen, als unverantwortlich dargestellt, die für die Ausbreitung der Epidemie verantwortlich seien. Ist es den Journalisten und ihren "youtube"-Gehilfen nicht in den Sinn gekommen, dass diese unklugen Jogger das Verbot des Joggens im Freien völlig lächerlich fanden, nachdem sie in großen Menschenmengen in der RER, (öffentlichen Nahverkehr), in ihren Bahnhöfen und am Tag zuvor in den Wahllokalen eingepfercht waren?
Der Staat betreibt eine Kampagne der individuellen Schuldzuweisungen, um seine eigene Nachlässigkeit und seine Unfähigkeit, die Pandemie einzudämmen, besser zu verbergen!
Aber am verhängnisvollsten ist die ideologische Kampagne der Bourgeoisie mit ihren Aufrufen, den Mitarbeitern des Gesundheitswesens stehenden Beifall zu spenden. Die Fernsehsender zeigen immer wieder die Bilder des erleuchteten Eiffelturms und der reichen Viertel mit den jeden Abend um 20 Uhr an den Fenstern und Balkonen applaudierenden Leuten, die den Ärzten und Krankenschwestern - manchmal sogar mit der Kulisse der Marseillaise - Beispiel spenden. Die Bourgeoisie scheut weder Zynismus noch Unanständigkeit, indem sie die Bevölkerung auffordert, nach dem Tod des ersten Arztes ihren Applaus zu verdoppeln. Die "Soldaten, die für Frankreich gestorben sind" werden unter dem Jubel des Volkes geehrt! Es ist nicht mehr und nicht weniger eine Perversion der Solidarität der Arbeiterklasse, wenn General Macron eine Kriegsrede hält, in der er den "Heldentum" der Ärzte lobte. Obwohl dieser Applaus ein wenig Balsam in die Herzen bringt, braucht das Pflegepersonal für seinen guten und loyalen Dienst an der "Nation" keine Medaillen. Sie brauchen zusätzliches Personal und Ausrüstung, sie brauchen Masken und Schutz! Sie brauchen die "Anerkennung" durch Ausbeuter in Form von Lohnerhöhungen[11] und Personalaufstockungen, damit sie nicht unter der Last des höllischen Arbeitspensums zusammenbrechen!
Angesichts der Nachlässigkeit der Bourgeoisie und des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems, der die Versorgung der Kranken immer schwieriger macht, steigt der Zorn in den Reihen der Arbeiter. Die Verachtung der herrschenden Klasse für das menschliche Leben spornt die Wut der Ausgebeuteten an. Viele können den erklärten Wunsch der Regierung nicht mehr ertragen, die „Drückeberger“ aufzuscheuchen oder sich am Arbeitsplatz in Gefahr zu begeben, wenn es keine Rechtfertigung für ihre Präsenz am Arbeitsplatz gibt. Lieferanten bei Deliveroo und Uber-Eats, die Beschäftigten der SNF-Fabrik in Andrézieux, die Beschäftigten von La Redoute und Saverglass in der Region Oise streikten, um gegen ihre gefährlichen Arbeitsbedingungen zu protestieren. Auch bei Amazon und bei der Post streikten die Beschäftigten. An vielen Orten brachten viele Proletarier ihre Solidarität an ihren Fenstern schnell zum Ausdruck, indem sie mehr Geld für die Pfleger forderten, nicht mit stehenden Ovationen an die "Helden der Nation", sondern mit dem Ruf von: "Geld! Geld, für das öffentliche Krankenhaus!"
Aber einstweilen herrschen Angst und Erstaunen vor angesichts dieser gesundheitlichen Katastrophe, die die herrschende Klasse nicht kontrollieren kann. Die Unmöglichkeit, in größeren Massen zusammen zu kommen, erlaubt es der Arbeiterklasse heute nicht, den Weg des Kampfes auf ihrem eigenen Klassenterrain wieder aufzunehmen.
All diese Äußerungen des Zornes zeigen jedoch, dass die Kampfbereitschaft noch sehr lebendig ist, dass die Proletarier nicht resigniert die tödliche Nachlässigkeit derer, die sie ausbeuten, als akzeptieren. "Wir sind kein Kanonenfutter", hört man unter dem Pflegepersonal.
Sobald diese Gesundheitskrise überwunden ist, wird der "schützende" Staat wieder sein wahres Gesicht zeigen. Die Angriffe auf die Lebensbedingungen der Proletarier, (verschärft durch den Absturz der Wirtschaft in den Abgrund der Rezession) können auf Dauer nur zu neuen Explosionen von Wut und Empörung führen – und nicht zum „Burgfrieden“ der Ausgebeuteten mit ihren Ausbeutern.
Diese globale Gesundheitskatastrophe kann nur zum Nachdenken in der Arbeiterklasse beitragen und damit zur Erkenntnis, dass der Kapitalismus ein völlig verrottetes System ist, eine wahre Geißel, die das Überleben der menschlichen Spezies bedroht.
EG, 22. März 2020
[1] General Macron kann zumindest auf eine Expeditionstruppe, das Chinesische Rote Kreuz, zählen, das dem Alten Kontinent gerade mehrere Millionen Masken und Geräte zur Beatmung und Intubation von Kranken "gespendet" hat. Natürlich sind die "Spenden" aus Peking nicht nur anekdotisch, sie sind auch kein altruistischer und selbstloser Akt. Während die Staaten nicht in der Lage sind, ihr Handeln in einem Mindestmaß abzustimmen, ist Chinas "Großzügigkeit" eher Ausdruck des immer mehr um sich greifenden "jeder für sich", das den verrottenden Kapitalismus kennzeichnet, wofür die COVID-19-Pandemie ein spektakuläres Beispiel ist. Wir werden in einem zukünftigen Artikel auf diese Fragen zurückkommen.
[2] Vgl. das Interview mit Professor Bruno Canard, Forschungsdirektor des CNRS und Spezialist für Koronaviren, das in Le Monde veröffentlicht wurde: “Face aux coronavirus, énormément de temps a été perdu pour trouver des médicaments [11]” (29. Februar 2020).
[3] Darüber hinaus ist COVID-19 bei weitem nicht die virulenteste Krankheit, die die Menschheit je befallen hat. Die apokalyptischen Auswirkungen einer MERS-CoV-Pandemie mit einer Todesrate von 30% sind bereits jetzt ohne allzu große Schwierigkeiten vorhersehbar! (MERS-CoV avec son taux de létalité à 30 % [12] !)
[4] In welchem Maße das ein Witz ist, lässt sich ermessen, wenn man diese "sehr wichtige Investition" von 300 Millionen Euro (laut der ehemaligen Gesundheitsministerin Agnès Buzyn) mit dem Hilfsplan von etwa 750 Milliarden Euro vergleicht, den die EZB gerade freigegeben hat, um "die Wirtschaft zu retten".
[5] Vgl. das Panorama der DRESS von 2019 und einen im gleichen Jahr veröffentlichten DRESS-Bericht (le Panorama de la DRESS de 2019 [13] et un rapport de la DRESS publié la même année [13]).
[6] Siehe "Pflegebetten in Krankenhäusern". “Curative care beds in hospitals [14]”. Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 2017. Zweifel an der kontinuierlichen Verschlechterung der Aufwendungen in den letzten zwei Jahren sind kaum zulässig.
[7] Darüber hinaus hat der Staat die Misere noch verschlimmert, indem er die Stellen von Krankenpflegern durch Pflegehelferinnen ersetzt hat, die Hungerlöhne erhalten.
[8] “Les regrets d’Agnès Buzyn [15]”, Le Monde (17. März 2020).
[9] “Coronavirus : des SDF verbalisés pour non-respect du confinement” AFP (20 mars 2020). "Coronavirus: Obdachlose wegen Nichteinhaltung der Ausgangssperre bestraft", AFP (20. März 2020).
[10] Communiqué intersyndical du 19 mars 2020 [16] "Communiqué intersyndical vom 19. März 2020", das die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen zusammen unterzeichneten.
[11] Die Zusage einer Prämie von 1.000 Euro für Pflegekräfte ist nicht einmal ein 13. Monatsgehalt des Mindestlohns; diese Krümel sind eine echte Beleidigung.
Heute werden in den Straßen von Madrid eine Unmenge Krankenwagen rasen, es wird ein Chaos in den Notaufnahmen der Krankenhäuser, Schmerzen und Leid geben, vergleichbar mit den Anschlägen auf den Bahnhof Atocha im Jahr 2004 (193 Tote und mehr als 1400 Verletzte). Aber dieses Mal wird es ein nur weiterer Tag dieser Pandemie sein, die bereits 2300 Todesfälle und fast 35.000 Infizierte (offiziell) in Spanien verursacht hat, die sich noch schneller als in Italien ausbreitet, das vor einigen Tagen alle Rekorde in Bezug auf die täglichen Todesfälle (651) und die tödlichen Auswirkungen der Epidemie (mehr als 7000 Tote) gebrochen hat. Schon jetzt erweist sich die Covid-19 Pandemie als die schlimmste Gesundheitskatastrophe in den beiden Ländern seit dem 2. Weltkrieg. Und diese Länder liefern nur einen Vorgeschmack von dem, was wahrscheinlich die Bevölkerung der Metropolen wie New York, Los Angeles, London usw. erwartet. Und die Zahlen werden noch horrender sein, wenn man die Auswirkungen dieser Epidemie in Lateinamerika und Afrika berücksichtigt, wo die Gesundheitssysteme noch prekärer sind oder diese gar nicht existieren.
Aber seit Wochen schon konnten sich die Herrscher dieser Länder – und zweifellos auch anderer kapitalistischer Mächte wie Frankreich, wie wir in unseren Publikationen[1] gezeigt haben – eine Vorstellung von den zu erwartenden Folgen dieser Pandemie machen. Dessen ungeachtet beschlossen die Herrschenden wie die Regierungen der anderen kapitalistischen Staaten - und nicht nur Populisten wie Johnson in Großbritannien oder Trump in den USA usw.- die Bedürfnisse der kapitalistischen Wirtschaft über die Gesundheit der Bevölkerung zu stellen. Nun behaupten dieselben Herrscher in ihren theatralischen und heuchlerischen Reden, dass sie bereit seien, alles zu tun, um die Gesundheit ihrer Bürger zu schützen, und schieben die Schuld dafür auf den "Virus", dem sie den "Krieg" erklären. Aber der Schuldige kann nicht etwas sein, das nicht einmal ein Lebewesen ist. Die Verantwortung für die durch diese Pandemie verursachte Sterblichkeit ist ganz und gar auf die sozialen Bedingungen zurückzuführen; auf eine Produktionsweise, die, anstatt die Produktivkräfte, die natürlichen Ressourcen, den Fortschritt des Wissens zu nutzen, um das Leben zu begünstigen, das menschliche Leben und die Natur auf dem Altar der kapitalistischen Gesetze der Akkumulation und des Profits opfert.
Man sagt uns immer wieder, dass diese Pandemie jeden betrifft, ohne Unterschied zwischen Arm und Reich. Sie berichten über die Fälle einiger "Prominenter", die von Covid-19 betroffen oder sogar getötet wurden. Aber das sind Anekdoten, um die Tatsache zu verschleiern, dass die Ausbeutungsbedingungen der Beschäftigten für den Anstieg und die Ausbreitung dieser Pandemie verantwortlich sind.
Erstens wegen der dicht zusammen gedrängten Menschen in überfüllten und ungesunden Wohnvierteln, die einen Nährboden für die Ausbreitung von Epidemien bieten. Dies lässt sich leicht überprüfen, wenn man sieht, dass diese Pandemie in Industrieregionen mit hoher Bevölkerungsdichte (Lombardei, Venetien und Emilia Romagna in Italien, Madrid, Katalonien und Baskenland in Spanien) häufiger auftritt als in Regionen, die aufgrund der industriellen Entwicklung weniger stark besiedelt sind (Sizilien, Andalusien). Die Zuspitzung der Wohnungsnot insbesondere für die Arbeiter hat diese Ausbreitung noch begünstigt. Im Fall von Madrid befinden sich die Krankenhäuser, die am stärksten unter der hohen Patientenzahl leiden und die völlig überfordert sind, im Wesentlichen in den Stadtteilen, die die Beschäftigten aus den südlichen Industriegebieten versorgen. Und in diesen minderwertigen Wohngegenden ist es schwieriger, die von den Gesundheitsbehörden verordnete Quarantäne zu ertragen. In den "Chalets" von Somosierra oder der Villa Niza, wo Berlusconi mit seinen Kindern Zuflucht gesucht hat, ist die Enge erträglicher. Dieser Realität entgegengesetzt täuschen die Ausbeuter zynischerweise einen „Bürgersinn“ vor.
Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf diese Bevölkerung mit prekären Arbeitsplätzen, die sich zusätzlich um kleine Kinder oder ältere Menschen kümmern muss, zusammen gepfercht auf engstem Raum in minderwertigen Wohnungen. Besonders empörend ist dies im Fall der älteren Menschen, die ihr ganzes Leben lang ausgebeutet wurden und heute gezwungen sind, allein zu leben, oder die in Heimen vernachlässigt werden, die denselben Gesetzen des kapitalistischen Profits unterliegen. Mit einem Pfleger für je 18 Patienten in den Abteilungen der stark Pflegebedürftigen sind die Altenheime zu einer der Hauptquellen für die Ausbreitung der Pandemie geworden, wie man in Spanien nicht nur bei den so genannten "Bürgern", sondern auch bei den Beschäftigten selbst gesehen hat, die mit befristeten Verträgen und miserablen Gehältern gezwungen waren, gefährdete Patienten zu betreuen, wobei in vielen Fällen minimale Maßnahmen zum Selbstschutz fehlten.[2] Aber dieselbe Situation ist auch in Frankreich zu beobachten, das bis vor kurzem noch als Musterbeispiel des Sozialstaates dargestellt wurde. In Spanien ist es inzwischen so, dass hospitalisierte Patienten isoliert in ihren Zimmern neben den Leichen ihrer Mitbewohner ausharren müssen, da die Leichenhallen überfüllt sind oder nicht ausreichend geschützte Beschäftigte der Bestattungsunternehmer nicht mehr nachkommen, um all die Verstorbenen einzusammeln. Ebenso werden Einlieferungen in Krankenhäuser verzögert, da die Aufnahmekapazitäten längst erschöpft sind. Meist erwartet die neu Eingelieferten dort eine Einstufung in Patienten der dritten oder vierten Kategorie, d.h. den Regeln der "Triage" zufolge, wodurch der Einsatz von materiellen Ressourcen und Personal auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Kriterien bestimmt wird. All das stellt einen Angriff auf die Würde und das Leben der Menschen und all das dar, was die Menschheit bisher erreicht hat. In Spanien[3], Italien, Frankreich wurde diese Triage von den Behörden verordnet.
Wir können hier die bekannten Überausbeutung und Überbelastung der Beschäftigten im Gesundheitswesen hinzufügen. Auf sie entfallen allein 8 und 12% der Ansteckungen. Allein in Spanien sind mehr als 5.000 Beschäftigte des Gesundheitswesens infiziert. Doch diese Statistiken sind ziemlich irreführend, da ein beträchtlicher Teil der Beschäftigten noch nicht auf eine Coronavirusinfektion getestet wurde. Dennoch sind sie gezwungen, ohne die notwendigen Handschuhe, Masken und Schutzkittel zu arbeiten, da diese eine "entbehrliche" Ausgabe für die kapitalistische Gesundheit und Wirtschaft darstellten. Wie Krankenhäuser, Intensivbetten, Beatmungsgeräte, die Forschung an Coronaviren und möglichen Heilmitteln und Impfstoffen - all dies wurde der Rentabilität der Ausbeutung geopfert.
Heute versuchen die Stimmen, die in den Medien über die Entwicklung des Gesundheitswesens „trauern“, vor allem die linken Kräfte, den Zorn der Bevölkerung auf die "Privatisierung" des Gesundheitswesens zu lenken. Aber wer auch immer das Krankenhaus, das pharmazeutische Labor oder das Pflegeheim besitzt, die Wahrheit ist, dass die Gesundheit der Bevölkerung dem Profitstreben einer ausbeuterischen Minderheit in der gesamten Gesellschaft unterliegt.
Diese Diktatur der Gesetze des Kapitals über die Bedürfnisse der Menschen hat sich deutlich bei der Durchführung der Quarantäne in Italien, Spanien und Frankreich gezeigt, die drakonische Einschränkungen beim Einkaufen und beim Besuch älterer Menschen vorsieht, Kindern oder behinderte Patienten wegsperrt, die aber dennoch die Augen zudrückte und die Beschäftigten nicht daran hindern wollte, auf Baustellen zu schuften, Schiffe mit Containern zu be- und entladen und die Produktion in Textil-, Haushaltsgeräte- und Automobilfabriken aufrechtzuerhalten. Und um diese Ausbeutungsbedingungen "abzusichern" und gleichzeitig ein paar "Jogger" oder Arbeiter zu jagen, die in kleinen Gruppen mit dem Auto zur Arbeit fahren (und einen Teil der Reisekosten sparen), wird die Nutzung von U- oder S-Bahnen oder Pendlerzügen erlaubt, um den Produktionsprozess am Laufen zu halten. Viele Arbeiter sind über diesen verbrecherischen Zynismus der Bourgeoisie empört und drücken ihre Wut in sozialen Netzwerken aus, da es unter den gegenwärtigen Bedingungen unmöglich ist, dies gemeinsam auf der Straße, in Versammlungen usw. zu tun. So wurde gegen die Kampagne, die von den wichtigsten "Medien" mit der Parole "Bleib zu Hause" ausgebrütet wurde, ein ebenso sehr populärer Hashtag #YoNoPuedoQuedarmeEnCasa (Ich kann nicht zu Hause bleiben) ins Leben gerufen, in dem sich "Lieferanten" (Deliveroo, Uber), HauspflegerInnen, ArbeiterInnen im riesigen Bereich der Niedriglöhner usw. äußern.
Es hat auch Proteste, Kundgebungen und Streiks gegen die Fortsetzung der Arbeit unter diesen Bedingungen gegeben, die das Leben und die Sicherheit der Beschäftigten missachten. So wie es bei den Protesten in Italien lauthals verkündet wurde. "Ihre Gewinne sind mehr wert als unser Leben."
In Italien streikten die Beschäftigten bei FIAT in Pomigliano, wo täglich 5.000 Beschäftigte arbeiten, seit der Woche vom 10. März, um gegen die unsicheren Arbeitsbedingungen zu protestieren. In anderen Fabriken des Metallsektors, zum Beispiel in Brescia, wurde den Unternehmen ein Ultimatum gestellt, die Produktion an die Bedürfnisse des Arbeitnehmerschutzes anzupassen, oder sie würden streiken. Letztendlich beschlossen die Unternehmen, die Werke zu schließen. Und als vor kurzem, am 23. März, ein späterer Erlass von Premierminister Conte die Erlaubnis für die Fortsetzung der Arbeit in nicht lebensnotwendigen Industriezweigen gab, brachen erneut spontane Streiks aus, die die Gewerkschaft CGIL dazu veranlassten, einen "Generalstreik" anzudrohen.
In Spanien gab es ähnliche Reaktionen zunächst bei den Mercedes-Werken in Vitoria, denn dort beschlossen die Arbeiter, als ein mit Covid19 infizierter Beschäftigter aufgetaucht war, die Arbeit sofort einzustellen. Dasselbe geschah in der Haushaltsgerätefabrik Balay in Saragossa (1000 Arbeiter) oder bei Renault in Valladolid. Es muss gesagt werden, dass in vielen Fällen das Unternehmen selbst die Aussperrung eingeleitet hat (Airbus in Madrid, SEAT in Barcelona oder FORD in Valencia und später PSA in Saragossa oder Michelin in Vitoria), so dass die Staatskasse - also der Mehrwert, der der gesamten Arbeiterklasse entzogen wurde - für die Zahlung eines Teils der Löhne und Gehälter der Arbeiter einspringen musste, während es in Wirklichkeit schon vor der Pandemie Pläne für Entlassungen gab (bei FORD oder Nissan in Barcelona).
Aber es gibt auch offene Demonstrationen von Kampfbereitschaft, wie der wilde Streik (d.h. außerhalb und gegen den Willen der Gewerkschaften) der Busfahrer in Lüttich (Belgien), der sich gegen die Verantwortungslosigkeit des Unternehmens wandte. Dieses hatte nämlich seine Angestellten unter Bedingungen arbeiten lassen, unter denen sie völlig der Ansteckungsgefahr ausgesetzt waren und das zu einem Zeitpunkt, als Belgien als eines der ersten Länder eine Ausgangssperre verordnet hatte. Gleiches geschah beispielsweise bei den Beschäftigten einer Bäckerei und der Werft Neuhauser in Nantes oder den Beschäftigten von SNF in Andrézieux (Frankreich).[4]
In Frankreich gab es sehr starke Proteste auf den Werften von Saint Nazaire. Ein Werftarbeiter sagte dem Fernsehen: "Sie zwingen mich, mit zwei oder drei Kollegen auf engem Raum in Kabinen von kaum 9 Quadratmetern und ohne jeden Schutz zu arbeiten. Dann gehe ich zurück nach Hause, wo meine Frau und meine Kinder abgeschottet durch die Ausgangsbeschränkungen leben. Und ich frage mich mit großer Sorge, ob ich keine Gefahr für sie darstelle. Das kann ich nicht akzeptieren.“
Während sich die Epidemie und ihre schädlichen Auswirkungen auf die ArbeiterInnen ausbreitet, hört man immer mehr von vereinzelten Protesten der ArbeiterInnen gegen diese Maßnahmen und die Bedürfnisse der kapitalistischen Ausbeutung: z.B. bei FIAT Chrysler in den Werken in Tripton (Indiana/USA), wo die Beschäftigten gegen die Tatsache protestierten, dass sie zur Arbeit gehen müssen, während es verboten ist, sich außerhalb der Fabriken zu versammeln. Ähnliche Reaktionen gab es auch in den Werken der Firma Lear in Hammond, und ebenfalls in Indiana, in den Fiat-Werken in Windsor (Ontario/Kanada) oder in der Lkw-Fabrik Warren am Stadtrand von Detroit. Auch die Busfahrer in der Stadt Detroit stellten ihre Arbeit ein, bis das Unternehmen ihnen ein Mindestmaß an Sicherheit in ihren Arbeitsbedingungen zusicherte. Es ist sehr bezeichnend, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter bei diesen Kämpfen in den Vereinigten Staaten ihre Entscheidung zur Einstellung der Arbeit aufgrund der von der Gewerkschaft - in diesem Fall der UAW - festgelegten Richtlinie durchsetzen mussten, die sie dazu ermutigte, weiter zu arbeiten, um dem Unternehmen nicht zu schaden.
Und auch im Hafen von Santos (Brasilien) gab es Proteste der Arbeiter gegen die Auflagen der Behörden zur Fortsetzung der Arbeit. Auch in diesem Land wächst die Besorgnis der Arbeiter der Fabriken von Volkswagen, Toyota, GM usw. gegen die Fortsetzung der Produktion, als ob es keine Pandemie gäbe.
So begrenzt diese Proteste auch waren, sie sind ein wichtiger Teil der Klassenreaktion des Proletariats auf die Pandemie, die zweifellos kapitalistischen Klassencharakter hat. Selbst wenn diese Proteste auf rein defensivem Terrain stattfinden, stelle sie doch eine deutliche Verweigerung der Ausgebeuteten dar, als Kanonenfutter der Ausbeuter zu dienen.
Die Bourgeoisie selbst ist sich des Potenzials für die Entwicklung der Kampfbereitschaft und des Bewusstseins des Proletariats bewusst, das in dieser Anhäufung von Unruhe, Entrüstung und Opfern, die von den Arbeitern gefordert werden, enthalten ist. Jetzt nehmen sogar die Hauptverfechter von harten Sparmaßnahmen (wie Merkel, oder Berlusconi, oder der spanische Luis de Guindos) den Mund voll mit Versprechungen von Sozialleistungen. Aber die Waffen der Ausbeuterklasse bleiben die traditionellen Waffen in der gesamten Geschichte des Klassenkampfes: Täuschung und Unterdrückung.
- Die Scheinheiligkeit der Beifallskundgebungen für die Beschäftigten des Gesundheitswesens. Natürlich verdienen die Beschäftigten des Gesundheitswesens die ganze Anerkennung und Solidarität, denn sie sind es im Wesentlichen, die mit ihrem Einsatz und ihrer Unterstützung die Gesundheitsversorgung auf einem Mindestmaß aufrechterhalten. Sie tun dies seit Jahren auf dem Hintergrund von Personalabbau und der Verschlechterung der materiellen Ressourcen. Es ist widerwärtiger Zynismus zu sehen, wie die Behörden, die genau diese Bedingungen der Überausbeutung und Ohnmacht der Beschäftigten des Gesundheitswesens gefördert haben, sich dieser "Solidarität" der Bevölkerung anschließen wollen, mit der Botschaft, dass wir alle im selben Boot sitzen, die Nationalhymne singen und die patriotischen Werte als Heilmittel (?) gegen die Ausbreitung der Pandemie preisen. Der abstoßende Nationalismus vieler dieser vom Staat selbst geförderten "Mobilisierungen" versucht zu verbergen, dass es keine Interessengemeinschaft geben kann zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten; zwischen Nutznießern und durch die Verschlechterung der Gesundheitsinfrastruktur geschädigten Personen; zwischen denen, die die Produktion und die Wettbewerbsfähigkeit des nationalen Kapitals aufrechterhalten, und denen, die das Leben und die menschlichen Bedürfnisse an die erste Stelle setzen. Das Gerede vom Vaterland ist ein Schwindel für die Arbeiter und Arbeiterinnen, egal ob Salvini und Vox oder Podemos, Macron oder Conte dies sagen.
Unter Berufung auf genau diese "nationale Solidarität" werden die Bürger aufgefordert, diejenigen zu melden, die angeblich die Quarantäne "brechen", wodurch ein Klima der "Hexenjagd" geschaffen wird, für das manchmal Mütter mit autistischen Kindern, ältere Leute, die einkaufen gehen, oder sogar Gesundheitspersonal, das auf dem Weg zur Arbeit in den Krankenhäuser ist, büßen soll. Es ist besonders zynisch, die Ausbreitung der Pandemie, die durch sie verursachten Todesfälle oder den Stress, unter dem das Gesundheitspersonal leidet, auf einige wenige "Täter" zu schieben. Es gibt nichts Antisozialeres - d.h. im Gegensatz zur menschlichen Gemeinschaft – als den kapitalistischen Staat, der genau die Klasseninteressen der ausbeutenden Minderheit verteidigt, und genau dies wird durch das Feigenblatt dieser angeblichen Solidarität verdeckt. Und es ist doppelt heuchlerisch und kriminell, die durch die Nachlässigkeit des Staates, der die Interessen der feindlichen Klasse verteidigt, verursachte Katastrophe als Mittel zu benutzen, um einige Arbeiter gegen andere aufzuwiegeln. Wenn die Krankenhausmitarbeiter sich weigern, ohne Schutzmaßnahmen zu arbeiten, werden sie als ‚unsolidarisch‘[5] abgestempelt und mit Sanktionen bedroht, wie kürzlich die Entlassung des ärztlichen Direktors des Krankenhauses in Vigo (Galizien) gezeigt hat, weil er es gewagt hat, das "Bla-bla-bla" der bürgerlichen Politiker bezüglich der Schutzmaßnahmen anzuprangern. Die Regionalregierung von Valencia (der die gleichen Parteien angehören wie die "progressive" Koalition, die Spanien regiert) droht damit, Bilder zu zensieren, die den katastrophalen Zustand der Gesundheitsversorgung[6] in dieser Region zeigen, und beruft sich dabei auf das Recht auf "Privatsphäre" der Patienten, wenn sie in Notfalldienste im Massenbetrieb auf Behandlung warten oder behandelt werden.
Wenn die Beschäftigten der städtischen Bestattungsbetriebe sich weigern, ohne Schutzausrüstung den Leichnam der durch das Coronavirus gestorbenen Menschen abzuholen, werden sie beschuldigt, die Angehörigen daran zu hindern, den Tod des Verwandten, Freundes ... zu betrauern. Wer kennt nicht die Bedingungen in den Billigwohnungen, die beengten Bedingungen des öffentlichen Personenverkehrs im Berufsverkehr, die Bedingungen am Arbeitsplatz, die nur nach den Bedürfnissen der Produktivität und nicht gemäß den Bedürfnissen der Beschäftigten gestaltet wurden…
Mittlerweile ist die Zahl der Toten so stark angestiegen, dass die Leichen im Eispalast in Madrid aufbewahrt werden müssen.
All diese unmenschliche Brutalität wird als Ausdruck der Einheit der gesamten Gesellschaft dargestellt. Es ist kein Zufall, dass in den Pressekonferenzen der spanischen Regierung ohne jegliche Reue gelogen wird, wenn es um Fragen geht wie: Wann kommen die Tests an? Und die Masken? Und die Beatmungsgeräte? Die immer wiederholte Antwort des Gesundheitsministers: "in den nächsten Tagen". Dabei wird er unterstützt von den mit ihm auftretenden Generälen der Armee, der Polizei, der Guardia Civil mit all ihren Medaillen. Es geht darum, der Bevölkerung den bekannten militärischen Geist einzuflößen: "Gehorchen, ohne zu klagen". Es geht auch darum, die Bevölkerung dazu zu bringen, sich an alle Arten von Einschränkungen der eigenen Bürgerfreiheiten zu gewöhnen, die im Ermessen der Behörde liegen, mit der Folge, dass sie mit einer sehr zweifelhaften Wirkung[7] angewandt werden, die aber, wie wir zuvor gesehen haben, soziale Selbstdisziplin und Abgrenzung fördern und die als einziger Schutzschild gegen Krankheit und soziales Chaos verkauft werden. Es ist kein Zufall, dass die westliche Bourgeoisie heute eine unverhohlene Bewunderung für die Kontrolle ausdrückt, die bestimmte Tyranneien, wie die des chinesischen Kapitalismus[8] über die Bevölkerung ausüben. Wenn sie heute den Erfolg des "chinesischen Weges" gegen das Coronavirus loben, dann nur, um ihre Bewunderung für die Instrumente dieser totalitären Kontrolle des Staates zu übertünchen (Gesichtserkennung, Verfolgung und Überwachung der Bewegungen und Treffen der Menschen, Nutzung dieser Informationen, um die Bevölkerung in Kategorien ihrer sozialen Gefahr einzuordnen).
Wir haben gezeigt, wie sich angesichts einer sozialen Krise die Existenz zweier antagonistischer Klassen offenbart: des Proletariats und der Bourgeoisie. Die erste ist diejenige, die das Beste der Menschheit vertritt, um zu versuchen, die Auswirkungen dieser Epidemie zu stoppen. Es ist im Wesentlichen diese Arbeit der Beschäftigten des Gesundheitswesens, im Transportbereich, der Supermarktbeschäftigten und der Lebensmittelindustrie, die es uns ermöglicht hat, zu überleben oder versorgt zu werden. Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass das Proletariat auf weltweiter Ebene die Klasse ist, die den sozialen Reichtum produziert, und dass die Bourgeoisie eine parasitäre Klasse ist, die diese Zurschaustellung von Hartnäckigkeit, Kreativität und Teamarbeit nutzt, um ihren Reichtum zu vergrößern. Jede dieser antagonistischen Klassen bietet eine völlig unterschiedliche Perspektive auf das Weltchaos, in das der Kapitalismus die Menschheit heute gestürzt hat: Das Regime der kapitalistischen Ausbeutung stürzt die Menschheit in noch mehr Kriege, Epidemien, Elend und ökologische Katastrophen; die revolutionäre Perspektive befreit die menschliche Spezies von ihrer Unterwerfung unter die Gesetze ihrer privaten Aneignung durch eine ausbeuterische Minderheit.
Aber die Ausgebeuteten können dieser Diktatur nicht einzeln entkommen. Sie können sich nicht durch bestimmte Aktionen den chaotischen Direktiven eines Staates entziehen, der faktisch zugunsten einer Produktionsweise handelt, die die ganze Welt beherrscht. Individuelle Sabotage oder Ungehorsam ist der unrealistische Traum von Klassen, die keine Zukunft für die Menschheit als Ganzes zu bieten haben. Die Arbeiterklasse ist keine Klasse von hilflosen Opfern. Sie ist eine Klasse, die die Möglichkeit einer neuen Welt mit sich bringt, die von der Ausbeutung, von den Spaltungen zwischen Klassen und Nationen, von der Unterwerfung der menschlichen Bedürfnisse unter die Gesetze der Akkumulation befreit ist.
Ein Philosoph (Buyng Chul Han), der in seiner Beschreibung des Chaos der gegenwärtigen kapitalistischen Sozialbeziehungen sehr in Mode ist, hat kürzlich erklärt, dass "wir die Revolution nicht dem Virus überlassen können“. Das ist wahr. Nur die bewusste Aktion einer Weltklasse, die bewusst die Wurzeln der Klassengesellschaft ausreißt, kann eine wirkliche Revolution vollbringen.
Valerio, 24. März 2020
[2]https://elpais.com/espana/madrid/2020-03-21/el-dano-del-coronavirus-en-las-residencias-de-mayores-sera-imposible-de-conocer.html [18]
[3]https://www.elespanol.com/espana/20200320/criterios-decidir-prioridad-falten-camas-uci/475954325_0.html [19]
[4]https://de.internationalism.org/content/2931/pandemie-des-covid-19-frankreich-die-kriminelle-fahrlaessigkeit-der-bourgeoisie [17]
[5]https://www.elconfidencial.com/espana/2020-03-24/sanitarios-ramon-cajal-plante-mascarillas_2513959/ [20]
[7]Wie z.B. das Verbot, in den Parks zu joggen oder sich zu bewegen. Maßnahmen, die von Regierungen mit einer niedrigeren Covid-19-Sterblichkeitsrate nicht angewandt wurden. Die Erfahrung anderer Länder zeigt, dass der effektive Weg zur Begrenzung der Ausbreitung in massiven Tests für die Bevölkerung, der Verfügbarkeit von ausreichend Krankenhausbetten und -personal, Betten auf der Intensivstation usw. im Verhältnis zu den eigenen Empfehlungen der Europäischen Union besteht, und dass die meisten Staaten der EU diese missachten.
[8]Offensichtlich sind Russland, China, Kuba und ihre Varianten aus der Sicht des wahren Kommunismus nur Ausdruck einer Version des Kapitalismus: des Staatskapitalismus.
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Eine gewaltige Zahl von Toten! Täglich sterben Tausende von Menschen, völlig überfüllte und überforderte Krankenhäuser, eine abscheuliche "Triage" zwischen den kranken Jüngeren und Älteren; ein erschöpftes, oft angestecktes Krankenhauspersonal, von denen viele schon gestorben sind. Überall Mangel an medizinischer Ausrüstung. Regierungen, die im Namen des "Krieges gegen das Virus" einen entsetzlichen Konkurrenzkampf führen, Finanzmärkte in Not, surreale Plünderungsszenen, in denen sich die Staaten gegenseitig Maskenlieferungen klauen, zig Millionen Beschäftigte, die im Inferno der Arbeitslosigkeit landen, Berge von Lügen, die von den Staaten und ihren Medien verbreitet werden ...
Das ist das erschreckende Schauspiel, das die heutige Welt liefert! Die Covid-19-Pandemie stellt die schwerste globale Gesundheitskatastrophe seit der Spanischen Grippe von 1918-19 dar, obwohl die Wissenschaft seither außerordentliche Fortschritte gemacht hat. Warum eine solche Katastrophe? Wie ist es dazu gekommen?
Man sagt uns, dass dieses Virus anders ist, dass es viel ansteckender ist als die anderen, dass seine Auswirkungen viel schädlicher und tödlicher sind. All dies ist wahrscheinlich wahr, erklärt aber nicht das Ausmaß der Katastrophe. Die grundlegende Ursache dieses weltweiten Chaos, dieser Hunderttausende von Toten ist der Kapitalismus selbst. Die Produktion für den Profit, und nicht für menschliche Bedürfnisse, das ständige Streben nach größerer Rentabilität um den Preis der brutalen Ausbeutung der Arbeiterklasse, die immer heftigeren Angriffe auf die Lebensbedingungen der Ausgebeuteten, der zügellose Wettbewerb zwischen Unternehmen und Staaten, all dies sind Merkmale des kapitalistischen Systems, die zusammen die gegenwärtige Katastrophe hervorgebracht haben.
Diejenigen, die die Gesellschaft steuern, die bürgerliche Klasse mit ihren Staaten und ihren Medien, sagen uns mit Bestürzung, dass die Epidemie "unvorhersehbar" gewesen sei. Dies ist eine reine Lüge, ähnlich wie die, welche die "Klimaskeptiker" verbreiteten. Wissenschaftler haben die Bedrohung durch eine Pandemie wie Covid-19 schon lange in Betracht gezogen. Aber die Regierungen haben sich geweigert, auf sie zu hören. Sie haben sich sogar geweigert, einen CIA-Bericht von 2009 ("Wie wird die Welt von morgen aussehen") zur Kenntnis zu nehmen, der mit erstaunlicher Genauigkeit die Merkmale der aktuellen Pandemie vorhersagte. Es ist nichts unternommen worden, um auf eine solche Bedrohung vorbereitet zu sein. Warum diese Blindheit auf Seiten der Staaten und der bürgerlichen Klasse, der sie dienen? Aus einem ganz einfachen Grund: Investitionen müssen einen Gewinn abwerfen, und zwar so schnell wie möglich. Investitionen in die Zukunft der Menschheit bringen nichts ein, lassen die Aktienkurse nicht steigen. Es ist auch notwendig, dass Investitionen dazu beitragen, die Positionen jeder nationalen Bourgeoisie gegenüber den anderen auf imperialistischer Ebene zu stärken. Wären die wahnsinnigen Summen, die in militärische Forschung und Rüstungsausgaben investiert wurden, für die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen eingesetzt worden, hätte sich eine solche Epidemie nie entwickeln können. Doch anstatt angesichts dieser vorhergesagten gesundheitlichen Katastrophe Maßnahmen zu ergreifen, haben die Regierungen die Gesundheitssysteme unerbittlich angegriffen, sowohl was die Forschung als auch was die technischen und personellen Ressourcen betrifft.
Warum sterben die Menschen heute wie die Fliegen, mitten im Herzen der am meisten entwickelten Länder? In erster Linie deshalb, weil die Regierungen überall die Budgets für die Erforschung neuer Krankheiten gekürzt haben! So schaffte Donald Trump im Mai 2018 eine Sondereinheit des Nationalen Sicherheitsrates ab, die sich aus herausragenden Experten zusammensetzte und für die Bekämpfung von Pandemien zuständig war. Aber Trumps Haltung ist nur eine Karikatur dessen, was alle führenden Politiker getan haben. So wurden beispielsweise wissenschaftliche Studien über Coronaviren vor etwa 15 Jahren überall aufgegeben, weil die Entwicklung des Impfstoffs als – "unprofitabel" eingestuft wurde!
Und es ist vollkommen widerlich zu sehen, wie bürgerliche Repräsentanten und Politiker sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite scheinheilig die Überforderung der Krankenhäuser und die katastrophalen Bedingungen beklagen, unter denen die Beschäftigten im Gesundheitswesen arbeiten müssen, während die Staaten in den letzten fünfzig Jahren, insbesondere seit der großen Rezession von 2008, systematisch eine „Rentabilisierung“ des Gesundheitswesens vorangetrieben haben. Überall haben sie den Zugang der Menschen zur medizinischen Versorgung eingeschränkt, die Zahl der Krankenhausbetten reduziert und das Arbeitspensum und die Ausbeutung der Beschäftigten des Gesundheitswesens verstärkt! Und was ist mit dem weit verbreiteten Mangel an Masken und anderen Schutzmitteln, Desinfektionsmitteln, Screeningtests. In den letzten Jahren sind die meisten Staaten dazu übergegangen, dieses lebenswichtige Material nicht mehr zu lagern, um Geld zu sparen. In den letzten Monaten haben sie keine vorbeugenden Maßnahmen ergriffen, um der Ausbreitung von Covid-19, die seit November 2019 festgestellt wurde, entgegenzutreten, einige von ihnen gingen so weit, wochenlang zur Vertuschung ihrer kriminellen Verantwortungslosigkeit zu behaupten, dass das Tragen von Masken völlig unnötig sei für Menschen, die nicht im Gesundheitswesen arbeiteten.
Und was ist mit chronisch benachteiligten Regionen der Welt wie dem afrikanischen Kontinent oder Lateinamerika? In Kinshasa (DRC) werden die 10 Millionen Einwohner auf 50 Atemschutzmasken angewiesen sein! In Zentralafrika werden Flugblätter verteilt, die Anweisungen zum Händewaschen geben, obgleich die Bevölkerung nicht einmal Zugang zu Trinkwasser hat! Überall ertönt derselbe Hilferuf: „Es fehlt uns an allem, um der Pandemie zu begegnen!“
Der weltweite brutale Wettbewerb zwischen den Staaten verhindert auch nur ein Minimum an Zusammenarbeit zur Eindämmung der Pandemie. Als die Epidemie begann, war es in den Augen der chinesischen Bourgeoisie wichtiger, alles zu tun, um den Ernst der Lage zu verschleiern sowie ihre Wirtschaft und ihren Ruf zu schützen, denn der Staat zögerte nicht, den ersten Arzt, der Alarm geschlagen hatte, zu verfolgen und dann sterben zu lassen! Sogar der Schein einer internationalen Regulierung, die sich die Bourgeoisie selbst gegeben hatte, um mit dem Mangel fertig zu werden, ist völlig zerbrochen, wie die Ohnmacht der WHO, verbindliche Richtlinien vorzuschreiben, und die Unfähigkeit der EU, konzertierte Maßnahmen zu ergreifen, verdeutlichen. Dieser Konkurrenzkampf und die damit verbundene Spaltung verschlimmert das Chaos erheblich und führt zum totalen Verlust der Kontrolle über die Entwicklung der Pandemie. Die Dynamik des Jeder-für-sich und die Zuspitzung des Konkurrenzkampfes sind eindeutig zum vorherrschenden Merkmal der Reaktionen der Herrschenden geworden.
Der "Krieg um die Masken", wie die Medien ihn nennen, ist ein erschütterndes Beispiel für den zynischen und hemmungslosen Konkurrenzkampf, in dem sich alle Staaten befinden. Heute schnappt sich jeder Staat diese überlebenswichtige Ausrüstung durch Bieterwettbewerb und sogar durch regelrechten Diebstahl! Die Vereinigten Staaten stehlen ganze Flugzeugladungen von Schutzmasken aus Flugzeugen, die schon abflugbereit nach Frankreich auf chinesischen Startbahnen stehen. Frankreich beschlagnahmt Maskenlieferungen aus Schweden nach Spanien auf seinen Flughäfen. Die Tschechische Republik beschlagnahmt an ihren Zollgrenzen Atemschutzgeräte und Masken, die für Italien bestimmt sind. Deutschland lässt für Kanada bestimmte Masken inkognito verschwinden. Und man kann dieses sich gegenseitige Wegreißen sogar zwischen verschiedenen Regionen und Teilen desselben Landes sehen, wie in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Dies ist das wahre Gesicht der "großen Demokratien": Das Grundgesetz des Kapitalismus, der Wettbewerb, der Krieg aller gegen alle, hat eine Klasse von Piraten hervorgebracht, Schlägertypen der schlimmsten Sorte!
Der Bourgeoisie "sind ihre Profite mehr wert als unser Leben!", wie es die Streikenden in der Automobilindustrie in Italien riefen. Überall, in jedem Land, hat sie die Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und zum Schutz der Bevölkerung so lange wie möglich verzögert, um die Wirtschaft um jeden Preis am Laufen zu halten, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Es war nicht die heraufziehende Gefahr der Anhäufung von Toten, die sie schließlich dazu veranlasste, die Ausgangssperren und Abschottung zu verordnen. Die zahlreichen imperialistischen Massaker seit mehr als einem Jahrhundert im Namen desselben nationalen Interesses haben die Verachtung der herrschenden Klasse für das Leben der Ausgebeuteten endgültig bewiesen. Nein, sie scheren sich einen Dreck um unser Leben! Zumal dieses Virus für die Herrschenden den "Vorteil" hat, vor allem die in ihren Augen "unproduktiven" Alten und Kranken aus der Welt zu schaffen! Den Virus sich ausbreiten zu lassen und sein „natürliches Werk zu verrichten“ im Namen der „Herdenimmunität“ war übrigens die ursprüngliche Wahl von Boris Johnson und anderen Führern. Was in jedem Land für die Einführung von allgemeinen Kontaktsperren den Ausschlag gegeben hat, war die Angst vor Chaos und Zerrüttung in der Wirtschaft, und in einigen Ländern vor gesellschaftlichem Chaos, und der Zunahme der Wut über die kriminelle Fahrlässigkeit und die zahlreichen Toten. Obwohl mittlerweile die Hälfte der Menschheit von den Zwangsmaßnahmen betroffen sind, sind diese oft reine Augenwischerei: Millionen von Menschen sind gezwungen, sich täglich in Zügen, U-Bahnen und Bussen, in Werkstätten und Supermärkten auf engstem Raum aufzuhalten. Und schon jetzt versuchen die Herrschenden überall, so schnell wie möglich die Schutzmaßnahmen zu entschärfen, obwohl die Pandemie ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat, indem sie darüber nachdenken, wie man so wenig Aufruhr und Protest wie möglich provozieren kann, indem man z.B. plant, die Beschäftigten branchenweise, Unternehmen für Unternehmen wieder an die Arbeit zu schicken.
Die Herrschenden setzten ihre Angriffe fort und bereiten neue Angriffe vor, noch schärfere Ausbeutungsbedingungen. Die Pandemie hat bereits Millionen von Beschäftigten arbeitslos werden lassen: zehn Millionen in drei Wochen in den Vereinigten Staaten. Viele von ihnen wurden aufgrund unregelmäßiger, prekärer oder befristeter Arbeitsverhältnisse jeglicher Art von Einkommen beraubt. Andere, die nur über geringe Unterstützung oder Sozialhilfe verfügen, um zu überleben, laufen Gefahr, ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können und keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. Die wirtschaftlichen Verwüstungen haben infolge der sich abzeichnenden globalen Rezession bereits begonnen: explodierende Lebensmittelpreise, Massenentlassungen, Lohnkürzungen, zunehmende Unsicherheit usw. Alle Staaten ergreifen brutale „Anpassungsmaßnahmen“ und fordern die Annahme dieser Opfer im Namen der "nationalen Einheit im Krieg gegen das Virus".
Das nationale Interesse, auf das sich die Herrschenden heute berufen, ist nicht das unsere! Es sind die gleiche Verteidigung der nationalen Wirtschaft und der gleiche weltweite Konkurrenzkampf, der ihnen in der Vergangenheit dazu gedient hat, Haushaltskürzungen und Angriffe auf die Lebensbedingungen der Ausgebeuteten durchzuführen. Morgen werden sie die gleichen Lügen verbreiten, wenn sie nach den wirtschaftlichen Verwüstungen durch das Coronavirus verlangen, dass die Ausgebeuteten den Gürtel noch enger schnallen und noch mehr Ausbeutung und Elend akzeptieren!
Diese Pandemie ist ein Ausdruck des dekadenten Charakters der kapitalistischen Produktionsweise, eine der vielen Erscheinungsweisen der Zuspitzung des Zerfalls der heutigen Gesellschaft, ersichtlich anhand z.B. der Zerstörung der Umwelt und der Verschmutzung der Natur, des Klimawandels, der Zunahme der imperialistischen Kriegsschauplätze und Massaker, des unaufhaltsamen Absturzes eines wachsenden Teils der Menschheit ins Elend, des Ausmaßes der Flüchtlingsmigration, des Aufstieg der populistischen Ideologie und des religiösen Fanatismus usw. (vgl. dazu unsere „Thesen über den Zerfall“ auf /content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [3]). Sie deckt auf, in welcher Sackgasse der Kapitalismus steckt, und in welche Richtung dieses System und seine Aufrechterhaltung die gesamte Menschheit zu treiben drohen: in Chaos, Elend, Barbarei, Zerstörung und Tod.
Einige Regierungen und die bürgerlichen Medien behaupten, dass die Welt nie wieder so sein wird wie vor dieser Pandemie, dass die Lehren aus der Katastrophe gezogen werden, dass die Staaten endlich zu einem humaneren und besser gesteuerten Kapitalismus übergehen würden. Sie alle bliesen während der Rezession von 2008 ins gleiche Horn, als Staaten und führende Politiker der Welt einen "Krieg gegen die Finanzen" erklärten und versprachen, dass die Opfer, die erforderlich seien, um aus der Krise herauszukommen, sich lohnen würden. Man braucht nur die wachsende Ungleichheit in der Welt zu betrachten, um zu erkennen, dass diese Versprechungen der "Erneuerung" des Kapitalismus reine Lügen waren, um uns eine weitere Verschlechterung unserer Lebensbedingungen aufzuhalsen.
Die Ausbeuterklasse kann die Welt nicht so verändern, dass sie das Leben und die sozialen Bedürfnisse der Menschheit über die gnadenlosen Gesetze ihrer Wirtschaft stellt: Der Kapitalismus ist ein Ausbeutungssystem, bei dem eine herrschende Minderheit ihre Profite und Privilegien aus der Arbeit der Mehrheit bezieht. Der Schlüssel zur Zukunft, das Versprechen einer anderen Welt, einer wirklich humanen Welt ohne Nationen und Ausbeutung, liegt nur in der Einheit und internationalen Solidarität der Arbeiter im Kampf!
Das Impuls der spontanen Solidarität, den unsere gesamte Klasse heute angesichts der unhaltbaren Situation, die den Beschäftigten im Gesundheitswesen auferlegt wurde, verspürt, wird von den Regierungen und den Politikern in der ganzen Welt vereinnahmt, indem man zum Applaus an den Fenstern und Balkonen aufruft.
Der Beifall rührt sicherlich die Herzen dieser Arbeiterinnen und Arbeiter, die mit Mut und Hingabe unter dramatischen Arbeitsbedingungen Kranke pflegen und Menschenleben retten. Aber die Solidarität unserer Klasse, die der Ausgebeuteten, lässt sich nicht auf eine fünfminütige Runde Applaus reduzieren.
Es geht in erster Linie darum, die Nachlässigkeit der Regierungen anzuprangern, in allen Ländern, unabhängig von ihrer politischen Couleur! Wir müssen Masken und alle notwendigen Schutzmittel fordern! Wir müssen, wenn es möglich ist, in den Streik treten, indem man fordert, dass die nicht in den Krankenhäusern Beschäftigten nicht arbeiten werden, solange die Beschäftigten des Gesundheitswesens keine ausreichende Ausrüstung haben und damit ohne Schutzausrüstung sehenden Auges direkt in den Tod getrieben werden!
Heute können wir wegen der Ausgangsbeschränkungen keine massiven Kämpfe gegen dieses mörderische System führen. Wir können uns wegen dieser Kontaktsperren vorübergehend nicht zusammenschließen, nicht unseren Zorn zum Ausdruck bringen und unsere Solidarität auf einer Klassengrundlage durch massive Kämpfe, Streiks, Demonstrationen und Versammlungen zeigen. Aber nicht nur deshalb geht dies im Augenblick nicht. Denn unsere Klasse muss sich auch eine Kraft wieder aneignen, die sie schon viele Male in der Geschichte entwickelt hatte, die sie aber vergessen hat: sich im Kampf zu vereinigen, eine massive Bewegung zu entfalten angesichts unverschämter Angriffe der Herrschenden.
Die Streiks, die im Automobilsektor in Italien oder in den Supermärkten in Frankreich, vor den Krankenhäusern in New York oder denen in Nordfrankreich ausbrachen, sowie die enorme Empörung der Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich weigern, als "Virusfutter" zu dienen, können heute nur verstreute Reaktionen sein, abgeschnitten von der Kraft einer ganzen vereinten Klasse. Dennoch zeigen sie, dass die Proletarierinnen und Proletarier nicht resignieren, und die kriminelle Verantwortungslosigkeit derer, die sie ausbeuten, nicht als Schicksal akzeptieren!
Es ist diese Perspektive des Klassenkampfes, die wir vorbereiten müssen. Denn nach Covid-19 wird es die Weltwirtschaftskrise, die massive Arbeitslosigkeit, neue "Reformen" geben, die nichts anderes als neue "Opfer" sein werden. Bereiten wir also von nun an unsere zukünftigen Kämpfe vor. Wie können wir das tun? Durch Diskussionen, durch Austausch in den Netzwerken, in den Foren, am Telefon, wann immer es möglich ist. Indem man versteht, dass die größte Geißel nicht Covid-19, sondern der Kapitalismus ist, dass die Lösung nicht darin besteht, sich hinter dem mörderischen Staat zu vereinen, sondern im Gegenteil gegen ihn aufzustehen, dass die Hoffnung nicht in den Versprechungen dieses oder jenes Politikers liegt, sondern in der Entwicklung der Solidarität der Arbeiterinnen und Arbeiter im Kampf, dass die einzige Alternative zur kapitalistischen Barbarei die Weltrevolution ist!
DIE ZUKUNFT GEHÖRT DEM KLASSENKAMPF!
Internationale Kommunistische Strömung
10. April 2020
e-mail: [email protected] [24]
„Jeder von uns muss sich an dieser massiven Anstrengung zur Erhaltung der globalen Sicherheit beteiligen“, sagte der WHO-Direktor am 16. März in einer Pressemitteilung. Am 27. März erklärte der französische Staatspräsident Macron: „Wir werden diese Krise nicht ohne eine starke europäische Solidarität auf der Gesundheits- und Haushaltsebene überwinden.“ Und die deutsche Bundeskanzlerin Merkel forderte angesichts der Gesundheitskrise: „mehr Europa, ein stärkeres Europa und ein Europa, das gut funktioniert“! Die Politiker fordern die Bevölkerung auf, Solidarität, Bürgersinn und Einigkeit zu zeigen, um den „unsichtbaren Feind“ zu bekämpfen. In einer Zeit, in der der Bedarf an Masken und medizinischer Ausrüstung aufgrund eines skandalösen Mangels immens ist, haben Politiker und Medien Diebstähle aus Krankenhäusern, Apotheken und sogar aus den Autos von Mitarbeitern des Gesundheitswesens angeprangert. Die Bourgeoisie zeigt mit dem Finger auf sie und macht weithin das egoistische Verhalten dieser „berüchtigten und abscheulichen“ Diebe publik, zu einer Zeit, in der die ganze Welt „im Krieg“ steht und angeblich gegen die Covid-19-Pandemie vereint ist.
Während die Bourgeoisie einerseits ihre Empörung und Verachtung für Diebstahl zeigt, wendet sie in Wirklichkeit andererseits international kalt die gleichen Räubermethoden an: Unterschlagung und „Requisition“ von Aufträgen aus anderen Ländern, Preisüberbietung und Kauf von medizinischer Ausrüstung – sogar direkt vom Rollfeld. So drückt die Bourgeoisie ihre „Solidarität“ „zur Erhaltung der Weltsicherheit“ aus!
So schickte China, das aus diplomatischen Gründen großes Interesse an der Durchführung solcher Deals hatte, zu Beginn der Epidemie in Europa Masken und Atemschutzgeräte nach Italien, die jedoch sofort von der Tschechischen Republik bei einem Zwischenstopp abgefangen wurden. Mit umwerfender Heuchelei bestritt diese jeden Diebstahl und sprach von einem bedauerlichen „Missverständnis“!
Anfang März war es Frankreich, das auf seinem Territorium in Schweden produzierte und für Spanien und Italien bestimmte Masken „requirierte“, Masken für Länder also, die von der Epidemie sehr stark betroffen sind. Erst nach der Intervention der schwedischen Regierung erklärte sich die französische Regierung unter Druck bereit, „nur“ die Hälfte der gestohlenen Bestände zu behalten. Einen Monat später, als die Affäre an Umfang zunahm (es handelte sich natürlich um ein „Missverständnis“), plädierte Macron für mehr „Kohärenz“ und ließ den Empfängern widerwillig alle Masken aushändigen.
Den Vereinigten Staaten wird auch vorgeworfen, medizinische Geräte für Deutschland, Kanada und Frankreich in die USA umgeleitet zu haben. Trump sprach im Gegensatz zu seinen zivilisierteren ausländischen Kollegen Klartext: „Wir brauchen diese Masken, wir wollen nicht, dass andere Leute sie bekommen!“
In Afrika warnte kürzlich ein Epidemiologe vor einer sehr besorgniserregenden Situation auf dem Kontinent: Krankenhäuser können nicht mit Testmaterial beliefert werden. Vorrang haben die Großen, die stärksten Gangster: die Vereinigten Staaten oder Europa. Die „großen Demokratien“ halten das Testmaterial, das zu einer viel gefragten Ware geworden ist, zurück und benutzen es für sich selbst. Kein Wunder, dass Afrika von Covid-19 kaum betroffen zu sein scheint! Es gibt einfach kein Testmaterial. Die Liste der zynischen Akte der Piraterie der Staaten ist immer noch lang![1]
Selbst auf nationaler Ebene fällt es der Bourgeoisie schwer, nicht in den Krieg aller gegen alle abzugleiten. So wie die Staaten noch an den Startbahnen der Flugzeuge um die medizinischen Schutzausrüstungen ringen, so reißen sich auch Bundesländer, Bundesstaaten, Regionen und sogar Städte um die wenigen Lieferungen, um „ihre“ Einwohner zu schützen.
In ähnlicher Weise brach in Spanien, wo das Gewicht des Regionalismus schwer wiegt, eine Kontroverse aus, als die Zentralregierung in Madrid entschied, Masken zu requirieren und ihre Lagerung zu zentralisieren. Die Unfähigkeit der spanischen Behörden trieb die Regionalregierungen dazu, je ihre eigenen Vorräte anzulegen und dabei mit den anderen zu konkurrieren. Torra, der Präsident der katalanischen Generalitat, beschuldigte den Zentralstaat, Spannungen und sogar eine „Invasion“ angeheizt zu haben. Alles ist ein Vorwand, um kleinliche „regionale“ Interessen durchzusetzen, wo man Herr im eigenen Hause sein will! Auch in Mexiko übt der Gouverneur von Jalisco Druck auf die Bundesregierung aus, keine Tests mehr für die Region Mexiko-Stadt zurück zu behalten.
Die Bourgeoisie schwingt schöne moralisierende Reden, ruft zur internationalen Solidarität auf, ermahnt ihre „Truppen“, sich um den schützenden Staat zu scharen. Das sind alles Lügen! Die „Solidarität“, die die Bourgeoisie fordert, ist nur ein Ausdruck des Jeder-für-sich, eine Verstärkung des Chaos und der kapitalistischen Barbarei auf Weltebene!
Wenn man angesichts der Krise zulässt, dass der Nationalstaat anderen, ausländischen Rivalen Masken entreißt, verschärft man das Übel nur noch. Der Kapitalismus, zynisch und tödlich, hat der Menschheit keine andere Perspektive zu bieten als das, was dieses beklagenswerte Schauspiel der Plünderung heute illustriert: Elend und Zerstörung!
Die einzige gesellschaftliche Kraft, die ein historisches Projekt trägt, das dem Krieg aller gegen alle ein Ende setzen kann, ist die Arbeiterklasse, die kein Vaterlandland zu verteidigen hat, deren Interessen die Bedürfnisse der ganzen Menschheit sind und nicht die der „Nation“ (oder ihrer „regionalistischen“ Version)! Es ist die Arbeiterklasse, die heute durch die Beschäftigten im Gesundheitswesen Leben rettet und dabei ihr eigenes Leben riskiert. Obwohl der Kontext der Pandemie gegenwärtig jede massive Mobilisierung verhindert und Solidaritätsbekundungen im Kampf einschränkt, ist es die Arbeiterklasse, die in vielen Bereichen und in mehreren Ländern versucht, der Nachlässigkeit der Bourgeoisie und der Anarchie des Kapitalismus zu widerstehen. Unsere Klasse ist Trägerin einer Gesellschaft ohne Grenzen und ohne Wettbewerb, in der die Krankenhausangestellten nicht mehr gezwungen sein werden, einen abscheulichen Unterschied zwischen „produktiven“ und „unproduktiven“ Kranken (Rentner*innen oder Behinderten) zu machen, in der der Wert eines Lebens nicht mehr nach den Wirtschaftlichkeitskriterien von Staatshaushalten gemessen wird!
Olive, 7. April 2020
[1]Aber im Gegensatz zu den Piraten von einst, die Gold und wertvolle Waren stahlen, kämpfen diese Räuber auch um typische Waren des Kapitalismus: minderwertige Produkte – Schutzkittel, die in Fetzen fallen, sobald sie ausgepackt werden, verschimmelte Masken, Atemgeräte mit unpassenden Steckern usw.!
Gegenüber unserem Artikel: Wer ist wer bei „Nuevo Curso“[1], der die Zusammenarbeit des Individuums namens Gaizka mit hohen Beamten und Institutionen des bürgerlichen Staates anprangert, hat sich diese Person bisher in absolutes Schweigen gehüllt. „Kein Kommentar“. Schweigen als Antwort. Und es fällt uns schwer zu glauben, dass er nicht gehört hat, was wir sagen, da seine Freunde sofort seine Verteidigung übernommen haben[2]. Aber weder der eine noch die anderen haben auch nur eine einzige der Tatsachen geleugnet, die wir auf den Tisch gelegt haben: Nichts, absolut nichts.
Dieses Schweigen ist eine eklatante Bestätigung von Gaizkas auf Aufstieg bedachten Werdegang als Abenteurer. Sie sagen dazu nichts, weil es nichts dagegen zu sagen gibt.
Dass Schweigen nur als Bestätigung der gestellten Fragen verstanden werden kann, ist bekannt. In diesem Zusammenhang zitiert Paul Frölich[3] in seiner Autobiographie eine Anekdote über einen der Redakteure der Leipziger Volkszeitung Lensch: „Dabei hatte er Instinkt für taktisches Verhalten. Einmal war ich sehr verwundert, dass er auf wiederholte Angriffe eines anderen Parteiblattes nicht antwortete. ‚Sehr einfach‘, meinte er, ‚ich habe in einem wichtigen Punkt unrecht gehabt. Jetzt lasse ich sie bellen, bis sie heiser sind und die Geschichte vergessen. Solange bin ich taub.‘„[4]
Wann immer Revolutionäre jedoch der Provokation oder Kollaboration mit der Bourgeoisie oder einfach nur eines unwürdigen Verhaltens beschuldigt wurden, verwendeten sie ihre ganze Energie darauf, dies zu widerlegen. Marx verbrachte ein Jahr damit, ein ganzes Buch als Antwort auf Herrn Vogts[5] Beschuldigungen vorzubereiten, er sei ein geheimer Polizeiagent, und zusammen mit Engels setzte er ein ganzes Arsenal an rechtlichen Maßnahmen gegen Versuche ein, den Bund der Kommunisten und sich selbst zu diskreditieren.[6] Bebel wurde beschuldigt, Geld aus der ADAV-Kasse gestohlen zu haben, und dieser hörte erst auf, dagegen vorzugehen, als sich die Vorwürfe als falsch erwiesen. Trotzki, völlig isoliert und von Stalin schikaniert, sammelte immer noch Kräfte um sich, um den geringen Raum, der ihm noch blieb, zu nutzen und die Dewey-Kommission[7] zu seiner Verteidigung einzuberufen usw. Die echten Abenteurer und Provokateure haben dagegen alles getan, um sich zu verdrücken und in Deckung zu gehen.
Tatsächlich erkannte zum Beispiel Bakunin zunächst angesichts des internen Zirkulars der I. Internationale über „Die angeblichen Spaltungen in der Internationale“ unter dem Anschein eines skandalösen Tons an, dass er sich nur durch – ein längeres Schweigen wehren konnte:
„Zweieinhalb Jahre lang haben wir diese schmutzigen Angriffe stillschweigend ertragen. Unsere Verleumder begannen zunächst mit vagen Anschuldigungen, vermischt mit feiger Zurückhaltung und giftigen Unterstellungen, aber gleichzeitig so dumm, dass mangels anderer Gründe zum Schweigen der schlechte Geschmack, vermischt mit Verachtung, den sie in meiner Kur provoziert hatten, ausgereicht hätte, um mein Schweigen zu erklären und zu legitimieren“.[8]
In dem gesamten Brief sucht man vergeblich nach irgendeinem Argument. Bakunin kündigte jedoch an, dass er ein Ehrengericht einberufen und vor dem nächsten Kongress einen Artikel schreiben werde (NdR: Den Haag, 1872): „Andererseits habe ich mir immer das Recht vorbehalten, alle meine Verleumder vor ein Ehrengericht zu bestellen, was mir der nächste Kongress zweifellos nicht verweigern würde ... Die Wahrheit wiederherzustellen, indem ich so weit wie möglich zur Zerstörung des von Marx und seinen Gefolgsleuten errichteten Lügensystems beitrage, das wird das Ziel eines Papiers sein, das ich vor der Sitzung des Kongresses veröffentlichen will.“ (ebenda, S. 356)
Selbstverständlich hat er nie ein solches Ehrengericht einberufen und auch keine Artikel geschrieben. Stattdessen war das, was er in einem Brief vom 25. September 1873 an das Journal de Genève schrieb (zusätzlich zu den Beleidigungen gegen Marx, „Kommunist, Deutscher und Jude“ zu sein), eine Kapitulation, sobald er von der Veröffentlichung des „Berichts über das Treiben Bakunins und der Allianz der sozialistischen Demokratie“ („Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiter-Association“) erfuhr (MEW 18, S. 327)[9].
„Ich gestehe, dass mich all dies gegenüber dem öffentlichen Leben zutiefst verärgert hat. Ich habe die Nase voll von all dem. Nachdem ich mein ganzes Leben lang gekämpft habe, bin ich müde. Ich bin über sechzig Jahre alt, und ein Herzleiden, das sich mit dem Alter verschlimmert, macht mein Leben immer schwieriger. Lassen Sie andere junge Menschen an die Arbeit gehen. Was mich betrifft, so fühle ich nicht mehr die Kraft oder vielleicht die Zuversicht, den Sisyphos-Stein gegen die triumphierende Reaktion überall zu drücken. Deshalb ziehe ich mich aus dem Kampf zurück und bitte meine lieben Zeitgenossen nur um eines: Vergessen.“[10]
Und wie man sieht, wendet Bakunin auch hier eine weitere klassische Strategie der Abenteurer an, nämlich sich als Opfer darzustellen, das Opfer, das leidet, wenn sein persönliches Verhalten entlarvt wird.
Als Schweitzer[11] beschuldigt wurde, kranken Arbeitern, die nicht zur Arbeit gehen konnten, Geld unterschlagen zu haben, um es für Champagner und andere „Gelüste“ auszugeben, konnte er sich im Gegensatz zu Bebel nie verteidigen:
„Schweitzer wurde mehr als einmal öffentlich dieser schändlichen Handlung beschuldigt, aber er hat es nie gewagt, sich zu verteidigen.“[12]
Als Bebel und Liebknecht ihn auf dem Kongress in Barmen-Elberfeld (Wuppertal) als Regierungsagenten bezeichneten, sprach er, der direkt hinter ihnen auf der gleichen Bühne saß, kein Wort und überließ es seinen Gefolgsleuten, mit Beleidigungen und Drohungen zu reagieren:
„Unsere Anklagen enthielten zusammengedrängt, was ich bisher hier gegen Schweitzer vorgebracht habe. Mehrere Male erfolgten heftige Unterbrechungen, namentlich als ich Schweitzer als Regierungsagent bezeichnete. Ich solle das Wort zurücknehmen. Dessen weigerte ich mich. (…) Schweitzer, der während unserer Reden auf dem Podium hinter uns saß, erwiderte kein Wort. So verließen wir den Saal, wobei einige Delegierte vor und hinter uns gingen, um uns vor Tätlichkeiten der fanatisierten Anhänger Schweitzers zu schützen. Aber Schmeichelworte wie Schufte, Verräter, Lumpe, euch sollte man die Knochen im Leibe zerschlagen usw., bekamen wir bei dem Gange durch das lebende Spalier in Menge zu hören. Auch machte einer der Anwesenden den Versuch, mich beim Heruntersteigen vom Podium durch einen Stoß in die Kniekehle zu Fall zu bringen. Vor der Tür nahmen uns unsere Freunde in Empfang, um uns als Schutzgarde nach unserem Hotel zu geleiten.“[13]
Und man kann noch das Beispiel von Parvus erwähnen, dem Gorki vorwarf, Geld für die Rechte an seiner Arbeit in Deutschland erschwindelt zu haben. Und Parvus wurde von Trotzki[14], der anfangs sein Freund gewesen war, als Abenteurer und Sozialpatriot angeprangert. Derselbe Parvus wurde von Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Leo Jogiches abgelehnt, die ihn als eine Person sahen, die vom deutschen Imperialismus gekauft worden war. Lenin hinderte Parvus daran, nach der Revolution nach Petrograd zurückzukehren, weil er „schmutzige Hände“ hatte; und Parvus, der nie seine Verteidigung gegen all diese Vorwürfe aufnahm, überließ es anderen (insbesondere Radek), ihn inmitten der Exilanten in der Schweiz zu verteidigen (1915).
Und wir könnten die Liste fortsetzen mit Lassalle, Asew ..., usw.; alle versuchten sie, die Anschuldigungen gegen sie mit einer Mauer des Schweigens vergessen zu machen, unterzutauchen oder zu tun, als ob nichts geschehen wäre (wie Parvus).
Aber es besteht keine Notwendigkeit, soweit zurückzugehen; 2005 konnten wir sehen, wie „Bürger B“, der sich „einstimmig“ (er war schließlich auch das einzige Mitglied) als „Kreis der Internationalistischen Kommunisten“ (Círculo de Comunistas Internacionalistas) Argentiniens proklamierte und sich in den Dienst der IFIKS[15] (jetzt die Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken – GIGC –) stellte, um die IKS zu verunglimpfen, um von der Bühne zu verschwinden, sobald wir seinen Betrug anprangerten.[16] Es gibt auch Beispiele für ‚Krisen‘ des Schweigens, wenn die IKS Abenteurer in unseren Reihen angeprangert hat. Dies war der Fall bei der Entblößung und Bestrafung des als Simon[17] bekannten Mitglieds der IKS, auf die er mit einem hartnäckigen Schweigen reagierte, das uns damals dazu bewog, eine „Resolution über das Schweigen des Genossen Simon“ zu verfassen, in der es hieß: „1) Seit Genosse Simon Ende August 1994 sich aus dem Leben der IKS zurückzog, ist er nie der Forderung der Organisation nachgekommen, die Meinungsverschiedenheiten, die er mit unseren Analysen und Stellungnahmen hatte und die seiner Meinung nach zum Teil seinen Rückzug motivierten, schriftlich zu formulieren ... Dieses Schweigen Simons ist umso unzulässiger, als er grundlegende Meinungsverschiedenheiten mit den beiden Resolutionen hatte, die von der erweiterten Sitzung des Internationalen Sekretariats am 3. Dezember 1994 angenommen wurden.“
Aber dieses hartnäckige Schweigen der Abenteurer und zwielichtigen Leute, wenn sie auf frischer Tat ertappt werden, ist nicht nur eine Bestätigung der gegen sie erhobenen Vorwürfe oder ihr Versuch, sie vergessen zu machen, sondern auch eine Strategie, die andere zu ihrer Verteidigung bewegen soll.
Während Gaizka seit der Veröffentlichung unserer Entblößung nicht gesagt hat: „Das bin ich“, haben seine Freunde keine Zeit verloren, ihn zu verteidigen. Und so veröffentlichte die oben erwähnte GIGC nur 4 Tage später eine Erklärung: Neuer IKS-Angriff auf das internationale proletarische Lager (1. Januar - sic - 2020)[18].
Es überrascht uns nicht, dass eine Parasitengruppe mit Gangster- und polizeiähnlichem Verhalten einen Abenteurer in Schutz nimmt. Sie tat dies bereits 2005, als sie sich für den argentinischen Bürger B einsetzte. Und vielleicht sollten wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass die GIGC eine Art Sehergabe hat, wenn sie damals ein Kommuniqué des „Círculo“ Argentiniens veröffentlichte und verbreitete – bevor Bürger B es auf seiner Website kundtat. Bedauerlich ist, dass die GIGC (damals FICCI=IFIKS) das IBRP[19](heute die IKT) überlistet hat, denn damals hat das IBRP wenn auch diskret, ohne direkt das Wort zu ergreifen, die Kommuniqués der IFIKS / des Bürgers B veröffentlicht, in denen die IKS verunglimpft worden ist, und so ein inakzeptables, für Kommunisten unwürdiges Verhalten der einen wie des anderen gefördert.
Natürlich leugnet die GIGC in ihrem Kommuniqué nicht, was wir in unserem Artikel anprangern, mit Ausnahme der Aussage, dass sie „nichts bemerkt haben“: „Wir müssen darauf hinweisen, dass wir bisher keine Provokationen, Manöver, Verunglimpfungen, Verleumdungen oder Gerüchte bemerkt haben, die von den Mitgliedern von Nuevo Curso, auch nicht in individueller Eigenschaft, ausgegangen wären, noch eine Politik der Zerstörung gegen andere Gruppen oder revolutionäre Kämpfer.“ Verweilen wir einen Moment bei dieser Bemerkung.
In Wirklichkeit will die GIGC mit ihrem Kommuniqué die IKS angreifen, da aus der Sicht der GIGC es die IKS gewesen sei, „die diese Praktiken unter dem Deckmantel ihrer Theorie des Zerfalls und des Parasitismus entwickelt hat und nun zu ihr zurückkehrt“. Und darüber hinaus hätte sich die IKS „auf den ekelhaften Pfad der Personalisierung politischer Themen“ begeben.
Auf der Pantópolis-Website des Herrn Doktor Bourrinet[20]wurde der Artikel sofort weiter veröffentlicht. Dazu wurde eine Einleitung verfasst, die mit der GIGC in deren Hass auf die IKS noch wetteifert und diesen sogar noch übersteigt.
Die andere Gruppe, die unsere Gaizka-Entblößung verurteilte, war die GCCF[21], die sagte[22]: „Wir können dieses empörende und unmoralische Stück erstklassigen Klatsches, das völlig personalisiert ist und nicht auf politischen Gründen beruht, nur verurteilen“[23].
Kurz gesagt, zwei Vorwürfe: 1) dass nicht Gaikza, sondern die IKS sich basierend auf Verunglimpfung und Provokation unwürdig gegenüber dem Proletariat, verhalten würde; 2) dass in unserer Entblößung die Ebene der politischen Fragen durch die Auseinandersetzung um Personen ersetzt würden.
Es ist nicht das erste Mal, dass angesichts der unnachgiebigen Verteidigung des proletarischen Milieus und der Anprangerung unwürdigen Verhaltens revolutionäre Organisationen mit Verleumdungen wegen ihres „Autoritarismus“ und ihrer „Manöver“ angegriffen werden, als wären sie diejenigen, die die gleichen Mittel wie die entlarvten Abenteurer und Provokateure einsetzten. Das war in der IAA der Fall: „Nachdem sie die historische Gefahr begriffen hat, die die von der Ersten Internationalen gezogenen Lehren für ihre eigenen Klasseninteressen darstellen, unternahm die Bourgeoisie in Erwiderung auf die Enthüllungen des Haager Kongresses alles, um diese Bemühungen zu diskreditieren. Die bürgerliche Presse und bürgerliche Politiker erklärten, daß der Kampf gegen den Bakunismus nicht ein Kampf ums Prinzip, sondern ein schmutziger Machtkampf innerhalb der Internationalen gewesen sei. Demnach ging es Marx nur darum, seinen Rivalen Bakunin durch eine Lügenkampagne auszuschalten. Mit anderen Worten, die Bourgeoisie versuchte die Arbeiterklasse davon zu überzeugen, daß ihre Organisationen auf genau dieselbe Weise funktionierten und somit nicht besser seien als jene der Ausbeuter. Die Tatsache, daß die große Mehrheit der Internationalen Marx unterstützte, wurde dem ''Triumph des Autoritätsglaubens'' in ihren Reihen und der angeblichen Neigung ihrer Mitglieder zugeschrieben, überall Feinde der Assoziation lauern zu sehen. Die Bakunisten und die Lassalleaner verbreiteten Gerüchte, wonach Marx selbst ein Agent Bismarcks gewesen sei.“[24]
Bakunin selbst zögerte nicht, den Kampf der Internationale zur Verteidigung ihrer Statuten und ihrer Funktionsweise gegen den Sektengeist und ihre Intrigen als „Kampf der Sekten“ darzustellen: „So behauptet Bakunin in seinem ''Brief an die Brüder in Spanien'', daß die Resolution der Londoner Konferenz von 1872 gegen Geheimgesellschaften, die insbesondere gegen die Allianz gerichtet war, von der Internationalen nur angenommen worden sei, ''um den Weg für ihre eigene Verschwörung freizumachen, für die Geheimgesellschaft, die seit 1848, gegründet von Marx, Engels und dem verstorbenen Wolff, unter der Führung von Marx existiert hat, und die nichts anderes ist als die fast ausschließlich deutsche Gesellschaft der autoritären Kommunisten (...) Man muß feststellen, daß der Kampf, der inmitten der Internationalen ausgebrochen ist, nichts anderes ist als ein Kampf zwischen zwei Geheimgesellschaften.''[25]
In der Weltsicht solcher Leute wie Bakunin, der GIGC oder Gaizka gibt es keinen Platz für Ehrlichkeit, Organisationsprinzipien oder proletarische Moral; sie projizieren nur ihre eigene Art des Verhaltens auf andere. Wie die (spanische) Volksweisheit sagt: „Der Dieb meint, sie stehlen alle.“
Doch „weitaus ernster und gefährlich ist es, wenn solche Verunglimpfungen ein gewisses Echo innerhalb des revolutionären Lagers selbst erzeugen. Dies war bei Franz Mehrings Biographie von Marx der Fall. In diesem Buch erklärte Mehring, der dem erklärten linken Flügel der Zweiten Internationalen angehörte, daß die Broschüre des Haager Kongresses über die Allianz ''unentschuldbar'' und ''der Internationalen unwürdig'' gewesen sei. In seinem Buch verteidigte Mehring nicht nur Bakunin, sondern auch Lassalle und Schweitzer gegen die von Marx und den Marxisten erhobenen Anschuldigungen.“[26]
„Mehrings Diskreditierung des marxistischen Kampfes gegen den Bakunismus und Lassalleanismus sollten eine zerstörerische Wirkung auf die Arbeiterbewegung der kommenden Jahrzehnte erhalten. Nicht nur, daß sie sie zu einer teilweisen Rehabilitierung politischer Abenteurer wie Bakunin oder Lassalle führte. Vor allem erlaubte sie es dem opportunistischen Flügel der Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg, die Lehren der großen Kämpfe zur Verteidigung revolutionärer Organisationen, die in den 1860er und 1870er Jahren ausgefochten wurden, in die Vergessenheit zu verbannen. Dies war ein entscheidendes Element in der opportunistischen Strategie, die Bolschewiki innerhalb der Zweiten Internationalen zu isolieren, deren Kampf gegen den Menschewismus in dieser großen Tradition stand. Auch die Dritte Internationale litt unter Mehrings Legitimierung. So berief sich Stoecker in einem Artikel mit dem Titel ''Bezüglich des Bakunismus'' auf Mehrings Kritik an Marx, um die gefährlichsten und abenteuerlichsten Aspekte der März-Aktion von 1921 durch die KPD in Deutschland zu rechtfertigen.“[27]
Aber gehen wir zum zweiten Vorwurf über, dem der Personalisierung politischer Themen, genauer gesagt „Geschwätz und Privatangelegenheiten“ aufzutischen.
Zunächst einmal beruhte unsere Anprangerung nicht auf der Ausbreitung privater Dinge, sondern darauf, öffentliches politisches Verhalten aufzudecken, was umfassend dokumentiert ist. Was wir über Gaizka enthüllt haben, sind Tatsachen, die zur Sphäre der öffentlichen Aktion bürgerlicher Politiker gehören und die deshalb von kommunistischen Militanten sorgfältig bedacht werden sollten. Was tat ein Individuum, das wiederholt die hochrangigen politischen Kreise des bürgerlichen Staates aufgesucht hatte, im Bereich der kommunistischen Linken?
Nun gibt es zweitens „private“ Tatsachen (Intrigen, Manöver, geheime Kontakte, undurchsichtige Beziehungen usw.), deren Kenntnis notwendig ist, um destruktive Aktionen gegen das Proletariat oder gegen revolutionäre Organisationen zu verstehen und anprangern zu können. Sie anzuprangern hat nichts mit Klatsch zu tun. Und statt sie selbst zu beantworten, lassen wir Engels reden. In einem der vielen Artikel, die Marx und er selbst zur Verteidigung der 1. Internationale schreiben mussten, die von der gesamten bürgerlichen Presse und von den Provokateuren und Anhängern Bakunins beschuldigt und von den unentschlossenen Mitgliedern selbst in Frage gestellt wurden, antwortete Engels auf einen Artikel der Vperyod[28] von Peter Lawrowv[29], der den Bericht der Kommission des Haager Kongresses über „Die Allianz der Sozialistischen Demokratie und die IWA“[30] in Frage stellte, weil es eine „ätzende Polemik über persönliche und private Angelegenheiten mit Informationen, die nur aus Klatsch und Tratsch stammen können“ wäre. Dazu schrieb Engels folgendes:
„Die Hauptanklage ist aber die, daß der Bericht voll von Privattatsachen sei, deren Glaubwürdigkeit für die Verfasser nicht unbestreitbar sein durfte, weil sie nur durch Hörensagen gesammelt werden konnten. Woher Freund Peter weiß, daß eine Gesellschaft, wie die Internationale, die ihre regelmäßigen Organe in der ganzen zivilisierten Welt besitzt, dergleichen Tatsachen nur durch Hörensagen sammeln kann, wird nicht gesagt. Seine Behauptung ist jedenfalls höchst leichtfertig. Die fraglichen Tatsachen sind beglaubigt durch authentische Beweisstücke, und die Betreffenden haben sich wohl gehütet, sie zu bestreiten.
Aber Freund Peter [31] ist der Ansicht, daß Privattatsachen wie Privatbriefe heilig seien und nicht in politischen Debatten veröffentlicht werden dürfen. Wenn man dies so unbedingt gelten lassen will, so verbietet man damit jede Geschichtsschreibung. (…) Und wenn man die Geschichte einer Bande beschreibt, wie die Allianz, in der sich neben den Betrogenen eine solche Menge Betrüger, Abenteurer, Spitzbuben, Polizeispione, Schwindler und Feiglinge finden, soll man diese Geschichte fälschen, indem man die einzelnen Schuftereien dieser Herren als „Privattatsachen“ wissentlich verheimlicht? Freund Peter mag sich darob entsetzen, aber er kann sich darauf verlassen, daß wir mit diesen „Privattatsachen“ noch lange nicht fertig sind. Das Material häuft sich immer mehr.
Wenn aber das „Vorwärts“ den Bericht als ein wesentlich aus Privattatsachen zusammengesetztes Machwerk schildert, so begeht es eine Handlung, die schwer zu bezeichnen ist. Der Mann, der so etwas schreiben konnte, hatte entweder die fragliche Schrift gar nicht gelesen; oder er war zu beschränkt oder zu voreingenommen, sie zu verstehn; oder aber er schrieb etwas, von dem er wissen mußte, daß es nicht richtig war. Niemand kann das „Komplott gegen die Internationale“ lesen, ohne sich zu überzeugen, daß die darin eingestreuten Privattatsachen das Allerunwesentlichste sind, Illustrationen zur näheren Bezeichnung der dann vorkommenden Charaktere, und daß sie alle gestrichen werden können, ohne daß der Hauptzweck der Schrift darunter leidet. Die Organisation einer geheimen Gesellschaft, mit dem einzigen Zweck, die europäische Arbeiterbewegung der verborgenen Diktatur einiger Abenteurer zu unterwerfen, die zu diesem Zweck, besonders durch Netschajew in Rußland, begangenen Infamien - darum dreht sich das Buch, und zu behaupten, es drehe sich bloß um Privatsachen, ist, gelinde gesagt, unverantwortlich.“ [32]
Können wir im Proletarischen Politischen Milieu eine Person tolerieren, die mit hohen Funktionären des bürgerlichen Staates Kontakte gepflegt und zusammengearbeitet hat? Können wir glauben, dass jemand wie er sich jetzt als Vertreter der Kommunistischen Linken präsentiert? Können wir Organisationen des Proletariats aufbauen und die zukünftige Partei der Revolution vorbereiten, wenn wir Personen wie diese so handeln lassen?
Gaizkas bissiges Schweigen ist eine Bestätigung seiner Zusammenarbeit mit dem bürgerlichen Staat, so wie wir sie entblößt haben. Seine Dienste für die PSOE[33] und später eine Zeitlang für die Liberalen, seine Kontakte zur Kommunistischen Linken und sein Verschwinden, als problematische Aspekte seines Verhaltens für eine kommunistische Militanz[34] untersucht wurden, entsprechen dem Werdegang eines Abenteurers.
Eine Gruppe, die um ein solches Element herum gebildet wurde und sich als Teil der Kommunistischen Linken ausgibt, kann nur ein Ziel haben: als eingeschleustes Trojanisches Pferd das Erbe der proletarischen Tradition und ihrer programmatischen und organisatorischen Prinzipien, die von den Organisationen der Kommunistischen Linken vertreten und verteidigt werden, zu entstellen und zu untergraben. Dies ungeachtet der möglichen Ehrlichkeit einzelner Mitglieder der Gruppe um Gaizka, die sich vielleicht haben täuschen lassen.
In diesem Sinne und trotz aller Unterschiede gilt, was schon Engels über Bakunin sagte, nämlich er wollte verdeckt mittels der Internationale, die die Arbeiterbewegung in Europa zusammenfasste, dieser seine Diktatur aufzuzwingen; ähnlich will Gaizka heute, verborgen hinter einer Gruppe (Nuevo Curso), in der es möglicherweise im Trüben fischende Leute gibt, ein Anlaufpunkt der Kommunistischen Linken sein, besonders für junge Leute auf der Suche nach proletarischen politischen Positionen. Aber seine Verbindung zur Kommunistischen Linken kann deren Positionen nur entstellen, indem er linke oder stalinistische Prinzipien und Methoden von Abenteuern als linke Positionen ausgibt.
Bei diesem kriminellen Unterfangen erhält Gaizka die organisierte Unterstützung der Parasiten- und Gangstergruppe der GIGC, die ihn gerade als Verfechter der Umgruppierung darstellt, aber auch das stille Einverständnis von anderen Gruppen im proletarischen Milieu durch ihr Schweigen angesichts seiner Initiativen.
IKS 11.04.2020
[2] Wir meinen die Gruppe Groupe International de la Gauche Comuniste (GIGC) und die Webseite von Herrn Bourrinet: Pantópolis
[3] Ein Mitglied der Bremer Linken während der revolutionären Kämpfe in Deutschland; er war Delegierter der Internationaler Kommunisten Deutschlands am Gründungskongress der KPD.
[4] Paul Frölich, Im radikalen Lager, S. 51, Berlin, 2013
[5] In diesem Buch, für dessen Fertigstellung er ein Jahr brauchte, verteidigte Marx nicht nur sich selbst gegen die Schurkenvorwürfe von Vogt, sondern auch den Bund der Kommunisten, obwohl er sich bereits aufgelöst hatte. Die Verteidigung der Tradition, die dieser verkörperte, des Kommunistischen Manifests, der Organisationsprinzipien, der Kontinuität der Arbeiterbewegung, war jedoch von entscheidender Bedeutung; im Gegensatz zu all jenen, die der Meinung waren, dass Marx seine Zeit mit Kleinigkeiten verschwendet hätte, oder sogar sein gutes politisches Urteilsvermögen verloren habe und seine uneigennützige Hingabe an den Kampf des Proletariats.
[6] Siehe Marx/Engels Werke Bd. 14,
[7] Da Stalin jede Spur der Kräfte des Arbeitermilieus aus der Revolutionszeit vernichtet hatte, musste sich die Kommission hauptsächlich aus Mitgliedern der Intelligenz und Kultur zusammensetzen, die für ihre Unabhängigkeit der Meinung und ihre Ehrlichkeit bekannt waren. Dewey war einer von ihnen. Die Sitzungen der Kommission fanden in Mexiko statt.
[8] Jacques Freymond, La Primera Internacional, Ed. ZERO 1973, S. 355, Übersetzung IKS
[9] Der Bericht wurde bei einer Untersuchungskommission des Haager Kongresses der IAA (1872) in Auftrag gegeben. Nachdem der Kongress den Bericht angehört und diskutiert hatte, traf er die Entscheidung, Bakunin und einige seiner Anhänger aus der Internationale auszuschließen.
[10] Übersetzung der IKS
[11] Siehe dazu unseren Artikel: https://de.internationalism.org/content/2898/lassalle-und-schweitzer-der-kampf-gegen-politische-abenteurer-der-arbeiterbewegung [26]
[12] Bebel, Aus meinem Leben, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/bebel/1911/leben2/ [27]
[14] Siehe Nashe Slovo nº 2: «Epitaphy for a living friend»
[15] „Interne Fraktion der IKS/ IFIKS- FICCI)“, eine parasitäre Gruppe, die aus der IKS ausgeschlossen wurde, weil sie sich weigerte, ihre Positionen und Handlungen vor der Berufungskommission zu verteidigen, die vom 15. Kongress der IKS eingesetzt worden war. Eines der prominenten Mitglieder der IFIKS, bekannt als Jonas, war zuvor wegen eines Verhaltens, das einer revolutionären Militanz unwürdig war, ausgeschlossen worden. Siehe Außerordentliche Konferenz der IKS: Der Kampf für die Verteidigung der organisatorischen Prinzipien, /content/690/ausserordentliche-konferenz-der-iks-der-kampf-fuer-die-verteidigung-der [29]; sowie ‘Interne Fraktion’ der IKS – ein Betrugsversuch an der Kommunistischen Linken, auf Spanisch: https://es.internationalism.org/revista-internacional/200604/834/fraccion-interna-de-la-cci-intento-de-estafa-a-la-izquierda-comunis [30]
[16] Siehe ‘Círculo de Comunistas Internacionalistas’ (Argentinien): Was er ist und welche Funktion er hat, auf Spanisch: https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200602/471/circulo-de-comunistas-internacionalistas-argentina-que-es-y-que-funcion [31]
[17] Simon wurde wegen eines mit kommunistischer Militanz unvereinbaren Verhaltens vom 11. Kongress der IKS ausgeschlossen.
[18] Es ist offensichtlich ein Fehler, wenn die GIGC ihren Artikel gegen die IKS auf den 1. Januar datiert, wo wir unsere Frage an Gaizka erst am 20. Januar verfassten und am 28. Januar veröffentlichten – siehe Fußnote 1
[19] Internationales Büro für die Revolutionäre Partei, Tendenz Damen, jetzt Internationalistische Kommunistische Tendenz (IKT)
[20] Doktor Bourrinet – Hochstapler und selbst ernannter Historiker, https://de.internationalism.org/iksonline/konferenz-marseille-ueber-die-kommunistische-linke-doktor-bourrinet-hochstaple [32]
[21] Gulf Coast Communist Fraction
[22] Wir beabsichtigen keinesfalls, die GIGC/Bourrinet und die GCCF mit dem gleichen Maßstab zu beurteilen. Die GIGC ist eine Parasitengruppe, die nur existiert, um die IKS anzugreifen, und selbst wenn wir einen Artikel veröffentlicht hätten, in dem Mata Hari angeprangert wäre, würden sie sagen, dass sie „nichts bemerkt haben“, um direkt zum Angriff überzugehen. Dasselbe kann man von Bourrinet sagen. Die GCCF ist eine junge Gruppe ohne Erfahrung und auf der Suche nach Klärung, anfällig für die Schmeicheleien von Gaizka und der GIGC/Bourrinet.
[23] „we have nothing but condemnation for this egregious and immoral hit-piece of personalized gossips completely removed from a political terrain“
[24] Bakunismus und die Erste Internationale, Der Kampf des Marxismus gegen das politische Abenteurertum, Internationale Revue Nr. 20, Herbst 1997
[25] Ebenda
[26] Ebenda
[27] Ebenda
[28] Vperyod (Vorwärts) war eine in Großbritannien auf russisch erschienene Zeitung, Tendenz Narodniki
[29] Lawrow Pjotr Lawrowitsch (1823-1900): russischer Philosoph, Soziologe und Journalist, Anhänger der Narodniki (Volkstümler); Mitglied der 1. Internationalen; er nahm an der Pariser Kommune teil.
[30] Marx, Engels, MEW 18, Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiter-Association, Im Auftrage des Haager Kongresses verfasster Bericht über das Treiben Bakunins und der Allianz der sozialistischen Demokratie, S. 327
[31] Engels bezieht sich also auf Pjotr Lawrow, wie er zu Beginn des Artikels erklärt, um die Anonymität zu respektieren, die jener gewissenhaft von ihm verlangt und die dieser verspottet, da der wirkliche Name des Vperjod-Redakteurs sowohl in Großbritannien als auch in Russland gut bekannt ist; er schlägt daher vor, den Autor als Pjotr Lawrow zu bezeichnen, „ein sehr populärer Name in Russland“.
[32] Friedrich Engels, MEW 18, Flüchtlingsliteratur, III, S. 539.
[33] Partido Socialista Obrero Español – die spanische Sozialdemokratie
Die ganze Welt wird von einer neuartigen Pandemie bedroht: Der neue Riese China versucht es erst mit Totschweigen und dann mit der ganzen Macht seiner diktatorischen, staatskapitalistischen Maschine; dann erwischt es Länder im Herzen des historischen Kapitalismus: Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien. Die Pandemie kennt keine Grenzen und überrascht völlig unvorbereitete Länder, nahezu 200.000 Menschen sterben (zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels), der Gesundheitsapparat kollabiert in mehreren Regionen. Aktuell wird die bröckelnde Weltmacht der untergegangenen Epoche des Kalten Krieges USA erschüttert[1]. Und Deutschland? Nachdem in der ersten Phase die Behörden ähnlich unvorbereitet waren und zögerlich reagierten, ging man anschließend entschlossener vor und hinterließ international den Eindruck, dass man bei der Bekämpfung und Verwaltung der Pandemie erfolgreicher agierte und neben Südkorea nahezu als erfolgreiche Ausnahme erscheint.[2] Als Gradmesser werden insbesondere die Verfügbarkeit und Auslastung der Intensivbetten und die Anzahl der Todesfälle angeführt (die zum Zeitpunkt des Schreibens des Artikels die 5.000 Marke übersprungen hat).
Warum ist Deutschland gerade noch knapp an ähnlich katastrophalen Zuständen wie in anderen Ländern vorbei geschrammt?
Ähnlich wie in Italien, Spanien, Frankreich oder Großbritannien wurde der Gesundheits- und Pflegebereich in den letzten Jahren zielstrebig umstrukturiert, teilweise privatisiert, und auf Teufel komm raus wurden Kosten eingespart.[3] So wurden zum Beispiel Krankenhäuser zu reinen „Investitionsanlagen“ für Hedgefonds, von denen die höchstmögliche Rendite erwartet wurde. Deutschland war in diesem Umbau sogar eher Vorreiter als Nachtraber. Der gleichzeitig angestoßene Umbau und damit die Kürzungen im Sozialbereich (Agenda 2010, Hartz IV) aber auch die Umstrukturierung ehemaliger Staatsbetriebe (Deutsche Post, Telekom, Deutsche Bahn usw.) legten mit die Grundlagen dafür, dass Deutschland, gestützt auf seine industrielle Potenz und Exportfähigkeit, entgegen der Tendenz der sich zuspitzenden Krise im internationalen Vergleich geradezu zum Profiteur der letzten 15 Jahre werden konnte.
Wenn wir uns nun genauer dem Gesundheits- und Pflegesektor zuwenden, so stellen wir fest, dass heute bereits 37% der Krankenhäuser privatisiert sind. Doch entscheidender ist, dass die Betreibung der Krankenhäuser für alle Träger (also auch die öffentlichen und kirchlichen) sehr stark durchkapitalisiert wurde. Dies betrifft z.B. die Rationalisierung der Arbeitsprozesse, die Abrechnung mit den Krankenkassen (Fallpauschalen) und die Schließung von Krankenhäusern. Während es 1998 in Deutschland noch 2263 Krankenhäuser gab, sind diese von 2007 auf 2087 und im Jahr 2017 auf 1942 Krankenhäuser reduziert worden. Heute sind es noch rund 1400. Entsprechend wurde die Zahl der Krankenhausbetten innerhalb von zehn Jahren um rund 10.000 reduziert, von 506.954 (2007) auf 497.200 (2017). Trotz erhöhter Arbeitsintensität ist das Pflegepersonal seit 1993 abgebaut worden.[4]
Eine ähnliche Tendenz ist in den Pflegeheimen zu erkennen, bei gleichzeitiger Alterung der Bevölkerung. Die Ausbeutung der Pflege- und Gesundheitskräfte ist massiv gestiegen. Schon 2016 wurde vorhergesagt, dass 2025 zwischen 100.000 und 200.000 ausgebildete Pflegekräfte fehlen würden, gleichzeitig sank die Attraktivität des Pflegeberufs aufgrund der katastrophalen Arbeitsbedingungen[5], so beträgt die Verweildauer im Beruf der Altenpflege gerade einmal 8 Jahre, die diversen internationalen Anwerbeversuche können auch mit dem Land, wo Milch und Honig fließt, nicht locken.[6] Das heißt, die Leute hauen ab, wechseln den Beruf, sobald es möglich ist, da u.a. den Schichtdienst, die kurzfristig geänderten Dienstpläne und insbesondere die Konfrontation mit den unmenschlichen Arbeitsbedingungen niemand lange aushält.
Die kapitalistische Realität in den Gesundheitsfabriken war bereits vor der Pandemie auch in Deutschland strukturell menschenverachtend. Die Krankenhäuser sollen die kranken Arbeitskräfte für die weitere Verwertung zusammenflicken und möglichst schnell wieder ausspucken. Das schlecht bezahlte und von einem strengen Arbeitsregime getaktete Personal musste aus den Billiglohngebieten angeworben werden.
Wie in der Wirtschaft insgesamt, wo ein immer höherer Anteil an Maschinen zum Einsatz kommt (eine immer höhere organische Zusammensetzung des Kapitals), ist auch im Bereich der Medizin der Anteil der „Apparatemedizin“ ständig gestiegen.
Die Medizintechnologie produziert eine immer teurere und technisch komplizierte Medizinapparatur, die in den Gesundheitsfabriken eingesetzt wird und Gewinn generieren muss, jedoch nur von hoch ausgebildeten Fachkräften bedient werden kann. Diese neuen Apparate und Techniken können einen gewaltigen Fortschritt im Bereich der Diagnose und der Behandlungsmöglichkeiten bieten, aber aufgrund der in ihnen steckenden gewaltigen Kosten der Anschaffung, Unterhaltung und Bedienung verschärfen sie den Zwang, dass immer mehr Patienten „durchgeschleust“ werden müssen, um die Geräte zu amortisieren, das Personal zu bezahlen und schließlich Gewinn abzuwerfen.
Gleichzeitig hat die Medizin im 21. Jahrhundert die alte Geißel der Erkrankung (und den Tod) im Krankenhaus durch mangelnde Hygiene, an der im 19. Jahrhundert vor Einführung moderner Hygienetechniken die meisten Krankenhauspatienten starben, nicht abschütteln können. Dem Robert-Koch-Institut zufolge sterben jährlich schätzungsweise bis zu 20.000 Menschen durch Krankenhauskeime, verursacht von jährlich geschätzten ca. 600.000 Krankenhausinfektionen.[7]
Letztendlich bedeutet das, dass die Patienten zum einen nur als „Kunden“ im Gesundheitsbetrieb in Erscheinung treten, denen man möglichst viel „Leistung“ zu verkaufen versucht, und die Beschäftigten wie Zitronen ausgepresst werden, um die Akkumulation in der Gesundheitsbranche auf das höchstmögliche Niveau zu pushen. Der Patient tritt dem Pfleger als Ware gegenüber, die soziale Beziehung wird zur Dienstleistung, der Arbeitsprozess unterliegt einem enormen Zeitdruck und Zwang. Diese Pervertierung beschreibt sehr gut, was Marx als Versachlichung, Entmenschlichung und Ausbeutung analysierte hat. Der eigentliche Zweck der Tätigkeit (der Gebrauchswert), die Heilung und/oder die Pflege der Menschen, treten in den Hintergrund. Die Fixierung von unterversorgten Menschen in Pflegeheimen, die allgemeine Verwahrlosung unter anderem durch zu geringen Personalbestand, eklatante Missstände, die lange Zeit unerkannt bleiben[8], die Infragestellung oder Verweigerung von bestimmten Operationen für ältere Menschen sind Ausdruck dieser strukturellen Unmenschlichkeit, die nur durch die proletarische Solidarität und Aufopferung von einzelnen PflegearbeiterInnen angesichts dieser täglichen und strukturellen Entmenschlichung und Versachlichung aufgebrochen wird. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie stießen gesellschaftlichen Widersprüche eines verrottenden Systems in den Gesundheitsfabriken besonders krass aufeinander.
Medizinhistoriker und Epidemiologen warnen schon lange, dass die Gefahr von weltweiten Pandemien zunimmt. Dazu kommt, dass die Lebensbedingungen im Kapitalismus die negativen und zerstörerischen Kräfte solcher Pandemien verstärken: die Zerstörung natürlicher Lebensräume für Wildtiere, deren Verkauf und Verzehr ohne entsprechende veterinärmedizinische Kontrollen, die Industrialisierung der Agrarindustrie und im speziellen der Tierhaltung[9], die Urbanisierung, die sich hauptsächlich als „Slumisierung“ durchsetzt usw. verstärken die Tendenz der Viren, die Artengrenzen zu überspringen[10].
Weltweit wurden in Erwartung solcher Pandemien Untersuchungen, Planspiele und Notstandsübungen durchgeführt, so auch in Deutschland 2012. Es wurde ein "außergewöhnliches Seuchengeschehen" durchgespielt: “Anti-epidemische Maßnahmen, phasenorientierte Handlungsempfehlungen, Krisenkommunikation, behördliche Maßnahmen, Abschätzung der Auswirkungen auf die genannten Schutzgüter, Verfolgung der Entwicklung der Ausbreitung und der Zahl der Neuerkrankungen etc. etc. “[11] Wenn wir die ersten Wochen der Reaktion auf die Krise beobachten, und wenn wir all die Hinweise auf viel zu wenig vorhandene Schutzausrüstung, Notfallkapazitäten, Personal usw. zusammen nehmen, dann können wir dies nur als ein unverantwortliches Handeln der politischen Klasse begreifen. Krankenbetten, Personal, Infrastruktur, Ausrüstung wurde in vielen Bereichen gekürzt anstatt präventiv aufgebaut. Ein Krankenpfleger aus Berlin berichtet von selbst gebastelter Schutzkleidung[12], mehrere Berliner Krankenhäuser schreiben einen gemeinsamen Appell, die Berliner Krankenhausgesellschaft forderte Freiwillige auf, Masken zu nähen, PflegearbeiterInnen, die sich beschweren, werden mit Repression konfrontiert ... [13]Auch in Deutschland entblößt sich die destruktive “Natur” des Kapitalismus, die schon im Normalfall tötet und nun angesichts einer weltweiten Pandemie das wissenschaftlich mögliche verweigert. Dies löst Empörung bei den ArbeiterInnen an vorderster Front auf, viele weisen das verlogene Lob der Politiker und den symbolischen Applaus zurück. In Mittelbaden sollen schon die ersten Pfleger aufgrund der fehlenden Schutzausrüstung gekündigt haben[14], in Brandenburg wurde Anfang April in einem offenen Brief Schutzkleidung eingefordert und klar analysiert: „Unsere Krankenhäuser wurden zu Fabriken und Gesundheit zur Ware“[15].
Da mag es verblüffen, dass die Sterblichkeitsrate in Deutschland noch viel geringer ist als in Italien, Spanien und Frankreich[16].
Es gibt viele Faktoren, die beim besonderen Verlauf der Pandemie in Deutschland berücksichtigt werden müssen. Man kann zum Beispiel gewissermaßen gar von einigen glücklichen Umständen sprechen, denn die ersten Fälle konnten noch unmittelbar lokalisiert und damit schnell isoliert werden. Zweitens betraf anfangs eine große Welle hauptsächlich junge und sportliche Skiurlauber, drittens ist die Familienstruktur in Deutschland eine andere als in Italien und Spanien, wo viele Großeltern nah mit ihren Kindern und Enkelkindern zusammen leben und viertens ist das Gesundheitssystem trotz all der Einsparungen und Umstrukturierungen immer noch deutlich besser ausgestattet als in den anderen Ländern Europas[17] und gar weltweit.
Der entscheidende Faktor ist jedoch die Fähigkeit der deutschen Bourgeoisie, sich nach den ersten Wochen der Desorientierung viel stärker und geschlossener zu mobilisieren als in anderen Ländern. Deutschland als Gewinner und Motor der EU verfügt immer noch über eine stabile Wirtschaft und über eine politische Klasse, die zwar nicht frei ist von den auflösenden Tendenzen und von dem Drang zu unverantwortlichem Verhalten, der im Zerfall immer weiter um sich greift[18], dennoch hat beispielsweise der Populismus hier im Gegensatz zu fast allen anderen europäischen Ländern (und den USA) noch nicht den politischen Apparat ausgehöhlt. Und als weiterer zentraler Faktor der Mobilisierungsfähigkeit der herrschenden Klasse muss die besonders starke Rolle der Gewerkschaften in Deutschland hervorgehoben werden. Zwar war die deutsche Automobilindustrie durch Schwierigkeiten in den globalen Lieferketten (insbesondere durch die Verknüpfung mit China und dann Italien) bereits frühzeitig für die Auswirkungen durch den Corona-Virus sensibilisiert worden, doch es bedurfte des Weckrufs des Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh, um bei VW Hals über Kopf die Werke bereits am 17. März (vor dem offiziellen politischen Shutdown durch die Bundesregierung!) zu schließen[19]. VW mit seiner historisch engen Verquickung von Staat-Land und Kapital (der Volkswagen des nationalsozialistischen Systems) ist geradezu ein Leitunternehmen, quasi ein Vertreter der Avantgarde des deutschen Staatskapitalismus. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde diese Rolle durch die enge Einbindung der IGM gestärkt und weiter ausgebaut. Während am 17. März bei BMW und Porsche noch die Bänder rollten und Daimler nur eine Unterbrechung für ein paar Tage geplant hatte (um die Betreuung der Kinder zu ermöglichen), hat die IGM über VW den Kurs vorgegeben. Anders als in anderen europäischen Ländern (oder auch den USA), wo das nationale Kapital gegen besseres Wissen, die Arbeiter unter lebensgefährlichen Bedingungen an das Band schickte und damit Streiks provozierte (siehe unsere Artikel dazu), hat die deutsche Bourgeoisie mit Hilfe der Gewerkschaften und in Absprache mit ihrem Staatsapparat ihren Machtinstinkt unter Beweis gestellt. Das ausgeklügelte „Sozialpartnersystem“ zwischen Gewerkschaften und Kapital zur Kontrolle der Arbeiterklasse, zur Stärkung des nationalen Kapitals und des Standorts Deutschland erscheint als ein Spiel von Geben und Nehmen. Der Tarifkonflikt, der mit der Kündigung des Tarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie zum 31. März eigentlich angestanden hätte (einschließlich möglicher (Warn-)streiks) wurde in Angesicht der Krise im Tarifbezirk Nordrhein-Westfalen durch einen Notvertrag ohne jegliche Lohnerhöhung (nach Jahren des Booms) abgeblasen[20]. Dieser Notvertrag wurde umgehend von anderen Bezirken übernommen.
Die Bourgeoisie hat diese zum Teil geschrumpfte, aber immer noch vorhandene Fähigkeit an ökonomischer Stärke und politischen Machtinstinkt nach einer kurzen Phase der politischen Fahrlässigkeit und Planlosigkeit[21] wieder unter Beweis gestellt. Dies erlaubte politische Entscheidungen, die keineswegs von der Sorge um die Gesundheit der Beschäftigten an sich geprägt war, sondern von einer langfristigen Strategie des Machterhalts und der Kontinuität des kapitalistischen Produktionsprozesses. Denn für die Kapitalisten ist es eine Frage des Kalküls: Eine durch die Pandemie verseuchte und damit lange Zeit kranke Belegschaft, mit viel höheren Gesundheitskosten oder eine kontrolliert heruntergefahrene Produktion und Einstellung der wirtschaftlichen Aktivitäten als “ökonomisch” günstigere Variante.
Zuerst sammelte die nüchterne Naturwissenschaftlerin Angela Merkel ein wissenschaftliches Team des Robert-Koch-Instituts um sich und ließ sich eine Handlungsstrategie[22] erarbeiten, die sie am 18. März[23] in einer Fernsehansprache verkündete: Lockdown und Social Distancing. Der Exportweltmeister Deutschland schloss annähernd sämtliche Geschäfte mit Publikumsverkehr (ausschließlich Lebensmittelläden, Apotheken, Drogeriemärkte …). In enger Abstimmung mit den Gewerkschaften wurde die gesamte Automobilindustrie runtergefahren[24], was den Kurs für andere Branchen vorgab. Die Schulen, Universitäten und Kindergärten wurden geschlossen. Flankiert wurde diese Schockmaßnahme mit einer Mobilisierung der staatskapitalistischen Geld-Bazooka, in deren Zentrum das altbewährte Mittel der Kurzarbeit steht[25], begleitet von unzähligen kommunalen und föderalen Variationen von Helikoptergeld. Am 20. März wird ein Nachtragshaushalt über 150 Mrd. Euro beschlossen, hinzu kommen etliche Mrd. aus den Ländertöpfen und EU-Mitteln. Insgesamt geht man von 750 Mrd. Euro Helikoptergeld aus, und täglich werden neue Subventionen für weitere notleidende Branchen angekündigt.[26] Was jetzt als unmittelbare “Rettung” vor der Entlassung usw. empfunden wird, wird über kurz oder lang zu heftigsten Angriffen in verschiedenster Form führen, für die vor allem die Arbeiterklasse wird blechen müssen. Es bleibt einem späteren Artikel überlassen, die katastrophalen Folgen dieses wachsenden Schuldenberges zu analysieren.
Das Militär wird involviert, so sollte innerhalb eines Monats mit Unterstützung der Bundeswehr in Berlin ein Krankenhaus für 1000 Menschen gebaut werden, die Verteidigungsministerin AKK berichtet über eine steigende Anzahl von Amtshilfeersuchen und bringt die Mobilisierung der Reservisten ins Spiel. Diese Mobilisierung des Militärs lässt sich quantitativ in keinster Weise mit der in Frankreich vergleichen, ebenfalls fehlt hier vollkommen jegliche Kriegsrhetorik, dennoch ist die schleichende Stärkung des Militärs und die mediale Verwertung vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte [27]bemerkenswert. Insgesamt sollten die Maßnahmen das Signal aussenden: „Wir tun alles für euch“, und gleichzeitig hat man in Deutschland auf so drakonische Ausgangssperren und Kontaktsperren wie z.B. In Spanien, Italien, Frankreich verzichtet und somit die Bevölkerung hinter ihre Regierung geschart[28].
Hier zeigt sich, dass die deutsche Bourgeoisie im Vergleich mit anderen führenden Staaten im Weltkapitalismus weiterhin in der Lage ist, politisch geschickt zu handeln und ihre politische ‚Intelligenz‘ nicht verloren hat. Nur so ist zu erklären, dass in einer Studie das deutsche Krisenmanagement als weltweit führend eingestuft wird[29]. Diese politische ‚Intelligenz‘ der deutschen Bourgeoisie fußt auf deren historischen Fähigkeit, den revolutionären Ansturm in Deutschland von 1918/19 in viel Blut abgewehrt zu haben. Die damals aktiven konterrevolutionären Elemente aus Gewerkschaften, Sozialdemokratie (Mehrheit- und Unabhängige-), Freikorps und Kapital sind nach weiteren 100 Jahren in einem festen staatskapitalistischen Block ‚zusammengewachsen‘. Dies ist der historische Grund für den ausgeprägten Machtinstinkt.
Dieser drückt sich heute in einer scheinbar größeren Rücksichtnahme auf die Gesundheit der Beschäftigten aus, die jedoch nicht auf einer größeren „Menschlichkeit“, sondern zum einen auf der Sorge um den bestmöglichen, kostengünstigsten Erhalt der Arbeitskraft aber auch auf dem Wissen um die gefährlichen Folgen einer Mobilisierung der Arbeiterklasse in Deutschland basiert. Wir haben bereits an anderer Stelle angeführt, dass die zentrifugalen Kräfte des kapitalistischen Zerfalls und insbesondere der Populismus auch vor Deutschland nicht Halt gemacht haben und dennoch ist der politische Apparat in Deutschland noch weitaus stabiler als in Frankreich, Italien, GB oder erst recht den USA. Es zeigt sich schon jetzt, dass Elemente des Populismus durch die Mobilisierung des Staatsapparates durch die Bourgeoisie teilweise in ihren Maßnahmen aufgenommen und angewandt wurden (es wird sich zeigen, ob dies der Beginn einer Zersetzung des Apparates bedeutet oder ob somit der Populismus besser zu kontrollieren sein wird) und damit die populistische Partei AfD einstweilen geschwächt wird. In dem Krisenmanagement zeigt sich, dass die deutsche Bourgeoisie einen starken Staat, Grenzen zu, Ignoranz gegenüber dem Flüchtlingselend und nationalen Egoismus in ihrem Handlungsreservoir zur Verfügung hat und die AfD nur als lästiger Störenfried übrigbleibt.
In Anbetracht des weltweiten Charakters der Pandemie und der international völlig unzureichenden Vorbereitung hat sich auch die herrschende Klasse in Deutschland dem Sog des jeder für sich nicht entziehen können. Bei der verzweifelten Suche nach Masken wurde auch in Deutschland die Regelung der Bundesregierung, dass medizinische Ausrüstung nur noch exportiert werden darf, wenn der lebenswichtige Bedarf Deutschlands gedeckt ist, zur Anwendung gebracht. Das gilt selbst dann, wenn ein Mangel an Schutzausrüstung in anderen Ländern Menschenleben gefährdet. National geht halt über alles. Und bei dem Versuch, die EU nicht auseinanderfliegen zu lassen, sondern möglichst national abgestimmt in diesem immer stärker werdenden Chaos vorzugehen, hat das deutsche Kapital den Kredithahn zwar nahezu unbegrenzt für die heimische Wirtschaft aufgedreht, aber gegenüber den strauchelnden “Partnern” in Italien, Spanien und der geforderten Einführung von Coronabonds blieb die deutsche Bourgeoisie noch weitgehend unnachgiebig. Welche Konsequenzen dies für die EU haben wird, ist zur Zeit noch nicht abzusehen.
Ebenso lässt sich heute noch nichts über die Aussichten darauf sagen, das immer aggressivere Auftreten des chinesischen Imperialismus in Europa und anderswo abwehren zu können. Der Berg an Folgekosten für die ökonomischen Rettungsmaßnahmen[30], die von den Herrschenden weltweit beschlossen wurden, wird zu einem Anwachsen der Schulden[31] führen, wo die Tendenz des jeder für sich immer verheerender um sich greifen wird. Inmitten dieses Chaos mag die deutsche Bourgeoisie zwar bis dato erfolgreicher als ihre Rivalen gewesen sein, aber als einer der am meisten auf Export und internationale Stabilität angewiesenen Länder kann sie sich trotz gewisser Vorteile nicht auf Dauer den Erschütterungen der Krise und dem damit verbundenen Chaos entziehen. Welche Herausforderungen damit auf die Arbeiterklasse zukommen, werden wir in einem nächsten Artikel behandeln.
Gerald, 23. April 2020
[1] Ob die derzeit noch exponentiell ansteigende Ansteckungsrate bei dem ehemaligen Blockgegner Russland ein ähnlich verheerendes Niveau erreichen wird, ist derzeit noch nicht vorherzusehen https://russland.ahk.de/corona-krise/liveticker [33]
[2] https://www.nytimes.com/2020/04/04/world/europe/germany-coronavirus-deat... [34] https://www.welt.de/politik/deutschland/article207060585/Corona-Niedrige... [35]
[3] Dies illustriert bereits sehr gut den Begriff der “Durchkapitalisierung”, mit dem die ökonomische Logik der Verwertung und der Kapitalanhäufung mit dem Zwang zum Wachstum (Kapitalakkumultation) unter dem obersten Ziel des Profits gemeint ist.
[4] “auf der Tagung »Krankenhaus statt Fabrik«, Stuttgart, 20. Oktober 2018) ergibt sich von 1993 bis 2016 trotz gestiegener Fallzahlen, verkürzter Liegezeit und damit erhöhter Arbeitsintensität ein Minus im Ist-Bereich von 289.000 auf 277.000, also 12.000 Pflegekräften. Im errechneten Soll-Bereich nach Pflegepersonalregelung (PPR) bei Annahme eines um 20 Prozent erhöhten Personalbedarfs durch Leistungszuwachs ergibt sich sogar eine Differenz von 143.000 Pflegekräften.” https://gesundheit-soziales.verdi.de/mein-arbeitsplatz/krankenhaus/++co+... [36]
[6] https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/pflegeheim-umfrage/ [38] https://www.tagesschau.de/inland/pflege-notstand-101.html [39] https://www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/gesund/gesund-arbeit/... [40]
[8] Anfang der 2000er tötete ein Pfleger in Norddeutschland mehr als 100 Patienten ohne das dies auffiel. https://www.stern.de/panorama/stern-crime/krankenpfleger-niels-hoegel-ve... [42]
[10] Siehe auch das Buch von Mike Davis dazu: https://www.assoziation-a.de/buch/Vogelgrippe [44]
[12] “Die haben sich tatsächlich Laminierfolie im Baumarkt besorgt und daraus eine Art Schild hergestellt, der über Augen und Mund reicht. Jetzt müssen wir Krankenpfleger uns also schon selbst einkleiden, weil der Staat keinen brauchbaren Notfallplan für eine Pandemie hatte!” https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/berliner-intensivpfleger-ueber-... [46]
[13] https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-aerzte-pfleger-ansteckun... [47] https://www.zeit.de/arbeit/2020-04/pflegekraefte-corona-krise-einschuech... [48]
[15] So forderten noch am 7. April Ärzte, Kranken- und OP-Schwestern sowie weitere Beschäftigte aus mehr als 20 Krankenhäusern in Brandenburg in einem offenen Brief an die Landesregierung: „Das Land Brandenburg muss einen Weg finden, Masken, Schutzkittel, Schutzbrillen, Handschuhe und Desinfektionsmittel zu produzieren – sofort!!“ und „Unsere Krankenhäuser wurden zu Fabriken und Gesundheit zur Ware“
[16] “Mit seinen derzeit 1400 Todesfällen kommt Deutschland auf eine Sterblichkeitsrate von 1,5 Prozent. Das ist sehr niedrig verglichen mit 12 Prozent in Italien, rund 10 Prozent in Spanien, Frankreich und Großbritannien, 4 Prozent in China und 2,5 Prozent in den USA. Selbst Südkorea, das immer wieder als Vorbild genannt wird, weist mit 1,7 Prozent eine höhere Todesrate auf.” https://www.welt.de/politik/deutschland/article207060585/Corona-Niedrige-Todesrate-New-York-Times-ueber-die-deutsche-Ausnahme.html [35]. Mittlerweile sind die Todesfälle auf über 5.000 angestiegen (Stand 22.4.2020)
[17] “Im Januar gab es rund 28.000 solcher Intensivbetten oder 34 pro 100.000 Menschen. Zum Vergleich: In Italien sind es zwölf und in den Niederlanden sieben.” https://www.welt.de/politik/deutschland/article207060585/Corona-Niedrige... [35]
[18] “...Ausdruck des zunehmenden Kontrollverlustes der Bourgeoisie über das Funktionieren der Gesellschaft, der sich im Wesentlichen daraus ergibt, was im Kern ihres Zerfalls liegt, der Unfähigkeit der beiden grundlegenden Klassen der Gesellschaft, eine Antwort auf die unlösbare Krise zu geben, in die die kapitalistische Wirtschaft versinkt. Mit anderen Worten, der Zerfall ist im Wesentlichen das Ergebnis der Ohnmacht der herrschenden Klasse, einer Ohnmacht, die in ihrer Unfähigkeit verwurzelt ist, diese Krise in der kapitalistischen Produktionsweise zu überwinden, und die zunehmend dazu neigt, ihren politischen Apparat zu beeinflussen.” https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der [8]
[19] “Und so sei der Entscheidung am frühen Dienstagmorgen ein hitziges Wortgefecht zwischen Vorstand und den in Wolfsburg traditionell sehr einflussreichen Arbeitnehmervertretern rund um den Betriebsratschef Bernd Osterloh vorangegangen. Wie kurzfristig der Entschluss gefallen ist, zeigt sich auch daran, dass noch nicht geklärt ist, wie VW den Stopp arbeitsrechtlich umsetzen will.” https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/coronavirus-volkswagen-daimler-1.... [50]
[20] “In der Metall- und Elektroindustrie haben die Tarifpartner einen Pilotabschluss in Nordrhein-Westfalen erzielt. Unter dem Eindruck der Coronakrise einigten sich IG Metall und Arbeitgeber darauf, die Löhne in diesem Jahr nicht zu erhöhen.” https://www.spiegel.de/wirtschaft/arbeitgeber-und-ig-metall-einigen-sich... [51]
[21] Der DAX stürzt von fast 14.000 (Mitte Februar) auf unter 9.000 Punkten ab. Das Land Bayern ruft bereits am 16. März den Katastrophenfall aus,
[22] Diese Tendenz zur “alternativlosen” Diktatur der Experten müssen wir an anderer Stelle noch einmal aufnehmen, doch sie tauchte auch schon in der Klimabewegung auf und die gleiche Alternativlosigkeit der (ökonomischen) Experten diktierte auch die politische Handlung während der Griechenland-Krise der EU. Trotz der politischen Cleverness des Großteils der herrschenden Klasse lässt sich damit eine gewisse politische “Feigheit” derselben nicht verbergen, denn es handelt sich dabei auch um eine Vorgehensweise, den Klassencharakter der Angriffe hinter einer scheinbar “ideologie-freien/neutralen” Wissenschaft zu verstecken.
[23] Eine kurze Chronologie: https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-deutschland-chronik-1.48... [52]
[24] die Automobilindustrie macht mit über 800.000 Beschäftigten einen Großteil der deutschen Industrie aus
[25] Am 22. April wird gar beschlossen, dass Kurzarbeitergeld von 60 bzw 67% auf 80 bzw 87% zu erhöhen.
[27] Dass man in diesen Tagen neue Kampfflugzeuge als Ersatz für die ‘veralteten’ Tornadojets bestellen und dabei vor hohen Ausgaben nicht zurückschreckt, ist nicht widersprüchlich, sondern gehört zusammen.
[28] In Umfragen erzielt Merkel die höchste Zustimmung in dieser Legislaturperiode und insbesondere die CDU verzeichnete starke Gewinne, so dass schon Gerüchte über eine fünfte Amtszeit gestreut werden: https://www.merkur.de/politik/coronavirus-deutschland-angela-merkel-kanz... [54]
[29] "Deutschland hat im Vergleich zu den anderen Ländern derzeit das beste Sicherheits- und Stabilitätsranking in Europa und gehört auch weltweit zu den führenden Nationen in Sachen Krisenmanagement", zitiert der "Spiegel" Dimitry Kaminsky, Gründer von DKG. Zudem habe Deutschland "äußerst effizient" agiert.“ https://www.dkv.global/safety-ranking [55]
[30] Dies wird die IKS in weiteren Analysen untersuchen. Wir fordern unsere LeserInnen auf, unsere internationale Presse zu verfolgen und sich an der Debatte über die Einschätzung der Lage, der Perspektiven und unseren Aufgaben zu beteiligen.
[31] Wir fordern alle LeserInnen dazu auf, sich intensiver mit der Resolution zur internationalen Lage vom 23. Internationalen Kongress der IKS auseinanderzusetzen: „Nicht nur die Ursachen der Krise 2007-2011 sind nicht gelöst oder überwunden, sondern auch die Schwere und die Widersprüche der Krise sind auf ein höheres Niveau gerückt: Es sind nun die Staaten selbst, die mit der erdrückenden Last ihrer Schulden konfrontiert sind (den „Staatsschulden“), die ihre Interventionsfähigkeit zur Wiederbelebung ihrer jeweiligen Volkswirtschaften weiter beeinträchtigen. „Schulden wurden eingesetzt, um die ungenügenden Absatzmärkte zu kompensieren, doch dies führt zu keinem Wachstum, wie die ab 2007 einsetzende Finanzkrise verdeutlicht. Wie auch immer, all die Maßnahmen, die zur erneuten Beschränkung der Schulden ergriffen werden, konfrontieren den Kapitalismus mit seiner Überproduktionskrise, und das in einem internationalen Kontext der permanenten Zuspitzung und Begrenzung des Spielraums für finanzielle Manöver.“(Resolution zur internationalen Lage, 20. Kongress der IKS, 2013)“, Resolution zur internationalen Lage (2019): imperialistische Spannungen, Leben der Bourgeoisie, Wirtschaftskrise https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationa... [8]
Bevor die Flutwelle der Covid-19-Krise über den Planeten fegte, waren die Kämpfe der Arbeiterklasse in Frankreich, Finnland, den USA und anderswo Anzeichen für eine neue Stimmung im Proletariat, für einen Unwillen, sich den Forderungen einer sich ausbreitenden Wirtschaftskrise zu beugen. Insbesondere in Frankreich haben wir Anzeichen einer Wiedererlangung der Klassenidentität gesehen, die durch jahrzehntelangen kapitalistischen Zerfall, durch das Aufkommen einer populistischen Strömung untergraben wurde, die die tatsächlichen Spaltungen in der Gesellschaft verzerrte und die in Frankreich mit einer gelben Weste auf die Straße ging.
In diesem Sinne hätte die Covid-19-Pandemie zu keinem schlechteren Zeitpunkt für den Kampf des Proletariats kommen können: Gerade als die Arbeiterklasse begann, auf die Straßen zu strömen, sich zu Demonstrationen zusammenzuschließen, um wirtschaftlichen Angriffen zu widerstehen, deren Ursprünge in der kapitalistischen Krise schwer zu verbergen sind, hatte die Mehrheit der Arbeiterklasse kaum eine andere Wahl, als sich in die vier Wände zurückzuziehen, große Versammlungen zu vermeiden, sich unter den Augen eines mächtigen Staatsapparates "selbst zu isolieren", der in der Lage war, angesichts eines unsichtbaren Feindes, der – wie man uns sagt – nicht zwischen Arm und Reich, Boss und Arbeiter unterscheidet, lautstark zur "nationalen Einheit" aufzurufen.
Die Schwierigkeiten, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert ist, sind real und tiefgreifend, und wir werden sie in diesem Artikel weiter untersuchen. Aber was in gewisser Weise bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass trotz der allgegenwärtigen Furcht vor Ansteckung, trotz der scheinbaren Allmacht des kapitalistischen Staates, die Anzeichen der Kampfbereitschaft der Klasse, die wir im Winter gesehen haben, nicht einfach verflogen sind, sondern dass wir in einer ersten Phase und angesichts der schockierenden Nachlässigkeit und der mangelnden Vorbereitung der Bourgeoisie sehr weit verbreitete Abwehrbewegungen der Arbeiterklasse gesehen haben. Die Arbeiter und Arbeiterinnen auf der ganzen Welt haben sich geweigert, wie "Lämmer auf die Schlachtbank" zu gehen, vielmehr haben sie einen entschlossenen Kampf zur Verteidigung ihrer Gesundheit, ihres Lebens selbst geführt und angemessene Sicherheitsmaßnahmen oder die Schließung von Unternehmen gefordert, die nicht in der wesentlichen Produktion tätig sind (wie z.B. Autofabriken).
Sie haben auf globaler Ebene stattgefunden angesichts des globalen Charakters der Pandemie, aber eines ihrer wichtigsten Elemente ist, dass sie in den zentralen Ländern des Kapitalismus, insbesondere in den Ländern, die am stärksten von der Krankheit betroffen sind, deutlicher zutage getreten sind: In Italien beispielsweise erwähnt die Internationalistische Kommunistische Tendenz spontane Streiks im Piemont, in Ligurien, in der Lombardei, im Veneto, in der Emilia Romagna, in der Toskana, in Umbrien und in Apulien[1]. Es waren vor allem die italienischen Fabrikarbeiter, die als erste die Parole "Wir sind keine Lämmer zum Schlachten" erhoben. In Spanien: Streiks bei Mercedes, FIAT, Balay-Haushaltsgeräten; Streiks bei Telepizza gegen die Schikanierung von Arbeitern und Arbeiterinnen, die bei der Auslieferung von Pizzas nicht ihr Leben riskieren wollten, und weitere Proteste von Lieferarbeitern und -arbeiterinnen in Madrid. Das vielleicht Wichtigste von allem – nicht zuletzt, weil es das Bild einer amerikanischen Arbeiterklasse in Frage stellt, die sich unkritisch hinter der Demagogie von Donald Trump versammelt habe – gab es in den USA weit verbreitete Kämpfe: Streiks bei FIAT in Indiana, bei Warren Trucks, von Busfahrern in Detroit und Birmingham Alabama, in Häfen, Restaurants, in der Lebensmittelverteilung, in der Abwasserentsorgung, im Baugewerbe; Streiks bei Amazon (welches Unternehmen auch in einigen anderen Ländern von Streiks betroffen ist), bei Whole Foods, Instacart, Walmart, FedEx usw. Auch in den USA haben wir eine große Zahl von Mietstreiks erlebt. Dies ist eine Form des Kampfes, die zwar nicht automatisch Proletarier und Proletarierinnen einbezieht, aber auch keineswegs klassenfremd ist (wir könnten zum Beispiel die Mietstreiks von Glasgow anführen, die ein integraler Bestandteil der Arbeiterkämpfe während des Ersten Weltkriegs waren, oder den Merseyside-Mietstreik 1972, der die erste internationale Welle von Kämpfen nach 1968 begleitete). Und insbesondere in den USA besteht eine reale Gefahr der Zwangsräumung, die über vielen der "eingesperrten" Sektoren der Arbeiterklasse schwebt.
In Frankreich und Großbritannien sind solche Bewegungen weniger verbreitet gewesen. Aber wir haben auch in diesen Ländern inoffizielle Streiks von Postangestellten und von Bauarbeitern gesehen, von Lagerarbeitern und bei der Müllabfuhr in Großbritannien, Streiks auf den Werften von Saint Nazaire in Frankreich, bei Amazon in Lille und Montelimar, bei ID Logistics usw. In Lateinamerika sind als Beispiele Chile (Coca-Cola), Hafenarbeiter in Argentinien und Brasilien, Packer in Venezuela zu nennen. In Mexiko: "In der mexikanischen Stadt Ciudad Juárez, die an El Paso, Texas, grenzt, haben sich Streiks ausgebreitet, an denen Hunderte von Maquiladora-Arbeitern beteiligt haben, die die Schließung nicht lebenswichtiger Fabriken forderten, die trotz der wachsenden Zahl von Todesopfern durch die COVID-19-Pandemie offen gehalten wurden, darunter 13 Beschäftigte des US-amerikanischen Autositzherstellers Lear. Die Streiks ... folgen ähnlichen Aktionen von Arbeitern in den Grenzstädten Matamoros, Mexicali, Reynosa und Tijuana"[2]. In der Türkei finden Proteststreiks in der Textilfabrik Sarar (gegen den Rat der Gewerkschaften), in der Galataport-Werft sowie von Post- und Telegrafenarbeitern statt. In Australien: Streiks der Hafen- und Vertriebsarbeiter. Die Liste ließe sich leicht erweitern.
Einige der Streiks waren spontan, wie z.B. in Italien, in den US-Autofabriken und in den Zentren von Amazon, und die Gewerkschaften wurden wegen ihrer offenen Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung heftig kritisiert und manchmal frontal bekämpft. Dies geht aus einem Artikel auf libcom.org hervor, der ein breites Panorama der jüngsten Kämpfe in den USA bietet[3]: "Die Arbeiter in den Fiat-Chrysler-Montagewerken Sterling Heights (SHAP) und Jefferson North (JNAP) in Metro Detroit nahmen die Sache gestern Abend und heute Morgen selbst in die Hand und erzwangen eine Produktionsstilllegung, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen.
Die Arbeitsniederlegungen begannen gestern Abend in Sterling Heights, nur Stunden, nachdem die United Auto Workers und die Autohersteller in Detroit eine miese Abmachung getroffen hatten, um die Werke während der globalen Pandemie geöffnet und in Betrieb zu halten... Am selben Tag weigerten sich zahlreiche Beschäftigte des Lear-Seating-Werks in Hammond, Indiana, zu arbeiten und erzwangen die Schließung der Teilefabrik und des nahe gelegenen Montagewerks in Chicago". Der Artikel enthält auch ein Interview mit einem Autoarbeiter:
"Die UAW sollten eigentlich dafür kämpfen, dass wir von der Arbeit freikommen. Die Gewerkschaft und das Unternehmen kümmern sich mehr um die Herstellung von Lastwagen als um die Gesundheit aller. Ich habe das Gefühl, dass sie nichts tun werden, wenn wir nichts unternehmen. Wir müssen uns zusammenschließen. Sie können uns nicht alle entlassen".
Diese Bewegungen sind grundsätzlich auf dem Terrain der Arbeiterklasse: Es geht um die Arbeitsbedingungen (Forderung nach angemessener Sicherheitsausrüstung), aber auch um Krankengeld, unbezahlte Löhne, gegen Sanktionen gegen Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich weigerten, unter unsicheren Bedingungen zu arbeiten, usw. Sie zeigen eine Verweigerung der Selbstaufopferung für das Kapital, also eine Haltung, die in Kontinuität mit der Fähigkeit der Klasse steht, dem Drang zum Krieg zu widerstehen, der seit dem Wiederaufleben der Klassenkämpfe 1968 ein grundlegender Faktor in der Weltsituation ist.
Obwohl die Beschäftigten des Gesundheitswesens ein außerordentliches Verantwortungsbewusstsein gezeigt haben, das ein Element proletarischer Solidarität ist, haben sie auch ihre Unzufriedenheit mit ihren Bedingungen, ihre Wut über die heuchlerischen Appelle und das Lob der Regierungen zum Ausdruck gebracht, auch wenn dies hauptsächlich in Form von individuellen Protesten und Erklärungen[4] geschah; es gab jedoch auch kollektive Aktionen, einschließlich Streiks, so in Malawi, Simbabwe, Papua-Neuguinea und Demonstrationen von Krankenschwestern in New York.
Aber dieses proletarische Verantwortungsbewusstsein, das auch Millionen dazu veranlasst, die Regeln der Selbstisolierung zu befolgen, zeigt, dass die Mehrheit der Arbeiterklasse die Realität dieser Krankheit akzeptiert, selbst in einem Land wie den USA, das das "Kernland" verschiedener Formen der Verleugnung der Pandemie ist. So haben sich die Kämpfe, die wir gesehen haben, notwendigerweise entweder auf die "wesentlichen" Arbeiter und Arbeiterinnen beschränkt, die für sicherere Arbeitsbedingungen kämpfen – und diese Kategorien werden zwangsläufig eine Minderheit der Klasse bleiben, wie wichtig ihre Rolle auch sein mag – oder auf Arbeiter und Arbeiterinnen, die schon sehr früh in Frage stellten, ob ihre Arbeit wirklich notwendig war, wie die Beschäftigten der Autowerke in Italien und den USA; und so war ihre zentrale Forderung, nach Hause geschickt zu werden (mit dem Lohn des Unternehmens oder des Staates, statt wie viele andere entlassen zu werden). Aber diese Forderung, so notwendig sie auch sein mochte, konnte nur eine Art taktischen Rückzug im Kampf bedeuten, nicht aber seine Intensivierung oder Ausweitung. Es hat Versuche gegeben – z.B. unter den Angestellten von Amazon in den USA –, Kampfversammlungen online abzuhalten, Streikposten unter Einhaltung von Sicherheitsabständen aufzustellen usw., aber es lässt sich nicht vermeiden, dass die Bedingungen der Isolation und Schließung ein riesiges Hindernis für jede unmittelbare Entwicklung des Kampfes darstellen.
Und unter den Bedingungen der Isolation ist es schwieriger, dem gigantischen Sperrfeuer der Propaganda und der ideologischen Verschleierung zu widerstehen.
Jeden Tag werden in den Medien Hymnen an die nationale Einheit gesungen, die auf der Idee beruhen, dass das Virus ein Feind sei, der nicht diskriminiere: In Großbritannien wird die Tatsache, dass Boris Johnson und Prinz Charles mit dem Virus infiziert waren, als Beweis dafür angeführt[5]. Die Bezugnahme auf den Krieg, den Geist des "Blitzkriegs" während des Zweiten Weltkriegs (selbst das Produkt einer großen Propagandaübung, die darauf abzielte, jegliche soziale Unzufriedenheit zu verbergen), ist im Vereinigten Königreich unaufhörlich zu hören, insbesondere mit den Lobeshymnen auf einen 100 Jahre alten Luftwaffenveteranen, der Millionen für den NHS sammelte, indem er 100 Längen seines großen Gartens vollendete. In Frankreich hat sich Macron auch als Kriegsführer präsentiert; in den USA bemühte sich Trump, Covid-19 als das "chinesische Virus" zu definieren und lenkte damit von dem beklagenswerten Umgang seiner Regierung mit der Krise ab und spielte mit dem gewohnten Thema "America First". Überall – auch im Schengen-Raum der Europäischen Union – wurde die Schließung der Grenzen als das beste Mittel zur Eindämmung der Ansteckung hervorgehoben. Regierungen der nationalen Einheit wurden dort gebildet, wo einst scheinbar unlösbare Spaltungen herrschten (wie in Belgien) oder wo Oppositionsparteien mehr denn je "loyal" gegenüber den nationalen "Kriegsanstrengungen" werden.
Der Appell an den Nationalismus geht Hand in Hand mit der Darstellung des Staates als der einzigen Kraft, die die Bürger und Bürgerinnen schützen kann, sei es durch die energische Durchsetzung der Abriegelung oder in seiner freundlicheren, sanfteren Gestalt als Helfer der Bedürftigen, sei es durch die Billionen, die zur Aufrechterhaltung entlassener Arbeiter und Selbständiger, deren Unternehmen schließen mussten, ausgegeben werden, oder durch die vom Staat verwalteten Gesundheitsdienste. In Großbritannien ist der "National Health Service" seit langem eine heilige Ikone fast der gesamten Bourgeoisie, vor allem aber der Linken, die ihn als ihre besondere Errungenschaft betrachtet, da er von der Labour-Regierung der Nachkriegszeit eingeführt wurde, die ihn trotz der bösen Übergriffe der Privatunternehmer irgendwie als außerhalb der kapitalistischen Kommodifizierung stehend darstellt. Dieses Lob auf den NHS und ähnliche Institutionen wird unterstützt durch die wöchentlichen Beifallsrituale und das unaufhörliche Loben der Gesundheitsangestellten als Helden, vor allem von denselben Politikern, die im letzten Jahrzehnt und darüber hinaus maßgeblich dazu beigetragen haben, die Gesundheitsdienste in den Ruin zu treiben.
Laut dem linken Labour-Politiker Michael Foot war Großbritannien dem Sozialismus nie näher als während des Zweiten Weltkriegs, und heute, wo der Staat die Sorge um die unmittelbare Rentabilität beiseite schieben muss, um die Gesellschaft zusammenzuhalten, hat die alte Illusion, dass "wir heute alle Sozialisten sind" (eine Idee, die von der herrschenden Klasse während der revolutionären Welle nach 1917 allgemein geäußert wurde), durch die massiven Ausgaben, die den Regierungen durch die Covid-19-Krise auferlegt wurden, neuen Auftrieb erhalten. Der einflussreiche linke Philosoph Slavoj Zizek scheint in einem Youtube-Interview mit dem Titel "Kommunismus oder Barbarei"[6] zu implizieren, dass die Bourgeoisie selbst nun gezwungen sei, Geld als bloßen Abrechnungsmechanismus zu behandeln, als eine Form von Arbeitszeitgutscheinen, völlig losgelöst vom tatsächlichen Wert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Barbaren zu Kommunisten werden. In Wirklichkeit ist die zunehmende Trennung von Geld und Wert das Zeichen der völligen Erschöpfung des kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisses und damit die Notwendigkeit des Kommunismus, aber die Missachtung der Marktgesetze durch den bürgerlichen Staat ist alles andere als ein Schritt zu einer höheren Produktionsweise: Sie ist der letzte Wall dieser zerfallenden Ordnung. Und es ist vor allem die Funktion des linken Flügels des Kapitalismus, dies vor der Arbeiterklasse zu verbergen, sie von ihrem eigenen Weg abzulenken, der den Ausbruch aus der Umklammerung durch den Staat und die Vorbereitung seiner revolutionären Zerstörung erfordert.
Aber im Zeitalter des Populismus hat die Linke kein Monopol auf vorgetäuschte Systemkritik. Die unzweifelhafte Realität, dass der Staat diese Krise überall dazu nutzen wird, seine Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung zu verstärken – und damit die Realität einer herrschenden Klasse, die sich unaufhörlich "verschwört", um ihre Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten – gibt Anlass zu einem neuen Auftrieb von "Verschwörungstheorien", nach denen die wahre Gefahr von Covid-19 abgelehnt oder gar geleugnet wird: Es handle sich um einen "Scamdemic", der von einer finsteren Kabale von Globalisten unterstützt werde, um ihre Agenda einer "Weltregierung" durchzusetzen. Und diese Theorien, die in den USA besonders einflussreich sind, sind nicht auf den Cyberspace beschränkt. Die Trump-Fraktion in den USA hat diese Suppe mit der Behauptung angereichert, es gebe Beweise dafür, dass Covid-19 aus einem Labor in Wuhan entkommen sei – auch wenn die US-Geheimdienste dies bereits ausgeschlossen haben. China hat mit ähnlichen Anschuldigungen gegen die USA geantwortet. Auch in den USA gab es große Proteste, die eine Rückkehr an den Arbeitsplatz und ein Ende des Lockdown forderten, die von Trump angefeuert und oft durch die umliegenden Verschwörungstheorien (sowie durch religiöse Phantasien: Die Krankheit ist real, aber wir können sie mit der Kraft des Gebetes besiegen) inspiriert wurden. Es hat auch einige rassistische Angriffe auf Menschen aus dem Fernen Osten gegeben, die für das Virus verantwortlich gemacht werden. Es besteht kein Zweifel, dass solche Ideologien Teile der Arbeiterklasse betreffen, insbesondere diejenigen, die keinerlei finanzielle Unterstützung von Arbeitgebern oder dem Staat erhalten, aber die Demonstrationen zur Rückkehr an den Arbeitsplatz in den USA scheinen hauptsächlich von kleinbürgerlichen Elementen angeführt worden zu sein, die bestrebt sind, ihre Unternehmen wieder zum Laufen zu bringen. Wie wir gesehen haben, haben viele Arbeiter und Arbeiterinnen dafür gekämpft, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen!
Diese gewaltige ideologische Offensive verstärkt die objektive Atomisierung, die durch den Lockdown auferlegt wird, die Angst, dass jemand außerhalb seines Haushalts eine Quelle von Krankheit und Tod sein könnte. Und die Tatsache, dass der Lockdown wahrscheinlich noch einige Zeit dauern wird, dass es keine Rückkehr zur Normalität geben wird und dass es weitere Zeiträume der Gefangenschaft geben kann, wenn die Krankheit eine zweite Welle durchläuft, wird die Schwierigkeiten, denen sich die Arbeiterklasse gegenübersieht, eher noch verschärfen. Und wir können es uns nicht leisten, zu vergessen, dass diese Schwierigkeiten nicht mit dem Lockdown begannen, sondern eine lange Geschichte hinter sich haben, vor allem seit Beginn der Periode des Zerfalls nach 1989, die einen tiefgreifenden Rückzug sowohl der Kampfbereitschaft als auch des Bewusstseins, einen wachsenden Verlust der Klassenidentität, eine Verschärfung der Tendenz des "Jeder-für-sich" auf jeder Ebene erlebt hat. Somit markiert die Pandemie als klares Produkt des Zerfallsprozesses eine neue Etappe in diesem Prozess, eine Intensivierung all seiner charakteristischsten Elemente[7].
Nichtsdestotrotz hat die Covid-19-Krise die Aufmerksamkeit in einem noch nie dagewesenen Ausmaß auch auf die politische Dimension gelenkt: Die täglichen Gespräche sowie das unaufhörliche Geplapper der Medien konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Pandemie und den Lockdown, die Reaktion der Regierungen, die Notlage der Beschäftigten im Gesundheits- und anderen "lebenswichtigen" Bereichen und die Probleme des täglichen Überlebens eines großen Teils der Bevölkerung insgesamt. Zweifellos ist der Markt der Ideen durch die verschiedenen Formen der vorherrschenden Ideologie weitgehend in die Enge getrieben worden, aber es gibt immer noch Ecken, an denen eine bedeutende Minderheit grundlegende Fragen über das Wesen dieser Gesellschaft stellen kann. Die Frage, was im gesellschaftlichen Leben "wesentlich" ist, wer die lebensnotwendigste Arbeit leistet und dafür so elend bezahlt wird, die Nachlässigkeit der Regierungen, die Absurdität nationaler Spaltungen angesichts einer globalen Pandemie, die Frage, in was für einer Welt wir nach Covid leben werden: Dies sind Fragen, die nicht völlig ausgeblendet oder umgeleitet werden können. Und die Menschen sind nicht völlig atomisiert: Die Eingeschlossenen nutzen soziale Medien, Internetforen, Video- oder Audiokonferenzen nicht nur, um die Lohnarbeit fortzusetzen oder mit Familie und Freunden und Freundinnen in Kontakt zu bleiben, sondern auch, um die Situation zu diskutieren und Fragen nach ihrer tatsächlichen Bedeutung zu stellen. Auch die physische Begegnung (wenn in der erforderlichen sozialen Distanz...) mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Wohnblocks oder des Viertels kann zum Schauplatz von Diskussionen werden, auch wenn man das wöchentliche Ritual des Applauses nicht mit echter Solidarität oder lokale gegenseitige Hilfsgruppen nicht mit dem Kampf gegen das System verwechseln sollte.
In Frankreich wurde eine Losung populär, die lautete: "Kapitalismus ist der Virus, Revolution ist der Impfstoff". Mit anderen Worten, die Minderheiten der Klasse führen Diskussionen und Überlegungen zu ihrem logischen Abschluss. Die "Avantgarde" dieses Prozesses besteht aus jenen zum Teil sehr jungen Elementen, die klar begriffen haben, dass der Kapitalismus völlig bankrott ist und dass die einzige Alternative für die Menschheit die proletarische Weltrevolution ist – mit anderen Worten, aus jenen, die sich auf kommunistische Positionen und damit auf die Tradition der kommunistischen Linken zubewegen. Das Erscheinen dieser Generation von Menschen "in der Forschung" für den Kommunismus stellt die bestehenden Gruppen der kommunistischen Linken vor eine immense Verantwortung im Prozess des Aufbaus einer kommunistischen Organisation, die in der Lage sein wird, in den zukünftigen Kämpfen des Proletariats eine Rolle zu spielen.
Die Abwehrkämpfe, die wir in der Frühphase der Pandemie gesehen haben, der Reflexionsprozess, der während der Abriegelung vor sich ging, sind Hinweise auf das intakte Potenzial des Klassenkampfes, der zwar ebenfalls für einen beträchtlichen Zeitraum "abgeriegelt" sein kann, der aber längerfristig soweit reifen könnte, dass er sich offen äußern kann. Die Unfähigkeit des Kapitalismus, eine große Zahl der auf dem Höhepunkt der Krise Entlassenen wieder einzugliedern, die Notwendigkeit, dass die Bourgeoisie die "Geschenke" zurückholen muss, die sie im Interesse der sozialen Stabilität verteilt hat, die neue Sparrunde, zu der die herrschende Klasse gezwungen sein wird: Dies wird sicherlich die Realität der nächsten Etappe der Covid-19-Geschichte sein, die gleichzeitig eine Geschichte der historischen Wirtschaftskrise des Kapitalismus und seines fortschreitenden Zerfalls ist. Auch eine Geschichte der sich verschärfenden imperialistischen Spannungen, da verschiedene Mächte versuchen, die Covid-19-Krise zu nutzen, um die globale Hackordnung weiter zu stören: Insbesondere könnte es eine neue Offensive des chinesischen Kapitalismus geben, die darauf abzielt, die USA als führende Weltmacht herauszufordern. Auf jeden Fall kündigen Trumps Versuche, China für die Pandemie verantwortlich zu machen, bereits eine zunehmend aggressive Haltung der USA an. Von den Arbeitern und Arbeiterinnen werden Opfer verlangt, um die Welt nach Covid "wiederaufzubauen" und die nationale Wirtschaft gegen die Bedrohung von außen zu verteidigen.
Auch hier müssen wir vor jeglichem Immediatismus (der Illusion gegenüber unmittelbaren Lösungen) warnen. Eine wahrscheinliche Gefahr – angesichts der gegenwärtigen Schwäche der Klassenidentität und des wachsenden Elends, von dem alle Schichten der Weltbevölkerung betroffen sind – besteht darin, dass die Antwort auf weitere Angriffe auf den Lebensstandard in Form von klassenübergreifenden, "Volksaufständen" erfolgen könnte, bei denen die Arbeiter nicht als eigenständige Klasse mit ihren eigenen Methoden und Forderungen auftreten. Wir haben vor dem Lockdown eine Welle solcher Aufstände gesehen, und selbst während der Abriegelung sind sie im Libanon und anderswo bereits wieder aufgetaucht, was die Tatsache unterstreicht, dass diese Art von Reaktion in den "peripheren" Regionen des kapitalistischen Systems ein besonderes Problem darstellt. Ein kürzlich veröffentlichter UN-Bericht warnte davor, dass Teile der Welt, insbesondere in Afrika und in vom Krieg verwüsteten Ländern wie Jemen und Afghanistan, infolge der Pandemiekrise Hungersnöte "biblischen Ausmaßes" erleben werden, was auch die Gefahr verzweifelter Reaktionen ohne Perspektive erhöht[8].
Wir wissen auch, dass die Massenarbeitslosigkeit in einer ersten Phase die Arbeiterklasse tendenziell lähmen kann: Die Bourgeoisie kann sie nutzen, um die Arbeitenden zu disziplinieren und Spaltungen zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen zu schaffen, und es ist an sich ohnehin schwieriger, die Schließung von Unternehmen zu bekämpfen, als sich Angriffen auf Löhne und Arbeitsbedingungen zu widersetzen. Und wir wissen, dass die Bourgeoisie in Zeiten offener Wirtschaftskrisen immer nach Alibis suchen wird, die das kapitalistische System vom Haken nehmen: Anfang der 70er Jahre war es die "Ölkrise", 2008 waren es "die gierigen Bankiers". Wenn man heute den Job verloren hat, wird man dem Virus die Schuld geben. Aber diese Ausreden sind gerade deshalb nötig, weil die Wirtschaftskrise und insbesondere die Massenarbeitslosigkeit eine Anklage gegen die kapitalistische Produktionsweise ist, deren Gesetze sie letztlich daran hindern, ihre Sklaven und Sklavinnen zu ernähren.
Mehr denn je müssen Revolutionäre Geduld haben. Wie es im Kommunistischen Manifest heißt, zeichnen sich Kommunisten und Kommunistinnen durch ihre Fähigkeit aus, "die Marschrichtung, die Bedingungen und die allgemeinen Endergebnisse der proletarischen Bewegung" zu verstehen. Die Massenkämpfe unserer Klasse, ihre Verallgemeinerung und Politisierung, ist ein Prozess, der sich über einen langen Zeitraum entwickelt und viele Fortschritte und Rückschritte durchläuft. Aber wir praktizieren nicht bloße Wunscherfüllung, wenn wir, wie am Ende unseres internationalen Flugblatts über die Pandemie, darauf bestehen, dass "die Zukunft dem Klassenkampf gehört"[9].
Amos 12.05.2020
[1] https://www.leftcom.org/en/articles/2020-03-14/italy-we-re-not-lambs-to-the-slaughter-class-struggle-in-the-time-of-coronavirus [56]
[3] https://libcom.org/article/workers-launch-wave-wildcat-strikes-trump-pushes-return-work-amidst-exploding-coronavirus [58]
[4] Siehe die Reaktionen von Gesundheitspersonal in Belgien und Frankreich: https://fr.internationalism.org/content/10107/covid-19-des-reactions-face-a-lincurie-bourgeoisie [59]. Die Erklärung des belgischen Arbeiters ist in englischer Sprache in unserem Internetforum, Post 59, zu finden: https://en.internationalism.org/forum/16820/corona-virus-more-evidence-capitalism-has-become-danger-humanity [60]
[5] Dieser Verzicht wurde bis zu einem gewissen Grad durch die sich mehrenden Hinweise darauf untergraben, dass die ärmsten Elemente der Gesellschaft, einschließlich ethnischer Minderheiten, von dem Virus viel härter getroffen werden.
[7] Wir haben einige dieser Schwierigkeiten in der Klasse in verschiedenen Texten untersucht, zuletzt unter https://en.internationalism.org/content/16707/report-class-struggle-formation-loss-and-re-conquest-proletarian-class-identity [62]
In ihrer Nr. 530 vom Oktober/November 2018 veröffentlichte Le Prolétaire, ein Organ der Internationalen Kommunistischen Partei - Le Prolétaire, eine Antwort (Die Schwärmereien der IKS über den Populismus) auf zwei Artikel, die wir unter dem Titel: Die Schwächen der IKP in der Frage des Populismus verfasst hatten. Diese Artikel waren bereits eine erste Antwort auf ihren vorherigen Artikel: Populismus, sagten Sie Populismus? (Le Prolètaire Nr. 523), der unsere Analyse des gegenwärtigen Populismus kritisiert. Wir setzen hier diese Polemik fort, die wir für wesentlich halten, sowohl für die Konfrontation zwischen zwei verschiedenen Methoden im Kampf für die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse, als auch für die unerlässliche Klärung der Analyse der aktuellen Situation im Proletarischen Politischen Milieu.
Revolutionäre untersuchen einen historischen Zeitraum und eine historische Situation als Kräfteverhältnis zwischen den beiden bestimmenden Klassen der Gesellschaft – der Bourgeoisie und dem Proletariat. Diese Analyse gehört zur höchsten Verantwortung der revolutionären Organisationen und war in den Schlüsselmomenten des proletarischen Kampfes immer entscheidend. Als Beispiel: Dank der Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen und derjenigen der „Doppelherrschaft“ korrigierte Lenin in den Aprilthesen von 1917 die Orientierung der Bolschewistischen Partei gegenüber der Provisorischen Regierung von Fürst Lwow und Kerenski. Ebenso konnte die Bolschewistische Partei im Juli 1917, weil sie die Realität des Kräfteverhältnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie verstanden hatte, die von der Provisorischen Regierung aufgestellte Falle eines vorzeitigen Aufstands vereiteln.
Umgekehrt hat die Fehleinschätzung dieses Kräfteverhältnisses durch eine revolutionäre Organisation, unabhängig vom Grad ihres Einflusses auf die Arbeiterklasse immer sehr schwere, ja katastrophale Folgen gehabt. So hatte die Entscheidung Karl Liebknechts, als trotz der heftigen sozialen Unruhen in Deutschland im Januar 1919 die Bedingungen noch nicht reif waren, in Berlin zum Aufstand aufzurufen, tragische Folgen für das gesamte internationale Proletariat, weil er zur blutigen Niederschlagung der Revolution in Deutschland führte und der Bourgeoisie erlaubte, der Ausbreitung der Weltrevolution einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Ebenso wurde Trotzkis opportunistische und aktivistische Haltung in den 1930er Jahren, die aus seinen Illusionen über eine mögliche positive Entwicklung des Stalinismus und seinem Unverständnis für die Notwendigkeit der Fraktionsarbeit herrührte, durch seine Unterschätzung der weltweiten Konterrevolution und des damals völlig ungünstigen Kräfteverhältnisses für das Proletariat noch verschlimmert. All dies veranlasste Trotzki unter anderem dazu, für die Bildung von Einheitsfronten mit bürgerlichen Parteien einzutreten, als Mittel gegen den Aufstieg des Faschismus. Ebenso vertrat er eine katastrophale Position während des Krieges in Spanien von 1936-38, als er behauptete, dass es „eine hybride, verwirrte, halb blinde und halb taube Revolution“ gegeben habe, die in eine „sozialistische Revolution“ umgewandelt werden könne, wenn es an der Spitze des bürgerlichen Staates „revolutionäre Führer“ gäbe. Einige dieser Fehler basierten auf Trotzkis Verwirrung über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, was ihn 1938, als die Kräfte der Revolutionäre nicht nur völlig zersplittert, sondern auch stark dezimiert waren, zum Fehler der Gründung einer „Vierten Internationale“ führte. Diese tragischen Irrtümer führten zu schrecklichen Massakern an der Arbeiterklasse im Krieg in Spanien, der Auftakt der blutigen imperialistischen Konfrontation von 1939-1945 war. Diese Politik steuerte die trotzkistischen Organisationen während des Zweiten Weltkriegs direkt in den Verrat und den Übertritt ins bürgerliche Lager. Deshalb haben wir, insbesondere in Anlehnung an Bilan und die Französische Kommunistische Linke, stets die entscheidende Bedeutung der Analyse über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen betont.
Von dem Moment an, als die Gesellschaft in eine neue historische Periode eintrat – die Periode der Kriege und Revolutionen, wie sie der Erste Kongress der Kommunistischen Internationale bezeichnete –, wurde es für revolutionäre Organisationen entscheidend, alle Konsequenzen zu ziehen, welche diese Veränderung der historischen Periode mit sich brachten. Die Kommunistische Linke setzte diese Arbeit nach dem Triumph der Konterrevolution durch die Niederschlagung der revolutionären Welle von 1917-1923 fort. Mit diesem Ansatz konnte die IKS den allgemeinen Rahmen für die Analyse des Eintritts des Kapitalismus in die Periode der Dekadenz erstellen. Wir konnten noch weiter gehen, indem wir zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Ostblocks 1989 den Eintritt des Kapitalismus in seine letzte Phase des Zerfalls erkannten[1]. Mit diesem theoretischen Rahmen, der sich auf die historische und globale Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen stützt, ist die IKS in der Lage, eine Analyse von Phänomenen wie dem Populismus zu entwickeln, die für die Zerfallsphase des Kapitalismus typisch sind.
Natürlich ist Le Prolétaire mit diesem Analyserahmen nicht einverstanden, was seine völlig reduzierte Interpretation der marxistischen Methode offenbart.
Wenn Le Prolétaire als Antwort auf die IKS kategorisch behauptet, dass „es nicht „ideologische“ Faktoren, sondern materielle Bedingungen sind, die die Proletarier in die Kampfbewegungen drängen und drängen werden, ihre Spaltungen überwinden lassen, die ihnen die Erkenntnis geben, dass sie derselben sozialen Klasse angehören, derselben Ausbeutung unterworfen sind, und die die avantgardistischen Elemente in diesen Bewegungen dazu drängen werden, eine Parteiorganisation aufzubauen, die den Kampf führt“, so beschreibt er damit bloß die elementarste Ebene des Klassenkampfes. Auch wir anerkennen voll und ganz, dass die materiellen Bedingungen für die Arbeiterklasse als Zusammenspiel objektiver Faktoren (das Ausmaß der Wirtschaftskrise, das Ausmaß der Angriffe der Bourgeoisie usw.) eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung des Klassenbewusstseins spielen. Aber die IKP vergisst dabei, dass subjektive Faktoren (Kampfbereitschaft, Überzeugung, Moral, Solidarität, Organisation, Bewusstsein, Theorie) sehr schnell eine wichtige Rolle für das Proletariat spielen, bis sie in einer revolutionären Periode entscheidend werden. Das brachte Marx dazu, zu sagen: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift“ [2]. Diese Wirkungsweise wurde durch den Verlauf der Revolution in Russland lebhaft bestätigt. Es ist diese entscheidende Rolle des Bewusstseins, die Trotzki in den Mittelpunkt seiner Geschichte der Russischen Revolution stellte, als er schrieb: „Der Stand des Bewusstseins der Volksmassen, als entscheidende Instanz revolutionärer Politik, schloss somit im Juli die Möglichkeit der Machtergreifung durch die Bolschewiki aus“[3], und er auf folgende Worte Lenins Bezug nahm: „Wir sind keine Scharlatane: Wir stützen uns lediglich auf das Bewusstsein der Massen“.[4]
Bordiga hatte genau dies bei seiner Rückkehr ins militante politische Leben nach dem Zweiten Weltkrieg (die Geburtsstunde des Bordigismus) vergessen, was ihn dazu veranlasste, das Bewusstsein außerhalb des proletarischen Kampfes bis zur Revolution völlig zurückzuweisen und es auf die Partei zu reduzieren. Damit wertet die IKP den Klassenkampf auf eine Summe oder Abfolge fast automatischer und mechanischer materieller Bestimmungen ab, die zu jedem Zeitpunkt des Kapitalismus gültig sind. Jede andere Konzeption sei „Idealismus“. Genau das wirft uns die IKP in ihrem Artikel hinter den Begriffen „Geschwafel“ und „Launen“ vor, was eine wirkliche Antwort verhindert. Im selben Atemzug, wie sie die Bedeutung des Bewusstseinsfaktors im Kampf des Proletariats leugnet, verwirft die IKP auch die historische Dimension der Entwicklung des Kapitalismus und veranlasst sie dazu, die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus, die wir verteidigen, abzulehnen.
Damit verlässt die IKP die historische Dimension und den konkreten Kontext der Entfaltung des Klassenkampfes, welche zu einer wesentlichen Errungenschaft des Marxismus gehören. Das Klassenbewusstsein ist keineswegs ein abstrakter Faktor, sondern eine materielle Kraft, wie Marx und Engels immer klar unterstrichen haben. Das Bewusstsein und das Niveau dieses Bewusstseins zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt sind nicht nur aktiver, sondern auch entscheidender Faktor, was bei einer Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen grundlegend ist und zwingend berücksichtigt werden muss.
Mit anderen Worten, es gibt nicht nur objektive Faktoren, sondern auch subjektive Faktoren, d.h. Faktoren, die mit dem Zustand und dem Entwicklungsstand des Klassenbewusstseins des Proletariats zusammenhängen und seine Stärke auf dem politischen Terrain bestimmen. Deshalb haben wir immer unterstrichen, dass im Kapitalismus das Proletariat, da es keine wirtschaftliche und materielle Macht besitzt, nur über zwei Waffen des Kampfes verfügt: sein Bewusstsein und seine Organisation.
Allgemeiner gesagt, sind die von der Bourgeoisie gestreuten und instrumentalisierten Ideen und Ideologien auch materielle Kräfte im Dienste ihrer Herrschaft und Ausbeutung. Die von der Bourgeoisie verbreiteten Mystifikationen und Illusionen spielen in konkreten Situationen eine aktive Rolle. Es gibt also einen konkreten Kampf, den das Proletariat führen muss, um die Manöver der ideologischen Propaganda der Bourgeoisie zu entlarven, insbesondere die gewichtigen demokratische Mystifizierung und jede Ideologie, die darauf abzielt, die Arbeiterklasse zu spalten: Rassismus/Antirassismus, Populismus/Antipopulismus, Totalitarismus/Demokratie, usw. Die IKP übersieht die große und aktive Rolle der Entwicklung des Bewusstseins des Proletariats im revolutionären Prozess, indem sie dieses Bewusstsein nur auf die Partei reduziert, auf welchem sie (und nur sie selbst) das „Monopol“ habe. Indem die IKP die Entwicklung des Klassenbewusstseins auf diese Ansammlung von materiellen Bedingungen reduziert, gerät sie in einen rein mechanischen Determinismus, d.h. in die Falle einer Sichtweise, welche dem des vulgären Materialismus gleicht und in ihrer Substanz Geist und Materie entgegenstellt: die absolute Bestimmung durch die materiellen und wirtschaftlichen Produktionsverhältnisse, unter Ausschluss „der Welt der Ideen“, d.h. die Verleugnung und Ablehnung der materiellen Kraft des Denkens und der Reflexion in der Klasse selbst. Diese verengte Sichtweise hat Konsequenzen, die insbesondere die IKP dazu führt, sich zu verselbständigen und sich in falsche, aus der Vergangenheit geerbten Theorien einzuhüllen.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt in ihrer Kritik an unserem sogenannten „Idealismus“, der Zeugnis davon gibt, wie die IKP die Grundlagen des Marxismus auf den Kopf stellt: „Die IKS hat die völlig idealisierte Sichtweise einer Arbeiterklasse ohne Widersprüche, ohne verschiedene Schichten, ohne innere Spaltungen (...). Im Gegensatz zu diesem Märchen ist es wichtig zu verstehen, dass die Spaltung und Unterwerfung der Arbeiterklasse materielle Grundlagen hat“. Diese Auffassung führt die IKP dazu, an der Theorie der „Arbeiteraristokratie“ festzuhalten, die wir bereits in unserem vorherigen Artikel kritisiert haben.
Abgesehen von der saloppen Ironie in seiner Antwort („In diesem Punkt befinden wir uns in guter Gesellschaft, da die IKS behauptet, dass diese Auffassung bereits ein Irrtum von Engels und Lenin gewesen sei!“), stützt sich Le Prolétaire in der Tat auf eine falsche Vision, die sie aus Lenins[5] Buch Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus geerbt hat.[6]
Niemand bestreitet, dass es in der Arbeiterklasse immer Unterschiede bei Löhnen, Lebens- und Arbeitsbedingungen gibt, welche die Bourgeoisie immer versucht zu verstärken, hervorzuheben und zu instrumentalisieren, um damit das Wesen und den historischen Charakter der assoziierten und einheitlichen Klasse des Proletariats zu verbergen. Aber wir haben diesen Begriff der „Arbeiteraristokratie“ immer kritisiert, weil er die grundlegende Einheit des Proletariats als politische Klasse und seine Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ missachtet und damit von kategorischen soziologischen Spaltungen und angeblichen Antagonismen konkurrierender Interessen innerhalb der Arbeiterklasse ausgeht. Die IKP hält an dieser soziologischen und fotografischen Sicht auf die Arbeiterklasse fest, verliert deren Wesen, Rolle und politische Orientierung aus den Augen, und gerät dadurch in eine ideologische Falle, wenn sie über die Spaltung des Proletariats in verschiedene Schichten spricht. Was die Arbeiter und Arbeiterinnen zum Kampf drängt, sind nicht nur die materiellen Bedingungen, denen sie unterworfen sind, sondern auch der Entwicklungsstand ihres Klassenbewusstseins im Kampf, der keineswegs linear oder kontinuierlich ist. Wegen ihrer Unzulänglichkeiten in der marxistischen Methode vergisst die IKP, dass das Proletariat fähig ist, sich in seinem Kampf gegen die Ausbeutung zu vereinen, und dass es dies in den höchsten Momenten seiner Geschichte (von der Pariser Kommune 1871, 1917 in Russland, Mai 1968 in Frankreich, bis hin zu den Kämpfen in Polen 1980) bewiesen hat, auch in Sektoren, in denen das Proletariat besser bezahlt wird. Die Bourgeoisie gibt sich in der Tat Mühe, die Arbeiterklasse als eine hoffnungslos gespaltene Klasse darzustellen, die bloß branchenspezifische und von der Konkurrenz geprägte Interessen verteidige. Doch die Realität der Arbeiterklasse, des Proletariats als Klasse, beruht auf ihrer tiefen Einheit. Das Proletariat kann, wie der Marxismus immer unterstrichen hat, seine Klassenidentität nur durch den Kampf und die Bekräftigung seiner Einheit und Solidarität auf der Grundlage des damit verbundenen Charakters seiner Arbeit innerhalb des Kapitalismus erkennen, sich so als revolutionäre Klasse behaupten und damit die existierenden Spaltungen überwinden. Die IKP verwechselt hier die bloße Existenz des Proletariats mit dem tatsächlich heterogenen und ungleichen Prozess, der bei der Entwicklung seiner Kämpfe und seines Klassenbewusstseins abläuft.
Wenn der Artikel von Le Prolétaire zur Rechtfertigung seiner Position einer „Arbeiteraristokratie“ behauptet, dass „es eine materialistische Analyse ist, um den bürgerlichen Einfluss (und insbesondere den Einfluss kollaborierender Parteien und Organisationen) auf das Proletariat zu erklären“, vertritt er die Auffassung, dass die linken Parteien und die Gewerkschaften „kollaborierende“ Arbeiterorganisationen seien, obwohl es aber in Wirklichkeit darum ginge, sie als bürgerliche Organe zu denunzieren, die unwiederbringlich in das bürgerliche Lager übergegangen sind. Zur Verteidigung seiner Theorie fügt Le Prolétaire hinzu: „Es ist ganz bewusst, dass die Kapitalisten einigen Schichten des Proletariats bestimmte Vorteile und bestimmte „Garantien“ (Sonderstatuten usw.) gewähren, um den sozialen Frieden in bestimmten Wirtschaftszweigen oder in der Wirtschaft insgesamt zu sichern. Diese Schichten bilden die Massenbasis der reformistischen Organisationen“. Es ist zwar richtig, dass die Bourgeoisie in ganz bestimmten historischen Momenten in der Lage ist, freiwillig und sehr bewusst, gezielte wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen. Aber zu welchem Zweck? Es geht nicht darum, einen Teil des Proletariats zu „kaufen“, wie die IKP impliziert, „um die reformistische Ideologie zu verewigen“, sondern darum, es zu spalten und zu versuchen, die Arbeiter und Arbeiterinnen gegeneinander auszuspielen, indem man den Forderungen eines bestimmten Sektors oder in einem Unternehmen nachkommt. Eine Strategie, die vor allem angewendet wird, wenn die Mehrheit der Proletarier und Proletarierinnen im Kampf nichts anderes als die tiefe Bitterkeit der Niederlage erfährt, wie im Kampf in den Krankenhäusern in Frankreich 1988, wo nur die Krankenschwestern ein paar Krümel bekamen, oder in vielen Kämpfen, wie im jüngsten Streik bei General Motors in den USA, wo sie einen Wettbewerb zwischen Arbeitern provozierten, indem sie sie in die Verteidigung der Fabrik, des Unternehmens, der Region oder des Landes lockten. Strategien der herrschenden Klasse zur Kontrolle des Proletariats sind nicht neu, vor allem nicht durch neue Gesetzgebungen der Ausbeutung, wie Rosa Luxemburg in ihrer Einführung in die Nationalökonomie über die Bedeutung von Arbeitsschutzgesetzen erinnert: „Das Kapital mußte also im eigenen Interesse, um sich für die Zukunft die Ausbeutung zu ermöglichen, der Ausbeutung in der Gegenwart einige Schranken setzen. Die Volkskraft mußte etwas geschont werden, um ihre weitere Ausbeutung zu sichern. Von einer unwirtschaftlichen Raubwirtschaft mußte zur rationellen Ausbeutung übergegangen werden. Daraus sind die ersten Gesetze über den Maximalarbeitstag entstanden, wie die gesamte bürgerliche Sozialreform entsteht. Ein Gegenstück dazu haben wir in den Jagdgesetzen. Ebenso wie dem Edelwild eine bestimmte Schonzeit durch Gesetze gesichert wird, damit es sich rationell verbreitet und regelmäßig als Gegenstand der Jagd dienen kann, ebenso sichert die Sozialreform eine gewisse Schonzeit der Arbeitskraft des Proletariats, damit sie rationell zur Ausbeutung durch das Kapital dienen kann. Oder wie Marx sagt: Die Beschränkung der Fabrikarbeit war diktiert durch dieselbe Notwendigkeit, welche die Landwirte zwingt, den Dünger über die Felder auszugießen. Die Fabrikgesetzgebung wird im harten jahrzehntelangen Kampf mit dem Widerstand der Einzelkapitalisten erst für Kinder und Frauen und in einzelnen Industrien Schritt für Schritt geboren.“ (www.mlwerke.de/lu/lu05/lu05_739.htm [65])
Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist voll an historischen Beispielen, die zeigen, dass die herrschende Klasse nicht nur darauf bedacht ist, die Ausbeutung der Arbeitskraft zu rationalisieren, sondern dass es immer ein zentrales Ziel war, eine strenge Kontrolle über die Arbeiter auszuüben, zum Beispiel durch die Schaffung neuer Gewerkschaftsstrukturen. Bereits vor 1905 gab es in Russland das bekannte Beispiel der „Subatow-Gewerkschaften“ unter Kontrolle und direktem Befehl der zaristischen Polizei. Dies war in vielen Ländern vor allem auch kurz nach 1945 der Fall mit dem Sonderstatus der Beamten sowie bestimmten Schlüsselsektoren der Industrie (Strom- und Gasversorgung, Eisenbahnen, etc.) oder durch Lohnerhöhungen, die eine Erhöhung des Lebensstandards der Arbeiter und Arbeiterinnen ermöglichten, weil dies der herrschenden Klasse erlaubte, die Arbeiterklasse unter dem Joch der Nachkriegsausbeutung im Dienste der „nationalen Wiederaufbaubemühungen“ zu halten (das berühmte „Ärmel hochkrempeln!“ des französischen Ministers Thorez und seiner stalinistischen Gefolgsleute in einer aus dem Résistance hervorgegangenen Regierung der Nationalen Einheit). All dies durch die Mystifizierung von Verstaatlichungen und dem angeblich „arbeiterfreundlichen“ Charakter dieser Maßnahmen. Desgleichen in den folgenden Jahren während der Periode der „Glorreichen 30 Jahre“ (oder des „Wirtschaftswunders“), als die Bourgeoisie die Illusion einer beispiellosen wirtschaftlichen Neuentwicklung des Kapitalismus nach Überwindung seiner Krisen aufrechterhalten konnte. Während die Bourgeoisie der westlichen Länder den Arbeitern vorgaukelte, dass sie etwas vom Kapitalismus zu gewinnen hätten, ging es in Wahrheit darum, sie dazu zu bringen, die weitere Militarisierung der Wirtschaft, das Wettrüsten und eine permanente Kriegswirtschaft zu akzeptieren, mit dem Ziel, sie auf kriegerische Auseinandersetzungen mit dem gegnerischen Block vorzubereiten und zu mobilisieren. So wurde in Frankreich im Kontext des Kalten Krieges die Gewerkschaft Force Ouvrière (FO) 1947 auf Initiative der Bourgeoisie, insbesondere der Sozialdemokratischen Partei (SFIO) die in den 1950er Jahren eine zentrale Rolle in der Regierung spielte, bewusst ins Leben gerufen, um die Arbeiter im westlichen Lager und im pro-atlantischen Geist zu halten. Ziel war es, dem Einfluss der von der stalinistischen KPF kontrollierten CGT entgegenzuwirken, deren Einfluss die Gefahr mit sich brachte, dass das Kräfteverhältnis zugunsten des gegnerischen russischen Blocks kippt. Ebenso in Italien 1950 mit der Gründung der Gewerkschaft CISL (von der regierenden Christdemokratischen Partei gesponsert) und der UIL (von der Sozialdemokratischen Partei gesponsert) gegen die von den Stalinisten kontrollierte CGIL.
Wenn die Gewährung gezielter wirtschaftlicher „Vorteile und Garantien“ für bestimmte Sektoren, oder sogar für die ganze Klasse, tatsächlich eine bewusste Politik der Bourgeoisie unter diesem oder jenem Umstand oder in einem ganz bestimmten historischen Kontext sein kann, macht die IKP jedoch eine völlig falsche Interpretation davon, die zur eigenartigen Schlussfolgerung einer sogenannten „Klassenkollaboration der reformistischen Organisationen“ führt. Im Gegensatz zur verkürzten Vision der Wirklichkeit, die von der Theoretisierung der „Arbeiteraristokratie“ herrührt, ist die grundlegende und zentrale Frage, die dem Proletariat gestellt wird und die die IKP nicht sieht, die totalitäre Herrschaft des Staatskapitalismus als universelle Herrschaftsform der Bourgeoisie. Dies ist ein grundlegendes Merkmal der Zeit seit der Niederlage der weltrevolutionären Welle von 1917-1923 und Kennzeichen der Dekadenz dieses Systems, entweder direkt und brutal wie unter den stalinistischen Regimes oder indirekt in „demokratischer“ Form: die staatliche Kontrolle über die Wirtschaft und über die gesamte Gesellschaft. Anstelle einer Methode, welche die Entwicklung eines lebendigen analytischen Rahmens für Erfahrungen und Lehren, die von einem Klassenstandpunkt aus abgeleitet werden können, ermöglicht, hält Le Prolétaire daran fest, sich in „invariante“ Schemata einzuschließen und Formeln aus der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen, ohne die historische Entwicklung der kapitalistischen Herrschaft wirklich zu berücksichtigen. So sprechen sie weiterhin von „reformistischen Organisationen“, „Klassenzusammenarbeit“, oder sogar von „Schichten, die Ausdruck einer Arbeiteraristokratie sind“, während in Tat und Wahrheit die Gewerkschaften wie auch die ehemaligen Arbeiterparteien nicht nur definitiv zu Organisationen mit bürgerlichem Charakter geworden sind, sondern auch vollständig in den Staatsapparat integriert sind und als dessen wesentliches Instrument der Herrschaft und Ausbeutung agieren. Ihre spezifische Funktion innerhalb des Staatsapparates besteht in der ausschließlichen Verteidigung seiner Interessen, indem sie es ermöglichen, dem Proletariat ein Korsett und einen Maulkorb anzulegen. In diesem Sinne sind sie sowohl die besten Verteidiger der Bourgeoisie als auch die schlimmsten und gefährlichsten Feinde des Proletariats. Einen Teil des bürgerlichen Staatsapparats als „reformistische Organisationen“ zu bezeichnen und dabei die Tatsache zu ignorieren, dass diese ehemaligen Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften, Sozialdemokratie, sog. „Kommunistische Parteien“, trotzkistische Organisationen) angesichts von Krieg oder Revolution unwiderruflich in die Reihen der Bourgeoisie eingegliedert und zu erklärten Feinden des Proletariats geworden sind, hält die Illusion aufrecht, dass sie immer noch Arbeiterorganisationen seien[7]. Dies ist von Seiten einer Organisation des proletarischen Lagers wie der IKP unverantwortlich, weil es eine grundlegende Konfusion aufrechterhält, welche die herrschende Klasse gegen die Entwicklung des Klassenbewusstseins im Proletariat einsetzt.
Wenn eine proletarische Organisation an einer starren Vision der Vergangenheit festhält, ohne die dialektische und lebendige Dynamik im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu berücksichtigen, ohne die Lehren und Erfahrungen der Arbeiterbewegung zu berücksichtigen, läuft sie Gefahr, schwerwiegende Fehler zu begehen und Lehren zu ziehen, die nicht nur falsch, sondern auch sehr gefährlich sind. Mit einer dermaßen engen und reduzierten Sichtweise hat die IKP immer implizit geglaubt, dass das Proletariat in den zentralen Ländern des Kapitalismus nie wirklich aus der Konterrevolution herausgekommen ist. Da sie nicht in der Lage war, das Wiederaufflammen der proletarischen Kämpfe, das mit dem Mai 1968 in Frankreich eröffnet wurde, auf internationaler Ebene zu erkennen, konnte die IKP auch nicht die Gefahr einschätzen, die von der Schwächung des Klassenbewusstseins seit dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime des ehemaligen Ostblocks Ende der 1980er Jahre ausgeht. Diese Gefahr ist mit der bürgerlichen Propaganda verbunden, die den Stalinismus mit dem Kommunismus gleichsetzt und das Vertrauen eines großen Teils des Proletariats in die Perspektive einer kommunistischen Gesellschaft untergräbt. Le Prolétaire wirft uns vor, bei unserer Analyse des Populismus in die Falle der bürgerlichen Propaganda zu tappen (darauf werden wir im zweiten Teil dieses Artikels zurückkommen). Die IKP kann unsere Analyse des Populismus als eines der Merkmale der Zerfallsphase des Kapitalismus nicht verstehen, weil sie unseren Rahmen der Dekadenz des Kapitalismus und seine Auswirkungen auf den Kampf des Proletariats ablehnen.
(Fortsetzung folgt)
Wim, 4. Februar 2020
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Die Internationale Kommunistische Partei (Le Prolétaire) gehört zur langen Tradition der Italienischen Kommunistischen Linken, von der auch die IKS abstammt. Für uns ist es eine Gruppe, die dem Proletarischen Politischen Milieu angehört, trotz der Meinungsverschiedenheiten, die uns trennen. Unsere Polemik, offen und manchmal bitter, ist Ausdruck der notwendigen und vitalen Debatte, die sich im revolutionären Lager entwickeln muss. Die 1943 unter dem Namen Partito Comunista Internazionalista (PCInt) geborene, in ihrer heutigen Form seit 1952 (Datum der Abspaltung von der Gruppe um Onorato Damen, die ihre Tätigkeit bis heute um die Zeitung Battaglia Comunista fortsetzt) bestehende PCI (auf deutsch IKP) gruppiert sich heute im Wesentlichen in Frankreich und Italien mit den Zeitschriften Programma Comunista oder Le Prolétaire. Die IKP besteht darauf, in der Kontinuität der Kommunistischen Internationale und der Italienischen Kommunistischen Linken zu stehen, doch im Namen der „Invarianz des Marxismus“ kehrte die IKP dem gesamten Erbe der Zeitschrift Bilan den Rücken. In den 1930er Jahren und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sammelten sich die revolutionären Elemente der Italienischen Kommunistischen Linken um die Zeitschrift Bilan, um den Marxismus am Leben zu erhalten, da sie wussten, dass man der Konterrevolution entgegentreten musste, indem sie die wahren Lehren aus dieser schrecklichen Periode zog. Über den Antifaschismus, die Dekadenz des Kapitalismus, die Gewerkschaften, die nationale Befreiung, die Bedeutung der Degeneration der Russischen Revolution, den bürgerlichen Charakter der stalinistischen Parteien, über den Staat in der Übergangsperiode oder den Aufbau der „Partei“ wurden alle Erkenntnisse von Bilan seit der Entstehung der IKP beiseite gelegt. Diese politischen und theoretischen Fehler führten dazu, dass die IKP politische Aktivitäten ausübte, die für die Arbeiterklasse nur nachteilig waren. So konstituierte sich die IKP auf der Grundlage eines Ansatzes, der den Beiträgen von Bilan zur Frage der Fraktion und der Partei völlig entgegengesetzt war, als eine revolutionäre „Partei“, während jedoch die Arbeiterklasse schon vor dem Zweiten Weltkrieg komplett geschlagen und nicht in der Lage war, ihr Haupt zu erheben. Es ist derselbe Verzicht auf die grundlegenden Errungenschaften von Bilan, der die IKP dazu veranlasste, die stalinistischen Parteien als „reformistisch“ und die Trotzkisten als „Opportunisten“ zu betrachten und nicht als das, was sie wirklich sind: bürgerliche Parteien. Für die IKP gibt es diese Klassengrenze hier nicht. Ebenso lenkte die IKP den Anti-Parlamentarismus der historischen Italienischen Kommunistischen Linken (der 1919 geborenen „Abstinenzfraktion“, deren Hauptvertreter Bordiga war) auf das Terrain einer „Taktik“, rief zur Teilnahme an Wahlen und Referenden auf und verteidigte gleichzeitig „demokratische Rechte“, darunter das Wahlrecht für Immigranten. Darüber hinaus können in den Augen der IKP irgendwelche gewerkschaftliche „Taktiken“, frontistische Allianzen, bis hin zur „kritischen“ Unterstützung terroristischer Gruppen wie der Action Directe in Frankreich die Massen „organisieren“. So sah die IKP 1980 während der großen Streiks in Polen in der Gewerkschaft Solidarnosc, deren einzige Aktivität darin bestand, den Kampf zu sabotieren, den „Organisator“ der Arbeiterklasse. Aber wenn die Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei (PCInt) 1943, die viele Militante der Italienischen Kommunistischen Linken sammelte, nicht ohne große theoretische und organisatorische Verwirrungen verlief, so verdankt es diese Gruppe der Kampferfahrung, mit der sie verbunden ist, dass sie immer auf einem Klassenterrain geblieben ist, und damit eine Organisation des proletarischen Lagers bleibt.
[1] Siehe dazu: Der Zerfall, die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus, Internationale Revue Nr. 13 /content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [3]
[2] Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843)
[3] Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution, Kapitel „Konnten die Bolschewiki im Juli die Macht ergreifen?“
[4] ebenda, Kapitel „Die Bolschewiki und die Sowjets“
[5] Lenin greift tatsächlich einen Begriff auf, der bereits von Marx verwendet wurde, aber in einem ganz anderen Sinne. Marx beschreibt im ersten Band des Kapitals den am besten bezahlten Teil des Proletariats, um aufzuzeigen, dass auch er von der Krise betroffen ist und unter deren Auswirkungen im Elend versinkt.
[6] In diesem Werk stützt sich Lenin auf Passagen in Briefen von Engels an Marx bzw. Kaustky, in denen er davon spricht, dass „das englische Proletariat faktisch mehr und mehr verbürgert“ bzw. die englischen Arbeiter „flott mit von dem Weltmarkts- und Kolonialmonopol Englands“ zehren würden. Davon ausgehend theoretisiert Lenin zwei gefährliche Konzeptionen: Einerseits die Aufteilung der Proletarier in „obere“ Schichten (die „Arbeiteraristokratie“) und „untere“ Schichten, die ihm zufolge charakteristisch für das „imperialistische und monopolistische“ Stadium der Herrschaft des Kapitalismus seien. Und andererseits, dass das Proletariat der wichtigsten kolonialistischen Länder Privilegien genießen würde, die mit der Ausbeutung des Proletariats der kolonialisierten Länder verbunden seien. Es ist eine Infragestellung der Einheit des Proletariats als ausgebeutete Klasse, die im Zentrum der marxistischen Sichtweise steht, zugunsten einer soziologischen Vision der Dritten Welt, welche die Propaganda der gesamten linken Ideologie genährt hat und die behauptet, für „nationale Befreiung“ zu kämpfen.
[7] Genau so werden diese Parteien auch von linken bürgerlichen Organisationen als opportunistische oder zentristische oder „degenerierte Arbeiterparteien“ qualifiziert, die sich ebenfalls der Theoretisierung der „Arbeiteraristokratie“ bedienen, diese aber bewusst zu einem Faktor der Spaltung des Proletariats machen.
Der kaltblütige Polizistenmord an George Floyd hat in ganz Amerika und in der ganzen Welt Empörung hervorgerufen. Jeder weiß, dass dies der jüngste in einer langen Reihe von Polizistenmorden ist, bei denen Schwarze und Immigranten die Hauptopfer waren. Nicht nur in den USA, sondern auch in Großbritannien, in Frankreich und anderen "demokratischen" Staaten. In den USA hat die Polizei im März Breonna Taylor in ihrem eigenen Haus erschossen. In Frankreich wurde Adama Traoré 2016 in Polizeigewahrsam erstickt. In Großbritannien wurde Darren Cumberbatch 2017 von der Polizei zu Tode geprügelt. Dies ist nur die Spitze des Eisbergs.
Und bei der Reaktion auf die Proteste, die zuerst in den USA ausbrachen, hat die Polizei gezeigt, dass sie bereits eine militarisierte Terrormacht ist, mit oder ohne Unterstützung der Armee. Die brutale Unterdrückung der Demonstranten - 10.000 Verhaftungen in den USA - zeigt, dass die Polizei in den USA wie in anderen "demokratischen" Ländern genauso handelt wie die Polizei in offen diktatorischen Regimen wie Russland oder China.
Die Wut über all dies ist echt, und sie wird sowohl von Weißen als auch von Schwarzen, von Latinos, Asiaten und vor allem von der Jugend geteilt. Aber wir leben in einer Gesellschaft, die in materieller und ideologischer Hinsicht von einer herrschenden Klasse, der Bourgeoisie oder der Kapitalistenklasse, beherrscht wird. Doch Wut an sich, wie gerechtfertigt sie auch sein mag, reicht nicht aus, um das System, das hinter der Polizeigewalt steckt, in Frage zu stellen oder die vielen Fallen der Bourgeoisie zu umgehen. Die Proteste wurden nicht von der herrschenden Klasse begonnen. Aber es ist ihr bereits gelungen, sie auf ihr eigenes bürgerliches politisches Terrain zu ziehen.
Bei den ersten Wutausbrüchen in den USA nahmen die Proteste tendenziell die Form von Ausschreitungen an: Supermärkte wurden geplündert, symbolträchtige Gebäude niedergebrannt. Die provokativen Aktionen der Polizei trugen zweifellos zur Gewalt in den ersten Tagen der Proteste bei. Einige der Demonstranten rechtfertigten die Ausschreitungen mit dem Hinweis auf Martin Luther King, der sagte, dass "der Aufstand die Stimme der Ungehörten ist". Und das stimmt: Sie sind ein Ausdruck von Ohnmacht und Verzweiflung. Sie führen streng genommen zu nichts anderem als zu mehr Repression durch einen kapitalistischen Staat, der sich immer gegen unorganisierte, zersplitterte Aktionen auf den Straßen durchsetzen wird.
Aber die von offiziellen Aktivistenorganisationen wie Black Lives Matter vorgeschlagenen Alternativen - friedliche Märsche, die Gerechtigkeit und Gleichheit fordern - sind nicht weniger eine Sackgasse und in gewisser Weise sogar noch heimtückischer, weil sie den politischen Kräften des Kapitals direkt in die Hände spielen. Nehmen wir zum Beispiel die Forderung zur Kürzung/Streichung der Ausgaben für die Polizei, ja sogar zur Abschaffung der Polizei insgesamt. Einerseits ist sie innerhalb dieser Gesellschaft völlig unrealistisch. Sie gleicht der freiwilligen Selbstauflösung des kapitalistischen Staates. Andererseits verbreitet sie Illusionen über die Möglichkeit, den bestehenden Staat im Interesse der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu reformieren - obwohl seine eigentliche Funktion darin besteht, diese im Interesse der herrschenden Klasse unter Kontrolle zu halten.
Dass sich die herrschende Klasse durch solch radikal anmutenden Forderungen keineswegs bedroht fühlt, zeigt die Tatsache, dass innerhalb weniger Tage nach den ersten Protesten kapitalistische Medien und Politiker - vor allem, aber nicht nur die der Linken - wörtlich oder im übertragenen Sinne "auf die Knie gingen", um die Ermordung von George Floyd inbrünstig zu verurteilen und die Proteste enthusiastisch zu unterstützen. Das Beispiel führender Politiker in Apparat der Demokratischen Partei in den USA ist das offensichtlichste, aber schon bald schlossen sich ihnen ihre Amtskollegen aus aller Welt an, darunter auch die wortgewandtesten Vertreter der Polizei. Das ist die bürgerliche Vereinnahmung legitimer Wut.
Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Die Dynamik dieser Bewegung kann nicht in eine Waffe der Ausgebeuteten und Unterdrückten umgewandelt werden, denn sie ist bereits zu einem Instrument in den Händen der herrschenden Klasse geworden. Die gegenwärtigen Mobilisierungen sind kein "erster Schritt" zu einem echten Klassenkampf, sondern werden dazu benutzt, seine Entwicklung und Reifung zu blockieren.
Ohne den Sklavenhandel und die koloniale Unterwerfung der indigenen Bevölkerungen Asiens, Afrikas und Amerikas hätte der Kapitalismus nicht zu dem globalen System werden können, das er heute ist. Der Rassismus ist also in seinen Genen eingeprägt. Von Anfang an hat er rassische und andere Unterschiede genutzt, um die Ausgebeuteten gegeneinander aufzuhetzen, um zu verhindern, dass sie sich gegen ihren wahren Feind - die Minderheit, die sie ausbeutet - vereinen. Aber der Kapitalismus hat auch reichlich Gebrauch von der Ideologie des "Antirassismus" gemacht: die Idee, dass man Rassismus bekämpfen kann, indem man sich nicht nach Klassengrenzen, sondern um diese oder jene unterdrückte Gemeinschaft herum vereint. Sich auf der Grundlage seiner rassischen oder nationalen "Gemeinschaft" zu organisieren, wird zu einem weiteren Mittel, die diesem System zugrundeliegende Klassenspaltung zu verwischen: Es gibt keine "schwarze Gemeinschaft" als solche, denn es gibt sowohl schwarze Kapitalisten als auch schwarze Arbeiter, und sie haben keine gemeinsamen Interessen. Erinnern wir uns nur an das Massaker, das der südafrikanische "Post-Apartheid"-Staat 2012 an streikenden schwarzen Bergarbeitern in Marikana verübte.
Die Ermordung von George Floyd war nicht das Ergebnis eines vorsätzlichen Plans der Bourgeoisie. Aber er hat es der herrschenden Klasse ermöglicht, alle Aufmerksamkeit auf die Frage der Rasse zu richten, während das kapitalistische System als Ganzes seinen völligen Bankrott offenbart.
Angesichts des Verfalls des Kapitalismus ist der Klassenkampf die einzige Alternative. Die kapitalistische Gesellschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Verfallsprozess. Die barbarischen Massaker, die sich nach wie vor über Afrika und den Nahen Osten ausbreiten, die unaufhörlichen Bandenkriege in Lateinamerika, die Millionen Menschen zur Flucht zwingen, sind ein deutliches Symptom dafür, ebenso wie die aktuelle Covid-19-Pandemie und die kapitalistische Verwüstung der Ökologie des Planeten. Zugleich steckt das System in einer unlösbaren Wirtschaftskrise. Nach dem Zusammenbruch von 2008 haben die kapitalistischen Staaten eine brutale Sparstrategie eingeleitet, die darauf abzielt, die Ausgebeuteten für die Krise zahlen zu lassen. Die daraus resultierenden Kürzungen im Gesundheitswesen sind einer der Hauptgründe, warum die Pandemie so katastrophale Auswirkungen hat. Im Gegenzug hat der weltweite Lockdown das System in eine noch tiefere Wirtschaftskrise gestürzt, die sicherlich mit der Depression der 1930er Jahre vergleichbar ist.
Dieser neue Abstieg in der Wirtschaftskrise führt bereits zu weit verbreiteter Verarmung, Obdachlosigkeit und Hunger, nicht zuletzt in den USA, die ihren Arbeitern angesichts von Arbeitslosigkeit oder Krankheit einen absolut minimalen sozialen Rückhalt bieten. Es besteht kein Zweifel, dass das daraus resultierende materielle Elend den Zorn der Proteste geschürt hat. Doch angesichts der historischen Überholtheit einer ganzen Produktionsweise gibt es nur eine Kraft, die sich gegen sie vereinen und die Perspektive einer anderen Gesellschaft bieten kann: die internationale Arbeiterklasse.
Die Arbeiterklasse ist nicht immun gegen die Verrottung der kapitalistischen Gesellschaft: Sie leidet unter all den nationalen, rassischen und religiösen Spaltungen, die durch den finsteren Fortschritt des gesellschaftlichen Zerfalls verschärft werden, am offensichtlichsten durch die Verbreitung populistischer Ideologien. Aber das ändert nichts an der grundlegenden Realität: Die Ausgebeuteten aller Länder, aller Couleur, haben das gleiche Interesse daran, sich gegen die sich verschärfenden Angriffe auf ihre Lebensbedingungen, gegen Lohnkürzungen, Arbeitslosigkeit, Vertreibungen, Kürzungen der Renten und Sozialleistungen - und gegen die Gewalt des kapitalistischen Staates zu verteidigen. Allein dieser Kampf ist die Grundlage für die Überwindung aller Spaltungen, die unseren Ausbeutern zugute kommen, und für den Widerstand gegen rassistische Angriffe und Pogrome in all ihren Formen. Und wenn die Arbeiterklasse sich organisiert, um ihre Kräfte zu vereinen, zeigt sie auch, dass sie die Fähigkeit besitzt, die Gesellschaft auf einer neuen Grundlage zu organisieren. Die Arbeiterräte, die überall auf der Welt im Gefolge der Revolution in Russland 1917 entstanden sind, die überbetrieblichen Streikkomitees (MKS), die im polnischen Massenstreik von 1980 gegründet wurden - sie sind der Beweis dafür, dass der Kampf der Arbeiterklasse auf ihrem eigenen Terrain die Perspektive bietet, auf den Ruinen des kapitalistischen Staates eine neue proletarische Macht zu schaffen und die Produktion für die Bedürfnisse der Menschheit neu zu organisieren.
Zumindest seit einigen Jahrzehnten verliert die Arbeiterklasse das Selbstverständnis als eine dem Kapital entgegengesetzte Klasse, was sowohl das Ergebnis gewaltiger ideologischer Kampagnen (wie z.B. die des "Tod des Kommunismus" nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Form des Kapitalismus) als auch weitreichender materieller Veränderungen (wie die Demontage traditioneller Zentren des Kampfes der Arbeiterklasse in den am stärksten industrialisierten Ländern) ist. Aber kurz bevor sich die Covid-19 Pandemie auf der ganzen Welt ausbreitete, hatten die Streiks im öffentlichen Sektor in Frankreich begonnen, uns zu zeigen, dass die Arbeiterklasse nicht tot und begraben ist. Die Ausbreitung der Pandemie und die weltweite Abriegelung blockierten das unmittelbare Potenzial für eine Ausweitung dieser Bewegung. Aber schon damals, in der ersten Phase des Lockdowns, gab es in vielen Ländern sehr kämpferische Reaktionen der Arbeiterklasse dagegen, wie "Lämmer zur Schlachtbank" geführt zu werden, ohne angemessene Sicherheitsausrüstung zu arbeiten, nur um die Profite der Bourgeoisie zu schützen. Diese Kämpfe - wiederum nicht zuletzt in den USA - gingen bereits über rassische und nationale Grenzen hinweg. Gleichzeitig hat der Lockdown die Tatsache bloßgelegt, dass das Funktionieren dieses Systems vollständig von der "wesentlichen" Arbeit der Klasse abhängt, die es so rücksichtslos ausbeutet.
Die zentrale Frage für die Zukunft der Menschheit lautet hier: Kann die kapitalistische Minderheit die ausgebeutete Mehrheit weiterhin nach Rassen, Religionen oder Nationen spalten und sie so mit ihr auf den Weg in den Abgrund zerren? Oder wird sich die Arbeiterklasse in allen Ländern der Welt als das erkennen, was sie ist - die Klasse, die nach Marx' Worten "revolutionär ist oder nichts ist".
Amos, 11.06.2020
Vor unserem Streifzug durch die Geschichte der Versuche des spanischen Anarchismus, einen "libertären Kommunismus" während des Krieges in Spanien von 1936-39 zu verwirklichen, haben wir den Beitrag der Gauche Communiste de France (GCF) über den Staat in der Übergangsperiode[1] veröffentlicht. Es ist ein Text, der auf den theoretischen Fortschritten der italienischen und belgischen Linksfraktionen in den 1930er Jahren basiert und bereits in mehrfacher Hinsicht über deren Vorstellungen hinausgeht. Die GCF war Teil eines Wiederauflebens proletarischer politischer Organisationen nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber Anfang der 1950er Jahre befand sich das proletarische Milieu in einer schweren Krise, da immer deutlicher wurde, dass die tiefe Niederlage der Arbeiterklasse durch den Krieg nicht verflogen war. Im Gegenteil, der Sieg der Demokratie über den Faschismus hatte die Orientierungslosigkeit des Proletariats weiter verschärft. Das Ende der Konterrevolution, die in den 1920er Jahren begonnen hatte, war noch weit entfernt.
In unserem Buch Die Deutsch-Holländische Linke, insbesondere in Kapitel 11, "Der Communistenbond Spartacus und die 'Rätekommunistische Strömung‘ (1942-50)", haben wir uns mit den bedeutenden Entwicklungen beschäftigt, die in einem Teil der holländischen kommunistischen Linken stattfanden. Der Versuch des Communistenbond Spartacus, sich für Diskussionen mit anderen Strömungen (wie der GCF) zu öffnen und einige der alten Positionen der KAPD wieder einzunehmen, war eine Abkehr von den in den 30er Jahren entwickelten parteifeindlichen Ideen. Diese Fortschritte waren jedoch zerbrechlich, und die grundsätzlich anarchistischen Ideen, die von der Mehrheit der Deutsch-Holländischen Kommunistischen Linken als Reaktion auf die Degeneration des Bolschewismus angenommen worden waren, kehrten bald wieder mit Wucht zurück und trugen zu einem langwierigen Prozess der Auflösung in hauptsächlich lokale Gruppen bei, die sich auf die unmittelbaren Kämpfe der Arbeiter*innen konzentrierten.
1952 löste sich die GCF auf. Zum Einen durch eine Fehldiagnose der historischen Lage, die zu dem Schluss führte, dass ein dritter Weltkrieg unmittelbar bevorstünde, und durch die Abreise von Marc Chirik, dem einflussreichsten Mitglied der GCF, nach Venezuela, und zum Anderen durch eine Kombination aus persönlichen Spannungen und unausgesprochenen politischen Differenzen. Marc kämpfte gegen diese Schwierigkeiten in einer Reihe von Briefen aus der Ferne, in denen er versuchte, die Aufgaben revolutionärer Organisationen unter den historischen Bedingungen, denen sie jetzt gegenüberstanden, darzustellen, aber er konnte den Zerfall der Gruppe nicht aufhalten. Einige seiner ehemaligen Mitglieder schlossen sich der Gruppe Socialisme ou Barbarie um Cornelius Castoriadis an – darüber mehr in einem späteren Artikel.
Im selben Jahr fand eine Spaltung in zwei große Tendenzen innerhalb der Internationalistischen Kommunistischen Partei in Italien statt – Tendenzen, die von Anfang an mehr oder weniger bestanden hatten, die aber in der Lage waren, eine Art Modus Vivendi zu etablieren, als sich die Partei in einer euphorischen Wachstumsphase befand. Als der Rückzug im Klassenkampf immer offensichtlicher wurde, war die Organisation angesichts der Demoralisierung vieler Arbeiter, die sich ihr zu Beginn oberflächlich aktivistisch angeschlossen hatten, gezwungen, über ihre zukünftigen Aufgaben und Ausrichtungen nachzudenken.
Die 1950er und frühen 60er Jahre waren somit eine weitere dunkle Periode für die kommunistische Bewegung, welche vor einer Fortsetzung der tiefen Konterrevolution stand, die in den 30er und 40er Jahren über die Arbeiterklasse hereingebrochen war. Dieses Mal aber vom Bild eines triumphierenden Kapitalismus beherrscht, der sich – vielleicht endgültig – von der katastrophalen Krise der 30er Jahre erholt zu haben schien. Es war vor allem der Triumph des US-Kapitals, der Demokratie, einer Wirtschaft, die relativ schnell von den Sparmaßnahmen der Nachkriegszeit in den Konsumboom der späten 50er und frühen 60er Jahre überging. Sicherlich hatte diese "glorreiche" Periode ihre Schattenseiten, vor allem die unerbittliche Konfrontation zwischen den beiden imperialistischen Supermächten mit ihrer Verbreitung lokaler Kriege und der übergreifenden Bedrohung durch einen nuklearen Holocaust. Darüber hinaus gab es im "demokratischen" Block eine Zunahme der Paranoia über Kommunismus und Subversion, wie die McCarthy-Hexenjagden in den USA zeigten. In dieser Atmosphäre waren die revolutionären Organisationen, wo immer sie noch existierten, noch kleiner und noch isolierter als in den 1930er Jahren.
Diese Periode markierte somit einen tiefen Bruch in der Kontinuität mit der Bewegung, die die Welt nach dem Ersten Weltkrieg erschüttert hatte, und mit den mutigen Minderheiten, die sich der fortschreitenden Konterrevolution widersetzt hatten. Als der Wirtschaftsboom weiterging, erschien die Vorstellung dass der Kapitalismus ein vorübergehendes System sei, das durch seine eigenen inneren Widersprüche zum Scheitern verurteilt war, weit weniger offensichtlich als in den Jahren 1914-1945, als das System von einer gigantischen Katastrophe in die nächste stürzte. War der Marxismus selbst gescheitert? Dies war sicherlich die Botschaft, die eine ganze Reihe von Soziologen und anderen professionellen bürgerlichen Denkern verbreitete, und solche Ideen durchdrangen bald die revolutionäre Bewegung selbst, wie wir in unserer jüngsten Serie über die Dekadenz[2] gesehen haben.
Dennoch war die Generation der Militanten, die von der Revolution oder vom Kampf gegen die Degeneration der von ihr geschaffenen politischen Organisationen gestählt worden war, nicht ganz verschwunden. Einige der Schlüsselfiguren der kommunistischen Linken blieben nach dem Krieg und in der Zeit des Rückzugs in den 50er und 60er Jahren aktiv, und für sie war die Perspektive des Kommunismus trotz allem keineswegs tot und begraben. Pannekoek, der zwar nicht mehr direkt mit einer Organisation verbunden war, veröffentlichte sein Buch über die Arbeiterräte und ihre Rolle beim Aufbau einer neuen Gesellschaft[3]. Bis ins hohe Alter blieb er mit einer Reihe von Gruppen in Kontakt, die nach dem Krieg auftauchten, wie zum Beispiel Socialisme ou Barbarie. Militante, die während des Krieges mit dem Trotzkismus gebrochen hatten, wie Castoriadis und Munis, hielten an einer politischen Aktivität fest und versuchten, eine Vision von dem zu entwerfen, was jenseits des kapitalistischen Horizonts lag. Und Marc Chirik, der über ein Jahrzehnt lang "unorganisiert" war, hatte das revolutionäre Denken und Forschen keineswegs aufgegeben. Als er Mitte der 60er Jahre ins organisierte militante Leben zurückkehrte, hatte er seine Ansichten zu einer Reihe von Fragen geklärt, nicht zuletzt zu den Problemen der Übergangsperiode.
Wir werden in den folgenden Artikeln auf die Schriften von Castoriadis, Munis und Chirik zurückkommen. Wir halten es für richtig, über ihre individuellen Beiträge zu sprechen, auch wenn ihre Arbeit fast immer im Rahmen einer politischen Organisation geleistet wurde. Ein revolutionärer Kämpfer existiert nicht nur als Individuum, sondern als Teil eines kollektiven Organismus, der letztlich von der Arbeiterklasse und ihrem Kampf um das Bewusstsein für ihre historische Rolle hervorgebracht wird. Ein Militanter ist per Definition eine Person, die sich mit aller Entschlossenheit dem Aufbau und der Verteidigung einer politischen Organisation widmet und die somit von einer tiefen Loyalität gegenüber der Organisation und ihren Bedürfnissen motiviert ist. Aber – und hier, wie wir unten sehen werden, unterscheiden wir uns von den von Bordiga entwickelten Vorstellungen – die revolutionäre Organisation ist kein anonymes Kollektiv, in dem der Einzelne seine Persönlichkeit opfert und damit seine kritischen Fähigkeiten aufgibt. Eine gesunde politische Organisation ist eine Assoziation, in der die Individualität der verschiedenen Genossen genutzt und nicht unterdrückt wird. In einer solchen Assoziation ist Platz für die besonderen theoretischen Beiträge der verschiedenen Genossen und natürlich für die Debatte über die Differenzen, die von einzelnen Militanten aufgeworfen werden. Wie wir in dieser Serie festgestellt haben, ist die Geschichte des kommunistischen Programms also nicht nur eine Geschichte der Kämpfe der Arbeiterklasse, nicht nur eine Geschichte der Organisationen und Strömungen, die die Lehren aus diesen Kämpfen gezogen und zu einem kohärenten Programm ausgearbeitet haben, sondern auch der einzelnen Militanten, die in diesem Prozess der Ausarbeitung den Weg gewiesen haben.
In diesem Artikel kommen wir auf die Arbeit der Italienischen Kommunistischen Linken zurück, die vor dem Krieg mit der Fraktion im Exil einen so unersetzlichen Beitrag zum Verständnis der Probleme des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus geleistet hatte. Dieser Beitrag war auf den marxistischen Grundlagen aufgebaut, welche die linkskommunistische Strömung in Italien in der vorangegangenen Phase, der Zeit des imperialistischen Weltkriegs und der revolutionären Welle der Nachkriegszeit, errichtet hatte. Nach dem zweiten imperialistischen Weltkrieg verschwand das theoretische Erbe der Italienischen Linken trotz der Fehler und Schismen, unter denen die Internationalistische Kommunistische Partei litt, nicht. Und während dieses gesamten Zeitraums, ob wir nun die Frage der Übergangsperiode oder andere Fragen anschauen, ist es unmöglich, das Zusammenspiel und oft auch die Opposition zweier führender Militanter dieser Strömung – Onorato Damen und Amadeo Bordiga – zu ignorieren.
Während der stürmischen Jahre von Krieg und Revolutionen von 1914 bis 1926 bewiesen Damen und Bordiga sehr deutlich ihre Fähigkeit, gegen die herrschende Ordnung zu kämpfen, die das Markenzeichen eines kommunistischen Militanten ist. Damen wurde wegen Agitation gegen den Krieg inhaftiert; Bordiga kämpfte unermüdlich, um die Arbeit seiner Fraktion innerhalb der Sozialistischen Partei zu entwickeln und dann auf eine Spaltung mit dem rechten Flügel und den Zentristen und die Bildung einer kommunistischen Partei mit festen Prinzipien zu drängen. Als die neue Kommunistische Internationale selbst Anfang der 1920er Jahre einen opportunistischen Kurs einschlug, stand Bordiga wieder an vorderster Front gegen die Taktiken der Einheitsfront und die "Bolschewisierung" der KP. Er hatte den immensen Mut, sich 1926 bei der Sitzung des Exekutivkomitees der KI in Moskau zu erheben und Stalin als Totengräber der Revolution anzuprangern. Im selben Jahr wurde Bordiga selbst verhaftet und auf die Insel Ustica[4] verbannt. Damen war unterdessen auch aktiv gegen die Versuche der KI, der zunächst von der Linken dominierten italienischen Partei eine opportunistische Politik aufzuzwingen. Zusammen mit Fortichiari, Repossi und anderen gründete er 1926 das Comitato di Intesa (Einigungskomitee)[5]. Während der faschistischen Zeit erlebte er mehr als eine Episode der Gefangenschaft und des Exils, aber er wurde nicht zum Schweigen gebracht, was zu einer Gefangenenrevolte in Pianosa führte.
Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch einen Unterschied in der Reaktion der beiden Militanten, der sehr langfristige Folgen haben sollte. Bordiga, unter Hausarrest gestellt und verpflichtet, alle politischen Aktivitäten einzustellen (wie mild die Faschisten damals schienen!), vermied alle Kontakte zu seinen Genossen und konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit als Ingenieur. Er erkannte an, dass die Arbeiterklasse eine historische Niederlage erlitten hatte, zog aber nicht die gleiche Schlussfolgerung daraus wie die Genossen, die die Fraktion im Exil bildeten. Letztere verstand, dass es nach wie vor notwendig war, eine organisierte politische Aktivität aufrechtzuerhalten, auch wenn dies nicht mehr in Form einer Partei sein konnte. So war Bordiga zum Zeitpunkt der Gründung der Italienischen Fraktion und während des gesamten folgenden äußerst fruchtbaren Jahrzehnts von diesen theoretischen Entwicklungen völlig abgeschnitten[6]. Damen hingegen pflegte die Kontakte und organisierte nach ihrer Rückkehr nach Italien eine Reihe von Genossen aus der Fraktion mit der Idee, zur Bildung der Partei beizutragen. Dazu gehörten Kämpfer wie Stefanini, Danielis und Lecci, die den wesentlichen Positionen der Fraktion in den 30er Jahren und im Krieg treu geblieben waren. 1943 wurde im Norden Italiens der Partito Comunisa Internazionalista (PCInt) ausgerufen; 1945 wurde die Partei nach einer voreiligen Umgruppierung mit Elementen um Bordiga im Süden Italiens[7] "wieder gegründet".
Infolgedessen war die vereinte Partei, die sich um eine von Bordiga geschriebene Plattform herum bildete, von Anfang an ein Kompromiss zwischen zwei Tendenzen. Die Genossen um Damen waren in vielen grundlegenden Klassenpositionen viel klarer, und diese standen nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Entwicklungen der Fraktion – zum Beispiel der ausdrücklichen Übernahme der Theorie der Dekadenz des Kapitalismus und der Ablehnung von Lenins Position zur nationalen Selbstbestimmung.
In diesem Sinne – und wir haben unsere Kritik am tiefgreifenden Opportunismus, der von Anfang an mit der Gründung der Partei verbunden war, nie verheimlicht – zeigte die Tendenz um Damen die Fähigkeit, einige der wichtigsten programmatischen Errungenschaften der Italienischen Fraktion im Exil aufzunehmen und sogar einige der Schlüsselfragen, die innerhalb der Italienischen Fraktion aufgeworfen wurden, zu übernehmen und sich auf eine besser ausgearbeitete Position zuzubewegen. Dies war bei der Gewerkschaftsfrage der Fall: Innerhalb der Fraktion war dies eine ungelöste Debatte gewesen, in der Stefanini als erster die Idee verteidigt hatte, dass die Gewerkschaften bereits in den kapitalistischen Staat integriert worden seien. Obwohl man nicht sagen kann, dass die Position der Damen-Tendenz in der Gewerkschaftsfrage jemals völlig einheitlich war, war sie zweifellos klarer als diejenige, die nach der Spaltung von 1952 zur dominierenden "bordigistischen" Ansicht wurde.
Dieser Klärungsprozess erstreckte sich auch auf die Aufgaben der kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution. Wie wir in früheren Artikeln dieser Serie[8] gesehen haben, war die Fraktion trotz einiger hartnäckiger Vorstellungen über die Partei, die die Diktatur des Proletariats ausübt, im Wesentlichen über diese Position hinausgegangen, indem sie daran festhielt, dass eine wichtige Lehre der Russischen Revolution darin bestand, dass die Partei sich nicht mit dem Übergangsstaat verbinden sollte. Die Damen-Tendenz ging noch weiter und machte deutlich, dass es die Aufgabe der Partei war, keine Macht auszuüben. In der Plattform von 1952 heißt es zum Beispiel: "Zu keiner Zeit und unter keinen Umständen sollte das Proletariat seine Rolle im Kampf aufgeben. Es sollte seine historische Mission nicht an andere delegieren oder seine Macht auf andere übertragen – nicht einmal auf seine eigene politische Partei."
Wie wir in unserem Buch Die Italienische Kommunistische Linke zeigen, waren diese Erkenntnisse ganz logisch mit bestimmten Entwicklungen in der Staatsfrage verknüpft:
"Viel kühner war die Position der PCInt in der Frage des Staates in der Übergangsperiode, wo er sichtlich von Bilan und Octobre geprägt worden war. Damen und seine Genossen lehnten die Gleichsetzung der Diktatur des Proletariats mit der Parteidiktatur ab. Hinsichtlich des 'proletarischen Staates' trat er für eine weitgehende Demokratie in den Räten ein. Er schloss die von Kronstadt verifizierte Auffassung nicht aus, dass bei Konfrontationen zwischen dem 'Arbeiterstaat' und dem Proletariat die Kommunistische Partei sich auf die Seite des Proletariats stellen müsse: ‚Die Diktatur des Proletariats darf auf keinen Fall auf die Diktatur der Partei reduziert werden, selbst wenn es sich um die Partei des Proletariats handelt, die Kopf und Führer des proletarischen Staates ist. Staat und die Partei an der Macht tragen als Organe solch einer Diktatur den Keim eines Kompromisses mit der alten Welt in sich – eine Tendenz, die sich, wie uns die russische Erfahrung gezeigt hat, aufgrund der zeitweisen Unfähigkeit der Revolution entfaltet und verstärkt, sich über ein Land hinaus auszudehnen, indem sie sich mit den Aufstandsbewegungen in anderen Ländern zusammenschließt. Unsere Partei a) muss vermeiden, zum Instrument des Arbeiterstaates und seiner Politik zu werden […] muss die Interessen der Revolution auch in Zusammenstößen mit dem Arbeiterstaat verteidigen; b) muss vermeiden, bürokratisiert zu werden, weil sie ihre Leitungsebenen oder ihre peripheren Zentren zu einem Manöverfeld von Karrieristen macht; c) muss vermeiden, dass die Klassenpolitik auf formalistische und administrative Art erdacht und ausgeführt wird.‘“[9]
Die wichtigste Erkenntnis der Fraktion – der Begriff der Fraktion selbst, die Form und Funktion, welche die revolutionäre Organisation in einer Zeit der Niederlage im Klassenkampf annehmen muss – war jedoch für die Damen-Tendenz völlig verloren, ebenso wie die eng damit verbundene Auffassung vom Historischen Kurs, die Notwendigkeit das globale Kräftegleichgewicht zwischen den Klassen zu verstehen, das innerhalb der Epoche der Dekadenz tiefgreifende Veränderungen erfahren kann. Die Genossen um Damen konnten den schwerwiegenden Fehler von '43 – die Bildung einer "Partei" in einem einzigen Land in einer Zeit tiefgreifender Konterrevolution – nicht wirklich kritisieren und verschärften den Fehler, indem sie die Partei als permanente Notwendigkeit und sogar als permanente Realität theoretisierten. So blieb trotz der schnellen Schrumpfung zu einer "Mini-Partei" der ursprüngliche Fokus der Umgruppierung von 1943-45 aufrechterhalten: Aufbau einer Präsenz innerhalb der Arbeiterklasse und die entscheidende Führung in ihren Kämpfen – auf Kosten dessen was wirklich notwendig war: die Konzentration auf die theoretische Klärung der Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Zeit.
Die ihr entgegengesetzte Tendenz um Genossen wie Bordiga und Maffi war im Allgemeinen viel verwirrter über die wichtigsten Klassenpositionen. Bordiga ignorierte mehr oder weniger die Errungenschaften der Fraktion und plädierte für eine Rückkehr zu den Positionen der ersten beiden Kongresse der Dritten Internationale, die für ihn auf Lenins "Wiederherstellung" des kommunistischen Programms beruhten. Ein extremes Misstrauen gegenüber opportunistischen "Innovationen" des Marxismus (die auf dem Boden der Konterrevolution zu blühen begannen) führte ihn zur Idee des "invarianten" (unveränderlichen) Programms, das 1848 in Stein gemeißelt worden sei und nur dann und deshalb exhuminiert werden müsse, weil es regelmäßig von den Opportunisten und Verrätern begraben werde[10]. Wie wir oft betont haben, basiert dieser Begriff der Invarianz auf einer sehr "variablen" Geometrie, so dass beispielsweise Bordiga und seine Anhänger sowohl behaupten konnten, dass der Kapitalismus in seine Epoche der Kriege und Revolutionen eingetreten war (eine Grundposition der Dritten Internationale), als auch gegen den Begriff des Niedergangs polemisierten, da er sich auf ein pazifistische und gradualistische Ideologie stütze.[11]
Diese Infragestellung der Dekadenz hatte wichtige Auswirkungen auf die Analyse der Wesensart der Russischen Revolution (definiert als Doppelrevolution, nicht anders als die rätistische Vision) und insbesondere auf die Charakterisierung der Kämpfe um nationale Unabhängigkeit, die in den ehemaligen Kolonien immer zahlreicher wurden. Mao wurde, anstatt als das gesehen zu werden, was er war – Ausdruck der stalinistischen Konterrevolution und Produkt des kapitalistischen Niedergangs – als ein großer bürgerlicher Revolutionär ähnlich der Gestalt von Cromwell gefeiert. Später sollten die Bordigisten mit der gleichen Wertschätzung für die Roten Khmer in Kambodscha aufwarten, und dieses tiefe Unverständnis der nationalen Frage sollte in den späten 1970er Jahren in der bordigistischen Partei für Chaos sorgen, in einem beträchtlichen Ausmaß, welches den Internationalismus ganz aufgab.
In der Parteifrage, in Bezug auf die Fehler der Bolschewiki bei der Führung des Sowjetstaates war es, als hätte die Fraktion nie existiert. Die Partei übernimmt die Macht, führt den Staatsapparat, drängt den Roten Terror gnadenlos auf ... Selbst die wichtigen Nuancen Lenins über die Notwendigkeit, dass die Arbeiterklasse vor der Bürokratisierung und Verselbständigung des Übergangsstaates zurückschreckt, schienen vergessen worden zu sein. Wie wir in einem früheren Artikel dieser Serie[12] argumentieren, enthält Bordigas wichtigster Beitrag über die Lehren aus der Russischen Revolution in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, Gewalt und Diktatur im Klassenkampf (1946), sicherlich einige Erkenntnisse über das Problem der Degeneration, aber sein eher dogmatischer Antidemokratismus ermöglichte es ihm nicht, das Problem zu erkennen, wenn die Partei und der Staat das Proletariat ersetzen.
Auch wenn die Bordiga-Tendenz die Parteigründung von 1943 nie offen in Frage stellte, konnte sie verstehen, dass die Organisation in eine viel schwierigere Phase eingetreten war und dass man sich auf andere Aufgaben zu konzentrieren habe. Bordiga hatte der Gründung der Partei zunächst skeptisch gegenüber gestanden. Ohne das geringste Verständnis für den Begriff der Fraktion zu zeigen – er vergrub vielmehr seine eigene Erfahrung der Fraktionsarbeit vor dem Ersten Weltkrieg unter seinen nachfolgenden Theorien über die formale und die historische Partei[13] –, schien er doch zu verstehen, dass die bloße Aufrechterhaltung einer Routine der Intervention in den unmittelbaren Kampf nicht der richtige Weg und dass es notwendig war, zu den theoretischen Grundlagen des Marxismus zurückzukehren. Nachdem er den Beitrag der Fraktion und andere Beiträge der Kommunistischen Linken abgelehnt hatte, war diese Arbeit in Bezug auf die wichtigsten programmatischen Positionen nicht abgeschlossen, ja nicht einmal angepackt. Doch soweit es um allgemeinere theoretische Fragen geht, insbesondere um die Frage nach dem Wesen der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft, scheint es uns, dass es in dieser Zeit Bordiga war und nicht die "Damenisten", der uns das wichtigste Vermächtnis hinterlassen hat.
Das Buch Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus, eine Sammlung von Schriften, die Jacques Camatte 1972 zusammenstellte, ist das beste Zeugnis für die Tiefe von Bordigas Reflexionen über den Kommunismus, insbesondere zwei große Präsentationen auf Parteiversammlungen in den Jahren 1959-60, die den ökonomischen und politischen Manuskripten von Marx von 1844 gewidmet sind: Kommentare zu den 1844er Manuskripten (1959-60) und Steintafeln der kommunistischen Theorie der Partei (die Seitenverweise beziehen sich auf den ersten Text, sofern nicht anders angegeben).
„Eine der Aufgaben unserer unpersönlichen Parteiarbeit müsste sein, den Text der Marx’schen Studien von 1844, mit dem wir uns hier befassen, „wieder zusammenzufügen“; das Manuskript ist in allen Ausgaben von wenig kompetenter Hand zusammengestellt, so dass es seltsame Sprünge von einem Hauptthema zum nächsten gibt. Dass noch ein Gemeinplatz darin besteht zu sagen, Marx sei in seinen Frühschriften Hegelianer gewesen, und erst später historischer Materialist – und womöglich noch später vulgärer Opportunist –, wird auch durch so verständige Herausgeber wie S. Landshut und J. P. Meyer (Berlin, 1931) bestätigt, die diese Manuskripte als philosophische Vorrede zum gewaltigen Werk des „Kapital“ ansehen. Aufgabe der revolutionären marxistischen Schule ist es, allen Gegnern (denen freisteht, entweder alles anzunehmen oder alles zu verwerfen) die Geschlossenheit der Theorie von ihrem ersten Auftreten bis zu Marx’ Tod, und sogar darüber hinaus vor Augen zu führen (es geht hier um den Grundbegriff der Invarianz – im Gegensatz zur These, wonach die Parteilehre fortwährend bereichert würde).“[14]
Hier haben wir sowohl die Stärken als auch die Schwächen von Bordigas Herangehensweise in einem Absatz. Einerseits: die unnachgiebige Verteidigung der Kontinuität von Marx' Denken und die Ablehnung der Vorstellung, dass die 1844er Manuskripte das Produkt eines Marx sind, der noch im Wesentlichen idealistisch und hegelianisch (oder zumindest unter dem Einfluss Feuerbachs) gewesen sei, einer Vorstellung, die insbesondere mit dem stalinistischen Intellektuellen Althusser in Verbindung steht und die wir bereits in früheren Artikeln dieser Serie kritisiert haben.[15]
Für Bordiga deuten die 1844er Manuskripte mit ihrer tiefen Bloßstellung der kapitalistischen Entfremdung und ihrer inspirierenden Beschreibung der kommunistischen Gesellschaft, die sie überwinden wird, bereits darauf hin, dass Marx einen qualitativen Bruch mit den fortschrittlichsten Formen des bürgerlichen Denkens vollzogen hatte. Insbesondere die 1844er Manuskripte, die einen großen Teil der Kritik an der Hegelschen Philosophie enthalten, zeigen, dass das, was Marx in Sachen Dialektik von Hegel aufnimmt und sein Bruch mit Hegel – was bedeutet, ihn dialektisch umzukehren, ihn "auf die Füße zu stellen" – sowie die Annahme einer kommunistischen Weltsicht genau im selben Moment stattfinden. Bordiga betont insbesondere die Ablehnung des Ausgangspunktes des Hegelschen Systems, des individuellen "Ich" durch Marx: “Deutlich wird: Für Marx besteht der Irrtum Hegels darin, seinen gewaltigen spekulativen Bau auf eine streng formale, d.h. abstrakte Grundlage, die des „Bewusstseins“, zu stellen. Und wie Marx so oft sagen wird, muss vom Sein ausgegangen werden, nicht vom Bewusstsein, das das Ich von sich selbst hat. Hegel befindet sich von Beginn an im Käfig des hohlen Dialogs zwischen Subjekt und Objekt. Sein Subjekt ist das im absoluten Sinn verstandene Ich (...)“
Gleichzeitig ist es offensichtlich, dass die 1844er Manuskripte für Bordiga den Beweis für seine Theorie der Invarianz des Marxismus liefern, eine Idee, die unserer Meinung nach durch die tatsächliche Entwicklung des kommunistischen Programms, die wir in dieser Serie verfolgt haben, widerlegt wird. Aber wir werden später auf diese Frage zurückkommen. Was wir mit Bordigas Sichtweise auf die 1844er Manuskripte teilen, ist vor allem: die Zentralität von Marx' Auffassung von Entfremdung, nicht nur gegenüber den Manuskripten, sondern gegenüber seinem gesamten Werk; eine Reihe grundlegender Elemente in Bordigas Auffassung von der Dialektik der Geschichte; und die erhabene Vision des Kommunismus, die Marx in seinem späteren Werk nie abgelehnt hat (obwohl er sie unserer Meinung nach bereichert hat).
Bordigas Verweise auf den Begriff der Entfremdung in den 1844er Manuskripten prägen seinen gesamten Blick auf die Geschichte, da er darauf besteht, dass "in der gegenwärtigen kapitalistischen Epoche der höchste Grad der Entfremdung des Menschen erreicht wurde“ (S. 124). Ohne das Verständnis aufzugeben, dass die Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus und die Zerstörung der alten feudalen Ausbeutungsmethode eine Voraussetzung für die kommunistische Revolution ist, verachtet er den leichtfertigen Fortschrittsglauben der Bourgeoisie, der seine Überlegenheit gegenüber früheren Produktions- und Erlebnisformen der Welt beansprucht. Er meinte sogar, dass das bürgerliche Denken in gewisser Weise leer ist im Vergleich zu den viel verspotteten vorkapitalistischen Standpunkten. Der Marxismus hat in Bordigas Worten folgendes gezeigt: "Nun gut, ihr der verkommenen bürgerlichen Kultur entstammenden Dummköpfe, eben darauf bestehen wir! Und wir haben das Recht dazu, weil unsere Entdeckung, der erstmalige Gebrauch des großartigen Schlüssels, der die auf der Menschheit lastenden Gegensätze und Rätsel auflöst, bereits die wissenschaftliche und kritische Kenntnis enthalten hat, die eure Belehrungen – vor allem gegenüber den noch älteren Positionen des menschlichen Denkens, die ihr Bourgeois unter der Eitelkeit eurer aufklärerischen Rhetorik für immer begraben zu haben glaubt – als hohle und haltlose Märchen offenbart. Seit damals und durch jenes jäh aufblitzende Licht wissen wir, dass die Hirn-Onanie der Meinung ein zu hasenfüßiger Weg ist, um zum Kern der gutgläubigsten aller Glaubensüberzeugungen vordringen zu können, eines Glaubens, der in rohen Worten verkündet wurde, doch aus dem lebendigen Schoß der Geschichte auf die Welt kam." (S. 30) Selbst wenn also sowohl die Bourgeoisie als auch das Proletariat ihre Religionskritik formulieren, gibt es wieder einen Bruch zwischen den beiden Klassenstandpunkten: „Ein gefährlicher Irrtum, denn selbst dann, wenn die Ideologen der modernen Bourgeoisie sich trauten (was keineswegs immer der Fall war), offen mit den Grundsätzen der christlichen Kirche zu brechen, begreifen wir Marxisten den Atheismus ganz und gar nicht als eine der Bourgeoisie und dem Proletariat gemeinsame ideologische Plattform; gegenüber der Bourgeoisie ist das Proletariat der Protagonist der zukünftigen Geschichte, und bei jenem Ideenstreit handelte es sich um den Kampf zwischen den entstehenden bürgerlichen Schichten auf der einen Seite und dem alten Landadel und seiner Feudalverfassung auf der anderen Seite.“ (S. 2)
Mit solchen Behauptungen scheint Bordiga an die Gedanken einiger der "philosophischen" Kritiker des Marxismus der Zweiten Internationale (und darüber hinaus der offiziellen Philosophie der Dritten Internationale) wie Pannekoek, Lukacs und Korsch anzuknüpfen, die die Idee ablehnten, dass, so wie der Sozialismus der logische nächste Schritt in der historischen Evolution sei und nur die "Übernahme" des kapitalistischen Staates und der Wirtschaft erfordere, der historische Materialismus einfach der nächste Schritt im Vormarsch des klassischen bürgerlichen Materialismus sei. Solche Ansichten basieren auf einer tiefen Unterschätzung des Antagonismus zwischen bürgerlichen und proletarischen Weltsichten, der unvermeidlichen Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs mit den alten Formen. Es gibt natürlich eine Kontinuität, aber diese ist alles andere als allmählich und friedlich. Diese Art der Herangehensweise an das Problem steht im Einklang mit der Vorstellung, dass die Bourgeoisie die soziale und natürliche Welt nur durch die verzerrende Linse der Entfremdung sehen kann, die unter ihrer Herrschaft ihre "höchste" Phase erreicht hat.
Das Motto "Gegen den Immediatismus" steht mehr als einmal in den Untertiteln dieser Beiträge. Für Bordiga war es wichtig, eine Verengung des Fokus auf den gegenwärtigen Moment der Geschichte zu vermeiden und über den Kapitalismus hinaus sowohl vorwärts als auch rückwärts zu schauen. In der gegenwärtigen Epoche ist das bürgerliche Denken vielleicht unmittelbarer denn je, mehr denn je auf das Besondere, das Hier und Jetzt, das Kurzfristige fixiert, da es in tödlicher Angst lebt, dass die historische Sicht uns befähigen wird, seine flüchtige Natur zu erkennen. Aber Bordiga entwickelt auch eine Polemik gegen die klassischen "großen Narrative" der Bourgeoisie in ihrem optimistischeren Zeitalter: nicht weil sie großartig waren, sondern weil die Darstellungen der Bourgeoisie die wahre Geschichte deformierte. So wie der Übergang vom bürgerlichen zum proletarischen Denken nicht nur ein weiterer Schritt nach vorne ist, so ist die Geschichte im Allgemeinen keine gerade Linie, die von der Dunkelheit zum Licht führt, sondern Ausdruck der Dialektik in der Bewegung: "Der Fortschritt der Menschheit und des Wissens des gepeinigten homo sapiens ist kein kontinuierlicher, sondern verläuft in Sprüngen, unterbrochen durch finstere und verhängnisvolle Abstürze in Form verfallender, gar verwesender Gesellschaften." (S. 30) Dies ist keine zufällige Formulierung: An anderer Stelle im gleichen Text sagt er: "(…) einen Weg, der in den flachen Anschauungen der herrschenden Ideologien als ein ständiger und beständiger Aufstieg erscheint. Der Marxismus teilt diese Weltsicht nicht und kennzeichnet ihn vielmehr als eine von gewaltsamen Krisen durchbrochene Reihe abwechselnder Auf- und Abstiege" (S. 21). Eine klare Antwort, würde man meinen, an diejenigen, die das Konzept des Aufstiegs und der Dekadenz aufeinanderfolgender Produktionsweisen ablehnen ...
Die dialektische Sicht der Geschichte sieht Bewegung als Folge des – oft gewalttätigen – Zusammenpralls von Widersprüchen. Aber sie enthält auch den Begriff der Spirale und die "Rückkehr auf einer höhere Ebene". So ist der Kommunismus der Zukunft in einem wichtigen Sinne eine Rückkehr des Menschen zu sich selbst, wie Marx es in den 1844er Manuskripten formuliert, denn er ist nicht nur ein Bruch mit der Vergangenheit, sondern eine Synthese von allem, was in ihr menschlich war: „Der Mensch kehrt nicht zu sich selbst zurück, wie er es am Anfang seiner langen Geschichte begonnen hat, sondern verfügt schließlich über alle Vollkommenheiten einer gewaltigen Entwicklung, die in Form all der aufeinander folgenden Techniken, Bräuche, Religionen, Philosophien erworben wurden, deren nützliche Seiten – wenn wir uns auf diese Weise ausdrücken dürfen – in der Zone der Entfremdung gefangen waren.“ (S. 125)
Ein konkreteres Beispiel dafür: In einem kurzen Artikel über die Bewohner der Insel Janitzio in Mexiko[16], der 1961 verfasst und in die Sammlung von Camatte aufgenommen wurde, entwickelt Bordiga die Idee, dass "im natürlichen und primitiven Kommunismus" der Einzelne, der immer noch mit seinen Mitmenschen in einer realen Gemeinschaft verbunden ist, nicht die gleiche Angst vor dem Tod hat wie in der sozialen Atomisierung durch Privateigentum und Klassengesellschaft; und dass uns dies einen Hinweis darauf gibt, dass im Kommunismus der Zukunft, wo das Schicksal des/r Einzelnen mit dem der Spezies verbunden sein wird, die Angst vor dem persönlichen Tod und "jeder Kult der Lebenden und der Toten" überwunden wird. Bordiga bestätigt damit seine Kontinuität mit jenem zentralen Strang der marxistischen Tradition, der bekräftigt, dass in gewissem Sinne "die Mitglieder der primitiven Gesellschaften dem menschlichen Wesen näher gekommen sind" (S. 175) – dass der Kommunismus der fernen Vergangenheit auch als Vorbild für den Kommunismus der Zukunft verstanden werden kann[17].
Bordigas Verteidigung der 1844er Manuskripte war in hohem Maße eine lange Anklagerede gegen den Betrug des angeblichen "real existierenden Sozialismus" in den Ländern des Ostblocks, der nach dem "antifaschistischen Krieg" von 1939-45 wieder an Bedeutung gewonnen hatte. Seinen Angriff führte er auf zwei Ebenen: Negation und Affirmation. Eine Absage an die Behauptung, wonach das, was in der UdSSR und ähnlichen Regimen existierte, irgendetwas mit Marx' Vorstellung vom Kommunismus zu tun habe, vor allem auf wirtschaftlicher Ebene; umgekehrt das Festhalten an den grundlegenden Merkmalen kommunistischer Produktionsverhältnisse.
Laut einer Version eines an verschiedenen Orten aufgetauchten Witzes in der alten UdSSR unterrichtet ein Ausbilder in der Parteischule junge Komsomol-Mitglieder über die Schlüsselfrage: Wird es im Kommunismus Geld geben?: "Historisch gesehen, Genossen, gibt es drei Positionen zu dieser Frage. Es gibt den rechten Flügel, die proudhonistisch-bucharinistische Abweichung: Im Kommunismus wird jeder Geld haben. Dann gibt es die ultra-linke, infantile Abweichung: Im Kommunismus wird niemand Geld haben. Was ist nun die dialektische Position des Marxismus-Leninismus? Es ist klar: Im Kommunismus werden einige Leute Geld haben, und andere werden kein Geld haben."
Ob Bordiga mit diesem Witz vertraut war oder nicht, seine Antwort auf die Stalinisten in seinen Kommentaren geht in eine ähnliche Richtung. Ein Vorwort zu einer der stalinistischen Ausgaben der 1844er Manuskripte weist darauf hin, dass Marx' Text eine Polemik gegen Proudhons Theorie des gleichen Lohns enthält, was bedeutet, dass es für den in der UdSSR praktizierten „authentischen“ Marxismus im Sozialismus ungleiche Löhne geben muss. Aber im anschließenden Abschnitt mit der Überschrift "Entweder Lohnarbeit oder Sozialismus" weist Bordiga darauf hin, dass Marx in den 1844er Manuskripten, wie auch in anderen Werken wie Das Elend der Philosophie und Das Kapital, die Proudhon’sche Hohlheit widerlegt, „denn dieser erdenkt sich einen Sozialismus in dem weiterhin Löhne gezahlt werden, wie es in Russland der Fall ist. Marx bekämpft nicht die Theorie der Gleichheit der Löhne, sondern die Theorie des Lohns! Lohn, auch wenn er für alle gleich wäre, bedeutet immer Nicht-Sozialismus. Und wenn er nicht nivelliert, nicht gleich ist, kann von Sozialismus erst recht keine Rede sein." (S. 8)
Und einer der folgenden Abschnitte trägt den Titel: "Entweder Geld oder Sozialismus": So wie die Lohnarbeit in der UdSSR fortbesteht, so muss es auch ihre Entsprechung: die Dominanz der menschlichen Beziehungen durch den Tauschwert und damit durch Geld. Um auf die tiefe Kritik des Geldes als Ausdruck der Entfremdung zwischen den Menschen zurückzukommen, die Marx unter Berufung auf Shakespeare und Goethe in den 1844er Manuskripten entwickelte und in Das Kapital wieder aufnahm, bestand Bordiga darauf, dass "Gesellschaften daher, in denen Geld zirkuliert, Gesellschaften sind, in denen die Entfremdung der Arbeit und des Menschen herrscht, Gesellschaften des Privateigentums, die zur barbarischen Vorgeschichte der menschlichen Gattung" gehören (S. 13).
Bordiga zeigt in der Tat, dass die Stalinisten mehr mit dem Vater des Anarchismus gemeinsam haben, als sie zugeben wollen. Proudhon sieht in der Tradition eines "rohen Kommunismus", den Marx bereits zu dem Zeitpunkt als reaktionär erkannte, als er selbst sich dem Kommunismus zuzuwenden begann, eine Gesellschaft, in der "die jährlichen Einnahmen zu gleichen Teilen sozial unter allen Mitgliedern der Gesellschaft verteilt sind, die alle zu Lohnarbeitern geworden sind". Mit anderen Worten, diese Vorstellung vom Kommunismus oder Sozialismus war eine, in der das Elend der proletarischen Situation verallgemeinert und nicht abgeschafft wurde und in der die "Gesellschaft" selbst zum Kapitalisten wurde. Und als Antwort auf diejenigen – nicht nur die Stalinisten, sondern auch ihre linken Apologeten, die Trotzkisten –, die leugneten, dass die UdSSR eine Form des Kapitalismus sein könnte, weil sie (mehr oder weniger) einzelne Kapitalbesitzer losgeworden sei, antwortet Bordiga: "Es macht keinen Sinn zu fragen, wo denn die Kapitalisten sind. Die Antwort wurde 1844 gegeben: Die Gesellschaft ist ein abstrakter Kapitalist." (S. 10)
Die polemische Zielscheibe dieser Essays sind nicht allein die offenen Verteidiger der UdSSR. Wenn der Kommunismus den Tauschwert abschafft, dann deshalb, weil er alle Formen des Eigentums abgeschafft hat[18] – nicht nur das Staatseigentum in der Art wie im Programm des Stalinismus, sondern auch die klassische anarchosyndikalistische Version (die Bordiga auch der zeitgenössischen Gruppe Socialisme ou Barbarie mit ihrer Definition des Sozialismus als Arbeiter-Selbstverwaltung der Produktion zuschreibt): "Das Land den Bauern und die Fabriken den Arbeitern und ähnliche klägliche Parodien des großartigen Programms der revolutionären kommunistischen Partei" (S. 178, englische Ausgabe). Im Kommunismus muss das einzelne Unternehmen als solches abgeschafft werden. Wenn es weiterhin Eigentum derjenigen ist, die in ihm arbeiten, oder sogar der lokalen Gemeinschaft um sie herum, ist es nicht wirklich sozialisiert worden, und die Beziehungen zwischen den verschiedenen selbstverwalteten Unternehmen müssen zwangsläufig auf dem Austausch von Waren basieren. Wir werden auf diese Frage zurückkommen, wenn wir uns die Vision des Sozialismus ansehen, die von Castoriadis und der Gruppe Socialisme ou Barbarie entwickelt wurde.
Wie Trotzki in den visionären Schlusspassagen von Literatur und Revolution[19] – der 1924 wahrscheinlich keine Kenntnis von den 1844er Manuskripten hatte – steigt Bordiga dann aus der Sphäre der Negation des Kapitalismus und seiner Entfremdung auf, von der Beharrung auf dem, was der Sozialismus nicht ist, zur positiven Bestätigung dessen, was die Menschheit in den höheren Stufen der kommunistischen Gesellschaft darstellen wird. Die 1844er Manuskripte, wie wir in einem frühen Artikel dieser Serie[20] dargelegt haben, sind voll von Passagen, die beschreiben, wie die Beziehungen zwischen Menschen und zwischen Mensch und Natur im Kommunismus umgewandelt werden. Und Bordiga zitiert ausführlich aus den bedeutendsten dieser Passagen in seinen beiden Texten, vor allem, wo es um die Umwandlung der Beziehungen zwischen Männern und Frauen geht, und wo sie darauf bestehen, dass die kommunistische Gesellschaft das Entstehen einer höheren Stufe des bewussten Lebens zulässt.
Durch die gesamten 1844er Manuskripte lehnt Marx den "rohen Kommunismus" ab, der zwar die bürgerliche Familie angreift, die Frau aber immer noch als Objekt betrachtet und über eine kommende "Weibergemeinschaft" spekuliert. Im Gegenteil: Bordiga zitiert Marx, nach dem das Maß für den tatsächlichen Fortschritt der Gattung die Vermenschlichung der Beziehung zwischen Mann und Frau ist. Aber umgekehrt werden die Frau und die Beziehung zwischen den Geschlechtern im Kapitalismus Gefangene der Warenbeziehungen bleiben.
Nachdem er Marx' Gedanken zu diesen Fragen wieder aufgenommen hat, schweift Bordiga für einen Moment ab zum Problem der Terminologie, der Sprache. "Wir müssen, wenn wir die Textstellen wiedergeben, mal das Wort „Mensch“, mal das Wort „Mann“ gebrauchen. Das heutzutage hart klingende Wort „Weib“ brauchen wir nicht benutzen. Als vor einem halben Jahrhundert eine Umfrage zum Feminismus – die armselige Konsequenz, die die Kleinbürger aus der grauenhaften Unterjochung der Frau in der Eigentümergesellschaft ziehen – gemacht wurde, antwortete der damals noch tüchtige Marxist Filippo Turati mit dürren Worten: „Die Frau … ist Mensch“. Er wollte sagen, sie wird es im Kommunismus sein, doch in der bürgerlichen Gesellschaft ist sie ein Tier, oder ein Objekt." (S. 20)
Feminismus eine bürgerliche Abweichung? Dies ist eine Position, die von denen, die argumentieren, dass es einen "sozialistischen Feminismus" oder einen "Anarchofeminismus" geben könne, entschieden abgelehnt wird. Aber aus Bordigas Sicht hat der Feminismus einen bürgerlichen Ausgangspunkt, weil er auf die "Gleichstellung" der Geschlechter innerhalb der bestehenden sozialen Beziehungen abzielt; und das führt logischerweise zu der Forderung, dass Frauen "gleichermaßen" in der Lage sein sollten, in imperialistischen Armeen zu kämpfen oder sich zu Unternehmensleiterinnen und Ministerpräsidentinnen empor zu arbeiten.
Der Kommunismus brauchte nicht den Zusatz von Feminismus oder gar "sozialistischem Feminismus", um von Anfang an ein Verfechter der Solidarität von Männern und Frauen im Hier und Jetzt zu sein. Das kann nur im Klassenkampf, im Kampf gegen kapitalistische Unterdrückung und Ausbeutung und für die Schaffung einer Gesellschaft verwirklicht werden, in der die "ursprüngliche Form der Ausbeutung" – die der Frau durch den Mann – nicht mehr möglich sein wird. Mehr noch: Der Marxismus hat auch erkannt, dass der weibliche Teil der Spezies – wegen seiner doppelten Unterdrückung und seines fortgeschritteneren moralischen Gefühls (insbesondere im Zusammenhang mit seiner historischen Rolle bei der Erziehung von Kindern) – oft an der Spitze des Kampfes steht, zum Beispiel bei der Revolution 1917 in Russland, die mit Demonstrationen von Frauen gegen Brotmangel begann, oder in jüngerer Zeit bei den massiven Streiks in Ägypten 2007. Tatsächlich spielten nach der anthropologischen Schule von Chris Knight, Camilla Power und anderen, die sich mit der marxistischen Tradition in der Anthropologie identifiziert, weibliche Moral und Solidarität eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der menschlichen Kultur, in der ursprünglichen "menschlichen Revolution"[21]. Bordiga stimmt mit dieser Sichtweise überein, wenn er im Abschnitt "Der Liebe bedürfen alle" argumentiert, dass die den Frauen zugewiesene passive Funktion rein ein Produkt von Eigentumsbeziehungen sei, und weiterfährt: "weil die Geschlechtsliebe aber die Grundlage der Reproduktion der Gattung ist, ist die Frau ihrer Natur nach in Wirklichkeit das aktive Geschlecht, und die unserer Analyse unterzogenen Geldformen enthüllen sich als wider die Natur." (S. 24) Und er fährt mit einer Zusammenfassung fort, wie die Abschaffung der Warenbeziehungen dieses Verhältnis verändern wird: "Im vom Geld befreiten Kommunismus wird das sexuelle Verlangen bei beiden Geschlechtern das gleiche Gewicht und die gleiche Bedeutung haben. Und die gesellschaftliche Aussage, dass das Bedürfnis des anderen Menschen mein menschliches Bedürfnis ist, wird in der geschlechtlichen Hingabe Wirklichkeit, insofern das Bedürfnis des einen Geschlechts im Bedürfnis des anderen eingelöst wird."
Bordiga erklärt dann, dass diese Transformation auf den materiellen und sozialen Veränderungen der kommunistischen Revolution basieren wird: "Das ist nicht als bloßes, auf eine bestimmte Art des physischen Verhältnisses gegründetes sittliches [bzw. moralisches] Verhältnis bestimmbar, sondern geht darüber hinaus, was seinen Grund im Ökonomischen hat: Die Nachkommen und die sich dadurch ergebenden Verpflichtungen betreffen nicht die sich vermählenden Eltern, sondern die Gesellschaft selbst." Von diesem Ausgangspunkt aus wird die zukünftige Menschheit in der Lage sein, die Grenzen der bürgerlichen Familie zu durchbrechen.
In einem früheren Artikel dieser Serie[22] haben wir argumentiert, dass bestimmte Passagen in den 1844er Manuskripten nur dann Sinn machen, wenn wir sie als Vorwegnahme einer Bewusstseinsveränderung, einer neuen Seinsform sehen, die kommunistische soziale Beziehungen ermöglichen werden. Der Artikel betrachtete ausführlich den Abschnitt aus dem Kapitel "Privateigentum und Kommunismus", in dem Marx darüber spricht, wie das Privateigentum (im weitesten Sinne verstanden) dazu diente, die menschlichen Sinne einzuschränken, die menschliche Sinneswahrnehmung zu behindern – oder, um einen genaueren Begriff aus der Psychoanalyse zu verwenden, die menschliche Sinneserfahrung zu verdrängen. Folglich wird der Kommunismus die "Emanzipation der Sinne" mit sich bringen, eine neue körperliche und geistige Beziehung zur Welt, die mit dem "inspirierten" Zustand verglichen werden kann, den Künstler*innen in ihren kreativsten Momenten erleben.
Gegen Ende von Bordigas Text Steintafeln gibt es einen Abschnitt mit dem Titel "Nieder mit der Persönlichkeit, das ist der Schlüssel!" Wir werden diese Frage der "Persönlichkeit" später aufgreifen, aber wir wollen zunächst einmal untersuchen, wie Bordiga in seiner Interpretation der 1844er Manuskripte die Veränderung des menschlichen Bewusstseins in der kommunistischen Zukunft vorsieht.
Er beginnt mit der Feststellung, dass wir im Kommunismus "die jahrtausendealte Täuschung des Einzelnen gegenüber der natürlichen Welt, die von den Philosophen dummerweise als "äußerlich" bezeichnet wird, hinter uns gelassen haben werden. Äußerlich wovon? Äußerlich vom "Ich", diesem höchsten Defizit; aber wir können nicht mehr sagen, äußerlich der menschlichen Spezies, denn die Spezies Mensch ist innerlich der Natur, Teil der physischen Welt." Und er fährt fort zu sagen, dass "in diesem kraftvollen Text Objekt und Subjekt wie Mensch und Natur ein und dasselbe wird. Wir können sogar sagen, dass alles zum Objekt wird: Der Mensch als Subjekt "gegen die Natur" verschwindet, zusammen mit der Illusion eines einzigen Ichs." (S. 190, englischsprachige Ausgabe)
Dies kann nur ein Hinweis auf die Passage im Kapitel "Privateigentum und Kommunismus" sein: "Indem daher überall einerseits dem Menschen in der Gesellschaft die gegenständliche Wirklichkeit als Wirklichkeit der menschlichen Wesenskräfte, als menschliche Wirklichkeit und darum als Wirklichkeit seiner eignen Wesenskräfte wird, werden ihm alle Gegenstände als die Vergegenständlichung seiner selbst, als die seine Individualität bestätigenden und verwirklichenden Gegenstände, als seine Gegenstände, d.h. Gegenstand wird er selbst."
Bordiga geht weiter: "Wir haben gesehen, dass, wenn man vom Individuum auf die Spezies übergeht, der Geist, dieser absolute Unglückliche, in die objektive Natur aufgelöst wird. Das individuelle Gehirn als schlechte passive Maschine wird durch das soziale Gehirn ersetzt. Darüber hinaus weist Marx auf einen kollektiven menschlichen Sinn hin, der über den isolierten körperlichen Sinn hinausgeht". Und er zitiert weiter die 1844er Manuskripte über die Emanzipation der Sinne und betont, dass dies auch die Entstehung einer Art kollektiven Bewusstseins anzeigt – was wir als Übergang vom "gesunden Menschenverstand" des isolierten Egos zur Vergemeinschaftung der Sinne bezeichnen könnten.
Was halten wir von diesen Vorstellungen? Bevor wir sie als Science-Fiction abtun, sollten wir uns daran erinnern, dass wir in der bürgerlichen Gesellschaft vor allem das Ego oft als das absolute Zentrum unseres Seins betrachten ("Ich denke, also bin ich"), aber es gibt auch eine lange Tradition des Denkens, die darauf besteht, dass das Ego nur eine relative Wirklichkeit ist, bestenfalls ein bestimmter Teil unseres Seins. Diese Sichtweise ist sicherlich zentral für die psychoanalytische Theorie, für die das erwachsene Ich nur durch einen langen Prozess der Verdrängung und Spaltung zwischen dem bewussten und dem unbewussten Teil von uns selbst entsteht – und darüber hinaus der "einzige Sitz der Angst"[23], denn zwischen den Anforderungen der äußeren Realität und den unerfüllten, im Unbewussten vergrabenen Triebe gefangen, ist es ständig mit seinem eigenen Sturz oder Untergang beschäftigt.
Es ist auch eine Ansicht, die in einer Reihe von "mystischen" Traditionen in Ost und West vertreten wurde, obwohl sie wahrscheinlich am konsequentesten von der indischen Philosophie und vor allem vom Buddhismus mit seiner Lehre von "anatta" – der Vergänglichkeit des separaten Selbst – entwickelt wurde. Aber all diese Traditionen neigen dazu, darin übereinzustimmen, dass es möglich sei, durch das direkte Eindringen in das Unbewusste das alltägliche Ich-Bewusstsein – und damit die Qual der ewigen Angst – zu überwinden. Die ideologischen Verzerrungen, die diese Traditionen unweigerlich begleiteten, berauben diesen Philosophien ihre klarsten Einsichten, die die Möglichkeit eröffnen, dass der Mensch in der Lage ist, eine andere Art von Bewusstsein zu erlangen, in der die Welt um uns herum nicht mehr als ein feindseliges Anderes angesehen wird, und der Fokus des Bewusstseins verschiebt sich nicht nur intellektuell, sondern durch eine direkte und sehr körperliche Erfahrung, vom isolierten Atom zum Standpunkt der Spezies – in der Tat, dem Standpunkt von etwas noch mehr als der Spezies: der Natur, eines sich entwickelnden Universums, das sich selbst bewusst wird.
Es ist schwierig, die obigen Passagen von Bordiga zu lesen und zu dem Schluss zu kommen, dass er von etwas ganz anderem spricht. Und es ist wichtig zu beachten, dass Freud in den ersten Abschnitten von Das Unbehagen in der Kultur die Realität des "ozeanischen Gefühls", dieser Erfahrung der erotischen Einheit mit der Welt, anerkannt hat, obwohl er sie nur als Regression in den kindlichen Zustand vor der Entstehung des Ichs sehen konnte. Im gleichen Abschnitt des Buches akzeptiert er aber auch die Möglichkeit, dass die mentalen Techniken des Yoga die Tür zu "ursprünglichen Geisteszuständen öffnen können, die längst überlagert sind". Die Frage, die wir theoretisch aufwerfen müssen – und vielleicht zukünftige Generationen auch praktischer erforschen –, ist, ob die uralten Techniken der Meditation nur zu einer Regression, einem Zusammenbruch in die undifferenzierte Einheit von Tier oder Kind führen können; oder ob sie Teil einer dialektischen "Rückkehr zum Bewusstsein", einer selbstbewussten Erforschung unseres eigenen Geistes sein können. In diesem Fall weisen die Fälle des "ozeanischen Gefühls" nicht nur auf die kindliche Vergangenheit hin, sondern auch auf den Horizont eines fortgeschritteneren und universelleren menschlichen Bewusstseins. Dies war sicherlich die Ansicht von Erich Fromm in seiner Studie Zen-Buddhismus und Psychoanalyse, zum Beispiel, wenn er über das schreibt, was er den "Zustand der Nicht-Verdrängung" nennt, definiert als "einen Zustand, in dem man wieder das unmittelbare, unverzerrte Verständnis der Realität, der Einfachheit und Spontaneität des Kindes gewinnt; doch nach dem Prozess der Entfremdung, der Entwicklung des eigenen Intellekts, ist die Nicht-Verdrängung die Rückkehr zur Unschuld auf einer höheren Ebene; diese Rückkehr zur Unschuld ist erst möglich, wenn man seine Unschuld verloren hat.”[24]
Aber Bordigas theoretische Schriften in dieser Zeit stellten nicht nur die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Natur auf dieser sehr "philosophischen" Ebene. Er hat es auch in seinen weitsichtigen Überlegungen zur Frage der kapitalistischen Katastrophen und der Umweltprobleme angesprochen. Bordiga bringt sein Fachwissen als Ingenieur und vor allem seine tiefe Ablehnung des bürgerlichen "Fortschritts" wieder ein, um zu zeigen, wie das Streben nach Akkumulation die Samen solcher Katastrophen und letztlich die Zerstörung der Natur selbst enthält[25]. Besonders heftig ist Bordiga in seinen Artikeln über den Rausch der Urbanisierung, den er bereits in der Nachkriegszeit des Wiederaufbaus wahrnehmen konnte, und er verurteilt die Einzwängung des Menschen in immer engere Stadträume und die damit verbundene Philosophie des "Vertikalismus" im Bau. Er argumentiert, dass diese Reduzierung des Menschen auf die Ebene der Ameisen ein direktes Produkt der Akkumulationsbedürfnisse sei und in der kommunistischen Zukunft umgekehrt werde, und bekräftigt Marx‘ und Engels' Forderung nach Überwindung der Trennung zwischen Stadt und Land: "Wenn es nach der gewaltsamen Niederschlagung dieser immer obszöneren Diktatur möglich sein wird, jede Lösung und jeden Plan der Verbesserung der Bedingungen der lebenden Arbeit unterzuordnen, um mit diesem Ziel alles zu gestalten, was aus der toten Arbeit, aus dem konstanten Kapital, aus der Infrastruktur, die die menschliche Spezies im Laufe der Jahrhunderte aufgebaut hat und weiter auf der Erdkruste aufbaut, entstanden ist, dann wird der brutale Vertikalismus der Zementmonster lächerlich gemacht und unterdrückt, und in den riesigen Weiten des horizontalen Raumes, sobald die riesigen Städte entleert sind, werden die Kraft und Intelligenz des menschlichen Tieres allmählich dazu neigen, die Dichte des Lebens und der Arbeit über den bewohnbaren Teilen der Erde einheitlich zu gestalten; und diese Kräfte werden von nun an in Harmonie sein, und nicht mehr wilde Feinde wie in der deformierten Zivilisation von heute, wo sie nur noch durch das Gespenst von Knechtschaft und Hunger zusammengeführt werden" (veröffentlicht in Space against cement in The Human Species and the Earth's Crust (Espèce Humaine et Croûte Terrestre, Petite Bibliothèque Payot, S. 168). Es sei auch darauf hingewiesen, dass Bordiga 1952, als er eine Art "unmittelbares revolutionäres Programm" formulierte, dieses Forderungen enthielt, das zu stoppen, was er bereits als die unmenschliche Überlastung und das Tempo des Lebens sah, die durch die kapitalistische Urbanisierung hervorgerufen wurden (ein Prozess, der seither ein viel höheres Maß an Irrationalität erreicht hat). So fordert der siebte von neun Punkten "‘Anhalten der Bautätigkeit‘ von Wohnungen und Arbeitsstätten am Rande der großen Städte (und auch der kleinen), als Maßnahme zur gleichmäßigen Verteilung der Bevölkerung über das gesamte Territorium. Verringerung der Schnelligkeit, des Ausmaßes und der Verdickung des Verkehrs durch Verbot des überflüssigen Verkehrs" (in einem zukünftigen Artikel wollen wir auf die anderen Forderungen in diesem "Programm" zurückkommen, da sie eine Reihe von Formulierungen enthalten, die aus unserer Sicht stark kritisiert werden müssen).
Es ist interessant festzustellen, dass Bordiga, wenn es darum geht, zu beweisen, warum all dieser so genannte Fortschritt der kapitalistischen Stadt nichts dergleichen war, auf ein Konzept der Dekadenz zurückgriff, das er in anderen Polemiken aus dem Fenster wirft – zum Beispiel im Titel "Seltsame und wunderbare Geschichten der modernen sozialen Dekadenz"[26]. Ein solcher Begriff steht andererseits völlig im Einklang mit dem oben genannten allgemeinen Geschichtsbild, in dem Gesellschaften "bis zur Verwesung degenerieren" und Phasen des Auf- und Abstiegs durchlaufen können. Es ist, als ob Bordiga, einmal auf Distanz zur "schmalen" Welt der rivalisierenden politischen Positionen und gezwungen, zu den Grundlagen der marxistischen Theorie zurückzukehren, keine andere Wahl hätte, als anzuerkennen, dass der Kapitalismus, wie alle früheren Produktionsformen, auch in eine Epoche des Niedergangs eintreten muss – und dass diese Epoche seit langem angebrochen ist unabhängig von den Wundern des "Wachstums im Niedergang" des Kapitalismus, die die Menschheit ersticken und ihre Zukunft bedrohen.
Wir müssen nun auf Bordigas Vorstellung zurückkommen, dass die 1844er Manuskripte Beweise für seine Theorie der "Invarianz des Marxismus" lieferten. Wir haben bei verschiedenen Gelegenheiten argumentiert, dass es sich dabei um eine religiöse Vorstellung handelt. In einer scharfen Polemik mit der bordigistischen Gruppe, die Programma Comunista veröffentlicht, stellte Mark Chirik die tatsächliche Ähnlichkeit zwischen dem bordigistischen Konzept der Invarianz und der muslimischen Haltung der Unterwerfung unter eine unveränderliche Doktrin fest.[27]
Zielscheibe dieser Polemik waren hauptsächlich die Epigonen von Bordiga, aber was hat Bordiga selbst über die Beziehung zwischen dem Marxismus und den Quellen der "invarianten" Lehre in der Vergangenheit gesagt? In einem zukunftsweisenden Text mit dem Titel Die historische Invarianz des Marxismus[28] schreibt er: "Das theoretische Gut der revolutionären Arbeiterklasse ist weder eine Offenbarung noch ein Mythos noch eine idealistische Ideologie, wie es für die vorhergehenden Klassen zutraf. Es ist eine positive Wissenschaft, und bedarf einer festen und dauerhaften Formulierung ihrer Prinzipien und ihrer Aktionsregeln. Diese Formulierung soll die gleiche Rolle spielen und die gleiche bestimmende Wirksamkeit haben wie in der Vergangenheit die Dogmen, der Katechismus, die Tafeln, die Verfassungen, die Leitbücher der Vedas, der Talmut, die Bibel, der Koran und die Erklärung der Menschenrechte. Die grundlegenden Irrtümer in der Substanz oder der Form, die in diesen Sammelwerken enthalten waren, haben ihnen nichts von ihrer außerordentlichen organisatorischen und sozialen Kraft genommen; sie waren in dialektischer Folge zuerst revolutionär, dann konterrevolutionär - aber es war oft gerade diese feste Systematisierung, selbst wenn sie diese Irrtümer enthielt, die zu ihrer Kraft beigetragen hat."
Bordiga war sich in seinen Kommentaren bereits des Vorwurfs bewusst, dass solche Ideen ihn zurück zur religiösen Weltanschauung führten: "dass es ganz sinnig ist, den immer wieder auf der Bildfläche erscheinenden Philister zu ärgern – einen Grund, die Aussage als Beleidigung aufzufassen, wonach eine Mystik, oder wenn man lieber will, ein Mythos, in unserer Bewegung noch solange am Platz ist, wie sie real nicht gesiegt hat (denn ihr Sieg geht jeder weiteren Aneignung menschlicher Erkenntnis voran). Der Mythos, der in vielerlei Gestalt auftrat, war ja kein Hirngespinst von Geistern, die der Wirklichkeit gegenüber (wie bei Marx: zugleich „naturalistisch“ und „humanistisch“) die Augen zumachten; er war vielmehr eine unersetzliche Etappe auf dem einzigen Weg zur Aneignung der Kenntnisse, die in den Klassengesellschaften aus großen und weit auseinander liegenden revolutionären Rissen hervorbrechen und sich erst in der klassenlosen Gesellschaft frei werden entfalten können." (S. 30)
Bordiga hat recht, wenn man bedenkt, dass das mythische Denken in der Tat ein "unersetzlicher Schritt" in der Evolution des menschlichen Bewusstseins war und dass die Bibel, der Koran oder die Erklärung der Menschenrechte zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte authentisch revolutionäre Produkte waren. Er hat auch recht, wenn er anerkennt, dass die Einhaltung solcher "Tafeln des Gesetzes" zu einem anderen Zeitpunkt in der Geschichte konterrevolutionär wurde. Aber der Mechanismus, durch den sie unter neuen historischen Umständen konterrevolutionär wurden, war genau die Vorstellung, dass sie unverändert und unveränderlich seien. Der Islam zum Beispiel hält seine Offenbarung für reiner als die der jüdischen Thora, weil er im Gegensatz zu dieser, die späteren Revisionen und Bearbeitungen unterzogen worden sei, kein einziges Wort des Korans geändert habe, seit der Engel Gabriel sie Mohammed diktiert habe. Der Unterschied zwischen der marxistischen Sichtweise des kommunistischen Programms und dem Mythos oder religiösen Dogma besteht darin, dass der Marxismus seine Konzepte als historisches Produkt des Menschen sieht und somit durch nachfolgendes historisches Wachstum oder Erfahrung bestätigt oder widerlegt und nicht als eine ein für alle Mal fixierte Offenbarung aus einer übermenschlichen Quelle. Tatsächlich besteht er darauf, dass mythische oder religiöse Offenbarungen selbst Produkte der Menschheitsgeschichte sind und daher in ihrem Umfang und ihrer Klarheit selbst an ihren höchsten Leistungspunkten begrenzt sind. Indem Bordiga die Vorstellung übernimmt, dass der Marxismus selbst eine Art Mythos sei, verliert Bordiga die historische Methode aus den Augen, die er anderswo so gut anwendet.
Natürlich ist es wahr, dass das kommunistische Programm selbst nicht unendlich formbar ist und einen unveränderlichen Kern von allgemeinen Prinzipien wie den Klassenkampf, die Vergänglichkeit der Klassengesellschaft, die Notwendigkeit der proletarischen Diktatur und des Kommunismus aufweist. Außerdem gibt es ein Gefühl, in dem dieser allgemeine Umriss wie ein plötzlicher Geistesblitz erscheinen kann. Daher kann Bordiga schreiben: „Eine neue Lehre entsteht nicht in einem beliebigen Moment der Geschichte. Es gibt bestimmte, sehr charakteristische – und äußerst seltene – Zeiten in der Geschichte, wo sie wie ein blendendes Lichtbündel erscheinen kann; und wenn man diesen entscheidenden Moment nicht erkannt hat, dann ist es vergebens wieder auf die Kerzenstummel zurückzugreifen, mit denen der Universitätspedant oder der kleingläubige Kämpfer ihren Weg zu erhellen suchen.“ (14. These aus “Die historische Invarianz des Marxismus“)
Möglicherweise hat Bordiga die unglaublich reiche Phase von Marx' Werk im Sinn, aus der die 1844er Manuskripte und andere grundlegende Texte entstanden sind. Aber Marx betrachtete diese Texte nicht als seine letzten Worte über den Kapitalismus, den Klassenkampf oder den Kommunismus. Auch wenn er unserer Meinung nach den wesentlichen Inhalt dieser Schriften nie aufgegeben hat, betrachtete er sie als "erste Entwürfe", die durch weitere Forschung entwickelt und vertieft werden mussten, die wiederum eng mit den praktischen/theoretischen Experimenten der realen Bewegung des Proletariats verbunden waren.
Bordiga verweist in den Kommentaren (S. 26) auch auf eine bestimmte Passage in den 1844er Manuskripten als Nachweis der Invarianz. Hier schreibt Marx: „Die ganze Bewegung der Geschichte ist daher, wie sein wirklicher Zeugungsakt – der Geburtsakt seines empirischen Daseins – so auch für sein denkendes Bewusstsein die begriffne und gewusste Bewegung seines Werdens.“ (MEW 40, S. 536)
Und Bordiga fügt hinzu, dass das Subjekt dieses Bewusstseins nicht der einzelne Philosoph sein kann: Es kann nur eine Klassenpartei des Weltproletariats sein. Aber wenn der Kommunismus, wie Marx sagt, das Produkt der gesamten Bewegung der Geschichte ist, dann muss er lange vor dem Erscheinen der Arbeiterklasse und ihrer politischen Organisationen entstanden sein, so dass die Quelle dieses Bewusstseins älter sein muss als beide – so wie er innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft auch breiter ist als die politischen Organisationen der Klasse, auch wenn sie im Allgemeinen ihr am weitesten fortgeschrittener Ausdruck sind. Da der Kommunismus erst dann sich selbst klar werden kann, "begriffen und gewusst", wenn er zum proletarischen Kommunismus wird, ist dies sicherlich ein weiterer Beweis dafür, dass der Kommunismus und das kommunistische Bewusstsein etwas sind, das sich entwickelt, dass er nicht statisch ist, sondern ein Prozess des Werdens - und somit nicht unveränderlich sein kann.
Die Kritik des Individualismus hat im Marxismus eine lange Geschichte, die auf Marx' Kritik an Hegel und insbesondere auf seinen Angriff auf Max Stirner zurückgeht. Und wenn er gegen den philosophischen Standpunkt des isolierten Denkers argumentiert, steht Bordiga auf festem Boden und verweist auf die schneidende Bemerkung der Deutschen Ideologie zum Heiligen Max, dass "die Philosophie im gleichen Verhältnis zum Studium der realen Welt steht wie die Masturbation zur sexuellen Liebe". Und wie wir gesehen haben, hat auch die Vorstellung, dass das Ego in gewisser Weise ein illusorisches Konstrukt ist, einen langen Stammbaum. Aber Bordiga geht noch weiter. Wie bereits erwähnt, steht der Abschnitt Tafeln aus Stein (Tables immuables), den wir vorhin zitiert haben, wo Bordiga voraussagt, dass die kommunistische Menschheit Zugang zu einer Art von Spezies oder kosmischem Bewusstsein haben wird, unter dem Titel "Nieder mit der Persönlichkeit, das ist der Schlüssel!“ Es ist, als ob Bordiga möchte, dass der einzelne Mensch in der Spezies subsumiert, statt durch sie realisiert werde.
Die Erfahrung eines Bewusstseinszustandes, der über das Ich hinausgeht, ist eher eine Höchsterfahrung als ein permanenter Zustand, aber jedenfalls nicht unbedingt eine Abschaffung der Persönlichkeit. Persönlichkeit als Maske vielleicht, Persönlichkeit als eine Art Privateigentum, Persönlichkeit als das äußere Gesicht der Illusion eines absoluten Egos – man könnte argumentieren, dass diese Form der Persönlichkeit in Zukunft überwunden wird. Aber die Natur selbst braucht Vielfalt, um voranzukommen, und das gilt nicht weniger für die menschliche Gesellschaft. Selbst die Buddhisten argumentierten nicht, dass die Erleuchtung den Einzelnen verschwinden lasse. Es gibt eine Zen-Geschichte, die erzählt, wie ein Schüler sich seinem Lehrer näherte, nachdem er gehört hatte, dass dieser Satori, das helle Licht der Erleuchtung, gesehen habe. Der Schüler fragt den Meister: "Wie fühlt es sich an, erleuchtet zu sein?" Worauf der Meister antwortet: "So unglücklich wie eh und je".
Und im gleichen Abschnitt von Tafeln aus Stein (Tables immuables) zitiert Bordiga den "großartigen Ausdruck" aus den 1844er Manuskripten: dass die Menschheit ein Wesen ist, das leidet, und dass, wenn es nicht leidet, es die Freude nicht kennen kann. Dieser fleischliche, sterbliche, individuelle Mensch wird auch weiterhin im Kommunismus existieren, der für Marx "die einzige Gesellschaft ist, in der die ursprüngliche und freie Entwicklung des Einzelnen kein bloßer Ausdruck mehr ist". (Deutsche Ideologie, "Die freie Entwicklung des Einzelnen")
Das sind natürlich Fragen für die ferne Zukunft. Aber Bordigas Misstrauen gegenüber der individuellen Persönlichkeit hat weitaus unmittelbarere Auswirkungen auf die Frage der revolutionären Organisation.
Wir wissen, dass Bordiga den bürgerlichen Fetisch der Demokratie scharf kritisiert hat, da er auf der falschen Vorstellung des isolierten Bürgers und auf dem tatsächlichen Fundament einer durch den Warenaustausch atomisierten Gesellschaft basiert. Die Erkenntnisse, die er in seinem Text Das demokratische Prinzip und anderswo gewonnen hat, ermöglichen es uns, die wesentliche Leere der demokratischsten Strukturen der kapitalistischen Ordnung aufzudecken. Aber es kommt ein Punkt in Bordigas Denken, an dem er das, was beim Sieg des Warenaustauschs über alle älteren Formen der Gemeinschaft authentisch "fortschrittlich" war, aus den Augen verliert: die Möglichkeit eines kritischen, individuellen Denkens, ohne das "positive Wissenschaft" – die Bordiga immer noch als Standpunkt des Proletariats anerkennt – nicht entstanden wäre. Auf Bordigas Parteivorstellung bezogen, führt diese Denkweise zum Konzept der "monolithischen", "anonymen" und sogar "totalitären" Organisation – alles Begriffe, die im bordigistischen Kanon positiv verwendet wurden. Es führt zur Theoretisierung der Negation des individuellen Denkens und damit der inneren Unterschiede und Debatten. Und wie bei allen totalitären Regimen gibt es immer mindestens ein Individuum, das alles andere als anonym bleibt – das zum Objekt eines Persönlichkeitskults wird. Und genau das wurde innerhalb der Internationalistischen Kommunistischen Partei der Nachkriegszeit von denen gerechtfertigt, die in Bordiga den "brillanten Führer" sahen, das Genie, das Antworten auf alle theoretischen Probleme der Organisation finden könne (auch wenn er eigentlich nicht Mitglied der Partei war!). Dies war die absurde Denkweise, welche die Gauche Communiste de France im Artikel gegen Die Auffassung vom genialen Führer[29] verwarf.
Wir haben manchmal die Vorstellung von Bordiga kritisiert, wonach ein Revolutionär jemand sei, für den die Revolution bereits stattgefunden habe. Soweit diese Vorstellung die Unvermeidlichkeit des Kommunismus impliziert, sind diese Kritiken berechtigt. Aber es gibt auch eine Wahrheit in Bordigas Diktum. Kommunisten sind diejenigen, die die Zukunft in der Gegenwart repräsentieren, wie es im Kommunistischen Manifest heißt, und in diesem Sinne messen sie die Gegenwart – und die Vergangenheit – im Lichte der Möglichkeit des Kommunismus. Bordigas "Leidenschaft für den Kommunismus" – sein Beharren darauf, die Überlegenheit des Kommunismus gegenüber allem, was die Klassengesellschaft und der Kapitalismus hervorgebracht hatten, zu demonstrieren – ermöglichte es ihm, den falschen Visionen des kapitalistischen und "sozialistischen" Fortschritts zu widerstehen, die in den 1950er und 60er Jahren in die Arbeiterklasse eingetrommelt wurden, und, vielleicht am wichtigsten, in der Praxis zu zeigen, dass der Marxismus eigentlich kein unveränderliches Dogma, sondern eine lebendige Theorie ist, denn es besteht kein Zweifel, dass die Beiträge von Bordiga zum Kommunismus unser Verständnis davon bereichern.
Bereits früher in diesem Artikel haben wir uns auf den Nachruf von Damen von 1970 bezogen, der darauf abzielte, den gesamten politischen Beitrag von Bordiga zu untersuchen[30]. Damen beginnt mit einer Auflistung aller Dinge, die "wir Bordiga verdanken", vor allem des immensen Beitrags, den er in seiner "klassischen" Periode zur Theorie des Abstentionismus und zum Verhältnis von Partei und Klasse geleistet hat. Aber wie wir gesehen haben, verschont er Bordiga zu Recht nicht von der Kritik an seinem Rückzug aus der Politik von Ende der 20er bis Anfang der 40er Jahre, seiner Weigerung, zu all den wirtschaftlichen und politischen Dramen, die diese Zeit füllen, Stellung zu nehmen. Damen untersucht seine Rückkehr ins politische Leben nach Kriegsende und schimpft auch über Bordigas Unklarheiten über den kapitalistischen Charakter der UdSSR. Er hätte noch weiter gehen und zeigen können, wie die Weigerung von Bordiga, die Errungenschaften der Fraktion anzuerkennen, zu einem klaren politischen Rückschritt in Schlüsselfragen wie der nationalen Frage, bei den Gewerkschaften und der Rolle der Partei in der proletarischen Diktatur führte. Aber was in Damens Text fehlt, ist eine Einschätzung des tatsächlichen Beitrags zum Verständnis des Kommunismus, den Bordiga in seinen späteren Jahren geleistet hat – ein Beitrag, den die kommunistische Linke noch aufnehmen muss, nicht zuletzt, weil er später von anderen mit zweifelhaften Zielen wie der "Kommunisierungs"-Strömung (von der Camatte einer der Gründerväter war) aufgenommen wurde, die ihn genutzt haben, um Ergebnisse zu erzielen, die Bordiga selbst sicherlich verworfen hätte. Aber das erfordert einen weiteren Artikel, und bevor wir dorthin kommen, wollen wir uns die anderen "Theorien der proletarischen Revolution" ansehen, die in den 50er, 60er und 70er Jahren entwickelt wurden.[31]
C.D. Ward (September 2016)
[1] Nach dem Zweiten Weltkrieg: Debatten darüber, wie die Arbeiter nach der Revolution an der Macht bleiben werden; nachzulesen auf Englisch unter https://en.internationalism.org/content/9523/aftermath-world-war-two-debates-how-workers-will-hold-power-after-revolution [66]
[2] Der Nachkriegsboom hat den Niedergang des Kapitalismus nicht rückgängig gemacht; nachzulesen auf Englisch https://en.internationalism.org/internationalreview/201111/4596/post-war-boom-did-not-reverse-decline-capitalism [67]
[3] Anton Pannekoek: Arbeiterräte. Texte zur sozialen Revolution. Fernwald (Annerod): Germinal Verlag, 2008
[4] Auf Ustica traf er auf Gramsci, der eine zentrale Rolle dabei gespielt hatte, die Linie der KI in der italienischen Partei durchzusetzen und Bordiga aus der Führung zu drängen. Inzwischen war Gramsci bereits krank und trotz ihrer erheblichen Unterschiede zögerte Bordiga nicht, die Verteidigung seiner Grundbedürfnisse zu übernehmen und mit ihm an der Bildung eines marxistischen Bildungskreises zu arbeiten.
[5] Dieser Text wurde kürzlich von der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz als Broschüre auf Englisch wiederveröffentlicht.
[6] Die praktischen Probleme, mit denen Bordiga in dieser Zeit konfrontiert war, waren sicherlich beträchtlich: Ihm folgten zwei Polizisten, wohin auch immer er ging. Dennoch gab es auch ein freiwilliges Element in Bordigas Isolation von seinen Genossen, und Damen kritisierte Bordiga in einer Art Nachruf, kurz nach dessen Tod 1970 geschrieben, auf der Ebene des politischen Verhaltens scharf: "Sein politisches Verhalten, seine ständige Weigerung, eine politisch verantwortliche Haltung einzunehmen, muss in diesem besonderen Klima berücksichtigt werden. So wurden viele politische Ereignisse, einige von großer historischer Bedeutung, wie der Trotzki-Stalin-Konflikt und der Stalinismus selbst, verächtlich und ohne Echo ignoriert. Das Gleiche galt für unsere Fraktion im Ausland in Frankreich und Belgien, die Ideologie und Politik der Partei von Livorno, den Zweiten Weltkrieg und schließlich die Ausrichtung der UdSSR an der imperialistischen Front. Kein Wort, keine Zeile von Bordiga erschien während dieser historischen Periode, die auf einem breiteren und komplexeren Niveau war als der Erste Weltkrieg". https://www.leftcom.org/en/articles/2011-01-21/amadeo-bordiga-beyond-the-myth-and-the-rhetoric-0 [68]
Eine Studie über Bordigas "Jahre der Finsternis" wurde auf Italienisch veröffentlicht: Arturo Peregalli and Sandro Saggioro, Amadeo Bordiga. – La sconfitta e gli anni oscuri (1926-1945). Edizioni Colibri, Milan, November 1998
[7] siehe https://en.internationalism.org/content/3136/second-congress-internationalist-communist-party [69] [Englisch]
[8] siehe https://en.internationalism.org/ir/127/vercesi-period-of-transition [70] [Englisch]
[9] S. 245 der deutschsprachigen Ausgabe. Diese Erkenntnisse über die potenziellen Gefahren, die vom "proletarischen" Staat ausgehen, scheinen verloren gegangen zu sein, wenn man die Überraschung bedenkt, die der Delegierte der PCInt/Battaglia Comunista auf dem Zweiten Kongress der IKS zum Ausdruck brachte, nachdem er einen Resolutionsvorschlag über den Staat in der Übergangsperiode gelesen hatte, der auf den Erkenntnissen der Fraktion und der GCF beruhte. Die Resolution wurde schließlich auf dem Dritten Kongress verabschiedet: /content/853/5-resolution-des-3kongresses-der-iks-zum-staat-der-uebergangsperiode-1979 [71] siehe auch: https://de.internationalism.org/node/2421 [72]
[10] In seinem Vorwort zu Russland und die Revolution in der marxistischen Theorie (Russie et Révolution dans la Théorie Marxiste, Spartacus 1975) zeigt Jacques Camatte, dass Bordiga in den revolutionären Jahren nach dem Ersten Weltkrieg den Begriff der Invarianz nicht verteidigt hat, indem er sich insbesondere auf den ersten Artikel in der Sammlung Die Lehren der jüngsten Geschichte bezieht, der besagt, dass die reale Bewegung des Proletariats die Theorie bereichern kann, die offen einige von Marx' Vorstellungen von Demokratie und einigen der taktischen Vorschriften im Kommunistischen Manifest kritisiert: "Das System des kritischen Kommunismus muss natürlich in Verbindung mit der Integration historischer Erfahrungen nach dem Manifest von Marx und gegebenenfalls in eine entgegengesetzte Richtung zu bestimmten taktischen Verhaltensweisen von Marx und Engels verstanden werden, die sich als falsch erwiesen haben".
[11] https://en.internationalism.org/internationalreview/201111/4596/post-war-boom-did-not-reverse-decline-capitalism [67]
[12] en.internationalism.org/internationalreview/201403/9523/aftermath-world-war-two-debates-how-workers-will-hold-power-after-re [66]
[13] englischsprachige Version: https://www.marxists.org/archive/ [73]bordiga/works/1965/consider.htm [73]
[14] neue deutsche Übersetzung, siehe: https://alter-maulwurf.de/download/707/ [74]
[15] siehe: Die Entfremdung der Arbeit ist die Vorbedingung für ihre Befreiung
/content/682/kommunismus-keine-schoenes-idealsondern-eine-notwendigkeit-serie-i-teil-3 [75]
[16] In Janitzio haben sie keine Angst vor dem Tod
[17] siehe auf Englisch: https://en.internationalism.org/internationalreview/199506/1685/mature-marx-past-and-future-communism [76]
[18] Eine ziemlich klare Darstellung von Bordigas Auffassung vom Sozialismus findet sich in einem Artikel von Adam Buick von der Sozialistischen Partei Großbritanniens (SPGB), die trotz aller anderen Fehler immer sehr deutlich verstanden hat, dass Sozialismus die Abschaffung von Lohnarbeit und Geld bedeutet. https://libcom.org/article/bordigism [77]
[19] Leo Trotzki: „Literatur und Revolution“, in Internationale Revue Nr. 30 (/content/686/leo-trotzki-literatur-und-revolution [78])
[20] Siehe Der Kommunismus: Der Beginn der wirklichen Geschichte der Menschheit, in Internationale Revue Nr. 40 (/content/1557/der-kommunismus-der-beginn-der-wirklichen-geschichte-der-menschheit-ii [79]). Dieser Artikel wie auch andere dieser Serie verweisen ebenfalls auf Bordigas Texte zum Kommunismus.
[21] https://de.internationalism.org/Welt176_Rolle_der_Frau [80]; /content/2402/die-rolle-der-frau-bei-der-entstehung-der-menschlichen-kultur-teil-2 [81]; /content/2417/rolle-der-frau-bei-der-entstehung-der-kultur-teil-3 [82]; /content/2389/die-rolle-der-frau-bei-der-entstehung-der-menschlichen-solidaritaet-teil-2 [83]
[23] Freud
[24] Zen-Buddhismus und Psychoanalyse. Fromm, ein Spross der Frankfurter Schule, der auch ausführlich über die frühen Schriften von Marx geschrieben hat, ist der Ansicht, dass das eigentliche Ziel der Psychoanalyse (das in großem Umfang nur in einer "gesunden Gesellschaft" erreicht werden könnte) nicht nur darin besteht, neurotische Symptome zu lindern oder die Instinkte der intellektuellen Kontrolle zu unterwerfen, sondern das Unbewusste bewusst zu machen und so das nicht verdrängte Leben zu erreichen. Er definiert damit die Methode der Psychoanalyse in Bezug auf dieses Ziel: "Sie untersucht die psychische Entwicklung eines Menschen von Kindheit an und versucht, die früheren Erfahrungen wiederherzustellen, um dem Menschen zu helfen, das zu erleben, was jetzt verdrängt wird. Es geht weiter, indem man Schritt für Schritt Illusionen in sich selbst über die Welt aufdeckt, so dass die parataxischen Verzerrungen und entfremdete Intellektualisierungen abnehmen. Indem sie sich selbst weniger fremd ist, wird die Person, die diesen Prozess durchläuft, weniger entfremdet von der Welt; weil sie die Kommunikation mit dem Universum in sich selbst eröffnet hat, hat sie die Kommunikation mit dem Universum außerhalb eröffnet. Das falsche Bewusstsein verschwindet, und mit ihm die Polarität bewusst-unbewusst." (ebenda. S. 107) Anderswo (S. 105) vergleicht er diese Methode mit der des Zen, der mit anderen Mitteln, aber auch durch eine Reihe kleinerer Erkenntnisse oder "satoris" zu einem qualitativ höheren Niveau des Seins in der Welt voranschreitet.
[25] Siehe auf Englisch die Sammlung Murdering the Dead: Amadeo Bordiga on capitalism and other disasters, Antagonism Press, 2001, insbesondere: https://en.internationalism.org/worldrevolution/201403/9567/flooding-shape-things-come [84]
[26] Auf Englisch: https://www.marxists.org/archive/bordiga/works/1956/weird.htm [85]
[27] Eine Karikatur der Partei: die bordigistische Partei - Antwort an ”Kommunistisches Programm” /content/823/eine-karikatur-der-partei-die-bordigistische-partei-antwort-kommunistisches-programm [86]
[30] https://www.leftcom.org/en/articles/2011-01-21/amadeo-bordiga-beyond-the-myth-and-the-rhetoric-0 [68]
[31] Wie in einem kürzlich erschienenen Artikel von C. Derrick Varn im Blog Symptomatic Commentary, The brain of society: notes on Bordiga, organic centralism, and the limitations of the party form, festgestellt wurde, schien Bordiga sich dagegen zu sträuben, den Begriff der Partei für die höhere Phase des Kommunismus aufzugeben, und betrachtete sie vielmehr in dieser Hinsicht als das inkarnierte `soziale Gehirn'.
Dieser Artikel wurde während der globalen Covid-19-Krise geschrieben, die eine erschreckende Bestätigung dafür ist, dass wir die Endphase der kapitalistischen Dekadenz durchleben. Die Pandemie, die ein Produkt des zutiefst verzerrten Verhältnisses zwischen der Menschheit und der natürlichen Welt unter der Herrschaft des Kapitals ist, verdeutlicht das Problem der kapitalistischen Urbanisierung, das frühere Revolutionäre, insbesondere Engels und Bordiga, eingehend analysiert haben. Obwohl wir ihre Beiträge zu dieser Frage in früheren Artikeln dieser Reihe[1] bereits untersucht haben, erscheint es uns daher angebracht, das Thema erneut anzusprechen. Weil der 50. Jahrestag von Bordigas Tod im Juli 1970 näher rückt, soll der Artikel auch als Teil unserer Würdigung eines Kommunisten dienen, dessen Arbeit wir trotz unserer Meinungsverschiedenheiten mit vielen seiner Ideen wertschätzen. Mit diesem Artikel beginnen wir eine neue "Staffel" der Reihe über den Kommunismus, die sich speziell mit den Möglichkeiten und Problemen der proletarischen Revolution in der Phase des kapitalistischen Zerfalls befasst.
In einem früheren Teil dieser Reihe veröffentlichten wir einige Artikel, die sich mit der Art und Weise beschäftigten, wie die kommunistischen Parteien, die während der großen revolutionären Welle von 1917-23 entstanden, versuchten, das kommunistische Programm vom Abstrakten zum Konkreten zu führen – um eine Reihe von Maßnahmen zu formulieren, die von den Arbeiterräten im Prozess der Übernahme der Macht aus den Händen der Kapitalistenklasse zu ergreifen sind[2]. Und wir sind der Meinung, dass es für Revolutionäre nach wie vor vollkommen gültig ist, die Frage zu stellen: Was wären die Grundlagen des Programms, das die kommunistische Organisation der Zukunft – die Weltpartei – in einem authentischen revolutionären Aufschwung vorlegen müsste? Welches die dringendsten Aufgaben, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert wäre, wenn sie auf die Übernahme der politischen Macht im Weltmaßstab zusteuert? Welches wären die wichtigsten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen, die von der Diktatur des Proletariats, die die notwendige politische Voraussetzung für den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft bleibt, umgesetzt werden müssen?
Die revolutionären Bewegungen von 1917-23 waren ebenso wie der imperialistische Weltkrieg, der sie anheizte, ein klarer Beweis dafür, dass der Kapitalismus in seine "Epoche der sozialen Revolution", der Dekadenz, eingetreten war. Von nun an waren der Fortschritt und sogar das Überleben der Menschheit zunehmend gefährdet, solange die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse nicht im Weltmaßstab überwunden sind. In diesem Sinne stehen die grundlegenden Ziele einer künftigen proletarischen Revolution in voller Kontinuität zu den Programmen, die zu Beginn der Periode der Dekadenz vorgelegt wurden. Aber diese Epoche hat nun schon mehr als ein Jahrhundert gedauert, und unserer Ansicht nach haben die in diesem Jahrhundert angesammelten Widersprüche eine Endphase des kapitalistischen Niedergangs eröffnet, die Phase, die wir Zerfall nennen, in der die Fortsetzung des kapitalistischen Systems die wachsende Gefahr birgt, dass die Bedingungen für eine zukünftige kommunistische Gesellschaft untergraben werden. Dies zeigt sich besonders deutlich auf der "ökologischen" Ebene: 1917-23 waren die Probleme der Umweltverschmutzung und der Zerstörung der natürlichen Umwelt weit geringer als heute. Der Kapitalismus hat den "Stoffwechsel" zwischen Menschen und Natur so verzerrt, dass eine siegreiche Revolution zumindest enorme menschliche und technische Ressourcen aufwenden müsste, nur um das Chaos zu beseitigen, das der Kapitalismus uns hinterlassen haben wird. In ähnlicher Weise wird der gesamte Zerfallsprozess, der die Tendenz zur sozialen Atomisierung, zu der der kapitalistischen Gesellschaft innewohnenden Haltung des "Jeder für sich" verschärft hat, eine sehr schädliche Spur bei den Menschen hinterlassen, die eine neue, auf Vereinigung und Solidarität gegründete Gemeinschaft aufbauen müssen. Wir müssen uns auch eine Lehre aus der Russischen Revolution ins Gedächtnis rufen: In Anbetracht der Gewissheit, dass sich die Bourgeoisie der proletarischen Revolution mit aller Kraft widersetzen wird, wird der Sieg der Revolution einen Bürgerkrieg mit sich bringen, der unabsehbare Schäden verursachen könnte, nicht nur in Form von Menschenleben und weiterer Umweltzerstörung, sondern auch auf der Ebene des Bewusstseins, da das militärische Terrain für die Entfaltung der proletarischen Selbstorganisation, des Bewusstseins und der Moral keineswegs das günstigste ist. In Russland ging 1920 der sowjetische Staat als Sieger aus dem Bürgerkrieg hervor, aber das Proletariat hatte die Kontrolle über ihn weitgehend verloren. Wenn wir also versuchen, die Probleme der kommunistischen Gesellschaft zu verstehen, "wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt"[3], müssen wir erkennen, dass diese Muttermale wahrscheinlich viel hässlicher und potenziell schädlicher sein werden als zu Zeiten von Marx und sogar Lenin. Die ersten Phasen des Kommunismus werden also nicht ein idyllisches Erwachen an einem Maimorgen sein, sondern eine lange und intensive Arbeit des Wiederaufbaus aus den Trümmern. Diese Erkenntnis muss unser Verständnis für alle Aufgaben der Übergangsperiode prägen, auch wenn wir unsere Vorausschau auf die Zukunft weiterhin auf der Überzeugung gründen, dass das Proletariat seine revolutionäre Mission – trotz allem – tatsächlich erfüllen kann.
Während dieser langen Artikelreihe haben wir versucht, die Entwicklung des kommunistischen Projekts als die Frucht der realen historischen Erfahrung des Klassenkampfes und der Reflexion über diese Erfahrung durch die bewusstesten Minderheiten des Proletariats zu verstehen. Und in diesem Artikel wollen wir mit dieser historischen Methode fortfahren, indem wir uns mit dem Versuch befassen, eine aktualisierte Version der "unmittelbaren Programme" von 1917-23 auszuarbeiten, die selbst Teil der Geschichte der kommunistischen Bewegung geworden ist. Wir beziehen uns dabei auf den 1953 von Amadeo Bordiga verfassten und in Sul Filo del Tempo veröffentlichten Text "Das unmittelbare revolutionäre Programm", den wir bereits in einem früheren Artikel dieser Reihe[4] mit dem Versprechen erwähnt haben, ausführlicher darauf zurückzukommen. Unserer Ansicht nach ist es von wesentlicher Bedeutung, dass jeder künftige Versuch, ein solches "unmittelbares Programm" zu formulieren, sich auf die Stärken dieser früheren Bemühungen stützt, während ihre Schwächen radikal kritisiert werden. Der gesamte Text, dem das Verdienst zukommt, sehr prägnant zu sein, folgt nun.
Dies erlaubte jedoch nicht zu glauben, dass sich die Gesetze und präzisen Voraussichten des Marxismus über den Übergang der kapitalistischen Produktionsweise zum Sozialismus und aller ihrer wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Formen geändert hätten; es bedeutete lediglich, dass die erste nachrevolutionäre Periode verändert und einfacher wurde, also die Übergangswirtschaft, die der niederen Phase des Sozialismus vorausgeht, wie auch der höheren sozialistischen Phase, dem entwickelten Kommunismus.
Der klassische Opportunismus bestand darin, glauben zu machen, dass all diese Maßnahmen, von der ersten bis zur letzten, unter dem Druck des Proletariats vom demokratischen bürgerlichen Staat verwirklicht werden können, oder sogar Dank einer legalen Eroberung der Macht. Aber in diesem Fall wären diese verschiedenen »Maßnahmen« im Interesse des bürgerlichen Machterhalts verwirklicht worden, um den Fall des Kapitalismus abzuwenden, vorausgesetzt, sie wären für ihn verträglich, und wäre dies nicht der Fall, so würde der Staat sie niemals umsetzen.
Der gegenwärtige Opportunismus mit seiner Parole der fortschrittlichen Volksdemokratie im Rahmen der Verfassung und des Parlamentarismus erfüllt eine andere, noch schlimmere geschichtliche Aufgabe. Zuerst erweckt er im Proletariat den Glauben, dass einige seiner eigenen Maßnahmen in das Programm eines alle Klassen umfassenden Mehrparteienstaats passen würden, das heißt also, dieser Opportunismus zeigt den gleichen Defätismus gegenüber der proletarischen Klassendiktatur wie die Sozialdemokratie von gestern. In der Folge aber treibt er die organisierten Massen vor allem dazu, für »volksfreundliche und fortschrittliche« gesellschaftliche Maßnahmen zu kämpfen, welche denen völlig entgegengesetzt sind, die die proletarische Macht seit 1848 und das »Manifest« stets festgelegt haben.
Man kann die Schande einer derartigen Rückentwicklung nicht besser aufzeigen als durch eine Aufzählung der Maßnahmen, die es für den Fall zu verwirklichen gibt, dass die Machteroberung künftig in einem westlichen kapitalistischen Land möglich wird, anstatt der Maßnahmen des »Manifests« (von vor einem Jahrhundert), und die stets die kennzeichnendsten von damals mit einschließen.
Die westlichen Renegaten sind noch niederträchtiger als ihre östlichen Paten, insofern die feudalistische Gefahr, die in dem sich in Aufruhr befindlichen Asien noch materiell und wohl reell ist, für die mit der hochmütig aufgeblähten kapitalistischen Metropole auf der anderen Seite des Atlantiks in einer Linie stehenden Länder vorgeheuchelt und nicht vorhanden ist, ebensowenig wie für die unter seiner zivilisierten, liberalen und »völkerbündischen« Knute stehenden Proletarier.
Der Text wurde im Jahr nach der Spaltung der Internationalistischen Kommunistischen Partei veröffentlicht, die sich in Italien während des Krieges nach einer bedeutenden Welle von Arbeiterkämpfen[5] gebildet hatte. Die Spaltung war jedoch – wie die Auflösung von Marcs Gruppe der Gauche Communiste de France, die ebenfalls 1952 stattfand – Ausdruck der Tatsache, dass der Krieg entgegen den Hoffnungen vieler Revolutionäre nicht zu einem neuen proletarischen Aufschwung, sondern zur Vertiefung der Konterrevolution geführt hatte. Bei den Meinungsverschiedenheiten zwischen den "Damenisten" und den "Bordigisten" im Partito Comunista Internazionalista in Italien ging es zum Teil um unterschiedliche Auffassungen über die Nachkriegszeit. Bordiga und seine Anhänger tendierten dazu, die Tatsache besser zu verstehen, dass die Periode von zunehmender Reaktion geprägt war[6]. Und doch haben wir hier Bordiga, der eine Liste von Forderungen formuliert hat, die besser zu einem Moment des offenen revolutionären Kampfes passen würden. Dieser Text erscheint daher eher als eine Art Gedankenexperiment denn als eine Plattform, die von einer Massenbewegung angenommen werden sollte. Dies mag bis zu einem gewissen Grad einige der offensichtlicheren Schwächen und Lücken des Dokuments erklären, obwohl sie in einem tieferen Sinne das Produkt von Widersprüchen und Ungereimtheiten sind, die bereits in der bordigistischen Weltsicht eingebettet waren.
Wenn wir die Bemerkungen lesen, die den Text einleiten und abschließen, können wir auch erkennen, dass er als Teil einer umfassenderen Polemik gegen das geschrieben wurde, was die Bordigisten als die "reformistischen" Strömungen bezeichnen, insbesondere die Stalinisten, jene falschen Erben der Tradition von Marx, Engels und Lenin. Der Hauptgrund dafür, dass die Bordigisten die offiziellen kommunistischen Parteien als reformistisch bezeichneten, war nicht so sehr, dass sie die Illusionen der Trotzkisten geteilt hätten, wonach es sich bei jenen immer noch um Arbeiterorganisationen gehandelt habe, sondern vielmehr, weil die Stalinisten zunehmend zu Verfechtern der Bildung nationaler Fronten mit den traditionellen bürgerlichen Parteien geworden waren und einen allmählichen "Übergang" zum Sozialismus durch die Bildung von "Volksdemokratien" und verschiedenen parlamentarischen Koalitionen befürworteten. Gegen diese Entgleisungen bekräftigt Bordiga die Grundlagen des Kommunistischen Manifests, das von der Notwendigkeit der gewaltsamen Eroberung der Macht durch das Proletariat ausgeht (im Rückblick können wir hier auch auf die Kluft hinweisen, die Bordiga von vielen trennt, die "in seinem Namen sprechen", insbesondere von den "Kommunisierungs"strömungen, die Bordiga oft zitieren, aber sein Beharren auf der Notwendigkeit der proletarischen Diktatur und einer kommunistischen Partei verhöhnen). Gleichzeitig macht Bordiga, der immer noch die Stalinisten im Visier hat, deutlich, dass die spezifischen "Übergangs"-Maßnahmen, die am Ende des zweiten Kapitels des Manifests von 1848 befürwortet wurden – hohe progressive Einkommenssteuer, Gründung einer Staatsbank, staatliche Kontrolle von Kommunikation und Schlüsselindustrien usw. – zwar das Rückgrat des Wirtschaftsprogramms der "Reformisten" bilden mögen, aber nicht als ewige Wahrheiten angesehen werden sollten: Das Manifest selbst betonte, dass sie "nicht als vollständiger Sozialismus zu behandeln sind, sondern als Schritte, die als vorläufig, unmittelbar und im Wesentlichen widersprüchlich zu identifizieren sind", und entsprach dem niedrigen kapitalistischen Entwicklungsstand zum Zeitpunkt ihrer Ausarbeitung; und in der Tat sind etliche von ihnen bereits von der Bourgeoisie selbst umgesetzt worden.
Man möge denen verzeihen, welche dies als Widerlegung der Invarianz betrachten, der Idee, dass das kommunistische Programm seit mindestens 1848 im Wesentlichen unverändert geblieben sei. Tatsächlich geißelt Bordiga die Stalinisten, weil sie "nicht einer fixen Theorie folgten, sondern glaubten, sie bedürfe der ständigen Weiterentwicklung als Folge des historischen Wandels". Und wiederum argumentiert er, dass seine vorgeschlagenen "Korrekturen" am unmittelbaren Programm "sich von den im 'Manifest' aufgezählten unterscheiden; ihre Merkmale sind jedoch dieselben". Wir finden dies widersprüchlich und nicht überzeugend. Es stimmt zwar, dass sich bestimmte Schlüsselelemente des kommunistischen Programms, wie etwa die Notwendigkeit der proletarischen Diktatur, nicht ändern, aber die historische Erfahrung hat in der Tat tiefgreifende Entwicklungen im Verständnis des Zustandekommens dieser Diktatur und der politischen Formen, aus denen sie sich zusammensetzen wird, mit sich gebracht. Dies hat nichts mit dem "Revisionismus" der Sozialdemokraten, der Stalinisten oder anderer zu tun, die vielleicht tatsächlich die Ausrede des "mit der Zeit gehenden Wandels" benutzt haben, um ihre Flucht aus dem proletarischen Lager zu rechtfertigen.
Wenn man sich die "Korrekturen" Bordigas an den im Manifest vorgeschlagenen Maßnahmen betrachtet, möge man uns auch verzeihen, dass wir zunächst deren Schwächen sehen:
Und doch behält das Dokument für uns ein beträchtliches Interesse insofern, als es versucht zu verstehen, welches die Hauptprobleme und -prioritäten einer kommunistischen Revolution wären, die nicht zu Beginn der Dekadenz des Kapitalismus stattfinden würde, wie 1917-23, sondern nach einem ganzen Jahrhundert, in dem sich der Niedergang in die Barbarei weiter beschleunigt hat und die Bedrohung für das Überleben der Menschheit weitaus größer ist als vor hundert Jahren.
Bordigas Dokument unternimmt keinen Versuch, eine Bilanz der Erfolge und Misserfolge der Russischen Revolution auf politischer Ebene zu ziehen, und bezieht sich in der Tat nur kursorisch auf die revolutionäre Welle, die auf den Ersten Weltkrieg folgte. In einer Hinsicht versucht es jedoch, eine wichtige Lehre aus der Wirtschaftspolitik der Bolschewiki zu ziehen: Die Vorschläge Bordigas sind sachdienlich, weil sie anerkennen, dass der Weg zum materiellen Überfluss und zu einer klassenlosen Gesellschaft nicht auf einem Programm der "sozialistischen Akkumulation" beruhen kann, in dem der Konsum immer noch der "Produktion um der Produktion willen" (die in Wirklichkeit eine Produktion um des Wertes willen ist) unterworfen ist – die lebendige Arbeit der toten Arbeit untergeordnet. Gewiss, die kommunistische Revolution ist zu einer historischen Notwendigkeit geworden, weil die kapitalistischen sozialen Beziehungen zu einer Fessel für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden sind. Aber aus kommunistischer Sicht hat die Entwicklung der Produktivkräfte einen ganz anderen Inhalt als ihre Anwendung in der kapitalistischen Gesellschaft, wo sie durch das Profitmotiv und damit den Drang zur Akkumulation getrieben wird. Der Kommunismus wird sicherlich die unter dem Kapitalismus erreichten wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte voll nutzen, aber er wird sie dem menschlichen Gebrauch zuführen, so dass sie zu Dienern der wirklichen "Entwicklung" werden, die der Kommunismus postuliert: der vollen Entfaltung der Produktivkräfte, d.h. der schöpferischen Kräfte der damit verbundenen Individuen. Ein Beispiel soll hier genügen: Mit der Entwicklung der Computerisierung und der Roboterisierung hat uns der Kapitalismus ein Ende der Plackerei und eine "Freizeitgesellschaft" versprochen. In Wirklichkeit haben diese potentiellen Segnungen für die einen das Elend der Arbeitslosigkeit oder der prekären Arbeit und für die anderen eine erhöhte Arbeitsbelastung mit sich gebracht, wobei der Druck auf die Arbeiter und Arbeiterinnen wächst, weiterhin überall und zu jeder Tageszeit an ihren Computern zu arbeiten.
Konkret umfassen die ersten vier Punkte seines Programms: die Forderung, sich nicht mehr auf die Produktion von Maschinen zu konzentrieren, um mehr Maschinen zu produzieren, und die Ausrichtung der Produktion auf den direkten Konsum. Letzteres bedeutete im Kapitalismus natürlich die Produktion von immer mehr "nutzlosen, schädlichen und luxuriösen Konsumgütern" – heute zum Beispiel durch die Produktion von immer ausgeklügelteren Computern oder Mobiltelefonen, die nach einer begrenzten Zeit ausfallen und nicht repariert werden können, oder durch die immens umweltverschmutzende Automobil- und Fast-Fashion-Industrie, in der die "Verbrauchernachfrage" durch Werbung und soziale Medien in den Wahnsinn getrieben wird. Wenn die Arbeiterklasse sich der Gesellschaft und der Produktion bemächtigt hat, wird sich die Neuorientierung des Konsums auf die dringende Notwendigkeit konzentrieren, alle Menschen auf dem ganzen Planeten mit den grundlegenden Lebensnotwendigkeiten zu versorgen. Wir werden auf diese Fragen in anderen Artikeln zurückkommen müssen, aber wir können einige der offensichtlichsten nennen:
Aber gleichzeitig sind diese zugegebenermaßen immensen Aufgaben, die nur der Ausgangspunkt für eine neue menschliche Kultur sind, nicht als Ergebnis einer brutalen Verlängerung des Arbeitstages vorstellbar. Im Gegenteil, sie müssen mit einer drastischen Verkürzung der Arbeitszeit verbunden sein, ohne die, wie wir hinzufügen sollten, die direkte Beteiligung der Produzierenden am politischen Leben der Vollversammlungen und Räte nicht möglich sein wird. Und diese Reduzierung soll zu einem großen Teil durch die Beseitigung von Verschwendung erreicht werden: der Verschwendung durch Arbeitslosigkeit und durch "sozial nutzlose und schädliche Aktivitäten".
Bereits zu Beginn des Kapitalismus, in einer Rede in Elberfeld 1845, stigmatisierte Engels die Art und Weise, wie der Kapitalismus einen schrecklichen Missbrauch menschlicher Energie nicht vermeiden könne, und bestand darauf, dass nur eine kommunistische Transformation das Problem lösen könne.
"Die jetzige Einrichtung der Gesellschaft ist in ökonomischer Beziehung gewiß die unvernünftigste und unpraktischste, die wir uns denken können. Die Entgegensetzung der Interessen bringt es mit sich, daß eine große Menge Arbeitskraft auf eine Weise verwendet wird, von der die Gesellschaft keinen Nutzen hat, daß ein bedeutendes Quantum Kapital unnötigerweise verlorengeht, ohne sich zu reproduzieren. Wir sehen dies schon bei den Handelskrisen; wir sehen, wie Massen von Produkten, die doch alle von Menschen mühsam erarbeitet waren, zu Preisen weggeschleudert werden, die dem Verkäufer Verlust lassen; wir sehen, wie durch Bankerotte Massen von Kapitalien, die doch mühsam angehäuft waren, den Besitzern unter den Händen verschwinden. Gehen wir indes etwas mehr ins Detail des jetzigen Verkehrs. Bedenken Sie, durch wie viele Hände jedes Produkt gehen muß, bis es in die des wirklichen Konsumenten gerät -, bedenken Sie, m[eine] H[erren], wie viele spekulierende und überflüssige Zwischenschieber sich jetzt zwischen den Produzenten und den Konsumenten eingedrängt haben! Nehmen wir ein Beispiel, etwa einen Baumwollballen, der in Nordamerika fabriziert wird. Der Ballen geht aus den Händen des Pflanzers in die des Faktors an irgendeiner beliebigen Station des Mississippi über, er wandert den Fluß hinunter nach New Orleans. Hier wird er verkauft - zum zweiten Male, da ihn der Faktor schon vom Pflanzer kaufte - verkauft, meinetwegen an den Spekulanten, der ihn wieder an den Exporteur verkauft. Der Ballen geht nun etwa nach Liverpool, wo wieder ein gieriger Spekulant seine Hände nach ihm ausstreckt und ihn an sich reißt. Dieser verhandelt ihn wieder an einen Kommissionär, der für Rechnung - wir wollen sagen, eines deutschen Hauses - kauft. So wandert der Ballen nach Rotterdam, den Rhein herauf, durch noch ein Dutzend Hände von Spediteuren, nachdem er ein dutzendmal aus- und eingeladen worden ist -, und dann erst ist er in den Händen, nicht des Konsumenten, sondern des Fabrikanten, der ihn erst konsumierbar macht, sein Garn vielleicht dem Weber, dieser das Gewebe dem Drucker, der dem Grossisten und dieser wieder dem Detaillisten verhandelt, der dann endlich die Ware dem Konsumenten liefert. Und alle diese Millionen Zwischenschieber, Spekulanten, Faktoren, Exporteurs, Kommissionäre, Spediteure, Grossisten und Detaillisten, die doch an der Ware selbst nichts tun, sie wollen alle leben und ihren Profit dabei machen - und machen ihn auch im Durchschnitt, denn sonst könnten sie nicht bestehen. M[eine] H[erren], gibt es keinen einfacheren, wohlfeileren Weg, einen Baumwollballen von Amerika nach Deutschland und das aus demselben verfertigte Fabrikat in die Hände des wirklichen Konsumenten zu liefern als diesen weitläuftigen des zehnmaligen Verkaufens, des hundertmaligen Umladens und Transportierens aus einem Magazin ins andere? Ist dies nicht ein schlagender Beweis der vielen Verschwendung von Arbeitskraft, die durch die Zersplitterung der Interessen herbeigeführt wird? In der vernünftig organisierten Gesellschaft ist von einem solchen umständlichen Transporte keine Rede. Ebenso leicht wie man wissen kann, wieviel eine einzelne Kolonie an Baumwolle oder Baumwollfabrikaten gebraucht, um bei dem Beispiele stehenzubleiben - ebenso leicht wird es der Zentralverwaltung sein, zu erfahren, wieviel sämtliche Ortschaften und Gemeinden des Landes gebrauchen. Ist eine solche Statistik einmal organisiert, was in einem oder zwei Jahren leicht geschehen kann, so wird sich der Durchschnitt des jährlichen Konsums nur im Verhältnis der steigenden Bevölkerung verändern; es ist also ein leichtes, zur gehörigen Zeit vorauszubestimmen, welches Quantum von jedem einzelnen Artikel das Bedürfnis des Volkes erfordern wird -, man wird die ganze, große Quantität sich direkt an der Quelle bestellen, man wird sie direkt, ohne Zwischenschieber, ohne mehr Aufenthalt und Umladungen, als wirklich in der Natur der Kommunikation begründet sind, also mit einer großen Ersparnis von Arbeitskraft, beziehen können; man wird nicht nötig haben, den Spekulanten, Groß- und Kleinhändlern ihren Nutzen zu bezahlen. Aber das ist noch nicht alles - diese Zwischenschieber werden nicht nur auf diese Weise der Gesellschaft unschädlich, sie werden ihr sogar vorteilhaft gemacht. Während sie jetzt zum Nachteil aller anderen eine Arbeit tun, die im besten Falle überflüssig ist und ihnen doch den Lebensunterhalt, ja in vielen Fällen große Reichtümer einbringt, während sie also jetzt dem allgemeinen Besten direkt nachteilig sind, werden sie dann die Hände zu nützlicher Tätigkeit frei bekommen und eine Beschäftigung ergreifen können, worin sie sich als wirkliche, nicht nur scheinbare, erheuchelte Mitglieder der menschlichen Gesellschaft und Teilnehmer an ihrer Gesamttätigkeit erweisen."[9]
Engels zählt dann weitere Beispiele für diese Verschwendung auf: die Notwendigkeit, in einer Gesellschaft, die auf Wettbewerb und Ungleichheit basiert, enorm teure, aber völlig unproduktive Institutionen wie stehende Armeen, Polizeikräfte und Gefängnisse aufrechtzuerhalten; die menschliche Arbeitskraft, die in den Dienst dessen geflossen ist, was William Morris "den schweinischen Luxus der Reichen" nannte; und nicht zuletzt die enorme Verschwendung von Arbeitskraft, die durch die Arbeitslosigkeit verursacht wird, die während der periodischen "Handels"-Krisen des Systems besonders skandalöse Ausmaße annimmt. Dann stellt er die Verschwendung des Kapitalismus der wesentlichen Einfachheit der kommunistischen Produktion und Verteilung gegenüber, die auf der Grundlage dessen berechnet wird, was die Menschen brauchen, und der Gesamtarbeitszeit, die zur Befriedigung dieser Bedürfnisse nötig ist.
All diese kapitalistischen Gebrechen, die während der Periode des Aufstiegs und der Expansion des Kapitalismus zu beobachten waren, sind in der Epoche des kapitalistischen Niedergangs weitaus zerstörerischer und gefährlicher geworden: Krieg und Militarismus haben in zunehmendem Maße den gesamten Wirtschaftsapparat erfasst und stellen eine so akute Bedrohung für die Menschheit dar, dass eine der dringendsten Prioritäten der proletarischen Diktatur (eine, die Bordiga nicht erwähnte, obwohl das "Atomzeitalter" zum Zeitpunkt, als er diesen Text schrieb, bereits klar begonnen hatte) darin bestehen wird, den Planeten von den Massenvernichtungswaffen zu befreien, die der Kapitalismus angesammelt hat – vor allem, weil es keine Garantie dafür gibt, dass die Bourgeoisie oder Fraktionen der Bourgeoisie angesichts ihres endgültigen Sturzes durch die Arbeiterklasse es nicht vorziehen werden, die Menschheit zu zerstören, bevor sie ihre Klassenherrschaft aufgeben.
Ein militarisierter Kapitalismus kann denn auch nur durch das krebsartige Wachstum des Staates funktionieren, mit seinem eigenen stehenden Heer von Bürokraten, Polizisten und Spionen. Vor allem die Sicherheitsdienste sind in gigantischem Ausmaß angeschwollen, ebenso wie ihr Spiegelbild, die Mafiabanden, die in vielen Ländern der kapitalistischen Peripherie ihre brutale Ordnung durchsetzen.
In ähnlicher Weise hat die kapitalistische Dekadenz mit ihrem gewaltigen Bank-, Finanz- und Werbeapparat, der für die Zirkulation tatsächlich produzierter Güter mehr denn je unerlässlich ist, die Zahl der Menschen, die an grundsätzlich sinnlosen Formen von täglichen Verrichtungen beteiligt sind, enorm erhöht; und die aufeinander folgenden Wellen der "Globalisierung" haben die Absurditäten, die mit der weltweiten Zirkulation von Waren verbunden sind, noch offensichtlicher gemacht, ganz zu schweigen von den steigenden Kosten auf ökologischer Ebene. Und die Menge an Arbeit, die den Ansprüchen der heute als "Superreiche" bezeichneten Menschen gewidmet wird, ist nicht weniger schockierend als zu Engels' Zeiten – nicht nur in ihrem unerschöpflichen Bedarf an Dienern und Dienerinnen, sondern auch in ihrem Durst nach wirklich nutzlosem Luxus wie Privatjets, Yachten und Palästen. Und am entgegengesetzten Pol, in einer Epoche, in der die Wirtschaftskrise des Systems selbst zu einer permanenten Krise geworden ist, ist die Arbeitslosigkeit weniger eine zyklische Geißel als eine permanente, auch wenn sie durch die Verbreitung von Kurzzeitjobs und Unterbeschäftigung verschleiert wird. In der so genannten Dritten Welt hat die Zerstörung der traditionellen Ökonomien in einigen Gebieten zu einer intensiven kapitalistischen Entwicklung geführt, aber sie hat auch ein gigantisches "Subproletariat" geschaffen, und die, welche dazugehören, führen als Slumbewohner und -bewohnerinnen in den Townships Afrikas oder den "Favelas" Brasiliens und Lateinamerikas eine äußerst prekäre Existenz.
So hatte Bordiga – auch wenn er die Dekadenz des Systems nicht kohärent verstand – begriffen, dass die Umsetzung des kommunistischen Programms in dieser Epoche nicht bedeutet, durch einen sehr raschen Industrialisierungsprozess zum Überfluss voranzuschreiten, wie es die Bolschewiki angesichts der "rückständigen" Bedingungen, denen sie in Russland nach 1917 ausgesetzt waren, tendenziell angenommen hatten. Sicherlich wird sie die Entwicklung und Anwendung der fortschrittlichsten Technologien erfordern, aber sie wird zunächst als eine geplante Demontage all dessen Gestalt annehmen, was im bestehenden Produktionsapparat schädlich und nutzlos ist, und als eine globale Neuordnung der wirklichen menschlichen Ressourcen, die der Kapitalismus ständig verschwendet und zerstört.
Die kommunistische Bewegung heute – auch wenn sie das Ausmaß des Problems erst spät erkannt hat – kann nicht umhin, sich der ökologischen Kosten der kapitalistischen Entwicklung im vergangenen Jahrhundert und vor allem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewusst zu sein. Es ist für uns offensichtlicher als für die Bolschewiki, dass wir den Kommunismus nicht mit den Methoden der kapitalistischen Industrialisierung erreichen können, die sowohl die menschliche Arbeitskraft als auch den natürlichen Reichtum den Forderungen des Profits, dem Idol des sich selbst verwertenden Werts, opfert. Wir verstehen jetzt, dass eine der Hauptaufgaben des Proletariats darin besteht, die Gefahr einer galoppierenden globalen Erwärmung zu stoppen und das gigantische Chaos zu beseitigen, das der Kapitalismus uns hinterlassen hat: die mutwillige Zerstörung von Wäldern und Wildnis, die Vergiftung von Luft, Land und Wasser durch das bestehende Produktions- und Transportsystem. Einige Teile dieses "Erbes" werden viele Jahre geduldiger Forschung und Arbeit erfordern, um sie zu überwinden – die Verschmutzung der Meere und der Nahrungskette durch Plastikabfälle ist nur ein Beispiel dafür. Und wie wir bereits erwähnt haben, wird die Befriedigung der grundlegendsten Bedürfnisse der Weltbevölkerung (Nahrung, Wohnung, Gesundheit usw.) mit diesem Gesamtprojekt der Harmonisierung zwischen Menschen und Natur in Einklang stehen müssen.
Es ist Bordigas Verdienst, dass er sich bereits Anfang der fünfziger Jahre dieses Problems bewusst wurde: Seine Intuition für die Zentralität dieser Dimension zeigt sich vor allem in seiner Position zum Problem der "Großstädte", die voll und ganz mit dem Denken von Marx und insbesondere von Engels übereinstimmt.
Stadt und Zivilisation haben historisch (und in manchen Sprachen etymologisch) die gleichen Wurzeln. Manchmal wird der Begriff "Zivilisation" auf die Gesamtheit der menschlichen Kultur und Moral zurückgeführt[10]: In diesem Sinne bilden auch die Jäger und Sammler Australiens oder Afrikas eine Zivilisation. Aber es steht außer Frage, dass der Übergang zum Leben in Städten, die die allgemeinere Definition von Zivilisation ist, eine qualitative Entwicklung in der Menschheitsgeschichte darstellte: ein Faktor für die Weiterentwicklung der Kultur und die Aufzeichnung der Geschichte selbst, aber auch die definitiven Anfänge der Klassenausbeutung und des Staates. Schon vor dem Kapitalismus ist die Stadt, wie Weber zeigte, auch untrennbar mit dem Handel und der Geldwirtschaft verbunden[11]. Doch das Bürgertum ist die städtische Klasse schlechthin, und die mittelalterlichen Städte wurden zu Zentren des Widerstands gegen die Hegemonie des feudalen Adels, dessen Reichtum vor allem auf dem Landbesitz und der Ausbeutung der Bauern beruhte. Das moderne Proletariat ist nicht weniger eine städtische Klasse, die sich aus der Enteignung der Bauern und dem Ruin der Handwerker gebildet hat. In die überstürzt gewachsenen Ballungsgebiete von Manchester, Glasgow oder Paris getrieben, wurde sich die Arbeiterklasse hier zum ersten Mal als eigenständige Klasse im Gegensatz zur Bourgeoisie bewusst und begann, sich eine Welt jenseits des Kapitalismus vorzustellen.
Auf der Ebene der Beziehung des Menschen zur Natur weist die Stadt denselben doppelten Aspekt auf: Sie ist das Zentrum der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung und eröffnet das Potenzial für die Befreiung von Entbehrung und Krankheit. Aber diese wachsende "Beherrschung der Natur", die sich unter den Bedingungen der Entfremdung des Menschen von sich selbst und von der Natur vollzieht, ist auch untrennbar mit der Zerstörung der Natur und mit einer Reihe von ökologischen Katastrophen verbunden. So wurde der Verfall der sumerischen oder der Maya-Stadtkulturen damit erklärt, dass die Stadt sich selbst überforderte und das sie umgebende Milieu von Wäldern und Landwirtschaft erschöpfte, deren Zusammenbruch der Hybris der Zivilisationen, die ihre innige Abhängigkeit von der Natur zu vergessen begannen, schreckliche Schläge versetzte. So wurden auch die Städte, insofern sie die Menschen wie Sardinen zusammenpressten, das Grundproblem der Abfallentsorgung nicht lösten und uralte Beziehungen zwischen Mensch und Tier umkehrten, zum Nährboden für Plagen wie die Pest in der Zeit des Niedergangs der Feudalismus oder die Cholera und den Typhus, die in den Industriestädten des Frühkapitalismus wüteten. Aber auch hier müssen wir die andere Seite der Dialektik betrachten: Die aufsteigende Bourgeoisie war in der Lage zu verstehen, dass die Krankheiten, die ihre Lohnsklaven heimsuchten, an den Türen der Kapitalisten nicht haltmachten und ihr ganze Wirtschaftsgebäude untergraben konnten. So konnte sie erstaunliche Ingenieurleistungen beim Bau von Abwassersystemen, die noch heute in Betrieb sind, beginnen und durchsetzen, während die sich rasch entwickelnde Medizin zur Beseitigung der bis dahin chronischen Krankheitsformen eingesetzt wurde.
Vor allem im Werk von Friedrich Engels finden wir die grundlegenden Elemente für eine Geschichte der Stadt aus proletarischer Sicht. In Der Ursprung der Familie, des Privateigentum und des Staats zeichnet er die Auflösung der alten "Gens", der auf verwandtschaftlichen Bindungen basierenden Stammesorganisation, bis hin zur neuen territorialen Organisation der Stadt, die die unumkehrbare Spaltung in antagonistische Klassen und damit die Entstehung der Staatsmacht markiert, deren Aufgabe es ist, zu verhindern, dass diese Spaltungen die Gesellschaft zerreißen. In Die Lage der arbeitenden Klasse in England zeichnet er ein Bild von den höllischen Lebensbedingungen des jungen Proletariats, dem alltäglichen Schmutz und der Krankheit der Slums von Manchester, aber auch von den Regungen des Klassenbewusstseins und der Organisierung, die letztlich die entscheidende Rolle dabei spielten, die herrschende Klasse zu zwingen, den Arbeitern bedeutende Reformen zuzugestehen.
In zwei späteren Werken, im Anti-Dühring und in Zur Wohnungsfrage, beginnt Engels eine Diskussion über die kapitalistische Stadt in einer Phase, in der der Kapitalismus bereits in den zentralen Ländern Europas und den USA triumphiert hat und dabei ist, den gesamten Globus zu erobern. Und es fällt auf, dass er bereits jetzt zu dem Schluss kommt, dass die großen Städte sich selbst überlebt haben und verschwinden müssen, um die Forderung des Kommunistischen Manifests zu erfüllen: die Aufhebung der Trennung zwischen Stadt und Land. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Marx in den 1860er Jahren auch zunehmend besorgt über die zerstörerischen Auswirkungen der kapitalistischen Landwirtschaft auf die Fruchtbarkeit des Bodens war und in den Arbeiten von Liebig feststellte, dass die Vernichtung der Waldbestände in Teilen Europas Auswirkungen auf das Klima hatte, indem sie die lokalen Temperaturen erhöhte und die Niederschläge verringerte[12]. Mit anderen Worten: Genauso wie Marx nach der Zerschlagung der Pariser Kommune Zeichen der politischen Dekadenz der bürgerlichen Klasse erkannte und in seiner Korrespondenz mit russischen Revolutionären gegen Ende seines Lebens nach Wegen suchte, wie die Regionen, in denen der Kapitalismus noch nicht vollständig obsiegt hatte, dem Fegefeuer der kapitalistischen Entwicklung entgehen konnten, hatten sowohl er als auch Engels begonnen, sich zu fragen, ob, was den Kapitalismus betraf, die Grenze erreicht sei[13]. Vielleicht waren die materiellen Grundlagen für eine globale kommunistische Gesellschaft bereits gelegt worden, und weiterer "Fortschritt" für das Kapital würde ein zunehmend zerstörerisches Ergebnis haben? Wir wissen, dass das System durch seine imperialistische Expansion in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts seine Existenz noch um einige Jahrzehnte verlängerte und die Grundlage für eine schwankende Wachstums- und Entwicklungsphase schaffte, was einige Elemente in der Arbeiterbewegung dazu veranlasste, die marxistische Analyse der Unvermeidbarkeit der kapitalistische Krise und des kapitalistischen Niedergangs in Frage zu stellen, nur damit die ungelösten Widersprüche des Kapitals im Krieg von 1914-18 (den auch Engels vorausgesagt hatte) ans Tageslicht kämen. Aber die brennenden Fragen nach der Zukunft, die sie gerade dann zu stellen begannen, als der Kapitalismus seinen Zenit erreicht hatte, waren damals durchaus berechtigt und sind heute mehr denn je aktuell.
In "Die Transformation der sozialen Beziehungen", International Review 85 (engl./frz./span. Ausgabe), haben wir untersucht, wie die Revolutionäre des 19. Jahrhunderts – insbesondere Engels, aber auch Bebel und William Morris – argumentierten, dass das Wachstum der Großstädte bereits den Punkt erreicht hatte, an dem die Abschaffung des Antagonismus zwischen Stadt und Land zu einer echten Notwendigkeit geworden war, so dass die Expansion der Großstädte zugunsten einer größeren Einheit zwischen Industrie und Landwirtschaft und einer gleichmäßigeren Verteilung der menschlichen Behausungen auf der Erde ein Ende finden sollte. Es war eine Notwendigkeit nicht nur zur Lösung drängender Probleme wie der Abfallentsorgung und der Verhinderung von Überbevölkerung, Umweltverschmutzung und Krankheiten, sondern auch als Grundlage für ein menschlicheres Leben im Einklang mit der Natur.
In zuvor schon zitierten Artikel "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus" zeigten wir, dass Bordiga – vielleicht mehr als jeder andere Marxist im 20. Jahrhundert – diesem wesentlichen Aspekt des kommunistischen Programms treu geblieben war, indem wir zum Beispiel seinen 1953 erschienenen Artikel Raum vs. Beton[14] zitierten, eine leidenschaftliche Polemik gegen die zeitgenössischen Tendenzen in Architektur und Stadtplanung (ein Bereich, in dem Bordiga selbst beruflich tätig war), die von dem Bedürfnis des Kapitals angetrieben wurden, so viele Menschen wie möglich auf immer engerem Raum zusammenzutreiben – eine Tendenz, die durch den schnellen Bau von Hochhäusern verkörpert wird, die angeblich von den Architekturtheorien Le Corbusiers inspiriert sein sollen. Bordiga ist erbarmungslos gegenüber den Verfechtern der modernen Städtebauideologie:
"Wer solchen Tendenzen Beifall spendet, sollte nicht nur als Verteidiger kapitalistischer Doktrinen, Ideale und Interessen betrachtet werden, sondern als Komplize der pathologischen Tendenzen der obersten Stufe des Kapitalismus in Verfall und Auflösung" (also keine Zurückhaltung gegenüber der Dekadenz hier!). An anderer Stelle im selben Artikel bekräftigt er dies:
"Vertikalismus heißt diese deformierte Doktrin; der Kapitalismus ist vertikal. Der Kommunismus wird 'horizontal' sein". Und am Ende des Artikels nimmt er freudig den Tag vorweg, an dem "die Zementmonster lächerlich gemacht und unterdrückt" und die "Riesenstädte entleert" werden, um "die Dichte des Lebens und der Arbeit auf dem bewohnbaren Land einheitlich werden zu lassen".
In einem anderen Werk, Die menschliche Gattung und die Erdkruste[15], zitiert Bordiga ausgiebig aus Engels' Zur Wohnungsfrage, und wir können der Versuchung nicht widerstehen, dasselbe zu tun. Dies stammt aus dem letzten Abschnitt der Broschüre, in dem Engels den Proudhon-Anhänger Mülberger dafür zitiert, dass er behauptet, es sei utopisch, den "unvermeidlichen" Antagonismus zwischen Stadt und Land überwinden zu wollen:
"Die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land ist nicht mehr und nicht minder eine Utopie als die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern. Sie wird von Tag zu Tag mehr eine praktische Forderung der industriellen wie ackerbauenden Produktion. Niemand hat sie lauter gefordert als Liebig in seinen Schriften über die Chemie des Ackerbaus, worin stets seine erste Forderung ist, daß der Mensch an den Acker das zurückgebe, was er von ihm erhält, und worin er beweist, daß nur die Existenz der Städte, namentlich der großen Städte, dies verhindert. Wenn man sieht, wie hier in London allein eine größere Menge Dünger als das ganze Königreich Sachsen produziert, Tag für Tag unter Aufwendung ungeheurer Kosten – in die See geschüttet wird, und welche kolossalen Anlagen nötig werden, um zu verhindern, daß dieser Dünger nicht ganz London vergiftet, so erhält die Utopie von der Abschaffung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land eine merkwürdig praktische Grundlage. Und selbst das verhältnismäßig unbedeutende Berlin erstinkt seit mindestens dreißig Jahren in seinem eigenen Dreck. Andererseits ist es eine reine Utopie, wenn man, wie Proudhon, die jetzige bürgerliche Gesellschaft umwälzen und den Bauer als solchen erhalten will. Nur eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Bevölkerung über das ganze Land, nur eine innige Verbindung der Industriellen mit der ackerbauenden Produktion, nebst der dadurch nötig werdenden Ausdehnung der Kommunikationsmittel – die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise dabei vorausgesetzt – ist imstande, die Landbevölkerung aus der Isolierung und Verdummung herauszureißen, in der sie seit Jahrtausenden fast unverändert vegetiert."[16]
In dieser Passage werden mehrere Gedankenstränge vorgeschlagen, und Bordiga ist sich ihrer sehr wohl bewusst. Erstens besteht Engels darauf, dass die Überwindung des Antagonismus zwischen Stadt und Land eng mit der Überwindung der allgemeinen kapitalistischen Arbeitsteilung verbunden ist – ein Thema, das im Anti-Dühring weiter entwickelt wird, insbesondere die Trennung zwischen geistiger und manueller Arbeit, die im kapitalistischen Produktionsprozess so unüberbrückbar erscheint. Beide Trennungen, nicht anders als die Spaltung zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter, sind für die Vervollkommnung des menschlichen Wesens unerlässlich. Und im Gegensatz zum Schematismus der rückwärtsgewandten Proudhonisten beinhaltet die Abschaffung der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse nicht die Erhaltung des Kleingrundbesitzes der Bauern oder Handwerker; die Überwindung der Trennungen zwischen Stadt und Land, zwischen Industrie und Landwirtschaft wird die Bauern aus der Isolation und der intellektuellen Vegetation ebenso retten wie die Stadtbewohner vor Überbevölkerung und Umweltverschmutzung befreien.
Zweitens wirft Engels hier, wie auch anderswo, das einfache, aber oft übergangene Problem der menschlichen Exkremente auf. In ihrer ersten, "wilden" Form haben die kapitalistischen Städte so gut wie keine Vorkehrungen für den Umgang mit menschlichen Exkrementen getroffen und sehr schnell den Preis dafür mit der Entstehung epidemischer Krankheiten bezahlt, insbesondere mit Durchfall und Cholera – Geißeln, die noch immer in den Elendsvierteln der kapitalistischen Peripherie wüten, wo grundlegende Hygieneeinrichtungen notorisch fehlen. Der Bau des Abwassersystems stellte sicherlich einen Fortschritt in der Geschichte der bürgerlichen Stadt dar. Aber das einfache Wegspülen von menschlichem Abfall ist selbst eine Form von Abfall, da er als natürlicher Dünger verwendet werden könnte (wie es in der Tat in der früheren Geschichte der Stadt der Fall war).
Wenn man auf London oder Manchester zu Lebzeiten Engels‘ blickt, könnte man leicht sagen: Wenn unsere Vorfahren schon damals fanden, dass diese Städte viel zu groß geworden seien, viel zu sehr von ihrer natürlichen Umgebung getrennt: Was hätten sie von den modernen Abkömmlingen dieser Städte gehalten? Die UNO schätzt, dass heute rund 55% der Weltbevölkerung in großen Städten leben, aber wenn das gegenwärtige Wachstum der Städte anhält, wird diese Zahl bis 2050 auf rund 68% steigen[17].
Dies ist ein wirkliches Beispiel für das, was Marx bereits in den Grundrissen postuliert hat: "Entwicklung als Verfall", und Bordiga hat dies in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg vorausschauend erkannt Die Anthropologen, die den Beginn des Zeitalters des so genannten "Anthropozäns" definieren wollen (was im Grunde genommen die Epoche bedeutet, in der die menschliche Tätigkeit einen grundlegenden und qualitativen Einfluss auf die Ökologie des Planeten zu haben begann), führen es gewöhnlich auf die Ausbreitung der modernen Industrie zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurück – kurz gesagt auf den Sieg des Kapitalismus. Aber einige von ihnen sprechen auch von einer "Großen Beschleunigung", die nach 1945 stattfand, und wir können sehen, wie sich der Moloch nach 1989 mit dem Aufstieg Chinas und anderer "Entwicklungsländer" noch weiter beschleunigt hat.
Die Folgen dieses Wachstums sind bekannt: der Beitrag der Megastadt zur globalen Erwärmung durch ungehemmtes Bauen, der Energieverbrauch und die Emissionen von Industrie und Verkehr, die auch in vielen Städten die Luft vergiften (bereits von Bordiga in Die menschliche Gattung und die Erdkruste erwähnt: "Was die bürgerliche Demokratie betrifft, so hat sie sich so weit herabgelassen, dass sie auf die Freiheit zu atmen verzichtet"). Die unkontrollierte Ausbreitung der Urbanisierung war ein Hauptfaktor für die Zerstörung natürlicher Lebensräume und das Aussterben von Arten; und nicht zuletzt haben die Megastädte ihre Rolle als Brutstätten neuer pandemischer Krankheiten offenbart, von denen die tödlichste und ansteckendste – Covid-19 – zur Zeit der Abfassung dieses Artikels die Weltwirtschaft lähmt und eine weltweite Spur von Tod und Leid hinterlässt. Die beiden letzten "Beiträge" haben sich wahrscheinlich in der Covid-19-Epidemie zusammengefunden, die zu einer Reihe von Fällen gehört, in denen ein Virus von einer Spezies auf eine andere übergesprungen ist. Dies ist zu einem großen Problem in Ländern wie China und in vielen Teilen Afrikas geworden, in denen die Lebensräume von Tieren ausgelöscht werden, was zu einer erheblichen Zunahme des Konsums von "Wildfleisch" führt, und in denen die neuen Städte, die gebaut wurden, um Chinas rasendem Wirtschaftswachstum zu dienen, minimale Hygienekontrollen haben.
In der Liste der revolutionären Maßnahmen, die in Bordigas Artikel enthalten ist, ist Punkt 7 der relevanteste für das Projekt der Abschaffung des Antagonismus zwischen Stadt und Land:
»Anhalten der Bautätigkeit« von Wohnungen und Arbeitsstätten am Rande der großen Städte (und auch der kleinen), als Maßnahme zur gleichmäßigen Verteilung der Bevölkerung über das gesamte Territorium. Verringerung der Schnelligkeit, des Ausmaßes und der Verdichtung des Verkehrs durch Verbot des überflüssigen Verkehrs.“
Dieser Punkt scheint heute besonders zeitgemäß zu sein, da praktisch jede Stadt Schauplatz unerbittlicher "vertikaler" Erhebung (der Bau riesiger Wolkenkratzer, insbesondere in den Stadtzentren) und "horizontaler" Ausdehnung ist, die das Umland auffrisst. Die Forderung lautet einfach: Stopp! Das Aufblähen der Städte und die unhaltbare Konzentration der Bevölkerung in ihnen ist das Ergebnis der kapitalistischen Anarchie und daher im Wesentlichen ungeplant und dezentralisiert. Die menschliche Energie und die technologischen Möglichkeiten, die derzeit für dieses krebsartige Wachstum eingesetzt werden, müssen vom Beginn des revolutionären Prozesses an in eine andere Richtung mobilisiert werden. Auch wenn die Weltbevölkerung beträchtlich zugenommen hat, seit Bordiga in Raum vs. Beton errechnete, dass "unsere Spezies im Durchschnitt einen Quadratkilometer pro zwanzig Einwohner hat"[18], bleibt die Möglichkeit einer weitaus rationaleren und harmonischeren Verteilung der Bevölkerung über den Planeten bestehen, selbst wenn man die Notwendigkeit berücksichtigt, große Gebiete der Wildnis zu erhalten – eine Notwendigkeit, die heute besser verstanden wird, weil die immense Bedeutung der Erhaltung der biologischen Vielfalt auf dem ganzen Planeten wissenschaftlich erwiesen ist, die aber bereits von Trotzki in Literatur und Revolution[19] ins Auge gefasst wurde.
Die Abschaffung des Stadt-Land-Antagonismus wurde durch den Stalinismus in eine Richtung verzerrt: alles zupflastern, "Arbeiterkasernen" und neue Fabriken auf jedem Feld und in jedem Wald bauen. Für den authentischen Kommunismus würde sie bedeuten, Felder zu bestellen und Wälder mitten in den Städten zu pflanzen, aber auch, dass lebensfähige Gemeinschaften an erstaunlich vielen Orten angesiedelt werden können, ohne alles um sie herum zu zerstören, und dass sie nicht isoliert werden, weil ihnen die Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen, die der Kapitalismus in der Tat mit schwindelerregender Geschwindigkeit entwickelt hat. Engels hatte bereits in Zur Wohnungsfrage auf diese Möglichkeit hingewiesen, und Bordiga greift sie in Raum vs. Beton wieder auf:
"Modernste Produktionsformen, Netzwerke von Stationen aller Art wie Wasserkraftwerke, Kommunikation, Radio, Fernsehen nutzen, verleihen den Arbeitern, die in kleinen Gruppen über enorme Entfernungen verteilt sind, zunehmend eine einzigartige betriebliche Disziplin. Die kombinierte Arbeit bleibt bestehen, in immer größeren und wunderbareren Geflechten, und die autonome Produktion verschwindet mehr und mehr. Aber die oben erwähnte technologische Dichte nimmt ständig ab. Die städtische und produktive Agglomeration bleibt also nicht aus Gründen, die vom Optimum der Produktion abhängen, sondern aus Gründen der Dauerhaftigkeit der Profitwirtschaft und der sozialen Diktatur des Kapitals".
Die Digitaltechnik hat dieses Potential natürlich weiter vorangetrieben. Aber im Kapitalismus war das Gesamtergebnis der "Internet-Revolution" die Beschleunigung der Atomisierung des Individuums, während der Trend zum "Homeoffice" – besonders hervorgehoben durch die Covid-19-Krise und die begleitenden Maßnahmen der sozialen Isolation – die Tendenz zur städtischen Verdichtung keineswegs verringert hat. Der Konflikt zwischen dem Wunsch, in Gemeinschaft mit anderen zu leben und zu arbeiten einerseits, und dem Bedürfnis, Raum zum Bewegen und Atmen zu finden andererseits, kann nur in einer Gesellschaft gelöst werden, in der der Einzelne nicht mehr im Widerspruch zur Gemeinschaft steht.
Wie beim Bau menschlicher Behausungen so ist es auch bei der Hektik des modernen Verkehrs: stoppen oder zumindest verlangsamen!
Auch hier ist Bordiga seiner Zeit voraus. Die Methoden des kapitalistischen Transports zu Lande, zu Wasser und in der Luft, die überwiegend auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe basieren, sind für mehr als 20% der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich[20], während sie in den Städten zu einer wesentlichen Quelle von Herz- und Lungenkrankheiten geworden sind, von denen vor allem Kinder betroffen sind. Die jährliche Zahl der Verkehrstoten weltweit beträgt schwindelerregende 1,35 Millionen, mehr als die Hälfte davon sind "ungeschützte" Verkehrsteilnehmende: FußgängerInnen, Radfahrende und Motorradfahrer[21], und dies sind nur die offensichtlichsten Nachteile des gegenwärtigen Verkehrssystems. Der ständige Lärm, den es erzeugt, nagt an den Nerven des Stadtbewohners, und die Unterordnung der Stadtplanung unter die Bedürfnisse des Autos (und der Autoindustrie, die so zentral für die bestehende kapitalistische Wirtschaft ist) führt zu Städten, die endlos zersplittert sind, mit Wohngebieten, die durch den unaufhörlichen Verkehrsfluss voneinander getrennt sind. Unterdessen wird die soziale Atomisierung, ein wesentliches Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft und insbesondere der kapitalistischen Stadt, nicht nur symbolisiert, sondern noch verstärkt durch den einsamen Autobesitzer und -fahrer, der mit Millionen ähnlich getrennter Seelen um den Straßenraum konkurriert.
Natürlich musste der Kapitalismus Maßnahmen ergreifen, um zu versuchen, die schlimmsten Auswirkungen all dessen zu mildern: "Kohlenstoffausgleich", um exzessive Flüge auszugleichen, "Verkehrsberuhigung" und autofreie Gehwege in den Stadtzentren, die Entwicklung hin zum Elektroauto.
Keine dieser "Reformen" kommt auch nur annähernd an eine Lösung des Problems heran, weil keine dieser "Reformen" die kapitalistischen Gesellschaftsbeziehungen in Frage stellt, die an der Wurzel liegen. Nehmen wir zum Beispiel das Elektroauto: Die Autoindustrie hat die Zeichen der Zeit erkannt und tendiert dazu, immer mehr auf dieses Verkehrsmittel umzusteigen. Aber selbst wenn man das Problem der Gewinnung und Entsorgung des für die Batterien benötigten Lithiums oder die Notwendigkeit, die Stromproduktion für den Antrieb dieser Fahrzeuge zu erhöhen, beiseite lässt, die allesamt erhebliche ökologische Kosten verursachen, wäre eine Stadt voller Elektrofahrzeuge zwar geringfügig leiser und etwas weniger verschmutzt, aber immer noch gefährlich für die FußgängerInnen und von Autostraßen zerschnitten.
Es ist möglich, dass der Kommunismus in der Tat in großem Umfang (wenn auch zweifellos nicht ausschließlich) von Elektrofahrzeugen Gebrauch machen wird. Aber das eigentliche Problem liegt woanders. Der Kapitalismus muss mit halsbrecherischer Geschwindigkeit operieren, denn Zeit ist Geld, und der Transport wird von den Bedürfnissen der Akkumulation angetrieben, die die "Umschlags"-Zeit und damit den Transport in ihre Gesamtberechnungen einbezieht. Der Kapitalismus wird gleichermaßen von der Notwendigkeit angetrieben, so viele Produkte wie möglich zu verkaufen, daher der ständige Druck für jeden Einzelnen, sein Eigentum zu besitzen – wiederum symbolisiert im privaten Auto, das zum Ausdruck des persönlichen Reichtums und Prestiges geworden ist, dem Schlüssel zur "Freiheit auf der Straße" in einer Ära endloser Staus.
Das Tempo des Lebens in den heutigen Städten ist (selbst mit den Staus) weitaus höher als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber in Die Frau und der Sozialismus, das erstmals 1879 veröffentlicht wurde, freute sich August Bebel bereits auf die Stadt der Zukunft, wo das "nervenzerstörende Geräusch, Gedränge und Gerenne unserer großen Städte mit ihren Tausenden von Vehikeln aller Art im wesentlichen" aufhört, "alles eine große Umgestaltung" erfährt (S. 451).
Die Hektik und der Stau, die das Stadtleben so stressig machen, können nur überwunden werden, wenn der Drang zur Akkumulation zugunsten einer Produktion unterdrückt wird, die so geplant ist, dass die notwendigen Gebrauchswerte frei verteilt werden können. Bei der Ausarbeitung der Verkehrsnetze der Zukunft wird natürlich ein Schlüsselfaktor darin bestehen, den Kohlenstoffausstoß und andere Formen der Umweltverschmutzung weitgehend auf ein Minimum zu beschränken, aber die Notwendigkeit, eine größere Entspannung, ein gewisses Maß an Ruhe für Wohnhafte und Reisende zu erreichen, wird sicherlich in den Gesamtplan einfließen. Da der Druck, so schnell wie möglich von A nach B zu gelangen, viel geringer ist, werden die Reisenden mehr Zeit haben, die Reise selbst zu genießen: Vielleicht wird in einer solchen Welt das Pferd auf Teile des Landes zurückkehren, die Segelboote auf das Meer, Luftschiffe in den Himmel, während es auch möglich sein wird, bei Bedarf viel schnellere Transportmittel zu benutzen[22]. Gleichzeitig wird sich das Verkehrsaufkommen stark verringern, wenn die Sucht nach dem persönlichen Besitz von Fahrzeugen durchbrochen werden kann und die Reisenden Zugang zu kostenlosen öffentlichen Verkehrsmitteln verschiedener Art haben (Busse, Züge, Boote, Taxis und selbstfahrende Verkehrsmittel). Wir sollten auch bedenken, dass im Gegensatz zu den vielen westlichen kapitalistischen Städten, in denen die Hälfte aller Wohnungen von Einzelpersonen bewohnt wird, der Kommunismus ein Experiment für gemeinschaftlichere Wohnformen sein wird; und in einer solchen Gesellschaft kann das Reisen in Gesellschaft anderer zu einem Vergnügen werden und nicht zu einem verzweifelten Wettlauf zwischen verfeindeten Konkurrenten.
Wir sollten auch bedenken, dass viele der Fahrten, die das Verkehrssystem verstopfen, die zu sinnlosen Tätigkeiten wie Finanzen, Versicherungen oder Werbung führen, in einer geldlosen Gesellschaft keinen Platz haben werden. Der tägliche Berufsverkehr wird der Vergangenheit angehören. Gleichzeitig kann die Produktion von Gebrauchsgegenständen umgestaltet und verlagert werden, um den Transport von Produkten über weite Strecken zu vermeiden, der im Kapitalismus sehr oft nur von dem Ziel bestimmt wird, schlechter bezahlte Arbeitskräfte oder andere Vorteile (für das Kapital) zu finden, wie z.B. fehlende Umweltvorschriften. Die gesamte Produktion und Verteilung der benötigten Gebrauchswerte werden neu organisiert, so dass viele Fahrten zwischen den Produktionsstätten und den Wohnungen nicht mehr notwendig sind.
Auf diese Weise werden die Straßen einer Stadt, in der das wütende Tosen des Verkehrs auf ein Schnurren reduziert ist, einige ihrer älteren Vorteile und Nutzungen – zum Beispiel als Spielplätze für Kinder – zurückgewinnen.
Auch hier unterschätzen wir das Ausmaß der damit verbundenen Aufgaben nicht. Auch wenn die Möglichkeit, gemeinschaftlicher oder assoziierter zu leben, durch den Übergang zu einer kommunistischen Produktionsweise eingeschränkt wird, werden die egoistischen Vorurteile, die durch mehrere hundert Jahre Kapitalismus stark verschärft wurden, nicht automatisch verschwinden und in der Tat oft als ernsthafte Hindernisse für den Prozess der Vergesellschaftung wirken. Wie Marx es ausdrückte,
"Das Privateigentum hat uns so dumm und einseitig gemacht, daß ein Gegenstand erst der unsrige ist, wenn wir ihn haben, also als Kapital für uns existiert oder von uns unmittelbar besessen, gegessen, getrunken, an unsrem Leib getragen, von uns bewohnt etc., kurz, gebraucht wird. Obgleich das Privateigentum alte diese unmittelbaren Verwirklichungen des Besitzes selbst wieder nur als Lebensmittel faßt und das Leben, zu dessen Mittel sie dienen, ist das Leben des Privateigentums Arbeit und Kapitalisierung. An die Stelle aller physischen und geistigen Sinne ist daher die einfache Entfremdung aller dieser Sinne, der Sinn des Habens getreten." (Ökonomisch-philosophische Manuskripte von 1844, Kapitel über Privateigentum und Kommunismus)
Rosa Luxemburg vertrat immer die Ansicht, dass es beim Kampf für den Sozialismus nicht nur um "Brot-und-Butter"-Fragen gehe, sondern dass "sittlich (...) der Arbeiterkampf die kulturelle Erneuerung der Gesellschaft" bedeute[23]. Dieser kulturelle und moralische Aspekt des Klassenkampfes und vor allem der Kampf gegen den "Sinn des Habens" werden sicherlich während des Übergangs zum Kommunismus weitergeführt werden.
CDW 23.04.2020
[1] "Der Wandel der sozialen Beziehungen" in International Review 85 (englische, französische, spanische Ausgabe): https://en.internationalism.org/internationalreview/199604/3709/transformation-social-relations [89]; "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus", https://de.internationalism.org/content/2944/die-1950er-und-60er-jahre-damen-bordiga-und-die-leidenschaft-fuer-den-kommunismus [90]
[2] “1918: Das Programm der Deutschen Kommunistischen Partei" in International Review 93, https://en.internationalism.org/internationalreview/199803/3824/1918-programme-german-communist-party [91]; und "1919: Das Programm der Diktatur des Proletariats" in International Review 95, https://en.internationalism.org/internationalreview/199809/3867/1919-programme-dictatorship-proletariat [92]; und "Das Programm des KAPD [93]", International Review 97.
[3] Marx, Kritik des Gothaer Programms
[4] "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus", siehe Anmerkung 1
[5] Wir wollen darauf hinweisen, dass der Text als "Parteidokument" der neuen Organisation angenommen wurde und nicht einfach nur ein individueller Bericht ist.
[6] Aber die Damenisten waren viel klarer in vielen der Lehren aus der Niederlage der Russischen Revolution und in den Positionen des Proletariats in der dekadenten Ära des Kapitalismus. Vgl. "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus", Anmerkung 1.
[8] Siehe "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus", a.a.O.
[10] Siehe zum Beispiel "Zu Patrick Torts The Darwin Effect", https://en.internationalism.org/icconline/2009/04/darwin-and-the-descent-of-man [96]
[11] Max Weber, Die Stadt, 1921
[12] Vgl. Kohei Saito, Karl Marx’s Ecosocialism, New York, 2017
[13] Zu Marx und der russischen Frage siehe einen früheren Artikel in dieser Reihe, "Der reife Marx: vergangener und zukünftiger Kommunismus", International Review 81 (engl./frz./span. Ausgabe), https://en.internationalism.org/internationalreview/199506/1685/mature-marx-past-and-future-communism [76]
[14] Il Programma Comunista, Nr. 1 vom 8. bis 24. Januar 1953, materialnecessity.org/2020/04/02/space-versus-cement-il-programa-comunista
[15] Il Programma Comunista no. 6/1952, 18. Dezember 1952, https://libcom.org/article/human-species-and-earths-crust-amadeo-bordiga [97]
[17] https://www.cnbc.com/2018/05/17/two-thirds-of-global-population-will-live-in-cities-by-2050-un-says.html [99]
[18] Bordiga gab die Zahl 2,5 Milliarden an, heute sind es eher 7,8 Milliarden: https://www.quora.com/In-2009-the-world-population-was-6-8-billion-Exponential-growth-rate-was-1-13-per-year-What-is-the-estimated-world-population-in-2012-and-2020 [100]
[19] https://www.marxists.org/archive/trotsky/1924/lit_revo/ [101] Siehe auch International Review 111 (englisch/französisch/spanische Ausgabe), "Trotzki und die Kultur des Kommunismus", https://en.internationalism.org/internationalreview/200210/9651/trotsky-and-culture-communism [102]
[22] Natürlich können die Menschen immer noch den Nervenkitzel genießen, mit schwindelerregender Geschwindigkeit zu reisen, aber vielleicht werden solche Vergnügungen in einer rationalen Gesellschaft vor allem in eigens dafür vorgesehenen Arenen erreicht.
[23] Stillstand und Fortschritt im Marxismus, 1903, Luxemburg Gesammelte Werke Bd. 1/2 S. 366
Das Ziel dieser Polemik ist es, eine Debatte im Proletarisch-Politischen Milieu anzuregen. Wir hoffen, dass die Kritik, die wir an anderen Gruppen üben, Anlass zu Reaktionen gibt, denn die Kommunistische Linke kann nur durch eine offene Auseinandersetzung mit unseren Differenzen gestärkt werden.
Angesichts großer sozialer Umwälzungen besteht die erste Pflicht der Kommunisten darin, ihre Prinzipien mit äußerster Klarheit zu verteidigen und der Arbeiterklasse die Mittel an die Hand zu geben, um zu verstehen, wo ihre Klasseninteressen liegen. Die Gruppen der Kommunistischen Linken haben sich vor allem durch ihre Loyalität zum Internationalismus angesichts der Kriege zwischen bürgerlichen Banden, Staaten und Bündnissen ausgezeichnet. Trotz der Unterschiede in ihrer Analyse der historischen Periode, in der wir leben, waren die bestehenden Gruppen der Kommunistischen Linken - die Internationale Kommunistische Strömung, die IKT (Internationalist Communist Tendency) und die verschiedenen Bordigistischen Organisationen - im Allgemeinen in der Lage, alle Kriege zwischen Staaten als imperialistisch anzuprangern und die Arbeiterklasse aufzufordern, ihren Protagonisten jegliche Unterstützung zu verweigern. Dadurch unterscheiden sie sich entscheidend von Pseudorevolutionären wie den Trotzkisten, die stets eine völlig verzerrte Version des Marxismus vertreten, um die Unterstützung der einen oder anderen bürgerlichen Fraktion zu rechtfertigen.
Die Aufgabe, die Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen, wird natürlich auch durch den Ausbruch großer sozialer Konflikte gestellt - nicht nur durch Bewegungen, die eindeutig Ausdruck des proletarischen Kampfes sind, sondern auch durch große Mobilisierungen, bei denen eine große Zahl auf der Straße protestiert und oft mit den Kräften der bürgerlichen Ordnung zusammenstößt. Im letzteren Fall kann der Präsenz von Arbeitern und sogar von Forderungen, die mit den Bedürfnissen der Arbeiterklasse verbunden sind, es sehr schwierig machen, eine klare Analyse ihres Klassencharakters zu erstellen.
All diese Elemente gab es zum Beispiel in der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich, und es gibt diejenigen (wie die Gruppe Guerre de Classe), die zu dem Schluss kamen, dass dies eine neue Form des proletarischen Klassenkampfes sei[1]. Im Gegensatz dazu konnten einige Gruppen der Kommunistischen Linken erkennen, dass es sich um eine interklassistische Bewegung handelte, an der sich die Arbeiter im Wesentlichen als Individuen beteiligten, den Parolen der Kleinbourgeoisie folgend und sogar offen bürgerliche Forderungen und Symbole (Bürgerdemokratie, Trikolore, immigrantenfeindlicher Rassismus usw.) mittrugen[2]. Dennoch waren beträchtliche Verwirrungen in ihren Analysen vorhanden. Der Wunsch, trotz alledem ein gewisses Potential der Arbeiterklasse in einer Bewegung zu sehen, die offensichtlich auf reaktionärem Terrain begonnen hatte und weitergeführt wurde, war bei einigen der Gruppen noch erkennbar, wie wir später noch sehen werden.
Die Black Lives Matter-Proteste stellen für revolutionäre Gruppen eine noch größere Herausforderung dar: Es lässt sich nicht leugnen, dass sie aus einer Welle echter Wut gegen einen besonders ekelhaften Ausdruck von Polizeibrutalität und Rassismus entstanden sind. Darüber hinaus war die Wut nicht auf Schwarze beschränkt und ging weit über die Grenzen der USA hinaus. Ausbrüche von Wut, Entrüstung und Widerstand gegen Rassismus führen jedoch nicht automatisch in Richtung Klassenkampf. In Ermangelung einer echten proletarischen Alternative können sie leicht von der Bourgeoisie und ihrem Staat instrumentalisiert werden. Unserer Meinung nach war dies bei den gegenwärtigen BLM-Protesten der Fall, und die Kommunisten stehen daher vor der Notwendigkeit, genau zu zeigen, wie eine ganze Palette bürgerlicher Kräfte - von der BLM vor Ort über die Demokratische Partei in den USA bis hin zu den Vertretern der großen Industriezweige, sogar die Chefs der Armee und der Polizei - vom ersten Tag an anwesend waren, um die legitime Wut zu instrumentalisieren und sie für ihre eigenen Interessen zu nutzen.
Wie haben die Kommunisten darauf reagiert? Wir werden uns hier nicht mit jenen Anarchisten befassen, die glauben, dass die Aktionen des kleinlichen Vandalismus der Schwarzen Blöcke im Rahmen solcher Demonstrationen Ausdruck von Klassengewalt sind, oder mit "Kommunisten", die meinen, Plünderungen seien eine Form des "proletarischen Einkaufens" oder ein Schlag gegen die Warenform. Wir können in künftigen Artikeln auf diese Argumente zurückkommen. Wir werden uns auf Erklärungen beschränken, die von den Gruppen der Kommunistischen Linken im Gefolge der ersten Unruhen und Demonstrationen nach dem Polizistenmord an George Floyd in Minneapolis abgegeben wurden.
Drei der Gruppen gehören der Bordigistischen Strömung an, und tatsächlich tragen sie alle den Titel "Internationale Kommunistische Partei", so dass wir sie nach ihren Veröffentlichungen definieren werden: Le Proletaire (Der Proletarier); Il Partito Comunista (Die Kommunistische Partei); Programma Comunista (Der Internationalist). Die vierte Gruppe ist die Internationalist Communist Tendency
Alle von diesen Gruppen abgegebenen Erklärungen enthalten Elemente, denen wir zustimmen können: zum Beispiel die unnachgiebige Anprangerung der Polizeibrutalität; die Erkenntnis, dass diese Brutalität, wie der Rassismus im Allgemeinen, ein Produkt des Kapitalismus ist und nur durch die Zerstörung dieser Produktionsweise beseitigt werden kann. Die Erklärung von Le Proletaire macht dies sehr deutlich: "Um den Rassismus loszuwerden, dessen Wurzeln in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft zu finden sind, muss die Produktionsweise, auf der er gedeiht, beseitigt werden, und zwar ausgehend nicht von der Kultur und dem "Gewissen", die bloße Widerspiegelung der kapitalistischen wirtschaftlichen und sozialen Struktur sind, sondern vom proletarischen Klassenkampf, in dem das entscheidende Element die gemeinsame Lage als Lohnarbeiter ist, unabhängig von der Hautfarbe, der Rasse oder dem Herkunftsland. Der einzige Weg, jede Form von Rassismus erfolgreich zu bekämpfen, ist der Kampf gegen die herrschende bürgerliche Klasse, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer Rasse oder ihrem Herkunftsland, denn sie profitiert von allen Unterdrückungen, von allen Formen des Rassismus, von allen Formen der Sklaverei."[3]
Die Parolen von Il Partito haben den gleichen Inhalt: "Arbeiter! Eure einzige Verteidigung ist die Organisation und der Kampf als Klasse. Die Antwort auf Rassismus ist kommunistische Revolution!"[4]
Wenn es jedoch um die schwierigste Frage geht, vor der Revolutionäre stehen, machen alle diese Gruppen mehr oder weniger den gleichen Kardinalfehler: Die Unruhen nach dem Mord und die Black Lives Matter-Demonstrationen sind aus ihrer Sicht Teil der Bewegung der Arbeiterklasse. Der Internationalist schreibt: "Heute sind die amerikanischen Proletarier gezwungen, mit Gewalt auf die Misshandlungen durch die Polizei zu reagieren und tun gut daran, sich Schlag für Schlag gegen die Angriffe zu wehren, so wie sie gut daran tun, Schlag für Schlag auf die "rassistischen" Schurken der Verfechter der "Überlegenheit der Weißen" zu reagieren und durch die Praxis der gegenseitigen Verteidigung zu zeigen, dass das Proletariat eine einzige Klasse ist: Wer einen von uns angreift, greift uns alle an."[5]
Il Partito: "Die Schwere der Verbrechen, die von den Vertretern des bürgerlichen Staates in den letzten Wochen begangen wurden, und die Stärke der Reaktion des Proletariats darauf zwingt zweifellos zur Suche nach historischen Vergleichen. Die Proteste und Ausschreitungen nach der Ermordung von Martin Luther King Jr. im Jahr 1968 fallen einem sofort ein, ebenso wie die Proteste und Ausschreitungen nach dem Freispruch der Polizei, die Rodney King 1992 misshandelt hatte.“
Die IKT: "Die Ereignisse in Minneapolis sind eine weitere Ergänzung zu einem historischen und systemischen Problem. Das schwarze Proletariat leidet nicht nur unter einer Arbeitslosigkeit, die doppelt so hoch ist wie die der Weißen (eine konstante Zahl seit den 1950er Jahren), sondern ist auch unverhältnismäßig stark von Polizeigewalt betroffen, wobei ein Ende der Zahl der Todesopfer offenbar nicht in Sicht ist. Dennoch erweist sich die Klasse in diesen schrecklichen Momenten erneut als kämpferisch. Die schwarzen Arbeiter Amerikas gingen, zusammen mit dem Rest des sich solidarisch zeigenden Proletariats, auf die Straße und wehrten die staatliche Repression ab. Daran hat sich nichts geändert. 1965, genau wie 2020, tötet die Polizei, und die Klasse reagiert auf die ungerechte Gesellschaftsordnung, für die sie morden. Der Kampf geht weiter.“[6]
Natürlich fügen alle Gruppen die Einschränkung hinzu, dass die Bewegung "nicht weit genug geht":
Der Internationalist: "Aber diese Aufstände (die die Massenmedien, die Organe und Ausdrucksformen der Bourgeoisie, als 'Proteste gegen Rassismus und Ungleichheit' herunterspielen wollen und damit jede Form verurteilen, die über das Klagen und Winseln der armen Teufel hinausgeht) müssen eine Lehre sein und die Proletarier in aller Welt daran erinnern, dass der Knoten, den es zu lösen gilt, der der Macht ist: Es reicht nicht aus, zu rebellieren und Polizeistationen anzuzünden und es reicht nicht aus, Waren aus den Läden oder Geld von den Banken und Pfandhäusern zu beschlagnahmen.“
Il Partito: "Die gegenwärtige antirassistische Bewegung begeht einen schwerwiegenden Fehler, wenn sie sich von der Klassenbasis des Rassismus trennt und ihre politischen Aktionen ausschließlich nach rassischen Gesichtspunkten fortsetzt, in der Hoffnung, an den bürgerlichen Staat zu appellieren. Sie hat es versäumt, die Rolle der Ordnungskräfte und des Militärs bei der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Staates und der politischen Herrschaft der Bourgeoisie anzuprangern. Für farbige Menschen und für das Proletariat als Ganzes liegt die Lösung in der Eroberung der politischen Macht, sie dem Staat zu entreißen, und nicht darin, an ihn zu appellieren."
Die IKT: "Während es ermutigend ist zu sehen, wie Teile der Klasse zurückschlagen, besteht die Tendenz, dass diese Unruhen nach etwa einer Woche abklingen, wenn die Ordnung wiederhergestellt und die unterdrückerischen Strukturen wiederaufgebaut werden.“
Eine Bewegung dafür zu kritisieren, dass sie nicht weit genug geht, macht nur Sinn, wenn sie von Anfang an in die richtige Richtung geht. Mit anderen Worten, es würde für Bewegungen auf einem Klassenterrain gelten. Unserer Ansicht nach war dies bei den Protesten gegen die Ermordung von George Floyd nicht der Fall.
Es besteht kein Zweifel, dass viele der Teilnehmer an den Protesten, Schwarze, Weiße und "andere", Arbeiter waren und sind. Ebenso zweifellos waren und sind sie zu Recht empört über den grausamen Rassismus der Polizei. Aber beides reicht nicht aus, um diesen Protesten einen proletarischen Charakter zu verleihen.
Dies gilt unabhängig davon, ob die Proteste in Form von Krawallen oder pazifistischen Aufmärschen stattfanden. Krawalle sind keine Methode des proletarischen Kampfes, der notwendigerweise einen organisierten, kollektiven Charakter annimmt. Ein Krawall - und vor allem der Akt der Plünderung - ist eine unorganisierte Reaktion einer Masse von einzelnen Individuen, ein Ausdruck purer Wut und Verzweiflung, der aber nicht nur die eigentlichen Plünderer, sondern alle an Straßenprotesten Beteiligten einer verstärkten Repression durch die weitaus besser organisierten Kräfte einer militarisierten Polizei aussetzt.
Viele der Demonstranten sahen die Sinnlosigkeit der Ausschreitungen, die oft absichtlich durch die brutalen Übergriffe der Polizei provoziert wurden und die weiteren Provokationen durch zwielichtige Elemente in der Menge freien Lauf ließen. Aber die Alternative, die von der BLM befürwortet und sofort von den Medien und dem bestehenden politischen Apparat, vor allem der Demokratischen Partei, aufgegriffen wurde, war die Organisation friedlicher Märsche, die vage Forderungen nach "Gerechtigkeit" und "Gleichheit" oder spezifischere Forderungen wie die "Kürzung der Ausgaben für die Polizei" erhoben. Und all dies sind bürgerliche politische Forderungen.
Natürlich kann eine echte proletarische Bewegung alle möglichen verworrenen Forderungen enthalten, aber sie wird in erster Linie durch die Notwendigkeit motiviert, die materiellen Interessen der Klasse zu verteidigen und konzentriert sich daher - in einer Anfangsphase - meistens auf wirtschaftliche Forderungen, die darauf abzielen, die Auswirkungen der kapitalistischen Ausbeutung zu mildern. Wie Rosa Luxemburg in ihrer Schrift über den Massenstreik zeigte, die nach den epochemachenden proletarischen Kämpfen in Russland 1905 geschrieben wurde, kann es in der Tat ein ständiges Wechselspiel zwischen wirtschaftlichen und politischen Forderungen geben, und der Kampf gegen die polizeiliche Repression kann durchaus zu letzteren gehören. Aber es besteht ein großer Unterschied zwischen einer Bewegung der Arbeiterklasse, die z.B. den Rückzug der Polizei aus einem Betrieb oder die Freilassung inhaftierter Streikender fordert, und einem allgemeinen Ausbruch von Wut, die nichts mit dem Widerstand der Arbeiter als Arbeiter zu tun hat und die von den "oppositionellen" politischen Kräften der herrschenden Klasse sofort vereinnahmt wird.
Das Wichtigste von allem: Die Tatsache, dass diese Proteste in erster Linie um die Rassenfrage herum stattfinden, bedeutet, dass sie nicht als Mittel zur Vereinigung der Arbeiterklasse dienen können. Ungeachtet der Tatsache, dass sich den Märschen von Anfang an viele Weiße angeschlossen haben, viele von ihnen Arbeiter oder Studenten, die meisten von ihnen jung, werden die Proteste von BLM und den anderen Organisatoren als eine Bewegung von Schwarzen dargestellt, die andere unterstützen können, wenn sie es wünschen. Wohingegen ein Kampf der Arbeiterklasse ein organisches Bedürfnis hat, alle Spaltungen zu überwinden, ob rassisch, sexuell oder national, oder er wird besiegt werden. Und wieder können wir auf Beispiele verweisen, wo die Arbeiterklasse mit ihren eigenen Methoden gegen rassistische Angriffe mobilisiert hat: In Russland haben die Sowjets 1905 in dem Bewusstsein, dass Pogrome gegen die Juden vom bestehenden Regime benutzt wurden, um die revolutionäre Bewegung als Ganzes zu untergraben, bewaffnete Wachen aufgestellt, um jüdische Viertel gegen die Pogromisten zu verteidigen. Und selbst in einer Zeit der Niederlage und des imperialistischen Krieges ging diese Erfahrung nicht verloren: 1941 streikten die Hafenarbeiter des besetzten Holland gegen die Deportation der Juden.
Es ist kein Zufall, dass sich große Fraktionen der herrschenden Klasse so eifrig mit den BLM-Protesten identifizieren. Als die Covid-19-Pandemie in Amerika ausbrach, sahen wir eine bedeutende Anzahl von Reaktionen der Arbeiterklasse gegen die kriminelle Verantwortungslosigkeit der Bourgeoisie, ihre Versuche, ganze Teile der Klasse zu zwingen, ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen und -ausrüstung zur Arbeit zu gehen. Dies war Teil einer globalen Reaktion in der Arbeiterklasse[7]. Und es stimmt zwar, dass einer der Gründe für den Zorn, der hinter den Protesten, die durch den Mord an George Floyd ausgelöst wurden, stand, die unverhältnismäßig hohe Zahl schwarzer Opfer des Virus war, aber dies ist vor allem das Ergebnis der Stellung der Schwarzen und anderer Minderheitengruppen in den ärmsten Teilen der Arbeiterklasse - mit anderen Worten, ihrer Klassenposition in der Gesellschaft. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beinhalten die Möglichkeit, die zentrale Bedeutung der Klassenfrage hervorzuheben, und die Bourgeoisie hat sich nur allzu bereit gezeigt, sie in den Hintergrund zu drängen.
Wenn sie mit einer sich entwickelnden Bewegung der Arbeiterklasse konfrontiert werden, können RevolutionärInnen tatsächlich mit der Perspektive intervenieren, sie aufzufordern, "weiter zu gehen" (durch die Entwicklung autonomer Formen der Selbstorganisation, Ausweitung auf andere Bereiche). Was aber, wenn eine große Zahl von Menschen auf interklassistischem oder bürgerlichem Terrain mobilisiert wird? In solchen Fällen besteht immer noch die Notwendigkeit zu intervenieren, aber dann müssen Revolutionäre erkennen, dass ihre Intervention "gegen den Strom" erfolgt, hauptsächlich mit dem Ziel, Minderheiten zu beeinflussen, die die grundlegenden Ziele und Methoden der Bewegung in Frage stellen.
Die Bordigistischen Gruppen haben, vielleicht überraschend, nicht viel über die Rolle der Partei in Bezug auf diese Ereignisse gesprochen, obwohl The Internationalist - abstrakt gesehen - Recht hat, wenn er schreibt, "die Revolution ist eine Notwendigkeit, die Organisation, ein Programm, klare Ideen und die Praxis der kollektiven Arbeit erfordert: einfach ausgedrückt, die Revolution braucht eine Partei, die sie lenkt".
Das Problem bleibt: Wie entsteht eine solche Partei? Wie kommen wir von dem gegenwärtigen verstreuten Milieu kleiner kommunistischer Gruppen zu einer wirklichen Partei, einem internationalen Organ, das in der Lage ist, dem Klassenkampf politische Führung zu geben?
Diese Frage bleibt für The Internationalist unbeantwortet, die dann die Tiefe ihres falschen Verständnisses von der Rolle der Partei offenbart: "Das kämpfende Proletariat, das rebellische Proletariat, muss sich mit und in der kommunistischen Partei organisieren.“
Nur zu erklären, dass ihre Gruppe die Partei ist, bedeutet nicht, dass sie es auch ist, nicht zuletzt, wenn es mindestens drei andere Gruppen gibt, die alle behaupten, die wahre Internationale Kommunistische Partei zu sein. Es macht auch keinen Sinn zu argumentieren, dass sich das gesamte Proletariat "in der kommunistischen Partei" organisieren kann. Dies ist eine Wiederbelebung der alten sozialdemokratischen Vorstellung von der Massenpartei, die die Mehrheit der Klasse in ihren Reihen organisiert und die politische Macht im Namen des Proletariats ausübt. An dieser Stelle sollten wir sagen, dass Il Partito sich zumindest bewusst ist, dass der Weg zur Revolution die Entstehung unabhängiger klassenweiter Organisationen erfordert, da sie Arbeiterversammlungen fordert, obwohl sie ihr Argument abschwächt, indem sie sie "an jedem Arbeitsplatz und in jeder bestehenden Gewerkschaft" fordert - als ob echte Arbeiterversammlungen nicht im Wesentlichen antagonistisch zur Gewerkschaftsform wären. Aber Il Partito macht nicht die vielleicht entscheidendere Feststellung, dass es keinerlei Tendenz gab, dass sich im Rahmen der BLM-Proteste echte Arbeiterversammlungen entwickelten.
Die IKT ist nicht damit einverstanden, sich selbst als Partei zu bezeichnen. Sie sagt, sie sei für die Partei, aber sie ist nicht die Partei[8]. Aber sie hat nie eine wirklich tiefe Kritik an den Fehlern geübt, die dem Bordigistischen Substitutionismus zugrunde liegen - dem 1943-45 begangenen Fehler, die Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei in einem einzigen Land, Italien, und in den Tiefen der Konterrevolution zu erklären. Sowohl die Bordigisten als auch die IKT haben ihren Ursprung in der PCInt von 1943, und beide theoretisieren den Fehler auf ihre eigene Weise: die Bordigisten mit der metaphysischen Unterscheidung zwischen der "historischen" und der "formalen" Partei, die IKT mit ihrer Vorstellung von der "permanenten Notwendigkeit der Partei". Diese Vorstellungen trennen die Tendenz zur Entstehung der Partei von der wirklichen Bewegung der Klasse und dem effektiven Kräftegleichgewicht zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat. Beide beinhalteten die Aufgabe der für die Italienische Kommunistische Linke lebenswichtigen Unterscheidung zwischen Fraktion und Partei, die darauf abzielte, genau zu zeigen, dass die Partei nicht zu jedem Zeitpunkt existieren kann, und so die wirkliche Rolle der revolutionären Organisation zu definieren, wenn die unmittelbare Gründung der Partei noch nicht auf der Tagesordnung steht.
Der letzte Teil des IKT-Flugblatts macht dieses Missverständnis deutlich.
Die Zwischenüberschrift dieses Abschnitts der IKT-Broschüre gibt den Ton an: “Die städtische Rebellion muss in eine Weltrevolution umgewandelt werden.“
„Während es ermutigend ist zu sehen, wie Teile der Klasse zurückschlagen, besteht die Tendenz, dass diese Unruhen nach etwa einer Woche abklingen, wenn die Ordnung wiederhergestellt ist und die unterdrückerischen Strukturen wiederaufgebaut werden. Um die Macht der Kapitalisten und ihrer Söldner wirklich herauszufordern und abzuschaffen, bedarf es einer internationalen, revolutionären Klassenpartei. Eine solche Partei wäre ein Werkzeug in den Händen der Arbeiterklasse, um sich zu organisieren und ihre aufgestaute Wut nicht nur auf die Zerschlagung des rassistischen Staates, sondern auch auf den Aufbau von Arbeitermacht und Kommunismus zu richten.“
Dieser einzige Absatz enthält ein ganzes Kompendium von Fehlern, von der Zwischenüberschrift an: Die gegenwärtige Revolte kann sich auf einer geraden Linie zur Weltrevolution bewegen, aber dazu braucht man die Weltpartei. Diese Partei wird das Organisationsmittel und das Instrument sein, um unedles Metall in Gold, nichtproletarische Bewegungen in proletarische Revolutionen zu verwandeln. Die Passage enthüllt das Ausmaß, in dem die IKT die Partei als eine Art „deus ex machina“ betrachtet, eine Macht, die von wer-weiß-woher kommt, nicht nur, um die Klasse in die Lage zu versetzen, sich zu organisieren und den kapitalistischen Staat zu zerstören, sondern die die noch übernatürlichere Fähigkeit besitzt, Aufstände oder Demonstrationen, die in die Hände der Bourgeoisie gefallen sind, in riesige Schritte in Richtung Revolution zu verwandeln.
Dies ist kein neuer Fehler. In der Vergangenheit haben wir die Illusion der PCInt von 1943-45 kritisiert, dass die Partisanengruppen in Italien - die auf der Seite der Alliierten ganz auf den imperialistischen Krieg ausgerichtet waren - durch die Teilnahme der PCInt in ihren Reihen irgendwie für die proletarische Revolution gewonnen werden könnten[9]. Wir sahen es 1989 erneut, als Battaglia Comunista nicht nur den Staatsstreich der Sicherheitskräfte, die Ceausescu in Rumänien vertrieben, für einen "Volksaufstand" hielt, sondern auch argumentierte, dass sie die Partei nur in Richtung proletarische Revolution führen müsse.[10]
Dasselbe Problem gab es letztes Jahr bei den Gelbwesten. Obwohl die Bewegung als "interklassistisch" bezeichnet wird, wird uns gesagt: "Wir brauchen ein anderes Gremium, ein Instrument, das die Klassengärung vereinheitlicht und sie in die Lage versetzt, einen qualitativen, d.h. politischen Sprung zu vollziehen, ihr eine Strategie und antikapitalistische Taktiken zu geben, um die Energien, die vom Klassenkonflikt ausgehen, auf einen Angriff auf das bürgerliche System zu richten; es gibt keinen anderen Weg nach vorn. Kurz gesagt, der aktive Präsenz der kommunistischen, internationalen und internationalistischen Partei ist notwendig. Andernfalls wird die Wut des Proletariats und der deklassierten Kleinbourgeoisie zermalmt und zerstreut werden; entweder brutal, wenn nötig, oder mit falschen Versprechungen.“[11]
Auch hier wird die Partei als das Allheilmittel, als Stein der Weisen in der Geschichte, beschworen. Was in diesem Szenario fehlt, ist die Entwicklung der Klassenbewegung als Ganzes, die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, ihr Selbstverständnis als Klasse wiederzuerlangen und das bestehende Kräftegleichgewicht durch massive Kämpfe zu stürzen. Die historische Erfahrung hat gezeigt, dass solche historischen Umwälzungen nicht nur notwendig sind, damit die bestehenden kommunistischen Minderheiten einen wirklichen Einfluss innerhalb der Arbeiterklasse entwickeln können: Sie sind auch der einzige Ansatzpunkt, um den Klassencharakter der sozialen Revolten zu verändern und der gesamten vom Kapital unterdrückten Bevölkerung eine Perspektive zu bieten. Ein deutliches Beispiel dafür war der massive Eintritt der Arbeiter Frankreichs in die Kämpfe von Mai-Juni 1968: Indem die Arbeiterklasse als Reaktion auf die polizeiliche Unterdrückung der Studentenproteste eine riesige Streikbewegung ins Leben rief, änderte sie auch den Charakter der Proteste und integrierte sie in ein allgemeines Wiedererwachen des Weltproletariats.
Heute scheint die Möglichkeit solcher Veränderungen weit entfernt zu sein, und in Ermangelung eines weit verbreiteten Klassenidentitätsgefühls hat die Bourgeoise mehr oder weniger freie Hand, um die durch den fortgeschrittenen Verfall ihres Systems hervorgerufene Empörung zurückzugewinnen. Aber wir haben kleine aber bedeutsame Anfänge einer neuen Stimmung in der Arbeiterklasse gesehen, eines neuen Klassenbewusstseins, und die Revolutionäre haben die Pflicht, diese Sprossen nach besten Kräften zu kultivieren. Aber das bedeutet, dem vorherrschenden Druck zu widerstehen, und sich nicht vor den heuchlerischen Forderungen der Bourgeoisie nach Gerechtigkeit, Gleichheit und Demokratie innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Gesellschaft zu verneigen.
Amos, Juli 2020
[1]https://libcom.org/article/class-war-102019-yellow-vests [105]
Die Gruppe scheint eine Art Verschmelzung zwischen Anarchismus und Bordigismus zu sein, eher im Stil der Groupe Communiste Internationaliste, aber ohne ihre verdächtigeren Praktiken (Drohungen gegen Gruppen der kommunistischen Linken, dünn verschleierte Unterstützung für Aktionen nationalistischer und islamistischer Banden usw.)
[2]https://fr.internationalism.org/content/9877/prise-position-camp-revolutionnaire-gilets-jaunes-necessite-rearmer-proletariat [106]
[3]Le Proletaire 537, May-July 2020
[5] "After minneapolis. Let the revolt of the american proletarians be an example to proletarians in all metropolises [108]".
[6]https://www.leftcom.org/en/articles/2020-05-30/on-minneapolis-police-brutality-class-struggle [109]
[7]https://en.internationalism.org/content/16855/covid-19-despite-all-obstacles-class-struggle-forges-its-future [110]
Vielleicht am wichtigsten von allem - nicht zuletzt, weil es das Bild einer amerikanischen Arbeiterklasse in Frage stellt, die sich unkritisch hinter der Demagogie von Donald Trump versammelt hat - gab es in den USA weit verbreitete Kämpfe: Streiks bei FIAT in Indiana, bei Warren Trucks, von Busfahrern in Detroit und Birmingham Alabama, in Häfen, Restaurants, in der Lebensmittelverteilung, in der Abwasserentsorgung, im Baugewerbe; Streiks bei Amazon (die auch von Streiks in etlichen anderen Ländern betroffen ist), bei Whole Foods, Instacart, Walmart, FedEx usw.".
[8] Obwohl wie wir öfter gesagt hervorgehoben haben keine größere Klarheit herbeigeführt wird, wenn ihre Gruppe in Italien (die Battaglia Comunista veröffentlicht) immer noch darauf besteht, sich Internationalist Communist Party zu nennen.
[9] https://en.internationalism.org/internationalreview/197701/9333/ambiguities-internationalist-communist-party-over-partisans-italy-19 [111]
Die rassistischen Spannungen in den Vereinigten Staaten hängen mit der Rolle zusammen, die das Sklavensystem bei der Entwicklung der primitiven Akkumulation in diesem Land gespielt hat. Sklaverei gab es in ganz Amerika und in der Karibik (Brasilien, spanische Kolonien, Karibikinseln), aber in keinem anderen entwickelten Land hat dieses System die sozialen Beziehungen und die Hindernisse für die Einheit der Arbeiterklasse so stark beeinflusst wie in den USA. Auf einer anderen Ebene der Entwicklung und Bedeutung weist der Fall Südafrika einige Ähnlichkeiten auf [1].
Schon in seinen Ursprüngen, nach der sogenannten "Entdeckung" Amerikas, war der Kapitalismus von Sklaverei geprägt [2]. Und es war vor allem in Amerika, und zwar dem gesamten Kontinent nicht nur in den USA, wo dieses System Wurzeln schlug. Um die Geschichte des Aufkommens des Kapitalismus, der Bildung der Arbeiterklasse, einschließlich der gegenwärtigen Situation, zu verstehen, ist es notwendig, das Problem der Sklaverei zu untersuchen.
Das Trauma der Sklaverei, des Sklavenhandels, hat natürlich die Geschichte des afrikanischen Kontinents geprägt, aber vor allem die Geschichte des amerikanischen Kontinents in allen Aspekten, insbesondere in der Entwicklung der Arbeiterklasse. Ein großer Teil der amerikanischen Arbeiterklasse hat seine Ursprünge in der Sklaverei. Wir werden hier nicht über die Rolle der herrschenden Klassen (Aristokratie und Bourgeoisie) der alten europäischen monarchischen Regime in dem abscheulichen "Dreieckshandel" zwischen den wichtigsten Häfen der europäischen Mächte, den afrikanischen Küsten und Amerika sprechen.
Marx schreibt: "Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute, bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation“ www.mlwerke.de/me/me23/me23_741.htm#Kap_24_6 [115], Genesis des industriellen Kapitalisten“ " [3]
Die primitive kapitalistische Akkumulation unter den alten Regimes, die noch vom Feudalismus geprägt waren, wurde häufig mit Sklavenarbeit betrieben. Und zum Leidwesen dieses Kontinents sollte Afrika vom 17., 18. und sogar vom größten Teil des 19. Jahrhunderts an weiterhin eine Bühne für die "Sklavenjagd" sein. Diese Art der Ausbeutung sollte nicht die gleiche sein wie die des Kapitalismus, aber in ihren Anfängen diente sie dem Prozess der primitiven Akkumulation: "Die sporadische Anwendung der Kooperation auf großem Maßstab in der antiken Welt, dem Mittelalter und den modernen Kolonien beruht auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen, zumeist auf der Sklaverei. Die kapitalistische Form setzt dagegen von vornherein den freien Lohnarbeiter voraus, der seine Arbeitskraft dem Kapital verkauft. Historisch jedoch entwickelt sie sich im Gegensatz zur Bauernwirtschaft und zum unabhängigen Handwerksbetrieb, ob dieser zünftige Form besitze oder nicht.(24) [116] Ihnen gegenüber erscheint die kapitalistische Kooperation nicht als eine besondre historische Form der Kooperation, sondern die Kooperation selbst als eine dem kapitalistischen Produktionsprozeß eigentümliche und ihn spezifisch unterscheidende historische Form.(...)Ihre Voraussetzung, gleichzeitige Beschäftigung einer größren Anzahl von Lohnarbeitern in demselben Arbeitsprozeß, bildet den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. (www.mlwerke.de/me/me23/me23_341.htm [117], 11. Kapitel, Kooperation)
Seitdem der Kapitalismus in einem nicht-kapitalistischen Umfeld begann und sich entwickelte, (das anfangs überwältigend dominant war), entwickelte er sich auch inmitten und dank anderer Formen der Ausbeutung und "Kooperation".
Der Feudalismus brachte die alten primitiven kommunistischen Gemeinschaften unter seine Kontrolle, die er "machen ließ", solange sie regelmäßig Steuern in Form von Sachleistungen (landwirtschaftliche, tierische oder handwerkliche Erzeugnisse) und in Form von Menschen (Diener und Soldaten) zahlten. Auf der anderen Seite neigt der Kapitalismus dazu, alle sozialen Beziehungen in Handels- und Lohnbeziehungen umzuwandeln, und doch ist er auf dem Weg dorthin in der Lage, alte Formen der Ausbeutung wie die Sklaverei zu nutzen und sie durch raffinierte und systematische Barbarei viel profitabler zu machen.
Im 19. Jahrhundert existierte die Sklaverei in großem Maßstab weiter, wie in den baumwollproduzierenden Staaten im Süden der USA: Bis weit über die Mitte des Jahrhunderts hinaus gab es bis zu 5 Millionen Sklaven. Die auf Sklavenarbeit basierenden Südstaaten verkauften ihre Produktion an die Nordstaaten und vor allem an das erste große kapitalistische Land der damaligen Zeit, Großbritannien. Nach der amerikanischen Unabhängigkeit blieb das Sklavensystem jahrzehntelang bestehen[4] und diente dem Akkumulationsprozess in diesem riesigen Land. Aber die Konfrontation zwischen dem Kapitalismus der Nordstaaten und den Sklavenstaaten des Südens wurde unvermeidlich, insbesondere wegen der expansionistischen Dynamik nach Westen, die zum Bürgerkrieg führte.
Und nach der Kolonisierung Ägyptens hörte Großbritannien auf, die Baumwolle aus dem Süden der USA zu kaufen. Dies verstärkte, mit dem üblichen Zynismus der herrschenden Klassen, die von einem guten Teil der britischen Bourgeoisie geführte Anti-Sklaverei-Kampagne [5].
Und doch gab es über Jahrzehnte hinweg einen exponentiellen Anstieg der Zahl der Sklaven: "Als 1790 der erste Sklavenzensus in den Vereinigten Staaten aufgenommen ward, betrug ihre Zahl 697.000, dagegen 1861 ungefähr vier Millionen.“ (Marx, Kapital, Band 1, 13. Kapitel, www.mlwerke.de/me/me23/me23_441.htm [118]
6. Die Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie verdrängten Arbeiter) wie Marx erinnert, und das geschah in den USA, dem ersten Land der Welt, das vom alten Regime "befreit" wurde und zusammen mit Frankreich ein "demokratisches" Leuchtfeuer für die aufstrebenden Bourgeoisien anderer Länder war.
"Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der amerikanischen Union einen gemäßigt patriarchalischen Charakter, solange die Produktion hauptsächlich auf den unmittelbaren Selbstbedarf gerichtet war. In dem Grade aber, wie der Baumwollexport zum Lebensinteresse jener Staaten, ward die Überarbeitung des Negers, hier und da die Konsumtion seines Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und berechnenden Systems. Es galt nicht mehr, eine gewisse Masse nützlicher Produkte aus ihm herauszuschlagen. Es galt nun der Produktion des Mehrwerts selbst.“
(www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_2 [119], 2. Der Heißhunger nach Mehrarbeit. Fabrikant und Bojar). Trotz dieser riesigen Profite war es immer noch kein vollwertiges kapitalistisches System.
Die Folgen des "Schandflecks", d.h. der Vergewaltigung der menschlichen Moral, die die Sklaverei in dem Land darstellte, das am Ende das mächtigste auf Erden sein würde, verschwanden nach dem Bürgerkrieg nicht wie von Zauberhand. Die Sklaverei war verschwunden, aber nicht ihre Folgen im schwierigen Kampf der Arbeiterklasse. So sehr es auch im Interesse der Bourgeoisie lag, die Sklaverei zu beenden, wissen wir sehr gut, dass die Übel vergangener Klassengesellschaften im Kapitalismus konzentriert sind, als wäre er eine Bündelung von ihnen allen. Der blutige Bürgerkrieg[6] beschleunigte die Ausbreitung der Lohnarbeit in den USA, wobei schwarze Arbeiter allmählich in die "freie" Arbeit eingegliedert wurden, aber diese "Freiheit, ausgebeutet zu werden", war fast von Anfang an von einem System der Rassentrennung umhüllt, das diesem Teil unserer Klasse entsetzliches Leid zufügte und eine gefährliche Spaltung innerhalb des Proletariats schuf.
Gesetze zur Rassentrennung blieben in praktisch jedem Staat in Kraft, unterstützt durch wiederholte Urteile des Obersten Gerichtshofs. Den Gipfel des Zynismus erreichte der Oberste Gerichtshof, der nur drei Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs (1868) entschied: "Neger müssen getrennt leben. Der weiße Mann nannte sie nur beim Vornamen und konnte sie aus jedem beliebigen Grund missbrauchen. Schwarze konnten wählen, aber nur, wenn sie eine Sondersteuer zahlten und die Namen aller Präsidenten und Richter des Obersten Gerichtshofs auswendig kannten". [7]
Das Rechtssystem der Rassentrennung schützte und förderte ein paralleles, angeblich "populäres" System (vor allem dank des Fanatismus der weißen Kleinbourgeoisie) von Aggression, kollektiven Morden und systematischen Lynchmorden. Die Kleinbourgeoisie, insbesondere in den Südstaaten, aber nicht nur dort, entfesselte ihre Zerstörungswut mit metronomischer Regelmäßigkeit, um die Proletarier sklavenähnlicher Herkunft zu terrorisieren. Der Rassismus der amerikanischen Kleinbourgeoisie spiegelt eines der ideologischen Merkmale des amerikanischen Kapitalismus wider: eine Kultur, die von einem gewalttätigen, biblisch inspirierten Puritanismus durchdrungen ist, zu dessen Grundlagen der wütende, viszerale Schrecken jeder Mischung von "Rassen" gehört. Es stimmt, dass Rassismus und die Ablehnung anderer eine weit verbreitete Mentalität in allen Klassengesellschaften sind, aber im Falle der USA ist sie ein Gründungselement des Landes.
In Opelousas (Louisiana, 1868), New Orleans und Memphis (1866) reagierte der weiße Pöbel mit Lynchmorden auf die Versuche der Schwarzen, die "neuen Rechte" auszuüben. "In Thibodaux (Louisiana, 1887) starben mehr als 300 Zuckerrohrschneider während eines Streiks für das Recht, nicht mehr in den ehemaligen Sklavenquartieren zu leben.“ (https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violenc [120]…)
Das 20. Jahrhundert war noch schlimmer: "In Wilmington (1928 in North Carolina) starben bis zu 250 Menschen, darunter Frauen und Kinder, als ein weißer Mob wegen eines Anti-Segregations-Artikels eine ihrer Zeitungen angriff. Mehrere hundert weitere starben 1917 in East St. Louis (Missouri), als sich das Gerücht verbreitete, dass ein schwarzer Arbeiter bei einer Gewerkschaftsversammlung mit einer weißen Frau gesprochen hatte. In Elaine (1919 in Arkansas) war der Auslöser für den Tod von mehr als 200 Schwarzen, darunter auch Frauen und Kinder, eine Forderung der Pflücker auf den Feldern der weißen Landbesitzer. Und in Tulsa (1921 in Oklahoma) begann alles damit, dass eine Gruppe von Weißen versuchte, einen jungen Schwarzen zu lynchen, den sie des Diebstahls bezichtigten. Bis zu 300 Menschen starben und 8.000 verloren ihr Zuhause, als die wütende weiße Bevölkerung die Black Wall Street und das umliegende schwarze Viertel in Brand setzte". (www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violencia-racial-eeuu-historia-racismo.html [121])
Das System der Rassentrennung wurde durch eine halb-illegale Miliz, den Ku-Klux-Klan, verstärkt, die schwarzen Arbeiter verfolgte und ihnen in rituellen Handlungen grausame Folterungen zufügte. Sie wurde 1871 offiziell aufgelöst, tauchte 1915 wieder auf und wird bis heute durch lokale Gruppen erhalten, die eine fremdenfeindliche, „weiße“ und rassistische Ideologie verteidigen. Die großen demokratischen Parteien Amerikas haben diese eklatant barbarischen Ausdrucksformen des Kapitalismus gelegentlich offen ermutigt; zu anderen Zeiten haben sie ihre "Empörung" über sie zum Ausdruck gebracht, um die Falle des "Antirassismus" zu begünstigen, aber sie haben sie immer als ergänzendes Mittel toleriert, um die Arbeiterklasse gespalten zu halten.
Als die Sklaverei in den USA auf ihrem Höhepunkt war, beschrieb Marx (1860) das Leben der Proletarier in England [8], ein grauenhaftes "Leben", wie es schon Engels 1845 in seinem berühmten Buch beschrieben hatte[9]. Zweifellos war das Leben der Proletarier in jener Zeit so elend und anstrengend wie das vieler Sklaven. Aber für die Zukunft der revolutionären Klasse ist die Ausbeutung der Sklaverei nicht dasselbe wie "die Existenz des freien Lohnarbeiters, der seine Arbeitskraft an das Kapital verkauft". Das Proletariat erfährt eine neue Form der Ausbeutung, die, wenn es in der Lage ist, einen bewussten Kampf zu entwickeln, die Möglichkeit beinhaltet, die Widersprüche des Kapitalismus durch die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft zu überwinden. Die Ausbeutung des Proletariats bringt ein universelles Leiden mit sich, das alle Formen der Unterdrückung und Ausbeutung umfasst, die es in Klassengesellschaften gegeben hat und das folglich nur durch eine universelle Revolution gelöst werden kann, die an die Wurzeln aller Ausbeutung und Unterdrückung geht, die es im Kapitalismus und folglich in allen Klassengesellschaften gibt.[10] Deshalb musste einer der Aspekte des Kampfes der Arbeiterklasse der Kampf gegen die Sklaverei sein, besonders in einem Land wie den USA. Angesichts der Situation des amerikanischen Bürgerkriegs zögerte die IWA (Internationale Arbeitervereinigung, Erste Internationale) nicht, eine von Marx verfasste Unterstützungsbotschaft an die von Lincoln angeführten Nordstaaten zu senden. Es ging nicht darum, eine Fraktion der Bourgeoisie gegen eine andere reaktionäre Klasse (die Großgrundbesitzer des Südens) zu unterstützen [11]. Marx glaubte zu Recht, dass das Ende der Sklaverei der Vereinigung der Arbeiterklasse einen Schub geben würde. Und so stellt er in Das Kapital (geschrieben zur gleichen Zeit wie das Ende des Bürgerkriegs in den USA und das "offizielle" Ende der Sklaverei, 1865) eine Verbindung zum Kampf für den 8-Stunden-Tag her: "In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbständige Arbeiterbewegung gelähmt, solange die Sklaverei einen Teil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aber aus dem Tod der Sklaverei entsproß sofort ein neu verjüngtes Leben. Die erste Frucht des Bürgerkriegs war die Achtstundenagitation, mit den Siebenmeilenstiefeln der Lokomotive vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean ausschreitend, von Neuengland bis nach Kalifornien.“ (www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_7 [122] Marx, Kapital Band 1, III. Abschnitt, Die Produktion des absoluten Mehrwehrts, 8. Kapitel, Der Arbeitstag, 7. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Rückwirkung der englischen Fabrikgesetzgebung auf andere Länder)
Sowohl die Marxisten als auch die Anarchisten haben die Einheit der Arbeiterklasse, egal welcher Hautfarbe, klar herausgestellt. Diese Tradition nahm zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der IWW Gestalt an, der bekannten revolutionären Industriegewerkschaft in den USA, die auf der Grundlage einer internationalistischen Politik, gegen den Krieg und natürlich für die Vereinigung der Arbeiterklasse, gleich welcher Hautfarbe, gegründet wurde. [12] Wir kennen bereits die Grenzen des revolutionären Gewerkschaftswesens und das Scheitern der IWW. Aber im Gedächtnis der Arbeiter wird bleiben: "Die Erfahrung der IWW, der beispielhafte Mut ihrer Kämpfer angesichts einer herrschenden Klasse, für die keine Gewalt oder Heuchelei zu abscheulich war, erinnert uns also daran, dass die Arbeiter Amerikas in der Tat die Klassenbrüder der Arbeiter auf der ganzen Welt sind, dass ihre Interessen und Kämpfe dieselben sind und dass Internationalismus für die Arbeiterklasse kein eitles Wort ist, sondern der Prüfstein ihrer Existenz. Die Spaltung zwischen einheimischen, englischsprachigen Arbeitern (auch wenn letztere selbst erst Einwanderer der zweiten Generation waren) und neu angekommenen eingewanderten Arbeitern, die wenig oder gar kein Englisch sprachen und lasen, war in der Arbeiterbewegung in den USA lange Zeit ein Grund zur Besorgnis gewesen. In einem Brief an Sorge warnte Engels 1893 vor dem zynischen Gebrauch von Spaltungen innerhalb des Proletariats durch die Bourgeoisie, der die Entwicklung der Arbeiterbewegung in den USA hemmt. Die Bourgeoisie benutzte geschickt Rasse, ethnische, nationale und sprachliche Vorurteile, um die Arbeiter untereinander zu spalten und die Entwicklung einer Arbeiterklasse zu stören, die sich selbst als eine vereinigte Klasse verstand. Diese Spaltungen stellten ein ernsthaftes Handicap für die Arbeiterklasse in den USA dar, weil sie die amerikanischen Ureinwohner von der großen Erfahrung der Arbeiter in Europa abschnitten und es den klassenbewussten amerikanischen Arbeitern erschwerten, mit den internationalen theoretischen Entwicklungen innerhalb der Arbeiterbewegung auf dem Laufenden zu bleiben". ("Die IWW: Das Scheitern des revolutionären Syndikalismus in den USA, 1905-1921"; International Review Nr. 124 - 1. Quartal 2006, englische Ausgabe[13])
In einem Brief vom 2. Dezember 1893 antwortete Engels auf eine Frage von Friedrich Adolf Sorge über das Fehlen einer bedeutenden sozialistischen Partei in den USA und erklärte:
„... aber andrerseits ist doch auch nicht zu leugnen, daß die amerikanischen Verhältnisse sehr große und eigentümliche Schwierigkeiten für eine stetige Entwicklung einer Arbeiterpartei einschließen.“ (…) Unter diesen Schwierigkeiten war eine der größten „die Einwanderung, die die Arbeiter in 2 Gruppen scheidet, die eingeborenen und fremden; und diese letzteren wieder in 1. Irländer, 2. Deutsche, 3. die vielen kleinen Gruppen, die sich jede nur untereinander verstehn, Tschechen, Polen, Italiener, Skandinavier etc. Dazu noch die Neger. Um daraus eine einige Partei zu bilden, dazu gehören ganz besonders mächtige Antriebe. Manchmal plötzlich ein gewaltsamer elan, aber die Bourgeois brauchen nur passiv auszuhalten, und die ungleich-artigen Elemente der Arbeiterschaft fallen wieder auseinander“.
https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band39.pdf [123], S. 173)
(https://www.koorosh-modaresi.com/MarxEngels/V50.pdf [124])
Schwarze Arbeiter, die bereits während der Sklaverei begonnen hatten, in den Norden zu fliehen (als sie selbst in diesen Staaten verfolgt und in den Süden zurückgeschickt werden konnten), begannen vor allem ab Anfang des 20. Jahrhunderts in die Industriezonen abzuwandern. Und diese "Spaltung", von der Engels spricht, spiegelte sich in der Entstehung von Ghettos wider, eine Tendenz, die mit der Konterrevolution noch verstärkt wurde. Die abscheuliche Schmach der "modernen" Sklaverei hatte die Besonderheit ihres "einzigartigen" "rassischen" Ursprungs (Afrika südlich der Sahara, im Gegensatz zur alten, mittelalterlichen oder östlichen Sklaverei, wo die Sklaven sehr unterschiedlicher Herkunft sein konnten), so dass neu proletarisierte ehemalige Sklaven sofort als Menschen angesehen wurden, die gerade erst aus ihrem Status als Warenobjekt herausgekommen waren. Die US-Bourgeoisie hingegen verbot bis vor kurzem die "farbige" Einwanderung und begünstigte in den Jahren der Masseneinwanderung in die USA vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre die europäische Bevölkerung. Es stimmt, dass die Existenz "ethnischer" Viertel im städtischen Lebensraum in den USA "Tradition" hat, aber mit den schwarzen Ghettos war die Spaltung viel deutlicher.
Die Rassentrennung wurde 1964, ein Jahrhundert nach der Abschaffung der Sklaverei, offiziell aufgehoben. Die Idee war, einem wachsenden Teil des schwarzen Bürgertums, der durch diese Gesetze in seinen Geschäften behindert wurde, Raum zu schaffen. Die "große Errungenschaft" der Bürgerrechtsgesetze war die Beförderung der Schwarzen in die oberen Ränge von Politik und Wirtschaft. In der Bush-Administration ragten Colin Powell, der Schlächter des Irak, und Condoleezza Rice, die Außenministerin, heraus, wobei der Höhepunkt die Wahl Obamas 2008 als erster schwarzer Präsident war.
Für schwarze Arbeiter änderte sich jedoch nichts. Sie waren weiterhin Opfer polizeilicher und juristischer Diskriminierung, die dazu führt, dass ein Schwarzer sieben Mal häufiger ins Gefängnis kommt als ein Weißer.
Besonders grausam ist die Behandlung von Schwarzen durch die Polizei, obwohl es viel mehr schwarze Polizisten gibt. Das Verbrechen von Los Angeles 1992, das gewalttätige Proteste auslöste, war schrecklich. Während der Amtszeit Obamas gab es mehr Polizistenmorde als je zuvor [14].
Der Mord an Georges Floyd am 26. Mai durch die Tat von vier Polizeibeamten aus Minneapolis war eine weitere tragische Demonstration dieser Fortsetzung der offiziellen Gewalt der herrschenden Klasse. Die herrschende(n) Klasse(n) verfügen weltweit durch ihre Staaten über ein Gewaltmonopol. Sie üben es im Allgemeinen aus, um ihre Herrschaft durchzusetzen, insbesondere gegen die Arbeiterklasse. Neben den "offiziellen" Ordnungskräften gibt es Milizen, mehr oder weniger illegale bewaffnete Gruppen. Im Laufe der Jahre sind die USA zu einem Paradigma der extremsten Gewalt geworden. Und in vielen anderen Ländern hat sich diese extreme offizielle, inoffizielle oder illegale Gewalt (nennen wir das "Beispiel" Mexiko) so lange etabliert, wie dieses kriminelle System andauert. All diese Geißeln sind alt, ja, aber der Trend dieses Modells ist allgemein geworden, es hat sich in allen Ecken des Planeten verschärft. Wir leben heute mit dem Zerfall des kapitalistischen Systems und all der offiziellen, inoffiziellen oder illegalen kriminellen Gewalt, die auf dem Vormarsch ist. Unabhängig davon, ob wir von Demokratien oder Diktaturen, von einzelnen oder pluralistischen Parteien regiert werden, ist unser Alltag von der wachsenden Gewalt eines kriminellen Systems, des Kapitalismus, geprägt.
Angesichts solcher Gewalttaten, diesmal publik geworden durch die Bilder von Floyds Agonie, die in der ganzen Welt verbreitet wurden, gingen Menschen aller Rassen und Verhältnisse empört auf die Straße, um am Ende... eine demokratischere Polizei zu fordern, die vom Henker mehr Menschlichkeit verlangt. Auf der einen Seite wirft Trump mehr Holz ins Feuer und ermutigt die Rassisten, die bereit sind, jeden zu erschießen, der nicht „weiß“ ist; auf der anderen Seite gehen die demokratischen (und viele republikanische, wie der ehemalige Präsident Bush) Fraktionen des amerikanischen politischen Spektrums in die Knie, rufen empörte Künstler und Stars auf und unterstützen "patriotische" Demonstrationen (wie die New York Times die "Black Lives Matter"-Märsche beschrieb).
Mit der Konterrevolution nahm ab den 1950er Jahren die Zahl der Morde und Lynchmorde zu. In der Depression von 1929 schrieb die weiße Kleinbourgeoisie - gut manipuliert durch die Medien, die ihre Suche nach Sündenböcken ausnutzten - die Krise "den Negern" zu: "In Harlem, New York, gab es eine unbestimmte Zahl von Toten und mehr als hundert Verletzten, zusätzlich zu zahlreichen Plünderungen als Folge des angeblichen Raubes eines jungen Negers in einem Laden eines Weißen. Es handelte sich um den ersten Aufstand der heutigen Zeit, da die Geschäfte vollständig zerstört wurden. Von da an litt Harlem bis in die 1960er Jahre unter Episoden fast ununterbrochener rassistischer Gewalt". (https://www.zinez.net/internacional/20200603/481582308546/violencia-raci [125]...)
In Wirklichkeit hat der Schandfleck der Sklaverei, der die kapitalistische Entwicklung in den USA und anderswo besudelt hatte, am Ende einen Graben in den Arbeiterkämpfen in den USA geschaffen, der nur schwer zu durchbrechen war.
Dieser Graben ist durch den kapitalistischen Zerfall noch tiefer geworden [15]. Der Zerfall bedeutet eine Zerstörung der sozialen Beziehungen, eine Zersplitterung der Gesellschaft in ethnische, religiöse, lokalistische oder "Affinitäts"-Gruppen, die sich in ihren eigenen kleinen Ghettos einschließen, um sich selbst ein falsches Gefühl von Gemeinschaft, von Schutz vor einer immer unmenschlicher werdenden Welt zu geben. Diese Tendenz begünstigt die Spaltung in den Reihen der Arbeiter, die durch die schädlichen Aktionen von Parteien, Gewerkschaften, Institutionen, Propaganda usw. bis zum Erbrechen zugespitzt wird. - in "Gemeinschaften" von Rasse, Religion, nationaler Herkunft usw. Um gegenüber den rassischen und sprachlichen Spaltungen im US-Proletariat noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, hat die Bourgeoisie die seit den 1970er Jahren wieder massenhaft angestiegene Einwanderung von Arbeitern aus Lateinamerika dazu benutzt, weitere Ghettos zu schaffen, eingewanderte Arbeiter der Illegalität zu unterwerfen und die Lebensbedingungen aller Arbeiter nach unten zu drücken [16].
Einige Arbeiterkämpfe in den letzten 50 Jahren haben jedoch diesen Graben übersprungen: Detroit 1965, der Wildcat-Streik bei Chrysler 1968, der Wildcat-Streik bei der Post 1970, die New Yorker U-Bahn 2005, der Streik in Oakland während der occupy-Bewegung 2011... Trotz ihrer Grenzen sind diese Kämpfe eine Erfahrung, aus der wir Lehren für den Kampf um die Einheit der Klasse ziehen können.
Im 19. Jahrhundert war der Kampf gegen die Sklaverei ein Kampf für die Arbeiterklasse. Heute dienen die Brutalität der Polizei, der weißen Rassisten und des Staates (und seiner Gefängnisse) im Allgemeinen auf der einen Seite und die antirassistischen Bewegungen auf der anderen Seite dazu, die Arbeiterklasse zu spalten und ihre am stärksten unterdrückten Schichten in eine völlig getrennte Bevölkerung zu verwandeln. Rassismus und Antirassismus gehören zur Bourgeoisie. Sie sind Ideologien gegen die Arbeiterklasse.
Deshalb lautet die Losung des Proletariats: Wir sind weder weiß, noch schwarz, noch irgendeine andere Farbe. Wir sind eine geeinte Arbeiterklasse! Wie ein Transparent bei den Protesten gegen Kaliforniens Anti-Einwanderungsgesetz 187 sagte: WIR SIND KEINE KOLUMBIANER, WIR SIND KEINE MEXIKANER, WIR SIND ARBEITER.
Pinto 11-07-2020
[1]] Siehe die Serie über die südafrikanische Arbeiterbewegung in unserer Internationalen Revue https://en.internationalism.org/content/9459/history-class-struggle-sout... [126] https://en.internationalism.org/international-review/201508/13355/south-... [127] https://en.internationalism.org/international-review/201702/14250/soweto... [128] https://en.internationalism.org/content/16598/election-president-nelson-... [129]
[2] Siehe: "1492: Die Entdeckung Amerikas" https://en.internationalism.org/internationalreview/200912/3406/1492-dis... [130]
[3] Die Nummerierung von Büchern oder Bänden, Kapiteln und Unterkapiteln des Kapitals scheint nicht unbedingt von einer Ausgabe zur anderen gleich zu sein.
[4] Die Mehrheitsthese amerikanischer Historiker der 1970er Jahre war, dass der Süden aufgrund eines ineffizienten und unprofitablen vorkapitalistischen Systems verloren hat. Seit einigen Jahren lautet die Mehrheitsthese, dass das Sklavensystem vollständig kapitalistisch war. Es ist schwierig zu wissen, was diese Akademiker aufzeigen wollen; vielleicht wollen sie wissen, welches System brutaler, ausbeuterischer und unmenschlicher gewesen ist. Und deshalb benutzen sie den Marxismus. Für den Marxismus jedoch ist der Kapitalismus in erster Linie ein soziales Verhältnis, die letzte zu stürzende Klassengesellschaft, um der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende zu setzen. So sprach ein bekannter französischer Historiker, Nicolas Barreyre, kürzlich über das System der Baumwollbauern des Südens der Vereinigten Staaten: "In den 1970er Jahren war die vorherrschende Vorstellung unter Historikern wie unter Ökonomen, dass der sklavenbesitzende Süden in einer ineffizienten und unprofitablen vorkapitalistischen Wirtschaft lebte, die gegen den Norden, der seit Anfang des 19. Jahrhunderts in die industrielle und kapitalistische Revolution eingetreten war, nicht überleben konnte. Nach der Krise von 2008 haben sich Historiker wieder für die Ursprünge des amerikanischen Wirtschaftssystems interessiert und das geschmiedet, was als "neue Geschichte des Kapitalismus" bezeichnet wurde. Die Idee ist, dass die Sklavenwirtschaft des Südens vollständig kapitalistisch war, was zum Aufstieg des Kapitalismus im Norden beigetragen hat" (Interview in Le Monde vom 28.06.2020). Wir haben nicht die Absicht, Ergänzungen zu solch ‚herausragenden‘ Historikern zu machen.
Die Logik der Historiker der 1970er Jahre, dass die Wirtschaft der Südstaaten "ineffizient und unprofitabel" war, weil sie "vorkapitalistisch" war, scheint aus einer eher vulgären Version des "Marxismus" zu resultieren. Auf seinem Höhepunkt nutzte der Kapitalismus andere nichtkapitalistische Wirtschaften für seine Expansion, sowohl der Märkte als auch der Rohstoff- und Kapitalquellen. Und bis zu ihrer vollständigen Assimilierung oder Zerstörung waren viele dieser Wirtschaften in der Lage, sich zu bereichern und der primitiven Kapitalakkumulation zu dienen, insbesondere wenn sie derselben Nation angehörten. Im 19. Jahrhundert gab es auf der ganzen Welt Wirtschaften, die noch nicht vom Kapitalismus beherrscht wurden, mit denen er Geschäfte machte und sie gegebenenfalls bedrohte. Siehe auch https://en.internationalism.org/content/16709/american-civil-war-and-str... [131]
[5] Die Heuchelei der englischen Bourgeoisie kennt keine Grenzen. Auf der einen Seite tolerierte sie die Sklaverei in den Ländern, die ihr als Verbündete dienen konnten, und in den Kolonien, in denen sie ihren Interessen diente, und machte sich gleichzeitig zum "Kämpfer gegen die Sklaverei" gegen Rivalen wie Spanien, Portugal oder Brasilien, die nicht genug wirtschaftliche Macht hatten, um auf die Sklaverei zu verzichten, die sie erst sehr spät (1886 in Spanien und 1888 in Brasilien) abschafften.
[6] Es war eine der tödlichsten in der Geschichte "630.000 Menschen starben. Noch heute ist diese Zahl die Hälfte aller Todesopfer, die die USA in allen Kriegen, die sie seitdem geführt haben, einschließlich Afghanistan, erlitten haben" https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violenc... [132]
[7] Quelle bereits in Fußnote 6 zitiert, sofern nicht anders angegeben, verweisen wir in nachfolgenden Zitaten auf diese Quelle.
[8] Wir empfehlen: Das Kapital, Band I, Kapitel 10: Der Arbeitstag; Abschnitt 3: 3. Englische Industriezweige ohne legale Schranke der Exploitation „, [ein schockierendes Kapitel, mit dem Beispiel von Kindern und den 15 Arbeitsstunden für ein siebenjähriges Kind!] www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_3 [133]
[9] Die Lage der arbeitenden Klasse in England
[10] Siehe: www.mlwerke.de/me/me04/me04_361.htm [135]
Die Grundsätze des Kommunismus, insbesondere die Punkte VI und VII https://www.marxists.org/archive/marx/works/1847/11/prin-com.htm [136]
[11] "Als eine Oligarchie von 300.000 Sklavenhaltern es wagte, zum ersten Mal in die Annalen der Welt die 'Sklaverei' in das Banner des bewaffneten Aufstands einzutragen, als an genau den Stellen, wo vor kaum einem Jahrhundert die Idee einer großen Demokratischen Republik entstanden war, die erste Erklärung der Menschenrechte herausgegeben und der erste Impuls für die europäische Revolution des 18; Jahrhunderts gegeben wurde; als die Konterrevolution genau an diesen Stellen mit systematischer Gründlichkeit die "Ideen, die zur Zeit der Bildung der alten Verfassung herrschten", aufhob und die Sklaverei als "wohltätige Institution", ja, die alte Lösung des großen Problems des "Verhältnisses von Kapital und Arbeit" aufrechterhielt und zynisch das Eigentum am Menschen als "Eckpfeiler des neuen Gebäudes" proklamierte - da verstanden die arbeitenden Klassen Europas sofort, noch bevor die fanatische Parteinahme der Oberschicht für den konföderierten Adel ihre düstere Warnung ausgesprochen hatte, dass die Rebellion der Sklavenhalter den Startschuss für einen allgemeinen heiligen Kreuzzug des Eigentums gegen die Arbeit geben würde, und dass für die Männer der Arbeiterschaft mit ihren Hoffnungen für die Zukunft sogar ihre vergangenen Eroberungen in diesem gewaltigen Konflikt auf der anderen Seite des Atlantiks auf dem Spiel standen". Ansprache der Internationalen Arbeitervereinigung an Abraham Lincoln, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika https://www.marxists.org/archive/marx/iwma/documents/1864/lincoln-letter... [137])
Im Jahre 1864, vor mehr als 150 Jahren, als die Arbeiterklasse sich noch als Klasse für die Umwälzung der Gesellschaft entwickelte, unterstützten ihre Organisationen Fraktionen der Bourgeoisie, die gegen die - immer noch wichtigen und starken - Überreste alter Ausbeutungssysteme kämpften, und mussten diese unterstützen. Heute lehnen die Kommunisten die Unterstützung für "demokratische Republiken", "Menschenrechte" und andere bürgerliche Parolen nicht deshalb ab, weil es sich dabei um Parolen "aus einer anderen Epoche" handelt, sondern weil sie vor allem Schwindel und Waffen gegen das Proletariat sind. Und das seitdem der Kapitalismus zu einem dekadenten System geworden ist.
[12] Siehe unsere Serie über die IWW: https://en.internationalism.org/internationalreview/200601/1609/iww-fail... [138] https://en.internationalism.org/ir/125-iww [139]
[13] Auf deutsch ist bisher nur dieser Artikel über die IWW: /content/1233/ursprung-und-mythos-der-iww [140]
[14]Siehe den Bericht Rassenkonflikte in der Ära Obama, https://www.vozpopuli.com/internacional/Barack_Obama-Racismo-Estados_Uni... [141]
[15] Siehe unsere "Thesen zum Zerfall", https://en.internationalism.org/ir/107_decomposition [142]
[16] Siehe: "'Latino'-Demonstrationen in den USA: Ja zur Einheit der Arbeiterklasse! Nein zur Einheit mit den Ausbeutern!" https://en.internationalism.org/icconline/200605/1778/latino-demonstrati [143]...
Alle Medien räumen ein, dass die globale SARS-CoV2-Pandemie, die nach offiziellen Angaben zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels mehr als 10 Millionen Menschen infiziert und 500.000 von ihnen den Tod gebracht hat, die wissenschaftliche "Gemeinschaft" in einen "Wettlauf gegen die Zeit" für die Entwicklung eines Impfstoffs drängt. Aber sie müssen auch zugeben, dass dieser "Wettlauf um einen Impfstoff" noch weit davon entfernt ist, in den "Endspurt" eingetreten zu sein.
Seit dem 19. Jahrhundert und der Schaffung des ersten Impfstoffes gegen die Tollwut durch Louis Pasteur im Jahre 1881 wurden zwar durch die Entwicklung der Biotechnologie und die Gentechnik enorme Fortschritte bei den Methoden der Viruszellkultur erzielt, die die Entstehung mehrerer viraler Impfstoffe ermöglichten, aber man sagt uns, dass der Impfstoff gegen Covid-19 erst Ende 2021 zur Verfügung stehen wird! Tatsächlich sind sich aber alle Fachleute einig, dass es durchschnittlich 10 bis 15 Jahre dauert, um einen neuen "zuverlässigen" Impfstoff zu entwickeln, weil er neben der Zeit, die für seine Entwicklung und Herstellung benötigt wird, einen nicht-komprimierbaren Zeitaufwand bestehend aus drei unverzichtbaren Phasen groß angelegter Experimente erfordert: die Erprobung des Impfstoffs an Tieren, die Erprobung an einer nicht infizierten Population und schließlich die Erprobung an Patienten. "Es wird viel Versuch und Irrtum bedeuten, wir haben eine Menge Optionen zu erforschen", sagt Benjamin Neuman, Virologe an der Texas A&M University-Texarkana. "Weil bisher kein Impfstoff für den Menschen entwickelt wurde, der gegen irgendein Mitglied der Coronavirus-Familie hochwirksam ist.“
Erstaunliche Aussage, denn das Coronavirus ist den Wissenschaftlern nicht unbekannt! SARS-CoV1 (das Ende 2002 im Südosten Chinas auftrat) und MERS-CoV (das im September 2012 in Saudi-Arabien auftrat), die beiden großen Brüder von SARS-CoV2, haben bereits Anlass zu wissenschaftlicher Forschung im Hinblick auf die Entwicklung von Impfstoffen gegeben. Im ersten Fall wurde die Forschung gestoppt und das Impfstoffprojekt begraben, bevor es überhaupt am Menschen getestet worden war. Im zweiten Fall ist die Forschung noch im Gange und wird derzeit an Tieren getestet. Trotz der Tatsache, dass Wissenschaftler seit Jahren "die Gefahr einer Pandemie wie die mit Covid-19" in Betracht gezogen haben, wurden wissenschaftliche Studien über Coronaviren und die Entwicklung von Impfstoffen als "unprofitabel" eingestuft! Der Bereich der wissenschaftlichen Forschung in den Diensten der öffentlichen Gesundheit wird ständig beschnitten, was durch mangelnde finanzielle und logistische Mittel behindert wird. Dies war einer der ersten Bereiche, der unabhängig von der politischen Fraktion, der die Regierungen angehören, unter den Haushaltskürzungen litt: "Donald Trump hat im Mai 2018 eine Sondereinheit des Nationalen Sicherheitsrats, die sich aus herausragenden Experten zusammensetzte und für die Bekämpfung von Pandemien zuständig war, abgeschafft". [1] "Nach der Schweinegrippe im Jahr 2009 veröffentlichten Beamte der Europäischen Kommission einen Bericht mit politischen Empfehlungen. Aber die Kommission wurde anschließend von den Mitgliedstaaten abgewiesen [...]. Nach SARS im Jahr 2003 wurde das Europäische Zentrum für Seuchenbekämpfung (ECDC) gegründet. Sie leistet eine ausgezeichnete Arbeit. Aber es hat nur 180 Mitarbeiter... In Sciensano (Forschungsinstitut und nationales Institut für öffentliche Gesundheit Belgiens) gibt es sehr kompetente Leute... aber die Institution ist schwach, weil nicht genug in sie investiert wird". [2]
Nun wird uns gesagt: "Um einen Impfstoff gegen SARS-CoV2 zu entwickeln, bauen die Forscher auf ihren Studien zu SARS-CoV1 und MERS-CoV auf". [3] 17 Jahre sind seit dem Auftreten des ersten Virus vergangen! 17 Jahre verloren bei der Suche nach einem Impfstoff, der Zehntausende von Leben hätte retten können!
Angesichts des Ausmaßes und der Verwüstung durch die gegenwärtige globale Pandemie sollte es eigentlich logisch und natürlich sein, die Zusammenarbeit, die internationale Koordination, die konzertierten wissenschaftlichen Anstrengungen und eine Zentralisierung zu entwickeln, die den technologischen Fortschritt und die wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Suche nach einem Impfstoff konzentriert und mobilisiert, um die zur Bekämpfung dieser Geißel erforderliche Zeit so weit wie möglich zu verkürzen.
Dies ist heute keineswegs der Fall. Ganz im Gegenteil. Der derzeitige globale Wettlauf um Impfstoffe und Behandlungsmethoden verläuft frenetisch, chaotisch und ungeordnet: "Weltweit wurden mehr als hundert Projekte gestartet und ein Dutzend klinische Studien laufen, um eine Heilung für die Krankheit zu finden". [4] Wenn man den Medien glaubt, tun alle Pharmagiganten wie Sanofi (der französische Pharmakonzern), Gilead Sciences (das amerikanische Pharmalabor), GlaxoSmithKline (der britische Pharmariese), Regeneron Pharmaceuticals (das New Yorker Unternehmen), Johnson & Johnson (die amerikanische Firma), das chinesische Unternehmen CanSino, um nur einige zu nennen, noch mehr als das. Aber sie tun es jeder für sich.
Warum sind wir mit einer solchen Situation konfrontiert? Gerade die Gesetze des Kapitalismus, die im Würgegriff der Ambitionen aller Staaten und des Wettbewerbs zwischen ihnen stecken, verbieten es der Gesellschaft, anders zu funktionieren als durch das Gesetz des Profits und des allgemeinen Konkurrenzkampfes, wo jeder gegen jeden antritt, alles völlig unkoordiniert und chaotisch. So wie diese Gesetze des Kapitalismus alle Präventivmaßnahmen und Forschungsbudgets in allen Bereichen des Gesundheitswesens behindert, verzögert, sabotiert und blockiert haben, so steht das Funktionieren des Kapitalismus und seiner Gesetze in direktem Gegensatz zur Zusammenführung von Daten und der unverzichtbaren Zentralisierung von Ressourcen und Forschung und der Entdeckung eines wirksamen Impfstoffs.
Dieser Wettlauf um den Impfstoff und das "Wundermittel" für Covid-19 bleibt nicht ohne tragische Folgen für den Rest der Weltgesundheit: Forscher/Virologen überall warnen vor den Gefahren dieses plötzlichen Wettlaufs: "Todesfälle durch nachlässige Forschung. ... Heute bewegt sich die Wissenschaft zu schnell, und das hat weitreichende Folgen ... Es gibt nicht mehr genug Zeit für eine kritische Reflexion der wissenschaftlichen Erkenntnisse, was schwerwiegende Folgen hat". [5]
Gegenwärtig wird viel an "Ersatzimpfstoffen" gearbeitet, wobei der Schwerpunkt auf der Wiederverwertung älterer Virusbehandlungen oder der Wiederaufnahme der Forschung an aufgegebenen Impfstoffkandidaten wie denjenigen gegen Malaria oder Ebola liegt, die in der Vergangenheit als "unrentabel" galten,[6] aber über Nacht zu einer "interessanten Perspektive" für den Zugang zu dem neuen Markt wurden, der durch die SARS-CoV2-Pandemie eröffnet wurde. Dies spiegeln die Ohnmacht und Verwirrung der wissenschaftlichen "Gemeinschaft" wider.
Vor allem kann dies nur dazu führen, dass schlecht getestete, "billige" und qualitativ schlechte Impfstoffe überstürzt auf den Markt kommen. Es bedeutet auch, dass unzählige neue, erschreckend viele neue Opfer die Konsequenzen tragen werden, auf Kosten ihres Lebens.
In Wirklichkeit haben der Kapitalismus, die bürgerliche Klasse und ihre Staaten kein wirkliches Interesse an der Gesundheit der Bevölkerung: "Wären die wahnsinnigen Summen, die in Forschung und Militärausgaben investiert wurden, für die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerung verwendet worden, hätte sich eine solche Epidemie nie entwickeln können".[7] "Welches der Unternehmen, die einen Coronavirus-Impfstoff entwickeln, wird ihn als erstes auf den Markt bringen?", [8] "Coronavirus-Impfstoff: Wird ein Land Priorität haben?"[9] Das sind die großen Fragen, die die Bourgeoisie in ihren Medien stellt! Die Tatsachen sind klar: Anstatt die gesamte Arbeit der Wissenschaftler zu zentralisieren und zu vereinigen, um so schnell wie möglich ein Medikament und einen Impfstoff herzustellen, hütet jedes Pharmaunternehmen neidisch den Stand und das Niveau seiner Forschung in seinen Labors, um als erstes den Impfstoff zu finden, um das Patent zu erhalten, das ihm das Herstellungsmonopol für einen Zeitraum von mindestens 7 bis 12 Jahren einräumt. Um die immensen Kosten für ihre Arbeit zu decken, wenden sie sich an die meistbietenden Investoren im Tausch gegen einige schmutzige Handelsgeschäfte. Unter ihnen ist der französische Pharmariese Sanofi, der skrupellos angekündigt hat, dass er einen möglichen Impfstoff vorrangig in den Vereinigten Staaten vertreiben wird, nachdem die USA 30 Millionen Dollar zur Unterstützung seiner Forschung zusätzlich zu dem bereits im Dezember 2019 mit der US-Regierung abgeschlossenen Vertrag über 226 Millionen Dollar für die Herstellung von Impfstoffen gegen Grippeviren investiert haben. Der durch diese Enthüllung Sanofis verursachte Skandal und insbesondere die Entrüstung Macrons sind eine reine Farce. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter ihren heuchlerischen Erklärungen und ihren "humanitär" gefärbten Worten, die behaupten, dass ein Impfstoff "nicht den Gesetzen des Marktes" unterworfen werden kann, dass er "ein öffentliches Gut" sein muss und dass der Zugang zu ihm "fair und universell" sein muss, die Angst Europas, im internationalen Wettlauf um einen Impfstoff auf dem Weltmarkt Punkte zu verlieren. Abgesehen von dem Bestreben der Pharmakonzerne, gemäß der Logik des Wettbewerbs, der Haupttriebkraft der kapitalistischen Gesellschaft, auf eigene Rechnung Gewinne zu erzielen, können sie sich dem Gesetz des Staatskapitalismus nicht entziehen, was bedeutet, dass jeder Nationalstaat letztlich die engste Kontrolle und strengste Wachsamkeit über die Leitung und Verwaltung seiner Volkswirtschaft und der von ihr abhängigen Unternehmen ausübt, auch wenn es sich um mächtige multinationale Konzerne handelt.[10] Mit anderen Worten: Es ist der Staat, der die Finanzpolitik seiner Unternehmen lenkt.
Wie der "Krieg der Masken" ist der Krieg der Impfstoffe "ein anschauliches Beispiel für den zynischen und zügellosen Wettbewerb zwischen allen Staaten"[11], die ein einfaches Ziel verfolgen. Entweder um der Erste zu sein, der den Impfstoff in die Hände bekommt und eine Monopolstellung innehat, oder um ihn auf privilegierte Weise zu erhalten, oder, um nicht aus dem Rennen gedrängt zu werden und um Hilfe "betteln" zu müssen, um nicht die großen Verlierer in diesem Kampf zu sein. Bürgerliche Kommentatoren erkennen dies an: "Zwischen den amerikanisch-europäischen Rivalitäten um einen zukünftigen Impfstoff und neuen Spannungen zwischen Donald Trump und China haben sich die Spaltungen zwischen den Großmächten vertieft". [12] Gegenüber den mächtigen Staaten USA und China "steckt Europa Milliarden in den Kampf um Impfstoffe [...] Kein Mitgliedstaat [...] hat die Macht, ein komplettes Impfstoff-Portfolio zu entwickeln". [13] Beispielsweise hat die Trump-Regierung die Forschung bei AstraZeneca mit 1,2 Mrd. EUR subventioniert, im Gegenzug für die Zusage von 300 Millionen Impfstoffdosen. Und EU-Staaten (Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Italien) wollen einen "Notfallfonds" von rund 2,4 Milliarden Euro in Anspruch nehmen, um die Verhandlungen über präferenzielle Impfstofflieferungen mit Pharmaunternehmen zu beschleunigen. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Versuch, eine gemeinsame Kasse einzurichten, Erfolg haben wird, da die EU nicht in der Lage ist, konzertierte Maßnahmen zur Eindämmung und Bewältigung des Mangels an medizinischer Ausrüstung zu ergreifen.
Die USA haben der WHO ein Bein gestellt, indem sie ihren Beitrag zu dieser Organisation unter der Führung des Äthiopiers Tedros Adhanom Ghebreyesus zurückgezogen haben. Der WHO-Chef wird von Trump beschuldigt, tatsächlich von China kontrolliert zu werden. Dies ist auch ein aufschlussreiches Beispiel für den grausamen und rücksichtslosen Handelskrieg und den imperialistischen Krieg, den die drei größten Haie (China, USA, EU) auf dem Planeten führen.[14] Sie alle beschuldigen sich gegenseitig mit größter Heuchelei und in einer vollkommen eigennützigen Art und Weise für diesen Mangel an Koordination: Während die USA der WHO "geheime Absprachen" mit China vorwerfen, geißelt die EU das "egoistische" Verhalten der USA.
„Linke" Zeitungen wie The Guardian und viele andere sind gezwungen zuzugeben, dass es einen Mangel an Koordination gibt, aber ihre Klagen sind nichts als Jammern und sollen die Verantwortung des kapitalistischen Systems als Ganzes verschleiern. Letztlich zeigt der Kampf um Impfstoffe, dass die Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung keineswegs das zentrale Anliegen der Staaten und der herrschenden Klasse ist. Es geht ihnen nur darum, die Gesundheit als ein Instrument zu benutzen, um sich durchzusetzen und ihren Platz in der imperialistischen Weltarena zu stärken.
Der wirkliche große Verlierer in diesem Impfstoffkrieg ist die Menschheit, die für das Überleben dieses unheilbar kranken Systems, das nirgendwo anders hinführt als zu noch mehr Leid, einen noch höheren Preis in Form von Opfern zahlen muss. Nur eine Gesellschaft, die in der Lage ist, ihre Anstrengungen auf globaler Ebene zu mobilisieren, zu vereinen und zu zentralisieren, wird in der Lage sein, diese Situation auf der Grundlage der realen menschlichen Bedürfnisse zu überwinden.
Aube, 30. Juni 2020
[1] Siehe unser internationales Flugblatt: „Generalisierte kapitalistische Barbarei oder proletarische Weltrevolution"
[2] Interview mit dem belgischen Virologen De Standaard (30.-31. Mai 2020).
[3] RTL-Infos (29. Mai 2020)
[4] La Croix (15. Mai 2020)
[5] De Standaard (20.-21. Mai)
[6] Beispielsweise wurde die Forschung an einem Impfstoff gegen das Ebola-Virus zynischer weise aufgegeben, weil afrikanische Staaten als "zahlungsunfähig" beschrieben wurden, zum direkten Nachteil der vielen Opfer in der Bevölkerung.
[7] "Verallgemeinerte kapitalistische Barbarei oder proletarische Weltrevolution"
[8] Etoro (18. März 2020)
[9] Rtbf (18. Mai 2020)
[10] "Wirtschaftskrise: der Staat, die letzte Bastion des Kapitalismus"
[11] "Krieg der Masken: Die Bourgeoisie ist eine Klasse von Gangstern"
[12] La Croix (15. Mai 2020)
[13] De Standaard (5. Juni 2020)
[14] Der Exklusivvertrag, den die amerikanische Regierung über die Herstellung von Remdésivir, einem bereits bei der Behandlung von Ebola eingesetzten Virostatikum (jedoch von zweifelhafter Wirksamkeit bei der Begrenzung der Auswirkungen von Covid), unter den Augen der EU, die soeben dessen weit verbreitete Anwendung in Europa empfohlen hatte, gewonnen hat, bringt eine neue Bestätigung ihrer Gangstermoral in diesem Krieg, in dem alle Schläge erlaubt sind.
„Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt“, wie Marx bekanntlich meinte. Heute verschlechtert sich die Lage der meisten Menschen auf der ganzen Welt auf gefährliche und verwirrende Weise: Kriege, wirtschaftliche Not, Umweltzerstörung, erzwungene Migration und in diesem Jahr zusätzlich ein neuer Virus. Diese materiellen Bedingungen des wachsenden Chaos und der Verwirrung sowie das offensichtliche Fehlen einer glaubwürdigen Alternative sind der Nährboden für die Verbreitung von "Verschwörungstheorien". Da Millionen von Menschen infiziert sind und Hunderttausende von Menschen weltweit an den Folgen der Covid-19-Pandemie sterben, gibt es unzählige Erklärungen für die Ursache dieser Geißel, viele davon in Form von Verschwörungstheorien. Trotz Äußerungen von Gremien wie der Weltgesundheitsorganisation und den Vereinten Nationen [1], dass der Ursprung solcher Krankheiten in der Zerstörung natürlicher Lebensräume liegt, die zu einer ungeregelten Vermischung der Lebensräume von Tier- und Menschenarten führt (zu der wir die intensive und unhygienische Tierhaltung im industriellen Maßstab hinzufügen würden), (*) reichen solche "Theorien" von der Anschuldigung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, dass das "kommunistische" China das COVID Virus sowohl herstellte als auch verbreitete, zu der weit verbreiteten Vorstellung, dass die Pandemie von Staaten zur Überwachung und Kontrolle ihrer Bürger durch eine finstere "globale Elite" oder durch Einzelpersonen wie den Investor George Soros oder den Microsoft-Multimillionär Bill Gates genutzt wird, um ihre eigenen Entwürfe zur Weltherrschaft voranzutreiben. Solche "Theorien" beschränken sich nicht auf die rein ideologische Ebene, sondern manifestieren sich im Alltag, im Handeln, durch Proteste, Lobbying und soziale Medien, die das Verhalten von Millionen Menschen beeinflussen - insbesondere, aber keineswegs ausschließlich in Amerika. Man denke nur an den Aufstieg der "Anti-Vaxxer"-Bewegung - derjenigen, die sich gegen den staatlich vorgeschriebenen Einsatz von Impfstoffen zur Krankheitsvorbeugung wenden - vom Randbereich zum Mainstream, der 2019 zum schlimmsten Masernausbruch einer Generation in Amerika beigetragen haben soll. Im Mai dieses Jahres ergab eine Umfrage, dass fast ein Viertel der US-Bürger angab, sie würden einen Impfstoff gegen Covid-19 ablehnen, selbst wenn ein solcher entwickelt würde! In Australien lag die Zahl nahezu bei 50%. (*)
Noch unheimlicher ist die Entwicklung eines Pogromgeistes, der sich in körperlichen Angriffen auf Menschen asiatischen Aussehens manifestiert, die für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht werden. Indiens Fernseh-Nachrichtensender, die bereits dafür berüchtigt sind, Hass gegen Muslime zu verbreiten, beschuldigten muslimische Prediger, "absichtlich" COVID-19 zu verbreiten, und titulierten sie als "Virenschurken" und "menschliche Bomben" Indiens. Die orchestrierte Welle anti-muslimischer Gewalt in Neu-Delhi forderte mindestens 53 Tote und über 200 Verletzte.
Es ist sicherlich so, dass die Entwicklung globaler Internet-Vertriebskanäle wie Facebook und YouTube das Wachstum aller Arten von Verschwörungsvideos, Kanälen und Untergruppen mit Figuren wie David Icke oder InfoWars' Alex Jones gefördert haben, die in der Vergangenheit Meister darin waren, mit Weltbildern zu hausieren, in denen Juden, Banker, die Illuminaten oder finstere "globalistische" Organisationen die Welt regieren und manipulieren - genau zu einer Zeit, in der internationale Gremien, die sich mit Welthandel, Weltgesundheit, Rüstungsbegrenzung oder Klimaabkommen befassen, von zügellosem Nationalismus abgelöst werden.
Im Internet organisieren sich die "Wellness"-Anhänger, deren Körper ihre Tempel sind, in die kein staatlich geförderter Impfstoff gelangen darf. Ihre Abscheu vor einer "Big Government" oder "Big Pharma" wird von dem "libertären" Flügel der Linken oder der Rechten geteilt, die davon überzeugt sind, dass die Verbreitung von Covid-19 eine bewusste Politik der führenden Staaten der Welt ist, um ihre Bevölkerung zu überwachen und zu kontrollieren. Auch diejenigen, die 5G-Masten der Telekommunikation anzünden, haben hier ihr Präsenz. Am Rande solcher Bewegungen steht der bewaffnete Flügel der angeschlagenen Kleinbourgeoisie, wie die waffenanbetende Boogaloo-Bruderschaft, die den "Rassenkrieg" fördert und (in ihrer verzerrten Vision) Raum für ihre besondere Art von selbstverwaltetem Chaos schafft. Der Mythos des rauen, die Grenzen sprengenden Individuums, der in der US-Kultur so weit verbreitet ist - unter ihnen die "Maskenverweigerer" - ist lediglich ein Spiegelbild der extremen Arbeitsteilung des Kapitals, in dem jeder Mensch auf ein hoffnungsloses, hilfloses Wesen reduziert zu sein scheint, das von den Mitteln zur Produktion eines Lebensunterhalts und von den Produkten seiner Arbeit geschieden ist.
Aber es ist nicht die Entwicklung der Technologie, die für die Verbreitung von Sekten im Millenniums-Stil verantwortlich ist - das Medium sollte nicht für die Botschaft verantwortlich gemacht werden. Diese Ehre gebührt dem zerfallenden Kapitalismus selbst. Und die herrschende Klasse ist durchaus in der Lage, ihre eigene Verwesung zu nutzen, um Krieg gegen ihre eigene Bevölkerung und ihre Feinde zu führen.
Wir haben bereits erwähnt, dass Präsident Trump China als den Schuldigen für die Schaffung und Verbreitung des neuen Virus genannt hat. Das passt gut zu den Interessen des US-Imperialismus, der eine Verunglimpfung und Schwächung seines aufsteigenden Feindes fördert. Trump wird in dieser Angelegenheit vom demokratischen Präsidentschaftskandidaten Biden angestachelt. Trumps eigene Anhänger im QAnon freuen sich derweil, Amerika und die Welt in den Klauen einer verräterischen Gangsterbande (zu der viele frühere US-Präsidenten gehören, die aber bizarrerweise Reagan und Kennedy ausschließt) zu präsentieren, in der Trump und "ein paar mutige Männer" die einzig wahren Patrioten sind...[2]. Für diese herrschende Kabale sind Verschwörungstheorien eine nützliche Nebelwand für Idioten: Covid-19 ist ein "Hoax", eine gefälschte Nachricht, ebenso wie die Behauptungen über russische Kopfgelder für die Tötung von US-Soldaten. Die Demokraten - die eine breite Palette "alternativer" Lösungen für Pandemien und Wirtschaftskrisen bieten verwenden ebenfalls Verschwörungstheorien, um die Trump-Clique als alleinige Ursache für den Niedergang Amerikas in der Welt darzustellen, wobei Trump die Marionette von Russlands Putin ist. ‚Rationale‘ Posen wie „The Alliance for Science“ entlarven die Anti-Vaxxer und ihr verschwörerisches Volk ... und fördern gleichzeitig die Produktion gentechnisch veränderter Lebensmittel zu Profitzwecken.
In Zeiten vergangener Seuchen sowie einer gewissen sozialen Solidarität angesichts solcher Tragödien gab es immer wieder Versuche, Sündenböcke zu suchen. "Die tödlichste und verheerendste Krankheit Europas, der Schwarze Tod von 1347-51, löste Massengewalt aus: die Ermordung von Katalanen in Sizilien und von Klerikern und Bettlern in Narbonne und anderen Regionen; und insbesondere die Pogrome gegen Juden, bei denen über tausend Gemeinden im Rheinland, in Spanien und Frankreich und im Osten über weite Teile Europas ausgerottet, ihre Mitglieder in Synagogen eingesperrt oder auf Flussinseln zusammengetrieben und verbrannt wurden - Männer, Frauen und Kinder.[3] In Italien hatten die Flagellanten sowohl die Juden als auch eine korrumpierte Kirchenhierarchie dafür verantwortlich gemacht, Gottes Zorn hervorzurufen. Um ihnen keine Munition zu geben, sprach Papst Clemens VI. die Juden (und natürlich auch Gott und die Kirche) von ihrer Schuld frei und machte eine falsche Ausrichtung der Planeten dafür verantwortlich.
Auf diese Weise konnte man nicht nur "Außenstehende", "die anderen" oder Minderheiten ins Visier nehmen, sondern auch der herrschenden Klasse die Schuld für die zersetzende Krankheit in die Schuhe schieben: Perikles wird beschuldigt, während der Pest von Athen, 430-426 v. Chr., virusgeschwächte Athener gegen ihre spartanischen Rivalen geführt zu haben, und während der Antoninischen Pandemie (es gab viele im Römischen Reich) von 165-190 n. Chr. wurden zwischen 170-300 namhafte Matronen "vor Gericht gestellt" und hingerichtet, weil sie männliche Mitglieder der herrschenden Klasse, die Opfer der Pest geworden waren, "vergiftet" hätten. Dieses ohnmächtige Auspeitschen der "Eliten" ist ein wichtiger Aspekt, der Form und Funktion der Verschwörungstheorien in der heutigen Epoche der Zersetzung und des politischen Populismus diktiert.[4]
Trotz begrenzter Erkenntnisse in der Antike (z.B. die Ansicht des zeitgenössischen Historikers Thukydides, dass die athenische Pest "durch das Zusammendrängen der bäuerlichen Massen in kleinen Behausungen und erstickenden Baracken verursacht wurde", war es in der Antike unmöglich, ein wissenschaftliches Verständnis über Ursprung und Übertragung der Seuchen zu haben. Daher die Jagd nach Sündenböcken und die Verbreitung irrationaler Erklärungen.
Heute hat die Menschheit - zumindest in der Theorie - ein viel größeres Verständnis von dem, was vor sich geht. Das Genom von Covid-19 (der vollständige Satz von Genen oder genetischem Material, der in einer Zelle oder einem Organismus vorhanden ist) wurde innerhalb weniger Wochen nach seiner formellen Entdeckung Anfang dieses Jahres kartiert. Dies lässt die weit verbreitete Akzeptanz von Verschwörungstheorien über den Ursprung der Pandemie und die Versuche, sie zu lindern, als noch größere Anomalie erscheinen, selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um ein neues Virus mit derzeit unbekannten Aspekten handelt.
Seuchen und Pandemien entstehen jedoch aus spezifischen sozialen Bedingungen heraus, und ihre Auswirkungen hängen ebenfalls von dem jeweiligen historischen Punkt ab, den eine bestimmte Gesellschaft erreicht hat. Die Covid-19-Krise ist ein Produkt des tiefgreifenden Zerfalls des Kapitalismus und der immensen Widersprüche, die sich aus dem Nebeneinander von erstaunlichen Fortschritten in allen Bereichen der Technologie und dem Auftreten von Pandemien, Dürren, Bränden, schmelzenden Eiskappen und städtischem Smog ergeben. All dies findet seinen Ausdruck auf ideologischer Ebene, ebenso wie die offenkundigen Unterschiede zwischen einer zunehmenden Verarmung und Arbeitslosigkeit eines großen Teils der Weltbevölkerung und der Bereicherung einer ausbeuterischen Minderheit.
Verschwörungstheorien rivalisieren heute mit den Religionen in ihrem Versuch, die komplexe Realität zu beschreiben und zu erklären: Wie die Religion bieten sie Gewissheit in einer unsicheren Welt. Die verschiedenen "Wahrheit"-Bewegungen personifizieren die verborgenen, unpersönlichen Prozesse der verkrüppelten kapitalistischen Akkumulation, indem sie das Augenmerk auf einzelne Personen oder geheimnisvolle, miteinander verbundene Cliquen lenken. Sie erscheinen insofern überzeugend, als ihre "Kritiken" oft einige grundlegende Wahrheiten enthalten - zum Beispiel, dass der Staat bestrebt ist, immer mehr Daten über seine Bürger zu sammeln, zu verarbeiten und zu speichern, oder dass es einen "tiefen Staat" gibt, der hinter der Fassade der Demokratie agiert.
Aber Verschwörungstheorien stellen diese halbverdauten Binsenweisheiten in völlig falsche Rahmenbedingungen, wie etwa die Idee, dass es möglich ist, auszusteigen (oder "off-grid" zu gehen) und dem kalten Blick der Überwachungstechnologie des Staates (der Überlebensmentalität) auszuweichen, ohne den Staatsapparat selbst zu zerstören. Sie sehen im Falle des "tiefen Staates" nicht, dass dieser nicht das Produkt einer kooperativen internationalen Kabale ist sondern der Ausdruck des sich entwickelnden Staatskapitalismus, ein direkter Ausdruck des Konkurrenzcharakters des Kapitalismus, der von dem Bestreben diktiert wird, rivalisierende Staaten in einer zunehmend barbarischen Reihe von Kriegen eines jeden gegen alle zu beherrschen oder zu zerstören. Verschwörungstheorien werden so nicht nur zu einer Fehlinterpretation der Welt, sondern zu einer Blockade gegen die Entwicklung des Bewusstseins, das zu ihrer Veränderung erforderlich ist.[5]
Aus dem gleichen tiefen Misstrauen gegenüber den herrschenden "Eliten" hervorgehend, das zu dem populistischen Phänomen der letzten Jahre geführt hat, geht die Vorliebe für irrationale Erklärungen der Realität mit einer wachsenden Ablehnung der Wissenschaft einher. Daher die Frustration von Donald Trumps medizinischem Berater Dr. Anthony Fauci: "Es gibt ein allgemeines Gefühl unter einigen Menschen in diesem Land, das gegen Wissenschaft, Behörden, Impfstoffe gerichtet ist - das ist bei einem relativ gesehen alarmierend großen Prozentsatz der Menschen der Fall ", sagte der medizinische Sprecher der USA in der Coronavirus Task Force des Weißen Hauses. Dies von der Galionsfigur, die der Trump-Administration, den Verfechtern von Verschwörungstheorien par excellence, wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verleiht! In Großbritannien berichtete eine Kommission des Oberhauses (ja, es gibt immer noch Lords of the Realm!), die die Macht der digitalen Medien untersucht, von "einer Pandemie von Fehlinformationen und Desinformationen ... Wenn man diese gefälschten Wahrheiten gedeihen lässt, werden sie zum Zusammenbruch des öffentlichen Vertrauens führen, und ohne Vertrauen wird die Demokratie, wie wir sie kennen, einfach in die Bedeutungslosigkeit verfallen. So ernst ist die Lage".
Aber wenn die herrschende Klasse die Wissenschaft benutzt und missbraucht, um ihre Politik glaubwürdig zu machen - wie wir im Vereinigten Königreich deutlich gesehen haben, als die Regierung zunächst mit einer unausgereiften Version der Theorie der "Herdenimmunität" als mögliche Rechtfertigung für ihre völlig fahrlässige Reaktion auf die Pandemie spielte - ist es nicht überraschend, dass die Wissenschaft selbst zunehmend an Glaubwürdigkeit verliert. Und wenn das Aufkommen von "gefälschten Wahrheiten" auch, wie der Bericht des Oberhauses befürchtet, zu einem Verlust der Überzeugung von der Idee der Demokratie führt, so stellt dies die Fähigkeit der herrschenden Klasse, die Kontrolle über die Gesellschaft durch einen politischen Apparat zu behalten, der von der Mehrheit der Bevölkerung weitgehend akzeptiert wird, vor noch größere Schwierigkeiten.
Aber der Kontrollverlust der Bourgeoisie an sich birgt nicht das Potenzial für positive soziale Veränderungen. Ohne die Entwicklung einer ernsthaften Alternative zur Herrschaft der Bourgeoisie führt er nur zu Nihilismus, Irrationalität und Chaos.
Die wachsende Kakophonie der Verschwörungstheorien - das Vorherrschen unsinniger Leugnungen der schockierenden und beängstigenden Realität - gründet nicht nur auf dem Verlust der Kontrolle der herrschenden Klasse über ihr Wirtschaftssystem und ihren eigenen politischen Apparat. Sie entsteht vor allem aus einem sozialen Vakuum, einer Abwesenheit. Es ist das Fehlen einer Perspektive - einer alternativen und vitalisierenden Vision für die Zukunft, die jedoch in der Gegenwart verwurzelt ist -, die aus dem relativen Rückzug der proletarischen Kämpfe und des proletarischen Bewusstseins in den letzten 30 Jahren oder so entstanden ist und zur heutigen sozialen Verwirrung beiträgt. Im Jahre 1917, inmitten eines scheinbar endlosen und festgefahrenen Weltkrieges, in dem Millionen Menschen getötet und Jahrtausende angesammelter menschlicher Zivilisation zerstört wurden, war es die russische Revolution, die von der Arbeiterklasse selbst organisiert und durchgeführt wurde, die den Krieg beendete und die Möglichkeit einer anderen Art der Organisation der Welt bot, die auf menschlichen Bedürfnissen beruhte. Die Menschheit hat den Preis dafür bezahlt, dass es ihr zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht gelungen ist, dieses Beispiel auf der ganzen Welt zu verbreiten und sie so zu innerer Degeneration und Konterrevolution zu verdammen.
Aus der Sicht der herrschenden Klasse ist die proletarische Revolution selbst nur als Ergebnis einer Verschwörung möglich: Die Erste Internationale wurde als die versteckte Hand hinter jedem Ausdruck der Unzufriedenheit der Arbeiterklasse im Europa des 19. Jahrhunderts angeprangert; der Oktoberaufstand war nicht mehr als ein Staatsstreich von Lenin und den Bolschewiki. Doch während kommunistische Ideen meist nur von einer Minderheit des Proletariats vertreten werden, kann die revolutionäre Theorie zu bestimmten Zeitpunkten für eine große Zahl von Menschen offensichtlich und verständlich werden, sobald sie beginnen, den Panzer der herrschenden Ideologie abzuschütteln und sich so in eine "materielle Kraft" zu verwandeln. Solche tiefgreifenden Veränderungen des Massenbewusstseins mögen noch weit entfernt sein, aber die Fähigkeit der Arbeiterklasse, den Angriffen des Kapitalismus zu widerstehen, weist auch auf diese Möglichkeit in der Zukunft hin. . . Wir sahen dies in einer embryonalen Weise zu Beginn der Pandemie, als die Arbeiter sich weigerten, um der Profite des Kapitalismus willen "wie Lämmer zur Schlachtung" in ungeschützte Fabriken und Krankenhäuser zu gehen. Und wenn die heutigen Seuchenzustände und inszenierten Nebenschauplätze wie die Black Lives Matter-Bewegung die Vereinigungsfähigkeit des internationalen Proletariats einschränken, werden die schrecklichen Entbehrungen, die sich gegenwärtig entfalten - steigende Ausbeutungsraten der Beschäftigten, Entwicklung der Massenarbeitslosigkeit rund um den Globus - es zwingen, sich all den falschen Visionen zu stellen, die sein Bewusstsein von dem, was zu tun ist, trüben.
Robert Frank 07.07.2020
[1]Pandemien entstehen durch die Zerstörung der Natur, sagen UN und WHO, The Guardian, 17. Juni 2020 https://www.theguardian.com/world/2020/jun/17/pandemics-destruction-nature-un-who-legislation-trade-green-recovery [144]
[2]Pandemien: Wellen der Krankheit, Wellen des Hasses von der Pest in Athen bis zu A.I.D.S. von Samuel K. Cohn, https://academic.oup.com/histres/article/85/230/535/5603376 [145] Der Autor argumentiert kontrovers, dass trotz der Sündenböcke und Massenmorde an Juden in mittelalterlichen Pestzeiten und anderer von ihm selbst angeführter Beispiele eine solche "Schuldkultur" noch gegen Beweise für soziale Solidarität angesichts der von Krankheiten verursachten Katastrophen abgewogen werden muss. Siehe auch Cohns Epidemien: Hass und Mitgefühl von der Pest in Athen bis AIDS, Oxford University Press.
[3]Siehe 'Die Wahl Trumps und das Zerfallen der kapitalistischen Weltordnung', International Review 158, Frühjahr 2017 https://en.internationalism.org/international-review/201702/14255/trump-election-and-crumbling-capitalist-world-order [146]
[4]Siehe Marxismus und Verschwörungstheorien https://en.internationalism.org/icconline/201201/4641/marxism-and-conspiracy-theories [147]
[5]Siehe zum Beispiel die von der Organisation QAnon produzierten Slick-Videos, darunter Der Plan zur Rettung der Welt.
In der Nacht zum Mittwoch, den 09. September, brannte auf Lesbos das Flüchtlingslager Moria nieder. Nahezu 13.000 Flüchtlinge, davon ca. ein Drittel Minderjährige, und ca. die Hälfte Kinder unter zwölf Jahren mussten vor den Flammen flüchten – nunmehr der Natur ausgesetzt und sich völlig selbst überlassen.
In dem Flüchtlingslager, das für weniger als 2.900 Lagerinsassen konzipiert war, waren ca. 13.000 Flüchtlinge eingepfercht. Als die Nachricht von der Corona-Infizierung einiger Insassen die Runde machte und eine Quarantäne von den Behörden angeordnet wurde, brach kurz danach das Feuer aus. Die Behörden beschuldigten Quarantäne-Unwillige aus den Reihen der Flüchtlinge das Feuer gelegt zu haben.
Die Politiker sprechen von einer humanitären Katastrophe, die sie aber in Wirklichkeit selbst herbeigeführt haben.
Tatsache ist: seit Jahren betreibt die EU eine Flüchtlingspolitik der abgeschotteten Grenzen, der Blockade der Balkanroute, des Einsperrens von Flüchtlingen in Lagern, der Rückführung von illegal aufgegriffenen Flüchtlingen, der Abschreckung von Bootsflüchtlingen am Mittelmeer durch die Nichtaufnahme oder verzögerte Aufnahme von aus dem Meer geretteten Flüchtlingen usw.
Diese Politik des Mauerbaus, der Abschottung und Abschiebungen ist nicht beschränkt auf die EU, sie wird von den USA ebenso betrieben – lange bevor Trump seinen „Beautiful wall“ versprach – wie von unzähligen anderen Ländern.
Offiziellen Zahlen zufolge irren 80 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht umher – verzweifelt auf der Suche nach einer Bleibe und einer Zukunft.
Mittlerweile sind die permanenten Mega-Flüchtlingslager der Rohingya in Bangladesch, der somalischen Flüchtlinge in Kenia (Dada ab), im Sudan, in Libyen, oder die kleineren Lager z.B. an der französischen Küste gegenüber England usw. zur Alltagsrealität geworden – zusätzlich zu den unzähligen Menschen, die wegen des zunehmenden Chaos wie in Venezuela oder der Umweltzerstörung und der Ökokatastrophe die Flucht angetreten haben und zum rasanten Anwachsen der Slums in den Millionenmetropolen Afrikas, Südamerikas und Asiens beitragen.
Flüchtlingslager und Slums in den Metropolen sind zwei Gesichter des Versinkens des Kapitalismus in einer Spirale der Zerstörung, Kriege und Barbarei. Hinzu kommt, dass blanke Terrorherrschaft (z.B. gegen Uiguren, Kurden usw.) und Pogrome in vielen Gebieten das Leben immer mehr Menschen zur Hölle werden lässt.
Nur ein kleiner Teil hat es bis an die Küsten des Mittelmeers oder an die Grenzen der USA geschafft, wo auf sie eine Möglichkeit hoffen, in die Industrieländer unter Einsatz ihres Lebens zu gelangen.
Aber die Herrschenden haben die Grenzen dicht gemacht. Vorbei die Zeit, wo man massenhaft Arbeitskräfte brauchte und deshalb zum Beispiel Sklaven in Afrika raubte und sie auf Plantagen in den USA grenzenlos ausbeuten konnte; vorbei die Zeit, als man wie in den 1950er und 1960er Jahren für billige Arbeitskräfte aus dem Mittelmeerraum Prämien zahlte. Heute ächzt die Weltwirtschaft unter der Wirtschaftskrise – und nicht erst seitdem sich mit der Corona-Pandemie nochmal alles dramatisch verschlechtert hat. Heute werden hauptsächlich gut ausgebildete Arbeitskräfte selektiv rekrutiert… Der Rest soll verrecken.
Weil die Kombination verschiedener Faktoren (Krieg, Umweltzerstörung, Wirtschaftskrise, Repression, Katastrophen aller Art) immer mehr Menschen in die Flucht treibt und sich ein beträchtlicher Teil davon in Richtung Industriezentren auf den Weg machen wird, soll eine möglichst große Abschreckung aufgebaut werden. Über diese gewollte, unter den EU-Staaten abgestimmte Politik berichtete am 10.09. der deutsche Regierungsberater Gerald Knaus vom European Stability Initiative im Deutschlandfunk: „Der griechische Flüchtlingsminister Notis Mitarakis sagt, die Menschen sollen in Moria oder auf Lesbos bleiben. Das Lager ist abgebrannt, die Menschen haben keine Unterkunft, sie sitzen auf der Straße, das ist der totale Kontrollverlust. (...) Und trotzdem fordert die griechische Regierung nicht Unterstützung von außen. Warum? – Die Antwort ist offensichtlich. Diese schlechten Bedingungen sind gewollt. Das ist eine Politik der Abschreckung. Auf der Insel sind die Spannungen enorm. Griechische Nationalisten haben Hilfsorganisationen angegriffen. Es gibt radikale Gruppen, die auch Asylbewerber angreifen. (…) Hier schnell Leute wegzubringen, ist im Interesse der Insel, im Interesse der Migranten. Warum hält man sie dort fest, wo man doch weiß (...) niemand von diesen Menschen wird in die Türkei zurückgeschickt. (...) Es gibt aufgrund der Corona-Beschränkungen praktisch keine Abschiebungen mehr. (...) Das heißt, wir haben hier sehr, sehr viele Schutzbedürftige und sehr, sehr viele irreguläre Migranten (...) die festgehalten werden aus einem einzigen Grund: zur Abschreckung (…)“ Und mit der Schließung der Balkan-Route soll verhindert werden, „dass Leute Griechenland an der Nordgrenze verlassen, was nur dann einen Sinn ergibt, wenn man dann sagt, die Leute in Griechenland sollen dort so schlimme Zustände erleben, dass dann der Zustrom nach Griechenland, also in die EU abbricht“. Eine Folge: unerträgliche Zustände nicht nur in den Flüchtlingslagern, sondern auch für die Bewohner vor Ort, von denen sich dann Teile gewaltsam gegen die Flüchtlinge vorgehen. Die Flüchtlinge sehen sich dann Stacheldraht, bewaffneter Staatsmacht und gewaltbereiten nationalistischen Banden gegenüber!
Die gleiche Politik wird auch vor der Küste Italiens betrieben, wo im Mittelmeer gerettete Bootsflüchtlinge solange wie möglich daran gehindert werden sollen, aufs europäische Festland zu gelangen.
Diese Abschreckungstaktik wird übrigens von deutschen und anderen europäischen Regierungsinstitutionen in Afrika und anderen Flüchtlingshochburgen potentiellen Flüchtlingen in den social media vor Augen geführt. Die Botschaft lautet: „Wir werden euch möglichst lange, möglichst brutal, möglichst unmenschlich wie Gefangene festhalten und euch elendig in noch schlimmeren Flüchtlingslagern als in Afrika und Asien verrecken lassen, umgeben von Stacheldrähten und Befestigungsanlagen; bleibt da, wo ihr seid, auch wenn ihr kein Zuhause mehr habt“. Dabei arbeitet man auch mit lokalen Milizen z.B. im Sudan zusammen, die die Flüchtlingsrouten nach Libyen versperren sollen.
Wenn Politiker in dieser Lage von „humanitärer Katastrophe sprechen“, vertuschen sie, dass diese Menschen in Wirklichkeit eine Geißel der Politik dieses Systems sind, das mit allen Mitteln von der herrschenden Klasse verteidigt wird.
Das östliche Mittelmeer ist gleichzeitig ein Brennglas der zerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus. Schon vor einem Jahrhundert bekämpften sich die Türkei und Griechenland in einem Krieg, in dem die ersten organisierten ethnischen Säuberungen durchgeführt wurden; nun stehen sich die beiden imperialistischen Rivalen erneut wegen des Streits um Gas- und Ölvorkommen in der Region gegenüber. Zusätzlich zu der Kriegsgefahr in der Region gefährdet der Kapitalismus die Menschen aber auch durch die Wirtschaftskrise und Explosionen wie die in Beirut, Faktoren, die noch mehr Menschen in die Flucht treiben werden.
Das Infame an der Haltung der Herrschenden wird nicht dadurch abgeschwächt, wenn man vortäuscht ein wenig „Erbarmen“ mit den „Schwächeren“ unter den Flüchtlingen zu zeigen. Erst nachdem bestimmte Kräfte aus den eigenen Reihen der bürgerlichen Parteien, besorgt über den Ansehensverlust der westlichen Demokratien, Druck ausgeübt und Lokalverwaltungen die Bereitschaft zur Aufnahme eines begrenzten Kontingents gezeigt haben, wollen Frankreich und Deutschland 400 „unbegleitete“ Jugendliche einreisen lassen. Und nach nahezu einer Woche Verschleppungstaktik sollen dann doch z.B. nach Deutschland 1500 Kinder mit ihren Familien hereingelassen werden… Die restlichen 10.000 aus Moria und sollen in Griechenland schmachten. Dabei verstecken sich die Herrschenden hinter ihrer Angst vor den Populisten oder den aufnahme-unwilligen Staatschefs aus Ungarn, Polen, Niederlande, Österreich. Kein Land könne das Schicksal der Flüchtlinge alleine schultern – unter diesem Vorwand pocht man auf ein europäisch einheitliches Vorgehen.
Tatsächlich wollen sie keine neue Flüchtlingswelle wie 2015 anlocken und den Populisten keinen weiteren Zulauf ermöglichen. Die griechische Regierung sperrt die jetzt im Freien überlebenden Flüchtlinge lieber in neu errichteten Lagern ein, anstatt ihnen den Zutritt zum Festland zu gestatten, von wo Lagerinsassen dann weiter flüchten könnten. Die Herrschenden in der EU haben fleißig aus allen Lehrbüchern zur Errichtung von Lagern aus Guantanamo, Sibirien, Speziallagern der DDR oder Xinjiang gelernt. Flucht verhindern um jeden Preis, Abschreckung mit allen Mitteln mit immer größeren Menschenmassen! Ihr Handeln wird nicht geleitet vom Schutz der Elendigen, sondern ihrem Machterhalt. Und diese Herrschaft verteidigen sie mit allen Mitteln.
Sei es, indem sie die furchtbarsten Außengrenzen und Flüchtlingslager anlegen, oder mit „humanitären“ Mitteln und der Heuchelei der Demokratie. Während die Repression in Belarus, die Killerkommandos Putins oder die Gefangenenlager der Uiguren in Xinjiang von den Europäern angeprangert werden, arbeitet man selbst seit Jahren mit diesen Regimen bestens zusammen, auch wenn zeitweise die Kooperation – vor allem Rüstungsverträge - aufgeschoben oder gar aufgehoben werden.
Während in den USA die Demokraten und Republikaner mit Trump an ihrer Spitze die diktatorischen Methoden Chinas verurteilen, das in Hongkong vermummte Greiftrupps gegen Protestierende zum Einsatz bringt, schickt Washington die Nationalgarde und an ihrer Seite vermummte Greiftrupps der amerikanischen Polizei, die ebenso Protestierende in getarnten Autos verschleppen. Ob Lukaschenko in Belarus, Putin in Russland, Erdogan in der Türkei, Duterte auf den Philippinen, Mohammed bin Salman in Saudi-Arabien, Xi Jinping in China, Trump in den USA usw. - sie alle verteidigen ihr System und ihre Macht gnadenlos und mit Mitteln, die oft genau die gleichen sind.
Deshalb ist es vergeblich auf die Einsicht oder Erbarmen der Herrschenden zu zählen, und es ist bestenfalls eine gefährliche Illusion zu glauben, man könne die Probleme, vor denen uns der Kapitalismus stellt, mit humanitären Rettungsaktionen usw. ausrotten.
Die Forderung „No Borders, No Nation“ greift zwar eine richtige Sorge auf, kann aber nur durch einen revolutionären Kampf verwirklicht werden, indem alle Staaten abgeschafft werden. Deshalb reicht es nicht aus, Empörung über die barbarischen Verhältnisse zu zeigen. Der erste Schritt muss sein zu erkennen, woher das Übel kommt und dies dann beim Namen zu nennen. Erst dann können wir das Problem an der Wurzel packen, und das bedeutet, den Kapitalismus und seine Mechanismen anzugreifen.
Toubkal 15.09.2020
Der Kapitalismus, das Produktionssystem, das den Planeten und jedes Land auf ihm beherrscht, versinkt immer tiefer in seinem Zerfall. Ein Jahrhundert des Niedergangs nähert sich seinem Endstadium und bedroht das Überleben der Menschheit mit einer Spirale wahnsinniger Kriege, wirtschaftlicher Depression, ökologischer Katastrophen und verheerender Pandemien.
Jeder Nationalstaat auf der Erde strebt danach, dieses sterbende System aufrechtzuerhalten. Jede Regierung, ob in demokratisches oder diktatorisches Gewand gekleidet, ob offen kapitalistisch oder fälschlicherweise als "sozialistisch" deklariert, hat zur Aufgabe die wahren Ziele des Kapitals zu verteidigen: die Ausweitung des Profits auf Kosten der einzig möglichen Zukunft unserer Spezies, einer weltweiten Gemeinschaft, in der die Produktion nur ein Ziel hat - die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.
Daher ist die Entscheidung, welche Partei oder welcher Präsident die Zügel der Regierung übernimmt, eine falsche Wahl, die die kapitalistische Zivilisation nicht vom Weg in die Katastrophe abbringen kann. Dies gilt für die kommenden US-Wahlen ebenso wie für jeden anderen Wahlzirkus.
Vielen ist klar, dass Trump ein erklärter Verteidiger all dessen ist, was am Kapitalismus so schändlich ist: von seinen Leugnungen der Realität der Bedrohung durch Covid-19 und des Klimawandels über seine Rechtfertigungen für Polizeibrutalität im Namen von Recht und Ordnung bis hin zu seinen Appellen an Rassismus und Rechtsextremismus und seiner persönlichen Behandlung der Frauen, auf die er ein Auge geworfen hat. Aber die Tatsache, dass Trump, mit den Worten seines ehemaligen Anwalts und „Aufräumers“ Michael Cohen, "ein Lügner, Betrüger und Rassist" ist, hindert wichtige Fraktionen der Kapitalistenklasse nicht daran, Trump zu unterstützen, weil seine Politik des wirtschaftlichen Nationalismus und der Deregulierung der Umwelt- und Gesundheitsdienste dazu dient, ihre Profite zu steigern.
Bei der letzten Wahl hat Trump vielen amerikanischen Arbeitern vorgegaukelt, dass der "America First"-Protektionismus ihre Arbeitsplätze retten und traditionelle Industrien wiederbeleben würde. Aber schon vor der Covid-Krise steuerte die Weltwirtschaft - einschließlich China - auf eine neue Rezession zu, und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, die noch vor uns stehen, werden noch brutaler sein. Protektionismus ist eine Illusion, denn keine Wirtschaft kann sich von den erbarmungslosen Gesetzen des Weltmarkts abkoppeln, und Trumps Wahlversprechen an die US-Arbeiter hatten sich schon vor dem Beginn der Rezession 2019 als leer herausgestellt.
Laut Trump droht Joe Biden, Amerika in eine "sozialistische Utopie" zu verwandeln, weil er eine bloße Marionette in den Händen der "radikalen Linken" sei, verkörpert von Leuten wie Bernie Sanders und der "Truppe" um Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar und anderen. [1]
In Wirklichkeit wurde Biden als demokratischer Kandidat gewählt, weil er die Fortsetzung der demokratischen Mainstream-Politik von Obama und Clinton darstellt, die viel mit der von Trump gemeinsam hat: Der Fokus gen Osten hin zu einer Konfrontation mit dem chinesischen Imperialismus wurde unter Obama begonnen, der wegen seines rücksichtslosen Umgangs mit "illegalen" Einwanderern auch als "Abschiebehäuptling" bekannt war. Natürlich haben die Demokraten ihre Differenzen mit Trump: Sie sind enger mit dem Militär- und Sicherheitsapparat verbunden, der Trumps katzbuckelnden Umgang mit Putins Russland zutiefst misstraut, und sie sind verlegen über seinen rücksichtslosen Bruch internationaler Verträge und Bündnisse, weil er die diplomatische Glaubwürdigkeit der USA untergräbt. Aber das sind lediglich Differenzen über die beste Strategie für den amerikanischen Imperialismus. Ebenso wenden sie sich gegen Trumps mangelnden Respekt für die Normen der "Demokratie", weil sie wissen, wie wichtig die demokratische Illusion für die Erhaltung der sozialen Ordnung ist.
Die Demokratische Partei war nie etwas anderes als die alternative Partei des US-Kapitalismus. Es stimmt, dass in letzter Zeit Gruppierungen wie die Demokratische Sozialistische Allianz und Verfechter des Grünen New Deal, Black Lives Matter und verschiedene Formen der Identitätspolitik in oder um die offizielle Partei herum gewachsen sind. Aber diese "radikale Linke" bietet nur eine linkere Version des staatlich gelenkten Kapitalismus, an dem alle Fraktionen der herrschenden Klasse - einschließlich der Rechten und der Fanatiker des freien Unternehmertums - in einer von Krise und Krieg verwüsteten Welt festhalten müssen. Diese „linke“ Politik stellt die Existenz des Nationalstaates, die Produktion für den Profit, das Lohnsystem - die das Wesen des Kapitalismus und die Quelle seiner unlösbaren Widersprüche sind - natürlich nicht in Frage.
Kein kapitalistischer Politiker und keine kapitalistische Partei kann einen Ausweg aus der Krise ihres Systems anbieten. Die Zukunft der Welt liegt in den Händen der Klasse, die alles produziert, was wir zum Leben brauchen, die in jedem Land vom Kapital ausgebeutet wird und die überall die gleichen Interessen hat: sich zur Verteidigung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen zusammenzuschließen, die Selbstorganisation und das Bewusstsein zu entwickeln, die notwendig sind, um dem kapitalistischen System entgegenzutreten und seine eigene historische Lösung vorzuschlagen: den authentischen Sozialismus oder, wie Marx es lieber nannte, den Kommunismus, in dem die Menschheit endlich frei von Staat, Grenzen und Lohnsklaverei sein wird.
Dies mag als eine sehr ferne Perspektive erscheinen. In ihrer täglichen Existenz ist die Arbeiterklasse auf tausend verschiedene Arten gespalten: im Wettbewerb um Arbeitsplätze, durch nationale Grenzen, durch Geschlecht und durch "Rasse", vor allem in einem Land wie den USA mit ihrem giftigen Erbe der Sklaverei und des Rassismus.
Aber die Arbeiterklasse ist auch die Klasse der Assoziation, die gezwungen ist, kollektiv zu arbeiten und sich kollektiv zu verteidigen. Wenn sie ihr Haupt erhebt, neigt sie dazu, die Spaltungen in ihren Reihen zu überwinden, weil sie keine Wahl hat, wenn sie eine Niederlage vermeiden will. Rassismus und Nationalismus sind vielleicht die wirksamsten Mittel, um Arbeiter zu spalten, aber sie können und müssen überwunden werden, wenn der Klassenkampf vorankommen soll. Als die Covid-19 Pandemie zum ersten Mal zuschlug, reagierten US-Arbeiter darauf, dass sie gezwungen wurden, ohne Schutz in Autofabriken, Krankenhäusern, Supermärkten oder Lagerhäusern zu arbeiten.
Und jeder Arbeiter, ob "weiß", "schwarz", "Latino" oder andere, beteiligte sich Schulter an Schulter an den Streikposten.
Solche Momente der Einheit laufen den "klassischen" Ausdrucksformen der Rassentrennung zuwider - der weißen Vorherrschaft und den faschistischen Bewegungen, die aus dem verrottenden Körper des Kapitalismus sickern. Aber sie gehen auch in eine andere Richtung als die Black Lives Matter- Mobilisierungen, die die Rasse über die Klasse stellen und die von den Demokraten, von großen Firmen wie McDonalds oder Apple, von den Gewerkschaften, d.h. von einem bedeutenden Teil des Staates selbst völlig instrumentalisiert worden sind. Rassenkämpfe können nicht zur Vereinigung der Arbeiterklasse führen. Teile der herrschenden Klasse sind glücklich, "auf die Knie zu gehen" und der Black Lives Matter ihren Segen zu geben, weil sie wissen, dass sie dazu benutzt werden kann, die grundlegende Realität des Kapitalismus zu verbergen: der Kapitalismus erschafft eine Gesellschaft, die auf der Ausbeutung einer Klasse durch eine andere beruht.
Die Arbeiterklasse in den USA sieht sich im Vorfeld der Wahlen mit einem gewaltigen ideologischen Ansturm konfrontiert, bei dem Politiker und Medien-Superstars weit und breit verkünden, dass ihre einzige Hoffnung in der Wahl liegt. Dabei liegt die wirkliche Macht der Arbeiterklasse nicht in der Wahlkabine, sondern in ihrem Zusammenschluss als Klasse an den Arbeitsplätzen und auf der Straße. Sie ist auch mit der realen Gefahr konfrontiert, in gewalttätige Konflikte zwischen bewaffneten "Milizen" hineingezogen zu werden, wie wir bei einigen der jüngsten Black Lives Matter Protesten gesehen haben. Die amerikanische Gesellschaft ist mehr polarisiert und gespalten als je zuvor seit dem Vietnamkrieg, und die Gefahr eines "Bürgerkrieges" auf völlig bürgerlichem Terrain könnte sich nach der Wahl noch verschärfen, insbesondere wenn Trump sich weigert, das Ergebnis anzuerkennen, wie er neulich schon andeutete. Dies unterstreicht nur die Notwendigkeit für die Arbeiter, die Lockrufe der Rechten und Linken abzulehnen, die falschen Entscheidungen des demokratischen „Supermarktes“ zurückzuweisen und sich um ihre eigenen Klasseninteressen zu versammeln.
Amos 26.09.2020
[1] siehe: “Trump v ‘The Squad’: The Deterioration of the US Political Apparatus”; World Revolution no 384, Autumn 2019
Am 8. August 2020 und an den darauf folgenden Wochenenden gingen Tausende von britischen Gesundheitsfachkräften auf die Straßen der großen Städte, um wütend zu protestieren, gegen niedrige Löhne, hohe Studiengebühren, erhöhte Arbeitsbelastung, verlängerte Schichtzeiten, fehlende persönliche Schutzausrüstung gegen die Ausbreitung von Covid-19, systematische Unterfinanzierung und die Präsentation ihres "heldenhaften Opfers" durch die Regierung - als tödliche Last die sie fröhlich geschultert hätten.
In früheren Zeiten mögen solche Äußerungen kämpferischer Gruppen von Arbeitern, die versuchten, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verteidigen, als Routine erschienen sein, "wie es sich gehört". Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen in den letzten Jahrzehnten[1] (und insbesondere vor dem Hintergrund der von den Regierungen angesichts der Covid-Krise verlangten "nationalen Einheit") kleine Anzeichen ausdrücken, dass sie sich von einem globalen Rückschritt in Kampfbereitschaft und Bewusstsein erholen, sind diese Äußerungen des Klassenkampfes jedoch bemerkenswert.
Das Personal, das auf lokaler Ebene weitgehend von Krankenpflegepersonal, Pflegeheimangestellten und anderem Personal des Gesundheitssektors selbst organisiert war, aber von Gewerkschaftsausschüssen und der Labour Party nahe stehenden Gruppen koordiniert und eingepfercht wurde, sprach auf Dutzenden von Demonstrationen, darunter in Leeds, Liverpool, Manchester und Glasgow, vom Stress, der durch den Tod von Kollegen und Patienten verursacht wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren über 540 Mitarbeiter des Gesundheitswesens infolge Covid-19 gestorben. Sie sprachen von der Ungewissheit, ob sie selbst infiziert sind oder Krankheiten auf ihre Familien übertragen. Auch sprachen sie vom Überlebenskampf mit Ausbildungsschulden von bis zu 60.000 oder sogar 90.000 Pfund, und dem Zwang, von Löhnen zu leben die in vielen Fällen in den letzten zehn Jahren um 20% gesunken waren, dies trotz Streiks von 50.000 Ärzten in Ausbildung im Jahr 2016 und einer dreijährigen Lohnvereinbarung für andere Mitarbeiter im Jahr 2018.
Vor allem aber sind sie wütend darüber, dass sie von den „Lohnzulagen" ausgeschlossen wurden, welche die Regierung im Juli 2020 etwa 900.000 „wichtigen" Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, darunter Angehörige der Streitkräfte, Beamte, Teile der Justiz und leitende Ärzte, für ihren Anteil am „Kampf" gegen Covid gewährte, wobei das Krankenpflegepersonal jedoch ignoriert wurde! Wir werden auf diesen Aspekt weiter unten zurückkommen.
Der spontane Charakter der Proteste - die Tatsache, dass die Beschäftigten nicht darauf warteten, dass "ihre" Gewerkschaften der offensichtlichen Wut Ausdruck verliehen - wurde durch Proteste mit weitgehend selbstgemachten Plakaten untermauert, mit Aussagen wie: "Helden mit 0% Belohnung", "Mit klatschen bezahlt man keine Rechnungen", "Faire Löhne im NHS - ihr schuldet uns was", "Kürzungen heilen nicht", "Hört auf zu klatschen und fangt an zu reden" und "Eine Krankenschwester schuftet ihr Leben lang, nicht nur bei Covid19". Die Proteste (100 Beschäftigte in Cambridge, 100 in Bournemouth, 2000 in London und an vielen Orten im ganzen Land) zogen vor allem junge Beschäftigte an, die noch nie zuvor demonstriert oder an einem proletarischen Kampf teilgenommen hatten, zusammen mit älteren KollegenInnen, die bald in Rente gehen, und sich mit Kollegen, die zunehmend unerträglichem Druck ausgesetzt werden solidarisieren wollten. Um Unterstützung zu erhalten hatten sie auch soziale Medien benutzt, wie Facebook-Gruppen von Gesundheitspersonal mit den Namen NHS-Mitarbeiter sagen NEIN zur Lohnungleichheit im öffentlichen Sektor, bei denen 80.000 Facebook-Mitglieder registriert sein sollen, oder NHS Pay 15, das eine Lohnerhöhung von 15% fordert (ein Aufruf, der bei einer Demonstration von Beschäftigten aus den Krankenhäusern Guy's und St. Thomas in London am 26. August Widerhall fand), sowie Nurses United UK. Es fiel auf, dass Gewerkschaftsfahnen weitgehend fehlten, obwohl es nicht an "radikalen" politischen Gruppen mangelte, die dafür eintraten, dass die Demonstranten fordern sollten, dass die Gewerkschaften "entschlossener kämpfen". Solche Ideen werden wahrscheinlich ein Echo finden, denn soweit wir wissen, hat keine der Ad-hoc-Gruppen die Gewerkschaften oder die Gewerkschaftsbewegung direkt infrage gestellt.
Monatelang wurde Gesundheitsfachkräften vorgegaukelt, sie seien Teil einer "nationalen Anstrengung" (einschließlich Armeeeinheiten und der Rekrutierung von Tausenden von "Freiwilligen" in einer Zeit zunehmender "Null-Stunden"-Verträge und des Gespenstes der Massenarbeitslosigkeit!) und sie hätten ihr Leben an der "Frontlinie" des "Krieges gegen Covid" einzusetzen und dafür "alles zu geben". Dazu gehören scheinbar endlose Überstunden, der Verzicht auf Urlaub, und Anweisungen zur Schutzausrüstung die sich von Tag zu Tag änderten. So zeigten die wütenden Demonstrationen, wenn auch in kleinem und begrenztem Umfang, einen echten Widerstand gegen den Druck des Staates, länger und für weniger Entgelt, "für das nationale Wohl" zu arbeiten. Die Demonstrationen schwächten den Versuch des Staates, den "Geist der Kriegszeit" herauf zu beschwören, der darin besteht, dass "wir alle im gleichen Boot sitzen". Damit spiegelten sie die Kämpfe von Millionen anderer Menschen auf der ganzen Welt wieder, die auch versuchten, sich kollektiv gegen die zunehmende Ausbeutung - und oft auch Repression - zu wehren, welche vom Kapital gefordert wird. Hier einige Beispiele:
- Auf dem afrikanischen Kontinent wurde von Streiks von Gesundheitspersonal in Kenia, Ägypten, Simbabwe, Nigeria, Ghana und Sierra Leone berichtet, und von Protesten in Lesotho und Malawi. "In Südafrika gab es bei weitem die meisten Streiks und Arbeitsniederlegungen, wo die Regierung plant, die Löhne der Krankenschwestern als Teil eines umfassenderen Plans zur Senkung der Lohnsumme im öffentlichen Sektor zu kürzen, bevor sie sich an den IWF wendet, um ein Darlehen zu erhalten.[2] Streikenden Krankenschwestern wurden "Disziplinarmaßnahmen" angedroht, wobei einige durch Gummigeschosse und Betäubungsgranaten verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wurden.
- In Indien protestierten im Juni und Juli Mitarbeiter von zwei Krankenhäusern in der Hauptstadt Delhi gegen das Fehlen von Schutzausrüstung und die Entlassung von 84 Kollegen, weil diese Sicherheitsbedenken geäußert hatten. Dies war der Auftakt zu einem zweitägigen landesweiten Streik im August, an dem schätzungsweise 3,5 Millionen Beschäftigte aus verschiedenen Wirtschaftssektoren teilnahmen, angeführt von etwa 600.000 Mitgliedern der Accredited Social Health Activists, "Arbeiterinnen, die in ländliche Gebiete mit niedrigem Einkommen herumreisen, um dort die medizinische Grundversorgung zu gewährleisten".[3]
- In Kalifornien "sind die Einnahmen der Krankenhäuser seit Beginn der Pandemie um mehr als ein Drittel zurückgegangen, und die Verluste haben das Gesundheitspersonal gezwungen, Lohnkürzungen oder sogar gestrichene Urlaubstage in Kauf zu nehmen (...)". (San Francisco Chronicle, 20. Juli). Ein Streik von 700 Beschäftigten des Gesundheitswesens im Santa Rosa Memorial Hospital, die gegen eine unzureichende Versorgung mit Schutzausrüstung, Leistungskürzungen und "unsichere Personalausstattung" protestierten, war nur eine von verschiedenen regionalen Reaktionen.
In der Tat: "In mindestens 31 der von Amnesty International untersuchten Länder, lieferten Nachforschungen und Berichte über Streiks, Streikdrohungen oder Proteste von Beschäftigten des Gesundheitswesens und von Beschäftigten in lebenswichtigen Bereichen, als Folge unsicherer Arbeitsbedingungen. In vielen Ländern wurden solche Aktionen von den Behörden mit Repressalien beantwortet.“[4]
- In Russland wurden Ärzte, die sich über den Mangel an Schutzausrüstung beschwerten, nach dem Gesetz über "Gefälschte Nachrichten" angeklagt und mussten mit Geldstrafen und/oder Entlassung rechnen.
- In Malaysia "löste die Polizei einen friedlichen Streikposten gegen ein Krankenhaus-Reinigungsunternehmen auf (…) und klagte fünf Beschäftigte des Gesundheitswesens wegen "unbefugter Versammlung" an“.
- In Ägypten wurden "neun Beschäftigte des Gesundheitswesens (...) zwischen März und Juni willkürlich unter vagen und weit gefassten Vorwürfen der 'Verbreitung falscher Nachrichten' und des 'Terrorismus' festgenommen.“
Aber offene Repressalien und Repression sind nicht das Hauptmittel, das die herrschende Klasse benutzt, um der Arbeiterklasse ihren "Ausnahmezustand" aufzuzwingen. In den alten Zentren des Kapitalismus - va. in Europa und den USA - ist die allgemeine Tendenz ein politisches Spiel des Teilens und Herrschens, welches auf die eine oder andere Weise darauf abzielt, die Beschäftigten im Gesundheitswesen zu einem "Sonderfall" zu machen, Spaltungen unter ihnen zu säen und sie von ihren Klassenbrüdern und -schwestern in anderen Branchen zu trennen.
- In Belgien sah der "Emergency Powers Decree Nr. 14" vor, private und staatliche Gesundheits- und andere Angestellte zu unbezahlten Überstunden ohne Freizeitausgleich zu zwingen. Diese Klauseln wurden nach dem Widerstand verärgerter Beschäftigter fallen gelassen, aber es waren dann die Gewerkschaften, die ihre eigene Position stärken wollten, indem sie den Kampf übernahmen und mit Streiks drohten die nie zustande kamen, während sich alle anderen Arbeitsbedingungen weiter verschlechterten.
- In Frankreich trennt der kürzlich propagierte Plan des "Ségur de la Santé" zur "Belohnung" der Beschäftigten im Gesundheitssektor privates von öffentlichem Personal, sieht eine Verringerung der Ruhezeiten zwischen den Schichten vor und ist ein weiterer Schritt zum Abbau der vom Staat übernommenen Verantwortung für die Gesundheitsversorgung.[5]
- In Großbritannien war die oben erwähnte Gehaltserhöhung ein offensichtlicher Schlag ins Gesicht für Krankenschwestern und Krankenpfleger, sie hatte dazu die beabsichtigte Wirkung, Assistenz- von Oberärzten und Krankenschwestern und Krankenpfleger von anderen Beschäftigten des öffentlichen Sektors zu trennen.
Die Tendenz, den Gesundheitssektor als das A und O des Kampfes zu betrachten (der Fluch des Korporatismus (Berufsegoismus), der die Bergarbeiter- und Stahlarbeiterstreiks in Großbritannien in den 1980er Jahren lähmte) ist eine echte Schwäche, die bei den Protesten im August in Großbritannien zum Ausdruck kam, auch wenn bei einem Treffen der Ruf laut wurde: "Auch die Feuerwehrleute verdienen eine Lohnerhöhung". Es gibt auch die Tendenz, alleine der Tory-Partei die Schuld an der "Privatisierung des Gesundheitswesens" zuzuschieben, obwohl in der Tat alle Parteien überall seit Jahrzehnten die Gesundheitsdienste auf ein Minimum reduziert haben. Es war die Ausweitung der privaten Finanzinitiative durch die letzte Labour-Regierung, die das NHS „zum Verkauf" stellte und die Bedingungen für die Beschäftigten untergrub.
Die Kampfbereitschaft die während des Sommers in Großbritannien[6] und in anderen Ländern an den Tag gelegt wurde, steht in deutlichem Gegensatz zur vorherrschenden Atmosphäre der Angst und Unsicherheit, die durch die Covid-Krise und die darauf folgenden Massenentlassungen und Schließungen erzeugt wurde, Faktoren die den vorher bestehenden Mangel an Vertrauen in die Klasse verstärken. Die Mobilisierungen waren eine willkommene Erinnerung daran, dass die Arbeiterklasse weder durch Erschöpfung noch von den Sirenengesängen der Selbstaufopferung erdrückt worden ist. Die notwendige Politisierung dieses Kampfes - die Anerkennung dessen, was die Arbeiterklasse historisch gesehen ist und was sie werden kann und muss - muss sich das Proletariat wieder aneignen.
RF, 10.9.2020
[1] Siehe "Bericht über den Klassenkampf": Bildung, Verlust und Rückeroberung der proletarischen Klassenidentität" https://en.internationalism.org/content/16707/report-class-struggle-form... [62]
[2] World Socialist Website, 7. Juli 2020, https://www.wsws.org/en/articles/2020/07/17/afri-j17.html [148]
[3] Worker`s World, 13. August https://www.workers.org/2020/08/50567/ [149]
[5] Siehe Révolution Internationale, https://fr.internationalism.org/content/10227/segur-sante-nouveau-coup-p... [151]
[6] Weitere Sektoren, die im Frühjahr und Sommer im Kampf standen, waren Universitätsdozenten. Es gab auch erbitterte Proteste von British Airways-Mitarbeitern, bei denen Tausende entlassen und andere zu niedrigeren Löhnen und schlechteren Bedingungen wieder eingestellt wurden. Weitere Informationen über die Streiks und den Widerstand der Arbeiter zu Beginn der Pandemie findet man unter Despite All Obstacles the Class Struggle Forges Its Future, https://en.internationalism.org/content/16855/covid-19-despite-all-obsta... [110]
Die Katastrophe geht weiter und verschlimmert sich: Offiziell gibt es weltweit 36 Millionen Infizierte und über eine Million Tote[1]. Nachdem weltweit die verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie rücksichtslos präventive Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus eingeführt und dann eine brutale Schließung weiter Wirtschaftszweige durchgesetzt hatten, setzten sie in der Folge auf eine wirtschaftliche Erholung auf Kosten einer noch größeren Zahl von Opfern. Dies indem sie die Gesellschaft wieder öffneten, während die Pandemie in einigen Ländern nur vorübergehend abgeklungen war. Angesichts des herannahenden Winters wird deutlich, dass sich dieses Wagnis nicht ausgezahlt hat, was zumindest mittelfristig eine Verschlechterung sowohl in wirtschaftlicher als auch in medizinischer Hinsicht bedeutet. Die Last dieser Katastrophe ist auf die Schultern der internationalen Arbeiterklasse gefallen.
Bis jetzt besteht eine der Schwierigkeiten, die Tatsache anzuerkennen, dass der Kapitalismus in die letzte Phase seines historischen Niedergangs - des gesellschaftlichen Zerfalls - eingetreten ist, darin, dass diese gegenwärtige Epoche, die durch den Zusammenbruch des Ostblocks 1989 endgültig eröffnet wurde, oberflächlich als eine Vermehrung von Symptomen ohne offensichtlichen Zusammenhang erschienen war. Dies im Gegensatz zu früheren Perioden kapitalistischer Dekadenz, die von so offensichtlichen Meilensteinen wie dem Weltkrieg oder der proletarischen Revolution definiert und beherrscht wurden[2]. Aber jetzt, im Jahr 2020, ist die Covid-Pandemie, die bedeutendste Krise der Weltgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg, zu einem unverkennbaren Kennzeichen dieser gesamten Periode des Zerfalls geworden, indem sie eine Reihe von Faktoren des Chaos zusammenführt, die die allgemeine Verwesung des kapitalistischen Systems bedeuten. Dazu gehören:
Covid-19 hat so die Auswirkungen des Zerfalls auf alle grundlegenden Bereiche der kapitalistischen Gesellschaft - ökonomisch, imperialistisch, politisch, ideologisch und sozial - deutlicher als zuvor zusammengeführt.
Die gegenwärtige Situation hat auch die Bedeutung einer Reihe von Phänomenen verdrängt, die der Analyse widersprechen sollten, dass der Kapitalismus in eine Endphase des Chaos und des gesellschaftlichen Zerfalls eingetreten ist. Diese Phänomene, so behaupteten unsere Kritiker, bewiesen, dass unsere Analyse "in Frage gestellt" oder einfach ignoriert werden sollte. Insbesondere die erstaunlichen Wachstumsraten der chinesischen Wirtschaft erschienen unseren kritischen Kommentatoren vor einigen Jahren als eine Widerlegung der Behauptung, dass es eine Periode des Zerfalls und sogar der Dekadenz gibt. In Wirklichkeit waren diese Beobachter vom "Duft der Modernität", den das chinesische Industriewachstum ausströmte, hingerissen worden. Heute, als Folge der Covid-Pandemie, hat die chinesische Wirtschaft nicht nur stagniert, sondern auch eine chronische Rückständigkeit offenbart, die den weniger angenehmen Duft von Unterentwicklung und Verfall verströmt.
Die Perspektive der IKS aus dem Jahr 1989, dass der Weltkapitalismus in eine letzte Phase der inneren Auflösung eingetreten sei, die auf der marxistischen Methode der Analyse der zugrundeliegenden globalen und langfristigen Trends basierte, anstatt nach vorübergehenden Neuerungen zu rennen oder an überholten Formeln festzuhalten, hat sich eindrucksvoll bestätigt.
Die gegenwärtige gesundheitliche Katastrophe offenbart vor allem einen zunehmenden Kontrollverlust der Kapitalistenklasse über ihr System und ihren zunehmenden Perspektivenverlust für die menschliche Gesellschaft als Ganzes. Der zunehmende Verlust der Beherrschung der Mittel, die die Bourgeoisie bisher entwickelt hat, um die Auswirkungen des historischen Niedergangs ihrer Produktionsweise einzudämmen und zu kanalisieren, ist greifbarer geworden.
Darüber hinaus zeigt die gegenwärtige Situation, in welchem Maße die Kapitalistenklasse nicht nur weniger in der Lage ist, ein wachsendes soziales Chaos zu verhindern, sondern auch den Zerfall, den sie früher in Schach hielt, mehr und mehr vorantreibt.
Um besser verstehen zu können, warum die Covid-Pandemie ein Kennzeichen für die Periode des Zerfalls des Kapitalismus darstellt, müssen wir sehen, warum es in früheren Epochen nicht so verlaufen konnte, wie es heute der Fall ist.
Pandemien waren natürlich in früheren Gesellschaftsformationen bekannt und hatten eine verheerende und beschleunigende Wirkung auf den Niedergang früherer Klassengesellschaften, wie die Justinianische Pest am Ende der alten Sklavengesellschaft oder der Schwarze Tod, d.h. die Pest am Ende der feudalen Leibeigenschaft. Aber die feudale Dekadenz kannte keine Periode des Zerfalls, weil sich innerhalb und neben der alten bereits eine neue Produktionsweise (den Kapitalismus) herausbildete. Die Verwüstung durch die Pest beschleunigte sogar die frühe Entwicklung der Bourgeoisie.
Die Dekadenz des Kapitalismus, des dynamischsten Systems der Ausbeutung der Arbeit in der Geschichte, erfasst notwendigerweise die gesamte Gesellschaft und verhindert, dass sich in ihr eine neue Produktionsform herausbildet. Aus diesem Grund ist der Kapitalismus in Ermangelung eines erneuten Weges zum Weltkrieg und des Wiederauflebens der proletarischen Alternative in eine Periode der "Ultra-Dekadenz" eingetreten, wie es die Thesen über den Zerfall der IKS ausdrücken[4]. Die gegenwärtige Pandemie wird also keineswegs einer Wiederbelebung der Produktivkräfte der Menschheit innerhalb der bestehenden Gesellschaft weichen, sondern zwingt uns stattdessen dazu, die Unumgänglichkeit des Zusammenbruchs der menschlichen Gesellschaft als Ganzes zu erahnen, solange der Weltkapitalismus nicht in seiner Gesamtheit gestürzt wird. Der Rückgriff auf die mittelalterlichen Methoden der Quarantäne als Antwort auf Covid, obwohl der Kapitalismus die wissenschaftlichen, technologischen und sozialen Mittel entwickelt hat, um den Ausbruch von Seuchen zu verstehen, ihnen vorzubeugen und sie einzudämmen (aber nicht in der Lage ist, sie einzusetzen), zeugt von der Sackgasse einer Gesellschaft, die "vom Boden her verrottet" und zunehmend unfähig ist, die Produktivkräfte, die sie in Bewegung gesetzt hat, zu nutzen.
Die Geschichte der sozialen Auswirkungen von Infektionskrankheiten im Leben des Kapitalismus gibt uns einen weiteren Einblick in die Unterscheidung, die zwischen der Dekadenz eines Systems und der spezifischen Periode des Zerfalls innerhalb seiner Periode des Niedergangs, die 1914 begann, getroffen werden muss. Der Aufstieg des Kapitalismus und selbst während des größten Teils seiner Dekadenz zeigt in der Tat eine zunehmende Beherrschung der medizinischen Wissenschaft und der öffentlichen Gesundheit über Infektionskrankheiten, insbesondere in den fortgeschrittenen Ländern. Die Förderung der öffentlichen Hygiene und sanitären Einrichtungen, die Überwindung der Windpocken und der Kinderlähmung und der Rückzug der Malaria zum Beispiel ist ein Beweis für diesen Fortschritt. Nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich wurden nicht übertragbare Krankheiten zu den vorherrschenden Gründen für den vorzeitigen Tod in den Kernländern des Kapitalismus. Wir sollten nicht glauben, dass diese Verbesserung der Fähigkeiten der Epidemiologie zum Schutz der Menschen stattgefunden hat, wie es die Bourgeoisie behauptet. Das vorrangige Ziel war die Schaffung eines stabilen Umfelds für die Intensivierung der Ausbeutung, die von der permanenten Krise des Kapitalismus gefordert wird, und vor allem für die Vorbereitung und letztendliche Mobilisierung der Bevölkerung für die militärischen Interessen der imperialistischen Blöcke.
Seit den 1980er Jahren begann sich der positive Trend gegen ansteckende Krankheiten umzukehren. Neue oder sich entwickelnde Krankheitserreger begannen aufzutauchen, wie HIV, Zikah, Ebola, SARS, Mers, Nipah, N5N1, Dengue-Fieber usw. Besiegte Krankheiten wurden resistenter gegen Arzneimittel. Diese Entwicklung, insbesondere von sogenannten zoonotischen Viren, hängt mit dem städtischen Wachstum in den peripheren Regionen des Kapitalismus zusammen - insbesondere mit den Massenslums, die für 40% dieses Wachstums verantwortlich sind - sowie mit der Entwaldung und dem zunehmenden Klimawandel. Während die Epidemiologie in der Lage war, diese Viren zu verstehen und zu verfolgen, hat die staatliche Umsetzung von Gegenmaßnahmen mit der Bedrohung nicht Schritt gehalten. Die unzureichende und chaotische Reaktion der Bourgeoisien auf Covid-19 ist eine eindrucksvolle Bestätigung für die wachsende Vernachlässigung des kapitalistischen Staates gegenüber dem Wiederaufleben von Infektionskrankheiten und der öffentlichen Gesundheit und damit für eine Missachtung der Bedeutung des Sozialsystems auf der grundlegendsten Ebene. Diese Entwicklung wachsender sozialer Inkompetenz des bürgerlichen Staates ist mit jahrzehntelangen Kürzungen der "Sozialausgaben", insbesondere der Gesundheitsdienste, verbunden. Die wachsende Missachtung der öffentlichen Gesundheit lässt sich jedoch nur im Rahmen der Phase des Zerfalls vollständig erklären, die unverantwortliche und kurzfristige Reaktionen großer Teile der herrschenden Klasse fördert.
Die Schlussfolgerungen, die aus dieser Umkehrung des Fortschritts bei der Kontrolle von Infektionskrankheiten in den letzten Jahrzehnten zu ziehen sind, sind unausweichlich: Es ist ein Beispiel für den Übergang des dekadenten Kapitalismus in eine letzte Periode des Zerfalls.
Jene Erklärungen, die diesen Wandel nicht berücksichtigen, wie zum Beispiel die der Internationalen Kommunistischen Tendenz (https://www.leftcom.org/de [152]), bleiben bei der Binsenweisheit, dass das Profitmotiv für die Pandemie verantwortlich ist. Für sie bleiben die spezifischen Umstände, der Zeitpunkt und das Ausmaß des Desasters ein Rätsel.
Ebenso wenig lässt sich die Reaktion der Bourgeoisie auf die Pandemie mit einem Rückfall in das Schema der Zeit des Kalten Krieges erklären, als ob die imperialistischen Mächte sich mit dem Covid-Virus für imperialistische militärische Zwecke "bewaffnet" hätten und die Massenquarantänen in dieser Hinsicht eine Mobilisierung der Bevölkerung darstellen. Diese Erklärung vergisst, dass die imperialistischen Hauptmächte nicht mehr in rivalisierenden imperialistischen Blöcken organisiert sind und nicht die Hände frei haben, um die Bevölkerung hinter ihren Kriegszielen zu mobilisieren. Dies hängt mit der Pattsituation zwischen den beiden Hauptklassen zusammen (die Bourgeoisie und das Proletariat), die ein wichtiges Merkmal der Periode des Zerfalls war.
Im Allgemeinen sind es nicht Viren, sondern Impfstoffe, die den militärischen Ambitionen des imperialistischen Blocks zugute kommen[5]. Die Bourgeoisie hat in dieser Hinsicht die Lehren aus der Spanischen Grippe von 1918 gezogen. Unkontrollierte Infektionen stellen eine massive Belastung für das Militär dar, wie die Stilllegung mehrerer US-Flugzeugträger und eines französischen Flugzeugträgers durch Covid-19 gezeigt hat. Im Gegensatz dazu war die strikte Kontrolle tödlicher Krankheitserreger schon immer eine Voraussetzung für die biologische Kriegsführung jeder imperialistischen Macht.
Das soll nicht heißen, dass die imperialistischen Mächte die Gesundheitskrise nicht genutzt hätten, um ihre Interessen auf Kosten ihrer Rivalen weiter voranzutreiben. Aber diese Bemühungen haben im Großen und Ganzen gezeigt, dass das von den USA hinterlassene Vakuum des imperialistischen leaderships zunimmt, ohne dass irgendeine andere Macht, einschließlich China, in der Lage wäre, diese Rolle zu übernehmen oder einen alternativen Bezugsspol zu schaffen. Das Chaos auf der Ebene der imperialistischen Konflikte ist durch die Covid-Katastrophe bekräftigt worden.
Die Massenquarantäne durch die imperialistischen Staaten stellt heute, trotz der größeren Präsenz des Militärs im täglichen Leben und der Anwendung kriegerischer Appelle durch die Staaten, eine Demobilisierung der Bevölkerung dar, die durch die Furcht des Staates vor der drohenden Gefahr sozialer Unordnung in einer Zeit motiviert ist, in der die Arbeiterklasse zwar ‚stillsteht‘, aber weiterhin ungeschlagen ist.
Die grundsätzliche Tendenz zur Selbstzerstörung, die allen Perioden der kapitalistischen Dekadenz gemeinsam ist, hat ihre dominante Form in der Periode des Zerfalls vom Weltkrieg in ein Weltchaos verwandelt, das die Bedrohung des Kapitalismus für die Gesellschaft und die Menschheit in ihrer Gesamtheit nur noch verstärkt.
Der Kontrollverlust der Bourgeoisie, der die Pandemie gekennzeichnet hat, wird anhand des Verhaltens des Staates deutlich. Was sagt dieses Desaster über den Staatskapitalismus in der Periode des Zerfalls aus?
Um diese Frage besser zu verstehen, erinnern wir an die Beobachtung der IKS Broschüre „Die Dekadenz des Kapitalismus“ über die "Umwälzung des Überbaus", dass die wachsende Bedeutung der Rolle des Staates in der Gesellschaft ein Merkmal der Dekadenz aller Produktionsweisen ist. Die Entwicklung des Staatskapitalismus ist der extreme Ausdruck dieses allgemeinen historischen Phänomens.
Wie die GCF[6] 1952 festgestellt hat, ist der Staatskapitalismus keine Lösung für die Widersprüche des Kapitalismus, auch wenn er deren Auswirkungen verzögern kann, sondern er ist Ausdruck dieser Widersprüche. Die Fähigkeit des Staates, eine zerfallende Gesellschaft zusammenzuhalten, so eindringlich sie auch sein mag, ist daher dazu bestimmt, im Laufe der Zeit nachzulassen und letztlich zu einem erschwerenden Faktor genau der Widersprüche zu werden, die er einzudämmen versucht. Der Zerfall des Kapitalismus ist die Periode, in der ein wachsender Kontrollverlust der herrschenden Klasse und ihres Staates zum dominierenden Trend der gesellschaftlichen Entwicklung wird, was Covid so dramatisch offenbart.
Es wäre jedoch falsch, sich vorzustellen, dass sich dieser Kontrollverlust auf allen Ebenen des staatlichen Handelns einheitlich entwickelt oder dass er alle Nationalstaaten gleichermaßen trifft oder nur ein kurzfristiges Phänomen darstellt.
Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der daraus resultierenden Auflösung des westlichen Blocks haben militärische Strukturen wie die NATO tendenziell ihren Zusammenhalt verloren, wie die Erfahrungen der Balkan- und Golfkriege gezeigt haben. Die Auflösungserscheinungen auf militärischer und strategischer Ebene gingen unweigerlich mit dem - unterschiedlich schnellen - Machtverlust aller zwischenstaatlichen Organisationen einher, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Ägide des US-Imperialismus eingerichtet wurden, wie z.B. die Weltgesundheitsorganisation WHO und die UNESCO auf sozialer Ebene, die EU (in ihrer früheren Gestalt), die Weltbank, der IWF, die Welthandelsorganisation auf wirtschaftlicher Ebene. Diese Agenturen waren dazu bestimmt, die Stabilität und die "sanfte Macht" des westlichen Blocks unter der Führung der USA aufrechtzuerhalten.
Der Prozess der Auflösung und Schwächung dieser zwischenstaatlichen Organisationen hat sich mit der Wahl des US-Präsidenten Trump im Jahr 2016 besonders verschärft.
Die relative Ohnmacht der WHO während der Pandemie ist in dieser Hinsicht vielsagend und hängt damit zusammen, dass jeder Staat sein eigenes chaotisches Spiel mit den uns bekannten tödlichen Ergebnissen spielt. Der "Krieg der Masken" und nun der kommende Krieg der Impfstoffe, der vorgeschlagene Rückzug der USA aus der WHO, der Versuch Chinas, diese Institution zu seinem eigenen Vorteil zu manipulieren, bedarf kaum eines Kommentars.
Die Ohnmacht der zwischenstaatlichen Gremien und das daraus resultierende "Jeder für sich" unter den konkurrierenden Nationalstaaten hat dazu beigetragen, die pathogene Bedrohung in eine globale Katastrophe zu verwandeln.
Auf der Ebene der Weltwirtschaft ist es den Bourgeoisien - trotz der Beschleunigung des Handelskrieges und der Tendenzen zur Regionalisierung – jedoch immer noch gelungen, wesentliche Maßnahmen zu koordinieren, wie z.B. die Aktion der Federal Reserve Bank zur weltweiten Sicherung der Dollar-Liquidität im März zu Beginn des Wirtschaftsabschwungs. Deutschland beschloss nach anfänglichem Zögern, gemeinsam mit Frankreich zu versuchen, ein wirtschaftliches Rettungspaket für die Europäische Union als Ganzes zu koordinieren.
Aber wenn es der internationalen Bourgeoisie immer noch gelingt, einen völligen Zusammenbruch wichtiger Teile der Weltwirtschaft zu verhindern, so hat sie dennoch nicht den enormen langfristigen Schaden vermeiden können, der dem Wirtschaftswachstum und dem Welthandel durch die Abschaltung, die durch die verzögerte und verzerrte Reaktion auf Covid-19 notwendig wurde, zugefügt wurde. Im Vergleich mit der Reaktion der G7 auf den Finanzcrash 2008 zeigt die gegenwärtige Situation, dass die Fähigkeit der Bourgeoisie, Aktionen zur Verlangsamung der Wirtschaftskrise zu koordinieren, sich langfristig erschöpft.
Natürlich war die Tendenz "jeder für sich" schon immer ein Merkmal des Wettbewerbscharakters des Kapitalismus und seiner Aufspaltung in Nationalstaaten. Vielmehr ist es das Fehlen einer imperialistischen Blockdisziplin und einer imperialistischen Perspektive, die das Wiederaufleben dieser Tendenz in einer Zeit der wirtschaftlichen Sackgasse und des Niedergangs gefördert hat. Während zuvor ein gewisses Maß an internationaler Zusammenarbeit aufrechterhalten wurde, offenbart Covid-19 seine zunehmende Abwesenheit.
In den Thesen über den Zerfall unter Punkt 10 haben wir festgestellt, dass das Verschwinden der Perspektive eines Weltkriegs die Rivalitäten zwischen den Cliquen innerhalb der einzelnen Nationalstaaten sowie zwischen den Staaten selbst verschärft. Die Verwerfungen und die mangelnde Vorbereitung in Bezug auf Covid-19 auf internationaler Ebene haben sich in jedem Nationalstaat, insbesondere auf der Ebene der Exekutive, mehr oder weniger stark wiederholt: "Ein Hauptmerkmal des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft, das wir hervorheben sollten, ist die wachsende Schwierigkeit, die Entwicklung der politischen Lage zu kontrollieren". Punkt 9
Dies war einer der Hauptfaktoren für den Zusammenbruch des Ostblocks, der durch den abartigen Charakter des stalinistischen Regimes (ein Einparteienstaat, der die herrschende Klasse selbst definierte) noch verschlimmert wurde. Aber die den Konflikten im "Exekutivkomitee" der gesamten Bourgeoisie zugrunde liegenden Ursachen - chronische Wirtschaftskrise, Verlust der strategischen Perspektive und außenpolitische Fiaskos, Unzufriedenheit der Bevölkerung - treffen nun die fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten, was sich in der gegenwärtigen Krise nirgendwo deutlicher zeigt als in den großen Ländern, in denen populistische oder populistisch beeinflusste Regierungen, insbesondere die von Donald Trump und Boris Johnson, an die Macht gekommen sind. Die Konflikte in diesen großen Staaten klingen unweigerlich in den anderen Staaten nach, die im Moment eine rationalere Politik verfolgt haben.
Früher waren diese beiden Länder ein Symbol für die relative Stabilität und Überzeugungskraft des Weltkapitalismus; die jämmerliche „Performance“ ihrer Bourgeoisien heute zeigt, dass sie stattdessen zu Leuchttürmen der Irrationalität und Unordnung geworden sind.
Sowohl die US-Regierung als auch die britische Regierung haben, geleitet von nationalistischem Getöse, ihre Reaktionen auf das Covid-Desaster absichtlich ignoriert und verzögert und sogar die Bevölkerung dazu ermutigt, die Gefahr nicht zu respektieren; sie haben den Rat der wissenschaftlichen Behörden untergraben und öffnen jetzt die Wirtschaft, während das Virus noch wütet. Beide Regierungen haben am Vorabend der Covid-Krise die Pandemie-Task Forces aufgelöst.
Beide Regierungen zerschlagen auf unterschiedliche Weise absichtlich die etablierten Verfahren des demokratischen Staates und schaffen Zwietracht zwischen den verschiedenen staatlichen Stellen, wie Trumps Aufhebung des Militärprotokolls in seiner Antwort auf die Black Lives Matter-Proteste und betrügerische Manipulationen der Justiz oder Johnsons gegenwärtige Störung der Verfahren der Bürokratie.
Es ist wahr, in einer Zeit des ‚jeder für sich selbst‘ ist jeder Nationalstaat zwangsläufig seinen eigenen Weg gegangen. Doch die Staaten, die mehr ‚Intelligenz‘ als andere gezeigt haben, sehen sich auch mit wachsenden Spaltungen und Kontrollverlust konfrontiert.
Der Populismus bestätigt die Aussage unserer Thesen über den Zerfall, dass der altersschwache Kapitalismus in eine "zweite Kindheit" zurückkehrt. Die Ideologie des Populismus gibt vor, dass das System allein durch demagogische Phrasen und bestimmte störerische Initiativen zu einer jugendlichen Periode kapitalistischer Dynamik und weniger Bürokratie zurückkehren kann. Aber in Wirklichkeit erschöpft der dekadente Kapitalismus in der Phase des Zerfalls alle Linderungsmittel.
Während der Populismus an die fremdenfeindlichen und kleinbürgerlichen Illusionen einer unzufriedenen Bevölkerung appelliert, die durch das Ausbleiben eines proletarischen Wiederauflebens vorübergehend orientierungslos ist, wird aus der aktuellen Gesundheitskrise deutlich, dass sich das Programm des Populismus - oder Antiprogramm - innerhalb der Bourgeoisie und des Staates selbst entwickelt hat.
Es ist kein Zufall, dass die USA und Großbritannien von den entwickelteren Ländern die höchsten Opferzahlen der Pandemie zu verzeichnen haben.
Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Wirtschaftsorgane des Staates in den meisten entwickelten Ländern im Gegensatz dazu stabil geblieben sind und schnelle Notfallmaßnahmen ergriffen haben, um zu verhindern, dass ihre Volkswirtschaften in den freien Fall geraten und die Auswirkungen der Massenarbeitslosigkeit auf die Bevölkerung verzögert werden.
In der Tat sehen wir als Ergebnis der Maßnahmen der Zentralbanken, dass der Staat seine Rolle in der Wirtschaft stark ausgebaut hat. Zum Beispiel: "Morgan Stanley (die Investmentbank) stellt fest, dass die Zentralbanken der G4-Länder - USA, Japan, Europa und Großbritannien - ihre Bilanzen in diesem Zyklus gemeinsam um 28% der Bruttoinlandsproduktion ausweiten werden. Die entsprechende Zahl während der Finanzkrise 2008 betrug 7%". (Financial Times 27. Juni 2020)
Die Perspektive für die Entwicklung des Staatskapitalismus ist jedoch an der Wurzel ein Zeichen dafür, dass die Fähigkeit des Staates zur Eindämmung der Krise und des Zerfalls des Kapitalismus schwindet.
Das zunehmende Gewicht des Eingreifens des Staates in jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens als Ganzes ist keine Lösung für den zunehmenden Zerfall des letzteren.
Es darf nicht vergessen werden, dass es innerhalb dieser Staaten einen starken Widerstand gegen den Vandalismus des Populismus durch die traditionellen liberalen Parteien oder wichtige Teile von ihnen gibt. In diesen Ländern bildet dieser Teil der Staatsbourgeoisie eine lautstarke Opposition, vor allem über die Medien, die neben der Verhöhnung populistischer Dummheiten der Bevölkerung die Hoffnung auf eine Rückkehr zu demokratischer Ordnung und Rationalität vermitteln können, auch wenn es heute nicht wirklich möglich ist, die Büchse der populistischen Pandora zu schließen.
Und wir können sicher sein, dass die Bourgeoisie in diesen Ländern das Proletariat keineswegs vergessen hat und zu gegebener Zeit in der Lage sein wird, all ihre einschlägigen Organe einzusetzen.
Unser Bericht über den Zerfall von 2017 hebt die Tatsache hervor, dass in den ersten Jahrzehnten nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise Ende der 1960er Jahre die reichsten Länder die Auswirkungen der Krise auf die Peripherie des Systems abwälzten, während in der Periode des Zerfalls die Tendenz in den Kerngebieten des Kapitalismus - wie die Ausbreitung des Terrorismus, der Massenansturm von Flüchtlingen und Migranten, die Massenarbeitslosigkeit, die Umweltzerstörung und nun tödliche Epidemien nach Europa und Amerika - tendenziell umkehrt oder wieder zunimmt. Die gegenwärtige Situation, in der das stärkste kapitalistische Land der Welt am meisten unter der Pandemie gelitten hat, ist eine Bestätigung dieser Tendenz.
Der Bericht bemerkte dies auch in vorausschauender Weise: "...wir waren der Ansicht, dass (der Zerfall) keinen wirklichen Einfluss auf die Entwicklung der Krise des Kapitalismus hatte. Wenn der gegenwärtige Aufstieg des Populismus dazu führen sollte, dass diese Strömung in einigen der wichtigsten europäischen Länder an die Macht kommt, wird sich eine solche Auswirkung des Zerfalls entwickeln".
Einer der wichtigsten Aspekte des gegenwärtigen Desasters ist, dass der Zerfall tatsächlich in verheerender Weise auf die Wirtschaft zurückgefallen ist. Und diese Erfahrung hat den Hang zum Populismus für ein weiteres wirtschaftliches Chaos nicht geschmälert, wie der anhaltende Wirtschaftskrieg der USA gegen China oder die Entschlossenheit der britischen Regierung, den selbstmörderischen und zerstörerischen Kurs von Brexit fortzusetzen, zeigen.
Der Zerfall des Überbaus nimmt seine "Rache" an den wirtschaftlichen Grundlagen des Kapitalismus, der ihn hervorgebracht hat.
"Wenn die Wirtschaft zittert, gerät der gesamte Überbau, der sich auf sie stützt, in Krise und Zerfall ....Anfänglich als Folgen eines Systems werden sie dann meist zu beschleunigenden Faktoren im Prozess des Niedergangs". (Dekadenz des Kapitalismus, Kapitel 1)
16. 7. 2020
[1]Stand 9. Oktober 2020
[2]Dieses Verständnisproblem wurde im Bericht über den Zerfall vom 22. IKS-Kongress 2017 benannt, Internationale Revue 56 https://de.internationalism.org/content/2926/bericht-ueber-den-zerfall-h... [153]
[3]Diese seit über fünf Jahrzehnten andauernde Wirtschaftskrise trat Ende der 1960er Jahre nach zwei Jahrzehnten blühenden Wachstums in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg in den fortgeschrittenen Ländern auf. Die Verschärfung dieser Krise wurde durch bestimmte Rezessionen und Erholungen unterbrochen, welche die zugrunde liegende Sackgasse nicht gelöst haben.
[4]Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus, Mai 1990, auch Thesen über den Zerfall genannt, Internationale Revue Nr. 13
[5]Die antibiotischen Eigenschaften von Penicillin wurden 1928 entdeckt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Medikament von den USA in Massenproduktion hergestellt, und 2,3 Millionen Dosen wurden für die D-Day-Landungen im Juni 1944 vorbereitet.
[6]Gauche Communiste de France – Vorläufer der IKS
Es gibt zur Zeit unter einem Teil von politisierten Leuten aber auch in anderen Kreisen der Bevölkerung eine „gedrückte Stimmung“ wegen der Auswirkungen der Pandemie auf verschiedenen Ebenen. Zum einen ist die Gefahr, die von dem Virus ausgeht, etwas Neues (seit der letzten großen Pandemie, der „Spanischen Grippe“ 1918-1919). Im Gegensatz zu früheren oder auch gegenwärtig bestehenden anderen Bedrohungen für die Bevölkerung und für die Arbeiterklasse insbesondere, z.B. Hunger, offene Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit, Krieg oder Naturkatastrophen gibt es in dieser Frage viele verwirrte und misstrauische Leute, die die Existenz des Virus und der Pandemie gar leugnen. Zudem bewirkt die durch die Pandemie erzwungene soziale Abstandspflicht, die unzähligen Auflagen, Einschränkungen und Verbote, Ausgangssperren usw. ein viel größeres und unmittelbares Gefühl der Atomisierung.
Weil jeder Träger des Virus sein kann, gerät jeder unter „Generalverdacht“ und es kann ein diffuses Gefühl des Misstrauens aufkommen. Oder wenn Menschen einem „zu nahe“ treten, muss man seine „Abwehrmechanismen“ unter Kontrolle halten, um freundlich und höflich zu reagieren und nicht in Aggressivität zu verfallen. Kurzum, die übliche Atomisierung in der kapitalistischen Gesellschaft, der gängige Individualismus, haben eine ganz neue Stufe erreicht. Angefacht durch die Zweifel und Vorbehalte bzw. offene Ablehnung, der von den Virologen und den Politikern geforderten Schutzmaßnahmen, haben sich viele von „Verschwörungstheorien“ vereinnahmen lassen, betreiben „Maskenverweigerung“ und kommen zu Kundgebungen mit allen möglichen anderen Leuten zusammen, einer idealen Einfallstür für Rechtsradikale aller Art.
All dies fördert eine Atmosphäre, wo die Politiker zu einem gemeinsamen sozialen Verantwortungsgefühl aufrufen und der Staat als unser Beschützer angesehen werden soll, und wir uns noch mehr hinter den üblichen bürgerlichen Kategorien verschanzen sollen. Die Bevölkerung, vor allem die Arbeiterklasse wird gewissermaßen „aufgelöst“, zersplittert in Bürger und Individuen. Und die „vernebelnden“, obskuren verschwörungstheoretischen Ansichten haben bei so manchem eine zusätzliche verstörende Wirkung. Kein Wunder, dass durch diese „Explosion der Atomisierung“ und politischen Desorientierung ein Gefühl der Machtlosigkeit, des politischen Trübsals um sich greifen kann. Man spürt keine soziale Kraft, die sich der ganzen Entwicklung entgegenstemmen könnte.
Deshalb ist es um so wichtiger, einen marxistischen Standpunkt aufzuzeigen. Unsere erste Aufgabe muss sein, möglichst Klarheit zu schaffen über die Ursachen. Wir haben dazu einen ausführlichen Artikel veröffentlicht – siehe den Bericht über die Covid-Pandemie und die Periode des kapitalistischen Zerfalls. Wir veröffentlichen in kürze ebenfalls einen Artikel mit einer Analyse der internationalen Wirtschaftskrise. In diesem Artikel wollen wir näher auf die Entwicklung in Deutschland eingehen.
Im Frühjahr 2020 setzte sich nach der Anfangsphase des Chaos auf staatlicher Ebene (sowohl auf Bundes- als auf Länderebene) zu Beginn der Pandemie schnell eine staatlich orchestrierte Politik des "Schutzes der Wirtschaft“ durch. Diese Politik des radikalen Herunterfahren der Wirtschaft wurde von der größten Koalition der herrschenden Klasse in Deutschland "gesteuert". Denn in einer Art "Einheitsfront" aller Regierungsparteien (Bund und Länder) zusammen mit den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften, die in strategischen Wirtschaftssektoren alle Hebel mit in Bewegung gesetzt haben, wurde der Lock-down relativ schnell und flächendeckend durchgesetzt.[1] Diese Effizienz auf Wirtschaftsebene stand nahezu im Gegensatz zu dem damals schon ersichtlichen aufkommenden Chaos auf politischer Ebene. Das Ganze wurde verschlimmert durch die föderalistische Struktur des deutschen Staates, wo Länder und Gemeinden bestimmte Dinge selbst entscheiden können und auch die Schulen eine eigene Entscheidungskompetenz haben. Aber dieses Durcheinander konnte schnell eingedämmt werden. Deutschland schnitt in dieser ersten Phase der Pandemie deutlich besser ab als die meisten Länder Europas.
Durch einen Zeitvorsprung und den Aufschub von nicht lebensnotwendigen OP‘s konnten auch zusätzliche Krankenbetten freigeräumt bzw. bereitgestellt werden. Ebenso überrascht durch den plötzlich auftretenden riesigen Materialbedarf an Schutzausrüstung, an der es auch in Deutschland massenhaft mangelte, kurbelte man neben Großeinkäufen vor allem in China die Produktion in Deutschland an. Und angesichts des enormen Bedarfs an Beatmungsgeräten wurde die Produktionskapazität der deutschen Wirtschaft in die Waagschale geworfen. Während in den USA Notstandsmaßnahmen, die normalerweise für Kriegszeiten vorgesehen sind, ausgerufen wurden, wonach die Regierung Firmen die Produktion von bestimmten Gütern vorschreiben kann, „spuckte“ die deutsche Industrie innerhalb kurzer Zeit 26.000 Beatmungsgeräte aus, auch wenn in der ersten Phase nur relativ wenige zum Einsatz kamen. Im Spätsommer wurden einige dieser Beatmungsgeräte sogar anderen europäischen Ländern, den USA und einigen afrikanischen Ländern als Spenden angeboten. Dass die Krankenhäuser 26.000 Beatmungsgeräte als "Maschinen" hatten, bedeutet jedoch nicht, dass sie über das notwendige Personal verfügten, um in der Intensivmedizin diese Geräte überhaupt einzusetzen zu können. Vielmehr benötigen solche Beatmungsgeräte hoch qualifiziertes, erfahrenes Personal - und das fehlt! Denn wie in anderen Ländern war auch in Deutschland vor allem beim Personal gespart worden und so entpuppte sich auch hier der Personalmangel als der große Schwachpunkt.
In den Betrieben schickte man auch Hunderttausende ins Home-Office – was die Aufrechterhaltung der Aktivitäten in vielen Firmen und neue Sparmaßnahmen auf verschiedenen Ebenen ermöglichte. An den Arbeitsplätzen selbst wurde – im Vergleich zu vielen anderen Ländern – rigoros (natürlich um im Interesse der Unternehmen Absenzen einzudämmen) auf die Einhaltung strikter Hygienevorschriften geachtet. Das im Frühjahr eingedämmte Chaos drang dann bei ersten Anzeichen der 2. Welle, insbesondere nach den Sommerferien, während die Wirtschaft nach dem Lock-down langsam wieder anzog, erneut an die Oberfläche. Der Trend des "Jeder für sich" zeigte wieder stärker sein Gesicht. Bund und Länder können sich bei vielen Maßnahmen nicht einigen. Überlagert wird dies durch die anstehenden Wahlen im Jahr 2021. Dabei wird eine Wettbewerbskomponente zwischen den CDU-CSU geführten Ländern deutlich. Selbst nach der Pfeife von Merkel will man dieses Mal nicht tanzen. Die CDU-CSU hat ihren Kanzlerkandidaten noch immer nicht gewählt. Der bayrische Ministerpräsident Söder und NRW-MP Laschet buhlen um die Gunst der Wähler und profilieren sich mit eigenständigen, oft die Einheit von Bund-Länder untergrabenden Verhalten und Forderungen. Die SPD dagegen ist bemerkenswert homogen in ihren Vorschlägen für Covid-Maßnahmen.
Bei dem Lock-down handelte es sich um den größten ökonomischen Einschnitt seit der Krise von 1929. Gleichzeitig wurde der staatlich verordnete Lock-down mit den bislang umfangreichsten Rettungspakten begleitet, um gigantische Pleitewellen zu vermeiden – vorerst!
Neben den vom Bund verabschiedeten Rettungspaketen[2] wurde zum ersten Mal mit Frankreich der Europäische Rettungsfond gegen den Widerstand einiger Länder in der EU durchgeboxt. Angesichts des außerordentlich hohen Grades an Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt, insbesondere aber von Europa[3], wusste die deutsche Bourgeoisie, dass sie dieses Mal nicht als „Bremser“ bei den Rettungspaketen auftreten durfte, sondern möglichst viel Geld versprechen musste, um einen Kollaps zu verhindern. Die Tatsache, dass Deutschland unter Merkel, die im Jahr 2008 als eine Art neuer Diktator (Karikaturen zeigten sie als Hitler), dargestellt wurde, nun als "Helfer" gilt, zeigt, wie stark die Angst vor einem Zusammenbruch der gesamten Wirtschaft und des Auseinanderbrechens der EU in den Augen der deutschen Bourgeoisie war. Dieselbe Merkel, die vor einem Dutzend Jahren skrupellos entschlossen war, Sparmaßnahmen durchzusetzen, ist jetzt Vorreiterin bei den Zusagen für staatliche Hilfen. Damit kämpft Deutschland auch gegen den chinesischen Einfluss, der nach der letzten Krise gewachsen war - als zum Beispiel China durch Kreditspritzen in Italien, Griechenland und auf dem Balkan seinen Einfluss ausbauen konnte.
Und auch die dunkelsten und unberechenbarsten Wolken aus den USA sind nicht verschwunden. Wie die vergangenen Jahre zeigten, stellen der sich verschärfende Handelskrieg zwischen den USA und Deutschland und natürlich die Schrumpfung des US-Marktes im Gefolge von Covid äußerst unkalkulierbare Faktoren dar.[4] Außerdem wird Biden, falls er die Wahlen gewinnen sollte, bei Handelsgeschäften wahrscheinlich nicht kooperativer sein, und er würde die US-Interessen auf eine listigere Art und Weise verteidigen als Mr. "America-First". Allgemein gilt für die herrschende Klasse, Deutschland muss alles tun, um die Märkte offen zu halten, weil es sonst am stärksten betroffen wäre.
Um die Wirtschaft zu schützen, hatte die herrschende Klasse unter dem Druck von SPD und Gewerkschaften die Zahlung von Kurzarbeitsgeld auf 24 Monate erhöht und unzähligen Betrieben Überbrückungs- oder Unterstützungsgelder gezahlt, die diese im großen Umfang beantragten.[5] So war es bis zum Herbst der deutschen Bourgeoisie gelungen, die weltweiten katastrophalen Auswirkungen der Pandemie, die infolge der starken Exportabhängigkeit in Deutschland besonders heftig sein würden, abzufedern. Mit anderen Worten: man hat Zeit gewonnen mit Hilfe der größten staatskapitalistischen Maßnahmenpakete. Weil sich die herrschende Klasse in Deutschland des erdrückenden Gewichts der Maßnahmen sehr wohl bewusst ist, versucht man im Herbst 2020 mit allen Mitteln einen zweiten Lock-down zu verhindern. Schulen sollen auf Biegen und Brechen offen bleiben, damit die Eltern ihre Kinder weiter zur Schule schicken und selbst weiter arbeiten können.
Begleitet werden die Maßnahmen durch die wiederholten Prognosen der Regierung, man werde früher als erwartet wieder zu den alten Produktionsniveaus zurückkehren. Beruhigung lautete lange Zeit die Devise. Tatsache ist, dass der Staat zur Zeit weiterhin noch Geld in die Wirtschaft pumpt, um ein weiteres Abrutschen zu vermeiden. Aber die Rettungspakete des Staates werden riesige Löcher in die Kassen reißen: Neue Haushaltslöcher, wegbrechende Steuereinnahmen und in Anbetracht der erforderlichen Einschränkungen auf der zweiten Welle werden wohl weitere Rettungspakete in unterschiedlichster Form unvermeidlich. In der Vergangenheit hat diese Schuldenpolitik den Staat schon dazu gezwungen, tiefgreifende und brutale Sparmaßnahmen zu ergreifen. Marode Infrastruktur, heruntergekommene Schulen usw. waren eine Folge der früheren, mittlerweile als nahezu noch „harmlos“ erscheinenden Schuldenpolitik. Die jetzt hinzugekommene Verschuldung stellt aber alles bisherige in den Schatten. Deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Arbeiterklasse dazu die Rechnung aufgebürdet werden wird.
Während der Staat einstweilen noch Geld in die Wirtschaft und in die Taschen von Beschäftigten spült, weil sonst der Kollaps (zu schnell) käme und der Staat aus diesem rein taktischen Kalkül noch nicht die große Sparkeule hervorgeholt hat, halten sich die Betriebe längst nicht mehr zurück. In vielen Branchen hat der Arbeitsplatzabbau längst begonnen.
Zum Beispiel in der Luftfahrt, in der gewissermaßen eine Bruchlandung stattgefunden hat und ohne staatliche Gelder jetzt kein Flugzeug fliegen würde, sind schon Tausende Stellenstreichungen bei Airbus angekündigt worden. Und in der wichtigsten Säule der deutschen Industrie, die Automobilindustrie, die 800.000 Mitarbeiter beschäftigt, ist der größte Teil des Stellenabbaus schon im Gang. Werksstilllegungen in der Zulieferindustrie wurden angekündigt. So wird zum Beispiel das Autoreifenwerk von Continental in Aachen mit 1700 Beschäftigten geschlossen. Schaeffler, ein großer Automobilzulieferer, wird 4000 Arbeitsplätze abbauen.
Gerade in der Autoindustrie waren diese Stellenstreichungen schon vor der Pandemie angekündigt (Stichwort - Strukturwandel, neue Technologien, verschärfte Umweltauflagen, Elektro-Autos usw.). Mittlerweile stehen ca. 30% der Zulieferer in der Autoindustrie vor ernsthaften Finanzschwierigkeiten.
Die Deutsche Bank wird 1/5 ihrer Filialen dichtmachen, große Kaufhäuser schließen bundesweit viele Filialen, ein Trend der für den gesamten Einzelhandel und die Veranstaltungsbranche zählt.
Deshalb darf man den Beteuerungen der Politiker, die Krise verlaufe in einer „V-Kurve“ (schnell bergab und schnell wieder aufwärts), mit anderen Worten nach 2-3 Jahren wieder eine Normalisierung, keinen Glauben schenken. Die ganze Weltwirtschaft wird auf eine gegenwärtig nicht absehbare Zeit erschüttert werden. China mag zwar wieder ca. 5% Wachstum vermelden, aber China ist weiterhin genauso auf Exporte angewiesen – und die Aussichten auf dem Weltmarkt sind zur Zeit weiter düster. Deshalb rechnet das deutsche Kapital mit harten, stürmischen Zeiten, und damit wird es gezwungen werden, der Arbeiterklasse die Rechnung zu präsentieren. Nur reden sie jetzt noch nicht davon. Auch ist es irreführend, den Blick nur auf Deutschland zu beschränken, sondern wir müssen die gesamte Weltwirtschaft in den Blick nehmen (wie bereits angekündigt, veröffentlichen wir dazu bald einen internationalen Artikel).
Zudem ist die schleichende Verarmung in Deutschland seit langem auf dem Vormarsch. Selbst die Gewerkschaften, die unzählige Arbeitsverträge mit ausgearbeitet haben, müssen zugeben: „15 Millionen Beschäftigte in Deutschland (38,8 Prozent) verdienen demnach nicht mehr als 14 Euro pro Stunde (brutto). Nimmt man eine Berechnung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2017 zum Maßstab, sind diese Beschäftigten nicht vor Altersarmut geschützt.” [6]“Ende vergangenen Jahres lagen 56 Prozent der von der Deutschen Rentenversicherung ausgezahlten Monatsbeträge unter 1000 Euro. Wie aus den Daten des Ministeriums hervorgeht, bekommt etwa ein Drittel aller Rentenbezieher weniger als 700 Euro im Monat. Fast jeder Vierte erhält weniger als 500 Euro. Wer so wenig Geld im Alter zur Verfügung hat, ist meist auf die Grundsicherung von knapp mehr als 800 Euro angewiesen.“.[7]
Wenn nun im Herbst die Zahl der Infizierten wieder sprunghaft ansteigen, wird deutlich, dass Deutschland genau wie alle anderen Staaten in Europa und anderswo von der zweiten Welle erfasst worden ist.
Die bisherigen Versuche, mit Hilfe von stark erhöhten Testkapazitäten und einer Corona-Warn-App Infizierte aufzuspüren und verstärkte Quarantäne-Maßnahmen aufzuzwingen, werden sich vermutlich als genauso wenig effektiv erweisen wie anderswo. Es mögen noch so viele Tests durchgeführt werden, der Staat verfügt überhaupt nicht über das Personal, um die Infizierten alle wirksam aufzuspüren und Quarantäne-Maßnahmen zu überwachen. Dass jetzt schon mit Hilfe von Freiwilligen, Zwangsversetzten und mit dem Einsatz von Bundespolizei und Militär die gähnenden großen Personallücken bei den Gesundheitsämtern geschlossen werden sollen, zeigt die Unfähigkeit des Apparates, die Lage in den Griff zu kriegen. Daran ändert der ganze Diskurs der Regierenden nichts. Und der Schuldige ist aus Sicht der Herrschenden schnell gefunden: das „unverantwortliche“ Verhalten bestimmter Menschengruppen, der „Egoismus“. Sicher spielt solch ein Verhalten (Maskenverweigerer, Unachtsamkeit bestimmter Gruppen, generelle Nachlässigkeit) eine Rolle, aber das darf nicht die Unfähigkeit des Behördenapparates übertünchen. Der Kollaps des Gesundheitswesens ist nicht auf die Sorglosigkeit der Bevölkerung zurückzuführen, sondern auf die Sparwut und die dahintersteckende Durchökonomisierung des Gesundheitswesens, die schon vor Jahren begonnen hat.
Diese Reihe von Faktoren, die zur Zeit für Verwirrung und Desorientierung sorgen, können aber nicht lange von Bestand sein. Das eigentliche Ausmaß der Wirtschaftskrise – weltweit und in Deutschland – wird nicht lange zu verharmlosen und übertünchen sein. Die offizielle Botschaft, Ende 2021, spätestens 2022 oder 2023 werde wieder „Normalbetrieb“ herrschen, ist eine Schimäre. Sie soll helfen, dass wir uns „ruhig verhalten“. Die zweite Welle ist längst da und sie wird neben den gesundheitlichen Auswirkungen noch viele ökonomische Rettungsoperationen erforderlich machen, die die Lage der Arbeiterklasse über kurz oder lang tiefgreifend bedrohen werden.
Es stimmt zwar, dass sich im Augenblick die Kampfbedingungen für die Arbeiterklasse verschlechtert haben. Neben der ideologischen Seite, wo tiefe Wolken der Verwirrung über uns hängen, gibt es auch eine Tendenz, dass sich die vom Stellenabbau betroffenen Beschäftigten zudem noch als „Bittsteller“ an den Staat wenden. In den Augen vieler Beschäftigter erscheint der Staat weiterhin als Helfer. Mitte Oktober versprach auf der Düsseldorfer Demo von Stahlkochern von Krupp-Thyssen der CDU-Ministerpräsident Hilfe und prangerte selbst „kapitalistische“ Methoden an, während die zuhörenden protestierenden Gewerkschaften und die Geschäftsleitung an den Staat appellierten.
Auch wenn die Streiks im öffentlichen Dienst - bei denen die Gewerkschaften im Rahmen der Tarifverhandlungen Lohnerhöhungen und „Prämien“ und für die durch die Pandemie besonders stark gebeutelten Beschäftigten eine „finanzielle Anerkennung“ fordern - eine gewisse Kampfbereitschaft der Beschäftigten zeigen, sorgen die Gewerkschaften für eine Abschottung und „Sonderstellung“ dieser Beschäftigten, um die Einheit der Arbeiterklasse ja zu sabotieren.
Wie eingangs erwähnt führen die gegenwärtige verstärkte Atomisierung, die Einschränkung der Sozialkontakte, Reisebeschränkungen usw. zu einer größeren sozialen Isolierung und zu einer Desorientierung. Aber die materiellen Bedingungen werden sich ändern: Die Pandemie wird irgendwann vorüber sein und die ökonomischen Auswirkungen werden immer stärker schmerzhaft spürbar werden. In den großen Industriezentren und weltweit insgesamt.
In der Zwischenzeit müssen all die politisierten Leute, die sich durch diese Lage nicht desorientieren und mürbe kriegen lassen wollen, Diskussionen über die wirklichen Ursachen und die zu erwartenden Konsequenzen vorantreiben – auch wenn dies aufgrund der gegenwärtigen Pandemie-Bedingungen nur unter großen Einschränkungen und zum Teil nur im Netz geführt werden kann. Ob und wie größere Teile der Arbeiterklasse in Zukunft auf die ökonomischen Konsequenzen reagieren wird, ist zur Zeit nicht absehbar. Deshalb besteht unsere Aufgabe jetzt vor allem darin, möglichst große Klarheit über die Lage und die Perspektive herbeizuführen.
Insofern müssen wir dem alten Motto, das schon im Kommunistischen Manifest unterstrichen wurde, folgen: „Die Kommunisten (...); sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.“
Paula G., 23.10.2020
[1] Aber in einigen Industriezweigen wie den Schlachthöfen, in denen Sklavenarbeit - die "Saisonarbeiter" mit komplizierten Systemen von Subunternehmern - vorherrscht, wurden hohe Infektionsraten bekannt. Hier griff der Staat - trotz anfänglicher Vertuschungsversuche der Unternehmen - schnell ein und ergriff innerhalb kürzester Zeit rechtliche Maßnahmen, wobei die SPD die führende Position bei der "Regulierung" des Fleischmarktes und des Subunternehmersystems innehatte. Einigkeit der großen Parteien zur Ausmerzung "unverantwortlicher" Anachronismen!
[2] 2020 wurden ca. 220 Mrd Euro Neuschulden beschlossen, nachdem man zuvor jahrelang ohne Neuschulden ausgekommen war. 2021 sind weitere knapp 100 Mrd Neuschulden eingeplant.
[3] Knapp unter 30% aller Arbeitsplätze in Deutschland hängen vom Export ab, im verarbeitenden Gewerbe ca. 56%.
[4] Z.B. als Trump deutsche Autos zu einer nationalen Sicherheitsbedrohung für die US-Wirtschaft erklärte, die „Bestrafung“ der deutschen ‚Zurückhaltung‘, die Rüstungsausgaben in dem von Trump gewünschten Ausmaß und Tempo zu erhöhen, die Sanktion in Form des Abzugs der US-Truppen aus Deutschland, die angedrohten Sanktionen wegen des (ausgesetzten) Baus der North-Stream-II-Pipeline, usw.
[5] Eine Umfrage soll ergeben haben, dass 44% der Unternehmen ohne staatliche Coronahilfen nicht überleben würden. Fast jedes zweite Unternehmen in Deutschland überlebt nur dank staatlicher Coronahilfe. Für weitere Infos siehe: https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/ifw-corona-hilfen-erhoehen-staatliche-subventionen-deutlich-9197404 [154].
Die USA, das mächtigste Land des Planeten, sind zu einem Schaufenster für den fortschreitenden Zerfall der kapitalistischen Weltordnung geworden. Das Rennen um die Präsidentschaftswahlen hat ein grelles Licht auf ein Land geworfen, das von rassisistischen Spaltungen; von immer brutaleren Konflikten innerhalb der herrschenden Klasse; von der schockierenden Unfähigkeit mit der Covid-19-Pandemie fertig zu werden, die fast eine Viertelmillion Tote gefordert hat; und das von den verheerenden Auswirkungen der wirtschaftlichen und ökologischen Krise und der Verbreitung irrationaler, apokalyptischer Ideologien zerrissen ist. Und doch widerspiegelt all dies paradoxerweise eine grundlegende Wahrheit: dass wir in den "letzten Zügen" eines kapitalistischen Systems leben, das in jedem Land der Welt herrscht.
Aber auch in dieser letzten Phase seines historischen Niedergangs, selbst wenn die herrschende Klasse zunehmend ihren Kontrollverlust über ihr eigenes System demonstriert, kann der Kapitalismus seine eigene Fäulnis gegen seinen wahren Feind wenden - gegen die Arbeiterklasse und die Gefahr, dass diese sich ihrer wahren Interessen bewusst wird. Die Rekordbeteiligung an den Wahlen in den USA und die lautstarken Proteste und Feierlichkeiten auf beiden Seiten der politischen Spaltung stellen eine mächtige Verstärkung des Irrglaubens Demokratie dar - der falschen Vorstellung, dass der Wechsel eines Präsidenten oder einer Regierung das Abgleiten des Kapitalismus in den Abgrund aufhalten kann, dass die Abstimmung "dem Volk" ermöglicht, sein Schicksal in die Hand zu nehmen.
Heute steht an der Spitze dieser Ideologie der Glaube, dass Joe Biden und Kamala Harris die amerikanische Demokratie vor Trumps autoritärem Mobbing retten werden, dass sie die Wunden der Nation heilen, die Rationalität und Verlässlichkeit der Beziehungen der USA zu anderen Weltmächten wiederherstellen werden. Und diese Ideen finden ein Echo in einer gigantischen internationalen Kampagne, welche die Erneuerung der Demokratie und den Rückzug des populistischen Angriffs auf liberale Werte begrüßt.
Aber wir, die Arbeiter, sollten gewarnt sein. Während Trump und "America First" offen für die Verschärfung des wirtschaftlichen und sogar militärischen Konflikts mit anderen kapitalistischen Staaten - insbesondere China - stehen, werden Biden und Harris auch Amerikas Streben nach imperialistischer Vorherrschaft verfolgen, vielleicht mit etwas anderen Methoden und einer etwas anderen Rhetorik. Wenn Trump für Steuersenkungen für die Reichen stand und seine Regierungszeit mit einem gewaltigen Anstieg der Arbeitslosigkeit beendete, so wird eine Biden-Regierung, die mit einer Weltwirtschaftskrise konfrontiert ist, welche sich durch die Pandemie stark verschärft hat, keine andere Wahl haben, als die ausgebeutete Klasse durch zunehmende Angriffe auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Krise bezahlen zu lassen. Wenn eingewanderte und "illegale" Arbeiter glauben, dass sie unter einer Biden-Regierung sicherer sind, dann sollen sie sich daran erinnern, dass unter Präsident Obama und Vizepräsident Biden 3 Millionen "illegale" Arbeiter aus den USA deportiert wurden.
Zweifellos ist ein Großteil der derzeitigen Unterstützung für Biden eine Reaktion auf die regelrechten Schrecken des Trumpismus: die unverhohlenen Lügen, den Dog-Whistle-Rassismus, die harte Unterdrückung von Protesten und die totale Verantwortungslosigkeit angesichts von Covid-19 und des Klimawandels. Keine Frage, dass Trump ein klares Spiegelbild eines verfaulenden Gesellschaftssystems ist. Aber Trump behauptet auch, im Namen des Volkes zu sprechen, als "Außenseiter" zu handeln, der sich gegen die nicht rechenschaftspflichtigen "Eliten" stellt. Und selbst wenn er die "Normen" der kapitalistischen Demokratie offen untergräbt, stärkt er das Gegenargument, dass wir uns mehr denn je zur Verteidigung dieser Normen zusammenschließen müssen. In diesem Sinne sind Biden und Trump zwei Flügel desselben demokratischen Betrugs. Das bedeutet nicht, dass die beiden Flügel friedlich zusammenarbeiten werden. Selbst wenn Trump als Präsident abgesetzt wird, wird der Trumpismus nicht verschwinden. Trump hat die bewaffneten rechten Milizen, die auf den Straßen paradieren, weitgehend legalisiert und marginale Verschwörungskulte wie QAnon in den ideologischen Mainstream gebracht. Dies wiederum hat das Anwachsen antifaschistischer Truppen und schwarzer Milizen gefördert, die bereit sind, den weißen Rassisten auf militärischem Terrain entgegenzutreten. Und hinter all dem steht die gesamte bürgerliche Klasse und ihre Staatsmaschinerie, die von gegensätzlichen wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen zerrissen wird, die durch Bidens "heilende" Reden nicht weggezaubert werden können. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass diese Konflikte in der kommenden Zeit noch intensiver und gewaltsamer werden. Und die Arbeiterklasse hat überhaupt kein Interesse daran, in diese Art von "Bürgerkrieg" verwickelt zu werden, ihre Energie und sogar ihr Blut in den Kampf zwischen populistischen und antipopulistischen Fraktionen der Bourgeoisie zu stecken.
Diese Fraktionen zögern nicht, an ihre Version der "Arbeiterklasse" zu appellieren. Trump präsentiert sich als Verfechter der Arbeiter, deren Arbeitsplätze durch "unlauteren" ausländischen Wettbewerb gefährdet oder zerstört worden sind. Auch die Demokraten, insbesondere linke Figuren wie Sanders oder Ocasio-Ortez, behaupten, im Namen der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu sprechen.
Aber die Arbeiterklasse hat ihre eigenen Interessen, und diese decken sich mit keiner der Parteien der Bourgeoisie, weder der republikanischen noch der demokratischen. Sie decken sich auch nicht mit den Interessen "Amerikas", der "Nation" oder des "Volkes", jenem legendären Ort, an dem die Ausgebeuteten und die Ausbeuter in Harmonie leben (wenn auch in rücksichtsloser Konkurrenz zu anderen Nationen). Die Arbeiter haben keine Nation. Sie sind Teil einer internationalen Klasse, die in allen Ländern vom Kapital ausgebeutet und von seinen Regierungen unterdrückt wird, einschließlich derjenigen, die es wagen, sich selbst als Sozialisten zu bezeichnen, wie China oder Kuba, nur weil sie die Beziehung zwischen dem Kapital und seinen Lohnsklaven verstaatlicht haben. Diese Form des Staatskapitalismus ist die bevorzugte Option des linken Flügels der Demokratischen Partei, aber sie bedeutet nicht, wie Engels einmal betonte, "dass das kapitalistische Verhältnis abgeschafft wird. Vielmehr wird es auf den Kopf gestellt".
Der wirkliche Sozialismus ist eine menschliche Weltgemeinschaft, in der die Klassen, die Lohnsklaverei und der Staat abgeschafft worden sind. Dies wird die erste Gesellschaft in der Geschichte sein, in der die Menschen eine echte Kontrolle über das Produkt ihrer eigenen Hände und ihres eigenen Verstandes haben. Aber um den ersten Schritt in Richtung einer solchen Gesellschaft zu tun, muss die Arbeiterklasse sich selbst als eine Klasse die im Gegensatz zum Kapital steht anerkennen. Und ein solches Bewusstsein kann sich nur entwickeln, wenn die Arbeiterklasse mit Händen und Füßen für ihre eigenen materiellen Bedürfnisse kämpft, gegen die Bemühungen der ausbeutenden Klasse und ihres Staates, die Löhne zu senken, Arbeitsplätze abzubauen und den Arbeitstag zu verlängern. Und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die globale Depression, die sich im Gefolge der Pandemie abzeichnet, solche Angriffe zum unvermeidlichen Programm aller Teile der Kapitalistenklasse machen wird. Angesichts dieser Angriffe werden die Arbeiter massiv in den Kampf zur Verteidigung ihres Lebensstandards eintreten müssen. Und es darf keinen Raum für Illusionen geben: Biden wird, wie jeder andere kapitalistische Herrscher auch, nicht zögern, die blutige Unterdrückung der Arbeiterklasse anzuordnen, wenn diese Gefahr für ihre Ordnung darstellt.
Der Kampf der Arbeiter für ihre eigenen Klassenforderungen ist eine Notwendigkeit, nicht nur, um den wirtschaftlichen Angriffen der Bourgeoisie entgegenzutreten, sondern vor allem als Grundlage, um ihre Illusionen in diese oder jene bürgerliche Partei oder diesen oder jenen Führer zu überwinden und ihre eigene Perspektive, ihre eigene Alternative gegenüber dieser zerfallenden Gesellschaft zu entwickeln.
Im Laufe ihrer Kämpfe wird die Arbeiterklasse gezwungen sein, ihre eigenen Organisationsformen zu entwickeln, wie Generalversammlungen und gewählte, jederzeit widerrufbare Streikkomitees, embryonale Formen der Arbeiterräte, die sich in den vergangenen revolutionären Momenten als das Mittel erwiesen haben, mit dem die Arbeiterklasse die Macht in die eigenen Hände nehmen und den Aufbau einer neuen Gesellschaft beginnen kann. In diesem Prozess hätte eine wirkliche politische Partei der Arbeiterklasse eine entscheidende Rolle zu spielen: nicht indem sie die Arbeiter auffordert, sie an die Macht zu wählen, sondern indem sie Prinzipien verteidigt, die aus den Kämpfen der Vergangenheit abgeleitet sind, und indem sie den Weg in die revolutionäre Zukunft weist. Mit den Worten der Dritten Internationalen: "Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun". Kein Trump, kein Biden, kein falscher Messias - die Arbeiterklasse kann sich nur aus eigener Kraft emanzipieren und dabei die gesamte Menschheit von den Ketten des Kapitals befreien.
Amos 11.11.20
Während die Welt mit der Covid-19 Pandemie konfrontiert ist, haben wir die schmerzliche Erfahrung des Todes unseres Genossen Kishan am 26. März 2020 gemacht. Dies ist ein großer Verlust für die IKS.
Unsere Sektion in Indien und die gesamte IKS werden ihn sehr vermissen. Kishan hat einen wichtigen Beitrag zum Leben unserer Organisation geleistet und war bis zu seinem letzten Atemzug ein Genosse mit großem Kampfgeist.
Kishan wurde 1939 in einem abgelegenen Dorf im indischen Westbengalen geboren. Er besuchte in den 1960er Jahren die Universität, zu einer Zeit, bevor die Arbeiterklasse mit dem Streik von 9 Millionen Arbeitern in Frankreich 1968 wieder auf die Bühne zurückkehrte, gefolgt vom heißen Herbst in Italien 1969, den polnischen Arbeiterkämpfen 1970, die das Ende der Periode der Konterrevolution bedeuteten. Die 1960er Jahre waren eine Zeit des Protests an den Universitäten in aller Welt, insbesondere gegen den Vietnamkrieg und den Rassismus. Die jungen Menschen die sich in diesen Bewegungen engagierten, waren aufrichtig in ihrem Wunsch nach "revolutionärer" Veränderung, handelten aber hauptsächlich auf kleinbürgerlichem Terrain, mit der Illusion, „das Leben jetzt und sofort zu verändern". Sowohl vor als auch nach 1968 gab es aber linke - d.h. bürgerliche - Organisationen, die bereit waren, junge Menschen zu rekrutieren und ihr Interesse an den Positionen der Arbeiterklasse zu blockieren. Dies waren die globalen Bedingungen, unter denen Kishan in die bürgerliche naxalitische Bewegung in Indien hineingezogen wurde.
In den Jahren 1963-65 machte er das Examen in Physik an der nordbengalischen Universität. Seinen Master schloss er mit einem erstklassigen Abschluss ab. Während seiner Studienzeit wurde er Teil einer jungen Generation, die sich von der naxalitischen Bewegung angezogen fühlte. Nach und nach wurde der Begriff Naxalismus zum Synonym für den Maoismus. Als junger Student stürzte Kishan sich in den Strudel dieser Bewegung, ließ seine Forschungen unvollständig und wurde für diese Aktivitäten ins Gefängnis geworfen. Nach acht Jahren Gefangenschaft wurde er 1978 freigelassen. Die unaussprechlichen Folterungen im Gefängnis forderten bis zu seinem Lebensende ihren Tribut. In einer engen Zelle und unzureichender, manchmal ungenießbarer Nahrung, zog sich Kishan die Tuberkulose zu, und diese Lungenkrankheit war ein ständiger Begleiter bis zum letzten Tag seines Lebens. Während seiner Haftzeit las er insbesondere Marx, und dies half ihm, offen zu sein für die Diskussion der marxistischen Ideen der Kommunistischen Linken, als er auf sie stieß.
Kishan war einer der wenigen, der, nachdem er in die besonders abstossende maoistische Form der linken bürgerlichen Ideologie hineingezogen worden war, in der Lage war, einen vollständigen Bruch damit zu vollziehen und sich dem Proletariat zu widmen, indem er sich der Tradition der Kommunistischen Linken anschloss. Ein solcher politischer Bruch erforderte zwangsläufig eine Klärung durch lange geduldige Diskussionsarbeit mit der IKS in den 1980er und 1990er Jahren. Die Bildung des Kerns der IKS in Indien im Jahr 1989 war eine Stimulation für diese Dynamik der politischen Klärung. Als Kishan sich mit der IKS in Verbindung setzte, entdeckte er die wahre Geschichte der Kommunistischen Linken. Er war überrascht, als er durch die theoretische Ausarbeitung der IKS erkannte, dass der Maoismus nichts anderes ist als eine andere Form der bürgerlichen Ideologie, eine konterrevolutionäre politische Strömung. "Der Maoismus hat nichts mit dem Kampf der Arbeiterklasse zu tun, weder mit ihrem Bewusstsein noch mit ihren revolutionären Organisationen. Er hat nichts mit dem Marxismus zu tun: Er ist weder eine Tendenz innerhalb des Proletariats noch eine Entwicklung der revolutionären Theorie des Proletariats. Im Gegenteil, der Maoismus ist nichts anderes als eine grobe Verfälschung des Marxismus; seine einzige Funktion besteht darin, jedes revolutionäre Prinzip zu begraben, das proletarische Klassenbewusstsein zu verwirren und es durch die dümmste und engstirnigste nationalistische Ideologie zu ersetzen. Als eine 'Theorie' ist der Maoismus nur eine weitere jener erbärmlichen Formen, die die Bourgeoisie in ihrer dekadenten Periode der Konterrevolution und des imperialistischen Krieges angenommen hat“[1]. Die Position der IKS über den Maoismus hatte einen folgenschweren Einfluss auf den Genossen Kishan. Eine umfassende Kritik an seiner Vergangenheit üben zu können, war für Kishan wesentlich, um Mitglied einer wirklich revolutionären Organisation zu werden. Die Kommunistische Partei Indiens wurde 1925 gegründet, als die Kommunistische Internationale bereits degeneriert war und die wichtigsten Kämpfe der revolutionären Welle nach dem Ersten Weltkrieg besiegt waren, insbesondere die Russische- und die Deutsche Revolution. Die Ausrichtung der KP in Indien bestand darin, eine antikoloniale, antibritische Bewegung zu werden, die mit vielen anderen nationalistischen Bewegungen verbunden war. Nationalismus und Patriotismus hatten einen starken Einfluss auf die KP in Indien. Die Arbeiterklasse in Indien leidet unter einem Mangel an der Tradition und Kontinuität der Kommunistischen Linken. Dies unterstreicht die wichtige Verantwortung für die IKS in Indien, das historische Erbe der Kommunistischen Linken besser bekannt zu machen.
Indem er den Weg einer eingehenden Untersuchung und kontinuierlichen Diskussion beschritt, wurde Kishan allmählich zu einem Militanten der IKS in Indien. Seine Loyalität gegenüber der IKS und dem Kampf des internationalen Proletariats kennzeichnete ihn als einen wahren proletarischen
Internationalisten. Er verteidigte die Positionen der IKS stets mit immenser Hingabe. Er war entschlossen, sich durch seine häufigen Beiträge an den Debatten der IKS auf internationaler Ebene und innerhalb unserer Sektion in Indien zu beteiligen. Genosse Kishan brachte seine Leidenschaft auf vielen Ebenen in das Leben der IKS ein. Er reiste quer durch das Land, um neue Buchhandlungen zu finden, in denen die Literatur der IKS verkauft werden konnte. Er nahm, wenn immer es notwendig war, an Diskussionszirkeln und öffentlichen Treffen teil. Er spielte eine bemerkenswerte Rolle bei der Erhöhung der Zahl der Abonnenten unserer Presse. Er nahm an verschiedenen internationalen Kongressen der IKS, sowie an territorialen Konferenzen unserer indischen Sektion teil und spielte eine sehr aktive Rolle. Seine wertvollen und gut durchdachten Beiträge trugen dazu bei, den Prozess der politischen Klärung voranzubringen. Seine größte Stärke war die Verteidigung unserer Organisation gegen alle Angriffe und Verleumdungen die gegen uns gerichtet waren.
Genosse Kishan hatte die Fähigkeit, die vielen Höhen und Tiefen des Lebens zu überwinden. Seine feste Überzeugung von der Politik und den Positionen der IKS und seine optimistische Haltung halfen ihm, in den schwierigsten politischen Situationen aufrecht zu stehen. Es ist schwierig, Kishans Beitrag zum politischen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse in einem kurzen Text der Würdigung angemessen zu bewerten. Wir sollten auch hinzufügen, dass Kishan sehr gastfreundlich war. Viele Genossen der IKS, ob sie nun aus anderen Ländern oder aus anderen Teilen Indiens kamen, erlebten seine großzügige Gastfreundschaft. Wir bringen seiner Familie unseren revolutionären Gruß und unsere Solidarität zum Ausdruck. Wir stehen seiner Tochter und seiner Frau mit all unserer Sympathie und Solidarität zur Seite.
IKS, Oktober 2020
[1]Siehe den Artikel Maoismus, ein monströser Abkömmling des dekadenten Kapitalismus auf unserer Website https://en.internationalism.org/ir/094_china_part3.html#_ftnref4.
In den vorhergehenden Teilen dieses Artikels begannen wir mit der Identifizierung der Bedingungen, unter denen die Dritte oder Kommunistische Internationale im März 1919 gegründet wurde[1]. In einem sehr komplizierten Kontext gelang es den Revolutionären jener Zeit nicht, all die neuen Fragen und Herausforderungen zu klären, vor denen das Proletariat stand.
Darüber hinaus war der Prozess der Umgruppierung der revolutionären Kräfte durch das Fehlen einer festen Haltung gegenüber den revolutionären Prinzipien bei der Gründung der Internationale gekennzeichnet. Dies ist eine der Lehren, die die Fraktion der Italienischen Linken, die sich um die Zeitschrift Bilan und dann vor allem um die Gauche Communiste de France (GCF - Internationalisme) gruppierte, aus den Erfahrungen der Komintern zog: "Die 'breite' Methode, die vor allem darauf bedacht war, auf Kosten präziser Prinzipien und Programme sofort die größtmögliche Zahl zu sammeln, führte zur Bildung von Massenparteien, echten Giganten mit tönernen Füßen, die dem Opportunismus unterworfen werden sollten.“[2]
Während der Gründungskongress ein echter Fortschritt in der Vereinigung des Weltproletariats war, war die Entwicklung der Komintern in den folgenden Jahren im Wesentlichen durch Rückschritte gekennzeichnet, die die Revolution angesichts der immer mehr an Boden gewinnenden konterrevolutionären Kräfte entwaffneten. Der zügellose Opportunismus in den Reihen der Partei wurde nicht wie von Lenin und den Bolschewiki vorgesehen beseitigt. Im Gegenteil, mit der Degeneration der Revolution nahm er am Ende einen vorherrschenden Platz ein und beschleunigte das Ende der Komintern als Klassenpartei. Diese opportunistische Dynamik, die bereits durch den Zweiten Kongress sichtbar wurde, vertiefte sich danach sowohl auf programmatischer als auch auf organisatorischer Ebene, wie wir in diesem Artikel zu zeigen versuchen werden.
Nach dem Dritten Kongress der Komintern[3] begannen die Revolutionäre zu verstehen, dass die Revolution schwieriger sein würde, als sie gedacht hatten. Wenige Tage nach dem Ende des Kongresses analysierte Trotzki die Situation auf diese Weise:
"Der Dritte Kongress nahm zur Kenntnis, dass die wirtschaftlichen Grundlagen der bürgerlichen Herrschaft weiter zerfielen. Aber er hat gleichzeitig die fortgeschrittenen Arbeiter gewaltsam vor jeder naiven Vorstellung gewarnt, dass daraus automatisch der Tod der Bourgeoisie durch eine ununterbrochene Offensive des Proletariats folge. Noch nie zuvor war der Klasseninstinkt der Bourgeoisie zur Selbsterhaltung mit so vielgestaltigen Verteidigungs- und Angriffsmethoden bewaffnet wie heute. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Sieg der Arbeiterklasse sind vorhanden. Wenn dieser Sieg ausbleibt, und darüber hinaus, wenn dieser Sieg nicht in mehr oder weniger naher Zukunft kommt, ist die gesamte Zivilisation von Niedergang und Degeneration bedroht. Aber dieser Sieg kann nur durch die geschickte Führung von Kämpfen und vor allem durch die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse errungen werden. Dies ist die wichtigste Lektion des Dritten Kongresses."[4]
Dies ist weit entfernt von der überschwänglichen Begeisterung des Gründungskongresses, wo Lenin in seiner Schlussrede behauptete: "der Sieg der proletarischen Revolution im Weltmaßstab ist gesichert. Die Gründung einer internationalen Sowjetrepublik ist auf dem Weg.“ In der Zwischenzeit waren die Angriffe des Proletariats in einer Reihe von Ländern auf die Gegenbewegung der Bourgeoisie gestoßen. Und insbesondere sahen wir das Scheitern des Versuchs der Machtübernahme in Deutschland im Jahre 1919, dessen Bedeutung von den Revolutionären unterschätzt wurde.
Wie die große Mehrheit in den Reihen der Komintern erklärte, konnten die Krise des Kapitalismus und sein Abstieg in die Dekadenz die Massen nur auf den Weg zur Revolution treiben. Das Bewusstsein über die Größenordnung des zu erreichenden Ziels und die Mittel zu seiner Verwirklichung lag jedoch weit unter dem erforderlichen Niveau. Diese Situation wurde besonders nach dem Zweiten Kongress im Sommer 1920 sichtbar, der durch eine Reihe von Schwierigkeiten gekennzeichnet war, die das Proletariat in Russland weiter isolierten:
Auch wenn es der internationalen Bourgeoisie zu diesem Zeitpunkt nicht gelang, die proletarische Revolution vollständig zu vernichten, so war es doch so, dass das Herz der Revolution, das Russland der Sowjets, besonders isoliert war. Auch wenn Lenin die Situation als "zwar äußerst unsicheres, äußerst labiles Gleichgewicht“ beschrieb, „aber immerhin ein Gleichgewicht, das der Sozialistischen Republik, natürlich nicht für lange Zeit, die Möglichkeit gibt, in der kapitalistischen Umwelt fortzubestehen"[6], so müssen wir rückblickend feststellen, dass die zahlreichen Misserfolge und Schwierigkeiten, die zwischen 1920 und 1921 auftraten, bereits die Niederlage der revolutionären Welle einläuteten. Vor diesem besonders schwierigen Hintergrund wollen wir die Politik der Komintern analysieren. Eine Politik, die in einer Reihe von Punkten einen zunehmend opportunistischen Rückzug zum Ausdruck brachte.
Die nationale Frage war eine der ungelösten Fragen in der revolutionären Bewegung zum Zeitpunkt der Konstituierung der Komintern. Es stimmt zwar, dass Revolutionäre während der aufsteigenden Periode des Kapitalismus manchmal nationale Kämpfe unterstützt hatten, aber dies war keine Frage des Prinzips. Die Debatte war in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wieder aufgeflammt. Rosa Luxemburg war eine der ersten, die begriff, dass der Eintritt des Kapitalismus in seine Phase der Dekadenz auch bedeutete, dass jeder Nationalstaat einen imperialistischen Charakter hatte. Folglich zielte der Kampf einer Nation, sich von einer anderen zu befreien, nur darauf ab, die Interessen der einen Bourgeoisie gegen eine andere zu verteidigen und keinesfalls die Interessen der Arbeiterklasse.
Die Bolschewiki nahmen eine Position ein, die sich eher im sozialdemokratischen Zentrum befand, da das Recht der Völker auf Selbstbestimmung im Programm von 1903 erschienen war. "Die Beharrlichkeit, mit der die Bolschewiki an diesem Standpunkt trotz aller von innen und außen kommenden Opposition festhielten, kann am besten durch die Tatsache erklärt werden, dass das zaristische Russland die nationale Unterdrückung par excellence verkörperte ("Das Gefängnis der Völker"), und dass die Bolschewiki als 'großrussische' Partei im geographischen Sinne der Meinung waren, den von Russland unterdrückten Nationen das Recht auf Abspaltung zuzugestehen, wäre das beste Mittel, um das Vertrauen der Massen dieser Länder zu gewinnen. Dieser Standpunkt, obwohl er erwiesenermaßen unrichtig war, gründete sich auf eine proletarische Perspektive. Zu einer Zeit, als sich die „Sozialimperialisten“ in Deutschland, Russland und anderen Ländern gegen das Recht der vom deutschen oder russischen Imperialismus unterdrückten Nationen, für ihre nationale Befreiung zu kämpfen, aussprachen, wurde das Losungswort der „nationalen Selbstbestimmung“ von den Bolschewiki als Mittel der Untergrabung des russischen und anderer Imperialismen sowie zur Schaffung der Voraussetzung einer zukünftigen Vereinigung der Arbeiter sowohl der unterdrückenden als auch den unterdrückten Nationen aufgestellt.“[7] Während Lenin die Auffassung vertrat, dass das "Recht der Nationen auf Selbstbestimmung" in den westlichen Ländern zu einer überholten Forderung geworden war, stellte sich die Situation in den Kolonien anders dar, wo das Aufblühen der nationalen Befreiungsbewegungen Teil der Herausbildung eines unabhängigen Kapitalismus war, der zum Entstehen eines Proletariats beitrug. Unter diesen Bedingungen blieb die nationale Selbstbestimmung in den Augen Lenins und der bolschewistischen Partei eine fortschrittliche Forderung.
Rosa Luxemburg verstand, dass der Imperialismus nicht einfach eine Form der Plünderung durch die entwickelten Länder auf Kosten der rückständigen Nationen war, sondern Ausdruck der Gesamtheit der kapitalistischen Beziehungen auf globaler Ebene, und so konnte sie die deutlichste Kritik an den nationalen Befreiungskämpfen im Allgemeinen und an der Position der Bolschewiki im Besonderen entwickeln. Im Gegensatz zu der zersplitterten Vision der Bolschewiki, die davon ausging, dass das Proletariat je nach geographischer Zone unterschiedliche Aufgaben haben könne, wählte Rosa Luxemburg einen Ansatz, der einen globalen Prozess im Kontext eines Weltmarktes beschrieb, der zunehmend auf unüberwindbare Hindernisse stoßen würde: "In diesem Zusammenhang war es jedem neuen Nationalstaat unmöglich, in den Weltmarkt auf einer selbständigen Grundlage einzutreten, oder die Phase einer ursprünglichen Akkumulation außerhalb dieses barbarischen weltweiten Spannungsfelds zu durchlaufen. " [8]
Daraus folgt, dass es "in dem heutigen imperialistischen Milieu überhaupt keine nationalen Verteidigungskriege mehr geben kann".[9]
Diese Fähigkeit, die Tatsache zu begreifen, dass jede nationale Bourgeoisie nur innerhalb des imperialistischen Systems operieren konnte, brachte Rosa Luxemburg dazu, die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki nach 1917 zu kritisieren, als die Sowjets die Unabhängigkeit der Ukraine, Finnlands, Litauens usw. akzeptierten, um "die Massen zu gewinnen". Die folgenden Zeilen prophezeien beeindruckend die Folgen der nationalen Politik der Komintern in den 1920er Jahren: "eine nach der anderen von diesen „Nationen“ benutzte die frisch geschenkte Freiheit dazu, sich als Todfeindin der russischen Revolution gegen sie mit dem deutschen Imperialismus zu verbünden und unter seinem Schutze die Fahne der Konterrevolution nach Rußland selbst zu tragen".[10]
B. Der Kongress von BakuDie nationale Frage wurde zum ersten Mal in der Komintern während des Zweiten Weltkongresses 1920 aufgeworfen. Ausgehend von der insbesondere von den Bolschewiki vertretenen irrigen Auffassung vom Imperialismus meinte der Kongress, man müsse "eine Politik treiben, durch die das engste Bündnis aller nationalen und kolonialen Befreiungsbewegungen mit Sowjetrußland verwirklicht wird, und muß die Formen dieses Bündnisses entsprechend der jeweiligen Entwicklungsstufe der kommunistischen Bewegung unter dem Proletariat eines jeden Landes oder der bürgerlich-demokratischen Befreiungsbewegung der Arbeiter und Bauern in den zurückgebliebenen Ländern oder unter den zurückgebliebenen Nationalitäten bestimmen".[11]
Der Kongress der Völker des Ostens, der zwischen dem 1. und 8. September 1920 in Baku stattfand, hatte die Aufgabe, die Orientierungen des Zweiten Weltkongresses, der einige Wochen zuvor zu Ende gegangen war, in die Praxis umzusetzen. Fast 1900 Delegierte, die hauptsächlich aus dem Nahen Osten und Asien kamen, trafen sich. Fast zwei Drittel der vertretenen Organisationen bekannten sich zwar zum Kommunismus, aber ihre Unterstützung war äußerst oberflächlich. "Die nationalen Eliten fühlten sich mehr von der Organisation und Wirksamkeit der von den Bolschewiki vorgeschlagenen Handlungsweisen angezogen als von der kommunistischen Ideologie“.[12] Deshalb war der Kongress ein „großer Basar“, der sich aus mehreren Klassen und sozialen Schichten zusammensetzte, die aus allen möglichen Gründen kamen, aber nur sehr wenige mit der festen Absicht, bewusst für die Entwicklung der proletarischen Weltrevolution zu arbeiten. Die Beschreibung der Zusammensetzung des Kongresses, die Sinowjew dem Exekutivkomitee der Komintern nach seiner Rückkehr aus Baku gab, bedarf keines Kommentars: "Der Kongress von Baku setzte sich aus einer kommunistischen Fraktion und einer viel größeren überparteilichen Fraktion zusammen. Letztere wiederum teilte sich in zwei Gruppen: die eine bestand effektiv aus parteilosen Elementen, darunter die Vertreter der Bauern und der semi-proletarischen Bevölkerung der Städte, die andere aus Personen, die sich selbst als parteilos definierten, aber in Wirklichkeit bürgerlichen Parteien angehörten".[13]
Für eine Reihe von Delegationen war der Aufbau einer revolutionären kommunistischen Bewegung im Osten zweitrangig und sogar uninteressant. Für viele von ihnen ging es darum, die Hilfe Sowjetrusslands sicherzustellen, um den britischen Kolonialismus zu vertreiben und ihre eigenen Träume von nationaler Souveränität zu verwirklichen.
Wie war die Haltung der Vertreter der Komintern gegenüber diesen offensichtlich bürgerlichen Forderungen? Anstatt den proletarischen Internationalismus mit größter Entschlossenheit zu verteidigen, beharrte die Komintern-Delegation auf ihrer Unterstützung bürgerlich-nationalistischer Bewegungen und rief die Völker des Ostens auf, sich "dem ersten wirklich heiligen Krieg unter dem roten Banner der Kommunistischen Internationale" anzuschließen, um einen Kreuzzug gegen "den gemeinsamen Feind, den britischen Imperialismus", zu führen.
Die wichtigen Zugeständnisse an die nationalistischen Parteien und die gesamte Politik, die in Baku betrieben wurde, waren bereits von der Notwendigkeit diktiert, die Sowjetrepublik zu verteidigen, und nicht mehr von den Interessen der Weltrevolution. Diese zentrale Position der Komintern, die auf dem Zweiten Kongress festgelegt wurde, zeigte, wie weit die opportunistische Tendenz an Boden gewonnen hatte. Natürlich gab es Kritik an diesen Versuchen, Nationalismus und proletarischen Internationalismus zu versöhnen: Lenin warnte davor, "den Nationalismus rot zu färben", und auch John Reed, der in Baku anwesend gewesen war, wandte sich gegen "diese Demagogie und diese Schauveranstaltung", doch "diese Antworten nannten die Wurzeln des folgenden opportunistischen Kurses nicht beim Namen, blieben auf dem zentristischen Terrain der Versöhnung mit noch offeneren Ausdrücken des Opportunismus und versteckten sich hinter den Thesen des Zweiten Kongresses, die – gelinde gesagt – eine Vielfalt von Sünden der revolutionären Bewegung verbargen".[14]
C. Nach und nach wurde die Komintern zu einem Instrument des russischen ImperialismusDer Rückzug der Revolution in Westeuropa und die Isolierung des Proletariats in Russland unter dramatischsten Bedingungen führten dazu, dass die Komintern allmählich zu einem Instrument der bolschewistischen Außenpolitik wurde - die Bolschewiki selbst wurden im Laufe der Jahre zu den Verwaltern des russischen Kapitals.[15] Während diese verhängnisvolle Entwicklung zum Teil mit den falschen Vorstellungen der Bolschewiki über das Verhältnis von Klasse, Partei und Staat in der Übergangsperiode zusammenhing, lag der Hauptgrund dafür in der unumkehrbaren Degeneration der Revolution ab den 1920er Jahren.[16]
In erster Linie im Namen der Verteidigung des Sowjetstaates schlossen die Bolschewiki und die Komintern Bündnisse mit nationalen Befreiungsbewegungen oder unterstützten sie direkt. Ab 1920 unterstützte die Weltpartei die Bewegung von Kemal Atatürk, dessen Interessen sehr weit von der Politik der Internationale entfernt waren, wie Sinowjew zugab. Aber dieses Bündnis war ein Mittel, um die Briten aus der Region zu verdrängen. Auch wenn die türkische Regierung bald darauf die Führer der Kommunistischen Partei der Türkei hinrichtete, sah die Komintern weiterhin Potenzial in dieser nationalistischen Bewegung und hielt an ihrem Bündnis mit einem Land fest, dessen geografische Lage für den russischen Staat strategisch wichtig war. Dies hinderte Kemal jedoch nicht daran, sich gegen seinen Verbündeten zu wenden und 1923 ein Bündnis mit der Entente einzugehen.
Während die Politik der Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen für eine gewisse Zeit eine falsche Position innerhalb der Arbeiterbewegung war, so wurde sie Ende der 1920er Jahre zur imperialistischen Strategie einer kapitalistischen Macht wie aller anderen. Die Unterstützung der Komintern für die Kuomintang-Nationalisten in China, die 1927 zum Massaker an den Arbeitern von Shanghai führte, war eine entscheidende Episode in diesem Prozess der Degeneration. Zuvor hatte die Komintern die nationalistische Bewegung unter der Führung von Abd El-Krim im Rif-Krieg (1921-26) und 1926 die Drusen in Syrien unterstützt.
Folglich zeigten "solch offenkundige Akte des Verrats (...), dass die stalinistische Fraktion, die bis dahin nahezu die völlige Vorherrschaft über die KI und ihre Parteien errungen hatte, nicht mehr eine opportunistische Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung war, sondern ein direkter Ausdruck der kapitalistischen Konterrevolution".[17]
Wie wir im ersten Teil dieser Untersuchung[18] gezeigt haben, waren nur eine Handvoll ordnungsgemäß konstituierter Kommunistischer Parteien auf dem Gründungskongress der Komintern im März 1919 vertreten. In den folgenden Wochen unternahm die Internationale große Anstrengungen mit dem Ziel, Kommunistische Parteien zu gründen: "Die Kommunistische Internationale hat vom ersten Tage ihrer Bildung an klar und unzweideutig sich zum Zwecke gesetzt nicht die Bildung kleiner, kommunistischer Sekten, die nur durch Propaganda und Agitation ihren Einfluss auf die Arbeitermassen herzustellen suchen, sondern die Teilnahme an dem Kampfe der Arbeitermassen, die Leitung dieses Kampfes in kommunistischem Sinne und die Bildung im Kampfe erprobter, großer, revolutionärer kommunistischer Massenparteien."[19] Diese Orientierung beruhte auf der Überzeugung, dass es in Westeuropa zu einer raschen Ausbreitung der Revolution komme und folglich die dringende Notwendigkeit bestehe, in den verschiedenen Ländern Parteien der Arbeiterklasse zu gründen, die es ermöglichen würden, die revolutionäre Aktion der Massen zu lenken.
So drängten die Bolschewiki nicht nur auf die schnellstmögliche Bildung kommunistischer Massenparteien, sondern auch darauf, dies auf der Grundlage eines Kompromisses zwischen dem linken Flügel der Arbeiterbewegung und der zentristischen Strömung zu tun, die nicht mit den Ansichten und Schwächen der Zweiten Internationale gebrochen hatte. In der Mehrzahl der Fälle konnten diese Parteien nicht aus dem Nichts entstehen, sondern mussten aus einem Abspaltungsprozess innerhalb der Sozialistischen Parteien der II. Internationale hervorgehen. Dies war insbesondere der Fall bei der Kommunistischen Partei Italiens, die auf dem Kongress von Livorno im Januar 1921 gegründet wurde, oder bei der Kommunistischen Partei Frankreichs, die auf dem Kongress von Tours im Dezember 1920 das Licht der Welt erblickte. So trugen die Parteien von Anfang an eine Menge an Ballast und Schwächen in organisatorischer Hinsicht in sich, die die Fähigkeit dieser Organisationen, den Massen eine klare Orientierung zu geben, nur noch weiter beeinträchtigen konnten. Lenin und die Haupttriebkräfte der Internationale waren sich dieser Zugeständnisse und der Gefahr, die sie darstellen könnten, voll bewusst; sie zählten aber auf die Fähigkeit der Parteien, sie zu bekämpfen. In Wirklichkeit unterschätzte Lenin die Gefahr ernsthaft. Die Annahme der 21 Bedingungen für den Beitritt zur Komintern auf dem Zweiten Weltkongress, die zu Recht als ein Fortschritt im Kampf gegen den Reformismus angesehen wurde, wurde nicht wirklich umgesetzt. Lenins ganzer Ansatz beruhte auf der Idee, dass der Marsch in Richtung Revolution nicht unterbrochen werden durfte, dass die Entwicklung der Komintern auf Kosten der Zweiten Internationale und der Zweieinhalbten Internationalen mehr oder weniger eine vollendete Tatsache war.[20]
In einer Situation, in der die Massen noch nicht bereit waren, die Macht zu übernehmen, "die Revolution zu beschleunigen, ohne sie durch künstliche Mittel hervorzurufen, ehe nicht eine genügende Vorbereitung erfolgt ist".[21] Aus diesen Gründen bestand eine der Orientierungen des Zweiten Kongresses in der "Zusammenfassung der zersplitterten kommunistischen Kräfte, [der] Schaffung einer einigen kommunistischen Partei in jedem Lande (oder die Festigung und Erneuerung der bereits bestehenden Partei) zur Ver- zehnfachung der Arbeit für die Vorbereitung des Proletariats zur Eroberung der Staatsmacht in der Form der Diktatur des Proletariats".[22] Eine richtige Orientierung, aber auf der Grundlage einer fehlerhaften Praxis.
Dies erklärt die Fehlentwicklung der Fusion zwischen der USPD[23] und der KPD auf dem Kongress von Halle am 12. Oktober 1920. Das wohl bedeutendste Beispiel ist die Gründung der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). Letztere wurde im Dezember 1920 nach einer Spaltung von der SFIO (Sozialistische Partei) gegründet, deren wichtigste Führer sich während des Ersten Weltkriegs zur "Union Sacrée" (Burgfrieden) zusammengeschlossen hatten. Ihre Entstehung war das Ergebnis eines von der Komintern geförderten Kompromisses zwischen der Linken (einer schwachen Minderheit) und einer zentristischen Strömung, die eine starke Mehrheit hatte. Wie wir in unserer Broschüre Wie die KPF in den Dienst des Kapitals überging[24] gezeigt haben, "war diese Taktik eine Katastrophe, denn die Mitgliedschaft beruhte nicht – wie bei allen anderen europäischen KPs – auf den 21 Bedingungen für den Beitritt zur Komintern, die insbesondere einen vollständigen und endgültigen Bruch mit der opportunistischen Politik des Zentrismus gegenüber Reformismus, Sozialpatriotismus und Pazifismus forderte, sondern auf viel weniger selektiven Kriterien. Das Ziel dieser Taktik der Komintern bestand darin, die Mehrheit dazu zu bringen, sich vom rechten Flügel der Sozialdemokratie, einer offen patriotischen Partei, die an kapitalistischen Regierungen teilgenommen hatte, zu trennen (...) Die zentristische Mehrheit der neuen Partei war mit Opportunisten verseucht, die mehr oder weniger ‚bereuten‘, mal bei der Union Sacrée gewesen zu sein. (...) Der Partei schloss sich eine weitere wichtige Komponente an, die vom anarchistischen Föderalismus durchdrungen war (vertreten insbesondere durch die Seine-Föderation), die sich auf organisatorischer Ebene immer wieder mit der Mitte gegen die Linke stellte, um sich der internationalen Zentralisierung und vor allem der Ausrichtung der Komintern auf die junge französische Partei entgegenzustellen". Vom Opportunismus geplagt, unterwarf sich die KPF voll und ganz der Degeneration der Komintern, die auf dem Dritten Kongress deutlich zu spüren war. Sie sollte zu einem der Hauptakteure des Stalinismus werden.[25] So war es auch in Italien, denn nach der Spaltung von der Sozialistischen Partei Italiens auf dem Kongress von Livorno bestand die KP Italiens aus einem marxistischen, kommunistischen linken Flügel, der sich entschlossen für den Kampf gegen den Opportunismus in der Komintern einsetzte, und einem von Gramsci und Togliatti geführten Zentrum, das unfähig war, die politische Rolle der Sowjets als zentralisierende Organe der Macht zu verstehen, und die politische Rolle der Partei unterschätzte. Das Zentrum der Partei sollte dann als Stütze der Komintern bei der Ausgrenzung der Linken in der Zeit der "Bolschewisierung" fungieren.
Die vielleicht krasseste Karikatur war schließlich die KP der Tschechoslowakei, die sich um die Šmeral-Tendenz bildete, welche die Habsburgermonarchie während des imperialistischen Krieges von 1914-18 unterstützt hatte.
Wie können wir solche Kompromisse erklären? Wie können wir erklären, dass die Bolschewiki, die jahrelang einen harten Kampf um die Bewahrung unnachgiebiger Prinzipien geführt hatten, solche Kompromisse akzeptierten? Die Kommunistische Linke Italiens untersuchte diese Episode aufmerksam und legte eine erste Antwort vor: "Es ist offensichtlich, dass dies keine plötzliche Bekehrung der Bolschewiki zu einer anderen Herangehensweise an die Bildung kommunistischer Parteien war, sondern im Wesentlichen auf einer historischen Perspektive beruhte, die die Möglichkeit vorsah, den schwierigen Weg, der zur Gründung der Bolschewistischen Partei führte, zu vermeiden. In den Jahren 1918-20 rechneten Lenin und die Bolschewiki mit dem sofortigen Ausbruch der Weltrevolution und sahen deshalb in der Gründung von Kommunistischen Parteien in verschiedenen Ländern so viele Unterstützungsbasen für die revolutionäre Aktion des russischen Staates, die ihnen als das wesentliche Element beim Sturz der kapitalistischen Welt erschien" [26]
Zweifellos veranlassten die zum Stillstand gekommene Revolution in dieser Zeit und die verzweifelten Bemühungen, damit umzugehen, Lenin und die Bolschewiki dazu, ihre Wachsamkeit bei der Verteidigung von Prinzipien zu verringern und so dem Opportunismus zu verfallen. Aber es waren auch anhaltende Irrtümer über die Aufgaben der Partei und ihr Verhältnis zur Klasse, die dazu beitrugen, in einer Zeit, die durch die ersten Rückzüge des Proletariats gekennzeichnet war, die Bildung von KP auf einer völlig konfusen Grundlage zu erzwingen.
B. Die Gründung von Kommunistischen "Phantom"-Parteien im OstenDie opportunistische Methode, mit der ihre Mitgliedsparteien gebildet wurden, fand ihren endgültigen Ausdruck in der Entstehung der Kommunistischen Parteien in der kolonialen Welt.
Nach dem Kongress von Baku richtete die Exekutive der Komintern ein zentrales Büro für Asien ein, das für die Arbeit im Nahen/Mittleren Osten und bis nach Indien zuständig war. Dieses Organ, bestehend aus Sokolnikow, Grefori Safarow und M.N. Roy, wurde in Taschkent in Usbekistan eingerichtet. Im Januar 1921 wurde dann in Irkutsk ein Komintern-Sekretariat für den Fernen Osten eingerichtet. So wollte sich die Komintern angesichts des Rückzugs der Revolution in Westeuropa die Mittel an die Hand geben, um die Revolution im Osten zu "beschleunigen". Mit diesem Ziel wurden zwischen 1919 und 1923 im Osten und im Fernen Osten kommunistische Parteien auf äußerst zerbrechlichen theoretischen und politischen Grundlagen gegründet.
Vor dieser Zeit waren KPs in der Türkei, im Iran, in Palästina und in Ägypten entstanden, aber wie der trotzkistische Historiker Pierre Broué bemerkte: "Es mangelte nicht an Problemen zwischen der Internationale und diesen kommunistischen Parteien, die nichts über den Kommunismus wussten und Länder vertraten, in denen richtig proletarische Schichten unbedeutend waren. Was ihre Führer nicht davon abhielt, eine doktrinäre Reinheit und ein rigoros arbeiterorientiertes Schema für die Revolution zu beanspruchen, von der sie glaubten, sie stünde vor der Tür."[27]
In Indien hatten die Kräfte, die sich auf die Internationale zubewegten, alle eine nationalistische Vergangenheit. Der bekannteste war M.N. Roy. Die Komintern befahl der um Roy gebildeten Gruppe, in die von Gandhi geführte nationalistische Kongresspartei einzutreten, zunächst durch ein Bündnis mit der so genannten "revolutionären" und "kommunistischen" Linken, dann mit allen Fraktionen, die nach den gewalttätigen Zusammenstößen, die am 4. Februar 1922 während einer von Gandhi selbst initiierten Kampagne des zivilen Ungehorsams stattfanden, gegen Gandhi waren[28]. Roy sah sich veranlasst, ein offen opportunistisches Programm innerhalb der Kongresspartei zu verteidigen: nationale Unabhängigkeit, allgemeines Wahlrecht, Abschaffung des Großgrundbesitzes, Verstaatlichung des öffentlichen Dienstes. Darüber hinaus ging es nicht darum, die Verabschiedung seines Programms zu erreichen, sondern seine Ablehnung durch die Führung der Partei zu provozieren, die sich damit "enttarnen" würde. Dieses Unterfangen endete in einem völligen Scheitern. Roys Programm fand kein positives Echo, und das Leben der "kommunistischen" Gruppe artete sehr schnell in interne Streitigkeiten aus. Danach wurden die Kommunisten sehr hart unterdrückt. Sie wurden verhaftet und dann wegen Verschwörung verurteilt, was der Politik der Komintern in Indien ein Ende setzte.[29]
In Ostasien verfolgte die Komintern mehr oder weniger den gleichen unverantwortlichen Ansatz. Die Strukturierung einer kommunistischen Bewegung in China wurde vom Büro für den Fernen Osten geleitet, indem es Kontakte zu Intellektuellen und Studenten knüpfte, die für den "Bolschewismus" gewonnen worden waren. Die Kommunistische Partei Chinas konstituierte sich auf einer Konferenz, die im Juli 1921 in Schanghai stattfand. Sie bestand aus ein paar Dutzend Kämpfern und durchlief danach eine bedeutende Wachstumsphase und erreichte 1927 fast 20.000 Mitglieder. Auch wenn diese zahlenmäßige Stärkung den revolutionären Geist zum Ausdruck brachte, der die chinesische Arbeiterklasse in einer Zeit intensiver sozialer Kämpfe beseelte, so blieb es dennoch so, dass neue Mitglieder der Partei auf sehr oberflächlichen theoretischen und politischen Grundlagen beitraten. Wiederum öffnete dieselbe unverantwortliche Methode angesichts der opportunistischen Politik der Komintern gegenüber der Kuomintang die Tür zur Entwaffnung der Partei. Im Januar 1922 legte die Konferenz der Völker des Ostens in Moskau die Grundlagen für die Klassenzusammenarbeit durch einen "antiimperialistischen Block". Auf Betreiben der Exekutive der Komintern verbreitete die KP Chinas die Losung einer "antiimperialistischen Einheitsfront mit der Kuomintang" und forderte die Kommunisten auf, sich als Einzelpersonen der Kuomintang anzuschließen. Diese Politik der Klassenzusammenarbeit war das Ergebnis geheimer Verhandlungen zwischen der UdSSR und der Kuomintang. Im Juni 1923 stimmte der Dritte Kongress der chinesischen KP für den Beitritt ihrer Mitglieder zur Kuomintang. Diese Politik der Unterordnung unter eine bürgerliche Partei stieß zunächst auf Widerstand innerhalb der jungen Partei, und dies schloss einen Teil ihrer Führung ein.[30] Aber die politische Zerbrechlichkeit und Unerfahrenheit dieser Opposition machte sie unfähig, die irrigen und selbstmörderischen Direktiven der Internationale wirksam zu bekämpfen. Und so "hatte diese Politik katastrophale Folgen für die Arbeiterbewegung in China. Während Streikbewegungen und Demonstrationen spontan und ungestüm entstanden, war die Kommunistische Partei, die sich mit der Kuomintang zusammenschloss, unfähig, die Arbeiterklasse zu orientieren, eine unabhängige Klassenpolitik zu betreiben, trotz des unbestreitbaren Heldentums der kommunistischen Militanten, die häufig in den vordersten Reihen der Arbeiterkämpfe zu finden waren. Ebenso ohne einheitliche Organisationen des politischen Kampfes, wie die Arbeiterräte, setzte die Arbeiterklasse auf Forderung der KPCh selbst ihr Vertrauen in die Kuomintang, mit anderen Worten in die Bourgeoisie.“[31]
Wir könnten noch viele weitere Beispiele für kommunistische Parteien nennen, die in rückständigen Ländern gegründet wurden, in denen die Arbeiterklasse sehr schwach war, und die nach Niederlagen sehr schnell zu bürgerlichen Organisationen wurden. Wir müssen dazu festhalten, dass die Bildung von "Massenparteien", sowohl im Westen als auch im Osten, ein Faktor war, der die Schwierigkeiten des Proletariats, sich dem Rückfluss der revolutionären Welle zu stellen, verschlimmerte und es unmöglich machte, einen geordneten Rückzug durchzuführen.
C. Die Politik der EinheitsfrontAuf ihrem 3. Kongress verabschiedete die Komintern die Politik der "Einheitsfront der Arbeiter"[32], die darin bestand, Bündnisse mit den Organisationen der Sozialdemokratie einzugehen, gemeinsame Aktionen mit ähnlichen Forderungen durchzuführen, mit der Idee, dass dadurch die konterrevolutionäre Rolle dieser Organisationen in den Augen der Massen entlarvt würde.
Diese Orientierung wurde auf dem 4. Kongress vollständig konkretisiert und markierte eine völlige Kehrtwende gegenüber dem Gründungskongress, auf dem die neue Internationale ihre klare Entschlossenheit verkündete, gegen alle Kräfte der sozialdemokratischen Strömung zu kämpfen, und „die Arbeiter aller Länder“ aufforderte, „einen entschlossenen Kampf gegen die gelbe Internationale aufzunehmen und die breitesten Massen des Proletariats von dieser Lug- und Truginternationale zu bewahren“.[33] Was war es, das die Komintern nur zwei Jahre später dazu brachte, eine Politik der Bündnisse mit Parteien zu betreiben, die zu den wirksamsten Agenten der Konterrevolution geworden waren?
Hatten sie eine ehrenhafte Wiedergutmachung geleistet und ihre früheren Verbrechen bereut? Ganz offensichtlich nicht. Auch hier ging es darum, "sich nicht von den Massen abzuschotten": "Das Argument der Komintern zur Rechtfertigung der Notwendigkeit der Einheitsfront beruhte hauptsächlich auf der Tatsache, dass der Rückfluss das Gewicht der Sozialdemokratie verstärkt hatte und dass man sich, um dagegen zu kämpfen, nicht von den Massen abschneiden durfte, die Gefangene dieser Mystifizierung waren. Es war notwendig, auf eine Entblößung der Sozialdemokratie über Bündnisse mit der Sozialdemokratie hinzuarbeiten, im Falle der stärksten kommunistischen Parteien (in Deutschland trat die KP für eine einheitliche proletarische Front ein und erkannte die Möglichkeit an, eine vereinigte Arbeiterregierung zu unterstützen) oder über den Entrismus für die schwächeren Parteien ("Die britischen Kommunisten müssen eine energische Kampagne für ihre Aufnahme in die Labour-Partei starten", wie es in den Thesen zur Einheitsfront des 4. Kongresses hieß)"[34].
Diese opportunistische Linie wurde von den Gruppen links der Komintern bekämpft und scharf angeprangert. Die KAPD begann den Kampf auf dem 3. Parteitag, bevor sie kurz danach aus der Komintern ausgeschlossen wurde. Der linke Flügel der KP Italiens folgte ihr auf dem 4. Parteitag und erklärte, dass die Partei es "nicht akzeptieren wird, ein Teil gemeinsamer Organe verschiedener Organisationen zu sein (...) [Sie] wird es ebenfalls vermeiden, gemeinsame Erklärungen mit anderen politischen Organisationen zu verabschieden, wenn diese Erklärungen ihrem Programm widersprechen und dem Proletariat als Resultat von Verhandlungen präsentiert werden, mit dem Ziel, eine gemeinsame Linie für die Praxis zu finden."[35] Auch Miasnikows Arbeitergruppe[36] lehnte die Einheitsfront ab. In ihrem Manifest verteidigte sie gegenüber den Parteien der II. Internationale eine Position, die eindeutig den Interessen der Revolution entsprach: "Nicht die Einheitsfront mit der Zweiten Internationale oder der Zweieinhalbten Internationalen wird zum Sieg der Revolution führen, sondern der Krieg gegen sie. Das ist die Losung der zukünftigen sozialen Weltrevolution". Die Geschichte sollte die Weitsicht und Unnachgiebigkeit der Gruppen der Linken bestätigen. Mit der Umkehrung des Kräfteverhältnisses gewann die herrschende Ideologie wieder Einfluss auf die Massen. Unter diesen Umständen bestand die Rolle der Partei nicht darin, der Dynamik der Klasse zu folgen, sondern das revolutionäre Programm und die Prinzipien innerhalb der Klasse zu verteidigen. In der Zeit der Dekadenz des Kapitalismus war die Rückkehr zu einem "Minimalprogramm", und sei es auch nur vorübergehend, unmöglich geworden. Dies war eine weitere Lehre, die später von der kommunistischen Linken Italiens gezogen wurde: "Im Jahre 1921 änderte die Veränderung der Situation nicht das grundlegende Merkmal der Epoche, da die revolutionären Turbulenzen von 1923, 1925, 1927 und 1934 (um nur die wichtigsten zu nennen) diese voll und ganz bestätigen sollten [...] Eine solche Veränderung der Situation musste natürlich Konsequenzen für die kommunistischen Parteien haben. Aber das Problem war folgendes: War es notwendig, die Politik der Kommunistischen Parteien in ihrer Substanz zu ändern oder aus den ungünstigen Umständen die Notwendigkeit abzuleiten, die Massen zu Teilkämpfen aufzurufen und dabei auf ein revolutionäres Ergebnis ausgerichtet zu bleiben[37], sobald die erlittenen Niederlagen es unmöglich machten, direkt zum Aufstand aufzurufen? Der Dritte Kongress, die Erweiterte Exekutive von 1921 und vor allem der Vierte Kongress haben eine Lösung für dieses Problem gefunden, die den Interessen der Sache abträglich war. Dies geschah vor allem durch die Frage der Einheitsfront."[38]
Wie wir gerade gesehen haben, war die Zeit vom 2. bis zum 3. Kongress von einem deutlichen Eindringen des Opportunismus in die Reihen der Weltpartei gekennzeichnet. Dies war die direkte Folge der verfehlten Politik der "Eroberung der Massen" um den Preis von Kompromissen und Zugeständnissen: Unterstützung der nationalen Befreiungskämpfe, Bündnis mit den Verräterparteien der II. Internationale, Beteiligung am Parlament und an den Gewerkschaften, Bildung von Massenparteien ... Die Komintern kehrte dem den Rücken, was die Stärke der linken Fraktionen innerhalb der II. Internationale gewesen war. Darauf wies Herman Gorter 1920 gegenüber Lenin hin: "Sie handeln, Genosse Lenin, jetzt in der Internationale ganz anders als damals in der Partei der Maximalisten. Diese wurde (und wird vielleicht noch immer) sehr "rein" gehalten. In die Internationale sollen jetzt sofort Halb-, Viertel- und Achtel-Kommunisten aufgenommen werden. [...] Die russische Revolution hat durch "Reinheit", durch Prinzipienfestigkeit gewonnen. [...]
Statt jetzt auch in allen anderen Ländern dieselbe bewährte Taktik anzuwenden und so die dritte Internationale innerlich sehr stark zu machen, geht man auch jetzt wieder, ganz wie damals die Sozialdemokratie, zum Opportunismus über. Alles soll jetzt hinein: die Gewerkschaften, die Unabhängigen, das französische Zentrum, Teile der Labour-Party."[39]
Der grundlegende Irrtum der Kommunistischen Internationale bestand darin, zu glauben, dass es allein aus eigener Kraft möglich war, die Arbeiterklasse zu "erobern", sie vom Einfluss der Sozialdemokratie zu befreien und so ihr Bewusstsein zu heben und sie zum Kommunismus zu führen.
Daraus ergab sich die Politik der Einheitsfront, die Sozialdemokratie zu entlarven und anzuprangern; die Teilnahme am Parlament, um die Spaltungen zwischen den bürgerlichen Parteien auszunutzen; die Arbeit in den Gewerkschaften, um sie wieder ins proletarische Lager und auf die Seite der Revolution zu bringen.[40] Keiner der Versuche erbrachte die erhofften Ergebnisse. Im Gegenteil, sie brachten die Komintern nur dazu, das proletarische Lager zu verraten. Anstatt das Klassenbewusstsein zu schärfen, verbreiteten diese Taktiken lediglich Verwirrung und Desorientierung unter den Massen und machten sie damit anfälliger für die Fallen der Bourgeoisie. Obwohl es den Gruppen auf der linken Seite der Komintern nie gelang, sich zu vereinigen, waren sie sich alle über den selbstmörderischen Charakter dieser Politik einig, die ihrer Ansicht nach zur Niederlage der Arbeiterbewegung und zum Tod der Revolution führte. Eigentlich verteidigten diese Gruppen eine ganz andere Auffassung von der Beziehung zwischen Partei und Klasse.[41] Die Rolle der Partei bestand nicht darin, die Illusionen in die Klasse zu schüren, und noch weniger darin, sie in dubiose und gefährliche Taktiken zu verwickeln, sondern vielmehr darin, ihr Bewusstsein durch die Verteidigung proletarischer Prinzipien zu schärfen und sicherzustellen, dass keine Zugeständnisse in prinzipiellen Fragen gemacht werden. Dies war der einzige wirkliche Kompass, der in einer Zeit, in der die im Oktober 1917 in Russland entfesselte Welle ihre ersten Rückzüge machte, in die Richtung der Revolution weisen konnte.
Mit der Verschärfung des Rückflusses des Klassenkampfes und der opportunistischen Entartung der kommunistischen Parteien sollte die revolutionäre Kontinuität des Marxismus nur noch durch die Fraktionen aufrechterhalten werden, die sich mit Händen und Füßen innerhalb der Kommunistischen Parteien oder außerhalb derselben wehrten, nachdem aus sie ihnen ausgeschlossen worden waren.
(Fortsetzung folgt)
Narek, 16. Juni 2020
[1] Die ersten beiden Teile dieser Serie sind im Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dieses dritten Artikels auf Deutsch noch nicht übersetzt. Die englische, französische oder spanische Version der Artikel findest du auf unserer Webseite, z.B. https://en.internationalism.org/content/16652/centenary-foundation-communist-international-what-lessons-can-we-draw-future-combats [157]
[2] Internationalisme Nr. 7, 1945. Die Linken Fraktionen – Methode zur Bildung der Partei, International Review 162 (englische/französische/spanische Ausgabe)
[3] Der Kongress fand zwischen dem 21. Juni und Anfang Juli 1921 statt.
[4] Die wichtigsten Lehren aus dem Dritten Kongress, Juli 1921. Die Idee, die Mehrheit der Arbeiterklasse unter den damaligen Verhältnissen zu gewinnen, enthielt bereits die Keime der Idee, die Massen auf Kosten der Prinzipien zu erobern, wie wir in diesem Artikel zeigen wollen.
[5] Die Märzaktion 1921: Die Gefahr kleinbürgerlicher Ungeduld, /content/2074/die-maerzaktion-1921-die-gefahr-kleinbuergerlicher-ungeduld [158]
[6] Thesen zum Referat auf dem III. Kongress der Kommunistischen Internationale über die Taktik der KPR, Lenin Werke Bd. 32 S. 476
[7] Nation oder Klasse, Broschüre der IKS (S. 7)
[8] A.a.O. S. 9. Der Aufstieg Chinas zu einem bedeutenden imperialistischen Herausforderer am Ende des 20. Jahrhunderts ändert nichts an dieser Gesamtanalyse: erstens, weil er unter den besonderen Umständen des kapitalistischen Zerfalls entstanden ist, und zweitens, weil sein Aufstieg zu einem hoch militarisierten und expansionistischen Staat keinerlei fortschrittlichen Inhalt hat.
[9] Rosa Luxemburg, Junis-Broschüre
[10] Rosa Luxemburg, Zur russischen Revolution, 3. Kapitel
[11] 2. Kongress der Komintern, Thesen zur nationalen und kolonialen Frage
[12] Edith Chabrier, Les délégués du premier Congrès des peuples d’Orient (Bakou, 1er-8 septembre 1920) in Cahiers du monde russe et soviétique, vol 26, no. 1, Januar-März 1985, S. 21-42
[13] A.a.O.
[14] Kommunisten und die nationale Frage, Teil 3, „Die Debatte während der revolutionären Welle und die Lehren für heute“, /content/1294/kommunisten-und-die-nationale-frage-aus-international-review-engl-ausgabe-nr-42-1985 [159]
[15] A.a.O.
[16] Die Degeneration der Russischen Revolution, in Internationale Revue Nr. 2
[17] Kommunisten und die nationale Frage, Teil 3, „Die Debatte während der revolutionären Welle und die Lehren für heute“, /content/1294/kommunisten-und-die-nationale-frage-aus-international-review-engl-ausgabe-nr-42-1985 [159]
[18] Vgl. Fn 1
[19] 3. Kongress der Komintern, Thesen über die Taktik
[20] „Die Parteien der Kommunistischen Internationale werden zu revolutionären Massenparteien, wenn sie den Opportunismus, seine Überreste und seine Traditionen, in ihren Reihen dadurch überwinden, dass sie sich eng mit den kämpfenden Arbeitermassen zu verbinden suchen, ihre Aufgaben aus den praktischen Kämpfen des Proletariats schöpfen, in diesen Kämpfen ebenso die opportunistische Politik der Vertuschung und Verkleisterung der unüberbrückbaren Gegensätze ablehnen und gleichzeitig jede revolutionäre Phrase ablehnen, die den Einblick in das reale Kräfteverhältnis verschließt, die Schwierigkeiten des Kampfes übersehen lässt." 3. Kongress der Komintern, Thesen über die Taktik
[21] 2. Kongress der Komintern, Leitsätze über die Grundaufgaben der Kommunistischen Internationale, Juli 1920
[22] Ebenda
[23] Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschland; die Mehrheit ihrer Mitglieder hatte nicht mit dem Reformismus gebrochen und verwarf die Diktatur des Proletariats und die Organisierung in Arbeiterräten
[24] Comment le PCF est passé au service du capital, IKS-Broschüre – auf französisch erhältlich (https://fr.internationalism.org/brochures/pcf [160])
[25] Für mehr Einzelheiten siehe unsere Broschüre zur KPD, Fn 24
[26] En marge d’un anniversaire, Bilan n°4, Februar 1934.
[27] Pierre Broué, Histoire de l’Internationale Communiste, 1919-1943, Fayard, 1997 (unsere Übersetzung ins Deutsche)
[28] Obgleich Roy selbst mit dieser Taktik nicht einverstanden war.
[29] Pierre Broué, Histoire de l’Internationale Communiste, a.a.O.
[30] Chen Duxiu, eines der Gründungsmitglieder der Partei, übte eine deutliche Kritik an dieser Ausrichtung. "Der Hauptgrund für unsere Opposition war folgender: Der Eintritt in die Kuomintang brachte Verwirrung in die Klassenorganisation, behinderte unsere Politik und bedeutete, sie derjenigen der Kuomintang unterzuordnen. Der KI-Delegierte sagte uns wörtlich, dass 'die gegenwärtige Periode eine Periode ist, in der Kommunisten für die Kuomintang Kuli-Arbeit (Handlangerdienste) leisten müssen'. Von diesem Zeitpunkt an war die Partei nicht mehr die Partei des Proletariats. Sie verwandelte sich in die extreme Linke der Bourgeoisie und begann, in den Opportunismus abzusinken" (Chen Duxiu, "Brief an alle Genossen der chinesischen KP", 10. Dezember 1929, in Pierre Broué, La question chinoise dans l’Internationale Communiste).
[31] Chinas ‚Revolution‘ von 1949 – ein Glied in der Kette imperialistischer Kriege, International Review Nr. 81, engl./franz./span. Ausgabe.
[32] Der "offene Brief" vom 7. Januar 1921, der von der KPD-Zentrale an andere Organisationen (SPD, USPD, KAPD) gerichtet wurde und zu gemeinsamen Aktionen der Massen und den kommenden Kämpfen aufrief, war eine der Prämissen dieser Politik.
[33] 1. Kongress der Komintern, Die Stellung zu den sozialistischen Strömungen und der Berner Konferenz
[34] Front unique, front anti-prolétarien, Révolution Internationale Nr. 45, Januar 1978
[35] Intervention der Delegation der KP Italiens auf dem 4. Kongress der Komintern, zit. nach dem Buch der IKS Die Italienische Kommunistische Linke, 2007, S. 32 f.
[36] Siehe dazu unsere beiden Artikel zur Kommunistischen Linken Russlands, /content/747/kommunistische-linke-russlands [161]
[37] Angesichts der Tatsache, dass die Bedingungen für die Ausweitung der Revolution immer ungünstiger wurden, wäre es sachdienlicher gewesen, von "partiellen Kämpfen ..., die sich an einer revolutionären Perspektive orientieren", zu sprechen.
[38] Bilan, April 1934
[39] Herman Gorter, Eine Antwort an Lenins Broschüre: „Der linke Radikalismus, eine Kinderkrankheit des Kommunismus“, 1920
[40] Die Gewerkschaftsfrage haben wir bereits im zweiten Artikel dieser Serie untersucht (vgl. Fn 1), so dass wir an dieser Stelle nicht darauf zurückkommen werden. Erinnern wir uns jedoch daran, dass die Komintern am Ersten Kongress den Bankrott der Gewerkschaften sowie der Sozialdemokratie registriert hatte (auch wenn die Debatte über den Klassencharakter der Gewerkschaften nach dem Ersten Weltkriegs nicht abgeschlossen war), dann aber ihre Position änderte und für die Wiederbelebung der Gewerkschaften eintrat, indem sie in ihnen kämpfte mit den Zielen, deren Führung in die Wüste zu schicken und die Massen für den Kommunismus zu gewinnen. Diese illusorische Taktik wurde auf dem 3. Kongress mit der Forderung nach der Bildung der Roten Internationale der Gewerkschaften vorgebracht. Sie wurde von bestimmten linken Gruppen (insbesondere der deutschen Linken) bekämpft, die zu Recht die Auffassung vertraten, dass die Gewerkschaften keine Organe des proletarischen Kampfes mehr seien.
[41] Trotz der Tatsache, dass ein großer Teil der deutschen und niederländischen Linken später dazu überging, die Notwendigkeit der Partei zu leugnen, und dann die rätekommunistische bzw. rätistische Strömung bildete.
Seit einigen Wochen steigt die Zahl der an Covid-19 erkrankten Menschen in mehreren Regionen der Welt stark an, insbesondere in Europa, das wieder zu einem der Epizentren der Pandemie geworden zu sein scheint. Die "mögliche zweite Welle", die vor einigen Monaten von Epidemiologen angekündigt wurde, ist nun Realität, und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie viel virulenter sein wird als die vorherige. In mehreren Ländern liegt die Zahl der Todesfälle pro Tag bereits bei mehreren hundert, und die Intensivstationen, die für die Behandlung der am schwersten betroffenen Patienten benötigt werden, sind überfüllt, oder total überfordert wie in Italien. Dies obwohl wir erst am Anfang dieser neuen Welle stehen.
Angesichts der Ernsthaftigkeit und rapiden Verschlechterung der Lage haben immer mehr Staaten keine andere Lösung anzubieten, als lokale oder nationale Ausgangssperren oder fast gefängnisartige Maßnahmen improvisiert auf die Beine zu stellen, um die Bevölkerung zu Hause zu halten – natürlich außerhalb der Arbeitszeit.
In den letzten Monaten haben die Medien in vielen Ländern nicht aufgehört, die gemeinen und irreführenden Reden des Staatsapparates zu verbreiten, die nicht gezögert haben, die angeblich "unverantwortlichen und egoistischen Jugendlichen" an den Pranger zu stellen, die sich zusammenschlossen hätten, um "illegale Partys zu organisieren", oder Urlauber, die die letzten schönen Sommertage nutzen, um auf der Terrasse eines Cafés etwas zu trinken, und dabei ihre Masken abnehmen (die Regierungen der Mittelmeerstaaten haben sie jedoch stark dazu ermutigt, dies zu tun, um „den gefährdeten Tourismussektor zu retten"!). Diese große Kampagne, die sich täglich gegen die "Verantwortungslosigkeit der Bürger" richtet, ist nichts anderes als eine Vertuschung der Nachlässigkeit und mangelnden Voraussicht, derer sich die herrschende Klasse seit vielen Jahren schuldig macht[1], genau wie in den letzten Monaten nach dem relativen Abklingen der "ersten Welle"
Obwohl sich die Regierungen sehr wohl bewusst waren, dass es keine wirksame Behandlung gegen das neue Coronavirus gab, dass die Entwicklung eines Impfstoffs noch lange nicht abgeschlossen war und dass das Virus nicht unbedingt saisonal sein würde, wurden keine Schritte unternommen, um eine mögliche "zweite Welle" zu verhindern. Die Zahl des Krankenhauspersonals hat sich seit dem März dieses Jahres nicht erhöht, ebenso wenig wie die Zahl der Betten auf den Intensivstationen. In mehreren Ländern wurde die Politik zum Abbau des Gesundheitssystems sogar fortgesetzt. Alle Regierungen haben daher die Gesellschaft zur Rückkehr in die "Welt von früher" gedrängt und die Rückkehr der "glücklichen Tage" mit einem Slogan im Mund gefeiert: "Wir müssen die nationale Wirtschaft retten!“
Heute zwingen die europäischen Bourgeoisien mit der gleichen Parole die Ausgebeuteten erneut dazu, in ihren Häusern zu versauern, während sie sie gleichzeitig dazu drängen, sich an den Arbeitsplatz zu bewegen, wobei sie die Enge im öffentlichen Verkehr, die bei der Verbreitung des Virus förderlich ist (vor allem in den großen Metropolen), und das Fehlen ausreichender Gesundheitsmaßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Menschen am Arbeitsplatz und in den Schulen ignorieren!
Die Sorglosigkeit und Verantwortungslosigkeit, die die herrschende Klasse in den letzten Monaten an den Tag gelegt hat, hat sie erneut unfähig gemacht, die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Infolgedessen neigt die überwältigende Mehrheit der europäischen Staaten eindeutig dazu, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Dies zum großen Unglück derer, die in großer Sorge vor Ansteckung zur Arbeit gehen müssen.
Im Gegensatz zu dem, was die herrschende Klasse behauptet, besteht kein Zweifel daran, dass ihre Absicht nicht darin besteht, Leben zu retten, sondern die katastrophalen Auswirkungen der Pandemie auf das Überleben des Kapitalismus so weit wie möglich zu begrenzen und gleichzeitig zu vermeiden, dass sich die Tendenz zum sozialen Chaos zu verstärkt.
Damit dies geschieht, muss das Funktionieren der kapitalistischen Maschinerie um jeden Preis gewährleistet sein, insbesondere den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, Gewinne zu erwirtschaften. Ohne Angestellte in den Produktionsstätten ist keine Arbeit und damit perspektivisch auch kein Gewinn möglich, ein Risiko, das die Bourgeoisie um jeden Preis vermeiden will. Deshalb müssen Produktion, Handel, Tourismus und öffentliche Dienstleistungen so gut wie möglich gewährleistet sein; die Folgen für das Leben von Hunderttausenden oder gar Millionen von Menschen spielen dabei keine Rolle. Die herrschende Klasse hat in ihrer Logik keine andere Alternative, um das Überleben ihres eigenen Ausbeutungssystems zu garantieren.
Was immer sie auch tut, sie ist nicht mehr in der Lage, den unaufhaltsamen Niedergang des Kapitalismus in seiner historischen Krise zu stoppen. Dieser unumkehrbare Niedergang zwingt sie daher, sich so zu zeigen, wie sie ist: völlig ignorant gegenüber dem Wert des menschlichen Lebens und bereit, alles zu tun, um ihre Vorherrschaft zu erhalten, einschließlich, Zehntausende von Menschen sterben zu lassen, angefangen bei den Rentnern und Rentnerinnen, die in den Augen des Kapitals als "nutzlos" gelten. Die Pandemie wirft ein grelles Licht auf das unversöhnliche Verhältnis eines auf den Füßen verrottenden Kapitalismus gegenüber der Menschheit!
Die Ausgebeuteten haben daher von den Staaten und ihren Regierungen, die unabhängig von ihrer politischen Couleur Teil der herrschenden Klasse sind und in deren Dienst stehen, nichts zu erwarten. Die Ausgebeuteten haben nichts zu gewinnen, wenn sie die "Opfer", die ihnen zur "Rettung der Wirtschaft" auferlegt werden, akzeptieren, ohne mit der Wimper zu zucken.
Früher oder später wird die Bourgeoisie in der Lage sein, dieses Virus durch die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs zu beseitigen. Aber die Bedingungen der sozialen Zersetzung, die zu dieser Pandemie geführt haben, werden nicht verschwinden. Angesichts der bedingungslosen Konkurrenz zwischen den Staaten in ihrem wahnsinnigen "Wettlauf um einen Impfstoff" sieht seine Verteilung schon jetzt höchst problematisch aus. Wie bei Industrie- oder Umweltkatastrophen ist es mehr als wahrscheinlich, dass die Menschheit in Zukunft zunehmend mit globalen Pandemien konfrontiert sein wird, die zweifellos noch tödlicher sein werden.
Angesichts der wirtschaftlichen Katastrophe, die durch die Pandemie verschärft wird, der Explosion der Arbeitslosigkeit, des wachsenden Elends und des zunehmenden Arbeitstempos und Arbeitsdrucks wird die Arbeiterklasse keine andere Wahl haben, als für die Verteidigung ihrer Lebensbedingungen zu kämpfen. Schon jetzt wächst die Wut fast überall, und die Bourgeoisie versucht, sie vorübergehend zu lindern, indem sie allen Arbeiterfamilien verspricht, dass die Feierlichkeiten zum Jahresende stattfinden können (auch wenn es notwendig sein werde, große Versammlungen einzuschränken). Aber diese "Pause" von der Gefangenschaft zugunsten des „Waffenstillstands der Konditoren“ wird an der Substanz nichts ändern. Das Jahr 2021 wird nicht besser sein als das Jahr 2020, mit oder ohne Impfstoff.
Irgendwann, wenn der Schock dieser Pandemie überwunden ist, wird der Kampf wieder aufgenommen werden müssen.
Wenn die Arbeiterklasse den Weg des Kampfes gegen die Angriffe der Bourgeoisie, ihres Staates und ihrer Arbeitgeber wieder aufnimmt, wird sie ihre Einheit und Solidarität entwickeln können. Nur der Klassenkampf des Proletariats wird, indem er die heilige Allianz mit seinen Ausbeutern bricht, langfristig in der Lage sein, eine Perspektive für die gesamte Menschheit zu eröffnen, welche durch ein zerfallendes System der Ausbeutung vom Aussterben bedroht ist. Das kapitalistische Chaos kann sich nur weiter verschlimmern, mit immer mehr Katastrophen und neuen Pandemien. Die Zukunft liegt also in den Händen des Proletariats, denn nur es hat die Mittel, das Problem an der Wurzel zu packen und den Kapitalismus zu stürzen, um eine neue Gesellschaft aufzubauen.
Vinzenz, 11. November 2020
[1] Vgl. dazu auf unserer Webseite die Artikel, mit denen wir die weltweiten Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen brandmarken, https://de.internationalism.org/content/2931/pandemie-des-covid-19-frankreich-die-kriminelle-fahrlaessigkeit-der-bourgeoisie [17]
Die Weltwirtschaftskrise verschärft sich gegenwärtig brutal. Konkret und ohne jeden Zweifel wird die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt unter einem gewaltigen Ausbruch von Arbeitslosigkeit, Ausbeutung, Prekarität und Armut leiden.
Mit diesem neuen Schritt versinkt der Kapitalismus weiter in seiner Dekadenz, was von den revolutionären Organisationen die Klärung folgender Fragen erfordert:
Gleichzeitig müssen wir uns vor einer auf den Moment beschränkten und ökonomistischen Sichtweise auf die Krise hüten, wie der vorgelegte Bericht betont. Wir müssen jede waghalsige Prognose vermeiden, wenn man bedenkt, dass wir das Tempo der Krise in der Vergangenheit überschätzt und eine unmittelbar bevorstehende Katastrophe erwartet haben, verbunden mit der Vorstellung, die Bourgeoisie befinde sich in einer Sackgasse. Abgesehen von der mangelnden Aneignung der Theorie Rosa Luxemburgs, hatten wir die Fähigkeit des Staatskapitalismus unterschätzt, mit den Erscheinungen der offenen Krise umzugehen, da er ja tatsächlich das Versinken des Systems in seine historische Krise begleitet und so sein Überleben ermöglicht hat. Die Waffen des Staatskapitalismus sind: das ständige Eingreifen in die Wirtschaft, Manipulationen und Betrug mit dem Wertgesetz. Dabei gelang es der herrschenden Klasse, innerhalb des Proletariats die Illusion aufrecht zu erhalten, dass der Kapitalismus kein bankrottes System, seine Erschütterungen nur vorübergehend und das Produkt zyklischer Krisen seien, denen notwendigerweise Perioden intensiver allgemeiner Entwicklung folgen würden.
Im 18. und 19. Jahrhundert befanden sich die großen kapitalistischen Nationen in einem hektischen Wettlauf um die Eroberung neuer Märkte und Gebiete. Aber um 1900 stießen sie auf ein Problem: Die Erde ist rund und nicht unendlich groß. So erreichten die imperialistischen Spannungen bereits vor Ausbruch einer Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt, der Weltkrieg brach aus und der Kapitalismus trat in das Stadium seiner Dekadenz ein. Der Krieg von 1914-18 ist die Manifestation der extremsten Barbarei und Ergebnis der folgenden Tatsache: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um.“ [1]
Erst Ende der 1920er Jahre wurden die verschiedenen nationalen Bourgeoisien zum ersten Mal mit dem unmittelbar "wirtschaftlichen" Ausdruck dieses Eintritts in die Dekadenz konfrontiert: der Krise der allgemeinen und historischen Überproduktion. Wir wollen noch einmal Marx zitieren: „Zweitens, dass die kapitalistische Produktion keineswegs auf einer willkürlichen Stufe produziert, sondern jemehr sie sich entwickelt, so mehr gezwungen ist, auf einer Stufenleiter zu produzieren, die mit der immediate demand (unmittelbaren Nachfrage) nichts zu tun hat, sondern von einer beständigen Erweiterung des Weltmarktes abhängt. (…) Er übersieht, dass die Ware in Geld verwandelt werden muss. Die demand der Arbeiter genügt nicht, da der Profit ja grade dadurch herkommt, dass die demand der Arbeiter kleiner als der Wert ihres Produkts, und um so größer ist, je relativ kleiner diese demand. Die demand der capitalists untereinander genügt ebensowenig“ [2] (…) „Wird endlich gesagt, daß die Kapitalisten ja selbst nur unter sich ihre Waren auszutauschen und aufzuessen haben, so wird der ganze Charakter der kapitalistischen Produktion vergessen und vergessen, daß es sich um die Verwertung des Kapitals handelt, nicht um seinen Verzehr.“[3] Mit anderen Worten, die Krise der allgemeinen Überproduktion, die 1929 ausbrach, ist nicht mit einer Art Dysfunktion verbunden, die die Bourgeoisie regulieren oder überwinden kann. Nein, sie ist die Folge eines fundamentalen und unüberwindlichen Widerspruchs, der im Wesen des Kapitalismus selbst verwurzelt ist.
Die nationalen Bourgeoisien haben aus der katastrophalen Krise von 1929 gelernt: die Notwendigkeit, den Staatskapitalismus zu entwickeln und internationale Organisationen zu gründen, die die Krise begleiten, um den Fehler der protektionistischen Politik nicht zu wiederholen.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs wollte die Bourgeoisie die Lehren von 1929 in die Praxis umsetzen. Der Nachkriegsboom erzeugte die Illusion, dass der Kapitalismus seinen Wohlstand zurückgewinnt und löschte vorübergehend den Alptraum der Großen Depression der 1930er Jahre und die Schrecken des Krieges aus. Aber unvermeidlich bleiben die Widersprüche, die dem Wesen des Kapitalismus selbst innewohnen, ebenso wie seine historische Krise weiter bestehen. Dies zeigt sich in der Rückkehr der offenen Krise 1967-1968. Seitdem ist die Bourgeoisie, von Konjunkturpaketen bis hin zu tieferen Rezessionen, in einer Flucht nach vorn in die grenzenlose Verschuldung gefangen und versucht, die Auswirkungen des historischen Bankrotts ihres Systems ständig aufzuschieben. Die weltweite Verschuldung wird immer massiver – in absoluten Zahlen, aber auch im Vergleich zur Entwicklung des Welt-BIP. Parallel zu dieser rasanten Entwicklung haben die zentralen Länder die Organisation der Weltwirtschaft verändert:
Heute hat die Bourgeoisie immense Erfahrungen angehäuft, um die Auswirkungen ihrer historischen Krise zu verlangsamen, um deren Qualen noch weiter zu verlängern. Wir müssen daher mit unseren Prognosen äußerst vorsichtig sein und uns vor jeder katastrophistischen Sichtweise hüten. In der gegenwärtigen Verschärfung der Weltwirtschaftskrise sind es vor allem die großen historischen Grundtendenzen, die wir hervorheben müssen.
Ab 1929 lernte die Bourgeoisie, ihre verfallende Wirtschaft am Leben zu erhalten, insbesondere durch "internationale Zusammenarbeit". Selbst 2008 haben die berühmten G20 diese Fähigkeit der großen Bourgeoisien gezeigt, einen gewissen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten, um die Krise mit dem geringstmöglichen Schaden zu bewältigen. Das Jahr 2020 ist ein Zeichen dafür, dass es immer schwieriger wird, diese Organisierung der Welt aufrechtzuerhalten, wobei die Irrationalität, die mit dem Zerfall verbunden ist, selbst auf den höchsten Staatsgipfeln auffällt. Der Ansatz "Jeder für sich selbst", der bei der katastrophalen Bewältigung der Pandemie zu Tage trat, ist deren spektakulärster Ausdruck. Diese Zentrifugalkraft hat zwei Wurzeln:
Was wir sehen, ist, dass sich als Reaktion auf die Pandemie das Tempo bei den Maßnahmen für die "nationale Zurückverlagerung" der Produktion, die Erhaltung der Schlüsselsektoren in jedem nationalen Kapital, die Entwicklung von Barrieren für den internationalen Waren- und Personenverkehr, usw. beschleunigt hat, was nur sehr schwerwiegende Folgen für die Entwicklung der Weltwirtschaft und die allgemeine Fähigkeit der Bourgeoisie, auf die Krise zu reagieren, haben kann. Der nationale Rückzug kann die Krise nur verschärfen und zu einer Zersplitterung der Produktionsketten führen, die zuvor eine globale Dimension hatten, was wiederum nur die Saat des Chaos in der Geld-, Finanz- und Handelspolitik säen kann ... Das kann bis zur Blockade und sogar zum teilweisen Zusammenbruch einiger Volkswirtschaften gehen. Es ist noch zu früh, um die Folgen dieser relativen Lähmung des Wirtschaftssystems zu ermessen. Am schwerwiegendsten und bedeutsamsten ist jedoch, dass sich diese Lähmung auf internationaler Ebene vollzieht.
Die gegenwärtige Beschleunigung der Weltwirtschaftskrise ist Teil der allgemeinen Entwicklung der Dekadenz des Kapitalismus. Abgesehen von den sichtbaren Phänomenen, die mit der gegenwärtigen "offenen Krise" verbunden sind, ist es für uns wichtig, die Verstärkung der tiefen Widersprüche des Kapitalismus und damit die Verschärfung seiner historischen Krise besser zu verstehen.
Bezüglich der Wirtschaftskrise können wir die folgenden zwei Perspektiven klar unterstreichen:
Doch über die Gültigkeit dieser allgemeinen Vorhersagen hinaus, wird die beispiellose Situation, die sich eröffnet hat, mehr denn je von großer Unsicherheit geprägt sein. Genauer gesagt, in der gegenwärtigen Phase der historischen Krise der Überproduktion bringt das Eindringen des Zerfalls auf das wirtschaftliche Terrain die Mechanismen des Staatskapitalismus, die die Auswirkungen der Krise begleiten und begrenzen sollen, zutiefst durcheinander. Dennoch es wäre falsch und gefährlich, den Schluss daraus zu ziehen, dass die Bourgeoisie ihre politischen Fähigkeiten nicht voll ausschöpfen wird, um im besten Interesse ihrer eigenen Interessen auf die sich abzeichnende globale Wirtschaftskrise zu reagieren. Die Verschärfung des Gewichts des Zerfalls bedeutet darüber hinaus einen Faktor der Instabilität und Fragilität des wirtschaftlichen Funktionierens, der es besonders schwierig macht, die Entwicklung der Situation zu analysieren.
In der Vergangenheit haben wir unsere Augen zu oft nur auf die Aspekte der Situation gerichtet, welche die wirtschaftliche Krise des Kapitals zu ihrer unaufhaltsamen Verschärfung trieben, aber nicht alle Faktoren die ihre Entwicklung behinderten ausreichend berücksichtigt. Nun geht es darum, der marxistischen Analysemethode treu zu bleiben, die darin besteht, die historisch schwerwiegenden Tendenzen der sich eröffnenden Perspektiven, aber auch die Gegentendenzen zu identifizieren, auf die die Bourgeoisie bald reagieren wird. Wir müssen daher so klar wie möglich die Grundzüge der künftigen Entwicklung aufzeigen, ohne in riskante und unsichere Prognosen zu verfallen. Wir müssen uns für die Situation wappnen und sicherstellen, dass wir unsere Fähigkeit zur schnellen Reflexion und Reaktion auf Ereignisse von großer Bedeutung, die sich zwangsläufig weiterentwickeln werden, verbessern und umsetzen. Unsere Methode muss von folgendem Ansatz inspiriert sein: "Der Marxismus kann nur die allgemeinen historischen Linien und Tendenzen mit Sicherheit nachzeichnen. Die Aufgabe der revolutionären Organisationen muss vor allem die sein, Perspektiven für ihr Eingreifen in die Klasse aufzuzeigen. Aber diese Perspektiven dürfen keine "Vorhersagen" sein, die auf deterministischen mathematischen Modellen basieren (und noch weniger, indem man die Vorhersagen der "Experten" der Bourgeoisie für bare Münze nimmt, sei es im Sinne eines falschen "Optimismus" oder eines ebenso mystifizierenden "Alarmismus")." (Zitat aus einem internen Diskussionsbeitrag)
Die Krise von 2008 war ein wichtiger Moment für den Kapitalismus. Die Erholung (2013-2018) war sehr schwach, die schwächste seit 1967. Sie wurde von der Bourgeoisie als "sanfte" Erholung beschrieben. Für das Jahrzehnt vor der Covid-19-Krise (2010-2020), schätzte die Website Cycle Business Bourse auf anscheinend realistische Weise das weltweite Wachstum auf etwas weniger als 3% im Jahresdurchschnitt ein. Die Wirtschaftskrise, die mit der Pandemie zutage trat, hat insbesondere ab 2018 bereits erste deutliche Ausdrucksformen gefunden. Wir hatten dies im Bericht und in der Resolution über die internationale Lage des 23. Kongresses der IKS (2019) hervorgehoben: "Auf wirtschaftlicher Ebene ist die Situation des Kapitalismus seit Anfang 2018 durch eine starke Verlangsamung des weltweiten Wachstums gekennzeichnet (von 4% im Jahr 2017 auf 3,3% im Jahr 2019), aufgrund derer die Bourgeoisie eine weitere Verschlechterung in den Jahren 2019-20 erwartet. Diese Verlangsamung erwies sich 2018 als stärker wie erwartet, und der IWF musste seine Prognosen für die nächsten zwei Jahre zurückschrauben, und sie betrifft praktisch alle Teile des Kapitalismus gleichzeitig: China, die Vereinigten Staaten und die Eurozone. Im Jahr 2019 haben sich 70% der Weltwirtschaft verlangsamt, insbesondere in den „fortgeschrittenen“ Ländern (Deutschland, Vereinigtes Königreich). Einige der Schwellenländer befinden sich bereits in der Rezession (Brasilien, Argentinien, Türkei), während China, das sich seit 2017 verlangsamt und 2019 voraussichtlich noch um 6,2% wachsen wird, die niedrigsten Wachstumsraten seit 30 Jahren verzeichnet." (Punkt 16 der Resolution[5])
Vor diesem Hintergrund des sich verlangsamenden Wachstums ist die Pandemie zu einem starken Beschleuniger der Wirtschaftskrise geworden, der drei Faktoren in den Vordergrund rückt:
Wichtigster Ausdruck der Schwere der Krise ist, dass (anders als 2008) die zentralen Länder (Deutschland, China und vor allem die Vereinigten Staaten) am stärksten betroffen sind. Auch wenn sie alle Mittel haben, die Krise abzufedern, wird die Schockwelle die Weltwirtschaft stark destabilisieren.
Der starke Rückgang der Ölpreise traf die Vereinigten Staaten hart: Vor Ausbruch der Pandemiekrise gab es einen "Ölpreiskrieg". Infolgedessen wurden die Ölpreise vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte negativ. Selbst die optimistischsten Energieanalysten sagen den Bankrott von nahezu hundert Ölfirmen in den Vereinigten Staaten voraus. Einige von ihnen haben Schulden in Milliardenhöhe angehäuft, ein Großteil davon mit hohem Risiko: "Der erste Gefahrenherd bei der Verschuldung von Unternehmen ist der Energiebereich", sagt Capital Economics, obwohl Macadam dies nicht für ein systemisches Risiko hält. Aber eine Kette von Zahlungsausfällen im Ölsektor würde das Risiko einer Finanzkrise erhöhen. Und wenn einer der am höchsten verschuldeten Ölgiganten der Welt – Shell zum Beispiel hat mit 77 Milliarden US-Dollar eine der höchsten Schulden der Welt – in Schwierigkeiten geraten würde, wären die Auswirkungen verheerend." [6]
Diese negativen Preise sind ein perfektes Beispiel für den Grad der Irrationalität des Kapitals. Überproduktion von Öl und ungezügelte Spekulation in diesem Sektor bedeuten, dass die Ölbesitzer dafür bezahlen, überschüssiges Öl loszuwerden, das nicht gelagert werden kann, weil es keinen Platz dafür gibt.
Während 2008 die Bankenzusammenbrüche vor allem durch Immobilienspekulation vorangetrieben wurden, sind es heute die direkt produktiven Unternehmen, die den Bankensektor gefährden: "Die vier größten US-Unternehmen, JP Morgan, Bank of America, Citigroup und Wells Fargo, haben laut Statista allein im Jahr 2019 jeweils mehr als 10 Milliarden Dollar in den Ölfracking-Sektor investiert. Und nun sind diese Ölfirmen ernsthaft gefährdet, zahlungsunfähig zu werden, so dass die Banken mit Papierkram in ihren Bilanzen zurückbleiben (...) Laut Moody's wurden 91% der US-Unternehmenskonkurse im letzten Quartal des vergangenen Jahres im Öl- und Gassektor verzeichnet. Die von Energy Economics and Financial Analysis zur Verfügung gestellten Daten weisen darauf hin, dass Unternehmen, die Fracking [besonders „ehrgeizige“ Öl- und Gasgewinnung durch Einpumpen von Material in erdölhaltige Gesteinsschichten] betreiben, im vergangenen Jahr nicht in der Lage waren, Schulden in Höhe von 26 Milliarden Dollar zu bezahlen."[7] Mit der Pandemie verschlimmert sich die Situation ernsthaft: "Rystad Energy Consulting schätzt, dass selbst bei einer Rückgewinnung der 20 Dollar pro Barrel bis 2021 533 US-amerikanische Ölfirmen zahlungsunfähig werden könnten. Aber wenn die Preise bei 10 Dollar bleiben, könnte es über 1.100 Konkurse geben, mit praktisch allen Unternehmen." [8]
Der Kapitalismus – in der Form des Staatskapitalismus – unternimmt enorme Anstrengungen, um die lebenswichtigen Zentren des Systems zu schützen und einen brutalen Absturz zu verhindern, wie es im Bericht zur Wirtschaftskrise des 23. Internationalen Kongresses der IKS heißt: "Indem er sich auf die Hebel des Staatskapitalismus verlässt und die Lehren aus 1929 zieht, ist der Kapitalismus in der Lage, seine lebenswichtigen Zentren (insbesondere die Vereinigten Staaten und Deutschland) zu erhalten, die Krise zu begleiten und ihre Auswirkungen abzuschwächen, indem er sie in die schwächsten Länder zurückdrängt, ihr Tempo verlangsamt und sie zeitlich hinauszieht."
Der Staatskapitalismus hat verschiedene Phasen durchlaufen, mit denen wir begonnen haben, uns zu befassen, insbesondere bei einem Studientag im Jahr 2019. Seit 1945 haben die Bedürfnisse der imperialistischen Blöcke eine gewisse Koordinierung der staatlichen Verwaltung der Wirtschaft auf internationaler Ebene, insbesondere im amerikanischen Block, mit der Schaffung internationaler "Kooperations"-Gremien (OECD, IWF, Beginn der EU) und der Handelsorganisation (GATT) erzwungen.
In den 1980er Jahren versuchte das Kapital der zentralen Länder, überwältigt vom Anstieg der Krise und unter einem starken Rückgang der Profite leidend, ganze Produktionsbereiche in Länder zu verlagern, in denen die Arbeitskraft viel billiger war, wie zum Beispiel China. Zu diesem Zweck bedurfte es einer sehr weitreichenden finanziellen "Liberalisierung" auf globaler Ebene, um Kapital für die notwendigen Investitionen zu mobilisieren. In den 1990er Jahren, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, wurden die internationalen Gremien gestärkt, was zu einer Struktur der "internationalen Zusammenarbeit" bei der währungs-, finanz- und wirtschaftspolitischen Koordinierung, dem Aufbau internationaler Produktionsketten, der Stimulierung des Welthandels und der Beseitigung von Zollschranken usw. führte. Dieser Rahmen sollte den stärksten Ländern zugute kommen: Sie konnten neue Märkte erobern, ihre Produktion verlagern und einige der profitabelsten Unternehmen aus den schwächeren Ländern übernehmen. Letztere waren gezwungen, ihre eigene staatliche Politik zu ändern. Die Verteidigung des nationalen Interesses betraf fortan nicht mehr den Zollschutz von Schlüsselindustrien, sondern vielmehr die Entwicklung der Infrastruktur, die Ausbildung der Arbeitskräfte, die internationale Expansion von Schlüsselunternehmen, die Einnahme internationaler Investitionen usw. Letztere waren gezwungen, ihre eigene staatliche Politik zu ändern.
Zwischen 1990 und 2008 gab es "eine umfassende Reorganisation der kapitalistischen Produktion auf globaler Ebene (...) Nach dem Beispiel der EU bei der Beseitigung von Zollschranken zwischen den Mitgliedstaaten wurde die Integration vieler Zweige der Weltproduktion durch die Entwicklung echter Produktionsketten auf globaler Ebene verstärkt. Durch die Kombination von Logistik, Informationstechnologie und Telekommunikation, werden Größenvorteile erzielt; durch die verstärkte Nutzung der Arbeitskraft des Proletariats (durch erhöhte Produktivität, internationalen Wettbewerb, Freizügigkeit der Arbeitskräfte, um niedrigere Löhne durchzusetzen), die Unterordnung der Produktion unter die finanzielle Logik der maximalen Rentabilität hat der Welthandel, wenn auch in geringerem Maße, weiter zugenommen, die Weltwirtschaft stimuliert und einen „zweiten Atemstoß“ erzeugt, der die Existenz des kapitalistischen Systems verlängert hat." (Punkt 18 der bereits zitierten Resolution des 23. Internationalen Kongresses)
Diese "internationale Zusammenarbeit" war eine sehr riskante und kühne Politik, um die Krise zu mildern und einige der Auswirkungen des Zerfalls auf die Wirtschaft abzuschwächen. Dies, indem versucht wurde, die Auswirkungen des kapitalistischen Widerspruchs zwischen dem sozialen und globalen Charakter der Produktion und dem privaten Charakter der Aneignung von Mehrwert durch konkurrierende kapitalistische Nationen zu begrenzen. Eine solche Entwicklung des dekadenten Kapitalismus wird in unserer Broschüre über die Dekadenz erklärt, in der sie die Vision kritisiert, Dekadenz sei gleichbedeutend mit einer definitiven und dauerhaften Blockade der Entwicklung der Produktivkräfte: "Falls wir die Hypothese eines endgültigen und ständigen Stillstands dieser Entwicklung verteidigten, könnte nur eine "absolute" Verschärfung der Beschränkungen, den die Produktionsverhältnisse darstellen, die Tendenz zur eindeutigen Zuspitzung dieses Widerspruchs erklären. Man kann jedoch feststellen, dass die Bewegung, die sich im Allgemeinen während der verschiedenen Dekadenzzeiträume der Geschichte (der Kapitalismus eingeschlossen) entwickelt, eher zu einer Ausdehnung der Grenzen bis zu deren ‘Äußerten’ neigt als zu einem Schrumpfen derselben. Unter dem Schutz des Staates und unter dem Druck der wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten dehnt sich das Gehäuse aus, indem es alles von sich stößt, was sich für die Produktionsverhältnisse als überflüssig erweisen kann und für das Überleben des Systems nicht unbedingt notwendig ist." Dies gilt umso mehr für den Kapitalismus, die bisher elastischste und dynamischste Produktionsweise in der Geschichte.
Wie aus dem Bericht über die Wirtschaftskrise und der Resolution über die internationale Lage des 23. Kongresses hervorgeht, begann diese "weltweite Organisation der Produktion" im Jahrzehnt 2010 ins Wanken zu geraten: Nachdem China in hohem Maße von den Welthandelsmechanismen (der WTO) profitiert hatte, begann es, einen parallelen Wirtschafts-, Handels- und imperialistischen Mechanismus (die neue Seidenstraße) zu entwickeln. Der Handelskrieg beschleunigte sich mit der Machtübernahme von Trump ... Diese Phänomene bringen zweifellos zum Ausdruck, dass der Kapitalismus bei seiner Tendenz, diese berühmten Grenzen, die in unserer Broschüre über die Dekadenz zitiert werden, zu erweitern, zunehmend auf große Schwierigkeiten stößt.
"Seit den 1960er Jahren befindet sich dieser Indikator [der das Gewicht der Exporte und Importe in den einzelnen Volkswirtschaften misst] in einem Aufwärtstrend, der sich in den letzten 18 Monaten verlangsamt hat. In diesem Zeitraum hat er sich, ausgehend von etwa 23 Prozent, bei etwa 60 Prozent stabilisiert und ist seit 2010 stetig zurückgegangen."[9]
Drei Faktoren, die den Ursprung der Pandemiekrise bilden, beschreiben die Auswirkungen des Zerfalls auf die Ökonomie: die Tendenz des „Jeder-für-sich“, Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit. Zwei von ihnen haben ihren direkten Ursprung im Zerfall des Kapitalismus: das „Jeder-für-sich“ und die Verantwortungslosigkeit. Dies sind sehr sensible Faktoren, die die Bourgeoisie – zumindest in den zentralen Ländern – so weit wie möglich unter Kontrolle zu bringen vermochte, wenn auch mit zunehmenden Schwierigkeiten. Im gegenwärtigen Stadium der Entwicklung der inneren Widersprüche des Kapitalismus und angesichts der Art und Weise, wie sie sich in der Entwicklung der Krise manifestieren, wird die Explosion der Auswirkungen des Zerfalls nun zu einem Faktor der Verschärfung der Weltwirtschaftskrise, von der wir nur die allerersten Konsequenzen gesehen haben. Dies wird auf der Weiterentwicklung der Krise lasten, da es ein Hindernis für die effektive Wirksamkeit der gegenwärtigen Politik des Staatskapitalismus darstellt. "Im Vergleich zu den Reaktionen auf die Krisen von 1975, 1992, 1998 und 2008 sehen wir als Perspektive eine erhebliche Verringerung der Fähigkeit der Bourgeoisie, die Auswirkungen des Zerfalls auf das wirtschaftliche Terrain zu begrenzen. Bisher war es der Bourgeoisie gelungen, durch eine "internationale Zusammenarbeit" bei den Mechanismen des Staatskapitalismus – was als "Globalisierung" bezeichnet wurde – das lebenswichtige Terrain der Wirtschaft und des Welthandels vor den hochgefährlichen zentrifugalen Effekten des Zerfalls zu bewahren. Bei den schlimmsten wirtschaftlichen Erschütterungen der Jahre 2007-2008 und 2009-2011, mit der "Staatsschulden"-Krise, war die Bourgeoisie in der Lage, ihre Reaktionen zu koordinieren, was dazu beigetrug, den Schlag der Krise ein wenig abzumildern und eine anämische "Erholung" in der Phase 2013-2018 zu garantieren." (aus einem internen Beitrag in der IKS zur Wirtschaftskrise)
Mit der Pandemie haben wir gesehen, wie die Bourgeoisie versucht, die Bevölkerung hinter dem Staat zu vereinen, indem sie die nationale Einheit wiederbelebt. Im Gegensatz zu 2008, als die nationalistische Tonlage nicht so stark war, haben jetzt die Bourgeoisien auf der ganzen Welt ihre Grenzen geschlossen und die Botschaft verbreitet: "Hinter nationalen Grenzen findet man Schutz, Grenzen helfen, das Virus zurückzuhalten." Auf diese Weise versuchen die verschiedenen Staaten, die Bevölkerung hinter sich zu scharen; sie sprechen überall in martialischen Begriffen und Botschaften: "Wir sind im Krieg, und Krieg braucht nationale Einheit", "der Staat wird euch helfen", "wir werden euch aus der Patsche helfen", "indem wir die Grenze schließen, werden wir das Virus fernhalten". Durch die Auferlegung von Notfallplänen und durch die Organisation von Schließungen wollen die Staaten die Botschaft vermitteln: "Ein starker Staat ist dein bester Verbündeter."
Die WHO war genau in dem Moment völlig untätig, als ihr Handeln für die Entwicklung wirksamer medizinischer Maßnahmen entscheidend war. Jeder Staat, der einen Verlust der Wettbewerbsposition befürchtet, hat angesichts der Pandemie selbstmörderisch Maßnahmen verzögert. Bei der Beschaffung medizinischer Geräte kam es zu einem erschütternden Schauspiel aller Arten von Diebstählen, zu miesen Geschäften zwischen den Staaten (und sogar innerhalb der einzelnen Staaten). In der EU, wo die "zwischenstaatliche Zusammenarbeit" bisher so weit wie möglich gegangen war, gab es eine ungebremste Welle von Protektionismus und wirtschaftlichem „Jeder-für-sich“. Die EU hat nicht nur keine rechtliche Möglichkeit, ihre Vorgaben im Gesundheitssektor durchzusetzen, sondern vor allem hat jedes Land Maßnahmen ergriffen, um seine Grenzen und seine Versorgungsketten zu verteidigen. Wir waren, wenn auch nicht zum ersten Mal, Zeug*innen einer regelrechten Warenblockade, der Beschlagnahmung von Gesundheitsausrüstung und eines Verbots, diese in andere europäische Länder zu liefern.
All dies ist eine noch gravierendere Veranschaulichung der Perspektive, die in der Resolution über die internationale Lage des letzten Internationalen Kongresses dargelegt wurde: „Die aktuelle Entwicklung der Krise durch die zunehmenden Störungen, die sie in der Organisation der Produktion zu einer riesigen multilateralen Konstruktion auf internationaler Ebene erleidet, die durch gemeinsame Regeln vereinheitlicht sein sollten, zeigt die Grenzen der „Globalisierung“. Das ständig wachsende Bedürfnis nach Einheit (was nie etwas anderes bedeutet hat als die Auferlegung des Gesetzes des Stärkeren auf die Schwächsten) einer aufgrund der „transnationalen“ Verflechtung stark nach Ländern segmentierten Produktion (in Einheiten, die grundsätzlich durch Wettbewerb getrennt sind und in denen jedes Produkt an einem Ort entworfen und mit Hilfe von Elementen, die anderswo hergestellt werden, an einem dritten Ort zusammengebaut wird) stößt sich am nationalen Wesen jedes Kapitals, an die Grenzen des Kapitalismus, der unwiderruflich in sich gegenseitig konkurrierende Nationen aufgeteilt ist. Dies ist der maximale Grad der Einheit, den die bürgerliche Welt nicht aufheben kann. Die sich vertiefende Krise (sowie die Forderungen der imperialistischen Rivalität) stellen multilaterale Institutionen und Mechanismen auf eine harte Probe.“ (Punkt 20) Wir sehen, dass als Antwort auf die Pandemie die Maßnahmen der "nationalen Produktionsrückverlagerung", des Erhalts von Schlüsselsektoren in jedem nationalen Kapital, der Entwicklung von Barrieren für den internationalen Waren- und Personenverkehr usw. sehr deutlich zurückgedrängt sind, was nur schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung der Weltwirtschaft und auf die allgemeine Fähigkeit der Bourgeoisie, auf die Krise zu reagieren, haben kann. Der nationale Rückzug kann die Krise nur verschlimmern und zu einer Zersplitterung der Produktionsketten führen, die zuvor eine globale Dimension hatten, was nur die Saat des Chaos in der Währungs-, Finanz- und Handelspolitik säen kann ... Dies kann zur Blockade und sogar zum teilweisen Zusammenbruch einiger Volkswirtschaften führen. Es ist noch zu früh, um die Folgen dieser relativen Lähmung des Wirtschaftsapparates zu messen. Am schwerwiegendsten und bedeutsamsten ist jedoch, dass sich diese Lähmung auf internationaler Ebene vollzieht.
Die weit verbreitete Reaktion des Staates auf die Pandemie verdeutlicht die Stichhaltigkeit der Analyse im Bericht zur Wirtschaftskrise des 23. Kongresses: "Einer der größten Widersprüche des Kapitalismus ist der, der sich aus dem Konflikt zwischen der zunehmend globalen Natur der Produktion und der notwendigerweise nationalen Struktur des Kapitals ergibt. Indem er die Möglichkeiten der "Zusammenschlüsse" der Nationen auf wirtschaftlicher, finanzieller und produktiver Ebene bis an die Grenzen ausreizt, hat der Kapitalismus in seinem Kampf gegen die Krise, die ein Wundbrand ist, einen bedeutenden "frischen Wind" bekommen, aber gleichzeitig hat er sich selbst in eine riskante Situation gebracht. Dieser überstürzte Vorstoß in den Multilateralismus entwickelt sich in einem Rahmen des Zerfalls, d.h. in einer Situation, in der Disziplinlosigkeit, zentrifugale Tendenzen, Verankerung in der nationalen Struktur immer stärker werden und nicht nur Fraktionen jeder nationalen Bourgeoisie betreffen, sondern auch große Teile der Kleinbourgeoisie und sogar Randgruppen von Proletariern, die fälschlicherweise glauben, dass ihr Interesse der Nation gilt. All dies kristallisiert sich zu einer Art "nihilistischem nationalistischem Aufstand" gegen die "Globalisierung".“
Wir werden die von der Bourgeoisie eingeleitete Reaktion untersuchen, die sich in 3 Teile gliedert: 1. die Fortsetzung der enormen Verschuldung, 2. der nationale Rückzug, 3. der brutale Angriff auf die Lebensbedingungen der Arbeiter.
Die weltweite Verschuldung belief sich im Jahr 2020 auf 255 Billionen Dollar oder 322% des Welt-BIP, während sie vor der Krise von 2008 bei 60 Billionen Dollar lag. Seitdem hat sich das Welt-BIP nur relativ "sanft" entwickelt. Hier haben wir ein Bild der Entwicklung der privaten und öffentlichen Verschuldung in den letzten dreizehn Jahren, die es ermöglicht hat, das, was die Bourgeoisie als "sanftes" Wachstum bezeichnet hat, aufrechtzuerhalten. Angesichts der gewaltigen Beschleunigung der Wirtschaftskrise, die durch die Pandemie ausgelöst wurde, hat die Bourgeoisie überall auf der Welt mit der Schöpfung von zusätzlichem Geld durch die Zentralbanken aller Industrie- und Schwellenländer reagiert. Im Gegensatz zur Krise von 2008 gab es keine Koordination zwischen den großen Zentralbanken der Welt. Diese massive Schaffung von Zentralbankgeld und die Verschuldung entsprachen der Angst, die die bürgerliche Klasse angesichts des Ausmaßes der Rezession, die sich vor ihr aufzutun schien, überkam. Nimmt man einen Durchschnitt der von der Bourgeoisie Ende Mai genannten Zahlen, so ergeben sich folgende Prognosen für einen Wachstumsrückgang:
Nimmt man die niedrigste Hypothese der Bourgeoisie und das Ausbleiben einer zweiten Welle der Pandemie, so dürfte das weltweite Wachstum im Jahr 2020 einen starken Rückgang von mindestens 3% erfahren, einen viel stärkeren Rückgang als während der Krise 2008-2009.
Hier ist eine Zusammenfassung der unsicheren Aussichten des IWF (die im Durchschnitt der von offiziellen Stellen auf internationaler Ebene erstellten Prognosen liegen):
Länder 2019 2020
Entwickelte Länder 2,9 -3
Eurozone 1,7 -6,1
Deutschland 0,6 -7
Frankreich 1,3 -7,2
Italien 0,3 -9,1
Spanien 2 -8
Japan 0,7 -5,2
GB 1,4 -6,5
China 6,1 1,2
Indien 4,2 1,9
Brasilien 1,1 -5,3
Russland 1,3 -5,5
Weltweiter Durchschnitt 2,4 -4,2
Volumen des Welthandels 2019 2020
Importe der fortgeschrittenen Länder 1,5 -11,5
Importe der Schwellen- und Entwicklungsländer 0,8 -8,2
Exporte der Schwellen- und Entwicklungsländer 0,8 -9,6
Diese Tabellen geben nicht nur einen Überblick über den voraussichtlichen Rezessionsverlauf, sondern auch über die erwartete Schrumpfung des Welthandels.
Eine Synthese der Diskussion innerhalb unserer Organisation nennt die folgenden anschaulichen Zahlen: "Die Situation ist nur deshalb haltbar, weil die Staatsschulden und ihre Rückzahlung von den Zentralbanken übernommen werden; so spritzt die Fed wöchentlich 625 Milliarden Dollar in die US-Wirtschaft, während der 2009 gestartete Paulson-Plan zur Eindämmung von Bankzusammenbrüchen insgesamt 750 Milliarden Dollar betrug (obwohl es stimmt, dass in den folgenden Jahren weitere Pläne zum Rückkauf von Schulden durch die Fed auf den Weg gebracht werden)". "Die auffälligste Reaktion von allen kam aus Deutschland, obwohl sie nur Teil einer umfassenderen europäischen Reaktion auf die Beschleunigung der Wirtschaftskrise ist. Der Grund, warum die von der deutschen Regierung geplanten Maßnahmen von besonderer Bedeutung sind, wird in einem Artikel in der Financial Times vom Montag, dem 23. März, erläutert: "Die von Finanzminister Olaf Scholz vorgeschlagenen Maßnahmen stellen einen entscheidenden Bruch mit dem strikten Festhalten der Regierung an der Politik der 'schwarzen Null' dar, die Haushalte auszugleichen und keine neuen Kredite aufzunehmen."[10] "Seit Februar wurden 14 Billionen Dollar freigegeben, um den Zusammenbruch zu verhindern. All dies in einem völlig anderen Kontext als in der Vergangenheit. Wie kann diese "expansionistische" Politik – die die Unterschiede zwischen Zentralbanken und Staaten, dem Aufschwung, den Rettungsplänen überwunden hat – wirksam sein?"[11] Ein weniger bekanntes Beispiel betrifft China, das eines der am höchsten verschuldeten Länder der Welt ist, obwohl es über bedeutende, nicht zu unterschätzende Vermögenswerte verfügt. Die Gesamtverschuldung Chinas im Jahr 2019 entspricht 300% seines BIP, oder 43 Billionen Dollar. Darüber hinaus werden 30% der Unternehmen in China als "Zombie-Unternehmen" eingestuft. Dies ist der höchste Prozentsatz der Welt. Es ist auch das Land mit der niedrigsten Auslastungsrate der Produktionskapazitäten, obwohl alle entwickelten Länder dieses Phänomen der Produktionsüberkapazitäten erleben. Offiziell lag der Auslastungsgrad der industriellen Kapazitäten der beiden führenden Mächte der Welt – und das war vor Covid-19 – in China bei 76,4% und in den Vereinigten Staaten bei 78,2%. Der in China aufgestellte Konjunkturplan werde sich auf 64 Billionen Dollar belaufen, was pharaonisch und wahrscheinlich weitgehend für ideologische Propaganda gedacht ist. Das Konjunkturpaket ist für einen Zeitraum von fünf bis zwanzig Jahren geplant, und unabhängig davon, wie die Realität aussieht, muss es unbedingt mit Chinas wirtschaftlichen und imperialistischen Hegemoniezielen verknüpft werden. Das Konjunkturpaket der Vereinigten Staaten beläuft sich auf 10 Billionen Dollar. Im Vergleich dazu erscheint das Konjunkturprogramm der EU geradezu lächerlich, wenn man bedenkt, dass es sich nach neuesten Informationen auf 1290 Milliarden US-Dollar in Form von Krediten beläuft, die zum Teil von den Finanzmärkten und zum Teil direkt von der EZB finanziert werden. In Wirklichkeit beläuft sich das Geld, das die EZB der gesamten Wirtschaft, den Privatbanken, der versteckten Finanzierung und den Unternehmen zur Verfügung stellt, auf mehrere Milliarden Euro. Die Staaten, insbesondere Deutschland, garantieren einen Teil dieses Plans durch Subventionen und die Vergemeinschaftung des Ausfallrisikos auf Darlehen, die zwischen 2028 und 2058 zurückzuzahlen sind! In Wirklichkeit ist die Bourgeoisie dabei einzugestehen, dass ein großer Teil der weltweiten Schulden niemals zurückgezahlt werden wird. Damit sind wir wieder bei den Aspekten angelangt, über die wir jetzt sprechen werden.
Wir können in diesem Bericht weder über das volle Ausmaß der laufenden Geldschöpfung berichten, noch können wir alle Konjunkturprogramme im Einzelnen darlegen. Eine weitere Realität zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels: Die USA liegen bei 10 Billionen Dollar. Während all dies jenseits aller Vorstellungskraft zu liegen scheint, bleibt die Tatsache bestehen, dass der Kapitalismus diese astronomische Geldschöpfung nutzt, um zu investieren und seine Waren zu verkaufen. Unter diesem Gesichtspunkt muss die zentrale und private Geldschöpfung exponentiell wachsen (in verschiedenen Formen), um die Akkumulation so weit wie möglich aufrechtzuerhalten und in der gegenwärtigen Situation den Absturz in die Depression zu verlangsamen. Diese Depression birgt die Gefahr einer Deflation, vor allem aber die Gefahr einer Stagflation. Die Abwertung der Währungen, auch über den aktuellen Währungskrieg hinaus, der sie begünstigt, ist Teil der Krise des Kapitalismus. Die Beschleunigung der gegenwärtigen Krise ist ein sehr bedeutender Schritt in diese Richtung. Der springende Punkt ist der folgende: In jedem Land, und in immer größerem Maße, verpfändet das globale Kapital den zukünftigen Wert, der produziert und realisiert werden soll, um das gegenwärtige Wachstum und die weitere Akkumulation zu ermöglichen. Es ist also weitgehend dieser Erwartung zu verdanken, dass es dem Kapitalismus gelingt, zu kapitalisieren und zu investieren. Dieser Prozess konkretisiert die Tatsache, dass die kolossalen Schulden, die ausgegeben werden, immer weniger durch den bereits produzierten und realisierten Mehrwert gedeckt werden. Dies eröffnet die Aussicht auf immer größere Finanz-Crashs und die Vernichtung von Finanzkapital. Logischerweise impliziert dieser Prozess, dass der Binnenmarkt für Kapital nicht unendlich wachsen kann, auch wenn es keine feste Grenze dafür gibt. In diesem Rahmen stellt die Krise der Überproduktion im gegenwärtigen Stadium ihrer Entwicklung ein Problem der Rentabilität und des Profits für den Kapitalismus dar. Die Bourgeoisie schätzt, dass etwa 20% der Produktivkräfte der Welt nicht genutzt werden. Die Überproduktion von Produktionsmitteln ist besonders augenfällig und betrifft Europa, die Vereinigten Staaten, Indien, Japan, usw.
Das ist wichtig, wenn wir feststellen wollen, wie der Staatskapitalismus angesichts der kommenden Krise unbedingt gestärkt werden muss, wie aber die Konjunkturprogramme sehr starke Einschränkungen enthalten und zunehmend perverse Effekte eindämmen, und wie die Tendenz des „Jeder-für-sich“ in diesem Zusammenhang das Produkt des Zerfalls, aber auch der wachsenden wirtschaftlichen Sackgasse ist, eine Tendenz, der sich der Kapitalismus nicht entziehen kann, die aber auch historisch eine tödliche Dynamik darstellt. In diesem Sinne wird es in der kommenden Periode wichtig sein, die Geschichte der offenen Krisen des Kapitalismus zu studieren und zu vergleichen. Insbesondere jene von 1929, 1945, 1975, 1998, 2008.
Die Situation, die sich mit der sehr tiefgreifenden Beschleunigung der gegenwärtigen Krise eröffnet, rückt die Rolle der Staaten (und damit ihrer Zentralbank, denn der Mythos von der Unabhängigkeit der Zentralbank ist vorbei) wieder in den Vordergrund. Es wird interessant sein zu zeigen, wie die Wirtschaftspolitik, die Rolle der Staaten und der Keynesianismus in den 1930er und 1945 in der Praxis aussahen. Dies, um den Unterschied zur Art und Weise zu zeigen, wie die Bourgeoisie im Jahr 2008 reagiert hat. Während dieser Periode gibt es Unterschiede von sehr großer Bedeutung, z.B. die Existenz von extrakapitalistischen Märkten und Zonen, aber auch das Ausmaß der Weltwirtschaft und der großen imperialistischen und ökonomischen Mächte, sowie die Frage der Blöcke, usw. In der heutigen Krise bestehen die Sanierungspläne jedoch in Form von Staatsdefiziten und Staatsverschuldung und nicht, wie in den 1930er und 1940er Jahren, als man zum größten Teil den bereits realisierten und gehorteten Mehrwert anzapfte, zu dem ein Teil an Schulden hinzukam, der mit den heutigen nichts mehr gemein hat. Die derzeitigen Sanierungspläne werden sich als zunehmend schwierig zu finanzieren erweisen, da die Höhe der Schulden, die sie erfordern, von dem Wachstum, das sie generieren werden, abweichen wird. Es stellen sich jedoch eine Reihe von Fragen.
Die Lehren aus der Krise von 1929 veranlassten die Bourgeoisie, trotz und gegen ihre eigene "Natur" zu einer stärkeren Zusammenarbeit überzugehen, um die Entwicklung ihrer Krise entweder durch keynesianische Politik oder durch die staatliche Orchestrierung der Globalisierung so weit wie möglich zu verlangsamen. Selbst wenn es in der gegenwärtigen Situation nun zu einer Rückkehr der keynesianischen Politik im Kontext einer wachsenden Tendenz zu einem "Jeder-für-sich"-Vorgehen kommt, wird ihre Wirksamkeit, was die eingesetzten Mittel betrifft, nicht mit früheren Perioden vergleichbar sein.
In diesem Zusammenhang müssen wir die gewichtigere Tendenz – im Vergleich zur vorhergehenden Periode – zu isolierten Reaktionen der Bourgeoisie auf nationaler Ebene beobachten. So zum Beispiel die neue Tendenz, Grenzen zu schließen, um den Transport von Passagieren von einem Kontinent zum anderen zu stoppen – oder nationale Grenzen zu schließen, als ob das Virus die nationale Isolation „respektieren“ würde. All dies ist viel mehr Ausdruck von Ohnmacht und einer bestimmten Grundhaltung als eine wissenschaftlich fundierte Entscheidung, das Virus unter Quarantäne zu stellen und in Schach zu halten. Warum besteht eigentlich ein größeres Risiko, sich das Virus in einem internationalen Zug zwischen Stuttgart und Paris einzufangen als in einem nationalen Zug zwischen Stuttgart und Hamburg? Die Schließung der nationalen Grenzen ist nicht hilfreich, sie drückt die "Grenzen" der Mittel der Bourgeoisie aus.
Die Rückverlagerung der Produktion in zentrale Länder nimmt mit der Pandemie zu. So haben 218 europäische Unternehmen beschlossen, die Produktion aus China zurückzubringen. "Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter 12 globalen Wirtschaftszweigen haben 10 von ihnen – darunter die Automobil-, Halbleiter- und Medizingeräteindustrie – ihre Lieferketten bereits zurück verlagert, hauptsächlich aus China. Japan bietet Unternehmen 2 Milliarden Dollar an, um ihre Fabriken aus China heraus und zurück auf den japanischen Archipel zu verlagern.“[12] Und ein Präsident wie Macron, der ein Befürworter des Multilateralismus zu sein scheint, hat gesagt, dass "das 'Delegieren' von Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung 'verrückt' ist. Sein Finanzminister Bruno Le Maire ruft zum "Wirtschaftspatriotismus" auf, damit die Franzosen nationale Produkte konsumieren" (ebda.). In allen Ländern favorisieren sie lokale Wirtschaftspläne, um vorzugsweise lokale oder nationale Produkte zu konsumieren. Es ist ein Rückzug auf sich selbst, der dazu neigt, die Industrie-, Nahrungsmittel- und andere Produktionsketten zu durchbrechen, die auf globaler Ebene geschaffen wurden und die Kosten stark reduziert haben.
Die zentrifugalen Tendenzen des "Jeder-für-sich" haben ein neues Niveau erreicht, während gleichzeitig in jedem Land der Staat, jede Nationalbank gigantische Summen (im Falle Deutschlands unbegrenzt) in die Industrie gepumpt oder versprochen hat. Keine dieser Maßnahmen ist von der EZB oder dem IWF verabschiedet und harmonisiert worden. Es muss hinzugefügt werden, dass nicht nur der Populist Trump als Verfechter eines „Jeder-für-sich“ aufgetreten ist. Deutschland hat – im Einvernehmen mit den wichtigsten Parteien – ebenso gehandelt wie auch Macron. Also, populistisch oder nicht, alle Regierungen haben in die gleiche Richtung gehandelt – sie haben sich hinter nationalen Grenzen versteckt, "Jeder für sich" – mit nur einem Minimum an internationaler oder europäischer Koordination.
Die Folgen dieser Handlungen scheinen kontraproduktiv für jedes nationale Kapital und noch schlimmer für die Weltwirtschaft zu sein. "Zwischen 2007 und 2008, aufgrund einer schicksalhaften Konvergenz ungünstiger Faktoren – schlechte Ernten, steigende Öl- und Düngemittelpreise, der Biokraftstoff-Boom – schränkten 33 Länder ihre Exporte ein, um ihre "Ernährungssouveränität" zu schützen. Aber die Heilung war schlimmer als die Krankheit. Die Restriktionen haben nach Schätzungen der Weltbank die Preise für Reis (116%), Weizen (40%) und Mais (25%) erhöht (...) Das Beispiel Chinas, das als erstes Land von der Epidemie betroffen ist, lässt nichts Gutes ahnen: Bedrohungen der globalen Lieferketten haben in diesem asiatischen Land seit Anfang des Jahres bereits zu einem Anstieg der Nahrungsmittel um 15% bis 22% geführt." [13]
Die Bourgeoisie wird reagieren. Auf EU-Ebene hat Deutschland endlich die "Vergemeinschaftung der Schulden" akzeptiert, was zeigt, dass angesichts dieser Welle des Zerfalls Gegentendenzen am Werk sind. Vielleicht wird die amerikanische Bourgeoisie bei den nächsten Wahlen Trump zu Gunsten der traditionellen Demokraten, die für den "Multilateralismus"[14] sind, entlassen. Außerdem: "Am 22. April verpflichteten sich die 164 Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation (WTO), auf die 63% der weltweiten Agrar- und Lebensmittelexporte entfallen, nicht in ihre Märkte einzugreifen. Gleichzeitig unterzeichneten die Landwirtschaftsminister von 25 Ländern Lateinamerikas und der Karibik ein verbindliches Abkommen, um die Versorgung von 620 Millionen Menschen zu gewährleisten." [15]
Mit dem Plan des "ökologischen Transformationsprozesses" und der Förderung einer "grünen Wirtschaft" werden Anstrengungen für eine Reorganisation der Wirtschaft – zumindest auf EU-Ebene – unternommen. Mit der massiven Entwicklung der Telekommunikation, der Anwendung von Robotertechnik und IT, neuen und viel leichteren Materialien, Biotechnologie, Drohnen, Elektroautos usw., wird die traditionelle Schwerindustrie auf der Grundlage fossiler Brennstoffe tendenziell obsolet, auch im militärischen Bereich. Die Durchsetzung der "neuen Standards" der Wirtschaftsorganisation wird für die zentralen Länder, insbesondere für Deutschland, die Vereinigten Staaten und China, zu einem Vorteil.
Die Bourgeoisie wird mit allen Kräften gegen diese Flut der nationalen wirtschaftlichen Zersplitterung kämpfen. Aber sie steht vor der wachsenden Kraft ihres historischen Widerspruchs zwischen der nationalen Natur des Kapitals und der globalen Natur der Produktion. Diese Tendenz jeder Bourgeoisie, ihre eigene Wirtschaft auf Kosten der anderen retten zu wollen, ist eine irrationale Tendenz, die für alle Länder und für die Weltwirtschaft insgesamt katastrophal wäre (auch wenn es Unterschiede zwischen den Ländern geben wird). Die Tendenz des „Jeder-für-sich“ kann sogar unumkehrbar sein, und die Irrationalität, die damit einhergeht, stellt die Lehren, die die Bourgeoisie aus der Krise von 1929 gezogen hat, in Frage.
Wie die Plattform der Kommunistischen Internationale sagte: "Das Endergebnis der kapitalistischen Produktionsweise ist Chaos", aber der Kapitalismus hat diesem Chaos während der Dekadenz in vielerlei Hinsicht widerstanden und während seiner Zerfallsphase weiter Widerstand geleistet. Gegenläufige Tendenzen werden sich weiterhin manifestieren, aber die Situation, die sich heute eröffnet, ist eine der wesentlichen Verschärfungen des Chaos, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, der aus historischer Sicht sehr gefährlich ist.
Die Resolution zur internationalen Lage des 23. Kongresses bot den folgenden Rahmen:
"Was das Proletariat betrifft, so können diese neuen Verwerfungen nur zu noch schwerwiegenderen Angriffen auf seine Lebens- und Arbeitsbedingungen auf allen Ebenen und insbesondere in der ganzen Welt führen:
Im Jahr 2019 hungerten nach Angaben der Vereinten Nationen 135 Millionen Menschen. Im April 2020, mit dem Ausbruch der Pandemie, prognostiziert die UNO, dass sich 265 Millionen Menschen in dieser Situation befinden werden.[16] Die Weltbank erklärte im März, dass die arme Bevölkerung 3,5 Milliarden Menschen erreichen würde, mit einer plötzlichen Beschleunigung von mehr als 500.000 pro Monat. Seitdem scheint sich dieses Tempo effektiv fortgesetzt zu haben, insbesondere in Mittel- und Südamerika sowie in Asien einschließlich der Philippinen, Indien und China. Die Verarmung der Arbeiter*innen wird sich beschleunigen, so der IAO-Bericht: "(…) der durch den Rückgang der Wirtschaftstätigkeit entstehende Druck auf die Einkommen wird sich verheerend auf Arbeitnehmer auswirken, die nahe oder unterhalb der Armutsgrenze leben". Zwischen 8,8 und 35 Millionen mehr Arbeiter*innen werden weltweit in Armut leben, verglichen mit der ersten Schätzung für 2020 (die einen Rückgang von 14 Millionen weltweit voraussagte).
In Indien und China wird die Zahl der arbeitslosen Proletarier*innen nach Angaben des IWF in Hunderttausenden gezählt. Auf einigen Websites wie Business Bourse ist die Rede von mehreren Millionen Arbeiter*innen, die ihren Arbeitsplatz in China verloren haben. All diese Zahlen sind wirklich mit großer Vorsicht zu genießen, da sie je nach Quelle oft variieren. Was dabei aber heraussticht, ist ihre Massivität und rasche Ausdehnung, die auf die Einschränkung und den Stopp eines großen Teils der weltweiten Aktivitäten zurückzuführen sind. Im gleichen Zeitraum hat die Massenarbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten 35 Millionen Menschen erreicht, und trotz außergewöhnlicher staatlicher Beihilfen werden die Schlangen vor den Lebensmittelverteilungsstellen immer länger, was an die Bilder der 1930er Jahre in den Vereinigten Staaten erinnert. Dasselbe Phänomen findet in Brasilien statt, wo Arbeitslose nicht einmal mehr offiziell registriert sind. In Frankreich wird erwartet, dass die Arbeitslosigkeit in wenigen Monaten fast 7 Millionen Menschen erreichen wird. Die Explosion der Massenarbeitslosigkeit nimmt in Italien und Spanien das gleiche Tempo an. Gegenwärtig werden Pläne für Massenentlassungen geschmiedet, wie im Luftverkehr und im Flugzeugbau. Aber auch in der Automobilindustrie, Ölförderung etc. Die Liste wird in der kommenden Zeit immer länger werden.
In einer ersten Bewertung der Folgen der Pandemie schätzte die IAO (Internationale Arbeitsorganisation), dass die Pandemie den dauerhaften Verlust von 25 Millionen Arbeitsplätzen weltweit verursachen würde, während die Arbeitsplatzunsicherheit stark zunehmen würde: "Es wird auch erwartet, dass die Unterbeschäftigung exponentiell zunehmen wird, da sich die wirtschaftlichen Folgen der Virusepidemie in einer Verringerung der Arbeitszeiten und Löhne niederschlagen. In Entwicklungsländern können Beschränkungen der Freizügigkeit von Personen (z.B. Dienstleistungsanbieter) und Waren diesmal den Puffereffekt aufheben, den die selbständige Erwerbstätigkeit in diesen Ländern normalerweise hat."[17] Darüber hinaus sind in der informellen Wirtschaft Zehntausende von Arbeiter*innen, die keinerlei statistische oder sonstige finanzielle Unterstützung des Staat erhalten, ohne Beschäftigung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, um sich ein Bild vom allgemeinen Grad der Verschlechterung des Lebensstandards zu machen.
Lohnkürzungen, längere Arbeitszeiten, Steuern, niedrigere Renten, Sozialleistungen. Es scheint auch, wie in Frankreich, dass die Bourgeoisie versucht, die realen Arbeitszeiten zu verlängern. Es geht aber auch darum, den Direktlohn insbesondere durch neue, durch die Pandemie "gerechtfertigte" Steuern zu senken. Die Europäische Union prüft zum Beispiel eine Covid-Steuer sehr ernsthaft – ein wahrlich tolles Programm!
Die Schuldenlast wird immer kolossaler, was notwendigerweise eine Gegenleistung mit sich bringt: die Verschärfung der Sparmaßnahmen gegenüber den Arbeiter*innen.
In diesem Rahmen müssen wir die Idee des Allgemeinen Grundeinkommens sehen, eines Mittels, um soziale Spannungen einzudämmen und den Lebensbedingungen als staatlich organisierter Schritt zur allgemeinen Verarmung einen schweren Schlag zu versetzen.
In den zentralen Ländern und besonders in Westeuropa wird die Bourgeoisie versuchen, die Angriffe so vernünftig wie möglich zu verwalten und sie auf "politische" Weise anzuwenden, wobei sie die größten Spaltungen innerhalb des Proletariats provoziert. Auch wenn der Handlungsspielraum der Bourgeoisie auf diesem Terrain tendenziell schrumpfen wird, dürfen wir folgendes nicht aus den Augen verlieren: "Gleichzeitig sind die am meisten entwickelten Länder von Nordeuropa, die USA und Japan noch weit weg von einem solchen Szenario. Dies weil einerseits ihre nationalen Ökonomien fähiger geworden sind, der Krise zu begegnen, doch auch weil die Arbeiterklasse in diesen Ländern, vor allem in Europa, nicht bereit ist, ein solches Niveau von Angriffen auf ihre Lebensbedingungen zu akzeptieren. Dieser wichtige Faktor bei der Entwicklung der Krise unterliegt keinem strikt ökonomischen Determinismus, sondern spielt sich auf der Ebene der sozialen Verhältnisse ab – dem Kräfteverhältnis zwischen den zwei wichtigsten sozialen Klassen der Gesellschaft – zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse." (20. Kongress der IKS, Resolution zur internationalen Lage)
[1] www.mlwerke.de/me/me13/me13_007.htm [162], Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Vorwort, S. 9
[2] Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.2 S. 469 (Vierter Band Das Kapital, 2. Teil, 8.-18. Kapitel, 16. Kapitel, Ricardos Profittheorie, 3. Gesetz vom Fall der Profitrate, e) Ricardo über das Fallen der Profitrate und seine Rententheorie)
[3] www.mlwerke.de/me/me25/me25_251.htm#Kap_15_III [163], Marx, Bd. 25, 15. Kapitel: Entfaltung der innern Widersprüche des Gesetzes, S. 268
[4] https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der [8]
[6] Auszug aus: La Vanguardia vom 25. April 2020, "Las zonas de riesgo del sistema financiero"
[7] Auszug aus: La Vanguardia vom 22. April 2020, "La quiebra de las petroleras golpeará a los mayores bancos de EE.UU"
[8] Ebda.
[9] La Vanguardia vom 23. April 2020, "Cómo el coronavirus está acelerando el proceso de desglobalización"
[10] BBC World Service, 6.4.2020
[11] Aus einer Einführung auf einer Sektionssitzung der IKS
[12] Mehr dazu in Política Exterior
[13] Mehr in Politica Exterior
[14] Innerhalb der Demokratischen Partei entwickeln sich jedoch protektionistische Positionen, ähnlich denen von Trump. Im März 2020 legten zwei demokratische Kongressabgeordnete einen Vorschlag für den Austritt der Vereinigten Staaten aus der WTO vor.
[15] Política Exterior
[16] Política Exterior
[17] Bericht der IAO 2020
Nach einer Verzögerung, die viel länger war, als wir ursprünglich beabsichtigt hatten, nehmen wir den dritten Band der Reihe über den Kommunismus wieder auf. Erinnern wir uns kurz daran, dass der erste Band, der auch in englischer und französischer Sprache als gedrucktes Buch erschienen ist, damit begann, die Entwicklung des Konzepts des Kommunismus von den vorkapitalistischen Gesellschaften bis zu den ersten utopischen Sozialisten zu betrachten, und sich dann auf die Arbeit von Marx und Engels und die Bemühungen ihrer Nachfolger in der Zweiten Internationale konzentrierte, den Kommunismus nicht als ein abstraktes Ideal zu verstehen, sondern als eine materielle Notwendigkeit, die durch die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft selbst ermöglicht wurde.[1] Der zweite Band untersuchte die Periode, in der sich die marxistische Vorhersage der proletarischen Revolution, die zuerst in der Periode des Aufstiegs des Kapitalismus formuliert wurde, durch den Anbruch der "Epoche der Kriege und Revolutionen", welche die Kommunistische Internationale 1919 erkannte, konkretisierte.[2] Der dritte Band konzentriert sich bisher auf den nachhaltigen Versuch der Italienischen Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren, die Lehren aus der Niederlage der ersten internationalen Revolutionswelle, vor allem aber der russischen Revolution, zu ziehen und die Implikationen dieser Lehren für eine künftige Periode des Übergangs zum Kommunismus zu erörtern.[3]
Wie wir oft betont haben, war die Kommunistische Linke in erster Linie das Produkt einer internationalen Reaktion gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationale und ihrer Parteien. Die linken Gruppen in Italien, Deutschland, Russland, Großbritannien und anderswo stimmten in ihrer Kritik an der Fehlentwicklung der Kommunistischen Internationale in Richtung Parlamentarismus, Gewerkschaftswesen und Kompromiss mit den Parteien der Sozialdemokratie überein. Es gab intensive Debatten unter den verschiedenen linken Strömungen und einige konkrete Versuche der Koordination und Umgruppierung, wie die Gründung der Kommunistischen Arbeiterinternationale 1922, im Wesentlichen durch Gruppen, die mit der deutschen kommunistischen Linken verbunden waren. Aber gleichzeitig lieferte das schnelle Scheitern dieser neuen Formation den Beweis dafür, dass die Flut der Revolution der Ebbe wich und dass die Zeit für die Gründung einer neuen Weltpartei nicht reif war. Darüber hinaus machte diese übereilte Initiative von Elementen innerhalb der deutschen Bewegung deutlich, was vielleicht die schwerwiegendste Spaltung in den Reihen der kommunistischen Linken war – die Trennung zwischen ihren beiden wichtigsten Ausdrucksformen, denen in Deutschland und Italien. Diese Spaltung war nie absolut: In den frühen Tagen der Kommunistischen Partei Italiens gab es Versuche, andere linke Strömungen zu verstehen und mit ihnen zu debattieren; und an anderer Stelle haben wir auf die Debatte zwischen Bordiga und Korsch später in den 1920er Jahren hingewiesen.[4]
Diese Kontakte nahmen jedoch ab, als sich die Revolution zurückzog und als die beiden Strömungen auf unterschiedliche Weise auf die neuen Herausforderungen reagierten, denen sie gegenüberstanden. Die Italienische Linke war, völlig zu Recht, von der Notwendigkeit überzeugt, in der KI zu bleiben, solange sie ein proletarisches Leben hatte, und vorzeitige Spaltungen oder die Ausrufung neuer und künstlicher Parteien zu vermeiden – genau der Kurs, den die Mehrheit der deutschen Linken verfolgte. Darüber hinaus konnte das Aufkommen offen parteifeindlicher Tendenzen in der deutschen Linken, insbesondere der Gruppe um Rühle, die Überzeugung von Bordiga und anderen, dass diese Strömung von anarchistischer Ideologie und Praxis beherrscht wurde, nur noch verstärken. In der Zwischenzeit waren die deutschen linken Gruppen, die dazu neigten, die gesamte Erfahrung des Bolschewismus und des Oktobers 1917 als Ausdruck einer verspäteten bürgerlichen Revolution zu definieren, immer weniger in der Lage, die Italienische Linke von der Hauptströmung der Kommunistischen Internationale zu unterscheiden, nicht zuletzt, weil jene weiterhin argumentierte, dass der Platz der Kommunisten innerhalb der Internationale sei, um gegen deren opportunistischen Kurs zu kämpfen.
Die heutigen "bordigistischen" Gruppen haben diese tragische und folgenschwere Trennung theoretisiert, indem sie darauf bestehen, dass sie allein die historische kommunistische Linke darstellten und dass die deutsche KAPD und ihre Ableger in Wirklichkeit nichts anderes als eine kleinbürgerlich-anarchistische Abweichung seien. Gruppen wie die Internationale Kommunistische Partei (Il Partito) gehen sogar so weit, dass sie eine Verteidigung von Lenins Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus veröffentlichen und den Text als Warnung für "künftige Abtrünnige" preisen.[5] Diese Haltung offenbart ein ziemlich tragisches Versäumnis und eine Unfähigkeit zu erkennen, dass die Linkskommunisten als Genossen und Genossinnen gemeinsam gegen die zunehmend abtrünnige Führung der KI hätten kämpfen sollen.
Dies war jedoch bei weitem nicht die Haltung der italienischen Linken während ihrer theoretisch fruchtbarsten Periode: derjenigen, die auf die Bildung der Linksfraktion im Exil (aus dem faschistischen Italien) Ende der 20er Jahre und die Veröffentlichung der Zeitschrift Bilan zwischen 1933 und 1938 folgte. In einem "Resolutionsentwurf über die internationalen Verbindungen" in Bilan Nr. 22 schrieben sie, dass die "internationalistischen Kommunisten Hollands (die Gorter-Tendenz) und Elemente der KAPD die erste Reaktion auf die Schwierigkeiten des russischen Staates, die erste Erfahrung einer proletarischen Verwaltung, durch die Verbindung mit dem Weltproletariat mittels eines von der Internationale ausgearbeiteten Systems von Prinzipien" darstellen. Sie kamen zu dem Schluss, dass der Ausschluss dieser Genossen aus der Internationale "keine Lösung für diese Probleme gebracht hat".
Diese Herangehensweise legte die grundlegenden Fundamente proletarischer Solidarität fest, auf denen eine Debatte stattfinden konnte, trotz der sehr beträchtlichen Divergenzen zwischen den beiden Strömungen; Divergenzen, die sich bis Mitte der 30er Jahre beträchtlich vergrößert hatten, als die deutsch-holländische Linke sich in Richtung der Positionen des Rätekommunismus entwickelte und nicht nur den Bolschewismus, sondern die Parteiform selbst als bürgerlichen Charakters definierte. Weitere Schwierigkeiten ergaben sich aus der Sprache und der mangelnden Kenntnis der jeweiligen Positionen der anderen Seite, was, wie wir in unserem Buch Die Italienische Kommunistische Linke feststellen, dazu führte, dass die Beziehungen zwischen den beiden Strömungen weitgehend auf indirekte Weise stattfanden.
Der Hauptverbindungspunkt zwischen den beiden Strömungen war die Ligue des Communistes Internationalistes (LCI) in Belgien, die in Kontakt mit der Groep van Internationale Communisten (GIC) und anderen Gruppen in Holland stand. Es ist vielleicht bezeichnend, dass die wichtigsten Früchte dieser Kontakte, die auf den Seiten von Bilan erschienen, die von Hennaut von der LCI verfasste Zusammenfassung des Buches der GIC: Grundprinzipien Kommunistischer Produktion und Verteilung[6] war, und die brüderlichen, aber kritischen Bemerkungen über das Buch, die in Mitchells Reihe Probleme der Übergangsperiode enthalten waren. Soweit wir wissen, hat die GIC auf keinen dieser Artikel geantwortet, aber es ist dennoch wichtig, uns daran zu erinnern, dass die Voraussetzungen für eine Debatte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Grundprinzipien geschaffen wurden, nicht zuletzt deshalb, weil es sehr wenige spätere Versuche gab, die Diskussion voranzutreiben.[7] Wir sollten klarstellen, dass der vorliegende Artikel nicht versuchen wird, eine eingehende oder detaillierte Analyse der Grundprinzipien durchzuführen. Er hat das bescheidenere Ziel, die in Bilan veröffentlichten Kritiken an dem Buch zu untersuchen und damit einige mögliche Bereiche für zukünftige Diskussionen aufzuzeigen.
Auf der Pariser Konferenz der neu gegründeten linkskommunistischen Gruppen 1974 erklärte Jan Appel, der KAPD- und GIC-Veteran, der einer der Hauptautoren der Grundprinzipien war, dass der Text als Teil des Versuchs geschrieben worden war, zu verstehen, was bei der Erfahrung des Staatskapitalismus oder "Staatskommunismus, wie wir ihn manchmal zu nennen pflegten" in der Russischen Revolution schief gelaufen war, und einige Richtlinien festzulegen, die es ermöglichen sollten, ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden. Trotz ihrer Differenzen über das Wesen der Russischen Revolution war es genau das, was die Genossen der Italienischen Linken motivierte, eine Analyse über die Probleme der Übergangsperiode zu erstellen, obwohl sie nur zu gut verstanden, dass sie durch die Tiefen der Konterrevolution gingen.
Für Mitchell, wie für den Rest der Italienischen Linken, waren die GIC die "holländischen Internationalisten", Genossen, die von einem tiefen Engagement für den Sturz des Kapitalismus und dessen Ersetzung durch eine kommunistische Gesellschaft beseelt waren. Beide Strömungen verstanden, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen der Übergangsperiode weit mehr war als eine intellektuelle Übung um ihrer selbst willen. Sie waren Militante, für die die proletarische Revolution eine Realität war, die sie mit eigenen Augen gesehen hatten; trotz der schrecklichen Niederlage dieser Revolution behielten sie volles Vertrauen, dass sie sich wieder erheben würde, und waren überzeugt, dass sie mit einem klaren kommunistischen Programm bewaffnet sein musste, wenn sie beim nächsten Mal triumphieren wollte.
Am Anfang seiner Zusammenfassung der Grundprinzipien stellt Hennaut genau diese Frage: "Erscheint es nicht als Zeitverschwendung, uns über die sozialen Regeln zu quälen, die die Arbeiter nach Vollendung der Revolution aufstellen müssen, zu einem Zeitpunkt, da die Arbeiter keineswegs auf die letzte Schlacht zu marschieren, sondern in der Tat den Boden, den sie gewonnen haben, an die triumphierende Reaktion abtreten? Mehr noch, ist nicht schon alles zu diesem Thema auf den Kongressen der KI gesagt worden? ... Gewiss, für diejenigen, für die die ganze Wissenschaft der Revolution darauf hinausläuft, die Skala der Manöver aufzudecken, die die Massen zu befolgen haben, muss das Unternehmen besonders sinnlos erscheinen. Aber für diejenigen, die der Meinung sind, dass die Präzisierung der Ziele des Kampfes eine der Funktionen jeder Emanzipationsbewegung ist, und dass die Formen dieses Kampfes, seine Mechanismen und die Gesetze, die ihn regeln, nur in dem Maße vollständig ans Licht gebracht werden können, in dem die zu erreichenden Endziele klar geworden sind, das heißt, dass die Gesetze der Revolution immer deutlicher hervortreten, je mehr das Bewusstsein der Arbeiterklasse wächst – für sie ist die theoretische Anstrengung, genau zu definieren, was die Diktatur des Proletariats sein wird, eine Aufgabe von ursprünglicher Notwendigkeit".[8]
Wie wir bereits erwähnt haben, war Hennaut kein Mitglied der GIC, sondern der belgischen LCI. In gewisser Weise war er in der Lage, als "Vermittler" zwischen der Deutsch-Holländischen und der Italienischen Linken zu agieren, da er mit beiden Übereinstimmungen und Differenzen hatte. In einem früheren Beitrag für Bilan[9] kritisierte er die Vorstellung der italienischen Genossen von der "Diktatur der Partei" und legte den Schwerpunkt darauf, dass die Arbeiterklasse die Kontrolle über die politische und wirtschaftliche Sphäre durch ihre eigenen allgemeinen Organe wie die Räte ausübt. Gleichzeitig lehnte er Bilans Auffassung von der UdSSR als einem degenerierten proletarischen Staat ab und definierte sowohl das politische Regime als auch die Wirtschaft in Russland als kapitalistisch. Aber es sollte hinzugefügt werden, dass er auch damit begonnen hatte, den proletarischen Charakter der Revolution in Russland abzulehnen, indem er die fehlende Reife der objektiven Bedingungen betonte, so dass "die Revolution vom Proletariat gemacht wurde, aber es war keine proletarische Revolution".[10] Diese Analyse stand der der Rätekommunisten recht nahe, aber Hennaut grenzte sich auch in einer Reihe von Schlüsselpunkten von ihnen ab: Gleich zu Beginn seiner Zusammenfassung macht er deutlich, dass er mit ihrer Ablehnung der Partei nicht einverstanden ist. Für Hennaut wäre die Partei nach der Revolution umso notwendiger, um die ideologischen Überreste der alten Welt zu bekämpfen, obwohl er die Schwäche der GIC in diesem Punkt nicht als das Hauptproblem der Grundprinzipien ansieht; und am Ende seiner Zusammenfassung, in Bilan Nr. 22, weist er auf die Schwäche der Staatskonzeption der GIC und ihre etwas rosige Sicht der Bedingungen, unter denen eine Revolution stattfindet, hin. Er ist jedoch von der Bedeutung des Beitrags der GIC überzeugt und bemüht sich sehr ernsthaft, sie in vier Artikeln genau zusammenzufassen. Offensichtlich war es im Rahmen einer solchen Zusammenfassung nicht möglich, den ganzen Reichtum – und einige der offensichtlichen Widersprüche – in den Grundprinzipien zu vermitteln, aber er macht eine gute Arbeit, um die wesentlichen Punkte des Buches zu umreißen.
Hennauts Zusammenfassung hebt die bedeutsame Tatsache hervor, dass sich die Grundprinzipien keineswegs außerhalb der bisherigen Traditionen und Erfahrungen der Arbeiterklasse verorten, sondern sich auf eine historische Kritik an fehlerhaften Auffassungen, die innerhalb der Arbeiterbewegung entstanden waren, und auf praktische revolutionäre Erfahrungen – vor allem die russische und ungarische Revolution – stützen, die hauptsächlich negative Lehren hinterlassen hatten. Die Grundprinzipien enthalten daher Kritik an den Ansichten von Kautsky, Varga, dem Anarcho-Syndikalisten Leichter und anderen, während sie gleichzeitig versuchen, an die Arbeit von Marx und Engels anzuknüpfen, insbesondere an die Kritik des Gothaer Programms und den Anti-Dühring. Sie gehen von der einfachen Feststellung aus, dass die Ausbeutung der Arbeiter in der kapitalistischen Gesellschaft vollständig mit ihrer Trennung von den Produktionsmitteln durch das kapitalistische gesellschaftliche Verhältnis der Lohnarbeit verbunden ist. Seit der Zeit der Zweiten Internationale war die Arbeiterbewegung auf die Vorstellung abgeglitten, dass die einfache Abschaffung des Privateigentums das Ende der Ausbeutung bedeute, und die Bolschewiki hatten dieses (Miss-)Verständnis nach der Oktoberrevolution weitgehend übernommen.
Für die Grundprinzipien kann die Verstaatlichung oder Kollektivierung der Produktionsmittel sehr wohl mit Lohnarbeit und der Entfremdung der Arbeiter von ihrem eigenen Produkt koexistieren. Entscheidend ist also, dass die Arbeiter selbst, durch ihre eigenen, im Betrieb verwurzelten Organisationen, nicht nur über die physischen Produktionsmittel, sondern über das gesamte gesellschaftliche Produkt verfügen. Um aber sicherzustellen, dass das gesellschaftliche Produkt vom Anfang bis zum Ende des Arbeitsprozesses in den Händen der Produzenten bleibt (Entscheidungen darüber, was und in welchen Mengen produziert wird, Verteilung des Produkts einschließlich der Entlohnung des einzelnen Produzenten), bedurfte es eines allgemeinen ökonomischen Gesetzes, das einer strengen Buchführung unterworfen werden konnte: die Berechnung des gesellschaftlichen Produkts auf der Basis der durchschnittlichen gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Obwohl gerade die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit dem "Wert" der Produkte in der kapitalistischen Gesellschaft zugrunde liegt, wäre dies keine Wertproduktion mehr, denn die einzelnen Unternehmen würden zwar ihren eigenen Anteil an der in ihren Produkten enthaltenen Arbeitszeit maßgeblich mitbestimmen, aber die Unternehmen würden ihre Produkte dann nicht auf dem Markt verkaufen (und die Grundprinzipien kritisieren die Anarchosyndikalisten gerade dafür, dass sie sich die zukünftige Wirtschaft als ein Netzwerk unabhängiger, durch Tauschbeziehungen verbundener Unternehmen vorstellen). Aus der Sicht der GIC würden die Produkte einfach in Übereinstimmung mit den gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen verteilt, die von einem Kongress der Räte zusammen mit einem zentralen Amt für Statistik und einem Netzwerk von Konsumgenossenschaften bestimmt würden. Die Grundprinzipien legen Wert darauf, dass weder der Rätekongress noch das Statistikamt "zentralisierte" oder "staatliche" Organe sind. Ihre Aufgabe ist es nicht, Arbeit zu dirigieren, sondern mit dem Kriterium der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, die weitgehend auf der Basisebene berechnet wird, die Planung und Verteilung des gesellschaftlichen Produkts im globalen Maßstab zu überwachen. Eine konsequente Anwendung dieser Prinzipien würde sicherstellen, dass sich in der nächsten Revolution eine Situation nicht wiederholt, in der "die Maschine unseren Händen entgleitet" (Lenins berühmte Worte über den Werdegang des Sowjetstaates, zitiert nach den Grundprinzipien). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Schlüssel zum Sieg der Revolution in der Fähigkeit der Arbeiter liegt, die direkte Kontrolle über die Wirtschaft aufrechtzuerhalten, und das zuverlässigste Werkzeug, um dies zu erreichen, ist die Regulierung von Produktion und Verteilung durch die Abrechnung der Arbeitszeit.
Wie wir bereits sagten, begrüßte die Italienische Linke[11] den Beitrag der GIC, sparte aber nicht mit Kritik an dem Text. Grob gesagt lassen sich diese Kritiken in vier Rubriken einordnen, obwohl sie alle auf andere Themen überleiten und alle eng miteinander verknüpft sind.
1. Eine nationale Vision der Revolution.
2. Eine idealistische Auffassung von den realen Bedingungen der proletarischen Revolution.
3. Das Unverständnis für das Problem des Staates und des Zentralismus sowie die Konzentration auf die Ökonomie auf Kosten der politischen Fragen.
4. Weitere theoretische Differenzen bezüglich der Ökonomie der Übergangsperiode: die Überwindung des Wertgesetzes und der Inhalt des Kommunismus; Egalitarismus und die Entlohnung der Arbeit.
In seiner Serie "Partei – Staat – Internationale"[12] hatte Vercesi bereits Hennaut und die holländischen Genossen dafür kritisiert, dass sie das Problem der Revolution in Russland von einem eng gefassten nationalen Standpunkt aus angehen. Er bestand darauf, dass keine wirklichen Fortschritte auf dem Weg zu einer kommunistischen Gesellschaft gemacht werden könnten, solange die Bourgeoisie im Weltmaßstab an der Macht sei – welche Fortschritte auch immer in einem Bereich unter proletarischer "Leitung" gemacht würden, sie könnten nicht endgültig sein:
"Der Fehler, den die holländischen Linkskommunisten und mit ihnen Genosse Hennaut unserer Meinung nach begehen, besteht darin, dass sie eine im Grunde sterile Richtung eingeschlagen haben, denn es ist fundamental für den Marxismus, dass die Grundlagen einer kommunistischen Wirtschaft nur auf Weltebene und niemals innerhalb der Grenzen eines proletarischen Staates verwirklicht werden können. Dieser kann zwar in den ökonomischen Bereich eingreifen, um den Produktionsprozess zu verändern, aber er kann diesen Prozess keinesfalls endgültig auf kommunistische Grundlagen stellen, weil die Bedingungen für die Verwirklichung einer solchen Ökonomie nur im Weltmaßstab existieren (...). Wir werden der Verwirklichung des höchsten Ziels nicht näher kommen, indem wir den Arbeitern weismachen, dass sie nach ihrem Sieg über die Bourgeoisie die Wirtschaft in einem einzigen Land direkt leiten können. Bis zum Sieg der Weltrevolution sind die Bedingungen dafür nicht gegeben, und um die Dinge in die Richtung zu lenken, die das Heranreifen dieser Bedingungen ermöglicht, muss man damit beginnen, anzuerkennen, dass es unmöglich ist, in einem einzigen Land endgültige Ergebnisse zu erzielen."[13]
In seiner Artikelserie führte Mitchell dieses Thema weiter aus:
"Während es unbestreitbar ist, dass ein nationales Proletariat bestimmte ökonomische Aufgaben erst nach der Installierung der Errichtung seiner eigenen Herrschaft in Angriff nehmen kann, kann der Aufbau des Sozialismus erst nach der Zerstörung der mächtigsten kapitalistischen Staaten in Gang kommen, auch wenn der Sieg eines 'armen' Proletariats eine enorme Bedeutung erlangen kann, wenn er in den Entwicklungsprozess der Weltrevolution integriert wird. Mit anderen Worten: Die Aufgaben eines siegreichen Proletariats in Bezug auf die eigene Wirtschaft werden den Notwendigkeiten des internationalen Klassenkampfes untergeordnet.
Es ist bemerkenswert, dass, während alle echten Marxisten die Theorie des 'Sozialismus in einem Land' abgelehnt haben, die meisten Kritiken an der Russischen Revolution sich im Wesentlichen auf die Modalitäten des Aufbaus des Sozialismus konzentrierten, wobei sie eher wirtschaftliche und kulturelle als politische Kriterien betrachteten und vergaßen, die logischen Schlussfolgerungen zu ziehen, die sich aus der Unmöglichkeit jeder Art von nationalem Sozialismus ergeben."[14]
Einen großen Teil der Serie widmete Mitchell auch der Argumentation gegen die von den Rätekommunisten weitgehend aufgegriffene menschewistische Idee, dass die Russische Revolution nicht wirklich proletarisch gewesen sein könne, weil Russland nicht reif für den Sozialismus gewesen sei. Gegen diesen Ansatz behauptet Mitchell, dass die Bedingungen für die kommunistische Revolution nur im Weltmaßstab gegeben sein konnten, und dass die Revolution in Russland lediglich der erste Schritt einer weltweiten Revolution gewesen sei, die durch die Tatsache notwendig wurde, dass der Kapitalismus als Weltsystem in seine Periode des Niedergangs eingetreten war. Daher musste jedes Verständnis dessen, was in Russland schief gelaufen war, im Kontext der Weltrevolution gesehen werden: Die Degeneration des Sowjetstaates war in erster Linie nicht das Ergebnis der wirtschaftlichen Maßnahmen der Bolschewiki, sondern der Isolierung der Revolution. Die holländischen Genossen hätten sich "ein falsches Urteil über die Russische Revolution angemaßt und vor allem den Umfang ihrer Forschungen über die tieferen Ursachen der reaktionären Entwicklung der UdSSR stark eingeschränkt. Sie suchen die Erklärung dafür nicht in der tieferen Entwicklung des nationalen und internationalen Klassenkampfes (eines der negativen Merkmale ihrer Studie ist, dass sie jede Betrachtung der politischen Probleme mehr oder weniger ausblenden), sondern im ökonomischen Mechanismus."[15]
Kurz gesagt: Es gibt Grenzen für die Schlussfolgerungen, die wir aus den wirtschaftlichen Maßnahmen während der Russischen Revolution ziehen können. Selbst die perfektesten Maßnahmen hätten ohne die Ausdehnung der Weltrevolution den proletarischen Charakter des Regimes in der UdSSR nicht bewahrt, und dasselbe würde für jedes Land gelten, ob "fortgeschritten" oder "rückständig", das sich in einer vom Kapital beherrschten Welt isoliert wiederfindet.
Wir haben festgestellt, dass Hennaut selbst auf die Tendenz der holländischen Genossen hinwies, die Verhältnisse im Gefolge einer proletarischen Revolution zu vereinfachen: "Es mag vielen Lesern so erscheinen, als ob in der besten aller möglichen Welten alles zum Besten stehe. Die Revolution marschiere voran, sie könne nicht ausbleiben, und es genüge, die Dinge sich selbst zu überlassen, damit der Sozialismus Wirklichkeit werde."[16] Vercesi hatte auch argumentiert, dass sie dazu neigten, die Heterogenität des Klassenbewusstseins auch nach der Revolution gewaltig zu unterschätzen – ein Fehler, der direkt damit zusammenhing, dass die Rätekommunisten die Notwendigkeit einer politischen Organisation der fortgeschritteneren Elemente der Arbeiterklasse nicht verstanden. Außerdem hing dies auch damit zusammen, dass die holländischen Genossen die Schwierigkeiten unterschätzten, die sich den Arbeitern bei der direkten Übernahme der Leitung der Produktion stellten. Mitchell seinerseits argumentierte, dass die holländischen Genossen von einem idealen, abstrakten Schema ausgingen, das bereits die Stigmata der kapitalistischen Vergangenheit als Grundlage für das Voranschreiten zum Kommunismus ausschließt.
"Wir haben bereits deutlich gemacht, dass die holländischen Internationalisten bei ihrem Versuch, die Probleme der Übergangsperiode zu analysieren, viel mehr von ihren Wunschbildern als von der historischen Realität inspiriert sind. Ihr abstraktes Schema, in dem sie als vollkommen prinzipientreue Menschen das Wertgesetz, den Markt und das Geld ausschließen, muss logischerweise auch eine 'ideale' Verteilung der Produkte zur Folge haben. Denn für sie gilt: "Die proletarische Revolution kollektiviert die Produktionsmittel und öffnet damit den Weg zum kommunistischen Leben; die dynamischen Gesetze der individuellen Konsumtion müssen absolut und notwendigerweise miteinander verbunden sein, weil sie unauflöslich mit den Gesetzen der Produktion verbunden sind. Diese Verbindung wird 'von selbst' durch den Übergang zur kommunistischen Produktion hergestellt" (S. 72 ihrer Arbeit)."[17]
Später konzentriert sich Mitchell auf die Hindernisse, die der Einführung der gleichen Entlohnung der Arbeit in der Übergangszeit entgegenstehen (wir werden in einem zweiten Artikel darauf zurückkommen). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für die niederländischen Genossen die untere und die obere Stufe des Kommunismus völlig durcheinander geraten sind:
"Indem sie die dialektische Analyse ablehnen und das Problem des Zentralismus übergehen, haben sie gleichzeitig die Bedeutung der Worte verändert, denn was sie betrachten, ist nicht die Übergangsperiode, die für die Marxisten unter dem Gesichtspunkt der Lösung praktischer Probleme als einzige von Interesse ist, sondern die höhere Stufe des Kommunismus. Es ist dann leicht, von „einer allgemeinen gesellschaftlichen Buchführung zu sprechen, die auf einem wirtschaftlichen Zentrum beruht, zu dem alle Ströme des Wirtschaftslebens fließen, das aber kein Recht hat, die Produktion zu leiten oder über die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts zu entscheiden“. Und sie fügen hinzu, dass „in der Assoziation freier und gleicher Produzenten die Kontrolle des Wirtschaftslebens nicht von Persönlichkeiten oder Ämtern ausgeht, sondern aus der öffentlichen Registrierung des realen Verlaufs des Wirtschaftslebens resultiert. Das bedeutet, dass die Produktion durch die Reproduktion kontrolliert wird“. Mit anderen Worten: 'Das Wirtschaftsleben wird durch die durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit von selbst gesteuert'. Mit solchen Formulierungen kann die Lösung der Probleme der proletarischen Leitung überhaupt nicht vorankommen, denn die brennende Frage, die sich dem Proletariat stellt, ist nicht, die Mechanismen auszuarbeiten, die die kommunistische Gesellschaft regeln, sondern den Weg zu finden, der zu ihr führt."[18]
Es stimmt, dass es eine Reihe von Abschnitten in den Grundprinzipien gibt, in denen die holländischen Genossen Marx' Unterscheidung zwischen der unteren und der oberen Stufe der Übergangsperiode zitieren; und sie erkennen an, dass es einen Prozess gibt, eine Bewegung in Richtung auf den integralen Kommunismus, in dem die Notwendigkeit der Arbeitszeitbuchhaltung zum Beispiel in Bezug auf den individuellen Konsum allmählich an Bedeutung verlieren wird:
"Eines der charakteristischsten Merkmale der AGA-Betriebe [Anm.: öffentliche Dienstleistungen wie Gesundheits- und Bildungswesen] sahen wir in der Tatsache, dass hier das 'Nehmen nach Bedürfnissen' verwirklicht ist. Der Maßstab der Arbeitsstunde spielt hier in der Distribution also keine Rolle mehr. Mit dem Wachstum des Kommunismus wird dieser Betriebstyp mehr ausgedehnt werden, so dass auch Lebensmittelfürsorge, Personentransport, Wohnungsfürsorge usw., kurz: die Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse, auf dieser Basis stehen werden. Diese Entwicklung ist ein PROZESS, der sich, soweit es sich um die technische Seite der Aufgabe handelt, schnell vollziehen kann. Je mehr die Gesellschaft in dieser Richtung wächst, je mehr die Produkte nach diesem Prinzip verteilt werden, desto weniger wird die individuelle Arbeitszeit das Maß für die individuelle Konsumtion sein."[19]
Und doch sprechen sie gleichzeitig, wie Mitchell oben bemerkt, davon, dass die "freien und gleichen Produzenten" über dieses oder jenes gerade in der unteren Stufe entscheiden, einer Zeit, in der wahre Freiheit und Gleichheit vom organisierten Proletariat erkämpft, aber noch nicht endgültig erobert worden sind. Der Begriff "freie und gleiche Produzenten" kann wirklich nur auf eine Gesellschaft angewendet werden, in der es keine Arbeiterklasse mehr gibt.
Ein Beispiel für diese Tendenz zur Vereinfachung ist ihre Behandlung der Agrarfrage. Nach diesem Abschnitt der Grundprinzipien werde die "Bauernfrage", die eine so große Belastung für die Russische Revolution war, für die Revolution der Zukunft keine großen Probleme aufwerfen, weil die Entwicklung der kapitalistischen Industrie den Großteil der Bauernschaft bereits in das Proletariat integriert habe. Dies ist ein Beispiel für eine gewisse eurozentrische Sichtweise (und selbst in Europa war dies in den 1930er Jahren bei weitem nicht der Fall), die nicht berücksichtigt, dass im Weltmaßstab eine riesige Anzahl nicht ausbeutender, aber auch nicht proletarischer Massen existiert, die die proletarische Revolution in die wirklich sozialisierte Produktion integrieren muss.
Wenn man von der Existenz anderer Klassen als der des Proletariats in der Übergangsperiode spricht, stellt sich sofort die Frage nach einer halb-staatlichen Organisation, die u.a. die Aufgabe hätte, diese Massen politisch zu vertreten. Eine weitere Konsequenz des abstrakten Schemas der holländischen Genossen ist also, dass sie das Problem des Staates vermeiden. Wiederum sieht Hennaut, wie wir festgestellt haben, dass "der Staat im System der holländischen Genossen einen Platz einnimmt, der gelinde gesagt zweideutig ist"[20]. Mitchell stellt fest, dass die Arbeiterklasse, solange es Klassen gibt, die Geißel eines Staates ertragen muss, und dass dies mit dem Problem des Zentralismus verbunden ist:
"Die Analyse der holländischen Internationalisten entfernt sich zweifellos vom Marxismus, weil sie nie die wesentliche Tatsache vorbringt, dass das Proletariat gezwungen ist, sich mit der 'Geißel' des Staates auseinanderzusetzen, bis die Klassen verschwunden sind, das heißt, bis zum Verschwinden des Weltkapitalismus. Aber eine solche historische Notwendigkeit zu betonen, bedeutet zuzugeben, dass die Staatsfunktionen immer noch vorübergehend mit der Zentralisierung verwechselt werden, auch wenn dies nach der Zerstörung des kapitalistischen Unterdrückungsapparates geschieht und der Entwicklung des kulturellen Niveaus der arbeitenden Massen und ihrer Fähigkeit, die Verantwortung zu übernehmen, nicht unbedingt entgegensteht. Anstatt die Lösung für diese Entwicklung im realen Kontext der historischen und politischen Bedingungen zu suchen, haben die holländischen Internationalisten versucht, sie in einer Formel für die Aneignung zu finden, die sowohl utopisch als auch rückschrittlich ist und die sich nicht so deutlich vom 'bürgerlichen Recht' unterscheidet, wie sie sich vorstellen."[21]
Im Lichte der russischen Erfahrung hatten die niederländischen Genossen sicherlich Recht, wenn sie sich davor hüteten, dass irgendein zentrales Organisationsorgan diktatorische Befugnisse über die Arbeiter übernehmen könnte. Gleichzeitig lehnen die Grundprinzipien die Notwendigkeit einer gewissen Form der zentralen Koordination nicht ab. Sie sprechen von einem Zentralamt für Statistik und einem "Wirtschaftskongress der Arbeiterräte", aber diese werden als wirtschaftliche Gremien dargestellt, die mit einfachen Koordinationsaufgaben betraut sind: Sie scheinen keine politischen oder staatlichen Funktionen zu haben. Aber indem sie einfach im Voraus anordnen, dass solche zentralen oder koordinierenden Organe keine staatlichen Funktionen übernehmen oder mit ihnen verbunden sein werden, schwächen sie in Wirklichkeit die Fähigkeit der Arbeiter, sich gegen eine reale Gefahr zu verteidigen, die während der gesamten Übergangsperiode bestehen wird: die Gefahr, dass der Staat, selbst ein "Halbstaat", der starr von den Einheitsorganen der Arbeiter gelenkt wird, sich zunehmend zu einer von der Gesellschaft autonomen Macht formt und wieder direkte Formen der wirtschaftlichen Ausbeutung durchsetzt.
Der Begriff des postrevolutionären Staates taucht in dem Buch zwar kurz auf (und zwar im allerletzten Kapitel). Aber in den Worten der GIC "steht [der Staat] als reiner Machtapparat der Diktatur des Proletariats da. Er wird den Widerstand der Bourgeoisie brechen –, aber er hat in der Verwaltung der Wirtschaft nichts zu suchen".[22]
Mitchell bezieht sich nicht auf diese Passage, aber sie würde seinen Bedenken gegen die Tendenz der GIC, den Staat und die Diktatur des Proletariats als ein und dasselbe zu sehen, nicht widersprechen – eine Identifizierung, die seiner Ansicht nach die Arbeiter zugunsten des Staates entwaffnet: "Die aktive Anwesenheit proletarischer Organisationen ist die Bedingung, um den proletarischen Staat im Dienste der Arbeiter zu halten und zu verhindern, dass er sich gegen sie wendet. Den widersprüchlichen Dualismus des proletarischen Staates zu leugnen, bedeutet, die historische Bedeutung der Übergangsperiode zu verfälschen.
Einige Genossen sind dagegen der Meinung, dass es in dieser Periode eine Identifikation zwischen den Arbeiterorganisationen und dem Staat geben müsse (vgl. Genosse Hennaults 'Wesen und Entwicklung des russischen Staates', Bilan S. 1121). Die holländischen Internationalisten gehen sogar noch weiter, wenn sie sagen, dass, da "die Arbeitszeit das Maß für die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts ist und die gesamte Verteilung außerhalb jeder 'Politik' bleibt, die Gewerkschaften im Kommunismus keine Funktion haben und der Kampf für die Verbesserung der Lebensbedingungen zu einem Ende gekommen sein wird" (S. 115 ihrer Arbeit).
Der Zentrismus geht auch von der Vorstellung aus, dass, da der Sowjetstaat ein Arbeiterstaat sei, jede von den Arbeitern erhobene Forderung zu einem Akt der Feindseligkeit gegenüber 'ihrem' Staat werde und daher die völlige Unterordnung der Gewerkschaften und der Betriebskomitees unter den Staatsmechanismus rechtfertige."[23]
Die deutsch-niederländische Linke erkannte natürlich viel schneller, dass die Gewerkschaften bereits im Kapitalismus aufgehört hatten, proletarische Organe zu sein, ganz zu schweigen von der Übergangsperiode zum Kommunismus, wo die Arbeiterklasse ihre eigenen Einheitsorgane (Fabrikkomitees, Arbeiterräte usw.) geschaffen hätte. Aber Mitchells grundlegender Punkt bleibt vollkommen gültig. Indem sie den Weg mit dem Ziel verwechseln, indem sie andere nichtproletarische Klassen und die ganze komplexe soziale Heterogenität der Situation nach dem Aufstand aus der Gleichung ausschließen und vor allem indem sie eine fast sofortige Abschaffung des Zustands des Proletariats als ausgebeutete Klasse ins Auge fassen, lassen die holländischen Genossen, bei aller Antipathie gegen den Staat, die Tür für die Idee offen, dass während der Übergangsperiode die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, ihre unmittelbaren Interessen zu verteidigen, überflüssig werde. Für die italienische Linke war die Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der Gewerkschaften und/oder Fabrikkomitees von der allgemeinen Organisation der Gesellschaft – kurz gesagt, vom Übergangsstaat – zu bewahren, eine grundlegende Lehre aus der Russischen Revolution, wo der "Arbeiterstaat" am Ende die Arbeiter unterdrückte.
Dieses Ausweichen oder die Vereinfachung der Frage des Staates ist, ebenso wie das Versagen der GIC, die Notwendigkeit der internationalen Ausdehnung der Revolution zu begreifen, Teil einer umfassenderen Unterschätzung der politischen Dimension der Revolution. Die Besessenheit der GIC ist die Suche nach einer Methode zur Berechnung, Verteilung und Entlohnung der gesellschaftlichen Arbeit, so dass die zentrale Kontrolle auf ein Minimum beschränkt werden kann und die Übergangswirtschaft auf halbautomatische Weise zum integralen Kommunismus fortschreiten kann. Aber für Mitchell ist die Existenz solcher Gesetze kein Ersatz für die wachsende politische Reife der arbeitenden Massen, für ihre tatsächliche Fähigkeit, dem gesellschaftlichen Leben ihre eigene Richtung aufzuzwingen.
"Die holländischen Genossen haben zwar eine unmittelbare Lösung vorgeschlagen: kein wirtschaftlicher oder politischer Zentralismus, der nur eine unterdrückerische Form annehmen kann, sondern die Übertragung der Verwaltung auf Unternehmensorganismen, die die Produktion durch ein 'allgemeines Wirtschaftsgesetz' (...) koordinieren würden. Für sie vollzieht sich die Abschaffung der Ausbeutung (und damit der Klassen) nicht in einem langen historischen Prozess, in dem die Beteiligung der Massen an der gesellschaftlichen Verwaltung unaufhörlich wächst, sondern in der Kollektivierung der Produktionsmittel, sofern diese das Verfügungsrecht der Betriebsräte über die Produktionsmittel und das gesellschaftliche Produkt beinhaltet. Aber abgesehen davon, dass dies eine Formulierung ist, die ihren eigenen Widerspruch enthält – da sie darauf hinausläuft, der integralen Kollektivierung (Eigentum aller und von niemandem im Besonderen) eine Art eingeschränkte, zerstreute Kollektivierung zwischen gesellschaftlichen Gruppen entgegenzusetzen (die Aktiengesellschaft ist auch eine partielle Form der Kollektivierung) –, neigt sie einfach dazu, eine juristische Lösung (das Recht, über die Unternehmen zu verfügen) durch eine andere juristische Lösung, die Enteignung der Bourgeoisie, zu ersetzen. Aber wie wir bereits gesehen haben, ist die Enteignung der Bourgeoisie nur die Anfangsbedingung für die gesellschaftliche Transformation (auch wenn die volle Kollektivierung nicht sofort realisierbar ist), und der Klassenkampf wird wie vor der Revolution weitergehen, aber auf politischer Grundlage, die es dem Proletariat erlaubt, die entscheidende Richtung durchzusetzen."[24]
Hinter dieser Ablehnung der politischen Dimension des Klassenkampfes können wir einen grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Zweigen der kommunistischen Linken in ihrem Verständnis des Übergangs zum Kommunismus erkennen. Die holländischen Genossen erkennen zwar die Notwendigkeit von Wachsamkeit, "denn aus der kapitalistischen Wirtschaftsweise bleibt vorläufig noch eine kräftige Tendenz, die Verfügungsgewalt in eine Zentrale zu legen"[25], aber dieser erhellende Absatz erscheint in der Mitte einer Untersuchung über die Buchhaltungsmethoden in der Übergangsperiode, und im Buch insgesamt gibt es wenig Sinn für den immensen Kampf, der notwendig sein wird, um die Gewohnheiten der Vergangenheit sowie ihre materielle und soziale Verkörperung in Klassen, Schichten und Individuen zu überwinden, die dem Kommunismus mehr oder weniger feindlich gegenüberstehen. In der Sichtweise der GIC scheint es wenig Notwendigkeit für einen politischen Kampf, eine Konfrontation zwischen gegensätzlichen Klassenstandpunkten, innerhalb der Organe der Arbeiterklasse zu geben, sei es am Arbeitsplatz oder auf einer breiteren gesellschaftlichen Ebene. Das stimmt auch mit ihrer Ablehnung der Notwendigkeit kommunistischer politischer Organisationen, der Klassenpartei, überein.
Wir werden uns im zweiten Teil dieses Artikels mit einigen der eher theoretischen Probleme der ökonomischen Dimension der kommunistischen Transformation befassen.
C.D. Ward, 08.03.2013
Kapitel 7, Teil 4: Eine „ökonomistische“ Sichtweise der Revolution: die Grundprinzipien
b) Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus
Die Frage der Übergangsperiode zum Kommunismus nach der Machtergreifung durch die Arbeiterräte wurde von den deutschen, dann von den holländischen Rätekommunisten immer von einem streng ökonomischen Standpunkt aus angegangen. Die Entartung der Russischen Revolution und die Entwicklung Sowjetrusslands zum Staatskapitalismus bewiesen nach Ansicht der GIC das Scheitern der "Politik", in der die Diktatur des Proletariats in erster Linie als eine politische Diktatur über die gesamte Gesellschaft gesehen wurde und die die wirtschaftlichen Aufgaben des Proletariats in den Hintergrund drängte. Diese Idee wurde von Pannekoek mit besonderem Nachdruck vertreten: "Die traditionelle Auffassung ist die Herrschaft der Politik über die Wirtschaft ... was die Arbeiter anstreben müssen, ist die Herrschaft der Wirtschaft über die Politik."[26]
Diese Ansicht war genau das Gegenteil von dem, was andere revolutionäre Gruppen in den 30er Jahren vertraten, wie z. B. die italienische kommunistische Linke, die eine ganze theoretische Diskussion über die Zeit des Übergangs eröffnet hatte.[27]
Anders als die deutsche und italienische kommunistische Linke[28] zeigte die GIC kein großes Interesse an den politischen Fragen der proletarischen Revolution, an theoretischen Überlegungen über den Staat in der Übergangsperiode. Das Verhältnis zwischen dem neuen Staat der Übergangsperiode, den revolutionären Parteien und den Arbeiterräten wurde trotz der russischen Erfahrung nie behandelt. Es gibt auch nichts über das Verhältnis zwischen der revolutionären Internationale und dem Staat oder den Staaten in Ländern, in denen das Proletariat die politische Macht übernommen hat. Ebenso wenig wurden die komplexen Fragen der proletarischen Gewalt[29] und des Bürgerkriegs in einer revolutionären Periode gestellt. Für die GIC schien es, als ob es kein Problem der Existenz eines Staates – oder eines Halbstaates – in der Periode des Übergangs zum Kommunismus gäbe. Die Fragen, ob es ihn gebe und welcher Art er sei ("proletarischer" Staat oder eine vom Proletariat geerbte "Geißel"), wurden nie gestellt. Diesen Problemen wurde mehr oder weniger ausgewichen.
Der Haupttext der GIC[30] über die Übergangsperiode, "Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung", befasste sich nur mit den ökonomischen Problemen dieser Periode.
Der Ausgangspunkt der GIC war, dass das Scheitern der russischen Revolution und die Entwicklung zum Staatskapitalismus nur durch die Unkenntnis oder sogar die Leugnung der Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Transformation der Gesellschaft erklärt werden konnte – dieses Problem war der gesamten Arbeiterbewegung gemeinsam. Aber paradoxerweise erkannte die GIC die fundamentale Rolle der russischen Erfahrung an, die es erst ermöglichte, die marxistische Theorie voranzubringen:
"... zumindest was die industrielle Produktion betraf [...] hat Russland versucht, das Wirtschaftsleben nach den Prinzipien des Kommunismus zu ordnen – und ist dabei völlig gescheitert! [...] Es war vor allem die Schule der Praxis, die die Russische Revolution verkörperte, der wir diese Erkenntnis zu verdanken haben, denn sie hat uns unmissverständlich gezeigt, welche Folgen es hat, wenn man zulässt, dass sich eine zentrale Autorität als gesellschaftliche Macht etabliert, die dann dazu übergeht, alle Macht über den Produktionsapparat in ihren ausschließlichen Händen zu konzentrieren."[31]
Für die holländischen Rätekommunisten bedeutete die Diktatur des Proletariats unmittelbar "die Vereinigung der freien und gleichen Produzenten". Die Arbeiter, die in den Fabriken in Räten organisiert waren, mussten den gesamten Produktionsapparat in die Hand nehmen und ihn für ihre eigenen Bedürfnisse als Konsumenten arbeiten lassen, ohne auf irgendeine zentrale staatsähnliche Instanz zurückzugreifen, da dies nur die Aufrechterhaltung einer Gesellschaft der Ungleichheit und Ausbeutung bedeuten konnte. Auf diese Weise wäre es möglich, eine Situation zu vermeiden, in der die Art von "Staatskommunismus", die während der Phase des Kriegskommunismus 1918-20 eingerichtet wurde, sich unweigerlich in eine Form von Staatskapitalismus verwandelt, dessen Produktionsbedürfnisse die der Arbeiter als Produzenten und Konsumenten dominieren. In der neuen Gesellschaft, die von den Räten und nicht von einem von einer zentralisierten Partei geführten Staat beherrscht wird, würde die Lohnarbeit - die Quelle aller Ungleichheit und aller Ausbeutung der Arbeitskraft - abgeschafft werden.
Letztlich waren für die GIC die Probleme der Übergangsperiode sehr einfach: Die Hauptsache war, dass die Produzenten das gesellschaftliche Produkt auf egalitäre Weise und durch Ausübung der Autorität "von unten nach oben" kontrollieren und verteilen sollten. Das wesentliche Problem der Übergangsperiode, wie es sich 1917 zeigte, war für sie nicht politisch – die Frage der weltweiten Ausdehnung der proletarischen Revolution –, sondern ökonomisch. Was zählte, war die unmittelbare, egalitäre Steigerung des Arbeiterkonsums, die von den Fabrikräten organisiert wurde. Das einzige wirkliche Problem der Übergangsperiode war für die GIC die Beziehung zwischen den Produzenten und ihren Produkten: "Es ist das Proletariat selbst, das den Grundstein legt, der das grundlegende Verhältnis zwischen den Produzenten und dem Produkt ihrer Arbeit zementiert. Dies und nur dies ist die Schlüsselfrage der proletarischen Revolution."[32]
Wie aber sollte die "egalitäre" Verteilung des Sozialprodukts erreicht werden? Offensichtlich nicht durch einfache juristische Maßnahmen: Verstaatlichung, "Sozialisierung", die verschiedenen Formen der Übernahme von Privateigentum durch den Staat. Die Lösung lag nach Ansicht der GIC in der Berechnung der Produktionskosten in Form der Arbeitszeit in den Betrieben, bezogen auf die Menge der geschaffenen gesellschaftlichen Güter. Abhängig von der jeweiligen Produktivität der verschiedenen Unternehmen wäre natürlich für das gleiche Produkt die benötigte Arbeitsmenge ungleich. Um dieses Problem zu lösen, würde es genügen, die durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit für jedes Produkt zu berechnen. Die Arbeitsmenge, die in den produktivsten Betrieben, also denjenigen, die über dem gesellschaftlichen Durchschnitt liegen, geleistet wird, würde in einen gemeinsamen Fonds fließen. Dies würde die weniger produktiven Unternehmen auf das allgemeine Niveau bringen. Gleichzeitig würde es dazu dienen, den technischen Fortschritt einzuführen, der für die Entwicklung der Produktivität in den Unternehmen eines bestimmten Sektors notwendig ist, um die durchschnittliche Produktionszeit zu reduzieren.
Die Organisation des Konsums sollte auf denselben Prinzipien beruhen. Ein allgemeines System der sozialen Buchführung, das auf statistischer Dokumentation beruht und von den in Räten und Genossenschaften organisierten Erzeugern-Verbrauchern eingerichtet wird, soll zur Berechnung der Verbrauchsfaktoren verwendet werden. Nach verschiedenen Abzügen – Ersatz verschlissener Maschinen, technische Verbesserungen, ein Sozialversicherungsfonds für Arbeitsunfähige, für Naturkatastrophen usw. – würde die Sozialreserve für jeden Verbraucher gleich verteilt. Den egalitären Produktionsbedingungen, die durch die Berechnung der durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeitszeit gewährleistet werden, stünden allgemein gleiche Bedingungen für alle einzelnen Konsumenten gegenüber. Dank dieses Systems der sozialen Buchhaltung würde das Wertgesetz abgeschafft: Produkte würden nicht mehr auf der Grundlage ihres Tauschwertes mit Geld als universellem Maß zirkulieren. Darüber hinaus würde die neue Gesellschaft mit der Einrichtung eines "neutralen", von den Räten nicht losgelösten, von jeder Personengruppe und von jeder zentralen Stelle unabhängigen Buchhaltungs- und Statistikzentrums der Gefahr der Bildung einer parasitären Bürokratie entgehen, die sich einen Teil des Sozialprodukts aneignet.
Die Grundprinzipien haben das Verdienst, die Bedeutung der ökonomischen Probleme in der Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus zu unterstreichen, umso mehr, als dies in der revolutionären Bewegung nur sehr selten angesprochen wurde. Ohne eine reale und kontinuierliche Steigerung des Arbeiterkonsums hat die Diktatur des Proletariats keine Bedeutung, und die Verwirklichung des Kommunismus wäre ein frommer Wunsch.
Aber der Text der GIC litt unter einer ganzen Reihe von Schwächen, die auch anderen revolutionären Gruppen nicht verborgen blieben.[33]
Die Grundprinzipien befassen sich eigentlich nur mit der entwickelten Phase des Kommunismus, in der die Regierung der Menschen durch die "Verwaltung der Dinge" ersetzt worden ist, gemäß dem von Marx verkündeten Prinzip "jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen". Die GIC glaubte, dass es sofort möglich sei, sobald die Arbeiterräte in einem bestimmten Land die Macht übernommen hätten, zu einer entwickelten Form des Kommunismus überzugehen. Sie ging von einer idealen Situation aus, in der das siegreiche Proletariat den Produktionsapparat der hochentwickelten Länder übernommen hat und von allen Kosten des Bürgerkriegs (Zerstörung, ein großer Teil der Produktion geht für militärische Bedürfnisse drauf) verschont geblieben ist; außerdem geht sie davon aus, dass es kein Problem mit den Bauern gebe, das der Vergesellschaftung der Produktion im Wege steht, da, so die GIC, die landwirtschaftliche Produktion bereits vollständig industriell und vergesellschaftet sei.[34] Schließlich stellten weder die Isolierung einer oder mehrerer proletarischer Revolutionen noch die Archaismen der kleinbäuerlichen Produktion ein wesentliches Hindernis für die Errichtung des Kommunismus dar: "Weder das Ausbleiben der Weltrevolution noch die Untauglichkeit der einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe auf dem Lande für die staatliche Leitung können für das Scheitern der russischen Revolution [...] auf wirtschaftlicher Ebene verantwortlich gemacht werden."[35]
Damit entfernte sich die GIC von der marxistischen Auffassung der Übergangsperiode, die zwei Phasen unterschied: eine untere Stufe, die manchmal als Sozialismus bezeichnet wurde, in der die "Regierung der Menschen" eine proletarische Wirtschaftspolitik in einer noch vom Mangel beherrschten Gesellschaft bestimmt; und eine höhere Phase, die des eigentlichen Kommunismus, einer Gesellschaft ohne Klassen, ohne Wertgesetz, in der sich die Produktivkräfte frei entwickeln, im Weltmaßstab, unbelastet von nationalen Grenzen. Aber auch für die untere Stufe der Übergangsperiode, die noch vom Wertgesetz und der Existenz rückständiger Klassen beherrscht wird, betonte der Marxismus, dass die Bedingung für jede wirtschaftliche Transformation in eine sozialistische Richtung der Triumph der Weltrevolution ist. Der Beginn jeder wirklichen wirtschaftlichen Umgestaltung der neuen, noch in Klassen gespaltenen Gesellschaft hängt in erster Linie davon ab, dass sich das Proletariat gegenüber den anderen Klassen politisch behauptet.
Die "ökonomistische" Sichtweise der GIC hängt mit ihrer Unfähigkeit zusammen, das Problem der Existenz eines Staates – eines "Halbstaates" – in der Periode der Diktatur des Proletariats, am Anfang der Übergangsperiode, zu begreifen. Dieser Halbstaat stellt eine Gefahr für die proletarische Macht dar, da sie eine Kraft zur Erhaltung der Gesellschaft ist, "eine Kraft, die aus der Gesellschaft hervorgeht, sich aber über sie erhebt und sich mehr und mehr von ihr verselbständigt".[36]
Die Theorie der GIC über die Übergangsperiode scheint der anarchistischen Theorie nahe zu stehen, die die Existenz eines Staates und damit eines politischen Kampfes um die Herrschaft über die neue Gesellschaft leugnet. Die im Grunde "technische" Rolle, die die GIC den Arbeitern zuweist, die damit beauftragt sind, die durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit in der Produktion einzuhalten, war eine implizite Negierung ihrer politischen Rolle.
Wie die Anarchisten sah auch die GIC den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft als einen mehr oder weniger natürlichen und automatischen Prozess. Nicht als Höhepunkt eines langen, widersprüchlichen Prozesses des Klassenkampfes um die Vorherrschaft des Halbstaates, gegen alle konservativen Kräfte, sondern als Ergebnis einer linearen, harmonischen, fast mathematischen Entwicklung. Diese Ansicht hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Ideen der utopischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts, insbesondere mit Fouriers Universeller Harmonie.[37]
Die letzte Schwäche der Grundprinzipien liegt in der Frage der Verbuchung der Arbeitszeit, selbst in einer fortgeschrittenen kommunistischen Gesellschaft, die über die Knappheit hinausgegangen ist. Ökonomisch gesehen könnte dieses System das Wertgesetz wieder einführen, indem es der für die Produktion benötigten Arbeitszeit einen buchhalterischen und nicht einen gesellschaftlichen Wert gibt. Hier wendet sich die GIC gegen Marx, für den das Standardmaß in der kommunistischen Gesellschaft nicht mehr die Arbeitszeit, sondern die freie Zeit, die Freizeit ist.[38]
Zweitens bietet die Existenz eines "neutralen", vermeintlich technischen Buchhaltungszentrums keine ausreichende Garantie für den Aufbau des Kommunismus. Dieses "Zentrum" könnte zu einem Selbstzweck werden, indem es Stunden gesellschaftlicher Arbeit auf Kosten der Konsumbedürfnisse und der Freizeit der Produzenten-Konsumenten akkumuliert und sich zunehmend von der Gesellschaft verselbständigt. Wenn die Produzenten "an der Basis" sich immer weniger um die Kontrolle des "Zentrums" und um die gesellschaftliche Organisation im Allgemeinen kümmerten, käme es unweigerlich zu einer Übertragung der Funktionen, die von den Organen der Produzenten ausgeführt werden sollten, auf "technische" Organe, die sich mehr und mehr verselbstständigen. Die Leugnung dieser potentiellen Gefahren durch die GIC blieb nicht ohne Folgen. Die holländischen Internationalisten lehnten schließlich jede Möglichkeit ab, dass es auch im Kommunismus einen Kampf der Produzenten für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Existenzbedingungen geben könnte: Die GIC weigerte sich, die Möglichkeit einer Gesellschaft ins Auge zu fassen, in der der Kampf "für bessere Lebensbedingungen niemals endet" und in der "der Kampf um die Verteilung der Produkte weitergeht"[39]. Führt dies nicht die Idee wieder ein, dass die Produzenten-Konsumenten nicht gegen sich selbst kämpfen können, einschließlich ihrer "Buchhaltungszentrale"?
Für die GIC erscheint der Kommunismus als eine absolute Gleichheit zwischen den Produzenten, die gleich zu Beginn der Übergangsperiode verwirklicht werden soll,[40] als ob es im Kommunismus keine natürliche (physische oder psychische) Ungleichheit in Produktion und Konsumtion mehr gäbe. Tatsächlich aber kann der Kommunismus als "reale Gleichheit in einer natürlichen Ungleichheit"[41] definiert werden.
[1] /content/1435/der-kommunismus-der-beginn-der-wirklichen-geschichte-der-menschheit-serie-iii-teil-1 [164]
[2] Zusammenfassung in Englisch: https://en.internationalism.org/ir/125-communism [165]
[3] Die Artikel befinden sich in der englischen Ausgabe der International Review Nr. 127-132 (auch im Internet)
[4] Vgl. den Artikel im Band 2 dieser Reihe (auf Englisch), Unravelling the Russian enigma in International Review Nr. 105
[6] Bilan Nr. 19, 20, 21, 22, 23
[7] Unter den Studien zu den Grundprinzipien können wir Paul Matticks Einleitung von 1970 zur deutschen Neuauflage des Buches erwähnen, die unter libcom.org/library/introduction-paul-mattick [167] (Englisch) erhältlich ist. Die 1990er Ausgabe des Buches, herausgegeben von Movement for Workers' Councils, enthält einen langen Kommentar von Mike Baker, geschrieben kurz vor seinem Tod, der auch zum Verschwinden der Gruppe führte. Unser eigenes Buch, The Dutch and German Communist Left, 2001, enthält einen Abschnitt über die Grundprinzipien, den wir als Anhang zu diesem Artikel veröffentlichen. Dieser Abschnitt zeigt die Kontinuität unserer Ansichten mit den Kritiken an dem Text, die zuerst durch Mitchells Artikel aufgeworfen wurden. Die deutsche Ausgabe der Grundprinzipien ist 2020 erneut aufgelegt worden.
[8] Bilan Nr. 19, Les fondements de la production et de la distribution communistes
[9] Bilan Nr. 33 und 34, Nature et évolution de la révolution russe
[10] Bilan Nr. 34, S. 1124
[11] Wir sollten hier präziser sein: Mitchell, selbst ehemaliges Mitglied der LCI, gehörte eigentlich der Belgischen Fraktion an, die sich wegen der Frage des Krieges in Spanien von der LCI abgespaltet hatte. In einer seiner Artikelserien über die Übergangsperiode (Bilan Nr. 38) äußerte er einige Kritikpunkte "an den Genossen von Bilan", da er das Gefühl hatte, dass sie dem wirtschaftlichen Aspekt der Übergangsperiode nicht genug Aufmerksamkeit schenkten.
[12] Vgl. auf Englisch: https://en.internationalism.org/ir/127/vercesi-period-of-transition [70]; oder auch das entsprechende Kapitel in unserem Buch Die Italienische Kommunistische Linke: /content/713/kapitel-7-bilanz-der-russischen-revolution-partei-gewerkschaften-klassenkampf-der-staat [168]; siehe auch auf Deutsch übersetzt: Gauche Communiste de France (Kommunistische Linke Frankreichs), M.C. April 1946, aus INTERNATIONALISME, /content/855/3-thesen-ueber-das-wesen-des-staates-und-der-proletarischen-revolution [169].
[13] Bilan Nr. 21, zitiert in The 1930s: debate on the period of transition, in International Review n° 127 (englische Ausgabe)
[14] Bilan Nr. 37, wiederveröffentlicht in englischer Übersetzung in International Review n° 132
[15] Bilan Nr. 35, wiederveröffentlicht in englischer Übersetzung in International Review n° 131
[16] Bilan Nr. 22, Les internationalistes hollandais sur le programme de la révolution prolétarienne
[17] Bilan Nr. 35
[18] Bilan Nr. 37
[19] Grundprinzipien, Kapitel VI, “Die allgemeine gesellschaftliche Arbeit”
[20] Bilan Nr. 22
[21] Bilan Nr. 37
[22] Grundprinzipien, Kapitel XIX, Untertitel “Vermeintliche Utopie”
[23] Bilan Nr. 37
[24] Bilan Nr. 37
[25] Grundprinzipien, Kapitel X, Untertitel “Die sachliche Kontrolle”
[26] “De Arbeidersklasses en de Revolutie”, in Radencommunisme Nr. 4, März/April 1940
[27] Einige Texte von Bilan über die Übergangsperiode wurden auch ins Italienische übersetzt: Rivoluzione e reazione (lo stato tardo-capitalistico nell'analisi delle Sinistra Communista), Università degli studi di Massina, Milan, Dotl A2. Giuffre editore, 1983, mit einer Einleitung von Dino Erba und Arturo Peregalli.
[28] Die Frage nach dem Staat in der Übergangsperiode wurde vor allem von der Essener Tendenz der KAPD 1927 gestellt. Die Arbeiterräte wurden als “proletarischer” Staat identifiziert (siehe KAZ, Essen. S. 1 - 11, 1927). Der einzige Beitrag der Berliner Tendenz war ein Text von Appel (Max Hempel) der “Lenins Staatkommunismus” in Proletarier N° 4-6, Mai 1927 kritisierte: “Marx-Engels und Lenin über die Rolle des Staates in der proletarischen Revolution”
[29] Die Frage nach dem Staat in der Übergangsperiode wurde vor allem von der Essener Tendenz der KAPD 1927 gestellt. Die Arbeiterräte wurden als “proletarischer” Staat identifiziert (siehe KAZ, Essen, S. 1-11, 1927). Der einzige Beitrag der Berliner Tendenz war ein Text von Appel (Max Hempel) der “Lenins Staatkommunismus” im Proletarier Nr. 4-6, Mai 1927 kritisierte: “Marx-Engels und Lenin über die Rolle des Staates in der proletarischen Revolution”.
[30] Die Grundprinzipien mit einer Einleitung von Paul Mattick wurden 1970 in Berlin vom Rudger Blankertz Verlag wiederveröffentlicht, die holländische Ausgabe, die viele Ergänzungen enthält, wurde 1972 von Uitgevery De Vlam mit einer Einleitung des Spartacusbond wiederveröffentlicht. Eine vollständige französische Übersetzung ist von Cahiers Spartacus geplant. Eine englische Ausgabe wurde in London von Movement for Workers’ Councils, 1990, veröffentlicht.
[31] Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, 1930
[32] Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, Hervorhebung GIC
[33] Eine Kritik des GIC-Textes wurde in Bilan von Nr. 11 bis 38, geschrieben von Mitchell (Jehan van den Hoven), einem Mitglied der belgischen LCI veröffentlicht. Hennaut, im Namen der LCI, erstellte in Bilan Nr. 19, 20, 21, 22 und 23 eine Zusammenfassung der Grundprinzipien.
[34] Diese These wurde 1933 von der GIC in der Broschüre Ontwikkelingsljnen in de landbouw, S. 1-48 vertreten.
[35] Grundprinzipien in der Wiederöffentlichung De Vlam, 1970, S. 10
[36] Engels, Ursprung der Familie, des Privateigentum und des Staats. Ein Resümee und eine Studie über die verschiedenen Positionen der Linken in der Dritten Internationale zur Übergangsperiode finden sich in den Thesen von J. Sie: Sur la période de transition au socialisme: les positions des gauches de la 3ème Internationale, veröffentlicht von Cosmopolis, Leiden, 1986.
[37] Diese Rückkehr zur Utopie findet sich bei Rühle, der 1939 eine Studie zu den utopischen Bewegungen veröffentlichte: Mut zur Utopie!, wiederveröffentlicht 1971 bei Rowohlt, Hamburg: Otto Rühle, Bauplane für eine neue Gesellschaft.
[38] „so wird einerseits die notwendige Arbeitszeit ihr Maß an den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Individuums haben, andrerseits die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft so rasch wachsen, daß, obgleich nun auf den Reichtum aller die Produktion berechnet ist, die disposable time aller wächst. Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time das Maß des Reichtums. Die Arbeitszeit als Maß des Reichtums setzt den Reichtum selbst als auf der Armut begründet und die disposable time nur existierend im und durch den Gegensatz zur Surplusarbeitszeit oder Setzen der ganzen Zeit des Individuums als Arbeitszeit und Degradation desselben daher zum bloßen Arbeiter, Subsumtion unter die Arbeit“ (Marx, Grundrisse, Heft VII, MEW 42, S. 622).
[39] Grundprinzipien, S. 40
[40] Der Großteil der kommunistischen Linken beharrte dagegen darauf, dass Gleichheit bei der Verteilung von Konsumgütern gleich zu Beginn der Übergangsperiode unmöglich sei. Vor allem in einer Periode des Bürgerkriegs, in der die neue Macht der Räte auf die Existenz von Spezialisten angewiesen sein würde.
[41] Bilan Nr. 35, Sept./Okt. 1936, “Problèmes de la période de transition”, von Mitchell („Probleme der Übergangsperiode“)
Anmerkung: Mittlerweile (2020) liegt auf Deutsch erstmals die vollständige 2. Auflage der holländischen Ausgabe von 1935 vor, diese ist umfassender als die Ausgabe von 1930/31, die meistens aus der deutschen Wiederveröffentlichung von 1970 bekannt ist. Unsere Zitate aus den Grundprinzipien (im vorliegenden Anhang) sind eigene Übersetzungen, die bisher nicht mit dieser neuen Ausgabe abgeglichen wurden (Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung (anarchia-versand.net) [170])
(Wir veröffentlichen hier den dritten der Berichte über die Weltlage, die für den 24. Kongress unserer Sektion in Frankreich 2019 geschrieben wurden. Dieser konzentriert sich auf die Situation der internationalen Arbeiterklasse vor und während der weltweiten Pandemie)
Die Covid-19-Pandemie ist eines der wichtigsten Ereignisse der Zerfallsphase, das wichtigste für die Weltarbeiterklasse seit 1989. Sie ist sowohl ein Produkt des Zerfalls des Kapitalismus als auch ein wesentlicher Faktor für dessen Verschärfung, insbesondere wegen ihrer Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse. Die Auswirkungen dieser Pandemie haben bereits eine historische Bedeutung und eröffnen der ausgebeuteten Klasse eine völlig beispiellose Periode.
Die Pandemie hat in vielen Teilen der Welt noch nicht ihren Höhepunkt erreicht; niemand, nicht einmal Mediziner*innen, können vorhersagen, ob auf die aktuelle Situation eine zweite Welle auf dem ganzen Planeten folgen wird, oder was das Virus als nächstes tun wird. Auch für die kapitalistische Wirtschaft und die herrschende Klasse ist es ein Sprung ins Ungewisse: Die wirtschaftlichen Folgen werden verheerend sein, aber auch hier kann niemand zum jetzigen Zeitpunkt das Ausmaß und die Tiefe dieser Folgen bestimmen. Die gesamte kapitalistische Gesellschaft kippt in eine völlig neue Situation, eine bewegte Lage von erheblicher Instabilität, in der "nichts mehr so sein wird wie zuvor".
Unter diesen Umständen, die je nach der Entwicklung der Situation auf verschiedenen Ebenen noch einige Zeit andauern werden, muss die Organisation der Revolutionäre voreilige Einschätzungen vermeiden und die Unmöglichkeit berücksichtigen, endgültige Vorhersagen zu machen, besonders im Bereich des Klassenkampfes.
Die IKS verfügt jedoch über die Mittel zur Analyse dieser Situation. Ihr politischer Rahmen sowie ihr Vertrauen auf die marxistische Methode sind die Stützpunkte, die es ihr ermöglichen, zu verstehen:
A. Der Rahmen des 23. Kongresses der IKS:
"Aufgrund der gegenwärtigen großen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse bei der Entwicklung ihrer Kämpfe, aufgrund ihrer Unfähigkeit, im Moment ihre Klassenidentität wiederzuerlangen und eine Perspektive für die gesamte Gesellschaft zu eröffnen, neigt das soziale Terrain dazu, von klassenübergreifenden Kämpfen besetzt zu sein, denen insbesondere das Kleinbürgertum den Stempel aufdrückt. Diese soziale Schicht, ohne historische Zukunft, kann nur ein Vehikel für Illusionen in die Möglichkeit der Reform des Kapitalismus sein, indem sie behauptet, dass der Kapitalismus ein „menschlicheres Gesicht“ haben sowie demokratischer, gerechter, sauberer, besorgter um die Armen und die Erhaltung des Planeten sein könne. (...)
Angesichts der Beschleunigung der wirtschaftlichen Angriffe auf die ausgebeutete Klasse und der Gefahr des Wiederauflebens von Arbeiterkämpfen versucht die Bourgeoisie nun, Klassenfeinde zu beseitigen. Indem sie versucht, das Proletariat in der „Gesellschaft der Bürger“ zu ertränken und seine Positionen zu verwässern, will die herrschende Klasse verhindern, dass es seine Klassenidentität wiedererlangt. Die internationale Medienberichterstattung über die Gelbwesten-Bewegung zeigt, dass die Vermittlung dieser Botschaften ein Anliegen der Bourgeoisie aller Länder ist. (...)
„Nur das Proletariat trägt eine Perspektive für die Menschheit in sich, und deshalb gibt es in seinen Reihen den größten Widerstand gegen diesen Zerfall. Doch das Proletariat ist nicht immun gegen den Zerfall, insbesondere weil die Kleinbourgeoisie, mit der es sich auseinanderzusetzen hat, der Hauptträger dieses Zerfalls ist. (...) In dieser Periode muß es sein Ziel sein, den schädlichen Auswirkungen des Zerfalls in seinen eigenen Reihen zu trotzen, indem es nur auf seine eigenen Kräfte zählt, auf seine Fähigkeit baut, sich kollektiv und solidarisch für die Verteidigung seiner Interessen als ausgebeutete Klasse einzusetzen (...)“ (Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus in Internationale Revue Nr. 13)
Der Kampf um die Klassenautonomie des Proletariats ist in dieser Situation, die durch die Verschärfung des Zerfalls des Kapitalismus diktiert wird, von entscheidender Bedeutung:
(...) Trotz ihrer Schwierigkeiten in den eigenen Reihen und der zunehmenden Tendenz, die Kontrolle über ihren politischen Apparat zu verlieren, ist es der Bourgeoisie gelungen, die Ausdrücke der Auflösung ihres Systems abzulenken – und zwar gegen das Bewusstsein und die Klassenidentität des Proletariats. Die Arbeiterklasse hat daher den tiefen Rückschlag, den sie seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime erlitten hat, noch nicht überwunden. Dies umso weniger, als demokratischen und antikommunistischen Kampagnen, die langfristig aufrechterhalten werden, regelmäßig aktualisiert worden sind (z.B. anlässlich des hundertsten Jahrestages der Oktoberrevolution 1917).
Dennoch hat die Bourgeoisie es trotz dreißig Jahren Rückzug des Klassenkampfes bisher versäumt, der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage zuzufügen, so wie sie es in den 1920er und 1930er Jahren tat. Trotz der Ernsthaftigkeit der anstehenden Fragen in der aktuellen historischen Epoche ist die Situation nicht identisch mit der der konterrevolutionären Periode. Das Proletariat der zentralen Länder hat keine physische Niederlage erlitten (wie dies bei der blutigen Niederschlagung der Revolution in Deutschland während der ersten revolutionären Welle von 1917-23 der Fall war). Es wurde nicht massiv unter nationalen Fahnen rekrutiert. Die überwiegende Mehrheit der Proletarier ist nicht bereit, ihr Leben auf dem Altar der Verteidigung des nationalen Kapitals zu opfern. In den großen Industrieländern, in den Vereinigten Staaten wie auch in Europa, schlossen sich die proletarischen Massen nicht den imperialistischen (und so genannten „humanitären“) Kreuzzügen ihrer „nationalen“ Bourgeoisie an. (...)
Die unaufhaltsame Verschärfung von Armut, Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, die Angriffe auf die Würde der Ausgebeuteten in den kommenden Jahren bilden die materielle Grundlage, die die neuen Generationen von Proletariern dazu bringen kann, den Weg zurück auf den Weg der Kämpfe zu finden, die von früheren Generationen zur Verteidigung all ihrer Lebensbedingungen geführt wurden. Trotz aller Gefahren, die das Proletariat bedrohen, hat die Zeit der Auflösung des Kapitalismus die objektiven „Verhältnisse“, die seit Beginn der Arbeiterbewegung den Anstoß für die revolutionären Kämpfe des Proletariats bildeten, nicht beseitigt.
Die sich verschärfende Wirtschaftskrise hat bereits eine neue Generation auf der gesellschaftlichen Bühne auftreten lassen, auch wenn dieser Auftritt noch sehr begrenzt und embryonal ist: 2006 die Studentenbewegung in Frankreich gegen den CPE, fünf Jahre später folgte die Bewegung der „Indignados“ in Spanien." (Resolution über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, 23. Kongress der IKS, in Internationale Revue 56)
B. Die Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich: besondere Situation oder Hinweis auf Veränderungen im internationalen Klassenkampf?
Dieser Rahmen musste mit dem Aufkommen von Arbeiterkämpfen, sowohl in Frankreich als auch auf internationaler Ebene, aktualisiert werden, die folgendes zeigen:
Unsere Methode, die Kriterien, die die IKS 2003 verwendet hat, um den Wendepunkt im Klassenkampf festzustellen, erlauben uns eine Bewertung:
In einem Bericht über die Entwicklung des Klassenkampfes, den das internationale
Zentralorgan der IKS im Oktober 2003 verabschiedete, sah die Organisation in der "Gleichzeitigkeit der Bewegungen in Frankreich und Österreich", wie bescheiden und auf die Lage in zwei Ländern beschränkt sie auch waren, ein wichtiges Kriterium für die Analyse der Situation. Die Situation Ende 2019/Anfang 2020 war geprägt von Ausdrucksformen der Kampfbereitschaft der Arbeiter auf internationaler Ebene, insbesondere in Europa und Nordamerika:
Im Bericht von 2003 vertrat die IKS die Perspektive, "dass es für die Klasse – trotz ihres anhaltenden Mangels an Selbstvertrauen – je länger je weniger möglich ist, angesichts der dramatischen Verschärfung der Krise und der zunehmend massiven und weit verbreiteten Art der Angriffe der Notwendigkeit eines Kampfes auszuweichen".
C. Der laufende Prozess der unterirdischen Reifung des Bewusstseins in der Arbeiterklasse
Im Jahr 2003 lag der Schwerpunkt nicht auf dem Tempo der Entwicklung der Kampfbereitschaft, sondern auf der Frage des Bewusstseins:
Die Bewegung in Frankreich 2019-20 drückte sehr deutlich die Suche nach Solidarität und der Ausweitung der Kämpfe aus; aber auch in Finnland: in Solidarität mit den Beschäftigten einer Tochtergesellschaft der Post, denen eine 30%ige Lohnkürzung auferlegt wurde: "Die Arbeiter traten am 11. November in den Streik. Fast 2 Wochen lang schlossen sich 10.000 Postangestellte der Bewegung an, um sich mit den bedrohten Arbeiter*innen zu solidarisieren und um Lohnerhöhungen zu fordern. Aber der Konflikt ging über die Post hinaus: Am 25.11. wurde zu Solidaritätsstreiks im Land- und Luftverkehr, auf Fähren usw. aufgerufen. Als die Drohung einer Blockade der Häfen oder gar eines Generalstreiks auftauchte, zog die Postleitung ihren Plan zurück".[3]
Angesichts der gewaltsamen Angriffe, die von der Krise und der herrschenden Klasse vorangetrieben werden, und trotz der schweren Niederlagen (Frankreich, USA), die es erlitten hat, zeigt das Proletariat eine Weigerung, sich den Bedingungen, mit denen es konfrontiert ist, zu ergeben und zeigt eine Anstrengung des Bewusstseins darüber, wie man den Kampf führen und verstärken kann.
D. Anzeichen für eine Änderung der Geisteshaltung in der Arbeiterklasse
Vieles zeigt sich in der Reaktion der Bourgeoisie, die nicht damit rechnet, dass diese Situation vorübergehend ist. Dies führt zwar nicht dazu, dass eine umfassende Anpassung ihres politischen Apparats notwendig wäre, wie wir es in den 1980er Jahren gesehen haben, aber dennoch nehmen die Gewerkschaften eine "klassenkämpferischere" Haltung ein, und sogar bestimmte parlamentarische Kräfte positionieren sich, um darauf einzugehen.
Die Veränderung der Geisteshaltung in der Arbeiterklasse ist also eine Realität, die seit 2003[4] verschiedene Stadien durchlaufen hat, und die Bourgeoisie hat sie gut verstanden, indem sie die Suche nach Solidarität und den vorhandenen Willen zur Entwicklung des Kampfes bemerkte.
Die gegenwärtige Veränderung wirft die Probleme in einer breiteren Weise als 2003 auf. Der Prozess der unterirdischen Reifung ist keineswegs homogen und ist in einigen Teilen der Welt deutlicher als in anderen. Zum Beispiel in den USA, wo wir eine kleine, aber signifikante Entwicklung eines Milieus von jungen Menschen sehen können, die sich mit den Positionen der kommunistischen Linken auseinandersetzen wollen.
Die Pandemie greift in diesen Kontext ein, in dem der Klassenkampf in Frankreich und international eine Veränderung der Geisteshaltung in der Arbeiterklasse gezeigt hatte, die durch Wut, Unzufriedenheit, aber auch durch die Bereitschaft, auf Angriffe zu reagieren, gekennzeichnet war, was zu einer Entwicklung der Kampfbereitschaft (und sogar zum Beginn des Ergreifens von Initiativen) und auch zu einem Beginn der Reflexion in der Klasse über die Perspektivlosigkeit im Kapitalismus führte. Aber das ist ein Prozess, der noch ganz am Anfang steht.
A. Eine noch nie dagewesene Situation für das Proletariat
Obwohl das Ausgesetzt-Sein gegenüber Epidemien ein Teil der Klassenbedingungen des Proletariats ist (vor allem die schreckliche Spanische Grippe 1918), steht es vor einer noch nie dagewesenen Situation: einer globalen Pandemie, die die generelle Abriegelung eines großen Teils der Menschheit und den fast vollständigen Stillstand der kapitalistischen Wirtschaft erfordert.
Diese Pandemie ist von internationaler Bedeutung für die gesamte Arbeiterklasse. Das Besondere an dieser Pandemie ist, dass sie eine direkte Herausforderung für die Gesundheit und das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter darstellt. Auf einer unmittelbaren Ebene für das Gesundheitspersonal, das gezwungen ist, ihr ohne die notwendige Ausrüstung zu begegnen, und auch für den Rest des Proletariats. In einer Situation, die Analogien zu einer Kriegssituation aufweist, wird die Bevölkerung mit lebensbedrohlicher Angst konfrontiert.
Die Auswirkungen der Pandemie sind nicht in allen Teilen der Welt gleich. Sie begann in China und schwappte auf andere südostasiatische Länder über; dann breitete sich die Welle nach Europa und dann in die Vereinigten Staaten aus und richtete in Lateinamerika, insbesondere in Brasilien, verheerende Schäden an und begann, den Rest der Welt (Indien) zu treffen. Das Proletariat ist also nicht überall in der unmittelbaren Zukunft mit den gleichen Auswirkungen konfrontiert. Es ist noch nicht bekannt, ob es nur eine zweite Welle geben wird oder ob Covid-19 endemisch, saisonal werden wird.
Die Auswirkungen der Ausgangssperren auf die Klasse sind auch nicht in allen Teilen der Welt gleich gewesen. In manchen Regionen der Welt, wo die Menschen gezwungen sind, von einem Tag auf den anderen zu leben, sind sie schlicht nicht umsetzbar; und sie haben nicht überall die gleichen Folgen, nämlich ganze Bevölkerungsgruppen in die Verarmung zu treiben – je nach den Sozial- und Gesundheitsschutzsystemen der verschiedenen Staaten.
In einem Kontext, in dem das Voranschreiten der Zerfalls in vielen Teilen der Welt bereits zu vielen sozialen Umwälzungen und Bewegungen verschiedener Art geführt hat, die den Zusammenhalt der kapitalistischen Gesellschaft beeinträchtigen und gefährden (Covid kann diese Tendenzen nur beschleunigen), wurde der Mehrheit der Weltbourgeoisie die eminent politische Entscheidung zur Verhängung allgemeiner Abriegelungen als einziges Mittel (vergleichbar mit denen der Vergangenheit) aufgezwungen, das den Staaten zur Verfügung steht, um die Situation zu bewältigen. Unter diesen Bedingungen angesichts der Pandemie untätig zu bleiben, barg für die Bourgeoisie das Risiko eines katastrophalen Verlusts ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Fähigkeit, die ideologische Ausrichtung der Gesellschaft zu sichern, was eine Bedrohung ihrer Klassenherrschaft bedeuten würde. Darüber hinaus musste sie das eiserne Korsett der staatlichen Kontrolle über die Gesellschaft verstärken, um ihren Zusammenhalt angesichts der aufkommenden Tendenzen zum Chaos zu bewahren und die unterdrückten Schichten, insbesondere die ausgebeutete Klasse, zu kontrollieren.
B. Was sind die Gemeinsamkeiten und was die Unterschiede zu den Krisensituationen von 1989 und 2008?
Was sind die Auswirkungen auf das Bewusstsein, die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse? Was ist die Auswirkung auf die Glaubwürdigkeit der Bourgeoisie und die Wirksamkeit ihrer ideologischen Kampagnen, die Art und Weise, wie die Bourgeoisie die verschiedenen Krisen präsentiert und nutzt? Wird es 2020 eine Wiederholung eines identischen Szenarios des Rückflusses des Bewusstseins und der Kampfbereitschaft im historischen Maßstab geben?
Der Kontext für die Arbeiterklasse ist sehr unterschiedlich, sowohl in Bezug auf die objektive Lage des Zustands der kapitalistischen Gesellschaft als auch auf die politische Situation der Klasse: 1989 und 2020 stellen zwei historische Ereignisse von globaler Bedeutung dar: das eine, 1989, als Eröffnung einer neuen Phase in der Geschichte der Dekadenz des Kapitalismus; das andere, 2020, als wichtigstes historisches Ereignis innerhalb der Phase des Zerfalls, das eine Etappe in ihrer Entwicklung markiert
"Als sich die dritte Welle von Kämpfen in den späten 1980er Jahren zu erschöpfen begann, erfuhr die Dynamik des Klassenkampfes durch den spektakulären Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime im Jahr 1989 einen brutalen Schlag und veränderte damit das Kräfteverhältnis zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie zugunsten der letzteren erheblich. Dieses Ereignis kündigte lautstark den Eintritt des Kapitalismus in die letzte Phase seiner Dekadenz an: die des Zerfalls. Als der Stalinismus zusammenbrach, tat er der Bourgeoisie einen letzten Gefallen. Er erlaubte es der herrschenden Klasse, der Dynamik des Klassenkampfes ein Ende zu setzen, die sich mit Fortschritten und Rückschlägen in zwei Jahrzehnten entwickelt hatte." (Resolution über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, 23. IKS-Kongress 2019, in Internationale Revue Nr. 56)
Dies war nur möglich, weil dieser Zusammenbruch eines Teils der kapitalistischen Welt, der weder unter den Schlägen des Klassenkampfes noch des imperialistischen Krieges stattfand, als eine Art Ereignis "außerhalb" der kapitalistischen Verhältnisse erscheinen konnte. An sich konnte dieses Ereignis nur eine negative Auswirkung auf die Klasse haben.
2020: Der kapitalistische Ursprung der Pandemie ist viel schwieriger zu verbergen. Sicherlich ist der Ursprung der Pandemie ein Kristallisationspunkt der imperialistischen Spannungen zwischen China und den USA und ein Tummelfeld für Verschwörungstheorien, die sich vom ideologischen Rand in den Mainstream bewegt haben und zunehmend von Staatschefs wie Trump gefördert werden. Dennoch lässt das Ausmaß der Katastrophe die Verantwortung der Sparpolitik und die Fahrlässigkeit aller kapitalistischen Staaten offener erscheinen.
Dem angeblichen "Bankrott des Kommunismus" konnte die Bourgeoisie den Sieg des Kapitalismus entgegensetzen, der gestärkt schien und die Eröffnung einer Ära des Friedens, der Demokratie und des Wohlstands verkündete. Dieses Ereignis wurde nicht nur nicht als Scheitern des Kapitalismus betrachtet, weil es in den Jahren nach der Implosion wirtschaftlich nicht zu einer Wirtschaftskrise führte, sondern es wurde als ideologischer Angriff gegen die Arbeiterklasse benutzt. Dieses Ereignis konnte somit als Beweis für die Überlegenheit des Kapitalismus dargestellt werden.
Heute - 2020 - nichts dergleichen: die drei Jahrzehnte der Krise und der Sparpolitik, der Verschlechterung der Lebensbedingungen des Proletariats haben zu einem gewissen Verlust der Illusionen geführt, dass der Kapitalismus dem Proletariat einen Platz bietet, zu einem embryonalen Bewusstsein über die Sackgasse und die Perspektivlosigkeit, die der Kapitalismus bietet. Gleichzeitig wird der Kapitalismus in seiner ideologischen Fähigkeit, seinen Bankrott zu verschleiern, immer schwächer:
Heute hat die Bourgeoisie nicht mehr denselben Spielraum, ihren Bankrott zu verbergen und bestimmte Auswirkungen oder Aspekte davon ideologisch gegen das Proletariat zu wenden:
Die Analysen der IKS wurden durch die "begleitenden" wirtschaftlichen Maßnahmen bestätigt, die von den wichtigsten Zentralstaaten ergriffen wurden, um die unmittelbaren Auswirkungen des plötzlichen Verlusts von Arbeitsplätzen oder Einkommen großer Teile der Arbeiterklasse zu mildern (Garantie eines Mindesteinkommens für Arbeitslose, staatliche Leistungen, um Kurzarbeit oder partielle Arbeitslosigkeit zu ermöglichen, Schaffung von Hilfen usw.), auch wenn die Maßnahmen weitgehend symbolisch sind, wie in den USA, wo es nicht den gleichen sozialen Schutz wie in Europa gibt. Dieses äußerst vorsichtige Vorgehen der herrschenden Klasse ist zum Teil durch die Notwendigkeit motiviert, einen Zusammenbruch in wirtschaftlichen Schlüsselsektoren zu vermeiden, aber es zeigt auch:
Die gewaltsamen Angriffe auf die Arbeiterklasse und die Maßnahmen, die die Bourgeoisie in allen Ländern ergriffen hat, ihr Versuch, eine gewisse nationale Einheit zu schaffen, die Verstärkung der Kontrolle des Polizeistaats, die Einschüchterung und Stigmatisierung, die die kapitalistischen Staaten umzusetzen versucht haben, haben es nicht geschafft:
C. Der Verlust des Vertrauens in den kapitalistischen Staat
Während im Jahr 2015 die Migrationskrise und die Terroranschläge zu einem Reflex innerhalb der Arbeiterklasse führten, den Schutz des kapitalistischen Staates zu suchen, hat die offensichtlichere Rolle des Staates als Verteidiger der Interessen der herrschenden Klasse den Mythos des wohlwollenden Staates weitgehend geknackt.
Es ist also ganz klar, dass das Proletariat nicht bereit ist, die Opfer zu akzeptieren, die die Bourgeoisie von ihm abverlangen wird. Trotz der Tatsache, dass die Bourgeoisie das Virus für die schrecklichen Auswirkungen der Krise verantwortlich macht, wird sie nicht in der Lage sein, ihre Verantwortung an dieser Katastrophe zu verbergen.
Die Arbeiterklasse befindet sich in einer komplexen Situation und ist mit kombinierten und gleichzeitigen Auswirkungen konfrontiert:
Die Explosion der sozialen Bewegungen, die durch die deutliche Verschärfung des Zerfalls und die immer deutlicher werdende Tendenz der Bourgeoisie hervorgerufen werden, die Kontrolle über ihr System zu verlieren und dabei zu scheitern, den sozialen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten, wird in den zentralen Ländern selbst deutlich zum Ausdruck gebracht.
A. Eine Veränderung der objektiven Bedingungen für den Kampf des Proletariats
Im Jahr 1989 waren die Folgen für die Arbeiterklasse im Weltmaßstab im Westen und im Osten sehr unterschiedlich; der Aufstieg Chinas wurde durch das Einsetzen der Zerfallsphase ermöglicht, er förderte die Illusion eines jugendlichen Kapitalismus, der sich wirklich entwickeln könne. Im Jahr 2020 dagegen wird das Proletariat überall mit einer weltweiten und allgemeinen Tendenz zu drastischen Angriffen auf die Lebensbedingungen konfrontiert sein, die denen der 30er Jahre nicht unähnlich sind und die es auf jeden Fall seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat.
In unserer Analyse der Lage des Proletariats haben wir ständig dargelegt:
Heute werden wir analysieren und verstehen müssen, was sich ändert oder nicht, in welchem Ausmaß usw. Welche Bedeutung hat die Tatsache, dass im Gegensatz zu früher alle Teile der Welt – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – von dem brutalen Versinken in der Krise betroffen sind (China, USA, Westeuropa, Schwellenländer) und dass die Bourgeoisie das Proletariat früher oder später massiv und gleichzeitig in verschärfter Form angreifen muss?
B. Die unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie und die Entwicklung der Rezession
C. Auswirkung der Pandemie auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse
Auch wenn die Arbeiterklasse keine unmittelbare Reaktion auf die Angriffe entwickeln wird, muss Folgendes berücksichtigt werden:
D. Die Pandemie als ein Faktor des Bewusstseins?
Die Beschäftigten im medizinischen Sektor sind sich bewusst, auf dem "Schlachtfeld" ihrer eigenen Gesundheit, aber auch der der Patientinnen und Patienten zu handeln. Die ethische Frage, die sich aus dem Widerspruch ergibt, zwischen dem, was die Wissenschaft bieten kann oder könnte, und den miserablen "Todesbedingungen" und dem Mangel, den der Kapitalismus bietet (z.B. die Notwendigkeit, Patienten, die in die Pflege aufgenommen werden, zu triagieren, was einige effektiv zum Tod verurteilt), bedeutet, dass der Kampf diese ethisch-moralische Dimension annehmen kann. Die ethische Frage (die im medizinischen Sektor eine Frage von Leben und Tod ist) kann ein Faktor für die Bewusstseinsbildung nicht nur unter den Beschäftigten im Gesundheitswesen, sondern auch allgemein in der Arbeiterklasse sein.
E. Eine notwendige Unterscheidung, die zwischen den verschiedenen Teilen des Kapitalismus gemacht werden muss
Konfrontiert mit dem universellen Problem der Gesundheitskrise sind die verschiedenen Fraktionen der Arbeiterklasse mit unterschiedlichen Bedingungen konfrontiert, so dass die Auswirkungen der Pandemie je nach Region oder Land unterschiedlich sind:
Dies sind alles Elemente, die die Möglichkeit einer gleichzeitigen Reaktion eher schwächen werden.
F. Die wirtschaftlichen Folgen werden auf lange Zeit katastrophal sein
Die Heterogenität der Situationen sowohl auf der Ebene der Klasse (hinsichtlich des Bewusstseins und der Kampffähigkeit je nach Land) als auch auf der Ebene der Situation in jedem Land wird sich auf die Reaktion der Arbeiterklasse auf die Folgen der Krise auswirken, die nicht überall gleich sein wird.
In Europa ist die Arbeitslosigkeit schon sehr alt, aber der Wohlfahrtsstaat hat als Puffer gedient und den Zerfall hinausgezögert, indem er eine abrupte Verschlechterung der Bedingungen verhindert hat.
In China wird die Arbeiterklasse zum ersten Mal mit Massenarbeitslosigkeit konfrontiert sein. Vor fünfundzwanzig Jahren war der Rostgürtel in China, der unter staatlicher Kontrolle stand, in Schwierigkeiten und die Arbeitslosigkeit war hoch. Dann gab es einen massiven Anstieg des Wirtschaftswachstums und einen daraus resultierenden Mangel an Arbeitskräften. Das Proletariat in China hat viel weniger Erfahrung mit Arbeitslosigkeit, obwohl wir Demonstrationen gegen die hohen Lebenshaltungskosten gesehen haben. Obwohl das chinesische Kapital die Pandemie anscheinend besser bewältigt hat als seine Hauptkonkurrenten, wird es dennoch gezwungen sein, der Arbeiterklasse angesichts einer zunehmenden Weltrezession immer mehr Opfer abzuverlangen.
In den USA gibt es keinen Wohlfahrtsstaat, die Explosion der Arbeitslosigkeit, Zwangsräumungen, Obdachlosigkeit usw. sind eine große Herausforderung; der Beginn einer Klassenreaktion war sofort mit der Explosion der sozialen Widersprüche aufgrund des Zerfalls konfrontiert.
Die Situation in Lateinamerika und anderswo ist wieder anders. Dort gibt es noch keine direkte Konfrontation mit den Auswirkungen der Krise.
A. Die Gefahr des Zerfalls
Der Ausbruch der Pandemie und das Stadium, das sie beim Abstieg in den Zerfall darstellt, beschleunigt den Wettlauf zwischen der historischen Notwendigkeit der Entwicklung der revolutionären Perspektive in der Arbeiterklasse einerseits und diesem weiteren Voranschreiten des Zerfalls andererseits, das die historischen Bedingungen für den Sozialismus zunehmend untergräbt. Sie unterstreicht die historische Verantwortung des Proletariats und die Dringlichkeit der Entwicklung der revolutionären Perspektive. "Wir sind uns durchaus bewusst, dass der Kapitalismus umso mehr die Grundlage für eine menschlichere Gesellschaft untergräbt, je länger er im Zerfall versinkt. Auch dies wird am deutlichsten durch die Zerstörung der Umwelt veranschaulicht, die den Punkt erreicht, an dem sie die Tendenz zu einem vollständigen Zusammenbruch der Gesellschaft beschleunigen kann, ein Sachverhalt, der nicht die Selbstorganisation und das Vertrauen in die Zukunft begünstigt, die für die Durchführung der Revolution erforderlich sind; und selbst wenn das Proletariat auf dem ganzen Planeten an die Macht kommt, wird es mit einer gigantischen Arbeit konfrontiert sein, die nicht nur das von der kapitalistischen Akkumulation hinterlassene Chaos aufräumt, sondern auch eine Spirale der Zerstörung umkehrt, die bereits in Gang gesetzt wurde." (Bericht des 23. Internationalen Kongresses der IKS über den Klassenkampf: Bildung, Verlust und Rückeroberung der proletarischen Klassenidentität in Internationale Revue Nr. 56)
B. Die Verarmung anderer Klassen oder sozialer Schichten
Die sehr heftige Krise trifft nicht nur das Proletariat, sondern auch andere Bevölkerungsschichten, von denen ein großer Teil drastisch verarmen wird. Diese Perspektive einer allgemeinen Verarmung – des Proletariats und anderer Schichten – macht die klassenübergreifenden Ideologien zu einer gefährlichen Falle für den Kampf. Angesichts der Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen wird die Klasse notwendigerweise ihre Antwort, ihre Kampfbereitschaft entwickeln müssen. Diese Entwicklung des Klassenkampfes wird in den kommenden Monaten auf die Gefahr klassenübergreifender Ideologien und Bewegungen stoßen. Die Gefahren, die die gegenwärtige historische Periode darstellt, haben sich also durch die Verschärfung des Zerfalls vervielfacht und unterstreichen damit, was im Klassenkampf auf dem Spiel steht:
"Der Kampf um die Klassenautonomie des Proletariats ist in dieser Situation, die durch die Verschärfung des Zerfalls des Kapitalismus diktiert wird, von entscheidender Bedeutung:
(Resolution über das Kräfteverhältnis der Klassen, 23. IKS-Kongress 2019, Internationale Revue Nr. 56)
C. Die Situation der Arbeiterklasse in den USA: welche Rolle bei der Wiederaufnahme des Klassenkampfes?
Die Bewegungen in den USA rund um die Frage der Rassen- und Polizeigewalt, die sich entweder auf dem Terrain der perspektivlosen Unruhen oder direkt auf einem bürgerlichen politischen Terrain abspielen, illustrieren die ernsten unmittelbaren Gefahren, denen die Klasse heute gegenübersteht. Sie sind die Art von Bewegungen, mit denen die revolutionäre Organisation rechnen muss und die sich in der kommenden Periode in den zentralen Ländern (oder in Ländern wie dem Libanon, die am Rande des Abgrunds stehen) zunehmend konkretisieren werden.
Die Black Live Matter Bewegung hat schnell internationale Resonanz gewonnen und sich auf andere zentral Länder ausgedehnt. Letztere sind grundsätzlich von den gleichen sozialen Widersprüchen betroffen, Widersprüche, die sich über Jahrzehnte aufgestaut haben und die der bürgerliche Staat zunehmend durch die Verstärkung seiner Kontrolle und Repression einzudämmen versuchen muss. Diese Bewegungen als Antwort auf den Rassismus wurden schnell von den Organen der bürgerlichen Linken absorbiert, was es der herrschenden Klasse ermöglicht, alle Aufmerksamkeit auf die Rassenfrage und die Forderung nach einem wirklich demokratischen System zu konzentrieren. So ist sie in der Lage, diese Bewegung voll auszunutzen und gegen den Klassenkampf einzusetzen, und das zu einem Zeitpunkt, an dem das kapitalistische System insgesamt seinen totalen Bankrott offenbart.
In den USA nahmen die ersten Reaktionen auf die Polizeimorde die Form von Riots an. Normalerweise dauern solche Reaktionen nur kurz, obwohl sie, da die zugrunde liegenden Ursachen bestehen bleiben, leicht wieder aufflammen können. Im Allgemeinen wurden sie jedoch von friedlicheren Demonstrationen abgelöst, die das Ende der Polizeigewalt forderten, und diese Mobilisierungen werden durch den Wahlkampf um die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen verlängert, was sich ebenfalls negativ auswirken wird.
D. Eine Situation, die die Schwierigkeiten veranschaulicht, die sich für die Klasse abzeichnen
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Dieser Bericht wurde im Vorfeld des Kongresses unserer Sektion in Frankreich im Oktober 2020 geschrieben. Seitdem ist die Möglichkeit einer zweiten Welle der Pandemie Realität geworden, insbesondere in den zentralen Ländern des Kapitalismus. Dies unterstreicht nur einen Punkt, der am Anfang des Berichts gemacht wurde – dass wir mit der Pandemie in unbekannte Gewässer eindringen, und in dieser Situation wäre es töricht, auch nur über die kurzfristigen Perspektiven für den Klassenkampf zu spekulieren. Es ist wahrscheinlich, dass die Fortsetzung der Lockdowns der Wiederbelebung offener Kämpfe weitere Hindernisse in den Weg stellen wird. Und auch wenn wir uns sicher sein können, dass es für die Bourgeoise notwendig sein wird, die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse massiv anzugreifen, könnte das Ausmaß dieser Angriffe, vor allem angesichts der Tatsache, dass sie mit Massenentlassungen und Betriebsschließungen einhergehen werden, in der ersten Zeit ein weiterer Faktor der Hemmung und Einschüchterung des Proletariats sein. Aber dieser Bericht hat auch gezeigt, dass die Fähigkeit der Arbeiterklasse, auf die Krise des Systems zu reagieren, keineswegs verschwunden ist; und das impliziert, dass wir früher oder später bedeutende Reaktionen auf den Ansturm des Kapitals sehen werden. In der Zwischenzeit haben Revolutionäre viel zu tun, um die zarten grünen Triebe des Bewusstseins zu befruchten, die bereits in kleinen Minderheiten auf der ganzen Welt sichtbar sind – Produkte einer tieferen unsichtbaren Bewegung zur Bewusstwerdung darüber, dass das gegenwärtige Produktionssystem zutiefst und unwiderruflich bankrott ist.
Dezember 2020
[1] Huelga en General Motors: los sindicatos dividen y enfrentan entre sí a los trabajadores (Streik bei General Motors: die Gewerkschaften spalten die Angestellten und spielen die einen gegen die anderen aus), von Revolución MundiaI, IKS-Sektion in Mexiko, 21. November 2019
[2] Seule la lutte massive et unie peut faire reculer le gouvernement ! (Nur der vereinte und massive Kampf kann die Regierung zum Rückzug zwingen), 13. Januar 2020, Révolution Internationale Nr. 480
[3] Finlande: Vague de grèves au "pays le plus heureux du monde" (Finnland: Streikwelle im „glücklichsten Land der Welt“), Le prolétaire Nr. 535, 28. Dezember 2019, https://www.pcint.org/40_pdf/03_LP-pdf/501-600/lp-535-w.pdf [171]
[4] Wir verweisen dazu insbesondere auf die Anti-CPE-Kämpfe in Frankreich im Jahr 2006 und die Indignados-Bewegung in Spanien im Jahr 2011.
Die Diskussionstexte, die wir hier veröffentlichen, sind das Ergebnis einer internen Debatte innerhalb der IKS über die Bedeutung und die Richtung der historischen Phase im Leben des dekadenten Kapitalismus, die durch den Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks 1989 endgültig eröffnet wurde: die Phase des Zerfalls, die Endphase der kapitalistischen Dekadenz.
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Auf dem 23. IKS-Kongress habe ich eine Reihe von Änderungsanträgen zur Resolution über die internationale Lage vorgelegt. Dieser Beitrag konzentriert sich auf diejenigen meiner Änderungsanträge, die vom Kongress abgelehnt wurden. Mein Beitrag behandelt die beiden zentralen Divergenzen, die ich mit der Position des Kongresses habe: die Frage der imperialistischen Spannungen und diejenige des globalen Kräfteverhältnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie.
Es gibt einen roten Faden, der diese Meinungsverschiedenheiten verbindet: Er betrifft die Frage des Zerfalls. Obwohl die gesamte Organisation sich auf die gleiche Analyse des Zerfalls beruft, den wir als die letzte Phase des dekadenten Kapitalismus betrachten, treten bei der Anwendung dieses Rahmens auf die gegenwärtige Lage unterschiedliche Auslegungen zutage.
Worüber wir uns alle einig sind, ist, dass diese Endphase durch die Unfähigkeit jeder der beiden Hauptklassen der kapitalistischen Gesellschaft, ihre diametral entgegengesetzten Lösungen für die Krise des dekadenten Kapitalismus durchzusetzen, nicht nur eingeleitet wurde, sondern eben darin ihre tiefsten Wurzeln hat: Für die Bourgeoisie wäre die Lösung der allgemeine Krieg/Weltkrieg, für das Proletariat die Weltrevolution.
Aber aus der Sicht der gegenwärtigen Position der Organisation scheint es eine zweite wesentliche Ursache und Charakteristik dieser Endphase zu geben: die Tendenz des Jeder-gegen-jeden: zwischen Staaten, innerhalb der herrschenden Klasse, sowie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt. Auf dieser Grundlage neigt die IKS in Bezug auf den Imperialismus gegenwärtig dazu, die Tendenz zur Bipolarität (und damit zur möglichen Wiederherstellung der imperialistischen Blöcke) und damit die wachsende Gefahr militärischer Konfrontationen zwischen den Großmächten zu unterschätzen. Auf derselben Grundlage neigt die IKS heute dazu, was das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen betrifft, den Ernst des gegenwärtigen Verlustes der revolutionären Perspektive des Proletariats zu unterschätzen, wobei dies dazu führt zu meinen, dass das Proletariat seine Klassenidentität im Wesentlichen durch defensive Arbeiterkämpfe wiedererlangen und damit beginnen könne, eine revolutionäre Perspektive zurückzuerobern.
Ich für meinen Teil stimme zwar zu, dass das Jeder-gegen-jeden der Bourgeoisie ein sehr wichtiges Merkmal des Zerfalls ist (es spielte eine enorme Rolle bei der Einleitung dieser Endphase mit dem Zerfall der imperialistischen Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut worden war), aber ich stimme nicht überein mit der Behauptung, dass sie eine ihrer Hauptursachen sei.
Im Gegenteil: Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Sackgasse zwischen den beiden Hauptklassen aufgrund ihrer Unfähigkeit, ihre eigene Klassenperspektive durchzusetzen, die wesentliche Ursache ist – und nicht das Jeder-gegen-jeden.
Für mich entfernt sich die IKS von unserer ursprünglichen Position zum Zerfall, indem sie dem Jeder-gegen-jeden eine ähnliche kausale Bedeutung beimisst wie dem Fehlen einer Perspektive. So wie ich es verstehe, bewegt sich die Organisation auf die Position zu, dass es mit dem Eintritt in den gesellschaftlichen Zerfall einen neuen Faktor gebe, der in früheren Phasen des dekadenten Kapitalismus noch nicht existiert habe. Dieser Faktor sei die Vorherrschaft des Jeder-gegen-jeden, der zentrifugalen Kräfte, während vor dem Zerfall die Tendenz zur Blockdisziplin, die zentripetalen Kräfte, die Oberhand zu gewinnen gepflegt hätten. Für mich gibt es im Gegensatz dazu in der Phase des Zerfalls keine gewichtige Tendenz, die es nicht schon vorher in der Zeit der Dekadenz gegeben hätte. Die neue Qualität der Zerfallssphase besteht darin, dass alle bereits bestehenden Widersprüche bis zum Äußersten verschärft werden. Das gilt für die Tendenz eines Jeder-gegen-jeden, die sich unter dem Zerfall ebenfalls bis zum Äußersten verschärft. Aber auch die Tendenz zu Kriegen zwischen führenden Mächten wird verschärft, ebenso wie alle Spannungen im Zusammenhang mit der Tendenz zu neuen Blöcken, den Versuchen der Vereinigten Staaten, neue Herausforderer niederzuschlagen, usw.
1. Die Divergenzen über den Imperialismus
Aus diesem Grund habe ich den folgenden Änderungsantrag zu Punkt 15 der Resolution eingereicht, in dem ich an das Fortbestehen der imperialistischen Bipolarität (die Entwicklung einer Hauptrivalität zwischen zwei führenden Mächten) und die Gefahren, die dies für die Zukunft der Menschheit darstellt, erinnerte:
"Während der Zeit der Militärblöcke nach 1945 standen hauptsächlich zwei Arten von Krieg auf der Tagesordnung:
Obwohl der Dritte Weltkrieg derzeit nicht auf der Tagesordnung steht, bedeutet dies nicht, dass die Tendenz zur Bipolarität der imperialistischen Antagonismen verschwunden ist. Der Aufstieg und die Expansion Chinas, ein Land, das derzeit in der Lage sein könnte, die Vereinigten Staaten herauszufordern, ist gegenwärtig der Hauptausdruck dieser (im Moment noch eindeutig sekundären) Tendenz zur Bildung neuer Blöcke.
Was das Phänomen der lokalen Kriege anbelangt, so sind sie natürlich auch ohne Existenz von Blöcken unvermindert weitergeführt worden, haben aber angesichts der Zahl der beteiligten regionalen und Großmächte und des Ausmaßes der Zerstörung und des Chaos, das sie verursachen, eine viel stärkere Tendenz, außer Kontrolle zu geraten. In diesem Zusammenhang ist die Gefahr des Einsatzes von Atombomben und anderen Massenvernichtungswaffen sowie von direkten militärischen Zusammenstößen auch zwischen den Großmächten selbst größer als zuvor."
Die Ablehnung dieses Änderungsantrags durch den Kongress spricht für sich selbst. Wir wenden uns ab von dem, was in den kommenden Jahren als einzelne wohl die wichtigste Gefahr eines Krieges zwischen Großmächten sein wird: dass nämlich die Vereinigten Staaten ihre immer noch bestehende militärische Überlegenheit gegenüber China nutzen werden, um den Aufstieg Chinas zu stoppen. Mit anderen Worten, die Gefahr besteht gegenwärtig in der Tat nicht in einem Weltkrieg zwischen zwei imperialistischen Blöcken, sondern in militärischen Abenteuern, die darauf abzielen, den bestehenden imperialistischen Status quo entweder in Frage zu stellen oder zu verteidigen. Diese militärischen Abenteuer könnten sich durchaus zu einem unkontrollierbaren globalen Flächenbrand entwickeln, der sich von denen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhundert deutlich unterscheiden würde. Die heutige chinesisch-amerikanische Rivalität ähnelt der zur Zeit des Ersten Weltkriegs zwischen dem aufstrebenden Herausforderer Deutschland und der bestehenden Weltmacht Großbritannien. Der letztgenannte Konflikt führte zum Niedergang beider. Aber dies geschah im europäischen Maßstab, während er sich heute im Weltmaßstab abspielt, so dass es keine dritte Partei (wie Amerika in den beiden Weltkriegen) mehr gibt, die darauf wartet, von außen einzugreifen, um die Vorteile zu nutzen. Heute wird das "No future" höchstwahrscheinlich für alle zutreffen. Weit davon entfernt, in Widerspruch zu unserer Theorie des Zerfalls zu stehen, bestätigen gerade die gegenwärtigen Konflikte zwischen den aufstrebenden Großmächten sie in schlagender Weise.
In einer Antwort auf unserer Website auf eine Kritik eines IKS-Sympathisanten (Mark Hayes) an diesem Teil der Resolution des 23. Kongresses, worin wir bekräftigten, dass "Militarismus und imperialistischer Krieg nach wie vor grundlegende Merkmale dieser letzten Phase der Dekadenz sind", fügten wir hinzu: "…selbst dann, wenn die imperialistischen Blöcke verschwunden sind und sich wahrscheinlich nicht wieder formieren werden". In der gleichen Antwort argumentieren wir: "Der Brennpunkt richtet sich auf lokale und regionale Kriege, auf ihre Ausbreitung bis in die Zentren des Kapitalismus durch die Verbreitung des Terrorismus, zusammen mit der wachsenden ökologischen Katastrophe und der allgemeinen Verwesung“. Regionale Kriege, die Ausbreitung des Terrorismus, ökologische Katastrophen: ja! Aber warum schließen wir aus dieser Perspektive die Gefahr militärischer Zusammenstöße zwischen den Großmächten so grundsätzlich aus? Und warum betonen wir, dass sich wahrscheinlich keine imperialistischen Blöcke mehr bilden werden? Tatsächlich neigen wir dazu zu vergessen, dass das Jeder-gegen-jeden nur der eine Pol eines Widerspruchs ist, dessen anderer Pol die Tendenz zur Bipolarität und zu imperialistischen Blöcken ist.
Die Tendenz des Jeden gegen jeden und die Tendenz zur Bipolarität existieren beide permanent und gleichzeitig im dekadenten Kapitalismus.
Die allgemeine Tendenz geht dahin, dass das eine die Oberhand über das andere gewinnt, so dass das eine hauptursächlich und das andere sekundär ist. Aber keines von beiden verschwindet jemals. Sogar auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges (als die Welt in zwei Blöcke geteilt war, die über Jahrzehnte stabil blieben) verschwand die Tendenz des Jeder-gegen-jeden nie ganz (so gab es militärische Konfrontationen zwischen Mitgliedern desselben Blocks auf beiden sich befehdenden Seiten). Selbst auf dem Höhepunkt des Jeder-gegen-jeden und der überwältigenden Überlegenheit der Vereinigten Staaten (nach 1989) verschwand die Tendenz zu Blöcken nie ganz (siehe z.B. die Balkan- und Osteuropapolitik Deutschlands nach seiner Vereinigung). Außerdem kann die Vorherrschaft der einen Tendenz schnell in diejenige der anderen übergehen, da sie sich nicht gegenseitig ausschließen. So verwandelte sich beispielsweise das imperialistische Jeder-gegen-jeden in den 1920er Jahren (das nur durch die Angst vor der proletarischen Revolution abgeschwächt wurde) in die Blockkonstellation des Zweiten Weltkriegs. Die Bipolarität der Nachkriegszeit verwandelte sich 1989 schnell in eine beispiellose Jeder-gegen-jeden-Konstellation. All dies ist nicht neu. Es ist die Position, die die IKS immer verteidigt hat.
Das Haupthindernis für die Tendenz zur imperialistischen Bipolarität im dekadenten Kapitalismus ist nicht ein Jeder-gegen-jeden, sondern das Fehlen eines Kandidaten, der stark genug ist, um eine globale Herausforderung an die Führungsmacht zu stellen. Dies war nach 1989 der Fall. Die Verstärkung der bipolaren Tendenz in den letzten Jahren ist daher vor allem das Ergebnis des Aufstiegs Chinas.
Auf dieser Ebene haben wir ein Problem der Aneignung unserer eigenen Position. Wenn wir der Meinung sind, dass „jeder gegen jeden“ eine Hauptursache für den Zerfall ist, dann scheint schon der Gedanke daran, dass der entgegengesetzte Pol, der der Bipolarität, gegenwärtig wieder an Stärke gewinnt und eines Tages sogar die Oberhand gewinnen könnte, zwangsläufig eine Infragestellung unserer Position zum Zerfall zu sein. Es stimmt zwar, dass um 1989 herum der Zerfall des Ostblocks (der sein westliches Gegenstück überflüssig machte) die Phase des Zerfalls einleitete und den größten Ausbruch der Haltung „jeder gegen jeden“ in der modernen Geschichte auslöste. Aber dieses Jeder-gegen-jeden war das Ergebnis, nicht die Ursache tiefer liegender Entwicklungen: der Pattsituation zwischen den Klassen. Im Mittelpunkt dieser Entwicklungen stand der Verlust der Perspektive, das alles beherrschende "No future", das diese Endphase kennzeichnet. In jüngerer Zeit ist die gegenwärtige Welle des politischen Populismus eine weitere Manifestation dieser grundlegenden Perspektivlosigkeit der gesamten herrschenden Klasse. Aus diesem Grund habe ich folgende Änderung zu Punkt 4 der Resolution vorgeschlagen:
"Der zeitgenössische Populismus ist ein weiteres deutliches Zeichen für eine Gesellschaft, die auf einen Krieg zusteuert:
Mit anderen Worten, die populistischen Bewegungen sind gleichzeitig ein Symptom und ein aktiver Faktor für den Drang zum Krieg".
Auch dieser Änderungsantrag wurde vom Kongress abgelehnt. Hier die Worte der Änderungskommission:
"Wir sind nicht gegen die Tatsache, dass Populismus Teil eines wachsenden Klimas der Gewalt in der Gesellschaft ist, aber wir denken, dass es eine unterschiedliche Auffassung über den Marsch in den Krieg gibt, die nicht dem allgemeinen Ansatz der Resolution entspricht.“ Das trifft genau zu. Die Absicht des Änderungsantrags bestand gerade darin, die Resolution in diesem Punkt zu ändern, ja zu korrigieren. (Die Änderungskommission gab übrigens dasselbe Argument für ihre Ablehnung des Änderungsantrags zu Punkt 15 an, siehe oben). Der Änderungsantrag wollte nicht nur die Alarmglocken angesichts der wachsenden Kriegsgefahr läuten lassen, sondern auch zeigen, dass die besondere Irrationalität des Populismus nur ein Teil der Irrationalität der bürgerlichen Klasse insgesamt ist. Diese Irrationalität ist bereits ein Hauptmerkmal des dekadenten Kapitalismus, und zwar lange vor seinem Zerfall: Es gab schon lange die Tendenz wachsender Teile der herrschenden Klasse, in einer Weise zu handeln, die ihren eigenen Interessen schadet. So gingen alle europäischen Großmächte geschwächt aus dem Ersten Weltkrieg hervor, und die Herausforderung, die Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg an den Rest der Welt stellten, hatte bereits etwas von einem selbstmörderischen Amoklauf. Aber diese Tendenz war noch nicht überall vorherrschend. Vor allem die Vereinigten Staaten profitierten sowohl wirtschaftlich als auch militärisch von ihrer Teilnahme an beiden Weltkriegen. Und man könnte sogar argumentieren, dass sich für den Westblock der Kalte Krieg als in einer gewissen Hinsicht rational erwies, da seine Politik der militärischen Eindämmung und wirtschaftlichen Strangulierung zum Zusammenbruch seines östlichen Gegenstücks ohne einen Weltkrieg beitrug. Im Gegensatz dazu steht in der Phase des Zerfalls die Weltmacht selbst, die Vereinigten Staaten, an der Spitze des Chaos, des Amoklaufes, und es ist schwer vorstellbar, wie jemand von den Kriegen zwischen den USA und China profitieren könnte. Irrationalität und "No future" sind die beiden Seiten ein und derselben Medaille, einer Haupttendenz des dekadenten Kapitalismus. Wenn in diesem Zusammenhang einige der populistischen Strömungen im kontinentalen Westeuropa jetzt dafür plädieren, in Zukunft bevorzugt Geschäfte mit Russland oder China zu machen und bereit sind, mit ihren bevorzugten "angelsächsischen" Feinden (den Vereinigten Staaten und Großbritannien) zu brechen, ist dies eindeutig ein Ausdruck von "No future". Aber im Widerstand dagegen zeigt sich die Rationalität von Leuten wie Angela Merkel in der Erkenntnis, dass Deutschland, wenn sich die Polarisierung zwischen Amerika und China weiter wie bisher zuspitzt, keine andere Wahl hätte, als sich auf die Seite der USA zu stellen, in dem Wissen, dass es unter keinen Umständen zulassen würde, dass Europa unter die "asiatische" Vorherrschaft gerät.
2. Die Divergenzen über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen
Wenn man zu dem Teil der Resolution über den Klassenkampf übergeht, wird im Grunde die gleiche Divergenz über die Anwendung des Begriffs des Zerfalls deutlich. Ein wesentlicher Teil der Resolution ist Punkt 5, da er sich mit den Problemen des Klassenkampfes in den 1980er Jahren befasst – dem Jahrzehnt, an dessen Ende die Phase des Zerfalls beginnt. Der Punkt fasst die Lehren dieses Jahrzehnts zusammen und kommt zu folgendem Schluss: "Aber noch schlimmer ist, dass die Bourgeoisie und ihre dressierten Gewerkschaften mit dieser Strategie, die Arbeiter*innen zu spalten und das Jeder-gegen-jeden zu fördern, in der Lage waren, die Niederlagen des Proletariats als Siege darzustellen.
Die Revolutionäre dürfen den Machiavellismus der Bourgeoisie bei der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen nicht unterschätzen. Dieser Machiavellismus kann nur mit der Verschärfung der Angriffe auf die ausgebeutete Klasse fortgesetzt werden. Die Stagnation des Klassenkampfes, dann sein Rückzug Ende der 80er Jahre, resultierte aus der Fähigkeit der herrschenden Klasse, bestimmte Erscheinungsformen des Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere die Tendenz des Jeder-gegen-jeden, gegen die Arbeiterklasse zu wenden."
Punkt 5 unterstreicht zu Recht die Bedeutung der negativen Auswirkungen des Jeder-für-sich auf die damaligen Kämpfe der Arbeiter. Es ist auch richtig, den Machiavellismus der herrschenden Klasse bei der Förderung dieser Mentalität hervorzuheben. Auffallend ist jedoch, dass das Problem der Perspektivlosigkeit in dieser Analyse der Schwierigkeiten des Klassenkampfes nicht auftaucht. Was umso bemerkenswerter ist, wo doch die 1980er Jahre als das „No-future“-Jahrzehnt in die Geschichte eingegangen sind. Es ist die gleiche Herangehensweise, die wir bereits beim Imperialismus vorgefunden haben. Die Ereignisse werden vor allem aus dem Blickwinkel eines Jeder-gegen-jeden analysiert, auf Kosten des Problems der Perspektivlosigkeit. Um dies zu korrigieren, schlug ich folgende Änderung (Ergänzung) vor, die am Ende des Punktes hinzugefügt werden sollte:
"Diese Konfrontationen mit den Gewerkschaften haben jedoch in keiner Weise den Rückschritt auf der Ebene der revolutionären Perspektive umgekehrt oder gar zum Stillstand gebracht. Dies war in den 1980er Jahren noch mehr der Fall als in den 1970er Jahren. Die beiden wichtigsten und massivsten Arbeiterkämpfe des Jahrzehnts (Polen 1980, und der Kampf der britischen Bergarbeiter 1984/85) führten zu einem gesteigerten Ansehen der beteiligten Gewerkschaften".
Der Kongress lehnte diesen Änderungsantrag ab. Das von der Änderungskommission (AC) dafür angeführte Argument war:
"Der Rückschritt in der revolutionären Perspektive begann mit dem Sturz der stalinistischen Regime im Jahr 1989. Polen 1980 hatte nicht die gleichen Merkmale wie der isolierte Kampf der Bergarbeiter in Großbritannien 1984-85. In Polen, einem stalinistischen Land, gab es eine Dynamik des Massenstreiks mit der geographischen Ausdehnung der Bewegung und der Selbstorganisation in souveränen Generalversammlungen (MKS) vor der Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc. Polen 1980 war die letzte Bewegung der zweiten Welle von Kämpfen. Wegen des Verlustes der Errungenschaften müssen wir unsere Analysen der dritten Welle der Kämpfe neu lesen".
Dies hat zumindest das Verdienst, dass es klar ist: Vor 1989 gab es keinen Rückschritt in der revolutionären Perspektive. Aber wie korreliert dies mit unserer Analyse des Zerfalls? Nach dieser Analyse war es die Unfähigkeit der beiden Hauptklassen, ihre eigenen Lösungen voranzubringen, die die Phase des Zerfalls verursachte und sie einleitete. Wenn diese im Jahr 1989 beginnt, muss das, was sie verursacht hat, schon vorher bestanden haben: das Fehlen einer Perspektive – sei es von der Bourgeoisie oder vom Proletariat. Die Änderungskommission, aber auch Punkt 5 der Resolution selbst führen Polen als Beweis dafür an, dass es vor 1989 keinen Rückschritt in der Perspektive gegeben habe. Aber, wenn überhaupt, beweist Polen das Gegenteil. Die erste Welle der Kämpfe einer neuen und unbesiegten Generation des Proletariats, beginnend 1968 in Frankreich und 1969 in Italien, brachte eine neue Generation revolutionärer Minderheiten hervor. Die IKS selbst ist ein Produkt dieses Prozesses. Im Gegensatz dazu hat die Welle der Kämpfe der späten 1970er Jahre, die im Massenstreik 1980 in Polen gipfelte, nichts dergleichen hervorgebracht. Und was in den 1980er Jahren folgte, war eine Krise, die das gesamte damals existierende politische proletarische Milieu in Mitleidenschaft zog. Keiner der großen Arbeiterkämpfe der 1980er Jahre brachte weder einen politischen Elan in der Klasse als Ganzes noch einen revolutionären Elan bei ihren revolutionären Minderheiten hervor, der mit dem des vorangegangenen Jahrzehnts vergleichbar gewesen wäre. Dies ignorierend, stellt die Resolution die Dinge so dar, als sei das Jeder-für-sich die Hauptschwäche, fein säuberlich getrennt von der Frage der Perspektive. Diese Herangehensweise des Kongresses wird auch durch die Ablehnung einer weiteren Änderungsformulierung unterstrichen, die ich gemacht habe und in der es heißt: "Schon vor den welthistorischen Ereignissen von 1989 trat der Klassenkampf auf der Ebene der Kampfbereitschaft auf der Stelle, und in Bezug auf die revolutionäre Perspektive war er sogar rückläufig".
Das Argument der Änderungskommission war: "Dieser Änderungsantrag führt die Idee ein, dass es eine Kontinuität zwischen den Schwierigkeiten des Klassenkampfes in den 1980er Jahren (dem 'Treten auf der Stelle') und dem durch den Zusammenbruch des Ostblocks hervorgerufenen Bruch gab.“ Also gibt es keine "Kontinuität"? Man kann natürlich so argumentieren. Aber hat dies etwas damit zu tun, dass wir das Patt zwischen den Klassen als Ursache für den Zerfall analysiert haben? 1989 war in der Tat ein Bruch, aber einer mit einer Vorgeschichte sowohl des Klassenkampfes als auch des imperialistischen Kampfes. Obwohl diese Vorstellung des Jeder-für-sich als zentral für den Zerfall, etwa auf der gleichen Stufe wie das Fehlen einer Perspektive, nicht (oder noch nicht?) die offizielle Position der Organisation ist, würde ich argumentieren, dass sie zumindest implizit in der Argumentation dieser Resolution enthalten ist.
In Punkt 6 der Resolution werden die Ereignisse um 1989 und ihr Zusammenhang mit dem Klassenkampf so behandelt:
"Als sich die dritte Welle von Kämpfen in den späten 1980er Jahren zu erschöpfen begann, erfuhr die Dynamik des Klassenkampfes durch den spektakulären Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime im Jahr 1989 einen brutalen Schlag und veränderte damit das Kräfteverhältnis zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie zugunsten der letzteren erheblich. Dieses Ereignis kündigte lautstark den Eintritt des Kapitalismus in die letzte Phase seiner Dekadenz an: die des Zerfalls. Als der Stalinismus zusammenbrach, tat er der Bourgeoisie einen letzten Gefallen. Er erlaubte es der herrschenden Klasse, der Dynamik des Klassenkampfes ein Ende zu setzen, die sich mit Fortschritten und Rückschlägen in zwei Jahrzehnten entwickelt hatte.
Da nicht der Kampf des Proletariats, sondern die Verrottung der kapitalistischen Gesellschaft auf innen heraus dem Stalinismus ein Ende setzte, konnte die Bourgeoisie dieses Ereignis ausnutzen, um eine gigantische ideologische Kampagne zu entfesseln, die darauf abzielte, die größte Lüge der Geschichte fortzusetzen: die Identifikation des Kommunismus mit dem Stalinismus. Damit hat die herrschende Klasse dem Bewusstsein des Proletariats einen äußerst heftigen Schlag versetzt. Die ohrenbetäubenden Kampagnen der Bourgeoisie über den so genannten „Bankrott des Kommunismus“ haben zu einem Rückschritt des Proletariats auf seinem Weg zu seiner historischen Perspektive des Sturzes des Kapitalismus geführt. Sie waren ein großer Schlag gegen seine Klassenidentität".
Hier scheinen die dramatischen Ereignisse von 1989 nichts mit dem globalen Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu tun zu haben. Diese Annahme steht jedoch im Widerspruch nicht nur zu unserer Theorie des Zerfalls, sondern auch zu unserer Theorie des Historischen Kurses. Der IKS zufolge hätte nach 1968 der Ostblock, der auf den meisten anderen Ebenen immer mehr ins Hintertreffen geraten war, eine militärische Lösung des Kalten Krieges anstreben müssen. Wenn der Warschauer Pakt in Europa mit "konventionellen“ Mitteln der Kriegsführung hätte angreifen wollen (eine Ebene, auf der das Kräfteverhältnis nicht so ungünstig für ihn war), hätte er seine Hoffnungen auf seinen westlichen Feind setzen müssen, dass dieser (aus Furcht vor MAD – "Mutually Assured Destruction" der gegenseitigen Zerstörung) es nicht wagen würde, auf nuklearer Ebene zurückzuschlagen. Doch in den 1970er und 80er Jahren war der Ostblock nicht in der Lage, diese Karte auszuspielen, und einer der Hauptgründe dafür war, dass er sich nicht auf die Zustimmung seiner "eigenen" Arbeiterklasse verlassen konnte. Dies wäre jedoch für die Kriegsführung in einem solchen Ausmaß unerlässlich. Auf dieser Ebene war der Massenstreik 1980 in Polen eine massive Rechtfertigung für unsere Analyse. Sowjetische Truppen, die damals nahe der Grenze in Vorbereitung einer Invasion Polens mobilisiert wurden, meuterten. Die Soldaten weigerten sich, gegen ihre Klassenschwestern und -brüder in Polen zu marschieren. Aber Polen 1980 zeigte nicht nur, dass das Proletariat ein Hindernis für den Weltkrieg war, sondern auch, dass es nicht in der Lage war, über diese Blockade des Gegners hinauszugehen, um seine eigene revolutionäre Alternative voranzubringen. Die Arbeiterklasse im Westen hätte in die Bresche springen müssen. Aber in den 1980er Jahren war sie dazu nicht in der Lage. Damit waren die Weichen für die Pattsituation gestellt, die am Ende des Jahrzehnts die Phase des Zerfalls einleitete. Die Resolution hat völlig recht, dass der Zusammenbruch des Stalinismus 1989 und die maximale Ausnutzung dieses Zusammenbruchs durch die bürgerliche Propaganda der Hauptschlag gegen die Kampfbereitschaft, die Klassenidentität, das Klassenbewusstsein des Proletariats war. Was ich bestreite, ist die Behauptung, dass dies nicht vorher durch die Pattsituation zwischen den Klassen und insbesondere durch die Schwächung der Präsenz der Perspektive auf der Seite des Proletariats vorbereitet wurde. Die Resolution selbst räumt, anscheinend ohne sich dessen bewusst zu sein, die Existenz dieser Verbindung zwischen 1989 und vorher ein, wenn sie schreibt (Punkt 6), dass die Bourgeoisie dieses Ereignis ausnutzen konnte, "da nicht der Kampf des Proletariats, sondern die Verrottung der kapitalistischen Gesellschaft aus innen heraus dem Stalinismus ein Ende setzte".
Die Arbeiterkämpfe der späten 1960er Jahre beendeten die Konterrevolution, nicht nur, weil sie massiv, spontan und oft selbstorganisiert waren, sondern auch, weil sie aus dem ideologischen Würgegriff des Kalten Krieges ausbrachen, als mensch entweder auf der Seite des "Kommunismus" (Ostblock) oder der "Demokratie" (Westblock) stehen musste. Mit dem Arbeiterkampf der 60er Jahre entstand die Idee eines Kampfes gegen die herrschende Klasse in Ost und West, des Marxismus gegen den Stalinismus, einer Revolution mittels Arbeiterräten mit dem Ziel des wirklichen Kommunismus. Dieser ersten Politisierung (wie in der Resolution hervorgehoben wird) wurde von der herrschenden Klasse in den 1970er Jahren erfolgreich entgegengewirkt. Angesichts der darauf folgenden Entpolitisierung bestand in den 1980er Jahren die Hoffnung, dass die wirtschaftlichen Kämpfe, insbesondere die Konfrontation mit den Gewerkschaften, zum Schmelztiegel einer Repolitisierung, vielleicht sogar auf höherer Ebene, werden könnten. Doch obwohl es in den 1980er Jahren tatsächlich massive Kämpfe gab, obwohl es tatsächlich Konfrontationen mit den Gewerkschaften und sogar mit der radikalen Basisgewerkschaft vor allem im Westen, aber z.B. auch in Polen gegen die neue "freie" Gewerkschaft gab, brachten sie nicht die erhoffte Politisierung. Dieses Scheitern wird bereits in unserer Theorie des Zerfalls anerkannt, da sie die neue Phase als eine „ohne Perspektive“ definiert, und genau diese Perspektivlosigkeit ist die Ursache für die Pattsituation. Proletarische Politisierung ist immer politisch in Bezug auf ein Ziel jenseits des Kapitalismus. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Idee einer Art Pattsituation zwischen den beiden Hauptklassen für unsere Theorie des Zerfalls sind die Unterschiede in der Bewertung der Kämpfe der 1980er Jahre für die Einschätzung des Klassenkampfes bis heute von besonderer Bedeutung. Der Resolution zufolge entwickelte sich der proletarische Kampf trotz aller Probleme, mit denen er konfrontiert war, grundsätzlich positiv, bis er 1989 durch ein grundlegend äußeres welthistorisches Ereignis in seinen Bahnen gestoppt worden sei. Da die Auswirkungen selbst der überwältigendsten solcher Ereignisse mit der Zeit zwangsläufig nachließen, sollten wir recht zuversichtlich sein, dass die proletarische Klasse in der Lage sei, ihre unterbrochene Reise auf demselben Weg wieder aufzunehmen. Dieser Weg sei der ihrer politischen Radikalisierung durch ihre wirtschaftlichen Kämpfe. Darüber hinaus werde dieser Prozess durch die Vertiefung der Wirtschaftskrise beschleunigt werden, die die Arbeiter zum Kampf zwinge und sie ihre Illusionen verlieren lasse, indem sie ihnen die Augen für die Realität des Kapitalismus öffne. Daher befürwortet die Resolution das Modell der 1980er Jahre als Weg in die Zukunft. Sie bezieht sich auf den Massenstreik von 1980:
"Dieser gigantische Kampf der Arbeiterklasse in Polen hat gezeigt, dass das Proletariat sich gerade im Kampf der Massen gegen wirtschaftliche Angriffe seiner eigenen Stärke bewusst werden, seine Klassenidentität gegen das Kapital bekräftigen und sein Selbstvertrauen entwickeln kann."
Die Resolution denkt vielleicht an diese wirtschaftlichen Kämpfe, wenn sie Punkt 13 mit einem Zitat aus unseren Thesen zum Zerfall abschließt:
"Heute bleiben die historischen Möglichkeiten völlig offen. Trotz des Schlags, der der Bewußtwerdung des Proletariats durch den Zusammenbruch des Ostblocks verabreicht wurde, hat das Proletariat auf seinem Klassenterrain keine große Niederlage erlitten. (...) Aber darüber hinaus, und das ist das Element, das in letzter Instanz die Entwicklung der Weltlage bestimmt, bildet derselbe Faktor, der sich am Anfang der Entwicklung des Zerfalls befindet, den wesentlichen Ansporn für den Kampf und die Bewußtwerdung der Klasse, die eigentliche Bedingung für ihre Fähigkeit, dem ideologischen Gift der gesellschaftlichen Fäulnis zu widerstehen. Denn auch wenn das Proletariat kein Terrain findet, um die Teilkämpfe gegen die Auswirkungen des Zerfalls zu vereinen, bildet sein Kampf gegen die direkten Auswirkungen der Krise die Grundlage für die Weiterentwicklung seiner Klassenstärke und Einheit."
Völlig richtig. Aber der proletarische Kampf gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise hat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische und eine theoretische Dimension. Die wirtschaftliche Dimension ist unabdingbar: Eine Klasse, die nicht in der Lage ist, ihre unmittelbaren Interessen zu verteidigen, wäre niemals in der Lage, eine Revolution durchzuführen. Aber die beiden anderen Dimensionen sind nicht weniger unverzichtbar. Dies gilt heute umso mehr, wo das zentrale Problem die Perspektivlosigkeit ist. Bereits in den 1980er Jahren lag die Hauptschwäche der Klasse nicht auf der Ebene ihrer wirtschaftlichen Kämpfe, sondern auf der politischen und theoretischen Ebene. Ohne eine qualitative Entwicklung auf diesen beiden Ebenen werden die wirtschaftlichen Verteidigungskämpfe zunehmend Schwierigkeiten haben, auf einem proletarischen Terrain der Klassensolidarität zu bleiben. Dies gilt umso mehr, als wir heute ein Stadium erreicht haben, in dem die Entpolitisierung, die bereits in den 1980er Jahren ein so wesentliches Merkmal war, durch verschiedene Versionen einer verfaulten Politisierung wie Populismus und Antipopulismus, Antiglobalisierung, identitäre Ursachen und klassenübergreifende Aufstände ersetzt wird. Auf der Grundlage des Fortschreitens all dieser faulen Politisierungen in den letzten Jahren habe ich auf dem Kongress die folgende Analyse des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen vorgelegt:
"Allerdings gelang es diesen ersten proletarischen Reaktionen nicht, den weltweiten Rückfluss von Kampfbereitschaft, Klassenidentität und Klassenbewusstsein seit 1989 umzukehren. Im Gegenteil. Was wir gegenwärtig erleben, ist nicht nur die Verlängerung, sondern sogar die Vertiefung dieses Rückflusses. Auf der Ebene der Klassenidentität ist die Veränderung des Diskurses der herrschenden Klasse der deutlichste Hinweis auf diesen Rückschritt.
Nach Jahren der Propaganda über ihr angebliches Verschwinden in den alten kapitalistischen Kernlanden ist es heute die populistische Rechte, die die Arbeiterklasse als das "wahre Herz der Nation" (Trump) "wiederentdeckt" und "rehabilitiert" hat."
Und
"Auf der Ebene der revolutionären Perspektive zeigt die Art und Weise, in der selbst die klassischen institutionellen Vertreter der herrschenden Ordnung (wie der Internationale Währungsfonds) den Kapitalismus für den Klimawandel, die Umweltzerstörung oder die wachsende Einkommenskluft zwischen Arm und Reich verantwortlich machen, in welchem Maße die Bourgeoisie als herrschende Klasse im Moment sicher und zuversichtlich in ihrem Sattel sitzt.
Solange der Kapitalismus als Teil (sozusagen zeitgenössischen Form) der 'menschlichen Natur' betrachtet wird, ist dieser antikapitalistische Diskurs, weit davon entfernt, ein Anzeichen für eine Reifung zu sein, vielmehr ist er ein Zeichen für einen weiteren Rückzug des Bewusstseins innerhalb der Klasse."
Der Kongress lehnte diese Analyse der Vertiefung des Rückzugs seit 1989 ab. Er teilte auch nicht meine Sorge, daran zu erinnern, dass die Abwehrkämpfe an sich alles andere als eine Garantie dafür sind, dass die proletarische Sache auf dem richtigen Weg ist:
"Allerdings hängt das Ausmaß, in dem die Wirtschaftskrise der Verbündete der proletarischen Revolution und der Stimulus der Klassenidentität sein kann, von einer Reihe von Faktoren ab, von denen der wichtigste der politische Kontext ist. Während der 1930er Jahre waren selbst die militantesten, radikalsten und massivsten Verteidigungskämpfe (Fabrikbesetzungen in Polen, Arbeitslosenproteste in den Niederlanden, Generalstreiks in Belgien und Frankreich, wilde Streiks in Großbritannien (sogar während des Krieges) und den Vereinigten Staaten und sogar eine Bewegung, die eine aufständische Form annahm (Spanien), nicht in der Lage, den Rückschritt des Bewusstseins innerhalb der Klasse umzukehren. In der gegenwärtigen Phase sind partielle Niederlagen der Klasse, auch auf der Ebene ihres Klassenbewusstseins, alles andere als ausgeschlossen. Sie würden ihrerseits die Rolle der Krise als Verbündeter des Klassenkampfes erschweren.
Aber anders als in den 1920/30er Jahren würden solche Niederlagen nicht zu einer Konterrevolution führen, da ihnen keine Revolution vorausgegangen ist. Das Proletariat wäre immer noch in der Lage, sich von solchen Niederlagen zu erholen, die viel weniger einen endgültigen Charakter haben würden." (Abgelehnter Änderungsantrag, Ende von Punkt 13)
Diese Frage, ob es eine weitere Schwächung des Proletariats auf der Ebene des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen gibt oder nicht, war eine der beiden großen Divergenzen auf dem Kongress in Bezug auf den Klassenkampf. Die andere betraf die unterirdische Reifung, von der die Resolution behauptet, dass sie sich gegenwärtig innerhalb der proletarischen Klasse vollziehe. Damit ist eine noch nicht sichtbare, unterirdische Reifung des Bewusstseins gemeint, der berühmte "alte Maulwurf", auf den sich Marx bezieht. Bei der Divergenz auf dem Kongress ging es nicht um die allgemeine Gültigkeit dieses Begriffs von Marx, den wir alle teilen. Es ging auch nicht darum, ob ein solcher Prozess auch dann stattfinden kann, wenn sich die Kämpfe der Arbeiter auf dem Rückzug befinden – wir alle behaupten, dass er stattfinden kann. Die Frage, die zur Debatte stand, war, ob ein solcher Prozess gerade jetzt stattfindet oder nicht. Das Problem hier ist, dass die Resolution keine empirischen Beweise zur Untermauerung dieser Behauptung liefern kann. Entweder ist ihr Postulat ein Produkt des Wunschdenkens oder aber einer rein deduktiven Logik, nach der das, was nach unserer Analyse stattfinden sollte, auch angenommen werden kann. Die angeführten Beweise sind fadenscheinig: das Fortbestehen revolutionärer Organisationen, das Vorhandensein von Kontakten dieser Organisationen. Obwohl sich der alte Maulwurf im Untergrund vergraben hat, hinterlässt er an der Oberfläche Spuren seines Fleißes. Ich kritisierte die Unzulänglichkeit der in der Resolution gegebenen Hinweise:
"In diesem Sinne gibt uns die qualitative Entwicklung des Klassenbewusstseins durch revolutionäre Minderheiten an sich keinen Hinweis darauf, was gegenwärtig auf der Ebene der unterirdischen Reifung innerhalb der Klasse als Ganzes geschieht – da dies sowohl in einer revolutionären als auch in einer konterrevolutionären Phase geschehen kann, sowohl in Phasen der Entwicklung als auch des Rückflusses der Klasse als Ganzes. Umgekehrt ist das Auftauchen kleiner Minderheiten und junger Elemente auf der Suche nach einer Klassenperspektive und linkskommunistischen Positionen auch in den dunkelsten Stunden der Konterrevolution möglich, denn sie sind in erster Linie Ausdruck des revolutionären Charakters des Proletariats (der nie verschwindet, solange es die Arbeiterklasse noch gibt) – anders wäre es, wenn eine ganz neue Generation von revolutionären Kämpferinnen und Kämpfern auftauchen würde. Aber es ist noch zu früh, um jetzt schon ein Urteil über diese Möglichkeit abzugeben." (Abgelehnter Änderungsantrag)
Und ich habe die folgenden Kriterien vorgeschlagen:
"Es ist per definitionem nicht leicht, eine unterirdische Reifung außerhalb der Zeiten des offenen Kampfes festzustellen: eben schwierig, aber nicht unmöglich. Es gibt zwei Indikatoren für die unterirdischen Aktivitäten des alten Maulwurfs, auf die wir besonders achten sollten:
Auf der Grundlage dieser beiden Kriterien besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir uns gegenwärtig in einer Phase der "unterirdischen Regression", des unterirdischen Rückschrittes, befinden (in der der alte Maulwurf eine vorübergehende Pause eingelegt hat), die durch eine erneute Verstärkung des Misstrauens gegenüber politischen Organisationen, durch die erhöhte Anziehungskraft kleinbürgerlicher Politik und durch eine Schwächung der theoretischen Bemühungen und der Debattenkultur gekennzeichnet ist."
Ohne ihr Ziel jenseits des Kapitalismus kann die Arbeiterbewegung ihre Klasseninteressen nicht wirksam verteidigen. Ebenso wenig können die ökonomischen Kämpfe an sich – so unverzichtbar sie auch sind – ausreichen, um das revolutionäre Klassenbewusstsein (einschließlich seiner Dimension der Klassenidentität) wiederzuerlangen. Tatsächlich war in dem Vierteljahrhundert nach 1989 der wichtigste Einzelfaktor des proletarischen Klassenkampfes nicht der der wirtschaftlichen Verteidigungskämpfe, sondern die theoretische und analytische Arbeit der revolutionären Minderheiten. Dies vor allem bei der Entwicklung eines tiefen Verständnisses der bestehenden historischen Situation und einer tiefgreifenden und überzeugenden Rehabilitierung des Rufs des Kommunismus. Dies mag eine seltsame Bewertung sein, wenn man bedenkt, dass die revolutionären Minderheiten nur eine Handvoll Kämpferinnen und Kämpfer sind, verglichen mit den mehreren Milliarden, die das Weltproletariat insgesamt ausmachen. Doch im Laufe der Geschichte haben winzige Minderheiten ohne jegliche Beteiligung der Massen regelmäßig Ideen entwickelt, die in der Lage sind, die Welt zu revolutionieren und schließlich "die Massen zu erobern". Eine der Hauptschwächen des Proletariats in den zwei Jahrzehnten nach 1989 war in der Tat das Versagen seiner Minderheiten, dieses Werk zu vollenden. Die historischen Gruppen der Kommunistischen Linken tragen eine besondere Verantwortung für dieses Scheitern. Als eine neue Generation von politisierten Proletarierinnen und Proletariern auftauchte (wie die Indignados in Spanien oder die verschiedenen Occupy Bewegungen im Gefolge der "Finanz-" und der "Euro"-Krise nach 2008), war das bestehende proletarische politische Milieu nicht in der Lage, sie ausreichend mit den politischen, theoretischen Waffen zu rüsten, die sie gebraucht hätten, um sich zu orientieren und sich inspiriert zu fühlen, sich der Aufgabe zu stellen, den Anfang vom Ende des proletarischen Rückflusses einzuleiten.
Steinklopfer, 24.05.20
Die Diskussionstexte, die wir hier veröffentlichen, sind das Ergebnis einer internen Debatte innerhalb der IKS über die Bedeutung und die Richtung der historischen Phase im Leben des dekadenten Kapitalismus, die durch den Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks 1989 definitiv eröffnet wurde: die Phase des Zerfalls, die Endphase der kapitalistischen Dekadenz. Einer der Schlüsselgedanken in dem 1991 von uns veröffentlichten Orientierungstext, den Thesen über den Zerfall[1], ist, dass die Geschichte niemals stillsteht: So, wie die Periode der kapitalistischen Dekadenz ihre eigene Geschichte hat, so hat auch die Phase des Zerfalls ihre eigene Geschichte, und es ist für Revolutionäre unerlässlich, die wichtigsten Veränderungen oder Entwicklungen zu analysieren, die sich in ihr vollziehen. Dies ist die Motivation des Textes des Genossen Steinklopfer, dessen Ausgangspunkt die Erkenntnis ist – die zur Zeit einzig die IKS vertritt –, dass wir tatsächlich die Zerfallsphase durchleben und dass ihre Wurzeln in einer sozialen Pattsituation zwischen den beiden großen Klassen der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat, liegen, die beide angesichts einer nunmehr permanenten ökonomischen Krise nicht in der Lage gewesen sind, der Gesellschaft ihre Sichtweise aufzuzwingen: die Bourgeoisie den imperialistischer Weltkrieg, das Proletariat die kommunistische Weltrevolution. Aber im Laufe der Debatte über den Zerfall, die die Entwicklung der imperialistischen Rivalitäten und das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen umfasst, sind Divergenzen aufgetreten, die unserer Meinung nach so weit gereift sind, dass sie nach außen hin publiziert werden können. Unserer Meinung nach neigt die gegenwärtige Position des Genossen Steinklopfer dazu, unser Verständnis von der Bedeutung des Zerfalls zu schwächen, aber das ist etwas, was wir durch eine offene Konfrontation der Ideen nachweisen müssen.
Der Beitrag des Genossen beginnt mit dem Argument, dass die IKS – zumindest implizit, wie er es später formuliert – ihre Position zu den Ursachen des Zerfalls revidiere; dass neben der sozialen Pattsituation eine der Hauptursachen des Zerfalls auch die wachsende Neigung eines Jeder-gegen-jeden sei: "aus der Sicht der gegenwärtigen Position der Organisation scheint es eine zweite wesentliche Ursache und Charakteristik dieser Endphase zu geben: die Tendenz des Jeder-gegen-jeden: zwischen Staaten, innerhalb der herrschenden Klasse, sowie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt".
Die Konsequenz der Hinzufügung dieser zweiten Ursache wird dann zusammengefasst: "Auf dieser Grundlage neigt die IKS in Bezug auf den Imperialismus gegenwärtig dazu, die Tendenz zur Bipolarität (und damit zur möglichen Wiederherstellung der imperialistischen Blöcke) und damit die wachsende Gefahr militärischer Konfrontationen zwischen den Großmächten zu unterschätzen. Auf derselben Grundlage neigt die IKS heute dazu, was das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen betrifft, den Ernst des gegenwärtigen Verlustes der revolutionären Perspektive des Proletariats zu unterschätzen, wobei dies dazu führt zu meinen, dass das Proletariat seine Klassenidentität im Wesentlichen durch defensive Arbeiterkämpfe wiedererlangen und damit beginnen könne, eine revolutionäre Perspektive zurückzuerobern."
Genosse Steinklopfer scheint auch der Meinung zu sein, dass er allein mit seiner Meinung steht, dass es "in der Phase des Zerfalls keine gewichtige Tendenz [gibt], die es nicht schon vorher in der Zeit der Dekadenz gegeben hätte. Die neue Qualität der Zerfallssphase besteht darin, dass alle bereits bestehenden Widersprüche bis zum Äußersten verschärft werden."
Bevor wir auf die Kritik des Genossen an unserer Position zu den imperialistischen Konflikten und zum Stand des Klassenkampfes antworten, halten wir es für notwendig zu sagen, dass seine Beschreibungen des allgemeinen Verständnisses der Organisation bezüglich des Zerfalls nicht zutreffen.
Die Thesen über den Zerfall stellen diese Phase bereits „als das Ergebnis, als die Synthese aller Widersprüche und Manifestationen der kapitalistischen Dekadenz" dar: Wir können hinzufügen, dass sie auch das "Ergebnis" einiger Schlüsselmerkmale der Existenz des Kapitalismus von Anfang an ist, wie z.B. der Tendenz zur sozialen Atomisierung, auf die z.B. Engels in seinen Bedingungen der englischen Arbeiterklasse von 1844 hingewiesen hat.
Bereits 1919 stellte die Kommunistische Internationale auf ihrem Ersten Kongress dies fest:
"Der Menschheit, deren ganze Kultur jetzt in Trümmern liegt, droht die Gefahr vollständiger Vernichtung. Es gibt nur eine Kraft, die sie retten kann, und diese Kraft ist das Proletariat. Die alte kapitalistische ‚Ordnung‘ existiert nicht mehr, sie kann nicht mehr bestehen. Das Endresultat der kapitalistischen Produktionsweise ist das Chaos. Und dieses Chaos kann nur die größte, produktive Klasse überwinden: die Arbeiterklasse.“[2]
Und in der Tat war dieses Urteil völlig gerechtfertigt, wenn wir den Zustand der zentralen Länder des Kapitalismus nach dem Ersten Weltkrieg betrachten: Millionen von Leichen, Millionen von Flüchtlingen, wirtschaftlicher Zusammenbruch und Hunger – und eine tödliche Pandemie. Ein ähnlicher Alptraum suchte Europa und weite Teile der Welt unmittelbar nach dem zweiten imperialistischen Krieg heim. Aber wenn wir die Situation des Kapitalismus für den größten Teil des Zeitraums zwischen 1914 und 1989 betrachten, können wir feststellen, dass die Tendenz zum völligen Chaos weitgehend durch die Fähigkeit der herrschenden Klasse, der Gesellschaft ihre Lösungen und Perspektiven aufzuzwingen, im Zaum gehalten wurde (auch wenn sie, wie Genosse Steinklopfer ebenfalls einräumt, nie ganz verschwindet): der Drang zum Krieg in den 1930er Jahren, die Zerstückelung des Planeten nach 1945 und die Bildung von Blöcken, eine lange Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs. Mit der lang anhaltenden Wirtschaftskrise seit Ende der 1960er Jahre und der wachsenden Pattsituation zwischen den Klassen wird die Tendenz zur Fragmentierung und zum Chaos auf allen Ebenen so weit entfesselt, dass sie eine neue Qualität annimmt.
Entgegen der Behauptung des Genossen Steinklopfer schließen wir daraus nicht, dass sie rückwirkend zu einer "Ursache" des Zerfalls geworden ist, aber sie wird mit Sicherheit zu einem aktiven Faktor ihrer Beschleunigung. Es ist dieses Verständnis der in der Phase des Zerfalls wirkenden qualitativen Veränderung, das unserer Meinung nach im Text des Genossen Steinklopfer fehlt.
Wir wollen auch festhalten, dass die Anzeichen der Dekadenz schon vor dem Ersten Weltkrieg immer deutlicher wurden (Staatskapitalismus, Korruption der Gewerkschaften, Wettrüsten zwischen den Großmächten...); und so hat auch die IKS die Anzeichen des Zerfalls bereits vor 1989 festgestellt: der Sieg der Mullahs im Iran, die Pariser Terroranschläge von 1986, der Krieg im Libanon und die Schwierigkeiten des Klassenkampfes, von denen weiter unten mehr zu lesen ist. Der Zusammenbruch des Ostblocks war also keineswegs ein Blitz aus heiterem Himmel, sondern das Produkt einer langen vorherigen Entwicklung.
Die Divergenz über die imperialistischen Gegensätze
Was die konkreten Unterschiede auf der Ebene der imperialistischen Antagonismen betrifft, so haben wir die Bedeutung des Aufstiegs Chinas sicherlich erst spät verstanden, aber in den letzten Jahren haben wir diesen Faktor eindeutig in unsere Analyse sowohl der globalen imperialistischen Rivalitäten als auch der Entwicklung der Weltwirtschaftskrise integriert.
Wir lehnen die Idee nicht ab, dass selbst in einer Welt, die auf imperialistischer Ebene von einem Jeder-für-sich dominiert wird, eine eindeutige Tendenz zur "Bipolarisierung" zu erkennen ist, d.h. dass die Rivalitäten zwischen den beiden mächtigsten Staaten zu einem Hauptfaktor der Weltsituation werden. Dies war in der Tat immer unsere Position, wie wir aus dem Orientierungstext über Militarismus und Zerfall ersehen können, der zu Beginn der neuen Phase verfasst wurde und in dem wir bekräftigten, dass "die gegenwärtige Lage unter dem Druck der Krise und der Zuspitzung der imperialistischen Spannungen die Tendenz zur Bildung von zwei neuen imperialistischen Blöcken in sich" birgt[3]. Wir haben sodann die Möglichkeit geprüft, inwieweit andere Mächte (Deutschland, Russland, Japan ...) die USA herausfordern und sich für die Rolle eines neuen Blockführers bewerben könnten. Unserer Ansicht nach verfügte zu diesem Zeitpunkt keiner der genannten Kandidaten über die notwendigen "Qualifikationen", um diese Rolle zu spielen, und wir kamen zu dem Schluss, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass neue imperialistische Blöcke nie wieder gebildet werden, wobei wir darauf bestanden, dass dies keineswegs eine Abschwächung der imperialistischen Konflikte bedeutete. Im Gegenteil, diese Konflikte würden sich in Form einer immer chaotischeren Freiheit für alle manifestieren und in vielerlei Hinsicht eine gefährlichere Bedrohung für die Menschheit darstellen als in der vorangegangenen Periode, in der nationale oder regionale Konflikte bis zu einem gewissen Grad durch die Disziplin der Blöcke eingedämmt wurden. Wir denken, dass sich diese Prognose weitgehend bestätigt hat, wie wir am deutlichsten an den gegenwärtigen vielschichtigen Konflikten in Syrien und Libyen sehen können.
Natürlich unterschätzten wir in diesem Stadium, wie wir bereits gesagt haben, die Möglichkeit, dass sich China zu einer großen Weltmacht und zu einem ernsthaften Konkurrenten der USA entwickeln könnte. Aber der Aufstieg Chinas ist selbst ein Produkt der Phase des Zerfalls[4], und obwohl er einen eindeutigen Beweis für die Tendenz zur Bipolarisierung liefert, besteht ein großer Unterschied zwischen der Entwicklung dieser Tendenz und einem konkreten Prozess, der zur Bildung neuer Blöcke führt. Betrachtet man die beiden großen Pole, so wird dieser Prozess durch die zunehmend aggressive Haltung der beiden eher untergraben als verstärkt. China schlägt von allen seinen Nachbarn tiefstes Misstrauen entgegen, nicht zuletzt von Russland, das sich in Fragen unmittelbarer Interessen (wie dem Krieg in Syrien) oft mit China verbündet, aber Angst davor hat, sich China aufgrund dessen wirtschaftlicher Stärke unterzuordnen, und einer der schärfsten Gegner der "Seidenstraßen"-Initiative Pekings ist. Amerika ist inzwischen eifrig dabei, fast alle alten Blockstrukturen abzubauen, mit denen es zuvor seine "Neue Weltordnung" bewahrt hatte und widersteht so dem Abgleiten in Richtung "jeder für sich" in den internationalen Beziehungen. Es behandelt seine Verbündeten in der NATO mehr und mehr als Feinde, und im Allgemeinen ist es – wie Genosse Steinklopfer selbst ganz entschieden feststellt – zu einem der Hauptfaktoren geworden, die den chaotischen Charakter der heutigen imperialistischen Beziehungen noch verschlimmern.
In dieser Situation spiegelt die Gefahr eines Krieges diesen Prozess der Zersplitterung wider. Sicherlich können wir die Möglichkeit militärischer Zusammenstöße zwischen den USA und China nicht ausschließen, aber wir können auch nicht ausschließen, dass es immer irrationalere Ausbrüche gibt, die Indien gegen Pakistan, Israel gegen den Iran, Iran gegen Saudi-Arabien usw. in den Strudel ziehen. Aber genau das ist der Inhalt und die schreckliche Bedrohung eines Jeder-für-sich als Faktor, der den Zerfall verschlimmert und die Zukunft der Menschheit selbst gefährdet. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass diese Tendenz gegenüber der Tendenz zur Neubildung von Blöcken nicht nur weit vorrangig ist, sondern in direktem Widerspruch zu ihr steht.
Die Divergenz über den Klassenkampf
Wie wir gesehen haben, behauptet Genosse Steinklopfer, dass sich die Resolution über das Kräfteverhältnis vom 23. Kongress nicht mehr mit dem Problem der revolutionären Perspektive befasst und dass dieser Faktor aus unserem Verständnis der Ursachen (und Folgen) des Zerfalls verschwunden sei. Tatsächlich steht aber die Frage der Politisierung des Klassenkampfes und der Bemühungen der Bourgeoisie, seine Entwicklung zu verhindern, im Mittelpunkt der Resolution. Die Tonlage ist bereits in Punkt 1 der Resolution angestimmt, in dem von der Wiederbelebung des Klassenkampfes Ende der 60er Jahre und dem Wiederauftauchen einer neuen Generation von Revolutionären die Rede ist: "Angesichts einer Dynamik, die zu einer Politisierung der Arbeiterkämpfe führte, entwickelte die Bourgeoisie (die von der Bewegung vom Mai 1968 überrascht worden war) sofort eine groß angelegte und langfristige Gegenoffensive, um zu verhindern, dass die Arbeiterklasse ihre eigene Antwort auf die historische Krise der kapitalistischen Wirtschaft gibt: die proletarische Revolution." Mit anderen Worten: Für die Arbeiterklasse bedeutet Politisierung im Wesentlichen, die Frage der Revolution zu stellen: Dies ist genau die gleiche Frage wie die der "revolutionären Perspektive". Und die Resolution zeigt weiter auf, wie die herrschende Klasse angesichts der Wellen des Klassenkampfes in der Zeit zwischen 1968 und 1989 all ihre Ressourcen und Mystifikationen eingesetzt hat, um die Arbeiterklasse an der Entwicklung dieser Perspektive zu hindern.
Was die Frage der Kämpfe in Polen betrifft, die eine zentrale Rolle in Genosse Steinklopfers Argumentation spielen: Es gibt keinen Dissens zwischen uns darüber, dass Polen 1980 ein Schlüsselmoment in der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen in der Periode war, die durch die Ereignisse vom Mai 1968 in Frankreich eröffnet wurde. Der Genosse hat Recht, wenn er sagt, dass im Gegensatz zum Mai 68 und der darauffolgenden internationalen Welle von Klassenbewegungen, deren Epizentrum in Westeuropa lag, die Kämpfe in Polen keine ganz neue Generation von politisierten Elementen hervorbrachten, von denen einige (ab 68) den Weg zu den Positionen der kommunistischen Linken fanden. Aber sie stellten die Weltarbeiterklasse dennoch vor eine tiefgreifende Herausforderung: die Frage des Massenstreiks, der autonomen Organisation und der Vereinigung der Arbeiter als Macht in der Gesellschaft. Die polnischen Arbeiter haben sich auf dieses Niveau erhoben, auch wenn sie den Sirenengesängen des Gewerkschaftswesens und der Demokratie auf politischer Ebene nicht widerstehen konnten. Die Frage wurde, wie wir damals sagten, in Anlehnung an Luxemburg über die russische Revolution, in Polen gestellt, konnte aber nur international und vor allem von den politisch fortgeschrittenen Bataillonen der Klasse in Westeuropa gelöst werden. Würden die Arbeiter des Westens den Fehdehandschuh aufgreifen und sowohl die Selbstorganisation als auch die Vereinigung im Kampf im Zusammenhang mit der Perspektive einer neuen Gesellschaft entwickeln? Die IKS hat Anfang der 80er Jahre durch eine Reihe von Texten zur Bewertung dieses Potenzials beigetragen[5].
Genauer gefragt: Würde die neue Welle von Kämpfen, die 1983 in Belgien begann, den Fehdehandschuh aufnehmen können? Während die IKS viele wichtige Fortschritte in dieser Welle von Kämpfen feststellte (z.B. die Tendenzen zur Selbstorganisation und die Konfrontation mit den Basisgewerkschaften in Frankreich und Italien), wurde dieser entscheidende Schritt der Politisierung nicht gegangen, und die dritte Welle geriet in Schwierigkeiten. Auf dem 8. Kongress der IKS 1988 gab es eine lebhafte Debatte zwischen den Genoss*innen, die der Meinung waren, dass die dritte Welle unaufhaltsam voranschreite und einer damaligen Minderheit, die betonte, dass die Arbeiterklasse bereits unter den Auswirkungen des Zerfalls in Form von Atomisierung, Verlust der Klassenidentität, der Ideologie des Jeder-für-sich in Form des Korporatismus usw. leide, unter Auswirkungen, die alle das Ergebnis der Unfähigkeit der Klasse waren, eine Perspektive für die Zukunft der Gesellschaft zu entwickeln. Somit – und hier müssen wir uns mit einer Formulierung der Änderungskommission für die Klassenkampfresolution des 23. Kongresses auseinandersetzen, auf die sich Genosse Steinklopfer in seinem Text bezieht – gibt es in der Tat eine Kontinuität zwischen den Schwierigkeiten der Klasse in den 80er Jahren (dem Einfluss des Zerfalls) und dem Rückzug der Zeit nach 1989 (wo wir einen enormen Rückschritt sowohl auf der Ebene des Bewusstseins als auch auf der Ebene der Kampfbereitschaft gesehen haben). Aber unserer Ansicht nach unterschätzt Genosse Steinklopfer auch hier wieder die qualitative Veränderung, die die Ereignisse von 1989 mit sich brachten. Sie hatten den Anschein, bildlich vom Himmel auf die Arbeiterklasse zu fallen, auch wenn sie in Wirklichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft schon lange gegärt hatten. Sie brachten einen Rückzug des Klassenbewusstseins und der Kampfbereitschaft mit sich, der sich als viel tiefer und dauerhafter herausstellte, als wir vermutet hatten, auch wenn wir unmittelbar nach dem Zusammenbruch fähig waren, ihn vorauszusehen.
Populismus und Kriegsmobilisierung
Es gibt also keine Meinungsverschiedenheit darüber, dass die Arbeiterklasse in den letzten Jahrzehnten einen langen Prozess der Zerrissenheit durchgemacht hat, der durch einen Verlust der Klassenidentität und ihrer Zukunftsperspektive gekennzeichnet ist. Wir stimmen auch darin überein, dass bestimmte Bewegungen, die in dieser Zeit des allgemeinen Rückzugs stattfanden, auf die Möglichkeit einer Wiederbelebung des Kampfes hinwiesen, sowohl auf der Ebene der Kampfbereitschaft als auch des Bewusstseins über die Sackgasse der kapitalistischen Gesellschaft: Wie Genosse Steinklopfer es ausdrückt, sahen wir in diesen Bewegungen "die Entwicklung einer Kultur der Theorie und einer Kultur der Debatte (wie sie sich vom Anti-CPE bis zu den Indignados zu äußern begann) als grundlegende Manifestationen des Proletariats als Klasse des Bewusstseins und der Assoziation".
Mit zwei der Schlussfolgerungen des Genossen über die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Klasse sind wir jedoch ganz und gar nicht einverstanden:
Erstens sind wir nicht der Meinung, dass der Populismus das Produkt oder der Ausdruck eines klaren Kriegskurses der herrschenden Klasse der großen kapitalistischen Länder ist. Sicherlich ist er ein Produkt eines verschärften Nationalismus und Militarismus, jener nihilistischen Gewalt und jenes Rassismus, die aus dem Zerfall dieses Systems hervorgehen. In diesem Sinne hat es natürlich viele Ähnlichkeiten mit dem Faschismus der 1930er Jahre. Aber der Faschismus war das Produkt einer wirklichen Konterrevolution, einer historischen Niederlage, die die Arbeiterklasse erlitten hatte, und drückte direkt die Fähigkeit der herrschenden Klasse aus, das Proletariat für einen neuen weltweiten imperialistischen Krieg zu mobilisieren. Der Populismus hingegen ist das Ergebnis der Pattsituation zwischen den Klassen, was einen Mangel an Perspektive nicht nur auf Seiten der Arbeiterklasse, sondern auch auf Seiten der Bourgeoisie selbst impliziert. Er ist Ausdruck eines wachsenden Kontrollverlustes der Bourgeoisie über ihren politischen Apparat, einer zunehmenden Fragmentierung sowohl innerhalb der einzelnen Nationalstaaten als auch auf der Ebene der internationalen Beziehungen. Wenn das Aufkommen des Populismus wirklich bedeuten würde, dass die Bourgeoisie die Möglichkeit wiedererlangt hat, die Arbeiterklasse in den Krieg zu führen, müssten wir zu dem Schluss kommen, dass der Begriff des Zerfalls, wie wir ihn bisher definiert haben, nicht mehr gültig ist. Es würde bedeuten, dass die Bourgeoisie jetzt eine "Perspektive" hat, die sie der Gesellschaft anbieten kann, auch wenn es eine völlig irrationale und selbstmörderische ist.
Genosse Steinklopfer argumentiert in seinem Änderungsantrag: "Der zeitgenössische Populismus ist ein weiteres deutliches Zeichen für eine Gesellschaft, die auf einen Krieg zusteuert:
Mit anderen Worten, die populistischen Bewegungen sind gleichzeitig ein Symptom und ein aktiver Faktor für den Drang zum Krieg".
Mit anderen Worten: Phänomene wie der Brexit in Großbritannien oder der Trumpismus in den USA seien nicht in erster Linie eine Folge des Kontrollverlustes der Bourgeoisie über ihren politischen (und zunehmend auch wirtschaftlichen) Apparat, ein konzentrierter Ausdruck der Kurzsichtigkeit und der Zersplitterung der herrschenden Klasse. Im Gegenteil: Die populistischen Fraktionen seien die besten Vertreter einer Bourgeoisie, die sich hinter der Kriegsmobilisierung wirklich vereinige.
Angesichts dieser Sicht über die Richtung, in der sich die Dinge entwickeln, ist es nicht verwunderlich, dass Genosse Steinklopfer wenig wahrnimmt, was sich dem Drang der Bourgeoisie zum Krieg entgegenstemmt: Trotz der sich abzeichnenden Äußerungen des revolutionären Charakters der Klasse in den Jahren 2006 und 2011 könnten wir heute nicht einmal Anzeichen einer unterirdischen Reifung des Bewusstseins erkennen, die darauf hindeuten würden, dass die Bourgeoisie nicht alle Karten zu ihren Gunsten gezinkt hätte.
Sicherlich haben wir, wie der Genosse uns zurecht daran erinnert, immer argumentiert, dass sich das proletarische Bewusstsein auch in einer Zeit der Konterrevolution, in der es in seinem Ausmaß stark eingeschränkt ist, weiter entwickeln kann. – Eben weiter, aber nicht vollständig, und zwar als Ergebnis der Arbeit revolutionärer Organisationen, wie wir dies bei der Arbeit der italienischen und französischen Fraktionen der Kommunistischen Linken in den 30er und 40er Jahren gesehen haben. Aber wenn die Bewusstseinsentwicklung selbst in solchen Perioden fortschreitet, was bedeutet dann der Begriff "unterirdische Regression", also des Rückschritts des Reifungsprozesses? Würde er nicht bedeuten, dass die Situation heute noch schlimmer sei als in den 1930er Jahren? Aus dem Text des Genossen geht nicht klar hervor, wie lange dieser Prozess der unterirdischen Regression schon andauert: Wenn wir in den Jahren 2006 und 2011 eine allgemeine Bewusstseinsentwicklung bei der jungen Generation sehen, wäre es logisch zu argumentieren, dass diesen Bewegungen ein "unterirdischer" Reifungsprozess vorausgegangen ist. Auf jeden Fall sind wir uns einig darüber, dass auf der Ebene der offenen Kämpfe und des Ausmaßes des Klassenbewusstseins diesen Fortschritten, wie bei praktisch jeder Aufwärtsbewegung der Klasse, eine Phase des Rückzugs und der Regression folgte: So gerieten einige Jahre nach der Indignados-Bewegung, die in Barcelona besonders stark gewesen war, einige derselben Jugendlichen, die 2011 an Versammlungen und Demonstrationen teilgenommen hatten, die eindeutig internationalistische Parolen vertreten hatten, nun in die absolute Sackgasse des katalanischen Nationalismus.
Aber das beweist nicht, dass der alte Maulwurf selbst beschlossen hätte, sich auszuruhen, weder 2012 noch früher. Der Zeitraum 2006-2011 ging mit dem Aufkommen einer politisierten Minderheit einher, die viel versprechend war, aber weitgehend in den Sümpfen des Anarchismus und der Moderne unterging, so dass ihr tatsächlicher Beitrag zur realen Entwicklung des revolutionären Milieus äußerst begrenzt war. Die suchenden Minderheiten, die sich in den letzten Jahren trotz ihrer Jugend und Unerfahrenheit entwickelt haben, scheinen auf einem höheren Niveau zu beginnen als diejenigen, denen wir ein Jahrzehnt zuvor begegnet sind: Sie sind sich insbesondere der Endlichkeit des kapitalistischen Systems und der Notwendigkeit, sich mit der Tradition der Kommunistischen Linken erneut auseinander zu setzen, stärker bewusst. Unserer Ansicht nach sind solche Fortschritte gerade das Produkt einer unterirdischen Reifung.
Die Tatsache, dass die jüngsten Bewegungen, die sich von Anfang an auf dem Terrain der "Reform" der bürgerlichen Gesellschaft befinden, wie die Demonstrationen rund um die Klimafrage, oft den Anspruch erheben, das Problem auf der Ebene des existierenden Systems, der kapitalistischen Gesellschaft selbst, zu verorten, drückt, so Genosse Steinklopfer, nur das Vertrauen der herrschenden Klasse aus, die es sich leisten kann, heiße Luft zu produzieren über die Notwendigkeit, über den Kapitalismus hinauszugehen, eben weil sie keinerlei Angst davor hat, dass die Arbeiterklasse einen solchen Diskurs ernst nimmt. Aber es ist nicht weniger plausibel, dass diese antikapitalistischen Diskurse ein typischer Antikörper der bürgerlichen Gesellschaft sind, die ein tiefes Bedürfnis danach hat, jede beginnende Infragestellung ihrer fundamentalen Grundlagen zum Entgleisen zu bringen. Mit anderen Worten: In dem Maße, wie der apokalyptische Charakter dieses Systems immer offensichtlicher wird, wird es für die bürgerliche Ideologie immer notwendiger, ein authentisches Verständnis ihrer Wurzeln und der wirklichen Alternative zu verhindern.
Am Ende des Textes von Genosse Steinklopfer ist es schwer zu erkennen, woher die Wiederbelebung der Klassenidentität und der revolutionären Perspektive kommen soll. Wir haben den Eindruck, dass er in einen tiefen Pessimismus verfallen ist. Der Genosse hat nicht Unrecht, wenn er darauf hinweist, dass die wirtschaftlichen Kämpfe, der unmittelbare Widerstand gegen die Angriffe auf den Lebensstandard, an sich nicht ausreichen, um ein klares revolutionäres Bewusstsein zu erzeugen. Aber sie bleiben dennoch absolut unerlässlich, wenn die Arbeiterklasse wieder ein Gefühl für sich selbst als eine ausgeprägte soziale Kraft erlangen soll, vor allem in einer Zeit, in der die wachsende Unruhe über den Zustand der kapitalistischen Gesellschaft in Richtung einer Vielzahl von klassenübergreifenden und offen bürgerlichen Mobilisierungen getrieben wird. In den 1930er Jahren, inmitten all des Rummels um die revolutionären Eroberungen der spanischen Arbeiter*innen, standen die Genossen von Bilan fast allein da mit der Behauptung, dass unter solchen Bedingungen der kleinste Streik um wirtschaftliche Forderungen (vor allem in den von der CNT kontrollierten Kriegsindustrien!) ein erster Schritt wäre, damit die Arbeiterklasse den Weg zurück auf ihr eigenes Terrain findet. Die jüngsten Streiks rund um die Rentenfrage in Frankreich und in einer Reihe von Ländern rund um Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zu Beginn der Covid-Pandemie waren viel weniger "berichtenswert" als die Märsche von "Friday for Future" oder die Märsche der "Black Lives Matter"-Bewegung, aber sie leisten einen wirklichen Beitrag zu einer künftigen Wiedererlangung der Klassenidentität, während letztere ihr nur im Wege stehen können.
Wir stimmen natürlich mit Genosse Steinklopfer darin überein, dass die Wiedererlangung der Klassenidentität und die Entwicklung eines revolutionären Bewusstseins untrennbar miteinander verbunden sind: Damit die Arbeiterklasse wirklich versteht, was sie ist, muss sie auch verstehen, was sie historisch sein muss, wie Marx es ausdrückte: die Trägerin einer neuen Gesellschaft. Und wir stimmen auch darin überein, dass die Organisationen der Kommunistischen Linken in diesem dynamischen Prozess eine unverzichtbare Rolle spielen. Der Genosse lässt uns mit einem sehr strengen Urteil über die tatsächliche Rolle zurück, die diese Organisationen im letzten Jahrzehnt und darüber hinaus gespielt hätten:
"Doch im Laufe der Geschichte haben winzige Minderheiten ohne jegliche Beteiligung der Massen regelmäßig Ideen entwickelt, die in der Lage sind, die Welt zu revolutionieren und schließlich "die Massen zu erobern". Eine der Hauptschwächen des Proletariats in den zwei Jahrzehnten nach 1989 war in der Tat das Versagen seiner Minderheiten, dieses Werk zu vollenden. Die historischen Gruppen der Kommunistischen Linken tragen eine besondere Verantwortung für dieses Scheitern. Als eine neue Generation von politisierten Proletarierinnen und Proletariern auftauchte (wie die Indignados in Spanien oder die verschiedenen Occupy Bewegungen im Gefolge der "Finanz-" und der "Euro"-Krise nach 2008), war das bestehende proletarische politische Milieu nicht in der Lage, sie ausreichend mit den politischen, theoretischen Waffen zu rüsten, die sie gebraucht hätten, um sich zu orientieren und sich inspiriert zu fühlen, sich der Aufgabe zu stellen, den Anfang vom Ende des proletarischen Rückflusses einzuleiten."
Daraus geht überhaupt nicht hervor, wie und mit welchen theoretischen Beiträgen die Organisationen der Kommunistischen Linken die neue Generation so weit hätten bewaffnen können, dass sie den Rückzug, der auf die Bewegungen von 2011 folgte, hätten vermeiden können. Aber hinter diesem Urteil scheint ein methodisches Problem zu stecken. Die Organisationen der Kommunistischen Linken müssen die Fehler, die sie gegenüber der "neuen Generation von politisierten Proletarier*innen" begangen haben, sicherlich heftig kritisieren, Fehler vor allem opportunistischer Natur. Diese Kritik ist vor allem deshalb notwendig, weil sie sich in einem Bereich von Umständen abspielt, die kleine revolutionäre Gruppen direkt beeinflussen können: die Umgruppierung der Revolutionäre, die Schritte, die notwendig sind, um ein lebendiges und verantwortungsvolles revolutionäres Milieu aufzubauen und damit die Grundlagen für die Partei der Zukunft zu legen. Aber es scheint an Substitutionismus (unsere Aktivitäten könnten die der Arbeiterklasse ersetzen …) zu grenzen, wenn man annimmt, dass allein unsere theoretisch-politischen Bemühungen den Rückfluss nach 2011 hätten aufhalten können, der im Wesentlichen die Fortsetzung eines Prozesses war, der seit 1989 in vollem Gange war. Zukünftige Diskussionen werden darüber entscheiden, ob es hier wirklich eine Divergenz in der Frage der Organisation gibt.
IKS, 24. August 2020
[2] Richtlinien der Kommunistischen Internationale [172], 1919.
[3] Orientierungstext: Militarismus und Zerfall, /content/758/orientierungstext-militarismus-und-zerfall [173]
[4] Siehe insbesondere die Punkte 10-13 der Resolution zur internationalen Lage (2019): imperialistische Spannungen, Leben der Bourgeoisie, Wirtschaftskrise; https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der [8]
[5] Siehe zum Beispiel: International Review 26 (engl./frz./span. Ausgabe), 1981: In Polen wird ein Bresche eröffnet, https://en.internationalism.org/content/3106/perspectives-international-class-struggle-breach-opened-poland [174]
"So werden in den Bananenrepubliken Ergebnisse angefochten." Die Erklärung folgte auf das Eindringen von mehreren hundert Donald Trump-Anhängern ins Kapitol, die gekommen waren, um die Beurkundung von Joe Bidens Sieg am 5. Januar zu unterbrechen. Man sollte meinen, dass ein solch harsches Urteil über die politische Situation in den Vereinigten Staaten von jemandem kommen würde, der diesem Land grundsätzlich feindselig gegenübersteht, oder von einem amerikanischen "Linken". Nichts von alledem: Es wurde vom ehemaligen Präsidenten George W. Bush verfasst, der zudem derselben Partei angehört wie Trump. Dies zeigt die Ernsthaftigkeit dessen, was an diesem Tag in Washington geschah.
Wenige Stunden zuvor, am Fuße des Weißen Hauses, wiegelte der besiegte Präsident die Menge seiner Unterstützer wie ein Demagoge in der Dritten Welt auf: "Wir werden niemals aufgeben! Wir werden diese Niederlage niemals eingestehen! Wir werden unser Land niemals zurückerobern, wenn wir schwach sind! Ich weiß, dass alle hier bald zum Capitol Hill marschieren werden, friedlich, patriotisch, um Ihren Stimmen Gehör zu verschaffen.“ Nach diesem kaum verschleierten Aufruf zum Aufruhr musste die rachsüchtige Menge, angeführt von faschisierenden Trump-Horden (wie den Proud Boys), nur die National Mall zum Kapitol hinauflaufen und das Gebäude stürmen, vor den Augen der völlig überforderten Ordnungskräfte. Wie kommt es, dass die Reihen von Polizisten, die den Zugang zum Kapitol schützen sollten, die Angreifer passieren ließen, während die umfassenden Sicherheitsvorkehrungen während der Black-Lives-Matter-Proteste vor demselben Gebäude verhindert hatten, dass diese aus dem Ruder liefen?
Diese erschreckenden Bilder konnten nur die Theorie aufkommen lassen, dass der Angriff auf dieses Wahrzeichen der amerikanischen Demokratie ein "politisches 9/11" war.
Angesichts des Chaos ließen die Behörden jedoch nicht lange auf sich warten: Bereitschaftstruppen und die Nationalgarde wurden eingesetzt, Schüsse fielen, die vier Todesopfer forderten, eine Ausgangssperre wurde verhängt, während die Armee in den Straßen Washingtons patrouillierte... Diese völlig halluzinierenden Bilder erinnern in der Tat an die Zeit nach den Wahlen in den "Bananenrepubliken" der Länder der Dritten Welt, die von den blutigen Rivalitäten der Mafia-Cliquen zerrissen werden. Aber diese Ereignisse, die internationale Schlagzeilen gemacht haben, sind nicht das Werk eines exotischen größenwahnsinnigen Generals. Sie fanden im Herzen der führenden Weltmacht, in der "größten Demokratie der Welt" statt.
Die "Entweihung des Tempels der amerikanischen Demokratie" durch einen zusammengewürfelten Mob weißer Rassisten, die mit Handy-Selfiesticks bewaffnet waren, oder durch fanatische bewaffnete Milizen, oder durch solche Leute wie der ‚Verschwörer‘, der einen Helm mit Hörnern trug, ist ein unverhohlener Ausdruck der wachsenden Gewalt und Irrationalität, die die Gesellschaft in den Vereinigten Staaten plagen. Die Risse innerhalb ihres politischen Apparats, das Aufblühen des Populismus seit Trumps Wahl, sind Illustrationen für die Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaft.
Wie wir seit Ende der 1980er Jahre betonen[1] ist das kapitalistische System, das mit dem Ersten Weltkrieg in die Dekadenz eingetreten ist, seit mehreren Jahrzehnten in die letzte Phase dieser Dekadenz, die des Zerfalls, versunken. Die spektakulärste Erscheinung dieser Situation war der Zusammenbruch des Ostblocks vor drei Jahrzehnten. Dieses Schlüsselereignis war nicht nur ein Zeichen für die Fragilität der Regime, die in den Ländern dieses Blocks herrschten. Sie war Ausdruck eines historischen Phänomens, das die gesamte kapitalistische Gesellschaft auf globaler Ebene betraf und sich seither immer weiter verschlimmert hat.
Bisher konnte man die offensichtlichsten Zeichen dieses Zerfalls in den ohnehin schon sehr schwachen Ländern der „Peripherie“ sehen. Wütende Menschenmassen, die als Kanonenfutter für die Interessen dieser oder jener bürgerlichen Clique dienten, zunehmende Gewalt im Alltag, an vielen Orten finsteres Elend, die Destabilisierung von Staaten, ja ganzer Regionen... All das schien das besondere Schicksal der "Bananenrepubliken" zu sein.
Dieser allgemeine Trend hat in den letzten Jahren zunehmend auch die "zentralen" Länder erfasst. Natürlich sind nicht alle Staaten in gleicher Weise betroffen, aber es ist klar, dass der Zerfall die mächtigsten Länder jetzt voll erfasst: Die Zunahme der Terroranschläge in Europa, die Überraschungssiege solch verantwortungsloser Gestalten wie Trump oder Boris Johnson, die Ausbreitung irrationaler Ideologien und vor allem die katastrophale Bewältigung der Coronavirus-Pandemie, die für sich allein schon die beispiellose Beschleunigung des Zerfalls zum Ausdruck bringt...
Der gesamte Weltkapitalismus, auch seine "zivilisiertesten" Teile, bewegt sich unaufhaltsam und mit immer heftigeren Erschütterungen in Richtung Barbarei.
Während die Vereinigten Staaten heute unter den entwickelten Ländern am meisten von dieser Fäulnis betroffen sind, stellen sie auch eine der Hauptquellen der Instabilität dar. Die Unfähigkeit der Bourgeoisie zu verhindern, dass ein Milliardär und eine populistische Figur, ein Produkt des Reality-TV, Präsident wird, war bereits Ausdruck eines wachsenden Chaos im amerikanischen politischen Apparat. Während seiner Amtszeit fuhr Trump fort, die rassischen und anderen "Risse" in der US-Gesellschaft zu vertiefen und das Chaos auf der ganzen Welt mit seinen Hetz- und Brandreden, die er stolz als erfolgreiche subtile Techniken von Geschäftsleuten darstellte, zu schüren. Man wird sich an seinen Verdruss mit dem amerikanischen Generalstab erinnern, der ihn in letzter Minute daran gehindert hatte, den Iran zu bombardieren, oder an sein "historisches Treffen" mit Kim Jong-un, den er ein paar Wochen zuvor so fein als "Raketenmann" tituliert hatte.
Als die COVID-19 Pandemie ausbrach, wurde deutlich, wie stark alle Staaten nach Jahrzehnten des kontinuierlichen Abbaus und Kürzungen im Gesundheitswesen brutal nachlässig vorgegangen waren. Aber auch hier stand der von Donald Trump geführte US-Staat an der Spitze der Katastrophe, sowohl im Inland mit einer Rekordzahl von Todesfällen[2], als auch international, indem er eine globale Institution der Zusammenarbeit wie die WHO destabilisierte.
Der Angriff auf den Capitol Hill durch die Trumpschen Horden war ganz im Sinne dieser Dynamik des explodierenden Chaos auf allen Ebenen der Gesellschaft. Dieses Ereignis ist ein Ausdruck der wachsenden, völlig irrationalen und zunehmend gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Teilen der Bevölkerung (die "Weißen" gegen die "Schwarzen", die "Eliten" gegen das "Volk", Männer gegen Frauen, Heterosexuelle gegen Homosexuelle usw.), deren karikierter Ausdruck das Auftreten von bis an die Zähne bewaffneten rassistischen Milizen und völlig wahnhaften Verschwörern ist.
Aber diese "Risse" sind vor allem ein Spiegelbild der offenen Konfrontation zwischen den Fraktionen der amerikanischen Bourgeoisie, mit den Populisten um Trump auf der einen Seite und den Fraktionen, die sich mehr um die langfristigen Interessen des nationalen Kapitals kümmern, auf der anderen Seite: Innerhalb der Demokratischen Partei und bei den Republikanern, in der Maschinerie des Staatsapparats und des Militärs, bei den großen Nachrichtensendern oder auf der Bühne der Hollywood-Zeremonien gab es ständig – manchmal sehr heftige - Kampagnen, Widerstand und symbolische Gesten gegen den populistischen Präsidenten.
Diese Zusammenstöße zwischen verschiedenen Teilen der Bourgeoisie sind nichts Neues. Aber in einer "Demokratie" wie den Vereinigten Staaten und im Gegensatz zu dem, was in Ländern der Dritten Welt geschieht, wurden sie im Rahmen von Institutionen, im Rahmen der "Achtung der Ordnung" ausgetragen. Die Tatsache, dass diese Zusammenstöße in dieser "Musterdemokratie" nun diese chaotische und gewalttätige Form annehmen, zeugt von einer dramatischen Verschärfung des Chaos innerhalb des politischen Apparates der herrschenden Klasse, ein bedeutender Schritt beim Versinken des Kapitalismus in seinem Zerfall.
Indem er seine Anhänger auf diese Weise anstachelt, hat Trump nach seiner Niederlage bei den letzten Präsidentschaftswahlen, deren Ergebnis er immer noch nicht anerkennen will, einen neuen Schritt bei seiner Politik der "verbrannten Erde" gemacht. Der Gewaltstreich gegen das Kapitol, eine Instanz der gesetzgebenden Gewalt und Symbol der amerikanischen Demokratie, hat eine Spaltung innerhalb der republikanischen Partei bewirkt, deren "moderateste" Fraktion tatsächlich nur diesen "Putsch" gegen die Demokratie anprangern und sich von Trump distanzieren konnte, um zu versuchen, Abraham Lincolns Partei zu retten. Die Demokraten wiederum konnten jetzt auf den Plan treten, um lautstark die Verantwortungslosigkeit und das kriminelle Verhalten von Trump an den Pranger zu stellen, der seine am meisten erregten Anhänger noch weiter aufgehetzt hatte[3].
Bei dem Versuch, das Image Amerikas angesichts der Bestürzung der gesamten Weltbourgeoisie wiederherzustellen und die Explosion des Chaos im "Land der Freiheit und Demokratie" einzudämmen, haben sich Joe Biden und seine Clique sofort noch mehr in den Kampf gegen Trump gestürzt. Sie beeilten sich, das unverantwortliche Handeln dieses gestörten Staatsoberhauptes anzuprangern, das es ihm nicht mehr erlaube, dreizehn Tage vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten an der Macht zu bleiben.
Die Reihe von Rücktritten republikanischer Kabinettsminister, Forderungen nach Trumps Rücktritt oder Amtsenthebung und Empfehlungen an das Pentagon, seine Handlungen genau zu überwachen, damit er nicht den nuklearen Knopf drückt, verdeutlichen den Willen, den jetzt noch amtierenden Präsidenten aus dem politischen Treiben auszuschalten. Nach dem Angriff auf das Capitol Hill hat diese politische Krise dazu geführt, dass die Hälfte der Wählerschaft von Trump abgerückt ist, während die andere Hälfte den Angriff auf den heiligen Tempel der Demokratie weiterhin unterstützt und rechtfertigt. Die politische Karriere von Trump scheint sehr stark bedroht zu sein. Es wird alles unternommen, damit er nicht mehr wählbar ist und nicht mehr bei den Wahlen 2024 antreten kann. Der abgewählte Präsident hat jetzt nur noch ein Ziel: seine eigene Haut zu retten angesichts der drohenden rechtlichen Schritte wegen seiner Aufrufe zum Aufstand.
Nachdem er seine Anhänger in der Nacht ihres Angriffs auf das Kapitol aufgefordert hatte, "friedlich nach Hause zurückzukehren", ohne ihr Handeln zu verurteilen, ruderte Trump zwei Tage später weiter zurück: Er nannte den Angriff "abscheulich" und sagte, er sei "empört über die Gewalt". Und da er sich weiterhin bedeckt hielt, erkannte er schließlich seine Wahlniederlage mit einem Lippenbekenntnis an und sagte, dass er den "Thron" Biden überlassen würde, aber dass er bei der Übergabezeremonie am 20. Januar nicht anwesend sein würde.
Vielleicht ist Trump endgültig aus dem politischen Rennen rausgeflogen, aber der Populismus nicht! Diese reaktionäre und obskurantistische Ideologie ist eine Bewegung, die nur mit dem globalen Phänomen des sich verschlimmernden sozialen Zerfalls, dessen Epizentrum jetzt die Vereinigten Staaten sind, zunehmen kann. Die amerikanische Gesellschaft ist mehr denn je gespalten, zersplittert. Der Anstieg der Gewalt wird sich fortsetzen mit der ständigen Gefahr von Zusammenstößen (auch bewaffneten) in der Bevölkerung. Bidens Rhetorik der "Versöhnung des amerikanischen Volkes" zeigt, dass er den Ernst der Lage spürt. Auch wenn er hier und da vorübergehende Teilerfolge erzielen mag, wird er nicht in der Lage sein, den tieferliegenden Trend der Konfrontation und der sozialen Verwerfung in der führenden Macht der Welt zu stoppen.
Die größte Gefahr für das Proletariat in den Vereinigten Staaten besteht darin, sich in die Konfrontation zwischen den verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie hineinziehen zu lassen. Ein guter Teil von Trumps Wählerschaft besteht aus Arbeitern, die die Eliten ablehnen und nach einem "vom Schicksal Gesandten" suchen. Trumps Politik der ‚Wiederbelebung‘ der Industrie hatte viele Arbeiter aus dem "Rostgürtel", die ihre Jobs verloren hatten, hinters Licht geführt und sie dazu bewogen, für ihn zu stimmen. Es besteht die Gefahr von Zusammenstößen zwischen Arbeitern, die für Trump oder für Biden waren. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass der Zusammenbruch der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten die Rassenspaltung und die seit langem bestehende Kluft zwischen Weißen und Schwarzen weiter verschärft, indem er Identitätsideologien vorantreibt.
Die Tendenz, dass die Bourgeoisie die Kontrolle über ihr politisches Treiben verliert, wie wir mit Trumps Amtszeit als Präsident gesehen haben, bedeutet nicht, dass die Arbeiterklasse von der Zersetzung des Kapitalismus profitieren kann. Im Gegenteil, die herrschende Klasse wendet die Auswirkungen des Zerfalls ständig gegen die Arbeiterklasse. Schon 1989, als der Zusammenbruch des Ostblocks ein spektakuläres Zeichen des Zerfalls des Kapitalismus war, nutzte die Bourgeoisie der großen Länder dieses Ereignis, um durch eine massive Propagandakampagne eine gigantische globale Kampagne zur Lobpreisung der Demokratie zu entfesseln, die die Barbarei der stalinistischen Regime und die wahre kommunistische Gesellschaft in einen Topf schmeißen sollte. Die irreführenden Reden über "den Tod der revolutionären Perspektive" und "das Verschwinden der Arbeiterklasse" hatten das Proletariat desorientiert und einen tiefen Rückgang seines Bewusstseins und seiner Kampfbereitschaft verursacht. Heute instrumentalisiert die Bourgeoisie die Ereignisse auf dem Capitol Hill mit einer neuen internationalen Kampagne zum Aufpäppeln des Rufes der bürgerlichen Demokratie.
Während die "Aufständischen" noch den Capitol Hill besetzten, erklärte Biden sofort: "Ich bin schockiert und traurig, dass unsere Nation, die sehr lange ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Demokratie war, vor einem so dunklen Moment steht. ... Die Arbeit von heute und den nächsten vier Jahren wird sein, die Demokratie wiederherzustellen", gefolgt von einer Kaskade ähnlicher Aussagen, auch innerhalb der Republikanischen Partei. Die gleichen Töne kamen aus dem Ausland, insbesondere seitens der Führer der größten Länder Westeuropas. „Die verstörenden Bilder von der Erstürmung des Kongresses hätten sie "wütend und auch traurig gemacht"…Bidens Reaktion und die aus den Reihen der beiden großen Parteien der USA "machen mich aber ganz sicher: Diese Demokratie wird sich als viel stärker erweisen als die Angreifer und Randalierer“, sagte Merkel. "Wir werden der Gewalt einiger weniger, die die [Demokratie] herausfordern wollen, nicht nachgeben", sagte Macron. „Mein ganzes Leben lang hat Amerika sehr wichtige Dinge repräsentiert: eine Idee von Freiheit und eine Idee von Demokratie", sagte Johnson. Nach der Mobilisierung für die Präsidentschaftswahlen, die eine Rekordbeteiligung verzeichnete, und der Black-Lives-Matter-Bewegung, die eine "sauberere" und "gerechtere" Polizei fordert, versucht die gesamte Weltbourgeoisie, das Proletariat um die Verteidigung des demokratischen Staates gegen den "Populismus" zu scharen. Das Proletariat wird aufgerufen, sich der "demokratischen" Clique gegen den "Diktator" Trump anzuschließen. Diese falsche "Wahl" ist reine Mystifikation und eine echte Falle für die Arbeiterklasse!
Wird der "Demokrat" Biden vor dem Hintergrund des internationalen Chaos, das Trump ständig anheizt, eine "gerechtere Weltordnung" durchsetzen? Nein, sicher nicht! Der Friedensnobelpreisträger Barack Obama und sein ehemaliger Vizepräsident Joe Biden waren acht Jahre lang ununterbrochen an Kriegen beteiligt! Die Spannungen mit China, Russland, Iran und all den anderen imperialistischen Haien werden nicht auf wundersame Weise verschwinden.
Wird Biden Migranten ein humaneres Schicksal bescheren? Um eine realistische Vorstellung zu bekommen, muss man nur sehen, wie grausam alle seine Vorgänger und alle "großen Demokratien" diese "Unerwünschten" behandeln! Es sei daran erinnert, dass es in den acht Jahren der Präsidentschaft Obamas (von denen Biden Vizepräsident war) mehr Abschiebungen von Einwanderern gab als in den acht Jahren der Präsidentschaft des Republikaners George W. Bush. Obamas Einwanderer-feindliche Maßnahmen haben nur den Weg für Trumps Einwanderer-feindliche Eskalation geebnet.
Werden die wirtschaftlichen Angriffe auf die Arbeiterklasse mit der sogenannten "Rückkehr der Demokratie" aufhören? Sicherlich nicht! Das Versinken der Weltwirtschaft in eine hoffnungslose Krise, die durch die Covid-19-Pandemie noch verschärft wird, wird zu einer Explosion der Arbeitslosigkeit, zu mehr Elend, zu mehr Angriffen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Ausgebeuteten in allen zentralen Ländern führen, die von "demokratischen" Regierungen geführt werden. Und wenn es Joe Biden gelingt, mit der Polizei "aufzuräumen", werden die Repressionskräfte des "demokratischen" Staates, in den USA wie in allen Ländern, weiterhin gegen jede Bewegung der Arbeiterklasse entfesselt werden und jeden Versuch unterdrücken, ihre grundlegendsten Bedürfnisse zu verteidigen.
Von einer "Rückkehr der amerikanischen Demokratie" ist daher nichts zu erwarten. Die Arbeiterklasse darf sich nicht von den Lockrufen der "demokratischen" Fraktionen des bürgerlichen Staates einlullen und in die Falle locken lassen. Sie darf nicht vergessen, dass es der herrschenden Klasse im Namen der Verteidigung der "Demokratie" gegen den Faschismus gelang, unter der Ägide ihrer linken Fraktionen und Volksfronten Dutzende Millionen Proletarier für den Zweiten Weltkrieg zu rekrutieren. Die bürgerliche Demokratie ist nur das hinterhältigste und heuchlerischste Gesicht der Diktatur des Kapitals!
Der Angriff auf das Kapitol ist ein weiteres Symptom für ein in der Agonie befindliches System, das die Menschheit in seinem langsamen Abstieg in die Hölle zieht. Angesichts der verrottenden bürgerlichen Gesellschaft kann nur die Weltarbeiterklasse, indem sie ihre Kämpfe auf ihrem eigenen Klassenterrain gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise entwickelt, den Kapitalismus überwinden und der Gefahr der Zerstörung des Planeten und der menschlichen Gattung in einem zunehmend gewaltsamen Chaos ein Ende setzen.
IKS, 10. Januar 2021
[1]Siehe dazu unsere „Thesen zum Zerfall“ und den „Bericht über den Zerfall heute“
[2]Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels gab es offiziell in den USA 363 581 Todesfälle und nahezu 22 Millionen Infizierter. Quelle : https://www.bbc.com/mundo/noticias-51705060 [175]
[3]Wir werden in weiteren Artikeln in Zukunft darauf zurückkommen.
2017 zeigte die Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney in ihrem Buch 1918 – Die Welt im Fieber (Originaltitel Pale Rider), wie der internationale Kontext und die Funktionsweise der Gesellschaft im Jahr 1918 entscheidend zum Ausgang der sogenannten „Spanischen“ Grippe-Pandemie beitrugen: „Im Grunde hat uns die Spanische Grippe gelehrt, dass eine weitere Grippe-Pandemie unvermeidlich ist, dass aber ihr Gesamtzoll – ob 10 oder 100 Millionen Opfer – allein von der Welt abhängt, in der sie auftritt“. Da die Welt seit einigen Monaten mit Covid-19 konfrontiert ist, bringt uns diese Lektion dazu, uns zu fragen, was diese Pandemie uns über die Welt, in der wir leben, lehrt.
Die Verbindung zwischen der Entwicklung einer Infektion einerseits und der Organisation und dem Zustand der Gesellschaft andererseits ist nicht nur bei der Spanischen Grippe von 1918-1920 gegeben. In der Tat entdeckte der Marxismus, dass im Allgemeinen die Produktionsweise einer Epoche die gesellschaftliche Organisation bedingt und damit auch alles, was die Individuen betrifft, die diese Gesellschaft ausmachen.
In der dekadenten Zeit des Weströmischen Reiches ermöglichten es die Existenzbedingungen und die Expansionspolitik des Reiches, dass sich der Pestbazillus spektakulär ausbreiten und ein wahres Massensterben unter der Bevölkerung verursachen konnte: „Die öffentlichen Bäder waren Brutstätten; die Abwasserkanäle stagnierten unter den Städten; die Kornkammern waren ein Segen für die Ratten; die Handelswege, die das ganze Reich verbanden, ermöglichten die Ausbreitung von Epidemien vom Kaspischen Meer bis zum Hadrianswall mit einer bis dahin unbekannten Effizienz“.[1]
Der Schwarze Tod, der im 14. Jahrhundert in Europa wütete, fand die Bedingungen für seine Ausbreitung sowohl in der Entwicklung des Handels mit Asien, Russland und dem Nahen Osten als auch in der Entwicklung des Krieges, insbesondere in Verbindung mit der Islamisierung der asiatischen Regionen.
Diese beiden Pandemien trugen wesentlich zum Niedergang der Sklaverei und der mittelalterlichen Gesellschaften bei, indem sie wichtige Teile der Gesellschaft zerstörten und sie desorganisierten. Es waren nicht Krankheiten, die den Zusammenbruch dieser Produktionssysteme herbeiführten, sondern vielmehr der Verfall dieser Systeme, der die Verbreitung von Infektionserregern begünstigte. Sowohl die Justinianische Pest als auch die Schwarze Pest haben zu einer Zerstörung beigetragen, die bereits in vollem Gange war, und diese zweifellos stark beschleunigt.
Seit dem Aufkommen des Kapitalismus sind Krankheiten ein ständiges Hindernis für das reibungslose Funktionieren der Produktion, indem sie die für die Wertschöpfung unverzichtbaren Arbeitskräfte außer Gefecht setzen. Sie sind immer auch ein Hindernis für imperialistische Aktivitäten gewesen, indem sie die auf den Schlachtfeldern mobilisierten Männer geschwächt haben.
Als der Virus der Spanischen Grippe begann, die Menschheit zu infizieren, brauchte die kapitalistische Welt mehr denn je menschliche Kraft auf höchstem Effizienzniveau. Diese Notwendigkeit war jedoch an Bedingungen geknüpft, die selbst der Nährboden für eine Pandemie waren, die zwischen 50 und 100 Millionen Menschen oder zwischen 2,5 und 5 % der Weltbevölkerung dahinraffte. Die Welt der Spanischen Grippe war eine Welt im Krieg. Der Erste Weltkrieg, der vier Jahre zuvor begonnen hatte und kurz vor seinem Ende stand, hatte bereits die neue Welt geprägt, eine Welt der kapitalistischen Dekadenz, der festgefahrenen Wirtschaftskrisen und der immer stärker werdenden imperialistischen Spannungen.
Aber der Krieg war noch nicht vorbei. Die Truppen waren immer noch an der Front und im Hinterland zusammengepfercht, was eine ansteckungsfördernde Umgebung schuf. Insbesondere der Transport der Soldaten von Amerika nach Europa erfolgte per Schiff unter erbärmlichen Bedingungen: Das Virus war weit verbreitet und die Männer landeten natürlich mit dem Virus in sich, ansteckend für die lokale Bevölkerung. Nach Kriegsende waren die Demobilisierung und Rückkehr der Soldaten in ihre Heimat ein starker Faktor der Ausbreitung der Epidemie, zumal die Soldaten durch vier Jahre Krieg geschwächt, unterernährt und ohne die geringste Versorgung waren.
Wenn wir über die Spanische Grippe sprechen, denken wir zwangsläufig an Krieg, aber der Krieg ist bei weitem nicht der einzige Faktor, der die Ausbreitung der Krankheit erklärt. Die Welt von 1918 war eine Welt, in der der Kapitalismus seine Produktionsweise bereits überall dort durchgesetzt hatte, wo ihn seine Interessen dazu zwangen, und schuf entsetzliche Ausbeutungsbedingungen. Es war eine Welt, in der die Arbeiter und Arbeiterinnen massenhaft untergebracht waren, zusammengepfercht in der Nähe von Fabriken, in Vierteln, in denen es Umwelt- und Luftverschmutzung, Unterernährung und einen allgemeinen Mangel an Gesundheitsdiensten gab. Es war eine Welt, in der der kranke Arbeiter ohne Versorgung nach Hause in sein Dorf geschickt wurde, wo er am Ende die meisten Leute ansteckte. Es war eine Welt von Bergleuten, die den ganzen Tag in unterirdischen Schächten eingesperrt waren, Gestein abbauten, um Kohle oder Gold zu gewinnen, mithilfe von Chemikalien, die ihren Körper ruinierten und ihr Immunsystem schwächten, und die nachts in engen Baracken untergebracht waren. Es war auch die Welt der Kriegsanstrengungen, in der das Fieber den Arbeiter nicht daran hindern sollte, in die Fabrik zu gehen, selbst wenn es bedeutete, alle Arbeiter vor Ort anzustecken.
Ganz allgemein war die Welt der Spanischen Grippe auch eine Welt, in der das Wissen über den Ursprung der Krankheiten und die Vektoren der Ansteckung im Allgemeinen unbekannt waren. Die Keimtheorie, die die Rolle von körperexternen Infektionserregern bei der Krankheit in den Vordergrund schob, steckte noch in den Kinderschuhen. Obwohl man begann, Mikroben zu beobachten, wurde die Existenz von Viren nur von wenigen Wissenschaftlern vermutet: Zwanzigmal kleiner als ein Bakterium, war ein Virus zu dieser Zeit mit optischen Mikroskopen nicht beobachtbar. Die Medizin war noch wenig entwickelt und für die große Mehrheit der Bevölkerung unzugänglich. Traditionelle Heilmittel und Glaubensvorstellungen aller Art dominierten den Kampf gegen diese unbekannte, erschreckende und oft verheerende Krankheit.
Das Ausmaß der menschlichen Katastrophe, die durch die Spanische Grippe-Pandemie verursacht wurde, hätte sie zur letzten großen Gesundheitskatastrophe für die Menschheit machen sollen. Die Lehren, die daraus hätten gezogen werden können, die Anstrengungen, die auf die Erforschung von Infektionen hätten gerichtet werden können, die beispiellose Entwicklung der Technologie seit dem Aufkommen des Kapitalismus hätten dazu führen können, dass die Menschheit den Kampf gegen die Krankheit gewinnt.
Die Bourgeoisie ist sich der Gefahr bewusst geworden, welche die Gesundheitsfragen für ihr System darstellen. Dieses Bewusstsein ist nicht in irgendeiner menschlichen oder fortschrittlichen Dimension zu sehen, sondern nur als Wille, die Arbeitskraft so wenig wie möglich zu schwächen, sie so produktiv und profitabel wie möglich zu halten. Dieser Wille war bereits in der Zeit des Aufstiegs des Kapitalismus nach der Cholera-Pandemie in Europa in den Jahren 1803 und 1840 aufgekeimt. Die Entwicklung des Kapitalismus ging einher mit einer Intensivierung des internationalen Handels und gleichzeitig mit der Erkenntnis, dass Grenzen keine Krankheitserreger aufhalten.[2] So begann die Bourgeoisie bereits 1850, mit den ersten internationalen Konventionen und vor allem mit der Gründung des Internationalen Amtes für öffentliche Hygiene (OIHP) im Jahr 1907 eine multilaterale Gesundheitspolitik zu betreiben. Zu dieser Zeit war das Vorhaben der Bourgeoisie offensichtlich, da diese Maßnahmen im Wesentlichen auf den Schutz der Industrieländer und den Schutz ihres Handels ausgerichtet waren, der für das Wirtschaftswachstum unerlässlich war. Das OIHP umfasste nur dreizehn Mitgliedsländer. Nach dem Krieg schuf der Völkerbund ein Hygienekomitee, dessen Berufung bereits internationaler war (seine Tätigkeit betraf etwa 70 % des Planeten), dessen erklärtes Programm aber immer noch darauf abzielte, durch die Förderung der Hygienepolitik sicherzustellen, dass alle Rädchen der kapitalistischen Maschine optimal funktionierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam mit der Gründung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und vor allem mit einem Programm zur Verbesserung der Gesundheit, dass sich nicht nur an die Mitgliedsstaaten, sondern an die gesamte Weltbevölkerung richtete, eine systematischere Herangehensweise an das Thema Gesundheit auf. Ausgestattet mit beträchtlichen Ressourcen, organisiert und finanziert die WHO Operationen zu vielen Krankheiten mit einem starken Schwerpunkt auf Prävention und Forschung.
Auch dahinter sollte man natürlich nicht eine plötzliche humanitäre Berufung der herrschenden Klasse sehen. Aber in einer Welt, die sich mitten im Kalten Krieg befand, wurde die Gesundheitspolitik als ein Mittel gesehen, um sicherzustellen, dass man, sobald der Krieg zu Ende war, auf die größtmögliche und produktivste Arbeitskraft zurückgreifen konnte, insbesondere während der Zeit des Wiederaufbaus – und auch später, um die Präsenz und die Herrschaft über die Entwicklungsländer und ihre Bevölkerungen aufrechtzuerhalten; die Gesundheitsvorsorge wurde als eine weniger kostspielige Lösung angesehen als die Behandlung der Kranken in Krankenhäusern.
Gleichzeitig haben sich Forschung und Medizin weiterentwickelt, was zu einer besseren Kenntnis der Infektionserreger, ihrer Funktionsweise und ihrer Bekämpfung geführt hat, insbesondere mit Antibiotika, die es ermöglichen, eine wachsende Zahl von Krankheiten bakteriellen Ursprungs zu heilen, und mit der Entwicklung von Impfstoffen. So sehr, dass die Bourgeoisie bereits in den 1950er Jahren zu glauben begann, dass die Schlacht gewonnen sei und viele Infektionskrankheiten nun der Vergangenheit angehörten: Die Entwicklung von Impfungen, insbesondere für Kinder, und der Zugang zu besserer Hygiene führten dazu, dass Kinderkrankheiten wie Masern oder Mumps selten wurden, dass die Pocken sogar ausgerottet wurden, ebenso wie die Kinderlähmung fast auf der ganzen Welt eliminiert wurde.[3] Das Kapital sollte nun auf eine unverwundbare, immer verfügbare und ausbeutbare Arbeitskraft zählen können.
Die anarchische Entwicklung des Kapitalismus in seiner Dekadenzphase, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts begann, hat einen starken demographischen Wandel, zunehmende Umweltzerstörung (insbesondere Abholzung), verstärkte Vertreibung von Menschen, unkontrollierte Verstädterung, politische Instabilität und Klimawandel hervorgebracht, alles Faktoren, die das Auftreten und die Verbreitung von Infektionskrankheiten begünstigen.[4] So tauchte Ende der 1970er Jahre ein neues Virus in der Menschheit auf und verursachte die bis heute andauernde AIDS-Pandemie. Die Hoffnungen der Bourgeoisie schwanden so schnell, wie sie entstanden waren. Denn zur gleichen Zeit trat das kapitalistische System in die letzte Phase seiner Existenz ein, nämlich in die seines Zerfalls. Die Entwicklung der Ursprünge und Folgen des Zerfalls des Kapitalismus ist nicht der Gegenstand dieses Artikels. Wir können jedoch feststellen, dass die eklatantesten Erscheinungen dieser Zersetzung sehr schnell die Gesundheitsfragen betrafen: das Jeder-für-sich, die kurzfristige Sichtweise und der fortschreitende Verlust der Kontrolle der Bourgeoisie über ihr System, all dies in einem Kontext einer immer tieferen und immer schwerer zu bekämpfenden Wirtschaftskrise.
Heute sticht die COVID-19-Pandemie als beispielhafter Ausdruck des kapitalistischen Zerfalls hervor. Sie ist das Ergebnis einer wachsenden Unfähigkeit der Bourgeoisie, eine Frage in die Hand zu nehmen, die sie selbst bei der Gründung der WHO im Jahr 1947 als Grundsatz festgelegt hatte: alle Bevölkerungen auf das höchstmögliche Gesundheitsniveau zu bringen. Ein Jahrhundert nach der Spanischen Grippe haben sich die wissenschaftlichen Kenntnisse über Krankheiten, deren Entstehung, Infektionserreger und Viren auf ein absolut unvergleichliches Niveau entwickelt. Die Gentechnik ermöglicht es heute, Viren zu identifizieren, ihre Mutationen zu verfolgen und wirksamere Impfstoffe herzustellen. Die Medizin hat immense Fortschritte gemacht und sich zunehmend gegen Traditionen und Religionen durchgesetzt. Sie hat auch eine sehr wichtige präventive Dimension angenommen.
Allerdings dominieren angesichts von COVID-19 die Ohnmacht der Staaten und die Panik vor dem Unbekannten. Während es der Menschheit hundert Jahre lang allmählich gelungen ist, die Natur zu beherrschen, befinden wir uns nun in einer Situation, in der dies immer weniger der Fall ist.
Covid-19 war in der Tat alles andere als ein Strohfeuer: Natürlich gab es HIV, das als Erinnerung daran diente, dass neue Pandemien noch kommen würden. Seitdem hat es aber auch SARS, MERS, Schweinegrippe, Zyka, Ebola, Chikungunya, Prionen, etc. gegeben. Fast verschwundene Krankheiten wie Tuberkulose, Masern, Röteln, Skorbut, Syphilis, Krätze und sogar Kinderlähmung sind wiederaufgetaucht.
All diese Warnungen hätten zu mehr Forschung und vorbeugenden Maßnahmen führen müssen; dies ist nicht geschehen. Nicht wegen Nachlässigkeit oder schlechter Risikoeinschätzung, sondern weil der Kapitalismus mit dem Zerfall notwendigerweise immer mehr in einer kurzfristigen Sichtweise gefangen ist, die auch dazu führt, dass er allmählich die Kontrolle über die Regulierungsinstrumente verliert, die es bis dahin ermöglicht haben, den Schaden zu begrenzen, der durch den ungezügelten Wettbewerb aller Akteure in der kapitalistischen Welt untereinander entstanden ist.
In den 1980er Jahren gab es erste Kritiken von Seiten der WHO-Mitgliedsstaaten, die der Meinung waren, dass die Präventionspolitik zu kostspielig geworden sei, vor allem wenn sie nicht direkt dem eigenen nationalen Kapital zugutekam. Die Impfungen begannen abzunehmen. Der Zugang zu Medikamenten wurde durch Kürzungen im öffentlichen Gesundheitssystem erschwert. Auf dem Rückzug ist sie aber auch alternativen „Medikamenten“ gewichen, die sich aus dem irrationalen Klima nähren, das durch den Verfall gefördert wird. So sind hundert Jahre später die empfohlenen „Heilmittel“ gegen das Virus (SARS-CoV-2) die gleichen wie die, die für die Spanische Grippe empfohlen wurden (Ruhe, Diät, Flüssigkeitszufuhr), zu einer Zeit, als noch nicht bekannt war, dass die Ursache der Krankheit ein Virus war.
Die Wissenschaft als Ganzes verliert ihre Glaubwürdigkeit und damit auch ihre Kredite und Subventionen. Die Erforschung von Viren, Infektionen und der Mittel ihrer Bekämpfung wurde fast überall aus Mangel an Ressourcen eingestellt. Nicht, dass sie so teuer wäre, aber ohne sofortige Rentabilität wird sie zwangsläufig als zu teuer angesehen. Die WHO gibt ihre Tuberkulose-Aktivitäten auf und wird von den Vereinigten Staaten aufgefordert, sich auf die Krankheiten zu konzentrieren, die sie als vorrangig ansieht, oder sie riskiert, ihren finanziellen Beitrag zu verlieren (den größten, 25% der Einnahmen).
Die Bedürfnisse der Wissenschaft, die immer noch versucht, langfristig zu arbeiten, sind nicht mit den Zwängen eines Systems in der Krise vereinbar, das den dringenden Anspruch auf eine direkte Rendite für jede Investition stellt. Zum Beispiel gibt es zu einer Zeit, in der das Zika-Virus weltweit als Krankheitserreger anerkannt ist, der Geburtsfehler verursachen kann, fast keine Forschung und keinen Impfstoff in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. Zweieinhalb Jahre später werden die klinischen Studien aufgeschoben. Das Fehlen eines profitablen Marktes zwischen den Epidemien ermutigt weder Regierungen noch Pharmaunternehmen, in diese Art von Forschung zu investieren.[5]
Heute ist die WHO praktisch zum Schweigen gebracht, und die Erforschung von Krankheiten liegt in den Händen der Weltbank, die ihr einen Kosten-Nutzen-Ansatz aufzwingt (mit der Einführung ihres DALY-Indikators, der auf dem Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Anzahl verlorener Lebensjahre basiert).
Wenn also ein Coronavirus-Spezialist, Bruno Canard, von „einem Langzeitprojekt“ spricht, „das schon 2003 und mit dem Auftreten des ersten SARS hätte begonnen werden müssen“, und ein Virologen-Kollege, Johan Neyts, mit Bedauern feststellt, dass „wir für 150 Millionen Euro in zehn Jahren ein Breitspektrum-Antivirus gegen Coronaviren gehabt hätten, das wir den Chinesen schon im Januar hätten geben können. Wir wären nicht da, wo wir heute sind“[6], so stellen sie sich gegen den Strom der aktuellen Dynamik des Kapitalismus.
So schrieb Marx bereits 1859 in seinem Beitrag Zur Kritik der Politischen Ökonomie: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen [...]. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um.“ Während die Menschheit über die wissenschaftlichen und technologischen Mittel zur Bekämpfung von Krankheiten wie nie zuvor verfügt, stellt die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Organisation ein Hindernis für die Verwirklichung dieser Mittel dar.
So sieht sich die Menschheit im Jahr 2020, die in der Lage ist, lebende Organismen in all ihren Formen zu kennen und zu beschreiben, wie sie funktionieren, gezwungen, die Mittel einer Vergangenheit aufzugreifen, in der noch Obskurantismus herrschte. Die Bourgeoisie schließt ihre Grenzen, um sich vor dem Virus zu schützen, so wie im 18. Jahrhundert eine Mauer gebaut wurde, um die Provence zu isolieren, die von der Pest befallen war. Kranke oder krankheitsverdächtige Menschen werden unter Quarantäne gestellt, so wie während des Schwarzen Todes die Häfen für fremde Schiffe gesperrt wurden. Die Bevölkerung wird eingeschlossen, öffentliche Plätze werden geschlossen, Freizeitaktivitäten und Versammlungen verboten und Ausgangssperren verordnet – gleich wie es namentlich in den großen Städten der Vereinigten Staaten während der Spanischen Grippe der Fall war.
Seitdem ist also nichts mehr erfunden worden, und die Rückkehr dieser gewalttätigen, archaischen und überholten Methoden signalisiert die Ohnmacht der herrschenden Klasse angesichts der Pandemie.
Die Konkurrenz, dieses Fundament des Kapitalismus, verschwindet nicht angesichts des Ernstes der Lage: Jedes Kapital muss die anderen besiegen oder sterben. So versuchten die Staaten in einer Zeit, in der sich die Toten stapelten und die Krankenhäuser keinen einzigen Patienten mehr aufnehmen konnten, immer noch, die Ausgangssperren möglichst nach den Konkurrenten anzuordnen. Wenige Wochen später ging es darum, durch eine möglichst frühe Aufhebung des Lockdowns die Wirtschaftsmaschine so schnell wie möglich zu starten, um die Märkte des Konkurrenten zu erobern. All dies geschah mit Geringschätzung gegenüber der menschlichen Gesundheit und trotz der Warnungen der wissenschaftlichen Gemeinschaft über die fortbestehende Virulenz des SARS-CoV-2. Die Bourgeoisien sind unfähig, über das auf allen Ebenen der Gesellschaft herrschende Jeder-für-sich hinauszugehen, und scheitern, wie z.B. im Kampf gegen die globale Erwärmung, bei der Entwicklung gemeinsamer Strategien zur Bekämpfung von Krankheiten.
Justinians Pest beschleunigte den Untergang des Römischen Reiches und seines Sklavensystems; der Schwarze Tod löste den Untergang des Feudalsystems aus. Jene Pandemien waren das Produkt dieser dekadenten Systeme, in denen „die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen“ geraten, und gleichzeitig waren sie ein Beschleuniger ihres Untergangs. Die COVID-19-Pandemie ist ebenfalls das Produkt einer dekadenten (und sogar zerfallenden) Welt; auch sie wird ein Beschleuniger der Widersprüche eines veralteten und moribunden Systems sein.
Sollten wir uns darüber freuen, dass der Untergang des Kapitalismus durch die Pandemie beschleunigt wird? Wird der Kommunismus so entstehen können, wie der Kapitalismus auf den Trümmern des Feudalismus geboren werden konnte? Der Vergleich mit den Pandemien der Vergangenheit endet hier. In der Sklavenwelt und der feudalen Welt waren die Grundlagen einer Organisation, die dem von den Produktivkräften erreichten Entwicklungsstand entsprach, bereits in ihnen vorhanden. Die bestehenden Produktionsweisen stießen an ihre Grenzen und ließen Raum für die Durchsetzung einer neuen herrschenden Klasse, die bereits über angemessenere Produktionsverhältnisse verfügte. Am Ende des Mittelalters hatte der Kapitalismus bereits eine wichtige Rolle in der gesellschaftlichen Produktion eingenommen.
Der Kapitalismus ist die letzte Klassengesellschaft der Geschichte. Nachdem er fast die gesamte menschliche Produktion unter seine Kontrolle gebracht hat, lässt er vor seinem Untergang keinen Raum für eine andere Organisation, und keine andere Klassengesellschaft könnte ihn ersetzen. Die revolutionäre Klasse, das Proletariat, muss zuerst das gegenwärtige System zerstören, bevor sie das Fundament für ein neues Zeitalter legt. Wenn eine Reihe von Pandemien oder anderer Katastrophen den Sturz des Kapitalismus herbeiführt, ohne dass das Proletariat reagieren und seine eigene Kraft durchsetzen kann, so wird die ganze Menschheit mitgerissen.
Was in dieser Periode auf dem Spiel steht, ist die Fähigkeit der Arbeiterklasse, der kapitalistischen Verantwortungslosigkeit zu widerstehen, allmählich die Gründe dafür zu verstehen und die historische Verantwortung zu übernehmen. So endet das oben erwähnte Zitat von Marx:
„Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen [...]. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche der sozialen Revolution ein.“
GD (Oktober 2020)
[1] Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches, Kyle Harper (2020).
[2] Vgl. A new Twenty-first century science for effective epidemics response, Nature, Anniversary Collection n° 150 vol. 575, November 2019, S. 131.
[3] Ebd. S. 130
[4] Ebd.
[5] Ebd. S. 134
[6] „Covid-19 : sur la piste des futurs traitements“, Le Monde (6. Oktober 2020).
Eine der Schwierigkeiten, mit denen revolutionäre Organisationen der Kommunistischen Linken konfrontiert sind, ist die Tatsache, dass viele ihrer Militanten früher Mitglieder bei Parteien oder Gruppen der Linken und der extremen Linken des Kapitals waren (Sozialistische und Kommunistische Parteien, beeinflusst vom Trotzkismus, Maoismus, oder gar vom offiziellen Anarchismus und der so genannten "Neue Linke" von Syriza oder Podemos). Das ist unvermeidlich, aus dem einfachen Grund, weil kein Militanter mit einer vollständigen und unmittelbaren Klarheit geboren wird. Diese Etappe hinterlässt jedoch ein schwer zu überwindendes Handicap: Es ist möglich, mit den politischen Positionen dieser Organisationen (Gewerkschaftsbewegung, Vaterlandsverteidigung und Nationalismus, Teilnahme an Wahlen usw.) zu brechen, aber es ist viel schwieriger, sich von Haltungen, Denkweisen, Diskussionsweisen, Verhaltensweisen, Vorstellungen zu befreien, die diese Organisationen nachhaltig ausstrahlen und die zum Kern ihrer Funktionsweise gehören.
Dieses Erbe, das wir als das verborgene Erbe der Linken des Kapitals bezeichnen, trägt dazu bei, in den revolutionären Organisationen Spannungen zwischen den Genossen zu schüren, Misstrauen, Rivalitäten, destruktive Verhaltensweisen, Blockade der Debatte, abweichende theoretische Positionen usw. zu provozieren, die in Verbindung mit dem Druck der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie den revolutionären Organisationen schweren Schaden zufügen können. Das Ziel dieser Artikelreihe, die wir hiermit beginnen, besteht darin, dieses erdrückende Gewicht zu identifizieren und zu bekämpfen.
Seit ihrem ersten Kongress (1975) hat sich die IKS mit dem Problem von Organisationen befasst, die falsche Behauptungen über den "Sozialismus" aufstellen, während sie tatsächlich kapitalistische Politik betreiben. Die Plattform der IKS, die von diesem Kongress angenommen wurde, sagt dazu in Punkt 13: "All jene Parteien oder Organisationen, die heute bestimmte Staaten oder Fraktionen der Bourgeoisie gegen andere verteidigen, auch wenn nur “bedingt” oder “kritisch" - sei es im Namen des “Sozialismus”, der “Demokratie”, des “Antifaschismus”, der “nationalen Unabhängigkeit”, der ‚Einheitsfront‘ oder des “geringeren Übels” -, die ihre Politik auf dem bürgerlichen Wahlzirkus aufbauen, die an den arbeiterfeindlichen Aktivitäten der Gewerkschaften mitwirken oder an den Mystifizierungen der Selbstverwaltung, sind Organe des politischen Apparates des Kapitals. Dies trifft insbesondere auf die “sozialistischen” und “kommunistischen” Parteien zu.“
Unsere Plattform konzentriert sich auch auf das Problem der Gruppen, die sich "links" von diesen größeren Parteien stellen, indem sie oft „heftige Kritik" an ihnen üben und "radikalere" Posen einnehmen: "All die sog. “revolutionären” Strömungen - der Maoismus, der nur eine Variante jener Parteien ist, die sich endgültig der Bourgeoisie angeschlossen haben; der Trotzkismus, der, nachdem er anfangs eine proletarische Reaktion gegen den Verrat der Kommunistischen Parteien gewesen war, einem ähnlichen Degenerationsprozess anheimfiel, oder der traditionelle Anarchismus, der heute die gleiche politische Vorgehensweise vertritt und bestimmte Positionen mit den KPs und den sozialistischen Parteien teilt (wie z.B. antifaschistische Bündnisse) - gehören dem gleichen Lager an: dem des Kapitals. Ihr geringerer Einfluss oder ihre radikalere Sprache ändern nichts an den bürgerlichen Grundlagen ihres Programms und ihrem Wesen, sondern macht sie zu nützlichen Zutreibern, Anhängseln und Stellvertretern der etablierten Parteien..“
Um die Rolle der Linken und der extremen Linken des Kapitals zu verstehen, muss man daran erinnern: „Im politischen und sozialen Bereich drückt sich die Tendenz zum Staatskapitalismus durch die Tatsache aus, dass sowohl in den extremsten totalitären Formen wie dem Faschismus oder dem Stalinismus als auch in der Form, die sich unter der demokratischen Maske versteckt, der Staatsapparat und vor allem die Exekutivgewalt eine immer mächtigere Kontrolle ausüben, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringen. Auf einer ungleich höheren Ebene als in der Dekadenz des Römischen Reiches oder des Feudalismus ist der Staat des dekadenten Kapitalismus zu einer Furcht erregenden, kalten und anonymen Maschinerie geworden, die die eigentliche Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft ruiniert hat." [Punkt 4 Plattform der IKS].[1]
Dieses Wesen trifft auf offen diktatorische Einparteienregime (Stalinismus, Nationalsozialismus, Militärdiktaturen) ebenso zu wie auf die demokratischen Regime.
In diesem Rahmen sind die politischen Parteien nicht die Vertreter der verschiedenen Klassen oder Schichten der Gesellschaft, sondern totalitäre Instrumente des Staates, deren Aufgabe es ist, die gesamte Bevölkerung (hauptsächlich die Arbeiterklasse) den Imperativen des nationalen Kapitals zu unterwerfen. Sie werden gleichermaßen zum Kopf von Vetternwirtschaftlichen Netzwerken, Interessengruppen und Einflusssphären, die politisches und wirtschaftliches Handeln verbinden und zum Nährboden einer unausweichlichen Korruption werden.
In den demokratischen Systemen ist der politische Apparat des kapitalistischen Staates in zwei Flügel geteilt: der rechte Flügel, der mit den klassischen Fraktionen der Bourgeoisie verbunden und für die Kontrolle der rückständigsten Schichten der Bevölkerung verantwortlich is [2], und der linke Flügel (die Linke mit den Gewerkschaften und einer Reihe linksextremer Organisationen), der im Wesentlichen der Kontrolle und Spaltung der Arbeiterklasse und der Zerstörung ihres Bewusstseins übernimmt.
Auch die Organisationen des Proletariats waren nicht gefeit vor der Degeneration. Der Druck der bürgerlichen Ideologie zerfrisst vom Inneren her und kann zum Opportunismus führen, der, wenn er nicht rechtzeitig bekämpft wird, zum Verrat und zur Integration in den kapitalistischen Staat führt[3]. Der Opportunismus unternimmt diesen finalen Schritt zum Zeitpunkt entscheidender historischer Ereignisse im Leben der kapitalistischen Gesellschaft: die beiden Schlüsselmomente waren bisher der imperialistische Weltkrieg und die proletarische Revolution. In der Plattform versuchen wir, den Prozess zu erklären, der zu diesem fatalen qualitativen Umschlag führt:
Diese Parteien, die einst die Avantgarde des Weltproletariats verkörperten, haben seither einen Prozess der Degeneration durchlaufen, der sie in das bürgerliche Lager geführt hat. Nachdem die Internationalen, denen diese Parteien angehört hatten (die sozialistischen Parteien der II. Internationale, die Kommunistischen Parteien der III. Internationale), als solche gestorben waren (ungeachtet des formalen Fortbestehens ihrer Strukturen), haben diese Parteien nur noch weiter bestanden, um schrittweise, jede für sich, zu (oft bedeutenden) Teilen des Räderwerks des bürgerlichen Staatsapparats in ihren Ländern zu werden.
Dies war der Fall bei der II. Internationale, als die großen ihrer Parteien, befallen vom Geschwür des Opportunismus und Zentrismus, mit dem Ausbruch des I. Weltkriegs (der den Tod der II. Internationale manifestierte) mehrheitlich dazu verleitet wurden, die Politik der “nationalen Verteidigung” zu praktizieren. Dies geschah unter der Führung der sozialchauvinistischen Rechten, die sich zu diesem Zeitpunkt ins Lager der Bourgeoisie gesellte. Schließlich sind diese Parteien offen der revolutionären Welle von Kämpfen entgegengetreten und haben, wie in Deutschland 1919, die Rolle des Henkers der Arbeiterklasse übernommen. Die endgültige Eingliederung aller dieser Parteien in den bürgerlichen Staat vollzog sich nach Ausbruch des I. Weltkriegs. Dieser Integrationsprozess war Anfang der 20er Jahre endgültig abgeschlossen, nachdem die letzten proletarischen Strömungen aus ihren Reihen ausgeschlossen worden waren - oder sie selbst verlassen hatten, um der Komintern beizutreten.
Nach einem ähnlichen Prozess der opportunistischen Degeneration sind auch die kommunistischen Parteien in das kapitalistische Lager übergewechselt. Dieser Prozess, der bereits Anfang der 1920er Jahre begonnen hatte, setzte sich nach dem Tod der Kommunistischen Internationale (der 1928 durch die Übernahme der “Theorie des Sozialismus in einem Land” gekennzeichnet war) weiter fort. Trotz erbitterter Kämpfe der linken Fraktionen erfolgte schließlich Anfang der 1930er (einige Zeit nach dem Ausschluss der linken Fraktionen) die vollständige Integration dieser Parteien in den kapitalistischen Staat, als diese sich den Rüstungswettläufen ihrer jeweiligen Bourgeoisie anschlossen und in die Volksfronten eintraten. Auch ihre aktive Beteiligung am “antifaschistischen Widerstand” während des II. Weltkriegs und am “nationalen Wiederaufbau” nach dem Krieg hat sie als treue Diener des nationalen Kapitals und als eine reine Verkörperung der Konterrevolution entblößt.
All die sog. “revolutionären” Strömungen - der Maoismus, der nur eine Variante jener Parteien ist, die sich endgültig der Bourgeoisie angeschlossen haben; der Trotzkismus, der, nachdem er anfangs eine proletarische Reaktion gegen den Verrat der Kommunistischen Parteien gewesen war, einem ähnlichen Degenerationsprozess anheimfiel, oder der traditionelle Anarchismus, der heute die gleiche politische Vorgehensweise vertritt und bestimmte Positionen mit den KPs und den sozialistischen Parteien teilt (wie z.B. antifaschistische Bündnisse) - gehören dem gleichen Lager an: dem des Kapitals. Ihr geringerer Einfluss oder ihre radikalere Sprache ändern nichts an den bürgerlichen Grundlagen ihres Programms und ihrem Wesen, sondern macht sie zu nützlichen Zutreibern, Anhängseln und Stellvertretern der etablierten Parteien.
In gleicher Weise gingen die Kommunistischen Parteien ihrerseits nach einem ähnlichen Prozess der opportunistischen Degeneration in das kapitalistische Lager über. Dieser Prozess, der bereits Anfang der zwanziger Jahre begonnen hatte, setzte sich nach dem Tod der Kommunistischen Internationale (gekennzeichnet durch die Annahme der Theorie des "Sozialismus in einem Land" im Jahre 1928) fort, um trotz erbitterter Kämpfe der linken Fraktionen und nach deren Ausschluss mit der vollständigen Integration dieser Parteien in den kapitalistischen Staat zu Beginn der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts mit ihrer Beteiligung an den Aufrüstungsbemühungen ihrer jeweiligen Bourgeoisie und ihrem Eintritt in die "Volksfronten" abzuschließen. Ihre aktive Teilnahme am 'Widerstand' im Zweiten Weltkrieg und am 'nationalen Wiederaufbau', der darauf folgte, hat sie als treue Agenten des nationalen Kapitals und als die reinste Inkarnation der Konterrevolution bestätigt".[4]
Innerhalb von 25 Jahren (zwischen 1914 und 1939) verlor die Arbeiterklasse zunächst die Sozialistischen Parteien, dann in den 1920er Jahren die Kommunistischen Parteien und schließlich ab 1939 die Gruppen der Linken Opposition um Trotzki, die die noch brutalere Barbarei des Zweiten Weltkriegs unterstützten: "1938 gründete die Linksopposition die IV. Internationale. Es handelte sich hierbei um ein opportunistisches Manöver, da eine Weltpartei zu einer Zeit, in der alle Zeichen auf einen neuerlichen imperialistischen Krieg standen, nicht gegründet werden kann, weil Letzterer bedeutete, dass die Arbeiterklasse eine tiefe Niederlage erlitten hat. Die Ergebnisse waren eine einzige Katastrophe: 1939-1940 bezogen die Gruppen der IV. Internationale unter den unterschiedlichsten Vorwänden Stellung für den Weltkrieg: Die Mehrheit unterstützte das russische „sozialistische Vaterland“, eine Minderheit hingegen das Frankreich Pétains, das wiederum ein Satellit der Nazis war. Auf diese Degeneration der trotzkistischen Organisationen reagierten die letzten verbliebenen internationalistischen Kräfte, die in ihren Reihen verblieben waren: insbesondere die Frau Leo Trotzkis und der spanische Revolutionär G. Munis.
Seitdem sind die trotzkistischen Organisationen zu radikalen Verfechtern des Kapitals geworden, die die Arbeiterklasse mit allerlei „revolutionären Themen“ täuschen wollten – Themen, die im Allgemeinen zur Unterstützung antiimperialistischer Fraktionen der Bourgeoisie führen (wie heute z.B. den berüchtigten Offizier Chávez). Ebenso treiben sie die vom parlamentarischen Spektakel abgestoßenen Arbeiter wieder an die Wahlurnen zurück, indem sie diese dazu aufrufen, die Sozialisten „kritisch“ zu unterstützen. Nur so könne man den vordringenden Rechten den Weg versperren. Schließlich verbreiten sie die Illusion, dass man die Gewerkschaften zurückerobern könne. So mobilisieren sie für „kämpferische“ Kandidaten, womit sie die Basisorgane dieses kapitalistischen Apparates unterstützen."[5].
Die Arbeiterklasse ist in der Lage, linke Fraktionen innerhalb proletarischer Parteien zu bilden, wenn diese von der Krankheit des Opportunismus befallen werden. Diese Rolle übernahmen die Bolschewiki, die Strömung um Rosa Luxemburg, der niederländische Tribunismus (um die Zeitschrift „de Tribune“), die Militanten der italienischen Abstentionistischen Kommunistischen Fraktion usw. innerhalb der Parteien der 2. Internationale. Die Geschichte der Kämpfe dieser Fraktionen ist hinreichend bekannt, da ihre Texte und Beiträge mit der Bildung der 3. Internationale konkretisiert wurden.
Und ab 1919 wurde die proletarische Reaktion, die mit Schwierigkeiten, Irrtümern und der nachfolgenden Degeneration der Dritten Internationale konfrontiert war, von der Kommunistischen Linken (Italienische-, Holländische-, Deutsche-, Russische Linke usw.) zum Ausdruck gebracht, die (mit großen Schwierigkeiten und leider sehr zerstreut) einen heldenhaften und entschlossenen Kampf führte. Trotzkis Linke Opposition erschien später und in einer viel inkohärenteren Weise. In den 1930er Jahren wurde die Kluft zwischen der Kommunistischen Linken (vor allem ihre kohärentesten Vertreter um die Gruppe BILAN, die die Kommunistische Linke Italiens repräsentierte) und Trotzkis Opposition deutlicher. Während BILAN lokale imperialistische Kriege als Ausdruck eines Kurses hin zu einem globalisierten imperialistischen Krieg betrachtete, verstrickte sich die Opposition in der Lobpreisung nationaler Befreiung und des fortschrittlichen Charakters des Antifaschismus. Während Bilan die ideologische Unterwerfung unter einen imperialistischen Krieg und die Interessen des Kapitals hinter der Mobilisierung der spanischen Arbeiter für den Krieg zwischen Franco und der Republik erkannte, sah Trotzki die Streiks von 1936 in Frankreich und den antifaschistischen Kampf in Spanien als den Beginn der Revolution. Auch wenn BILAN sich noch nicht über das genaue Wesen der UdSSR im Klaren war, erkannte die Gruppe, dass sie die UdSSR nicht unterstützen konnte, vor allem, weil die UdSSR ein aktiver Faktor bei der Vorbereitung des Krieges war. Trotzki hingegen stieß mit seinen Spekulationen über die UdSSR als "degenerierten Arbeiterstaat" die Türen für die Unterstützung der UdSSR weit auf, diese Spekulationen bildeten ein Motiv für die Unterstützung der Barbarei des Zweiten Weltkrieg von 1939-1945 durch die Linke Opposition.
Seit 1968 nahm der proletarische Kampf in der ganzen Welt wieder Fahrt auf. Der Mai 68 in Frankreich, der "Heiße Herbst" in Italien, der "Cordobazo" in Argentinien, der polnische Oktober usw. gehörten zu seinen wichtigsten Ausdrucksformen. Dieser Kampf brachte eine neue Generation von Revolutionären hervor. Überall traten zahlreiche Minderheiten der Arbeiterklasse auf, und all das machte eine grundlegende Stärke des Proletariats aus.
Es ist jedoch unerlässlich, auf die Rolle der extremen Linken bei der Schwächung und Zerstörung dieser Minderheiten hinzuweisen: die Trotzkisten, die wir bereits erwähnt haben, ebenso wie die Gruppen des offiziellen Anarchismus[6] und des Maoismus spielten alle ihre spezifische Rolle. In Bezug auf den Maoismus ist es wichtig zu betonen, dass er nie eine proletarische Strömung gewesen ist. Die maoistischen Gruppen entstanden aus imperialistischen Konflikten und Einflusskriegen wie denen zwischen Peking und Moskau, die 1972 zum Bruch zwischen den beiden Staaten und zur Verteidigung gemeinsamer Interessen zwischen Peking und des amerikanischen Imperialismus führten.
Man schätzt, dass es gegen 1970 weltweit mehr als hunderttausend Militante gab, die sich, wenn auch mit enormer Verwirrung, für die Revolution, gegen die traditionellen Parteien der Linken (sozialistische und kommunistische Parteien), gegen den imperialistischen Krieg aussprachen und versuchten, den ausbrechenden proletarischen Kampf voranzutreiben. Eine auffallende Mehrheit dieses wichtigen Kontingents wurde von dieser Konstellation von Gruppen der extremen Linken zurückgewonnen. In der vorliegenden Artikelserie soll versucht werden, alle Mechanismen, mit denen sie diese Rückgewinnung in Angriff nahmen, im Detail aufzuzeigen. Wir werden nicht nur über das kapitalistische Programm sprechen, das in ihren radikalen Schriften abgedruckt ist, sondern hauptsächlich über ihre Organisations- und Diskussionsmethoden, ihre Arbeitsweise und ihren Umgang mit der Moral.
Sicher ist, dass ihre Aktionen sehr wichtig für die Zerstörung des Potenzials der Arbeiterklasse waren, eine breit angelegte Avantgarde für ihren Kampf aufzubauen. Potentielle Militante wurden in Richtung Aktivismus und Immediatismus gelenkt, in sterile Kämpfe innerhalb der Gewerkschaften, Stadtteile, Wahlkampagnen usw. kanalisiert.
Die Ergebnisse waren eindeutig:
Die kommunistischen Militanten sind ein lebenswichtiger Aktivposten des Proletariats und es ist eine zentrale Aufgabe der Gruppen der gegenwärtigen Kommunistischen Linken, die die Erben von BILAN, INTERNATIONALISME usw. sind, alle Lehren aus dem enormen Aderlass an militanten Kräften zu ziehen, den das Proletariat seit seinem historischen Erwachen 1968 erlitten hat.
Um ihre schmutzige Arbeit der Einkerkerung, Spaltung und Verwirrung zu verrichten, propagieren die Gewerkschaften, die linken und extrem linken Parteien eine falsche Vision der Arbeiterklasse. Sie haben unter den kommunistischen Militanten ihre Spuren hinterlassen und deformieren ihre Gedanken, ihr Verhalten und ihre Vorgehensweise. Es ist daher unerlässlich, dies zu erkennen und zu bekämpfen.
Für die Linke und die extreme Linke stellen die Arbeiter keine antagonistische soziale Klasse innerhalb des Kapitalismus dar, sondern sind vielmehr eine Summe von Individuen. Sie sind die "Unterschicht der Bürger". Als solche können die einzelnen Arbeiter nur auf eine "stabile Situation", eine "gerechte Entlohnung" für ihre Arbeit, "Achtung ihrer Rechte" usw. hoffen.
Dies erlaubt der Linken, etwas Grundlegendes zu verbergen: Die Arbeiterklasse ist eine Klasse, die für die kapitalistische Gesellschaft unentbehrlich ist, weil der Kapitalismus ohne die mit ihr verbundene Arbeit nicht funktionieren könnte. Gleichzeitig ist sie aber auch eine von der Gesellschaft ausgeschlossene Klasse, die allen ihren Regeln und lebenswichtigen Normen fremd ist; sie ist also eine Klasse, die sich als solche nur verwirklichen kann, wenn sie die kapitalistische Gesellschaft vollständig abschafft. Stattdessen befürwortet die Linke die Idee einer "integrierten Klasse", die durch Reformen und Beteiligung an kapitalistischen Organisationen ihre Interessen befriedigen kann.
Mit dieser Sichtweise löst sich die Arbeiterklasse in eine amorphe und interklassistische Masse von "Bürgern" alias "das Volk" auf. Dabei wird der Arbeiter der Kleinbourgeoisie, die ihn hinters Licht führt, der Polizei, die ihn unterdrückt, dem Richter, der ihn verurteilt, den Politikern, die ihn belügen, und sogar der "fortschrittlichen Bourgeoisie" gleichgestellt. Die Idee der sozialen Klassen und Klassengegensätze verschwindet und weicht Vorstellungen, wonach wir alle Bürger der Nation sind und einer "nationalen Gemeinschaft" angehören.
Sobald die Idee der Klasse aus dem Gedächtnis der Arbeiterklasse ausgelöscht ist, verschwindet auch die grundlegende Vorstellung von einer historischen Klasse. Das Proletariat ist eine historische Klasse, die über die Situation der verschiedenen Generationen oder den geographischen Ort hinaus eine revolutionäre Zukunft in ihren Händen hält, die Errichtung einer neuen Gesellschaft, die über die Widersprüche, die den Kapitalismus zur Zerstörung der Menschheit führen, hinausgeht und sie löst.
Indem die Linke und die extreme Linke des Kapitals die vitalen und wissenschaftlichen Ideen der sozialen Klassen, der Klassengegensätze und der historischen Klasse hinwegfegen, reduzieren sie die Revolution auf einen frommen Wunsch, der in den Händen von politischen "Experten" und Parteien verbleiben sollte. Sie führen die Idee der Machtdelegation ein, ein Konzept, das für die Bourgeoisie vollkommen gültig, für das Proletariat jedoch absolut zerstörerisch ist. In der Tat kann die Bourgeoisie, eine Ausbeuterklasse, die die wirtschaftliche Macht innehat, die Verwaltung ihrer Geschäfte einem spezialisierten politischen Personal anvertrauen, das eine bürokratische Schicht bildet, die ihre eigenen Interessen innerhalb der komplexen Bedürfnisse des nationalen Kapitals hat.
Aber es ist nicht dasselbe für das Proletariat, das sowohl eine ausgebeutete als auch eine revolutionäre Klasse ist, die keine wirtschaftliche Macht hat, sondern deren einzige Stärke Bewusstsein, Einheit, Solidarität und ihr Vertrauen in sich selbst ist. All dies sind Faktoren, die schnell zerstört werden, wenn sich das Proletariat stattdessen auf eine spezialisierte Schicht von Intellektuellen und Politikern stützt.
Die Parteien der Linken und der extremen Linken verteidigen, indem sie sich auf die Idee der Delegation stützen, die Teilnahme an Wahlen als ein Mittel, "den Weg nach rechts zu blockieren", d.h. in den Reihen der Arbeiter untergraben sie das autonome Handeln einer Klasse, um sie in eine Masse von wahlberechtigten Bürgern zu verwandeln: eine individualistische Masse, jeder Gefangener seiner "eigenen Interessen". In dieser Sicht existiert die Einheit und Selbstorganisation des Proletariats nicht mehr.
Schließlich fordern auch die Parteien der Linken und der extremen Linken, das Proletariat solle sich in die Hände des Staates begeben, um "eine andere Gesellschaft zu erreichen". Sie benutzen also den Trick, den kapitalistischen Henker, den Staat, als "Freund der Arbeiter" oder "ihren Verbündeten" darzustellen.
Die Linken und die Gewerkschaften propagieren eine vulgäre materialistische Konzeption der Arbeiterklasse. Ihrer Meinung nach sind ArbeiterInnen Individuen, die nur an ihre Familie, ihre Bequemlichkeit, ein besseres Auto oder ein besseres Zuhause denken. Dem Konsumrausch verfallen, haben sie kein "Ideal" des Kampfes, sie ziehen es vor, zu Hause zu bleiben und Fußball zu schauen oder mit ihren Kumpels in der Bar zu sitzen. Um den Kreis zu schließen, bekräftigen sie, dass die Arbeiter unfähig sind, auch nur den geringsten Kampf zu führen, weil sie bis zum Hals in Schulden stecken, um ihren Konsum zu bezahlen[8].
Mit diesen Lektionen in moralischer Heuchelei verwandeln sie den Kampf der Arbeiter, der eine materielle Notwendigkeit ist, in eine Frage des ideelen Willens, während der Kommunismus - das Endziel der Arbeiterklasse - eine materielle Notwendigkeit als Antwort auf die unlösbaren Widersprüche des Kapitalismus ist.[9] Sie trennen den unmittelbaren Kampf vom revolutionären Kampf und sie kreieren einen Widerspruch, während in Wirklichkeit eine Einheit zwischen den beiden besteht, da wie Engels sagte, der Kampf der Arbeiterklasse, sowohl wirtschaftlich als auch politisch und ein Kampf der Ideen ist.
Unsere Klasse dieser Einheit zu berauben, führt zu der idealistischen Vision eines "egoistischen" und "materialistischen" Kampfes für wirtschaftliche Bedürfnisse und eines "glorreichen" und "moralischen" Kampfes für die "Revolution". Solche Ideen demoralisieren die Arbeiter zutiefst, die sich schämen und schuldig fühlen, weil sie sich um ihre eigenen Bedürfnisse und die ihrer Nächsten und Liebsten sorgen, und die sich als unterwürfige Individuen fühlen, die nur an sich selbst denken. Mit diesen falschen Ansätzen, die der zynischen und heuchlerischen Linie der katholischen Kirche folgen, entziehen die Linke und die extreme Linke des Kapitals den Arbeitern das Vertrauen in sich selbst als Klasse und versuchen, sie als den "untersten" Teil der Gesellschaft darzustellen.
Diese Haltung fügt sich in die herrschende Ideologie, die die Arbeiterklasse als Verlierer darstellt. Der berühmte "gesunde Menschenverstand" besagt, dass Arbeiter Individuen sind, die Arbeiter bleiben, weil sie für nichts anderes gut genug sind oder weil sie nicht hart genug gearbeitet haben, um auf der sozialen Skala nach oben zu kommen. Die Arbeiter sind faul, haben keine Ambitionen, wollen keinen Erfolg…
Es ist wirklich eine auf den Kopf gestellte Welt! Die soziale Klasse, die durch die mit ihr verbundene Arbeit die Mehrheit des sozialen Reichtums der Gesellschaft produziert, soll aus ihren schlimmsten Elementen bestehen. Da das Proletariat die Mehrheit der Gesellschaft ausmacht, scheint es im Grunde genommen aus Feiglingen, Verlierern, unkultivierten Individuen ohne jede Motivation zu bestehen. Die Bourgeoisie beutet das Proletariat nicht nur aus, sie verspottet es auch. Die Minderheit, die von der Plackerei von Millionen von Menschen lebt, besitzt die Frechheit, die Arbeiter als faul, nutzlos, erfolglos und ohne Hoffnung zu betrachten.
Die soziale Wirklichkeit ist radikal anders: In der weltweiten assoziierten Arbeit des Proletariats entwickelt es kulturelle, wissenschaftliche und zugleich zutiefst menschliche Bindungen: Solidarität, Vertrauen und einen kritischen Geist. Sie sind die Kraft, die die Gesellschaft im Stillen bewegt, die Quelle der Entwicklung der Produktivkräfte.
Das Erscheinungsbild der Arbeiterklasse ist das einer unbedeutenden, passiven und anonymen Masse. Diese Erscheinung ist das Ergebnis des Widerspruchs, unter dem die Arbeiterklasse als ausgebeutete und revolutionäre Klasse leidet. Auf der einen Seite ist sie die Klasse der globalen assoziierten Arbeit und als solche ist sie es, die die Räder der kapitalistischen Produktion zum Laufen bringt und die Kräfte und Fähigkeiten in ihren Händen hält, die Gesellschaft radikal zu verändern. Aber auf der anderen Seite bewirken der Wettbewerb, der Markt, das normale Funktionieren einer Gesellschaft, in der die Spaltung und ‚jeder gegen jeden‘ herrscht, dass die Menschen in eine Summe von Individuen gespalten werden, jeder mit Versagens- und Schuldgefühlen; einem Gefühl der Ohnmacht, der Trennung und Atomisierung und dass man – allein auf sich gestellt – für sich selbst kämpfen muss.
Die Linke und die extreme Linke des Kapitals, in völliger Kontinuität mit dem Rest der Bourgeoisie, wollen nur, dass wir eine amorphe Masse von atomisierten Individuen sehen. Auf diese Weise dienen sie dem Kapital und dem Staat bei deren Aufgabe, die Klasse zu demoralisieren und jede soziale Perspektive zu blockieren.
Wir kehren hier zu dem zurück, was wir eingangs gesagt haben: die Vorstellung von der Arbeiterklasse als Summe von Individuen. Das Proletariat ist jedoch eine Klasse und handelt als solche jedes Mal, wenn es ihm gelingt, sich mit einem konsequenten und autonomen Kampf von den Ketten zu befreien, die es unterdrücken und atomisieren. So sehen wir nicht nur eine Klasse in Aktion, sondern wir sehen auch, wie jeder ihrer Bestandteile zu einer aktiven Kraft wird, die kämpft, die die Initiative ergreift und Kreativität frei setzt. Wir sehen es in den großen Momenten des Klassenkampfes, wie der Revolution in Russland von 1905 und 1917. Wie Rosa Luxemburg in „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“ eindrücklich unterstrichen hat: "Aber im Sturm der revolutionären Periode verwandelt sich eben der Proletarier aus einem Unterstützung heischenden vorsorglichen Familienvater in einen „Revolutionsromantiker“, für den sogar das höchste Gut, nämlich das Leben, geschweige das materielle Wohlsein im Vergleich mit den Kampfidealen geringen Wert besitzt."[10]
Als Klasse wird die individuelle Stärke eines jeden Arbeiters freigesetzt, die Klasse entledigt sich ihrer Fesseln und entwickelt das menschliche Potenzial. Als Summe von Individuen werden die Fähigkeiten jedes Einzelnen für die Menschheit ausgelöscht, verwässert, vergeudet. Die Funktion der Linken und der extremen Linken des Kapitals besteht darin, die Arbeiter auf eine bloße Summe von Individuen zu reduzieren und damit an ihre Ketten zu binden.
Während der aufsteigenden Periode des Kapitalismus und insbesondere während seines Zenits (1870-1914) konnte die Arbeiterklasse im Rahmen des Kapitalismus für Verbesserungen und Reformen kämpfen, ohne sofort dessen revolutionäre Zerstörung ins Auge zu fassen. Einerseits bedeutete dies die Bildung großer Massenorganisationen (sozialistische und Arbeiterparteien, Gewerkschaften, Genossenschaften, Arbeiteruniversitäten, Frauen- und Jugendverbände usw.) und andererseits Taktiken, die die Teilnahme an Wahlen, Petitionen, von den Gewerkschaften geplante Streiks usw. einschlossen.
Diese Methoden wurden zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts immer unzureichender. In den Reihen der Revolutionäre gab es eine breite Debatte, bei der einerseits die Positionen Kautskys und andererseits die von Rosa Luxemburg[11] aufeinanderprallten. Diese hatte die Lehren aus der Revolution von 1905 gezogen, die deutlich zeigte, dass die Arbeiterklasse zu neuen Kampfmethoden übergehen musste, welche dem Beginn der neuen Periode von Weltkrieg und imperialistischer Wirtschaftskrise entsprachen - kurz gesagt, dem Abstieg des Kapitalismus in seine Dekadenz. Die neuen Kampfmethoden basierten auf der direkten Aktion der Massen, auf der Selbstorganisation der Arbeiter in Versammlungen und Räten, auf der Abschaffung der alten Trennung zwischen dem Minimal- und dem Maximalprogramm. Diese Methoden stehen der Gewerkschaftsbewegung, den Reformen, der Wahlbeteiligung und dem parlamentarischen Weg gegenüber.
Die Linke und die extreme Linke des Kapitals konzentrieren ihre Politik darauf, die Arbeiterklasse in den alten Methoden gefangen zu halten, die heute mit der Verteidigung ihrer unmittelbaren und historischen Interessen radikal unvereinbar sind. Interessanterweise haben sie die Uhr in den "goldenen Jahren" des Kapitalismus von 1890 bis 1910 angehalten, mit all ihren Mitteln, die darauf abzielen, die Arbeiterklasse mit Hilfe von Wahlen, Gewerkschaftsaktionen, manipulierten Demonstrationen usw zu entwaffnen und zu zerstreuen. Diese Mechanismen reduzieren die Arbeiter auf "gute, arbeitende Bürger", passiv und atomisiert, die sich diszipliniert allen Bedürfnissen des Kapitals unterwerfen: hart arbeiten, alle vier Jahre wählen, hinter den Gewerkschaften her marschieren, die selbsternannten Führer nicht in Frage stellen.
Diese Politik wird von den „sozialistischen“ und „kommunistischen“ Parteien schamlos verteidigt, während ihre Anhängsel auf Seiten der "extremen Linke" mit ihren "kritischen" Berührungen und "radikalen" Exzessen am gleichen Strang ziehen, indem sie die Sicht einer Arbeiterklasse als eine Klasse für das Kapital verteidigen; eine Klasse, die sich all ihren Imperativen unterwerfen muss, während sie auf einige hypothetische Krümel wartet, die von Zeit zu Zeit vom goldenen Tisch ihrer Bankette fallen.
C. Mir. 18.12.17
[2] Die klassischen Parteien der Rechten (Konservative, Liberale, usw.) ergänzen ihren Teil der Kontrolle der Gesellschaft durch die Parteien der extremen Rechten (Faschisten, Neonazis, Rechtspopulisten, usw.). Letztere sind in ihrer Art komplexer; siehe dazu Internationale Revue Nr. 54, 2017, https://de.internationalism.org/internationalerevue/ueber-das-problem-de... [177]
[3] Für eine genauere Untersuchung, wie Opportunismus das proletarische Leben einer Organisation durchdringt und zerstört, siehe Internationale Revue Nr. 52 https://de.internationalism.org/internationalerevue/1914-wie-der-deutsch... [178]
[4] Punkt 13 unserer Plattform
[5] Siehe unseren Artikel: https://de.internationalism.org/worin-unterscheidet-sich-die-kommunistis... [179]
[6]Dies trifft nicht auf die meisten minoritären Gruppen des internationalistischen Anarchismus zu, der trotz seiner Verwirrungen viele Positionen der Arbeiterklasse beansprucht und sich klar gegen den imperialistischen Krieg und für die proletarische Revolution ausspricht.
[7]Es gibt viele Beispiele. Durão Barroso, ehemaliger Präsident der Europäischen Union, war in seiner Jugend ein Maoist. Cohn-Bendit ist Mitglied des Europäischen Parlaments und ein Abgeordneter Macrons; Lionel Jospin, ehemaliger Premierminister von Frankreich, war in seiner Jugend ein Trotzkist.
[8]Wir sollten berücksichtigen, dass der Konsumismus (der in den 1920er Jahren in den Vereinigten Staaten und nach dem Zweiten Weltkrieg gefördert wurde) dazu beigetragen hat, den Protestgeist innerhalb der Arbeiterklasse zu untergraben, da die lebenswichtigen Bedürfnisse jedes Arbeiters durch die Rolle, die der Konsumismus spielt, deformiert werden, indem seine Bedürfnisse in individuelle Angelegenheiten verwandelt werden, in denen "alles über den Kredit zu haben ist".
[9]Siehe dazu unsere Artikelserie "Der Kommunismus ist keine schöne Idee, sondern eine materielle Notwendigkeit [180]".
[11]Siehe dazu „Die Massenstreikdebatte - Beiträge von Parvus, Rosa Luxemburg, Karl Kautsky und Anton Pannekoek. Herausgegeben und eingeleitet von Antonia Grunenberg. 1970, EVA
Im ersten Teil dieser Serie[1] haben wir gesehen, dass das Programm der Parteien der Linken und der extremen Linken des Kapitals zur Umwandlung des Kapitalismus in eine "neue Gesellschaft" zu nichts anderem führt als zu einer idealisierten Reproduktion des Kapitalismus selbst[2] Schlimmer noch, die Sicht der Arbeiterklasse, die sie präsentieren, stellt eine eine totale Verleugnung ihres revolutionären Charakters dar.
In diesem zweiten Artikel werden wir das Denken und die Methode der Analyse dieser Parteien untersuchen, insbesondere derjenigen Teile, die sich selbst für die "radikalsten" halten.
Im ersten Artikel prangerten wir das Programm zur Verteidigung des Kapitals an, das von diesen Mystifizierern vorgelegt wurde; jetzt müssen wir uns mit einer anderen Frage befassen: ihre Denkweise, die Beziehungen zwischen den Mitgliedern, ihre Organisationsmethoden, ihre Sicht der Moral, ihre Konzeption der Debatte, ihre Sicht der Militanz und schließlich die gesamte Erfahrung der Arbeit innerhalb dieser Parteien. Sich von dieser Sichtweise zu befreien, ist viel schwieriger, als die politischen Mystifikationen aufzudecken, mit denen sie hausieren gehen, denn in diesen Organisationen ist das Denken konditioniert und das Verhalten vergiftet worden, und dies beeinflusst ihre organisatorische Arbeitsweise.
Die revolutionären Organisationen der Kommunistischen Linken, die recht zerbrechlich sind und nur eine kleine Zahl von Militanten haben, mussten sich diesem entscheidenden Problem stellen. Die Organisationen waren in der Lage, die Programme der linken und linksextremen kapitalistischen Organisationen abzulehnen, aber das, was wir ihr verborgenes Gesicht nennen, nämlich ihre Denkweise, ihre Arbeitsweise und ihr Verhalten, ihre moralische Vision usw., all das, was ebenso reaktionär ist wie ihr Programm, wurde unterschätzt und war nicht Gegenstand unerbittlicher und radikaler Kritik.
Es reicht daher nicht aus, das Programm der linken und linksextremen Gruppen des Kapitals anzuprangern; es ist auch notwendig, das verborgene organisatorische und moralische Gesicht anzuprangern und zu bekämpfen, das sie mit den Parteien der Rechten und der extremen Rechten teilen.
Eine revolutionäre Organisation ist viel mehr als ein Programm; sie ist die einheitliche Synthese aus Programm, Theorie und Denkweise, Moral und organisatorischem Funktionieren. Zwischen diesen Elementen besteht Kohärenz. "Die Aktivitäten der revolutionären Organisation können nur als ein einheitliches Ganzes aufgefaßt werden, deren Komponenten nicht voneinander getrennt, sondern ineinandergreifend sind:
die theoretischen Aktivitäten, deren Ausgestaltung eine konstante Anstrengung sein muß und die niemals endgültig festgelegt oder vollständig ist. Sie sind sowohl notwendig als auch unersetzlich;
die Aktivität der Intervention in den ökonomischen und politischen Kämpfen der Klasse. Dies ist eine Praxis par excellence für die Organisation, mit der die Theorie durch Propaganda und Agitation in eine Waffe des Kampfes umgewandelt wird;
die organisatorische Aktivität, die zur Weiterentwicklung und Stärkung ihrer Organe, zur Bewahrung von organisatorischen Errungenschaften führt, ohne die die quantitative Weiterentwicklung (neue Mitglieder) nicht zu einer qualitativen Weiterentwicklung führt.".[3]
Es ist klar, dass wir den Kommunismus nicht mit Lügen, Verleumdungen und Manövern erkämpfen können. Es besteht eine Kohärenz zwischen den oben genannten Aspekten. Sie prägen die gesamte Lebensweise und gesellschaftliche Organisation des Kommunismus und können niemals im Widerspruch zu ihm stehen.
Wie wir in dem Text "Die Frage der Funktionsweise in der IKS" gesagt haben: "In der Organisationsfrage findet man auf konzentrierte Weise eine ganze Reihe von wichtigen Aspekten der revolutionären Perspektive des Proletariats:
die Grundeigenschaften der kommunistischen Gesellschaft und der Beziehungen, die sich unter ihren Mitgliedern herausbilden;
das Wesen des Proletariats als Erschaffer des Kommunismus;
die Natur des Klassenbewusstseins, die Eigenschaften seiner Entwicklung sowie seine Vertiefung und Ausdehnung in der Klasse;
die Rolle der kommunistischen Organisation im Prozess der Bewusstseinsbildung im Proletariat."[4]
Die Linke und die extreme Linke des Kapitals, Erben der Verfälschung des Marxismus durch den Stalinismus
Man kann sagen, dass die linken und linksextremen Gruppen des Kapitals politische Taschenspielertricks ausüben. Sie bedienen die politischen Positionen des Kapitals mit einer "proletarischen" und "marxistischen" Sprache. Sie verdrehen Marx, Engels, Lenin und bringen andere proletarische Militante dazu, das Gegenteil von dem zu sagen, was diese sagen wollten. Sie verdrehen, beschneiden und manipulieren die Positionen, die sie vielleicht zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Arbeiterbewegung verteidigt haben, um sie in ihr absolutes Gegenteil zu verwandeln. Sie nehmen Zitate von Marx, Engels oder Lenin und legen ihnen Worte in den Mund wie, dass die kapitalistische Ausbeutung gut ist, dass die Nation das Wertvollste ist, dass es uns möglich sein sollte, Unterstützer des imperialistischen Krieges zu sein und den Staat als unseren Wohltäter und Beschützer zu akzeptieren, usw.
Marx, Engels und Lenin, die für die Zerstörung des Staates gekämpft haben, sind auf magische Weise für diese Gruppen zu deren enthusiastischsten Verteidigern geworden. Marx, Engels, Lenin, die bedingungslos für den Internationalismus kämpften, sind zu Verfechtern der "nationalen Befreiung" und Verteidigern des Vaterlandes geworden. Marx, Engels, Lenin, die den Abwehrkampf des Proletariats beflügelten, sind in ihrer Darstellung die Verfechter des Produktivismus und zu Befürwortern der Arbeiter geworden, die sich im Dienste des Kapitals opfern.
An der Spitze der Förderung dieses Werkes der Verfälschung stand der Stalinismus[5]. Stalin führte diese widerwärtige Pervertierung systematisch an. Wir können uns auf Ante Ciligas Buch „Das russische Rätsel“ stützen, um dies zu veranschaulichen[6]. Es beschreibt ausführlich diesen Prozess, der Mitte der 1920er Jahre begann:
Das so besondere sozialistische Regime, das sich in Rußland zu entwickeln begann, trachtete danach, sich auf allen Gebieten der Wissenschaft seine eigene Ideologie zu schaffen. Genauer gesagt, es trachtete danach, seine eigene Weltanschauung mit der alten Wissenschaft, ebenso wie mit der traditionellen Ideologie des Marxismus und den neuen wissenschaftlichen Gegebenheiten zu verschmelzen. (S. 45 deutsche Ausgabe)
Um dies zu erklären, erinnerte er daran, dass "Hegel (...) gezeigt hatte, dass ein Phänomen seine Form beibehalten kann, während sein Inhalt völlig verändert wird; (...) hatte Lenin nicht gesagt, dass es oft das Schicksal großer Männer ist, nach ihrem Tod als Ikonen zu dienen, während ihre befreienden Ideen verfälscht werden, um eine neue Unterdrückung und eine neue Sklaverei zu rechtfertigen?“ (dies fehlt in der deutschen Ausgabe, daher zitieren wir die spanische Ausgabe Seite 109).
Während seiner Zeit an der "Kommunistischen Akademie" in Moskau stellte er fest, dass
Jedes Jahr wurden die Vorlesungsprogramme abgeändert. Man fälschte immer schamloser die historischen Tatsachen und Werte. Nicht nur mit der jüngsten Geschichte der revolutionären Bewegung in Rußland machte man es so, sondern auch mit weit zurückliegenden Ereignissen wie der Pariser Kommune, der Revolution von 1848, der großen Französischen Revolution. [...] Was sollte man von der Geschichte der Komintern sagen? Jede Neuauflage der „Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Komintern” brachte eine neue Version, die in vieler Hinsicht den vorhergehenden völlig entgegengesetzt war. Mit der Wirtschaftspolitik und Philosophie erging es nicht anders.“ (S. 43 der deutschen Ausgabe).
Da diese Fälschungen in allen Unterrichtszweigen zugleich vorgenommen wurden, schloß ich daraus, daß es sich nicht um Zufälle, sondern um ein System handelte, das Geschichte, Wirtschaftspolitik und die anderen Wissenschaften gemäß den Interessen und der Weltanschauung der Bürokratie abänderte [...]. In der Tat, eine neue Schule, eine bürokratische Schule des Marxismus entstand in Rußland. (S. 44 der deutschen Ausgabe)
Dementsprechend würden die linken und linksextremen Parteien drei Methoden anwenden:
Marx, Engels, Lenin, Rosa Luxemburg, waren nicht unfehlbar. Auch sie haben Fehler gemacht.
Im Widerspruch zur mechanistischen Sichtweise des bürgerlichen Denkens sind Fehler oft unvermeidlich und können ein notwendiger Schritt zur Wahrheit sein. Wahrheit an sich ist nicht absolut, sondern hat einen historischen Charakter. Für Hegel sind Fehler ein notwendiges und sich entwickelndes Moment der Wahrheit.
Dies wird deutlicher, wenn wir berücksichtigen, dass das Proletariat eine ausgebeutete Klasse und eine revolutionäre Klasse ist und dass es als ausgebeutete Klasse unter dem vollen Gewicht der herrschenden Ideologie leidet. Wenn das Proletariat - oder zumindest ein Teil davon - es also wagt, zu denken, Hypothesen zu formulieren, Forderungen zu stellen und sich Ziele zu setzen, erhebt es sich gegen die Passivität und den Stumpfsinn, die ihm der kapitalistische ‚gesunde Menschenverstand‘ auferlegt; aber gleichzeitig kann es schwerwiegende Fehleinschätzungen vornehmen und in die Annahme von Ideen zurückfallen, die die gesellschaftliche Entwicklung selbst oder die Dynamik des Klassenkampfes selbst bereits überwunden oder verworfen hat.
Marx und Engels glaubten, dass der Kapitalismus 1848 reif genug war, um durch den Kommunismus ersetzt zu werden, und befürworteten ein "kapitalistisches Übergangprogramm", das als Plattform für den Sozialismus dienen würde (die Theorie der "permanenten Revolution").
Ihr kritisches Denken veranlasste sie jedoch dazu, diese Spekulation zurückzuweisen, die sie 1852 aufgaben. In ähnlicher Weise glaubten sie, dass der kapitalistische Staat erobert und als Hebel für die Revolution benutzt werden sollte, aber die lebendige Erfahrung der Pariser Kommune half ihnen, sich von diesem Irrtum zu überzeugen und zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass der kapitalistische Staat zerstört werden müsse.
Wir könnten viele andere Beispiele anführen, aber was wir hier zeigen wollen, ist, wie die linken Gruppen diese Fehler als Rechtfertigung für ihr konterrevolutionäres Programm nutzen. Lenin war ein engagierter Internationalist, aber er war in der Frage der nationalen Befreiung nicht klar genug, und er machte dabei schwerwiegende Fehler. Diese Fehler, aus ihrem historischen Kontext herausgenommen, werden von dem internationalistischen Kampf, den er führte, losgelöst und dann in "Gesetze" verwandelt, die für alle Zeiten gültig sind[7]. Diese Fehler werden heuchlerisch in eine Verteidigung des Kapitals verwandelt.
Wie ist diese Verfälschung möglich? Einer der wichtigsten Wege ist die Zerstörung des kritischen Denkens der Militanten. Kohärente Marxisten teilen mit der Wissenschaft das, was sie am besten kann: kritisches Denken, d.h. die Fähigkeit, Positionen in Frage zu stellen, die aus verschiedenen Gründen mit der Realität und den Bedürfnissen des proletarischen Kampfes in Konflikt geraten. Der Marxismus ist keine Reihe von Dogmen, die von den Gehirnen von Genies produziert werden und die nicht verändert werden können; er ist eine kämpferische, lebendige, analytische und sich ständig weiterentwickelnde Methode, und aus diesem Grund ist das kritische Denken für ihn grundlegend. Die Unterdrückung dieses kritischen Geistes ist die Hauptaufgabe der linken Gruppen, wie ihrer stalinistischen Meister, die, wie Ciliga während seiner Zeit an der "Kommunistischen Universität" in Leningrad über Studenten und zukünftige Parteiführer sagte, "was nicht im Lehrbuch stand, existierte für sie nicht. Niemals stellten sie eine Frage, die über den eigentlichen Vorlesungsgegenstand hinausging. Ihr geistiges Leben war völlig mechanisiert. Als ich mich bemühte, ihren engen Horizont zu erweitern, ihre Neugier und ihren kritischen Sinn zu wecken, zeigten sie sich taub. Es war, als wäre ihr soziales Gefühl abgestumpft. ". (Seite 42 deutsche Ausgabe).
Daher müssen proletarische Militante und revolutionäre Gruppen angesichts des blinden Festhaltens, das von linken Gruppen (von den Stalinisten bis zu den Trotzkisten und vielen Anarchisten) befürwortet wird, darum kämpfen, ihr kritisches Denken, ihre Fähigkeit zur Selbstkritik am Leben zu erhalten; sie sollten ständig bereit sein, die Fakten zu hinterfragen, und auf der Grundlage einer historischen Analyse wissen, wie sie Positionen, die nicht mehr gültig sind, neu bewerten können.
Ein weiteres Merkmal der linken Methode ist die Verteidigung zuvor korrekter revolutionärer Positionen, die durch historische Ereignisse entkräftet oder kontraproduktiv geworden sind. Nehmen wir zum Beispiel die Unterstützung der Gewerkschaften durch Marx und Engels. Die linken Gruppen kommen zu dem Schluss, dass die Gewerkschaften, wenn sie in den Tagen von Marx und Engels Organe des Proletariats waren, dies zu jeder Zeit sein müssen. Sie benutzen eine abstrakte und zeitlose Methode. Sie verbergen die Tatsache, dass mit der Dekadenz des Kapitalismus die Gewerkschaften zu Organen des bürgerlichen Staates gegen das Proletariat geworden sind[8].
Es gibt revolutionäre Kämpfer, die mit linken Positionen brechen, aber nicht mit ihrer scholastischen Methode. So beschränken sie sich z.B. einfach darauf, die linke Position gegenüber den Gewerkschaften umzukehren: Wenn die Position der linken Gruppen war, dass die Gewerkschaften immer im Dienste der Arbeiterklasse gestanden haben, so kommen diese revolutionären Militanten zu dem Schluss, dass die Gewerkschaften immer gegen sie gewesen sind. Sie machen die Position gegenüber den Gewerkschaften zu einer unveränderlichen, zeitlosen Position, so dass sie, wenn sie mit der Extremen Linken gebrochen zu haben scheinen, immer noch ihre Gefangene bleiben.
Dasselbe gilt für die Sozialdemokratie. Es ist schwer vorstellbar, dass die heute existierenden "sozialistischen Parteien" in der Zeit von 1870 bis 1914 Parteien der Arbeiterklasse waren, dass sie zu ihrer Einheit, ihrem Bewusstsein und der Kraft ihrer Kämpfe beigetragen haben. Angesichts dieser Tatsache kommen die Linken, insbesondere der Trotzkismus, zu folgendem Schluss: Sozialdemokratische Parteien waren immer Arbeiterparteien und werden nie aufhören, Arbeiterparteien zu sein, trotz all ihrer konterrevolutionären Handlungen.
Es gibt jedoch auch einige Revolutionäre, die mit gleicher Absolutheit, das Gegenteil sagen: Während die Trotzkisten von der Sozialdemokratie als einer Partei sprechen, die eine Arbeiterpartei ist und immer sein wird, schließen sie selbst daraus, dass die Sozialdemokratie kapitalistisch ist und immer war. Sie ignorieren die Tatsache, dass der Opportunismus eine Krankheit ist, die die Arbeiterbewegung befallen und ihre Parteien zum Verrat und zur Integration in den kapitalistischen Staat führen kann.
Gefangen durch ihr linkes Erbe, ersetzen sie die historische und dialektische Methode durch die scholastische Methode und verstehen nicht, dass eines der Prinzipien der Dialektik die Umwandlung von Gegensätzen ist: ein Ding, das existiert, kann umgewandelt werden, um auf entgegengesetzte Weise zu handeln. Die proletarischen Parteien können sich aufgrund der Degeneration durch das Gewicht der bürgerlichen Ideologie und des Kleinbürgertums in ihr diametrales Gegenteil verwandeln: Sie können zu bedingungslosen Dienern des Kapitalismus werden[9].
Wir sehen dies als eine weitere Folge der linksextremen Methode: Sie lehnen die historische Dimension von Klassenpositionen und den Prozess, durch den sie formuliert werden, ab. Damit wird eine weitere wesentliche Komponente der proletarischen Methode eliminiert. Jede Generation von Arbeitern steht auf den Schultern der vorhergehenden Generation: die Lehren, die durch den Klassenkampf und die theoretischen Bemühungen, die er hervorgebracht hat, gezogen wurden, führen zu Schlussfolgerungen, die als Ausgangspunkt dienen, aber nicht der Endpunkt sind. Die Entwicklung des Kapitalismus und gerade die Erfahrungen des Klassenkampfes machen neue Entwicklungen oder kritische Korrekturen früherer Positionen notwendig. Die Linke verweigert eine kritische historische Kontinuität, indem sie eine dogmatische und ahistorische Vision propagiert.
Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert entwickelten die Denker, die die bürgerliche Revolution einläuteten, einen Materialismus, der zu seiner Zeit revolutionär war, weil er den feudalen Idealismus einer unerbittlichen Kritik unterwarf. Als jedoch die Macht in den wichtigsten Ländern ergriffen wurde, wurde das bürgerliche Denken konservativ, dogmatisch und ahistorisch. Das Proletariat hingegen hat in seinen eigenen „Genen“ ein kritisches und historisches Denken, die Fähigkeit, sich nicht von den Ereignissen einer bestimmten Epoche, so wichtig sie auch sein mögen, einfangen zu lassen und sich nicht von der Vergangenheit oder der Gegenwart leiten zu lassen, sondern von der Perspektive der revolutionären Zukunft, deren Träger es ist. "Die Geschichte der Philosophie und die Geschichte der Sozialwissenschaft zeigen mit aller Deutlichkeit, daß der Marxismus nichts enthält, was einem „Sektierertum“ im Sinne irgendeiner abgekapselten, verknöcherten Lehre ähnlich wäre, die abseits von der Heerstraße der Weltzivilisation entstanden ist. Im Gegenteil: Die ganze Genialität Marx’ besteht gerade darin, daß er auf die Fragen Antworten gegeben hat, die das fortgeschrittene Denken der Menschheit bereits gestellt hatte. Seine Lehre entstand als direkte und unmittelbare Fortsetzung der Lehren der größten Vertreter der Philosophie, der politischen Ökonomie und des Sozialismus."[10]
Wie das bürgerliche Denken ist die linke Ideologie einerseits dogmatisch und idealistisch, andererseits relativistisch und pragmatisch. Die Linke erhebt die linke Hand und verkündet einige "Prinzipien", die in den Rang universeller Dogmen erhoben werden, die für alle möglichen Welten und für alle Zeiten gelten. Aber mit der rechten Hand, die sich auf "taktische Überlegungen" beruft, behält sie diese heiligen Prinzipien in der Tasche, weil "die Bedingungen nicht richtig sind", "die Arbeiter nicht verstehen werden", "der Zeitpunkt falsch ist" usw.
Dogmatismus und Taktieren sind nicht gegensätzlich, sondern komplementär. Das Dogma, das die Menschen zur Teilnahme an Wahlen ermutigt, wird ergänzt durch die "Taktik", sie "zu benutzen", um "uns bekannt zu machen" oder "den Vormarsch des rechten Flügels zu blockieren" usw. Der Dogmatismus scheint also etwas Theoretisches zu sein, ist in Wirklichkeit aber eine abstrakte Vision, die außerhalb der historischen Entwicklung angesiedelt ist. Die "Taktiken" erscheinen nichtsdestoweniger "praktisch" und "konkret", sind aber in Wirklichkeit eine grobe und kretinisierende Vision, typisch für das bürgerliche Denken, das nicht aus kohärenten Positionen, sondern aus einer anpassungsfähigen und opportunistischen täglichen Aktivität hervorgeht.
Dies führt uns zum Verständnis des dritten Merkmals der linken Denkweise: Sie muss die korrekten Positionen der Revolutionäre in Abstraktionen verwandeln, aus dem Zusammenhang gerissen, um ihre revolutionäre Klinge abzustumpfen; wie Lenin gesagt hatte, um sie für das Kapital unschädlich zu machen, indem man sie als abstrakte und unwirksame "Prinzipien" darstellt. So werden der Kommunismus, die Diktatur des Proletariats, die Arbeiterräte, der Internationalismus... zu einem rhetorischen Geschwafel und zynischen Geschwätz, an das die Führer nicht glauben, das sie aber schamlos benutzen, um die treuen Anhänger zu manipulieren. Ciliga unterstrich in dem erwähnten Buch „das Talent der kommunistischen Bürokratie unterschätzt hatte, genau das Gegenteil von dem zu tun, was sie verkündete, und die schlimmsten Verbrechen mit einem Schwall fortschrittlicher Phrasen zu bemänteln.“ (Seite 26 deutsche Ausgabe).
In linken und linksextremen Organisationen gibt es keine Prinzipien. Ihre Sichtweise ist rein pragmatisch und ändert sich je nach den Umständen, d.h. je nach den politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Bedürfnissen des nationalen Kapitals, dem sie dienen. Die Prinzipien lassen sich den Umständen und besonderen Momenten anpassen, z.B. bei Parteitagen und großen Jubiläen, und werden als Vorwand benutzt, um Militante der "Verletzung der Prinzipien" zu beschuldigen; sie werden auch als Waffen in Streitigkeiten zwischen Fraktionen eingesetzt.
Diese Sicht der "Prinzipien" steht in radikalem Gegensatz zu der einer revolutionären Organisation, die auf der „ Existenz eines für die ganze Organisation gültigen Programms“ beruht. „Als Synthese der Erfahrungen des Proletariats (von dem die Organisation ein Teil ist), als Ausdruck einer Klasse, die nicht nur in der Gegenwart existiert, sondern auch eine historische Zukunft hat, drückt dieses Programm:
diese Zukunft durch die Festlegung der Ziele der Klasse und des Weges zur Erreichung desselben aus,
faßt es die grundlegenden Positionen zusammen, welche eine Organisation in der Klasse verteidigen muß,
dient es als Grundlage zum Beitritt zu einer Organisation.[11]
Das revolutionäre Programm ist die Quelle der Tätigkeit der Organisation, ihre theoretischen Werke eine Quelle der Inspiration und ein Ansporn zum Handeln. Es muss daher sehr ernst genommen werden. Der Militante, der aus der Linken kommt und noch keinen Weg gefunden hat, wie er sich von ihr lösen kann, glaubt oft unbewusst, dass das Programm nur zur Show dient, eine Sammlung einfacher Phrasen, die bei feierlichen Anlässen beschworen werden, und deshalb möchte er, dass der "rhetorische" Kram wegfällt. Zu anderen Zeiten, wenn er sich über einen Genossen ärgert oder glaubt, von den Zentralorganen an den Rand gedrängt zu werden, versucht er, ihnen "die Schuld zu geben", indem er das Programm benutzt, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.
Gegen diese beiden falschen Sichtweisen behaupten wir, dass die wesentliche Funktion des Programms einer proletarischen Organisation die einer Waffe der Analyse ist, die von allen Militanten geteilt wird und der alle verpflichtet sind, um ihre Entwicklung voranzutreiben; es ist ein Mittel zur Intervention in den proletarischen Kampf, eine Orientierung und ein aktiver Beitrag zu seiner revolutionären Zukunft.
Die pragmatischen und "genialen" Sophismen der Linken richten großen Schaden an, weil sie es erschweren, vom Allgemeinen zum Konkreten, vom Abstrakten zum Unmittelbaren, vom Theoretischen zum Praktischen überzugehen und somit einen globalen Ansatz verhindern. Die linke Methode bricht das Band, das diese beiden Facetten des proletarischen Denkens verbindet, indem sie die tatsächliche Verwirklichung der Einheit zwischen dem Konkreten und dem Allgemeinen, dem Unmittelbaren und dem Historischen, dem Lokalen und dem Globalen verhindert. Die Tendenz und der Druck gehen in Richtung eines einseitigen Denkens. Die Linke ist im Alltag ein Lokalist, zeigt aber an Feiertagen eine "internationalistische" Haltung. Die Linke sieht nur das Unmittelbare und Pragmatische, verschönert es aber mit einigen "historischen" Bezügen und grüßt "die Prinzipien". Die Linke ist erbärmlich "konkret", wenn es darum geht, eine abstrakte Analyse zu entwickeln, und sie begibt sich in einen abstrakten Dunst, wenn eine konkrete Analyse erforderlich ist.
Wir haben auf sehr anschauliche Weise einige Merkmale des linken Denkens und seine Auswirkungen auf die Position der kommunistischen Militanten gesehen.
Wir können uns einige davon ansehen. Die Dritte Internationale benutzte eine Formel, die nur unter bestimmten historischen Bedingungen Sinn macht: "Hinter jedem Streik steht das Gespenst der Revolution".
Diese Formel ist nicht gültig, wenn das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen für die Bourgeoisie günstig ist. Doch Trotzki benutzte sie zum Beispiel schematisch, angesichts der Streiks von 1936 in Frankreich und der mutigen Reaktion des Proletariats von Barcelona im Juli 1936 gegen den faschistischen Staatsstreich sprach er davon, diese würden "die Türen zur Revolution öffnen". Dies berücksichtigte nicht den unaufhaltsamen Kurs in Richtung eines imperialistischen Krieges, die Zerschlagung des russischen und deutschen Proletariats, die Rekrutierung von Arbeitern unter dem Banner des Antifaschismus. Er ließ diese historische und globale Analyse aus und wandte nur das inhaltslose Rezept an: "Hinter jedem Streik steckt das Gespenst der Revolution"[12].
Eine weitere Folge ist ein vulgärer Materialismus, der im Kern vom Ökonomismus durchdrungen ist. Alles würde von der Wirtschaft bestimmt, was jedoch tatsächlich die größte geistige Kurzsichtigkeit widerspiegelt. Phänomene wie der Krieg werden von ihren imperialistischen, strategischen und militärischen Wurzeln getrennt, in dem Versuch, die fantasievollsten ökonomischen Erklärungen zu finden. So wird der islamische Staat, eine Mafiabande, ein barbarisches Nebenprodukt des Imperialismus, gleich gesetzt mit einer Ölgesellschaft.
Schließlich ist eine weitere Folge die von der Linken vorgenommenen Manipulation der marxistischen Theorie, die als eine Angelegenheit von Spezialisten, Experten, brillanten Führern betrachtet wird. Alles, was diese aufgeklärten Führer ausspucken, sollte von den Mitglieder der Basis buchstabengetreu befolgt werden, die bei der theoretischen Entwicklung keine Rolle spielen, denn ihre Aufgabe besteht darin, Flugblätter zu verteilen, die Presse zu verkaufen, Stühle für Sitzungen zu tragen, Plakate zu kleben... d.h. als Arbeitskraft oder Kanonenfutter für die "geliebten Führer" zu dienen.
Diese Auffassung ist für die Linke von wesentlicher Bedeutung, da ihre Aufgabe darin besteht, das Denken von Marx, Engels, Lenin usw. zu verzerren, und dafür brauchen sie Militante, die ihre Geschichten bedingungslos glauben. Es ist jedoch schädlich und destruktiv, wenn eine solche Konzeption revolutionäre Organisationen infiltriert. Die heutige revolutionäre Organisation "ist unpersönlicher als im 19. Jahrhundert und tritt nicht mehr als eine Organisation von Führern auf, die die Masse der Militanten dirigieren. Die Zeit der illustren Führer und großen Theoretiker ist vorbei. Die theoretische Weiterentwicklung ist zu einer wahrhaft kollektiven Aufgabe geworden. Nach dem Bilde von Millionen "anonymer" proletarischer Kämpfer entwickelt sich das Bewusstsein der Organisation durch die Integration und Überflügelung des individuellen Bewußtseins in einem einzigen, kollektiven Bewusstsein."[13].
C Mir, 27.12.17
Anmerkung zur deutschen Übersetzung: diese Artikelreihe hat zum Gegenstand die zerstörerische Wirkung der „Linken des Kapitals“ zu analysieren. Im französichen ist der Begriff „gauchiste“, im englischen der Begriff „leftism“ eindeutig, und dient zur klaren Abgrenzung von der wirklichen „Linken“ („gauche“ bzw „left“). In der deutschen Sprache gibt es keine Entsprechung. In dieser Übersetzung sprechen wir von linken oder linksextremen Gruppen, Organisationen, Parteien (wie den Trotzkisten, Maoisten) oder auch Ideen und Positionen und meinen damit konsequent die „Linke des Kapitals“ und wenn dies nicht immer voll ausgeschrieben ist, sondern manchmal von „linker Ideologie“, „die Linke“ oder „linksextreme“ die Rede ist.
[1]/content/2952/das-verborgene-erbe-der-linken-des-kapitals-teil-1-eine-falsche-auffassung-von-der [182]
[2]Der folgende Abschnitt aus dem Manifest der Kommunistischen Partei, der dem bürgerlichen Sozialismus gewidmet ist, beschreibt sehr gut das Anliegen der Linken und extremen Linken des Kapitals: „Sie wollen die Bourgeoisie ohne das Proletariat. Die Bourgeoisie stellt sich die Welt, worin sie herrscht, natürlich als die beste Welt vor. Der Bourgeoissozialismus arbeitet diese tröstliche Vorstellung zu einem halben oder ganzen System aus. Wenn er das Proletariat auffordert, seine Systeme zu verwirklichen und in das neue Jerusalem einzugehen, so verlangt er im Grunde nur, daß es in der jetzigen Gesellschaft stehenbleibe, aber seine gehässigen Vorstellungen von derselben abstreife. […] Der Sozialismus der Bourgeoisie besteht eben in der Behauptung, daß die Bourgeois Bourgeois sind – im Interesse der arbeitenden Klasse.“
[3]"Die Funktion der revolutionären Organisation [183]", (Internationale Revue 9).
[4]"Die Frage der Funktionsweise in der IKS“ (International Review 30) /content/685/dokumente-aus-dem-organisationsleben-die-frage-der-funktionsweise-der-iks [184]
[5]Der Stalinismus wiederum wurde von der Drecksarbeit der Sozialdemokratie inspiriert, die 1914 das Proletariat verriet. Rosa Luxemburg prangerte ihn in 'Unser Programm und die politische Lage; Ansprache an den Gründungskongress der Deutschen Kommunistischen Partei (Spartakusbund)' vom 31. Dezember 1918, 1. Januar 1919 an: „Ihr seht ja an den Vertretern dieses Marxismus, wohin er heutzutage geraten, als Neben- und Beigeordneter der Ebert, David und Konsorten. Dort sehen wir die offiziellen Vertreter der Lehre, die man uns jahrzehntelang als den wahren, unverfälschten Marxismus ausgegeben hat. Nein, Marxismus führte nicht dorthin, zusammen mit den Scheidemännern konterrevolutionäre Politik zu machen. Wahrer Marxismus kämpft auch gegen jene, die ihn zu verfälschen suchten [...]“ https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1918/12/programm.html [185]
[6]Ante (oder Anton) Ciliga (1898-1992) war kroatischer Herkunft. Er trat der Kommunistischen Partei Jugoslawiens bei und lebte ab 1925 in Russland, wo er sich der konterrevolutionären Degeneration der UdSSR bewusst wurde. Er schloss sich Trotzkis linker Opposition an. Er wurde 1930 zum ersten Mal verhaftet und nach Sibirien geschickt, wo er 1935 schließlich freigelassen wurde. Danach ließ er sich in Frankreich nieder, wo er in dem oben zitierten Buch einen sehr klaren Bericht über alles, was in der UdSSR, in der Dritten Internationale und in der KPdSU geschehen war, schrieb. Die deutsche nicht komplette Ausgabe findet sich hier: www.kommunismus.narod.ru/knigi/pdf/Ante_Ciliga_-_Im_Land_der_verwirrenden_Luege.pdf [186] unsere Seitenangaben stammen aus der gedruckten Ausgabe von Die Buchmacherei, 2010. Ein Zitat mussten wir aus der spanischen Ausgabe übersetzen: marxismo.school/files/2017/09/Ciliga.pdf. In der Folge entfernte sich Ciliga immer weiter von proletarischen Positionen und rutschte zur Verteidigung der Demokratie ab, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg.
[7]Zu diesem Thema siehe: "Teil II Die Kommunisten und die nationale Frage (1900-1920)" /content/1293/teil-ii-die-kommunisten-und-die-nationale-frage-1900-1920-aus-international-review-engl [187]
[8]Siehe unsere Broschüre, Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse
[9]siehe dazu den Artikel „Wie die II. Internationale scheiterte [188]“ in der Internationalen Revue (englische Ausgabe).
[10]Lenin, „Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus“ (1913) LW 19 https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1913/03/quellen.htm [189]
[11]"Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre", International Revue 22 (1983), Punkt 1 /content/1075/bericht-zur-struktur-und-funktionsweise-der-organisation-der-revolutionaere [190]
[12]Dieser Fehler von Trotzki wurde vom Trotzkismus ausgenutzt, um jeden Aufstand und gar von sogenannten Guerillas durchgeführte Staatsstreiche wie in Kuba 1959 als „Revolution“ zu bezeichnen.
[13]"Die Funktion der revolutionären Organisation [183]", (Internationale Revue 9).
Diese Serie hat den am wenigsten sichtbaren Teil (das verborgene Gesicht) der Organisationen der Linken und der extremen Linken des Kapitals (Sozialisten, Stalinisten, Trotzkisten, Maoisten, offizieller Anarchismus, die 'neue' Linke von Syriza, France Insoumise und Podemos) angeprangert. Im ersten Artikel der Serie sahen wir, wie diese Organisationen die Arbeiterklasse, die sie vorgeben zu verteidigen, tatsächlich infrage stellen, im zweiten haben wir ihre Methode und Denkweise entlarvt. In diesem dritten Artikel wollen wir ihre Funktionsweise analysieren, die internen Verhältnisse dieser Parteien und wie diese Funktionsweise die Infragestellung aller kommunistischen Prinzipien selbst und ein Hindernis für jede Bewegung in Richtung dieser Prinzipien darstellt.
Die Kräfte des Stalinismus, Trotzkismus usw. haben eine völlige Verfälschung der proletarischen Positionen in Bezug auf ihre Organisation und ihr Verhalten betrieben. Zentralisierung bedeutet für sie Unterwerfung unter eine allmächtige Bürokratie, und Disziplin heißt blinde Unterwerfung unter eine Kontrollkommission. Die Mehrheitsposition ist das Ergebnis eines Machtkampfes. Und eine Debatte ist in ihrer manipulativen Weise eine Waffe, um die Position rivalisierender Gruppen zu überwinden. Und so könnten wir bis zum Erbrechen weitermachen.
Es kann vorkommen, dass ein proletarischer Militanter innerhalb einer wirklich kommunistischen Organisation dazu neigt, ihre organisatorischen Positionen und ihr Verhalten aus dem Blickwinkel der düsteren Zeiten zu betrachten, die sie in der einen oder anderen linken Organisation verbracht haben.
Wenn wir mit einem solchen ehemaligen Mitglied einer linken Gruppe über die Notwendigkeit von Disziplin sprechen, erinnern sie sich an den Albtraum, den sie durchlebt haben, als sie Mitglied einer Organisation der bürgerlichen Linken waren.
In diesen Organisationen bedeutet "Disziplin", absurde Dinge zu verteidigen, weil "die Partei es verlangt". Heute müssen sie sagen, dass ein rivalisierender Teil "bürgerlich" war, und morgen, je nach den politischen Veränderungen in den Bündnissen der Führung, wird dieser Teil jetzt als der proletarischste der Welt angesehen.
Wenn die Politik des Zentralkomitees falsch ist, dann ist das allein die Schuld der Militanten, die "einen Fehler gemacht haben" und "das, was das Zentralkomitee beschlossen hatte, nicht richtig umgesetzt haben". Wie Trotzki sagte: "Jede Resolution des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, die neue Niederlagen verzeichnet, erklärte einerseits, dass alles geplant war und dass es andererseits die Schuld derjenigen ist, die sie interpretiert haben, weil sie die ihnen von oben vorgegebene Linie nicht verstanden hatten".[1]
Nach diesen traumatischen Erlebnissen empfindet der Militante, der diese Parteien durchlebt hat, eine tiefgreifende Ablehnung der Disziplin und versteht nicht, dass die proletarische Disziplin etwas radikal anderes ist und im Gegensatz zur Disziplin der Bourgeoisie steht.
In einer proletarischen Organisation bedeutet "Disziplin", dass alle Entscheidungen respektiert werden und dass jeder sich dafür einsetzt, sie zu erreichen. Einerseits ist sie verantwortlich für und andererseits der praktische Ausdruck des Vorrangs des Kollektivs vor dem Individuum - was aber nicht bedeutet, dass Individuum und Kollektiv einander gegenüberstehen, sondern vielmehr verschiedene Aspekte derselben Einheit zum Ausdruck bringen. Folglich ist die Disziplin in einer revolutionären Organisation freiwillig und bewusst. Diese Disziplin ist nicht blind, sondern basiert auf einer Überzeugung und einer Perspektive.
In einer bürgerlichen Organisation bedeutet Disziplin im Gegenteil die Unterwerfung unter eine allmächtige Führung und den Verzicht auf jegliche Verantwortung, indem man sie in den Händen dessen belässt, was diese Führung tut oder sagt. In einer bürgerlichen Organisation beruht die Disziplin auf dem Gegensatz zwischen dem "Kollektiv" und dem Individuum. Das "Kollektiv" sind hier die Interessen des nationalen Kapitals und seines Staates, die diese Organisationen in ihrem jeweiligen Bereich verteidigen, ein Interesse, das keineswegs mit dem seiner Mitglieder übereinstimmt. Deshalb wird ihre Disziplin entweder aus Furcht vor öffentlicher Zurechtweisung auferlegt, die zu einem Ausschluss führen könnte; oder, wenn sie freiwillig angenommen wird, ist sie das Ergebnis eines Schuldgefühls oder eines kategorischen Imperativs, der mehr oder weniger periodische Konflikte mit den authentischen Interessen jedes Einzelnen hervorruft.
Das mangelnde Begreifen des radikalen Unterschieds, der zwischen proletarischer und bürgerlicher Disziplin besteht, führt oft dazu, dass einige Militante, die die bürgerliche Linke oder den Linksextremismus durchlaufen haben und sich in einer proletarischen Organisation wiederfinden, in einen Teufelskreis geraten. Einst folgten sie den Befehlen ihrer Vorgesetzten wie Schafe; jetzt, in einer proletarischen Organisation, lehnen sie jede Disziplin ab und stimmen nur mit einer einzigen Ordnung überein: die, die von ihrer eigenen Individualität diktiert wird.
Nach ihrer Erfahrung mit der Kasernendisziplin vertreten sie nunmehr die „Disziplinlosigkeit“, d.h. jeder kann tun was er will, oder anders ausgedrückt: sie predigen die anarchische Disziplin des Individualismus. Nun dreht man sich im Kreis, gefangen zwischen der wilden und gewalttätigen Disziplin der Parteien der Bourgeoisie und der individualistischen Disziplinlosigkeit ("zu tun, was ich will"), die für die Kleinbourgeoisie und den Anarchismus charakteristisch ist.
Auch das Konzept der Zentralisierung wird von Militanten, die dem vergiftenden Einfluss der Linken (des Kapitals) ausgeliefert sind.
Sie assoziieren Zentralisierung mit:
Tatsächlich basiert die bürgerliche Zentralisierung auf diesen Konzepten. Das ist darauf zurückzuführen, dass innerhalb der Bourgeoisie Einheit nur dann besteht, wenn sie mit einem imperialistischen Krieg oder dem Proletariat konfrontiert ist; im Übrigen gibt es einen ständigen Interessenkonflikt zwischen ihren verschiedenen Fraktionen.
Um Ordnung in ein solches Chaos zu bringen, muss die Autorität eines "Zentralorgans" durch Willen oder Gewalt durchgesetzt werden. Die bürgerliche Zentralisierung ist also notwendigerweise bürokratisch und von oben nach unten gerichtet.
Diese allgemeine Bürokratisierung aller bürgerlichen Parteien und ihrer Institutionen ist umso unentbehrlicher bei den (sogenannten) "Arbeiter"-Parteien oder der Linken, die sich als Verteidiger der Arbeiter präsentieren.
Die Bourgeoisie kann sich dieser eisernen Disziplin des politischen Apparates unterwerfen, weil sie in ihren eigenen Institutionen eine totale und diktatorische Macht ausüben kann. In einer Organisation der Linken oder der extremen Linken gibt es jedoch einen sorgfältig verborgenen Antagonismus zwischen dem, was offiziell behauptet wird, und dem, was wirklich geschieht. Um diesen Widerspruch aufzulösen, braucht sie eine Bürokratie und eine vertikale Zentralisierung.
Um die Mechanismen der bürgerlichen Zentralisierung zu verstehen, die in den Parteien der Linken des Kapitals praktiziert wird, können wir uns den Stalinismus ansehen, der ein echter ‚Wegbereiter‘ war. In seinem Buch Die Dritte Internationale nach Lenin analysiert Trotzki die Methoden der bürgerlichen Zentralisierung, die in den kommunistischen Parteien praktiziert wurden.
Er erinnert daran, wie der Stalinismus, um die bürgerliche Politik durchzusetzen, "eine Geheimgesellschaft mit ihrem illegalen Zentralkomitee (dem Septemvirat) mit seinen Rundschreiben, Geheimagenten und Codes usw. angenommen hat. (...)Der Parteiapparat schuf in sich selbst eine geschlossene und außer Kontrolle geratene Ordnung, die über außergewöhnliche Mittel verfügte, nicht nur für diesen Apparat, sondern auch für den Staat, der eine Partei der Massen in ein Instrument verwandelte, das die Aufgabe hatte, alle Manöver und Intrigen zu tarnen". (idem).[2]
Um die revolutionären Versuche des Proletariats in China auszulöschen und den imperialistischen Interessen des russischen Staates in den Jahren 1924-28 zu dienen, wurde die Kommunistische Partei Chinas von oben nach unten, d.h. sehr streng hierarchisch organisiert, wie eine Zeugenaussage aus dem Lokalkomitee von Kiangsu verdeutlicht. " (Das Zentralkomitee) erhob Anschuldigungen und sagte, das Provinzkomitee sei nicht gut; dieses wiederum beschuldigte die Basisorganisationen und sagte, das Regionalkomitee sei schlecht. Letzteres begann, Anschuldigungen zu erheben und sagte, dass die Genossen, die vor Ort arbeiteten, schuld seien. Und die Genossen verteidigten sich und sagten, dass die Massen nicht revolutionär genug seien" (idem).
Die bürokratische Zentralisierung zwingt den Parteimitgliedern eine Karrierementalität auf, wobei sie sich gegenüber ‚Oben‘ unterordnen und denen ‚Unten‘ misstrauen und sie manipulieren. Das ist ein deutliches Merkmal aller Parteien des Kapitalismus, der Linken wie der Rechten, die dem Modell folgen, das Trotzki in den stalinistischen kommunistischen Parteien sah und in den 1920er Jahren anprangerte: "Sie wird aus ganzen Teams junger Akademiker durch Manöver gebildet, die zwar bolschewistisch flexibel sind, aber die Elastizität ihres eigenen Rückgrats verstanden haben" (idem).
Die Folgen dieser Methoden sind, dass "die aufsteigenden Schichten gleichzeitig von einem gewissen bürgerlichen Geist, einem engstirnigen Egoismus und engstirnigen Kalkülen durchdrungen sind" (idem). Man kann sehen, dass sie den festen Willen haben, sich einen Platz zu erkämpfen, ohne sich um andere zu kümmern, ein blinder und spontaner Karrierismus. Um an diesen Punkt zu gelangen, müssen sie alle eine skrupellose Anpassungsfähigkeit, eine schändliche und kriecherische Haltung gegenüber den Mächtigen beweisen. Das ist es, was wir in dieser Hinsicht in jeder Geste, auf jedem Gesicht sehen. Darauf wurde in allen Akten und Reden hingewiesen, die im Allgemeinen voller grober revolutionärer Phraseologie waren"[3]
Wir müssen anhand einer kritischen Analyse wieder alle Organisationskonzepte für uns beanspruchen, die die Arbeiterbewegung vor der enormen Katastrophe verwendet hat, die die ersten Schritte der sozialistischen Parteien auf dem Weg zur Integration in den kapitalistischen Staat und später die Umwandlung der kommunistischen Parteien in stalinistische Kräfte für das Kapital kennzeichneten.
Die proletarische Position zu Fragen der Organisation, auch wenn sie den gleichen Namen trägt, hat nichts mit ihrer verfälschten Darstellung zu tun. Die proletarische Bewegung hat es nicht nötig, neue Konzepte zu erfinden, weil diese Konzepte zu ihr gehören. In der Tat sind diejenigen, die ihre Terminologie geändert haben, die Linken und die extreme Linke des Kapitals; das sind die "Erneuerer", die die moralischen und organisatorischen Positionen der Bourgeoisie übernehmen. Wir werden uns einige dieser proletarischen Konzepte noch einmal ansehen und untersuchen, inwiefern sie in völligem Gegensatz zum Stalinismus, zur Linken und ganz allgemein zu jeder bürgerlichen Organisation stehen.
Zentralisierung ist der Ausdruck der natürlichen Einheit, die innerhalb des Proletariats und folglich unter den Revolutionären besteht. Daher ist die Zentralisierung in einer proletarischen Organisation die kohärenteste Form des Funktionierens und das Ergebnis freiwilliger und bewusster Aktionen. Während die Zentralisierung in einer linken Organisation durch eine Bürokratie und durch Manövrieren erzwungen wird, kommt in einer proletarisch-politischen Organisation, in der es keine unterschiedlichen Interessen gibt, die Einheit durch die Zentralisierung zum Ausdruck; sie ist also bewusst und kohärent.
In einer linken Organisation hingegen, wie in jeder bürgerlichen Organisation, gibt es unterschiedliche Interessen, die mit Einzelpersonen und Fraktionen verbunden sind, die, um diese unterschiedlichen Interessen zu versöhnen, die bürokratische Auferlegung einer Fraktion oder eines Führers oder eine Art "demokratischer Koordinator" zwischen den verschiedenen Führern oder Fraktionen erfordern. In allen Fällen sind Machtkämpfe, Manöver, Verrat, Manipulation und Gehorsam notwendig, um das Funktionieren der Organisation zu "schmieren", weil sie sonst auseinander fällt und zerbricht. Auf der anderen Seite ist in einer proletarischen Organisation „Der Zentralismus ist kein abstraktes oder frei wählbares Prinzip einer Organisationsstruktur. Er stellt die Konkretisierung ihres Einheitscharakters dar; deshalb spiegelt er die Tatsache wider, daß die Organisation als ein einheitlicher Körper Position bezieht und in der Klasse handelt.
In der Beziehung zwischen den verschiedenen Teilen der Organisation und dem Ganzen überwiegt das Ganze."[4].
Innerhalb der Linken ist diese "ein und dieselbe Organisation, die innerhalb der Klasse Positionen einnimmt und handelt", entweder eine Farce oder eine monolithische und bürokratische Auferlegung eines "Zentralkomitees". In einer proletarischen Organisation ist sie die eigentliche Bedingung ihrer Existenz. Es geht darum, dem Proletariat nach einer kollektiven Diskussion und entsprechend seiner historischen Erfahrung alles vor Augen zu führen, was seinen Kampf voranbringt, und ihm nicht vorzumachen, für Interessen zu kämpfen, die nicht seine eigenen sind. Aus diesem Grund ist es notwendig, eine gemeinsame Anstrengung der gesamten Organisation zu unternehmen, um ihre Positionen auszuarbeiten.
Innerhalb der Linken, die mit den manchmal als absurd empfundenen Entscheidungen der "Führung" konfrontiert ist, kümmern sich die Militanten an der Basis um sich selbst und handeln selbst, indem sie in lokalen Strukturen oder in Gruppen, die auf persönlichen Beziehungen basieren, die Positionen festlegen, die sie für richtig halten. In einigen Fällen ist dies eine gesunde proletarische Reaktion angesichts der offiziellen Politik. Diese lokalistische Maßnahme eines jeden für sich selbst ist jedoch kontraproduktiv und negativ in einer proletarischen Organisation. „Wir müssen resolut die Auffassung verwerfen, derzufolge einzelne Teile der Organisation gegenüber der Klasse oder der Organisation Positionen oder Einstellungen vertreten können, die ihnen im Gegensatz zu den Positionen der Organisation, die sie als falsch betrachten, als richtig erscheinen:
Der Ansatz, das irgendein Teil der Organisation (sei es eine lokale Sektion oder eine internationale Kommission) einen Beitrag leistet, um mit der Anstrengung Aller eine korrekte Position zu erreichen, entspricht der Einheit der Interessen, die in einer revolutionären Organisation zwischen allen ihren Mitgliedern besteht. Auf der anderen Seite gibt es in einer Organisation der Linken keine Einheit zwischen der "Basis" und der "Führung". Letztere verfolgt das Ziel, die allgemeinen Interessen der Organisation, d.h. die des nationalen Kapitals, zu verteidigen, während die "Basis" zwischen drei Kräften zerrissen ist, die alle in unterschiedliche Richtungen gehen: die Interessen des Proletariats, die Verantwortung für die kapitalistischen Interessen der Organisation oder, prosaischer ausgedrückt, die Verantwortung für die Karriere auf den verschiedenen bürokratischen Ebenen der Partei. Es ist das Ergebnis eines Gegensatzes und einer Trennung zwischen den Militanten und den Zentralorganen.
Die Mitglieder der revolutionären Organisation haben heute über all dies noch viel zu lernen. Sie werden von dem Verdacht gequält, dass die Zentralorgane am Ende "verraten" werden. Sie vertreten oft die voreingenommene Position, dass die Zentralorgane mit bürokratischen Mitteln alle Dissidenten beseitigen werden. Es breitet sich ein mentaler Mechanismus aus, der besagt, dass "die Zentralorgane Fehler machen können". Das ist vollkommen richtig. Jedes Zentralorgan einer proletarischen Organisation kann Fehler machen. Aber es sollte nicht fatal sein, Fehler zu machen, und wenn tatsächlich Fehler gemacht werden, hat die Organisation die Mittel, sie zu korrigieren.
Wir können dies an einem historischen Beispiel veranschaulichen: Im Mai 1917 beging das Zentralkomitee der bolschewistischen Partei einen Fehler, als es die kritische Unterstützung der Provisorischen Regierung, die aus der Februarrevolution hervorging, befürwortete. Lenin, der im April nach Russland zurückkehrte, legte die berühmten April-Thesen vor, um eine Debatte in Gang zu setzen, in der sich die gesamte Organisation dafür einsetzte, den Fehler zu korrigieren und die Ausrichtung der Partei wieder in die richtige Bahn zu lenken[5].
Diese Episode zeigt die Kluft, die zwischen der vorgefassten Idee, dass 'die Zentralorgane sich irren können', und der proletarischen Auffassung besteht, den Opportunismus zu bekämpfen, wo immer er sich manifestiert (unter den Militanten oder innerhalb des Zentralorgans). Alle proletarischen Organisationen sind dem Druck der bürgerlichen Ideologie ausgesetzt, und das betrifft die Militanten ebenso wie die Zentralorgane. Der Kampf gegen diesen Druck ist die Aufgabe der gesamten Organisation.
Die proletarisch-politischen Organisationen stellen die Mittel der Debatte zur Verfügung, um ihre Fehler zu korrigieren. Wir werden in einem weiteren Artikel dieser Reihe die Rolle der Tendenzen und Fraktionen sehen. Was wir hier unterstreichen wollen, ist, dass, wenn die Mehrheit der Organisation und vor allem ihre Zentralorgane dazu neigen, sich zu irren, die Genossen der Minderheit die Mittel haben, gegen dieses Abdriften zu kämpfen, wie Lenin 1917, was ihn dazu veranlasste, einen außerordentlichen Parteitag zu fordern. Insbesondere " kann eine Minderheit der Organisation einen Außerordentlichen Kongreß von dem Augenblick an einberufen lassen, wenn sie zu einer bedeutenden Minderheit wird (z.B. 2/5): Im allgemeinen muß der Kongreß die Hauptfragen entscheiden, und das Vorhandensein einer größeren Minderheit, die sich für die Einberufung eines Kongresses ausspricht, ist ein Beweis für die Existenz von großen Problemen innerhalb der Organisation.[6]
Es gibt die widerwärtigen Schauspiele von Kongressen von Organisationen der Bourgeoisie. Diese sind ein Spektakel mit Hostessen und Klatschbörsen. Die Führung kommt, um zu protzen und um Applaus für ihre Reden einzuheimsen, der von den Cheerleader-Gruppen-Beifallteams organisiert wird, oder um ihre Fernsehauftritte zu machen. Die Reden stoßen auf großes Desinteresse, das einzige Ziel des Kongresses ist es, zu erfahren, wer welche Schlüsselpositionen in der Organisation übernimmt und wer abgesetzt wird. Die große Mehrheit dieser Sitzungen dient nicht der Diskussion, Klärung und Verteidigung von Positionen, sondern der Zuweisung von Machtquoten an die verschiedenen "Familien" der Partei.
Eine proletarische Organisation muss in diametral entgegengesetzter Weise funktionieren. Der Ausgangspunkt für die Zentralisierung einer proletarischen Organisation ist ihr internationaler Kongress. Der Kongress vereinigt und ist Ausdruck der Organisation als Ganzes, die in souveräner Weise über die Orientierungen und Analysen entscheidet, die sie leiten müssen. Die vom Kongress verabschiedeten Resolutionen legen das Mandat für die Arbeit der Zentralorgane fest. Es kann nicht willkürlich nach den Entwürfen oder Launen der Mitglieder handeln, sondern muss von den Beschlüssen des Kongresses als Ausgangspunkt seiner Tätigkeit ausgehen.
Der Zweite Kongress der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands im Jahre 1903 führte zur bekannten Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki. Einer der Gründe für die Spaltung und die starke Kontroverse zwischen den beiden Parteien der Organisation war, dass letztere die Beschlüsse des Kongresses nicht respektiert hatten. Lenin bekämpfte in seinem Buch „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ diese illoyale Haltung, die eigentlich eine bürgerliche Haltung war. Wenn man nicht einverstanden ist mit den Entscheidungen eines Kongresses, ist die richtige Haltung, die Divergenzen klar darzustellen und auf eine geduldige Debatte zu drängen, um zu einer Klärung zu gelangen.“Der Internationale Kongreß ist der Ort, wo die Einheit der Organisation in ihrem ganzen Ausmaß zum Ausdruck kommt. Auf dem Internationalen Kongreß wird das Programm der IKS definiert, bereichert und korrigiert; dort werden auch die Organisationsformen und Funktionsweisen festgelegt, verändert oder präzisiert; die Analysen und Gesamtausrichtungen angenommen; eine Bilanz der vergangenen Aktivitäten gezogen und Arbeitsperspektiven für die Zukunft verabschiedet. Deshalb muß die Vorbereitung des Kongresses mit der größten Sorgfalt und Energie von der gesamten Organisation durchgeführt werden. Deshalb müssen die Orientierungen und Entscheidungen des Kongresses im Leben der Organisation als ständige Bezugspunkte dienen.“ In einem proletarischen Kongress gibt es keine Zirkel, in denen Verschwörungen gegen Rivalen ausgebrütet werden, sondern eine Diskussion, um möglichst bewusst Positionen zu verstehen und einzunehmen.
In bürgerlichen Organisationen sind die Gänge vor den Sitzungsräumen das Herz des Kongresses, in denen Klatsch und Tratsch, Verschwörungen gegen Rivalen, Manöver und Intrigen geschürt werden. Die Korridore sind der Ort, an dem der Kongress wirklich entschieden wird. Wie Ciliga sagte: "Die Sitzungen waren langweilig, die öffentlichen Sitzungen waren reine Geschwätzigkeit. Alles wurde in den Gängen entschieden".
In einer proletarischen Organisation müssen "die Gänge" als Entscheidungszentren verboten werden, sie sollen lediglich als ein Raum für Entspannung dienen und um engere Beziehungen zwischen den Militanten herstellen zu können. Das Herz des Kongresses muss einzig und allein in seinen offiziellen Sitzungen liegen. Dort müssen die Delegierten die dem Kongress vorgelegten Dokumente sehr sorgfältig bewerten, indem sie Klarstellungen fordern und Änderungsanträge, Kritiken und Vorschläge formulieren. Es geht um die Zukunft der Organisation, denn die Beschlüsse des Kongresses sind kein toter Buchstabe oder bloße Rhetorik, sondern bewusst getroffene Vereinbarungen, die der Organisation als Richtschnur und Orientierung dienen und den Grundlagen ihrer Tätigkeit dienen müssen.
Die Orientierungen und Beschlüsse des Kongresses müssen die gesamte Organisation einbeziehen. Das bedeutet nicht, dass alles unfehlbar wird. Regelmäßige internationale Diskussionen können zu der Schlussfolgerung führen, Fehler festzustellen, die es zu korrigieren gilt oder wenn die Entwicklung der internationalen Situation Veränderungen hervorbringt, diese zu erkennen und die Analyse entsprechend anzupassen. Das kann sogar zur Einberufung eines außerordentlichen Kongresses führen. In der Zwischenzeit muss diese Arbeit rigoros und ernsthaft mit einer Debatte auf der breitesten und tiefsten internationalen Basis durchgeführt werden. Das hat nichts mit dem zu tun, was ständig in linken Organisationen vor sich geht, wo sich die Verlierer eines Kongresses rächen, indem sie neue Positionen vorschlagen, mit denen sie mit den Siegern abrechnen.
In einer proletarischen Organisation gibt der Kongress die Orientierungen vor, die das Mandat eines Zentralorgans definieren, das die Einheit und Kontinuität der Organisation zwischen den Kongressen und nach den Kongressen repräsentiert. In einer bürgerlichen Partei ist das Zentralorgan ein Arm der Macht, weil es die Organisation den Bedürfnissen des Staates und des nationalen Kapitals unterwerfen muss. Das Zentralorgan ist eine Elite, die vom Rest der Organisation getrennt ist und sie kontrollieren, beaufsichtigen und ihr ihre Entscheidungen aufzwingen muss. In einer proletarischen Organisation ist das Zentralorgan nicht von der Organisation als Ganzes getrennt, sondern es ist ihr aktiver und einheitlicher Ausdruck. Das Zentralorgan ist keine allmächtige privilegierte Organisationsspitze, sondern ein Mittel, um die Interessen des auszudrücken und zu entwickeln
„Im Gegensatz zu bestimmten Auffassungen, insbesondere der sogenannten "leninistischen" Auffassung, ist das Zentralorgan ein Instrument der Organisation und nicht umgekehrt. Es ist nicht die Spitze einer Pyramide, wie das eine hierarchische und militärische Auffassung von der Organisation der Revolutionäre meinen könnte. Die Organisation besteht nicht aus dem Zentralorgan, und dann folgen die Militanten; sondern sie stellt ein eng geflochtenes und vereinigtes Netz dar, innerhalb dessen alle Teile miteinander verbunden sind und zusammenwirken. Man muß deshalb das Zentralorgan eher als den Kern einer Zelle auffassen, der den Stoffwechsel eines lebendigen Ganzen koordiniert. ("Bericht über die Struktur und Funktionsweise der revolutionären Organisation", Punkt 5).
Die Struktur der linken Organisation ist hierarchisch. Sie reicht von der nationalen Führung bis zu den regionalen Organisationen, die ihrerseits in "Abschnitte" (Arbeiter, Fachleute, Intellektuelle usw.) und, am Ende all dessen, in die Zellen (z. B. die „Betriebszellen“ der KPD) unterteilt sind. Diese Organisationsform ist ein Erbe des Stalinismus, der 1924 die berühmte "Bolschewisierung" unter dem Vorwand, "zur Arbeiterklasse zu gehen", durchsetzte.
Hinter dieser Demagogie verbirgt sich die Abschaffung der Strukturen von Arbeiterorganisationen, die auf lokalen Sektionen basieren, in denen alle Militanten einer Stadt zusammenkommen, um sich mit globalen Aufgaben und einer globalen Vision zu befassen. Im Gegensatz dazu spaltet eine "Bolschewisierungs"-Struktur die Militanten, die sie in einem Umfeld einsperren, das durch eine Fabrik oder einen Betrieb begrenzt ist, je nach Beruf oder sozialem Sektor... Ihre Aufgaben sind rein unmittelbarer Natur, auf die Berufsgruppe beschränkt, und sie bleiben in einem ‚Loch‘ stecken, in dem nur die unmittelbaren, besonderen und lokalen Probleme behandelt werden. Der Erfahrungshorizont der Militanten wird beschränkt und statt einer historischen, internationalen und theoretischen Sichtweise wird alles auf das Unmittelbare, Berufsbezogene, Lokalistische und rein Pragmatische reduziert. Das ist eine große Verarmung und erlaubt es der Führung, die Dinge nach Belieben zu manipulieren und sich daher den Interessen des nationalen Kapitals zu unterwerfen, während sie dies mit einer populären und arbeiterorientierten Demagogie maskiert.
Die Ergebnisse dieser berühmten "Bolschewisierung", in Wirklichkeit die Atomisierung der Militanten in den Ghettos der Arbeitswelt, wurden von Ciliga sehr gut beschrieben: "Die Leute, die ich dort traf — ständige Mitarbeiter der Komintern —, wirkten ebenso eng wie die ganze Institution, und das nüchterne Grau des Gebäudes, in dem sie untergebracht war, schien mir genau das Denken und Fühlen dieser Männer zu symbolisieren. Es fehlte ihnen jede Weite des Blicks, jede geistige Selbständigkeit. Ich hatte Riesen erwartet und fand Zwerge. Ich hoffte, Informationen von verehrungswürdigen Meistern zu empfangen, und traf Lakaien. Im Herbst und Winter 1926 war ein heftiger Kampf innerhalb der kommunistischen Partei im Gange. Bei meiner Ankunft wurde ich in die russische kommunistische Partei aufgenommen und konnte so die Entwicklung der Dinge von innen her beobachten.
Man brauchte nur an ein paar Parteiversammlungen teilgenommen zu haben, um zu erkennen, daß das geistige Ringen in diesem Kampf nur eine ganz untergeordnete Rolle spielte. Die entscheidende Rolle war den Drohungen, den Einschüchterungsmanövern und dem Terror zugefallen. ". Um diese Isolierung und theoretische Ignoranz der Militanten noch weiter zu verstärken, bestimmt das "Zentralkomitee" ein ganzes Netz von "politischen Kommissaren", die sich strikt seiner Disziplin unterwerfen und dafür verantwortlich sind, als Transmissionsriemen für die Befehle der Führung zu fungieren.
Die Struktur, über die eine revolutionäre Organisation verfügen muss, unterscheidet sich radikal davon. Die Hauptaufgabe der lokalen Sektionen besteht darin, die Fragen der Organisation als Ganzes zu studieren und sich zu äußern, sowie die historische Situation zu analysieren und die für notwendig erachteten allgemeinen theoretischen Themen zu untersuchen. Diese Struktur schließt die Sektionen bzw Militanten nicht aus, sondern gibt den lokalen Aktivitäten und Interventionen, der Presse und den Diskussionen mit Genossen oder interessierten Gruppen Sinn und Körper. Dies erfordert jedoch "regelmäßige Treffen der örtlichen Sektionen und eine Tagesordnung, wo die Hauptfragen diskutiert werden müssen, die in der gesamten Organisation besprochen werden. Auf keinen Fall darf die Debatte erstickt werden“. (idem). Gleichzeitig ist eine „größtmögliche Zirkulation der verschiedenen Beiträge innerhalb der Organisation durch die zu diesem Zweck vorgesehenen Mittel (interne Bulletins)“ notwendig. Die (internen) internationalen Diskussionsbulletins sind das Mittel, um diese Debatte zu kanalisieren und die Diskussion in allen Sektionen zu stattfinden und vorantreiben zu lassen.
C. Mir, 16. Januar 2018
[1]Die III. Internationale nach Lenin (nach der französischen Ausgabe S. 159 zitiert)
[2]„Dieses Septemvirat bildete eine illegale und gegen die Partei gerichtete Institution, die über die Geschicke der Partei hinter deren Rücken verfügte. […] an der Arbeit dieses spalterischen Septemvirats teil, das in den Parteistatuten nicht vorgesehen ist und das gegen die Statuten und den Willen der Partei tätig war —sonst hätte es keinen Grund gehabt, sich zu verbergen.“ Aus Trotzki, ZWEI REDEN AUF DER SITZUNG DER ZENTRALEN KONTROLLKOMMISSION IM JULI 1927 S. 158 in Die Linke Opposition in der Sowjetunion 1923-1928 Hrsg. Ulf Wolter
[3]Ante Ciliga, Im Land der verwirrenden Lüge, Kapitel 1
[4]"Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre", International Revue 22 (1983), Punkt 3 /content/1075/bericht-zur-struktur-und-funktionsweise-der-organisation-der-revolutionaere [190]
[5]Zu einer Analyse wie die Bolschewistische Partei diesem opportunistischen Fehler verfiel und wie sie mit Hilfe der Debatten diesen wieder korrigieren konnten, siehe: „1917: Die Russische Revolution - Die „Aprilthesen” – Leitlinien der proletarischen Revolution, Internationale Revue Nr. 19, https://de.internationalism.org/rusrev19/1997_rusrevaprilthesen; [191] siehe auch die Kapitel hinsichtlich dieser Phase in „Trotzkis Geschichte der Russischen Revolution“
[6]"Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre", International Revue 22 (1983), Punkt 6
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe, die wir bereits zu veröffentlichen begonnen haben und die den Versuch eines Blogs namens Nuevo Curso[1] anprangern, die wahren Ursprünge der Kommunistischen Linken zu verfälschen. Dieser Versuch wird von einem Abenteurer, Gaizka[2] , orchestriert, dessen Ziel es keinesfalls ist, zur Klärung und Verteidigung der Positionen dieser Strömung beizutragen, sondern sich im proletarisch-politischen Milieu "einen Namen zu machen". Dieser Angriff gegen die historische Strömung der Kommunistischen Linken zielt darauf ab, sie in eine Bewegung mit vagen Konturen zu verwandeln, die nichts mehr zu tun hat mit den strengen proletarischen Prinzipien, die ihrer Entstehung zugrunde lagen. Das ist ein Hindernis für die Weitergabe der Errungenschaften des Kampfes der linken Fraktionen gegen den Opportunismus und die Degeneration der Parteien der Kommunistischen Internationale an zukünftige Generationen von Revolutionären. Was den Abenteurer Gaizka betrifft, so haben wir eine große Menge an Informationen über seine Beziehungen zur bürgerlichen Politik und ihren Vertretern (hauptsächlich von links, aber auch von rechts) geliefert, ein Verhalten und ein Charakterzug, den er mit berühmteren Abenteurern in der Geschichte wie Ferdinand Lassalle und Jean Baptiste von Schweitzer teilt, die sich in der Arbeiterbewegung in Deutschland im 19. Jahrhundert tummelten, auch wenn er natürlich bei weitem nicht deren Gewicht ausübt.[3]
Konfrontiert mit unserer Entlarvung, hüllt sich Gaizka völlig in Schweigen: Die Realität seiner Schandtaten, die wir offengelegt haben, zu widerlegen, ist für ihn "mission impossible". Ebenso hat er nur sehr wenig Unterstützung erhalten. Die expliziteste und fast einzige kommt von einer Gruppe, der GIGC (Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken), die, bevor sie 2014 ihren Namen änderte, IFIKS (Interne Fraktion der Internationalen Kommunistischen Strömung) hieß. Eine Gruppe, deren hauptsächlicher Daseinsgrund seit etwa zwanzig Jahren darin besteht, die IKS zu verleumden, und die ihre Stellungnahme zugunsten von Nuevo Curso mit einem neuen hasserfüllten Angriff gegen unsere Organisation kombiniert.[4]
Nachdem wir den Betrug, den diese sogenannte "kommunistische Linke" namens Nuevo Curso darstellt, und den wahren Charakter der dahinterstehenden Triebkraft Gaizka angeprangert haben, obliegt uns die Aufgabe, das Profil seiner "Freunde" zu untersuchen. Die Frage ist natürlich nicht ganz unwichtig. Die Heilige Allianz zwischen Nuevo Curso und der GIGC sagt viel aus über das wirkliche Wesen der beiden Gruppen und ihren "Beitrag" zu den Bemühungen junger Elemente, die nach Klassenpositionen streben. Doch bevor wir den Stammbaum der GIGC untersuchen, lohnt es sich, einen kurzen Blick darauf zu werfen, wie sich diese Gruppe in Bezug auf Nuevo Curso positionierte, als dieser zum ersten Mal erschien.
Mit großer Begeisterung und Schmeichelei begrüßte die GIGC das Auftreten des Blogs Nuevo Curso auf der politischen Bühne: „Nuevo Curso ist ein Blog von Genossen, die seit letztem September regelmäßig Positionen zur Situation und zu breiteren, auch theoretischen Fragen veröffentlichen. Leider sind sie nur auf Spanisch verfügbar. Alle von ihnen vertretenen Positionen sind eindeutig Klassenpositionen und spiegeln den programmatischen Rahmen der Kommunistischen Linken wider (…) Wir sind sehr positiv beeindruckt nicht nur von der Art und Weise, wie sie kompromisslos an die Klassenpositionen erinnern, sondern vor allem von der „marxistischen Qualität“ der Texte der Genossen“ (Revolution ou guerre Nr. 9, "De nouvelles voix communistes : Nuevo Curso (Espagne) et Worker’s Offensive (États-Unis)", Hervorhebungen von uns).
Zudem unterstreicht die GIGC: „Die Gründung der Gruppe Emancipación als eigenständige politische Gruppe [die hinter dem Blog Nuevo Curso steht] ist ein wichtiger politischer Schritt, dessen politische und geschichtliche Bedeutung weit über das einfache Erscheinen einer neuen kommunistischen Gruppe hinausgeht. (...) So bringt die Gründung von Emancipacion als eigenständige politische Gruppe die Tatsache zum Ausdruck, dass das internationale Proletariat, auch wenn es unterworfen und weit davon entfernt ist, all die Angriffe des Kapitals wenigstens zurückzudrängen, es tendenziell schafft, kämpfend Widerstand zu leisten. Damit gelingt es ihm, sich aus der ideologischen Umklammerung des Kapitals zu lösen; seine revolutionäre Zukunft bleibt weiterhin bestehen. Die Gründung der Gruppe spiegelt die gegenwärtige (relative) „Vitalität“ des Proletariats wider.“ (Revolution ou guerre nº 12, “Letter du GIGC à Emancipacion sur son 1er Congrès”, Hervorhebungen von uns)
Die GIGC konnte jedoch nicht umhin, das Problem der Interpretation von Nuevo Curso über den historischen Stammbaum der Kommunistischen Linken anzusprechen, nach welcher Auslegung die "trotzkistische" Strömung vor ihrem Verrat während des Zweiten Weltkriegs dazu gehört. In der Tat hätte das Fehlen jeglicher Kritik seitens der GIGC in dieser Frage deutlich gemacht, dass sich diese Gruppe in keiner Weise um die wirkliche Verteidigung der Kommunistischen Linken besorgt fühlt, dass ihre Proklamation, Teil davon zu sein, und ihre Behauptung, sie zu verteidigen, nur ein Köder in den Diensten ihrer schmutzigen Manöver sind, die darauf abzielen, die IKS zu diskreditieren. Die "Schüchternheit" und "Freundlichkeit" der Kritik, die die GIGC an Nuevo Curso übt, kann jedoch kaum über ein offensichtliches Wohlwollen gegenüber dem Angriff dieser Gruppe auf die Kommunistische Linke hinwegtäuschen: "Wir wollen die Aufmerksamkeit der Genossen vor allem auf die programmatische, theoretische und politische Sackgasse lenken, in die Emancipacion mit dem Anspruch auf Kontinuität mit der Vierten Internationale gerät. (...) Der Übergang zu einer vollwertigen politischen Gruppe ist an sich äußerst positiv und wirft gleichzeitig neue Fragen und Verantwortlichkeiten auf. Diese haben sich seit dem Kongress gezeigt. Und eine davon, der Bezug auf die 4. Internationale, muss debattiert – und unserer Meinung nach bekämpft – werden, damit Emancipacion und ihre Mitglieder die historische Aufgabe erfüllen können, die das Proletariat ihnen anvertraut hat." (Brief der GIGC an Emancipacion zu ihrem 1. Kongress im Juli 2019 – R ou G Nr. 12; Hervorhebung von uns). Anstatt einen Angriff gegen die Kommunistische Linke klar anzuprangern, weicht die GIGC diesem grundlegenden Problem aus und versucht, uns mit der "programmatischen, theoretischen und politischen Sackgasse, in der sich Nuevo Curso (Emancipacion) befindet" und nicht zuletzt mit dem Hinweis auf "die historische Aufgabe, die das Proletariat ihm gestellt hat" zu täuschen. Die Moral von der Geschichte: Die GIGC macht sich zwar über die Verteidigung der Kommunistischen Linken lustig, sorgt sich aber andererseits um die Zukunft von Emancipacion.
Darüber hinaus gab es eigentlich keinen Zweifel mehr an der Bedeutung des Versuchs von Nuevo Curso, die Kommunistische Linke zu entstellen, nachdem unsere Organisation den Lesern und Leserinnen genügend Informationen gegeben hatte, um Gaizka (die wichtigste Treibkraft hinter Nuevo Curso) als einen Abenteurer zu charakterisieren, dessen Besonderheit darin bestand, dass er 1992-94 Beziehungen zur damals wichtigsten Partei der Bourgeoisie in Spanien, der PSOE, unterhielt. Und noch weniger Zweifel gab es hinsichtlich der Mitglieder der GIGC, die in den Jahren 1992-94 noch Mitglieder der IKS waren und daher volle Kenntnis über den Werdegang und die Handlungen dieser Person hatten.
Diese Informationen, die allen zugänglich sind (und, wie gesagt, von niemandem geleugnet werden), konnten die GIGC nicht daran hindern, dem Abenteurer Gaizka zu Hilfe zu eilen angesichts der von uns gemachten Entlarvung: "Wir müssen betonen, dass wir bis heute keine Provokation, kein Manöver, keine Verunglimpfung, keine Verleumdung oder Gerüchte gesehen haben, die von den Mitgliedern von Nuevo Curso, auch nicht einzeln, lanciert wurden, und auch keine zerstörerische Politik gegen andere Gruppen oder revolutionäre Aktivisten"[5].
In der Tat geht Gaizka nicht so vor wie die GIGC, denn die Liste der verwerflichen Verhaltensweisen, auf die sich die GIGC hier bezieht, ist eine gute Zusammenfassung ihrer eigenen Handlungsweise. Es braucht wirklich die Unverfrorenheit von Halunken und armen Betrügern wie der GIGC, welche den Leuten weismachen will, dass das Problem mit Gaizka gelöst werden könne, indem man sich davon vergewissere, dass er keine Verhaltensweisen wie Provokation, Manöver etc. an den Tag lege. Bei Gaizka geht es um die politische Persönlichkeit, die sich, wie bei anderen bekannten Abenteurern vor ihm, dadurch auszeichnet, dass sie "im Gegensatz zu aufrichtigen Kämpfern, die sich einer revolutionären Organisation anschließen, um die historische Rolle der Arbeiterklasse selbstlos zu erfüllen, (...) revolutionären Organisationen beitreten, um ihre ‘eigene historische Mission’ zu erfüllen. Sie wollen sich die Bewegung dienstbar machen. (...) [Sie] streben nach Anerkennung sowohl der Arbeiterbewegung aber auch seitens der Herrschenden“[6]. Für Gaizka geht es darum, die Geschichte der kommunistischen Linken neu zu schreiben, indem er sie verzerrt; darauf will er sich berufen und stolz sein, wenn die Operation denn gelingt[7].
Die IFIKS wurde 2001 im Zeichen des Hasses auf die IKS und mit dem Willen, diese zu zerstören, gegründet. Da ihr dies nicht gelang, versuchte sie, der IKS so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Unter dem Vorwand, die IKS, die ihrer Meinung nach von einer "opportunistischen Degeneration" bedroht war, "wiedererrichten" zu wollen, zeichneten sich die wenigen IKS-Mitglieder bei der Gründung der IFIKS von Anfang an durch Intrigen (Abhalten von Geheimtreffen[8]), durch Taten von Kleinkriminellen wie Diebstahl und Erpressung und durch Provokationen aus, insbesondere durch eine Verleumdungskampagne gegen einer Genossin, die von ihnen öffentlich beschuldigt wurde, eine Staatsagentin zu sein, die unsere Organisation indirekt manipuliere.
Da wir die Schandtaten der IFIKS-GIGC nicht detailliert darstellen können, verweisen wir den Leser, die Leserin auf die wichtigsten Artikel, die wir zu diesem Thema verfasst haben[9], und beschränken uns hier auf einige konkrete Beispiele davon.
Die Mitglieder der IFIKS haben sich aufgrund der folgenden Verhaltensweisen bewusst außerhalb unserer Organisation gestellt:
Am Ende wurden sie ausgeschlossen[10], nicht wegen dieser unerträglichen Verhaltensweisen, sondern wegen ihrer Aktivitäten als Spitzel, wobei sie mehrere Taten als Verräter zu verzeichnen hatten. Zum Beispiel veröffentlichten sie auf ihrer Website das Datum einer IKS-Konferenz in Mexiko mit der Teilnahme von Mitgliedern aus anderen Ländern. Dieser widerwärtige Akt der IFIKS, der die Arbeit des Repressionsapparats des bürgerlichen Staates gegen revolutionären Aktivisten*innen erleichtert, ist umso verabscheuungswürdiger, als die Mitglieder der IFIKS sehr wohl wussten, dass einige unserer Genoss*innen in Mexiko bereits in der Vergangenheit direkt Opfer von Repressionen geworden waren und dass einige gezwungen waren, aus dem Land ihrer Geburt zu fliehen.
Aber das verräterische Verhalten der IFIKS-Mitglieder beschränkt sich nicht auf diese Episode. Vor und nach ihrem Ausschluss aus der IKS systematisierten sie ihre Arbeit der Bespitzelung unserer Organisation und berichteten regelmäßig über die Ergebnisse in ihren Bulletins. Einige der so veröffentlichten "Informationen", die durchaus der Boulevardpresse würdig sind (z.B. "Enthüllungen" über ein Mitglieder-Paar), sind nur für die wenigen Dummköpfe (wenn überhaupt außerhalb der eigenen Mitglieder der IFIKS) von Interesse, die sich daran erfreuen, über eine Familienoligarchie innerhalb der IKS zu fantasieren. Weitere sind aber alles andere als harmlos, sondern offenbaren direkt den Willen, die Arbeit von Polizeispitzeln zu übernehmen. Hier ist eine kleine Auswahl:
Die Auswahl an Beispielen der schmutzigen Informationsbeschaffung durch die IFIKS-Leute ist ziemlich bezeichnend für die Art und Weise, wie diese Leute ihre "Fraktionsarbeit" (Klatsch, Polizeiberichte) konzipiert haben. In der Tat zielt die Publikation solcher Informationen auch auf die gesamte IKS ab, um Druck auf ihre Mitglieder auszuüben, indem sie ihnen zu verstehen geben, dass sie "unter Beobachtung" stehen, dass nichts von ihren Aktionen der Wachsamkeit der "Internen Fraktion" entgehen werde. Dies wird durch die unschuldige Information im Bulletin Nr. 13 belegt, mit der berichtet wird, dass die IKS einen "Luxussaal" für eine öffentliche Veranstaltung gemietet habe, eine Information, deren einzige Funktion darin besteht, zu dieser Atmosphäre der permanenten Überwachung beizutragen. Mit dem gleichen Ziel erhielten die Mitglieder der IKS sowie unsere Kontakte regelmäßig das berühmte "Kommunistische Bulletin" zugeschickt, trotz der Proteste und des wiederholten Verlangens, solche Sendungen einzustellen. Es war eine Art, den Empfängern zu sagen: "Wir beobachten euch und ihr werdet uns nicht los."
Nur weil diese Arbeit nach Bullenmanier den kranken Köpfen von besessenen Verfolgern entspringt, bedeutet das nicht, dass wir sie für unsere Organisation und besonders für einige ihrer Mitglieder nicht ernst nehmen sollten.
Zum Abschluss über das polizeiliche Verhalten der IFIKS ist die Veröffentlichung eines 118-seitigen Textes im A4-Format und im Kleingedruckten (ca. 150.000 Wörter!) mit dem Titel "Die Geschichte des Internationalen Sekretariats der IFIKS" durch die IFIKS erwähnenswert. Dieser Text behauptet laut seinem Untertitel zu belegen, "wie sich der Opportunismus in den Zentralorganen durchsetzte, bevor er die ganze Organisation verseuchte und ihre Zerstörung begann...". Es ist eine Geschichte, die in vielerlei Hinsicht als "Detektivroman" bezeichnet werden kann.
Erstens handelt es sich um einen Roman, also um eine Fiktion und nicht um einen historischen Text, auch wenn er sich auf reale Fakten und Personen bezieht. Es ist ein bisschen so, als würde man Alexandre Dumas' "Les Trois Mousquetaires" als die wahre Geschichte von d'Artagnan (den es wirklich gab) und seinen Freunden betrachten. Offensichtlich, auch wenn es keinen möglichen Vergleich zwischen Dumas' schriftstellerischen Phantasie und der kranken und paranoiden Phantasie der Autoren dieser "Geschichte" gibt, erwartet uns ein "Thriller" mit sehr typischen Charakteren, insbesondere Louise und Peter. Louise ist der Haupt-"Bösewicht" in der Geschichte, eine echte Lady Macbeth. Sie hatte ihren Mann dazu gedrängt, König Duncan zu ermorden, um den Thron zu besteigen. Louise ihrerseits manipuliert in Verbindung mit den spezialisierten Diensten des Staates auf teuflische Weise ihren Gefährten Peter, um ihn zu Untaten gegen die IKS und ihre Mitglieder anzustiften.[13] Peter wurde so zum "Anführer", derjenige, "der die IKS leitet" (sic), nachdem er "den größten Teil der Gründungsmitglieder der IKS" eliminiert hat und der "behauptet, der einzige Erbe der MC zu sein". Wir haben es nicht mehr mit Peter-Macbeth zu tun, sondern mit Peter-Stalin. Und hier zeigt sich einmal mehr der polizeiliche Charakter dieses Textes. In der Tat erklärt sie die angebliche "opportunistische Entwicklung" der IKS durch die Intrigen einer Reihe von üblen Charakteren, als ob die Degeneration und der Verrat der bolschewistischen Partei das Ergebnis des Handelns des größenwahnsinnigen Stalin gewesen wäre und nicht die Folge des Scheiterns der Weltrevolution und der Isolierung der Revolution in Russland. Dieser Text entstammt der reinsten polizeilichen Geschichtsauffassung, die der Marxismus schon immer bekämpft hat, und seine Autoren waren gegenüber all den "Verschwörern" einen Schritt voraus, die sich heute in den sozialen Netzwerken und in Donald Trumps Entourage tummeln.
Der widerwärtigste Aspekt dieses Textes ist jedoch die Tatsache, dass er viele Details über die internen Abläufe unserer Organisation preisgibt, die ein Segen für die Polizei sind. Die Niedertracht der Mitglieder der GIGC hat definitiv keine Grenzen.
Nachdem es dieser parasitären Gruppe nicht gelungen ist, die Mitglieder der IKS von der Notwendigkeit zu überzeugen, den "Führer" und die "Partnerin des Führers" auszuschließen, hat sie sich zum Ziel gesetzt, die anderen Gruppen der Kommunistischen Linken für ihre Verleumdungen zu gewinnen, um einen Abschottungsring um die IKS zu errichten und sie zu diskreditieren (siehe unten die Episoden des "Cyclo" und der "öffentlichen Veranstaltung des IBRP[14] in Paris"). So bat die IFIKS die IKP (Le Prolétaire) in einem Brief vom 27. Januar 2002, den sie auch anderen Gruppen der Kommunistischen Linken schickte, zu ihren Gunsten gegen die IKS Stellung zu beziehen: "Heute sehen wir nur eine Lösung: uns an euch zu wenden, damit ihr unsere Organisation auffordert, die Augen zu öffnen und ihr Verantwortungsbewusstsein wiederzuerlangen. (...) Weil wir anderer Meinung sind, tut die IKS heute alles, was sie kann, um uns an den Rand zu drängen und uns moralisch und politisch zu demolieren.“[15] Trotz dieses Briefes hat die IFIKS die Frechheit, in ihrem Bulletin Nr. 13 zu schreiben: "Wir möchten bekräftigen, dass wir unsererseits nie jemanden aufgefordert haben, Partei zwischen der IKS und der Fraktion zu ergreifen".
Der Wunsch, die IKS zu isolieren, betraf einen Kreis, der über die Kommunistische Linke hinausging, denn es ging der IFIKS darum, wo immer möglich und mit verschiedenen Mitteln eine Abschirmung zwischen der IKS und all jenen zu schaffen, die zu irgendeinem Zeitpunkt am Inhalt unserer Intervention interessiert sein könnten. Das ist der Sinn ihrer Verleumdungskampagnen auf ihrer Website, manchmal sogar durch Flugblätter, die diesem Zweck gewidmet sind, an allen Orten, die ihr zugänglich waren.
Wir konnten den IFIKS-Mitgliedern zwar nicht verbieten, Demonstrationen zu durchkämmen, um ein Auge auf uns zu werfen, aber wir konnten sie daran hindern, ihre schmutzige Arbeit der Bespitzelung bei unseren öffentlichen Veranstaltungen zu verrichten. Deshalb beschloss die IKS schließlich, die Teilnahme von Mitgliedern der sogenannten "Internen Fraktion" der IKS an unseren öffentlichen Veranstaltungen und Permanenten zu verbieten[16]. Bei mehreren Gelegenheiten mussten wir Drohungen (einschließlich der lautstarken Drohung, einem unserer Mitglieder die Kehle durchzuschneiden[17]) und Übergriffe von diesen Schlägern erleben.
Die IFIKS präsentiert sich als "die wahre Fortsetzerin der IKS", weil diese "opportunistisch" und "stalinistisch" entarte. Sie erklärt, dass sie die von der IKS aufgegebene Arbeit fortsetze, um die "wahren Positionen dieser Organisation" in der Arbeiterklasse zu verteidigen, die durch die Entwicklung des Opportunismus in jener bedroht seien und vor allem die Frage ihrer Funktionsweise betreffen würden. Wir haben ja in der Praxis gesehen, wie die Auffassung der IFIKS über die Einhaltung der Statuten und sogar die elementarsten Verhaltensregeln der Arbeiterbewegung von dieser mit Füßen getreten werden.
Darüber hinaus gibt es nirgends eine Spur eines "politischen" Arguments der IFIKS, das ihre "fundamentalen Unterschiede" zur IKS klar herausstellen würde und darüber hinaus die Konstituierung einer "internen Fraktion" in der Kontinuität aller linken Fraktionen der Arbeiterbewegung, vom Spartakusbund bis zur Italienischen Linksfraktion, gerechtfertigt hätte[18]. Da sie noch nie in der Lage war, sich selbst zu einer solchen nötigen politischen Strenge zu zwingen, die sich von den Erfahrungen der Arbeiterbewegung hätte inspirieren lassen, zieht sie es vor, das Schreckgespenst der Anprangerung durch das Volk an die Wand zu malen, indem sie bis zum Abwinken wiederholt, dass die IKS eine Sekte sei, "bei der keine Hoffnung auf einen Richtungswechsel bestehe, und die sich wegen ihrer opportunistischen Positionen weitgehend aus dem proletarischen Lager ausgegrenzt oder sogar selbst außer Gefecht gesetzt hat“ (Aktivitätenbericht der 2. Generalversammlung der GIGC. Revolution ou Guerre Nr. 12).
Warum und wie soll sich die IKS "aus dem proletarischen Lager" ausgegrenzt haben, ein Konzept, das wir nirgendwo bei unseren Vorgängern von Bilan und Internationalisme[19] finden (wobei die IFIKS-GIGC die Unverschämtheit hat zu behaupten, sie beziehe sich auf diese Gruppen wie auch und insbesondere auf unseren Genossen MC[20]).
Die IFIKS-GIGC suggeriert, dass wir den proletarischen Internationalismus verraten hätten oder dabei seien, ihn zu verraten, was in der Tat ein triftiger Grund wäre, den Opportunismus anzuprangern, der dahin geführt hätte. Aber bis heute hat die IFIKS-GIGC in keiner Weise dargelegt, inwiefern unsere Charakterisierung der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Dekadenz, die ihres Zerfalls[21] – die nach Ansicht dieser Leute ein Meisterstück des Opportunismus der IKS sei – eine Illustration dieses Verrats wäre!
Die IFIKS-GIGC suggeriert, dass unser Sektierertum in unserer Vorstellung zum Ausdruck komme, dass es parasitäre Gruppen gibt, die im Milieu der Kommunistischen Linken agieren[22]. Letzteres sowie die Vorstellung, dass der Parasitismus eine Gefahr für das proletarisch-politische Milieu darstelle, würde uns in Bezug auf dieses Milieu marginalisieren und sogar eine Bedrohung für es darstellen. In Wirklichkeit stellt diese Auffassung nur für die Parasiten eine Gefahr dar, und wir betrachten sie als ebenso gültig wie wir uns auf den Kampf von Marx und Engels gegen die Allianz von Bakunin innerhalb der IAA berufen: "Es ist außerdem an der Zeit, ein für alle Mal den inneren Kämpfen ein Ende zu bereiten, die durch das Vorhandensein dieser parasitären Körperschaft täglich von neuem in unserer Assoziation provoziert werden." (Engels, Der Generalrat an alle Mitglieder der IAA, ME 18 S. 121)
Die Methode des "Suggerierens" unter Ausblendung des zugrundeliegenden politischen Problems appelliert an den gesunden Menschenverstand[23], an die Methoden der Hexenverfolgung, die im Mittelalter praktiziert wurden und die in der heutigen Gesellschaft des Zerfalls wieder aufleben, insbesondere mit der pausenlosen Suche nach Sündenböcken für alle Übel der Gesellschaft.
Tatsächlich hat die IFIKS-GIGC nie erklärt, dass sie, als ihre Mitglieder in der IKS waren, immer die Thesen über den Parasitismus und diejenigen über den Zerfall unterstützt haben. Der Angriff, den sie im Jahr 2000 gegen unsere Organisation starteten, nahm keinen Bezug auf Meinungsverschiedenheiten in diesen Fragen. Erst später "entdeckten" sie, sehr bequem, dass sie mit diesen Analysen nicht einverstanden waren. Die Herausforderung für sie bestand dann darin, Hindernisse für die Rechtfertigung ihres neuen politischen Projekts zu beseitigen:
Da sie ihrerseits zur Karikatur der Parasiten wurden, ertrugen sie offensichtlich nicht das Bild, das der Spiegel unserer Analyse des Parasitismus von ihnen selbst und ihrem Verhalten zurückspiegelte. Sie mussten diesen Spiegel zerschlagen, um die IKS für ihre eigenen Missstände verantwortlich zu machen und um zu versuchen, der IKS eine geeignete Methode zur Bekämpfung des Parasitismus zu entwinden;
Durch die Ablehnung der von der IKS ausgearbeiteten Theorie des Zerfalls des Kapitalismus, welche unsere Organisation als einzige innerhalb der Kommunistischen Linken verteidigt, konnte die IFIKS den anderen Gruppen der Kommunistischen Linken, die dieser Analyse sehr kritisch gegenüberstehen, schmeicheln.
Darüber hinaus war die IKS Zielscheibe vieler anderer Anschuldigungen der IFIKS, die wir bisher nicht erwähnt haben. In der Regel werden diese durch "Schockformeln" ausgedrückt, die auf Lügen und Entstellungen beruhen, würdig des Mottos von Goebbels, dem Chef der Nazi-Propaganda, welches lautete: "Eine große Lüge trägt eine Kraft in sich, die Zweifel beseitigt". Glücklicherweise hindert mittelalterlicher Obskurantismus die Dummheit nicht daran, sich zu äußern, und erlaubt es, die Zweifel der GIGC-Anhänger*innen zu wecken. Zur Information dieser geben wir eine sehr kleine Auswahl der Anschuldigungen wieder, die die IFIKS gegen uns vorgebracht hat: Der IKS würde heute das Stigma anhaften, einer "fortschreitenden Distanzierung vom Marxismus und einer immer deutlicheren Tendenz, bürgerliche und kleinbürgerliche Werte, die gerade in Mode sind ("Jugendbewegung", Feminismus und vor allem ‚Gewaltlosigkeit‘)[24], vorzubringen (und zu verteidigen)“; die IKS würde "das Spiel der Repression spielen" [25].
Kaum war das alte "IFIKS"-Namensschild weggeräumt und die Neuigkeit von der Existenz der "GIGC" gepostet, versuchte es diese parasitäre Gruppe mit einem Böller, wiederum mit polizeilichem Charakter, gegen die IKS.
Obwohl die Anti-IKS-Kampagnen der IFIKS zunächst einen gewissen Einfluss auf das proletarische politische Milieu hatten, gelang es ihnen nicht, unsere Organisation zu marginalisieren, zumal wir sie energisch bekämpften. Die IFIKS musste sich mit dieser Situation abfinden, bis die Geschichte ihr wieder wohlgesonnen schien, als ihr – wie das Schicksal manchmal würfelt – interne Bulletins der IKS in die Hände gerieten.[26]
In dem Glauben, dass ihre Stunde des Ruhms endlich gekommen sei, entfesselten diese Parasiten, gestärkt durch den neuen "Aktivposten" in ihren Händen, eine hysterische Propaganda gegen das IKS, wie die (jubelnde) Werbeanzeige auf ihrer Website beweist: "Eine neue (ultimative?) interne Krise in der IKS!", natürlich begleitet von einem "Aufruf an das proletarische Lager und die IKS-Militanten". Mehrere Tage lang stürzten sie sich in eine frenetische Aktivität, indem sie einen Brief nach dem anderen an das gesamte "proletarische Milieu" sowie an unsere Mitglieder und einige unserer Sympathisant*innen richteten (deren Adressen sie weiterhin benutzten, nachdem sie sie von der IKS gestohlen hatten). Diese sogenannte "Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken" (der neue Name, den sich die IFIKS gegeben hatte) läutete die Glocke und rief lauthals, dass sie im Besitz der internen Diskussionsbulletins der IKS sei. Während sie ihre Kriegstrophäe zur Schau stellten und einen solchen Lärm machten, war die Botschaft, die diese patentierten Spitzel zu vermitteln versuchten, sehr klar: Es gebe einen "Maulwurf" in der IKS, der Hand in Hand mit der Ex-IFIKS arbeite! Das war eindeutig Polizeiarbeit mit keinem anderen Ziel, als ein allgemeines Misstrauen, Missgunst und Zwietracht innerhalb unserer Organisation zu säen. Das waren die gleichen Methoden, welche die GPU, Stalins politische Polizei, anwandte, um die trotzkistische Bewegung der 1930er Jahre von innen heraus zu zerstören. Das sind dieselben Methoden, welche die Mitglieder der ehemaligen IFIKS (darunter zwei von ihnen, Juan und Jonas, Gründungsmitglieder der "GIGC") bereits angewandt hatten, als sie im Jahr 2001 "spezielle" Reisen zu verschiedenen Sektionen der IKS unternahmen, um geheime Treffen abzuhalten und Gerüchte zu verbreiten, dass eine unserer Genoss*innen (die "Frau des IKS-Chefs", wie sie sie nannten) eine "Polizistin" sei.
Wie konnte die GIGC von einem solchen Geschenk des Himmels profitieren? Ein verdeckter Komplize innerhalb unserer Organisation? Hatte die Polizei selbst sie erhalten, indem sie sich in unsere Computer gehackt und die Bulletins dann auf irgendeine Weise an die GIGC weitergab? Wäre die GIGC keine Schurkenbande, sondern eine verantwortungsbewusste Organisation, wäre sie sehr daran interessiert gewesen, dieses Rätsel zu lösen und das politische Milieu über das Ergebnis ihrer Ermittlungen zu informieren.
Unser Artikel, der diesen neuen Angriff anprangerte, genügte, um den Eifer der GIGC plötzlich zu besänftigen, aber es ist interessant, die Antwort zu beachten, die sie gab: "Unsere Gruppe nimmt das Schweigen und die Abwesenheit des Leugnens durch die IKS über die Realität einer ernsten organisatorischen Krise innerhalb der IKS und über die neue Infragestellung innerhalb der IKS selbst über das Verhalten ihres Mitglieds Avril-Louise-Morgane zur Kenntnis. Die GIGC wird nicht auf die schweren Beleidigungen reagieren, die die IKS derzeit über unsere Gruppe ausschüttet (wie sie es gestern über die IFIKS getan hat). Wir haben andere Dinge zu tun. (…)". Diese Antwort war in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich:
- Die GIGC weigerte sich, auf die "schweren Beleidigungen" zu antworten, so dass sie es vermied, die einzige für das Proletariat interessante und für sie verständlicherweise peinliche Frage beantworten zu müssen: Wie ist sie an unsere internen Bulletins gekommen?
Sie beschuldigte die IKS, ihre organisatorischen Probleme zu verbergen, während eine Lektüre unserer gesamten Presse zeigt, dass dies eine Lüge und eine Verleumdung ist, da wir, wie die Bolschewiki (siehe insbesondere Lenins Buch Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück), die einzige Organisation sind, die systematisch über sie berichtet und aus ihnen Lehren zieht.
Da die GIGC im Besitz unserer internen Bulletins war, wusste sie ganz genau, dass unsere Probleme auch diesmal nicht verborgen bleiben würden. Die Vermittlung organisatorischer Probleme, welche die IKS betreffen, konnte daher nicht vor der Abhaltung einer allgemeinen Versammlung der Organisation (eines Kongresses, einer Konferenz), die statutengemäß mit deren Behandlung betraut ist, erwartet werden; sie konnte daher nur im Rahmen einer Überprüfung der Arbeit einer solchen Versammlung erfolgen. Das Ergebnis unserer außerordentlichen Konferenz im Mai 2014 wurde in einem Artikel im September 2014, in der Internationalen Revue Nr. 52, unter dem Titel "Außerordentliche Internationale Konferenz der IKS: Die Nachrichten über unser Ableben sind stark übertrieben" [192] veröffentlicht.
Wir haben gezeigt, wie die IFIKS versucht hat, die IKP (über die Korrespondenz) zu benützen, damit diese sie gegen die IKS unterstütze, und wir werden veranschaulichen, wie sie den gleichen, aber noch „umfassenderen“ Ansatz gegenüber dem IBRP verwendet hat. Dieser Versuch, diese beiden Organisationen zu korrumpieren, indem sie auf ein Terrain gezogen werden, das den Regeln, welche die Beziehungen innerhalb der Kommunistischen Linken leiten sollten, fremd ist, stellt ebenfalls einen parasitären Angriff gegen sie dar.
So war das IBRP insbesondere das Ziel eines gewagten Manövers der IFIKS, das darin bestand, am 2. Oktober 2004 in Paris eine öffentliche Veranstaltung zugunsten dieser Gruppe zu organisieren. Tatsächlich handelte es sich, wie wir zeigen werden, um eine öffentliche Veranstaltung, die dem Ansehen der IFIKS zum Nachteil des IBRP dienen sollte, und zwar mit dem Ziel, einen Angriff gegen die IKS durchzuführen.
Die Ankündigung dieses Treffens durch das IBRP wies darauf hin, dass sein Thema der Krieg im Irak war. Andererseits unterstrich die Ankündigung der IFIKS die Bedeutung ihres eigenen Ansatzes: "Auf unsere Anregung hin und mit unserer politischen und materiellen Unterstützung wird das IBRP eine öffentliche Veranstaltung in Paris organisieren (eine öffentliche Veranstaltung, die hoffentlich nicht die letzte sein wird), an deren Teilnahme wir alle unsere Leser aufrufen" (Hervorhebung hinzugefügt). Was aus diesem Aufruf hervorgeht, ist, dass diese international existierende und seit Jahrzehnten bekannte Organisation der Kommunistischen Linken ohne die IFIKS nicht die Initiative hätte ergreifen und die öffentliche Veranstaltung organisieren können!
Tatsächlich benutzte diese parasitäre Gruppe das IBRP als "Strohmann" für ihre eigene Werbung, um ein Zeugnis der Ernsthaftigkeit, der Anerkennung ihrer Zugehörigkeit zur Kommunistischen Linken zu erhalten. Und die schamlosen Kleinkriminellen zögerten nicht, die Adressliste der IKS-Kontakte (die sie gestohlen hatten, bevor sie die Organisation verließen) zu nutzen, um ihren Aufruf zu dieser öffentlichen Veranstaltung zu verbreiten.
Wie wir damals anmerkten, hielt es die IFIKS nicht für sinnvoll, einen einzigen Satz einer Analyse zu ihrer Ankündigung, den Krieg im Irak zu verurteilen, zu schreiben (im Gegensatz zur Ankündigung der IBRP). Ebenso war ihre Ankündigung ausschließlich einer Frage gewidmet: "wie man nach dem Zusammenbruch der IKS, deren öffentlichen Veranstaltungen nun verwaist sind und keinen Ort der Debatte mehr darstellen, einen Pol der revolutionären Umgruppierung in der französischen Hauptstadt wiederaufbauen kann".
In der Tat war das Gegenteil der Fall bei der öffentlichen Veranstaltung des IBRP. Laut IFIKS hätte diese den Beweis dafür liefern sollen, dass das IBRP nun der "einzige ernstzunehmende Diskussions- und Bezugspol" für die Kommunistische Linke sei. Die Veranstaltung wäre jedoch ein totales Fiasko geworden, wenn die IKS nicht teilgenommen und ihre Kontakte eingeladen hätte, dasselbe zu tun. In der Tat war eine große Delegation von IKS-Mitgliedern und etwa zehn Sympathisant*innen unserer Organisation anwesend.
Tatsächlich war die Lobhudelei der GIGC-IFIKS gegenüber dem IBRP nichts als Heuchelei. Von Anfang an hatte die IFIKS in ihrem parasitären Kreuzzug gegen die IKS Unterstützung innerhalb des proletarischen politischen Milieus gesucht, in erster Linie beim IBRP, insbesondere durch die "Kür" der IBRP als einzigem lebensfähigen Pol für die Umgruppierung der revolutionären Kräfte. Wie die Fliege auf der Kutsche in der Fabel von Jean de La Fontaine gab sie Ratschläge, verteilte gute Punkte an das politische Milieu, kopierte und verteilte einige ihrer Artikel. – Zu dieser Zeit standen die Beziehungen zwischen der IBRP und der IFIKS in „eitlem Sonnenschein“. Der Bericht der IFIKS über ein Treffen mit dem IBRP im Juni 2004 präsentierte die folgende Analyse der bestehenden Dynamik innerhalb des proletarischen Lagers: "Diese verschiedenen Ebenen, die die Diskussion umfasste, lassen uns zu dem Schluss kommen, dass es tatsächlich zwei Dynamiken innerhalb des gegenwärtigen proletarischen Lagers gibt, wobei diese beiden Dynamiken in zwei entgegengesetzte Richtungen gehen: Die eine, einen Rahmen zu schaffen, um revolutionäre Energien zu sammeln, Debatten und kollektives Nachdenken zu fördern und zu orientieren, um eine möglichst breite Intervention innerhalb der Arbeiterklasse zu ermöglichen, diese Dynamik, an der unsere Fraktion beteiligt ist, wird heute im Wesentlichen vom IBRP getragen; die andere, die in die entgegengesetzte Richtung geht, die der Aufrechterhaltung, sogar der Verstärkung der Zersplitterung, der politischen Verwirrung, wird von der IKS getragen und von der Fraktion offen bekämpft." (Compte rendu d'une réunion entre le IBRP et la fraction [193] [„Bericht über eine Sitzung zwischen dem IBRP und der Fraktion“]; September 2004 - Bulletin communiste der IFIKS Nr. 27)
Fünfzehn Jahre später zeichnet der Aktivitätenbericht der 2. Generalversammlung der GIGC (April 2019) ein weitaus weniger idyllisches Bild der Beziehung zur IKT. In der Tat informiert sie ihre Leser, dass "... neue kommunistische Kräfte entstanden sind, deren Ausdruck und Faktor der Nuevo Curso ist, wodurch die historischen Gruppen der Parteianhänger innerhalb der Kommunistischen Linken angesichts dieser neuen Dynamik direkt vor ihre historische Verantwortung gestellt werden, gegenüber welcher Dynamik die Internationalistische Kommunistische Tendenz, die Hauptorganisation dieses Lagers, begann, sich in ihrer Haltung oder mit Reflexen uns gegenüber relativ sektiererisch und gegenüber diesen neuen Kräften immediatistisch abzuschotten". (von uns unterstrichen – Aktivitätenbericht der 2. Generalversammlung der GIGC, Revolution ou Guerre Nr. 12)
Darüber hinaus "leidet die IKT, obwohl sie organisch mit der Italienischen KP und der Kommunistischen Linken Italiens verbunden ist, unter der Last des relativen Informalismus, Personalismus [Fixierung auf Personen] und Individualismus und damit des Zirkelgeistes" (von uns unterstrichen – ebda.), was nach Ansicht der GIGC die Anwendung einer Parteimethode durch die IKT vor allem in den Beziehungen zu ihren Kontakten behindert.
Was ist also passiert, dass die IFIKS-GIGC, diese patentierten Stiefellecker gegenüber der IKT, so rebelliert haben? Nun entdecken sie, dass die IKT, ehemals IBRP, sich auf eine anscheinend opportunistische Art der Intervention gegenüber den Kontakten einlässt: "Der Artikel, geschrieben von einem Mitglied der CWO, der britischen IKT-Gruppe, lehnt 'Fraktionen oder Diskussionszirkel' klar ab. Abgesehen von der Ablehnung der Organisationsform an sich und noch gravierender, unterschätzt, ignoriert und lehnt sie faktisch jeden Prozess der politischen Auseinandersetzung und Klärung als zentrales Mittel und unverzichtbares Moment des Kampfes für die Partei ab". (von uns unterstrichen – ebda.)
In der Tat ist es sicherlich nicht ein Ansatz, den die GIGC als opportunistisch charakterisiert (ohne den Begriff zu verwenden), der sie stören würde, sondern vielmehr, dass die treue "Kutschenfliege" viel weniger Erfolg hat als die IKT mit den neuen Leuten, die sich der Kommunistischen Linken nähern. Die GIGC muss vor allem den Umstand verdauen, dass ihre Mitglieder in Kanada sie verlassen haben, um der IKT beizutreten.
Diese Kritik der GIGC an der IKT ist bezeichnend, nicht für die Rekrutierungsmethoden der IKT, sondern für die unglaubliche Heuchelei der GIGC. In der Tat hatten die Mitglieder der IFIKS neben den politisch-theoretischen Kompromissen, die sie eingegangen waren, um mehr mit dem proletarisch-politischen Milieu übereinzustimmen (Aufgabe der Zerfallstheorie und der Thesen zum Parasitismus), eine weitere sehr wichtige Divergenz, die die IKS immer mit der IBRP hatte (und die sie, als sie in unserer Organisation waren, teilten), über die Prinzipien, die die Bildung der Partei bestimmen sollten, im Keim erstickt. Plötzlich hatten die IFIKS-Mitglieder die Kritik "vergessen", die sie zuvor zusammen mit der IKS am Partito Comunista Internazionalista (PCInt) und dem IBRP in dieser Frage geübt hatten, einschließlich derjenigen am opportunistischen Ansatz, der zur Bildung des Partito 1945 geführt hatte. Heute "entdeckt" die GIGC, dass die Rekrutierungsmethoden der IKT etwas opportunistisch sind, aber es ist nicht, wie die GIGC glauben machen will, die IKT, die ihre Methoden geändert hat, sondern die GIGC, die ihre Haltung, ein Stiefellecker zu sein, angesichts ihrer Verbitterung darüber aufgibt, von der IKT hintergangen worden zu sein, die ihr einige ihrer Mitglieder weggeschnappt hat.
Es gibt zwar Meinungsverschiedenheiten zwischen der IKT und der IKS über die Methode der Umgruppierung, die zur Bildung der Weltpartei führt, aber diese Meinungsverschiedenheit ist eine innerhalb des proletarischen Lagers und wird Anlass zu politischen Debatten und Konfrontationen unter den Genoss*innen geben, die für dieselbe Sache kämpfen. Und es ist nicht hinnehmbar, dass sie durch das Gejammer der GIGC in den Dreck gezogen wird.
Um den Rückblick auf die Errungenschaften der GIGC-IFIKS und ihren äußerst schädlichen Charakter zu einem Abschluss zu bringen, ist es notwendig, auf eine Episode zurückzukommen, die Ähnlichkeiten mit der jüngsten Situation aufweist, in der das Parasitentum der GIGC dazu kam, das zu unterstützen, was ein Abenteurer ausgeheckt hatte. Eine Episode, in der die Allianz zwischen diesen beiden Elementen destruktive Auswirkungen hatte, insbesondere in Bezug auf Leute, die sich Klassenpositionen annähern.
Im Jahr 2004 hatte die IKS politischen Kontakt mit einer kleinen Gruppe von suchenden Leuten in Argentinien, dem NCI (Nucleo Comunista Internacional)[27]. Nachdem sie die Positionen der Strömungen der Kommunistischen Linken gelesen hatten, orientierten sich ihre Mitglieder an den Positionen der IKS. Diskussionen über die Frage des inakzeptablen Organisationsverhaltens innerhalb des Proletariats überzeugten diese Genoss*innen auf der Grundlage der Befassung mit den IFIKS-Positionen und unserer eigenen Artikel zu diesem Thema davon, dass die IFIKS "ein Verhalten angenommen hat, das der Arbeiterklasse und der Kommunistischen Linken fremd“ ist. Dies führte zu einem Positionspapier, das diese Genoss*innen am 22. Mai 2004 verfassten[28].
Es stellte sich heraus, dass innerhalb des NCI ein Problem zu entstehen begann, weil eines ihrer Mitglieder – das wir im weiteren Verlauf dieser Darstellung Bürger B. nennen werden – eine Praxis verfolgte, die in völligem Gegensatz zu einem kollektiven und einheitlichen Funktionieren stand, einer grundlegenden Existenzbedingung für eine kommunistische Organisation. Nachdem er anfangs Kontakte mit der IKS initiiert hatte (er war der Einzige, der das Internet nutzen konnte), führte er Einzelgespräche mit jedem der Mitglieder der Gruppe, aber er manövrierte, um die Entwicklung einer ernsthaften und systematischen Diskussion der Gruppe als Ganzes zu vermeiden, was ihm erlaubte, die "Kontrolle" über sie zu behalten. Diese Organisationspraxis, die dem Proletariat radikal fremd ist, ist typisch für bürgerliche Gruppen, besonders für die linken oder linksextremen Kräfte des Kapitals. Herr B. wollte eigentlich, seine Genoss*innen als Sprungbrett benutzen, um zu einer "Persönlichkeit" innerhalb des proletarischen politischen Milieus zu werden. Das Bestehen auf systematischen Diskussionen politischer Positionen der IKS sowie unser Beharren auf gemeinsamen Treffen aller Genossen durchkreuzten jedoch zunehmend seine unmittelbaren Pläne als Abenteurer.
Ende Juli 2004 machte Herr B. einen waghalsigen Schritt: Er forderte die sofortige Integration der Gruppe in die IKS. Er setzte diese Forderung gegen den Widerstand der anderen NCI-Genoss*innen durch, die sich zwar ebenfalls den Beitritt zur IKS zum Ziel setzten, aber die Notwendigkeit sahen, zunächst eine gründliche Klärung und „Verdauung“ der Positionen zu betreiben, da kommunistische Militanz nur auf festen Überzeugungen beruhen kann. Die IKS lehnte diese Forderung im Einklang mit unserer Politik gegen übereilte und unreife Integrationen ab, die das Risiko der Zerstörung der Militanz von Mitgliedern beinhalten und der Organisation schaden können.
Zur gleichen Zeit war eine Allianz zwischen der IFIKS und dem Abenteurer B. gebildet worden, sicherlich auf Initiative von B. in den Diensten eines Manövers gegen die IKS, bei dem er, ohne Wissen des NCI, diesen benutzte.
Das Manöver bestand darin, im proletarischen politischen Milieu eine Anprangerung der IKS und ihrer "widerlichen Methoden" in Umlauf zu bringen, die indirekt von der NCI auszugehen schien, da diese Anprangerung von einem geheimnisvollen und fiktiven "Cyclo de Comunistas Internacionalistas" (oder kurz "CCI" [IKS auf Spanisch]!) unterzeichnet war, der von Bürger B. angeführt wurde und der nach seinen Angaben die "politische Aufhebung" des NCI darstellen sollte. Diese Verleumdungen wurden über ein Flugblatt des "Circulo" verbreitet, das von der IFIKS anlässlich der öffentlichen Versammlung der IBRP in Paris am 2. Oktober 2004 verteilt wurde.
Sie wurden auch in verschiedenen Sprachen auf der IBRP-Website veröffentlicht. Das fragliche Flugblatt richtete sich nicht nur direkt gegen die IKS, sondern verteidigte auch die IFIKS und stellte das Positionspapier des NCI vom 22. Mai 2004, das die IFIKS angeprangert hatte, völlig in Frage.
Als sie später die Manöver des Bürgers B. hinter ihrem Rücken entdeckten, insbesondere die Gründung der Phantomgruppe "Círculo de Comunistas Internacionalistas", sowie seine Positionierung zur Unterstützung der IFIKS und zur Denunziation der IKS, analysierten die Mitglieder des NCI die Situation wie folgt: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass er (B.) hinter unserem Rücken Kontakt mit der IFIKS aufgenommen hatte, während er uns weiterhin dahingehend täuschte, dass er die Integration des NCI in die IKS überstürzt vorantreiben wollte" (Internationalisten in Argentinien – Präsentation der NCI-Erklärung)[29].
Die Art und Weise, wie Bürger B. Bei seinem Manöver vorging, ist typisch für einen Abenteurer, für seinen Ehrgeiz und seinen völligen Mangel an Skrupeln und Sorge um die Sache des Proletariats.
Wenn sich die IFIKS dergestalt eines Abenteurers bedient, um ihren Hass auf die IKS zu befriedigen und zu versuchen, durch öffentliche Verunglimpfung die politische Isolierung unserer Organisation herzustellen, zeigt dies den erbärmlichen und verachtenswerten Charakter solcher Leute, die die schäbige Welt des Klein- und Großbürgertums darstellen.
Damals wehrte sich die IKS gegen die falsche und usurpierende Kampagne des Bürger B. teilweise mit täglichen Interventionen, bis er, unfähig, die öffentliche Aufdeckung seiner Manöver zu widerlegen, beschloss, politisch zu verschwinden. Leider waren die anderen Mitglieder des NCI, tief demoralisiert durch die Art und Weise, wie sie von Bürger B. benutzt und manipuliert worden waren, nicht in der Lage, sich zu erheben und ihre Bemühungen um Reflexion fortzusetzen, und gaben schließlich alle politischen Aktivitäten auf.
Was die IFIKS betrifft, die bis zum Hals in dieser Affäre steckte und sich stark auf den Bürger B. verlassen hatte, um die IKS zu diskreditieren, so scheint sie die Lehre aus diesem Schlamassel, bei dem sie sich lächerlich gemacht hat, nicht gezogen zu haben, da sie sich kürzlich wieder auf die Aktionen eines anderen Abenteurers verlassen hat.
Anders als in der Episode des Bürgers B. ist heute nicht die IKS das eigentliche Ziel der Politik des Abenteurers Gaizka, sondern die gesamte Kommunistische Linke[30], deren Ansehen politischen Schaden erleidet, wenn sie Gaizka nicht enttarnt und damit politisch unschädlich macht. Wie die Tradition der Arbeiterbewegung lehrt und wie die jüngsten Erfahrungen der IKS mit den Manövern und Verleumdungen des Bürgers B. zeigen, gibt es keine andere Wahl, als die Ehre von Organisationen zu verteidigen, die das Ziel parasitärer Angriffe und der Aktionen von Abenteurern sind[31], auch wenn dies viel Energie erfordert, die sinnvollerweise für andere organisatorische Aufgaben eingesetzt werden könnte[32].
Gegenwärtig erleben wir in mehreren Teilen der Welt das Aufkommen eines wachsenden Interesses an den Positionen der Kommunistischen Linken seitens junger Leute. Und hier haben die GIGC und der Bürger Gaizka eine Rolle zu spielen. Nicht, um zur Reflexion und zur Entwicklung dieser Leute hin zur Kommunistischen Linken beizutragen, sondern im Gegenteil, um ihre Unerfahrenheit zu nutzen, um sie in Sackgassen zu führen, um ihre kämpferische Überzeugung zu sterilisieren und zu zerstören.[33] Wenn die GIGC und Gaizka behaupten, zur Kommunistischen Linken zu gehören, dann vor allem, um diese jungen Leute zum alleinigen Nutzen ihrer schmutzigen Interessen in die Falle zu locken. Im Falle der GIGC geht es darum, einen Abschottungsring um die IKS zu errichten, um ihren Hass auf unsere Organisation zu stillen. Im Fall von Gaizka geht es darum, seinen größenwahnsinnigen Ehrgeiz als Abenteurer zu befriedigen. Die Motivationen sind nicht identisch, aber wenn es wie 2004 bei der Episode des Bürgers B. eine Konvergenz zwischen Parasiten und Abenteurern gibt, dann liegt das offensichtlich daran, dass sie, jeder auf seine Weise, Todfeinde der Kommunistischen Linken, ihrer Traditionen und Prinzipien sind. Auf dem schwierigen Weg zum vollen Verständnis dieser Traditionen und Prinzipien wird es notwendig sein, sich auf der Grundlage aller Erfahrungen der Arbeiterbewegung mit den Winkelzügen und Fallen dieser offensichtlichen Feinde der Arbeiterbewegung auseinanderzusetzen.
IKS, 22.02.2021
[1] Nuevo Curso [194] und eine "Kommunistische Li [194]n [194]ke [194] Spaniens": Was sind die Ursprünge der Kommunistischen Linken? [194]
[2] Wer ist wer bei “Nuevo Curso”? [25] ; Gaizka schweigt – [195]e [195]in tosendes Schweigen [195]
[3] Vgl. unseren Artikel Lassalle und Schweitzer: Der Kampf gegen politische Abenteurer in der Arbeiterbewegung [26]
[4] "Nouvelle abtaue du CCI contre le camp prolétarien internationa [196]l [196] (1er février 2020) [196]" [196] – Artikel der GIGC auf ihrer Website (“Neuer Angriff der IKS gegen das internationale proletarische Lager”)
Die Tatsache, dass unter den Gruppen oder Blogs, die behaupten, von der kommunistischen Linken zu sein, nur die Spezialisten der Diffamierung der IKS unsere Stellungnahme zu Herrn Gaizka angegriffen haben oder versucht haben, ihn zu verteidigen, beweist den unwiderlegbaren Charakter der Informationen, die wir über ihn veröffentlicht haben.
[7] Wer ist wer bei “Nuevo Curso”? https://de.internationalism.org/content/2917/wer-ist-wer-bei-nuevo-curso [25] ; Gaizka schweigt – ein tosendes Schweigen https://de.internationalism.org/content/2937/gaizka-schweigt-ein-tosendes-schweigen [195] ; Der Kampf des Marxismus gegen das politische Abenteurertum /content/1080/der-kampf-des-marxismus-gegen-das-politische-abenteurertum [197]
[8] In welchen die Methode des politischen Kampfes dieser Gruppe von Unzufriedenen unter dem Motto zusammengefasst werden kann: "Sie müssen destabilisiert werden", wobei das "Ziel" dieser Destabilisierung natürlich all jene sind, die ihre feindselige Haltung gegenüber der IKS und die verächtliche Verunglimpfung einiger ihrer Mitglieder nicht teilen.
[9] Hier ist eine nicht erschöpfende Liste dieser Artikel:
Außerordentliche Konferenz der IKS: Der K [29]a [29]mpf für die Verteidigung [29] der organisatorischen Prinzipien [29]; Internationale Revue Nr. 30.
"Communiqué à nos lecteurs : le CCI vient d'exclure un de ses membres [198]", Révolution Internationale n° 321, März 2002.
"Défense de l'organisation : les méthodes policières de [199] la 'FICCI'" [199], Révolution Internationale n° 330, Januar 2003.
"Les réunion [200]s [200] publiques du CCI interdites aux mouchards [200], Révolution Internationale n° 338, September 2003.
"Intervention de la FICCI à la Fête de 'Lutte Ouvrière' : Le parasitisme au service de la bourgeoisie", Révolution Internationale n° 348, Juli 2004.
"Défense de l'organisation : Des menaces de mort contre des militants du CCI [201]", Révolution Internationale n° 354, Februar 2005.
[10] Vgl. X [202]V [202]e Congrès du CCI : Renforcer l'organisation fac [202]e [202] aux enjeux de la période [202] ; Revue internationale (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 114 - April 2003.
[11]Dies sind die echten Initialen dieses Genossen, die der Polizei freundlicherweise von der IFIKS zur Verfügung gestellt wurden!
[12] MC (Marc Chirik - Mai 1907, Dezember 1990) war der Hauptgründer der IKS, in die er eine ganze Erfahrung als revolutionärer Kämpfer innerhalb der Kommunistischen Internationale, der Linken Opposition und der Kommunistischen Linken (Italienische Linke und Kommunistische Linke Frankreichs) einbrachte. "Mit Marc verliert nicht nur unsere Organisation ihren erfahrensten und schöpferischsten Kämpfer, sondern dem ganzen Weltproletariat geht einer seiner besten Kämpfer verloren." Mit diesen Worten leiten wir den ersten von zwei Artikeln ein, die als Hommage an das kämpferische Leben unseres Genossen geschrieben wurden. https://de.internationalism.org/marc12 [203]
[13]Eine von der IKS eingesetzte Sonderkommission, die sich aus erfahrenen Mitgliedern zusammensetzte, hatte alle von Louises Anklägern vorgelegten "Beweise" geprüft und war zu dem Schluss gekommen, dass sie völlig absurd waren. Louise selbst hatte um eine Gegenüberstellung mit ihren Hauptanklägern gebeten. Diejenige mit Olivier hatte es ermöglicht, den Schmarren hervorzuheben, der in das Gehirn von Olivier eingedrungen war und der ihn dazu gebracht hatte, seine Position innerhalb weniger Wochen mindestens dreimal komplett zu ändern, bevor er einer der Hauptgründer der IFIKS wurde, die er später verließ, um seinen eigenen Weg zu gehen. Was Jonas betrifft, zweifellos der intelligenteste der Bande, aber auch der feigste, lehnte er eine solche Konfrontation rundweg ab.
[14] Internationales Büro der Revolutionären Partei, das später den aktuellen Namen Internationalistische Kommunistische Tendenz annahm
[15] Vgl. "Défense de l'organisation - [204] Le PCI (Le Prolétaire) à la remorque de la 'fraction' interne du CCI [204]" (Verteidigung der Organisation – Die IKP im Schlepptau der “internen” Fraktion der IKS)
[16] Vgl. "Les réunions publiques du CCI interdites aux mouchards [200]" ; Révolution Internationale n° 338, September 2003.
[17] Vgl. "Défense de l'organisation : Des menaces de mort contre des militants du CCI [201]", Révolution Internationale n° 354, février 2005.
[18] Vgl. dazu unseren Artikel "Fraction interne" du CCI : Tentative d'escr [205]o [205]querie vis-à-vis de la Gauche Communiste [205] ; Revue Internationale (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 112.
[19] Damit die IKS sich außerhalb des proletarischen Lagers stellen würde, müsste sie die grundlegenden Prinzipien des letzteren verraten, wie den Internationalismus, die Perspektive der kommunistischen Revolution, die Weigerung, irgendeine Institution des politischen Apparats der herrschenden Klasse zu unterstützen (Gewerkschaften, politische Parteien, bürgerliche Demokratie usw.). Die IFIKS-GIGC hat natürlich Probleme, in unseren Positionen einen solchen Verrat zu finden, und deshalb kommt sie nicht umhin, unsere Organisation in die Liste der "Gruppen und Organisationen des proletarischen Lagers" auf ihrer Website aufzunehmen. Jedoch beschränkt sich die Zugehörigkeit zum proletarischen Lager nicht auf die Ablehnung bürgerlicher politischer Positionen. Sie basiert auch auf einem entschlossenen Kampf gegen die Verhaltensweisen, die der herrschenden Klasse eigen sind, von denen der Stalinismus eine der reinsten Inkarnationen war; systematische Lügen, Gangstertum, Polizeimethoden, also Verhaltensweisen, die im Zentrum der Tätigkeit der Schläger und Spitzel der IFIKS-GIGC stehen.
[20] Sie hat die Frechheit, sich auf den organisatorischen Kampf zu berufen, den der Genosse MC sein ganzes Leben lang führte, besonders als er in den 1930er Jahren in der Italienischen Fraktion aktiv war. In der Ausgabe Nr. 29 ihres "Kommunistischen Bulletins" erklärt sie: "Unsere Organisationsauffassung ist diejenige, die MC immer verteidigt hat".
[21] Zur Veranschaulichung des Ausmaßes der Kritik seitens der IFIKS und anderer an unserer Analyse der Zerfallsphase, der letzten Phase des Kapitalismus, kann sich der Leser, die Leserin auf den folgenden Artikel beziehen: "Les racines marxistes de la notion de décomposition [206]" ("Die marxistischen Wurzeln des Begriffs des Zerfalls") in der International Review (frz./engl./span. Ausgabe) Nr. 117. Bezüglich des IFIKS wird auf den Artikel "Sur la théorie de la décomposition du IKS [207]", IFIKS-Bulletin Nr. 4, Februar 2011 verwiesen. In diesem Text stellten die Mitglieder der IFIKS einmal mehr ihre Unehrlichkeit unter Beweis: Anstatt zuzugeben, dass sie die Position in Frage stellen, die sie mehr als zehn Jahre lang in der IKS verteidigten, behaupten sie, dass ihre neue "Analyse" mit dieser Position übereinstimmt. So kann man lesen: "... wie wir die Frage des Zerfalls [innerhalb der IKS] erklärt hatten: als eine Blockade zwischen den Klassen, wobei keine der beiden Klassen ihre Perspektive durchsetzen konnte. Der 11. September manifestiert die Tatsache, dass die Bourgeoisie gezwungen ist, dieses ‘Patt’ zu durchbrechen und den Übergang zu erzwingen: den Marsch in den Krieg. (...) Im Jahr 2002 zu sagen, dass die Bourgeoisie versucht, die 'Patt'-Situation der 1990er Jahre zu lösen, bedeutet, dass die 'Blockade des Zerfalls' verschwindet." Mit anderen Worten, die Zerfallsphase wäre nur ein vorübergehendes und umkehrbares Moment gewesen, das mit einer neuen Konfiguration der imperialistischen Politik der Bourgeoisie hätte überwunden werden können. Tatsächlich besagt die IKS-Analyse, die von den IFIKS-Mitgliedern geteilt wurde, als sie noch in unserer Organisation waren, genau das Gegenteil: "Der Verlauf der Geschichte ist unumkehrbar: der Zerfall führt, wie der Name schon sagt, zur Auflösung und Fäulnis der Gesellschaft, ins Nichts." (Thesen [3]: Der Zerfall, die letzte Phase der kapitalistischen Dekadenz (Internationale Revue Nr. 13)
[22] Wir können unseren Leser*innen, die dies noch nicht getan haben, nur empfehlen, unsere Thesen über den Parasitismus [208], Internationale Revue Nr. 22, zu lesen (oder wieder zu lesen).
[23] Das heißt vor allem an die Vorurteile der heutigen Zeit.
[24] "Les nouvelles calomnies de la IFIKS [209]" („Die neuen Verleumdungen der IKS“), hochgeladen auf Französisch am 18. November 2006.
[25] Vgl. zum Thema unseren Artikel auf der französischsprachigen Website: "La prétendue 'solidarité du IKS avec les CRS’: comment la IFIKS essaie de masquer ses propres comportements policiers" [210] („Die angebliche ‚Solidarität der IKS mit den CRS‘: wie die IFIKS ihr eigenes Bullen-Verhalten zu kaschieren versucht“
[26] Vgl. "Communiqué à nos lecteurs : le IKS attaqué par une nouvelle officine de l’État bourgeois [211]" ; Révolution Internationale n° 446 – Mai-Juni 2014.
[27] Der Nucleo Comunista Internacional in Argentinien: Eine Episode im Streben des Proletariats nach Bewusstsein [212], Internationale Revue Nr. 35.
[28] Veröffentlich in Revolution internationale Nr. 350 und Action proletaria Nr. 179.
[29] Vgl. dazu unsere Artikel: Der Nucleo Comunista Internacional in Argentinien: Eine Episode im Streben des Proletariats nach Bewusstsein [212], Internationale Revue Nr. 35; À propos de la IFIKS - Prise de position de militants en Argentine [213] (Zur IFIKS – Stellungnahme von Militanten in Argentinien); Nouvelles d’Argentine : Le NCI n'a pas rompu avec le IKS ! [214] (Nachrichten aus Argentinien: Der NCI hat mit der IKS nicht gebrochen!)
[30] Gaizka "interessiert" sich für die Kommunistische Linke, er zeigt Wohlwollen ihr gegenüber – um sie besser zu torpedieren – und gegenüber bestimmten Gruppen innerhalb dieser Kommunistischen Linken. So berichtete Gaizka in einem Brief, den er uns vor einigen Jahren schrieb, von der Bedeutung der politischen Existenz, die er der IKS und der IKT zuschrieb, und sogar von dem positiven Einfluss, den die IKS auf seine eigene Entwicklung gehabt habe. Dies ist zu berücksichtigen, nicht um die Gefährlichkeit seines Handelns zu relativieren, sondern im Gegenteil, um es besser zu verstehen und den Ansatz des Abenteurers, der er ist, besser zu begreifen. So stellte er sein Projekt Nuevo Curso vor: "Wir betrachten uns nicht als politische Gruppe, als Proto-Partei oder so etwas (...) Im Gegenteil, wir sehen unsere Arbeit als eine Art "Ausbildung", um die Diskussion in den Betrieben, unter den Jugendlichen usw. zu fördern und, sobald wir einige grundlegende Elemente geklärt haben, als Brücke zwischen diesen neuen Leuten, die den Marxismus entdecken, und den internationalistischen Organisationen (im Wesentlichen die IKT und ihr, die IKS) zu dienen, die, wie wir es sehen, der natürliche Klebstoff der zukünftigen Partei sein sollten, auch wenn ihr jetzt sehr schwach seid (wie natürlich die ganze Klasse)" (7. November 2017 – Mail von [email protected] [215] an [email protected] [216]).
[31] Die drei zitierten Artikel, die wir über Nuevo Curso und Gaizka geschrieben haben, sind alle zur Verteidigung der Kommunistischen Linken.
[32] In einem Rundschreiben an alle Mitglieder der Internationale erklärte der Generalrat der IAA, dass es höchste Zeit sei, den internen Kämpfen, die durch das "Vorhandensein dieser parasitären Körperschaft" verursacht wurden, ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Und er fügte hinzu: "Indem die Allianz die Tätigkeit der Internationale gegen die Feinde der Arbeiterklasse lähmt, dient sie ausgezeichnet der Bourgeoisie und den Regierungen" (Der Haager Kongress von 1872: Der Kampf gegen den politischen Parasitismus [217]; Internationale Revue Nr. 19).
[33] Die großen Kämpfe des Proletariats im Mai 1968 in Frankreich und danach in vielen anderen Ländern hatten das Entstehen einer ganzen Generation von Leuten hervorgerufen, die sich der Perspektive der kommunistischen Revolution zuwandten und gleichzeitig den Stalinismus ablehnten. Die linken Gruppen, vor allem die Maoisten und Trotzkisten, hatten die historische Funktion, die Hoffnung dieser Leute in Sackgassen zu lenken, ihren kämpferischen Willen zu sterilisieren, sie zu demoralisieren und sie sogar zu erklärten Gegnern der revolutionären Perspektive zu machen (wie es bei Daniel Cohn-Bendit der Fall war). Das ist die Art von Funktion, die parasitäre Gruppen und Abenteurer heute auf ihrer eigenen Ebene in Bezug auf die jungen Leute, die sich der Kommunistischen Linken nähern, erfüllen.
Verschiedene Fernsehsender und andere Medien haben einige Interviews zur Inhaftierung des Rappers Pablo Hasél veröffentlicht, in denen er behauptet, den Kampf der Arbeiterklasse zu vertreten. Aber die Wahrheit ist, dass sich die politischen Bezüge des Sängers nicht auf die historische Erfahrung und Tradition der Arbeiterklasse beziehen, sondern auf Ideologien und Kampfformen, die dem Terrain des Proletariats völlig fremd sind, den kapitalistischen Zielen gedient haben und in Bezug auf die Arbeiterklasse dazu dienten, ihre Kämpfe in Sackgassen zu leiten, sie zu verwirren und letztlich zu verhindern[1].
Pablo Hasél stellt sich hinter die GRAPO und ETA, die absolut nichts mit dem Kampf der Arbeiter zu tun haben, sondern sie spiegeln die Kämpfe zwischen bürgerlichen Banden wider. Die GRAPO wird verdächtigt, von den Geheimdiensten angetrieben und weitgehend manipuliert worden zu sein, und die ETA ist der bewaffnete Flügel des baskischen Nationalismus, Erbe der reaktionären karlistischen Ideologie, die in den 70er Jahren auf der Welle des Protests gegen den Vietnamkrieg zur "nationalen Befreiung" surfte. Und natürlich haben die amerikanischen und französischen Geheimdienste neben den spanischen mit den Fäden gezogen. Die ETA hat die Radikalisierung der Jugend angesichts der Arbeitslosigkeit und der Unfähigkeit des Kapitalismus, ihnen eine Perspektive zu bieten, in den nationalen Kampf einer Fraktion der baskischen Bourgeoisie kanalisiert[2].
Die Form des Kampfes der Arbeiterklasse in unserer Epoche ist der Massenstreik, organisiert in Versammlungen, die Verteidigung des Internationalismus und der Perspektive einer neuen Gesellschaft, die den Kapitalismus überwindet und ausrottet: der Weltkommunismus.
Hasél erklärte, er befürworte den "Schuss in den Hinterkopf" und den Eispickel; aber ersteres ist typisch für die Hinrichtungen der Nazis und generell der Armeen (auch der demokratischen Seite) in den imperialistischen Kriegen. Was den Eispickel betrifft, hat auch dieser seine Tradition; mit dieser Waffe wurde Trotzki, einer der größten Führer der Arbeiterbewegung, durch einen Schlag auf den Schädel durch Mercader (ein stalinistischer Agent) getötet. Sein Tod erlaubte es der von ihm vertretenen Strömung, dem Trotzkismus, zu kapitulieren und den Internationalismus zu verraten, indem er sich im Krieg auf die Seite der Verteidigung der UdSSR stellte.
Der Arbeiterkampf kann nicht ohne Gewalt auskommen in seinem Kampf für die Zerstörung des bürgerlichen Staates, der, wie Minister Ábalos angesichts der Unruhen in Barcelona, Valencia und anderen Städten in Erinnerung rief, der einzige ist, der das Gewaltmonopol hat (zur Verteidigung der Interessen der Bourgeoisie - fügen wir hinzu); aber die Gewalt des Proletariats ist organisiert und bewusst, mit der Perspektive der Machtergreifung, der Ausdehnung der Revolution und des Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft; sie ist eine Gewalt der Massen. Das Auftreten des so genannten "roten Terrors" im Zuge der Revolution in Russland war Ausdruck der Degeneration des "Arbeiterstaates" hin zu dem, was später das stalinistische Regime werden sollte[3]. Dieses Regime hatte nichts mit der Befreiung des Proletariats zu tun, sondern mit der Unterdrückung und Dezimierung der eigenen Bevölkerung, mit der grausamsten Unterdrückung der Revolutionäre selbst (z.B. die Moskauer Prozesse usw.).
Zu allem Überfluss behauptet Hasél, ein Antifaschist zu sein und für "echte Demokratie" zu kämpfen.
Der Antifaschismus war die Art und Weise, wie es der Bourgeoisie gelang, die Überreste der revolutionären Welle angesichts des Ersten Weltkriegs zu besiegen, die unter anderem die russische Revolution und den revolutionären Versuch in Deutschland hervorbrachte. Im Namen des Kampfes gegen den Faschismus wurde der Kampf der Arbeiterklasse auf das Terrain des imperialistischen Krieges der Alliierten gegen Hitlers Achse gezerrt. Angefangen mit Spanien, wo der imperialistische Krieg an der republikanischen Front gegen Franco mit dem Aufstand des Proletariats zunächst gegen Franco und gegen die Republik endete, die auf seine Forderungen mit "Schüssen in den Bauch" (in den Worten des illustren Präsidenten Azaña) antwortete. Und es muss daran erinnert werden, dass damals die kommunistische Partei, zusammen mit der POUM und sogar der CNT[4], deren Nachfolger sich heute in den Reihen von Unidas Podemos befinden, Partei für den imperialistischen Krieg gegen die Arbeiter ergriffen haben.
Die einzige Strömung, die dem Druck der Ereignisse widerstand und deren Motto lautete "Kein Verrat!", war die Kommunistische Linke, die den Mut hatte, wie die Internationalisten im Ersten Weltkriegs für keine der imperialistischen Fraktionen Partei zu ergreifen und sie alle anzuprangern und für die einzig mögliche Alternative zu kämpfen: den Klassenkampf des Proletariats mit der Perspektive der Weltrevolution.
Was den Kampf für eine wirkliche Demokratie in Spanien betrifft, sollte man sich daran erinnern, dass der so genannte demokratische Übergang (der zu dem führte, was heute als Regime von '78 bekannt ist) eine staatliche Operation der gesamten spanischen Bourgeoisie war, mit der Unterstützung und unter Anregung des damaligen Blocks um die USA, und das Hauptziel hatte, auf die Entwicklung der Arbeiterkämpfe zu reagieren, die sich seit den 60er Jahren immer massiver und autonomer entfalteten, massive Streiks und gemeinsame Versammlungen, die in Vitoria 1976 zu Stadtversammlungen wurden[5]. Der Franquismus konnte nur mit Repression antworten, während die Demokratie versuchte, die Kämpfe mit gewerkschaftlichen Interventionen und den Versprechungen der Linken zu "zähmen". Wir müssen uns daran erinnern, dass die Vorfahren derer, die jetzt in der Unidad Podemos sind und die das Regime von '78 verfluchen, in großem Umfang an dieser Operation mitgewirkt haben. Die kommunistische Partei des Ministers Alberto Garzón, angeführt von Santiago Carrillo, rief zur "nationalen Versöhnung" auf und befürwortete die Rückverwandlung der ehemaligen Franco-Anhänger in moderne Demokraten, angefangen bei Adolfo Suárez selbst. Die außerparlamentarischen Parteien der extremen Linken, Trotzkisten, Maoisten usw., deren Überreste sich in der Kontinuität der "Antikapitalisten" von Unidas Podemos befinden, unterstützten die Orientierungen der KP auf der Straße und in den Betrieben.
Und wie Lenin sagte, ist die Erinnerung revolutionär, und deshalb ist es günstig, sich an all das zu erinnern, um zu sehen, dass Pablo Hasél nicht den Kampf der Arbeiterklasse verkörpert, sondern den ihrer Feinde.
Hic Rhodos 27.02.21
[1] In einem nächsten Artikel werden wir die Kampagne des Antifaschismus und des Lobes der Demokratie anprangern, die von den Leuten um Hasél getragen wird, und die "antirepressiven" Demonstrationen, die von staatlichen Instanzen angeregt wurden, und wir werden auch sehen, dass diese Mobilisierungen keine Antwort auf die staatliche Repression sind, sondern eine Falle.
[2] Zu dem, was Terrorismus ist, siehe, neben vielen anderen Artikeln, Terrorismus, eine Kriegswaffe des Kapitalismus (spanisch) https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200512/302/el-terrorismo-un-arma-de-guerra-del-capitalismo [218]. Zur ETA und zum baskisch-nationalistischen Konflikt siehe u.a. „Der Waffenstillstand der ETA: Um den Terror zu beseitigen, muss die Arbeiterklasse den Kapitalismus beseitigen (spanisch)
https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200605/932/tregua-de-eta-para-eliminar-el-terror-la-clase-obrera-debe-erradicar-el [219] Zum Baskenkonflikt: Gegen die Barbarei der nationalen Kämpfe ist die Alternative der Klassenkampf (spanisch) https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200601/396/conflicto-vasco-contra-la-barbarie-de-las-luchas-nacionales-la-alternat [220]
[3] Siehe Terror, Terrorismus und Klassengewalt /content/1366/terror-terrorismus-und-klassengewalt [221] und Resolution zu Terror, Terrorismus und Klassengewalt
[4] Mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen wie der Gruppe "Freunde von Durruti", dem Anarchisten Berneri, der Munis-Gruppe oder einer Minderheit der POUM. Siehe Die Freunde von Durruti : Lektionen eines unvollständigen Bruchs mit dem Anarchismus /content/865/die-freunde-durrutis-lehren-aus-einem-unvollstaendigen-bruch-mit-dem-anarchismus [222] und "Spanien 1936: Die Linke gegen die Arbeiterklasse [223]" und April 1939: Ende des spanischen Krieges und Prolog zum Zweiten Weltkrieg https://de.internationalism.org/content/2872/april-1939-ende-des-spanischen-krieges-und-prolog-zum-zweiten-weltkrieg [224]
[5] Vor 40 Jahren debütierte die aufkeimende spanische Demokratie mit der Ermordung von Arbeitern in Vitoria (spanisch) https://es.internationalism.org/content/4144/hace-40-anos-la-naciente-democracia-espanola-se-estreno-con-los-asesinatos-de-obreros [225]
Vor 150 Jahren, am 18. März 1871, startete das Proletariat seine erste revolutionäre Offensive – diejenige, aus der die Pariser Kommune hervorging. Obwohl die Bourgeoisie ihr den totalen Krieg erklärte, leistete die Kommune 72 Tage lang Widerstand, bis zum 28. Mai 1871: Die rücksichtslose Unterdrückung kostete 20.000 Proletariern und Proletarierinnen das Leben. Seitdem bleibt die Pariser Kommune, deren Erinnerung die Arbeiterklasse von Generation zu Generation weitergibt, ein Beispiel, ein Bezugspunkt und ein Vermächtnis für die Ausgebeuteten der ganzen Welt, jedoch nicht für ihren Henker, die Bourgeoisie, die derzeit schamlose Gedenkfeiern abhält, um ihre eigene Geschichte zu verfälschen und die wertvollen Lehren zu begraben, die die Arbeiterbewegung aus ihr hat ziehen können.
Mehrere Wochen lang werden Historiker, Journalisten, Politiker und Schriftsteller in den Zeitungen und auf den Fernseh- und Radiokanälen im Namen ihrer Klasse üble Propaganda auftischen. Von rechts bis links, einschließlich der extremen Linken, wird die gesamte bürgerliche Klasse Lügen verbreiten, von den krassesten bis zu den subtilsten.
Wenn sich die Rechte über die Zaghaftigkeit empörte, mit der der Staat plante, den zweihundertsten Todestag von Napoleon I. zu "begehen", hat sie natürlich eine totale Verachtung für die Kommunarden[1] gezeigt, diese "Mörder", diese "Unruhestifter", diese "Agenten der Unordnung", die einfach bleiben sollten, wo sie sind, nämlich sechs Fuß unter der Erde. Man muss bis ins Jahr 2016 zurückgehen, um zu sehen, wie Le Figaro, eine bekannte französische rechte Zeitung, unverblümt und unmissverständlich ausspricht, was die "Partei der Ordnung" schon immer im Kern gedacht hat: "Die Kommunarden haben Paris zerstört, ehrliche Menschen massakriert und sogar Paris verhungern lassen, indem sie die großen Lagerhäuser zerstörten, in denen die Getreidereserven lagerten, die die Bäcker von Paris versorgten." Diese schamlose Verleumdung kennt keine Grenzen. So wurden die Aufständischen, die damals schon als Ungeziefer galten, für ihre eigene Hungersnot und gleichzeitig für das Aushungern der "ehrlichen Leute" verantwortlich gemacht. Mit anderen Worten: Wenn die Arbeiterklasse in Paris dazu gebracht wurde, Ratten zu essen, war es ihre eigene Schuld! Wie üblich, und besonders seit den Nachwirkungen des Ereignisses, wiederholt die Rechte, die sich schon immer von den "gefährlichen Klassen" terrorisiert fühlte, immer wieder eine Art Hassrede, in der sie die Kommunarden mit blutrünstigen Wilden gleichsetzt.
Aber diese Kampagne der plumpen Anschuldigungen, die auf der Wahrheit herumtrampelt und grausam jeder Finesse entbehrt, wird von der Arbeiterklasse sehr leicht als das durchschaut, was sie ist. Deshalb übernimmt die Linke des Kapitals die Aufgabe, die wirkliche und notwendige Arbeit der Verfälschung der Bedeutung der Pariser Kommune zu leisten.
Ab dem 18. März organisiert das Pariser Rathaus 72 Tage lang nicht weniger als fünfzig Veranstaltungen, um angeblich den 150. Jahrestag der Kommune zu feiern. Die Kulisse sollte am 18. März der Louise-Michel-Platz (im 18. Arrondissement von Paris) liefern mit dem Auftritt der "sozialistischen" Bürgermeisterin der Hauptstadt, Anne Hidalgo.
Dieser Ort wurde nicht zufällig gewählt. Louise Michel war eine der berühmtesten und heldenhaftesten Kämpferinnen der Kommune, die, als sie vor Gericht gestellt wurde, nicht einmal Mitleid von den Henkern der Kommune annehmen wollte und ihnen ins Gesicht sagte: "Da es scheint, dass jedes Herz, das für die Freiheit schlägt, nur Anspruch auf ein Stückchen Blei hat, fordere ich meinen Anteil! Wenn ihr keine Feiglinge seid, tötet mich". Wer sind also diese Leute, die heute das Gedenken an die Kommune in völlig verkürzter und verfälschter Form inszenieren wollen? Wer sind Madame Hidalgo und ihr gesamter "sozialistischer" Stadtrat? Nichts weniger als die Nachkommen der sozialdemokratischen Verräter, die zur Zeit des Ersten Weltkriegs unwiederbringlich ins Lager der Bourgeoisie übergegangen sind.
Seitdem haben die "Sozialisten", ob in der Opposition oder in der Regierung, immer gegen die Interessen der Arbeiterklasse gehandelt. Deshalb nützt die stellvertretende Bürgermeisterin Anne Hidalgo aus rein politischen Gründen zynisch die Erinnerung an Louise Michel in den Gedenkfeiern 2021 aus, indem sie sie zitiert: "Alle suchen einen Weg nach vorne, auch wir, und wir denken, dass der Tag, an dem Freiheit und Gleichheit herrschen, der Tag ist, an dem das Menschengeschlecht glücklich sein wird". Für die Kommunarden bedeuteten diese Worte das Ende der Lohnsklaverei, das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die Zerstörung des bürgerlichen Staates. Das war es, was die Worte "Freiheit" und "Gleichheit" für sie bedeuteten. Deshalb errichteten die Kommunarden anstelle der Trikolore Frankreichs, die heute auf dem Dach des Hôtel de Ville (des Rathauses) in Paris weht, die rote Fahne, ein Symbol des Kampfes der Arbeiter und Arbeiterinnen der ganzen Welt! Aber für diese Klasse von Ausbeutern und Massenmördern ist die "Herrschaft der Freiheit" nichts anderes als die Herrschaft des Kommerzes und die Beherrschung und Ausbeutung der Proletarier*innen in den Werkstätten und am Fließband.
Die Sozialistische Partei hat die Kundgebungen zum Ruhm der bürgerlichen Demokratie in ganze Paris verstärkt und die linken Intellektuellen, Schriftsteller und Filmemacher haben viele Filme und Bücher veröffentlicht, um den revolutionären Charakter der Kommune zu verwässern. Auch die bürgerliche Presse, wie der Guardian[2], gibt sie als "Kampf des Volkes" aus und vergleicht sie mit der klassenübergreifenden Bewegung der "Gelbwesten", um den unzweifelhaft proletarischen Charakter der Kommune zu entstellen. Aber die Pariser Kommune war weder ein Kampf für die Durchsetzung der bürgerlichen Werte und der Demokratie, dieser raffiniertesten Form der Klassenherrschaft und des Kapitals, noch ein Kampf des "Volkes von Paris" oder gar des "Kleinbürgertums". Im Gegenteil, sie verkörperte einen Kampf auf Leben und Tod, um die Macht der Bourgeoisie zu stürzen, deren ehrenwerten Vertreter heute die Sozialistische Partei und alle Wortführer der "Linken" sind.
Die Linken sind nicht zu übertreffen, wenn es darum geht, ihren eigenen kleinen Beitrag zur Verfälschung der Erfahrungen der Arbeiterbewegung zu leisten. Meistens liefern sie die heimtückischsten Verzerrungen. So gehen die Trotzkisten der NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) mit der Sache der "direkten Demokratie" hausieren, um die Bedeutung der Kommune zu entstellen. Diese Linken anerkennen zwar, dass die Kommunarden einen Angriff auf den Staat unternahmen, aber nur, um daraus falsche Lehren zu ziehen und für das Kapital, das sie eifrig unterstützen, harmlose Schlussfolgerungen zu ziehen. Die NPA im Departement Loiret zum Beispiel gibt in einem Bulletin, das sie am 13. März veröffentlichte, dem Historiker Roger Martelli[3] Raum, dessen Prosa ein wahres Plädoyer für die bürgerliche Demokratie ist: "Ohne feste Doktrinen, nicht einmal ein fertiges Programm, hat die Kommune in wenigen Wochen das getan, wofür die Republik später lange Zeit brauchte. Sie öffnete den Weg zu einer Konzeption des 'Zusammenlebens', die auf Gleichheit und Solidarität beruht. Schließlich zeigte sie die Möglichkeit einer weniger eng gefassten repräsentativen, direkteren bürgerorientierten Form der Kontrolle auf. Kurzum, sie versuchte, die 'Regierung des Volkes durch das Volk', die US-Präsident Lincoln Jahre zuvor angekündigt hatte, in die Praxis umzusetzen.".
Was für eine absolute Schande ist das! Martelli spuckt schamlos auf das Grab der Kommunarden! Völlig offen und "hemmungslos" reduziert die NPA die Kommune auf eine einfache demokratische Reform, die sich als Volksbeteiligung verkleidet. Am Ende wird die Zukunft, die die Kommune vorzeichnete, auf das bürgerlich-demokratische Ideal reduziert!
Jean Jaurès hatte trotz seiner reformistischen Vorurteile wenigstens die intellektuelle Ehrlichkeit, im Gegensatz zu den Verfälschern der NPA, zu sagen: "Die Kommune war im Wesen und in der Substanz die erste große offene Schlacht der Arbeiter gegen das Kapital. Und genau deshalb wurde sie besiegt, abgeschlachtet".
Lutte Ouvrière (LO), die andere große französische trotzkistische Partei, trägt ihrerseits mit ihrer falschen radikalen Sprache zu dieser Kampagne der Verfälschung bei, indem sie vorgibt, der parlamentarischen Demokratie (an der LO seit Jahrzehnten teilnimmt) die Diktatur des Proletariats entgegenzusetzen, d.h. in ihren Augen eine radikalere Form der bürgerlichen Demokratie. So erklärte diese für die Wahlen mobilisierende Partei 2001: "In einem Programm, für dessen Ausarbeitung sie keine Zeit hatten, schlugen die Kommunarden vor, dass sich alle Gemeinden von den großen Städten bis zu den kleinsten Dörfern auf dem Lande nach dem Vorbild der Pariser Kommune organisieren sollten und dass sie die Grundstruktur einer neuen Form eines wirklich demokratischen Staates bilden sollten."[4] Das heißt, LO weist dann schnell darauf hin: "Das bedeutet nicht, dass revolutionäre Kommunisten den sogenannten demokratischen Freiheiten gleichgültig gegenüberstünden, ganz im Gegenteil, und sei es nur schon deshalb, da sie den Militanten erlauben, ihre Ideen offener zu verteidigen."[5]
Die Organisationen der Linken des Kapitals spielen ohne Frage die verräterischste Rolle, die darin besteht, die Kommune als ein Experiment in "radikaler" Demokratie darzustellen, das kein anderes Ziel gehabt habe als die Verbesserung der Funktionsweise des Staates. Mehr nicht! 150 Jahre später steht die Pariser Kommune erneut vor der Heiligen Allianz aller bürgerlichen reaktionären Kräfte, wie seinerzeit vor der Heiligen Allianz des preußischen Staates und der französischen Republik. Die politischen Schätze, die die Kommune hinterlässt, sind das, was die Bourgeoisie zu verbergen und zu begraben sucht.
In der Tat, wie Marx und Engels in der Folgezeit laut und deutlich feststellten, führte die Pariser Kommune den ersten revolutionären Angriff des Proletariats, indem sie für die Zerstörung des bürgerlichen Staates kämpfte. Die Kommune zielte darauf ab, ihre Macht sofort zu konsolidieren, indem sie das stehende Heer und die staatlichen Institutionen abschaffte und die ständige Abwählbarkeit der Mitglieder der Kommune beschloss, die all jenen gegenüber verantwortlich waren, die sie gewählt hatten.
Die historischen Bedingungen waren zu dieser Zeit noch nicht reif – es war lange vor den Revolutionen von 1905 und 1917 in Russland –, aber die Kommunarden führten Pläne zur Bildung von Arbeiterräten ein, "die endlich entdeckte Form der Diktatur des Proletariats", wie Lenin es ausdrückte. Es war also nicht der Aufbau eines "wahrhaft demokratischen" Staates, den die Kommunarden zu ihrem Ziel machten, sondern die Ablehnung der Herrschaft der Bourgeoisie. Die Pariser Kommune zeigte, dass "die Arbeiterklasse nicht einfach die Kontrolle über die bestehende Staatsmaschinerie übernehmen und sie für ihre eigenen Zwecke benutzen kann".[6] Dies ist eine der wesentlichen Lehren, die Marx und die Arbeiterbewegung aus dieser tragischen Erfahrung zogen. Während die Pariser Kommune ein verfrühter Aufstand war, der mit dem Massaker an der schönsten Blüte des Weltproletariats endete, so war sie dennoch ein heroischer Kampf des Pariser Proletariats, ein unschätzbarer Beitrag zum historischen Kampf der ausgebeuteten Klasse. Aus diesem Grund bleibt es von grundlegender Bedeutung, dass die Arbeiterklasse des 21. Jahrhunderts in der Lage ist, sich die Erfahrung der Kommune und die unschätzbaren Lehren, welche die Revolutionäre daraus gezogen haben, anzueignen und zu assimilieren.
Paul, 18. März 2021
Zur Vertiefung der Lehren aus der Pariser Kommune empfehlen wir die Lektüre der folgenden Artikel auf unserer englischsprachigen Website:
[1] Im Pariser Stadtrat stellten sich rechte Politiker gegen die Feier zum 150. Jahrestag der Kommune und führten eine ohrenbetäubende Kampagne über die Legitimität und sogar die nationale Pflicht, den Tod von Napoleon Bonaparte zu feiern.
[2] “Vive la Commune? The working-class insurrection that shook the world”, The Guardian, 7. März 2021
[3] Verbunden mit der wiederauflebenden Strömung der stalinistischen Partei in Frankreich, der PCF, die jetzt der Linkspartei La France Insoumise nahe steht, mit einem sehr kraftprotzenden nationalistischen Diskurs.
[4] "Demokratie, parlamentarische Demokratie, kommunale Demokratie", Cercle Léon Trotski intitulé, Ausgabe Nr. 89, 26. Januar 2001. In diesem Artikel, der viel über die demokratische Ideologie von LO aussagt, fügt die trotzkistische Partei hinzu, ohne mit der Wimper zu zucken: "Von allen bürgerlichen Institutionen sind die Gemeinden [d.h. die Rädchen der bürgerlichen Demokratie, in denen LO die besten Chancen hat, gewählte Vertreter zu bekommen] immer noch potenziell die demokratischsten, weil sie der Bevölkerung am nächsten stehen und ihrer Kontrolle am meisten unterliegen". Kein Kommentar...
[5] "La Commune de Paris et ses enseignements pour aujourd'hui", Lutte de classe, Ausgabe Nr. 214, März 2021
[6] Marx und Engels, Vorwort zum Manifest der Kommunistischen Partei, 24. Juni 1872
Wir veröffentlichen nachfolgend einen Artikel aus unserer Presse in Frankreich. Der Artikel zeigt das Beispiel Frankreichs auf, ist aber stellvertretend für eine Entwicklung, die in vielen anderen Ländern ebenso anzutreffen ist. Die konkreten Angaben für Frankreich können leicht mit Angaben aus anderen Ländern „ersetzt“ werden.
Seit Februar hat die Zahl der Vorfälle von Gewalt unter Jugendlichen zugenommen. Wut, Aggression, Mordanschläge – der Horror trifft die junge Generation hart.
Am 15. Februar wurde in Paris der 15-jährige Yuriy von elf Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren geschlagen und sein Schädel mit einem Hammer zertrümmert. Selbst leblos am Boden liegend, schlugen sie weiter auf ihn ein. Am 22. Februar starb in Essonne ein 14-jähriges Mädchen an einer Messerwunde im Bauch während einer Schlägerei zwischen zwei Banden. Sechs Minderjährige im Alter von 13 bis 16 Jahren wurden verhaftet. Am nächsten Tag, dem 23. Februar, immer noch in Essonne, gerieten zwei Banden aneinander: die "älteren" Banden (16-17 Jahre) "beaufsichtigten" den Kampf zwischen den "jüngeren" Banden (12-15 Jahre) – bis einer von ihnen, umzingelt, ein Messer zückte. Ein 14-jähriger Schüler starb, ein anderer 13-Jähriger wurde mit einer Wunde am Hals in einem ernsten Zustand ins Krankenhaus gebracht. Am 26. Februar wurde in Bondy Aymen, ein junger 15-jähriger Boxer, erschossen. Die Übeltäter: zwei Brüder im Alter von 17 und 27 Jahren. Am 8. März geriet die 14-jährige Alisha in Argenteuil in einen Hinterhalt, den ein 15-jähriges Paar gelegt hatte: Sie wurde geschlagen und dann in die Seine geworfen, während sie kaum bei Bewusstsein war. Der Kontrast zwischen dem jugendlichen Alter der Beteiligten und der Barbarei der begangenen Taten ist frappierend.
Die Presse und die Politiker haben sich über diese Tragödien gefreut. Sie beschuldigen willkürlich die "sich aufgebenden Familien", die "primitiven Einwanderer", die "Muslime", die "Laxheit der Justiz", die "mangelnden Mittel der Polizei" – und sie alle schlagen als Lösung vor, die Eltern zu bestrafen, die Ausländer auszuweisen, die Zahl der Polizisten zu erhöhen und das Gesetz gegen Minderjährige zu verschärfen. Diese repressive Karte will die Regierung zudem mit einer Reform des Jugendstrafrechts ausspielen, die zu schnelleren Urteilen und höheren Strafen führen soll. Mit anderen Worten: Sie alle bereiten uns auf eine noch gewalttätigere und unmenschlichere Gesellschaft vor.
In Wirklichkeit zahlt die Jugend den Preis für die Verwesung der ganzen Gesellschaft: Das No-Future ist ein Wundbrand, der allmählich den ganzen Organismus erfasst. Solange die Bourgeoisie nicht mehr in der Lage ist, die Gesellschaft für irgendeine Perspektive zu mobilisieren, und solange das Proletariat nicht in der Lage ist, seine eigene revolutionäre Perspektive zu verteidigen, verfault die Gesellschaft auf der Stelle[1] und die sozialen Beziehungen zerfallen: verschärfter Individualismus, Nihilismus, Zerstörung der Familienbande, jeder für sich, Angst vor dem Anderen verbreiten sich; blinde Gewalt, Hass, Rachegeist und Selbstzerstörung werden zur Norm (im Fernsehen, in Filmen, durch Musik, Spiele). Dieser Ausbruch von Barbarei zwischen Kindern aus völlig sinnlosen und irrationalen Gründen ist der Ausdruck einer Gesellschaft ohne Zukunft, die zusammenbricht, uns erdrückt und erstickt. In immer größeren Teilen der Welt ist diese Gewalt zwischen jungen Menschen alltäglich geworden, sei es in Form von Bandenrivalitäten oder durch Schießereien in Schulen.
Heute hat die Bourgeoisie der Menschheit keine Zukunft zu bieten. Nur der Klassenkampf kann dieser Dynamik ein Ende setzen. Nur Klassensolidarität, über alle Generationen hinweg, kann den Weg zur revolutionären Perspektive erhellen und diesem unmenschlichen und tödlichen Kapitalismus ein Ende setzen.
Ginette, 24. März 2021
[1]Um näher auf das einzugehen, was die IKS die "Zerfallsphase" der kapitalistischen Gesellschaft nennt, laden wir unsere Leser ein, die Thesen: Zerfall, die letzte Phase der kapitalistischen Dekadenz, h [3]ttps://de.internationalism.org/Zerfall/13 [3] und den Bericht über den Zerfall heute (Mai 2017), https://de.internationalism.org/content/2926/bericht-ueber-den-zerfall-heute-mai-2017 [153] sowie die zahlreichen Artikel und Polemiken zu lesen, die wir zu diesem Thema veröffentlicht haben.
Paris, 7. Dezember 2004
Genossinnen und Genossen!
Seit dem 2. Dezember haben wir festgestellt, dass einige diskrete Änderungen auf der Website der IBRP vorgenommen wurden. Nacheinander sind die englische und dann die spanische Version der "Erklärung des Kreises der Internationalistischen Kommunisten (Argentinien): gegen die ekelerregende Methode der IKS" vom 12. Oktober, die mehr als anderthalb Monate lang auf der Seite zu finden waren, verschwunden (seltsamerweise ist die französische Version dieser Erklärung zum Zeitpunkt des Versendens dieses Briefes immer noch vorhanden):[1] hat die IBRP eine andere Politik je nach Land und Sprache?[2] Außerdem wurde die Einleitung der "Positionserklärung des Kreises der Internationalistischen Kommunisten zu den Ereignissen in Caleta Olivia", die auf den italienischen Seiten eurer Website zu finden ist, um ein Viertel gekürzt, weil die folgende Passage gestrichen wurde: "Der Internationalistische Kommunistische Kern Argentiniens hat vor kurzem mit der Internationalen Kommunistischen Strömung gebrochen, die wir schon seit langem als ein nutzloses politisches Überbleibsel betrachten, das zweifellos ungeeignet ist, zur Bildung der internationalen Partei beizutragen. Die argentinische Organisation hat auch ihren Namen in "Kreis der internationalistischen Kommunisten" geändert.“ ("Recentemente il Nucleo Comunista Internazionalista di Argentina ha rotto con la Corrente Comunista Internazionale, che da tempo indichiamo come ormai inutile sopravvvivenza di una vecchia politica sicuramente non adeguata a contribuire alla formazione del Partito internazionale. L'organizzazione argentina ha anche cambiato nome assumendo quello di Circolo di Comunisti Internazionalisti.").
Diese Änderungen zeigen, dass das IBRP (vielleicht) begonnen hat zu erkennen, dass sie in ein Wespennest gestochen hat, indem sie das, was der so genannte "Zirkel" in seinen verschiedenen "Erklärungen", insbesondere in Bezug auf das Verhalten der IKS, von sich gegeben hat, für bare Münze genommen und in einer äußerst unvorsichtigen Weise veröffentlicht hat. Mit anderen Worten, das IBRP ist nicht mehr in der Lage, vor sich selbst und vor allem vor den Lesern seiner Website zu verbergen, was die IKS seit fast zwei Monaten fest gestellt hat: dass die gegen unsere Organisation erhobenen Anschuldigungen reine Lügen sind, erfunden von einem zwielichtigen Element, einem skrupellosen Hochstapler, der zudem ein zwanghafter Lügner ist. Die diskrete und schrittweise Entfernung dieser "Erklärungen" löscht oder korrigiert jedoch in keiner Weise den schweren politischen Fehler, geschweige denn das unentschuldbare Verhalten eurer Organisation. Ganz im Gegenteil.
Deshalb ist dieser Brief ein sehr ernsthafter Appell an die Militanten des IBRP über das Verhalten ihrer Organisation, das absolut skandalös und unvereinbar mit den Grundlagen proletarischen Verhaltens war, nachzudenken.
Lasst uns kurz die Fakten in Erinnerung rufen:
Gegen Mitte Oktober veröffentlichte das IBRP in mehreren Sprachen auf seiner Website die berühmte "Erklärung gegen die widerlichen Methoden der IKS" des sogenannten "Circulo de Comunistas Internacionalistas". Letzterer präsentierte sich als Nachfolger des "Nucleo Comunista Internacional", mit dem die ICC seit mehreren Monaten diskutiert (einschließlich zweier Treffen in Argentinien zwischen den Delegationen des NCI und der IKS).
Was war der Inhalt dieser "Erklärung"? Sie enthielt eine Reihe von sehr ernsten Anschuldigungen gegen unsere Organisation:
Jeder Leser, der auch nur irgendeine Erfahrung in Bezug auf die Kommunistische Linke (oder diejenigen, die eine Kontinuität mit ihr beanspruchen) hat, kann hier die gleiche Art von Verleumdung erkennen, die die IFIKS seit mehreren Jahren gegen unsere Organisation verwendet. Aber die Analogie hört hier nicht auf. Sie findet sich auch in der Unverschämtheit, mit der die gröbsten Lügen verbreitet werden:
"Die Genossen, die die IKS per Telefon angerufen hat, um Keime des Misstrauens und der Zerstörung unserer kleinen Gruppe zu säen, schlagen sämtlichen Mitgliedern des Kreises der internationalistischen Kommunisten die totale Ablehnung der politischen Methode der IKS vor, die sie als typisch stalinistisch betrachten und deren zentrales Ziel, das Ziel der gegenwärtigen IKS-Führung, darin besteht, die revolutionäre Umgruppierung zu verhindern, für die verschiedene Strömungen und Gruppen kämpfen; sie schlagen vor, diese Intrigen bei allen Strömungen anzuprangern, die erklären, in der Kontinuität der Kommunistischen Linken zu stehen."
Die Realität sieht ganz anders aus, wie wir schon in anderen Texten gesagt haben und wie es in der NCI-Erklärung vom 27. Oktober steht: Wir haben tatsächlich mit einem Genossen der NCI telefoniert, aber keineswegs mit der Absicht, "[die NCI] oder ihre Militanten auf individuelle Weise zu zerstören".
Das Ziel unseres ersten Telefonats war es, zu versuchen zu verstehen, wie der "Kreis der internationalistischen Kommunisten" gebildet wurde. Auch um herauszufinden, warum Genossen, die ein paar Wochen zuvor eine sehr brüderliche Haltung gegenüber unserer Delegation gezeigt hatten und die keine Meinungsverschiedenheiten mit der IKS geäußert hatten (vor allem in Bezug auf das Verhalten der IFIKS), am 2. Oktober eine "Erklärung" verfassen sollten, die besonders feindselig gegenüber unserer Organisation war und sich von allem abwandten, was sie bis zu diesem Zeitpunkt verteidigt hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir Zweifel, ob alle Genossen der NCI an dieser "Erklärung" beteiligt waren (trotz dessen, was darin über die "Einstimmigkeit" der Mitglieder der NCI zugunsten dieses Kurses steht). Die Telefongespräche mit den Genossen der NCI ermöglichten es uns, sie darüber zu informieren, was vor sich ging: dass ein "Circulo" aufgetaucht war, der sich als die Fortsetzung der NCI darstellte und der die IKS angriff. Wir konnten auch feststellen, dass diese Genossen keine Ahnung von der neuen Politik hatten, die von Bürger B (der einzige mit Internetzugang) in ihrem Namen betrieben wurde. Als wir die Genossen, die wir zuerst kontaktiert hatten, fragten, ob sie wollten, dass wir wieder anrufen, bejahten sie dies. Sie bestanden darauf, dass die Anrufe so häufig wie möglich erfolgen sollten, und sie schlugen vor, dass wir anrufen sollten, wenn sie bei den anderen Genossen waren, damit wir auch mit ihnen sprechen konnten. Es gibt also tatsächlich "eine einmütige Bitte seitens der Genossen, dass die IKS sie anruft": Sie schlagen keineswegs "den gesamten Mitgliedern des Kreises der internationalistischen Kommunisten die totale Ablehnung der politischen Methode der IKS vor", sondern sie befürworten sie wärmstens. Und die Methode, die "sie als typisch stalinistisch betrachten", ist die von Señor B.
Zu Beginn seiner Erklärung vom 12. Oktober warnt uns diese intrigante Figur, dass das, was er über die "Methoden der IKS" sagt, "wie eine Lüge erscheinen" könnte. In der Tat können die "Erklärungen" von Señor B. "wie eine Lüge erscheinen". Dafür gibt es einen guten Grund: Sie sind tatsächlich Lügen, glatte Lügen. Unnötig zu sagen, dass die IFIKS diese Lüge, die wie eine Lüge aussieht, sofort geglaubt hat. Alles, was sie in die Lage versetzt, unsere Organisation mit Dreck zu bewerfen, ist für sie ein gefundenes Fressen, und es ist ihnen völlig egal, ob die Anschuldigung "wie eine Lüge aussieht". Schließlich ist Lügen ihre zweite Natur, es ist ihr Markenzeichen (zusätzlich zu Erpressung, Diebstahl und Verleumdung). Unglaublich ist dagegen, dass eine Organisation der kommunistischen Linken, das IBRP, in die Fußstapfen der IFIKS getreten ist und die infamen Fantastereien von Señor B. ohne jeden kritischen Kommentar auf ihrer Website veröffentlicht hat, was bedeutet, dass sie diese voll unterstützt.
Das IBRP ist sehr versessen darauf, anderen Lektionen zu erteilen, zum Beispiel indem es seine eigene Interpretation der Krise der IKS gibt, indem es den Lügen der IFIKS Glauben schenkt, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, die Analysen der IKS selbst ernsthaft zu prüfen (siehe zum Beispiel "Elemente der Reflexion über die Krisen der IKS" auf der IBRP-Website).[3] Andererseits mag das Büro keine Anregungen zu seinem eigenen Verhalten erhalten: "Wir weisen die lächerlichen Warnungen (der IKS) zurück", "Wir müssen weder der IKS noch sonst jemandem Rechenschaft über unsere politischen Aktionen ablegen, und die Anmaßungen der IKS, die so genannten Traditionen der kommunistischen Linken zu vertreten, sind einfach erbärmlich" (siehe Antwort auf die dummen Anschuldigungen einer Organisation, die sich im Prozess des Zerfalls befindet, auf der Website des IBRP).[4] Erlaubt uns dennoch zu sagen, wie wir uns verhalten hätten, wenn wir eine Erklärung wie die des "Circulo" erhalten hätten, die ernsthafte Zweifel am IBRP aufkommen lässt.
Das erste, was wir getan hätten, wäre gewesen, das IBRP zu kontaktieren und es zu fragen, was seine Antwort auf solche Anschuldigungen ist. Wir hätten auch die Glaubwürdigkeit und die Ehrlichkeit des Autors solcher Anschuldigungen überprüft. Wenn nachgewiesen worden wäre, dass die Anschuldigungen unwahr sind, hätten wir dieses Verhalten sofort angeprangert und dem IBRP unsere Solidarität angeboten. Wenn die Anschuldigung wahr wäre und wir es für notwendig hielten, dies in unserer Presse bekannt zu machen, hätten wir das IBRP um eine Stellungnahme gebeten, um sie zusammen mit dem sie anklagenden Dokument zu veröffentlichen.
Vielleicht denkt ihr, dass dies leere Worte sind und dass wir in Wirklichkeit nichts dergleichen getan hätten. Aber unsere Leser wissen auf jeden Fall, dass die IKS so reagiert und dass wir dies bereits taten, als LA Workers' Voice eine Kampagne zur Verunglimpfung des IBRP startete (siehe Internationalism Nr. 122).
Wie hat das IBRP reagiert, als sie die "Erklärung des 'Circulo'" erhielt? Es begnügte sich nicht nur damit, sie zu unterstützen, indem es sie in mehreren Sprachen auf seiner Website veröffentlichte, ohne den geringsten Versuch zu unternehmen, ihre Authentizität zu überprüfen, sondern es weigerte sich auch mehr als ein Dutzend Tage lang, das Dementi zu veröffentlichen, um das wir es mehrmals gebeten hatten, diese zusammen mit der Erklärung des "Circulo" zu veröffentlichen (siehe unsere Briefe vom 22., 26. und 30. Oktober).
Die Veröffentlichung unseres Dementis war das Mindeste, was das IBRP hätte tun können (und etwas, was jede bürgerliche Zeitung im Allgemeinen bereit ist zu tun), aber es brauchte drei Briefe, bevor es veröffentlicht wurde; drei Briefe und eine Reihe von Vorfällen, die begannen, deutlich zu machen, dass die "Erklärung" gelogen war. Die Aufnahme unseres Dementis war das Minimum, aber das heißt nicht, dass es ausgereicht hätte, denn indem das IBRP nicht selbst Stellung zur Erklärung des "Circulo" nahm, unterstützte es weiterhin dessen Lügen. Deshalb haben wir euch in unseren Briefen vom 17. und 21. November gebeten, "sofort (d.h. nach Erhalt dieses Briefes) auf eurer Website die Erklärung des NCI vom 27. Oktober zu veröffentlichen, die auf unserer eigenen Website in allen relevanten Sprachen veröffentlicht ist". Diese Erklärung ist keine Erfindung der IKS, der ihr vielleicht alles zutraut, sondern stammt von den Kronzeugen für die Fälschungen und verleumderischen Lügen von Señor B.. Bis heute habt ihr diese Erklärung des NCI (die euch per Briefpost aus Buenos Aires zugesandt wurde) nicht veröffentlicht, was ihr sehr wohl wisst, da ihr die Erklärung des "Circulo" nach und nach und diskret von eurer Seite entfernt habt.
Mehrere Wochen lang habt ihr euch "tot gestellt", als die IKS darum bat, die Wahrheit zu ermitteln. Jetzt, wo sie allmählich ans Licht kommt (nicht dank euch), wählt ihr die heuchlerischste Art und Weise, die möglich ist, um nicht besudelt zu werden: ihr zieht ein Dokument zurück, das seit fast zwei Monaten eine Ladung Schlamm gegen unsere Organisation schleudert, mit demselben Schweigen, mit dem ihr es überhaupt in Umlauf gebracht habt.
Genossinnen und Genossen, seid ihr euch der Ernsthaftigkeit eures Verhaltens bewusst? Ist euch bewusst, dass diese Haltung einer Gruppe unwürdig ist, die sich auf die Tradition der kommunistischen Linken beruft, aber eher zu den Methoden des degenerierten Trotzkismus, wenn nicht gar des Stalinismus gehört? Seid ihr euch bewusst, dass ihr dasselbe tut wie Señor B. (dessen jüngste Verhandlungen mit der Website "Argentina Roja" zeigen, dass er zu seinen alten stalinistischen Liebschaften zurückgekehrt ist), der seine Zeit damit verbringt, Dokumente auf seiner Website erscheinen und verschwinden zu lassen, um zu versuchen, seine hinterhältigen Manöver zu verbergen?
Auf jeden Fall, da ihr eure Kommunikationsmittel in den Dienst der Verleumdung gegen die IKS gestellt habt, reicht es nicht aus, diese Verleumdung diskret zurückzunehmen, als ob nichts geschehen wäre. Ihr habt einen sehr schwerwiegenden politischen Fehler begangen und müsst ihn nun berichtigen. Der einzige Weg, der einer proletarischen Organisation würdig ist, besteht darin, auf eurer Website zu verkünden, dass das Dokument, das dort fast zwei Monate lang zu finden war, ein Haufen Lügen ist, und die Intrigen von Señor B. Anzuprangern.
Wir verstehen, dass die Entdeckung der Wahrheit für euch eine bittere Enttäuschung gewesen sein muss: Die NCI hat nicht mit der IKS gebrochen und der "Circulo", in den ihr die größten Hoffnungen gesetzt hattet (siehe euren Artikel in der Oktoberausgabe Battaglia Comunista "Auch in Argentinien ist etwas in Bewegung"), ist nicht mehr als eine Erfindung der Phantasie von Señor B. Trotzdem ist das kein Grund, nicht zu den Methoden dieses Hochstaplers Stellung zu nehmen. Es ist auch eine Frage der grundsätzlichen Solidarität mit den Militanten der NCI, die die Hauptopfer der infamen Manipulationen dieses Elements waren, das ihren Namen usurpiert hat.
Ebenso verstehen wir, dass es für euch schmerzhaft wäre, öffentlich anzuerkennen, dass ihr wieder einmal (nach eurem Kommuniqué vom 9. September 2003 über die "Radikalen Kommunisten der Ukraine") Opfer einer betrügerischen Erfindung geworden seid. Als euch dieses Missgeschick widerfuhr, gab die IKS keinen Kommentar ab. Anstatt das Messer in die Wunde zu legen, dachten wir, dass es an euch als "verantwortungsvolle führende Kraft" (eure eigenen Worte) läge, die Lehren aus dieser Erfahrung zu ziehen. Angesichts der Rückschläge, die ihr in der Vergangenheit erlebt habt (insbesondere mit der SUCM und der LAWV), hat uns das jedoch nicht überrascht, und das trotz unserer Warnungen, die ihr "als lächerlich" zurückweist. Aber heute ist das Problem viel schwerwiegender, als die Lächerlichkeit zu erleiden, auf die Schippe genommen zu werden. Hinter der rührenden Naivität, mit der ihr den Worten eines Betrügers und zwanghaften Lügners geglaubt habt, steckt auch die Doppelzüngigkeit, dass ihr der Niedertracht dieses Individuums auf eurer Seite Raum gegeben habt. Dieses Verhalten ist einer Organisation, die Anspruch auf das Erbe der Kommunistischen Linken erhebt, absolut unwürdig.
Das IBRP behauptet, die IKS habe "jede Fähigkeit/Möglichkeit verwirkt, positiv zum unverzichtbaren Prozess zur Bildung der internationalen kommunistischen Partei beizutragen" ("avendo cioè perso ogni capacità/possibilità di contribuire positivamente al processo di formazione dell'indispensabile partito comunista internazionale", Battaglia Comunista vom Oktober 2004, (Auch in Argentinien ist etwas im Gange). Im Gegensatz zum IBRP (und den verschiedenen Bezeichnungen der bordigistischen Strömung) hat die IKS niemals geglaubt, die einzige Organisation zu sein, die in der Lage ist, einen positiven Beitrag zur Bildung der zukünftigen revolutionären Weltpartei zu leisten, auch wenn wir natürlich der Meinung sind, dass unser eigener Beitrag der entscheidendste sein wird. Deshalb hat unsere Strömung seit ihrem Erscheinen 1964 (noch vor der eigentlichen Gründung der IKS) die gleiche Orientierung wie die der Kommunistischen Linken Frankreichs GCF aufgegriffen und immer die Notwendigkeit einer brüderlichen Debatte und Zusammenarbeit (natürlich auf der Grundlage der Klarheit) zwischen den Kräften der Kommunistischen Linken verteidigt. Schon vor 1977, als Battaglia Comunista den Vorschlag machte, internationale Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linken zu organisieren, hatten wir das schon mehrmals vorgeschlagen, aber vergeblich. Deshalb waren wir von der Initiative Battaglia Comunistas begeistert und setzten uns ernsthaft und entschlossen für sie ein. Das ist auch der Grund, warum wir die Entscheidung von Battaglia und der CWO, diesem Versuch am Ende der 3. Konferenz 1980 ein Ende zu setzen, bedauerten und verurteilten.
In der Tat sind wir der Meinung, dass bestimmte Positionen des IBRP verworren, fehlerhaft oder inkohärent sind und dass sie Verwirrungen innerhalb der Klasse schaffen oder aufrechterhalten können. Aus diesem Grund veröffentlichen wir in unserer Presse regelmäßig Polemiken, die diese Positionen kritisieren. Wir denken jedoch, dass das IBRP aufgrund seiner grundlegenden Prinzipien eine proletarische Organisation ist und dass es innerhalb der Arbeiterklasse einen positiven Beitrag gegen bürgerliche Mystifikationen leistet (insbesondere wenn es den Internationalismus gegen den imperialistischen Krieg verteidigt). Deshalb waren wir bis jetzt immer der Meinung, dass es im Interesse der Arbeiterklasse ist, eine Organisation wie das IBRP zu erhalten. Es hat nicht die gleiche Analyse in Bezug auf unsere eigene Organisation, denn nachdem es bei seinem Treffen mit der IFIKS im März 2002 erklärt haben, dass "wenn wir zu dem Schluss kommen, dass die IKS als Organisation 'untauglich' geworden ist, unser Ziel darin bestehen würde, alles zu tun, was möglich ist, um auf ihr Verschwinden zu drängen" (IFIKS-Bulletin Nr. 9), hat es nun tatsächlich alles getan, was möglich ist, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Tatsache, dass die IKS eurer Meinung nach ein Hindernis für die Entwicklung des Bewusstseins in der Arbeiterklasse darstellt und dass es für den Kampf besser wäre, wenn die IKS verschwinden würde, stellt für uns kein Problem dar. Schließlich ist das die Position, die die verschiedenen Gruppierungen der bordigistischen Strömung immer verteidigt haben. Genauso ist es in unseren Augen kein Problem, dass ihr versucht, dieses Ziel zu erreichen. Die Frage ist nur: Mit welchen Mitteln erreicht ihr es? Auch die Bourgeoisie hat ein Interesse daran, die IKS verschwinden zu sehen, so wie sie ein Interesse daran hat, dass die anderen Gruppen der Kommunistischen Linken verschwinden. Deshalb hat sie widerliche Kampagnen gegen die Kommunistische Linke entfesselt, indem sie sie mit der "revisionistischen" Strömung identifiziert, die mit der extremen Rechten verbunden ist.[5] Für die herrschende Klasse sind JEDE Mittel akzeptabel, einschließlich und vor allem die Verwendung von Lügen und Verleumdungen. Aber das gilt nicht für eine Organisation, die behauptet, für die proletarische Revolution zu kämpfen. Genau wie die anderen revolutionären Organisationen der Arbeiterbewegung, die ihr vorausgegangen sind, zeichnet sich die Kommunistische Linke nicht nur durch ihre programmatischen Positionen, wie z.B. den Internationalismus, aus. In ihrem Kampf gegen die Degeneration der KI und gegen die opportunistische Abweichung des Trotzkismus, die diesen ins bürgerliche Lager führte, hat die Linke immer eine Methode verteidigt, die auf Klarheit und damit auf der Wahrheit beruht, insbesondere gegen alle Verfälschungen, die der Stalinismus verbreitete. Marx sagte: "Die Wahrheit ist revolutionär". Mit anderen Worten: Lügen und vor allem Verleumdungen sind keine Waffen des Proletariats, sondern der feindlichen Klasse. Eine Organisation, die sie in ihrem Kampf einsetzt, geht also unabhängig von der Gültigkeit der in ihrem Programm niedergeschriebenen Positionen den Weg des Verrats oder wird zumindest zu einem entscheidenden Hindernis für die Entwicklung des Bewusstseins in der Klasse. In diesem Fall ist es in der Tat vom Standpunkt der Interessen des Proletariats aus vorzuziehen, dass eine solche Organisation verschwindet, und zwar viel mehr, als es aufgrund von Fehlern in ihrem Programm der Fall wäre.
Genossinnen und Genossen!
Wir sagen euch offen: Wenn das IBRP auf ihrer Politik der Lügen, Verleumdungen und, schlimmer noch, der "Erlaubnis", diese zu benutzen, beharrt und ihnen Vorschub leistet, indem sie angesichts der Intrigen von Gruppierungen wie dem "Circulo" und der FIIKS, deren Markenzeichen und Daseinsberechtigung sie sind, schweigt, dann wird es bewiesen haben, dass es auch ein Hindernis für die Entwicklung des Bewusstseins im Proletariat geworden ist. Es wird zu einem Hindernis geworden sein, nicht so sehr wegen des Schadens, den es unserer Organisation zufügen kann (die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass wir in der Lage sind, uns zu verteidigen, auch wenn man denkt, dass "die IKS im Prozess der Auflösung ist"), sondern wegen des Schadens und der Schande, die ein solches Verhalten dem Gedächtnis der Italienischen Kommunistischen Linken und damit ihrem unschätzbaren Beitrag zufügen kann. In der Tat wäre es in diesem Fall besser, wenn das IBRP verschwinden würde, und "unser Ziel wäre es, alles zu tun, was möglich ist, um eurer Verschwinden zu forcieren", wie ihr es so trefflich formuliert habt. Es ist natürlich klar, dass wir, um dieses Ziel zu erreichen, nur die Waffen der Arbeiterklasse einsetzen würden, und es versteht sich von selbst, dass wir niemals den Einsatz von Lügen oder Verleumdungen zulassen würden.
Ein letzter Punkt:
Die Erklärung des "Circulo" vom 12. Oktober sowie der Artikel der IFIKS in ihrem Bulletin Nr. 28 beziehen sich auf unsere so genannten "Sabotageversuche" bei eurer öffentlichen Versammlung in Paris am 2. Oktober. Diese Art von Anschuldigungen sind euch nicht fremd, da ihr in der ersten Version eurer Stellungnahme zu dieser öffentlichen Versammlung, die nur auf Italienisch (und nicht auf Französisch - noch ein weiteres Geheimnis des IBRP! "die revolutionäre Avantgarde, selbst dort, wo sie zahlenmäßig reduziert ist, in ihrem Entstehen behindert durch den Gestank, der von einer im Zerfall begriffenen Organisation wie der IKS in Paris erzeugt wird. Deshalb wird das IBRP seine Arbeit auch in Paris fortsetzen und alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Sabotage zu verhindern und zu vermeiden, egal woher sie kommen mag" ("le avanguardie rivoluzionarie anche laddove scarseggiano, ostacolate nel loro emergere dai miasmi prodotti da una organizzazione in via di disfacimento, come la Cci a Parigi. E' per questo che il BIPR continuerà il suo lavoro anche su Parigi, prendendo tutte le misure necessarie a prevenire ed evitare sabotaggi, da qualunque parte essi vengano"). Am Ende habt ihr den letzten Teil dieser Passage zurückgezogen (was zeigt, dass ihr euch eurer Sache nicht sehr sicher wart) und insbesondere den Hinweis auf unsere "Sabotage". Nichtsdestotrotz wurden eine Reihe von Besuchern eurer Website und die Kontakte, an die ihr eure Mitteilungen per E-Mail senden, über diese Anschuldigungen informiert. Auch die IFIKS und der "Circulo" veröffentlichen sie weiterhin auf ihrer eigenen Seite und Sie machen keinen Versuch, sie zu dementieren.
Genossen, wenn ihr glaubt, dass wir versucht haben, euer öffentliches Treffen in Paris zu sabotieren, dann sagt das offen und erklärt, warum. Das würde es ermöglichen, den Punkt in einer argumentativen Weise zu diskutieren, anstatt mit einem hinterhältigen Gerücht konfrontiert zu werden.
Zum Schluss. Dieser Brief konzentriert sich auf eine einzige Frage, nämlich die Veröffentlichung einer infamen "Erklärung" auf eurer Website, die die IKS verleumdet. Die Verwendung von Lügen und Verleumdungen (in aktiver oder passiver Weise) als Mittel zur Bekämpfung der IKS endet jedoch nicht hier. Wir erinnern euch daran, dass wir euch zwei Briefe geschrieben haben, in denen wir euch unter anderem gebeten haben, zu einer Frage von größter Wichtigkeit (wenn es je eine gab) Stellung zu nehmen: "Glaubt ihr, dass die IKS, wie die IFIKS immer wieder behauptet, unter der Kontrolle von Agenten des kapitalistischen Staates steht (die der Polizei oder einer Sekte der Freimaurerei angehören)?"
Wir erinnern euch auch daran, dass ihr bis jetzt, obwohl ihr den Diebstahl unserer Abonnentenliste durch die IFIKS rechtfertigt, nicht erklärt haben, wie es kommt, dass diese Abonnenten eine Einladung zu eurem öffentlichen Treffen per Post erhalten haben, obwohl sie euch ihre Adressen nicht gegeben hatten. Die einzige "Erklärung", die wir erhalten haben, war die, die auf eurer öffentlichen Versammlung in Paris am 2. Oktober von einem Mitglied des Präsidiums gegeben wurde, das sagte: "Wir wussten nicht, dass diese Einladungen verschickt wurden und wir sind damit nicht einverstanden".
Selbst wenn ihr es der IKS nicht erklären wollt, bitten wir euch zumindest, den Anstand zu haben, unseren Abonnenten, die nicht unbedingt IKS-Sympathisanten sind, eine Erklärung zu geben.
Wir haben hier eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die aus unserer Sicht noch offen sind, und wir werden sie jederzeit auf den Tisch legen, wenn ihr euch entscheidet, eure übliche Politik des Schweigens als Antwort auf unsere Briefe anzuwenden.
Kommunistische Grüße,
Die IKS, 7.12.2004
[1]Anmerkung zur englischen Version : als wir diese Übersetzung auf unserer Website veröffentlichen (31/12/2004), stellten wir fest, dass - obwohl der Link zur französischen Version der "Erklärung" aktiv bleibt - das Dokument selbst verschwunden ist : Inkompetenz oder ein weiteres Beispiel für die "Diskretion" des IBRP?
[2]Diese Frage betrifft nicht nur das Datum des Verschwindens der "Erklärung" vom 12. Oktober, sondern auch ihre Veröffentlichung auf der Website des IBRP. Tatsächlich ist diese Erklärung nie auf Italienisch erschienen, obwohl zwei andere Texte des Circulo in dieser Sprache erschienen sind; "Presa di posizione del Circolo di Comunisti Internazionalisti sui fatti di Caleta Olivia" ("Positionserklärung des Zirkels der Internationalen Kommunisten zu den Ereignissen von Caleta Olivis") und "Prospettive della classe operaia in Argentina e nei paesi periferici" ("Perspektive des Proletariats in Argentinien und den peripheren Ländern"). Paradoxerweise sind diese nicht in anderen Sprachen von dem IBRP veröffentlicht worden. Das ist ein bisschen schwierig zu verstehen. Wir hoffen zumindest, dass die Militanten des IBRP die Gründe für diese überraschenden Entscheidungen kennen.
[3]Anmerkung zur englischen Übersetzung: dieser Text erschien in Internationalist Communist Nr. 21, der nie auf der IBRP-Website veröffentlicht wurde.
[4]Anmerkung zur englischen Übersetzung: dieser Text ist auf Französisch auf der Website erschienen, aber offenbar nicht auf Englisch.
[5]Anmerkung zur englischen Übersetzung: Verschiedene betrügerische Kampagnen in der bürgerlichen Presse, besonders in Frankreich und Italien, haben versucht, die internationalistische Anprangerung des "großen antifaschistischen Krieges" durch die Kommunistische Linke mit den Thesen jener "revisionistischen" Historiker zu identifizieren, die die Existenz der Nazi-Konzentrationslager leugnen oder herunterspielen.
Im Dezember letzten Jahres schrieb die IKS an die Internationale Kommunistische Tendenz mit der Bitte, einen Brief zur Richtigstellung von schwerwiegenden Verfälschungen von Tatsachen betreffend unsere Organisation zu veröffentlichen, die auf der IKT-Website in einem Artikel mit dem Titel Zum fünfundvierzigsten Jahrestag der Gründung der CWO[1] erschienen waren.
Die IKS fordert solche Richtigstellungen nicht vom bürgerlichen Lager. Aus dieser Richtung erwarten wir Lügen und prangern solche Verleumdungen einfach als das Markenzeichen der feindlichen Klasse an.
Wenn wir die IKT um eine Richtigstellung schwerer Diffamierungen gegenüber der IKS gebeten haben, dann deshalb, weil wir die IKT, ungeachtet unserer politischen Differenzen mit dieser Tendenz, als Teil des internationalistischen proletarischen Lagers betrachten, und wir daher von einem gemeinsamen Interesse an Richtigstellungen aller wichtigen Abweichungen von einem wahrheitsgemäßen Bild der Geschichte der Kommunistischen Linken ausgehen[2].
Wir erwarteten, dass die IKT entweder diese wichtigen Fehler anerkennen und sich bereit erklären würde, sie zu berichtigen, oder dass sie Beweise vorlegen würde, um unsere Korrekturen zu widerlegen.
Leider aber antwortete die IKT verärgert auf unsere Anfrage und weigerte sich, irgendeine Korrektur zu veröffentlichen, mit der Begründung, die Anfrage sei eine "Provokation" oder ein "politisches Spiel". Sie erklärten in ihrer Antwort, dass dies ihr letztes Wort zu diesem Thema und die Korrespondenz nun beendet sei.[3]
Trotz dieser Abfuhr schrieb die IKS erneut in der Hoffnung, einen Sinneswandel herbeizuführen, und erklärte, dass unsere Bitte um eine Richtigstellung keine Provokation oder ein Spiel oder ein Streit über die Interpretation der Geschichte der CWO oder ein Versuch sei, unsere eigene Interpretation der Geschichte durchzusetzen, sondern ein Wunsch, wichtige Fakten wiederherzustellen. Und wir stellten in unserem zweiten Brief fest, dass trotz der wütenden Weigerung der IKT, unsere Richtigstellung zu veröffentlichen, ihre Antwort die fraglichen Fakten nicht widerlegt habe und damit die Faktenlage so sei, wie wir sie beschrieben hatten. Aber in einem Punkt war die IKT konsequent: Sie ist bis heute bei ihrer einseitigen Beendigung der Korrespondenz geblieben und hat auch drei Monate später nicht auf unseren zweiten Brief geantwortet.
Wenn wir diese Korrespondenz mit der IKT nun veröffentlichen, dann deshalb, weil es offensichtlich nicht möglich war, mit ihnen zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, und weil wir die Verfälschungen dennoch für gravierend genug halten, um eine Richtigstellung zu veröffentlichen. Angesichts der Weigerung der IKT, eine für beide Seiten akzeptable öffentliche Richtigstellung weiter in direktem Kontakt zu besprechen, was wir bevorzugt hätten, sind wir gezwungen, den Sachverhalt selbst öffentlich zu machen.
Unser erstes Schreiben:
IKS an die IKT
8/12/2020
Liebe Genossinnen und Genossen,
Wir bitten Euch, die folgende Richtigstellung auf Eurer Website zu veröffentlichen:
"Uns ist aufgefallen, dass ein Artikel auf eurer Website 'Zum 45. Jahrestag der Gründung der CWO' einige Unwahrheiten enthält, die unsere Organisation diffamieren. Drei stechen besonders hervor, und sie müssen korrigiert werden:
Erstens behauptet der Artikel, dass die IKS Battaglia Comunista 'verleumdet' hat, was ihre Ursprünge in der 1943 gegründeten Internationalistischen Kommunistischen Partei betrifft:
"Wir entdeckten auch, dass die Verleumdungen der IKS, sie [die IntKP] habe 'innerhalb der Partisanen' gearbeitet, nicht der Wahrheit entsprachen, außer der Tatsache, dass sie überall dort gearbeitet hatte, wo die Arbeiterklasse präsent war".
In einem Brief von Battaglia Comunista an die IKS, der im Artikel „Die Zweideutigkeiten der Internationalistischen Kommunistischen Partei über die 'Partisanen' in Italien 1943“ in der International Review [engl./frz./span. Ausgabe] Nr. 8 von 1977 abgedruckt ist, heißt es:
"Die Genossen, die aus der kommunistischen Linken kamen und die die [Internationalistische Kommunistische] Partei bildeten, waren die ersten sowohl in Italien als auch außerhalb, die die konterrevolutionäre Politik des demokratischen Blocks (einschließlich der stalinistischen und trotzkistischen Parteien) anprangerten, und sie waren die ersten und einzigen, die innerhalb der Arbeiterkämpfe und sogar in den Reihen der Partisanen agierten und die Arbeiter aufriefen, gegen den Kapitalismus zu kämpfen, egal hinter welcher Art von Regime er sich versteckt.
Die Genossen, die RI als 'Widerstandskämpfer' ('Resistance') bezeichnet, waren revolutionäre Militante, die sich der Aufgabe widmeten, in die Reihen der Partisanen einzudringen, um die Prinzipien und Taktiken der revolutionären Bewegung zu propagieren, und die für diese Arbeit mit ihrem Leben bezahlten."
Die Internationalistische Kommunistische Partei, aus der Battaglia Comunista hervorging, agierte innerhalb der Partisanen und drang in deren Reihen ein – nach eigenem Bekunden. Die Anerkennung und Kritik der IKS an dieser Tatsache ist also keine Verleumdung.
Zweitens heißt es in dem Artikel mit der zeitlichen Übersicht:
"1980: Die dritte Konferenz der Internationalen Kommunistischen Linken (Paris) führte zum Verlassen der Konferenzen durch die IKS und andere kleinere Gruppen".
Zu behaupten, die IKS habe die Konferenzen verlassen, ist eine reine Verfälschung der Realität, eine Verfälschung, die außerdem durch das widerlegt wird, was weiter oben in eurem Artikel steht:
"In der Sitzung [der dritten Konferenz] gaben die CWO und die belgische GCI getrennt voneinander bekannt, dass sie nicht an der nächsten Konferenz teilnehmen würden. Die CWO konsultierte die IntKP [d.h. Battaglia Comunista] nicht, bevor sie dies tat, aber die IntKP als Initiatorin der Konferenzen versuchte, etwas aus ihnen herauszuholen, indem sie ein neues Kriterium für die nächste Konferenz vorschlug, das (so dachten sie) einige Elemente wie die CWO und die GCI zufriedenstellen würde und das die IKS zwingen würde, einen klareren Standpunkt einzunehmen. Es hat nicht geklappt, da die IKS argumentierte, dass die Resolution nur dazu gedacht war, sie auszuschließen. Sie versuchte, die IntKP dazu zu bringen, den Wortlaut des Kriteriums so zu ändern, dass die Verwirrung über die Parteifrage weitergehen konnte. Die IntKP blieb bei der ursprünglichen Formulierung und die CWO-Delegation beschloss, sie zu unterstützen."
Es war also nicht die IKS, sondern die CWO, die die Konferenzen verlassen wollte. Um "etwas herauszuholen", führte die IntKP ein neues Kriterium für die Teilnahme an der Konferenz ein (das sie zwar eigentlich nicht ändern wollte, das die CWO aber unterstützte), das die IKS nicht akzeptieren konnte. Die Debatte über das Wesen der Partei zwischen den Gruppen der Konferenzen war künstlich beendet worden. Die IKS wurde von den beiden Gruppen faktisch ausgeschlossen und hat die Konferenzen nicht freiwillig verlassen.
Drittens heißt es in dem Artikel:
"Als die IKS begann, in die Häuser von Leuten einzubrechen (angeblich, um IKS-Eigentum zurückzuholen), einschließlich in das von JM, der zusammen mit den Abspaltern gegangen waren, drohte Aberdeen, die Polizei zu rufen".
Die Behauptung, dass die IKS "anfing, in die Häuser der Leute einzubrechen", ist eine böswillige Lüge, die von Parasiten wie der längst aufgelösten Aberdeen-Communist-Bulletin-Group verbreitet wurde, um den Diebstahl der materiellen Ressourcen der IKS zu rechtfertigen und ihre Drohungen, die Polizei gegen die IKS zu rufen, zu entschuldigen. Die Andeutung in dem Artikel – durch die Verwendung des Adverbs "angeblich" –, dass die Wiederbeschaffung von Material durch die IKS ein Vorwand für Einschüchterung gewesen sei, war eine weitere Lüge, die von den Parasiten verbreitet wurde, um ihre eigene Schurkerei zu entschuldigen.
Eines der Prinzipien, durch das sich die Tradition der Kommunistischen Linken vom Stalinismus und Trotzkismus unterschieden hat, war es, die Wahrheit zu sagen und die Lügen der Konterrevolution zu entlarven, insbesondere deren Verfälschung historischer Tatsachen. Dieses Prinzip der faktischen Genauigkeit ist besonders wichtig, wenn es um die Geschichte der Kommunistischen Linken geht. Die Verfälschungen in dem Artikel müssen korrigiert werden, um ein wahrheitsgetreues Bild dieser Geschichte für neue Generationen von kommunistischen Militanten zu vermitteln.
Der Artikel ist nun schon seit einiger Zeit auf eurer Website und könnte von vielen Menschen gelesen worden sein, daher bitten wir darum, dass die obige Richtigstellung innerhalb der nächsten zwei Wochen an gut sichtbarer Stelle auf eurer Website erscheint.
Kommunistische Grüße
Die IKS"
Zweiter Brief der IKS
Obwohl die IKT sich weigerte, diesen Brief zu veröffentlichen, bestätigte sie tatsächlich die Richtigkeit unsere Korrekturen, wie wir in unserem zweiten Brief betonten:
"...wir stellen fest, dass ihr in eurem Brief tatsächlich die Richtigkeit der Korrekturen bestätigt, um die wir gebeten hatten:
"Mitglieder der IntKP traten in die Partisanen ein, um Arbeiter vom Antifaschismus und Stalinismus (und dem CLN) wegzuzerren";
"[Die IntKP] wollte sicher nicht, dass die positiven Einladungen zur Teilnahme an den Konferenzen nur auf die IKS reduziert würden"; (mit anderen Worten, es bestand keine Wahrscheinlichkeit, dass die IKS die Teilnahme an den Konferenzen verweigern würde);
Die Integrität der IKS infrage gestellt
Die angesprochen Tatsachen, die wir in unserem ersten Brief richtigstellen und in unserem zweiten Brief bestätigen und die die IKT nicht bestreitet, sich aber weigert, sie öffentlich zu korrigieren, sind eindeutig keine Kleinigkeiten, sondern betreffen direkt wichtige Aspekte der Integrität der Positionen der IKS. Der CWO-Artikel suggeriert, dass die Differenzen der IKS mit dem Verhalten der IntKP gegenüber den Partisanen in Italien im 2. Weltkrieg – ein Fakt, der hilft, den unterschiedlichen Werdegang der Vorläuferin der IKS, der Gauche Communiste de France, im Vergleich zu dem der IntKP während der 1940er Jahre zu erklären – eine "Verleumdung" darstellten.
Weiter heißt es in dem Artikel, wir hätten die Internationalen Konferenzen der Kommunistischen Linken der 1970er Jahre aufgegeben, die wir in Wirklichkeit mit Zähnen und Klauen verteidigten. Die negativen Auswirkungen des Scheiterns dieser Konferenzen sind noch heute zu spüren. Und schließlich wird in dem Artikel so getan, als ob die IKS, die immer die revolutionäre Organisation und ihr ehrliches Verhalten verteidigt hat, die gleiche Art von Methoden angewandt habe wie diejenigen, die versuchten, sie durch Diebstahl, Verleumdungen und Drohungen mit der Polizei zu zerstören. Mit einem Wort, völlig entgegen den Tatsachen, kommen wir in dem Artikel als Verleumder, Schurken und Deserteure daher.
Es handelt es sich dabei nicht um eine polemische Übertreibung, sondern um Erfindungen, die uns diffamieren.
Natürlich ist die IKS verpflichtet, sich öffentlich gegen solche Verunglimpfungen zu wehren.
Die CWO verfasste ihre Geschichtsdarstellung für neue Mitglieder und Kontakte, damit sie das "Fundament unseres politischen Bewusstseins und unserer heutigen Perspektiven" kennen. Und als solche hatte ihre Geschichte zwangsläufig eine polemische Seite, da sich ihre Vergangenheit an vielen Punkten mit der der IKS überschneidet. Aber das ist ein Grund mehr, sich an die Fakten zu halten, damit die neuen Militanten die tatsächliche Geschichte der Divergenzen der IKT mit anderen Tendenzen kennen. Die tiefe Überzeugung neuer Militanter von der Politik der IKT oder irgendeiner anderen Tendenz der Kommunistischen Linken kann nicht auf der Grundlage von Verunglimpfungen und Unwahrheiten über gegnerische Tendenzen gebildet werden. Im Gegenteil, die Schulung neuer Militanter der Kommunistischen Linken erfordert die Kenntnis der Tatsachen.
Wie das Schicksal der Anfrage der IKS an die IKT zeigt, ist die kollektive Entschlossenheit, die Wahrheit innerhalb der Kommunistischen Linken – trotz ihrer gegenseitigen politischen Meinungsverschiedenheiten – als Ganzes und Teil ihrer historischen Tradition zu verteidigen, leider mehr und mehr in Vergessenheit geraten, und der Versuch, Unwahrheiten zu korrigieren, wird stattdessen von der IKT als "ein Spiel" betrachtet – d.h. die Forderung der IKS nach faktischer Ehrlichkeit wird selbst als unehrlich betrachtet. Und dann abgelehnt.
Diese erbärmliche Missachtung der Tatsachenfeststellung ist jedoch eine eher neue Abweichung von der Tradition der marxistischen Linken und der Kommunistischen Linken im Besonderen.
'Die Wahrheit ist revolutionär' – Marx
Der revolutionäre Charakter der Wahrheit hat für den Marxismus eine allgemeine Bedeutung in dem Sinne, dass die Abfolge der historischen Veränderungen von einer Produktionsweise zur nächsten im Laufe der Menschheitsgeschichte nur als Ergebnis des Klassenkampfes wissenschaftlich und damit wahrhaftig verstanden werden kann. Und sie hat eine spezifische Bedeutung für den Kampf der Arbeiterklasse, die die Lügen entlarven muss, mit denen die Kapitalistenklasse ihre Herrschaft der erbarmungslosen Ausbeutung, der ökonomischen Krise und Verelendung, des endlosen Krieges und der Katastrophe rechtfertigt. Da das kommunistische Ziel des revolutionären Proletariats nicht darin besteht, eine neue Ausbeutungsform zu rechtfertigen, sondern die Klassen abzuschaffen und eine Gesellschaft der freien Assoziation der Produzenten zu schaffen, ist das Streben nach der Wahrheit die größte politische und theoretische Waffe der Arbeiterklasse und ihrer kommunistischen Minderheiten, sowohl gegen die Bourgeoisie als auch zur Stärkung der eigenen Reihen.
Die theoretische, politische und organisatorische Entwicklung der marxistischen Tradition hat hauptsächlich durch sachlich korrekte Polemiken stattgefunden. Es gibt die berühmten Polemiken von Marx und Engels gegen die linken Hegelianer (Heilige Familie, Deutsche Ideologie), gegen Proudhon (das Elend der Philosophie), den Anti-Dühring, die Kritik des Gothaer Programms, die Polemik von Rosa Luxemburg gegen Eduard Bernstein (Sozialreform oder Revolution), Lenins Polemik mit den russischen Populisten in Was sind die ‚Volksfreunde‘ und wie befehden sie die Sozialdemokraten usw. Sie alle beruhen auf ausführlichen Zitaten aus den Schriften und den genauen, beweiskräftigen Schilderungen der Handlungen derer, die sie kritisieren, und waren deshalb umso kraftvoller und vehementer. Umgekehrt war die marxistische Tradition entschlossen, alle Fälschungen ihrer Politik öffentlich zu beantworten und ganz besonders die Verleumdungen und Manöver im Dienste des gegnerischen Lagers zu entlarven, wie Marx' Entlarvung des Polizeispions Herrn Vogt, die ein ganzes Buch umfasste, oder der Bericht der Ersten Internationale über die Bakunin-Verschwörung.
Diese Prinzipien der Genauigkeit und Ehrlichkeit wurden im marxistischen Lager durch die opportunistische Degeneration der 2. Internationale geschwächt. Nach dem Zusammenbruch der letzteren im Jahr 1914 und der Unterstützung der wichtigsten sozialdemokratischen Parteien für den imperialistischen Krieg und dem aktiven Hass auf die revolutionäre Welle, die 1917 aufkam, verstärkten sich die Verleumdungen gegen die marxistische internationale Linke und waren der Auftakt zum Versuch, ihre Militanten auszurotten. Die Sündenbockjagd auf Rosa Luxemburg durch die sozialdemokratische Presse zum Beispiel schuf das Klima für ihre Ermordung 1919. Lenin und Trotzki entgingen im Sommer 1917 nur knapp dem gleichen Schicksal, nachdem sie von den Menschewiki und anderen als deutsche Agenten verleumdet worden waren.
Die lange stalinistische Konterrevolution, die dem Ende der revolutionären Welle von 1917-23 folgte, verstärkte diesen Angriff gegen die Prinzipien und die Ehre der revolutionären Vorhut im Namen des Marxismus und der Arbeiterklasse – die größte Lüge der Geschichte. Die stalinistischen Angriffe, verkleidet als "marxistische Polemik", zielten auf die Vernichtung derjenigen, die angesichts der Degeneration der Oktoberrevolution und der Kommunistischen Internationale den internationalistischen Kern des marxistischen Programms aufrechterhielten – also die Opposition Trotzkis, vor allem aber die kommunistische Linke aus Deutschland und Italien. Geschichtsfälschungen, Lügen und Verleumdungen bereiteten den Boden für Ausschlüsse, Verhaftungen, Folter, Schauprozesse und Mord.
Trotzki versuchte, die wahre marxistische Tradition mit der Dewey-Kommission 1936 aufrechtzuerhalten, die die Komplotte der Moskauer Prozesse mit systematischen Beweisen und durch Zeugenaussagen entlarvte.
Aber der Trotzkismus schloss sich während des Zweiten Weltkriegs dem bürgerlichen Lager an, indem er den Internationalismus aufgab, und in diesem Prozess wurden seine Methoden denen der stalinistischen und sozialdemokratischen Konterrevolution immer ähnlicher. Lügen und Verleumdungen wurden zum normalen Verhalten innerhalb der linken und extremen Linken der bürgerlichen Konterrevolution. Nur die Kommunistische Linke blieb auf der Seite des Proletariats und der Verteidigung der Wahrheit während des imperialistischen Gemetzels 1939-45. Und heute muss sich die Kommunistische Linke immer noch mit den schändlichen Methoden der konterrevolutionären Linken auseinandersetzen und sich scharf von ihnen abgrenzen.
Beim Wiederaufleben der Tradition der Kommunistischen Linken nach 1968 wurde trotz des Gewichts des Sektierertums unter den verschiedenen Gruppen und der Schwierigkeit für neue Militante, mit den Gewohnheiten der Linken zu brechen, die Notwendigkeit einer gemeinsamen Anstrengung zur Durchsetzung der Wahrheit von den verschiedenen Gruppen gegenseitig anerkannt. Wie der obige Brief der IKS an die CWO zeigt, veröffentlichte die IKS 1977 in ihrer International Review die Bitte von Battaglia Comunista (d.h. intKP/IKT) um eine Korrektur ihres Artikels über die Partisanen und die Ursprünge der intKP. Und zu dieser Zeit bezog sich die Bitte der intKP auf dieses revolutionäre Prinzip der historischen Genauigkeit, eine Episode, an die wir in unserem zweiten Brief an die IKT erinnern:
„1976 richtete Genosse Onorato Damen im Namen der Exekutive des Partito Comunista Internazionalista einen Brief an unsere Sektion in Frankreich mit der Bitte, bestimmte Aussagen in einer Polemik mit der bordigistischen IKP, die in Nr. 29 unserer Zeitung Révolution Internationale veröffentlicht wurde, zu korrigieren. Er protestierte vor allem gegen das, was wir über die Politik des Partito in der Partisanenfrage geschrieben hatten. Und er schloss seinen Brief mit folgendem: ‚Wir wollen, dass alle Revolutionäre wissen, wie man eine ernsthafte kritische Prüfung der Positionen zu den wichtigsten politischen Problemen der Arbeiterklasse heute durchführt, dokumentiert mit dem Ernst, der Revolutionären eigen ist, wenn es darum geht, zu den Irrtümern der Vergangenheit zurückzukehren (und das ist etwas, das immer notwendig ist)‘“. Wir haben seinen gesamten Brief in der International Review Nr. 8 (engl./frz./span. Ausgabe) veröffentlicht, natürlich mit unserer eigenen Antwort.
Unsere Frage an euch lautet: Seid ihr der Meinung, dass Genosse Damen und die Exekutive der intKP sich auf "Provokation", auf "politische Spiele" eingelassen haben, indem sie uns aufforderten, eine Korrektur zu veröffentlichen?
Natürlich kann es einen Streit über die Realität der Fakten geben. In der International Review Nr. 87 (engl./frz./span. Ausgabe) veröffentlichten wir zum Beispiel einen Brief der CWO (geschrieben als "Provokation" und für "politische Spiele"?), in dem behauptet wurde, es gäbe Unwahrheiten in einer früheren Polemik der IKS. Wir argumentierten, dass sie in der Tat wahr waren.
In den letzten Jahrzehnten ist diese revolutionäre Tradition, an die Onorato Damen erinnert, jedoch in Vergessenheit geraten, zum Teil als Folge des Scheiterns der bereits erwähnten Konferenzen der Kommunistischen Linken und des daraus resultierenden Aufkommens einer zerstörerischen "Jeder gegen Jeden"-Mentalität, bei der das Prinzip der Ehrlichkeit innerhalb der Kommunistischen Linken, trotz aller Bemühungen der IKS, mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Das Prinzip der wechselseitigen Diskussion und des gemeinsamen Handelns, das von Marx während der I. Internationale als Ethos aller verschiedenen Tendenzen innerhalb der proletarischen Bewegung aufgestellt wurde, wurde zunehmend ignoriert. Mit diesem Versagen verbunden und es verschärfend traten zunehmend Gruppen in Erscheinung – oft nicht mehr als unzufriedene Blogger –, die sich verbal auf die Kommunistische Linke beriefen, deren Funktion in Wirklichkeit aber darin bestand, diese organisierte Tradition des Linkskommunismus zu verunglimpfen und zu verleumden. Dieser hat es jedoch bisher als ein Ganzes versäumt, gegen dieses bösartige Phänomen, das das Prinzip der Ehrlichkeit innerhalb der Kommunistischen Linken weiter schwächt, die Reihen zu schließen.[4]
Die 'Circulo'-Affäre
Die ‚Infektion‘ durch die unehrliche Praxis der extremen Linken, deren Symptome in den Fälschungen im neuesten Artikel der CWO über ihre Geschichte auftauchen, erinnert an eine frühere Episode ähnlicher Art, den berüchtigten Skandal der "Circulo-Affäre", als die IKT (damals IBRP, Internationales Büro der Revolutionären Partei, genannt) auf ihrer Website kritiklos eine Litanei von Verleumdungen gegen die IKS veröffentlichte, die von einer imaginären Gruppe in Lateinamerika namens "Circulo de Comunistas Internacionalistas" stammten.
In den frühen 2000er Jahren begann die IKS mit einer Gruppe in Argentinien Diskussionen über die Positionen und Organisationsprinzipien der Kommunistischen Linken und über die Analyse der Piqueteros-Bewegung in diesem Land im Dezember 2001. In der Folge startete diese Gruppe, der Nucleo Comunista Internazionalista, einen internationalen Aufruf an die Gruppen der Kommunistischen Linken zur organisierten Diskussion, auf den leider nur die IKS positiv reagierte. Der NCI gab auch eine Erklärung ab, in der er die Aktionen einer parasitären Gruppe gegen die IKS verurteilte.[5]
Die Schwierigkeiten, mit denen neue Gruppen, die zur Kommunistischen Linken kommen, konfrontiert sind, wurden jedoch durch eine bizarre und destruktive Episode offenbart.
Ein ehrgeiziges Individuum innerhalb des NCI (das als Bürger B bekannt wurde) legte ein ausgesprochen abenteuerliches Verhalten, mit der Ausstrahlung eines Gurus, innerhalb der Gruppe an den Tag und forderte entschieden die sofortige Mitgliedschaft in der IKS. Als die Bedingungen dieser Forderung abgelehnt wurden, rächte er sich, indem er vorgab, der NCI habe sich in eine imaginäre politische Gruppe „Circulo de Comunistas Internacionalistas“ verwandelt! Diese ungeheuerliche Usurpation fand völlig ohne das Wissen der anderen Mitglieder des NCI statt!
Im Namen dieser Phantomgruppe begann der 'Circulo' Bürger B dann, Erklärungen im Internet eigenmächtig persönlich zu produzieren, die die frühere Position des NCI gegen das Parasitentum auf den Kopf stellten und stattdessen genau die Angriffe der letzteren gegen die IKS aufnahmen.
In einer ersten dieser Erklärungen, die bei einer öffentlichen IBRP-Versammlung in Paris physisch verteilt wurde, schrieb die parasitäre Gruppe IGCL[6]:
"Es ist die verquere Stimme der IKS, die, indem sie die schädlichen Lehren des Stalinismus von 1938, der die alte bolschewistische Garde liquidierte, übernommen hat und heute versucht, das Gleiche zu tun: revolutionäre Genossen politisch zu liquidieren aufgrund der einfachen Tatsache, dass sie mit ihrer politischen Linie nicht einverstanden sind."
Nicht nur auf Stalin bezogen sie sich, sondern auch auf Goebbels:
Es ist notwendig, der Verleumdung und der Politik von Goebbels, immer wieder zu lügen und zu lügen, damit immer etwas davon übrig bleibt, ein Ende zu setzen.
All dieser verleumderische Müll gegen die IKS aus der Aussage des Phantoms "Circulo", der durch keinen einzigen Fetzen eines Beweises gestützt wird, wurde kommentarlos und ohne jeden Versuch, ihn zu überprüfen, in mehreren Sprachen auf der IBRP/IKT-Webseite veröffentlicht. Der nicht existierende "Circulo" wurde sogar als echte Bereicherung in den Reihen der Revolutionäre begrüßt.
Die IKS, besorgt darüber, dass solche Verleumdungen auf einer Website der Kommunistischen Linken gegen eine andere Tendenz der Kommunistischen Linken veröffentlicht wurden, schrieb sofort an die IKT und lieferte umfassende Beweise dafür, dass der "Circulo" die groteske Erfindung eines Abenteurers war, und forderte, dass unsere Erklärung zur Richtigstellung ihrer verleumderischen Aussage von der IKT veröffentlicht wird. Wir mussten drei Briefe an das IKT schreiben und drei Wochen vergingen, bis dies endlich geschah. Aber damit war die Sache noch nicht zu Ende.
Die IKS setzte sich mit den anderen Mitgliedern der NCI in Verbindung, um den Sachverhalt zu bestätigen, und stellte fest, dass die Genossen sprachlos waren, als sie von der Usurpation und den Verleumdungen des Bürgers B und seinem "Circulo" erfuhren, und beschlossen, selbst eine Erklärung zu schreiben, in der sie den Betrug anprangerten und die Fakten, wie sie von der IKS dargestellt wurden, unterstützten.[7]
Als Bürger B. von diesem Kontakt erfuhr, verdoppelte er seine Verleumdungen aus seiner ersten Erklärung und produzierte eine zweite Tirade.
„(...) diese Telefonanrufe waren nicht unschuldig. Sie hatten die hinterhältige Absicht, unseren kleinen Kern oder seine einzelnen Militanten zu zerstören, indem sie gegenseitiges Misstrauen schürten und die Saat der Spaltung in den Reihen unserer kleinen Gruppe säten.
(...) die gegenwärtige Politik der IKS schürt Zweifel und eine interne Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens. Sie wendet die stalinistische Taktik der "verbrannten Erde" an, d.h. nicht nur die Zerstörung unserer kleinen und bescheidenen Gruppe, sondern auch die aktive Opposition gegen jeden Versuch einer revolutionären Umgruppierung, die die IKS nicht anführt, durch ihre sektiererische und opportunistische Politik. Und dafür zögert sie nicht, eine ganze Reihe von widerlichen Tricks anzuwenden, deren zentrales Ziel es ist, ihre Gegner zu demoralisieren und auf diese Weise einen "potentiellen Feind" auszuschalten.“
Bürger B verstrickte sich so sehr in seine Manöver und Verleumdungen, dass er dabei ertappt wurde, die IKS zu beschuldigen, eine Gruppe zu zerstören, die er selbst versucht hatte, und durch eine völlig fiktive Gruppe seiner eigenen Phantasie zu ersetzen! Aber als diese zweite verleumderische Erklärung des "Circulo" auf der IKT-Website erschien, weigerte sich die IKT, die Erklärung des NCI zu veröffentlichen, die den Betrug des "Circulo" aus erster Hand vollständig entlarvte und die ganze Episode unabhängig klärte und verifizierte. Auch veröffentlichte die IKT, nachdem die Tatsachen offensichtlich geworden und der 'Circulo' und Bürger B. spurlos verschwunden waren, keinen Widerruf oder eine Erklärung, warum die Verleumdungen gegen die IKS auf ihrer Webseite erschienen waren, oder irgendeine Anerkennung des Schadens, den dies nicht nur dem Ruf der IKS, sondern der gesamten Kommunistischen Linken zugefügt hatte. Die lügnerische Aussage des Circulo blieb noch einige Wochen auf der IKT-Website, bevor sie still und leise entfernt wurde, als ob nichts geschehen wäre.
Die IKS schrieb daraufhin einen offenen Brief an die Militanten der IKT, wie schwerwiegend ihr Verhalten war und wie sehr es das Eindringen der verrotteten Methoden der extremen Linken in das Verhalten der Kommunistischen Linken begünstigte. Wir kündigten in diesem offenen Brief an, dass jede weitere Aktion der gleichen Art wie der Circulo-Skandal aufgedeckt werden würde, insbesondere wenn die IKT erneut versuchen würde, sich aus dem Skandal herauszuwinden, indem sie unsere Briefe mit "Schweigen" beantwortet.[8]
Der vorliegende Artikel ist die Erfüllung dieser Ankündigung.
Anstatt die Lehren aus der Erfahrung zu ziehen und die Angriffe des 'Circulo' als das zu erkennen, was sie waren, sowie ihr eigener schwerer Fehler, sie weiter zu veröffentlichen, reagierte die IKT damals, indem sie der Verleumdung gegen die IKS noch Beleidigungen hinzufügte. Anstatt den Betrug des 'Circulo' anzuprangern, prangerten sie die IKS als eine paranoide Organisation an, die sich im Auflösungsprozess befinde, und stellten sich stattdessen als Opfer der 'vulgären und gewalttätigen' Angriffe der IKS dar.[9]
Das Verbrechen des "Circulo"-Fiaskos bestand also nach diesem Szenario nicht darin, dass die IKT einen böswilligen Angriff auf eine andere Gruppe der Kommunistischen Linken ermöglicht hatte, sondern darin, dass die IKS auf diesen Frevel reagiert und ihn als den Betrug entlarvt hatte, der er war.
Die Unverschämtheit endete dort nicht. Nachdem sie eine bedeutende Rolle bei der Schaffung des "Circulo"-Schlamassels gespielt hatte, gab die IKT vor, dass sie jetzt viel zu beschäftigt sei, um bei der Klärung zu helfen und auf die Kritik der IKS zu antworten. Sie deutete an, dass ihre wichtige Arbeit für den Klassenkampf bedeute, dass sie keine Zeit für die Streitigkeiten kleiner Gruppen habe, als ob der Versuch, eine Gruppe der Kommunistischen Linken durch den Dreck zu ziehen, von geringer Bedeutung wäre.
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Wenn wir in diesem Artikel die Geschichte des "Circulo" aufrollen, dann um zu zeigen, dass die Lehren nicht gezogen wurden und die gleichen schädlichen Fehler immer noch gemacht werden. In ähnlicher Weise wie die Episode des "Circulo" haben sie die jüngsten verleumderischen Erfindungen über die IKS, die in dem Artikel über die Geschichte der CWO enthalten sind, auf deren Website belassen. Die IKT hat nicht nur die Bitte abgelehnt, die Gegendarstellung der IKS zu veröffentlichen, sondern sie hat sich auch geweigert, die Frage mit der IKS weiter zu diskutieren, obwohl sie in der Korrespondenz mit uns die fraglichen Fakten nicht bestreitet.
In ihrem Brief antwortet die IKT auf unsere Bitte um die Feststellung der Fakten tatsächlich mit ähnlichen Beleidigungen wie in ihrer Antwort im Jahr 2004. Ihrer Meinung nach sind nicht die Verfälschungen in dem Artikel das Problem, sondern die IKS, die mit ihrer Forderung nach einer öffentlichen Richtigstellung für Unruhe sorgt. Die CWO gibt vor, dass die IKS ein politisches Spiel treibt, um sie zu diskreditieren. Und sie tut so, als sei sie ohnehin viel zu beschäftigt, um diese Frage weiter zu verfolgen; das war's, auf Wiedersehen.
In Wirklichkeit besteht das 'politische Spiel' in dem Versuch, die Verfälschungen in dem Artikel zu vertuschen, indem man sie weiter verschärft. Die Hauptdiskreditierung liegt hier. Die öffentliche Richtigstellung der ursprünglichen Fälschungen wäre in der Tat ein Verdienst der CWO gewesen.
Die Kommunistische Linke: revolutionäre Positionen und revolutionäres Verhalten
Aus den Antworten der IKT auf unsere Kritik können wir folgern, dass sich die IKS nicht mit dem Klassenkampf beschäftigt, sondern nur mit den Auseinandersetzungen zwischen revolutionären Gruppen. Ein Blick auf die Arbeit der IKS auf unserer Webseite in den letzten 45 Jahren wird sofort zeigen, dass das nicht stimmt.
Es hat keinen Sinn, um diesbezügliche Versäumnisse zu verbergen, so zu tun, als ob die Frage des ehrlichen Verhaltens der revolutionären Organisationen untereinander zweitrangig oder irrelevant für die allgemeinen politischen Ziele, Analysen und Interventionen der Kommunistischen Linken sei. Die organisatorische Ehrlichkeit der letzteren in der Arbeiterklasse ist für ihren letztendlichen Erfolg unerlässlich. Umgekehrt kann die Annahme oder Entschuldigung eines Verhaltens, das eher der extremen Linken ähnelt, nur dazu beitragen, diejenigen zu demoralisieren, die mit der konterrevolutionären Linken brechen, um zu internationalistischen Positionen zu kommen.
Während es dem Bürger B und seinem „Circulo“ nicht gelang, den NCI im Jahr 2004 sofort verschwinden zu lassen, wie er es wollte, überlebte der NCI dennoch diese ganze betrügerische Episode nicht, die, wie wir erklärt haben, eher typisch für das linke Milieu war, dem sie gerade entkommen waren, als für das Milieu der Kommunistischen Linken, dem sie sich angeschlossen zu haben glaubten. Die Erfahrung hatte eine langfristige demoralisierende Wirkung auf sie.
Ohne ein revolutionäres Verhalten von Gruppen der kommunistischen Linken besteht heute die reale Gefahr, das Potenzial für neue Militante, die zu ihren Klassenpositionen kommen, zu zerstören.
Ohne ein revolutionäres Verhalten wird es für neue revolutionäre Militante schwierig sein, nicht nur die Kommunistische Linke von allen Strängen der Linken zu unterscheiden, sondern die echte von der falschen Kommunistischen Linken. Die zahlreichen Mikrogruppen, Abenteurer, Einzelpersonen mit ihrem Groll, die heute vorgeben, Teil der linkskommunistischen Tradition zu sein, während sie sich der Diskreditierung dieser Tradition widmen, wie der berüchtigte "Circulo", sind ein Beweis dafür, dass die internationalistische Plattform mehr ist als ein Dokument, sondern eine Lebensweise, eine organisatorische Integrität.
Die Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Verhaltensstandards unter ihren verschiedenen Gruppen würde jedoch die politische Präsenz des linkskommunistischen Milieus innerhalb der Arbeiterklasse als Ganzes stärken.
Das politische Programm der Kommunistischen Linken, das heißt die Ausarbeitung der revolutionären Wahrheit des proletarischen Kampfes in der Arbeiterklasse, hängt von einem organisatorischen Verhalten ab, das mit diesen politischen Idealen übereinstimmt. Der Kampf für die internationalistische Einheit des Proletariats und gegen die Lügen des Imperialismus und all seiner Apologeten, kann nicht mit der gleichen Moral geführt werden wie die der letzteren und ihrer Verachtung für die Wahrheit.
Das ist kein Appell an ein ewiges moralisches Ideal, sondern die Erkenntnis, dass Zweck und Mittel der revolutionären Organisation, das Ziel und die Bewegung, untrennbar sind und sich ständig gegenseitig bedingen.
Wenn die IKS die Fälschungen des Artikels über die Geschichte der CWO ans Licht bringt, spielt sie kein "Spiel". Wir meinen es ernst und wir werden weiterhin die Frage der revolutionären Ehrlichkeit und Genauigkeit zu einem zentralen Aspekt unserer kommunistischen Intervention machen.
"Sich am Kampf der Kommunistischen Linken zu beteiligen, heißt nicht nur, ihre politischen Positionen zu verteidigen. Es bedeutet auch die Anprangerung von politischem Verhalten, das – wie Gerüchte, Lügen, Beleidigungen und Erpressung – in diametralem Widerspruch steht zum Kampf des Proletariats für seine Emanzipation."[10]
IKS, 14.04.2021
[1] Communist Workers Organisation, britischer Ableger der IKT. www.leftcom.org/en/articles/2020-09-24/on-the-forty-fifth-anniversary-of-the-founding-of-the-cwo [230]
[2] Neben der CWO ist die wichtigste Organisation der IKT die Internationalistische Kommunistische Partei (Battaglia Comunista) in Italien. Wie die IKS sind sie Erben der Tradition der Kommunistischen Linken, die vor allem durch ihre internationalistischen Positionen während des 2. Weltkriegs bekannt ist. Zwischen 1984, als die formale Umgruppierung der CWO und der PCInt begann, und 2009 war die IKT als IBRP bekannt: Internationales Büro für die Revolutionäre Partei.
[3] Die IKT-Antwort wurde vom "Executive Committee of the CWO" gesendet
[4] Das soll nicht heißen, dass die intKP/IKT nicht in der Lage gewesen wäre, auf solche Verleumdungen gegen sich selbst zu reagieren. Im Jahr 2015 erschien auf der IKT-Website eine Erklärung Antwort auf eine üble Verleumdung, in der Lügen angeprangert wurden, die von ehemaligen Mitgliedern gegen Mitglieder der IKT in Umlauf gebracht worden waren:
„Sie haben uns in ihren sinnlosen Anschuldigungen nichts erspart: Angst, Feigheit, Verrat, Opportunismus Einzelner, bis hin zu Anschuldigungen von Verbindungen zu Kräften des bürgerlichen Staates.
Sie haben nie auch nur einen Ansatz eines Beweises vorgelegt. Da aber diejenigen, die Anschuldigungen erheben, die Beweislast tragen, ist gerade das Fehlen konkreter Beweise ein Beweis für die Schandtaten dieser Personen und ihrer Manöver. (...)
In der Geschichte unserer Partei hatte eine ähnlich schlimme Sache ihr Gegenstück – in viel schwerwiegenderer Form – nur während des Zweiten Weltkriegs, als internationalistische Militante ins Visier von Togliattis Schergen gerieten, die ihre Verfolgungskampagnen bis hin zur Ermordung damit rechtfertigten, dass sie uns beschuldigten, 'im Dienste der Gestapo' zu stehen.“
Die IKT weigerte sich jedoch, aus dieser Erfahrung allgemeine Lehren zu ziehen und die offensichtlichen Parallelen zu ähnlichen Angriffen auf die IKS zu sehen. Sie war daher nicht in der Lage und nicht willens, das Milieu der Kommunistischen Linken als Ganzes gegen das feindliche Milieu der Verleumder und Verunglimpfer zu verteidigen. Schlimmer noch, die IKT hat den schweren Fehler begangen, zu versuchen, neue Mitglieder und Sektionen aus solchen Kloaken zu rekrutieren, und wurde unweigerlich von letzteren infiziert, zum Schaden der Kommunistischen Linken als Ganzes.
Die IKS ihrerseits hat immer versucht, die anderen Gruppen der Kommunistischen Linken gegen Verleumdungen zu verteidigen, auch wenn die Solidarität der IKS nicht erwidert wurde. In der Tat unterstützten wir die IKT in ihrer Antwort auf eine üble Verleumdung: https://en.internationalism.org/icconline/201504/12486/statement-solidarity-ict [231]. Die IKS tat dasselbe, als die Gruppe Los Angeles Workers' Voice eine Kampagne zur Verunglimpfung der IKT startete (siehe Internationalism Nr. 122: en.internationalism.org/inter/122_lawv.html).
[5] Siehe /content/59/der-nucleo-comunista-internacional-argentinien-eine-episode-im-streben-des-proletariats [212] für eine Geschichte dieser Gruppe
[6] International Group of the Communist Left (Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken), früher bekannt als IFIKS. Für eine Geschichte dieser Gruppe siehe https://de.internationalism.org/content/2978/der-abenteurer-gaizka-hat-die-beschuetzer-die-er-verdient-die-halunken-der-gigc [232]
[7] Die NCI-Genossen versuchten auch, ein persönliches Treffen mit Bürger B. in Buenos Aires zu organisieren, um ihn mit den Fakten zu konfrontieren. Aber er weigerte sich.
Jeden Tag machen sich bürgerliche Kommentatoren von Kabarettisten bis Journalisten aller Richtungen lustig über das täglich wachsende, ja mittlerweile grenzenlos gewordene Chaos. Mit großer Häme und beißendem Zynismus wird über das ständige Hin- und Her, die Unentschlossenheit der verantwortlichen Stellen auf allen Ebenen und deren Zankereien untereinander hergezogen.
Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, uns in diesen Chor der Zyniker einzureihen oder die Verantwortlichen mit Spott zu überschütten. Sicher gehört all das an den Pranger gestellt. Aber wir sehen unsere Aufgabe vielmehr darin Erklärungen zu bieten, warum die herrschende Klasse in Deutschland so jämmerlich mit der Pandemie umgeht. Mit anderen Worten: Mit Spott und Sarkasmus allein kommt man nirgendwo hin, sondern es kommt darauf an, das Bewusstsein über die Ursachen, die Tragweiten und Perspektiven zu schärfen.
Nach der Verabschiedung der Agenda 2010 und den damit verbundenen Angriffen gegen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigen galt Deutschland jahrelang als der "Gewinner" der Wirtschaftskrise nach 2008, als ein scheinbar sicherer Hafen in einem instabilen Umfeld. Sowohl innerhalb der EU als auch international insgesamt u.a. dank der Schwächung der globalen Führungsrolle der USA und durch ein geschicktes Taktieren mit China und Russland (die von den USA heftig attackiert werden) konnte Deutschland lange Zeit seine Führungsposition als exportstarke Nation ausbauen. Merkel verkörperte – trotz alledem – eine gewisse Stabilität und Kontinuität. Auch nach der großen Flüchtlingswelle von 2016 und der Eurokrise, die zwar der AfD zum Aufschwung verholfen hatten, war es der deutschen Bourgeoisie noch gelungen, den Populismus größtenteils in Schach und von den Schalthebeln der Macht fern zu halten. Damit gab es in Deutschland eine andere Ausgangssituation als z. B. in Großbritannien, wo der Populismus bereits in der Downing Street ein und aus ging oder Frankreich, wo die Kunstfigur Macron gegen die Bedrohung von Marie Le Pen bereits Ausdrücke einer geschwächten Bourgeoisie darstellten.
So war es möglich, dass die herrschende Klasse in Deutschland, als die Pandemie im Februar 2020 losbrach, sich noch relativ gut aus der Affäre ziehen konnte. Nach anfänglichem Zögern und Taktieren setzte man schnell in einem Bündnis von Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik einen Lockdown durch, der zwar die erste Welle der Überlastung des Gesundheitsweisen nicht verhindern, aber doch größere Infektionszahlen im Vergleich zu anderen Ländern verhindern konnte.
Im Sommer und nach den Ferien strebte man dann – trotz eindringlicher Warnungen vor einer zweiten Welle – eine schrittweise Öffnung der Wirtschaft an; vor allem der Tourismus sollte nicht völlig zum Erliegen kommen.
Zusätzliche Produktionskapazitäten für medizinisches Material wurden geschaffen, erste Verträge mit möglichen Impfstofflieferanten, die noch alle an der Entwicklung eines Impfstoffs arbeiteten, wurden auf EU-Ebene geschlossen, und nebenbei wurden zusätzliche (nicht unbedingt publik gemachte) Lieferungen für nationale Kontingente vereinbart. Gleichzeitig wurde alles unternommen, um die Wirtschaft in Absprache mit der EU, insbesondere Frankreich, vor dem Kollaps zu bewahren, indem das größte Rettungspaket aller Zeiten für die EU beschlossen wurde. Homeoffice wurde dann bei Beginn der zweiten und dritten Welle im Vergleich zur ersten Welle nur in relativ geringen Umfang von den Unternehmen angeboten.
Wild entschlossen, einen zweiten größeren Lockdown zu verhindern („den kann die Wirtschaft nicht verkraften“, hieß es), wollte man schließlich das Weihnachtsgeschäft nicht vermasseln. Zu diesem Zweck sollten Schulen, Kitas usw. mit allen Tricks offengehalten werden, damit die Eltern möglichst unbeschränkt arbeiten könnten und die Wirtschaft nicht allzu arg zu leiden habe. Mitte Dezember musste man dann die Reißleine ziehen und dann doch verschärfte Maßnahmen einführen. Doch still und heimlich lief im Gegensatz zu dem ersten Lockdown im Frühling das Herzstück der deutschen Industrie wieder an. Während alle Welt von Kaufhäusern und Konzertsälen redete, gingen Millionen von Proletarier weiterhin in Schichtarbeit in die Fabriken und Lagerhallen.
Im Unterschied zur ersten Phase hatte sich seit Herbst eine Dynamik durchgesetzt, wo mit wenigen Ausnahmen fast nie einheitlich auf Bundesebene gehandelt wurde – stattdessen entstand ein gewaltiger Flickenteppich. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer verfolgten jeweils unterschiedliche Ansätze, mit dem Bund wurde keine gemeinsame Linie gefunden – mit der Folge, dass Deutschland an Chaos innerhalb der EU kaum zu überbieten war und im Vergleich zum Beginn der Pandemie mit am stärksten ins Chaos abgerutscht war. Dies lag nicht an dem strukturell verankerten Föderalismus, wo die Länder und auf einer anderen Ebene die Kommunalverwaltungen relativ große Spielräume für eigene Entscheidungsbefugnisse haben. Dieser Föderalismus bot diesem Chaos zwischen den Ländern und dem Bund zwar besondere „Kanäle“ und gar eine Art institutionelle „Absicherung“ - die Triebkraft dahinter war jedoch die nicht mehr aufzuhaltende Dynamik des Jeder-für-sich. [1]
Gleichzeitig kam die Produktion und Lieferung sowie die Organisierung von Corona-Tests und Testzentren zwar mehr in Gang, sie erreichte aber aufgrund von Lieferengpässen und Organisationschaos nie eine ausreichende Wirkkraft. Je mehr die Infektionen anstiegen, desto weniger konnten die Gesundheitsämter trotz der anfänglich hochgelobten Wunderwaffe „Corona-App“ und der Mobilisierung von Tausenden Soldaten in den Gesundheitsämtern, die Infizierten nachverfolgen. Kurzum: ein Kontrollverlust seitens des Staates schlich sich ein.
Hinzu kam das unglaubliche Impfchaos. Wie wir bereits in anderen Artikeln in unserer Presse geschrieben haben [2] verdeutlichte das Impfchaos: Es kann keinen größeren Graben geben zwischen den Bedürfnissen der Menschheit und der Wirklichkeit der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Denn während die Menschheit auf dem ganzen Erdball mit dem Virus konfrontiert ist, wo einerseits alle Forscher und Labors der Welt mit vereinten Anstrengungen, sich über alle Mechanismen der Konkurrenz und der nationalen Rivalitäten hinwegsetzend, zusammenarbeiten müssten, um der Menschheit so schnell wie möglich den besten Impfstoff zur Verfügung zu stellen, erleben wir das Gegenteil. In vielleicht 100 Labors wurde auf der ganzen Welt an solch einem Impfstoff geforscht, aber jeder unabhängig von einander, in rücksichtsloser Konkurrenz zueinander, um nur ja den größten Marktanteil und die besten Absatzmöglichkeiten zu erheischen. Die Folge: nahezu ein Dutzend Impfstoffe mit unterschiedlichen Wirkungsgraden und noch nicht ausreichend dokumentierten Nebenwirkungen werden eingesetzt, jeweils geleitet durch nationale und Firmen-Geschäftsinteressen. In Amerika produzierte Impfstoffe wurden nicht exportiert, weil man zuerst US-Bürger versorgen will, das Gleiche in Großbritannien, chinesische Impfstoffe wurden als Lock- und Druckmittel für die imperialistischen Interessen Chinas eingesetzt. In der EU kam es zu Drohungen und Erpressungen zwischen GB und der EU wegen nicht abgesprochener, bzw. nicht eingehaltener Liefermengen vor allem von AstraZeneca. Obwohl ein Impfstoff auch in Deutschland bei BioNTech zusammen mit Pfizer mit entwickelt worden war und man schnell eine zweite Produktionsstätte in Marburg hochzog, reicht der Impfstoff auch Monate nach seiner Freigabe nicht aus. Die Unfähigkeit zuverlässiger Produktionsprognosen bei AstraZeneca, Meldungen über löchrige und unzuverlässige Lieferkanäle, gar Tausende verschwundene oder vernichtete Impfdosen, prägten die Nachrichten der Medien. [3]
Als Folge der Unfähigkeit, eine planbare, überschaubare, zentralisierte Organisierung der Produktion und der Lieferungen zu garantieren, werden wir immer wieder vor die spaltende und irreführende Frage der Priorisierungen gestellt. Alle möglichen Kriterien der Berücksichtigung von Alter, Vorerkrankungen oder ob man „systemrelevant“ arbeite, wurden angeführt.
In der Zwischenzeit forderten die Notfallmediziner verzweifelt jeden Tag einen Lockdown, weil die Versorgung in den Krankenhäusern dabei war zu kollabieren und die gefürchtete Triage vor der Tür stand.
Zwar hatte man vor Weihnachten zögerlich einige Verschärfungen beschlossen, ein härterer, konsequenterer Lockdown war aber wieder aufgeschoben worden; dieser ließ sich dann im April nach monatelanger Verzögerungstaktik und Zerstrittenheit nicht mehr vermeiden: schließlich, nach mehr als einem Jahr, wurde die erste Notverordnung beschlossen, die u.a. bundesweite nächtliche Ausgangssperren usw. teilweise bis Juni bedeutet.
Was der Marxismus schon von Anfang an als zentrales Wesensmerkmal des Kapitalismus hervorgehoben hat, zeigte sich erneut in dieser Pandemie - die Anarchie der kapitalistischen Produktion und Verteilung wie im Bilderbuch.
Dies betonte Rosa Luxemburg in ihrer Schrift „Einführung in die Nationalökonomie“: „[Marx und Engels] suchten Stützpunkte für den Sozialismus nicht in der moralischen Verwerflichkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung noch im Ausklügeln möglichst einnehmender und verlockender Projekte, wie die soziale Gleichheit im heutigen Staate eingeschmuggelt werden könnte. Sie wandten sich an die Untersuchung der wirtschaftlichen Verhältnisse der heutigen Gesellschaft. Hier, in den Gesetzen der kapitalistischen Anarchie selbst, deckte Marx den wirklichen Ansatzpunkt für die sozialistischen Bestrebungen auf. Hatten die französischen und englischen Klassiker der Nationalökonomie die Gesetze aufgefunden, nach denen die kapitalistische Wirtschaft lebt und sich entwickelt, so nahm Marx ihr Werk ein halbes Jahrhundert später genau dort auf, wo jene es abgebrochen hatten. Er deckte seinerseits auf, wie dieselben Gesetze der heutigen Wirtschaftsordnung auf ihren eigenen Untergang hinarbeiten, indem sie durch das Umsichgreifen der Anarchie immer mehr die Existenz der Gesellschaft bedrohen und zu einer Kette vernichtender wirtschaftlicher und politischer Katastrophen [sich] gestalten. Es sind also, wie Marx nachgewiesen hat, die eigenen Entwicklungstendenzen der Kapitalherrschaft, die auf einer gewissen Stufe ihrer Reife den Übergang zu einer planmäßigen, von der gesamten arbeitenden Gesellschaft bewusst organisierten Wirtschaftsweise notwendig machen, wenn die gesamte Gesellschaft und die menschliche Kultur nicht in den Konvulsionen der ungezügelten Anarchie ihren Untergang finden soll".[4]
Wie eingangs erwähnt konnte das deutsche Kapital zunächst in einem Dreierpakt (Staat, Unternehmer, Gewerkschaften) die Hauptproduktionsstätten gezielt und kontrolliert für einen gewissen Zeitraum „herunterfahren“, aber diesen Einschnitt hatte man nach dem Sommer unbedingt vermeiden wollen. Insbesondere die Industriebranchen, die so gewaltig vom Export abhängig sind und den Kernbereich der deutschen Wirtschaft darstellen (Automobilbranche, Maschinenbau usw.), sollten unter allen Umständen weitestgehend verschont bleiben.[5] So ist es auch trotz aller Engpässe und Lieferschwierigkeiten bei Mikrochips, Halbleitern, die bei einigen Betrieben zu Kurzarbeit führen, (Anarchie lässt grüßen) gelungen, die Exporte nach China weiter aufrechtzuerhalten. Hätte China den Produktionseinbruch nach den Corona-Maßnahmen nicht wieder schnell ausgeglichen – so zumindest die offiziellen Angaben -, wäre die deutsche Wirtschaft viel stärker in Mitleidenschaft gezogen worden. Dennoch, der deutsche Staat wusste um die Gefahren eines Zusammenbruchs der Wirtschaft, denn alle „Prinzipien“, die man in der Krise nach 2008 brutal gegenüber der EU vertreten hatte, wurden dieses Mal über Bord geworfen. Auf EU-Ebene wurde das größte Rettungspaket aller Zeiten in Zusammenarbeit mit Frankreich, auf Bundesebene ein gigantischer Nachtragshaushalt beschlossen, das Tabu der „Neuverschuldung“ gebrochen, ein Rettungspaket nach dem anderen geschnürt.
Das heisst, wilde Entschlossenheit zu verhindern, dass die Wirtschaft an die Wand gefahren wird, unter Inkaufnahme der Zunahme der Infektionen – dies ist mit eine der Erklärungen für den verheerenden Verlauf der Pandemie in Deutschland.
Wenn sich nun ein paar Maden am Speck bereichert haben, gehört dies genauso zum innersten Wesen des Systems. Und dennoch, das Ausmaß der prächtigen „Provisionen“, die vor allem CDU-CSU Abgeordnete eingestrichen haben, brachte zwar nur die Spitze des Eisbergs der Vetternwirtschaft, der unglaublichen Pfründe des „Berater-“ und „Vermittlerwesens“ um Parlament und Regierung ans Licht. Dennoch, wenn diese Raffgier nun solche Ausmaße angenommen hat, zeigt dies einen neuen Grad der Verrottung. Zwar reagierte die CDU-CSU-Führung aus Angst um den Ruf ihrer Partei und dahinter dem Ansehen der gesamten Politikerkaste mit der Forderung nach einer Ehrenerklärung. Aber der Schaden war längst eingetreten. Und gleichzeitig hatte vorher schon der „Skandal“ um Wirecard und die „mal so“ verschwundenen zwei Milliarden Euro die ganze Verstrickung des Regierungsapparates in solche Vorgänge und welche Mittel man anwendet, um deutsche Firmen im internationalen Konkurrenzkampf zu pushen, deutlich werden lassen. [6]
Aber der Vertrauensverlust größerer Teile der Bevölkerung war längst eingetreten, der Mythos, Deutschland sei ein ‚sicherer Hafen‘, ein Ort der Stabilität, die Verwaltung sei fähig, mit ‚deutscher‘ Gründlichkeit zu reagieren, ist dabei zu zerbrechen. Auch wenn dieses Phänomen nicht auf Deutschland beschränkt ist, wurde es doch besonders krass deutlich.
Aus unserer Sicht handelt es sich um eine Erscheinungsweise dessen, was wir als Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft bezeichnen. [7]
Als weitere Zeichen dieses Zerfallsprozesses ist die besonders starke Verbreitung der Verschwörungstheorien und der Querdenker-Bewegung zu nennen. Auch wenn es in vielen anderen Ländern Proteste gegen Corona-Zwangsmaßnahmen gegeben hat, ragt deren Häufigkeit, Anzahl und Zusammensetzung für Deutschland besonders hervor.
Als Sammelbecken zahlreicher Rechtsradikaler, Reichsbürger, Impfgegner, Maskenverweigerer, Esoteriker und einem Alternativ-Milieu welches zu der Gründungsgeneration der Gründe gehörte usw., bringen sie die Unfähigkeit der Beteiligten zum Ausdruck, die tieferen Ursachen der Pandemie zu begreifen. Es kommen Leute mit irrationalen, wissenschaftsfeindlichen, verschwörungstheoretischen Ansichten zusammen, durchwoben mit Anhängern von fremdenfeindlichen und zu Pogromen neigenden Kräften. Ergänzt wird das ganze Sammelsurium durch Leute, die meinen ihre individuelle „Freiheit“, ihr Recht auf „Selbstbestimmung“ werde eingeschränkt, den ‚Schutz der Demokratie‘ verlangen, während dort versammelte Reichsbürger gerade diese nicht anerkennen. Hier sind die Kadaver und Zombies der bürgerlichen Werte auf der Straße.
Wenn nun der Verfassungsschutz diese Szene der Querdenker „überwachen“ soll, wird dies von einem Apparat in die Hand genommen, der sich in der Vergangenheit durch seine Blindheit und Wegsehen gegenüber rechtsradikalen Umtrieben hervorgetan hat, (siehe z.B. die NSU-Mordserie) und dessen ehemaliger Chef Maaßen wegen Rechtslastigkeit gefeuert wurde.
Dies ist nur ein Zeichen dafür, dass der deutschen Bourgeoisie, die nach der nie abgeschlossenen Säuberung des Staatsapparates von Altnazis, dennoch jahrzehntelang das Ansehen Deutschlands als Demokratie und „offenes Land“ durch das Fernhalten der Rechten aus Parlament und Staatsapparat gewährleisten konnte, nun etwas entglitten ist. Es wurde immer mehr bekannt, dass Polizei und Militär (und andere Teile des Staates) mit Rechtsradikalen und zum Teil gewaltbereiten „Staatsdienern“ durchsetzt sind. Ob „chat-Gruppen“ unter Polizisten mit rechtsradikalem oder „demokratiefeindlichem“ Gedankengut, Waffenlager anlegende Teile von Spezialeinheiten wie KSK, MEK, durchgestochene Infos von Polizei an Fascho-Gruppen – alles Mögliche scheint im Staatsapparat zu wuchern.
Während solche rechtsradikalen Kräfte in den letzten Jahrzehnten nie ganz verschwunden waren, und - immer an der langen Leine geführt - hier und da aktiv waren, scheint sich mittlerweile ansatzweise so etwas wie eine Säuberung des Kraken im Staatsapparat breit machen. Während der Flüchtlingskrise formierte sich ein Teil des Sicherheitsapparates offensiv gegen Merkels Politik. Gleichzeitig nimmt die Entschlossenheit unter rechtsradikalen Kräften, gegen politische Gegner mit Gewalt vorzugehen, weiter zu, so dass immer mehr bürgerliche Politiker Angst vor gewaltsamen Angriffen haben müssen. Das weist darauf hin, dass dieser Zersetzungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft auch in Deutschland besondere Ausmaße annimmt.
Am deutlichsten sticht der Prozess der Fäulnis aber heraus anhand des Verlustes der Glaubwürdigkeit der bürgerlichen Parteien.
Dieser Prozess ist seit Jahren im Gang und stach besonders krass durch den jahrelangen Rückgang der Beteiligung an den Parlamentswahlen hervor. Immer weniger glaubten an die Wahlversprechungen der bürgerlichen Parteien; gleichzeitig versuchten immer mehr Protestparteien aller Couleur in diese „Lücke“ zu stoßen. So konnte die AfD am stärksten von diesem Verlust der Glaubwürdigkeit profitieren und Leute wieder zur Wahlurne locken (erwarteter Stimmenanteil der AfD bundesweit über 10%). Dass die AfD selbst ein Haifischbecken ist, indem Hetze, Grabenkriege, inhaltliche Leere und hirnrissige Auffassungen, Mangel an ‚Staatsräson“ in einem Klumpen zu finden sind, spiegelt nur die „Alternativlosigkeit“ des verfaulenden bürgerlichen Lagers wider.
Der Verschleiß der bürgerlichen Parteien wird am augenscheinlichsten in der CDU-CSU. Nachdem Merkel vor der Pandemie schon als Belastung für die Partei angesehen wurde, sie aber noch mal in der Anfangsphase der Pandemie ein kurzes „Comeback“ als Krisenmanagerin hinlegen konnte, gilt sie nunmehr als “Lahme Ente“. Die ganze Leere der CDU/CSU gegenüber der Sackgasse der bürgerlichen Gesellschaft kann keineswegs durch die Wahl einer neuen Führungsmannschaft gelöst werden. Dabei hat der monatelange Konkurrenzkampf zwischen Laschet und Söder ohnehin offenbart, wie wenig die „Führer“ der beiden Parteien anzubieten haben. Nachdem nun offensichtlich geworden ist, dass für die CDU-CSU sogar die Gefahr besteht, überhaupt nicht mehr an der nächsten Bundesregierung beteiligt zu sein, kann man nicht ausschließen, dass Söder als im Machtkampf innerhalb der Union Unterlegener in einen Rachefeldzug gegen Laschet eintritt und die Union in eine noch tiefere Krise rutscht. [8] Doch die Zersetzung ist schon tiefer in die CDU eingesickert und drückt sich in Disziplinlosigkeit gegenüber der neuen Führung aus. So wurde der geschasste Präsident des Verfassungsschutzes Maaßen von thüringischen Ortsverbänden mit großer Mehrheit zum Direktkandidaten gewählt, ein offensichtlicher Affront gegen den eigenen Kanzlerkandidaten.
Die Sozialdemokratie bleibt natürlich nicht von dem Verlust der Glaubwürdigkeit der bürgerlichen Parteien verschont. Mittlerweile wird sie auch auf Bundesebene bei nur gut einem Dutzend Prozent gehandelt.
Einzige Gewinner sind bislang die Grünen. Zwar sind die Grünen seit ihrer Entstehung vor nunmehr vier Jahrzehnten längst zur staatstragenden Partei geworden, die einen beträchtlichen Teil der alten 68er in sich aufgesogen haben und den Bedürfnissen des deutschen Kapitals mit bestem Wissen und Gewissen dienen. Unter Fischer-Schröder haben sie im Jugoslawienkrieg 1999 schon die erste Erfahrung bei Kriegspropaganda gesammelt. Und seitdem haben sie die Möglichkeiten der Regierungskoalitionen des deutschen Kapitals um beträchtliche Varianten erweitert (Rot-Rot-Grün, Ampel (Rot-Gelb-Grün), Schwarz-Grün, Schwarz-Grün-Gelb). Auch haben sie sich als eine wichtige Trumpfkarte erwiesen, um die in vielen anderen Ländern vorhandenen starken Polarisierungen (und oft Blockierungen) zwischen zwei Parteien zu vermeiden. Insofern verfügt das deutsche Kapital damit über weitere Optionen, um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit mit „Green Economist“ aufrecht zu erhalten. Bedeutende Teile der deutschen Industrie unterstützen mittlerweile die Grünen in der Einsicht, dass die Grünen langfristig für das deutsche Kapital „Modernisierungen“ mit beschleunigen können. Gleichzeitig werden mit dem Anspruch der Grünen, gegenüber Russland, China und der Türkei mehr auf die Menschenrechte zu achten, neue Herausforderungen, Verrenkungen und Winkelzüge auf die deutsche Außenpolitik zukommen, die durch die Ansprüche der USA an deutsche militärische Anstrengungen (Deutschland hat die Rüstungsausgaben um mehr als 5% erhöht – und ist somit Spitzenreiter bei den Erhöhungen) noch schwieriger zu bewältigen sein werden.
Jetzt jedoch ist schon absehbar, dass die Grünen selbst, obwohl sie auf Bundesebene noch nicht an den Hebeln der Macht sind, auch von einem Verschleiß Prozess betroffen sein werden. Denn es hat sich in Baden-Württemberg bei den letzten Landtagswahlen schon eine neue „Klimaliste“ in Abgrenzung von den Grünen gebildet.
Somit belegen die Entwicklung der Pandemie, das Wuchern der Corona-Proteste, das Wuchern der Rechten im Staat, die Zerstrittenheit und der Grabenkrieg der bürgerlichen Parteien, einen tiefergreifenden Fäulnisprozes..., der sich auch in Deutschland nur noch beschleunigen kann. Dies bedeutet für die deutsche Wirtschaft auf mittlere Sicht enorme Schwierigkeiten und Unsicherheiten. Es erhöht die Notwendigkeit, durch weitere starke staatskapitalistische Maßnahmen stützend und schützend einzugreifen, doch schwindet ebenso die Fähigkeit der Bourgeoise den Staat unter voller Kontrolle zu halten. Der ehemalige „sichere Hafen“ muss sich auf weitere Zerfallserscheinungen einstellen.
Aus Platzgründen sind wir hier nicht auf die Auswirkungen und Herausforderungen der Pandemie auf die Arbeiterklasse eingegangen.
Andreas Anfang Mai 2021
[1]https://de.internationalism.org/content/2985/die-covid-19-pandemie-offenbart-den-weltweiten-zerfall-des-kapitalismus [236]
[2]https://de.internationalism.org/content/2938/im-angesicht-des-corona-virus-mobilisiert-die-deutsche-bourgeoisie-ihren-machtinstinkt [237]
[3]https://www.focus.de/politik/deutschland/medienbericht-in-hamburger-impfzentrum-sollen-mehr-als-40-000-impfdosen-weggeworfen-worden-sein_id_13238294.html [239] Nach einem Bericht des Norddeutschen Rundfunks (NDR) sind im Hamburger Impfzentrum offenbar mehr als 40.000 Impfdosen weggeworfen worden. Schuld an dem Debakel soll die unklare rechtliche Lage sein: Denn zu jeder Impfstoff-Dose wird eine Überschussmenge mitgeliefert, die die Ärzte jedoch nicht verwenden dürften. Bei AstraZeneca betreffe dies etwa jede elfte Impfdosis pro Ampulle, beim Impfstoff von BioNTech sei es jede siebte Dosis. Würden diese verwendet werden, so gehe das über die von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassene Zahl der Impfeinheiten pro Impfstoff-Ampulle hinaus.
[4]www.mlwerke.de/lu/lu05/lu05_580.htm [240] Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einführung in die Nationalökonomie", S. 580-593.
[5]Dass es u.a. Corona-bedingt bei der Produktion von Chips und Halbleitern nun weltweit solche Engpässe gibt, dass mittlerweile ganze Produktionsstätten unterbrochen sind (bei Ford, Audi, Daimler kommt es zu Produktionsstillständen, Kurzarbeit usw.) ist sowohl ein Ausdruck der oben benannten Anarchie aber auch der neuen Dimension der Anfälligkeit der weltweiten globalen Vernetzung und Transportketten.
[6] Merkels Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages als Fürsprecherin von Wirecard in China oder das Wegschauen und die Nachsicht des Finanzministers Scholz sprechen Bände. Dass Wirecard eine hilfreiche Quelle für die deutschen Nachrichtendienste ist, wundert deshalb nicht.
[7] Siehe dazu Fußnote 1 und: https://de.internationalism.org/content/2926/bericht-ueber-den-zerfall-heute-mai-2017 [153]
/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [3]
Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus
[8] Nachdem Laschet den Machtkampf gegen Söder vorerst gewonnen hat, hat eine Welle von Austritten in der CDU eingesetzt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Hamas oder andere islamische Dschihadisten Raketen auf zivile Ziele in israelischen Städten abfeuern und dabei unterschiedslos töten: Zu den ersten Opfern gehörten ein israelisch-arabischer Vater und seine Tochter in Lod, die in ihrem Auto in die Luft gesprengt wurden. Es ist auch nicht das erste Mal, dass die israelischen Streitkräfte mit verheerenden Luftangriffen und Artilleriebeschuss geantwortet haben, die auf Hamas-Führer und Waffen abzielen, aber auch zivile Todesopfer in den überfüllten Gebäuden und Straßen des Gazastreifens forderten, die dutzendfach höher waren als alles, was die Hamas-Raketen "erreichten". Es ist auch nicht das erste Mal, dass Israel am Rande einer militärischen Invasion des Gazastreifens steht, die unweigerlich zu weiterem Tod, Obdachlosigkeit und Trauma für palästinensische Familien führen wird. Wir haben all das schon zuvor 2009 und 2014 erlebt.
Aber es ist das erste Mal, dass eine solch große militärische Operation in einer Reihe von israelischen Städten von einer Welle gewalttätiger Zusammenstöße zwischen israelischen Juden und Arabern begleitet wird. Es handelt sich im Wesentlichen um Pogrome: rechte Banden, die den Davidstern schwenken und "Tod den Arabern" schreien, nach Arabern jagen, um sie zu verprügeln und zu ermorden; und gleichzeitig Angriffe auf Juden und Synagogen, die von Menschenmengen angezündet werden, die vom Islamismus und palästinensischen Nationalismus "inspiriert" sind. Düstere und ironische Erinnerungen an die Schwarzen Hundertschaften im zaristischen Russland oder die Kristallnacht im Deutschland von 1938!
Die israelische Regierung unter Netanjahu hat zu einem großen Teil die Saat dieser schädlichen Entwicklung gesät: durch neue Gesetze, die die Definition Israels als jüdischen Staat verstärken, und durch die Politik der Annexion ganz Jerusalems als seine Hauptstadt. Letzteres ist im Wesentlichen eine Erklärung, dass die "Zwei-Staaten-Lösung" für den israelisch-palästinensischen Konflikt tot und begraben ist, und dass die militärische Besetzung der Westbank nun eine permanente Tatsache ist. Der unmittelbare Auslöser für die Unruhen der palästinensischen Araber in Jerusalem - die Drohung, die arabischen Bewohner aus Ost-Jerusalem zu vertreiben und durch jüdische Siedler zu ersetzen - ergab sich aus dieser ganzen Strategie der militärischen Besatzung und ethnischen Säuberung.
Die "Demokratien" Europas und der USA weinen ihre üblichen Krokodilstränen über die Eskalation des militärischen Konflikts und der zivilen Unruhen (und sogar Netanjahu hat ein Ende der Straßengewalt durch Juden und Araber gleichermaßen gefordert). Aber die USA unter Trump hatten bereits Israels offene Besatzungspolitik gestützt, die Teil eines größeren imperialistischen Projekts ist, Israel, Saudi-Arabien und andere arabische Staaten in einer Allianz gegen den Iran (aber auch gegen Großmächte wie Russland und China) zusammenzubringen. Und wenn Biden sich zum Beispiel von Trumps unkritischer Umarmung des saudischen Regimes distanziert hat, so bestand sein erstes Anliegen in der aktuellen Krise darin, darauf zu bestehen, dass "Israel das Recht hat, sich zu verteidigen", denn der zionistische Staat bleibt, bei allen Bestrebungen, im Nahen Osten sein eigenes Spiel zu spielen, ein wichtiger Bestandteil der US-Strategie in der Region.
Aber der israelische Staat ist nicht der Einzige, der als Provokateur auftritt. Die Hamas reagierte auf die Unterdrückung der Unruhen in Jerusalem mit kontinuierlichen Raketensalven gegen zivile Ziele in Israel, wohl wissend, dass damit die ungeschützte Bevölkerung im Gazastreifen unter Beschuss genommen würde. Sie hat auch ihr Möglichstes getan, um die ethnische Gewalt innerhalb Israels zu fördern.
Es ist ein Merkmal des Krieges in der Epoche des kapitalistischen Niedergangs, dass die ersten Opfer die Zivilbevölkerung sind, vor allem die Arbeiterklasse und die Unterdrückten. Sowohl Israel als auch die Hamas handeln in der barbarischen Logik des imperialistischen Krieges.
Angesichts des imperialistischen Krieges haben Revolutionäre immer zur internationalen Solidarität der Ausgebeuteten gegen alle kapitalistischen Staaten und Proto-Staaten aufgerufen. Dies bleibt die einzig mögliche Barriere gegen ein Versinken in Krieg und Barbarei.
Aber die herrschenden Klassen im Nahen Osten haben zusammen mit ihren mächtigeren imperialistischen Hintermännern lange die Flammen der Spaltung und des Hasses geschürt. Es gab 1936 Pogrome gegen jüdische Siedler in Palästina, die von einer palästinensischen politischen Führung geschürt wurden, die sich mit Nazideutschland gegen die dominierende Macht in der Region, Großbritannien, verbünden wollte. Aber diese wurden in den Schatten gestellt von der massiven ethnischen Säuberung der arabischen Bevölkerung, die den "Unabhängigkeitskrieg" von 1948 begleitete und das unlösbare palästinensische Flüchtlingsproblem schuf, das von den arabischen Regimen systematisch instrumentalisiert wurde. Eine Reihe von Kriegen zwischen Israel und den umliegenden arabischen Staaten, israelische Überfälle auf die Hamas und die Hisbollah, die Verwandlung des Gazastreifens in ein riesiges Gefängnis - all das hat den Hass zwischen Arabern und Juden bis zu dem Punkt vertieft, an dem er auf beiden Seiten der Kluft als nichts weiter als "gesunder Menschenverstand" erscheint. Im Gegensatz dazu sind Beispiele der Solidarität zwischen arabischen und jüdischen Arbeitern im Kampf extrem selten, während organisierte politische Ausdrucksformen des Internationalismus auf beiden Seiten mehr oder weniger nicht existent sind.
Es gibt weitere kontingente Elemente in den provokativen Aktionen des israelischen Staates. Netanjahu, der amtierende Premierminister, ist nach einer Reihe von ergebnislosen Parlamentswahlen nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden, und sieht sich immer noch einer Reihe von Korruptionsvorwürfen gegenüber. Er könnte sicherlich davon profitieren, den starken Mann in dieser neuen nationalen Krise zu spielen. Aber es sind tiefere Tendenzen am Werk, die sich der Kontrolle derjenigen entziehen könnten, die versuchen, aus dem gegenwärtigen Schlamassel zu profitieren.
Die großen arabisch-israelischen Kriege der 60er und 70er Jahre wurden im Zusammenhang mit den beiden imperialistischen Blöcken ausgetragen, die den Planeten beherrschten: Israel, unterstützt von den USA, die arabischen Staaten, unterstützt von der UdSSR. Aber seit dem Zusammenbruch des Blocksystems Ende der 80er Jahre hat der angeborene Trieb zum imperialistischen Krieg im dekadenten Kapitalismus eine viel chaotischere und potenziell unkontrollierter Form angenommen. Insbesondere der Nahe Osten ist zum Tummelplatz einer Reihe von Regionalmächten geworden, deren Interessen nicht unbedingt mit den Schemata der Weltmächte übereinstimmen: Israel, die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien... Diese Mächte sind bereits stark in die blutigen Konflikte verwickelt, die die Region heimsuchen: Der Iran setzt seine Schachfigur Hisbollah im vielseitigen Konflikt in Syrien ein, und Saudi-Arabien ist tief in den Krieg im Jemen gegen die Houthi-Verbündeten des Iran verstrickt. Die Türkei hat ihren Krieg gegen die kurdischen Peschmergas nach Syrien und in den Irak getragen (und gleichzeitig eine militärische Intervention im kriegsgebeutelten Libyen aufrechterhalten). Diese Kriege können nicht nur ganze Länder in den Ruin treiben und verhungern lassen, sondern bergen auch die reale Gefahr, dass sie außer Kontrolle geraten und die Zerstörung über den gesamten Nahen Osten ausbreiten.
Dieses zunehmende Chaos auf militärischer Ebene ist ein Ausdruck der globalen Zersetzung des kapitalistischen Systems. Ein anderes und eng damit verbundenes Element spielt sich auf der sozialen und politischen Ebene ab, durch die Verschärfung der Konfrontationen zwischen bürgerlichen politischen Fraktionen, der Spannungen zwischen ethnischen und religiösen Gruppen, der Pogrome gegen Minderheiten. Dies ist ein globaler Trend, der z. B. durch den Völkermord in Ruanda 1994, die Verfolgung von Muslimen in Myanmar und China, die Verschärfung der Rassenspaltung in den USA verkörpert wird. Wie wir gesehen haben, haben die ethnischen Spaltungen in Israel/Palästina eine lange Geschichte, aber sie werden durch die ganze Atmosphäre der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die durch das scheinbar unlösbare "palästinensische Problem" erzeugt wird, noch verschärft. Und während Pogrome oft als Instrumente staatlicher Politik entfesselt werden, können sie unter den heutigen Bedingungen über die Ziele staatlicher Stellen hinaus eskalieren und ein allgemeines Abgleiten in den gesellschaftlichen Zusammenbruch beschleunigen. Die Tatsache, dass dies in einem hoch militarisierten Staat wie Israel zu geschehen beginnt, ist ein Zeichen dafür, dass die Versuche des totalitären Staatskapitalismus, den Prozess der sozialen Desintegration aufzuhalten, ihn am Ende sogar noch verschärfen können.
Kriege und Pogrome sind die Zukunft, die der Kapitalismus uns überall anbietet, wenn die internationale Arbeiterklasse nicht ihre eigenen Interessen und ihre eigene Zukunft wiederentdeckt, die die kommunistische Revolution ist. Wenn die Proletarier des Nahen Ostens vorerst durch die Massaker und ethnischen Spaltungen überfordert sind, liegt es an den zentralen Fraktionen des Weltproletariats, zum Weg des Kampfes zurückzukehren, dem einzigen Weg, der aus dem Alptraum dieser verfaulenden Gesellschaftsordnung herausführt.
Amos, Mai 14, 2021
Die überwältigende Verantwortung Chinas für den Ausbruch der Covid-19-Pandemie und vor allem für ihre rasante weltweite Ausbreitung wurden in allen Medien weit und breit hervorgehoben. Die geringe Zahl der Todesfälle und das Ausbleiben großer Ansteckungswellen im Land - zumindest nach offiziellen Angaben - sowie die Tatsache, dass China die einzige Großmacht ist, die für 2020 keine wirtschaftliche Rezession angekündigt hat (+2 % des BIP), haben jedoch viele Beobachter dazu veranlasst, China als den großen Gewinner der Covid-19-Krise hinsichtlich des Kräfteverhältnisses zwischen den imperialistischen Hauptmächten darzustellen.
Es stimmt, dass China seit Anfang der 1980er Jahre durch die Öffnung seiner Wirtschaft für den US-Block stark von der Globalisierung der Wirtschaft und der Implosion des Sowjetblocks profitiert hat und innerhalb von dreißig Jahren einen kometenhaften Aufstieg in wirtschaftlicher und imperialistischer Hinsicht vollzogen hat, der es zum wichtigsten Herausforderer der USA gemacht hat. Heute jedoch stellen die Bewältigung der Pandemie, die Verwaltung der Wirtschaft und die Ausweitung des Einflussgebiets die chinesische Bourgeoisie vor große Herausforderungen. Die Covid-19-Krise verschärft die Konfrontationen zwischen den Fraktionen innerhalb des politischen Apparats stark und verschärft die Spannungen zwischen den imperialistischen Haien im Fernen Osten.
Da China von Anfang an auf kollektive Immunität vor der Öffnung des Landes setzte, betreibt es in der Zwischenzeit eine drastische Lockdown-Politik in ganzen Städten und Regionen, wann immer Infektionen festgestellt werden, was die Wirtschafts- und Handelsaktivitäten stark behindert: So führte die Schließung des Hafens von Yantian, des drittgrößten Containerhafens der Welt, im Mai 2021 zur monatelangen Blockade von Hunderttausenden von Containern und Hunderten von Schiffen, was den weltweiten Seeverkehr völlig aus dem Gleichgewicht brachte. In der Tat wird jeder noch so kleine Ausbruch von Infektionen als große Gefahr wahrgenommen: Erst kürzlich wurden in 27 Städten und 18 Provinzen (August '21) und in der 5-Millionen-Stadt Xiamen (September '21) drastische Einschränkungen verhängt, und seit September werden Infektionen aus der Hälfte der Provinzen und aus der Stadt Shanghai gemeldet.
Darüber hinaus hat die Massenimpfkampagne zur Erreichung einer kollektiven Immunität einige chinesische Provinzen und Städte dazu veranlasst, finanzielle Sanktionen gegen diejenigen zu verhängen, die misstrauisch sind und die Impfung meiden. Angesichts der zahlreichen Proteste in den chinesischen sozialen Netzwerken blockierte die Zentralregierung jedoch derartige Maßnahmen, da sie dazu tendierten, "den nationalen Zusammenhalt zu gefährden". Der schwerwiegendste Rückschlag sind jedoch zweifellos die übereinstimmenden Daten über die begrenzte Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe, die in verschiedenen Ländern, die sie verwenden, beobachtet wurden, wie zum Beispiel in Chile: "Insgesamt scheint die chilenische Impfkampagne - zahlenmäßig umfangreich mit 62 % der Bevölkerung, die derzeit geimpft werden - keine nennenswerten Auswirkungen auf den Anteil der Todesfälle zu haben" (H. Testard, Covid-19: Impfen hebt in Asien ab, aber die Zweifel an den chinesischen Impfstoffen wachsen, Asialyst, 21.07.21).
Die chinesischen Gesundheitsbehörden befürworteten sogar den Import von Impfdosen von Pfizer oder Moderna, um die Ineffizienz ihrer eigenen Impfstoffe zu beheben.
Wie schwerfällig und ineffizient der chinesische Staatskapitalismus mit der Pandemie umgeht, zeigte sich im November letzten Jahres, als das Handelsministerium die chinesische Bevölkerung aufforderte, Notrationen zu Hause zu lagern. Und die Situation dürfte sich mit der Ausbreitung der Omicron-Variante noch weiter verschlechtern.
Das starke Wachstum, das China in den letzten vierzig Jahren verzeichnet hat - auch wenn sich der Anstieg im letzten Jahrzehnt bereits verlangsamte - scheint sich dem Ende zuzuneigen. Experten erwarten, dass das chinesische BIP im Jahr 2021 um weniger als 5 % wachsen wird, während es im letzten Jahrzehnt durchschnittlich 7 % und im Jahrzehnt davor über 10 % betrug. Verschiedene Faktoren verdeutlichen die derzeitigen Schwierigkeiten der chinesischen Wirtschaft.
Da ist zunächst die Gefahr des Platzens der chinesischen Immobilienblase: Evergrande, die Nummer zwei der chinesischen Immobilienbranche, wird heute von rund 300 Milliarden Euro Schulden erdrückt, was allein 2% des BIP des Landes entspricht. Andere Bauträger wie Fantasia Holdings oder Sinic Holdings sind praktisch zahlungsunfähig, und der Immobiliensektor, der 25 % der chinesischen Wirtschaft ausmacht, hat gigantische öffentliche und private Schulden in Höhe von mehreren Billionen US-Dollar verursacht. Der Absturz von Evergrande ist nur der erste Teil eines bevorstehenden globalen Zusammenbruchs dieses Sektors. Heute stehen so viele Wohnungen leer, dass man 90 Millionen Menschen unterbringen könnte. Zwar wird der unmittelbare Zusammenbruch des Sektors insofern vermieden, als die chinesischen Behörden keine andere Wahl haben, als die Schäden des Schiffbruchs zu begrenzen und ansonsten sehr schwere Auswirkungen auf den Finanzsektor zu riskieren: "(...) Es wird keinen Schneeballeffekt wie 2008 [in den USA] geben, weil die chinesische Regierung die Maschine stoppen kann, schätzt Andy Xie, ein unabhängiger Wirtschaftswissenschaftler, früher bei Morgan Stanley in China, zitiert von Le Monde.
„Ich denke, dass wir mit Anbang [Versicherungsgruppe, Anm. d. Ü.] und HNA [Hainan Airlines] gute Beispiele dafür haben, was passieren kann: Es wird einen Ausschuss geben, der das Unternehmen, die Gläubiger und die Behörden an einen Tisch bringt und der entscheidet, welche Vermögenswerte verkauft, welche umstrukturiert werden sollen und am Ende, wie viel Geld übrig bleibt und wer Gelder verlieren kann" (P.-A. Donnet, Fall von Evergrande in China: Das Ende des billigen Geldes, Asialyst, 25.09.21). Auch viele andere Sektoren schreiben rote Zahlen: Ende 2020 betrug die Gesamtverschuldung chinesischer Unternehmen 160 % des BIP des Landes, während die Verschuldung von US-Unternehmen bei etwa 80 % lag. Die "toxischen" Investitionen der Lokalregierungen sollen sich nach Angaben von Analysten von Goldman Sachs heute allein auf 53 Billionen Yuan belaufen, was einer Summe entspricht, die 52 % des chinesischen BIP ausmacht. Das Platzen der Immobilienblase könnte nicht nur andere Wirtschaftssektoren anstecken, sondern auch zu sozialer Instabilität führen (fast 3 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze hängen mit Evergrande zusammen), der größten Befürchtung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).
Zweitens haben sich die Energieausfälle seit Sommer 2021 vervielfacht: Sie sind die Folge einer mangelhaften Kohleversorgung, die unter anderem durch die Rekordüberschwemmungen in der Provinz Shaanxi (die allein 30 % des Brennstoffs im ganzen Land produziert) und auch durch die von Xi beschlossenen strengeren Abgasvorschriften verursacht wurden. Die Stahl-, Aluminium- und Zementindustrie leiden bereits in mehreren Regionen unter dem eingeschränkten Stromangebot. Dieser Mangel hat die Produktionskapazitäten für Aluminium um etwa 7 % und für Zement um 29 % reduziert (Zahlen von Morgan Stanley), und Papier und Glas könnten die nächsten betroffenen Sektoren sein. Diese Einschnitte bremsen nun das Wirtschaftswachstum im ganzen Land. Die Situation ist jedoch noch ernster, als es auf den ersten Blick scheint. "Tatsächlich wirkt sich diese Stromknappheit nun auch auf den Wohnungsmarkt in einigen Regionen des Nordostens aus. So hat die Provinz Liaoning die Stromabschaltungen des Industriesektors auf Wohnbezirke ausgeweitet" (P.-A. Donnet, China: How the serious electricity shortage threats the economy, Asialyst, 30.09.21).
Schließlich beeinträchtigen nicht nur die Energieknappheit, sondern auch die Aussperrungen infolge der Covid-Infektionen die Produktion in der Industrie in verschiedenen Regionen Chinas, was wiederum das Ausmaß der Unterbrechungen in den ohnehin schon arg gestressten Lieferketten auf nationaler und globaler Ebene erhöht, zumal die Produktionsketten in vielen Branchen mit einem akuten Mangel an Halbleitern konfrontiert sind.
Die jüngsten Daten bestätigen die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, die mit einem Rückgang des Binnenkonsums, sinkenden Haushaltseinkommen und niedrigeren Löhnen einhergeht.
Die Entfaltung der "neuen Seidenstraße" stößt aufgrund der finanziellen Belastung durch die Covid-Krise in China, aber auch aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der "Partner", die unter dem Schuldendruck ersticken, oder aufgrund ihrer immer deutlicher werdenden Vorbehalte gegen die chinesische "Einmischung" auf immer größere Schwierigkeiten.
Vor allem aufgrund der Covid-Krise hat die Verschuldung verschiedener "Partnerländer" enorme Ausmaße angenommen, so dass diese nicht mehr in der Lage sind, die Zinsen für die chinesischen Kredite zu zahlen. Länder wie Sri Lanka, Bangladesch (Anstieg der Auslandsverschuldung um +125 % im letzten Jahrzehnt), Kirgisistan, Pakistan (bilaterale Kredite Chinas im Wert von 20 Mrd. USD), Montenegro und verschiedene afrikanische Länder haben China aufgefordert, die in diesem Jahr fälligen Rückzahlungen umzustrukturieren, zu verzögern oder ganz zu streichen.
Andererseits wächst in verschiedenen Ländern das Misstrauen gegenüber Chinas Vorgehen (Nichtratifizierung des Handelsvertrags zwischen China und der EU, Distanzierung von Kambodscha, den Philippinen oder Indonesien), hinzu kommt Druck auf China seitens der USA (in Lateinamerika gegenüber Ländern wie Panama, Ecuador und Chile). Schließlich führt das durch den Zerfall erzeugte Chaos dazu, dass einige Schlüsselländer der "neuen Seidenstraße" destabilisiert werden; dies gilt beispielsweise für Äthiopien, das in einem schrecklichen Bürgerkrieg zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der Tigray-Region versinkt, obwohl das Land, das als Stabilitätspol und "neue Werkstatt der Welt" angepriesen wurde, mit einem chinesischen Militärstützpunkt in Dschibuti einen Stützpunkt für das "Belt and Road Project" in Nordostafrika darstellte.
Kurzum, es ist nicht verwunderlich, dass es 2020 zu einem Einbruch des finanziellen Werts der in das Projekt "Neue Seidenstraße" geflossenen Investitionen kam (-64 %), obwohl China seit 2013 mehr als 461 Milliarden US-Dollar verliehen hat.
All diese Schwierigkeiten schüren die Spannungen innerhalb der chinesischen Bourgeoisie, auch wenn sie sich aufgrund der staatskapitalistischen politischen Struktur stalinistischer Prägung nicht in der gleichen Weise manifestieren wie beispielsweise in den USA oder Frankreich.
Unter Deng Xiao Ping richtete der chinesische Staatskapitalismus stalinistischer Prägung unter dem Deckmantel einer Politik der "Schaffung von Reichen, um ihren Reichtum zu teilen" "freie" Zonen (um Hongkong, Macau usw.) ein, um einen Kapitalismus vom Typ "freier Markt" zu entwickeln, der den Zufluss internationalen Kapitals ermöglicht und auch einen privatkapitalistischen Sektor fördert. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der "Globalisierung" der Wirtschaft in den 1990er Jahren hat sich letzterer dort exponentiell entwickelt, auch wenn der öffentliche Sektor unter direkter staatlicher Kontrolle immer noch 30 % der Wirtschaft ausmacht. Wie ging die rigide und repressive Struktur des stalinistischen Staates und der Einheitspartei mit dieser "Öffnung" für den Privatkapitalismus um? Ab den 1990er Jahren nahm die Partei massiv Unternehmer und Leiter von Privatunternehmen auf. "Anfang der 2000er Jahre hob der damalige Präsident Jiang Zemin das Verbot auf, Unternehmer aus dem Privatsektor, die bis dahin als Klassenfeinde betrachtet worden waren, anzuwerben (...). Die so ausgewählten Geschäftsleute werden Mitglied der politischen Elite, was ihnen garantiert, dass ihre Unternehmen zumindest teilweise vor räuberischen Kadern geschützt sind" (Que reste-t-il-t-il du communisme en Chine ?, Le monde diplomatique 68, Juli 2021). Heute machen Fachkräfte und Manager mit Hochschulabschluss 50 Prozent der KPCh-Mitglieder aus.
Die Gegensätze zwischen den verschiedenen Fraktionen werden sich daher nicht nur innerhalb der staatlichen Strukturen, sondern auch innerhalb der KPCh selbst äußern. Seit mehreren Jahren (vgl. bereits den Bericht über imperialistische Spannungen des 20. Kongresses der IKS, Internationale Revue 51, 2013) wachsen die Spannungen zwischen verschiedenen Fraktionen innerhalb der chinesischen Bourgeoisie[1], insbesondere zwischen jenen, die eher mit privatkapitalistischen Sektoren verbunden sind, die vom internationalen Handel und Investitionen abhängen, und jenen, die mit staatlichen Strukturen und Finanzkontrolle auf regionaler oder nationaler Ebene verbunden sind, jenen, die eine Öffnung für den Welthandel befürworten, und jenen, die eine eher dogmatische oder nationalistische Politik vorantreiben.
Die von Präsident Xi eingeleitete "Kampagne gegen Korruption" beinhaltete spektakuläre Beschlagnahmungen von gigantischen Vermögen, die Mitglieder verschiedener Clans angehäuft hatten, während die "Linkswende" weniger wirtschaftlichen Pragmatismus und mehr Dogmatismus und Nationalismus beinhaltete; das Ergebnis war vor allem, dass die politischen Spannungen und die Instabilität in den letzten Jahren zugenommen haben: Davon zeugen "die anhaltenden Spannungen zwischen Premierminister Li Keqiang und Präsident Xi Jinping über den wirtschaftlichen Aufschwung, ebenso wie die "neue Position" Chinas auf der internationalen Bühne". (A. Payette, "China: In Beidaihe, der "Sommeruniversität" der Partei, die internen Spannungen auf den Punkt gebracht", Asialyst, 06.09. 20), die regelmäßig auftretende explizite Kritik an Xi (zuletzt der Aufsatz "viraler Alarm", der von einem angesehenen Professor für Verfassungsrecht an der Qinghua-Universität in Peking veröffentlicht wurde und Xis Ende vorhersagt), die Spannungen zwischen Xi und den Generälen, die die Volksarmee führen und die insbesondere von der Anti-Korruptionskampagne betroffen sind, oder auch die Interventionen des Staatsapparats gegen Unternehmer, die zu "flamboyant" und kritisch gegenüber der staatlichen Kontrolle sind (Jack Ma und Ant Financial, Alibaba). Einige Konkurse (HNA, Evergrande) könnten übrigens mit den Cliquenkämpfen innerhalb der Partei zusammenhängen, beispielsweise im Rahmen der zynischen Kampagne zum "Schutz der Bürger vor den Exzessen der 'Kapitalistenklasse'" (sic).
Kurzum, die chinesische Bourgeoisie ist wie andere Bourgeoisien mit wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert, die mit der historischen Krise der kapitalistischen Produktionsweise, dem Chaos, das aus dem Zerfall des Systems resultiert, und der Verschärfung der internen Spannungen zwischen den Fraktionen innerhalb der KPCh zusammenhängen, die sie mit allen Mitteln innerhalb ihrer veralteten staatskapitalistischen Strukturen einzudämmen versucht.
Darüber hinaus ist die Lage für die chinesische Bourgeoisie auf internationaler Ebene ebenso heikel, zunächst wegen der aggressiven Politik der USA, aber auch wegen der wachsenden Spannungen mit anderen asiatischen Großmächten wie Indien und Japan, die durch das Chaos und das Jeder-gegen-Jeden in dieser Periode des Zerfalls noch intensiviert werden.
Die von Trump ab 2017 umgesetzte "America First"-Politik hat auf imperialistischer Ebene im Wesentlichen zu einer wachsenden Polarisierung und einer verschärften Aggressivität gegenüber China geführt, das von der US-Bourgeoisie zunehmend als Hauptgefahr identifiziert wird. Die USA haben die strategische Entscheidung getroffen, ihre Kräfte auf die militärische und technologische Konfrontation mit China zu konzentrieren, um ihre Vormachtstellung zu erhalten und sogar noch auszubauen und ihre Position als dominierende Bande gegenüber den Rivalen (China und in zweiter Linie Russland) zu verteidigen, die ihre Hegemonie am direktesten bedrohen. Die Politik der Biden-Regierung entspricht voll und ganz dieser Ausrichtung; sie hat nicht nur die von Trump eingeführten aggressiven wirtschaftlichen Maßnahmen gegen China beibehalten, sondern vor allem den Druck durch eine aggressive Politik erhöht:
- auf politischer Ebene: Verteidigung der "Menschenrechte" gegenüber der Unterdrückung der Uiguren oder der "pro-demokratischen" Demonstrationen in Hongkong, Ausschluss Chinas von der von Biden organisierten Demokratiekonferenz zugunsten Taiwans, dem sich die USA auf diplomatischer und handelspolitischer Ebene deutlich annähern, Hacking-Vorwürfe gegen China usw.
- auf militärischer Ebene im Chinesischen Meer durch explizite und spektakuläre Machtdemonstrationen in den letzten Monaten: Vermehrte Militärübungen unter Beteiligung der US-Flotte und der Flotten von Verbündeten im Südchinesischen Meer, alarmierende Berichte über die unmittelbar drohende chinesische Intervention in Taiwan, Präsenz von US-Spezialkräften in Taiwan zur Betreuung taiwanischer Eliteeinheiten, Abschluss eines neuen Verteidigungsabkommens, des AUKUS, zwischen den USA, Australien und Großbritannien, das eine militärische Koordination einführt, die explizit gegen China gerichtet ist, Bidens Zusage, Taiwan im Falle einer chinesischen Aggression zu unterstützen.
China hat auf diesen politischen und militärischen Druck wütend reagiert, insbesondere auf den Druck im Chinesischen Meer um Taiwan herum: Organisation massiver und bedrohlicher Marine- und Luftmanöver um die Insel herum, Veröffentlichung alarmierender Studien, die von einer "nie dagewesenen" Kriegsgefahr mit Taiwan berichten, oder Pläne für einen Überraschungsangriff auf Taiwan, der zu einer totalen Niederlage der Streitkräfte der Insel führen würde.
Ähnlich stark sind die Spannungen mit anderen asiatischen Mächten: Sie sind am größten mit Indien, seinem größten Rivalen in Asien, mit dem es im Sommer 2020 in Ladakh zu ernsten militärischen Zwischenfällen kam; sie verschärfen sich auch mit Japan, dessen neuer Premierminister Fumio Kishida zum ersten Mal seit 1945 "alle Optionen in Betracht ziehen will, einschließlich der [Japans] Fähigkeit, feindliche Stützpunkte anzugreifen, die Stärkung der japanischen Militärmacht fortzusetzen, soweit dies notwendig ist" (P. - A. Donnet, Die Beziehungen zwischen China und Japan verschlechtern sich mit hoher Geschwindigkeit, Asialyst, 01.12.21). Diese Länder halten jedoch eine gewisse Distanz zu den USA (und sind dem AUKUS-Militärpakt nicht beigetreten), wobei man die Zurückhaltung Indiens durch seine eigenen imperialistischen Ambitionen erklären kann; die Japans durch die Tatsache, dass es einerseits zwischen der Angst vor der militärischen Stärkung Chinas und andererseits seiner beträchtlichen Industrie- und Handelsbeziehungen mit diesem Land hin- und hergerissen ist (China ist Japans größter Handelspartner, 2020 wurden für über 141 Milliarden US-Dollar in dieses Land exportiert, im Vergleich zu 118 Milliarden US-Dollar, die in die USA exportiert wurden).
Das durch den Zerfall erzeugte Chaos und das Jeder-für-sich-Sein verstärken auch für China die Unberechenbarkeit der Situation, wie das Beispiel Afghanistan zeigt. Die fehlende Zentralisierung der Taliban-Macht, die unzähligen Strömungen und Gruppen mit den unterschiedlichsten Bestrebungen, die die Bewegung ausmachen, und die Vereinbarungen mit lokalen Kriegsherren, das ganze Land schnell zu erobern, führen zu Chaos und Unberechenbarkeit, wie die jüngsten Anschläge auf die Hazara-Minderheit zeigen. Dies kann die Intervention der verschiedenen Imperialismen (Russland, Indien, Iran, ...) nur verstärken, aber auch dass die Situation immer schwer vorhersehbar wird, also auch das herrschende Chaos. Für China macht dieses Chaos jede kohärente und langfristige Politik in dem Land unberechenbar. Darüber hinaus stellt der Präsenz der Taliban an Chinas Grenzen eine ernsthafte potenzielle Gefahr für islamistische Infiltrationen in China dar (vgl. die Situation in Sin-Kiang), zumal die pakistanischen "Brüder" der Taliban (die TTP, Cousins des ISK) eine Anschlagskampagne gegen die Baustellen der "neuen Seidenstraße" durchführen, bei der bereits ein Dutzend chinesischer "Entwicklungshelfer" ums Leben gekommen sind. Um der Gefahr in Afghanistan zu begegnen, tendiert China dazu, sich in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens (Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan) niederzulassen. Diese Republiken gehören jedoch traditionell zum russischen Einflussbereich, was die Gefahr einer Konfrontation mit diesem "strategischen Verbündeten" erhöht, dem seine langfristigen Interessen (die "neue Seidenstraße") ohnehin fundamental entgegenstehen.
China ist also nicht nur direkt von dem fortschreitenden Zerfall des Kapitalismus betroffen, es ist auch ein mächtiger aktiver Faktor in diesem Prozess, wie seine Verwicklung in die Covid-Krise, die Schwächung seiner Wirtschaft oder die internen Auseinandersetzungen innerhalb seiner Bourgeoisie hinreichend belegen.
Seine spektakulären Bemühungen, den militärischen Rückstand gegenüber den USA auszugleichen, sind insbesondere ein wichtiger Faktor für die Beschleunigung des Wettrüstens, vor allem auf dem asiatischen Kontinent, der einen deutlichen Anstieg der Militärausgaben verzeichnet: Die Umkehrung des jeweiligen Gewichts von Asien und Europa zwischen 2000 und 2018 in dieser Hinsicht ist spektakulär: Im Jahr 2000 entfielen auf Europa und Asien 27 % bzw. 18 % der weltweiten Verteidigungsausgaben. Im Jahr 2018 sind diese Verhältnisse umgekehrt: Asien macht 28 % und Europa 20 % aus (Sipri-Daten). So wird beispielsweise der japanische Militärhaushalt mit über 53,2 Milliarden US-Dollar für 2021 ein seit 1945 nicht mehr erreichtes Niveau erreichen, ein Anstieg um 15% im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2020 (vgl. P.-A. Donnet, The relationships between China and Japan determined at a high speed, Asialyst 01.12.21).
Die massive Aufrüstung der Staaten erhöht die Gefahr einer Konfrontation zwischen asiatischen Großmächten oder die Spannungen mit den USA, die vorherrschend sind, erheblich, auch wenn sie keine Tendenz zur Bildung imperialistischer Blöcke induzieren, da es weder den USA heute und schon gar nicht China gelingt, die anderen Mächte für ihre imperialistischen Ambitionen zu mobilisieren und ihre Führung dauerhaft gegenüber anderen Ländern durchzusetzen. Das ist jedoch alles andere als beruhigend: "Gleichzeitig vermehren sich auch die "Massaker in zahllosen kleinen Kriegen", während der Kapitalismus in seiner Endphase in ein immer irrationaleres imperialistisches Jeder-gegen-Jeden versinkt" (Resolution zur internationalen Lage des 24. Kongresses der IKS, Punkt 11, Internationale Revue 57).
China erscheint durch die Covid-19-Krise keineswegs als „Bollwerk der globalen Stabilität" oder als Leuchtturm auf, der dem globalen Kapitalismus den Weg aus der Krise weisen würde. „Das außergewöhnliche Wachstum Chinas ist selbst ein Produkt des Zerfallsperiode. (...) diese wirtschaftliche Öffnung [wurde] von einem unflexiblen politischen Apparat durchgesetzt (...), der nur durch eine Kombination aus Staatsterror, einer rücksichtslosen Ausbeutung der Arbeitskraft, die Hunderte Millionen Arbeiter einem Dauerzustand als Wanderarbeiter unterwirft, und einem rasenden Wirtschaftswachstum, dessen Fundamente nun zunehmend wackelig erscheinen, dem Schicksal des Stalinismus im russischen Block entgehen konnte. Die totalitäre Kontrolle über den gesamten Gesellschaftskörper, die repressive Verhärtung der stalinistischen Fraktion von Xi Jinping, ist kein Ausdruck von Stärke, sondern eine Manifestation der Schwäche des Staates, dessen Zusammenhalt durch die Existenz von Fliehkräften innerhalb der Gesellschaft und wichtigen Cliquenkämpfen innerhalb der herrschenden Klasse gefährdet ist.“ (Punkt 9 der Resolution der IKS zur internationalen Lage [241], 24. Kongress)
Stattdessen erscheint sie als eine gigantische "Zeitbombe", die eine entsetzliche Spirale der Barbarei für den Planeten ankündigt, wenn die Arbeiterklasse nicht den Prozess des Zerfalls, des Verfaulens auf der Stelle, dieses dekadenten Systems beendet.
R. Havannais / 20.12.21
[1] In der Literatur über die KPCh werden beispielsweise die Qinghua-Fraktion (ehemalige Studenten der Qinghua Polytechnic University in Peking, wie der ehemalige Präsident Hu Jintao und Premierminister Li Keqiang) aufgeführt, die eine bescheidenere Herkunft hat und eher reformorientiert ist, die Fraktion der "roten Prinzen", die aus Familien der KPCh-Nomenklatura (Xi Jinping) stammen und die Mehrheit der großen staatlichen und halbstaatlichen Konzerne leiten, oder die "Clique" von Shanghai (Jiang Zemin), die auf Öffnung und Wirtschaftsreformen ausgerichtet ist.
Ein Leser schreibt uns:
"Wie kann die IKS behaupten, dass der Kapitalismus seit 1914 ein dekadentes System ist, wenn es seither ein so enormes Wachstum im kapitalistischen System gegeben hat?"
Diese Frage wurde uns auf unterschiedliche Weise schon oft gestellt: Was ist mit dem enormen Wachstum nach dem Zweiten Weltkrieg? Was ist mit dem enormen Wachstum in China in den letzten Jahrzehnten? Spricht das nicht alles gegen die Vorstellung, dass der Kapitalismus ein System im Niedergang, im Verfall, in der Dekadenz sei?
Wir sind der Meinung, dass diese Fragen wichtig sind, dass man aber bei ihrer Beantwortung richtig an sie herangehen muss.
Schauen wir uns dazu eine recht bedeutsame Passage in Marx' Grundrissen an: "(...) Während das Kapital also einerseits dahin streben muss, jede örtliche Schranke des Verkehrs, i.e. des Austauschs niederzureißen, die ganze Erde als seinen Markt zu erobern, strebt es andererseits danach, den Raum zu vernichten durch die Zeit, d.h. die Zeit, die die Bewegung von einem Ort zum andren kostet, auf ein Minimum zu reduzieren. Je entwickelter das Kapital, je ausgedehnter daher der Markt, auf dem es zirkuliert, der die räumliche Bahn seiner Zirkulation bildet, desto mehr strebt es zugleich nach größrer räumlicher Ausdehnung des Markts und nach größrer Vernichtung des Raums durch die Zeit (...). Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von allen früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung neuer Produktionsweise, die gegründet ist nicht auf die Entwicklung der Produktivkräfte, um einen bestimmten Zustand zu reproduzieren und höchstens auszuweiten, sondern wo die – freie, ungehemmte, progressive, und universelle Entwicklung der Produktivkräfte selbst die Voraussetzung der Gesellschaft und daher ihrer Reproduktion bildet; wo die einzige Voraussetzung das Hinausgehen über den Ausgangspunkt. Diese Tendenz – die das Kapital hat, aber die zugleich ihm selbst als einer bornierten Produktionsform widerspricht und es daher zu seiner Auflösung treibt – unterscheidet das Kapital von allen früheren Produktionsweisen und enthält zugleich das in sich, daß es als bloßer Übergangspunkt gesetzt ist. Alle bisherigen Gesellschaftsformen gingen unter an der Entwicklung des Reichtums – oder was dasselbe ist der gesellschaftlichen Produktivkräfte.“[1]
Diese Passage kann natürlich unterschiedlich interpretiert werden, und die Grundrisse waren alles andere als ein fertiges Werk. Unserer Meinung nach war dies jedoch ein großartiger Vorausblick auf den Punkt, an dem der Kapitalismus zu einem dekadenten System würde. Erstens betont Marx den Drang des Kapitals, den gesamten Planeten zu erobern, und zwar durch eine gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte, in diesem Fall die zunehmende Fähigkeit, Waren so schnell wie möglich von einem Ende der Erde zum anderen zu transportieren. Diese Dynamik, dieses Potenzial für eine sehr schnelle Ausdehnung und technologische Entwicklung, unterscheidet das Kapital von früheren Produktionsweisen, die eher statisch und auf bestimmte Regionen der Erde beschränkt waren. Diese universalisierende Tendenz des Kapitals schafft auch notwendigerweise ein Weltproletariat, eine internationale revolutionäre Klasse, und ist somit eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die menschliche Gesellschaft eine qualitativ neue Etappe in ihrer Geschichte erreichen kann. Wie Marx es in einem anderen Abschnitt desselben Kapitels der Grundrisse ausdrückt:
"Dass die äußerste Form der Entfremdung, worin, im Verhältnis des Kapitals zur Lohnarbeit, die Arbeit, die produktive Tätigkeit zu ihren eigenen Bedingungen und ihrem eignen Produkt erscheint, ein notwendiger Durchgangspunkt ist – und damit an sich, nur noch in verkehrter, auf den Kopf gestellter Form schon enthält die Auflösung aller bornierter Voraussetzungen der Produktion, und vielmehr die unbedingten Voraussetzungen der Produktion schafft und herstellt, daher die vollen materiellen Bedingungen für die totale, universelle Entwicklung der Produktivkräfte des Individuums, wird später betrachtet werden.“[2]
In dem Maße, in dem das Kapital die Produktivkräfte bis zu dem Punkt entwickelt, an dem eine globale kommunistische Produktion und Verteilung möglich wird, kann die Verdrängung früherer Produktionsweisen durch das Kapital, so brutal und rücksichtslos sie auch sein mag, als Zeichen eines aufsteigenden oder fortschrittlichen Gesellschaftssystems angesehen werden. Aber sobald dieser Punkt erreicht ist, muss die weitere "Entwicklung der Produktivkräfte" eine ganz andere Bedeutung annehmen, in der der Reichtum nicht mehr in gestohlener Zeit, sondern in freier Zeit gemessen wird; nicht mehr in Geldbegriffen oder der Anhäufung von konstantem Kapital oder den Abstraktionen des "Wertes", sondern als Entwicklung der schöpferischen Fähigkeiten jedes und jeder Einzelnen in Verbindung mit anderen.
Aber es geht nicht nur darum, die Geschichte des Kapitals ab einem bestimmten Punkt zu betrachten und zu beklagen, dass die Dinge so viel besser hätten sein können. Marx argumentiert auch, dass dieser kulminierende Moment genau der Punkt ist, an dem die widersprüchliche Art und Weise, in der sich das Kapital universalisiert, es "zur Auflösung treibt". Die geschichtliche Entwicklung seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat deutlich gemacht, welche Form dieser "Auflösungsprozess" annimmt: Von diesem Zeitpunkt an konnte das Kapital die Produktionskräfte nicht mehr weiterentwickeln, ohne eine Spirale der Zerstörung, eine Reihe von Weltwirtschaftskrisen, globale Kriege und, wie in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher wurde, die Verwüstung der natürlichen Umwelt in Gang zu setzen. Man kann sogar sagen, dass, solange das Kapital in einer Epoche, in der es obsolet geworden ist, weiter wächst und sich anhäuft, dieses Wachstum die Gefahr erhöht, dass es die Menschheit zerstört und jede Möglichkeit einer kommunistischen Zukunft zunichte macht. Dies wird deutlich, wenn wir uns die Perfektionierung der Militärproduktion ansehen, die im letzten Jahrhundert und darüber hinaus zu einem so zentralen Bestandteil der kapitalistischen Wirtschaft geworden ist. Es ist ebenso offensichtlich, wenn wir die ökologischen Folgen der kapitalistischen Expansion bis in die letzten Winkel des Planeten sehen. Wir müssen auch erkennen, dass gerade die Mittel, die eingesetzt werden, um das Wachstum in einer Zeit fortzusetzen, in der die Wirtschaftskrise tendenziell zum Dauerzustand geworden ist, von der Obsoleszenz des Systems zeugen. Dies gilt insbesondere für den Rückgriff auf gigantische Verschuldung, um eine Art künstlichen Markt zu schaffen. Das Kapital wächst, indem es sich über seine eigenen Gesetze hinwegsetzt.
Das ist es, worauf Marx unserer Meinung nach hinaus will, wenn er die erste zitierte Passage fortsetzt, indem er sagt: "Die höchste Entwicklung dieser Basis selbst (die Blüte, worin sich verwandelt, es ist aber doch immer diese Basis, diese Pflanze als Blüte; daher Verwelken nach der Blüte und als Folge der Blüte) ist der Punkt, worin sie selbst zu der Form ausgearbeitet ist, worin sie mit der höchsten Entwicklung der Produktionskräfte vereinbar, daher auch der reichsten Entwicklung der Individuen. Sobald dieser Punkt erreicht ist, erscheint die weitere Entwicklung als Verfall, und die neue Entwicklung beginnt von einer neuen Basis."[3]
Das Wachstum Chinas in den letzten Jahrzehnten ist ein klassisches Beispiel für diese "Entwicklung als Verfall": Verwaltet von einem rücksichtslosen totalitären Staatsapparat, finanziert durch eine astronomische Verschuldung, geschützt durch eine riesige Armee und ein Arsenal an Atomwaffen, Aufbau neuer Industriezentren und Megastädte auf schreckliche Kosten für die Umwelt, sowohl lokal als auch global: Wir können getrost sagen, dass dies alles die Kennzeichen eines dekadenten Systems sind.
Warum das Jahr 1914 als endgültiger Wendepunkt? Erinnern wir uns daran, dass dies nicht die rückblickende Schlussfolgerung der IKS ist, sondern die Position der Revolutionäre war, die die Kommunistische Internationale gründeten und die erkannten, dass der Kapitalismus tatsächlich in seine Epoche des "inneren Zersetzung" eingetreten war, die Epoche der Kriege und Revolutionen. Der Krieg von 1914-18 zeigte, dass der Kapitalismus unaufhaltsam in immer grausamere imperialistische Kriege getrieben wurde, die die Menschheit vor die Alternative zwischen Sozialismus und Barbarei stellten. Und die Antwort der internationalen Arbeiterklasse ab 1917 zeigte, dass die neue Epoche tatsächlich die Epoche der "kommunistischen Revolution des Proletariats" war (Richtlinien der Kommunistischen Internationale, März 1919).
Nochmals sei betont, dass der Krieg nicht bedeutete, dass der Kapitalismus keine weiteren Expansionsmöglichkeiten mehr hatte. Rosa Luxemburg wies 1913 in ihrem Buch Die Akkumulation des Kapitals darauf hin, dass das Kapital noch immer nur einen kleinen Teil des Planeten direkt beherrsche und dass es objektiv gesehen noch viele Überreste des vorkapitalistischen Milieus zu absorbieren und neue Märkte zu erobern gäbe. Sie betonte aber auch, dass es keinen rein wirtschaftlichen Zusammenbruch des Systems gibt.
„Je gewalttätiger das Kapital vermittelst des Militarismus draußen in der Welt wie bei sich daheim mit der Existenz nichtkapitalistischer Schichten aufräumt und die Existenzbedingungen aller arbeitenden Schichten herabdrückt, um so mehr verwandelt sich die Tagesgeschichte der Kapitalakkumulation auf der Weltbühne in eine fortlaufende Kette politischer und sozialer Katastrophen und Konvulsionen, die zusammen mit den periodischen wirtschaftlichen Katastrophen in Gestalt der Krisen die Fortsetzung der Akkumulation zur Unmöglichkeit, die Rebellion der internationalen Arbeiterklasse gegen die Kapitalsherrschaft zur Notwendigkeit machen werden, selbst ehe sie noch ökonomisch auf ihre natürliche selbstgeschaffene Schranke gestoßen ist.“[4]
Zusammenfassend: Wir haben immer die Idee abgelehnt, dass der Kapitalismus erst dann im Niedergang oder in der Dekadenz sein könne, wenn die Entwicklung der Produktivkräfte vollständig zum Stillstand gekommen sei.[5] Selbst in den niedergehenden Epochen der Sklaverei und des Feudalismus konnte es bedeutende Momente und Zentren des Wachstums geben, nicht zuletzt das krebsartige Wachstum der Staatsmacht, die zu monströsen Proportionen aufgebläht wurde, um zu versuchen, die Widersprüche, die die Gesellschaft zerrissen, einzudämmen. Aber es blieben Gesellschaften, in denen die Krise der Wirtschaft die Form der Unterproduktion annahm, im Gegensatz zum Kapitalismus, wo die Krise als Krise der Überproduktion (oder, was letztlich auf dasselbe hinausläuft, als Krise der Überakkumulation) erscheint. Weniger als jede frühere Produktionsweise kann der Kapitalismus aufhören, die Produktivkräfte zu "revolutionieren". Aber Revolutionäre, die sich auf eine wissenschaftliche Methode berufen, müssen in der Lage sein, den Punkt zu erkennen, an dem die Perspektive des Kommunismus die Bereiche des Möglichen und des Notwendigen vereint, d.h. wann die bestehenden Produktionskräfte mehr und mehr zu Kräften der Zerstörung werden[6] und wenn die Menschheit sich nur erhalten kann, wenn sie eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse vornimmt, so dass die Entwicklung der Produktivkräfte nun mit "der totalen, universellen Entwicklung der Produktivkräfte des Individuums" zusammenfällt.
Amos, 08.07.2021
China ist ein sehr gutes Beispiel für die relative Zunahme des Reichtums und für die enormen zerstörerischen Kräfte, die in Gang gesetzt wurden, um diesen relativen Reichtum zu erreichen.
- China gilt als "der fleißigste Henker der Welt" (Amnesty International) und lässt jedes Jahr Tausende von Menschen hinrichten. Jedes Jahr werden in China mehr Menschen hingerichtet als im Rest der Welt zusammen.
- Schätzungen zufolge gibt es in Xinjiang mehr als tausend Internierungslager, in denen bis zu 1,5 Millionen Menschen festgehalten und zur Zwangsarbeit gezwungen werden.
- Die Volksrepublik China ist der weltweit größte jährliche Emittent von Treibhausgasen und Quecksilber. Seit dem Jahr 2000 sind laut New Scientist mehr als 30 Millionen Menschen in China an den Folgen der Luftverschmutzung gestorben.
- Armut: 600 Millionen Chinesen leben immer noch von umgerechnet 5,50 US-Dollar pro Tag.
- Rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskräfte: Extrem lange Arbeitszeiten, körperliche Bestrafung, Geldstrafen und Nichtzahlung der Löhne gehören zu den Missständen, unter denen Millionen chinesischer Lohnabhängiger leiden.
- China hat eine lange Geschichte von Industrieunfällen, die von Fabrikexplosionen über Schlammlawinen bis hin zu Mineneinstürzen reichen.
Es könnte ein ganzer Artikel über das enorme Gewicht des Militärsektors in China und das Ausmaß, in dem sein Wachstum von Schulden angetrieben wurde, hinzugefügt werden.
[1] Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Heft V, Das Kapitel vom Kapital, Zirkulationsprozess, Auflösung durch Zirkulation, S. 438
[2] a.a.O., Heft V, Das Kapitel vom Kapital, Zirkulationsprozess v. Geld u. v. Kapital, S. 414
[3] a.a.O., Zirkulationsprozess, Auflösung durch Zirkulation, S. 439
[4] Die Akkumulation des Kapitals, Kapitel 32, Ges. Werke Rosa Luxemburg, Band 5, S. 410
[5] Siehe insbesondere das folgende Kapitel aus unserer ursprünglichen Serie über die Dekadenz, die in den frühen 70er Jahren in Révolution Internationale veröffentlicht wurde und auf Englisch (und in anderen Sprachen) als Broschüre erschien: 4. Decadence: A total halt to the productive forces? [242] (4. Dekadenz: Ein totaler Stillstand der Produktivkräfte?)
[6]Hier wird nur bestätigt, was Marx bereits in einem seiner frühesten Werke, der Deutschen Ideologie von 1845/6, in einer Passage vorweggenommen hat, in der er die grundlegenden Schlussfolgerungen aus der materialistischen Geschichtsauffassung zusammenfasst. Die erste dieser Schlussfolgerungen lautet: "Schließlich erhalten wir noch folgende Resultate aus der entwickelten Geschichtsauffassung: 1. In der Entwicklung der Produktivkräfte tritt eine Stufe ein, auf welcher Produktionskräfte und Verkehrsmittel hervorgerufen werden, welche unter den bestehenden Verhältnissen nur Unheil anrichten, welche keine Produktionskräfte mehr sind, sondern Destruktionskräfte (Maschinerie und Geld) - und was damit zusammenhängt, daß eine Klasse hervorgerufen wird, welche alle Lasten der Gesellschaft zu tragen hat, ohne ihre Vorteile zu genießen, welche aus der Gesellschaft herausgedrängt, in den entschiedensten Gegensatz zu allen andern Klassen forciert wird; eine Klasse, die die Majorität aller Gesellschaftsmitglieder bildet und von der das Bewußtsein über die Notwendigkeit einer gründlichen Revolution, das kommunistische Bewußtsein, ausgeht, das sich natürlich auch unter den andern Klassen vermöge der Anschauung der Stellung dieser Klasse bilden kann“ (MEW 3 S. 69).
Man kann Marx und Engels nicht vorwerfen, dass sie in diesem Werk wie auch im Kommunistischen Manifest einige Jahre später den Irrtum begingen, dass dieser epochale Wandel bereits stattgefunden habe, dass die proletarische Revolution bereits auf der Tagesordnung stehe. In der Zeit des Rückzugs nach den heroischen Ereignissen von 1848 konnte Marx diesen Irrtum zu einem beträchtlichen Teil selbst erkennen.
Innerhalb weniger Wochen haben sich die Klimakatastrophen überall auf dem Planeten in einem erschreckenden Tempo überschlagen. In den Vereinigten Staaten, Pakistan, Spanien und Kanada haben sich die Temperaturen 50°C genähert. In Nordindien verursachte die Hitze mehrere tausend Todesfälle. 800.000 Hektar der sibirischen Wälder, eine der kältesten Regionen der Welt, haben sich bereits in Rauch aufgelöst. In Nordamerika hat die mittlerweile traditionelle Saison der riesigen Waldbrände bereits begonnen: Allein in British Columbia brannten bereits mehr als 150.000 Hektar! Im Süden Madagaskars hat eine noch nie dagewesene Dürre 1,5 Millionen Menschen in die Hungersnot gestürzt. Hunderttausende von Kindern sterben, weil sie nichts zu essen und zu trinken haben, in einer fast allgemeinen Gleichgültigkeit! Kenia und mehrere andere afrikanische Länder erleben die gleiche dramatische Situation.
Doch während ein Teil der Welt erstickt, haben sintflutartige Regenfälle in Japan, China und Europa zu beispiellosen Überschwemmungen und tödlichen Erdrutschen geführt. In Mitteleuropa, insbesondere in Deutschland und Belgien, haben die Überschwemmungen zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels über 200 Menschen getötet und Tausende verletzt. Tausende von Häusern, ganze Dörfer, Städte und Straßen wurden weggespült. In Westdeutschland wurden das Straßennetz, Stromleitungen, Gasrohre, Telekommunikationsnetze und Eisenbahnen vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verwüstet. Viele Eisenbahn- und Straßenbrücken stürzten ein. Noch nie zuvor wurde diese Region von Überschwemmungen solchen Ausmaßes heimgesucht.
In China, in der Stadt Zhengzhou, der Hauptstadt der zentralen Provinz Henan mit 10 Millionen Einwohnern, fiel in drei Tagen der Niederschlag eines ganzen Jahres! Die Straßen verwandelten sich in reißende Ströme, mit halluzinierenden Szenen der Verwüstung und des Chaos: eingestürzte Straßen, zertrümmerter Asphalt, vom Wasser weggeschwemmte Fahrzeuge ... Tausende von U-Bahn-Nutzern saßen in Stationen, Zügen oder Tunneln fest, oft mit Wasser bis zum Hals. Mindestens 33 Menschen werden als tot und viele als verletzt gemeldet. 200.000 Menschen wurden evakuiert. Die Versorgung mit Wasser, Strom und Lebensmitteln war plötzlich unterbrochen. Es war niemand gewarnt worden. Der landwirtschaftliche Schaden geht in die Millionen. Im südlichen Henan ist der Staudamm des Guojiaju-Wasserreservoirs beschädigt, und zwei weitere Dämme drohen ebenfalls jederzeit zu brechen.
Die erschreckenden Schlussfolgerungen des Vorberichts des IPCC, die an die Presse durchgesickert sind, sind erschreckend: "Das Leben auf der Erde kann sich von größeren Klimaveränderungen erholen, indem es sich zu neuen Arten entwickelt und neue Ökosysteme schafft. Die Menschheit nicht." Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler vor den Gefahren des Klimawandels. Wir stecken mitten drin! Es geht nicht mehr nur um das Aussterben von Arten oder um lokal begrenzte Katastrophen; die Desaster sind jetzt permanent – und das Schlimmste steht noch bevor!
Seit vielen Jahren häufen sich Hitzewellen, Brände, Wirbelstürme und Bilder der Zerstörung. Aber wenn die Unzulänglichkeiten und die Inkompetenz der ärmsten Staaten bei der Bewältigung von Katastrophen leider niemanden mehr überraschen, so ist die wachsende Unfähigkeit der Großmächte besonders bezeichnend für das Ausmaß der Krise, in der der Kapitalismus versinkt. Nicht nur, dass die klimatischen Phänomene immer verheerender, zahlreicher und unkontrollierbarer werden, sondern auch, dass Staaten und Rettungsdienste unter der Last jahrzehntelanger Haushaltskürzungen zunehmend desorganisiert sind und versagen.
Die Situation in Deutschland ist ein deutlicher Ausdruck dieses Trends. Obwohl das Europäische Flutwarnsystem (EFAS), das nach den Überschwemmungen von 2002 eingerichtet wurde, die Überschwemmungen vom 14. und 15. Juli vorhersah, wurden, wie die Hydrologin Hannah Cloke feststellte, "die Warnungen nicht ernst genommen und die Vorbereitungen waren unzureichend"[1]. Die Bundesregierung hat sich großer Teile der Warnsysteme entledigt, indem sie diese ohne standardisierte Verfahren und ohne nennenswerte Ressourcen an die Bundesländer oder sogar an die Kommunen abgegeben hat. Das Ergebnis: Während das Strom- und Telefonnetz zusammengebrochen war und eine ausreichende Alarmierung und Evakuierung der Bevölkerung unmöglich machte, konnte der Katastrophenschutz die Sirenen nur dort auslösen, wo sie noch funktionierten! Vor der Wiedervereinigung gab es rund 80.000 Sirenen in West- und Ostdeutschland, jetzt sind nur noch 15.000 funktionsfähig.[2] Aufgrund der mangelnden Kommunikation und Koordination waren auch die Einsätze der Rettungskräfte sehr unorganisiert. Mit anderen Worten: Sparsamkeit und bürokratische Inkompetenz haben maßgeblich zu diesem Fiasko beigetragen!
Aber die Verantwortung der Bourgeoisie hört nicht bei den Versäumnissen der Sicherheitssysteme auf. In diesen verstädterten und dicht besiedelten Regionen ist die Durchlässigkeit des Bodens stark reduziert, was das Risiko von Überschwemmungen erhöht. Um die Arbeitskräfte aus Rentabilitätsgründen besser konzentrieren zu können, haben die Behörden jahrzehntelang nie gezögert, den Bau vieler Häuser in überschwemmungsgefährdeten Gebieten zu genehmigen!
Ein großer Teil der Bourgeoisie konnte nicht umhin, den Zusammenhang zwischen der globalen Erwärmung und der Zunahme von Katastrophen zuzugeben. Inmitten der Trümmer erklärte die deutsche Bundeskanzlerin feierlich: „Wir müssen uns sputen im Kampf gegen den Klimawandel“.[3] Reine Augenwischerei! Seit den 1970er Jahren finden fast jedes Jahr internationale Gipfeltreffen und andere Konferenzen statt, die mit vielen Versprechungen, Zielen und Verpflichtungen verbunden sind. Jedes Mal entpuppen sich die "historischen Vereinbarungen" als nichts weiter als fromme Wünsche, während die Treibhausgasemissionen Jahr für Jahr weiter steigen.
In der Vergangenheit war die Bourgeoisie in der Lage, zu bestimmten Themen aus Sicht der Wirtschaft zu mobilisieren, wie z.B. die drastische Reduzierung von Fluorgasen, die für das "Loch" in der Ozonschicht verantwortlich sind. Diese Gase wurden in Klimaanlagen, Kühlschränken und Aerosoldosen verwendet. Das ist sicherlich eine wichtige Anstrengung angesichts der Risiken, die der Abbau der Ozonschicht immer noch birgt, aber sie hat nie eine drastische Umwälzung des kapitalistischen Produktionsapparates erfordert. Der CO2-Ausstoß ist in dieser Hinsicht ein viel wichtigeres Thema!
Treibhausgase sind die Fahrzeuge, die Arbeiter und Waren transportieren; die Energie, die Fabriken zum Laufen bringt, die Produktion von Methan und die Zerstörung von Wäldern durch intensive Landwirtschaft. Kurz gesagt, die CO2-Emissionen gehen ins Herz der kapitalistischen Produktion: die Konzentration der Arbeit in riesigen Metropolen, die Anarchie der Produktion, der Warenaustausch im globalen Maßstab, die Schwerindustrie etc. Deshalb ist die Bourgeoisie unfähig, echte Lösungen für die Klimakrise zu finden. Das Streben nach Profit, die massenhafte Überproduktion von Waren sowie die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen, ist für den Kapitalismus keine "Option": Es ist die conditio sine qua non seiner Existenz. Die Bourgeoisie kann die Steigerung der Produktion nur im Hinblick auf die erweiterte Akkumulation ihres Kapitals vorantreiben, ohne die sie angesichts der verschärften globalisierten Konkurrenz ihre eigenen Interessen und Profite gefährdet. Die unausgesprochene Essenz dieser Logik lautet: „Après moi le déluge!“ ("Nach mir die Sintflut"). Extreme Klimaphänomene betreffen nicht mehr nur die Bevölkerung der ärmsten Länder, sondern stören direkt das Funktionieren des industriellen und landwirtschaftlichen Produktionsapparates in den zentralen Ländern. Die Bourgeoisie ist also im Würgegriff von unlösbaren Widersprüchen gefangen!
Kein Staat ist in der Lage, seinen Produktionsapparat radikal umzugestalten, ohne einen brutalen Rückschlag angesichts der Konkurrenz aus anderen Ländern zu erleiden. Bundeskanzlerin Merkel mag zwar behaupten, dass es notwendig sei, "sich zu sputen", aber von strengeren Umweltschutzauflagen im Bereich strategischer Sektoren wie Stahl, Chemie oder Autos wollte die deutsche Regierung noch nie etwas hören. Merkel hat es auch geschafft, den (sehr schrittweisen) Kohleausstieg über Jahre hinauszuschieben: Der Braunkohletagebau im Rheinland und in Ostdeutschland ist nach wie vor einer der größten Umweltverschmutzer in Europa. Mit anderen Worten: Der Preis für die starke Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist die schamlose Zerstörung der Umwelt! Die gleiche unerbittliche Logik gilt für die vier Ecken des Planeten: Auf den Ausstoß von CO2 in die Atmosphäre oder die Zerstörung von Wäldern zu verzichten, hieße für die "Werkstatt der Welt", die China ist, wie für alle Industrieländer, sich in den Fuß zu schießen.
Angesichts dieses eklatanten Ausdrucks der Sackgasse des Kapitalismus nutzt die Bourgeoisie Katastrophen, um ihr System besser zu verteidigen. In Deutschland, wo der Wahlkampf für die Bundestagswahl im September in vollem Gange ist, wetteifern die Kandidaten im Kampf gegen den Klimawandel miteinander. Aber das ist alles nur Augenwischerei! Die "grüne Wirtschaft", die Millionen von Arbeitsplätzen schaffen und sogenanntes "grünes Wachstum" fördern soll, stellt für das Kapital keinen Ausweg dar, weder ökonomisch noch ökologisch. In den Augen der Bourgeoisie hat die grüne Wirtschaft vor allem einen ideologischen Wert, der die Möglichkeit einer Reform des Kapitalismus vortäuschen soll. Wenn neue Sektoren mit ökologischer Färbung entstehen, wie z.B. die Produktion von Photovoltaik-Paneelen, Biokraftstoffen oder Elektrofahrzeugen, werden sie angesichts der Grenzen zahlungsfähiger Märkte nicht nur nie als echte Lokomotive für die Gesamtwirtschaft dienen können, sondern ihre katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt sind nicht mehr zu bezweifeln: massive Zerstörung von Wäldern zur Gewinnung seltener Erden, ein mehr als erbärmliches Recycling von Batterien, intensiver Rapsanbau, usw.
Die "grüne Wirtschaft" ist auch eine bevorzugte Waffe gegen die Arbeiterklasse, um Fabrikschließungen und Entlassungen zu rechtfertigen, wie die Worte von Baerbock, der grünen Kanzlerkandidatin bei den Bundestagswahlen, zeigen: "Den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen [und die Entlassung der dazugehörigen Arbeitskräfte] werden wir nur schaffen, wenn wir hundert Prozent erneuerbare Energien haben"[4].
Wenn es um Entlassungen und Ausbeutung von Arbeitskräften geht, kennen die Grünen sich gut damit aus, denn sie haben sieben Jahre lang aktiv an den menschenverachtenden Reformen der Regierung Schröder mitgewirkt!
Die Ohnmacht der Bourgeoisie angesichts der immer verheerenderen menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels ist jedoch nicht unvermeidlich. Gewiss, weil sie in den Widersprüchen ihres eigenen Systems gefangen ist, kann die Bourgeoisie die Menschheit nur in die Katastrophe führen. Aber die Arbeiterklasse ist durch ihren Kampf gegen die Ausbeutung im Hinblick auf den Sturz des Kapitalismus die Antwort auf diesen offensichtlichen Widerspruch zwischen den obsoleten kapitalistischen Produktionsmethoden, ihrer völligen Anarchie, der allgemeinen Überproduktion, der sinnlosen Ausplünderung der natürlichen Ressourcen einerseits und anderseits der zwingenden Notwendigkeit der Rationalisierung der Produktion und der Logistik, um den dringenden menschlichen Bedürfnissen und nicht denen des Marktes zu entsprechen. Indem es die Menschheit vom kapitalistischen Profit und der Ausbeutung befreit, wird das Proletariat tatsächlich die materielle Möglichkeit haben, ein radikales Programm des Umweltschutzes zu verwirklichen. Auch wenn der Weg noch lang ist, ist der Kommunismus notwendiger denn je für das Überleben der Menschheit!
EG, 23. Juli 2021
[1] « Allemagne : après les inondations, premières tentatives d’explications [243] », Libération.fr (17. Juli 2021)
[2] « Warum warnten nicht überall Sirenen vor der Flut? [244] », N-TV.de (19. Juli 2021)
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/hochwasser-katastrophe-angela-merkel-in-der-eifel-eingetroffen-a-490cf803-c71a-473e-bd8d-2adda4674b65 [245]
[4] « Klimaschutz fällt nicht vom Himmel, er muss auch gemacht werden [246]», 22. Juli 2021
Der überstürzte Rückzug der US-amerikanischen und anderer westlicher Streitkräfte aus Afghanistan ist ein deutlicher Beweis für die Unfähigkeit des Kapitalismus, etwas anderes als zunehmende Barbarei zu bieten. Aber als Marxisten können wir die Ereignisse nicht nur kommentieren, sondern müssen ihre historischen Wurzeln analysieren, was wir in dem folgenden Artikel tun wollen.
Der überstürzte Rückzug der US-amerikanischen und anderer westlicher Streitkräfte aus Afghanistan ist ein deutlicher Beweis für die Unfähigkeit des Kapitalismus, etwas anderes als zunehmende Barbarei zu bieten. Der Sommer 2021 hat bereits eine Beschleunigung von miteinander verknüpften Ereignissen erlebt, die zeigen, dass der Planet bereits in Flammen steht: der Ausbruch von Hitzewellen und unkontrollierbaren Bränden von der Westküste der USA bis nach Sibirien, Überschwemmungen, die anhaltenden Verwüstungen durch die Covid-19-Pandemie und die von ihr verursachten wirtschaftlichen Verwerfungen. All dies ist “eine Offenbarung des Grades der Fäulnis, der in den letzten 30 Jahren erreicht wurde“[1]. Als Marxisten besteht unsere Aufgabe nicht nur darin, dieses wachsende Chaos zu kommentieren, sondern seine Wurzeln zu analysieren, die in der historischen Krise des Kapitalismus liegen, und die Perspektiven für die Arbeiterklasse und die gesamte Menschheit aufzuzeigen.
Die Taliban werden als Feinde der Zivilisation dargestellt, als eine Gefahr für die Menschenrechte und insbesondere für die Rechte der Frauen. Sie sind zweifellos brutal und werden von einer Vision angetrieben, die an die schlimmsten Aspekte des Mittelalters erinnert. Sie sind jedoch keine seltene Ausnahme in der heutigen Zeit. Sie sind das Produkt eines reaktionären Gesellschaftssystems: des dekadenten Kapitalismus. Ihr Aufkommen ist insbesondere Ausdruck der Zerfallsphase, dem letzten Stadium der Dekadenz des Kapitalismus.
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eskalierte der Kalte Krieg zwischen den imperialistischen Blöcken der USA und Russlands, wobei die USA Marschflugkörper in Westeuropa stationierten und die UdSSR zu einem Wettrüsten zwangen, das sie sich immer weniger leisten konnte. Im Jahr 1979 stürzte jedoch einer der Pfeiler des westlichen Blocks im Nahen Osten, der Iran, ins Chaos. Alle Versuche ausgeheckter Fraktionen der Bourgeoisie, Ordnung zu schaffen, scheiterten, und die rückständigsten Elemente des Klerus nutzten dieses Chaos, um an die Macht zu kommen. Das neue Regime brach mit dem westlichen Block, weigerte sich aber auch, dem russischen Block beizutreten. Der Iran hat eine ausgedehnte Grenze zu Russland und war somit ein wichtiger Akteur in der westlichen Strategie der Einkreisung der UdSSR. Nun war der Iran zu einer unberechenbaren Waffe in der Region geworden. Diese neue Unordnung ermutigte die UdSSR, in Afghanistan einzumarschieren, als der Westen versuchte, das pro-russische Regime zu stürzen, das er 1978 in Kabul hatte installieren können. Mit dem Einmarsch in Afghanistan hoffte Russland, zu einem späteren Zeitpunkt auch Zugang zum Indischen Ozean zu erhalten.
In Afghanistan wurden wir nun Zeuge einer schrecklichen Explosion militärischer Barbarei. Die UdSSR ließ die gesamte Macht ihres Arsenals auf die Mudschaheddin ("Freiheitskämpfer") und die Bevölkerung im Allgemeinen los. Auf der anderen Seite bewaffnete, finanzierte und trainierte der US-Block die Mudschaheddin und die afghanischen Kriegsherren, die sich den Russen widersetzten. Darunter befanden sich viele islamische Fundamentalisten und auch ein wachsender Zustrom von Dschihadisten aus aller Welt. Diese sog. "Freiheitskämpfer" wurden von den USA und ihren Verbündeten in allen Künsten des Terrors und der Kriegsführung unterrichtet. Dieser Krieg für die "Freiheit" kostete zwischen 500.000 und 2 Millionen Menschen das Leben und hinterließ ein verwüstetes Land. Er war auch die Geburtsstätte einer globaleren Form des islamischen Terrorismus, der durch den Aufstieg von Bin Laden und Al-Qaida verkörpert wird.
Gleichzeitig drängten die USA den Irak in einen acht Jahre dauernden Krieg gegen den Iran, in dem rund 1,4 Millionen Menschen getötet wurden. Während Russland sich in Afghanistan erschöpfte, was wesentlich zum Zusammenbruch des russischen Blocks 1989 beitrug, und der Iran und der Irak in die Kriegsspirale hineingezogen wurden, zeigte die Dynamik in der Region, dass der Ausgangspunkt, die Verwandlung des Irans in einen "Schurkenstaat", eines der ersten Anzeichen dafür war, dass die sich vertiefenden Widersprüche des Kapitalismus die Fähigkeit der Großmächte zu untergraben begannen, ihre Autorität in verschiedenen Regionen des Planeten durchzusetzen. Hinter dieser Tendenz steckte etwas Tieferes: die Unfähigkeit der herrschenden Klasse, ihre Lösung für die Krise des Systems - einen weiteren Weltkrieg - einer Weltarbeiterklasse aufzuzwingen, die in einer Reihe von Kämpfen zwischen 1968 und den späten 80er Jahren ihre mangelnde Bereitschaft gezeigt hatte, sich für den Kapitalismus zu opfern, ohne jedoch in der Lage zu sein, eine revolutionäre Alternative zum System zu präsentieren. Kurz gesagt, eine Sackgasse zwischen den beiden großen Klassen bestimmte den Eintritt des Kapitalismus in seine letzte Phase, die Phase des Zerfalls, die auf imperialistischer Ebene durch das Ende des Zwei-Blöcke-Systems und die Beschleunigung des "Jeder für sich" gekennzeichnet ist.
In den 1990er Jahren, nach dem Abzug der Russen aus Afghanistan, stürzten sich die siegreichen Kriegsherren aufeinander und nutzten alle Waffen und das Wissen über den Krieg, das ihnen vom Westen zur Verfügung gestellt wurde, um die Ruinen zu kontrollieren. Massenhaftes Abschlachten, Zerstörung und massenhafte Vergewaltigungen zerstörten das bisschen an sozialem Zusammenhalt, das der Krieg übrig noch gelassen hatte.
Die sozialen Auswirkungen dieses Krieges beschränkten sich nicht auf Afghanistan. Die Heroinsucht, die seit den 1980er Jahren explosionsartig zunahm und Elend und Tod in die ganze Welt brachte, war eine der direkten Folgen des Krieges. Der Westen ermutigte die Taliban-Gegner, Opium anzubauen, um die Kämpfe zu finanzieren.
Der rücksichtslose religiöse Fanatismus der Taliban war also das Ergebnis jahrzehntelanger Barbarei. Sie wurden auch von Pakistan manipuliert, um zu versuchen, eine Art Ordnung vor seiner Haustür zu schaffen.
Die US-Invasion im Jahr 2001, die unter dem Vorwand gestartet wurde, Al-Qaida und die Taliban loszuwerden, sowie die Invasion des Irak im Jahr 2003 waren Versuche des US-Imperialismus, angesichts der Folgen seines Niedergangs seine Autorität durchzusetzen. Er versuchte, andere Mächte, insbesondere die Europäer, dazu zu bringen, als Reaktion auf den Angriff auf eines seiner Mitglieder zu handeln. Mit Ausnahme Großbritanniens war die Reaktion aller anderen Mächte lauwarm. In der Tat hatte Deutschland bereits Anfang der 1990er Jahre einen neuen "unabhängigen" Weg eingeschlagen, indem es die Abspaltung Kroatiens unterstützte, die wiederum das schreckliche Gemetzel auf dem Balkan auslöste. In den folgenden zwei Jahrzehnten wurden Amerikas Rivalen noch mehr ermutigt, als sie zusahen, wie sich die USA in nicht zu gewinnende Kriege in Afghanistan, Irak und Syrien verstrickten. Der Versuch der USA, ihre Vorherrschaft als einzige verbleibende Supermacht zu behaupten, offenbarte mehr und mehr den wahren Niedergang der imperialistischen "Führungsrolle" Amerikas; und weit davon entfernt, dem Rest des Planeten eine monolithische Ordnung aufzwingen zu können, waren die USA nun zum Hauptverursacher des Chaos und der Instabilität geworden, die die Phase des kapitalistischen Zerfalls kennzeichnen.
Die Politik des Rückzugs aus Afghanistan ist ein klares Beispiel für Realpolitik. Die USA müssen sich von diesen teuren und sie schwächenden Kriegen befreien, um ihre Ressourcen auf die Verstärkung ihrer Bemühungen zur Eindämmung und Unterminierung Chinas und Russlands zu konzentrieren. Die Regierung Biden hat sich bei der Verfolgung der US-Ambitionen als nicht weniger zynisch erwiesen als Trump.
Gleichzeitig haben die Bedingungen des US-Rückzugs dazu geführt, dass die Botschaft der Biden-Regierung "America is Back", dass Amerika ein zuverlässiger Verbündeter ist, einen schweren Schlag erlitten hat. Langfristig setzt die Regierung wahrscheinlich auf die Angst vor China, um Länder wie Japan, Südkorea und Australien dazu zu zwingen, mit der "Ostverschiebung" der USA zu kooperieren, die darauf abzielt, China im Südchinesischen Meer und anderswo in der Region einzudämmen.
Es wäre ein Fehler, daraus zu schließen, dass sich die USA einfach aus dem Nahen Osten und Zentralasien zurückgezogen haben. Biden hat deutlich gemacht, dass die USA in Bezug auf terroristische Bedrohungen eine "Over the Horizon"-Politik verfolgen werden. Das bedeutet, dass sie ihre Militärbasen auf der ganzen Welt, ihre Marine und ihre Luftwaffe einsetzen werden, um Staaten oder einzelne Ziele in diesen Regionen zu vernichten, wenn sie die USA gefährden. Diese Bedrohung hängt auch mit der zunehmend chaotischen Situation in Afrika zusammen, wo sich zu den gescheiterten Staaten wie Somalia auch Äthiopien gesellen könnte, das von einem Bürgerkrieg heimgesucht wird und dessen Nachbarn die eine oder andere Seite unterstützen. Diese Liste wird noch länger werden, da islamistische Terrorgruppen in Nigeria, im Tschad und anderswo durch den Sieg der Taliban ermutigt werden, ihre Kampagnen zu verstärken.
Wenn der Rückzug aus Afghanistan mit der Notwendigkeit begründet wird, sich auf die Gefahr zu konzentrieren, die vom Aufstieg Chinas und dem Wiedererstarken Russlands als Weltmächte ausgeht, so sind seine Grenzen offensichtlich, denn er bietet dem chinesischen und russischen Imperialismus sogar einen Weg nach Afghanistan selbst. China hat bereits massiv in sein Projekt der Neuen Seidenstraße in Afghanistan investiert, und beide Staaten haben diplomatische Beziehungen zu den Taliban aufgenommen. Aber keiner dieser Staaten kann sich über eine zunehmend widersprüchliche Weltordnung erheben. Die Welle der Instabilität, die sich in Afrika, im Nahen Osten (zuletzt der Zusammenbruch der libanesischen Wirtschaft), in Zentralasien und im Fernen Osten (insbesondere in Myanmar) ausbreitet, ist für China und Russland eine ebenso große Gefahr wie für die USA. Sie sind sich darüber im Klaren, dass Afghanistan keinen wirklich funktionierenden Staat hat und dass die Taliban nicht in der Lage sein werden, einen solchen aufzubauen. Die Bedrohung der neuen Regierung durch die Warlords ist hinlänglich bekannt. Teile der Nordallianz haben bereits erklärt, dass sie die Regierung nicht akzeptieren werden, und der ISIS, der sich ebenfalls in Afghanistan engagiert hat, betrachtet die Taliban als Abtrünnige, weil sie bereit sind, mit dem ungläubigen Westen Geschäfte zu machen. Teile der alten herrschenden Klasse Afghanistans könnten versuchen, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, und viele ausländische Regierungen öffnen ihre Kanäle, aber nur, weil sie Angst davor haben, dass das Land wieder in Warlordismus und Chaos versinkt, was sich auf die gesamte Region ausweiten würde.
Der Sieg der Taliban kann die uigurischen islamischen Terroristen, die in China aktiv sind, nur ermutigen, auch wenn die Taliban sie nicht unterstützt haben. Der russische Imperialismus kennt den bitteren Preis der Verstrickung in Afghanistan und weiß, dass der Sieg der Taliban den fundamentalistischen Gruppen in Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan - Staaten, die einen Puffer zwischen den beiden Ländern bilden - neuen Auftrieb geben wird. Die USA werden diese Bedrohung nutzen, um ihren militärischen Einfluss in diesen und anderen Staaten zu verstärken, aber sie können erkennen, dass selbst die Macht der US-Kriegsmaschinerie eine solche Dynamik nicht niederschlagen kann, wenn dieser genügend Unterstützung aus anderen Staaten erhält.
Die USA waren nicht in der Lage, die Taliban zu besiegen und einen zusammenhängenden Staat zu errichten. Sie haben sich in dem Bewusstsein zurückgezogen, dass sie zwar eine echte Demütigung hinnehmen mussten, aber eine Zeitbombe der Instabilität hinterlassen haben. Russland und China müssen nun versuchen, dieses Chaos einzudämmen. Die Vorstellung, dass der Kapitalismus dieser Region Stabilität und irgendeine Form von Zukunft bringen kann, ist eine reine Illusion.
Die USA, Großbritannien und alle anderen Mächte haben das Schreckgespenst Taliban benutzt, um den Terror und die Zerstörung zu verbergen, die sie der afghanischen Bevölkerung in den letzten 40 Jahren angetan haben. Die von den USA unterstützten Mudschahedin metzelten, vergewaltigten, folterten und plünderten genauso viel wie die Russen. Wie die Taliban führten sie Terrorkampagnen in den von den Russen kontrollierten städtischen Zentren durch. Dies wurde jedoch vom Westen sorgfältig verheimlicht. So ist es auch in den letzten 20 Jahren gewesen. Die schreckliche Brutalität der Taliban wurde in den westlichen Medien hervorgehoben, während die Nachrichten über die Todesopfer, Morde, Vergewaltigungen und Folterungen durch die "demokratischen" Regierungen und ihre Unterstützer zynisch unter den Teppich gekehrt wurden. Offenbar ist es nicht erwähnenswert, dass die Granaten, Bomben und Kugeln der von den "demokratischen", "menschenrechtsfreundlichen" USA und Großbritannien unterstützten Regierung Junge und Alte, Frauen und Männer in Stücke gerissen haben. Tatsächlich wird nicht einmal das ganze Ausmaß des Terrors, den die Taliban angerichtet haben, berichtet. Es wird als nicht "berichtenswert" angesehen, es sei denn, es könnte dazu beitragen, den Krieg zu rechtfertigen.
Die europäischen Parlamente haben sich den US-amerikanischen und britischen Politikern angeschlossen und das schreckliche Schicksal der Frauen und anderer Menschen in Afghanistan unter den Taliban beklagt. Dieselben Politiker haben Einwanderungsgesetze erlassen, die Tausende von verzweifelten Flüchtlingen, darunter viele Afghanen, dazu gebracht haben, ihr Leben bei dem Versuch zu riskieren, das Mittelmeer oder den Ärmelkanal zu überqueren. Wo bleibt ihr Wehklagen über Tausende, die in den letzten Jahren im Mittelmeer ertrunken sind? Welche Sorge zeigen sie für die Flüchtlinge, die gezwungen sind, in der Türkei oder in Jordanien in Konzentrationslagern zu leben (die von der EU und Großbritannien finanziert werden) oder auf den Sklavenmärkten in Libyen verkauft werden? Diese bürgerlichen Sprachrohre, die die Taliban für ihre Unmenschlichkeit verurteilen, befürworten den Bau einer Mauer aus Stahl und Beton um Osteuropa, um die Flüchtlingsströme zu stoppen. Der Gestank der Heuchelei ist fast überwältigend.
Der Anblick von Krieg, Pandemien, Wirtschaftskrise und Klimawandel ist in der Tat furchterregend. Deshalb füllt die herrschende Klasse ihre Medien mit diesen Themen. Sie will, dass das Proletariat unterdrückt wird, dass es vor der düsteren Realität dieses verrottenden Gesellschaftssystems in Angst und Schrecken erstarrt. Sie wollen, dass wir wie Kinder sind, die sich an den Rockzipfel der herrschenden Klasse und ihres Staates klammern. Die großen Schwierigkeiten, die das Proletariat in den letzten 30 Jahren im Kampf um die Verteidigung seiner Interessen hatte, lassen diese Angst noch stärker hervortreten. Die Vorstellung, dass das Proletariat die einzige Kraft ist, die eine Zukunft, eine völlig neue Gesellschaft, bieten kann, kann heute absurd erscheinen. Aber das Proletariat ist die revolutionäre Klasse, und drei Jahrzehnte des Rückzugs haben dies nicht ausgelöscht, auch wenn die Dauer und Tiefe dieses Rückzugs es der internationalen Arbeiterklasse erschwert, das Vertrauen in ihre Fähigkeit wiederzuerlangen, den wachsenden Angriffen auf ihre wirtschaftlichen Bedingungen zu widerstehen. Aber nur durch diese Kämpfe kann die Arbeiterklasse ihre Kraft wieder entfalten. Wie Rosa Luxemburg sagte, ist das Proletariat die einzige Klasse, die ihr Bewusstsein durch die Erfahrung von Niederlagen entwickelt. Es gibt keine Garantie dafür, dass das Proletariat in der Lage sein wird, seiner historischen Verantwortung gerecht zu werden, der übrigen Menschheit eine Zukunft zu bieten. Dies wird sicherlich nicht geschehen, wenn das Proletariat und seine revolutionären Minderheiten der erdrückenden Atmosphäre der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erliegen, die von unserem Klassenfeind gefördert wird. Das Proletariat kann seine revolutionäre Rolle nur erfüllen, wenn es der düsteren Realität des zerfallenden Kapitalismus ins Auge blickt und sich weigert, die Angriffe auf seine wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen hinzunehmen, wenn es Isolation und Hilflosigkeit durch Solidarität, Organisation und wachsendes Klassenbewusstsein ersetzt.
IKS 22.08.2021
Anlässlich des 20. "Jahrestages" der Anschläge vom 11. September in New York machen wir unsere Leser auf unseren Leitartikel in der International Review 107 aufmerksam: "New York und die ganze Welt: Der Kapitalismus sät den Tod". Der Artikel prangert das Massaker an Tausenden von Zivilisten, die meisten von ihnen Proletarier, als einen Akt imperialistischen Krieges an, entlarvt aber gleichzeitig die heuchlerischen Tränen, die von der herrschenden Klasse vergossen werden. In dem Artikel heißt es: "Der Angriff auf New York war kein 'Angriff auf die Zivilisation', er war selbst der Ausdruck der bürgerlichen 'Zivilisation'". Die Terroristenbande, die die Zwillingstürme zerstörte, war eine Bande von "kleinen" Attentätern, wenn man ihre Taten im Lichte der gigantischen Zahl von Toten betrachtet, die alle rechtlich anerkannten Staaten in den letzten etwa hundert Jahren, in zwei Weltkriegen und in zahllosen lokalen und regionalen Konflikten seit 1945 auf dem Planeten angerichtet haben
In diesem Sinne stand der 11. September in der Kontinuität der Bombardierung von Guernica, Coventry, Dresden, Hiroshima und Nagasaki in den 30er und 40er Jahren, von Vietnam und Kambodscha in den 60er und 70er Jahren. Aber es war auch ein klares Zeichen dafür, dass der dekadente Kapitalismus in eine neue und endgültige Phase eingetreten war, den wahren "inneren Zerfall", den die Kommunistische Internationale 1919 vorausgesagt hatte. Der Beginn dieser neuen Phase wurde durch den Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks im Jahr 1989 und die daraus resultierende Zersplitterung des US-Blocks markiert und würde dazu führen, dass der unvermeidliche Drang des Kapitalismus zu imperialistischen Konflikten neue und chaotische Formen annimmt. Dies wurde insbesondere durch die Tatsache symbolisiert, dass (auch wenn dies zum Zeitpunkt des Schreibens des Artikels noch nicht sicher war) der Anschlag von Al-Qaida angeführt wurde, einer islamistischen Gruppierung, die von den USA in ihren Bemühungen, die russische Besetzung Afghanistans zu beenden, großzügig unterstützt worden war, nun aber die Hand gebissen hatte, die sie zuvor gefüttert hatte. Die von George Bush Senior nach dem Fall der UdSSR ausgerufene "Neue Weltordnung" erwies sich schnell als eine Welt wachsender Unordnung, in der ehemalige Verbündete und Untergebene der USA, von den entwickelten Staaten Europas über zweit- und drittklassige Mächte wie Iran und die Türkei bis hin zu kleineren Kriegsherren wie Bin Laden, mehr und mehr darauf aus waren, ihre eigenen imperialistischen Ziele zu verfolgen.
Der Artikel zeigt also, wie die USA die Anschläge instrumentalisieren konnten, nicht nur, um den Nationalismus im eigenen Land zu schüren - was, wie sich bald herausstellte, mit einer brutalen Verstärkung der staatlichen Überwachung und Repression einherging und im am 26.10.01 verabschiedeten "Patriot Act" zum Ausdruck kam -, sondern auch, um ihren Angriff auf Afghanistan zu starten, dessen erste Schritte zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels (3.10.01) bereits bekannt waren. Afghanistan nimmt natürlich seit langem einen strategischen Platz auf dem globalen imperialistischen Schachbrett ein, und die USA hatten besondere Gründe, das Taliban-Regime mit seinen engen Verbindungen zu Al Qaida stürzen zu wollen. Das übergeordnete Ziel der US-Invasion - auf die zwei Jahre später der Einmarsch in den Irak und der Sturz Saddam Husseins folgten - bestand jedoch darin, das anzustreben, was die "Neo-Cons" in der Regierung von Bush Junior als "Full Spectrum Dominance" bezeichneten. Mit anderen Worten, es sollte sichergestellt werden, dass die USA die einzige "Supermacht" bleiben, indem dem wachsenden Chaos in den imperialistischen Beziehungen Einhalt geboten und der Aufstieg jedes ernsthaften Konkurrenten auf globaler Ebene verhindert wird. Der "Krieg gegen den Terror" sollte der ideologische Vorwand für diese Offensive sein.
20 Jahre später können wir feststellen, dass der Plan nicht allzu gut aufgegangen ist. Die letzten US-Truppen mussten Afghanistan verlassen und sind auf dem Weg aus dem Irak. Die Taliban sind wieder an der Macht. Weit davon entfernt, die Flut des imperialistischen Chaos aufzuhalten, wurden die US-Invasionen zu einem Faktor, der sie noch beschleunigte. In Afghanistan schlug der frühe Sieg über die Taliban ins Gegenteil um, als sich die Islamisten neu formierten und mit Hilfe anderer imperialistischer Staaten dafür sorgten, dass Afghanistan in einem permanenten Bürgerkrieg verharrte, der von blutigen Gräueltaten auf beiden Seiten geprägt war. Im Irak führte die Zerschlagung des Saddam-Regimes sowohl zum Aufstieg des IS als auch zur Stärkung der iranischen Ambitionen in der Region, wodurch die scheinbar endlosen Kriege in Syrien und Jemen angeheizt wurden. Und auf planetarischer Ebene bildete der fortschreitende Zerfall den Hintergrund für die Rückkehr des russischen Imperialismus und vor allem für den Aufstieg Chinas zum wichtigsten imperialistischen Rivalen der USA. Die verschiedenen Strategien, um "Amerika wieder groß zu machen", von den Neo-Cons bis zu Trump, konnten den unaufhaltsamen Niedergang der US-Macht nicht umkehren, und Biden musste trotz seiner Behauptung, "Amerika ist zurück", nun die bisher größte Demütigung Amerikas seit 9/11 verantworten.
Bei der Analyse der Art und Weise, wie die USA versuchten, "von dem Verbrechen" des 11. Septembers zu profitieren, zeigt der Artikel die Ähnlichkeiten zwischen dem 11. September und der japanischen Bombardierung von Pearl Harbour auf, die ebenfalls vom US-Staat genutzt wurde, um die Bevölkerung, einschließlich widerstrebender Teile der herrschenden Klasse, für den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg zu mobilisieren. Er führt gut dokumentierte Beweise dafür an, dass der US-Staat dem japanischen Militär den Angriff "erlaubte", und stellt die Hypothese auf, dass der US-Staat im Vorfeld der Al-Qaida-Aktion in gewisser Weise die gleiche "Laisser-faire"-Politik verfolgte, auch wenn er sich des Ausmaßes der damit verbundenen Zerstörung möglicherweise nicht voll bewusst war. Dieser Vergleich wird in dem in der International Review 108 veröffentlichten Artikel "Pearl Harbour 1941, Twin Towers 2001: Machiavellismus der US-Bourgeoisie" weiter ausgeführt. Wir werden auf diese Frage in einem anderen Artikel zurückkommen, in dem wir den Unterschied zwischen der marxistischen Anerkennung der Bourgeoisie als der machiavellistischsten Klasse in der Geschichte - die natürlich von der Bourgeoisie selbst als eine Form von "Verschwörungstheorie" abgetan wird - und der gegenwärtigen Fülle populistischer "Verschwörungstheorien" erörtern werden, die die Idee, dass der 11. September 2001 ein "Insider-Job" war, oft als Glaubensartikel betrachten.
Links zu den Artikeln:
https://en.internationalism.org/ir/107_new_york.html [248]
https://de.internationalism.org/pearlharbor [249]
Pearl Harbor 1941, Twin Towers 2001
Die weltweite Covid-19-Pandemie richtet angesichts der Unfähigkeit aller Staaten, ihre Bemühungen zu koordinieren, weiterhin auf allen Kontinenten verheerende Schäden an. Und die wichtigsten Ereignisse der letzten zwei Monate bestätigen die tödliche Dynamik, in die der Kapitalismus die Zivilisation stürzt.
Der Sommer 2021, der heißeste, der je aufgezeichnet wurde, war geprägt von einer Vervielfachung und Anhäufung von Katastrophen in allen Teilen der Erde: Mega-Brände in mehreren Regionen der Erde, sintflutartige Regenfälle in China und Indien, Überschwemmungen in Nordwesteuropa, Schlammlawinen in Japan, Wirbelstürme und Überschwemmungen mit tödlichem Ausgang, extreme Hitzewellen und Dürren in den Vereinigten Staaten, eine Hitzeglocke in Kanada...
Das Ausmaß, die Häufigkeit und die Gleichzeitigkeit der extremen Auswirkungen der globalen Erwärmung haben in den letzten Monaten ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht. Sie haben ganze Landstriche buchstäblich verwüstet, in den meisten Fällen Hunderte von Todesopfern gefordert (auch in so entwickelten Ländern wie den Vereinigten Staaten, Deutschland und Belgien) und Millionen von Menschen in Chaos und Verwüstung gestürzt. Inmitten dieser katastrophalen Szenerie kam der neue Bericht des IPCC, der Anfang August 2021 veröffentlicht wurde und erneut vor der Beschleunigung der Klimakatastrophe und der beispiellosen Zunahme extremer Wetterereignisse warnt, nicht überraschend.
Die Medien berichteten zwar ausführlich über die erschreckenden Schlussfolgerungen des IPCC, spielten sie aber schnell herunter und wiesen darauf hin, dass die Situation nicht verzweifelt sei, da die vermeintliche Rettung des Planeten dem Bericht zufolge in der Umsetzung einer "grünen Wirtschaft" und der Verallgemeinerung eines "ökologisch verantwortungsvollen" Verhaltens des Einzelnen liege. So viele Lügen, die auf ein und dasselbe abzielen: die Verantwortung der kapitalistischen Produktionsweise für die Umweltzerstörung und die Unfähigkeit der herrschenden Klasse, die Situation zu bewältigen, zu verschleiern, so dass "die Staaten und die Rettungsdienste unter der Last jahrzehntelanger Haushaltskürzungen zunehmend desorganisiert sind und versagen". [1]
Aber die Kette von Katastrophen der letzten Wochen ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was die Menschheit in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erwartet, wenn die Abwärtsspirale, in die der zerfallende Kapitalismus die Menschheit stürzt, nicht gestoppt wird. Dies gilt umso mehr, als auch andere Ereignisse, die dieses endlose Chaos noch verschlimmern, hinzugekommen sind.
Der chaotische Abzug der US-Armee aus Afghanistan nach 20 Jahren und die Rückkehr der Taliban an die Macht sind ein weiteres Zeichen dafür, dass die Großmächte nicht in der Lage sind, globale Stabilität zu gewährleisten, insbesondere in Gebieten, in denen Spannungen und Rivalitäten zwischen Staaten herrschen. Wie wir bereits sehen können, trägt die Rückkehr einer reaktionären und wahnhaften Gruppierung wie den Taliban an die Macht in Afghanistan nur zum weltweiten Chaos und Instabilität auf allen Ebenen bei. Wieder einmal haben die systemtreuen Medien die Aufmerksamkeit auf die so genannte Rückkehr der blutrünstigen Taliban an die Macht gelenkt. Doch die Grausamkeit und der Terror, die diese Clique mit ihren mittelalterlichen und obskurantistischen Vorstellungen gegenüber der Bevölkerung ausüben wird, stehen den Verbrechen, derer sich die "demokratischen" Länder und ihre Verbündeten seit Jahrzehnten schuldig gemacht haben, in Afghanistan und anderswo, in nichts nach.
Zu diesen beiden großen Erscheinungsformen der Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaft kommt natürlich die erhebliche Verschärfung der Wirtschaftskrise hinzu, insbesondere seit die Covid-19-Pandemie in diesem Bereich eine große Auswirkung hat: "Eine wesentliche Konsequenz der Covid-19-Krise ist die Tatsache, dass die Auswirkungen des Zerfalls, der Verschärfung des „Jeder für sich“ und des Kontrollverlusts, die bisher im Wesentlichen den Überbau des kapitalistischen Systems betrafen, nun dazu tendieren, sich direkt auf die ökonomische Basis des Systems auszuwirken, auf seine Fähigkeit, die ökonomischen Erschütterungen beim Versinken in seine historische Krise zu bewältigen.“[2] Hinter den falschen Ankündigungen eines "florierenden Wirtschaftsaufschwungs" werden Millionen von Menschen entlassen, aus ihren Wohnungen vertrieben oder sind nicht in der Lage, bis zum Monatsende über die Runden zu kommen. Die jüngeren Generationen der Arbeiterklasse sind zunehmend Opfer einer katastrophalen Unsicherheit, so dass viele gezwungen sind, für Nahrungsmittelhilfe Schlange zu stehen. Die Hungersnöte sind vor allem in Afrika explodiert, aber auch in den Vereinigten Staaten müssen eine Rekordzahl von Amerikanern hungern...
Die Grausamkeit von Kriegen, Umweltkatastrophen, Epidemien und zahlreichen wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen sind keine Phänomene, die für sich alleinstehen. Sie bilden durch ihre Anhäufung, ihre Gleichzeitigkeit, ihre Verflechtung und ihr Ausmaß ein signifikantes Ganzes des "Versinkens in einer völligen Sackgasse eines Systems, das der Mehrheit der Weltbevölkerung keine Zukunft zu bieten hat, außer der einer wachsenden Barbarei jenseits aller Vorstellungskraft".[3]
Auch wenn die Bourgeoisie alle Gräueltaten und Abscheulichkeiten dieser Periode ständig ausnutzt, um die Arbeiterklasse zu terrorisieren und zu lähmen, indem sie ihr Vertrauen in eine andere Zukunft untergräbt, sollte man nicht zu dem Schluss kommen, dass alles verloren ist. Sicherlich hat die Arbeiterklasse den tiefgreifenden Bewusstseinsverlust, den sie seit fast drei Jahrzehnten erlebt hat, noch nicht überwunden. Trotzdem bleibt sie objektiv die einzige revolutionäre Klasse innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Mit anderen Worten, die einzige gesellschaftliche Kraft, die in der Lage ist, die Menschheit auf einen anderen Weg als den der kapitalistischen Hölle zu führen. In diesen drei Jahrzehnten hat das Proletariat wiederholt seine Fähigkeit bewiesen, dem bürgerlichen Staat entgegenzutreten, indem es die Verschlechterung seiner Arbeits- und Lebensbedingungen ablehnte. Auch wenn sich diese Kämpfe nur begrenzt entwickelt haben, so sind sie doch eine wertvolle Erfahrung für die Zukunft. Die proletarische Revolution ist keine schöne Idee, die durch das Wirken des Heiligen Geistes vom Himmel zu uns kommen wird. Im Gegenteil, es ist ein konkreter, langwieriger Kampf, in dem sich die Arbeiterklasse durch die Erfahrungen und Lehren aus ihren Niederlagen ihres revolutionären Potenzials bewusst wird.
In der Tat bilden die Kämpfe gegen die Angriffe auf die Arbeitsbedingungen die wichtigste Grundlage, auf dem sich die Arbeiterklasse mit ihren eigenen Methoden organisieren und so ihre internationale Solidarität entwickeln kann. Im sterbenden Kapitalismus gehört die Zukunft mehr denn je die Arbeiterklasse!
Vincent, 2. September 2021
In den letzten Monaten (insbesondere im Juli und August) haben sich in verschiedenen Teilen der Welt Proteste gehäuft, bei denen sich die Stimmen gegen die als "freiheitsfeindlich" eingestuften Zwangsimpfungen und Gesundheitspässe auf anarchische und widersprüchliche Weise äußerten. Es gab Demonstrationen von Australien bis Spanien, von Kanada bis Kasachstan, wobei Europa im Mittelpunkt stand. Vor allem in Frankreich nahmen die Demonstrationen massenhafte Ausmaße an, als an sieben Wochenenden hintereinander Zehntausende von Menschen auf die Straße gingen. In vielen Fällen handelte es sich bei diesen Demonstrationen um einen Zusammenschluss von Einzelpersonen oder Familien, die über diese oder jene Regierungserklärung oder -entscheidung empört waren, von vereinzelten Proletariern und, wie in Frankreich, sogar von politischen Parteien, die von der extremen Linken des Kapitals bis zur extremen Rechten reichten, sowie von Demonstranten, die sich als Teil der Gelbwesten-Bewegung bezeichneten. Es ist schwer, sich nicht in einem solch formlosen Magma zu verlieren.
Diese Demonstrationen waren in keiner Weise Ausdruck des proletarischen Kampfes. Im Gegenteil, sie drückten einen primären Impuls des Nationalismus aus, ersichtlich z.B. anhand der zahlreichen Nationalflaggen (Frankreich, Lettland, Italien, Slowakei) und Kräften des christlichen Fundamentalismus, die Holzkreuze (Griechenland) in den Reihen der Demonstranten trugen. All das zeigt extreme Verwirrung; es ist ein Eingeständnis der Ohnmacht, der Verwirrung und der vorherrschenden Irrationalität angesichts einer Gesundheits- und Sozialkrise, die die gesamte kapitalistische Welt betrifft. Diese Kristallisierung um vielschichtige Behauptungen, die Misstrauen gegenüber der Wissenschaft mit dem Ruf nach der Verteidigung der "individuellen Freiheiten" verbinden, ist in der Tat das Thema der Medien, wo widersprüchliche, divergierende und manchmal weit hergeholte Interessen gegen staatliche Maßnahmen abgewogen werden, die fälschlicherweise als Ausdruck der Verteidigung des Gemeinwohls angesichts der Covid-19-Pandemie und des Ausbruchs einer vierten Infektionswelle dargestellt werden. Wie üblich wird jeder aufgefordert, sich als "Bürger" zu positionieren, seine Seite zu wählen, angesichts dieses oder jenes gesundheitlichen, politischen und sozialen Problems, das isoliert betrachtet wird, wodurch die Verantwortung des kapitalistischen Systems als Ganzes verschleiert wird.
Auch wenn eine Minderheit von Proletariern, die von der Haltung und den Lügen der Machthaber angewidert ist, an diesen Demonstrationen teilnahm, drückten sie vor allem ein Gefühl der Frustration, der ohnmächtigen Wut, die den kleinbürgerlichen Schichten eigen ist, und das Fehlen einer Perspektive aus. In den USA, Griechenland und Italien unterstützten die Gewerkschaften, diese bürgerlichen Organe zur Kontrolle der Arbeiterkämpfe, die Proteste. In Italien reagierten die sechs größten Gewerkschaften auf die Tatsache, dass Lehrkräfte einen "Grünen Pass" benötigen, um an Schulen zu unterrichten, und nannten dies eine "einseitige Entscheidung" und ein "Diktat". In Turin streikten 650 Beschäftigte und bezeichneten die Forderung nach einem Grünen Pass für Restaurants als diskriminierend. In Frankreich nutzten die Gewerkschaften sogar die Gelegenheit, um Streiks durchzuführen.
Insbesondere SUD-Santé und einige CGT-Verbände, Gewerkschaften, die sich selbst als die "radikalsten" darstellen, nutzten die Gelegenheit, um eine Reihe von Streikaufrufen in verschiedenen Städten wie Marseille, Lyon, Toulouse, Bastia oder Regionen (Hauts-de-France) zu starten, um die Beschäftigten im Gesundheitswesen aufzurufen, gegen die Zwangsimpfung zu mobilisieren und die Aufhebung des Gesundheitspasses zu fordern. Auch bei den Feuerwehrleuten, wo die gleichen restriktiven Maßnahmen beschlossen wurden, hat sich die autonome Gewerkschaft "Inhouse" angeschlossen. All dies im Namen der Verteidigung der "Wahlfreiheit", d.h. auf dem Terrain des bürgerlichen Rechts, das ein wahres Gift für die Arbeiterklasse und ihre revolutionäre Perspektive darstellt.
Die Organisationen der extremen Linken nutzten dies auch aus, um die Arbeiterklasse weiter zu desorientieren, indem sie die Verwirrung zwischen den Forderungen der Arbeiter und der Verteidigung der "Bürgerrechte" schürten, indem sie diese Bewegung fälschlicherweise als "Sprungbrett für zukünftige Arbeiterkämpfe" darstellten. Die Bourgeoisie und ihre verschiedenen politischen Instanzen, insbesondere die der Linken und der extremen Linken, verstehen es, alle verfügbaren Mittel zu nutzen, um den Arbeitern das Nachdenken über die Krise, das herrschende Chaos und die Fahrlässigkeit der letzten Monate zu verleiden, indem sie die Zerfallsprozesse des gesamten kapitalistischen Systems ausnutzen und mit dem Anschein falscher Seriosität erklären, wie der bürgerliche Staat die Bewältigung der Krise organisieren sollte.
In Wirklichkeit ist die Verschärfung der Situation ein neuer Ausdruck nicht nur der Nachlässigkeit der Herrschenden, sondern vor allem der allgemeinen Ohnmacht aller Staaten seit fast zwei Jahren, die nicht in der Lage sind, den medizinischen Fortschritt, das Know-how und die Mittel zur Bekämpfung der Pandemie zu bündeln. Wir haben die ungezügelte Konkurrenz zwischen den Labors der verschiedenen Unternehmen und den Einsatz von Impfstoffen als imperialistische Waffe durch alle Staaten erlebt, alles im Zeichen des universellen Gesetzes des kapitalistischen Profits.
Wie kann ein Teil der Bevölkerung keine Angst davor haben, dass wir nach fast zwei Jahren täglicher Lügen der Behörden auf einen Gesundheitsskandal, eine Neuauflage der Contergan-Affäre, zusteuern könnten? Die Regierungen haben sich schamlos mit der Behauptung geschmückt, sie würden sich auf eine rationale und wissenschaftliche Sichtweise stützen, während sie in den ersten Wellen der Pandemie die Ratschläge der Wissenschaftler oft eklatant ignoriert haben, und sie gleichzeitig die opportunistischsten von ihnen in den Medien manipulierten, um das Unvertretbare zu rechtfertigen, was den Mangel an Masken und Hygieneschutz am Arbeitsplatz oder im Verkehr betrifft. All diese Lügen, Halbwahrheiten der Regierung und lahmen Rechtfertigungen haben offensichtlich ein Klima des Misstrauens in der Bevölkerung geschaffen. Gleichzeitig war die Pandemie aber auch Anlass für eine Fülle wilder Theorien und wahnhafter Behauptungen, nicht nur in den sozialen Netzwerken, wo Verschwörungstheoretiker am aktivsten sind, sondern auch in den Medien und bei den Politikern selbst.
Während Milliarden von Menschen seit den ersten Tests geimpft wurden, werden die seltenen "Fälle" vermuteter (und selten bestätigter) dramatischer Nebenwirkungen von Pseudo-Experten unter Missachtung jeglicher wissenschaftlichen Herangehensweise aufgebauscht, wenn sie nicht einfach von Grund auf erfunden wurden. Dennoch hat Covid-19 weltweit mehr als 4 Millionen Menschen getötet, wahrscheinlich mehr... aber die Impfstoffe noch nicht! Covid-19 mutiert weiter, infiziert und tötet, insbesondere in Teilen der Welt, die zu arm sind, um sich eine große Impfkampagne leisten zu können. Außerdem infiziert und schwächt es weiterhin eine zunehmend junge, ungeimpfte Bevölkerung in den Kernländern. Einige Menschen zweifeln jedoch immer noch an der Wirksamkeit von Impfstoffen und beklagen einen angeblichen "Mangel an uneigennütziger Forschung" angesichts der "neuen Techniken" (die in Wirklichkeit nicht neu sind). Zweifel und Skepsis sind wissenschaftliche Tugenden, kein irrationales Misstrauen!
Die irrationalen Bedenken, die sich mehr oder weniger in den Behauptungen aller Impfgegner widerspiegeln, sind auch nicht neu. Die abergläubische Zurückhaltung gegenüber der wissenschaftlichen Forschung kam bereits Ende des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck, als die ersten Pockenimpfstoffe entwickelt wurden. Pasteur selbst musste sich, als er 1885 den Tollwutimpfstoff entdeckte, mit diesen "Anti-Vax"-Diskursen auseinandersetzen. Er wurde beschuldigt, Tiere zu misshandeln und Impfstoffe zu erfinden, nur um sich selbst zu bereichern! Fast anderthalb Jahrhunderte später ist das Misstrauen in den rückständigsten Teilen der herrschenden Klasse und der Bevölkerung trotz der beispiellosen Fortschritte in Wissenschaft und Medizin ungebrochen. Heute geht die verschwörerische Irrationalität sogar so weit, sich eine mögliche genetische Veränderung durch die RNA-Technologie oder eine politische und medizinische Manipulation zur staatlichen Kontrolle der Bevölkerung durch das Einimpfen von Mikrochips während der Impfung vorzustellen.
Wenn sich diese verschiedenen obskurantistischen Diskurse einer wissenschaftlichen Beweisführung entziehen, dann deshalb, weil sie sich an jede Epoche und jeden Kontext anpassen. Heute jedoch wirken sich die Dynamik des ideologischen Zerfalls in der kapitalistischen Gesellschaft, das Gefühl der Ohnmacht angesichts der Krise und des zunehmenden Chaos auf die gebildete Bevölkerung aus und bewirken nichts anderes, als dass die gesamte Fähigkeit zu logischem, wissenschaftlichem und politischem Denken in einem Nebel aus mitunter delirierenden reaktionären Vorstellungen und Visionen versinkt.
Der Bourgeoisie ist dieser Prozess nicht fremd: Wir haben nicht nur erlebt, dass Politiker der extremen Rechten und sogar aus den Reihen der traditionellen Rechten völlig wahnhafte Ideen propagiert haben, sondern diese Verirrungen haben sich bis in die höchsten Ebenen des Staates manifestiert. Die Fälle Trump in den USA und Bolsonaro in Brasilien sind bekannt, aber auch der "fortschrittliche" Macron und seine Clique in Frankreich haben Wissenschaftler offen verunglimpft oder ihre Worte verfälscht, um ihre kurzsichtige Politik zu rechtfertigen, wie zum Beispiel, als der Staatschef behauptete, er habe allein gegen die Epidemiologen Recht gehabt.
Die weniger irrationalen Teilnehmer an den Demonstrationen stellen die Impfung nicht in Frage, sondern sind gegen den Gesundheitspass, der zunächst den Pflegekräften unter Androhung der Entlassung auferlegt wurde, und lehnen die versteckte Pflicht zur Vorlage des Passes ab, um die klassischsten sozialen Aktivitäten wie den Besuch eines Supermarktes, einer Bar oder eines Kinos auszuüben.
Diese beiden Realitäten, Anti-Impfung und Anti-Gesundheitspass, koexistieren jedoch mit sehr durchlässigen Grenzen bei gemeinsamen Demonstrationen, bei denen dieselbe individualistische Logik des Trotzes vorherrscht, ohne dass eine kollektive Besorgnis über das Fortbestehen der Pandemie, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Verwüstungen besteht. Dies geschieht im Namen des Angriffs auf die "individuellen Freiheiten", ein völlig bürgerliches Terrain. Diese Parole zur Verteidigung der demokratischen Freiheiten ist der gröbste Deckmantel für die Verteidigung des bürgerlichen Staates, des arbeiterfeindlichsten Bodens, den es gibt. Die Arbeiterbewegung hat diese Falle wiederholt angeprangert und bekräftigt: "Solange der Staat existiert, kann es keine Freiheit geben. Wenn es Freiheit gibt, wird es keinen Staat geben" (Lenin in Staat und Revolution, 1917).
Die Regierungen nutzen die Situation aus, um die Menschen gegeneinander aufzuhetzen und Spannungen und Ressentiments zu schüren. Durch eine Vielzahl von Propagandakampagnen, durch die mehr oder weniger offene Darstellung aller Personen, die Zweifel und Ängste hegen, als völlig wahnhafte "Impfgegner-Verschwörer", hat die Bourgeoisie einen Teil der Geimpften dazu gebracht, die Impfgegner als einfache Sündenböcke zu betrachten, die für die neuen Kontaminationswellen verantwortlich gemacht werden können, und den Kapitalismus und den Staat von der völligen Verantwortungslosigkeit freizusprechen, die zu der dramatischen Situation von heute geführt hat. Für die Anti-Vaxxer ist ihre Mobilisierung gegen die "Diktatur" der Regierungen ein Bekenntnis zur Verantwortung, die Demokratie am Leben zu erhalten und zu verteidigen, indem sie die unterwürfigen "Schafe" anprangern, die die "freiheitsfeindlichen" Gesetze der (Zwangs)Impfung hinnehmen. Diese Spaltungen sind Teil einer verhängnisvollen Logik der Konfrontation, in der die eigentliche Frage, nämlich die Notwendigkeit, das kapitalistische Chaos zu beenden, unter einem Durcheinander von Verwirrung und Ohnmacht verschwindet.
Die Verzweiflung, die in den Demonstrationen gegen die Zwangsimpfungen zum Ausdruck kommt, äußert sich in dem Gefühl, dem Diktat einer arroganten Regierung unterworfen zu sein, die angesichts der Pandemie immer mehr Ungereimtheiten aufkommen lässt, indem sie immer wieder Beschränkungen auferlegt, nachdem sie diese immer wieder zu früh gelockert hat, und sich eines wissenschaftlichen Ansatzes rühmt, während die bürgerliche Fahrlässigkeit an erster Stelle steht. Derartige Proteste können jedoch in keiner Weise dazu führen, dass sich im Proletariat ein Bewusstsein für die sich verschärfende Sackgasse des kapitalistischen Systems entwickelt.
Es handelt sich im Wesentlichen um eine ohnmächtige Wut gegen die Regierungen, die als Quelle aller Übel angesehen und als schlechte, unfähige und ineffiziente Verwalter dieses Systems wahrgenommen werden.
Angesichts eines solchen sozialen und ideologischen Sumpfes, den die Bourgeoisie tagtäglich nährt und schürt, wird es für das Proletariat nicht leicht sein, auf seinem Klassenterrain der Solidarität zu reagieren, um den kommenden wirklichen Frontalangriffen, den Angriffen auf seine Arbeits- und Lebensbedingungen, zu begegnen. Sein Klassenterrain ist nicht das der Verteidigung des Staates, der Verteidigung der nationalen Wirtschaft und des Nationalismus. Seine Klassenautonomie im Kampf muss gegen alle Kräfte des Staates, ob an der Macht oder nicht, verteidigt werden, unabhängig von den interklassischen Bewegungen oder den falschen Freunden, im Allgemeinen von der Linken, die versuchen werden, seinen Zorn abzulenken. Das Proletariat braucht Klarheit und Vertrauen in seine eigenen Kräfte, um all diese Fallen zu vereiteln.
Stopio, 13. August 2021
Seit einigen Monaten häufen sich weltweit die Klimakatastrophen: Dürren, Großbrände, sintflutartige Regenfälle, Schlammlawinen, Überschwemmungen ... Während die Opfer der Umweltkrise jedes Jahr in die Millionen gehen und sich selbst die mächtigsten Staaten zunehmend als unfähig erweisen, die Katastrophen zu bewältigen, bestätigt der jüngste IPCC-Bericht, dass der Klimawandel im nächsten Jahrzehnt unkontrollierbare Ausmaße annehmen wird.
In unserer Presse haben wir regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Wurzeln der globalen Erwärmung in der Funktionsweise des Kapitalismus selbst zu finden sind. Nicht nur, dass die Klimakatastrophen immer verheerender, zahlreicher und unkontrollierbarer werden, auch die Staaten sind unter der Last jahrzehntelanger Haushaltskürzungen zunehmend desorganisiert und versagen beim Schutz ihrer Bevölkerung, wie wir in jüngster Zeit zum Beispiel in Deutschland, den USA und China gesehen haben. Die Bourgeoisie kann das Ausmaß der Katastrophe nicht mehr leugnen, aber sie erklärt immer wieder, vor allem durch ihre Umweltparteien, dass die Regierungen endlich starke Maßnahmen zugunsten der Umwelt ergreifen sollten. Alle Fraktionen der Bourgeoisie haben ihre eigene kleine Lösung: grüne Wirtschaft, Degrowth, lokale Produktion usw. Alle diese so genannten Lösungen haben eines gemeinsam: Der Kapitalismus könnte "reformiert" werden. Aber der Wettlauf um den Profit, die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen, die wahnsinnige Überproduktion von Waren sind keine "Optionen" für den Kapitalismus, sie sind die unabdingbaren Bedingungen seiner Existenz!
Angesichts der prognostizierten Katastrophe sind Empörung und Besorgnis groß, wie die "Klimamärsche" von 2019 gezeigt haben, an denen Millionen vor allem junger Menschen aus vielen Ländern teilnahmen. Damals wiesen wir jedoch darauf hin, dass diese Märsche auf einem völlig bürgerlichen Terrain stattfanden: Die "Bürger" waren in der Tat dazu aufgerufen, "Druck" auf den bürgerlichen Staat auszuüben, diese monströse Maschine, deren Daseinsberechtigung darin besteht, die kapitalistischen Interessen zu verteidigen, die die Ursache für die beispiellose Verschlechterung der Umwelt sind. In Wirklichkeit kann das Klimaproblem nur auf globaler Ebene gelöst werden, und der Kapitalismus, in dem sich die Nationen rücksichtslos gegenüberstehen, ist nicht in der Lage, eine Antwort zu geben, die dem Einsatz gerecht wird: Die großen Umweltkonferenzen, auf denen jeder Staat zynisch versucht, seine eigenen schmutzigen Interessen unter dem Deckmantel des Umweltschutzes zu schützen, sind ein krasses Beispiel dafür. Die einzige Klasse, die einen echten Internationalismus durchsetzen und der Anarchie der Produktion ein Ende setzen kann, ist die Arbeiterklasse und die Gesellschaft, die in ihrem Inneren enthalten ist: der Kommunismus!
Nach einem Sommer 2021, in dem künftige Katastrophen sich abzeichnen, werden die Umweltschützer und die linken Parteien des Kapitals (Trotzkisten, Stalinisten, Anarchisten, Sozialdemokraten usw.) versuchen, die Klimamärsche wieder in den Vordergrund zu rücken. Dies ist ein weiterer Versuch der Bourgeoisie, die Wut in dieselben politischen Sackgassen zu lenken: die Verwässerung der Arbeiterklasse und ihre "Auflösung" im "Volk", Illusionen über die Fähigkeit des "demokratischen" Staates, "Dinge zu ändern". Deshalb laden wir unsere Leserinnen und Leser ein, das internationale Flugblatt, das wir während der ersten Märsche des Jahres 2019 verteilt haben und das auch heute noch seine Gültigkeit hat, zu lesen bzw. erneut zu lesen.
Internationales Flugblatt des IKS:
Nur der internationale Klassenkampf kann den kapitalistischen Drang zur Zerstörung beenden [261]
Heute erschüttert eine Reihe von Streiks in den Vereinigten Staaten, getragen von erschöpften Arbeitnehmern, große Teile des Landes. Diese Bewegung mit dem Namen "striketober" (zusammengesetzt aus "strike" (Streik) und "october" (Oktober)) mobilisiert Tausende von Arbeitnehmern, die die unerträglichen Arbeitsbedingungen, die physische und psychische Erschöpfung, die unverschämten Gewinnsteigerungen - auch während der Pandemie - der Arbeitgeber in Industriekonzernen wie Kellog's, John Deere, PepsiCo oder im Gesundheitssektor und in Privatkliniken, wie z. B. in New York, anprangern. Es ist schwierig, die genaue Zahl der Streiks zu ermitteln, da die US-Bundesregierung nur diejenigen zählt, an denen mehr als tausend Beschäftigte beteiligt sind. Die Tatsache, dass die Arbeiterklasse in einem Land, das jetzt im Zentrum des globalen Zerfallsprozesses steht, reagieren und Kampfgeist zeigen kann, ist ein Zeichen dafür, dass das Proletariat nicht besiegt ist.
Fast zwei Jahre lang hatte sich mit dem Auftreten der Covid-19-Pandemie und den wiederholten Einweisungen in Krankenhäuser und Hunderttausenden von Todesfällen ein bleierner Mantel über die Arbeiterklasse in aller Welt gelegt. Überall auf der Welt wurde die Arbeiterklasse Opfer der allgemeinen Nachlässigkeit der Bourgeoisie, des Rückbaus von ohnehin schon überlasteten Gesundheitsdiensten, die stets den Anforderungen der Rentabilität unterworfen sind. Der Alltag und die Angst vor der Zukunft verstärkten ein ohnehin schon starkes Abwarte Haltung in den Reihen der Arbeiter, was den Rückzug noch verstärkte. Nach dem Wiederaufleben der Kampfbereitschaft, die im Laufe des Jahres 2019 und zu Beginn des Jahres 2020 in mehreren Ländern zum Ausdruck gekommen war, kam die gesellschaftliche Konfrontation plötzlich zum Stillstand. Hatte die Bewegung der Kämpfe gegen die Rentenreform in Frankreich eine neue Dynamik in der sozialen Konfrontation gezeigt, so erwies sich die Covid-19-Pandemie als mächtiger Bremsklotz.
Inmitten der Pandemie konnten sich jedoch hier und da, in Spanien, Italien und Frankreich, Kämpfe der Arbeiterklasse auf dem Boden der Klasseninteressen herausbilden, und zwar durch sporadische Bewegungen, die bereits eine relative Reaktionsfähigkeit angesichts der unerträglichen Arbeitsbedingungen zum Ausdruck brachten, insbesondere angesichts der zunehmenden Ausbeutung und des Zynismus der Bourgeoisie in Sektoren wie dem Gesundheitswesen, dem Verkehrswesen und dem Handel. Die durch das tödliche Covid-Virus auferlegte Isolation und das von der Bourgeoisie verbreitete Klima des Terrors machten diese Kämpfe ohnmächtig, um eine echte Alternative zur spürbaren gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verschlechterung durchzusetzen.
Schlimmer noch, diese Äußerungen der Unzufriedenheit mit den höllischen und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen, die Weigerung von Minderheiten, ohne Masken und Schutz zur Arbeit zu gehen, wurden von der Bourgeoisie als egoistische, unverantwortliche Forderungen dargestellt und vor allem beschuldigt, die soziale und wirtschaftliche Einheit aller Nationen in ihrem Kampf gegen die Gesundheitskrise zu untergraben.
Während die amerikanische Bevölkerung seit Jahren gezwungen ist, sich auf den allmächtigen Staat zu verlassen, der ihr seine gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Logik aufzwingt, genährt wie überall durch die populistischen Lügen von Donald Trump, der sich als Verfechter der Vollbeschäftigung aufspielte, und das Geschwätz des "neuen Roosevelt", Joe Biden, Tausende von Arbeitnehmern schaffen allmählich die Voraussetzungen, um eine kollektive Kraft zu bilden, die sie einst vergessen hatten, und entdecken allmählich wieder das Vertrauen in ihre eigene Kraft, um das schändliche "Zweiklassensystem" [1] abzulehnen.
Diese Solidarität zwischen den Generationen hatte sich bereits 2014 in Frankreich bei den Kämpfen bei der SNCF und Air France gegen eine vergleichbare Reform gezeigt. Sie wurde auch in Spanien während der Indignados-Bewegung im Jahr 2011 und in Frankreich im Jahr 2006 während des Kampfes gegen den CPE zum Ausdruck gebracht. Diese generationenübergreifende Solidarität stellt ein großes Potenzial für die Entwicklung künftiger Kämpfe dar, sie ist das Zeichen für das Streben nach Einheit in den Reihen der Arbeiterklasse, während die Bourgeoisie nicht aufhört, einen Keil zu treiben zwischen den "alten Profiteuren" und der "faulen, bequemen Jugend", wie wir zum Beispiel an der Bewegung "Jugend für das Klima" sehen können, die anlässlich der COP 26 reaktiviert wurde.
Auch wenn diese Streiks von den Gewerkschaften sehr gut in Schach gehalten werden (was es der Bourgeoisie im Übrigen ermöglicht hat, diese Mobilisierungen als die "große Rückkehr" der Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten darzustellen), haben wir einige Anzeichen dafür gesehen, dass die von verschiedenen Gewerkschaften unterzeichneten Vereinbarungen in Frage gestellt werden. Dieser Protest ist noch im Entstehen begriffen, und die Arbeiterklasse ist noch weit von einer direkten und bewussten Konfrontation mit diesen Wächtern des bürgerlichen Staates entfernt. Aber es ist ein sehr reales Zeichen von Kampfbereitschaft.
Manch einer mag denken, dass diese Kämpfe in den USA die Ausnahme sind, die die Regel bestätigt: Das ist nicht der Fall! In den letzten Wochen und Monaten haben sich weitere Kämpfe entwickelt:
- Im Iran beteiligten sich in diesem Sommer Arbeiter aus mehr als 70 Betrieben an Streiks im Ölsektor gegen niedrige Löhne und hohe Lebenshaltungskosten. Dies war das erste Mal, dass dies in den 42 Jahren seit der Gründung der Islamischen Republik in diesem Ausmaß geschah. Auch andere Branchen unterstützten die Streikenden;
- In Süd-Korea mussten die Gewerkschaften im Oktober einen Generalstreik für sozialen Schutz, gegen Prekarität und Ungleichheit organisieren;
- In Italien gab es im September und Oktober zahlreiche Aktionstage, Streiks und Aufrufe zum Generalstreik gegen Entlassungen, auch gegen die Gespräche zwischen dem Allgemeinen Italienischen Gewerkschaftsbund, der Regierung und den Arbeitgebern über einen "Sozialpakt" gegenüber Covid. Kurz gesagt: für leichtere Entlassungen und die Abschaffung des Mindestlohns;
- In Deutschland sieht sich die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (ver.di) gezwungen, mit Streiks zu drohen, um Lohnerhöhungen durchzusetzen.
Wenn man allen bürgerlichen Ökonomen Glauben schenkt, ist die derzeitige Inflation, die in den USA, Frankreich, dem Vereinigten Königreich oder Deutschland die Preise für Energie und andere wichtige Güter in die Höhe treibt und damit die Kaufkraft schmälert, nur ein zyklisches Produkt der "wirtschaftlichen Erholung".
In Verbindung mit "spezifischen Aspekten", wie Engpässen im See- oder Straßenverkehr, mit der "Überhitzung" bei der Erholung der Industrieproduktion, insbesondere mit dem spektakulären Anstieg der Kraftstoff- und Gaspreise, wäre es – so die bürgerlichen Stimmen - nur ein schlechter Zeitpunkt, um vor einer Regulierung wieder ein Gleichgewicht im gesamten Prozess der Wirtschaftsproduktion herzustellen. Alles wird getan, um einen "notwendigen" Inflationsprozess zu beruhigen und zu rechtfertigen... der jedoch wahrscheinlich andauern wird.
Das "Gießkannen"-Geld, die Hunderte von Milliarden Dollar, Euro, Yen oder Yuan, die die Staaten monatelang ohne Berechnung der Kosten gedruckt und ausgegeben haben, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zu bewältigen und ein allgemeines Chaos zu vermeiden, hat den Wert der Währungen nur geschwächt und treibt einen chronischen Inflationsprozess voran. Das wird einen Preis haben, und die Arbeiterklasse wird bei diesen Angriffen an erster Stelle getroffen werden.
Auch wenn es noch keine direkte und massive Reaktion auf diesen Angriff gegeben hat, kann die Inflation als mächtiger Faktor für die Entwicklung und Vereinheitlichung der Kämpfe dienen: Der Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel, Brot, Gas, Strom usw. kann nur die Lebensbedingungen aller Arbeitnehmer direkt verschlechtern, unabhängig davon, ob sie im öffentlichen oder privaten Sektor arbeiten, ob sie aktiv, arbeitslos oder im Ruhestand sind. Hunger und Kälte werden wichtige Elemente für die Auslösung künftiger sozialer Bewegungen sein, auch in den Kernländern des Kapitalismus.
Die Regierungen irren sich nicht. Obwohl sie noch keine formellen Sparprogramme auferlegt haben, sondern im Gegenteil Millionen und Abermillionen von Dollar, Yen und Euro zur Verfügung gestellt haben, wissen sie, dass es absolut notwendig ist, die Wirtschaftstätigkeit wieder anzukurbeln und dass eine soziale Bombe tickt.
Während die Regierungen dachten, sie würden alle Covid-bezogenen Unterstützungsmaßnahmen schnell beenden und die Haushalte so schnell wie möglich "normalisieren" können, hat Biden (um eine soziale Katastrophe zu vermeiden) einen "historischen Plan" für Interventionen aufgestellt, der "Millionen von Arbeitsplätzen schaffen, die Wirtschaft wachsen lassen und in unsere Nation und unsere Menschen investieren wird". [2] Man könnte meinen, man träumt! Das Gleiche gilt für Spanien, wo der Sozialist Pedro Sanchez einen massiven 248-Milliarden-Euro-Plan für umfassende Sozialausgaben umsetzt, zum großen Missfallen eines Teils der Bourgeoisie, die nicht weiß, wie die Rechnung bezahlt werden soll. Auch in Frankreich versucht die Regierung hinter all dem Trubel und der Wahlkampfrhetorik für die Präsidentschaftswahlen 2022, mit "Energiegutscheinen" und einer "Inflationszulage" für Millionen von Steuerzahlern dem sozialen Unmut und der Unzufriedenheit zuvorzukommen, ohne das Problem zu lösen.
Die Anerkennung und Hervorhebung der Reaktionsfähigkeit des Proletariats darf jedoch nicht zu Euphorie und der Illusion führen, dass sich ein Königsweg für den Arbeiterkampf auftut. Aufgrund der Schwierigkeit der Arbeiterklasse, sich selbst als ausgebeutete Klasse zu erkennen und sich ihrer revolutionären Rolle bewusst zu werden, ist der Weg zu bedeutenden Kämpfen, die den Weg zu einer revolutionären Periode öffnen könnten, noch weit.
Unter diesen Bedingungen bleiben die Kämpfe zerbrechlich, schlecht organisiert und sie werden weitgehend von den Gewerkschaften bestimmt, jenen staatlichen Organen, die auf die Sabotage von Kämpfen spezialisiert sind und immer mehr auf Branchenegoismus und Spaltung setzen.
In Italien zum Beispiel wurden die ursprünglichen Forderungen und der Kampfgeist der letzten Kämpfe von den Gewerkschaften und der italienischen Linken in eine gefährliche Sackgasse gelenkt: die verkommene Parole vom "ersten massiven Industriestreik in Europa gegen den Gesundheitspass", die die italienische Regierung allen Arbeitnehmern auferlegt hat.
Während einige Sektoren stark von der Krise, von Schließungen, Umstrukturierungen und erhöhten Arbeitsquoten betroffen sind, sind andere Sektoren mit einem Mangel an Arbeitskräften und/oder einem einmaligen Produktionsboom konfrontiert (wie im Güterverkehr, wo in Europa Hunderttausende von Fahrern fehlen). Diese Situation birgt die Gefahr einer Spaltung innerhalb der Klasse durch branchenspezifische Forderungen, die die Gewerkschaften ohne zu zögern ausnutzen oder erwecken werden.
Hinzu kommen die Aufrufe der "radikalen" Linken des Kapitals, auch auf bürgerlichem Terrain zu mobilisieren: gegen die extreme Rechte und die "Faschisten", die für die Gewalt bei Demonstrationen verantwortlich sind, oder für die "Bürgermärsche" für das Klima... Dies ist ein weiterer Ausdruck der Anfälligkeit der Proletarier für die Diskurse der extremen Linken, die in der Lage sind, jedes Mittel zu nutzen, um den Kampf auf ein nicht-proletarisches Terrain, insbesondere das des Gases, Strom, zu lenken.
Wenn die Inflation als Faktor für die Vereinheitlichung der Kämpfe wirken kann, so betrifft sie auch das Kleinbürgertum mit der Erhöhung der Benzinpreise und der Steuern, Schichten, die im Übrigen zur Entstehung der inter-klassistischen Bewegung der "Gelbwesten" in Frankreich geführt haben. Die gegenwärtige Situation begünstigt nach wie vor "Volksaufstände", bei denen die Forderungen des Proletariats unter den "sterilen" und reaktionären Sorgen der von der Krise selbst hart getroffenen Kleinunternehmer begraben bleiben. Dies ist zum Beispiel in China der Fall, wo der Zusammenbruch des Immobilienriesen Evergrande auf sehr spektakuläre Weise die Realität eines überschuldeten, anfälligen Chinas symbolisiert, was zu Protesten der bestohlenen Wohnungseigentümer führt, die entsprechend reagieren.
Die Kämpfe, in denen die Klassen vermischt werden, sind eine echte Falle und erlauben es der Arbeiterklasse überhaupt nicht, ihre eigenen Forderungen, ihre eigene Kampffähigkeit, ihre eigene Autonomie für eine revolutionäre historische Klassenperspektive durchzusetzen. Die Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaft, die durch die Pandemie noch verstärkt wird, belastet die Arbeiterklasse, die sich immer noch in großen Schwierigkeiten befindet, und wird dies auch weiterhin tun.
Fehlzeiten am Arbeitsplatz, massenhafte Kündigungen in Unternehmen, die Weigerung, an den Arbeitsplatz zurückzukehren, oft harte Arbeit für sehr niedrige Löhne, haben in den letzten Monaten weiter zugenommen. Dies sind jedoch individuelle Reaktionen, die eher den (illusorischen) Versuch widerspiegeln, der kapitalistischen Ausbeutung zu entkommen, als ihr durch einen kollektiven Kampf als Klasse zu begegnen. Die Bourgeoisie zögert nicht, diese Schwäche auszunutzen, um diejenigen, die kündigen, diese "fordernden" Arbeiter zu verunglimpfen und ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden, indem sie sie direkt für den Personalmangel in Krankenhäusern oder Restaurants "verantwortlich" macht! Mit anderen Worten, um die Spaltung in den Reihen der Arbeitnehmer zu vertiefen.
Trotz all dieser Schwierigkeiten, dieser Fallstricke, hat diese letzte Periode eine Bresche geschlagen und eindeutig bestätigt, dass die Arbeiterklasse in der Lage ist, sich auf ihrem eigenen Boden zu behaupten.
Die Entwicklung ihres Bewusstseins geht durch diese Erneuerung des Kampfgeistes, und es ist noch ein langer Weg voller Fallstricke. Die Revolutionäre müssen diese Kämpfe begrüßen und begleiten, aber ihre Hauptverantwortung besteht darin, so gut wie möglich für ihre Ausweitung, für ihre Politisierung zu kämpfen, die notwendig ist, um die revolutionäre Perspektive lebendig zu halten: indem sie in der Lage sind, ihre Grenzen und Schwächen zu erkennen, indem sie die Fallen, die ihnen von der Bourgeoisie gestellt werden, und die Illusionen, die sie bedrohen, wo auch immer sie herkommen, entschieden anprangern.
Stopio, 3. November 2021
[1]Ein System niedrigerer Löhne für Neueinstellungen, bekannt als "Besitzstandsklausel", dem viele Gewerkschaften zugestimmt hatten.
[2]Dieses für den Staatskapitalismus typische Programm zielt auch darauf ab, die amerikanische Wirtschaft zu modernisieren, um gegenüber den Konkurrenten, insbesondere China, besser bestehen zu können.
Wie schon in anderen Sprachen laden wir für den deutschsprachigen Raum zu einer öffentlichen Diskussion über den Krieg in der Ukraine ein. Hauptziel dieser Diskussionsveranstaltung ist es, eine internationalistische Position gegen den Krieg in der Ukraine darzulegen:- Keine Unterstützung für irgendein Kriegslager, keine pazifistischen Illusionen! Der entschlossene Klassenkampf der ArbeiterInnenklasse in allen Ländern ist der einzige Weg, den kapitalistischen Krieg zu bekämpfen. Wir werden zu Beginn dieser Diskussion unsere Position zu den obengenannten Fragen darlegen. Meldet Euch bis Samstag 21. Mai durch eine e-mail auf unsere Adresse dazu an: [email protected] [270]
Der barbarische Krieg in der Ukraine geht weiter, ebenso wie die ohrenbetäubende Propagandaoffensive zur Rechtfertigung des Massakers auf beiden Seiten. Die IKS veranstaltet diesen Sommer eine weitere Runde öffentlicher Treffen in verschiedenen Sprachen, auf denen wir die marxistische Analyse der Auswirkungen und der Bedeutung des Krieges und insbesondere der Fragen, die er der internationalen Arbeiterklasse und ihren revolutionären Organisationen stellt, vorantreiben wollen
Die Treffen finden alle online statt.
Das Treffen in deutscher Sprache wird sein am Mittwoch, den 6. Juli, 19.30 h
Treffen auf Englisch:
Am Samstag, den 2. Juli um 11 Uhr britischer Zeit
am Sonntag, den 3. Juli um 17 Uhr britischer Zeit.
Die Notwendigkeit solcher Treffen wird auch von Internationalist Voice und Istituto Onorato Damen unterstützt, die zusammen mit der IKS eine gemeinsame internationalistische Erklärung zum Krieg unterzeichnet haben (https://en.internationalism.org/content/17159/joint-statement-groups-international-communist-left-about-war-ukraine [271])
Bitte teilt uns mit, ob ihr an einem der Treffen teilnehmen wollt. Schreibt an [email protected] [270]. Wir teilen euch dann weitere Einzelheiten mit.
IKS-Einleitung
Im März 2022 veröffentlichten wir eine erste Erklärung der anarchosyndikalistischen Gruppe KRAS in Russland zum Krieg in der Ukraine, einen mutigen Ausdruck des Internationalismus, der sich gegen beide Seiten dieses imperialistischen Krieges wendet [1].
Wir haben auch einen Artikel über die Inkohärenz der anarchistischen Reaktion auf den Krieg veröffentlicht, einer Reaktion, die sowohl echte internationalistische Positionen wie die der KRAS, aber auch offen bürgerliche Erklärungen zugunsten der militärischen Verteidigung der Ukraine und sogar die direkte Beteiligung an den ukrainischen Kriegsanstrengungen durch anarchistische "Milizen" umfasst [2].
Die Gruppe "Schwarze Fahne" in der Ukraine hat zum Beispiel einen eigenen Zug innerhalb der vom ukrainischen Staat aufgestellten Territorialverteidigungskräfte aufgestellt. Während sie über den Anarchokommunismus in der Zukunft spricht, kann und will sie ihre aktuelle Unterstützung für die Nation nicht verbergen: "Danke für die Unterstützung und für den Kampf für die Freiheit in einigen ukrainischen Bataillonen. Die Wahrheit gewinnt, also wird die Ukraine gewinnen"[3]. In Russland selbst gibt es Anarchisten wie die Gruppe Anarchist Fighter, die behauptet, gegen das Putin-Regime zu sein und sogar zur Niederlage des russischen Imperialismus in diesem Krieg aufruft, die aber auch wie folgt argumentiert: "Was die Ukraine betrifft, so wird ihr Sieg auch den Weg für die Stärkung der Basisdemokratie ebnen, denn wenn sie erreicht werden kann, dann nur durch die Selbstorganisation des Volkes, gegenseitige Unterstützung und kollektiven Widerstand" [4].
Dies ist eine schamlose Verzerrung der von Lenin im Ersten Weltkrieg erhobenen Parole des "revolutionären Defätismus": Als Lenin auf der Notwendigkeit des Klassenkampfes gegen das zaristische Regime bestand, selbst wenn dies die militärische Niederlage Russlands bedeutete, hieß dies niemals, das gegnerische Lager unter Führung des deutschen Imperialismus zu unterstützen. Die von diesen Anarchisten angebotene Unterstützung für den ukrainischen Sieg kann hingegen nur eine Unterstützung der NATO-Kriegsmaschine und des ukrainischen Regimes bedeuten.
Die vorliegende Erklärung der KRAS macht deutlich, dass diese "Verteidiger" voll und ganz auf der Seite der kapitalistischen Ordnung stehen. Dazu gehören einige Anarchisten in der Ukraine, die den Internationalismus der KRAS, ihre Opposition gegen den Nationalismus beider Lager, mit der Unterstützung des Putin-Regimes und seines brutalen Krieges gleichsetzen. In Wirklichkeit haben diese Elemente durch die Veröffentlichung der Namen und Adressen von KRAS-Aktivisten, diese direkt der Repression durch die russischen Sicherheitskräfte und der Verfolgung durch andere bürgerlichen Nationalisten ausgesetzt. Wir veröffentlichen diese neue Erklärung der KRAS als eine elementare Solidaritätsbekundung mit diesen Genossen [5]
IKS
Die Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation in der Region Russland ruft zu einem Boykott von Provokateuren und Denunzianten auf, die sich hinter dem Namen "Anarchisten" verstecken und die Aktivisten unserer Organisation denunzieren.
Unsere Position gegen den von den kapitalistischen Oligarchien geführten Krieg zur Neuaufteilung des "postsowjetischen Raums" stößt bei den anarchistischen Internationalisten in der Ukraine, Moldawien und Litauen, mit denen wir Kontakte pflegen, auf Verständnis und Unterstützung.
Aber von Beginn des russisch-ukrainischen Krieges an haben die so genannten "Anarchisten", die die traditionelle anarchistische internationalistische Position, alle Staaten und Nationen zu besiegen, aufgegeben haben und eine der Kriegsparteien unterstützen, eine Verleumdungskampagne gegen unsere Organisation gestartet.
So haben beispielsweise die in der Ukraine lebenden ehemaligen Anarchisten Anatoli Dubowik und Oleksandr Koltschenko die Namen und Adressen unserer Aktivisten im Internet veröffentlicht. Der erste von ihnen hat den entsprechenden Text geschrieben, der zweite hat ihm seinen Facebook-Account zur Veröffentlichung überlassen und ihn genehmigt. Der Vorwand war, dass unsere Organisation eine konsequent internationalistische Position vertritt und sowohl die russische Invasion in der Ukraine als auch den ukrainischen Nationalismus und die expansionistische Politik des NATO-Blocks verurteilt.
Die Herren Dubovik und Kolchenko versuchten schamlos und unverschämt, unsere IWA-Sektion zu verleumden, indem sie uns ohne jeden Grund eine Positionierung zur Verteidigung des Kremls zuzuschreiben versuchten. Außerdem geben sie zu, dass wir sowohl ukrainische als auch russische Soldaten dazu aufrufen, den Kampf zu verweigern.
Die Veröffentlichung der Adressen von Antikriegsaktivisten in Russland durch die falschen Anarchisten bedeutet, die russischen Geheimdienste und nationalistischen Schläger direkt gegen sie als Kriegsgegner aufhetzen, um gegen sie vorzugehen! Unter den Bedingungen der ständigen Schikanen, Entlassungen, Drohungen und physischen Repressalien gegen antimilitärisch gesinnte Menschen in Russland kommen solche Aktionen einer echten Denunziation gleich, geben sie doch einen direkten Hinweis darauf, wem die Repressionskräfte ihre Aufmerksamkeit widmen sollten.
Wieder einmal sind die Nationalisten auf beiden Seiten der Frontlinie nach der Logik, "wer nicht für uns ist, ist gegen uns", bereit, gemeinsam ihre Hauptgegner zu vernichten, die Internationalisten, die sich weigern, die Wahl zwischen kriegführenden Staaten und bürgerlichen Cliquen zwischen Pest und Cholera zu treffen.
Anarchisten auf der ganzen Welt sollten sich der schändlichen Taten der Provokateure/Informanten bewusst sein und sich ein für alle Mal weigern, mit ihnen zu tun zu haben. Sie sollten sie für immer aus dem anarchistische Milieu hinauswerfen und sie zu ihren Gönnern und Meistern aus den Geheimdiensten und der Geheimpolizei schicken!
Die Erklärung wurde auf einem Referendum der Mitglieder der KRAS-IWA angenommen
[5] Die KRAS-Erklärung wurde auch von anderen Internationalisten veröffentlicht, vor allem von der Communist Workers Organisation [276] und der Anarchist Communist Group [277]. Im Gegensatz dazu scheint die Sektion der IWA in Großbritannien, Solidarity Federation, die KRAS-Erklärung nicht veröffentlicht zu haben.
Nach der Veröffentlichung der Gemeinsamen Erklärung von Gruppen der internationalen Kommunistischen Linken (Internationale Kommunistische Strömung, Internationalist Voice und Istituto Onorato Damen)[1] fanden zwei öffentliche Online-Diskussionsveranstaltungen der unterzeichnenden Gruppen statt, eine auf Italienisch und die andere auf Englisch. Das Ziel war, die Notwendigkeit der gemeinsamen Erklärung und die Aufgaben der Revolutionäre angesichts des imperialistischen Krieges und der neuen Weltlage zu diskutieren und zu klären. Die Treffen fanden in einer ernsthaften und solidarischen Atmosphäre statt und Meinungsverschiedenheiten verhinderten nicht die Kameradschaft und eine lebhafte Diskussion. Die Bedeutung der gemeinsamen Erklärung liegt darin, dass sie dem Geist der Zimmerwalder Konferenz von 1915 folgt, wo die Revolutionäre angesichts des Ersten Weltkriegs eine gemeinsame internationalistische Erklärung verfassten. In den 1930er Jahren hingegen waren die italienischen und niederländischen Linkskommunisten zwar gegen den Krieg in Spanien, schafften es aber nicht eine gemeinsame Erklärung abgeben. Auch während des Chinesisch-Japanischen Krieges, des Zweiten Weltkrieges und des Koreakrieges haben die internationalistischen Kommunisten keine gemeinsame Erklärung abgegeben. Es ist unbestreitbar, dass die Gruppen der Kommunistischen Linken heute nicht denselben Einfluss haben, den die Revolutionäre 1915 hatten. Dennoch ist eine gemeinsame Stimme notwendig – nicht wegen der unmittelbaren Ergebnisse, sondern im Hinblick auf künftige Kämpfe. Es ist nicht möglich, die Diskussionen der beiden Versammlungen in einem kurzen Artikel vollständig wiederzugeben, aber wir wollen einen Überblick über die diskutierten Themen geben.
In der italienischsprachigen Veranstaltung bewerteten ausnahmslos alle Teilnehmende das Wesen des Krieges als imperialistisch und betonten die Notwendigkeit, den Internationalismus zu verteidigen, d.h. konsequent keines der imperialistischen Kriegslager zu unterstützen. Unter Ablehnung jeglicher pazifistischen Illusionen sahen sie die Arbeiterklasse und den Klassenkampf als einzige Kraft, die sich dem Krieg entgegenstellen kann. Die Teilnehmenden betonten ausnahmslos die Bedeutung der gemeinsamen Erklärung und waren der Meinung, dass, obwohl die heutige Situation nicht mit der von 1915 vergleichbar ist und die Revolutionäre nicht mehr den Einfluss haben, den sie 1915 auf die Arbeiterklasse hatten, der Geist der Zimmerwalder Konferenz als Kompass auch heute noch gültig ist. Die Zimmerwalder Konferenz ist eine Referenz für Revolutionäre, auf die sie sich in ihrem Kampf gegen den imperialistischen Krieg berufen. Nur ein Teilnehmer erklärte den Verweis auf die Zimmerwalder Konferenz für ungültig und argumentierte, dass die Strömungen, die die gemeinsame Erklärung unterzeichneten, heute nicht denselben Einfluss von Lenin oder Luxemburg auf die Arbeiterklasse haben. Andere entgegneten, die Bedeutung einer gemeinsamen Erklärung liege in einer gemeinsamen Stimme der internationalistischen Positionen, die die Strömungen der Kommunistischen Linken angesichts des Krieges bisher leider nicht zum Ausdruck brachten.
Die Tatsache, dass andere Gruppen der Kommunistischen Linken sich weigerten, die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, spiegelt die Schwäche des proletarischen politischen Milieus wider. Die Mehrheit der Teilnehmenden bedauerte die Weigerung dieser Gruppen, sich auch in dieser Frage auf Lenin zu berufen, der (trotz Meinungsverschiedenheiten) auf der Notwendigkeit bestand, eine gemeinsame Stimme gegen den Krieg zu erheben. In Zimmerwald hatten damals die Teilnehmer:innen unterschiedliche Positionen und Analysen, was sie jedoch keinesfalls daran hinderte, eine gemeinsame Erklärung gegen den Krieg abzugeben. Die Mehrheit der Leute, die sich an unseren öffentlichen Veranstaltungen beteiligten, war mit den von der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz (IKT)[2] genannten Gründen für die Nichtunterzeichnung der gemeinsamen Erklärung nicht einverstanden. Während einige Teilnehmer die Diskussion mit der IKT fortsetzen wollten, um sie zu ermutigen, die gemeinsame Erklärung doch noch zu unterzeichnen, oder zumindest gemeinsame Aktionen mit ihnen zu entwickeln, betonten andere, dass wir es vermeiden sollten, uns auf kontroverse Diskussionen einzulassen und, ohne auf andere zu warten, vorangehen sollten. In jedem Fall waren sich alle Teilnehmer des Treffens einig, dass der von der IKT ausgearbeitete Vorschlag der No War But The Class War-Initiative (NWBCW) einen gewaltigen Rückschritt gegenüber ihrer eigenen politischen Tradition darstellt, da er die Funktionen, die die revolutionäre Avantgarde wahrnehmen muss, einfach an die Arbeiterklasse delegiert.
Die Teilnehmenden betonten, dass es nicht möglich ist, den Krieg zu bekämpfen, ohne den Kapitalismus als Ganzes zu bekämpfen. Nach Kriegsausbruch stieg die Inflation nicht nur in der Peripherie des Kapitalismus, sondern auch in den Metropolen, und damit stiegen die Lebenshaltungskosten für das Proletariat, was bedeutet, dass der Lebensstandard der Arbeiterklasse sinkt. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse werden sich mit dem Ausbruch des andauernden imperialistischen Krieges zwangsläufig verschlechtern und könnten das Proletariat in mehr oder weniger naher Zukunft drängen, sich gegen die ständigen Angriffe des Kapitals zu stellen.
Eine weitere Diskussion drehte sich um den Punkt, dass sich der Kampf des Proletariats nur dann in eine revolutionäre Richtung entwickeln kann, wenn er sich auf die historische Kontinuität der Positionen der Kommunistischen Linken stützt. Das bedeutet natürlich nicht, dass nur Gruppen der Kommunistsichen Linken diese Positionen unterstützen können, aber dass sie als Bezugspunkt dienen müssen. In der Diskussion gab es Übereinstimmung, dass es die Aufgabe von Revolutionären ist, am Aufbau der zukünftigen internationalen und internationalistischen Partei des Proletariats zu arbeiten, ohne die alle späteren Kämpfe der Arbeiterklasse unweigerlich zur Niederlage verurteilt sein werden. In diese Richtung geht auch die gemeinsame Erklärung gegen den imperialistischen Krieg, die von verschiedenen angeschlossenen Gruppen unterzeichnet wurde.
In der englischsprachigen Diskussionsveranstaltung, an der die Genossen des Istituto Onorato Damen (IOD) nicht teilnehmen konnten, schätzten die Teilnehmer:innen, wie schon in der italienischsprachigen Versammlung, den Charakter des Krieges eindeutig als imperialistisch ein und sahen in der Arbeiterklasse und dem Klassenkampf die einzige Kraft, die dem Krieg entgegentreten kann, wobei auch sie alle pazifistischen Illusionen zurückwiesen. Mit Ausnahme des Delegierten der IKT/CWO (Communist Workers Organisation) betonten die Teilnehmenden des Treffens die Bedeutung der gemeinsamen Erklärung gegen den Krieg in der Ukraine. Ein Teilnehmer erklärte, er sei zwar nicht ganz einverstanden mit der gemeinsamen Erklärung, unterstütze sie aber dennoch. Wie auf dem italienischen Treffen brachten die Teilnehmer, mit Ausnahme des IKT/CWO-Delegierten, auch hier vor, dass, obwohl die heutige Situation nicht mit der von 1915 vergleichbar sei und die Revolutionäre nicht den Einfluss hätten, den sie 1915 in der Arbeiterklasse hatten, der Geist der Zimmerwalder Konferenz als Kompass dienen müsse, der auch heute noch gültig sei und auf den sich Revolutionäre im Kampf gegen den imperialistischen Krieg berufen müssen.
In der Diskussion hatte der Delegierte der IKT/CWO die Möglichkeit, ihre Gründe für die Ablehnung der Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung politisch darzulegen. Er trug die Gründe vor, aber seine Argumente überzeugten die Zuhörer nicht und sorgten umsomehr für weitere Diskussionen. Der IKT/CWO-Delegierte erklärte, dass die erfolgte Nichtunterzeichnung der Erklärung kein Prinzip sei, sondern dass die IKT/CWO die Kriterien für diejenigen, die unterzeichnen sollten, für viel zu eng gefasst halte. Dem Genossen zufolge wollen sie selber diejenigen zusammenbringen, die mit der Initiative "Kein Krieg außer dem Klassenkrieg" NWBCW einverstanden sind. Durch eine Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung würde die IKT jedoch implizit die Ansichten der IKS zum Parasitismus unterstützen. Die IKT arbeitet mit Controverses und der IGCL zusammen, was wir nicht tun. Die IKS habe, so der Delegierte der IKT/CWO, Genossen, die seit Jahren kämpften, als politische Parasiten abgestempelt. Vielleicht kann die IKT sie ja über die NWBCW zurück in die Kommunistische Linke ziehen!
Mehrere Teilnehmende, die ehemalige Mitglieder der IKS waren, wiesen die Aussage des IKT/CWO-Delegierten zurück, dass jedes Mitglied, das die IKS verlässt, als politischer Parasit abgestempelt wird, und erklärten, dass ihnen nie irgendeine Aktivität vorenthalten wurde und dass die Genossen der IKS immer sehr offen für Diskussionen und Solidarität sind. Sie betonten, dass das Problem des politischen Parasitismus mit einem klar nicht-proletarischen Verhalten zusammenhängt.[3]
Einige Teilnehmer meldeten sich mit ihrer Kritik an der NWBCW-Initiative zu Wort, aber das Präsidium bat sie, die Diskussion über die NWBCW auf die nächste öffentliche Diskussionsveranstaltung zu verschieben. In den Diskussionen wurde argumentiert, dass die Internationalisten angesichts des Krieges in Spanien 1936-38, des Zweiten Weltkrieges, des Koreakrieges usw. leider keine gemeinsame Erklärung abgeben konnten. Heute sei die Verabschiedung der gemeinsamen Erklärung ein Schritt gegen das Sektierertum im proletarischen politischen Milieu. Einige Teilnehmer, welche zu Beginn des Treffens für die Weigerung der IKT, die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, Verständnis gezeigt hatten, wurden durch die Diskussion von der Notwendigkeit dieser Erklärung überzeugt. Ein Teilnehmer sagte in den Schlussfolgerungen, dass er die Diskussion für konstruktiv halte, auch wenn die Unterschiede zwischen der IKS und der IKT erheblich seien. Diese Unterschiede müssten stärker artikuliert und in gemeinsamen Diskussionen weiterentwickelt werden. Ein anderer Teilnehmer erklärte, dass er zwar mit einigen Positionen der CWO nicht einverstanden sei, aber er sei überzeugt, dass die Kommunistische Linke ohne die Beteiligung von Gruppen wie den Bordigisten oder der IKT/CWO nicht in der Lage sei, ihre historische Aufgabe zu erfüllen. Es sei schade, dass sie die Bedeutung dieser Aktion gegen den Ukraine-Krieg nicht verstanden hätten.
Die vorherrschende Meinung auf dem Treffen war, dass, obwohl nur eine Minderheit aller Gruppen der Kommunistischen Linken die gemeinsame Erklärung unterzeichnete, diese dennoch zu einem Bezugspunkt in der Tradition der Kommunistischen Linken wird, auf den sich andere Gruppen und Militante beziehen könnten.
Internationalist Voice, Istituto Onorato Damen, Internationale Kommunistische Strömung
15.06.2022
Durch die Invasion der Ukraine und der damit eingeleiteten Welle der Zerstörung und Terrorisierung der Bevölkerung trat die Welt nicht nur in eine neue Stufe der Barbarei in Europa ein. Das Vorgehen des russischen Imperialismus löste den größten Flüchtlingsexodus in Europa seit der Welle von Flucht und Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg aus, von der damals ca. 12-14 Millionen betroffen waren. Für das deutsche Kapital war, wie Bundeskanzler Scholz und andere Repräsentanten des deutschen Kapitals verkündeten, mit dem Ukraine-Krieg ein ‚Gezeitenwechsel‘ eingeläutet worden. Wir haben in anderen Artikeln die Rolle und die Verantwortung der jeweiligen Kriegsparteien an den Pranger gestellt. Deshalb wollen wir uns in diesem Artikel auf die Einschätzung dieses führenden Vertreters des deutschen Kapitals konzentrieren, um aus unserer Sicht die geänderte Lage des deutschen Kapitals einzuordnen.
Durch den Ukraine-Krieg wird das deutsche Kapital nicht nur gezwungen, einen Großteil seiner bisherigen Strategie seit 1989 aufzugeben; es muss sich auch auf tiefgreifende Erschütterungen und neue Konfrontationen einstellen.
Nach 1989 hatte das deutsche Kapital davon profitiert, dass die Kontrolle der Sowjetunion über die ehemalige DDR und Osteuropa in sich zusammengebrochen war, der Warschauer Pakt wurde aufgelöst und später implodierte die UdSSR/Russland selbst. Das dadurch entstandene Machtvakuum lockte vor allem die imperialistischen Ambitionen der USA und des wiedervereinigten Deutschlands an. Weil mit der Auflösung des Warschauer Paktes die Existenzgrundlage des westlichen Blocks und damit die langjährige Rolle der USA als Blockführer der NATO auch zu bröckeln begann, müssen die USA seitdem weltweit um ihre Vormachtstellung kämpfen. Sie können dies nur tun, indem sie mit militärischen Mitteln die Länder und Kräfte terrorisieren, die an der Vormachtstellung der USA rütteln. So haben die USA seit dem Anfang der 1990er Jahre eine Spur der Verwüstung und Destabilisierung und Chaos an vielen hotspots hinterlassen (am deutlichsten in Afghanistan und Irak) – zu einem nie dagewesenen ökonomischen und sozialen Preis. Dies hat weltweit zu einer Schwächung des früheren Blockführer USA und zu ‚schmählichen‘ militärischen Rückzügen geführt. Trotzdem gehörten sie neben Deutschland nach 1989 in Osteuropa zu den großen Gewinnern, und ihr Machtbereich ist dort angewachsen wie noch nie zuvor. Sie konnten ihren Einfluss und ihre Positionen in Osteuropa unter anderem deshalb ausbauen, weil sie die NATO immer weiter ostwärts „vorschoben“ (von den ehemaligen Ostblockstaaten sind die meisten in die NATO eingetreten bzw. und viele wurden auch in die EU aufgenommen). Vor allem die Staaten, die vom großen Nachbar Deutschland im 2. Weltkrieg überfallen wurden oder sich gegenwärtig von diesem besonders bedrängt fühlen (vor allem Polen und Tschechische Republik), lehnen sich eher an USA an, um militärischen Schutz gegenüber Russland und Rückendeckung gegenüber dem erstarkten Deutschland zu erwirken. Während die NATO bei den westlichen Staaten an Ansehen und Bedeutung verlor, konnte sie in Osteuropa einen größeren Stellenwert gewinnen – vor allem zugunsten der USA. Ähnlich wie Frankreich versuchte sich Deutschland zunehmend dem Druck der NATO zu entwinden, um den Aufbau eines militärischen Arms der EU anzustreben, der gewissermaßen in Ansätzen parallele Militärstrukturen zur Nato, d.h. außerhalb des Einflussbereiches der USA, bedeuten würde.
Durch die Tatsache, dass die NATO unter zentralem Kommando der USA nunmehr so viele Truppen und Material nach Osteuropa im Krieg gegen die Ukraine verlegt hat, ist der Spielraum Deutschlands und Frankreichs in Osteuropa durch die NATO (d.h. mit den USA als Drahtzieher) eingeengt worden. Die USA haben somit gegenüber Deutschland ein verloren gegangenes Gewicht wieder zurückgewonnen. Sie haben gewissermaßen Deutschland wieder an die Kandare genommen – zumindest vorübergehend. Nach Außen wird dies heuchlerisch als „große Einigkeit“ der NATO gepriesen, während es in Wirklichkeit ein Schachzug der USA war, um den deutschen Freiraum einzuschränken.
Auch wenn Deutschland mehr Verbände als je zuvor nach Osteuropa geschickt hat, vor allem ins Baltikum und die Slowakei, sind nun die USA viel stärker als je zuvor im Rücken Deutschlands in Osteuropa präsent. Somit verfügen die USA zum ersten Mal in ihrer Geschichte gleichzeitig über Truppen in Osteuropa und weiterhin über zentrale Basen in Deutschland. Die USA haben seit 1989 im Mittleren Osten und Afrika Militärbasen geschlossen, bzw. Rückzüge angetreten (Libanon, Somalia) aber aus Osteuropa werden sie sich nicht „verjagen“ lassen. Insofern ist die Verstärkung der US in Osteuropa als dauerhaft anzusehen.
Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Mauer und dem Ende der Ost-West Konfrontation konnte Deutschland – wie fast alle Staaten in Europa - sein Militär reduzieren. Vor allem die in der NATO-Arbeitsteilung unter dem Ost-West-Konflikt vorherrschende Rolle der Bundeswehr, mit Territorialstreitkräften – d.h. Heer/Panzer, Artillerie usw. – dem damaligen Ostblock entgegenzutreten, war hinfällig geworden. Das Heer wurde deutlich gekürzt, da man nicht mit einem erneuten aggressiven Bedrohungspotenzial Russlands rechnete. Unterdessen erhielten aber Marine und Luftwaffe sowie spezialisierte Verbände (Kommando Spezialkräfte – KSK) neue Einsatzmöglichkeiten in den nach 1989 sich entwickelnden Konflikten, was dem deutschen Militär die Möglichkeit bot, neue Interventionserfahrungen in „out-of-area“-Operationen zu erlangen (Mali, Libanon, Türkei, Afghanistan, Horn von Afrika, Balkan). Bei all diesen Operationen blieb Deutschland dennoch – wie der Afghanistan-Rückzug 2021 zeigte – ein militärischer Zwerg, der in allen Kernfragen weiterhin auf die USA – und zu Anfang des Afghanistaneinsatzes sogar auf die Hilfe von ukrainischen Transportmaschinen – für den Transport seiner Truppen angewiesen war. Die Bundeswehr selbst hatte große Rekrutierungsprobleme und klagte ständig (mitleiderregend!!) über nicht einsatzfähige Waffen und mangelnde Ausrüstung. Mit dem Ukraine-Krieg ist eine Verlagerung der militärischen Schlagkraft notwendig geworden – wieder mehr Gewicht auf territoriale Kräfte und gleichzeitig mehr Mittel für die „out-of-area“-Einsätze, d.h. für Marine und Luftwaffe. Nach jahrelangen Kürzungen des Militärhaushalts aus verschiedenen Gründen (politisch unpopulär, ökonomisch schädlich) tat man sich schwer mit der Rechtfertigung von Rüstungssteigerungen. Zwar hatte Trump beträchtlich mehr Anstrengungen gefordert, aber diese galten als schwer durchsetzbar. Nun hat der russische Imperialismus und paradoxerweise auch der US-Imperialismus dem deutschen Imperialismus die Rechtfertigung für mehr Kriegsausgaben geliefert. Mit der Verdoppelung des Rüstungshaushalts wurde hier eine Kehrtwende herbeigeführt und eine wahre Aufholjagd eingeleitet. Wie schnell und umfassend diese sein wird, ist noch unmöglich zu beurteilen.
Zum einen jubeln natürlich die deutschen Waffenschmieden. Nicht nur konnte man altes Kriegsgerät aus DDR-Zeiten an die Ukraine abstoßen, um moderneres anzuschaffen, sondern man liefert jetzt „auf Direktbestellung“ an die Rüstungsfirmen in die Ukraine. Damit wurde das, was bislang als Tabu galt, gebrochen. Zwar hatte man modernstes Kriegsgerät auch an jeweils verfeindete Staaten wie Griechenland – Türkei, Israel – Ägypten verschickt. Aber das Markenzeichen des „moralisch geläuterten“ deutschen Militarismus war: keine Waffen an direkt im Krieg stehende Länder. Jetzt wird Deutschland zum Großlieferanten auch für Waffen, die direkt gegen Russland gerichtet sind. Wenn nun die USA die Kriegskosten zum einen auf die europäischen Länder abwälzen (bei ihren militärischen Interventionen im Irak und Afghanistan hatten sie den Löwenanteil selbst schultern müssen), sind die USA damit zwar Nutznießer, aber sie mussten damit zulassen, dass der bisherige militärische Zwerg Deutschland mächtig aufrüsten kann. Dies ist ein weiteres Element der Kehrtwende.
Gegenüber Russland hatte Deutschland jahrelang vor allem eine Politik des relativen Ausweichens vor direkten Konfrontationen betrieben. Diese Haltung war bestimmt zum einen durch die nach 1989 neu entstandene große Abhängigkeit von russischen Gas-/Öllieferungen. („Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums liegt der Anteil russischer Importe an den fossilen Gasimporten nach Deutschland bei rund 55 Prozent, bei Kohle bei rund 50 Prozent und bei Rohöleinfuhren bei rund 35 Prozent.“ Seit der Annexion der Krim seien „Für Lieferungen von Gas, Kohle und Öl […] aus Deutschland seit 2014 rund 170 Milliarden Euro nach Russland überwiesen“ worden, https://www.handelsblatt.com/politik/international/rohstoffe-deutschland... [281].)
Zum anderen wollte man sich gegenüber den imperialistischen Interessen Russlands zurückhaltend, ja sogar ‚weg-duckend‘ verhalten, u.a. weil jede entschlossene Reaktion Deutschland wieder stärker in die Arme der USA gedrängt hätte. So hat man nach 1989 eine privilegierte Beziehung zu Russland im Konsens aller Parteien gesponnen (aufgrund alter Seilschaften aus DDR-Zeiten, dann durch Kräfte der SPD (Schröder, Niedersachsen-SPDler, Meck-Po-Regierungskreise (SPD+CDU), Sachsen (CDU) als auch Merkel). Es ging darum, immer in „Dialog-Fähigkeit“ mit Russland zu bleiben. Vor allem gegenüber der Ukraine trat man auch nach der Krim-Annexion 2014 auf die Bremse, als diese sich dem Westen zuwandte und Aufnahme in die NATO suchte. Die Devise lautete: sich nicht von den USA gegen Russland (und auch nicht gegen China) aufstacheln und bedrängen lassen. Killerkommandos in Berlin oder in Russland selbst der Tötungsversuch gegen Nawalny (der dann nach Berlin zur Sonderbehandlung gebracht wurde) wurden kritisiert und verfolgt, führten aber nie zu ernsthaften Konsequenzen für Russland.
Während der Amtszeit von Trump wurde Deutschland zwar immer offener von den USA kritisiert. Weil Trump aber einer Konfrontation mit Russland weitestgehend ausweichen wollte, (China galt und gilt als die wichtigste Zielscheibe), konnte Deutschland seine relativ guten Beziehungen zu Russland trotz dessen Unterstützung der barbarischen Operationen von Assad in Syrien und anderswo aufrechterhalten. Hier wird nun auch eine Kehrtwende eingeschlagen. Ob Deutschland aus seiner Position als „Zögerer“, der gegenüber Russland gewissermaßen mit Samthandschuhen vorgehen wollte, sich damit an vorderster Front gegen Russland einreihen wird, ist noch nicht auszumachen, jedoch unwahrscheinlich.
Denn wie wir an anderer Stelle weiter analysiert haben, verfolgen die USA mit ihrem Schachzug gegen Russland auch die Absicht, Russland so weit zu schwächen, dass es gezwungen wird, sich als Bittsteller an China zu wenden. Dies bringt wiederum China in Bedrängnis. Auf der einen Seite kann es sich darüber freuen, dass Russland in eine noch größere Abhängigkeit gegenüber China gerät und somit Chinas Stellung gegenüber Russland auf den ersten Blick als gestärkt erscheinen mag. Weil aber Russland sich als stark geschwächtes, vielleicht gar ruiniertes Land an China wenden muss, wird China vor der Qual der Wahl stehen: entweder den Geldhahn gegenüber Russland aufdrehen, was schnell ein Fass ohne Boden sein kann und die Wirtschaftskraft Chinas schwächen würde; oder Russland abweisen, was einen Keil zwischen die beiden treiben würde und den USA zugute käme.
In den letzten Jahrzehnten ist auch zwischen Deutschland und China eine starke Abhängigkeit entstanden. Zum Beispiel macht Volkswagen in China ca. 40% seines Umsatzes.[1] Auch liefert China seltene Erden, von denen Deutschland mehr denn je abhängig ist. Ähnlich wie gegenüber Russland wollte Deutschland sich von den USA gegen China nicht in zu starke Gegnerschaft drängen lassen. Die USA werden aber jetzt noch stärker versuchen, die EU und die NATO-Staaten in ihre Offensive gegen China einzubinden. Damit würde Deutschland gegenüber den USA weiter an Boden verlieren… und dagegen wird sich das deutsche Kapital weiter vehement stemmen.
Zwar hatten gerade die Grünen durch ihre angekündigte ‚härtere‘ Haltung gegenüber China Punkto Menschenrechtsfragen schon gute ideologische Vorarbeit geleistet und entsprechende Vorwände geliefert, um die erdrückende Abhängigkeit von China zu lockern, diese dann als eine Politik zum Schutz „Schutz der Menschenrechte“ zu verkaufen. Wenn die USA nun aber Deutschland gegen China „in ihr Schlepptau“ nehmen wollen, und Deutschland für Maßnahmen gegen China einspannen wollen, wird sich das deutsche Kapital mit allen Tricks dagegenstellen, auch wenn dies Deutschland ökonomisch sehr teuer zu stehen kommt.
Deutschland ist damit keineswegs zum Schoßhund der USA geworden, es wird weiterhin seine Interessen mit den verschiedensten Mitteln vertreten. Das Paradoxe an der Geschichte ist, dass der deutsche Militarismus durch die Vorgehensweise der USA trotz alledem daraus seine Vorteile zieht. Während Deutschland von heute auf morgen eine Verdoppelung des Rüstungshaushaltes, eine Aufholjagd bei der Ausrüstung und personellen Verstärkung der Bundeswehr beschloss, insofern auf der einen Seite einer Forderung der USA nach größerer Kostenbeteiligung an der Nato nachkam und somit die USA die Kriegskosten auf Europa (viel stärker als je zuvor) abwälzen können (die USA somit einen klaren Punktgewinn erzielt haben), wäre es naiv zu glauben, dass das deutsche Kapital diese Verdoppelung seines Militärhaushaltes nur gegen Russland wenden würde. Dieses größere militärische Gewicht – so gering es auch im Vergleich zu dem „unerreichbaren“ Gewicht der USA ist, wird auch die deutschen militärischen Ambitionen anstacheln. Zwar wird es nicht vom Zwerg zur Führungsmacht, aber die USA haben es damit auch aufgewertet – nicht zuletzt auch gegenüber Frankreich. Insofern werden die Unabhängigkeitsbestrebungen sowohl Deutschlands als auch der EU nur vorübergehend eingeschränkt werden und sich früher oder später gegen die USA richten. Zudem ist sich das deutsche Kapital der besonders fragilen Position von US-Präsident Biden bewusst und dass entweder Trump selbst oder ein anderer möglicher Kandidat bei den nächsten Präsidentschaftswahlen eine noch härtere Gangart gegenüber Deutschland einschlagen wird. Zwar brachte die unter Biden propagandistisch geschickt eingefädelte US-Strategie gegenüber Russland Deutschland unter Zugzwang, aber ein möglicher republikanischer Präsident wird Deutschland wieder vor andere Herausforderungen stellen. Deshalb wird Deutschland seine langfristige Strategie, die unmittelbar durch den Ukraine-Krieg einen Dämpfer erhalten hat, fortsetzen wollen. Dabei ist es vor allem auf Frankreich angewiesen, das durch die USA in eine ähnliche Zwangslage geraten ist. Die beiden Nachbarn sind, ungeachtet ihrer Divergenzen in vielen Bereichen (Kernenergie, unterschiedliche Herangehensweisen gegenüber der Türkei usw.) dazu verdammt, zusammenzurücken, um nicht unter US-amerikanischer Räder zu kommen.
Generell lässt sich jetzt schon erkennen, dass nicht nur das Gewicht des Militärs in der Wirtschaft an Bedeutung zunehmen wird, sondern dass das wachsende Chaos, Mangel an Gütern und Unterbrechungen von Lieferketten, Rückverlagerungen von strategisch wichtigen Produkten auch zu unberechenbaren Kostenfaktoren für die Wirtschaft werden wird. Ein Beispiel ist die Energieversorgung.
Obgleich sich schon seit geraumer Zeit mit dem Wuchern des Militarismus neue Ansätze zur Sicherstellung einer ausreichenden Energiezufuhr als notwendig erwiesen haben, hat mit dem Ukraine-Krieg die Frage der Energiesicherung eine neue militaristische Qualität angenommen. Mit Nord Stream 2 hatte man mit Russland ein Abkommen ausgehandelt, das es ermöglicht hätte, die Ukraine zu umgehen – man begab sich aber gleichzeitig in eine noch größere Abhängigkeit von russischem Gas. Durch den einstweiligen Stopp der Pipeline wurden sprichwörtlich 11 Milliarden Euro (für immer?) versenkt und ein neuer Schrottplatz am Boden der Ostsee angelegt. Der nun beschlossene, für die gesamte EU angestrebte Umbau der Energiezufuhr, um sich aus russischer Abhängigkeit zu entwinden, ist also eine der tiefstgreifenden strategischen Entscheidungen im Energiebereich – auch wenn dadurch neue Abhängigkeiten von Flüssiggas der USA oder von arabischen Staaten entstehen. Deshalb werden nun in Windeseile mit Unterstützung der EU von Deutschland neue Energielieferanten und neue Energiequellen gesucht, um nicht die Abhängigkeit von Russland durch die von den USA zu tauschen. Mit dem Krieg wird die Frage der Energieversorgung nach anderen Kriterien ausgerichtet: wie – ohne Energielieferungen aus dem Ausland – möglichst lange autonom handeln können? Das deutsche Kapital denkt immer noch mit Schrecken an die nicht vorhandenen Energiequellen im 2. Weltkrieg; solche Szenarien müssen partout vermieden werden. Man darf nicht mehr von Öl- und Gas abhängen, sondern muss sich bei der Energieversorgung den militärstrategischen Bedürfnissen unterordnen – wie übrigens auch im Bereich Cyberkrieg und Künstliche Intelligenz, Roboterentwicklung. Deswegen leisten die Grünen, zusätzlich zu ihren Anstrengungen der „grünen“ Modernisierung der Wirtschaft auch wertvolle Dienste bei deren Anpassung derselben an die Bedürfnisse der Kriegswirtschaft.
Seit dem 1. Weltkrieg sind Kriege immer mehr zu einem totalen Krieg geworden, wo möglichst viele Ressourcen des Gegners zerstört und die eigenen Mittel nahezu grenzenlos bis zur eigenen Erschöpfung eingesetzt werden. Nun kündigte der Westen von Anfang an, Russland auch ökonomisch niederzustrecken. Mit einer Serie von Sanktionen, Abbruch von Handelsbeziehungen, Aufkündigung entweder unmittelbar oder mittelfristig von Gas/Öl- und Rohstofflieferungen, Einstellung des Flugverkehrs usw., soll die russische Wirtschaft ausgeblutet und in die Zahlungsunfähigkeit getrieben werden (Baerbock: „Das wird Russland ruinieren“). Zwar ist Russland kein Wirtschaftsgigant, (es steht lediglich auf Platz 11 der Weltrangliste nach Wirtschaftskraft) aber für die Weltwirtschaft ist das Land von großer Bedeutung wegen seiner zentralen Rolle als Energie-/Rohstofflieferant. Vor allem im Agrarbereich ist der weitgehende Ausfall Russlands und der Ukraine verheerend. Es wird zu einem Mangel an Getreide und Speiseöl usw. und auch zu astronomischen Preissteigerungen bei Lebensmitteln mit den damit verbundenen Hungersnöten in den Ländern der Peripherie kommen. Insofern bedeutet die Absicht „wir werden euch ökonomisch auf die Knie zwingen“ eine globale Eskalation mit unberechenbaren Destabilisierungen verschiedener Art. Das heißt – wie in früheren Kriegen – wird die Wirtschaft immer mehr durch den Krieg zerrüttet werden. Länder wie Deutschland, die für die europäische Wirtschaft sowie für die Weltwirtschaft insgesamt eine wichtige, gar führende Rolle spielen, werden deshalb einen gigantischen Preis bezahlen…
Nach 1989 war durch die neue Stufe der Globalisierung eine weltweit vernetzte Produktions- und Lieferkettenstruktur aufgebaut worden, die ähnlich dem Dreieckshandel in der Blütephase des Kapitalismus funktionierte. Damals wurde zwischen Afrika-England–USA Baumwolle gehandelt aber auch Millionen Sklaven verschleppt und verkauft. In den letzten 30 Jahren wurden weltumspannende Produktionsketten zum Beispiel zwischen Osteuropa- Deutschland- China errichtet, die nun Bruchstellen zeigen oder gar unterbrochen & abgerissen sind. Ukrainische Werke belieferten zum Beispiel Kabelbäume für PKWs von VW und Audi. Der Krieg führt zum Produktionsstillstand und zur Umorientierung von Produktionsstandorten. Zwar konnte sich die Wirtschaft über den Zuzug von qualifizierten und arbeitswilligen Arbeitskräften aus dem Osten freuen (ob im IT-Bereich oder in der Altenpflege), aber die massenhafte Versorgung von Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine wird ebenso neue Staatsgelder erforderlich machen. Die USA bleiben einstweilen von diesen Folgekosten des Krieges weitestgehend verschont.
Zusammenfassend kann man sehen, dass die jahrzehntelange Politik des konzilianten, beschwichtigenden Umgangs mit Russland aus Rücksicht auf neu entstandene Rohstoffabhängigkeiten, der relativen Zurückhaltung bei den Militärausgaben, und des Ausweichens vor Entscheidungen, wenn sie von den USA gefordert wurden, mit dem Ukraine-Krieg zu Ende gekommen ist. Osteuropa wird nicht nur eine gewaltige Wiederaufrüstung und mittelfristig das Aufbrechen früherer Rivalitäten erleben. Die ganze Welt wird von diesen Erschütterungen erfasst werden - mit besonders gravierenden Auswirkungen für die führende Macht Europas – Deutschland.
Vor dem Ukraine-Krieg lieferte sich die deutsche Bourgeoisie ein Hauen und Stechen wegen der Corona-Pandemie. Aber urplötzlich herrschte nationale Eintracht. Der Krieg hat zumindest auf dieser Ebene die Einheit der Bourgeoisie parteiübergreifend wieder hergestellt. Der Krieg belegt die Fähigkeit der Herrschenden, sich schnell und zielführend gegenüber den Bedürfnissen auf imperialistischer Ebene zusammenzuschließen.[2]
Aber das heißt nicht, dass der Prozess des sich fortsetzenden Glaubwürdigkeitsverlustes aller Parteien des deutschen Kapitals damit zu Ende gekommen, ja ins Gegenteil umgeschlagen wäre. Wir werden in einem späteren Artikel auf diese Frage zurückkommen.
An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass die deutsche Kriegsbeteiligung nicht ohne die entscheidende Rolle von Rot-Grün (+ Liberale) möglich gewesen wäre.
Wie oben erwähnt, wurde die imperialistische Politik jahrelang umhüllt – insbesondere von Rot-Grün Ende der 1990er/Anfang der 2000er - mit dem Deckmantel des Kampfes für die „Humanität / Menschenrechte“, begleitet von einem Eintreten für „Multilateralismus“ und einen „freien Weltmarkt“. Rot-Grün erlösten das deutsche Militär von einer Bürde des verlorenen 2. Weltkriegs und boten bei den Bombenabwürfen auf Belgrad 1999 die entsprechende ideologische Rechtfertigung im Kampf gegen den „serbischen Faschismus“. Während die Vorgängerregierung Schwarz-Rot sich mit zusätzlichen Rüstungsausgaben schwer tat, (u.a. aus ökonomischem Kalkül, auch um Russland nicht zu verbrämen), hat nun Rot-Grün-Gelb die schnellste Verdoppelung eines Rüstungshaushaltes in der Geschichte der westlichen Staaten, ja sogar vielleicht in der ganzen Geschichte seit dem 1. Weltkrieg hingezaubert. Nur einer Rot-Grünen Regierung, mit Unterstützung durch die Liberalen – die eine mögliche Bremserrolle bestimmter Teile des Kapitals selbst abwehren konnten –, konnte dies gelingen. CDU/CSU, auch Teile der Linken traten der nationalen Allianz bei. Insofern ist die Ampelregierung im Augenblick ein Joker der besonderen Güte für das deutsche Kapital.
Neben den enormen staatskapitalistischen Interventionen für die Pandemiebekämpfung und Rettungspakete, den Investitionen für den strategischen Umbau der deutschen Industrie (New Green Deal, 200 Mrd. Euro geplant) kommen nochmal 100 Milliarden zusätzlich für die Verdoppelung des Rüstungshaushaltes dazu. Die Flucht in die Verschuldung könnte spektakulärer nicht sein.
Das Zusammenfließen von Inflation, möglichen Firmenzusammenbrüchen infolge der Sanktionen, Umstellungen der Energie- und Lieferketten, Störungen infolge der Spätfolgen aus der Pandemie (in China gibt es immer noch Lockdowns), Gütermangel vor allem im Lebensmittelbereich, der Notwendigkeit den Schuldenberg der Rettungspakete abzutragen, Nachholen mit IT-Ausstattung, Modernisierung der Industrie im Konkurrenzkampf mit China vor allem und bei der Einführung neuer Techniken, Kosten für die Klimakatastrophe, Kosten für die Millionen ukrainischen Flüchtlinge – die Liste ist unendlich… und stellt das Kapital vor noch nie dagewesene Herausforderungen. Die jetzt noch nicht berechenbaren Erschütterungen durch den Krieg geben diesem noch eine neue Qualität.
Dass bei all diesen Kosten die Arbeiterklasse ungeschoren davonkommen könnte, kann niemand glauben. Mit anderen Worten: schwere Angriffe kommen auf die Arbeiterklasse zu.
Dass die Arbeiterklasse dabei in einer schwierigen Ausgangslage „erwischt“ wird, muss uns zu Realismus zwingen, aber gleichzeitig zu langem Atmen. Wir werden in einem weiteren Artikel auf die Konsequenzen für die Arbeiterklasse eingehen.
22.03.2022 – Weltrevolution
Die Covid-19-Pandemie wütet mit der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante auf der ganzen Welt weiter. Niemand weiß derzeit, was morgen passieren wird, so chaotisch, widersprüchlich und letztlich unverantwortlich ist die Politik aller Staaten angesichts der Ansteckung.
Vor zwei Jahren, als die Covid-19-Lockdowns begannen, hoffte man auf die Entwicklung eines Impfstoffs. Die gesamte Bourgeoisie war der Ansicht, dass ein Wettlauf um die Herstellung eines Impfstoffs stattfinden sollte, der dieses verheerende Virus weltweit stoppen könnte. Bis Dezember 2020 wurde die wissenschaftliche Gemeinschaft mobilisiert, und mehr als 200 Impfstoffkandidaten befanden sich in der Entwicklung, was zur Zulassung einiger von ihnen führte, wie z. B. des Impfstoffs von Pfizer/BioNTech, der als erster von der WHO zugelassen wurde. Die stellvertretende Generaldirektorin der WHO für den Zugang zu Arzneimitteln begrüßte dies:
"Dies ist eine sehr gute Nachricht für den weltweiten Zugang zu Impfstoffen (...) die globalen Bemühungen müssen verstärkt werden (...), um den Bedarf der vorrangigen Bevölkerungsgruppen auf der ganzen Welt zu decken (...) es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die wesentliche Versorgung aller Länder der Welt sicherstellen, um die Pandemie einzudämmen."
Die Bourgeoisie erzählt uns seit Monaten, dass die Impfung der Pandemie ein Ende setzen und die Überfüllung der Krankenhäuser ein für alle Mal beseitigen werde.
Ein Jahr später hat die Pandemie offiziell über 5,5 Millionen Menschen weltweit getötet. Die WHO schätzt, dass die Zahl der Todesopfer der Pandemie unter Berücksichtigung der Übersterblichkeit zwei- bis dreimal so hoch sein könnte, d. h. 10 bis 15 Millionen! Diese Zahlen, die vor einem Jahr noch unvorstellbar waren, sind heute traurige Realität.
Ist eine solche Zahl das Ergebnis des Versagens bei der Entwicklung von Impfstoffen, des Versagens aller wissenschaftlichen Mobilisierung in der Welt? Nein, natürlich nicht! Denn obwohl die Impfkampagnen zu gigantischen Impfraten geführt haben, mit fast 8 Milliarden verabreichten Dosen weltweit, wurden sie hauptsächlich in der westlichen, industrialisierten Welt durchgeführt. Aber in den peripheren Ländern der kapitalistischen Welt haben bisher nur 2 % der Bevölkerung einen vollständigen Impfplan erhalten! Angesichts dieser Diskrepanz ist die Heuchelei und Nachlässigkeit der gesamten herrschenden Klasse gegenüber der Entwicklung der Pandemie offensichtlich: Die Mutationen des Virus gehen weiter, weil die nicht (oder nur unzureichend) geimpften Gebiete der Welt einen fruchtbaren Boden für ihre Ausbreitung bilden, und die Kontaminationen explodieren nun in vielen Ländern.
Während sich die neue Omikron-Variante rasend schnell ausbreitet und in absoluten Zahlen zu mehr Krankenhausaufenthalten und Todesfällen führen kann, versucht die Bourgeoisie, ihren Namen reinzuwaschen, indem sie das Offensichtliche behauptet: "Die reichen Länder häufen Impfstoffe auf Kosten der ärmeren Staaten an". Doch diese falsche Entrüstung über den Gegensatz zwischen "reichen Ländern" und "armen Ländern" ist eine Ausflucht, um die Verantwortung des Kapitalismus insgesamt und die ihm zugrunde liegende Marktlogik zu verschleiern. Impfstoffe sind nicht vom Gesetz des Angebots und der Nachfrage ausgenommen und damit auch nicht von dem erbitterten Wettbewerb zwischen verschiedenen Staaten um ihre Aneignung. Im Gegensatz zu all dem Unsinn, der in letzter Zeit von der Bourgeoisie propagiert wurde, kann der Impfstoff in der kapitalistischen Welt niemals ein "Gemeingut" sein. Er ist dazu verdammt, eine Ware wie jede andere zu bleiben, an die nur die Meistbietenden herankommen. Daher waren die Forderungen der großen Demokratien nach Zugang zu Impfstoffen in den ärmsten Gebieten der Welt nichts als schöne Versprechungen und plumpe Lockangebote.
Die weltweite Impfkampagne ist ein karikiertes Beispiel für das fast völlige Fehlen von Zusammenhalt und Zusammenarbeit zwischen kapitalistischen Staaten. Die "Bewältigung" der Pandemie hat die Herrschaft eines jeden für sich und die totale Desorganisation der kapitalistischen Gesellschaft ans Licht gebracht, die durch die zunehmende Nachlässigkeit der einzelnen bürgerlichen Staaten und ihre Unfähigkeit, die verheerenden Auswirkungen der historischen Krise des Kapitalismus einzudämmen, noch verschärft wird.[1] Daher die ohrenbetäubende Kakophonie: hier die totale Abriegelung, dort die völlige Öffnung bis hin zu einer verachtenswerten Politik der freien Ausbreitung des Virus wie in Südafrika unter dem Vorwand, die Omikron-Variante sei weniger tödlich als der ursprüngliche Stamm. In mehreren europäischen Ländern (Großbritannien, Frankreich...) lässt die Bourgeoisie, wenn auch weniger offen, die Omikron-Variante ebenfalls verbreiten. Umso schlimmer sind die Tausenden von Toten unter den Ausgebeuteten und den schwächsten Schichten der Gesellschaft!
Unter diesen Bedingungen befürchten die Bourgeoisien der zentralen Länder, dass eine neue "Welle" alle strategischen Sektoren der Volkswirtschaften desorganisiert und das soziale Klima weiter schwächt und den Produktionsapparat stört: die Verteilung von Lebensmitteln, die Sicherheit, den Verkehr, die Kommunikation und natürlich das Gesundheitswesen, das bereits am Abgrund steht.
Um die Verantwortung der kapitalistischen Produktionsweise zu verschleiern, gehen alle nationalen Bourgeoisien mit Rechtfertigungen hausieren, die auf nicht mehr und nicht weniger hinauslaufen, als die Verantwortung für diese x-te Covid-Welle einem Teil der Bevölkerung aufzubürden: den Ungeimpften, die die Intensivstationen verstopfen, den westlichen Bevölkerungen, die als erste geimpft werden wollen, um die "Qualität" ihrer Lebensweise zu erhalten...
Ein weiterer Aspekt, den die Bourgeoisie sorgfältig zu verbergen versucht, ist die unaufhaltsame Verschlechterung der Gesundheits- und Sozialschutzsysteme in der gleichen Logik der "Einsparungen" und der "Rentabilität" des Kapitalismus in vielen Ländern, auch in den "entwickeltsten". Dies wirkt sich sowohl auf die zunehmende Verknappung der materiellen Ressourcen zur Bewältigung der sich verschlechternden Situation als auch auf die Qualität der Versorgung aus und verändert sie. Sowohl die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals als auch die zunehmende Unfähigkeit, auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen, spiegeln in der Tat die Sackgasse und das Chaos wider, in das der Kapitalismus die Menschheit stürzt.
Doch in diesem Stadium ist es wahrscheinlich, dass die sehr reale wirtschaftliche Unordnung in eine soziale Unordnung umschlägt und die Wut auf all diese Staaten, Zauberlehrlinge, die sich des "allgemeinen Interesses" rühmen und wie vulgäre Krämer handeln, schürt.
Wie reagiert die Arbeiterklasse angesichts dieses düsteren Bildes? Seit einigen Monaten entstehen überall auf der Welt Kämpfe, wie in den Vereinigten Staaten in diesem Herbst[2], in Spanien kürzlich in Cádiz[3], die Hunderte, Tausende von Arbeitern aus allen Sektoren mobilisieren, die letzten Endes versuchen, sich über Wasser zu halten. Aber die Bourgeoisie ist schnell dabei, ihre gewerkschaftlichen und linken Aufpasser zu mobilisieren, um den Kampf zu spalten, ihn in eine Sackgasse zu führen, ihn zu sterilisieren und natürlich seine Existenz vor allen anderen Proletariern der Welt zu verbergen!
In anderen Ländern hat sich die Wut der Beschäftigten im Gesundheitswesen und anderen Sektoren über die kritischen Arbeitsbedingungen in Demonstrationen und Aktionstagen geäußert. Aber auch diese Reaktionen werden von den Gewerkschaften sterilisiert, was leicht zu Spaltung und Isolation führt[4]. Darüber hinaus hat sich ein großer Teil der Wut auf den verrotteten Boden der Opposition gegen den Impfpass/Impflicht (oder sogar der Anti-Vax-Bewegungen) im Namen der "Grundfreiheiten" verlagert, wie wir in den Niederlanden, Österreich oder kürzlich in Guadeloupe gesehen haben[5].
Es ist also die Perspektive des selbständigen Kampfes der Arbeiterklasse, ihr Vertrauen in ihre eigenen Kräfte, einen groß angelegten Kampf um ihre eigenen Forderungen zu führen, die von allen sozialen Feuerwehrleuten auf Befehl des bürgerlichen Staates sabotiert und mit Füßen getreten wird. Um zu versuchen, die vielfältigen Fallen der herrschenden Klasse zu durchkreuzen, muss die Arbeiterklasse die Methoden des Kampfes wiederbeleben, die ihre Stärke ausgemacht haben und die es ihr in bestimmten Momenten ihrer Geschichte ermöglicht haben, die Bourgeoisie und ihr System zu erschüttern:
Nur die Entwicklung einer geeinten und solidarischen Klasse auf internationaler Ebene kann die Arbeiterklasse in die Lage versetzen, sich für die Kämpfe von morgen zu rüsten.
Stopio, 30. Dezember 2021
[1] Siehe: Die Covid-Krise zeigt die Sackgasse des Kapitalismus [282] (auf Englisch), ICConline, Dezember 2021.
[2] Kämpfe in den Vereinigten Staaten, im Iran, in Italien, in Korea... Weder die Pandemie noch die Wirtschaftskrise haben den Kampfgeist des Proletariats gebrochen! [283] IKSonline, November 2021
[3] Metallarbeiterstreik in Cádiz: Unsere Stärke ist, als Klasse zu kämpfen [284], IKSonline, Dezember 2021
[4] Demonstrationen für die "Verteidigung der öffentlichen Krankenhäuser": Das Proletariat muss sich gegen die Beschränkung auf Branchenfixiertheit wehren [285] (auf Französisch), Révolution Internationale n° 492 (Januar-Februar 2022)
[5] Revolte auf den Antillen: Die Gewerkschaften führen die Arbeiter:innen in eine gefährliche Sackgasse! [286] (auf Französisch), November 2021, Révolution Internationale 492
Wir veröffentlichen eine Erklärung zum Krieg in der Ukraine von der KRAS, einer anarchosyndikalistischen Gruppe, die mit der Internationalen Arbeiterassoziation verbunden ist. Wir wissen, dass in Russland jeglicher Protest gegen den Krieg mit grausamer Unterdrückung durch den russischen Staat beantwortet wird, daher begrüßen wir den Mut und die Überzeugung der KRAS-Genoss:innen bei der Veröffentlichung dieser Erklärung, die eindeutig internationalistisch ist, beide Lager als imperialistisch anprangert und zum Kampf der Arbeiterklasse gegen den Krieg aufruft.
Unsere Solidarität mit den KRAS-Genoss:innen bedeutet nicht, dass wir mit allen Inhalten der Erklärung übereinstimmen, wie z.B. der Forderung nach "sofortiger Einstellung der Feindseligkeiten", die ein Zugeständnis an die Idee zu sein scheint, dass die beiden bürgerlichen Lager Frieden schließen können. Selbst wenn Russland sich von der Invasion und der Bombardierung der Ukraine zurückzieht, haben wir keinen Zweifel daran, dass die Feindseligkeiten auf einem niedrigeren Niveau weitergehen werden, wie sie es in den letzten 8 Jahren getan haben. In dieser Hinsicht ist die Erklärung der serbischen Mitgliedsorganisation der IAA, der Anarcho-Syndikalistischen Initiative, klarer, wenn es darum geht, die pazifistischen Illusionen anzuprangern, die von Teilen der Bourgeoisie verbreitet werden: "Angesichts der Schrecken des Krieges ist es sehr leicht, einen Fehler zu machen und ohnmächtig nach Frieden zu rufen. Der kapitalistische Frieden ist jedoch kein Frieden. Ein solcher "Frieden" ist in Wirklichkeit ein anders bezeichneter Krieg gegen die Arbeiterklasse. In dieser Situation bedeutet eine konsequente antimilitaristische Position, direkte Anstrengungen zu unternehmen, um den kapitalistischen Krieg zu beenden, aber gleichzeitig die Kontrolle über die Situation im Land zu übernehmen und das sozioökonomische System radikal zu verändern – das heißt, ein organisierter Klassenkampf ist notwendig"[1].
Wir sollten auch darauf hinweisen, dass diese beiden Gruppen Teil eines internationalen anarchistischen Netzwerks sind, das in seiner Reaktion gegen den Krieg keineswegs homogen ist. Wenn man zum Beispiel die Webseite der britischen Sektion, der Solidarity Federation, aufruft, findet man heute, wo wir dies schreiben, überhaupt nichts über den Krieg, sondern nur Berichte über lokale Auseinandersetzungen und Solfed-Aktivitäten. Die Erklärung der französischen Sektion der CNT zum Krieg wendet sich gegen die Unmenschlichkeit des Krieges, erwähnt aber mit keinem Wort die Notwendigkeit einer Antwort auf dem Terrain der Arbeiterklasse.[2]
Im Gegensatz dazu hat die KRAS stets eine proletarische und internationalistische Position gegen die üblen Taten "ihrer eigenen" herrschenden Klasse verteidigt, und wir haben in der Vergangenheit eine Reihe ihrer Erklärungen veröffentlicht.[3]
IKS 20. März 2022
Der Krieg hat begonnen.
Das, wovor die Menschen Angst hatten, wovor sie gewarnt haben, woran sie nicht glauben wollten, aber was unvermeidlich war - ist eingetreten. Die herrschenden Eliten Russlands und der Ukraine, angestiftet und provoziert vom Weltkapital, gierig nach Macht und aufgebläht mit den Milliarden, die dem arbeitenden Volk gestohlen wurden, haben sich zu einem tödlichen Kampf zusammengefunden. Ihr Durst nach Profit und Herrschaft wird nun von gewöhnlichen Menschen - genau wie uns - mit Blut bezahlt.
Der erste Schuss wurde von dem stärkeren, räuberischeren und arroganteren der Banditen abgefeuert - dem Kreml. Aber wie immer bei imperialistischen Konflikten steckt hinter der unmittelbaren Ursache ein ganzes Geflecht von widerlich stinkenden Gründen: Das ist der internationale Kampf um die Gasmärkte und der Wunsch der Behörden aller Länder, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von der Tyrannei der "sanitären" Diktaturen abzulenken, und der Kampf der herrschenden Klassen der Länder der ehemaligen Sowjetunion um die Aufteilung und Neuverteilung des "postsowjetischen Raums" sowie die großräumigen und globalen Widersprüche und der Kampf um die Weltherrschaft zwischen der NATO, angeführt von den USA, und China, das den alten Hegemon herausfordert und seinen "kleinen Bruder" im Kreml an seinen Wagen bindet. Heute führen diese Widersprüche zu lokalen Kriegen. Morgen drohen sie in einen dritten imperialistischen Weltkrieg umzuschlagen.
Welche "humanistische", nationalistische, militaristische, historische oder sonstige Rhetorik den aktuellen Konflikt auch immer rechtfertigen mag, dahinter stehen nur die Interessen derjenigen, die politische, wirtschaftliche und militärische Macht haben. Für uns, die Werktätigen, Rentner und Studenten, bringt er nur Leid, Blut und Tod. Die Bombardierung friedlicher Städte, die Beschießung, das Töten von Menschen sind durch nichts zu rechtfertigen.
Wir fordern die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten und den Rückzug aller Truppen auf die Grenzen und Linien, die vor Beginn des Krieges bestanden.
Wir fordern die in den Kampf entsandten Soldaten auf, nicht aufeinander zu schießen und erst recht nicht das Feuer auf die Zivilbevölkerung zu eröffnen.
Wir fordern sie auf, sich massenhaft zu weigern, die verbrecherischen Befehle ihrer Kommandeure auszuführen.
STOPPT DIESEN KRIEG!
BAJONETT AUF DEN BODEN!
Wir rufen die Menschen im Hinterland auf beiden Seiten der Front, die Werktätigen Russlands und der Ukraine, dazu auf, diesen Krieg nicht zu unterstützen, ihm nicht zu helfen - im Gegenteil, ihm mit aller Kraft zu widerstehen!
Zieht nicht in den Krieg!
Nicht einen einzigen Rubel, nicht eine einzige Griwna aus unseren Taschen für den Krieg!
Streikt gegen diesen Krieg, wenn ihr könnt!
Eines Tages - wenn ihr genug Kraft habt - werden die arbeitenden Menschen in Russland und der Ukraine die volle Verantwortung von allen anmaßenden Politikern und Oligarchen fordern, die uns gegeneinander aufhetzen.
Wir erinnern uns: KEIN KRIEG ZWISCHEN DEN ARBEITENDEN MENSCHEN IN RUSSLAND UND DER UKRAINE!
KEIN FRIEDEN ZWISCHEN DEN KLASSEN!
FRIEDE DEN HÜTTEN - KRIEG DEN PALÄSTEN!
Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation in der Region Russland
26.2.22
[1] Verwandeln wir die kapitalistischen Kriege in eine Arbeiterrevolution! [288], Internationale Arbeiterinnen-Vereinigung (iwa-ait.org)
[2] Frieden in den Hütten, Krieg in den Palästen! [289], iwa-ait.org
[3] Russland: Eine internationalistische Stimme gegen den Tschetschenienkrieg [290], World Revolution Nr. 263, April 2003; Stellungnahme der KRAS (Russland) zum Krieg in Georgien [291], IKSonline August 2008; Krieg in Libyen: Eine internationalistische Position der KRAS [292], ICConline Juli 2011 (engl.); Internationalistische Erklärung aus Russland [293], World Revolution Nr. 365, März/April 2014 (zu den Spannungen zwischen Russland und der Ukraine im Jahr 2014)
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In allen Ländern, in allen Branchen erfährt die Arbeiterklasse eine unerträgliche Verschlechterung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Alle Regierungen, ob rechts oder links, traditionell oder populistisch, greifen unerbittlich an. Die Angriffe prasseln unter der Last der sich verschärfenden Weltwirtschaftskrise nieder.
Trotz der Angst vor einer überwältigenden Gesundheitskrise beginnt die Arbeiterklasse zu reagieren. In den letzten Monaten haben sich in den USA, im Iran, in Italien, Korea, Spanien und Frankreich Kämpfe entwickelt. Zwar handelt es sich dabei nicht um Massenbewegungen: Die Streiks und Demonstrationen sind noch zu schwach, zu vereinzelt. Dennoch werden sie von der Bourgeoisie wie Milch auf dem Herd überwacht, da sie sich des Ausmaßes der aufkommenden Wut bewusst ist.
Wie können wir den Angriffen der Bourgeoisie begegnen? Isoliert und gespalten bleiben, jeder in "seinem" Unternehmen, in "seiner" Branche? Das bedeutet mit Sicherheit, machtlos zu sein! Wie kann man also einen vereinten und massiven Kampf entwickeln?
Die Preise explodieren, insbesondere die Preise für Grundnahrungsmittel: Lebensmittel, Energie, Transport... Die Inflation im Jahr 2021 übersteigt bereits die Inflation nach der Finanzkrise von 2008. In den USA liegt sie bei 6,8 % und damit auf dem höchsten Stand seit 40 Jahren. In Europa sind die Energiekosten in den letzten Monaten um 26 % gestiegen! Hinter diesen Zahlen stehen konkret immer mehr Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich zu ernähren, zu heizen, Mieten und die Transportkosten zu zahlen. Die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel sind um 28 % gestiegen, wodurch fast eine Milliarde Menschen in den ärmsten Ländern, vor allem in Afrika und Asien, direkt von Unterernährung bedroht sind.
Die Verschärfung der Weltwirtschaftskrise bedeutet eine immer härtere Konkurrenz zwischen den Staaten. Um die Profite aufrechtzuerhalten, ist die Antwort immer dieselbe, überall, in allen Branchen, in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Dienst: Personalabbau, Erhöhung des Arbeitstempos, Budgetkürzungen, auch bei Material, das mit der Sicherheit der Beschäftigten verbunden ist. Im Januar sind in Frankreich die Lehrer:innen massiv auf die Straße gegangen, um gegen ihre unwürdigen Arbeitsbedingungen zu protestieren. Auch sie durchleben täglich die kapitalistische Hölle, weil es an Mitteln und Personal mangelt. In den Demonstrationen prangte auf den Schildern eine zutiefst richtige Idee: "Was uns widerfährt, stammt aus einer Zeit lange vor Covid!"
Das Schicksal, das den Beschäftigten im Gesundheitssektor widerfährt, zeigt dies sehr deutlich. Die Pandemie hat nur verdeutlicht, dass es an Ärzt:innen, Pflegekräften, Krankenschwestern, Betten, Masken, Kitteln, Sauerstoff – an allem – mangelt! Das Chaos und die Erschöpfung, die seit Beginn der Pandemie in den Krankenhäusern herrschen, sind nichts anderes als die Folge der Kürzungen, die seit Jahrzehnten von allen Regierungen in allen Ländern vorgenommen werden. Das geht so weit, dass die WHO in ihrem jüngsten Bericht Alarm schlagen muss: "Mehr als die Hälfte des Bedarfs ist nicht gedeckt. Weltweit fehlen 900.000 Hebammen und 6 Millionen Krankenschwestern und Krankenpfleger. [...] Dieser bereits bestehende Mangel hat sich durch die Pandemie und den Druck, der auf diesen überarbeiteten Arbeitskräften lastet, noch verschärft". In vielen armen Ländern haben große Teile der Bevölkerung nicht einmal Zugang zu Impfstoffen, aus dem einzigen Grund, dass der Kapitalismus auf Profitstreben beruht.
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Die Arbeiterklasse besteht nicht nur aus Industriearbeitern: Sie setzt sich aus allen Lohnabhängigen (von Zeitarbeiterinnen bis zu Beamten), Arbeitslosen, zahlreichen Studierenden, pensionierten Arbeiter:innen usw. zusammen.
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Also ja, "was uns widerfährt, stammt aus der Zeit lange vor Covid"! Die Pandemie ist das Produkt des sterbenden Kapitalismus, dessen unüberwindbare Krise sie verschärft. Dieses System hat nicht nur seine Ohnmacht und Desorganisation angesichts einer Pandemie bewiesen, die bereits mehr als zehn Millionen Todesopfer gefordert hat, insbesondere unter den Ausgebeuteten und Ärmsten, sondern es wird auch weiterhin unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen verschlechtern, es wird weiterhin entlassen, auspressen, prekarisieren und verarmen. Unter dem Gewicht seiner Widersprüche kann es nicht anders, als weiterhin in endlose imperialistische Kriege hineingezogen zu werden, neue Umweltkatastrophen zu verursachen, die Chaos, Konflikte, Elend und neue, noch schlimmere Pandemien hervorrufen. Dieses Ausbeutungssystem hat der Menschheit keine Zukunft mehr zu bieten, außer Leid und Elend.
Nur der Kampf der Arbeiterklasse trägt eine andere Perspektive in sich, nämlich die des Kommunismus: eine Gesellschaft ohne Klassen, Nationen und Kriege, in der alle Formen der Unterdrückung abgeschafft sind. Die einzige Perspektive ist die kommunistische Weltrevolution!
Im Jahr 2020 legte sich überall und weltweit eine bleierne Decke mit wiederholten Lockdowns, Notfallaufnahmen in Krankenhäusern und Millionen von Toten über die Gesellschaft. Nach dem Wiedererstarken des Kampfgeistes, der im Laufe des Jahres 2019 in mehreren Ländern zum Ausdruck gekommen war, insbesondere während der Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich, kamen die Arbeiterkämpfe abrupt zum Erliegen. Doch heute wachsen wieder die Wut und auch der Kampfgeist:
- In den USA betraf eine Reihe von Streiks Industriekonzerne wie Kellog's, John Deere und PepsiCo, aber auch den Gesundheitssektor und Privatkliniken, wie in New York.
- Im Iran streikten in diesem Sommer Arbeiter an über 70 Standorten im Ölsektor gegen niedrige Löhne und hohe Lebenshaltungskosten. So etwas hatte es in den letzten 42 Jahren noch nie gegeben!
- In Korea mussten die Gewerkschaften einen Generalstreik für die Sozialversicherung, gegen Prekarität und Ungleichheit organisieren.
- In Italien gab es zahlreiche Aktionstage gegen Entlassungen und die Abschaffung des Mindestlohns.
- In Deutschland sah sich die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes angesichts der zunehmenden Unzufriedenheit gezwungen, mit Streiks zu drohen, um eine Lohnerhöhung durchzusetzen.
- In Spanien mobilisierten die Metallarbeiter in Cádiz gegen eine Lohnkürzung von durchschnittlich 200 Euro pro Monat. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Katalonien demonstrierten gegen den unhaltbaren Einsatz von Leiharbeit (über 300.000 Staatsbedienstete haben prekäre Arbeitsverhältnisse). Es gab Kämpfe bei der Eisenbahn auf Mallorca, bei Vestas, bei Unicaja, bei den Metallarbeitern in Alicante und in verschiedenen Krankenhäusern, jedes Mal gegen Entlassungen.
- In Frankreich äußerte sich eine ähnliche Unzufriedenheit durch Streiks oder Demonstrationen im Transportsektor, bei den Müllmännern, den Eisenbahner:innen und den Lehrer:innen.
All diese Kämpfe sind wichtig, weil sie offenbaren, dass die Arbeiterklasse nicht bereit ist, alle Opfer zu akzeptieren, die die Bourgeoisie ihr aufzuzwingen versucht. Aber wir müssen auch die Schwächen unserer Klasse erkennen. All diese Aktionen werden von den Gewerkschaften kontrolliert, die überall die Proletarier:innen um branchenfixierte Forderungen herum spalten und isolieren, die Kämpfe bändigen und sabotieren. In Cádiz versuchten die Gewerkschaften, die kämpfenden Arbeiter:innen in die lokalistische Falle einer "Bürgerbewegung" zur "Rettung von Cádiz" zu sperren, als ob die Interessen der Arbeiterklasse in der Verteidigung regionaler oder nationaler Interessen lägen statt in der Verbindung mit ihren Klassenschwestern und -brüdern über Branchen und Grenzen hinweg! Die Arbeiter:innen haben immer noch Schwierigkeiten, sich selbst zu organisieren, die Organisation der Kämpfe in die eigene Hand zu nehmen, sich in souveränen Vollversammlungen zusammenzuschließen und gegen die Spaltungen zu kämpfen, die uns die Gewerkschaften aufzwingen.
Eine zusätzliche Gefahr lauert auch für die Arbeiterklasse: Wenn sie darauf verzichtet, ihre Klassenforderungen zu verteidigen, indem sie sich Bewegungen anschließt, die nichts mit ihren Interessen und Kampfmethoden zu tun haben. Solche Bewegungen waren bei den "Gelbwesten" in Frankreich zu beobachten oder zuletzt in China beim Zusammenbruch des Immobilienriesen Evergrande (ein spektakuläres Symbol für die Realität eines überschuldeten Chinas), der vor allem den Protest der enteigneten kleinen Hausbesitzer:innen auslöste. In Kasachstan sind die Massenstreiks im Energiesektor schließlich in eine perspektivlose "Volks"-Revolte abgeglitten, die in Konflikten zwischen nach Macht strebenden bürgerlichen Cliquen gefangen sind. Jedes Mal, wenn sich die Arbeiter:innen als "Bürger" im "Volk" auflösen und vom bürgerlichen Staat verlangen, er möge doch bitte "die Dinge ändern", verurteilen sie sich selbst zur Ohnmacht.
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2006 musste die Bourgeoisie in Frankreich angesichts eines massiven Kampfes, der sich auf andere Bereiche auszuweiten drohte, zurückweichen und ihren Angriff zurückziehen.
Damals wehrten sich prekär beschäftigte Student:innen gegen eine Reform, mit der ein "Contrat Première Embauche" eingeführt wurde, der unterbezahlte und stressreiche Arbeit bedeutete. Sie hatten sich der Isolation und Spaltung widersetzt, indem sie sich gegen spezielle Parolen wandten.
Gegen den Widerstand der Gewerkschaften hatten sie ihre Generalversammlungen für alle Kategorien von Arbeiter:innen und Rentner:innen geöffnet. Sie hatten verstanden, dass sie den Kampf gegen die Prekarität der Jugend als Symbol für die Prekarität aller in den Vordergrund stellen mussten.
Getragen von der Solidarität zwischen den Branchen und zwischen den Generationen hatte diese Bewegung, Demonstration für Demonstration, an Größe gewonnen. Es war diese Dynamik der Einheit und Massenhaftigkeit, die die Bourgeoisie erschreckte und sie zwang, ihren CPE zurückzuziehen.
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Um uns auf den Kampf vorzubereiten, müssen wir uns, wo immer wir können, versammeln, um zu diskutieren und aus den vergangenen Kämpfen zu lernen. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Kampfmethoden hervorzuheben, die die Stärke der Arbeiterklasse ausgemacht und es ihr in bestimmten Momenten ihrer Geschichte ermöglicht haben, die Bourgeoisie und ihr System ins Wanken zu bringen:
- die Suche nach Unterstützung und Solidarität über "ihren" Betrieb, "ihre" Branche, "ihre" Stadt, "ihre" Region, "ihr" Land hinaus;
- die möglichst breite Diskussion über die Erfordernisse des Kampfes, unabhängig vom Betrieb, der Branche oder dem Land;
- die autonome Organisation des Kampfes, insbesondere durch Generalversammlungen, ohne die Kontrolle darüber den Gewerkschaften oder anderen Organen der Bourgeoisie zu überlassen.
Die Autonomie des Kampfes, die Einheit und die Solidarität sind die unerlässlichen Meilensteine für die Vorbereitung der Kämpfe von morgen!
Internationale Kommunistische Strömung, Januar 2022
Die Covid-19-Pandemie hat die Veröffentlichung zahlreicher Bücher ausgelöst, die die Ursachen von Covid aufdecken und Alternativen aufzeigen sollen. Eines dieser Bücher, La Fabrique des pandémies (Die Pandemienfabrik) von Marie-Monique Robin, erfreut sich eines beachtlichen Echos. Das Buch ist eine Zusammenfassung von Interviews, die die Autorin mit rund 60 Wissenschaftler:innen aus aller Welt geführt hat: Infektiologinnen, Epidemiologen, Ärztinnen, Parasitologinnen und Tierärzten, die der Meinung sind, dass die heutige Welt mit einer "‘Epidemie von Pandemien‘ konfrontiert ist, die durch menschliche Aktivitäten verursacht wird, die den Zusammenbruch der biologischen Vielfalt beschleunigen".
Das als "begrüßenswert" angepriesene Buch fordert dazu auf, die Ursachen der "neuen Plagen" zu bekämpfen und ist als Aufruf zu verstehen, sich der Notwendigkeit eines "tiefgreifenden Wandels in unserer globalisierten Wirtschaft, die die Ressourcen des Planeten raubt und die Ursache der Klima-, Umwelt-, Gesundheits-, Wirtschafts-, Energie- und Finanzkrise ist", bewusst zu werden und "eine Sozialökologie der Gesundheit und des guten Zusammenlebens zu begründen".[1] Nichts weniger als das!
Die Suche nach der wissenschaftlichen Wahrheit ist ein Wert, den das Proletariat teilt. Als Klasse der Revolution, die innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft keinen materiellen Rückhalt hat und nur ihre Organisationsfähigkeit und ihr Bewusstsein als Kampfwaffen besitzt, ist es für sie zwingend notwendig, eine entmystifizierte Sicht der Realität zu entwickeln. Dies ist die Voraussetzung für ihre politische Aktion. Im Hinblick auf die Wissenschaften haben die Revolutionäre nur die Aufgabe, "ihre Ergebnisse theoretisch zu assimilieren und gleichzeitig zu begreifen, dass ihre praktische Anwendung im Dienste der menschlichen Bedürfnisse erst in einer Gesellschaft möglich ist, die sich zum Sozialismus entwickelt. Die Entwicklung des Wissens in der Arbeiterbewegung beinhaltet die theoretische Entwicklung der Wissenschaften als eigenen Beitrag. Jedoch muss diese Entwicklung in einem umfassenderen Verständnis eingebettet werden, das sich um die praktische Durchführung der sozialen Revolution – der Basis jeglichen wirklichen Fortschritts in der Gesellschaft – dreht."[2]
Was die Suche nach den wissenschaftlich begründeten Ursachen und dem Ursprung der Pandemie betrifft, kann man zumindest sagen, dass sie sich nur sehr schwer einen Weg bahnen kann. Sie stößt auf zahlreiche Hindernisse in der vergifteten Atmosphäre, die durch den Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft erzeugt wird und die durch die Entwicklung von Irrationalität und Feindseligkeit gegenüber wissenschaftlichem Denken, angefangen bei verschwörungstheoretischen Vorstellungen, gekennzeichnet ist. Gemäß zahlreichen „Verschwörungstheorien", die häufig von Populisten aller Art übernommen werden, ist die Pandemie eine künstliche Schöpfung, die von den "Eliten" im Dienste verborgener Interessen gewollt wurde, um die Gewinne der großen Pharmakonzerne zu maximieren oder eine zusätzliche staatliche Kontrolle über das Privatleben durchzusetzen. Selbst Vertreter des kapitalistischen Systems, die als die "verantwortungsbewusstesten" gelten und in den Medien präsent sind, schießen öffentlich aus allen Rohren gegen wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Rolle der Umweltzerstörung bei der Entstehung von Covid unterstreichen: "Einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung, Artenvielfalt und Covid-19 zu sehen, ist Surrealismus, keine Wissenschaft", erklärte der ehemalige französische Bildungsminister Luc Ferry gegenüber L'Express. Die Suche nach der wissenschaftlichen Wahrheit setzt Forscher manchmal Repressalien seitens der Behörden aus, und zwar nicht nur in China, wo dieser Druck grob offensichtlich ist, sondern auch in demokratischen Staaten in weitaus subtileren Formen, über die Finanzierung oder die Versetzung in den Ruhestand.
Selbst auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Erkenntnis gibt es starke Filter und erhebliche ideologische Einschränkungen bei der Analyse der Realität. Der "in der wissenschaftlichen Welt tief verwurzelte Glaube, der Ökomodernismus, [für den] der Mensch über allen anderen Arten steht, die die Erde bevölkern, statt Teil der Natur zu sein, [... für den sich] der Nutzen der Natur daran misst, was sie uns bringt oder zufügt: sie tut uns gut oder schadet uns" und der "die Natur auf einen Dienstleister für die Menschheit reduziert" spiegelt eine völlig bürgerliche ideologische Auffassung von der Natur wider, die nur verhindern kann, dass man begreift, was das Erscheinen der Covid-19-Pandemie für die Menschheit bedeutet.
Zu all dem kommt im Hintergrund das imperialistische Kräftemessen und der erbarmungslose Krieg, den sich China und die USA seit Monaten liefern und in dem sie sich gegenseitig beschuldigen, die Pandemie verursacht zu haben, indem sie das Virus aus einem Labor, sei es in Wuhan oder auf US-amerikanischem Boden, entweichen ließen. Intox, Desinformation und Lügen im Dienste der Staatsräson, die von beiden Seiten eingesetzt werden, um den Gegner zu diskreditieren, können die Verschwörungsfantasien nur noch weiter anheizen und die Wissenschaft noch weiter in Verruf bringen.
Die Manipulation von Viren zum Zweck der bakteriologischen Kriegsführung gehört natürlich zur Realität der heutigen barbarischen Welt, und auch die Hypothese eines Laborlecks kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden.[3] Wenn dies in China oder anderswo der Fall wäre, wäre es angesichts der dramatischen Folgen ein erdrückender Beweis für die Verantwortungslosigkeit der Bourgeoisie und ihren Kontrollverlust über ihr eigenes System! "Aber selbst wenn das Virus versehentlich aus einem Labor entwichen wäre, würde das unser Verständnis der wiederholten Zoonose-Emergenzen und -Epidemien der letzten Jahrzehnte ändern? Ganz gewiss nicht".
Seit den 1950er Jahren ist die Welt mit einer regelrechten "Epidemie von Seuchen" konfrontiert, sowohl alten als auch neuen: Von etwa 20 in den 1940er Jahren stieg die Zahl auf über 100 in den 1990er Jahren. Seit den 2000er Jahren wird die Menschheit jedes Jahr mit mindestens einer neuen Infektionskrankheit konfrontiert. (SARS, Ebola, Lhasa-Fieber oder Covid-19). 70% der neu auftretenden Krankheiten sind Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden.
Diese "Epidemie der Epidemien" wird durch die Abholzung der Wälder, die Ausbreitung der industriellen Landwirtschaft mit Monokulturen und Massentierhaltung (sowie die Klimaerwärmung) verursacht, die durch die Schwächung der Ökosysteme und den beschleunigten Zusammenbruch der biologischen Vielfalt die Bedingungen für die Ausbreitung neuer Krankheitserreger schaffen und diese begünstigen. Die Mechanismen dieser seit dem Zweiten Weltkrieg wiederholt auftretenden Seuchen sind gut identifiziert und drehen sich um "mehrere Faktoren, die zur Entstehung neuer Seuchen beitragen [...]: Der erste, der, durch den das ganze Problem entsteht, ist die Abholzung der Wälder zum Zweck von Monokulturen, Bergbau etc. [...]; zweitens sind es Haustiere, die als epidemiologische Brücke zwischen Wildtieren und Menschen dienen, aber auch als Verstärker, wenn sie industriell gezüchtet werden; [...] drittens ist es die Integration eines Landes in den globalen Markt". So weiß man heute beispielsweise, dass "die eigentliche Entstehung [von AIDS] mit der kolonialen Expansion zusammenhängt, die im 19. Jahrhundert begann. Die Nachfrage nach Elfenbein, Holz und später Kautschuk mit umfangreicher Rodung der Wälder, gekoppelt mit der Zwangsarbeit von Dorfbewohnern für die Plantagen und den Bau von Eisenbahnen, hat die Ökosysteme und traditionellen Gesellschaften verändert". So soll der Vorfahre des AIDS-Virus etwa 1910 entstanden sein; er zirkulierte seit den 1960er Jahren in Zentralafrika und soll schon damals in die USA gelangt sein, bevor er in den 1980er Jahren identifiziert wurde.
Schließlich identifizierten Wissenschaftler den natürlichen Mechanismus des "Verdünnungseffekts", durch den eine „reiche lokale Biodiversität regulierend auf die Prävalenz und Virulenz von Krankheitserregern wirkt, deren Aktivität in ausgeglichenen Ökosystemen auf niedrigem Niveau gehalten wird". Die Zerstörung der biologischen Vielfalt stellt eine tödliche Gefahr für die Menschheit dar; ihre Erhaltung ist eine Herausforderung für ihr Überleben. "Die Mehrheit der Wissenschaftler, die in diesem Buch zu Wort kommen, ist davon überzeugt, dass der Zusammenbruch [des Lebens auf der Erde] nicht nur möglich ist, sondern bereits stattfindet."
Natürlich prangern diese Wissenschaftler die Fahrlässigkeit der staatlichen Behörden an. Während man "seit langem die mit der Massentierhaltung verbundenen Gesundheitsrisiken als Hauptquelle für die Selektion und Vermehrung von Krankheitserregern mit Pandemiepotenzial kennt [...], muss man feststellen, dass die Strategien der öffentlichen Akteure zur Vorbereitung auf das pandemische Gesundheitsrisiko gescheitert sind, wie übrigens auch die Strategien zur Vorhersage von Neuerkrankungen." Sie weisen auch auf die Unfähigkeit der Staaten hin, Lösungen für die Gesundheitsproblematik zu finden, der Staaten, die "angesichts wiederholter Gesundheitskrisen" vor allem "die Maßnahmen zum Biomonitoring und zur Biosicherheit" verschärft haben. Aber "jedes Mal führt der Imperativ, auf die Gesundheitskrise zu reagieren, letztlich dazu, dass die Ursachen des Auftretens ignoriert werden. Man beantwortet nicht die Frage, warum und wie ein Virus, das irgendwo in Asien zirkuliert, innerhalb weniger Monate in allen menschlichen Populationen der Welt zu finden ist". Eine Verantwortungslosigkeit, eine Ohnmacht der herrschenden Klasse, die von einer Institution bestätigt wird, die nicht im Verdacht steht, "systemfeindliche" Vorurteile zu haben, nämlich der CIA, die 2017 im Bericht zur Lage der Welt, der bei Amtsantritt jeder neuen Regierungsbehörde übergeben wird, schreibt: "Der Planet und seine Ökosysteme könnten in den kommenden Jahren durch verschiedene menschliche und natürliche Veränderungen stark beeinträchtigt werden. Diese Störungen werden die Menschen neuen Anfälligkeiten und Bedürfnissen in Bezug auf Wasser, Nahrung, Gesundheitsdienste, Energie und Infrastruktur aussetzen. [...] Diese Risiken werden zeitlich und geografisch ungleich verteilt sein, aber die meisten Ökosysteme und Menschen betreffen, in einigen Fällen auf schwerwiegende oder sogar katastrophale Weise. [...] Die Veränderung der Umweltbedingungen und die Zunahme der weltweiten Verbindungen und des Austauschs werden die Häufigkeit von Niederschlägen, die Artenvielfalt und die Vermehrung von Mikroben beeinflussen. All dies wird sich natürlich auf Ernten und landwirtschaftliche Systeme auswirken und das Auftreten, die Übertragung und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten bei Mensch und Tier verzehnfachen. [...] Lücken und Nachlässigkeiten in den nationalen und internationalen Gesundheitssystemen werden die Erkennung und Bewältigung von Epidemien erschweren, was dazu führen kann, dass sie sich über sehr große Gebiete ausbreiten. Die Verbreitung von Kontakten zwischen Bevölkerungsgruppen wird die Ausbreitung bereits weit verbreiteter chronischer Infektionskrankheiten (wie Tuberkulose, AIDS und Hepatitis) verstärken, was in den am stärksten betroffenen Ländern zu ernsten wirtschaftlichen und menschlichen Problemen führen wird, obwohl für ihre Prävention umfangreiche internationale Mittel bereitgestellt werden."[4] Die Wissenschaftler, die in Marie-Monique Robins Buch interviewt werden, sind ebenfalls zu Recht empört und entsetzt über die Tatsache, dass "es die Ärmsten sind, die am härtesten von der Gesundheitsbelastung getroffen werden", aufgrund der "Kluft zwischen denen, die von diesen wirtschaftlichen Aktivitäten, welche diese Notlagen verursachen, profitieren, und denen, die den Preis einer beeinträchtigten Gesundheit zahlen".
Wenn es jedoch darum geht, genau zu wissen, was sich hinter den "menschlichen Aktivitäten, die den Hauptfaktor des Gesundheitsrisikos darstellen" verbirgt, machen sich Unklarheit und Verwirrung breit.
Von wem oder was ist die Rede? Vom Neoliberalismus? Von der Finanzwirtschaft? Von den "multinationalen Pharma- und Agrarkonzernen oder ihren von der Gier nach kurzfristigem Profit lobotomierten Managern"? Diese werden in den einzelnen Kapiteln abwechselnd an den Pranger gestellt. In der Tat führt die vage und inkonsistente Anklage der "menschlichen Aktivitäten" und der "anthropogenen Auswirkungen auf die Umwelt" nur zur Verwirrung.
In der in Klassen gespaltenen Gesellschaft des Kapitalismus ist die Berufung auf "den Menschen" im Allgemeinen zur Erklärung eines sozialen Phänomens eine völlig mystifizierende Formel. Indem sie die Realität der sozialen Beziehungen im kapitalistischen System abschirmt, verschleiert, verhindert sie, dass man die Begriffe begreift, unter denen sich das Gesundheits- und Umweltproblem tatsächlich und konkret stellt. Indem man als "Exzesse" oder "Entgleisung" darstellt, was in Wirklichkeit seiner gewöhnlichen Praxis entspricht, entlastet man das kapitalistische System selbst als Ganzes von jeglicher Verantwortung.
Wenn man zu konkreten Vorschlägen für politische Aktionen übergeht, um sich für den "einzig richtigen Ausweg zu engagieren: die Infragestellung des herrschenden Wirtschaftsmodells, das auf dem räuberischen Zugriff der Menschen auf die Ökosysteme beruht", dann verblasst jegliche Wissenschaft völlig. Wir fallen kläglich in die Netze der herrschenden Ideologie und des bürgerlichen Staates zurück. Es werden uns verschiedene Rezepte angepriesen, die sich alle um die alte, abgedroschene Mystifikation "Alle sitzen im selben Boot" und die Notwendigkeit drehen, dass "der einzelne Bürger" sich mobilisieren müsse, um Druck auf die Institutionen und "Politiker" auszuüben, damit diese "ihre Verantwortung übernehmen". So mündet die Schlussfolgerung des Buches neben anderem Unsinn, von dem es in diesem Teil nur so wimmelt, in der Werbung für eine in Libération veröffentlichte Tribüne mit dem Titel "Die Zeit der ökologischen Solidarität ist gekommen", in der "jeder [dazu] aufgerufen [wird], seinen Teil beizutragen, im Rahmen seiner Möglichkeiten zur kontinuierlichen Erforschung zweier wesentlicher Fragen beizutragen: Welche Entwicklung wollen wir? Welche Natur wollen wir? Dazu müssen alle Entscheidungsebenen (Bürger, Kollektive, Verbände, Gewerkschaften, spirituelle Gruppen, Gemeinden, Unternehmen, Departements, Regionen, staatliche Stellen, Organisationen der Vereinten Nationen ...) dazu angehalten werden, individuell und kollektiv über diese Solidarität (in der Ferne und in der Nähe) in ihren ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Dimensionen nachzudenken und sie dann umzusetzen". Im Klartext heißt das: Wir sollen der Bourgeoisie und den staatlichen Institutionen vertrauen, unser Schicksal in ihre Hände legen und gemeinsame Sache mit der Klasse machen, die den Kapitalismus verkörpert, also genau der Klasse, die die Katastrophe herbeigeführt hat: Um alles zu ändern, müsse man an den Grundlagen der kapitalistischen Welt nichts ändern!
Es sei denn, er hat den Zauberstab entdeckt, der es ihm ermöglicht, seiner Natur und den daraus resultierenden Widersprüchen zu entkommen.[5] – Die Arbeiterbewegung und der Marxismus haben jedoch schon vor langer Zeit gezeigt, dass das kapitalistische System als Ganzes nicht die Fähigkeit besitzt, seinen Raubbau an den Ökosystemen zu bremsen. Indem man die Illusion eines Kapitalismus vermittelt, der in der Lage sei, seine "Exzesse" zu begrenzen und "vernünftige Entscheidungen zum Wohle aller" zu treffen, schließt man uns in die Grenzen des Horizonts der kapitalistischen Gesellschaft ein, in eine Logik der Verwaltung und Reform des Kapitalismus auf dem Gebiet der Bürgeraktion, wo das Proletariat völlig machtlos ist. An diese Möglichkeit zu glauben, ist eine Sackgasse; daran glauben machen zu wollen, bedeutet eindeutig, sich zum Komplizen der herrschenden Klasse zu machen. Im Kontext der Pandemie, in der der bürgerliche Staat und die herrschende Klasse einen Teil des Vertrauens der Ausgebeuteten verloren haben, leistet Die Pandemiefabrik ihren Beitrag zu den Kampagnen der Bourgeoisie und ist nichts anderes als eines der ideologischen Gegenfeuer, die gezündet werden, damit sich all jene in Sackgassen verirren, die sich berechtigt die Frage stellen, was zu tun ist, um den barbarischen Zyklus der Umweltzerstörung aufzuhalten.
Im Laufe der Seiten skizzieren die Wissenschaftler mit ihrem Schwerpunkten, wie nach ihnen die Lösung für die globale Umweltkrise aussehen sollte. Sie betonen die Notwendigkeit einer universellen "gesellschaftlichen Revolution", die alle Bereiche betreffe und in der Lage sei, "alles auf systemische Weise neu zu überdenken", insbesondere die Beziehung der Menschheit zur Natur, vor allem in Bezug auf Wirtschaft und Produktion, die Notwendigkeit, eine neue Ethik zu entwickeln und die "Frage der Armut" zu lösen, da es sonst unmöglich sein werde, "die Ökosysteme nachhaltig zu erhalten".
Kann man sich auch nur einen Moment lang ernsthaft vorstellen, dass diese angeblichen Lösungen auch nur ansatzweise dem entsprechen, was die zerfallende bürgerliche Welt zu bieten hat? Natürlich ist das nicht der Fall! Die großen Linien dieser Darstellung weisen im Gegenteil auf den Gesellschaftsentwurf des Totengräbers der kapitalistischen Welt hin, die einzige Alternative, die die Türen zur Zukunft öffnen kann: "Dieser Kommunismus [...] ist die wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen"[6], dessen Träger die revolutionäre Klasse unserer Zeit ist, das Proletariat.
Während die Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert mit den Auswirkungen der Industrialisierung auf die Lebensbedingungen des Proletariats und seine Gesundheit, mit unhygienischen Zuständen, Epidemien und der Verschmutzung von Luft und Wasser in der urbanen Hölle der Großstädte sowie mit der alarmierenden Erschöpfung der natürlichen Ressourcen konfrontiert war, (insbesondere der Böden, die in England, dem damals am weitesten entwickelten Land auf dem Weg zum Kapitalismus, der kapitalistischen Landwirtschaft im großen Stil ausgesetzt waren), beschäftigte sie sich seit ihren ersten Schritten auch mit Umweltfragen.
So prangerte der Marxismus energisch die Abartigkeit der privaten Aneignung von Land und die Unvereinbarkeit des Kapitalismus mit der Natur und ihrer Erhaltung an. Das kapitalistische System, das sich als Ergebnis eines historischen Prozesses erweist, der alles in Waren verwandelt, ein universelles System der Warenproduktion, in dem alles käuflich ist, hat die Plünderung der Natur nicht eingeleitet. Aber diese Plünderung findet mit dem Kapitalismus im globalen Maßstab statt – ein beispielloser Vorgang im Vergleich zu früheren, eher auf lokale Dimensionen beschränkten Produktionsweisen – und nimmt einen in der Geschichte der Menschheit qualitativ neuen Charakter des Raubbaus an. „Die Natur wird erst rein Gegenstand für den Menschen, rein Sache der Nützlichkeit; hört auf, als Macht für sich anerkannt zu werden; und die theoretische Erkenntnis ihrer selbständigen Gesetze erscheint selbst nur als List, um sie den menschlichen Bedürfnissen, sei es als Gegenstand des Konsums, sei es als Mittel der Produktion, zu unterwerfen.“[7] Die Unvereinbarkeit des Kapitalismus mit der Natur (die sich in den ökologischen Verwüstungen äußert, die seiner Gier entsprechen) hat ihre Wurzel eben in seiner ausbeuterischen Natur, in der Tatsache, dass er, getrieben von der rasenden Suche nach dem maximalen Profit, nicht nur aus der Ausbeutung der Arbeitskraft des Proletariats seinen Reichtum und seinen Profit zieht, sondern auch aus der Ausbeutung und Plünderung der Ressourcen der Natur: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebenso sehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft. [...] Nur soweit der Mensch sich von vornherein als Eigentümer zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und -gegenstände, verhält, sie als ihm gehörig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum.“[8] Marx prangerte bereits die gleichermaßen zerstörerischen Auswirkungen der kapitalistischen Ausbeutung und Akkumulation auf den Planeten wie auf die Arbeitskraft des Proletariats an: „Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größere Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“[9]
Vor allem hat der Marxismus aufgedeckt, dass der Entwicklungsprozess des Kapitals, der dem Zwang zu immer größerer Akkumulation unterworfen ist, die natürliche Grundlage der Produktion selbst beeinträchtigt, die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur gefährlich aus dem Gleichgewicht bringt und einen unheilbaren Bruch in ihrem Stoffwechsel verursacht. "Mit dem stets wachsenden Übergewicht der städtischen Bevölkerung, die sie in großen Zentren zusammenhäuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andrerseits den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d.h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit.“[10] „Auf der anderen Seite reduziert das große Grundeigentum die agrikole Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in großen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riss hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebnen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eignen Landes hinausgetragen wird. […] Große Industrie und industriell betriebene große Agrikultur wirken zusammen.“[11] Deshalb hat der Kapitalismus trotz aller wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte, selbst wenn sie dazu gedacht waren, die ökologische Krise zu bewältigen, diese Krise nur angeheizt, sie ausgeweitet und immer weiter verschärft. Indem er die Natur verwüstete und "die ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens" bedrohte. Marx konnte bereits erkennen, dass der Kapitalismus die Zukunft späterer Generationen und potenziell die Zukunft der Menschheit gefährdet.[12]
Auch wenn Marx und die Arbeiterbewegung seiner Zeit sich nicht vorstellen konnten, welche Auswirkungen die Agonie des Kapitalismus auf die Menschheit haben würde, wurden ihre Vorhersagen nach mehr als einem Jahrhundert des kapitalistischen Niedergangs reichlich bestätigt. In diesem Zeitraum wurde die Kapitalakkumulation immer zerstörerischer, wobei „die rücksichtslose Zerstörung der Umwelt durch das Kapital eine andere Stufe und Qualität erreichte [...]. Dies ist die Epoche, die alle kapitalistischen Nationen dazu zwingt, miteinander auf einem gesättigten Weltmarkt zu konkurrieren; eine Epoche der ständigen Kriegswirtschaft also, mit einem unverhältnismäßigen Wachstum der Schwerindustrie; eine Epoche, die charakterisiert ist durch eine irrationale, verschwenderische Vervielfältigung von Industriekomplexen in jeder nationalen Einheit [...]. Der Aufstieg der "Megastädte" ist sehr stark ein Phänomen der dem Zweiten Weltkrieg folgenden Zeit, so wie auch die Entwicklung von Landwirtschaftsformen, die ökologisch nicht weniger schädlich sind als die meisten Formen der Industrie.“[13]
„Die große Beschleunigung“ (wie manche das Ausmaß der ökologischen Verwüstungen der letzten Jahrzehnte bezeichnen) bildet in Wirklichkeit eine der Erscheinungsformen der historischen Krise der kapitalistischen Produktionsweise in ihrer Niedergangsperiode, die in ihrer letzten Phase, der Phase ihres Zerfalls, auf den Höhepunkt getrieben wurde. Die ökologischen Folgen des zerfallenden Kapitalismus (von denen die Covid-19-Pandemie ein reines Produkt ist) vermischen und kombinieren sich mit allen anderen Phänomenen des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft und stürzen dabei die Menschheit in immer größeres Chaos und Barbarei. Die Erschöpfung der Ressourcen und die Folgen der globalen Erwärmung stören und desorganisieren ernsthaft die landwirtschaftliche und industrielle Produktion, erzeugen Fluchtbewegungen aus unproduktiv oder unbewohnbar gewordenen Gebieten und verschärfen die militärischen Rivalitäten in einer Welt, in der jeder Staat versucht, sich selbst vor der Katastrophe zu retten. Mehr denn je stellen die obsolet gewordenen kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse eine tödliche Gefahr für das Überleben der Menschheit dar.
Die Lösung der ökologischen Krise erfordert daher die Abschaffung des Kapitalismus selbst, der kapitalistischen gesellschaftlichen Ausbeutungsverhältnisse. Sie geht Hand in Hand mit der Lösung der sozialen Frage und ist von dieser abhängig, um eine Gesellschaft frei assoziierter Produzent:innen (den Kommunismus) zu errichten. „Aber sie zwingt zugleich durch die Zerstörung der bloß naturwüchsig entstandenen Umstände jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form herzustellen“,[14] um die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt ihrer Produktionsweise zu stellen. Diese kommunistische Gesellschaft kann nur durch das Proletariat verwirklicht werden, die einzige gesellschaftliche Kraft, die ein Bewusstsein und eine Praxis entwickelt hat, die geeignet sind, "die bestehende Welt zu revolutionieren", "die vorgefundnen Dinge praktisch anzugreifen und zu verändern".[15] Nur es kann durch seinen Kampf für den Kommunismus der Menschheit eine Zukunft sichern!
Scott, 25. Oktober 2021
[1] Sofern nicht anders angegeben, sind alle Zitate dem Buch von Marie-Monique Robin entnommen und von uns in Deutsche übersetzt worden.
[2] Kritik von Internationalisme (1948) an Pannekoeks/Harpers Lenin als Philosoph, in Internationale Revue Nr. 54 (2. Teil, S. 23)
[3] "Selbst drastische Sicherheitsbedingungen schützen nicht vor Unfällen. So ereigneten sich in den USA zwischen 2004 und 2010 mehr als 700 Zwischenfälle mit Diebstahl, Verlust oder Freisetzung von Infektionserregern und Toxinen, die sowohl den Milzbrandbazillus als auch den Vogelgrippebazillus betrafen. Etwa zehn von ihnen haben Infektionen ausgelöst" (S. Morand, La prochaine peste, 2016).
[4] Die Welt im Jahr 2035 aus der Sicht der CIA (2017)
[5] Mit eisigem Zynismus lüftet der CIA-Bericht einen Teil des Schleiers über den Grund für die angeborene Unfähigkeit des Kapitalismus, die Menschheit vor den Plagen zu schützen, die sie bedrängen: "Die Mobilisierung von Politik und Ressourcen für präventive Maßnahmen wird sich als schwierig erweisen, wenn keine dramatische Krise eintritt, die ein Umdenken der Prioritäten erzwingt. Selbst nach einer Krise wird der Wille, eine Wiederholung zu vermeiden, oft von der Höhe der Investitionen in die Klimaforschung, in den Katastrophenschutz und die Katastrophenvorhersage übertroffen" (Die Welt im Jahr 2035 aus Sicht der CIA). Deutlicher kann man es nicht sagen! Die gleiche Agentur bestätigt übrigens, dass die Covid-19-Pandemie die Reaktionsfähigkeit des Kapitalismus auf die Gesundheits- und Umweltkrise weiter unterminiert und dass man sich keine Illusionen über irgendeine zukünftige Verbesserung machen sollte: "Die Covid-19-Pandemie hat die Schwächen und politischen Spaltungen der internationalen Institutionen [...] hervorgehoben und die Fähigkeit und Bereitschaft der Länder zur multilateralen Zusammenarbeit bei der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen jenseits von Infektionskrankheiten, einschließlich des Klimawandels, in Frage gestellt" (Die Welt im Jahr 2035 aus Sicht der CIA). Seine "Auswirkungen werden unverhältnismäßig stark in den Entwicklungsländern und den ärmsten Regionen zu spüren sein und zusammen mit der Umweltzerstörung neue Anfälligkeiten schaffen und bestehende Risiken für wirtschaftlichen Wohlstand, Ernährung, Wasser, Gesundheit und Energiesicherheit verschärfen. Regierungen, Gesellschaften und der Privatsektor werden wahrscheinlich Anpassungs- und Widerstandsfähigkeitsmaßnahmen entwickeln, um den bestehenden Bedrohungen zu begegnen, aber es ist unwahrscheinlich, dass diese Maßnahmen gleichmäßig verteilt werden, so dass einige Bevölkerungsgruppen zurückbleiben dürften"(idem). Das ist eine Beschönigung!
[6] Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte [Privateigentum und Kommunismus] <533>* ad pag. XXXIX. https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1844/oek-phil/3-2_prkm.htm [295]
[7] Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie 1857-1858, Europäische Verlagsanstalt Frankfurt, Berlin 1953, Das Kapitel vom Kapital, Heft IV, S. 323
[8] Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, Erster Teil des Paragraphen: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur“, (https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1875/kritik/randglos.htm [296])
[9] Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, Der Produktionsprozess des Kapitals, IV. Die Produktion des relativen Mehrwerts, 13. Kapitel, Maschinerie und große Industrie, 10. Große Industrie und Agrikultur, MEW Bd. 23, S. 529 (http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_483.htm#Kap_13_10 [297]). Schon allein hinsichtlich dieses einen landwirtschaftlichen Aspekts wurden Marx' Prognosen reichlich bestätigt: "Mehr als ein Drittel der Böden (Quellen für 95 Prozent der Nahrungsmittelressourcen) ist bereits degradiert, und dieser Anteil wird mit dem Wachstum der Weltbevölkerung wahrscheinlich noch zunehmen. Die Bodendegradation (der Verlust der Bodenproduktivität aufgrund von durch den Menschen verursachten Veränderungen) findet bereits mit einer Geschwindigkeit statt, die vierzigmal höher ist als ihre Neubildung" (Die Welt im Jahr 2035 aus der Sicht der CIA).
[10] Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, Der Produktionsprozess des Kapitals, IV. Die Produktion des relativen Mehrwerts, 13. Kapitel, Maschinerie und große Industrie, 10. Große Industrie und Agrikultur, MEW Bd. 23, S. 528
[11] Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 25, Das Kapital, Dritter Band, Sechster Abschnitt, S. 790-821, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1983, SIEBENUNDVIERZIGSTES KAPITEL, Genesis der kapitalistischen Grundrente, V. Metäriewirtschaft und das bäuerliche Parzelleneigentum (http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_790.htm#Kap_47_V [298])
[12] „Aber die Abhängigkeit der Kultur der besondren Erdprodukte von den Schwankungen der Marktpreise, und der beständige Wechsel dieser Kultur mit diesen Preisschwankungen, der ganze Geist der kapitalistischen Produktion, der auf den unmittelbaren nächsten Geldgewinn gerichtet ist, widerspricht der Agrikultur, die mit den gesamten ständigen Lebensbedingungen der sich verkettenden Menschengenerationen zu wirtschaften hat“. Karl Marx, MEW Band 25, Das Kapital, Bd. III, Sechster Abschnitt, S. 627-652, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1983, Sechster Abschnitt, Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente, SIEBENUNDDREISSIGSTES KAPITEL. Einleitendes (http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_627.htm [299])
[13] Ökologie: Der Kapitalismus vergiftet die Erde [300], in Internationale Revue Nr. 13, 1991
[14] Marx, Das Kapital, Erster Band, Der Produktionsprozess des Kapitals, IV. Die Produktion des relativen Mehrwerts, 13. Kapitel, Maschinerie und große Industrie, 10. Große Industrie und Agrikultur, MEW Bd. 23, S. 528
[15] Marx, Die deutsche Ideologie (1846), Feuerbach, Gegensatz von materialistischer und idealistischer Anschauung, Über die Produktion des Bewusstseins (http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_017.htm [301])
Im Folgenden wird ein Briefwechsel hauptsächlich zwischen Gruppen der Kommunistischen Linken veröffentlicht, der vom ersten Vorschlag über die Ausarbeitung und Fertigstellung bis zur Veröffentlichung der Gemeinsamen Erklärung reicht.
Die Korrespondenz innerhalb der marxistischen Bewegung war immer ein wichtiger Aspekt ihrer Entwicklung und ihrer Intervention in der Arbeiterklasse. Die Kommunistische Linke hat diese Tradition fortgesetzt. Die nachfolgende Korrespondenz ist besonders bedeutsam, weil sie den Prozess des Kontakts und der Diskussion zwischen den konstituierenden Gruppen der Kommunistischen Linken über die Prinzipien und das Verfahren für das Erreichen einer gemeinsamen Aktion wie der Gemeinsamen Erklärung zum Krieg in der Ukraine bekannt macht.
Die Tatsache, dass ein Großteil der Korrespondenz zwischen der IKS und der IKT über die Weigerung der IKT, an der Gemeinsamen Erklärung teilzunehmen und sie zu unterzeichnen, geführt wird, wird den Leserinnen und Lesern helfen, die widersprüchlichen Argumente bezüglich der Motivation für die Erklärung, der Kriterien für die Einbeziehung der Gruppen in die Erklärung, der Frage, wie die widersprüchlichen Analysen der imperialistischen Situation in der Erklärung behandelt werden sollen, und anderer Fragen zu verstehen. Obwohl die IKT diesen Teil der Korrespondenz beendet hat, sind die wesentlichen Fragen, um die es geht, noch zu klären und zu diskutieren.[1]
Wir fügen hier am Ende auch die Korrespondenz mit zwei Gruppen ein, die nicht aus der Tradition der Kommunistischen Linken stammen: die KRAS, eine russische anarchosyndikalistische Gruppe, und die Internationalist Communist Perspective aus Korea. Wir haben sie gebeten, die Gemeinsame Erklärung zu unterstützen, weil sie den Krieg in der Ukraine ebenfalls auf internationalistischer Grundlage ablehnen.
Ansonsten ist die Korrespondenz in chronologischer Reihenfolge dargestellt.
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25/02/2022
Die IKS an:
- IKT
- Parti Communiste International (Programma Comunista)
- Parti Communiste International (Il Comunista)
- Istituto Onorato Damen
- Internationalist Voice
- Fil Rouge
Genossinnen und Genossen,
Der imperialistische Krieg hat Europa erneut in großem Ausmaß getroffen. Der Krieg in der Ukraine ist einmal mehr eine dramatische Erinnerung an die wahre Natur des Kapitalismus, eines Systems, dessen Widersprüche unweigerlich zu militärischen Konfrontationen und Massakern an der Bevölkerung, insbesondere den Ausgebeuteten, führen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts haben die politischen Organisationen des Proletariats über ihre Differenzen hinweg ihre Kräfte vereint, um den imperialistischen Krieg anzuprangern und das Proletariat aller Länder aufzurufen, sich am Kampf für den Sturz des Systems, das ihn hervorbringt, des Kapitalismus, zu beteiligen. Die Kongresse von Stuttgart (1907), Basel (1912), Zimmerwald (1915) und Kienthal (1916) ebneten den Weg für die kommunistische Revolution vom Oktober 1917 in Russland und für das Ende des imperialistischen Gemetzels.
In den 1930er Jahren und während des zweiten imperialistischen Gemetzels ist es die Ehre der Kommunistischen Linken, das Banner des proletarischen Internationalismus gegenüber all jenen entschlossen zu verteidigen, die die Proletarier:innen dazu aufriefen, sich im Namen des "Antifaschismus", der "Verteidigung der Demokratie" oder der "Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes" gegenseitig zu bekämpfen. Heute liegt es in der Verantwortung der Gruppen, die behaupten, Teil dieser Kommunistischen Linken zu sein, den proletarischen Internationalismus entschieden zu verteidigen und insbesondere:
- die Lügen aller nationalen Sektoren der herrschenden Klasse anzuprangern, die darauf abzielen, die Proletarier:innen in den imperialistischen Krieg zu verwickeln oder sie in ihre imperialistische Politik einzubeziehen, indem sie sie auffordern, sich auf die Seite dieses oder jenes imperialistischen Lagers zu stellen;
- die Proletarier:innen der ganzen Welt aufzurufen, alle Opfer abzulehnen, die die herrschende Klasse und ihre Staaten ihnen auferlegen wollen, den Klassenkampf gegen dieses System zu führen, das sie grausam ausbeutet und darauf abzielt, sie zu Kanonenfutter zu machen;
- die Bedeutung und die Aktualität der alten Parolen der Arbeiterbewegung in Erinnerung zu rufen: "Die Proletarier:innen haben kein Vaterland", "Proletarier:innen aller Länder, vereinigt euch!“
- Wir sind davon überzeugt, dass eure Organisation, ebenso wie unsere, ihre internationalistische Verantwortung angesichts des gegenwärtigen Krieges nicht vernachlässigen wird. Die IKS ist jedoch der Meinung, dass das Bekenntnis zum Internationalismus eine viel größere Wirkung hätte, wenn die von jeder unserer Organisationen eingenommenen Positionen durch eine gemeinsame Position unserer Organisationen untermauert würden, die auf den grundlegenden Positionen beruht, die wir alle teilen. Wir rufen euch daher auf, unserem Vorschlag zuzustimmen und, falls ihr dafür seid, so schnell wie möglich mit unserer Organisation Kontakt aufzunehmen, um diese gemeinsame Position vorzubereiten.
Kommunistische und internationalistische Grüße
IKS
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01.03.2022
Liebe Freunde,
Jetzt ist es nicht an der Zeit zu reden, sondern die unveränderten und unveränderlichen Richtlinien der revolutionären Vorbereitung in die Praxis umzusetzen: die Arbeit zur Vorbereitung des revolutionären Defätismus, die Loslösung der proletarischen Klasse von der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Hegemonie und perspektivisch die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Klassenkrieg.
Grüße
il programma comunista
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Genossinnen und Genossen
Wir haben euren Vorschlag diskutiert. Niemand kann bestreiten, dass die Organisationen der Kommunistischen Linken auf den neuen und noch gefährlicheren Kurs, den diese imperialistische Welt jetzt eingeschlagen hat, reagieren müssen, und wir selbst haben bereits auf verschiedene Weise darauf reagiert.
Wir widersprechen auch nicht eurer Skizzierung der grundlegenden proletarischen Positionen.
„- die Lügen aller nationalen Sektoren der herrschenden Klasse anzuprangern, die darauf abzielen, die Proletarier:innen in den imperialistischen Krieg zu verwickeln oder sie in ihre imperialistische Politik einzubeziehen, indem sie sie auffordern, sich auf die Seite dieses oder jenes imperialistischen Lagers zu stellen;
- die Proletarier:innen der ganzen Welt aufzurufen, alle Opfer abzulehnen, die die herrschende Klasse und ihre Staaten ihnen auferlegen wollen, den Klassenkampf gegen dieses System zu führen, das sie grausam ausbeutet und darauf abzielt, sie zu Kanonenfutter zu machen;
- die Bedeutung und die Aktualität der alten Parolen der Arbeiterbewegung in Erinnerung zu rufen: ‚Die Proletarier:innen haben kein Vaterland‘, ‚Proletarier:innen aller Länder, vereinigt euch!‘"
Wir müssen jedoch über diese wichtigen propagandistischen Punkte hinausgehen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder festgestellt, dass unsere völlig unterschiedlichen Sichtweisen eine tiefergehende gemeinsame Erklärung unmöglich machen, und das hat sich im Laufe der Zeit eher verstärkt als verringert. Obwohl wir also nicht grundsätzlich gegen eine Form der gemeinsamen Erklärung sind, könnten wir vielleicht feststellen, dass die gleichen alten Probleme auftreten. Die Frage ist: Wie steht es nun um diese Perspektiven? Würden sie es uns ermöglichen, ein sinnvolles Dokument zu erstellen, das als Leitfaden für Maßnahmen dienen könnte?
Unsere zweite Frage bezieht sich darauf, wem ihr diese gemeinsame Initiative noch vorschlägt? Wir wissen, dass alle bordigistischen Parteien sich nicht nur weigern werden, sondern dass sie uns gerne sagen werden, dass sie DIE Partei sind. Und es kann sein, dass es auch notwendig ist, über die "Kommunistische Linke" (die trotz unseres jüngsten Wachstums leider immer noch klein ist) hinaus auf diejenigen zu schauen, die unsere Klassenperspektive teilen, wenn auch nicht unsere genaue Politik. Die Parole "Kein Krieg außer dem Klassenkrieg" stellt nicht nur diese Frage für andere politische Gruppen, sondern lenkt sie weiter in Richtung der Perspektive der Kommunistischen Linken. Noch wichtiger ist, dass es ein Aufruf zum Kampf für die gesamte Arbeiterklasse ist, der den Kampf gegen die täglichen Angriffe des Kapitalismus mit der schrecklichen Zukunft verbindet, die der Kapitalismus für uns vorbereitet. Eine Zukunft, die näher zu sein scheint als je zuvor.
Wir haben die Ankündigung des Treffens an alle unsere Genossinnen und Genossen weitergeleitet.
Internationalistische Grüße
Das Internationale Büro der IKT
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3. März 2022
Liebe Genossinnen und Genossen!
Wir begrüßen eure Initiative, eine gemeinsame Erklärung zum Krieg abzugeben und stimmen mit euch überein, dass eine gemeinsame Erklärung eine viel größere Wirkung haben würde.
Ein wesentlicher Punkt für uns ist jedoch, wer diesen Brief erhalten hat, und wir können Euch vertrauen, dass nur Revolutionäre ihn erhalten haben.
Eine Erklärung von uns ist bereits veröffentlicht worden, siehe Anhang, und die englische Version wird bald verfügbar sein.
Internationalistische Grüße
Internationalist Voice
Genossinnen und Genossen,
Wir begrüßen euren Vorschlag.
Wir sind wie ihr der Meinung, dass die internationalistischen Kommunisten der ganzen Welt die Verantwortung haben, die Ursachen des imperialistischen Krieges zu klären und zu diesem Krieg Stellung zu nehmen.
Unsere Organisation ist der Meinung, dass die kommunistische politische Perspektive, die auf proletarischem Internationalismus, revolutionärem Defätismus und Ablehnung aller imperialistischen Lager beruht, zunehmend die einzig mögliche Antwort der Arbeiterklasse auf das imperialistische Gemetzel und die kapitalistische Barbarei darstellt. Sie ist die einzige Möglichkeit einer Zukunft für die Menschheit in einer Gesellschaft, die endlich menschlich ist: eine kommunistische Gesellschaft.
Wir begrüßen die Idee, dass Revolutionäre über die Unterschiede zwischen den Organisationen hinweg vereint den imperialistischen Krieg anprangern und im Weltproletariat die Perspektive der internationalen kommunistischen Revolution unterstützen müssen.
Unsere Organisation stimmt daher der Vorbereitung einer gemeinsamen Erklärung zu, die von verschiedenen internationalistischen revolutionären kommunistischen Gruppen unterstützt wird, zusätzlich zu den Erklärungen und Analysen, die jede Organisation unabhängig veröffentlicht.
Sie würde eine stärkere internationalistische Stimme darstellen; wir denken auch, dass sie einen Schritt vorwärts auf dem Weg einer brüderlichen und offenen Konfrontation zwischen Kommunisten darstellen könnte, in der Perspektive des Aufbaus der zukünftigen Kommunistischen Weltpartei, auf der Grundlage programmatischer Klarheit.
Was die Vorbereitung dieser gemeinsamen Erklärung betrifft, so schlagen wir vor, dass die IKS einen Entwurf ausarbeitet, an dem wir gemeinsam arbeiten können.
Mit unseren brüderlichen kommunistischen Grüßen
IOD
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13. März 2022
- Internationalistische Kommunistische Tendenz
- IKP (il programma comunista)
- IKP (Il Comunista)
- IKP (Il Partito Comunista)
- Istituto Onorato Damen
- Internationalist Voice
- IKP (Le Prolétaire)
Liebe Genossinnen und Genossen,
Wir schreiben im Anschluss an unseren Brief vom 25.02.2022, in dem wir eine gemeinsame öffentliche Erklärung der grundlegenden internationalistischen Prinzipien gegen den Krieg in der Ukraine vorschlagen, die in der Tradition der gesamten Kommunistischen Linken stehen.
Wir haben positive Unterstützung für diesen Vorschlag vom Istituto Onorato Damen und Internationalist Voice erhalten. Die Internationale Kommunistische Tendenz hat ebenfalls positiv auf die Hauptprinzipien geantwortet, die wir für die Erklärung vorgeschlagen haben, hatte aber einige Fragen bezüglich der Analyse der Situation, der Eingeladenen und der Möglichkeit anderer gemeinsamer Initiativen. Die IKP (Programma) lehnte den Vorschlag in einer kurzen Antwort ab und erklärte, es sei "Zeit zu handeln, nicht zu reden". Die anderen Eingeladenen haben noch nicht geantwortet.
Die Hauptaufgabe für die Kommunistische Linke besteht heute darin, mit einer einheitlichen Stimme über die grundlegenden internationalistischen Prinzipien unserer Tradition zu sprechen, was den imperialistischen Charakter des Krieges, die Anprangerung pazifistischer Illusionen und die alternative Perspektive des Kampfes der Arbeiterklasse, der zum Sturz des Kapitalismus führt, betrifft. Wir müssen die einzige politische Tradition bekräftigen, die diese Prinzipien in der Vergangenheit in Feuerproben aufrechterhalten hat.
Unserer Ansicht nach besteht die Funktion der Erklärung daher nicht darin, die Analyse der Situation zu vertiefen, zu der es zweifellos unterschiedliche Auffassungen zwischen den Organisationen gibt, die die Kommunistische Linke vertreten; auch ist die Erklärung unserer Meinung nach nicht der Ort, um auf Fragen anderer gemeinsamer Initiativen einzugehen. Eine gemeinsame Erklärung der Gruppen der Kommunistischen Linken wäre jedenfalls kein Hindernis für die Diskussion über Differenzen und alternative Ansätze in anderen Zusammenhängen.
Die Genossinnen und Genossen der IOD haben vorgeschlagen, dass die IKS die gemeinsame Erklärung verfasst. Um den Prozess zu beschleunigen, haben wir diesen Vorschlag angenommen, und der Entwurf des Aufrufs ist diesem Schreiben beigefügt. Wir haben versucht, die internationalistischen Prinzipien so darzustellen, dass sie von allen Unterzeichnenden akzeptiert werden können. Die Genoss:innen sind jedoch eingeladen, alternative Formulierungen zu den bestehenden vorzuschlagen, um das gemeinsame Ziel der Erklärung zu erreichen. Wir hoffen jedoch, dass die Genossen:innen, da sie wissen, dass die Zeit drängt, sich auf die Änderungen beschränken werden, die sie für die Erfüllung des gemeinsamen Projekts als wesentlich erachten, so dass eine endgültige Fassung schnell erstellt werden kann.
Wir sind zuversichtlich, dass die gemeinsame Erklärung der Kommunistischen Linken diese Prinzipien und diese Tradition in der heutigen Arbeiterklasse bekannter machen wird.
Wir freuen uns auf eure schnelle Antwort.
Kommunistische Grüße
IKS
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21. März 2022
Zu der vorgeschlagenen gemeinsamen Erklärung zum Krieg in der Ukraine
Genossinnen und Genossen
Vielen Dank für die Übersendung des Entwurfs des Aufrufs und die Information darüber, wer ihn zu unterzeichnen beabsichtigt. Bedauerlicherweise müssen wir sagen, dass wir beidem nicht zustimmen können.
Die vorgeschlagene Erklärung enthält mehrere Mängel (sowie faktische Fehler, die wir vorerst beiseite lassen) und ist als politischer Leitfaden für die Arbeiterklasse, wie wir gegen den Krieg kämpfen können, unzureichend. In erster Linie geht sie nicht auf die tatsächliche Bedeutung dieses Krieges zum jetzigen Zeitpunkt ein. Es fehlt auch eine kohärente Analyse des tatsächlichen Geschehens. So bietet sie keine Orientierungshilfe. Sie ist eine reine Erklärung auf dem Papier, und wir müssen mehr bieten als das. Wie Lenin vor langer Zeit sagte: "Ohne revolutionäre Theorie gibt es keine revolutionäre Praxis".
Ein Beispiel für diese Schwäche ist die Tatsache, dass der Erklärungsentwurf darauf verweist, dass "die Weltarbeiterklasse ihrerseits nicht umhin [kommt], ihren Kampf gegen die Verschlechterung der Löhne und des Lebensstandards zu entwickeln", aber nicht sagt, warum der Klassenkampf jetzt wieder aufleben soll, nachdem jahrzehntelang das Gegenteil der Fall war. Was den aktuellen Krieg und die anhaltenden Angriffe auf die Lebensgrundlagen der Arbeiter verbindet, ist die kapitalistische Wirtschaftskrise, die nach fast 50 Jahren immer noch ungelöst ist. Dieser Krieg ist ein neuer und deutlicher Hinweis darauf, dass dem Kapitalismus die rein wirtschaftlichen Optionen ausgehen und die Welt auf dem interimperialistischen Weg zu seiner endgültigen "Lösung" viel weiter ist. Der Entwurf lässt nicht erkennen, dass dies ein neuer und gefährlicher Schritt in der kapitalistischen Geschichte ist. (Dies wird beispielsweise durch das Fehlen jeglichen Hinweises auf China und die Tatsache bestätigt, dass der Krieg in der Ukraine bereits dazu beigetragen hat, eine klarere imperialistische Aufstellung auf globaler Ebene zu definieren.)
Diese abstrakte Zeitlosigkeit angesichts einer sich abzeichnenden Realität wird durch lange Passagen über die Geschichte der Kommunistischen Linken noch verstärkt. So unbestreitbar die Details auch sein mögen, wir leben nicht in der gleichen Welt wie unsere Vorgänger, und dieses Dokument strahlt das Gefühl aus, dass es nur für "das Milieu", wie ihr es nennt, geschrieben wurde. Die Kommunistische Linke kann auf eine prinzipielle Geschichte des Widerstands gegen den Krieg zurückblicken, auf die wir stolz sein können, aber wie in der Erklärung letztlich eingeräumt wird, haben wir in der heutigen Klasse wenig Einfluss. Glaubt ihr, dass es unseren Einfluss erweitert, wenn wir aus unserer derzeitigen Position der politischen Unbekanntheit heraus verkünden:
„Heute, angesichts der Beschleunigung des imperialistischen Konflikts in Europa, halten die politischen Organisationen, die sich auf das Erbe der Kommunistischen Linken stützen, weiterhin die Fahne des konsequenten proletarischen Internationalismus hoch und bieten einen Bezugspunkt für diejenigen, die die Prinzipien der Arbeiterklasse suchen“?
Wir leben nicht in der Zeit der Zweiten oder Dritten Internationale, als es eine Massenanhängerschaft gab, die damit endete, dass die Arbeiter verraten und in einen imperialistischen Krieg geführt wurden. Unsere Aufgabe ist es nicht, auf historischen Verrat durch eine vermeintliche Arbeiter-Internationale zu reagieren, sondern weiterhin die Basis für eine neue Internationale zu legen. Wir haben die viel schwierigere Aufgabe, sie von Grund auf neu aufzubauen.
Womit wir bei eurer Liste der potenziellen Unterzeichner wären. Sie ist sehr eng und sogar noch enger, als es den Anschein hat, da wir alle wissen, dass jede bordigistische "Partei" sich selbst als die einzig mögliche internationale Partei betrachtet. Ihr geht nicht näher darauf ein, warum es sich um eine so enge Auswahl unter den Gruppen der Kommunistischen Linken handelt, aber auf eurer Website finden wir Folgendes. „Controverses, IGCL, Internationalist Perspective, Matériaux Critiques und einige andere gehören zum parasitären Milieu und haben nichts mit proletarischem Internationalismus zu tun, auch wenn sie darüber schreiben und genau dieselbe Position vertreten. Ihre Tätigkeit zeichnet sich durch die Sabotage der kommunistischen Aktivitäten aus und steht der Möglichkeit einer einheitlichen Aktion der echten Kommunistischen Linken im Wege.
Die Gruppen, die zur Kommunistischen Linken gehören, sind: Il Partito Comunista, Il Programma Comunista, Instituto Onorato Damen, Program Communiste, Internationalist Communist Tendency, und Internationalist Voice".
Ihr verlangt also von uns, dass wir uns eurer eigenen Definition dessen anschließen, wer zur Kommunistischen Linken gehört und wer nicht, und darüber hinaus eurer langjährigen Begründung, dass jede Organisation, die von Leuten gegründet wird, die die IKS verlassen haben, des "Parasitismus" schuldig sein muss. Wir haben euch schon lange wegen dieser destruktiven Etikettierung kritisiert. Auch wir haben diese Gruppierungen gelegentlich kritisiert, aber immer in politischer Hinsicht mit dem Ziel der Klärung, nicht mit einem Etikett, das darauf abzielt, ihr Existenzrecht zu vernichten.
Auf jeden Fall ist auch euer Vorschlag zu eng gefasst. Selbst wenn wir uns darüber einig wären, wer zur Kommunistischen Linken gehört, haben wir in dieser Frage kein Monopol auf die Wahrheit. Der Einfluss internationalistischer Ideen (oft als Ergebnis all unserer Bemühungen in der Vergangenheit, den Internationalismus zu fördern) ist in politische Organisationen eingedrungen, die aus unterschiedlichen Traditionen stammen. In dieser Situation sollten wir versuchen, sie in eine breitere Bewegung gegen den Krieg einzubinden.
In gewisser Weise ist diese Debatte eine Wiederholung derjenigen, die die IKS in Großbritannien mit der CWO über die Unterstützung von No War But the Class War als organisierte Gruppe des Klassenwiderstands gegen den Krieg führte. Damals waren wir in der Tat genauso kritisch gegenüber eurem engstirnigen Ansatz, wie wir es heute sind. Damals schrieb die CWO, dass wir anerkennen:
„die absolute Schwäche der kommunistischen Kräfte weltweit und sicherlich in Großbritannien. Anders als die IKS blasen wir uns nicht mit Selbstbeschreibungen als internationale Bewegung auf, die länger überlebt hat als jede der drei Internationalen in der Geschichte der Arbeiterbewegung.
Wir anerkennen unsere zentrale Aufgabe, die kommunistische Theorie und Praxis zu bewahren und weiterzuentwickeln, aber das ist eine unmögliche Aufgabe, wenn wir isoliert und introvertiert bleiben.
Kommunisten können ihr Programm und ihre Organisation nur verteidigen und bereichern, indem sie mit der gesellschaftlichen Realität interagieren. Wir müssen die Aktualität der sich entwickelnden Kräfte erkennen und Theorie und Praxis so entwickeln, dass sie sich auf diese Entwicklungen beziehen. Dies gilt sowohl für die grundlegenden Entwicklungen in der Weltwirtschaft als auch für jene Leute, die in allen Arten von sozialen Bewegungen stecken und für das kommunistische Programm empfänglich sind“. [siehe https://www.leftcom.org/en/articles/2002-12-01/communism-against-the-war-drive [302]]
Heute sieht die IKT in der Förderung dieser Organisationsform auf internationaler Ebene den besten Weg, um zu einer echten Klassenbewegung gegen die Kriege beizutragen, die dieses System unweigerlich hervorbringt. Und wie wir bereits gesagt haben, reicht es nicht aus, Erklärungen auf dem Papier abzugeben (auch wenn sie ein notwendiger Anfang sind), wir müssen Wege finden, um das Thema in die breitere Arbeiterklasse zu tragen und sicherlich mit den am meisten betroffenen Elementen in Kontakt zu treten. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, und angesichts des vier Jahrzehnte währenden Rückzugs der Klasse stehen wir vor enormen Herausforderungen. Eine neue Generation kommt zur Kommunistischen Linken, während sich die Krise verschärft, und wir müssen ihr etwas geben, mit dem sie arbeiten kann, um eine echte Bewegung aufzubauen. Das heißt, wir brauchen etwas, das klarer und konkreter ist als der Vorschlag, den ihr jetzt vorlegt.
Internationalistische Grüße
Das Internationale Büro der Internationalen Kommunistischen Tendenz
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22.04.2022
Liebe Genossinnen und Genossen
Die IKS stimmt mit den grundlegenden internationalistischen Prinzipien überein, die im Aufruf der IKT "Kein Krieg außer dem Klassenkrieg" zum Krieg in der Ukraine enthalten sind. Da diejenigen, die weitgehend zustimmen, gebeten werden, auf den Aufruf zu antworten, wollen wir unsere Unterstützung für die darin enthaltenen linkskommunistischen Prinzipien unterstreichen:
- Der Krieg in der Ukraine ist ein rein imperialistischer Krieg und keineswegs ein Krieg der nationalen Verteidigung. Die Arbeiterklasse kann keine Seite in dem Gemetzel unterstützen, in dem sie das Hauptopfer ist.
- Die gegenwärtige Periode der imperialistischen Kriege des Kapitalismus, für die der Krieg in der Ukraine ein Beispiel ist, bringt die Auslöschung der Menschheit näher.
- Nur der Sturz des Kapitalismus kann die imperialistischen Kriege beenden. Pazifistische Illusionen in einen friedlichen Kapitalismus begraben die revolutionäre Perspektive der Arbeiterklasse, die die einzige Lösung für den Imperialismus ist.
- Der Weg zur proletarischen Revolution kann nur auf dem Kampf der Arbeiterklasse zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen (und gegen die Gewerkschaften, wie ihr sagt) und dem Engagement in dem Prozess beruhen, der zur Bildung der internationalen politischen Partei der Arbeiterklasse führt. Dieser Prozess schließt notwendigerweise die sozialdemokratischen, stalinistischen und trotzkistischen konterrevolutionären Traditionen aus.
Nachdem wir unsere grundsätzliche Übereinstimmung in diesen Fragen bekräftigt haben, gibt es ein Problem im Zusammenhang mit dem IKT-Aufruf, das es zu klären gilt:
Angesichts dieser engen Übereinstimmung in Fragen internationalistischer Prinzipien, die im IKT-Aufruf zum Ausdruck kommt, war es für die IKT durchaus möglich, die Gemeinsame Erklärung der Gruppen der Kommunistischen Linken (die auf den Websites der Unterzeichner veröffentlicht wurde) zu unterzeichnen, die auf eben diesen Prinzipien beruhte und Punkte sekundärer Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gruppen beiseite ließ. Die Gemeinsame Erklärung hätte vom Standpunkt des internationalistischen Prinzips aus von der IKT unterzeichnet werden können, auch wenn eure Organisation sie an sich als unzureichend für den Kampf gegen den imperialistischen Krieg ansieht (wir werden im Detail auf die Gründe zurückkommen, die ihr uns in eurem Schreiben zur Ablehnung der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung übermittelt habt).
Vielleicht haltet ihr es nicht für angebracht, euch in einem solchen Aufruf auf die Erfahrung und Tradition der Arbeiterbewegung seit der Zimmerwalder Konferenz und insbesondere auf die Tradition der Kommunistischen Linken zu berufen. Wenn das der Fall ist, könnt ihr uns sagen, warum? Wenn ihr hingegen dieses Anliegen, die Position der Internationalisten zum Krieg in der Ukraine in die Kontinuität unserer Vorgänger einzuordnen, für gültig haltet, sehen wir auf der Grundlage der klaren internationalistischen Positionen, die wir teilen, nicht ein, warum ihr die Gemeinsame Erklärung der Gruppen der Kommunistischen Linken nicht unterstützen könnt.
Vielleicht war der ursprüngliche Vorschlag für eine gemeinsame Erklärung, den wir euch geschickt haben, nicht deutlich genug darin, dass es sich nicht um eine ausschließliche Initiative gegen den imperialistischen Krieg handeln sollte. Die Unterzeichner sollen andere Aktivitäten haben können – so zum Beispiel die NWCW-Komitees, wie ihr in eurem Aufruf vorschlagt –, mit denen die anderen Unterzeichner nicht einverstanden zu sein brauchen oder deren Ziele und Modalitäten ihnen noch unklar erscheinen mögen.
Die Unterzeichner konnten auch in ihrer Analyse der Weltlage unterschiedlicher Meinung sein, solange sie sich einig darin sind, dass der Kapitalismus keine Alternative zum Abstieg in die Barbarei bietet.
Ein wichtiges Erfordernis in dieser Situation ist jedoch eine gemeinsame Erklärung und damit ein stärkeres Bekenntnis der Kommunistischen Linken zum Internationalismus. Natürlich hätten diese gemeinsamen Prinzipien aus dem vorgeschlagenen Entwurf umformuliert oder gestärkt werden können (wie es in den Diskussionen mit dem IOD der Fall war) und die Kriterien für Gruppen, die die Erklärung unterzeichnen, hätten diskutiert werden können.
Wir bitten euch daher, eure Weigerung, die Gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, zu überdenken.
Im Moment scheint der IKT-Aufruf, soweit es die "Öffentlichkeit" betrifft, mit der Gemeinsamen Erklärung zu konkurrieren, so dass diejenigen, die zu internationalistischen Klassenpositionen der Kommunistischen Linken kommen, mit zwei getrennten und rivalisierenden "Einheiten" konfrontiert werden.
Sicherlich können wir uns darauf einigen, dass diese unklare Situation eine Schwäche für das gesamte internationalistische Lager ist.
Wir freuen uns auf eure Vorschläge, wie dieses Problem gelöst werden kann.
Kommunistische Grüße
der IKS
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24. April 2022
Genossinnen und Genossen
Wenn ihr es wirklich ernst meint mit dem Versuch, uns zur Unterzeichnung Eurer Erklärung zu bewegen, geht ihr den falschen Weg.
Zunächst einmal geht ihr nicht auf den zentralen Punkt unserer Entscheidung ein, die Unterschrift zu verweigern, nämlich dass wir eure enge Definition, wer zum "Milieu" gehört und wer nicht, nicht akzeptieren. Wir haben eurer Vorstellung von "Parasitismus" nie zugestimmt und wollen sie auch nicht stillschweigend billigen.
Wir nehmen auch zur Kenntnis, dass ihr die Prinzipien des NWBCW-Aufrufs akzeptiert, aber das Ziel der NWBCW ist es nicht, sich einfach an die Kommunistische Linke zu wenden, sondern Jeden oder jede Organisation zusammenzubringen, die wirklich internationalistisch und praktisch gegen den imperialistischen Krieg sind. Wir nähern uns einem kritischen Punkt in der Weltgeschichte, an dem das kapitalistische System eine entscheidende Wende hin zu neuen und umfassenderen Konflikten vollzogen hat. Eine Haltung, die auf internationalistischen Positionen beruht, ist ein notwendiger Ausgangspunkt, aber das Ziel ist es, über die Behauptung von Prinzipien hinauszugehen. Wir müssen eine Bewegung in der breiteren Arbeiterklasse schaffen, die den Weg für eine politische Antwort auf die Schrecken bereiten kann, die das System bereits für einige bereithält und schließlich für alle Arbeiter:innen bringen wird.
Wir stellen fest, dass die Version der Erklärung, um deren Unterzeichnung ihr uns gebeten habt, nicht die Version ist, die derzeit auf eurer Website steht. Ihr habt diese Version mit den Unterschriften der anderen Organisationen am 6. April online gestellt. Heute ist die Version auf eurer Website überarbeitet worden. Der Satz, den wir in unserer vorherigen Antwort kritisiert hatten, ist verschwunden: "nur die Organisationen der kommunistischen Linken haben das Recht, das Banner des konsequenten proletarischen Internationalismus hochzuhalten".
Ebenfalls gestrichen ist der Satz, der besagt, "der beharrliche, bewusste Kampf der Arbeiterklasse gegen die Verschärfung der Austerität, die der imperialistische Krieg mit sich bringt, ist daher das einzige ernsthafte Hindernis für die Beschleunigung des Militarismus".
Es gibt keine öffentliche Stellungnahme dazu, und wir wissen nicht, ob alle Gruppen, die die Erklärung am 6. April unterzeichnet haben, zu den Änderungen konsultiert wurden. Es ist schwierig, einen ernsthaften Dialog zu führen, wenn sich die Bedingungen der Debatte ständig verschieben.
Auf jeden Fall bleibt unsere Position zur Unterzeichnung der "gemeinsamen Erklärung" dieselbe.
Internationalistische Grüße
die IKT
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29. April 2022
Liebe Genossinnen und Genossen
Wir danken euch für eure Antwort vom 24. April. Wir bedauern, dass ihr euch immer noch weigert, die gemeinsame Erklärung der Kommunistischen Linken zum Krieg in der Ukraine zu unterzeichnen.
Ihr stellt fest, dass die endgültige Fassung der gemeinsamen Erklärung der Kommunistischen Linken nicht ganz mit dem Entwurf übereinstimmt, den wir Euch und den anderen Gruppen am 13. März zur Genehmigung übermittelt haben. In dieser letztgenannten Mitteilung baten wir die Gruppen der Kommunistischen Linken um Kommentare und alternative Formulierungen zu dem Entwurf, so dass es ganz normal und logisch war, anschließend mit den bereitwilligen Mitunterzeichnenden Änderungen an dem Entwurf zu diskutieren, um sich auf eine endgültige Fassung der gemeinsamen Erklärung zu einigen. Natürlich wurden die Mitunterzeichnenden dann konsultiert und die endgültige Fassung wurde als Ergebnis einer gemeinsamen Diskussion geändert. Natürlich hättet ihr euch an diesem gemeinsamen Änderungsprozess beteiligen können, aber ihr habt euch in eurem Schreiben an uns vom 21. März gegen eine gemeinsame Erklärung entschieden.
(Im Übrigen stellen wir fest, dass der erste "No War but the Class War"-Aufruf auf der IKT-Website vom 6. April zwölf Punkte für eine Einigung enthielt, während der zweite vom 23. April nur fünf enthielt. Was ist mit den anderen sieben passiert?)
Offensichtlich bestand keine Notwendigkeit, den Entwurf der gemeinsamen Erklärung der Kommunistischen Linken zu veröffentlichen; der Sinn einer gemeinsamen Erklärung besteht darin, dass sich die Mitunterzeichnenden auf eine endgültige Fassung einigen, bevor sie veröffentlicht wird, als Ausdruck ihres gemeinsamen Handelns. Es gab also keine "Verschiebung" der Bedingungen der Debatte, wie ihr behauptet. Die Bedingungen blieben vom ersten Schreiben des Vorschlags für eine gemeinsame Erklärung bis zu ihrer endgültigen Umsetzung dieselben.
Auf jeden Fall gebt ihr zu, dass ihr die gemeinsame Erklärung ohnehin nicht unterzeichnet hättet, so dass diese Änderungen vom Entwurf zur endgültigen Fassung nicht der Grund für eure Weigerung waren, die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen.
Was aber sind die Gründe für eure Weigerung, die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen? Euer Schreiben ist in diesem grundlegenden Punkt immer noch unklar.
Euer Brief bringt die Beweggründe der IKT hinter dem "No War but the Class War"-Aufruf zur Sprache. Unabhängig von den Verdiensten dieses Aufrufs – wir stimmen mit den ihm zugrundeliegenden internationalistischen Prinzipien überein – oder seinen Schwächen war und ist es für die IKT durchaus möglich, auch die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, die dieselben internationalistischen Prinzipien enthält. Die koreanische Gruppe, Internationalist Communist Perspective, hat diese Möglichkeit in der Praxis bewiesen. Aber euer Brief geht nicht auf diese Möglichkeit ein, die in unserem vorherigen Brief angesprochen wurde. Auch geht ihr nicht auf das Problem ein, das sich aus der Existenz zweier internationalistischer Appelle ergibt, die als Konkurrenz zueinander angesehen werden könnten.
Die grundlegende Notwendigkeit für das revolutionäre Lager besteht darin, dass die Gruppen der Kommunistischen Linken nicht nur getrennt voneinander internationalistische Erklärungen abgeben, sondern ihre Kräfte im Geiste von Zimmerwald und der proletarischen Einheit in der Aktion bündeln. Warum lehnt ihr dieses Grundprinzip so entschieden ab?
Die Vorstellung vom Milieu der Kommunistischen Linken, die hinter der gemeinsamen Erklärung steht, ist euch zu eng. Habt ihr euch wirklich deshalb geweigert, die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, damit fake-linkskommunistische Gruppen und Blogger nicht ausgeschlossen werden, die dieses Milieu statt die imperialistische Bourgeoisie angreifen? Obwohl ihr mit der Beschreibung der falschen kommunistischen Linken als "parasitär" nicht einverstanden seid, habt ihr dennoch ihre negative Rolle in der jüngsten Korrespondenz mit der IKS anerkannt. Die Ablehnung des Begriffs "parasitär" ist also kaum ein Grund, sich der wichtigen Verantwortung zu entziehen, die echte Kommunistische Linke gegen den imperialistischen Krieg zu vereinigen.
Schließlich sagt ihr, dass wir den "falschen Weg" gehen, um euch davon zu überzeugen, die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen. Bitte sagt ihr uns, was der "richtige Weg" wäre, um euch zu überzeugen.
Kommunistische Grüße
IKS
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30. April 2022
Genossinnen und Genossen
Wir haben in unserer früheren Korrespondenz klar zum Ausdruck gebracht, dass wir zwar alle internationalistischen Erklärungen gegen den Krieg unterstützen, dass aber euer Aufruf durch die Enge seiner Zielsetzung definiert ist. Ihr schließt nicht nur alle Gruppen aus, die ihr als "Parasiten" betrachtet, sondern im ursprünglichen Dokument hieß es sogar, dass "nur die Organisationen der Kommunistischen Linken das Recht haben, das Banner des konsequenten proletarischen Internationalismus hochzuhalten", und das war die Version, die ihr am 6. April veröffentlicht habt. Jetzt behauptet ihr, dass euer Aufruf von "der Kommunistischen Linken" sei, was euch auf eine Stufe mit den Bordigisten stellt.
Wir glauben nicht, dass ihr wirklich unsere Besorgnis über den Ernst der aktuellen Situation teilt. Wir stellen fest, dass es auf eurer Seite einen Artikel gibt, der besagt, dass es keinen allgemeinen imperialistischen Krieg geben werde, da "die Blöcke nicht gebildet" worden seien [siehe Unsere Machthaber verlangen Opfer auf dem Altar des Krieges [303]]. Die Welt hat eine entscheidende Wendung in Richtung des imperialistischen Krieges genommen, von dem die Kommunistische Linke wusste, dass er das Ergebnis dieser langen Krise des Zyklus der Kapitalakkumulation sein würde. Selbst wenn sie einen Frieden über die Ukraine schließen (was von Tag zu Tag unwahrscheinlicher wird), wird es nur ein Waffenstillstand sein. Die zunehmenden Widersprüche des Systems diktieren jetzt den Kurs, auf den uns der imperialistische Kapitalismus bringt. Es hat länger gedauert, als wir alle dachten, aber das ist nicht das einzige wichtige Thema. Wie wir in unserem Aufruf zum Handeln sagten, befindet sich die Arbeiterklasse seit Jahrzehnten auf dem Rückzug, und wie wir vorausgesagt haben, gibt es noch keine Massenbewegung, die zu einer theoretischen Zusammenführung der Ansichten führen würde, die eine lebensfähige neue Internationale hervorbringen würde. Unsere Idee rund um die NWBCW ist es, Internationalist:innen aller Richtungen auf praktische Weise zusammenzubringen, um sowohl dem imperialistischen Krieg und allen falschen Antworten der kapitalistischen Linken (einschließlich des Pazifismus) zu widerstehen, als auch die internationalistische Kritik am Kapitalismus als Verursacher imperialistischer Kriege auf die breiteste Arbeiterklasse auszuweiten. Kurz gesagt, während euer Appell nach innen schaut, versuchen wir, nach außen zu schauen.
Wir möchten auf keinen Fall mit eurer seit langem vertretenen Ansicht in Verbindung gebracht werden, dass bestimmte andere Gruppen "Parasiten" sind, und es ist unehrlich von euch, auch nur anzudeuten, dass wir eure Ansicht in dieser Hinsicht teilen. Wir haben andere Gruppen im proletarischen Lager kritisiert, allerdings in Bezug auf bestimmte Themen (z.B. dass die Arbeiterklasse den Krieg verhindere), aber wir sprechen ihnen nicht das Recht auf politische Existenz ab oder glauben, wie ihr in diesem Brief sagt, dass sie "fake" sind. Genauso wenig verurteilen wir andere Gruppen, wie ihr es tut. Die koreanische ICP kann selbst entscheiden, was sie zu tun hat, und wir haben die Erklärung akzeptiert, die sie uns für die Unterzeichnung eures Appells geschickt hat. Die wichtige Tatsache ist, dass sie auch den wirklichen Wert des Versuchs erkennen können, eine Opposition gegen den Krieg und den Kapitalismus auf die breitest mögliche Weise zu entwickeln. In dieser Hinsicht erwarten wir nicht, dass jeder mit allen unseren zwölf Punkten im "Aufruf zum Handeln" übereinstimmt, da diese auch die Begründung der IKT für die Forderung nach NWBCW-Komitees beinhalteten. Wie im Jahr 2002 bei den NWBCW-Gruppen der CWO gegen den Irak-Krieg hatten wir jedoch immer einen funktionierenden Katalog internationalistischer Kriterien, die es anderen ermöglichen würden, sich ihnen anzuschließen. Wenn wir nämlich darauf bestehen würden, dass jeder genau dem zustimmt, wie die IKT die Welt sieht, würden wir euren Fehler wiederholen.
Dies ist unser letztes Wort in dieser Angelegenheit. Solange ihr nur bereit seid, einige wenige Auserwählte als anerkennungswürdig zu betrachten, gibt es für uns nichts mehr zu sagen. Im Gegensatz dazu haben wir einen Aufruf zum Handeln veröffentlicht, der jede:r Internationalist:in die Möglichkeit gibt zu antworten. Auf diese Weise könnten wir tatsächlich einen kleinen Schritt in Richtung einer echten internationalen Klassenbewegung gegen das Kapital machen, bevor die Zeit für die Menschheit abläuft.
Internationalistische Grüße
Die IKT
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16. Mai 2022
Genosss:innen,
Leider wird in Eurem jüngsten Brief (2. Mai 2022) erneut nicht ausreichend erklärt, warum die IKT sich konsequent weigert, die Gemeinsame Erklärung von Gruppen der Kommunistischen Linken zum Krieg in der Ukraine zu unterzeichnen, obwohl eure Organisation als Teil der Kommunistischen Linken mit den proletarisch-internationalistischen Prinzipien der Erklärung voll übereinstimmt.
Wir verstehen, dass die IKT einen "Aufruf zum Handeln" gegen den imperialistischen Krieg will, aber wir verstehen nicht, warum die IKT im Hinblick auf eine gemeinsame Position des Lagers der Kommunistischen Linken untätig bleibt.
Eure Organisation will einen "breiten" Aufruf im Gegensatz zu dem "begrenzten" der Gemeinsamen Erklärung. Aber indem ihr euch weigert, die Gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, habt ihr die breitere Wirkung einer gemeinsamen Haltung der Kommunistischen Linken eingeschränkt.
Schlimmer noch, weil die IKT sich weigert, die Gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, scheint der Aufruf "Kein Krieg außer dem Klassenkrieg" (No War but the Class War) der IKT einen Wettbewerb innerhalb der Kommunistischen Linken zu begründen. Wir haben euch in früheren Briefen um eine Antwort auf dieses Problem gebeten, aber bis jetzt ist keine eingetroffen.
Der "Aufruf zum Handeln" der IKT scheint, eurem letzten Brief nach zu urteilen, immer flexibler zu werden: Diejenigen, die ihm zustimmen, müssen nicht allen 12 Punkten zustimmen, vorausgesetzt, die IKT verfügt über einen "funktionierenden Katalog von internationalistischen Kriterien". Aber gegenüber Gruppen der Kommunistischen Linken ist die IKT unerbittlich starr in ihrer Weigerung, eine gemeinsame Erklärung abzugeben.
Ihr tut wieder so, als ob ihr über den Inhalt der Gemeinsamen Erklärung getäuscht worden wärt. In Wirklichkeit habt ihr euch geweigert, den Entwurf der Erklärung zu überarbeiten, als er euch für alternative Vorschläge vorgelegt wurde. Das eigentliche Problem für euch war nicht diese oder jene Formulierung, sondern die Bereitschaft, eine gemeinsame Erklärung abzugeben, das eigentliche Prinzip einer gemeinsamen Anstrengung, das ihr abgelehnt habt.
Auch hier wird die unterschiedliche Analyse der Weltlage durch die IKT als Rechtfertigung für die Ablehnung angeführt. Aber die Unterschiede in der Interpretation der jüngsten Ereignisse sind kein Hindernis für die Abgabe einer gemeinsamen Erklärung, die die Gruppen der Kommunistischen Linke in Bezug auf den Bankrott des Weltkapitalismus und die Unvermeidbarkeit der Ausbreitung und Intensivierung des imperialistischen Krieges teilen. Die Gemeinsame Erklärung, die die grundlegende gemeinsame Achse der Analyse des Weltimperialismus durch die Kommunistische Linke verteidigt, schließt eine spätere Debatte über Unterschiede in der Interpretation dieser Achse nicht aus. Im Gegenteil, die Gemeinsame Erklärung ist die Grundlage für eine solche Debatte, eine unabdingbare Vorbedingung.
Eurer Meinung nach war die Definition der Kommunistischen Linken im Entwurf der Gemeinsamen Erklärung zu eng gefasst und daher unmöglich zu unterschreiben, weil sie die parasitären Blogger und vorgeblichen politischen Gruppen ausschloss, die sich fälschlicherweise auf diese Tradition berufen. Die IKT stellte jedoch die Einbeziehung der bordigistischen Parteien in den ursprünglichen Vorschlag der Gemeinsamen Erklärung in Frage, die einen wichtigen Teil der wirklichen Tradition der Kommunistischen Linken darstellen, mit der ihr einen gemeinsamen Ursprung teilt. Der Ausschluss der bordigistischen Gruppen aus der Einladung zum Appell hätte eine viel schmalere und in der Tat unzureichende Grundlage für die Teilnahme geschaffen. Natürlich ist die Frage der Kriterien, wer in eine gemeinsame Erklärung der Kommunistischen Linken aufgenommen werden soll, eine wichtige Diskussion. Diese Frage der Kriterien kann jedoch nicht als Rechtfertigung dafür dienen, den Versuch aufzugeben, eine gemeinsame Erklärung der Kommunistischen Linken zu schmieden. Die Einigung auf diese Kriterien ist Teil des Diskussionsprozesses, der zu einer gemeinsamen Position führt. Wesentlich ist der Wille, dies zu erreichen, der in der Haltung der IKT zur Gemeinsamen Erklärung durchweg gefehlt hat.
In einer analogen Situation reagierte die IKS 1976 positiv auf den Aufruf von Battaglia Comunista zu gemeinsamen Diskussionskonferenzen von Gruppen der Kommunistischen Linken und brachte ihre Bereitschaft zu solchen Bemühungen zum Ausdruck, bedauerte aber, dass die Initiative von Battaglia keine Kriterien für die Entscheidung enthielt, welche Gruppen an den Konferenzen teilnehmen sollten. Dieses Bedauern hielt die IKS nicht davon ab, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen und an der ersten Konferenz teilzunehmen. Wie wir damals an Battaglia schrieben:
"In dieser Hinsicht können wir nur bedauern, dass ihr es nicht für sinnvoll erachtet habt, die Namen der zu diesem Treffen eingeladenen Gruppen mitzuteilen, und auch nicht, auf der Grundlage welcher Kriterien die Auswahl dieser Gruppen getroffen wurde. Dieser Mangel an Informationen hindert uns jedoch nicht daran, mit unserem besten revolutionären Willen an diesem Treffen teilzunehmen. Außerdem hätten wir uns gewünscht, wie wir bereits zum Ausdruck gebracht haben, dass ein Bulletin mit den Antwortschreiben und anderen Texten der verschiedenen eingeladenen Gruppen vorbereitet und vor dem Treffen an die Teilnehmer verteilt wird." (1. März 1977)
Zum Glück für die 2. Konferenz der Kommunistischen Linken wurde eine Reihe von Kriterien, die von der IKS vorgeschlagen worden waren, angenommen und die bordigistischen Parteien wurden eingeladen. Die Lehren aus dieser Episode für die Bemühungen um eine gemeinsame Arbeit dieser Art sind, dass nicht notwendigerweise alle Bedingungen im Voraus erfüllt sein müssen und dass die auftretenden Meinungsverschiedenheiten nicht als Entschuldigung für den Rückzug aus dem Projekt benutzt werden sollten. Entscheidend und eine der wichtigsten Lehren für das letztendliche Scheitern der Internationalen Konferenzen in den siebziger Jahren war, dass die Überzeugung vom Prinzip einer gemeinsamen Anstrengung und der Wille, ein Forum für die Diskussion von Differenzen in der Kommunistischen Linken zu erhalten, fehlten. Die 3. Konferenz der Kommunistischen Linken hat es in der Tat versäumt, eine gemeinsame internationalistische Erklärung gegen den Einmarsch der UdSSR in Afghanistan abzugeben, die von der IKS vorgeschlagen worden war.
In eurem Brief vom 24. April 2022 sagtet ihr, dass die IKS euch bittet, eure Weigerung, die Gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, zu überdenken, da sie "falsch" sei. Wir haben euch daher in unserem Antwortschreiben gefragt, was der "richtige Weg" wäre. In eurem letzten Schreiben geht ihr nicht auf diese Frage ein. Auf der jüngsten öffentlichen Diskussionsveranstaltung der IKS in London am Samstag, den 7. April, stellte sich der IKT die gleiche Frage: Was sollte die IKS tun, um euch zu überzeugen, die Gemeinsame Erklärung der Kommunistischen Linken gegen den imperialistischen Krieg zu unterzeichnen? Der IKT-Genosse, der an dem Treffen teilnahm, gab zu, dass er auch auf diese Frage keine Antwort hatte.
Ist das Fehlen einer Antwort auf diese Frage auch der Grund, warum ihr euch in eurem letzten Brief als "letztes Wort" zu diesem Thema geäußert habt?
Die IKS ihrerseits bleibt offen für eine Diskussion mit euch über unsere Differenzen bezüglich der Weigerung der IKT, die Gemeinsame Erklärung der Gruppen der Kommunistischen Linken gegen den Krieg in der Ukraine zu unterzeichnen.
Kommunistische Grüße
IKS
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Liebe Genossinnen und Genossen,
Wir haben auf eurer Website die Ankündigung der öffentlichen Konferenz gelesen, die ihr für Freitag, den 22. April in Genua zum Thema Krieg in der Ukraine organisiert habt. Wir haben auch die fünf Themen gelesen, die ihr für die Diskussion vorschlagt und denen wir in ihrem Grundansatz vollkommen zustimmen. Wie ihr richtig sagt, ist der Krieg eine Konstante des Kapitalismus, umso mehr in dieser Phase des historischen Niedergangs. Daher halten wir die Entscheidung eurer Organisation, eine öffentliche Konferenz zu diesem Thema zu veranstalten, für eine wichtige und verantwortungsvolle Entscheidung, um der bürgerlichen Kampagne entgegenzutreten, die uns dazu drängt, eine der beiden Seiten im Kampf zu unterstützen, in diesem speziellen Fall die Ukraine, als ein Land, das angegriffen wird und daher durch die Lieferung von – Waffen unterstützt werden sollte. Die bürgerliche Propaganda versucht durch einen mitschuldigen Pazifismus, uns alle in die Schrecken des gegenwärtigen Krieges zu verwickeln. All dies muss energisch angeprangert werden, und wir sind sicher, dass ihr dies auf eurer Veranstaltung tun werdet. Leider haben wir zu spät von der Abhaltung dieser Veranstaltung erfahren und bedauern, dass wir nicht persönlich teilnehmen können, und sehen auch nicht, dass eine Teilnahme über das Internet möglich ist. Erlaubt uns jedoch, euch den Text der Gemeinsamen Erklärung der Gruppen der Internationalen Kommunistischen Linken zum Krieg in der Ukraine zu übermitteln, eine Erklärung, die wir auch anderen Teilen der Kommunistischen Linken vorgeschlagen haben und die wir für wichtig halten, um sie dem Proletariat heute als Ausdruck dessen zu zeigen, was die revolutionären Organisationen angesichts der verschiedenen bürgerlichen Mystifikationen eint. Wie wir euch in einem früheren Brief geschrieben haben, bitten wir euch, diese Erklärung zu unterzeichnen, nicht um eine bestimmte Zahl zu erringen, sondern um, ausgehend von der gegenseitigen Anerkennung der Zugehörigkeit zum selben revolutionären Lager, einen Prozess der Konfrontation und der öffentlichen Diskussion zu eröffnen, der im Laufe der Zeit zu einer Dekantierung der Positionen und einer politischen Klärung vor der Klasse führen kann. Bei dieser Gelegenheit möchten wir auch die nächsten öffentlichen Veranstaltungen zu einem ähnlichen Thema ankündigen, die über das Internet abgehalten werden und somit leicht zugänglich sind, vorerst auf Italienisch am 4. Mai und auf Englisch am 8. Mai. Die Ankündigung dieser Veranstaltungen wird so bald wie möglich – die in italienischer Sprache bereits morgen – auf unserer Website erscheinen. Wir laden euch hiermit offiziell zu diesen Treffen ein, die eine wertvolle Gelegenheit für eine Aussprache zwischen wirklich revolutionären Organisationen bieten könnten.
Wir freuen uns auf eure Antwort und senden euch unsere brüderlichen Grüße
Internationale Kommunistische Strömung
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Liebe Genossinnen und Genossen
Wir senden euch Links zu der gemeinsamen Erklärung zum imperialistischen Krieg in der Ukraine (auf Englisch und Russisch), die von drei Gruppen der kommunistischen Linken und einer weiteren Gruppe, die dieser Tradition nahesteht, unterzeichnet wurde.
Gemeinsame Erklärung von Gruppen der internationalen kommunistischen Linken zum Krieg in der Ukraine | International Communist Current (internationalism.org);
Совместное заявление групп
Интернациональной коммунистической
левой о
войне на Украине | Интернациональное
коммунистическое течение
(internationalism.org )
Wir verstehen, dass ihr einer anderen politischen Tradition entstammt, aber wir haben immer anerkannt, dass ihr konsequent und mutig – besonders unter den gegenwärtigen Bedingungen in Russland – internationalistische Positionen gegen die Kriege des Kapitalismus verteidigt, und so haben wir kürzlich eure Erklärung zum Krieg in der Ukraine auf unserer Website in mehreren Sprachen veröffentlicht (vgl. Eine internationalistische Erklärung aus Russland [304]).
Wir bitten euch daher um die Unterstützung unserer Erklärung, sei es durch eure direkte Unterschrift oder durch die Bekanntgabe, dass ihr trotz aller Differenzen mit ihr weitgehend einverstanden seid, und sie auf eurer eigenen Website und anderen euch zur Verfügung stehenden Kommunikationsmitteln veröffentlicht.
Wir freuen uns auch über eure Kommentare oder Kritik zu der Erklärung
solidarisch
IKS
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14. April 2022
Hallo Genossen,
Vielen Dank für die Verbreitung unserer Erklärung zum Krieg. Wir können uns der Erklärung, die ihr gemeinsam mit anderen linkskommunistischen marxistischen Organisationen herausgegeben habt, nicht anschließen – sicherlich nicht, weil wir mit ihrer internationalistischen Ausrichtung nicht einverstanden wären, sondern wegen theoretischer Meinungsverschiedenheiten, zum Beispiel der positiven Erwähnung der "Diktatur des Proletariats" – ein Konzept, mit dem wir nicht einverstanden sind.
Nichtsdestotrotz haben wir euren Text "Gegen den imperialistischen Krieg – Klassenkampf" übersetzt und auf unsere Website gestellt (mit einem Vorwort und einem Hinweis auf die Meinungsverschiedenheiten), mit dessen Bewertungen und internationalistischem Ansatz wir grundsätzlich einverstanden sind: https://aitrus.info/node/5949 [305]
Solidarisch
KRAS-IWA
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Liebe Genossinnen und Genossen,
1) Wir senden Euch die Einleitung zur gemeinsamen Erklärung:
"Die Organisationen der Kommunistischen Linken müssen ihr gemeinsames Erbe des Festhaltens an den Prinzipien des proletarischen Internationalismus vereint verteidigen, insbesondere in einer Zeit großer Gefahren für die Arbeiterklasse der Welt. Die Rückkehr des imperialistischen Gemetzels nach Europa im Krieg in der Ukraine ist ein solcher Zeitpunkt. Deshalb veröffentlichen wir im Folgenden mit anderen Unterzeichnern aus der Tradition der Kommunistischen Linken (und einer Gruppe mit einem anderen Werdegang, die die Erklärung voll unterstützt) eine gemeinsame Erklärung zu den grundlegenden Perspektiven für die Arbeiterklasse angesichts des imperialistischen Krieges."
Wir werden diese, wie bereits erwähnt, am Mittwoch, den 06.04. veröffentlichen.
2) Wir schlagen vor, als "Unterschriften" für die Unterzeichner
Internationale Kommunistische Strömung
Istituto Onorato Damen
Internationalist Voice
Internationalist Communist Perspective (Korea) unterstützt die gemeinsame Erklärung voll und ganz.
Ist das für euch in Ordnung?
[1] Einige Gruppen der bordigistischen IKP-Tradition, die zur Teilnahme eingeladen wurden, wie Il Partito und Le Proletaire/Il Comunista, haben auf die Einladungsschreiben nicht geantwortet, so dass es keine Briefe von ihnen gibt. Il Programma antwortete nur mit einer kurzen Absage, die hier enthalten ist. Auch die Gruppe Fil Rouge hat nicht geantwortet. Der Name von Il Partito wurde in der Adressatenliste des ursprünglichen Vorschlagsschreibens irrtümlich ausgelassen, aber der Vorschlag wurde dennoch an sie gesandt. Ihr Name wurde in die Liste der Adressaten der späteren Schreiben aufgenommen. Ein weiteres Schreiben wurde an Il Partito gesandt, das gegen Ende der vorliegenden Sammlung enthalten ist und eine Aufforderung zur Unterzeichnung der Erklärung enthält, und die IKS fragte Il Partito, warum er nicht auf die Einladung zur Erklärung an einem Online-Treffen über den Krieg in der Ukraine von Il Partito am 22. Mai geantwortet habe. Auch auf diese Anfragen gab es keine Antwort.
Während die Pandemie und die Umweltkatastrophe wüten, trifft uns die Wirtschaftskrise mit explodierenden Preisen, steigender Arbeitslosigkeit und Prekarität, und in diesem Kontext werden wir von den Kapitalisten noch stärker ausgepresst. Wir sehen das in Cádiz, wo der Tarifvertrag für die Metallarbeiter die Streichung von zwei Sonderzahlungen vorsieht, was einen Verlust von 200 Euro pro Monat bedeutet.
Die Bucht von Cádiz ist ein erschreckendes Bild der kapitalistischen Krise: mehr als 40% Arbeitslosigkeit, zahlreiche Unternehmensschließungen, die Schließung von AIRBUS Puerto Real, die Schließung von Delphi[1] – junge Menschen, die gezwungen sind, nach Norwegen und in andere, vermeintlich "glücklichere" Länder auszuwandern.
Gegen diese Bedrohung für das Leben und die Zukunft aller Arbeiter*innen kämpfen die Metallarbeiter mit einer Entschlossenheit und einem Kampfgeist, wie es ihn seit langem nicht mehr gegeben hat.
Dies ist nicht der einzige Kampf. Die Angestellten des öffentlichen Dienstes in Katalonien demonstrierten massiv gegen den unerträglichen Missbrauch von Leiharbeit (mehr als 300.000 Staatsbedienstete sind prekär beschäftigt); es gibt Kämpfe bei der Eisenbahn auf Mallorca, in Vestas (Coruña) gegen 115 Entlassungen; Unicaja gegen mehr als 600 Entlassungen; die Metallarbeiter in Alicante; die Proteste in verschiedenen Krankenhäusern gegen die Entlassung von Angestellten, die zuvor wegen COVID unter Vertrag genommen worden sind.
Diese Kämpfe begleiten solche in anderen Ländern: in den Vereinigten Staaten, im Iran, in Italien, Korea usw.[2]
Wir möchten unsere Solidarität mit den Arbeiter*innen in Cádiz zum Ausdruck bringen. Ihr Kampf trägt dazu bei, Passivität und Resignation zu durchbrechen, er drückt Empörung über unsere Leiden in diesem System aus, was die ersten Schritte einer proletarischen Antwort auf die Krise und die Barbarei des Kapitalismus fördern kann.
Die Arbeitgeber schlugen in den Tarifverhandlungen vor, "die Löhne in den Jahren 2020 und 2021 einzufrieren, zwei Zulagen zu streichen, die Arbeitszeiten zu erhöhen, eine neue Kategorie unterhalb der Fachkräfte zu schaffen und nicht über die Löhne für die Beschäftigten zu verhandeln, die mit giftigen und gefährlichen Substanzen zu tun haben“.[3] Dies ist ein brutaler Angriff, gegen den die Gewerkschaften versuchten, die Spannung mit zwei fruchtlosen Kampftagen zu mindern, aber angesichts der Unruhe und des Kampfgeistes haben sie schließlich einen unbefristeten Streik ab dem 16. November ausgerufen, der massenhaft befolgt wurde und sich auf die Bucht von Gibraltar ausgeweitet hat.
Am 17. und 18. November hat die radikale Gewerkschaftsbewegung die Arbeiter in Verkehrsblockaden eingespannt, die zu Zusammenstößen mit der Polizei in einem sinnlosen "urbanen Guerillakrieg" führten, der der Presse, dem Fernsehen und den sozialen Netzwerken Munition lieferte, um sie als "Terroristen" usw. zu verleumden. So erhebt El Mundo eine hasserfüllte Anklage gegen die Arbeiter: "Absage von Operationen, eine Geburt in einem Krankenwagen... Der Streik der Metallarbeiter verhindert den Zugang zum Krankenhaus von La Línea für Kranke und Pflegende" (17.11.2021).
Wie sich in Euzkalduna 1984, in Gijon 1985 und in früheren Kämpfen in Cádiz gezeigt hat, dienen solche Konfrontationen nur dazu, sich zu isolieren, andere Arbeiter*innen davon abzuhalten, sich anzuschließen und die möglichen Sympathien der Bevölkerung zu verhindern. Sie stärken das Kapital und seinen Staat und geben ihm die Mittel, grausame Repressionen zu entfesseln.
Aber die Arbeiter*innen suchen nach anderen Mitteln, um stark zu sein. Am 19. November wurde eine Mahnwache von mehr als 300 Arbeiter*innen gebildet, um die Solidarität der Navantia-Beschäftigten von San Fernando einzufordern. Am gleichen Tag wurden Demonstrationen in den Arbeitervierteln von Cádiz, Puerto Real und San Fernando organisiert. Nach einer Kundgebung vor dem Sitz der Arbeitgeber zogen die Demonstrierenden auf einer improvisierten Route durch die Stadt und erläuterten den Passant*innen ihre Forderungen. Am 20. Mai gab es eine große Demonstration im Zentrum von Cádiz und Kundgebungen in den Stadtvierteln zur Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen.
Wir können nur stark sein, wenn wir den Kampf auf die anderen Beschäftigten ausdehnen, wenn wir mit Demonstrationen, Streikposten und Versammlungen, die Ausdehnung des Kampfes organisieren. Der Kampf ist stark, wenn er sich ausweitet, indem er die Schranken des Unternehmens, des Sektors, der Stadt durchbricht, indem er den vereinigten Kampf der gesamten Arbeiterklasse auf der Straße schmiedet.
Von Anfang an haben die Gewerkschaften unter Vermittlung des andalusischen Rates für Arbeitsbeziehungen die Verhandlungen mit den Unternehmern monopolisiert. Wir wissen bereits, was diese "Verhandlungen" sind: eine Parodie, bei der sie schließlich unterschreiben, was das Kapital will. Das ist in Cádiz schon oft passiert: In Delphi haben die Gewerkschaften die Beschäftigten dazu gebracht, die Entlassungen zu schlucken, dasselbe geschah bei den verschiedenen Kämpfen in den Werften oder kürzlich bei AIRBUS. In Erinnerung an diesen Dolchstoß rief eine Arbeiterkundgebung am 20. November vor dem Sitz der Gewerkschaften: "Wo sind sie? Sie sind nicht zu sehen, Comisiones und UGT".
Um stark zu sein, ist es notwendig, dass der Kampf von der Vollversammlung aller Arbeiter geführt wird und dass sie die gewählten und abwählbaren Ausschüsse organisiert, um die Forderungen zu verteidigen, Kampfaktionen zu fördern, usw.
Seit den historischen Erfahrungen von 1905 und 1917-23 werden die Kämpfe, in denen die Arbeiterklasse stark ist, von den Arbeiter*innen selbst in Vollversammlungen organisiert, die der übrigen Arbeiterklasse offen stehen: Arbeitslosen, Pensionierten, prekär Beschäftigten, usw. Das war die Erfahrung der Metallarbeiter von Vigo im Jahr 2006[4] und der Bewegung der Indignados im Jahr 2011.[5]
Die Arbeiter*innen können den Kampf nicht in den Händen der Gewerkschaften lassen. In einer Erklärung der Coordinadora de Trabajadores del Metal de Cádiz heißt es: "Die Gewerkschaften müssen uns beraten und vertreten und dürfen keine Entscheidungen für uns und im Geheimen treffen". Auf keinen Fall! Was ist denn ihr "Rat"? Sie akzeptieren, was die Bosse verlangen, und was die Gegenwehr betrifft, so besteht ihre "Mobilisierung" darin, vereinzelt Druck auszuüben ohne jegliche Gewalt oder auf der Grundlage von Zusammenstößen von Minderheiten mit der Polizei. Sie vertreten nicht uns, sie vertreten das Kapital und seinen Staat. Ihre eigentliche Funktion als Apparate des Kapitals besteht darin, "Entscheidungen für uns und im Geheimen zu treffen".
Sie wollen den Kampf in eine "Bürgerbewegung" zur "Rettung von Cádiz" einbinden. Es stimmt, dass Industriebetriebe schließen, dass jeder dritte junge Mensch auswandern muss. Aber das sehen wir in allen Ländern. Detroit, einst das Zentrum der US-Autoindustrie, ist heute eine Wüste aus Eisen- und Zementruinen. Das Gleiche geschieht in der asturischen Bergbauindustrie. Es gibt Tausende von Beispielen. Es ist nicht Cádiz, das untergeht, es ist der Weltkapitalismus, der in einem Prozess von Wirtschaftskrise, Umweltzerstörung, Pandemien, Kriegen und allgemeiner Barbarei untergeht.
"Rettet Cádiz" lenkt den Kampf der Arbeiter auf ein völlig hilfloses lokales Terrain ab. Seit 40 Jahren lassen sie uns für die "Auslastung der Werften in Cádiz" kämpfen, für Investitionen in der Bucht usw. Wir sehen die Ergebnisse! Immer mehr Arbeitslosigkeit, mehr Prekarität, mehr Auswanderungszwang.
Die große Gefahr des Kampfes besteht darin, dass die Solidarität, die sich zu manifestieren beginnt, in Richtung "Rettet Cádiz" kanalisiert wird. Das treibt uns auf ein bürgerliches Terrain, das das schlimmste Gift für den Kampf der Arbeiter*innen ist. Sie wird auf ein kapitalistisches Ziel der "wirtschaftlichen Entwicklung" gelenkt, um angeblich "Arbeitsplätze zu schaffen", und auf die "Einheit" mit den Kleinunternehmern, die uns ausbeuten, mit den Polizisten, die uns verprügeln, mit den Politikern, die uns verkaufen, mit dem egoistischen und engstirnigen Kleinbürgertum.
Sie stecken den Kampf in Cádiz in die gleiche Schublade wie die Proteste der Transportunternehmer. So sagt Kichi, der "radikale" Bürgermeister von Cádiz: "Wir mussten Feuer anzünden, damit Madrid auf uns hört". Damit wird der Kampf der Arbeiter*innen verfälscht und verdreht, indem er in eine "Bewegung wütender Bürger" verwandelt wird, die "Feuer anzünden", damit die "demokratischen Behörden" ihnen das gäben, was "ihnen gehöre".
Nein! Der Kampf der Arbeiter*innen ist kein egoistischer Kampf für Teilforderungen. Im Kommunistischen Manifest heißt es: "Alle bisherigen Bewegungen waren Bewegungen von Minoritäten oder im Interesse von Minoritäten. Die proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl».[6] Der Kampf um Forderungen ist Teil der historischen Bewegung der Arbeiterklasse zum Aufbau einer Gesellschaft, die der vollen Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse dient.
Es ist nicht die "Bucht von Cádiz", auf die wir schauen müssen, um den Kampf voranzutreiben. Sie richtet sich an die gesamte Arbeiterklasse, die unter den gleichen Problemen leidet wie ihre Brüder in Cádiz: Inflation, Prekarität, Kürzungen der Tarifverträge, Kürzungen der Sozialleistungen, Chaos in den Krankenhäusern, drohende Fortsetzung der COVID. Aber umgekehrt müssen die Arbeiter*innen der anderen Regionen in ihren Genossen*innen in Cádiz ihren Kampf sehen und sich mit ihnen solidarisieren, indem sie ihre eigenen Forderungen stellen.
Entgegen den demokratischen Lügen ist die heutige Gesellschaft keine Summe von Bürgern, die "alle vor dem Gesetze gleich sind". Sie ist in Klassen geteilt, eine ausbeutende Minderheit, die alles hat und nichts produziert, und ihr gegenüber die Arbeiterklasse, die ausgebeutete Mehrheit, die alles produziert und immer weniger hat. Nur der Kampf als Klasse kann die Forderungen der Arbeiter*innen von Cádiz durchsetzen, nur der Kampf als Klasse kann angesichts der Krise und der Barbarei des Kapitalismus eine Zukunft eröffnen.
IKS 21.11.2021
[1] Zu unserer Intervention im Arbeiterkampf in Delphi siehe (auf Spanisch): Delphi: Die Stärke der Arbeiter ist die Solidarität [306] (Mai 2007); Schließung von Delphi: Nur mit Massenkampf und Solidarität werden wir stark sein [307] (Feb. 2007)
[2] Siehe: Kämpfe in den Vereinigten Staaten, im Iran, in Italien, in Süd-Korea... Weder die Pandemie noch die Wirtschaftskrise haben den Kampfgeist des Proletariats gebrochen! [283] (Nov. 2021)
[3] Aus einem Kommuniqué der Coordinadora de Trabajadores del Metal de la Bahía de Cádiz (Koordinationsausschuss der Metallarbeiter der Bucht von Cádiz).
[4] Siehe: Streik der Metallarbeiter in Vigo, Spanien: die proletarische Kampfmethode [308] (2006)
[5] Siehe: 2011: Von der Empörung zur Hoffnung [309] (März 2012)
[6] https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band04.pdf [310], MEW 4, S. 472
Putin rechtfertigt den militärischen Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine, indem er die "aggressiven" Absichten der NATO und der westlichen Mächte anprangert. Die politischen und medialen Sprachrohre in den westlichen "Demokratien" rufen dazu auf, gegen Russlands "aggressive" Bedrohungen der Souveränität der Ukraine standhaft zu bleiben, und verweisen auf die Intervention russischer Spezialkräfte zur "Wiederherstellung der Ordnung" in Kasachstan als weiteren Beweis für Putins Ambitionen zum "Aufbau" (oder Wiederaufbau) eines Imperiums.
Dies sind die gegenseitigen Anschuldigungen der kapitalistischen, imperialistischen Mächte, und die Position unserer Klasse, der Proletarisierten, die "kein Vaterland haben", besteht darin, sich zu weigern, sich auf diese Konflikte einzulassen, und erst recht, wirtschaftliche oder physische Opfer für ihre Ausbeuter zu bringen, seien es die Amerikaner, die Europäer, die Russen oder die Ukrainer.
Aber um die Propaganda beider Seiten zu entlarven, ist es die Aufgabe der Revolutionäre, nicht nur alle Lügen, die jene verbreiten, anzuprangern, sondern auch eine kohärente Analyse zu liefern, um den Wurzeln dieser Verschärfung der inter-imperialistischen Spannungen auf den Grund zu gehen.
Vor 1989 stand Moskau an der Spitze der zweiten Weltmacht, an der Spitze eines ganzen imperialistischen Blocks. Die Ukraine und viele der anderen "unabhängigen" Republiken, die die Russische Föderation umgeben, waren Teil der UdSSR, der so genannten "Sowjetunion". Doch 1989-91, auf dem Höhepunkt einer langen wirtschaftlichen und politischen Krise, deren Ursprünge wir an anderer Stelle analysiert haben[1], brach der Ostblock zusammen und die UdSSR selbst wurde vom Tsunami mitgerissen.
Eines der wichtigsten Mittel für diesen beispiellosen Sieg des von den USA geführten Blocks war die Politik der Einkreisung der UdSSR, indem ein Bündnis mit China geschmiedet, die Türkei als Raketenbasis genutzt und eine "Pax Americana" im gesamten Nahen Osten angestrebt wurde. Dies ging mit einem intensiven Wettrüsten einher, das den Bankrott der UdSSR beschleunigte. Der zunehmend angeschlagene russische Block versuchte, den Kreislauf zu durchbrechen, insbesondere durch die Invasion in Afghanistan im Jahr 1979, aber dieser Versuch, Zugang zu den "warmen Meeren" zu erhalten, ging nach hinten los, da die russischen Truppen in einen nicht zu gewinnenden Krieg gegen islamistische Kräfte verwickelt wurden, die von den USA und ihren Verbündeten unterstützt wurden. Mehr oder weniger zur gleichen Zeit zeigten die Massenstreiks der Arbeiterklasse in Polen den Machthabern der UdSSR, wie wenig sie bei weiteren militärischen Abenteuern, vor allem in Europa selbst, auf die Arbeiter im eigenen Block zählen konnten.
Die USA wurden so zur einzigen "Supermacht", und Bush Senior verkündete eine "Neue Weltordnung" des Friedens, des Wohlstands und der Demokratie, während die US-Militärstrategen die "Überlegenheit auf allen Ebenen" und das "Neue Amerikanische Jahrhundert" planten. Doch schon nach wenigen Jahren erwies sich der Triumph der USA als hohl. Als der gemeinsame Feind im Osten niedergeschlagen war, begann der westliche Block selbst zu zersplittern, und das Prinzip "Jeder für sich" trat mehr und mehr an die Stelle der alten Blockdisziplin – in den internationalen Beziehungen Ausdruck einer neuen und letzten Phase im langen Niedergang des kapitalistischen Systems. Dieser Prozess wurde durch den Balkankrieg Anfang der 90er Jahre plastisch veranschaulicht, bei dem die "loyalsten" Verbündeten der USA in Streit gerieten und sogar verschiedene Fraktionen bei den blutigen Massakern unterstützten, die den Zerfall Jugoslawiens begleiteten.
Die Reaktion der USA auf diese Bedrohung ihrer Hegemonie bestand in dem Versuch, ihre Autorität durch den Einsatz ihrer überwältigenden militärischen Überlegenheit wiederherzustellen – mit einigem Erfolg im ersten Golfkrieg von 1991, aber mit weitaus negativeren Ergebnissen bei den Invasionen in Afghanistan 2001 und im Irak 2003. Als nächstes fuhren sich die USA in nicht zu gewinnenden Konflikten mit islamistischen Banden fest. Anstatt die Tendenz zum Alleingang zu stoppen, beschleunigten diese Abenteuer die zentrifugalen Tendenzen in der gesamten strategisch wichtigen Nahost-Region. Vor allem der Hauptfeind der USA in der Region – der Iran – profitierte von dem Chaos im benachbarten Irak, indem er seine Marionetten im Libanon, im Jemen, in Syrien und anderswo aufstellte.
Gleichzeitig schuf diese neue Unordnung in der Welt einen Raum für China, das bereits von den massiven westlichen Wirtschaftsinvestitionen profitiert hatte, die darauf abzielten, einen Weg aus den wirtschaftlichen Rezessionen der 70er und 80er Jahre zu finden, und das sich zu einem echten imperialistischen Rivalen der USA entwickeln konnte.
Nach einer kurzen Periode – den Jelzin-Jahren –, in der Russland bereit schien, sich an den Meistbietenden zu verkaufen, begann der russische Imperialismus unter der Führung des ehemaligen KGB-Mannes Putin, sich wieder zu behaupten, wobei er sich auf seine einzigen wirklichen Trümpfe stützte: den riesigen Militärapparat, den er aus der Zeit des Kalten Krieges geerbt hatte, und seine beträchtlichen Energiereserven, insbesondere Erdgas, die zur Erpressung energieabhängigerer Länder genutzt werden konnten. Und selbst wenn es nicht in der Lage war, seine imperialistischen Rivalen direkt zu konfrontieren, so konnte es doch Vollgas geben, um die Spaltung zwischen ihnen zu verschärfen, vor allem durch den geschickten Einsatz von Cyber-Kriegsführung und schwarzer Propaganda. Ein offensichtliches Beispiel sind Russlands Bemühungen, die EU durch die Unterstützung populistischer Kräfte beim Brexit-Referendum, in Frankreich, Osteuropa usw. zu schwächen. In den USA unterstützten ihre Trolle in den sozialen Medien die Trump-Kandidatur, und als Präsident erwies sich Trump, gelinde gesagt, als nachgiebig gegenüber russischen Ambitionen und Handlungen – zum Teil, weil Trump sich durch seine finanziellen und möglicherweise sexuellen Eskapaden dem russischen Druck geöffnet hatte, aber auch, weil es eine beträchtliche Fraktion der US-Bourgeoisie gab, die Russland als Gegengewicht zu China umwerben wollte.
Die imperialistische Wiederbelebung Russlands vollzog sich in mehreren Etappen – innenpolitisch durch die Beendigung des Jelzinschen Ausverkaufs und die Durchsetzung einer viel strengeren Kontrolle über die Volkswirtschaft, aber vor allem durch militärische Aktionen: in Tschetschenien, das von 1999 bis in die 2000er Jahre als Warnung vor künftigen Versuchen, sich von der Russischen Föderation abzuspalten, in Schutt und Asche gelegt wurde; in Georgien im Jahr 2008, wo russische Streitkräfte zur Unterstützung der Abspaltung Südossetiens und zur Verhinderung der Annäherung Georgiens an die NATO intervenierten; die Annexion der Krim im Jahr 2014, die den Höhepunkt der russischen Reaktion auf die "Orangene Revolution" in der Ukraine und die Bildung einer prowestlichen Regierung darstellte, die die Mitgliedschaft in der NATO anstrebte; und in Syrien, wo russische Waffen und Streitkräfte entscheidend dazu beitrugen, den Sturz Assads und den möglichen Verlust des russischen Marinestützpunkts in Tartus zu verhindern. In den 1970er und 80er Jahren war es den USA weitgehend gelungen, den russischen Einfluss aus dem Nahen Osten zu vertreiben (z.B. in Ägypten, Afghanistan usw.). Jetzt ist Russland zurückgekehrt, und die USA haben sich zurückgezogen. Bei vielen dieser Militäraktionen hat Russland die offene oder stillschweigende Unterstützung Chinas genossen – nicht weil es keine imperialistischen Differenzen zwischen den beiden Ländern gäbe, sondern weil China die Vorteile einer Politik erkannt hat, die den Einfluss der USA schwächt.
Trotz des Aufschwungs Russlands und der zahlreichen Rückschläge für die USA haben diese jedoch nicht alle Gewinne aufgegeben, die sie in den an Russland angrenzenden Ländern erzielt haben; in vielerlei Hinsicht wird die alte Politik der Einkreisung fortgesetzt. Die Erweiterung der NATO war die Speerspitze dieser Politik und hat Estland, Litauen, Lettland, Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Slowenien – von denen die meisten früher zum russischen Block gehörten – mit einbezogen. All dies geschah in den letzten zwei Jahrzehnten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich der russische Staat durch die Bemühungen, Georgien und die Ukraine in die NATO aufzunehmen, bedroht fühlt. Eine der wichtigsten Forderungen Putins zur "Entschärfung" der Ukraine-Krise beinhaltet das Versprechen, dass die Ukraine niemals der NATO beitreten wird und dass ausländische Truppen oder Waffen aus den Ländern abgezogen werden, die der NATO seit 1997 beigetreten sind.
Darüber hinaus haben die USA verschiedene "farbige Revolutionen", insbesondere in der Ukraine, nach Kräften unterstützt und versucht, die Proteste gegen die wirtschaftliche Misere und die despotischen prorussischen Machthaber in eine Unterstützung für EU- und US-freundliche politische Kräfte zu lenken.
Russland bleibt in dieser Situation also im Wesentlichen in der Defensive. Moskau weiß jedoch auch, dass die USA selbst mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, da sie mit dem Aufstieg Chinas beschäftigt sind und darauf bedacht sind, sich nicht an zu vielen Fronten gleichzeitig zu engagieren, wie der demütigende Rückzug aus Afghanistan deutlich zeigt. Es ist also ein "guter" Moment für Putin, mit den Säbeln zu rasseln, und wie immer kann dies dazu beitragen, sein Image des starken Mannes im eigenen Land zu stärken, vor allem, wenn seine Popularität im Zuge von Korruptionsskandalen, einer zunehmend repressiven Politik gegenüber Oppositionspolitikern und Journalisten und den zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes schwindet.
All dies bedeutet nicht, dass die Ukraine eine "unschuldige Beteiligte" an dieser militärischen Aufrüstung ist. Die Ukraine hält jährlich gemeinsame Militärübungen mit den NATO-Verbündeten ab und ist eines von 26 Ländern, die an der NATO-Initiative Defender-Europe 2021 teilnehmen, einer von der US-Armee geleiteten Militäroperation zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft und der Interoperabilität zwischen den Streitkräften der USA, der NATO und der Partnerstaaten in ganz Europa (siehe "Defender-Europe 21 Fact Sheet").
Kiew hat Schritte unternommen, um seine militärischen Mittel und Ausrüstungen zu modernisieren und die Kriterien für eine NATO-Mitgliedschaft zu erfüllen. Im Juni 2020 wurde die Ukraine sogar zu einem "Partner mit erweiterten Möglichkeiten" der NATO und vertiefte damit die Zusammenarbeit mit dem Militärbündnis.
Anfang 2021 kündigte der ukrainische Außenminister an, dass der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat eine Strategie zur Rückeroberung und Wiedereingliederung der Krim in das Land gebilligt habe. Selenskys Regierung strebte die "volle ukrainische Souveränität" nicht nur über die Krim, sondern auch über die Hafenstadt Sewastopol an.
Steuern wir auf einen direkten Konflikt zwischen Russland und den USA um die Ukraine oder gar auf einen dritten Weltkrieg zu, wie einige der alarmistischsten Berichte vermuten lassen?[2]
Weder die USA noch Russland sind Teil eines stabilen Militärblocks, der die Disziplin hat, für einen globalen Krieg zu mobilisieren. Und keiner von beiden hat ein Interesse an einem unmittelbaren, direkten militärischen Zusammenstoß. Trotz der beträchtlichen landwirtschaftlichen und industriellen Ressourcen der Ukraine [3] wurde eine Invasion und Annexion der Ukraine mit einer Python verglichen, die eine Kuh verschluckt: In die Ukraine einzumarschieren mag eine Sache sein, sie festzuhalten eine ganz andere. Und wie wir schon sagten, hat Amerika dringendere Sorgen an der imperialistischen Front, daher Bidens eher unwirksame Warnung, dass Schlimmes passieren wird, wenn Russland einmarschiert, und sein Engagement für diplomatische Gespräche auf hoher Ebene.
Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass der Konflikt niedriger Intensität mit den russischen Separatisten im Osten der Ukraine trotz verschiedener Versuche eines Waffenstillstands weitergeht. Selbst wenn Russland von einer direkten Invasion absieht, könnte es gezwungen sein, seine Unterstützung für diese separatistischen Kräfte zu verstärken oder die Integrität der Ukraine als Staat an anderen Fronten anzugreifen. Und selbst wenn das Letzte, was der "Westen" will, der Einsatz von Bodentruppen ist, ist er nicht völlig machtlos. Er kann der ukrainischen Armee weiterhin Waffen und Ausbildung zur Verfügung stellen, und er kann auch mit einigen schädlichen wirtschaftlichen Maßnahmen gegen Russland reagieren, wie z.B. einer vollständigen Sperrung der großen russischen Staatsbanken und Investitionsagenturen und neuen Sanktionen, die auch den Bergbau, die Metallindustrie, die Schifffahrt und das Versicherungswesen beträfen[4].
Die Phase des Zerfalls, in die der Weltkapitalismus vor dreißig Jahren eingetreten ist, ist durch chaotische militärische Konflikte und einen zunehmenden Kontrollverlust der herrschenden Klasse gekennzeichnet. Davor und während des Kalten Krieges, hielten die großen Weltmächte das nukleare Damoklesschwert über dem Kopf der Menschheit. Es schwebt noch immer in einer Welt, die nicht mehr dem Diktat kohärenter Blöcke gehorcht und in der mehr Länder als je zuvor mit Massenvernichtungswaffen ausgestattet sind. Kurzum, was auch immer die "rationalen" Berechnungen der Spieler auf dem imperialistischen Schachbrett sein mögen, wir können plötzliche Ausbrüche, Eskalationen oder das Abgleiten in irrationale Zerstörungswut nicht ausschließen. Der Krieg bleibt die Lebensform dieses dekadenten Systems, und die Tatsache, dass die Machthaber bereit sind, das Leben der Menschheit und den Planeten selbst aufs Spiel zu setzen, ist bereits ein Grund, dieses System zu verurteilen und für eine globale menschliche Gemeinschaft zu kämpfen, die Nationalstaaten und Grenzen ins Museum der Antiquitäten verbannt.
10.01.2022, Amos
[1] Siehe zum Beispiel: Thesen zur ökonomischen und politischen Krise in der UdSSR und den osteuropäischen Ländern [311], in Internationale Revue Nr. 12
[2] Die britische Rechtsaußen-Zeitung The Daily Express ist auf diese Art von Alarmismus spezialisiert: Warnung vor dem 3. Weltkrieg: Russische Invasion wird verheerenden globalen Konflikt auslösen - dringender Alarm [312], express.co.uk, 16.12.2021
[3] Siehe zum Beispiel die Studie einer der Bordigistengruppen: https://www.international-communist-party.org/CommLeft/CL36.htm#UkraineLeaf [313]
[4] Der Westen muss entschlossen gegen Russlands Bedrohung der Ukraine vorgehen [314], euronews.com, 28.12.2021
Im Folgenden veröffentlichen wir zwei Briefe von IKS-Sympathisanten, die die Überlegungen fortsetzen sollen, die bei einem Treffen in Frankreich am 15. Mai 2021 zum Thema „Wesen und Zusammensetzung der Arbeiterklasse“ entstanden sind. Bei dieser Diskussion stellten einige Teilnehmende die Frage, welche Auswirkungen die "Uberisierung" der Arbeit auf die Zusammensetzung der Arbeiterklasse hat. Mit anderen Worten: Gehören die "uberisierten" Arbeiter und Arbeiterinnen zur Arbeiterklasse?[1] Wir begrüßen die Bemühungen der Genossinnen und Genossen um Reflexion und ihre Bereitschaft, ihre Bedenken zu äußern. Die Briefe der Genossen sind zwei Beiträge zu dieser Debatte, die auf anderen IKS-Treffen fortgesetzt werden wird. Die IKS ist entschlossen, ihre Position zu diesem Thema weiterzuentwickeln, und wir werden in unserer Presse weiteres Material zu diesem Thema veröffentlichen.
Im Allgemeinen haben sich die Bedingungen der Produktion von Reichtum seit dem 19. Jahrhundert, als der Kapitalismus in den westlichen Ländern aufkam (in Großbritannien im 18. Jahrhundert), nicht geändert. Die Arbeiterklasse ist nach wie vor die Klasse, die den gesamten Reichtum produziert, und sie wird weiter existieren, solange Mehrwert produziert wird. Die Definition von Marx besagt, dass die Arbeiterklasse nicht Eigentümerin der Produktionsmittel ist, sondern nur über ihre Arbeitskraft verfügt, mit der sie im Austausch gegen einen Lohn Mehrwert produziert. Im 19. Jahrhundert konzentrierte sich das Proletariat jedoch hauptsächlich auf den primären Sektor (Gewinnung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen) und sekundären Sektor (Umwandlung von Grundstoffen in Waren). Die Arbeiter arbeiteten Seite an Seite nebeneinander und konnten sich leicht austauschen und organisieren.
Nach dem Aufstieg des Kapitalismus hat sich die Zusammensetzung des Proletariats im Zusammenhang mit der Entwicklung anderer Bereiche verändert. Der tertiäre Sektor, zu dem Beamte gehörten, die das gesellschaftliche Leben verwalteten und organisierten, umfasst heute viel mehr Beschäftigte, die an der Verwertung von Waren beteiligt sind, einen Mindestlohn erhalten und keine Hoffnung mehr auf einen einfachen sozialen Aufstieg haben; dies gilt für die Post (bei der es immer weniger Beschäftigte mit Beamtenstatus gibt), für das Bildungswesen, das Gesundheitswesen und den öffentlichen Verkehr (wo der Beamtenstatus ebenfalls verschwindet).
Die Bourgeoisie ist immer auf der Suche nach "verdeckten" Möglichkeiten, die Arbeiterklasse weiter unter Druck zu setzen: Großbritannien hat eine Politik des "fire and re-hire" eingeführt, die es den Arbeitgebern erlaubt, bestehende Arbeitsverträge zu kündigen und sie durch für die Beschäftigten weit weniger "vorteilhafte" Verträge zu ersetzen. In einem Artikel über die Situation im Vereinigten Königreich[2] wird diese neue hinterhältige Praxis erwähnt, die von Tesco, British Telecom, British Gas und Busunternehmen angewendet wird. In Großbritannien wurde auch erstmals der Status des selbständigen "Arbeitnehmers" eingeführt, der für Uber, Deliveroo und andere Post- und Paketzustelldienste usw. arbeitet.
Auf dem letzten Diskussionstreffen wurde zu Recht die Zugehörigkeit dieser "unabhängigen" Beschäftigten zur Arbeiterklasse verteidigt. Auch wenn sie nicht assoziiert arbeiten, nehmen sie an der Verwertung der Ware Arbeitskraft teil, indem sie anderen Arbeitern Mahlzeiten liefern, Pakete transportieren, Büros reinigen usw.
Auch in Großbritannien hat es in verschiedenen Branchen Kämpfe mit Leiharbeitern gegeben: "Im März 2021 führten 150 Pförtner, Reinigungskräfte, Telefonisten und Catering-Mitarbeiter, die von der Ausrüstungsfirma Mitie im Cumberland County Hospital beschäftigt wurden, über die Gewerkschaft Unison einen ersten Aktionstag durch, weil ihnen die Überstunden nicht bezahlt wurden..."
Heute gibt es immer weniger Industriearbeiter, da die Maschinen sie ersetzt haben. Aber die Techniker, die die Maschinen bedienen und warten, sind Arbeiter, da sie ebenfalls an der Produktion von Wert beteiligt sind.
Mit der Ausbreitung des Kapitalismus auf der ganzen Welt gibt es immer weniger kleine Bauernhöfe. Heute sind sie in großen, industriell geführten Landwirtschaftsbetrieben zusammengefasst; diese (Land-)Arbeiter sind Teil der Arbeiterklasse.
Die Arbeiterklasse war schon immer heterogen, aber die Arbeiter in den peripheren Ländern haben nicht die historische Erfahrung der Arbeiter in den zentralen Ländern und lassen sich eher von den demokratischen Lockrufen beeinflussen, die ihren Kampf auf die Beteiligung an Gewerkschaftsarbeit oder auf die Teilnahme an Wahlen lenken.
Daher werden die Kämpfe der Arbeiter in den zentralen Ländern entscheidend sein, um gegenüber den Arbeitern in der ganzen Welt den Weg zu weisen zur Entwicklung einer vorrevolutionären Situation.
Menschen aus anderen Klassen können sich dem Kampf der Arbeiterklasse anschließen, indem sie revolutionäre Gruppen unterstützen und davon überzeugt sind, dass nur eine kommunistische Revolution eine lebensfähige Zukunft für die Menschheit bringen kann.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Besetzung von Fabriken kein wirksames Mittel des Kampfes mehr ist und dass die Beschränkung auf die Fabrik keine Macht darstellt. Im Gegenteil. Die Ausweitung des Kampfes und die Kommunikation mit anderen Branchen ist das, was den Kampf stärkt. Bei der letzten Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich zum Beispiel gingen die Beschäftigten unterschiedlichster Branchen auf die Straße, darunter der öffentliche und der private Bereich, Leiharbeiterinnen, befristet Beschäftigte, Anwälte und Arbeitslose. Auch wenn ein Teil der Beschäftigten nicht eng assoziiert in großen Unternehmen arbeitet, war der Angriff auf das Rentensystem ein starkes verbindendes Element (und kann es auch in Zukunft sein).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass heute, in der Epoche des Zerfalls des Kapitalismus, alle Arbeitenden, die traditionell an der Produktion des Mehrwerts beteiligt sind, in den Fabriken, aber auch die Leiharbeiter, die Angestellten in der Primar- und Sekundarstufe, die einfachen Verwaltungsangestellten, die prekär Beschäftigten, die (Schein-)Selbstständigen, die isoliert arbeiten, aber in große (Klassen-)Bewegungen eingebunden werden können, alle, die in dem einen oder anderen Maße an der Verwertung der Ware beteiligt sind, Teil der Arbeiterklasse sind. Die Bourgeoisie tut alles, um zu verhindern, dass die Arbeiter:innen ein Zusammengehörigkeitsgefühl verspüren und versucht, sie zu spalten, aber das gemeinsame Interesse der Arbeiter:innen, der Kampf für die Verteidigung der Löhne, der Renten, der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, der Arbeitszeiten, des Urlaubs, der Widerstand gegen Entlassungen, kurzum der Widerstand gegen die Zunahme der Ausbeutung, verbindet sie unaufhaltsam.
L, 19/05/2021
Auf dem letzten IKS-Treffen (Samstag, 15. Mai 2021) warfen einige Genoss:innen die Frage nach dem Wesen der Arbeiterklasse in einer Gesellschaft auf, in der sich in den letzten zehn Jahren ein Phänomen etabliert hat, das als "Uberisierung" (benannt nach dem Unternehmen Uber, einem Pionier dieser Branche) in der so genannten "Gig Economy" bezeichnet wird. Es ist wichtig zu fragen, ob diese neuen Beschäftigten zum Proletariat gehören oder ob sie aus Klassen außerhalb des Proletariats kommen, die zum Kleinbürgertum gehören, denn die Antwort auf diese Frage hat wichtige Konsequenzen, insbesondere politische. Sie bestimmt, ob wir diese Beschäftigten verteidigen sollten oder nicht, je nachdem, ob sie sich auf dem Terrain der Arbeiterklasse oder auf einem Terrain außerhalb der Arbeiterklasse befinden.
Die IKS schreibt in ihrer Resolution zum Kräfteverhältnis zwischen den Klassen (2019): „Die Zunahme von Arbeitslosigkeit und Unsicherheit hat auch das Phänomen der „Uberisierung“ der Arbeit hervorgebracht. Indem die Uberisierung eine Internetplattform zur Arbeitssuche nutzt, verschleiert sie den Verkauf der Arbeitskraft an einen Chef hinter der Form von „selbständig Erwerbenden“ und verstärkt gleichzeitig die Verarmung und Unsicherheit dieser „Unternehmer“. Die „Uberisierung“ der individuellen Arbeit ist ein Schlüsselfaktor für die Atomisierung und die Schwierigkeiten, in den Streik zu treten, denn die Selbstausbeutung dieser Arbeiter*innen fesselt ihre Fähigkeit, kollektiv zu kämpfen und untereinander Solidarität gegen die kapitalistische Ausbeutung zu entwickeln.“
Mehrere Punkte sind in dieser Resolution wichtig. Erstens heißt es darin, dass die Uberisierung "den Verkauf von Arbeitskraft an einen Chef verschleiert". Nach Ansicht der IKS ist diese Form der Selbständigkeit nur ein juristischer Kunstgriff. Darüber hinaus hat der Oberste Gerichtshof in Großbritannien beschlossen, Uber-Fahrer als Arbeitnehmer einzustufen, was zeigt, dass selbst die Rechtsorgane des bürgerlichen Staates nicht auf einen solchen Trick hereinfallen. Wenn die Uber-Beschäftigten nicht als Selbstständige betrachtet werden und umgekehrt ihre Arbeitskraft an einen Chef verkaufen, können sie dann nicht als Teil der Arbeiterklasse betrachtet werden? Der Rest der Resolution ist in dieser Frage weniger eindeutig.
Sie argumentiert, dass "die 'Uberisierung' der individuellen Arbeit ein Schlüsselfaktor für die Verstärkung der Atomisierung ist und die Schwierigkeit, in den Streik zu treten", und dass sie "ihre Fähigkeit, kollektiv zu kämpfen" gegen die kapitalistische Ausbeutung erheblich behindert. Es ist unbestreitbar, dass die Art der ausgeführten Aufgabe, die sich je nach Dienstleistung unterscheidet – die wichtigsten sind jedoch das Ausliefern von Mahlzeiten oder die Arbeit als Fahrer:innen – sowie der mystifizierte Glaube, dass die Uber-Beschäftigten ihre eigenen Chefs sind und niemandem außer sich selbst Rechenschaft ablegen müssen, eine Rolle bei der Atomisierung der Klasse spielen und die notwendige Solidarität zwischen den Beschäftigten brechen. Erinnern wir uns daran, dass für Marx der Kapitalismus durch die Konzentration und Zentralisierung des Kapitals zu assoziierter Arbeit führt, die letztlich das Klassenbewusstsein der Arbeiter stärkt, die kollektiv mit der gleichen Realität der brutalen Ausbeutung konfrontiert sind. Dies unterscheidet das Proletariat grundlegend von der Kleinbauernschaft, die ebenfalls ausgebeutet wird, aber über das Land verstreut ist, was sie daran hindert, solidarische Bande zu knüpfen.
Aber wenn Uber-Beschäftigte atomisiert und verstreut sind und es für sie äußerst schwierig ist, Solidaritätsbeziehungen zu knüpfen und kollektive Kämpfe oder Streiks zu führen, sind sie dann nicht trotzdem ein Teil der Arbeiterklasse, des Proletariats? Die Tatsache, dass sie aufgrund ihrer prekären Arbeitsbedingungen zur Nachhut der Arbeiterklasse gehören, bedeutet nicht, dass wir diesen Beschäftigten ihren Status als ausgebeutete Proletarier absprechen sollten, die von den Produktionsmitteln getrennt und dazu verurteilt sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, was der Definition des Proletariers nach Marx entspricht. Die Modalitäten ihrer Ausbeutung könnten im Übrigen mit denen des Akkordlohns verglichen werden, die Marx in Band 1 des Kapitals (in Kapitel 21) analysiert hat, wobei die Rentabilität ihrer Arbeit nicht in Arbeitsstunden, sondern in der Anzahl der ausgeführten Aufgaben berechnet wird, was die Konkurrenz zwischen den Arbeitern noch verschärft, da jeder versucht, so viele Aufgaben wie möglich im Laufe des Tages zu erledigen.
Bevor wir zum Schluss kommen, ist es wichtig, die tatsächliche Kampffähigkeit der Uber-Beschäftigten zu betrachten. Wie wir bereits gesagt haben, untergräbt ihre Atomisierung, der Wettbewerb in dieser modernen Form der Akkordarbeit, ständig die Solidarität zwischen diesen Arbeiter:innen. Dennoch haben wir an mehreren Orten auf der Welt gesehen, wie spontane Formen des Kampfes entstanden sind, ohne dass Gewerkschaften, die Instrumente der Zusammenarbeit mit dem bürgerlichen Staat und der Verteidigung der kapitalistischen Produktionsweise, gegründet oder beteiligt wurden. In Los Angeles streikten die Beschäftigten von Uber spontan, um gegen ihre Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Dies ist auch in anderen Ländern und bei anderen (Gig-Economy-)Unternehmen in Italien, Großbritannien usw. der Fall. Es stimmt, dass diese Beschäftigten manchmal Gewerkschaften gründen oder Unterstützung von bestehenden Gewerkschaften suchen. Kommunisten müssen diese Sackgassen ablehnen und stattdessen für die spezifischen Instrumente des Klassenkampfes plädieren, insbesondere den wilden Streik, der jede Beteiligung der Gewerkschaften ablehnt. Aber solche Fehler rechtfertigen es nicht, die "uberisierten Beschäftigten" außerhalb des Proletariats zu stellen und sie dem Kleinbürgertum zuzuordnen.
In den letzten Jahren hat die Zahl der prekären Arbeitsplätze zugenommen und die Arbeiterklasse ist das Opfer dieses Prozesses, und die "Uberisierung" der Arbeiter ist einer der Ausdrücke dafür. Die Behauptung, dass die Uber-Beschäftigten nicht zum Proletariat gehören, weil sie atomisiert sind und Schwierigkeiten haben, sich auf das Terrain der Arbeiterklasse zu begeben, erfordert eine tiefgehende und ernsthafte Diskussion auf der Grundlage einer marxistischen Analyse. Nur durch eine polemische, aber brüderliche Debatte ist die Arbeiterklasse in der Lage, die von der Bourgeoisie und ihren Ideologen gestellten Fallen zu vermeiden und den Kampf für den Sturz des Kapitalismus und die Emanzipation des Proletariats voranzutreiben.
Mit brüderlichen Grüßen, Patche
[1] Mehr Info zum Status von Uber-Fahrern/Beschäftigten siehe u.a. https://de.wikipedia.org/wiki/Uber_(Unternehmen) [315]
[2] The working class bears the brunt of the pandemic [316], ICConline, April 2021
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Öffentliche Diskussionsveranstaltung der IKS in Zürich
am Freitag, 6. Mai 2022, 19:00 Uhr
im Café Boy, Rosa-Luxemburg-Saal, Kochstrasse 2
Europa ist erneut in einen brutalen Krieg eingetreten. In der Ukraine sterben täglich Tausende von Menschen, Millionen sind auf der Flucht, ganze Städte werden in Schutt und Asche gelegt.
Auch wenn dieser Krieg bisher auf dem Territorium der Ukraine wütet, er ist keinesfalls ein lokales Ereignis. Ihn auf die irrsinnige Persönlichkeit Putins zu reduzieren, wäre eine absolute Unterschätzung. Der Krieg in der Ukraine ist Ausdruck der zerstörerischen Logik des Kapitalismus und der erbarmungslosen Auseinandersetzung zwischen den mächtigsten Staaten.
Im Namen des Friedens und der Humanität werden Waffen in die Ukraine geliefert, Rüstungsbudgets, wie in Deutschland, über Nacht verdoppelt oder lügnerische Kriegsrechtfertigungen einer „Entnazifizierung“ der Ukraine propagiert.
Wir lehnen alle falschen und heuchlerischen Alternativen ab, mit denen die verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse in allen Ländern hausieren gehen, ob sie nun von rechts oder von links kommen, ob sie die ArbeiterInnen auffordern, Russland oder die NATO/Ukraine zu unterstützen.
Es gilt, sich nicht von den Ereignissen erdrücken zu lassen oder die Augen zu verschliessen.
Das Hauptziel dieser Diskussionsveranstaltung ist es, eine internationalistische Position gegen den Krieg in der Ukraine darzulegen: keine Unterstützung für irgendein Lager, keine pazifistischen Illusionen, für den entschlossenen Klassenkampf der ArbeiterInnenklasse in allen Ländern als einzigen Weg, den kapitalistischen Krieg zu bekämpfen.
Wir werden zu Beginn dieser Veranstaltung unsere Analyse der historischen Bedeutung und Tragweite dieses Krieges darlegen.
Internationale Kommunistische Strömung
Machtdemonstration der russischen Armee durch groß angelegte "Manöver" entlang der ukrainischen Grenzen seit Januar, fast tägliche Ankündigungen der USA, dass eine russische Invasion unmittelbar bevorstehe, Entsendung von NATO-Truppen in die baltischen Staaten und nach Rumänien, intensives diplomatisches Ballett "zur Rettung des Friedens", russische Medienkampagne, die die westliche Hysterie anprangert und die Rückkehr der Truppen in ihre Unterkünfte ankündigt, was von den USA und der NATO sofort dementiert wird, Zusammenstöße zwischen der ukrainischen Armee und den Separatisten im Donbass: in diesem makabren Kriegssabbat zwischen den imperialistischen Bourgeoisien sind die Absichten vielfältig und komplex, verbunden mit den Ambitionen der verschiedenen Protagonisten und der Irrationalität, die für die Zeit des Zerfalls charakteristisch ist. Das macht die Situation umso gefährlicher und unberechenbarer: Aber wie auch immer der konkrete Ausgang der "Ukraine-Krise" aussehen mag, er bedeutet schon jetzt eine deutliche Verschärfung der Militarisierung, der kriegerischen Spannungen und der imperialistischen Widersprüche in Europa.
Die hysterische Hetze der USA gegen die bevorstehende russische Invasion der Ukraine folgt auf eine ähnliche, von den USA im Herbst 2021 inszenierte Hetze gegen die "bevorstehende Invasion" Taiwans durch China. Konfrontiert mit einem systematischen Niedergang der amerikanischen Führungsrolle, verfolgt die Biden-Administration eine imperialistische Politik, die in Fortsetzung der von Trump eingeleiteten Ausrichtung zunächst darin besteht, ihre wirtschaftlichen, politischen, aber auch militärischen Mittel gegen den Hauptfeind China zu konzentrieren; unter diesem Gesichtspunkt verstärkt die kompromisslose Positionierung gegenüber den russischen Zielen das Signal, das im Herbst 2021 an Peking gesendet wurde.
Zweitens entwickelt Biden durch die Schaffung von "Hotspots" in der Welt eine Politik der Spannungssteigerung, die darauf abzielt, die verschiedenen imperialistischen Mächte, die ihre eigenen Karten spielen, davon zu überzeugen, dass es für sie besser ist, sich unter dem Schutz des dominanten Schutzherrn zu positionieren. Diese Politik war jedoch an die durch den Zerfall gesetzten Grenzen gestoßen und hatte im Pazifik mit der Gründung der AUKUS, in der sich nur die 'weißen' englischsprachigen Länder (USA, UK, Australien) zusammenschlossen, während Japan, Südkorea und Indien auf Distanz blieben, nur mäßigen Erfolg. Die gleiche Art von Politik wird heute gegenüber Russland betrieben, um die europäischen Länder wieder unter die amerikanische Obedienz in die NATO zu bringen: Die US-Propaganda prangert ständig die russische Invasion an und stellt gleichzeitig zynisch klar, dass die USA nicht militärisch in die Ukraine eingreifen werden, da sie gegenüber diesem Land keine Verteidigungsverpflichtungen haben, im Gegensatz zu denen, die innerhalb der NATO existieren. Dies ist eine perfide Botschaft an die europäischen Länder. Doch neben Boris Johnson, der sich wie in Asien als treuer Leutnant der Amerikaner positioniert, unterstreicht das jüngste diplomatische Ballett nach Moskau, das Macron und Scholz inszenierten, wie sehr die deutsche und französische Bourgeoisie mit allen Mitteln versuchen, ihre besonderen imperialistischen Interessen zu wahren.
Gleichzeitig hofft Joe Biden, durch diese konfrontative Politik sein durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan und die wiederholten Misserfolge bei seinen sozioökonomischen Plänen stark angeschlagenes Image aufzupolieren: "Präsident Joe Biden hat nach einem Jahr im Amt die schlechteste Zustimmungsrate von fast allen gewählten Präsidenten, mit Ausnahme des ehemaligen Präsidenten Donald Trump" (CNN politics, 06.02.22) und dementsprechend "steuert seine Partei im kommenden November auf eine Niederlage bei den Zwischenwahlen zu" (La Presse, Montréal, 23. Januar 2022). Kurzum, die USA sind zwar in der Offensive, aber der Handlungsspielraum ihres Präsidenten ist dennoch aufgrund seiner inneren Unbeliebtheit eingeschränkt, aber auch aufgrund der Tatsache, dass es nach den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan nicht in Frage kommen kann, heute massiv "boots on the ground" einzusetzen. Die Präsenz von US-Truppen an den Grenzen der Ukraine bleibt daher eher symbolisch.
In den letzten zehn Jahren haben wir hervorgehoben, dass Russland dank seiner starken Streitkräfte und Waffen – ein Erbe aus der Zeit, als es einen ganzen imperialistischen Block anführte – eine Rolle als "Unruhestifter" in der Welt spielt – obwohl es ein wirtschaftlicher Zwerg ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich heute insgesamt in der Offensive befände. Im Gegenteil, es befindet sich in einer allgemeinen Situation, in der es entlang seiner Grenzen zunehmend unter Druck gerät.
- In Zentralasien, wo die Taliban in Kabul an der Macht sind, stellt die muslimische Bedrohung für die asiatischen Verbündeten der "Stans" (Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan) eine große Belastung dar;
- zweitens befindet es sich zwischen dem Schwarzen Meer und dem Kaspischen Meer nach der Besetzung Südossetiens und Abchasiens im Jahr 2008 in einem verdeckten Krieg mit Georgien und versucht nach dem Krieg in Bergkarabach im Jahr 2020, den Status quo zwischen Armenien und Aserbaidschan aufrechtzuerhalten, wobei dieses von der Türkei weitgehend umworben wird.
- Schließlich ist die jüngste Destabilisierung Kasachstans ein Albtraum für Russland, da das Land eine zentrale Stellung bei der Verteidigung seines östlichen Glacis einnimmt.
- Auf der europäischen Seite sind die Ukraine und Weißrussland, die zentrale Gebiete in seinem westlichen Glacis sind (die ukrainische Grenze ist nur 450 km von Moskau entfernt), in den letzten Jahren stark unter Druck geraten. Russland rechnete damit, dort weiterhin Regime zu halten, die ihm wohlgesonnen sind, doch mit der Orangenen Revolution in Kiew 2014 kippte das Land in Richtung Europa, und 2020 wäre in Weißrussland fast das Gleiche passiert.
Durch die Besetzung der Krim im Jahr 2014 und die Unterstützung der russischsprachigen Sezessionisten in der Ostukraine (Donezk und Luhansk) hoffte Putin, die Kontrolle über die gesamte Ukraine zu behalten: „Eigentlich hatte der russische Präsident auf das Minsker Protokoll von 2014 und das Umsetzungsabkommen vom Februar 2015 gehofft, um sich über den Umweg der Donbass-Republiken ein Mitspracherecht in der ukrainischen Politik zu sichern. Das Gegenteil ist geschehen: Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen ist an einem toten Punkt angelangt. Die Wahl von Präsident Volodimir Selenski im April 2019 weckte in Moskau die Hoffnung auf bessere Beziehungen zu Kiew, aber er verstärkte die von seinem Vorgänger eingeleitete Politik des Bruchs mit der ‚russischen Welt‘ noch. Außerdem wird die militärisch-technische Kooperation zwischen der Ukraine und der Nato immer enger. Die Türkei, selbst Nato-Mitglied, hat Kiew sogar Kampfdrohnen geliefert, weshalb Moskau befürchtet, die Ukraine könnte eine militärische Rückeroberung des Donbass versuchen. Putin will also die Initiative ergreifen, solange noch Zeit ist.“ (Le Monde Diplomatique, Februar 2022)
Angesichts der Tendenz der USA, sich zunehmend auf China zu konzentrieren, hielt Putin den Zeitpunkt für günstig, den Druck auf die Ukraine zu erhöhen und damit auch "seinen Platz auf der imperialistischen Bühne zu verhandeln"; er verfolgte eine Politik der "hybriden Kriegsführung", die mehrere Druckmittel beinhaltet, die auf militärischen Spannungen, Cyberangriffen, wirtschaftlichen (russisches Gas) und politischen Drohungen (Anerkennung der abtrünnigen Republiken) beruhen. Die US-amerikanische politische und mediale Offensive nimmt ihn jedoch in die Zange: Durch die Ankündigung einer Militäroperation zur Besetzung der Ukraine durch Russland mit großem Trommelwirbel sorgen die USA dafür, dass jede kleinere Aktion Russlands als Rückschlag aufgefasst wird, und versuchen daher gewissermaßen, Russland zu einer riskanten und wahrscheinlich langwierigen Militäroperation zu bewegen, während die russische Bevölkerung ebenfalls nicht bereit ist, in den Krieg zu ziehen und die "body bags" in großer Zahl zurückkehren zu sehen. Der russische Politologe und Experte für internationale Politik Russlands, Fyodor Lukyanov, betont, dass "das Überschreiten der Linie zwischen der Demonstration von Stärke und der Anwendung von Stärke ein Übergang zu einer anderen Ebene von Risiken und Konsequenzen ist. Moderne Gesellschaften sind darauf nicht vorbereitet, und ihre Führer wissen das" (zitiert aus De Morgen, 11.02.22).
Die Ereignisse in der Ukraine haben bereits jetzt einen sehr großen Einfluss auf die Situation in Europa, und zwar in zweierlei Hinsicht:
- Erstens üben die Verschärfung der imperialistischen Konfrontationen, der Druck der USA und die Betonung des "Jeder-für-sich"-Prinzips einen extrem starken Druck auf die Positionierung der verschiedenen europäischen Staaten aus. Bidens unnachgiebige Äußerungen zwingen sie, Stellung zu beziehen, und die Risse zwischen ihnen werden immer größer, was sowohl für die NATO als auch für die EU weitreichende Folgen haben wird. Auf der einen Seite positioniert sich Großbritannien, das von den Zwängen des Konsenses innerhalb der EU befreit ist, als treuer Leutnant unter den Getreuen der USA: Sein Außenminister bezeichnet die deutsch-französischen Versuche, einen Kompromiss zu finden, sogar als "zweites München". Verschiedene osteuropäische Länder wie Rumänien, Polen oder die baltischen Staaten rufen nach einer harten Haltung der NATO und stellen sich entschieden unter den Schutz der USA.
Demgegenüber sind Frankreich oder Deutschland deutlich zögerlicher und versuchen, ihre eigene Ausrichtung in Bezug auf den Konflikt zu entwickeln, was durch die intensiven Verhandlungen von Macron und Scholz mit Putin unterstrichen wird. Der Konflikt macht deutlich, dass besondere Interessen wirtschaftlicher, aber auch imperialistischer Art diese Länder dazu veranlassen, je eine eigene Politik gegenüber Russland zu verfolgen, und genau das ist das Ziel des Drucks der USA.
Auf einer allgemeineren Ebene, mit der Konfrontation in der Ukraine, werden Kriegstöne und die Tendenz zur Militarisierung der Wirtschaft den europäischen Kontinent erneut prägen, und zwar auf einer viel tieferen Ebene als wir es beim Krieg im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren oder sogar bei der Besetzung der Krim durch Russland im Jahr 2014 gesehen haben, angesichts der Vertiefung der Widersprüche in einem Kontext des Chaos und des Jeder-für-sich. Die Positionierung der verschiedenen Länder (insbesondere Deutschlands und Frankreichs) zur Verteidigung ihrer imperialistischen Interessen kann die Spannungen innerhalb Europas sowie das mit der Entwicklung des Jeder-für-sich verbundene Chaos nur noch weiter verschärfen und die Unvorhersehbarkeit der Situation kurz- und mittelfristig erhöhen.
Zweifellos strebt keiner der Protagonisten einen allgemeinen Krieg an, denn zum einen sind die Bündnisse aufgrund des zunehmenden Jeder-für-sich unzuverlässig, und zum anderen und vor allem hat die Bourgeoisie in keinem der betroffenen Länder freie Hand: Die USA konzentrieren sich weiterhin auf ihren Hauptfeind China, und Präsident Biden, wie übrigens auch Trump vor ihm, vermeidet unter allen Umständen "boots on the ground". Russland fürchtet einen langen und massiven Krieg, der seine Wirtschaft und seine militärische Stärke untergraben würde (das Afghanistan-Syndrom), und vermeidet es ebenfalls, seine regulären Einheiten zu stark einzusetzen, indem es die "Drecksarbeit" von Privatfirmen erledigen lässt (die Wagner-Gruppe). Wie die anhaltenden Schwierigkeiten bei der Erhöhung der Impfrate zeigen, misstraut die russische Bevölkerung dem Staat zutiefst. Für Europa schließlich wäre es wirtschaftlicher Selbstmord, und die Bevölkerung ist grundsätzlich ablehnend.
Das Ausbleiben eines totalen und massiven Krieges bedeutet jedoch keineswegs, dass es nicht zu kriegerischen Handlungen kommen wird; diese finden derzeit bereits in der Ukraine durch den Krieg "niedriger Intensität" (sic) mit den sezessionistischen Milizen in Charkow und Luhansk statt. Die imperialistischen Ambitionen der verschiedenen Imperialismen in Verbindung mit der Zunahme des "Jeder-für-sich" und der Irrationalität, die mit dem Zerfall verbunden sind, bedeuten unwiderruflich die Aussicht auf eine Vervielfachung der Konflikte in Europa selbst, die immer chaotischere und blutigere Formen annehmen könnten: Vervielfachung der "hybriden" Konflikte (Kombination aus militärischem, wirtschaftlichem und politischem Druck), neue Flüchtlingswellen, die nach Westeuropa strömen, sowie Spannungen innerhalb der Bourgeoisie in den USA (siehe Trumps "Wohlwollen" gegenüber Putin) wie auch in Europa (z.B. in Deutschland) und ein zunehmender Kontrollverlust der Bourgeoisie über ihren politischen Apparat (populistische Wellen).
Gegen die hasserfüllte Hetze des Nationalismus prangert die Kommunistische Linke die imperialistischen Lügen jedweder Seite an, die nur den Interessen der verschiedenen Bourgeoisien – der russischen, amerikanischen, deutschen, französischen, ... oder ukrainischen – dienen und die Arbeiter in barbarische Konflikte hineinziehen können. Die Arbeiterklasse hat kein Vaterland, der Arbeiterkampf gegen die kapitalistische Ausbeutung ist international und lehnt jede Spaltung aufgrund von Geschlecht, Rasse oder auf nationaler Basis ab. Die Arbeiter müssen sich bewusst sein, dass, wenn sie der Verschärfung der Konfrontationen zwischen den imperialistischen Haien nicht durch ihre Kämpfe entgegenwirken, diese Konfrontationen auf allen Ebenen in einem Kontext des zunehmenden Jeder-für-sich, der Militarisierung und Irrationalität wachsen werden. In dieser Hinsicht ist die Entwicklung von Arbeiterkämpfen, insbesondere in den Kernländern des Kapitalismus, auch eine wesentliche Waffe, um sich der Ausweitung der kriegerischen Barbarei zu widersetzen.
18.02.2022 / R. Havanais
Wenn man mit seiner Familie aus den Kriegsgebieten in der Ukraine zu fliehen versucht, wird man, wie Hunderttausende andere auch, von seiner Frau, seinen Kindern und seinen alten Eltern auseinander gerissen; wenn man männlich und zwischen 18 und 60 Jahre alt ist, wird man zum Kampf gegen die vorrückende russische Armee eingezogen. Wenn man in einer Stadt bleibt, ist man dem Beschuss und den Raketen ausgesetzt, die angeblich auf militärische Ziele gerichtet sind, aber immer den "Kollateralschaden" verursachen, von dem wir zum ersten Mal im glorreichen Golfkrieg des Westens 1991 gehört haben - Wohnblocks, Schulen und Krankenhäuser werden zerstört und Hunderte von Zivilisten getötet. Wenn man russischer Soldat ist, hat man ihnen vielleicht gesagt, das ukrainische Volk würde sie als Befreier willkommen heißen, aber sie werden für diese Lüge mit Blut bezahlen. Das ist die Realität des heutigen imperialistischen Krieges, und je länger er andauert, desto höher wird der Blutzoll an Tod und Zerstörung sein. Die russischen Streitkräfte haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, ganze Städte dem Erdboden gleichzumachen, wie sie es in Tschetschenien und Syrien getan haben. Die westlichen Waffen, die in die Ukraine strömen, werden die Verwüstung noch verstärken.
In einem ihrer jüngsten Artikel über den Krieg in der Ukraine titelte die rechtsgerichtete britische Zeitung The Daily Telegraph „Die Welt schlittert in ein neues dunkles Zeitalter von Armut, Irrationalität und Krieg“ (The world is sliding into a new Dark Age of poverty, irrationality and war (telegraph.co.uk))
Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass wir in einem globalen System leben, das in seiner eigenen Auflösung versinkt, lässt sich immer schwerer verbergen. Seien es die Auswirkungen der weltweiten Covid-Pandemie, die jüngsten düsteren Prognosen über die ökologische Katastrophe, die dem Planeten bevorsteht, die wachsende Armut infolge der Wirtschaftskrise, die ganz offensichtliche Bedrohung durch die Verschärfung der interimperialistischen Konflikte oder das Erstarken politischer und religiöser Kräfte, die von einst marginalen apokalyptischen Legenden und Verschwörungstheorien angeheizt werden – die Schlagzeile des Telegraph ist nicht mehr und nicht weniger als eine Beschreibung der Realität, auch wenn die Meinungsschreiber des Telegraph kaum nach den Wurzeln all dessen in den Widersprüchen des Kapitalismus suchen.
Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der UdSSR in den Jahren 1989-91 haben wir die Auffassung vertreten, dass ein Gesellschaftssystem, das bereits seit Beginn des 20. Jahrhundert überholt war, in eine neue und letzte Phase des Niedergangs eingetreten ist. Entgegen dem Versprechen, dass das Ende des "Kalten Krieges" eine neue Weltordnung des Friedens und des Wohlstands bringen würde, haben wir darauf bestanden, dass diese neue Phase durch zunehmende Unordnung und eskalierenden Militarismus gekennzeichnet sein würde. Die Kriege auf dem Balkan Anfang der 90er Jahre, der Golfkrieg von 1991, die Invasion Afghanistans und des Irak, die Zerschlagung Syriens, unzählige Kriege auf dem afrikanischen Kontinent, der Aufstieg Chinas zur Weltmacht und das Wiederaufleben des russischen Imperialismus haben diese Prognose bestätigt. Die russische Invasion in der Ukraine markiert einen neuen Schritt in diesem Prozess, in dem das Ende des alten Blocksystems zu einem rasanten Kampf aller gegen alle geführt hat, in dem ehemals untergeordnete oder geschwächte Mächte eine neue Position in der imperialistischen Hackordnung für sich beanspruchen.
Die Bedeutung dieser neuen Runde offener Kriege auf dem europäischen Kontinent darf nicht unterschätzt werden. Der Balkankrieg hat bereits die Tendenz gezeigt, dass das imperialistische Chaos aus den peripheren Regionen in die Kerngebiete des Systems zurückkehrt, aber das war ein Krieg "innerhalb" eines zerfallenden Staates, in dem die Konfrontation zwischen den großen imperialistischen Mächten viel weniger direkt war. Heute erleben wir einen europäischen Krieg zwischen Staaten und eine viel offenere Konfrontation zwischen Russland und seinen westlichen Rivalen, vor allem den USA. Während die Pandemie eine Beschleunigung des kapitalistischen Zerfalls auf mehreren Ebenen (sozial, gesundheitlich, ökologisch usw.) darstellt, ist der Krieg in der Ukraine eine deutliche Erinnerung daran, dass der Krieg zur Lebensweise des Kapitalismus in seiner Dekadenzepoche geworden ist und dass sich militärische Spannungen und Konflikte weltweit ausbreiten und verschärfen.
Die Schnelligkeit des russischen Vormarsches in die Ukraine hat viele gut informierte Experten überrascht, und wir selbst waren uns nicht sicher, dass er so schnell und so massiv erfolgen würde[1]. Wir glauben nicht, dass dies auf Fehler in unserem grundlegenden Analyserahmen zurückzuführen ist. Vielmehr lag es daran, dass wir zögerten, diesen Rahmen vollständig anzuwenden, der bereits Anfang der 90er Jahre in einigen Schlüsseltexten[2] ausgearbeitet worden war, in denen wir argumentierten, dass diese neue Phase der Dekadenz durch zunehmend chaotische, brutale und irrationale militärische Konflikte gekennzeichnet sein würde. Irrational sogar aus der Sicht des Kapitalismus selbst[3]: Während in seiner aufstrebenden Phase Kriege, vor allem jene, die den Weg für die koloniale Expansion ebneten, klare wirtschaftliche Vorteile für die Sieger brachten, hat der Krieg in der Zeit der Dekadenz eine zunehmend zerstörerische Dynamik angenommen, und die Entwicklung einer mehr oder weniger permanenten Kriegswirtschaft hat die Produktivität und die Profite des Kapitals enorm belastet. Selbst bis zum Zweiten Weltkrieg gab es am Ende des Konflikts noch "Gewinner", insbesondere die USA und die UdSSR. Doch in der gegenwärtigen Phase haben sich die Kriege, die selbst von den "führenden" Nationen der Welt begonnen worden sind, als Fiasko erwiesen, sowohl auf militärischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene. Der demütigende Rückzug der USA aus dem Irak und Afghanistan ist ein klarer Beweis dafür.
In unserem letzten Artikel haben wir darauf hingewiesen, dass eine Invasion oder Besetzung der Ukraine Russland wahrscheinlich in eine neue Version des Sumpfes stürzen würde, in den es in den 1980er Jahren in Afghanistan geraten war – und der ein wichtiger Faktor für den Untergang der UdSSR selbst war. Es gibt bereits Anzeichen dafür, dass die Invasion in der Ukraine, die auf beträchtlichen bewaffneten Widerstand gestoßen ist, bei weiten Teilen der russischen Gesellschaft, einschließlich Teilen der herrschenden Klasse selbst, auf Ablehnung stößt und eine Reihe von Vergeltungssanktionen von Russlands Hauptkonkurrenten ausgelöst hat, die die materielle Armut der Mehrheit der russischen Bevölkerung mit Sicherheit noch verschärfen werden. Gleichzeitig verstärken die westlichen Mächte die Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte, sowohl ideologisch als auch durch die Lieferung von Waffen und militärischer Beratung. Doch trotz dieser vorhersehbaren Folgen verringert der Druck auf den russischen Imperialismus täglich die Möglichkeit, dass die Mobilisierung seiner Streitkräfte um die Ukraine bei einer bloßen Machtdemonstration stehen bleibt. Insbesondere die Weigerung der NATO, eine eventuelle Expansion in die Ukraine auszuschließen, konnte von Putins Regime nicht hingenommen werden, und seine Invasion hat das klare Ziel, einen Großteil der militärischen Infrastruktur der Ukraine zu zerstören und eine prorussische Regierung zu installieren. Die Irrationalität des gesamten Projekts, das mit einer fast messianischen Vision von der Wiederherstellung des alten russischen Imperiums verbunden ist, und die sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass es in einem neuen Fiasko enden wird, hätten Putin und sein Umfeld niemals davon abgehalten, das Risiko einzugehen.
Auf den ersten Blick sieht sich Russland nun einer "Einheitsfront" der westlichen Demokratien und einer neu erstarkten NATO gegenüber, in der die USA eindeutig eine führende Rolle spielen. Die USA werden der Hauptnutznießer sein, wenn Russland in einen nicht zu gewinnenden Krieg in der Ukraine verwickelt wird, und sie werden von dem größeren Zusammenhalt der NATO angesichts der gemeinsamen Bedrohung durch den russischen Expansionismus profitieren. Dieser Zusammenhalt ist jedoch fragil: Bis zur Invasion versuchten sowohl Frankreich als auch Deutschland, ihr eigenes Spiel zu spielen, indem sie die Notwendigkeit einer diplomatischen Lösung betonten und getrennte Gespräche mit Putin führten. Der Beginn der Feindseligkeiten zwang beide zum Rückzug, indem sie sich auf die Umsetzung von Sanktionen einigten, auch wenn diese ihre Wirtschaft viel direkter treffen als die der USA (Beispiel: Deutschland stoppt die russischen Energielieferungen, die es dringend benötigt). Aber es gibt auch Bestrebungen, dass die EU ihre eigenen Streitkräfte aufbaut, und die Entscheidung Deutschlands, seinen Rüstungshaushalt stark zu erhöhen, muss auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Es muss auch daran erinnert werden, dass die US-Bourgeoisie selbst in ihrer Haltung gegenüber der russischen Macht gespalten ist: Biden und die Demokraten neigen dazu, die traditionell feindliche Haltung gegenüber Russland beizubehalten, aber ein großer Teil der republikanischen Partei hat eine ganz andere Einstellung. Insbesondere Trump konnte seine Bewunderung für Putins "Genialität" nicht verbergen, als die Invasion begann...
Während wir von der Bildung eines neuen US-Blocks noch weit entfernt sind, hat das russische Abenteuer auch keinen Schritt in Richtung der Bildung eines russisch-chinesischen Blocks markiert. Trotz der jüngsten gemeinsamen Militärübungen und trotz früherer Bekundungen chinesischer Unterstützung für Russland in Fragen wie Syrien hat sich China diesmal von Russland distanziert, indem es sich bei der Abstimmung über die Verurteilung Russlands im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthielt und sich als "ehrlicher Makler" präsentierte, der zur Einstellung der Feindseligkeiten aufrief. Und wir wissen, dass Russland und China trotz gemeinsamer Interessen im Gegensatz zu den USA ihre eigenen Differenzen haben, insbesondere in der Frage von Chinas Projekt der "Neuen Seidenstraße". Hinter diesen Differenzen verbirgt sich die Sorge Russlands, sich Chinas eigenen expansionistischen Ambitionen unterzuordnen.
In dieser Situation spielen auch andere Faktoren der Instabilität eine Rolle, insbesondere die Rolle der Türkei, die in gewisser Weise Russland in seinem Bemühen um eine Aufwertung seines globalen Status umworben hat, aber gleichzeitig wegen der Kriege zwischen Armenien und Aserbaidschan und in Libyen mit Russland in Konflikt geraten ist. Die Türkei hat nun damit gedroht, russischen Kriegsschiffen den Zugang zum Schwarzen Meer über die Dardanellen zu versperren, aber auch hier wird diese Aktion ausschließlich auf der Grundlage der nationalen Interessen der Türkei berechnet.
Aber wie wir in unserer Resolution zur internationalen Lage vom 24. IKS-Kongress schrieben, bedeutet die Tatsache, dass die internationalen imperialistischen Beziehungen immer noch von zentrifugalen Tendenzen geprägt sind, "13. ... nicht, dass wir in einer Ära größerer Sicherheit lebten als in der Periode des Kalten Krieges, die unter der Bedrohung durch ein nukleares Armageddon litt. Im Gegenteil: Wenn die Phase des Zerfalls durch einen zunehmenden Kontrollverlust der Bourgeoisie gekennzeichnet ist, so gilt dies auch für die enormen Mittel der Zerstörung – nukleare, konventionelle, biologische und chemische –, die von der herrschenden Klasse angehäuft worden und nun über eine weitaus größere Zahl von Nationalstaaten verteilt sind als in der vorangegangenen Periode. Wir sehen zwar keinen kontrollierten Marsch in Richtung Krieg, der von disziplinierten Militärblöcken angeführt würde, aber wir können die Gefahr einseitiger militärischer Ausbrüche oder sogar grotesker Unfälle nicht ausschließen, die eine weitere Beschleunigung des Abgleitens in die Barbarei bedeuten würden.“[4]
Angesichts der ohrenbetäubenden internationalen Kampagne zur Isolierung Russlands und der praktischen Maßnahmen, die darauf abzielen, seine Strategie in der Ukraine zu blockieren, hat Putin seine nuklearen Verteidigungskräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Dies mag im Moment nur eine kaum verhüllte Drohung sein, aber die Ausgebeuteten der Welt können es sich nicht leisten, auf die ultimative Vernunft irgendeines Teils der herrschenden Klasse zu vertrauen.
Um die Bevölkerung und vor allem die Arbeiterklasse für den Krieg zu mobilisieren, muss die herrschende Klasse neben ihren Bomben und Artilleriegranaten auch einen ideologischen Angriff starten. In Russland scheint sich Putin hauptsächlich auf plumpe Lügen über die "Nazis und Drogensüchtigen", die in der Ukraine das Sagen hätten, verlassen zu haben und er hat nicht viel in den Aufbau eines nationalen Konsenses über den Krieg investiert. Dies könnte sich als Fehlkalkulation erweisen, denn in den eigenen Regierungskreisen, unter den Intellektuellen und in breiteren Schichten der Gesellschaft regt sich Unmut. Es hat eine Reihe von Straßendemonstrationen gegeben, und etwa 6.000 Menschen wurden festgenommen, weil sie gegen den Krieg protestiert haben. Es gibt auch Berichte über die Demoralisierung eines Teils der in die Ukraine entsandten Truppen. Doch bisher gibt es kaum Anzeichen für eine Bewegung gegen den Krieg, die sich auf die Arbeiterklasse in Russland stützt, die durch den jahrzehntelangen Stalinismus von ihren revolutionären Traditionen abgeschnitten ist. In der Ukraine selbst ist die Lage der Arbeiterklasse noch düsterer: Angesichts des Schreckens der russischen Invasion ist es der herrschenden Klasse weitgehend gelungen, die Bevölkerung für die Verteidigung des "Vaterlandes" zu mobilisieren, wobei sich Hunderttausende freiwillig gemeldet haben, um den Invasoren mit jeder Waffe zu widerstehen, die sie in die Hände bekommen. Wir sollten nicht vergessen, dass sich auch Hunderttausende für die Flucht aus den Kampfgebieten entschieden haben, aber der Aufruf, für die bürgerlichen Ideale der Demokratie und der Nation zu kämpfen, wurde sicherlich von Teilen des Proletariats befolgt, die sich auf diese Weise in das ukrainische "Volk" aufgelöst haben, in dem die Realität der Klassenspaltung vergessen ist. Die Mehrheit der ukrainischen Anarchisten scheint den extrem linken Flügel dieser Volksfront zu stellen[5].
Die Fähigkeit der russischen und ukrainischen herrschenden Klassen, "ihre" Arbeiter in den Krieg zu zerren, zeigt, dass die internationale Arbeiterklasse nicht homogen ist. Anders ist die Situation in den wichtigsten westlichen Ländern, wo die Bourgeoisie seit vielen Jahrzehnten mit der mangelnden Bereitschaft der Arbeiterklasse konfrontiert ist, sich – trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge – auf dem Altar des imperialistischen Krieges zu opfern. Angesichts der zunehmend kriegerischen Haltung Russlands hat es die herrschende Klasse im Westen sorgfältig vermieden, "boots on the ground" (Bodentruppen) zu stellen und dem Abenteuer des Kremls mit direkter militärischer Gewalt zu begegnen. Das bedeutet jedoch nicht, dass unsere Herrscher die Situation passiv hinnehmen. Im Gegenteil, wir sind Zeugen der koordiniertesten ideologischen Pro-Kriegs-Kampagne seit Jahrzehnten, der Kampagne für "Solidarität mit der Ukraine gegen die russische Aggression". Die Presse, von rechts bis links, propagiert und unterstützt die Pro-Ukraine-Demonstrationen und preist den "ukrainischen Widerstand" als Bannerträger der demokratischen Ideale des Westens, die durch den Wahnsinnigen im Kreml bedroht seien. Und sie verschweigen nicht, dass es Opfer geben wird – nicht nur, weil die Sanktionen gegen russische Energielieferungen den Inflationsdruck verstärken werden, der es den Menschen schon jetzt schwer macht, ihre Wohnung zu heizen, sondern auch, weil uns gesagt wird, dass wir unsere "Verteidigungs"-Ausgaben aufstocken müssen, wenn wir die "liberale Demokratie" verteidigen wollen. Wie der politische Chefkommentator des liberalen Observer, Andrew Rawnsley, es diese Woche ausdrückte:
„Seit dem Fall der Berliner Mauer und der darauf folgenden Abrüstung haben das Vereinigte Königreich und seine Nachbarn die "Friedensdividende" hauptsächlich dafür ausgegeben, der alternden Bevölkerung eine bessere Gesundheitsversorgung und Renten zu bieten, als sie es sonst getan hätte. Die Zurückhaltung, mehr Geld für die Verteidigung auszugeben, hält an, auch wenn China und Russland immer kriegerischer werden. Nur ein Drittel der 30 Nato-Mitglieder erfüllt derzeit die Verpflichtung, 2 % des BIP für ihre Streitkräfte auszugeben. Deutschland, Italien und Spanien liegen weit hinter diesem Ziel zurück.
Die liberalen Demokratien müssen dringend die Entschlossenheit zur Verteidigung ihrer Werte gegen Tyrannei wiederentdecken, die sie während des Kalten Krieges gezeigt haben. Die Autokraten in Moskau und Peking glauben, dass der Westen gespalten, dekadent und im Niedergang begriffen ist. Sie müssen eines Besseren belehrt werden. Andernfalls ist die ganze Rhetorik über Freiheit nur Lärm vor der Niederlage“.[6]
Gerade als die Arbeiterklasse in einer Reihe von Ländern Anzeichen einer neuen Bereitschaft zeigte, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verteidigen[7], wird diese massive ideologische Offensive der herrschenden Klasse, dieser Aufruf zu Opfern bei der Verteidigung der Demokratie, ein schwerer Schlag gegen das Potenzial für die Entwicklung von Klassenbewusstsein sein. Aber die zunehmende Erkenntnis, dass der Kapitalismus vom Krieg lebt, kann langfristig auch dazu beitragen, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, dass dieses ganze System, in Ost und West, tatsächlich "dekadent und im Niedergang begriffen" ist, dass die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse von der Erde verschwinden müssen.
Angesichts des gegenwärtigen ideologischen Angriffs, der echte Empörung über das Grauen, das wir in der Ukraine erleben, in Unterstützung für den imperialistischen Krieg umwandelt, wird die Aufgabe der internationalistischen Minderheiten der Arbeiterklasse nicht leicht sein. Sie beginnt damit, allen Lügen der herrschenden Klasse entgegenzutreten und darauf zu bestehen, dass die Arbeiterklasse sich nicht für die Verteidigung des Kapitalismus und seiner Werte opfern darf, sondern mit aller Kraft für die Verteidigung ihrer eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen kämpfen muss. Gleichzeitig bedeutet es, darauf hinzuweisen, dass nur die Umwandlung von Defensivkämpfen in eine politische Offensive gegen den Kapitalismus die menschliche Gattung vor der drohenden Zerstörung bewahren wird.
Amos 01.03.2022
[1] https://de.internationalism.org/content/3034/ukraine-zuspitzung-der-krie... [318] (internationalism.org) [319]; https://de.internationalism.org/content/3031/russland-ukraine-konflikt-d... [320] https://de.internationalism.org/content/3036/imperialistischer-krieg-der... [321]
[2] Insbesondere https://de.internationalism.org/content/758/orientierungstext-militarism... [173]
[3] Diese grundlegende Irrationalität eines sozialen Systems, das keine Zukunft hat, wird natürlich von einer wachsenden Irrationalität auf der Ebene der Ideologie und der Psychologie begleitet. Die derzeitige Hysterie über Putins Geisteszustand beruht auf einer Halbwahrheit, denn Putin ist nur ein Beispiel für die Art von Führer, die durch den Zerfall des Kapitalismus und die Zunahme des Populismus hervorgebracht wurde. Haben die Medien den Fall Donald Trump schon vergessen?
[5] Vgl. zum Beispiel: CrimethInc. : Russian Anarchists on the Invasion of Ukraine : Updates and Analysis [322]
Als Reaktion auf den mörderischen Krieg in der Ukraine hat die IKS wiederholt die Notwendigkeit einer gemeinsamen Antwort als kohärentesten Ausdrucks des proletarischen Internationalismus - der Kommunistischen Linken - betont, um einen klaren Bezugspunkt für alle zu schaffen, die sich dem imperialistischen Krieg auf Klassenbasis widersetzen wollen.
Obwohl der Aufruf zu einer gemeinsamen Erklärung und der daraus entstandene Text von drei Gruppen[1] positiv aufgenommen wurde, haben die bordigistischen Gruppen unseren Aufruf mehr oder weniger ignoriert. Die Internationalistische Kommunistische Tendenz IKT hat, obwohl sie erklärte, dass sie grundsätzlich für solche gemeinsamen Erklärungen von Internationalisten ist, unseren Aufruf aus Gründen abgelehnt, die unklar bleiben: neben Unstimmigkeiten in der Analyse schienen unterschiedliche Ansichten darüber, was die authentische Kommunistische Linke ausmacht und eine Ablehnung unserer Auffassung von Parasitismus in den Vordergrund zu treten.
Wir werden diese Argumente an anderer Stelle aufgreifen. Hier wollen wir uns auf den Alternativvorschlag der IKT konzentrieren, der darin besteht, die Bildung lokaler/nationaler "Kein Krieg außer dem Klassenkrieg"-Gruppen (NWCW) voranzutreiben, die sie als Ausgangspunkt für eine internationalistische Aktion gegen den Krieg auf einer viel breiteren Ebene als einer gemeinsamen, von den Gruppen der Kommunistischen Linken unterzeichneten Erklärung sehen.
Wenn wir den Text des ersten Aufrufs zur Gründung von "No War but the Class War"-Gruppen als Reaktion auf den Ukraine-Krieg [2], der von der NWCW in Liverpool veröffentlicht wurde, untersuchen, können wir sagen, dass er eindeutig internationalistisch ist, sich gegen beide imperialistischen Lager wendet, pazifistische Illusionen zurückweist und darauf besteht, dass der Abstieg des Kapitalismus in die militärische Barbarei nur durch den revolutionären Kampf der Arbeiterklasse aufgehalten werden kann.
Wir sind jedoch der Meinung, dass der Text im folgenden Absatz ein eindeutiges Element von Unmittelbarkeit enthält: "Die verstreuten Anti-Kriegs-Aktionen, von denen bisher berichtet wurde - Proteste in Russland, befehlsverweigernde Soldaten in der Ukraine, Verweigerung von Transporten durch Hafenarbeiter in Großbritannien und Italien, Sabotage durch Eisenbahnarbeiter in Weißrussland - müssen die Perspektive der Arbeiterklasse einnehmen, um wirklich Anti-Krieg zu sein, damit sie nicht von der einen oder anderen Seite instrumentalisiert werden. Unterstützung für Russland oder die Ukraine in diesem Konflikt bedeutet Unterstützung für den Krieg. Die einzige Möglichkeit, diesen Albtraum zu beenden, besteht darin, dass sich die Arbeiter über die Grenzen hinweg verbrüdern und die Kriegsmaschinerie zu Fall bringen”.
Die Erklärung weist zu Recht darauf hin, dass vereinzelte Proteste gegen den Krieg von verschiedenen bürgerlichen Gruppierungen oder Ideologien vereinnahmt werden können. Aber es wird der Eindruck erweckt, dass die Arbeiterklasse in ihrer gegenwärtigen Situation, sei es im Kriegsgebiet oder in den zentraleren kapitalistischen Ländern, in der Lage sein könnte, kurzfristig eine revolutionäre Perspektive zu entwickeln und "die Kriegsmaschinerie zu Fall zu bringen", um diesen gegenwärtigen Krieg zu beenden.
Dahinter verbirgt sich eine weitere Fehleinschätzung, dass die Bildung von NWCW-Gruppen ein Moment für diesen plötzlichen Sprung aus dem gegenwärtigen Zustand der Orientierungslosigkeit in der Arbeiterklasse hin zu einer voll entfalteten Reaktion gegen das Kapital sein könnte.
Wenn wir die Geschichte der Communist Workers' Organisation, der britischen Mitgliedsorganisation der IKT, in Bezug auf ihre Beteiligung an früheren NWCW-Projekten untersuchen, gibt es eindeutige Beweise dafür, dass solche Illusionen unter diesen GenossInnen existieren.
Wir werden in Kürze eine ausführlichere Analyse der Perspektiven des Klassenkampfes in dieser Phase der sich beschleunigenden Barbarei veröffentlichen, in der wir erklären, warum wir nicht glauben, dass eine Massenbewegung der Arbeiterklasse direkt gegen diesen Krieg eine realistische Möglichkeit ist. Die IKT könnte darauf antworten, dass der NWCW-Aufruf hauptsächlich darauf abzielt, all jene Minderheiten zu gruppieren, die internationalistische Positionen vertreten und nicht darauf, irgendeine Art von Massenbewegung auszulösen. Aber selbst auf dieser Ebene ist ein wirkliches Verständnis der Natur des NWCW-Projekts erforderlich, um Fehler opportunistischer Art zu vermeiden, in denen die einzigartige Kohärenz der Kommunistischen Linken in einem Labyrinth der Verwirrung verloren geht, das stark von anarchistischen oder sogar linken Ideen beeinflusst ist.
Ziel des vorliegenden Artikels ist es daher, die Geschichte der NWCW-Idee kritisch zu untersuchen, um daraus die klarsten Lehren für unsere gegenwärtige Intervention zu ziehen. Diese Dimension fehlt in dem Vorschlag der IKT völlig. Als die CWO 2018 einen ähnlichen Aufruf machte und eine Reihe von Treffen unter dem NWCW-Banner mit der Anarchist Communist Group und ein oder zwei anderen anarchistischen Formationen organisierte, erklärten wir bei einem dieser Treffen, warum wir ihre Einladung, dieser Gruppe "beizutreten", nicht annehmen konnten. Der Hauptgrund war, dass diese neue Formation zusammengebracht worden war, ohne den Versuch zu unternehmen, die überwiegend negativen Lehren aus früheren Versuchen, NWCW-Gruppen zu gründen, zu verstehen. Dieses Versäumnis, eine kritische Prüfung der Erfahrungen vorzunehmen, wiederholte sich, als sich die Gruppe einfach auflöste, ohne dass die CWO oder die ACG eine öffentliche Erklärung abgaben.
Was den jüngsten Vorstoß der IKT in dieses Projekt betrifft, so haben wir die Genossen ausdrücklich eingeladen, an unseren letzten öffentlichen Diskussionsveranstaltungen zum Krieg in der Ukraine teilzunehmen und ihre Einschätzung der bisherigen Entwicklung des NWCW-Projekts abzugeben. Leider haben die Genossen an diesen Treffen nicht teilgenommen, so dass eine Gelegenheit, die Debatte voranzutreiben, verpasst wurde. Nichtsdestotrotz bieten wir diese Untersuchung des Hintergrundes und der Geschichte der NWCW-Idee als unseren eigenen Beitrag zum Vorantreiben der Debatte an.
Unseres Wissens wurde der erste Versuch, eine solche Gruppe zu gründen, als Reaktion auf den ersten Golfkrieg 1991 unternommen. Aber erst mit der Bildung neuer NWCW-Gruppen als Reaktion auf den Krieg im ehemaligen Jugoslawien und die Invasionen in Afghanistan und im Irak in den Jahren 2001 und 2003 konnten wir direkte Erfahrungen mit der Zusammensetzung und Dynamik dieser Initiative sammeln.
Unsere Entscheidung, an den von diesen Gruppen vor allem in London organisierten Treffen teilzunehmen, beruhte auf unserer Erkenntnis, dass der Anarchismus ein "Sumpf" ist, der eine Reihe von Tendenzen umfasst, die von der reinen bürgerlichen Linken bis zum echten Internationalismus reichen. Unserer Ansicht nach enthielten diese neuen NWCW-Gruppen, obwohl sie in der Tat äußerst heterogen waren, Elemente, die eine proletarische Alternative zu den von der Linken des Kapitals organisierten "Stop the War"-Mobilisierungen suchten.
Unsere Intervention gegenüber diesen Gruppen basierte auf den folgenden Zielen:
- Klärung der Grundsätze des proletarischen Internationalismus und der Notwendigkeit einer scharfen Abgrenzung von der Linken des Kapitals und des Pazifismus
- Konzentration auf die politische Debatte und Klärung gegenüber aktivistischen Tendenzen, die in der Praxis bedeuteten, sich in den Stop-the-War-Demonstrationen aufzulösen
- Trotz des Vorwurfs, dass unser Ansatz, der das Primat der politischen Diskussion betont, rein "monastisch" oder "inaktivistisch" sei, dass wir nur an der Diskussion um der Diskussion willen interessiert seien, machten wir einige konkrete Vorschläge für Aktionen, insbesondere die Möglichkeit der Einberufung eines "internationalistischen Treffens" auf dem Trafalgar Square am Ende des großen Stop the War-Marsches im November 2001. Dies stünde in direktem Gegensatz zu den linken Reden, die von der STW-Plattform kommen. Dieser Vorschlag wurde teilweise aufgegriffen - nicht von der NWCW als solcher, sondern von der IKS und der CWO...[3]. Wir werden später auf die Bedeutung dieses Vorschlags zurückkommen.
Im Jahr 2002 intervenierte auch die CWO in diesen Prozess, insbesondere in Sheffield, wo sie eine zentrale Rolle bei der Bildung einer neuen NWCW-Gruppe spielte - einer Gruppe, die Positionen vertrat, die denen der Kommunistischen Linken nahe kamen und sich sogar von ihnen nicht unterscheiden ließen. In unserem Artikel "Revolutionäre Intervention und der Irak-Krieg" in WR 264, in dem wir eine Bilanz unserer Intervention bei NWCW ziehen wollten, begrüßten wir diese Tatsache, kritisierten aber auch, dass die CWO das Potenzial des NWCW-Netzwerks, insbesondere seiner Hauptgruppe in London, überschätzte, als eine Art Organisationszentrum für proletarischen Widerstand gegen den Krieg zu fungieren und sich mit einigen kleinen Ausdrucksformen des Klassenkampfes zu verbinden, die parallel zur "Antikriegs"-Bewegung stattfanden[4]
Im Gegensatz zu dieser Vorstellung stellte unser Artikel klar, dass "wir nie dachten, dass NWCW ein Vorbote eines Wiederauflebens des Klassenkampfes oder einer bestimmten klassenpolitischen Bewegung sei, der wir uns 'angeschlossen' hätten. Sie könnte höchstens ein Bezugspunkt für eine sehr kleine Minderheit sein, die Fragen über den kapitalistischen Militarismus und die elitären und pazifistischen Betrügereien, die ihn begleiten, stellt. Und deshalb haben wir ihre - wenn auch begrenzten - Klassenpositionen gegen die reaktionären Angriffe von Linken wie Workers Power (in WR 250) verteidigt und von Anfang an auf der Bedeutung der Gruppe als Diskussionsforum bestanden und vor den Tendenzen zur 'direkten Aktion' und zur Schließung der Gruppe vor revolutionären Organisationen gewarnt".
Aus den gleichen Gründen haben wir in einem anderen Artikel "Zur Verteidigung der Diskussionsgruppen" in WR 250 unsere Differenzen mit der CWO in der Frage der "Vermittler" zwischen der Klasse und der revolutionären Organisation erläutert. Wir waren immer gegen die vom Partito Comunista Internazionalista (heute die italienische Schwesterorganisation der IKT) entwickelte und später von der CWO aufgegriffene Idee von "Betriebsgruppen", die als "Instrumente der Partei" definiert wurden, um eine Verankerung in der Klasse zu erreichen und sogar ihre Kämpfe zu "organisieren". Wir sahen darin einen Rückschritt zur Idee der Fabrikzellen als Grundlage der politischen Organisation, die von der Kommunistischen Internationale in der Phase der "Bolschewisierung" in den 1920er Jahren vertreten und von der Kommunistischen Linken in Italien heftig bekämpft wurde. Die spätere Entwicklung der Idee der Betriebsgruppen zum Aufruf zu territorialen Gruppen und dann zu Antikriegsgruppen änderte zwar die Form, aber nicht wirklich den Inhalt. Die Vorstellung der CWO, dass die NWCW ein Organisationszentrum für den Klassenwiderstand gegen den Krieg werden könnte, verriet ein ähnliches Missverständnis darüber, wie sich das Klassenbewusstsein in der Zeit der kapitalistischen Dekadenz entwickelt. Sicherlich gibt es neben der politischen Organisation an sich eine Tendenz zur Bildung informellerer Gruppen, die sich aus Kämpfen am Arbeitsplatz oder aus der Opposition gegen den kapitalistischen Krieg zusammenschließen, aber solche Gruppen - die nicht Teil der kommunistischen politischen Organisation sind - bleiben Ausdruck einer Minderheit, die versucht, sich selbst zu klären und diese Klarheit innerhalb der Klasse zu verbreiten, und können sich nicht selbst ersetzen oder den Anspruch erheben, der Organisator allgemeinerer Bewegungen in der Klasse zu sein, ein Punkt, in dem die IKT unserer Meinung nach zweideutig bleibt. [5]
Obwohl es in der Anfangsphase der NWCW-Gruppen einige fruchtbare Diskussionen gab, wurde deutlich, dass die NWCW als Ausdruck des Anarchismus allen möglichen widersprüchlichen Einflüssen ausgesetzt war - einer echten Suche nach internationalistischen Positionen und Praktiken, aber auch dem Einfluss der Linken und dessen, was wir als Parasitismus bezeichnen, Gruppen und Elemente, die im Wesentlichen durch den Willen motiviert sind, authentische revolutionäre Strömungen zu isolieren und sogar zu zerstören. Solche Elemente hatten in beiden Phasen der NWCW-Gruppierungen ein wachsendes Gewicht. Im Jahr 1999 wurde die IKS (wenn auch nur knapp) von der Teilnahme an der Gruppe ausgeschlossen, mit der Begründung, wir seien leninistisch, dogmatisch, beherrschten die Treffen usw. [6]; und die Hauptelemente, die auf diesen Ausschluss drängten, waren solche wie Juan McIver und "Luther Blisset", die zwei äußerst verleumderische Pamphlete herausgegeben haben, in denen sie die IKS als paranoide stalinistische Sekte, als kleine Einbrecher usw. denunzieren.
Im Jahr 2002 gab es eine weitere Runde von Manövern gegen die Kommunistische Linke, diesmal angeführt von K, jemand, der Luther Blisset nahesteht. In RP 27 spricht die CWO selbst über die unverantwortliche Rolle von K und seinem "Freundeskreis" innerhalb des NWCW, nachdem K sein Bestes getan hatte, um sowohl die Sheffield-Gruppe als auch die IKS von den Treffen des NCWC auszuschließen. Dieses Mal war der Mechanismus, der schließlich angewandt wurde, keine "demokratische" Abstimmung wie 1999, sondern eine Entscheidung hinter den Kulissen, geschlossene Sitzungen abzuhalten, wobei die IKS und der Sheffield-Gruppe die Orte und Zeiten vorenthalten wurden.
Was zeigt dies? Dies zeigt, dass die Gruppen der Kommunistischen Linken in einem vom Anarchismus beherrschten Umfeld einen harten Kampf gegen die destruktiven und sogar bürgerlichen Tendenzen führen müssen, die unweigerlich vorhanden sein werden und immer in eine negative Richtung drängen werden. Es sollte eine elementare Antwort der Gruppen der Kommunistischen Linken sein, zusammenzustehen gegen die Manöver derjenigen, die versuchen, sie von der Teilnahme an jenen temporären, heterogenen Formationen auszuschließen, die durch den Versuch entstehen, gegen die herrschende Ideologie zu kämpfen. Die Erfahrungen, die die CWO im Jahr 2002 selbst gemacht hat sollten sie daran erinnern, dass und wie real diese Gefahren sind. Wir sollten hinzufügen, dass Gruppen, die behaupten, Teil der Kommunistischen Linken zu sein, aber in einer ähnlich destruktiven Weise agieren, das Etikett des "politischen Parasitismus" verdienen und von den echten Gruppen der Kommunistischen Linken nicht noch honoriert werden sollten.
Der Vorwurf, dass die Haltung der IKS während dieser Episoden "monastisch" war, wurde von der CWO in ihrem Artikel in RP 27 erhoben, der sich auf eine Demonstration im September 2002 bezog. Aber vor einer früheren großen Demonstration, die im November 2001 stattfinden sollte, hatte die CWO uns geschrieben und unseren Vorschlag für ein eindeutiges internationalistisches Treffen am Trafalgar Square unterstützt, und auf dem Marsch selbst gab es tatsächlich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen. Wie wir in unserem Artikel in der WR 264 schrieben, hatten wir das Potenzial der NWCW-Gruppe, ein großes oppositionelles Treffen am Trafalgar Square zu organisieren, überschätzt, da die meisten (wenn auch nicht alle) ihrer Teilnehmer es vorzogen, mit einem "antikapitalistischen Block" zu marschieren, der sich nur wenig oder gar nicht von den Organisatoren von Stop the War unterschied. Aber wenn es am Ende eine kleine Versammlung gab, so war dies vor allem der Initiative der IKS und der CWO zu verdanken, die von einigen Mitgliedern der NWCW unterstützt wurden, um unsere Megaphone an diejenigen zu übergeben, die bereit waren, für eine internationalistische Alternative zu den Linken auf der Hauptplattform einzutreten. Ein weiterer Beweis dafür, dass der beste Weg, denjenigen außerhalb der Kommunistischen Linken zu helfen, sich einer klaren internationalistischen Position und Praxis anzunähern, darin besteht, dass die Gruppen der Kommunistischen Linken gemeinsam handeln.
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Um auf das aktuelle NWCW-Projekt zurückzukommen: In einem kürzlich erschienenen Artikel über ein NWCW-Treffen in Glasgow behauptet die IKT, dass das Projekt beachtliche Erfolge erzielt: "Die erste Gruppe wurde vor ein paar Wochen in Liverpool gegründet und seitdem wurde ihre Botschaft von Genossen in der ganzen Welt aufgegriffen, von Korea über die Türkei, Brasilien, Schweden, Belgien, Holland, Frankreich, Deutschland, Italien, Kanada bis hin zu den Vereinigten Staaten und anderen Orten".
Wir sind nicht in der Lage, die tatsächliche Substanz dieser Gruppen und Initiativen zu beurteilen. Der Eindruck, den wir von den Gruppen haben, die wir kennen, ist, dass es sich hauptsächlich um "Duplikate" der IKT oder ihrer Mitgliedsorganisationen handelt. In diesem Sinne stellen sie kaum einen Fortschritt gegenüber den Gruppen dar, die in den 1990er und 2000er Jahren auftauchten, die trotz aller Verwirrung zumindest eine gewisse Bewegung zum Ausdruck brachten, die von Elementen ausging, die eine internationalistische Alternative zur extremen Linken und zum Pazifismus suchten. Wir werden auf diese Frage in einem späteren Artikel zurückkommen müssen und wir rufen die IKT weiterhin auf, einen Beitrag zur Diskussion zu leisten.
Amos, Juli 2022
[3] Siehe “Communists work together at ‘anti-war’ demo, WR 250
[4] Siehe z.B. “Communism against the war drive: intervention or monasticism?” in Revolutionary Perspectives 27
[5] The organisation of the proletariat outside periods of open struggle (workers' groups, nuclei, circles, committees) | International Communist Current (internationalism.org) [325]; also World Revolution 26, “Factory Groups and ICC intervention”
[6] Siehe World Revolution 228, “Political parasitism sabotages the discussion”
Während Russland unablässig Bombenteppiche auf ukrainische Städte wirft, sangen die Vertreter der großen "demokratischen" Mächte am Ende des G7-Treffens, das am 8. Juni in der idyllischen Landschaft der bayerischen Alpen stattfand, im Chor die Worte Macrons: "Russland kann und darf nicht gewinnen"
Dies ist ihre Art, um ihrer vorgetäuschten Empörung über die Schrecken der Kämpfe, die Zehntausenden von Toten und Millionen von Flüchtlingen, die systematische Zerstörung ganzer Städte, die Hinrichtung und Verstümmelung von Zivilisten, die unverantwortliche Bombardierung von Atomkraftwerken und die erheblichen wirtschaftlichen Folgen für den gesamten Planeten Ausdruck zu verleihen. Mit der Vortäuschung von Angst versuchte diese Bande von Zynikern, die sehr reale Verantwortung des Westens für dieses Massaker zu verschleiern. Hier möchten wir insbesondere auf das destabilisierende Handeln der Vereinigten Staaten verweisen, die in ihrem Bemühen, dem Niedergang ihrer weltweiten Führungsrolle entgegenzuwirken, nicht zögerten, Chaos und Barbarei vor den Toren des historischen Zentrums des Kapitalismus zu schüren.
Heute präsentieren sich die USA und die anderen westlichen Mächte als Verfechter des Friedens, der „antidespotischen“ Demokratie und der armen unschuldigen Ukraine, die einem schändlichen Angriff des russischen Regimes ausgesetzt ist. Auch wenn die vom russischen Imperialismus begangenen Gräueltaten schwieriger zu verbergen sind, können weder die USA noch die Ukraine als "Unschuldige" gesehen werden.
Im Gegenteil, sie haben eine aktive Rolle bei der Entfesselung und Fortsetzung des Massakers gespielt. Die ukrainische Bourgeoisie, korrupt bis auf die Knochen, hatte bereits das Minsker Abkommen von 2014 sabotiert, das unter anderem eine gewisse Autonomie für den Donbass und den Schutz der russischen Sprache in der Ukraine vorsah. Heute agiert sie gegenüber Russland besonders unnachgiebig im Sinne eines "Kampfes bis zum Ende"; bestimmte Gruppierungen streben sogar die Rückeroberung der Krim an.
Die Politik der USA ist äußerst heuchlerisch und sehr berechnend. In den frühen 1990er Jahren hatten die Vereinigten Staaten Moskau "informell" versprochen, die Implosion des Ostblocks nicht auszunutzen, um ihren Einfluss bis an die Grenzen Russlands auszudehnen. Sie zögerten jedoch nicht, die ehemaligen Ostblockländer nach und nach in ihren Einflussbereich zu integrieren. Ebensowenig zögerten sie, Taiwan massiv aufzurüsten und dessen Versuche zu unterstützen, sich von Peking zu distanzieren, nachdem sie „eigentlich“ zuvor versprochen hatten, das Ein-China-Prinzip' zu respektieren. Die US-Politik gegenüber der Ukraine hat weder mit der Verteidigung der Witwen und Waisen oder der Demokratie zu tun, noch mit den schönen humanitären Prinzipien. Die US-Politik zögert nicht, jedwedes Land mit Blut und Schlamm zu beschmieren, um ihre schmutzigen, imperialistischen Interessen zu verteidigen.
Durch die herauslockende Vorgehensweise beflügelte sie Putin in die Ukraine einzumarschieren. Er wurde dazu nahezu gedrängt, indem die USA ihm klar machten, dass sie nicht eingreifen würden. Indem sie ihn in einen umfassenden Krieg hineinzogen, haben die USA in einem machiavellistischen Manöver wichtige Punkte auf dem imperialistischen Bankett gesammelt. Die US-Strategie versucht vor allem und mit allen Mitteln, dem unwiederbringlichen Niedergang ihrer weltweiten Führungsrolle entgegenzuwirken.
Die US-Bourgeoisie konnte so die Kontrolle der NATO über die europäischen Imperialismen wiederherstellen. Während diese Organisation dem Untergang geweiht schien, die laut Macron "hirntot" sei , ermöglichte der Krieg in der Ukraine dieses Instrument der Unterordnung der europäischen Imperialismen unter die US-Interessen wieder aufzuwerten. Washington nutzte die russische Invasion, um die protestierenden europäischen "Verbündeten" zur Ordnung zu rufen: Deutschland, Frankreich und Italien waren gezwungen, ihre Handelsbeziehungen mit Russland abzubrechen und die von den USA seit Jahren geforderten militärischen Investitionen in aller Eile zu tätigen. In ähnlicher Weise versetzen die USA der Militärmacht Russland schwere Schläge.
Doch hinter Russland haben die USA im Wesentlichen China im Visier und setzen es unter Druck. Das grundlegende Ziel des machiavellistischen Manövers der USA ist die Fortsetzung der Eindämmung Chinas, die im Pazifik begann, durch die Schwächung der russisch-chinesischen Beziehungen. Das Versagen Russlands angesichts der US-Militärhilfe für die ukrainische Armee ist eine klare Warnung an Peking. China hat auf die russische Invasion mit Verlegenheit reagiert: Peking missbilligt zwar die Sanktionen, vermeidet es aber, die rote Linie zu überschreiten, die zu amerikanischen Sanktionen gegen China führen würde. Außerdem ermöglicht der Ukraine-Konflikt die Blockade eines großen Gebiets von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, das für die "Neue Seidenstraße" unverzichtbar ist. Dieses Projekt zu verhindern ist zweifellos ein wichtiges Ziel des amerikanischen Manövers.
Unabhängig davon, welche Fraktion der Bourgeoisie an der Regierung ist, seit dem Beginn der Periode des Zerfalls sind die USA in ihrem Bestreben, ihre schwindende Vormachtstellung zu verteidigen, die Hauptkraft für die Ausbreitung von Chaos und Barbarei infolge ihrer Interventionen und Manöver: Sie haben das Chaos in Afghanistan und im Irak verursacht und den Aufstieg von Al-Qaida und Daesh (Islamischer Staat) begünstigt.
Im Herbst 2021 schürten sie bewusst die Spannungen mit China wegen Taiwan, um die anderen asiatischen Mächte hinter sich zu versammeln. Ihre Politik in der Ukraine ist heute nicht anders, obwohl ihre Strategie es ihnen erlaubt, sich sich als friedliche Nation darzustellen, die sich der russischen Aggression entgegenstellt. Mit ihrer überwältigenden militärischen Überlegenheit schüren die USA ein kriegerisches Chaos als die wirksamste Barriere gegen die Herausforderung durch China. Doch weit davon entfernt, die Weltlage zu stabilisieren, verschärft diese Politik die Barbarei des Krieges und spitzt die imperialistischen Konfrontationen auf allen Seiten in einem chaotischen, unvorhersehbaren und besonders gefährlichen Kontext zu.
Indem Washington Russland in die Enge treibt, verschärft es die Gefahr von Chaos und Krieg in Europa. Der Krieg in der Ukraine führt zu immer verheerenderen Verlusten für Russland. Putin kann die Feindseligkeiten in dieser Phase jedoch einerseits nicht beenden, weil er um jeden Preis Trophäen braucht, um die Operation innenpolitisch zu rechtfertigen und das restliche militärische Prestige Russlands zu retten. Hierzu muss er versuchen, dieses hochstrategische Gebiet dem amerikanischen Einfluss zu entziehen. Andererseits werden die militärische Macht und die Wirtschaft Russlands umso mehr geschwächt, je länger der Krieg andauert. Die Vereinigten Staaten haben kein Interesse daran, eine Einstellung der Feindseligkeiten zu fördern, selbst wenn dies bedeutet, dass die Bevölkerung in der Ukraine zynisch geopfert wird. Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann das Gemetzel nur weitergehen und die Barbarei ausgeweitet werden, wahrscheinlich für Monate oder sogar Jahre. Hierbei sollten wir nicht die besonders gefährlichen Formen, wie die Bedrohung durch "taktische" Atomwaffen vergessen.
Indem die USA das Joch der NATO wiederherstellen, verschärfen sie auch die imperialistischen Ambitionen und den Militarismus der europäischen Bourgeoisien. Nach 1989 konnten die europäischen Länder noch die Illusion nähren, ihre imperialistische Politik im Wesentlichen auf der Grundlage ihrer wirtschaftlichen Trümpfe betreiben zu können. Im Rahmen der Trump- Präsidentschaft und noch deutlicher mit der aggressiven Biden-Politik die sich auf die militärische Überlegenheit der USA stützt, wie nun auch in der Ukraine sichtbar wird, begreifen die europäischen Staaten immer mehr erstens ihre militärische Abhängigkeit von den USA und der Nato, und zweitens die Notwendigkeit eines massiven Ausbaus ihrer Rüstungspolitik Die Entscheidung Deutschlands, massiv aufzurüsten und seinen Militärhaushalt zu verdoppeln, stellt mittelfristig eine wichtige imperialistische Entwicklung dar, da Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nur bescheidene Streitkräfte unterhalten hatte.
Innerhalb der NATO zeichnen sich bereits die Meinungsverschiedenheiten zwischen einem "unnachgiebigen" Pol, der "Putin in die Knie zwingen" will (USA, Großbritannien und Polen, baltische Länder), und einem eher "versöhnlichen" Pol ("all dies muss in Verhandlungen enden", "wir müssen vermeiden, Russland zu demütigen") ab. Indem die US-Bourgeoisie den Druck auf China erhöht, steigert sie auch hier das Risiko neuer militärischer Konfrontationen. Die Krise in der Ukraine hat gefährlich destabilisierende Folgen für die imperialistische Position des wichtigsten Herausforderers der USA.
Peking verfolgt weiterhin eine Politik der formellen Unterstützung für Putin, ohne Kompromisse einzugehen. Aber der Krieg hat schwere Auswirkungen auf das Projekt "Neue Seidenstraße" und auf die Kontakte mit den mitteleuropäischen Ländern, die China zu verführen wusste. Dies geschieht zu einer Zeit, in der die Verlangsamung des Wachstums der chinesischen Wirtschaft immer deutlicher wird, deren Wachstum derzeit auf 4,5 % des BIP geschätzt wird. Während die Vereinigten Staaten nicht zögern, diese Schwierigkeiten hervorzuheben und sie in ihrer Konfrontation mit Peking auszunutzen, verschärft die Situation die Spannungen innerhalb der chinesischen Bourgeoisie und erhöht das Risiko einer Beschleunigung der Konfrontationen auf politischer, wirtschaftlicher und sogar militärischer Ebene.
Das Fehlen jeglicher wirtschaftlicher Motivation für Kriege war seit Beginn der Dekadenz des Kapitalismus offensichtlich: "Der Krieg war das unentbehrliche Mittel, mit dem das Kapital die Möglichkeiten für seine weitere Entwicklung erschloss, zu einer Zeit, als solche Möglichkeiten existierten und nur durch Gewalt erschlossen werden konnten. In gleicher Weise findet die kapitalistische Welt, die historisch alle Entwicklungsmöglichkeiten erschöpft hat, im modernen imperialistischen Krieg den Ausdruck ihres Zusammenbruchs. Der Krieg kann heute die Produktivkräfte nur in einen Abgrund stürzen und in einem immer schnelleren Rhythmus Ruin auf Ruin häufen, ohne irgendeine Möglichkeit für die äußere Entwicklung der Produktion zu eröffnen."1
Konflikt in der Ukraine ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass der Krieg nicht nur seine ökonomische Funktion verloren hat, sondern dass der Zwang zum militärischen Chaos den strategischen Nutzen des Krieges zunehmend schmälert. So hat Russland einen Krieg im Namen der Verteidigung der russischsprachigen Bevölkerung begonnen, massakriert aber Zehntausende von Zivilisten in überwiegend russischsprachigen Regionen. Währenddessen verwandelt Russland diese Städte und Regionen in Ruinen und erleidet selbst erhebliche materielle und infrastrukturelle Verluste. Wenn es am Ende dieses Krieges den Donbass und die Südostukraine erobert, wird es ein Trümmerfeld erobert haben (die Kosten für den Wiederaufbau werden derzeit auf 750 Milliarden Euro geschätzt) und eine von Krieg, Misshandlung und Vertreibung traumatisierte Bevölkerung vorfinden, die es hasst. Es wird einen erheblichen strategischen Rückschlag in Bezug auf seine Großmachtambitionen erlitten haben. Die Vereinigten Staaten werden durch ihre Politik der Eindämmung Chinas dazu verleitet, eine zynische Politik der "verbrannten Erde" zu betreiben, die zu einer unermesslichen Explosion des wirtschaftlichen, politischen und militärischen Chaos führen wird. Die Irrationalität des Krieges war noch nie so offensichtlich wie heute.
Diese Tendenz zur zunehmenden Irrationalität militärischer Konflikte geht Hand in Hand mit der zunehmenden Verantwortungslosigkeit der herrschenden Gruppierungen, die an die Macht kommen, wie das Abenteuer von Bush Junior und den "Neo-Cons" im Irak 2003, die Politik von Trump von 2018 bis 2021 oder die Gruppierung um Putin in Russland zeigen. Sie sind Ausdruck der Verschärfung des Militarismus und des Kontrollverlusts der Bourgeoisie über ihren politischen Apparat, was zu einem Abenteurertum führen kann, das auf lange Sicht für diese Gruppierungen fatal, aber vor allem für die Menschheit gefährlich ist.
Gleichzeitig sind die Folgen des Krieges für die wirtschaftliche Situation vieler Länder dramatisch. Russland ist ein wichtiger Lieferant von Düngemitteln und Energie, Brasilien ist auf Düngemittel für seine Ernten angewiesen. Die Ukraine ist ein wichtiger Exporteur von Agrarprodukten, und die Preise für Rohstoffe wie Weizen werden wahrscheinlich steigen. Staaten wie Ägypten, die Türkei, Tansania oder Mauretanien sind zu 100 % von russischem oder ukrainischem Weizen abhängig und stehen am Rande einer Nahrungsmittelkrise. Sri Lanka und Madagaskar, die bereits überschuldet sind, sind bankrott. Laut UN-Generalsekretär droht die Ukraine-Krise "bis zu 1,7 Milliarden Menschen (mehr als ein Fünftel der Menschheit) in Armut, Elend und Hunger zu stürzen". Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen werden global und unabsehbar sein: Verarmung, Elend, Hunger...
Das Gleiche gilt für die ökologischen Bedrohungen des Planeten. Die Kämpfe in der Ukraine, einem Land mit dem drittgrößten AKW-Bestand Europas, in einer Region mit einer alternden Industrie, einem Erbe der "sowjetischen" Ära, bergen enorme Risiken für ökologische und nukleare Katastrophen. Aber ganz allgemein in Europa und in der Welt hat die Notwendigkeit, sich von der Abhängigkeit von russischen Brennstoffen zu befreien und auf die steigenden Energiepreise zu reagieren, die großen Volkswirtschaften bereits dazu veranlasst, die Produktion von Kohle, Öl, Gas und Kernenergie wieder anzukurbeln, auch wenn die "saubere, grüne Energiewende" offiziell weiterhin Priorität hat. Deutschland, die Niederlande und Frankreich haben bereits Maßnahmen in dieser Richtung angekündigt.
Die Unvorhersehbarkeit der gegenwärtigen Konfrontationen und die Möglichkeit, dass sie außer Kontrolle geraten, und in ihren Auswirkungen stärker sind als während des Kalten Krieges, kennzeichnen die gegenwärtige Zerfallsphase. Sie stellen eine der besonders beunruhigenden Dimensionen dieser Beschleunigung des Militarismus dar. Mehr denn je verdeutlicht der gegenwärtige Krieg die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Entscheidung: "Sozialismus oder die Zerstörung der Menschheit". Anstelle von Tod und kapitalistischer Barbarei: Sozialismus!
R. Havannais, 4. Juli 2022
1 Bericht an die Konferenz der Gauche Communiste de France vom Juli 1945, zitiert in „50 years ago: The real causes of the Second World War [326] ; International Review, Nr. 59, 1989,
Von Slowenien bis zur Tschechischen Republik, der Türkei, Portugal, Griechenland, Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien und den Kanarischen Inseln sind Hunderttausende von Hektar Wald und Häuser in Schutt und Asche gelegt worden, mit allen ökologischen und menschlichen Folgen, die man sich vorstellen kann. Selbst in Grossbritannien kam es in der Region London zu ausgedehnten Bränden. In jüngster Zeit sind viele Teile des US-Bundesstaats Kalifornien in Flammen aufgegangen. Der Yosemite-Park und seine legendären Redwoods sind von einem riesigen Feuer bedroht, wo mehr als 7.000 Hektar in Flammen standen. Auch im Maghreb und im Tschad häufen sich die Brände... Kurzum, überall auf der Welt brennt es! Wenn jedes Jahr 350 Millionen Hektar in der Welt in Rauch aufgehen, wenn Bereiche des Amazonas, ein großer Teil Australiens und Sibiriens bereits von Flammen verwüstet wurden, dann erreichen wir heute neue tragische Rekorde!
Es liegt auf der Hand, dass diese Brände eine direkte Folge des weltweiten Klimawandels sind: immer häufigere und intensivere Hitzewellen, wie die historischen Hitzewellen in Europa in diesem Sommer. In Indien und Pakistan haben die Temperaturen in den letzten Wochen 50°C erreicht! Eine Hitze, die für das Überleben von Millionen von Menschen unerträglich ist und die nach Ansicht eines Großteils der wissenschaftlichen Welt zur Norm wird. Gleichzeitig wird z.B. der Iran von tödlichen Überschwemmungen heimgesucht. Die seit langem vorhergesagte Abwärtsspirale wird also Realität.
Wenn die Bourgeoisie versucht, die Verantwortung der kapitalistischen Produktionsweise für den Klimawandel zu verschleiern, indem sie die Aufmerksamkeit auf Brandstifter, auf das beklagenswerte Verhalten dieses oder jenes Milliardärs mit seinen Privatjets, auf Touristen oder auf dieses oder jenes Unternehmen lenkt, dann sind diese Geschichten auch ein Mittel, um ihre Nachlässigkeit und ihre völlige Unfähigkeit zu verschleiern, das Phänomen einzudämmen, da die Herrschenden so sehr in die rasende Zerstörung verstrickt sind. In dieser Hinsicht sind die so genannten "historischen Vereinbarungen" der zahlreichen Klimakonferenzen reine Heuchelei, schöne Worte, die nur "minimale Maßnahmen" hervorbringen, die den globalen Herausforderungen, vor denen unser Planet steht, nicht gerecht werden.
Die Unfähigkeit und die zunehmenden Unzulänglichkeiten aller Regierungen und internationalen Strukturen bei der Bewältigung und Verhütung von Katastrophen sind offensichtlich: Die für Katastrophenfälle vorgesehenen Hilfs- und Warndienste sind unter der Last jahrzehntelanger Haushaltskürzungen zunehmend lückenhaft und machtlos geworden. Die technologischen Kapazitäten, die satellitengestützten Vorhersagen bleiben aufgrund fehlender Budgets und finanzieller Mittel weitgehend unausgeschöpft. Die Flotten von Feuerlöschflugzeugen (in Frankreich beispielsweise nur einige Dutzend Flugzeuge und Hubschrauber), die in der Lage wären, so schnell wie möglich zu reagieren und diese verheerenden Brände wirksam zu bekämpfen, werden aufgrund fehlender Mittel nur ganz langsam verstärkt. Sie sind natürlich weit davon entfernt, mit den militärischen Luftflotten aller Armeen gleichzuziehen, die jeden Tag mehr Kampfflugzeuge und Bomber anschaffen, die in der Lage sind, den potenziellen "Feind" unter Beschuss zu nehmen: Ihren imperialistischen Konkurrenten.
Angesichts der Brände werden die Feuerwehrleute heute als die Helden dieses "Krieges gegen das Feuer" dargestellt, als Kämpfer, die bereit sind, "ihr Leben zu opfern", so wie früher das Gesundheitspersonal als "Helden der Nation" bei der Bekämpfung der Pandemie bejubelt wurde. Sie alle zahlen jedoch den Preis für die Angriffe und die Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen in der ganzen Welt: "Immer mehr Einsätze, mit immer weniger Mitteln". Viele haben bereits ihr Leben verloren.
Aber die Verteidigung der Natur, der menschlichen Spezies, des Lebens, hat angesichts der Forderungen des Profitgesetzes und des kapitalistischen Wettbewerbs zwischen den Staaten kein großes Gewicht. Denn das ist das eigentliche Anliegen der Bourgeoisie: die Verteidigung ihrer eigenen Interessen, nicht die der Menschheit und ihrer Beziehung zur "natürlichen Welt".
Diese Brände von heute sind keine außergewöhnlichen Epiphänomene. Sie sind zu einem alltäglichen Ereignis in der kapitalistischen Welt geworden, in der die Verwüstung neue Ausmaße annimmt. Mit der Ausbreitung intensiver Monokulturen, der massiven Abholzung von Wäldern und einer zunehmend anarchischen, auf unmittelbare Rentabilität ausgerichteten Landnutzungsplanung werden die Ökosysteme, Tierarten und die biologische Vielfalt der Welt Tag für Tag zerstört. Die Beschleunigung des Klimawandels und die damit einhergehenden Umweltkatastrophen sind das Ergebnis der Logik eines kapitalistischen Systems, das darauf hinausläuft, eine Politik der "verbrannten Erde" zu betreiben, die ganz offen das Überleben der Menschheit bedroht.
Die Welt steht heute in Flammen, und das ist nicht nur ein Bild. Im Juli 1914, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, erklärte Jean Jaurès: "Der Kapitalismus trägt den Krieg wie eine Wolke den Sturm". Das ist auch heute noch so: Die Verwüstungen des Krieges in der Ukraine zeugen davon, aber sie werden durch die globale Erwärmung und die Klimakatastrophe noch verstärkt und zeigen, dass der Kapitalismus die allgemeine Zerstörung in sich trägt und sie aus jeder Pore seiner Haut absondert.
In der Tat lässt sich ein klarer Zusammenhang zwischen Krieg und der sich verschärfenden ökologischen Krise erkennen. In jüngster Zeit wird im Namen der Entwicklung der Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen die Laufzeit von Kohlekraftwerken im Westen verlängert, die bekanntermaßen zur globalen Verschmutzung beitragen. Der Kapitalismus opfert den Planeten für den Krieg.
Diese Fäulnis wird immer gewalttätiger und unkontrollierbarer, und es ist klar, dass der Kapitalismus nicht mehr eine Quelle des Fortschritts für die Menschheit ist, sondern ein Synonym für Tod und Zerstörung. Die kapitalistische Welt wird mehr und mehr lebensfeindlich. Nur das Proletariat kann ihr ein Ende setzen, indem es seinen revolutionären Kampf, sein Klassenbewusstsein zur Verteidigung seiner Lebensbedingungen und die Errichtung einer Gesellschaft ohne Ausbeutung entwickelt. Das Schicksal der Menschheit liegt in seiner Hand.
Stopio, 24. Juli 2022
Die IKS wird öffentliche Online-Diskussionen in deutscher Sprache abhalten. Es gilt die Beschleunigung der kapitalistischen Barbarei, die durch den Krieg in der Ukraine sowie durch die sich verschärfende Wirtschaftskrise und die sich verschlimmernden Auswirkungen des Klimawandels deutlich wird zu analysieren. Bei der Betrachtung der Reaktion der internationalen Arbeiterklasse, werden wir den wichtigen Arbeiterkämpfen die derzeit in Großbritannien stattfinden besondere Aufmerksamkeit schenken.
Kommt und diskutiert mit uns!
Die nächste Diskussion finden am Mittwoch den 14. September, um 20.00 Uhr statt.
Wer teilnehmen möchte, schreibt uns vorher bitte an https://de.internationalism.org/contact [327] damit wir Kontakt aufnehmen können.
Kaum war die "Trauerzeit" für die Königin mit ihren ohrenbetäubenden Hymnen auf die nationale Einheit zu Ende, bestätigten über 500 Hafenarbeiter in Liverpool, dass sie in den Streik treten werden, unmittelbar gefolgt von den Hafenarbeitern in Felixstowe, die bereits in den Wochen vor dem Tod der Königin gestreikt hatten. Geplante Streiks bei der Eisenbahn, die von den Gewerkschaften "aus Respekt vor der Königin" verschoben wurden, werden fortgesetzt und von weiteren Streiks bei der Post, den Bussen und der U-Bahn begleitet. Andere Auseinandersetzungen, an denen Müllwerker, Bauarbeiter, Amazon-Lagerangestellte und andere beteiligt sind, dauern an. Auch die Beschäftigten im Bildungswesen und andere stehen bereit zur Urabstimmung. Der "Sommer des Zorns" scheint sich in einen heißen Herbst und vielleicht einen weiteren "Winter der Unzufriedenheit" zu verwandeln, da die Arbeiter:innen steigenden Preisen und winzigen Lohnerhöhungen gegenüber stehen.
In der Zwischenzeit hat die linksliberale Presse den "Mini-Haushalt" der Truss-Regierung, der ostentativ die Begrenzung der Banker-Boni aufhebt und Steuersenkungen vorsieht, die eindeutig den sehr Reichen zugute kommen, als eine Klassenkriegserklärung der Truss-Regierung angeprangert. Und das ist natürlich richtig: Die herrschende Klasse befindet sich ständig im Krieg mit denjenigen, die sie ausbeutet, und ist vor allem in Krisenzeiten gezwungen, den Lebensstandard der Ausgebeuteten zu senken, sei es grob und offen, sei es in einem subtileren, schrittweisen Vorgehen. Denn der Klassenkampf ist keine ideologische Deformation, keine Entscheidung der Herrschenden. Er ist die grundlegende Wirklichkeit dieses Gesellschaftssystems, das nur auf dem Boden der ausgebeuteten Arbeit der Mehrheit leben und "wachsen" kann.
Und was die Streiks in diesem Sommer und Herbst gezeigt haben, ist, dass die ausgebeutete Klasse die ersten Schritte unternimmt, um den Klassenkrieg auf ihrem eigenen Terrain und für ihre eigenen Bedürfnisse zu führen.
Wir haben an anderer Stelle[1] über die internationale Bedeutung der gegenwärtigen Kämpfe in Großbritannien geschrieben, als Zeichen dafür, dass die Arbeiterklasse nicht verschwunden ist, nicht vom beschleunigten Zerfall des kapitalistischen Systems verschlungen wurde – und somit als eine Art Appell an die Weltarbeiterklasse, auf den Angriff auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen mit der Rückkehr auf den Weg des Kampfes zu reagieren.
Das kapitalistische System schlug zuerst in Großbritannien Wurzeln, und in der Zeit des aufsteigenden Kapitalismus im 19. Jahrhundert stand die britische Arbeiterklasse zu bestimmten Zeiten an der Spitze der internationalen Arbeiterbewegung. In Großbritannien gründeten die Arbeiter zunächst Gewerkschaften, um sich gegen die brutale Ausbeutung zu wehren, und später eine politische Partei, die Chartisten, die die unabhängigen Interessen der Klasse im Parlament und in der Gesellschaft insgesamt zu vertreten suchte.
Die von den Arbeitern gegründeten Gewerkschaften und Parteien sind längst zu Rädchen im kapitalistischen System geworden, aber der kämpferische Geist der Arbeiterklasse ist nicht mit ihnen gestorben, ob wir nun von Red Clydeside 1919, dem Generalstreik von 1926 oder in den späten 60er und 70er Jahren von den Kampfwellen sprechen, die den Aufstieg der Arbeiterklasse aus der langen Konterrevolution kennzeichneten, die seit Ende der 20er Jahre über die internationale Arbeiterklasse hereinbrach.
Um der Militanz der Arbeiterklasse in Großbritannien zu begegnen, startete die Bourgeoisie unter der Führung der Thatcher-Regierung, aber mit der vollen Unterstützung der herrschenden Klasse der ganzen Welt, eine große Gegenoffensive. Am deutlichsten wurde dies bei der Niederschlagung des einjährigen Bergarbeiterstreiks, der nicht nur die Schließung der Zechen, sondern die Demontage ganzer Sektoren der britischen Industrie ermöglichte. Aber auch die Hafenarbeiter erlitten 1989 und erneut 1995-98 schwere Niederlagen.
Der Prozess der "Deindustrialisierung" hatte seine wirtschaftlichen Gründe – insbesondere die Suche nach höheren Profitraten in den "aufstrebenden" Volkswirtschaften –, aber es ist kein Zufall, dass er auch einige der kämpferischsten Sektoren der Arbeiterklasse auflöste, nicht nur die Bergarbeiter, sondern auch die Arbeiter in den Werften, in den Stahl- und Autowerken, in den Docks usw., während die neuen Maßnahmen der "Privatisierung" auch dafür sorgten, dass wichtige Sektoren wie die Eisenbahner nicht mehr nur einem einzigen staatlichen Arbeitgeber gegenüberstanden, sondern mehreren, und somit leichter gespalten werden konnten.
All dies wurde von einer neuen ideologischen Offensive begleitet, die auf dem Motto basierte, dass der Klassenkrieg vorbei sei und der Klassenkampf in die Geschichtsbücher eingegangen sei. Und mit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989-91 nahm diese Kampagne in der ganzen Welt Fahrt auf und betonte noch nachdrücklicher, dass die Arbeiterklasse tot sei und dass jede Vorstellung, sie könne das gegenwärtige System ändern, nur zum Scheitern verurteilt sei. Der "Tod des Kommunismus"[2], so wurde uns gesagt, bedeute das Ende jeder Hoffnung auf eine Alternative zum Kapitalismus.
Der Zusammenbruch des Ostblocks markierte den Eintritt des Kapitalismus in eine neue, letzte Phase seines Niedergangs, die durch zunehmende Zersplitterung und Chaos auf allen Ebenen gekennzeichnet ist. Auch dieser Prozess traf die Arbeiterklasse in Großbritannien mit besonderer Härte, verschärfte die soziale Atomisierung, förderte das Aufkommen städtischer Banden, nährte die Spaltung zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen und betonte neue "Identitäten", die an die Stelle der Klassenidentität und damit der Klassensolidarität traten. In den letzten zehn Jahren wurden all diese Spaltungen durch die Brexit-Kampagne und die Schürung der sogenannten "Kulturkriege" sowohl durch den rechten als auch den linken Flügel der Bourgeoisie weiter verschärft.
Die Arbeiterklasse in Großbritannien hat sich daher nur schwer von den Rückschlägen der 1980er und 1990er Jahre erholen können. Aber heute, trotz dieses langen Rückzugs, trotz aller Spaltungen, erhebt die Arbeiterklasse wieder ihr Haupt, und in vielen Fällen sind es die "traditionell" kämpferischen Sektoren, diejenigen mit einer langen Geschichte vergangener Kämpfe – Eisenbahn, Häfen, Busse, Post –, die eine Führung bieten, der andere Sektoren folgen können, die zwar zahlreicher sind, aber nicht immer die gleiche Geschichte von Klassenkämpfen haben: Bildung, Gesundheit, Vertrieb usw. Die Wirtschaftskrise und vor allem der Anstieg der Inflation machen es objektiv erforderlich, dass alle Arbeiter:innen gemeinsam kämpfen und dabei das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Klasse mit eigenen, unabhängigen Interessen und letztlich mit einer eigenen Alternative für die Zukunft der Gesellschaft zurückgewinnen. Diese Kämpfe richten sich zwar nicht direkt gegen die kapitalistische Kriegstreiberei oder prangern nicht offen die Opferaufrufe für den Konflikt zwischen der NATO und dem russischen Imperialismus an, aber allein die Tatsache, dass sie angesichts solcher Aufrufe stattfinden, ist ein Beweis dafür, dass die Arbeiterklasse, vor allem in den zentralen Ländern des Systems, nicht bereit ist, sich auf dem Altar des kapitalistischen Krieges zu opfern.
Die meisten Streiks in den Schlüsselsektoren wurden von den Gewerkschaften gut kontrolliert, die ihre Rolle für den Kapitalismus erfüllten, indem sie die Streiks voneinander isoliert hielten (so wie sie es mit den Bergarbeitern und anderen Sektoren in den 1980er Jahren taten), sie auf verschiedene Tage verteilten, sogar unter den Arbeiter:innen in verschiedenen Teilen des Verkehrssystems (Bahn, U-Bahn, Busse ...), und sich oft auf einen oder zwei Streiktage beschränkten, die lange im Voraus angekündigt wurden. Ein Zeichen für die zugrundeliegende Kampfbereitschaft der Arbeiter:innen ist jedoch die herausragende Rolle, die linke Gewerkschaftsführer:innen spielen. Mick Lynch von der RMT (der wichtigsten Eisenbahngewerkschaft) ist am meisten in Erscheinung getreten, und er wurde weithin für seine Fähigkeit gelobt, in Medieninterviews feindselige Fragen zu beantworten. So hat er beispielsweise auf den Vorwurf der Medien, die Bahnstreiks würden im Namen eines privilegierten Sektors geführt, geantwortet, dass seine Mitglieder kämpfen, weil alle Arbeiter angegriffen würden und gemeinsam kämpfen müssten. Die Generalsekretärin der Gewerkschaft Unite, Sharon Graham, hat sich von der kleinmütigen Haltung der Labour-Partei gegenüber Streiks distanziert und ist über den Kopf ihrer eigenen Bürokraten hinweggegangen, um "Gemeinsame Ausschüsse" einzurichten, in denen Gewerkschaftsvertreter aus verschiedenen Sektoren (Abfallwirtschaft, Lagerhäuser, Gastgewerbe usw.) zusammenkommen. Es sollte uns nicht überraschen, wenn wir, während die Kämpfe im Herbst und Winter weitergehen, mehr Appelle zur Einheit der Arbeiterklasse und mehr gemeinsame Aktionen, Demonstrationen usw. hören. Für linke Gruppen wie die Socialist Workers' Party wird dies als Beweis dafür angeführt, dass die Basis die Führungen zum Kampf zwingen kann, wenn sie genug Druck auf sie ausübt, aber für Kommunist:innen, die verstehen, dass die Gewerkschaften zu Staatsorganen geworden sind, entspricht die Radikalisierung der Gewerkschaften der Notwendigkeit, sich der Klassenbewegung anzupassen, um die Kontrolle über sie zu behalten.
Wir sollten auch beachten, dass der Kampfgeist der Arbeiter:innen auch in inoffiziellen Aktionen, sogar wilden Streiks, in einer Reihe von verschiedenen Sektoren zum Ausdruck gekommen ist. In ihrem Artikel Wildcat Strikes in the UK: Getting Ready for a Hot Autumn (Vorbereitung auf einen heißen Herbst) hat die Communist Workers Organisation eine (nicht erschöpfende) Liste mit den folgenden Beispielen erstellt:
"10. Mai: Etwa 100 Müllmänner in Welwyn Hatfield legten die Arbeit nieder, um gegen einen Manager zu protestieren, dem Sexismus, Rassismus und Mobbing vorgeworfen wurden. 11. Mai: Etwa 300 Bauarbeiter in einer Raffinerie in Hull streikten, weil die Lohnzahlungen verspätet oder unvollständig waren. 17. Mai: Mehr als tausend Offshore-Ölarbeiter in der Nordsee legten auf 19 Bohrinseln die Arbeit nieder und forderten, dass ihre Löhne an die Inflation angepasst werden. 27. Juli: Etwa 100 Arbeiter in einem Lebensmittelbetrieb in Bury legten die Arbeit nieder, weil sie keine angemessenen Pausen am Arbeitsplatz erhielten. 3. August: Hunderte von Amazon-Beschäftigten an verschiedenen Standorten in Tilbury, Rugeley, Coventry, Bristol, Dartford und Coalville haben Streiks und Bummelstreiks als Reaktion auf eine "Lohnerhöhung" von nur 35 Pence mehr pro Stunde organisiert. 10. August: Hunderte von Vertragsarbeitern, darunter Gerüstbauer und Wartungsarbeiter, in Raffinerien, Chemiewerken und anderen Anlagen in Teesside, Grangemouth, Pembroke, Fife, Fawley und Drax legten im Kampf um die Löhne die Arbeit nieder und bestreikten Autofahrer, die in die Anlagen ein- und ausfuhren".[3]
Im Anschluss an diesen Artikel veröffentlichte die CWO den Aufruf des Offshore Oil and Gas Workers Strike Committee, in dem erklärt wird, warum die Streikenden eine "wilde Aktion" starteten, ohne eine Urabstimmung abzuwarten:[4]
"Unsere Gewerkschaften sagen, dass sie derzeit nicht die nötigen Teilnehmer finden, um eine Urabstimmung durchzuführen. Wir sagen, dass das Unsinn ist, denn die gesamte Nordsee ist absolut wütend über unsere Behandlung.
Die wilden Streiks, über die gesprochen wird und die geplant sind, sind das Ergebnis jahrelanger Untätigkeit der Gewerkschaften und unserer Arbeitgeber und haben uns das Gefühl gegeben, dass wir nur etwas erreichen können, wenn wir die Dinge selbst in die Hand nehmen.
Wir haben das gesamte ordnungsgemäße Verfahren durchlaufen, als es darum gegangen ist, unsere Beschwerde vorzubringen. Wir haben die ordnungsgemäßen Kanäle genutzt, aber wir haben das Gefühl, dass wir an der Nase herumgeführt werden.
Das ganze Vereinigte Königreich ist wegen der Lebenshaltungskosten in Aufruhr. Wir sind nicht anders".[5]
Dieser Streik wurde von der RMT, der Unite und der GMB angeprangert, die in einem gemeinsamen Schreiben erklärten: "Unsere Sorge ist, dass inoffizielle Aktionen alles gefährden. Einige Betreiber der alten Infrastruktur werden die Arbeitsunruhen nutzen, um eine vorzeitige Stilllegung zu rechtfertigen, und alles, was wir bekommen, sind weitere Entlassungen. Andere werden eine gespaltene Belegschaft sehen und dies ausnutzen."
Die Aktionen bei Amazon sind auch deshalb interessant, weil die Mehrheit der Beschäftigten gestreikt hat, ohne überhaupt einer Gewerkschaft anzugehören. Die "arbeitertümelnde" Gruppe Notes from Below hat Berichte von einigen der an den Streiks beteiligten Arbeiter:innen veröffentlicht, hier aus dem "Fulfilment Centre" von Amazon in Coventry:
"Wir haben während der gesamten Covid-Pandemie gearbeitet, einschließlich während der Lockdowns. Wir haben seit April auf Informationen über die Lohnerhöhung gewartet und alle haben mindestens 2 Pfund mehr pro Stunde erwartet. Am Mittwoch gab die Geschäftsleitung jedoch bekannt, dass wir nur eine Lohnerhöhung von 50 Pence pro Stunde erhalten würden.
Wir planten den Streik erst zwei Stunden, bevor er tatsächlich stattfand. Wir hatten die Streiks in den Abwicklungszentren von Tilbury und Rugeley in unserer Pause auf TikTok gesehen, und das hat uns inspiriert zu streiken. Wir sahen uns diese Videos um 11 Uhr an und begannen, die Idee einer Arbeitsniederlegung durch Mundpropaganda im Lagerhaus zu verbreiten. Um 13 Uhr hatten wir bereits über 300 Leute, die die Arbeit niederlegten. Am Anfang hatten wir keine Unterstützung von den Gewerkschaften. Wir haben das alles selbst organisiert. Nachdem wir jedoch die Arbeit niedergelegt hatten, nahm GMB Kontakt mit uns auf, um uns zu beraten und dazu aufzufordern, der Gewerkschaft beizutreten".[6]
Diese Schilderung wirft ein Licht auf eine Reihe von Fragen: Ein Element des derzeitigen Aufschwungs der Klassenwut ist die Tatsache, dass zahlreiche Sektoren – Gesundheit, Recycling, Transport, Vertrieb usw. –, denen während der Pandemie gesagt wurde, dass ihre Arbeit unerlässlich sei und dass sie Helden seien, weil sie weitermachten, jetzt mit beleidigenden Lohnerhöhungen "belohnt" werden. Es zeigt auch, dass die Arbeiter:innen in der Lage sind, ohne gewerkschaftliche "Unterstützung" zu streiken, wie in einem Bericht über den ersten wilden Streik bei Amazon[7] ausführlicher beschrieben wird.
Es zeigt aber auch, dass die Gewerkschaften immer bereit sind, einzugreifen und die Arbeiter:innen zu ihrem eigenen Vorteil zu "organisieren". Wenn es sich, wie in diesem Fall, nicht um eine offizielle Gewerkschaft wie die GMB handelt (die sich selbst als "Gewerkschaft für alle Arbeitnehmer" bezeichnet), dann gibt es eine Reihe von halb-syndikalistischen "Standesorganisationen" wie die United Voices of the World und die IWGB (The Independent Workers' Union of Great Britain), die sich darauf spezialisiert haben, die prekäreren Sektoren zu rekrutieren, die bisher von den großen Gewerkschaftsorganisationen ignoriert wurden. Und wir sollten nicht vergessen, dass auch die unterste Ebene der offiziellen Gewerkschaften, die Vertrauensleute oder die lokalen Organisatoren, scheinunabhängige Streikkomitees und -koordinationen einrichten können, die kein echter Ausdruck der Massenversammlungen der Streikenden sind und versuchen, als letztes Bollwerk der Gewerkschaften zu fungieren.
Die Gewerkschaften und die grundlegende Ideologie des Gewerkschaftswesens haben in Großbritannien eine sehr lange Geschichte, und es wird lange dauern und viele Konfrontationen mit gewerkschaftlicher Sabotage erfordern, bevor die Arbeiter:innen in der Lage sind, autonome Organisationsformen in großem Umfang zu entwickeln – insbesondere souveräne Vollversammlungen, auf denen die Arbeiter:innen darüber debattieren und entscheiden können, wie sie ihre Kämpfe ausweiten und vereinigen wollen. Und es ist auch wahrscheinlich, dass die von der Regierung Truss angekündigten neuen "gewerkschaftsfeindlichen" Maßnahmen dazu beitragen werden, die Vorstellung zu verstärken, dass die Gewerkschaften wirklich den Arbeiter:innen gehören und verteidigt werden müssen, obwohl die Gewerkschaften sehr geschickt darin geworden sind, frühere streikfeindliche Gesetze zu überwachen und zu normalisieren (Urabstimmungen, Beschränkungen von Streikposten usw.).
Dennoch können wir an einigen dieser jüngsten Beispiele sehen, dass die authentische Klassentradition, Aktionen auf Vollversammlungen zu beschließen, Massenstreikposten zu organisieren und andere Betriebe direkt zum Kampf aufzurufen, keineswegs aus dem kollektiven Gedächtnis der Arbeiterklasse in Großbritannien verschwunden ist und immer noch in embryonaler Form existiert. Die gegenwärtige Streikwelle ist eine wesentliche Vorbereitung für die Kämpfe der Zukunft, um das dringend benötigte Maß an Selbstorganisation zu erreichen, das es den Arbeiter:innen ermöglichen wird, ihre Kämpfe zu vereinheitlichen.
Amos / 04.10.2022
[1] Siehe unser internationales Flugblatt Sommer des Zorns in Großbritannien: Die Bourgeoisie erzwingt neue Opfer. Die Arbeiterklasse antwortet mit Streik [328] (27.08.2022)
[2] Diese Kampagne basierte auf einer grundlegenden Lüge: dass der stalinistische Staatskapitalismus in Wirklichkeit Kommunismus sei.
[3] Siehe auch https://libcom.org/article/wildcat-action-hit-refineries-and-power-plants-august-24th [329]
[4] "RMT, Unite und GMB-Gewerkschaften verurteilen wilde Streiks auf Öl- und Gasplattformen in der Nordsee", https://www.wsws.org/en/articles/2022/09/08/coef-s08.html [330]
[5] „Öl- und Gasfelder in der Nordsee: The Struggle Continues! [331]“, IKT (31.08.2022)
Seit dem 27. September 2022 sind immer mehr Arbeiter der Ölkonzerne TotalEnergies und Esso-ExxonMobil in den Streik eingetreten. Bei Redaktionsschluss waren sieben von acht Raffinerien blockiert. Ihre Hauptforderung ist klar: um den explodierenden Preisen entgegenzuwirken, fordern sie eine Lohnerhöhung von 10 Prozent.
Alle Arbeitnehmer, Rentner, Arbeitslosen, prekär beschäftigten Studenten, die heute die Inflation, diesen schwindelerregenden Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise, zu spüren bekommen, sind mit demselben Problem konfrontiert: Löhne, Renten oder Vergütungen, die kein würdiges Leben mehr ermöglichen. Die Entschlossenheit der Streikenden in den Raffinerien, ihre Wut und ihr Kampfgeist verkörpern und konkretisieren, was die gesamte Arbeiterklasse in allen Sektoren, im öffentlichen wie im privaten Sektor, empfindet.
Die Medien können noch so viele Bilder von - wegen fehlendem Benzin - endlosen Warteschlangen vor den Tankstellen in Endlosschleife drehen, noch so viele Reportagen über die Mühsal der Autofahrer, die zu ihrem Arbeitsplatz fahren wollen - nichts hilft: Dieser Kampf ruft in den proletarischen Reihen momentan mehr als nur Sympathie hervor, er weckt auch das Gefühl, dass die Arbeiter aller Sektoren im selben Boot sitzen!
Dann können die gleichgeschalteten Medien noch so laut schreien: "Schaut euch diese Wohlhabenden an, die mehr als 5.000 Euro im Monat verdienen!". Aber wer glaubt schon an eine solche Lüge? Umso mehr, als sie uns das bei jedem Streik der Eisenbahner oder der Beschäftigten im Luftverkehr vorhalten... 5.000, 7.000, 10.000 Euro... Wer bietet mehr? In Wirklichkeit verdienen diese Arbeitnehmer nicht mehr als 2.000 Euro als Einstieg, 3.000 für manche am Ende ihrer Laufbahn, wie Lehrer, Krankenschwestern, Facharbeiter usw. Aber diese Propaganda wird im Laufe der Monate immer weniger hörbar, weil in der Arbeiterklasse die Vorstellung wächst, dass wir alle vom Lohnverfall und den immer unerträglicheren Angriffen betroffen sind.
Die spürbare Zunahme der Wut und der Kampfbereitschaft in vielen Bereichen Frankreichs in den letzten Wochen ist daher keine Überraschung. Es ist vielmehr Teil einer breiteren, umfassenderen und internationalen Dynamik, die sich am deutlichsten in den Kämpfen der Arbeiter in Großbritannien in diesem Sommer (und noch immer) widerspiegelt. In unserem internationalen Flugblatt vom 27. August 2022 schrieben wir wie folgt: "Dies ist die größte Bewegung der Arbeiterklasse in diesem Land seit Jahrzehnten; man muss bis zu den riesigen Streiks von 1979 zurückgehen, um eine größere und massivere Bewegung zu finden. Eine Bewegung dieser Größenordnung in einem so großen Land wie Großbritannien ist kein "lokales" Ereignis. Es ist ein Ereignis von internationaler Bedeutung, eine Botschaft an die Ausgebeuteten aller Länder. [...] Die Massenstreiks in Großbritannien sind ein Kampfaufruf an die Proletarier aller Länder". Seitdem haben die Streiks in Deutschland oder die angekündigten Streiks in Belgien diese Tendenz nur bestätigt.
Dennoch sieht sich die Arbeiterklasse einer echten Schwäche gegenüber: der Zersplitterung ihrer Kämpfe. In den letzten zwei Monaten gab es Streiks im Transportwesen (in Metz am 7. Oktober, in Dijon am 8. Oktober, in Saint Nazaire am 11. Oktober, landesweit vom 17. bis 23. Oktober), in der Kinderbetreuung und im öffentlichen Dienst (am 6. Oktober), einen Demonstrationstag am 29. September 2022, der hauptsächlich im öffentlichen Sektor stattfand, usw.
Warum diese Spaltung? Weil die Gewerkschaften heute die Organisation dieser Bewegungen in ihren Händen halten, die sie in viele Körperschaften, Sektoren und spezifische Forderungen zerstreuen und aufteilen. Weil sie die Betreuung der Arbeiter zwischen "radikalen" und "versöhnlichen" Gewerkschaftsorganisationen aufteilen und so mit Spaltungen spielen, die schließlich Zweifel und Misstrauen in den Reihen der Arbeiter erzeugen.
Gegenüber Macron und seiner Regierung präsentieren sich die Gewerkschaften heute als radikal, als Meister des Kampfes ... um uns besser einzukreisen und uns voneinander zu trennen. Indem sie der Idee einer "Besteuerung der Superprofite" und einer besseren "Verteilung des Reichtums" Glauben schenken, die staatliche Bestrafung von Streikenden anprangern sowie die Vorzüge echter Verhandlungen preisen, geben die "Sozialpartner" durch das Spiel ihrer "Opposition" dem Staat Auftrieb, der gerade versucht, als Garant einer wohlwollenden Schiedsgerichtsbarkeit aufzutreten. Die Medien, die Führer der bürgerlichen Klasse, setzen noch einen drauf, indem sie die Gewerkschaften CGT und FO als "unverantwortlich bis zum Äußersten" darstellen, um sie in den Augen der Ausgebeuteten glaubwürdiger zu machen, indem sie ihnen angeblichen Kampfgeist unterstellen, obwohl diese Gewerkschaften selbst perfekt institutionalisierte Staatsorgane sind.
Heute erfahren wir, dass die Beschäftigten des Kernkraftwerks Gravelines, des leistungsstärksten in Westeuropa, ebenfalls in den Streik treten. Ebenso wie die Beschäftigten der SNCF, der RATP oder der großen Einzelhandelsunternehmen. Auch sie fordern höhere Löhne! In einigen Tagen, am 18. Oktober 2022, ist ein "branchenübergreifender" Streik- und Demonstrationstag im Berufsbildungssektor, in den Kliniken, in den privaten Altenheimen, usw. geplant. Mit anderen Worten: Jeder in seiner Ecke, die Einen getrennt von den Anderen. Im Übrigen will der Führer der CGT, Philippe Martinez, in den Sendungen von BFM-TV auf keinen Fall, dass eine einheitliche Bewegung der Klasse notwendig erscheint. Aus diesem Grund orchestriert er mit dem "Generalstreik" die Vervielfachung lokaler Aktionen: "Wir müssen in allen Unternehmen über Aktionen diskutieren und die Streiks verallgemeinern. Das bedeutet, dass es überall Streiks geben muss". Im Klartext: Die Gewerkschaften organisieren die Spaltung und Zersplitterung von Unternehmen zu Unternehmen unter dem Deckmantel der "Verallgemeinerung".
Erinnern wir uns an die Schwäche der sozialen Bewegung gegen die Rentenreform 2019: Es gab große Sympathie für die streikenden Eisenbahner, aber diese Solidarität blieb platonisch und beschränkte sich darauf, Geld in die von der CGT in den Demonstrationszügen herumgereichten "Solidaritäts"-Kassen zu spenden. Die Stärke unserer Klasse liegt jedoch nicht in der Ermutigung aus der Ferne oder in der Zerstückelung in isolierte Streiks.
Nein! Unsere Stärke ist die Einheit, ist die Solidarität im Kampf! Es geht nicht darum, zu "orchestrieren", sich nebeneinander zu stellen. Der Kampf der Arbeitnehmer ist eine einzige Bewegung. In den Streik treten und in Massendelegationen zu den anderen Arbeiterinnen und Arbeiter gehen, die ihnen geografisch am nächsten sind (die Fabrik, das Krankenhaus, die Schule, das Verwaltungszentrum …). Sich treffen, diskutieren und immer mehr Arbeiterinnen und Arbeiter für den Kampf gewinnen. Versammlungen organisieren, um zu debattieren und sich für gemeinsame Forderungen zusammenschließen. Es ist diese Übernahme ihrer Kämpfe durch die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst, diese Dynamik der Solidarität, der Ausweitung und der Einheit, die die Bourgeoisie im Laufe der Geschichte immer wieder zum Zittern gebracht hat. Im Klartext: das genaue Gegenteil von dem, was die Gewerkschaften tun.
Heute ist es für die Ausgebeuteten immer noch sehr schwierig, ihren Kampf selbst zu führen. Es scheint ihnen sogar unmöglich, so präsent ist die ständig eingetrichterte Idee, dass man die Führung dieser Kämpfe den gewerkschaftlichen "Spezialisten" anvertrauen müsse. Die Geschichte der Arbeiterklasse beweist jedoch das Gegenteil! Wenn die Führung des Kampfes von den Generalversammlungen übernommen wurde, die kollektiv über die Führung des Kampfes entschieden und gewählte und abwählbare Streikkomitees ernannten, die den Versammlungen gegenüber verantwortlich waren und gerade nicht den verschiedenen Gewerkschaftszentralen (welche nie zögern Spaltungen einzuleiten um die Arbeiter zu demoralisieren), dann waren die Arbeiterinnen und Arbeiter am stärksten und konnten ihre Ausbeuter zurückdrängen.
Internationale Kommunistische Strömung, 13. Oktober 2022
Der Tod von Königin Elisabeth II. war das Signal für die gesamte Bourgeoisie, sich in einen Propagandawahn zu stürzen und immer wieder die Bedeutung von "Pflicht, Opfer und Widerstandskraft" im "Dienst" der nationalen Einheit zu wiederholen, sei es aus dem Munde rechter Tory-Politiker oder linker Gewerkschaftsführer, sei es auf den Seiten der reaktionären Daily Mail oder des liberalen Guardian. Die Kirche von England, vom Erzbischof von Canterbury bis zum örtlichen Pfarrer, singt die gleiche Melodie. Fast jeder, der in der Öffentlichkeit steht, jeder, der irgendeine privilegierte Verbindung zur herrschenden Klasse hat oder haben möchte - Akademiker, Romanautoren, Historiker, Künstler, Schauspieler, Sportler, Zeitungskolumnisten - tragen ihren eigenen kleinen Beitrag zu diesem zehn Tage dauernden Karneval der Trauer bei und offenbaren damit, dass sie nicht so unabhängig sind, wie sie vorgeben, sondern genauso Lakaien wie die livrierten Lakaien der königlichen Familie.
Aber diese Propagandalawine hat eine heilsame Lektion für klassenbewusste Arbeiter: Trotz all ihrer vielen zweitrangigen Spaltungen und Konflikte vereinen sich alle Teile der herrschenden Klasse und des Staatsapparats, linke und rechte, liberale und populistische, royalistische und gewerkschaftliche, im Angesicht der Verteidigung der Nation, an der die Arbeiterklasse weder Anteil noch Interesse hat, zu einer Einheit.
Der Einsatz dieser Kampagne als Keule, um die Arbeiterklasse zu schlagen, wurde kurz nach der Bekanntgabe des Todes der Königin deutlich, als drei Gewerkschaften, die an der aktuellen Streikwelle in Großbritannien beteiligt sind - die RMT (Bahn), die CWU (Post) und die TSSA (Transport) - ankündigten, dass sie geplante Streiks während der Zeit der Staatstrauer aussetzen würden. Der "radikale" RMT-Vorsitzende Mick Lynch drückte es so aus: "Die RMT schließt sich der ganzen Nation an, um Königin Elizabeth die Ehre zu erweisen. Die geplanten Bahnstreiks am 15. und 17. September werden ausgesetzt. Wir sprechen ihrer Familie, ihren Freunden und dem ganzen Land unser tiefstes Beileid aus.
Der TUC, die Führung aller Gewerkschaften, hat seinen Kongress, auf dem er vorgeben wollte, die Streiks zu koordinieren, auf Oktober oder November verschoben.
Die Achtung der nationalen Einheit in Krisenzeiten ist das Markenzeichen der Gewerkschaften seit 1914, als sie dazu dienten, Arbeiter für die imperialistischen Schlachtfelder zu rekrutieren, so dass diese "Aussetzung" des Klassenkampfes in keiner Weise eine Ausnahme darstellt.
Auch die Labour-Partei, von der Rechten bis zur Linken, hat dem konstitutionellen Monarchen stets ihre Treue geschworen. Der linke ehemalige Vorsitzende der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn - der von den Trotzkisten und anderen Linken eifrig unterstützt wurde - erklärte 2017, dass "die Abschaffung der Monarchie nicht auf seiner Agenda stehe", und er erschien vor einigen Tagen erneut, um an einer der offiziellen Ehrungen der Königin teilzunehmen.
Die Bourgeoisie lässt keine Gelegenheit aus, um von einer Krise zu profitieren, und hofft, dass die Hymnen und Predigten, die Prozessionen, die Böllerschüsse und die bewegenden Ehrungen einer kämpferischen Arbeiterklasse vermitteln werden, wie wichtig es ist, alles für das nationale Interesse, d. h. für Profite und imperialistische Kriege, aufzugeben.
Und während die herrschende Klasse versucht, mit dieser Kampagne die Klassenspaltung zu verbergen, auf der diese Gesellschaft beruht, versucht sie auch, einige der tiefen Risse in ihrer eigenen imperialistischen Position zu überdecken - Risse, die durch den Aufstieg des Populismus und das Brexit-Desaster, das die Existenz des Vereinigten Königreichs selbst bedroht, noch verstärkt werden. Es ist kein Zufall, dass angesichts der drohenden schottischen Unabhängigkeit und des Zerfalls der Beziehungen Großbritanniens zu Nordirland die düsteren Zeremonien der Trauerwoche mit der Parade des Sarges der Königin durch die Straßen von Edinburgh begannen, und dass die erste Aufgabe des neuen Königs darin bestand, Hillsborough Castle in Nordirland zu besuchen.
Aber was ist mit der Weltbourgeoisie, d.h. der herrschenden Klasse jener Nationen, die in tödlicher Konkurrenz zu Großbritannien stehen, warum beteiligen sie sich ebenfalls an dieser Maskerade der Trauer und hissen ihre eigenen Flaggen auf Halbmast? Selbst Wladimir Putin hat sein Beileid bekundet.
Die Antwort ist, dass die Queen nicht nur für die britische herrschende Klasse nationale Kontinuität, Stabilität und Langlebigkeit repräsentierte, sondern auch für den Weltkapitalismus insgesamt, für jede Bourgeoisie, die ihrem Klassenfeind, dem Proletariat, gegenübersteht. Sie und das britische Königshaus waren die menschliche, nachvollziehbare Fassade der bürgerlichen Ordnung überall, die koloniale Gräueltaten, imperialistisches Gemetzel, verheerende Wirtschaftskrisen, die Ausbeutung und Verelendung der arbeitenden Massen überall im Namen der Einheit und des Dienstes an der "Gemeinschaft der Nationen" verschleierte, aber stillschweigend rechtfertigte.
In einer Zeit, in der der Weltkapitalismus zerfällt, wurde die Herrschaft von Königin Elisabeth dazu benutzt, den Schein einer grundlegenden bürgerlichen Ordnung und Kontinuität zu symbolisieren, die Illusion, dass die gegenwärtige Produktionsweise durch Dick und Dünn fortbestehen könne. Doch ihr Tod ist wiederum ein Symbol für die Realität der zunehmenden Instabilität des Weltkapitalismus, für die Lawine der Katastrophen auf allen Ebenen.
Als die britische Bourgeoisie während der englischen Revolution an die Macht kam, wurde König Charles I., Vertreter und Verteidiger der absoluten Monarchie, 1649 von den revolutionären Parlamentariern enthauptet. Doch die aufstrebende britische Bourgeoisie erkannte in der Folge, dass ihre Herrschaft nicht durch einen völlig neuen Staatsapparat aufrechterhalten und stabilisiert werden konnte. Die Monarchie musste wieder eingeführt werden, zusammen mit der langjährigen diplomatischen, politischen und militärischen Erfahrung der Aristokratie, aber dieses Mal verfassungsmäßig begrenzt und dem bürgerlichen Parlament untergeordnet.
Wenn der bürgerliche Staat im Interesse der herrschenden Kapitalistenklasse regiert, muss er dennoch als Repräsentant der gesamten Bevölkerung auftreten und so tun, als sei er schon immer da gewesen und nicht, wie in Wirklichkeit, erst vor relativ kurzer Zeit durch eine gewaltsame Revolution an die Macht gekommen. Der Staat muss also als über den Interessen der rivalisierenden Klassen stehend erscheinen, um zu verhindern, dass die Gesellschaft sich selbst zerreißt. Die Ausbeuter und Kriegstreiber dürfen den Ausgebeuteten und Abgeschlachteten nicht als solche erscheinen, sondern letztlich als eine Familie, als Menschen aus Fleisch und Blut, mit menschlichen Gefühlen, wie du und ich[1]. Hier hatte die Erhaltung feudaler Institutionen wie der Monarchie ihre Bedeutung, denn in der kapitalistischen Gesellschaft, in der "gefühllose Barzahlung" herrscht, kann die Lohnsklaverei durch die Illusion gemildert werden, dass auch sie, die Ausgebeuteten, Teil einer nationalen Familie sind.
Die konstitutionelle Monarchie in Großbritannien hat diese Fassade der patriarchalischen Einheit über drei Jahrhunderte lang perfektioniert. Doch die Widersprüche des Weltkapitalismus erreichen ein Ausmaß, bei dem selbst die Fassade brüchig wird. Die schmeichelnden Kommentatoren des Ablebens von Königin Elisabeth II. erkennen, dass ihre Erben nicht in der Lage sein werden, die Illusionen ihrer Herrschaft zu wiederholen. Der neue König, der als Prinz von Wales immer dazu neigte, sich in die Politik einzumischen, war bei bestimmten Teilen der Bourgeoisie nie beliebt und wird es daher viel schwerer haben, sich als Symbol der Einheit über politische Spaltungen hinweg zu präsentieren.
Der gegenwärtige Karneval der nationalen Einheit findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem das interkapitalistische Gemetzel in der Ukraine, an dem das imperialistische Großbritannien mit Begeisterung beteiligt ist, die Heuchelei und den Anachronismus jeglicher nationaler Verteidigung und patriotischen Stolzes offenbart hat. Die Zukunft liegt bei einer Klasse, die keine nationalen Interessen hat, einer internationalen Klasse: dem Weltproletariat.
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[1]Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass die kapitalistische Religion der nationalen Einheit nicht nur auf der Manipulation von Ideen und Gefühlen beruht. Sie schreckt auch nicht davor zurück, die Hilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen. Zwei Demonstranten, die an Zeremonien in London und Edinburgh teilnahmen, wurden verhaftet, weil sie Plakate mit Slogans wie "Abschaffung der Monarchie" und "Nicht mein König" hochhielten. Zur Rechtfertigung der Verhaftungen wurde der Police, Crime, Sentencing and Courts Act 2022 herangezogen, der die Möglichkeit, auf der Straße zu demonstrieren, stark einschränkt.
Die weit verbreiteten Proteste im Iran mögen durch die Ermordung einer jungen Frau ausgelöst worden sein, die von der Sittenpolizei des Regimes wegen eines "unvorschriftsmäßigen Hidschabs" verhaftet wurde, sie sind jedoch Ausdruck einer viel tiefer gehenden Unzufriedenheit in der iranischen Bevölkerung, die zu Hunderttausenden auf die Straßen strömt und sich der Polizei entgegenstellt. Die Demonstrationen sind nicht nur Ausdruck einer allgemeinen Abscheu vor der offenen und legalen Unterdrückung der Frauen durch die Islamische Republik, sondern auch eine Reaktion auf die steigende Inflation und die Verknappung der Lebensmittel. Diese sind durch die vom Westen gegen den Iran verhängten Sanktionen verschärft und werden durch die schwere und langjährige Last einer Kriegswirtschaft, welche durch die unerbittliche Verfolgung der imperialistischen Ambitionen des Irans angeschwollen ist, noch verstärkt. Sie sind auch eine Reaktion auf die schmutzige Korruption der herrschenden Elite, die sich nur durch brutale Unterdrückung aller Formen des Protests, einschließlich des Widerstands der Arbeiterklasse gegen stagnierende Löhne und erbärmliche Arbeitsbedingungen, aufrechterhalten kann. Das iranische Parlament hat gerade neue Gesetze verabschiedet, die Hinrichtungen für "politische" Verbrechen sanktionieren, und Hunderte, wenn nicht Tausende von Demonstranten wurden von der staatlichen Polizei und den grotesk falsch benannten "Revolutionsgarden" getötet oder verwundet.
Dieser Rückgriff auf direkte Repression ist ein Zeichen für die Schwäche des Regimes der Mullahs, nicht für seine Stärke. Es stimmt, dass das katastrophale Ergebnis der US-Interventionen im Nahen Osten seit 2001 eine Lücke geschaffen hat, die es dem iranischen Imperialismus ermöglichte, seine Marionetten im Irak, im Libanon, im Jemen und in Syrien voranzubringen, aber die USA und ihre zuverlässigeren Verbündeten (insbesondere Großbritannien) haben in gleicher Weise reagiert, indem sie das saudische Militär im Jemen-Krieg unterstützten und lähmende Sanktionen gegen den Iran unter dem Vorwand verhängten, sich seiner Politik der Entwicklung von Atomwaffen entgegenzustellen. Das Regime ist zunehmend isoliert, und die Tatsache, dass es nun Russland mit Drohnen beliefert, um Infrastruktur und Zivilisten in der Ukraine anzugreifen, wird den Ruf des Westens nur noch lauter werden lassen, den Iran neben Russland als Pariastaat zu behandeln. Die Beziehungen des Iran zu China sind ein weiterer Grund, warum die westlichen Mächte das Land noch mehr schwächen wollen, als es ohnehin schon ist. Gleichzeitig beobachten wir eine konzertierte Aktion der US-amerikanischen und westeuropäischen Regierungen, um die Proteste zu instrumentalisieren, insbesondere indem sie den bekanntesten Slogan der Proteste, "Frauen, Leben, Freiheit", aufgreifen:
"Am 25. September 2022 schmückte die französische Zeitung Liberation ihre Titelseite mit dem Slogan 'Frauen, Leben, Freiheit' in persischer und französischer Sprache und einem Foto der Demonstrationen. Während einer Rede über die Unterdrückung der Demonstranten im Iran schnitt sich eine Abgeordnete des EU-Parlaments die Haare ab, während sie im Plenarsaal des EU-Parlaments die Worte 'Frau, Leben, Freiheit' sagte"[1]. Es ließen sich viele weitere Beispiele anführen.
Angesichts der Schwäche des Regimes ist viel von einer neuen "Revolution" im Iran die Rede, vor allem von Linken und Anarchisten verschiedener Couleur, wobei letztere vor allem von einem "feministischen Aufstand"[2] sprechen, während die eher klassischen bürgerlichen Fraktionen einen "demokratischen" Umsturz betonen, bei dem ein neues Regime eingesetzt wird, das seine Feindschaft gegenüber den USA und ihren Verbündeten aufgibt. Aber wie wir in unserer Antwort auf die ganze Mystifizierung der "Revolution" von 1978-79 schrieben: "Die Ereignisse im Iran zeigen, dass die einzige Revolution, die heute auf der Tagesordnung steht, sowohl in den rückständigen Ländern als auch im Rest der Welt, die proletarische Revolution ist". [3]
Im Gegensatz zur Revolution von 1917 in Russland, die sich als Teil der Weltrevolution verstand, werden die aktuellen Proteste im Iran nicht von einer autonomen Arbeiterklasse angeführt, die sich in ihren eigenen einheitlichen Organen organisiert und in der Lage ist, allen unterdrückten Schichten und Kategorien der Gesellschaft einen Ausweg zu bieten. Es stimmt, dass wir in den Jahren 1978-79 einen flüchtigen Eindruck vom Potenzial der Arbeiterklasse hatten, einen solchen Weg nach vorne zu bieten: "Im Gefolge der Arbeiterkämpfe in verschiedenen Ländern in Lateinamerika, Tunesien, Ägypten usw. waren die Streiks der iranischen Arbeiter das wichtigste politische Element, das zum Sturz des Schah-Regimes führte. Trotz der Massenmobilisierungen, als sich die "Volksbewegung", in der fast alle unterdrückten Schichten im Iran zusammengeschlossen waren, zu erschöpfen begann, hat der Eintritt des iranischen Proletariats in den Kampf Anfang Oktober 1978, vor allem im Erdölsektor, nicht nur die Agitation angeheizt, sondern das nationale Kapital vor ein praktisch unlösbares Problem gestellt".[4]
Und doch wissen wir, dass die Arbeiterklasse schon damals politisch nicht stark genug war, um zu verhindern, dass die Mullahs, unterstützt von einer Heerschar "antiimperialistischer" Linker, den Unmut der Massen ausnutzen konnten. Der internationale Klassenkampf, obwohl er seit dem Mai 68 in Frankreich in eine zweite Welle von Arbeiterbewegungen mündete, war selbst noch nicht auf dem Niveau, das die Perspektive einer proletarischen Revolution im Weltmaßstab eröffnete. Und die Arbeiter im Iran waren - wie ein Jahr später die Arbeiter in Polen - nicht in der Lage, die revolutionäre Alternative aus eigener Kraft zu stellen. Die Frage, wie man sich zu den anderen unterdrückten Schichten verhalten sollte, blieb also ungelöst. Wie es in unserer Erklärung weiter heißt: "Die entscheidende Position, die das Proletariat bei den Ereignissen im Iran einnimmt, wirft ein wesentliches Problem auf, das von der Klasse gelöst werden muss, wenn sie die kommunistische Revolution erfolgreich durchführen will. Dieses Problem konzentriert sich auf das Verhältnis des Proletariats zu den nicht ausbeutenden Schichten der Gesellschaft, insbesondere zu den Arbeitslosen. Diese Ereignisse zeigen Folgendes:
- Trotz ihrer großen Zahl haben diese Schichten für sich genommen keine wirkliche Kraft in der Gesellschaft;
- Mehr noch als das Proletariat sind diese Schichten offen für verschiedene Formen der Mystifizierung und der kapitalistischen Kontrolle, einschließlich der veraltetsten, wie etwa der Religion;
- Aber da die Krise auch die Arbeiterklasse trifft, während sie diese Schichten mit zunehmender Gewalt angreift, können sie eine Kraft im Kampf gegen den Kapitalismus sein, vorausgesetzt, das Proletariat kann sich an die Spitze des Kampfes stellen und tut dies auch.
Angesichts aller Versuche der Bourgeoisie, ihre Unzufriedenheit in eine aussichtslose Sackgasse zu lenken, besteht das Ziel des Proletariats im Umgang mit diesen Schichten darin, ihnen klar zu machen, dass keine der vom Kapitalismus vorgeschlagenen "Lösungen" zur Beendigung ihres Elends ihnen Erleichterung verschaffen wird. Dass sie nur im Gefolge der revolutionären Klasse ihre Ansprüche befriedigen können, nicht als besondere - historisch verdammte - Schichten, sondern als Mitglieder der Gesellschaft. Eine solche politische Perspektive setzt die Organisation und die politische Autonomie des Proletariats voraus, was mit anderen Worten bedeutet, dass das Proletariat alle politischen 'Allianzen'mit diesen Schichten ablehnt".
Heute sind die Mystifikationen, die die Volksbewegung in eine Sackgasse führen, weniger religiöser Natur - was verständlich ist, wenn die Massen das brutale und korrupte Gesicht eines theokratischen Staates leicht erkennen können -, sondern eher "moderne" bürgerliche Ideologien wie Feminismus, Freiheit und Demokratie. Aber wenn überhaupt, dann ist die Gefahr noch größer, dass die Arbeiterklasse als eine Masse von Individuen in einer klassenübergreifenden Bewegung aufgelöst wird, die nicht in der Lage ist, den Vereinnahmunsplänen der rivalisierenden bürgerlichen Fraktionen zu widerstehen. Dies wird durch den internationalen Kontext des Klassenkampfes unterstrichen, in dem die Arbeiterklasse gerade erst beginnt, sich nach einer langen Periode des Rückzugs zu erheben, während der der fortschreitende Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft das Selbstverständnis des Proletariats als Klasse mehr und mehr aufgezehrt hat.
Damit soll nicht die Tatsache geleugnet werden, dass das Proletariat im Iran eine lange Tradition des militanten Kampfes hat. Die Ereignisse von 1978-79 sind der Beweis dafür. 2018-19 gab es sehr weit verbreitete Kämpfe, an denen die Zuckerarbeiter von Haft Tappeh, LKW-Fahrer, Lehrer und andere beteiligt waren. 2020-21 begannen die Ölarbeiter eine Reihe von militanten landesweiten Streiks. Auf ihrem Höhepunkt waren diese Bewegungen ein deutliches Zeichen der Solidarität zwischen verschiedenen Branchen, die mit staatlicher Repression und starkem Druck konfrontiert waren, um die Arbeitnehmer zur Rückkehr an die Arbeit zu bewegen. Angesichts des offenkundig regimefreundlichen Charakters der offiziellen Gewerkschaften gab es in vielen dieser Kämpfe auch wichtige Anzeichen für die Selbstorganisation der Arbeiter, wie wir bei den Streikkomitees in den Jahren 1978-79, den Versammlungen und Streikkomitees in Haft Tappeh und in jüngster Zeit auf den Ölfeldern gesehen haben. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass die ArbeiterInnen darüber diskutieren, wie sie mit den aktuellen Protesten umgehen sollen, und es gab Aufrufe, aus Protest gegen die staatliche Repression zu streiken. Und wir haben z.B. im Mai 68 gesehen, dass die Empörung über die staatliche Repression, auch wenn sie sich zunächst nicht gegen die Arbeiter richtet, eine Art Brennpunkt für die Arbeiter sein kann, um auf die soziale Bühne zu treten - unter der Bedingung, dass sie dies auf ihrem eigenen Klassenterrain und mit ihren eigenen Kampfmethoden tun. Aber im Moment scheinen diese Überlegungen in der Klasse, diese Wut über die Brutalität des Regimes, unter der Kontrolle der Gewerkschaften und der Linken zu stehen, die versuchen, eine falsche Verbindung zwischen der Arbeiterklasse und den Protesten des Volkes herzustellen, indem sie "revolutionäre" Forderungen zu den Slogans der letzteren hinzufügen. Wie Internationalist Voice schrieb: "Die Losung 'Frau, Leben, Freiheit' ist in der nationalen Bewegung verwurzelt und hat keine klassenspezifische Bedeutung. Deshalb wird diese Parole von der extremen Rechten bis zur extremen Linken erhoben, und ihr Widerhall ist in den bürgerlichen Parlamenten zu hören. Ihre Bestandteile sind keine abstrakten Konzepte, sondern eine Funktion der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Ein solcher Slogan macht die arbeitenden Frauen zur schwarzen Armee der Demokratiebewegung. Diese Frage wird für die Linke des Kapitals, die den radikalen Begriff "Revolution" verwendet, zu einem Problem, weshalb sie vorschlägt, diesen Slogan durch Erweiterungen zu "retten". Sie haben die folgenden Vorschläge gemacht:
- Frau, Leben, Freiheit, Räteverwaltung (Trotzkisten)
- Frau, Leben, Freiheit, Sozialismus
- Frau, Leben, Freiheit, Arbeiterregierung"[5]
Dieser Aufruf zur Räte- oder Sowjetmacht kursiert mindestens seit 2018 im Iran. Auch wenn er seinen Ursprung in den realen, aber embryonalen Bemühungen zur Selbstorganisation bei Haft Tappeh und anderswo hat, ist es immer gefährlich, den Embryo mit einem ausgewachsenen Menschen zu verwechseln. Wie Bordiga in seiner Polemik mit Gramsci während der Fabrikbesetzungen in Italien 1920 erklärte, stellen Arbeiterräte oder Sowjets einen wichtigen Schritt über defensive Organe wie Streikkomitees oder Betriebsräte hinaus dar, da sie eine Bewegung hin zu einem einheitlichen, politischen, offensiven Kampf der Arbeiterklasse zum Ausdruck bringen. Die Linken, die behaupten, dass dies heute auf der Tagesordnung steht, täuschen die Arbeiter, mit dem Ziel, ihre Kräfte für einen Kampf für eine "linke" Form der bürgerlichen Herrschaft zu mobilisieren, die von falschen Arbeiterräten "von unten" dekoriert wird.
Wie Internationalist Voice weiter ausführt: "Im Gegensatz zu den Linken des Kapitals besteht die Aufgabe der Kommunisten und Revolutionäre nicht darin, Anti-Diktatur-Parolen zu verbreiten, sondern für Transparenz über deren Ursprung und Inhalt zu sorgen. Im Gegensatz zu den Demagogen auf der linken Seite des Kapitals ist die Distanzierung von solchen Parolen und die Erhebung der Klassenforderungen des Proletariats ein Schritt in Richtung einer Verfeinerung des Klassenkampfes".
Dies ist richtig, auch wenn es bedeutet, dass Revolutionäre in Momenten der "populären" Euphorie gegen den Strom schwimmen müssen. Leider scheinen nicht alle Gruppen der Kommunistischen Linken gegen einige der radikaleren Täuschungen immun zu sein, die in die Proteste eingebracht werden. Hier können wir zwei beunruhigende Beispiele in der Presse der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz ausmachen. So veröffentlicht die IKT im Artikel "Workers'Voices on the protests in Iran"[6] Erklärungen zu den Protesten des Haft Tappeh Sugarcane Workers'Syndicate, des Council for Organising Protests by Oil Contract Workers und des Coordinating Council of Trade Union Organisations of Iranian Teachers. Zweifellos sind diese Erklärungen eine Antwort auf eine reale Diskussion in den Betrieben darüber, wie auf die Proteste zu reagieren ist. Aber die erste und die dritte dieser Organisationen machen keinen Hehl daraus, dass sie Gewerkschaften sind (auch wenn sie ihre Ursprünge echten Klassenorganen verdanken mögen, können sie, indem sie dauerhaft werden, nur eine gewerkschaftliche Funktion übernommen haben) und können daher keine von der Linken des Kapitals unabhängige Rolle spielen, die, wie wir gesagt haben, nicht für die wirkliche Autonomie der Klasse steht, sondern versucht, die Macht der Arbeiter als Instrument für einen "Regimewechsel" zu nutzen. Parallel dazu gelingt es der IKT auch nicht, sich von der linken Rhetorik über die sowjetische Macht im Iran zu unterscheiden. So wird in dem Artikel "Iran: Imperialistische Rivalitäten und die Protestbewegung 'Frau, Leben, Freiheit"[7] zwar wichtiges Material zu den Versuchen der imperialistischen Mächte außerhalb des Irans, die Proteste zurückzudrängen, zur Verfügung gestellt, und man verspricht eine Fortsetzung: "In unserer nächsten Notiz werden wir für eine andere Alternative plädieren: Brot, Arbeit, Freiheit - Sowjetmacht! Wir werden uns mit dem Arbeiterkampf und den Aufgaben der Kommunisten befassen und im Lichte dessen die internationalistische Perspektive skizzieren."
Aber wir befinden uns nicht im Petrograd des Jahres 1917, und in einer Situation, in der die Arbeiterklasse mit der Notwendigkeit konfrontiert ist, ihre grundlegendsten Interessen zu verteidigen. Sich in den Massenprotesten aufzulösen, nach Sowjets zu rufen und jegliche anfänglichen Formen der Selbstorganisation vor ihrer Wiederbelebung durch Linke und Basisgewerkschafter zu verlieren, bedeutet im besten Fall, das gegenwärtige Niveau des Klassenkampfes völlig falsch einzuschätzen, und im schlimmsten Fall, die Arbeiter in die Mobilisierungen der Linken des Kapitals zu locken. Die Kommunistische Linke wird ihre Fähigkeit, eine wirkliche Intervention in der Klasse zu entfalten, nicht entwickeln, wenn sie der Illusion von unmittelbaren Gewinnen auf Kosten grundlegender Prinzipien und einer klaren Analyse des Gleichgewichts zwischen den Klassen verfällt.
In einem kürzlich erschienenen Artikel in Internationalist Voice wird darauf hingewiesen, dass im Iran zur gleichen Zeit wie die Straßenproteste eine Reihe von Arbeiterstreiks stattfinden: "In den letzten Tagen haben wir Demonstrationen und Streiks von Arbeitern erlebt, deren gemeinsames Merkmal der Protest gegen ihre niedrigen Löhne und die Verteidigung ihres Lebensstandards war. Der Slogan der streikenden Arbeiter der Esfahan Steel Company "Genug der Versprechungen, unser Tisch ist leer" ist ein Spiegelbild der schwierigen Lebensbedingungen der gesamten Arbeiterklasse. Nachfolgend einige Beispiele für Streiks der letzten Tage, die die gleiche Forderung hatten oder haben: Streik der Arbeiter der Esfahan Steel Company; Hungerstreik der offiziellen Angestellten der Öl-, Gas- und petrochemischen Raffinerie- und Vertriebsunternehmen; Streik der Arbeiter des Esfahan City Centre Complex; Streik der Arbeiter der Abadeh Zementfabrik in der Provinz Esfahan; Streik der Arbeiter der Damash Mineralwasserfabrik in der Provinz Gilan; Streik der Arbeiter der Pars Mino Company; Streik der Arbeiter der Cruise Industriegesellschaft; Protest der Arbeiter des Nationalen Stahlkonzerns".[8]
Es scheint, dass diese Bewegungen noch relativ zerstreut sind, und während Demokraten und Linke ihre Aufrufe zu einem "Generalstreik" verstärken, hat das, was sie damit meinen, nichts mit einer wirklichen Dynamik in Richtung Massenstreik zu tun, sondern wäre eine von der bürgerlichen Opposition von oben gesteuerte Mobilisierung, die mit den Streiks der Ladenbesitzer und anderer nicht-proletarischer Schichten vermischt würde. Dies unterstreicht nur die Notwendigkeit für die Arbeiter, auf ihrem eigenen Terrain zu bleiben und ihre Klasseneinheit als minimale Basis zu entwickeln, um die mörderische Unterdrückung des islamischen Regimes zu blockieren.
Amos, November 2022
[1]https://en.internationalistvoice.org/the-continuation-of-the-social-protests-and-the-entry-of-the-working-class-into-the-demonstrations/ [334]...
[2]Siehe: libcom.org/article/revolt-iran-feminist-resurrection-and-beginni.
[3]IKS Statement, “The lessons of Iran”, 17.2.79, in World Revolution Nr. 23
[4]ebenso
Dieser Artikel von Anton Pannekoek (1873-1960), der 1909 veröffentlicht wurde, widerlegt auf eindrucksvolle Weise die Behauptungen (inspiriert von den Lügen des Stalinismus, der fälschlicherweise als "Kommunismus" dargestellt wurde), dass der Marxismus sich nicht um die Natur und die ökologische Frage kümmere; dass er - wie das kapitalistische System, das er bekämpft - von demselben "Produktivismus" geprägt sei, der die Natur so sehr zerstöre. Das genaue Gegenteil ist der Fall.
In diesem Artikel entwickelt Pannekoek in komprimierter und sehr zugänglicher Form denselben Ansatz, den Marx bereits im Kapital dargelegt hat. Er bekräftigt, dass nur eine kommunistische Gesellschaft eine realistische Alternative zur Zerstörung der Natur bietet.
Heute wird in den ideologischen Kampagnen der herrschenden Klasse die Verantwortung für die ökologische Katastrophe ganz bewusst dem "Menschen" im Allgemeinen zugeschoben, um die Tatsache zu verbergen, dass die menschliche Spezies als integraler Bestandteil der Natur durch die Vermittlung der verschiedenen gesellschaftlichen Organisationsformen, die in der Geschichte aufeinander gefolgt sind, mit der Natur interagiert. Seit dem Ende der primitiven kommunistischen Gesellschaft in der Vorgeschichte waren alle Systeme der Ausbeutung, die auf der Aufteilung der Gesellschaft in soziale Klassen beruhten. Es ist nicht "der Mensch", sondern das kapitalistische System, das einzig und allein von der maximalen Gewinnmaximierung beseelt ist, das die gesamte Natur plündert und sie ebenso wie die Arbeitskraft des Proletariats (die beiden Quellen seines Reichtums) einer grausamen Ausbeutung unterwirft, die in Erschöpfung und Vernichtung endet. Das ist der Grund, warum der Kapitalismus keine Lösung für die ökologische Frage hat, und warum die wirkliche Lösung dieser Frage mit der Lösung der sozialen Frage einhergeht.
Bereits 1909 betonte Pannekoek, dass die Verwüstung der Wälder eine lebenswichtige Frage für die Menschheit darstelle. Nach mehr als einem Jahrhundert der Dekadenz des Kapitalismus, in dem die Zerstörung der Natur ein solches Ausmaß angenommen hat, dass ihre Auswirkungen (Erwärmung des Klimas, Zusammenbruch der ausgebeuteten Ökosysteme, Abholzung mit der Folge von Infektionskrankheiten, die gleichermaßen bei Tieren und Menschen vorkommen, usw.) in Verbindung mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise und der imperialistischen Kriege die Gefahr der Zerstörung der Menschheit greifbarer denn je machen. Diese dramatische Situation erfordert, dass das Proletariat seiner historischen Verantwortung als Totengräber des Kapitalismus gerecht wird, denn nur die Gesellschaft, die es in sich trägt, die auf der Abschaffung des Gesetzes der Ware und der gesellschaftlichen Ausbeutungsverhältnisse beruht, die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft, die auf die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet ist, wird es ermöglichen, ein wirkliches Gleichgewicht zwischen der Natur und der menschlichen Gattung herzustellen.
IKS
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Vielfach begegnet man in naturwissenschaftlichen Schriften bewegten Klagen über die zunehmende Waldverwüstung. Dabei ist nicht allein die Freude maßgebend, die jeder Naturfreund an dem Wald empfindet. Es kommen wichtige materielle Interessen, sogar Lebensinteressen für die Menschheit hinzu. Mit dem Verschwinden der reichen Waldbestände sind Länder, die im Altertum als fruchtbare dicht bevölkerte Gegenden, als Kornkammer für die Großstädte berühmt waren, zu den Steinwüsten geworden. Der Regen fällt dort selten, aber dann in verheerenden Güssen, die die dünnen Humusschichen wegspülen, statt sie zu befruchten. Wo der Wald auf den Bergen ausgerottet ist, wälzen die durch den Sommerregen genährten Wildbäche ungeheure Stein- und Sandmassen herunter, die lachende Alpentaler verschütten, Wälder abscheren und Dörfer verwüsten, deren Bewohner unschuldig daran sind, „dass Eigennutz und Unverstand im Hochtal und Quellgebiet den Wald zerstört haben“.
Eigennutz und Unverstand, weiter dringen die Autoren, die in beredten Worten diesen Jammer schildern, in seine Ursachen nicht ein. Sie glauben wohl, dass es genügt auf die Folgen hinzuweisen, um den Unverstand durch bessere Einsicht zu ersetzen und seine Wirkung aufzuheben. Sie sehen nicht, dass es sich hier um eine Teilerscheinung handelt, um eine einzige unter den vielen ähnlichen Wirkungen des Kapitalismus, der Produktionsweise, die die höchste Form der Profitjägerei darstellt.
Wie ist Frankreich zu dem waldarmen Land geworden, das jährlich für Hundertmillion Franken Holz aus dem Ausland kommen lassen muss, und noch viel mehr ausgeben muss, um in den Alpen durch Aufforstung die schlimmsten Folgen der Entwaldung wieder gut zu machen? Unter dem alten Regime gab es dort viele Wälder als Staatsdomäne. Aber die Bourgeoisie, die in der französischen Revolution ans Ruder kam, sah in den Staatsforsten nur Mittel zur privaten Bereicherung. Drei Millionen Hektar ließen die Spekulanten fallen, um aus Holz Gold zu machen. An die Zukunft dachten sie nicht, nur an einen augenblicklichen Gewinn.
Dem Kapitalismus sind alle Naturschätze nichts als Gold. Umso rascher er sie ausbeutet, umso stärker fließt der Goldstrom. Die Privatwirtschaft bewirkt, dass jeder einzelne möglichst viel Profit zu erhaschen sucht, ohne auch nur einen Augenblick an das Interesse der Gesamtheit, der Menschheit zu denken. Daher ist jedes wilde Tier, das einen Geldwert darstellt, jede wildwachsende Pflanze, die Profit liefert, sofort das Objekt eines Ausrottungswettkampfes. Die Elefanten in Afrika sind durch die systematische Jagd nach Elfenbein fast verschwunden. Ähnlich steht es mit den Kautschukbäumen, die einer Raubwirtschaft zum Opfer fallen, bei der jeder nur Bäume vernichtet, und keiner neue pflanzt. Aus Sibirien wird berichtet dass die Pelztiere infolge der intensiven Jagd immer seltener werden und die kostbarsten Arten vielleicht bald ganz ausgestorben sein werden. In Kanada werden ungeheure Urwälder niedergebrannt, nicht nur von Ansiedlern, die den Boden bebauen wollen, sondern von „Prospektors“ die nach Erzlagern suchen und des besseren Übersichtes des Terrains wegen die Bergabhänge in nackte Felsen verwandeln. In Neuguinea wurde eine Aufräumung unter den Paradiesvögeln gehalten, um der Prunksucht einer amerikanischen Milliardendame zu befriedigen. Die Modetollheiten, die als Verschwendungsform des Mehrwerts zum Kapitalismus gehören, haben schon zur Ausrottung seltener Tiere geführt; die Seevögel der ostamerikanischen Küste sind nur durch strenges Eingreifen des Staates vor diesem Schicksal bewährt geblieben. Diese Beispiele sind beliebig zu vermehren.
Sind aber die Pflanzen und Tiere nicht dazu da, von Menschen für seine Zwecke gebraucht zu werden? Wir wollen hier die Frage der Erhaltung der Natur, so wie sie ohne das Eingreifen der Menschen sein würde, ganz außer Acht lassen. Wir wissen, dass die Menschen nun einmal die Herren der Erde sind und die Natur zu ihren Zwecken völlig umwandeln. Wir sind zu unseren Leben ganz auf die Naturkräfte und die Naturschätze angewiesen; wir müssen sie gebrauchen und verbrauchen. Nicht um diese Tatsache handelt es sich hier, sondern nur die Art und Weise, wie der Kapitalismus sie gebraucht.
Eine vernünftige Gesellschaftsordnung wird die ihr zur Verfügung stehenden Schätze der Natur in solcher Weise benutzen müssen, dass nicht mehr verbraucht wird, als jeder zugleich neu aufwächst, so dass die Gesellschaft nie ärmer wird und nur reicher werden kann. Eine abgeschlossene Wirtschaft, die einen Teil des zur Aussaat bestimmten Getreides verzehrt, wird immer ärmer und muss schließlich unfehlbar Bankrott machen. In solcher Weise wirtschaftet aber der Kapitalismus. Er denkt nicht an die Zukunft, sondern lebt nur beim Augenblick. Unter der heutigen Wirtschaftsordnung ist die Natur nicht der Menschheit sondern dem Kapital dienstbar; nicht das Bedürfnis der Menschheit nach Kleidung, Nahrung und Kultur sondern das Bedürfnis des Kapitals nach Profit, nach Gold beherrscht die Produktion. Die Naturschätze werden ausgebeutet, als wären die Vorräte unendlich und unerschöpflich. In den üblen Folgen der Waldverwüstung für die Landwirtschaft, in der Ausrottung nützlicher Tiere und Pflanzen tritt die Endlichkeit der Vorräte als ein Bankrott dieser Wirtschaftsweise zu Tage. Als eine Anerkennung dieses Bankrotts ist es auch zu bezeichnen, wenn Roosevelt eine internationale Konferenz zusammenberufen will, der den Bestand der noch vorhandenen Naturschätze aufnehmen und Maßnahmen gegen ihre weitere Verschwendung treffen soll.
Natürlich ist dieser Plan selbst nur Humbug. Der Staat kann zwar Vieles tun, um die ruchlose Ausrottung seltener Naturwesen zu verhindern. Aber der kapitalistische Staat ist immerhin nur ein trauriger Vertreter der Allgemeinheit der Menschen. Vor den wesentlichen Interessen des Kapitals muss er Halt machen.
Der Kapitalismus ist eine kopflose Wirtschaft, die ihre Taten nicht durch das Bewusstsein der Folgen regulieren kann. Darin allein ließt aber sein verwüstender Charakter nicht. Auch in früheren Jahrhunderten haben die Menschen kopflos drauf los gewirtschaftet, ohne an die Zukunft der ganzen Menschheit zu denken. Aber ihre Macht war gering; die Natur war so groß und gewaltig, dass sie mit ihren kleinen schwachen Hilfsmitteln nur ausnahmsweisen Schaden darin anrichten konnten. Der Kapitalismus hat dagegen an die Stelle des Lokalbedarfs den Weltbedarf gesetzt und gewältige technische Hilfsmittel zur Ausbeutung der Natur geschaffen. Dabei handelt es sich dann sofort von ungeheuren Massen, die mit kolossalen Vernichtungsmitteln in Angriff genommen und mit mächtigen Transportmitteln weggeschafft werden. Die Gesellschaft unter dem Kapitalismus ist einem mit Riesenkraft ausgestatteten vernunftlosen Körper zu vergleichen; während er seine Kraft immer gewaltiger entwickelt, verwüstet er zugleich in sinnloser Weise die Natur, worin und wodurch er lebt. Nur der Sozialismus, der diesem mächtigen Körper Bewußtsein und überlegtes Handeln beibringt, wird damit zugleich die Naturverwüstung durch eine vernünftige Wirtschaft ersetzen.
(Publiziert in: Zeitungskorrespendenz Nr. 75, 10. Juli 1909)
Im Folgenden veröffentlichen wir einen Auszug aus einem Leserbrief zu unserem internationalen Flugblatt gegen Krieg in der Ukraine, gefolgt von unserer Antwort.
Reaktionen wurden hier und da gesammelt, können aber in keiner Weise eine allgemeine Aussage darüber treffen, wie die Arbeiterklasse oder die Bevölkerung im Allgemeinen diesen Krieg wahrnehmen. Dazu müsste eine Untersuchung natürlich länger dauern und die Methode wissenschaftlicher sein. Daher könnte nur eine "Arbeiterumfrage" einen objektiven Aspekt haben.
Der Krieg in Europa ist nichts Neues, und so fällt es Manchen schwer, den besonderen Charakter dieses Krieges zu verstehen, wenn nicht die offizielle Propaganda wäre die den russischen Imperialismus als den "Bösen" darstellt. (...) Das Flugblatt betont, wie wichtig es für die Arbeiterklasse und damit auch für kommunistische Minderheiten ist, in den Auseinandersetzungen die die verschiedenen imperialistischen Staaten gegeneinander führen, nicht für eine Seite Partei zu ergreifen. Jahrzehntelange stalinistische und/oder Dritte-Welt-Propaganda machen es kompliziert, für eines der beiden Kriegslager Stellung zu beziehen.
Ich bemerkte oft "pro-russische" Stellungnahmen, die in Wirklichkeit aus "anti-amerikanischen" Gründen erfolgten. Für Einige ist es offenbar schwierig, die imperialistische Natur des russischen Staates zu erkennen. "Der Imperialismus" oder "die Imperialisten" werden nur verwendet um über die NATO-Mächte und Westeuropa zu sprechen.
(Die IKS geht auf die Geschichte der vergangenen Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg ein, was aufgrund der Klarheit die es schafft zu begrüssen ist, aber Fragen bezüglich der Gleichwertigkeit der verschiedenen Konflikte aufwirft.)
Krieg an der Peripherie Russlands ist nichts Neues. Die letzten Kriege in Tschetschenien, Georgien, zwischen Armenien und Aserbaidschan, und vor allem der verdeckte Krieg zwischen den beiden ukrainischen Fraktionen - die eine in Kiew und die andere in Donezk.
Das Neue und Überraschende daran ist die direkte Intervention des russischen Staates und das Ausmaß dieser Intervention. Doch während der russische Militarismus als titanische Macht dargestellt wurde, hinterlässt das langsame Voranschreiten des russischen Militärs den Eindruck, dass die russische Militärmacht überschätzt wird. Ich weiß nicht, ob die Analogien zum "Winterkrieg" richtig sind oder ob sie schon zu oft gezogen wurden, aber in diesem Rahmen ist es meines Erachtens angemessen.
Die Mobilisierung der Arbeiterklasse hinter der Verteidigung des "Vaterlandes" oder der "Demokratie" ist hingegen noch nicht erfolgt. Obwohl es offensichtlich ist, dass die Bourgeoisie im Rahmen von Wahlen versucht einen Teil der Bevölkerung hinter sich zu scharen, scheint dies nicht zu gelingen. Ich gebe zu, dass ich den Satz "Das Dilemma heute ist, mit wem man denn Putin ersetzen soll" nicht nur einmal gehört habe. Andererseits sind internationalistische Positionen nach wie vor schwach. Das Desinteresse scheint vor allem unter jungen Menschen groß zu sein.
Der Krieg verlässt die Peripherie um sich den Zentren des Kapitalismus zu nähern. Indem er sich den Zentren nähert, stellt er sich der Gefahr die vom Proletariat der fortgeschrittenen Länder ausgeht. Die Reaktion der Arbeiterklasse auf die Einberufung zur Verteidigung der Demokratie scheint den Rahmen des Zerfalls zu bestätigen, nämlich, dass das Proletariat zu schwach sei um sich offensiv zu behaupten, aber noch nicht so besiegt, dass es direkt hinter dem Staat marschieren würde. In diesem Sinne freue ich mich auf die geplanten polemischen Artikel, denn sie werden sicherlich auf den Zerfall zurückkommen, und das wird mir die Möglichkeit einer Vertiefung geben.
Der Krieg erfordert die Intervention von Kommunisten, die die Führung bei der Propaganda gegen den Krieg übernehmen. Allerdings: Welche Perspektiven gibt es für die Politisierung der Arbeiterklasse zu dieser Frage? Die Verbreitung der internationalistischen Positionen und der Interessen des Proletariats ist notwendig, aber das Flugblatt geht nur zu allgemein und zu abstrakt auf die wirtschaftlichen Folgen in Form von künftigen Preissteigerungen ein. Auf diesen Aspekten muss jedoch der Schwerpunkt liegen. Vielleicht sollten wir uns mit dem Reallohn befassen.
Ich weiß nicht, welchen Plan die Organisation hat und ob eventuell weitere Beiträge zu spezifischeren Punkten geplant sind, wie dem wirtschaftlichen Druck der aufgrund der Inflation auf die Arbeitnehmer ausgeübt werden wird, und gegen die Mobilisierung hinter dem demokratischen Kriegsherrn Macron, oder den anderen Kandidaten die eine Sichtweise auf "pazifistischem" oder "multipolarem" Terrain vertreten, etc.
Ich weiß nicht, ob alle Probleme die dieser Krieg mit sich bringt, als Ganzes und aufs Mal behandelt werden können. Ich habe zu wenig Erfahrung um diese Frage zu beantworten.
Die Frage mit welchen Mitteln politisiert wird, sowie der Prozess der Politisierung, beziehen sich auf das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und die "Messung" des Klassenbewusstseins.
Empirisch mag es einige Methoden oder Techniken geben um die "Temperatur" in der Klasse zu messen, aber entscheidend ist die Aufmerksamkeit, die die Klasse den Revolutionären und ihrer Propaganda schenkt. So verstehe ich beim Flugblatt nicht, warum es keine klaren Parolen formuliert die verwendet werden können. Es geht hier keinesfalls um Aktivismus, sondern um Klarheit. Eine Parole ist wichtig für jede Frage die durch den Konflikt aufgeworfen wird, d.h.:
1. Imperialismus und die internationalistische Antwort.
2. Die zukünftigen Folgen für die Arbeiter aller Länder in Bezug auf die Senkung der Kaufkraft.
3. Kampf gegen die Verstrickung hinter der demokratischen Ideologie oder hinter dem Pazifismus.
In der Tat spricht die IKS alle diese Fragen an, so dass es wirklich nur eine Frage der Form des Flugblatts ist, wie klar die vermittelten Parolen sind.
Albert, März 2022
Wir begrüßen ausdrücklich den Schritt des Genossen, zu unserem internationalen Flugblatt[1] Stellung zu nehmen und uns über die Diskussionen die er darüber geführt hat zu berichten. Die IKS braucht solche Initiativen, die ihre Intervention durch Unterstützung, Fragen oder Kritik anregen. Dies ist unverzichtbar um unsere Argumentation überzeugender zu machen. Es handelt sich hier nicht um eine "Marotte" der IKS, sondern um die Methode der Arbeiterbewegung. So widmete die Iskra[2] eine Seite jeder ihrer Ausgaben der Veröffentlichung von Korrespondenzen. Die Revue Bilan[3] ließ trotz des sehr ungünstigen Kontextes der Konterrevolution in den 30er Jahren keine Gelegenheit aus, Korrespondenzen zu veröffentlichen. Im Gegenzug muss es der IKS ein Anliegen sein, so klar wie möglich auf die eingehenden Briefe zu antworten.
Genosse Albert meinte, dass unser Flugblatt zu abstrakt sei und nicht genug mit den aktuellen Überlegungen in der Arbeiterklasse und ihren unmittelbaren Bedürfnissen angesichts der Situation zu tun habe. Genosse Albert argumentiert insbesondere, dass die wirtschaftlichen Folgen des Krieges und der daraus resultierende Druck auf die Arbeiterklasse stärker hervorgehoben werden müssten. Seiner Meinung nach wäre ein solcher Schwerpunkt besser geeignet um die Arbeiterklasse konkret zu orientieren. Bevor wir weiter auf die Kritik des Genossen eingehen, möchten wir insbesondere das Anliegen dieses Briefes unterstützen, dass Revolutionäre vor allem in "heißen" Momenten, in denen es gilt, grundlegende Prinzipien wie den proletarischen Internationalismus zu verteidigen, intervenieren sollten.
Wenn unser Flugblatt, das am 27. Februar veröffentlicht wurde, nicht sofort auf die wirtschaftlichen Folgen des Krieges für die Arbeiterklasse eingeht, dann deshalb, weil dies zu diesem Zeitpunkt nicht die Priorität war. Angesichts eines Ereignisses von solcher Bedeutung für die Zukunft, konnte sich die Priorität unserer Meinung nach nur um folgende Achsen drehen:
- die Bekräftigung der proletarischen Prinzipien angesichts des Krieges;
- die Entlarvung der Lügen der Kriegspropaganda und der imperialistischen Natur aller Staaten;
- die Bekräftigung echter Solidarität durch die Entwicklung massiver und bewusster Arbeiterkämpfe überall auf der Welt.
Sich in einem Flugblatt zu diesem Zeitpunkt nicht an diese Priorität zu halten, wäre ein schwerer politischer Fehler unsererseits gewesen.
Wie unser Leser sind auch wir davon überzeugt, dass der Schlüssel zum Problem in der Mobilisierung der Arbeiterklasse für die kompromisslose Verteidigung ihrer Lebensbedingungen gegen die zunehmenden Angriffe des krisengeschüttelten Kapitalismus liegt. Denn um zu überleben ist der Kapitalismus gezwungen, die Lebensbedingungen des Proletariats immer stärker anzugreifen, und das Proletariat wird, um zu überleben, ebenfalls gezwungen sein, sich immer massiver, bewusster und geschlossener zu verteidigen... bis zur Überwindung des Kapitalismus oder seiner eigenen Niederlage.
Aus diesem Grund hat die Frage der notwendigen Entwicklung des Klassenkampfes sehr schnell einen größeren Raum in unserer Intervention eingenommen und wird auch zunehmend der Fall sein[4]. Aber nicht auf abstrakte Weise, oder durch Losungen die nicht den unmittelbaren Möglichkeiten der Arbeiterklasse entsprechen, welche bei Ausbruch des Krieges in der Ukraine eine gewisse politische Lähmung infolge der Pandemie noch nicht vollständig überwunden hatte. Darüber hinaus hat der Krieg, die Entfesselung der Barbarei, und zum Teil auch die demokratischen Kampagnen, die Arbeiterklasse zunächst in einen Zustand der Betäubung versetzt.
Die Streiks in Großbritannien in den letzten Monaten haben eine deutliche Veränderung der Situation aufgezeigt, wie wir in einem neuen, international verbreiteten Flugblatt bekräftigt haben, in dem wir insbesondere die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes und der Solidarität zwischen den verschiedenen Sektoren hervorgehoben haben, wohingegen die Gewerkschaften die Kämpfe ständig isolieren und spalten.
Die Intervention einer revolutionären Organisation kann sich jedoch nicht auf Flugblätter oder Artikel über den Klassenkampf beschränken, auch wenn diese unverzichtbar sind.
Denn eine Intervention per Flugblatt ermöglicht zwar aufgrund ihrer Form eine größere Verbreitung, aber keine tiefgehende politische und historische Analyse der Situation. Eine solche Analyse ist aber angesichts von Ereignissen wie dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, die von weltweiter Bedeutung sind und die Zukunft stark beeinflussen, absolut unerlässlich und vorrangig.
Wenn die IKS, die über eigene Analysen verfügt, nicht auf dieser Ebene interveniert, wird niemand an ihrer Stelle diese Positionen vertreten. Dieser Aspekt unserer Intervention war von Beginn des Konflikts an dominant. Dies war notwendig, um unserer Verantwortung gerecht zu werden, aktiv zur Entwicklung des Bewusstseins in der Arbeiterklasse beizutragen. Wir mussten uns mit folgenden Fragen befassen:
- Die Bedeutung des Krieges in der Periode des kapitalistischen Zerfalls verstehen;
- Die Merkmale der gegenwärtigen Phase des kapitalistischen Zerfalls und ihre Auswirkungen auf die imperialistischen Spannungen verstehen;
- Die imperialistischen Ziele der verschiedenen Kriegslager verstehen;
- Die Anfälligkeit der verschiedenen globalen Teile des Proletariats für nationalistische Propaganda einschätzen.
Tatsächlich ist sich Genosse Albert bewusst, dass die Intervention einer revolutionären Organisation verschiedene Fragen betrifft: «Ich weiß nicht, ob alle Probleme die dieser Krieg mit sich bringt, als Ganzes und aufs Mal behandelt werden können». In diesem Zusammenhang möchten wir betonen, dass die Intervention einer revolutionären Organisation einen Analyserahmen erfordert, der seinerseits anhand der Realität überprüft und bereichert werden muss, um den Herausforderungen der historischen Periode standhalten zu können. Dieser Analyserahmen muss nicht nur unserer Intervention zugrunde liegen, sondern auch dem Leser in geeigneter Weise präsentiert werden.
Schließlich gibt es noch eine wesentliche Dimension unserer Intervention die ebenfalls berücksichtigt werden muss: Der Aufruf an die Gruppen der Kommunistischen Linken, angesichts des Ausbruchs des kriegerischen Chaos in Europa, gemeinsam für den proletarischen Internationalismus einzutreten. Diese Initiative, die später in der Gemeinsamen Erklärung von Gruppen der internationalen Kommunistischen Linken zum Krieg in der Ukraine mündete, stellte sich entschieden in das Erbe der revolutionären Bewegung und insbesondere in die Nachfolge der Konferenz von Zimmerwald 1915. Diese Konferenz war ein wichtiges Ereignis für die Verteidigung des Internationalismus, inmitten von Weltkrieg und nationalistischem Fieber. Unter der Führung der Bolschewiki war die Konferenz aber auch ein Wendepunkt, an dem die politischen Grundlagen für die Umgruppierung der revolutionären Kräfte zur Gründung einer neuen Partei nach dem Zusammenbruch der Zweiten Internationale gelegt wurden.
Die Intervention durch die Presse ist eine wesentliche und ständige Aufgabe revolutionärer Organisationen. Revolutionäre können ihre Rolle in der Klasse vor allem auf diesem Weg wahrnehmen. Um ihre Rolle so effizient wie möglich zu gestalten, ist es jedoch unerlässlich, dass ihre Stellungnahmen auf die konkreten Bedürfnisse der Klasse eingehen, aber immer mit dem Kompass in die gleiche Richtung zeigen: die Verteidigung der revolutionären Perspektive und die Notwendigkeit einer kommunistischen Gesellschaft.
IKS, Oktober 2022
[1]Imperialistischer Konflikt in der Ukraine: Kapitalismus ist Krieg, Krieg dem Kapitalismus!
[2]Organ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands. Es wurde ab 1900 unter der Leitung von Lenin, Martow und Plechanow herausgegeben.
[3]Theoretisches Organ der Linksfraktion der Kommunistischen Partei Italiens.
[4]Wir haben bereits folgende Artikel veröffentlicht:
Ziel dieses Artikels ist es nicht, eine Debatte über die politische Gültigkeit unserer Plattform zu führen – wozu wir selbstverständlich jederzeit bereit sind, indem wir uns ehrlich mit anderen Positionen auseinandersetzen – , sondern aufzuzeigen was sie in Wirklichkeit ist. Dazu müssen wir die Vorgehensweise der GIGC (Groupe International de la Gache Communiste / Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken) bloßstellen, die ausschließlich darauf abzielt, unsere Positionen zu diskreditieren, insbesondere indem sie sie als vom Rätismus beeinflusst darstellt. Ein solcher Einfluss würde sich in einer "ökonomistischen", "mechanischen", "fatalistischen" Vision der IKS manifestieren, indem sie die Kämpfe um Forderungen unterschätze und unsere Auffassung der Partei und des Klassenbewusstseins beeinträchtigee, usw.
Abgesehen von der notwendigen Wiederherstellung der Wahrheit über unsere politischen Positionen, die von der GIGC verdreht werden, werden wir zeigen, dass die Mittel und Vorgehensweise, die sie für ihre Verunglimpfung einsetzt, der Methode der Arbeiterbewegung und insbesondere der Kommunistischen Linken völlig fremd sind.
Die GIGC behauptet, sie habe unmittelbar nach ihrer Gründung "einen Klärungsprozess über die Plattform[1] der IKS begonnen (...), die sie als offen rätistisch abgelehnt habe".[2]
Diese politische Diagnose stütze sich auf verschiedene Beobachtungen, die bereits in einigen Texten der GIGC dargelegt wurden und von denen mehrere zitiert werden:
"Die unbestreitbare Kohärenz der Plattform der IKS basiert auf einer ökonomistischen und fatalistischen Vision, die auch mit ihrer rätistischen Vision kohärent ist, was sich in ihren Punkten über die Partei und das Klassenbewusstsein zeigt."[3]
"Wir haben die Kohärenz der Plattform der IKS durch die Unterscheidung zwischen Aufstieg und Dekadenz hervorgehoben, die hier im Wesentlichen auf Reformen oder die Unmöglichkeit von Reformen reduziert wird. Die daraus resultierende Einheitlichkeit und Klarheit bei der Aufdeckung der Klassengrenzen ist die Stärke des Dokuments. Der mechanische und ökonomistische Ansatz und das entsprechende Verständnis sind seine Schwäche. Sie sind typisch für den Vulgärmaterialismus, der dem Rätismus eigen ist, der eine fatalistische und mechanische Sicht der Geschichte entwickelt, zum Nachteil der dynamischen – marxistischen – Sicht, die den Klassenkampf in den Mittelpunkt und als Motor der Geschichte stellt."[4]
Für jeden, der unsere Positionen kennt, sind diese "Kritiken" komplett irreführend, aber nicht Jeder kennt die IKS, oder Einige nur durch die Sichtweise, welche durch die Prosa der GIGC vermittelt wird. Dies zwingt uns, das Wesen solcher Verzerrungen zu prüfen, die auf Lügen über Tatsachen, der Verschleierung und Verzerrung von Positionen und dem Suggerieren statt dem Beweisen oder Konkretisieren beruhen. Eine weitere Verzerrung besteht im Verschweigen der politischen Entwicklungen der IKS, welche die Punkte unserer Plattform verdeutlichen.[5]
So wichtig die Frage auch ist, ob es dem Proletariat möglich ist, in der Periode der Dekadenz des Kapitalismus Reformen durchzusetzen oder nicht, in unserer Plattform wird der Periodenwechsel nie auf diese Frage reduziert, sondern er wird unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der inneren Widersprüche des Kapitalismus (Punkt 3 der Plattform – Die Dekadenz des Kapitalismus), dann unter dem Gesichtspunkt der Auswirkungen auf die Organisationsform des Kapitalismus (Punkt 4 – Staatskapitalismus) und schließlich unter dem Gesichtspunkt des Klassenkampfes (Punkt 6 – Der Kampf des Proletariats im dekadenten Kapitalismus) betrachtet. In diesem letzten Punkt wird die Frage behandelt, ob Reformen möglich sind oder nicht, was für die Begründung und das Verständnis der Periode der Dekadenz entscheidend ist:
- die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Revolution;
- die Formen des Kampfes des Proletariats, das Verhältnis des Proletariats zu seiner Avantgarde und die Form, die letztere annimmt.
Wie die GIGC sehr wohl weiß, stellt der Kampf um Forderungen für die IKS die Grundlage für die Entwicklung des Klassenkampfes dar. In der Tat ist dies Teil der DNA unserer Organisation, da diese Konzeption bereits im Zentrum des marxistischen Verständnisses der Vorläufergruppe der IKS, Révolution Internationale in Frankreich, stand. Révolution Internationale - nouvelle série Nr. 9 (Mai-Juni 1974) formulierte dies im Artikel Comment le prolétariat est la classe révolutionnaire [340] folgendermaßen: "Der Prozess, durch den sich die Arbeiterklasse zur Höhe ihrer historischen Aufgabe erhebt, ist kein separater Prozess, der außerhalb ihres täglichen wirtschaftlichen Kampfes gegen das Kapital liegt. Im Gegenteil, in diesem und durch diesen Konflikt schmiedet die Arbeiterklasse die Waffen ihres revolutionären Kampfes".
In unserer Plattform wird eine solche Position unsererseits nicht in Abrede gestellt: "Seit mehr als einem halben Jahrhundert sinkt das Interesse der Arbeiter an den Aktivitäten dieser Organe, die zu einem festen Bestandteil des bürgerlichen Staats geworden sind. Die Kämpfe der Arbeiter gegen die ständige Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen streben danach, die Form von wilden Streiks außerhalb und gegen die Gewerkschaften anzunehmen. Von den Vollversammlungen der Streikenden geführt und in den Fällen, wo sie sich ausdehnen, von Delegiertenkomitees koordiniert – deren Delegierte von den Vollversammlungen gewählt und jederzeit abgewählt werden können –, erreichen diese Kämpfe sofort eine politische Dimension, da sie zur Konfrontation mit dem Staat in Gestalt seines Stellvertreters in den Betrieben, den Gewerkschaften, gezwungen werden." (Punkt 7: Die Gewerkschaften: Früher Organe des Proletariats, heute Instrumente des Kapitals [341])
Und auch heute gilt: “Die unaufhaltsame Verschärfung der Krise des Kapitalismus ist ein wesentlicher Anreiz für den Kampf und das Klassenbewusstsein. Der Kampf gegen die Auswirkungen der Krise ist die Grundlage für die Entwicklung ihrer Stärke und Einheit. Die Wirtschaftskrise wirkt sich direkt auf die Infrastruktur der Gesellschaft aus; daher legt sie die Ursachen der gesamten Barbarei, die über der Gesellschaft hängt, offen und ermöglicht es dem Proletariat, sich der Notwendigkeit einer radikalen Veränderung des Systems bewusst zu werden und nicht mehr so zu tun, als ob man einige Aspekte des Systems verbessern könnte. Im Kampf gegen die brutalen Angriffe des Kapitalismus und insbesondere gegen die Inflation, die die ArbeiterInnen in ihrer Gesamtheit allgemein und wahllos trifft, werden sie ihre Kampfbereitschaft entwickeln, sie werden beginnen können, sich als eine Klasse zu erkennen, die eine Kraft, eine Autonomie und eine historische Rolle in der Gesellschaft zu spielen hat. Diese politische Entwicklung des Klassenkampfes wird die Arbeiterklasse in die Lage versetzen, den Krieg zu beenden, indem sie dem Kapitalismus ein Ende setzt.“ (Drittes Manifest der IKS)[6]
Wenn wir nun so viel Platz darauf verwendet haben, diese schamlose Lüge der GIGC zu widerlegen, dann gerade deshalb, weil sie dem von der IKS vertretenen Verständnis des Entwicklungsprozesses des Klassenkampfes bis zur Revolution sehr abträglich ist.
"Der letzte Punkt, der längste der ganzen Plattform, über die Organisation der Revolutionäre, offenbart deutlich den Widerspruch, den die IKS seit ihren Anfängen herumträgt, zwischen ihrem Ansatz mit ihren angeborenen rätistischen Schwächen und ihrem Wunsch, sich die Lehren der Arbeiterbewegung, insbesondere der Kommunistischen Linken, wieder anzueignen. Zwar wird die Partei als solche erwähnt, formell, abstrakt, eigentlich widerwillig: ‚Die Organisation der Revolutionäre (deren höchst entwickelte Form die Partei ist) (...). In diesem Fall ist es gerechtfertigt, die Organisation der Avantgarde als Partei zu bezeichnen. (...) Jene Fraktionen und Gruppen, die an dem Aufbau der Partei arbeiten, streben notwendigerweise eine weltweite Zentralisierung an...‘. Aber nirgends wird die Rolle und Funktion der Partei als Avantgarde und politische Führung des Proletariats erwähnt."
Die Grundlagen der Notwendigkeit und der Rolle der revolutionären Organisation ist in unserer Plattform in komprimierter Form vorhanden, so dass jedes Teilzitat davon, wie es die GIGC tut, notwendigerweise ihre Bedeutung verändert. Aus diesem Grund geben wir den entsprechenden Absatz vollständig wieder: „Die Organisation der Revolutionäre (deren höchst entwickelte Form die Partei ist) ist ein notwendiges Organ, das von der Arbeiterklasse für die Entwicklung des Bewusstseins über ihre historische Zukunft und für die entsprechende politische Orientierung ihres Kampfes geschaffen wird. Deshalb sind die Existenz und die Aktivitäten dieser einen Partei eine unverzichtbare Bedingung für den Endsieg des Proletariats.“
Was hat die GIGC nun zu dieser Formulierung zu sagen, abgesehen von Eindrücken? Nichts, nur Wind – und Bluff.
Darüber hinaus werden die meisten der in unserer Plattform vertretenen Positionen in verschiedenen Artikeln in unserer Presse, insbesondere in der Internationalen Revue, aufgegriffen, weiterentwickelt und präzisiert. Dies gilt insbesondere für die Frage der "Organisation der Revolutionäre", die in den grundlegenden Texten der IKS ausführlich behandelt wird, worüber die GIGC kein Wort verliert, obwohl sie deren Existenz durchaus kennt. Jeder, der diese grundlegenden Texte liest, kann sich von der Bedeutung überzeugen, die wir der Frage der Partei, ihrer Rolle, ihrer Verbindung mit der Arbeiterklasse und dem Prozess, der zu ihrer Gründung führt, beimessen. Wir fordern den LeserInnen daher auf, anhand der folgenden Texte die Dinge zu überprüfen:
- Die Funktion der revolutionären Organisation [183]
- Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre [190]
- Über die Partei und ihre Beziehung zur Klasse [342]
- Bericht über die Rolle der IKS als "Fraktion" [343]
Weit gefehlt!
Von Beginn an ging‘s ihnen darum, die IKS von innen heraus zu zersetzen, und bis zu ihrer Umwandlung in die GIGC, verkündete die FICCI (Fraction Interne du CCI) jedem, der es hören wollte, dass sie der beste Verteidiger der Positionen der IKS sei, viel besser als die "opportunistische IKS"! Und siehe da, die GIGC hat nun entdeckt, dass die Plattform der IKS in Wirklichkeit rätistisch ist! Ist dies der letzte Akt der Farce? Nichts dergleichen, der schlechte Scherz geht weiter. Sie entdecken also, dass unsere Plattform "auf einer ökonomistischen und fatalistischen Vision basiert, die auch mit ihrer rätistischen Vision übereinstimmt, die sich in ihren Punkten über die Partei und das Klassenbewusstsein manifestiert". Sie verweisen auf die politischen Klarstellungen ihrer eigenen Plattform, die "versucht, die Kohärenz und die Erklärung der Klassengrenzen auf die Frage der Partei und des Klassenbewusstseins und somit auf die Geschichte des Klassenkampfes selbst zu stellen”. Selbst wenn die Fälscher der GIGC wirklich davon überzeugt wären, ist es nicht dies, trotz all ihre leeren Kritiken, die wir zurückgewiesen haben, das angeblich den Rätismus unserer Konzeption der Partei und des Klassenbewusstseins beweisen würde. Zumal die angebliche neue Inspirationsquelle der GIGC aus unserer Sicht nicht die geeignetste ist: "Wir haben nichts erfunden. Wir haben uns lediglich von der politischen Korrektheit des prinzipiellen Ansatzes der aufeinanderfolgenden PFs (Plattformen) überzeugt, den die so genannte Linke Italiens insbesondere 1945 und 1952 verfolgt hat."[7] [8]
Die IKS stützt sich ihrerseits, wie wir in unserer Plattform erklären, auf den folgenden Ansatz: "Indem er den Verlauf der Geschichte durch die Entwicklung des Klassenkampfes erklärt, d.h. den Kampf zur Verteidigung der ökonomischen Interessen innerhalb eines durch die Entwicklung der Produktivkräfte bestimmten Rahmens, und indem er das Proletariat als den Träger der Revolution anerkennt, der den Kapitalismus abschaffen wird, wird der Marxismus zur einzigen Weltauffassung, die wirklich den Standpunkt der Arbeiterklasse ausdrückt." (Punkt 1, Die Theorie der Kommunistischen Revolution)
Konkret wird der IKS eine "fatalistische und mechanische Sicht der Geschichte, im Gegensatz zu einer dynamischen – marxistischen – Vision, die den Klassenkampf in den Mittelpunkt und als Motor der Geschichte stellt", vorgeworfen.
Da die GIGC nichts Substanzielles hat, auf das sie ihre Kritik stützen könnte, agiert sie mit Unterstellungen und Formulierungen wie "kann zu den und dem führen...", wenn es sich nicht gerade um offene Diffamierung, Verleumdung und Verunglimpfung handelt. Alles Bereiche, in denen sie sich hervorgetan hat, seit sie gegen die IKS in den Krieg zog und als ihre "Gründer" noch Mitglieder unserer Organisation waren.
Die Geschichte hat uns gelehrt, dass der Opportunismus, wenn er den Positionen der Kommunistischen Linken den Vorwurf des "Fatalismus" entgegenhält, sich selbst "Flexibilität" und "Geschmeidigkeit" in Bezug auf die Prinzipien zugesteht. Das war der Charakter der Kritik Trotzkis gegenüber BILAN in den 1930er Jahren und derjenigen des PCInt gegenüber INTERNATIONALISME in den 1940er Jahren. Die GIGC mit Trotzki oder dem PCInt zu vergleichen wäre natürlich ein Hohn. Bei all unserer Kritik am Opportunismus Trotzkis und des PCInt ist unser Ansatz das Gegenteil davon, die GIGC in irgendeiner Weise mit ihnen zu vergleichen. Trotzki und der PCInt waren, trotz ihrer Schwächen, Teil des proletarischen Lagers. Die GIGC jedoch, seit sie unter dem Namen FICCI entstanden ist, hat durch den Schaden, den sie im Milieu der Kommunistischen Linken anrichtet, objektiv als Verteidigerin der Interessen der Bourgeoisie gehandelt. Wie wir weiter sehen werden, ist die Geschmeidigkeit der GIGC gegenüber den Prinzipien der Gewerkschaftsfrage ebenfalls offensichtlich.
Wenn es nur darum ginge, die "Methode" der GIGC zu entlarven, wären die vorangegangenen Darstellungen mehr als ausreichend. Da es aber auch darum geht, unsere Plattform gegen Angriffe zu verteidigen, müssen wir auf andere Attacken der GIGC eingehen. Dabei wollen wir aufzeigen, wie einige davon eine eindeutig linksbürgerliche Ausrichtung nicht vertuschen können.
Mit diesem Angriff soll der Eindruck erweckt werden, dass die IKS die von Lenin für den Ersten Kongress der Kommunistischen Internationale verfassten Thesen zur Demokratie nicht aus Überzeugung unterstützt.
In Punkt 8 unserer Plattform Die Wahlen und die Mystifizierung des Parlaments heißt es: "Als das kapitalistische System in seine Phase der Dekadenz eintrat, hörte das Parlament auf, ein Instrument zur Erlangung von Reformen zu sein. Wie die Kommunistische Internationale auf ihrem II. Kongress formulierte".
Zu diesem Thema erfreut uns die GIGC mit folgender kritischen Anmerkung: "Die Thesen (Lenins Thesen über die Demokratie) beschränken die Frage nicht auf die Unmöglichkeit von Reformen in der Dekadenz, ganz im Gegenteil. Die Haltung der Kommunistischen Internationale gegenüber dem Parlamentarismus wird nicht durch eine neue Doktrin bestimmt, sondern durch die Veränderung der Rolle des Parlaments selbst. In der vorangegangenen Epoche erfüllte das Parlament bis zu einem gewissen Grad eine historisch fortschrittliche Aufgabe als Instrument der Entwicklung des Kapitalismus. Unter den gegenwärtigen Bedingungen des ungezügelten Imperialismus hat sich das Parlament jedoch in ein Werkzeug der Lüge, der Täuschung, der Gewalt und des entnervenden Geschwätzes verwandelt. Angesichts der imperialistischen Verwüstung, Ausplünderung, Vergewaltigung, Räuberei und Zerstörung verlieren die parlamentarischen Reformen, die jeglicher Systematik, Dauerhaftigkeit und Methode beraubt sind, jede praktische Bedeutung für die werktätigen Massen. Wie wir sehen, umfasst die Internationale eine viel umfassendere Vision und ein Verständnis, das in erster Linie politisch ist, d.h. auf der Ebene des Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat unter den Bedingungen, die durch die imperialistische Phase des Kapitals definiert sind.”[9]
Was die GIGC sich hier beeilt zu verschweigen, ist, dass Lenins Thesen im Artikel der IKS "Lenins Thesen zur bürgerlichen Demokratie und proletarischen Diktatur (Nachdruck) [344]"[10] vollständig wiedergegeben sind. Das reduziert die Kritik an einer angeblichen Schwäche unserer Position in dieser Frage auf eine Null und Nichts und zeigt einmal mehr die hinterhältige Methode der GIGC. Was die Behauptung betrifft, dass dieser Punkt unserer Plattform die Funktion des Parlaments in der neuen Periode nicht berücksichtige, so ist dies nur ein trauriges Beispiel der Methode: "Verleumde kühn, etwas bleibt immer hängen" (Francis Bacon), egal wie inkonsequent die Verleumdung auch ist. In Wahrheit sagen wir in diesem Abschnitt unserer Plattform über das Parlament folgendes: "Die einzige Rolle, die das Parlament von da an spielen konnte, das einzige, was es am Leben hält, ist seine Rolle als ein Mittel der Mystifizierung: Somit war es für das Proletariat nicht mehr möglich, das Parlament auf irgendeine Art zu nutzen. Die Arbeiterklasse kann keine unmöglich gewordenen Reformen mittels eines Organs erringen, das jegliche politische Funktion verloren hat. Jetzt, wo die grundlegende Aufgabe des Proletariats darin besteht, alle Institutionen des bürgerlichen Staats und somit auch das Parlament zu zerstören, wo die Arbeiterklasse auf den Trümmern des allgemeinen Wahlrechts und der anderen Überreste der bürgerlichen Gesellschaft ihre eigene Diktatur errichten muss, kann die Teilnahme am Parlament und an Wahlkampagnen - ungeachtet der Absichten, die von ihren Befürwortern verfolgt werden - nur dazu führen, einem im Sterben liegenden Körper einen Anschein von Leben einzuhauchen. "
Die GIGC schreibt: "Es ist bedauerlich, dass in dieser Passage die Verbindung zwischen dem Staatskapitalismus und den Erfordernissen des verallgemeinerten imperialistischen Krieges nicht deutlicher gemacht wird. Dies führt dazu, das Phänomen des Staatskapitalismus auf seine wirtschaftliche Dimension zu reduzieren, während er vor allem eine politische Antwort gegen das Proletariat und für die Bedürfnisse des imperialistischen Krieges ist."[11]
Im Gegensatz zu den Behauptungen der GIGC reduziert dieser Punkt unserer Plattform die Rolle des Staatskapitalismus keineswegs auf "unmittelbare wirtschaftliche Notwendigkeiten", sondern berücksichtigt alle Widersprüche, mit denen der Kapitalismus konfrontiert ist: "Auch in der Dekadenz des Kapitalismus ist die allgemeine Tendenz zum Staatskapitalismus zu einem der vorherrschenden Kennzeichen des gesellschaftlichen Lebens geworden. Da in dieser Epoche kein nationales Kapital in der Lage ist, sich uneingeschränkt zu entwickeln, und jedes von ihnen mit einer unbarmherzigen imperialistischen Konkurrenz konfrontiert ist, wird jedes Nationalkapital gezwungen, sich so effektiv wie möglich zu organisieren, um sich nach außen, gegen seine Rivalen, ökonomisch und militärisch bestmöglich zu wappnen und um im Innern der wachsenden Zuspitzung der gesellschaftlichen Widersprüche Herr zu werden. Die einzige Kraft in der Gesellschaft, die diese Aufgaben durchführen kann, ist der Staat" (Punkt 4 der Plattform: Der Staatskapitalismus [345]). Die GIGC hat sicherlich auf die Leichtgläubigkeit der Lesenden gegenüber ihrer Prosa und auf deren Unkenntnis der Positionen der IKS gezählt, um hier eine weitere Lüge einzuschmuggeln.
Punkt 15 unserer Plattform zur Diktatur des Proletariats bekräftigt die Notwendigkeit der "vollständigen Zerstörung des bürgerlichen Staatsapparates" und der Anwendung der "eigenen revolutionären Klassengewalt" durch das Proletariat. Dieser Punkt, so behauptet es zumindest die GIGC, "ignoriert völlig die Rolle der Partei - das Wort Partei wird in diesem Punkt nicht ein einziges Mal verwendet! - so viel zum Aufstand der Arbeiter - selbst ignoriert - so viel zur Ausübung der Diktatur selbst.... Zwar wird die Partei erwähnt, aber nur formal, abstrakt, ja widerwillig: "Die Organisation der Revolutionäre, deren höchst entwickelte Form die Partei ist (...) in diesem Fall ist es gerechtfertigt, die Organisation der Avantgarde als Partei zu bezeichnen (...) Der notwendigerweise weltweite und zentralisierte Charakter der proletarischen Revolution überträgt sich auch auf die Partei der Arbeiterklasse..." Aber die Rolle und Funktion der Partei als Avantgarde und politische Führung des Proletariats wird nirgends erwähnt."[12]
In Wirklichkeit und im Gegensatz zu diesen irreführenden Behauptungen schmälert die IKS keineswegs die grundlegende Rolle, die die Partei beim Erfolg der Russischen Revolution (der einzigen siegreichen Revolution) gespielt hat, und sie schmälert auch nicht die Rolle, die die künftige Partei bei einer nächsten Revolution zu spielen hat. Dies wird durch die zahlreichen Artikel und die verschiedenen Broschüren bestätigt, die wir dieser Frage gewidmet haben und die die GIGC sorgfältig ignoriert, obwohl sie haargenau weiss, dass diese existieren. Zu diesen Dokumenten gehören:
- Oktober 1917, Anfang der proletarischen Revolution (Teil 2) [346] Abschnitt: Charakter und Rolle der bolschewistischen Partei
- Russland 1917: Die größte revolutionäre Erfahrung der Arbeiterklasse [347], daraus der Abschnitt "Die falschen Vorstellungen der rätischen Strömung über das Wesen und die Rolle der bolschewistischen Partei".
Die GIGC zitiert aus unserer Plattform: "Mit dem Eintritt in seine dekadente Phase war der Kapitalismus unfähig geworden, der Arbeiterklasse weitere Reformen und Verbesserungen ihres Lebensstandards zuzugestehen.“ Die GIGC kommentiert: "Einmal mehr taucht die mechanistische und ökonomistische Erklärung 'Reformen oder keine Reformen' auf, um die Tatsache zu untermauern, die wir teilen, dass die Gewerkschaften ‚faktisch zu Agenten des Kapitals, zu Vertretern des bürgerlichen Staats innerhalb der Arbeiterklasse geworden‘ sind, begünstigt ‚durch die unerbittliche Tendenz des Staats im Zeitalter der Dekadenz, alle Strukturen des Gesellschaftslebens zu absorbieren‘. Infolgedessen und insofern, als der Übergang der Gewerkschaften in das bürgerliche Lager allein vom wirtschaftlichen Standpunkt aus mechanisch fatal gewesen sei und nicht das Ergebnis einer durch den Übergang in die neue historische Periode bedingten Klassenkonfrontation, wird der Kampf, den die kommunistischen Minderheiten von 1918 bis, grob gesagt, zum Zweiten Weltkrieg in den Gewerkschaften geführt haben, vernachlässigt und abgelehnt."[13]
Die GIGC unterstellt der IKS die Sichtweise, dass die Gewerkschaften mechanisch auf die Seite der Bourgeoisie übergegangen seien. Wir verwenden jeweils den Begriff "unweigerlich" und nicht "mechanisch". Darüber hinaus führt die GIGC die Idee ein, dass "der Übergang der Gewerkschaften in das Lager der Bourgeoisie das Ergebnis eines Kräfteverhältnisses zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat war, das sich innerhalb dieser Organe abspielte". Die einzig mögliche Interpretation dieser Passage ist, dass es der Arbeiterklasse möglich gewesen wäre, die Gewerkschaften als Waffe für ihren Kampf zu erhalten, indem sie innerhalb der Gewerkschaften gekämpft hätte!
Dies ist typisch für die opportunistische Position, die von der degenerierten Kommunistischen Internationale vertreten wurde und alle Spielarten der Linken inspiriert hatte, und auch heute noch inspiriert. In der Tat sind die einzigen wirklich "inspirierenden" Kämpfe für das Proletariat in Bezug auf die Gewerkschaftsfrage diejenigen, die diese Institution als Werkzeug des Klassenkampfes in Frage gestellt haben, wie es insbesondere während der Revolution in Deutschland der Fall war. Dies steht in völliger Übereinstimmung mit der Analyse, die wir im Punkt 7 unserer Plattform vertreten: "Mit dem Eintritt in seine dekadente Phase war der Kapitalismus unfähig geworden, der Arbeiterklasse weitere Reformen und Verbesserungen ihres Lebensstandards zuzugestehen. Nachdem die Gewerkschaften nun nicht mehr in der Lage waren, ihre ursprüngliche Rolle - die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse - zu erfüllen, und angesichts einer historischen Lage, in der nur die Abschaffung der Lohnarbeit und damit das Verschwinden der Gewerkschaften auf der Tagesordnung steht, sind die Gewerkschaften, um ihr eigenes Überleben zu legitimieren, faktisch zu Agenten des Kapitals, zu Vertretern des bürgerlichen Staats innerhalb der Arbeiterklasse geworden. Diese Entwicklung wurde begünstigt durch die Bürokratisierung der Gewerkschaften bereits vor der Dekadenzphase und durch die unerbittliche Tendenz des Staats im Zeitalter der Dekadenz, alle Strukturen des Gesellschaftslebens zu absorbieren."
Welche Kämpfe hätten es nach Ansicht der GIGC möglich gemacht, die Gewerkschaft als Instrument zur Verteidigung der Interessen des Proletariats in der Zeit von 1918 bis zum Zweiten Weltkrieg auch nur vorübergehend zu erhalten? Die GIGC erwähnt nur einen, und es lohnt sich, ihn näher zu betrachten, zumal es sich um einen weiteren Versuch der GIGC handelt, die Position der Kommunistischen Linken Frankreichs in der Gewerkschaftsfrage zu verwässern.
Dies geschieht insbesondere über die Ursprünge der Kommunistischen Linken, die Geschichte der IKS und über unseren Genossen Marc Chirik.
Die GIGC zitiert Internationalisme, die Zeitschrift der GCF (Gauche Communiste de France): "Wir müssen auch die Tendenzen bekämpfen, die, ausgehend von der Tatsache der Existenz einer extrem starken Gewerkschaftsbürokratie, die eine reaktionäre Schicht mit homogenen Interessen bildet, die den Klasseninteressen des Proletariats und der proletarischen Revolution entgegengesetzt sind, behaupten, dass die Gewerkschaftsorganisationen als Instrumente des antikapitalistischen Kampfes überholt sind. Die kommunistische Gewerkschaftsfraktion wird von allen Militanten der kommunistischen Organisation gebildet, die derselben Gewerkschaft angehören" (Resolution zur Gewerkschaftsfrage).
Was beweist diese Passage in Bezug auf das Problem, das uns hier beschäftigt, nämlich den Klassencharakter der Gewerkschaften in der Dekadenz? Absolut nichts, abgesehen von der Tatsache, dass es innerhalb von Internationalisme Verwirrungen über die Gewerkschaftsfrage gab. Auf der anderen Seite wird die Unredlichkeit der GIGC deutlich, wenn sie ihren LeserInnen eine unangenehme Realität verschweigt, nähmlich die Tatsache, dass es innerhalb der GCF eine ständige Reflexion über den Charakter der Gewerkschaften gab, die zu folgender Analyse führte: "Die Gewerkschaften sind heute vollständig in den Staat integriert, sie sind ein Anhängsel des Staates mit der Funktion, die Arbeiterklasse dazu zu bringen, die Maßnahmen der Ausbeutung und die Verschlechterung ihrer elenden Bedingungen zu akzeptieren. Die jüngsten Streikbewegungen haben gezeigt, dass dieses klassische Mittel des Arbeiterkampfes nicht mehr die ausschließliche Waffe des Proletariats ist, seinen wesentlichen Klassencharakter verloren hat und auch als Manövriermittel von einer kapitalistischen politischen Fraktion gegen eine andere, von einem imperialistischen Block gegen einen anderen und letztlich im allgemeinen Interesse des Kapitalismus eingesetzt werden kann". ("Aktuelle Probleme der internationalen revolutionären Bewegung" - Internationalisme Nr. 18, Februar 1947)
Die GIGC begrüsst scheinheilig das, was sie die "historische IKS" nennt, weil sie in der Lage war, die wahre Natur der Gewerkschaften zu verstehen: "Wir müssen die Fähigkeit der historischen IKS begrüßen, klar zu verstehen, dass die Gewerkschaften zu vollwertigen Organen des bürgerlichen Staates geworden sind und, zumindest in den 1980er Jahren, alle Konsequenzen daraus für ihr Eingreifen in die realen Klassenkämpfe zog". Das ist heuchlerisch und unehrlich, denn wie wir bereits gesehen haben, war es Internationalisme, welche Gruppe gegenüber Bilan wichtige Klarstellungen in der Gewerkschaftsfrage gemacht hatte.
Warum also dieses Bedürfnis der GIGC, die Intervention der IKS in den 1980er Jahren zu loben, die "weit davon entfernt war, einen reinen, von den Gewerkschaften durch die Gnade des Heiligen Geistes befreiten Kampf zu erwarten"? Aus zwei Gründen:
1. Um auf die Intervention der IKS in den letzten Jahren zu spucken, die implizit als Erwartung eines "reinen, von den Gewerkschaften durch die Gnade des Heiligen Geistes befreiten Kampfes" charakterisiert wird, die es seit zwei Jahrzehnten "vorzieht, sich dem Fetisch der Selbstorganisation und der Vollversammlungen im Namen der echten, gewerkschaftsfreien Versammlungen hinzugeben, um ihren Defätismus zu verschleiern"[14]. Dies ist der Traum eines Mythomanen, der besessen Unwahrheiten erzählt. Die IKS hat den Kampf der Arbeiterklasse nie aufgegeben oder verachtet, und die Tatsache, dass wir, wie wir es getan haben, bestimmte Karikaturen von "Vollversammlungen", die gewöhnlich von den Gewerkschaften in den Betrieben einberufen werden, anprangern, ist keineswegs gleichbedeutend mit Desertion, sondern im Gegenteil Teil der Anprangerung der Ergebnisse der gewerkschaftlichen Sabotage und ihrer Allgegenwart. Im Gegensatz zu der Vorstellung, die die GIGC zu vermitteln versucht, haben wir seit den Kämpfen der 1980er Jahre niemals die grundsätzliche Notwendigkeit des Klassenkampfes geleugnet, wo auch immer er zum Ausdruck kommt, unabhängig von seinen Stärken und Schwächen. Dies steht wiederum im Einklang mit der Bedeutung, die die IKS den unmittelbaren Verteidigungskämpfen der Arbeiterklasse für die Entwicklung des Klassenkampfes zuschreibt, etwas, das die GIGC auch versucht hat, durch betrügerische Kritiken zu verschleiern.
2. Die GIGC schreibt die Geschichte der IKS in den 1980er Jahren um, indem sie ihr Positionen unterschiebt, die nie ihre eigenen waren, sondern die des IBRP (International Bureau for the Revolutionnary Party) zu jener Zeit: "Sie [die IKS] hat damals völlig verstanden, dass die kommunistischen Avantgardegruppen und die Partei an der Spitze des politischen Kampfes gegen die Fallen und die Sabotage der Gewerkschaft und der Linken und für die politische Führung der Arbeiterkämpfe stehen müssen". Nur ein Mythomane mit der Dreistigkeit der GIGC ist in der Lage, solchen Unsinn zu erzählen. Die IKS hat sich nie als Partei (oder als “Partei im Kleinen”) verstanden, sondern als politische Gruppe mit einer "fraktionsähnlichen” Funktion, die auf die Gründung der zukünftigen Partei hinarbeitet und eine Brücke zu ihr schlagen soll. Ebenso stand sie der Auffassung des IBRP von "internationalistischen Betriebsgruppen" als Transmissionsriemen für die Partei innerhalb der Arbeiterklasse stets kritisch gegenüber. Damals wie heute haben wir immer dafür gekämpft, dass die Arbeiterklasse sich in Vollversammlungen organisiert, um ihren Kampf selbst in die Hand zu nehmen und auszuweiten, und wir haben immer die Aktionen der Gewerkschaften bekämpft, die darauf abzielten, solche Klasseninitiativen zu sabotieren.
Die GIGC behauptet, dazu beigetragen zu haben, "den Kampf gegen den Rätismus in den 1980er Jahren, den die IKS damals geführt hatte, zu befürworten – und sogar zu verteidigen"[15]. Es ist nicht ausgeschlossen, dass einige der späteren FICCI-Halunken damals an diesem Kampf teilgenommen haben. Andererseits wird auch behauptet, dass die IKS "diesen [Kampf] inzwischen abgelehnt hat"[16]. Warum lügt die GIGC auf diese Weise? Möglicherweise, um bei der ICT gut dazustehen, deren Vorgängerin, das IBRP, seine Sabotage der Konferenzen der Kommunistischen Linken in den 1970er Jahren damit gerechtfertigt hatte, dass sie der IKS "Rätismus" unterstellte.
Die GIGC ist nicht in der Lage, die Fakten für den angeblichen Verzicht der IKS auf den Kampf gegen den Rätismus zu liefern, aber sie gibt uns eine Erklärung für den "Verzicht" selbst. Nach Ansicht der GIGC liegt die Ursache “im organischen Bruch zwischen der Gauche Communiste de France und der IKS": "Wie sie selbst immer erkannt hatte, konnte der organische Bruch in der Kontinuität mit den aus der Kommunistischen Internationale (KI) hervorgegangenen Fraktionen der Kommunistischen Linken, im Falle der IKS aus der Gauche Communiste de France (GCF) und im weiteren Sinne mit der so genannten Italienischen Linken, nicht durch die bloße Anwesenheit von Marc Chirik, der seit 1938 Mitglied der Italienischen Fraktion und dann der GCF war, überwunden werden"[17]. Dieser organische Bruch stellte in der Tat ein ernsthaftes Handicap dar, das glücklicherweise durch die Anwesenheit unseres Genossen Marc Chirik verringert werden konnte, insbesondere durch den Kampf gegen den Rätismus, genauer gesagt gegen dem Zentrismus gegenüber dem Rätismus in unseren Reihen. Die Klärung und Homogenisierung, die bei dieser Gelegenheit in unserer Organisation stattfand, ermöglichte es der IKS, sich gegen die Gefahr des Rätismus zu wappnen, dessen Einfluss bei einigen der jungen Generation dazu beitrug, dass sie sich nur schwer politisieren konnten. Andererseits gibt es einen Bereich, in dem die bloße Anwesenheit unseres Genossen Marc Chirik nicht ausreichte, um die Schwächen zu überwinden, die mit dem Bruch der organischen Kontinuität verbunden waren, und das ist die revolutionäre Militanz, die nur durch die Praxis erlernt wird, auch wenn unser Genosse Marc hier sein Bestes tat, um die Lehren aus seiner eigenen Erfahrung weiterzugeben. Eine solche Schwäche innerhalb der IKS spiegelte sich in Haltungen und Ansätzen wider, die Teil des Zirkelgeistes waren, den Lenin auf dem 2. Kongress der SDAPR 1903 zu Recht kritisierte und dem er den Parteigeist gegenüberstellte. Aber schlimmer als der Zirkelgeist ist das Verkommen zum nihilistischen Clanismus und die Entartung zur schlimmsten Variante des Parasitismus, der versucht hat, der Organisation den größtmöglichen Schaden zuzufügen, wenn wir uns sich gegen die Aktionen und das Verhalten von Halunken verteidigen mussten. Die FICCI, die Mutter der GIGC, war die schlimmste Inkarnation dieses Problems innerhalb der IKS.
Wir leugnen nicht das Potential von Diskussionen mit anderen proletarischen Gruppen, zur Klärung in unseren Reihen beizutragen. Aber hier geht es um eine neue Erfindung der GIGC, die schon vom zeitlichen Standpunkt aus gesehen völlig unmöglich ist.
In einem kürzlich an die ICT gerichteten Artikel[18] verweist die GIGC auf eine "widersprüchliche Debatte, die der PCInt-Battaglia Comunista und die IKS Ende der 1970er Jahre um die Frage des historischen Kurses entwickelt hatten" (...) Die IKS anerkannte damals, so die GIGC, "die Richtigkeit der Kritik von Battaglia Comunista an ihrer Position zum revolutionären Kurs", nach der "die Revolution zu einem offenen und unvermeidlichen Weg" geworden war. Ein Elefantengedächtnis oder eine Erfindung der GIGC-Mitglieder? Es wird nicht gesagt, wo oder bei welcher Gelegenheit dies geschah. Um dieser "Geschichte" mehr Konsistenz zu verleihen, fügt die GIGC hinzu: "Dank dieser Kritik, deren Richtigkeit die IKS dann anerkannte, stellte sie ihre Position klar - änderte sie und bezeichnete den 'Kurs' als 'hin zu entschlossenen, massiven Klassenkonfrontationen".
Wieder einmal müssen wir die Lügen der GIGC richtig stellen. Es stimmt, dass wir in unserem Text "Der historische Kurs", der vom 2. IKS-Kongress 1977 angenommen wurde, von einem "Kurs zur Revolution" sprachen, aber schon in diesem grundlegenden Dokument hat die IKS keineswegs "die Revolution zu einem offenen und unvermeidlichen Weg" erklärt, sondern vielmehr gesagt: "Unsere Perspektive sieht die Unvermeidlichkeit der Revolution nicht vor. Wir sind keine Scharlatane und wissen im Gegensatz zu manchen fatalistischen Revolutionären sehr wohl, dass die kommunistische Revolution nicht "so sicher ist, als ob sie schon stattgefunden hätte". Aber unabhängig vom Endergebnis der Kämpfe, die die Bourgeoisie zu unterdrücken versucht, um der Klasse eine Reihe von Teilniederlagen als Vorspiel zu einer endgültigen Niederlage zuzufügen, ist der Kapitalismus hier und jetzt nicht in der Lage, seine eigene Antwort auf die Krise seiner Produktionsverhältnisse durchzusetzen, ohne das Proletariat frontal zu konfrontieren." Um jede Zweideutigkeit zu vermeiden, haben wir Anfang der 1980er Jahre die Formulierung "Kurs zur Revolution" durch "Kurs hin zu Klassenkämpfen" ersetzt. Es ist uns nicht bekannt, dass es vor der Änderung unserer Formulierung eine Kontroverse zwischen der IKS und Battaglia Comunista zu diesem Thema gegeben hätte. Es ist durchaus richtig, dass es eine Kritik von Battaglia Comunista/Communist Workers Organisation an unserer Analyse mit dem Titel "Die IKS und der historische Kurs: eine fehlerhafte Methode" gab. Sie erfolgte aber erst 1987, also mehrere Jahre später, und kann daher nicht die "von der IKS als solche anerkannte konstruktive Kritik" gewesen sein. Außerdem betraf die Kritik des IBRP an der Analyse des IKS nicht die Art und Weise, wie der historische Kurs zu qualifizieren ist, sondern den Begriff des Historischen Kurses selbst.[19]
Weshalb hat die GIGC ein Interesse daran hat, die Geschichte auf diese Weise aufzuarbeiten. Die Antwort auf diese Frage wird deutlich, wenn sie hinzufügt: "Ein Großteil der Kritik, die Battaglia Comunista damals geäußert hat, war richtig - wir haben das Konzept und, wie wir hoffen, die Methode, die damit einhergehen muss, übernommen, im Gegensatz zu der, die die Genossen der ICT immer als idealistisch beurteilt und bezeichnet haben."[20]
Die GIGC drückt also ihr Einverständnis mit der ICT aus und zollt deren Methode Anerkennung. Wäre die GIGC nicht eine parasitäre Gruppe der schlimmsten Sorte, hätten wir sie zu ihrem Positionswechsel befragt, da ihre Leute seinerzeit, also sie noch Mitglieder der IKS waren, den Vulgärmaterialismus der ICT kritisierten. Jetzt machen sie sich schamlos an ihn ran.
Und das ist der tiefere Sinn des Versuchs der GIGC, unsere Plattform zu entstellen. Es geht ihnen darum, ihre kriecherische Haltung gegenüber der ICT zu verstärken, um noch mehr ihre Zustimmung zu gewinnen. Für die GIGC ist dies eine existenzielle Frage: Um ihre Legitimität zu sichern und um für ihre Lügen und Betrügereien entlastet zu werden, braucht sie die Unterstützung einer historischen Organisation der Kommunistischen Linken. Unmittelbar nach ihrer Gründung erklärte die FICCI, dass das IBRP nun die entscheidende Kraft für die Konstituierung der zukünftigen Weltpartei des Proletariats darstelle. Sie lehnte damals die Analyse der gegenwärtigen Periode als eine Zerfallsperiode des Kapitalismus und die Analyse des Phänomens des politischen Parasitismus ab, zwei Analysen, die ihre Mitglieder während mehr als einem Jahrzehnt geteilt hatten, die aber vom IBRP abgelehnt wurden (und von der IKT weiterhin abgelehnt werden). Heute muss die GIGC die Flamme ihrer Romanze mit der ICT neu entfachen, vor allem nach einem kleinen Zerwürfnis mit dieser Organisation[21]. Und wie könnte man dies besser tun, als die Kritik des IBRP am angeblichen "Rätismus" der IKS aufzugreifen, die wichtigen Beiträge der IBRP und der ICT für die eigene Klärung der Parteifrage zu "entdecken" und schließlich die Initiative der ICT zugunsten der Komitees "Kein Krieg außer dem Klassenkrieg" begeistert zu begrüßen.[22]
IKS 8.8.2023
[1] Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [348], Révolution ou Guerre Nr. 18, Mai 2021
[2] Réponse à la Tendance Communiste Internationaliste sur nos Thèses sur la signification et les conséquences de la guerre en Ukraine [349], Révolution ou Guerre Nr. 22, September 2022
[3] Premiers commentaires et débats autour de notre plateforme politique [350], Révolution ou Guerre Nr. 20, Februar 2022. Diese brillante Charakterisierung ist das Ergebnis einer "Arbeit" der kritischen Lektüre der IKS-Plattform, die im Artikel Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [351], Révolution ou Guerre Nr. 18, zu finden ist. Wir werden in Kürze auf dieses "Werk" im Detail zurückkommen.
[4] Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [351], Révolution ou Guerre Nr. 18. Ironischerweise zitiert die GIGC zur Unterstützung dieses Urteils Engels Brief an Joseph Bloch vom 22. September 1890: "Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus – politische Formen des Klassenkampfes und seine Resultate (...), Rechtsformen, und nun gar die Reflexe aller dieser wirklichen Kämpfe im Gehirn der Beteiligten (...) üben auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen vorwiegend deren Form". Dieses Zitat hat die IKS ernst genommen und mehrfach verwendet, insbesondere gegen die vulgärmaterialistische Sichtweise der Strömungen, die aus dem 1945 gegründeten Partito Comunista Internazionalista (PCInt) hervorgegangen sind (die "bordigistische" Strömung und die Strömung, die heute von der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz IKT vertreten wird). Die GIGC hütet sich jedoch, die IKT auf diese Weise zu kritisieren, da ihre ständige Haltung ihr gegenüber eine Speichelleckerei ist.
[5] Zu diesem Thema betonen unsere Grundsatzpositionen – die auf der Rückseite aller unserer Publikationen stehen – Folgendes: “So beruft sich die IKS auf die Errungenschaften, die nacheinander erbracht wurden (…) den Linkskommunistischen Fraktionen, die in den 20er und 30er Jahren aus der Dritten Internationale während ihres Niedergangs hervorgegangen waren, insbesondere der Deutschen, Holländischen und Italienischen Linken.” Die GIGC kommentiert diese Passage wie folgt: “Wir werden sehen, dass der Geist der Synthese am Ende wenig Raum für die Italienische Linke und viel für die Deutsch-Holländische ließ." Dies ist eine glatte Lüge. Seit ihrer Gründung hat die IKS ausdrücklich die politische Zugehörigkeit zur Gauche Communiste de France (GCF) unterstichen, die ihrerseits zwar bestimmte Positionen der Deutsch-Holländischen Linken übernahm, aber grundsätzlich die Zugehörigkeit zur Italienischen Linksfraktion hervorgehoben. Daran erinnerten wir Ende der 1990er Jahre bei der Präsentation unserer Broschüre Die Französische Kommunistische Linke [352]: "(…) es ist wichtig zu betonen, dass eine Untersuchung der Bemühungen, eine Strömung der Kommunistischen Linken in Frankreich zu schaffen, die führende Rolle der Italienischen Kommunistischen Linken bei diesen Bemühungen sowie ihre Methode klar herausstellen muss. Man kann die Methode, die in dieser Periode von der Italienischen Linken verteidigt wurde, nicht genug hervorheben (...) während die Italienische Fraktion selbst, erschöpft den Kampf, den sie fast 18 Jahre lang geführt hatte, aufgab, indem sie im Mai 1945 ihre Selbstauflösung erklärte, war es die Französische Fraktion der Kommunistischen Linken, die im Dezember 1944 gegründet und später in Kommunistische Linke Frankreichs umbenannt wurde, die die politische Fackel der Italienischen Fraktion aufnahm." Und zu keinem Zeitpunkt hat die IKS diese politische Zugehörigkeit aufgegeben. So schrieben wir in unserem drei Jahrzehnte nach der Gründung der IKS veröffentlichten Artikel 30 Jahre IKS: Von der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu bauen [353]: "Während wir unser Erbe aus all den verschiedenen Fraktionen der Kommunistischen Linken beziehen, berufen wir uns, was die Frage des Organisationsaufbaus betrifft, ausdrücklich auf die Gedanken der linken Fraktionen der Kommunistischen Partei Italiens, insbesondere auf jene, die in der Zeitschrift Bilan in den 30er Jahren ausgedrückt worden waren." Auch in unserem Artikel Die Kommunistische Linke und die Kontinuität des Marxismus [354] aus dem Jahr 2006 haben wir den grundlegenden Beitrag der Italienischen Kommunistischen Linken zur politischen Definition der IKS sehr deutlich hervorgehoben: "Gleichzeitig waren die theoretischen Beiträge dieser Strömung – die später auch Fraktionen in Belgien, Frankreich und Mexiko umfasste – immens und in der Tat unersetzlich. In ihren Analysen über die Degeneration der Russischen Revolution – die sie niemals zur Infragestellung des proletarischen Charakters von 1917 verleitete –, in ihren Untersuchungen der Probleme einer künftigen Übergangsperiode, in ihrer Arbeit über die Wirtschaftskrise und den Fundamenten der kapitalistischen Dekadenz, in ihrer Ablehnung der Position der Kommunistischen Internationale für die Unterstützung nationaler Befreiungskämpfe, in ihrer Erarbeitung einer Theorie der Partei und der Fraktion – auf diesen und vielen anderen Gebieten führte die italienische Linksfraktion zweifellos ihre Aufgabe aus, eine programmatische Basis für die proletarischen Organisationen der Zukunft zu legen."
[6] Siehe: Der Kapitalismus führt zur Zerstörung der Menschheit, nur die Weltrevolution des Proletariats kann dem ein Ende setzen [355], Drittes Manifest der IKS, Januar 2023
[7] Premiers commentaires et débats autour de notre plateforme politique (Erste Kommentare und Debatten zu unserer politischen Plattform [350]) Révolution ou Guerre Nr. 20. Diese "brillante" Charakterisierung ist das Ergebnis einer "Arbeit" zur kritischen Lektüre der IKS-Plattform, die in dem Artikel Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International (Erklärung zur Plattform der Internationalen Kommunistischen Strömung [356]) - Révolution ou Guerre Nr. 18 - dargelegt wurde.
[8] Dieser Positionswechsel ist, gelinde gesagt, komisch für diejenigen, die behaupteten, die "besten Verteidiger der Positionen der IKS" zu sein, als sie versuchten, sie von innen heraus zu zerschlagen. Außerdem sollten sie angeben, auf welche Plattform von 1945 sie sich beziehen. Das von der PCInt-Konferenz 1945-46 angenommene Dokument war von Bordiga verfasst worden, der nicht einmal Mitglied der Partei war, ein Dokument, das der PCInt 1974 sehr heftig kritisierte, da er feststellte, dass das Dokument 1945 "als rein persönlicher Beitrag zur Debatte des zukünftigen Kongresses" angenommen worden war und "als unvereinbar mit den festen Positionen, die die Partei jetzt zu wichtigeren Problemen einnimmt, anerkannt wurde, und [dass] (...) das Dokument immer als Beitrag zur Debatte und nicht als de facto-Plattform angesehen wurde". Das Problem war, dass es einstimmig angenommen worden war (auch von Damen, dem Hauptvorsitzenden des PCInt bis zu seinem Tod im Oktober 1979) und dass es nach außen hin als Grundlage für die Mitgliedschaft in der Partei veröffentlicht worden war. Vielleicht beziehen sich die GIGC-Fälscher auf das 1944 von Damen verfasste Dokument, das sie als "Rahmen für ein Programm" betrachten. Sie müssen also Formulierungen wie "unsere Partei, die den Einfluss der anderen Massenparteien nicht unterschätzt, ist die Verteidigerin der Einheitsfront", einer Politik der Kommunistischen Internationale während ihres opportunistischen Niedergangs, die von der Italienischen Linken seit Anfang der 1920er Jahre bekämpft wurde, zustimmen. Für Leser, die mehr über das Leben des PCInt in den 1940er Jahren erfahren möchten, bieten wir einen kritischen Verweis auf ihn in der Zeitschrift Internationalisme, einer Publikation der Gauche Communiste de France, Le deuxième congrès du parti communiste internationaliste (Internationalisme Nr. 36, Juli 1948) [357]; sowie Verweise auf Polemiken, die von der IKS verfasst wurden: The Italian Fraction and the French Communist Left [358]; Formation of the Partito Comunista Internazionalista [359].
[9] Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [348], Révolution ou Guerre Nr. 18, Mai 2021
[10] International Review Nr. 100 (engl./frz./span. Ausgabe)
[11] Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [348], Révolution ou Guerre Nr. 18, Mai 2021
[12] Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [348], Révolution ou Guerre Nr. 18, Mai 2021
[13] Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [348], Révolution ou Guerre Nr. 18, Mai 2021
[14] Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [348], Révolution ou Guerre Nr. 18, Mai 2021
[15] Réponse à la Tendance Communiste Internationaliste sur nos « Thèses sur la signification et les conséquences de la guerre en Ukraine » [360], Révolution ou Guerre Nr. 22, September 2022
[16] Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [348], Révolution ou Guerre Nr. 18, Mai 2021
[17] Prise de position sur la plateforme du Courant Communiste International [348], Révolution ou Guerre Nr. 18, Mai 2021
[18] Prise de position de la TCI sur les théses [361], Révolution ou Guerre Nr. 21
[19] Wir antworteten auf diese Kritik und unterstrichen den totalen Mangel einer Methode der CWO bezüglich solcher Fragen. Siehe: Polemik mit dem IBRP: Die marxistische Methode und der Aufruf der IKS gegenüber dem Krieg in Ex-Jugoslawien [362]
[20] Prise de position de la TCI sur les théses, Révolution ou Guerre Nr. 21 http://igcl.org/Prise-de-position-de-la-TCI-sur [361]
[21] Die GIGC stellt fest, dass sie trotz ihres Opportunismus bei den neuen Elementen, die sich der Kommunistischen Linken annähern, weniger Erfolg hat als die ICT, und kann nicht umhin, die ICT zu kritisieren: "... neue kommunistische Kräfte entstanden, deren Ausdruck und Faktor Nuevo Curso ist, der damit die historischen Gruppen der pro-parteiischen kommunistischen Linken direkt mit ihrer historischen Verantwortung angesichts dieser neuen Dynamik konfrontiert und vor dem die Internationalistische Kommunistische Tendenz, die Hauptorganisation dieses Lagers, sich in einer uns gegenüber relativ sektiererischen und gegenüber diesen neuen Kräften immediatischen Haltung, oder solchen Reflexen, verbarrikadiert hat“; und weiter: „die ICT, die dennoch organisch mit der KP und der Kommunistischen Linken Italiens verbunden ist, steht unter der Last eines relativen Informalismus, Personalismus und Individualismus und somit des Zirkelgeistes". Diese Zitate, die in unserem Artikel “Der Abenteurer Gaizka hat die Beschützer, die er verdient: die Halunken der GIGC“ wiedergegeben sind, stammen aus dem Aktivitätenberichtbericht der 2. Allgemeinen Versammlung der GIGC, Révolution ou Guerre Nr. 12.
[22] Die ICT ist nicht immun gegen die Verführungskampagnen der GIGC. Seit der Gründung der FICCI im Jahr 2001 hat die Vorgängerin der ICT, das IBRP, ihr gegenüber großes Wohlwollen gezeigt. Eine Haltung, die im Großen und Ganzen seit zwei Jahrzehnten nicht ins Wanken geraten ist und die sich erst kürzlich wieder manifestierte, als die ICT für die Organisation eines öffentlichen Treffens der NWBCW-Gruppe in Paris auf zwei Gründungsmitglieder der FICCI, Juan und Olivier, zurückgriff, die 2003 wegen Verrats aus der IKS ausgeschlossen wurden. Wir erinnern die ICT an die Fabel von Äsop:“Ein Rabe hatte einen Käse gestohlen, flog damit auf einen Baum und wollte dort seine Beute in Ruhe verzehren. Da es aber der Raben Art ist, beim Essen nicht schweigen zu können, hörte ein vorbeikommender Fuchs den Raben über dem Käse krächzen. Er lief eilig hinzu und begann den Raben zu loben: »O Rabe, was bist du für ein wunderbarer Vogel! Wenn dein Gesang ebenso schön ist wie dein Gefieder, dann sollte man dich zum König aller Vögel krönen! Dem Raben taten diese Schmeicheleien so wohl, daß er seinen Schnabel weit aufsperrte, um dem Fuchs etwas vorzusingen. Dabei entfiel ihm der Käse. Den nahm der Fuchs behend, fraß ihn und lachte über den törichten Raben.“ Eine Fabel für Narren.
In dem mittlerweile fast zwei Jahre dauernden Ukraine-Krieg und dem jüngst entflammten Krieg in Nahen Osten trägt der deutsche Imperialismus in unterschiedlichem Maße zu diesen mörderischen Konflikten bei, gleichzeitig bringen diese Kriege das deutsche Kapital in zunehmende Bedrängnis. Der Ukraine-Krieg bringt immer mehr enorme Zwänge und Lasten mit sich, während mit dem Krieg im Nahen Osten die deutsche Politik, Israel zur Staatsräson des deutschen Staates zu erklären, zu einem Klotz am Bein für die Interessen des deutschen Imperialismus geworden ist und seinen Handlungsspielraum zunehmend einschränkt. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen wollen wir in diesem Artikel aufzeigen.
Nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 verkündete in Deutschland Bundeskanzler Scholz eine Zeitenwende. Die Bundesregierung beschloss infolgedessen im Handumdrehen, die Rüstungsausgaben zu verdoppeln, und seitdem wurden alle möglichen Waffensysteme an die Ukraine geliefert. Mitte November 2023 wurde eine geplante Verdoppelung der militärischen Unterstützung für die Ukraine im Umfang von 4 auf 8 Mrd. Euro bekanntgegeben.
Nun ist mit dem jüngsten Krieg im Nahen Osten eine weitere Kriegsfront hinzugekommen, bei der Deutschland auch eine kriegstreibende Rolle spielt – auch wenn im Augenblick nur indirekt.
Sofort nach den Terrorattacken der Hamas gegen die israelische Bevölkerung und den ersten Vergeltungsmaßnahmen Israels verkündete die deutsche Regierung, man stehe unverrückbar an der Seite Israels. Jede Infragestellung des Rechts Israels auf Selbstverteidigung stelle sich der deutschen Staatsräson entgegen. Unaufhörlich schwört die herrschende Klasse, die wegen des Holocausts geschuldete Selbstverpflichtung für das Existenzrecht Israels einzuhalten. Damit erhält Israel von Deutschland nahezu einen „Blankoscheck“ für sein Vorgehen im Krieg.[1] Die Bundeswehr soll nach dem Willen der Bundesregierung Waffen aus eigenen Beständen kostenlos an Israel abgeben können, und sie soll eigenes Material auch dann an Israel abgeben können, wenn dies zu einer vorübergehenden Beeinträchtigung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr führt.
Das Gelöbnis, die Verteidigung Israels gehöre zur deutschen Staatsräson, heißt somit konkret gegenüber Israel den Geldhahn aufdrehen, noch mehr Waffenlieferungen und bislang unbegrenzte politische-finanzielle und moralische Unterstützung. Der deutsche Imperialismus trägt somit seinen Teil dazu bei, der israelischen Regierung Rückendeckung bei der Politik der verbrannten Erde und der Inkaufnahme des Todes von unzähligen Zivilisten zu geben.
Die Gründung Israels fand statt im Rahmen des damals schon hochkochenden Kalten Krieges. Sie brachte die allgemeine Entwicklung des niedergehenden Kapitalismus zum Ausdruck, als nach dem 2. Weltkrieg eine Reihe von Ländern in mindestens zwei Teile aufgespalten wurden (Deutschland, Korea, China, Indien-Pakistan-Bangladesch, Vietnam) meist mit jeweils unterschiedlicher Blockzugehörigkeit der geteilten Staaten. Gleichzeitig konnten sich viele dieser damals neu gegründeten Staaten nur „behaupten“ durch die Vertreibung der lokalen Bevölkerung und fortdauernde Kriege.
Im Falle Israels sehen wir eine eklatante Bestätigung dessen, was Rosa Luxemburg in ihrer Junius-Broschüre im Jahre 1915 diagnostiziert hatte: „In dem heutigen imperialistischen Milieu kann es überhaupt keine nationalen Verteidigungskriege mehr geben. (…) Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag“ (Junius-Broschüre, Kapitel VII).
Auch eine durch die Barbarei im 2. Weltkrieg so stark verfolgte Gruppe wie die Juden, von denen sechs Millionen im Holocaust systematisch ermordet wurden, hat mit der Gründung eines neuen Staates keine andere Wahl, als Kriege und Vertreibung anderer Bevölkerungsgruppen auszulösen. Dass Israel von Anfang auf der Grundlage einer ethnisch-religiösen Abgrenzung gegründet wurde, konnte nur der Keim für die späteren Kriege sein. Während in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus im 19. Jahrhundert die Staatenbildung noch eine fortschrittliche Rolle spielen konnte und die nationalstaatliche Vereinigung eine Dynamik der ethnisch-religiösen Verschmelzung zeigte, somit trotz aller Spaltungen die treibende Kraft nicht Ausschluss, sondern „Zusammenschluss“ um eine Nation war, trat im niedergehenden Kapitalismus die entgegengesetzte Tendenz ein: massenhafte Vertreibung, Genozid, Exodus. Wie die Revolutionäre schon im 1. Weltkrieg erkannten, gehört die Nation auf den Schrotthaufen der Geschichte.
Die von Israel mit den Schutzmächten USA und Großbritannien unmittelbar nach der Staatsgründung eingefädelten Vertreibungen der Palästinenser trieb diese in die Arme der Nachbarstaaten (vor allem Ägyptens, das damals mit der Sowjetunion verbunden war). Diese führten dann mit Hilfe der Sowjetunion einen Krieg nach dem anderen gegen Israel, mit der Folge, dass die palästinensischen ArbeiterInnen und BäuerInnen – entweder in Flüchtlingslagern in Palästina oder in den benachbarten arabischen Staaten in Lagern eingepfercht und immer wieder als Kanonenfutter für eine „staatenlose“ palästinensische Bourgeoisie oder die Interessen der arabischen Machthaber benutzt wurden. In dieser seinerzeit schon in Gang gesetzten Spirale der Gewalt, der Vertreibung, der versuchten Rückeroberung und des Einsperrens in Flüchtlingslagern war Israel ständig auf finanzielle, politische und militärische Unterstützung des westlichen Bündnisses angewiesen. So hat die vorbehaltlose Unterstützung Israels durch den Westen seit der Gründung Israels im Jahre 1948 auch in der Bundesrepublik Deutschland Tradition. Aus Platzgründen können wir hier nicht auf die Unterstützung der anderen Staaten eingehen und nur die massive Unterstützung Deutschlands hervorheben. Die DDR – als Teil des Ostblocks – unterstützte im Gegenzug die palästinensische Bourgeoisie.[2]
Vor allem mit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 und der damit neu entstandenen Konstellation im Nahen und Mittleren Osten versuchten die USA in der Region ihre Vorherrschaft durch den ersten Krieg am Persischen Golf (1991) und dann den nachfolgenden Kriegen 2002/2003 in Afghanistan und Irak zu verteidigen. Israel kam innerhalb der amerikanischen imperialistischen Interessen eine wichtige strategische Rolle als Gendarm zu, aber Israel selbst begann auch zunehmend gegenüber den USA seine eigenen Interessen zu vertreten. Wir sind in unserer Presse an anderer Stelle ausführlich darauf eingegangen.
Der deutsche Imperialismus strebte nach 1989 zielstrebig danach, seine militärische Amputation nach dem 2. Weltkrieg langfristig zu reduzieren und bei den nach 1989 sich entfaltenden Konflikten wieder stärker präsent zu sein. Dies war keine Option, sondern ein Zwang, dem sich alle Staaten, ob groß oder klein, unterwerfen müssen.[3]
Eine besondere Rolle bei der Rechtfertigung von direkten militärischen Einsätzen von deutschen Truppen spielten dabei jeweils Rot-Grün. Ob im Jugoslawienkrieg 1999, als der damalige grüne Außenminister J. Fischer vehement die Bombardierung Belgrads im Namen des Kampfes gegen den Faschismus verteidigte, oder bei der Befürwortung der umfangreichen Waffenlieferungen an die Ukraine bis hin zur jüngsten, von den Medien stark gepriesenen Rede von Vizekanzler Habeck zur Verteidigung Israels oder den zahlreichen Plädoyers von Außenministerin Baerbock zur Verwerfung einer dauerhaften Waffenruhe zwischen Israel und Hamas – die angeblich pazifistische Partei Die Grünen trat mit am vehementesten für die Kriegsstrategie Deutschlands ein.
Ihr Teampartner in der Regierung, die SPD, mit Verteidigungsminister Pistorius fordert mittlerweile unverblümt, Deutschland müsse wieder kriegstüchtig werden.
Damit trägt die deutsche Bourgeoisie als größter Staat in Europa entscheidend mit zur Verschärfung der Kriegsspirale im jüngsten Nah-Ost-Krieg bei – dank der besonders perfiden Argumentation von Rot-Grün. Mit dem Postulat, dass die Verteidigung Israels zur Staatsräson Deutschlands gehöre, hat sich die deutsche Bourgeoisie jedoch in ein Dilemma manövriert.
Während die Lage im Nahen Osten durch die Spirale der Zerstörung und Vertreibung und die Vorgehensweise Israels immer mehr die Gefahr eines Flächenbrandes mit all seinen unkontrollierbaren Auswirkungen in sich birgt, setzt sich die deutsche Bourgeoisie außenpolitisch dem Risiko aus, einen hohen Preis für ihre Politik der Vasallentreue gegenüber Israel zu zahlen.
Denn während selbst die USA unter Biden nach anfänglicher Proklamierung der grenzenlosen Unterstützung für Israel dazu übergegangen sind, in Anbetracht der unzähligen Toten und Verletzten infolge der Vorgehensweise Israels im Gazastreifen eine dauerhafte Waffenruhe (gegen die wilde Entschlossenheit Netanyahus) zu befürworten, hatten die Regierungsvertreter Deutschlands lange Zeit solch eine (auch nur zeitweise) Waffenruhe abgelehnt und lediglich „humanitäre Pausen“ befürwortet.
Mittlerweile ist die Gefahr einer außenpolitischen Isolierung der USA und Deutschlands immer offensichtlicher. Ob gegenüber der UNO, den Ländern des „globalen Südens“ (die arabischen, lateinamerikanischen Staaten an der Spitze), die EU oder Frankreich – das Ansehen des deutschen Imperialismus wird geschädigt. Auch gegenüber der Türkei, ein wichtiger Bündnispartner der NATO und beim Abfangen von Flüchtlingen, gibt es in Anbetracht der Verurteilung Israels und der Parteinahme für die Hamas durch Erdogan zusätzliches Konfliktpotential.
Gerade die Glaubwürdigkeit der Grünen, die immer wieder behaupten, für die Verteidigung des Völkerrechts und der Menschenrechte einzutreten, wird untergraben, weil sie ihre wahre kriegstreibende Rolle offenbaren müssen. Und die von Baerbock herausposaunte „feministische Außenpolitik“ zeigt ihr eigentliches Gesicht.
Der deutsche Imperialismus riskiert somit, bei seinem Versuch nach dem verlustreichen 2. Weltkrieg und der Entwicklung nach 1989 wieder mehr Einfluss zu erlangen, herbe Rückschläge zu erleiden. Eigentlich gebietet die imperialistische Strategie des deutschen Kapitals diesem, nach mehr Unabhängigkeit von den USA und somit mehr Spielraum für Eigenständigkeit zu suchen. Der Treueschwur gegenüber Israel erweist sich damit aber zunehmend als ein Klotz am Bein, der Deutschland entgegen seinen Interessen auch wieder stärker an die USA bindet. Es ist zu früh zu sagen, ob es dem deutschen Imperialismus gelingen wird, sich aus diesem Dilemma zu befreien. Die USA sind den Grünen jedenfalls dankbar für ihre Haltung, weil diese den USA in die Hände spielt.
Innenpolitisch bedeutet die Proklamation, Israels Existenzrecht gehöre zur deutschen Staatsräson, dass jede Kritik an Israel als antisemitisch oder gar als Angriff auf die deutschen Staatsinteressen gewertet werden kann. Selbst bürgerliche Kommentatoren warnen, dies bedeute, innenpolitisch „Freiheiten von Wissenschaft, Kultur und öffentlichem Meinungsstreit auch innerhalb grundrechtlich geschützter Grenzen einzuengen, Demonstrationen im Namen der Staatsräson zu verbieten, Theatervorstellungen und Diskussionsveranstaltungen abzusagen“ (Deutschlandfunk), und dass die Staatsräson über das Völkerrecht gestellt werde. „Das führte die USA in militärische und politische Niederlagen. Es endete in den Folterkellern und rechtsfreien Zonen der Gefängnisse von Abu Ghraib und Guantanamo.“ (DLF)
Wie international, wo die Zuspitzung der Barbarei zu einer starken Polarisierung zwischen pro-palästinensischen und pro-israelischen Anhängern mit Großdemonstrationen in den USA, Frankreich, Großbritannien geführt hat, war auch in Deutschland die Beteiligung an den pro-palästinensischen oder pro-israelischen Protesten groß. Durch diese Art Demonstrationen wird natürlich kein Widerstand gegen die Zuspitzung der Barbarei entwickelt, sondern die Menschen werden nur in zwei feindliche Lager gespalten. Stattdessen spitzen sich weiter fremdenfeindliche oder andere „identitäre“ Polarisierungen gegen bestimmte Bevölkerungsteile (gegen Muslime, gegen Juden usw.) zu, die eine Pogromstimmung anfachen. So werden auch in Deutschland – wie überall in den westlichen Industriestaaten mit enormem Migrantenanteil und immer weiter ansteigenden Flüchtlingszahlen – die wahnsinnigen und völlig sinnlosen, perspektivlosen Spaltungen mit der damit verbundenen Hetze in der Gesellschaft zunehmen. Damit gießt die deutsche Bourgeoisie durch ihre kriegstreiberische Dynamik Öl aufs Feuer der Hetzkampagnen in Deutschland selbst. Der Diskurs über die endlich notwendigen massiven Abschiebungen und verschärften Grenzkontrollen in Anbetracht der weltweiten Verdoppelung der Flüchtlingszahlen trägt auch zur Schaffung dieser ekelhaften Atmosphäre bei. So schwappt die Politik der physischen Vertreibung der Palästinenser und der Versuch ihres Aushungerns und Krepierenlassens im Gazastreifen in die westlichen Industriestaaten über und treibt die irrsinnigen Spaltungen voran. Der Blick auf die eigentliche Lösung, dass man alle Nationalstaaten abschaffen und überwinden muss, weil alle Nationalstaaten nur noch Krieg und Zerstörung bedeuten, wird damit versperrt.
Während alle bürgerlichen (von rechts bis extrem-links) Parteien und Gruppierungen zu einer Stellungnahme für Israel oder Palästina aufrufen, muss für uns gelten: Alle Staaten und ihre Staatsräson, ob Ein- oder Zweistaaten, gehören auf den Scheiterhaufen der Geschichte. Um die Menschheit aus dieser kriegerischen und anderen Zerstörungsspirale zu befreien, muss der Kapitalismus überwunden werden.
TW, 18.11.2023
[1] Bundeskanzler Scholz verbreitete das Narrativ, dass Israel als Demokratie per se das Völkerrecht achte.
[2] Bis 2007 zahlte Deutschland 25 Milliarden Euro Reparationen an den israelischen Staat und einzelne israelische Holocaustüberlebende. Bis zum Oktober 2018 beliefen sich deutsche Entschädigungsleistungen auf mehr als 74 Milliarden Euro, davon entfielen rund 29 Milliarden Euro auf in Israel lebende NS-Verfolgte. Jährlich werden rund 300 Millionen Euro an Entschädigungsrenten gezahlt.
Auf einem Geheimtreffen des Generaldirektors im Verteidigungsministerium [363] Schimon Peres [364] und des bundesdeutschen Verteidigungsminister [365]s Franz Josef Strauß [366] im Spätsommer 1957 in Bonn bekannte sich Strauß zur Verantwortung Deutschlands für das Überleben des von feindlichen Nachbarn in seiner Existenz bedrohten jüdischen Staates und stellte Rüstungshilfen samt Finanzierung in Höhe von 300 Millionen Deutsche Mark in Aussicht. Dies war acht Jahre vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen beider Staaten der Beginn einer Verteidigungskooperation, die bis heute fortbesteht. Von 1959 bis 1967 war die Bundesrepublik Deutschland ein bedeutender Lieferant von militärischer Ausrüstung und Waffen nach Israel. Bis Mitte der 1960er Jahre lieferte sie Panzerfahrzeuge US-amerikanischer Fertigung aus Beständen der Bundeswehr [367] an Israel, umgekehrt erhielt diese die Uzi [368] als Standardmaschinenpistole. Deutschland belieferte Israel ab 1999 mit U-Booten der Dolphin-Klasse [369], im Gegenzug wurde Deutschland mit in Israel entworfenen Spike-Panzerabwehrraketen [370] und Drohnen [371] ausgestattet. 2008 wurde eine geheime deutsch-israelische Zusammenarbeit bekannt, in der ein antinukleares Frühwarnsystem entwickelt wurde, Operation Bluebird genannt. (https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-israelische_Beziehungen [372])
„Ende September wurde der Deal mit Deutschland über den Verkauf des modernen Raketenabwehrsystems Arrow 3 über die Bühne gebracht. Damit fließen knapp vier Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr an Israel.“ (https://www.fr.de/wirtschaft/militaer-nahost-konflikt-ruestungsindustrie-waffenexporte-israel-zr-92586398.html [373])
[3] Wir erinnern hier nur an die Entwicklung auf dem Balkan nach 1989, als nur kurze Zeit nach dem ersten Golfkrieg 1991 Deutschland entscheidend mit zur Aufsplitterung Jugoslawiens beitrug und sich danach alle Bestandteile des ehemaligen Jugoslawiens über ein Jahrzehnt lang bekriegten – mit immer wieder auflodernden Spannungen und Zusammenstößen bis heute.
In Fortsetzung der Diskussionsdokumente, die nach dem 23. IKS-Kongress[1] veröffentlicht wurden, veröffentlichen wir weitere Beiträge, die Divergenzen mit der Resolution über die internationale Lage vom 24. IKS-Kongress[2] zum Ausdruck bringen. Wie beim vorangegangenen Beitrag des Genossen Steinklopfer beziehen sich die Meinungsverschiedenheiten auf das Verständnis unseres Zerfallsbegriffs, auf interimperialistische Spannungen und die Kriegsgefahr sowie auf das Kräfteverhältnis zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Um weitere Verzögerungen unter dem Druck der aktuellen Ereignisse zu vermeiden, veröffentlichen wir die neuen Beiträge der Genossen Ferdinand und Steinklopfer ohne Gegendarstellung zur Verteidigung der Mehrheitsposition in der IKS, werden aber sicherlich zu gegebener Zeit auf diesen Text eingehen.
* * *
Die IKS verteidigt das wissenschaftliche Prinzip der Klärung durch die Debatte, durch Gegenüberstellung sachlich begründeter Argumente mit dem Ziel, ein tieferes Verständnis der Fragen zu erreichen, mit denen sich die Klasse konfrontiert sieht. Die gegenwärtige Periode ist schwierig für Revolutionäre. Dies war bereits vor der Covid-Pandemie der Fall, aber in den letzten zwei Jahren mussten neue Ereignisse und Trends bewertet werden. So ist es nicht verwunderlich, dass in einer lebendigen revolutionären Organisation Kontroversen über die Analyse der Weltlage entstehen.
Die größten Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Organisation betreffen die folgenden Fragen, die für die Perspektiven des Proletariats von entscheidender Bedeutung sind:
a) Wie ist das gegenwärtige Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu beurteilen, nachdem das Konzept des Historischen Kurses aufgegeben wurde? Bewegt sich die Klasse von Niederlage zu Niederlage oder bewegt sie sich vorwärts?
b) Wie messen wir die unterirdische Reifung des Klassenbewusstseins, die Arbeit des „alten Maulwurfs“? Gibt es eine bedeutsame Reifung oder umgekehrt einen Rückzug?
c) Zur wirtschaftlichen Situation: Bringt die Pandemiekrise nur Verlierer hervor oder gibt es Gewinner der Situation, die ihre Position verbessern können?
d) Zu den imperialistischen Spannungen: Gibt es signifikante Polarisierungen in der Weltkonstellation, die die Gefahr eines generalisierten Krieges erhöhen? Oder ist die Tendenz Jeder-gegen-alle dominant und damit ein Hindernis für eine neue Blockkonstellation?
Bereits nach dem 23. Kongress der IKS im Jahr 2019 wies der Artikel in der Internationalen Revue, der über die Arbeiten berichtete, auf Kontroversen in unseren Reihen über die Einschätzung der Weltlage hin, und zwar auf der Ebene des Klassenkampfs oder genauer über das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat. In der Präsentation der Internationalen Revue Nr. 56 hieß es: „Auf dem Kongress gab es unterschiedliche Einschätzungen über den Klassenkampf und seine Dynamik. Hat das Proletariat auf der Ebene des Bewusstseins Niederlagen erlitten, die seine Fähigkeiten ernsthaft schwächen? Gibt es eine unterirdische Reifung des Bewusstseins, oder erleben wir im Gegenteil eine Vertiefung des Rückgangs der Klassenidentität und des Bewusstseins?”
Gleichzeitig haben wir 2019 das Konzept des „Historischen Kurses“ aufgegeben, weil wir erkannt haben, dass die Dynamik des Klassenkampfes in der gegenwärtigen Periode des Zerfalls in diesem Rahmen nicht mehr angemessen analysiert werden kann.
In den Diskussionen zwischen 2019 und 2021 und schließlich in der Vorbereitung der Resolution des 24. Kongresses zur internationalen Lage waren wir mit einer Fortsetzung der Unterschiede in der Einschätzung der aktuellen Weltlage konfrontiert.
Ein wichtiger Teil der Kontroverse wurde im August 2020 unter dem Titel der "internen Debatte" veröffentlicht. Der Artikel des Genossen Steinklopfer, der Minderheitspositionen verteidigte, und die Antwort der IKS zeigten, dass das Feld der Debatte nicht nur die Frage der Dynamik des Klassenkampfes und des Klassenbewusstseins umfasste, sondern in einem breiteren Sinne die Einschätzung der Periode des kapitalistischen Zerfalls, insbesondere die konkrete Anwendung des Begriffs des Zerfalls – ein Begriff, der bisher ein Unterscheidungsmerkmal der IKS innerhalb des proletarischen politischen Milieus ist.
Da ich in der letzten Zeit ähnliche Meinungsverschiedenheiten wie Genosse Steinklopfer mit der Mehrheitsposition hatte, wurde ich eingeladen, sie nicht nur durch interne Beiträge, sondern auch durch einen Artikel zur Veröffentlichung darzulegen und meine Differenzen zur Resolution zur internationalen Lage vom 24. Kongress zu begründen.
Die meisten Änderungsanträge, die ich zur Resolution des Kongresses vorschlug, drehten sich um die wirtschaftliche Frage, nämlich um die Dynamik, das Gewicht und die Aussichten des chinesischen Staatskapitalismus. Gleichzeitig unterstützte ich viele Änderungsanträge des Genossen Steinklopfer, die gleiche oder kompatible Anliegen verteidigten.
Meine Divergenzen lassen sich unter den folgenden Überschriften zusammenfassen (die Zahlen beziehen sich auf die Version der Resolution auf unserer englischen Website):
- China, seine Wirtschaftsmacht und der Staatskapitalismus (Punkte 9 und 16 der Resolution);
- die Entwicklung der globalen Wirtschaftskrise und des Staatskapitalismus im Zerfall (Punkte 14, 15 und 19);
- imperialistische Polarisierung und Kriegsgefahr (Punkte 12 und 13);
- das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und die Frage der unterirdischen Bewusstseinsreifung (Punkt 28).
Nachdem die Resolution den politischen und ideologischen Zerfall in den USA und Europa aufgezeigt hat, heißt es: „Und während die chinesische Staatspropaganda die wachsende Uneinigkeit und Inkohärenz der "Demokratien" hervorhebt und sich selbst als Bollwerk globaler Stabilität präsentiert, ist Pekings zunehmender Rückgriff auf Repression im Innern, wie gegen die "Demokratiebewegung" in Hongkong und die uigurischen Muslime, in Wirklichkeit ein Beweis dafür, dass China eine tickende Zeitbombe ist. Das außergewöhnliche Wachstum Chinas ist selbst ein Produkt des Zerfalls.“ (Punkt 9)
Dann erklärt sie: "Die wirtschaftliche Öffnung während der Deng-Periode in den 1980er Jahren mobilisierte riesige Investitionen, vor allem aus den USA, Europa und Japan. Das Tiananmen-Massaker 1989 machte deutlich, dass diese wirtschaftliche Öffnung von einem unflexiblen politischen Apparat durchgesetzt wurde, der nur durch eine Kombination aus Staatsterror, einer rücksichtslosen Ausbeutung der Arbeitskraft, die Hunderte Millionen Arbeiter einem Dauerzustand als Wanderarbeiter unterwirft, und einem rasenden Wirtschaftswachstum, dessen Fundamente nun zunehmend wackelig erscheinen, dem Schicksal des Stalinismus im russischen Block entgehen konnte. Die totalitäre Kontrolle über den gesamten Gesellschaftskörper, die repressive Verhärtung der stalinistischen Fraktion von Xi Jinping, ist kein Ausdruck von Stärke, sondern eine Manifestation der Schwäche des Staates, dessen Zusammenhalt durch die Existenz von Fliehkräften innerhalb der Gesellschaft und wichtigen Cliquenkämpfen innerhalb der herrschenden Klasse gefährdet ist." (ebd.)
In Punkt 16 der Resolution wird zunächst behauptet, dass China mit der Verkleinerung der Märkte in der ganzen Welt, sowie mit dem Wunsch zahlreicher Staaten, sich aus der Abhängigkeit von der chinesischen Produktion zu befreien, und zudem mit der Gefahr der Zahlungsunfähigkeit einer Reihe von Ländern, die am Seidenstraßenprojekt beteiligt sind, konfrontiert ist. China strebe daher eine Verlagerung hin zur Stimulierung der Binnennachfrage und zur Autarkie auf der Ebene der Schlüsseltechnologien an, um über seine eigenen Grenzen hinaus Fuß zu fassen und seine Kriegswirtschaft entwickeln zu können. Diese Entwicklung, so heißt es in der Resolution, "verursacht mächtige Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse, zwischen den Anhängern der Lenkung der Wirtschaft durch die Kommunistische Partei Chinas und denen, die mit der Marktwirtschaft und dem Privatsektor verbunden sind, zwischen den "Planern" der Zentralbehörde und den lokalen Behörden, die die Investitionen selbst lenken wollen" (Punkt 16).
Die Behauptungen, China sei eine tickende Zeitbombe, sein Staat sei schwach und sein Wirtschaftswachstum erscheine wackelig, sind Ausdruck einer Unterschätzung der tatsächlichen wirtschaftlichen und imperialistischen Entwicklung Chinas in den letzten 40 Jahren. Prüfen wir zuerst die Fakten und dann die theoretischen Grundlagen, auf denen diese falsche Analyse beruht.
Es mag sein, dass die inneren Spannungen in China in Wirklichkeit stärker sind, als es scheint – auf der einen Seite die gesellschaftlichen Widersprüche im Allgemeinen, auf der anderen die Widersprüche innerhalb der Regierungspartei im Besonderen. Wir können der chinesischen Propaganda hinsichtlich der Stärke ihres Systems nicht trauen. Aber das, was uns westliche oder andere nicht-chinesische Medien über die Widersprüche in China erzählen, ist auch Propaganda – und zudem oft Ausdruck von Wunschdenken. Die in der Resolution genannten Elemente sind nicht überzeugend: Eine totalitäre Kontrolle über die gesamte Gesellschaft und Unterdrückung der „demokratischen Meinungsfreiheit“ können Zeichen einer Schwäche der herrschenden Klasse sein. Dem stimme ich zu. Wie wir aus der Zeit nach 1968 mit einer aufstrebenden proletarischen Bewegung wissen, ist die Demokratie bei der Kontrolle der Arbeiterklasse und sozialer Widersprüche im Allgemeinen viel effektiver als autoritäre Regime. Beispielsweise ersetzte die Bourgeoisie in Spanien, Portugal und Griechenland in den 1970er Jahren autoritäre Regime durch demokratische, weil sie mit den sozialen Unruhen fertig werden musste. Aber befindet sich die Arbeiterklasse in China in einer ähnlichen Dynamik wie das Proletariat in Südeuropa in den 1970er Jahren? Ich stelle diese Frage mit Blick auf das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, das wir letztlich nur als weltweites Kräfteverhältnis richtig beurteilen können.
Die Resolution behandelt in ihrem letzten Teil die Frage des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen, und ich werde darauf zurückkommen. Aber eines können wir vorwegnehmen: Für die These, dass das Proletariat das Regime von Xi Jinping bedroht, spricht nichts.
Dasselbe gilt für andere Widersprüche innerhalb Festlandchinas und seines politischen Apparats. Obwohl die Interessensunterschiede zwischen der regierenden Partei und sehr reichen chinesischen Tech-Tycoons wie Jack Ma (Alibaba) und Wang Xing (Meituan) offensichtlich sind, scheinen letztere kein alternatives Modell für die Volksrepublik vorzuschlagen, und noch weniger bilden sie eine organisierte Opposition. Auch innerhalb der Partei scheinen wichtige ideologische Kämpfe der Vergangenheit anzugehören. Vor 2012 und der Präsidentschaft Xi Jinpings fand die sogenannte „Kuchendebatte“ in hohen Parteikreisen statt: Es gab zwei Fraktionen. Eine sagte, China sollte sich darauf konzentrieren, den Kuchen – Chinas Wirtschaft – größer zu machen. Die andere wollte den vorhandenen Kuchen gerechter verteilen. Ein Anhänger der zweiten Position war Bo Xilai, der ein Jahr nach Xi Jinpings Aufstieg zum Partei- und Staatschef wegen Korruption und Machtmissbrauchs zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Inzwischen ist die Position der „gerechteren Verteilung“ zur offiziellen Doktrin geworden[3] und es gibt keine Anzeichen für eine weitere Debatte.
Nach den verfügbaren Informationen[4] begannen die Säuberungen im Repressionsapparat Anfang 2021. Bei der Polizei, der Geheimpolizei, der Justiz und im Strafvollzug wurden offiziell mehr als 170'000 Menschen wegen Korruption bestraft. Das ist eine zynische Machtdemonstration. Dasselbe gilt für das Orwellsche Überwachungssystem. Ebenso verrückt ist der Personenkult um Xi Jinping. Aber sind dies Beweise für eine „Schwäche des Staates“? Für eine „tickende Zeitbombe“ unter dem Präsidentensessel?
Die herrschenden Kreise in diesem Land nutzen die Pandemiekrise, um ihre Wirtschaft, ihre Armee, ihr gesamtes Imperium umzustrukturieren. Auch wenn sich das Wirtschaftswachstum in China in letzter Zeit verlangsamt hat, steckt dahinter zum Teil ein kalkulierter Plan der herrschenden politischen Elite, die Exzesse des Privatkapitals zu zügeln und den Staatskapitalismus für die imperialistische Herausforderung zu stärken. Die Partei stutzt einigen der profitabelsten Unternehmen und reichsten Tycoons die Flügel; sie lässt Luft aus manchen Spekulationsblasen entweichen, um das gesamte Wirtschaftsgeschehen strenger zu kontrollieren – mit der Propaganda, dass all dies dem Schutz der Arbeiter, der Kinder, der Umwelt und des freien Wettbewerbs diene.
Die Säuberungen im Repressionsapparat und die Zurschaustellung autoritärer Macht sind Hinweise auf verborgene Spannungen (nicht nur in Xinjiang und Hongkong). Aber es ist kein Alternativmodell für den Kurs des chinesischen Staatskapitalismus erkennbar.
Dies ist meine Lesart der Fakten.
Wenn wir die Bedeutung der gegenwärtigen Divergenzen in der Analyse von China verstehen wollen, müssen wir die Theorie hinter der Mehrheitsposition in der IKS und somit der vorliegenden Resolution betrachten.
Die Entwicklung Chinas wird in unseren Reihen seit Jahrzehnten heruntergespielt. Damit verbunden ist ein falsches, schematisches Verständnis kapitalistischer Dekadenz. Einer unserer Referenztexte aus der Anfangszeit der Existenz der IKS, Der Kampf des Proletariats im aufsteigenden und im dekadenten Kapitalismus, drückte es so aus: „Die Periode der kapitalistischen Dekadenz zeichnet sich dadurch aus, dass die Entstehung neuer Industrienationen unmöglich geworden ist. Jene Länder, die ihren industriellen Rückstand vor dem Ersten Weltkrieg nicht wettmachen konnten, waren dazu verdammt, in totaler Unterentwicklung zu stagnieren oder in eine chronische Abhängigkeit gegenüber den hochindustrialisierten Ländern zu geraten. So verhält es sich mit Nationen wie China oder Indien, denen es trotz angeblicher "nationaler Unabhängigkeit" oder gar "Revolution" (d.h. die Einführung eines drakonischen Staatskapitalismus) nicht gelang, Unterentwicklung und Armut abzustreifen.“ (Der Kampf des Proletariats im aufsteigenden und im dekadenten Kapitalismus, Internationale Revue Nr. 8)
Erst 2015, im Rahmen der kritischen Bilanz von 40 Jahren IKS-Analysen, haben wir den Fehler in diesem Schema offiziell erkannt:
„Diese „katastrophistische“ Sichtweise gründet zu einem guten Teil auf einem Mangel an Verständnis unserer Analyse des Staatskapitalismus (…) Dieser Fehler, der darin besteht, jegliche Möglichkeit zur Expansion des Kapitalismus in seiner Niedergangsphase zu negieren, erklärt die Schwierigkeiten der IKS, den Aufstieg und die rasante industrielle Entwicklung Chinas (und anderer peripherer Länder) nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu verstehen.“ (40 Jahre nach der Gründung der IKS, in Internationale Revue 53, 2016)
Aber diese Anerkennung war halbherzig. Bald schlichen sich die alten Schemata wieder in unsere Analysen ein. Die Implikationen des Widerspruchs zwischen unseren „klassischen“ Ansichten und der Realität waren zu radikal. Um diesen Widerspruch zu überbrücken, wäre es notwendig gewesen, den ökonomischen Bewegungsgesetzen auf den Grund zu gehen, die auch im dekadenten Kapitalismus am Werk sind. Stattdessen wurde das Problem mit der Formulierung „das außergewöhnliches Wachstum Chinas ist selbst ein Produkt des Zerfalls“ (Punkt 9 der vorliegenden Resolution, vgl. oben) geregelt – brillant in ihrer Schwammigkeit. Die Idee wurde 2019 mit der Resolution des 23. internationalen Kongresses eingeführt, in der es heißt: „Es bedurfte der beispiellosen Umstände der historischen Epoche des Zerfalls, um China den Aufstieg zu ermöglichen; ohne diese Umstände des Zerfalls wäre es nicht dazu gekommen.” (Internationale Revue Nr. 56)
Wobei diese letztgenannte Formulierung insofern richtig ist, als die Öffnung der Welt für die Kapitalanlage (Globalisierung) hauptsächlich in der Zeit des Zerfalls am Vorabend des Zusammenbruchs des Blocksystems und danach stattfand und dies Teil der Bedingungen war, die den Aufstieg Chinas zur Werkbank der Welt ermöglichten. Der Satz von Chinas Wachstum als "Zerfallsprodukt" ist aber ein Rückschritt in Richtung der "katastrophistischen Sichtweise". Alles ist Produkt des Zerfalls – und somit ist jedes Wachstum nichtig und fake. Außerdem: Alles zerfällt auf homogene Weise, eine Art gleichmäßiger Zerfall nicht nur der menschlichen Beziehungen, der Moral, der Kultur und der Gesellschaft, sondern des Kapitalismus selbst.
Die vorliegende Resolution ist nicht in der Lage, die Realität des Aufstiegs Chinas in den letzten vier Jahrzehnten zu erfassen und zu erklären. Wie ich bereits oben zitiert habe, heißt es dort lediglich:
"(...) diese wirtschaftliche Öffnung [wurde] von einem unflexiblen politischen Apparat durchgesetzt (...), der nur durch eine Kombination aus Staatsterror, einer rücksichtslosen Ausbeutung der Arbeitskraft, die Hunderte Millionen Arbeiter einem Dauerzustand als Wanderarbeiter unterwirft, und einem rasenden Wirtschaftswachstum, dessen Fundamente nun zunehmend wackelig erscheinen, dem Schicksal des Stalinismus im russischen Block entgehen konnte" (Punkt 9).
Ein Teil dieser Argumentation ist tautologisch: „Diese wirtschaftliche Öffnung wurde durch … ein rasendes Wirtschaftswachstum umgesetzt “ – der wirtschaftliche Erfolg war auf den wirtschaftlichen Erfolg zurückzuführen.
Im Übrigen erklärt die Resolution den Erfolg Chinas im Gegensatz zum Schicksal des russischen Blocks vor 1989 damit, dass die Leistungsfähigkeit das Ergebnis einer „Kombination aus Staatsterror“ und „einer rücksichtslosen Ausbeutung der Arbeitskraft war, die Hunderte Millionen Arbeiter einem Dauerzustand als Wanderarbeiter unterwirft“. Was erklärt das? Will die Resolution nahelegen, dass eine „Kombination aus Staatsterror“ und „rücksichtsloser Ausbeutung“ die Zutaten für einen erfolgreichen Kapitalismus seien? Und unterscheidet sich China diesbezüglich vom Stalinismus in der ehemaligen Sowjetunion?
Ich schlug vor, den Satz zu streichen und unterstützte stattdessen eine Formulierung, die Genosse Steinklopfer in einem seiner Änderungsanträge vorgeschlagen hatte: "(...) Es ist kein Zufall, dass China im Gegensatz zur UdSSR und ihrem ehemaligen imperialistischen Block gegen Ende des 20. Jahrhunderts nicht zusammengebrochen ist. Chinas Aufschwung beruhte auf zwei spezifischen Vorteilen: auf dem Vorhandensein gigantischer interner außerkapitalistischer Bereiche, die auf der Bauernschaft beruhten, die in ein Industrieproletariat umgewandelt werden konnte, und auf einer besonders alten und hoch entwickelten kulturellen Tradition (bis zum Beginn der modernen Industrialisierung in Europa war China immer eines der wichtigsten Zentren der Weltwirtschaft, des Wissens und der Technologie)."
Ob der Begriff der „außerkapitalistischen Bereiche“ noch geeignet ist, diese allerdings bedeutsame Tatsache zu beschreiben, nämlich die Integration neuer verfügbarer Arbeitskräfte in das formelle Verhältnis und den Austausch zwischen Kapital und Lohnarbeit, ist fraglich. Die Idee ist aber klar: Der Prozess der Kapitalakkumulation in China war durchaus real, nicht nur vorgetäuscht. Sie geschah dank Ressourcen, die noch nicht formell als zu verkaufende Arbeitskraft zur Aneignung ihres Gebrauchswerts durch die Kapitalisten bestimmt waren. Wie jede Akkumulation im Kapitalismus erforderte dieser Prozess in China nach Mao neu verfügbare Arbeitskraft (und Rohstoffe, d.h. zu einem großen Teil Natur, also auch ein „außerkapitalistischer Bereich“ in gewissem Sinne).
Um das Schicksal des Stalinismus im russischen Block zu verhindern, war es für China auch notwendig, auf die Sanktion des kapitalistischen Marktes (Adam Smiths „unsichtbare Hand“) wieder zurückzugreifen, insbesondere auf zwei Ebenen: der Entlassung von ArbeiterInnen und dem Bankrott von nicht rentablen Unternehmen. Erst diese Maßnahmen der herrschenden Kreise um und nach Deng Xiaoping ermöglichten das Funktionieren des privaten Kapitalsektors und die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Wirtschaft gegenüber dem Rest der Welt. All dies wird von der bestehenden Resolution vernachlässigt. Die Änderungsanträge, die die Mängel beheben sollten, wurden mit der Begründung abgelehnt, dass sie „die Auswirkungen des Zerfalls auf den chinesischen Staat“ in Frage stellen oder relativieren würden.
Tatsächlich wurzelt die Abneigung der Resolution, die Realität der Stärke Chinas anzuerkennen, im Verständnis der kapitalistischen Dekadenz – und damit des Zerfalls. Wir haben die Debatte über die verschiedenen Analysen des Wirtschaftsbooms nach 1945 nie abgeschlossen. Die Mehrheitsposition innerhalb der IKS scheint diejenige zu sein, die behauptet, der Hauptgründe für diesen Wirtschaftsboom nach 1945 seien "außerkapitalistischen Märkte und Verschuldung“ (vgl. Internationale Revue 42-46).[5] Diese theoretische Position glaubt, dass die notwendigen neuen Märkte für den Verkauf der gesteigerten Produktion nur entweder außerkapitalistisch sein oder irgendwie künstlich durch Schulden geschaffen werden können. Diese Idee steht zwar im Einklang mit einem wörtlichen Verständnis eines zentralen Arguments in Rosa Luxemburgs Die Akkumulation des Kapital [6] – aber im Widerspruch zur Realität. Für eine tiefere Analyse dieser Achillesferse der Wirtschaftsanalyse der IKS ist hier nicht der richtige Ort.
Für das Verständnis der Divergenzen reicht es aus, dass die offizielle IKS-Position die Tatsache leugnet, dass kapitalistische Akkumulation auch die Schaffung neuer zahlungsfähiger Märkte innerhalb des kapitalistischen Milieus bedeutet, und zwar auf der Grundlage des Austausches zwischen Lohnarbeit und Kapital (wenn auch nicht ausreichend im Vergleich zu den Bedürfnissen einer ungehinderten Akkumulation – dieser Punkt ist unstrittig). Da offensichtlich auch in der Dekadenz des Kapitalismus neue zahlungsfähige Märkte entstanden sind, muss die gegenwärtige IKS-Position ihre Herkunft irgendwie erklären. Und da bedeutende außerkapitalistische Märkte (im Sinne einer zahlungsfähigen Käuferschaft der produzierten Waren) nicht mehr ausfindig gemacht werden können, wird die fortschreitende Akkumulation durch die Verschuldung „erklärt“, oder durch Machenschaften, die „das Wertgesetz austricksen“. Ich werde auf diese Frage im Zusammenhang mit den nachfolgenden Punkten der Resolution zurückkommen.
Unter dem Titel „Eine noch nie dagewesene Wirtschaftskrise“ versucht die Resolution eine Analyse der Folgen der Covid-19-Pandemie auf die Weltwirtschaft anzubieten. Ich stimme zwar zu, dass die Situation beispiellos ist und daher die Folgen nicht leicht vorhersehbar sind, aber das Verständnis der kapitalistischen Akkumulation und Krise im Rahmen der Resolution reicht nicht aus, um die aktuelle Realität und ihre treibenden Kräfte zu analysieren. Nach Ansicht der Mehrheit der IKS, die die Resolution in ihrer jetzigen Form angenommen und die von Steinklopfer und mir vorgeschlagenen Änderungsanträge abgelehnt hat, ist alles dem „Zerfall“, einer Art homogener Fragmentierung, untergeordnet. Dieses Verständnis der Zerfallsperiode ist schematisch und – insofern es das Fortbestehen elementarer kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten – etwa der Konzentration und Zentralisation des Kapitals – leugnet, eine Abkehr vom Marxismus. Diese Ansicht der Mehrheit lehnt ausdrücklich ab, dass das wirtschaftliche Erdbeben als Folge der Pandemie nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner hervorbringt. Sie bestreitet implizit das Fortbestehen der Zentralisation und der Konzentration des Kapitals, des Transfers von Profiten aus technologieärmeren Bereichen in solche mit höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals und damit eine weitere Polarisierung zwischen Erfolgreichen und Verlierern. Die Pandemie beschleunigte die für die Zeit der Zerfalls typischen zentrifugalen Tendenzen, jedoch nicht in homogener Weise. Es finden unterschiedliche Polarisierungen statt. Die Reichen werden reicher; die profitablen Unternehmen attraktiver; die Staaten, die Covid 19 gut gemeistert haben, erweitern ihre Märkte auf Kosten der Inkompetenten und stärken ihren Apparat. Diese Polarisierungen und zunehmenden Unterschiede in der Weltwirtschaft sind Teil einer Realität, die von der vorliegenden Resolution vernachlässigt wird. Diese sieht nur Fragmentierung, Verlierer und Unsicherheit. In Punkt 14 heißt es: „Dieses Eindringen der Auswirkungen des Zerfalls in die Wirtschaftssphäre wirkt sich direkt auf die Entwicklung der neuen Phase der offenen Krise aus und läutet eine in der Geschichte des Kapitalismus noch nie dagewesene Situation ein. Die Auswirkungen des Zerfalls, welche die Mechanismen des Staatskapitalismus, die bisher zur ‚Begleitung‘ und Begrenzung der Auswirkungen der Krise eingerichtet wurden, tiefgreifend verändern, bringen einen Faktor der Instabilität und Zerbrechlichkeit, der wachsenden Unsicherheit in die Situation ein.”
Die Resolution unterschätzt die Tatsache, dass es den starken nationalen Wirtschaften weitaus besser geht als den schwachen: „Eine der wichtigsten Erscheinungsformen der Schwere der gegenwärtigen Krise liegt – im Gegensatz zu vergangenen Situationen offener Wirtschaftskrisen und im Gegensatz zur Krise von 2008 – darin, dass die zentralen Länder (Deutschland, China und die USA) gleichzeitig getroffen wurden und zu den am stärksten von der Rezession betroffenen Ländern gehören, in China durch einen starken Rückgang der Wachstumsrate 2020.“ (Punkt 15)
Und sie bestreitet, dass China ein Gewinner der Situation ist: „Als einzige Nation mit einer positiven Wachstumsrate im Jahr 2020 (2 %) ist China nicht als großer Sieger oder gestärkt aus der Pandemiekrise hervorgegangen, auch wenn es auf Kosten seiner Rivalen vorübergehend an Boden gewonnen hat. Ganz im Gegenteil." (Punkt 16)
Die treibende Kraft eines Kapitalisten ist die Suche nach dem höchsten Profit. In Zeiten der Rezession, wenn alle oder die meisten Kapitalisten Verluste machen, verwandelt sich der höchste Gewinn in den niedrigsten Verlust. Diejenigen Unternehmen und Staaten mit weniger Verlusten als ihre Konkurrenten schneiden besser ab. In dieser Logik gehört China bisher zu den Gewinnern der Pandemiekrise. Übrigens: Den USA geht es auch wirtschaftlich besser als den meisten hochindustrialisierten und Schwellenländern, entgegen dem zitierten Satz in Punkt 15 der Resolution.
Die polarisierenden Tendenzen, die ich hervorhebe, stehen nicht im Widerspruch zum Rahmen des Zerfalls. Im Gegenteil; die wachsenden Ungleichheiten verstärken die globale Instabilität. Aber diese Instabilität ist ungleichmäßig. Die Pandemie führt zu einer weiteren Konzentration des konkurrenzfähigen Kapitals, zum Ersatz lebendiger Arbeitskräfte durch Maschinen und Roboter, zu einer erhöhten organischen Zusammensetzung. Das Kapital mit der höchsten organischen Zusammensetzung saugte Teile der Gewinne auf, die von den weniger Wettbewerbsfähigen produziert werden. All dies geschieht auf einer relativ schrumpfenden Basis lebendiger Arbeit, weil diese je länger je überflüssiger wird.
Einerseits bedeutet dies eine wachsende und schwindelerregende Kluft zwischen den profitablen Teilen der Weltwirtschaft und denen, die es nicht sind. Auf der anderen Seite bedeutet es einen gnadenlosen Wettlauf unten den fortgeschrittensten Rivalen um die verbleibenden Gewinne.
Diese beiden Tendenzen erhöhen die Stabilität keineswegs – ihre Existenz wird jedoch von der Position „Zerfall allüberall“ bestritten. Diese Position ist ständig auf der Suche nach Phänomenen der Auflösung und Desintegration und verliert dabei jene tieferen und konkreteren Tendenzen aus den Augen, die für die aktuellen Verschiebungen so typisch sind.
Schließlich spricht die Resolution von der „Missachtung des Wertgesetzes “ bzw. der „Überlistung der Gesetze des Kapitalismus “, ohne zu erklären, was diese Gesetze sind und was ihr Überlistung bedeute:
„Die Schuldenlast verurteilt das kapitalistische System nicht nur zu immer verheerenderen Konvulsionen (Bankrott von Unternehmen und sogar von Staaten, Finanz- und Währungskrisen usw.), sondern kann auch, indem sie den Spielraum der Staaten, die Gesetze des Kapitalismus zu überlisten, immer mehr einschränkt, ihre Fähigkeit zur Wiederbelebung ihrer jeweiligen Volkswirtschaften nur behindern." (Punkt 19)
„Die Bourgeoisie wird weiterhin bis zum Tode um das Überleben ihres Systems kämpfen, sei es mit direkten wirtschaftlichen Mitteln (wie der Ausbeutung unerschlossener Ressourcen und potenzieller neuer Märkte, typisch für Chinas Projekt der Neuen Seidenstraße) oder politisch, vor allem durch die Manipulation von Krediten und die Missachtung des Wertgesetzes. Das bedeutet, dass es immer noch Phasen der Stabilisierung zwischen den wirtschaftlichen Erschütterungen mit immer schwerer wiegenden Folgen geben kann.“ (Punkt 20)
Diese Formulierungen erklären nichts. Sie sind eine improvisierte Verschleierung des Mangels an einem klaren Begriff. Ohne diesen wird alles nur noch zu „Instabilität und Zerbrechlichkeit“ und „wachsender Unsicherheit“.
Eine Folge der Vernachlässigung der wirtschaftlichen Polarisierung durch den letzten Internationalen Kongress ist die Unterschätzung der imperialistischen Spannungen und der Kriegsgefahr.
Nach dem Eingeständnis, dass die wachsende Konfrontation zwischen den USA und China tendenziell im Mittelpunkt steht, und dem Aufführen von Beispielen für neue Allianzen, spielt die Resolution die Gefahr einer zukünftigen Blockkonstellation mit den folgenden Worten herunter: „Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir auf die Bildung stabiler Blöcke und einen allgemeinen Weltkrieg zusteuern. Der Weg zum Krieg wird immer noch durch die starke Tendenz des „Jeder-für-sich“ und Chaos auf imperialistischer Ebene behindert, während der Kapitalismus in den zentralen kapitalistischen Ländern noch nicht über die politischen und ideologischen Elemente verfügt – einschließlich insbesondere einer politischen Niederlage der Arbeiterklasse –, welche die Gesellschaft ‚vereinigen‘ und den Weg zum Weltkrieg ebnen könnten. Die Tatsache, dass wir immer noch in einer im Wesentlichen multipolaren Welt leben, wird insbesondere durch das Verhältnis zwischen Russland und China verdeutlicht. Während Russland sich in bestimmten Fragen sehr willig gezeigt hat, sich mit China zu verbünden, im Allgemeinen in Opposition zu den USA, ist es sich nicht weniger der Gefahr bewusst, sich seinem östlichen Nachbarn unterzuordnen, und ist einer der Hauptgegner von Chinas "Neuer Seidenstraße" in Richtung imperialistischer Hegemonie.“ (Punkt 12)
Diese Sätze stimmen mit der „Ungewissheit“ in der Wirtschaftsfrage überein und vermeiden eine klare Aussage zu den gegenwärtigen imperialistischen Tendenzen. Die Resolution ist halbherzig, wenn sie die offensichtliche Konfrontation zwischen den USA und China zugibt und darauf besteht, dass dies „jedoch“ nicht die „Bildung stabiler Blöcke“ bedeute. Die Mehrheitsposition in unserer Organisation hat noch nicht die Konsequenzen aus unserer Erkenntnis auf dem 23. Internationalen Kongress gezogen, dass der Begriff des Historischen Kurses für die Analyse der Gegenwart nicht mehr brauchbar ist. Sie versucht immer noch, die aktuelle Situation innerhalb des alten Schemas des Kalten Krieges zu verstehen, das zusammen mit der Berliner Mauer eingestürzt ist. Ob die neu entstehenden Bündnisse zu „stabilen Blöcken“ werden oder nicht, ist nicht die zentrale Frage, wenn wir die Gefahr eines allgemeinen oder nuklearen Krieges analysieren wollen – beides sind die ernsthaftesten Bedrohungen für eine kommunistische Perspektive.
Die Resolution beantwortet Fragen, die sich nicht mehr stellen, und übergeht die eigentlich vor uns stehenden. Auf diesen Punkt werde ich im folgenden Teil der Kritik zurückkommen, in dem es um das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen geht.
Ein weiteres aufschlussreiches Zeichen für das Fortbestehen der alten Sichtweise ist die folgende Formulierung in der Resolution: „Wir sehen zwar keinen kontrollierten Marsch in Richtung Krieg, der von disziplinierten Militärblöcken angeführt würde, aber wir können die Gefahr einseitiger militärischer Ausbrüche oder sogar grotesker Unfälle nicht ausschließen, die eine weitere Beschleunigung des Abgleitens in die Barbarei bedeuten würden.“ (Punkt 13)
Die kapitalistische Logik der Polarisierung zwischen China und den USA treibt beide dazu, Verbündete zu finden, am Wettrüsten teilzunehmen und in den Krieg zu ziehen. Ob dieser Marsch kontrolliert wird oder nicht, ist eine andere Frage. Aber zuerst sollten wir feststellen, dass sowohl China als auch die USA nach Allianzen suchen und einen Krieg vorbereiten. Obwohl uns eine statische Sichtweise zu dem Schluss führen könnte, dass „wir immer noch in einer im Wesentlichen multipolaren Welt leben“ (Punkt 12), geht die Dynamik in Richtung Bipolarität.
Zur Frage der Stabilität der Allianzen und der Disziplin ihrer Bestandteile: Tatsache ist, dass die USA offensiv nach Verbündeten gegen China suchen. Dieses ist in mehrfacher Hinsicht im Nachteil – auf der Ebene seiner Armee, seiner Technologie, der Geografie. Doch das Reich der Mitte holt auf den ersten beiden Gebieten entschlossen auf.
Dies sollte uns an eine alte in Klassengesellschaften geltende These erinnern, die als Thukydides-Falle bezeichnet wird und besagt: „Wenn eine Großmacht droht, eine andere zu verdrängen, ist fast immer Krieg die Folge“ (Alison Graham, 2015). Thukydides, der Urahn der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, schrieb vor mehr als 2400 Jahren über die Hauptursache des Peloponnesischen Krieges, dass sie im „Machtzuwachs Athens und dem Alarm, den er in Sparta auslöste“, gegründet habe. Sicherlich leben wir in einer ganz anderen Welt, aber immer noch in einer Klassengesellschaft. Sollten wir etwa denken, dass der Kapitalismus in seiner Phase des Zerfalls rationaler sei und daher eher dazu neige, Krieg zu vermeiden?
Ich denke, dass das Proletariat in den zentralen Ländern immer noch eine Bremse auf dem Weg zu einem allgemeinen Krieg ist. Ich stimme dieser Idee zu, die in dem oben zitierten Punkt der Resolution zum Ausdruck kommt. Ich teile jedoch nicht die Ansicht, dass die in der Resolution angesprochenen typischen Ausdrucksformen des Zerfalls wie die „starke Tendenz des „Jeder-für-sich“ und Chaos auf imperialistischer Ebene“ echte Hindernisse für verallgemeinerte oder nukleare Kriege sind. Deshalb habe ich einem weiteren Änderungsantrag des Genossen Steinklopfer zugestimmt und ihn unterstützt, der jedoch mehrheitlich abgelehnt wurde und lautete:
"Während des gesamten dekadenten Kapitalismus bis heute hat von den beiden Hauptäußerungen des Chaos, das durch den Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft erzeugt wurde – imperialistische Konflikte zwischen Staaten und Kontrollverlust innerhalb jedes nationalen Kapitals – in den zentralen Zonen des Kapitalismus die erstere Tendenz über die letztere gesiegt. Unter der Annahme, von der wir ausgehen, dass dies auch im Kontext des Zerfalls weiterhin der Fall ist, bedeutet dies, dass nur das Proletariat ein Hindernis für Kriege zwischen den Hauptmächten sein kann, nicht jedoch die Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse in diesen Ländern. Obwohl diese Spaltungen unter bestimmten Umständen den Ausbruch des imperialistischen Krieges verzögern, können sie ihn auch katalysieren."
Nicht nur im Hinblick auf die Frage der Blockkonstellationen, sondern auch im Hinblick auf die Rolle der Arbeiterklasse müssen wir die Konsequenzen unserer 2019 erfolgten Überwindung des Konzepts des Historischen Kurses bedenken. 1978 formulierte die IKS in International Review 18 (deutsch in Internationale Revue 5, 1980) die Kriterien zur Bewertung des Historischen Kurses wie folgt: „Aus der Analyse der Bedingungen, die den Ausbruch der beiden Weltkriege ermöglichten, kann man die folgenden allgemeinen Lehren ziehen:
* das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat kann nur auf Weltebene beurteilt werden und darf nicht auf Ausnahmefällen beruhen, die in zweitrangigen Gebieten auftreten; es ist wichtig, dass wir aus der Untersuchung der Situation in einigen großen Ländern auf die tatsächliche Natur des Kräfteverhältnisses schließen können;
* um den imperialistischen Krieg auslösen zu können, muss der Kapitalismus dem Proletariat zuvor eine schwere Niederlage zufügen, vor allem eine ideologische Niederlage, aber auch eine physische, sofern das Proletariat zuvor eine große Kampfbereitschaft gezeigt hatte (wie in Italien, Deutschland und Spanien zwischen den Kriegen);
* diese Niederlage darf die Klasse nicht nur zur Passivität verurteilen, sondern muss die Arbeiter auch dazu bringen, begeistert den bürgerlichen Idealen ("Demokratie", "Antifaschismus", "Sozialismus in einem Land") zuzustimmen. Die Unterstützung dieser Ideale setzt voraus:
a) dass sie einen Anschein von Wirklichkeit besitzen (die Möglichkeit einer unbeschränkten, problemlosen Entwicklung des Kapitalismus und der "Demokratie", der proletarische Ursprung des Regimes in der UdSSR);
b) dass sie auf die eine oder andere Weise mit der Verteidigung proletarischer Interessen verbunden ist;
c) dass diese Assoziation von Organisationen verteidigt wird, die das Vertrauen der Arbeiter genießen, was darauf zurückzuführen ist, dass sie in der Vergangenheit tatsächlich deren Interessen verteidigt haben. Mit anderen Worten: diese bürgerlichen Ideale müssen von ehemals proletarischen Organisationen, die die Klasse verraten haben, propagiert werden.
Dies sind in groben Zügen die Bedingungen, die in der Vergangenheit den Ausbruch von imperialistischen Kriegen begünstigten. Das soll nicht heißen, dass ein zukünftiger imperialistischer Krieg a priori gleiche Bedingungen zur Voraussetzung haben muss. Aber da die Bourgeoisie sich den Gefahren bewusst geworden ist, die mit einem vorzeitigen Ausbruch von Feindseligkeiten verbunden sind (trotz all der Vorbereitungen löste der II. Weltkrieg in Italien 1945 und in Deutschland 1944/45 Reaktionen der Arbeiter aus), wäre es ein Fehler anzunehmen, dass sich die Bourgeoisie selbst in eine Konfrontation stürzt; es sei denn, sie hat denselben Grad an Kontrolle erlangt wie 1939 oder zumindest wie 1914. Mit anderen Worten: bevor ein neuer imperialistischer Krieg möglich ist, müssen die eben aufgezählten Bedingungen zumindest vorhanden sein, andernfalls müssen andere Bedingungen die fehlenden ersetzen.“
Auf dem 23. Kongress im Jahr 2019 haben wir festgestellt, dass diese Kriterien für die gegenwärtige Situation nicht mehr gelten. Wir müssen uns also die Frage stellen, ob die Bourgeoisie zur Entfesselung des Krieges noch eine „physische Niederlage“ des Proletariats und seine „begeisterte Zustimmung zu bürgerlichen Idealen“ braucht.
Trotz dieser allgemeinen theoretischen Kontroverse scheinen wir uns auf der Ebene der Konzepte und Bewertungskriterien darin einig zu sein, dass das Proletariat immer noch ein Hindernis für die Bourgeoisie darstellt, um einen Krieg zu führen, den die großen Bastionen des Proletariats in den zentralen Ländern irgendwie unterstützen müssten. Die Resolution behauptet, dass das Proletariat die entscheidende „politische Niederlage“ (Punkt 12) noch nicht erlitten habe. Dabei beharrt die Mehrheitsposition auf dem Leitgedanken des Konzepts des Historischen Kurses: entweder Kurs zum Krieg oder Kurs zur Revolution. Damit bleibt die Matrix aus der Zeit des Kalten Krieges relevant, obwohl wir auf dem 23. Internationalen Kongress festgestellt haben, dass dieses Schema letztlich nicht mehr geeignet ist, wenn wir das heutige Kräfteverhältnis beurteilen wollen. „Trotz der enormen Probleme, vor denen das Proletariat steht, lehnen wir die Vorstellung ab, dass die Klasse bereits im Weltmaßstab besiegt sei oder kurz vor einer solchen Niederlage stehe, die mit der der Konterrevolution vergleichbar wäre, einer Niederlage, von der sich das Proletariat möglicherweise nicht mehr erholen könne.“ (Punkt 28)
Der Satz ist in doppelter Hinsicht falsch: sowohl in seiner Voraussetzung – als auch in Bezug auf deren scheinbar logische Schlussfolgerung.
Die Ausgangsfrage ist nicht, ob das Proletariat bereits global besiegt worden sei – also definitiv geschlagen oder fast, nämlich in einem vergleichbaren Ausmaß wie in der Zeit der Konterrevolution. Wenn wir uns darüber einig sind, dass das Weltproletariat in den letzten 40 Jahren eine Reihe von Niederlagen erlitten hat, müssen wir Kriterien finden, um das Ausmaß der Niederlage(n) zu messen. Die Frage ist nicht die des Schreckens der physischen Niederlage der 1930er Jahre – Tod oder Leben, Vernichtung des Nichtidentischen. Im Moment ist es keine Alles-oder-Nichts-Situation, sondern ein allmähliches Schwinden des Klassenbewusstseins zumindest in seiner Ausbreitung. Meine Hypothese ist, dass es sich um einen asymptotischen Prozess (Annäherungsprozess) hin zur endgültigen Niederlage handelt.
Die logische Konsequenz ist also nicht „eine solche Niederlage, von der sich das Proletariat möglicherweise nicht mehr erholen könne“. Wenn die Hypothese richtig ist (ein allmählicher Prozess des Bewusstseinsverlusts, vor allem des Bewusstseins über eine besondere Klassenidentität), muss die Schlussfolgerung lauten: Die Arbeiterklasse kann den Prozess immer noch umkehren, eine Art Kehrtwende vollziehen. Aber sie muss sich der negativen Dynamik bewusst werden. Die Revolutionäre stehen in der Verantwortung, dies so klar wie möglich auszusprechen.
Die falsche Matrix liegt in der Beschreibung und dem Verständnis der Resolution über den konkreten Stand des Klassenkampfs: Wesentlich sei, „dass wir vor der Pandemie einige embryonale und sehr zerbrechliche Anzeichen für ein Wiederaufleben des Klassenkampfes sahen, insbesondere in Frankreich 2019. Und auch wenn diese Dynamik dann durch die Pandemie und die Lockdowns weitgehend blockiert wurde, gab es in mehreren Ländern auch während der Pandemie einige Arbeiterproteste, vor allem zu Fragen der Sicherheit, insbesondere der Hygiene, am Arbeitsplatz“ (ebd.).
Die zugrunde liegende Vision ist die einer glatten Dynamik hin zu einem stärkeren Klassenbewusstsein – also eine positive Dynamik, oder zumindest eine Art statischer Zustand: weder positiv noch negativ, also irgendwie neutral, auf der Basis einer intakten Kampfbereitschaft der Klasse.
Meine Einschätzung hingegen ist die einer Dynamik des Rückganges des Klassenbewusstseins – eine negative Dynamik, die umgedreht werden muss. Glücklicherweise zeigt die Kampfbereitschaft hier und da noch ihren Kopf. Aber Kampfbereitschaft ist noch nicht Bewusstsein, auch eine Steigerung der ersteren impliziert noch keine Erweiterung oder Vertiefung des proletarischen Bewusstseins.
Wesentlich für das Proletariat und seine politischen Organisationen ist die richtige Einschätzung der gegenwärtigen Situation samt ihrer inneren Dynamik. Die Aufgaben der Stunde für Revolutionäre hängen offensichtlich vom Verständnis dieser objektiven und konkreten Situation ab.
Auf einer weiteren Ebene müssen wir uns mit der Frage nach dem „alten Maulwurf“ von Marx (in seinem Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte) befassen. Wir verwenden für dieses Phänomen auch den Begriff der unterirdischen Reifung des Klassenbewusstseins. Die Resolution unterstreicht das Potenzial für eine tiefgreifende proletarische Wiederbelebung, die unter anderem bezeugt wird durch: „ die kleinen, aber bedeutenden Anzeichen einer unterirdischen Reifung des Bewusstseins, die sich in Bemühungen um eine globale Reflexion über das Scheitern des Kapitalismus und die Notwendigkeit einer anderen Gesellschaft einiger Bewegungen manifestieren(insbesondere der Indignados im Jahr 2011), aber auch durch das Auftauchen junger Elemente, die nach Klassenpositionen suchen und sich dem Erbe der kommunistischen Linken zuwenden “ (ebd.)
Die vage Formulierung von den „kleinen, aber bedeutsamen Anzeichen einer unterirdischen Reifung des Bewusstseins“ ist ein Kompromiss zwischen zwei unvereinbaren Gegensätzen: vorwärts oder rückwärts? Welche Richtung in der Bewegung, Zunahme oder Rückzug des Klassenbewusstseins auch in seinen unterirdischen, nicht sichtbaren Schichten?
In Diskussionen vor und während des Kongresses habe ich die Ansicht vertreten, dass es keine bedeutsame unterirdische Reifung in der Klasse gibt. Wir benötigen den Begriff der unterirdischen Reifung, um rätistischen Auffassungen und ihrer Praxis entgegen zu treten. Es ist eine theoretische Errungenschaft der IKS, dass die unterirdische Reifung auch in Momenten des Rückzugs der Kämpfe oder sogar in Zeiten der Konterrevolution stattfindet.
Aber es ist etwas anderes zu sagen – wie die Mehrheit in der Organisation behauptet –, dass die Bewegung dieser Reifung immer eine nach oben gerichtete ist.
Wenn man behauptet, dass die Reifung in allen Perioden eine Aufwärtsbewegung ist, ist eine Regression ausgeschlossen. Das bedeutet, zwei Dinge zu unterschätzen. Erstens unterschätzen wir damit die Tiefe der Schwierigkeiten unserer Klasse, einschließlich ihrer bewusstesten Teile, und zweitens unterschätzen wir die Rolle und die spezifischen Aufgaben der Revolutionäre in der gegenwärtigen Periode. Diese Aufgabe ist nicht nur eine quantitative, die Verbreitung revolutionärer Positionen, sondern vor allem eine qualitative, nämlich theoretische Arbeit, mit der die gegenwärtigen Tendenzen in den verschiedenen Bereichen vertieft analysiert werden: Verschiebungen in der Wirtschaft, die imperialistischen Spannungen und die Dynamik in der Klasse, vor allem auf der Bewusstseinsebene. Es ist richtig, es gibt sicherlich das Potenzial für eine Bewusstseinsentwicklung in der Klasse, aber Möglichkeit und Wirklichkeit sind nicht dasselbe.
Ferdinand, Januar 2022
[1] Interne Debatte in der IKS über die internationale Lage [374], IKSonline Januar 2021
[2] 24. Internationaler Kongress der IKS: Resolution zur internationalen Lage [241], Internationale Revue Nr. 57
[3] Das half Bo Xilai nicht, denn offiziell saß er ja nicht wegen angeblich falscher politischer Orientierung im Gefängnis, sondern wegen Korruption und Machtmissbrauch.
[4] Wenn ich nicht wörtlich aus anderen Quellen zitiere, stütze ich mich für die Informationen in diesem Artikel auf Wikipedia und The Economist.
[5] Die/der aufmerksame Leser*in unserer Resolutionen wird zu diesem Schluss kommen, obwohl die IKS-Kongresse klugerweise nie die theoretischen Konzepte zur Abstimmung gestellt haben.
[6] Kap. 26, gegen Ende: „Im innern kapitalistischen Verkehr können im besten Fall nur bestimmte Wertteile des gesellschaftlichen Gesamtprodukts realisiert werden: das verbrauchte konstante Kapital, das variable Kapital und der konsumierte Teil des Mehrwerts; hingegen muss der zur Kapitalisierung bestimmte Teil des Mehrwerts ‚auswärts‘ realisiert werden.“
Seit dem Sommer 2022 ist die Intervention von Revolutionären innerhalb des Kampfs der Arbeiterklasse eine konkretere Perspektive geworden, weil das Proletariat nach drei bis vier Jahrzehnten eines tiefen Rückgangs der Kampfbereitschaft und des Bewusstseins in der Klasse endlich wieder sein Haupt erhoben hat. Diesem Wiederaufleben der Kämpfe, das mit dem "Summer of Discontent" in Großbritannien begann, folgten Streiks, Demonstrationen und Arbeiterproteste in verschiedenen anderen Ländern, so auch in den USA.[1]
Il Partito Comunista – eine Organisation der Kommunistischen Linken wie wir – hat über ihre Beteiligung an Arbeiterkämpfen des vergangenen Jahres in den USA berichtet, darunter ein Streik von 600 städtischen Angestellten in der Wasseraufbereitungsanlage in Portland Oregon, der am 3. Februar 2023 begann. Dieser Streik wurde mit Solidaritätsbekundungen von anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes begrüßt, von denen sich einige auch den Streikposten anschlossen. Während dieses Streiks veröffentlichte Il Partito einen Artikel und verteilte drei Flugblätter, in denen er den Kapitalismus als diktatorisches Ausbeutungssystem anprangerte und die Lehre zog, dass: "Nur wenn die Arbeiterklasse ihre Waffen über Sektoren und Grenzen hinweg vereint, kann sie wirklich für die Beendigung ihrer Ausbeutungssituation im Kapitalismus kämpfen".[2]
Unter den gegenwärtigen Bedingungen eines internationalen und historisch bedeutsamen Wiederauflebens der Kämpfe nach Jahrzehnten der Orientierungslosigkeit und Zersplitterung ist es an sich schon ein Sieg, den Kampf aufzunehmen. Deshalb ist es sicherlich wichtig zu erkennen, dass, so wie es Il Partito getan hat, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Portland, als Reaktion auf die Einschüchterung, Kriminalisierung und Bedrohung durch die Bourgeoisie in der Lage waren, ihre Einheit und Solidarität zu entwickeln.[3]
Aber Revolutionäre dürfen nicht hier stehen bleiben. In ihren Interventionen mit der Presse, mit Flugblättern oder auf andere Weise müssen sie konkrete Perspektiven aufzeigen, z. B. den Aufruf an die Arbeiterklasse, den Kampf über ihren eigenen Sektor hinaus auszuweiten, indem sie Delegationen in andere Betriebe und Unternehmen schicken. Wie wir in einem unserer jüngsten Artikel hervorheben, müssen die Beschäftigten bereits heute "gemeinsam kämpfen, einheitlich handeln und vermeiden, sich in lokalen Kämpfen innerhalb des eigenen Unternehmens oder Sektors zu verzetteln".[4]
Aber um dies zu tun, um den Kampf zu stärken, müssen Revolutionäre den Beschäftigten vor allem klar sagen, wer auf der Seite der Arbeiterklasse steht und wer gegen sie ist. Und genau in dieser Frage verbreitet Il Partito einen mystifizierenden Nebel.
Für die Kommunistische Linke sind die Gewerkschaften als solche, und damit nicht nur die Gewerkschaftsführung, sondern auch die Basisstrukturen der Gewerkschaften, zu einer Waffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse geworden. Die Gewerkschaften, die per Definition auf der Ideologie aufbauen, den Kampf innerhalb der Grenzen der wirtschaftlichen Gesetze des Kapitalismus zu führen, sind im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Kriege und Revolutionen, anachronistisch geworden, wie die Revolutionäre im Ersten Weltkrieg und der revolutionären Welle ab 1917 deutlich gezeigt haben. Die neuen Bedingungen erfordern, dass die Kämpfe über die Besonderheiten des Arbeitsplatzes, der Region und der Nation hinausgehen und einen massiven und politischen Charakter annehmen. Die Gewerkschaften sind für die Kämpfe der Arbeiterklasse nicht mehr von Nutzen, sie wurden von der herrschenden Klasse und ihrem Staat übernommen und werden dazu benutzt, die Tendenz zur Ausweitung und Selbstorganisation der Kämpfe zu verhindern. Unter solchen Bedingungen ist die Verteidigung der gewerkschaftlichen Kampfmethode als angeblich authentisches Mittel zur Förderung der Kampfkraft der Arbeiterklasse nichts anderes als ein Zugeständnis an die bürgerliche Ideologie, eine Form des Opportunismus.
Angesichts des Frage der Organisationsformen, die für die Arbeiterklasse zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen notwendig sind, ob es sich nun um "Klassengewerkschaften", "Netzwerke" oder "Koordinationen" handelt, verteidigt Il Partito eine opportunistische Position, die er wie folgt begründet: Er anerkennt zwar, dass "seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die fortschreitende Unterwerfung der Gewerkschaften unter die bürgerliche Ideologie, die Nation und die kapitalistischen Staaten"[5] eine reale Tendenz sei. Aber Il Partito erklärt uns nicht, wie es möglich war, dass Gewerkschaften in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in den bürgerlichen Staat integriert wurden. Für Il Partito scheint dies reiner Zufall zu sein, da er nicht anerkennt, dass sich die objektiven Bedingungen seither grundlegend geändert haben. Im Gegensatz dazu behaupten sie, dass die wirtschaftlichen Angriffe auf die Arbeiter "zur Wiedergeburt neuer Gewerkschaften führen werden, die von der bürgerlichen Konditionierung befreit sind" und "von der kommunistischen Partei geleitet werden". Diese Gewerkschaften werden ihnen zufolge sogar "ein mächtiges und unverzichtbares Instrument für den revolutionären Sturz der bürgerlichen Macht"[6] sein.
Mit anderen Worten: Nach dem Verrat der alten Gewerkschaften werden neue Arbeitergewerkschaften entstehen, und in guter "bordigistischer" Tradition wird davon ausgegangen, dass sie unter der Führung einer echten revolutionären Partei eine revolutionäre Rolle erfüllen werden. Es ist höchste Zeit, Il Partito aus diesem Traum aufzuwecken, denn die Bedingungen des Kampfes der Arbeiterklasse haben sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts völlig verändert. Das bedeutet, dass der Kampf "nicht von langer Hand organisatorisch vorbereitet werden“ kann, denn „[d]er proletarische Kampf sprengt zunehmend den ökonomischen Rahmen und wird zum gesellschaftlichen Kampf. Die Arbeiter stoßen direkt mit den staatlichen Organen zusammen und werden auf diesem Wege politisiert. Desgleichen erfordern diese Kämpfe die massive Beteiligung der gesamten Klasse. (...) In diesem Sinn hängt der Erfolg eines Streiks nicht von finanziellen Mitteln ab, sondern im Wesentlichen von der Fähigkeit der Arbeiter, den Kampf auszudehnen".[7]
Deshalb entsprechen die Gewerkschaften nicht mehr den Erfordernissen des proletarischen Kampfes, und selbst die Führung durch eine revolutionäre Partei würde an dieser Tatsache rein gar nichts ändern. Der Versuch von Il Partito, die Existenz permanent existierender Kampforgane zu verteidigen, sowohl bei offenen Kämpfen als auch in kampflosen Zeiten, wird unweigerlich zum Scheitern führen. Eine Wiedergeburt der Gewerkschaften als wirkliche Organisationen der Arbeiterklasse ist nur in der Vorstellung von Il Partito möglich, in welcher die Rolle der Partei im Kampf nicht nur entscheidend ist, sondern die Partei sogar in der Lage zu sein scheint, fast übernatürliche Kräfte aufzubringen, um die Gewerkschaften an die wirklichen Bedürfnisse des Arbeiterkampfes anzupassen.
Das erste Flugblatt von Il Partito, das bei einer Demonstration am Samstag, dem 28. Januar 2023 verteilt wurde, trug den Titel "Arbeiter des öffentlichen Dienstes von Portland: Kampf für die Streikfreiheit", eine "Freiheit", welche die Stadtregierung durch die Ausrufung des Ausnahmezustands angegriffen hatte.
Mit der Forderung nach "Streikfreiheit" brachte dieses Flugblatt die Arbeiter sofort auf die falsche Fährte. Im 19. Jahrhundert, als die Gewerkschaften noch einheitliche Organisationen der Arbeiterklasse waren, deren Aufgabe es war, die Arbeits- und Lebensbedingungen im Kapitalismus zu verbessern, war eine solche Forderung zweifellos berechtigt. Heute jedoch, wo die Gewerkschaften Teil des kapitalistischen Staates geworden sind, hat die Arbeiterklasse nichts mehr davon, eine Kampagne zur Verteidigung des Streikrechts zu führen. Denn ein solcher Kampf ist in Wirklichkeit ein Kampf für ein Absegnung des Freipasses der Gewerkschaft, die Kämpfe der Arbeiterklasse zu kontrollieren. Die Arbeiterklasse braucht nicht für die Legalisierung ihrer eigenen Streiks zu kämpfen, denn unter den Bedingungen des totalitären Staatskapitalismus ist ein Streik, der ein reales Kräfteverhältnis gegen die Bourgeoisie schaffen könnte, per Definition illegal. Der Zweck einer Kampagne für die Streikfreiheit besteht hauptsächlich darin, zu gewährleisten, dass die Kämpfe innerhalb der engen rechtlichen Grenzen der bürgerlichen Politik und der gewerkschaftlichen Kontrolle bleiben. Wenn die Bourgeoisie das Streikrecht gewährt, dann nur, um den Kampf der Arbeiter auf einen wirkungslosen Protest zu reduzieren, um Druck auf einen der "Verhandlungspartner" auszuüben.
Nach dem Streik der städtischen ArbeiterInnen in Portland haben die Genossen von Il Partito im Frühjahr 2023 "zusammen mit anderen Gewerkschaftsaktivisten eine Koordinierung gefördert, die sie Class Struggle Action Network (CSAN) genannt haben und die darauf abzielt, die Kämpfe der ArbeiterInnen zu vereinen".[8] Dieses CSAN intervenierte zum Beispiel beim Streik des Krankenpflegepersonals Ende Juni. Aber was ist eigentlich das Wesen des CSAN? Was könnte die Perspektive eines solchen Netzwerks sein, "die Kämpfe der ArbeiterInnen zu vereinen"?
Dieses CSAN ist nicht als Reaktion auf ein bestimmtes Bedürfnis der Streikenden entstanden, den Kampf selbst in die Hand zu nehmen, massive Delegationen zu anderen Betrieben zu schicken, für alle Arbeiter und Arbeiterinnen offene Generalversammlungen zu organisieren oder Lehren zu ziehen, um neue Kämpfe vorzubereiten. Nein, nichts dergleichen. Das Netzwerk wurde völlig außerhalb der konkreten Dynamik des Kampfes von den Genossen von Il Partito ins Leben gerufen, "inspiriert von den gleichen Prinzipien und Methoden, nach denen das Coordinamento Lavoratorie Lavoratrici Autoconvocati [Mitte der 1980er Jahre] in Italien gegründet wurde".[9] Und auf der Website dieses Netzwerks[10] kann man nicht zufällig einen Artikel von Il Partito lesen, in dem klargestellt wird, dass das Ziel darin besteht, "Auf die Wiedergeburt der Gewerkschaft der Arbeiterklasse [375]" hinzuarbeiten.
Wie wir oben dargelegt haben, sind die Gewerkschaften heute Instrumente des bürgerlichen Staates, und eine Wiedergeburt als Organisationen der Arbeiterklasse ist unmöglich. Daher kann die Politik von Il Partito, kämpferische Arbeiter und Arbeiterinnen nur in einen völlig perspektivlosen und entmutigenden Kampf verwickeln. In diesem Zusammenhang wird das CSAN das gleiche Schicksal erleiden wie jedes künstlich geschaffene Organ: entweder ein Anhängsel von Il Partito[11] zu bleiben oder ein radikaler Ausdruck des bürgerlichen Gewerkschaftswesens zu werden. Aber höchstwahrscheinlich wird es verschwinden, nachdem Il Partito versucht hat, es künstlich am Leben zu erhalten. Dann kann sie dieses totgeborene Kind in aller Stille begraben, ohne weitere Lehren aus dieser Erfahrung ziehen zu müssen.
Beim Streik der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes "nahmen die Genossen an den Streikposten teil und halfen den ArbeiterInnen, sie zu stärken"[12]. Im Bericht über die Intervention beim Streik des Krankenpflegepersonals ist nur von der Intervention des CSAN die Rede, die "Teilnehmende für die Streikposten-Solidarität" organisierte. Dies erweckt den Eindruck, dass es keine Intervention von Il Partito gab, die sich vom Netzwerk unterscheidet und getrennt ist. Die GenossInnen von Il Partito haben also sowohl im Februar als auch im Juni individuell an den Streikposten teilgenommen. Aber warum? Weil Arbeiter diese Aufgabe nicht übernehmen können? Oder waren die Genossen als Delegierte aus anderen Betrieben beteiligt? Die Antwort auf diese Fragen findet sich in den Artikeln von Il Partito nicht. Hinter der Intervention von Il Partito steht eine große Konfusion über die Rolle der revolutionären Avantgarde der Klasse.
In erster Linie besteht die Aufgabe der politischen Organisation der Klasse nicht darin, der Klasse zu helfen, die Streikpostenkette zu stärken, Geld zu sammeln, um einen Streik finanziell zu unterstützen, oder andere praktische Aufgaben für die streikenden Arbeiter und Arbeiterinnen zu erfüllen. Dazu sind sie absolut selbst in der Lage, ohne dass jemand an ihre Stelle tritt. Eine kommunistische Organisation hat eine Aufgabe zu erfüllen, die nicht technischer oder materieller, sondern im Wesentlichen politischer Natur ist. Der Kampf der Arbeiterklasse muss durch die organisierte politische Intervention der revolutionären Organisation gestärkt werden.
Entsprechend dieser Ausrichtung, ein aktiver politischer Faktor in der Entwicklung des Bewusstseins und der autonomen Aktion der Arbeiterklasse zu sein, müssen kommunistische Organisationen eine Analyse der Bedingungen des Klassenkampfes hellsichtig und mit einer klaren Methode vorlegen und gleichzeitig in der Lage sein, die Feinde der Arbeiterklasse – die Gewerkschaften – anzuprangern und zu bekämpfen. Il Partito rechtfertigt in unverantwortlicher Weise die Möglichkeit der Rehabilitierung des Gewerkschaftswesens oder des Kampfes mittels Gewerkschaften, obwohl diese Organe jahrzehntelang die Kämpfe behindert und sabotiert haben, und kann auf diese Weise den Kampf der Arbeiterklasse nur schwächen. Diese Art von Opportunismus stiftet nicht nur Verwirrung, sondern kann die Arbeiterklasse nur in eine Sackgasse führen.
Dennis, 15.11.2023
[1] Siehe unser Flugblatt: Streiks und Demonstrationen in den USA, Spanien, Griechenland, Frankreich... Wie können wir unsere Kämpfe ausweiten und vereinen? [376], IKSonline Oktober 2023
[3] Portland City Workers’ Strike [377] – the ICP`s intervention, in The Communist Party Nr. 51
[4] Balance sheet of the ICC's intervention in the struggles of workers around the world [378] (Bilanz der Intervention der IKS in den Kämpfen der Arbeiter und Arbeiterinnen auf der ganzen Welt), in World Revolution Nr. 398, Herbst 2023
[5] Questions from the USA on the SI Cobas and the Trade Unions [379], in The Communist Party, September 2016, Nr. 4
[6] ebenda
[7] Der Kampf des Proletariats im aufsteigenden und im dekadenten Kapitalismus [380], in Internationale Revue Nr. 8
[9] ebenda
[11] Der erste “Class Unionist” Newsletter der CSAN vom Oktober berichtete bereits: vom “Monatstreffen im September des Organisationskollektivs des CSAN [das] selber nach dem Modell des demokratischen Zentralismus funktionieren soll ”.
[12] Portland City Workers’ Strike – the ICP`s intervention [377], in The Communist Party Nr. 51
Unser Genosse Miguel ist von uns gegangen. Geboren 1944, lehnte er sich schon früh auf gegen diese Gesellschaft der Barbarei und Ausbeutung, den Kapitalismus, auf. Er verstand die Notwendigkeit, für eine neue Gesellschaft zu kämpfen, aber gleichzeitig ließen bei ihm die Geschehnisse in der UdSSR, die als "Vaterland des Sozialismus" dargestellt wurde, viele Zweifel an diesem sogenannten "Kommunismus" aufkommen. Zu dieser Zeit waren andere "Alternativen" en vogue. Eine davon war Titos Jugoslawien, ein "bündnisfreies"[1] Land, das sich als "selbstverwalteter Sozialismus" präsentierte. Er emigrierte dorthin, studierte und arbeitete und stellte bald fest, dass es nichts Sozialistisches an sich hatte, sondern nur eine weitere der vielen Varianten des Staatskapitalismus war. Aus dieser enttäuschenden Erfahrung erwuchs seine Überzeugung, dass keines der "Mekkas des Sozialismus" (Russland, Jugoslawien, Albanien, China, Kuba usw.) Kommunismus oder "im Übergang dazu" sei, sondern dass es sich um kapitalistische Staaten handle, in denen die Ausbeutung mit der gleichen Wucht herrsche wie in den offiziell kapitalistischen Ländern.
Nach seiner Rückkehr nach Spanien arbeitete er in einem sehr wichtigen Unternehmen, Standard Eléctrica, und war ein bewusster und kämpferischer Arbeiter, der sich aktiv an den vielen Streiks beteiligte, die damals Spanien erschütterten, als Teil der historischen Wiederbelebung des Proletariats, deren fortgeschrittenster Ausdruck der große Streik vom Mai 68 war. Es waren Zeiten (1972-76), als die Franco-Diktatur nicht in der Lage war, die enorme Welle von Kämpfen zu bewältigen, und die Bourgeoisie den berühmten "Übergang" in Betracht zog, den Übergang von der Franco-Diktatur zur demokratischen Diktatur, d.h. der kapitalistische Staat ließ den Franquismus und seinen Nationalkatholizismus als nutzlosen Plunder zurück und umgab sich mit demokratischen Waffen, um der Arbeiterklasse besser entgegentreten zu können: "Arbeiter"-Gewerkschaften, Wahlen, "Freiheiten" ...
Bald kam der Genosse zu einer zweiten Überzeugung: Die Gewerkschaften, sowohl die alte vertikale Gewerkschaft des Franquismus als auch die "Arbeitergewerkschaften" (CCOO, UGT und Co.) waren Organe des bürgerlichen Staates, bedingungslose Diener des Kapitals, bereit, Streiks zu sabotieren, die ArbeiterInnen zu spalten, sie in Sackgassen zu führen. Als Mitglied der UGT zerriss schließlich Miguel seine Mitgliedskarte, nachdem er in eine Versammlung eingegriffen hatte.
In dieser Zeit machte er auch eine weitere entscheidende Erfahrung: Als Mitglied einer der zahlreichen trotzkistischen Gruppen (der Liga Comunista) erlebte er aus erster Hand, was die Linksextremen sind, die mit radikaler Arbeitersprache Militante auffangen, die mit der KP oder den Gewerkschaften brechen und eine echte proletarisch-internationalistische Alternative suchen. Sie kritisierten die UdSSR, riefen aber dazu auf, sie als "degenerierten Arbeiterstaat" zu verteidigen; sie behaupteten, "gegen den imperialistischen Krieg" zu sein, unterstützten aber den Krieg in Vietnam und andere imperialistische Kriege im Namen der "nationalen Befreiung"; sie kritisierten die Gewerkschaften, riefen aber dazu auf, sich an ihnen zu beteiligen, um sie "für die Klasse zu gewinnen"; sie kritisierten die Wahlen, riefen aber dazu auf, zur Wahlurne zu gehen, um "eine KP-PSOE-Arbeiterregierung zu schaffen"; sie sprachen von "Demokratie in der Organisation", aber diese war ein Schlangenkorb, in dem sich verschiedene Gangs um die Kontrolle der Organisation bis aufs Blut bekämpften und dabei zu Manövern, Verleumdungen und allen erdenklichen Gemeinheiten griffen.
Weder der Alptraum des jugoslawischen "selbstverwalteten Sozialismus" noch die gewerkschaftliche Sabotage oder die Mausefalle der Linksextremen hielten den Genossen von der Suche nach wirklich kommunistischen Positionen ab. Auf dieser Suche nahm er Kontakt mit der IKS auf und führte eine Reihe sehr gründlicher Diskussionen, wobei er Lehren aus all den Erfahrungen zog, die er gemacht hatte, und beschloss schließlich 1980, ihr beizutreten.
Seitdem war er ein kämpferischer, der Sache des Proletariats treuer Anhänger, der immer wieder nachdachte und sich in den Diskussionen einbrachte, um zur gemeinsamen Erarbeitung unserer Positionen beizutragen. Er war immer voll und ganz für die Aktivitäten der Organisation da. Da er aus beruflichen Gründen gezwungen war, in eine andere Stadt umzuziehen, bestand seine erste Sorge darin, die kämpferische Tätigkeit auf allen Ebenen aufrechtzuerhalten, sowohl in der Diskussion und Analyse als auch in der Intervention in den Kämpfen, der Verbreitung der Presse usw.
Er war vor allem in Klassenkämpfen sehr aktiv und nahm als Arbeiter an zahlreichen Kämpfen teil (Telefonica, Standard), auch an Kämpfen wie Delphi, SEAT, Treffen von Arbeitslosen usw. Er zögerte nicht, in Versammlungen zu intervenieren, sich gegen Gewerkschaftsmanöver zu wehren, Maßnahmen zur Stärkung der Versammlung vorzuschlagen und zu versuchen, den Kampf auszuweiten, um die Isolation zu durchbrechen. Ebenso ging er zu Versammlungen, bei denen es Diskussionen gab, die für eine revolutionäre Klärung von Interesse waren, und er zögerte nicht, klar und mutig einzugreifen und die Positionen der IKS zu verteidigen.
Er leistete auch einen großen Beitrag zur Verbreitung der Presse. Er brachte regelmäßig unsere Publikationen in Buchhandlungen und Bibliotheken, er suchte ständig nach neuen Verkaufsorten. Bei Demonstrationen, Versammlungen, Kundgebungen usw. war er der erste, der die IKS-Presse mit Enthusiasmus und einer wirklich vorbildlichen Beharrlichkeit verbreitete.
Er stand immer für die Aktivitäten der Organisation zur Verfügung und sammelte mit Begeisterung revolutionäre Presse und Bücher, aber auch Publikationen zu allen möglichen Themen, die für den revolutionären Kampf der Arbeiterklasse von Interesse waren. Die Bibliothek, die er zusammenstellte, ist ein Schatz für die Weitergabe der Traditionen und Positionen der kommunistischen Organisationen.
Er blieb bis zur letzten Minute ein Kämpfer. Als er an einer schmerzhaften Krankheit litt, fragte er alle Genossen, die ihn besuchten, wie die Diskussionen verlaufen waren, er bat uns, ihm die internationalen Texte der Organisation vorzulesen, er hörte sich alles, was wir ihm erzählten, mit großem Interesse an. Er war ganz einfach ein KOMMUNISTISCHER MILITANTER DES PROLETARIATS. Mit großer Trauer schreiben wir diese Zeilen, aber wir tun es entschlossen und ermutigt durch seine Militanz, bereit, weiter zu kämpfen und junge Menschen zu gewinnen, die heute mit den Fallen konfrontiert werden, die er zu überwinden hatte, und die nach den Antworten suchen werden, die er fand und die sein ganzes Leben motivierten.
Internationale Kommunistische Strömung 27.9.2023
[1] Damals gab es die so genannte "blockfreie Bewegung" von Ländern, die behaupteten, am Rande der beiden imperialistischen Blöcke zu stehen, die die Welt beherrschten: die USA und die UdSSR. Einer der Befürworter war Tito, der jugoslawische Präsident, der einer der Stars der berühmten Konferenz von Bandung 1955 war.
Die enorme Verschärfung des kriegerischen Chaos durch den Krieg in der Ukraine, die mehrjährige Covid19-Pandemie mit ihren Millionen von Opfern, die Klimakatastrophen, die mit doppelter Gewalt über den ganzen Planeten hereinbrechen, die Wirtschaftskrise, die zweifellos eine der schlimmsten in der Geschichte des Kapitalismus ist und große Teile des Proletariats in Unsicherheit und Elend stürzen lässt ... All diese Manifestationen von Barbarei, Chaos und Elend zeigen die unwiderrufliche Sackgasse, vor der der Kapitalismus steht. Die 2020er Jahre werden daher in allen Regionen der Welt und auf allen Kontinenten eine beispiellose Verschärfung der Erschütterungen, Katastrophen und des schlimmsten Leids mit sich bringen. Es ist die Existenz der menschlichen Zivilisation selbst, die offen bedroht ist. Wie lässt sich diese Anhäufung und das Zusammenhängen von so vielen Katastrophen erklären? Die Arbeiterkämpfe, die sich seit Sommer 2022 in Großbritannien entwickeln, zeigen, dass die Arbeiterklasse - wenn auch unter großen Schwierigkeiten - zu reagieren beginnt und sich weigert, die Angriffe der herrschenden Klasse auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen hinzunehmen. Durch die Entwicklung von Kämpfen auf diesem Gebiet kann die Arbeiterklasse ihre Klassenidentität wiederfinden und eine Alternative zur tödlichen Spirale, in die der Kapitalismus die Menschheit stürzt, entwickeln
Wir laden euch zu unserer Veranstaltung via Internet-Diskussion am Mittwoch 8. Februar um 19.00 Uhr ein.
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"Wir wussten, dass die Welt nicht mehr dieselbe sein würde. Einige Leute lachten, andere weinten, aber die meisten blieben stumm. Ich erinnerte mich an den Satz aus der Hindu-Schrift Bhagavad Gita, in dem Vishnu versucht, den Prinzen zur Erfüllung seiner Pflicht zu überreden, und um ihn zu beeindrucken, nimmt er seine vielarmige Gestalt an und sagt: "Jetzt bin ich zum Tod geworden, zum Zerstörer der Welten". Ich nehme an, dass wir alle auf die eine oder andere Weise so gedacht haben."
So drückte Robert Oppenheimer 1965 aus, wie er sich gefühlt hatte, als er im Juli 1945 den ersten Atomtest in der Wüste von New Mexico miterlebt hatte.
Der Film von Christopher Nolan zeichnet den Gewissenskonflikt dieses Wissenschaftlers nach, der als "Vater der Atombombe" bekannt ist.
Es ist wahr, dass Robert Oppenheimer von der Ungeheuerlichkeit dessen, wozu er maßgeblich beigetragen hatte, überwältigt wurde: Er entwickelte eine Todesmaschine, die alles bisher Dagewesene bei weitem übertraf. Diese neue Atomwaffe sollte am 6. und 9. August 1945 in Hiroshima und Nagasaki 210.000 Menschenleben fordern. Ganz zu schweigen von den unzähligen weiteren Todesfällen infolge der schweren Folgen der Strahlenbelastung, die noch viele, viele Jahre danach anhielt.
Im Verlauf des Krieges war die ideologische Rechtfertigung für die US-Regierung wie gerufen gekommen. Nazi-Deutschland forschte an der Herstellung einer mächtigen und zerstörerischen Waffe. Die Verteidigung der "freien Welt", der Demokratie, rechtfertigte es, alles zu tun, um den Nationalsozialismus zu bekämpfen und Waffen zu entwickeln, die stark genug waren, um diesen Feind der Zivilisation, der die Juden ausrottete, zu zerstören. Oppenheimer war Jude und für diese Propaganda anfällig.
Der Prozess zur Herstellung der Bombe wurde in Gang gesetzt, Oppenheimer und sein Team von Wissenschaftlern vollendeten das Werk. Kurz vor der Potsdamer Konferenz führten sie im Juli 1945 inmitten der Wüste im Süden der USA erfolgreiche Tests durch. Aber warum wurde dann 1945 dieses Militärprogramm fortgesetzt, obwohl Deutschland besiegt war? Das Alibi der Verteidigung der Zivilisation gegen die Nazi-Barbarei war nicht mehr haltbar.
Als sehr widersprüchliche Persönlichkeit war Oppenheimer davon überzeugt, dass er sich für den Weltfrieden einsetzte, indem er eine Todesmaschine baute, die alles bisher Dagewesene übertraf und durch Abschreckung Kriege in der Zukunft verhindern könnte.
Das Ziel von Truman, dem US-Präsidenten, der den atomaren Holocaust anordnete, sowie seines Komplizen Winston Churchill war ein ganz anderes.
Im Gegensatz zu den seit 1945 verbreiteten Lügen über den angeblichen Sieg der Demokratie und den damit verbundenen Frieden[1] wissen wir: Kaum ist der Zweite Weltkrieg vorbei, als sich bereits die neue Linie der imperialistischen Konfrontation abzeichnet, die den Planeten mit Blut überziehen wird. Jalta[2] enthielt den großen imperialistischen Bruch zwischen dem großen Sieger von 1945, den USA, und ihrem russischen Herausforderer. Als kleinere Wirtschaftsmacht konnte Russland dank des Zweiten Weltkriegs zu einem imperialistischen Rang von globalem Ausmaß aufsteigen, was die Supermacht USA zwangsläufig bedrohte. Ab dem Frühjahr 1945 nutzte die UdSSR ihre militärische Stärke, um sich einen Block in Osteuropa aufzubauen. Jalta hatte lediglich das Kräfteverhältnis zwischen den wichtigsten imperialistischen Rivalen verdeutlicht, die aus dem größten Gemetzel der Geschichte als Sieger hervorgegangen waren. Ein neu entstandenes Kräfteverhältnis konnte durch andere wieder umgeworfen werden. So bestand im Sommer 1945 die eigentliche Frage für den amerikanischen Staat nicht darin, Japan so schnell wie möglich kapitulieren zu lassen, wie es uns in den Schulbüchern gelehrt wurde, sondern sich dem imperialistischen Vorstoß des "großen Verbündeten Russland" zu widersetzen und ihn einzudämmen!
So will dieser Film von Christopher Nolan zeigen, wie ein brillanter, kulturbegeisterter und von Humanismus durchdrungener Forscher in den Mittelpunkt historischer Ereignisse gerät, die ihn überfordern, bei denen er aber gleichzeitig Akteur und Opfer ist. Der Film geht aber auch auf den Kontext ein, der in den ersten Jahren des Kalten Krieges herrschte, der Zeit des McCarthyismus. Die Jagd auf "subversive" Elemente, "Kommunisten", die mit Stalins UdSSR verbunden waren, der Oppenheimer zum Opfer fiel[3], bevor er dann 1962 von J.F. Kennedy rehabilitiert wurde.
Vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges in der Ukraine und der Manöver des US-Imperialismus gegen Russland scheint dieser Film wie eine Vorahnung zu erscheinen. War angesichts der Barbarei Russlands in der Ukraine derzeit die Politik der USA und Englands am Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gerechtfertigt?
Die Filmindustrie wird seit langem in großem Umfang für die Propaganda von Staaten eingesetzt. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg beauftragte der amerikanische Staat Walt Disney damit, seine kleine Maus in Südamerika spazieren zu führen, um dem Aufkommen der Nazipropaganda entgegenzuwirken.
Eine der Bedingungen des Marshallplans von 1947 für die europäischen Länder, die ihn annahmen, war, dass amerikanische Filme in den Kinos weit verbreitet sein durften. Auch hier ging es darum, dem wachsenden Einfluss der UdSSR nach dem Krieg entgegenzuwirken, indem man ein demokratisches, freiheitliches Bild der USA vermittelte.
Der ideologische Kampf zwischen den beiden Blöcken wurde mit dem Kampf der "Demokratie" gegen die "kommunistische" Diktatur gleichgesetzt. Jedes Mal gaben die westlichen Demokratien vor, den Kampf gegen ein System zu führen, das sich grundlegend von ihrem eigenen unterscheidet, gegen "Diktaturen"[4]. Dem ist nicht so: Es handelt sich um zwei Seiten einer Politik, die aus demselben kapitalistischen System hervorgegangen sind!
Diese idyllische und naive Vision der "Demokratie" ist ein Mythos. Die "Demokratie" ist der ideologische Schirm, der dazu dient, die Diktatur des Kapitals in seinen am weitesten entwickelten Polen zu verschleiern. Es gibt keinen grundlegenden Wesensunterschied zwischen den verschiedenen Modellen, die die kapitalistische Propaganda für die Zwecke ihrer ideologischen Mystifizierungskampagnen gegeneinander ausspielt. Alle angeblich wesensverschiedenen Systeme, die der demokratischen Propaganda seit Beginn des Jahrhunderts als Rechtfertigung dienten, sind Ausprägungen der Diktatur der Bourgeoisie, des Kapitalismus.
Wie Oppenheimer 1945 sagte, würde die Welt in der Tat nie mehr dieselbe sein. Kapitalismus ist Krieg. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat es keinen dritten Weltkrieg mehr gegeben. Der Wettstreit zwischen dem amerikanischen und dem russischen Block blieb ein "kalter Krieg" in dem Sinne, dass er nie die Form eines offenen Konflikts annahm. Stattdessen wurde er durch eine Reihe von Stellvertreterkriegen zwischen lokalen Staaten und anderen "nationalen Befreiungsbewegungen" ausgetragen, die die Drecksarbeit erledigten, während die beiden Supermächte die Waffen, die Nachrichtendienste, die strategische Unterstützung und die ideologische Rechtfertigung lieferten.
Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 1980er Jahre hat sich nicht eine "neue Weltordnung" durchgesetzt. Im Gegenteil, die Welt ist mit einer Beschleunigung der Barbarei und des Chaos konfrontiert. Der Krieg in der Ukraine und jetzt der Konflikt im Nahen Osten sind die jüngsten kriegerischen Ausdrücke einer Politik, ganze wehrlose Bevölkerungen abzuschlachten, mit all der massiven Zerstörung, die dies mit sich bringt.
Der Kapitalismus zieht die menschliche Gesellschaft in einen endlosen Abgrund. Mehr denn je lautet die Alternative: Kommunismus oder Vernichtung der Menschheit!
November 2023, CT
[1] Siehe unseren Artikel Hiroshima und Nagasaki: Die Lügen der Bourgeoisie [383], Internationale Revue Nr. 17.
[2] Die Konferenz von Jalta war ein Treffen der wichtigsten Entscheidungsträger der Sowjetunion [384] (Josef Stalin [385]), des Vereinigten Königreichs [386] (Winston Churchill [387]) und der Vereinigten Staaten [388] (Franklin D. Roosevelt [389]). Die Ziele der Konferenz von Jalta waren folgende:
- eine gemeinsame Strategie zu verabschieden, um das Ende des Zweiten Weltkriegs [390] zu beschleunigen;
- das Schicksal Europas [391] nach der Niederlage des Dritten Reichs [392] regeln;
- die Stabilität der neuen Weltordnung nach dem Sieg zu gewährleisten. (Wikipedia)
[3] Ihm wurde vorgeworfen, in seiner Jugend Verbindungen zur "Kommunistischen" Partei der USA gehabt zu haben (er war eher Demokrat und unterstützte Roosevelt). Der eigentliche Vorwurf, um ihn als sowjetischen Agenten zu beschuldigen, bestand darin, dass er sich weigerte, seine großen wissenschaftlichen Fähigkeiten beim Bau der H-Bombe einzusetzen.
[4] Siehe unseren Artikel Bourgeois Organization: The Lie of the 'Democratic' State [393] (Die Lüge vom 'demokratischen' Staat), in International Review Nr. 76 (engl./frz./span. Ausgabe)
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In Großbritannien verbreitet sich seit Juni 2022 von Streik zu Streik wie ein Echo der Ruf:
„Enough is enough!" – „Genug ist genug!"
Diese Massenbewegung, die zunächst als "Sommer des Zorns" bezeichnet wurde, verlängerte sich in den "Herbst des Zorns" und dann zum "Winter des Zorns". Die Streikwelle in Großbritannien ist ein Symbol für den Kampfgeist der Arbeiter und Arbeiterinnen, der sich überall auf der Welt entwickelt:
- In Spanien, wo Ärztinnen und Kinderärzte in der Region Madrid Ende November in den Streik traten, ebenso wie der Luft- und Eisenbahnsektor im Dezember. Für Januar sind in vielen Regionen weitere Streiks im Gesundheitswesen angekündigt.
- In Deutschland, wo die Angestellten aufgrund der hohen Preise befürchten, dass sie mit den Folgen einer beispiellosen Energiekrise konfrontiert werden. In der wichtigen Metall- und Elektroindustrie kam es im November zu einer Reihe von Warnstreiks.
- In Italien, wo Mitte Oktober ein Streik der Fluglotsen zu einem Streik der Piloten der Fluggesellschaft EasyJet hinzukam. Die Regierung sah sich sogar gezwungen, Streiks an Feiertagen zu verbieten.
- In Belgien, wo am 9. November und am 16. Dezember ein landesweiter Streik ausgerufen wurde.
- In Griechenland, wo im November eine Demonstration Zehntausender Privatbeschäftigter in Athen mit dem Ruf "Die hohen Lebenshaltungskosten sind unerträglich!" stattfand.
- In Frankreich, wo es in den letzten Monaten immer wieder zu Streiks im öffentlichen Nahverkehr, in Krankenhäusern usw. gekommen ist.
- In Portugal, wo die Arbeiter einen Mindestlohn von 800 Euro gegenüber derzeit 705 Euro fordern. Am 18. November wurde der öffentliche Dienst bestreikt. Im Dezember wurde auch der Transportsektor mobilisiert.
- In den USA griffen Abgeordnete des Repräsentantenhauses ein, um einen Arbeitskonflikt zu lösen und einen Streik im Schienengüterverkehr abzuwenden. Im Januar waren es die Krankenschwestern in New York, die sich zu Tausenden mobilisiert hatten.
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, denn in Wirklichkeit gibt es überall eine Vielzahl von kleinen, voneinander isolierten Streiks in Unternehmen und Verwaltungen. Denn überall, in allen Ländern, in allen Sektoren, verschlechtern sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen, überall explodieren die Preise, gibt es Hungerlöhne, überall Prekarität und Flexibilität, überall Höllentempo und zu wenig Personal, überall eine schreckliche Verschlechterung der Wohnverhältnisse, insbesondere für junge Menschen.
Seit der Covid-19-Pandemie sind die Krankenhäuser zum Symbol dieser alltäglichen Realität aller ArbeiterInnen geworden: Personalmangel und bis zur Erschöpfung überausgebeutet werden für einen Lohn, der nicht mehr ausreicht, um die Rechnungen zu bezahlen.
Die lange Streikwelle, die seit Juni 2022 Großbritannien erfasst hat, ein Land, in dem das Proletariat seit den Thatcher-Jahren resigniert zu haben schien, ist Ausdruck eines echten Bruchs, eines Stimmungswandels innerhalb der Arbeiterklasse, nicht nur in Großbritannien, sondern auch auf internationaler Ebene. Diese Kämpfe zeigen, dass die Ausgebeuteten angesichts der dramatischen Vertiefung der Krise nicht mehr bereit sind, sich alles gefallen zu lassen.
Angesichts einer Inflationsrate von über 11 Prozent und der Ankündigung eines Sparhaushalts durch die Regierung von Rishi Sunak kam es in fast allen Bereichen zu Streiks: Verkehr (Züge, Busse, U-Bahn, Flughäfen) und Gesundheitswesen, Postbeamte der Royal Mail, Beamte des Ministeriums für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten, Amazon-Angestellte, Schulangestellte in Schottland, Ölarbeiter in der Nordsee... Solch ein Ausmaß der Mobilisierung der Pflegekräfte war in diesem Land seit über einem Jahrhundert nicht mehr gesehen worden! Und es wird erwartet, dass ab Februar auch die Lehrer streiken werden.
In Frankreich hat die Regierung darüber hinaus beschlossen, eine neue "Reform" durchzusetzen, mit der das gesetzliche Renteneintrittsalter angehoben werden soll. Das Ziel ist einfach: Einsparungen, bei denen die Arbeiterklasse wie eine Zitrone ausgepresst wird, bis hin zum Tod. Konkret bedeutet dies, dass die Beschäftigten alt, krank und erschöpft arbeiten oder mit einer gekürzten und miserablen Rente in den Ruhestand gehen müssen. Häufig wird der Knoten in diesem Dilemma durch die Entlassung vor dem Erreichen der Altersgrenze durchschlagen.
Die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen werden nicht aufhören. Die Weltwirtschaftskrise wird sich weiter verschärfen. Um international auf dem Markt und im Wettbewerb zu bestehen, wird jede herrschende Klasse in jedem Land der Arbeiterklasse unter Berufung auf die "Solidarität mit der Ukraine" oder die "Zukunft der nationalen Wirtschaft" immer unhaltbarere Lebens- und Arbeitsbedingungen aufzwingen.
Dies gilt umso mehr mit der Entwicklung der Kriegswirtschaft. Ein wachsender Teil der Arbeit und des Wohlstands fließt in die Kriegswirtschaft. In der Ukraine, aber auch in Äthiopien, im Jemen, in Syrien, Mali, Niger, im Kongo usw. bedeutet das: Bomben, Kugeln und Tod! Anderswo führt es zu Angst, Inflation und einem schnelleren Arbeitstempo. Alle Regierungen fordern "Opfer"!
Angesichts dieses kapitalistischen Systems, das die Menschheit in Elend und Krieg, in Konkurrenz und Spaltung stürzt, ist es an der Arbeiterklasse (LohnarbeiterInnen in allen Branchen, allen Nationen, arbeitslos oder erwerbstätig, mit oder ohne Abschluss, erwerbstätig oder im Ruhestand ...), eine andere Perspektive anzubieten. Indem sie diese "Opfer" ablehnt, indem sie einen vereinten, massiven und solidarischen Kampf entwickelt, kann sie zeigen, dass eine andere Welt möglich ist.
Seit Monaten gibt es in jedem Land und in jedem Sektor Streiks. Aber sie sind voneinander isoliert. Jeder streikt für sich, in seiner Fabrik, seinem Lager, seinem Unternehmen, seiner Verwaltung. Es gibt keine wirkliche Verbindung zwischen diesen Kämpfen, selbst wenn man nur die Straße überqueren müsste, damit die Streikenden im Krankenhaus auf die Streikenden in der Schule oder im Supermarkt gegenüber treffen. Manchmal grenzt diese Spaltung an Lächerlichkeit, wenn die Streiks in ein und demselben Unternehmen nach Berufsgruppe, Schicht oder Stockwerk aufgeteilt werden. Man muss sich vorstellen, dass die Sekretärinnen zu einem anderen Zeitpunkt streiken als die technischen Angestellten, oder dass die Arbeiterinnen im ersten Stock in ihrer Ecke streiken, ohne dass sie mit den Arbeitern im zweiten Stock in Verbindung stehen. Manchmal geschieht dies tatsächlich!
Die Zersplitterung der Streiks, das Einsperren jeder und jedes Einzelnen in ihrer Ecke spielt der Bourgeoisie in die Hände, sie schwächt uns, macht uns ohnmächtig, erschöpft uns und führt uns in die Niederlage.
Deshalb wendet die Bourgeoisie so viel Energie auf, um die Zersplitterung aufrechtzuerhalten. In allen Ländern die gleiche Strategie: Die Regierungen spalten. Sie geben vor, diesen oder jenen Sektor zu unterstützen, um dann gegen andere vorzugehen. Sie stellen einen bestimmten Sektor oder ein bestimmtes Unternehmen in den Mittelpunkt und machen Versprechungen, die sie nie einhalten werden, um die Angriffe, die überall sonst stattfinden, unbemerkt zu lassen. Um besser spalten zu können, richten sie punktuelle Hilfen an eine Kategorie und beschneiden die Rechte aller anderen. Überall wird Branche für Branche und Unternehmen für Unternehmen verhandelt.
In Frankreich wird die Ankündigung der Rentenreform, die die gesamte Arbeiterklasse betreffen wird, von einer ohrenbetäubenden Medien-"Debatte" über die Ungerechtigkeit der Reform für diese oder jene Bevölkerungsgruppe begleitet. Sie müsste gerechter werden, indem man die besonderen Profile von Auszubildenden, bestimmten Handarbeitern, Frauen usw. besser einbezieht. Immer die gleiche Falle!
Was ist der Grund für diese Spaltung? Sind es nur die Propaganda und die Manöver der Regierungen, die es schaffen, uns so zu spalten und die Streiks und Kämpfe der Arbeiterklasse voneinander zu trennen?
Das Gefühl, dass wir alle im selben Boot sitzen, wächst. Die Idee, dass nur ein massiver, vereinter und solidarischer Kampf ein Kräfteverhältnis herstellen kann, keimt in allen Köpfen. Warum also sehen wir diese Spaltungen zwischen ArbeiterInnen seit Monaten, in allen Ländern, in allen Sektoren?
In Großbritannien werden Streiks traditionell von Streikposten vor jedem bestreikten Ort begleitet. Seit Monaten stehen die Streikposten nebeneinander, manchmal nur einen Tag auseinander, manchmal zur gleichen Zeit, aber einige hundert Meter voneinander entfernt. Ohne Verbindung untereinander. Jeder hat seinen Streik, jeder seine Streikposten. Ohne den Kampf gegen diese Zersplitterung, ohne die Entwicklung einer echten Einheit im Kampf droht die Kampfbereitschaft zu versiegen. In den letzten Wochen haben sich die Ausweglosigkeit und die Gefahr dieser Situation allmählich herumgesprochen. Die ArbeiterInnen, die seit sechs Monaten abwechselnd streiken, könnten von einem Gefühl der Müdigkeit und Hilflosigkeit befallen werden.
Dennoch haben uns ArbeiterInnen an mehreren Streikposten das Gefühl vermittelt, in etwas Größeres als ihre Firma, ihre Verwaltung oder ihre Branche verwickelt zu sein, und es gibt eine wachsende Bereitschaft, gemeinsam zu kämpfen.
Nur sind es seit Monaten in allen Ländern, in allen Sektoren die Gewerkschaften, die all diese zerstückelten Kämpfe organisieren, es sind die Gewerkschaften, die ihre Methoden diktieren, die spalten, isolieren, die Verhandlungen Branche für Branche, Korporation für Korporation befürworten, es sind die Gewerkschaften, die aus jeder Forderung eine spezifische Forderung machen, es sind die Gewerkschaften, die warnen, dass man vor allem "die Forderungen nicht vermischen darf, um die Unterschiede nicht zu verwässern".
Aber die Gewerkschaften haben auch wahrgenommen, dass die Wut brodelt, dass sie überschwappen und die Dämme brechen könnte, die sie zwischen den Branchen, Unternehmen, Sektoren usw. errichtet haben. Sie wissen, dass die Idee, "alle gemeinsam zu kämpfen", in der Klasse heranreift.
Deshalb beginnen die Gewerkschaften z. B. in Großbritannien, von sektorübergreifenden Zusammenkünften zu sprechen, was sie bislang tunlichst vermieden hatten. Die Worte "Einheit" und "Solidarität" tauchen in ihren Reden auf. Sie geben nicht auf, zu spalten, aber um dies weiterhin tun zu können, passen sie sich den Anliegen der Klasse an. So behalten sie die Kontrolle und die Führung der Kämpfe.
In Frankreich haben die Gewerkschaften angesichts der angekündigten Rentenreform ihre Einheit und Entschlossenheit demonstriert, zu großen Straßendemonstrationen aufgerufen und sich mit der Regierung in einen Machtkampf begeben. Sie rufen, dass diese Reform nicht durchkommen werde und dass Millionen von Menschen sie ablehnen müssten.
Soweit die Rede und die Versprechungen. Aber wie sieht es in Wirklichkeit aus? Um sich eine Vorstellung davon zu machen, genügt es, sich an die Kampfbewegung von 2019-2020 zu erinnern, die sich bereits gegen Macrons Rentenreform richtete. Angesichts des wachsenden Kampfgeistes und der Solidaritätswelle zwischen den Generationen hatten die Gewerkschaften denselben Trick angewandt und die "Konvergenz der Kämpfe" propagiert, einen Ersatz für eine einheitliche Bewegung, bei der die Demonstrierenden, die auf der Straße marschierten, nach Branchen und Unternehmen eingeteilt wurden. Wir waren nicht alle zusammen, sondern Eine hinter dem Anderen. Die Spruchbänder der Gewerkschaften und die Ordnungsdienste trennten die Demonstrationszüge nach Branchen und Betrieben auf. Vor allem gab es keine Diskussionen, keine Versammlungen. Es hieß: "Marschiert mit euren Kollegen und geht nach Hause, bis zum nächsten Mal“. Die Lautsprecheranlage wird voll aufgedreht, um sicherzustellen, dass auch die Hartnäckigsten sich nicht gegenseitig verstehen können. Denn was die Bourgeoisie wirklich erschüttert, ist, wenn die Arbeiter und Arbeiterinnen ihre Kämpfe selbst in die Hand nehmen, wenn sie sich organisieren, wenn sie anfangen, sich zu versammeln, zu debattieren – zu einer kämpfenden Klasse werden!
Um in Großbritannien und Frankreich, wie überall sonst auch, ein Kräfteverhältnis aufzubauen, das es uns ermöglicht, den unaufhörlichen Angriffen auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen, die sich in der Zukunft noch gewaltsam verschärfen werden, zu widerstehen, müssen wir, wo immer wir können, zusammenkommen, um zu diskutieren und die Kampfmethoden hervorzuheben, die die Stärke der Arbeiterklasse ausmachen und es ihr in bestimmten Momenten ihrer Geschichte ermöglicht haben, die Bourgeoisie und ihr System ins Wanken zu bringen:
- die Suche nach Unterstützung und Solidarität über die eigene Abteilung, den eigenen Betrieb, die eigene Branche, die eigene Stadt, die eigene Region, das eigene Land hinaus;
- die autonome Organisation des Arbeiterkampfes, insbesondere durch Vollversammlungen, ohne die Kontrolle den Gewerkschaften zu überlassen, diesen sogenannten "Spezialisten" für Kämpfe und deren Organisation;
- die möglichst breite Diskussion über die allgemeinen Bedürfnisse des Kampfes, über die Lehren, die aus den Kämpfen und auch aus den Niederlagen zu ziehen sind. Denn es wird Niederlagen geben, aber die größte Niederlage ist es, die Angriffe zu erdulden, ohne zu reagieren. Die Aufnahme des Kampfes ist der erste Sieg der Ausgebeuteten.
1985 unter Thatcher kämpften die britischen Bergarbeiter ein ganzes Jahr lang mit enormem Mut und beispielhafter Entschlossenheit; aber isoliert, abgetrennt in ihrer Branche, waren sie machtlos; und ihre Niederlage war die Niederlage der gesamten Arbeiterklasse. Wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Schwächen überwunden werden, die die Arbeiterklasse seit Jahrzehnten untergraben und für eine Reihe von Niederlagen verantwortlich sind: ein beschränkter Blick lediglich auf die eigene Branche und Gewerkschaftsillusion. Die Autonomie des Kampfes, Einheit und Solidarität sind die unerlässlichen Meilensteine für die Vorbereitung der Kämpfe von morgen!
Dazu müssen wir uns als Mitglieder derselben Klasse erkennen, einer Klasse, die durch Solidarität im Kampf vereint ist: das Proletariat. Die Kämpfe von heute sind unerlässlich, nicht nur, um uns gegen Angriffe zu verteidigen, sondern auch, um diese Klassenidentität auf globaler Ebene zurückzuerobern und den Sturz dieses Systems vorzubereiten, das für Elend und Katastrophen aller Art steht.
Im Kapitalismus gibt es keine Lösung: weder gegen die Zerstörung des Planeten noch gegen Kriege, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit oder Elend. Nur der Kampf des Weltproletariats, der von allen Unterdrückten und Ausgebeuteten der Welt unterstützt wird, kann den Weg zu einer Alternative ebnen – dem Kommunismus.
Die Streiks in Großbritannien, die Demonstrationen in Frankreich sind eine Kampfansage an die ProletarierInnen aller Länder.
Internationale Kommunistische Strömung, 12. Januar 2023
Die sich verschlechternde Gesundheitskrise und der starke wirtschaftliche Abschwung in China haben nicht nur zu einer Explosion der Unzufriedenheit in der Bevölkerung geführt, sondern auch zum Entstehen großer Bewegungen in der Arbeiterklasse. Nach den Protesten Tausender Käufer, die nach dem Zusammenbruch verschiedener großer Bauträger (wie der Evergrande Gruppe) und nach dem Platzen der Immobilienblase reagierten sobald sie sich hinters Licht geführt sahen, war der anhaltende Lockdown Millionen Menschen in allen Teilen Chinas und die damit einhergehende entsetzliche Verschlechterung der Lebensbedingungen der Funke, der die Wut zur Explosion brachte. Da war zunächst der Tod von 27 Menschen am 18. September 2022 in einem Quarantänebus in der Region Guizhou, dann die Massenproteste der 200.000 Arbeiter in der riesigen Fabrik des taiwanesischen Großkonzern Foxconn, in der Apples iPhone zusammengebaut werden, die gegen die unmenschlichen Lockdowns und die Nichtzahlung der Löhne protestierten, und der Tod von 10 Menschen bei einem Brand in Urumqui (Xinjiang), weil die Feuerwehr aufgrund der Lockdownbedingungen nicht mehr eingreifen konnte. Im Zuge dieser Proteste kam es zu Demonstrationen in Peking, Kanton, Nanjing, Wuhan, Chengdu, Chongqing und auch Shanghai. In der Wirtschaftsmetropole Chinas versammelte sich am Sonntag, den 27. November, eine dichte Menschenmenge und rief "Xi Jinping Rücktritt! KPCh Rücktritt!".
Die verschiedenen Mobilisierungen überall im Land zeichneten sich durch folgende Aspekte aus:
- diese Mobilisierungen fanden in einer Vielzahl von chinesischen Städten statt; die Medien berichten jedoch nur von "Hunderten" von Menschen, was darauf schließen lässt, dass angesichts der Repression und der Drohungen der Polizei tatsächlich eine große Unruhe herrscht, die Beteiligung an den Demonstrationen aber noch relativ gering ist ;
- sie sind eine Mischung aus echten Kampfmaßnahmen der Arbeiter, z. B. bei Foxconn, wo klare Lohnforderungen und der Kampf gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen zum Ausdruck kamen, einerseits und Studenten- oder Bürgermobilisierungen, die gegen die skandalösen Lockdownmaßnahmen protestieren und ein Ende der Kontrollen und der Zensur fordern, andererseits ;
- die Dynamik, die diese Zusammenkünfte beherrscht und eint, ist nicht die einer massiven Entwicklung der Mobilisierung und der Solidarität der Arbeiter, sondern die der Ablehnung des stalinistischen Regimes und der Verteidigung einer demokratischen Alternative, dies in Kontinuität mit den Unruhen in Hongkong 2019 oder auch den Unruhen in Peking 1989.
Wir müssen also feststellen, dass die Perspektive, die durch diese plötzliche Explosion der Demonstrationen eröffnet wurde, nicht die einer Entwicklung der Arbeiterkämpfe ist, sondern die einer Mobilisierung auf dem bürgerlichen Terrain des Kampfes für demokratische Reformen (auch wenn es punktuelle Ausnahmen gibt). Sicherlich stellen diese Bewegungen die chinesische Bourgeoisie vor ernsthafte Probleme: In größter Eile war sie gezwungen, innerhalb weniger Tage die "Null-Covid"-Politik aufzugeben, die sie gegen alle Widerstände aufrechterhielt. Sie stellen jedoch in keiner Weise eine Perspektive für das Proletariat dar. Das Proletariat läuft vielmehr Gefahr, von seinem Klassenterrain abgelenkt zu werden und entweder in einer verzweifelten Bürgerbewegung gegen die stalinistische Partei und für demokratische Reformen oder in einem Kampf zwischen bürgerlichen Fraktionen innerhalb der KPCh unterzugehen.
Die Situation der chinesischen Arbeiter ist allen Einschränkungen zum Trotz vergleichbar mit dem, was seit einigen Monaten im Iran passiert, wo der Mord an einem jungen Mädchen durch die Sittenpolizei eine Flutwelle von Unruhen, Demonstrationen und auch zahlreichen Arbeiterstreiks ausgelöst hat. Trotz des sehr kämpferischen Charakters der iranischen Arbeiterklasse ist die Auflösung der Arbeiterkämpfe in der Volksbewegung gegen die religiöse Autokratie und für demokratische Reformen eine unmittelbare und ständige Bedrohung. Tatsächlich ist die Verwendung der Proletarier als Manövriermasse im Kampf zwischen bürgerlichen Fraktionen (demokratischen, §aufgeklärten" religiösen, regionalen) oder sogar zwischen Imperialismen (kurdischen, türkischen, arabischen ...) eine tödliche Gefahr, und es ist die Verantwortung der Revolutionäre, die Klasse davor zu warnen.
Nun ist die Arbeiterklasse in China grundsätzlich mit derselben Gefahr konfrontiert, dass sich ihre Kämpfe in Volksrevolten auflösen. Es ist daher wichtig, die chinesischen Arbeiter zunächst vor den Lockrufen der Volksrevolten für mehr Demokratie zu warnen, aber auch und vor allem, sie gegen die Idee zu wappnen, dass "alles jederzeit und überall möglich ist", sobald an der Peripherie des Kapitalismus akute Klassenkonflikte entstehen, eine Idee, die auf der Identifizierung von Kampfbereitschaft und der Reifung des Klassenbewusstseins beruht"[1].
In China deuten alle Elemente der Situation auf den Beginn einer Destabilisierung des Regimes hin. Selbst wenn es dem Staat vorübergehend gelingt, die Situation wieder zu „normalisieren“, wird die Lunte für neue Proteste weiter brennen. In diesem Zusammenhang steht das chinesische Proletariat, auch wenn es seinen Kampfgeist entwickelt und in der Situation an Gewicht gewinnt, durch seine schreckliche politische Rückständigkeit und seine Anfälligkeit für demokratische Mystifikationen vor erheblichen Hindernissen. Die IKS lehnt die naiv-egalitaristische Auffassung ab, dass jedes Land der Ausgangspunkt für eine revolutionäre Dynamik sein könnte. Diese Auffassung beruht auf dem anarchistischen Glauben, dass alle Länder (am Beispiel des revolutionären Generalstreiks) gleichzeitig einen revolutionären Prozess in Gang setzen könnten". [2]
Tatsächlich wird es die Arbeiterklasse in China, wie auch im Iran oder in anderen Teilen der Welt, trotz ihres Kampfgeistes schwer haben, ihre Kämpfe auf ihrem Klassenboden zu verstärken und ihr Bewusstsein zu entwickeln, solange das Proletariat der westlichen Länder nicht den Weg weist. Denn obwohl alle Fraktionen des Weltproletariats ihren Beitrag zum Kampf gegen den Kapitalismus leisten können und müssen, haben die Teile der Arbeiterklasse in Westeuropa aufgrund ihrer Kampferfahrung, aber auch aufgrund ihrer Erfahrung mit den demokratischen und gewerkschaftlichen Mystifikationen der Bourgeoisie eine entscheidende Bedeutung für den revolutionären Prozess. Dies unterstreicht nur die entscheidende Verantwortung des westeuropäischen Proletariats.
R.H., 14. Januar 2023
[1] "Resolution on the criticism of the weak link theory, adopted in January 1983 by the ICC Central Organ", International Review No. 37 (1984), auf englisch hier:
https://en.internationalism.org/content/2962/debate-critique-theory-weakest-link [395]
[2] ebenso
Bei den Mobilisierungen am 19. Januar gegen die Renten-"Reform" konnte man den Spruch hören: "Irgendwann reicht es! Dieses "Es reicht!" kann nur ein Echo des "Enough is enough" ("Zu viel ist zu viel") sein, das sich seit Juni in Großbritannien von Streik zu Streik ausbreitet.
Seit mehreren Monaten und überall auf der Welt klettert die Inflation auf ein Niveau, das seit Jahrzehnten nicht mehr erreicht wurde. Überall auf der Welt trifft der Preisanstieg bei lebensnotwendigen Produkten und Gütern wie Lebensmitteln, Gas, Strom oder Wohnraum die Ausgebeuteten mit voller Wucht, von denen ein immer größerer Teil nicht mehr über die Mittel für ein menschenwürdiges Leben verfügt, auch nicht in den am weitesten entwickelten Ländern. Die rapide Verschlechterung der Wirtschaftslage muss zwangsläufig zu immer schwierigeren und sogar elenden Lebensbedingungen für Millionen von Menschen führen.
Die Wut von mehr als einer Million Demonstranten in Frankreich war daher - über die Rentenreform hinaus - ein klarer Ausdruck eines allgemeineren Überdrusses und der Realität, dass die Kampfbereitschaft der Ausgebeuteten in vielen Ländern angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten, der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Prekarität zurückgekehrt ist. Die Massivität dieses ersten Mobilisierungstages bestätigt nur den Stimmungsumschwung, der sich auf internationaler Ebene vollzieht und dessen Auftakt die Streiks der Arbeiterklasse in Großbritannien seit dem letzten Sommer waren.
Warum unternimmt die französische Bourgeoisie unter diesen Umständen einen solchen Angriff auf die Arbeiterklasse? Die jahrelange Verzögerung, mit der die französische Bourgeoisie das Rentensystem "reformiert", bleibt eine wesentliche Schwäche gegenüber konkurrierenden Bourgeoisien. Dieser ist umso gravierender als die Intensivierung der Kriegswirtschaft eine unaufhaltsame Verschärfung der Ausbeutung der Arbeitskraft erzwingt.[1] Nachdem sie 2019 ein erstes Mal gescheitert sind, machen Macron und seine Clique diesen neuen Versuch zu einer Herausforderung für ihre Glaubwürdigkeit und ihre Fähigkeit, ihre Rolle bei der Verteidigung der Interessen des nationalen Kapitals voll auszuspielen.
Zunächst für den Sommer 2023 geplant, dann auf Ende 2022 vorgezogen und schließlich auf Januar 2023 verschoben, hat die Regierung den ihrer Meinung nach besten Zeitpunkt für diesen Angriff gewählt, wohl wissend, dass sie noch auf die zahlreichen "Unterstützungsmaßnahmen" bauen kann, mit denen der Schock der Krise teilweise abgefedert werden kann.
Wenn die Bourgeoisie entschlossen war, einen neuen Schlag gegen die Renten und für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu führen, dann weiß sie auch, dass der vorherige Versuch 2019-2020 fast zwei Monate lang in Massenprotesten endete. Und obwohl die damals zum Ausdruck gebrachte Wut und Kampfgeist durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie abrupt gestoppt wurde, wurde dies in den Augen der Arbeiterklasse nicht als "Niederlage" empfunden. Vielmehr blieben in der Zwischenzeit die Wut und der Wille zum Kampf ungebrochen. Dieser neue Angriff auf die Renten in Frankreich hatte also alle Chancen, einen großen Teil der Arbeiterklasse auf der Straße und bei Streiks zu mobilisieren. Und das war auch der Fall! Es ist in der Tat ein direkter Angriff, der noch brutaler ist und die gesamte Arbeiterklasse betrifft.
Obwohl die Bourgeoisie sich dieser Situation und vor allem der Kampfbereitschaft, die sich auf internationaler Ebene (jenseits des Kanals und anderswo) ausdrückt, sehr wohl bewusst ist, könnte sich dessen Durchsetzung schwieriger erweisen als erwartet. Aus diesem Grund haben sich die Regierung und die Gewerkschaften über Monate hinweg immer wieder getroffen, um die effektivste Strategie zur Anpassung und Reaktion auf die zu erwartende Reaktion der Arbeiterschaft zu entwickeln.
Nach der sehr gut besuchten branchenübergreifenden Demonstration vom 29. September haben die Gewerkschaften unaufhörlich Streiktage in den einzelnen Branchen veranstaltet und vervielfacht. Während des Herbstes hatte die konzertierte Aktion der Regierung, der linken und linksextremen Parteien sowie der Gewerkschaften kein anderes Ziel, als so lange wie möglich jede wirkliche Einheit und Solidarität in den verschiedenen Bereichen der Arbeiterklasse zu schwächen und zu verhindern. Dies war beispielsweise im Oktober 2022 während des Streiks in den Raffinerien der Fall: Indem die "Sozialpartner", die Hauptsaboteure der Kämpfe, die Vorzüge einer echten Verhandlung anpriesen, ermöglichten sie es dem Staat, als verantwortlicher Schiedsrichter gegenüber den Arbeitgebern zu erscheinen, und der CGT und FO, von den Medien als entschlossen, radikal, unbeugsam und somit glaubwürdig für den Kampf dargestellt zu werden ... obwohl diese Gewerkschaft selbst perfekt institutionalisierte Staatsorgane sind.[2]
Während die Möglichkeiten der Solidarität im Kampf immer mehr zutage treten, haben die Gewerkschaften die Organisation von Bewegungen in ihren Händen, die sie zerstreuen und in ebenso viele Branchen, Berufsgruppen und spezifische Forderungen trennen und so jede mögliche Spaltung ausnutzen, um die Kämpfe zu behindern und ihre Entwicklung zu hemmen.
Dieser Wille, jeden Vorstoß der Klasse zu vereiteln, zeigte sich beim Streik der Schaffner der SNCF im Dezember letzten Jahres. Angesichts der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Schaffner die Arbeit niedergelegt hatte, setzten die Gewerkschaften alles daran, die Bewegung so schnell wie möglich zu beenden. Dies führte zu Verhandlungen mit der SNCF-Leitung und zur Erfüllung eines Teils der Forderungen, um die Streikankündigung für das Silvesterwochenende aufzuheben. Die Gewerkschaften arbeiteten also daran, jeden Versuch eines autonomen Kampfes zu verhindern. Dasselbe hatten wir 1986 im Kampf bei der SNCF gesehen, wo die Entstehung von Koordinationen, die von den Gewerkschaftszentralen unabhängig waren, die CGT dazu veranlasste, ganz zu Beginn der Bewegung "streikfeindliche" Streikposten einzurichten, die sich den Streikenden physisch entgegenstellten, um dann in einem zweiten Schritt ihre Jacke zu wechseln. Diese Koordinationen, so "radikal" sie auch waren, konnten einen engen berufsbeschränkten Blick nicht überwinden, welcher damals vor allem unter den Lokführern vorhanden war, die fest von der trotzkistischen Organisation Lutte Ouvrière unterstützt wurden. Heute hat das Gewicht des Denkens in Branchen oder Berufsgruppen trotz eines gewissen Misstrauens gegenüber den Gewerkschaftsführungen die Schaffner und anderen Eisenbahner gegenüber anderen, "radikaleren", "inoffizielleren" Gewerkschaftsformen wie dem "Collectif National des Agents du Service Commercial Train" (CNASCT) sehr anfällig und verwundbar gemacht, die genauso branchenfixiert sind.
Seit dem 10. Januar, als die Rentenreform angekündigt wurde, riefen Gewerkschafter in allen Fernseh- und Radiosendungen abwechselnd dazu auf, "alle auf die Straße zu gehen", und verkündeten die "Einheit der Gewerkschaften" als angebliches Symbol für ihren Willen, den Angriff abzuwehren. In Wirklichkeit war dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie den Zorn, der sich auf der Straße entladen sollte, eindämmen wollten. So hatten die Gewerkschaften neben ihren verlogenen Reden Anstrengungen zur Zersplitterung der Kämpfe und zur Spaltung unternommen:
- Aufruf zum Streik und zur spezifischen Mobilisierung eines wichtigen Sektors der Arbeiterklasse, des Bildungswesens ... aber am 17. Januar, d. h. zwei Tage vor dem Aktionstag am 19. Januar, um diese Branche an diesem Tag besser demobilisieren zu können!
- Streik in den Krankenhäusern ab dem 10. Januar!
- Streik bei der RATP (Pariser Verkehrsbetriebe) am 13. Januar ...
- Streik in der Ölindustrie Ende Januar, dann Anfang Februar ...
- "Schwarzer Tag"(Aktionstag), der in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Paris für den 19. Januar auf Aufruf der Gewerkschaften organisiert wurde, um viele Menschen daran zu hindern, zu den Orten der Demonstrationen zu gelangen.
Danach hatten die Gewerkschaften mit ihren dröhnenden Lautsprecheranlagen leichtes Spiel, ein scheinheiliges "Tous ensemble, tous ensemble" (Alle zusammen, alle zusammen) am 19. Januar zu brüllen!
Hinzu kam auf denselben Fernsehbühnen und in denselben Radiosendungen eine ohrenbetäubende "Debatte" darüber, wie ungerecht die Reform für diese oder jene Bevölkerungsgruppe sei. Man müsse sie gerechter machen, indem man die besonderen Profile von Auszubildenden, bestimmten Berufsgruppen mit beschwerlichen Arbeiten sowie Frauen besser einbeziehe, lange Laufbahnen besser berücksichtige etc. Kurzum, immer wieder die gleiche Falle: Man drängt darauf, dass sich jeder über seine eigene Situation Gedanken macht, und stellt dabei nur das Schicksal der "Besonderheiten und sich abgrenzenden Kategorien" in den Vordergrund, die angesichts dieses Angriffs am meisten benachteiligt sind!
Aber letztlich haben all diese Gegenfeuer, die in den letzten drei Wochen gelegt wurden, nicht funktioniert. Und der von ein bis zwei Millionen Demonstranten zum Ausdruck gebrachte Kampfgeist zwingt die Gewerkschaften nun dazu, sich an die Situation anzupassen. Daher die Verschiebung des nächsten Mobilisierungstages vom 26. auf den 31. Januar. Die "Sozialpartner" der Bourgeoisie rechtfertigen diese Änderung zwar mit der Notwendigkeit, "die Bewegung langfristig auszurichten“, in Wirklichkeit geht es ihnen aber darum, sich Zeit zu verschaffen, um Spaltung und Sabotage des Kampfes fortzusetzen. Im Übrigen beeilten sie sich ab dem 20. Januar, die "Ortsgruppen aufzurufen, sich zu organisieren", indem sie zu völlig sinnlosen Kampfmethoden aufriefen, wie "vor eine Präfektur zu gehen und Lärm zu machen", "den Strom in den Büros der Abgeordneten abzustellen" oder "vor diesen seine schlechte Laune zu demonstrieren". All dies, ohne zu vergessen, die Bereiche voneinander zu isolieren, indem man beispielsweise für den 26. Januar zu einem eintägigen Streik in den Raffinerien aufruft. All dieses Spektakel zielt nur darauf ab, die Zerstreuung zu organisieren und uns bis zum 31. Januar zu erschöpfen und den Kampfgeist zu untergraben. Zweifellos werden sich bis dahin auch die Mobilisierungen in den einzelnen Branchen vervielfachen.
Wie kann im Gegensatz zu dieser präventiven Sabotagearbeit an den Kämpfen ein Kräfteverhältnis geschaffen werden, das es ermöglicht, den Angriffen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu widerstehen?
- Indem man Unterstützung und Solidarität über die eigene Berufsgruppe, das eigene Unternehmen, die eigene Branche, die eigene Stadt, die eigene Region, das eigene Land hinaus sucht.
- Durch autonome Organisation, insbesondere durch Vollversammlungen, ohne den Gewerkschaften die Kontrolle darüber zu überlassen.
- Durch eine möglichst breite Diskussion über die allgemeinen Bedürfnisse des Kampfes, über die Lehren, die aus den Kämpfen und auch aus den Niederlagen zu ziehen sind. Denn es wird Niederlagen geben, aber die größte Niederlage wäre es, die Angriffe zu erdulden, ohne zu reagieren.
Der Eintritt in den Kampf ist der erste Sieg der Ausgebeuteten. Autonomie, Solidarität und Einheit sind die unerlässlichen Meilensteine für die Vorbereitung der Kämpfe von morgen. Denn die heutigen Kämpfe sind nicht nur Ausdruck des Widerstands gegen die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Sie sind auch der einzige Weg zur Wiedererlangung des Bewusstseins, einer einzigen Klasse anzugehören. Sie bilden den wichtigsten Ansatzpunkt anhand dessen das Proletariat eine Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft erahnen kann: den Kommunismus.
Stopio, 21. Januar 2023
[1]Nach dem Vorbild seiner ausländischen Amtskollegen hat Macron gerade eine beträchtliche Erhöhung der Rüstungsbudgets angekündigt.
[2]Siehe auf französisch: « Grèves dans les raffineries françaises et ailleurs… La solidarité dans la lutte, c’est la force de notre classe ! », Révolution internationale n° 495.
Wir veröffentlichen hier eine Erklärung einiger Genossinnen und Genossen in der Türkei zum Erdbeben, das die Türkei und Syrien erschüttert hat. Wir begrüßen die schnelle Reaktion der Genossen auf diese schrecklichen Ereignisse, bei denen die offizielle Zahl der Todesopfer bereits 21.000 überschritten hat und wahrscheinlich noch viel höher liegt, einschließlich derer, die das erste Beben überlebt haben, nun aber Hunger, Kälte und Krankheiten ausgesetzt sind. Wie die Erklärung zeigt, wurde diese "natürliche" Katastrophe durch die gefühllosen Anforderungen des kapitalistischen Profits und des Wettbewerbs, die die Menschen zwingen, in völlig unzureichenden, dürftigen Unterkünften zu leben, noch viel tödlicher. Die besonders katastrophalen Auswirkungen des jüngsten Erdbebens verdeutlichen die Verachtung der Bourgeoisie für das Leben und Leiden der Arbeiterklasse und der Unterdrückten in einer Zeit, in der die kapitalistische Produktionsweise in jeder Hinsicht zerfällt. Insbesondere die Tatsache, dass sich diese Katastrophe inmitten eines imperialistischen Kriegsschauplatzes ereignet, verschärft ihre Auswirkungen noch erheblich. Das Epizentrum des Bebens lag in Maraş, in der mehrheitlich kurdischen Region, die seit langem Gegenstand des Konflikts zwischen dem türkischen Staat und kurdischen Nationalisten ist. In Nordsyrien sind viele der Opfer Flüchtlinge, die versucht haben, vor dem mörderischen Krieg in Syrien Schutz zu suchen, und die bereits unter höllischen Bedingungen lebten, die durch die gezielte Bombardierung von Krankenhäusern in Städten wie Aleppo durch das Assad-Regime noch verschärft wurden. Die anhaltende Konfrontation zwischen den sich bekriegenden kapitalistischen Fraktionen in der Region wird ebenfalls als politisches und materielles Hindernis für die ohnehin schon dürftigen Rettungsbemühungen wirken.
IKS
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Das Ausmaß der zerstörerischen Auswirkungen des Erdbebens in Maraş (6. Februar 2023), das auch benachbarte Provinzen und Syrien erschütterte, ist noch nicht genau bekannt. In den Medien ist bereits zu lesen, dass mehr als Zehntausend Gebäude zerstört wurden, Tausende von Menschen unter den Trümmern starben und Zehntausende von Menschen verletzt wurden. Die Kommunikation mit einigen Städten ist seit zwei Tagen unterbrochen. Straßen, Brücken und Flughäfen wurden zerstört. Berichten zufolge brach im Hafen von Iskenderun ein Feuer aus. Strom-, Wasser- und Gasanschlüsse sind in vielen Gebieten unterbrochen. Diejenigen, die das Erdbeben überlebt haben, kämpfen nun unter den harten Winterbedingungen mit Hunger und Kälte. Auch aus den Erdbebengebieten in Syrien, das von der Türkei militärisch besetzt wurde, gibt es sehr ernste Nachrichten.
Zwei schwere Erdbeben hintereinander sind sicherlich ungewöhnlich. Im Gegensatz zu den Behauptungen der herrschenden Klasse und ihrer Parteien bedeutet dies jedoch nicht, dass die durch Erdbeben verursachte Zerstörung normal ist. Die widerlichen Aufrufe zur "nationalen Einheit", sowohl der Opposition als auch der kapitalistischen Parteien die in der Regierung sitzen, können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen die offenbar ist: Der Kapitalismus und der Staat sind die Hauptverantwortlichen für diese Zerstörung.
1. Wir wissen, dass das Proletariat als Klasse alle Arten von Solidarität mit den Obdachlosen, den Verletzten und denjenigen, die ihre Angehörigen in den Erdbebengebieten verloren haben, an den Tag legen wird. Hunderte von Minenarbeitern haben sich bereits freiwillig gemeldet, um sich an den Such- und Rettungsmaßnahmen im Erdbebengebiet zu beteiligen. Überall auf der Welt zeigen Arbeiter und Such- und Rettungsteams bereits Solidarität, um den Überlebenden zu helfen. Diese Solidarität ist als eine der größten Waffen des Proletariats eine Notwendigkeit. Die Arbeiter und Arbeiterinnen können nur einander vertrauen. Wir können Emanzipation nur durch unsere eigene Klasse, durch Einheit, erwarten, nicht von der herrschenden Klasse und ihrem Staat.
2. Die Erfahrungen mit Erdbeben in der Türkei in der Vergangenheit sind ein Beweis für die zerstörerischen und tödlichen Auswirkungen der Urbanisierung, die sich mit dem Ziel der sozialen Reproduktion des Kapitals entwickelt hat. Der einzige Grund für erdbebenunverträgliche Bauten, für das Zusammenpferchen von Menschen in mehrstöckigen Gebäuden und für dicht besiedelte Städte in Erdbebengebieten ist die Deckung des Bedarfs des Kapitals an reichlich und billigen Arbeitskräften. Nach den Erdbeben von Gölcük und Düzce, die sich vor 20 Jahren (in der Marmara-Region) ereigneten, zeigt dieses Erdbeben einmal mehr, wie oberflächlich alle "Beteuerungen" des Staates und wie heuchlerisch die Krokodilstränen der herrschenden Klasse sind. Dieses Erdbeben und seine Auswirkungen beweisen schmerzhaft, dass der Hauptgrund für die Existenz des Staates nicht der Schutz der armen und proletarischen Bevölkerung ist, sondern der Schutz der Interessen des nationalen Kapitals.
3. Warum also baut der Kapitalismus keine dauerhafte und solide Infrastruktur auf, obwohl Katastrophen regelmäßig und systematisch seine eigene Produktionsinfrastruktur zerstören? Weil im Kapitalismus Gebäude, Straßen, Dämme, Häfen, kurz gesagt, Infrastrukturinvestitionen im Allgemeinen, nicht mit Blick auf Dauerhaftigkeit oder die menschlichen Bedürfnisse gebaut werden. Im Kapitalismus werden alle Infrastrukturinvestitionen, ob sie nun vom Staat oder von privaten Unternehmen getätigt werden, mit dem Ziel der Rentabilität und der Fortführung des Lohnarbeitssystems gebaut. Dichte Bevölkerungen werden in unbewohnbare Städte gezwängt. Selbst wenn es kein Erdbeben gibt, füllen ungesunde Betonbauten, die höchstens 100 Jahre halten können, Städte und ländliche Gebiete. Die schreckliche Verstädterung der letzten 40 Jahre hat Städte und sogar Dörfer in der ganzen Türkei in solche Betongräber verwandelt. Das kapitalistische System, das auf der Produktion von Mehrwert beruht, kann nur aufrechterhalten werden, wenn möglichst viele lebendige Arbeitskräfte, d.h. Proletarier, beschäftigt werden und die Investitionen in das Anlagekapital, d.h. in die Infrastruktur, auf ein Minimum beschränkt werden. Im Kapitalismus ist der Bau eine kontinuierliche Tätigkeit, die Dauerhaftigkeit des Gebäudes, seine Harmonie mit der Umwelt und sein Übereinstimmen mit den menschlichen Bedürfnissen werden völlig ignoriert. Dies ist die Regel im entwickelten westlichen Kapitalismus ebenso wie in den schwächeren Kapitalismen Afrikas und Asiens. Das einzige soziale Ziel des Kapitals und seiner Staaten besteht darin, die Ausbeutung einer immer größeren Zahl von Proletariern aufrechtzuerhalten.
4. Die kapitalistische Ordnung ist nicht einmal in der Lage, Lösungen zu finden, die ihre eigene Ausbeutungsordnung reproduzieren können. Angesichts von "natürlichen" Katastrophen ist das Kapital nicht nur rücksichtslos, sondern auch hilflos. Diese Hilflosigkeit zeigt sich auch in der mangelnden Koordination der nationalstaatlich kontrollierten Hilfsorganisationen und der Unfähigkeit des Staates bei der Verteilung der Nothilfe. Wir sehen dies nicht nur in Ländern wie der Türkei, wo der zerfallende Kapitalismus stärker betroffen ist, sondern auch in Ländern im Herzen des Kapitalismus, wie Deutschland, das den Überschwemmungen vor zwei Jahren hilflos gegenüberstand, oder die USA, deren Straßen und Brücken aufgrund vernachlässigter Infrastrukturinvestitionen in den Fluten zusammenbrachen.
5. Die Tatsache, dass einige Teile der bürgerlichen Opposition den Staat für "unzureichend" halten, um den Erdbebenopfern zu "helfen", zeigt eine trügerische Sichtweise auf das Wesen des Staates. Der Staat ist keine Hilfsorganisation. Der Staat ist der kollektive Gewaltapparat einer Minderheit der Ausbeuterklasse. Der Staat schützt die Interessen des Kapitals. Gewiss, da die Herrschaft des Chaos in einem Katastrophengebiet sowohl die Schwäche der herrschenden Klasse aufzeigt als auch die Reproduktion des Kapitals selbst behindert, wird der Staat gezwungen sein, ein Mindestmaß an "Hilfe" zu organisieren. Aber es scheint, dass der Staat nicht einmal in der Lage ist, dieses Minimum an Hilfe zu leisten. Unabhängig davon, wie der Staat in die Katastrophe eingreift, besteht seine Hauptfunktion darin, das Proletariat zu zügeln und mit anderen kapitalistischen Ländern im Interesse des eigenen nationalen Kapitals zu konkurrieren. Der Staat ist die ideologische und materielle Maschinerie zur Unterstützung der Kapitalakkumulation, der Hüter der Bedingungen, die die Arbeiter in tödliche Betonsärge zwingen und sie angesichts von Katastrophen schutzlos zurücklassen.
6. Die Epidemien, Hungersnöte und Kriege, die wir in den letzten Jahren erlebt haben und deren Auswirkungen weltweit zu spüren sind, haben nichts "Natürliches" an sich. Obwohl der Zeitpunkt eines Erdbebens nicht vorhergesagt werden kann, lassen sich die Verwerfungslinien und die mögliche Stärke eines Erdbebens mit Sicherheit vorhersagen. Der Hauptverantwortliche für all diese Katastrophen ist der Kapitalismus und die Nationalstaaten, die gesamte bestehende herrschende Klasse, die die Gesellschaft um die Gewinnung von Mehrwert und Lohnarbeit herum organisiert, die den militaristisch-nationalistischen Wettbewerb verschärft und die Existenz und Zukunft der Menschheit bedroht. Wenn der Kapitalismus weiterhin dominiert, wenn die Menschheit weiterhin in Nationalstaaten und Klassen gespalten bleibt, werden sich diese Katastrophen weiter ereignen, immer tödlicher, zerstörerischer und häufiger. Dies ist der deutlichste Hinweis auf die Erschöpfung des Kapitalismus. Überall auf der Welt treiben die herrschenden Klassen die Menschheit in Kriege, in schreckliche und unbewohnbare Städte, in Hunger und Elend, in eine gigantische globale Klimakrise.
Das Erdbeben in und um Maraş ist der aktuellste konkrete und schmerzhafte Beweis dafür, dass die herrschende Klasse der Menschheit keine positive Zukunft zu bieten hat. Dies sollte uns jedoch nicht zu Pessimismus verleiten. Die Solidarität, die unsere Klasse bei diesem Erdbeben gezeigt hat und zeigen wird, sollte uns Hoffnung geben. Katastrophen sind nicht deshalb so verheerend, weil es für sie keine Lösung gibt, sondern weil unsere Klasse, das Proletariat, noch nicht das Selbstvertrauen hat, die Welt zu verändern und die Menschheit vor der Geißel des Kapitals zu retten. Die Ressourcen der Menschheit und der Erde reichen aus, um dauerhafte, sichere Behausungen und Siedlungen zu bauen, die uns vor Katastrophen schützen werden. Der Weg dorthin wird erst offen sein, wenn das Proletariat, die einzige Kraft die die Ressourcen der Welt für die Befreiung mobilisieren kann, sein Selbstvertrauen entwickelt und sich in einem weltweiten Kampf engagiert, um der korrupten Kapitalistenklasse die Macht zu entreißen.
Eine Gruppe von internationalistischen Kommunisten aus der Türkei
Am 19. Januar waren wir über eine Million Menschen auf der Straße, um gegen die neue Rentenreform zu mobilisieren. Die Regierung behauptet, dass dieser Zorn auf einen "Erklärungsmangel", einen "Mangel an Pädagogik" ihrerseits zurückzuführen sei. Aber wir haben sie sehr gut verstanden! Mit dieser x-ten Reform ist das Ziel klar: Wir sollen immer mehr ausgebeutet werden und die Renten all derjenigen kürzen, die aufgrund von Entlassungen oder Krankheit ihre Rentenjahre nicht voll bekommen. Wir müssen bis zur Erschöpfung arbeiten, um eine miserable Rente zu erhalten.
Aber "irgendwann ist es genug!". Dieser Ausdruck wurde in den Demonstrationszügen so oft verwendet, dass er auch in der Presse auf der Titelseite erschien. Es handelt sich fast wortwörtlich um denselben Ausdruck, den die Streikenden in Großbritannien seit Monaten benutzen: "Enough is enough", "Zu viel ist zu viel". Und das ist kein Zufall. Was uns verbindet springt ins Auge: die gleiche Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen, die gleichen Angriffe, die gleiche Inflation und der gleiche wachsende Kampfgeist. Denn, ja, "es reicht". Die Rentenreform, die explodierenden Preise, der höllische Arbeitsrhythmus, die Unterbesetzung, die Hungerlöhne... und was soll man zur neuen Reform der Arbeitslosenversicherung sagen, einer empörenden Maßnahme, die die Bezugsdauer um 25 % verkürzt und es ermöglichen wird, bei den Empfängern reihenweise Streichungen vorzunehmen! Und das alles zum Wohle der Statistiken und der Lügen über die "Senkung der Arbeitslosigkeit".
Mit über einer Million Menschen, die vor zehn Tagen auf die Straße gegangen sind, und vielleicht noch mehr heute, am 31. Januar, zeigt die Arbeiterklasse erneut, was ihre Stärke ist: ihre Fähigkeit, sich massenhaft gegen die Angriffe zu mobilisieren.
Arbeitslose, Rentner, angehende Lohnabhängige, Angestellte, aus allen Berufen, allen Branchen, aus dem öffentlichen oder privaten Sektor - die Ausgebeuteten bilden eine einzige Klasse, die von einem einzigen Solidaritätsgefühl angetrieben wird: Einer für alle, alle für einen!
Seit Monaten gibt es überall in Frankreich kleine Streiks, in den Fabriken, in den Büros. Ihre Vielzahl spiegelt das Ausmaß der Wut in den Reihen der Arbeiterklasse wider. Aber weil sie voneinander isoliert sind, sind diese Streiks machtlos; sie zermürben die Kämpferischsten in aussichtslosen Kämpfen. Auf eine Berufsgruppe oder Branchen beschränkte Streiks führen nur zur Niederlage aller, jeder verliert in seiner Ecke, einer nach dem anderen. Die Organisation von Berufs- und Branchenspezifischen Kämpfen ist nichts anderes als die moderne Verkörperung des alten Sprichworts der herrschenden Klassen: "Teile und herrsche".
Angesichts dieser Zersplitterung und unter dem Eindruck der ständigen Angriffe auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen spüren wir immer mehr, dass wir diese Isolation und Spaltung durchbrechen müssen, dass wir alle im selben Boot sitzen und dass wir alle zusammen kämpfen müssen. Als am 19. Januar mehr als eine Million Menschen auf der Straße waren und zusammenhielten, gab es nicht nur Freude, sondern auch einen gewissen Stolz darauf, dass die Solidarität der Lohnabhängigen gelebt wird.
Als über eine Million Menschen auf der Straße waren, wurde die Atmosphäre mit einer neuen Stimmung aufgeladen. Es besteht die Hoffnung, dass man gewinnen kann, dass man die Regierung zurückdrängen kann, dass sie unter dem Gewicht der Zahl einknickt. Es stimmt, nur der Kampf kann die Angriffe bremsen. Aber ist es genug, zahlreich zu sein?
2019 waren wir ebenfalls massiv mobilisiert und die Rentenreform wurde verabschiedet. Im Jahr 2010, gegen die vermeintlich letzte Rentenreform, haben wir vierzehn Aktionstage aneinandergereiht! Neun Monate lang haben wir gekämpft! An diesen Demonstrationszügen beteiligten sich mehrmals hintereinander Millionen von Demonstranten. Mit welchem Ergebnis? Die Rentenreform wurde verabschiedet. Im Gegensatz dazu zog die Regierung 2006 nach nur wenigen Wochen der Mobilisierung ihren "Contrat Première Embauche" (Erstanstellungsvertrag) zurück. Was war der Grund dafür? Worin bestand der Unterschied zwischen diesen Bewegungen? Was versetzte die Bourgeoisie 2006 so in Angst und Schrecken, dass sie so schnell zurückweichen musste?
2010 und 2019 waren wir viele, wir waren solidarisch und entschlossen, aber wir waren nicht vereint. Wir waren vielleicht Millionen, aber wir waren getrennt voneinander. Die Demonstrationen bestanden darin, dass man mit seinen Kollegen kam, mit seinen Kollegen unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Beschallungsanlagen marschierte und mit seinen Kollegen wieder ging. Es gab keine Versammlungen, keine Debatten, keine echten Begegnungen. Die Demonstrationen wurden auf den Ausdruck eines einfachen Marsches reduziert.
2006 organisierten prekär beschäftigte Studenten an den Universitäten massive Vollversammlungen, die auch Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Rentnern offenstanden, und setzten auf ein einigendes Motto: den Kampf gegen Prekarisierung und Arbeitslosigkeit. Diese Vollversammlungen waren das Herz der Bewegung, wo die Debatten geführt und die Entscheidungen getroffen wurden. Das Ergebnis war, dass jedes Wochenende immer mehr an den Demonstrationen teilnahmen. Lohnabhängige und Rentner schlossen sich den Studenten an, unter dem Motto "Junge Speckwürfel, alte Croûtons, alle denselben Salat". Die französische Bourgeoisie und die Regierung hatten angesichts dieser Tendenz zur Vereinheitlichung der Bewegung keine andere Wahl, als ihren CPE Erstanstellungsvertrag zurückzuziehen.
Der große Unterschied zwischen diesen Bewegungen ist also die Frage, ob die Lohnabhängigen selbst die Kämpfe in die Hand nehmen!
In den Demonstrationszügen taucht heute immer wieder der Verweis auf den Mai 68 auf. Diese Bewegung hat eine außerordentliche Spur in der Erinnerung der Arbeiterklasse hinterlassen. Und gerade 1968 hatte sich das Proletariat in Frankreich vereint, indem es seine Kämpfe selbst in die Hand nahm. Nach den riesigen Demonstrationen vom 13. Mai 1968, mit denen die Studenten gegen die Polizeirepression protestierten, breiteten sich die Arbeitsniederlegungen und Vollversammlungen wie ein Lauffeuer in den Fabriken und an allen Arbeitsplätzen aus und führten mit 9 Millionen Streikenden zum größten Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Sehr oft hatte sich diese Dynamik der Ausweitung und Einheit außerhalb der Gewerkschaften entwickelt, und viele Lohnabhängige zerrissen ihre Gewerkschaftsausweise nach dem „Grenelle-Abkommen“ vom 27. Mai zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern das die Bewegung zu Grabe trug.
Heute fehlt es uns Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Rentnern, prekär beschäftigten Studenten noch immer an Vertrauen in uns selbst, in unsere kollektive Kraft, um es zu wagen, unsere Kämpfe selbst in die Hand zu nehmen. Aber es gibt keinen anderen Weg. Alle von den Gewerkschaften vorgeschlagenen "Aktionen" führen zur Niederlage. Nur das Zusammenkommen in offenen und massiven, autonomen Generalversammlungen, die wirklich über die Führung der Bewegung entscheiden, kann die Grundlage für einen vereinten Kampf bilden, der von der Solidarität zwischen allen Sektoren und allen Generationen getragen wird. Hauptversammlungen, in denen wir uns vereint fühlen und auf unsere kollektive Stärke vertrauen.
Wir dürfen keine Illusionen haben - die Geschichte hat es tausendfach gezeigt: Heute stellen die Gewerkschaften ihre "Einheit" zur Schau und rufen zur allgemeinen Mobilisierung auf, morgen werden sie separate Strategien führen, um uns besser zu spalten und zu demobilisieren. Im Übrigen haben sie damit begonnen:
Die Rentenreform wird im Namen eines ausgeglichenen Haushalts, der Gerechtigkeit und der Zukunft durchgeführt. Am 20. Januar kündigte Macron mit großem Pomp einen Rekord-Militärhaushalt von 400 Milliarden Euro an! Das ist die Realität der von der Bourgeoisie versprochenen Zukunft: mehr Krieg und mehr Elend. Der Kapitalismus ist ein ausbeuterisches, globales und dekadentes System. Er führt die Menschheit in die Barbarei und in die Zerstörung. Wirtschaftskrise, Krieg, globale Erwärmung und Pandemien sind keine getrennten Phänomene; sie alle sind Geißeln desselben sterbenden Systems.
So sind unsere aktuellen Kämpfe nicht nur eine Reaktion auf die Rentenreform oder gar auf die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen. Grundsätzlich sind sie eine Reaktion auf die allgemeine Dynamik des Kapitalismus. Unsere Solidarität im Kampf ist die Antithese zur Konkurrenz bis zum Tod dieses in konkurrierende Unternehmen und Nationen zerspalteten Systems. Unsere Solidarität zwischen den Generationen ist die Antithese zu No-Future und der zerstörerischen Spirale dieses Systems. Unser Kampf symbolisiert die Weigerung, sich auf dem Altar der Kriegswirtschaft zu opfern. Deshalb trägt jeder Streik den Keim der Revolution in sich. Der Kampf der Arbeiterklasse ist unmittelbar eine Infragestellung der eigentlichen Grundlagen des Kapitalismus und der Ausbeutung.
Unser gegenwärtiger Kampf bereitet die zukünftigen Kämpfe vor. Es wird keine Verschnaufpause geben. Indem sie sich in die Weltwirtschaftskrise hineinmanövriert, wird jede nationale Bourgeoisie in ihrem wahnwitzigen Profitstreben unaufhörlich die Lebens- und Arbeitsbedingungen des Proletariats angreifen.
Die kämpferischsten und entschlossensten Lohnabhängigen müssen sich zusammenschließen, diskutieren, sich die Lehren der Vergangenheit wieder aneignen, um den autonomen Kampf der gesamten Arbeiterklasse vorzubereiten. Das ist eine Notwendigkeit. Es ist der einzig mögliche Weg.
Internationale Kommunistische Strömung (29. Januar 2023)
Viele behaupteten vor zwei Jahren, China sei der große Gewinner der Covid-Krise. Doch die jüngsten Ereignisse unterstreichen, dass China stattdessen mit dem Fortbestehen der Pandemie, einer erheblichen Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, einer Immobilienblase, großen Hindernissen für die Entwicklung der "neuen Seidenstraße" und starkem imperialistischen Druck seitens der USA konfrontiert ist. Kurzum mit der Aussicht auf große Turbulenzen.
Seit Ende 2019 leidet China unter der Pandemiekrise, die seine Bevölkerung und seine Wirtschaft weitgehend lähmt. Seit drei Jahren hat die von Präsident Xi propagierte "Null-Covid"-Politik zu gigantischen und endlosen Lockdowns geführt, wie im November 2022, als nicht weniger als 412 Millionen Chinesen unter schrecklichen Bedingungen in verschiedenen Regionen Chinas eingesperrt waren, oft für mehrere Monate. Mit der Behauptung, China würde die Pandemie mit seiner "Null-Covid"-Politik als erstes in den Griff bekommen, lehnten Xi und die KPCh Anti-Covid-Strategien und medizinische Forschung auf internationaler Ebene ab. Infolgedessen steckten sie in einer wirtschaftlich und sozial katastrophalen Logik fest, und das ohne echte Alternativen: Die chinesischen Impfstoffe sind weitgehend wirkungslos, das Krankenhaussystem ist nicht in der Lage die aus einer weniger restriktiven Politik resultierende Infektionswelle aufzufangen, zumal die Korruption in der politischen Verwaltung der Provinzen es unmöglich macht, zuverlässige Daten über die Entwicklung der Pandemie zu erhalten (die Tendenz, die wirklichen Zahlen zu verschleiern, um nicht in politische Ungnade zu fallen).
Die chinesischen Behörden fuhren also gegen die Wand. Konfrontiert mit einem sozialen Protest, der angesichts der schrecklichen Unmenschlichkeit der Massen-Lockdowns explodierte, gaben sie die "Null-Covid"-Politik abrupt auf, ohne auch nur die geringste Alternative anbieten zu können, ohne aufgebaute Immunität, ohne wirksame Impfstoffe oder ausreichende Medikamentenvorräte, ohne eine Impfpolitik für die Schwächsten, ohne ein Krankenhaussystem, das den Schock auffangen konnte, und die unwiederbringliche Katastrophe trat tatsächlich ein: Kranke stehen Schlange, um in überfüllte Krankenhäuser eingeliefert zu werden, und vor den überfüllten Krematorien stapeln sich die Leichen, Zehntausende sterben zu Hause, die Leichenhallen quellen über, die Behörden sind völlig überfordert und nicht in der Lage, den Ansturm zu bewältigen: Prognosen gehen von 1,7 Millionen Toten und zig Millionen Menschen aus, die von der derzeitigen Flutwelle des Virus schwer geschädigt sind.
Seit mehreren Jahren steht China unter intensivem wirtschaftlichem und militärischem Druck seitens der USA, sei es direkt in Taiwan oder durch die Bildung der AUKUS-Allianz, aber auch indirekt in der Ukraine. Denn je länger sich der Krieg in der Ukraine hinzieht, desto größeren Schaden erleidet China durch den Niedergang seines wichtigsten Partners auf der imperialistischen Bühne, Russland, aber vor allem durch die Störung der europäischen Abschnitte des Projekts "Neue Seidenstraße". Andererseits wiegt auch die Explosion von Chaos und Jeder-gegen-Jeden, die durch die aggressive Politik der USA intensiviert wird, schwer, wie der Absturz Äthiopiens, eines der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte Chinas in Afrika, in den Bürgerkrieg zeigt. Auch die Expansionspläne der "neuen Seidenstraße" geraten durch die Verschärfung der Wirtschaftskrise in Schwierigkeiten: Fast 60% der Schulden gegenüber China werden heute von Ländern mit finanziellen Schwierigkeiten geschuldet, während es 2010 nur 5% waren. Zudem nimmt der wirtschaftliche Druck der USA zu, insbesondere durch den "Inflation Reduction Act" und den "Chips in USA Act", Verordnungen, die den Export von Technologieprodukten verschiedener chinesischer Technologiefirmen (z.B. Huawei) in die USA starken Beschränkungen in Form von protektionistischen Zöllen, Sanktionen gegen unlauteren Wettbewerb, aber vor allem durch die Blockade von Technologietransfer und Forschung unterwerfen.
Die wiederholten Lockdowns und der Infektionswellen, die zu einem Chaos im Gesundheitssystem führten, die Immobilienblase und die Blockade verschiedener Routen der "Seidenstraßen" durch bewaffnete Konflikte oder das herrschende Chaos haben zu einer sehr starken Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft geführt. Das Wachstum in der ersten Hälfte dieses Jahres betrug 2,5 %, wodurch das diesjährige Ziel von 5 % unerreichbar wird. Zum ersten Mal seit dreißig Jahren werde das Wirtschaftswachstum in China geringer ausfallen als in anderen asiatischen Ländern. Große Technologie- oder Handelsunternehmen wie Alibaba, Tencent, JD.com und iQiyi haben zwischen 10 und 30 % ihrer Belegschaft entlassen. Junge Menschen bekommen diese Verschlechterung der Lage besonders zu spüren: Die Arbeitslosenquote unter den arbeitssuchenden Universitätsstudenten wird auf 20 % geschätzt.
Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der dramatischen medizinischen Situation hatte Xi Jinpings Politik darin bestanden, zu den klassischen Rezepten des Stalinismus zurückzukehren:
- Auf wirtschaftlicher Ebene hatte die chinesische Bourgeoisie seit der Regierungszeit von Deng Xiao Ping einen fragilen und komplexen Mechanismus geschaffen, um eine allmächtige Einheitspartei aufrechtzuerhalten, die mit einer privaten Bourgeoisie zusammenlebte, die direkt vom Staat stimuliert wurde. Nun, "Ende 2021 ist die Ära der Reformen und der Öffnung von Deng Xiaoping offensichtlich vorbei und wird durch eine neue, etatistische Wirtschaftsorthodoxie ersetzt.“[1] Die herrschende Fraktion hinter Xi Jinping tendiert also dazu, die absolute Kontrolle des Staates über die Wirtschaft zu verstärken und die Aussicht auf eine wirtschaftliche Erneuerung und eine relative Öffnung der Wirtschaft für das Privatkapital zu reduzieren.
- Auf sozialer Ebene sicherte sich Xi mit der "Null-Covid"-Politik nicht nur eine rücksichtslose staatliche Kontrolle über die Bevölkerung, sondern erzwang diese Kontrolle auch über die regionalen und lokalen Behörden, die sich zu Beginn der Pandemie als unzuverlässig und unwirksam erwiesen hatten. Erst kürzlich im Herbst schickte er zentralstaatliche Polizeieinheiten nach Shanghai, um die lokalen Behörden, die die Kontrollmaßnahmen liberalisierten, zur Ordnung zu rufen.
Doch während die Politik des chinesischen Staates seit 1989 darauf ausgerichtet war, größere soziale Turbulenzen um jeden Preis zu vermeiden, brachten die Proteste von Käufern, welche wegen der Schwierigkeiten und Konkurse der Immobilienriesen fast alles verloren hatten, aber vor allem die weit verbreiteten Demonstrationen und Unruhen in vielen chinesischen Städten, die den Überdruss der Bevölkerung an der "Null-Covid"-Politik zum Ausdruck brachten, Xi und seine Anhänger ins Schwitzen. Das Regime war gezwungen, angesichts der rumorenden sozialen Unruhen in aller Eile einen Rückzieher zu machen und innerhalb weniger Tage die Politik aufzugeben, die es seit drei Jahren gegen alle Widerstände aufrechterhalten hatte. Heute zeigen sich die Grenzen von Xi Jinpings Politik der Rückkehr zu den klassischen Rezepten des Stalinismus auf allen Ebenen: gesundheitlich, wirtschaftlich und sozial, während derjenige, der sie durchgesetzt hat, derselbe Xi Jinping, gerade für eine dritte Amtszeit wiedergewählt wurde, nachdem hinter den Kulissen komplizierte Verhandlungen zwischen den Fraktionen innerhalb der KPCh stattgefunden haben.
Zurückblickend lässt sich sagen, dass der chinesische Staatskapitalismus zwar die Chancen nutzen konnte, die sich durch seinen Wechsel vom "sowjetischen" zum amerikanischen Block in den 1970er Jahren, durch die Implosion des "sowjetischen" Blocks und die von den USA und den wichtigsten westlichen Mächten vorangetriebene Globalisierung der Wirtschaft ergaben. Doch stellen die angeborenen Schwächen seiner stalinistisch geprägten Staatsstruktur heute ein großes Handicap dar, angesichts der wirtschaftlichen, medizinischen und sozialen Probleme und des aggressiven Drucks des US-Imperialismus.
Die Situation in China ist einer der charakteristischsten Ausdrücke für den "Strudel-Effekt" der Verkettung und Kombination von Krisen, die die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts kennzeichnen. Dieser "Wirbel" von Umwälzungen und Destabilisierungen setzt nicht nur Xi und seine Anhänger in der KPCh unter schweren Druck, sondern auch die imperialistische Politik Chinas im Allgemeinen. Eine Destabilisierung des chinesischen Kapitalismus würde unvorhersehbare Folgen für den globalen Kapitalismus nach sich ziehen.
R. Havanais, 15. Januar 2023
[1] "Foreign Affairs", abgedruckt in Courrier International Nr. 1674.
Am Freitag, den 2. Dezember 2022 fand in Paris die erste Veranstaltung des Komitees «No War But The Class War» («Kein Krieg außer dem Klassenkrieg») statt.
Die Existenz solcher Komitees ist nicht neu, sie tauchen seit mehr als 30 Jahren auf. Die Idee, NWBTCW-Gruppen zu gründen, kam erstmals in anarchistischen Kreisen in England als Reaktion auf den ersten Golfkrieg 1991 auf. Es war eine Reaktion, eine Weigerung, sich an den von der Linken des Kapitals organisierten "Stop the War"-Mobilisierungen zu beteiligen, deren wesentliche Funktion darin bestand, den Widerstand gegen den Krieg in die Sackgasse des Pazifismus zu lenken. Der Slogan «Kein Krieg außer dem Klassenkrieg» bezieht sich auf einen Satz, den ein sozialistischer Soldat, der während des Ersten Weltkriegs aus der britischen Armee desertierte, in der ersten Folge von Ken Loachs Serie "Days of Hope" von 1975 sagte: «Ich bin kein Pazifist. Ich werde in einem Krieg kämpfen, aber ich werde in dem einzigen Krieg kämpfen, der zählt, und das ist der Klassenkrieg, und der wird kommen, wenn das alles vorbei ist».
Neue NWBTCW-Gruppen wurden als Reaktion auf die Kriege im ehemaligen Jugoslawien 1993 und im Kosovo 1999, sowie auf die Invasionen in Afghanistan und im Irak 2001 und 2003 gegründet.
Wo es möglich war, intervenierten wir in diesen Komitees, die ein äußerst heterogenes Milieu von bürgerlichen Linken bis hin zu InternationalistInnen versammelten.
Eine andere Gruppe der Kommunistischen Linken, die Communist Workers’ Organisation (CWO), die heute die britische Sektion der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz (IKT) ist, beteiligte sich ab 2001 ebenfalls an den NWBTCW-Gruppierungen. Von Anfang an unterstützte die CWO die Gruppen und beteiligte sich aktiv an der Gründung neuer Gruppen, wie zum Beispiel in Sheffield: "Wir beobachten einen deutlichen Anstieg der Streiks, darunter Feuerwehrleute, Eisenbahner und Aktionen außerhalb der Gewerkschaften im Verkehrswesen und in Krankenhäusern in Strathclyde. No War But the Class War gibt uns die Möglichkeit, im ganzen Land mit den Kräften zusammenzuarbeiten, die eine Verbindung zwischen den beiden Themen sehen und den Klassenkampf mit dem Widerstand gegen den imperialistischen Krieg verbinden wollen".[1]
2002 schrieben wir: "Aus diesem Grund haben wir nie geglaubt, dass das NWBTCW ein Vorbote eines Wiederauflebens des Klassenkampfes oder eine definitive politische Bewegung der Klasse ist, der wir uns 'anschließen' sollten. Bestenfalls könnte es ein Bezugspunkt für eine sehr kleine Minderheit sein, die den kapitalistischen Militarismus und die ihn begleitenden pazifistischen und ideologischen Lügen in Frage stellt. Und deshalb haben wir ihre – wenn auch begrenzten – Klassenpositionen gegen die reaktionären Angriffe von Linken wie 'Workers Power' (siehe World Revolution Nr. 250) verteidigt und von Anfang an auf der Bedeutung der Gruppe als Diskussionsforum bestanden und sowohl vor den Tendenzen zur 'direkten Aktion' als auch vor der Angleichung dieser Gruppe an die revolutionären Organisationen gewarnt".[2]
Deshalb waren die Ziele der Intervention der IKS in diesen Gruppen:
- die Prinzipien des proletarischen Internationalismus und die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung von der Linken des Kapitals und vom Pazifismus deutlich zu machen;
- sich auf die politische Debatte zu konzentrieren und vor Tendenzen zum Aktivismus zu warnen, die in der Praxis die Teilnahme an den "Stop the War"-Demonstrationen bedeuten würden.
Jetzt, zwanzig Jahre später, mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, sind diese NWBTCW-Gruppen wieder aufgetaucht, zuerst in Glasgow, dann in mehreren Städten in Großbritannien und auch weltweit, oft auf Initiative anarchistischer Organisationen. Einige andere NWBTCW-Gruppen wurden direkt von der IKT ins Leben gerufen.
Anfang Dezember 2022 besuchten wir das erste Treffen von NWBTCW in Paris. Das Komitee hatte einen wahrhaft internationalistischen Aufruf veröffentlicht: "Was können Revolutionäre gegen den imperialistischen Krieg tun? Der Krieg in der Ukraine hat die weltpolitische Lage verändert, indem er Russland auf der einen Seite und die NATO und die USA auf der anderen Seite positioniert. (...) Wie in den beiden Weltkriegen sagen die internationalistischen Revolutionäre, dass der imperialistische Krieg und seine Fronten verlassen werden müssen – auf welche Weise auch immer. Im Krieg und im Nationalismus hat die Arbeiterklasse alles zu verlieren und nichts zu gewinnen. Die einzige wirkliche Wahl, vor der sie steht, ist die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Klassenkrieg, um eine Alternative aufzubauen, die ausschließlich auf ihren eigenen unmittelbaren und längerfristigen Interessen beruht. Diese Alternative impliziert bereits die Ablehnung der Kriegswirtschaft und aller Opfer, die wir in ihrem Namen bringen müssten".
Auf dieser Grundlage haben wir alle unsere Kontakte aufgefordert, an dieser Veranstaltung teilzunehmen.
In der Einleitung zur Diskussion schlug das Präsidium vor, die Diskussion in zwei Teile zu gliedern: erstens die Analyse der imperialistischen Situation und zweitens die Aktionsmittel, die beschlossen werden sollten.
In der Einleitung, mit der das Präsidium die Debatte einleitete, wurde die Position des Internationalismus klar und unmissverständlich vertreten und die gegenwärtige Realität der imperialistischen Barbarei beschrieben.
Es wurde jedoch auch eine Perspektive der Verallgemeinerung des Krieges mit einer Dynamik verteidigt, die zur Konfrontation von Blöcken in einem Weltkrieg führt, eine Perspektive, die wir nicht teilen.
Der gesamte erste Teil der Diskussion verlief ziemlich chaotisch. Einige weigerten sich kategorisch, über die imperialistische Situation zu diskutieren, sie lehnten jeden Versuch einer Analyse als Zeitverschwendung ab und forderten sofortige Aktionen. Sie machten sich über jede als "theoretisch" bezeichnete Intervention lustig, machten sich über das Alter der Redner lustig, brachen bei der Erwähnung historischer Bezüge aus dem letzten Jahrhundert in Gelächter aus und unterbrachen und sprachen über andere Teilnehmer. Das Präsidium musste wiederholt zur Einhaltung der Debatte auffordern, jedoch ohne Erfolg. Einige beschlossen dann, mitten in der Debatte zu gehen.
Diese Atmosphäre und das, was gegen die "Theorie" und für die "Sofortmaßnahmen" gesagt wurde, sagt viel über die Zusammensetzung dieses Treffens und darüber aus, wer der Einladung gefolgt war. Die Einladung endete mit den Worten: "Lasst uns gemeinsam über die Situation diskutieren, lasst uns über mögliche gemeinsame Aktionen nachdenken, die wir gemeinsam durchführen können! Alle internationalistischen Initiativen sind es wert, in Betracht gezogen und gefördert zu werden". Was die möglichen Initiativen angeht, so gab es den Vorschlag, "die Demokratie anzugreifen" (wie? ungeklärt ...), vor der russischen Botschaft zu demonstrieren, die in der Ukraine kämpfenden Menschen finanziell zu unterstützen, russische Deserteure unterzubringen ...
Deshalb mussten in unserer ersten Intervention folgendes unterstreichen:
- Der Krieg in der Ukraine ist ein rein imperialistischer Krieg. Die Arbeiterklasse darf in diesem Krieg, dessen Hauptopfer sie ist, nicht Partei ergreifen;
- die gegenwärtige Phase der imperialistischen Kriege des Kapitalismus, wie sie durch den Krieg in der Ukraine realisiert wird, führt zur Auslöschung der Menschheit;
- nur der Umsturz des Kapitalismus kann den imperialistischen Kriegen ein Ende setzen;
- es ist gefährlich, in Aktivismus abzugleiten, wahnhaft zu glauben, dass die allgemeine Situation durch dramatische Aktionen kleiner Gruppen von Einzelpersonen verändert werden kann;
- das bedeutet, dass nur die bewusste und organisierte Aktion der arbeitenden Massen der kapitalistischen Barbarei ein Ende setzen kann. Für Revolutionäre geht es darum, sich in diesen andauernden Prozess einzubringen und zur allgemeinen Entwicklung des Klassenbewusstseins beizutragen, indem sie die wichtigen Lehren aus der Geschichte ziehen können.
Diese kompromisslose Verteidigung des Internationalismus und der Rolle der Revolutionäre war sicherlich nicht ausreichend. Im Gegenteil, was vor allem aus diesem ersten Teil der Diskussion hervorging, war Verwirrung, die die Verteidigung des Internationalismus schwächte. Denn neben dem Aktivismus gab es auch einen Beitrag, der die Möglichkeit des Kampfes der Arbeiter für die ukrainische Unabhängigkeit unterstützte. Der Sprecher der trotzkistischen Gruppe Matière et Révolution verteidigte diese klassische These der bürgerlichen extremen Linken. Weit davon entfernt, eine starke Reaktion des Präsidiums zu provozieren, gab es überhaupt keine Reaktion. Jemand im Saal prangerte diese nationalistische Haltung an und fragte, warum das Komitee gerade diese trotzkistische Gruppe eingeladen habe. Eines der Präsidiumsmitglieder, der für die Versendung der Einladungen verantwortliche Militante der IKT, antwortete zögerlich, dass Matière et Révolution streng genommen nicht trotzkistisch sei, woraufhin ihr Sprecher ausrief: "Oh doch, ich bin Trotzkist!" Eine wahrhaft komische Situation, falls es etwas zu lachen gegeben hätte.
Erinnern wir uns daran, dass der Aufruf der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz, der die Quelle für die Entstehung dieser neuen NWBTCW-Komitees ist, im Punkt 11 erklärt, dass diese "internationale Initiative (...) einen politischen Kompass für Revolutionäre mit unterschiedlichem Hintergrund bietet, die jede sozialdemokratische, trotzkistische und stalinistische Politik ablehnt, die sich entweder direkt auf die Seite des einen oder des anderen Imperialismus stellen, um zu entscheiden, welcher das 'kleinere Übel' ist, oder die einen Pazifismus unterstützen, der die Notwendigkeit ablehnt, den imperialistischen Krieg in einen Klassenkrieg zu verwandeln und so die Arbeiterklasse verwirrt und entwaffnet, damit sie ihren eigenen Kampf nicht aufnehmen kann".
Wir hätten es in Bezug auf diese "internationale Initiative" nicht besser sagen können. In der Tat «verwirrt und entwaffnet sie die Arbeiterklasse»!
In unserem ersten Beitrag begannen wir auch, unsere grundsätzliche Ablehnung der NWBTCW-Initiative darzulegen. Wie in den Jahren 1991, 1993, 1999, 2001, 2003 ... besteht die Illusion, dass die Arbeiterklasse eine massive Reaktion auf den Krieg geben kann oder dass sie bereits stattfindet, eine Reaktion, bei der diese Komitees in gewisser Weise entweder der Ausdruck oder die ersten Schritte sein würden. Um diese These zu untermauern, wird jeder aktuelle Streik in den Vordergrund gerückt. Dies stellt jedoch die Wirklichkeit auf den Kopf.
Zu Beginn der 1990er und 2000er Jahre war die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse schwach. Auf der anderen Seite gab es ein echtes Nachdenken über die imperialistische Barbarei, in die die großen demokratischen Mächte alle direkt verwickelt waren. Deshalb haben die linken Parteien des Kapitals die Organisation großer pazifistischer Demonstrationen in ganz Europa und den USA an die Hand genommen. Indem die Komitees des NWBTCW sich dieser Falle und Sackgasse widersetzten, die in der Parole "Stop the War" zum Ausdruck kam, repräsentierten sie trotz aller Verwirrungen zumindest eine gewisse Bewegung, die von Leuten ausging, die eine internationalistische Alternative zu den Linken und zum Pazifismus suchten. Die IKS versuchte, diese Bestrebungen so weit wie möglich voranzutreiben, indem sie in diese Komitees intervenierte. Die CWO hingegen glaubt, in einer Illusion über das Potenzial der Klasse und dieser Komitees, ihren Einfluss innerhalb des Proletariats durch die Aktivitäten dieser Gruppen ausweiten zu können.
Heute wächst die soziale Wut, die Kampfbereitschaft der Klasse nimmt zu. Die Streiks, die seit Juni 2022 in Großbritannien stattfinden, sind der deutlichste Ausdruck der aktuellen Dynamik unserer Klasse auf internationaler Ebene. Aber die Ursache für diese Kämpfe liegt nicht in der Reaktion der Arbeiterklasse auf den Krieg. Nein, es sind die Wirtschaftskrise, die Verschlechterung der Lebensbedingungen, die steigenden Preise und die Hungerlöhne, die diese Streiks auslösen. Es ist unbestreitbar, dass sich die Arbeiterklasse durch diese Kämpfe weigert, die Opfer zu akzeptieren, die die Bourgeoisie im Namen der "Unterstützung der Ukraine und ihres Volkes" fordert. Und diese Weigerung zeigt, dass unsere Klasse nicht auf den Leim gegangen ist, dass sie eindeutig nicht bereit ist, den allgemeinen Marsch in Richtung Krieg zu akzeptieren; obwohl wir wissen, dass sie all diese Zusammenhänge noch nicht bewusst verstanden hat.
Was ist konkret mit dieser Dynamik gemeint? Um dies zu verstehen, müssen wir uns nur ansehen, was in Paris im Verlauf dieser NWBTCW-Veranstaltung geschah.
Es handelt sich nur dem Namen nach um ein „Komitee". In der Tat war es die IKT, die diese Gruppe mit der Unterstützung einer politisch-parasitären Gruppe namens GIGC (Groupe Internationale de la Gauche Communiste - Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken) ins Leben gerufen hat. Im Saal saßen fast ausschließlich deren Vertreter und einige politisierte Personen, die diesen beiden Gruppen zugeneigt sind. Die CNT-AIT Paris, Robin Goodfellow, Matière et Révolution, die Asap, und dann einige Einzelpersonen, einige aus dem autonomen Milieu, andere von der CGT oder vom revolutionären Syndikalismus. Also, in keiner besonderen Reihenfolge, trotzkistische, anarchistische, autonome, stalinistische und Vertreter der Kommunistischen Linken ... Die GIGC selbst schreibt: "Sobald der Aufruf der IKT gestartet wurde, haben ihre Mitglieder in Frankreich und wir selbst ein Komitee gebildet, dessen erste Interventionen mittels Flugblätter während der Demonstrationen im letzten Juni in Paris und einigen anderen Städten stattfanden"[3]. Es handelt sich also um eine völlig künstliche Schöpfung, wie für alle sichtbar ist. Ein Komitee ist etwas ganz anderes.
1989 schrieben wir: "In der Zeit, in der wir heute leben, entstehen hier und da in der Arbeiterklasse Kampfkomitees. Dieses Phänomen begann sich in Frankreich Anfang 1988 im Gefolge des großen Kampfes bei der SNCF zu entwickeln. Seitdem wurden in Frankreich in verschiedenen Sektoren (PTT, EDF, Bildung, Gesundheit, Sozialversicherung usw.) und zunehmend auch sektorübergreifend mehrere Komitees gebildet, in denen sich kämpferische ArbeiterInnen zusammengeschlossen haben.
Diese Komitees sind ein Zeichen für die allgemeine Entwicklung des Klassenkampfes und die Reifung des von ihm geschaffenen Bewusstseins und entsprechen einem unter den ArbeiterInnen immer stärker empfundenen Bedürfnis, sich zusammenzuschließen, um gemeinsam auf ihrem eigenen Klassenterrain zu reflektieren (Lehren aus den vergangenen Arbeiterkämpfen zu ziehen) und zu handeln (an entstehenden Kämpfen teilzunehmen), und zwar außerhalb des von der Bourgeoisie (linke Parteien, linke Gruppen und vor allem die Gewerkschaften) vorgegebenen Rahmens.
Es war ein solches Komitee (das "Komitee für die Ausweitung der Kämpfe", das ArbeiterInnen aus verschiedenen Sektoren des öffentlichen Sektors zusammenbrachte und in dem die IKS regelmäßig intervenierte), das im Herbst 1988 mehrfach in die Bewegung der Kämpfe eingriff.“
Es gab also zu dieser Zeit ein Leben und eine konkrete Erfahrung der Klasse. Natürlich muss eine revolutionäre Organisation die Schaffung dieser Komitees fördern, sich in sie einbringen, sie dazu bringen, die Organisierung und das Bewusstsein der Klasse zu entwickeln, aber sie kann sie nicht künstlich schaffen, ohne jegliche Verbindung zur Realität der Klassendynamik.
Heute müssen wir die soziale Situation genau verfolgen. Die Kriegsfrage ist nicht der Ausgangspunkt, die Basis, auf der sich die Arbeiterklasse mobilisiert, und es gibt auch keine Kampfkomitees. Andererseits ist die Möglichkeit der Bildung von Diskussionszirkeln oder Kampfkomitees durchaus denkbar, angesichts der laufenden Entwicklung der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse, angesichts der Verschärfung der Wirtschaftskrise und der anhaltenden Angriffe auf die Lebensbedingungen. Dann liegt es in der Verantwortung der Revolutionäre, den Zusammenhang mit dem Krieg aufzuzeigen, indem sie den Internationalismus verteidigen. Dies tun im Übrigen alle Gruppen der Kommunistischen Linken bereits durch die Verbreitung ihrer Presse und ihrer Flugblätter. Nebenbei: Diese Stimme würde viel weiter getragen und hätte eine viel tiefere historische Bedeutung, wenn all die Gruppen der Kommunistischen Linken gemeinsam ein und dieselbe internationalistische Botschaft aussenden würden.
Als das Istituto Onorato Damen, Internationalist Voice und die IKS erkennen konnten, dass sie über ihre Meinungsverschiedenheiten hinaus das gleiche internationalistische Erbe verteidigen und verbreiten können, lehnte die IKT einen solchen Ansatz innerhalb der Kommunistischen Linken ab. Sie zieht es stattdessen vor, mit der parasitären GIGC zusammenzuarbeiten, mit leeren Hüllen in Toronto, Montreal, Paris – und nennt sie Komitees. Sie zieht es vor, sich mit trotzkistischen, autonomen und anarchistischen Gruppen zusammenzuschließen, die jede Art von Widerstand verteidigen und glauben machen, dies sei eine Verbreiterung der internationalistischen Basis in der Klasse.
Der gleiche Fehler hat sich seit 1991 dauernd wiederholt. Marx schrieb, die Geschichte wiederhole sich, "das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce". In der Tat wurde auf der Veranstaltung in Paris dreimal die Frage gestellt, wie das Komitee die Erfahrungen des NWBTCW seit 1991 einschätzt. Die Antwort des IKT-Mitglieds des Präsidiums war sehr aufschlussreich: "Es besteht keine Notwendigkeit für eine solche Überprüfung. Es ist wie bei Streiks, sie scheitern, aber das sollte nicht davon abhalten, wieder zu streiken". Doch die Revolutionäre müssen, wie die gesamte Klasse, genau das Gegenteil tun: immer die Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit ziehen. «Selbstkritik, eine unerbittliche, harte Selbstkritik, die den Dingen auf den Grund geht, ist die Luft und das Licht, ohne die die proletarische Bewegung nicht leben kann», sagte Rosa Luxemburg 1915.[4] Und die Lehren aus den Misserfolgen des NWBTCW zu ziehen, würde es der IKT ermöglichen, sich ihren eigenen Fehlern zu stellen.
Das ist es, was unser zweiter Beitrag in der Diskussion unterstreichen wollte und was ein Teilnehmer im Saal missverstanden hat, der darin eine Form von Sektierertum sah, während er selber das Fehlen von Prinzipien in diesen NWBTCW-Komitees hervorhob, einem Komitee nur dem Namen nach, das nicht nur das internationalistische Banner der Kommunistischen Linken befleckt, sondern auch Verwirrung stiftet.
Während dieser Veranstaltung wiederholte das IKT-Mitglied im Präsidium mehrmals, um die Forderung nach einer Umgruppierung ohne wirkliches Prinzip oder Grundlage zu rechtfertigen, dass die Kräfte der Kommunistischen Linken isoliert seien und sich darauf beschränkten, "unter uns zu reden", und implizierte damit, dass diese Komitees es ermöglicht hätten, nicht allein zu sein und einen gewissen Einfluss innerhalb der Klasse zu haben.
Abgesehen davon, dass dies ein Eingeständnis des reinsten Opportunismus ist, im Sinne von "ja, ich werde mich mit allen und jedem anfreunden, um meinen Einfluss zu vergrößern", und abgesehen davon, dass dieser angebliche "Einfluss" illusorisch ist, enthüllen diese Worte vor allem die wahre Motivation für die Schaffung dieser Komitees durch die IKT, um sie als Instrument, als "Vermittler" zwischen sich und der Klasse zu benutzen.
Dies war bereits im Jahr 2001 der Fall, als die IKT den NWBTCW-Komitees in Großbritannien beitrat. Bereits im Dezember 2001 hatten wir einen Artikel mit dem Titel "In defence of discussion groups"[5] geschrieben, um uns gegen die vom Partito Comunista Internazionalista (einer Gruppe in Italien, die jetzt zur IKT gehört) entwickelte und später von der CWO aufgegriffene Idee von "Fabrikgruppen" zu wenden, die als "Instrumente der Partei" definiert werden, um in der Klasse Fuß zu fassen und sogar ihre Kämpfe zu "organisieren"[6]. Wir sind der Meinung, dass das Projekt NWBTCW einen Rückschritt in Richtung der Idee von Betriebsgruppen als Grundlage für die politische Organisation darstellt, wie sie von der Kommunistischen Internationale in der Phase der "Bolschewisierung" in den 1920er Jahren verteidigt und von der Italienischen Kommunistischen Linken entschieden bekämpft wurde. Die jüngste Umwandlung dieser Idee von Betriebsgruppen in einen Aufruf zur Schaffung von territorialen Gruppen und dann von Antikriegsgruppen hat zwar die Form, aber nicht wirklich den Inhalt verändert. Die Vorstellung der CWO, dass NWBTCW ein organisiertes Zentrum des Klassenwiderstands gegen den Krieg werden könnte, enthält ein Missverständnis darüber, wie sich das Klassenbewusstsein in der Zeit der kapitalistischen Dekadenz entwickelt. Natürlich gibt es neben der politischen Organisation selbst eine Tendenz zur Bildung informellerer Gruppen, die sich sowohl in betrieblichen Kämpfen als auch im Widerstand gegen den kapitalistischen Krieg formieren. Aber solche Gruppen, die nicht zur kommunistischen politischen Organisation gehören, bleiben Ausdruck einer Minderheit, die versucht, sich selbst zu klären und diese Klärung in der Klasse zu verbreiten, und können sich nicht selbst ersetzen oder vorgeben, die Organisatoren breiterer Bewegungen der Klasse zu sein. Ein Punkt, in dem die IKT unserer Meinung nach zweideutig bleibt.
Die derzeitige Praxis der IKT, diese Ausschüsse künstlich zu schaffen, hat jedoch katastrophale Folgen. Sie schafft Verwirrung über den von der Kommunistischen Linken verteidigten Internationalismus, sie verwischt die Klassengrenzen zwischen den Gruppen der Kommunistischen Linken und der Linken des Kapitals und, was vielleicht am wichtigsten ist, sie lenkt die Überlegungen und die Energie der suchenden Minderheiten in eine aktivistische Sackgasse.
All diese Abenteuer, auf die sich die IKT seit Jahrzehnten einlässt, haben immer zu einer Katastrophe geführt und die derzeit immens schwierigen und wertvollen Bemühungen des Proletariats, Minderheiten auf der Suche nach Klassenpositionen weiterzubringen, entmutigt oder zunichte gemacht.
Deshalb rufen wir die IKT erneut öffentlich dazu auf, mit allen anderen Gruppen der Kommunistischen Linken zusammenzuarbeiten, um gemeinsam das proletarische Banner hochzuhalten und die Tradition der Kommunistischen Linken zu verteidigen und am Leben zu erhalten.
IKS 11.01.2023
In Fortsetzung der Diskussionsdokumente, die nach dem 23. IKS-Kongress[1] veröffentlicht wurden, veröffentlichen wir weitere Beiträge, die Differenzen zur Resolution zur internationalen Lage des 24. IKS-Kongresses[2] zum Ausdruck bringen. Wie beim vorangegangenen Beitrag des Genossen Steinklopfer beziehen sich die Meinungsverschiedenheiten auf das Verständnis unseres Zerfallsbegriffs, auf die interimperialistische Spannungen und die Kriegsgefahr sowie auf das Kräfteverhältnis zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Um weitere Verzögerungen unter dem Druck der aktuellen Ereignisse zu vermeiden, veröffentlichen wir die neuen Beiträge der Genossen Ferdinand und Steinklopfer ohne Gegendarstellung zur Verteidigung der Mehrheitsposition in der IKS. Wir werden aber sicherlich zu gegebener Zeit auf diesen Text eingehen.
***
Auf dem 24. Internationalen Kongress habe ich eine Reihe von Änderungsanträgen zur Resolution zur internationalen Lage vorgelegt. Ihre allgemeine Stoßrichtung ist die einer weiteren Ausarbeitung der Divergenzen, die ich in Form von Änderungsanträgen auf dem vorangegangenen 23. Kongress vorgelegt habe. Einige von ihnen wurden vom Kongress akzeptiert, andere wurden abgelehnt, weil der Kongress es für notwendig erachtete, sich Zeit zu nehmen, um sie eingehender zu diskutieren, bevor er darüber abstimmt. Während einige der letztgenannten Änderungsanträge auch wiedergegeben werden, konzentriert sich dieser Artikel hauptsächlich auf jene Änderungsanträge, die abgelehnt wurden, weil der Kongress mit ihrem Inhalt nicht einverstanden war. Diese Divergenzen betrafen vor allem zwei der wesentlichen Dimensionen der Analyse der Weltlage: die imperialistischen Spannungen und das globale Kräfteverhältnis zwischen den beiden Klassen Bourgeoisie und Proletariat. Es gibt einen roten Faden, der viele dieser Meinungsverschiedenheiten miteinander verbindet und sich um die Frage des Zerfalls dreht. Obwohl die gesamte Organisation unsere Analyse des Zerfalls als Endphase des Kapitalismus teilt, treten bei der Anwendung dieses Rahmens auf die gegenwärtige Situation unterschiedliche Interpretationen ans Licht. Wir sind uns alle darin einig, dass diese Endphase nicht nur durch die Unfähigkeit beider großen Gesellschaftsklassen eingeleitet wurde, erstens eine Perspektive für diese Gesellschaft aufzuzeigen und zweitens große Teile der Gesellschaft entweder hinter den Kampf für die Weltrevolution (das Proletariat) oder hinter die Mobilisierung für die allgemeine Kriegsführung (Bourgeoisie) zu vereinen, sondern dass sie auch ihre tiefste Wurzel in dieser Unfähigkeit hat. Für die Organisation scheint es jedoch eine zweite wesentliche Triebkraft dieser Endphase zu geben, die Tendenz ‘jeder gegen jeden’: zwischen Staaten, innerhalb der herrschenden Klasse jedes Nationalstaates sowie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt. Auf dieser Grundlage neigt die IKS, was imperialistische Spannungen anbelangt, dazu, die Tendenz zur Polarisierung zwischen zwei führenden Räuberstaaten, die Tendenz zur Bildung militärischer Bündnisse zwischen Staaten zu unterschätzen, ebenso die wachsende Gefahr der direkten militärischen Konfrontationen zwischen den Großmächten, was eine potenzielle Dynamik in Richtung eines dritten Weltkriegs beinhalten würde, der möglicherweise die Menschheit auslöschen könnte. Auf der gleichen Grundlage neigt die IKS heute in Bezug auf das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen dazu, die Ernsthaftigkeit des gegenwärtigen Verlustes der revolutionären Perspektive seitens des Proletariats zu unterschätzen, was die Organisation zu der Annahme führt, dass die Arbeiterklasse ihre Klassenidentität und ihre kommunistische Perspektive im Wesentlichen durch defensive Arbeiterkämpfe wiedererlangen kann.
Ich für meinen Teil stimme zwar zu, dass das bürgerliche ‘jeder gegen jeden’ ein sehr wichtiges Merkmal des Zerfalls ist. Ein Merkmal, das eine sehr wichtige Rolle bei der Einleitung der Zerfallsphase mit dem Zusammenbruch der nachkriegsimperialistischen Weltordnung im Jahr 1989 spielte. Ich stimme aber nicht zu, dass dies eine der Hauptursachen ist. Vielmehr ist das bürgerliche ‘jeder für sich’ eine dauernde Grundtendenz des Kapitalismus während seiner ganzen Existenz (unter Umständen sogar bis zum Auseinanderbrechen und der Untergrabung des bürgerlichen Staates selbst). Ebenso wie die Gegentendenz die Zusammenführung der bürgerlichen nationalen Kräfte – deren Hauptinstrument der Klassenstaat ist – grundlegend und dauerhaft ist, bis hin zur Tendenz zum staatskapitalistischen Totalitarismus in der Epoche des dekadenten Kapitalismus. Für mich ist die Unfähigkeit sowohl der Bourgeoisie als auch des Proletariats, eine Lösung für die existenzbedrohende Krise unserer Spezies durchzusetzen, der wesentliche Faktor der Phase des Zerfalls insbesondere ab 1989, und nicht die Tendenz ‘jeder gegen jeden’. Ich würde im Gegenteil sagen, dass die zunehmende Brutalität sowohl der Tendenz zur Zersplitterung und zur Zwietracht als auch diejenige zur Durchsetzung eines Mindestmaßes an nationaler Einheit durch den Staatskapitalismus, einschließlich des immer schockartigeren Zusammenpralls dieser beiden gegensätzlichen Tendenzen, auf dieser Ebene charakteristisch eben für diese Endphase sind. Für mich entfernt sich die IKS von unserer ursprünglichen Position zum Zerfall, indem sie dem ‚jeder gegen jeden‘ eine fundamentale und kausale Bedeutung beimisst, die sie in dieser Einseitigkeit nicht hat. So wie ich es verstehe, bewegt sich die Organisation in Richtung der Position, dass es mit dem Zerfall eine neue Qualität in Bezug auf frühere Phasen des dekadenten Kapitalismus gibt, die sich durch eine Art absolute Dominanz der Fragmentierungstendenz auszeichnet. Dagegen gibt es für mich keine wesentliche Tendenz in der Phase des Zerfalls, die es nicht schon vorher gegeben hätte, insbesondere in der Zeit der Dekadenz des Kapitalismus ab dem Ersten Weltkrieg. Deshalb habe ich einen Änderungsantrag eingebracht am Ende von Punkt drei der Resolution zur internationalen Lage (vom Kongress abgelehnt), der wie folgt lautete: „Als solche ist die gegenwärtige Zerfallsphase keine qualitativ neue Periode innerhalb – oder jenseits – des dekadenten Kapitalismus, sondern ist – als Endphase des Kapitalismus – durch die äußerste Verschärfung aller Widersprüche des Kapitalismus im Niedergang gekennzeichnet“. Die neue Qualität des Zerfallsphase besteht auf dieser Ebene darin, dass alle bereits bestehenden Widersprüche einer untergehenden Produktionsweise aufs Äußerste verschärft werden. Dies gilt für die Tendenz „jeder gegen jeden“, die mit Sicherheit durch den Zerfall verstärkt wird. Aber auch die Tendenz zu Kriegen zwischen den Großmächten und damit zum Weltkrieg wird verschärft, ebenso wie alle Spannungen, die durch die Bestrebungen zur Bildung neuer imperialistischer Blöcke und durch die Bestrebungen, diese zu vereiteln, entstehen. Dies nicht zu verstehen, führt heute dazu, dass die Kriegsgefahr stark unterschätzt wird. Diese wird insbesondere durch die Versuche der Vereinigten Staaten geschürt, ihre immer noch bestehende militärische Überlegenheit gegenüber China zu nutzen, um dessen Aufstieg aufzuhalten. Ebenso unterschätzen wir ernsthaft die Gefahr militärischer Zusammenstöße zwischen der NATO und Russland (letzterer Konflikt ist zumindest kurzfristig potenziell noch gefährlicher als der chinesisch-amerikanische, da er ein größeres Risiko birgt, zu thermonuklearen Konflikten zu führen). Während sich die IKS fatalerweise der Unwahrscheinlichkeit eines Weltkrieges wegen der Nichtexistenz imperialistischer Blöcke versichert, besteht die gegenwärtig sehr große Gefahr in größeren Kriegen zwischen führenden Mächten, womit sie versuchen, sich entweder solchen Blöcken zu nähern oder umgekehrt solchen Versuchen zuvorzukommen. Aus Besorgnis über diesen besorgniserregenden Verlauf der Analyse der Organisation schlug ich am Ende von Punkt acht den folgenden Zusatz vor: „Während des gesamten dekadenten Kapitalismus bis heute hat von den beiden Hauptäußerungen des Chaos, das durch den Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft erzeugt wurde – imperialistische Konflikte zwischen Staaten und Kontrollverlust innerhalb jedes nationalen Kapitals – in den zentralen Zonen des Kapitalismus die erstere Tendenz über die letztere gesiegt . Unter der Annahme, von der wir ausgehen, dass dies auch im Kontext des Zerfalls weiterhin der Fall ist, bedeutet dies, dass nur das Proletariat ein Hindernis für Kriege zwischen den Hauptmächten sein kann, nicht jedoch die Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse in diesen Ländern. Obwohl diese Spaltungen unter bestimmten Umständen den Ausbruch des imperialistischen Krieges verzögern, können sie ihn auch katalysieren.“ Auch diese Änderung wurde vom Kongress abgelehnt. Die Änderungskommission des Kongresses schrieb, diese Änderung laufe „in letzter Instanz auf eine Infragestellung des Zerfalls hinaus; es könnten neue Wohlstandszonen entstehen“. Ziel dieses Änderungsantrages war es jedoch nicht, neue Wohlstandszonen in Aussicht zu stellen, sondern vor der Illusion zu warnen, dass die Spaltungen innerhalb der unterschiedlichen nationalen herrschenden Klassen zwangsläufig ein Hindernis für Kriege zwischen Nationalstaaten darstellen. Weit davon entfernt, durch unsere Zerfallstheorie ausgeschlossen zu werden, bestätigen Konflikte zwischen den Großmächten eindrucksvoll gerade die Gültigkeit dieser Analyse. Der Zerfall ist die Beschleunigung, die barbarische Verschärfung aller Widersprüche des dekadenten Kapitalismus. Was die IKS einst wusste, aber jetzt zu vergessen droht, ist, dass das imperialistische ‘jeder gegen jeden’ nur der eine Pol des Widerspruchs ist. Der andere Pol ist die imperialistische Bipolarität durch das Auftauchen eines führenden Herausforderers der bestehenden Hauptmacht (eine Tendenz, die den Keim zur Bildung gegensätzlicher imperialistischer Blöcke in sich trägt, ohne damit identisch zu sein). Auf dieser Ebene leiden wir unter einem Mangel an theoretischer Aneignung unserer eigenen Position (oder an einem Verlust des Angeeigneten). Unter der Annahme, dass das ‘jeder gegen jeden’ grundlegend und konstitutiv für die Phase des Zerfalls ist, muss die bloße Vorstellung, dass der entgegengesetzte Pol der Bipolarität sich selbst verstärken und schließlich sogar die Oberhand gewinnen könnte, unsere Analyse in Frage stellen. Zwar wurde um 1989 mit dem Zerfall des Ostblocks (der den Westblock überflüssig machte) in der einleitenden Phase des Zerfalls die vielleicht stärkste Explosion aller gegen alle in der modernen Geschichte ausgelöst. Aber dieses ‘jeder gegen jeden’ war mehr das Ergebnis als die Ursache dieser historischen Kette von Ereignissen. Die Hauptursache war jedoch die Perspektivlosigkeit, das alles beherrschende „no future“, das diese Endphase kennzeichnet. In Bezug auf die herrschende Klasse hängt dieses „no future“ mit ihrer wachsenden Tendenz zusammen, im dekadenten Kapitalismus „irrational“, also gegen die eigenen Klasseninteressen, zu handeln. So gingen alle Hauptakteure des Ersten Weltkriegs geschwächt aus ihm hervor, und im Zweiten Weltkrieg wurden die zwei imperialistischen Hauptmächte der militärischen Offensive (Deutschland und Japan) beide besiegt. Aber diese Tendenz war noch lange nicht allumfassend, wie das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt, die sowohl militärisch als auch wirtschaftlich von ihrer Teilnahme an beiden Weltkriegen profitierten und dank ihrer überwältigenden wirtschaftlichen Überlegenheit gegenüber der Sowjetunion in gewissem Sinne in der Lage waren, den Kalten Krieg zu gewinnen, ohne einen weiteren Weltkrieg führen zu müssen. Im Gegensatz dazu es ist schwer vorstellbar, wie die heutige Rivalität zwischen den USA und China langfristig verhindern kann, dass es zu einem Krieg zwischen ihnen kommt oder wie beide Seiten von einem solchen Ergebnis profitieren könnten. Im Gegensatz zur UdSSR ist China nicht nur auf militärischer, sondern auch (und derzeit noch vor allem) auf wirtschaftlicher Ebene ein ernstzunehmender Herausforderer der amerikanischen Vorherrschaft, so dass es unwahrscheinlich ist, dass dieser Herausforderung ohne irgendwelche militärische Zusammenstöße wirksam begegnet werden kann. Genau aus diesem Grund ist die gegenwärtige chinesisch-amerikanische Rivalität eine der dramatischsten Ausdrucksformen der verallgemeinerten Zukunftslosigkeit der Endphase des Kapitalismus. Die chinesische Herausforderung an die USA hat offensichtlich das Potenzial, unsere Spezies Mensch an den Rand des Abgrunds zu bringen. In der vorliegenden Analyse der Organisation jedoch ist und kann China niemals ein ernsthafter globaler Herausforderer der USA werden, und zwar weil seine wirtschaftliche und technologische Entwicklung als „Zerfallsprodukt“ angesehen wird. Nach dieser Deutung kann China nicht mehr sein oder werden als ein halbentwickeltes Land, das nicht in der Lage ist, mit den alten Zentren des Kapitalismus in Nordamerika, Europa oder Japan Schritt zu halten. Bedeutet diese Interpretation nicht, dass die Organisation die Idee wenn nicht gerade eines Stillstands der Produktivkraftentwicklung – den wir mit Recht als Merkmal des dekadenten Kapitalismus immer ausgeschlossen haben – so zumindest von etwas nicht weit davon Entferntem für die Endphase der Dekadenz postuliert? Wie der/die aufmerksame LeserIn feststellen wird, verurteilt der 24. Kongress nicht nur die Idee einer globalen imperialistischen Herausforderung durch China als eine Infragestellung der theoretischen Zerfallsanalyse – die bloße Idee, dass China seine Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten seiner Rivalen verstärkt hat, wird als Ausdruck meiner angeblichen Illusionen über die Gesundheit des chinesischen Kapitalismus zurückgewiesen. Ebenso gilt meine Einschätzung, dass China im Umgang mit der Covid-Pandemie zumindest bisher besser abgeschnitten hat als sein amerikanischer Rivale, als Beleg für meine „Leugnung“ des globalen Charakters des Zerfalls. In Bezug auf die Pandemie habe ich die folgende Änderung zu Punkt fünf der Resolution vorgeschlagen (vom Kongress abgelehnt): „Für eine marxistische Analyse ist es wichtig, diese Unterschiede zu berücksichtigen, insbesondere insofern sie wesentliche Tendenzen aufzeigen, die bereits vor der Pandemie bestanden und durch sie forciert wurden. Drei solcher Tendenzen sind von besonderer Bedeutung: Erstens die Errichtung eines dritten großen Zentrums des Weltkapitalismus im Fernen Osten (neben Europa und Nordamerika), das auf einigen Ebenen die bereits etablierten Zentren an Modernität und kapitalistischer Effizienz sogar übertrifft. Zweitens der Aufstieg Chinas auf Kosten der Vereinigten Staaten. Drittens das Fiasko des „neoliberalen“ Staatskapitalismus angesichts der Pandemie (dessen Modell des „schlanken Staates“ ohne Reserven – „Just-in-Time-Produktion“ und -Lieferung – radikaler in den alten kapitalistischen Ländern angewandt wurde).“ Ich habe den Eindruck, dass für Organisation derzeit die unveränderlichen Gesetze des Kapitalismus in seiner Zerfallsphase nicht mehr gelten. Gibt es nicht immer Gewinner und Verlierer des bürgerlichen Konkurrenzkampfes? Wir haben bisher auch nie geleugnet, dass es in verschiedenen Ländern und Situationen unterschiedliche Entwicklungsgrade des Zerfalls geben kann. Warum das nicht mehr so sein soll, ist mir ein Rätsel. Ob in Bezug auf die Pandemie oder die Situation im Allgemeinen, unsere Anwendung des Etiketts des Zerfalls riskiert, eine Tendenz zu theoretischer Oberflächlichkeit und Faulheit zu begünstigen. Unser Verständnis von Zerfall gibt den Rahmen für die Analyse der Pandemie vor, ebenso wie für die Phase insgesamt, ebenso wie unser Verständnis von Dekadenz oder Kapitalismus insgesamt es tun. Dieser Rahmen, absolut notwendig, ist jedoch noch nicht die Analyse selbst. Wir riskieren, die beiden zu verwechseln, weil wir denken, dass wir die Analyse bereits durchgeführt haben, wenn wir den Rahmen angeben. Und was bedeutet es zu sagen, dass die „Entwicklung Chinas das Produkt des Zerfalls“ ist? Dass die Proletarisierung von 600 Millionen Bauern (ein bedeutender Teil einer kommenden proletarischen Weltrevolution) ein Produkt des Zerfalls ist? Wäre es nicht richtiger zu sagen, dass der Entwicklungsaspekt in China TROTZ Zerfall stattfindet?
Was die lebenswichtige Frage der Gefahr militärischer Zusammenstöße zwischen führenden Mächten wie den Vereinigten Staaten und China betrifft, so geht es nicht um eine Prognose, denn niemand weiß genau, was die Zukunft bringt. Was die Organisation ernsthaft unterschätzt, ist das, was im Hier und Jetzt vor ihren Augen real vor sich geht. Wie führende Vertreter der amerikanischen Bourgeoisie kürzlich selbst öffentlich gemacht haben, erwartete die chinesische Regierung noch vor dem Ende der ersten Amtszeit von Donald Trump einen amerikanischen Militärschlag. Zu diesem Schluss führte nicht nur die kriegerische Rhetorik des Weißen Hauses, sondern auch die große Eile, mit der Washington begann, seine Truppen aus dem Nahen Osten (Syrien) abzuziehen und zusätzliche Kräfte im Fernen Osten zu stationieren. Es ist daher eine plausible Hypothese, dass eines der Mittel der chinesischen herrschenden Klasse auf diese Bedrohung zu reagieren darin bestand, zu Beginn der Pandemie zuzulassen, dass das neue Virus als Mittel zum Chaosstiften an den Rest der Welt weitergegeben wurde, um die Pläne seines amerikanischen Rivalen zu durchkreuzen. Angesichts der Kritik an Aspekten von Trumps Außenpolitik durch die Demokratische Partei in den USA in dieser Phase ist davon auszugehen, dass Peking nach der Ablösung Trumps durch Joe Biden im Oval Office zunächst eine abwartende Politik eingeschlagen hat. Der jüngste noch kopflosere Rückzug Bidens aus Afghanistan, gefolgt von der Bildung des Militärbündnisses AUKUS, wird es davon überzeugt haben, dass Biden der gleichen Konfrontationslogik folgt wie Trump. Während laut dem berühmten US-Enthüllungsjournalisten Bob Woodward Trump den Einsatz von Atomwaffen gegen China erwog, diskutiert nun die US-„Sicherheitsgemeinschaft“ vor allem die politische Destabilisierung des bestehenden chinesischen Regimes, insbesondere durch die Verfolgung einer systematischen Provokationspolitik in der Taiwan-Frage. Dahinter steht die Annahme, dass, wenn Xi Jin Ping nicht militärisch auf Unabhängigkeitsbestrebungen Taiwans reagieren würde, oder aber wenn China zwar militärisch, aber erfolglos reagierte, dies in beiden Fällen zu einem immensem „Gesichtsverlust“ führen könnte. Und dieser könnte so groß sein, dass der Anfang des Endes der Herrschaft des Stalinismus in China eingeläutet würde (das darauffolgende Chaos im bevölkerungsreichsten Land der Erde würde von Washington als kleineres Übel gegenüber der gegenwärtig drohenden Fortsetzung des Aufstiegs seines chinesischen Herausforderers hingenommen). Im Namen einer vermeintlichen Verteidigung des Konzepts des Zerfalls hat die Organisation in Wirklichkeit begonnen, die Schärfe und Kohärenz der IKS-Analyse der Dekadenz zu untergraben. Bisher haben wir die Zeit des Niedergangs des Kapitalismus nicht nur als eine Epoche der Kriege und Revolutionen, sondern der Weltkriege und Weltrevolutionen verstanden. Die gegenwärtige Unterschätzung der eingebauten, angeborenen Tendenz des niedergehenden Kapitalismus zum Weltkrieg ist wirklich alarmierend.
Nun möchte ich zur zweiten grundlegenden Hauptdivergenz übergehen, derjenigen, die das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen betrifft. Ich schlug neben anderen Änderungsanträgen zum Klassenkampf die folgende Passage zu Punkt 32 vor, um die Schwere des proletarischen Rückzugs durch die drei wichtigsten politischen Niederlagen zu unterstreichen. Dieser vom Kongress ebenfalls abgelehnte Zusatz lautet wie folgt: „Seit der Rückkehr einer ungeschlagenen Generation auf den Schauplatz des Klassenkampfs im Jahr 1968 hat das Proletariat nacheinander drei wichtige politische Niederlagen erlitten, von denen jede die Schwierigkeiten der Klasse vergrößerte. Die erste Niederlage war die des anfänglichen Politisierungsimpulses. Die Linke und die Politik der „Linken an der Regierung“ (Erhöhung der Sozialausgaben) waren in den 1970er Jahren die Speerspitzen dieses Rollbacks, gefolgt in den 1980er Jahren von der Politik der Linken in der Opposition, die auf dem Terrain gegen die immer noch bestehende Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen in Richtung einer Umstellung auf eine „neoliberale“ Regierungs- und Wirtschaftspolitik mobilisierte. Eines der Ziele der letzteren war es, die Inflation einzudämmen, nicht zuletzt, weil sie durch die Erosion der Kaufkraft aller ArbeiterInnen Lohnkämpfe und die Möglichkeit ihrer Vereinigung begünstigte. So geschwächt, war die Arbeiterklasse in den 1980er Jahren nicht in der Lage, sich in die Richtung zu bewegen, die von der wirtschaftlichen Situation (internationale Krise, „Globalisierung“) gefordert und von den gigantischen Kämpfen von Frankreich 1968 bis Polen 1980 objektiv vorbereitet wurde: die Richtung der Massenbewegungen über Landesgrenzen hinweg. Die zweite Niederlage, die von 1989 (bei weitem die größte), die die Phase des Zerfalls einleitete, war durch die Tatsache gekennzeichnet, dass der Stalinismus durch seine eigene angeborene Zerfallsdynamik und nicht durch Arbeiterkämpfe gestürzt wurde. Die dritte Niederlage, die der letzten fünf Jahre, resultiert aus der Unfähigkeit der Klasse, angemessen auf die „Finanz“- und „Euro“-Krise zu reagieren. Sie hinterlässt ein Vakuum, das unter anderem durch Identitarismus und Populismus gefüllt wurde. Während der Schwerpunkt des weltweiten Rückschlags von 1989 in Osteuropa lag, konzentriert sich der jetzige im Moment auf die Vereinigten Staaten (zum Beispiel das Phänomen des Trumpismus) und auf Großbritannien (Brexit). Die Niederlage von 1989 und die jetzige Niederlage tragen die Merkmale einer politischen Niederlage im Kontext des Zerfalls. So schwerwiegend sie auch sind, sie sind keine Niederlagen von der gleichen Art wie jene, die während der Konterrevolution erlitten wurden. Es sind Niederlagen der Art, von denen sich das Proletariat noch erholen kann (deren Konzept wir auf unserem letzten Internationalen Kongress erklärt haben). Obwohl wir noch nicht abschätzen können, wie lange ihre Auswirkungen andauern könnten, können wir nicht länger ausschließen (über drei Jahrzehnte nach dem Beginn des weltweiten Rückzugs der proletarischen Sache im Jahr 1989), dass dieser Rückzug nach 1989 so lange dauern könnte wie die Konterrevolution, die etwa vier Jahrzehnte andauerte (von Mitte der 1920er bis Mitte der 1960er Jahre). Andererseits ist das Potenzial für eine schnellere Überwindung sehr real, denn die Ursache liegt vor allem auf der subjektiven Ebene, in dem dramatischen Trugschluss, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gibt."
Schon in der Resolution des 23. Kongresses fiel auf, dass das Problem der Schwäche, die bald zum Fehlen einer proletarisch-revolutionären Perspektive wird, nicht im Mittelpunkt steht, um die Probleme der Arbeiterkämpfe in den 1980er Jahren zu erklären. In der vorliegenden Entschließung wird die Betonung erneut auf die negativen Auswirkungen des ‘jeder für sich’ und auf den Machiavellismus der Bourgeoisie bei der Förderung einer solchen Mentalität gelegt. Aber weil die Resolutionen sowohl des 23. als auch des 24. Kongresses weiterhin argumentieren, dass der Klassenkampf nach der Niederlage des Massenstreiks in Polen in den 1980er Jahren weiter vorangeschritten sei, können sie nicht vertieft erklären, warum das ‘jeder gegen jeden’ und diese Strategie der Bourgeoisie den Erfolg haben konnten, den sie zweifellos hatten. Diese Unfähigkeit, dieses Festhalten an der Analyse des Fortschritts des proletarischen Kampfes während der 80er Jahre (eine Analyse, die bereits damals falsch, aber angesichts der beträchtlichen Zahl wichtiger Arbeiterkämpfe in gewisser Weise verständlich war, heute jedoch viel weniger einleuchtet) ist umso bemerkenswerter, als dieses Jahrzehnt als dasjenige des „no future“ in die Geschichte eingegangen ist. Wie wir bereits in Bezug auf den Imperialismus festgestellt haben, werden die Kämpfe der 1980er Jahre in erster Linie unter dem Gesichtspunkt dieses „jedes gegen alle“ analysiert, ohne die zentrale Bedeutung des wachsenden Vertrauensverlusts des Proletariats in seine revolutionäre Perspektive jenseits des Kapitalismus anzuerkennen. Die Arbeiterkämpfe der späten 1960er und frühen 1970er Jahre beendeten das, was wir zurecht als die längste Konterrevolution der Geschichte bezeichneten. Nicht nur wegen ihres oft massiven, spontanen und selbstorganisierten Charakters, sondern auch, weil sie begannen, aus der ideologischen Zwangsjacke des Kalten Krieges auszubrechen, in der die einzige Wahl zwischen „Kommunismus“ (gemeint ist der Ostblock – oder alternativ China) oder „Demokratie“ (gemeint der Westblock) bestand. Mit der Erneuerung des proletarischen Kampfes tauchte die oft vage und verworrene, aber sehr wichtige Idee eines Kampfes auf, nämlich die Ablehnung des Ostens wie auch des Westens. Hierdurch wurde der Rahmen, den der Kapitalismus für einen 3.Weltkrieg gesetzt hat, infrage gestellt. Dies war zentral für das, was wir damals richtiger Weise als eine Änderung des Historischen Kurses von einem allgemeinen Krieg hin zu einem zunehmenden Klassenkampf beschrieben haben. Diese anfängliche Politisierung, obwohl im Westen zentriert, erreichte auch den Osten und wurde zu einem Hindernis für den Kriegskurs des Warschauer Paktes: die Idee, nicht nur den westlichen Kapitalismus (wo die Kerngebiete des Weltsystems lagen), sondern ebenso den Stalinismus im Osten herauszufordern und schließlich zu stürzen, durch Selbstorganisation und schließlich durch Arbeiterräte, die auf die Errichtung eines echten Kommunismus hinarbeiten würden. Dieser ersten Politisierung wurde bereits im Laufe der 1970er Jahre von der herrschenden Klasse erfolgreich entgegengewirkt, was dazu führte, dass nach der Niederschlagung des Massenstreiks 1980 in Polen immer mehr Arbeiter im Osten auf westliche Wirtschaftsmodelle zu setzen begannen, während in den zentralen Ländern des Westens die Kämpfe in den 80er Jahren zunehmend von der fatalen Haltung der „Politikverweigerung“ geprägt waren und sich demonstrativ auf rein wirtschaftlichem Terrain positionierten. Angesichts dieser Entpolitisierung erhoffte sich die IKS in den 1980er Jahren, dass diese wirtschaftlichen Kämpfe, insbesondere die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften, in ihrem Verlauf zum Schmelztiegel einer vielleicht sogar noch höheren Stufe der Neupolitisierung werden könnten, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Die Realität des Scheiterns dieser Neupolitisierung wird, zumindest implizit, bereits (seit den letzten 1980er Jahren) von unserer Zerfallsanalyse erkannt, da sie die neue Phase als perspektivlos definiert. Laut der Resolution hat sich der proletarische Kampf trotz aller aufgetretenen Probleme im Grunde gut entwickelt, bevor er 1989 durch ein weltgeschichtliches Ereignis gestoppt wurde, das ihr als äußere Erscheinung erschien: dem Zusammenbruch des Ostblocks. So gesehen geht die IKS nun im Grunde davon aus, dass die überwältigendsten Auswirkungen dieses Ereignisses mit der Zeit nachlassen würden und es der Klasse ermöglichten, ihren früheren, im Wesentlichen gesunden Weg der Politisierung durch ihre Abwehrkämpfe irgendwie fortzusetzen. Die Organisation geht auch davon aus, dass der Politisierungsprozess im Vergleich zu den 1980er Jahren stärker von der Verschärfung der Wirtschaftskrise vorangetrieben wird, eine Verschärfung, die die Arbeiter sofort zum Kampf zwingt, sie ihrer Illusionen beraubt und ihnen die Augen für die Realität des Kapitalismus öffnet.
Im Gegensatz dazu lag die Hauptschwäche der Kämpfe aus meiner Sicht bereits in den 1980er Jahren nicht auf der Ebene ihrer wirtschaftlichen Kämpfe, sondern auf der politischen und theoretischen Ebene. Was die Organisation zu vergessen scheint, ist, dass eine Zunahme der Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen nicht notwendigerweise mit einer Zunahme des Umfangs und der Tiefe des Bewusstseins innerhalb des Proletariats einhergeht. Dass sogar das Gegenteil der Fall sein kann, zeigt der Verlauf der gesellschaftlichen Situation vor dem Zweiten Weltkrieg deutlich. In einigen westeuropäischen Ländern (wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden und vor allem in Spanien), aber auch beispielsweise in Polen und (was noch wichtiger ist) in den Vereinigten Staaten, war die Kampfbereitschaft der Arbeiter während dieser Zeit in den 1930er Jahren viel stärker als in den 1920er Jahren entwickelt: dem Jahrzehnt der ersten Welle der Weltrevolution mit Zentrum in Russland und Mitteleuropa. Eine der Haupterklärungen für diese paradoxe Entwicklung ist leicht zu finden. Sie liegt in der Brutalität der Wirtschaftskrise, der großen Depression, die ab 1929 die ArbeiterInnen zur Selbstverteidigung zwang. Doch trotz dieser Kampfbereitschaft ging der Historische Kurs in Richtung eines zweiten Weltkriegs, nicht in Richtung einer Verschärfung des Klassenkampfs. Angesichts der Konterrevolution in der UdSSR und des Scheiterns der Revolution in Deutschland und anderswo in Mitteleuropa ging die Kampfbereitschaft der Arbeiter weltweit zurück. Weit davon entfernt, den Weg zum Weltkrieg zu blockieren, war es der herrschenden Klasse sogar möglich, diese Kampfbereitschaft für Kriegszwecke zu nutzen, insbesondere durch den „Antifaschismus“ („Hitler stoppen“) und die Verteidigung des angeblich sozialistischen Vaterlandes in der UdSSR. Nicht einmal die äußerst wichtigen und massiven Streiks in Italien während des Zweiten Weltkriegs konnten helfen, aus dieser politisch-ideologischen Falle auszubrechen. In Nordirland zum Beispiel gab es während des Zweiten Weltkriegs sehr große Streikbewegungen, die sich oft gerade in der Rüstungsindustrie konzentrierten, wobei die dortigen Arbeiter die Stärkung dessen, was Gewerkschafter ihre „Verhandlungsmacht“ nennen, gerade dank des Krieges erkannten, aber leider ohne die patriotische Kriegsstimmung, die auch diese Arbeiter erfasst hatte, in irgendeiner Weise zu schwächen. In diesem Sinne ist die Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen, obwohl sie ein unverzichtbarer Faktor ist, unzureichend sowohl für die Entwicklung der Politisierung als auch für die Beurteilung, ob der proletarische Kampf voranschreitet oder nicht. Dies zeigen nicht nur die Erfahrungen der 1930er und 1980er Jahre, sondern nicht weniger die gegenwärtige Situation. Natürlich haben wir in den letzten Jahren wichtige Widerstandskämpfe der ArbeiterInnen erlebt. Natürlich werden wir in der kommenden Zeit noch mehr von ihnen sehen. Selbstverständlich besteht angesichts der in vielen Bereichen immer dramatischer werdenden Verschlechterung der proletarischen Arbeits- und Lebensbedingungen (Auswirkungen der Wirtschaftskrise), angesichts der verbesserten „Verhandlungsposition“ in anderen Sektoren aufgrund eines dramatischen Mangels an ausreichend qualifizierten Arbeitskräften (Auswirkungen der kapitalistischen Anarchie) sogar eine gute Chance auf eine Steigerung solcher Kampfbereitschaft. Und ja, es gibt zahlreiche Beispiele, überdies inhaltlich sehr überzeugende Beispiele in der Geschichte, die beweisen, dass ArbeiterInnen auf Angriffe nicht nur mit großer Kampfbereitschaft reagieren können, sondern mit einer entsprechenden Entwicklung des Klassenbewusstseins (von 1848 bis 1968 – und die revolutionäre Welle, die während des Ersten Weltkriegs begann, war in erheblichem Maße auch eine Reaktion auf wirtschaftliches und soziales Elend). Aber was ist mit den kurzfristigeren Aussichten der proletarischen Politisierung in der gegenwärtigen konkreten Situation? Dass die 1960er und frühen 1970er Jahre gleichzeitig ein Aufwallen von Kampfgeist und Klassenbewusstsein erlebten, beweist nicht mehr, dass das Gleiche heute passiert, als das Beispiel der 1930er oder 1980er Jahre das Gegenteil beweisen würde. Gegenwärtig beruhigt sich die IKS damit, dass das Weltproletariat nicht bereit ist, in einen dritten Weltkrieg aufzubrechen – was auch stimmt. Aber auf dieser Ebene ähnelt die Situation nur scheinbar der nach 1968, als eine neue und unbesiegte Generation des Proletariats zum Haupthindernis für einen solchen Krieg wurde. Damals waren zwei rivalisierende imperialistische Blöcke vorbereitet, willens und in der Lage, einen dritten Weltkrieg zu entfesseln. Heute gibt es keine solche Bereitschaft seitens der herrschenden Klasse. Nicht nur das Proletariat will nicht in einen solchen Krieg marschieren, die Bourgeoisie selbst hat nicht die Absicht, mit irgendjemandem in einen dritten Weltkrieg zu marschieren. Das Ziel der chinesischen Bourgeoisie zum Beispiel ist es, die Vereinigten Staaten zu übertreffen und gleichzeitig einen Weltkrieg zu vermeiden, da diese militärisch immer noch weit überlegen sind und dies wahrscheinlich noch einige Zeit bleiben werden. Das Ziel der amerikanischen Bourgeoisie zum Beispiel ist in ihrem Bemühen, den Aufstieg Chinas zu stoppen, zu verhindern, dass China einen militärischen Block (insbesondere mit Russland) bildet, der die Wahrscheinlichkeit erhöhen würde, es schließlich zu wagen, einen dritten Weltkrieg zu beginnen. Wir sehen also, anders als zu Zeiten des Kalten Krieges plant heute niemand mehr einen dritten Weltkrieg. Im Gegenteil, die verschiedenen nationalen Kapitale/Bourgeoisien entwickeln größtenteils ihre unterschiedlichen Strategien, die alle darauf abzielen, ihren eigenen Einfluss und ihr Ansehen zu erhöhen und gleichzeitig den dritten Weltkrieg zu vermeiden. Aber eine der Fragen, die sich Revolutionäre stellen müssen, ist, ob all dies einen dritten Weltkrieg weniger wahrscheinlich macht als in der Zeit des Kalten Krieges? Die Antwort, die die IKS derzeit gibt, ist bejahend: Wir sind sogar so weit gegangen, von der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Katastrophe zu sprechen. Diese Ansicht teile ich überhaupt nicht. Ich halte sie sogar für hochgefährlich – vor allem für unsere Organisation selbst. Aus meiner Sicht ist die Gefahr eines dritten Weltkriegs heute genauso groß, wenn nicht größer, als in den letzten zwei Jahrzehnten des Kalten Krieges, wobei die Hauptgefahr gerade darin besteht, dass die verschiedenen strategischen Manöver und taktisch-militärischen Tricks, die angeblich einen Weltbrand verhindern sollen, eben genau dazu führen werden. Vor diesem Hintergrund kann die Frage nach der Bereitschaft des Proletariats zum Aufmarsch in den Weltkrieg nicht mehr so gestellt werden wie während des Kalten Krieges (deshalb hat der 23. Kongress der IKS zurecht festgestellt, dass das Konzept des „Historischen Kurses“ nicht auf die heutige Situation anwendbar ist). Wir können zum Beispiel zustimmen, dass das Proletariat der USA derzeit nicht bereit ist, in China einzumarschieren. Aber wäre es der Bourgeoisie der Vereinigten Staaten in der gegenwärtigen Situation möglich, die Unterstützung der Bevölkerung für eine „harte militärische Aktion“ gegen China zu gewinnen, scheinbar und angeblich unterhalb der Schwelle eines globalen Krieges? Diese Frage ist meines Erachtens viel schwieriger zu beantworten – und die Lage für das Proletariat politisch noch heikler. Aber diese Frage stellt uns die konkrete historische Situation und nicht etwa die gegenwärtig abstrakte Frage einer hypothetischen Bereitschaft zum Weltkriegsaufmarsch. Letzterer kann auch dann stattfinden, wenn keiner der Hauptakteure dies beabsichtigt: Die Tendenz dazu wurzelt viel tiefer im Wesen des Kapitalismus als der Bereich der bewussten oder unbewussten Impulse der herrschenden Klasse, wobei dieser nur einer von vielen wichtigen Faktoren und weit davon entfernt ist, der wichtigste zu sein. In der gegenwärtigen Situation ist es von größter politischer Bedeutung, jeden schematischen, einseitigen Ansatz zu überwinden, der die Existenz imperialistischer Blöcke zur Voraussetzung für militärische Zusammenstöße zwischen den Großmächten macht. Nicht nur deshalb, weil die USA und Australien bereits den Kern eines längerfristigen Militärbündnisses gegen China geschaffen haben, dessen innere Hülle derzeit ihr „AUKUS“-Abkommen mit Großbritannien, dessen äußere Hülle ihr „QUAD“-Abkommen ist in Form der Zusammenarbeit mit Japan und Indien. Vor allem aber, weil dies zu anderen Faktoren von ähnlicher oder sogar noch größerer Bedeutung führt, von denen einer darin besteht, dass die beiden imperialistischen Hauptkonkurrenten von Ressentiments und Rachsucht erfüllt sind. Im Falle Chinas ist es der verletzte Stolz einer Großmacht, die sich von ihren ehemaligen Kolonialherren, dem barbarischen Westen oder Japan, gedemütigt fühlt. Wie wichtig solche Faktoren sein können, zeigt beispielsweise die Situation nach dem Ersten Weltkrieg, als viele MarxistInnen nach der Niederlage des deutschen Imperialismus dachten, der nächste Weltkrieg würde zwischen dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten als den stärksten der verbliebenen Großmächte ausgetragen werden. Demgegenüber hat Rosa Luxemburg bereits während des Ersten Weltkriegs zurecht vorausgesagt, dass die Konstellation eines zweiten Weltkriegs aufgrund des Ausmaßes des Hasses und der Rachegelüste, die dieser ausgelöst hatte, eine Art Fortsetzung des ersten Weltkriegs sein würde. Vor diesem Hintergrund ist es von großer Bedeutung, dass in den letzten Jahren aus dem Schoß der bürgerlichen Gesellschaft der Vereinigten Staaten jene Ressentiments krochen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hass aufweisen, der Deutschland seinerzeit nach seiner Niederlage im Ersten Weltkrieg eingeimpft wurde, was als Ausdruck der „Demütigung von Versailles“ empfunden wurde, die auf den Krieg folgte. Der Inbegriff dieses Phänomens in den USA von heute ist, dass Amerika seit 1989 die militärische und finanzielle Last getragen hat, den Globus zu überwachen. Der Rest der Welt hat die Gelegenheit genutzt, seinem Wohltäter den Dolch in den Rücken zu stoßen, insbesondere auf wirtschaftlicher Ebene, um Millionen von „amerikanischen Arbeitsplätzen“ zu vernichten. Auf diesem Hintergrund ist eine sehr starke „öffentliche Meinung“ entstanden, die es ablehnt, „amerikanische Leben und amerikanische Dollars“ im Ausland zu verschwenden, unter welchem Vorwand auch immer (sei es „humanitäre Hilfe“, „demokratischer Kreuzzug“ oder „Nationenbildung“). Hinter dem, was sich nach einer starken Antikriegsreaktion anhört, steckt leider auch, ja sogar in erster Linie, ein virulenter amerikanischer Nationalismus, der nicht den Militärabzug erst aus Syrien (unter Trump) und dann aus Afghanistan (unter Biden) an sich erklärt, sondern vor allem den chaotischen und überstürzten Charakter dieser Evakuierungen: Wer in der Lage ist, „unsere Jungs und Mädels“ am schnellsten aus solchen Ländern herauszuholen, ist zu einem wichtigen Faktor im wütenden Machtkampf innerhalb der US-Bourgeoisie geworden. Dieser Nationalismus stellt eine große politische Gefahr für das Proletariat der Vereinigten Staaten dar, da er in der Lage ist, eine starke, auf den Krieg gerichtete Anziehungskraft zu erzeugen, sobald er sich gegen den „wirklichen“ Feind richtet (nicht die Taliban, sondern China, ein Land, das als Auslöscher der amerikanischen Industrie dargestellt wird). Nichts davon bedeutet, dass der Ausbruch der zerstörerischsten Formen kapitalistischer Kriegsführung in den kommenden Jahren unvermeidlich ist. Er ist nicht unvermeidlich. Aber die Tendenz in diese Richtung ist unvermeidlich, solange der Kapitalismus weiter herrscht.
In Bezug auf das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen hat die Organisation argumentiert, dass sich meine Position der des „Modernismus“ annähert. Unter Modernismus versteht man in diesem Zusammenhang den Wunsch, den Arbeiterkampf durch eine andere zentrale Kategorie für die moderne bürgerliche Gesellschaft zu ersetzen (wie sie in der Vergangenheit postuliert wurde, etwa den Kampf zwischen Arm und Reich oder zwischen Befehlsgebern und Befehlsempfängern). Der Begriff „modernistisch“ wurde von verschiedenen politischen Strömungen nach dem Zweiten Weltkrieg verwendet, um sich von dem abzugrenzen, was sie für ein inzwischen nicht mehr existierendes Konzept von Arbeiterkämpfen hielten. Andererseits ist auch anzumerken, dass die Ablehnung oder Unterschätzung der defensiven Arbeiterkämpfe viel älter ist als die modernistische Strömung. Schon im 19. Jahrhundert haben die Lassalle-Anhänger in Deutschland beispielsweise gegen Streiks der Arbeiter auf der Grundlage von Lassalles Theorie des „ehernen Lohngesetzes“ argumentiert, wonach nicht einmal vorübergehende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen durch Lohnkämpfe möglich seien. In den 1920er Jahren begann die sogenannte Essener Tendenz der linkskommunistischen KAPD, auch in Deutschland die Notwendigkeit des alltäglichen Arbeiterkampfes mit dem Argument abzulehnen, dass nur die Revolution selbst die Klasseninteressen verteidigen könne. Es gibt daher verschiedene Argumente und sogar Traditionen, die die Bedeutung des alltäglichen Klassenkampfs in Frage stellen, nicht nur die des modernistischen Ansatzes. Allen gemeinsam ist die irrige und fatale Unterschätzung der Rolle des alltäglichen Arbeiterkampfes. Ich für meinen Teil teile weder die modernistische Auffassung noch die von Lassalle oder der Essener Tendenz. Im Gegenteil stimme ich mit dem Rest der IKS über die Bedeutung der defensiven Dimensionen des Arbeiterkampfes überein. Bei der Meinungsverschiedenheit in der IKS geht es nicht darum, ob diese Kämpfe wichtig sind oder nicht. Es geht darum, welche Rolle sie in der gegebenen historischen Situation spielen können und müssen. Notwendigerweise muss sich eine solche Diskussion nicht nur mit dem Potenzial dieser Kämpfe auseinandersetzen, sondern auch mit ihren möglichen Grenzen. Die historische Situation heute ist dadurch gekennzeichnet, dass das Weltproletariat das Vertrauen in seinen revolutionären Kompass und in seine Klassenidentität verloren hat. Einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, ist jetzt eindeutig die zentrale Aufgabe des revolutionären Proletariats. Angesichts dieser Situation fragt sich die IKS: Welche materiellen Kräfte können realistischer Weise einen Weg nach vorne aufzeigen? Die Antwort, die die Organisation derzeit gibt, ist, dass vor allem der tägliche Klassenkampf dieses Potenzial hat. Diese Antwort enthält ein wichtiges Moment der Wahrheit. Auch wenn die ganze Welt die Vorstellung teilen würde, dass der proletarische Klassenkampf der Vergangenheit angehöre, ist er in Wirklichkeit nicht nur sehr lebendig, er ist sogar unzerstörbar, solange der Kapitalismus existiert. Die IKS hat daher absolut recht, wenn sie auf die Dynamik der Klassenantagonismen, auf die Widersprüche der bürgerlichen Produktionsweise, auf das durch die kapitalistische Krise verursachte Leid des Proletariats, auf die Widerstandsfähigkeit der proletarischen Reaktion vertraut. Dinge, die zeigen, dass wir immer noch in einer Klassengesellschaft leben, deren Widersprüche nur durch die Überwindung des Kapitalismus durch das Proletariat gelöst werden können. Ich für meinen Teil kritisiere diese Positionierung keineswegs. Was ich kritisiere, ist ihre Einseitigkeit, die Unterschätzung der theoretischen Dimension des Arbeiterkampfes. Ohne den täglichen Klassenkampf gäbe es weder eine kommunistische Perspektive noch eine proletarische Klassenidentität. Ungeachtet dessen sind weder die kommunistische Perspektive noch die Klassenidentität ein DIREKTES Produkt des unmittelbaren Arbeiterkampfes. Sie sind insbesondere aufgrund ihrer theoretischen Dimension ihr indirektes Produkt. Der proletarische Klassenkampf ist keine mehr oder weniger sinnlose Revolte, er reagiert auch nicht einfach mechanisch auf die Verschlechterung seiner Lage wie die Hunde von Professor Pawlow. Die Abstraktheit der kapitalistischen Verhältnisse zwingt das Proletariat, den Umweg der Theorie zu gehen, um die Klassenherrschaft verstehen und überwinden zu können. Nicht nur die Perspektive des Kommunismus, sondern auch die proletarische Klassenidentität haben eine wesentliche theoretische Dimension, die selbst die größten wirtschaftlichen und politischen Bewegungen bis hin zum Massenstreik und einschließlich desselben erweitern, aber niemals ersetzen können. Sowohl das Schmieden einer revolutionären Perspektive als auch einer angemessenen Klassenidentität ist ohne die Waffe des Marxismus unmöglich. In den Anfängen der Arbeiterbewegung war dies weniger der Fall, weil der Kapitalismus und die bürgerliche Klasse noch nicht weit genug entwickelt waren, die proletarische Revolution noch nicht auf der „Agenda der Geschichte“ stand. Unter solch noch unausgereiften Bedingungen halfen mehr oder weniger utopische und/oder sektiererische Versionen des Sozialismus der Arbeiterklasse immer noch, ihr revolutionäres Bewusstsein und eine eigene Klassenidentität zu entwickeln. Unter den Bedingungen des dekadenten totalitären Staatskapitalismus ist dies nicht mehr möglich: Die verschiedenen nicht-marxistischen Versionen des „Antikapitalismus“ können den Kapitalismus nicht in Frage stellen, sondern bleiben in seiner Logik gefangen. Mein Beharren auf der Unverzichtbarkeit dieser theoretischen Dimension wurde von der Organisation als Ausdruck einer Geringschätzung gegenüber dem täglichen Kampf der Arbeiter missverstanden. Bedeutsamer aber war vielleicht die Kritik, die gegen mich gerichtet wurde, dass ich eine „substitutionistische“ Auffassung des Klassenkampfes verteidige. Mit „substitutionistisch“ ist hier gemeint, dass ich angeblich denke, dass die theoretische Arbeit von gerade einmal ein paar hundert LinkskommunistInnen (in einer Welt mit weit über sieben Milliarden Menschen) allein einen wesentlichen Beitrag dazu leisten könne, das Blatt zugunsten des Proletariats zu wenden. Ich denke in der Tat, dass theoretische Arbeit unerlässlich ist, um das Blatt zu wenden. Aber diese Arbeit muss nicht nur von einigen hundert LinkskommunistInnen geleistet werden, sondern von Millionen ProletarierInnen. Die theoretische Arbeit ist nicht die Aufgabe von Revolutionären allein, sondern die Aufgabe der Arbeiterklasse als Ganzes. Da der Entwicklungsprozess des Proletariats ein ungleichmäßiger ist, ist es insbesondere die Aufgabe der stärker politisierten Schichten des Proletariats, diese Aufgabe zu übernehmen; von Minderheiten also, ja, aber potenziell doch Millionen von ArbeiterInnen umfassend, die, anstatt sich (substitutionistisch) an die Stelle des Ganzen zu setzen, nach vorne drängen, um den Rest zu stimulieren. Die Revolutionäre haben die spezifische Aufgabe, diese von Millionen zu leistende Reflexion zu orientieren und zu bereichern. Diese Verantwortung von Revolutionären ist mindestens genauso wichtig wie beispielsweise die Intervention gegenüber Streikbewegungen. Die Organisation hat jedoch vielleicht vergessen, dass die proletarischen Massen in der Lage sind, sich an dieser Arbeit der theoretischen Reflexion zu beteiligen. Dieses Vergessen drückt meines Erachtens einen Vertrauensverlust in die Fähigkeit des Proletariats aus, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden, in die der Kapitalismus die Menschheit gefangen hält. Dieser Vertrauensverlust äußert sich in der Ablehnung jeder Vorstellung, dass das Proletariat in den Jahrzehnten nach 1968 wichtige politische Niederlagen erlitten hat. Ohne dieses Selbstvertrauen spielen wir die Bedeutung dieser sehr schwerwiegenden politischen Rückschläge herunter und trösten uns mit den täglichen Verteidigungskämpfen als dem wichtigsten Schmelztiegel für einen Weg nach vorne – in meinen Augen ist dies ein bedeutendes Zugeständnis an eine „ökonomistische“ Herangehensweise an den Klassenkampf, wie sie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von Lenin und Rosa Luxemburg kritisiert wurde. Das Verständnis eines „unbesiegten Proletariats“, das in den 1970er und noch in den 1980er Jahren eine richtige und sehr wichtige Erkenntnis war, ist zu einem Glaubensartikel, einem leeren Dogma geworden, zu einem Verständnis, das eine ernsthafte, wissenschaftliche Analyse der Kräfteverhältnisse verhindert. In einem Änderungsantrag zu Punkt 35, betreffend die Bewusstseinsbildung in Bezug auf die Kriegsfrage, habe ich folgenden Zusatz vorgeschlagen (vom Kongress abgelehnt): „In letzter Zeit hat sich die Lage jedoch zu ändern begonnen. Seitdem die Rivalität zwischen den USA und China zum zentralen Antagonismus (nicht umkehrbaren Widerspruch) des Weltimperialismus geworden ist, eröffnet sich die Möglichkeit, dass das Proletariat eines fernen Tages beginnt, die Unersättlichkeit des Imperialismus im Kapitalismus zu begreifen. Wenn beide Faktoren, sowohl die Wirtschaftskrise als auch der Krieg unter günstigen Umständen zu einer revolutionären Politisierung beitragen können, ist es vernünftig anzunehmen, dass die Kombination beider Faktoren noch effektiver sein kann als jeder Einzelfaktor von ihnen für sich.“ Die Änderungskommission des Kongresses schrieb zur Begründung, dass „diese Idee abgelehnt werden muss, da sie nicht berücksichtigt, dass die Bourgeoisie keinen Krieg entfesseln kann”.
Steinklopfer (Dez. 2021)
[1] Interne Debatte in der IKS über die internationale Lage [374], IKSonline Januar 2021
[2] 24. Internationaler Kongress der IKS: Resolution zur internationalen Lage [241], Internationale Revue Nr. 57
Am 1. Februar streikten rund eine halbe Million Beschäftigte aus verschiedenen Sektoren in Großbritannien: Eisenbahnen, Busse, Beamte und vor allem Beschäftigte im Bildungswesen, sowohl an Schulen als auch an Universitäten. Dies war die größte Zahl von Beschäftigten die an einem Tag streikten, seit die Streikwelle in Großbritannien im letzten Sommer begann.
Als Reaktion auf das wachsende Gefühl in der Arbeiterklasse, dass "wir alle im selben Boot sitzen" und dass wir gemeinsam kämpfen müssen, verwenden die militanteren Gewerkschaftsführer wie Mick Lynch, die von ihren Anhängern in der extremen Linken (Socialist Workers Party SWP, usw.) unterstützt werden, seit einiger Zeit eine radikalere Sprache und sprechen von der Notwendigkeit der Einheit und Solidarität der Arbeiterklasse und sogar von koordinierten Streikaktionen[i]. Und obwohl die Gewerkschaften bisher darauf bedacht waren, Großdemonstrationen zu vermeiden, die sich aus allen an der aktuellen Bewegung beteiligten Sektoren zusammensetzen, zog am 1. Februar in Bristol eine "gemeinsame Kundgebung" der Beschäftigten im Bildungswesen, der Beamten und der Eisenbahner rund 3.000 Arbeiter an. In London versammelte sich eine viel größere Demonstration, wahrscheinlich Zehntausende, am Portland Place und marschierte nach Westminster. Neben den Bannern der Nationalen Bildungsgewerkschaft und der Universitäts- und Hochschulgewerkschaft gab es auch kleine Kontingente der RMT (Rail-Maritime-Transport) und der Gesundheitsgewerkschaft sowie eine größere Zahl von Beamten. Auch in einer Reihe anderer Städte wie Leeds und Liverpool gab es kleinere Demonstrationen.
Diese Demonstrationen zeigten eine starke Präsenz junger Arbeiter und Arbeiterinnen, von denen viele mit selbstgebastelten Plakaten anreisten und die besonders laut jubelten, wenn neue Arbeitnehmerkontingente, egal aus welchem Sektor, eintrafen. Solche Veranstaltungen bieten die Gelegenheit, durch die Zugehörigkeit zu einer größeren Bewegung Selbstvertrauen zu gewinnen.
Aber wie es der Titel des von unserer Sektion in Frankreich herausgegebenen Flugblatts ausdrückt: "Es reicht nicht aus, in großer Zahl zu erscheinen, wir müssen unsere Kämpfe selbst in die Hand nehmen". In Frankreich ist die Zahl der Streiks zwar viel geringer als in Großbritannien, aber die Gewerkschaften haben zu großen Demonstrationen aufgerufen, um gegen die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre zu protestieren. Am letzten "Aktionstag" waren ungefähr 2 Millionen auf der Straße. Aber unsere Genossen wiesen darauf hin, dass bei früheren Kämpfen gegen die Rentenreformen, 2010 und 2019, große Demonstrationen allein die Regierung nicht dazu gezwungen hatten, ihre Angriffe zurückzunehmen; und die Demonstrationen selbst wurden zu einer Art ritueller Veranstaltung, die darin bestand, "mit den Kollegen zusammen zu kommen, mit den Kollegen unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Beschallungsanlagen zu gehen und mit den Kollegen zu gehen. Keine Versammlung, keine Debatte, kein wirkliches Treffen. Diese Demonstrationen wurden damals auf den Ausdruck einer einfachen Parade reduziert".
Genau das Gleiche könnte man über die Demonstrationen in Großbritannien vom 1. Februar sagen. Ein Großteil des Enthusiasmus entstand zu Beginn der Demonstrationen, als sich die Arbeiter und Arbeiterinnen versammelten und sich bewusst wurden, dass sie an etwas teilnahmen das über ihren eigenen Arbeitsplatz oder ihren speziellen Sektor hinausging, aber sobald die Demonstration zu seinem vororganisierten Ende kam, nachdem sie passiv einigen Reden von Gewerkschaftsfunktionären zugehört hatten, suchte die große Mehrheit der Teilnehmer die nächste U-Bahn-Station auf und ging nach Hause. Noch einmal: keine Versammlung, keine Debatte, kein wirkliches Treffen.
Der gleiche Prozess der "Entmachtung" ist bei einem anderen charakteristischen Element der aktuellen Streikwelle zu beobachten: den Streikposten. Die Organisation von Streikposten am Eingang von Betrieben an Streiktagen ist ein elementarer Ausdruck von Solidarität, und es ist offensichtlich, dass eine der Aufgaben dieser Streikposten darin besteht, so viele Kollegen wie möglich zum Streik zu bewegen. Und das Engagement der Arbeitnehmer im Kampf hat sich in den letzten Monaten bei vielen Gelegenheiten gezeigt, als sich Dutzende und sogar Hunderte von Arbeitnehmern an der Streikpostenkette beteiligten und dabei routinemäßig die Gesetze ignorierten, welche die Streikpostenketten formell auf 6 Streikende beschränken.
Doch wie bei den von den Gewerkschaften organisierten Kundgebungen und Demonstrationen, bei denen die Arbeitnehmer weitgehend in getrennte Gruppen aufgeteilt sind und ihre jeweiligen Gewerkschaftsfahnen schwenken, werden auch bei den "offiziellen" Streikpostenketten die wichtigsten Grenzen des Kampfes akzeptiert, die durch die so genannten "gewerkschaftsfeindlichen" Gesetze auferlegt werden, die eigentlich verhindern sollen, dass die Aktionen der Beschäftigten der Kontrolle der Gewerkschaften entgehen, und die daher vom Gewerkschaftsapparat rigoros durchgesetzt werden. Die Aufforderung an die Kolleginnen und Kollegen im eigenen Betrieb, die einer anderen oder gar keiner Gewerkschaft angehören, die Streikpostenlinie nicht zu überqueren, und insbesondere die Entsendung von Streikposten in andere Betriebe und Sektoren mit der Aufforderung, sich dem Kampf anzuschließen - all dies sind illegale "Sekundärstreikposten", die die Gefahr einer wirklichen Vereinheitlichung der Arbeiterkämpfe in sich bergen. Das Ergebnis ist, dass Streikposten unter gewerkschaftlicher Kontrolle letztendlich als Grenzen fungieren, die die Beschäftigten voneinander trennen.
Das Flugblatt unserer französischen Sektion weist auch darauf hin, dass die Kämpfe gegen die Renten-"Reformen" in den Jahren 2010 und 2019 zwar mit einer Niederlage endeten, dass aber 2006 der Kampf gegen den CPE, ein Gesetzesvorschlag der Regierung, der die Arbeitsplatzunsicherheit für Berufsanfänger institutionalisieren würde, anders verlief: "Im Jahr 2006 organisierten die prekären Studenten große Vollversammlungen an den Universitäten, an denen Beschäftigte, Arbeitslose und Rentner teilnahmen und die ein gemeinsames Motto hatten: den Kampf gegen die Prekarisierung und die Arbeitslosigkeit. Diese Versammlungen waren die Lunge der Bewegung, wo Debatten geführt und Entscheidungen getroffen wurden.
Ergebnis: An jedem Wochenende nahmen mehr und mehr Sektoren an den Demonstrationen teil. Arbeiter und Rentner schlossen sich den Studenten an, unter dem Slogan: "Junge Schmalzstullen, alte Croutons, alle derselbe Salat". Die französische Bourgeoisie und die Regierung sahen sich angesichts dieser Vereinheitlichungstendenz der Bewegung gezwungen, ihren CPE zurückzuziehen".
Was die herrschende Klasse zum Einlenken zwingt - auch wenn sie der Arbeiterklasse keine dauerhaften Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen mehr zugestehen kann - ist der Anblick einer Arbeiterklasse, die alle Spaltungen zwischen Gewerkschaft und Berufsstand zu überwinden droht und diese Einheit durch ihre Vollversammlungen und gewählten Streikkomitees, den Keimzellen der künftigen Arbeiterräte, organisiert. Und die gegenwärtigen Kämpfe der Arbeiterklasse in Großbritannien und in anderen Ländern - auch wenn sie immer noch durch die korporatistische Ideologie belastet sind, die jedem Sektor seine eigenen Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern, seine eigenen besonderen Forderungen zugesteht - enthalten das Potenzial für dieses Wiederauftauchen der Arbeiterklasse als eine wirkliche Macht in der Gesellschaft, als eine Kraft für eine radikale Veränderung der Gesellschaft.
Deshalb ist selbst die kleinste Ansammlung von Arbeitern, sei es an den Streikpostenketten oder bei Kundgebungen und Märschen, die anfangen zu hinterfragen, warum die Kämpfe immer noch so gespalten sind, die sich nicht mit der leeren Rhetorik der Gewerkschaften zufrieden geben, die das Problem aufwerfen, was die effektivste Art des Kampfes ist - ein wichtiger Schritt im Kampf, den revolutionäre Organisationen bei jeder Gelegenheit ermutigen sollten.
Amos 4. 2. 2023
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Generalstreiks und Massendemonstrationen am 7. März in Frankreich, am 8. März in Italien, am 11. März in Großbritannien. Überall wächst die Wut und dehnt sich aus.
In Großbritannien hält eine historische Streikwelle seit neun Monaten an! Nachdem das britische Proletariat jahrzehntelange Sparmaßnahmen ohne Murren über sich ergehen lassen musste, nimmt es die Opfer nicht mehr hin. "Enough is enough! (Genug ist genug!). In Frankreich war es die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters, die das Feuer entfachte. Die Demonstrationen brachten Millionen von Menschen auf die Straße. "Nicht ein Jahr länger, nicht ein Euro weniger". In Spanien bilden sich riesige Kundgebungen gegen den Zusammenbruch des Gesundheitssystems und in vielen Bereichen (...) brechen Streiks aus (Reinigung, Transport, IT, ...). "La indignación llega de lejos (Die Empörung kommt von weit her), erkannten die Zeitungen. In Deutschland, das von der Inflation im Würgegriff gehalten wird, legen die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und ihre Kollegen bei der Post die Arbeit für höhere Löhne in Warnstreiks nieder. "Das hat es in Deutschland seit langem nicht mehr gegeben". In Dänemark kam es zu Streiks und Demonstrationen gegen die Streichung eines Feiertags, um die Erhöhung des Militärhaushalts zu finanzieren. In Portugal protestieren Lehrer, Eisenbahner und Pflegekräfte ebenfalls gegen niedrige Löhne und hohe Lebenshaltungskosten. Niederlande, Dänemark, USA, Kanada, Mexiko, China... die gleichen Streiks gegen die gleichen unerträglichen und unwürdigen Lebensbedingungen: "Der wahre Horror lautet: nicht mehr heizen, nicht mehr ausreichend essen, keine medizinische Behandlung mehr, wie eine Zitrone ausgepresst zu werden.“
Diese Gleichzeitgkeit der Kämpfe in all diesen Ländern ist kein Zufall. Sie bestätigt einen echten Stimmungswandel innerhalb unserer Klasse. Nach dreißig Jahren der Resignation und Niedergeschlagenheit sagen wir durch unsere Kämpfe: "Wir lassen uns nicht mehr alles gefallen. Wir können und müssen uns wehren".
Diese Rückkehr der Kampfbereitschaft der Arbeiter und Arbeiterinnen ermöglicht es uns, im Kampf zusammenzustehen, im Kampf solidarisch zu sein, uns im Kampf stolz, würdig und vereint zu fühlen. Ein ganz einfacher, aber äußerst wertvoller Gedanke keimt in unseren Köpfen: Wir sitzen alle im selben Boot! Beschäftigte in weißen Kitteln, blauer Arbeitskleidung oder mit Krawatte; Arbeitslose, Prekarisierte, Studenten, Rentner, aus allen Bereichen, aus dem öffentlichen und dem privaten Bereich - wir alle beginnen, uns als eine soziale Kraft zu erkennen, die durch die gleichen Ausbeutungsbedingungen vereint ist. Wir leiden unter der gleichen Ausbeutung, der gleichen Krise des Kapitalismus, den gleichen Angriffen auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wir führen denselben Kampf. Wir sind die Arbeiterklasse.
"Workers stand together! (Die Arbeiter halten zusammen), rufen die Streikenden in Großbritannien. "Entweder wir kämpfen zusammen, oder wir werden am Ende auf der Straße schlafen!", bestätigen die Demonstranten in Frankreich.
Einige Kämpfe in der Vergangenheit zeigen, dass es möglich ist, eine Regierung zurückzudrängen und ihre Angriffe zu bremsen.
1968 vereinigte sich das Proletariat in Frankreich, indem es seine Kämpfe selbst in die Hand nahm. Nach den riesigen Demonstrationen am 13. Mai 1968 gegen die polizeiliche Repression gegen die Studenten breiteten sich die Arbeitsniederlegungen und Vollversammlungen wie ein Lauffeuer in den Fabriken und an allen Arbeitsplätzen aus und führten mit 9 Millionen Streikenden zum größten Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Angesichts dieser Dynamik der Ausweitung und Einheit des Arbeiterkampfes beeilten sich Regierung und Gewerkschaften, ein Abkommen über allgemeine Lohnerhöhungen zu unterzeichnen, um die Bewegung zu stoppen.
Als 1980 in Polen die Lebensmittelpreise stiegen, nahmen die Streikenden den Kampf in die Hand, indem sie sich in riesigen Vollversammlungen zusammenschlossen, selbst über Forderungen und Aktionen entschieden und vor allem ständig darauf bedacht waren, den Kampf auszuweiten. Angesichts dieser Kraft zitterte nicht nur die polnische herrschende Klasse, sondern die Bourgeoisie aller Länder.
Im Jahr 2006 zog die Regierung in Frankreich nach nur wenigen Wochen der Mobilisierung ihren "Contrat Première Embauche - CPE" (Vertrag zur Ersteinstellung) zurück. Was war der Grund dafür? Was hat die Bourgeoisie so erschreckt, dass sie so schnell zurückweichen musste? Die unter prekären Verhältnissen lebenden Studenten organisierten an den Universitäten massive Vollversammlungen, die auch Arbeitern, Arbeitslosen und Rentnern offenstanden; sie stellten eine einigende Parole in den Vordergrund: den Kampf gegen Prekarisierung und Arbeitslosigkeit. Diese Vollversammlungen waren das Herz der Bewegung, dort, wo die Debatten geführt und die Entscheidungen getroffen wurden. Das Ergebnis war, dass jedes Wochenende immer mehr Bereiche an den Demonstrationen teilnahmen. Lohnarbeitende und Rentner und Rentnerinnen schlossen sich den Studenten an, unter dem Motto: "Junge Speckwürfel, alte Croûtons, alle denselben Salat". Die französische herrschende Klasse und ihre Regierung hatten angesichts dieser Tendenz zur Vereinigung der Bewegung keine andere Wahl, als ihren CPE zurückzuziehen.
All diesen Bewegungen ist gemeinsam, dass die Arbeitnehmer selbst die Kämpfe in die Hand nehmen!
Heute, als abhängig Beschäftigte, Arbeitslose, Rentner, prekär beschäftigte Studierende, fehlt uns noch das Vertrauen in uns selbst, in unsere kollektive Kraft, um es zu wagen, unsere Kämpfe in die Hand zu nehmen. Aber es gibt keinen anderen Weg. Alle von den Gewerkschaften vorgeschlagenen "Aktionen" führen in die Niederlage. Mahnwachen, Streiks, Demonstrationen, Blockade der Wirtschaft ... all das führt zu nichts, wenn diese Aktionen unter gewerkschaftlicher Kontrolle bleiben! Wenn die Gewerkschaften die Form ihrer Aktionen je nach den Umständen ändern, dann nur, um jeweils ihr Grundinteresse zu verfolgen: die Branchen zu spalten und voneinander zu isolieren, um zu verhindern, dass wir selbst über die Führung des Kampfes diskutieren und entscheiden.
Was haben die Gewerkschaften in Großbritannien in den letzten neun Monaten getan? Sie zerstreuen die Gegenwehr der Arbeiter: Jeden Tag wird ein anderer Bereich bestreikt. Jeder in seiner Ecke, jeder an seinem Streikposten. Es gibt keine Versammlung, keine kollektive Debatte, keine wirkliche Einheit im Kampf. Dabei handelt es sich nicht um einen Strategiefehler, sondern um eine absichtliche Spaltung.
Wie gelang es der Thatcher-Regierung 1984/85, der Arbeiterklasse in Großbritannien das Rückgrat zu brechen? Dank der schmutzigen Arbeit der Gewerkschaften, die die Bergarbeiter von denjenigen aus anderen Branchen isolierten. Sie trieben sie in einen langen und hilflosen Streik. Über ein Jahr lang besetzten die Bergarbeiter die Schächte mit der Devise "Blockade der Wirtschaft". Allein und machtlos kämpften die Streikenden bis ans Ende ihrer Kräfte und ihres Mutes. Und ihre Niederlage war die Niederlage der gesamten Arbeiterklasse! Die Arbeiter und Arbeiterinnen in Großbritannien erheben erst heute, dreißig Jahre später, wieder ihren Kopf! Diese Niederlage ist daher eine teuer bezahlte Lektion, die das Weltproletariat nicht vergessen darf.
Nur das Zusammenkommen in offenen, massenhaften und selbständigen Vollversammlungen, die wirklich über die Durchführung der Bewegung entscheiden, kann die Grundlage für einen vereinten und sich ausbreitenden Kampf bilden, der von der Solidarität zwischen allen Bereichen und allen Generationen getragen wird. Vollversammlungen, in denen wir zusammen die Forderungen aufstellen können, die uns immer mehr zusammenschließen. Vollversammlungen, in denen wir zusammenkommen und massive Delegationen aufstellen und losschicken können, um unsere Klassenbrüder und -schwestern in den anderen nahegelegenen Bereichen, die Beschäftigten in den Betrieben, im Gesundheitswesen und Erziehungswesen, den Verwaltungen zu treffen und uns mit ihnen zusammenzuschließen.
"Können wir gewinnen?" Die Antwort lautet: „Ja, manchmal, wenn und nur wenn wir unsere Kämpfe selbst in die Hand nehmen“. Wir können die Angriffe vorübergehend bremsen und eine Regierung zum Rückzug bewegen.
Aber die Wahrheit ist, dass die Weltwirtschaftskrise große Teile des Proletariats in die Prekarität stürzen wird. Um auf dem Weltmarkt und im internationalen Wettbewerb zu bestehen, wird jede Bourgeoisie in jedem Land, egal ob ihre Regierung links, rechts oder in der Mitte, ‚traditionell‘ oder populistisch ist, uns immer unhaltbarere Lebens- und Arbeitsbedingungen aufzwingen. Die Wahrheit ist, dass mit der Entwicklung der Kriegswirtschaft in allen Ländern der Welt die von der Bourgeoisie geforderten "Opfer" immer unerträglicher werden.
Die Wahrheit ist, dass die kriegerische imperialistische Konfrontation der Nationen, aller Nationen, eine Spirale der Zerstörung und des blutigen Chaos ist, die die gesamte Menschheit in den Tod treiben kann. Jeden Tag sterben unzählige Menschen in der Ukraine, manchmal 18- oder 16-Jährige, die von den abscheulichen russischen und westlichen Tötungswerkzeugen niedergemäht werden.
Die Wahrheit ist, dass einfache Grippe- oder Bronchiolitis-Epidemien kaputtgesparte Gesundheitssysteme in die Knie zwingen. Die Wahrheit ist, dass der Kapitalismus weiterhin den Planeten verwüsten und das Klima durcheinander bringen wird, was zu Überschwemmungen, Dürren und verheerenden Bränden führen wird. Die Wahrheit ist, dass Millionen von Menschen weiterhin vor Krieg, Hunger, Klimakatastrophen oder allen dreien fliehen werden, um auf die Stacheldrahtmauern anderer Länder zu stoßen oder im Meer zu ertrinken.
Dann stellt sich die Frage: Welchen Sinn hat es, gegen niedrige Löhne, gegen Personalmangel, gegen diese oder jene ‚Reform‘ zu kämpfen? Weil der Kampf der Arbeiterklasse die Überwindung des Kapitalismus und damit die Abschaffung all dieser Übel, die Einführung einer Welt ohne Klassen und Ausbeutung, ohne Kriege und Grenzen, den Kommunismus zum Ziel hat.
Der wahre Sieg ist der Kampf selbst. Allein die Tatsache, dass wir in den Kampf eintreten und unsere Solidarität entwickeln, ist bereits ein Sieg. Indem wir alle gemeinsam kämpfen und die Resignation ablehnen, bereiten wir die Kämpfe von morgen vor und schaffen trotz unvermeidlicher Niederlagen nach und nach die Bedingungen für eine neue Welt.
Unsere Solidarität im Kampf ist der Gegenpol zum Konkurrenzkampf bis zur Überwindung dieses Systems, das in konkurrierende Unternehmen und Nationen gespalten ist.
Unsere Solidarität zwischen den Generationen ist die Antithese zum No Future und der zerstörerischen Spirale dieses Systems.
Unser Kampf symbolisiert die Weigerung, sich auf dem Altar des Militarismus und des Krieges zu opfern.
Der Kampf der Arbeiterklasse ist unmittelbar eine Infragestellung der eigentlichen Grundlagen des Kapitalismus und der Ausbeutung.
Jeder Streik trägt den Keim der Revolution in sich.
Die Zukunft gehört dem Klassenkampf!
Internationale Kommunistische Strömung 01.03.2023
Für die gegenwärtigen und zukünftigen Kämpfe müssen wir uns zusammenschließen, diskutieren und die Lehren ziehen
Wo immer es möglich ist, müssen wir uns zusammenschließen, diskutieren, uns die Lehren aus der Vergangenheit wieder aneignen, um den selbständigen Kampf der gesamten Arbeiterklasse vorzubereiten.
Am Arbeitsplatz, bei Demonstrationen, an Blockadeorten, an Streikposten müssen wir diskutieren und darüber nachdenken, wie die Arbeiterklasse ihre Kämpfe selbst in die Hand nehmen kann, wie sie sich in autonomen Vollversammlungen selbst organisieren kann, wie sie eine Bewegung ausweiten kann. In diesem Sinne organisieren wir auch Diskussionsveranstaltungen. Schaut auf unsere Webseite:
www.internationalism.org [400]
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Zum Ersten Kongress der Internationalistischen Kommunistischen Partei (PCInt) Italiens 1945
Einleitung der IKS
Um die Diskussion um die Bildung der künftigen Weltpartei der Revolution anzuregen, veröffentlichen wir im Folgenden einen Artikel aus Internationalisme Nr. 7 vom Januar 1946 mit dem Titel „Über den Ersten Kongress der internationalistischen Kommunistischen Partei Italiens“. Die Zeitschrift Internationalisme war das theoretische Organ der Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken (Fraction Francaise de la Gauche Communiste - FFGC), d.h. der politisch klarsten Gruppe in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Fraktion sollte sich Ende 1945 in Gauche Communiste de France (GCF) umwandeln, um Verwechslungen mit einer Abspaltung zu vermeiden, die aus französischen Militanten bestand, die die Fraktion verlassen hatten und denselben Namen (den der FFGC-bis) wieder annahmen.
In diesem Artikel werden auf der Grundlage der Lehren aus der Degeneration der Dritten Internationale die Kriterien für die Bildung einer künftigen Weltpartei entwickelt. Die beiden in dieser Zeitschrift veröffentlichten Kapitel - das erste "Die Linksfraktion" und das sechste "Methode der Parteibildung" - geben einen Überblick über die politischen Fragen, die sich seit der Gründung der Dritten Internationale gestellt haben, und liefern eine zusammenhängende Argumentation zu diesen Fragen. Sie schlagen eine Brücke zwischen der ersten und der zweiten Nachkriegszeit auf der Grundlage der Bilanz, die die Italienische Fraktion in den 1930er Jahren gezogen hat, während die anderen Kapitel eher der Polemik mit spezifischeren Positionen und Strömungen der 1940er Jahre gewidmet sind, wie den RKD (Revolutionäre Kommunisten Deutschlands, ehemals österreichische Trotzkisten) und Vercesi.
Kurz zusammengefasst sind die Kriterien für die Parteigründung einerseits ein offener Kurs in Richtung Wiederaufnahme des offensiven Kampfes des Proletariats und andererseits das Vorhandensein einer soliden programmatischen Basis für die neue Partei.
Zu diesem Zeitpunkt, nach der Tagung des Ersten Kongresses der Internationalistischen Kommunistischen Partei Italiens Ende Dezember 1945 in Turin, sah die GCF die erste Bedingung - einen neuen günstigen Kurs - als erfüllt an. Also begrüßte sie auf dieser Grundlage die Umwandlung der italienischen Linksfraktion "in die Geburt der neuen Partei des Proletariats" (Kapitel "Die Linksfraktion"). Erst später, 1946, erkannte die GCF, dass die Periode der Konterrevolution noch nicht vorbei war und somit die objektiven Bedingungen für die Bildung der Partei fehlten. Infolgedessen stellte sie die Herausgabe ihrer Agitationszeitung L'Étincelle ein, da die Aussicht auf eine historische Wiederaufnahme der Klassenkämpfe nicht auf der Tagesordnung stehe. Die letzte Ausgabe von L'Etincelle erschien im November 1946.
Darüber hinaus kritisierte die GCF scharf die Methode der Bildung der italienischen Partei durch "Addition von Strömungen und Tendenzen" auf einer heterogenen programmatischen Grundlage (Kapitel "Methode der Parteibildung"), genauso wie sie (im selben Kapitel) die Methode der Bildung der KI kritisiert hatte, die ein "Amalgam um ein absichtlich unvollendet gelassenes Programm" bildete sowie opportunistisch war, und somit der Methode den Rücken kehrte, die die Methode des Aufbaus der bolschewistischen Partei gewesen war.
Das Verdienst dieses Artikels in Internationalisme ist es, die notwendige Strenge hinsichtlich des Programms zu betonen, die es in der neu gegründeten Partei in Italien nicht gab. Dieser Artikel - geschrieben etwa ein Vierteljahrhundert nach der Gründung der Komintern und wenige Wochen nach dem Kongress der PCInt - ist sicherlich die konsequenteste Kritik an der Methode der bolschewistischen Partei bei der Gründung der Kommunistischen Internationale. Internationalisme war auch die einzige Publikation aus dem Umfeld der damaligen Kommunistischen Linken, die auf den opportunistischen Ansatz der PCInt hinwies.
In diesem Sinne ist die GCF ein Beispiel für die Kontinuität mit der Methode von Marx und Engels bei der Gründung der Partei der deutschen Sozialdemokratie in Gotha 1875 (siehe Kritik am Gothaer Programm), die die verworrenen und opportunistischen Grundlagen, auf denen die SAPD gegründet worden war, zurückgewiesen hatte. Kontinuität auch mit Rosa Luxemburgs Haltung gegenüber dem Opportunismus des Revisionisten Bernstein in der deutschen Sozialdemokratie 25 Jahre später, aber auch mit Lenins Haltung in Bezug auf Organisationsprinzipien gegenüber den Menschewiken. Kontinuität schließlich mit der Haltung von Bilan gegenüber dem Opportunismus der trotzkistischen Strömung während der 1930er Jahre. Dank dieser Unnachgiebigkeit bei der Verteidigung programmatischer Positionen und organisatorischer Prinzipien konnten sich Elemente aus der Strömung um Trotzki (wie die RKD) während und nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Verteidigung des Internationalismus ausrichten. Die Fahne des Internationalismus gegen die "Partisanen" hochzuhalten, die Unnachgiebigkeit gegen den Opportunismus zu verteidigen, war also eine Voraussetzung dafür, dass die internationalistischen Kräfte einen politischen Kompass finden konnten.
Wir müssen in dieser Darstellung eine Formulierung präzisieren, die den Kampf des Spartakusbundes während des Ersten Weltkriegs betrifft. In dem Artikel heißt es im sechsten Kapitel: "Die Erfahrungen des Spartakusbundes sind in dieser Hinsicht aufschlussreich. Seine Fusion mit den Unabhängigen führte nicht, wie sie hofften, zur Schaffung einer starken Klassenpartei, sondern dazu, dass der Spartakusbund von den Unabhängigen geschwächt und damit das deutsche Proletariat geschwächt wurde. Rosa Luxemburg, bevor sie ermordet wurde, und andere Führer des Spartakusbundes schienen ihren Fehler, sich mit den Unabhängigen zu verschmelzen, erkannt zu haben und tendierten dazu, ihn zu korrigieren. Aber dieser Fehler wurde nicht nur von der Komintern in Deutschland aufrechterhalten, sondern sollte zur praktizierten Methode werden, die von der KI in allen Ländern für die Bildung von Kommunistischen Parteien durchgesetzt wurde". Es ist nicht richtig, von einer Fusion des Spartakusbundes mit der USPD zu sprechen. Die USPD wurde von der Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft (SAG) gegründet; die Gruppe "Die Internationale" (der Spartakusbund) wurde in sie integriert. Dies war jedoch keine Fusion im eigentlichen Sinne, die eine Auflösung der Organisation voraussetzt, die mit der anderen fusioniert. Vielmehr behielten die Spartakisten ihre organisatorische Unabhängigkeit und ihre Handlungsfähigkeit, während sie sich zum Ziel setzten, die Linken in dieser Formation für ihre Positionen zu gewinnen. Ganz anders war die KI vorgegangen, als sie verschiedene Gruppen in einer einzigen Partei vereinigte und die notwendige Auswahl zugunsten der "Addition" "aufgab", wobei "die Prinzipien (der) numerischen Masse (geopfert wurden)".
Außerdem muss ein sachlicher Fehler in diesem Artikel berichtigt werden. Er lautet: "In England wird die KI die kommunistischen Gruppen zwingen, der Independent Labour Party beizutreten, um innerhalb dieser reformistischen Partei eine massive revolutionäre Opposition zu bilden". In Wirklichkeit verlangte die KI die Aufnahme der Kommunisten in die Labour Party überhaupt! Dieser Detailfehler ändert nichts an der grundlegenden Argumentation von Internationalisme.
IKS, 14. Mai 2019
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Zum Ersten Kongress der Internationalistischen Kommunistischen Partei (PCInt) Italiens
1. Die linke Fraktion
Ende 1945 hat der erste Kongress der jungen, gerade gegründeten Internationalistischen Kommunistischen Partei Italiens stattgefunden.
Diese neue Partei des Proletariats ist nicht aus dem Nichts entstanden. Sie war das Ergebnis eines Prozesses, der mit der Degeneration der alten Kommunistischen Partei und der Kommunistischen Internationale begann. Diese opportunistische Entartung brachte eine historische Antwort der Klasse innerhalb der alten Partei hervor: die Linksfraktion.
Wie alle kommunistischen Parteien, die nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurden, enthielt auch die Kommunistische Partei Italiens zum Zeitpunkt ihrer Gründung sowohl revolutionäre als auch opportunistische Strömungen.
Der revolutionäre Sieg des russischen Proletariats und der bolschewistischen Partei Lenins im Oktober 1917 hatte durch den entscheidenden Einfluss, den er auf die internationale Arbeiterbewegung ausübte, die organisationspolitischen Gegensätze und Abgrenzungen zwischen den Revolutionären und den Opportunisten, die in den alten sozialistischen Parteien der Ersten Internationale zusammenlebten, beschleunigt. Der Krieg von 1914 hatte diese unmögliche Einheit zwischen den alten Parteien zerbrochen.
Die Oktoberrevolution beschleunigte die Gründung neuer Parteien des Proletariats, aber gleichzeitig enthielt der positive Einfluss der Oktoberrevolution auch einige negative Elemente.
Indem sie die Bildung neuer Parteien beschleunigte, verhinderte sie einen Aufbau auf der Grundlage klarer, scharfer Prinzipien und eines revolutionären Programms. Dieses konnte nur nach einem offenen und unnachgiebigen politischen Kampf ausgearbeitet werden, der die opportunistischen Strömungen und die Rückstände der bürgerlichen Ideologie beseitigte.
In Ermangelung eines revolutionären Programms wurden die Kommunistischen Parteien zu schnell auf der Grundlage einer sentimentalen Bindung an die Oktoberrevolution gegründet, was zu viele Risse für das Eindringen des Opportunismus in die neuen proletarischen Parteien eröffnete.
Außerdem waren die Komintern und die kommunistischen Parteien verschiedener Länder seit ihrer Gründung in den Kampf zwischen Revolutionären und Opportunisten verwickelt. Der ideologische Kampf - der der Partei vorausgehen muss und eine Voraussetzung für die Partei ist, die nur durch die Verkündung von Grundsätzen und den Aufbau des Programms vor dem opportunistischen Wundbrand geschützt wird - fand erst nach der Konstituierung der Parteien statt. Infolgedessen brachten die kommunistischen Parteien nicht nur von Anfang an den Keim des Opportunismus ein, sondern erschwerten auch den Kampf der revolutionären Strömungen gegen den Opportunismus, der in der neuen Partei überlebte und versteckt war. Jede Niederlage des Proletariats veränderte das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zuungunsten des Proletariats und führte unweigerlich zur Stärkung des Opportunismus innerhalb der Partei, der seinerseits zu einem zusätzlichen Faktor für weitere Niederlagen des Proletariats wurde.
Wenn die Entwicklung des Kampfes zwischen den Strömungen in der Partei so schnell so scharf wurde, so liegt das an der historischen Periode. Die proletarische Revolution ist aus den Sphären der theoretischen Spekulation herausgetreten. Von einem fernen Ideal, das sie gestern war, wurde sie zu einem Problem der unmittelbaren praktischen Tätigkeit.
Der Opportunismus manifestiert sich nicht mehr in theoretischen Ausarbeitungen in Buchform, die wie ein langsames Gift auf die Gehirne der Proletarier wirken. In der Zeit des intensiven Klassenkampfes hatte er unmittelbare Auswirkungen und wurde mit dem Leben von Millionen von Proletariern und blutigen Niederlagen der Revolution bezahlt. In dem Maße, wie der Opportunismus in der Komintern und ihren Parteien erstarkte, war er die wichtigste Stütze des Kapitalismus gegen die Revolution, denn er bedeutete die Stärkung der feindlichen Klasse innerhalb des entscheidendsten Organs des Proletariats: seiner Partei. Die Revolutionäre konnten sich dem Opportunismus nur entgegenstellen, indem sie ihre Fraktion gründeten und ihm den Kampf auf Leben und Tod erklärten. Die Konstituierung der Fraktion bedeutete, dass die Partei zum Schauplatz der Konfrontation zwischen gegensätzlichen und antagonistischen Klassenausdrücken geworden war.
Es war der Schlachtruf der Revolutionäre zur Rettung der Klassenpartei, gegen den Kapitalismus und seine opportunistischen und zentristischen Vertreter, die versuchten, sich der Partei zu bemächtigen und sie in ein Instrument gegen das Proletariat zu verwandeln.
Der Kampf zwischen der Fraktion der Kommunistischen Linken und den zentristischen und rechten Fraktionen um die Partei ist kein Kampf um die "Führung" des Apparats, sondern ist im Wesentlichen programmatisch; er ist ein Aspekt des allgemeinen Kampfes zwischen Revolution und Konterrevolution, zwischen Kapitalismus und Proletariat. Dieser Kampf folgt dem objektiven Verlauf der Situationen und den Veränderungen des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen und wird durch diese bedingt.
Das Ergebnis kann nur der Sieg des Programms der Linksfraktion und die Beseitigung des Opportunismus sein, oder der offene Verrat einer Partei, die in die Hände des Kapitalismus gefallen ist. Aber wie auch immer diese Alternative ausgeht, das Auftreten der Fraktion bedeutet, dass die historische und politische Kontinuität endgültig von der Partei auf die Fraktion übergegangen ist und dass es allein letztere ist, die von nun an die Klasse ausdrückt und vertritt.
Die alte Partei kann nur durch den Triumph der Fraktion gerettet werden. Das Gleiche gilt beim Verrat der alten Partei, die ihren unausweichlichen Kurs unter der Führung des Zentrismus vollendet. Hier kann die neue Partei nur auf der programmatischen Grundlage der Fraktion gebildet werden.
Die historische Kontinuität der Klasse durch den Prozess Partei-Fraktion-Partei ist eine der grundlegenden Ideen der Internationalen Kommunistischen Linken. Diese Theorie war lange Zeit ein theoretisches Postulat. Die Gründung der PCInt in Italien und ihr erster Kongress liefern die historische Bestätigung dieses Postulats.
Die Italienische Linksfraktion hat nach einem zwanzigjährigen Kampf gegen den Zentrismus ihre historische Aufgabe erfüllt, indem sie sich umwandelte und eine neue Partei des Proletariats ins Leben rief.
2. Von der Fraktion zur Klassenpartei
Eine zweite historische Bestätigung wird uns durch die Bildung der KPI gegeben, nämlich hinsichtlich des historischen Zeitpunkts der Gründung der neuen Partei.
Die Trotzkisten ignorierten alle marxistischen Kriterien und betrachteten das Problem der Parteigründung als eine Frage, die keine objektiven Bedingungen hatte. Für sie ist das Problem der Parteibildung nur eine Frage der subjektiven Willenskraft, des "Savoir-faire", des schlauen Manövers und der Infiltration.
So gehen sie von ihrer "oppositionellen" Position, in der sie sich bereit erklärten, ihre eigene Organisation gegen die Freiheit der demokratischen Meinungsäußerung in der stalinistischen Partei aufzulösen, zur Proklamation der neuen Partei und einer neuen Internationale über. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit können sie ein paar Monate später ihre neue Partei und ihre neue Internationale auflösen, um zu den sozialistischen Parteien der Ersten Internationale zurückzukehren, die seit 1914 zu Parteien der Bourgeoisie geworden sind. Ihre Akrobatik auf dem Gebiet der Partei - wo sie ihrerseits die Opposition der stalinistischen Partei sind, die bereit ist, sich aufzulösen, POI, "Opposition" in der sozialistischen Partei, dann wieder POI, um wieder Opposition in der PSOP und wieder POI zu werden – ist verbunden mit ihrer gesamten politischen Inkonsequenz, ihrer Verteidigung der UdSSR, ihrer Beteiligung am imperialistischen Krieg, ihrer Beteiligung an der nationalen Befreiung und am Widerstand.
Die Internationale Kommunistische Linke hat diese besonders gefährliche Art von Abenteurertum und Verantwortungslosigkeit, die darin besteht, in jeder Situation die Gründung einer neuen Partei zu verkünden, stets energisch verurteilt.
Die Degeneration und der Verrat der alten Partei sind nicht das Ergebnis des dämonischen Willens oder der Intrigen einiger weniger Führer, die sich an die Bourgeoisie verkauft haben, sondern sie sind Ausdruck der Unzulänglichkeit der neuen Partei, das Ergebnis der Unzulänglichkeit des ursprünglichen Programms, das das Eindringen der bürgerlichen Ideologie erst ermöglichte und sich zu einer opportunistischen Strömung kristallisierte, und eines objektiven Verlaufs von Niederlagen und Rückschlägen des Proletariats, der es der Bourgeoisie ermöglichte, sich der Partei zu bemächtigen, ohne dass sich das Proletariat verteidigen konnte. Die gleichen historischen Bedingungen erlauben es dem Proletariat nicht, seine alte Partei zu bewahren und verbieten ihm, die neue Partei zu gründen. Nur ein neuer Kurs, eine für das Proletariat günstige Veränderung der Kräfteverhältnisse, eine allgemeine Wiederaufnahme des offensiven Kampfes des Proletariats schaffen die Bedingungen, die die Wiedergründung der neuen Partei ermöglichen. Diese Situation gab es zwischen 1933 und 1939 nicht, das war genau die Zeit des Kurses auf den imperialistischen Krieg.
Die RKD, die uns eine ganze Zeit lang unseren so genannten Zentrismus vorwarf, weil wir als Fraktion blieben und handelten und die revolutionäre Phraseologie über die Gründung der Partei ablehnten, als der Zeitpunkt dieser Gründung noch nicht gekommen war, brachte nur ihr eigenes Missverständnis sowohl des grundlegenden Begriffs der Partei und des Zeitpunkts ihres Aufbaus als auch des historischen Platzes zum Ausdruck, den die Fraktion einnahm.
Die Gründung der PCInt Italiens beweist, dass die Partei zu keinem Zeitpunkt der Geschichte durch den Willen der Mitglieder gebildet wird. Die Umwandlung der Fraktion in eine Partei unterliegt weiterhin bestimmten objektiven Bedingungen, wie dies auch für den ersten Teil des Prozesses der Umwandlung der Partei in eine Fraktion der Fall ist.
3. Die historische Bedeutung der Ereignisse vom Juli 1943 in Italien
Die Gründung der Partei in Italien ist praktisch der Abschluss einer hitzigen Debatte, die innerhalb der GCI und der italienischen Fraktion geführt wurde. Eine Tendenz in der Italienischen Fraktion - die Vercesi-Tendenz und zum Teil auch die Belgische Fraktion - leugnete bis zum Ende des Krieges das Auftreten des italienischen Proletariats auf der politischen Bühne. Für diese Tendenz waren die Ereignisse von 1943 nur eine Manifestation der Wirtschaftskrise, die als "Krise der Kriegswirtschaft" bekannt ist, oder aber eine Palastrevolution, ein Streit in den oberen Etagen des italienischen Kapitalismus und nichts weiter.
Das italienische Proletariat war und blieb für diese Tendenz sowohl politisch als auch gesellschaftlich abwesend. Dies sollte sich in eine ganze Theorie einfügen, die von dieser Tendenz über die "soziale Nichtexistenz des Proletariats während des Krieges und während der gesamten Periode der 'Kriegswirtschaft'" aufgestellt wurde.
Auch nach 1943 befürworten sie absolute Passivität bis hin zur organisatorischen Auflösung der Fraktion. Gemeinsam mit der Italienischen Fraktion haben wir diese liquidatorische Tendenz in der GCI[1] frontal bekämpft.
Mit der Italienischen Fraktion analysierten wir die Ereignisse des Jahres 1943 in Italien als eine fortgeschrittene Manifestation des sozialen Kampfes und der Öffnung des Kurses in Richtung Revolution und befürworteten die Ausrichtung der Umwandlung der Fraktion in eine Partei. Man kann sich nicht aufrichtig mit der Existenz der PCInt in Italien solidarisch erklären, ohne die Richtigkeit unserer Analyse von 1943 anzuerkennen. Das eine impliziert das andere; die Gründung der neuen Partei in Italien, ihre Entwicklung, ist die kategorischste Antwort, die eine heftige Debatte zwischen uns und der opportunistischen Tendenz von Vercesi abschließt.
Wie kann man einerseits die Gründung der Partei gutheißen und gleichzeitig behaupten, dass sich der historische Verlauf nicht grundlegend geändert hat?
Diejenigen, die wie die revisionistische Tendenz leugnen, dass es 1943 einen ersten Bruch im Verlauf des imperialistischen Krieges, und 1943 eine erste Manifestation der Klassenopposition gegen den Krieg gab, sollten - wenn sie logisch blieben und wenn sie immer noch von dem theoretischen Ausgangspunkt der Fraktion hinsichtlich der Unmöglichkeit des Parteiaufbaus in einer Periode der Flaute überzeugt wären - die Gründung der PCInt als einen Akt des voluntaristischen Abenteurertums verwerfen. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn genau die Leute, die unserer "optimistischen" Analyse nicht genug Sarkasmus entgegensetzen konnten, sind heute die treuesten Befürworter, die lautesten Enthusiasten. Es ist vergeblich, in ihren jüngsten Schriften nach einer Erklärung für ihren eklatanten Widerspruch zu suchen. Die Leichtigkeit, mit der man seine Haltung und seinen Standpunkt ändert und die krassesten Widersprüche anhäuft, ist wirklich verblüffend. Die jahrelange Zickzack-Politik der Komintern hat die Gemüter so sehr daran gewöhnt und pervertiert, dass selbst im Milieu der linken Gruppen die offensichtlichsten Widersprüche nicht immer sofortige Reaktionen hervorrufen.
Aber ob man ihn anerkennt, ob man ihn rechtfertigt oder nicht, ein Widerspruch bleibt ein Widerspruch. Für jeden denkenden Kämpfer bleibt die Frage bestehen, und keine Ausrede kann sie überwinden. Entweder kann die Partei in jeder Periode aufgebaut werden, sowohl in der Periode des revolutionären Aufschwungs als auch des Rückflusses, und dann sind es die Trotzkisten, die gegen die Internationale Kommunistische Linke Recht hatten, oder die Partei kann in Italien und in den anderen Ländern aufgebaut werden, weil sich dort ein neuer historischer Kurs des revolutionären Aufschwungs eröffnet hat.
Wenn wir aber die zweite Formulierung akzeptieren, stellt sich sofort die Frage: "Welchen Ereignissen müssen wir die offensichtliche Bedeutung eines neuen historischen Kurses im Gegensatz zum vorherigen zuschreiben, und in welchem Moment befindet sich dieser neue Kurs".
Der Sturz des Mussolini-Regimes in Italien und das Ende des Krieges bestimmen nicht per se einen neuen historischen Kurs, denn wenn dies der Fall wäre, wäre es schwer zu verstehen, warum die GCI (Italienische Kommunistische Linke) die Gründung von Parteien in der Vorkriegszeit, d. h. in der Zeit vor dem Krieg, für unmöglich erklärt und gewaltsam bekämpft hat, selbst in Ländern mit "demokratischen" Regimen. Nicht nur, dass der Sturz Mussolinis und das Ende des Krieges den Aufschwung nicht bestimmt haben und für sich genommen den neuen Kurs nicht erklären, sondern indem man sich auf diese Ereignisse bezieht, verweist man die Erklärung lediglich auf Ereignisse, die eben selbst erklärt werden müssen. Auf diese Weise begibt man sich nur in einen Teufelskreis und hangelt sich von Schwierigkeit zu Schwierigkeit.
Vercesis Theorie der "Krise der Kriegswirtschaft", ein Anhang zu seiner Theorie der "Kriegswirtschaft", ist wohlbekannt. Dieser Theorie zufolge endet der Krieg, der den Höhepunkt der Ära des größeren Wohlstands und der wirtschaftlichen Expansion darstellt[2], erst in einer Krise aufgrund wirtschaftlicher Erschöpfung. Diese Idee ist nicht weniger absurd als die erste und folgt direkt aus ihr, die darin besteht, den Krieg und die Kriegswirtschaft, die durch eine Wirtschaftspolitik der Zerstörung gekennzeichnet sind, als die Ära des größten Wohlstands darzustellen und zu definieren. Wir werden hier nur die These beibehalten, dass der Krieg mit einer Krise der wirtschaftlichen Erschöpfung endet und dass es diese Krise ist, die, nachdem sie das Ende des Krieges bestimmt hat, dann das Erscheinen des Proletariats und die Wiederaufnahme der sozialen Kämpfe in der Nachkriegszeit bedingt.
Selbst wenn wir für einen Moment zugeben würden, dass dieses Schema eine exakte Wiedergabe der Realität ist, bliebe immer noch eines unbewiesen, nämlich, warum diese "wirtschaftliche" Krise gerade durch sie eine soziale Krise bedingt und den offensiven Kurs der Revolution eröffnet, außerhalb dessen die neue Partei nicht gegründet werden kann. Wir haben in der Geschichte viele Wirtschaftskrisen erlebt, die keineswegs den Ausgangspunkt für einen offensiven Kurs des Proletariats darstellten, sondern im Gegenteil mit der Verschärfung des Rückflusses zusammenfielen. Nehmen wir zum Beispiel die Jahre 1929 bis 1934, die Zeit des Tiefpunkts der Dauerkrise des dekadenten Kapitalismus. Diese Periode ist durch Niederlagen des internationalen Proletariats gekennzeichnet, und zwar Niederlagen, die umso größer sind, als sie einem Proletariat zugefügt werden, das nicht kämpft und das leidet. Es ist die Zeit des offenen Übergangs der Parteien der Komintern in den Dienst des nationalen kapitalistischen Staates, der den Arbeitern die Verteidigung des Vaterlandes wieder aufzwingt. Die Herangehensweise von Vercesi mit der Theorie der "Wirtschaftskrise" ist absolut unfähig, den neuen historischen Kurs zu erklären.
Aber sehen wir uns die Überprüfung dieser Theorie in der konkreten Realität an? Es sei notwendig, geduldig das Ende des imperialistischen Krieges abzuwarten, um das Wiederaufleben des Proletariats und die Eröffnung eines neuen Kurses zu erleben, der die Bedingungen für die Bildung der Partei festlegt. All dies brauche seine Zeit. Und während man auf das Ende des Krieges wartete, konnte aus revolutionärer Sicht nichts getan werden. Man könnte diese "tote Zeit" des Proletariats allenfalls dazu nutzen, die Bourgeoisie zu katechisieren, wie es Vercesi im Antifaschistischen Komitee der italienischen Emigration in Brüssel tat. Und was sehen wir?
Während Vercesi die Geschicke der Antifaschistischen Koalition leitet und als Redakteur der Zeitung dieser Koalition fungiert, in der die chauvinistischsten Aufrufe zur Teilnahme am imperialistischen Krieg gemacht werden, bemühen sich die revolutionären Militanten in Italien und in erster Linie die der Linksfraktion, sich zu sammeln und die Gründung der Partei voranzutreiben. Sogar chronologisch gesehen wurde die Partei vor dem Ende des Krieges geboren.
Der Ausgangspunkt für die Gründung der neuen Partei war nicht die Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, sondern unmittelbar die Krise des Krieges, der Bruch im Kriegsverlauf, der sich im Verlauf des Krieges selbst ereignete und entstand und dessen offene Manifestation einen Namen und ein Datum trägt: die Ereignisse vom Juli 1943 in Italien.
4. Gegen den Kapitalismus, für die Gründung der Partei oder für den Antifaschismus durch eine Koalition mit der Bourgeoisie
Heute stehen alle hinter der neuen Partei, und gerade diejenigen, die die erbittertsten Gegner des Parteiaufbaus waren, sind diejenigen, die am lautesten für sie schreien. Diese begeisterten Rufe sind wahrscheinlich weniger ein Tribut an die Partei als vielmehr das Bedürfnis, frühere Positionen zu vergessen und vergessen zu machen. Wir glauben jedoch nicht, dass wir irgendwelchen Ressentiments oder Eigenliebe gehorchen, wenn wir an die jeweiligen Positionen der einzelnen Parteien erinnern. Die Geschichte hat uns gelehrt, bei plötzlichen Bekehrungen doppelt vorsichtig zu sein. Wir ziehen die Feindseligkeit eines Martow der verderblichen Freundschaft eines zum Bolschewismus konvertierten Martinow vor. Wir sind nicht der Meinung, dass ein Fehler auf individueller Ebene für die Person, die ihn begeht, fatal ist. Eine Korrektur selbst der schwerwiegendsten Fehler ist immer möglich. Doch damit es zu einer Korrektur kommt, muss zunächst ein Bewusstsein und eine kritische Prüfung stattfinden.
„Vergessen" ist nur Verdrängung. Eine übertünchte Krankheit ist nur ein Anschein von Heilung und führt perspektivisch zu tödlichen Unfällen und Rückfällen. Die Frage ist umso wichtiger, als wir es hier nicht mit einem Einzelfall zu tun haben, sondern mit einer Krankheit, die sich im Klassenorganismus, in der Fraktion entwickelt hat. Die Tatsache, dass die Fraktion durch die Gründung der Partei "überholt" wurde, bedeutet nicht, dass die Krankheiten, die in der Fraktion entstanden sind, automatisch überholt sind. Es gibt eine politische Kontinuität zwischen der Fraktion und der Partei, so wie es eine physiologische Kontinuität zwischen dem Jugendlichen und dem Erwachsenen gibt.
Und weil es diese Kontinuität gibt, gibt es keine Auslöschung, sondern es muss eine Überwindung geben. Auch wenn wir als Störenfriede und Hindernisse beim Tanzen im Kreis erscheinen, halten wir es für unerlässlich, die Entwicklung der Ereignisse zu beobachten und zu prüfen, sie zu untersuchen, die grundlegenden politischen Positionen von gestern zu verifizieren, zu bestätigen oder zu entkräften und durch diese Überprüfung den intimen politischen Charakter dieser oder jener Strömung erkennen zu können.
Wir haben gesehen, wie sich die Italienische Fraktion und die GCI (Italienische Kommunistische Linke) in zwei Strömungen aufgespalten haben, deren Gegensatz sich mit jedem Ereignis vertiefen wird. Die diametral entgegengesetzte Analyse der Ereignisse vom Juli 1943 sollte die Divergenzen aus dem Bereich der theoretischen Spekulation in den Bereich der unmittelbaren Praxis verlagern. Die Resolution über die "unmittelbaren Aufgaben", die von der Konferenz im August 1943 verabschiedet wurde, wird unsere allgemeine Ausrichtung auf die Betonung der Wiederaufnahme der Tätigkeit auf internationaler Ebene und auf den Aufbau der Partei in Italien formulieren. Aber während die Mehrheit der Italienischen Fraktion und unserer Fraktion sich von dieser Entschließung, dieser Ausrichtung in ihrer politischen Tätigkeit inspirieren ließ, wird die Tendenz von Vercesi diese Ausrichtung und alle Aktivitäten heftig bekämpfen. Ausgehend von der "sozialen Nichtexistenz des Proletariats" während der Zeit der Kriegswirtschaft und der Verleugnung seines politischen Auftretens in den sozialen Umwälzungen von 1943 verkündete die Vercesi-Tendenz die Notwendigkeit der absoluten Passivität bis die neuen Bedingungen gereift seien. Wir wissen jetzt, wie die neuen Bedingungen aussahen. Vercesi hat sich öffentlich zu diesem Thema geäußert. Sie bestanden in einem Sieg des angelsächsischen Blocks, "ein Sieg, den wir uns wünschen müssen".
Und da sich der revolutionäre Defätismus Lenins in den Defätismus des Faschismus insgesamt verwandelt hat, und da diese Niederlage des Faschismus die Bedingung (bisher glaubten wir, sie sei nicht die Bedingung, sondern das Produkt) für die Wiederaufnahme des Klassenkampfes ist. Vercesi und seine Tendenz werden, um die Reifung dieser Bedingung zu beschleunigen, die Notwendigkeit der Koalition mit der "demokratischen" und antifaschistischen Bourgeoisie verkünden. Mit der Ablösung des Nazi-Gendarmen durch den "demokratischen" Gendarmen, mit dem Wechsel des Besatzers, der Ablösung der deutschen imperialistischen Besatzung durch die nicht minder imperialistische angelsächsische Besatzung, die als "Befreiung" bezeichnet wurde, werden Vercesi und seine Tendenz volle Handlungs-, Rede- und Pressefreiheit finden[3]. Indem sie die Initiative zur Bildung des Antifaschistischen Koalitionsausschusses mit allen "demokratischen" Parteien der Bourgeoisie ergriff, setzte diese Tendenz wiederum ihre theoretischen Ansichten in die Praxis um.
Die Handlungen der "Partisanen" werden als Klassenkraft gepriesen. Es wird gelehrt werden, dass der Antifaschismus nicht mehr die kapitalistische Waffe in den Händen des Kapitalismus ist, um das Proletariat abzulenken und sein Klassenbewusstsein zu zerstören, sondern die Waffe der Emanzipation des Proletariats. Es wird entdeckt werden, dass die Koalition mit der Bourgeoisie nicht mehr der Verrat am Proletariat ist, sondern eine "indirekte Taktik"; die Arbeiter werden aufgefordert, sich an der albernen und trügerischen Farce der "Säuberung" zu beteiligen. Den Arbeitern wird zu verstehen gegeben, dass ihre Klasseninteressen es gebieten, sich zu freiwilligen Hilfskräften der Polizei zu machen und die "Denunziation" von "Faschisten" bei der Polizei zu praktizieren. Den Arbeitern wird wieder einmal beigebracht, dass Hilfe und Kultur über dem Parteikampf, d.h. über dem Klassenkampf stehen; die sozialistischen Führer, Verräter von 1914, werden als Freunde und Beschützer der eingewanderten Arbeiter dargestellt. Schließlich wird die marxistische Phraseologie als Appetitanreger in der Zeitung der Koalition verwendet, deren Hauptpfeiler die Aufrufe zur Rekrutierung von Freiwilligen, zur Teilnahme am imperialistischen Krieg, zum Sieg der Alliierten, zur Befreiung des Mutterlandes und zum Wiederaufbau des neuen "republikanischen und demokratischen" Italiens sein werden.
Die Verneinung der sozialen und politischen Existenz des Proletariats sollte diese Tendenz dazu bringen, die politischen Positionen der Klasse aufzugeben und sich direkt der Bourgeoisie anzuschließen. Es gibt keinen Misch- oder Zwischenweg. Entweder gegen den Kapitalismus durch die Bildung der Klassenpartei oder für den Antifaschismus mit der Bourgeoisie. Die Fraktion wählte den ersten Weg, die opportunistische Tendenz von Vercesi den zweiten. Der Bankrott des Unterfangens lag auf der Hand.
Es reicht jedoch nicht, geografisch seinen Standort zu verändern, um die Spuren einer Praxis und einer Politik des Verrats zu verwischen. Die Umwandlung und der Anschluss an die Partei beinhalten zwar die Verurteilung dieser Politik, bieten aber an sich keine Garantie. Wir befürworten jedoch nicht den individuellen Ausschluss als absolut unvermeidlich. Das Problem ist viel schwerwiegender, als es durch einfache organisatorische Maßnahmen gelöst werden kann. Es kann nur auf diese Weise gelöst werden: Entweder setzt die Vercesi-Tendenz öffentlich vor der Partei und dem Proletariat ihre Politik der antifaschistischen Koalition und ihre gesamte opportunistische Theorie, die sie zu dieser Politik geführt hat, um, oder es ist Sache der Partei, nach einer offenen kritischen Diskussion die opportunistische Tendenz von Vercesi theoretisch, politisch und organisatorisch Umzusetzen.
5. Drei schwere Fehler der Italienischen Fraktion[4]
In der letzten Periode ihres Bestehens hat die Italienische Fraktion trotz der schrecklichen Bedingungen des Krieges und ihrer zahlenmäßigen Schwäche eine fruchtbare Arbeit geleistet. Es würde genügen, an die Dokumente und Resolutionen über das Wesen des imperialistischen Krieges, über den kapitalistischen Charakter des russischen Staates, die Aufsätze über das Problem des Staates nach dem Sieg der Revolution, die Dokumente gegen die revisionistische Theorie der Kriegsökonomen zu erinnern, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen, um alle positiven Errungenschaften ihrer Arbeit während des Krieges zu messen, und die die Fraktion aus der Sackgasse befreit haben, in der sie sich am Vorabend des Krieges befand. Die Existenz unserer französischen GC-Fraktion (Gauche Communiste de France), die größtenteils auf den Einfluss und die direkte Beteiligung von Genossen der Italienischen Fraktion zurückzuführen ist, ist ebenfalls Teil der positiven Errungenschaft ihrer Arbeit während der Kriegsjahre.
Es wäre jedoch falsch zu glauben, dass es in der Bilanz nur Vermögenswerte gibt. Es gibt auch viele Fragen, die die Italienische Fraktion unvollendet gelassen hat, bei denen sie zögerte oder die sie schlecht gelöst hat. Ihre Irrtümer und Zögerungen beziehen sich insbesondere auf die mit dem Ende des Weltkriegs beginnende Übergangsperiode, auf die Ziele und Aktionsprogramme, die geeignet sind, die Massen in der neuen Situation im Hinblick auf die Revolution zu mobilisieren; auf die Frage der Einheitsorganisationen der Klasse, der Arbeiterräte oder der Gewerkschaften, von denen fälschlicherweise behauptet wird, dass sie aufgrund ihrer Struktur und ihres Wesens immer die Organisation der Klasse schlechthin darstellen, als "Staat im Staat". Sie hingen auch mit der Illusion von der Möglichkeit der Rückkehr des Kapitalismus zu einer "Friedenswirtschaft" und dem Verweis auf die ferne Perspektive eines drohenden dritten imperialistischen Krieges zusammen; und im konkreten Bereich häuften sich eine Reihe von Fehlern sektiererischen Charakters in den Beziehungen zu den anderen Gruppen, die der internationalen Umgruppierung der Vorhut im Wege standen.
Wir haben nicht die Absicht, hier die Geschichte der Italienischen Fraktion darzustellen oder ihre gesamte Arbeit zu untersuchen. Wir wollen uns nur auf die Punkte konzentrieren, die direkt mit der Gründung der Partei in Italien zusammenhängen, auf die Fehler, die sich unserer Meinung nach direkt und schädlich auf diese Verfassung ausgewirkt haben.
a) Die Fraktion kehrte im Jahre 1943 nicht nach Italien zurück
Wenn die Analyse der Fraktion zu den Ereignissen im Juli 1943 richtig war, wenn das Jahr 1943 eine Zäsur im imperialistischen Krieg darstellte und die Ära der Parteigründung einleitete, dann bestand die Aufgabe der Fraktion in ihrer sofortigen Rückkehr nach Italien. In Wirklichkeit wurde die Fraktion, die die Wahrscheinlichkeit der Ereignisse theoretisch vorausgesehen hatte, von deren Ausbruch praktisch überrascht. Dies spiegelt sich in ihrer Unfähigkeit wider, eine allgemeine Aktionslinie zu formulieren, in ihrem Mangel an einer kohärenten Sicht ihrer unmittelbaren Aufgaben und in ihrem Zögern. Monatelang befand sich die Fraktion in der Position eines Zuschauers, anstatt eine aktive Rolle als Akteur der Ereignisse zu spielen. Während des gesamten Zeitraums von Juli bis September, d.h. bis zu dem Zeitpunkt, als es dem Kapitalismus gelang, die ersten spontanen Bewegungen des Proletariats zu beherrschen und zu kanalisieren, war die Fraktion in Italien völlig abwesend. Es ist offensichtlich, dass die Fraktion für ihre politischen und organisatorischen Fehler der Vergangenheit bezahlt, da sie nicht in der Lage ist, ihre Funktion zu erfüllen. So zeigt sich in der Fraktion eine Art Lähmung, eine Versteinerung, und obwohl das Leben in der Emigration seit 20 Jahren nicht die Hauptursache ist, hat es doch zu einem großen Teil dazu beigetragen. Dass die Fraktion nicht sofort nach Italien zurückkehren konnte, ist nicht auf äußere Schwierigkeiten zurückzuführen, die sicherlich vorhanden waren, sondern im Wesentlichen auf den inneren Zustand der Fraktion selbst. Von nun an, mit den neuen Kampfbedingungen des italienischen Proletariats, ist die Aufrechterhaltung der Italienischen Fraktion außerhalb Italiens ein Anachronismus, der nur zu ihrer totalen Liquidierung führen kann; und man kann mit Fug und Recht sagen, wie ein Genosse schrieb, dass eine zweite Überraschung der Fraktion in dieser Größenordnung ihren Bankrott bedeuten würde. In Italien selbst haben die alten Mitglieder der Linken, die Mitglieder der Fraktion, die dort sind, das Bedürfnis, sich neu zu formieren. Der Druck der Ereignisse zeigt sich so stark und drängt sie dazu, ihrer Tätigkeit eine organisierte und organisatorische Form zu geben.
Die Tendenz, die Partei entsprechend der objektiven Situation aufzubauen, wird immer deutlicher. Aber in diesem Programm des Parteiaufbaus, das sich von 1943 bis 1945 erstreckt, fehlt die Fraktion als Organisation, als homogener ideologischer Körper. Die Abwesenheit der Fraktion in dieser kritischen Periode der Formierung wird furchtbar zu spüren sein und schwerwiegende Folgen haben, die wir sowohl in der Art der Umgruppierung als auch in den programmatischen Grundlagen der neuen Partei finden.
b) Die Theorie der «Italienischen Fraktion im Ausland»
Anstatt das Scheitern der Fraktion bei der Erfüllung ihrer grundlegenden Aufgaben durch die Vorbereitung ihrer Rückkehr nach Italien entschlossen zu überwinden, und um das eigene Scheitern zu minimieren, führte ein Teil der Fraktion den Begriff der "Fraktion im Ausland" ein
Dies war ein Versuch, die Schwere der Verantwortung zu mindern. Es hieß: "Alle Kritik, die geäußert wurde, mag richtig sein, aber sie ist nicht ernst zu nehmen, weil sie sich nur auf einen Teil der Fraktion bezieht, auf den Teil, die Sektion, die im Ausland ist, während der Großteil der Organisation in Italien lebt und handelt.“ Und von dort aus spottet man über "die Panikmacher" und "ihre Anmaßungen", dem Proletariat und den Militanten in Italien "etwas vorschreiben" zu wollen.
Es stimmt, dass es der Fraktion gelungen ist, diese Theorie zu verwerfen, aber es stimmt auch, dass es ihr nie gelungen ist, diese weiterhin vorherrschende Geisteshaltung zu beseitigen.
Die Formel von der "Fraktion im Ausland" war doppelt falsch und gefährlich. Erstens, weil sie bewusst die Unwahrheit über die Existenz einer soliden Fraktionsorganisation in Italien aufrechterhielt, und zweitens, weil sie, anstatt sich um die Überwindung ihres Scheiterns zu bemühen, dieses in der Vergangenheit und in der Zukunft rechtfertigte, indem sie die bestehende Organisation von jeglicher politischen Verantwortung befreite.
Es liegt uns fern, den Wert der in Italien verbliebenen Genossen zu unterschätzen. Es ist sicher, dass der größte Teil der Linken in Italien geblieben ist. Es ist auch wahrscheinlich, dass dies sowohl für die Qualität als auch für die Quantität der Mitglieder gilt. Die Tatsache, dass die meisten von ihnen nach 20 Jahren Faschismus immer noch ihren Positionen treu geblieben sind, an vorderster Front des Kampfes, ist ein starkes Indiz für ihr Kaliber und ihren Wert. Aber es geht nicht um individuelle Werte. Die Organisation ist keine Summe von Einzelwillen, genauso wenig wie das Klassenbewusstsein eine Summe von Einzelbewusstsein ist. Die Organisation ist eine Einheit. Sie ist der Ort, an dem die ideologische Gärung der Klasse erzeugt und fortgesetzt wird.
Nun ist es gerade die Möglichkeit, die Organisation aufrechtzuerhalten, die den Genossen in Italien fehlte. Und wie groß ihr individueller Wert auch sein mag, er kann nicht an die Stelle eines organisierten politischen Lebens treten. Der dem politischen Klassencharakter des italienischen Proletariats entsprechende Organismus während des Faschismus war die Italienische Fraktion, wie sie lebte, agierte und sich entwickelte. Die politischen Positionen der Fraktion sind nicht die Beiträge einer Sektion, sondern der Ausdruck des Lebens und des Bewusstseins der Klasse. Es handelt sich nicht um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eine Niederlassung im Ausland, sondern um die Delegation der Klasse.
Die Mitglieder der Linken in Italien sind unter äußerst schwierigen historischen Bedingungen dem Programm der Revolution treu geblieben, und das ist ihr großes Verdienst. Aber es ist die Fraktion, wie sie existiert hat, mit ihrer Organisation, ihrer Presse außerhalb Italiens, die die historische Kontinuität des Proletariats gewährleistet hat. Es ist die Fraktion, die im Namen der Klasse den Zentrismus bekämpfen, eine Bilanz des vergangenen Kampfes ziehen und auf der Grundlage der Erfahrungen das Programm der Revolution korrigieren und vervollständigen musste.
Die Illusionen über die Organisation in Italien, die infantilen Legenden über die neuen Kader, die von Bordiga selbst im Geheimen hinter dem Rücken Mussolinis vorbereitet wurden, waren nichts anderes als Opium, das man sich und anderen verabreichte, um in künstlicher und falscher Ekstase die Realität des eigenen Elends und Versagens zu vergessen.
Während der gesamten kritischen Zeit von 1943 bis 1945 hatte die Partei einen enormen Mangel an Kadern. Und diese Kader, geschult durch 15 Jahre Fraktionsleben, überdeckten ihre Unzulänglichkeiten, ihr Versagen, ihre Abwesenheit mit dem Mantel falscher Bescheidenheit und trösteten sich mit der Theorie einer "Sektion im Ausland".
Mit dieser Haltung zerstörte die Fraktion 15 Jahre lang ihre eigene Arbeit; diese theoretische Arbeit der Fraktion, die die Achse des neuen Parteiprogramms sein sollte, wurde zu "einem bloßen Beitrag der Genossen im Ausland".
Wenn wir heute Lücken und Mängel in der programmatischen Basis der Partei feststellen, wenn wir eine auf den ersten Blick überraschende Methode der Umgruppierung finden, liegt die Schuld in erster Linie und direkt bei der Fraktion
c) Die Auflösung der Fraktion
Die Fehler folgen einander mit unerbittlicher Logik. Von der physischen und politischen Abwesenheit in entscheidenden Momenten über die Rechtfertigung dieser Abwesenheit durch die Theorie der "Fraktion im Ausland" bis hin zur reinen und einfachen Auflösung der Fraktion. Dieser letzte Schritt wurde ebenfalls unternommen.
Wir wissen sehr wohl, dass die Genossen der alten Fraktion behaupten, wir seien Opfer eines Missverständnisses oder einer falschen Interpretation. Einige haben uns sogar bezichtigt, wir hätten schlechte Absichten. Wir können nur noch einmal unser Bedauern und unser Erstaunen darüber zum Ausdruck bringen, dass die auf der letzten Konferenz der Italienischen Fraktion angenommene Resolution, die die Auflösung beinhaltet, nach acht Monaten immer noch im Verborgenen geblieben ist. Vor acht Monaten konnte man sich in juristischen Spitzfindigkeiten über den zweideutigen Begriff "Rückgabe des Mandats" verlieren. Mehr Subtilität ist heute nicht möglich. Seit Mai 1945 ist die Italienische Fraktion aufgelöst. Die nach Italien zurückgekehrten Genossinnen und Genossen sind als Einzelpersonen in die Partei integriert worden. Und wir sind Zeugen dieses paradoxen Schauspiels, das komisch sein könnte, wenn es nicht eine äußerst ernste politische Bedeutung hätte.
Im Jahr 1936 wurde die internationale Arbeiterbewegung einer entscheidenden historischen Prüfung unterzogen: dem imperialistischen Krieg in Spanien. Zum ersten Mal wurde der Antifaschismus konkret in Unterstützung für den imperialistischen Krieg umgesetzt. Es ist der neue 2. August 1914. Jeder militante Arbeiter, jede Gruppe wird auf die Probe gestellt: FÜR oder GEGEN die Teilnahme am Krieg. Das Zusammenleben dieser beiden Positionen ist unmöglich. Die politische Abgrenzung muss zu einer organisatorischen Abgrenzung führen.
In Belgien bricht eine Minderheit mit der Internationalistischen Kommunistischen Liga und gründet die Belgische Fraktion der Kommunistischen Linken. In der Italienischen Fraktion spaltete sich eine Minderheit ab oder wurde ausgeschlossen und schloss sich dem mit der POUM verbündeten Kommunistischen Bund an.
Diese Minderheit, die von 1936 bis 1945 außerhalb der Fraktion blieb, gegen die sich die Internationale Kommunistische Linke formierte, und die ihre Positionen immer noch beibehält und einfordert, ist heute Teil der neuen Partei in Italien.
1945, nach sechs Jahren des Kampfes gegen die marxistische und revolutionäre Linie der Fraktion, gründete die Tendenz Vercesi das Komitee der Antifaschistischen Koalition, in dem sie in einer ursprünglichen heiligen Allianz mit allen Parteien der Bourgeoisie zusammenarbeitete.
Dies führte zu einer politischen und theoretischen Diskussion, die die Fraktion dazu veranlasste, diese Tendenz aus ihrer Mitte auszuschließen. Heute ist diese Tendenz, ohne etwas von ihren Positionen und ihrer Praxis aufgegeben zu haben, ein fester Bestandteil der neuen Partei in Italien und nimmt sogar einen wichtigen Platz in der Führung ein.
So fand sich die Fraktion - die 1936/1937 die Minderheit und Anfang 1945 die Vercesi-Tendenz ausgeschlossen hatte - Ende 1945 aufgelöst, aber mit genau denjenigen vereint, die sie ausgeschlossen hatte; und diese Vereinigung ist... die Partei.
Es scheint, dass das, was für die Fraktion eine Grundsatzfrage war, für die Partei nicht gilt. Oder dass das, was "im Ausland" eine Grundsatzfrage war, "im Inland" keine Grundsatzfrage ist. Oder dass alles, was "im Ausland" passiert ist, die gesamte 15-jährige Geschichte der Fraktion, ihre Kämpfe, ihre Spaltungen, nur "verrückte Geschichten" sind. Es ist, als hätte das Wasser des Po die wundersame Eigenschaft, alle Flecken wegzuwaschen, von allen Sünden zu reinigen und vor allem alle zu versöhnen. Wir wissen nicht, ob es die "Luft des Landes" ist, die diese Gabe besitzt, einen Mann des Antifaschistischen Koalitionsausschusses in ein Mitglied des Zentralkomitees einer revolutionären Partei zu verwandeln, aber wir sind überzeugt, dass dies das Ergebnis der übereilten und verfrühten politischen und organisatorischen Auflösung der Fraktion ist.
Der politische Wiedereintritt der Fraktion in Italien wäre ein Hindernis für den Aufbau der revolutionären Partei des Proletariats gewesen. Die Auflösung der Fraktion bedeutet die Öffnung der Schleusen, durch die die opportunistischen Strömungen ungehindert eindringen können. In der Zukunft drohen diese Strömungen die gesamte Partei zu überfluten. Dies ist die Folge eines schwerwiegenden Fehlers, der von der Italienischen Fraktion begangen wurde.
6. Methode der Parteibildung
Während es richtig ist zu sagen, dass die Konstituierung der Partei durch objektive Bedingungen bestimmt wird und nicht das Ergebnis eines individuellen Willens sein kann, ist die Methode zur Konstituierung der Partei direkter dem "Subjektivismus" der Gruppen und Aktivisten untergeordnet, die sich an ihr beteiligen. Sie sind es, die die Notwendigkeit der Parteibildung spüren und in die Tat umsetzen. Das subjektive Element wird so zu einem entscheidenden Element in diesem Prozess und in dem, was folgt; es markiert die gesamte Ausrichtung für die weitere Entwicklung der Partei. Ohne in einen hilflosen Fatalismus zu verfallen, wäre es äußerst gefährlich, die schwerwiegenden Folgen zu ignorieren, die sich aus der Art und Weise ergeben, in der der Mensch die Aufgaben erfüllt, deren objektive Notwendigkeit er erkannt hat. Die Erfahrung lehrt uns die entscheidende Bedeutung der Methode für die Konstituierung der Partei. Nur die Unwissenden oder die Hasardeure, für die die Geschichte erst mit ihrer eigenen Tätigkeit beginnt, können sich den Luxus erlauben, die ganze reiche und schmerzliche Erfahrung der Komintern außer Acht zu lassen. Und es ist nicht weniger schlimm zu sehen, dass sehr junge Kämpfer, die gerade erst in der Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Linken angekommen sind, sich mit ihrer Unwissenheit nicht nur zufrieden geben, sondern sie sogar zur Grundlage ihrer anmaßenden Arroganz machen.
Am Vorabend des ersten imperialistischen Weltkriegs befand sich die Arbeiterbewegung in einem Zustand der extremen Spaltung. Der imperialistische Krieg hatte die formale Einheit der politischen Organisationen, die den Anspruch erhoben, Teil des Proletariats zu sein, gebrochen. Die Krise der Arbeiterbewegung, die bereits vorher bestand, erreichte durch den Weltkrieg und die Positionen, die als Antwort darauf eingenommen werden mussten, ihren Höhepunkt. Alle marxistischen, anarchistischen und gewerkschaftlichen Parteien und Organisationen werden dadurch heftig erschüttert. Die Spaltungen häufen sich. Neue Gruppen entstehen. Es kommt zu einer politischen Abgrenzung. Die revolutionäre Minderheit der Zweiten Internationale, vertreten durch die Bolschewiki, die Deutsche Linke um Luxemburg und die holländischen Tribunisten, die ohnehin nicht sehr homogen waren, standen nicht einfach einem einzigen opportunistischen Block gegenüber. Zwischen ihnen und den Opportunisten gab es eine ganze Bandbreite politischer Gruppen und Tendenzen, mehr oder weniger verwirrt, mehr oder weniger zentristisch, mehr oder weniger revolutionär, die die allgemeine Bewegung der Massen repräsentierten, die mit dem Krieg, mit der Heiligen Allianz, mit dem Verrat der alten Parteien der Sozialdemokratie brachen. Wir sehen hier einen Prozess der Liquidierung der alten Parteien, deren Untergang eine Vielzahl von Gruppen entstehen ließ. Diese Gruppen drückten weniger den Prozess der Konstituierung der neuen Partei aus als vielmehr die Verwerfung, die Liquidierung, den Tod der alten Partei. Diese Gruppen enthielten zwar Elemente für die Konstituierung der neuen Partei, bildeten aber keineswegs die Grundlage für sie. Diese Strömungen drückten im Wesentlichen die Negation der Vergangenheit und nicht die positive Bejahung der Zukunft aus. Die Grundlage für die neue Klassenpartei konnte nur in der früheren Linken liegen, in ihrer kritischen und konstruktiven Arbeit, in den theoretischen Positionen und programmatischen Prinzipien, die die Linke in den 20 Jahren ihres Bestehens und Kampfes als Fraktion innerhalb der alten Partei erarbeitet hatte.
Die Oktoberrevolution 1917 in Russland löste bei den Massen große Begeisterung aus und beschleunigte den Prozess der Liquidierung der alten Parteien, die die Arbeiterklasse verraten hatten. Gleichzeitig stellte sie das Problem der Konstituierung der neuen Partei und der neuen Internationale in aller Schärfe dar. Die alte Linke, die Bolschewiki und die Spartakisten, wurden durch die rasche Entwicklung der objektiven Situation, durch den revolutionären Vorstoß der Massen, überwältigt. Ihr überstürztes Vorgehen beim Aufbau der neuen Partei entsprach und war das Produkt des überstürzten Ablaufs der revolutionären Ereignisse in der Welt. Es ist unbestreitbar, dass eine der historischen Ursachen für den Sieg der Revolution in Russland und ihre Niederlage in Deutschland, Ungarn und Italien in der Existenz der revolutionären Partei zum entscheidenden Zeitpunkt in dem einen Land und ihrem Fehlen oder ihrer Unvollständigkeit in den anderen Ländern liegt. So versuchten die Revolutionäre, die Kluft zwischen der Reife der objektiven Situation und der Unreife des subjektiven Faktors (dem Fehlen der Partei) durch einen breiten Zusammenschluss politisch heterogener Gruppen und Strömungen zu überwinden und diesen Zusammenschluss als die neue Partei zu proklamieren.
Während die "strenge" Methode der Auswahl auf genauester prinzipieller Grundlage, ohne Rücksicht auf den unmittelbaren zahlenmäßigen Erfolg, die Bolschewiki in die Lage versetzte, eine Partei aufzubauen, die im entscheidenden Moment alle revolutionären Energien und Kämpfer aus anderen Strömungen integrieren und assimilieren und schließlich das Proletariat zum Sieg führen konnte, führte die "breite" Methode, bei der es vor allem darum ging, auf Kosten präziser Prinzipien und Programme sofort möglichst viele Menschen zu versammeln, zur Bildung von Massenparteien, echten Giganten auf tönernen Füßen, die nach der ersten Niederlage, die sie erlitten, dem Opportunismus verfielen. Die Bildung der Klassenpartei erwies sich in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, wo die Bourgeoisie über tausend Mittel verfügt, um das Bewusstsein des Proletariats zu korrumpieren, als unendlich schwieriger als in Russland.
Deshalb glaubte die Komintern, die Schwierigkeiten mit anderen Methoden als denen, die sich in Russland durchgesetzt hatten, umgehen zu können. Der Parteiaufbau ist keine Frage des Geschicks oder des Savoir-faire, sondern im Wesentlichen ein Problem der programmatischen Festigkeit.
Angesichts der enormen Macht der ideologischen Korruption, die der Kapitalismus und seine Helfer ausüben, kann das Proletariat sein Klassenprogramm nur mit größter Strenge und Unnachgiebigkeit durchsetzen. Wie langsam dieser Weg zum Aufbau der Partei auch erscheinen mag, Revolutionäre können keinen anderen Weg gehen, wie die Erfahrung der vergangenen Misserfolge gezeigt hat.
Die Erfahrung des Spartakusbundes ist in diesem Punkt sehr erhellend. Dessen Zusammenschluss mit den Unabhängigen führte nicht, wie erhofft, zur Schaffung einer starken Klassenpartei, sondern führte zu einer „Durchdringung“ des Spartakusbundes durch die Unabhängigen und zur Schwächung des deutschen Proletariats. Vor ihrer Ermordung erkannten Rosa Luxemburg und andere Führer des Spartakusbundes den Fehler des Zusammenschlusses mit den Unabhängigen und versuchten, ihn zu korrigieren. Aber dieser Fehler wurde von der Komintern nicht nur in Deutschland beibehalten, sondern er wurde zur praktischen Methode für die Bildung kommunistischer Parteien in allen Ländern, die von der Komintern aufgezwungen wurde.
In Frankreich "schuf" die Komintern die Kommunistische Partei, indem sie den Zusammenschluss und die Vereinigung von Gruppen revolutionärer Syndikalisten, der Internationalisten der Sozialistischen Partei und der verkommenen, korrupten zentristischen Tendenz der Parlamentarier, angeführt von Frossard und Cachin, erzwang.
In Italien zwang die Komintern die Abstentionistische Fraktion Bordigas, eine einzige Organisation mit den zentristischen und opportunistischen Tendenzen von Ordino Nuovo und Serrati zu gründen.
In Großbritannien forderte die Komintern die kommunistischen Gruppen auf, sich der Independent Labour Party anzuschließen, um eine revolutionäre Massenopposition innerhalb dieser reformistischen Partei zu bilden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die von der Komintern beim "Aufbau" kommunistischer Parteien angewandte Methode überall im Gegensatz zu der Methode stand, die sich beim Aufbau der bolschewistischen Partei bewährt hatte. Es war nicht mehr der ideologische Kampf um das Programm, die schrittweise Beseitigung der opportunistischen Tendenzen, die durch den Sieg der konsequentesten revolutionären Fraktion als Grundlage für den Aufbau der Partei diente. Stattdessen war die Grundlage eine Addition verschiedener Tendenzen, ihre Verschmelzung um ein Programm, das absichtlich unvollständig gelassen worden war. Selektion wurde durch Addition ersetzt, Prinzipien wurden der zahlenmäßigen Masse geopfert.
Wie konnten die Bolschewiki und Lenin diesen Weg einschlagen, den sie in Russland 20 Jahre lang verurteilt und bekämpft hatten? Wie lässt sich dieser Methodenwechsel bei der Parteibildung durch die Bolschewiki vor und nach 1917 erklären? Lenin machte sich keine Illusionen über die opportunistischen und zentristischen Führer, über die Bekehrung der Frossards, der Lebedours zur Revolution, über den wirklichen Wert dieser Revolutionäre in letzter Minute. Lenin kann sich der Gefahr nicht bewusst gewesen sein, die die Aufnahme dieses ganzen Haufens in die kommunistischen Parteien darstellt. Wenn er sich entschloss, sie aufzunehmen, dann nur, weil er dem Druck der Ereignisse ausgesetzt war, weil er glaubte, dass diese Elemente durch die Entwicklung der Ereignisse schrittweise und endgültig aus der Partei entfernt werden würden. So konnte Lenin eine neue Methode einführen, die sich auf zwei neue Tatsachen stützte, die in seinen Augen eine ausreichende Garantie boten: die politische Vorherrschaft der bolschewistischen Partei in der Komintern und die objektive Entwicklung des revolutionären Kurses. Die Erfahrung hat inzwischen gezeigt, dass Lenin einen kolossalen Fehler begangen hat, indem er die Gefahr einer opportunistischen Entartung unterschätzte, die in einer revolutionären Partei immer möglich ist und die umso mehr begünstigt wird, wenn die Parteibildung nicht auf der Grundlage der Beseitigung der opportunistischen Elemente erfolgt, sondern auf der Grundlage ihrer Tarnung, ihrer Zusammenführung und ihrer Einbindung als Elemente, die die neue Partei bilden.
Gegen die "breite" Methode der Zusammenführung, die sich in der Komintern durchsetzte, erinnerte die Linke energisch an die Methode der Auswahl, die Methode Lenins vor der Oktoberrevolution. Und es war eines der großen Verdienste von Bordiga und seiner Fraktion, dass sie die Methode der Komintern am energischsten bekämpften, indem sie den Fehler in der Methode der Parteigründung und die schwerwiegenden Folgen für die spätere Entwicklung der kommunistischen Parteien aufzeigten. Wenn die Fraktion von Bordiga schließlich die Bildung der Kommunistischen Partei Italiens mit der Fraktion Ordino Nuovo akzeptierte, so tat sie dies, indem sie sich den Entscheidungen der Komintern unterwarf, nachdem sie die schärfsten Kritiken formuliert und ihre eigenen Positionen aufrechterhalten hatte, die sie in den unvermeidlichen Krisen innerhalb der Partei und im Gefolge der lebendigen, konkreten historischen Erfahrung zum Sieg zu führen versuchte.
Heute können wir feststellen, dass das Fehlen kommunistischer Parteien während der ersten Welle der Revolution zwischen 1918 und 1920 eine der Ursachen für ihre Niederlage war, so wie die Methode der Parteigründung 1920-21 eine der Hauptursachen für die Degeneration der KPs und der Komintern war.
Eines der erstaunlichsten Dinge, die wir heute, 23 Jahre nach der Diskussion zwischen Bordiga und Lenin zur Zeit der Gründung der KP Italiens, beobachten, ist die Wiederholung desselben Fehlers. Die Methode der Komintern, die von der linken Fraktion Bordigas so heftig bekämpft wurde und deren Folgen für das Proletariat katastrophal waren, wird heute von der Fraktion selbst beim Aufbau der KPI Italiens aufgegriffen.
Viele Genossinnen und Genossen der Internationalen Kommunistischen Linken scheinen an politischer Amnesie zu leiden. Und in dem Maße, in dem sie sich an die kritischen Positionen der Linken zur Konstituierung der Partei erinnern, denken sie, dass sie heute darüber hinausgegangen sind. Sie glauben, dass die Gefahr dieser Methode eingedämmt, wenn nicht gar völlig beseitigt wird, weil es die Linksfraktion ist, die sie anwendet, d.h. der Organismus, der 25 Jahre lang der opportunistischen Degeneration der Komintern widerstehen konnte. Wir verfallen wieder in die Argumente der Bolschewiki. Lenin und die Bolschewiki glaubten, dass die Garantie dafür gegeben sei, weil sie es waren, die diese Methode anwandten. Die Geschichte beweist, dass es so etwas wie Unfehlbarkeit nicht gibt. Keine Partei, unabhängig von ihrer revolutionären Vergangenheit, ist gegen opportunistische Entartung immun. Die Bolschewiki hatten mindestens so viele revolutionäre Verdienste wie die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken. Sie hatten nicht nur dem Opportunismus der Zweiten Internationale und ihrem Verrat angesichts des imperialistischen Krieges widerstanden; sie hatten nicht nur die Partei gegründet, sondern das Proletariat zum Sieg geführt. Aber all diese glorreiche Vergangenheit - die keine andere Fraktion erreichen kann - immunisierte die bolschewistische Partei nicht. Jeder Irrtum, jeder Fehler ist eine Lücke in der Rüstung der Partei, durch die der Einfluss des Klassenfeindes eindringen kann. Fehler haben ihre logische Konsequenz.
Die Internationalistische Kommunistische Partei Italiens wird "aufgebaut" durch den Zusammenschluss, den Zusammenhalt von Gruppen und Tendenzen, die nicht weniger im Gegensatz zueinander stehen wie Bordigas Abstentionistenfraktion zum Ordino Nuovo bei der Gründung der KP Italiens 1921. In der neuen Partei haben wir als gleichberechtigte Partner die Italienische Fraktion und die Vercesi-Fraktion, die wegen ihrer Teilnahme an der Antifaschistischen Koalition ausgeschlossen wurden. Dies ist nicht nur eine Wiederholung des Methodenfehlers von vor 25 Jahren, sondern eine noch schlimmere Wiederholung.
Indem wir unsere Kritik an der Methode zur Konstituierung der PCInt Italiens formulieren, greifen wir nur die Position auf, die die Italienische Fraktion früher eingenommen hat und die sie heute aufgibt. Und so wie Bordiga die Fortsetzung von Lenin gegen den Irrtum von Lenin selbst war, setzen wir nur die Politik von Lenin und Bordiga gegen die Aufgabe der eigenen Positionen durch die Italienische Fraktion fort.
Die neue Partei ist keine politische Einheit, sondern ein Konglomerat, eine Addition von Strömungen und Tendenzen, die unweigerlich miteinander in Konflikt geraten. Der derzeitige Waffenstillstand kann nur sehr provisorisch sein. Die Eliminierung der einen oder anderen Strömung ist unvermeidlich. Früher oder später wird eine politische und organisatorische Abgrenzung vorgenommen werden müssen. Wie schon vor 25 Jahren stellt sich die Frage: Wer wird sich durchsetzen?
7. Sollten Revolutionäre der PCInt Italiens beitreten?
Wir haben gerade ausführlich untersucht, welchen Platz die Konstituierung der PCInt Italiens in der Geschichte der Arbeiterbewegung einnimmt. Wir haben soeben gesehen, inwieweit die neue Partei als ein Schritt nach vorn, als eine positive Errungenschaft des Proletariats betrachtet werden kann; aber wir haben auch die Unzulänglichkeiten und die negativen Seiten der Partei hervorgehoben.
Unsere Kritik, so scharf sie auch sein mag, führt uns nicht zu der Position der RKD, die die PCInt a priori und endgültig verurteilt. Die Kritik, die wir an der Gründungsmethode der PCInt und an ihrer programmatischen Unzulänglichkeit geübt haben, führt dazu, dass einige Genossen und Gruppen die Frage stellen: Sollen wir dieser Partei beitreten? Sollten wir uns an diesem Experiment beteiligen?
Die "Kommunistische Linke der 13. Stunde" - Vercesis Leute - erröten vor Empörung über die bloße Formulierung einer solchen Frage. Es ist beunruhigend zu sehen, wie in der Internationalen Kommunistischen Linken diese Art von Fetischismus eingeführt wird, der darin besteht, jeden Fehler, der zu einem bestimmten Zeitpunkt, in einer bestimmten Frage, von einer Gruppe oder der gesamten Internationalen Kommunistischen Linken begangen werden könnte, im Voraus freizusprechen.
Dieses politische System, das wir bei den Stalinisten und Trotzkisten zu sehr kennen gelernt haben - das auf die Notwendigkeit der Beweisführung verzichtet, das die Beweisführung durch die Behauptung ersetzt: "Wir hatten Recht, wir haben Recht und wir werden immer Recht haben, weil wir Wir sind!", das nur blinde Zustimmung oder Exkommunikation kennt - ist ein System, das jedes politische Leben in einer Organisation tötet, jede intellektuelle Gärung vernichtet, jede Entwicklung der Kämpfer stoppt und die Bewegung in eine elende bürokratische Instanz verwandelt.
Wer in der Politik jemandem aufs Wort glaubt - sagte Lenin - ist ein unheilbarer Idiot. Und jede politische Organisation, die sich in eine Kirche verwandelt, hört auf, eine Schule für Kämpfer zu sein, und wird zu einer Maschine, die einerseits eine kleine Clique unfehlbarer Bürokraten und andererseits eine Masse von Ja-Sagern hervorbringt.
Frei von jeder leicht empfindlichen Selbstliebe wollen wir jeden Einwand diskutieren, der gegen unsere Positionen und die der Internationalen Kommunistischen Linken erhoben werden könnte. In diesem Sinne nehmen wir die Gelegenheit wahr, die Position der RKD bezüglich der PCInt Italiens zu widerlegen. Die RKD übernimmt teilweise unsere Kritik an der programmatischen Unzulänglichkeit der PCInt, an der falschen Methode, mit der die Partei gegründet wurde, und insbesondere unsere Kritik an der revisionistischen Strömung von Vercesi. Infolgedessen definiert die RKD, scheinbar logisch, die PCInt Italiens als zentristische Partei. Und die RKD kommt zu dem Schluss, dass diese Partei bereits dazu verurteilt ist, sich auf fatale Weise zu opportunistischen und konterrevolutionären Positionen zu entwickeln. Die RKD sieht keine historische Möglichkeit für eine zentristische Partei, den Weg der Revolution zu finden. So verkünden sie die Notwendigkeit für die Revolutionäre in Italien, die PCInt zu verlassen und eine unabhängige Gruppe zu bilden.
Entgegen allen Schemata haben wir es hier mit einer Reihe von logischen Schlussfolgerungen zu tun. Wenn wir die Frage genauer untersuchen, stellen wir fest, dass es sich um eine abstrakte logische Argumentation handelt, eine schematische Sichtweise, die die Realität der konkreten Situation nicht erfasst.
Wie ist die Lage in Italien? Nach 20 Jahren faschistischer Herrschaft tritt das Proletariat in den Wirren der Ereignisse vom Juli 1943 auf die politische und soziale Bühne. Es beginnt ein neuer Kurs der Wiederaufnahme des offensiven Kampfes, der die Konstituierung der Klassenpartei erfordert. Es liegt auf der Hand, dass wir, wenn wir diese neue Situation aus den Augen verlieren, wenn wir sie ignorieren, das Problem der Konstituierung der Partei nicht verstehen, die von da an nur noch ein neues Muster in der Reihe der von den Trotzkisten fabrizierten Parteien zu sein scheint.
Im Gegensatz zu diesen künstlichen Konstruktionen, die künstlich sind, weil sie in einer Situation des Rückzugs des
Proletariats entstanden sind, ist das, was die Konstituierung der Partei in Italien kennzeichnet, eher die Kluft, die zwischen der spontanen Wiederaufnahme des Klassenkampfes und der Verzögerung bei der Organisation des Klassenbewusstseins besteht: die Partei.
Was ist der Gründungsakt der Partei? Es ist die historische Konvergenz zwischen einer objektiven Situation der offensiven Wiederaufnahme des Klassenkampfes und der maximalen Verwirklichung des Programms durch den Klassenorganismus, der die Fraktion darstellt. Diese Konvergenz ist selten perfekt. Die Geschichte lehrt uns, dass die Partei ihr Programm oft erst unter dem Eindruck der Ereignisse ändert und vervollständigt. Das eindrucksvollste Beispiel liefert uns die bolschewistische Partei, die zwischen Februar und Oktober, mitten in der Revolution, zu einer tiefgreifenden Korrektur ihres Programms aufgefordert wird. Auch der Spartakusbund arbeitet in der Hitze der Novemberrevolution 1918 fieberhaft an seinem Programm.
Man kann natürlich die Verspätung der Vorhut beklagen, aber das hilft nicht weiter. Wichtig ist, sich der historischen Aufgabe bewusst zu sein, die den Revolutionären in der Zeit des Rückzugs zufällt, mit der kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der theoretischen Arbeit, der Ausarbeitung der programmatischen Positionen, in denen sich die Klasse in ihrem revolutionären Kampf positionieren kann.
Die italienische Fraktion hatte dieses Bewusstsein in hohem Maße; sie hat sich 20 Jahre lang fast im Alleingang darum bemüht. Und wenn sie noch nicht rechtzeitig entwickelt war, wie zum Beispiel im Jahr 1943, so hat das mehrere Gründe. Sie müssen in den allgemeinen Bedingungen gesucht werden, unter denen die Fraktion leben musste, in ihrer geographischen Entfernung vom Land, in ihrer fast völligen Isolation, in dem größten Rückschlag, den der Kampf des Proletariats je erlebt hat, und auch in ihren eigenen Fehlern und Schwächen.
Aber die Situation in Italien änderte sich. Das Jahr 1943 brachte die seit 20 Jahren unterdrückte Klassenbewegung zum Vorschein. Die Situation berücksichtigte nicht, ob der Klassenorganismus, sein Zustand, vorbereitet ist oder nicht. Sie zwang die Vorhut, einzugreifen und ihre Verantwortung zu übernehmen. Unter dem Eindruck der Situation musste die Vorhut ihre Umgruppierung beschleunigen und ihr Programm vollenden.
Die italienische PCInt, mit all ihren Unzulänglichkeiten, drückte diesen Zustand der Diskrepanz der Vorhut gegenüber der objektiven Situation aus. Dieser Umstand kann mit Bedauern zur Kenntnis genommen werden. Wir müssen die programmatische Reifung beschleunigen, aber wir können diesen Zustand nicht "verurteilen". Dies ist der erste Punkt, den es festzustellen gilt.
Der zweite Fehler der RKD besteht darin, die PCInt als "zentristisch" zu bezeichnen. Was ist Zentrismus? Es handelt sich um eine Reihe von politischen Positionen, die zwischen Revolution und Konterrevolution, zwischen Proletariat und Bourgeoisie angesiedelt sind. Eine politische Organisation, die kein vollständiges Programm vorlegt, das sogar in einer Reihe wichtiger, aber zweitrangiger Fragen Fehler enthält, kann noch nicht als "Zentrismus" bezeichnet werden. Allenfalls kann man von fehlerhaften, verworrenen oder unvollständigen Positionen dieser Organisation sprechen. Aber um ein endgültiges Urteil zu fällen, muss man die allgemeine Ausrichtung, die Entwicklungsrichtung dieser Organisation berücksichtigen. Die bolschewistische Partei zum Beispiel, die in ihrem Programm eine falsche Position zur Revolution in Russland vertrat, die als "demokratische revolutionäre Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft" konzipiert war, hat diesen Irrtum erst nach internen Kämpfen und Krisen unter dem Feuer der Revolution von 1917 überwunden. Die Position der RKD führt direkt dazu, die bolschewistische Partei als zentristische Partei zu betrachten und zu qualifizieren, also ad absurdum. Die RKD argumentiert jedoch, dass die PCInt zentristische Tendenzen in sich trägt. Das ist wahr. Wir würden sogar sagen, dass sie opportunistische Strömungen enthält. Das macht die PCInt noch nicht zu einer zentristischen Organisation, sondern nur zu einer Organisation, in der es zum Kampf zwischen revolutionären und opportunistischen Strömungen kommen wird. Die Plattform der PCInt zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen "Mittelweg" darstellt und nicht ausdrücklich und politisch eine Verurteilung zentristischer Positionen ist. Das ist etwas ganz anderes als eine zentristische Partei zu sein.
Die Position der RKD ist lediglich eine Anwendung ihres infantilen "Axioms" auf die PCInt, das darin besteht, die Notwendigkeit des sofortigen Austritts aus jeder Organisation zu verkünden, in der sich eine opportunistische Strömung manifestiert. Auf der Grundlage dieses "Axioms", das sie für "die revolutionäre Quintessenz" halten, werfen sie Luxemburg und der Deutschen Linken vor, nicht schon lange vor 1914 mit der deutschen Sozialdemokratie organisatorisch gebrochen zu haben. Aus demselben Grund werfen sie den Bolschewiki vor, in der Zweiten Internationale geblieben zu sein. Und unter diesem Gesichtspunkt verurteilen sie die Kommunistische Linke dafür, dass sie die Komintern und die kommunistischen Parteien nicht 1920-21 verlassen hat...
Die RKD stützt sich auf historische Erfahrungen. Es gebe kein Beispiel dafür, dass sich eine Partei, in der sich die opportunistische Krankheit manifestiert habe, erholen konnte; daher dienten die Revolutionäre nur dem Opportunismus, indem sie in diesen Parteien blieben. Eine solche Argumentation ist nicht nur falsch, sondern führt auch ad absurdum. Folgt man dieser Argumentation, wird man zu dem Schluss kommen, dass es nie eine Partei des Proletariats gegeben hat. Die Zweite Internationale enthielt in ihrem Fundament Opportunismus. So auch die Dritte Internationale. Logischerweise sollte die RKD die Revolutionäre nicht dafür verantwortlich machen, dass sie nicht aussteigen, sondern dass sie in diese Parteien eintreten. Das gilt auch für Marx und Engels in der Ersten Internationale. Es ist bekannt, dass Marx sozusagen in der Ersten Internationale Kompromisse eingegangen ist, und dass die von ihm verfasste Eröffnungsrede unendlich viel vager ist als das Kommunistische Manifest, das er 15 Jahre zuvor für den Bund der Kommunisten geschrieben hatte. Die Position der RKD ist in der Summe eine Verurteilung der gesamten Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Es ist nicht verwunderlich, dass sie den Begriff "Fraktion" nie verstanden haben.
Dieser Standpunkt ist historisch falsch. Die Erste Internationale, in der die Marxisten nur eine kleine Minderheit sind, schafft es nach und nach, die kleinbürgerlichen Positionen der Mazzinisten, der Garibaldianer, der Babuninisten usw. aus ihrer Mitte zu entfernen.
Die deutsche Sozialdemokratie beseitigt auch die Positionen der Lassalleaner und von Dühring und bildet eine Zeit lang ein Bollwerk gegen die Strömung Bernsteins und den Millerandismus. Die Bolschewiki überwinden, wie wir bereits gesehen haben, ihre eigenen falschen Positionen und erholen sich - unter dem heftigen Angriff von Lenin und seinen Aprilthesen - aus dem opportunistischen Morast, in dem sie sich im Februar/März 1917 befanden. Selbst die RKD bietet uns das Beispiel einer Organisation, die aus dem Trotzkismus hervorgegangen ist und nach Jahren die opportunistischen Positionen der Einheitsfront und des Selbstbestimmungsrechts der Völker aufgegeben hat.
Die "reine" revolutionäre Partei, die die RKD will, ist ein schöner und kindischer Traum. Solange es Klassen und Klassenkämpfe gibt, kann die Partei des Proletariats nicht absolut frei von und garantiert gegen das Eindringen des Einflusses der gegnerischen Klasse sein. Indem sie sich bewusst einem ständigen und hartnäckigen Kampf gegen den Opportunismus entgegenstellt, strebt die Partei zu ihrer idealen Position der revolutionären Reinheit. Aber in dem Moment, in dem dieser Zustand erreicht wird, d.h. in dem Moment, in dem der Einfluss der feindlichen Klasse aufhört, sich auf die Partei auszuwirken, was nur durch das Verschwinden dieser Klasse der Fall ist, wird auch die Partei selbst aufhören, als solche zu existieren, und wird eine Umwandlung erfahren, die noch niemand voraussehen kann.
Für einige ist die PCInt, was auch immer sie tut, was auch immer ihre konstitutionellen Fehler und programmatischen Unzulänglichkeiten sein mögen, allein aufgrund der Tatsache, dass sie italienisch ist und dass sie sich selbst als Partei der Internationalen Kommunistischen Linken bezeichnet und behauptet, zu ihr zu gehören, über jede Kritik erhaben und wird immer die Partei des Proletariats bleiben.
Für andere, wie die RKD, die teilweise die Unzulänglichkeiten und Fehler der PCInt und das Vorhandensein einer opportunistischen Tendenz in ihr sehen, ist die PCInt bereits zu einer fatalen Degeneration verurteilt. Dies ist eine fatalistische, sterile und hoffnungslose Vorstellung.
Revolutionäre Marxisten sind von der fatalistischen Vorstellung ebenso weit entfernt wie vom fetischistischen Mystizismus.
Weil sie sich bewusst sind, dass die Entwicklung der PCInt einerseits von der Entwicklung der Situation und andererseits von der Fähigkeit der Partei abhängt, die Saat des Opportunismus zu beseitigen, sind sie davon überzeugt, dass es die Pflicht eines jeden Revolutionärs ist, seinen Platz in dieser Partei einzunehmen, mit all seiner Kraft gegen den opportunistischen Wundbrand vorzugehen und die PCInt zum Führer und Architekten des Sieges der kommunistischen Revolution zu machen.
M.
Politische Erklärung - angenommen auf der Konferenz der Italienischen Fraktion im Mai 1944
Der gegenwärtige Zustand der Organisation ist die Fortsetzung einer Krise, die in der Fraktion bereits vor dem Krieg, im Jahr 1937, entstanden war. Sie beginnt mit der Aufgabe der politischen Positionen, die im Bericht über die internationale Lage enthalten sind, der auf dem Fraktionskongress von 1935 angenommen wurde, und mit der grundlegenden Revision der Analyse der historischen Epoche, die 1914 mit der dekadenten Phase des kapitalistischen Regimes begann.
Die marxistische Analyse dieser Phase, die programmatische Grundlage der Dritten Internationale und der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken, wurde durch einen ganzen theoretischen Korpus einer neuen Doktrin ersetzt:
1. Leugnung der Verschärfung der imperialistischen Antagonismen bis hin zur Negation der Existenz dieser Antagonismen, was zur Leugnung der Unvermeidbarkeit des imperialistischen Krieges und zur Bestätigung des Ausschlusses eines allgemeinen imperialistischen Krieges in der dekadenten Phase des kapitalistischen Systems führte.
2. Ersetzung des imperialistischen Kriegsbegriffs durch die Theorie der "lokalisierten Kriege" und des "Bürgerkriegs der Bourgeoisie gegen das Proletariat".
3. Die Niederlage des Proletariats, eine Voraussetzung für die Eröffnung des Kriegsverlaufs, wurde durch die Theorie des lokalisierten Krieges ersetzt, der die revolutionäre Reifung des Proletariats aufhalten sollte.
4. Die Behauptung der Kommunisten, dass es unmöglich sei, die Lebensbedingungen des Proletariats in der dekadenten Phase zu verbessern, wurde durch die Theorie der Verbesserung der Lebensbedingungen des Proletariats ersetzt, die durch die Entwicklung der Technologie ermöglicht wurde (...).
5. Der Bruch mit der Realität, der Marsch in die entgegengesetzte Richtung zur Entfaltung der Situation spiegelte den Bruch mit der marxistischen Untersuchungsmethode wider und projizierte die ideologische Arbeit der Fraktion in die freien Sphären der reinen Abstraktion und sterilen Spekulation. Unter Missachtung des wirklichen Kurses versuchte das Zentrum der Fraktion, aus dem Kurs zum Krieg den Kurs zur Revolution abzuleiten. Sie arbeitete auf die künstliche Bildung der Fraktion in Frankreich hin und die Aufweichung der programmatischen Prinzipien, im Versuch einer Einheitsfront mit den Maximalisten und den Anarchisten durch die Initiative der Fraktion. Diese politische Linie beraubte die Fraktion jeder Möglichkeit, in den angekündigten Turbulenzen ein politisches und organisatorisches Leben für die Fraktion zu gewährleisten. Bei Ausbruch des Krieges war die Fraktion bereits zutiefst demoralisiert und entwaffnet, so überrascht und entwaffnet, dass sie die einzige Organisation war, die nicht die Kraft fand, ein proletarisches Manifest zu verfassen. Der Ausbruch des Krieges traf die Fraktion mit einer totalen Lähmung die das Internationale Büro mit ins Nichts zog.
6. Es versteht sich von selbst, dass die "orthodoxe" Tendenz diese neue revisionistische Doktrin von dem Moment an, als sie en bloc erschien, ständig bekämpft hat. Sie musste die Aufgabe der Neugruppierung der Fraktion allein bewältigen. Unermüdlich und methodisch, gestärkt durch die Bestätigung ihrer politischen Position durch die Ereignisse, setzte sie die seit 1940 unter unzähligen Schwierigkeiten begonnene Arbeit fort und es gelang ihr, die Fraktion neu zu gruppieren, die Bildung des französischen Kerns zu unterstützen, die belgische Fraktion zu internationalem ideologischem Leben zu erwecken, internationale Verbindungen innerhalb der Kommunistischen Linken und außerhalb mit der Gruppe der Revolutionären Kommunisten Deutschlands zu erneuern. Aber der Krieg, der das Aufblühen der revisionistischen Strömung unterbrochen hat, hat sie nicht politisch liquidiert, sondern nur ihre Entwicklung zum Opportunismus verstärkt, der mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit der Organisation wiederauftauchte. Es liegt in der Natur des Opportunismus, im Moment der revolutionären Flaute mit revolutionärer Phraseologie zu kämpfen, aber wenn es darum geht, an der ideologischen und organisatorischen Zementierung zu arbeiten, um die Organisation in die Lage zu versetzen, die Dampfwalze der Reaktion zu unterstützen. Der Opportunismus äußert sich dann durch sein mangelndes Verständnis der Situation, durch seine Ungeduld. In diesem Moment drängt er nach vorne, er übertreibt, er handelt mit Ungeduld, aber sobald die Ereignisse reifen, sobald die revolutionäre Bewegung einen aufsteigenden Verlauf nimmt, tritt er auf der Stelle, zieht sich zurück, er entdeckt alle möglichen Gespenster, die ihn und die Organisation erschrecken. Die Fraktion ist erschrocken über die Schwierigkeiten, sie warnt vor Aktivismus, sie entdeckt "die objektiven Bedingungen". "Vorwärts, langsam, in kleinen Schritten" ist ihr Motto.
7. Und wir sind Zeugen der vollen Entfaltung der opportunistischen Theorie und Praxis. Die dekadente Phase würde nicht mehr die Phase der Zerstörung, der geschrumpften Reproduktion sein, sondern sie würde (...) dank der Kriegswirtschaft die Phase der "vollen Entwicklung der Produktivkräfte" sein. Die Kriegswirtschaft würde nicht mehr eine Funktion des Krieges sein, sondern ihre eigenen Theorien des Bürgerkrieges der Bourgeoisie gegen das Proletariat werden über Bord geworfen, und es würde der Krieg sein, der zum Markt würde, auf dem die Produkte der Kriegswirtschaft ausgetauscht würde. Es wurde die Theorie erfunden, dass, da der Kapitalismus in der Kriegswirtschaft seinen Mehrwert realisieren kann, der Lohn-Kapital-Antagonismus in der revolutionären Explosion nicht mehr eingedämmt werden könne, und es wird vergessen, dass in der Kriegswirtschaft die Produktion des Mehrwerts durch eine extreme Verschlechterung der Lebensbedingungen des Proletariats bedingt ist, was den Lohn-Kapital-Antagonismus zu einer solchen Intensität bringt, dass er in einem revolutionären Sturm explodiert.
8. Die Kriegswirtschaft sei nicht länger eine Manifestation der permanenten Krise des Regimes, ein Moment der Erschütterung in der Agonie des Kapitalismus (Rosa Luxemburg), sondern sie wurde zum Moment der "größten Produktion von Wert" (Vercesi). Und da die Kriegswirtschaft eine neue Ära der Prosperität darstellen würde, wird die kommunistische Position, nach der die objektiven Bedingungen der Revolution durch die historische Phase, in der wir leben, gegeben sind, mit Füßen getreten werden, und man kehrt zur sozialdemokratischen Position der "Unreife der objektiven Bedingungen" zurück.
9. Der imperialistische Krieg würde nicht mehr die Möglichkeiten und die unausweichliche Notwendigkeit der Wiederaufnahme der Klassenbewegungen des Proletariats hervorbringen, sondern nur eine Krise der Kriegswirtschaft. Indem man die Theorie erfand, wonach die ökonomische Krise der Kriegswirtschaft der sozialen Krise vorausgeht, drückte man sich vor der Erfüllung seiner revolutionären Pflicht und griff die These auf, die Kautsky 1914 gegen Lenin aufstellte, wonach in Kriegszeiten kein Platz für die revolutionäre Organisation des Proletariats ist. Und da die Revolution nicht dem Krieg entspringe, wurde die Position Lenins und der Kommunisten von der "Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg" abgelehnt, um das Motto aller Opportunisten, Zentristen und Pazifisten von der "Beendigung des Krieges" zu übernehmen. So sollten wir uns einer Position anschließen, die, weil sie den Begriff der Arbeiterklasse, der einzig möglichen Opposition gegen den Krieg, nicht enthält, mit einem anderen Klasseninhalt gefüllt ist, dem der Bourgeoisie.
10. Um ihr eigenes Versagen und ihr eigenes Verschwinden zu rechtfertigen, erfand man die Theorie des sozialen Verschwindens des Proletariats seit 1929 und erklärte, dass alle revolutionären Aktivitäten der Avantgarde, weit davon entfernt das Proletariat widerzuspiegeln das es nicht mehr gibt, nur die Klasse ausdrücken, die als einzige noch existiert: die Kapitalistenklasse. Dies diskreditierte die gesamte ideologische Arbeit und die gesamte politische Tätigkeit der Fraktion in den letzten 10 Jahren und reduzierte diese auf ein Minimum.
11. In der Abneigung (und um jede Anstrengung in diese Richtung zunichte zu machen) einer revolutionären Arbeit der Avantgarde wurde die banale Wahrheit verkündet: die Situationen werden nicht durch den Willen der Partei selbst bestimmt, und die marxistische These wurde verwischt, nach der, entsprechend dem Bewusstsein das die Revolutionäre vom historischen Kurs haben und indem sie in die Entfaltung dieses Kurses eingreifen, sie ihn revolutionieren und beschleunigen. Hinter dem marxistischen Anschein verbirgt sich also nur die gemeinsame Neigung aller opportunistischen Thesen zur Spontaneität. Die Funktion der aktiven Partei wird von einer Maschine der Injektion des Bewusstseins in die Kämpfe des Proletariats zu einer Maschine der einfachen Registrierung (zur Kenntnisnahme) umgewandelt. Von ihrer Funktion als Gehirn wird die Partei auf ein einfaches Anhängsel der Klasse reduziert.
12. Das revolutionäre Auftreten des italienischen Proletariats, das das faschistische Gebäude der feindlichen Herrschaft zum Einsturz brächte, die internationale Situation erschüttere und den Weg zur Revolution eröffne, was eine Akzentuierung und Ausweitung der politischen Arbeit der Fraktion in Italien wie auch auf internationaler Ebene erfordern würde, würde seinen Ausdruck in der zentralen Position der "Auflösung der Fraktion" finden. Der Wiedereintritt in Italien als politische Organisation, dem der individuelle Wiedereintritt von Mitgliedern entgegengesetzt wurde, wurde mit dem Bannstrahl und dem Vorwurf des Bruchs mit programmatischen Prinzipien belegt. Nach einigen Monaten des Schweigens sahen wir eine ganze Reihe von Auslegungen, Verwertungen und Interpretationen der Ereignisse des Juli 1945, die alle auf einen zentralen Gedanken hinauslaufen: die Leugnung des proletarischen Charakters der Juli-Ereignisse, die Leugnung der Rolle des Proletariats bei der Bestimmung der Umwälzungen der Situationen. Man suchte nach der Krise der Kriegsindustrie, die nicht in der Lage ist, die Bedürfnisse der militärischen Fronten zu befriedigen; man suchte nach "der faulen Frucht, die von selbst vom Baum fällt" und man fand die unsinnige Erklärung für die Konflikte zwischen Mussolini und den großen faschistischen Räten. Alles wurde als Mittel benutzt, um die proletarische Bewegung zu deformieren und zu verleugnen. All dies mit dem offensichtlichen Ziel, seine eigene Nichtexistenz und politische Kurzsichtigkeit zu rechtfertigen. Die Krankheit, von der die Fraktion im Laufe der Jahre befallen wurde, hat sie absolut unfähig gemacht, ihre revolutionären Aufgaben zu erfüllen. Nach 25 Jahren der Vorbereitung und des Bestehens war die Fraktion nicht physisch, sondern politisch ausser Gefecht gesetzt. Das ist die schreckliche und einzigartige Tatsache in der Geschichte der Arbeiterbewegung. So groß ist das Ausmaß der Verwüstung innerhalb der Fraktion. Wenn man gezwungen ist, die Fakten der Streiks und Demonstrationen nachdem Sturz des Regimes anzuerkennen, wird man auch dort versuchen, deren Ausmaß und Bedeutung zu minimiere
13. Und in den Reihen der Fraktion fanden sich Männer, die das besiegte und massakrierte Proletariat mit Füßen traten, indem sie von der Unfähigkeit des Proletariats sprachen, die Revolution in Gang zu bringen. Sie suchten nach wissenschaftlichen Beweisen oder Sündenböcken, nach der Unreife der objektiven Bedingungen, der Unfähigkeit des internationalen Proletariats, wobei sie vergaßen und zu verbergen suchten, dass vor allem die Fraktion nicht vorbereitet war. Als opportunistische Tendenz suchte man dann nach verführerischen und (...) selektiven Formeln, die dazu dienen, die eigenen Fehler auf andere abzuwälzen, und man ging so weit, die Abwesenheit (...) von Prinzipien zu benutzen, um es der Organisation unmöglich zu machen, sich wiederaufzurichten, sich anzupassen, die Fehler von gestern zu korrigieren, indem man sie überwindet, und die, in Ermangelung jeder heilsamen revolutionären Selbstkritik, die Fraktion in der Zukunft behindern wird.
14. Da sich die Organisation im Ausland befand und physisch von der Klasse getrennt war, kam man zum Schluss, dass es ihr unmöglich war, die Klasse zu vertreten. Und man brach mit der gesamten Vergangenheit, in der sich die Fraktion als politischer Organismus des italienischen Proletariats darstellte, der im Kampf des Weltproletariats agierte und intervenierte. So wurde die geografische Grenze zu einer politischen Grenze umgewandelt und die Organisation von einem politischen Organismus auf die Rolle marxistischer Gelehrter reduziert, die zur theoretischen Ausarbeitung beitragen.
15. Im Bereich der Organisation wurde eine Einstimmigkeit von politisch heterogenen Elementen erreicht, um die politische Funktion eines Zentrums aufzuheben und es auf einen einfachen Verbindungsorganismus zu reduzieren.
16. Wir sind der Meinung, dass alle diese politischen Positionen einen klaren Bruch mit den politischen Prinzipien des Kommunismus darstellen und keinen Platz in der Fraktion haben können, was eine schnelle politische Lösung erfordert. Der derzeitige Zustand der Anämie der Organisation erlaubt es uns jedoch nicht, in der unmittelbaren Zukunft die notwendige politische Lösung zu finden. In dieser widersprüchlichen Situation können wir nicht länger die politische Verantwortung für die Organisation übernehmen. Um der Organisation die Möglichkeit zu geben, ihre Krise zu überwinden, indem die Diskussion im Hinblick auf eine politische Lösung fortgesetzt wird, und um die interne Situation nicht zu verschlimmern, halten wir es für notwendig, von unserer Funktion als Exekutivkommission zurückzutreten. Indem wir unsere Freiheit und Verantwortung als Tendenz wiedererlangen, setzen wir den kompromisslosen ideologischen und politischen Kampf für die Beseitigung revisionistischer Politik und revisionistischer Praxis fort. Dieser Kampf wird innerhalb der Fraktion in der Internationalen Kommunistischen Linken und vor dem Proletariat unermüdlich weitergeführt werden, bis zum vollständigen Sieg der kommunistischen Position, einer Voraussetzung, die es der Fraktion ermöglichen wird, ihre historische Aufgabe im gegenwärtigen Reifeprozess der revolutionären Explosion zu erfüllen.
Resolution zum Fall Vercesi
Während eines zufälligen Gesprächs zwischen einem unserer Genossen und dem ehemaligen italienischen sozialistischen Abgeordneten Rafrani, das am 16. Januar 1945 in Paris stattfand, teilte dieser ihm mit, dass der Genosse Vercesi Mitglied eines italienischen antifaschistischen linken Komitees in Brüssel ist, in dem Maximalisten, Anarchisten und eine linke Tendenz der Sozialistischen Partei vertreten sind, und dass dieses Komitee ein Organ herausgibt: Prométéo. Die Exekutivkommission der Fraktion nimmt diese Informationen zur Kenntnis, und obwohl diese Informationen aus einer einzigen Quelle stammen, die noch nicht anderweitig bestätigt wurde, hält diese es dennoch für notwendig, ihnen die ganze Aufmerksamkeit zu schenken, die sie aufgrund ihrer Ernsthaftigkeit verdienen, und gibt die folgende Erklärung ab:
1. Die Gesamtheit der politischen Positionen von Vercesi wurde auf der Konferenz unserer Fraktion im Mai 1944 als revisionistisch eingestuft und in einem als "Politische Erklärung" bekannten Dokument festgehalten. Seit den durch die Kriegssituation verursachten Schwierigkeiten und trotz unserer wiederholten Klärungsversuche hat uns Vercesi in absoluter Unkenntnis über seine politische Entwicklung und Tätigkeit gelassen.
2. Die linken antifaschistischen Komitees sind nur Versuche, die unzufriedenen Massen zu bremsen, die mit dem hysterischen Chauvinismus der Stalinisten brechen und sich hin zu revolutionären Klassenpositionen entwickeln. In der Periode des revolutionären Aufschwungs, die sich anbahnt, sind diese links-zentristischen Formationen Versuche, die ultimativen Barrieren des Kapitalismus, die umso gefährlicher sind, als sie sich mit der Maske der revolutionären Phraseologie bedecken, um das Bewusstsein und den revolutionären Willen des Proletariats zu stoppen.
3. In allen Ländern werden, wie 1917, solche Gruppierungen entstehen. In Italien schien Bordiga die Führung in einer solchen Bewegung zu übernehmen. In anderen Ländern erfüllten die trotzkistischen, POUM-Gruppen und andere zentristische Elemente dieselbe Funktion. Im Namen einer größeren Einheit, eines größeren Zusammenschlusses stellten sie in Wirklichkeit die revolutionären Energien des Proletariats unter der ideologischen Vorherrschaft der Strömungen im Dienst der Bourgeoisie dar. Die revolutionäre Kraft des Proletariats liegt nicht in einer formalen Einheit, sondern in der Einheit um das revolutionäre Programm seiner Partei, gegen den imperialistischen Krieg, gegen den Kapitalismus in all seinen Formen: faschistisch, demokratisch oder sowjetisch, für die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg, für die revolutionäre Machtergreifung durch das Proletariat.
4. Die Fraktion ruft das Proletariat auf, mit den linken Sammelbewegungen zu brechen, in denen der Antifaschismus nur die Maske ist, um das Proletariat der "demokratischen" Bourgeoisie zu unterwerfen. Sie prangert alle Elemente, die diese Politik betreiben, als Konfusionisten und Erfüllungsgehilfen des Kapitalismus an.
5. Innerhalb der Organisation kann die Fraktion die Anwesenheit solcher Elemente nicht einen Moment lang dulden. Für den Fall, dass sich die Informationen über den Genossen Vercesi bestätigen, erklärt die EK seinen sofortigen Ausschluss aus der Fraktion. Die EK ruft die gesamte Organisation auf, gegen die Manifestationen solcher Tendenzen vorzugehen und sofortige Maßnahmen zu ergreifen.
Darüber hinaus hält es die EK für eine dringende Aufgabe der Organisation, ihr Programm zur Anprangerung des konterrevolutionären Charakters dieser linken antifaschistischen Komitees und anderer zentristischer Bewegungen unter den Arbeitern zu intensivieren.
Die Exekutivkommission der Italienischen Fraktion
30.1.1945
[1]Die Konferenz der Italienischen Fraktion im Mai 1944 verurteilte in einer politischen Erklärung alle theoretischen und politischen Positionen der Vercesi-Tendenz, die zu Recht als revisionistisch und opportunistisch bezeichnet wurden, und sah die organische Trennung von dieser Tendenz als unvermeidlich an. In der Folge bestätigte die Vercesi-Tendenz diese Einschätzung dadurch, dass sie die Initiative für ein italienisches antifaschistisches Koalitionskomitee in Brüssel ergriff, wo sie die schändlichste Klassenzusammenarbeit mit den Vertretern aller politischen Parteien des italienischen Kapitalismus praktizierte. Aus diesem Grund wurde die Vercesi-Tendenz 1945 aus der Italienischen Fraktion ausgeschlossen.
[2]Wir wollen hier nicht auf all das eingehen, was an dieser Theorie der Kriegswirtschaft falsch und reine Phantasie ist und direkt zur Abkehr vom Marxismus führt. Wir haben mehrere Studien durchgeführt, in denen wir den revisionistischen Hintergrund und die konterrevolutionären Schlussfolgerungen dieser Theorie aufgedeckt und widerlegt haben. Eine Wiederholung der Kritik würde hier vom Thema ablenken. Wir verweisen den Leser auf unsere früheren Studien und insbesondere auf die Broschüre "Unsere Antwort".
[3]Diese Tatsache ist von großer Bedeutung. Während die belgische Regierung die Veröffentlichung der trotzkistischen Zeitung verbietet, die durch die "Verteidigung der UdSSR" mit dem imperialistischen Krieg in Verbindung gebracht wird, lässt sie völlige Freiheit zu und fördert sogar die Veröffentlichung einer politischen Zeitung durch "Ausländer". Wir wissen, welch strengen Kontrollen Ausländer während des Krieges unterworfen waren, vor allem, wenn sie Staatsangehörige eines feindlichen Landes waren, wie es bei den Italienern der Fall war. Die Zeitung musste mehr als nur Garantien geben, sondern auch Leistungen erbringen, damit ihr gegenüber, eine solche Großzügigkeit praktiziert werden konnte.
[4]Um Missverständnisse zu vermeiden, weisen wir darauf hin, dass wir, wenn wir von der Italienischen Fraktion sprechen, in keiner Weise die Tendenz-Vercesi meinen. Diese Tendenz mag einmal in der Führung der Fraktion gewesen sein, aber seit dem Krieg ist sie nicht nur eine Minderheit, sondern hat sich aufgrund ihrer Position der Unmöglichkeit jeglicher Aktivität und sogar der Aufrechterhaltung der Organisation während des Krieges, praktisch und freiwillig außerhalb der Organisation gestellt. Sie nahm während des Krieges an keiner einzigen Konferenz der Fraktion teil und wurde schließlich im Januar 1945 nach ihrer Teilnahme am Brüsseler Antifaschistischen Koalitionsausschuss offiziell aus der Organisation ausgeschlossen.
Wir «bedanken» uns bei der GIGC (Groupe Internationale de la Gauche Communiste), dass sie uns die Gelegenheit gibt daran zu erinnern, was sie wirklich ist.
Zu diesem Zweck drucken wir unten (vollständig, einschließlich Fußnote) ihren kleinen Artikel ab, der auf unsere angebliche Sackgasse und unsere Widersprüche in der Frage des Parasitismus hinweisen soll - wenn man dem Titel des Artikels der GIGC glauben darf.
Danach geben wir unseren Lesern eine Antwort.
Sackgasse und Widersprüche der IKS in Bezug auf "Parasiten", die IKT [1] und die GIGC
Die politisch verantwortungsvolle und brüderliche Haltung der IKS-Delegation bei der öffentlichen Veranstaltung des Komitees "NoWarButTheClassWar" in Paris - die wir begrüßen - mag überrascht haben. War das Treffen nicht auf Initiative der GIGC, welche die IKS als "parasitäre Gruppe" und "Zweigstelle des bürgerlichen Staates" (Révolution Internationale Nr. 446) anprangerte, und der IKT, die sie für ihre opportunistischen Zugeständnisse gegenüber dem Parasitismus kritisierte, organisiert worden? Gehörten dem aus drei Genossen bestehenden Präsidium dieser Veranstaltung nicht zwei ehemalige ihrer Mitglieder an, Olivier und Juan, die 2002 ausgeschlossen und in ihrer internationalen Presse öffentlich angeprangert und als "Nazis, Stalinisten, Diebe, Erpresser, Schläger, Lumpen, Verleumder, Provokateure, Spitzel" beschimpft wurden? Doch während der öffentlichen Veranstaltung gab es keine Anprangerung der angeblichen Parasiten und Spitzel. Keine Warnung an die anderen Teilnehmer, dass sie an einer Veranstaltung teilnehmen würden, die von einer "Polizeiagentur" abgehalten wird.[2] Kein Ultimatum, das den Ausschluss der eigenen Organisatoren von der Veranstaltung forderte.
Entweder glaubten die aktiven Mitglieder und Sympathisanten der IKS-Delegation den Resolutionen und anderen öffentlichen Artikeln, in denen die GIGC und ihre Mitglieder - die übrigens von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen der IKS ausgeschlossen sind - angeprangert werden, kein einziges Wort, oder die Delegation machte ein besonders schweres opportunistisches Zugeständnis nicht nur gegenüber dem sogenannten Parasitismus, sondern sogar gegenüber den sogenannten "agents provocateurs de l'État" (Provokateuren des Staates).
Wir lassen die IKS sich mit ihren von Mal zu Mal mehr auseinanderklaffenden und schreienden Widersprüchen auseinandersetzen.
GIGC, Dezember 2022
Die GIGC hat Recht, die IKS hat bei der ersten öffentlichen Veranstaltung des NoWarButTheClassWar (NWBTCW) Komitees in Paris mit einer "politisch verantwortungsvollen Haltung" interveniert. Und in der Tat haben wir die beiden Personen im Präsidium, Olivier und Juan, nicht angezeigt, obwohl sie Spitzel sind.
Weshalb?
Die GIGC jubelt und glaubt, darin den Beweis entweder für unsere angeblichen Selbstzweifel oder für unseren angeblichen Opportunismus zu entdecken.
Die Ursache für unser "politisch verantwortungsvolles Verhalten" kann der GIGC nur entgangen sein: Unser Daseinsgrund ist nicht die GIGC, sondern die Arbeiterklasse.
Dieses Treffen war offiziell von einem "Komitee" und nicht von politischen Gruppen einberufen worden. Wir sprachen also auf der öffentlichen Veranstaltung eines Komitees, eines Komitees mit dem Namen NWBTCW, eines Komitees, das ankündigt, sich dem imperialistischen Krieg entgegen zu stellen, eines Komitees, das in seinem Aufruf authentische internationalistische Positionen zeigt, eines Komitees, das an sich die heute seltene, schwierige und wertvolle Anstrengung unserer Klasse repräsentieren soll, sich zu organisieren, um zu debattieren und sich gegen die Barbarei dieses dekadenten Systems zu erheben.
Heute gibt es nur wenige Arbeiterinnen und Arbeiter, die nach Klassenpositionen suchen, und noch weniger versuchen sich zusammenzuschließen. Das ist es, was für uns ein Komitee grundsätzlich sein sollte: ein wertvoller Ort der Klärung unserer Klasse, den es zu verteidigen und zu beleben gilt. In diesem Sinne hatten wir alle unsere Kontakte ermutigt zu kommen und mitzumachen.
Unsere Befürchtung war, dass dieses Komitee seine Teilnehmer in eine Sackgasse führen würde. Weil die Kämpfe der Arbeiterklasse heute nicht gegen den Krieg, sondern gegen die Wirtschaftskrise gerichtet sind, bestand die Gefahr, dass dieses Komitee eine leere Hülle sein würde, ohne wirkliches Leben der Klasse, ein Komitee ohne Grundlage, künstlich und daher seine wenigen Beteiligten zu Aktionen drängend, die nicht der wirklichen Dynamik unserer Klasse entsprechen. Ein Komitee, das letztendlich die Verteidigung des Internationalismus schwächt, Verwirrung stiftet und schlussendlich die spärlichen Kräfte, die entstehen, vergeudet.[3]
Aus diesem Grund hatte sich die IKS bewusst dafür entschieden, entschlossen zu intervenieren, um den Internationalismus, den Hauptpfeiler der Kommunistischen Linken, zu verteidigen und die Teilnehmer vor dem zu warnen, was für uns von vornherein die Zerbrechlichkeit der NWBTCW-Komitees ausmacht, nämlich die künstliche Dimension dieser «Kampf»-Komitees. Dies war die Position, die wir in zwei Redebeiträgen vertraten, und die in der Tat "politisch verantwortungsvoll" ist.
Anstelle von "Kampfkomitees" sind heute vielmehr Diskussions- und Reflexionszirkel, die politisierte Minderheiten zusammenbringen, in Bezug auf den Krieg denkbar. Was die Bildung von Kampforganen betrifft, so könnten diese tatsächlich eine Rolle spielen, wenn sie durch den Bedarf an Klärung und Intervention zur Bewältigung der wirtschaftlichen Attacken motiviert sind.
Dies schien uns die Priorität und das zentrale Thema dieses Treffens und unserer Intervention zu sein.
Auf die Tatsache einzugehen, dass zwei im Saal anwesende Personen tatsächlich zu allem bereit sind, um die IKS zu zerstören, dass dies im Grunde ihr Daseinszweck ist und dass sie bereits eine unglaubliche Liste von Missetaten begangen haben, die bis hin zum Denunzieren (!) reichen, hätte die Debatte auf diese Frage fokussiert und somit die Diskussion in eine andere Richtung gelenkt.
Aber da die GIGC danach fragt, wollen wir sie nicht enttäuschen. Hier ein kurzer Überblick über den Stammbaum dieser beiden Herren.
Diese beiden Personen stammen aus der sogenannten «Internen Fraktion der IKS» (IFIKS), die eine Minigruppierung aus ehemaligen IKS Mitgliedern war, die 2003 während unseres 15. Internationalen Kongresses wegen Spitzelei ausgeschlossen wurden. Dies war nicht die einzige Schandtat, für die diese Elemente verantwortlich waren, da sie nicht nur die grundlegenden Prinzipien kommunistischen Verhaltens verleugneten, sondern sich auch durch typisch schurkenhafte Verhaltensweisen wie Verleumdung, Erpressung und Diebstahl hervorgetan hatten. Für diese anderen Verhaltensweisen, obwohl sie sehr schwerwiegend waren, vollzog die IKS keinen Ausschluss, sondern lediglich eine Suspendierung. Das heißt, dass es für diese Personen immer noch hätte möglich sein könnte, eines Tages in die Organisation zurückzukehren. Dies natürlich unter der Bedingung, dass sie das Material und das Geld, das sie der Organisation gestohlen hatten, zurückgeben und sich verpflichten, auf Verhaltensweisen zu verzichten, die in einer kommunistischen Organisation keinen Platz haben. Der Grund, warum die IKS sie schließlich ausgeschlossen hatte, war, dass sie auf ihrer Website (d.h. für alle Staatssicherheitsdienste und die Polizei der Welt sichtbar) interne Informationen veröffentlicht hatten, die die Arbeit der Polizei erleichterten[4]:
Es sei darauf hingewiesen, dass die IKS vor deren Ausschluss jedes IFIKS-Mitglieds in einem individuellen Brief gefragt hatte, ob es sich individuell mit dieser Spitzelei solidarisieren würde. Auf dieses Schreiben hatte die IFIKS schließlich geantwortet, indem sie sich kollektiv zu diesen schändlichen Verhaltensweisen bekannte. Es muss auch erwähnt werden, dass jedem dieser Personen die Möglichkeit eingeräumt worden war, seine Verteidigung vor dem IKS-Kongress oder auch vor einer Kommission aus fünf Mitgliedern unserer Organisation, von denen drei von den IFIKS Mitgliedern selbst ernannt werden könnten, vorzutragen. Diese «mutigen Individuen» waren sich bewusst, dass ihr Verhalten nicht zu rechtfertigen war, und lehnten diese letzten Vorschläge der IKS ab.
Stattdessen schickte die "IFIKS" dann ein "Kommunistisches Bulletin" an die Abonnenten unserer Publikation in Frankreich (deren Adressdatei die IFIKS Mitglieder vor ihrem Austritt aus unserer Organisation gestohlen hatten), um ihnen die ganze Zeit über zu erzählen, dass die IKS sich in opportunistischer und stalinistischer Entartung befinde.
Doch das ist noch lange nicht alles!
2005 bedrohte eines der IFIKS Mitglieder vor einer unserer öffentlichen Veranstaltungen ein Mitglied der IKS mit dem Tod. Er trug stets ein Messer an seinem Gürtel und flüsterte ihm auf abscheuliche Weise ins Ohr, dass er ihm die Kehle durchschneiden würde.
Tatsächlich könnten wir diese Liste immer weiter fortsetzen, da jedes ihrer "Kommunistischen Bulletins" seinen Anteil an Verleumdungen enthielt.
2013 nahm die IFIKS ihren neuen Namen "Groupe Internationale de la Gauche Communiste" GIGC an. Genauer gesagt ist diese neue Gruppe das Ergebnis der Fusion zwischen einem Teil der Gruppe Klasbatalo aus Montreal und der IFIKS.
Die Politik und die Aktivitäten dieser Gruppe wurden jedoch sofort durch die Sitten der Schläger und den Hass der IFIKS Mitglieder auf die IKS dominiert.
Kaum war die GIGC ins Leben gerufen, begann sie lauthals zu verkünden, dass sie im Besitz der internationalen Bulletins der IKS sei. Indem sie ihre Trophäe zur Schau stellten, war die Botschaft die diese patentierten Spitzel vermitteln wollten klar: Es gibt einen "Maulwurf" in der IKS, der Hand in Hand mit der ehemaligen IFIKS arbeitet! Es handelte sich eindeutig um Polizeiarbeit, die kein anderes Ziel hatte, als in unserer Organisation einen Generalverdacht, Unruhe und Zwietracht zu säen. Es waren die gleichen Methoden, die Stalins politische Polizei, die GPU angewandt hatte, um die politische Bewegung rund um Trotzki in den 1930er Jahren von innen heraus zu zerstören. Es sind dieselben Methoden, die die Mitglieder der ehemaligen IFIKS bereits angewandt hatten, als sie 2001 "Sonderreisen" zu verschiedenen IKS-Sektionen unternahmen, um geheime Treffen zu organisieren und Gerüchte zu verbreiten, dass eine unserer Genossinnen (die "Frau des IKS-Chefs", wie sie sie nannten) ein "Bulle" sei. Dieselbe Methode, mit der sie 2013 versuchten Panik zu verbreiten und die IKS von innen heraus zu zerstören, war noch abscheulicher: Unter dem scheinheiligen Vorwand, den IKS Mitgliedern "die Hand reichen" und sie vor der "Demoralisierung" retten zu wollen, richteten diese professionellen Spitzel in Wirklichkeit folgende Botschaft an alle IKS Mitglieder: "Es gibt einen (oder mehrere) Verräter unter euch, der uns eure internen Bulletins gibt, aber wir werden euch seinen Namen nicht nennen, denn das müsst ihr schon selbst herausfinden!". Das ist das eigentliche und permanente Ziel dieser "internationalen Gruppe": Sie versucht, das Gift des Verdachts und des Misstrauens in die IKS einzuschleusen, um zu versuchen, uns von innen heraus zu zerstören. Es handelt sich um ein echtes Zerstörungsunternehmen, das in seiner Perversion den Methoden der politischen Polizei Stalins oder der Stasi in nichts nachsteht.
Wir haben die GIGC bereits mehrfach öffentlich darauf angesprochen, wie unsere internen Bulletins in ihre Hände gelangt sind. Gab es einen Komplizen, der in unsere Organisation eingeschleust wurde? Hat die Polizei selbst sie erhalten, indem sie unsere Computer gehackt und sie dann auf irgendeine Weise an die GIGC weitergeleitet hat? Wäre die GIGC statt einer Bande eine verantwortungsbewusste Organisation gewesen, hätte sie sich bemüht, dieses Rätsel zu lösen und die Politik über die Ergebnisse ihr Ermittlungen zu informieren. Stattdessen wich sie dieser Frage, die wir ihr immer wieder öffentlich stellten, und stellen werden, stets aus.
Ihr letzter Artikel, den wir oben vollständig wiedergegeben haben, weicht nicht von diesen üblen Methoden ab. Was man der GIGC zumindest zugutehalten kann, ist ihre Beständigkeit…
Nur versucht die GIGC durch diesen Artikel nicht nur innerhalb der IKS, Spaltung, Verdächtigung und Misstrauen zu säen, sondern innerhalb der gesamten Kommunistischen Linken. Wenn die GIGC schreibt: "War das Treffen nicht auf Initiative der GIGC, die sie (die IKS) als "parasitäre Gruppe" und "Zweigstelle des bürgerlichen Staates" ( Révolution Internationale Nr. 446) anprangert, und der IKT, die sie für ihre opportunistischen Zugeständnisse gegenüber dem Parasitentum kritisiert, organisiert worden?", wirft die GIGC bereitwillig unsere Anprangerung der schurkenhaften Sitten dieser parasitären Gruppe und unseren Kampf gegen den Opportunismus der IKT in einen Topf.
Die GIGC, ein würdiger Nachfolger der IFIKS, erfüllt die Funktion, die Prinzipien der Kommunistischen Linken zu zerstören und Misstrauen und Spaltung in der Kommunistischen Linken zu verbreiten. Der Hass der Mitglieder der ehemaligen IFIKS auf uns, die IKS, überwiegt und zeichnet die gesamte Politik dieser Gruppe aus, unabhängig vom Bewusstseinsstand der verschiedenen später integrierten Mitglieder. Es handelt sich also um einen Kampf unsererseits gegen eine Gruppe, die unter dem Deckmantel, die Positionen der Kommunistischen Linken zu verteidigen, objektiv die Interessen des bürgerlichen Lagers[5] vertritt, indem sie dessen schlimmste Sitten und Haltungen übernimmt.
Der Kampf gegen den Opportunismus findet innerhalb des proletarischen Lagers statt. Die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, dass es sich dabei um eine ständige Schwäche handelt, die das proletarische Lager durchzieht. Es geht also darum, den Opportunismus durch eine möglichst entschiedene und zugleich brüderliche Polemik innerhalb des Proletarischen Politischen Milieus zu bekämpfen. Dieser Kampf wird nicht nur zwischen revolutionären Organisationen, sondern auch in ihnen selbst geführt. Die Geschichte der IKS zeigt, dass wir in unseren eigenen Reihen seit 50 Jahren gegen solche Auswüchse kämpfen.
Die Methoden der Gleichsetzung und der absichtlichen Verwirrung durch die GIGC, um Verwirrung und Misstrauen zu stiften, sind verabscheuungswürdig.
Ganz im Sinne Rosa Luxemburgs: Lügner, Spitzel, in Verleumdung watend, mit Schmutz bedeckt: So sieht der Parasitismus aus, das ist er. Nicht wenn seine Protagonisten sich auf der Tribüne eines Komitee-Präsidiums als ehrbar und philosophisch, moralisch und offen, debattierend und brüderlich geben, sondern wenn der Parasitismus wie ein wildes Tier aussieht, wenn er den Sabbat der Rowdyhaftigkeit tanzt, wenn er gegenüber der Kommunistischen Linken und ihren Prinzipien Misstrauen sät, dann zeigt er sich wie er wirklich ist.
IKS, 15. Januar 2023
[1] Internationale Kommunistische Tendenz (International Communist Tendency) https://www.leftcom.org/en [401]
[2] Konferenz und Debatte in Marseille über die Kommunistische Linke: Dr. Bourrinet, ein Hochstapler und selbsternannter Historiker https://de.internationalism.org/iksonline/konferenz-marseille-ueber-die-kommunistische-linke-doktor-bourrinet-hochstaple [32]
[3] Wir können hier nicht näher auf unsere Position eingehen und verweisen unsere Leser auf unseren Artikel: https://de.internationalism.org/content/3105/no-war-class-war-ein-komite... [402]
[4] Die GIGC steht sogar zu ihrer polizeilichen Vorgehensweise. Tatsächlich findet man seit 2005 auf ihrer Website "GIGC/Bulletin Communiste International" Dokumente, die sich auf interne Diskussionen innerhalb der IKS beziehen.
[5] Diese Verteidigung erfolgt nicht durch die Verteidigung eines bürgerlichen Programms. Wie wir bereits in unseren Thesen über den Parasitismus schrieben: «(…) Marx und Engels [beschrieben] die Parasiten schon damals als politisierte Elemente (...), welche zwar vorgeben, zum Programm und den Organisationen des Proletariats zu gehören, ihre Energie aber nicht auf den Kampf gegen die herrschende Klasse, sondern gegen die Organisationen der revolutionären Klasse konzentrieren.» https://de.internationalism.org/content/1074/aufbau-der-revolutionaeren-... [403]
Angesichts des neuen Ausbruchs der Barbarei in Israel/Palästina sehen wir uns gezwungen, den Schwerpunkt dieser öffentlichen Veranstaltung, die sich auf die ökologische Krise konzentrieren sollte, zu ändern.
Nach dem Krieg in der Ukraine bestätigt dieser neue Konflikt einmal mehr, dass der Krieg eine zentrale Rolle in dem spielt, was wir den "Wirbelwind-Effekt" genannt haben - die sich beschleunigende Interaktion aller verschiedenen Ausdrucksformen des kapitalistischen Zerfalls, der eine wachsende Bedrohung für das Überleben der Menschheit darstellt.
Für Revolutionäre ist es von entscheidender Bedeutung, eine klare internationalistische Position gegen alle imperialistischen Konfrontationen, die sich auf der ganzen Welt ausbreiten, einzunehmen.
Welche Perspektive ergeben sich für die Arbeiterklasse angesichts dieser ganzen Zerstörungsspirale, die im Kapitalismus weltweit am Werk ist?
Aus unserer Sicht ist nicht alle Hoffnung für die Zukunft verloren. Die Wiederkehr des Klassenkampfes, der vor über einem Jahr in Großbritannien begann und nun auch in den USA seine Spuren hinterlässt, zeigt, dass die Arbeiterklasse nicht besiegt ist und dass ihr Widerstand gegen die Ausbeutung den Keim für einen revolutionären Umsturz der gegenwärtigen Weltordnung in sich trägt.
All diese Fragen werden wir auf der online Diskussionsverstaltung am Freitag, 3. November, 19.00 Uhr zur Sprache bringen.
Wenn ihr teilnehmen wollt, schreibt uns bitte an
[email protected] [270]
Der Marxismus und die Geschichte der Internationalen Arbeiterassoziation (der Ersten Internationale) belegen die Gültigkeit des Begriffs des Parasitismus zur Charakterisierung des destruktiven Verhaltens innerhalb der politischen Organisationen des Proletariats – eines Verhaltens, das den Methoden der Arbeiterklasse völlig fremd ist.
Wie in unseren Thesen zum Parasitismus[1] – aus denen viele der folgenden Entwicklungen entlehnt sind – hervorgehoben wurde, entstand der Parasitismus historisch als Reaktion auf die Gründung der Ersten Internationale, die Engels als „das Mittel zur allmählichen Auflösung und Absorption all dieser kleinen Sekten“ bezeichnete (Engels, Brief an Florence Kelly-Wischnewetzky, 27. Januar 1873). Die IAA war in der Tat ein Instrument, das die verschiedenen Teile der Arbeiterbewegung zwang, sich auf einen kollektiven und öffentlichen Klärungsprozess einzulassen und sich einer einheitlichen, unpersönlichen, proletarischen, organisatorischen Disziplin zu unterwerfen. In der Tat: „Aus den Lehren der Revolutionen von 1848 gezogen, akzeptierte das Proletariat nicht mehr die Führung des radikalen Flügels der Bourgeoisie und kämpfte nun für seine eigene Klassenautonomie. Diese Autonomie setzt jedoch voraus, dass das Proletariat in seinen eigenen Organisationen die Vorherrschaft der Theorien und Organisationskonzepte des Kleinbürgertums, der Bohemiens und deklassierten Elemente usw. überwindet."[2]
Aber der Fortschritt des proletarischen Kampfes brauchte diese Bewegung, die die Auflösung aller nichtproletarischen programmatischen und organisatorischen Besonderheiten und Autonomien auf internationaler Ebene bedeutete. Es war vor allem der Widerstand gegen diese Bewegung, der dem Parasitentum den Krieg gegen die revolutionäre Bewegung erklärte. Es war die IAA, die als erste mit dieser Bedrohung der proletarischen Bewegung konfrontiert wurde, die sie erkannte und bekämpfte. Es war die IAA, die, beginnend mit Marx und Engels, jene politisierten Elemente als Parasiten bezeichnete, die zwar behaupten, dem Programm und den Organisationen des Proletariats anzuhängen, aber ihre Anstrengungen auf den Kampf konzentrieren, nicht gegen die herrschende Klasse, sondern gegen die Organisationen der revolutionären Klasse. Das Wesen ihrer Tätigkeit besteht in der Tat darin, das kommunistische Lager zu verunglimpfen und gegen es zu manövrieren, während sie vorgeben, ihm anzugehören und ihm zu dienen. Dies wird in diesem Satz aus dem Bericht über die Allianz[3] zusammengefasst: „Zum ersten Mal in der Geschichte des Klassenkampfes sind wir mit einer geheimen Verschwörung im Herzen der Arbeiterklasse konfrontiert, die darauf abzielt, nicht das bestehende Ausbeutungsregime zu sabotieren, sondern die Vereinigung selbst, die den erbittertsten Feind dieses Regimes darstellt.“ Was die empfohlene Abhilfe betrifft, so ist sie eindeutig: „Es ist an der Zeit, ein für allemal den internen Streitigkeiten ein Ende zu setzen, die innerhalb unserer Vereinigung jeden Tag aufs Neue durch die Anwesenheit dieses parasitären Organs provoziert werden.“ (Engels: „Der Generalrat an alle Mitglieder der Internationalen Arbeiter Assoziation“)[4]
Wie im Falle der Allianz in der IAA wird der Parasitismus nur in Zeiten, in denen die Arbeiterbewegung von einem Stadium grundlegender Unreife zu einem qualitativ höheren, spezifisch kommunistischen Niveau übergeht, zu ihrem Hauptgegner. In der gegenwärtigen Periode ist diese Unreife nicht das Produkt der Jugend der Arbeiterbewegung als Ganzes, wie es zur Zeit der IAA der Fall war, sondern vor allem das Ergebnis der 50 Jahre Konterrevolution, die auf die Niederlage der revolutionären Welle von 1917–23 folgten. Heute ist es dieser Bruch in der organischen Kontinuität mit den Traditionen früherer Generationen von Revolutionären, der vor allem das Gewicht kleinbürgerlicher, organisationsfeindlicher Reflexe und Verhaltensweisen bei vielen Elementen erklärt, die behaupten, Marxisten und linke Kommunisten zu sein.
Der Parasitismus zielt auf Elemente, die auf der Suche nach Klassenpositionen sind und Schwierigkeiten haben, zwischen echten revolutionären Organisationen und parasitären Strömungen zu unterscheiden. Aus diesem Grund sind die parasitären Aktivitäten seit den 1990er und insbesondere den 2000er Jahren immer destruktiver geworden. Gegenwärtig haben wir es mit einer Vielzahl von informellen, oft im Verborgenen agierenden Gruppierungen zu tun, die behaupten, dem Lager der kommunistischen Linken anzugehören, die aber ihre Energie eher dem Kampf gegen die bestehenden marxistischen Organisationen als gegen das bürgerliche Regime widmen. Wie zu Zeiten von Marx und Engels besteht die Funktion dieser reaktionären parasitären Welle darin, die Entwicklung einer offenen Debatte und proletarischen Aufklärung zu sabotieren und die Aufstellung von Verhaltensregeln zu verhindern, die für alle Mitglieder des proletarischen Lagers verbindlich sind.
Sie wurde maßgeblich durch alle Spaltungen in der Geschichte des IKS genährt. Diese waren weder durch politische Differenzen motiviert noch gerechtfertigt, sondern das Ergebnis von nicht-marxistischem, nicht-proletarischem Organisationsverhalten, wie das von Bakunin in der IAA und den Menschewiki in der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Jahr 1903, die ihren Widerstand gegen organisatorische Disziplin und kollektive Prinzipien zum Ausdruck brachten.
Gegenüber der Arbeiterklasse und dem proletarischen politischen Milieu hat die IKS nie einen Hehl aus den Schwierigkeiten gemacht, auf die sie gestoßen ist. Zu Beginn der 1980er Jahre drückte sie sich folgendermaßen aus: „Wenn eine revolutionäre Organisation ihre Probleme und internen Diskussionen öffentlich macht, ist das ein gefundenes Fressen für alle Gegner, die darauf warten, sie zu verunglimpfen. Das gilt auch und sogar besonders für das IKS. Sicherlich werden wir in der bürgerlichen Presse keinen Jubel über die Schwierigkeiten finden, die unsere Organisation heute durchmacht: Das die IKS immer noch zu klein ist, sowohl in seiner Größe als auch in seinem Einfluss unter den arbeitenden Massen, als dass die Bourgeoisie ein Interesse daran hätte, über sie zu sprechen und zu versuchen, sie zu diskreditieren. Die Bourgeoisie zieht es vor, eine Mauer des Schweigens um die Positionen und sogar die Existenz der revolutionären Organisationen zu errichten. Deshalb wird die Arbeit, sie zu verunglimpfen und ihre Intervention zu sabotieren, von einer ganzen Reihe von Gruppen und parasitären Elementen übernommen, deren Funktion es ist, Individuen, die sich den Klassenpositionen nähern, zu vertreiben, sie von jeder Beteiligung an der schwierigen Aufgabe der Entwicklung eines proletarischen politischen Milieus abzuhalten...“ (Vom 11. IKS-Kongress angenommene Resolution: Kampf zur Verteidigung und zum Aufbau der Organisation [404], Internationale Revue Nr. 11)
Alle kommunistischen Gruppen wurden mit den Untaten des Parasitismus konfrontiert, aber es ist die IKS, weil sie heute die wichtigste Organisation im proletarischen Milieu ist, und auch die rigoroseste in Bezug auf die Einhaltung von Prinzipien und Statuten, die Gegenstand der besonderen Aufmerksamkeit des parasitären Milieus ist. Zu letzterem gehörten und gehören in einigen Fällen noch immer Gruppen, die aus der IKS hervorgegangen sind, wie die „Internationalist Communist Group“ (ICG) und ihre Abspaltungen wie „Against the Current“, die inzwischen aufgelöste „Communist Bulletin Group“ (CBG) oder die frühere „Externe Fraktion der IKS“ bzw. die „Interne Fraktion der IKS“, die einige Jahre später zur „Internationalen Gruppe der Kommunistischen Linken“ (GIGC) mutierte, allesamt aus Abspaltungen der IKS hervorgegangen.
Doch der Parasitismus ist nicht auf solche Gruppen beschränkt. Er wird auch von unorganisierten Elementen getragen, oder von denen, die sich von Zeit zu Zeit in flüchtigen Diskussionszirkeln treffen, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, alle möglichen Gerüchte über unsere Organisation zu verbreiten. Dabei handelt es sich oft um ehemalige Militante, die unter dem Druck der kleinbürgerlichen Ideologie nicht die Kraft hatten, ihr Engagement für die Organisation aufrechtzuerhalten, die frustriert waren, dass die Organisation ihre Verdienste nicht in dem Maße „anerkannte“, wie sie es sich selbst vorgestellt hatten, oder die die Kritik, der sie ausgesetzt waren, nicht ertragen konnten. Es gibt auch ehemalige Sympathisanten, die die Organisation nicht integrieren wollte, weil sie der Meinung war, dass sie nicht über genügend Klarheit verfügten, oder die ihr Engagement aufgaben, weil sie befürchteten, ihre „Individualität“ in einem kollektiven Rahmen zu verlieren (dies ist z. B. der Fall bei dem inzwischen aufgelösten „Alptraum-Kollektiv“ in Mexiko oder bei „Kamunist Kranti“ in Indien). In allen Fällen handelt es sich um Elemente, deren Frustration über ihren eigenen Mangel an Mut, Rückgratlosigkeit und Ohnmacht in eine systematische Feindseligkeit gegenüber der Organisation umgeschlagen ist. Diese Elemente sind offensichtlich absolut unfähig, etwas aufzubauen. Andererseits sind sie oft sehr effektiv, indem sie ihre kleinliche Agitation und ihr Geplapper dazu nutzen, das, was die Organisation aufzubauen versucht, zu diskreditieren und zu zerstören.
Wir beschränken uns hier auf die folgenden Gruppen: die Communist Bulletin Group (CBG), die Externe Fraktion des IKS (EFCCI) und die Interne Fraktion des IKS (IFCCI).
Der Kampf gegen die Clans, den der 11. Kongress der IKS einstimmig unterstützt hatte, wird von der CBG in einen Kampf zwischen den Clans verwandelt. Die Zentralorgane sind zwangsläufig „monolithisch“, die Identifizierung des Eindringens nichtproletarischer Einflüsse, die vorrangige Aufgabe der Revolutionäre, wird als Mittel zur Zerschlagung der „Gegner“ dargestellt. Die Methoden der Aufklärung proletarischer Organisationen – offene Debatte in der gesamten Organisation, Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zur Information der Arbeiterklasse – werden zur „Gehirnwäsche“-Methode religiöser Sekten.
Es geht nicht nur um die IKS:
„Es ist nicht nur das gesamte gegenwärtige revolutionäre Milieu, das hier angegriffen wird. Es sind die gesamte Geschichte und alle Traditionen der Arbeiterbewegung, die missbraucht werden.
In Wirklichkeit stehen die Lügen und Verleumdungen der CBG ganz im Einklang mit der Kampagne der Weltbourgeoisie über den angeblichen Tod des Kommunismus und des Marxismus. Im Mittelpunkt dieser Propaganda steht die größte Lüge der Geschichte: dass die organisatorische Strenge von Lenin und den Bolschewiki zwangsläufig zum Stalinismus geführt habe. In der Version der CBG dieser Propaganda ist es der Bolschewismus des IKS, der ‚notwendigerweise‘ zu seinem angeblichen ‚Stalinismus‘ führt. Offensichtlich weiß die CBG weder, was das revolutionäre Milieu ist, noch weiß sie, was Stalinismus ist“ (Politischer Parasitismus: Die „CBG“ macht die Arbeit der Bourgeoisie [405], International Review Nr. 83 [engl.]).
In einem Artikel in unserer Internationalen Revue von 1986 schrieben wir:
„Das proletarisch-politische Milieu, das bereits stark vom Gewicht des Sektierertums geprägt ist, wie die IKS oft gezeigt und beklagt hat, ist gerade um eine neue Sekte 'bereichert' worden. Es gibt eine neue Publikation mit dem Titel Internationalistische Perspektiven, Organ der „Externen Fraktion der IKS“ (EFCCI), die „eine Kontinuität mit dem von der IKS entwickelten programmatischen Rahmen behauptet“. Diese Gruppe setzt sich aus Genossen zusammen, die der „Tendenz“ angehörten, die sich in unserer Organisation gebildet hatte und die sie auf ihrem Sechsten Kongress[5] verließ, um „die Plattform der IKS zu verteidigen“. Wir haben heute schon viele Formen von Sektierertum unter Revolutionären kennengelernt, aber die Schaffung einer „externen Fraktion“ der IKS mit denselben programmatischen Positionen der IKS stellt einen nie zuvor erreichten Höhepunkt in diesem Bereich dar. Sie haben auch einen Höhepunkt in der Menge an Dreck erreicht, mit dem das IKS beworfen wurde: nur das Kommunistische Bulletin (CBG) (ebenfalls aus ehemaligen IKS-Mitgliedern gebildet) ist so weit gegangen. Damit begibt sich diese neue Gruppe seit ihrer Gründung auf ein Terrain, das bisher nur von politischen Gangstern (die sich durch den Diebstahl von Material und Geldern der IKS auszeichneten) mit solcher Inbrunst genutzt wurde. Auch wenn die Mitglieder der „externen Fraktion“ in keiner Weise in solche Gangstertaten verwickelt waren, kann man sagen, dass ihr Sektierertum und ihre Vorliebe für grundlose Beleidigungen nichts Gutes für die zukünftige Entwicklung dieser Gruppe und ihre Fähigkeit, einen Beitrag zu den Bemühungen des Proletariats um die Entwicklung seines Bewusstseins zu leisten, verheißt. In der Tat drücken die Spielchen der EFCCI eines aus: eine totale Verantwortungslosigkeit gegenüber den Aufgaben, vor denen die Revolutionäre heute stehen, ein Fliehen vor dem notwendigen Kampf gegen den Kapitalismus“ (Die „Externe Fraktion“ der IKS [406], International Review Nr. 45 [engl.]).
Diese Gruppierung ist zweifellos ein weiterer Schritt in die Schande, der es rechtfertigt, ihr einen großen Teil dieses Textes zu widmen.
Wir berichten hier über einen Teil der Kette von Ereignissen, die zur Bildung der IFCCI (Interne Fraktion der IKS), der Kristallisation eines Fremdkörpers innerhalb der IKS, geführt haben, indem wir aus einem Kommuniqué an unsere Leser zitieren, das über die Aktionen von Mitgliedern unserer Organisation innerhalb und außerhalb unserer Organisation berichtet:
„Problematisch ist jedoch die Tatsache, dass eine gewisse Anzahl von Aktivisten in unserer französischen Sektion seither eine Politik der systematischen Verletzung unserer Organisationsregeln verfolgt. Aus „verletztem Stolz“ heraus haben sie eine anarchistische Haltung eingenommen, indem sie die Beschlüsse des Kongresses verletzten, sie verleumdeten und logen. Nach mehreren Verstößen gegen unsere Organisationsregeln, von denen einige so schwerwiegend waren, dass die Organisation gezwungen war, entschieden zu reagieren, hielten diese Genossen im August 2001 eine Reihe von geheimen Treffen ab. Die Organisation hat inzwischen eine Kopie des Protokolls eines dieser geheimen Treffen erhalten, was die Teilnehmer gerne vermieden hätten. Diese Protokolle haben den anderen Mitgliedern unserer Organisation deutlich gezeigt, dass sich diese Genossen voll und ganz bewusst waren, dass sie ein Komplott gegen die Organisation anzettelten, und dass sie einen völligen Mangel an Loyalität gegenüber dem IKS an den Tag legten, was insbesondere dadurch zum Ausdruck kam:
Seit ihrer Gründung hat sich die IFCCI immer als die beste Verteidigerin der Plattform und der Positionen der IKS präsentiert, mit Ausnahme der „Analyse der letzten Phase der Dekadenz, der des Zerfalls“ und der „Thesen zum politischen Parasitismus“. Die erste Ausnahme diente dazu, mit den anderen Gruppen des proletarisch-politischen Milieus, die die Analyse des Zerfalls nicht teilten, besser übereinstimmen zu können. Die zweite erleichterte es der GIGC, die Tatsache zu widerlegen, dass sie selbst eine parasitäre Gruppierung war, obwohl ihre Mitglieder bis dahin überzeugte Verfechter der Notwendigkeit des Kampfes gegen den Parasitismus gewesen waren.
Die IFCCI-Mitglieder haben sich aufgrund der folgenden Verhaltensweisen bewusst außerhalb unserer Organisation gestellt:
Schließlich wurden die Mitglieder der IFCCI aus unserer Organisation ausgeschlossen, nicht wegen ihres unerträglichen Verhaltens, sondern wegen ihrer Aktivitäten als Informanten, zu denen auch mehrere Fälle von Spitzeltätigkeit gehörten. So veröffentlichten sie auf ihrer Website das Datum einer IKS-Konferenz, die in Mexiko stattfinden sollte und an der Militante aus anderen Ländern teilnahmen. Dieser widerwärtige Akt der IFCCI, die Arbeit der Repressionskräfte des bürgerlichen Staates gegen revolutionäre Aktivisten zu erleichtern, ist umso verabscheuungswürdiger, als die Mitglieder der IFCCI sehr wohl wussten, dass einige unserer Genossen in Mexiko bereits in der Vergangenheit direkte Opfer von Repressionen waren und dass einige gezwungen waren, aus ihren Herkunftsländern zu fliehen.
Aber das verräterische Verhalten von IFCCI-Mitgliedern ist nicht auf diese Episode beschränkt. Vor und nach ihrem Ausschluss aus dem IKS haben sie unsere Organisation systematisch ausspioniert und regelmäßig in ihrem Bulletin über die Ergebnisse berichtet (siehe insbesondere IFCCI-Bulletins Nr. 14, 18 und 19).
Ihre schmutzige Informationssammlung ist durchaus bezeichnend für die Art und Weise, wie diese Leute ihre „Fraktionsarbeit“ (Klatsch und Tratsch, Polizeiberichte) konzipierten. Die Verbreitung solcher Informationen richtete sich in der Tat auch an die IKS als Ganzes, um ihre Aktivisten unter Druck zu setzen, indem sie ihnen zu verstehen gaben, dass sie „unter Beobachtung“ standen, dass nichts, was sie taten, der Wachsamkeit der „Internen Fraktion“ entgehen würde.
Nur weil es den kranken Köpfen von besessenen Verfolgern entspringt, heißt das nicht, dass wir diese Art von Arbeit nicht ernst nehmen sollten, um unsere Organisation und insbesondere einige ihrer Mitglieder zu überwachen.
Abschließend zum polizeilichen Verhalten der IFCCI sei noch auf die Veröffentlichung eines 118-seitigen Textes mit dem Titel The History of the ICC International Secretariat hingewiesen. Laut seinem Untertitel behauptet dieser Text, die Geschichte zu erzählen, „wie der Opportunismus in den zentralen Organen Fuß fasste, bevor er die gesamte Organisation verseuchte und zu zerstören begann...“.
Dieses Dokument verdeutlicht einmal mehr den polizeilichen Charakter des Vorgehens der IFCCI. Es erklärt die angebliche „opportunistische Entwicklung“ der IKS durch die „Intrigen“ einer Reihe böser Figuren, insbesondere der „Begleiterin des Chefs“ (die als Agent des Staates dargestellt wird, die ihre Kontrolle über den „Chef“ ausübt). Es ist, als ob die Entartung und der Verrat der bolschewistischen Partei das Ergebnis des Handelns des größenwahnsinnigen Stalin gewesen wäre und nicht die Folge des Scheiterns der Weltrevolution und der Isolierung der Revolution in Russland. Dieser Text ist die reinste polizeiliche Geschichtsauffassung, die der Marxismus immer abgelehnt hat.
Aber das Abscheulichste an diesem Text ist die Tatsache, dass er zahlreiche Details über die interne Arbeitsweise unserer Organisation offenbart, die für die Polizei ein gefundenes Fressen sind.
Nachdem es dieser kleinen parasitären Gruppe nicht gelungen ist, die Aktivisten der IKS von der Notwendigkeit zu überzeugen, den „Chef“ und die „Begleiterin des Chefs“ auszuschließen, hat sie sich zum Ziel gesetzt, die anderen Gruppen der Kommunistischen Linken hinter ihre Verleumdungen zu ziehen, um einen Cordon sanitaire um die IKS zu errichten und sie zu diskreditieren (siehe unten die Episoden der „öffentlichen IBRP-Veranstaltung in Paris“ und den „Circulo“). In der Tat waren es alle Orte, an denen die IKS aktiv war (Kontakttreffen, öffentliche Veranstaltungen usw.), die die IFCCI ins Visier nahm, obwohl wir ihren Mitgliedern den Zugang zu diesen Orten wegen ihrer verräterischen Aktivitäten verboten hatten[7]. Während wir unseren Beschluss durchsetzten, sie von solchen Orten fernzuhalten, mussten wir manchmal mit Drohungen (einschließlich einer lauten Drohung, einem unserer Genossen die Kehle durchzuschneiden) und Angriffen dieser Schläger rechnen.
Die IFCCI präsentierte sich als „die wahre Nachfolgerin der IKS“, die eine „opportunistische“ und „stalinistische“ Degeneration durchgemacht hatte. Sie erklärte, dass sie die Arbeit fortsetzt, die ihrer Meinung nach von der IKS aufgegeben worden war, nämlich die „wirklichen Positionen dieser Organisation“ in der Arbeiterklasse zu verteidigen, die durch die Entwicklung des Opportunismus innerhalb der IKS bedroht waren, was vor allem die Frage ihrer Arbeitsweise betraf. Wir haben in der Praxis dieser Gruppe ihre eigene Auffassung von der Achtung der Statuten und sogar der elementarsten Verhaltensregeln der Arbeiterbewegung gesehen: Sie behauptet, diese einzuhalten, während sie sie in Wirklichkeit wütend mit Füßen tritt.
Die Methode, die darin besteht, Andeutungen zu machen, während man dem grundlegenden politischen Problem ausweicht, indem man sich auf den „gesunden Menschenverstand“ und die Hexenjagdmethoden des Mittelalters beruft.
Infolgedessen war die IKS Ziel zahlreicher weiterer Anschuldigungen der IFCCI, die bisher nicht erwähnt wurden: Die IKS wurde durch „eine allmähliche Abkehr vom Marxismus und eine wachsende Tendenz zur Förderung (und Verteidigung) modischer bürgerlicher und kleinbürgerlicher Werte – (Jugendkult, Feminismus und vor allem 'Gewaltlosigkeit')“ stigmatisiert; außerdem „spielt die IKS der Repression in die Hände“.
Das IBRP[8] war das Ziel eines gewagten Manövers der IFCCI, das darin bestand, am 2. Oktober 2004 in Paris eine öffentliche Veranstaltung im Namen der IBRP zu organisieren. In Wirklichkeit handelte es sich um eine öffentliche Veranstaltung, das dem Ansehen der IFCCI zum Nachteil der IBRP dienen sollte, und zwar mit dem Ziel, die IKS anzugreifen.
In der Ankündigung des Treffens durch das IBRP wurde als Thema der Irak-Krieg genannt. Andererseits unterstreicht die Ankündigung der IFCCI die Bedeutung ihrer eigenen Initiative: „Auf unsere Anregung hin und mit unserer politischen und materiellen Unterstützung wird das IBRP eine öffentliche Veranstaltung in Paris abhalten (eine Veranstaltung, die, wie wir hoffen, nur die erste sein wird), an der wir alle unsere Leser zur Teilnahme auffordern.“ Aus diesem Aufruf geht die Behauptung hervor, dass diese Organisation der Kommunistischen Linken, die auf internationaler Ebene existiert und seit Jahrzehnten bekannt ist, ohne die IFCCI nicht in der Lage gewesen wäre, die Initiative zu ergreifen und die öffentliche Veranstaltung zu organisieren!
In der Tat hat diese parasitäre Gruppe das IBRP als „Strohmann“ für ihre eigene Werbung benutzt, um ein Zertifikat der Seriosität, die Anerkennung ihrer Mitgliedschaft in der Kommunistischen Linken zu erhalten. Und diese unverschämten Räuber zögerten nicht, das Adressbuch der IKS-Kontakte (das sie vor ihrem Austritt aus der Organisation gestohlen hatten) zu benutzen, um ihren Aufruf zu dieser öffentlichen Veranstaltung zu veröffentlichen.
Im Jahr 2004 war die IKS eine politische Beziehung mit einer kleinen Gruppe in Argentinien, dem NCI (Nucleo Comunista Internacional), eingegangen. Ende Juli 2004 versuchte ein Mitglied der NCI, Herr B., ein gewagtes Manöver: Er forderte die sofortige Integration der Gruppe in die IKS. Er setzte diese Forderung gegen den Widerstand der anderen Genossen der NCI durch, die sich zwar ebenfalls zum Ziel gesetzt hatten, der IKS beizutreten, jedoch der Meinung waren, dass zunächst ein umfassender Klärungs- und Assimilationsprozess durchgeführt werden müsse, da kommunistische Militanz nur auf soliden Überzeugungen beruhen könne. Die IKS lehnte diese Forderung ab, in Übereinstimmung mit unserer Politik, die sich gegen übereilte und unausgereifte Integrationen wendet, die das Risiko der Zerstörung von Kämpfern mit sich bringen und der Organisation schaden können.
Zur gleichen Zeit wurde ein Bündnis zwischen der IFCCI und dem Abenteurer B geschmiedet, sicherlich auf Initiative von B, um ein Manöver gegen die IKS durchzuführen, bei dem sie sich, ohne es zu wissen, der NCI bedienten. Das Manöver bestand darin, im proletarisch-politischen Milieu eine Anprangerung der IKS und seiner „ekelhaften Methoden“ zu verbreiten. Dieser Text schien indirekt von der NCI auszugehen, da er von einem mysteriösen und fiktiven „Circulo de Comunistas Internacionalistas“ (oder kurz „CCI“!) unterzeichnet war, der von Bürger B. angeführt wurde und der nach seinen Angaben die „politische Transzendenz“ der NCI darstellen sollte. Diese Verleumdungen wurden mit Hilfe eines „Circulo“-Flugblattes verbreitet, das von der IFCCI anlässlich der öffentlichen Veranstaltung der IBRP am 2. Oktober 2004 in Paris verteilt wurde. Sie wurden auch online in verschiedenen Sprachen auf der IBRP-Website veröffentlicht. Das Flugblatt richtete sich nicht nur direkt gegen die IKS, sondern verteidigte auch die IFCCI und stellte eine Stellungnahme der NCI vom 22. Mai 2004, die diese Gruppe angeprangert hatte, völlig in Frage.
Die Art und Weise, wie Bürger B. zu seinem Manöver veranlasst wurde, ist typisch für einen Abenteurer, für seinen Ehrgeiz und für seinen völligen Mangel an Skrupel und Sorge um die Sache des Proletariats. Dass die IFCCI die Dienste eines Abenteurers in Anspruch nimmt, um ihren Hass auf die IKS zu befriedigen und durch öffentliche Verunglimpfung zu versuchen, unsere Organisation politisch zu isolieren, ist der kleinlichen und verachtenswerten Charaktere würdig, die die Welt des Kleinbürgertums und der Großbourgeoisie bevölkern.
Die GIGC, die auf uns unbekannte Weise in den Besitz interner Bulletins der IKS gelangt war, machte großes Aufhebens um dieses Ereignis und sah darin den Beweis für eine Krise der IKS. Die Botschaft, die diese Spitzel vermitteln wollten, war eindeutig: „Es gibt einen 'Maulwurf' in der IKS, der Hand in Hand mit dem Ex-IFCCI arbeitet! Es handelte sich eindeutig um Polizeiarbeit, die kein anderes Ziel verfolgte, als weitverbreitetes Misstrauen, Unruhe und Unfrieden innerhalb unserer Organisation zu säen. Das sind die gleichen Methoden, die von der GPU, Stalins politischer Polizei, in den 1930er Jahren angewandt wurden, um die trotzkistische Bewegung von innen heraus zu zerstören. Es sind dieselben Methoden, die von den Mitgliedern der Ex-IFCCI (und insbesondere von zwei von ihnen, Juan und Jonas, den Gründungsmitgliedern der „GIGC“) angewandt wurden, als sie 2001 „besondere“ Reisen zu verschiedenen Sektionen der IKS unternahmen, um geheime Treffen zu organisieren und Gerüchte zu verbreiten, dass eine unserer Genossinnen (die „Frau des Chefs der IKS“, wie sie es ausdrückten) eine „Polizistin“ sei.
Die IKS hatte den Versuch angeprangert, die wahren Ursprünge der Kommunistischen Linken durch einen Blog namens Nuevo Curso zu verfälschen, der von einem Abenteurer, Gaizka, betrieben wird, dessen Ziel nicht darin besteht, zur Klärung und Verteidigung der Positionen dieser Strömung beizutragen, sondern sich im politischen proletarisch Milieu einen Namen zu machen. Dieser Angriff auf die historische Strömung der Kommunistischen Linken zielt darauf ab, sie in eine Bewegung mit unscharfen Konturen zu verwandeln, die der strengen proletarischen Prinzipien, die ihrer Entstehung zugrunde lagen, beraubt ist, was ein Hindernis für die Weitergabe der Errungenschaften des Kampfes der linken Fraktionen gegen den Opportunismus und die Degeneration der Parteien der Kommunistischen Internationale an künftige Generationen von Revolutionären darstellt.
Was den Abenteurer Gaizka anbelangt, so haben wir zahlreiche Informationen über seine Beziehungen zur Welt der bürgerlichen Politiker (vor allem der Linken, aber auch der Rechten) geliefert, die bis heute nicht widerlegt worden sind. Es ist ein Verhalten und ein Persönlichkeitsmerkmal, das er mit Abenteurern teilt – auch wenn er bei weitem nicht die Statur dieser Figuren hat –, die in der Geschichte des 19. Jahrhunderts besser bekannt sind als Ferdinand Lassalle und Johann Baptiste von Schweitzer.
Mit großer Begeisterung und Kriecherei begrüßte die GIGC den Eintritt des Blogs Nuevo Curso in die politische Szene: „Alle Positionen, die er vertritt, sind ganz klar Klassenpositionen und bewegen sich im programmatischen Rahmen der Kommunistischen Linken (...).“ Und nachdem unsere Organisation den Lesern genügend Informationen geliefert hatte, um Gaizka (den Hauptverantwortlichen von Nuevo Curso) als Abenteurer zu charakterisieren, der die Besonderheit hatte, 1992–94 Beziehungen zur damals wichtigsten Partei der Bourgeoisie in Spanien, der PSOE, zu unterhalten, gab es keinen Zweifel mehr an der Bedeutung des Ansatzes von Nuevo Curso, der darauf abzielt, die Kommunistische Linke zu entstellen. Es waren jedoch nicht diese Informationen, die allen zur Verfügung standen (und von niemandem geleugnet wurden, wir wiederholen), die die GIGC daran hinderten, dem Abenteurer Gaizka zu Hilfe zu eilen, angesichts der Offenlegungen, die wir gegen ihn vornahmen: „Wir möchten darauf hinweisen, dass wir bis heute keine Provokationen, Manöver, Verleumdungen oder Gerüchte festgestellt haben, die von Mitgliedern des Nuevo Curso, auch nicht als Einzelpersonen, lanciert wurden, noch irgendeine Politik der Zerstörung gegen andere revolutionäre Gruppen oder Militante.“[10]
Es ist sehr aufschlussreich, dass der Animateur der GIGC, um jeden Verdacht des Abenteurertums in Bezug auf Gaizka auszuschließen, eine Reihe politischer Eigenschaften als Kriterium nimmt, die in erster Linie ihn selbst, aber nicht unbedingt Gaizka im Besonderen charakterisieren: Provokateur, Manövrierer, Verleumder, Rufzerstörer, ... Was Gaizka betrifft, so war er zwar nicht von der Statur eines Lassalle oder eines Schweitzer, aber er „versuchte, am Hofe der Großen mitzuspielen“, und es gelang ihm dank einiger seiner intellektuellen Fähigkeiten sogar, bei einigen von ihnen Anerkennung zu finden, auch wenn es ihm nicht gelang, sich mit den führenden Persönlichkeiten der herrschenden Klasse auf eine Stufe zu stellen, wie dies bei Lassalle mit Bismarck der Fall war[11].
In seinem eigenen kleinen Rahmen stellte sich Gaizka vor, eine Rolle als Vertreter eines Zweigs der kommunistischen Linken (der spanischen kommunistischen Linken) zu spielen, den er selbst erfunden hatte. Der große Ehrgeiz von „Mr. GIGC“ besteht darin, die IKS mit Unrat zu überziehen.
Um unsere Analyse des Phänomens des politischen Parasitismus zu veranschaulichen, haben wir hauptsächlich das Beispiel der GIGC (ehemals IFCCI) herangezogen. Die Tatsache, dass diese Organisation eine Art Karikatur des Parasitismus darstellt, hat es uns ermöglicht, zum einen ihre Schurkerei und ihr Fehlverhalten erneut anzuprangern und zum anderen die wichtigsten Merkmale, die dieses Phänomen kennzeichnen und die auch in anderen Gruppen oder Elementen zu finden sind, deren Aktivitäten Teil eines parasitären Ansatzes sind, wenn auch auf weniger offensichtliche und subtilere Weise, deutlicher herauszustellen. So ist die GIGC-IFCCI unseres Wissens die einzige Gruppe, die bewusst eine Haltung des Verpetzens, des bewussten Agierens in der kapitalistischen Unterdrückung eingenommen hat. Indem sie diese Haltung des bewussten (wenn auch unbezahlten) Agenten des bürgerlichen Staates einnimmt, drückt diese Gruppe jedoch lediglich auf extremste Weise das Wesen und die Funktion des politischen Parasitismus aus (der, wie wir gesehen haben, bereits von Marx und Engels analysiert wurde): im Namen der Verteidigung des proletarischen Programms einen entschlossenen Kampf gegen die wirklichen Organisationen der Arbeiterklasse zu führen. Und dies natürlich zum größeren Nutzen ihres Todfeindes, der Bourgeoisie. Und wenn bestimmte Gruppen auf die Schandtaten der GIGC verzichten und lieber einen „sanften“, subtileren Parasitismus praktizieren, so macht sie das nicht weniger gefährlich, ganz im Gegenteil.
So wie die wahren Organisationen des Proletariats die ihnen von der Arbeiterbewegung anvertraute Rolle nur dann wahrnehmen können, wenn sie einen entschlossenen Kampf gegen den opportunistischen Brandherd führen, wie die gesamte Geschichte der Bewegung gezeigt hat, so können sie ihrer Verantwortung nur dann gerecht werden, wenn sie einen ebenso entschlossenen Kampf gegen die Geißel des Parasitismus führen. Marx und Engels haben dies seit Ende der 1860er Jahre und insbesondere auf dem Haager Kongress der Ersten Internationale 1872 voll und ganz verstanden, auch wenn viele Marxisten, die den Kampf gegen den Opportunismus anführten, wie Franz Mehring, die Bedeutung und Wichtigkeit des Kampfes gegen die Allianz von Bakunin nicht verstanden haben. Dies ist wahrscheinlich einer der Gründe (neben Naivität und opportunistischem Abrutschen), warum die Frage des Parasitismus im proletarischen politischen Milieu nicht verstanden wird. Aber es kann nicht darum gehen, die Schwächen der Arbeiterbewegung als Argument zu benutzen, um sich zu weigern, die Gefahren zu sehen und ihnen zu begegnen, die den historischen Kampf unserer Klasse bedrohen. Ganz im Sinne des eingangs zitierten Satzes von Engels fordern wir: „Es ist an der Zeit, den internen Streitigkeiten, die durch die Anwesenheit dieses parasitären Organs in unserer Assoziation jeden Tag aufs Neue provoziert werden, ein für alle Mal ein Ende zu setzen.“
IKS, 07.08.2023
[1] Thesen über den Parasitismus [208], Internationale Revue Nr. 22
[2] Fragen der Organisation, Teil 3: Der Haager Kongress von 1872: Der Kampf gegen den politischen Parasitismus [217], Internationale Revue Nr. 19
[3] Die von Bakunin gegründete "Allianz der sozialistischen Demokratie", die aufgrund der Schwächen, die noch auf ihr lasteten und die sich aus der politischen Unreife des Proletariats zu jener Zeit ergaben, in wichtigen Bereichen der Internationale auf fruchtbaren Boden fallen sollte. Es handelt sich um ein Proletariat, das sich noch nicht vollständig von den Überresten der vorangegangenen Entwicklungsphase und insbesondere von den sektiererischen Bewegungen befreit hat.
[4] „Dies war die Auffassung Bakunins. Bevor er der IAA betrat, erklärte er seinen Anhängern, weshalb die Internationale keine revolutionäre Organisation sei. Die Proudhonisten seien reformistisch geworden, die Blanquisten alt, die Deutschen wie der von ihnen angeblich beherrschte Generalrat ‚autoritätsgläubig‘. Auffallend ist die Art und Weise, wie Bakunin die Internationale als die Summe ihrer Teile betrachtet. Vor allem mangelte es laut Bakunin an ‚revolutionärem Willen‘. Dafür wollte die Allianz sorgen, indem sie Programm und Statuten der Internationale mit Füßen trat und ihre Mitglieder hinters Licht führte.“ Die 1. Internationale und der Kampf gegen das Sektierertum [408], Internationale Revue Nr. 17
[5] In der International Rewiev Nr. 44 [engl.] wird in dem dem 6. Kongress der IKS gewidmeten Artikel über den Austritt dieser Genossen und ihre Konstituierung als "Fraktion" berichtet. Es wird empfohlen, diesen Artikel zu lesen, ebenso wie die in den International Rewiev Nr. 40 bis 43 [engl.] veröffentlichten Artikel, die die Entwicklung der Debatte innerhalb der IKS widerspiegeln.
[6] Die nachstehend veröffentlichten Informationen sind eine Zusammenfassung eines Teils des Artikels Der Abenteurer Gaizka hat die Beschützer, die er verdient: die Halunken der GIGC [409], in dem die von dieser parasitären Gruppe verursachten Ärgernisse ausführlicher beschrieben werden.
[7] Kein Zugang für Spitzel zu den öffentlichen Veranstaltungen der IKS [410], Weltrevolution Nr. 120
[8] IBRP: Internationales Büro für die Revolutionäre Partei. 1984 von der Partito Comunista Internazionalista (Battaglia Comunista) und der Communist Worker's Organisation (CWO) gegründete Gruppe. Im Jahr 2009 änderte die Gruppe ihren Namen in Internationalistische Kommunistische Tendenz (ICT).
[9] Der Abenteurer Gaizka hat die Beschützer, die er verdient: die Halunken der GIGC [409], Februar 2021
[10] Neuer IKS-Angriff gegen das Internationale Proletarische Lager (1. Februar 2020)
Schon in unseren Berichten zur nationalen Lage vor der Pandemie haben wir auf die Stärke der deutschen Wirtschaft, die sich entgegen dem Trend der Weltwirtschaft bislang auch in der Periode des Zerfalls behaupten konnte[1], als auch auf die Schwächen dieser besonderen Entwicklung und Stellung hingewiesen. Bereits die Pandemie und der wachsende Druck des Zerfalls auch auf die deutsche Bourgeoisie hat neben den politischen Folgen (siehe unsere Artikel dazu) insbesondere auf der ökonomischen Ebene diese spezifische Stärke ins Wanken gebracht. Mit der Auslösung des Krieges in der Ukraine potenzieren sich die ökonomischen Schlachtfelder für die deutsche Bourgeoisie. Die spezielle Beziehung zu Russland ist nachhaltig zerstört, die ökonomisch zentralen Beziehungen zu den USA bzw. zu China ein Minenfeld. In diesem Artikel wollen wir einige dieser Schlachtfelder und Minenfelder aufzeigen, jedoch hauptsächlich betonen, dass mit der Vielzahl von Herausforderungen und Instabilitäten die deutsche Wirtschaft besonders stark betroffen ist und sein wird. Somit reiht sich Deutschland in die allgemeine Tendenz ein, die durch eine Verschärfung der Gegensätze und die wachsende Gefahr der Kettenreaktionen geprägt ist.[2] Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Periode des scheinbar „sicheren Hafens“ von Wohlstand und Stabilität, der natürlich schon immer für große Teile der Arbeiterklasse in Wirklichkeit für Arbeitsverdichtung auf der einen und Verarmung auf der anderen Seite oder auch für beides, stand, bald der Vergangenheit angehört. Wir sollten uns auch in Deutschland auf einen kommenden Sturm vorbereiten, der die beiden Hauptklassen des Kapitalismus, die Bourgeoisie und die Arbeiterklasse, deutlicher und offener in Konflikt bringen wird.
Der Ukrainekrieg ist für Deutschland in vielerlei Hinsicht eine tiefgreifende Zäsur, oder wie Bundeskanzler Scholz es bezeichnete: eine Zeitenwende. Tatsächlich ist Deutschland durch die Rückkehr des Kriegs auf europäischen Boden auf verschiedenen Ebenen mit am heftigsten betroffen. Auf militärischer und ökonomischer Ebene sind die Einschnitte am tiefsten. Die Veränderungen auf militärischer Ebene haben wir in dem vorherigen Artikel behandelt.[3] In diesem Artikel möchten wir uns auf die ökonomischen Auswirkungen konzentrieren. Die ökonomischen Folgen treffen auf kein bis dahin krisenfreies, von den Zuspitzungen der ökonomischen Interessenskonflikte verschontes Land. Im Gegenteil: Die schwerwiegenden Konsequenzen des Krieges stellen eine qualitative Verschärfung einer Kette von sich zuspitzenden Widersprüchen dar. Sie erschüttern ein Land, welches seit Jahren tiefgründig von einer strukturellen Krise unterminiert wurde, die jahrelang durch die Vorteile, die Deutschland aus der besonderen Beziehung zu Russland (Energie- und Rohstoffabkommen) und China (Produktionsstandort und Hauptabnehmer für deutsche Industriegüter) ziehen konnte, überdeckt wurden. Wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Deutschland bis in die 2000er hinein als „Gewinner“ der weltweiten Zuspitzung des Zerfalls angesehen werden konnte. Diese besondere ökonomische Position wird nun in der Zwickmühle der zunehmenden imperialistischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Zuspitzungen, die die aktuelle Phase des Zerfalls ausmachen,[4] pulverisiert.
1. Corona und Schulden
Ähnlich wie alle anderen Staaten auf der Welt hat auch die deutsche Wirtschaft seit Jahren einen massiven Schuldenberg angehäuft, der durch die staatlichen Interventionen nach 2008 noch rasanter angeschwollen ist. Mit der Ausbreitung der Corona-Pandemie trat das deutsche Kapital eine Art Flucht nach vorne an, indem es ein Rettungspaket nach dem anderen verabschiedete. Zwar hatte man sich anfangs wie viele anderen Staaten auf der Jagd nach medizinischem Gerät und Ausrüstung zu einem Exportstopp solcher Produkte hinreißen lassen, frei nach dem Motto „jeder für sich“, aber in einer weiteren Phase wurden in Abstimmung mit der EU die bis dahin größten Rettungspakete gemeinsam verabschiedet (650 Mrd. EU). Bei dem Gießkannenverfahren erhielten selbst vorher schon insolvenzbedrohte Kaufhäuser wie Karstadt und Galeria Kaufhof (vergebliche) staatliche Finanzspritzen. Die Rechnung für diese Rettungsoperationen aus der Pandemiezeit wird der Arbeiterklasse noch aufgebrummt werden.
2. Umweltzerstörung und Schulden
Hinzu kommen die immer weiter ausufernden Kosten der Zerstörung der Umwelt. Allein die Flutkatastrophe an der Ahr im Juli 2021 hinterließ 8,5 Mrd. Euro Versicherungsschäden, und der Bund musste kurz danach das höchste je in der Bundesrepublik aufgelegte Hilfspaket nach einer Flut beschließen: 30 Milliarden Euro. Die 2022 durch die Hitzewelle aufgetretenen Ernteausfälle und Waldbrandschäden reißen weitere Löcher in die Haushalte. Dabei stehen wir erst am Anfang dieser Lawine von Wetterextremen, die auf der ganzen Welt astronomische Kosten verursachen.
Vor dem Krieg hatten sich schon diese Faktoren angehäuft (alter Schuldenberg, Pandemie-Rettungspakete, Zinsklemme, internationaler Konkurrenzkampf und staatliche Finanzspritzen). Mit dem Krieg wurde eine neue Schwelle überschritten. Der Rechnungshof-Präsident bringt es drastisch auf den Punkt: "In 70 Jahren Bundesrepublik hat der Bund einen Schuldenberg von 1,3 Billionen Euro angehäuft. In nur drei Jahren - 2020 bis 2022 - steigt der Berg um sagenhafte 800 Milliarden Euro auf dann über zwei Billionen Euro"[5]
3. Ukrainekrieg und Schulden
Als der Ukrainekrieg im Februar 2022 ausgelöst wurde, beschloss die Ampelkoalition innerhalb kürzester Zeit eine Verdoppelung des Rüstungshaushaltes, d.h. um 100 Mrd. Euro. Mittlerweile fordert man offen und direkt, die Bundeswehr soll sich auf Angriffe „ohne Vorwarnung“ und „mit großer, gegebenenfalls sogar existenzieller Schadenswirkung“ vorbereiten und dabei in Europa als „Führungsnation“ auftreten. Damit sollen 2023 rund 50,1 Milliarden Euro aus dem regulären Etat zuzüglich 8,4 Milliarden Euro aus dem 100 Milliarden Euro schweren Sonderprogramm für die Armee locker gemacht werden. Der Rüstungswettlauf und die Erneuerung und Erweiterung vieler Waffensysteme hat jetzt erst eingesetzt, aber die Kosten dafür werden auch der Arbeiterklasse aufgehalst werden.
4. Schulden und die Rückkehr der „explodierenden“ Inflation
Mit dem Krieg explodierten die Energiepreise, mit den Energiepreisen die Lebensmittelpreise, mit den Lebensmittelpreisen ging eine allgemeine Erhöhung der Preise einher. Mittlerweile wurden die höchsten Preissteigerungsraten seit 70 Jahren (d.h. seit Anfang der 1950er Jahre) registriert. Diese Preisspirale trifft auf die tieferliegende inflationäre Tendenz in der Periode des Kapitalismus in der Dekadenz, „sie drückt sich in steigenden Preisen aus, ist aber die Folge des Gewichts der unproduktiven Ausgaben in der Gesellschaft, deren Kosten sich auf die produzierten Güter auswirken“ und „ein weiterer Faktor der Inflation ist das Ergebnis der Geldentwertung, die mit der unkontrollierten Ausweitung der weltweiten Verschuldung einhergeht, die sich heute 260 % der Weltproduktion nähert.“[6]
Die Rückkehr der Preisspirale im Herzen Europas ist ein Zeichen für die wachsende Schwäche der deutschen Bourgeoisie. Bisher hatte sie versucht, diese auf die Ränder der EU zu beschränken. Auch wenn sie die Arbeiterklasse treffen, sind sie kein gezielter Angriff auf die Arbeiterklasse, wie die zahllosen Versuche, die Kosten abzumildern (Energiepauschale, Preisdeckel, etc.) zeigen. Gleichzeitig trifft die Preisspirale die produzierende Industrie und erhöht den Wettbewerbsdruck auf die deutsche Industrie massiv, was wiederum durch staatliche Subventionen beantwortet wird.
1. Subventionskrieg mit den USA
Begünstigt durch die Tatsache, dass die Verschuldungspolitik bis zu diesem Wendepunkt noch durch eine lange Phase der Niedrigzinsen (gar Null- und Negativzinsen) gewissermaßen noch verlockender gemacht worden, griff der Staat mit riesigen zinsgünstigen finanziellen Zuwendungen der Wirtschaft unter die Arme, um im internationalen Konkurrenzkampf mithalten zu können. Aufwendige Modernisierungsinvestitionen zur Förderung der Abwehrkraft gegen chinesische Konkurrenz wurden in neue Fabriken gesteckt, während man gleichzeitig seit Jahren bei der Infrastruktur (Bahn, Straßen, Brücken, Datenverkehr), der Verwaltung, im Erziehungswesen oder Gesundheitswesen den Rotstift angesetzt hatte, so dass in vielen Schulen keine oder nur völlig unzureichende Internetstrukturen und Geräte vorhanden waren, die Internetversorgung in ganzen Regionen sträflich unterentwickelt war und die Verhältnisse sich im Gesundheitswesen radikal verschlechterten.
Das Herz der deutschen Industrie ist nach wie vor wettbewerbsfähig[7], sogar marktführend geblieben. Somit ist Deutschland eines der wenigen EU-Länder, das sein verarbeitendes Gewerbe in den vergangenen Jahrzehnten halten konnte. Das staatskapitalistische Instrumentarium z.B. der Hermes-Kredite für Exporte und Investitionsgarantien hat deutschen Unternehmen geholfen, neue Märkte zu erschließen und der Konkurrenz besser standzuhalten. Aber die neuen Schlachtfelder um die Halbleiterindustrie oder die Batterieproduktion (ganz zu schweigen von den höchst spekulativen Projekten der Wasserstoffproduktion) sind ohne staatliche Hilfen nicht denkbar. Hier steht Deutschland in unmittelbarer Konkurrenz mit der klar imperialistisch ausgerichteten Investitionspolitik des chinesischen und US-amerikanischen Kapitals (die ersteren offen staatlich-militärisch, die letzteren in dieser verdeckt militärisch-privaten Zwitterform, die die Unternehmen des Silicon-Valley ausmachen). Deutschland hat beispielsweise angekündigt, in den folgenden Jahren bis zu 15 Milliarden Euro für die Förderung der Mikroelektronikbranche zur Verfügung zu stellen, doch das erste Investitionsvorhaben in Magdeburg mit 2,7 Mrd. Euro wird der US-amerikanische Hersteller Intel erhalten.[8]
2. Aber all das treibt die Schuldenspirale weiter voran
Hinzu kommt, dass die USA gezielt sowohl Investitionsprogramme auflegen, um die Re-Industrialisierung der USA zu fördern (eine von Obama über Trump zu Biden ungebrochene Politik des „Make America Great Again“) als auch Sanktionsprogramme einsetzt, um ihre ökonomische Stellung gegenüber der europäischen Wirtschaftskraft (und in ihrem Zentrum Deutschland) zu stärken. US-Investitionsprogramme versprechen deutlich höhere Staatszuschüsse, um so Investoren vom Bau neuer Fabriken im Ausland abzuhalten.[9] Die Folge: Die Tendenz zu einer Art partieller Reindustrialisierung der Vereinigten Staaten ginge dann mit der Tendenz zur Deindustrialisierung in gewissen Gebieten Deutschlands einher. Auch haben die USA Russland durch die Sanktionen als Großlieferanten für Energie ersetzt, genauer gesagt: verdrängt. Prognosen sagen voraus, dass die USA 2030 der mit erheblichem Abstand wichtigste Erdgaslieferant Europas sein werden – mit einem Jahresvolumen von wohl 170 Milliarden Kubikmetern; das ist deutlich mehr, als im Jahr 2021 Russland lieferte (155 Milliarden Kubikmeter). Subventionen und Sanktionen (unter dem Deckmäntelchen der Klimarettung, der Kriegsfolgen oder der Inflationsbekämpfung) werden als imperialistische Druckmittel zur Niederringung des europäischen Partners und Rivalen eingesetzt.
3. Die Abhängigkeit von China
Die USA haben China zu einem Gegner erklärt, der bis 2030 ökonomisch niedergerungen werden soll. Neben der vorher entstandenen fatalen Energieabhängigkeit von Russland, die Deutschland nunmehr entscheidend geschwächt hat, ist das deutsche Kapital äußerst besorgt wegen der stark gewachsenen Abhängigkeit von China. China ist mit einem Handelsvolumen von 246 Milliarden Euro im Jahr 2021 zum sechsten Mal Deutschlands wichtigster Handelspartner. Deutschland importiert aus keinem anderen Land der Welt mehr Produkte als aus China. Laut einer Umfrage des ifo-Instituts sind 46 Prozent der Unternehmen, die Rohstoffe oder Produkte weiterverarbeiten, auf China angewiesen, besonders betroffen die Automobil, die Chemie- oder die Elektroindustrie. Eine kritische Abhängigkeit besteht auch bei Seltenen Erden, die unter anderem für den Bau von Elektromotoren oder Windturbinen gebraucht werden. In vielen Branchen ist die Abhängigkeit noch größer. Im Pharmabereich wurde durch die Billigproduktion in China und anderen Produktionsstätten in Asien eine extreme Abhängigkeit von diesen Lieferanten aufgebaut, die nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern auch aus militärischer Sicht nicht länger vom Standpunkt des deutschen Kapitals hingenommen werden kann. Insofern möchte das deutsche Kapital seine Abhängigkeit von China verringern, auch wenn alleine am China-Geschäft mehr als eine Million Arbeitsplätze hängen und deutsche Autobauer wie VW, BMW und Daimler mehr Autos in China als in Deutschland produzieren. Die Investitionen deutscher Unternehmen in der Volksrepublik nähern sich mittlerweile dem Wert von 100 Milliarden Euro.[10] Der Run zum Aufbau verstärkter Beziehungen zu anderen asiatischen Staaten hat längst eingesetzt. Diese Lockerung der Abhängigkeit von China, wie wir schon im voran gegangenen Artikel betont haben[11], entspricht dem ureigensten Interesse des deutschen Kapitals und ist gleichzeitig Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen in dessen Reihen.
Hinzu kommt jedoch, dass die USA im Zuge ihrer Offensive gegen China Deutschland (wie natürlich auch andere Staaten) stark einbinden, ja für die USA „dienstbar“ machen wollen, was wiederum auf Kosten des deutschen Kapitals ginge. Während die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber Russland vor allem im Energiebereich bestand, ist die Abhängigkeit gegenüber China sehr viel größer und eine wesentliche Reduzierung, gar Unterbrechung des Geschäfts mit China wäre wie ein Schlaganfall für das deutsche Kapital. Es muss sich deshalb mit Händen und Füßen gegen den Druck der USA wehren. Deshalb werden sich die Auseinandersetzungen auf allen Ebenen - weltweit, zwischen den USA und Europa – vor allem Deutschland und Frankreich - innerhalb der Regierung, innerhalb der Parteien weiter um die Frage, welche Haltung gegenüber China und den USA, verschärfen.
Das deutsche Kapital ist sich dessen bewusst, dass beim Kampf der USA gegen deren wichtigsten Herausforderer China eine relative Einheit unter den beiden rivalisierenden Parteien in den USA Demokraten und Republikaner herrscht. Sollte Trump wiedergewählt werden, haben deutsche Autobauer und andere Kapitalvertreter Trumps Äußerungen nicht vergessen, dass er deutsche Mercedes auf New Yorker Straßen als eine Bedrohung wahrnimmt, mit anderen Worten, er nimmt offen deutsche Produkte als Konkurrenz ins Visier.
Da die USA nunmehr im Windschatten der Russlandsanktionen ebenso Strafmaßnahmen gegenüber Firmen angeordnet haben, die in bestimmten Branchen in China tätig sind, und weil aufgrund enger deutscher Verflechtungen mit China deutsche Firmen davon besonders hart getroffen sein werden, sieht sich das deutsche Kapital deshalb der Gefahr ausgesetzt, nicht nur von der chinesischen Konkurrenz immer mehr bedroht zu werden, sondern auch von den USA selbst. Bislang ist die deutsche Industrie – trotz einiger Vorteile in einigen Bereichen – von China immer mehr bedrängt und gar übertroffen worden. China hat erst kürzlich Deutschland als zweitgrößten Autoexporteur der Welt überholt. Bei E-Mobilität hat China die Nase schon lange vorn. Klar ist: Wie auch immer die Entscheidungen getroffen werden, jede wird Nachteile nach sich ziehen. Bleibt man in China, geht man ein unberechenbares geopolitisches Risiko ein. Geht man nicht tiefer hinein, wird z.B. in der Automobilbranche der Druck der chinesischen Konkurrenz und Tesla der deutschen Autoindustrie noch mehr zusetzen. Auch wenn die US-Regierung unter Biden in einer anderen Tonart spricht, ist der reale Druck gegenüber den europäischen Staaten, insbesondere gegenüber Deutschland nicht geringer als der durch Trumps Republikaner. Wie oben erwähnt hat kein Land in der Größenordnung für den Ukrainekrieg solch einen hohen Preis gezahlt. Und mit dem zu erwartenden steigenden Druck der USA gegenüber China zeichnet sich ein Überlebenskampf für das deutsche Kapital ab.
In welchem Maße man dabei gemeinsam mit der EU, insbesondere mit Frankreich reagieren kann, steht im Augenblick in den Sternen, denn ähnlich wie zu Beginn der Pandemie, als Deutschland auch im Alleingang Exportverbote erließ, handelte die deutsche Regierung ohne entsprechende Abstimmung bei der Verabschiedung des Wumms-Paketes (d.h. bei dem 200 Mrd. Energiepflaster) oder als Scholz entgegen dem Vorschlag von Macron, der diesen nach China begleiten wollte, ohne EU-Absprache deutsche Interessen ausfechten wollte.
Zu all diesen Bedrohungsfaktoren kommt eine weitere Dynamik hinzu, die auch neue Ausmaße erreicht hat. Waren im Laufe der letzten Jahrzehnte durch die jüngste Phase der Globalisierung neue Produktionsstätten in vielen Ländern mit Billiglöhnen hochgezogen und damit neue Lieferketten entstanden, hat damit auch eine neue Abhängigkeit Einzug gehalten und damit auch neue Gefahren gebracht. Eine Unterbrechung der Lieferketten z.B. allein durch frenetische Lockdowns in China bedeutet, dass entweder die entsprechenden Vorprodukte nicht produziert werden, oder irgendwo in den Containern auf Schiffen oder in Häfen festhängen. Derzeit stecken mehr als 13% der Güter weltweit in Staus. Bei der Verknappung von Chips wirkt sich dies nicht weniger dramatisch aus.[12]
Den irren Gesetzen des Kapitalismus zufolge bedeutet Verknappung der Waren aber gleichzeitig die Möglichkeit von zusätzlichen Preissteigerungen und höheren Gewinnchancen. So melden sämtliche Hersteller steigende Gewinnmargen und Rekordergebnisse. Dahinter stecken zum Teil lediglich die Verknappung und Unterbrechung des zuvor relativ ungestörten, von politischen Restriktionen freien Welthandels.[13] Mit der Pandemie und dem Krieg hat sich auch hier das Blatt gewendet. Ein weiterer Aspekt dieses irren Wahnsinns: „Produktionsstillstand wegen Materialmangels. Autos sind Mangelware geworden! Nach einer Analyse des Ifo-Instituts hat sich bei deutschen Autoherstellern inklusive Zulieferer ein Rekordwert an unerledigten Aufträgen angehäuft. Die Auftragsreichweite in dieser Schlüsselindustrie ist mit 7,4 Monaten ungewöhnlich groß geworden. Die Hersteller selber, vor allem BMW und Daimler, vermelden für einzelne Modelle Lieferzeiten von bis zu 12 Monaten und mehr. VW nimmt teilweise sogar gar keine Aufträge mehr an. Stark betroffen sind dabei vor allem Elektro-Fahrzeuge.[14]
Der Weltmarkt und die Tiefe der Produktionsketten (die Weltfabrik) haben im Zerfall neue Höhen erklommen. Doch nun entfesselt sich das altbekannte „launische Spiel“ der kapitalistischen Anarchie, welches schon Rosa Luxemburg so treffend herausgearbeitet hatte.[15] Wenn nunmehr Produktions- und Lieferunterbrechungen wie die direkte Schließung von Pipelines wie Northstream 2 mit anschließender Sprengung, die Blockade von Lebensmittellieferungen aus russischen und ukrainischen Häfen, die Spätfolgen der Lockdowns und anschließenden Staus in Häfen weltweit noch mehr Chaos und Anarchie verursachen, steckt die Wurzel all dieses Übels im Kapitalismus. Die Folge: Wegen der weltumspannenden und tiefen sektoralen Verflechtung ihrer globalen Liefer- und Produktionsnetzwerke wird die deutsche Wirtschaft besonders arg in Mitleidenschaft gezogen.
Wir dürfen an dieser Stelle eine neue Geißel nicht vergessen, die nicht zum klassischen Erscheinungsbild der Krise gehört, aber viele Kernländer des Kapitalismus (und nun auch China[16]) betrifft. In der Regel bauten die Unternehmer unter dem Druck der Krise immer weiter Personal ab – so wie es z.B. im Gesundheitswesen, im öffentlichen Dienst, Bildungsbereich und in vielen anderen Branchen seit Jahren gängige Praxis ist. Gleichzeitig sind die Unternehmer jedoch in vielen Branchen und Berufen verzweifelt auf der Suche nach qualifiziertem und selbst wenig oder nicht qualifiziertem Personal. Der Fachkräftemangel übertreffe in manchen Bereichen Hunderttausende. In Deutschland fehlen ca. 100.000 LKW-Fahrer (in Europa ca. 400.000). Allein dieser Faktor fehlendes Personal verursacht immer wieder Produktionsausfälle und oft leere Regale.[17] Trotz der Millionenfachen Arbeitsmigration aus den Osteuropäischen Ländern kämpft Deutschland mit einem wachsenden Arbeitskräftemangel, der auch durch eine offenere Migrationspolitik nicht bekämpft werden konnte. Wie sich dieser in manchen Branchen „leergefegte“ Arbeitsmarkt auf die Lohnentwicklung und Arbeitsbedingungen auswirken wird, ist im Augenblick schwer zu kalkulieren, wird aber als eine weitere Bürde für das Kapital wirken (wir werden in einem zukünftigen Artikel darauf eingehen).
Trotz all dieser Minenfelder, die das deutsche Kapital unausweichlich in Zugzwang bringen werden, hat die Kapitalistenklasse bislang noch nicht zum massiven Angriff auf die Arbeiterklasse geblasen. Während der Pandemie hat man versucht zu beschwichtigen, zu beruhigen, indem z.B. über lange Zeit Kurzarbeitergeld geleistet und viele andere Finanzspritzen gesetzt wurden. Nun zwingen die Folgekosten aus der Gesamtlage mit dem Brandbeschleuniger Ukrainekrieg den Staat immer weiter den Kredithahn aufzudrehen. Große Summen fließen in Entlastungen für viele Haushalte zum Beispiel durch einen Heizkostenzuschuss und einen Sofortzuschlag für Familien mit Kindern. Für alle Steuerzahler steigt der Grundfreibetrag, auf den man keine Einkommensteuer zahlt. Außerdem werden für drei Monate die Energiesteuern auf Sprit gesenkt. Alle einkommensteuerpflichtig Beschäftigten bekommen eine Energiepreispauschale von 300 Euro. Rentner, Studenten, Auszubildende bekommen ebenfalls Zuschüsse von 200 Euro usw. Die jüngsten Tarifabschlüsse im Metallbereich von 5% 2023 und 3,2% 2024 sowie eine Einmalzahlung von 3000 Euro für die gesamte Laufzeit bei einer gegenwärtigen Inflation von 10% zeigen, dass man durch gewisse Zugeständnisse das Schlimmste abfedern will. Unterdessen schreitet aber die Verarmung weiter fort (wir werden in einem späteren Artikel näher darauf eingehen).
Der Blick auf dieses ganze Minenfeld zeigt, dass an mehreren Stellen explosive Sprengkraft für die Wirtschaft vorhanden ist. Keiner dieser Faktoren lässt sich „zurückschrauben“ oder reduzieren. Welche Auswirkungen dies auf die Politik der herrschenden Klasse, ihre Vorgehensweise usw. haben wird sowie welche Konsequenzen sich damit für die Arbeiterklasse ergeben, werden wir in einem weiteren Artikel behandeln.
WT, Ende Dez. 2022
[1]„Nach der Verabschiedung der Agenda 2010 und den damit verbundenen Angriffen gegen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigen galt Deutschland jahrelang als der "Gewinner" der Wirtschaftskrise nach 2008, als ein scheinbar sicherer Hafen in einem instabilen Umfeld. Sowohl innerhalb der EU als auch international insgesamt u.a. dank der Schwächung der globalen Führungsrolle der USA und durch ein geschicktes Taktieren mit China und Russland (die von den USA heftig attackiert werden) konnte Deutschland lange Zeit seine Führungsposition als exportstarke Nation ausbauen.“ https://de.internationalism.org/content/2993/pandemie-deutschland [412], und siehe unsere Berichte 2016 und 2018 https://de.internationalism.org/content/bericht-zur-nationalen-lage-deutschlands-fruehjahr-2018 [413]
https://de.internationalism.org/content/2675/bericht-und-praesentation-u... [414]
[4]Siehe dazu unsere Analyse des letzten Kongresses: https://de.internationalism.org/content/2999/24-internationaler-kongress-der-iks-bericht-ueber-die-pandemie-und-die-entwicklung-des [255] sowie weitere Texte, die zu unserer Analyse der Lage erscheinen.
[6] Siehe dazu unseren englisch-sprachigen Artikel: https://en.internationalism.org/content/17259/world-economy-hit-accelera... [418]
[7] Das Herzstück bildet nach wie vor der mittelständische Maschinenbau, der Automobilsektor und die Elektro-, Mess- und Regeltechnik die jede Massenproduktion benötigt https://die-deutsche-wirtschaft.de/lexikon-der-deutschen-weltmarktfuehrer/ [419]
[8] https://www.gole [420] m.de/news/halbleiter-chipbranche-in-deutschland-erhaelt-milliardenfoerderung-2205-165763.html
[9] Siehe der Streit um das 369 Mrd. Dollar Paket der US Regierung zu Förderung strategischer Sektoren für „saubere Energie“ Inflation Reduction Act https://www.tagesschau.de/ausland/europa/us-subventionen-101.html [421] und https://www.manager-magazin.de/unternehmen/industrie/robert-habeck-wirts... [422]
[10] Rund 68 Prozent der Produktionsorte von Pharma-Wirkstoffen, die für Europa bestimmt sind, liegen im kostengünstigeren Asien, heißt es in einer Studie des Pharmaverbands vfa. Allein China sei für rund 40 Prozent der weltweiten Antibiotikaexporte verantwortlich.
[12] In der Autoindustrie heißt das, dass der Absatz im "Heimatmarkt" Europa lag im April 2022 um 20,6 Prozent unter dem Vorjahresniveau. In Italien betrug das Minus sogar 33 Prozent, in Frankreich waren es 22,6 Prozent und in Deutschland auch 21,5 Prozent, in China, bisher der Wachstumsmotor der Branche, brachen die Verkäufe im April um 43,1 (!) Prozent ein. In den USA waren es noch 19,2 Prozent, in Japan 15,3 Prozent und in Brasilien 16,7 Prozent. Als Folge der Produktionsstörungen (insbesondere wegen fehlender Speicherchips) werden laut "Automobilwoche" im Inland 2022 etwa 700.000 Autos weniger gebaut werden können und damit rund ein Drittel der geplanten Jahresproduktion. Mit Ausnahme von Porsche sind alle Hersteller betroffen, vor allem aber VW. Laut Prognosen von IHS Markit wird allein die Marke VW in diesem Jahr global über eine halbe Million Einheiten verlieren. Bei den Premiummarken BMW und Mercedes-Benz fehlen bis Jahresende 100.000 beziehungsweise 80.000 Fahrzeuge.
[13] Ohne russische Lieferungen von Aluminium, Magnesium, Palladium und Platin für den Bau von Katalysatoren und Elektrobatterien können Autos "made in Germany" nur noch in geringen Stückzahlen gebaut werden. Und ohne Speicherchips aus China und Asien überhaupt keins.
[15] „Wo jedoch die Bourgeoisie zu Hause ist, da herrscht als alleiniges Gesetz über den Wirtschaftsverhältnissen die freie Konkurrenz. Damit ist aber jeglicher Plan, jegliche Organisation aus der Wirtschaft verschwunden. Freilich, blicken wir in einen einzelnen Privatbetrieb, in eine moderne Fabrik oder einen gewaltigen Komplex von Fabriken und Werken, wie bei Krupp, in eine landwirtschaftliche Bonanzafarm in Nordamerika, so finden wir dort die strengste Organisation, die weitgehendste Arbeitsteilung, die raffinierteste, auf wissenschaftlicher Erkenntnis basierte Planmäßigkeit. Dort klappt alles aufs Wunderbarste, von einem Willen, einem Bewußtsein geleitet. Kaum verlassen wir aber die Tore der Fabrik oder der Farm, als uns auch schon das Chaos empfängt. Während die zahllosen Einzelteile - und ein heutiger Privatbetrieb, auch der riesigste, ist nur ein Splitter der großen Wirtschaftsbande, die sich über die ganze Erde erstrecken -, während die Einzelteile aufs strengste organisiert sind, ist das Ganze der sogenannten "Volkswirtschaft", das heißt der kapitalistischen Weltwirtschaft, völlig unorganisiert. In dem Ganzen, das sich über Ozeane und Weltteile schlingt, macht sich kein Plan, kein Bewußtsein, keine Regelung geltend; nur blindes Walten unbekannter, ungebändigter Kräfte treibt mit dem Wirtschaftsschicksal der Menschen sein launisches Spiel. Ein übermächtiger Herrscher regiert freilich auch heute die arbeitende Menschheit: das Kapital. Aber seine Regierungsform ist nicht Despotie, sondern Anarchie.
Und diese eben macht es, daß die gesellschaftliche Wirtschaft Resultate hervorbringt, die den beteiligten Menschen selbst unerwartet und rätselhaft sind, sie macht es, daß die gesellschaftliche Wirtschaft zu einer uns fremden, entäußerten, von uns unabhängigen Erscheinung geworden ist, deren Gesetze wir ebenso ergründen müssen, wie wir die Erscheinungen der äußeren Natur untersuchen, wie wir die Gesetze zu ergründen suchen, die das Leben des Pflanzenreichs und des Tierreichs, die Veränderungen in der Erdrinde und die Bewegungen der Himmelskörper beherrschen. Die wissenschaftliche Erkenntnis muß hinterdrein den Sinn und die Regel der gesellschaftlichen Wirtschaft aufdecken, die der bewußte Plan ihr nicht von vornherein diktiert hat.
Es ist nun klar, weshalb es den bürgerlichen Nationalökonomen unmöglich ist, das Wesen ihrer Wissenschaft klar herauszuheben, den Finger in die Wunde ihrer Gesellschaftsordnung zu legen, sie in ihrer inneren Gebrechlichkeit zu denunzieren. Erkennen und bekennen, daß Anarchie das Lebenselement der Kapitalsherrschaft ist, heißt in gleichem Atem des Todes.“ Einführung in die Nationalökonomie, Rosa Luxemburg, Bd. 5, S. 579
[16] „Die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter zwischen 16 und 59 ging innerhalb der vergangenen fünf Jahre um 20 Millionen Menschen zurück. Bei diesem Tempo wird die erwerbstätige Bevölkerung vom einstigen Höchststand von 925 Millionen im Jahr 2011 bis 2050 auf 700 Millionen Menschen geschrumpft sein. Dann ist jeder dritte Chinese ein Rentner. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt schon jetzt bei stolzen 77 Jahren und das mit einem Pro-Kopf-Einkommen von Bulgarien. Für das ökonomische und soziale Gleichgewicht des Landes bringt das große Herausforderungen: Immer weniger Arbeitskräfte müssen die Altersversorgung der über 60-Jährigen gewährleisten. Das relativ schlecht ausgebaute Gesundheits- und Sozialsystem gerät unter Druck.“ - https://www.dw.com/de/sierens-china-das-schrumpfende-volk/a-48177620 [425], 03.04.2019
Das gegenwärtige imperialistische Blutbad im Nahen Osten ist nur das letzte in einem Jahrhundert fast permanenter Kriege, die den Weltkapitalismus seit 1914 prägen.
Die millionenfachen Massaker an wehrlosen Zivilisten, die Völkermorde, die Zerstörung von Städten, ja ganzer Länder in Schutt und Asche haben nichts anderes gebracht als das Versprechen auf weitere und schlimmere Gräueltaten in der Zukunft.
Die Rechtfertigungen oder "Lösungen", die von den verschiedenen rivalisierenden imperialistischen Mächten, ob groß oder klein, für das gegenwärtige Gemetzel vorgeschlagen werden, sind, wie alle vorherigen, eine gigantische Täuschung, um die ausgebeutete Arbeiterklasse zu beruhigen, zu spalten und auf ein brudermörderisches Gemetzel im Namen einer nationalen Bourgeoisie gegen eine andere vorzubereiten.
Heute regnet eine Flut von Feuer und Stahl auf die Menschen in Israel und Gaza nieder. Auf der einen Seite die Hamas. Auf der anderen Seite die israelische Armee. Dazwischen Arbeiter, die bombardiert, erschossen, hingerichtet und als Geiseln genommen werden. Tausende haben bereits ihr Leben verloren.
Überall auf der Welt fordert die Bourgeoisie uns auf, uns für eine Seite zu entscheiden. Für den palästinensischen Widerstand gegen die israelische Unterdrückung. Oder für die israelische Antwort auf den palästinensischen Terrorismus. Jeder prangert die Barbarei des anderen an, um den Krieg zu rechtfertigen. Der israelische Staat unterdrückt das palästinensische Volk seit Jahrzehnten mit Blockaden, Schikanen, Checkpoints und Demütigungen. Palästinensische Organisationen töten unschuldige Menschen mit Messerattacken und Bombenanschlägen. Jede Seite ruft dazu auf, das Blut der anderen zu vergießen.
Diese tödliche Logik ist die Logik des imperialistischen Krieges! Es sind unsere Ausbeuter und ihre Staaten, die immer einen gnadenlosen Krieg führen, um ihre eigenen Interessen zu verteidigen. Und wir, die Arbeiterklasse, die Ausgebeuteten, sind es, die immer den Preis dafür zahlen, mit unserem Leben.
Für uns Proletarier gibt es keine Seite zu wählen, wir haben kein Vaterland, keine Nation zu verteidigen! Auf beiden Seiten der Grenze sind wir Klassenbrüder! Weder Israel, noch Palästina!
Nur das vereinte internationale Proletariat kann diesen zunehmenden Massakern und den dahinter stehenden imperialistischen Interessen ein Ende setzen. Diese einzigartige, internationalistische Lösung, die von einer Handvoll Kommunisten der Zimmerwalder Linken vorbereitet wurde, wurde im Oktober 1917 bestätigt, als der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse das kapitalistische Regime in Russland stürzte und seine eigene politische Klassenmacht etablierte. Durch sein Beispiel inspirierte der Oktober 1917 eine breitere, internationale revolutionäre Bewegung, die das Ende des Ersten Weltkriegs erzwang.
Die einzige politische Strömung, die die Niederlage dieser revolutionären Welle überlebt und die militante Verteidigung des internationalistischen Prinzips beibehalten hat, ist die Kommunistische Linke. In den dreißiger Jahren bewahrte sie diese grundlegende Linie der Arbeiterklasse während des spanischen Krieges und des chinesisch-japanischen Krieges, während andere politische Strömungen wie die Stalinisten, Trotzkisten oder Anarchisten ihr imperialistisches Lager wählten, das diese Konflikte anzettelte. Die Kommunistische Linke behielt ihren Internationalismus während des Zweiten Weltkriegs bei, während diese anderen Strömungen sich an dem imperialistischen Gemetzel beteiligten, das als Kampf zwischen "Faschismus und Antifaschismus" und/oder Verteidigung der "Sowjetunion" verkleidet wurde.
Heute halten die spärlich organisierten kämpferischen Kräfte der kommunistischen Linken immer noch an dieser internationalistischen Unnachgiebigkeit fest, aber ihre spärlichen Ressourcen werden durch die Zersplitterung in mehrere verschiedene Gruppen und einen gegenseitig feindlichen, sektiererischen Geist noch weiter geschwächt.
Deshalb müssen diese ungleichen Kräfte angesichts des zunehmenden Abstiegs in die imperialistische Barbarei eine gemeinsame Erklärung gegen alle imperialistischen Mächte, gegen die Aufrufe zur nationalen Verteidigung hinter den Ausbeutern, gegen die heuchlerischen Plädoyers für den "Frieden" und für den proletarischen Klassenkampf, der zur kommunistischen Revolution führt, abgeben.
ARBEITER DER WELT, VEREINIGT EUCH!
Internationale Kommunistische Strömung
Internationalist Voice
17.10.2023
Erst vor 20 Monaten, nach der russischen Invasion in der Ukraine, wurde den Gruppen der Kommunistischen Linken von der IKS eine ähnliche gemeinsame Erklärung vorgeschlagen. Die Gruppen, die sie neben der IKS unterschrieben haben - Istituto Onorato Damen, Internationalist Voice, International Communist Perspective (Südkorea) - haben daraufhin zwei Diskussionsbulletins von Gruppen der Kommunistischen Linken herausgegeben, in denen sie ihre jeweiligen Positionen und Differenzen erörtert und gemeinsame öffentliche Treffen abgehalten haben.
Andere Gruppen der Kommunistischen Linken weigerten sich jedoch, den Appell zu unterzeichnen (oder antworteten überhaupt nicht), obwohl sie mit dem internationalistischen Grundsatz des Appells einverstanden waren. In Anbetracht der noch größeren Dringlichkeit, dieses Prinzip heute gemeinsam zu verteidigen, bitten wir diese Gruppen - die unten aufgelistet sind -, diesen Aufruf zu überdenken und zu unterzeichnen.
Ein Argument gegen die Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung zur Ukraine war, dass andere Unterschiede zwischen den Gruppen zu groß seien, um sie zuzulassen. Es ist nicht zu leugnen, dass es diese wichtigen Unterschiede gibt, sei es in Fragen der Analyse, in theoretischen Fragen, in der Konzeption der politischen Partei oder sogar in den Bedingungen für die Mitgliedschaft von Militanten. Aber das dringlichste und grundlegendste Prinzip des proletarischen Internationalismus, die Klassengrenze, die die allgemeinen revolutionären Organisationen unterscheidet, ist weitaus wichtiger. Und eine gemeinsame Erklärung zu dieser Frage bedeutet nicht, dass die anderen Unterschiede vergessen werden. Im Gegenteil, die Diskussionsbulletins zeigen, dass ein Forum für die Debatte darüber möglich und notwendig ist.
Ein weiteres Argument war, dass ein größerer praktischer Einfluss der internationalistischen Perspektive in der Arbeiterklasse, der über einen bloßen Appell an die kommunistische Linke hinausgeht, erforderlich ist. Natürlich wollen alle internationalistischen militanten kommunistischen Organisationen mehr Einfluss in der Arbeiterklasse. Aber wenn internationalistische Organisationen der kommunistischen Linken nicht einmal in der Lage sind, in entscheidenden Momenten des imperialistischen Konflikts praktisch gemeinsam nach ihrem Grundprinzip zu handeln, wie können sie dann erwarten, von breiteren Teilen des Proletariats ernst genommen zu werden?[1]
Der gegenwärtige Konflikt zwischen Israel und Palästina, der gefährlicher und brisanter ist als alle vorherigen, weniger als zwei Jahre nach dem Wiederaufflammen des imperialistischen Krieges in der Ukraine und neben vielen anderen imperialistischen Konflikten, die in letzter Zeit wieder aufgeflammt sind (Serbien/Kosovo, Aserbaidschan/Armenien und die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China wegen Taiwan), bedeutet, dass eine gemeinsame internationalistische Erklärung noch dringlicher ist als zuvor.
Deshalb fordern wir die folgenden Gruppen direkt und öffentlich auf, ihre Bereitschaft zur Mitunterzeichnung der oben abgedruckten Erklärung gegen den imperialistischen Krieg zu zeigen, die dann gegebenenfalls entsprechend ihrer gemeinsamen internationalistischen Zielsetzung geändert oder umformuliert werden kann:
An:
Internationalist Communist Tendency
PCI (Programma Comunista)
PCI (Il Partito Comunista)
PCI (Le Prolétaire, Il Comunista)
Istituto Onorato Damen
Andere Gruppen, die ihren Ursprung nicht in der Kommunistischen Linken haben, aber mit den internationalistischen Positionen übereinstimmen, die in dem Aufruf vertreten werden, können ihre Unterstützung für ihn bekunden und diesen auch verbreiten.
[1] Für mehr Argumente zu dieser vertieften Debatte siehe: Correspondence on the Joint Statement of groups of the Communist Left on the war in Ukraine [427]
"Es ist kein 49.3, der uns in die Knie zwingen wird!"
Angesichts der Ankündigung, dass die Rentenreform sofort verabschiedet werden sollte, war die Reaktion blitzartig. Überall in Frankreich explodierte die Wut. In den Stadtzentren versammelten sich Arbeitnehmer, Rentner, Arbeitslose, junge zukünftige Arbeitnehmer zu Tausenden, um unsere Weigerung herauszuschreien, bis zum Alter von 64 Jahren unter unerträglichen Arbeitsbedingungen ausgebeutet zu werden und am Ende mit einer Armutsrente abgespeist zu werden. "Eruption", "Wut", "Glut" - so lauteten die Schlagworte der ausländischen Presse. Die Bilder der Stunde für Stunde größer werdenden Menschenmenge auf dem Place de la Concorde in Paris gingen um die Welt.
Die Botschaft ist klar:
- Wir werden nicht länger jedes Opfer akzeptieren!
- Wir werden uns nicht mehr unter den Befehlen der Bourgeoisie beugen!
- Wir finden den Weg zurück zum Kampf!
- Wir sind die Arbeiterklasse!
Von Anfang an haben einige Politiker, von Hollande bis Bayrou, Macron vor dem "Timing" der Reform gewarnt: "Es ist nicht der richtige Zeitpunkt", "Es besteht die Gefahr einer sozialen Spaltung". Und sie hatten Recht!
Dieser Angriff löste eine soziale Bewegung aus, deren Ausmaß seit Jahrzehnten nicht mehr bekannt war. Die Streiks häufen sich und vor allem die Demonstrationen bringen uns zu Millionen auf die Straße. Dank dieses Kampfes beginnen wir zu verstehen, wer dieses "Wir" ist! Eine soziale, internationale Kraft, die alles produziert und vereint und solidarisch kämpfen muss: die Arbeiterklasse! "Entweder wir kämpfen gemeinsam, oder wir werden am Ende auf der Straße schlafen!" Das kam letzten Donnerstag bei der Demonstration zur Unterstützung der Müllmänner von Ivry, die von der Polizei vertrieben werden sollten, deutlich zum Ausdruck: Gemeinsam sind wir stärker!
Und diese Solidaritätsreflexe tauchen nicht nur in Frankreich auf. In vielen Ländern häufen sich Streiks und soziale Bewegungen. In Großbritannien angesichts der Inflation, in Spanien angesichts des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems, in Südkorea angesichts der Verlängerung der Arbeitszeit... überall verteidigt sich die Arbeiterklasse durch Kampf.
In Griechenland kam es vor drei Wochen zu einem Zugunglück: 57 Tote. Die Bourgeoisie wollte die Schuld natürlich einem Arbeiter in die Schuhe schieben. Der diensthabende Weichensteller wurde ins Gefängnis geworfen. Doch die Arbeiterklasse durchschaute den Schwindel sofort. Zu Tausenden gingen die Demonstranten auf die Straße, um die wahre Ursache für diesen tödlichen Unfall anzuprangern: Personalmangel und fehlende Mittel. Seitdem ist die Wut nicht abgeklungen. Im Gegenteil, der Kampf wird größer und breiter: Mit Rufen wie "Gegen Niedriglöhne!", "Wir haben die Schnauze voll!". Oder auch: "Wir können seit der Krise nicht mehr wie anständige Menschen arbeiten, aber bringt uns wenigstens nicht um!"
Unsere Bewegung gegen die Rentenreform beteiligt sich an dieser Entwicklung der Kampfkraft und des Denkens unserer Klasse auf globaler Ebene. Unsere Bewegung zeigt, dass wir in der Lage sind, massiv zu kämpfen und die Bourgeoisie zu erschüttern. Schon jetzt sagen alle Experten und Doktoren der Politik voraus, dass es für Macron sehr kompliziert sein wird, bis zum Ende seiner fünfjährigen Amtszeit weitere umfassende Reformen und Angriffe durchzusetzen.
Die Bourgeoisie ist sich dieses Problems bewusst. Sie stellt uns daher Fallen, lenkt uns von den Kampfmethoden ab, die uns zusammenhalten und stark machen, und versucht, uns in Sackgassen zu schicken.
Seit der Ankündigung des 49.3 drängen uns die linken Parteien und Gewerkschaften, das "parlamentarische Leben" angesichts der Manöver und der "Demokratieverweigerung" Macrons zu verteidigen.
Doch Jahrzehnte der "repräsentativen Demokratie" haben eines definitiv bewiesen: Ob rechts oder links, von gemäßigt bis radikal, sobald sie an der Macht sind, führen sie alle die gleichen Angriffe durch und brechen alle ihre Versprechen. Schlimmer noch, der Ruf nach Neuwahlen ist die hinterhältigste aller Fallen. Sie hat keine andere Funktion, als das Proletariat von seiner kollektiven Kraft abzuschneiden. Wahlen degradieren uns zu atomisierten "Bürgern", die der Dampfwalze der bürgerlichen Propaganda gegenüberstehen. Die Wahlkabine trägt ihren Namen zu Recht!
"Das Parlament verteidigen", "auf Wahlen hoffen"... Sie versuchen uns glauben zu machen, dass ein anderer Kapitalismus möglich ist, ein menschlicherer, gerechterer und sogar, warum nicht, ein umweltfreundlicherer Kapitalismus. Es würde genügen, wenn er gut regiert würde. Das ist eine Lüge! Der Kapitalismus ist ein heute dekadentes Ausbeutungssystem, das die gesamte Menschheit nach und nach in immer mehr Elend und Krieg, Zerstörung und Chaos treibt. Das einzige Programm der Bourgeoisie, unabhängig von ihrer politischen Farbe und der Maske, die sie trägt, ist immer mehr Ausbeutung!
Die bürgerliche Demokratie ist die heuchlerische Maske der kapitalistischen Diktatur!
Angesichts der "Taubheit" der Regierung wächst die Vorstellung, dass die einzige Möglichkeit, sich "Gehör zu verschaffen", darin besteht, die Wirtschaft zu blockieren. Es ist das wachsende Verständnis für die zentrale Rolle der Arbeiterklasse in der Gesellschaft: Durch unsere gemeinsame Arbeit produzieren wir allen Reichtum. Der Streik der Müllabfuhr in Paris zeigt dies auf eindrucksvolle Weise: Ohne ihre Tätigkeit wird die Stadt innerhalb weniger Tage unbewohnbar.
Doch die Linke und die Gewerkschaften lenken diese Idee in eine Sackgasse. Sie drängen auf Blockadeaktionen, jeder in seiner Zunft, jeder an seinem Arbeitsplatz. Dadurch werden die Streikenden in ihren Ecken isoliert, von den anderen Arbeitnehmern getrennt und unserer größten Stärke beraubt: der Einheit und Solidarität im Kampf.
In Großbritannien sind die Streikenden seit fast zehn Monaten trotz ihrer Wut und Entschlossenheit machtlos, weil sie in "Streikposten" aufgeteilt sind, von denen jeder in seinem eigenen Betrieb blockiert. Die historische Niederlage der englischen Bergarbeiter im Kampf gegen Thatcher 1984-85 war bereits das Ergebnis derselben Falle: Von den Gewerkschaften angetrieben, hatten sie versucht, die Wirtschaft zu blockieren, indem sie einen Kohlemangel verursachten. Sie hatten über ein Jahr lang durchgehalten und waren erschöpft, zermürbt und demoralisiert aus der Krise hervorgegangen. Ihre Niederlage war die Niederlage der gesamten britischen Arbeiterklasse gewesen!
Ein Teil der Demonstranten beginnt sogar, sich Gedanken darüber zu machen, dass man zu härteren Aktionsformen übergehen sollte: "Ich bin überhaupt nicht gewalttätig, aber hier spürt man, dass man etwas tun muss, damit die Regierung reagiert. Das Beispiel der Gelbwesten wird zunehmend hervorgehoben. Eine gewisse Sympathie für die Plünderungen des Schwarzen Blocks macht sich breit.
Zu glauben, dass der bürgerliche Staat und sein riesiger Unterdrückungsapparat (Polizei, Armee, Geheimdienst usw.) sich von brennenden Mülltonnen und zerbrochenen Schaufenstern auch nur ein bisschen abschrecken lassen könnte, ist eine Illusion. Es handelt sich dabei lediglich um Mückenstiche auf der Haut eines Elefanten. Andererseits werden all diese "hyperradikalen" scheinbaren Aktionen von der Bourgeoisie perfekt ausgenutzt, um ... die kollektive Kraft der Bewegung zu brechen:
- Indem die Medien das kleinste zerbrochene Schaufenster in den Vordergrund stellen, schrecken sie einen ganzen Teil der Arbeiter ab, die sich den Demonstrationen anschließen möchten.
- Indem sie systematisch Zwischenfälle provozieren, vergasen die Ordnungskräfte, zerstreuen und verhindern so jede Möglichkeit, sich am Ende der Demonstration zu versammeln und zu diskutieren.
Die gewalttätige Minderheitsaktion der Schlägertrupps ist in Wirklichkeit genau das Gegenteil dessen, was die Stärke unserer Klasse wirklich ausmacht.
In den letzten Tagen haben die Zeitungen auf die Möglichkeit eines "Szenarios à la CPE" hingewiesen. Im Jahr 2006 war die Regierung gezwungen, ihren Contrat Première Embauche zurückzuziehen, der die Jugend in noch größere Unsicherheit stürzen sollte. Damals war die Bourgeoisie erschrocken über das wachsende Ausmaß der Proteste, die begannen, über die Jugendbewegung, die prekären Studenten und die jungen Arbeiter hinauszugehen und sich mit einheitlichen und solidarischen Parolen auf andere Bereiche auszudehnen: "Junge Speckwürfel, alte Croûtons, alle denselben Salat" war auf den Schildern zu lesen.
Diese Fähigkeit, die Bewegung auszuweiten, war das Ergebnis von Debatten in echten, souveränen und für alle offenen Generalversammlungen. Diese AGs waren die Lunge der Bewegung und versuchten ständig, sich nicht im Geist einer belagerten Zitadelle in den Unis oder an den Arbeitsplätzen einzuschließen, um sie um jeden Preis zu blockieren, sondern den Kampf auszuweiten, mit massiven Delegationen in benachbarte Betriebe. Das ist es, was die Bourgeoisie zurückgeworfen hat! Das ist es, was die Stärke unserer Bewegung ausgemacht hat! Das sind die Lektionen, die wir uns heute wieder aneignen müssen!
Die Stärke unserer Klasse liegt in unserer Einheit, unserem Klassenbewusstsein, unserer Fähigkeit, unsere Solidarität zu entwickeln und damit die Bewegung auf alle Sektoren auszuweiten. Das ist der Stachel, der unsere Kämpfe leiten muss.
Im Kampf können wir uns nur auf uns selbst verlassen! Weder auf die Politiker noch auf die Gewerkschaften! Es ist die Arbeiterklasse und ihr Kampf, die eine Alternative tragen, die des Sturzes des Kapitalismus, die der Revolution!
Heute ist es immer noch schwierig, uns zu Generalversammlungen zu versammeln und uns selbst zu organisieren. Dies ist jedoch der einzig mögliche Weg. Diese AGs müssen Orte sein, an denen wir wirklich über die Führung der Bewegung entscheiden, an denen wir uns vereint fühlen und auf unsere kollektive Stärke vertrauen, an denen wir gemeinsam immer stärker vereinende Forderungen verabschieden und in Massendelegationen aufbrechen können, um unsere Klassenbrüder und -schwestern in den nächstgelegenen Fabriken, Krankenhäusern, Schulen, Geschäften und Behörden zu treffen.
Heute oder morgen werden die Kämpfe weitergehen, weil der Kapitalismus immer tiefer in die Krise rutscht und weil das Proletariat keine andere Wahl hat. Aus diesem Grund treten die Arbeiter überall auf der Welt in den Kampf ein.
Die Bourgeoisie wird ihre Angriffe fortsetzen: Inflation, Entlassungen, Unsicherheit, Knappheit... Angesichts dieser Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen wird die internationale Arbeiterklasse immer massiver wieder den Weg des Kampfes einschlagen.
Wo immer wir können, auf der Straße, nach und vor Demonstrationen, an Streikposten, in Cafés und an Arbeitsplätzen, müssen wir uns also versammeln, debattieren und aus den vergangenen Kämpfen lernen, um unsere aktuellen Kämpfe weiterzuentwickeln und die kommenden Kämpfe vorzubereiten.
Die Zukunft gehört dem Klassenkampf!
Internationale Kommunistische Strömung, 20. März 2023
Jacques Camatte ist zweifellos einer der Gründerväter der sogenannten "Kommunisierungs"-Strömung. Bei der Entwicklung einer marxistischen Kritik an den tiefgreifenden Irrtümern dieser Strömung halten wir es für nützlich, Camattes politische Wanderung vom orthodoxen Bordigismus zur völligen Ablehnung der "Theorie des Proletariats" und einer Theoretisierung der Flucht aus dem Klassenkampf darzulegen. Unserer Meinung nach sind zwar nur wenige der "Kommunisierungs"-Strömung Camatte bis zu seinen endgültigen Schlussfolgerungen gefolgt, doch zeigt sein Weg in vielerlei Hinsicht die wahre Dynamik dieser Strömung auf.
Unser Ziel ist es hier nicht, Camattes Biografie zu schreiben, sondern seinen Weg im Lichte einiger seiner wichtigsten theoretischen Produkte zu untersuchen.
Laut Wikipedia war Camatte im Alter von 18 Jahren bereits 1953 Mitglied der Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken[1] – also kurz nach der Spaltung des Partito Comunista Internazionalista (PCInt) in Italien zwischen der Tendenz um Damen und der Tendenz um Bordiga. Die Französische Fraktion wurde später in die französische Sektion der bordigistischen Internationalen Kommunistischen Partei (IKP) umgewandelt, die Programme Communiste und Le Prolétaire herausgab. Camatte spielte eine immer wichtigere Rolle in der theoretischen Arbeit dieser Organisation und entwickelte eine enge Zusammenarbeit mit Bordiga. Anfang der 60er Jahre war er jedoch unzufrieden mit der Richtung, die die Organisation einschlug – eine aktivistische, gewerkschaftliche Praxis, die sich auf die Produktion von "Arbeiterzeitungen" konzentrierte. Camatte vertrat die Ansicht, dass die Aufgaben der PCI vor allem theoretischer Natur seien, da die Zeit weiterhin im Wesentlichen von der Konterrevolution beherrscht wurde: die Anprangerung aller Formen des Revisionismus und die Wiederherstellung des kommunistischen Programms. 1966 trennte sich Camatte von der IKP und gründete die Zeitschrift Invariance, deren Grundsatzerklärung auf der Innenseite der ersten Ausgabe eine klare Kontinuität mit der bordigistischen Tradition aufweist[2]:
„Invarianz der Theorie des Proletariats:
- Verteidigt im Bund der Kommunisten (Kommunistisches Manifest 1848), in der IAA (Arbeit des von Marx geleiteten Generalrats in London), zur Zeit der Kommune, in der II. Internationale, gegen die Entartung und das Scheitern der Letzteren (Die sozialistische Linke in Deutschland, die Bolschewiki, die sozialistische Linke in Italien - die abstentionistische Fraktion);
- die 1917 in Russland und international triumphierte: Moskau 1919, Gründung der III. Internationale; Livorno 1921: der Bruch mit der Demokratie;
- verteidigt von der Kommunistischen Linken gegen die Degeneration Moskaus und gegen die Heilige Union des Widerstands gegen den Faschismus;
- die wiederhergestellt werden muss, wie auch die Kommunistische Partei – Organ der proletarischen Klasse – außerhalb jeglichen Demokratismus, Karrierismus, Individualismus, gegen den Immediatismus und jeden revisionistischen Zweifel an der Doktrin;
- das Ziel der Invarianz ist die Wiedererrichtung der Kommunistischen Partei".
Invariance Nr. 6, die im April 1969 unter dem Titel La Revolution Communiste, Theses de Travail (Die kommunistische Revolution, Arbeitsthesen) veröffentlicht wurde, ist ein umfangreiches Werk, das mehr als 150 DIN-A4-Seiten umfasst und einen Überblick über die wichtigsten politischen Schlussfolgerungen und Orientierungen der Zeitschrift zu diesem Zeitpunkt bietet. Diese sind vor allem deshalb interessant, weil sie dazu neigen, einige der heiligen Wahrheiten des Bordigismus zu verwerfen.
Invariance Nr. 6 ist in mehrere Kapitel unterteilt, die sich mit der Geschichte der proletarischen Bewegung von ihren Anfängen bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg befassen, einschließlich des Charakters des stalinistischen Russlands, der Kolonialfrage, der Wirtschaftskrise und der Entwicklung des Kapitalismus.
Das erste Kapitel "Kurze Geschichte der Bewegung der proletarischen Klasse im euro-amerikanischen Raum von ihren Anfängen bis zu unseren Tagen" bestätigt, dass der Ausgangspunkt von Invariance immer noch die marxistische Tradition und die Theorie des Proletariats war, die durch die revolutionäre Welle, die auf den Ersten Weltkrieg folgte, bestätigt wurde. Zumindest an diesem Punkt scheint Camatte der Idee verpflichtet zu sein, dass die künftige kommunistische Revolution allein die Aufgabe des Proletariats ist. Im ersten Kapitel wird auch eine ziemlich kohärente Analyse der Abfolge der verschiedenen Phasen von Aufschwung und Konterrevolution in der Geschichte des Proletariats entwickelt, insbesondere der Niederlage der revolutionären Welle und des Kampfes der Kommunistischen Linken gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationale. Aber im Gegensatz zu den "traditionelleren" Bordigisten schließt der Text von der Kommunistischen Linken Strömungen wie die KAPD nicht aus, deren Thesen zur Partei zusammen mit dem Manifest der Miasnikow-Gruppe in Russland in späteren Ausgaben von Invariance veröffentlicht werden sollten: "Ein grundlegendes Element für die Wiedererlangung der Totalität der Doktrin liefert der Beitrag der Kommunistischen Linken Italiens. Es könnten jedoch auch viele parallele Elemente notwendig sein: Tribunisten, KAPD, verschiedene Bewegungen, die sich auf die Räte berufen, Lukacs ... die Arbeit der Vereinigung impliziert die Ablehnung von Anathemata". (These 1.5.20, S. 37)
Gleichzeitig wird in dem Text die Kritik an der aktivistischen und opportunistischen Ausrichtung der offiziellen Bordigisten dargelegt: "1962 glaubte die IKP, dass es möglich sei – nach der 1960 begonnenen und im Laufe des Jahres verstärkten Agitation – ein Gewerkschaftsorgan zu schaffen: Spartaco …, aber wenn man anfängt, keinen materialistischen, nicht voluntaristischen Ansatz mehr zu haben, ist der Fehler unvermeidlich. Das Erscheinen dieses Blattes war die erste theoretische Niederlage, denn es bedeutete die Aufgabe der Forderung, die unmittelbare Aktion (gewerkschaftlich oder anders, je nach Organisation: Fabrikkomitees, Betriebsräte usw.) und den vermittelnden, "politischen" Kampf in einer unauflöslichen Einheit zu verbinden. All das, weil man mit diesem Blatt hoffte, durchlässiger für die Klasse zu sein ... 1963 ließ die Bewegung ihre ursprünglichen Positionen hinter sich und stellte sich auf eine Stufe mit der trotzkistischen Bewegung, mit der sie in Konkurrenz trat. All dies zeigte auch die Unzulänglichkeit der These der Linken über die Gewerkschaften, da sie deren Entwicklung, ihre Integration in den Staat und das Verhalten der Arbeiter ihnen gegenüber nicht mehr genau definierte: Desertion." (1.5.10, S. 33)
Es ist auch festzustellen, dass sich die Auffassung von Invariance über die Bedingungen für die Parteibildung allmählich der Position von Bilan in den 30er Jahren und der GCF in den 40er Jahren annähert, und damit der Erkenntnis, dass die "formale" bordigistische Partei eigentlich gar keine Partei war: "Die Partei kann nur durch das Zusammentreffen zweier Bewegungen wiedererschaffen werden: der Rückkehr zur Totalität der Theorie des Proletariats und der Bewegung zur Vereinigung der Klasse ... ihre formale Existenz ist heute eine Peinlichkeit, und sei es nur, weil sie am Ende einer bestimmten Periode und als Ergebnis des vorherrschenden politischen Nebels dazu neigt, sich für einen deus ex machina zu halten und zu glauben, dass alles über sie laufen muss, dass sie alles gerade dann führen muss, wenn sie von der wirklichen Bewegung am wenigsten anerkannt wird" (Invariance 6, 1.5.18-19, S. 36-37).
Dies ist zweifellos eine Anspielung auf die lächerliche Intervention der IKP in der Bewegung vom Mai 1968, wo die Bordigisten, obwohl sie dazu neigten, die gesamte Bewegung als kleinbürgerlich abzulehnen, nichts anderes anbieten konnten als einen Aufruf an die Massen, sich hinter dem Banner der Partei zu sammeln. Im Gegensatz dazu zeigen mehrere Passagen in den Thesen, dass die frühe Invariance den Mai 68 als einen echten Bruch mit der Konterrevolution ansah.
Ein weiteres positives Element der Thesen ist die Anerkennung (die sie eindeutig mit Bordiga[3] teilte) der wachsenden Tendenz des Kapitals zur Zerstörung der Natur:
"Die Vorhersagen von Marx (über die Erschöpfung des Bodens durch die kapitalistische Landwirtschaft) werden heute täglich bestätigt. Die Entwicklung des Kapitals stellt sich als eine gewaltige Naturkatastrophe dar: Erschöpfung des Bodens, Zerstörung von Flora und Fauna. Das Kapital ist die Verdinglichung des Menschen und die Mineralisierung der Natur" (a.a.O. 4.3.3, S. 111)
Gleichzeitig gelingt es den Thesen nicht, über einige der wichtigsten theoretischen Schwächen der bordigistischen Tradition hinauszugehen:
- In der Vorstellung vom Marxismus als einer invarianten Theorie, als einer "Doktrin", die nur wiederhergestellt werden müsse.[4] Es ist sicherlich richtig, dass sich bestimmte Prinzipien der Arbeiterbewegung - wie die Notwendigkeit des Internationalismus und der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie – im Laufe der Geschichte der Bewegung nicht ändern. Aber sie müssen dennoch entsprechend den spezifischen historischen Bedingungen angewandt werden, was zum Beispiel bedeutet, dass die Marxisten in der Periode der Herausbildung des Kapitals als Weltsystem bestimmte nationale Kämpfe unterstützen konnten. Dies wurde jedoch unmöglich, als das System in seine Epoche des Niedergangs eintrat. Die Vorstellung eines unveränderlichen Programms, das nichts mit der historischen Erfahrung der Arbeiterklasse zu tun hat, entspringt einem idealistischen, ja religiösen Ausgangspunkt.
- In der Unterscheidung zwischen der formalen und der historischen Partei, einer Idee, die als Mittel zur Rechtfertigung des Fehlers der Gründung des PCInt in den Jahren 1943-5 und zur Ablehnung des Konzepts der Fraktion, wie es von der Italienischen Linken in der Zwischenkriegszeit entwickelt wurde, entstanden ist. Es stimmt, wie wir festgestellt haben, dass es in Invariance 6 eine gewisse Bewegung in Richtung eines materialistischen Verständnisses gab, dass die Partei nicht zu jedem Zeitpunkt im Leben der Klasse gebildet werden kann; was ihr aber nicht gelingt, ist, sich mit dem Beitrag von Bilan über die Beziehung zwischen Fraktion und Partei auseinanderzusetzen. Somit bleibt die partielle Kritik am bordigistischen Idealismus in dieser Frage in der Luft hängen.
- In der Ablehnung der Theorie des Kapitalismus seit 1914 als global dekadentes System und damit der Verteidigung der Vorstellung von der Oktoberrevolution als Doppelrevolution: Da der proletarische Aufstand vom Oktober nicht in der Lage war, sich international auszudehnen, mutierte das bolschewistische Russland nach Ansicht der Thesen zu einer Art bürgerlicher Revolution. Diese Ansicht stand in grundlegendem Widerspruch zur Position der Italienischen Fraktion, die darauf bestand, dass eine proletarische Revolution möglich wird, weil das kapitalistische System als Ganzes und nicht Region für Region in seine dekadente Phase eintritt[5], was jede Möglichkeit fortschrittlicher bürgerlicher Revolutionen ausschließt.
- Da in den Thesen argumentiert wird, dass es immer noch Gegenden auf der Welt gebe, in denen der Kapitalismus noch in den Kinderschuhen stecke, haben wir die Vorstellung, dass "koloniale Revolutionen" nicht nur immer noch möglich waren, sondern dass sie in Ländern wie Vietnam und Kuba tatsächlich stattfanden ... Die Thesen sprechen vom "unbestreitbaren Verdienst" der Theorien von Castro, Fanon, Césaire ("am Anfang" zumindest ...) und kommen zu dem Schluss, dass "der Einfluss, der aus den kolonialen Revolutionen hervorgegangenen Ideologien im Westen sowie die Rückkehr zu überholten Positionen der Arbeiterbewegung (ein gewisser Messianismus in Afrika, Lateinamerika und den USA zum Beispiel) immer noch Ausdruck einer sozialen Erneuerung sind. Diese ergibt sich aus dem Verschwinden der proletarischen Revolution von 1917-23. Das Proletariat hat schließlich im Weltmaßstab eine bürgerliche Revolution durchgeführt oder unterstützt" (a.a.O. 4.6.12, S. 132).
In ähnlicher Weise "hat die maoistische Ideologie in China insofern einen revolutionären Charakter, als sie sich als Ersatz für die alte chinesische Zivilisation darstellt (sie zerstört den alten, um den Ahnenkult herum errichteten Überbau)" (a.a.O. 3.4.11, S. 87).
Diese falschen und gefährlichen Positionen, die den interimperialistischen Charakter der gewaltsamen Kämpfe um die ehemaligen Kolonialgebiete völlig unterschätzten, sollten ihre verhängnisvollen Quittungen in der offenen Unterstützung der arabischen Staaten in den imperialistischen Kriegen im Nahen Osten durch die algerische Gruppe der IKP und der daraus resultierenden Explosion der Organisation erhalten.
Andererseits liegt das vielleicht wichtigste Element gegen Ende der Thesen weniger in der Unfähigkeit, das bordigistische Dogma zu kritisieren, als vielmehr in der Tendenz, bestimmten modernistischen Ideen, die sich in der Folgezeit sehr schnell entwickeln sollten, die Tür zu öffnen. So sehen wir in der These 4.6.1 den Beginn einer neuen "Periodisierung" des Kapitals, in der der Krieg von 1914 nicht den endgültigen Beginn der dekadenten Epoche des Kapitals markiert, wie die Kommunistische Internationale proklamierte, sondern den Übergang von der "formellen" zur "reellen Subsumtion" des Kapitals, und von dort aus war es für Camatte nur ein kurzer Schritt zu behaupten, dass das Kapital völlig autonom geworden sei und eine totale Herrschaft über die Menschheit erlangt habe, so dass die gesamte Menschheit und nicht nur die Arbeiterklasse zum Subjekt der Revolution werden müsse. Dieser Schritt war noch nicht vollzogen: "Die gesamte Menschheit hat die Tendenz, sich dem Kapital zu widersetzen, sich gegen es aufzulehnen. Aber welche ist die Klasse, die ein Maximum an revolutionärer Kohärenz haben kann, die ein radikales Programm für die Zerstörung des Kapitals haben kann und gleichzeitig die zukünftige Gesellschaft, den Kommunismus, beschreiben kann? Es ist das Proletariat ... Die Arbeiterklasse wird, indem sie sich als Klasse und damit als Partei konstituiert, zum historischen Subjekt ... Der Mensch ist die Negation des Kapitals, aber seine aktive, positive Negation ist das Proletariat" (These 4.7.20, S. 139).
Invariance Nummer 8, die den Zeitraum Juli bis Dezember 1969 abdeckt, trägt den Titel "Übergang". Die vorangegangene Ausgabe hatte die "Theses de Travail" fortgesetzt und bestand aus einer ganzen Reihe von "unterstützenden Texten" der Kommunistischen Parteien Italiens und der USA, der KAPD, Beiträgen von Pannekoek, Gorter, Lukacs, Pankhurst. In Nummer 8 finden wir die Thesen der KAPD über die Partei und die Interventionen der KAPD während der Debatte über die Gewerkschaften auf dem Dritten Kongress der Kommunistischen Internationale; einen Text von Jehan aus dem Jahr 1937 über den Krieg in Spanien, der die Position der Italienischen Fraktion verteidigt; und zwei Nachdrucke aus Programma Comunista – "Relativität und Determinismus, zum Tod von Albert Einstein", Nr. 9 1955; und "Programme du communisme integral et theorie marxiste de la connaissance", vom Mailänder Treffen der IKP im Juni 1962.
Auf einer Ebene setzte Invariance Nr. 8 also die offenere Haltung gegenüber den verschiedenen Strömungen der kommunistischen Linken fort, die wir bereits in Nummer 6 gesehen haben. Die eigentliche Bedeutung der Ausgabe liegt jedoch in zwei kurzen Artikeln zu Beginn der Ausgabe: ein Leitartikel mit dem Titel "Übergang" und ein zweiter Artikel mit dem Titel "Kapitalismus und die Entwicklung der Bandenkriminalität".
Der erste Artikel beginnt wie folgt:
"Der Ausgangspunkt für die Kritik der bestehenden Gesellschaft des Kapitals muss die Neuformulierung der Begriffe 'formelle' und 'reelle Subsumtion' als historische Phasen der kapitalistischen Entwicklung sein. Alle anderen Periodisierungen des Prozesses der Autonomisierung des Werts, wie Konkurrenz-, Monopol-, Staatsmonopol-, bürokratischer usw. Kapitalismus, verlassen das Feld der Theorie des Proletariats, d.h. der Kritik der politischen Ökonomie, um mit dem Vokabular der Praxis der Sozialdemokratie oder der "leninistischen" Ideologie, kodifiziert durch den Stalinismus, zu beginnen.
All diese Phraseologie, mit der man vorgibt, "neue" Phänomene zu erklären, mystifiziert in Wirklichkeit nur den Übergang des Werts zu seiner völligen Autonomie, d.h. die Objektivierung der abstrakten Größe im Prozess in der konkreten Gemeinschaft.
Das Kapital als gesellschaftliche Produktionsweise vollendet seine reelle Subsumtion, wenn es ihm gelingt, alle vorher bestehenden sozialen und natürlichen Voraussetzungen durch seine eigenen besonderen "Organisationsformen" zu ersetzen, die die Unterwerfung des gesamten physischen und sozialen Lebens unter seine wirklichen Verwertungsbedürfnisse vermitteln. Das Wesen der "Gemeinschaft" [im Original deutsch geschrieben] des Kapitals ist die Organisation.
Die Politik als Instrument zur Vermittlung zwischen Despotie und Kapital verschwindet in der Phase der reellen Subsumtion des Kapitals. Nachdem sie in der Periode der formellen Subsumtion voll zum Einsatz gekommen ist, kann sie entsorgt werden, wenn das Kapital als totales Wesen das Leben und die Erfahrung seiner Untergebenen rigide zu organisieren beginnt. Der Staat als starrer und autoritärer Verwalter der Ausdehnung der äquivalenten Formen im gesellschaftlichen Verhältnis ("Urtext" [deutsch]) wird zu einem elastischen Instrument in der Unternehmenssphäre. Folglich sind der Staat oder direkt die "Politik" weniger denn je das Subjekt der Wirtschaft und der "Bosse" des Kapitals. Heute findet das Kapital mehr denn je seine eigene reale Stärke in der Trägheit des Prozesses, der seine spezifischen Verwertungsbedürfnisse als menschliche Bedürfnisse im Allgemeinen produziert und reproduziert".
Wir haben bereits festgestellt, dass die Ausgabe 6 einige der Prämissen der modernistischen Sichtweise enthielt, die mit der Theorie des Übergangs von formeller zu reeller Subsumtion verbunden sind. Aber hier wird der "Übergang" endgültig.
Wie wir an anderer Stelle[6] festgestellt haben, ist Marx' Konzept des Übergangs von formeller zu reeller Subsumtion weithin falsch interpretiert worden, insbesondere in modernistischen Kreisen. In einem Kapitel von Das Kapital, das bis in die 1930er Jahre unveröffentlicht blieb und erst in den späten 1960er Jahren in größerem Umfang übersetzt und veröffentlicht wurde, "Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses", beschrieb Marx damit die Entwicklung des Kapitals von einer Phase, in der seine Herrschaft über die Arbeit in dem Sinne formell blieb, dass sie noch durch vorkapitalistische, insbesondere handwerkliche Produktionsmethoden geprägt war; das Kapital hatte den einzelnen Produzenten seiner Unabhängigkeit beraubt, indem es ihn zu Lohnarbeitern degradierte, aber die eigentliche Produktionsmethode blieb halbindividuell und umfasste weiterhin viele Stufen der Herstellung des Gesamtprodukts, selbst wenn die Produzenten in "Produktionszentren" zusammengefasst waren.
Das voll entwickelte Fabriksystem, das sich auf eine hochentwickelte Maschinerie stützt, reduziert die Tätigkeit der Arbeiter auf eine Reihe von fragmentierten Gesten, d. h. auf die Unterordnung unter das Fließband, wobei alle diese handwerklichen Spuren mehr und mehr verschwinden; diese Entwicklung entspricht auch dem Übergang von der Gewinnung des absoluten Mehrwerts (bei der die Ausbeutungsrate in hohem Maße von der Verlängerung des Arbeitstages abhängt) zur Gewinnung des relativen Mehrwerts, der einen kürzeren Arbeitstag, aber auch eine effizientere Ausbeutung der produktiven Arbeit ermöglicht: "Die reale Subsumtion der Arbeit unter das Kapital wird entwickelt in allen Formen, die den relativen Mehrwert im Unterschied vom absoluten entwickeln".[7]
Für eine Reihe von Gruppen, von denen einige aus dem Bordigismus hervorgingen oder auf einen vollwertigen Modernismus zusteuerten, wie z. B. die Gruppe Internationalistische Perspektive, war dieser Übergang mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem "alten" Übergang vom aufsteigenden zum dekadenten Kapitalismus und bot eine alternative Sichtweise auf die wichtigsten Phänomene der dekadenten Periode, wie z. B. den Staatskapitalismus, wobei einige – wie Camatte in den Theses de Travail (Arbeitsthesen) – den entscheidenden Moment sogar im Jahr 1914 sahen. Aber wie wir bereits ausführten, sprach Marx sehr deutlich von einem Prozess, der sich bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entfaltete und – wie Rosa Luxemburg 1913 betonte, gehörten weite Teile der Erde damals im Wesentlichen noch zur vorkapitalistischen Welt, auch wenn der Imperialismus die alten Formen mehr und mehr zerstörte und den Kolonien seine politische Herrschaft aufzwang – insofern war der Übergang zu den modernen Formen der kapitalistischen Ausbeutung ein Prozess, der das ganze 20. Jahrhundert hindurch andauerte und der immer noch nicht abgeschlossen ist. Als Mittel zum Verständnis, dass der Kapitalismus in seine "Epoche der sozialen Revolution" eingetreten ist, war dieser Begriff nicht geeignet, außer insofern, als ein gewisses Niveau der globalen kapitalistischen Entwicklung offensichtlich erfordert war, damit die Weltrevolution möglich und notwendig wurde. Doch während die Verwendung des Begriffs durch Marx zwar eine wichtige, aber doch untergeordnete Bedeutung hatte, wurde dieser Begriff für Camatte zum "Ausgangspunkt" für eine vollständige Umwälzung des Marxismus. Ihm zufolge stand er für die Ankündigung einer Welt, in der das Kapital autonom geworden, ja zur "materiellen Gemeinschaft" geworden sei und die totale Herrschaft über die Menschheit und das Proletariat erlangt habe, was das Ende des "Mythos des Proletariats" als revolutionäres Subjekt bedeutet.
Auf einige dieser Ideen werden wir in einem zweiten Teil des Artikels zurückkommen. Nicht weniger bedeutsam ist aber der kurze Beitrag über die Entwicklung des "Bandenwesens" (Gang-Racket), der die theoretische Grundlage für die Aufgabe jeder Form von proletarischer politischer Organisation und damit für Camattes individuelle Flucht vor dem politischen Engagement innerhalb der Arbeiterklasse liefert:
"Mit der Konstituierung des Kapitals als materielles Wesen und damit als soziale Gemeinschaft kommt es zum Verschwinden des Kapitalismus in seiner traditionellen persönlichen Form, zum relativen und manchmal absoluten Schwund der Proletarier und zum Wachstum der neuen Mittelschichten. Jede menschliche Gemeinschaft, wie klein sie auch sein mag, ist durch die Seinsweise der materiellen Gemeinschaft bedingt. Diese Seinsweise ergibt sich aus der Tatsache, dass das Kapital sich nur dann verwerten und somit existieren, sein Wesen entwickeln kann, wenn ein Teil von ihm, während es sich autonomisiert, dem gesellschaftlichen Ganzen gegenübersteht, sich in Bezug auf das vergesellschaftete Gesamtäquivalent, das Kapital, definiert. Es braucht diese Konfrontation (Konkurrenz, Nachahmung), weil es nur durch Differenzierung existiert. Auf dieser Grundlage bildet sich ein soziales Gewebe, das auf dem Wettbewerb zwischen rivalisierenden "Organisationen" (Rackets) beruht.
Die verschiedenen Gruppierungen sind so Banden, die sich gegenseitig konfrontieren, wobei sie die Vergottung des Proletariats als ihr allgemeines Äquivalent haben.“
Die Absicht, die im Leitartikel mit der Überschrift "Übergang" verfolgt wird, ist offensichtlich: Die Aufgabe der Zeitschrift Invariance "besteht also nicht darin, das Organ einer formellen oder informellen Gruppe zu sein, sondern gegen alle falschen 'Theorien' zu kämpfen, die in vergangenen Epochen produziert wurden, und gleichzeitig in die kommunistische Zukunft zu weisen".
Eine Zeitschrift, die nicht das Produkt einer formellen oder wenigstens informellen Gruppe ist, kann nur das Eigentum eines brillanten Individuums sein, das irgendwie dem Schicksal entgangen ist, das das Kapital unerbittlich allen Bemühungen auferlegt, sich zum Kampf gegen die kapitalistische Herrschaft zusammenzuschließen. Camatte setzte diese Argumentation in einem Brief vom 04.09.1969 fort, in dem er die "theoretischen" Grundlagen des Begriffs der Organisation als Gang weiter ausarbeitete, der später als Broschüre "Über die Organisation" in mehreren Sprachen veröffentlicht wurde. In der Einleitung zu diesem Text von 1972 wird behauptet, dass diese Position nicht als "Rückkehr zu einem mehr oder weniger Stirnerschen Individualismus" interpretiert werden sollte, und er scheint die Möglichkeit einer zukünftigen "Vereinigung" der revolutionären Kräfte in Aussicht zu stellen. Unseres Erachtens kann jedoch alles in diesem Text sowie der gesamte weitere politische Werdegang von Camatte nur diese Rückkehr zur Logik des "Egoismus" von Sankt Max bestätigen, den Marx in der Deutschen Ideologie so scharf angegriffen hatte.
Die theoretische Rechtfertigung für diesen Rückfall findet sich wiederum in Camattes Verwendung des Begriffs der „reellen Subsumtion unter das Kapital“, der dazu tendiert, das kapitalistische Gesellschaftsverhältnis zu entpersönlichen und die Herrschaft des einzelnen Kapitalisten durch die anonyme, kollektive Organisation des Kapitals zu ersetzen, entweder durch riesige "private" Unternehmen oder durch das größte aller Unternehmen, den Staat. Und in der Tat hatte Marx bereits festgestellt, dass der Kapitalist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dazu tendiert, ein bloßer Funktionär des Kapitals zu werden. Camatte zitiert auch Bordigas Studie Die wirtschaftliche und soziale Struktur im heutigen Russland, in der es heißt: "Die Organisation ist nicht nur der moderne entpersönlichte Kapitalist, sondern auch der Kapitalist ohne Kapital, weil er keines braucht". All dies ist richtig und ergibt sich aus dem grundlegenden marxistischen Grundsatz, dass das Kapital von Natur aus ein unpersönliches soziales Verhältnis ist – und aus der von der Kommunistischen Linken am deutlichsten entwickelten Erkenntnis, dass die Organisation des Kapitalismus durch den Staat zunehmend Teil der Überlebensweise des Systems in seiner historischen Krisenepoche geworden ist (die Camatte, wie wir gesehen haben, mit der Periode der "reellen Subsumtion" gleichzusetzen pflegt). Aber von hier aus macht Camatte einen theoretischen Sprung, den weder Marx noch Bordiga jemals gebilligt hätten.
"Mit dem Übergang zur reellen Subsumtion schuf das Kapital sein eigenes allgemeines Äquivalent, das nicht mehr so starr sein konnte, wie es in der Periode der einfachen Zirkulation gewesen war. Der Staat selbst musste seine Starrheit verlieren und zu einer Bande werden, die zwischen den verschiedenen Banden und zwischen dem Gesamtkapital und den Einzelkapitalen vermittelt".
Von dieser – in einigen Aspekten akzeptablen – Beschreibung der Entwicklung des Staatskapitalismus springen wir zur "politischen Sphäre". Und zwar nicht nur zur politischen Sphäre der herrschenden Klasse, sondern zu den politischen Organisationen des Proletariats:
"Wir können die gleiche Art von Transformation in der politischen Sphäre sehen. Das Zentralkomitee einer Partei oder das Zentrum jeder Art von Gruppierung spielt die gleiche Rolle wie der Staat. Der demokratische Zentralismus ahmt lediglich die parlamentarische Form nach, die für die formelle Subsumtion charakteristisch ist. Und der organische Zentralismus, der lediglich in negativer Weise als Ablehnung der Demokratie und ihrer Form (Unterwerfung der Minderheit unter die Mehrheit, Abstimmungen, Kongresse usw.) bekräftigt wird, bleibt in Wirklichkeit nur in den moderneren Formen gefangen. Dies führt zu einer Mystifizierung der Organisation (wie beim Faschismus). So hat sich die Internationale Kommunistische Partei zu einer Bande entwickelt".
Der Trick besteht hier darin, den Klassenkampf aus der Gleichung zu entfernen. Es wird kein Unterschied mehr gemacht zwischen der politischen Sphäre der Bourgeoisie und der des Proletariats, das aufhört, den vorherrschenden Merkmalen der bestehenden Ordnung eine Gegenkraft zu bieten.
Es ist sicherlich richtig, wie Marx und Rosa Luxemburg betonten, dass das Kapital das Bedürfnis hat, jeden Winkel des Planeten und jeden Bereich menschlicher Tätigkeit zu durchdringen. Seine ideologischen und moralischen Weltanschauungen neigen dazu, gänzlich alles zu vergiften, nicht zuletzt die Bemühungen der Arbeiterklasse, sich zu verbinden, zu organisieren, Widerstand zu leisten, ihr eigenes theoretisches Verständnis der sozialen Wirklichkeit zu entwickeln. Deshalb ist jede Form der proletarischen Organisation der Gefahr der Anpassung an die kapitalistische Ordnung, der Tendenz zum Opportunismus und zur Degeneration ausgesetzt. Wenn aber eine andere Gesellschaftsform möglich bleibt, wenn der Kommunismus die einzige menschliche Zukunft darstellt, dann eben deshalb, weil das Proletariat, die Arbeiterklasse, tatsächlich ein Gegenmittel gegen das Gift des Kapitals darstellt. Seine Organisationen kein passives Spiegelbild der herrschenden Ideologie, sondern vielmehr eine Arena des Kampfes zwischen der proletarischen Weltsicht und den Übergriffen der kapitalistischen Gewohnheiten und Ideologie.
Für Camatte mag dies früher auch der Fall gewesen sein, aber heute ist es das nicht mehr. "Da das Proletariat vernichtet wurde, stößt diese Tendenz des Kapitals auf keinen wirklichen Widerstand und kann sich daher umso effizienter selbst produzieren. Das wirkliche Wesen des Proletariats wurde geleugnet und es existiert nur noch als Objekt des Kapitals. Ebenso wurde die Theorie des Proletariats, der Marxismus zerstört, indem sie zunächst von Kautsky revidiert und dann von Bernstein liquidiert wurde".
Und mit einem Federstrich ist der Kampf der Linken in der Zweiten und Dritten Internationale gegen diese Versuche, den Marxismus zu revidieren und zu liquidieren, vom Tisch. Somit sind auch alle nachfolgenden Bemühungen der Gruppen der Kommunistischen Linken, für proletarische Prinzipien und gegen das Eindringen der kapitalistischen Ideologie zu kämpfen, zum Scheitern und zur Vereinnahmung verurteilt.
Es stimmt, dass die IKP, die aus einer Strömung hervorging, die aus dem Widerstand gegen die Degeneration der KI entstanden war, selbst alle Anzeichen einer degenerierten Organisation aufwies; und Camatte hat wenig Mühe zu zeigen, dass die politischen Verwirrungen der IKP bürgerlichen Praktiken Tür und Tor öffneten: die Theorie des organischen Zentralismus als Rechtfertigung für hierarchische, bürokratische Methoden; die sektiererische Vision von sich selbst als einzige proletarische politische Organisation bis hin zu einer Haltung der Konkurrenz und Verunglimpfung anderer proletarischer Strömungen. In diesem Sinne stimmt es, dass das allgegenwärtige bandenmäßige Verhalten (einschließlich seiner vulgärsten Formen wie Diebstahl und Gewalt gegen andere Proletarier) – vor allem in der Phase des kapitalistischen Zerfalls – zu einer echten Gefahr für das bestehende proletarische politische Lager geworden ist. Aber für Camatte kann es schlichtweg kein proletarisches Lager mehr geben: "Alle Formen von politischen Organisationen der Arbeiterklasse sind verschwunden. An ihre Stelle sind Banden getreten, die in einem obszönen Wettbewerb miteinander konkurrieren, regelrechte Schlägerbanden, die in dem, was sie anbieten, miteinander konkurrieren, aber in ihrem Wesen identisch sind".
Kurzum: Der Versuch, sich politisch gegen das Kapital zu organisieren, sei schicksalshaft dazu verdammt, das Kapital zu reproduzieren. Es habe also keinen Sinn, es im Verbund mit anderen Genossen zu bekämpfen. Am besten sei es, sich in die Reinheit des eigenen, individuellen Denkens zurückzuziehen. Der Einzige und sein Eigentum – in der Tat.
Das Schlimme daran ist, dass Camatte die Militanten der proletarischen Bewegung zitiert, um diesen Kurs des politischen Selbstmords zu rechtfertigen. Wie auch bei allen späteren Anhängern der Kommunisierung wird der Verweis von Marx auf das Proletariat als Verkörperung der realen Bewegung zum Kommunismus herangezogen: zu Recht in Bezug auf die Organisation einer Klassenbewegung, die ihre frühe, sektiererische Phase überwinden konnte, aber mit radikal falschen Schlussfolgerungen für die Epoche der "reellen Subsumtion": "Zu Marx' Zeiten war die Überwindung der Sekten in der Einheit der Arbeiterbewegung zu finden. Heute zeigen die Parteien, diese Gruppierungen, nicht nur einen Mangel an Einheit, sondern auch das Fehlen des Klassenkampfes. Sie streiten sich über die Überreste des Proletariats. Sie theoretisieren über das Proletariat in seiner unmittelbaren Realität und stellen sich gegen seine Bewegung. In diesem Sinne erfüllen sie die Stabilisierungserfordernisse des Kapitals. Das Proletariat muss sie also nicht verdrängen, sondern vernichten".
Das wäre vielleicht richtig, wenn Camatte mit den Gruppierungen die Organisationen der Linken des Kapitals meinen würde, die das Proletariat in der Tat zerstören muss. Aber indem er die Fähigkeit der kommunistischen Proletarier leugnet, sich zusammenzuschließen und den Einfluss der bürgerlichen Ideologie in ihren radikalsten Formen zu bekämpfen, spricht er dem Proletariat die Möglichkeit ab, seinen unzähligen falschen Vertretern, von den Gewerkschaften bis zu den trotzkistischen oder maoistischen Organisationen, wirklich entgegenzutreten und sie zu zerstören.
Vielleicht zeigt Camatte mit dieser Idee des Proletariats, das die Hindernisse auf dem Weg zum Kommunismus zerstören muss, eine schwache Nostalgie für den Klassenkampf, für den ursprünglichen Impuls, der ihn zur proletarischen Militanz führte. Aber jetzt, da er zu der Idee übergegangen ist, dass das Proletariat und der Marxismus zerstört sind, klingen seine Verweise auf Marx, auf Luxemburg und auf frühere proletarische Aufstände (1905, 1917, 1968) hohl. Diese Aufstände, so sagt er uns, ließen die "verblüfften, entgeisterten" Gruppierungen hinter der Bewegung zurück; und er erinnert uns daran, dass Luxemburg, die sich auf die Erfahrung des Massenstreiks von 1905 stützte, uns eine kohärente Theorie der Kreativität der Massen anbietet, die die "leninistische" Theorie des von außen in die Klasse eingebrachten Klassenbewusstseins radikal widerlegt (eine Position, die Lenin selbst später ablehnte). Aber diese Teilwahrheiten sind Teil dessen, was zu einer Bemühung geworden ist, das Wesentliche zu verbergen: dass Marx, auch wenn er Momente erlebte, in denen er bereit war, sich zu isolieren und sein organisatorisches Leben auf die Zusammenarbeit mit ein paar wenigen Genossen zu beschränken, oder Luxemburg 1914, als sie sah, dass die Zweite Internationale zu einer "stinkenden Leiche" geworden war, nie aufgehört haben, für die Wiederherstellung und Wiederbelebung der proletarischen politischen Organisation zu kämpfen, basierend auf ihrer tiefen Überzeugung vom revolutionären Charakter der Arbeiterklasse, der Klasse der Assoziation, der Solidarität und des Bewusstseins.
Es wäre eine Sache, wenn Camattes Verzicht auf diesen Kampf nur eine individuelle Flucht wäre, ein Eingeständnis, dass er es vorzog, lieber seinen eigenen Garten zu pflegen. Aber die Theoretisierung dieser Fahnenflucht, die seit Jahrzehnten andauert und von Camattes Nachkommen in der Kommunisierungsströmung fortgesetzt wird, ist eine aktive Ermutigung anderer, sich der Flucht anzuschließen. Sie hat damit dem schwierigen Kampf um den Aufbau einer proletarischen politischen Organisation einen unabsehbaren Schaden zugefügt.
Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir einige der Schlüsseltexte näher untersuchen, die Camattes Abkehr vom Klassenkampf rechtfertigen sollten, insbesondere Errance de l’humanité [Die Irrungen der Menschheit].
CDW, Mai 2023
[1] Bei dieser Darstellung ist jedoch Vorsicht geboten, denn der eigentliche Wortlaut lautet: "Camatte engagierte sich schon in jungen Jahren in der radikalen Politik und schloss sich 1953 zum ersten Mal der Fraction Française de la Gauche Communiste Internationale (FFGCI) an, einer linkskommunistischen Organisation, die mit Marc Chirik und Onorato Damen verbunden war". In der Tat hatte sich die Französische Fraktion 1945 in zwei Teile gespalten, wobei ein Teil die PCInt in Italien unterstützte (in der Damen eine führende Rolle spielte) und der andere Teil die Gauche Communiste de France um Marc Chirik bildete. Für einen Bericht über diese frühere Spaltung siehe die Italienische Kommunistische Linke, S. 156 f.
[2] Ein Problem der proletarischen Moral wurde durch die Umstände der Spaltung aufgeworfen: wieder aus dem Wikipedia-Eintrag: "1966 trennten sich Camatte und Dangeville nach einem weiteren kontroversen Schriftwechsel innerhalb der Partei zusammen mit elf weiteren Mitgliedern von der Partei. Diese Spaltung war besonders schmerzhaft, denn, wie Camatte sich erinnert, 'wer die Partei verlässt, ist für die Partei tot'. Da Camatte der Bibliothekar der Zeitschriften- und Literatursammlung der IKP war, musste er sich in seiner Wohnung verbarrikadieren, um sie aufzubewahren. Schließlich war er gezwungen, die gesamte Sammlung, die nicht von Bordiga stammte, zu verbrennen, um zu beweisen, dass er kein "Akademiker" war. Bordiga bezeichnete dies später als ‚einen Akt des Gangstertums‘.“ (https://en.wikipedia.org/wiki/Jacques_Camatte#cite_note-Biography-2 [429], aufgerufen am 20.08.2023) Die Zitate stammen aus dem Cercle-Marx-Interview von 2019: Das Interview wurde auf libcom teilweise auf Englisch transkribiert, hier, mit dem folgenden Disclaimer, auf den wir in einem zweiten Artikel zurückkommen werden. "Hinweis: Die Gruppe, die dieses Interview geführt hat, Cercle Marx, ist eine rassistische pseudo-debordistische/bordigistische Gruppe, die sich auf den rot-braunen Allianz-'Marxismus' von Schriftstellern wie Francis Cousin konzentriert. Wir haben nicht die Absicht, diese Standpunkte zu vertreten, aber wir glauben, dass der Großteil des Interviews immer noch wertvoll ist, da es dazu beiträgt, die Entwicklung von Camattes Denken nachzuvollziehen, das vom englischsprachigen Publikum lange Zeit mehr oder weniger ignoriert worden ist. Wir hoffen, dass die Leser von Libcom den Text genießen und ihm etwas Nützliches abgewinnen können".
[3] Vgl. Bordiga und die Großstadt [430], IKSonline Juli 2020
[4] Für eine ausführlichere Kritik am Konzept der Invarianz siehe Internationale Revue Nr. 3, Eine Karikatur der Partei : die bordigistische Partei -Antwort an ”Kommunistisches Programm” [86]; und Die 1950er und 60er Jahre: Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus [90], IKSonline Juni 2020
[5] Siehe International Review Nr. 128, Communism Vol. 3, Part 5 - The problems of the period of transition (I) [Die Probleme der Übergangsperdiode]
[6] Siehe den Artikel in International Review Nr. 60, The 'real domination' of capitalism and the real confusions of the proletarian milieu [431] [Die 'reelle Subsumtion' des Kapitalismus und die reellen Verwirrungen des proletarischen Milieus].
[7] Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Abschnitt zur "Reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital", Verlag Neue Kritik Frankfurt, S. 60). Die französische Ausgabe war von Roger Dangeville übersetzt worden, der Camatte während seiner Zeit in der IKP nahe gestanden hatte, sich dann aber in eine ganz andere Richtung entwickelte: Dangeville veröffentlichte Le Fil du Temps [Der Faden der Zeit], einen Versuch, eine reine – und extrem sektiererische – Form des Bordigismus wiederherzustellen. Es ist jedoch anzumerken, dass Dangevilles Interpretation des Übergangs von der formellen zur reellen Subsumtion einige der gleichen Fehler enthält wie die von Camatte. Camatte beschuldigte Dangeville auch, seine Originalübersetzung zu plagiieren ...
„Hältst du die Klappe oder soll ich noch mal anfangen? Ah! Du fängst an zu stottern, vielleicht willst du ja noch einen, um deinen Kiefer wieder gerade zu machen?“
„Als ich dich gepackt habe, hast du angefangen zu zittern, ich war es, der dich mit dem Schlagstock bearbeitet hat!“
„Keine Sorge, dein Köpfchen haben wir schon fotografiert. Du musst dich nur bei der nächsten Demo wieder auf der Straße zeigen: Ich kann dir sagen, dass wir uns deine Fratze merken. Du kannst sicher sein, dass du beim nächsten Mal, wenn wir kommen, nicht in den Bus zur Polizeiwache einsteigst, sondern in ein anderes Ding, das wir "Krankenwagen" nennen, um ins Krankenhaus zu fahren!“
„Du hast Glück, wir werden uns an anderen Leuten rächen. Wenn du die Gelegenheit hast, fernzusehen, schau genau hin, dann wirst du sehen, was dich erwartet, wenn du zurückkommst.“
Diese Äußerungen wurden von Polizisten der Brav-M (Greiftrupp) während der Demonstration am 23. März in Paris gemacht. Sie wurden von einem der Festgenommenen aufgezeichnet, gingen durch die Medien und lösten unter Experten Debatten über die Ausbildung der Beamten aus, die diese Sondereinheit bilden.
Mit anderen Worten: Man will uns glauben machen, dass es sich um einen Ausrutscher einiger weniger handelt. Das ist eine Lüge! Überall in Frankreich, in Rennes, Nantes, Lyon... schlägt und provoziert die Polizei. Diese Gleichzeitigkeit der Repressionen ist kein Zufall. Es handelt sich um eine völlig bewusste Politik der Machthaber. Das Ziel ist einfach und sogar ein Klassiker:
- Die wütendsten Jugendlichen in eine sinnlose Konfrontation mit den Ordnungskräften verwickeln;
- der Mehrheit der Demonstranten Angst machen und sie davon abhalten, auf die Straße zu gehen;
- jede Möglichkeit zur Diskussion verhindern, indem sie systematisch am Ende der Demonstrationen angreifen, wenn normalerweise ein günstiger Zeitpunkt für Versammlungen und Debatten ist;
- die Bewegung unpopulär machen, indem sie den Eindruck erwecken, dass jeder soziale Kampf automatisch in blinde Gewalt und Chaos ausartet, während die Machthaber der Garant für Ordnung und Frieden wären.
Ja, unsere Wut ist riesig! Ja, wir können nicht anders als empört und kämpferisch sein!
Aber unsere Stärke liegt nicht in der sinnlosen Konfrontation mit den hochgerüsteten und besonders ausgebildeten Trupps der CRS, der mobilen Gendarmerie und anderen Waffenträgern der "Ordnung" der Ausbeuter.
Ebenso besteht unser Kampf nicht darin, Schaufenster einzuschlagen und Mülltonnen anzuzünden. Gewalttaten von Minderheiten stärken die Bewegung nicht. Im Gegenteil, sie schwächen sie!
Wir sind die Arbeiterklasse! Wir sind eine kollektive Kraft, die in der Lage ist, massiv in den Kampf zu ziehen, sich zu organisieren, solidarisch und vereint zu sein, zu debattieren und sich gemeinsam der Macht entgegenzustellen, um die ständige Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen abzulehnen, um dieses System abzulehnen, das die Menschheit in Elend und Krieg stürzt.
Das ist es, was die Bourgeoisie wirklich beunruhigt: wenn wir als Klasse so kämpfen. Deshalb stellt sie uns heute die Falle, uns in sinnlose Gewalt verstricken zu lassen und Chaos zu verursachen. Sie will die laufende Dynamik und den Prozess, der sich seit Monaten auf internationaler Ebene entwickelt, zerschlagen.
Seit der Ankündigung der Rentenreform häufen sich die Streiks und in den Demonstrationen kommen wir zu Millionen auf die Straße. Dank dieses Kampfes beginnen wir zu verstehen, wer dieses "Wir" ist! Eine soziale, internationale Kraft, die praktisch alles produziert und vereint und solidarisch kämpfen muss: Die Arbeiterklasse! "Entweder wir kämpfen gemeinsam, oder wir werden am Ende auf der Straße schlafen!" Das kommt zum Beispiel bei den Demonstrationen zur Unterstützung der Müllmänner von Ivry, die regelmäßig von der Polizei auseinander getrieben werden, deutlich zum Ausdruck: Gemeinsam sind wir stärker!
Und diese Solidaritätsreflexe tauchen nicht nur in Frankreich auf. In vielen Ländern häufen sich Streiks und soziale Bewegungen. In Großbritannien angesichts der Inflation, in Spanien angesichts des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems, in Südkorea angesichts der Verlängerung der Arbeitszeit, in Deutschland gegen niedrige Löhne... überall verteidigt sich die Arbeiterklasse durch den Kampf.
In Griechenland gab es vor drei Wochen ein Zugunglück: 57 Tote. Die Bourgeoisie wollte die Schuld natürlich einem Beschäftigten in die Schuhe schieben. Der diensthabende Weichensteller wurde verhaftet. Doch die Arbeiterklasse durchschaute den Schwindel sofort. Zu Tausenden gingen die Demonstranten auf die Straße, um die wahre Ursache für diesen tödlichen Unfall anzuprangern: Personalmangel und fehlende Sicherheitsvorkehrungen. Seitdem ist die Wut nicht abgeklungen. Im Gegenteil, der Kampf wird immer stärker und breiter, mit Rufen wie "Gegen Niedriglöhne!", "Wir haben die Schnauze voll!". Oder auch: "Wir können seit der Krise nicht mehr wie anständige Menschen arbeiten, aber bringt uns wenigstens nicht um!“
Unsere Bewegung gegen die Rentenreform ist ein Teil dieser Entwicklung der Kampfkraft und des Nachdenkens unserer Klasse auf globaler Ebene.
Unsere Bewegung zeigt, dass wir in der Lage sind, massiv zu kämpfen und die Bourgeoisie zu erschüttern. Schon jetzt sagen alle Experten und Doktoren der Politik voraus, dass es für Macron sehr kompliziert sein wird, bis zum Ende seiner fünfjährigen Amtszeit weitere umfassende Reformen und Angriffe durchzusetzen.
Um diese Stärke der sozialen Bewegung in Frankreich vor den Arbeitern in anderen Ländern zu verbergen, berichten alle Medien weltweit in Dauerschleife über brennende Mülltonnen und Steinwürfe. Sie reduzieren den gesamten Kampf gegen die Rentenreform absichtlich auf einen einzigen zerstörerischen Aufstand. Doch ihre plumpen Lügen werden immer unglaubwürdiger: In Deutschland bezieht man sich in den sich jüngsten Streiks auf die Bewegung in Frankreich und dass man sich von dieser habe inspirieren lassen.
Es gibt hier den Ansatz einer internationalen Verbindung. Im Übrigen hatte die Belegschaft des Mobilier national, die gegen die Rentenreform streikte, kurz bevor der Besuch des englischen Königs in Versailles abgesagt wurde, erklärt: "Wir sind solidarisch mit den englischen Arbeitern, die seit Wochen für höhere Löhne streiken".
Dieser Reflex der internationalen Solidarität ist das genaue Gegenteil der kapitalistischen Welt, die in konkurrierende Nationen gespaltet ist, bis hin zum Krieg! Dieser Reflex der internationalen Solidarität erinnert an den Schlachtruf unserer Klasse seit 1848: "Die Proletarier haben kein Vaterland! Proletarier aller Länder, vereinigt euch!".
Gegen all die Fallen und Lügen der Bourgeoisie und ihrer Befehlsmedien in allen Ländern liegt es an uns, unsere Kampfmethoden zu verteidigen. Wir müssen verstehen, was unsere Stärke und unsere Einheit als Klasse ausmacht; es ist unsere Aufgabe, die Lehren aus den vergangenen Kämpfen für die aktuellen und zukünftigen Kämpfe zu ziehen.
Zum Beispiel haben die Zeitungen in den letzten Tagen auf die Möglichkeit eines "Szenarios à la CPE" hingewiesen, ohne auch nur ein Wort über das zu verlieren, was ihr Herzstück und ihre Stärke ausmachte: Die Vollversammlungen. Im Jahr 2006 war die Regierung gezwungen, ihren Contrat Première Embauche zurückzuziehen, der die Jugend in eine noch größere Unsicherheit stürzen sollte.
Damals war die Bourgeoisie erschrocken über das wachsende Ausmaß der Proteste, die begannen, über die Jugendbewegung, die prekären Studenten und die jungen Arbeiter hinauszugehen und sich mit vereinigenden und solidarischen Parolen auf andere Bereiche auszudehnen: "Junge Speckwürfel, alte Croûtons, alle denselben Salat" war auf den Spruchbändern zu lesen.
Diese Fähigkeit, die Bewegung auszuweiten, war das Ergebnis von Debatten in echten, souveränen und offenen Vollversammlungen. Diese Vollversammlungen waren das Herz der Bewegung und versuchten ständig, sich nicht wie bei einer belagerten Burg in den Unis oder an den Arbeitsplätzen einzuschließen, um alles um jeden Preis zu blockieren, sondern den Kampf auszuweiten, mit massiven Delegationen in benachbarte Betriebe und andere Stadtteile. Das ist es, was die Bourgeoisie zum Nachgeben gezwungen hat! Das hat die Stärke unserer Bewegung ausgemacht! Das sind die Lektionen, die wir uns heute wieder aneignen müssen!
Die Stärke unserer Klasse liegt in unserer Einheit, unserem Klassenbewusstsein, unserer Fähigkeit, Solidarität zu entwickeln und damit die Bewegung auf alle Bereiche auszudehnen. Das ist der Kompass, dem unsere Kämpfe folgen müssen.
Im Kampf können wir uns nur auf uns selbst verlassen! Weder auf die Politiker noch auf die Gewerkschaften! Es ist die Arbeiterklasse und ihr Kampf, die eine Alternative in sich bergen, die des Sturzes des Kapitalismus, die der Revolution!
Heute ist es noch schwierig, in Vollversammlungen zusammenzukommen und uns selbst zu organisieren. Dies ist jedoch der einzig mögliche Weg. Diese Vollversammlungen müssen Orte sein, an denen wir wirklich über die Führung der Bewegung entscheiden. Sie sind der einzige Ort, an dem wir die Antwort auf die Repression und die Verteidigung unserer Kampfmittel organisieren können, wie es bei den Vollversammlungen des CPE im Jahr 2006 der Fall war. Diese Vollversammlungen sind der Ort, an dem wir uns vereint fühlen und auf unsere kollektive Stärke vertrauen, an dem die Verantwortung und das Engagement jedes Einzelnen zum Ausdruck kommen, an dem wir gemeinsam zunehmend vereinigende Forderungen verabschieden und in Massendelegationen aufbrechen können, um unsere Klassenbrüder und -schwestern in den nächstgelegenen Fabriken, Krankenhäusern, Schulen, Geschäften und Verwaltungen zu treffen. Es ist die schnelle Ausweitung des Kampfes auf andere Bereiche, die die Regierung zum Einlenken bringen wird.
Heute oder morgen werden die Kämpfe weitergehen, weil der Kapitalismus immer tiefer in die Krise rutscht und weil das Proletariat keine andere Wahl hat. Aus diesem Grund treten die Arbeiter überall auf der Welt in den Kampf ein.
Die Bourgeoisie wird ihre Angriffe (Kriegswirtschaft, Inflation, Entlassungen, Unsicherheit, Knappheit), ihre Unterdrückung und ihre Provokationen fortsetzen. Angesichts dieser Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen wird die internationale Arbeiterklasse immer massiver den Weg des Kampfes wieder aufnehmen und dabei allen Fallen ausweichen müssen, die ihr in den Weg gelegt werden.
Wo immer wir können, auf der Straße, nach und vor Demonstrationen, an Streikposten, in Cafés und an Arbeitsplätzen, müssen wir zusammenkommen, debattieren und aus den vergangenen Kämpfen lernen, um unsere aktuellen Kämpfe weiterzuentwickeln und die kommenden Kämpfe vorzubereiten.
Die Zukunft gehört dem Klassenkampf!
Internationale Kommunistische Strömung, 27. März 2023
deutsch@internationalism.org [24]
Bereits mehr als ein Jahr entsetzlicher Gemetzel; Hunderttausende von Soldaten auf beiden Seiten massakriert; mehr als ein Jahr wahlloser Bombardierungen und Hinrichtungen, bei denen Zehntausende von Zivilisten ermordet wurden; mehr als ein Jahr systematischer Zerstörung, die das Land in ein riesiges Trümmerfeld verwandelt hat, während die Zahl der Vertriebenen in die Millionen geht; mehr als ein Jahr, in dem auf beiden Seiten riesige Summen in dieses Gemetzel geflossen sind (Russland wendet inzwischen etwa 50 % seines Staatshaushalts für den Krieg auf, während der hypothetische Wiederaufbau der zerstörten Ukraine mehr als 400 Milliarden Dollar erfordern würde). Und diese Tragödie ist noch lange nicht zu Ende.
Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine war ein wichtiger qualitativer Schritt beim Abgleiten der kapitalistischen Gesellschaft in Krieg und Militarismus. Zwar haben seit 1989 verschiedene kriegerische Ereignisse den Planeten erschüttert (die Kriege in Kuwait, im Irak, in Afghanistan, in Syrien...), doch handelte es sich dabei nie um eine Konfrontation zwischen großen imperialistischen Mächten. Der Ukraine-Krieg jedoch, ist die erste militärische Konfrontation dieser Größenordnung zwischen Staaten, die seit 1940-45 vor den Toren Europas stattfindet. Er betrifft die beiden größten Länder Europas, von denen eines über nukleare oder andere Massenvernichtungswaffen verfügt und das andere von der NATO finanziell und militärisch unterstützt wird, und hat das Potenzial, zu einer Katastrophe für die Menschheit zu führen.
Abgesehen von der Empörung und der Abscheu, die dieses große Gemetzel hervorruft, ist es die Aufgabe der Revolutionäre, sich nicht auf allgemeine und abstrakte Verurteilungen zu beschränken, sondern die wichtigsten Lehren aus dem Ukraine-Krieg zu ziehen, um die Dynamik der imperialistischen Konfrontationen zu verstehen und die Arbeiterklasse vor der Verschärfung des Chaos und der Intensivierung der militärischen Barbarei zu warnen.
Während Russland in die Ukraine einmarschiert ist, besteht eine wichtige Lehre dieses Kriegsjahres zweifellos darin, dass hinter den Protagonisten auf dem Schlachtfeld der US-Imperialismus in die Offensive geht.
Angesichts des Niedergangs ihrer Hegemonie verfolgen die USA seit den 1990er Jahren eine aggressive Politik zur Verteidigung ihrer Interessen, insbesondere gegenüber dem ehemaligen Anführer des rivalisierenden Blocks, Russland. Trotz der nach dem Zerfall der UdSSR eingegangenen Verpflichtung, die NATO nicht zu erweitern, hat die USA alle Länder des ehemaligen Warschauer Paktes in dieses Bündnis integriert. Im Jahr 2014 ersetzte die "Orange Revolution" das pro-russische Regime in der Ukraine durch eine pro-westliche Regierung, und einige Jahre später bedrohte ein Volksaufstand das pro-russische Regime in Weißrussland. Putins Regime reagierte auf diese Strategie der Einkreisung mit dem Einsatz seiner militärischen Stärke, dem Überbleibsel seiner Vergangenheit als Blockführer. Nach Putins Übernahme der Krim und des Donbass im Jahr 2014 begannen die USA, die Ukraine zu bewaffnen und ihr Militär für den Einsatz modernerer Waffen zu schulen. Als Russland seine Armee an die ukrainischen Grenzen verlegte, spannten sie die Falle, indem sie behaupteten, Putin würde in die Ukraine einmarschieren, während sie versicherten, dass sie selbst nicht vor Ort intervenieren würden. Mit dieser Strategie der Einkreisung Russlands haben die USA eine „Meisterleistung“ vollbracht, die ein viel ehrgeizigeres Ziel verfolgt, als nur die russischen Ambitionen zu stoppen:
- Der Krieg in der Ukraine führt ab sofort zu einer deutlichen Schwächung der verbliebenen militärischen Macht Moskaus und zu einem Zurückdrängen seiner imperialistischen Ambitionen. Er demonstriert auch die absolute Überlegenheit der US-Militärtechnologie, die die Grundlage für das "Wunder der kleinen Ukraine" ist, die den "russischen Bären" zurückdrängt;
- Der Krieg ermöglichte es den USA auch, die Schrauben innerhalb der NATO anzuziehen, da die europäischen Länder gezwungen sind, sich der amerikanischen Position anzuschließen, insbesondere Frankreich und Deutschland, die ihre eigene Politik gegenüber Russland entwickelten und die NATO ignorierten, die der französische Präsident Macron bis vor zwei Jahren für "hirntot" hielt;
- Das Hauptziel der USA, Russland eine Lektion zu erteilen, war zweifellos eine unmissverständliche Warnung an ihren größten Herausforderer, China. In den letzten zehn Jahren haben die USA ihre Führungsrolle gegen den Aufstieg des chinesischen Herausforderers verteidigt. Zunächst während der Trump-Präsidentschaft durch einen offenen Handelskrieg; jetzt hat die Biden-Administration den Druck militärisch erhöht (die Spannungen um Taiwan). So hat der Krieg in der Ukraine den einzigen wichtigen militärischen Verbündeten Chinas geschwächt und belastet das Projekt der Neuen Seidenstraße, bei dem eine Achse durch die Ukraine führte.
Die sich allmählich abzeichnende Polarisierung der imperialistischen Spannungen zwischen den USA und China ist das Ergebnis einer systematischen Politik der dominierenden imperialistischen Macht USA, die versucht, den unumkehrbaren Niedergang ihrer Führungsrolle aufzuhalten. Nach dem Krieg von Bush-senior gegen den Irak und der Polarisierung von Bush-junior gegen die "Achse des Bösen" (Irak, Iran, Nordkorea) zielt die Offensive der USA heute darauf ab, das Auftauchen von größeren Herausforderern zu verhindern. Dreißig Jahre einer solchen Politik haben keine Disziplin und Ordnung in die imperialistischen Beziehungen gebracht. Im Gegenteil, sie hat das „Jeder für sich“, das Chaos und die Barbarei verschärft. Die USA sind heute ein wichtiges Instrument für die erschreckende Ausweitung der militärischen Konfrontationen.
Im Gegensatz zu oberflächlichen journalistischen Darstellungen zeigt die Entwicklung der Ereignisse, dass der Konflikt in der Ukraine keineswegs zu einer "Rationalisierung" der Widersprüche geführt hat. Neben den großen imperialistischen Staaten, die unter dem Druck der US-Offensive stehen, verstärkt die Explosion einer Vielzahl von Ambitionen und Rivalitäten den absolut chaotischen und irrationalen Charakter der imperialistischen Beziehungen.
Die Verschärfung des amerikanischen Drucks auf die anderen großen imperialistischen Staaten kann diese nur zu einer Reaktion zwingen:
- Für den russischen Imperialismus ist es eine Frage des Überlebens, denn es ist bereits klar, dass Russland, wie auch immer der Konflikt ausgeht, deutlich geschwächt aus dem Abenteuer hervorgehen wird, das ihm seine militärischen und wirtschaftlichen Grenzen aufgezeigt hat. Es ist militärisch erschöpft, denn es hat bereits zweihunderttausend Soldaten verloren, insbesondere seine erfahrensten Eliteeinheiten, sowie eine große Anzahl von Panzern, Flugzeugen und modernen Hubschraubern. Wirtschaftlich ist es durch die enormen Kosten des Krieges und den durch die westlichen Sanktionen verursachten Zusammenbruch der Wirtschaft geschwächt. Während die Putin-Fraktion mit allen Mitteln versucht, an der Macht zu bleiben, kommt es innerhalb der russischen Bourgeoisie zu Spannungen, insbesondere mit den eher nationalistischen Fraktionen oder bestimmten "Kriegsherren" (z.B. Prigoschin, der Anführer der Wagner-Söldnergruppe). Diese ungünstigen militärischen und instabilen politischen Bedingungen könnten Russland sogar dazu bringen, auf taktische Atomwaffen zurückzugreifen.
- Die europäischen Staaten, insbesondere Frankreich und Deutschland, hatten Putin gedrängt, nicht in den Krieg zu ziehen, und waren, wie die Indiskretionen von Boris Johnson zeigten, sogar bereit, einen in Umfang und Zeit begrenzten Angriff zur Ablösung des Regimes in Kiew zu befürworten. Angesichts des Scheiterns der russischen Streitkräfte und des unerwarteten Widerstands der Ukrainer mussten sich Macron und Scholz kleinlaut der US-geführten NATO-Position anschließen. Es ist jedoch keine Rede davon, sich der US-Politik zu unterwerfen und die eigenen imperialistischen Interessen aufzugeben, wie die jüngsten Reisen von Scholz und Macron nach Peking zeigen. Darüber hinaus haben beide Länder ihre Militärbudgets im Hinblick auf eine massive Aufrüstung ihrer Streitkräfte gigantisch erhöht (eine Verdoppelung für Deutschland, d.h. 107 Milliarden Euro). Diese Politik hat auch zu Spannungen in der deutsch-französischen Partnerschaft geführt, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung gemeinsamer Rüstungsprogramme und die Wirtschaftspolitik der EU.
- China hat sich in Bezug auf den Ukraine-Krieg angesichts der Schwierigkeiten seines russischen "Verbündeten" und der kaum verhüllten Drohungen der USA sehr vorsichtig positioniert. Für die chinesische Bourgeoisie ist die Lektion bitter: Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass alle globalen imperialistischen Ambitionen illusorisch sind, wenn es keine militärische und wirtschaftliche Macht gibt, die mit der Supermacht USA konkurrieren kann. Heute ist China, das noch nicht über die Streitkräfte verfügt, die seiner wirtschaftlichen Expansion entsprechen würden, dem amerikanischen Druck und den Kriegswirren in seiner Umgebung schutzlos ausgeliefert. Natürlich gibt die chinesische Bourgeoisie ihre imperialistischen Ambitionen nicht auf, insbesondere die Rückeroberung Taiwans, aber sie kann nur langfristig Fortschritte machen, indem sie den zahlreichen amerikanischen Provokationen ("Spionage"-Ballons, Verbot der TikTok-Anwendung...) nicht nachgibt und eine breit angelegte diplomatische Charmeoffensive durchführt, die darauf abzielt, jegliche internationale Isolation zu vermeiden: Empfang zahlreicher Staatschefs in Peking, von China unterstützte iranisch-saudische Annäherung, Vorschlag eines Plans zur Beendigung des Krieges in der Ukraine. ..
Auf der anderen Seite führt das imperialistische „Jeder gegen Jeden“ Prinzip zu einer explosionsartigen Vergrößerung der Zahl potenzieller Konfliktzonen. In Europa führt der Druck auf Deutschland zu einem Zerwürfnis mit Frankreich, und die EU hat mit Wut auf den Protektionismus von Bidens Inflationsbekämpfungsgesetz reagiert, das als eine echte Kriegserklärung an die europäischen Exporte in die USA angesehen wird. In Zentralasien geht der Niedergang der russischen Macht Hand in Hand mit einer raschen Ausweitung des Einflusses anderer Mächte wie China, der Türkei, dem Iran oder den USA in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Im Fernen Osten besteht weiterhin die Gefahr von Konflikten zwischen China einerseits und Indien (mit regelmäßigen Grenzkonflikten) oder Japan (das massiv aufrüstet), ganz zu schweigen von den Spannungen zwischen Indien und Pakistan und den wiederkehrenden Spannungen zwischen Nord- und Südkorea. Im Nahen Osten werden die Schwächung Russlands, die innere Destabilisierung wichtiger Protagonisten wie des Iran (Volksaufstände, Kämpfe zwischen den Fraktionen innerhalb der herrschenden Klasse und imperialistischer Druck) oder der Türkei (katastrophale wirtschaftliche Lage) große Auswirkungen auf die imperialistischen Beziehungen haben. In Afrika schließlich führen die Energie- und Nahrungsmittelkrise und die kriegerischen Konflikte in verschiedenen Regionen (Äthiopien, Sudan, Libyen, Westsahara) zu einem aggressiven Wettbewerb zwischen den imperialistischen Geiern, der zu Destabilisierung und Chaos führt.
Ein Jahr Krieg in der Ukraine hat vor allem deutlich gemacht, dass der kapitalistische Zerfall einen der verhängnisvollsten Charakterzüge des Krieges in der Epoche der Dekadenz des Kapitalismus noch verstärkt: seine Irrationalität. Die Auswirkungen des Militarismus werden in der Tat immer unvorhersehbarer und katastrophaler, meist unabhängig von den ursprünglichen Ambitionen:
- Die USA haben die beiden Golfkriege sowie den Krieg in Afghanistan geführt, um ihre Führungsrolle auf dem Planeten zu behaupten, aber in all diesen Fällen war das Ergebnis eine Explosion von Chaos, von Instabilität und führt zu immensen Flüchtlingsströmen;
- Was auch immer die Ziele der vielen imperialistischen Geier (Russland, Türkei, Iran, Israel, USA, europäische Staaten) waren, die in die schrecklichen Bürgerkriege in Syrien oder Libyen eingriffen, sie hinterließen ein Land in Trümmern, zersplittert und in Clans gespalten, mit Millionen von Flüchtlingen, die in die Nachbarländer oder in die Industrieländer flohen.
Der Krieg in der Ukraine ist eine beispielhafte Bestätigung dafür. Unabhängig von den geostrategischen Zielen des russischen oder amerikanischen Imperialismus ist das Ergebnis ein verwüstetes Land (Ukraine), ein wirtschaftlich und militärisch ruiniertes Land (Russland), eine noch angespanntere und chaotischere imperialistische Situation in der Welt und Millionen von Flüchtlingen.
Die zunehmende Irrationalität der Kriegsführung führt zu einer erschreckenden Ausweitung der militärischen Barbarei auf dem gesamten Globus. In diesem Zusammenhang können Ad-hoc-Bündnisse für bestimmte Ziele gebildet werden. So verfolgt beispielsweise die Türkei, ein Mitglied der NATO, in der Ukraine eine Politik der Neutralität gegenüber Russland und hofft, dies nutzen zu können, um sich mit Russland in Syrien gegen die von den USA unterstützten kurdischen Milizen zu verbünden.
Entgegen der bürgerlichen Propaganda führt der Ukraine-Krieg jedoch nicht zu einer Umgruppierung der großen imperialistischen Staaten in Blöcke und eröffnet somit nicht die Dynamik eines dritten Weltkriegs, sondern eher eine erschreckende Ausweitung des ebenso blutigen Chaos: Wichtige imperialistische Mächte wie Indien, Südafrika, Brasilien und sogar Saudi-Arabien behalten eindeutig ihre Autonomie gegenüber den Protagonisten; das Band zwischen China und Russland hat sich nicht enger geknüpft, im Gegenteil. Und während die USA den Krieg nutzen, um ihre Politik innerhalb der NATO durchzusetzen, gehen Mitgliedsländer wie die Türkei oder Ungarn offen auf eigene Faust vor, während Deutschland und Frankreich auf alle möglichen Arten versuchen, ihre eigene Politik zu entwickeln. Außerdem muss der Führer eines potenziellen Blocks in der Lage sein, Vertrauen unter den Mitgliedsländern zu schaffen und die Sicherheit seiner Verbündeten zu gewährleisten. China hat seinen russischen Verbündeten jedoch nur sehr zurückhaltend unterstützt. Was die USA betrifft, so verfolgt Biden nach Trumps "America First" Politik, der die "Verbündeten" verunsichert hatte, im Grunde dieselbe Linie: Er lässt sie einen hohen Energiepreis für den Boykott der russischen Wirtschaft zahlen, während die USA in diesem Bereich autark sind und die "Anti-China"-Gesetze die europäischen Importe hart treffen werden. Genau dieser Mangel an Sicherheitsgarantien hat Saudi-Arabien dazu bewogen, ein Abkommen mit China und dem Iran zu schließen. Schließlich ist ein wesentliches Hindernis für eine Dynamik in Richtung eines dritten Weltkriegs, dass das Proletariat in den zentralen Industrieländern nicht besiegt und ideologisch im Dienste der Nation mobilisiert werden kann, wie die aktuellen Klassenkämpfe in verschiedenen europäischen Ländern zeigen. Eine ideologische Waffe, die in der Lage ist, das Proletariat in den Krieg zu mobilisieren, wie der Faschismus und der Antifaschismus in den 1930er Jahren, gibt es heute nicht.
Die Situation ist umso gravierender, weil die "ukrainische Krise" nicht ein isoliertes Phänomen ist, sondern als eine der Manifestationen dieser "Polykrise"[1], der Anhäufung und Wechselwirkung von Gesundheits-, Wirtschafts-, Umwelt-, Ernährungs- und Kriegs-Krisen, die die 2020er Jahre charakterisieren. Und der Krieg in der Ukraine stellt in diesem Zusammenhang einen echten Multiplikator und Verstärker von Barbarei und Chaos auf globaler Ebene dar:
„Nun führt die Aggregation und Interaktion dieser zerstörerischen Phänomene zu einem 'Wirbeleffekt' (...) In diesem Zusammenhang muss die führende Rolle des Krieges als eine von den kapitalistischen Staaten gewollte und geplante Aktion hervorgehoben werden, die zum mächtigsten und schwerwiegendsten Faktor für Chaos und Zerstörung wurde."[2] Tatsächlich haben der Krieg in der Ukraine und seine wirtschaftlichen Auswirkungen den Aufschwung von Covid (wie in China) begünstigt, den Anstieg der Inflation und die Rezession in verschiedenen Regionen der Welt verschärft, eine Nahrungsmittel- und Energiekrise ausgelöst, einen Rückschlag in der Klimapolitik verursacht (Atom- und sogar Kohlekraftwerke sind wieder in Betrieb) und zu neuen Flüchtlingsströmen geführt. Ganz zu schweigen von der allgegenwärtigen Gefahr der Bombardierung von Kernkraftwerken, wie sie noch immer in der Umgebung von Saporischschja zu beobachten ist, oder des Einsatzes von chemischen, bakteriologischen oder nuklearen Waffen.
Kurzum, ein Jahr Krieg in der Ukraine macht deutlich, wie sehr er die "große Aufrüstung der Welt" verstärkt hat, die durch die massiven militärischen Investitionen der beiden großen Verlierer des Zweiten Weltkriegs symbolisiert wird: Japan, das in fünf Jahren 320 Milliarden Dollar in seine Armee investiert hat, die größte Aufrüstungsanstrengung seit 1945, und vor allem Deutschland, das seinen Verteidigungshaushalt verdoppelt hat.
Als offensichtlich bewusstes Produkt der herrschenden Klasse verdeutlicht das Gemetzel in der Ukraine den Bankrott des kapitalistischen Systems. Die durch den Krieg hervorgerufenen Gefühle der Ohnmacht und des Entsetzens begünstigen jedoch nicht die Entwicklung eines proletarischen Widerstandes gegen den heutigen Konflikt. Andererseits zwingt die deutliche Verschärfung der Wirtschaftskrise und die daraus resultierenden Angriffe auf die Arbeiterklasse diese dazu, sich auf ihrem Klassenterrain zu mobilisieren, um ihre Lebensbedingungen zu verteidigen. In der Dynamik der erneuten Klassenkämpfe wird die kriegerische Barbarei dennoch ein Auslöser des Bewusstseins über den Bankrott des kapitalistischen Systems sein, das heute aber noch auf kleine Minderheiten der Arbeiterklasse beschränkt ist.
R. Havanais, 25. März 2023
[1]Der Begriff wird von der Bourgeoisie selbst im „Global Risks Report 2023“ verwendet, der auf dem Weltwirtschaftsforum im Januar 2023 in Davos vorgestellt wurde
"Eine zunehmend gewalttätige Mobilisierung" (The Times), "Ein Feuer, das fasziniert und zerstört" (El Pais), "Feuer vor dem Rathaus von Bordeaux" (Der Spiegel).
Die Zusammenstöße zwischen Gruppen des Schwarzen Blocks und der Polizei bei den Demonstrationen gegen die Rentenreform in Frankreich machten in vielen Zeitungen in Europa und anderswo Schlagzeilen. Auch die ausländischen Medien zeigten Videos von brennenden Mülltonnen, zerbrochenen Fensterscheiben, Wurfgeschossen oder Granaten, die geschickt wie eine echte Apokalypse inszeniert werden. Während die Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich bisher ausgeblendet wurde, sind die internationalen Medien plötzlich aus ihrer Erstarrung erwacht, um das, was sich seit Mitte Januar auf den Straßen aller französischen Städte abgespielt hat, völlig zu entstellen.
Die soziale Bewegung auf Krawalle zu reduzieren, die in Wirklichkeit sehr unbedeutend und marginal sind, war schon immer eine Methode, um den Kampf der Arbeiterklasse zu diskreditieren. Das Echo des Kampfes in Frankreich gegen die Rentenreform in der Arbeiterklasse in Italien, Großbritannien oder Deutschland hat den Eifer der Bourgeoisie diese großen Lügen zu verbreiten nur noch verstärkt.
Weit entfernt von den wenigen «Ansammlungen von Brandstiftern" haben sich Millionen von Menschen nun Woche für Woche in lebhaften Demonstrationen zusammengefunden, entschlossen zu kämpfen und diesen Angriff zurückzuschlagen. Die Aktivierung von Artikel 49.3 der Verfassung durch die Regierung Macrons am 16. März, der die Verabschiedung des Gesetzes ohne Abstimmung der Abgeordneten ermöglicht, und einige Tage später die verächtliche Stellungnahme von Macron, der die Demonstranten mit "Schlägern" vergleicht (sie seien ähnlich wie die hasserfüllten und lautstarken Truppen von Trump oder Bolsonaro), haben die Wut und den Willen die Regierung zum Einlenken zu zwingen noch weiter verstärkt.
Am neunten Tag der Mobilisierung, dem 23. März, versammelten sich zwischen 2 und 3 Millionen Menschen. Arbeiter und Arbeiterinnen, Rentner, Arbeitslose, Schüler und Studenten... Alle waren auf der Straße, um ihre Weigerung zu bekunden, sich bis zum Alter von 64 Jahren ausbeuten zu lassen. Die wahllosen Ausschreitungen einiger hundert Mitglieder schwarzen Blocks, die in den Nachrichten übertragen und international verbreitet werden, haben mit dem Wesen dieser Bewegung überhaupt nichts zu tun.
Diese sterilen und nutzlosen Aktionen dienen der CRS, der BRAV-M und anderen «Ordnungshütern" der Ausbeuter als Vorwand, um Repression auszuüben und Terror zu verbreiten. All dies geschieht mit dem Ziel, die Arbeiter und Arbeiterinnen von der Teilnahme an den Demonstrationen abzuhalten und Kundgebungen und Diskussionen zu verhindern.
Trotzdem ist die von der Regierung bewusst orchestrierte Strategie, die Bewegung durch Gewalt zu ersticken, im Moment nicht aufgegangen. Die Massivität und Entschlossenheit der Demonstranten in den zwei Tagen nach dem 23. März veranlasste Teile der herrschenden Klasse anderer Länder sogar dazu, Macron und seine Regierung via Europarat oder die UNO vor der "exzessiven Anwendung von Gewalt" zu warnen, da der Tod eines Demonstranten eine durchschlagende Wirkung auf das gesamte Proletariat in Westeuropa haben könnte.
Trotz der Provokationen und der zahlreichen Fallen, die von der Regierung, den Gewerkschaften und allen anderen Kräften der herrschenden Klasse gestellt werden, geht der Kampf in Frankreich also weiter! Die Massenhaftigkeit, die Kampfbereitschaft und die Solidarität bleiben intakt. Dies beunruhigt Teile der französischen Bourgeoisie, die angesichts der Isolation und der Unnachgiebigkeit von Macron und seiner Regierung entschlossen nach einem Ausweg suchen[i].
Das Ausmaß dieser Bewegung ist so groß, dass sie die Arbeiter und Arbeiterinnen in mehreren Ländern inspiriert. In Italien fragen wir uns, warum "niemand einen Finger gerührt hat", als 2011 das Rentenalter auf 67 Jahre erhöht wurde? Warum haben wir uns nicht geweigert, weiter ausgebeutet zu werden, wie es die Arbeiterklasse in Frankreich heute tut? Streikende Transportarbeiter in Deutschland haben offen erklärt, dass sie von der Bewegung in Frankreich inspiriert wurden. Das Gleiche gilt für Großbritannien und die Tschechei, auch in Bezug auf die Renten. Der Kampf gegen die Rentenreform ist also keineswegs eine Besonderheit der "gallischen Unnachgiebigkeit", sondern trägt aktiv zur Entwicklung der Kampfbereitschaft und der Reflexion der Arbeiterklasse auf internationaler Ebene bei.
Warum ist das so? Weil die Arbeiterklasse weltweit von der Inflation, den staatlichen Angriffen, der Verschlechterung der Lebensbedingungen und der Verschärfung der Ausbeutung am Arbeitsplatz betroffen ist.
Deshalb sind das "enough is enough", das in Großbritannien seit Monaten von den Arbeitern und Arbeiterinnen vieler Sektoren skandiert wird, das "ça suffit!" der Demonstranten in Frankreich, die Reaktion der Arbeitnehmer in Griechenland nach einem Eisenbahnunfall[ii] allesamt Teil derselben internationalen Bewegung der Wut und Unzufriedenheit: Spanien, Deutschland, Griechenland, Südkorea, Mexiko, China, Italien… überall Streiks und Demonstrationen, überall der gleiche Kampf, um sich gegen die schlimmsten Auswirkungen der Krise des Kapitalismus zu wehren.
Wie der internationale Widerhall des Kampfes in Frankreich zeigt, entsteht allmählich ein Keim von Verbindungen zwischen den Arbeitern, der über die Grenzen hinausgeht. Diese Solidaritätsreflexe sind das genaue Gegenteil der kapitalistischen Welt, die in konkurrierende Nationen aufgeteilt ist und ständig den Kult des Vaterlandes preist! Im Gegenteil, sie erinnern an die Losung der Arbeiterklasse seit 1848, den des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels: "Die Proletarier haben kein Vaterland! Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"
Die gegenwärtigen Kämpfe sind also der günstigste Boden für die Erkenntnis, dass "wir alle im selben Boot sitzen", wie die Demonstranten in Griechenland kürzlich betonten. Auch wenn es sich noch um einen sehr zerbrechlichen und verworrenen Prozess handelt, erlauben uns all diese Kämpfe, uns nach und nach bewusst zu machen, dass es möglich ist, als geeinte und kollektive Kraft zu kämpfen, als Klasse, als weltweite Arbeiterklasse!
Wenn Kampfkraft und Massivität allein die Bourgeoisie bisher nicht zum Nachgeben bewegen konnten, so ist allein die Tatsache, dass wir den kollektiven Kampf erlebt haben, die Sackgassen erkannt haben, mit den Fallen der Bourgeoisie konfrontiert sind und darüber nachdenken können, um Lehren daraus zu ziehen, bereits ein Sieg und ein weiterer Schritt für zukünftige Kämpfe: "Hin und wieder sind die Arbeiter siegreich, aber nur für eine gewisse Zeit. Die wirkliche Frucht ihrer Kämpfe liegt nicht im unmittelbaren Ergebnis, sondern in der sich immer weiter ausbreitenden Einheit der Arbeiter".[iii]
Jede Woche werden auf den Demonstrationen Slogans wie "Ihr sagt 64, wir geben euch wieder 68", "März 2023 ist der neue Mai 68" geäußert. Auch der Kampf gegen den Erstbeschäftigungsvertrag CPE im Jahr 2006 ist noch in aller Munde[iv]. Diese Erfahrungen aus der Geschichte der Arbeiterklasse sind sehr wertvoll für die Entwicklung der Kämpfe. Sie bilden einen Kompass, der es der Klasse ermöglicht, den Weg der Ausweitung und der Einheit des Kampfes zu finden.
1968 zwang das Proletariat in Frankreich die Regierung und die Gewerkschaften durch massive Arbeitsniederlegungen und die Ausbreitung von Vollversammlungen in Fabriken und anderen Betrieben, sich auf höhere Löhne zu einigen.
In den Jahren 1969 und 1972 gelang es den Bergarbeitern in Großbritannien ebenfalls, ein für die Arbeiterklasse günstiges Kräfteverhältnis zu schaffen, indem sie durch die Ausweitung des Kampfes aus der korporatistischen, berufsbornierten Logik ausbrechen konnten: Zu Dutzenden und Hunderten waren sie zu den Häfen, Stahlwerken, Kohlelagern und Kraftwerken gegangen, um diese zu blockieren und die dortigen Arbeiter davon zu überzeugen, sich ihnen im Kampf anzuschließen. Diese Methode, die als "fliegende Streikposten" berühmt wurde, brachte die kollektive Stärke, Solidarität und Einheit der Arbeiterklasse zum Ausdruck.
1980 erschütterte die Arbeiterklasse in Polen die Bourgeoisie in allen Ländern, indem sie sich in riesigen Vollversammlungen versammelte und Streikkomitees (das MKS) wählte, die über Forderungen und Kampfmaßnahmen entschieden, wobei sie stets bemüht waren, den Kampf auszuweiten.
Im Jahr 2006 waren es in Frankreich die von den Studenten organisierten Vollversammlungen, die für alle offen waren (Arbeiter, Arbeitslose, Rentner...), die das Zentrum eines Kampfes waren, der angesichts seiner dynamischen Ausweitung die Regierung Chirac dazu zwang, den Erstbeschäftigungsvertrag (CPE) zurück zu ziehen.
All diese Bewegungen zeigen, dass die Arbeiterklasse die Angriffe zurückschlagen und die herrschende Klasse zum Rückzug zwingen kann, sobald sie wirklich in der Lage ist, die Kontrolle über ihre Kämpfe zu übernehmen, um sie auszuweiten und sie auf der Grundlage gemeinsamer Forderungen und Aktionsmittel zu vereinigen.
Das Stillschweigen der Medien über das massive Ausmaß des Kampfes in Frankreich zielt ebenso wie die Verteufelung der Gewalt der Minderheiten in der Öffentlichkeit darauf ab, das Proletariat daran zu hindern, an diese Vergangenheit anzuknüpfen und sich ihrer Stärke bewusst zu werden. Deshalb muss heute die Entwicklung echter Diskussionsorte wie eigenständige, für alle offene Vollversammlungen als Aktionsmittel verteidigt werden, als das Mittel schlechthin, um darüber nachzudenken, wie man Kämpfe entwickeln und vereinheitlichen kann. Die Wiederaneignung der Lehren vergangener Kämpfe ist ein grundlegender Meilenstein in diesem Prozess der Wiedererlangung des Bewusstseins, ein und derselben Klasse anzugehören, die die Kraft in sich trägt das kapitalistische System zu überwinden.
Vinzenz, 7. April 2023
[i] Seit Wochen bemühen sich die Gewerkschaften die Regierung Macrons zu überzeugen die Bewegung zu beruhigen. Bisher blieb diese aber unnachgiebig.
[iii] Marx/Engels, "Kommunistisches Manifest" (1848)
[iv] Auch wenn sie weder dieselbe Bedeutung noch dieselbe historische Bedeutung wie der Mai 68 haben.
Vor ca. drei Woche trafen sich ungefähr 30 osteuropäische LKW-Fahrer auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen an der A5 …um nicht mehr weiter zu fahren[1]. Mittlerweile ist diese Gruppe auf über 60 Fahrer, meist aus Georgien, Usbekistan und anderen osteuropäischen Ländern angewachsen. Ein Streik in einem Sektor, welches als düsterstes Beispiel für Überausbeutung gilt. Der Transportsektor zu dem die LKW-Fahrer gehören, ist ganz im Allgemeinen mit der Bedingung konfrontiert, dass sie durch die atomisierte und „einsame“ Arbeit kaum Gelegenheit zu gemeinsamen Diskussionen über ihre Situation haben, was ein gemeinsames Handeln enorm erschwert. Der Widerstand den wir jetzt sehen - auch wenn er nur klein ist – stellt auf diesem Hintergrund einen Schritt nach vorne dar.
Der internationale Transportsektor schlägt den Puls der internationalen Lieferketten, die in den letzten 30 Jahren ein enormes Wachstum erfahren haben. Hier sind die Arbeitsbedingungen mit am schärfsten verschlechtert worden, in dem hunderttausende Arbeiter und Arbeiterinnen aus den Überresten der ehemaligen Sowjetunion und des Ostblocks angeheuert wurden. Hier gelten unverblümt die Gesetze der Expansion westlicher Firmen, die überall in den auseinandergefallenen Ländern des ehemaligen Ostblocks ihren Profit scheffelten. Die Verhältnisse sind hier eher vergleichbar mit denen im Bausektor oder sogar der Prostitution, als mit denjenigen schon sehr schlechten in den aus dem Boden gestampften Zulieferer-Fabriken. Sie sind ein typischerweise unkontrollierter Sektor, in dem der Staat bewusst freie Hand für mieseste Bedingung lässt und sich kaum um die Einhaltung minimalster Sicherheiten für die Arbeiter und Arbeiterinnen schert.
Der konkrete Anlass des Streiks liegt wohl darin begründet, dass das polnische Unternehmen, das als Vertragspartner für große Transportdienstleiter tätig ist, seit Monaten keine Löhne mehr gezahlt hat. Das polnische Unternehmen reagiert, wie es schon seit Jahren praktiziert wurde: Mit einem paramilitärischen Schlägertrupp, der mit einem gepanzerten Fahrzeug nach Deutschland geschickt wurde, um den Streikenden eine kleine Abreibung zu verpassen, sie sofort zur Aufgabe ihres Widerstandes zu zwingen, die LKW`s zu kapern und zurück zu führen. Soviel zu den empörenden Fakten.
Diese Bedingungen, die der Streik mit einem grellen Scheinwerferlicht aus seiner düsteren Normalität ans Tageslicht zerrt, sind die Bedingungen, die den Kern der kapitalistischen Produktionsweise ausmachen: Wir sind gezwungen unsere Arbeitskraft zu verkaufen, wir sind gezwungen unter Bedingungen zu leben und zu schuften, die uns diktiert werden.
Nachdem unter den für die Arbeiterklasse ausbeuterischen Bedingungen der ehemaligen Sowjetunion durch den Staat gewisse Marktmechanismen wie Arbeitslosigkeit oder Konkurrenzkampf umgangen wurden, ist nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 in weiten Teilen Ost-Europas ein unkontrolliertes Schlaraffenland für das Kapital entstanden. Auch in Westdeutschland wurde nach 1989 eine Phase der Privatisierung (Post, Bahn, Gesundheitssektor, Teile der Verwaltung) und Umstrukturierung der Produktionsketten eingeführt, vor dem Hintergrund einer geschwächten und verwirrten Arbeiterklasse.
Dort wo die Arbeiterklasse aus den unterschiedlichsten Gründen geschwächt ist, hält das Kapital so lange wie möglich mit wohlwollender Begleitung durch die bürgerlichen Gesetze des (demokratischen) Staates an diesen brutalen Bedingungen fest. Wir sehen dies in den Schlachthäusern in Niedersachsen, den Erdbeerfeldern in der Pfalz oder auf den Autobahnraststätten im ganzen Land. Wenn sich die Arbeiterklasse bewegt, dann wird deutlich, dass diese Verhältnisse keine vor- oder frühkapitalistische Ausnahme sind, sondern den grundsätzlichen Charakter der Ausbeutung im Kapitalismus darstellen.
Seit letztem Sommer sehen wir nun eine Welle von internationalen Kämpfen, die sich mit dem Slogan „genug ist genug“ von Großbritannien nach Frankreich, Portugal und Spanien ausweitet. In Deutschland streikt(e) insbesondere der arg von Privatisierungen und Vernachlässigung gekennzeichnete Öffentliche Sektor (Post, Gesundheitssektor, Schulen und auch die Bahn), wenn auch unter der totalen Kontrolle der Gewerkschaften die ein Teil des kapitalistischen Staates sind.
Der Streik der LKW-Fahrer, so klein und isoliert er auch ist, reiht sich ein in diese Streikwelle. Die Streikenden sind Teil der internationalen Arbeiterklasse. Durch ihren Kampf machen sie heute einen Schritt vom überausgebeuteten Rand der Arbeiterklasse auf diese internationale Kampfbewegung zu und werden Teil davon. Er ist ein Zeichen dafür, dass es auch unter schwierigsten Bedingungen möglich ist Widerstand zu leisten, mit der notwenigen Perspektive eines Zusammenschlusses, nicht nur mit anderen Teilen des Transportsektors, sondern mit der gesamten Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse kann ihre Schwächen nur überwinden, wenn sie sich selbst als Klasse mobilisiert!
Gerald, 19. 04. 2023
"Genug ist genug!" - Großbritannien. "Nicht ein Jahr mehr, nicht einen Euro weniger" - Frankreich. "Die Empörung sitzt tief" - Spanien. "Für uns alle" - Deutschland. All diese Slogans, die in den letzten Monaten bei Streiks in der ganzen Welt skandiert wurden, zeigen, wie sehr die aktuellen Kämpfe der Arbeiter und Arbeiterinnen die Ablehnung der allgemeinen Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen zum Ausdruck bringen. In Dänemark, Portugal, den Niederlanden, den USA, Kanada, Mexiko, China... die gleichen Streiks gegen die gleiche, immer unerträglichere Ausbeutung. "Die wirkliche Not: nicht heizen, essen, für sich sorgen, zur Arbeit fahren können!"
Aber unsere Kämpfe sind noch viel mehr als das. Bei Demonstrationen begannen wir auf einigen Plakaten die Ablehnung des Krieges in der Ukraine auszudrücken, die Weigerung, immer mehr Waffen und Bomben zu produzieren, den Gürtel im Namen der Entwicklung der Kriegswirtschaft enger schnallen zu müssen: "Kein Geld für den Krieg, kein Geld für Waffen, Geld für Löhne, Geld für Renten", war bei Demonstrationen in Frankreich zu hören. Sie drücken auch die Weigerung aus, die Zerstörung des Planeten im Namen des Profits zu akzeptieren.
Unsere Kämpfe sind das Einzige, was sich dieser selbstzerstörerischen Dynamik entgegenstellt, das Einzige, was sich dem Untergang entgegenstellt, den der Kapitalismus der gesamten Menschheit noch bieten kann. Denn dieses dekadente System wird, wenn man es seiner eigenen Logik überlässt, immer größere Teile der Menschheit in Krieg und Elend stürzen, es wird den Planeten mit Treibhausgasen verwüsteten, Wälder zerstören und Bomben säen.
Die Klasse, die die Welt beherrscht, die Bourgeoisie, ist sich dieser Realität und der barbarischen Zukunft, die ihr dekadentes System uns verspricht, teilweise bewusst. Man muss nur die Studien und Vorhersagen ihrer formidablen Experten lesen.
So heißt es im "Global Risks Report", der im Januar 2023 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vorgestellt wurde: "Die ersten Jahre dieses Jahrzehnts haben eine besonders zerstörerische Periode in der Geschichte der Menschheit eingeläutet. Die Rückkehr zu einer 'neuen Normalität' nach der COVID-19-Pandemie wurde durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine schnell unterbrochen und leitete eine neue Reihe von Lebensmittel- und Energiekrisen ein [...]. Zu Beginn des Jahres 2023 sieht sich die Welt mit einer Reihe von Risiken konfrontiert [...]: Inflation, Lebenshaltungskostenkrisen, Handelskriege [...], geopolitische Konfrontation und das Schreckgespenst eines Atomkriegs [...], ein unhaltbares Schuldenniveau [...], ein Rückgang der menschlichen Entwicklung [...], der wachsende Druck durch die Auswirkungen des Klimawandels und die Ambitionen [...]. Zusammengenommen werden diese Faktoren ein einzigartiges, unsicheres und turbulentes Jahrzehnt prägen".
In Wirklichkeit ist das kommende Jahrzehnt gar nicht so "ungewiss", wie es im selben Bericht heißt: "Das nächste Jahrzehnt wird geprägt sein von ökologischen und gesellschaftlichen Krisen [...], der 'Lebenskostenkrise' [...], dem Verlust der biologischen Vielfalt und dem Zusammenbruch von Ökosystemen [...], geoökonomischen Konfrontationen [...], unfreiwilliger Migration in großem Maßstab [...], globaler wirtschaftlicher Fragmentierung, geopolitischen Spannungen [...]. Wirtschaftskriege werden zur Norm, mit zunehmender Konfrontation zwischen den Weltmächten [...]. Der jüngste Anstieg der Militärausgaben [...] könnte zu einem globalen Wettrüsten führen [...], mit dem gezielten Einsatz von New-Tech-Waffen in einem potenziell zerstörerischen Ausmaß wie in den letzten Jahrzehnten."
Angesichts dieser erdrückenden Perspektiven ist die Bourgeoisie machtlos. Sie und ihr System sind nicht die Lösung, sie sind die Ursache des Problems. Wenn sie uns in den Mainstream-Medien weismachen will, dass sie alles tut, um die globale Erwärmung zu bekämpfen, dass ein "grüner" und "nachhaltiger" Kapitalismus möglich sei, weiß sie um das Ausmaß ihrer eigenen Lügen. Denn, wie der "Global Risks Report" hervorhebt: "Heute haben die atmosphärischen Konzentrationen von Kohlendioxid, Methan und Distickstoffoxid alle Rekordwerte erreicht. Aufgrund der Emissionsentwicklung ist es sehr unwahrscheinlich, dass die angestrebte Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C erreicht werden kann. Die jüngsten Ereignisse haben eine Divergenz zwischen dem, was wissenschaftlich notwendig ist, und dem, was politisch zweckmäßig ist, offenbart."
In Wirklichkeit ist diese "Divergenz" nicht auf die Klimafrage beschränkt. Sie ist Ausdruck des grundlegenden Widerspruchs eines Wirtschaftssystems, das nicht auf der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern auf Profit und Wettbewerb basiert, auf dem Raubbau an den natürlichen Ressourcen und der grausamen Ausbeutung der Klasse, die den größten Teil des gesellschaftlichen Reichtums produziert: des Proletariats, der Lohnarbeiter aller Länder.
Der Kapitalismus und seine herrschende Klasse sind einer der beiden Pole der Gesellschaft, derjenige, der die Menschheit in Armut und Krieg, in Barbarei und Zerstörung führt. Der andere Pol ist das Proletariat und sein Kampf. Seit einem Jahr halten in den sozialen Bewegungen, die sich in Frankreich, Großbritannien und Spanien entwickelt haben, Beschäftigte, Rentner, Arbeitslose und Studenten zusammen. Diese aktive Solidarität, diese kollektive Kampfbereitschaft zeugt vom tiefgreifenden Charakter des Kampfes der Arbeiter: ein Kampf für eine radikal andere Welt, eine Welt ohne Ausbeutung und soziale Klassen, ohne Konkurrenz, ohne Grenzen und Nationen. "Arbeiter halten zusammen", rufen die Streikenden in Großbritannien. "Entweder wir kämpfen gemeinsam oder wir werden auf der Straße schlafen", bekräftigen die Demonstrierenden in Frankreich. Die Losung "Für uns alle", unter dem der Streik gegen die Angriffe auf den Lebensstandard am 27. März in Deutschland stattfand, zeigt deutlich das allgemeine Gefühl, das in der Arbeiterklasse wächst: Wir sitzen alle im selben Boot und wir kämpfen alle füreinander. Die Streiks in Deutschland, Großbritannien und Frankreich haben sich gegenseitig inspiriert. In Frankreich streikten die Arbeiter und Arbeiterinnen ausdrücklich in Solidarität mit ihren kämpfenden Klassenbrüdern und -schwestern in Großbritannien: "Wir sind solidarisch mit den britischen Arbeitern, die seit Wochen für höhere Löhne streiken". Dieser Reflex der internationalen Solidarität ist das genaue Gegenteil der kapitalistischen Welt, die in konkurrierende Nationen aufgeteilt ist, bis hin zum Krieg. Er erinnert an die Losung unserer Klasse seit 1848: "Das Proletariat hat kein Vaterland! Proletarier aller Länder vereinigt euch!"
Überall auf der Welt ändert sich die Stimmung in der Gesellschaft. Nach jahrzehntelanger Passivität und Zurückhaltung beginnt die Arbeiterklasse, zum Kampf und zu Selbstvertrauen zurückzufinden. Das haben der "Sommer des Zorns" und die Rückkehr der Streiks in Großbritannien gezeigt, fast vierzig Jahre nach der Niederlage der Bergarbeiter durch Thatcher im Jahr 1985.
Aber wir alle spüren die Schwierigkeiten und die derzeitigen Grenzen unserer Kämpfe. Angesichts der Dampfwalze der Wirtschaftskrise, der Inflation und der Angriffe der Regierung, die sie "Reformen" nennen, sind wir noch nicht in der Lage, ein Gleichgewicht der Kräfte zu unseren Gunsten herzustellen. Oftmals isoliert in einzelnen Streiks oder frustriert durch Demonstrationen, die sich auf bloße Umzüge beschränken, ohne Versammlungen oder Diskussionen, ohne Generalversammlungen oder kollektive Organisationen, streben wir alle nach einer breiteren, stärkeren und geeinten Bewegung. Bei den Demonstrationen in Frankreich wird immer wieder der Ruf nach einem neuen Mai 68 laut. Angesichts der "Reform", die das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre verschiebt, war der beliebteste Slogan auf den Plakaten: "Ihr gebt uns 64, wir geben euch den Mai 68".
1968 schloss sich das Proletariat in Frankreich zusammen und nahm den Kampf selbst in die Hand. Nach den großen Demonstrationen vom 13. Mai gegen die Polizeirepression welche gegen die Studenten ausgeübt wurde, verbreiteten sich Arbeitsniederlegungen und Generalversammlungen wie ein Lauffeuer in den Fabriken und an allen Arbeitsplätzen und mündeten mit 9 Millionen Streikenden in den größten Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Angesichts dieser Dynamik der Ausweitung und Einheit des Arbeiterkampfes beeilten sich die Regierung und die Gewerkschaften Hand in Hand, eine Vereinbarung über eine allgemeine Lohnerhöhung zu unterzeichnen, um die Bewegung zu stoppen. Gleichzeitig mit dieser Wiederbelebung des Arbeiterkampfes von 1968 gab es eine starke Rückkehr zur Idee und Perspektive der Revolution, die von vielen Arbeitern und Arbeiterinnen im Kampf diskutiert wurde.
Ein Ereignis dieses Ausmaßes zeugt von einem grundlegenden Wandel im Leben der Gesellschaft: Es war das Ende der schrecklichen Konterrevolution, die die Arbeiterklasse seit Ende der 1920er Jahre (mit dem Scheitern der weltrevolutionären Welle nach ihrem ersten Erfolg im Oktober 1917 in Russland) erfasst hatte. Eine Konterrevolution, die das abscheuliche Gesicht des Stalinismus und des Faschismus angenommen hatte, die dem Zweiten Weltkrieg mit seinen 60 Millionen Toten die Tür geöffnet hatte und dann noch zwei Jahrzehnte weiterging. Aber das Wiederaufleben des Kampfes, das 1968 in Frankreich begann, wurde schnell in allen Teilen der Welt durch eine Reihe von Kämpfen in einem seit Jahrzehnten unbekannten Ausmaß bestätigt:
- Der «Heiße Herbst» 1969 in Italien, der auch als "zügelloser Mai" bezeichnet wird und in dem es zu massiven Kämpfen in den wichtigsten Industriezentren kam und die Gewerkschaftsführungen deutlich in Frage gestellt wurde.
- Der Arbeiteraufstand im argentinischen Córdoba im selben Jahr.
- Die massiven Streiks der Arbeiter in Polen im Winter 1970/71.
- Zahlreiche weitere Kämpfe in den folgenden Jahren in praktisch allen europäischen Ländern, insbesondere in Großbritannien.
- In Polen trugen die Streikenden 1980 angesichts der steigenden Lebensmittelpreise diese internationale Welle noch weiter, indem sie ihre Kämpfe selbst in die Hand nahmen, sich in großen Vollversammlungen versammelten, selbst entschieden, welche Forderungen sie stellen und welche Aktionen sie durchführen wollten, und vor allem, indem sie sich ständig bemühten, den Kampf auszuweiten. Angesichts dieser Machtdemonstration der Arbeiter zitterte nicht nur die polnische Bourgeoisie, sondern die herrschende Klasse in allen Ländern.
In zwei Jahrzehnten, von 1968 bis 1989, hat eine ganze Generation von Arbeitern Erfahrungen im Kampf gesammelt. Die vielen Niederlagen und manchmal auch Siege haben es dieser Generation ermöglicht, den vielen Fallen zu begegnen, die die Bourgeoisie aufgestellt hat, um zu sabotieren, zu spalten und zu demoralisieren. Aus ihren Kämpfen müssen wir wichtige Lehren für unsere gegenwärtigen und zukünftigen Kämpfe ziehen: Nur wenn wir uns in offenen und massiven Vollversammlungen versammeln, autonom und wirklich über die Richtung der Bewegung entscheiden, außerhalb und sogar gegen die Kontrolle der Gewerkschaften, können wir die Grundlage für einen vereinten und wachsenden Kampf schaffen, der in Solidarität zwischen allen Sektoren, allen Generationen geführt wird. Massenversammlungen, in denen wir uns geeint und in unserer kollektiven Stärke sicher fühlen. Massenversammlungen, auf denen wir gemeinsam immer mehr vereinheitlichende Forderungen aufstellen können. Massenversammlungen, in denen wir uns versammeln und von denen aus wir uns in großen Delegationen auf den Weg machen können, um unsere Klassenbrüder und -schwestern zu treffen, Arbeiter in Fabriken, Krankenhäusern, Schulen, Einkaufszentren, Büros... jene, die uns am nächsten sind.
Die neue Generation der Arbeiter und Arbeiterinnen, die jetzt die Fackel in die Hand nimmt, muss zusammenkommen, diskutieren, um die großen Lehren aus den vergangenen Kämpfen neu zu lernen. Die ältere Generation muss der jüngeren Generation von ihren Kämpfen erzählen, damit die gesammelten Erfahrungen weitergegeben werden und zu einer Waffe in den kommenden Kämpfen werden können.
Aber wir müssen weiter gehen. Die Welle des internationalen Kampfes, die im Mai 1968 begann, war eine Reaktion auf die Verlangsamung des Wachstums und das Wiederauftreten der Massenarbeitslosigkeit. Heute ist die Lage noch viel ernster. Der katastrophale Zustand des Kapitalismus setzt das Überleben der Menschheit aufs Spiel. Wenn es uns nicht gelingt, ihn zu überwinden, wird die Barbarei allmählich die Oberhand gewinnen.
Der Schwung des Mai-68 wurde durch eine doppelte Lüge der Bourgeoisie zunichte gemacht: Als die stalinistischen Regime 1989-91 zusammenbrachen, behaupteten sie, dass der Zusammenbruch des Stalinismus den Tod des Kommunismus bedeute und dass eine neue Ära des Friedens und des Wohlstands anbreche. Drei Jahrzehnte später wissen wir aus Erfahrung, dass wir statt Frieden und Wohlstand nur Krieg und Elend bekommen haben. Wir müssen immer noch verstehen, dass der Stalinismus das Gegenteil des Kommunismus ist, dass er eine besonders brutale Form des Staatskapitalismus ist, die aus der Konterrevolution der 1920er Jahre hervorgegangen ist. Indem sie die Geschichte verfälschte, indem sie den Stalinismus als Kommunismus ausgab (wie die UdSSR von gestern und China, Kuba, Venezuela oder Nordkorea von heute!), gelang es der Bourgeoisie, die Arbeiterklasse glauben zu machen, dass ihr revolutionäres Befreiungsprojekt nur in die Katastrophe führen konnte - so lange, bis Argwohn und Misstrauen mit dem Wort «Revolution» in Verbindung gebracht wurde.
Aber im Kampf werden wir nach und nach unsere kollektive Stärke, unser Selbstvertrauen, unsere Solidarität, unsere Einheit, unsere Selbstorganisation entwickeln. Im Kampf werden wir allmählich erkennen, dass wir, die Arbeiterklasse, in der Lage sind, eine andere Perspektive zu bieten als den Alptraum, den ein zerfallendes kapitalistisches System verspricht: die kommunistische Revolution.
Die Perspektive der proletarischen Revolution wächst, in unseren Köpfen und in unseren Kämpfen.
Die Zukunft gehört dem Klassenkampf!
Internationale Kommunistische Strömung, 22. April 2023
Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Mexiko, China.... Wir müssen weiter gehen als 1968.
Genug ist genug!" - Großbritannien. "Nicht ein Jahr mehr, nicht einen Euro weniger" - Frankreich. "Die Empörung sitzt tief" - Spanien. "Für uns alle" - Deutschland. All diese Slogans, die in den letzten Monaten bei den Streiks in der ganzen Welt skandiert wurden, zeigen, wie sehr der aktuelle Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen die Ablehnung der allgemeinen Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen zum Ausdruck bringt.
In Frankreich riefen die Arbeiter und Arbeiterinnen auch die Parole "Ihr gebt uns 64, wir geben euch Mai 68". Angesichts der Erhöhung der Lohnarbeitsjahre von 62 auf 64 kehren wir zu den massiven Kämpfen vom Mai 1968 zurück.
Aber wir müssen noch weiter gehen. Die Welle der internationalen Kämpfe, die im Mai 1968 begann, war eine Reaktion auf die ersten Anzeichen der Weltwirtschaftskrise. Heute ist die Lage noch viel ernster. Der katastrophale Zustand des Kapitalismus setzt das Überleben der Menschheit aufs Spiel.
Der Schwung des Mai 68 wurde durch die Lügen der Bourgeoisie gebrochen. Als die UdSSR 1990 zusammenbrach, behauptete sie, dass der Zusammenbruch des Stalinismus den «Tod des Kommunismus» bedeute und dass eine neue «Ära des Friedens und des Wohlstands» anbreche. Drei Jahrzehnte später wissen wir aus Erfahrung, dass wir statt Frieden und Wohlstand nur Krieg und Elend bekommen haben.
Wir müssen begreifen, dass der Stalinismus das absolute Gegenteil des Kommunismus war, dass er ein barbarisches kapitalistisches Regime war, das aus der Niederschlagung der Arbeiterklasse der 1920er Jahre hervorging. Durch die Verfälschung der Geschichte, durch die Darstellung des Stalinismus als Kommunismus, ist es der herrschenden Klasse gelungen, die Arbeiterklasse glauben zu machen, dass ihr Projekt der revolutionären Emanzipation nur in einer Katastrophe enden kann.
Aber im Kampf gegen die heutigen Bedingungen werden wir nach und nach unsere kollektive Stärke, unsere Einheit und unsere Selbstorganisation entwickeln. Im Kampf werden wir allmählich erkennen, dass wir - die Arbeiterklasse - in der Lage sind, eine andere Perspektive zu bieten als den Alptraum, den ein zerfallendes kapitalistisches System offenbart.
Diskutiert mit uns die Lehren des Mai 68 für die Kämpfe von heute!
Wenn ihr teilnehmen wollt, schreibt uns an [email protected] [270], und wir schicken euch die Details.
Fünf Monate Kampf, vierzehn Aktionstage, Millionen von Demonstranten, eine Vielzahl von Streiks und Blockaden, Mobilisierungsrekorde... Kurz gesagt, eine soziale Bewegung von einem Ausmaß, das in Frankreich seit 1968 unbekannt war. Dennoch wurde die Rentenreform verabschiedet. War also alles umsonst? Absolut nicht!
Diese Bewegung ist ein Versprechen für die Zukunft. Sie ist ein Zeichen dafür, dass wir, die Arbeiterklasse, begonnen haben, uns wieder zu erheben. Wir ziehen im Kampf wieder an einem Strang. Jahrzehntelang haben wir die unaufhörlichen Angriffe der aufeinanderfolgenden Regierungen - sowohl der rechten als auch der linken - hinnehmen müssen.
Aber von nun an lehnen wir diese ständige Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen ab. Das zeigt die Massivität unserer Bewegung.
Bereits bei der ersten Demonstration, der vom 19. Januar, machte sich die große Mehrheit keine Illusionen: Die Regierung würde nicht zurückweichen. Doch Woche für Woche waren wir zu Millionen auf der Straße, nicht bereit uns zu unterwerfen. Indem wir uns weigerten zu resignieren, indem wir alle gemeinsam kämpften, die Solidarität zwischen den Branchen wie auch zwischen den Generationen entwickelten, haben wir einen ersten Sieg errungen: die Tatsache, dass wir den Kampf aufgenommen haben.
"Von Zeit zu Zeit siegen die Arbeiter, aber nur vorübergehend. Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter.” (Marx und Engels, Kommunistisches Manifest, 1848)
Dieser Sieg ist wertvoll für die Zukunft. Denn wir wissen, dass die Angriffe noch zunehmen werden. Die Preise für Lebensmittel, Strom, Mieten, Treibstoff... werden weiter steigen. Sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst werden die prekäre Arbeitsverhältnisse, Unterbesetzung, höllischer Arbeitsrhythmus und schlechte Bezahlung sich immer weiter verschlechtern. Der Staat wird weiterhin das Gesundheitssystem, das Bildungssystem, das Transportwesen usw. zerstören. Nur die Ausgaben für Rüstung und Repression werden erhöht!
Wir müssen also weiterkämpfen und uns dabei auf die Erfahrungen unserer jetzigen Bewegung stützen. Deshalb ist es unerlässlich, dass wir uns überall wo es möglich ist versammeln (nach dem Abschluss von Demonstrationen, an unseren Arbeitsplätzen, in Kampfkomitees oder Diskussionszirkeln, bei Treffen revolutionärer Organisationen), um zu diskutieren und die Lehren ziehen. Ja, diese Bewegung ist lehrreich:
- In den letzten Jahrzehnten waren wir zahlreichen Angriffen ausgesetzt, blieben voneinander isoliert und hilflos. Wir hatten das Vertrauen in unsere Fähigkeit verloren, uns zu vereinen, massenhaft zu kämpfen. Schlimmer noch, wir hatten sogar vergessen, dass unsere Stärke – die kollektive Kraft – überhaupt existieren kann. Diese Zeiten sind vorbei.
- Indem wir alle gemeinsam im Kampf standen, begannen wir uns bewusst zu werden, dass wir eine einzige Kraft sind. Wir sind die Arbeiterklasse! Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner, prekär beschäftigte Studenten, Beschäftigte in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst, im Blaumann oder im weißen Kittel, in den Werkstätten oder in den Büros; wir sind alle Ausgebeutete, die, atomisiert jeder in seiner Ecke, nichts gegen das Kapital ausrichten können, aber die, wenn vereint im Kampf, zur größten sozialen Kraft der Geschichte werden.
- Es ist genau diese Rückeroberung unserer Klassenidentität, die dafür gesorgt hat, dass die Erfahrungen unserer vergangenen Kämpfe wieder lebendig werden. Es ist kein Zufall, dass der häufigste Slogan auf den Plakaten lautete: "Nein zu 64, ja zu Mai 68”. Noch spektakulärer ist, dass in den Diskussionen wieder auf die Bewegung gegen den CPE von 2006 Bezug genommen wird, während diese Erfahrung bislang völlig ignoriert wurde, als ob sie ausgelöscht worden wäre und nie stattgefunden hätte. Indem wir wieder anfangen als Arbeiterklasse zu kämpfen, ermöglichen wir den Beginn der Wiederaneignung unserer Geschichte, unserer Erfahrungen, unserer Siege und unserer Niederlagen, um in Zukunft geeinter, organisierter und stärker zu sein.
- Im Gegensatz zu 2018, als die Eisenbahner wochenlang und bis zur Erschöpfung allein streikten, während die anderen Bereiche zum "Stellvertreterstreik" und zur platonischer Solidarität aufgerufen wurden, blieb dieses Mal kein Bereich isoliert, ging kein Bereich niedergeschlagen aus den Protesten hervor. Selbst nicht die Beschäftigtgen der Raffinerien, die obwohl sie Monat für Monat dazu gedrängt wurden, sich im Namen der Blockade der Wirtschaft auf ihren Arbeitsplatz zurückzuziehen. Diesmal hat sich die Dynamik der aktiven Solidarität im Kampf durchgesetzt. Die klassische Falle der Spaltung und Isolation hat nicht funktioniert.
- Durch bruale Repression und schändliche Provokation hoffte der französische Staat, die Mehrheit der Arbeiter in Angst und Schrecken zu versetzen und eine Minderheit in die unfruchtbare und verlorene Konfrontation mit den Ordnungskräften zu treiben. Auch hier konnten wir diese Falle vermeiden, trotz der großen berechtigten Wut über die Prügel und Beleidigungen.
- Dieser Staatsterror auf der Straße, wie auch das Durchpeitschen der Rentenreform dank der Mechanismen der verfassungsmäßigen Ordnung der Republik auf völlig legale Weise, haben sogar begonnen, die Maske der bürgerlichen Demokratie zu lüften und das, was sich dahinter verbirgt, sichtbar zu machen: die kapitalistische Diktatur.
- Schließlich, und vielleicht am wichtigsten, hat diese Bewegung dazu beigetragen, dass eine für die Zukunft wesentliche Frage auftauchte: Wie kann ein günstiges Kräfteverhältnis geschaffen werden? Wir sind monatelang mehrfach in Millionenstärke auf die Straße gegangen, und dennoch hat die französische Bourgeoisie nicht nachgegeben. Woran lag das? Was hat dieser Bewegung gefehlt, um die Regierung zum Rückzug zu bewegen?
Um das zu verstehen, um beim nächsten Mal weiter zu gehen, müssen wir genau den Weg, den diese Bewegung eingeschlagen hat, weitergehen: Erinnern wir uns an unsere vergangene Kampferfahrungen und ihre Lehren.
Einige Kämpfe in der Vergangenheit zeigen, dass es möglich ist, eine Regierung zurückzudrängen und ihre Angriffe zu bremsen. 1968 vereinigte sich das Proletariat in Frankreich, indem es seine Kämpfe selbst in die Hand nahm. Nach den riesigen Demonstrationen am 13. Mai, um gegen die von den Studenten erlittene Polizeirepression zu protestieren, breiteten sich Arbeitsniederlegungen und Vollversammlungen wie ein Lauffeuer in den Fabriken und Betrieben aus und führte mit 9 Millionen Streikenden zum größten Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Angesichts dieser Dynamik der Ausweitung und der Einheit des Kampfes beeilten sich die Regierung und die Gewerkschaften, ein Abkommen über allgemeine Lohnerhöhungen zu unterzeichnen, um die Bewegung zu stoppen.
Im August 1980 gingen in Polen angesichts der steigenden Preise die Streikenden noch einen Schritt weiter bei der eigenständigen Organisierung der Kämpfe. Sie strömten zusammen in riesigen Vollversammlungen, entschieden selbst über Forderungen und Aktionen und vor allem waren sie ständig bestrebt, den Kampf auszudehnen. Angesichts dieser Kraft zitterte nicht nur die polnische Bourgeoisie, sondern die aller Länder.
Im Jahr 2006 zog in Frankreich nach nur wenigen Wochen der Mobilisierung die Regierung ihren "Contrat Première Embauche" zurück. Was erschreckte die Bourgeoisie so sehr, dass sie so schnell den Rückzug antrat? Prekäre Studenten organisierten an den Universitäten große Vollversammlungen, offen für Arbeiter, Arbeitslose und Rentner... Sie stellten ein einigendes Motto in den Vordergrund: den Kampf gegen die Prekarisierung und die Arbeitslosigkeit. Die Vollversammlungen waren das Zentrum der Bewegung, wo die Debatten geführt und die Entscheidungen getroffen wurden. An jedem Wochenende umfassten die Demonstrationen immer mehr Bereiche. Die Lohnabhängigen und Rentner hatten sich den Studenten angeschlossen, unter dem Motto: "Junge Speckrollen, alte Knacker, alle gleich”.
Denn die größte Stärke eines Kampfes besteht darin, dass er die Angelegenheit aller Ausgebeuteten und nicht die von "Spezialisten" ist. In Wirklichkeit ist es so, dass alle von den Gewerkschaften vorgeschlagenen "Aktionen" gerade darauf abzielen, zu verhindern, dass sie von uns "überrannt" werden, und die Dynamik dieser siegreichen Bewegungen nicht wieder aufkommt. Sie wollen verhindern, dass wir diskutieren und selbst entscheiden wie wir uns verhalten sollen. Mahnwachen, Streiks, Demonstrationen, Blockade der Wirtschaft... solange diese Aktionen unter der Kontrolle der Gewerkschaften organisiert sind, kann dies nur zu einer Niederlage führen.
Was machen die Gewerkschaften in Großbritannien seit nunmehr fast einem Jahr? Sie zersplittern die Gegenwehr der Arbeiter: jeden Tag ein anderer Bereich im Streik, Jeder in seiner Ecke, Jeder getrennt von den Anderen an seinem Streikposten. Keine Vollversammlung, keine kollektive Debatte, keine wirkliche Einheit im Kampf. Es handelt sich hierbei nicht etwa um einen Strategiefehler, sondern um eine bewusste Spaltung. Bereits 1984/85, gelang es der Thatcher-Regierung, das Rückgrat der Arbeiterklasse durch die gleiche schmutzige Arbeit der Gewerkschaften zu brechen. Sie isolierten die Bergarbeiter von den Beschäftigten aus den anderen Bereichen. Sie trieben sie in einen langen und hilflosen Kampf. Über ein Jahr lang besetzten die Bergarbeiter unter dem Motto der "Blockade der Wirtschaft" die Schächte. Allein und hilflos, kämpften die Streikenden bis ans Ende ihrer Kräfte und ihres Mutes. Und ihre Niederlage war die Niederlage der gesamten Arbeiterklasse! Die Arbeiter in Großbritannien erheben ihren Kopf erst heute wieder, mehr als dreißig Jahre später! Diese Niederlage ist also eine eine teuer bezahlte Lektion, die das Weltproletariat nicht vergessen darf.
Nur die Zusammenkunft in offenen, massenhaften, selbständigen Vollversammlungen die wirklich die Führung über die Bewegung übernehmen, kann die Grundlage für einen geeinten und sich ausdehnenden Kampf bilden, der von der Solidarität zwischen allen Bereichen und allen Generationen getragen wird. Vollversammlungen, in denen wir gemeinsam die Forderungen aufstellen, die uns immer mehr vereinen. Vollversammlungen, in denen wir zusammenkommen und von denen aus wir in Massendelegationen Kontakt aufnehmen mit anderen Arbeitern und Arbeiterinnen, den Beschäftigten in den Betrieben, den Krankenhäusern, den Schulen, den Verwaltungen usw, die sich in unserer Nähe befinden.
Heute fehlt es uns immer noch an Selbstvertrauen, an Vertrauen in unsere kollektive Stärke, um es zu wagen, unsere Kämpfe selbst in die Hand zu nehmen. Das ist die derzeitige Grenze unserer Bewegung. Deshalb hat die französische Bourgeoisie nicht gezittert, deshalb ist ihre Regierung nicht zurückgewichen. Aber unsere Geschichte beweist, dass wir dazu in der Lage sind. Und es gibt ohnehin keinen anderen Weg.
Der Kapitalismus wird uns weiterhin in Elend und Barbarei stürzen. Seiner eigenen Logik überlassen, wird dieses dekadente System immer größere Teile der Menschheit in Krieg und Elend stürzen, es wird die Umwelt immer mehr zerstören, immer mehr Wälder abholzen und immer mehr Bomben werfen.
Das Gefühl der Solidarität, dass wir alle im selben Boot sitzen, das Bedürfnis, dass wir zwischen den verschiedenen Bereichen und zwischen den verschiedenen Generationen zusammenhalten, offenbart das tiefere Wesen des Kampfes der Arbeiterklasse, ein Kampf für eine vollkommen andere Welt, ohne Ausbeutung und ohne Klassen, ohne Grenzen und ohne Auseinandersetzungen zwischen Nationen, in der der "Krieg aller gegen alle" durch die Solidarität aller Menschen ersetzt wird: Kommunismus.
Unser historischer Kampf gegen den Kapitalismus ist ein internationaler Kampf. In den letzten zwölf Monaten kam es zu einer Reihe von soziale Bewegungen in einem seit den 1980er Jahren nicht mehr gekannten Ausmaß in Großbritannien, in Spanien, Deutschland, Dänemark, in Portugal, in den Niederlanden, in den USA, in Kanada, in Mexiko, in China... die gleichen Streiks gegen die gleiche Ausbeutung, die immer unhaltbarer wird. "Die Arbeiter halten zusammen", riefen die Streikenden in Großbritannien. "Entweder wir kämpfen zusammen, oder wir werden am Ende auf der Straße schlafen!", riefen die Demonstranten in Frankreich. Das Motto "Für uns alle ", unter dem der Streik in Deutschland am 27. März stattfand, ist besonders bezeichnend für dieses allgemeine Gefühl, das in der Arbeiterklasse wächst: Wir kämpfen alle füreinander.
Im Kampf gegen die Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen, insbesondere gegen die Inflation, werden wir nach und nach unsere kollektive Stärke, unser Selbstvertrauen, unsere Solidarität und unsere Einheit entwickeln. Im Kampf werden wir nach und nach erkennen, dass wir, die Arbeiterklasse, in der Lage sind, unsere Kämpfe selbst in die Hand zu nehmen, uns zu organisieren, uns in Vollversammlungen zu versammeln, um über unsere Losungen und Aktionen zu entscheiden. Wir werden nach und nach feststellen, dass wir in der Lage sind, eine andere Perspektive zu entwickeln als die des todgeweihten, zerfallenden Systems: die proletarische Revolution.
Die Perspektive der proletarischen Revolution wird in unseren Köpfe wieder auftauchen und in unsere Kämpfe zurückkehren.
Die Zukunft gehört dem Klassenkampf!
Internationale Kommunistische Strömung IKS
4. Juni 2023
Nach zehn Monaten Streiks in mehreren Sektoren kann die herrschende Klasse sowohl auf dem europäischen Kontinent als auch in Großbritannien nicht länger die Tatsache verbergen, dass die Arbeiterklasse erneut ihr Haupt erhoben hat. Die bürgerlichen Medien die anfangs zurückhaltend berichteten, müssen nun zugeben, dass die Streiks alle Rekorde gebrochen haben – nicht nur in Bezug auf die Zahl der beteiligten Arbeiter und Arbeiterinnen und der verschiedenen Sektoren, sondern auch in Bezug auf die Dynamik einer ausgedehnten Streikwelle.[1]
Die Internationalist Communist Tendency (Internationale Kommunistische Tendenz IKT) hat durch ihre Mitgliedsorganisation in Großbritannien, die Communist Workers' Organisation, eine Organisation welche der Kommunistischen Linken angehört, in einer Reihe von Artikeln und Flugblättern zu den Mobilisierungen und Streiks Stellung bezogen. Sie verteidigt im Allgemeinen proletarische Klassenpositionen und betont, dass der Kapitalismus keinen Ausweg aus seiner sich verschärfenden Krise hat und gezwungen ist, seinen Angriff auf die Arbeiterklasse zu verstärken. Ebenso vertritt sie die Position, dass die Arbeiterklasse aus dem Gewerkschaftsgefängnis ausbrechen muss, wenn sie die Spaltungen überwinden will, und dass dies bedeutet, die Organisation des Kampfes in die eigenen Hände zu nehmen.
Es reicht jedoch nicht aus abstrakte Positionen vorzuschlagen die mit willkürlichen Analysen durchsetzt sind. Revolutionäre Organisationen haben die Aufgabe, das Kräfteverhältnis und den Kontext in dem Kämpfe stattfinden genau zu bewerten, um konkrete Perspektiven für den Klassenkampf aufzuzeigen. In dieser Hinsicht ist die Analyse der IKT über die Bedeutung der Streikwelle in Großbritannien sehr widersprüchlich und offenbart ihren ungenügenden Rahmen für das Verständnis des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen.
Die ersten Ausdrucksformen des Kampfes in Großbritannien lösten bei der IKT zunächst eine Begeisterung aus: „Die Frontalangriffe auf die Arbeitsbedingungen provozieren den Beginn eines neuen Widerstands (...) nach Jahrzehnten des Rückzugs der Klasse“ und „In der aktuellen Welle wilder Streiks sehen wir bereits die Möglichkeit, sowohl den gewerkschaftlichen als auch den gesetzlichen Rahmen des kapitalistischen Staates zu sprengen“[2]. Doch dann kühlte der Enthusiasmus der IKT deutlich ab: „In diesem Sinne sind wir noch weit von der Militanz der 1970er Jahre entfernt, auch wenn die Gefahr der „money militancy“ (Geldmilitanz) besteht, bei der sich isolierte Teile der Arbeiter und Arbeiterinnen in kräftezehrenden Streiks erschöpfen und letztlich nur um Brosamen kämpfen“.[3]
Die IKT bezieht sich hier auf ihre Position zu den Kämpfen der 1970er Jahre: „In den 1970er Jahren forderte jeder Sektor der von den Gewerkschaften gespaltenen Arbeiter immer höhere Prozentsätze für eine Lohnerhöhung. Dies führte nicht zu einer Infragestellung des Lohnsystems, sondern stärkte es sogar“[4]. Doch überraschenderweise lässt sich die IKT in einem ihrer jüngsten Artikel zu folgender Aussage hinreißen: „Am ersten Februar 2023 war der größte Streiktag seit über einem Jahrzehnt. Dies ist nur der Beginn einer Streikwelle“.[5]
Abgesehen davon, dass die Bourgeoisie dies schon lange vor der IKT festgestellt hat, möchten wir die Gesamteinschätzung der IKT zu den Kämpfen in Großbritannien verstehen: Sieht die IKT darin „den Beginn einer Streikwelle“ oder „isolierte Teile der Arbeiterklasse, (die sich) in ziemlich kräftezehrenden Streiks erschöpfen“? Handelt es sich bei dieser Bewegung um „den Beginn eines neuen Widerstands (...) nach Jahrzehnten des Rückzugs der Klasse,“ oder führte es „nicht zu einer Infragestellung des Lohnsystems, sondern stärkte es sogar“?
Seit dem Sommer 2022 hat die Ausweitung der Arbeiterkämpfe in Großbritannien Mobilisierungen in anderen Ländern inspiriert. Daher ist eine Einschätzung der Mobilisierungen in Großbritannien unmöglich, wenn sie von der Entwicklung des Klassenkampfes auf internationaler Ebene abgekoppelt wird. Dennoch betrachtet die IKT die Auseinandersetzungen fast ausschließlich durch die „britische Brille“. In den sieben Artikeln über die Streiks in Großbritannien fehlt der Bezug zu den Kämpfen die sich anderswo entwickeln. Es ist als ob die Arbeiterklasse in jedem Land ihren eigenen Kampf führte und Alles lediglich die Summe nationaler Kämpfe sei, und nicht Ausdruck einer internationalen Dynamik.
Selbstverständlich schreibt die IKT Artikel über Arbeitskämpfe in anderen Teilen der Welt, aber sie sieht die Bedeutung der Bewegung in Großbritannien nicht als Ausdruck einer internationalen Tendenz des Proletariats, mit der früheren Periode geringer Kampfbereitschaft und mangelndem Selbstbewusstsein zu brechen. Die IKT weiß, dass die Kämpfe in Großbritannien und Frankreich auf proletarischem Terrain stattfinden, konkret verkennt sie aber die Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Teilen der Arbeiterklasse.
Die verzerrte Sichtweise der IKT auf die internationale Dimension des proletarischen Kampfes wird beispielsweise ihrem Artikel über den Kampf der Telekommunikationsarbeiter in Spanien 2015 deutlich, in dem sie schreibt, dass „es hier konkrete Möglichkeiten für eine internationale Ausweitung des Kampfes gibt, da Teleafonica in fünf Ländern tätig ist“[6], während in Wirklichkeit das unmittelbare Bedürfnis der streikenden Arbeiter darin bestand, mit den am Kampf beteiligten Arbeitern „in der nächstgelegenen Fabrik, im Krankenhaus, in der Schule, in der Verwaltung“[7] in direkten Kontakt zu treten. Diese von der IKT beschriebene Art der „internationalen“ sektoralen Ausweitung des Kampfes fördert nur den Korporatismus innerhalb der Arbeiterklasse und untergräbt ihre internationale Einheit.
Um die Bedeutung einer Bewegung innerhalb der Arbeiterklasse zu verstehen, ist es unerlässlich, sie in einen größeren historischen und globalen Kontext zu stellen. Für uns, die IKS, sind die aktuellen Kämpfe wichtig, weil sie einen Bruch mit einer Periode des Rückzugs darstellen, die bis auf die späten 1980er Jahre und die Implosion des angeblich „kommunistischen“ Blocks zurückgeht. Aber auch, weil sie bestätigen, dass dieser Rückzug nicht identisch war mit der Tiefe der globalen historischen Niederlage, die die Arbeiterklasse nach der Zerschlagung der weltrevolutionären Welle zwischen 1917 und 1923 erlebte – einer Periode, die mit dem internationalen Wiederaufleben des Klassenkampfs im Jahr 1968 zu Ende ging.
In diesen Fragen bestätigt die IKT ihre Inkonsequenz. Vor zehn Jahren stellte sie unverblümt fest, dass wir immer noch in einer konterrevolutionären Periode leben: „Die Fragmentierung und Zerstreuung der Klasse (...) hat die Fähigkeit der Arbeiterklasse sich zu wehren verringert, und die andauernden Behauptungen, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gibt sind alles Beweise dafür, dass die Klasse die schwere Niederlage der 1920er Jahre noch immer nicht überwunden hat“[8]. In den Jahren 2016-2017 behauptete die IKT jedoch vorsichtiger, dass „sich die Klasse derzeit langsam von Jahrzehnten des Rückzugs und der Umstrukturierung erholt“[9]. Sie zog diese Analyse jedoch schnell zurück, um zu behaupten, dass „wir immer noch darum kämpfen, das Gleichgewicht wiederherzustellen, das wir seit 40 Jahren als Rückzug betrachten“.[10]
Der deutlichste Beweis für das Unvermögen der IKT den historischen Zusammenhang zu begreifen, ist die Tatsache, dass ihre Unterschätzung der Bedeutung der aktuellen Kämpfe Hand in Hand geht mit dem grossen Engagement das sie in ihre NoWarButClassWar-Kampagne investiert, die auf der Illusion beruht, dass die Arbeiterklasse bereits in der Lage sei, einen direkten Anti-Kriegs Kampf zu führen, jedoch ohne zu erkennen, dass eine solche Erwartung völlig unvereinbar ist mit ihrer Vorstellung, dass das Proletariat immer noch unter der Last einer historischen Niederlage agiert.
Obwohl die IKT die Spaltungspolitik der Gewerkschaften konsequent anprangert, wissen wir, dass sie dazu neigt, in die Falle der Basisgewerkschaften zu tappen sobald diese sich einer radikaleren Sprache bedienen und sich auch den Slogan der „Streikkomitees“ auf die Fahnen schreiben, was in Wirklichkeit nur eine Anpassung der Gewerkschaftsstrukturen ist, um ihre Kontrolle über die Arbeiter aufrecht zu erhalten. Für die IKT können diese Gewerkschaftsgremien ein Schritt nach vorne sein, wie das Beispiel des von Unite gegründeten Bus Workers Combine zeigt. Laut IKT ist dies „ein Versuch, den Kampf für bessere Löhne und Bedingungen in den verschiedenen Depots zu koordinieren. Es ist unglaublich wichtig, dass verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern ihre Kämpfe vereinen, und das ist unsere beste Chance auf Erfolg.“[11]
Diese opportunistische Haltung gegenüber den Basisgewerkschaften hängt mit der Verwirrung der IKT über das Verhältnis zwischen wirtschaftlichem und politischem Kampf zusammen. Der Begriff der „Geldmilitanz“ (siehe Zitat oben) drückt in Wirklichkeit eine Abwertung der wirtschaftlichen Kämpfe aus, eine Unterschätzung ihrer politischen Dimension.
Für uns ist der Kampf auf dem ökonomischen Terrain eine wesentliche und unabdingbare Dimension, die die Werkzeuge der revolutionären Bewegung von morgen schmiedet. Mit anderen Worten, jeder proletarische Kampf „ist gleichzeitig für unmittelbare Forderungen und er ist revolutionär. Das Stellen von Forderungen, der Widerstand gegen die kapitalistische Ausbeutung, ist die Grundlage und der Motor der revolutionären Aktion der Klasse. [...] In der Geschichte der Arbeiterbewegung gibt es keinen einzigen proletarisch-revolutionären Kampf, der nicht gleichzeitig ein Kampf um Forderungen war. Und wie könnte es auch anders sein, da es sich um den revolutionären Kampf einer Klasse handelt, die durch ihre ökonomische Position charakterisiert und durch ihre gemeinsame materielle Situation geeint ist.“[12]
Für die IKT hingegen „entsteht der ökonomische Kampf, er produziert was er auf der Ebene der Forderungen produzieren kann, und geht dann zurück ohne eine politische Spur zu hinterlassen. Das heißt, es sei denn, die revolutionäre Partei greift ein“.[13] Die Arbeiterklasse ist also nicht in der Lage, ihren Kampf zu politisieren, dies könne nur durch das Eingreifen der „Partei“ geschehen, die hier als deus ex machina fungiert, um den Gegensatz zwischen den beiden Dimensionen des Kampfes zu überwinden.
Kurzum, angesichts der Bewegungen in Großbritannien aber auch in ganz Europa, ist es besonders besorgniserregend, dass eine Organisation die behauptet, Orientierungen für den revolutionären Kampf des Proletariats zu geben, nicht in der Lage ist, diese Kämpfe in ihrem historischen Kontext zu sehen und ihre internationale Dimension zu begreifen. Aber für die IKT scheint diese Verantwortung nicht notwendig zu sein, da „die Partei“ wie Superman erscheinen wird, um alles mit einem Schwung des Zauberstabs zu lösen!
D.&R. 12.4.2023
[1] Als Beispiele: „Les syndicats mènent leurs plus grandes grèves depuis trente ans“ (Le Monde), „The UK is experiencing historic strikes“ (Washington Post)
[4] „Unions – whose side they on [437]?“
[5] „Unite the strikes [438]“
[7] Internationales Flugblatt der IKS: „Großbritannien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Mexiko, China… Überall die gleiche Frage: Wie können wir den Kampf weiterentwickeln? Wie können wir die Regierungen zum Rückzug bewegen? [440]“
[8] Cleishbotham (2.9.11) ICT Forum, „ICC theses on decomposition [441]“
[9] „A Crisis of the Entire System [442]“
[10] Cleishbotham, February 2019, ICT Forum: „The Party, Fractions and Periodisation [443]“
Der tragische Tod des jungen Nahel, der von einem Polizisten im Pariser Vorort Nanterre erschossen wurde, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Sofort brachen in den Städten Frankreichs Ausschreitungen gegen diese schändliche Tat aus.
Wie auf dem Video ersichtlich, das sofort in den sozialen Netzwerken zirkulierte, wurde Nahel wegen einer einfachen Befehlsverweigerung kaltblütig aus nächster Nähe erschossen. Dieser Mord steht auf eine lange Liste von Tötungen und Verletzungen durch die Polizei, die meist ungestraft bleiben.
Die Zunahme von Gesichtskontrollen, schamloser Diskriminierung und systematischer Belästigung von Jugendlichen mit einer etwas „zu dunklen" Hautfarbe sind Alltag. Ein ganzer Teil der Bevölkerung, oft arm und ausgegrenzt, kann den ständigen Rassismus, dem er ausgesetzt ist, nicht mehr ertragen. Das arrogante und erniedrigende Verhalten vieler Polizisten ist unerträglich, ebenso wie die Hassreden, die tagtäglich im Fernsehen und im Internet verbreitet werden. Die schändliche Mitteilung der Gewerkschaft Alliance, die sich als "im Krieg" gegen „Schädlinge“ und „wilde Horden" sieht, veranschaulicht diese unerträgliche Realität.
Die widerlichen fremdenfeindlichen Untertöne vieler Polizisten ermöglichen es aber auch allen Verteidigern der "Demokratie" und des "Rechtsstaates", den immer offensichtlicheren Terror und die Gewalt, die der bürgerliche Staat und seine Polizei auf die Gesellschaft ausüben, zu verschleiern. Denn der Mord an Nahel ist Ausdruck der Zunahme staatlicher Gewalt und einer kaum verhüllten Absicht, uns angesichts der unaufhaltsamen Krise des Kapitalismus, der unvermeidlichen Reaktionen der Arbeiterklasse sowie auch angesichts der Risiken einer sozialen Explosion (Aufstände, Plünderungen, usw.), die in Zukunft immer häufiger auftreten werden, zu terrorisieren und zu unterdrücken.
Diese Gewalt manifestiert sich ganz alltäglich in der Unterdrückung der Ausgebeuteten an ihren Arbeitsplätzen, in den ständigen Demütigungen und der sozialen Gewalt, die den Arbeitslosen und allen Opfern des Kapitalismus angetan wird, sie drückt sich aber auch im immer gewalttätigeren Verhalten eines überwiegenden Teils der Polizei, der Justiz und des gesamten staatlichen Repressionsarsenals aus, sei es im Alltag in den Banlieues oder gegen soziale Bewegungen.
Seit dem Gesetz von 2017, mit dem die Bedingungen, unter denen die Polizei schießen darf, gelockert wurden, hat sich die Zahl der Morde verfünffacht. Seit diesem Gesetz, das von der linken Hollande-Regierung verabschiedet wurde, haben die Polizisten fast einen Freipass zum Schießen! Gleichzeitig hat die Unterdrückung sozialer Bewegungen in den letzten Jahren stetig zugenommen, wie die Gelbwesten-Bewegung mit einer Vielzahl von Verletzten beweist. Im Frühjahr kam es durch die zahlreichen Angriffe der Sonderpolizei BRAV-M (Brigade de répression de l`action violante motorisée) zu einem schrecklichen Gewaltausbruch gegen die Proteste gegen die Rentenreform. Auch die Gegner der Mega-Bassins von Sainte-Soline oder die illegalen Einwanderer, die aus Mayotte vertrieben wurden, waren Opfer gewalttätigster Repression. Sogar die UNO verurteilte "die mangelnde Zurückhaltung bei der Anwendung von Gewalt" und die "kriminalisierende Rhetorik" des französischen Staates. Und das aus gutem Grund! Das Arsenal von Ordnungskräften in Frankreich ist eines der umfangreichsten und gefährlichsten in Europa. Der zunehmende Einsatz von Gummischrot und Tränengas, der Einsatz von Anti-Aufruhr-Panzern usw. führt dazu, dass soziale Bewegungen in regelrechte Kriegsschauplätze verwandelt werden, in einem Krieg gegen Leute, die von den Behörden schamlos als "Kriminelle" oder "Terroristen" bezeichnet werden.
Die jüngsten Ausschreitungen waren wieder eine Gelegenheit für die Bourgeoisie, mit 45.000 Polizisten, den Eliteeinheiten BRI und RAID, Panzerwagen der Gendarmerie, Überwachungsdrohnen, Schützenpanzern, Wasserwerfern, Hubschraubern usw. hart durchzugreifen. 2005 hatten die Ausschreitungen in den Vorstädten drei Wochen gedauert, weil die Bourgeoisie versucht hatte, die Lage zu beruhigen, indem sie weitere Tote vermieden hatte. Heute muss sich die Bourgeoisie sofort mit Gewalt durchsetzen und verhindern, dass ihr die Situation entgleitet. Gegen die weitaus heftigeren und ausgedehnteren Ausschreitungen als 2005 schlägt sie heute mit zehnfacher brutaler Kraft zu.
Je mehr sich die Lage verschlechtert, desto mehr ist der Staat in Frankreich wie überall auf der Welt in seiner eigenen Logik gezwungen, mit Gewalt und einem Arsenal an repressiven Mitteln zu reagieren. Doch die Anwendung physischer und juristischer Gewalt[1] verstärkt paradoxerweise die Unordnung und das Chaos, das die Bourgeoisie einzudämmen versucht. Indem sie seit Jahren ihre Bluthunde auf die am stärksten leidenden Bevölkerungsgruppen hetzt und die Hass- und Rassismus-Parolen auf höchster Ebene des Staates und in den Medien vervielfacht, hat sie selbst die Bedingungen für einen gewaltigen Ausbruch von Wut und Gewalt geschaffen. In Zukunft wird die brutale Niederschlagung der Ausschreitungen, die Frankreich in den
vergangenen Tagen erschüttert haben, mit Sicherheit zu noch mehr Gewalt und Chaos führen. Die Regierung Macrons hat lediglich einen Deckel auf ein Feuer gelegt, das weiter schwelen wird.
Der Mord an Nahel brachte das Fass zum Überlaufen. In ganz Frankreich, bis hin nach Belgien und in die Schweiz, brach eine riesige Wut aus. Überall kam es zu sehr gewalttätigen Zusammenstößen mit den Ordnungskräften, insbesondere in den großen städtischen Zentren um Paris, Lyon oder Marseille. Überall wurden öffentliche Gebäude, Geschäfte, Busse, Straßenbahnen und zahlreiche Fahrzeuge von zum Teil sehr jungen Leuten, die oft erst 13 oder 14 Jahre alt waren, zerstört. Es kam zu Bränden in Einkaufszentren, Rathäusern, Polizeistationen, aber auch in Schulen, Turnhallen, Bibliotheken usw. Die meisten dieser Brände wurden von der Polizei gelöscht. In Geschäften und Supermärkten kam es schnell zu Plünderungen, meist für ein paar Kleidungsstücke oder Lebensmittel.
Diese Ausschreitungen brachten einen Hass auf das Verhalten der Polizei zum Ausdruck, auf deren ständige Gewalt, auf die Demütigungen, das Gefühl der Ungerechtigkeit und die Straflosigkeit der Peiniger. Aber wie lässt sich das Ausmaß der Gewalt und das Ausmaß des Chaos erklären, obwohl die Regierung nach dem Mord an Nahel anfänglich ein Theater der Empörung vorspielte und exemplarische Strafen versprach?
Der tragische Tod eines Jugendlichen war der Auslöser dieser Ausschreitungen, ein Funke. Aber der Kontext der sich vertiefenden Krise des Kapitalismus mit all ihren Folgen für die am stärksten gefährdeten und am meisten abgelehnten Bevölkerungsgruppen ist die wahre Ursache und der Antrieb der Revolte. Die Ursache ist ein tiefes Unbehagen, das schließlich explodiert ist. Entgegen den Erklärungen von Macron und seiner Clique, die die Verantwortung auf "Videospiele, die die Jugendlichen vergiften", oder auf die Eltern, die ihren Kindern "zwei Ohrfeigen" verpassen sollten, schieben, sind die Jugendlichen in den Vorstädten, die bereits Opfer einer chronischen Diskriminierung sind, mit voller Wucht von der Krise, der zunehmenden Marginalisierung, der extremen Verarmung und dem Phänomen des individuellen Durchwurstelns betroffen. Dies zwingt sie oft dazu, auch in den Handel mit allem Möglichen einzusteigen. Kurz gesagt, sie sind betroffen von Vernachlässigung und Perspektivlosigkeit.
Die Ausschreitungen waren keineswegs eine organisierte Gewalt, die sich ihrer Ziele bewusst war, sondern vielmehr ein Ausbruch blinder Wut von Jugendlichen ohne Kompass, die verzweifelt und ohne Perspektive handelten. Die ersten Ausschreitungen in den Vorstädten Frankreichs traten zu Beginn der Zerfallsphase des Kapitalismus auf – von den Riots in Vaulx-en-Velin bei Lyon im Jahr 1979 bis zu den heutigen Ausschreitungen. Wie wir bereits in der Vergangenheit betont haben, ist den Ausschreitungen gemeinsam, dass sie ein "Ausdruck der Verzweiflung und der daraus resultierenden No-Future-Stimmung sind, die sich in ihrer völligen Absurdität manifestiert. Dies gilt auch für die Ausschreitungen, die im November 2005 in den Vorstädten Frankreichs aufflammten [...]. Die Tatsache, dass die eigenen Familien, Nachbarn oder Verwandten die Hauptopfer der Verwüstungen waren, offenbart den völlig blinden, verzweifelten und selbstmörderischen Charakter dieser Art von Ausschreitungen. Die Autos der in diesen Vierteln lebenden Arbeiter wurden angezündet, Schulen und Sporthallen, die von ihren Brüdern und Schwestern oder den Kindern ihrer Nachbarn besucht werden, wurden zerstört. Und gerade wegen der Absurdität dieser Ausschreitungen konnte die Bourgeoisie sie benutzen und gegen die Arbeiterklasse wenden." [2]
Im Gegensatz zu 2005, als die Ausschreitungen mehrheitlich auf die Vorstädte beschränkt blieben, wie etwa in Clichy-sous-Bois, erfassten die jetzigen nun auch die urbanen Zentren, die bislang geschützten Stadtkerne und sogar kleine, früher verschonte Provinzstädte wie Amboise, Pithiviers oder Bourges, in denen es zu Gewaltausbrüchen gekommen ist. Die Verschärfung der Spannungen und die tiefe Verzweiflung, welche die Beteiligten antreibt, haben dieses Phänomen nur noch verstärkt und ausgeweitet.
Im Gegensatz zu allem, was die Parteien der Linken des Kapitals, allen voran die Trotzkisten des NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) und Anarchisten behaupten, sind die Ausschreitungen weder ein günstiges Terrain für den Klassenkampf noch ein Ausdruck desselben, sondern im Gegenteil eine Gefahr für den Klassenkampf. Denn die Bourgeoisie kann das von den Ausschreitungen vermittelte Bild des Chaos umso leichter instrumentalisieren und die Arbeiterklasse zu Kollateralopfern machen:
- durch die angerichteten Schäden und Zerstörungen, die die Jugendlichen selbst und ihre Nachbarn betreffen;
- durch die Stigmatisierung der "Banlieusards", die als "Wilde" dargestellt werden, die für alle Übel der Gesellschaft verantwortlich sind;
- durch die Repression, die hier eine billige Begründung findet, um verstärkt gegen alle sozialen Bewegungen und damit insbesondere gegen die Kämpfe der Arbeiterklasse vorzugehen.
Diese Ausschreitungen ermöglichen es der Bourgeoisie, eine ganze Propaganda zu entfesseln, um die Arbeiterklasse noch weiter von den rebellierenden Vorstadtjugendlichen abzusondern. Wie 2005 "ermöglichte es ihre exzessive mediale Berichterstattung der herrschenden Klasse, möglichst viele Arbeiter und Arbeiterinnen in den Arbeitervierteln dazu zu bringen, die randalierenden Jugendlichen nicht als Opfer des krisengeschüttelten Kapitalismus, sondern als "Rowdys" zu betrachten. Dies um jede Reaktion der Solidarität der Arbeiterklasse mit den Jugendlichen zu untergraben". [3]
Der Bourgeoisie und ihren Medien gelingt es leicht, die Ereignisse zu instrumentalisieren, indem sie die Vermischung von solchen Ausschreitungen und dem Kampf der Arbeiterklasse, von unkontrollierter Gewalt, sterilen Zusammenstößen mit der Polizei und dem, was im Gegenteil zum bewussten und organisierten Klassenkampf gehört, begünstigen. Indem die Bourgeoisie solche Ausschreitungen kriminalisiert, kann sie immer mehr Gewalt gegen den Klassenkampf entfesseln! Es ist kein Zufall, dass während der Bewegung gegen die Rentenreform die Bilder, die auf den Fernsehkanälen der ganzen Welt in Endlosschleife liefen, Szenen von Zusammenstößen mit der Polizei, Gewalt und Mülltonnenbränden waren. Es ging darum, eine Gleichsetzung dieser beiden radikal aber komplett verschiedenen Ausdrucksformen sozialer Kämpfe zu vollziehen, um zu versuchen, das Bild einer Kontinuität und einer gefährlichen Unordnung zu vermitteln. Ziel war es, die Arbeiterklasse auszulaugen und daran zu hindern, die Lehren aus ihren eigenen Kämpfen zu ziehen, und das begonnene Nachdenken über die Frage der Klassenidentität zu sabotieren. Die jüngsten Ausschreitungen in Frankreich waren die perfekte Gelegenheit, diese Vermischung zu verstärken.
Die Arbeiterklasse hat ihre eigenen Kampfmethoden, die im radikalen Gegensatz zu Ausschreitungen und einfachen Stadtrevolten stehen. Der Klassenkampf hat absolut nichts mit wahlloser Zerstörung und Gewalt, Brandstiftung, Rachegefühlen und Plünderungen zu tun, die keine Perspektive bieten.
Obwohl sie sich über soziale Netzwerke koordinieren können, ist das Vorgehen der Beteiligten in den Zusammenstößen unmittelbar und rein individuell, geleitet vom Instinkt zur wilden Bewegung, geprägt von der Dynamik der Rache und Zerstörung. Der Kampf der Arbeiterklasse ist das genaue Gegenteil dieser Praktiken. Eine Klasse, deren unmittelbare Kämpfe stattdessen in einer historischen Tradition stehen, in einem bewussten, organisierten Kampf für den weltweiten Sturz der kapitalistischen Gesellschaft. In diesem Sinne muss die Arbeiterklasse aufpassen, dass sie sich nicht auf den morschen Boden krawallartiger Ausschreitungen, auf den Abhang der blinden und schlussendlich sinnlosen Gewalt und schon gar nicht in sterile Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften ziehen lässt, die nur die Unterdrückung rechtfertigen.
Im Gegensatz zu krawallartigen Ausschreitungen, die den bewaffneten Arm des Staates stärken, können Arbeiterkämpfe, wenn sie einheitlich und aufsteigend sind, der Repression die Stirn bieten. Im Mai 1968 beispielsweise hatten angesichts der Unterdrückung der Studenten und Studentinnen die massiven Bewegungen und die Einheit der Arbeiterklasse die Gewalt der Polizei eingeschränkt und zurückgedrängt. Ebenso hatten die polnische Arbeiterklasse, als sie sich 1980 in weniger als 48 Stunden landesweit mobilisierten, durch ihre Einheit und Selbstorganisation vor der extremen Brutalität des "sozialistischen" Staates geschützt. Erst als sie ihren Kampf in die Hände der Gewerkschaft Solidarnosc legten, als diese wieder die Kontrolle über den Kampf übernahm, als die Arbeiterklasse auf diese Weise gespalten und der Führung des Kampfes beraubt wurden, kam es zu einer brutalen Unterdrückung.
Die Arbeiterklasse muss vorsichtig sein gegenüber der Gefahr, die von blinder Gewalt ausgeht, damit sie ihre eigene Klassengewalt aufbauen kann, die einzige, welche eine Zukunft hat.
WH, 3. Juli 2023
[1] Nach dem harten Durchgreifen der Polizei wurden Tausende verhaftete Jugendliche in Schnellverfahren zu sehr hohen Strafen verurteilt.
[2] Quelle différence entre les émeutes de la faim et les émeutes des banlieues [447] („Was ist der Unterschied zwischen den Hungerrevolten und den Ausschreitungen in den Vorstädten?“), Révolution Internationale Nr. 394 (Oktober 2008)
[3] ebenda
"Die ACG, Angry Workers, Plan C und Communist Workers Organisation werden die jüngsten und zukünftigen Streiks in Großbritannien und anderswo diskutieren. Es wird viel Zeit für Fragen, Antworten und Diskussionen geben."
Mit diesen Worten kündigte die Anarchist Communist Group ACG ihre öffentliche Diskussionsveranstaltung am 12. Mai 2023 an. Ziel des Treffens war es, "die Idee der Basisorganisationen gegen die Machenschaften der Gewerkschaftsbürokraten durchzusetzen, welche die Streiks sowohl hier in Grossbritannien als auch im Ausland behindern und sabotieren".[1]
Die ACG spaltete sich vor fünf Jahren von der Anarchistischen Föderation (AF) in der Frage der sog. "Identitätspolitik" ab, um den Schwerpunkt stärker auf den Kampf der Arbeiterklasse zu legen. Sie vertrat eine grundsätzlich internationalistische Haltung gegen den Krieg in der Ukraine, wenn auch mit deutlichen Schwächen.[2]
Die Angry Workers of the World AWW ist eine eher "arbeitertümlerische" Gruppe, die in West-London entstand und in ihren Ideen und Methoden dem anarchistischen Milieu sehr nahesteht. Ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges hatte es die Gruppe noch immer nicht zustande gebracht, einheitliche Position dazu zu formulieren. Und trotz einer kürzlich geführten Diskussion über unsere Kritik am revolutionären Defätismus vertritt sie immer noch keine eindeutig internationalistische Position.[3]
Plan C ist eine eindeutig linksbürgerliche Organisation, ohne eine klar definierte Ideologie und die sich selbst als experimentell und undogmatisch charakterisiert. Am 25. Juni 2022 hatte sie eine Versammlung in "Solidarität mit der ukrainischen Arbeiterklasse" (und nicht gleichzeitig mit der Arbeiterklasse in Russland!) abgehalten, mit Rednern und einem Film über Anarchisten in der Ukraine, die ihren Nachbarn helfen und die kämpfenden Soldaten unterstützen…
Die Communist Workers Organisation CWO ist eine Organisation des revolutionären proletarischen Milieus, die Teil der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz IKT ist und im Gegensatz dazu eine klare internationalistische Position gegen den Krieg vertritt.
Schon im Oktober 2022, vor der damaligen Diskussionsveranstaltung der ACG in London, erhielten wir von ihnen eine E-Mail, in der es hieß: "Falls die IKS daran denkt, an der öffentlichen Diskussionsveranstaltung heute Abend teilzunehmen, so überdenkt dies bitte noch einmal, da wir entschieden haben, dass eure Anwesenheit schädlich wäre". Wir schrieben zurück und baten die ACG um eine Erklärung, erhielten jedoch keine Antwort.
Als wir am 12. Mai 2023 an der ACG-Diskussionsveranstaltung eintrafen, wurden wir als IKS aus dem Treffen verwiesen. Wir protestierten dagegen und erinnerten die ACG daran, dass ja sie selbst im Herbst 2022 von der Anarchistischen Buchmesse ausgeschlossen worden war, weil sie gegen den Krieg in der Ukraine Stellung bezogen hatte. Wir wiesen auch die Ausrede zurück, dass die IKS "zu viel redet", da es unsere Praxis ist, die Regeln der Organisation, die ein Treffen veranstaltet, zu respektieren. Unsere Einwände wurden ignoriert, und wir hatten keine andere Wahl als unsere Flugblätter und unsere Presse draußen zu verteilen und aufzulegen.
Wir wissen nicht, was die ACG dazu bewogen hat, öffentliche Diskussionsveranstaltungen mit einer linksbürgerlichen Gruppe wie Plan C zu organisieren, aber wenn sie glaubt, dass dies ihre Fähigkeit proletarische Positionen zu verteidigen stärkt, dann irrt sie sich. Viele Beispiele aus der Geschichte der Arbeiterbewegung zeigen, dass gemeinsame Aktivitäten zwischen einer bürgerlichen Organisation und einer Organisation, die sich an proletarischen Positionen orientiert, immer zum Nachteil der Letzteren sind.
Das deutlichste Beispiel dafür war die CNT (Confederation Nacional del Trabajo) in Spanien, die eine revolutionäre Organisation des Proletariats war und sogar erwog, die Mitgliedschaft in der Komintern zu beantragen. Doch im Laufe der 1920er Jahre begann sie, sich immer mehr mit bürgerlichen politischen Organisationen zu verbünden, bis sie 1936 beschloss, sich an den Regierungen sowohl der katalanischen Generalitat als auch der Madrider Republik zu beteiligen. Diese Wendung war kein Zufall, denn danach, während des Zweiten Weltkriegs, kämpfte die CNT in Frankreich, vom Antifaschismus erfasst, in den offiziellen Armeen der französischen Résistance gegen die deutsche Besatzung. Die CNT hatte sich damit endgültig in eine bürgerliche Organisation verwandelt.[4]
Heute ist die ACG durchaus bereit, ein Treffen mit Denjenigen zu veranstalten, die sich als absolut unfähig erweisen, eine klare internationalistische Haltung einzunehmen, wie die AWW, und, was noch schlimmer ist, mit einer Gruppe wie Plan C, die klar im Lager der Bourgeoisie steht.
Gleichzeitig schließt die ACG eine Organisation (uns, die IKS) von ihrer Versammlung aus, die genau wie die ACG selbst, den proletarischen Internationalismus und die Perspektive des Kommunismus verteidigt. Wie erklärt die ACG diesen Widerspruch?
Eine weiterer Widerspruch der ACG ist die Tatsache, dass sie öffentlich ihren Standpunkt zum Klassenkampf vertritt, diesen aber nicht in einer öffentlichen Debatte mit uns konfrontieren will, obwohl ihre Position in dieser Frage keineswegs antagonistisch zu unserer ist, wie wir z.B. in folgendem Zitat aus einem Artikel der ACG sehen: "Da immer mehr Arbeiter gezwungen sind, Kampfmaßnahmen zu ergreifen, wird es immer notwendiger, neue Formen der Organisation zu schaffen. Diese sollten einen effektiven und einheitlichen Kampf ermöglichen, der die Gewerkschaftsbürokraten umgeht und über die Gewerkschaften hinausgeht" [5]. Wie Jeder, der unsere Presse liest, weiss, ist diese Position unserer sehr nahe, auch wenn sie wahrscheinlich mit anderen Argumenten verteidigt wird. Aber eine öffentliche Debatte würde zeigen, welche Argumente die klarsten sind. Die Fragen sind also: Warum vermeidet die ACG eine politische Debatte mit der IKS und warum ist sie der Meinung, dass eine Debatte mit uns über den Klassenkampf "schädlich" für die Entwicklung einer proletarischen Perspektive ist?
Die Communist Workers Organisation gehört zum selben Milieu der revolutionären Organisationen der Kommunistischen Linken wie die IKS. Dieses Milieu stützt sich auf bestimmte Prinzipien, die alle Organisationen respektieren sollten. Ein Prinzip ist, dass ein Angriff auf eine dieser Organisation als ein Angriff auf die gesamte Kommunistische Linke verstanden wird. Wenn also eine Gruppe in diesem Milieu angegriffen, boykottiert oder ausgeschlossen wird, sind damit alle Organisationen angegriffen und sollten als einheitliches Ganzes reagieren. Denn jeder Angriff auf eine revolutionäre Organisation stellt eine Bedrohung für den historischen Prozess des Parteiaufbaus dar.
So hatten wir, als die Internationale Kommunistische Partei IKP, welche sich vor allem auf die Positionen von Bordiga beruft, attackiert wurde, nachdem sie die Broschüre Auschwitz oder das große Alibi von 1961 wiederveröffentlicht hatte, unsere volle Unterstützung gegeben. Im Jahr 2015 veröffentlichten wir eine Solidaritätserklärung für die IKT (zu der die CWO gehört), als die Aktivisten dieser Organisation von ehemaligen Mitgliedern der IKT-Sektion in Italien angegriffen wurden. Doch wie reagiert nun die CWO auf das Verbot uns gegenüber, an der öffentlichen Diskussionsveranstaltung der ACG teilnehmen zu dürfen? Wir hatten die CWO bereits am 8. November 2022 angeschrieben und um eine Stellungnahme zu diesem Thema gebeten, aber nie eine Antwort erhalten.
Als später Genossen der CWO, nach dem ausgesprochenen Verbot uns gegenüber durch die ACG, zu unserer eigenen öffentlichen Diskussionsveranstaltung am 12. November 2022 kamen, baten wir sie, zu dem Vorfall Stellung zu nehmen. Aber stattdessen wichen die Genossen der Frage aus, was sie davon halten, dass die ACG uns ausgeschlossen hatte und wie ACG-Mitglieder dies ihnen gegenüber rechtfertigten. Es schien fast als wären sie deren "Gefolgschaft". Die ACG hat gehandelt und die CWO hat die Pflicht, dazu eine klare Position einzunehmen.
Der Genosse, der die CWO auf dieser jüngsten Diskussionsveranstaltung der ACG am 12. Mai vertrat, erklärte bei seiner Ankunft, er habe nicht gewusst, dass die IKS von der Veranstaltung ausgeschlossen worden sei, und er habe auch nicht gewusst, dass die CWO in der Werbung für die Sitzung als eine der teilnehmenden Gruppen erwähnt wurde. War ihm bewusst, dass er an einer Debatte mit einer klar bürgerlichen linken Organisation teilnahm? Unwissenheit ist ein schlechtes Argument, um sich dahinter zu verstecken, aber in der Zwischenzeit war er von uns über unseren Ausschluss von der Sitzung informiert worden, und dennoch bezog er keinen klaren Standpunkt!
Es ist klar, dass die CWO, nachdem sie parasitären Gruppen und Spitzeln die Tür geöffnet hat (wie z.B. rund um das Pariser Komitee No War But The Class War [6]), nun auch Organisationen die Tür öffnet, die offen bürgerliche Positionen verteidigen, wie z.B. Plan C. Aber revolutionäre Organisationen können sich nicht auf eine öffentliche Diskussion über den Klassenkampf mit Organisationen einlassen, die keine internationalistische Position vertreten. Solche Organisationen stehen den historischen Interessen der Arbeiterklasse grundsätzlich feindlich gegenüber. Aber die CWO, die beides haben will, hat nicht den Mut offen zu sagen, dass sie eine Annäherung und eine Zusammenarbeit mit einer "undogmatischen" linken Gruppe wie Plan C der Solidarität mit uns vorzieht.
In ihrer Politik der "Offenheit" will die CWO nicht, dass die IKS Zeuge ihrer "Romanze" mit anarchistischen oder linken Gruppen wird. Deshalb ist sie bereit, das Prinzip der Solidarität innerhalb der Kommunistischen Linken unter den Teppich zu kehren und weigert sich, den Ausschluss der IKS von der ACG-Diskussionsveranstaltung zu verurteilen.
Letztlich hat die CWO gezeigt, dass sie das Prinzip der Verteidigung anderer Organisationen der kommunistischen Linken gegen Angriffe von außen aufgibt. "Aber keine proletarische Organisation kann diese elementare Notwendigkeit [der Solidarität] ignorieren, ohne einen sehr hohen Preis zu zahlen".[7]
IKS, 14. Juli 2023
[2] Siehe auf ICConline: https://en.internationalism.org/content/17185/between-internationalism-a... [273]
[3] Siehe auf ICConline: https://en.internationalism.org/content/17250/aww-and-ukraine-war-there-... [449]
[4] Siehe: https://en.internationalism.org/ir/131/CNT-1921-31 [450]
Im Mai 2023 veranstaltete die IKS in verschiedenen Ländern öffentliche Treffen zum Thema: "Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Mexiko, China... Über 1968 hinausgehen!" Ziel war es, ein besseres Verständnis der politischen, globalen und historischen Bedeutung dieser Kämpfe, der Perspektiven die sie bieten, aber auch der großen Schwächen zu erlangen, die die Arbeiterklasse überwinden muss, wenn sie die wirtschaftliche und politische Dimension ihres Kampfes entwickeln will. Die aktive Beteiligung an den geführten Debatten ist ein Beispiel für die langsame Reifung des Bewusstseins in der Arbeiterklasse weltweit, die besonders bei den kleinen Minderheiten einer neuen Generation zu beobachten ist. Auf diese Weise knüpfen sie allmählich wieder an die Erfahrungen der Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Linken an.
Bei der Gegenüberstellung verschiedener Positionen auf diesen Treffen wurde der Wunsch nach Klärung deutlich. So wurden in den Antworten auf die Analyse der IKS Unterstützung, Nuancen, Zweifel und Fragen, aber auch Meinungsverschiedenheiten zum Ausdruck gebracht. Der Zweck dieses Artikels ist es, einige Details dieser Debatten wiederzugeben, um eine zukünftige Debatte zu fördern.
Angesichts des zunehmenden Chaos der kapitalistischen Produktionsweise, ihres zerstörerischen Charakters, der durch den Krieg in der Ukraine verdeutlicht wird, und der Aussicht auf ein immer tieferes Abgleiten in die Wirtschaftskrise wurde in den Redebeiträgen allgemein die Tatsache anerkannt, dass es im letzten Jahr zu einer weit verbreiteten Entwicklung der Kämpfe der Arbeiterklasse auf internationaler Ebene gekommen ist - ein Kampf gegen die zunehmenden Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse.
Einige Teilnehmer zogen Parallelen zwischen der aktuellen Situation und dem Mai '68.[1] 1968 läutete die Rückkehr der Arbeitslosigkeit (wenn auch auf einem viel niedrigeren Niveau als heute) das Ende der als "Nachkriegsboom" bezeichneten Periode ein, mit dem Wiederauftreten der offenen Krise, einer neuen Rezessionsperiode, dann einer Erholung, gefolgt von einer noch tieferen Rezession. Heute ist zweifellos die brutale Verschärfung der Wirtschaftskrise und die zunehmende Inflation Triebfeder des Widerstandes der Arbeiterklasse. Einige Teilnehmer wiesen darauf hin, dass die Gemeinsamkeit zwischen Mai 68 und der gegenwärtigen Periode im Ausbruch grosser Mobilisierungen der Arbeiterklasse liegt. Ein Teilnehmer aus Großbritannien erklärte, dass "der Hauptunterschied zu '68 die derzeitige Tiefe der Wirtschaftskrise ist".
Ein anderer Teilnehmer bekräftigte, dass "der Mai 68 das Ende der Konterrevolution bedeutet hat". Nach dem Scheitern der revolutionären Welle der 1920er Jahre und dem brutalen Gewicht des Stalinismus, das auf die Niederlage des Weltproletariats folgte, bedeutete der Mai '68 in der Tat das Wiedererstarken des Kampfes der internationalen Arbeiterklasse. In Paris beschrieb ein Teilnehmer die subjektiven Bedingungen des Kampfes der Arbeiterklasse im Jahr 1968 und heute wie folgt:
"Der Verweis auf den Mai '68 ist richtig. Dieses Ereignis fiel mit dem Aufkommen einer neuen Generation der Arbeiterklasse zusammen, die im Gegensatz zu ihren Eltern nicht dem ideologischen Druck der Konterrevolution und insbesondere dem übermächtigen Einfluss des Stalinismus ausgesetzt war. Heute braucht es eine neue Generation, um die Ideologie vom 'Tod des Kommunismus' abzuschütteln". Bemerkenswerterweise stimmten die Teilnehmer in Brasilien fast "selbstverständlich" der Analyse zu, dass das Proletariat in den westeuropäischen Ländern, die Arbeiterklasse im Herzen des kapitalistischen Systems, eine Vorreiterrolle bei der Mobilisierung der internationalen Kämpfe spielen. Ein Teilnehmer aus Großbritannien meinte, dass "die derzeitigen Kämpfe wichtig sind. Sie stellen die Möglichkeit einer echten Erneuerung des Klassenkampfes dar".
Aber im selben Diskussionsbeitrag - und auch in anderen, insbesondere in Brasilien - zeigte sich der Teilnehmer besorgt über "die Schwäche der Arbeiterklasse" und "die Manöver der Bourgeoisie und ihre Fähigkeit, die Kontrolle zu behalten, insbesondere durch ihr Instrument der Gewerkschaften".
Einige der Diskussionsbeiträge versuchten in der Tat, Parallelen zwischen Mai 68 und der gegenwärtigen Periode aufzuzeigen, während andere die beiden Ereignisse einander gegenüberstellten. Doch abgesehen von der Suche nach Parallelen und Unterschieden zwischen diesen beiden historischen Momenten hatten alle Teilnehmer Schwierigkeiten zu verstehen, was unter einem "Bruch" im Kontext des Klassenkampfes zu verstehen ist, sowohl 1968 als auch heute.
1968 beendete mit dem globalen Aufschwung der Kämpfe der Arbeiterklasse ein halbes Jahrhundert der Konterrevolution, welche das Ergebnis einer tiefgreifenden physischen und ideologischen Niederlage des Proletariats nach der Zerschlagung der revolutionären Welle von 1917-23 war. Der heutige Bruch von 2022, der durch die Mobilisierung des Proletariats in Großbritannien eingeläutet wurde, signalisierte eine Wiederbelebung des Kampfes einer Arbeiterklasse, die zwar keine vernichtende physische Niederlage erlitten hat welche mit der weltweiten Konterrevolution vergleichbar ist, die aber andererseits die volle Wucht der bürgerlichen Kampagnen über den "Tod des Kommunismus" und das "Verschwinden der Arbeiterklasse" nach dem Zusammenbruch der beiden imperialistischen Blöcke 1989 zu spüren bekam.
In den letzten dreißig Jahren hatte sich die Arbeiterklasse weltweit, desorientiert und mit verlorener Klassenidentität, als unfähig erwiesen, sich gegen die Angriffe der herrschenden Klasse zu wehren. Erst nach dieser enorm langen Periode unerbittlicher, weit verbreiteter und zunehmend unerträglicher Angriffe auf ihre Lebensbedingungen ist die Arbeiterklasse nun in der Lage, sich in einem Ausmaß zu mobilisieren wie wir es seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben (seit den Arbeitskämpfen 1985 Großbritannien). Dies ist ein klarer Bruch mit der Situation die seit 1990 international vorherrschte. Da die Arbeiterklasse aber als Ganzes dreißig Jahre lang nicht komplett niedergeschlagen werden konnte, entwickelte sich ein Reflexionsprozess (die unterirdische Reifung des Klassenbewusstseins), der zu einem zunehmenden Verlust von Illusionen über die Zukunft die der Kapitalismus noch zu bieten habe, und zur Gewissheit führte, dass sich die Situation nur noch zuspitzen kann. Auf diese Weise ist eine Wut angewachsen, die in der Haltung der Streikenden in Großbritannien deutlich wurde: "enough is enough".
Die Dynamik der letzten dreißig Jahre wurde nicht wirklich verstanden, und die Diskussionen hatten zu verschiedenen Missverständnissen geführt. So sprach ein Teilnehmer in Toulouse von einer angeblichen "Kontinuität" des Kampfes in den letzten dreißig Jahren, geprägt von Siegen und Niederlagen, insbesondere der Mobilisierung gegen den CPE in Frankreich (2006), gegen die Rentenreform von Sarkozy-Fillon (2010) und auch der Indignados-Bewegung (2011). Doch gerade in dieser Zeit gab es keine wirkliche Kontinuität (in der aktuelle Kämpfe ein Echo vergangener Kämpfe darstellten), da die Arbeiterklasse nicht in der Lage war, diese seltenen neuen Erfahrungen in ihr kollektives Gedächtnis aufzunehmen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff des "qualitativen Sprungs", der von einigen Teilnehmern, insbesondere in Brasilien, verwendet wurde, um den Ausbruch der Kämpfe in Großbritannien und Frankreich zu charakterisieren. Eine solche Auffassung, die im Allgemeinen dazu neigt, das Bewusstsein auf ein einfaches Produkt oder eine Reaktion des unmittelbaren Kampfes selbst zu reduzieren, spielt alle anderen Dimensionen des Prozesses, durch den sich das Bewusstsein entwickelt, herunter. Die Idee eines "qualitativen Sprungs" kann nur nachteilig sein, da sie impliziert, dass die Arbeiterklasse ganz plötzlich viele ihrer Schwächen überwunden hat.
Andererseits tendierten einige Diskussionsbeiträge in Mexiko dazu, den Kampf des Proletariats zu verwässern, indem sie den Klassenkampf in Bereiche wie umweltpolitische Kampagnen oder Feminismus ablenkten, und sie wurden zu Recht kritisiert. Die diesen Bereichen zugrunde liegende Ideologie, die direkt zu einem Verlust der Klassenidentität führt, stellt in der Tat eine eindeutige Bedrohung für den autonomen Kampf des Proletariats dar, der den einzig möglichen Weg zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme durch die Überwindung des Kapitalismus darstellt.
Auch wenn die Teilnehmer auf den Treffen das Ausmaß der aktuellen Kämpfe anerkannten, muss gesagt werden, dass sie im Allgemeinen nicht in der Lage waren, deren Bedeutung als grundlegendes Element des Bruchs zu verstehen. Millionen von Arbeitern und Arbeiterinnen, die in einigen wenigen westeuropäischen Ländern konzentriert sind, haben sich trotz der finanziellen Einbussen die sie damit auf ihre Schultern nehmen müssen mobilisiert, und kämpfen in Solidarität mit ihren Kollegen gegen das Elend, das der Kapitalismus ihnen durch Ausbeutung und Spaltung zufügen will. Das allein ist schon ein großer Sieg.
Einige Teilnehmer kritisierten, dass die IKS ihrer Meinung nach die Bewegung überschätzt. So waren zum Beispiel in Großbritannien und Frankreich folgende Kommentare zu hören:
- "Ich finde, dass die IKS den Ablauf des Kampfes überschätzt. Ich verstehe die Methode der unterirdischen Reifung nicht. Es gibt ein Zusammentreffen von Ideen, dies ist nicht massiv, wir beziehen uns nur auf aktive Minderheiten."
- "Es stimmt, dass es am Ende der Demonstrationen natürlich Diskussionen gab, aber keine Streiks! Ohne Streiks ist die Bewegung zum Stillstand gekommen. Das Problem ist, dass die Waffe des Proletariats der Generalstreik ist[2]. Im Mai 68 gab es einen Generalstreik, aber das ist hier nicht der Fall gewesen [...]. Ich will das Bild nicht trüben, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Tiefe der Bewegung zu Überschätzung [wie es die IKS tut] eine Hilfe ist."
In diesem Fall scheint man vergessen zu haben, dass Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Arbeitern und Arbeiterinnen in Frankreich auf die Straße gingen, um zu demonstrieren - sie streikten!
An mehreren Orten (in Nantes in Frankreich, in Brasilien...) versuchten einige Teilnehmer, die von der IKS aufgezeigte Realität des Bruchs im Klassenkampf mit der Tatsache zu relativieren, dass die Gewerkschaften nicht in Frage gestellt worden seien. Einige Teilnehmer in Nantes konterten diesen Einwand jedoch mit der folgenden Analyse: "Zugegeben, die Gewerkschaften wurden nicht in Frage gestellt, es gab keine Selbstorganisation, aber die Unzufriedenheit bleibt sehr stark und dauerhaft, auch wenn es keinen neuen spektakulären Kampf gibt. Man muss sehen, woher die Klasse kommt - sie kommt aus einer Periode von dreißig Jahren voller Schwierigkeiten. In der Tat hat es keine politische Niederlage gegeben. Die Klasse sammelt ihre Kräfte, um weiter zu gehen". Dem ist hinzuzufügen, dass die Bourgeoisie in Frankreich (aber nicht nur dort) die Wut der Arbeiter und Arbeiterinnen vorweggenommen hat und die Gewerkschaften alles getan haben, um zu verhindern, dass sie von ihnen herausgefordert werden. Angesichts der Notwendigkeit und des Willens der kämpfenden Arbeiter und Arbeiterinnen, sich über Sektoren und Unternehmen hinweg zu vereinigen, konnten die Gewerkschaften ihre Führungsrolle nur durchsetzen, indem sie von Anfang bis Ende eine möglichst breite gewerkschaftliche Einheitsfront aufrechterhielten, die sich der Rentenreform angeblich "vehement widersetzte".
Während einige Beiträge dazu neigten, nach "Beweisen" und "Fakten" zu suchen, um andere oder sich selbst von der Realität des Bruchs zu überzeugen, versuchten andere Teilnehmer die Veränderung der Situation zu veranschaulichen durch die Fähigkeit "erfahrener Gewerkschaften" (insbesondere in Frankreich), "mit der Bewegung Schritt zu halten", mit "Aufrufen zur Einheit", indem sie "die Falle der Intersyndicale" nutzten. Damit unterstrichen diese Teilnehmer auch das Zusammenspiel verschiedener Fraktionen der Bourgeoisie bei der Isolierung bestimmter Zentren des Kampfes durch ein sorgfältig dosiertes Blackout: "Warum verheimlicht die Bourgeoisie die Streiks im Ausland? Die Bourgeoisie kennt ihren Klassenfeind sehr gut. Das ist ein weiteres Zeichen für unsere Reife. Wir müssen eine globale, internationale Vision haben". Einige Teilnehmer betonten zu Recht, dass wir uns nicht auf ein einzelnes Element konzentrieren sollten, sondern dass es besser sei, "ein Muster von Beweisen zu sehen und zu wissen, wie es zu interpretieren ist", und verwiesen in diesem Sinne auf den Ansatz von Marx, aber auch auf den von Lenin, der "die Fähigkeit hatte, Veränderungen in der politischen Haltung des Proletariats wahrzunehmen".
Die IKS versuchte demgegenüber die Dinge zu klären und weiter zu gehen, indem sie das Konzept der "unterirdischen Reifung des Klassenbewusstseins", eines Bruchs mit der Vergangenheit und nicht das eines "qualitativen Sprungs" verteidigte. Die IKS hat vor allem darauf bestanden, die Fragen zu erweitern und methodisch zu stellen, wie in einer Präsentation in Paris: "Es werden Fragen aufgeworfen, die wir seit Jahren nicht mehr diskutiert haben. Wie gehen wir damit um? Wie analysieren wir es? Stellen wir es in einen breiteren, globalen Kontext? Anstatt die Dinge durch ein Mikroskop zu betrachten, müssen wir einen Schritt zurücktreten und durch ein Teleskop schauen; mit anderen Worten, wir müssen einen historischen und internationalen Ansatz wählen. Wir befinden uns in einer Zeit, in der der Kapitalismus die Menschheit in den Untergang führt. Die Arbeiterklasse hat das Potenzial zu kämpfen und sich in den Kampf für eine Revolution einzureihen. International haben wir in den letzten drei Jahrzehnten einen Rückgang der Kämpfe und einen Rückschritt des Bewusstseins erlebt. Die Klasse hatte das Bewusstsein über sich selbst, die Klassenidentität verloren. Aber letzten Sommer gab es in Großbritannien eine riesige Bewegung, wie wir sie seit vierzig Jahren nicht mehr gesehen haben! War das nur in Großbritannien so? Es hat sich weltweit etwas grundlegend verändert. Wir sehen die Fähigkeit, angesichts der sich verschärfenden Wirtschaftskrise zurückzuschlagen. Wir sehen Kämpfe in vielen Ländern. Dies ist der Hintergrund des Kampfes gegen die Rentenreform in Frankreich. Wir haben drei Monate lang Kämpfe und einen Kampfgeist erlebt. Zusätzlich tauchen jetzt Parolen auf, wie wir sie seit den 1980er Jahren nicht mehr gesehen haben. Es herrscht ein allgemeines Gefühl der Unzufriedenheit, ein Versuch, aus der Geschichte zu lernen. Das ist es, was hinter dem Slogan 'Ihr wollt 64 (Rentenreform), wir geben euch 68' steht. Es gibt eine Tendenz, sich die Vergangenheit wieder anzueignen, wie bei den Reflexionen über die CPE-Erfahrung von 2006, obwohl man unmittelbar danach wenig davon gehört hat. Warum ist dies wieder aufgetaucht? Es gibt Fragen einer Minderheit - wie man eine Revolution macht? Einige Leute denken darüber nach, was Kommunismus ist. Es gibt eine Anstrengung innerhalb der Arbeiterklasse. Es geht nicht nur um die Frage, ob der Kampf gegen die Rentenreform ein Erfolg oder ein Misserfolg ist. Wir müssen die Lehren daraus ziehen. Wie können wir weitermachen? Wie können wir uns wehren? Darum geht es geht".
Die grundlegende Lehre ist , dass wir in unseren Analysen den internationalen und historischen Kontext berücksichtigen müssen: eine Beschleunigung des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft, ihren zerstörerischen "Strudel-Effekt", den Ernst und die Gefahr des gegenwärtigen Krieges und gleichzeitig die brutale Beschleunigung der Wirtschaftskrise, mit der Inflation als mächtigem Ansporn für den Klassenkampf. Wir müssen auch erkennen, dass das Proletariat, wenn es auf seinem eigenen Klassenterrain in großem Umfang kämpft, allmählich Vertrauen in seine eigene Stärke gewinnen und ein wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit entwickeln kann, den Kampf über Unternehmen und Berufssektoren hinaus auszuweiten. Die heutigen Kämpfe sind an sich schon ein erster Erfolg für unsere Klasse.
WH, 26. Juni 2023
[1] Es ist zu erwähnen, dass die meisten dieser Treffen an einem symbolischen Datum stattfanden, dem Jahrestag der Massendemonstrationen vom 13. Mai 1968 in Frankreich. In diesem Zusammenhang empfehlen wir unseren Lesern unseren zweiteiligen Artikel: «Mai 68 und die revolutionäre Perspektive»
https://de.internationalism.org/content/1713/mai-68-und-die-revolutionaere-perspektive-ii [454]
[2] Aus Zeitgründen konnte die Frage des Unterschieds zwischen "Generalstreik" und "Massenstreik" nicht behandelt werden. Wir haben jedoch betont, dass wir mit der Gleichsetzung dieser beiden Begriffe nicht einverstanden sind. Der Generalstreik, auch wenn er ein Zeichen der Unzufriedenheit in der Klasse ist, bezieht sich dennoch auf die Organisation (und damit die Kontrolle) des Kampfes durch die Gewerkschaften. In diesem Sinne kann er in den Händen der Gewerkschaften auch ein direktes Mittel zur Erschöpfung des Kampfes darstellen. Dem Generalstreik stellen wir den Massenstreik entgegen, wie er sich 1905 in Russland manifestiert hatte, indem er sich sein eigenes Mittel zur Zentralisierung des Kampfes gab, indem er wirtschaftliche und politische Forderungen verband.
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Schon seit langem ist offensichtlich, dass die Welt auf eine ökologische Katastrophe zusteuert. Doch in den 2020er Jahren erleben wir eine deutliche Beschleunigung, die zunehmend mit anderen Faktoren der kapitalistischen Krise und des Zerfalls verbunden ist: Krieg, Wirtschaftskrise, Pandemien - das, was wir als "Strudel" bezeichnen, der immer mehr Teile des Planeten unbewohnbar macht und damit die wachsende Zahl von Flüchtlingen, die aus ihren Heimatländern fliehen, noch verstärkt.
Ziel dieses Diskussionstreffens ist es, aufzuzeigen, dass die herrschende Klasse keine Lösung für die ökologische Krise hat, die der kapitalistischen Produktionsweise immanent ist. Sie legt "grüne Alternativen" auf den Tisch, die behaupten, dass das Problem innerhalb des gegenwärtigen Systems gelöst werden kann. "Proteste" werden schmackhaft gemacht, die die Tatsache verbergen, dass nur der Kampf der Arbeiterklasse den Kapitalismus überwinden und durch eine Gesellschaft ersetzen kann, die auf den wirklichen Bedürfnissen der Menschheit und einer neuen Beziehung zum Rest der Natur basiert.
Mittwoch 20. September 19.00 Uhr
Um online an dieser Diskussion teilnehmen zu können, schreib uns genug früh für Details:
[email protected] [270]
Unser Genosse Antonio hat uns in diesem Frühjahr, am Vorabend des 25. Internationalen Kongresses der IKS, verlassen. Er war eines der alten Gründungsmitglieder von Révolution internationale (RI – der französischen Sektion der IKS), die noch immer in der Organisation tätig sind. Der Kongress zollte ihm eine erste Anerkennung, indem er "seinen Mut und seine Bescheidenheit" hervorhob, sowohl in seinem persönlichen Leben als auch als Aktivist.
Wie andere Studenten der Universität Madrid, die von der Entwicklung der Arbeiterkämpfe in Asturien betroffen waren, begann er 1965, sich in einem Kontext politisch zu engagieren, in dem der Klassenstandpunkt seinen Weg durch die Verwirrung der Sirenengesänge der "demokratischen Opposition" zum Regime finden musste. Antonio misstraute dem PCE (der Kommunistischen Partei Spaniens) wegen ihres Stalinismus, aber er musste auch lernen, dem Diskurs der Handvoll trotzkistischer und maoistischer Gruppen zu misstrauen, die zu dieser Zeit auftauchten und die, obwohl sie offener und "linker" als der PCE erschienen, lediglich eine radikalere Version der Linken des Kapitals und genauso konterrevolutionär waren. Dieses Interesse an revolutionären Positionen führte zu seiner Emigration nach Frankreich, wo er 1967 in Toulouse ankam.
Sein kulturelles Interesse – er spielt damals spanischsprachiges Theater – wird er nie aufgeben, auch wenn es oft familiären oder politischen Zwängen weichen muss. In der Atmosphäre der politischen Aufregung, des Nachdenkens und der Diskussion vor 1968 und vor allem während der Ereignisse dieses Jahres fand er Antworten auf die Fragen, die er sich stellte. In diesem Kontext konnte er von Anfang an eine wirklich internationalistische Perspektive einnehmen, die sich für die historischen Erfahrungen des Proletariats interessierte, ohne in die Falle eines auf die Situation und die Geschichte des Herkunftslandes fixierten "immigrierten" Ansatzes zu geraten.
Wie er selbst sagte, war die erste Diskussion in Frankreich, die ihm half, sich von der linken Atmosphäre in Madrid zu lösen, diejenige, die er mit einigen der Gründungsmitglieder von Révolution internationale über den imperialistischen Charakter des Vietnamkriegs, über die notwendige Verteidigung des proletarischen Internationalismus und der Arbeitersolidarität führte, und zwar im Gegensatz zu der von den Trotzkisten und Maoisten vertretenen Idee eines "revolutionären Krieges".
Später lernt er Marc Chirik (MC) bei einem Treffen 1968 mit den anderen Gründungsmitgliedern von Révolution internationale und einigen situationistischen "Militanten" kennen. MC verteidigte den proletarischen Charakter der Russischen Revolution von 1917, die Realität der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt der Geschichte und die Notwendigkeit einer revolutionären Organisation. Im selben Jahr nahm er auch an der Versammlung teil, die die erste Plattform von Révolution internationale verabschiedete, die auf den politischen Prinzipien von Internacionalismo (Venezuela) basierte, die MC von der Gauche Communiste de France (GCF) geerbt und dann weitergegeben hatte.
Er kehrte 1969 nach Frankreich zurück, zu einer Zeit, als der ursprüngliche Kern von Révolution internationale durch eine Reihe von Austritten, aber auch durch den Umzug der meisten Aktiven aus Toulouse in die Hauptstadt an Stärke verliert.
Obwohl er später sagte: "Ich war kein Militanter", was sich auf die Zeit von 1968 bezog, wurde er 1970 wieder voll in Révolution internationale aktiv und nahm 1972 an der Umgruppierung mit den Cahiers du Communisme de Conseils von Marseille und der Gruppe von Clermont Ferrand teil, aus der die zweite Plattform von RI als politische Gruppe mit einer territorialen Basis, die internationale Kontakte sucht, hervorging. Im Jahr 1975 nimmt er am ersten IKS-Kongress teil und bleibt bis an sein Lebensende Mitglied. Zu einer Zeit, als die klassenkämpferische Bewegung in Spanien auf ihrem Höhepunkt war und der Staat seine Politik des "demokratischen Übergangs" beschleunigte, konnte das Erscheinen von Acción Proletaria (AP) in Spanien nicht mehr gewährleistet werden.
Deshalb beschloss die IKS auf ihrem ersten internationalen Kongress, die regelmäßige Herausgabe von AP aufrechtzuerhalten, indem sie die Zeitung in Frankreich produzierte und sie in den letzten Tagen des Franquismus nach Spanien schmuggelte. Seine Mitarbeit an dieser Publikation wurde damals besonders geschätzt, weil er in der Lage war, die demokratischen Manöver des "Übergangs" in Spanien eingehend zu analysieren und sie gründlich anzuprangern. Aufgrund seiner Beherrschung von zwei Sprachen – er war Spanischlehrer in Frankreich – war er ab 1975 auch an der spanischsprachigen Produktion der Internationalen Revue beteiligt. Der Genosse stellte die Erfüllung dieser Aufgaben immer in eine internationale und historische Perspektive.
Um die spanischsprachige Intervention und die Suche nach Kontakten in der spanischsprachigen Welt zu organisieren und zu systematisieren, ergriff die neu gegründete IKS die Initiative, eine spanischsprachige Kommission zu ernennen, der Antonio angehörte. In der Folge nahm Antonio regelmäßig an Reisen nach Spanien und an Gesprächen mit Kontaktpersonen teil und brachte seine Überzeugung und das Verständnis der IKS-Positionen ein. Die Genossinnen und Genossen, die mit ihm reisten, konnten seine große Sympathie, sein umfangreiches enzyklopädisches Wissen und vor allem seinen Humor schätzen. Wir werden darauf zurückkommen!
Antonio nahm an fast allen internationalen Kongressen des IKS teil, wo er Teil von bemerkenswert effizienten Simultanübersetzungsteams war – so sehr, dass Wissenschaftler, die zu einer Kongresssitzung eingeladen waren, von der Qualität der Arbeit beeindruckt waren. Sie waren aber auch von Antonios Kommentaren in den Pausen überrascht, mit denen er die Kollegen der spanischen, mexikanischen oder venezolanischen Delegationen über Teile der Rede aufklären wollte, die sie missverstanden hatten, .... aber sie waren auch von Antonios Nutzung des Mikrofons für Witze überrascht.
In den schwierigen Momenten des Kampfes der Organisation gegen den Zirkelgeist und für den Parteigeist entschied sich Antonio immer für die Verteidigung der Organisation. Obwohl er von Natur aus dazu neigte, sich mit den Genossen anzufreunden, lässt er sich nie dazu hinreißen, "seine Freunde" gegen die Organisationsprinzipien der IKS zu verteidigen. Und als einige von ihnen die Organisation mit Ressentiments gegen sie verließen, hielt Antonio seine Loyalität zur IKS aufrecht, auch wenn dies bedeutete, sich persönlich von seinen ehemaligen Freunden zu distanzieren.
Der Genosse räumte zwar einige seiner Fehler oder Nachlässigkeiten, gelegentliche Unaufmerksamkeiten oder mangelndes Engagement ein, bezeichnete sie aber oft als seine "Antonionaden". Diese Kategorie umfasste sogar Sketche, in denen der Genosse zur Belustigung aller den "Clown" spielte.
Bei feierlichen Anlässen wie dem Jahreswechsel konnte unser Genosse oft seinen guten Humor zeigen, der nie bissig, sondern oft neckisch, subtil und freundlich gegenüber seinen Genossen war. Zu seinem Repertoire gehörten auch einige improvisierte Sketche mit Freunden und Genossen aus der Organisation. Im Dienste seiner "Kunst" verstand er es, die Feinheiten und Tücken der französischen und spanischen Sprache – manchmal sogar des Okzitanischen – zu nutzen. So konnte er stundenlang freundschaftliche Treffen mit seinen Genossinnen und Genossen veranstalten und seine gute Laune mit ihnen teilen.
Die "Antonionade" konnte sich aber auch in ganz anderen Situationen manifestieren, die nichts Festliches an sich hatten und eine besondere Kühnheit unseres Genossen widerspiegelten.
In den 1980er Jahren zum Beispiel stieß ein IKS-Team bei einer Flugblattaktion in den Docks von Marseille – einer Zitadelle der CGT-Wächter der kapitalistischen Ordnung – schnell auf eine Patrouille von CGT-"Großmäulern", die uns aus dem Weg räumen wollten. In solchen Momenten geht es darum, so lange wie möglich durchzuhalten, um so viele Flugblätter wie möglich zu verteilen, was keine leichte Aufgabe ist, vor allem, wenn nur wenige Leute eingelassen werden. Und Antonio lachte zum Erstaunen aller: "Ach, aber ich kann nicht aufgeben, ich habe einen Auftrag, den ich erfüllen muss. Ich muss diese Verteilung zu Ende bringen!"
Die Fassungslosigkeit, die dies in den Reihen der Gewerkschaft auslöste, ermöglichte es uns, wertvolle Minuten für die Verteilung zu gewinnen, an deren Ende der Strom der Hafenarbeiter, die den Arbeitsplatz betraten, uns vor Einschüchterung schützte.
Sein militantes Leben bestand jedoch nicht nur aus Antonionaden, wie seine regelmäßige Beteiligung am Leben der Organisation und die Tatsache zeigen, dass es derselbe Antonio war, der an einer Episode beteiligt war, in der er eine Demonstration gegen den Versuch der Bullen verteidigte, in die Demonstration einzudringen, um einen jungen Mann mitzunehmen, der sich schuldig gemacht hatte, eine Wand besprüht zu haben. Bei dieser Gelegenheit konnten die Bullen zurückgeschlagen werden.[1]
In seinem Berufsleben waren einige seiner "Antonionaden" reiner Humor, wie einer seiner Universitätskollegen, der an seiner Beerdigung teilnahm, berichtete und illustrierte und der auch betonte, wie sehr Antonio seine Studentinnen und Studenten respektierte: Eines Tages, als sie seiner Vorlesung nicht zuzuhören schienen und sich im Hörsaal unterhielten, machte Antonio keine besondere Bemerkung, sondern unterbrach sich selbst. Die überraschten Studierenden hörten auf zu plaudern und fragten sich, was los war. Dann ergriff Antonio wieder das Wort und erzählte ihnen: "Heute fühle ich mich wie in einer spanischen Bar. In spanischen Bars ist der Fernseher die ganze Zeit an, aber niemand schaut oder hört zu. Aber wenn jemand den Fernseher ausschaltet, ist immer jemand da, der sagt: 'Wer hat den Fernseher ausgeschaltet?‘ Heute bin ich der Fernseher der Bar." Welch Taktgefühl und Pädagogik!
Er hatte zunächst eine Tochter, die seine Militanz stets unterstützte und politische Sympathien für die IKS hegte. Sein zweites Kind wurde mit einer schweren körperlichen und geistigen Beeinträchtigung geboren. Um sich mit ihm verständigen zu können, lernte Antonio die Gebärdensprache und achtete stets darauf, dass die Beeinträchtigung seines Sohnes ihn nicht von allem und jedem fernhielt. Und gemeinsam gelang es der Familie! Nicht zuletzt wegen Antonios unermüdlichem Einsatz. Das Engagement unseres Genossen für seine Familie war noch größer, als seine Partnerin schwer erkrankte. Jahrelang kämpften sie Seite an Seite gegen eine Krebserkrankung, der sie schließlich, erschöpft vom Kampf, erlag.
Das Spannungsverhältnis zwischen Antonios persönlicher und kämpferischer Verantwortung wurde bei vielen Gelegenheiten bis zum Äußersten ausgereizt. Wie er selbst sagte, war er mehrmals kurz davor, den politischen Kampf aufzugeben, aber am Ende blieb er sich, seiner Familie und der Organisation treu und richtete sein Leben und die Versorgung seiner Familie nach dem aus, was seine Leidenschaft und Überzeugung war: kommunistische Militanz.
Wir möchten an dieser Stelle hinzufügen, dass das Leben dieses Genossen, der es geschafft hat, seine Militanz mehr als ein halbes Jahrhundert lang (von 1968 bis 2023) gegen alle Arten von Druck aufrechtzuerhalten, ein Beispiel dafür ist, was wir an die neue Generation von Militanten weitergeben müssen.
Obwohl er lange Zeit gezwungen war, sein militantes Engagement einzuschränken, konnte er in den letzten Jahren die Flamme dieser Leidenschaft wiederentdecken, indem er an gemeinsamen Treffen mit den Genossen von AP (Spanien), RI (Frankreich) und Rivoluzione internazionale (Italien) teilnahm und sich an organisatorischen Aufgaben beteiligte.
Ein weiteres Paradoxon unseres Genossen, oder ein Ausdruck seiner großen Bescheidenheit oder seines mangelnden Selbstbewusstseins: Bei mehreren Gelegenheiten sagte er den Genossinnen und Genossen, dass es ihm schwerfalle, die Bedeutung unseres Konzepts, "die Militanz in den Mittelpunkt unseres Lebens zu stellen", zu verinnerlichen. Aber genau das hat er sein ganzes Leben lang getan!
Kurz nach dem Tod seiner Lebensgefährtin erlitt Antonio einen Herzinfarkt, den er allein bewältigte, indem er mitten in der Nacht in die Notaufnahme ging. Einen Tag später waren seine Arterien wieder frei und er war wieder einsatzbereit. Es stellte sich heraus, dass er noch andere Herzprobleme hatte, die zwar behandelt und nicht als kritisch eingestuft wurden, die aber dennoch die Ursache für seinen plötzlichen Tod kurze Zeit später gewesen sein könnten. Als wir ihn aufforderten, uns regelmäßiger über seinen Gesundheitszustand zu informieren, antwortete er, dass in seinem Heimatdorf manche Leute, die sagten, "Ich halte euch auf dem Laufenden", in Wirklichkeit meinten "Ich halte euch auf Abstand". Noch eine Antonionade! Die letzte.
Auch wenn der Genosse darauf bedacht war, die anderen nicht zu "stören", so war er sich doch der sozialen und politischen Notwendigkeit bewusst – und hatte dies bereits unter Beweis gestellt –, die Organisation und ihre Militanten bei Bedarf aufzusuchen. In der Tat hat er uns regelmäßig über seinen Gesundheitszustand informiert.
Dennoch waren wir alle von seinem "überstürzten Abgang" überrascht. Gute Reise, Genosse und Freund.
Andererseits waren wir nicht überrascht von der großen Anzahl von Menschen, die an der Beerdigung unseres Kameraden teilnahmen, darunter einige seiner ehemaligen Kollegen, die rührende, aber nicht überraschende Zeugnisse über Antonios großen Respekt für seine Studentinnen und Studenten ablegten.
Die IKS wird in den kommenden Monaten eine politische Hommage für unseren Genossen Antonio organisieren. Genossinnen und Genossen, die daran teilnehmen möchten, sollten an die IKS schreiben, und wir werden sie über Datum und Ort informieren.
IKS 8.8.23
[1] Für weitere Details dieses Ereignisses verweisen wir auf folgenden Artikel auf unserer französischsprachigen Webseite: Solidarité avec les lycéens en lutte contre la répression policière (Zeugnis eines Lesers) [456], ICC online, Oktober 2010
Der folgende Artikel ist eine Übersetzung eines Artikels unserer französischen Sektion, der den zersetzenden Einfluss durch die vorgeblich radikale Haltung der trotzkistischen Organisation Révolution Permanente während der Kampfwelle in Frankreich analysiert. Auch wenn die internationale Kampfwelle bisher in Deutschland einen verhalteneren Ausdruck gefunden hat, stellen wir auch hier eine neue Ausrichtung der linksradikalen Gruppen des Kapitals fest. Es ist bemerkenswert, dass die trotzkistischen Gruppen, die in den letzten Jahren jede Bewegung der Partei Die Linken mitgemacht haben, nun die Notwendigkeit des Bruchs mit der Partei betonen. Mitte Januar 2023 gab es eine Konferenz dieser trotzkistischen Gruppen in Berlin und es wurde eine Fraktion Revolutionärer Bruch[1] konstituiert, die sich das erklärte Ziel gab, möglichst viele unzufriedene und politisierte Elemente aus der Partei Die Linke abzuwerben.
In den vorherigen Jahren gab es bereits eine große Auffächerung und Spaltungsorgie innerhalb der trotzkistischen Szene. Die SAV (bekannt, da sie mit Lucy Redler gar eine Vertretung im Bundesvorstand der Partei Die Linke platzieren konnten) spaltete sich in die SOL und die SAV. Die Gruppe ArbeiterInnenmacht spaltete sich in die GAM und RIO. Die Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands hat sich gespalten und die neue Internationalistische Gruppe, die in Deutschland die Zeitschrift Permanente Revolution herausbringen, hervorgebracht. Doch diese Spaltungen sind nicht national zu verstehen, sondern sie sind immer eine Widerspiegelung von Auseinandersetzungen der jeweiligen trotzkistischen Internationalen. Hier findet eine permanente Neubewertung und Arbeitsteilung statt: Wie können die jeweiligen Organisationen am besten den Notwendigkeiten der Bourgeoisie im Klassenkampf entsprechen? Durch ihr scheinbar kämpferisches Auftreten, ihre Intervention in Streiks und Demonstrationen und ihre Scharnierstellung zu den Gewerkschaften haben sie die Möglichkeit, die unterirdische Reifung in der Arbeiterklasse zu „erspüren“ und schnell zu reagieren, wie dieses am besten einzuhegen ist.
Révolution Permanente und RIO (besser bekannt als Klasse gegen Klasse) sind beide Sektionen (die sich selbst nur noch als Internationales Netzwerk bezeichnet) der Trotzkistische Fraktion für die Vierte Internationale, die Hauptauseinandersetzung, die zu dieser Neugründung führte, sind sicherlich die unterschiedlichen Lehren aus der französischen Bewegung und insbesondere der Frust mit der NPA (Nouveau Partie Anticapitaliste) und daher ist der Artikel unserer französischen Sektion auch für Deutschland von großer Bedeutung, da er die strategische Bedeutung der linksradikalen Organisationen des Kapitals entblößt.
Auch in Deutschland hat sich RIO mit der Zeitschrift Klasse gegen Klasse als Speerspitze der interventionistischen und aktivistischen Verblender etabliert und erfüllt dabei ihre Aufgabe in dem sie junge, politisierte Elemente anzieht und politisch unschädlich macht. Eine Entwicklung die wir nicht nur beobachten müssen, sondern die wir auch aufdecken und angreifen müssen.
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Kaum zwei Jahre nach ihrer Abspaltung von der NPA, in der sie fast ein Jahrzehnt lang tätig war, ist Révolution Permanente, eine neue Organisation in der trotzkistischen Landschaft, fast ein Medienhit geworden. Sie ist auf Demonstrationen, an Universitäten, in Betrieben und im Internet präsent und hat einen sehr attraktiven Diskurs: Aufruf zur Solidarität, zum radikalen Kampf, zur gegenseitigen Unterstützung, zur Verteidigung unterdrückter Minderheiten, Kritik an Gewerkschaftszentralen und Wahlen, Verteidigung der Selbstorganisation der Arbeiter, offizielle Unterstützung für den Internationalismus...
Während der gesamten Bewegung gegen die Rentenreform konnte Révolution Permanente ihre Rhetorik an die Stimmung im Proletariat anpassen. Während die von den Gewerkschaften organisierten vereinzelten Demonstrationen dem Kampfgeist und der Unzufriedenheit der Arbeiter nicht gerecht wurden, prangerte Révolution Permanente die "isolierten Daten, die von Intersyndicale[2] gestellt wurden [...] als weit unter dem Potenzial und den an der Basis vorhandenen Bestrebungen" an.
Diese scheinbar innovative und radikale Rhetorik hat es in sich. In Wirklichkeit hat die Bourgeoisie klar erkannt, dass die Kampfbereitschaft innerhalb der Arbeiterklasse wieder zunimmt und dass in den Minderheiten, die auf der Suche nach Klassenpositionen sind, sich ein Nachdenken entwickelt. Mit Révolution Permanente hat sich die Bourgeoisie ein neues, leistungsfähigeres Instrument geschaffen, das offensichtlich über beträchtliche Mittel verfügt und genauso bürgerlich ist wie die NPA. Denn in strikter Kontinuität mit dem Trotzkismus recycelt Révolution Permanente nur die alten traditionellen Positionen der extremen Linken des Kapitals.
"Angesichts der Strategie der Niederlage der Intersyndicale muss der Streik vom 28. März die Frage der Organisation an der Basis aufwerfen, um den Streik auszuweiten, die Mobilisierung der Branchen für die Streikwiederaufnahme zu unterstützen und die Solidarität gegen die Polizeirepression zu organisieren." In der Tat wurde die Kampfstrategie der Gewerkschaften von kleinen Arbeiterminderheiten kritisiert. Warum liegen die Termine für die Demonstrationen so weit auseinander? Warum gibt es so wenige Vollversammlungen und Diskussionen am Ende der Demonstrationen? Warum gelingt es uns trotz einer "wie nie zuvor geeinten" Intersyndicale nicht, die Regierung zum Rückzug zu bewegen? Auf all diese Fragen antwortet Révolution Permanente scheinbar radikal: "In der gegenwärtigen Epoche der imperialistischen Krise sind die Gewerkschaften und ihre Führungen zu Werkzeugen des Kapitalismus geworden".
Doch hinter diesen revolutionären Scheinreden verbirgt sich eine raffinierte Falle, die so alt ist wie der Linksradikalismus: Um Verwirrung über die bürgerliche und staatliche Natur aller Gewerkschaftsorganisationen zu stiften, führt Révolution Permanente eine Unterscheidung zwischen "den Gewerkschaftsführern" und den Arbeitern an der "Basis" ein. Es ist nicht die Gewerkschaftsbewegung an sich, die nicht mehr an die Bedürfnisse des Kampfes angepasst ist und sich schließlich in den Staatsapparat integriert hat, sondern es angeblich ist ein Problem der korrupten und verräterischen Bürokraten. Und folgerichtig fügt Révolution Permanente nach der Feststellung, dass die Gewerkschaften "Werkzeuge des Kapitalismus" sind, gleich hinzu: "Die Arbeiter an der Basis müssen kämpfen, um den Bürokratien die Kontrolle zu entreißen und die Gewerkschaftsführungen zu besiegen, damit sie ihre Gewerkschaften demokratisch kontrollieren und sie als Werkzeuge des Klassenkampfes gegen die Bosse und den Staat einsetzen können". Révolution Permanente verschleiert damit die wahre Funktion der Gewerkschaften innerhalb des Staatsapparats: die Kämpfe der Arbeiterklasse zu sabotieren, sie machtlos zu machen, indem sie sie in die Sichtweise der bürgerlichen Ordnung einsperrt...
Diese neue Form des Linksradikalismus bedient sich der gleichen alten Tricks wie alle trotzkistischen Gruppen vor ihr: eine radikale Rhetorik gegenüber den Gewerkschaften, um die Arbeiterklasse in Richtung ... Syndikalismus zu lenken. Diese Doppelzüngigkeit ist typisch für trotzkistische Organisationen: Sie sagen etwas und gleichzeitig das Gegenteil, um absichtlich Verwirrung zu stiften.
Entrismus oder Unterwanderung, um "die Gewerkschaften in die richtige Richtung zu lenken", wird von den Vorfahren von Révolution Permanente schon seit Ewigkeiten praktiziert. Diese Praxis hat Generationen von Arbeitern gefesselt und mystifiziert, um sie in die Fallen der radikalen Gewerkschaftsarbeit zu locken und von der zentralen Frage der Selbstorganisation abzulenken, d.h. der Übernahme der Kämpfe durch die Arbeiter selbst außerhalb und gegen die Gewerkschaften.
Die Geschichte der Arbeiterbewegung lehrt uns genau das Gegenteil von dem, was Révolution Permanente behauptet. In Polen zum Beispiel traten die Arbeiter 1980 angesichts eines zahlreichen Angriffe auf ihre Lebensbedingungen (in diesem Fall eine 60-prozentige Erhöhung der Fleischpreise) spontan in den Streik und konnten ihren Massenstreik schnell auf das ganze Land ausdehnen und drohten sogar, ihn darüber hinaus auszuweiten. Ihre Waffe? Selbstorganisation und die Abhaltung von Vollversammlungen (genannt MKS)! Die Arbeiter und Arbeiterinnen gaben nicht nur Erklärungen ab, sondern ergriffen selbst die Initiative für die Kämpfe und ihre Ausweitung - ohne die Gewerkschaften, die direkt als in den stalinistischen Staat integriert wahrgenommen wurden. Diese Dynamik machte es möglich, dass sich ein für die Arbeiter günstiges Kräfteverhältnis entwickeln konnte. Die Vollversammlungen waren offen und wurden live über Lautsprecher auf die Straße übertragen, wo sich die Massen befanden, die Delegierten waren abwählbar. Wenn sie die Positionen, für die sie mandatiert waren, nicht korrekt vertraten, wurden sie von den Versammlungen ausgetauscht. Diese Bewegung, die in den Händen der Klasse gehalten wurde, ließ die gesamte polnische und internationale Bourgeoisie erzittern!
Das ist übrigens auch der Grund, warum die europäischen Bourgeoisien der polnischen Regierung schnell zu Hilfe kamen... mit der Gründung einer neuen Gewerkschaft! Um die Lücke zu füllen, die eine völlig diskreditierte offizielle Gewerkschaft hinterlassen hatte, und um der Übernahme des Kampfes durch die Arbeiter selbst ein Ende zu setzen, gründete die Bourgeoisie Solidarnosc aus dem Nichts, mit aktiver Unterstützung der damaligen "radikalen" Gewerkschaft: der französischen CFDT. Als freie, moderne, demokratische Gewerkschaft angepriesen und mit einem als sehr kämpferisch geltenden Arbeiter, Lech Wałęsa, an der Spitze, konnte Solidarnosc das Vertrauen der
Arbeiter erschleichen, um ihnen dann die Kontrolle über den Kampf zu entreißen und die Führung der Bewegung in einem einzigen Interesse zu übernehmen: dem des Staates.
Das Ergebnis war sofort sichtbar: Keine Lautsprecher mehr, um die Verhandlungen zu verfolgen (wegen angeblicher "technischer" Probleme), keine abwählbaren Delegierten mehr, keine souveränen Versammlungen mehr... die "Kampfexperten" hatten übernommen. Die Sabotagearbeit hatte begonnen. Die ursprünglich politischen und wirtschaftlichen Forderungen (u.a. höhere Löhne) konzentrierten sich nun eher auf die Interessen der Gewerkschaften (Anerkennung unabhängiger Gewerkschaften) als auf die der Arbeiter. Nach und nach trug Lech Wałęsa zur Erwürgung der Kampfbereitschaft bei: "Wir brauchen keine weiteren Streiks, denn sie treiben unser Land in den Abgrund, wir müssen uns beruhigen".
Schließlich wurden Ende 1981 und im Laufe des Jahres 1982 die letzten Bastionen der Kampfbereitschaft, die isoliert und erschöpft waren, gewaltsam unterdrückt: Verhaftungen und tödliche Repressionen waren die Folgen der Unterminierungsarbeit der Solidarnosc! Und der ehemalige Gewerkschafter Wałęsa wurde später sogar ... polnisches Staatsoberhaupt.
Der "basisdemokratische" Syndikalismus, dieses Gift, das uns Révolution Permanente und alle anderen trotzkistischen Organisationen vor ihr verkaufen, ist nichts als Augenwischerei, um die Realität besser zu verbergen: Wie auch immer man sie nennen mag, eine Gewerkschaftsinstanz ist eine Waffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse!
Um den Nagel seiner Pseudo-Radikalität gegenüber der Arbeiterklasse noch ein bisschen tiefer in den Sarg zu schlagen, übernimmt Révolution Permanente alle trotzkistischen Tricks über die Arbeit der "Koordinationen"! "Während die Bewegung gegen die Rentenreform und die Macron-Regierung in der Jugend immer stärker wird, ist die Koordinierung der Vollversammlungen der mobilisierten Universitäten eine Schlüsselfrage, um einen Sieg zu erringen. In diesem Sinne ist der Aufbau der nationalen Studentenkoordination am 1. und 2. April eine zentrale Aufgabe für alle mobilisierten Studierenden". Um diesen scheinbar radikalen und kompromisslosen Diskurs zu entmystifizieren, genügt es weiterhin, an die Erfahrungen der Arbeiterbewegung zu erinnern.
Ende der 1980er Jahre gab es in Frankreich mehrere Wellen von Kämpfen, die alle von "Koordinationen" erfasst wurden, während das Vertrauen in die Gewerkschaften nach 20 Jahren systematischer Sabotage der Kämpfe weitgehend verschwunden war. 1988 prangerten wir diese Manöver an: Die Koordinationen "tauchen auf oder kommen ans Tageslicht, wenn die Arbeiterklasse in einer Branche mobilisiert wird, und verschwinden mit ihnen. So war es zum Beispiel bei den Koordinationen, die während des Streiks bei der französischen Eisenbahn Ende 1986 entstanden waren. Und es ist gerade dieser "nur vorübergehend bestehende" Charakter, der ihnen eine so heimtückische Wirkung ermöglicht, indem er den Eindruck erweckt, sie seien Organe, die von der Klasse speziell für und im Kampf gebildet wurden". "In Wirklichkeit hat uns die Erfahrung gezeigt, dass solche Organe, wenn sie nicht seit vielen Monaten im Voraus von bestimmten politischen Kräften der Bourgeoisie vorbereitet wurden, von diesen in eine Kampfbewegung "eingeschleust" wurden, um sie zu sabotieren. Bereits im französischen Eisenbahnstreik konnten wir feststellen, dass die "Koordination der Lokführer", die von ihren Versammlungen alle ausschloss, die nicht Lokführer waren, einen sehr wichtigen Beitrag zur Isolierung der Bewegung und zu ihrer Niederlage leistete. Diese "Koordination" hatte sich auf der Grundlage von Delegierten gebildet, die von den Vollversammlungen der Abstellbahnhöfe gewählt worden waren. Dennoch war sie sofort von Militanten der Ligue Communiste (Sektion der trotzkistischen 4. Internationale) [Vorläufer der NPA und Révolution Permanente] kontrolliert worden, die natürlich die Sabotage des Kampfes übernahmen, wie es ihre Aufgabe ist. Aber bei den anderen "Koordinationen", die später entstanden, schon bei der "branchenübergreifenden Koordination der Eisenbahner" (die vorgab, die korporatistische Isolation zu bekämpfen) und noch mehr bei der "Koordination der Lehrer", die einige Wochen später auftauchte, stellte man fest, dass diese Organe präventiv gebildet worden waren, bevor die Vollversammlungen überhaupt begonnen hatten, Delegierte zu entsenden. Und am Anfang dieser Bildung stand immer eine linke oder linksgerichtete bürgerliche Kraft, was beweist, dass die Bourgeoisie den Nutzen verstanden hatte, den sie aus diesen Organen ziehen konnte".[3] Diese Koordinationen waren manchmal selbst gewerkschaftlich getarnte Organisationen, die von "Basis"-Gewerkschaftern geleitet wurden. Hinter ihrer Tarnkappe steckten dann oft offizielle Gewerkschaftsvertreter oder Mitglieder einer trotzkistischen Organisation.
Um sich als authentische proletarische Organisation darzustellen, stellt Révolution Permanente die Verteidigung der Interessen der Schwächsten in den Vordergrund. Schon auf ihrer Homepage stehen Themen wie "Rassismus und staatliche Gewalt" oder "Gender und Sexualität" an herausragender Stelle. In dieser verrottenden Welt können sich die übelsten Ideologien immer leichter ihren Weg bahnen. Und mit Abscheu und Entsetzen muss man mit ansehen, wie sich Diskriminierung, Rassismus, Homophobie usw. verschärfen.
Ja, das ist empörend! Man möchte vor Wut schreien! Man möchte sich wehren, jetzt, hier, sofort! Deshalb behauptet Révolution Permanente, "auf der Seite der Arbeiter, der Jugend, der Frauen, der LGBT-Personen, der Arbeiterviertel und aller Ausgebeuteten und Unterdrückten" zu stehen. Aber Révolution Permanente zu folgen ist immer noch eine echte Falle!
Teilkämpfe stellen eine Gefahr für die Klasse dar, insbesondere für die junge Generation von Arbeitern und Arbeiterinnen, die keine Erfahrung haben, aber über den Zustand der Gesellschaft zutiefst empört sind. Das Proletariat hat heute Orientierungen verloren und erkennt sich noch nicht wirklich als revolutionäre Klasse. Dies ist jedoch der erste Schritt, um den Weg zurück zum revolutionären Kampf zu finden, der allein in der Lage ist, all die empörenden Ungleichheiten gegenüber Frauen, Homosexuellen, Ausländern und all die anderen Folgen dieser verwesenden Welt wie die Umweltkrise, den Welthunger, die rassistische Polizeigewalt usw. zu beenden. Und nur die Arbeiterklasse, die einzige revolutionäre Klasse, kann diesen Zustand ändern!
Révolution Permanente versucht, indem sie die Unterdrückung "der Arbeiter, der Jugend, der Frauen, der LGBT-Personen, der Arbeiterviertel und aller Ausgebeuteten und Unterdrückten" in den Vordergrund stellt, in Wirklichkeit die Arbeiterklasse zu zersplittern und sie in Teilkämpfe abzulenken, die nur Sackgassen sind.
Konkret: Wenn eine Bewegung gegen Rassismus, gegen die Ungleichheit von Mann und Frau, gegen Polizeigewalt usw. anläuft, ist das Ziel der meisten Demonstranten, den Rassismus, die Ungleichheit von Mann und Frau usw. zurückzudrängen. Mit anderen Worten: den Kapitalismus zu verbessern, ihn "menschlicher" oder "demokratischer" zu machen. Wenn die Arbeiterklasse gegen ihre Arbeits- und Lebensbedingungen kämpft, kämpft sie gegen das, was den Kapitalismus begründet: die Ausbeutung. Deshalb steht im Grunde hinter jedem Streik die Frage nach der Revolution. Und nur diese Dynamik kann tatsächlich die Wurzeln von Diskriminierung und Ungleichheit angehen.
Durch die Befürwortung von Teilkämpfen hindert die Gruppe Révolution Permanente in der Kontinuität der NPA das Proletariat daran, sein Denken als ausgebeutete Klasse zu entwickeln. Durch die Befürwortung von Teilkämpfen führt Révolution Permanente die Arbeiter auf den Boden klassenübergreifender und kleinbürgerlicher Kämpfe zurück, auf den Boden der Anpassung an den Kapitalismus, während dieser immer barbarischer wird und immer mehr Spaltungen verursacht. Révolution Permanente verhindert jegliches proletarische Denken, indem es versucht, die Klassenidentität auszulöschen und sie durch die Identität der Frauen oder der Schwarzen oder irgendeiner unterdrückten Minderheit zu ersetzen!
Révolution Permanente übernimmt also das gesamte Know-how des Trotzkismus, mit einer vorgegaukelten Neubewertung, um die kämpferischsten und bewusstesten Arbeiter und Arbeiterinnen besser auf das Terrain der Bourgeoisie zu treiben und das Denken der Arbeiterklasse auf der Suche nach Klassenpositionen in die Irre zu führen. Es handelt sich um dieselbe heuchlerische und mystifizierende Doppelzüngigkeit hinsichtlich der Gewerkschaften und der Mittel des Kampfes als auch der Wahlen und der zersplitterten Kämpfe - wie zuvor bei der NPA, der Ligue Communiste Révolutionnaire oder Lutte Ouvrière vor ihr. Seit seiner „kritischen Unterstützung“ des russischen Imperialismus während des Zweiten Weltkriegs ist der Trotzkismus endgültig ins Lager der Bourgeoisie übergegangen. Révolution Permanente, eine neue Hilfskraft der Bourgeoisie, ist da keine Ausnahme!
Élise, 15. September 2023
[1] https://revolutionaererbruch.wordpress.com/ [457] und hier der Bericht der RIO „Am 14. Januar fand in Berlin die Konferenz der Fraktion Revolutionärer Bruch statt. Die Fraktion gründete sich aus Mitgliedern der Linksjugend und LINKE Anfang Oktober vergangenen Jahres und zog eine politische Bilanz der Partei. Auf der Konferenz wurden verschiedene Strategien diskutiert, theoretische Workshops angeboten und die Notwendigkeit gezogen, dass die LINKE für die Arbeiter:innenklasse keine politische Heimat mehr sein kann. Neben Mitgliedern der Fraktion haben die Revolutionär Internationalistische Organisation (RIO), die Revolutionär-Sozialistische Organisation (RSO), die Gruppe Arbeiter:innenmacht (GAM), die Jugendorganisation REVOLUTION, Palästina Spricht, Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht (BAGA), internationale Gäste aus Frankreich von Révolution Permanente und der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) sowie Vertreter:innen von der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands und des Funken teilgenommen. Letztere zog nun nach zwei Monaten eine Bilanz und schlussfolgert, dass ein Bruch mit der LINKEN „fatal“ und „grundlegend falsch sei“.“ https://www.klassegegenklasse.org/revolutionaerer-bruch-der-funke-will-den-marxismus-gatekeepen/ [458]
[2] Intersyndicale: gewerkschaftsübergreifender informeller und oft punktueller Zusammenschluss
[3]Oktober 1988: Bilanz des Kampfes der Krankenschwestern (...) Die Koordinationen: die neue Waffe der Bourgeoisie. Diese Broschüre ist online auf Französisch auf unserer Website verfügbar.
China erlebt die größte Wirtschaftskrise seit 50 Jahren vor dem Hintergrund eines starken wirtschaftlichen und militärischen Drucks seitens der USA: "China ist in die globale Krisendynamik verwickelt, sein Finanzsystem ist durch das Platzen der Immobilienblase bedroht. Der Niedergang des russischen Partners und die Unterbrechung der „Seidenstraßen“ nach Europa durch bewaffnete Konflikte oder das herrschende Chaos richten erheblichen Schaden an. Der starke Druck der USA verschärft die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes weiter. Und angesichts der wirtschaftlichen, gesundheitlichen, ökologischen und sozialen Probleme stellt die angeborene Schwäche der stalinistischen Staatsstruktur ein großes Handicap dar."[1]
Vor diesem Hintergrund kann das Abrutschen der wichtigsten Wirtschaftsindikatoren des Landes in den roten Bereich für den stalinistischen Parteienstaat nur von größter Bedeutung sein. Das Wirtschaftswachstum ist auf dem niedrigsten Stand seit 45 Jahren (weniger als 5 %), die Exporte sind rückläufig (-8,3 % im Jahresvergleich) und der Binnenkonsum ist minim. Während sich die Inlandsnachfrage in einer Deflationsspirale befindet, sind die Staatsverschuldung - insbesondere die der regionalen Behörden - und die Unternehmensverschuldung kolossal. Die öffentliche und private Verschuldung Chinas, die 2021 über 250 % des BIP lag, wird bis Mitte 2023 300 % des BIP erreichen (nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, Schweiz). Das katastrophale Ausmaß der Probleme zeigt sich besonders im Immobiliensektor, der fast 30 % des chinesischen BIP ausmacht: Nach dem Konkurs von Evergrande und dem angekündigten Zahlungsausfall von Country Garden, das viermal so viele Projekte wie Evergrande hat, gab es Ende August 648 Millionen unverkaufte Wohnungen[2]. Das Banken- und Kreditsystem steht also unter Druck angesichts einer Vertrauenskrise der Verbraucher und einer abwartenden Haltung der Unternehmen, die sich mit Investitionen zurückhalten, um abzuwarten, wie es weitergeht.
Noch beunruhigender für die chinesische Bourgeoisie ist die Kapitalflucht, der Rückgang der Auslandsinvestitionen auf den niedrigsten Stand seit 25 Jahren, den Peking mit massiven Kampagnen für Investoren einzudämmen versucht. Die Wiederwahl Xi Jinpings und seine Behandlung "privater chinesischer Unternehmer" wie Jack Ma (Grupo Ant und Alibabá), von denen viele nach Japan fliehen mussten, sind jedoch nicht vertrauenserweckend. Die Kapitalflucht in andere Länder wie Vietnam, Indonesien, Indien und Mexiko ist nicht nur Ausdruck fehlender "Garantien" in China; die Transportkosten und Löhne sind dort so stark gestiegen, dass heute Indien und in geringerem Maße auch Vietnam und andere indopazifische Länder mit China konkurrieren: "Alle wollen entweder ihre Produkte in China verkaufen oder, wenn sie in China produzieren, suchen sie nach alternativen Standorten. Die Situation hat sich im Vergleich zu noch vor fünf Jahren dramatisch verändert."[3]
Kurz gesagt: China ist weit davon entfernt, der Motor zu sein, der die Weltwirtschaft 2008 wiederbelebte, und befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise, die den Rest der Welt in weitere wirtschaftliche Turbulenzen zu stürzen droht und deren soziale Auswirkungen zunehmend auch im Land selbst zu spüren sind. Der Zusammenbruch des Immobilienmarktes führt zu Demonstrationen von Kleinsparern, die ihre Ersparnisse in Rauch aufgehen sehen. Ebenso besorgniserregend ist die Beschäftigungssituation für junge Menschen: 21,3 % der jungen Chinesen sind nach den jüngsten offiziellen Zahlen (17. Juli 2023) arbeitslos. Lokalen Wirtschaftswissenschaftlern zufolge ist die Arbeitslosenquote unter den 16- bis 24-Jährigen sogar doppelt so hoch (46,5 % statt 19,7 % im März!), da fast 20 % der jungen Stadtbewohner "tangping" (wörtlich: "herumliegen") sind. Die chinesische Regierung manipuliert die Veröffentlichung der Zahlen aus Angst, die Investoren in Panik zu versetzen, was die derzeitige Krise weiter verschärfen und sogar die soziale und politische Stabilität gefährden würde. In der Tat wächst die soziale Unzufriedenheit nach Jahren der unmenschlichen Enge im Zusammenhang mit der "Null-Covid"-Politik und den neuen Regulierungsmaßnahmen im Gesundheitswesen. Die wirtschaftliche und soziale Destabilisierung verschärft auch die Kämpfe der Beschäftigten gegen Lohnrückstände und Betriebsschließungen oder -verlagerungen, die häufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsdiensten der Unternehmen führen. Diese Streiks und Proteste haben im Jahr 2023 stark zugenommen und die Zahl der Streiks im Vergleich zu 2022 verdoppelt.[4]
Diese Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage führt auch zu politischen Umwälzungen, die immer deutlicher bis in die Spitze des Staates sichtbar werden, wie die auffällige Abwesenheit von Xi Jinping bei internationalen Foren (BRICS-Wirtschaftsforum in Südafrika, G20-Treffen in Indien) und das "Verschwinden" von Außenminister Qin Gang und Verteidigungsminister Li Shangfu sowie mehrerer Generäle, die an der Spitze der "Raketentruppe" und der Abteilung für Ausrüstungsentwicklung der chinesischen Armee stehen. Die Absetzung von Xi Jinping nahestehenden und von ihm nach dem letzten KPCh-Kongress ernannten Führungspersönlichkeiten wegen "persönlichen Verhaltens" oder "Korruption" unterstreicht die Tatsache, dass Xi Jinping zunehmend persönlich zur Verantwortung gezogen wird, insbesondere seit seiner katastrophalen "Null-Covid"-Politik, die erhebliche wirtschaftliche und soziale Schäden verursacht hat. Im August soll er auf dem traditionellen Sommertreffen der Spitzen des Regimes im Badeort Beidaihe, bei dem eine Bilanz der Lage Chinas gezogen wird, scharf kritisiert worden sein. Ehemalige Führungspersönlichkeiten im Ruhestand sollen ihm mit einer noch nie dagewesenen Schärfe Vorwürfe gemacht haben, was darauf hinzudeuten scheint, dass sich die Konfrontationen zwischen "Ökonomen" und "Nationalisten" angesichts der Gefahr einer wirtschaftlichen und sozialen Destabilisierung, die dieses stalinistische Regime fürchtet, wieder verschärfen. Innerhalb der KPCh haben sich eine giftige Atmosphäre und extreme Spannungen entwickelt. In einem solchen Klima der Fraktionskämpfe innerhalb des Parteistaats ist die Zukunft ungewiss, und Xi Jinping könnte den Hebel eines überstürzten Aufbruchs in einen verschärften Nationalismus ansetzen, um sich durchzusetzen, wie es in China schon oft der Fall war, wenn sich innenpolitische Probleme häuften.
Xi Jinpings Projekt "Großchina", welches er bis 2050 zu konsolidieren hoffte, scheint nun ernsthaft bedroht zu sein: Die gegenwärtigen Trends deuten darauf hin, dass das Land in absehbarer Zeit nicht die führende Wirtschaftsmacht der Welt werden wird. Angesichts einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die das Land in ein weitverbreitetes soziales Chaos zu stürzen droht, eines zunehmenden Drucks seitens der USA und einer wachsenden Opposition innerhalb der Partei wird Xi Jinpings Politik mehr denn je von Unberechenbarkeit geprägt sein, aber auch von der Gefahr irrationaler Entscheidungen, die die Welt in einen Strudel aus Chaos, Barbarei und einer beispiellosen militärischen Konfrontation zu ziehen drohen.
Fo & RH, 9.10.2023
[1]Resolution zur internationalen Lage, 25. IKS-Kongress, Internationale Revue Nr. 59, 2023.
https://de.internationalism.org/content/3120/resolution-des-25-internati... [459]
[2]Siehe: P.-A. Donnet, Chine : comment la folie des grandeurs mène l'économie à la ruine, Asiayst, 01.10.23
[3]Ein britischer Spezialist für Portfolio-Management, zitiert in P. Donnet, Chine : la crise économique, prélude d'un hiver politique et social ? Asialyst, 07.09.23
[4] Siehe: China Labour Bulletin
Während die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten die Aufmerksamkeit der Medien auf der ganzen Welt auf sich ziehen, gibt es im Hintergrund immer die Konfrontation zwischen den beiden heutigen Großmächten, den Vereinigten Staaten und ihrem Hauptherausforderer, China, die sich immer offener und gewaltsamer zuspitzt. Innerhalb der amerikanischen Bourgeoisie sind sich die wichtigsten Fraktionen darin einig, dass China um jeden Preis daran gehindert werden muss, seine Position als Weltmacht mit Ambitionen zur Entthronung der Vereinigten Staaten zu stärken: "Die Reaktion der USA auf ihren eigenen Niedergang und den Aufstieg Chinas bestand nicht darin, sich aus dem Weltgeschehen zurückzuziehen, im Gegenteil. Die USA haben ihre eigene Offensive gestartet, die darauf abzielt, den Vormarsch Chinas einzuschränken, von Obamas „Schwenk nach Osten“ über Trumps Fokus auf Handelskrieg bis hin zu Bidens direkterem militärischen Ansatz (Provokationen rund um Taiwan, Abschuss chinesischer Spionageballons, die Gründung von AUKUS, die neue US-Basis auf den Philippinen usw.). Ziel dieser Offensive ist es, eine Brandmauer um China zu errichten, die dessen Fähigkeit, sich als Weltmacht zu entwickeln, blockiert." (25. IKS-Kongress, Resolution zur internationalen Situation, Punkt 4, International Revue 59, 2023[1])
Militärisch ist China trotz einer beeindruckenden Aufrüstung in den letzten zehn Jahren den USA immer noch weitgehend unterlegen und entwickelt daher eine langfristige Strategie, die darauf abzielt, die globalen wirtschaftlichen Grundlagen für seinen Aufstieg zur imperialistischen Macht zu schaffen. Kurz gesagt, China braucht Zeit, und genau die ist Onkel Sam absolut nicht bereit, ihm zu geben.
Die Vereinigten Staaten haben Pekings "strategischen Verbündeten", Russland, stark geschwächt, indem sie es in einen zunehmend zerstörerischen Krieg in der Ukraine verwickelt haben. China hat die Warnung der Amerikaner verstanden und reagiert zurückhaltend, denn es will nicht mit Sanktionen belegt werden, die seine wirtschaftliche Lage noch komplizierter machen würden. Die Ausbreitung des Kriegschaos und die Anhäufung von Schulden durch die beteiligten Staaten haben dazu geführt, dass sein pharaonisches imperialistisches Projekt, die Neue Seidenstraße, stagniert oder sogar blockiert wird, was ein weiterer Faktor ist, der China in Schwierigkeiten bringt. Andererseits übt der unter der Trump-Administration begonnene und von Biden verschärfte Handelskrieg einen erdrückenden Druck auf die chinesische Wirtschaft aus: man denke nur an das Verbot für Huawei, die Systeme von Google zu nutzen, und die Zölle auf chinesisches Aluminium oder das Verbot für amerikanische Investoren, in China in die Entwicklung und Produktion von Mikroprozessoren zu investieren, und den Druck auf "verbündete" Staaten, keine Maschinen nach China zu exportieren, die zur Herstellung von Mikrochips verwendet werden können.
An der militärischen Front haben die Vereinigten Staaten ihre Blockade der chinesischen Küste genauer abgestimmt und damit den Druck auf China erhöht. Im August wurde in Camp David ein gegenseitiges Verteidigungsabkommen zwischen Japan, Südkorea und den Vereinigten Staaten unterzeichnet. Biden bekräftigte die Zusage der Vereinigten Staaten, Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs militärisch zu verteidigen, und stellte massive Waffenlieferungen bereit. Schließlich hat die aggressive Haltung Chinas im Chinesischen Meer es den Amerikanern ermöglicht, ihre Beziehungen zu den Philippinen und Vietnam zu verstärken, insbesondere durch Bidens Besuch in Hanoi im September, um einem Land, mit dem amerikanische Militärunternehmen wie Lockheed Martin und Boeing bereits wichtige wirtschaftliche Beziehungen unterhalten, eine "strategische Allianz" vorzuschlagen. Nimmt man noch die US-Stützpunkte auf den Inseln Okinawa und Guam hinzu, so wird deutlich, dass der amerikanische Vormarsch Chinas Ambitionen in Bezug auf die Seewege zunehmend einschränkt. Schließlich erklärte QUAD (Japan, Indien, die Vereinigten Staaten und Australien), eine Gruppe für "gegenseitige Verteidigung", deren Ziel es ist, den indopazifischen Raum zu einem Ort des "Friedens und des Wohlstands" (sic!) zu machen, auf ihrem jüngsten Treffen in Hiroshima im Mai: "Wir lehnen eine Destabilisierung oder einseitige Aktionen zur Veränderung des Status quo durch Gewalt oder Zwang entschieden ab". Obwohl China und seine Drohungen gegen Taiwan nicht erwähnt werden, ist die Botschaft dennoch eindeutig.
Angesichts einer solchen Situation ist Peking gezwungen zu reagieren, aber die heuchlerische Mischung aus Provokation und Diplomatie seitens der Amerikaner (sie haben in den letzten drei Monaten 13 Delegationen nach Peking geschickt, um zu "verhandeln") führt dazu, dass China in verschiedene Richtungen reagiert.
Einerseits werden die militärischen Aktionen gegenüber Taiwan immer bedrohlicher: China verstärkt seine Militärübungen in der Straße von Taiwan, um den Eindruck zu erwecken, dass eine mögliche Invasion vorbereitet wird, und es baut künstliche Inseln auf umstrittenen Riffen im Chinesischen Meer, um dort neue Militärstützpunkte einzurichten, mit dem Ziel, ein Gebiet zu kontrollieren, durch das 60 % des weltweiten Seehandels fließen. Auch das Wettrüsten zur Stärkung des Militärapparats, insbesondere der Kriegsflotte, wird intensiviert. Der chinesische Verteidigungsminister Wei Fenghe erklärte: "Wenn jemand es wagt, Taiwan von China abzutrennen, werden wir nicht zögern zu kämpfen. Wir werden um jeden Preis und bis zum bitteren Ende kämpfen. Das ist die einzige Möglichkeit".
Chinas Aggression richtet sich nicht nur gegen die Vereinigten Staaten, sondern auch gegen seine Nachbarn: Peking ist in einen Territorialstreit mit Indien verwickelt, der regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen führt; Chinas Reaktion auf Japans Einleitung von radioaktiv verseuchtem Wasser in den Pazifik ist ein weiteres Beispiel für die angespannten Beziehungen zwischen den beiden Nationen, denn China hat japanischen Fischereierzeugnissen die Einfuhr in sein Hoheitsgebiet untersagt, da die japanische Fischereiindustrie für die japanische Wirtschaft sehr wichtig ist. Auf wirtschaftlicher Ebene hat China ebenfalls Vergeltungsmaßnahmen gegen die Vereinigten Staaten ergriffen, indem es beispielsweise Anfang September beschloss, die Verwendung von iPhones in seinen öffentlichen Diensten zu verbieten. Dies hat Apple zwar sofort einen Verlust von 200 Milliarden Dollar an der Börse eingebracht, aber die Irrationalität dieser Maßnahme wird durch die Tatsache unterstrichen, dass China der Haupthersteller dieser Mobiltelefone ist und dass Apple infolgedessen möglicherweise chinesische Arbeiter entlassen muss.
Andererseits hat China eine groß angelegte diplomatische Operation gestartet, um zu zeigen, dass es eine "Friedensmacht" ist und die Amerikaner eine Kriegspolitik betreiben: Es war der Architekt der spektakulären Versöhnung zwischen Iran und Saudi-Arabien und hat sogar seine guten Dienste für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine angeboten. Auf dem jüngsten BRICS-Treffen in Südafrika drängte Xi Jinping auf die Erweiterung der BRICS, indem er sechs neue Mitglieder und die Schaffung einer gemeinsamen Währung vorschlug. Während der letztgenannte Vorschlag bei Indien auf Ablehnung stieß, wurden Saudi-Arabien, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien und Argentinien als neue Mitglieder aufgenommen. Diese Politik Chinas zeigt seinen wachsenden Einfluss im Nahen Osten. Da China nicht über militärische Kapazitäten verfügt, die mit denen der Vereinigten Staaten konkurrieren können, nutzt es hauptsächlich die "Finanzkreditdiplomatie", um Einfluss in der Welt zu gewinnen. Diese Waffe birgt jedoch viele Risiken. So hindert beispielsweise der Bankrott Sri Lankas China daran, die Schulden Pakistans vorläufig zu erlassen, da die Gefahr besteht, dass sich das Rückzahlungsproblem ausweitet.
Die Abwesenheit von Xi Jinping beim G20-Treffen in Neu-Delhi im September war eine Premiere für den chinesischen Präsidenten, der bisher immer an den Treffen dieser Ländergruppe teilgenommen hatte, und zeigt deutlich das Dilemma, in dem sich China befindet: Einerseits wollte Xi zeigen, dass er die von den Vereinigten Staaten diktierte und aus dem Zweiten Weltkrieg stammende Weltordnung nicht mehr anerkennen will, doch im Grunde ist seine Abwesenheit ein Eingeständnis der Schwäche angesichts der amerikanischen Aggression im Indopazifik, der Stärkung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Modis Indien sowie seiner eigenen wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten.
Angesichts der amerikanischen Offensive manövriert China, um Zeit zu gewinnen, aber die Amerikaner sind nicht bereit, diese zu geben. Die amerikanischen Provokationen und ihre Eindämmungspolitik nehmen zu und zielen darauf ab, den chinesischen Drachen zu erwürgen. Dies kann die Unvorhersehbarkeit der Situation und das Risiko irrationaler Reaktionen nur verstärken, die kriegerische Konfrontationen vervielfachen und das Chaos verschärfen werden.
Fo & HR, 9.10.23
Die israelische Regierung hat verkündet, dass das Ziel ihrer verheerenden Bombenangriffe und der Landinvasion in Gaza die Zerstörung der Hamas ist und dass sie nicht auf Zivilisten zielt, sondern auf die Infrastruktur und die Kommandozentralen der Hamas. Aber die "kollaterale" Tötung tausender ziviler Männer, Frauen und Kinder ist zweifellos der beste Weg, um weitere Anhänger für den so genannten "palästinensischen Widerstand" zu rekrutieren, selbst wenn dieser sich neu formiert und umbenennt, beflügelt von einem wachsenden Wunsch nach Rache, sei es in Gaza, im Westjordanland oder in Israel selbst.
Ein Sprecher der israelischen Regierung, Avi Dichter, Landwirtschaftsminister und ehemaliges Mitglied des Shin Beth (Geheimdienstes), gab in einem unkontrollierten Moment einen besseren Einblick in die wahren Ziele des israelischen Angriffs: "Wir sind dabei, die Nakba des Gazastreifens zu verwirklichen. Aus operativer Sicht ist es unmöglich, einen Krieg - wie ihn die Israel Defence Forces in Gaza führen will - mit Massen zwischen den Panzern und den Soldaten zu führen."[1]
In der Nakba oder Katastrophe von 1948 flohen über 700.000 palästinensische Flüchtlinge aus dem als Israel bezeichneten Gebiet. Sie wurden durch die terroristischen Gräueltaten der zionistischen Miliz (am bekanntesten ist das Gemetzel in Deir Yassin durch die Stern-Bande) zum Verlassen des Landes "angeregt" und durch die triumphale Verkündigung der einmarschierenden arabischen Staaten, die versprachen, dass die Flüchtlinge nach ihrem bevorstehenden militärischen Sieg zurückkehren würden, weiter ermutigt. Die arabischen Armeen wurden besiegt, und die Flüchtlinge durften nie zurückkehren; Hunderttausende leben seither unter miserablen Bedingungen in Flüchtlingslagern. Kurz gesagt, die Nakba war die ethnische Säuberung Israels, also wäre die Nakba des Gazastreifens die Vertreibung der großen Mehrheit seiner Bewohner, die vor Tod, Zerstörung und einer permanenten Blockade fliehen. Eine solche "Lösung" spiegelt das völlige Fehlen einer langfristigen Perspektive der derzeitigen israelischen Regierung wider, da sie nur ein Vorspiel für weitere Instabilität und Kriege sein kann. Doch die grausame Politik der Netanjahu-Regierung spiegelt lediglich eine tiefere Realität wider: dass die herrschende Klasse in allen Ländern, die Hüter einer zerfallenden kapitalistischen Weltordnung, der Menschheit keine Perspektive zu bieten hat und immer mehr in einer irrationalen und selbstmörderischen Spirale der Zerstörung versinkt. Der Versuch der NATO, Russland im Krieg in der Ukraine auszubluten, und Russlands verbissenen Bemühungen, den Osten der Ukraine zu annektieren, sind der Beweis dafür, dass diese Spirale auch vor den größten Mächten des Planeten nicht Halt macht.
Hunderttausende haben weltweit an Demonstrationen teilgenommen, die die Verwüstung des Gazastreifens anprangerten und einen Waffenstillstand forderten. Es besteht kein Zweifel daran, dass viele, vielleicht sogar die meisten, aus echter Empörung über die gnadenlose Bombardierung des Gazastreifens an diesen Demonstrationen teilnehmen, die bisher rund 16.000 Opfer gefordert und noch viel mehr Verwundete und Obdachlose hinterlassen hat. Trotzdem nehmen sie in Wahrheit an in ihrem Charakter kriegsbefürwortenden Demonstrationen teil, bei denen die Leitparole "Palästina wird frei sein, vom Fluss bis zum Meer" nur durch die militärische Zerstörung Israels und die massenhafte Ermordung und Vertreibung der israelischen Juden erreicht werden kann - eine umgekehrte Nakba. Und dann auf den Ruinen ein islamisches Palästina nach dem Vorbild des Iran?[2] Das von der Hamas am 7. Oktober verübte wahllose Massaker, das auf diesen Demonstrationen fast nie verurteilt und sogar offen gefeiert wurde, hat die wahren Methoden und Ziele des "Widerstands" deutlich gemacht
Die Unmöglichkeit eines "freien Palästinas" spiegelt auch eine tiefere Realität wider, die mehr denn je den fortschreitenden Zerfall des kapitalistischen Systems zum Ausdruck bringt: die Unmöglichkeit, dass alle so genannten "nationalen Befreiungskämpfe" und nationalistischen Bewegungen mehr sind als lediglich Anhängsel der blutigen Rivalität der großen und kleinen imperialistischen Mächte um die Kontrolle des Planeten.
Die Menschheit wird erst frei sein, wenn das kapitalistische Gefängnis des Nationalstaates überwunden ist und sie in einer Weltgemeinschaft ohne Ausbeutung und ohne nationale Grenzen lebt.
Es gibt tatsächlich Menschen, die sowohl die Zerbombung des Gazastreifens als auch die Gräueltaten der Hamas verurteilen. Einige engagieren sich für den Dialog zwischen Israelis und Palästinensern trotz der wachsenden Mauer des Hasses, die durch diesen Krieg entstanden ist. Sie setzen ihre Hoffnungen auf eine "politische Lösung", bei der sich die lokalen und globalen Mächte zusammensetzen und zu einer tragfähigen Einigung kommen, insbesondere auf die Idee einer friedlichen Koexistenz zwischen Israel und einem neu gegründeten palästinensischen Staat.
Aber all die Appelle an den guten Willen der imperialistischen Staaten hat noch nie Kriege verhindert, und weder ein "liberaleres" Israel noch ein künftiger palästinensischer Staat könnten sich dem Drang nach Krieg und Imperialismus entziehen, dem sich, wie Rosa Luxemburg 1915 erklärte, "keine Nation entziehen kann". Wie wir in unserem internationalen Flugblatt sagen:
"Die Geschichte hat gezeigt, dass die einzige Kraft, die den kapitalistischen Krieg beenden kann, die ausgebeutete Klasse ist, das Proletariat, der direkte Feind der Bourgeoisie. Das war der Fall, als die ArbeiterInnen in Russland im Oktober 1917 den bürgerlichen Staat stürzten und die ArbeiterInnen und Soldaten in Deutschland im November 1918 revoltierten: Diese großen Kampfbewegungen des Proletariats zwangen die Regierungen, den Waffenstillstand zu unterzeichnen. Das war es, was den Ersten Weltkrieg beendete: die Kraft des revolutionären Proletariats! Den wirklichen und endgültigen Frieden überall muss die Arbeiterklasse erobern, indem sie den Kapitalismus weltweit stürzt."[3]
Unabhängig von ihren guten Absichten verbreiten diejenigen, die auf die Slogans des Pazifismus hereinfallen, Illusionen über den inhärent gewalttätigen Charakter des gegenwärtigen kapitalistischen Ausbeutungssystems. Der Weg zu einer menschlichen Weltgemeinschaft führt über den Klassenkampf in allen Ländern, und dieser Kampf ist notwendigerweise gezwungen, Mittel zu entwickeln, um sich gegen die Angriffe einer herrschenden Klasse zu verteidigen, die bis zum Tod für die Verteidigung ihrer Privilegien kämpfen wird. Pazifistische Illusionen entwaffnen die Arbeiterklasse ideologisch und materiell.
Angesichts der Flut von Wahnvorstellungen und falschen Parolen, die alle kapitalistischen Kriege hervorbringen, bleibt das Prinzip des proletarischen Internationalismus, die Solidarität der Ausgebeuteten in der ganzen Welt, unsere einzige Verteidigung und die einzige Grundlage, um zu verstehen, wie wir reagieren sollen.
Amos, Dezember 2023
[1] https://www.haaretz.com/israel-news/2023-11-12/ty-article/israeli-securi... [460]. Diese Aussage, die wahrscheinlich als Kritik an der offiziellen Politik gemeint ist, hat das Verdienst, "die Katze aus dem Sack zu lassen", was die Kriegsziele der israelischen Regierung betrifft.
[2] Ein weiterer Slogan, der auf diesen Demonstrationen häufig zu hören ist: "2-4-6-8, Israel ist ein terroristischer Staat". Und das ist in der Tat wahr. Aber man findet keinen Staat in der Welt des Kapitalismus, der nicht auf Terror zurückgreift, sei es, um abweichende Meinungen im eigenen Land zu unterdrücken, sei es, um seine Kriege zu führen. Der Hauptunterstützer der Hamas, der Iran, ist ein gutes Beispiel dafür: Nachdem er die "Frau, Leben, Freiheit"-Demonstrationen auf den Straßen seiner Städte brutal niedergeschlagen hat, hat er seit Beginn des jüngsten israelisch-palästinensischen Krieges 127 Menschen hingerichtet, von denen viele an den Protesten teilgenommen hatten. https://www.theguardian.com/global-development/2023/dec/02/iran-using-ga [461]...
Ende Juli wurden Flüchtlinge die wie Skelette aussahen, Männer, Frauen und Kinder die verdurstet waren, an der libyschen Grenze von der Küstenwache aufgegriffen. Etwas weiter, in der Sahara-Wüste, wurden mehrere Leichen gefunden, darunter eine Mutter und ihr kleines Mädchen. Unerträgliche Bilder! Der Vater war von der Todesnachricht erschüttert und sagte verzweifelt, dass er "eine Zukunft für seine Tochter" wollte. Ein schreckliches Ereignis unter Tausenden von anderen, in einer kapitalistischen Welt ohne Perspektiven.
Wenige Wochen zuvor, am 14. Juli, sank nach einer gescheiterten Abschiebung durch die griechische Küstenwache, das x-te Flüchtlingsboot aus Libyen, mit 750 Menschen an Bord[1]. Angesichts dieser schrecklichen Ereignisse war die Medienberichterstattung spärlich. Im Gegensatz dazu wurde nur acht Tage später über das Verschwinden von fünf VIP-Touristen, die auf einer Reise zum Wrack der Titanic waren, in den Medien ausführlich berichtet. Dieser Kontrast sagt viel über die Politik der Regierungen aus, die eine dramatische Nachricht nutzen, um die Leichen der ertrunkenen Migranten im Mittelmeer vergessen zu lassen.
Die sich verschlechternde globale Situation führt zu immer längeren, komplexeren und riskanteren Flüchtlingsbewegungen. Heute gibt es weltweit eine Rekordzahl von 110 Millionen Flüchtlingen und immer mehr Opfer, insbesondere im Mittelmeer, wo die Situation mit mehr als 2000 Toten seit Anfang 2023 zu den schlimmsten der Welt gehört. Und je mehr Migranten es gibt, desto weniger Zugang haben sie zu den westlichen Ländern. Es handelt sich um eine unmenschliche Politik, die immer härter wird und faktisch jedes Bedürfnis nach Asyl und Schutz unterdrückt.
Angesichts der zunehmenden Barbarei, der Instabilität und des Chaos in der kapitalistischen Welt, begnügen sich die Regierungen nicht mehr damit, ihre Länder als uneinnehmbare Festungen zu präsentieren, die von kilometerlangem Stacheldraht und hohen Mauern abgeschottet sind. Sie haben sich mit Überwachungstechnologien und Spionageinstrumenten ausgestattet, um den Zugang zu den Grenzen zu blockieren. Die schlimmsten Opfer sind wahrscheinlich die Migranten aus den Ländern südlich der Sahara und vom Horn von Afrika. Diese Bevölkerungsgruppen sind bereits Opfer der kapitalistischen Logik, mit ihren Kriegen, den bewaffneten kriminellen Banden, der Unsicherheit und dem Klimawandel der zu Dürre und Hungersnöten führt. Sie sind gezwungen, als letzten Ausweg zu fliehen.
Während der bankrotte Kapitalismus dazu neigt, die Menschheit in den Abgrund und in die absolute Armut zu reißen, wirken sich die zerstörerischen Auswirkungen der Krise, die sich seit Jahrzehnten mehr in den Ländern der Peripherie manifestierten, nun auch stärker auf die westlichen Länder aus. Diese weigern sich unerbittlich, auch nur den kleinsten "unnützen Mund" zu sättigen. Nur die Flüchtlinge aus der Ukraine, für die Zwecke der Kriegspropaganda misbraucht, oder die Reichsten und am besten Ausgebildeten, die in "unter Druck stehenden" wirtschaftliche Sektoren eingesetzt werden können und unter harten Bedingungen und zu erbärmlichen Löhnen arbeiten, können nach administrativen Schikanen auf ein hypothetisches Asyl, im Austausch gegen eine unerbittliche Ausbeutung, hoffen. Doch für die Mehrheit der "Hungerflüchtlinge" ist die EU zu einem unerreichbaren und sogar tödlichen Ziel geworden.
Gleichzeitig haben die demokratischen Länder ihr juristisches Arsenal mit beispielloser Brutalität verschärft um abschreckend zu wirken[2], indem sie die Migranten und die NGO`s die den Schiffbrüchigen zu Hilfe kommen, weiter kriminalisieren.[3]
Und um die Drecksarbeit loszuwerden und sich die Hände nicht zu schmutzig zu machen, haben die EU-Mitgliedstaaten ihre Massnahmen erweitert, indem sie ihre eigenen Grenzen ausdehnten, "Drittstaaten" an den Küsten des Mittelmeers ein Mandat zur Inhaftierung von Migranten erteilten, und die Aufrechterhaltung von "Recht und Ordnung" an abgelegene Lager außerhalb des europäischen Territoriums und abseits der Kameras delegierten. Gegen Geld werden die Lager "offshore" verwaltet, wo Missbrauch, Menschenhandel und Folter an der Tagesordnung sind, und wo die Lebensbedingungen oft den schmutzigsten Gefängnisbedingungen ähneln. Diese Politik wird von der EU in vollem Umfang gestützt, insbesondere durch die Finanzierung der Frontex-Agentur, die es den Küstenwachen dieser Drittländer ermöglicht, Rückschiebungen durchzuführen, obwohl diese Praktiken nach westlichem Recht "illegal" sind.
Getreu den Anweisungen der EU, haben beispielsweise die tunesischen Behörden, wie die Tragödien in der Sahara gezeigt haben, nicht gezögert, Flüchtlinge absichtlich ohne Nahrung und Wasser in der Wüste auszusetzen, damit sie dort sterben. Eine widerwärtige Politik, die neben der Erpressung von Drittländern bei dieser Gelegenheit, die Migranten als reines Druckmittel benutzt. Die De-facto-Komplizenschaft der EU mit diesen Staaten und ihren grauenhaften Methoden zielt darauf ab, Asylanträge zu verhindern: entweder indem sie potenzielle Flüchtlinge durch die Schließung der Grenzen fernhalten oder sie zum Tod im Mittelmeer (oder in der Wüste) verurteilen. Das ist die traurige Realität!
Die bürgerlichen Staaten sind unter ihrem demokratischen Deckmantel nichts anders als Mörder! Selbst das elementarste Bedürfnis nach Asyl wird mit Füßen getreten, selbst für verfolgte und in Not geratene Kinder, selbst für misshandelte und verstümmelte Menschen. Unaushaltbar! Vor allem, wenn Migranten auf Anweisung der EU von Wachleuten aus der Türkei, Libyen, Ägypten usw. gegen ihren Willen in Lagern eingeschlossen werden.
Die zynische Art und Weise, in der die Schiffbrüchigen dem Tod überlassen werden, und die zunehmende Zahl von Schiffbrüchigen und Leichen zeugen nicht nur von der Heuchelei und dem Zynismus der EU, sondern vor allem auch von ihren kriminellen Praktiken und ihrem Wunsch, "Unerwünschte" kaltblütig zu liquidieren.
Die verabscheuungswürdigen, schrecklichen und abstoßenden Praktiken der Bourgeoisie beschränken sich nicht darauf, diejenigen zu vertreiben oder zu eliminieren, die sie auf ihrem Boden nicht akzeptiert. Sie schüren Ängste, indem sie die schlimmsten fremdenfeindlichen Reflexe ausnutzt, die Lohnabhängigen gegeneinander aufstachelt, und die einheimische Bevölkerung gegen die Migranten ausspielt, welche als gefährliche Konkurrenten dargestellt werden, welche gekommen seien um "ihren Platz wegzunehmen" und "ihre Lebensbedingungen zu verschlechtern". Dies beginnt bereits in den Ländern, an welche die Drecksarbeit delegiert wird: "Indem der tunesische Staatschef die Subsahara-Migration als "kriminellen Plan zur Veränderung der Zusammensetzung der demografischen Landschaft in Tunesien" bezeichnete, machte er jeden Subsahara-Migranten zum mutmaßlichen Komplizen in diesem angeblichen Komplott"[4]. Eine solche Politik fördert Aggression, Verfolgung und andere Formen der Gewalt gegen Migranten, wie es in der tunesischen Hafenstadt Sfax, die sich schnell zu einer wahren Hinrichtungsstätte für Exilanten entwickelt hat, bereits mehrfach geschehen ist.
Und für die Migranten, die es doch noch geschafft haben in den westlichen Ländern anzukommen, setzt sich das Leiden in Form von Ausgrenzung und rassistischen Vorurteilen fort, die einerseits durch rechtsextreme Theorien, die vom kapitalistischen Staat in verabscheuungswürdiger Weise ausgenutzt werden, geschürt werden. Andererseits aber auch, und vor allem, durch linke "antirassistische" Propaganda der "Verteidigung der bürgerlichen juristischen Rechte", die sich hinterhältig und auf den ersten Blick in ihrer Logik kaum ersichtlich, gegen Lohnabhängige und Migranten richtet, indem sie das "schlechte Gewissen" der Menschen einem gemeinsamen Kampf der Lohnabhängigen entgegenstellt. "Die Arbeiterklasse muss auch die von der Bourgeoisie gestellten Fallen rund um die Ein-Themen-Kämpfe (oder auch Teilkämpfe genannt: zur Rettung der Umwelt, gegen Rassenunterdrückung, Feminismus usw.) ablehnen, die sie von ihrem eigenen Klassenterrain ablenken."[5]
Die einzige wirkliche Unterstützung die die Arbeiter und Arbeiterinnen den verfolgten Migranten zukommen lassen können, ist der Kampf gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen und die zunehmende Barbarei dieses Systems, um langfristig die alleinige tatsächliche Lösung durchzusetzen: den Kapitalismus zu stürzen, um ihn durch eine Gesellschaft ohne Ausbeutung zu ersetzen.
WH 1. September 2023
[1] Siehe unseren Artikel: Shipwreck of migrants in the Mediterranean: capitalism kills to defend its borders [463]
[2] In Grossbritannien beispielsweise, das nicht mehr Mitglied von Frontex ist, verbietet das Gesetz über die illegale Einwanderung den Flüchtlingen Asyl oder einen anderen Schutz im Rahmen ihrer Grundrechte zu beantragen, unabhängig davon wie ernst die Situation ist in der sie sich befinden ist. Darüber hinaus sieht das Gesetz ihre Abschiebung in ein anderes Land (wie Ruanda) vor, ohne dass sie dort den notwendigen Schutz erhalten können.
[3] Italien, Griechenland und Malta haben strafrechtliche Ermittlungen gegen NGO`s eingeleitet, die Leben retten. Italien hat bereits Festnahmen und Geldstrafen verhängt.
[4] Siehe den Artikel auf der Website von le Monde.fr vom 29. Juni: "Tunisie: dans la ville portuaire de Sfax, l’espoir blessé des migrants subsahariens"
[5] Resolution des 25. Internationalen Kongresses der IKS zur internationalen Lage, Internationale Revue Nr. 59 https://de.internationalism.org/content/3120/resolution-des-25-internati... [459]
Kürzlich, nach einer Intervention unserer Mitglieder bei dem Treffen des Komitees NWBTCW (No War But The Class War / Kein Krieg außer den Klassenkrieg) in Paris[1], wo ein Mitglied der GIGC (Groupe International de la Gauche Communiste / Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken) Seite an Seite mit einem Mitglied der IKT (Internationalistische Kommunistischen Tendenz) im Präsidium saß, kommentierte die GIGC ironisch, dass die Sitzung zeige, dass die IKS selbst kein Wort von ihrer Analyse des "Parasitismus" der GIGC glaube[2]. Im Artikel Uns, die IKS, attackieren: Die Existenzgrundlage der GIGC [464] wiesen wir auf diesen zusätzlichen Ausdruck des parasitären Charakters dieser Gruppierung hin, deren grundlegendes Ziel es ist, die politischen Organisationen der Kommunistischen Linken anzugreifen und die Entwicklung des Proletarischen Politischen Milieus zu untergraben.
Vor zwei Jahren haben wir einen Artikel geschrieben, in dem wir die Aktivitäten der GIGC (ehemals "Interne Fraktion der IKS") anprangerten, weil sie einen Versuch der Usurpation der Kommunistischen Linken durch einen politischen Abenteurer namens Gaizka[3] unterstützt, dessen Werdegang wir aufgedeckt haben. Seitdem hat die GIGC ihre Angriffe gegen die IKS vervielfacht, mit dem einzigen Ziel, unsere Organisation zu diskreditieren und Misstrauen gegen uns zu säen.
Aus diesem Grund haben wir beschlossen, eine Reihe von Artikeln in einem "Dossier" zu veröffentlichen, welches unsere verschiedenen Antworten auf die Verleumdungen der GIGC zusammenfasst: ein Artikel über das Konzept des politischen Parasitismus als Teil des Erbes der Arbeiterbewegung; - unsere Anprangerung des politischen Abenteurertums und seiner Unterstützung durch die GIGC; - die revolutionäre Kohärenz unserer Plattform; - unsere Analyse der gegenwärtigen Phase der Dekadenz des Kapitalismus, der Phase des Zerfalls; - unsere Intervention in der Weltlage, als Antwort sowohl auf den Krieg als auch auf den Klassenkampf; - oder wiederum unsere Position des anarchistischen Milieus zur Frage des Internationalismus und seines Verrats. Diese Fragen werden in den folgenden Artikeln behandelt:
Weiter Artikel werden zu gegebener Zeit erscheinen:
Diese Reihe von Bloßstellungen der Aktivitäten der GIGC ist notwendig, weil wir die Verleumdungen und Verfälschungen die gegen die IKS gerichtet sind nicht ohne Antwort lassen können. Wir hätten es natürlich vorgezogen, unsere Kräfte anderen Aktivitäten zu widmen, die der Weltlage besser entsprechen, aber wir sehen uns mit einer Situation konfrontiert, die mit der des Generalrats der Ersten Internationale vergleichbar ist, der sich mit einem internen Feind konfrontiert sah, der aus der Allianz von Bakunin bestand. Heute ist die GIGC ein solcher "innerer Feind" der Kommunistischen Linken.
Internationale Kommunistische Strömung
[1] siehe unseren englischen Artikel On the recent meeting of NWBTCW in Paris [467]
[3] Der Abenteurer Gaizka hat die Beschützer, die er verdient: die Halunken der GIGC [409], Februar 2021
Seit Samstag regnet eine Flut von Feuer und Stahl auf die Menschen in Israel und Gaza. Auf der einen Seite die Hamas. Auf der anderen Seite die israelische Armee. Dazwischen Zivilisten, die bombardiert, erschossen, hingerichtet und als Geiseln genommen werden. Tausende haben bereits ihr Leben gelassen.
Überall auf der Welt ruft uns die herrschende Klasse dazu auf, uns für eine Seite zu entscheiden. Für den palästinensischen Widerstand gegen die israelische Unterdrückung. Oder für die israelische Antwort auf den palästinensischen Terrorismus. Jeder prangert die Barbarei des anderen an, um den Krieg zu rechtfertigen. Der israelische Staat unterdrückt die palästinensische Bevölkerung seit Jahrzehnten durch Blockaden, Schikanen, Checkpoints und Demütigungen: Darum sei Rache legitim. Palästinensische Organisationen töten Unschuldige durch Anschläge, Messerstechereien oder Bombenattentate: Darum sei Repression gerechtfertigt. Jede Seite ruft dazu auf, das Blut der anderen Seite zu vergießen.
Diese tödliche Logik ist die Logik des imperialistischen Krieges! Es sind die Ausbeuter und ihre Staaten, die immer einen gnadenlosen Krieg führen, um ihre eigenen Interessen zu verteidigen. Und wir, die Arbeiterklasse, die Ausgebeuteten, sind es, die immer den Preis dafür zahlen, mit unserem Leben.
Für uns, die Arbeiterklasse, gibt es keine Seite zu wählen, wir haben kein Vaterland, keine Nation zu verteidigen! Auf beiden Seiten der Grenze sind wir Klassenbrüder und -schwestern! Weder Israel, noch Palästina!
Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Kriege, der grausamsten Kriege in der Geschichte der Menschheit, und keiner von ihnen diente den Interessen der Arbeiterklasse. Wir wurden stets aufgefordert, zu Millionen für die Interessen ihrer Ausbeuter in den Tod zu gehen, im Namen der Verteidigung des "Vaterlandes", der "Zivilisation", der "Demokratie", ja sogar des "sozialistischen Vaterlandes" (wie einige die UdSSR unter Stalin und dem Gulag nannten).
Heute gibt es einen neuen Krieg im Nahen Osten. Auf beiden Seiten rufen die herrschenden Cliquen die Ausgebeuteten dazu auf, "die Heimat zu verteidigen", sei sie nun jüdisch oder palästinensisch. Die jüdischen Arbeiter, die in Israel von jüdischen Kapitalisten ausgebeutet werden, die palästinensischen Arbeiter, die von jüdischen Kapitalisten oder von arabischen Kapitalisten ausgebeutet werden (und oft noch viel grausamer als von jüdischen Kapitalisten, da in palästinensischen Unternehmen noch das Arbeitsrecht des ehemaligen Osmanischen Reiches gilt).
Die jüdischen Arbeiter und Arbeiterinnen haben in den fünf Kriegen, die sie seit 1948 erlitten haben, bereits einen hohen Preis für den Kriegswahnsinn der Bourgeoisie bezahlt. Die Großeltern derer, die heute die Uniform der Tsahal (Israelische Verteidigungsstreitkräfte) tragen, wurden, sobald sie aus den Konzentrationslagern und Ghettos eines vom Weltkrieg verwüsteten Europas kamen, in den Krieg zwischen Israel und den arabischen Ländern hineingezogen. Ihre Eltern haben dann in den Kriegen von '67, '73 und '82 den Preis mit Blut bezahlt. Diese Soldaten sind keine hässlichen Bestien, deren einziger Gedanke es ist, palästinensische Kinder zu töten. Es sind junge Wehrpflichtige, meist Arbeiter, die in Angst und Abscheu sterben, die gezwungen sind, als Polizisten zu fungieren und deren Köpfe mit Propaganda über die "Barbarei" der Araber gefüllt sind.
Auch die palästinensischen Arbeiter und Arbeiterinnen haben bereits einen schrecklichen Preis mit Blut bezahlt. Sie wurden 1948 durch den von ihren Führern angezettelten Krieg aus ihrer Heimat vertrieben und haben den größten Teil ihres Lebens in Lagern verbracht und wurden als Jugendliche von der Fatah, der PFLP oder den Hamas-Milizen rekrutiert.
Die größten Massaker an Palästinensern wurden nicht von den israelischen Armeen verübt, sondern von den Armeen der Länder, in denen sie interniert waren, wie Jordanien und Libanon: Im September 1970 ("Schwarzer September") wurden sie vom "kleinen König" Hussein massenhaft ermordet, so dass einige von ihnen nach Israel flüchteten, um dem Tod zu entgehen. Im September 1982 wurden sie in den Lagern Sabra und Schatila in Beirut von (allerdings christlichen und mit Israel verbündeten) arabischen Milizen massakriert.
Heute werden im Namen des "palästinensischen Heimatlandes" erneut arabische Arbeiter und Arbeiterinnen gegen die Israelis mobilisiert, die mehrheitlich israelische Lohnabhängige sind, während letztere aufgefordert werden, zur Verteidigung des "gelobten Landes" getötet zu werden.
Die nationalistische Propaganda, die von beiden Seiten in widerlicher Weise ausgestrahlt wird, ist eine betäubende Propaganda, die darauf abzielt, die Menschen in wilde Bestien zu verwandeln. Die israelische und die arabische herrschende Klasse schüren diese nationalistische Propaganda seit mehr als einem halben Jahrhundert. Den israelischen und arabischen Arbeitern und Arbeiterinnen wurde immer wieder gesagt, sie müssten das Land ihrer Vorfahren verteidigen. Bei den Ersteren hat die systematische Militarisierung der Gesellschaft eine Psychose der Einkreisung entwickelt, um sie zu "guten Soldaten" zu machen. Letzteren wurde der Wunsch eingeimpft, gegen Israel zu kämpfen, um eine Heimat zu finden. Zu diesem Zweck wurden sie von den Führern der arabischen Länder, in die sie geflüchtet waren, jahrzehntelang in Lagern unter unerträglichen Lebensbedingungen gehalten.
Der Nationalismus ist eine der schlimmsten Ideologien, die die herrschende Klasse benutzt. Es ist die Ideologie, die es ihr erlaubt, den Antagonismus zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten zu verschleiern, sie alle hinter derselben Fahne zu vereinen, für die die Ausgebeuteten im Dienste der Ausbeuter getötet werden, um die Interessen und Privilegien der herrschenden Klasse zu verteidigen.
Auch kommt in diesem Krieg noch das Gift der religiösen Propaganda hinzu, die den wahnsinnigsten Fanatismus hervorruft. Die Juden werden aufgefordert, die Klagemauer des salomonischen Tempels mit ihrem Blut zu verteidigen. Muslime müssen ihr Leben für die Moschee von Omar und die heiligen Stätten des Islam opfern. Was heute in Israel und Palästina geschieht, bestätigt eindeutig, dass die Religion "Opium für das Volk" ist, wie es die Revolutionäre des 19. Jahrhunderts beschrieben. Der Zweck der Religion ist es, die Ausgebeuteten und Unterdrückten zu trösten. Denjenigen, für die das Leben auf der Erde die Hölle ist, wird gesagt, dass sie nach ihrem Tod glücklich sein werden, wenn sie es verstehen, sich ihre Erlösung zu verdienen. Und diese Erlösung wird gegen Aufopferung, Unterwerfung, ja sogar gegen die Aufgabe ihres Lebens im Dienste des "heiligen Krieges" eingetauscht.
Die Tatsache, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts Ideologien und Aberglauben aus der Antike oder dem Mittelalter immer noch weit verbreitet sind, um Menschen dazu zu bringen, ihr Leben zu opfern, spricht Bände über den Zustand der Barbarei, in den der Nahe Osten, wie auch viele andere Teile der Welt, versunken ist.
Es sind die Führer der Großmächte, die die höllische Situation geschaffen haben, in der die ausgebeuteten Menschen dieser Region heute zu Tausenden sterben. Es war die europäische herrschende Klasse, insbesondere die britische, mit ihrer "Balfour-Erklärung" von 1917, die, um zu teilen und zu erobern, die Schaffung einer "jüdischen Heimstätte" in Palästina zuließ und damit die chauvinistischen Utopien des Zionismus förderte. Es waren dieselben herrschenden Klassen, die nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie gerade gewonnen hatten, dafür sorgten, dass Hunderttausende mitteleuropäischer Juden nach Palästina transportiert und abgeschoben wurden, nachdem sie die Lager verlassen hatten oder weit von ihrem Herkunftsgebiet weggezogen waren. So brauchten sie sie nicht zu Hause aufzunehmen.
Es waren dieselben herrschenden Klassen, zunächst die britische und französische, dann die amerikanische, die den Staat Israel bis an die Zähne bewaffneten, um ihm während des Kalten Krieges die Rolle der Speerspitze des westlichen Blocks in dieser Region zu geben, während die UdSSR ihrerseits ihre arabischen Verbündeten so gut wie möglich bewaffnete. Ohne diese großen "Sponsoren" hätten die Kriege von 1956, 67, 73 und 82 nicht stattfinden können.
Heute bewaffnen und unterstützen die Herrschenden des Libanon, des Iran und wahrscheinlich auch Russlands die Hamas. Die USA haben gerade ihren größten Flugzeugträger ins Mittelmeer geschickt und neue Waffenlieferungen an Israel angekündigt. In der Tat sind alle Großmächte mehr oder weniger direkt an diesem Krieg und diesen Massakern beteiligt!
Dieser neue Krieg droht, den gesamten Nahen Osten ins Chaos zu stürzen! Dies ist nicht lediglich die x-te blutige Konfrontation, die diesen Teil der Welt in Trauer stürzt. Das Ausmaß des Mordens zeigt, dass die Barbarei ein neues Niveau erreicht hat: tanzende Jugendliche auf einem Festival, die mit Maschinengewehren niedergemäht werden, Frauen und Kinder, die auf der Straße aus nächster Nähe erschossen werden, ohne ein anderes Ziel als die Befriedigung eines blinden Rachegefühls, ein Bombenteppich, der ganze Teile der Bevölkerung auslöscht; zwei Millionen Menschen in Gaza, denen alles genommen wird, Wasser, Strom, Gas, Nahrung... Es gibt keine militärische Logik für all diese Gräueltaten, für all diese Verbrechen! Beide Seiten schwelgen in der entsetzlichsten und irrationalsten Mordwut!
Aber es gibt etwas noch Schlimmeres: Diese Büchse der Pandora wird sich nie wieder schließen. Wie im Irak, in Afghanistan, Syrien und Libyen wird es kein Zurück mehr geben, keine "Rückkehr zum Frieden". Der Kapitalismus zieht immer größere Teile der Menschheit in den Krieg, in den Tod und in den Zerfall der Gesellschaft. Der Krieg in der Ukraine dauert nun schon fast zwei Jahre an und ist ein endloses Gemetzel. Auch in Berg-Karabach sind Massaker im Gange. Und es droht bereits ein neuer Krieg zwischen den Nationen des ehemaligen Jugoslawiens. Kapitalismus ist Krieg!
Die Arbeiterklasse aller Länder muss sich weigern, für das eine oder andere Kriegslager Partei zu ergreifen. Insbesondere müssen sie sich weigern, sich von der Rhetorik der Parteien täuschen zu lassen, die sich als "Arbeiterparteien" ausgeben, der Parteien der Linken und der extremen Linken, die sie auffordern, "Solidarität mit den palästinensischen Massen" in ihrem Streben nach ihrem Recht auf ein "Heimatland" zu zeigen. Das palästinensische "Heimatland" wird nie etwas anderes sein als ein bürgerlicher Staat im Dienste der Ausbeuterklasse und zur Unterdrückung eben dieser Massen, mit Repression und Gefängnissen. Die Solidarität der Arbeiterklasse der entwickeltsten kapitalistischen Länder gilt nicht den "Palästinensern", genauso wenig wie sie den "Israelis" gilt, unter denen es Ausbeuter und Ausgebeutete gibt. Sie geht an die Arbeiter und Arbeiterinnen und Arbeitslosen in Israel und in Palästina (die im Übrigen trotz aller Gehirnwäsche, der sie unterzogen wurden, bereits Kämpfe gegen ihre Ausbeuter geführt haben), genauso wie an die Arbeiter und Arbeiterinnen aller anderen Länder der Welt. Die beste Solidarität besteht darin, ihre nationalistischen Illusionen nicht zu fördern.
Diese Solidarität bedeutet vor allem, den Kampf gegen das kapitalistische System zu führen, das für alle Kriege verantwortlich ist, einen Kampf gegen die "eigene" herrschende Klasse.
Die Arbeiterklasse muss den Frieden gewinnen, indem sie den Kapitalismus auf globaler Ebene stürzt, und das bedeutet heute, dass sie ihre Kämpfe auf dem Terrain der Klasse entwickeln muss, gegen die immer härteren wirtschaftlichen Angriffe, die ihr von einem System in einer unüberwindbaren Krise aufgezwungen werden.
Gegen den Nationalismus, gegen die Kriege, in die eure Ausbeuter euch hineinziehen wollen:
Arbeiterinnen und Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!
IKS, 9. Oktober 2023
Die 28. jährliche Klimakonferenz der Vereinten Nationen, die Ende November 2023 in Dubai stattfand, endete nach zweiwöchigen Sitzungen mit einem neuen Abkommen, das die Länder angeblich dazu drängt, (sehr) allmählich aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen und "laufende Maßnahmen" zu beschleunigen, um "Kohlenstoffneutralität" zu erreichen. Und das alles auf "faire, geordnete und gerechte" Weise – bis 2050. Nach mir die Sintflut! – das zynische Schlagwort des Kapitalismus.
Der Präsident der COP 28, Sultan Al Jaber, Minister für Industrie und Hochtechnologie der Vereinigten Arabischen Emirate und CEO der Ölgesellschaft ADNOC, lobte das Abkommen, das von Delegationen aus fast 200 Ländern angenommen wurde. "Zum ersten Mal nimmt unser Abkommen Bezug auf fossile Brennstoffe", sagte er. Seiner Meinung nach handelt es sich um ein "historisches Maßnahmenpaket", das einen "soliden Plan" bietet, um das Ziel der Begrenzung der globalen Temperaturen auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu erreichen.
Was für eine düstere Farce! Während die Staats- und Regierungschefs der Welt das Abkommen als wichtigen Schritt in Richtung eines Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Brennstoffe gefeiert haben, sehen Experten es gelinde gesagt kritisch: Die Resolution enthält sehr hilfreiche Schlupflöcher, die der Ölindustrie viele Auswege bieten, indem sie auf unerprobte und unsichere Technologien setzt. Es wäre naiv, von den Organisatoren des Gipfels etwas anderes zu erwarten. Die Führer dieser Region des Nahen Ostens, die als Eldorado für alle Mafias und die massive Wäsche von Geldern aus Drogen-, Waffenhandel und allem anderen, was man sich vorstellen kann, bekannt ist[1], sind, wie ihre Kollegen in der ganzen Welt, mit subtilen Absprachen und der Ausreizung "rechtlicher Beschränkungen" vertraut. Während sie sich als Befürworter der Energiewende präsentieren und sich um das Klima sorgen, leben sie von fossilen Brennstoffen und hören offensichtlich nie auf, diese zu fördern.
Die Bewertung der Fortschritte der einzelnen Staaten bei der Verringerung der Emissionen, die seit der angeblich verbindlichen COP 21 in Paris 2015 zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs bis 2030 auferlegt wurden, stößt auf die deprimierende Realität des kapitalistischen Systems. Heute machen fossile Brennstoffe (Kohle, Erdgas und Erdöl) immer noch 82 % der gesamten Energieversorgung aus! Anstatt zu sinken, steigen die weltweiten Emissionen: um 6 % im Jahr 2021 und um 0,9 % im Jahr 2022[2].
Dies zeigt einmal mehr, dass diese internationalen Gipfeltreffen nicht in der Lage sind, auch nur den geringsten Einfluss auf die globale Erwärmung und ihre katastrophalen Folgen für die Menschheit zu nehmen, und dass sie im Grunde nichts anderes sind als Gesprächsrunden, um den Menschen zu versichern, dass "etwas getan wird" und dass es keine andere Möglichkeit gebe, als sich daran zu gewöhnen. Das Jahr 2023 veranschaulicht dies auf dramatische Weise: heftige Stürme und weit verbreitete Überschwemmungen von China bis Europa und Nordafrika, verheerende Waldbrände in Nordamerika, Südeuropa und Hawaii sowie Dürre in großen Teilen Nordamerikas, Europas und Afrikas.
"Die globale Erwärmung ist nicht nur real, sie beschleunigt sich auch in einem schwindelerregenden und katastrophalen Tempo. Der Juli 2023 war der heißeste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen für den Planeten. Im August wurde der heißeste Tag aller Zeiten für diesen Zeitraum verzeichnet. Prognostiker sagen voraus, dass das Jahr 2024 diese traurigen Rekorde noch übertreffen könnte."[3] Die Befürchtung wächst, dass sich der Planet einer Reihe von "Kipppunkten" nähert, an denen die Umweltschäden außer Kontrolle geraten und ein neues Ausmaß an Zerstörung erreichen werden.
Die globale Erwärmung in Verbindung mit direkteren Formen der Umweltzerstörung wie der Abholzung von Wäldern und der Verschmutzung von Land und Meeren durch Chemikalien, Plastik und andere Abfälle bedroht bereits unzählige Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben.
Dieselbe Bourgeoisie, die auf diesen Konferenzen behauptet, nach "globalen Lösungen für globale Probleme" zu suchen, ist selbst in einen rücksichtslosen wirtschaftlichen Wettbewerb verwickelt, der das erste große Hindernis für jede echte internationale Zusammenarbeit gegen den Klimawandel darstellt. Und in der Zerfallsphase des Kapitalismus nimmt der nationale Wettbewerb immer mehr die Form von chaotischen, zerstörerischen und die Umwelt übermäßig verschmutzenden Rivalitäten und militärischen Konfrontationen an. Die ökologische Krise nähert sich also nicht nur einer Reihe von "Kipppunkten", die ihre Folgen verschlimmern und beschleunigen werden, sondern ist Teil einer Reihe von zusammenwirkenden Phänomenen, die die Menschheit immer schneller in Richtung Abgrund führen.
Die Rettung des Planeten und der Menschheit wird nicht von einer Bourgeoisie kommen, die von Natur aus in einer Logik gefangen ist, die jede Infragestellung der kapitalistischen Akkumulation, ihres Profitstrebens und ihrer apokalyptischen Dynamik ausschließt. Denn es ist der Kapitalismus, der für diese Störungen verantwortlich ist; es sind seine Gesetze, die jeden Kapitalisten dazu zwingen, immer mehr zu immer niedrigeren Kosten zu produzieren. Im Kapitalismus muss alles verkauft werden. Und das ist alles, was es gibt! Ein anarchischer, kurzfristiger Ansatz. In der Tat, er ist selbstmörderisch!
Louis, 29. Dezember 2023
[1] Wie durch die Panama Papers im Jahr 2018, die Pandora Papers im Jahr 2021 und zuletzt durch Dubai Uncovered aufgedeckt.
[2] Siehe den Bericht: CO2 Emission in 2022 [469]
[3] Siehe unseren Artikel Die Bourgeoisie ist nicht in der Lage, die Flut des Klimawandels aufzuhalten [470], Weltrevolution Nr. 186 (Herbst 2023).
Die kompromisslose Verteidigung des Internationalismus und seiner uralten Parole: "Die Arbeiter haben kein Vaterland", ist mehr denn je der Schlüssel zum Kampf des Proletariats, eine Klassenschranke zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie.
Viele Gruppen des linken Flügels des politischen Apparats der Bourgeoisie: Trotzkisten, Anarchisten, Maoisten usw., haben sich jahrzehntelang damit gebrüstet, die Interessen der Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus zu verteidigen. Während die Zahl der Toten im Krieg zwischen Israel und der Hamas weiter steigt, hat sich ihr Pseudo-Internationalismus einmal mehr als Bluff und Augenwischerei erwiesen! Während die israelische Armee die grenzenlose Grausamkeit der Hamas mit einer Flut von Feuer beantwortet, zielen alle ihre politischen Positionen auf das gleiche Ergebnis ab: die Arbeiter dazu zu bringen, Partei zu ergreifen und ein imperialistisches Lager gegen ein anderes zu unterstützen. Einfach ausgedrückt, sie sind nichts anderes als die Handlanger des Nationalismus.
Einige Linke auf der ganzen Welt haben nicht gezögert, die verabscheuungswürdigen Taten der Hamas nach ihrem grausamen Angriff am 7. Oktober zu verherrlichen. Die französischen Neo-Maoisten der Ligue de la Jeunesse Révolutionnaire (LJR) titelten: "Der Feuerregen von Al Aqsa ist ein glorreiches Leuchtfeuer in der Nacht des Imperialismus". Der Gipfel der kriegshetzerischen Schamlosigkeit! Das Gleiche gilt für die spanische trotzkistische Gruppe El Militante-Izquierda Revolucionaria, die nicht zögerte, triumphierend das "Recht des palästinensischen Volkes, sich zur Selbstverteidigung zu bewaffnen" zu verkünden, um ihre Unterstützung für die Gräueltaten der Hamas zu zelebrieren, die eine Bande von Gangstern und Mördern ist! Das Gleiche gilt für Großbritannien, wo die trotzkistische Socialist Workers Party schamlos ihren Kriegsruf ausstieß: "Das palästinensische Volk hat jedes Recht, auf die Gewalt des israelischen Staates so zu reagieren, wie es das für richtig hält".
Doch hinter dieser Clique schamloser Kriegstreiber haben andere linke Gruppen in perfekter Aufteilung der ideologischen Drecksarbeit noch weitaus hinterhältigere Formen des Nationalismus gefördert.
In einigen anderen trotzkistischen Gruppen ist die Sprache ein wenig subtiler, aber die Logik ist die gleiche. Hinter den "entschieden internationalistischen" Slogans des Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) steht die unerschütterliche Verteidigung eines imperialistischen Lagers gegen ein anderes. Sie beharren auf ihrem verdorbenen Nationalismus: "Seit Jahrzehnten verteidigt der NPA (wie zuvor die LCR) den Standpunkt, dass die Palästinenser wie andere Völker der Welt nationale und demokratische Rechte haben, die von der UNO anerkannt werden". Diese "Rechte" sind die der Nation und ihres Staates (ob demokratisch oder nicht), Ausdruck der Diktatur der herrschenden Klasse schlechthin, die diese Ideologie seit mehr als fünfzig Jahren dem palästinensischen Proletariat und der Bevölkerung im Allgemeinen aufgezwungen hat, um sie als Kanonenfutter für ihre imperialistischen Ambitionen zu rekrutieren.
Der palästinensische Nationalismus, ob er sich nun als "marxistisch", "säkular" oder "islamistisch" präsentiert, hat sich immer in den Dienst der imperialistischen Kräfte gestellt, die in der Region wirken. Die Hamas ist in Wirklichkeit eine Clique an der Spitze eines Staates, eine Fraktion der palästinensischen Bourgeoisie, die die Bevölkerung von Gaza, das palästinensische Proletariat, ausbeutet und ihm ihre Diktatur aufzwingt. Sie behandelt ihre Arbeiter genauso wie jedes andere kapitalistische Regime. Die größte Ironie dieses Albtraums besteht darin, dass die Hamas ihre Existenz weitgehend Israel verdankt, das ihre Entwicklung als Gegengewicht zur PLO ursprünglich gefördert hat.
Révolution Permanente (RP), eine Organisation, die sich von der NPA abgespalten hat und nun Verbindungen zu anderen trotzkistischen Gruppen in Europa, wie Klasse gegen Klasse in Deutschland, aufbaut, ist mit einer weiteren Schicht von umwerfend ungeheuerlichen Fehlinformationen zurück: "Das Abenteurertum der Hamas, ihre Gräueltaten und Massaker an der Zivilbevölkerung sind der Höhepunkt der Sackgasse, die sie für die palästinensische Sache darstellt, weil sie kein wirkliches soziales und demokratisches Programm hat [...]. Und dennoch hat die Hamas im Gegensatz zu Daesh und Al Qaeda eine Basis in der Bevölkerung, auch wenn das Fehlen von Wahlen und eines demokratischen Rahmens [...] es unmöglich macht, den Grad der Unterstützung für die Hamas im Gazastreifen und anderswo in den Gebieten genau zu messen".
Welch schamlose Heuchelei, um die Menschen dazu zu bringen, das Unannehmbare zu akzeptieren und die barbarischen Massaker der Hamas zu rechtfertigen! Unterstützung durch das Volk? Wären die Gräueltaten der Hamas legitimer, wenn sie durch Wahlen sanktioniert worden wären? War es die "Unterstützung des Volkes", die im September 2006, wenige Monate nach der Machtübernahme, zu massiven Streiks und Demonstrationen führte, bei denen die Hamas-Regierung aufgefordert wurde, die seit mehreren Monaten ausstehenden Löhne zu zahlen?
Dies ist ein schönes Beispiel für die demokratische Mystifizierung! Unter dem Deckmantel eines "kritischen" Diskurses benutzen die Kriegstreiber der NPA das "demokratische Etikett", um die von den Soldaten eines imperialistischen Lagers begangenen Massaker besser zu rechtfertigen. Die Niedertracht der trotzkistischen Propaganda kennt keine Grenzen und wird oft zu etwas Unhaltbarem. Aber die Gräuel und Grausamkeiten dieses Konflikts sind so groß, dass sie einige dieser Gruppen manchmal in Verlegenheit und dazu bringen, sich ein wenig von dem zu distanzieren, was ihre "Genossen" sagen.
Solche Äußerungen radikaler Verdrehungen finden sich bei einer der hinterhältigsten trotzkistischen Gruppen, einer Expertin der Doppelzüngigkeit und Ausflüchte, der unnachahmlichen französischen trotzkistischen Organisation Lutte Ouvrière (LO), die kürzlich einen sehr kritischen Artikel über die NPA und Révolution Permanente veröffentlichte. LO kritisiert sie für einen allzu unverschämten nationalistischen Diskurs, der "den bürgerlichen Klassencharakter der Hamas und ihre nationalistische und reaktionäre Politik [...] nicht wahrnimmt. Die Hamas als 'Hauptorganisation des palästinensischen Widerstands' zu bezeichnen, ist ein Missbrauch der Sprache, um nicht zu sagen ein Betrug".
Was ist hier los?! LO ist also bereit, die Barbarei aller bürgerlichen Fraktionen anzuprangern und seine Logik der Verteidigung der "nationalen Befreiungskämpfe" aufzugeben? – Mitnichten! "Wenn Teile der palästinensischen Massen der Hamas vertraut, so gilt dies gewiss nicht umgekehrt [...] Die Hamas handelt und trifft Entscheidungen, die sich der Kontrolle der palästinensischen Bevölkerung und der Ärmsten entziehen. Ihre Methoden sind nicht darauf ausgerichtet, den Aufständischen zu ermöglichen, sich ihrer Macht bewusst zu werden, sich zu organisieren und eine politische Bildung zu erhalten. Der Angriff am 7. Oktober wurde von ihrer Führung ohne jegliche Kontrolle oder Diskussion gestartet". Es ist klar, dass die undemokratische Grausamkeit der Hamas LO "enttäuscht" hat, nichts weniger!
Ach, hätten doch nur "demokratische Diskussionen" vor dem 7. Oktober stattgefunden, um den Hamas-Angriff zu planen, dann hätten die Gräueltaten vielleicht ein vorzeigbareres Profil gehabt, so die LO. Im Reich des Schmutzigen, des "Subtilen", entthront Lutte Ouvrière die abscheulichsten trotzkistischen Gruppen, um ihren eigenen nationalistischen und kriegstreiberischen Müll zu verkaufen.
Hören wir noch einmal, wie es Révolution Permanente sagt: "In Zukunft dürfen wir die Mobilisierung gegen den Krieg, den Kampf für die nationale Befreiung Palästinas und die Perspektive der proletarischen Revolution nicht als getrennte Wege betrachten. Im Gegenteil, sie können und müssen sich gegenseitig unterstützen". Das hat zumindest das Verdienst, klar zu sein!
Das palästinensische Proletariat muss nicht nur weiterhin als Kanonenfutter für die nationalistische Sache seiner Bourgeoisie dienen, sondern ganz allgemein muss der proletarische Kampf die nationalen Befreiungskämpfe "unterstützen" und nähren. Der schäbige Internationalismus der Trotzkisten wurde schon vor langer Zeit aus dem Fenster geworfen, aber jetzt übernehmen sie ganz offen ihre Rolle als Rekrutierungssoldaten für die nationale Sache.
Ungeachtet der verworrenen Verrenkungen der trotzkistischen Organisationen bleiben sie unerschütterliche Rekrutierer für die Bourgeoisie in ihren nationalen Auseinandersetzungen.
Während des Zweiten Weltkriegs ging der Trotzkismus endgültig in das Lager der Bourgeoisie über, indem er zur Rekrutierung des Proletariats für den Krieg gegen den Faschismus beitrug. Seitdem haben diese bürgerlichen Gruppen die Arbeiter in der ganzen Welt methodisch dazu aufgehetzt, sich für das eine oder andere imperialistische Lager zu entscheiden. Während des Kalten Krieges bekräftigten sie ihre bedingungslose Unterstützung für die UdSSR und ihre so genannten "nationalen Befreiungskämpfe" (Kambodscha, Vietnam, Kuba usw.) gegen die Vereinigten Staaten. Während des Irak-Krieges stellten sie fest, dass die "richtige Seite" – "die Seite des irakischen Volkes gegen die anglo-amerikanischen Aggressoren" sei!
In jüngster Zeit haben mehrere trotzkistische Gruppen wiederholt "Putins Russland" im Krieg in der Ukraine angeprangert und das "ukrainische Volk" dazu aufgerufen, sich damit abzufinden, in den Schützengräben massakriert zu werden. Andere trotzkistische Gruppen wie LO, die ihrem Dogma eines nicht imperialistischen Russlands treu bleiben, zögern nicht, Putin subtil zu unterstützen, indem sie behaupten, der einzige Imperialismus, der es wert sei, angeprangert zu werden, sei der der NATO und Bidens.
Da der Trotzkismus eine bürgerliche Ideologie ist, treibt er die Arbeiterklasse zwangsläufig in die Arme der so genannten nationalen Befreiungskämpfe – in Wirklichkeit die Verteidigung eines imperialistischen Lagers gegen ein anderes, des Lagers der "Opfer" gegen die "Aggressoren", des Lagers der Demokratie gegen den Faschismus, des Lagers der "armen Länder" gegen die "reichen Länder", früher des Lagers des "sowjetischen sozialistischen Vaterlandes" gegen den westlichen Imperialismus usw.
Es gibt keine Lösung für das endlose Blutvergießen im Nahen Osten und in der ganzen Welt außerhalb des internationalen Klassenkampfes und der proletarischen Weltrevolution. Alle Formen des Nationalismus, alle seine Verfechter, auch die radikalsten, sind die Todfeinde der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Perspektive.
Stopio, 5. Dezember 2023
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Nach dem zweijährigen Konflikt in der Ukraine vor dem Hintergrund der chinesisch-amerikanischen Rivalität und angesichts der Gefahr einer Ausweitung des Krieges im Nahen Osten wächst die Angst vor einem neuen globalen Konflikt. Sind die Bedingungen für einen solchen Konflikt gegeben? Kommt es zur Bildung neuer imperialistischer Blöcke? Ist das Proletariat bereit, sich massenhaft in einen globalen Konflikt einspannen zu lassen?
Um diese Fragen zu diskutieren, veranstaltet die IKS überall dort, wo sie vertreten ist, öffentliche Treffen. Diese Treffen sind Orte der Debatte, die allen offenstehen, die mit ihr diskutieren möchten. Wir laden alle unsere Leser, Kontakte und Sympathisanten herzlich dazu ein, an diese Treffen zu kommen um zu debattieren, weiter über die Herausforderungen der Situation nachzudenken und Standpunkte zu vergleichen.
Online Diskussionsveranstaltung am Freitag, 26. Januar 2024, 19 Uhr.
Wenn Ihr teilnehmen wollt, schreibt bitte an: [email protected] [270]
Mitte Januar 2024 brach die herrschende Klasse in Deutschland eine gewiefte Kampagne zum Schutz der Demokratie vom Zaun. Diese Kampagne zeigt die ganze Verschlagenheit der deutschen Bourgeoisie und wie sie die ekelhaften Zerfallserscheinungen ihres Systems vor allem gegen die Arbeiterklasse und bis zu einem gewissen Grad erfolgreich auszuschlachten versucht.
Im November 2023 hatten sich verschiedene Kräfte der AfD, Rechtsradikale, Mitglieder der damals der CDU zugehörigen Werteunion und andere Leute in Potsdam „geheim“ versammelt, um über radikale Maßnahmen gegen Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund zu beraten. In ihren von Hass und Nationalismus getriebenen, völlig irrationalen Plänen, die im Allgemeinen in ihrer Erscheinungsform im Widerspruch zu den Interessen des deutschen Kapitals stehen, streben sie scheinbar millionenfache Massendeportationen an. Das Treffen wurde von dem Rechercheteam Correctiv (und vermutlich auch vom Verfassungsschutz) beobachtet. Mitte Januar wurde die Veranstaltung publik gemacht – und kurze Zeit danach wurde die größte staatliche Mobilisierung gegen die Rechten und insbesondere gegen die AfD zur Verteidigung der Demokratie (und noch anderer Mottos) seit Jahren angeleiert…
Das geschah zu einem Zeitpunkt, nachdem schon eine intensive Stimmungsmache aus allen bürgerlichen Parteien gegen „zu viele Flüchtlinge“ und für „massive Abschiebungen“ betrieben und schließlich auf europäischer Ebene „endlich“ mehr gemeinsame Zwangsmaßnahmen („Asylreform“) beschlossen worden waren – d.h. Abschiebungen usw. nicht durch fanatisierte und hasserfüllte fremdenfeindliche Kräfte aus dem rechten Lager sondern demokratisch legitimiert, vom Staat selbst in die Hand genommen und mit entsprechenden polizeilichen Zwangsmaßnahmen. CDU-Politiker, in die Fußstapfen der englischen Regierung (mit den Konservativen an der Spitze) tretend, wollen auch Illegale nach Ruanda deportieren.
Es wäre naiv zu glauben, dass dieses Treffen nur ein gefundenes Fressen für die herrschende Klasse war. Zu offensichtlich spielen solche Treffen und Deportationsfantasien der Rechten und der AfDler dem Staat in die Hände, denn nun erfolgte eine der größten Kampagnen – angetrieben von oberster Stelle – angeblich zum Schutz der Betroffenen und vor allem für die Verteidigung der Demokratie.
So soll von der seit Jahren praktizierten Politik der Festung Europa abgelenkt werden, bei der jedes Jahr unzählige Menschen bei ihren verzweifelten Versuchen, nach Europa zu gelangen, ihr Leben verlieren oder – einmal dennoch angekommen – in Flüchtlingslagern enden oder sonst wo hocken müssen. Aber es geht um mehr als die Heuchelei der Herrschenden, die mit der Entblößung der rechten Deportationspläne ihre eigenen tagtäglichen und viel breiter geplanten Gewaltmaßnahmen übertünchen wollen. In Wahrheit wird seitens der Herrschenden ein politischer Schachzug vollzogen. Von der obersten Staatsspitze über Gewerkschaften bis zu all den „zivilgesellschaftlichen“ Initiativen dazu aufgerufen, versammeln sich mittlerweile hauptsächlich an Wochenenden oft Hunderttausende in nahezu allen Städten zum Protest gegen rechts und für die Demokratie.
Besser hätten der Staat und seine für ihn wirkenden Kräfte die Bevölkerung nicht hinter sich scharen können. Die Falle der Verteidigung der Demokratie schnappte zu![1]
Während die herrschende Klasse überall auf der Welt tatsächlich ein riesiges Problem damit hat, dass alle ihre im Parlament vertretenen Parteien an Glaubwürdigkeit verlieren und immer mehr Menschen den Wahlen fernbleiben, während immer mehr Menschen Zweifel an den Versprechungen und Verheißungen der Herrschenden hegen und zutiefst über die Zukunft des Planeten und die vom Kapitalismus ausgelöste Zerstörungsspirale mit all den Kriegen und der Verschärfung der Wirtschaftskrise besorgt sind, gleichzeitig aber nicht erkennen, welche Lösung gefunden werden muss, sind viele durch diese Perspektivlosigkeit in der Zwischenzeit in die Arme der Protestparteien getrieben worden. Zudem schrumpfen die Mitgliederzahlen der etablierten Parteien und es gibt immer mehr kleinere „Splittergruppen“ sowohl im rechten als auch im linken Lager.
Wie in vielen anderen Ländern verursacht dieser enorme Zulauf bei den populistischen und rechten Parteien unter den traditionellen bürgerlichen Parteien großes Kopfzerbrechen, da dadurch die Stabilität der Regierungen und die Kohäsion der Gesellschaft noch mehr untergraben werden. Aber die herrschende Klasse wäre keine herrschende Klasse, wenn sie diese tief im Inneren der kapitalistischen Gesellschaft wirkende Fäulnis ihrer Grundfeste nicht zu ihren Gunsten für sich auszuschlachten versuchen würde.
Deshalb die List, die real existierenden Pläne – gar Pogromgelüste – der Populisten und Rechten durch eine Kampagne zur Verteidigung der Demokratie auszuschlachten und die Bevölkerung hinter den Staat zu zerren. Dabei hat der Staat gerade jetzt einen Zusammenschluss der Bevölkerung hinter dem Staat zur Durchsetzung der Kriegstauglichkeit gefordert. Deshalb ist dieser Aufruf zur Verteidigung der Demokratie auch ein Lockmittel, um die Bevölkerung an den Staat zu binden.
Gleichzeitig gab es in den letzten Wochen aus Protest gegen die Welle von Sparpaketen, welche die Regierung in einem beträchtlichen Maße als Folge des Ukrainekrieges verabschiedet hat, größere Proteste von Bauern, Taxifahrern, Spediteuren, Handwerkern gegen die Kürzung von verschiedenen Subventionen. Diese Proteste, die von Bauern und anderen kleineren Selbständigen getragen werden, sind eine Folge der globalen Verschärfung der Wirtschaftskrise und der Konsequenzen des Kriegs. Aber wegen ihrer den Verkehr behindernden Wirkungen ziehen diese Protestaktionen eine große Aufmerksamkeit auf sich, bzw. werden groß ins Rampenlicht gestellt, ohne in irgendeiner Form die herrschende Klasse in Bedrängnis zu bringen. Es wird die Botschaft kolportiert, isolierte und radikale „Blockaden“ seien ein Hauptmittel des Widerstandes. Aber mit ihren Straßenblockaden bieten sie als solche keine Perspektive des Zusammenschlusses gegen den Staat und seine Kriegspolitik an.
Während hinter diesen Protesten tatsächlich die Wut der Betroffenen über die Verschlechterung ihrer Lage infolge der Krisenauswirkungen steckt, dienen diese aber gleichzeitig als Nebelkerzen der ideologischen Verwirrung. So sind sie nicht Ausdruck der Widersprüche zwischen den zwei Hauptklassen des Kapitalismus, der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse, sondern drücken die Angst und Wut der Zwischenschichten, Selbstständigen, Beschäftigten und Leitern der Klein- und Landwirtschaftsbetriebe aus, die keine Perspektive außerhalb der und gegen die kapitalistische Ausbeutung formulieren können. Es ist kein Zufall, dass der erste Frontalangriff, nämlich die als „Sparzwänge“ titulierten sozialen Angriffe, auf diese Zwischenklassen zielte. Diese wütenden und perspektivlosen Proteste sollen die Kämpfe der Arbeiterklasse auf ihrem Terrain einhegen oder gar in die Falle der klassenübergreifenden Kämpfe führen.
Ein weiteres wichtiges Bestreben des Staates beim Anleiern der Kampagne zur Verteidigung der Demokratie und zum breitestmöglichen Bündnis um den Staat ist auch, dass die sich verschärfende Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse durch das Betäubungsmittel Demokratie geschwächt werden soll.
Letzten Herbst mussten die Gewerkschaften, vor allem die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, ver.di, wo ja der Staat der Arbeitgeber ist, mehrere Warnstreiks durchführen, um den Druck der Beschäftigten zu kanalisieren. Denn infolge der durch den Krieg weiter verschärften Inflation und die jahrelange Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (Arbeitsverdichtung, Personalabbau usw.) war ver.di zu größeren Lohnforderungen vor allem im unteren Tarifbereich gezwungen. Diese Tarifverhandlungen wurden letztendlich alle im Herbst 2023 über die Bühne gebracht – bevor dann im Winter die Lokführergewerkschaft GdL mit ihren Forderungen aufwartete. Natürlich hatte die GdL abgewartet, bis die mit ihr konkurrierende Gewerkschaft EVG und die anderen Beschäftigten im Transportwesen bei ver.di ihre Tarifabschlüsse in der Tasche hatten.
Nachdem der Lokführerstreik vom 24. bis zum 29. Januar angekündigt und am 28. Januar beendet worden war, wurden am Dienstag, 30. Januar die Beschäftigten des Gesundheitswesens, am Donnerstag, 1. Februar die Beschäftigten an den Flughäfen, am Freitag, 2. Februar die des ÖPNV in vielen Städten zu Warnstreiks bzw. Protesten aufgerufen – streng voneinander getrennt, damit nur niemand auf die Idee komme, dass zwischen den Beschäftigten gemeinsame Interessen bestehen, und kein Gefühl der Solidarisierung, gar der Notwendigkeit und der Möglichkeit des Zusammenkommens entstehen könne.
Gleichzeitig hielt man die Beschäftigten, die natürlich von den Gewerkschaften inszeniert und kontrolliert worden wären, aber zumindest die Forderungen der Arbeiter gegen ihren gemeinsamen Arbeitgeber (oft der Staat) zum Gegenstand gehabt hätten, von der Möglichkeit großer Proteste fern. D.h. innerhalb einer Woche gab es in fast allen Bundesländern Widerstand und Proteste der Arbeiter gegen die Verschlechterung ihrer Lage – aber gespalten und getrennt voneinander! Noch haben die Gewerkschaften mit ihrem Fahrplan der säuberlich voneinander getrennten Warnstreiks die Spaltung aufrechterhalten können.
Auf diesem Hintergrund wurde seit Januar unaufhörlich die Werbetrommel für das Zusammenkommen der Bürger, der Mutigen, die bereit sind, die Demokratie usw. zu verteidigen, gerührt. Auch wenn im Augenblick keine „Explosionsgefahr“ des Klassenkampfes vorhanden ist, dienen die staatlich organisierten Proteste zur Verteidigung der Demokratie vor allem dazu, den Klassengraben zwischen den Interessen der Arbeiterklasse und dem Staat, der die Interessen des Kapitals schützt, zu verdecken.
Während die herrschende Klasse die Fäulnis ihrer eigenen Gesellschaft gegen die Arbeiterklasse zu instrumentalisieren und mit ausgefuchsten Kampagnen eine nationale Einheit hinter dem Staat zur Verteidigung der Demokratie und damit letztendlich für die Erlangung der Kriegstüchtigkeit herzustellen sucht, darf die Arbeiterklasse sich nicht für diese Kampagnen einspannen lassen. Ein wirklicher Klassenwiderstand kann nur entfaltet werden, indem die Fesseln der Gewerkschaften abgestreift und die Interessengegensätze zwischen Kapital und Arbeit, die Sackgassen dieses Systems verstanden werden.
Wg, 05.02.2024
Die Demokratie ist immer noch ein wirkungsvolles Mittel der Täuschung, wie Lenin und Bordiga schon vor mehr als 100 Jahren schrieben:
„Da die Gesellschaft in Klassen geteilt ist, die sich infolge von ökonomischen Privilegien krass voneinander unterscheiden, können Mehrheitsentscheidungen keine Bedeutung haben. Der demokratische und parlamentarische Staat liberaler Verfassung erhebt den Anspruch, eine Organisation aller Bürger im Interesse aller Bürger zu sein. Das ist ein Betrug. Solange Interessengegensätze und Klassenkämpfe bestehen, ist keine Organisationseinheit möglich. Obwohl ein Schein von Volkssouveränität zur Schau getragen wird, bleibt der Staat das Organ der ökonomisch herrschenden Klasse und das Instrument zum Schutz ihrer Interessen. Obwohl in der bürgerlichen Gesellschaft die politische Vertretung (die parlamentarischen Organe) demokratisch gewählt werden, betrachten wir diese Gesellschaft als einen Komplex aus verschiedenen anderen Organisationen und Vereinigungen. Viele davon werden von den privilegierten Schichten gebildet und verfolgen die Aufrechterhaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Sie schließen sich daher um die mächtige und zentralisierte Organisation des Staatsapparates zusammen. Andere verhalten sich neutral oder ändern von Fall zu Fall ihre Haltung gegenüber dem Staat. Andere schließlich entstehen innerhalb der besitzlosen und ökonomisch ausgebeuteten Klassen; sie richten sich gegen den bestehenden Klassenstaat. Der Staat hat also keineswegs den Charakter einer Vereinigung aller Bürger oder der ganzen Nation. Und daran können die politische und rechtliche Gleichheit aller Bürger, die formale Anwendung des demokratischen Prinzips bzw. des Mehrheitsrechts überhaupt nichts ändern, weil eine ökonomisch bedingte Klassenteilung besteht. Die politische Demokratie gibt offiziell vor, einen Staat aller Bürger errichtet zu haben. In Wirklichkeit ist sie jedoch die Staatsform, die sich für die Herrschaft der kapitalistischen Klasse und die Aufrechterhaltung ihrer Privilegien besonders gut eignet. Sie ist die spezifische Form der bürgerlichen Diktatur im echtesten Sinne des Wortes.“
Amadeo Bordiga, Das demokratische Prinzip [472], 1922
„Auf Schritt und Tritt stoßen die unterdrückten Massen auch in dem demokratischsten bürgerlichen Staat auf den schreienden Widerspruch zwischen der formalen Gleichheit, die die „Demokratie" der Kapitalisten proklamiert und den Tausenden tatsächlicher Begrenzungen und Komplikationen6, die die Proletarier zu Lohnsklaven machen.“
Wladimir I. Lenin, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky [473], 1917
[1]Wie üblich begrüßen und tragen linkskapitalistische Gruppen aller Couleur zur Mobilisierung „gegen rechts“ bei. Wir gehen aus Platzgründen hier nicht näher darauf ein.
Zwei Jahre sind seit dem Beginn des Ukraine-Krieges vergangen. Mittlerweile ist Deutschland voll involviert in den größten und gefährlichsten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, dessen Ende noch immer nicht in Sicht ist. Und seit Beginn des Ukrainekriegs ist mit dem Israel-Hamas-Krieg in Gaza die Gefahr eines neuen Flächenbrandes im Nahen Osten entstanden, bei dem Deutschland auch immer mehr auf verschiedene Art mit von der Partie ist.
Zusätzlich zu diesen beiden genannten Kriegsschauplätzen spitzt sich der Konflikt zwischen China und den USA weiter zu – neben den noch gewissermaßen niedrigschwelligen aber nicht weniger barbarischen „kleineren“ Konflikten in Afrika oder wie jüngst die Spannungen zwischen Venezuela und Guayana.
Gegenüber dieser weltweit tobenden Zerstörungsspirale – den Kriegen, dem sich verschärfenden Handelskrieg, den immer verheerender werdenden Auswirkungen der Umweltzerstörung und anderen Gefahren – muss sich der deutsche Imperialismus entsprechend neu positionieren!
Auch wenn Deutschland nicht direkt mit Truppen vor Ort am Ukrainekrieg beteiligt ist, ist die Militarisierung seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs rasant vorangeschritten. Nun heißt die Devise „Kriegstüchtigkeit“ erlangen. Die Botschaft der Ampel-Koalition lautet klar: Mobilisierung aller Kräfte der Bevölkerung für die Kriegstüchtigkeit, und das innerhalb von 5–8 Jahren!. Die Wirtschaft, die Infrastruktur, das Bildungswesen usw. müssen auf diese Bedürfnisse eingestellt werden. Natürlich heißt dies auch die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Ressourcen – schlagartige Verdoppelung des Rüstungshaushaltes. Auch wenn man es nicht offen hinausposaunt: die jüngst beschlossenen Sparpakete werden alle mitbestimmt durch die Bedürfnisse der Finanzierung des Militärs. Deutschland kann sich brüsten, mittlerweile nach den USA in Europa Hauptzahlmeister des Krieges zu sein.[1]
Und die Bundeswehr hat große Bestände ihres eigenen Waffenarsenals an die Ukraine geliefert. Die Rüstungsproduktion, jahrelang nach dem Ende des „Kalten Krieges“ reduziert, wird wieder hochgefahren. Die eigenen Reihen werden auch wieder mit zurückgekauften Leopard Panzern vom braven Schweizer Nachbarn gefüllt, mit dem scheinheiligen Abkommen, diese nicht direkt an die Ukraine weiterzusenden… ein „sauberes Geschäft“. Nahezu alle früheren Tabus bei Waffenlieferungen in Kriegsgebiete sind überwunden. Tag für Tag rollen ausländische Waffen aus dem Westen an die Front der Ukraine.[2] Tausende ukrainische Soldaten werden im Rahmen der EU-Unterstützungsmission EUMAM (European Union Military Assistance Mission Ukraine) an allen möglichen Waffen ausgebildet.
Nun sind auch wieder deutsche Truppen im Baltikum präsent. Obwohl Russland die Nato-Ostexpansion stoppen bzw. abschwächen wollte, agieren Nato-Verbände stärker denn je in Osteuropa, und das neue Stationierungsabkommen von deutschen Truppen in Litauen bedeutet nach Aussage des Verteidigungsministerium eine Zäsur, denn näher standen deutsche Truppen an der russischen Grenze seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr.
Mittlerweile haben sich über 1.2 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, die verzweifelt fliehen mussten, in Deutschland registrieren lassen. Und deren Zahl könnte noch viel stärker anschwellen… Damit ist die Wohnungsnot für alle, natürlich auch für die Flüchtlinge aus anderen Kriegsgebieten, noch mehr angestiegen. Auf die ökonomischen Folgekosten des Krieges wie explosiver Anstieg der Inflation – allen voran der Energie- und Lebensmittelpreise – gehen wir in einem separaten Artikel näher ein.
Aber Deutschland spielt nicht nur beim Ukrainekrieg eine führende Rolle. Bei den anderen Kriegsschauplätzen bzw. Spannungsherden mischt es ebenso mit. Nicht nur werden immer mehr Waffen in den Nahen Osten geliefert (von Israel bis nach Saudi-Arabien), überall sind deutsche Waffen begehrt. Und die Marine hat eine Fregatte zur Beteiligung an den Verbänden im Roten Meer geschickt, nachdem der Schiffsverkehr dort durch die Huthi-Rebellen immer mehr bedroht wird. Gleichzeitig verstärkt sich auf dem Hintergrund dieses neuen Wettrüstens die Forderung nach Atomwaffen. Kurzum – das Schreckgespenst des Militarismus hat wieder Mitten im Herzen Europas Einzug gehalten.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr Breuer fordert einen Mentalitätswandel: „Die sicherheitspolitischen Entwicklungen der nächsten Jahre könnten noch nicht abgesehen werden. Deshalb seien nun vor allem Agilität und Flexibilität gefordert“, so Breuer. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir uns eigentlich gar nicht richtig vorbereiten können. Sicherheitspolitisch wissen wir nicht, was um die nächste Ecke herumkommt. Aber: Auf genau das müssen wir vorbereitet sein.“ (…) „Die Streitkräfte würden strukturell so aufgestellt, dass sie ihre Aufgaben sowohl in der Landes- und Bündnisverteidigung als auch im internationalen Krisenmanagement erfüllen könnten. Wir sagen immer dazu: one single set of forces. Das heißt, wir müssen Streitkräfte haben, die aus Einem heraus alle Anforderungen dann auch erfüllen können.“[3]
Aus Platzgründen gehen wir hier nicht auf die strategischen Kriegsziele anderer Länder ein. Wir haben dies in vielen Artikeln getan. Stattdessen wollen wir uns hier in diesem Bilanz-Artikel auf einige wesentliche Konsequenzen konzentrieren und einige im Raum stehende Fragen aufwerfen.
Wie wir in anderen Artikeln aufgezeigt haben, versuchen die USA mit dem Ukrainekrieg Russland auszubluten und so ein Land, das China nahesteht, wesentlich zu schwächen, um letztendlich China zu treffen. In Anbetracht dieses Drucks der USA, die immer noch die Führungsrolle in der Nato ausüben, wurde Deutschland gezwungen, eine diametral gegen seine Interessen gerichtete Position zu beziehen und einen Bruch mit seiner traditionellen „Ostpolitik“ zu vollziehen und die vorherige privilegierte Beziehung zu Russland aufzugeben. Jahrelang hatte man Russland bei dessen imperialistischen Wiedererstarkungsversuchen im Nahen Osten oder auf der Krim wenig Widerstand entgegengesetzt. Das besondere Verhältnis Deutschland-Russland fungierte auch gewissermaßen seit den 1990er Jahren als Gegengewicht angesichts des Drucks der USA gegenüber Deutschland.
Nun mussten die relativ günstigen Energiepreise für russisches Öl und Gas dem Krieg geopfert werden, die Versorgung mit Northstream II wurde gekappt. Seitdem wurde Deutschland in eine Energieabhängigkeit und Erpressbarkeit von den USA bei Energielieferungen getrieben, womit die starke Abhängigkeit von Russland durch die von den USA (und anderen Staaten) „getauscht“ wurde. Aber es reicht nicht, beim deutsch-russischen Verhältnis stehen zu bleiben, wir müssen den Blick weltweit schweifen lassen.
Bei der globalen Strategie der USA gegen China wollen die USA Deutschland zum Rückzug aus China zwingen. Das umfangreiche Sanktionspaket der USA gegen China hat auch schon deutsche Firmen viel stärker dem Druck der USA ausgesetzt. Zwar hatte Deutschland aus eigener Einsicht einen Abbau der Abhängigkeit von China angestrebt, aber damit zu einer Schachfigur der USA gegen China zu werden, ist für das deutsche Kapital nicht hinnehmbar.
Nachdem Trump das deutsche Kapital besonders ins Visier genommen und ein Ende der Nato in Erwägung gezogen hatte, erwiesen sich die Demokraten unter Biden als noch viel konfrontativer und rücksichtsloser – auch wenn der Diskurs Bidens als weniger aggressiv rüberkommen sollte. Wenn Trump ein zweites Mandat bekommen sollte, muss das deutsche Kapital noch mehr fürchten – und es wird zu noch mehr offenen Konfrontationen mit den USA kommen. Außerdem ist Trumps Haltung zur Nato und zum Einsatz des atomaren „Schutzschildes“ (Deutschlands Bedrohungsschildes) ungewiss. Während Trump nicht auf die Nato wird verzichten können, wird er mehr Druck auf Deutschland ausüben.
Aber selbst wenn die Demokraten weiter den Präsidenten stellen, werden diese auch weiter auf Konfrontationskurs mit Deutschland gehen. Und falls die Republikaner im Ukrainekrieg weiter den Hahn für die Unterstützungen der Ukraine zudrehen wollen, müssten europäische Länder, vor allem Deutschland als größte Finanzquelle noch mehr Geld in den Krieg pumpen. Dies wirft große Fragen auf, ob sich dies durchsetzen lassen wird. Gegenwärtig liegen die größten Unwägbarkeiten in den USA selbst.
Wie wir in einem früheren Artikel entwickelt haben, ist nach jahrzehntelanger grenzenloser Unterstützung für Israel das Dilemma der deutschen Bündnispolitik offenbar geworden: während die USA selbst Israel zurückhalten wollen, erteilte Deutschland nach dem 7. Oktober Israel anfangs mehr oder weniger einen Blankoscheck. Das beinhaltet das Risiko, dass sich Deutschland isoliert, und gegenüber dem Nahen Osten in Gegnerschaften gezwungen wird, nachdem es zuvor jahrelang versucht hatte, engere Beziehungen aufzubauen. Das bindet es gleichzeitig punktuell/strategisch noch enger an die USA, obgleich Abgrenzung von diesen geboten ist, und die Schwächung der USA auch Deutschland treffen wird. Ähnlich wie die Position der USA durch den Krieg im Nahen Osten geschwächt wird, wird auch die Position der deutschen Außenpolitik gegenüber Israel Deutschland im Nahen Osten schwächen.
Nach 1989 hatte der deutsche Imperialismus durch die Auflösung des Warschauer Paktes das in Osteuropa entstandene Vakuum für seine Expansion ausnutzen können. Zum anderen konnte die Bundeswehr ihre territorialen Streitkräfte reduzieren und Panzer zum Teil verschrotten, während man gleichzeitig anfing, sich an „out-of-area“ Einsätzen (Balkan-Krieg und KFOR, Afghanistan, Mittelmeer, Golf von Aden, Mali usw.) zu beteiligen und somit mehr Gewicht auf Luftwaffe und Marine verlagerte. Bei den Militärausgaben hielt man global den Fuß auf der Bremse und auch bei Rüstungsexporten in Kriegsgebiete proklamierte man ein heuchlerisches Tabu derselben – all das wurde wie oben erwähnt mit dem Ukrainekrieg über Nacht über Bord geworden.
Mit der jetzt erforderlichen Kriegstüchtigkeit müssen die bislang beschränkten Produktionskapazitäten massiv ausgebaut werden, was wiederum eine rigorose Zentralisierung durch den Staat verlangt, was bei der bisherigen Ineffizienz der Bürokratie auf Hindernisse stößt. Ähnlich der staatlichen Steuerung durch die Nazis als Vorbereitung für den Zweiten Weltkrieg muss nun die gesamte Wirtschaft den Diktaten der Kriegswirtschaft unter staatliche Regie unterworfen werden.
Gleichzeitig hat die Bundeswehr ein Problem, dass man nicht genügend neue Kräfte rekrutieren kann, und dass ein großer Teil der Soldaten schon durch die noch beschränkten Auslandseinsätze als traumatisiert eingestuft wurde. Jetzt schon wird laut die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht gefordert, welche Anfang der 2000er Jahre abgeschafft worden war.
Während im Laufe der 2010er schon weitreichende Planungen für den Aufbau eines militärischen Arms – parallel zur Nato, die ja unter US-Dominanz steht – vorangetrieben worden waren, sind diese zumindest mit dem Ukrainekrieg scheinbar in der Versenkung verschwunden. Eine mögliche Rückkehr Trumps wird hier das Blatt vermutlich wieder wenden lassen.
Während nach 1989 ebenfalls jahrelang das Bündnis mit Frankreich vorangetrieben wurde, hat dieses seit geraumer Zeit auch tiefe Risse bekommen. Mehrere Konfliktfelder – Notwendigkeit und Möglichkeit der Entwicklung europäischer und vor allem deutsch-französischer Waffensysteme oder starke Abhängigkeit von den USA, gemeinsame Kampfverbände, Energiekonkurrenzkampf, Finanzpolitik – werden weiter für Zündstoff sorgen. Auch wird die Verdoppelung des Rüstungshaushaltes das militärische Gewicht von Deutschland und die Forderung nach Anspruch auf eine Führungsrolle verstärken. Vieles wird davon auf Kosten von Frankreich gehen (Tendenz des Jeder für sich).
Während so die Konflikte in Europa und vor allem mit Frankreich an Schärfe zunehmen, wird sich eine stärkere militärische Position Deutschlands gegenüber USA oder anderswo auf der Welt nur zusammen vor allem mit Frankreich aufbauen lassen. Da die Aufrüstung überall die Frage der nuklearen Wiederbewaffnung/Aufrüstung stellen wird, wird jetzt schon die Frage der Gefahr der Unzuverlässigkeit des amerikanischen „Schutzschildes“ unter Trump erörtert und die Unzulänglichkeiten der französischen Nuklearstreitkräfte im Falle eines Krieges in Europa betont.[4]
Auch in Osteuropa zeigen sich die Auswirkungen der Zeitenwende. Nach 1989 gab es in Osteuropa eine „Öffnung nach Westen“, ein Land nach dem anderen wollte in die EU und auch die Nato drang vor (zum Teil gegen den Willen Deutschlands, um nicht Russland zu provozieren, aber wohl auch um den USA nicht noch mehr Einfluss zu überlassen). Aus Kalkül aber auch weil man noch nicht die Mittel hatte, setzte Deutschland nicht prioritär auf eine militärische Karte in Europa, was es aber nicht daran hinderte, auf dem Balkan Kroatien anzustacheln. Seine Joker waren Integration, bzw. Anbindung an die EU/Deutschland. Zirka 2 Jahrzehnte dominierte eine Politik der relativ starken Anbindung und zumindest teilweise Zusammenarbeit, (selbst während des 10 Jahre andauernden Balkankriegs), aber seit einigen Jahren sind Kräfte der Fragmentierung am Werk und das Zerbröseln der EU ist im Gang – am stärksten Ungarn, Polen, Slowakei.
Die zuvor eine Zeit lang eingehegten nationalen Interessen in Osteuropa nehmen nun die Überhand – was sich unter anderem durch Auseinandersetzungen in Polen über eine pro-amerikanische oder eher eine EU Orientierung, in Ungarn über eine Russland-freundliche Orientierung und Blockadehaltung gegenüber der EU äußert. Die jahrelang als „Lockmittel“ eingesetzte Einstimmigkeit innerhalb der EU, die jedem Mitgliedsstaat – unabhängig von Größe/Gewicht) die gleiche Stimmenzahl bei bestimmten Entscheidungen einräumt, erweist sich längst bei vielen Fragen als idealer Hebel des „Jeder für sich“ und als Sprengstoff für die Einheitlichkeit. Man kann generell von wachsender Zerbröselung der EU sprechen.[5]
Der Aufstieg der rechten bzw. populistischen Kräfte in Europa bewirkt einen Einflussverlust der EU-Institutionen und des Gewichtes Deutschlands. All die populistischen und rechten Parteien verwerfen die relative Dominanz Deutschlands in der EU.
Seit dem Vordringen Chinas über die diversen Stoßrichtungen der Seidenstraße war der europäische und insbesondere der deutsche Einfluss in Süd-Osteuropa untergraben worden. Durch dem Ukrainekrieg ist der Vorstoß Chinas in Osteuropa zwar gebremst aber pro-russische Kräfte in Europa haben Auftrieb erhalten. All das beschleunigt das Zerbröckeln der Beziehungen verschiedener Ost-EU-Staaten gegenüber der EU und hat sogar zu neuen, bislang in dem Ausmaß nicht vorhandenen Konflikten geführt, z.B. zwischen Polen und der Ukraine. Weil infolge des Ukrainekrieges der Militarismus durch den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens auch viel tiefer in Skandinavien und vor allem im Baltikum wuchert, hat Deutschland seine militärische Präsenz in der Ostsee (insbesondere in Litauen) verstärkt.
Deutschland wird weiter um das besondere Verhältnis zur Türkei kämpfen, das als klassischer Herausforderer in Konflikte/Kriege mit all seinen unmittelbaren oder mittelbaren Nachbarn geraten ist. Deutschland ist allerdings für die Flüchtlingsabwehr sehr stark auf die Türkei angewiesen, was bedeutet, dass die Türkei u.a. in deren Konflikt mit Griechenland, das stärker von Frankreich gegen die Türkei unterstützt wird, die Interessenskollision Deutschland-Frankreich im östlichen Mittelmeer ausschlachtet und Deutschland zu mehr Zugeständnissen an die Türkei (auf Kosten von Frankreich) zwingt.
Durch den Ukrainekrieg wollten die USA möglichst viele Staaten (insbesondere die BRICS-Staaten) hinter sich gegen Russland scharen. Dies ist den USA nicht gelungen. Deutschland wird gegenüber Indien, Brasilien verstärkt Anstrengungen zur Intensivierung der Beziehungen unternehmen, um deren Bestätigung eigener Interessen zu unterstützen und gegenüber den USA mehr Gewicht zu bekommen.
Bislang war es eine Stärke der deutschen Bourgeoisie, dass sie sich auf der Ebene der außenpolitischen Orientierungen als entscheidungsfähig und relativ geschlossen zeigte. Mit der Sozialdemokratie an der Spitze der Ampel-Koalition verfügt die deutsche Bourgeoisie über eine in Sachen Kriegsmobilisierung seit dem 1.Weltkrieg sehr erfahrene Partei, die dabei Bahnbrechendes für das deutsche Kapital geleistet hat.
Die SPD kann zurzeit am besten den Bedürfnissen des deutschen Kapitals dienen. Besonders geschickt wird die Sozialdemokratie dabei gegenwärtig von den Grünen unterstützt. Diese können von der deutschen Bourgeoisie als ein Segen betrachtet werden, denn deren ideologische Mobilisierung zur Zeit des Balkankrieges trug bei den Bombardierungen Belgrads dazu bei, Deutschland auf militärischer Ebene wieder direkt mitwirken zu lassen. Und sowohl beim Ukrainekrieg als auch bei der Unterstützung Israels treten die Grünen mit am aggressivsten auf, dagegen können sie bei der Politik gegenüber China zu einer Belastung werden. Denn ihr vermeintlicher Anspruch des Schutzes der Menschenrechte spielt den USA gegenüber China in die Hände, da dies die Druckmittel der USA erhöht und die deutsche Eigenständigkeit schmälern kann. Dennoch ist ihr Verdienst in den letzten 25 Jahren bei der Rechtfertigung des Militarismus gewaltig.
Das Aufrüsten und Tabubrechen gerade des deutschen Imperialismus und die weltweit stattfindende Zerstörung stellt die Arbeiterklasse vor eine extreme Herausforderung. Sie ist es, die als alleinige Kraft gegen die brutalen Angriffe auf ihre Lebensbedingungen und den zerstörerischen Militarismus reagieren kann – und schlussendlich muss. Die Mobilisierungen und Streiks seit Herbst 2022 in Großbritannien in verschiedensten Ländern sind eine Reaktion auf die Barbarei des Kapitalismus, die kämpferisch sein und noch viel weiter gehen muss.
TW 10. Februar 2024
[1] Seit Februar 2022 hat die Bundesregierung der Ukraine bereits Hilfen im Gesamtwert von 27,8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, als „humanitäre Unterstützung“, direkte Zahlungen oder in Form von Waffen. Dabei sind Unterstützungsleistungen, die Deutschland der Ukraine über EU-Programme gibt, noch nicht mit eingerechnet, d.h sie sind in Wahrheit noch umfangreicher. Damit ist Deutschland für die Ukraine weltweit der größte Geber nach den USA. Die USA sind nach wie vor die größten Zahler bei Militärhilfen im Umfang von 44 Milliarden Euro. Deutschland folgt an zweiter Stelle mit 17 Milliarden Euro. Für Geflüchtete aus der Ukraine müssen nochmal mindestens pro Monat ca. eine Milliarde Euro aufgebracht werden.
[2] Von den 40.000 ukrainischen Soldaten, die in der EU ausgebildet wurden, wurden 10.000 in Deutschland geschult; weitere 10.000 sollen 2024 folgen. Die Bundeswehr bildet unter anderem am Flugabwehrsystem „Patriot“, der Panzerhaubitze 2000, dem Schützenpanzer „Marder“ und den Kampfpanzern „Leopard 1" und „Leopard 2“ aus. Zudem gibt es Trainings in militärischer Führung und im Sanitätsbereich. (lt. Bundeswehrangaben)
[3] https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles/meldungen/generalinspekteur-zur-kriegstuechtigkeit-bundeswehr-5718502 [474]
[4] Präsident Emmanuel Macron drängt darauf, das geplante europäische Flugabwehrsystem (European Sky Shield Initiative, ESSI) um eine nukleare Abschreckungskomponente zu erweitern. Da diese nach Lage der Dinge von Frankreich gestellt würde und Paris einen herausragenden Einfluss erlangen würde, lehnt die Bundesregierung die Pläne ab.
[5] Auch wenn jetzt in Polen eine vermutlich EU-freundlichere Regierung unter Tusk angetreten ist und dieser auch Frankreich-Deutschland gegenüber besser gesonnen ist, ist die tiefergehende Dynamik damit nicht gebrochen.
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Wir veröffentlichen hier unsere Antwort auf einen Aufruf der Antimilitaristischen Initiative[1], einem hauptsächlich in Osteuropa angesiedelten Netzwerk, das Teil einer breiteren Infragestellung der kapitalistischen Kriegstendenz im Gefolge der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten ist. Eine ganze Reihe von Gruppen, von denen sich die meisten mit der anarchistischen Tradition identifizieren, haben Erklärungen abgegeben und zu Konferenzen aufgerufen, um zu diskutieren, „was zu tun ist“ angesichts der zunehmend katastrophalen Perspektiven, die diese Kriege eröffnen.
Wir begrüßen die Tatsache, dass der AMI-Blog eine Reihe von Artikeln der IKS über Krieg und Internationalismus veröffentlicht hat, darunter ein Interview mit Marc Chirik über Revolutionäre, die mit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert sind, und einen Artikel, der die tiefgreifenden Divergenzen aufzeigt, die der Krieg in der Ukraine innerhalb der anarchistischen „Familie“ offenbart hat, zwischen denen, die eine klare internationalistische Haltung einnehmen wollen, und denen, die offen für die Verteidigung des ukrainischen Staates eintreten.[2] In unserer Antwort ermutigen wir die AMI, die in ihren Reihen geführten Diskussionen weiter zu vertiefen, und plädieren gleichzeitig für die Notwendigkeit, eine globale Analyse zu entwickeln, die diese Kriege in einen historischen und globalen Kontext stellt. Nur so können wir die Perspektiven, die das kapitalistische System bietet, und vor allem die realen Möglichkeiten des Klassenkampfes und der Intervention von Revolutionären angesichts des imperialistischen Krieges verstehen. Ohne eine solche Analyse ist es leicht, in einen sterilen Aktivismus zu verfallen, der nur in Demoralisierung enden kann, da er zwangsläufig keine unmittelbaren Ergebnisse bringt.
Liebe Genossinnen und Genossen, entschuldigt bitte die lange Verzögerung bei der Beantwortung eurer Anfrage. Ihr habt in eurer letzten Korrespondenz erwähnt, dass ihr folgende Themen diskutiert:
1) Analyse des eskalierenden Konflikts im Nahen Osten
2) Wie man praktische Aktionen gegen die kapitalistischen Kriege organisieren kann
3) Wie man die innerimperialistischen Konflikte in einen revolutionären Klassenkampf verwandeln kann.
Wir möchten Euch einige Kernpunkte als Beitrag zu Euren Debatten übermitteln.
Wir haben mehrere Artikel zur Analyse der Situation veröffentlicht – falls ihr diese noch nicht gesehen habt, findet Ihr die URL-Links am Ende unserer Antwort.
Aus diesen Artikeln können wir ein paar Punkte hervorheben.
Der jüngste Krieg im Nahen Osten, der zeitgleich mit dem Krieg in der Ukraine (der bald sein drittes Jahr erreicht) und den zunehmenden Spannungen im Kaukasus, auf dem Balkan und anderswo stattfindet, kann nicht von der globalen Konfrontation zwischen den USA und China abgekoppelt werden.
Doch während die USA im Nahen Osten mehrere Fiaskos erlebt haben (Irak-Syrien-Afghanistan) und beschlossen haben, ihre Kräfte darauf zu konzentrieren, China daran zu hindern, die führende Weltmacht zu werden (was die Niederlage der USA bedeuten würde), ist die jüngste Eskalation im Nahen Osten für die USA gewissermaßen ein „unerwünschter“ Krieg.
Die Position der USA im Nahen Osten wurde insbesondere durch das Vorgehen Israels geschwächt (Verhängung des größten Exodus der Gaza-Bevölkerung aller Zeiten und brutale Vergeltung durch eine Politik der verbrannten Erde).
Außerdem haben die USA Russland in den Krieg in der Ukraine gelockt. Russland hat versucht, seine verlorenen Positionen aus der Zeit der Existenz der beiden Blöcke zurückzuerobern. Das kann es nur militärisch tun – wie es bereits durch seine heftige Unterstützung des syrischen Regimes gezeigt hat. Dieser ukrainisch-russische Krieg wird nun zunehmend schwieriger – weil er zu einem stagnierenden Krieg geworden ist und die Unterstützung der Ukraine in den USA zunehmend unpopulär geworden ist.
Der Aufstieg Chinas hat sich nicht nur durch sein enormes Wirtschaftswachstum vollzogen. Dies ging stets mit einer langfristigen Strategie der Modernisierung und des Ausbaus seiner Armee einher; und seine Seidenstraßen-Projekte offenbaren das Ausmaß seiner Ambitionen, ebenso wie seine Drohung, Taiwan in China integrieren zu wollen, und die Politik, eine größere Präsenz im Südchinesischen Meer zu etablieren – all dies wird von den westlichen Ländern bekämpft. Ein Projekt nach dem anderen, die der Seidenstraße entgegenwirken sollen, wurden von der EU, den USA und Indien eingefädelt.
Wir sehen eine weltweite Verschärfung der Spannungen, die immer mehr Länder erfasst, und der jüngste Krieg im Nahen Osten zeigt auch, dass die USA zunehmend die Kontrolle über ihren Gendarmen (Israel) in der Region verlieren. Mit der Entfesselung des Ersten Weltkriegs, des Zweiten Weltkriegs, des Kalten Krieges und der vielen Stellvertreterkriege danach ist der Militarismus zum Überlebensmodus des kapitalistischen Systems und zu einem echten Krebsgeschwür geworden, das sich in sein Herz frisst.
Allein diese Dynamik zeigt bereits, dass wir dieses Krebsgeschwür des Militarismus nicht ausrotten können, wenn der Kapitalismus nicht überwunden wird.
Gleichzeitig haben die führenden Politiker und „Experten“ auf der UN-Klimakonferenz in Dubai (COP 28) gezeigt, dass die herrschende Klasse nicht in der Lage und größtenteils nicht willens ist, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz des Planeten zu ergreifen. Das Schicksal unseres Planeten in den Händen der kapitalistischen Klasse zu belassen, bedeutet, dass die Menschheit ihr Todesurteil unterschreibt – ein weiterer dringender Grund, das kapitalistische System zu überwinden.
Wir werden nicht auf die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, der Hungersnöte und der massiven Flüchtlingsströme eingehen, die auf allen Kontinenten existieren, die allesamt Ausdruck derselben Sackgasse sind, in die der Kapitalismus die Menschheit getrieben hat.
Kurz gesagt: Wir können nicht verstehen, was geschieht, wenn wir nur einen Aspekt betrachten, sondern wir müssen die Gesamtheit und den Zusammenhang zwischen den verschiedenen zerstörerischen Komponenten verstehen.
Wie seht Ihr diesen Zusammenhang und die weltweite Entwicklung? Können wir die Ereignisse in einem Land verstehen, indem wir sie von den anderen isolieren, oder müssen wir sie in einem globalen Rahmen einordnen?
Wir haben auch festgestellt, dass es mehreren Gruppen gelungen ist, eine klare Position zum Krieg zwischen der Ukraine und Russland einzunehmen und die Unterstützung beider Seiten abzulehnen, während jedoch eine kristallklare internationalistische Position gegen den Krieg im Nahen Osten von einigen Gruppen vermieden wurde oder sehr viel schwieriger zu vertreten ist. Ein Grund dafür ist, dass viele Gruppen immer noch an der Idee festhalten, dass hinter der Bildung eines palästinensischen Staates etwas Fortschrittliches stecken könnte. Wir verteidigen die Position der Kommunistischen Linken, die in Kontinuität mit der Verteidigung des Internationalismus zur Zeit des Ersten Weltkriegs auch den Internationalismus zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und gegen so genannte „nationale Befreiungskämpfe“ verteidigt hat. Die Unterstützung der Bildung eines neuen Staates in der von der Dritten Internationale als „Epoche der Kriege und Revolutionen“ bezeichneten Zeit ist eine völlig reaktionäre Idee, die nur weitere Kriege fördert. Wir müssen für die Abschaffung aller Staaten eintreten. Das Überleben des Planeten – der Menschheit – kann nicht durch mehr Staaten gesichert werden, sondern gerade die Abschaffung aller Staaten und die Überwindung aller Formen des Nationalismus.
Das war auch die Tradition der Gauche Communiste de France und von Marc Chirik, von dem ihr kürzlich ein Interview veröffentlicht habt.
Wir wünschten, wir könnten etwas mit unmittelbarer Wirkung gegen den Krieg tun. Unsere Empörung und Entrüstung über die Barbarei in der Ukraine oder im Nahen Osten führen verständlicherweise dazu, dass wir die Kriegsmaschinerie sofort stoppen möchten!
Aber wir müssen verstehen, dass Empörung nicht ausreicht und dass es nicht realistisch ist, von der Arbeiterklasse zu erwarten, dass sie sofort und entschlossen und kurzfristig effizient gegen den Krieg vorgeht. Um diesen und alle anderen Kriege beenden zu können, müssen wir nichts Geringeres tun, als den Kapitalismus zu überwinden!
Um das wahre Ausmaß der Herausforderung und die notwendige Lösung zu verstehen, müssen wir die Geschichte betrachten.
Es ist wahr, dass die Aufstände und Revolutionen der Arbeiterklasse im Jahr 1905 oder im Ersten Weltkrieg aus einer Reaktion gegen den Krieg entstanden sind. Aber die Bedingungen des damaligen Krieges und die der Gegenwart sind sehr unterschiedlich. In den Jahren 1914–18 wurden Millionen von Soldaten in den Kerngebieten des Kapitals mobilisiert; dies ist heute nicht mehr der Fall. Die Waffen, die 1914–18 eingesetzt wurden, waren Kanonen, zunehmend Panzer und auch einige Luftangriffe und chemische Waffen (Gas). Aber in den Schützengräben war es immer noch ein Kampf „Gewehr gegen Gewehr“. Der Krieg stagnierte, man verschanzte sich, und es gab immer noch die Möglichkeit des direkten Kontakts (Zurufe zwischen den Schützengräben). So konnte es nach einiger Zeit zu einer Verbrüderung in den Schützengräben kommen.
All dies ist heute nicht mehr der Fall. Die Waffen (Kugeln, Raketen, Drohnen, Bomben, Flugzeuge usw.) können große Entfernungen zurücklegen, so dass die Soldaten den Feind nicht einmal sehen.
Im Ersten Weltkrieg kam es schließlich zu einer massiven Mobilisierung der Soldaten – nicht nur zu Desertionen. Ab 1915 gab es Schritt für Schritt immer mehr Proteste auf der Straße und in den Betrieben, denn der Krieg bedeutete Arbeitsverdichtung, Militarisierung, erzwungenen „sozialen Frieden“ in den Betrieben und vor allem Hunger. Karl Liebknecht sprach vor 60.000 Arbeiterinnen und Arbeitern auf dem Potsdamer Platz, und es kam zu immer mehr Straßendemonstrationen und wilden Streiks – wobei auch die massenhafte Einberufung von Frauen in die Fabriken eine wichtige Rolle spielte. Die gesamte militärische Front und die Heimatfront brachen auseinander. In Russland begannen die Arbeiter gegen die Offiziere zu kämpfen und sich zu verbrüdern, und auch die vielen zwangsrekrutierten Bauern reagierten gegen den Krieg. Der menschliche/soziale Faktor spielte in der Kriegsmaschinerie eine Schlüsselrolle. Dennoch vergingen von August 1914 bis Februar 1917, dann bis Oktober 1917, drei Jahre des Gemetzels, und selbst die Revolution in Russland konnte den Krieg an den anderen Fronten noch nicht beenden. Erst im November 1918, mit dem Ausbruch der Revolution in Deutschland, kam es zu einer entscheidenden Wende, die den Weltkrieg beendete. Die Kieler Soldaten und Marinesoldaten hatten den Auftrag, die „letzte Schlacht“ gegen Großbritannien zu schlagen, doch die Matrosen erkannten, dass dies ihren Tod bedeuten würde. Sie mussten also direkt um ihr Leben, um ihr Überleben kämpfen. Die Kombination aus einer beginnenden Verbrüderung an der militärischen Front und dem Ausbruch von Kämpfen an der Heimatfront zwang die Bourgeoisie in Deutschland zu reagieren.
Diese Bedingungen sind heute nicht mehr gegeben. In der Ukraine und in Russland werden immer mehr Soldaten rekrutiert, und eine nennenswerte Reaktion der Klasse gegen den Krieg hat es bisher nicht gegeben – auch wenn es eine massive Abwanderung von Männern aus der Ukraine und noch viel mehr aus Russland gegeben hat, die der Zwangsrekrutierung entgehen wollten. Ein massiver offener Widerstand gegen den Krieg in Russland ist nicht in Sicht. Im Moment scheint es noch keine größere Lebensmittelknappheit oder einen Zusammenbruch der Wirtschaft zu geben. Es ist eine Besonderheit der russischen Situation, dass die russische Wirtschaft so stark von Öl- und Gasexporten abhängig war, dass die Sanktionen des Westens/der USA Russland gezwungen haben, mehr an andere Länder zu verkaufen – was Russland geholfen hat, Zeit zu gewinnen, und dem Putin-Regime geholfen hat, einen massiven wirtschaftlichen Angriff auf die Arbeiterklasse zu vermeiden. Aber dieser Zeitgewinn wird wahrscheinlich nicht ewig anhalten, und die Reaktion der Arbeiterklasse in Russland, die ein Schlüsselfaktor für die Ablehnung des Krieges wäre, bleibt ein unbekannter, unvorhersehbarer Faktor. Die Arbeiterklasse in der Ukraine ist noch mehr mit einem allgegenwärtigen Nationalismus konfrontiert. Jeglicher Widerstand gegen den Krieg wird wahrscheinlich vom Selenskyj-Regime niedergeschlagen werden.
Deshalb müssen wir uns die Arbeiterklasse im Westen ansehen. Weil die Arbeiterklasse im Westen nicht direkt für den Krieg mobilisiert werden kann – die meisten Arbeiter würden es ablehnen, ihr Leben für den Krieg zu opfern – und weil die NATO-Länder es sorgfältig vermieden haben, mit Stiefeln das Schlachtfeld zu betreten, weil sie wissen, dass die Arbeiterklasse und vielleicht andere Teile der Bevölkerung im Westen dies nicht unterstützen würden. So hat der Westen vor allem das gesamte Waffenarsenal geliefert, das zur Verlängerung des Krieges notwendig ist.
Paradoxerweise sind die Reaktionen in den USA in der republikanischen Partei sehr aufschlussreich. Die Ablehnung, den Krieg in der Ukraine weiter zu finanzieren, wächst, weil dies auf Kosten der US-Wirtschaft gehen würde. Sie sind sich auch bewusst, dass die Arbeiterklasse nicht bereit ist, ihr Leben zu opfern und für den Krieg in der Ukraine zu hungern.
Ein weiterer Faktor muss in Betracht gezogen werden. Im Oktober 1917 gelang es der Arbeiterklasse in Russland, eine relativ schwache und zu diesem Zeitpunkt noch isolierte Bourgeoisie zu stürzen. Die „Weiße Gegenoffensive“ mit dem Bürgerkrieg begann erst ein Jahr später.
Aber die deutsche Bourgeoisie war eine viel erfahrenere und mächtigere Bourgeoisie, und sie war in der Lage, den Krieg im November 1918 „über Nacht“ zu beenden, als die Matrosen von Kiel begannen, sich zu bewegen und Soldaten und Arbeiterräte zu gründen, die den Weg der russischen Revolution einschlugen.
Das deutsche Proletariat sah sich also einer viel erfahreneren, intelligenteren Bourgeoisie gegenüber, die sofort von den anderen Bourgeoisien unterstützt wurde, sobald das Proletariat in Deutschland sein Haupt zu erheben begann.
Heute steht die Arbeiterklasse einer zunehmend zerstritteneren Kapitalistenklasse gegenüber, die aber trotz ihrer Zerstrittenheit mehr denn je entschlossen ist, ihre Kräfte zu bündeln, wenn ihr Todfeind, die Arbeiterklasse, ihr Haupt erhebt. Und sie können auch auf die Gewerkschaften, die linken Parteien usw. zählen, um die Kämpfe der Arbeiter zu sabotieren. Eine unmittelbare Dynamik in Richtung einer Radikalisierung der Kämpfe gegen den Krieg ist also noch nicht zu erwarten.
Wo liegt der Schlüssel?
Der Schlüssel liegt immer noch in den Händen der Arbeiterklasse.
Wir sind der Meinung, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen in Großbritannien, Frankreich und seit kurzem auch in den USA begonnen haben, den Beweis dafür zu erbringen. Angetrieben von der Inflation oder anderen starken Angriffen hat die Arbeiterklasse in vielen Ländern begonnen, sich zu bewegen und eine jahrzehntelange Periode der Passivität und Desorientierung angesichts der sich entfaltenden Ereignisse zu durchbrechen. Deshalb sprechen wir von einem „Bruch“ im Klassenkampf.[3]
Wir denken, dass diese Fähigkeit der Arbeiterklasse, ihre wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen, die Voraussetzung für die Entwicklung ihrer Stärke, ihres Selbstbewusstseins ist, durch die das Proletariat sich selbst erkennen und klar verstehen kann, dass es zwei große Klassen gibt, die einander gegenüberstehen.
In diesem Sinne sind die wirtschaftlichen Verteidigungskämpfe absolut notwendig. In diesen wirtschaftlichen Kämpfen muss die Arbeiterklasse lernen, die Kämpfe selbst in die Hand zu nehmen (was sie schon lange nicht mehr getan hat), sie muss wieder lernen, ihre wirklichen Feinde (dies sind nicht die Migranten, die Flüchtlinge – wie alle Populisten und die Rechten behaupten – sondern diejenigen, die sie ausbeuten!) und ihre Klassenbrüder und -schwestern zu identifizieren, die eine Klassensolidarität entwickeln können, indem sie sich zusammenschließen und die Kämpfe selbst aufnehmen.
Und durch die wirtschaftlichen Abwehrkämpfe müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter wieder lernen zu erkennen, dass die Probleme viel tiefer im System verwurzelt sind und nicht die Schuld irgendeines faulen und gierigen Bankers sind (wie uns die Occupy-Bewegung von 2011 glauben machen wollte) und dass auch alle anderen Bedrohungen für das Überleben der Menschheit im Grunde im System verwurzelt sind. So braucht dieser Prozess der Politisierung das Feuer des Klassenkampfes, aber die Diskussionen, die in verschiedenen Teilen der Klasse geführt werden, können durch diese offenen Kämpfe vorangetrieben und katalysiert werden.
Rosa Luxemburg betonte im November/Dezember 1918 die Unverzichtbarkeit eines viel stärkeren Drucks von Seiten der Fabriken und der ökonomischen Kämpfe, nachdem der „Soldatenrevolution“ durch die Entscheidung der Bourgeoisie, den Krieg zu beenden, der Wind aus den Segeln genommen worden war.
Dies ist die Dynamik des Klassenkampfes seit 1905, als klar wurde, dass politische und wirtschaftliche Kämpfe in einem großen Strom zusammenfließen müssen: dem Massenstreik.
Und indem die Arbeiterklasse durch den Kampf für ihre wirtschaftlichen Interessen zu einer Klasse zusammenwächst, kann sie auch den zerstörerischen Einfluss aller Arten von trennenden Faktoren wie „identitären“ Themen (um Rasse, Sexualität usw.) blockieren. Indem die Arbeiterklasse durch ihre wirtschaftlichen Kämpfe gezwungen ist, die Solidarität aller anderen Arbeiterinnen und Arbeiter zu suchen, um sich dem Staat zu widersetzen, und durch die Ausweitung und Vereinheitlichung der Kämpfe stärker als die Kapitalistenklasse zu sein, kann die Arbeiterklasse die Rolle eines Magneten in der Gesellschaft spielen, der all jenen eine Perspektive bietet, die vom Kapital unterdrückt werden – nicht indem sie sich in einer anonymen Masse von Individuen auflöst, sondern indem sie als vereinte Kraft gegen die herrschende Klasse auftritt.
Wenn wir darauf bestehen, dass die Klasse ihre ökonomischen Kämpfe entwickeln muss, bedeutet das mitnichten, dass wir vor unserer Verantwortung gegenüber dem Krieg davonlaufen. Aber es ist der einzige Weg, um eine effiziente Antwort zu entwickeln. Zu glauben, dass eine sofortige Lösung durch irgendeine Art von Minderheiten-“Aktion“ gefunden werden kann, ist eine Sackgasse und wird letztendlich diejenigen, die sich daran beteiligen, demoralisieren.
Es ist unerlässlich zu verstehen, wie Anton Pannekoek in seinem berühmten Buch „Weltrevolution und kommunistische Taktik“ von 1920 betonte, dass die proletarische Revolution die erste Revolution in der Geschichte ist, die vollständig von der kollektiven, bewussten und massiven Aktion der Arbeiterklasse abhängt. Sie kann auf keine andere Kraft zählen als auf ihre eigene Stärke – ihr Bewusstsein und ihre Solidarität, ihre Fähigkeit zur Einigung.
Sich Illusionen über einen einfachen und schnellen Ausweg zu machen, ist irreführend und demoralisierend. Deshalb haben wir den Plan der Internationalist Communist Tendency ICT, Komitees gegen den Krieg (NO War But The Class War, NWBTCW) zu bilden, abgelehnt. Unserer Ansicht nach vernebeln diese Komitees die wesentliche politische Rolle, die revolutionäre Organisationen angesichts imperialistischer Kriege spielen müssen. Wir haben mehrere Artikel darüber geschrieben.[4]
Kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges haben wir auch in einem Artikel über Militarismus und Zerfall zu dieser Frage Stellung genommen, aus dem wir hier zitieren:
„8) In der Vergangenheit haben wir die Losung des "revolutionären Defätismus" kritisiert. Diese Losung, die während des Ersten Weltkriegs insbesondere von Lenin hervorgehoben wurde, beruhte auf einem grundlegend internationalistischen Anliegen: der Entlarvung der von den Sozialchauvinisten verbreiteten Lügen, dass ihr Land zuvor den Sieg erringen müsse, damit die Proletarier dieses Landes in den Kampf für den Sozialismus eintreten könnten. Angesichts dieser Lügen wiesen die Internationalist:innen darauf hin, dass nicht der Sieg eines Landes den Kampf der Proletarier dieses Landes gegen ihre Bourgeoisie förderte, sondern im Gegenteil seine Niederlage (wie die Beispiele der Pariser Kommune nach der Niederlage gegen Preußen und der Revolution von 1905 nach dem Debakel Russlands gegen Japan gezeigt hatten). Später wurde diese Parole des "revolutionären Defätismus" so interpretiert, dass das Proletariat in jedem Land die Niederlage der eigenen Bourgeoisie herbeisehnt, um den Kampf für deren Sturz zu fördern, was natürlich einem echten Internationalismus den Boden entzieht. In Wirklichkeit hat Lenin selbst (der 1905 die Niederlage Russlands gegen Japan begrüßt hatte) vor allem die Losung "Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg" hervorgehoben, die eine Konkretisierung des Änderungsantrags darstellte, den er zusammen mit Rosa Luxemburg und Martow auf dem Stuttgarter Kongress der Sozialistischen Internationale 1907 eingebracht und durchgesetzt hatte: "Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.“ (Internationaler Sozialistenkongress zu Stuttgart, 1907)
Die Revolution in Russland 1917 war eine glänzende Umsetzung der Losung "Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg": Die Proletarier richteten die Waffen, die ihnen die Ausbeuter anvertraut hatten, um ihre Klassenbrüder in anderen Ländern abzuschlachten, gegen ihre Ausbeuter. Obwohl es, wie oben erwähnt, nicht ausgeschlossen ist, dass Soldaten ihre Waffen gegen ihre Offiziere richten könnten (im Vietnamkrieg kam es vor, dass amerikanische Soldaten "versehentlich" Vorgesetzte töteten), wären solche Vorfälle nur von sehr begrenztem Ausmaß und könnten in keiner Weise die Grundlage für eine revolutionäre Offensive bilden. Aus diesem Grund sollten wir in unserer Propaganda weder die Losung des "revolutionären Defätismus", noch die Losung der "Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg" in den Vordergrund stellen.
Aus diesem Grund muss in unserer Propaganda nicht nur die Losung vom "revolutionären Defätismus", sondern auch die Losung von der "Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg" in Frage gestellt werden.
Allgemeiner gesagt, ist es die Verantwortung der Gruppen der Kommunistischen Linken, eine Bilanz der Positionierung der Revolutionäre gegenüber dem Krieg in der Vergangenheit zu ziehen, indem sie herausstellen, was weiterhin gültig ist (die Verteidigung der internationalistischen Prinzipien) und was nicht mehr gilt (die "taktischen" Losungen). In diesem Sinne kann zwar die Losung von der "Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg" von nun an keine realistische Perspektive mehr darstellen, aber es ist andererseits angebracht, die Gültigkeit des 1907 auf dem Stuttgarter Kongress angenommenen Zusatzes zu betonen und insbesondere die Idee, dass Revolutionäre "die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen" haben. Diese Losung ist angesichts der gegenwärtigen Schwäche des Proletariats natürlich nicht sofort umsetzbar, aber sie bleibt ein Wegweiser für das Eingreifen der Kommunisten in die Klasse.“ [5]
Was dies für die Rolle der Revolutionäre bedeutet, die eine kleine Minderheit sind, haben wir in unserer „Gemeinsamen Erklärung gegen den Krieg“ und in unserem Aufruf an die Gruppen der Kommunistischen Linken, den ihr vielleicht gesehen habt, zu entwickeln versucht.[6]
Wir würden uns freuen, wenn ihr uns über die Diskussionen in euren Reihen informieren würdet, und wir sind natürlich auch gerne bereit, direkt mit euch zu diskutieren. Wenn ihr Material habt, das ihr uns zur Lektüre empfiehlt, schickt es uns bitte zu.
Wir hoffen, dass wir bald einen direkten Austausch in die Wege leiten können.
Wir sind gespannt auf eure Entgegnung – und entschuldigt uns nochmals die späte Antwort.
Kommunistische Grüße
Internationale Kommunistische Strömung IKS
10.12.2023
Der Kapitalismus führt zur Zerstörung der Menschheit, nur die Weltrevolution des Proletariats kann dem ein Ende setzen [476] (Beilage zur Weltrevolution: Drittes Manifest der IKS)
Massaker und Kriege in Israel, Gaza, der Ukraine, Aserbaidschan...
Der Kapitalismus sät den Tod! Wie kann er daran gehindert werden? [477] (Flugblatt, November 2023)
Die Realität hinter den bürgerlichen Slogans [478], IKSonline 2023
Der Krieg im Nahen Osten: ein weiterer Schritt in die Barbarei und das globale Chaos [479], Weltrevolution Nr. 186
Aktualisierung des Orientierungstextes von 1990: Militarismus und Zerfall (Mai 2022) [480], Internationale Revue Nr. 58
Bericht des 25. Kongresses über die imperialistischen Spannungen [481], Internationale Revue Nr. 59
[2] The revolutionary movement and the Second World War: interview with Marc Chirik, 1985 [483]; Between internationalism and the “defence of the nation” [273]. Der Artikel von AMI selber Anarchistischer Antimilitarismus und Mythen über den Krieg in der Ukraine [484] ist eine sehr klare Antwort auf die Argumente der “Anarcho-Verteidiger”.
[3] Unser Artikel dazu in Englisch: The struggle is ahead of us! [485], World Revolution 398
[4] Die ICT und die Initiative NWBTCW: ein opportunistischer Bluff der die Kommunistische Linke schwächt [486], Weltrevolution Nr. 186
[5] Aktualisierung des Orientierungstextes von 1990: Militarismus und Zerfall (Mai 2022) [480], Internationale Revue Nr. 58
[6] Ukraine Dossier: Capitalism is War - War on Capitalism! [487]
Gemeinsame Erklärung von Gruppen der internationalen Kommunistischen Linken zum Krieg in der Ukraine [278], Internationale Revue Nr. 58
Schluss mit den Massakern, keine Unterstützung für irgendein imperialistisches Lager! Nein zu pazifistischen Illusionen! Proletarischer Internationalismus! [488], IKS Online, Oktober 2023
Wir veröffentlichen hier eine Korrespondenz mit T., einem Kontakt in Deutschland, der sich auf die Mobilisierungen zur Unterstützung von "Freiheit für Palästina" konzentriert.
Genossen,
hier ist ein Diskussionsbeitrag von mir:
Eine Kritik von mir ist, dass die IKS andere politische Positionen, die nicht dem Verständnis der IKS von Internationalismus entsprechen, als anti-internationalistisch darstellt. Lenin hatte eine andere Position zum anti-kolonialen/anti-imperialistischen Kampf als Rosa Luxemburg – ist er aber etwa kein Internationalist gewesen? Eine kurze Recherche zum Thema ergibt, dass Lenin ganz klar den anti-kolonialen Kampf politisch unterstützt. Zentral ist hierbei das „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“. Er schreibt: „Die Sozialisten haben nicht nur die bedingungslose und sofortige Befreiung der Kolonien zu fordern – diese Forderung bedeutet aber politisch nichts anderes als die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen – sondern sie müssen auch revolutionäre Elemente in den bürgerlich-demokratischen nationalen Befreiungsbewegungen in diesen Ländern entschieden unterstützen und ihrer Auflehnung, ihren Aufständen, respektive ihrem revolutionären Kriege gegen die sie unterjochenden imperialistischen Staaten beistehen.“[1]
Er wirft darüber hinaus denjenigen Sozialisten, die nicht für das Selbstbestimmungsrecht eintreten vor, dass sie Lakaien der imperialistischen Bourgeoisie sind. Er schreibt in Bezug auf diese Sozialisten: „[…] daß solche Sozialisten als Chauvinisten, als Lakaien der von Blut und Schmutz triefenden imperialistischen Monarchien und imperialistischen Bourgeoisie handeln“.[2]
Und Lenin bringt auch noch etwas Wichtiges auf den Punkt: „Als Gegengewicht zu dieser spießbürgerlichen opportunistischen Utopie muß das Programm der Sozialdemokratie als das Grundlegende, Wesentliche und Unvermeidliche beim Imperialismus die Einteilung der Nationen in unterdrückte und unterdrückende hervorheben.“[3]
Auch wenn der Imperialismus ein Welt-System ist und ich auch der Überzeugung bin, dass es keine „fortschrittlichen“ nationalen Kämpfe geben kann, so stellt sich trotzdem folgende Frage: Ist der Nationalismus des israelischen Staates das GLEICHE wie der Nationalismus der Palästinenser? Gibt es hier aus Sicht der IKS keinen Unterschied zwischen der unterdrückenden Seite und der unterdrückten Seite? Um es also mal ganz deutlich auf den Punkt zu bringen: Zwar sehe ich, dass die nationalistisch-religiöse Politik von Teilen der palästinensischen Bevölkerung keine emanzipatorische, sozialistische Perspektive bietet (sondern eher unterdrückt). Insofern ist die Kritik daran auch unerlässlich. ABER: Wo führt eine Politik hin, die nicht zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem unterscheidet? Diese Ebene der Unterdrückung fehlt in der Analyse der IKS. Denn faktisch besteht eine Unterdrückung auf der Ebene der Nationalität – wie Lenin sagt, ist dies ein Wesentliches Element am Imperialismus! Dieser Aspekt wird von der IKS nicht angesprochen, nicht ausgeführt, sondern eher ausgeblendet.
Wenn es aus Sicht der IKS keinen Unterschied geben sollte, würde dies zumindest erklären, warum das mörderische Vorgehen des israelischen Staates nicht im Fokus der Agitation steht. Es würde auch erklären, warum die Kritik am deutschen Staat und am imperialistischen Westen, mit Israel als Verbündetem, so zaghaft ist.
Ich komme zu keiner abschließenden Lösung des Problemfelds. Ich schließe mich auch nicht Lenins Position vollumfänglich an, finde aber, dass er wichtige Aspekte anspricht.
Die Positionierung der IKS wirkt schablonenhaft, da exakt die gleichen Argumente ins Feld geführt werden sowohl beim Ukraine-Krieg als auch beim Palästina-Krieg. Beide Fälle haben Gemeinsamkeiten – welche die IKS hervorhebt (These der Dekadenz, Beispiel für Zerfallsstadium) –, aber unterscheiden sich auch in wichtigen Punkten. Beispielsweise: Die Ukraine ist ein Staat, welcher von der NATO hoch-gerüstet wird. Palästina ist kein Staat. Sondern ein besetztes Gebiet, welches von der Besatzungsmacht eine „Autonomie-Behörde“ zugesprochen bekam. Es gibt viele weitere Unterschiede, dies war nur ein Beispiel.
Des Weiteren: Es stellt sich die Frage, wie es überhaupt zu dem Angriff der militanten Gruppen und dem blutigen Massaker am 7. Oktober kam. In Israel fragen sich einige (oder viele?) Leute: Wo war der Mossad und wo war die Armee? Haben sie nicht gnadenlos versagt? Wie konnte das geschehen? Die IKS übernimmt hier ganz einfach die offiziellen „Fakten“ und die offizielle Erklärung der Geschehnisse – die uns ja von interessierter Seite aufgetischt werden.
Hier kann ich sogar auf einen älteren Artikel der IKS verweisen, in welchem steht: „Allzu oft, wenn die IKS den Machiavellismus der Bourgeoisie enthüllt, beschuldigen unsere Kritiker uns, in eine verschwörerische Sichtweise der Geschichte abzugleiten. Jedoch ist ihr Unverständnis in diesem Zusammenhang nicht einfach ein Missverständnis unserer Analyse, sondern schlimmer noch: Sie fallen dem ideologischen Gewäsch der bürgerlichen Apologeten in den Medien und Akademien zum Opfer, deren Job es ist, diejenigen, die versuchen, die Strickmuster und Prozesse innerhalb des politischen, ökonomischen und sozialen Lebens der Bourgeoisie zu ermitteln, als irrationale Verschwörungstheoretiker zu verunglimpfen. Doch ist es nicht einmal kontrovers zu behaupten, dass „Lügen, Terror, Zwang, Doppelspiel, Korruption, Komplotte und politische Attentate“ zum Rüstzeug der ausbeuterischen, herrschenden Klassen in der gesamten Geschichte gehören, ob im Altertum, im Feudalismus oder im modernen Kapitalismus.“[4]
Den möglichen Machiavellismus seht ihr aktuell auf jeden Fall nicht bezüglich des 7. Oktobers! So sind schon Dokumente aufgetaucht, die große Fragen aufwerfen, siehe: „Dokumente enthüllen israelische Verschwörung zur Förderung des Angriffs vom 7.Oktober“.[5]
In einer englischen Publikation der IKS steht ein wichtiger Gedanke, der die Wichtigkeit des Themenkomplexes darstellt: „Aber es gibt noch etwas Schlimmeres: Diese Büchse der Pandora wird sich nie wieder schließen. Wie im Irak, in Afghanistan, in Syrien und in Libyen wird es kein Zurück, keine „Rückkehr zum Frieden“ geben.“[6]
Dies trifft meiner Meinung nach völlig zu. Die Problematik, welche ich darstellen wollte, liegt darin begründet, inwiefern der Abscheu gegenüber der hässlichen Fratze des westlichen Imperialismus in kollektivem Widerstand mündet. Einem Widerstand, der sich gegen die imperialistische Kriegslogik erheben kann. Wer hierbei die konkrete Ausformung des westlichen Imperialismus – wie wir es aktuell in der wahllosen Ermordung von über 10 000 Menschen im Gaza-Streifen sehen – nicht als Anknüpfungspunkt nimmt, lässt ein taktisches Vorgehen vermissen.
Beispielsweise gab es schon proletarische Aktionen, wie die Weigerung von Hafen-Arbeitern, Waffen und Munition zu verladen, die im Gaza-Krieg eingesetzt werden sollten. Davon erfährt man in der Presse der IKS leider auch nichts. – Dabei könnte genau dies ein konkreter, kleiner Schritt des proletarischen Internationalismus sein.
Folgende Einschätzung ist in ihrer verallgemeinerten Aussage nicht richtig und erinnert an die Verlautbarungen aus deutsch-imperialistischen Regierungskreisen: „Trotzdem nehmen sie [die Demonstranten] in Wahrheit an in ihrem Charakter kriegsbefürwortenden Demonstrationen teil, bei denen die Leitparole „Palästina wird frei sein, vom Fluss bis zum Meer“ nur durch die militärische Zerstörung Israels und die massenhafte Ermordung und Vertreibung der israelischen Juden erreicht werden kann – eine umgekehrte Nakba.“ (IKSonline-Beitrag)[7]
„In Wahrheit [nehmen sie] an in ihrem Charakter kriegsbefürwortenden Demonstrationen teil“? Sicherlich gibt es viele Teilnehmer, welchen die Problematik der nationalistisch-religiösen Zuspitzung nicht bewusst ist, und es gibt auch offen reaktionäre Kräfte. Den Demonstrationen aber einen grundlegend kriegsbefürwortenden Charakter zuzusprechen ist falsch. Und wie oben schon erwähnt, sehr gut kompatibel mit den offiziellen Verlautbarungen des deutschen und europäischen Imperialismus. Denn was der jetzt nicht gebrauchen kann, ist Widerspruch zum Schlachten in Gaza. Deshalb werden die Kritiker massiv angegangen und Demonstrationen verboten. Und die IKS ist dabei der Meinung, dass es sich um „kriegsbefürwortende Demonstrationen“ handelt?
Die multi-ethische Arbeiterklasse in Europa und den USA erhebt ihre Stimme gegen den Krieg – millionenfach! – und die IKS ist der Meinung, sie nehmen an „kriegsbefürwortenden Demonstrationen“ teil?
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Wir begrüßen den Beitrag des Genossen. Er hat sich wirklich bemüht, seine Position angesichts des Krieges im Nahen Osten zu erläutern, die sich hauptsächlich auf die von Lenin während des Ersten Weltkriegs entwickelten Positionen stützt. Mit seiner Kritik trägt er zur Klärung des Charakters des Gaza-Krieges bei, der einigen politischen Gruppen bereits ernste Probleme bei der Verteidigung der Perspektive der Weltarbeiterklasse bereitet hat. Für uns ist dies ein Grund mehr, auf diesen Beitrag sorgfältig zu reagieren.
Aber wir wollen mit einer methodologischen Frage beginnen. Da der Genosse keine Aussagen über den analytischen Rahmen, den wir verwenden, um unsere Position angesichts dieses Krieges zu entwickeln, macht, wissen wir nicht, ob seine Kritik nur bestimmte Punkte in der Analyse oder den gesamten politischen Ansatz der IKS betrifft. Es ist zum Beispiel nicht klar, ob der Genosse zu 100% mit dem vom der IKS vertretenen Internationalismus einverstanden ist oder nur unter bestimmten Bedingungen.
Auf jeden Fall scheint der Genosse mit uns darin übereinzustimmen, dass "diese Büchse der Pandora nie wieder geschlossen werden wird. Wie im Irak, in Afghanistan, Syrien und Libyen wird es kein Zurück mehr geben, keine 'Rückkehr zum Frieden'." Das ist ein wichtiger Punkt, denn daraus schließen wir, dass der Genosse mit uns übereinstimmt, was das Konzept der Irrationalität dieses Krieges angeht, in dem es keine Gewinner geben wird, sondern nur Zerstörung und weiteres Chaos. Aber diese Position ist nicht ohne Folgen, denn eine solche Position macht es sinnlos, eines der beiden Lager in diesem Krieg zu unterstützen. Vor allem, wenn der Genosse auch noch behauptet, dass in der Epoche des Imperialismus "fortschrittliche" nationale Kämpfe nicht mehr möglich sind.[8]
Deshalb sind wir umso erstaunter, dass der Genosse die Theorie der unterdrückenden und unterdrückten Nationen anführt, indem er den Worten Lenins folgt, dass "das Grundlegende, Wesentliche und Unvermeidliche beim Imperialismus die Einteilung der Nationen in unterdrückte und unterdrückende" ist[9]. Und zur Untermauerung dieser Position fügt er hinzu, dass "Palästina kein Staat" sei.
Es ist nicht ganz klar, was der Genosse damit sagen will, aber er scheint zu sagen, dass die palästinensische Nation der israelischen Nation nicht gleichgestellt ist, dass die Palästinenser in Wirklichkeit eine unterdrückte nationale Minderheit innerhalb des israelischen Staates sind, eine Vorstellung, die wir akzeptieren können. Dies ist eine ähnliche Situation wie die der unterdrückten Nationen im zaristischen Russland vor 1917. Und es war Lenin, der deshalb das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" verteidigte. Doch diese taktische Position, die darauf abzielte, die Bedingungen für die Weltrevolution zu begünstigen, erwies sich als verhängnisvoll, als sie nach der Oktoberrevolution in die Praxis umgesetzt wurde. Rosa Luxemburg kritisierte 1918 zu Recht diese "Taktik", u.a. in ihrer Broschüre Zur Russsichen Revolution.
Darin zeigte Rosa Luxemburg anhand der empirischen Fakten, dass die Nationen, als sie nach dem Oktober 1917 die "Selbstbestimmung" erhielten, sofort zu reaktionären Formationen wurden und sich nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen die Revolution wandten.[10]
Dies geschah aufgrund der Tatsache, dass der Kapitalismus in seine Dekadenzphase eingetreten war, eine völlig gespaltene Welt, die sich in einer historischen Krise und einem unumkehrbaren Niedergang befand. Der zunehmende Wettbewerb zwischen den Großmächten um einen Anteil am Weltmarkt führte zu militärischen Spannungen, die im Ersten Weltkrieg gipfelten. Nach dem Ersten Weltkrieg und angesichts des Scheiterns der wirtschaftlichen "Heilmittel" für die Krise des Kapitalismus blieb der Bourgeoisie als einziger Ausweg aus der Sackgasse nur noch die Flucht in Militarismus und Krieg. Aber auch die kleineren Nationen konnten sich dieser Logik nicht entziehen. Wenn sie überleben wollten, mussten sie die Flucht in den Militarismus akzeptieren und sich den globalen Forderungen der imperialistischen Großmächte beugen.
Jede nationale Bourgeoisie muss sich der Logik des permanenten Krieges des Kapitals, ihrer Lebensweise und der daraus folgenden Kette von imperialistischen Konflikten unterwerfen. Nationale Befreiung ist gleichbedeutend mit imperialistischem Krieg geworden und die Ideologie der "nationalen Befreiung" in der Dekadenz des Kapitalismus ist reaktionär.
Die Unterscheidung Lenins zwischen unterdrückenden und unterdrückten Nationen ist nicht falsch, aber sie berührt nicht die Wurzeln der kapitalistischen Produktionsweise. Unterdrückung und Unterdrückte sind überstrukturelle Merkmale, die keinen direkten Bezug zur Basis haben, und die Abschaffung einer bestimmten Form der Unterdrückung hat keine grundlegenden Auswirkungen auf die materiellen Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft. Der Kampf der Unterdrückten oder gar die Abschaffung der Unterdrückung von Palästinensern, Schwarzen oder Frauen – wenn dies im Kapitalismus überhaupt möglich wäre – hebt eben dieses System nicht auf. Im Gegenteil, wie im Fall der Palästinenser können wir sogar erwarten, dass ihre "Befreiung" vom unterdrückenden israelischen Regime, wenn sie überhaupt jemals gelingen sollte, mit Sicherheit zu einem Unterdrückungsregime wie in den anderen islamischen Staaten der Region führen würde und somit nicht zur Unterminierung des Kapitalismus – geschweige denn zu seiner Abschaffung.
Lenins Position, dass "das Grundlegende, Wesentliche und Unvermeidliche beim Imperialismus die Einteilung der Nationen in unterdrückte und unterdrückende" ist[11], lässt das Fenster weit offen für die Ansicht, dass alle Klassen in den unterdrückten, nicht-imperialistischen Nationen ein gemeinsames Interesse am Kampf gegen die unterdrückende Nation haben. Mit anderen Worten: Die Unterscheidung zwischen "Aggressoren und Angegriffenen", zwischen "Unterdrückern und unterdrückten Nationen" ist nicht nur ungültig, sondern bildet den ideologischen Rahmen, um die ausgebeutete Klasse in Kriege zur Verteidigung von Interessen zu ziehen, die nicht ihre eigenen sind. Daher wird sie von der extremen Linken des Kapitals häufig verwendet, um die Arbeiter aufzufordern, den Kampf der unterdrückten nationalen Bevölkerungen im Rahmen des imperialistischen Krieges zu unterstützen. Die wirklichen Klasseninteressen werden ausgeblendet und durch die "Interessen des Volkes" und die allgemeinen Interessen der unterdrückten Nation ersetzt.[12]
In seiner Theorie ging Lenin nicht nur von überstrukturellen Merkmalen aus, er teilte die Länder der Welt auch in drei Haupttypen ein und entwickelte für jeden dieser drei Typen eine andere Politik.[13] Aber die Arbeiterklasse ist eine internationale Klasse, und jede Politik, die darauf abzielt, die beste Taktik für jeden Teil der Welt zu definieren, steht im Widerspruch zu dem Prinzip, dass die proletarische Revolution auf weltweiter Ebene stattfinden muss und nicht nach den spezifischen Bedingungen in diesem oder jenem Teil der Welt. In diesem Sinne hat Rosa Luxemburg Recht, dass "jede sozialistische Politik, die dieses bestimmende historische [imperialistische] Milieu außer Acht lässt und sich nur von den isolierten Gesichtspunkten eines Landes inmitten des Weltstrudels leiten lassen will, von vornherein auf Sand gebaut ist".[14]
Im Gegensatz zum Genossen sind wir davon überzeugt, dass der Gazastreifen nicht nur ein nationales Gebilde ist, sondern dass das Regime in Gaza auch mehrere Funktionen eines bürgerlichen Staates hat: Es treibt Steuern ein und verfügt über eine Armee, einen Justizapparat, Haftanstalten, Geheimdienst- und Polizeipersonal usw. Es ist die De-facto-Verwaltung der Hamas, die diese staatlichen Funktionen ausübt und seit 2005 unter der Leitung einer stark zentralisierten Kommandozentrale in der Lage ist, Tausende von Raketen auf israelisches Gebiet abzufeuern. Es gibt nur eine mögliche Schlussfolgerung: Der Krieg in Gaza ist ein Krieg zwischen zwei imperialistischen Staaten.
Deshalb stimmen wir nicht mit dem Genossen überein, wenn er die Schlussfolgerung zieht, dass Revolutionäre als Ausgangspunkt für ihre taktische Position die "Abscheu gegenüber der hässlichen Fratze des westlichen Imperialismus (...), wie wir es aktuell in der wahllosen Ermordung von über 10.000 Menschen im Gazastreifen sehen", nehmen sollten. In Übereinstimmung mit den Positionen, die von der Tradition der Kommunistischen Linken verteidigt werden, entscheidet sich die IKS nicht für eines der imperialistischen Lager, weder aus taktischen Gründen noch wegen der Massaker und Gräueltaten, die von einem der imperialistischen Lager verursacht werden. Aber der Genosse scheint eine andere Sichtweise zu haben, die als konkreter Ausdruck seines theoretischen Ansatzes in der Kritik an der Position der IKS gegenüber den pro-palästinensischen Demonstrationen deutlich zum Ausdruck kommt.
In seiner Kritik kommt der Genosse zu dem Schluss, dass diese Demonstrationen im Gegensatz zu der in unserem Artikel Die Realität hinter den bürgerlichen Slogans vertretenen Position keine Pro-Kriegs-Demonstrationen waren. Nach Ansicht des Genossen handelte es sich um Pro-Palästina-Demonstrationen, die von den Arbeitern unterstützt wurden, und deshalb wurde die Kritik der Demonstranten an der Politik der westlichen Bourgeoisie von den Mainstream-Medien angegriffen.
Indem sie nicht die richtige taktische Haltung einnimmt, reiht sich die IKS angeblich in den Chor der anti-palästinensischen Kampagne ein. Aber unser Artikel hat Recht, wenn er sagt, dass der Slogan "Palästina wird frei sein, vom Fluss bis zum Meer" nur die ethnische Säuberung der jüdischen Bevölkerung in der Region zwischen Jordan und Mittelmeer bedeuten kann, "eine Nakba in umgekehrter Form". Und das hat nichts mit einer anti-palästinensischen oder pro-israelischen Position zu tun, sondern mit einer Position, die die Situation im Nahen Osten aus der Perspektive des Proletariats betrachtet und analysiert, der einzigen Klasse, die in der Lage ist, die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden und somit nicht von den antagonistischen Interessen der imperialistischen Staaten bestimmt wird.
Abschließend ist zu sagen, dass Krieg nicht das Ergebnis einer bestimmten Politik ist, die "mehr oder weniger nationalistisch", "mehr oder weniger aggressiv" usw. ist, sondern das Produkt des kapitalistischen Systems als Ganzes, das sich aus seiner Natur und den historischen Tendenzen der Dekadenz ergibt, denen kein Teil der herrschenden Klasse entkommen kann. In diesem Sinne gibt es in der Tat keinen Unterschied zwischen dem Nationalismus Israels und dem Nationalismus Palästinas: Beide Ideologien sind ein Deckmantel für die Kriegstreiberei und für die Unterdrückung der Arbeiterklasse durch den bürgerlichen Staat.
Dennis, Februar 2024
[1] W.I. Lenin, Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1916/01/nationen.html [489]
[2] ebenda
[3] ebenda
[4] Pearl Harbor 1941, Twin Towers 2001, Internationale Revue Nr. 29, https://de.internationalism.org/content/719/pearl-harbor-1941-twin-towers-2001 [490]
[6] Weder Israel noch Palästina! Die Arbeiterklasse hat kein Vaterland!, IKSonline 2023, https://de.internationalism.org/content/3139/weder-israel-noch-palaestina-die-arbeiterklasse-hat-kein-vaterland [492]
[7] https://de.internationalism.org/content/3163/die-realitaet-hinter-den-buergerlichen-slogans [478]
[8] Um Missverständnissen vorzubeugen: Für die IKS führten die "fortschrittlichen" nationalen Kämpfe im 19. Jahrhundert zur Bildung einer größeren Einheit der Bourgeoisie in bestimmten Gebieten, zur Zentralisierung der nationalen Wirtschaft und zur Integration von mehr Arbeitskraft.
[9] W.I. Lenin, Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, These 3: Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen und seine Beziehung zur Föderation
[10] Rosa Luxemburg: Zur Russischen Revolution, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1918/russrev/index.htm [493]
[11] W.I. Lenin, Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen
[12] Beispiele für die Position der extremen Linken des Kapitals: "Wir stehen fest an der Seite der unterdrückten palästinensischen Massen" (International Marxist Tendency); bekunden "einhellige Solidarität mit dem unterdrückten palästinensischen Volk" (Socialist Equality Party WSWS); zeigen wir unsere "Solidarität mit dem kolonisierten und unterdrückten palästinensischen Volk" (CPGB).
[13] W.I. Lenin, Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, These 3 Drei Typen von Ländern in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen
[14] Rosa Luxemburg : Die Krise der Sozialdemokratie (Junius-Broschüre), Kapitel 7, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1916/junius/teil7.htm [494]
Nach den 800 Zivilisten und 300 israelischen Soldaten, die bei einem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober letzten Jahres getötet wurden, hat ein neuer Ausbruch der Barbarei 150 Tote und 300 Verletzte gefordert, die von einem Kommando des Islamischen Staates (IS) bei der Erstürmung eines Rockkonzerts am 25. März in der Peripherie von Moskau mit Kugeln niedergemäht und einigen mit Messern die Kehle durchgeschnitten wurden. Zwischen diesen beiden tragischen Ereignissen rissen die Schrecken der israelischen Offensive in Gaza und die Eskalation des blutigen Krieges zwischen Russland und der Ukraine immer wieder unschuldige Menschen mit ins Grab und machten ganze Städte dem Erdboden gleich: Ersteres war für mehr als 32.000 Tote verantwortlich, darunter mehr als 13.000 Kinder. Und die tödliche Kombination aus anhaltenden Bombenangriffen, zunehmender Hungersnot und der Ausbreitung von Epidemien unter einer buchstäblich am Ende ihrer Kräfte befindlichen Bevölkerung kann die Bilanz nur noch stark erhöhen. Die zweite, die Intensivierung des Krieges in der Ukraine, hat die zweijährige Bilanz des Ukraine-Konflikts auf die erschreckende Zahl von mindestens 500.000 Toten erhöht, ganz zu schweigen von den zivilen Opfern, den Ruinen und der Verwüstung, die nun die Umgebung eines Teils der Ukraine bilden und auch die russische Stadt Belgorod bedrohen, die regelmäßig von der ukrainischen Artillerie bombardiert wird, aber auch Moskau selbst und weite Teile Russlands.
Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Auflösung des Westblocks im Jahr 1990 sind die dem dekadenten Kapitalismus innewohnenden Kriege nicht mehr symptomatisch für die Spannungen zwischen zwei rivalisierenden imperialistischen Blöcken und der von ihnen ausgeübten Disziplin. Sie gehorchen immer mehr der Logik des „Jeder für sich“ und des allgemeinen Chaos. Die aktuelle Weltlage veranschaulicht diese Tendenz insofern, als sich ein Land, nämlich Russland, mit zwei Gegnern im Krieg befindet, nämlich der Ukraine und dem Islamischen Staat, die kein Bündnis miteinander eingegangen sind.
Denn hinter der Ungeheuerlichkeit des Moskauer Attentats schimmert der ganze Ernst der Weltlage durch. Als die USA Russland dazu veranlassten, in die Ukraine einzumarschieren, damit sie sich in diesem Konflikt selbst schwächt, wollten sie nicht deren Zusammenbruch mit all den immensen Risiken, die ein Zerfall dieses Landes mit sich bringt, herbeiführen. Dennoch ist dies heute ein ernsthaftes Risiko.
Auch der IS, der Schlächter des Anschlags in einem Vorort von Moskau, steht sinnbildlich für die Tendenz zu einem allgemeinen Chaos. Immer häufiger beteiligen sich finstere Milizen an imperialistischen Konflikten, indem sie versuchen, ihre Gesetze durch Terror durchzusetzen und sich manchmal selbst zu töten, immer unter dem Banner des religiösen Fundamentalismus nach dem Vorbild von Al-Qaida, Hisbollah, ...
Der Islamische Staat in Khorasan (IS-K), der die Verantwortung für den Anschlag in Moskau übernahm, ist ein afghanischer Zweig der Terrorgruppe. Sie veröffentlichte eine Bekennerbotschaft mit einem Video, das die vier Angreifer in Aktion zeigt. Es besteht kein Zweifel an der Bedeutung dieses barbarischen Akts, der auch ein kriegerischer Akt ist und in Russland nicht ohne Vorgeschichte ist. Bereits am 31. Dezember 2018 explodierte ein Gebäude in einer Stadt im Ural und tötete 39 Menschen. Wenige Stunden später war die Stadt Schauplatz einer bewaffneten Auseinandersetzung. Der IS-K hatte kürzlich seine „militärischen“ Fähigkeiten demonstriert, da er hinter dem Anschlag im Iran am 3. Januar stand, bei dem fast neunzig Menschen getötet wurden. Seine Mitglieder, die in Afghanistan besonders brutale Angriffe auf Mädchenschulen und Krankenhäuser durchführen, befinden sich heute sogar in einem offenen Kampf mit den Taliban.
Die Rivalität zwischen dem IS-K und Moskau ist eine Folge der Schwächung Russlands an seinen Grenzen, die das Eindringen der Terrorgruppe in die ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken (Kirgisien, Usbekistan, Kasachstan und Tadschikistan, aus denen die Attentäter stammen) und einige autonome Republiken in der Russischen Föderation selbst ermöglicht hat. Die Annäherung zwischen Moskau und den Taliban erklärt sich somit aus dem Bedürfnis Russlands, seinen Einfluss in der Region zu verteidigen. Für Russland bedeutet dies jedoch die Eröffnung einer zweiten militärischen Front in einer Situation, in der es sich in einem endlosen Krieg in der Ukraine erschöpft.
Die Art und Weise, wie Putin mit dem Terroranschlag in Moskau umgegangen ist, kann nur zu einer Schwächung seiner Glaubwürdigkeit führen. Seine erste Reaktion, die Ukraine direkt oder indirekt für den Anschlag verantwortlich zu machen, war grotesk, obwohl alles auf den IS hindeutete, da die USA zuvor verschiedene Länder, darunter auch Russland, gewarnt hatten, die möglicherweise Ziel von Terroranschlägen waren. Als Putin seinen Fehler bemerkte, setzte er der Groteske noch eins drauf, indem er erklärte, es bestünden weiterhin Zweifel daran, wer den Anschlag in Auftrag gegeben habe. Als dann der IS den Anschlag für sich beanspruchte, war es um ihn geschehen. Er konnte nichts anderes tun, als sich bedeckt zu halten, zumal es einen Präzedenzfall gab, der die Wahrscheinlichkeit der von den US-Geheimdiensten übermittelten Warnung untermauerte.
Tatsächlich konnte dieser Terroranschlag umso weniger eine Überraschung für den Kreml darstellen, als „Wladimir Putin bereits am 15. Oktober 2021 ‘über die Ambitionen und die Stärke der dschihadistischen Gruppe Islamischer Staat in Afghanistan’ alarmiert war und die ‘Kampferfahrung’ hervorhob, die ihre Mitglieder im Irak und in Syrien gesammelt hatten“. Putin, der die Fähigkeit der afghanischen Taliban, diese bewaffneten Gruppen zu besiegen, in Frage stellte, meinte damals, dass „die Anführer des IS Pläne schmieden, um ihren Einfluss in den Ländern Zentralasiens und den russischen Regionen auszuweiten, indem sie ethnisch-konfessionelle Konflikte und religiösen Hass schüren“.[1] Mehr noch: Der IS-K hatte bereits im September 2022 einen Anschlag auf die russische Botschaft in Kabul organisiert. Putin hat also gerade einen riesigen Fehltritt begangen, der sicherlich nicht unbemerkt bleiben wird, während er eine Frühjahrskampagne zur Einberufung von 150.000 Menschen zum obligatorischen Militärdienst startet – im Grunde: eine Kampagne zur Requirierung von Kanonenfutter für den Krieg. Dieser Fehltritt untergräbt nur seine Autorität und seine Legitimität gegenüber seinen Rivalen.
Während der Krieg die Autorität des Kremls immer weiter schwächt, wächst die Gefahr, dass die Russische Föderation schlicht und einfach auseinanderbricht. Die Folgen eines solchen Auseinanderbrechens wären in erster Linie die Verteilung des Atomwaffenarsenals auf verschiedene Kriegsherren mit unkontrollierbaren Handlungen. Es würde auch eine gewaltige Flucht ins Chaos bedeuten, und das inmitten einer Region, die für die Weltwirtschaft von besonderer strategischer Bedeutung ist (Rohstoffe, Transport, etc.). Dieser neue Kriegsherd ist also weit davon entfernt, irgendeiner Kriegspartei zu nützen, und hat erhebliche dramatische Folgen für einen Teil der Welt.
Fern, 3. April 2024
[1] "Attentat près de Moscou : l'Asie centrale, nouvelle tête de pont de l'organisation État islamique", Le Monde (25 March 2024).
Die organisierte Gewalt im Nahen Osten hat weltweit tiefe Empörung ausgelöst. Erstens wegen des Terroranschlags der Hamas am 7. Oktober, bei dem 1200 israelische Bürgerinnen und Bürger getötet und 2700 verletzt wurden, und zweitens wegen des anhaltenden Massenmords der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) an der Bevölkerung des Gazastreifens. Revolutionäre Organisationen haben die Pflicht, diese imperialistische Barbarei anzuprangern, wie sie es im Laufe der Geschichte der Arbeiterbewegung getan haben, und zwar seit dem Manifest "An die Arbeiter aller Nationen" der Pariser Mitglieder der Internationale: "Krieg wegen einer Frage der Vorherrschaft oder einer Dynastie kann in den Augen der Arbeiter nichts anderes sein als ein verbrecherischer Wahnsinn".[1]
Angesichts dieser Verantwortung sind also Gruppen wie die Internationale Kommunistische Tendenz (IKT), Internationalist Voice oder Internationalist Communist Perspective (Korea) dieser grundlegenden Pflicht nachgekommen, indem sie in ihren Artikeln eine klare internationalistische Position zum Krieg im Nahen Osten vertreten haben.
- "Die Arbeiterklasse muss sich weigern, in die Kriege der herrschenden Klasse hineingezogen zu werden, und gegen die Ausbeuter in beiden Ländern kämpfen. Es gibt nur einen Weg für die israelische und die palästinensische Arbeiterklasse [...]: den Kampf über Nationen und Grenzen hinweg für die gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse. Nur ein internationaler Klassenkampf zum Sturz des kapitalistischen Systems kann dem Blutvergießen und den Kriegen ein Ende setzen".[2]
- "Nur der Klassenkampf der Arbeiter kann eine Alternative zur Brutalität des Kapitalismus bieten, denn das Proletariat hat kein Vaterland zu verteidigen, sein Kampf muss nationale Grenzen überschreiten und sich international entwickeln".[3]
- "Alle Bourgeoisien sind gleichermaßen Todfeinde der ArbeiterInnenklasse, die nicht einen Tropfen Blut für diejenigen vergießen sollte, die sie ausbeuten, um ihre nationalistischen und imperialistischen Ziele zu verfolgen. [...] Vor diesem Hintergrund ist die grundlegende Orientierung auf die Klasseneinheit aller Sektoren der ArbeiterInnenklasse – gegen die Bourgeoisie und die imperialistische Zielsetzung ihrer Staaten umso wichtiger".[4]
Im Fall der verschiedenen bordigistischen Gruppen ist die Situation differenzierter. Als Teil des revolutionären Milieus ist ihre Position insofern grundsätzlich internationalistisch, als sie das imperialistische Massaker anprangern und jegliche Unterstützung für die eine oder andere der gegnerischen Seiten ablehnen. Doch trotz der großen Reden über ihr internationalistisches Engagement ist ihre konkrete Verteidigung des Internationalismus nicht unmissverständlich. Indem die einen den Kampf gegen die "nationale Unterdrückung" der palästinensischen Proletarier und Massen unterstützen, die anderen die Vorstellung haben, dass diese Massaker eine Entwicklung der Arbeiterkämpfe in der Region und weltweit hervorbringen werden, offenbaren diese Gruppen gefährliche Unklarheiten darüber, wie der proletarische Internationalismus in der gegenwärtigen Periode des kapitalistischen Zerfalls gefördert und verteidigt werden soll.
Die Internationale Kommunistische Partei (IKP – Le Prolétaire) ruft hinter ihrer Solidaritätserklärung gegenüber den palästinensischen Proletariern in Wirklichkeit zum Kampf gegen die nationale Unterdrückung der Palästinenser auf: "Palästina: ein Proletariat und ein Volk, die dazu verurteilt sind, abgeschlachtet zu werden. Israel: ein Staat, der aus der Unterdrückung des palästinensischen Volkes entstanden ist, und ein jüdisches Proletariat, das in den unmittelbaren Vorteilen gefangen ist und zum Komplizen dieser Unterdrückung wird".[5] Während also internationalistische Revolutionäre die Spirale imperialistischer Konfrontationen zwischen den Bourgeoisien anprangern sollten, in die die verschiedenen Fraktionen des Proletariats im Nahen Osten hineingezogen werden, sollten sie bei den Arbeitern für die Ablehnung jeder Bewegung der "nationalen Befreiung" werben, denn "Proletarier haben kein Vaterland", ruft Le Proletaire zunächst zu einem Kampf auf, um die Unterdrückung der Palästinenser in Gaza und im Westjordanland durch Israel zu beenden, was in der Folge jede Solidarität mit der israelischen Arbeiterklasse ausschließt, die „in den unmittelbaren Vorteilen gefangen und zum Komplizen dieser Unterdrückung" werde.
Eine andere Gruppe, die IKP - Il Partito Comunista, scheint überzeugende internationalistische Positionen zu vertreten, wenn sie schreibt: "Wir müssen die palästinensischen und israelischen Proletarier aufrufen, sich nicht von ihrer Bourgeoisie täuschen zu lassen [...], sich nicht als Kanonenfutter in Kriegen zu opfern, die ihren Interessen zuwiderlaufen". Aber im nächsten Satz fügt sie hinzu: "Wir müssen die jüdisch-israelischen Proletarier dazu aufrufen, die Kriegsanstrengungen ihrer imperialistischen und völkermordenden Bourgeoisie zu sabotieren und gegen ihre Bourgeoisie und die nationale Unterdrückung ihrer palästinensischen Klassenbrüder zu kämpfen".[6] Sie ruft hier also nicht zur internationalen Solidarität aller Proletarier gegen den imperialistischen Krieg auf, sondern fordert die israelischen Proletarier dazu auf, den Kampf der palästinensischen Arbeiter gegen diese nationale Unterdrückung zu unterstützen.
Schließlich stellt die IKP - Il Programma Comunista die Erschöpfung der antikolonialen "nationalen revolutionären" Bewegungen fest und stellt daher in Aussicht, dass "in dieser schrecklichen Situation das Proletariat des Nahen Ostens die Kraft finden kann, den Schlingen des Opportunismus, die es gefangen halten, zu entrinnen. Wir wünschen uns, dass es, wie in den großen Schlachten der Vergangenheit, die besten Kämpfer für seine Sache aufstellen kann, damit es die leider unvermeidliche Niederlage von heute zum Ausgangspunkt einer siegreichen Zukunft machen könne".[7] Mit anderen Worten: Sie propagiert die trügerische Aussicht, dass das Proletariat im Nahen Osten allein, mobilisiert hinter religiösen und nationalistischen Mystifikationen und zermalmt von imperialistischen Massakern, die Lehren aus diesen Niederlagen ziehen und die Grundlage für das Wiederaufleben von Kämpfen bilden könne, die an die "großen Schlachten der Vergangenheit" anknüpften (man fragt sich: welche? – vielleicht die sogenannten "national-revolutionären Bewegungen" der 1960er und 1970er Jahre, in denen die Arbeiterklasse des Nahen Ostens hinter verschiedenen nationalen bürgerlichen Fraktionen mobilisiert wurde?).
Auch wenn diese Organisationen nicht offen eine imperialistische Seite unterstützen (weder die palästinensische Bourgeoisie im Westjordanland noch die im Gazastreifen), lassen sie die Tür offen für eine Unterstützung des Kampfes der palästinensischen „Massen" und des „Volkes" gegen ihre nationale Unterdrückung, was die Kluft zwischen der Arbeiterklasse in Israel und der in den arabischen Ländern nur noch vertiefen kann. Dieses Abgleiten der sogenannten „national-revolutionären" Perspektive stellt eine Bedrohung für die internationalistische Positionierung dieser Organisationen dar.
Der proletarische Internationalismus ist eine Klassengrenze, die im Angesicht des imperialistischen Krieges die Arbeiterklasse von der Bourgeoisie trennt. Diesen Grundsatz müssen wir jederzeit mit Zähnen und Klauen verteidigen: in unseren Interventionen in den Arbeiterkämpfen, in unseren öffentlichen Veranstaltungen, in unseren Berichten und in unserer Presse. In diesem Sinne machen wir uns Lenins Worte zu eigen: "Es gibt nur einen wirklichen Internationalismus: die hingebungsvolle Arbeit an der Entwicklung der revolutionären Bewegung und des revolutionären Kampfes im eigenen Lande, die Unterstützung (durch Propaganda, durch moralische und materielle Hilfe) eben eines solchen Kampfes, eben einer solchen Linie und nur einer solchen allein in ausnahmslos allen Ländern. Alles andere ist Betrug und Manilowerei."[8] Die Bolschewiki standen mit ihrer Kritik an opportunistischen Positionen in der Kriegsfrage oft allein da, aber das war ein unverzichtbarer Teil ihrer Arbeit am Aufbau der Weltpartei. Dieser theoretische Kampf war und ist wesentlich, um alle Konsequenzen einer internationalistischen Position zu vertiefen und Revolutionäre von den Feinden der Arbeiterklasse, insbesondere den Sozialchauvinisten, zu unterscheiden.
In der Periode des kapitalistischen Niedergangs, einer Periode, in der sich die durch die kapitalistische Produktionsweise geschaffenen Produktionsverhältnisse in ein immer größeres Hindernis für die Entwicklung der Produktivkräfte verwandelt haben, hat die Bourgeoisie keine fortschrittliche Rolle mehr bei der Entwicklung der Gesellschaft zu spielen. Die Schaffung einer neuen Nation, die rechtliche Verfassung eines neuen Landes, ermöglicht heute keinen wirklichen Fortschritt in der Entwicklung, zu dem die ältesten und mächtigsten Länder selbst nicht in der Lage sind. In einer Welt, die von imperialistischen Auseinandersetzungen beherrscht wird, stellt jeder Kampf um "nationale Befreiung", weit davon entfernt, eine fortschrittliche Dynamik zu sein, in Wirklichkeit nur eine Episode imperialistischer Auseinandersetzungen dar, an denen die freiwilligen oder gezwungenermaßen eingezogenen Proletarier und Bauern nur als Kanonenfutter teilnehmen.
Die Bewegungen zur "nationalen Befreiung", die insbesondere die 1960er und 1970er Jahre prägten, zeigten deutlich, dass die Ersetzung der Kolonialherren durch eine nationale Bourgeoisie keineswegs einen Fortschritt für das Proletariat darstellte, sondern es stattdessen in zahllose imperialistische Interessenkonflikte hineinzog, in denen Arbeiter und Bauern massakriert wurden. Aber der veraltete theoretische Rahmen der bordigistischen Gruppen hindert sie daran, die tatsächlichen Herausforderungen zu verstehen, mit denen das internationale Proletariat und seine Elemente in Israel/Palästina im imperialistischen Inferno von Gaza konfrontiert sind.
Le Prolétaire analysiert die Palästinafrage weiterhin im Rahmen des „‘national-revolutionären‘ Unabhängigkeitsgeistes und -schubs, der die Kämpfe gegen nationale Unterdrückung in Algerien, im Kongo und später in Angola und Mosambik kennzeichnete und der lange Zeit auch für die spontane Revolte des palästinensischen Proletariats kennzeichnend war".[9] Das Drama und die Herausforderung der palästinensischen "Befreiungsbewegung" besteht für Le Prolétaire darin, dass "das gigantische Klassenpotenzial, das vom palästinensischen Proletariat und den proletarisierten Massen repräsentiert wird, sich zwar in ihrem bewaffneten und unbezwingbaren Kampf in Palästina, Libanon, Syrien und Jordanien manifestiert, aber kein eigenständiges politisches Klassenprogramm zum Ausdruck bringt, das die nationale Bewegung leiten könnte". So ruft diese Gruppe immer noch zu einer palästinensischen "Befreiungsbewegung" auf, während Revolutionäre stattdessen die Position vertreten müssen, dass heute alle Staaten, alle Bourgeoisien imperialistisch sind und dass Proletarier unter keinen Umständen Bewegungen gegen nationale Unterdrückung unterstützen dürfen.
Il Partito Comunista teilt grundsätzlich denselben Rahmen, denn er formuliert die Kritik, dass dieser Krieg kein echter "nationaler Befreiungskampf" der Palästinenser sei, weil ein solcher Kampf "die Bevölkerung von Gaza nicht mit solchem Zynismus der entsetzlichen Rache Israels ausgesetzt hätte".[10] Während Revolutionäre dazu aufrufen müssen, jegliche Unterstützung für nationalistische Ziele zurückzuweisen, besteht diese Gruppe darauf, die Unterstützung der israelischen Arbeiterklasse für den Kampf gegen die nationale Unterdrückung zu gewinnen, und bedauert zynisch, dass das von der Hamas verübte Massaker dies unmöglich gemacht habe: "Darüber hinaus hätte der Kampf gegen die abscheuliche nationale Unterdrückung, die den Palästinensern auferlegt wurde, sogar die Unterstützung der Israelis, hauptsächlich der Arbeiterklasse, gewinnen können, wenn er nicht auf die Ebene des Massakers an Zivilisten gestellt worden wäre, gemäß dem vorsätzlichen Programm, Juden zu töten, wo immer sie sich befinden, das von der obskuren Hamas umgesetzt wurde".
Il Programma Comunista stellte seinerseits die Erschöpfung der antikolonialen Bewegungen seit Mitte der 1970er Jahre fest und betonte, dass "die 'nationalen Fragen' Mitte der 1970er Jahre ungelöst waren, d. h. zu dem Zeitpunkt, als sich das Potenzial der antikolonialen Bewegungen in ein konterrevolutionäres Geschwür verwandelt hatte".[11] Aufgrund der Unmöglichkeit zeitgenössischer nationaler revolutionärer Bewegungen behauptet diese Gruppe jedoch, dass dieser Kontext totaler imperialistischer Zerstörung und barbarischen Chaos' einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung einer breiten proletarischen Bewegung darstellt: „Was die Regierungen am meisten alarmieren wird, wenn das Blutbad weitergeht, sind die massiven Solidaritätsbekundungen aus den arabischen Hauptstädten [...] und aus den vielen kapitalistischen Metropolen (wo seit Jahren das eingewanderte arabische, insbesondere das palästinensische Proletariat wohnt)".[12]
Natürlich wird die lokale Bourgeoisie im Bündnis mit den verschiedenen religiösen und nationalistischen Führern die religiösen und nationalistischen Spaltungen ausnutzen, „um eine Ansteckung der Klasse zu verhindern. Die bürgerlichen Regierungen werden alles tun, um die instinktive Verbindung zu den entfernten Proletariern, die von so mächtigen Kräften niedergemetzelt wurden, zu unterbrechen: Diese Verbindung hat auch eine materielle Rolle im Kampf zu spielen, während der Sturm aus "geschmolzenem Blei" auf die Häuser und Körper niedergeht". Kurz gesagt, wie der Titel ihres Artikels bereits andeutet, ist seine Perspektive, dass die proletarische Reaktion von den Blutbädern der imperialistischen Konfrontationen und von den Teilen des Weltproletariats selbst ausgehen werde, die im „konterrevolutionären Geschwür" der nationalen Befreiung gefangen seien und von den verschiedenen Imperialismen im Nahen Osten massakriert würden. Aber anders als im Ersten Weltkrieg werde in der gegenwärtigen Periode des kapitalistischen Zerfalls die Ausweitung des Kampfes des Weltproletariats gegen die durch die Wirtschaftskrise und die Ausbreitung des Militarismus verursachten Angriffe den Proletariern im Nahen Osten eine Perspektive bieten.
In keinem Fall seit dem Ersten Weltkrieg hat ein "national-revolutionärer" Kampf eine Perspektive für den revolutionären Kampf des Proletariats dargestellt, die den Ausgangspunkt für eine echte proletarische Reaktion hätte bilden können. Der veraltete Rahmen dieser bordigistischen Gruppen hindert sie daran, die aktuellen Herausforderungen im Nahen Osten zu verstehen, und verleitet sie dazu, zweideutige Positionen zu entwickeln, die opportunistischen Auswüchsen Tür und Tor öffnen.
Der Krieg in Gaza ist nicht, wie Il Programma Comunista behauptet, "die x-te Welle von Massakern", auf die angeblich eine neue Periode der Stabilität und des Friedens folgen wird. Im Gegenteil, dieser Krieg stellt einen weiteren bedeutenden Schritt in der Beschleunigung des Chaos in der Region und sogar darüber hinaus dar. "Das Ausmaß des Mordens zeigt, dass die Barbarei ein neues Niveau erreicht hat: [...] Beide Seiten schwelgen in der entsetzlichsten und irrationalsten Mordwut!".[13] Wir haben es hier mit dem ultimativen Ausdruck der Barbarei zu tun, einem blutigen Kampf, bis nur noch Ruinen in einer völlig unbewohnbar gewordenen Region übrig sind. Der Krieg in der Ukraine war bereits ein weiterer Schritt in der Verschärfung der imperialistischen Auseinandersetzungen. Der Krieg in Gaza geht noch einen Schritt weiter.
Selbst wenn dies nicht zum Ausbruch eines Weltkriegs führt, können die Kumulation und die kombinierten Auswirkungen all dieser Kriege ähnliche oder sogar noch schlimmere Folgen für das Leben auf dem Planeten haben.
Aber die bordigistischen Gruppen bringen eine starke Tendenz zum Ausdruck, die Herausforderungen der aktuellen Situation zu unterschätzen, was zu falschen Schlussfolgerungen und Orientierungen führt. Ihre Unfähigkeit, die tatsächlichen Gefahren der aktuellen Situation zu verstehen, wird deutlich durch die Tatsache, dass diese Organisationen die historische Schwere und die Auswirkungen des Gaza-Krieges verharmlosen.[14] Einerseits argumentiert Le Prolétaire, dass die gegenwärtigen Bedingungen es dem palästinensischen Proletariat immer noch erlaubten, für seine eigenen Interessen gegen die israelische und palästinensische Bourgeoisie zu kämpfen. Andererseits neigt Il Partito Comunista zur Position, dass der Weltkrieg "eine unausweichliche wirtschaftliche Notwendigkeit" sei, weil der Kapitalismus "nur durch Zerstörung überleben kann. Deshalb braucht er den globalen Krieg".[15]
Was wir in den letzten drei Jahren gesehen haben, ist kein Anstieg in Richtung eines globalen Krieges, sondern eine Situation, die sich auf globaler Ebene durch eine Anhäufung von Krisen beschleunigt hat: Pandemie, Umweltkrise, Nahrungsmittelkrise, Flüchtlingskrise und Wirtschaftskrise.
Auch wenn einige dieser Gruppen diese Anhäufung von Krisen erkannt haben, versteht keine von ihnen, dass diese Krisen nicht voneinander isoliert sind, sondern Teil desselben Zerfallsprozesses der kapitalistischen Welt sind, wobei jede Krise die Auswirkungen der anderen verstärkt. In diesem Zersetzungsprozess ist der Krieg zum zentralen Faktor, zum eigentlichen Katalysator geworden, der alle anderen Krisen verschärft. Er verschärft die Weltwirtschaftskrise und stürzt große Teile der Weltbevölkerung in die Barbarei; er führt in den mächtigsten kapitalistischen Ländern zu Arbeitslosigkeit und sozialem Elend und verstärkt die zerstörerischen Auswirkungen der ökologischen Gefahr. Es ist daher falsch, den gegenwärtigen Krieg in Gaza als ein x-tes Massaker im Nahen Osten zu betrachten, auf das eine wie auch immer geartete Periode der Ruhe oder des Wiederaufbaus folgen könnte.[16]
Angesichts dieses Krieges zeigen die verschiedenen bordigistischen Gruppen ihre völlige Unfähigkeit, die Herausforderungen der aktuellen imperialistischen Konfrontationen zu verstehen.
Das Fehlen eines angemessenen Rahmens, nämlich des Rahmens der Dekadenz und des Zerfalls des Kapitalismus, führt dazu, dass alle bordigistischen Organisationen an einem veralteten Konzept festhalten, das nicht in der Lage ist, die gesamte Dynamik der aktuellen Situation zu erklären, und das die Tür für schwerwiegende opportunistische Entgleisungen öffnet.
D&R, 22. Februar 2024
[1] Le Réveil vom 12. Juli 1870 (zitiert von Marx in Der Bürgerkrieg in Frankreich)
[2] Against the carnage in the Middle East, beyond nationalism to class war against the ruling class! [498], Internationalist Communist Perspective (Korea, 2023)
[3] The Propaganda War, The War of Propaganda [499] (Der Propagandakrieg, der Krieg der Propaganda), Internationalist Voice (2023)
[4] Das jüngste Massaker im Nahen Osten ist ein weiterer Schritt hin zu einem verallgemeinerten Krieg [500], Internationalistische Kommunistische Tendenz (2023)
[5] Ce ne sont pas les actions terroristes du Hamas mais la lutte de classe indépendante et la solidarité prolétarienne de tous les pays qui pourront mettre fin à l’oppression des Palestiniens ! [501] ("Nicht die Terroraktionen der Hamas, sondern der unabhängige Klassenkampf und die proletarische Solidarität aller Länder können der Unterdrückung der Palästinenser ein Ende setzen"), Le Prolétaire Nr. 551 (Dezember 2023 - Januar 2024)
[6] War in Gaza [502], veröffentlicht auf der Website von PCI - Il Partito Comunista (Oktober 2023)
[7] Israël et Palestine : Terrorisme d’État et défaitisme prolétarien [503], Cahiers internationalistes (29. Dezember 2023)
[8] Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution (1917)
https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/04/aufgaben.html [504]
[9] "Die Terroraktionen der Hamas heute wie gestern die der Fatah oder anderer Guerilla-Organisationen können die israelische Unterdrückung der Palästinenser in Gaza und im Westjordanland nicht beenden.
Die Zukunft des palästinensischen Proletariats wie auch der Proletarier im gesamten Nahen Osten, in Europa und der Welt liegt im unabhängigen Klassenkampf und in der proletarischen Klassensolidarität aller Länder!", veröffentlicht auf der Website der IKP – Le Prolétaire [501] unter der Rubrik "Stellungnahmen" („Prises de positions“, 4. Januar 2024).
[10] The Gazan Proletariat Crushed in a war between world imperialisms [505], The Communist Party Nr. 56 (Februar/März 2024)
[11] Israel and Palestine: State terrorism and proletarian defeatism [506], The Internationalist (29. Dezember 2023)
[12] A.a.O.
[13] Weder Israel noch Palästina! Die Arbeiter haben kein Vaterland [492], IKS online Oktober 2023
[14] Il Programma Comunista veröffentlichte 2009 erneut einen Artikel über den Gaza-Krieg, eine Entscheidung, die diese Gruppe damit begründete, dass "sich nichts geändert hat, außer der exponentiellen Zunahme der Feuerkraft, die im Gaza-Streifen [vom Staat Israel] entfesselt wird".
[15] A May Day against War To Workers of all Countries [507], Flugblatt von Il Partito Comunista
[16] Diese Unterschätzung kommt zum Beispiel auch darin zum Ausdruck, dass diese Gruppen zu Beginn dieses Krieges kaum öffentliche Aktivitäten entfalteten: Le Prolétaire veröffentlichte nur zwei Artikel, Il Partito Comunista publizierte zwei Artikel und organisierte eine öffentliche Veranstaltung, Il Programma Comunista bot zwei Artikel und eine öffentliche Veranstaltung an.
Das Wiedererscheinen des Proletariats auf der welthistorischen Bühne Ende der 1960er Jahre macht es erforderlich, dass wir auf seine historische Erfahrung zurückblicken und die gewichtigen Militanten der Arbeiterbewegung, ihre Beiträge und ihre Rollen in Erinnerung rufen. Aus dieser Notwendigkeit heraus wollen wir hier Leo Trotzkis immense Rolle in der proletarischen revolutionären Bewegung hervorheben und ihn andererseits klar von seinen falschen Nachahmern abgrenzen, die heute ein Teil der Bourgeoisie sind.
Es ist unmöglich, Trotzki zu ignorieren, er war eine entscheidende Figur der Arbeiterbewegung, genauso wie Lenin oder Rosa Luxemburg. Stalin tat alles, um ihn von der Bühne der Geschichte verschwinden zu lassen. Die sogenannten Trotzkisten, indem sie ihn mumifizieren und alle Fehler, die er in den 1930er Jahren gemacht hat, aufgreifen und weiterentwickeln, indem sie sein Denken auf das Programm der Vierten Internationale beschränken, machen Trotzkis Rolle und seinen wahren Beitrag zunichte.
Um einen revolutionären Gedanken abzuwürgen oder unschädlich zu machen, genügt es, ihn einzufrieren, ihn auf Prinzipien oder Dogmen festzulegen, die sich nicht mehr weiterentwickeln dürfen oder können. Dieses Ziel verfolgte die Bourgeoisie, indem sie zwei Theorien schuf, den "Leninismus" und den "Trotzkismus", die es zu Lebzeiten Lenins oder Trotzkis nie gegeben hatte. Es ist leicht, tausend Beispiele für die Entwicklung der Positionen von Lenin oder Trotzki während ihres Lebens anzuführen, um zu zeigen, wie ein revolutionäres Denken in der Lage ist, sich weiterzuentwickeln, sich zu verändern, um der Komplexität sozialer Bewegungen und des Klassenkampfes gerecht zu werden. Was uns betrifft, versuchen wir, die Methode von Marx anzuwenden, die darin besteht, die revolutionäre Theorie – die uns die Arbeiterbewegung hinterlassen hat – am Leben zu erhalten, indem wir keinen Text als "heilig" betrachten und ihn der Kritik aussetzen. Wir wenden diese Methode auf Trotzkis Positionen an[1]. Für Revolutionäre ist nichts unantastbar; nur die Methode der Untersuchung, der Marxismus, bleibt der Kompass für das Verständnis der historischen und politischen Situationen.
Die beiden Begriffe "Trotzkismus" und "Leninismus" wurden 1923 von Sinowjew[2] geprägt, um Trotzki zu bekämpfen und die neue Troika an der Spitze der Kommunistischen Partei der UdSSR und der Kommunistischen Internationale zusammenzuschweißen. Ab dem 5. Kongress der Kommunistischen Internationale diente die Theorie des "Leninismus" mit der "Bolschewisierung" in einem weltweit rückgehenden Kurs des Klassenkampfes auch dazu, alle kommunistischen Parteien durch Ausschluss aller Oppositionellen zu kontrollieren. Es ist daher nicht korrekt, vor 1940 von "Trotzkismus" weder als Theorie noch als politische Bewegung zu sprechen. Der Trotzkismus wurde erst mit Trotzkis Tod wirklich geboren. Seine Epigonen haben es versäumt, seine Gedanken weiterleben zu lassen und machten aus ihnen ein Dogma und eine konterrevolutionäre Theorie, indem sie die politischen Positionen, die im "Übergangsprogramm" der 4. Internationale[3] enthalten sind, bis zu ihren letzten Konsequenzen ausreizten.
Für uns geht es bei aller Anerkennung des Revolutionärs Trotzki und seiner Rolle keineswegs darum, ihn nicht der Kritik zu unterwerfen, und wir haben viele Meinungsverschiedenheiten mit ihm, wie wir sehen werden.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte Trotzki wie Rosa Luxemburg zu denjenigen, die die große historische Bedeutung der Massenstreiks in Russland und insbesondere der Arbeiterräte seit ihrem Aufkommen im Jahr 1905 in Russland verstand.[4] Während Lenin nicht sofort erkannte, dass der Massenstreik "die endlich gefundene Form" der Machtergreifung und der Diktatur des Proletariats war, schrieb Trotzki: "Der Sowjet wurde sofort zur Organisation des Proletariats selbst; sein Ziel ist es, für die Eroberung der revolutionären Macht zu kämpfen". Da Trotzki die politische Situation 1905 genau verstand, konnte er eine entscheidende Rolle im Verlauf dieser Ereignisse spielen und wurde am 17. Oktober 1905 Vorsitzender des Exekutivkomitees des Petrograder Arbeiterrates.
In den grundlegenden Debatten, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Sozialdemokratie über die Rolle der Partei geführt wurden, nahm Trotzki jedoch eine zentristische Position ein. So fand er sich auf dem zweiten Kongress der SDAPR (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands) 1903 auf der Seite der Menschewiki gegen Lenin wieder. Zwar hatte er recht, als er in Unsere politischen Aufgaben[5] Lenins jakobinische und substitutionistische Vision kritisierte (eine Vision, die in Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück weiterentwickelt wurde)[6], aber zu diesem Zeitpunkt war es grundlegender, sich gegen die Auffassungen der Menschewiki zu stellen.
Diese Debatte sollte zur Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki führen.[7] Trotzkis "nuancierte" Position machte große Zugeständnisse gegenüber den Auffassungen der Menschewiki, während Lenins Position die Bolschewiki in die Lage versetzte, eine entschlossenere Kampforganisation für den Klassenkampf zu schmieden.
Während des Ersten Weltkriegs hingegen gehörte Trotzki zu der Handvoll Revolutionäre und Internationalisten von 1915 in Zimmerwald, die die Arbeiterklasse nicht verrieten[8]. Wir wollen hier nicht ausführlich auf seine führende Rolle während der Russischen Revolution eingehen, denn Trotzki war wirklich ein Mann der Revolution. Es genügt daran zu erinnern, dass er sich gleich zu Beginn der revolutionären Periode den Bolschewiki anschloss und die Aprilthesen[9] verteidigte, die nicht weit von den Thesen in Die permanenten Revolution[10] entfernt waren, die er vor dem Ersten Weltkrieg vertreten hatte. Während des Aufstands war er dann einer der entschlossensten und brillantesten Organisatoren der Machtergreifung und leitete das Revolutionäre Militärkomitee, den bewaffneten Arm des Petrograder Arbeiterrates.
Während der gesamten Zeit nach der Revolution war er neben Lenin die zentrale Figur der Partei, der Sowjetregierung und der Kommunistischen Internationale. Dank seines Organisationstalents gelang es ihm, an der Spitze des Kriegskommissariats der Roten Armee (1918) zu wirken, wodurch der Bürgerkrieg (1918-1921) gegen die von den Entente-Mächten unterstützten Weißen Armeen gewonnen werden konnte.[11]
Trotzki war der Mann, der Organisator des Aufstandes und der Machtergreifung von 1917, aber es begann eine neue Periode, die für Revolutionäre und die Arbeiterklasse als Ganzes mit dem Ende der weltweiten revolutionären Welle anders und schwieriger war. In dieser Periode musste man fähig sein, die Situation zu verstehen, und es war nicht einfach für Revolutionäre, die gerade gesiegt und die Macht ergriffen hatten, ihre Orientierung in Erwartung der proletarischen Revolution in den zentralen Ländern, insbesondere in Deutschland, zu ändern. In den frühen 1920er Jahren mussten die russischen Revolutionäre die Macht "halten", in Erwartung der Revolution in Europa.[12]
In die Zeit dieser für die Arbeiterklasse ungünstigen Rückschritte fiel der Kampf um die Macht in der UdSSR während Lenins Krankheit und seinem Tod im Jahr 1924. Dieser Kampf führte zu Trotzkis Niederlage, zunächst an der Spitze der Ersten Opposition von 1923, dann der "Vereinigten Opposition" (1925-1926), die diesmal die Mitglieder der Ersten Opposition vereinte sowie zusätzlich Sinowjew und Kamenew und andere "alte Bolschewiki". In dieser Periode zeigte sich Trotzki unentschlossen, unfähig, einen konsequenten Kampf gegen die Entartung der Partei und der Kommunistischen Internationale zu führen, und beschränkte sich auf einen Kampf innerhalb der russischen Partei.[13]
Nach dem 6. Plenum der Kommunistischen Internationale begannen die Oppositionellen in allen Ländern, sich zu organisieren, aber auf verstreute Weise, jeder für sich, anstatt ihre Kräfte zu bündeln. Die Opposition in der Kommunistischen Partei Belgiens war in der Mehrheit; im November 1927 wurde eine Resolution, die gegen Trotzkis Ausschluss aus der KPdSU protestierte, vom Zentralkomitee mit 15 zu 3 Stimmen angenommen. Die Opposition war in Spanien sehr einflussreich, aber vor allem durch die Italienische Kommunistische Linke, die aufgrund ihres historischen und theoretischen Beitrags eine über ihre Zahl hinausgehende Bedeutung hatte. Schließlich gab es noch die französische und die deutsche Opposition, die auf mehrere Gruppen verteilt waren und keine politische Homogenität aufwiesen.
Erst 1929, mit der Ausweisung Trotzkis aus der UdSSR, organisierte sich die Internationale Linke Opposition (ILO) zentralisierter und konsequenter. Dieses Ereignis war von enormer Bedeutung für die revolutionäre Bewegung, es war die Möglichkeit, die den verschiedenen oppositionellen Gruppen oder Kernen geboten wurde, sich zusammenzuschließen, in Kontakt zu treten und sich zu organisieren. Trotzkis Rolle war entscheidend. Was tat er? In der Tat spielte er in dieser Zeit eine negative Rolle. Die Politik, die er innerhalb der Opposition verfolgte, führt zur Zersplitterung und Zerstreuung der revolutionären Energien. Seine Politik beruhte auf der Überzeugung, dass die Zeit für die Revolution immer noch günstig sei.
Es war aber gerade damals notwendig, alle Lehren aus der revolutionären Welle der 1920er Jahre zu ziehen, eine "Bilanz" zu ziehen und auf dieser Grundlage eine solide politische Plattform zur Festigung der revolutionären Bewegung zu errichten. Dies schlug die Italienische Fraktion vor: "Das zentrale Problem der Krise der kommunistischen Bewegung liegt in der Lokalisierung und Analyse der Ursachen, die uns in das gegenwärtige Desaster getrieben haben".[14] Für die Konferenz im April 1930 hatte die Fraktion ein Dokument erstellt, das diese Notwendigkeit einer Bilanz und Überprüfung der vergangenen Ereignisse betonte: "Dies drückt sich in der Erstellung einer Plattform aus, dem einzigen Mittel, das eine kommunistische Opposition leiten kann."[15]
Im Gegensatz dazu zog Trotzki ein "Vorwärtsschreiten der Bewegung" einem kohärenten politischen Programm vor.[16] Diese Politik führte zu persönlichen Streitigkeiten zwischen einzelnen "Führern" innerhalb der Opposition: Trotzki unterstützte diejenigen, die ihm blind in seinen politischen Orientierungen folgten, was ihn oft dazu veranlasste, GPU-Agenten, die in die ILO eingeschleust worden waren, oder unklare Elemente zu unterstützen: Mille, die Brüder Sobolevicius, "Etienne" oder Mollinier. – Alle wichtigen oppositionellen Gruppen, wie die belgische, deutsche und spanische Linke, sowie wertvolle revolutionäre Militante wurden entfernt oder ausgewiesen, wie Rosmer, Nin, Landau und Hennaut. Nach dieser zerstörerischen Arbeit wurde die Oppositionskonferenz einberufen (Februar 1933), allerdings nur mit Militanten, die unter Trotzkis Fuchtel standen. Und schließlich wurde die Italienische Kommunistische Linke ohne Debatte ausgeschlossen (so wie sie aus der stalinistischen Internationale ausgeschlossen worden war), obwohl sie trotz aller Manöver, die gegen sie ausgeheckt wurden, um sie zu einem freiwilligen Bruch zu zwingen, weiterhin in der Opposition gekämpft hatte.
Noch schlimmer war damals jedoch, dass Trotzki die politische Situation umgekehrt zu ihrer tatsächlichen Entwicklung verstand. Er glaubte, dass die Revolution immer noch möglich sei und dass es nur einer wirklich bolschewistischen politischen Organisation bedürfe, um zu siegen. 1936 titelte er in La lutte ouvrière: "Die französische Revolution hat begonnen"[17], und bezüglich Spanien: "Die Arbeiter der ganzen Welt warten fieberhaft auf die Nachricht vom Sieg des spanischen Proletariats"[18]. Das war es, was Trotzki dazu brachte, Prinzipien über den Haufen zu werfen und mit allen Mitteln zu versuchen, junge, unerfahrene Elemente für revolutionäre Ideen zu gewinnen. Darüber hinaus befürwortet er den "Entrismus" in sozialdemokratische Parteien (August 1934 in der Sozialistischen Partei Frankreichs SFIO zum Beispiel), die die Arbeiterklasse verraten hatten, indem sie 1914 für die Kriegskredite stimmten und sich dem bürgerlichen Lager angeschlossen hatten. Diese falsche Sicht Trotzkis führt geradewegs zur Gründung der 4. Internationale im September 1938.
Die Italienische Kommunistische Linke schätzte die Periode zu Recht als konterrevolutionär ein, wobei die Rolle der Revolutionäre darin bestand, eine Bilanz der vergangenen Erfahrung zu ziehen und den revolutionären Rahmen und das revolutionäre Programm zu bewahren, um bereit zu sein, wenn sich der Kurs in eine neue revolutionäre Periode umkehrt. Die Aufgabe der Stunde war daher absolut nicht die Bildung einer neuen Internationale.
Trotzkis Irrwege und fatale Fehler führten ganz natürlich dazu, dass er am Vorabend des Zweiten Weltkrieges die 4. Internationale gründete. Für ihn "reduziert sich die Krise der Menschheit auf die Krise der revolutionären Führung". Diese idealistische Auffassung erklärt seine gesamte verfehlte Politik während dieser Zeit. "Das Haupthindernis auf dem Weg zur Umwandlung der vorrevolutionären in eine revolutionäre Situation ist der opportunistische Charakter der Führung des Proletariats". Mit dieser Vision schlug Trotzki sein Übergangsprogramm vor. Es ging ihm darum, "den Massen im Prozess ihrer täglichen Kämpfe zu helfen, die Brücke zwischen ihren gegenwärtigen Forderungen und dem Programm der sozialistischen Revolution zu finden". Und diese Brücke wollte Trotzki durch ein "System von Übergangsforderungen" bauen. Die Arbeiterbewegung kennt dieses Problem sehr gut, es ist nicht neu. Die Sozialdemokratie nannte es vor dem Krieg von 1914 "Zwischenprogramm" zwischen dem "Minimalprogramm", das die "unmittelbaren" Forderungen der Arbeiterklasse ausdrückt, und dem "Maximalprogramm", das das Endziel ausdrückt: den Sozialismus.
Doch heute befindet sich die Arbeiterbewegung in der Periode, in der die kommunistische Revolution grundsätzlich möglich ist. Deshalb schafft jedes «Zwischenprogramm» keine "Brücke", sondern eine echte Barriere, führt das Bewusstsein der Arbeiterklasse in die Irre und sät schädliche Illusionen wie über das Erreichen von möglichen und dauerhaften Reformen im kapitalistischen System.
Auf der Grundlage der Fehler der Kommunistischen Internationale verteidigte Trotzkis Übergangsprogramm[19] Beteiligung an den Gewerkschaften, die kritische Unterstützung der so genannten "Arbeiterparteien", die "Arbeitereinheitsfronten" und "antifaschistischen Fronten", die "Arbeiter- und Bauern"-Regierungen, staatskapitalistische Maßnahmen (gefangen in den Erfahrungen der UdSSR) durch "Enteignung der Privatbanken", "Verstaatlichung des Kreditsystems", "Enteignung bestimmter Industriezweige" sowie Maßnahmen wie "Arbeiterkontrolle" über die Produktion oder "gleitende Lohnskala". Diese Konzeption führte zur Losung der "Verteidigung des degenerierten Arbeiterstaates" in Russland. Und auf politischer Ebene sah sie die bürgerlich-demokratische Revolution in den unterdrückten Nationen vor, die durch "nationale Befreiungskämpfe" erfolgen soll. Wir erkennen hier lauter Positionen, welche die Trotzkisten unabhängig von ihrer Ausrichtung heute noch vertreten.
Doch obwohl Trotzki seinen Epigonen die Tür öffnete, die durch die Wiederholung des Übergangsprogramms – des Schlussergebnisses seiner politischen Fehler – daraus eine konterrevolutionäre Theorie zur Unterstützung des imperialistischen Lagers Russlands im Zweiten Weltkrieg machten, werden wir Trotzki selbst nicht mit denjenigen verwechseln, die sich heute auf ihn berufen. Trotzki blieb sein ganzes Leben lang ein revolutionärer Militanter trotz der "zentristischen" politischen Linie, die er mit all ihren Fehlern während der 1930er Jahre vertrat. Die Trotzkisten hingegen haben grundsätzlich nichts mit Trotzki zu tun. Trotzki gehört ihnen nicht, er gehört der Arbeiterklasse und der revolutionären Bewegung. Wir beanspruchen den Mann von 1917 für uns und sind die einzigen, die sein Andenken und seine Methode, die die marxistische Methode ist, verteidigen können. So hatte er während der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs noch die Kraft, alle seine politischen Positionen, insbesondere zum Wesen der UdSSR, vollständig zu revidieren. In seiner letzten Broschüre "Die UdSSR im Krieg" sagte er, dass, wenn der Stalinismus siegreich und gestärkt aus dem Krieg hervorgehen würde, dann müsse er sein Urteil über die UdSSR überdenken. Dies tat später Natalia Trotzki, indem sie sich der Denkweise ihres Gefährten bediente und am 9. Mai 1951[20] mit der 4. Internationale über das Wesen der UdSSR brach, wie auch andere Trotzkisten, insbesondere Grandizio Munis.[21]
Révolution internationale Nr. 179, Mai 1989
[1] Trotzki wandte diese Methode auf sich selbst an, als er zum Beispiel auf seine Rolle bei der Einnahme und Zerschlagung der Kronstädter Kommune 1921 zurückkam (siehe Artikel vom 25. Juli 1939).
[2] Sinowjew selbst erklärte dies den Mitgliedern der Leningrader KP, die ihm in der Frage des "Trotzkismus" gefolgt waren, als er sich zwei Jahre später, 1926, mit Trotzki vereinigte: "Es war der Kampf um die Macht. Die Kunst bestand darin, die alten Meinungsverschiedenheiten mit den neuen zu verknüpfen. Genau aus diesem Grund wurde der 'Trotzkismus' in den Vordergrund gerückt ... "
[3] Heute umfasst der Begriff Trotzkismus das Programm der 4. Internationale, d. h. das "Übergangsprogramm", das die heutigen Trotzkisten wie Papageien bei jeder Gelegenheit nachplappern und gegen die Arbeiterklasse verwenden.
[4] Siehe Trotzkis Buch 1905
[6] Im Juli 1904 kritisierte Rosa Luxemburg auch Lenins Organisationsvorstellungen in Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, die in Die Neue Zeit veröffentlicht wurden. https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1904/orgfrage/text.htm [509]
[7] Der Bruch erfolgte bei praktischen Fragen und der Frage "Wie wird die Partei geschmiedet?", insbesondere nach der Diskussion über den Punkt 1 der Parteistatuten, der definiert, was ein Parteimitglied und seine Verantwortlichkeiten sind.
[8] Trotzki schrieb in seiner Biografie Mein Leben, dass es möglich war, alle Internationalisten in 4 Wagen zu transportieren.
[9] Lenin musste die bolschewistische Partei und ihre Führungsorgane davon überzeugen, dass die proletarische Revolution in Russland auf der Tagesordnung steht.
[10] Diese Theorie wurde in seinem nach 1905 verfassten Buch Ergebnisse und Perspektiven im Anschluss an Parvus' Krieg und Revolution entwickelt, der darauf hinweist, dass sich das kapitalistische System zu einem Weltsystem entwickelt hat, die revolutionäre Reife der bürgerlichen Gesellschaft also nur am Maßstab des als Totalität betrachteten Weltmarkts gemessen werden darf. Ein neuer Krisenzyklus begann. Die Schwelle zu dieser neuen Epoche, insbesondere des imperialistischen Krieges, wurde durch den russisch-japanischen Krieg überschritten. Das hatte Folgen: Der Krieg sollte die soziale und wirtschaftliche Krise zunächst in Russland katalysieren und vielleicht zum Sturz des Zarismus führen. Sobald Russland in Flammen stand, könnte sich in dieser Atmosphäre der allgemeinen Krise und der engen Verbindungen mit Europa die Revolution auf den Westen ausbreiten. Man sieht sofort, wie wichtig Parvus' Gedanken zunächst für Trotzki und dann für die Bolschewiki waren. Allerdings sieht man auch, wie sehr sich diese Vorstellungen mit den Vorstellungen der Linken in der europäischen Sozialdemokratie und insbesondere Rosa Luxemburgs überschneiden.
[11] Die Niederschlagung der Kronstädter Kommune 1921 kann nicht allein Trotzki angelastet werden. Die gesamte Dritte Internationale trug die Verantwortung dafür. Die Revolutionäre glaubten damals an die Möglichkeit eines Wiederaufschwungs der revolutionären Welle im Herzen Europas und mussten daher mit allen Mitteln durchhalten. Diese Ereignisse sind nicht eingetreten, und wir begreifen heute das Ausmaß des tragischen Irrtums, den alle Revolutionäre damals begangen haben.
[12] In dieser Zeit des sogenannten "Kriegskommunismus" kam es zu großen Diskussionen in der KPdSU. Insbesondere entstand die "Arbeiteropposition", die darauf abzielte, die Vorherrschaft der Gewerkschaften über den Wirtschaftsapparat durchzusetzen. Trotzki hingegen trat für die "Militarisierung der Gewerkschaften" ein, um eine neue wirtschaftliche Dynamik zu schaffen. Die Mehrheit der Partei mit Lenin erinnerte an die notwendige Trennung der Gewerkschaften vom Staat und die Notwendigkeit des Einsatzes von Maßnahmen der "Überzeugungsarbeit", um die notwendige Mobilisierung der Arbeiter zu schaffen. In der Tat lösten sich die Bauern von der Revolution und widersetzten sich den Requirierungen; in den Städten herrschte Knappheit und die Arbeiter demobilisierten sich.
[13] Bordiga hatte Trotzki gedrängt, Sprecher einer linken Opposition auf internationaler Ebene zu werden, insbesondere auf dem 5. Kongress der Kommunistischen Internationale (Juni 1924). Trotzki bat Bordiga, dem Antrag des 13. Parteitags der KPdSU, der die Opposition verurteilte (23.-31. Mai), zuzustimmen, um nicht ausgeschlossen zu werden.
[14] Brief der italienischen Fraktion an Trotzki vom 19. Juni 1930
[15] Prometeo 1. Juni 1930
[16] Vgl. unser Buch Die Italienische Kommunistische Linke, Kapitel 3.
[17] La lutte ouvrière 9. Juni 1936
[18] Artikel vom 30. Juli 1936, erschienen in La lutte ouvrière vom 9. August. All dies wird ausführlich im Programm Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale erläutert, das der Konferenz der Vierten Internationale am 29. und 31. Juli 1936 vorgelegt wurde.
[19] Siehe unseren Artikel Trotzkismus, ein Kind der Konterrevolution
[21] Révolution internationale Nr. 177, April 1989
Seit Ende der 1960er Jahre ist der dekadente Kapitalismus in eine neue Dimension der Wirtschaftskrise eingetreten, die sich für die Arbeiterklasse in einer ständig wachsenden Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen (Arbeitslosigkeit, Inflation, steigenden Stress am Arbeitsplatz, usw.) niederschlägt. Als Reaktion darauf hat die Arbeiterklasse den Kampf auf globaler Ebene wieder aufgenommen und mit ihrer Bewegung eine ganze Periode der Konterrevolution beendet, die 50 Jahre angedauert hatte. Um diesem Wiederaufleben der Arbeiterkämpfe entgegenzutreten, ist das Kapital immer mehr gezwungen, sich an seine linken und linksextremen Fraktionen (Regierungen in den 1970er Jahren in Portugal, Spanien, Italien, Frankreich, ...) zu wenden, die als einzige in der Lage scheinen, die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse auf das bürgerliche Terrain zu lenken und das Bewusstsein für ihre historischen Interessen zu unterbinden. Diese Fraktionen sind durch ihr Verstaatlichungsprogramm und ihre Arbeitersprache tatsächlich am besten in der Lage, die Einführung staatskapitalistischer Maßnahmen zu beschleunigen, die durch die Verschärfung des globalen Wettbewerbs notwendig geworden sind, während sie diese Maßnahmen der Arbeiterklasse geschickt als "sozialistische", "revolutionäre" Maßnahmen präsentieren und sie so dazu auffordern, die unvermeidliche Zunahme ihrer Ausbeutung und Unterdrückung zu akzeptieren und "ihr" nationales Kapital gegen die anderen zu verteidigen.
Innerhalb dieser linken Organisationen, genauer gesagt innerhalb derjenigen, die sich durch ihre "radikale" Sprache auszeichnen, finden sich trotzkistische Gruppen an vorderster Stelle. Dies rechtfertigt Artikel, die einerseits zeigen sollen, wie der Trotzkismus in der Geschichte entstanden ist, andererseits seine spezifische Rolle im bürgerlichen politischen Apparat und die Rolle, die er im Dienste des Kapitals spielen wird, wenn die Arbeiterklasse dazu neigt, sich selbstständig zu organisieren und zu kämpfen.
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Ungeachtet der Differenzen, die ihre getrennte Existenz rechtfertigen, stellen sich alle trotzkistischen Gruppen ausnahmslos als Fortsetzer der revolutionären Politik der bolschewistischen Partei und der Dritten Internationale dar. Darin unterscheiden sie sich nicht von anderen linken Fraktionen des Kapitals, die sich zur Rechtfertigung konterrevolutionärer Aktivitäten innerhalb der Arbeiterklasse auf deren vergangene Kämpfe und die Organe, die sie sich geschaffen hat, berufen. Um ihren Behauptungen Nachdruck zu verleihen, stützen sich die trotzkistischen Gruppen auf zwei Tatsachen:
1. Innerhalb der Dritten Internationale entwickelte sich ab 1924 als Reaktion auf den aufkommenden Stalinismus die "Linke Opposition", zunächst in Russland, dann international, aus der unter der Führung Trotzkis 1938 die Vierte Internationale hervorging, aus der die heutigen trotzkistischen Gruppen hervorgegangen sind.
2. Die Linke Opposition setzte ihre politische Tätigkeit auf der Grundlage der ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale fort, und Trotzki entwickelte auf der Grundlage bestimmter Positionen des zweiten, dritten und vierten Kongresses die gemeinsamen politischen Positionen der Gruppen, die sich auf ihn berufen.
Tatsächlich ist die "Verbindung", die sie zwischen den Revolutionären der 1920er Jahre und sich selbst herstellen, nur insofern konsistent, als:
- sie einerseits das übernahmen, was die "Fehler" der damaligen Arbeiterbewegung waren, und nicht die revolutionären Positionen, die die revolutionäre Welle von 1917-23 hervorgebracht hatte, und sie zu unveränderlichen politischen Prinzipien machten;
- Trotzki andererseits aus diesen falschen Positionen (für die er sich seit dem zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale 1920 als glühender Verfechter einsetzte) die Grundpositionen des "Trotzkismus" entwickelte – falsche Positionen, die 50 Jahre lang während der Konterrevolution als "linkes" Schutzschild der antiproletarische Politik der Bourgeoisie dienten.
Der Krieg von 1914 zwischen den imperialistischen Hauptmächten markiert den Eintritt des kapitalistischen Systems in seine Dekadenz und "eröffnet das Zeitalter der Kriege, Krisen und sozialen Revolutionen" (Erster Kongress der Kommunistischen Internationale). Als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg erhob sich das Proletariat international und sah, wie die Arbeiterklasse in Russland nach dem Oktoberaufstand von 1917 die Macht übernahm. Und der Kampf der Arbeiterklasse dauerte noch mehrere Jahre an, vor allem in Deutschland, Italien und Ungarn... In diesem allgemeinen Kontext verabschiedeten die revolutionären Organisationen, die sich auf ihrem Ersten Kongress 1919 in der Kommunistischen Internationale zusammenschlossen, im Lichte der Russischen Revolution politische Leitlinien, die den enormen Schritt, den die Arbeiterklasse weltweit gemacht hatte, zum Ausdruck brachten. Als solche lehnte sie die Auffassungen der Zweiten Internationale und der Zentristen à la Kautsky als bürgerlich ab (Reformismus, Parlamentarismus, Nationalismus, etc.) und rief die Arbeiterklasse dazu auf, die Diktatur der Arbeiterräte zu errichten.
Doch schon 1919 kündigte die blutige Niederlage des Proletariats zuerst in Deutschland und dann in Ungarn den Rückzug des weltweiten Kampfes an und verstärkte die Isolation der Revolution in Russland, die auch durch die Anstrengungen der Arbeiterklasse in den Jahren 1920-21 nicht aufgehalten werden konnte.
Mit den ersten Anzeichen des Rückgangs manifestierten sich die Auffassungen, die während der progressiven Periode des Kapitalismus vorherrschten (Parlamentarismus, Syndikalismus im Rahmen des Kampfes für Reformen), weiterhin in der Arbeiterklasse und dominierten zunehmend die Kommunistische Internationale. Dies zeigte sich in der allmählichen Rückkehr zu alten Taktiken aus dem Arsenal der Sozialdemokratie. Es tauchte bereits auf dem Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale auf, breitete sich aber vor allem auf dem Dritten und Vierten Kongress aus: Errungenschaften der Gewerkschaften, Parlamentarismus, Bündnisse mit Teilen der Bourgeoisie, nationale Befreiungskämpfe, Arbeiter- und Bauernregierung In Russland. Wo das Proletariat die Macht ergriffen hatte, führte die Isolation der Revolution dazu, dass die Verwirrung der bolschewistischen Partei über den Charakter der Macht der Arbeiterklasse (die Partei übt die Macht aus) sie dazu brachte, Maßnahmen zu ergreifen, die den Interessen der Arbeiterklasse entgegengesetzt sind: Unterwerfung der Räte unter die Partei, Einbindung der Arbeiter in die Gewerkschaften, Unterzeichnung des Vertrags von Rapallo (Geheimdiplomatie von Staat zu Staat: Recht für deutsche Truppen, auf russischem Territorium zu trainieren), blutige Unterdrückung von Arbeiterkämpfen (Kronstadt/Petrograd 1921). Die Annahme solcher Orientierungen durch die bolschewistische Partei und die Kommunistische Internationale, die dadurch die Rolle eines Beschleunigers des Rückgangs spielten, dessen Ausdruck sie waren, erfolgte jedoch nicht ohne Widerspruch innerhalb der Partei.
So sprachen sich auf dem Dritten Kongress der Kommunistischen Internationale 1921 die von Lenin als "Linke" bezeichneten und in der KAPD zusammengeschlossenen Mitglieder gegen die Rückkehr zum Parlamentarismus und zum Syndikalismus aus und zeigten, dass diese Positionen im Widerspruch zu denen des Ersten Kongresses standen, die versucht hatten, die Auswirkungen der neuen historischen Periode – die durch den Ersten Weltkrieg eingeleitet wurde – auf den Kampf des Proletariats zu verstehen.
Auf diesem Kongress reagierte auch die Italienische Linke, die die Kommunistische Partei Italiens leitete, scharf – wenn auch in tiefer Ablehnung der KAPD – auf die prinzipienlose Politik des Bündnisses mit den Zentristen und die Entstellung der KPs durch den Masseneintritt von Fraktionen aus der Sozialdemokratie.
Aber in Russland selbst (angesichts der Verwirrungen in der bolschewistischen Partei, die sich im Kontext der Isolation der Revolution zeigten) entstanden die ersten Oppositionen. So warnte bereits 1918 der "Kommunist" von Bucharin und Ossinski die Partei vor der Gefahr, eine Politik des Staatskapitalismus zu übernehmen. Drei Jahre später, nachdem sie aus der bolschewistischen Partei ausgeschlossen worden war, kämpfte Miasnikows "Arbeitergruppe" im Untergrund in enger Verbindung mit der KAPD und der KAP Bulgariens bis zum Jahr 1924, als sie unter den wiederholten Schlägen der Repression, denen sie ausgesetzt war, verschwand. Diese Gruppe kritisierte die bolschewistische Partei dafür, dass sie begann, die Interessen der Weltrevolution zugunsten der Verteidigung des russischen Staates zu opfern, und bekräftigte, dass nur die Weltrevolution die Revolution in Russland aufrechterhalten könne.
Man sieht also, anders als die Trotzkisten, die zu diesen Gegensätzen schweigen, glauben machen wollen, dass diese Tendenzen, die entschieden auf dem Standpunkt der proletarischen Interessen standen, nicht auf Trotzki und die "Linke Opposition" gewartet haben, um für die Bewahrung der grundlegenden Errungenschaften der Revolution in Russland und der Kommunistischen Internationale zu kämpfen.
Erst nach dem Scheitern der Politik der Komintern in Deutschland 1923 und Bulgarien 1924, die aus einer Mischung von Frontismus und "Putschismus" bestand, begann sich innerhalb der bolschewistischen Partei und insbesondere in ihren Führungssphären eine Strömung zu formieren, die als "Linke Opposition" bekannt wurde.
Diese Linke Opposition kristallisierte sich um angesehene Führer der bolschewistischen Partei wie Trotzki, Preobraschenski und Joffe heraus, fand aber in der Arbeiterklasse, die vom Bürgerkrieg ausgeblutet war, keinen wirklichen Widerhall. Die Punkte, an denen sie den Kampf führte, wurden in Bezug auf Russland durch ihre Losung "Feuer auf den Kulaken, den NEP-Mann, den Bürokraten" ausgedrückt. Einerseits kritisierte sie die von Bucharin propagierte klassenübergreifende Politik des "Bereichert euch auf dem Land", andererseits griff sie die Parteibürokratie und ihre Methoden an. Sie setzte diesen Kampf bis zu ihrem Ausschluss und der Unterdrückung ihrer Mitglieder (Hinrichtungen, Internierungen, Deportationen, Suizide, Trotzkis Exil) fort.
Auf internationaler Ebene protestierte die Linke Opposition ab 1925/26 gegen die Bildung des "Anglo-Russischen Komitees" und das Bündnis mit den Trade Unions (englische Gewerkschaften), das den großen Generalstreik der englischen Arbeiter sabotierte. Andererseits führte die Linke Opposition unter der Führung Trotzkis einen entschlossenen Kampf gegen die verbrecherische Politik der "stalinisierten" Kommunistischen Internationale in China, indem sie den Bruch der jungen Kommunistischen Partei Chinas mit der Kuomintang und den verschiedenen pseudo-progressiven bürgerlichen Kräften befürwortete. Sie bekräftigte, dass die Interessen des Weltproletariats nicht der Politik und den Interessen des russischen Staates geopfert werden dürften.
Darüber hinaus nahm sie den Kampf gegen die Theorie des "Sozialismus in einem Land" auf (die Bucharin im Auftrag Stalins entwickelt hatte). Auf dem 14. Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands, auf dem diese These angenommen wurde, war nur die Stimme der Mitglieder der Linken Opposition zu hören, die sie ablehnten.
Die Linke Opposition in Russland entstand, entwickelte sich und starb als proletarische Reaktion auf die katastrophalen Auswirkungen der Konterrevolution. Aber gerade die Tatsache, dass sie so spät auftauchte, belastete ihre Methode und ihren Kampf schwer. Sie erwies sich als unfähig, die wahre Natur des "stalinistischen" und "bürokratischen" Phänomens zu verstehen, da sie in ihren Illusionen über das Wesen des russischen Staates gefangen war. So kritisierte sie zwar Stalins Kurs, beteiligte sich aber gleichzeitig an der Politik, die Arbeiterklasse durch die Militarisierung der Arbeit unter der Ägide der Gewerkschaften in die Schranken zu weisen. Auch sie machte sich zum Verfechter des Staatskapitalismus, den sie durch eine beschleunigte Industrialisierung noch weiter vorantreiben wollte.
Im Kampf gegen die Theorie des "Sozialismus in einem Land" gelang es ihr nicht, mit den Zweideutigkeiten der bolschewistischen Partei in Bezug auf die Verteidigung des "sowjetischen Vaterlandes" zu brechen. Und ihre Mitglieder, allen voran Trotzki, präsentierten sich als die besten Befürworter der "revolutionären" Verteidigung des "sozialistischen Vaterlandes".
In solchen Vorstellungen gefangen, vermied sie jeden echten Kampf gegen die stalinistische Reaktion, indem sie sich darauf beschränkte, einige ihrer Auswirkungen zu kritisieren.
Andererseits verstand sie sich selbst nicht als revolutionäre Fraktion, die versucht, die großen Lehren der Oktoberrevolution theoretisch und organisatorisch zu bewahren, sondern als loyale Opposition zur Kommunistischen Partei Russlands. Sie schaffte es nicht, aus einem gewissen Manövrierertum herauszukommen, das aus prinzipienlosen Bündnissen bestand, um den Kurs einer fast völlig vergifteten Partei zu ändern (auf diese Weise suchte Trotzki die Unterstützung von Sinowjew und Kamenew , die ihn seit 1923 ständig verleumdet hatten). Aus all diesen Gründen kann man sagen, dass Trotzkis Linke Opposition in Russland immer hinter den proletarischen Oppositionen zurückblieb, die sich seit 1918 manifestiert hatten.
Auf internationaler Ebene begannen in verschiedenen Sektionen der Kommunistischen Internationale Tendenzen und Einzelpersonen aufzutauchen, die ihre Opposition gegen deren zunehmend offen konterrevolutionäre Politik zum Ausdruck brachten. Trotz eines Briefwechsels zwischen einigen dieser Tendenzen und Mitgliedern der Linken Opposition in Russland gelang es nicht sofort, eine feste Verbindung zwischen ihnen aufzubauen. Erst 1929, als die "linken Oppositionellen" in Russland von den Stalinisten gejagt und ermordet wurden, begann sich um den im Exil lebenden Trotzki herum und unter seiner Führung eine Gruppierung dieser Tendenzen und Einzelpersonen zu bilden, die den Namen Internationale Linke Opposition annahm. Sie ist in vielerlei Hinsicht eine Fortsetzung dessen, was die Bildung und der Kampf der Linken Opposition in Russland darstellten. Sie übernahm deren Hauptkonzepte und berief sich auf die ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale. Darüber hinaus setzte sie das Manövrierertum fort, die bereits die Linke Opposition in Russland charakterisiert hatte.
In vielerlei Hinsicht ist diese "Opposition" ein prinzipienloser Zusammenschluss all jener, die insbesondere eine "linke" Kritik am Stalinismus üben wollen. Sie verbot sich jede echte politische Klärung innerhalb ihrer Reihen und überließ es Trotzki, in dem sie das lebende Symbol der Oktoberrevolution sah, sich zu deren Sprecher und "Theoretiker" zu machen. Sie erwies sich unter diesen Bedingungen schnell als unfähig, den Auswirkungen der Konterrevolution zu widerstehen, die sich weltweit auf der Grundlage der Niederlage des internationalen Proletariats entwickelte.
Die Niederlage des Weltproletariats, die durch die neuen Rückschläge in Deutschland 1923 und in China 1927 bestätigt wurde, bedeutete keineswegs nur einen vorübergehenden Rückschlag für die proletarische Bewegung, sondern leitete in Wirklichkeit die längste und tiefste Periode der Konterrevolution ein, die die Arbeiterklasse in ihrer Geschichte je erlebt hat.
Demoralisiert durch ihre aufeinanderfolgenden Niederlagen, erneut isoliert und der bürgerlichen Ideologie unterworfen, erwies sich die Arbeiterklasse als unfähig, sich dem Kriegskurs zu widersetzen, in den das kapitalistische System erneut eingetreten war – eine historische Phase, in der es unaufhörlich von seinen nunmehr unüberwindlichen Widersprüchen zerfressen wird. Überall dort, wo die Arbeiterklasse angesichts des Elends, das ihr das krisengeschüttelte Kapital aufzwingt, versuchte, Widerstand zu leisten, stößt sie nicht mehr nur auf die sozialdemokratischen Parteien, die sich während der revolutionären Welle der 1920er Jahre als Wachhunde des Kapitals erwiesen haben, sondern nun auch auf die stalinistischen "kommunistischen" Parteien. Diese sind mit Leib und Seele ins Lager des Kapitals übergelaufen und nehmen ihre Funktion wahr, die Arbeiterkämpfe in die Irre zu führen und auf den Weg des Nationalismus und auf die Logik der imperialistischen Konfrontationen in der Vorbereitung der zweiten imperialistischen Schlächterei einzustimmen.
In diesem allgemeinen Kontext der Konterrevolution, der mit einem tiefen Rückgang des Klassenkampfes und des proletarischen Bewusstseins einhergeht, wurde es für Fraktionen und Tendenzen, die sich auf die kommunistische Revolution beriefen, immer schwieriger, dem Eindringen bürgerlicher Ideen in ihre Reihen zu widerstehen und gegen den Strom zu kämpfen, um die Errungenschaften der vergangenen revolutionären Bewegung zu erhalten und weiterzuentwickeln. Zumal im Gegensatz zur Konterrevolution nach der Niederlage der Pariser Kommune, die keine Illusionen über den Klassencharakter der die Arbeiterklasse niedermetzelnden "Versailler" aufkommen ließ, die triumphierende Konterrevolution dies nicht nur tat, indem sie Hunderttausende Arbeiterleichen hinterliess, sondern auch, indem sie die Arbeiterklasse über das Wesen dieses Prozesses im Unklaren ließ. In dem Maße, wie die Konterrevolution durch den langsamen Degenerationsprozess der Kommunistischen Internationale und der Russischen Revolution triumphierte, förderte sie alle Illusionen der Arbeiterklasse über die Aufrechterhaltung des "proletarischen" Charakters des russischen Staates und der Kommunistischen Parteien, die sich weiterhin auf den Oktober 1917 beriefen, um ihre Politik im Dienste des Kapitals zu rechtfertigen.
Die Linke Opposition, die diese Illusionen teilte und somit verbreitete, formierte sich also in dieser Periode der Konterrevolution und übernahm, ohne die Kommunistischen Internationale zu kritisieren, sowohl ihre Fehler, die aktiv zum Rückfluss der revolutionären Welle der 1920er Jahre beitrugen, als auch die falschen Vorstellungen der russischen Linken Opposition, die sie in eine Sackgasse im Kampf gegen Stalin geführt hatte.
Von 1929 bis 1933 verstand und handelte sie als "loyale Opposition" zur Politik der Kommunistischen Internationale, die sie von innen heraus zu korrigieren versuchte, während die Annahme der Theorie des "Sozialismus in einem Land" durch die Kommunistische Internationale ihren Tod als proletarisches Organ und den Übertritt ihrer Parteien ins Lager des Kapitals bestätigte. Obwohl die Linke Opposition ab 1933 endlich die konterrevolutionäre Funktion der stalinistischen Parteien "begriff" und sich auf die Bildung von den Kommunistischen Parteien abgetrennte Organisationen zubewegte, betrachtete sie diese weiterhin als "proletarisch" und handelte entsprechend, wobei sie die falschen Auffassungen, die der Bildung als Opposition zugrunde lagen, bis ins Absurde weiterentwickelte, und sich immer krasser als "linke" Rechtfertigungen der triumphierenden Konterrevolution erweisen sollten.
Während der gesamten Zeit bis zum Gründungskongress der Vierten Internationale 1938 war es angesichts der Heterogenität der Linken Opposition Trotzki selbst, der aus den Fehlern der Kommunistischen Internationale die Taktiken und Orientierungen entwickelte, die bis heute, von einigen Interpretationsunterschieden abgesehen, als Grundlage für die konterrevolutionäre Tätigkeit der trotzkistischen Gruppen innerhalb der Arbeiterklasse dienen und die in ihrer vollendeten Form im sogenannten Übergangsprogramm zu finden sind.
Mitte der 1930er Jahre wurde die trotzkistische Bewegung dazu gebracht, vor der Konterrevolution zu kapitulieren, indem sie sich der Volksfrontpolitik anschloss, die das Proletariat hinter der Nationalflagge vereinen sollte, d. h. der Vorbereitung auf den Krieg. In diesem Sinne machte sich die trotzkistische Bewegung objektiv daran, das Grundprinzip der Arbeiterbewegung aufzugeben, den proletarischen Internationalismus, der in der Epoche des Verfalls des Kapitalismus, in der Epoche der "Krisen, Kriege und Revolutionen" noch mehr als in der Vergangenheit, in der das Proletariat seinen Kampf für Reformen innerhalb der nationalen Grenzen entwickeln konnte, das entscheidende Kriterium für die Zugehörigkeit zum Lager des Proletariats und des Kommunismus darstellt.
Gefangen in den falschen Vorstellungen der russischen Linken Opposition, begab sich Trotzki, der die Maßnahme der Verstaatlichung der Produktion – d. h. den Übergang des Privateigentums an Produktionsmitteln ins Staatseigentum – mit einer "sozialistischen" Maßnahme gleichsetzte, auf das gleiche Terrain wie die Stalinisten, die die Aufrechterhaltung und Intensivierung der Ausbeutung der Arbeiterklasse im Namen des "Aufbaus des Sozialismus" rechtfertigen – in einem einzigen Land! Denn während Trotzki diese Theorie als bürgerlich verurteilte, anerkannte er implizit die Möglichkeit, dass das Wertgesetz, d. h. die Produktion für den Tausch, die Auspressung und Akkumulation des Mehrwerts durch die Lohnarbeit, die Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln, im Rahmen der nationalen Grenzen zumindest teilweise zerstört werden könnte.
Unfähig, in der sich in der UdSSR entwickelnden Bürokratie einen Erbfeind des Proletariats zu erkennen, die auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die auch nach der politischen Machtergreifung des Proletariats 1917 fortbestanden hatten, wiedergeboren wurde, verstand Trotzki nicht die Funktion der Verwaltung und Erhaltung dieser Verhältnisse durch diese Bürokratie, die er für eine "Arbeiter-Bürokratie" hielt, obwohl sie sehr wohl eine bürgerliche war. In der Praxis war Trotzki ein Verfechter des russischen Staatskapitalismus und beschränkte sich darauf, eine "politische" Revolution zu propagieren, die die "proletarische Demokratie" wieder einführen sollte.
So verteidigte er 1929 die Intervention der russischen Armee in China, wo die Regierung Chiang Kai-Sheks russische Beamte vertrieb, die mit der Verwaltung der Transsibirischen Eisenbahn beauftragt waren, die durch chinesisches Territorium führte und für die nationalen Interessen des russischen Kapitals von strategischer Bedeutung war.
Bei dieser Gelegenheit gab Trotzki die berühmt berüchtigte Losung "Für das sozialistische Vaterland immer, für den Stalinismus nie!" aus, die die stalinistischen (also kapitalistischen) Interessen von den nationalen Interessen Russlands trennte, den Proletariern ein "Vaterland" präsentierte, das sie verteidigen sollten, obwohl sie keines hatten, und schließlich den Weg zur Unterstützung des russischen Imperialismus aufrief.
Unfähig, die konterrevolutionäre und bürgerliche Natur und Funktion der stalinistischen und sogar der sozialdemokratischen Parteien zu erkennen, sah Trotzki in den von diesen Parteien entwickelten Mystifikationen (insbesondere demokratischer Antifaschismus, Volksfront, ...) Mittel zur Stärkung der Linken Opposition, die zum Entstehen einer neuen revolutionären Partei zu führen sollten.
In den Zickzack-Kursen der Stalinisten und den Manövern der Sozialdemokraten sah Trotzki jedes Mal Breschen, die durch den Druck der Arbeiterklasse entstanden seien, deren historische Niederlage er nicht begreifen konnte. Mit seinem Aufruf zur Einheitsfront und zur Einheit der Gewerkschaften spielte er nur der Konterrevolution selbst in die Hände, die die alten Mythen wieder auftischen musste, um die Arbeiterklasse noch mehr zu verwirren, die sie in einen neuen Weltkrieg hineinziehen wollte. In der antifaschistischen Allianz der spanischen und französischen Volksfront sah Trotzki einen Impuls für revolutionäre Politik, eine Grundlage für die Stärkung der trotzkistischen Positionen durch Entrismus, in den sozialistischen Parteien! Jede neue Taktik Trotzkis war ein weiterer Schritt in Richtung Kapitulation und Unterwerfung unter die Konterrevolution.
Indem Trotzki und die Gruppen, die am Gründungskongress der Vierten Internationale 1938 teilnahmen, in Anlehnung an die Bolschewiki die Losung vom "Selbstbestimmungsrecht der Völker" aufgriffen, die deren Illusion über die Möglichkeit ausdrückte, dass eine Nation unter imperialistischer Herrschaft sich "befreien" könne, ohne unter die Herrschaft eines anderen Imperialismus zu geraten, bezeichneten sie den Krieg zwischen China und Japan als einen Krieg zur nationalen Befreiung Chinas, der unterstützt werden müsse. Bereits damals wurden die Grundlagen für die propagandistische und manchmal auch aktive Unterstützung der nationalen Befreiungskämpfe durch trotzkistische Gruppen gelegt, die in der Epoche des dekadenten Kapitalismus zu einer Konfrontation zwischen den verschiedenen imperialistischen Blöcken führen, in denen das Proletariat nur als Kanonenfutter dienen kann.
Das politische Programm, das auf dem Gründungskongress der Vierten Internationale angenommen und von Trotzki selbst verfasst wurde und den heutigen trotzkistischen Gruppen als Bezugsbasis dient, nahm Trotzkis Orientierungen, die diesem Kongress vorausgingen, wieder auf und verschärft sie (Verteidigung der UdSSR, Arbeitereinheitsfront, falsche Analyse der Periode ...). Es konzentriert sich darüber hinaus auf eine sinnlose Wiederholung des Minimalprogramms sozialdemokratischer Art ("Übergangs"-Forderungen), das durch die Unmöglichkeit von Reformen seit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Phase der Dekadenz, des historischen Niedergangs, hinfällig geworden war.
Das Übergangsprogramm ebnete den Weg für die endgültige Integration der trotzkistischen Bewegung in die Kohorte der Anhänger des Staatskapitalismus, die im Namen der Einführung "sozialistischer Maßnahmen" die Arbeiterklasse nach dem Zweiten Weltkrieg in den nationalen Wiederaufbau, d.h. den Wiederaufbau des Kapitals, einspannten!
Angesichts der tiefgreifendsten Konterrevolution in der Geschichte der Arbeiterbewegung wurden die in den 1920er Jahren entstandenen kommunistischen Linksfraktionen, die damals schon gegen die Entartung und die Fehler der Kommunistischen Internationale kämpften, ebenfalls von der Konterrevolution mitgerissen. Diejenigen Teile der Deutschen Linken, die zu den ersten gehörten, die sich gegen die Rückkehr der sozialdemokratischen Taktik in die Kommunistische Internationale aussprachen und mit ihr brachen, gaben entweder ihre politische Aktivität auf oder verfielen der "rätistischen" Ideologie, die die Notwendigkeit der Partei und sogar die Russische Revolution ablehnte. Es war die Italienische Kommunistische Linke, die trotz gewisser und unvermeidlicher Schwächen den Großteil der Arbeit zur Verteidigung der Klassenpositionen leisten sollte. Trotz einer dramatischen Isolierung war es die Italienische Linke, die die Arbeit des politischen und theoretischen Begreifens der Auswirkungen der Niederlage des Proletariats leistete und sogar so weit ging, die Frage der Gültigkeit bestimmter Positionen der Kommunistischen Internationale, die Bordiga nicht in Frage gestellt hatte (wie die nationale Frage), neu zu stellen. In einer Reihe von entscheidenden Punkten widersetzte sich die Italienische Linke Trotzkis Orientierungen.
Aber ungeachtet ihrer Grenzen ermöglichten diese Fraktionen, anders als Trotzkis Linke Opposition, die Aufrechterhaltung der revolutionären Tradition. Es ist auch ihnen zu verdanken, dass die schwache revolutionäre Strömung heute wiederaufleben und sich entwickeln konnte.
Was die trotzkistische Strömung der 1930er Jahre betrifft, so war sie nach ihren Kapitulationen und trotz der Ermordung Trotzkis 1940 durch den Stalinismus mit Sack und Pack ins Lager des Kapitals überlaufen, indem sie sich auf die Seite des demokratischen und des russischen Imperialismus stellte.
Jahrzehnte nach dem Gründungskongress der Vierten Internationale vegetierten die politischen Gruppen, die die trotzkistische Tradition fortsetzten, im Schatten der stalinistischen "kommunistischen" Parteien und manche sogar in ihren Reihen. Seit den späten 1960er Jahren haben diese Gruppen jedoch ihre Mitgliederstärke und ihre Bedeutung innerhalb des politischen Apparats des Kapitals erhöht. Diese deutliche Veränderung lässt sich jedoch nicht durch eine Änderung ihrer politischen Positionen erklären. Was wir sehen, ist vielmehr das Fortbestehen von Trotzkis bis zur Absurdität getriebenen Fehlern, d. h. im Klartext: die Verteidigung der bürgerlichen Interessen! Die heutigen trotzkistischen Gruppen sind alle Fortsetzer der konterrevolutionären Politik der Trotzkisten während des Krieges und Verteidiger des berühmten Übergangsprogramms, unabhängig von den unterschiedlichen Interpretationen, die jede dieser Gruppen im Übrigen davon macht. Man möge sich ein Urteil bilden.
Das Übergangsprogramm propagierte als grundlegendes Prinzip, dass die Aktivisten der Vierten Internationale in den Gewerkschaften mitwirken sollten. Das Ergebnis war, dass überall Trotzkisten zu treuen Wächtern des Rahmens der Gewerkschaftsmaschinerie wurden. Zwar kritisieren sie den ewigen "Verrat der bürokratischen Führungen", aber sie hüten sich aus gutem Grund davor, der Arbeiterklasse beim Kampf gegen die Gewerkschaften zu helfen. Für Trotzkisten geht es darum, die gewerkschaftliche "Form", den "Inhalt" der Gewerkschaften zu bewahren und nur ein paar Handvoll schlechter "Bürokraten" zu beseitigen, als ob diese nicht das reine Produkt der Form und des Inhalts der Gewerkschaften in der Verfallsphase des Kapitalismus wären! In Wirklichkeit geht es für die Trotzkisten darum, den etablierten Bürokraten auf ihrem Terrain Konkurrenz zu machen, und wenn sie es durch Manöver schaffen, eine gewerkschaftliche Führungsposition zu besetzen, erweisen sich die Trotzkisten als perfekte Doppelgänger der Stalinisten oder Sozialdemokraten!
Während die Arbeiterklasse das Gewerkschaftsleben verlassen hat, versuchen die Trotzkisten, den Gewerkschaften, den wahren Polizeiorganen in den Betrieben, den Anschein von proletarischem Leben zu verleihen. Die Trotzkisten sind in das Getriebe der Gewerkschaften eingebettet und gehören zu denjenigen, die die Niederlagen der Arbeiterkämpfe vorbereiten, sie sabotieren und fehlleiten. Als Basisaktivisten, oft als Gewerkschaftsvertreter und manchmal als Gewerkschaftsfunktionäre, nehmen sie an allen von den verschiedenen Gewerkschaften organisierten Mystifizierungskampagnen teil und halten alle Illusionen aufrecht, die in der Arbeiterklasse noch existieren (Reformismus, Korporatismus, Fabrikgeist, Chauvinismus, Legalismus usw.).
Wenn in den Kämpfen Arbeiter mit den Gewerkschaften aneinandergeraten, wenn einige Gewerkschaftsmitglieder ihre Gewerkschaftsausweise zerreißen, predigen die Trotzkisten die Versöhnung mit den Gewerkschaften; sie versuchen, diejenigen, die aus den Gewerkschaften austreten, auf illusorischen Grundlagen wie "Lasst uns in die Gewerkschaften eintreten, um gegen die verräterischen Führungen zu kämpfen!" wieder in die Reihe zu bringen, was die Arbeiter noch mehr verwirrt ... Einige Trotzkisten gehen sogar so weit, den Beitritt zu zwei Gewerkschaften gleichzeitig vorzuschlagen, um die Gewerkschaftseinheit zu fördern, die in betrügerischer Weise mit der Arbeitereinheit gleichgesetzt wird! Im Klartext geht es den Trotzkisten darum, mit zahlreichen Methoden, von denen eine so schmutzig wie die andere ist, die Arbeiter aufzufordern, Druck auszuüben, damit diejenigen, die "sie verraten", sich vereinigen und "demokratischer" werden (d. h. den Trotzkisten mehr Sitze gewähren und noch mehr kämpferische Arbeiter in die Irre leiten). In jedem Fall trägt die Rolle der Trotzkisten immer zur Verbesserung und Verfeinerung der Gewerkschaftsführung bei.
Wenn in den Kämpfen Streikkomitees entstehen, sind die Trotzkisten, die die Frechheit besitzen, sich als Befürworter echter einheitlicher Organe der Arbeiterklasse zu präsentieren, natürlich die ersten, die fordern, dass die Gewerkschaften in diesen Komitees weiterhin mitreden und vertreten sein dürfen! Jedes Mal fordern sie im Namen der Solidarität und Einheit der Arbeiter und der Ausweitung des Kampfes die Unterstützung der Gewerkschaften oder flehen sie vielmehr an und ermöglichen ihnen so, die Bewegung mithilfe ihres bürokratischen Apparats wieder in den Griff zu bekommen, die Kontrolle über die "wilden" Kämpfe zurückzugewinnen, um sie zerschlagen zu können.
In Wirklichkeit tragen die Trotzkisten (wie übrigens auch andere Linke) als linke Bürgen und Kundenfänger der Gewerkschaften aktiv zur Entwaffnung der Klasse bei, indem sie die wahre Natur und Funktion solcher der Arbeiterklasse feindlichen Organe verschleiern.
Das Übergangsprogramm empfahl mit den Losungen "Arbeitereinheitsfront" und "Arbeiter- und Bauernregierung" den Kampf für die Vereinigung von Parteien, die sich auf die Arbeiterklasse und sogar auf die Bauernschaft berufen ... Mehr als dreißig Jahre später rufen die Trotzkisten, die weiterhin die sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien als "Arbeiter"-Parteien darstellen, die den einfachen Fehler hätten, "reformistisch" zu sein (obwohl die materielle Grundlage des Reformismus seit Beginn des Jahrhunderts mit dem Eintritt des Kapitalismus in seinen Niedergang verschwunden ist). Das heißt, die Mörder der deutschen Arbeiter und Revolutionäre in den 1920er Jahren, der russischen und spanischen Proletarier, die Kanonenfutterlieferanten der letzten beiden imperialistischen Weltkriege und aller innerimperialistischen Auseinandersetzungen seither an die Macht zu bringen (wo sie es nicht schon sind). Natürlich "kritisieren" sie die Politik dieser Parteien und fordern sie sogar auf, "mit der Bourgeoisie zu brechen" (sic!), was der Gipfel des Zynismus ist. Jedes Mal, wenn der kapitalistische Staat die linken Parteien brauchte, um die Arbeiterklasse zu unterdrücken, sie in den Krieg zu mobilisieren, die nationale Wirtschaft wieder aufzubauen und zu verwalten, das reibungslose Funktionieren der öffentlichen Behörden und der "sozialen" Dienste zu gewährleisten, waren und sind sie "anwesend". Von ihnen zu verlangen, "mit der Bourgeoisie zu brechen", heißt, von ihnen zu verlangen, ihren Charakter zu ändern, heißt, vom Kapital zu verlangen, Harakiri zu begehen, heißt, von einem Panzer zu verlangen, sich in einen Krankenwagen zu verwandeln. Eine solche kriminelle und absurde Politik führt dazu:
- die Illusionen in der Arbeiterklasse über die Natur dieser Parteien zu verstärken, die nur das Blut der Proletarier vergossen haben;
- durch eine pseudoradikale Kritik die Elemente, die sich von der Linken abspalten, wieder in den Schoß der Linken zurückholen;
- das Massaker an der Arbeiterklasse durch eben diese linken Parteien vorbereiten.
Im Übergangsprogramm wurde die Notwendigkeit der Teilnahme an Wahlen und am Parlament bekräftigt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – Kontinuität verpflichtet – haben die Trotzkisten keine einzige wichtige Wahl verpasst, die den Rhythmus des politischen Lebens der dekadenten Bourgeoisie ausmacht. Seit Ende der 1960er Jahre haben die Trotzkisten in Frankreich bei dieser Art der Intervention alle Register gezogen. Zwar erinnern sie manchmal zu Recht daran, dass Wahlen nicht wirklich das Kampfterrain der Arbeiterklasse sind, aber nach diesen höflichen Hinweisen auf revolutionäre Prinzipien geht es darum, wer die beste Rechtfertigung für die Teilnahme am bürgerlichen Wahlzirkus findet, der das Bewusstsein der Arbeiterklasse in Sackgassen lenken und vernebeln soll. Die Vorwände sind einer "realistischer" als der andere: "Die Arbeiter würden es nicht verstehen, wenn die Revolutionäre unter solchen Umständen nichts zu sagen hätten", "Dies ist die Gelegenheit, in dem Moment, in dem die ganze Aufmerksamkeit der Arbeiter auf die Wahlen gerichtet ist, eine revolutionäre Agitation zu machen, die Tribünen zu nutzen, die uns von der Bourgeoisie angeboten werden". Das heißt im Klartext: "Die Arbeiter sind konfus, isoliert, bewahren Illusionen über die Wahlen, also beteiligen wir uns an der Aufrechterhaltung dieser Konfusion".
Was die "revolutionäre Agitation" der Trotzkisten betrifft, so beschränkt sie sich darauf, mit Worten "die gerechten Kämpfe der Arbeiter" zu unterstützen (was jeder linke Pfarrer tun kann), von den "Arbeiter"-Parteien zu verlangen, dass sie wirklich die Interessen der Arbeiter verteidigen und natürlich mit der Bourgeoisie brechen, die "Rechte anzuprangern", und zwar in einer Sprache, die radikaler ist als die der sozialdemokratischen Linken, indem sie sogar ab und zu auf Arbeiterräte oder Klassengewalt verweist. All dies ist für die erste Runde der Wahlen reserviert ... Danach rufen sie natürlich, getreu ihrer wahren Natur als "kritische Unterstützer" der Linken des Kapitals, allgemein dazu auf, für diese zu stimmen, um, wie sie sagen, das real existierende "Bewusstsein" der Arbeiterklasse, das sie zynisch mit den Illusionen der Arbeiter verwechseln, "nicht zu überfordern". Wie die trotzkistische Gruppe Lutte Ouvrière in Frankreich sagte, "darf ihnen keine unserer Stimmen fehlen", – damit sie ihre Funktion als Verteidiger des nationalen Kapitals auf der höchsten Ebene des Staatsapparats wahrnehmen können. Auch hier besteht die Funktion der Trotzkisten und der Linken im Allgemeinen darin, die Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich von den Wahlen und der Demokratie abwenden, wieder auf ihre Bühne zu locken, und zwar mit einer ganzen pseudorevolutionären Phraseologie, die letztlich dazu dient, die Arbeiter wieder in den Schoß der Linken zurückzuholen, insbesondere diejenigen, die begonnen haben, ihre Illusionen über sie zu verlieren. Im Übrigen muss man daran erinnern, dass überall dort, wo die Trotzkisten ein gewisses Wahlgewicht erreicht haben, die Arbeiterklasse dafür teuer bezahlt hat (Sri Lanka, Bolivien, ...).
Das Übergangsprogramm stellte eine Reihe von wirtschaftlichen Forderungen in den Vordergrund, die als "Übergangsforderungen" bezeichnet wurden, weil sie "den objektiven Bedürfnissen der Massen" entsprechen würden, aber "vom Kapitalismus unberührt" seien, und, wenn die Arbeiterklasse für ihre Durchsetzung kämpfe, eine Dynamik des Klassenkampfs ermöglichen sollten, die es den Trotzkisten erlaubt, als "natürliche" Führer des Proletariats zu erscheinen und es zur Revolution zu führen. Die Logik der "Übergangsforderungen" bestand darin, bestimmten wirtschaftlichen Forderungen, die von den "Revolutionsexperten", als die sich die Trotzkisten verstanden, vorab formuliert wurden, einen inhärent revolutionären Charakter zu verleihen.
Jahre später hat diese Logik ihre ganze konterrevolutionäre Bedeutung gezeigt. Heute sind es "radikale" Lohnforderungen, die gleitende Lohnskala, die Aufteilung der Arbeitszeit auf alle, Verstaatlichungen ohne Entschädigung oder Rückkauf "unter Arbeiterkontrolle" von bankrotten Unternehmen, Banken, Monopolen etc., kurzum, das ganze Forderungswirrwarr, das die Trotzkisten aufstellen, dient nur dazu, die Arbeiter zu täuschen und Illusionen zu verbreiten, entweder durch eine Wiederbelebung der Rolle der Gewerkschaften oder durch "selbstverwaltete" Mystifikationen wie die "Arbeiterkontrolle". Was die Lohnforderungen betrifft, so begnügen sich die Trotzkisten damit, die offiziellen Forderungen der übrigen Linken zu überbieten, indem sie noch etwas drauflegen. Die gleitende Lohnskala ist eine utopische Maßnahme, die lediglich das zum Zeitpunkt ihrer Einführung erreichte Ausbeutungsniveau der Arbeiterklasse zementieren und eine Stärkung des Einflusses der Gewerkschaften bedeuten würde, die natürlich die Anwendung der gleitenden Skala "kontrollieren" müssten. Die Aufteilung der Stunden unter allen Arbeitenden ist ein Vorschlag zur Rationalisierung der kapitalistischen Ausbeutung, der die Aufrechterhaltung der Lohnarbeit voraussetzt, wobei der halbutopische Charakter dieses Vorschlags nicht über seinen demagogischen und reaktionären Inhalt hinwegtäuschen darf. Was die Verstaatlichungen betrifft, so sind sie vollkommen kapitalistisch integrierbar, und seit sie in großem Maßstab angewandt werden, haben sie weder das Los der Arbeiterklasse verbessert noch ihren Kampf erleichtert. Was die "Arbeiterkontrolle" betrifft, so ist sie nur eine von vielen Formen der von der Bourgeoisie vorgebrachten Mystifikationen, um die Arbeiterklasse unter der Kontrolle des bürgerlichen Staates an der Verwaltung ihrer eigenen Ausbeutung zu beteiligen!
Durch dieses ausgeklügelte Forderungssystem, das übrigens je nach den verschiedenen trotzkistischen Gruppen, die sich ständig über die Zweckmäßigkeit dieser oder jener bestimmten Forderung streiten, variiert, tragen diese auf mehreren Ebenen zur Schwächung und Irreführung der Arbeiterkämpfe bei:
- Sie verstärken die Illusionen der Arbeiter, dass sie im dekadenten Kapitalismus eine dauerhafte Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen erreichen können.
- Sie tragen dazu bei, dass die Arbeiterkämpfe im wirtschaftlichen Rahmen des Kapitals, in der Werkstatt, in der Fabrik, in der Branche, in der Berufssparte und in der Nation gefangen sind.
- Sie agieren als Unterstützer staatskapitalistischer Maßnahmen innerhalb der Arbeiterklasse, indem sie diese Maßnahmen als Meilensteine auf dem Weg zum "Sozialismus" oder sogar als Beginn des "Sozialismus" selbst ausgeben. Wie die anderen linken Parteien befinden sie sich also sehr wohl auf dem Gebiet der Aufrechterhaltung des dekadenten Kapitalismus.
- Durch ihre geschickte Trennung zwischen dem wirtschaftlichen Kampf und dem politischen Kampf der Arbeiterklasse halten sie die Schwierigkeit derselben aufrecht, sich ihrer Stärke, ihrer historischen Rolle und des revolutionären Inhalts ihrer Forderungskämpfe bewusst zu werden.
- Sie verzögern also das Entstehen der proletarischen Revolution, indem sie hoffen, die Arbeiterklasse in eine einfache "gewerkschaftliche" Sicht ihres Kampfes zu pressen.
Außerdem behaupten Trotzkisten weiterhin, dass die Wirtschaft in der UdSSR etwas „Sozialistisches“ hätte, dass der Staat Produktionsverhältnisse widerspiegele, die die Arbeiterklasse beibehalten solle (da sie diese 1917 eingeführt habe!), so dass das russische Proletariat weder den Staat, der es unterdrückt, zerstören noch das Wirtschaftssystem, in dem es brutal ausgebeutet wird, radikal umgestalten solle! Wenn also die russischen Arbeiter und Arbeiterinnen, wie die auf der ganzen Welt, gegen die brutale Ausbeutung, der sie ausgesetzt sind, kämpfen, sich gewaltsam mit den Gewerkschaften, der Polizei, der "roten" Armee auseinandersetzen, die regierende "Kommunistische Partei" angreifen, d. h. den kapitalistischen Staat, der Garant ihrer Ausbeutung und ihres Elends ist, befürworten Trotzkisten den Kampf für einen einfachen Personalwechsel im Räderwerk des Staatsapparats, den Kampf dafür, die "schlechten" Bürokraten durch "gute" zu ersetzen. Auch hier machen sie sich zu den gefährlichsten Verteidigern des Staatskapitalismus, den sie den Arbeitern vorschlagen zu "demokratisieren".
Das Übergangsprogramm befürwortete die "bedingungslose Verteidigung der UdSSR" im Kriegsfall und gab darüber hinaus die Losung der nationalen Unabhängigkeit für die rückständigen, den großen imperialistischen Staaten unterworfenen Länder aus.
Trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise, wie diese Orientierungen heute umgesetzt werden sollen, haben die Trotzkisten insgesamt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs keine Gelegenheit ausgelassen, den russischen imperialistischen Block gegen den amerikanischen imperialistischen Block zu unterstützen.
Hinter einer demagogischen antiimperialistischen Sprache setzten sie sich dafür ein, dass der US-Imperialismus seinen Zugriff auf die Regionen und Länder der Erde, um die es bei der Rivalität zwischen den beiden großen Blöcken geht, aufgibt, d. h. dem russischen Imperialismus Platz macht.
Unter dem Vorwand des "Kampfes für nationale Unabhängigkeit" – d. h. des Rechts jeder Bourgeoisie, "ihre" eigene Arbeiterklasse im Rahmen der nationalen Grenzen ihres Staates ungeteilt ausbeuten zu können – riefen die Trotzkisten die Proletarier in den Ländern der sogenannten "Dritten Welt" dazu auf, sich hinter die "fortschrittlichste", "am wenigsten reaktionäre" oder "revolutionärste" Fraktion der nationalen Bourgeoisie, die sich in Wirklichkeit als die "pro-russischste" herausstellte, einzureihen und für sie zu sterben.
Die Trotzkisten kämpften tatsächlich dafür, dass Arbeiter auf der ganzen Welt diese nationalen "Befreiungskämpfe" unterstützten, indem sie die Kluft zwischen den Proletariern in jedem Land noch weiter vergrößerten, sie dazu brachten, sich gegenseitig zu töten, und sie von ihrem wahren Feind ablenkten: der Weltbourgeoisie, jeder nationalen Bourgeoisie, jedem imperialistischen Staat.
Die Aktivitäten der trotzkistischen Gruppen seit Ende der 1960er Jahre stehen also in einer Linie mit der Degeneration der 1930er Jahre und ihrem Übertritt ins bürgerliche Lager während des Zweiten Weltkriegs. Und das relative Wiedererstarken der trotzkistischen Gruppen in den letzten Jahren lässt sich im Lichte der Veränderungen im Leben des Kapitalismus gegen Ende der 1960er Jahre und seines Eintritts in eine neue Phase der Wirtschaftskrise mit dem Wiederaufleben der Kämpfe des Weltproletariats erklären. Im Lichte der Probleme und Notwendigkeiten, die sich dem Kapital aufdrängen, lässt sich die Stärkung der Position der Trotzkisten verstehen.
Révolution Internationale, 1976
Im Gegensatz zur Aktivität der "Trotzkisten" nach 1945 lag der Aktivität der Strömung rund um Trotzki von 1938, wie sie sich aus dem Übergangsprogramm ergab, zumindest der Versuch zugrunde, den Charakter der damaligen Periode (tödliche Agonie des Kapitalismus, keine Entwicklung der Produktivkräfte, baldiges Wiedererwachen des revolutionären Proletariats) einzuschätzen. Selbst wenn diese Analyse richtig gewesen wäre, hätte sie Trotzkis opportunistische und aktivistische Verwirrungen nicht gerechtfertigt. Aber es ist wichtig, die heutigen Vorkämpfer des Empirismus daran zu erinnern, dass der alte Revolutionär noch das Anliegen hatte, das sie nicht mehr haben: die eigene Tätigkeit auf ein Verständnis der objektiven Situation zu stellen.
Alle Teile von Trotzkis theoretischem und politischem Werk waren in dieser Zeit durch einen einzigen Faden miteinander verbunden: die Überzeugung vom bevorstehenden revolutionären Aufstieg des Proletariats. Trotzki betrachtete den weltweiten Rückschlag der Revolution stets als ein vorübergehendes Phänomen, das aus einer zeitweiligen Unterbrechung des 1917 begonnenen Kampfzyklus resultierte. So gesehen waren Niederlagen, die nicht einen ganzen konterrevolutionären Zyklus (Krise-Krieg-Wiederaufbau) eröffneten und nicht alle organisatorischen Errungenschaften des vorherigen Zyklus mit sich rissen, für ihn nur eine instabile Pause als Vorspiel für neue Ausbrüche des Klassenkampfs.
Diese nie in Frage gestellte Überzeugung liegt seiner Verteidigung der angeblichen "Arbeiter"-Organisationen zugrunde, die in seien Augen trotz ihrer Führer "Errungenschaften" blieben. Sie war Grundlage für seine Wahrnehmung der russischen Bürokratie als "Kugel auf der Spitze einer Pyramide", der Gewerkschaften, der "Errungenschaften" des Oktobers. Auf dieser Grundlage konnte Trotzki den Fehler begehen, den Faschismus als Reaktion auf eine Gefahr der proletarischen Revolution zu betrachten, obwohl der Faschismus sich nur entwickeln konnte, weil der Klassenkampf immer mehr erloschen war. Dieser Fehler führte Trotzki zu der Annahme, dass in Deutschland 1933 der Druck der Arbeiterklasse die KPD und die Sozialdemokratie "zwingen" könnte, den Gegenangriff zu organisieren. Diese Überzeugung rechtfertigte in Trotzkis Augen auch die Schaffung einer künstlichen vierten "Internationale", ein übereiltes Gerüst, um die Avantgarde anzuziehen, von der er überzeugt war, dass sie als Errungenschaft früherer Kämpfe innerhalb der stalinistischen und sozialdemokratischen Organisationen bestehen blieb.
Nur diese Sicht kann erklären, warum Trotzki auf dem Höhepunkt des Zusammenbruchs des Proletariats (1938) ohne zu zögern schreiben konnte: "In Frankreich haben es die Reformisten geschafft, ... den revolutionären Strom zu kanalisieren und zumindest zeitweise zu stoppen." – "In den USA tun sie alles, um die revolutionäre Offensive der Massen einzudämmen und zu lähmen", und in Deutschland schließlich "werden die Sowjets das Land überziehen, bevor in Weimar eine neue Konstituierende Versammlung zusammentritt ...".
Trotzki verstand nicht, dass seit der Niederschlagung der Deutschen Revolution (1923), der letzten Hoffnung auf eine Wiederaufnahme der revolutionären Welle, nunmehr die Konterrevolution, d. h. das dekadente Kapital, allen Errungenschaften, allen permanenten Organisationen seine Logik aufzwang und die Kämpfe für seine Zwecke missbrauchte. Krise, Faschismus, New Deal, Volksfront, lokale Kriege, dann allgemeiner Krieg, Aufteilung der Welt, Kalter Krieg, Wiederaufbau waren nur Momente der arroganten, selbstbewussten Konterrevolution, die auf dem Leichnam der Revolution in die früheren Errungenschaften der Arbeiterklasse eindrang und sie ihres proletarischen Inhalts beraubte. Im Laufe dieses blutigen, barbarischen, unmenschlichen Zyklus wurden alle Anstrengungen der Arbeiterklasse auf das Terrain der Verteidigung einer Kapitalfraktion gegen eine andere abgelenkt.
Es stimmt, dass sich der Kapitalismus 1938 in einer schrecklichen Krise befand und dass das Elend der Massen bis 1947/49 nie so groß gewesen war. Wichtig zu verstehen war jedoch: Da das Proletariat als eigenständige Klasse von der Bühne verschwunden war, würde das Kapital die Krise mit seinen eigenen Mitteln (Krieg-Umverteilung-Wiederaufbau) überwinden. Der Arbeiterklasse wird nichts erspart bleiben: Mit ihrem Blut und ihren Illusionen wird die neue Weltkarte festgelegt, von Katalonien bis Stalingrad und von Dresden bis Warschau. Und mit dem Schweiß der Arbeiter wird die kapitalistische Weltwirtschaft "wiederaufgebaut".
Unter diesen Umständen bestand die Rolle der Revolutionäre nicht darin, den demoralisierten Massen hinterherzulaufen und alle Prinzipien über Bord zu werfen, in jeder Episode des Kampfes der verschiedenen Kapitalfraktionen untereinander, der letztlich immer ein einhelliger Kampf gegen die Arbeiter ist, Partei für eines dieser Lager zu ergreifen oder den "Übergangs"-Wundertrank zu brauen, der die "Brücke" zwischen ihrer Passivität und der Revolution schlagen soll, sondern darin, die bisherigen Erfahrungen kritisch zu studieren und sich theoretisch vorzubereiten, die Klassenprinzipien zu verteidigen und allen aktivistischen und ungeduldigen Versuchungen zu widerstehen.
Diese Arbeit haben einige winzige Fraktionen, die aus den Italienischen und Deutsch-Holländischen "Linken" hervorgegangen sind, geleistet – manches besser, manches schlechter, aber sie haben sie geleistet. Ob sie selbst unter dem Druck der Periode standen, ob sie während dieser endlosen Reise sektiererische und dogmatische oder im Gegenteil empiristische Krankheiten bekamen, ändert nichts an der Tatsache, dass es ihrer Klarheit zu verdanken ist, dass wir heute den Trotzkismus überwinden können.
Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Frage nach dem Wesen der UdSSR nicht mehr eine offene Diskussion unter Revolutionären, sondern eine Klassengrenze für Internationalisten. Die Charakterisierung des russischen Kapitalismus als "Arbeiterstaat" führt zur Verteidigung eines Imperialismus in einem bewaffneten Konflikt. Sie gesteht de facto dem Stalinismus und der nationalen kapitalistischen Akkumulation eine progressive Rolle zu: mit einem Wort, dem in "sozialistische" Phrasen gehüllten Kapital. Darüber hinaus führt sie zur Verteidigung von Verstaatlichungen, d. h. zur Tendenz des dekadenten Kapitalismus zum Staatskapitalismus.
Diese Charakterisierung stiftet Verwirrung in der Arbeiterklasse, weil sie – ob sie will oder nicht – verkündet, dass es für die Arbeiterklasse nicht möglich sei, aus dem falschen Dilemma auszubrechen, in das sie seit Jahrzehnten eingesperrt ist und aus dem sie gerade erst herauszukommen beginnt: Verteidigung des russischen oder des westlichen Kapitals.
Das ist noch nicht alles. Die Theorie des "degenerierten Arbeiterstaates" vernebelt auch das Verständnis dessen, was der Kapitalismus ist. Implizit oder explizit reduziert Trotzkis Analyse den Kapitalismus auf eine Reihe formaler, rechtlicher, partieller, starrer Merkmale (individuelles Eigentum an Produktionsmitteln, ihre Veräußerbarkeit, das Erbrecht usw.). Sie versteht den Kern der Widersprüche des Systems absolut nicht. Sie erkennt diese Widersprüche in der UdSSR nicht, weil sie sie in Wirklichkeit auch in den traditionellen kapitalistischen Ländern nicht erkennt.
Die UdSSR als "Arbeiterstaat" zu charakterisieren, bedeutet in erster Linie zu behaupten, dass es in Zeiten der weltweiten Kapitalherrschaft für einen Nationalstaat möglich wäre, sich zumindest teilweise den Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise zu entziehen. Eine solch ungeheuerliche Vorstellung kann nur auf einer völlig falschen Sicht des Kapitalismus als historisches und globales System beruhen.
Betrachten wir für einen Moment einen rein imaginären und absurden Fall. Stellen wir uns vor, dass Russland, geschützt durch eine undurchdringliche Mauer, in völliger Autarkie gegenüber dem Weltmarkt lebe. Nehmen wir sogar an, dass keine der offensichtlichen "Kategorien" des Kapitalismus dort zu finden seien; dass das System an sich das Aussehen einer gigantischen Gesellschaft allgemeiner Sklaverei habe, ohne Außen- und Binnenhandel, ohne Geld, ohne Kapital. Nehmen wir weiter an, dass die Sklaven in Naturalien bezahlt würden und dass der Staat die gesamte Wirtschaft bis zur letzten Schraube oder zum letzten Weizenkorn "plane".
Selbst in diesem extremen und rein hypothetischen Fall hätten wir das Recht zu behaupten, dass ohne Lohnarbeit, Tausch und Kapital die GESETZE der russischen Gesellschaft vollständig von denen des Weltmarkts bestimmt würden und dass ohne einen erkennbaren "Wert" das WERTGESETZ das GESETZ hinter jedem Ausdruck dieser Wirtschaft darstellen würde.
Autarkie ist nur eine Form des Wettbewerbs. Selbst wenn die staatliche Akkumulation nicht die Form des Geldkapitals, der Überschuss nicht die Form des Mehrwerts und die Arbeitsprodukte nicht die Form der Ware annehmen würden, wäre es die Konkurrenz mit dem Weltkapital, die direkt die Rate, das Tempo und die Form dieser Akkumulation bestimmen würde; sie und nur sie würde es ermöglichen, die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und ihre Dynamik zu verstehen, und nicht die "Bosheit", der "Autoritarismus", der "Parasitismus" oder der "Bürokratismus" der "Verwalter".
Die bloße Notwendigkeit, diese Autarkie aufrechtzuerhalten, würde die heftige, intensive, tayloristische, ständig zunehmende Ausbeutung der Arbeiter erfordern. Je schärfer der internationale kapitalistische Wettbewerb würde, je mehr die Arbeitsproduktivität stiege, je mehr neue technische Verfahren und Waffen auftauchten, desto mehr würde die Autarkie von der Fähigkeit der "Bürokraten" abhängen, die Produktivität zu Hause zu steigern, neue Verfahren und Waffen zu erfinden. Nur wenn die Pharaonen dieses imaginären Staates Schritt für Schritt den Notwendigkeiten folgen, die ihnen der globale Wettbewerb auferlegt, könnten sie Mauern errichten, die ihnen die Illusion geben, ihren Gesetzen "zu entkommen". Daher hätten wir das Recht, diese Pharaonen als Beamte des Kapitals, als Kapitalisten zu bezeichnen, denn sie sind lediglich die Vertreter der unausweichlichen Notwendigkeit der Akkumulation in dieser Festung, die vom KAPITAL als globaler Produktionsweise vollständig durchgesetzt wird. Denn die Gesetze des globalen Kapitalismus würden nicht mehr durch ein Spiel von Angebot und Nachfrage ausgeübt und durch vorkapitalistische Reste behindert, sondern direkt durch die Beamten dieses Staates, die wahren Statthalter des internationalen Kapitals, ausgeübt.
Selbst in diesem Extremfall wäre es genauso legitim, die russischen Bürokraten als Kapitalisten zu bezeichnen, wie es für Marx legitim war, die Sklavenhalter im Süden der USA so zu nennen, weil sie, wie er sagte, nur in einem kapitalistischen System (und in Bezug auf dieses) Sklavenhalter sind. In einer kapitalistischen Welt, selbst im imaginären Land der modernen Pharaonen, wäre der Despotismus innerhalb der Fabrik der Anarchie auf dem Markt untergeordnet und die "Planung" den blinden Gesetzen der Konkurrenz.
Zum Leidwesen der Vertreter der absurden Theorie vom "degenerierten Arbeiterstaat" widerspricht die Realität den Grundlagen ihrer Analyse noch gnadenloser. Denn Russland lebt nicht nur nicht autark, sondern alle wesentlichen Erscheinungsformen des Kapitalismus sind in Russland selbst offen am Werk, und zwar nicht nur im oben genannten Sinne, sondern auch in einer leicht erkennbaren "inneren" Form. Russische Arbeiter werden mit Geld entlohnt. Diese Tatsache allein impliziert die Existenz des Tausches, der Warenproduktion, des Wertgesetzes, der Herrschaft der toten Arbeit über die lebendige Arbeit, des kapitalistischen Profits und seiner sinkenden Rate, selbst für trotzkistische Kurzsichtigkeiten, die Russland isoliert analysieren würden!
Doch die Erben der "Verratenen Revolution" (Titel eines Buches von Trotzki) erweisen sich als unfähig, die Identität der sozialen Aufgaben russischer oder amerikanischer, chinesischer oder französischer, polnischer oder deutscher Proletarier zu verstehen. Diejenigen in den sogenannten "sozialistischen" Ländern dürfen sich nicht von "reformistischen" Parolen ("Demokratie", "Abbau von Privilegien", "Selbstverwaltung", etc.) täuschen lassen – und die in den traditionellen kapitalistischen Ländern nicht von den lauten Reden gegen "Trusts" und "Spekulation" oder "Parasiten". Die Aufgaben der Arbeiterklasse in beiden imperialistischen Blöcken[1] fallen zusammen: erstens die Zerstörung des bürgerlichen Staates im Weltmaßstab und zweitens die Zerstörung der Wertform der Arbeitsprodukte – das heisst der Tatsache, dass sie über ein allgemeines Äquivalent entsprechend der gesellschaftlich zu ihrer Herstellung notwendigen Arbeitszeit getauscht werden – durch die weltweite Abschaffung der Trennung der Arbeiterklasse von den Produktionsmitteln und jeglicher Konkurrenz, ob national oder international. Durch die Zerstörung der Lohnarbeit (Austausch der Ware Arbeitskraft gegen einen Lohn) und der Warenproduktion (Austausch von Waren). Das ist die Abschaffung des Kapitals, das weder die "Macht der Monopole" noch die der "200 reichen Familien" ist, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis. Alles andere – "Verstaatlichungen", "Arbeiterkontrolle über die Profite" – sind nur Vorschläge, um den Kapitalismus besser zu verwalten.
In den östlichen Ländern stellt sich der Trotzkismus als reformistische Strömung dar, die für eine "politische" Revolution kämpft, die die kapitalistischen Produktionsverhältnisse unangetastet lässt, indem sie einfach die Worte "Arbeiterkontrolle" und "Arbeiterdemokratie" anhängt. Da sie nicht begreifen kann, dass der Staatskapitalismus nur die Verwirklichung der innersten Tendenzen des traditionellen Kapitalismus in der Epoche seines Niedergangs ist, ist sie unfähig, über diese Tendenzen hinauszudenken und entsprechend zu handeln, und schlägt einzig ein Maximalprogramm vor, das vor der Zerstörung der kapitalistischen Verhältnisse haltmacht.
In einer Zeit, in der das Kapital die gesamte Menschheit für seine eigenen Bedürfnisse versklavt, ist es nicht möglich, in Paris revolutionär und in Danzig reformistisch oder in Turin internationalistisch und in Moskau chauvinistisch zu sein.
Trotzkis Haltung zum Krieg in Spanien zeiget die Tiefe seines Rückschritts von kommunistischen und internationalistischen Prinzipien. So kritisch er auch war, seine Unterstützung für die Volksfront, den demokratischen bürgerlichen Staat und den imperialistischen Krieg, den sie führten, waren die Vorboten des Zusammenbruchs der Vierten Internationale in den Chauvinismus während des Zweiten Weltkriegs.
Trotzkis Position während des so genannten "Bürgerkriegs" ist ein Meisterwerk des Zentrismus. Er beginnt mit einer heftigen Verunglimpfung der "bürgerlichen Demokratie" und erklärt, dass nur die unabhängige Aktion des Proletariats seinen eigenen Sieg sichern kann. Er kritisierte nicht nur die konterrevolutionäre Rolle der Stalinisten, sondern auch die der Anarchisten und der POUM, die er zu Recht als "linker Flügel der Volksfront" bezeichnete. Dennoch erklärte der ehemalige russische Revolutionär, "die offizielle Führung zu akzeptieren, solange (wir) nicht stark genug sind, sie zu stürzen", und er warnte das Proletariat vor jedem Versuch, "heute die Regierung Negrin zu zerschlagen ... (was) nur dem Faschismus dienen würde". Als echter Hardliner empfiehlt er, "sich klar von Verrat und Verrätern abzugrenzen, ohne aufzuhören, die besten Kämpfer an der Front zu sein".
Trotzkis Position beruhte auf einer völlig falschen Analyse der Klassenverhältnisse in Spanien. Er war der Ansicht, dass innerhalb der "republikanischen" Klasse eine "hybride, verworrene, halb blinde, halb taube Revolution" stattfände, die es in eine "sozialistische Revolution" zu verwandeln gelte. Er beschrieb den Kampf zwischen den beiden Fronten als "den Kampf zwischen zwei sozialen Lagern, von denen das eine von der bürgerlichen Demokratie und das andere vom Faschismus unterjocht wurde". Kurzum, für Trotzki die proletarische Armee mit bürgerlichen Führern: "Wenn an der Spitze der bewaffneten Arbeiter und Bauern, d.h. des republikanischen Spaniens, Revolutionäre gestanden hätten und nicht polternde Agenten der Bourgeoisie ...", wenn es Revolutionäre an der Spitze des bürgerlichen Staates gegeben hätte... Es ist nicht Louis Blanc, der hier spricht, sondern der Mann, der einst an der Spitze des Petrograder Sowjets stand!
Gleichzeitig stellte die um die Zeitschrift BILAN gruppierte Fraktion der Italienischen Kommunistischen Linken eine radikal andere Diagnose als die, die der phantasmagorischen Vision einer "halbbewussten" (sic!) Revolution zugrunde lag, die in dichten Bataillonen unter dem Befehl der "feigen Agenten der Bourgeoisie" zum Gemetzel vorrückte. In Wirklichkeit hatte die "demokratische" Fraktion des Kapitals es geschafft, das Proletariat in einen "antifaschistischen Bürgerkrieg" einzuschließen, die Arbeiter in ein bürgerliches stehendes Heer einzuspannen und die Klassenfronten vollständig durch territoriale Fronten zu ersetzen.
Der ideologische Frontalangriff war nicht sofort erfolgreich, aber der demokratischen Bourgeoisie sollte es gelingen, die Arbeiterklasse auf eine Basis zu nageln, auf der sie sich nicht mehr als eigenständige Kraft behaupten konnte.
Von da an war der "republikanisch-nationalistische" Krieg nur noch ein kapitalistischer Konflikt, in dem Arbeiter, die dem bürgerlichen Staat völlig unterworfen waren, für Interessen, die nicht die ihren waren, abgeschlachtet wurden. Wie jeder Konflikt zwischen kapitalistischen Staaten wurde auch das spanische Gemetzel sofort zu einem Teil des imperialistischen Weltkriegs, in dem die verschiedenen Länder mehr oder weniger deutlich Stellung bezogen, natürlich unter dem Deckmantel des "Faschismus" oder "Antifaschismus" und indem arme Arbeiter und Bauern ihr Blut vergossen, während französische, deutsche, russische usw. Kanonen feuerten.
Unter diesen Umständen bestand die einzige Chance auf einen revolutionären Prozess darin, den imperialistischen Fronten diejenigen des Klassenkampfes entgegenzustellen, ohne Angst, die republikanische Front zu schwächen, und indem die Arbeiter aufgerufen worden wären, die "besten Kämpfer" der Klassenfront zu sein, die sie selbst innerhalb der beiden imperialistischen Fronten errichten sollten, und nicht des "heldenhaften" Viehs der bürgerlichen Armee. Die ewigen "Realisten" schrien, dass dies Franco begünstigen würde. Aber die einzige Chance, Franco zu schlagen, bestand darin, den Klassenkampf in die von ihm besetzten Gebiete zu tragen, und dazu musste er zunächst kompromisslos dort entstehen, wo sich die fortschrittlichsten Fraktionen des Proletariats befanden, in den so genannten "freien" Zonen. Trotzki stimmte zwar generell mit der elementaren Wahrheit überein, dass die Arbeiter die soziale Revolution gegen Caballero und Franco durchführen mussten, wurde aber durch seine oberflächliche Sicht der Dinge dazu verleitet, "kritisch" Partei für eine imperialistische Armee zu ergreifen.
Gegen Ende des Krieges 1938/39 radikalisierte Trotzki seine Sprache so weit, dass er die Thesen der Italienischen Kommunistischen Linken übernahm, aber nie mit seiner katastrophalen Auffassung brach, wonach in einem von einem kapitalistischen Staat geführten Krieg ein revolutionärer Prozess stattfinden könne, der die Fronten nicht völlig umstoße, und dass unter der Führung eines stehenden bürgerlichen Heeres eine "unbewusste Revolution" vor sich gehen könne.
Von dieser Kapitulation bis zur Kapitulation der gesamten trotzkistischen Bewegung im Krieg von 1940-45 war es nur ein halber Schritt.
Das Übergangsprogramm ist die direkte Fortsetzung der Strategie des 2. und 3. Kongresses der Kommunistischen Internationale. Die Diskussion über die "Übergangs"-Taktik ist von grundlegender Bedeutung. Sie bringt die unüberbrückbare Kluft ans Licht, die die Revolutionäre von den Trotzkisten trennt. Wir können hier nicht den Reichtum der Frage ausschöpfen, die die dialektische Beziehung zwischen ökonomischen und politischen Kämpfen, der Bewegung und dem Ziel, der Klasse und dem Programm usw. betrifft. Aber wir können versuchen, den Kern des Problems zu umreißen und gleichzeitig zeigen, dass Trotzki es nicht wirklich angeht und sich damit begnügt, die alten sozialdemokratischen Zutaten in einer "radikalisierten" Soße neu anzurichten.
Trotzki will die traditionelle Trennung zwischen Minimal- und Maximalprogramm "überwinden", indem er ein Programm von Übergangsforderungen aufstellt, welches eine Verbindung zwischen den unmittelbaren Forderungen und der Revolution herstellen soll. Die Sorge, den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Bruch zu überwinden, ist lobenswert. Aber Trotzki begeht genau den Fehler, den er anprangert, indem er ein Programm aufstellt, das nicht das kommunistische Programm ist. Trotzki geht von der Notwendigkeit von zwei kommunistischen Programmen aus! Aber das zweite müsse, wenn es eine Daseinsberechtigung haben solle, aus Forderungen bestehen, die nicht über den bürgerlichen Rahmen hinausgingen (sonst wären sie Teil des kommunistischen Programms), also aus "minimalen" Forderungen. In seiner Idee, dass es in der Stunde des Niedergangs des Kapitalismus ein anderes Programm als das der kommunistischen Revolution geben könne, teilt Trotzki den proletarischen Prozess und seinen Verlauf erneut in zwei Etappen: heute die unmittelbaren Forderungen, morgen das revolutionäre Programm. Dass er behauptet, dass Ersteres zu Letzterem führen werde, ändert nichts am Problem: Das haben die Sozialdemokraten auch behauptet!
Es ist notwendig, kohärent zu sein: Entweder gibt es nur ein Programm, und das ist das Maximalprogramm, oder es gibt deren zwei, und dann fällt man wieder in die alte Trennung Maximalprogramm – Minimalprogramm zurück.
Trotzkis Übergangsprogramm stellt also keineswegs die Beziehung zwischen der Elementarbewegung und dem Endziel her, sondern trennt sie voneinander. Der beste Beweis dafür, dass das Übergangsprogramm nicht mehr als ein Minimalprogramm ist, das mit einer Schicht "radikaler" Phraseologie überzogen ist, ist die Tatsache, dass es von reformistischen Forderungen nur so strotzt und das kommunistische Programm völlig fehlt (auch wenn Trotzki hie und da die Notwendigkeit einer Revolution anerkennt).
So finden wir "Arbeiterkontrolle" (über das Kapital), "Arbeiter- und Bauernregierung", die Forderung nach "großen öffentlichen Arbeiten", die Enteignung bestimmter (?) Industriezweige, die zu den wichtigsten für die nationale Existenz (!), oder von bestimmten Gruppen der Bourgeoisie, die zu den parasitärsten gehören (!!!), "ein einheitliches Kreditsystem nach einem vernünftigen Plan, der den Interessen der ganzen Nation entspricht" (!!!), eine "einheitliche Staatsbank" und anderen Unsinn, der nicht einmal des gemeinsamen Programms der Linken würdig ist. Nirgendwo findet sich die Zerstörung des bürgerlichen Staates, die Diktatur des Proletariats, die Zerstörung der Konkurrenz, der Nationen, des Tausches und der Wertform der Arbeitsprodukte, der Lohnarbeit. Trotzki will modernisieren, das Kapital verstaatlichen und den Lohnempfänger verallgemeinern, Marx dagegen wollte das Kapital vernichten und den Lohnempfänger abschaffen.
"Aber", werden uns die Trotzkisten antworten, "wir stimmen zu, es geht um das endgültige Programm, doch in der Zwischenzeit wollen wir ein anderes Programm, um die Massen zu mobilisieren". Gut, aber dann hört auf, heuchlerisch um den heißen Brei herumzureden, und anerkennt, dass ihr zwei Programme propagiert, eines "minimal" und eines "maximal", eines für den Kampf und eines für die Reden, eines für die Wochentage und eines für den Sonntag! Hört auf, die Sozialdemokraten zu verhöhnen, die dies, im Gegensatz zu euch, zumindest offen anerkennen.
Die Kommunisten haben kein Programm für die kapitalistische Gesellschaft. Aber es ist unbestritten, dass sie den elementaren Kämpfen, die spontan auf ihrem Boden entstehen, entscheidende Bedeutung beimessen. Sie teilen nicht die akademische Geringschätzung der bürgerlichen Intellektuellen gegenüber solchen "quantitativen" Fragen. Sie wissen, dass die soziale Krise eine Revolte gegen die gesellschaftlichen Existenzbedingungen hervorruft, wie sie sich für die Arbeiterklasse tagtäglich manifestieren, und dass nur aus dieser Revolte heraus eine Einsicht in die Notwendigkeit der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft erfolgen kann. Sie wissen, dass aus dem elementaren spontanen Kampf des Proletariats der Prozess der eigenen Selbstüberwindung in Gang gesetzt wird.
Aber gerade weil die Revolutionäre die gewaltigen Möglichkeiten der Ausweitung, der Entwicklung der ökonomischen Kämpfe auf dem revolutionären Terrain kennen, legen sie diese nicht im Voraus in starren Forderungen fest. Jeder zu Beginn einer Klassenbewegung festgelegte Forderungskatalog behindert die Vertiefung dieser Bewegung, indem er sie auf Teilaspekte fixiert, bevor sie Zeit hat, sich auszuweiten, ihre Breite zu erreichen.
Weil Revolutionäre wissen, dass eine Klassenbewegung ihre Illusionen und ihre partikularen Fixierungen schneller verwirft, als sie ihre Flugblätter verbreiten, hüten sie sich, den Reichtum, die Kraft und das Potenzial des Kampfes in einem starren Forderungsprogramm und in einem doktrinären Schema zu verpacken wie Trotzki.
Trotzkis Übergangsprogramm ist nicht nur reformistisch, was den Inhalt seiner Forderungen angeht, sondern auch, weil seine ganze Logik darin besteht, die Bewegung in den engen Sack ihrer Parolen zu sperren, noch bevor sie begonnen hat, ihre gigantischen Möglichkeiten des Wachstums zu entfalten.
Trotzki begnügt sich nicht damit, den Prozess des Klassenkampfes auf Teilaspekte festlegen zu wollen. Er erhebt auch den Anspruch, die Abfolge der Kampfformen vom Streik bis zum Aufstand zu "programmieren". Er will die Bewegung in einer Art Gänsemarsch seiner dogmatischen Fantasie voranbringen. Er glaubt, dass der Kampf zuerst auf diesen und jenen Platz geht, dann unter dem Impuls dieser und jener Losung zum nächsten Platz weitergeht. Und schließlich kommt er, nachdem er die geplanten Schritte sanftmütig "durchlaufen" hat, am Ziel an.
Doch die wirkliche Bewegung des Proletariats folgt keinem bürokratischen Schema. Streiks, ökonomische Kämpfe, politische Kämpfe, Streikkomitees, informelle Initiativen, Besetzungen, Sowjets: Der Kampf entfaltet sich nicht nach einem vorgefertigten Plan, sondern seine Formen bedingen sich gegenseitig, durchdringen sich, lösen sich ab, verschwinden und kehren im am wenigsten erwarteten Moment wieder.
Marx schrieb, dass die Kommunisten keine besonderen Prinzipien haben, nach denen sie die praktische Bewegung des Klassenkampfes zu modellieren vorgeben würden. Dieser Satz ist tiefgründiger, als man denken könnte. Er bedeutet, dass es nicht Sache der Organisation der Revolutionäre ist, im Voraus idealistische Formen und Forderungen zu definieren. Dies wird das Proletariat selbst im Feuer der Aktion tun, entsprechend den konkreten Umständen und auf viel sicherere Weise als irgendeine angeblich "aufgeklärte" Minderheit.
In unserer Epoche beginnt ein großer Teil der Klassenbewegungen ohne präzise Forderungen, und erst bei einem gewissen Kräfteverhältnis stellt sich das Problem, präzise Ziele zu setzen, zu verhandeln, usw. Es ist diese Abwesenheit von a priori gesetzten Grenzen, die es der Bewegung ermöglicht, sich auszubreiten, zu vertiefen und zu radikalisieren. Unter diesen Bedingungen besteht die konterrevolutionäre Rolle der Gewerkschaften und der Trotzkisten darin, die Bewegung zu zermürben, indem sie sie von vornherein auf angeblich "realistische" Grenzen festnageln.
Revolutionäre wissen zwei Dinge:
- dass hinter jedem Streik das Gespenst der Revolution steht und dass ihre Funktion nur darin besteht, die den Kämpfen innewohnenden revolutionären Tendenzen zum Ausdruck zu bringen;
- dass selbst unmittelbare wirtschaftliche Erfolge von einem politischen Kräfteverhältnis auf gesellschaftlicher Ebene abhängen und dass die Bewegung, je weniger sie sich zu Beginn "realistische" und "vernünftige" Ziele setzt, umso mehr eine Machtposition durchsetzen wird, die die herrschende Klasse zum Nachgeben zwingen kann. Dies hat natürlich den Effekt, dass ihre Entschlossenheit gestärkt wird.
Revolutionäre verurteilen oder fetischisieren keine Form des Klassenkampfes. Ihre Rolle besteht nicht darin, die Bewegung zu formen, sondern sie zu befruchten, indem sie ihre allgemeine Bedeutung zum Ausdruck bringen und so alles tun, um zu verhindern, dass Gewerkschaften und die Linken deren Potenzial einschränken und ihre Bedeutung und Richtung vernebeln.
Wir müssen sowohl extrem flexibel als auch extrem unnachgiebig sein. Flexibel, weil wir als Teil der Klasse wissen, wie man unter den verschiedensten Umständen die Formen und Forderungen, die spontan von den Massen aufkommen, aufgreift und mit Klarheit verstärkt, wie man formuliert, was die Massen fühlen, wie man vereinheitlichende Forderungen vorschlägt, weil sie in die Richtung der Ausweitung und Radikalisierung der Bewegung gehen. Unnachgiebig, weil wir als Organisation das kommunistische Programm als einziges Programm zu jeder Zeit verteidigen (alles andere sind flüchtige Kompromisse). Das ist unsere besondere Aufgabe als Organisation, denn um dieses Programm herum scharen sich die bewusstesten Arbeiter und Arbeiterinnen und ziehen andere an, und auf der Grundlage dieser Vision des Ziels heben wir die revolutionären Tendenzen der Bewegung hervor.
Das Programm ist die Richtung der Bewegung, die Bewegung ist der Träger des Programms. Nur diese Flexibilität, die es erlaubt, die Bewegung in all ihren Phasen auszudrücken, und diese Unnachgiebigkeit bei der Verteidigung des endgültigen Programms, die es erlaubt, die Widersprüche der Bewegung selbst zu überwinden.
Doch Trotzki ist für Flexibilität im Programm und den Verzicht auf das Ziel und für starren Dogmatismus gegenüber der Bewegung! Der Kommunismus ist die Richtung der Bewegung. Den Kommunismus aufzugeben bedeutet, das Wesen der Bewegung zu verraten, es bedeutet, ihre einzige Verwirklichung zu verhindern: den Kommunismus.
März 1973
[1] Note aus der Zeit der Wiederveröffentlichung (2024): Diese Zeit der Blöcke dauerte von 1945-1989.
Die zahlreichen Ableger des Trotzkismus feiern gerade den 40. Jahrestag[1] der Gründung der Vierten Internationale mit ihren endlosen Plänen, die "authentische" Vierte Internationale wiederzubeleben oder wiederaufzubauen. Revolutionäre müssen diese Gelegenheit nutzen, um zu zeigen, dass die trotzkistische "Internationale" von 1938 keine revolutionäre Internationale des Proletariats war, sondern eine opportunistische Fehlgeburt, die sich schnell als Anhängsel der Bourgeoisie entpuppte.
Der Trotzkismus hörte auf, eine Strömung der Arbeiterbewegung zu sein, als er während des Zweiten Weltkriegs (1939-45) endgültig auf die Seite des Kapitalismus wechselte. Während des zweiten imperialistischen Gemetzels dieses Jahrhunderts verwarf die trotzkistische Vierte Internationale den defätistischen Slogan der Bolschewiki: "Macht aus dem imperialistischen Krieg einen Bürgerkrieg", der die proletarischen revolutionären Kräfte gegen den Ersten Weltkrieg zusammengeführt hatte. Die Trotzkisten verteidigten das Lager des demokratischen Imperialismus und des Stalinismus gegen die faschistischen Staaten, indem sie dazu aufriefen, den "imperialistischen Krieg in einen echten Krieg zur Verteidigung der UdSSR und gegen den Faschismus" umzuwandeln. Für heutige Revolutionäre ist es von größter Bedeutung, den Prozess der Konterrevolution zu verstehen, der viele Kräfte der proletarischen Bewegung in den letzten fünfzig Jahren (in Russland und ihren Ländern) dezimiert und korrumpiert hat. Wie diese Degeneration insbesondere den Trotzkismus betraf, bis er für die proletarische Bewegung verloren war, ist das Thema dieses Artikels. Der Trotzkismus ging nicht physisch als politische Tendenz zugrunde (außer in Ländern wie Russland), wie es bei anderen proletarischen Strömungen in den 1930er Jahren oder während des Krieges der Fall war. Er ging schleichend zugrunde, indem er aufhörte, ein Faktor des revolutionären Widerstands und der Umgruppierung zu sein, der er in den Jahren vor dem Krieg – wenn auch in vielen grundlegenden Punkten zutiefst verwirrt – gewesen war.
Trotzkisten achten heute darauf, die Bedeutung ihrer Aktivitäten während des Zweiten Weltkriegs zu verzerren oder zu verbergen. Nur die zynischsten und dümmsten unter ihnen verteidigen diesen Teil ihrer Karriere ohne jede Scham. Aber im Allgemeinen sind Trotzkisten sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, ihre Aktivitäten während des Krieges zu diskutieren, da dies ans Licht bringen würde, dass ihre Behauptungen von echtem "Internationalismus" und "Antistalinismus" nichts als Lügen sind. Die Wahrheit ist, dass die Trotzkisten im letzten Krieg in der Praxis dem folgten, was sie bis dahin vor allem mit Worten vertreten hatten (obwohl die Trotzkisten während des Kriegs in Spanien 1936-38 bereits an einem interimperialistischen Konflikt teilgenommen hatten, indem sie sich auf die Seite der Republik stellten). Damals behauptete Trotzki selbst, dass Revolutionäre "gute Soldaten" in der republikanischen Armee sein sollten!).[2]
Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs war der Trotzkismus bereits in die reaktionäre Politik des "kleineren Übels" eingetaucht. Er hatte sich dem antifaschistischen Chor der demokratischen Bourgeoisie, d. h. ihren Kriegsvorbereitungen, angeschlossen, mit der Ausrede, dass der Antifaschismus eine "Brücke zu den Massen" darstelle. Eine Brücke war er tatsächlich! Aber eine Brücke, die von den demokratischen und stalinistischen imperialistischen Bourgeoisien gebaut wurde, um das Proletariat und die gesamte Bevölkerung zu militarisieren und auf eine kriegerische Neuaufteilung der Welt vorzubereiten.
Nachdem Hitler 1933 an die Macht gekommen war, ging Trotzki so weit, den amerikanischen Imperialismus zu drängen, sich Russland anzunähern, um der Bedrohung durch Japan und Deutschland zu begegnen![3] Diese "vorübergehende", "taktische" Perspektive der Unterstützung eines imperialistischen Lagers gegen ein anderes (ohne dies offen zuzugeben) wurde vom Trotzkismus in den 1930er Jahren unter verschiedensten Bezeichnungen in die Praxis umgesetzt: Unterstützung des "kolonialen Widerstands" in Äthiopien, China und Mexiko, Unterstützung des republikanischen Spaniens usw. Die Unterstützung des Trotzkismus für die Kriegsvorbereitungen des russischen Imperialismus war während dieser ganzen Zeit (Polen, Finnland 1939) ebenfalls sehr deutlich, versteckt hinter dem Slogan der "Verteidigung des sowjetischen Vaterlandes".
Die Aktivitäten der Trotzkisten während des Zweiten Weltkriegs, als sie (von einigen Ausnahmen abgesehen) aktiv an den vom "alliierten" und stalinistischen Lager finanzierten Widerstandsbewegungen teilnahmen, stellten den endgültigen und logischen Schritt der trotzkistischen Bewegung ins Lager des Kapitals dar. Von da an konnte der Klassencharakter des Trotzkismus als politische Strömung nur noch kapitalistisch sein. Die radikalsten und lautesten Wachhunde des linken Flügels des Kapitalismus – das sind alle trotzkistischen Organisationen, ob groß oder klein, seit dem Krieg gewesen.
In Europa benutzten die Trotzkisten drei Hauptargumente, um ihre Teilnahme am imperialistischen Krieg an der Seite der bürgerlichen Demokratie und des Stalinismus zu rechtfertigen:
1. "Die bedingungslose Verteidigung der UdSSR" (was die Unterstützung des russischen Imperialismus bedeutete).
2. Die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie (als "kleineres Übel") gegen den Faschismus (was die Unterstützung einer imperialistischen Räuberbande gegen eine andere bedeutete. Das ist eine sozialpatriotische Position und keine kommunistische, internationalistische Position).
3. Die "nationale" Frage in Europa. Diese war nach Ansicht des Trotzkismus Realität geworden, nachdem die deutsche Armee Frankreich, Belgien, die Niederlande, Norwegen usw. besetzt hatte. Die Massen möchten "nationale Unabhängigkeit" von den "Nazi-Invasoren", wie sie es nannten. Der Kampf der unterdrückten Nationen Europas sei "fortschrittlich", und das zwang die Trotzkisten dazu, eine "Brücke" zu den patriotischen Bestrebungen der Massen zu finden. Zu den "Massen" gehörten natürlich Roosevelt, Churchill, De Gaulle, die GPU (der russische Geheimdienst) sowie der gesamte imperialistische Staatsapparat Europas, der vom deutschen, italienischen und japanischen Imperialismus bedrängt wurde. Die "Brücke", die die Trotzkisten suchten, war nicht sehr schwer zu finden. Sie wurde mit dem Gold und den Waffen der Alliierten, die den Widerstand und die Partisanen finanzierten, zielstrebig gebaut.
Mit diesen drei Rechtfertigungen schlossen sich die Trotzkisten in Frankreich, Belgien, Italien usw. der Résistance an und waren dort sehr aktiv. In Frankreich riefen die Trotzkisten überall dort, wo sie einen gewissen Einfluss in der deutschen Armee erreichten (z. B. in Brest), die deutschen Soldaten dazu auf, ihre Waffen dem Widerstand für die "Verteidigung der UdSSR" abzugeben. Für die französischen Trotzkisten war der deutsche Imperialismus der "Feind" Nummer eins”.[4] Die deutschsprachigen Veröffentlichungen der französischen Trotzkisten, insbesondere der Gruppe La vérité – le parti ouvrier internationaliste, riefen die deutschen Soldaten in Frankreich dazu auf, ihre Waffen gegen ihre Offiziere und die Gestapo zu richten und sich mit den Partisanen (d. h. mit den Truppen eines Teils der französischen Bourgeoisie) zu verbrüdern. Sie forderten die Truppen der Partisanen jedoch nicht dazu auf, ihre Waffen gegen ihre eigenen Widerstandsoffiziere oder gegen die stalinistischen Agenten, die die Résistance anführten, zu richten.[5]
Einige französische Trotzkisten "kritisierten" diese "nationalistischen Abweichungen", die von den gröbsten trotzkistischen Patrioten praktiziert wurden. Aber alle verteidigten die politischen Prämissen des Trotzkismus, die unerbittlich zur Preisgabe des Internationalismus führten (Unterstützung Russlands, der bürgerlichen Demokratie usw.). Es ist kein Zufall, dass diese Kritik keine dieser "orthodoxen" Gruppen (einschließlich der "reinsten" unter ihnen, der Union Communiste von David Korner alias Barta, Vorläufer von Lutte Ouvrière) dazu gebracht hat, die bürgerlichen Positionen des Trotzkismus aufzugeben. Für alle französischen Trotzkisten, die die "nationalistischen Abweichungen" in ihren Reihen kritisierten, waren diese das Ergebnis von "Fehlern" oder "Opportunismus" und nicht eine entscheidende Frage, die die Überschreitung von Klassengrenzen implizierte.
In den USA versprach die Socialist Workers Party (SWP) der Regierung, einen "echten Kampf" gegen Hitler zu führen, wenn die Roosevelt-Regierung es ihr gestattete, an der "gewerkschaftlichen Kontrolle der Einberufung" und der Kriegswirtschaft mitzuarbeiten. Diese Angebote wurden nicht angenommen und verhinderten nicht, dass die SWP 1941 beim Minneapolis-Urteil fälschlicherweise als "klare und gegenwärtige Gefahr" für die US-Kriegsanstrengungen angeklagt wurde. Obwohl James Cannon und der Rest der SWP-Führung sich den Geschworenen zu Füßen warfen, rettete sie das nicht vor der Verurteilung zu – relativ milden Gefängnisstrafen. Ihr Auftritt vor Gericht war jedoch nicht nur das Ergebnis ihrer persönlichen Feigheit, sondern auch logisch aufgrund der vor dem Krieg erfolgten Kapitulation des Trotzkismus vor der antifaschistischen Ideologie des demokratischen Imperialismus.
Wenige Wochen nachdem Trotzki auf Befehl Stalins ermordet worden war, führte Cannon die Logik, die in Trotzkis eigener opportunistischer Kriegspolitik steckte, bis zum Ende aus. Auf einer Sonderkonferenz der SWP in Chicago im September 1940 verteidigte Cannon die "Proletarisierung" der amerikanischen Streitkräfte: “Wir wollen Hitler bekämpfen. Kein Arbeiter will, dass diese faschistische Barbarenbande in dieses oder irgendein anderes Land einfällt. Aber wir wollen den Faschismus unter einer Führung bekämpfen, der wir vertrauen können... Wir werden niemals zulassen, dass das passiert, was in Frankreich passiert ist... Die Arbeiter selbst müssen diesen Kampf gegen Hitler und gegen jeden anderen, der in ihre Rechte eingreift, selbst in die Hand nehmen... Der Widerspruch zwischen dem Patriotismus der Bourgeoisie und dem der Massen muss der Ausgangspunkt unserer revolutionären Tätigkeit sein... Wir müssen uns auf die Realität des Krieges und die Reaktion der Massen auf die Kriegsereignisse stützen” (Die Marxisten im Zweiten Weltkrieg von Brian Pearce, INTERNATIONAL Band 3, S. 35).
So sind die "Aspirationen der Massen" der angebliche Grund, um die Unterstützung des Trotzkismus für den Imperialismus der "Alliierten" zu bestimmen. Doch dieses sogenannte "antifaschistische" Streben des Proletariats existierte 1939 nirgends, schon gar nicht in dem vom Trotzkismus erfundenen Maßstab. Und selbst wenn es sie gegeben hätte, hätte sie die Vorherrschaft der bürgerlich-demokratischen Ideologie über das Klassenbewusstsein im Proletariat dargestellt. Etwas, das Revolutionäre hätten bekämpfen müssen (was sie auch taten), genau wie Lenin und die Bolschewiki während des Ersten Weltkriegs gegen andere Formen des Nationalpatriotismus kämpften, der die Massen umklammerte.
Aber der Trotzkismus verstand, dass diese Unterstützung des Imperialismus auf einer gewissen Widerstandsbereitschaft des Proletariats gegen den Massenmord beruhen musste. Dies war der einzige Weg, den das Kapital selbst vorzeichnen konnte, um die Arbeiter dazu zu bringen, im imperialistischen Krieg ein Lager der Bourgeoisie gegen das andere zu unterstützen. Die antifaschistische Ideologie war die ideale Mystifizierung, die der Kapitalismus zu diesem Zweck brauchte, und der Stalinismus und Trotzkismus waren während des Krieges seine wichtigsten Hausierer in der Arbeiterklasse. Englische Arbeiter, die Panzer für die russische Armee herstellten, durften z. B. "Greetings to Uncle Jo" (damit war Josef Stalin gemeint) auf die Flanken der Panzer zeichnen, was sie dazu anspornte, härter zu arbeiten und mehr Panzer in kürzerer Zeit zu produzieren. Der Trotzkismus hatte nie etwas gegen solche Kampagnen einzuwenden. Dass die Panzer später für die imperialistischen Absichten Großbritanniens eingesetzt werden würden, um andere Arbeiter in Uniform zu töten und zu verstümmeln, spielte für Trotzkisten keine Rolle, solange die Panzer "das Vaterland der Arbeiter verteidigten"!
Die antifaschistische Ideologie der Trotzkisten diente als Rechtfertigung für die Verteidigung aller verbündeten Imperialismen - des englischen, russischen, französischen, amerikanischen etc. Das bedeutet, dass der Trotzkismus damals wie heute viele große Meister hatte...
Die amerikanische SWP bot die offiziellen Gerichtsprotokolle des Minneapolis-Prozesses der Öffentlichkeit nie an. Die von der SWP herausgegebene Version (unter dem Titel Sozialismus vor Gericht) unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von den offiziellen Protokollen. Die in den offiziellen Akten wiedergegebenen Äußerungen Cannons sprechen in der Tat für eine pro-amerikanische Ausrichtung und drücken das Wehklagen eines missverstandenen amerikanischen Patrioten aus. In der SWP-Version werden Cannons schlimmste Ausfälle jedoch sauber eliminiert, obwohl der unterwürfige Ton in der Verteidigung nie verschwindet. Der spanische Trotzkist Grandizo Munis, der sich der defensiven Haltung der SWP und ihrer Bruderparteien widersetzte, schrieb 1942 eine brüderliche Kritik an der SWP bei der Urteilsverkündung. Welche Politik für Revolutionäre? Marxismus oder Ultralinke? Cannons Antwort, die ebenfalls in dieser Broschüre veröffentlicht wurde, wich Munis' Kritik aus und bestätigte sie somit. Dieser antwortete mit Die SWP und der imperialistische Krieg, einer ausgefeilten Kritik an der Haltung im Gerichtsverfahren, die die von der SWP vorgebrachten Argumente für Sozialpatriotismus ad absurdum führte. Diese Broschüre wurde von der SWP trotz der Tatsache, dass Munis formal noch immer ein führendes Mitglied der Vierten Internationale war (im Jahr 1946), nicht in Umlauf gebracht.
Natalia Trotzki, die später dem Weg von Munis und der Mehrheit der spanischen Trotzkisten folgte und 1951 mit dem Trotzkismus brach, erhob die gleichen Anschuldigungen gegen die Vierte Internationale. Es ist wichtig zu beachten, dass Munis, Benjamin Péret, Natalia Trotzki und andere Revolutionäre dieser Periode in der Lage waren zu erkennen, dass Trotzkis bedingungslose "Verteidigung der UdSSR" eine jener Nebelpetarden gewesen war, hinter denen der Trotzkismus vor seinen eigenen nationalen Imperialismen (in Frankreich, Großbritannien, Belgien, den USA ...) kapitulierte. Diese Revolutionäre mussten natürlich ihre Position zu Russland überdenken und es als staatskapitalistisch anerkennen. Aber Munis' und Pérets Kritik am Trotzkismus enthielt mehr als nur die russische Frage. Sie enthielten auch eine tiefe – wenn auch nur unvollständige – Entlarvung der Auffassungen und der Praxis der Komintern in der Vergangenheit.
Der Zweite Kongress der Vierten Internationale 1948 ignorierte natürlich den Inhalt von Munis' Kritik. So bewies dieser Kongress, dass sich der Trotzkismus, ohne als einheitlicher Körper tief erschüttert zu werden, dem bürgerlichen Lager angeschlossen hatte. Der Verrat des Internationalismus in einem imperialistischen Krieg ist das endgültige Kriterium für die Bestimmung des bürgerlichen Charakters einer zuvor proletarischen politischen Organisation. Der Kongress von 1948 ratifizierte diesen Verrat.
Trotzkistische Gruppen, die später ihre Position zu Russland revidierten (z. B. die Chaulieu-Tendenz, Tony Cliff, Johnson-Forest usw.), aber die Rolle des Trotzkismus im Krieg und damit die meisten grundlegenden programmatischen Fehler der Komintern in der Vergangenheit (Unterstützung der nationalen Befreiung, Arbeit in den Gewerkschaften, Parlamentarismus, Einheitsfronten usw.) ignorierten oder nicht in der Lage waren, sie schonungslos anzuprangern, kehrten zum Linksradikalismus oder sogar zu linker Politik zurück.
Der Kongress von 1948 ratifizierte nicht nur den Patriotismus der Trotzkisten während des Krieges, sondern übernahm auch die vollständige Verteidigung des Stalinismus. Dies ist einer der Hauptgründe für die heutige Existenz des Trotzkismus. 1949 wurde Tito, der 1941 in Belgrad Trotzkisten hinrichten ließ, von der Vierten Internationale unterstützt. 1950 wurde die „Theorie der strukturellen Assimilation" vom Trotzkismus ausgeheckt, um zu beweisen, dass die osteuropäischen Länder genauso verteidigt werden sollten wie der ursprüngliche russische sogenannte "Arbeiterstaat".
Der Zweite Weltkrieg endete nicht mit dem Sieg des Proletariats, sondern mit seiner absoluten Niederlage. Doch für den Trotzkismus war die Bilanz letztlich positiv, da die verstaatlichte russische Wirtschaft nach Osteuropa exportiert worden sei. Die Tatsache, dass dies auf dem Rücken von über 50 Millionen Leichen geschah, nachdem der gesamte Planet imperialistisch zerstückelt worden war, spielte kaum eine Rolle. Die barbarische Logik der kapitalistischen Politik des Trotzkismus ist in der Behauptung enthalten, dass sich "sozialistische Eigentumsformen" durch den größten Henker des Proletariats – den Stalinismus – habe über die Welt verbreiten können! Die amerikanische Spartacist League (LTF in Frankreich) trieb diese reaktionäre Auffassung auf die Spitze, als sie 1964 behauptete, der "sowjetische Atomschirm müsse Hanoi decken"! Für Trotzkisten hat sich die ursprüngliche bolschewistische Parole gegen den Krieg in sein Gegenteil verkehrt: den imperialistischen Krieg in – imperialistische Barbarei verwandeln.
Die Rolle des Trotzkismus besteht heute darin, den Imperialismus zu verteidigen, genauso wie er es 1939-45 getan hat. Die meisten dieser linksstalinistischen Gruppen in den USA, Frankreich, Großbritannien usw. sind bereits fest und legal mit dem politischen Apparat des kapitalistischen Staates verbunden. Sie sind die hartnäckigsten Verteidiger des Staatskapitalismus und der Politik der Linken des Kapitals (Gewerkschaften, stalinistische und sozialdemokratische Parteien).
Für den Trotzkismus heute ist die Nachkriegszeit durch einen Kampf zwischen zwei unterschiedlichen und verfeindeten sozialen Lagern gespalten: die westliche imperialistische Welt auf der einen Seite und Russland plus seine "strukturell assimilierten degenerierten Arbeiterstaaten" auf der anderen (plus einige andere "Arbeiterstaaten", die zwischen diesen beiden Lagern dahinvegetieren). Der von Marx so präzise, leidenschaftlich und überzeugend beschriebene Klassenkampf ist aus der trotzkistischen Weltanschauung völlig verschwunden. Die Klassenspaltung, die das Weltproletariat von der Weltbourgeoisie trennt, ist nicht mehr der zentrale Kampf, der die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft bildet. Stattdessen sieht sich die Menschheit mit einem Kampf zwischen Nationalstaaten konfrontiert, zwischen angeblich gegensätzlichen "Wirtschaftssystemen", dem Kapitalismus im Westen und dem "Sozialismus" im Osten. Das läuft für den Trotzkismus darauf hinaus, die Weltarbeiterklasse ins Schlepptau der vom "Arbeiterstaat" (d. h. der russischen Außenpolitik) verfolgten Politik zu nehmen. Da diese Politik fortschrittlich sei, müsse das internationale Proletariat sie unabhängig von den Bedürfnissen seines eigenen Klassenkampfes verteidigen. Darüber hinaus sei die Klasse verpflichtet, all jene anderen Staaten zu verteidigen, die die Trotzkisten als "Arbeiterstaaten" eingestuft haben. Dies liegt ganz auf der Linie der "internationalen" Politik, die 1928 von der stalinistischen Komintern dem Weltproletariat empfohlen wurde:
“Die Sowjetunion ist die wahre Heimat des Proletariats, sie ist der stärkste Verteidiger seiner Interessen und der Hauptfaktor seiner internationalen Befreiung. Das verpflichtet das Proletariat der Welt, zum Erfolg des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion beizutragen und das Land der Diktatur des Proletariats mit allen Mitteln gegen die Angriffe der kapitalistischen Mächte zu verteidigen” (Programm der Kommunistischen Internationale, VI. Kongress, 1928).
Trotzkisten begrüßen heute nicht eine, sondern viele – fast unzählige – "Sowjetunionen", die das Weltproletariat zur bedingungslosen Verteidigung derselben "verpflichten". Obwohl Trotzki 1940 behauptete, dass die Frage der Erhaltung der Form des verstaatlichten Staatseigentums in Russland der Frage der Ausweitung der Weltrevolution untergeordnet sei, ist für den heutigen Trotzkismus die Weltrevolution völlig verschwunden und es geht nur noch darum, den Stalinismus zu unterstützen, und sei es auf "kritische" Weise.
1940 machte Trotzki die folgende falsche Prognose über die Entwicklung des Stalinismus: "Die bis zum Äußersten getriebene historische Alternative sieht folgendermaßen aus: Entweder ist das Stalin-Regime ein widerlicher Überrest im Prozess der Umwandlung der bürgerlichen in eine sozialistische Gesellschaft, oder das Stalin-Regime ist der erste Schritt zu einer neuen Ausbeutergesellschaft. Wenn sich die zweite Prognose als richtig erweist, dann wird die Bürokratie natürlich zu einer neuen Ausbeuterklasse werden. Sollte sich das Weltproletariat jedoch gegenwärtig als unfähig erweisen, die ihm im Laufe der Entwicklung gestellte Aufgabe zu erfüllen, bliebe nichts übrig außer der Erkenntnis, dass das sozialistische Programm, das auf den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft beruht, als Utopie verblasst ist” (Verteidigung des Marxismus).
Doch Trotzki betonte auch, dass erst das Ende des Zweiten Weltkriegs letztlich über den Klassencharakter des Stalinismus entscheiden würde. Wie wir gesehen haben, reagierten die Trotzkisten auf den Krieg, indem sie den Internationalismus verrieten und den russischen Imperialismus unterstützten, der sein Wesen als kapitalistische Macht unmissverständlich offenbarte. Dennoch begrüßte die Mehrheit der Trotzkisten am Ende des Krieges den Vormarsch der Roten Armee in Osteuropa und Deutschland als großen Sieg des Sozialismus! In Wirklichkeit zerschlug die Rote Armee – wie alle anderen Armeen in dem Konflikt – jede Möglichkeit des proletarischen Widerstands, der in Opposition zum Krieg entstand. Und die stalinistische Armee war sogar eine der erfahrensten und fähigsten, um das Proletariat zu entwaffnen und zu massakrieren. So sagte zum Beispiel der Propagandist Ilya Ehrenburg, eine stalinistische Hyäne, über die deutschen Arbeiter zu Beginn der 40er Jahre: “Wenn die deutschen Arbeiter eine Revolution machen und sich der Roten Armee in Brüdern nähern würden, würden sie wie Hunde erschossen werden" (zitiert in Invading Socialist Society durch die Johnson-Forest Tendenz, September 1947).
Die Trotzkisten, die Komplizen der Alliierten und des Stalinismus waren, konnten am Ende des Krieges mit ihren eigenen Händen, die mit dem Blut der Arbeiter befleckt waren, weil sie "heldenhaft" im antifaschistischen Widerstand gearbeitet hatten, Trotzkis letzte pessimistische Prognose, dass der Stalinismus eine neue soziale Klasse sein würde, wenn die russischen Arbeiter ihn nicht überwinden würden, nicht einfach so akzeptieren. Für sie war der Krieg ein großer Sieg des Proletariats. Paradoxerweise folgte der Nachkriegs-Trotzkismus auf seine eigene Weise der falschen Logik von Trotzkis pessimistischer und unmarxistischer Perspektive von 1940. Das Kriegsende sah die Konsolidierung und Ausweitung des Stalinismus. Und was taten die Trotzkisten angesichts dessen? Der Stalinismus sollte in Übereinstimmung mit Trotzkis Thesen international völlig reaktionär sein. Aber er machte sich daran, überall neue "Arbeiterstaaten" zu gründen! Nicht episodisch, konjunkturbedingt, wie in Polen 1939, sondern dauerhaft. Ohne ihn also eine "neue ausbeuterische Klasse" zu nennen (was er nicht war, da der stalinistische Staat lediglich eine Fraktion der globalen Kapitalistenklasse war), betrachteten ihn die Trotzkisten in der Praxis als solche. Sie schrieben der Bürokratie sogar die fortschrittliche Aufgabe zu, in den kommenden Jahrhunderten noch mehr "Arbeiter"-Staaten zu schaffen! (Michel Pablo)
Welche Rolle blieb dem Trotzkismus, der sogenannten "Weltpartei der sozialistischen Revolution”? Keine außer der eines Anwalts des Stalinismus.
1951 während des Koreakrieges beschuldigten trotzkistische Führer – die Herren Ernest Mandel und Pierre Frank sowie andere kleine Stalins – Natalia Trotzki schändlich, dem „Druck" des US-Imperialismus erlegen zu sein, als sie mit der Vierten Internationale brach und Russland als staatskapitalistische Macht beschrieb[6]. Nur die totale Selbsterniedrigung dieser Renegaten konnte sie dazu bringen, die Revolutionäre ihrer eigenen Verbrechen zu beschuldigen! Überlasst Stalin, was Stalin gehört! Eine der wichtigsten Pflichten von Revolutionären heute ist die schonungslose Entlarvung des Trotzkismus als blutige Fehlgeburt des Stalinismus. Die Vergangenheit der Trotzkisten spricht für sich selbst.
Nodens, Dezember 1977
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"NIEDER MIT DER PLÜNDERUNG DER FRANZÖSISCHEN REICHTÜMER! Der Weizen, den die Bauern Frankreichs haben aufgehen lassen, die Milch der Kühe, die sie gezüchtet haben; die Maschinen, ohne die unsere Arbeiter arbeitslos und brotlos sein werden; die Laborgeräte, die das Genie unserer Wissenschaftler gebaut hat, all diese französischen Reichtümer müssen in Frankreich bleiben..." (Bulletin des Komitees für die Vierte Internationale Nr. 2 vom 20.09.1940).
"Alle, die gegen die Unterdrücker kämpfen und keine Arbeiter sind, müssen verstehen, dass die Unterstützung der Arbeiterkräfte für den Erfolg des Kampfes für die nationale Befreiung lebensnotwendig ist; dass man ihnen daher einen Arbeitsstatus verschaffen muss, der für sie sowohl die Verteidigung als auch die Wiedergeburt des Vaterlandes interessant macht, dessen Kraft sie darstellen..." (La Vérité Nr. 8, 01.01.1941).
[1] Dieser Artikel wurde erstmals 1977 veröffentlicht.
[2] Die von BILAN während des Kriegs in Spanien eingenommenen Positionen wurden in einer Reihe von Artikeln unserer Revue internationale veröffentlicht (Nr. 4, 6, 7 und 9 der frz./engl./span. Ausgabe).
[3] Siehe Isaac Deutscher: Trotzki, Der verstossene Prophet 1929-1940, Urban Taschenbücher 197, S. 422 ff.
[4] Die Trotzkisten schlossen sich den Stalinisten an, indem sie echte Internationalisten als "Agenten Hitlers und Mussolinis" denunzierten und so zu deren Verfolgung und Vernichtung beitrugen. Die Überlebenden der Italienischen Linken setzten jedoch trotz der schwierigen Bedingungen im Untergrund ihre defätistische und internationalistische Propaganda gegen den Krieg fort. Auf dem Höhepunkt des imperialistischen Krieges erschienen nämlich erstmals die Zeitschriften INTERNATIONALISME in Frankreich und PROMETEO in Italien.
[5] Die patriotischen Aktivitäten der französischen Trotzkisten während des Zweiten Weltkriegs werden insbesondere in Les enfants du prophète von J. Roussel (Spartacus-Verlag, Paris 1972) erwähnt. Eine Arbeit über die trotzkistische Bewegung als Ganzes gibt es jedoch nicht.
[6] Munis' Bericht über Natalia Trotzkis Bruch mit dem Trotzkismus und ihre letzten Erklärungen erschienen auf Englisch in der Broschüre Natalia Trotsky and the Fourth International bei PlutoPress, London 1972, mit dem Vorwort eines typischen trotzkistischen Schriftstellers; auf Französisch in Les enfants du prophète - SPARTACUS.
Mit tiefem Bedauern informieren wir unsere Sympathisantinnen und Sympathisanten und unsere Leserinnen und Leser über den Tod unseres Genossen Enrique im Alter von 74 Jahren. Sein unerwarteter Tod hat ein plötzliches Ende von mehr als 50 Jahren Engagement und Beitrag zum Kampf des Weltproletariats gesetzt. Seine Genossinnen und Genossen und Freunde haben einen sehr schmerzlichen Schlag erlitten. Für unsere Organisation und für die gesamte Tradition und Gegenwart der Kommunistischen Linken ist es ein tief empfundener Verlust, den wir gemeinsam verarbeiten und überwinden müssen.
Die Erinnerung an den kämpferischen Werdegang eines Genossen wie Enrique weckt in uns allen, die wir ihn persönlich und politisch kannten, eine Vielzahl von Erinnerungen an seinen Enthusiasmus, seine Solidarität und Kameradschaft. Sein Sinn für Humor war ansteckend, nicht dieser Zynismus, der bei den so genannten „Intellektuellen“ und „Kritikern“ so häufig vorkommt, sondern die Energie und Vitalität einer Person, der die Mitmenschen ermutigt, zu kämpfen und im Kampf für die Befreiung der Menschheit das Beste von zu geben. Enrique war ein Genosse, für den, wie Marx sagte, „mein Ideal des Glücks der Kampf ist“. Aus diesem Grund war er in Diskussionen geduldig und verständnisvoll und verstand es, die Sorgen derjenigen zu verstehen, die mit dem, was er selbst verteidigte, nicht einverstanden waren. Aber er war auch standhaft in seinen Argumenten. Es war, wie er sagte, seine Art, ehrlich zu sein in einem Kampf für eine Klärung, die der gesamten Arbeiterklasse zugutekommt. Und obwohl er eine enorme theoretische und kreative Kapazität für das Verfassen von Artikeln und Diskussionsbeiträgen hatte, war Enrique nicht das, was man einen „Theoretiker“ nennen würde. Er beteiligte sich enthusiastisch am Verkauf unserer Presse und am Verteilen unserer Flugblätter auf Demonstrationen und Kundgebungen usw. Er gehörte zu einer Generation, die dazu erzogen und gedrängt wurde, die Ämter des demokratischen Staates zu besetzen und die alten Schergen von Franco abzulösen, aus denen Felipe González, Guerra, Albors usw. hervorgingen. Und er hätte mehr als genug intellektuelle, politische und persönliche Qualitäten gehabt, um im Staat „Karriere“ zu machen wie andere. Aber er stand von Anfang an auf der Seite der Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen den bürgerlichen Staat für die Perspektive des Kommunismus.
Enrique war einer von vielen jungen Arbeitern, die durch die zahlreichen Streiks im Spanien der späten 1960er und frühen 70er Jahre in den Kampf der Arbeiterklasse getrieben wurden, die in der Tat Ausdruck des internationalen Wiederauflebens des Klassenkampfes waren, der der Konterrevolution nach dem Zweiten Weltkrieg ein Ende setzte. Dies war einer der ersten Gründe für Enriques Bruch mit dem Wirrwarr linker Gruppen aller Couleur, die es in dieser Zeit gab. Während Letztere die Arbeiterkämpfe in Asturien, Vigo, Pamplona, Bajo Llobregat, Vitoria usw. als Ausdruck des „Anti-Franco“-Kampfes darstellten und sie auf die Eroberung der „Demokratie“ lenken wollten, verstand Enrique, dass sie ein untrennbarer Teil einer Bewegung von Kämpfen waren (Mai 68, Italienischer Heißer Herbst, Cordoba in Argentinien, Polen 70 etc.), die den kapitalistischen Staat sowohl in seiner „diktatorischen“ als auch in seiner „demokratischen“ und sogar angeblich „sozialistischen“ Version bekämpften. Diese internationalistische Perspektive des Klassenkampfes war eine der Quellen der Begeisterung, die Enrique sein ganzes Leben lang begleitete. Während die große Mehrheit der Militanten der Arbeiterklasse der 1970er Jahre durch diese falsche Darstellung des Arbeiterkampfes als „Kampf um Freiheiten“ demoralisiert und frustriert wurde, sah Enrique seine Überzeugung vom Kampf des Weltproletariats gestärkt. Er war Emigrant in Frankreich, und nichts war für ihn anregender, als irgendwo auf der Welt an Kämpfen teilzunehmen (wie er kürzlich im „Sommer des Zorns“ in Großbritannien die Gelegenheit dazu hatte) oder an Diskussionen auf fünf Kontinenten mit Genossinnen und Genossen teilzunehmen, die sich am historischen und internationalen Kampf der Arbeiterklasse beteiligen wollten. Er zeigte immer eine Energie, die die Jüngeren beeindruckte, und das kam von seinem Vertrauen und seiner Überzeugung in die historische Perspektive des Kampfes des Proletariats, des Kampfes für den Kommunismus.
Aufgrund dieses wahren und konsequenten Internationalismus brach Enrique schließlich mit Organisationen, die mit einem scheinbar radikaleren Diskurs als dem der „Reformisten“ dafür eintraten, dass das Proletariat in den imperialistischen Konflikten, die damals die Form von sogenannten „Nationalen Befreiungskämpfen“ annahmen, Partei ergreifen sollte. Wie heute, zum Beispiel im Gaza-Streifen, riefen die damaligen Linken die Arbeiterklasse auf, die Guerillas in Vietnam oder in Lateinamerika usw. zu unterstützen. Aber dieser falsche „Internationalismus“ war das genaue Gegenteil von dem, wofür Revolutionäre angesichts des Ersten und Zweiten Weltkriegs immer eingetreten waren. Es war die Suche nach dieser Kontinuität des wirklichen Internationalismus, die Enrique dazu veranlasste, sich in die historische Tradition der Kommunistischen Linken einzufügen.
Das Gleiche gilt für die Aufgabe, die Gewerkschaften als Organe des kapitalistischen Staates anzuprangern. Jenseits der Abscheu, die die gewerkschaftliche Sabotage der Kämpfe in der ganzen Welt hervorruft, bestand die Alternative nicht darin, die Arbeiterklasse zu desillusionieren oder ihre Kämpfe gegen die Ausbeutung zu verleugnen, sondern sich die Beiträge der Kommunistischen Linken (der Italienischen, der Deutsch-Niederländischen und dann der Französischen) wieder anzueignen, um die Selbstorganisation der Kämpfe, die Arbeiterversammlungen, die Keimzellen der Arbeiterräte zu verteidigen.
Es war diese Suche nach Kontinuität mit revolutionären Positionen, die Enrique im Oktober 1974 dazu veranlasste, mit Révolution Internationale (RI)[1] in Frankreich Kontakt aufzunehmen, nachdem er in einer Buchhandlung in der Stadt Montpellier (wo er arbeitete) die Publikation Acción Proletaria[2] gefunden hatte. Enrique sagte immer, dass er von der Schnelligkeit überrascht war, mit der Révolution Internationale auf seine Korrespondenz antwortete und zu einem Gespräch mit ihm kam. Von diesem Moment an fand ein rigoroser und geduldiger Diskussionsprozess statt, der 1976 zur Gründung der spanischen Sektion der IKS führte, wobei eine Gruppe junger Elemente ebenfalls aus den Kämpfen hervorging. Enrique arbeitete hart daran, diese Genossen zusammenzubringen und ihre kämpferische Überzeugung für die Revolution zu fördern; aber er konnte auch auf die Unterstützung und Orientierung einer internationalen und zentralisierten revolutionären Organisation zählen, die den historischen Kampf der Kommunistischen Linken weitergab und ihm Kontinuität verlieh. Enrique, der einen ersten Teil dieses kämpferischen Weges fast allein zurücklegen musste, bestand immer wieder darauf, von diesem „Schatz“, dieser Kontinuität, die die Internationale Kommunistische Strömung darstellt, zu profitieren. Er selbst wurde zu einem aktiven und ausdauernden Faktor bei dieser Weitergabe des revolutionären Erbes.
Mit der Ehrlichkeit und Kritikfähigkeit (einschließlich der Selbstkritik), die ihn stets auszeichneten, erkannte Enrique, dass diese Frage der Avantgardeorganisation eine derjenigen war, die er nur schwer verinnerlichen konnte. Die Unterschätzung und sogar Ablehnung der Notwendigkeit und Funktion der Organisation von Revolutionären war damals im Milieu der jungen Menschen auf der Suche nach politischer Orientierung relativ verbreitet, angesichts der „Kraftprobe“, die ein sehr junges Proletariat in den großen Kämpfen der 1960er und 1970er Jahre gezeigt hatte und die die Tätigkeit revolutionärer Organisationen „überflüssig“ erscheinen ließ. Es war auch verständlich aufgrund der traumatischen Erfahrungen des Verrats der „sozialistischen“, „kommunistischen“, trotzkistischen usw. Parteien, die in der Arbeiterklasse eine Spur von Trauma und Misstrauen hinterlassen hatten, und auch aufgrund der demoralisierenden Wirkung der entfremdeten Militanz in der Linken der 1970er und 1980er Jahre. Insbesondere Enrique gab zu, vom Anarchismus beeinflusst worden zu sein[3], und an der Universität nahm er an einer situationistischen Gruppe teil. Innerhalb der IKS selbst drückte sich die Unterschätzung der Notwendigkeit der Organisierung in rätistischen Tendenzen aus, für die Enrique anfangs selbst ein Wortführer war, und, was noch gefährlicher war, in der Weigerung, solche Tendenzen zu bekämpfen, in einem Zentrismus gegenüber dem Rätismus. Der Kampf gegen diese Tendenzen war entscheidend für Enriques Entwicklung in der Organisationsfrage. Er ließ sich nicht von Frustration oder einem Gefühl der Desillusionierung hinreißen, sondern bemühte sich, die unabdingbare Notwendigkeit der revolutionären Organisation zu verstehen und widmete sich mit Leib und Seele der Verteidigung der Organisation, die untrennbar mit dem unerbittlichen Kampf gegen den Opportunismus, gegen den Druck der Ideologie der Bourgeoisie in den Reihen der Arbeiterklasse verbunden ist.
Enrique war immer ein geduldiger Polemiker, der in der Lage war, den Ursprung der Verwirrungen und Irrtümer zu erklären, die Ausdruck jener ideologischen Einflüsse waren, die dem Proletariat fremd waren, und gleichzeitig auf die theoretischen und politischen Beiträge der Arbeiterbewegung hinzuweisen, die zu ihrer Überwindung beitrugen. Dieser Geist des ständigen Kampfes war ein weiterer Beitrag von ihm, der auf jeden Irrtum, jedes Missverständnis reagierte, ihnen auf den Grund ging und Lehren für die Zukunft zog.
Was er immer energisch und unnachgiebig bekämpfte, war die Verunreinigung der politischen Debatten durch Heuchelei, Doppelzüngigkeit, Verleumdung, Verlogenheit und Manöver, mit anderen Worten, durch das Verhalten und die Moral der feindlichen Klasse, der Bourgeoisie. Auch hier war Enrique immer ein Bollwerk für die Verteidigung der Würde des Proletariats.
Der kämpferische Weg unseres Genossen Enrique, sein ganzer Beitrag, seine ganze kämpferische Leidenschaft, seine ganze Energie und Arbeitsfähigkeit, die er in mehr als 50 Jahren konsequenten Kampfes für die Weltrevolution eingesetzt hat, sind nicht nur charakteristische Erscheinungsformen der Persönlichkeit Enriques. Sie entsprechen dem revolutionären Charakter der Klasse, der er so großzügig diente. Bilan, die Publikation der Italienischen Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren, die sich von jeder Form der Personalisierung distanzieren wollte, sprach sich dafür aus, dass „jeder Kämpfer sich in der Organisation wiedererkennen sollte und die Organisation sich ihrerseits in jedem Kämpfer wiedererkennen sollte“. Enrique verkörperte die Essenz der IKS wie nur wenige andere. Wir werden Dich immer vermissen, Genosse, und wir werden uns bemühen, deinem Beispiel gerecht zu werden.
Lass uns deinen Kampf fortsetzen!
IKS, Juni 2024
[1] Révolution Internationale war die Gruppe in Frankreich, die auf die Gründung der IKS (die 1975 gegründet wurde) drängte, nachdem sich mehrere Organisationen wie World Revolution in Großbritannien, Internationalisme in Belgien oder Rivoluzione Internazionale in Italien zusammengeschlossen hatten.
[2] Acción Proletaria war - vor 1974 - die Publikation einer Gruppe in Barcelona, mit der RI Kontakt aufgenommen hatte und die sich zunächst den Positionen der Kommunistischen Linken zuwandte. Die Gruppe gab die ersten beiden Ausgaben der Publikation heraus und löste sich schließlich unter dem Gewicht des Nationalismus und linker Positionen auf. Danach wurde AP weiterhin in Toulouse herausgegeben, und Militante Révolution Internationale schmuggeln sie heimlich nach Spanien (noch unter dem Franquismus). Ab 1976, mit der Gründung einer Sektion der IKS in Spanien, übernahm die IKS ihre Herausgabe.
[3] In den 1970er Jahren hatte der Anarchismus in Spanien ein großes Gewicht. So kamen beispielsweise am 2. Juli 1977 300.000 Menschen zu einer Versammlung von Federica Montseny nach Montjuic.
Eines der ersten Anzeichen für ein Wiedererwachen der Arbeiterklasse nach dem Verrat an ihren Organisationen und dem ersten Jahr des Gemetzels im imperialistischen Krieg von 1914–1918 war die Konferenz, die im September 1915 in Zimmerwald in der Schweiz stattfand und eine kleine Anzahl von Internationalisten aus verschiedenen Ländern zusammenbrachte. Die Konferenz war ein Forum, auf dem viele verschiedene Ansichten über den Krieg vorgebracht wurden – die Mehrheit von ihnen tendierte zum Pazifismus, nur eine Minderheit auf der linken Seite verteidigte eine offen revolutionäre Opposition gegen den Krieg. Aber die Linken in Zimmerwald drängten weiterhin auf Klärung in dieser und den folgenden Konferenzen; und diese Arbeit – in Verbindung mit der Wiederbelebung des Klassenkampfes auf einer allgemeineren Ebene, die in den revolutionären Ausbrüchen in Russland und Deutschland gipfelte – sollte eine neue weltweite politische Partei hervorbringen, die auf klar revolutionären Positionen basiert – die 1919 gegründete Kommunistische Internationale.[1]
Heute sind wir noch weit von der Gründung einer solchen Partei entfernt, vor allem weil die Arbeiterklasse noch einen langen Weg vor sich hat, bevor sie erneut die Frage der Revolution stellen kann. Aber angesichts eines Weltsystems, das auf die Selbstzerstörung zusteuert, angesichts der Verschärfung und Ausbreitung imperialistischer Kriege sehen wir kleine Anzeichen für ein wieder aufkommendes Bewusstsein für die Notwendigkeit einer internationalen und internationalistischen Antwort auf den kapitalistischen Krieg. Wie wir in unserem vorherigen Artikel über die Prager „Aktionswoche“[2] sagten, war die Versammlung in Prag ein solches Zeichen – nicht weniger heterogen und konfus als die ursprüngliche Zimmerwalder Konferenz und viel unorganisierter, aber dennoch ein Zeichen.
Für uns, eine Organisation, die ihre Ursprünge in der kommunistischen Linken der 1920er Jahre und davor in der Zimmerwalder Linken um die Bolschewiki und andere Gruppierungen hat, war es notwendig, so weit wie möglich bei der Prager Veranstaltung präsent zu sein, um eine Reihe politischer Grundsätze und organisatorischer Methoden zu verteidigen:
Gegen die vorherrschende Desorganisation, die Teile der „Aktionswoche“ zu einem aktiven Fiasko machte, die Notwendigkeit einer organisierten und offenen Debatte über konkrete Tagesordnungen und mit dem Ziel klarer Ergebnisse. Das bedeutet, dass Sitzungen geleitet werden müssen, dass Notizen gemacht werden sollten, dass Schlussfolgerungen gezogen werden sollten und so weiter.
Gegen den unmittelbaren Drang, nur darüber zu sprechen, „was wir jetzt tun können“, steht die Notwendigkeit, in einem breiteren historischen Rahmen zu diskutieren, um die Natur der aktuellen Kriege, das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Hauptklassen und die Perspektive für zukünftige massive Klassenbewegungen zu verstehen.
Gegen die Idee von „exemplarischen“, stellvertretenden Aktionen kleiner Gruppen mit dem Ziel, die Kriegsanstrengungen verschiedener Staaten zu sabotieren, muss anerkannt werden, dass nur die massive Mobilisierung der Arbeiterklasse einen echten Widerstand gegen den imperialistischen Krieg darstellen kann , und dass solche Bewegungen in erster Linie eher aus dem Kampf gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise (die natürlich durch das Wachstum einer Kriegswirtschaft verschärft wird) als aus direkten Massenaktionen gegen den Krieg hervorgehen werden.
Um solche Ansichten vorzubringen, war es notwendig, sich dem beabsichtigten Ausschluss der Gruppen der kommunistischen Linken von den Verfahren durch die Organisatoren der Aktionswoche zu widersetzen. Wir werden auf diese Frage weiter unten zurückkommen.
In unserem ersten Artikel, der das chaotische Ergebnis der Aktionswoche darlegen und einige der zugrunde liegenden Gründe dafür aufzeigen sollte, wiesen wir auch auf die konstruktive Rolle hin, die die Gruppen der kommunistischen Linken, aber auch einige andere Teilnehmer spielten, als sie versuchten, einen organisierten Rahmen für eine ernsthafte Debatte zu schaffen (was als „Selbstorganisierte Versammlung“ bezeichnet wurde). Die IKS-Delegation unterstützte diese Initiative, aber wir machten uns keine Illusionen über die Schwierigkeiten, mit denen diese neue Formation konfrontiert sein würde, und noch weniger über die Möglichkeiten, dass es eine Art organisiertes Follow-up zu der Veranstaltung geben würde – als ersten Schritt die Organisation einer Website, die als Forum für Debatten dienen könnte, die in Prag nicht entwickelt werden konnten. Nun scheint es, als sei selbst diese minimale Hoffnung zunichte geworden und man müsse ganz von vorne anfangen, um die Parameter und Möglichkeiten künftiger Treffen zu definieren.
Seit dem Ende der Prager Woche gab es nur sehr wenige Versuche, das Geschehene zu beschreiben, und noch weniger, die politischen Lehren aus diesem offensichtlichen Scheitern zu ziehen. Das Anarchist Communist Network hat einen kurzen Bericht verfasst[3], aber es scheint sich hauptsächlich auf die Probleme zu konzentrieren, die durch die Spaltung der tschechischen Anarchisten in „Ukraine-Verteidiger“ und diejenigen, die eine internationalistische Position zum Krieg suchen, verursacht wurden. Dies war sicherlich ein Grund für die Desorganisation der Veranstaltung, aber wie wir in unserem ersten Artikel argumentiert haben, ist es notwendig, viel tiefer zu gehen – zumindest in den aktivistischen Ansatz, der immer noch die Anarchisten dominiert, die den Krieg auf internationalistischer Basis ablehnen.[4]
Unseres Wissens nach wurden die meisten Worte von denjenigen verwendet, die den Gruppen der kommunistischen Linken am feindlichsten gesinnt sind. Zunächst eine Gruppe aus Deutschland, die sich auf die Solidarität mit Gefangenen konzentriert.[5] Diese Gruppe nahm nur am Ende des ersten Tages der selbstorganisierten Versammlung und an einem Teil des zweiten Tages teil, bevor sie zur offiziellen Konferenz ging[6], die, wie sie uns mitteilten, einige interessante Diskussionen veranstaltete, während sie uns überhaupt nichts über die Diskussionen mitteilten. Aber sie sind sich sehr sicher, wem sie die Sabotage der Aktionswoche anlasten:
„Wir haben es in diesem Moment nicht bemerkt, aber es war bereits klar, dass in der ohnehin chaotischen Situation Gruppen versuchten, das Treffen von innen heraus zu sprengen, zusätzlich zu den Angriffen von NATO-Anarchisten, bei denen zu diesem Zeitpunkt andere Konflikte zwischen Gruppen ausgetragen wurden. In erster Linie linkskommunistische Gruppen.“
Anstatt also zu versuchen, Wege aus der chaotischen Situation zu finden, die von den offiziellen Organisatoren hinterlassen wurde, waren die kommunistischen linken Gruppen nur dazu da, die Situation noch zu verschlimmern!
Der „substanziellste“ Bericht über die Ereignisse stammt von der tschechischen Gruppe Tridni Valka, von der die meisten glaubten, dass sie an der Organisation der Aktionswoche beteiligt war – und das aus gutem Grund, da auf ihrer Website alle Ankündigungen dazu zu finden waren.[7] Das Wesentlichste an diesem Artikel sind jedoch die zahlreichen Entstellungen und Verleumdungen, die er enthält. Unserer Meinung nach verfolgt dieser Artikel drei Hauptziele:
Sie wollen ihre eigene Verantwortung für das Fiasko vertuschen, indem sie sie einem angeblich völlig unabhängigen „Organisationskomitee“ in die Schuhe schieben, dessen Zusammensetzung bis heute ein Rätsel ist. Tridni Valka behauptet, es habe nur den nicht öffentlichen Antikriegskongress am Ende der Woche befürwortet und sei der Meinung gewesen, dass die Organisatoren nicht über die Ressourcen verfügten, um eine ganze Woche voller Veranstaltungen zu bewältigen. Besonders kritisch sehen sie die für den Freitag der Woche geplante „Antikriegsdemonstration“, die am Vortag von allen, die sich für einen Boykott der Demo und für die Fortsetzung der politischen Debatte (d. h. die Abhaltung der Selbstorganisierten Versammlung) ausgesprochen hatten, als bedeutungslos und sicherheitsgefährdend abgelehnt worden war. Und dennoch findet sich die Ankündigung, die Menschen zum Marsch auf der Demo aufzurufen, immer noch auf der Website von Tridni Valka.[8] Diese Verwirrung ist das unvermeidliche Ergebnis einer politischen Konzeption, die eine klare politische Abgrenzung zwischen verschiedenen Organisationen vermeidet oder ablehnt und es somit unmöglich macht, festzustellen, welche Gruppe oder welches Komitee für welche Entscheidung verantwortlich ist, eine Situation, die nur Verwirrung und Misstrauen verbreiten kann.
Sie versuchen, ihre Politik des Ausschlusses der kommunistischen Linken vom Kongress zu rechtfertigen, indem sie zunächst eine terminologische Auseinandersetzung über die Bezeichnung „Kommunistische Linke“ führen und dann eine Reihe historischer Beispiele anführen, die die bestehenden Gruppen der kommunistischen Linken beschuldigen, eine „Massenpartei“ nach bolschewistischem Vorbild aufbauen zu wollen; sie behaupten, dass alle Gruppen der kommunistischen Linken die Unterzeichnung des Vertrags von Brest-Litowsk durch die Bolschewiki im Jahr 1918 befürworteten („ein echter Dolchstoß für die Proletarier in Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn, ein ‚Verrat‘, wie manche sagen würden!“); die Zimmerwalder Konferenz und die Zimmerwalder Linke, auf die sich die kommunistische Linke ebenfalls bezieht, als nichts anderes als einen Haufen Pazifisten zu denunzieren und sogar zu behaupten, dass „der sogenannte Linke Kommunismus (mehr oder weniger, je nach den von jeder dieser Organisationen bevorzugten Schattierungen) die Position der Dritten Internationale in der Kolonialfrage verteidigt“. All diese Argumente werden angeführt, um zu zeigen, dass die Positionen der kommunistischen Linken mit einer Teilnahme am Antikriegskongress unvereinbar waren. Wir können hier nicht auf alle diese Argumente eingehen, aber ein oder zwei Punkte müssen sicherlich angesprochen werden, da sie die Tiefe der Unwissenheit (oder absichtlichen Verzerrung) in Tridni Valkas Artikel offenbaren: Erstens wurde die Kritik an der sozialdemokratischen Idee der Massenpartei in erster Linie von niemand anderem als den Bolschewiki ab ab 1903 entwickelt wurde[9]; in Russland war es 1918 genau die Opposition gegen den Vertrag von Brest-Litowsk, die zur Entstehung der linkskommunistischen Fraktion in der russischen Partei führte (obwohl es stimmt, dass später einige Linkskommunisten, insbesondere die Italienische Fraktion, – unserer Meinung nach zu Recht – gegen die Position des „revolutionären Krieges“ aussprachen, den die Linkskommunisten als Alternative zur Unterzeichnung des Vertrags anboten), und was das Argument betrifft, dass die heutigen Gruppen der kommunistischen Linken alle weiterhin die Position der Dritten Internationale zur Kolonialfrage verteidigen ... Wir können Tridni Valka auf eine beliebige Anzahl von Artikeln auf unserer Website verweisen, in denen genau das Gegenteil argumentiert wird.
Schließlich wollen sie die IKS definitiv aus dem proletarischen Lager ausschließen. Warum? Weil wir behauptet haben, dass die Gruppe, die Tridni Valka am stärksten beeinflusst hat, die Groupe Communiste Internationaliste, letztendlich mit dem Terrorismus flirtete und dass TV nie klargestellt hat, welche Differenzen sie mit der GCI hatten. Die Antwort von TV: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die tschechischen (und anderen) staatlichen Sicherheitsdienste sich über diese Art von ‚Enthüllung‘ und ‚Information‘ über die angeblichen Verbindungen unserer Gruppe zum Terrorismus freuen werden. Vielen Dank an die Spitzel der IKS, die sich besser in IKS-B umbenennen sollte, mit einem B für ‚Bolschewik‘, aber vor allem für ‚Verräter‘! Verdammte Petzen!!!“
Im Gegenteil: Die IKS hat seine politische Verantwortung längst übernommen, indem es die Behauptungen der GCI, das Nonplusultra des Internationalismus zu sein, anprangerte und ihre zunehmend groteske Unterstützung für terroristische Aktionen und Organisationen als Ausdruck des Proletariats darstellte: angefangen beim Revolutionären Volksblock in El Salvador und dem Leuchtenden Pfad in Peru bis hin zur Betrachtung eines proletarischen Widerstands in den Gräueltaten von Al Qaida.[10] Solche politischen Positionen setzen alle echten revolutionären Organisationen eindeutig der Repression durch die staatlichen Sicherheitsdienste aus, die sie dazu benutzen werden, eine Gleichsetzung zwischen Internationalismus und islamischem Terrorismus vorzunehmen. Darüber hinaus haben wir eine weitere Facette der Fähigkeit der GCI aufgezeigt, die Arbeit der Polizei zu übernehmen: Ihre Gewaltandrohungen gegen unsere GenossInnen in Mexiko, von denen einige bereits von mexikanischen Maoisten körperlich angegriffen worden waren.[11] Wenn Tridni Valka ein Verantwortungsbewusstsein für die Notwendigkeit hätte, das internationalistische Lager zu verteidigen, hätten sie sich öffentlich von den Verirrungen der GCI distanziert.
Wir haben weder zu den Lehren aus dem Prager Ereignis noch zu anderen Versuchen, eine internationalistische Antwort auf den Krieg zu entwickeln, unsere letzten Worte gesprochen, aber wir konnten nicht umhin, auf diese Angriffe zu reagieren. Indem sie die Tradition der kommunistischen Linken als nichts anderes als ein Hindernis für die Bemühungen darstellen, die bescheidenen internationalistischen Kräfte von heute zusammenzubringen, zeigen die Autoren dieser Angriffe, dass sie es sind, die sich diesen Bemühungen widersetzen. In zukünftigen Artikeln wollen wir auf die Bilanz der Konferenz der CWO eingehen und einige der wichtigsten Themen der Konferenz aufgreifen. Das bedeutet insbesondere, dass wir uns eingehender damit befassen, warum wir darauf bestehen, dass nur die echte Bewegung der Arbeiterklasse imperialistischen Kriegen entgegentreten kann, warum nur der Sturz des Kapitalismus die sich verschärfende Spirale von Krieg und Zerstörung beenden kann und warum die von der Mehrheit der an der Aktionswoche teilnehmenden Gruppen bevorzugten aktivistischen Ansätze nur in eine Sackgasse führen können.
Amos
[1] Siehe z. B. Die Konferenz von Zimmerwald (1915-1917) [514], Weltrevolution 72,
[2] Prager „Aktionswoche“: Aktivismus ist ein Hindernis für politische Klärung [515], Weltrevolution 187
[3] https://anarcomuk.uk/2024/05/28/prague-congress-interim-report/ [516]
https://anarcomuk.uk/2024/05/31/prague-congress-report-part-2/ [517]
[4] Die CWO hat ebenfalls einen kurzen Bericht verfasst, auf den wir jedoch in einem separaten Artikel eingehen möchten: Internationalist Initiatives Against War and Capitalism [518]
[5] Soligruppe für Gefangene: Das Treffen in Prag, der Beginn von einer Katastrophe [519]
[6]Das heißt, der nicht-öffentliche „Anti-Kriegs-Kongress“, der vom ursprünglichen Organisationskomitee einberufen wurde und die Gruppen der kommunistischen Linken ausschloss. Aus diesem Treffen ging eine kurze gemeinsame Erklärung hervor, die hier zu finden ist: https://anarcomuk.uk/2024/06/15/declaration-of-revolutionary-internation... [520]
[9] siehe zum Beispiel: 1903-4: the birth of Bolshevism [523], International Review 116 (english)
[10] How the Groupe Communiste Internationaliste spits on proletarian internationalism, https://en.internationalism.org/icconline/2006/groupe-communiste-interna... [524]
[11] Solidarität mit unseren bedrohten Genossen [525], Weltrevolution 129
Brief der Internationalen Kommunistischen Strömung an:
- Internationalist Communist Tendency (ICT)
- PCI (Programma Comunista)
- PCI (Il Comunista)
- PCI (Il Partito Comunista)
- Istituto Onorato Damen
- Internationalist Voice und
- an die Gruppe Internationalist Communist Perspective, Südkorea
30. August 2024
Liebe Genossinnen und Genossen
Wir fügen diesem Brief einen Vorschlag für einen Aufruf der Kommunistischen Linken bei, der sich gegen die große internationale Kampagne zur Verteidigung der Demokratie gegen Populismus und die extreme Rechte richtet. Alle Gruppen der Kommunistischen Linken kommen heute, trotz ihrer Unterschiede, aus einer politischen Tradition, die in eindeutiger Weise die Politik angeprangert hat, die die Bourgeoisie benutzt, um ihre permanente Diktatur zu verbergen und die Arbeiterklasse von ihrem eigenen Kampfterrain abzubringen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass diese Gruppen heute eine gemeinsame Erklärung abgeben, die den stärkst möglichen Bezugspunkt für die wirklichen politischen Interessen und den Kampf des Proletariats und eine klare Alternative zu den heuchlerischen Lügen der gegnerischen Klasse darstellt.
Bitte antwortet schnell auf diesen Brief und diesen Vorschlag. Beachtet, dass die Formulierungen des vorgeschlagenen Aufrufs im Rahmen seiner Hauptprämisse diskutiert und geändert werden können.
Wir freuen uns auf eine Antwort.
Kommunistische Grüße
Internationale Kommunistische Strömung
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Aufruf der Kommunistischen Linken an die Arbeiterklasse – gegen die internationale Kampagne zur Mobilisierung für die bürgerliche Demokratie
Für den unerbittlichen Kampf der Arbeiterklasse gegen die Diktatur der Kapitalistenklasse!
Gegen den Betrug der bürgerlichen Demokratie und ihre falschen Alternativen!
In den letzten Monaten waren die Massenmedien – die der Kapitalistenklasse gehören, von ihr kontrolliert und diktiert werden – weltweit mit dem Wahlzirkus beschäftigt, der in Frankreich, dann in Großbritannien, in anderen Ländern wie in Venezuela, im Iran und in Indien und nun zunehmend auch in den USA stattfindet.
Das vorherrschende Thema der Propaganda im Wahlzirkus war die Verteidigung der demokratischen Regierungsfassade der kapitalistischen Herrschaft. Eine Fassade, die die Realität des imperialistischen Krieges, die Verarmung der Arbeiterklasse, die Zerstörung der Umwelt und die Verfolgung von Flüchtlingen verbergen soll. Es ist das demokratische Feigenblatt, das die Diktatur des Kapitals verschleiert, egal welche der verschiedenen Parteien – rechts, links oder Mitte – im bürgerlichen Staat an die politische Macht kommen.
Die Arbeiterklasse wird vor die falsche Wahl gestellt, sich zwischen der einen oder anderen kapitalistischen Regierung, dieser oder jener Partei oder Führungspersönlichkeit zu entscheiden – und zwar heute immer mehr zwischen denen, die vorgeben, sich an die etablierten demokratischen Gesetze des bürgerlichen Staates zu halten, und denen, die ihnen wie die populistische Rechte mit offener Verachtung begegnen, statt mit versteckter Verachtung, wie es die demokratischen Parteien tun.
Anstatt jedoch alle paar Jahre darüber zu entscheiden, wer sie „vertreten“ und unterdrücken soll, muss die Arbeiterklasse für die Verteidigung ihrer eigenen Klasseninteressen in Bezug auf Löhne und Arbeitsbedingungen kämpfen und sich um die Erlangung ihrer eigenen politischen Macht bemühen – für Ziele, die durch das Geschrei über die Demokratie verwirrt und unmöglich erscheinen sollen.
Unabhängig von den Wahlergebnissen wird in allen Ländern die gleiche kapitalistische Diktatur des Militarismus und der Armut fortbestehen und sich weiter verschärfen. In Großbritannien, um ein Beispiel zu nennen, wo die Mitte-Links-Labour-Partei gerade eine populistisch beeinflusste Tory-Regierung abgelöst hat, hat der neue Premierminister keine Zeit verloren, die Beteiligung der britischen Bourgeoisie am Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu verstärken und die bestehenden Kürzungen der Löhne der Arbeiterklasse beizubehalten und zu verschärfen, um ihre imperialistischen Bemühungen zu finanzieren.
Wer sind die politischen Kräfte, die tatsächlich die wirklichen Interessen der Arbeiterklasse gegen die zunehmenden Angriffe der Kapitalistenklasse verteidigen? Nicht die Erben der sozialdemokratischen Parteien, die sich im Ersten Weltkrieg an die Bourgeoisie verkauft und zusammen mit den Gewerkschaften die Arbeiterklasse für das millionenfache Gemetzel in den Schützengräben mobilisiert haben. Auch nicht die verbliebenen Apologeten des stalinistischen „kommunistischen“ Regimes, das im Zweiten Weltkrieg Dutzende Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern für die imperialistischen Interessen der russischen Nation opferte. Auch nicht der Trotzkismus oder die offizielle anarchistische Strömung, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die eine oder andere Seite in diesem imperialistischen Gemetzel kritisch unterstützt haben. Heute stellen sich die Nachfahren der letztgenannten politischen Kräfte „kritisch“ hinter die liberale und linke bürgerliche Demokratie gegen die populistische Rechte, um zur Demobilisierung der Arbeiterklasse beizutragen.
Nur die Kommunistische Linke, die heute nur noch wenige Militante zählt, ist dem unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse in den letzten hundert Jahren treu geblieben. In der revolutionären Welle der Arbeiterklasse von 1917-23 lehnte die von Amadeo Bordiga geführte politische Strömung, die damals die Kommunistische Partei Italiens führte, die falsche Wahl zwischen dem faschistischen und dem antifaschistischen Lager ab, die gemeinsam daran gearbeitet hatten, den revolutionären Aufschwung der Arbeiterklasse gewaltsam niederzuschlagen. In seinem Text Das demokratische Prinzip von 1922 entlarvte Bordiga das Wesen des demokratischen Mythos im Dienste der kapitalistischen Ausbeutung und des Mordes.
In den 1930er Jahren prangerte die Kommunistische Linke sowohl die linken als auch die rechten, faschistischen und antifaschistischen Fraktionen der Bourgeoisie an, die das bevorstehende imperialistische Blutbad vorbereiteten. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war es folglich nur diese Strömung, die an einer internationalistischen Position festhalten konnte und dazu aufrief, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg der Arbeiterklasse gegen die gesamte Kapitalistenklasse in allen Ländern umzuwandeln. Die Kommunistische Linke lehnte die falsche Wahl zwischen demokratischem oder faschistischem Massengemetzel, zwischen den Gräueltaten von Auschwitz oder Hiroshima ab.
Deshalb haben die verschiedenen Gruppierungen der Kommunistischen Linken heute angesichts der erneuten Kampagnen dieser falschen Wahl der kapitalistischen Regime, die Arbeiterklasse entweder auf die Seite der liberalen Demokratie oder des Rechtspopulismus, des Faschismus oder des Antifaschismus zu ziehen, beschlossen, ungeachtet ihrer sonstigen politischen Unterschiede, einen gemeinsamen Appell an die Arbeiterklasse zu richten:
NIEDER MIT DEM BETRUG DER BÜRGERLICHEN DEMOKRATIE, HINTER DER SICH DIE DIKTATUR DES KAPITALS UND SEIN IMPERIALISTISCHER MILITARISMUS VERBERGEN!
GEGEN DIE FESSEL DER KAPITALISTISCHEN DEMOKRATIE UND DAS NATIONALE INTERESSE, FÜR DEN KAMPF DER INTERNATIONALEN ARBEITERKLASSE ZUR VERTEIDIGUNG IHRER INTERESSEN!
FÜR DIE PROLETARISCHE REVOLUTION ZUR ENTMACHTUNG DER BOURGEOISIE, ZUR ENTEIGNUNG DER KAPITALISTENKLASSE UND ZUR BEENDIGUNG DER DEM PROLETARIAT DURCH KONKURRIERENDE NATIONALSTAATEN AUFGEZWUNGENEN MÖRDERISCHEN KONFLIKTE!
Einleitung aktualisiert am 2. Oktober 2024
Seit der Abfassung dieses Artikels haben die jüngsten Ereignisse und insbesondere die Entwicklungen im Nahen Osten die Vorhersage des Artikels eindeutig bestätigt, dass der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon weiter eskaliert. Der Krieg hat sich bereits auf den Jemen mit israelischen Angriffen auf die von den Huthi gehaltene Häfen und auf Syrien mit einem Angriff auf Damaskus ausgeweitet. Auf die israelische Offensive gegen die Hisbollah, die mit einer vom Mossad ausgeklügelten und völlig barbarischen Operation im Herzen Beiruts begann, bei der gleichzeitig fast 500 präparierte Telefon-Pager und Walkie-Talkie-Bomben gezündet wurden, folgte ein intensives Bombardement der libanesischen Hauptstadt aus der Luft, bei dem bis zum 26. September Hunderte von Menschen, darunter viele Kinder, getötet und mehr als 1800 Zivilisten verletzt wurden und bis zu einer Million Menschen zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen wurden. Berichten zufolge haben hunderttausende von ihnen in Syrien Zuflucht gesucht, wo es bereits zahlreiche Flüchtlingslager gibt, in denen selbst die Grundversorgung praktisch nicht mehr existiert.
Am 27. September ein weiterer Coup für den israelischen Staat: die Tötung des obersten Führers der Hisbollah, Hassan Nasrallah. Diese und andere Schläge gegen die Hisbollah kommen eindeutig dem Netanjahu-Regime zugute, das sich im Gegensatz zum tödlichen Morast in Gaza mit eindeutigen „Siegen“ brüsten kann. In der Zwischenzeit hat die israelische Bodenoffensive im Südlibanon bereits begonnen, mit Kommandoangriffen auf Hisbollah-Stützpunkte, unterstützt durch Luftangriffe. Die israelische Offensive hat die Hisbollah eines beträchtlichen Teils ihrer derzeitigen Führung beraubt, aber es ist eine völlige Illusion zu glauben, dass man den Terrorismus durch die Auslöschung einiger Kommandeure beseitigen kann. Der Krieg im Libanon wird für Israel kein schnelles und einfaches Ende haben, wie es bereits 2006 feststellen musste.
Die Hisbollah hat Rache geschworen und ruft weiterhin zur Zerstörung des Staates Israel auf, während Teheran seinerseits als Vergeltung einen Regen von ballistischen Raketen auf Tel Aviv und Jerusalem abfeuert, was wiederum eine Eskalation der israelischen Antwort provozieren wird. Beide Seiten nutzen die derzeitige Konzentration auf die bevorstehenden amerikanischen Wahlen, auf den ungewissen Ausgang und das Herannahen dieses Termins, um ihre provokative Politik zu intensivieren, und stellen sich dabei taub gegenüber den Aufforderungen sowohl der Vereinigten Staaten als auch der Europäischen Union, die zu einem sofortigen Waffenstillstand aufgerufen haben. Die lokalen Mächte stürzen sich in eine eskalierende und irrationale militärische Situation, die die gesamte Region in Brand zu setzen droht. Gleichzeitig offenbart der Konflikt die widersprüchliche Haltung der USA, die Israel weiterhin mit Waffen versorgen und einige seiner Angriffe mit Geheimdienstinformationen unterstützen, wie beispielsweise die israelische Attacke auf den Jemen. Washington hat ein Interesse an der Schwächung des Iran und seiner Verbündeten in der Region – was auch ein Schlag gegen Russland wäre, da der Iran einer seiner wichtigsten Waffenlieferanten ist. Sowohl die USA als auch Großbritannien haben eine direkte Rolle bei Israels Reaktion auf den iranischen Raketenangriff gespielt (Geheimdienstinformationen und Raketenabwehrfeuer durch die US-Mittelmeerflotte). Gleichzeitig will Washington aber nicht, dass die ganze Situation außer Kontrolle gerät, und Netanjahus wachsende Missachtung der amerikanischen Appelle ist ein weiteres Zeichen für die schwindende Autorität der USA auf globaler Ebene.
In geringerem Ausmaß, aber auch bedeutsam ist, dass sich der Krieg zwischen Russland und der Ukraine verhärtet und festgefahren ist. Selenskyj hat kürzlich in einer Rede vor der UNO versucht, die „internationale Gemeinschaft“ davon zu überzeugen, die Ukraine wirksamer zu unterstützen, indem er scheinheilig einen „Friedensplan“ vorstellte, während er in Wirklichkeit kaum verhohlen zugibt, dass es darum geht, Druck auf Moskau auszuüben, um Russland unter den neuen, von der Ukraine auferlegten Bedingungen „zum Frieden zu zwingen“. Dies veranlasste Putin zu einer heftigen Reaktion, indem er erklärte, er werde „niemals einen Frieden unter Zwang akzeptieren“, und bekräftigte, dass die Bedingungen Moskaus für einen Waffenstillstand immer dieselben seien: Anerkennung der von Russland zu Beginn des Krieges eroberten Regionen und Ausschluss einer Aufnahme der Ukraine in die NATO. Diese Bedingungen sind wiederum für Kiew völlig inakzeptabel. Darüber hinaus hat Großbritannien Langstreckenraketen des Typs Storm Shadow an die Ukraine geliefert und scheint seine Haltung in Bezug auf deren Einsatz gegen Ziele innerhalb Russlands geändert zu haben. Sollten die USA, Deutschland und andere westliche Länder grünes Licht für den Einsatz dieser Raketen in Russland geben, wäre dies ein weiterer Schritt in Richtung Abgrund. Als Reaktion darauf hat Putin das Protokoll für den Einsatz von Atomwaffen geändert, das nun ihren „asymmetrischen“ Einsatz im Falle einer Bedrohung wichtiger Einrichtungen auf russischem Boden, auch durch eine nicht-nukleare Macht, erlaubt. Infolgedessen wird die Aussicht auf die Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen den beiden Hauptakteuren des Konflikts erneut begraben. Vor Ort hingegen nehmen die Kämpfe und die gegenseitigen Zerstörungen nicht nur zu, sondern drohen mit der Wiederaufnahme von Bombenangriffen rund um die Kernreaktoren des Kraftwerks Saporischschja eine noch bedrohlichere Wendung zu nehmen, wobei sich beide Seiten gegenseitig vorwerfen, mit dem Feuer zu spielen.
Diese Kriege zeigen, wie beim Spiel mit dem Feuer die gesamte herrschende Klasse dieses barbarischen Systems schuldig ist!
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In diesem Sommer eskalierten die mörderischen Spannungen in der Ukraine und im Nahen Osten in einer zerstörerischen Spirale, deren Ergebnis nicht deutlicher sein könnte: Aus diesen Kriegen wird für keine der kriegführenden Parteien jemals etwas Gewinnbringendes hervorgehen.
Die Vorstöße der russischen Armee in der Ostukraine wurden von der ukrainischen Armee in der Region Kursk mit neuen Angriffen, diesmal direkt auf russischem Boden, beantwortet. Damit wurde ein weiterer Schritt unternommen, der die Bevölkerung und die Welt mit einer Ausweitung des Konflikts und einer noch tödlicheren Konfrontation bedroht. Alle Kriegsparteien befinden sich in einer äußerst gefährlichen Spirale: Selenskyj zum Beispiel wartet nur darauf, dank der europäischen und amerikanischen Raketen, die er erhält, Russland noch tiefer treffen zu können. Und das heizt die mörderische Eile des Kremls nur noch weiter an, wobei die Angriffe in Poltawa der endlosen Liste der Opfer 55 Tote hinzugefügt haben.
Weißrussland seinerseits ist immer noch eine Kraft, die eine aktive Rolle in dem Konflikt spielen könnte: Mit dem ukrainischen Angriff auf Kursk hat sich diese Möglichkeit erhöht. An der gemeinsamen Grenze zwischen Weißrussland und der Ukraine hat die Lukaschenko-Regierung ein Drittel ihrer Armee stationiert, und die Militärübungen im Juni erinnerten daran, dass sich russische Atomwaffen auf dem Territorium des Landes befinden.
Das gleiche Risiko, den Teufelskreis des Krieges zu verlängern, besteht in Polen, das erneut seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht hat und seine Truppen in Alarmbereitschaft hält. Obwohl die NATO, in der Polen Mitglied ist, offiziell die Entsendung von Truppen abgelehnt hat, sprach der polnische Ministerpräsident Donald Tusk Ende März von einer „Vorkriegszeit“.
Im Nahen Osten wurde die tägliche Schmach im Gazastreifen durch die Offensive der israelischen Armee im Westjordanland und ihr Eingreifen im Südlibanon gegen Ziele der Hisbollah in einer völlig irrationalen Flucht nach vorn noch verschlimmert. Die provokative Ermordung des Hamas-Chefs in Teheran hat nur dazu geführt, dass er durch einen neuen, noch extremistischeren und blutrünstigeren Führer ersetzt wurde, und hat eine weitere Lunte zum regionalen Pulverfass entzündet. All dies hat dem Iran und seinen Verbündeten natürlich neue Vorwände geliefert, sich noch stärker in den Konflikt einzumischen und ihre Verbrechen und Provokationen zu verstärken.
Während der heuchlerischen „Waffenstillstandsgespräche“ in Doha Mitte August gingen die Massaker und die Zerstörung unvermindert weiter. Netanjahu hört nicht auf, jeden Versuch einer diplomatischen Öffnung zu torpedieren, um seiner Politik der verbrannten Erde mehr Nachdruck zu verleihen, indem er Leichen anhäuft, um seine Haut zu retten. Jede Seite hat nichts anderes getan, als das Gemetzel zu vergrößern, um die Verhandlungen zu beeinflussen.
Netanjahu und Hamas, Putin und Selenskyj und die imperialistischen Mächte, die sie aktiv unterstützen – all diese imperialistischen Geier sind in einer unaufhaltsamen Logik endloser und zunehmend zerstörerischer Konfrontationen gefangen. Dies bestätigt nur, dass die Kriegsspirale des sich vollständig zersetzenden Kapitalismus jede wirtschaftliche Rationalität verloren hat und dazu neigt, sich der Kontrolle ihrer direkten Protagonisten und aller beteiligten imperialistischen Mächte zu entziehen.
Diese Konflikte verdeutlichen das enorme Gewicht des Zerfalls des kapitalistischen Systems, dessen unumkehrbare Beschleunigung die Menschheit je länger je mehr zu zerstören droht: durch ihre Dauer, durch die politische Sackgasse, die sie offenbaren, durch ihre Irrationalität und ihre Logik der verbrannten Erde. Auch wenn ein Weltkrieg nicht auf der Tagesordnung steht, kann die Verschärfung und zunehmende Ausweitung der Konflikte aufgrund des allgemeinen „Jeder für sich“, der Instabilität der Bündnisse, die heute die internationalen Beziehungen kennzeichnen, auf lange Sicht nur zu immer mehr Zerstörung und Chaos führen.
Die Tatsache, dass es keine imperialistischen Blöcke mehr gibt, die zu einem Weltkrieg bereit sind (wie der Westblock und der Ostblock während des Kalten Krieges), führt letztlich zu noch mehr Instabilität: Da es keinen gemeinsamen Feind und keine Blockdisziplin mehr gibt, handelt jede Fraktion nun für ihre eigenen Ziele, was sie schneller zu Konfrontationen in einem Kampf jeder gegen jeden führt, der das Handeln der anderen behindert und es immer schwieriger macht, ihre Politik zu kontrollieren.
Diese Tendenz ist der Grund dafür, dass die Vereinigten Staaten zwar ihre Unterstützung für die NATO aufrechterhalten, ihre eigenen Fraktionen aber über die Politik sowohl zur Ukraine als auch zum Gazastreifen streiten. Während die Regierung Biden vorschlug, die Hilfe für ihre Verbündeten aufrechtzuerhalten, versuchten die Republikaner, sie einzuschränken, indem sie im Kongress zunächst 60 Milliarden Dollar für die Ukraine und 14 Milliarden Dollar für Israel einfroren, bevor sie schließlich nachgaben und der Freigabe zustimmten. Diese Brüche verstärken die Schwierigkeiten der Vereinigten Staaten, ihre Hegemonie in der Welt durchzusetzen. Sie verlieren mehr und mehr die Kontrolle über ihre Politik und ihre Autorität gegenüber den Akteuren in den Konflikten.
In diesem Rahmen gießt die zunehmende Polarisierung zwischen den beiden Großmächten China und USA Öl ins Feuer. Auch wenn die Aussicht auf einen ausgewachsenen Krieg zwischen diesen beiden Mächten vorerst nicht in Frage kommt, sind die Spannungen konstant und das Risiko einer regionalen Konfrontation um Taiwan nimmt zu. China setzt seine Militärübungen in der Nähe der Insel und um sie herum fort, führt seine militärischen Provokationen im Chinesischen Meer weiter und verstärkt sie, wenn auch vorsichtig, und schüchtert insbesondere die Philippinen und Japan zunehmend ein. Die Vereinigten Staaten, die sehr besorgt sind, erheben ihre Stimme und bekräftigen ihre Unterstützung für ihre bedrohten Verbündeten, während sie gleichzeitig ihre Provokationen verschärfen. Die Situation wird zunehmend unkontrollierbar und unberechenbar. Die Gefahr eines neuen Flächenbrands nimmt ständig zu.
Proletarierinnen und Proletarier sind immer am stärksten betroffen, sei es direkt in den Konfliktgebieten oder abseits der Fronten durch die Angriffe im Zusammenhang mit der Kriegswirtschaft. In den Kriegsgebieten sind sie Opfer von Bombardierungen, leiden unter Einschränkungen und müssen Terror, Schrecken und Massaker ertragen. Wenn sie nicht gerade in Fabriken, Bergwerken oder Büros ausgebeutet werden, benutzt die Bourgeoisie sie als Kanonenfutter. In der Ukraine rekrutiert die Regierung jeden Mann zwischen 25 und 60 Jahren nach eigenem Gutdünken, entweder direkt durch Entführung oder mit der Verlockung eines höheren Gehalts als in einem zivilen Beruf. Neben der Zwangsrekrutierung nutzt die Bourgeoisie die miserablen Bedingungen der Arbeiter aus, um sich ihr Blut und ihr Leben zu erkaufen. All dies war nur dank intensiver nationalistischer Propaganda, umfangreicher ideologischer Kampagnen und staatlich geplanter Konditionierung möglich: „Der Krieg ist ein methodisches, organisierte, riesenhaftes Morden. Zum systematischen Morden muss aber bei normal veranlagten Menschen erst der entsprechende Rausch erzeugt werden. Dies ist seit jeher die wohlbegründete Methode der Kriegführenden. Der Bestialität der Praxis muss die Bestialität der Gedanken und der Gesinnung entsprechen, diese muss jene vorbereiten und begleiten".[1] Aus diesem Grund ist die Arbeiterklasse in der Ukraine, in Russland und im Nahen Osten derzeit nicht in der Lage, zu reagieren, und wird es angesichts des „Rausches“, dem sie unterworfen wird, auch nur sehr schwer tun können.
Es stimmt, dass Netanjahus Regierung zunehmend unpopulär ist, und die Nachricht von der jüngsten Ermordung israelischer Geiseln durch die Hamas hat große Demonstrationen ausgelöst, da immer mehr Israelis erkennen, dass die erklärten Ziele der Regierung, die Geiseln zu befreien und die Hamas zu zerstören, sich gegenseitig ausschließen. Aber die Demonstrationen, selbst wenn sie einen Waffenstillstand fordern, bleiben im Rahmen des Nationalismus und der bürgerlichen Demokratie und enthalten keine Impulse für eine proletarische Antwort auf den Krieg.
Das Proletariat der westlichen Länder bleibt durch seine Erfahrung mit dem Klassenkampf, insbesondere mit den raffinierten Fallen, die die bürgerliche Herrschaft stellt, das wichtigste Gegenmittel gegen die zerstörerische Spirale. Durch seine Kämpfe gegen die Auswirkungen der Kriegswirtschaft, sowohl gegen die Haushaltskürzungen als auch gegen die galoppierende Inflation, legt es die Grundlagen für seine künftigen Angriffe auf den Kapitalismus.
Tatlin/WH, 5. September 2024
[1] Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie (1916)
Trump ist nach einem Erdrutschsieg bei den Präsidentschaftswahlen zurück im Weißen Haus. In den Augen seiner Anhängerinnen und Anhänger ist er ein unbesiegbarer amerikanischer Held, der jedes Hindernis überstanden hat: die „gestohlene Wahl“, die „gerichtliche Inquisition“, die Feindseligkeit des „Establishments“ und sogar – die Kugeln! Das Bild des wundersamen Trump, mit blutendem Ohr und erhobener Faust, nachdem ihn ein Schuss getroffen hat, wird in die Geschichte eingehen. Doch hinter der Bewunderung, die seine Reaktion hervorrief, war dieser Angriff vor allem der spektakulärste Ausdruck eines Wahlkampfes, der neue Höhen der Gewalt, des Hasses und der Irrationalität erreichte. Dieser außergewöhnliche, geldverschwenderische und von Obszönitäten durchtränkte Wahlkampf spiegelt ebenso wie sein Ergebnis, der Sieg eines größenwahnsinnigen und dummen Milliardärs, den Abgrund wider, in dem die bürgerliche Gesellschaft versinkt.
Trump hat alles, was einen Bösewicht ausmacht: Er ist ein unverbesserlicher Pöbler, ein Lügner und Zyniker, ebenso rassistisch und frauenfeindlich wie homophob. Während des gesamten Wahlkampfs hat die internationale Presse schaudernd die Gefahren beschrieben, die seine Rückkehr ins Amt für die „demokratischen“ Institutionen, die Minderheiten, das Klima und die internationalen Beziehungen mit sich bringe: „Die Welt hält den Atem an“ (Die Zeit), „Ein amerikanischer Albtraum“ (L'Humanité), „Wie wird die Welt Trump überleben?“ (Público), „Ein moralisches Debakel“ (El País) ...
So hätten wir also lieber Harris wählen sollen, die Seite des so genannten „kleineren Übels“, um dem Populismus den Weg zu versperren? Das ist es, was uns die Bourgeoisie glauben machen will. Mehrere Monate lang stand der neue Präsident der Vereinigten Staaten im Mittelpunkt einer weltweiten Propagandakampagne gegen den Populismus.[1] Die „lächelnde“ Kamala Harris rief ständig zur Verteidigung der „amerikanischen Demokratie“ auf und bezeichnete ihren Gegner als „Faschisten“. Selbst Trumps ehemaliger Stabschef war schnell dabei, ihn als „Möchtegern-Diktator“ zu bezeichnen. Der Sieg des Milliardärs hat diese mystifizierende Kampagne zugunsten der bürgerlichen „Demokratie“ nur noch weiter angeheizt.
Viele Wählende sind mit dem Gedanken ins Wahllokal gegangen: „Die Demokraten haben uns vier Jahre lang das Leben schwer gemacht, aber es wird trotzdem nicht so schlimm sein wie Trump im Weißen Haus.“ Das ist der Gedanke, den die Bourgeoisie immer versucht hat, in die Köpfe der Arbeiter und Arbeiterinnen zu pflanzen, um sie zur Wahl zu treiben. Aber im dekadenten Kapitalismus sind Wahlen eine Maskerade, eine falsche Wahl, die keine andere Funktion hat, als die Arbeiterklasse daran zu hindern, über ihre historischen Ziele und die Mittel zu deren Erreichung nachzudenken.
Die Wahlen in den Vereinigten Staaten sind keine Ausnahme von dieser Realität. Wenn Trump so deutlich gewonnen hat, dann in erster Linie, weil die Demokraten verhasst sind. Entgegen der Vorstellung von einer „republikanischen Welle“ hat Trump keine massive Unterstützung erfahren. Die Zahl seiner Wählerinnen und Wähler ist im Vergleich zum letzten Mal im Jahr 2020 relativ stabil geblieben. Vor allem die Vizepräsidentin Harris hat als Zeichen der Diskreditierung der Demokraten ein Debakel erlitten und in vier Jahren nicht weniger als 10 Millionen Wähler verloren. Und das aus gutem Grund! Die Regierung Biden griff die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse brutal an, angefangen bei der Inflation, die die Preise für Lebensmittel, Benzin und Wohnungen in die Höhe schnellen ließ. Es folgte eine riesige Welle von Entlassungen und unsicheren Arbeitsplätzen, was die ArbeiterInnen schließlich zu massiven Kämpfen veranlasste.[2] Im Bereich der Einwanderung haben Biden und Harris, die mit dem Versprechen einer „humaneren“ Politik gewählt wurden, die Bedingungen für die Einreise in die Vereinigten Staaten ständig verschärft, was so weit ging, dass sie die Grenze zu Mexiko schlossen und den Migranten ganz offen untersagten, überhaupt um Asyl zu bitten. Auf der internationalen Bühne verärgerte Bidens ungezügelter Militarismus, seine großzügige Finanzierung von Massakern in der Ukraine und seine kaum kritische Unterstützung für die Massaker der israelischen Armee die Wähler ebenfalls.
Die Kandidatur von Harris konnte keine Illusionen wecken, wie wir in der Vergangenheit bei Obama und, in geringerem Maße, bei Biden gesehen haben. Das Proletariat hat weder von den Wahlen noch von den bürgerlichen Machthabern etwas zu erwarten: Nicht diese oder jene Clique an der Macht ist es, die „die Geschäfte schlecht führt“, sondern das kapitalistische System, das in der Krise und im historischen Bankrott versinkt. Ob Demokraten oder Republikaner, sie alle werden weiterhin die Arbeiterklasse rücksichtslos ausbeuten und Elend verbreiten, während sich die Krise vertieft; sie alle werden weiterhin die grausame Diktatur des bürgerlichen Staates durchsetzen und unschuldige Menschen auf der ganzen Welt bombardieren!
Die verantwortungsvollsten Fraktionen des amerikanischen Staatsapparats (die meisten Medien und hohen Beamten, die Militärführung, die gemäßigtste Fraktion der Republikanischen Partei usw.) haben dennoch alles getan, um die Rückkehr von Trump und seinem Clan ins Weiße Haus zu verhindern. Die Kaskade von Klagen, die Warnungen praktisch aller Experten auf allen Gebieten und selbst die unerbittlichen Bemühungen der Medien, den Kandidaten lächerlich zu machen, haben nicht ausgereicht, um sein Rennen um die Macht zu stoppen. Trumps Wahl ist ein echter Schlag ins Gesicht, ein Zeichen dafür, dass die Bourgeoisie zunehmend die Kontrolle über ihr Wahlspiel verliert und nicht mehr in der Lage ist, einen verantwortungslosen Unruhestifter daran zu hindern, in die höchsten Staatsämter einzuziehen.
Die Realität des Aufstiegs des Populismus ist nicht neu: Das Brexit-Votum im Jahr 2016 und der überraschende Sieg Trumps im selben Jahr waren die ersten spektakulären Anzeichen dafür. Aber die Verschärfung der Krise des Kapitalismus und die zunehmende Ohnmacht der Staaten, die Situation zu kontrollieren, sei es geostrategisch, wirtschaftlich, ökologisch oder sozial, haben die politische Instabilität in der ganzen Welt nur noch verstärkt: gespaltene Parlamente, Populismus, Spannungen zwischen bürgerlichen Cliquen, Instabilität der Regierungen ... – Diese Phänomene zeugen von einem Zerfallsprozess, der sich im Herzen der mächtigsten Staaten der Welt vollzieht. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass in Argentinien ein Verrückter wie Milei an die Spitze des Staates gelangt ist und in mehreren europäischen Ländern, in denen die Bourgeoisie am erfahrensten ist, Populisten an die Macht gekommen sind.
Der Sieg von Trump ist Teil dieses Prozesses, markiert aber auch einen bedeutenden zusätzlichen Schritt. Wenn Trump von einem großen Teil des Staatsapparats abgelehnt wird, dann vor allem deshalb, weil sein Programm und seine Methoden nicht nur die Gefahr bergen, den Interessen des US-Imperialismus in der Welt zu schaden, sondern auch die Schwierigkeiten des Staates, den für das Funktionieren des nationalen Kapitals notwendigen Anschein von sozialem Zusammenhalt zu gewährleisten, weiter vergrößern. Während des Wahlkampfs hat Trump eine Reihe von Hetzreden gehalten, die den Rachegeist seiner Anhänger wie nie zuvor entfachten und sogar die „demokratischen“ Institutionen bedrohten, die die Bourgeoisie so dringend braucht, um die Arbeiterklasse ideologisch einzudämmen. Er hat ständig die rückschrittlichste und hasserfüllteste Rhetorik geschürt und das Gespenst von Unruhen heraufbeschworen, falls er nicht gewählt werde. Und er hat nie darüber nachgedacht, welche Folgen seine Worte für das gesellschaftliche Gefüge haben könnten. Die extreme Gewalt dieses Wahlkampfs, für die auch die Demokraten in vielerlei Hinsicht verantwortlich sind, wird zweifellos die Spaltung der amerikanischen Bevölkerung vertiefen und kann die Gewalt in einer ohnehin schon stark zersplitterten Gesellschaft nur noch verstärken. Aber Trump war in der Logik der verbrannten Erde, die das kapitalistische System zunehmend kennzeichnet, bereit, alles zu tun, um zu gewinnen.
Da Trumps Sieg 2016 auch für ihn selbst relativ unerwartet kam, konnte die amerikanische Bourgeoisie den Boden bereiten, indem sie in der Regierung und in der Verwaltung Persönlichkeiten einsetzte, die in der Lage waren, die verrücktesten Entscheidungen des Milliardärs zu bremsen. Diejenigen, die Trump später als „Verräter“ bezeichnete, waren beispielsweise in der Lage, die Aufhebung des Systems der Gesundheitsversorgung (Obamacare) oder die Bombardierung des Iran zu verhindern. Als die Covid-Pandemie ausbrach, war sein Vizepräsident Mike Pence ebenfalls in der Lage, die Krise zu bewältigen, obwohl Trump glaubte, dass die Injektion eines Desinfektionsmittels in die Lunge ausreicht, um die Krankheit zu heilen ... Es war derselbe Pence, der sich schließlich öffentlich von Trump distanzierte, indem er den Übergang der Macht an Biden sicherstellte, während die Randalierer auf das Kapitol marschierten. Auch wenn der Generalstab der Armee Trump nach wie vor sehr feindlich gesinnt ist und alles tun wird, um seine schlimmsten Entscheidungen zu verzögern, hat sich der Clan des neuen Präsidenten darauf vorbereitet, die „Verräter“ zu beseitigen, und bereitet sich darauf vor, allein gegen alle zu regieren, so dass uns ein Mandat bevorsteht, das noch chaotischer wird als das vorherige.
Während des Wahlkampfs präsentierte sich Trump als Mann des „Friedens“ und behauptete, er werde den Ukraine-Konflikt „in 24 Stunden“ beenden. Seine Vorliebe für den Frieden macht offensichtlich an den Grenzen der Ukraine halt, denn gleichzeitig hat er die Massaker des israelischen Staates bedingungslos unterstützt und sich gegenüber dem Iran sehr aggressiv gezeigt. In Wirklichkeit weiß niemand, was Trump in der Ukraine, im Nahen Osten, in Asien, in Europa oder mit der NATO tun wird (oder tun kann), so widersprüchlich und launisch war er schon immer.
Andererseits wird seine Rückkehr eine noch nie dagewesene Beschleunigung von Instabilität und Chaos in der Welt bedeuten. Im Nahen Osten glaubt Netanjahu bereits, dass er nach dem Sieg Trumps die Hände freier hat als je zuvor seit Beginn des Gaza-Konflikts. Israel könnte versuchen, seine strategischen Ziele (Zerstörung der Hisbollah, der Hamas, Krieg mit dem Iran usw.) auf viel direktere Weise zu erreichen und mehr Barbarei in der Region zu verbreiten.
In der Ukraine droht der Konflikt nach Bidens Politik der mehr oder weniger maßvollen Unterstützung eine noch dramatischere Wendung zu nehmen. Anders als im Nahen Osten ist die US-Politik in der Ukraine Teil einer sorgfältig ausgearbeiteten Strategie zur Schwächung Russlands und seines Bündnisses mit China sowie zur Stärkung der Beziehungen der europäischen Staaten zur NATO. Trump könnte diese Strategie in Frage stellen und die amerikanische Führungsrolle weiter schwächen. Unabhängig davon, ob Trump beschließt, Kiew im Stich zu lassen oder Putin zu „bestrafen“, werden die Massaker unweigerlich eskalieren und sich vielleicht über die Ukraine hinaus ausbreiten.
Das Hauptaugenmerk des US-Imperialismus liegt jedoch auf China. Der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China steht im Mittelpunkt der Weltlage, und der neue Präsident könnte seine Provokationen vervielfachen und China zu einer entschlossenen Reaktion veranlassen, indem er beispielsweise Druck auf die japanischen und koreanischen Verbündeten der USA ausübt, die bereits ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht haben. Und das alles vor dem Hintergrund eines eskalierenden Handelskriegs und von wachsendem Protektionismus, dessen katastrophale Folgen für die Weltwirtschaft bereits von den führenden Finanzinstituten der Welt angeprangert werden.
Trumps Unberechenbarkeit kann daher die Tendenz des „Jeder für sich“ nur noch erheblich verstärken und wird alle großen und kleinen Mächte dazu bringen, den „Rückzug“ des amerikanischen Polizisten zu nutzen, um in einem Klima großer Verwirrung und zunehmenden Chaos ihre eigenen Karten auszuspielen. Selbst Amerikas „Verbündete“ versuchen bereits offener, sich von Washington zu distanzieren, indem sie nationale Lösungen bevorzugen, sowohl wirtschaftlich als auch militärisch. Der französische Präsident rief unmittelbar nach der Bestätigung von Trumps Sieg die Staaten der Europäischen Union dazu auf, ihre Interessen gegenüber den Vereinigten Staaten und China zu verteidigen ...
Im Kontext der Wirtschaftskrise, zu einer Zeit, in der das Proletariat seinen Kampfgeist auf internationaler Ebene wiedererlangt und allmählich seine Klassenidentität wiederentdeckt, ist Trumps Clique in den Augen der amerikanischen Bourgeoisie eindeutig nicht am besten geeignet, den Klassenkampf zu führen und die Angriffe durchzusetzen, die das Kapital braucht. Zwischen seinen offenen Drohungen mit Repression gegen Streikende und seiner alptraumhaften Partnerschaft mit einem so offen arbeiterfeindlichen Typen wie Elon Musk lassen die pauschalen Äußerungen des Milliardärs während der jüngsten Streiks in den USA (Boeing, Hafenarbeiter, Hotels, Autos usw.) das Schlimmste befürchten und können die Bourgeoisie nur beunruhigen. Trumps Versprechen, sich an den Staatsbediensteten, die er als seine Feinde betrachtet, zu rächen, indem er 400.000 von ihnen entlässt, kündigt ebenfalls Ärger nach den Wahlen an.
Es wäre jedoch ein Fehler zu glauben, dass Trumps Rückkehr ins Weiße Haus den Klassenkampf fördern wird. Im Gegenteil, sie wird ein echter Schock sein. Die Politik der Spaltung zwischen ethnischen Gruppen, zwischen Stadt und Land, zwischen Akademikerinnen und Nicht-Akademikern, all die Gewalt und der Hass, die der Wahlkampf hervorgebracht hat und auf denen Trump weiter surfen wird, gegen Schwarze, gegen MigrantInnen, gegen Homosexuelle oder Transgender, all die irrationalen Wutausbrüche von Evangelikalen und anderen Verschwörungstheoretikern, kurz das ganze Durcheinander der Zerfalls, wird die arbeitenden Menschen noch stärker belasten und tiefe Spaltungen und sogar gewaltsame politische Konfrontationen zwischen populistischen und antipopulistischen Cliquen hervorrufen.
Die Trump-Administration wird zweifellos auf die linken Fraktionen der Bourgeoisie, angefangen bei den „Sozialisten“, zählen können, um das Gift der Spaltung einzuflößen und dafür zu sorgen, dass die Kämpfe der ArbeiterInnen entgleisen. Nachdem er für beide Clintons, Obama, Biden und Harris Wahlkampf gemacht hat, beschuldigt Bernie Sanders die Demokraten unverblümt, „die Arbeiterklasse im Stich gelassen zu haben“, als ob diese militaristische, proletariermordende Partei, die seit dem 19. Jahrhundert häufig an der Macht war, irgendetwas mit der Arbeiterklasse zu tun hätte! Unmittelbar nach ihrer Wiederwahl ins Repräsentantenhaus versprach die linke Demokratin Ocasio-Cortez, alles zu tun, um die Arbeiterklasse in „Gemeinschaften“ zu spalten: „Bei unserer Kampagne geht es nicht nur darum, Stimmen zu gewinnen, sondern uns die Mittel zu geben, stärkere Gemeinschaften aufzubauen“.
Aber die Arbeiterklasse hat die Kraft, sich trotz dieser neuen Hindernisse zu wehren. Während der Wahlkampf in vollem Gange war und trotz der berüchtigten Vorwürfe, den Populisten in die Hände zu spielen, kämpften die Arbeiterinnen und Arbeiter weiter gegen Sparmaßnahmen und Entlassungen. Trotz der von den Gewerkschaften auferlegten Isolation, trotz der massiven Propaganda der Demokraten, trotz der Last der Spaltungen haben sie gezeigt, dass der Kampf die einzige Antwort auf die Krise des Kapitalismus ist.
Vor allem sind die Arbeitenden in den Vereinigten Staaten nicht allein! Diese Streiks sind Teil eines Kontextes von internationaler Kampfbereitschaft und verstärkter Reflexion, der seit dem Sommer 2022 besteht, als die Arbeiterinnen und Arbeiter in Großbritannien nach Jahrzehnten der Resignation einen Schrei der Wut erhoben: „Genug ist genug!“, der in der gesamten Arbeiterklasse nachhallt und weiter nachhallen wird!
EG, 9. November 2024
[1] The future of humanity lies not in the ballot box, but in the class struggle! [526], World Revolution Nr. 401, September 2024
[2] Strikes in the United States, Canada, Italy... For three years, the working class has been fighting against austerity! [527] – publiziert auf unserer englischsprachigen Webseite im November 2024
Wie wir in unserem zweiten Artikel über die Prager Aktionswoche[1] geschrieben, haben sich verschiedene Gruppen darum bemüht, eine Bilanz der Veranstaltung zu ziehen, eines Versuchs, Gegner des imperialistischen Krieges aus vielen verschiedenen Ländern zusammenzubringen. In diesem Artikel werden wir den Beitrag der Communist Workers Organisation CWO[2] untersuchen (in einem späteren Artikel werden wir uns mit den Perspektiven nach der Prager Aktionswoche beschäftigen).
Im Artikel der CWO wird ihre Ansicht dargelegt, dass die Krise den Kapitalismus in einen neuen Weltkrieg zwinge, der auf die Entwertung des Kapitals abziele. Wir werden an dieser Stelle nicht darauf eingehen, dass wir mit dieser Sichtweise auf die aktuelle Weltlage und die aktuelle Dynamik der imperialistischen Kriege nicht einverstanden sind. Aber wir wollen auf die Art und Weise eingehen, wie die CWO mit einer Schlüsselerfahrung der historischen Arbeiterbewegung umgeht – der Zimmerwalder Konferenz von 1915, die der erste große Versuch von Internationalisten aus allen kriegführenden Lagern war, zusammenzukommen und einen Aufruf gegen den imperialistischen Krieg zu verfassen. Die CWO scheint die Bedeutung dieses Ereignisses herunterzuspielen, indem sie darauf besteht, dass es Teil eines allgemeinen Versagens der Revolutionären Linken in der Zweiten Internationale war, sich rechtzeitig von der Sozialdemokratie zu lösen: „Sogar das Beispiel der Zimmerwalder Linken, die lange nach Kriegsbeginn zusammenkam“, so sagen sie, sei kein nachahmenswertes Beispiel.
Ja, es stimmt, dass die Internationale Linke zu lange gewartet hat, um eine organisierte Fraktionsarbeit gegen den wachsenden Opportunismus der Zweiten Internationale in der Zeit vor dem Krieg zu beginnen, und diese Verzögerung hat es erschwert, eine internationale Antwort auf den Ausbruch des Krieges und den Verrat des gesamten opportunistischen Flügels der Sozialdemokratie nach 1914 zu geben. Das heißt aber nicht, dass wir nicht aus den Erfahrungen der Zimmerwalder Linken lernen können. Im Gegenteil, die Haltung der Bolschewiki und anderer in Zimmerwald – sowohl die Wichtigkeit der Teilnahme an der Konferenz anzuerkennen als auch den zentristischen und pazifistischen Irrtümern der Mehrheit ihrer Teilnehmenden unnachgiebig entgegenzutreten – liefert uns ein klares Beispiel dafür, wie wir auf Ereignisse wie die Prager Aktionswoche reagieren sollten.
Mit anderen Worten, die Notwendigkeit, einerseits bei einer solchen Veranstaltung anwesend zu sein und andererseits mit einer klaren Kritik gegenüber all ihren Verwirrungen und Unzulänglichkeiten zu intervenieren. Dies gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass einige der Hauptakteure der Aktionswoche, insbesondere die Gruppe Tridni Valka, die gesamte Zimmerwalder Erfahrung schlichtweg als einen pazifistischen Karneval ablehnen[3]. Und gleichzeitig führt die Lehre, die die CWO aus Zimmerwald zieht – die Notwendigkeit, sich so schnell und so breit wie möglich neu zu formieren, bevor der Krieg kommt – zu einer völlig unkritischen Haltung gegenüber den Elementen, mit denen sie sich neu zu formieren versucht. Wir werden darauf zurückkommen.
Wie die meisten anderen Berichte beginnt auch der Artikel der CWO mit folgendem Hinweis: „Aus organisatorischer Sicht war es eine Katastrophe. Die Teilnehmenden mögen darüber streiten, wer die Schuld trägt, aber Tatsache ist, dass einige Veranstaltungen überhaupt nicht stattfanden, andere schlecht besucht waren, dass den Teilnehmenden Unterkünfte versprochen wurden, die sie nicht bekamen, und dass schließlich am Freitag der Veranstaltungsort des Kongresses absagte. In Ermangelung jeglicher Kommunikation seitens der Organisatoren trafen sich etwa 50 Teilnehmende und organisierten selbst ihren eigenen Kongress. Die Diskussionen zogen sich über viele Stunden hin, und obwohl die ursprünglichen Organisatoren schließlich einen anderen Veranstaltungsort fanden, hatte der selbstorganisierte Kongress bereits Pläne für den nächsten Tag gemacht. So fanden am Samstag zwei getrennte Veranstaltungen statt: der offizielle Kongress und der selbst organisierte Kongress (obwohl einige Teilnehmende im Laufe des Tages beide besuchten)."[4]
Wir können nur zustimmen, dass es sich um eine Katastrophe auf organisatorischer Ebene handelte, aber der Bericht der CWO geht nicht näher auf die Gründe für die Katastrophe ein. Hier geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um die Untersuchung der politischen Gründe für das Scheitern. Wie wir in unserem ersten Artikel über Prag[5] aufzeigten, kann eine solche Untersuchung nicht umhin, die aktivistische, antiorganisatorische Haltung der Mehrheit der Teilnehmenden zu kritisieren – ein Problem, das in anarchistischen Vorstellungen wurzelt und durch die verschiedenen Bemühungen, die Kommunistische Linke auszuschließen, noch verschärft wurde.
Die Organisationsfrage ist an sich eine politische Frage, aber die Darstellung der CWO scheint den „politischen Standpunkt“ auf die allgemeineren Vorstellungen der verschiedenen Teilnehmenden zu beschränken. Dennoch haben sie recht, wenn sie darauf hinweisen, dass auf dieser Ebene „die wirkliche Kluft zwischen den Aktivisten, die nach sofortigen Lösungen zur Beendigung des Krieges suchten, und denjenigen mit einer klassenkämpferischen Orientierung, die eine längerfristige Perspektive hatten und verstanden, dass Kriege als Produkt des kapitalistischen Systems nur durch den Massenkampf des Proletariats beendet werden können“, entstand.
Das ist genau das, was wir in unseren eigenen Artikeln über Prag gesagt haben. Aber auch hier fehlt etwas in der Darstellung der CWO. Wie wir in unserem ersten Artikel betonten, “war eine Annäherung zwischen den Beiträgen der IKS und der IKT (Internationale Kommunistische Tendenz von der die CWO Teil ist) festzustellen, die sich mehr als einmal trafen, um sich über die Entwicklung der Diskussion auszutauschen“.
Der Artikel der CWO stellt fest, dass ein positiver Aspekt der Prager Veranstaltung die vielen informellen Kontakte und Diskussionen war, die am Rande der Hauptsitzungen stattfanden, und wir stimmen dem zu. Was sie jedoch verschweigen, ist, dass ihre Delegation innerhalb der „selbstorganisierten“ Versammlung selbst zum ersten Mal seit vielen Jahren in der Lage war, konstruktiv mit uns zusammenzuarbeiten, und dass dies in nicht geringem Maße auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass wir trotz vieler Meinungsverschiedenheiten die Tradition des Marxismus und der Kommunistischen Linken teilen, was es beiden Organisationen ermöglichte, eine echte Alternative zum sterilen Aktivismus zu bieten, der die Mehrheit dieses Milieus beherrscht. So betonten beide Organisationen in ihren Beiträgen in Prag den Vorrang einer ernsthaften Debatte über die Weltlage vor einer unmittelbaren Fixierung auf das „Was können wir heute tun“. Sie betonten die zentrale Rolle des Kampfs des Proletariats bei der Entwicklung einer echten Opposition gegen den imperialistischen Krieg und sie bekräftigten, dass nur der Sturz des Kapitalismus durch die Arbeiterklasse der tödlichen Spirale von Krieg und Zerstörung, die dem dekadenten Kapitalismus inhärent ist, ein Ende bereiten kann.
Wir glauben nicht, dass die CWO hier an einer einfachen Gedächtnislücke leidet. Vielmehr entspricht dies einer Praxis, die von der CWO/IKT und ihren Vorläufern seit langem praktiziert wird: eine Politik des „Alles, nur nicht die IKS“. Diese Haltung zeigte sich bereits in der Vorgehensweise des Partito Comunista Internazionalista PCInt in den Jahren 1943-45 – der Organisation, auf die die IKT ihre Wurzeln zurückführt. Wie wir in einer Reihe von Artikeln gezeigt haben, war der PCInt von Anfang an opportunistisch in seiner Intervention gegenüber den Partisanengruppen in Italien und gegenüber einer Reihe von Elementen, die er in die Partei aufnahm, ohne Rechenschaft über ihre früheren Abweichungen und sogar ihren Verrat zu verlangen: wie im Fall von Vercesi, einem ehemaligen Kämpfer der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken, der sich während des Krieges im antifaschistischen Frontismus engagiert hatte, oder den Elementen, die sich von der Fraktion abgespalten hatten, um in den POUM-Milizen in Spanien zu kämpfen.
Dieser Opportunismus ging einher mit einer sektiererischen Haltung gegenüber denjenigen, die den PCInt von links kritisierten, nämlich der Gauche Communiste de France GCF, mit der er jede Diskussion ablehnte. Die gleiche Vorgehensweise haben wir bei der Sabotage der Konferenzen der Kommunistischen Linken Ende der 1970er Jahre durch Battaglia Comunista (die italienische Organisation der IKT) und die CWO gesehen – mit dem traurigen Ergebnis, dass Battaglia Comunista und die CWO, nachdem sie uns effektiv losgeworden waren, eine „neue“ Konferenz zusammen mit einer Gruppe iranischer Stalinisten abhielten[6]. Ein klares Beispiel für Opportunismus gegenüber der Rechten, sogar gegenüber dem linken Flügel der Bourgeoisie, und Sektierertum gegenüber der Linken des proletarischen Lagers, der IKS.
Heute setzt sich diese Politik in der systematischen Verweigerung der gemeinsamen Arbeit zwischen den wichtigsten Gruppen der Kommunistischen Linken fort, zugunsten der Suche nach Bündnissen mit allen möglichen Elementen – von Anarchisten mit zweideutigen Positionen zum Internationalismus bis hin zu – unserer Ansicht nach – vermeintlichen Linkskommunisten, die nur eine destruktive Rolle gegenüber dem authentischen Proletarischen Milieu spielen können. Das offensichtlichste Beispiel für Letzteres ist der Groupe International de la Gauche Communiste GIGC, eine Gruppe, die nicht nur eine politisch parasitäre Formation ist, deren einziger Existenzgrund darin besteht, die IKS zu verleumden, sondern die auch aktiv das interne Leben der IKS ausspioniert hat[7]. Und dennoch ist dies die Gruppe, mit der die IKT ihre Gruppe „Kein Krieg außer dem Klassenkrieg“ (No War But The Class War) in Frankreich gegründet hat. Die Entscheidung der IKT, unsere Vorschläge für einen gemeinsamen Appell der Kommunistischen Linken gegen die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten abzulehnen und stattdessen eine Art „breite Front“ über die Gruppen No War But The Class War zu bilden, ist nur das jüngste Beispiel dieser Methode.[8]
Vor dem Prager Treffen schrieb die CWO an die Organisatoren und schlug vor, dass die acht von den Organisatoren vorgeschlagenen Kriterien für die Teilnahme an der Konferenz und für die gemeinsame internationalistische Arbeit in der Zukunft leicht mit den fünf grundlegenden Punkten, die die No War But The Class War-Komitees[9] definieren, zusammengeführt werden könnten. Es wäre nützlich, wenn die CWO in ihrer Bilanz der Konferenz eine Einschätzung darüber abgeben könnte, was aus diesem Vorschlag geworden ist.
Wir sind der Meinung, dass das, was in Prag geschehen ist, eine praktische Widerlegung der gesamten Methode der NWBCW-Initiative darstellt. Erstens hat es die Organisatoren nicht dazu gebracht, ihre Weigerung aufzugeben, die Kommunistische Linke zur „offiziellen“ Konferenz einzuladen, wie ursprünglich in einem Radiointerview mit dem Organisationskomitee verkündet[10] und in dem von der Gruppe Tridni Valka verfassten Bericht über die Veranstaltung voll bestätigt wurde (die sicherlich einen entscheidenden Einfluss auf das offizielle Organisationskomitee hatte, auch wenn sie behauptet, dass sie selbst nicht Teil davon gewesen sei)[11]. Wie der Artikel von Tridni Valka zeigt, sitzt die Feindseligkeit gegenüber der Kommunistischen Linken in bestimmten Teilen der anarchistischen Bewegung sehr tief. Diese lässt sich nicht überwinden, indem man amorphe Fronten mit gewissen Anarchisten bildet. Im Gegenteil, all das ist ein garantiertes Mittel, um eine wirkliche, gründliche Debatte zu vermeiden, die notwendigerweise die Form eines geduldigen und unnachgiebigen politischen Kampfes annehmen wird, der darauf abzielt, zu den Wurzeln der Divergenz zwischen Marxismus und Anarchismus zu gelangen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die IKT auf eine solche Konfrontation mit den Gruppen einlässt, mit denen sie sich in den NWBCW-Ausschüssen zusammengetan hat.
Zweitens war die Entwicklung der Ereignisse in Prag ein echter Beweis dafür, dass es nicht die Aufgabe der Kommunistischen Linken sein kann, die zersplitterte, politisch heterogene und oft chaotische anarchistische Bewegung zu „organisieren“. Ja, wir müssen bei ihren Zusammenkünften anwesend sein, um sowohl für politische als auch organisatorische Kohärenz zu kämpfen, aber der Versuch, ein solches Milieu in ständigen Gruppen oder Komitees zu erfassen, kann nur dazu führen, die Arbeit der Kommunistischen Linken zu sabotieren. Zudem bestätigen die bescheidenen Anfänge der gemeinsamen Arbeit zwischen der IKT und der IKS in Prag unsere Sichtweise, dass der beste Ausgangspunkt für die Kommunistische Linke, um Einfluss auf eine breitere, aber immer noch sehr verwirrte Suche nach internationalistischen Positionen zu nehmen, eine gemeinsame Anstrengung ist, die auf sehr klar vereinbarten Prinzipien beruht.
Oktober 2024, Amos
[1] Prager Aktionswoche: Einige Lektionen und Antworten auf einiwge Verleumdungen [528] (IKSonline, September 2024)
[2] Internationalist Initiatives Against War and Capitalism [518] auf der Webseite der IKT. Die CWO ist die Organisation der IKT (Internationalist Communist Tendency ICT) in Großbritannien.
[3] ebenda, Fußnote 2
[4] ebenda, Fußnote 2
[5] Aktivismus ist ein Hindernis für politische Klärung [515], Weltrevolution Nr. 187 (Sommer 2024)
[6] The International Conferences of the Communist Left (1976-80) [529] in International Review 122
[7] Siehe über die letzten Machenschaften des GIGC: Appeal for revolutionary solidarity and defence of proletarian principles [530], ICConline August 2024
[8] Die IKT und die Initiative NWBTCW: Ein opportunistischer Bluff der die Kommunistische Linke schwächt [486], Weltrevolution Nr. 186 (Winter 2023/24)
[9] https://www.leftcom.org/en/articles/2024-05-01/to-the-internationalists-attending-the-prague-week-of-action [531]
[10] https://actionweek.noblogs.org/interview-with-the-organising-committee-of-the-action-week/ [532]
[11] https://libcom.org/article/aw2024-report-prague [521]. Darauf haben wir in unserem zweiten Artikel geantwortet.
Der Tribut der andauernden Kriege ist schrecklich. In der Ukraine übersteigt die Zahl der Toten und Verwundeten bereits eine Million, Gebiete und Städte wurden vollständig dem Erdboden gleichgemacht, wie die Stadt Mariupol, die von der Landkarte verschwunden ist! Im Nahen Osten hat der Ansturm auf den Gazastreifen zu einem regelrechten Völkermord geführt. Auch hier ist alles dem Erdboden gleichgemacht worden, und die verwüsteten Gebiete werden noch jahrzehntelang brachliegen. Hinzu kommen die damit verbundenen Konfrontationen mit ihren tödlichen Folgen, wie im Libanon, am Roten Meer, im Jemen und seit kurzem auch in Syrien. Und andere, ernstere Bedrohungen häufen sich und drohen auszubrechen, vor allem zwischen China und Taiwan.
Seit dem letzten Sommer erleben wir eine regelrechte Eskalation der militärischen Konflikte, bei der die Kämpfe und Massaker überall zunehmen. Seit Beginn des Konflikts in der Ukraine und nach fast drei Jahren extrem gewaltsamer Kriegsführung ist die ukrainische Armee schließlich in der Region Kursk auf russischen Boden vorgedrungen. In der Ostukraine scheint die russische Armee immer noch Fortschritte zu machen, allerdings um den Preis sehr hoher Verluste. Kinder werden scham- und erbarmungslos abgeschlachtet. Mit der Unterstützung durch nordkoreanische Soldaten, aber auch durch Soldaten aus Sri Lanka, den Huthi usw. nimmt der Konflikt eine andere, gefährlichere Dimension an und zieht weitere Staaten oder militärische Gruppen mit sich, auch wenn die Steigerung der Kräfte die Schwierigkeiten und den Mangel widerspiegelt, unter denen Russland leidet.
Im Nahen Osten hat sich der Konflikt nach zwei Jahren Krieg ebenfalls verschärft: Im Gazastreifen wurden bereits mehr als 44.000 Menschen getötet, die meisten von ihnen Zivilisten; 1.700 Israelis sowie einige AusländerInnen und Geiseln wurden getötet, und es wurde eine neue Front eröffnet, die sich brutal auf den Libanon ausweitete, wo das Zentrum von Beirut schnell unter Beschuss geriet (mehr als 3.000 zivile Tote). Zu dieser makabren Bilanz kommt noch eine Vielzahl von Verwundeten und Vertriebenen hinzu.
Erst kürzlich haben islamistische Gruppen in Syrien unter Ausnutzung der Ohnmacht Russlands (das mit Bashar al-Assad verbündet ist) und der regelmäßigen Bombardierung des Landes durch Israel eine Offensive auf die Stadt Aleppo gestartet. Dieser neue Ausbruch von Gewalt, der sich die Unordnung im Nahen Osten zunutze macht, stellt nicht nur eine weitere Ausweitung des Chaos dar, sondern könnte auch noch tödlichere Folgen haben.
Diese Konflikte sind daher noch weiter eskaliert, insbesondere nach den amerikanischen Wahlen, während denen Biden in peinlicher Weise gezwungen war, Netanjahus ungezügelten Extremismus zu unterstützen; außerdem wurde er kürzlich unter Druck gesetzt, der Ukraine den Einsatz von Raketen mit größerer Reichweite zu genehmigen, die Ziele in einem Umkreis von 300 Kilometern auf russischem Boden erreichen können. Auf die ersten ukrainischen Abschüsse amerikanischer ATACMS-Raketen folgten rasch der verstärkte Einsatz von Drohnen und Streumunition durch Russland (mit zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung) sowie zahlreiche Bombardierungen mit dem Ziel, das Land im Winter vom Strom zu kappen. Vor allem die symbolische Entsendung einer Mittelstreckenrakete, die nukleare Sprengköpfe tragen könnte, zeigt den wachsenden Willen des Kremls, die westlichen Mächte zu provozieren und einzuschüchtern. Putin, der Zauberlehrling, hat gerade die russische Doktrin über den Einsatz von Atomwaffen erneut ein Stück erweitert.
In der Zwischenzeit hat sich der Nahe Osten paradoxerweise gerade für Verhandlungen geöffnet, nachdem Netanjahu einen Waffenstillstand über den Libanon vereinbart hatte. Und obwohl die Situation in der Ukraine zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts noch nicht so weit ist und Putin "nicht verhandlungsbereit zu sein scheint", gibt es Stimmen, die darauf hinweisen, dass es nun möglich sein könnte, "einen gerechten Frieden ins Auge zu fassen“.[1]
Sind die großen imperialistischen Mächte und die Kriegsparteien "vernünftig" geworden, eher bereit, "den Frieden wiederherzustellen"? Ganz und gar nicht! Der Marxismus hat immer die Position verteidigt, insbesondere seit dem Ersten Weltkrieg, dass der Kapitalismus Krieg ist. Eine Zeit des "Friedens" ist lediglich eine Zeit der Vorbereitung auf den imperialistischen Krieg, das Ergebnis eines politischen und militärischen Kräfteverhältnisses. Wie Lenin sagte: "Je mehr die Kapitalisten über Frieden reden, desto mehr bereiten sie sich auf den Krieg vor". Wenn Netanjahu heute einen brüchigen Waffenstillstand im Norden unterzeichnet hat, dann vor allem in der Hoffnung, die Unterstützung Trumps zu gewinnen, um aus seinen Gräueltaten in den palästinensischen Gebieten politisch Kapital zu schlagen und sich gegenüber den regionalen Ansprüchen des Iran besser zu positionieren.
Die Ernennung des ehemaligen Veteranen Pete Hegseth zum US-Verteidigungsminister entspricht ebenfalls den Hoffnungen Netanjahus. Der Star-Moderator des konservativen Fernsehsenders Fox News, Hegseth, ein streng evangelikaler Konservativer, präsentiert sich als "Verteidiger Israels", als Anhänger des Zionismus, der die Entscheidung, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem als Hauptstadt des hebräischen Staates zu verlegen, lautstark begrüßt hatte. Dieser künftige Minister unterstützt natürlich Netanjahu angesichts des Drucks der internationalen Justiz, zumal er bereits für amerikanische Soldaten plädiert hatte, die wegen Kriegsverbrechen angeklagt waren! Er war auch der Wortführer derjenigen, die den Iran unter dem Vorwand seiner "Waffenlager" bombardieren wollten.
Auch in der Ukraine versucht jede Seite, die Reaktion Washingtons zu antizipieren, und setzt alles daran, vor Ort zu punkten, um aus einer Position der Stärke heraus verhandeln zu können. Auf der einen Seite steht der verzweifelte Druck, den der Kreml durch wahllose Bombardierungen und die nukleare Bedrohung ausübt, auf der anderen Seite ist man in der Ukraine entschlossen, die fragile Eroberung der russischen Region Kursk als "Verhandlungsmasse" zu nutzen. Eines ist sicher: Für welche Politik sich Trump auch entscheidet, sie wird zwangsläufig die gleichen Rachegelüste schüren.
Das Gleiche gilt für die europäischen Mächte, die in der Dynamik des "Jeder für sich" gefangen sind und mit den Initiativen zunehmend waghalsiger Beziehungen konfrontiert werden, wie dem Gespräch zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Wladimir Putin, aber auch mit der Wiederbelebung des französisch-britischen Diskurses über die Möglichkeit der Entsendung von Truppen in die Ukraine "zur Friedenssicherung", während Deutschland dies derzeit nicht befürwortet. Eine ganze Reihe von Themen vergiftet die Beziehungen in der EU, sowohl in Bezug auf Russland und den Krieg in der Ukraine (Ungarn beispielsweise ist offen pro-russisch) als auch im Nahen Osten (die Frage des palästinensischen Staates), ebenso wie die Beziehungen zur NATO, die Rolle der europäischen Verteidigung, die Entwicklung der Kriegswirtschaft usw. Die
Ungewissheit über die Ergebnisse der amerikanischen Wahlen, gefolgt vom Sieg Trumps, der versprochen hatte, "den Ukraine-Konflikt in 24 Stunden zu lösen", konnten nur zu weiterer Kriegsglut führen. Bis zum 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung von Donald Trump, weiß niemand, was der neue amerikanische Präsident angesichts seiner launischen, sprunghaften und unberechenbaren Art tun wird.
Die wachsenden Spannungen werden also weitergehen, vielleicht auch in Form von "Friedens"-Reden. Diese Dynamik des imperialistischen Chaos, die durch große Spannungen zwischen allen Weltmächten, vor allem zwischen China und den USA, gekennzeichnet ist, kann sich nur verstärken und ausbreiten, auch wenn es möglich ist, dass ein Waffenstillstand vorübergehend das Tempo bestimmt. Aber der Krieg wird nicht verschwinden: Denn es gibt „für den Kapitalismus bei seinem Versuch, die verschiedenen Teile eines sich auflösenden Körpers zusammenzuhalten, keinen anderen Ausweg [...] als die Auferlegung eines eisernen Korsetts, das die bewaffneten Kräfte bilden. Deshalb sind die Mittel, die er einsetzt, um dieses immer blutigere Chaos einzudämmen, selbst ein beträchtlicher Faktor bei der Verschärfung der kriegerischen Barbarei, in die der Kapitalismus versinkt.“[2] Um seine strategischen Interessen zu verteidigen, wendet jeder imperialistische Staat heute zunehmend eine Politik der verbrannten Erde an, indem er Chaos und Zerstörung sät, selbst in den Einflussgebieten seiner engsten "Verbündeten" und erst recht seiner Rivalen. Das kapitalistische System bedroht, wenn es sich selbst überlassen bleibt, das Überleben der Menschheit.
Die Erkenntnis, dass der Kapitalismus über sein Verfalldatum hinaus vor sich hin modert, bedeutet nicht, sich dem Fatalismus hinzugeben. Ganz im Gegenteil! Innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft gibt es eine antagonistische Kraft, die in der Lage ist, dieses System zu Fall zu bringen: der massive internationale Kampf des Proletariats. Auch wenn das Proletariat noch geschwächt und nicht in der Lage ist, direkt gegen den Krieg vorzugehen, bleibt sein Potenzial intakt. Auch wenn es erst allmählich beginnt, sich durch einen langsamen Bewusstwerdungsprozess auszudrücken, zerbrechlich und ungleichmäßig, immer noch molekular und unterirdisch, stellt es für die Zukunft eine soziale Kraft der radikalen Veränderung dar. Revolutionäre müssen das zukünftige Potenzial des Klassenkampfes hervorheben: "Die Arbeiterklasse hat in all diesen Kriegen, ob den jetzigen oder den im Entstehen begriffenen, keine Seite zu wählen und muss das Banner des proletarischen Internationalismus überall unerschütterlich verteidigen. Eine ganze Periode lang wird das Proletariat nicht in der Lage sein, sich direkt gegen den Krieg zu stellen. Andererseits wird der Kampf des Proletariats gegen die Ausbeutung an Bedeutung gewinnen, weil er das Proletariat dazu drängt, seinen Kampf zu politisieren, um den Kapitalismus zu stürzen".[3]
WH, 30. November 2024
[1] Bemerkungen von UN-Generalsekretär Antonio Guterres
[2] Orientierungstext: Militarismus und Zerfall [173], Internationale Revue 13, 1991
[3] Faced with chaos and barbarism, the responsibility of revolutionaries [533] (Die Verantwortung der Revolutionäre gegenüber dem Chaos und der Barbarei), International Review 172 (engl./frz./span. Ausgabe), Sommer 2024
Die heutigen Medien überschütten uns mit Bildern der Schrecken des Regimes von Baschar al-Assad (wie die des finsteren Gefängnisses von Saydnaya), während sie sich über die Feiern der Bevölkerung zum „Ende des Albtraums“ freuen. Doch die Erleichterung über das Ende dieses Terrorregimes ist nichts als eine trügerische Illusion. Die Wahrheit ist, dass die Bevölkerung (sowohl in Syrien als auch im Rest der Welt) Opfer einer neuen und kriminellen Täuschung ist, einer neuen betrügerischen Heuchelei der herrschenden Klasse: Die Leute sollen glauben, dass der Terror, der Krieg und das Elend die alleinige Verantwortung Assads waren, eines „Verrückten“, der gestoppt werden musste, um Frieden und Stabilität wiederherzustellen.
In Wirklichkeit waren alle Imperialisten, von den kleinsten Mächten in der Region bis hin zu den großen Weltmächten, schamlos an den Gräueltaten des Regimes beteiligt: Vergessen wir nicht, wie Obama, der „Friedensnobelpreisträger“, 2013 wegschaute, als Baschar al-Assad seine Bevölkerung bombardierte oder mit Giftgas angriff, oder wie viele der „demokratischen“ Mächte, die sich jetzt zum „Sturz des Tyrannen“ beglückwünschen, sich jahrzehntelang mit der Assad-Familie arrangiert haben oder sogar ihre patentierten Komplizen waren, um ihre schmutzigen Interessen in der Region zu verteidigen. Dieselben großen „Demokratien“ lügen wieder einmal schamlos, wenn sie versuchen, die neuen Führer des Landes reinzuwaschen, die noch vor wenigen Jahren als „Terroristen“ bezeichnet wurden: Diese „Gemäßigten“, die in der Lage seien, einen „friedlichen“ Ausweg zu finden, sind nichts anderes als eine Ansammlung von Islamisten und Mördern aus den Reihen von Al-Qaida oder Daesh!
Vor einem Jahr, als der Konflikt in Gaza ausbrach, verteilten wir ein Flugblatt, in dem wir die Ausweitung der Barbarei anprangerten, die diese Massaker bereits vorbereiteten:
"Sowohl der Angriff der Hamas als auch Israels Gegenreaktion haben eines gemeinsam: die Politik der verbrannten Erde. Das terroristische Massaker von gestern und der Bombenteppich von heute können zu keinem wirklichen und dauerhaften Sieg führen. Dieser Krieg stürzt den Nahen Osten in eine Ära der Destabilisierung und der Konfrontation. Wenn Israel weiterhin Gaza dem Erdboden gleichmacht und seine Bewohner unter Trümmern begräbt, besteht die Gefahr, dass das Westjordanland ebenfalls in Flammen aufgeht, dass die Hisbollah den Libanon in den Krieg hineinzieht und dass der Iran sich schließlich zu sehr einmischt. Die Ausbreitung des Chaos auf die gesamte Region wäre zum Beispiel nicht nur ein schwerer Schlag für den amerikanischen Einfluss, sondern auch für die globalen Ansprüche Chinas, dessen wertvolle Seidenstraße durch die Region verläuft. Die Gefahr eines dritten Weltkriegs schwebt in den Köpfen aller Menschen. In den Fernsehstudios diskutieren die Journalisten offen darüber. In Wirklichkeit ist die aktuelle Situation viel perfider. Es gibt keine zwei Blöcke, die sich wohlgeordnet und diszipliniert gegenüberstehen, wie in den Jahren 1914-18 und 1939-45 oder während des gesamten Kalten Krieges. Während der wirtschaftliche und kriegerische Wettbewerb zwischen China und den USA immer brutaler und bedrückender wird, beugen sich die anderen Nationen nicht den Befehlen eines dieser beiden Kolosse, sondern spielen ihre eigene Partitur, in Unordnung, Unberechenbarkeit und Kakophonie. Russland griff die Ukraine gegen den Rat Chinas an. Israel zerschlägt Gaza gegen den Rat der USA. Diese beiden Konflikte verkörpern die Gefahr, die die gesamte Menschheit mit dem Tod bedroht: die Zunahme von Kriegen, deren einziges Ziel es ist, den Gegner zu destabilisieren oder zu zerstören; eine endlose Kette von irrationalen und nihilistischen Ausschreitungen; ein jeder für sich selbst, das Synonym für unkontrollierbares Chaos ist"[1].
Die Blitzoffensive der Jihadisten nutzte das wachsende Chaos in der Region: Assad und sein korruptes Regime hielten sich nur noch mit Mühe an der Macht, da die russische Armee, die in der Ukraine feststeckte, nicht mehr in der Lage war, ihn zu unterstützen, und die Hisbollah, die in ihren Krieg mit Israel verwickelt war, ihre Stellungen in Syrien aufgegeben hatte. Im Chaos der Barbarei in Syrien konnte diese Koalition aus ungleichen Milizen ohne großen Widerstand nach Damaskus vordringen. Was wir heute in Syrien und gestern im Libanon und in der Ukraine beobachten, ist die Ausbreitung und Verstärkung dieser Kriege der verbrannten Erde, in denen keiner der Gegner eine solide Position, dauerhaften Einfluss oder ein stabiles Bündnis erlangt, sondern stattdessen einen unaufhaltsamen Sturz ins Chaos vorantreibt.
Wer kann behaupten, einen soliden Sieg errungen zu haben? Das neue syrische Regime sieht sich bereits mit einer Situation der Fragmentierung und Zerrüttung konfrontiert, die an Libyen nach Gaddafi erinnert. Der Sturz des Assad-Regimes ist auch ein schwerer Rückschlag für den Iran, der einen wertvollen Verbündeten zu einer Zeit verliert, in der Hamas und Hisbollah geschwächt sind. Russland könnte unterdessen zusehen, wie seine wertvollen Militärbasen im Mittelmeer verschwinden, während gleichzeitig seine Glaubwürdigkeit bei der Verteidigung seiner Verbündeten schwindet ... Selbst diejenigen, die wie Israel oder die Vereinigten Staaten die Ankunft neuer, versöhnlicherer Herren in Damaskus begrüßen würden, haben nur ein relatives Vertrauen in sie, wie die israelischen Bombardierungen zur Zerstörung der Arsenale und zur Verhinderung, dass sie in die Hände des neuen Regimes fallen, zeigen. Die Türkei, die als Hauptnutznießer des Sturzes von Assad gilt, weiß auch, dass sie mit verstärkter Unterstützung der USA für die Kurden und einer noch chaotischeren Situation an ihren Grenzen rechnen muss. Der „Sturz des Tyrannen“ verspricht nichts als noch mehr Krieg und Chaos!
Wenn das Chaos, der Terror und die Massaker tatsächlich das Werk der Herrscher dieser Welt, der Bourgeoisie – sowohl der autoritären als auch der demokratischen Art – sind, dann sind sie vor allem das Ergebnis der Logik des dekadenten Kapitalismus. Der Kapitalismus ist ein allumfassender Wettbewerb, Plünderung und Krieg. Die Tatsache, dass dieser Krieg nun auf immer mehr Teile der Welt übergreift und sinnlose Verwüstungen und Massenschlächtereien verursacht, ist Ausdruck der historischen Sackgasse, in der sich das kapitalistische System befindet. Anlässlich des Gaza-Krieges schrieben wir: „Welche Maßnahmen auch immer ergriffen werden, die Dynamik der Destabilisierung ist unausweichlich. Im Grunde handelt es sich also um eine bedeutende neue Etappe in der Beschleunigung des globalen Chaos. Dieser Konflikt zeigt, in welchem Ausmaß jeder Staat zunehmend eine Politik der ‚verbrannten Erde‘ anwendet, um seine Interessen zu verteidigen, wobei er nicht versucht, Einfluss zu gewinnen oder Interessen zu erobern, sondern Chaos und Zerstörung unter seinen Rivalen zu säen. Diese Tendenz zu strategischer Irrationalität, Kurzsichtigkeit, instabilen Allianzen und „jeder für sich selbst“ ist keine willkürliche Politik dieses oder jenes Staates und auch nicht das Produkt der schieren Dummheit dieser oder jener bürgerlichen Fraktion an der Macht. Sie ist die Folge der historischen Bedingungen, die des Zerfalls des Kapitalismus, in dem alle Staaten einander gegenüberstehen. Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben sich diese historische Tendenz und das Gewicht des Militarismus auf die Gesellschaft erheblich verschärft. Der Krieg in Gaza bestätigt, in welchem Ausmaß der imperialistische Krieg heute der wichtigste destabilisierende Faktor in der kapitalistischen Gesellschaft ist. Als Produkt der Widersprüche des Kapitalismus nährt der Sturmwind des Krieges wiederum das Feuer dieser Widersprüche und verstärkt durch das Gewicht des Militarismus die Wirtschaftskrise, die Umweltkatastrophe und die Zersplitterung der Gesellschaft"[2]. Diese Dynamik neigt dazu, jeden Teil der Gesellschaft zu zersetzen und jede Nation zu schwächen, angefangen bei der wichtigsten unter ihnen: den Vereinigten Staaten.
Als Folge dieses Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft haben wir das Aufkommen von Phänomenen wie massive Flüchtlingsströme erlebt, wie sie durch den Krieg in Syrien im Jahr 2015 ausgelöst wurden, mit fast 15 Millionen Vertriebenen (7 Millionen in Syrien selbst, 3 Millionen in der Türkei und etwa 1 Million zwischen Deutschland und Schweden). Damals prangerten wir das heuchlerische „Flüchtlinge sind willkommen“ der Bourgeoisie an[3], was nicht bedeutete, dass die Ausbeuter nun Befürworter der Solidarität geworden wären, sondern vielmehr ein Versuch war, die Explosion des Chaos einzudämmen, indem man sich billige Arbeitskräfte zunutze machte. Dieselben Wohltäter drängen die Flüchtlinge nun dazu, in die Hölle Syrien zurückzukehren, weil „das unterdrückerische Regime nicht mehr existiert“ und „das Land sich auf die Wiederherstellung der demokratischen Normalität zubewegt“. Das ist der widerliche Zynismus dieser „Demokratien“, die die Politik umsetzen, für die populistische Parteien und die extreme Rechte eintreten, von denen sie behaupten, sich von ihnen distanzieren zu wollen. Die Alternative zur Zerstörung der Menschlichkeit, die das Überleben des Kapitalismus mit sich bringt, ist die internationale Klassensolidarität, eine Solidarität des Kampfes gegen den globalen Kapitalismus.
Valerio, 13. Dezember 2024
[1] Massaker und Kriege in Israel, Gaza, der Ukraine, Aserbaidschan... Der Kapitalismus sät den Tod! Wie kann er daran gehindert werden? [411], Internationales Flugblatt, IKSonline November 2023
[2] Spiral of atrocities in the Middle East: the terrifying reality of decomposing capitalism [534] (Spirale der Grausamkeiten im Nahen Osten: die erschreckende Wirklichkeit des Kapitalismus im Zerfall), International Review 171 (engl./frz./span. Ausgabe)
[3] Siehe: Prolifération des murs anti-migrants : le capitalisme, c’est la guerre et les barbelés [535] (Konjunktur im Bau von Grenzmauern gegen MigrantInnen: Kapitalismus heißt Krieg und Stacheldraht), Artikel in Révolution internationale 455, November/Dezember 2015
„Genug ist genug“ war der Unterton der Aktionstage, die am 13. Dezember 2024 und am 13. Januar 2025 in Brüssel gegen die „Sparpläne“ stattfanden. Schon seit sechs Monaten liegen diese bei den Gesprächen über die Bildung einer neuen Regierung auf dem Verhandlungstisch. Zuvor wurden diese Pläne durch „undichte Stellen“ in den Medien bekannt, heute sind sie kein öffentliches Geheimnis mehr. Die Gewerkschaften sprechen von den „drastischsten Maßnahmen der letzten 80 Jahre“. Die geplanten Angriffe würden alle Teile der Arbeiterklasse betreffen. Während Angestellten in privaten Unternehmen massenhaft entlassen werden (27.000 waren es bis 2024) und die automatische Lohnindexierung unter Beschuss gerät, will die neue Regierung auch die Ausgaben für die soziale Sicherheit streichen, einschließlich der Arbeitslosenunterstützung und der Renten. Als Krönung des Ganzen will sie die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um zwei Prozent senken und die Arbeit für alle Arbeitnehmer noch unsicherer und flexibler machen.
Während am ersten Aktionstag mit rund 10.000 Demonstranten vor allem Gewerkschaftsdelegierte mobilisiert wurden (und zwar hauptsächlich aus der Region Wallonien), nahm es am 14. Januar eine ganz andere Dynamik an. Statt der ursprünglich von den Gewerkschaften vorgesehenen 5.000 bis 10.000 Demonstranten kamen schließlich mehr als 30.000 aus den verschiedenen Regionen des Landes und aus einer wachsenden Zahl von Arbeitssektoren zu der Demonstration. Auch 47.000 Lehrer und Lehrerinnen in der flämischen Region streikten, was eine historisch hohe Zahl darstellt. Arbeitsniederlegungen gab es auch bei der Bahn, den öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Recycling, den Postdiensten und vielen anderen öffentlichen Diensten. Für den 13. Februar wurde ein neuer Aktionstag angekündigt, diesmal unter dem Motto „für öffentliche Dienstleistungen und Kaufkraft“.
Doch schon vor diesen beiden Aktionstagen hatte im November eine Kundgebung stattgefunden, die ebenfalls weit mehr Arbeitnehmer mobilisierte als erwartet. Auch bei dieser Demonstration der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen am 7. November war die Beteiligung dreimal so hoch wie erwartet: mehr als 30.000. Am 26. November fand außerdem ein breit angelegter Streik des französischsprachigen Bildungspersonals (Wallonien und Region Brüssel) statt, der sich gegen das richtete, was Roland Lahaya, der Generalsekretär der wallonischen Bildungsgewerkschaft CSC-Enseignement als „Kriegserklärung“ bezeichnete. Unter dem Motto „Lehren ja, bluten nein!“ lehnten die Streikenden vor allem die von der bereits ernannten wallonischen Regierung angekündigten Kürzungen im Bildungsbereich ab, eine Maßnahme, die die Festanstellungen gefährdet und erhebliche Auswirkungen auf die Renten hat. Am 27. und 28. Januar gab es zwei weitere Streik- und Demonstrationstage. Und die unter Druck stehende Bildungsgewerkschaft erwägt, einen unbefristeten Streik anzukündigen.
Diese Demonstrationen, Streiks und Proteste bestätigen die international zunehmende Kampfbereitschaft, über die wir in den letzten Jahren in unserer Presse mehrfach berichtet haben. Die Eskalation der imperialistischen Spannungen und das wachsende Chaos, die Zersplitterung des Welthandels, die steigende Inflation und die Energiekosten sind so viele Anzeichen für eine noch nie dagewesene Verschärfung der Wirtschaftskrise. In allen Ländern versucht die Bourgeoisie daher, die Folgen der Wirtschaftskrise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Belgien ist da keine Ausnahme.
Die Bourgeoisie ist sich sehr wohl bewusst, dass diese Pläne in weiten Teilen der Arbeiterklasse Reaktionen hervorrufen, und zwar nicht nur im Bereich des öffentlichen Dienstes. Sie ist sich bewusst, dass die Arbeiterklasse international bereits bewiesen hat, dass sie Jahrzehnte rückläufiger Kämpfe überwunden hat. Deshalb legt die Bourgeoisie Wert darauf, gut vorbereitet zu sein und auch die notwendigen Kräfte zu mobilisieren, um den zu erwartenden Widerstand aufzufangen und umzuleiten.
Die belgischen Gewerkschaften sahen die Besorgnis und Unzufriedenheit unter den Arbeitern von Woche zu Woche wachsen und blieben nicht untätig, um zu verhindern, dass sich die Unzufriedenheit in „unkontrollierten“ Aktionen manifestiert. Am Sonntag, dem 8. Dezember 2024, erklärte Ann Vermorgen (Vorsitzende der Gewerkschaft ACV) im Fernsehen, dass die Gewerkschaften gemeinsam beschlossen hätten, in der kommenden Zeit jeden Monat am 13. einen Aktionstag zu veranstalten. Es folgten Aktionstage im Dezember und Januar, an denen die Gewerkschaften versuchten, die Mobilisierungen auf bestimmte Sektoren (insbesondere das Bildungswesen) und bestimmte Forderungen (Rentenreform im Bildungswesen) zu beschränken. Die Gewerkschaften wenden eine bewährte Taktik an: Die Isolierung und Aufteilung verschiedener Sektoren und Regionen in einer Reihe von Aktionstagen wird den Kampfeswillen schließlich erschöpfen.
Die Stärke und Dynamik der Mobilisierung vom 13. Januar war jedoch so groß, dass sie sich auf andere Sektoren und alle Regionen ausweitete und die Gewerkschaften selbst überraschte. Der Unmut zeigt nämlich deutlich, dass es nicht nur um eine bestimmte Maßnahme oder angekündigte „Reform“ geht. Er ist Ausdruck einer allgemeineren Unzufriedenheit und Empörung und der Realität der Rückkehr des Kampfgeists angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten, der sich verschlechternden Arbeitsbedingungen, der unsicheren Arbeitsplätze und des Schreckgespenstes der Armut.
Seit Jahren wird uns gesagt, dass der Kapitalismus das einzig mögliche System sei und dass die Demokratie die beste und perfekteste politische Institution ist, die man sich nur vorstellen kann. Diese Mystifizierungen haben kein anderes Ziel, als die Arbeiterklasse zu demobilisieren, die Arbeitnehmer zu isolieren und sie in die Ohnmacht zu treiben, sie von der Stärke und Solidarität ihrer Klasse abzuschneiden. Doch trotz der unaufhörlichen Appelle, sich auf die Wahlurnen zu verlassen, um ein „Gegengewicht“ zur Austerität zu bilden, und trotz der Aufrufe zur „Verteidigung der Demokratie“ gegen den schändlichen Diskurs der Populisten, entdeckt die Arbeiterklasse den Weg des Kampfes wieder, die Notwendigkeit, gemeinsam auf ihrem eigenen Klassenterrain zu kämpfen. Es ist auch bezeichnend, dass diese Dynamik der sich entwickelnden Klassenkämpfe vor dem Hintergrund eines Krieges und ständig steigender Militärausgaben stattfindet, die von der Arbeiterklasse bezahlt werden müssen.
Um die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen wirklich abwehren zu können, muss der Kampf von einer möglichst breiten Basis ausgehen, indem er alle Arbeiterinnen und Arbeiter vereint, unabhängig davon, in welchem Unternehmen, welcher Institution, welchem Sektor oder welcher Region sie arbeiten. Alle Arbeiter und Arbeiterinnen sitzen „im selben Boot“. All diese Gruppen sind keine getrennten Bewegungen, sondern ein kollektiver Ausdruck: “Wir sind eine Stadt der Arbeiter - Arbeiter und Angestellte, gewerkschaftlich organisierte und nicht gewerkschaftlich organisierte, Immigranten und Einheimische“, wie es ein streikender Lehrer in Los Angeles im März 2023 ausdrückte. Die Streiks in Belgien sind voll und ganz Teil der Bewegung, die in den letzten drei Jahren in anderen Ländern, insbesondere in Großbritannien, den USA und Frankreich, stattgefunden hat.
Aber es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Arbeiterklasse in Belgien wie auch anderswo in der Lage ist, bestimmte Schwächen zu überwinden, die in den jüngsten Kämpfen aufgetreten sind:
In Belgien verbreiten die Bourgeoisie und ihre Gewerkschaften unablässig das Gift der Spaltung: zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor sowie zwischen den Arbeitnehmern auf beiden Seiten der wallonisch-flämischen Sprachbarriere. Dies ist eine traditionell schwer zu überwindende Hürde, aber nicht unmöglich, wie wir am 23. April 2023 gesehen haben, als die französischsprachigen und niederländischsprachigen Lehrer und Lehrerinnen in Brüssel gemeinsam demonstrierten. In der Vergangenheit hatten schon die Streiks von 1983 und 1986 Hunderttausende von Arbeitnehmern aus dem öffentlichen und privaten Sektor sowie aus den Regionen Wallonien, Brüssel und Flandern zusammengebracht. Die Lehren aus den vergangenen Kämpfen zu ziehen, ist mehr denn je unerlässlich, wenn wir uns gegen die Fallen der Bourgeoisie wappnen wollen.
Unsere Stärke ist die Einigkeit, die Solidarität im Kampf! Nicht getrennt zu kämpfen, sondern den Kampf in ein und derselben Bewegung zu vereinen; zu streiken und Delegationen zu entsenden, um sich den Anderen im Kampf anzuschließen; Vollversammlungen zu organisieren, um gemeinsam über die Bedürfnisse des Kampfes zu diskutieren; sich um gemeinsame Forderungen zu vereinen. Es ist diese Dynamik der Solidarität, der Expansion und der Einheit, die die Bourgeoisie im Laufe der Geschichte immer wieder erschüttert hat.
Lac, 21.01.2025
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Internationales öffentliches Online-Treffen der IKS
Samstag 5. April 2025, 15 Uhr (mitteleuropäische Zeitzone)
Die Beschleunigung der Ereignisse seit dem Amtsantritt von Trump 2.0 in den USA hält an.
Aus diesem Grund veranstaltet die IKS ein drittes internationales öffentliches Online-Treffen, das sich mit der aktuellen Weltlage befasst. Es ist wichtig, dass alle, die die Notwendigkeit verstehen, die Welt von einem zerfallenden kapitalistischen System zu befreien, genau erkennen, womit die Arbeiterklasse konfrontiert ist. Wir ermutigen daher alle, die auf der Suche nach der „Wahrheit dieser Welt“ und dem Weg zur Überwindung des Kapitalismus sind, an diesem Treffen teilzunehmen und sich an der Debatte zu beteiligen.
Wenn Ihr daran teilnehmen möchtet, schreibt bitte an [email protected] [24]
Internationale Kommunistische Strömung
Links
[1] https://de.internationalism.org/files/de/flugblatt_zu_den_streiks_in_frankreich.pdf
[2] https://www.who.int/data/gho/data/themes/topics/topic-details/GHO/deaths
[3] https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus
[4] https://en.internationalism.org/icconline/201510/13468/syria-russian-intervention-escalates-chaos
[5] https://fr.internationalism.org/content/9934/droit-dasile-arme-dresser-des-murs-contre-immigres
[6] https://de.internationalism.org/content/2920/ein-weiterer-beweis-dass-der-kapitalismus-zu-einer-gefahr-fuer-die-menschheit-geworden
[7] https://de.internationalism.org/content/2845/100-jahre-nach-der-gruendung-der-kommunistischen-internationale-welche-lehren-koennen
[8] https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der
[9] https://www.newtral.es/las-uci-de-europa-ante-los-casos-graves-con-coronavirus/20200312/
[10] https://de.internationalism.org/content/2903/der-kampf-erfordert-die-solidaritaet-aller-arbeiter-und-arbeiterinnen-und-aller
[11] https://www.lemonde.fr/sciences/article/2020/02/29/bruno-canard-face-aux-coronavirus-enormement-de-temps-a-ete-perdu-pour-trouver-des-medicaments_6031368_1650684.html
[12] https://www.pasteur.fr/fr/centre-medical/fiches-maladies/mers-cov
[13] https://drees.solidarites-sante.gouv.fr/
[14] https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Healthcare_resource_statistics_-_beds
[15] https://www.lemonde.fr/politique/article/2020/03/17/entre-campagne-municipale-et-crise-du-coronavirus-le-chemin-de-croix-d-agnes-buzyn_6033395_823448.html
[16] https://www.force-ouvriere.fr/releve-de-reunion-du-19-mars-cfdt-cgt-fo-cfe-cgc-cftc-medef-cpme
[17] https://de.internationalism.org/content/2931/pandemie-des-covid-19-frankreich-die-kriminelle-fahrlaessigkeit-der-bourgeoisie
[18] https://elpais.com/espana/madrid/2020-03-21/el-dano-del-coronavirus-en-las-residencias-de-mayores-sera-imposible-de-conocer.html
[19] https://www.elespanol.com/espana/20200320/criterios-decidir-prioridad-falten-camas-uci/475954325_0.html
[20] https://www.elconfidencial.com/espana/2020-03-24/sanitarios-ramon-cajal-plante-mascarillas_2513959/
[21] https://www.lasprovincias.es/comunitat/sindicatos-exigen-generalitat-20200325192618-nt.html
[22] https://de.internationalism.org/files/de/covid_19_0.pdf
[23] http://www.internationalism.org
[24] mailto:[email protected]
[25] https://de.internationalism.org/content/2917/wer-ist-wer-bei-nuevo-curso
[26] https://de.internationalism.org/content/2898/lassalle-und-schweitzer-der-kampf-gegen-politische-abenteurer-der-arbeiterbewegung
[27] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/bebel/1911/leben2/
[28] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/bebel/1911/leben2/kap1-06.html
[29] https://de.internationalism.org/content/690/ausserordentliche-konferenz-der-iks-der-kampf-fuer-die-verteidigung-der
[30] https://es.internationalism.org/revista-internacional/200604/834/fraccion-interna-de-la-cci-intento-de-estafa-a-la-izquierda-comunis
[31] https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200602/471/circulo-de-comunistas-internacionalistas-argentina-que-es-y-que-funcion
[32] https://de.internationalism.org/iksonline/konferenz-marseille-ueber-die-kommunistische-linke-doktor-bourrinet-hochstaple
[33] https://russland.ahk.de/corona-krise/liveticker
[34] https://www.nytimes.com/2020/04/04/world/europe/germany-coronavirus-death-rate.html
[35] https://www.welt.de/politik/deutschland/article207060585/Corona-Niedrige-Todesrate-New-York-Times-ueber-die-deutsche-Ausnahme.html
[36] https://gesundheit-soziales.verdi.de/mein-arbeitsplatz/krankenhaus/++co++1ebb885e-126f-11e9-9a57-525400940f89
[37] https://www.welt.de/wirtschaft/article155259907/Die-fatalen-Arbeitsbedingungen-in-deutschen-Pflegeheimen.html
[38] https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/pflegeheim-umfrage/
[39] https://www.tagesschau.de/inland/pflege-notstand-101.html
[40] https://www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/gesund/gesund-arbeit/pflegenotstand-wieder-mal-auslaender-rein-also-die-pflege-die-verzweifelte-hoffnung-stirbt-offensichtlich-zuletzt/
[41] https://www.mdr.de/sachsen/multiresistente-keime-interview-lutz-jatzwauk-umgang-mre-alltag-hygiene100.html
[42] https://www.stern.de/panorama/stern-crime/krankenpfleger-niels-hoegel-verurteilt--kliniken-perfekt-fuer-serienmoerder--8424662.html
[43] https://www.marx21.de/coronavirus-gefahren-ursachen-loesungen/
[44] https://www.assoziation-a.de/buch/Vogelgrippe
[45] https://www.heise.de/tp/features/Covid-19-Bereits-2012-gab-es-Planspiele-mit-dem-hypothetischen-Erreger-Modi-SARS-4692905.html
[46] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/berliner-intensivpfleger-ueber-corona-patienten-wir-hatten-ihn-16-stunden-auf-dem-bauch-liegen/25722480.html
[47] https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-aerzte-pfleger-ansteckung-1.4865774
[48] https://www.zeit.de/arbeit/2020-04/pflegekraefte-corona-krise-einschuechterungen-drohungen/komplettansicht
[49] https://bnn.de/lokales/gaggenau/fuehlen-uns-verarscht-erste-pfleger-in-mittelbaden-kuendigen-wegen-fehlender-schutzkleidung
[50] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/coronavirus-volkswagen-daimler-1.4848722
[51] https://www.spiegel.de/wirtschaft/arbeitgeber-und-ig-metall-einigen-sich-auf-not-tarifvertrag-a-255f34ce-01e4-47f4-a2d0-fbe0a2879c43
[52] https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-deutschland-chronik-1.4852683
[53] https://www.dw.com/de/corona-krise-es-wird-so-teuer-wie-noch-nie/a-52890015
[54] https://www.merkur.de/politik/coronavirus-deutschland-angela-merkel-kanzler-soeder-merz-laschet-roettgen-kanzlerschaft-news-zr-13639261.html
[55] https://www.dkv.global/safety-ranking
[56] https://www.leftcom.org/en/articles/2020-03-14/italy-we-re-not-lambs-to-the-slaughter-class-struggle-in-the-time-of-coronavirus
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[58] https://libcom.org/article/workers-launch-wave-wildcat-strikes-trump-pushes-return-work-amidst-exploding-coronavirus
[59] https://fr.internationalism.org/content/10107/covid-19-des-reactions-face-a-lincurie-bourgeoisie
[60] https://en.internationalism.org/forum/16820/corona-virus-more-evidence-capitalism-has-become-danger-humanity
[61] https://www.youtube.com/watch?v=gXC1n8OexRU
[62] https://en.internationalism.org/content/16707/report-class-struggle-formation-loss-and-re-conquest-proletarian-class-identity
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[64] https://de.internationalism.org/content/2935/covid-19-weltweite-kapitalistische-barbarei-oder-proletarische-weltrevolution
[65] http://www.mlwerke.de/lu/lu05/lu05_739.htm
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[68] https://www.leftcom.org/en/articles/2011-01-21/amadeo-bordiga-beyond-the-myth-and-the-rhetoric-0
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[70] https://en.internationalism.org/ir/127/vercesi-period-of-transition
[71] https://de.internationalism.org/content/853/5-resolution-des-3kongresses-der-iks-zum-staat-der-uebergangsperiode-1979
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[73] https://www.marxists.org/archive/bordiga/works/1965/consider.htm
[74] https://alter-maulwurf.de/download/707/
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[80] https://de.internationalism.org/Welt176_Rolle_der_Frau
[81] https://de.internationalism.org/content/2402/die-rolle-der-frau-bei-der-entstehung-der-menschlichen-kultur-teil-2
[82] https://de.internationalism.org/content/2417/rolle-der-frau-bei-der-entstehung-der-kultur-teil-3
[83] https://de.internationalism.org/content/2389/die-rolle-der-frau-bei-der-entstehung-der-menschlichen-solidaritaet-teil-2
[84] https://en.internationalism.org/worldrevolution/201403/9567/flooding-shape-things-come
[85] https://www.marxists.org/archive/bordiga/works/1956/weird.htm
[86] https://de.internationalism.org/content/823/eine-karikatur-der-partei-die-bordigistische-partei-antwort-kommunistisches-programm
[87] https://www.sinistra.net/lib/upt/kompro/ciou/ciouhbebod.html
[88] https://de.internationalism.org/content/1949/wiederveroeffentlichung-internationalisme-1947-gegenwaertige-probleme-der
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[90] https://de.internationalism.org/content/2944/die-1950er-und-60er-jahre-damen-bordiga-und-die-leidenschaft-fuer-den-kommunismus
[91] https://en.internationalism.org/internationalreview/199803/3824/1918-programme-german-communist-party
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[93] https://en.internationalism.org/ir/97_kapd.htm
[94] https://en.internationalism.org/content/16797/marc-chirik-and-state-period-transition
[95] http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_536.htm
[96] https://en.internationalism.org/icconline/2009/04/darwin-and-the-descent-of-man
[97] https://libcom.org/article/human-species-and-earths-crust-amadeo-bordiga
[98] http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_209.htm#Kap_III
[99] https://www.cnbc.com/2018/05/17/two-thirds-of-global-population-will-live-in-cities-by-2050-un-says.html
[100] https://www.quora.com/In-2009-the-world-population-was-6-8-billion-Exponential-growth-rate-was-1-13-per-year-What-is-the-estimated-world-population-in-2012-and-2020
[101] https://www.marxists.org/archive/trotsky/1924/lit_revo/
[102] https://en.internationalism.org/internationalreview/200210/9651/trotsky-and-culture-communism
[103] https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/02/ipcc_wg3_ar5_chapter8.pdf
[104] http://www.asirt.org/safe-travel/road-safety-facts
[105] https://libcom.org/article/class-war-102019-yellow-vests
[106] https://fr.internationalism.org/content/9877/prise-position-camp-revolutionnaire-gilets-jaunes-necessite-rearmer-proletariat
[107] https://www.international-communist-party.org/English/TheCPart/TCP_021.htm
[108] https://www.internationalcommunistparty.org/index.php/en/publications/the-internationalist/363-the-internationalist-n-07-2020-2021/2768-after-minneapolis-let-the-revolt-of-the-american-proletarians-be-an-example-to-proletarians-in-all-metropolises
[109] https://www.leftcom.org/en/articles/2020-05-30/on-minneapolis-police-brutality-class-struggle
[110] https://en.internationalism.org/content/16855/covid-19-despite-all-obstacles-class-struggle-forges-its-future
[111] https://en.internationalism.org/internationalreview/197701/9333/ambiguities-internationalist-communist-party-over-partisans-italy-19
[112] https://en.internationalism.org/content/3203/polemic-wind-east-and-response-revolutionaries
[113] https://en.internationalism.org/content/3250/polemic-faced-convulsions-east
[114] https://www.leftcom.org/en/articles/2019-01-18/some-further-thoughts-on-the-yellow-vests-movement
[115] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_741.htm#Kap_24_6
[116] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_341.htm#M24
[117] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_341.htm
[118] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_441.htm
[119] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_2
[120] https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violenc
[121] https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violencia-racial-eeuu-historia-racismo.html
[122] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_7
[123] https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band39.pdf
[124] https://www.koorosh-modaresi.com/MarxEngels/V50.pdf
[125] https://www.zinez.net/internacional/20200603/481582308546/violencia-raci
[126] https://en.internationalism.org/content/9459/history-class-struggle-south-africa;
[127] https://en.internationalism.org/international-review/201508/13355/south-africa-world-war-ii-mid-1970s;
[128] https://en.internationalism.org/international-review/201702/14250/soweto-1976-anc-power-1993;
[129] https://en.internationalism.org/content/16598/election-president-nelson-mandela-1994-2019
[130] https://en.internationalism.org/internationalreview/200912/3406/1492-discovery-america
[131] https://en.internationalism.org/content/16709/american-civil-war-and-struggle-working-class-unity
[132] https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violencia-racial-eeuu-historia-racismo.html?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_content=claves_de_hoy
[133] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_3
[134] http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_225.htm
[135] http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_361.htm
[136] https://www.marxists.org/archive/marx/works/1847/11/prin-com.htm
[137] https://www.marxists.org/archive/marx/iwma/documents/1864/lincoln-letter.htm
[138] https://en.internationalism.org/internationalreview/200601/1609/iww-failure-revolutionary-syndicalism-usa-1905-1921;
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[215] mailto:[email protected]
[216] mailto:[email protected]
[217] https://de.internationalism.org/content/1078/der-haager-kongress-von-1872-der-kampf-gegen-den-politischen-parasitismus
[218] https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200512/302/el-terrorismo-un-arma-de-guerra-del-capitalismo
[219] https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200605/932/tregua-de-eta-para-eliminar-el-terror-la-clase-obrera-debe-erradicar-el
[220] https://es.internationalism.org/accion-proletaria/200601/396/conflicto-vasco-contra-la-barbarie-de-las-luchas-nacionales-la-alternat
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[222] https://de.internationalism.org/content/865/die-freunde-durrutis-lehren-aus-einem-unvollstaendigen-bruch-mit-dem-anarchismus
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[263] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/klima
[264] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/demo
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[266] https://de.internationalism.org/tag/6/1273/streiks
[267] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/arbeiterklasse
[268] https://de.internationalism.org/tag/6/1296/usa
[269] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/iran
[270] mailto:[email protected]
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[281] https://www.handelsblatt.com/politik/international/rohstoffe-deutschland-importierte-seit-2014-energie-aus-russland-im-wert-von-170-milliarden-euro/28156942.html
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[294] https://de.internationalism.org/files/de/gegen_die_angriffe_der_bourgeoisie_brauchen_wir_einen_vereinten_und_massiven_kampfneu.pdf
[295] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1844/oek-phil/3-2_prkm.htm
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[297] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_483.htm#Kap_13_10
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[307] https://es.internationalism.org/cci-online/200702/1283/cierre-de-delphi-solo-con-la-lucha-masiva-y-solidaria-seremos-fuertes
[308] https://de.internationalism.org/content/1016/streik-der-metallarbeiter-vigo-spanien-die-proletarische-kampfmethode
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[313] https://www.international-communist-party.org/CommLeft/CL36.htm#UkraineLeaf
[314] https://www.euronews.com/2021/12/28/the-west-must-stand-firm-to-combat-russia-s-threats-to-ukraine-view
[315] https://de.wikipedia.org/wiki/Uber_(Unternehmen)
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[320] https://de.internationalism.org/content/3031/russland-ukraine-konflikt-der-krieg-ist-die-lebensform-des-kapitalismus
[321] https://de.internationalism.org/content/3036/imperialistischer-krieg-der-ukraine-der-kapitalismus-ist-der-krieg-krieg-dem
[322] https://crimethinc.com/2022/02/26/russian-anarchists-on-resisting-the-invasion-of-ukraine-updates-and-analysis
[323] https://www.theguardian.com/commentisfree/2022/feb/27/liberal-democracies-must-defend-their-values-and-show-putin-that-the-west-isnt-weak
[324] http://www.leftcom.org/en/articles/2022-04-06/no-war-but-the-class-war-a-call-for-action
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[327] https://de.internationalism.org/contact
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[330] https://www.wsws.org/en/articles/2022/09/08/coef-s08.html
[331] https://www.leftcom.org/en/articles/2022-08-31/north-sea-oil-and-gas-fields-the-struggle-continues
[332] https://notesfrombelow.org/article/how-amazon-wildcat-spread
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[338] https://de.internationalism.org/content/3041/die-arbeiterklasse-darf-keine-opfer-fuer-den-krieg-und-fuer-die-krise-akzeptieren
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[474] https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles/meldungen/generalinspekteur-zur-kriegstuechtigkeit-bundeswehr-5718502
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